Verfassungsschutzbericht 2015 Verfassungsschutzbericht 2015 4 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Erreichbarkeit Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Klosterstraße 47, 10179 Berlin Telefon 030 90129-440 Fax 030 90129-844 info@verfassungsschutz-berlin.de www.verfassungsschutz-berlin.de Pressestelle 030 90129-565 Vertrauliches Telefon 030 90129-400 Deutsch/Englisch 030 90129-401 Türkisch 030 90129-402 Arabisch Herausgeber Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Abteilung Verfassungsschutz Redaktionsschluss April 2016 Abdruck gegen Quellenangabe gestattet, Belegexemplar erbeten. Hinweis Dieser Verfassungsschutzbericht erwähnt nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes. Vorwort 5 Vorwort Die islamistisch motivierten Terroranschläge in Frankreich und Belgien haben Europa und die Welt erschüttert. Mit unfassbarer Kaltblütigkeit und Brutalität wurden unschuldige Menschen in den Tod gerissen, Hunderte wurden zum Teil schwer verletzt. Noch immer arbeiten diverse Sicherheitsbehörden daran, das hinter den Anschlägen stehende Netzwerk aufzuklären. Auch wenn viele der Täter inzwischen gefasst wurden, so sind noch viele Fragen offen. Die Lage ist unverändert ernst. Die Bilder, die aus Paris live in alle Welt ausgesendet wurden, waren kaum zu ertragen. Die Dimension und Strategie der Anschläge im November stellen die Sicherheitsbehörden vor eine neue Herausforderung, der wir uns entschlossen stellen müssen. Denn jeder Terrorangriff ist ein Angriff auf unsere freie und offene Gesellschaft und auf unsere Werte. Terroristen geht es darum, nicht nur Angst und Misstrauen zu säen, sondern die soziale Ordnung zu destabilisieren. Dem dürfen wir nicht nachgeben. Die Behörden brauchen weiterhin eine angemessene personelle und technische Ausstattung ebenso wie ein effektives und verlässliches rechtliches Regelwerk. Besonderes Augenmerk legt der Verfassungsschutz wie auch in den vergangenen Jahren auf die steigenden Zahlen der Salafisten und der Ausreisen in die Bürgerkriegsregion Syrien/Irak. Auch wenn die Zahlen nicht mehr so dramatisch anwachsen, so nimmt die Zahl der jungen Männer zu, die aus dem Kampfgebiet zum Teil traumatisiert, zum Teil aber auch extrem radikalisiert zurückkehren. Umso wichtiger ist es, dass wir im Bereich der Prävention und Deradikalisierung nicht nachlassen. Das Deradikalisierungsnetzwerk meiner Verwaltung und das von mir ins Leben gerufene Berliner Landesprogramm 6 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 "Radikalisierungsprävention" waren hier wichtige erste Schritte. Erstmals werden nun landesweit Initiativen, Projekte und Programme gezielt gefördert und miteinander abgestimmt. Die an sich eher heterogene rechtsextremistische Szene in Berlin war sich vor allem in einem Punkt einig: in der massiven Stimmungsmache gegen Flüchtlinge. Rechtsextremisten nahezu aller Gruppierungen und Parteien, sowohl aus dem traditionellen neonazistischen Spektrum als auch aus dem eher neuen islamfeindlichen Bereich setzten im vergangenen Jahr auf dieses Thema, um auf sich aufmerksam zu machen und Mitglieder zu werben. Mit Nachdruck hat die Szene versucht, die öffentliche Stimmung zu beeinflussen, um materielle und personelle Unterstützung zu bekommen. Zumindest vorübergehend schafften sie es so, das Aktivitätsniveau der Szene im Vergleich zu den Vorjahren zu steigern. Rechtsextremisten gaben sich als "Kümmerer" und "Anwalt der kleinen Leute". Dabei ging es ihnen nicht um die Lösung konkreter Probleme. Sie verbreiteten vielmehr fremdenfeindliche Stereotype und versuchten, den Rassismus salonfähig zu machen. Hier gilt es, diese Masche zu erkennen und die Extremisten als solche zu enttarnen. Linksextremisten machten sich in Berlin vor allem im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um das Szeneobjekt in der Rigaer Straße bemerkbar. Mit einer gezielten Eskalationsstrategie versuchte man, politisch wahrgenommen zu werden. Die klassische "Antifa" steckt in einer Identitätskrise und versucht, sich neu zu organisieren. Erfolgreicher sind hier die so genannten "Postautonomen" mit ihrer Strategie der Unterwanderung zivilgesellschaftlicher Initiativen. Sie engagieren sich in nahezu allen gesellschaftlich relevanten Themenfeldern - auch in der "Antifa"-Arbeit. Es gelingt ihnen dabei oftmals, das Heft des Handelns sukzessive zu übernehmen. Vorwort 7 Diese Themenpalette macht deutlich, dass die personelle Aufstockung des Berliner Verfassungsschutzes dringend notwendig war. Wir brauchen für die Sicherheit unserer Hauptstadt eine nicht nur qualitativ sondern auch quantitativ angemessen ausgestattete Behörde. Doch klar ist auch: dem Extremismus und auch dem Entstehen von Extremismus darf man nicht nur durch Repression begegnen. Hier brauchen wir weiter den Austausch mit Partnern aus der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft. Diesen Weg der vertrauensvollen Zusammenarbeit müssen wir weiter gemeinsam gehen. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre. Frank Henkel Senator für Inneres und Sport 8 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Inhaltsverzeichnis I Verfassungsschutz Berlin 13 Struktur 14 Gesetzliche Grundlagen 15 Aufgaben und Befugnisse 15 Kontrolle 16 Arbeitsweise 17 Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes 22 Inhaltsverzeichnis 9 II Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 27 1 Islamismus 28 1.1 Ideologie des Islamismus 28 1.2 Personenpotenzial 32 1.3 Transnationaler islamistischer Terrorismus 33 1.3.1 Überblick zur Entwicklung im Konfliktraum Syrien und Irak 33 1.3.2 Die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) in Syrien und Irak 34 1.3.3 Deutschsprachige Propaganda des IS 36 1.3.4 Ideologische Gräben zwischen "al-Qaida" und IS 40 1.3.5 Die Gefährdungslage in Deutschland 43 1.4 Salafistische Bestrebungen 49 1.4.1 Überblick: Aktivitäten und Trefforte in Berlin 51 1.4.2 Weiterführung der "Lies!"-Aktion in Berlin 54 1.5 Regional gewaltausübende islamistische Gruppen 55 1.5.1 "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS) 55 1.5.2 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") 57 1.6 Gewaltbefürwortender Islamismus 60 1.6.1 Hizb ut-Tahrir (HuT, "Partei der Befreiung") 61 1.7 Legalistischer Islamismus 62 1.7.1 Muslimbruderschaft (MB) 63 1.7.2 "Milli Görüs"-Bewegung (MGB) 65 1.8 Islamisten und die Flüchtlingsthematik 68 2 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 71 2.1 Ideologien extremistischer Bestrebungen ausländischer Organisationen 71 2.2 Personenpotenzial 72 2.3 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 73 2.3.1 Entwicklung in kurdisch besiedelten Gebieten des Krisenraums Syrien/Irak 74 2.3.2 Eskalation des Konflikts zwischen türkischem Staat und PKK 74 2.3.3 Die PKK in Europa, Deutschland und Berlin 77 2.3.4 Aktivitäten der PKK in Berlin 79 2.4 Ülkücü-Bewegung 83 10 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 3 Rechtsextremismus 86 3.1 Ideologie des Rechtsextremismus 86 3.2 Personenpotenzial und Straftaten 88 3.3 Rechtsextremistische Strukturen mit neonazistischer Orientierung 92 3.3.1 Netzwerk "Freie Kräfte" 92 3.3.2 Rechtsextremistische Musik im Zeichen der Hetze gegen Flüchtlinge 97 3.3.3 NPD Berlin - zwischen "Kümmerer-Image" und offener Fremdenfeindlichkeit 100 3.3.4 "Die Rechte": Kameradschaften unter dem Schutzschild des Parteienprivilegs 105 3.3.5 Die neonazistische Partei "Der III. Weg" 107 3.3.6 "Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf" - vom Motor der Bewegung zur Randerscheinung 109 3.4 Die islamfeindliche Mischszene Berlins 110 3.4.1 Bürgerbewegung Pro Deutschland 110 3.4.2 HoGeSa Berlin - Rechtsextremistische Hooligans 112 3.4.3 Identitäre Bewegung 112 3.4.4 Aktivitäten der Bärgida ("Berliner Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes") 115 3.5 Rechtsextremistische Agitation gegen Flüchtlinge in Berlin 116 3.6 Sonstige rechtsextremistische Strukturen 118 3.6.1 Europäische Aktion 118 3.6.2 Reichsbürger 120 4 Linksextremismus 122 4.1 Ideologie und Historie 122 4.2 Personenpotenzial und Straftaten 125 4.3 Aktuelle Entwicklungen 128 4.3.1 Interventionistische Linke (IL) 133 4.3.2 Theorie Organisation Praxis (TOP B3rlin) 136 4.3.3 radikale linke | berlin 140 4.3.4 Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (ARAB) / Neue antikapitalistische Organisation (NaO) 144 4.3.5 North East Antifascists (NEA) 147 4.3.6 Rigaer 94 150 4.4 Fazit und Ausblick 154 Inhaltsverzeichnis 11 5 Scientology Organisation 156 6 Spionageabwehr 158 7 Geheimund Sabotageschutz 160 7.1 Geheimschutz in der Wirtschaft 161 7.2 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen 162 8 Wirtschaftsspionage 165 III Anhang 169 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 170 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 182 Personenund Sachregister 185 Bildnachweis 194 Publikationen des Verfassungsschutzes 196 12 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 I Verfassungsschutz Berlin 14 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Struktur Verfassungsschutzbehörde für das Land Berlin ist die Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Die Aufgaben werden durch die Abteilung II wahrgenommen: Abteilung II Verfassungsschutz Abteilungsleiter ÖAG Geheimschutz/ Öffentlichkeitsarbeit/ Mitwirkung Gremien Referat II A Referat II B Referat II C Referat II D Referat II E Referat II F Grundsatz RechtsIslamismus SpionageBeschaffung LinksRecht extremismus (inkl. abwehr extremismus Verwaltung Terrorismus) / InformationsAusländertechnik extremismus Während das Grundsatzreferat II A Querschnittsaufgaben wie Verwaltung, Recht und Informationstechnik abdeckt, sind die Auswertungsreferate II B, II C, II D und II F für die Analyse und Bewertung von Informationen zuständig. Das Referat II E beschafft Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Für die Aufgaben des Verfassungsschutzes standen 2015 Haushaltsmittel in Höhe von 13,42 Mio. Euro und 198,58 Stellen zur Verfügung. Gesetzliche Grundlagen 15 Gesetzliche Grundlagen Aufgaben und Befugnisse Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist hinsichtlich der Aufgabenstellungen, der Befugnisse und der Kontrollverfahren im Grundgesetz und in Einzelgesetzen festgeschrieben.1 Von Bedeutung sind hier: * das Grundgesetz (GG), Artikel 73 und 87, * die Verfassung von Berlin, * das Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln),2 * das Gesetz zur Beschränkung des Postund Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) sowie das Gesetz zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz, * das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG), * das Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG). 1 Detaillierte Darstellungen sowie Gesetzestexte sind auf der Internetseite des Verfassungsschutzes unter www.verfassungsschutz-berlin.de/Grundlagen eingestellt. 2 Der vollständige Gesetzestext ist im Anhang abgedruckt und kann auf der Internetseite des Berliner Verfassungsschutzes unter www.verfassungsschutz-berlin.de abgerufen werden. 16 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Kontrolle Die Verfassungsschutzbehörde unterliegt bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben einer Kontrolle auf mehreren Ebenen: Öffentliche Kontrolle Revision durch Bürger und Kontrollinstanz Medien der Leitung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Datenschutz Allgemeine Beauftragte für parlamentarische Datenschutz und Kontrolle durch das Informationsfreiheit Abgeordnetenhaus Debatten, Aktuelle Stunden, Parlamentarische Anfragen, Petitionen Abteilung II Verfassungsschutz Gerichtliche Besondere parlamenKontrolle tarische Kontrolle durch VerwaltungsAusschuss für Vergerichte fassungsschutz G10-Kommission Vertrauensperson Kontrolle von Eingrifdes Ausschusses für fen in das Postund Verfassungsschutz Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG Arbeitsweise 17 Arbeitsweise Der Verfassungsschutz Berlin hat laut Verfassungsschutzgesetz Berlin (VSG Bln) die Aufgabe, den Senat und das Abgeordnetenhaus, andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu unterrichten.3 Die Behörde beschafft Informationen, analysiert sie und unterrichtet Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit über ihre Erkenntnisse. Definition Extremismus Der Verfassungsschutz beobachtet extremistische Bestrebungen. Der Begriff Extremismus bezeichnet kein einheitliches Phänomen, sondern ist eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Bestrebungen, "die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln einig wissen".4 Die verfassungsmäßige Grenze des politischen Handelns ist in der Bundesrepublik Deutschland eindeutig festgelegt. Anlässlich des Verbots der "Sozialistischen Reichspartei" (SRP) bestimmte das Bundesverfassungsgericht 1952 den Kern des demokratischen Verfassungsstaates, die freiheitliche demokratische Grundordnung. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind zu rechnen: * die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, vor allem der Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf Leben, * die Volkssouveränität, * die Gewaltenteilung, * die Verantwortlichkeit der Regierung, * die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, * die Unabhängigkeit der Gerichte, 3 Vgl. SSSS 1, 5 und 6 VSG Bln. 4 Uwe Backes / Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. 4. Auflage, Bonn 1996, S. 45. 18 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 * das Mehrparteienprinzip, * die Chancengleichheit aller politischen Parteien, * das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.5 Die Verfassungsschutzbehörden verwenden den Extremismusbegriff seit Anfang der 1970er Jahre in Abgrenzung zu dem Begriff des Radikalismus. Während extremistische Positionen die Grenze der verfassungsmäßigen Ordnung überschreiten, bezeichnet der Radikalismus Auffassungen, die zwar grundlegende systemoppositionelle Positionen vertreten, die sich aber mit ihrer fundamentalen Kritik innerhalb der Grenzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegen. Informationsbeschaffung Bei der Informationsbeschaffung ist zwischen offenen und verdeckt erhobenen Informationen zu unterscheiden. Der Verfassungsschutz erhält einen großen Anteil seiner Informationen aus allgemein zugänglichen Veröffentlichungen und Veranstaltungen. Nachrichtendienstliche Mittel dürfen nach dem VSG Bln eingesetzt werden, wenn verfassungsfeindliche Bestrebungen weitgehend konspirativ agieren und sich wegen der Abschottung auf andere Weise keine Informationen gewinnen lassen. Nach den Vorgaben des VSG Bln darf der Einsatz dieser Mittel nur erfolgen, wenn sie im Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel kommt deshalb erst dann in Betracht, wenn die anderen Mittel der Nachrichtenbeschaffung erschöpft sind, d.h. wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählen der Einsatz von Vertrauenspersonen (so genannten V-Personen, die aus Beobachtungsobjekten berichten),6 die Observation sowie die Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs, deren besonders engen rechtlichen Voraussetzungen im Gesetz zu Artikel 10 GG geregelt sind. 5 Vgl. BVerfG 2, 1 ff.; BVerfG 5, 85 ff.; SS 6 VSG Bln. 6 Die Informationsbeschaffung durch V-Personen ist von großer Bedeutung für die Gewinnung von Informationen über verfassungsfeindliche, insbesondere gewaltbereite, Organisationen. Der Einsatz von V-Personen steht in einem Spannungsfeld: Einerseits bedarf es des Schutzes der freiheitlichen Demokratie, andererseits der Beschaffung von Informationen durch Mitglieder extremistischer Organisationen. V-Personen sind Privatpersonen, die in der Regel der zu beobachtenden verfassungsfeindlichen Organisation angehören oder ihr nahe stehen. Sie berichten über deren Strukturen und Aktivitäten. Der Gesetzgeber hat dieses Mittel der Informationsbeschaffung den Verfassungsschutzbehörden zugewiesen (SS 8 Abs. 2 Nr. 1 VSG Bln). Aufgrund der besonderen Sensibilität der Maßnahme sind dem Einsatz von V-Personen aber enge rechtsstaatliche Grenzen gesetzt. Voraussetzung beim Einsatz von V-Personen ist die Vertraulichkeit (so genannter Quellenschutz). Arbeitsweise 19 Zur Bekämpfung gewalttätiger, insbesondere terroristischer Bestrebungen dürfen Anfragen an Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsanbieter und Kreditinstitute gestellt werden. Gerade zur Aufklärung islamistischer terroristischer Netzwerke kann es erforderlich sein, Flüge festzustellen, Finanzierungsströme aufzuklären und Telefonverbindungsdaten zur Feststellung von Kontakten zu erlangen. Wegen der Eingriffstiefe dieser Befugnisse wurde die Umsetzung in den letzten zehn Jahren mehrfach auf Bundesebene evaluiert. In der Folge wurden die Befugnisse im Wesentlichen bestätigt, teilweise effektiver ausgestaltet. Informationsbearbeitung Die durch die Informationsbeschaffung gesammelten Rohdaten müssen gefiltert, systematisiert und analysiert werden. Dabei kommt der Informationstechnik für die Verarbeitung großer Datenmengen eine wichtige Rolle zu. Als bundesweite Verbunddatei existiert für die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder das "Nachrichtendienstliche Informationssystem" (NADIS). Die Speichervoraussetzungen sind in den SSSS 10 und 11 des Bundesverfassungsschutzgesetzes geregelt (SS 6 Absatz 2 Satz 2 BVerfSchG). Anfang 2016 waren für Berlin 38 752 Datensätze im NADIS gespeichert (Anfang 2015: 36 637). Der weit überwiegende Anteil dieser Datensätze fällt auf die Sicherheitsund Zuverlässigkeitsüberprüfungen, die nur mit Zustimmung der betroffenen Person erfolgt. Die übrigen verteilen sich auf die Aufgabenbereiche Rechtsund Linksextremismus, Spionageabwehr, Islamismus und sonstiger Extremismus mit Auslandsbezug. Für die Auswertung der Daten spielt die präzise Definition von Analysebegriffen etwa zur Risikobewertung und die Entwicklung von Instrumenten wie die computergestützte geografische Analyse eine wichtige Rolle. Durch letztere können lokale Schwerpunkte herausgearbeitet werden (vgl. "Im Fokus"Studien "Rechte Gewalt in Berlin" und "Linke Gewalt in Berlin" sowie zahlreiche Lageanalysen).7 Informationsweitergabe Die Informationsweitergabe an andere Behörden oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs ermöglicht es diesen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren zu ergreifen. Die Zusammenarbeit mit anderen 7 Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Rechte Gewalt in Berlin 2003 bis 2006. Berlin 2007; Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Linke Gewalt in Berlin. Berlin 2009; Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Rechte Gewalt in Berlin 2003 bis 2012. Berlin 2014; Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Linke Gewalt in Berlin 2009 bis 2013. Berlin 2015. 20 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Behörden und Stellen geschieht auf Grundlage der Regelungen des VSG Bln über die Informationsweitergabe.8 Neben repressiven Maßnahmen dient auch die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Extremismus dem Schutz der Demokratie. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit ist deshalb als Aufgabe im VSG Bln festgeschrieben.9 Zusammenarbeit mit anderen Behörden Bei der Weitergabe von Erkenntnissen über Personen wird danach unterschieden, ob es sich um Sicherheitsbehörden, andere öffentliche Stellen oder ausländische Institutionen handelt. * Bei der Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund besteht eine Informationspflicht für alle anfallenden Erkenntnisse, die für die Aufgabenerfüllung der anderen Behörden relevant sind (SS 6 Absatz 1 Bundesverfassungsschutzgesetz). * Die Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft wird durch besondere Übermittlungsbefugnisse flankiert. Wenn es zur Verhinderung und Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit extremistischen Bestrebungen erforderlich ist, müssen Erkenntnisse weitergegeben werden (SS 21 VSG Bln), sofern keine Übermittlungsverbote (SS 28 VSG Bln) entgegen stehen. * An andere öffentliche Stellen dürfen Erkenntnisse über Personen insbesondere übermittelt werden, wenn sie die Informationen zum Schutz vor verfassungsfeindlichen Bestrebungen oder zur Strafverfolgung benötigen oder wenn es zur Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist (SS 22 VSG Bln). * Besondere Beschränkungen gelten für die Weitergabe personenbezogener Informationen an Personen und Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs oder an ausländische Stellen (SSSS 23, 24 und 25 VSG Bln). Angesichts der anhaltenden Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus haben die Innenminister die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren ausgebaut. 2004 hat das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin-Treptow seine Arbeit aufgenommen. Neben Vertretern des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), des Bundeskriminalamtes (BKA), des Bundesnachrichtendiens- 8 Vgl. speziell SSSS 18 - 25 VSG Bln. 9 Vgl. SS 5 VSG Bln. Arbeitsweise 21 tes (BND), des Generalbundesanwalts (GBA) sowie ausländischer Partnerdienste sind die Länder jeweils mit Verbindungsbeamten der Polizei und der Verfassungsschutzbehörden dort vertreten. Das GTAZ ermöglicht, Informationen zum islamistischen Terrorismus umgehend gemeinsam zu analysieren und die operativen Maßnahmen abzustimmen. Gerade bei der Bewältigung besonderer Gefährdungslagen hat sich die Institution als nützlich erwiesen. Ende 2006 trat das Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizei und Nachrichtendiensten in Kraft.10 Von besonderer Bedeutung ist die Anti-Terror-Datei (ATD). Sie dient dem Erkenntnisaustausch zu Personen, die dem internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland zugerechnet werden. Das "Gemeinsame Internet-Zentrum" (GIZ) wurde im Januar 2007 eingerichtet. In ihm arbeiten Mitarbeiter von BfV, BKA, BND, MAD und GBA zusammen, um ihre Erkenntnisse in der Beobachtung islamistischer Aktivitäten im Internet zu bündeln. Die stetig wachsende Zahl islamistischer Webseiten belegt die zunehmende Bedeutung des Internets für militante Islamisten, die dieses Medium vor allem als Propagandaund Rekrutierungsinstrument intensiv nutzen. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch die Analyse und Bewertung entsprechender Webseiten für die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus an Bedeutung. Nach der Aufdeckung der Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) und ihrer Taten wurde analog zum Arbeitsgebiet islamistischer Terrorismus auch im Rechtsextremismus eine Intensivierung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf den Weg gebracht. Im Dezember 2011 wurde das "Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus" (GAR) eingerichtet, das im Wechsel beim BKA in Meckenheim und dem BfV in Köln tagte. Es dient der engeren Koordination und Kooperation zwischen den Nachrichtendiensten und den Polizeibehörden von Bund und Ländern und wurde im Herbst 2012 in dem neuen "Gemeinsamen Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) für alle Phänomenbereiche (außer Islamismus) eingegliedert. Eine "Verbunddatei Rechtsextremismus" (RED) für Polizeibehörden und Nachrichtendienste sowie eine "Koordinierte Internetauswertung Rechtsextremismus" (KIAR) nahmen ebenfalls 2012 ihren Betrieb auf. 10 Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder vom 22.12.2006. 22 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes Die Information von Politik und Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ist die zentrale Aufgabe des Berliner Verfassungsschutzes, die im Verfassungsschutzgesetz an erster Stelle genannt wird. Als das Landesamt für Verfassungsschutz im Jahr 2000 aufgelöst und die Abteilung II bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport gegründet wurde, war es politischer Konsens, dass der Öffentlichkeitsarbeit ein gewichtiger Stellenwert eingeräumt wird. Diesen Auftrag erfüllen wir seitdem mit großem Engagement. Wir informieren Senat, Parlament und die Öffentlichkeit über aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern - so weitgehend und intensiv wie möglich. Dem Verfassungsschutz sind selbstverständlich in der Art und im Umfang seiner offenen Informationen Grenzen gesetzt. Oftmals werden die politische Leitung und die parlamentarischen Kontrollgremien in vertraulicher oder nicht-öffentlicher Sitzung über gravierende Ereignisse und Entwicklungen informiert. Gleichwohl sind wir bestrebt, relevante und bemerkenswerte Aktivitäten und Veränderungen in den Extremismusspektren auch der Öffentlichkeit mitzuteilen. Sei es in wissenschaftlichen Analysen oder knappen "Aktuellen Meldungen" im Internet - dem Thema angemessen informieren wir aktuell und präzise. Weil wir dazu beitragen, die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus zu führen, leistet der Verfassungsschutz einen aktiven Beitrag zur Prävention, indem er hinsichtlich extremistischer Hintergründe und Entwicklungen sensibilisiert. Wir informieren aber nicht nur in unterschiedlichen Publikationen und über das Internet. Wir halten auch Vorträge für Bildungseinrichtungen und interessierte Organisationen. Zudem veranstaltet der Berliner Verfassungsschutz Symposien zu seinen Themenfeldern. Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes 23 Dies sind die Formate der Öffentlichkeitsarbeit im Einzelnen: Publikationen Der Berliner Verfassungsschutz hat mehrere Publikationsreihen entwickelt, um dem unterschiedlichen Informationsbedarf gerecht zu werden. Alle Publikationen können schriftlich bestellt werden und sind im Internet abrufbar. * Verfassungsschutzbericht: Den umfassendsten Überblick über die einzelnen Beobachtungsfelder geben die jährlichen Verfassungsschutzberichte. Sie informieren über das aktuelle Geschehen im extremistischen Spektrum, über die ideologischen Grundlagen des Islamismus, Rechts-, Linksund Ausländerextremismus sowie über die wichtigsten in Berlin vertretenen extremistischen Gruppierungen. * Reihe "IM FOKUS": Die Reihe behandelt einzelne Themenkomplexe des Extremismus wie rechte oder linke Gewalttaten oder Phänomene des Islamismus. Auch eine Broschüre zu Scientology liegt vor. Stärker als im Verfassungsschutzbericht steht die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Forschung im Vordergrund. Neu im Programm ist die Studie "Linke Gewalt in Berlin 2009 - 2013", die in einem Fünfjahreszeitraum die linken Gewalttaten in Berlin - Taten, Tatverdächtige und Opfer - analysiert. * Reihe "INFO": Die "INFO"-Reihe bietet praxisnahe kompakte Informationen über Erscheinungsformen des Extremismus. Anfang 2015 erschien die "INFO"Broschüre "Salafismus als politische Ideologie", die den Extremismus des Salafismus am Vergleich mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Deutschlands sowie die Unterscheidbarkeit salafistischer Strömungen aufzeigt. Auch die häufig nachgefragte "INFO"-Broschüre "Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus" wurde überarbeitet und in neunter Auflage neu herausgegeben. * Reihe "Infoflyer": Die Reihe "Infoflyer" klärt in kompakter Form über extremistische Aktivitäten auf, warnt vor Entwicklungen und Gefahren und bietet Hilfestellung bei praktischen Problemen an. Neu in dieser Reihe ist ein Flyer zur "Reichsbürgerbewegung", der über die Ideologie der Szene informiert sowie Handlungsempfehlungen im Umgang mit den so genannten "Reichsbürgern" enthält. 24 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 * Lageund Wahlanalysen: Diese Reihe bietet kurze Analysen zu Detailthemen. * "Lupe": Die Broschüre "Verfassungsschutz - nehmen Sie uns unter die Lupe" gibt Basisinformationen über Aufgaben und Befugnisse, Arbeitsfelder und Vorgehensweisen des Verfassungsschutzes. Veranstaltungsarbeit Der Berliner Verfassungsschutz hat am 1. Dezember erstmalig das "Berliner Forum für Sicherheit und Gesellschaft" veranstaltet. Zum Thema "Radikalisierung und Deradikalisierung" analysierten Experten Ursachen und Entwicklungen salafistischer Radikalisierung und diskutierten mögliche Präventionsund Deradikalisierungsansätze. Weitere Veranstaltungen in dieser Reihe sind geplant. Darüber hinaus hat der Berliner Verfassungsschutz zahlreiche Vortragsveranstaltungen durchgeführt. Dabei wurde sowohl über die Extremismusfelder, die der Verfassungsschutz beobachtet, als auch über die Arbeitsweise des Nachrichtendienstes informiert. Die Vortragsveranstaltungen wurden insbesondere von Polizei und Justiz sowie von schulischen und außerschulischen Bildungsträgern angefragt. Gremienarbeit Der Berliner Verfassungsschutz beteiligt sich in der Gremienarbeit am Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen. Er arbeitet regelmäßig mit anderen Akteuren im "Berliner Beratungsnetzwerk" gegen Rechtsextremismus zusammen. Zudem gibt es eine Kooperation mit der "Beratungsstelle Kompass" (Deradikalisierungsnetzwerk gegen Salafismus), die mit Mitteln der Senatsverwaltung für Inneres und Sport von "Violence Prevention Network" betrieben wird, sowie der Bildungsund Beratungsstelle "Annedore" der Stiftung SPI. Darüber hinaus steht der Berliner Verfassungsschutz im Austausch mit zahlreichen Organisationen aus Wissenschaft und Gesellschaft, mit denen er je nach Bedarf und Möglichkeit den Aufbau weiterer Kooperationen anstrebt. Internet Über den Internetauftritt unter www.verfassungsschutz-berlin.de können Aktuelle Meldungen, Informationen über die Grundlagen der Verfassungsschutzarbeit sowie die Veranstaltungen des Verfassungsschutzes Berlin und alle Publikationen abgerufen werden. Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes 25 Bürgerund Hinweistelefon Das Bürgertelefon als Teil der Öffentlichkeitsarbeit nimmt Ihre Hinweise oder Fragen gerne entgegen. Zu erreichen sind wir unter der Telefonnummer 030 90129-440 oder unter der E Mail-Adresse info@verfassungsschutz-berlin.de. Daneben haben wir ein vertrauliches Telefon für Hinweise, z.B. zur Aufklärung des islamistischen Terrorismus, an den Berliner Verfassungsschutz eingerichtet: - 030 90129-400 (in deutscher Sprache) - 030 90129-401 (in türkischer Sprache) - 030 90129-402 (in arabischer Sprache) Die Anschlüsse sind werktags von 9.00 bis 15.00 Uhr von sprachkundigen Mitarbeitern besetzt. Außerhalb der genannten Zeiten ist ein Anrufbeantworter geschaltet. Darüber hinaus können auch vertrauliche E-Mails an die Adressen info@ verfassungsschutz-berlin.de oder aman@verfassungsschutz-berlin.de gesendet werden. 26 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 II Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 28 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 1 Islamismus 1.1 Ideologie des Islamismus Islamismus lässt sich als Bestreben politischer Bewegungen des 20. Jahrhunderts definieren, den Islam zu ideologisieren und dort, wo dies möglich ist, entweder eine islamistische Herrschaft zu errichten oder die Gesellschaft zu islamisieren. Islamisten begreifen den Islam nicht allein als Religion, sondern als Herrschaftsideologie und als Gesellschaftssystem. Sie versuchen, ihre Vorstellungen auf legalem Wege oder gewaltsam durchzusetzen. Das zentrale Ideologem des Islamismus ist die Behauptung, dass der Islam nicht allein "Religion und Welt" verkörpere, sondern darüber hinaus eine unteilbare Einheit von "Religion" und "Politik" bilde. Dem hieraus abgeleiteten politischen Anspruch versuchen Islamisten mit dem Slogan, der Islam sei "Religion und Staat" (arab.: al-islam din wa-daula), Nachdruck zu geben. Dieses ca. 100 Jahre alte Schlagwort wird in Bilddarstellungen häufig mit Koran (für Religion) und Schwert (für Politik) symbolisiert. Kennzeichnend für einige islamistiIslamismus sche Gruppen ist die Favorisierung Islamismus ist eine politische Ideofrühislamischer und mittelalterlicher logie der Neuzeit und steht für die Herrschaftskonzepte - etwa ein gloIdeologisierung der islamischen Rebales Kalifat, in dem die Führungsperligion. Er erhebt den Anspruch, der son (Kalif) zugleich die weltliche und Islam sei nicht nur Religion, sondie religiöse Herrschaft ausübt. Dadern auch Herrschaftsideologie und rüber hinaus begreifen Islamisten die Gesellschaftsordnung. Verbunden islamische Rechtsund Werteordnung wird dieser Anspruch mit der ForScharia nicht allein als Recht, sondern derung nach Anwendung der isals politisches und gesellschaftliches lamischen Rechtsund WerteordOrdnungsprinzip. So werben sie mit nung Scharia als politisches und dem Schlagwort der "Anwendung der gesellschaftliches Ordnungsprinzip. Scharia" meist für eine vollständige Islamismus 29 Umsetzung der Bestimmungen des Trotz ideologischer Gemeinsamkei- 1 islamischen Rechts. Schließlich versuten der verschiedenen islamistischen chen insbesondere gewaltorientierte Strömungen existieren verschiedeislamistische Gruppen, Gewalt durch ne, teils konkurrierende Konzepte, Bezüge auf die Religion zu legitimiedie von einer Ablehnung der Demoren. Hierbei reduzieren sie den Begriff kratie bis zur Beteiligung an Wahlen des Jihad (wörtl. "Bemühung") vorranreichen. gig auf die Bedeutung von Kampf und Erhebliche Unterschiede bestehen kriegerischer Handlung und verstehen im Bereich der Gewaltorientierung. ihn nicht - wie im islamischen Recht Während "legalistische Islamisten" fixiert - als eine vorrangig zum Zwenicht gewaltorientiert sind, gibt es cke der Verteidigung muslimischen Gruppen, die zur Durchsetzung ihrer Territoriums zulässige Methode. ZuZiele Gewalt befürworten oder andem wird der vermeintlich offensive Jiwenden. had zu einer individuellen Pflicht jedes Zum Islamismus gehört auch der Muslims erklärt. Salafismus in seiner politischen und Trotz gemeinsamer ideologischer jihadistischen Ausprägung. Hier finMerkmale folgen die islamistischen den sich aktuell die radikalsten AufGruppen keinem einheitlichen Konfassungen innerhalb des islamistizept. Der Islamismus umfasst vielmehr schen Spektrums. unterschiedliche bis konkurrierende Vorstellungen und Agenden, die meist von den differierenden politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Herkunftsländer bestimmt werden. Einige verketzern etwa Demokratie als vermeintlich unislamisch, während andere sich an Wahlen in ihrer Heimat beteiligen. Insofern gibt es keinen "Einheits-Islamismus". Abgesehen von den Netzwerken um "al-Qaida" und den so genannten "Islamischen Staat" existiert auch nicht so etwas wie eine "islamistische Internationale". Gewaltorientierung In der Frage des Einsatzes von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele bestehen zwischen den Organisationen erhebliche Unterschiede. Das Spektrum reicht von der Ablehnung jeglicher Gewaltanwendung bis zur pseudoreligiösen Legitimation von Terrorismus. Zwei Hauptgruppen sind zu unterscheiden: Die erste Kategorie bilden die nicht-gewaltorientierten Islamisten, die auch als "legalistische Islamisten" bezeichnet werden. Hierzu gehören Gruppen, die entweder nie gewaltorientiert waren (etwa die Anhänger der türkischen "Milli Görüs"-Ideologie) oder die - häufig nach langen Phasen des Terrorismus - der Gewalt inzwischen 30 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 abgeschworen haben (etwa die arabische "Muslimbruderschaft", MB). Das Fehlen der Gewaltorientierung gilt vor allem für die deutschen Ableger der "legalistischen Islamisten". Die zweite Kategorie bilden die gewaltorientierten Islamisten, die sich wiederum in drei Unterkategorien einteilen lassen. Zur ersten Unterkategorie gehören Gruppen, die Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele zwar befürworten, selbst aber vorrangig keine Gewalt ausüben. Dies betrifft etwa die in Deutschland seit Januar 2003 mit einem Betätigungsverbot belegte "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung", HuT). Zur zweiten Unterkategorie gehören Gruppen, die ihre terroristischen Aktivitäten vorrangig auf den Nahen Osten beschränken. Dies gilt etwa für die libanesische "Hizb Allah" ("Partei Gottes") und die palästinensische "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS). Die dritte Unterkategorie gewaltorientierter Islamisten bilden schließlich transnational agierende Terrornetzwerke. Hierzu gehört in erster Linie das Netzwerk "al-Qaida" ("die Basis"), von dem inzwischen mehrere feste regionale Zweige existieren sowie die nicht fest mit "al-Qaida" verbundenen Organisationen. Zu den transnationalen Terrornetzwerken zählt seit 2014 auch der so genannte "Islamische Staat" (IS) in Teilen von Syrien und dem Irak, sowie die jihadistischen Gruppen, die dem selbsternannten Kalifen des IS seither die Treue geschworen haben. Ideologisch hebt sich der IS durch die exzessive Anwendung der "Verketzerung" (arab.: Takfir) Andersgläubiger von "al-Qaida" ab, womit schwerste Verbrechen gegen Zivilisten und nicht dem IS folgende Muslime legitimiert werden. Salafismus Innerhalb des islamistischen Spektrums erweist sich der Salafismus in seiner politischen und jihadistischen Ausprägung als die seit Jahren dynamischste Bewegung - sowohl in Deutschland als auch auf internationaler Ebene. Salafismus bezeichnet eine unbedingte Orientierung an der muslimischen Urgesellschaft, wie sie im siebten Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel existierte. Salafisten glauben, in den religiösen Quellen des Islam ein genaues Abbild dieser idealisierten islamischen Frühzeit gefunden zu haben und versuchen, die Gebote Gottes wortgetreu umzusetzen. Dies führt häufig zu einer wörtlichen Auslegung des Koran sowie der Sunna (wörtl. Brauch), der Tradition des Propheten und Religionsstifters Muhammad (570-632). Das zumeist wortgetreue Verständnis religiöser Texte kann dazu führen, dass von ihnen frühislamische Herrschaftsund Rechtsformen be- Islamismus 31 fürwortet werden. Diese sind mit den Werten unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. 1 Im Gegensatz zu den übrigen islamistischen Gruppen und Ideologien in Deutschland, die wie die "Milli Görüs"-Bewegung, MB, "Hizb Allah", HAMAS und HuT mehrheitlich nicht salafistisch ausgerichtet sind, verkörpert der Salafismus eine eher traditionelle Islamismus-Variante. Hierzu gehört neben der strikten Orientierung an der Gesellschaftsform des ersten muslimischen Gemeinwesens in Medina (gegr. 622 n. Chr.) auch ein Exklusivanspruch des eigenen Islam-Verständnisses gegenüber jeglichen anderen Islam-Interpretationen. So versuchen Salafisten, die Scharia meist in ihrer ursprünglichen Form durchzusetzen und beharren darauf, dass ihre Bestimmungen zeitlos seien und keinesfalls an heutige Umstände angepasst werden dürften. Insbesondere Muslime werden von Salafisten aufgefordert, salafistische IslamInterpretationen zu übernehmen und Vorschriften minutiös zu befolgen. Hierzu schreiben sie ein umfassendes Regelwerk vor. Dieses betrifft das Tragen so genannter "islamischer Kleidung" und die Übernahme alltäglicher Handlungen aus der Zeit des Propheten wie auch einer strikten Geschlechtertrennung und die Abgrenzung von einer nicht-muslimischen Umwelt. Hierzu gehört vor allem die - von den meisten anderen islamistischen Gruppen so nicht praktizierte - Diffamierung als "Ungläubige" (arab.: kuffar). Diese zielt bei Salafisten nicht allein auf Juden und Christen, sondern auch auf jene Muslime, die ihre politischen und gesellschaftlichen Auffassungen nicht teilen. Entsprechend gibt es einschlägige Aufforderungen zur Kontaktvermeidung und zum Abbruch der Beziehungen zu sämtlichen so genannten "Ungläubigen" sowie die Zurückweisung jeglicher Integrationskonzepte und Warnungen vor dem Zusammenleben von Nicht-Muslimen und Muslimen. 32 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 1.2 Personenpotenzial Im islamistischen Spektrum wird eine Unterteilung nach der Form der Gewaltorientierung der Organisationen vorgenommen. Zu den gewaltorientierten Organisationen zählen die Kategorien transnationaler islamistischer Terrorismus, Teile des Salafismus sowie regional gewaltausübende und gewaltbefürwortende Islamisten. Die legalistischen Organisationen dagegen lehnen Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ab. Transnationale terroristische Netzwerke wie "al-Qaida", bzw. das "Islamische Emirat Kaukasus" und die "Mujahidin-Netzwerke", wozu auch der "Islamische Staat" zählt, agieren äußerst klandestin, haben unterschiedliche Strukturen und sind teilweise miteinander vernetzt. Das Personenpotenzial terroristischer Netzwerke in Deutschland ist quantitativ kaum zu erfassen. Das Personenpotenzial im Salafismus ist zwischen 2014 und 2015 von bundesweit 7 000 auf 8 350 Personen weiter deutlich angewachsen, gegenüber dem Vorjahreszeitraum hat sich der Anstieg jedoch prozentual verlangsamt. Seit Ende 2011, als das Personenpotenzial im Salafismus erstmals bundesweit mit 3 800 Personen angegeben wurde, hat sich die Zahl der Salafisten in Deutschland damit mehr als verdoppelt. In Berlin ist im Jahr 2015 eine Zunahme von 570 auf 680 Salafisten zu verzeichnen, von denen 360 als gewaltorientiert gelten. Der Salafismus bleibt auch 2015 die am dynamischsten wachsende Bestrebung des Islamismus in Deutschland. Bis April 2016 ist die Zahl der Salafisten in Berlin auf 710 gestiegen. Regional gewaltausübende Organisationen agieren vor allem im Nahen Osten terroristisch. Sie verhalten sich in Deutschland in der Regel zurückhaltend und größtenteils gewaltfrei. Daneben existieren islamistische Gruppen, die Gewalt befürworten, selbst aber kaum gewaltausübend in Erscheinung treten. Das Personenpotenzial der regional gewaltausübenden Islamisten ist 2015 in Berlin gleich geblieben, während das der gewaltbefürwortenden islamistischen Gruppen leicht gesunken ist. Das Personenpotenzial legalistischer islamistischer Gruppierungen hat sich in Berlin 2015 nicht verändert. Von den 620 legalistischen Islamisten in Berlin sind 500 der "Milli Görüs"-Bewegung (MGB) zuzurechnen, die übrigen 120 der "Muslimbruderschaft" (MB). Islamismus 33 Personenpotenzial Islamismus* 1 2014 2015 Transnationaler islamistischer Terrorismus, davon 30 25 Mujahidin-Netzwerke keine gesicherten keine gesicherten (z.B. al-Qaida / Islamischer Staat) Zahlen Zahlen Islamisches Emirat Kaukasus 30 25 Salafistische Bestrebungen 570 680 Regional gewaltausübende Gruppen, davon: 320 320 HAMAS 70 70 Hizb Allah 250 250 Gewaltbefürwortende Gruppen, davon: 95 85 Hizb ut-Tahrir (HuT) 45 35 Sonstige 50 50 Legalistischer Islamismus, davon 620 620 Muslimbruderschaft (MB) / IGD 120 120 "Milli Görüs"-Bewegung (MGB) 500 500 Gesamt 1 635 1 730 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. 1.3 Transnationaler islamistischer Terrorismus 1.3.1 Überblick zur Entwicklung im Konfliktraum Syrien und Irak Das Geschehen in allen Beobachtungsfeldern des Islamismus, angefangen mit den Anschlägen der Terrororganisation "Islamischer Staat" bis zu den Aktivitäten legalistischer Islamisten für die Kriegsflüchtlinge, wurde auch 2015 von der Entwicklung im Konfliktraum Syrien und Irak beeinflusst. Dabei hängt es maßgeblich von der ideologischen Ausrichtung einer islamistischen Organisation und ihrer organisatorischen Struktur ab, wie stark der Konflikt das Handeln bestimmt und in welcher Weise dies Einfluss auf die Sicherheitslage in Deutschland und Berlin hat. In ähnlicher Weise bestimmt der Konflikt auch die Agenden im Bereich des Ausländerextremismus, allen voran die der PKK und deren Unterorganisationen. Nach bald fünf Jahren Krieg, geprägt von fast durchgängiger Eskalation, destabilisiert der Konflikt das Staatengefüge des gesamten Nahen Ostens. Unverändert überlagern sich in diesem "modernen Stellvertreterkonflikt" mehrschichtig die politisch, ethnisch und religiös aufgeladenen Interessen nicht nur der klassischen Großmächte, sondern zahlreicher weiterer regionaler Akteure. Bedeutsam 34 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 sind dabei insbesondere die Befürchtungen der Türkei vor dem kurdischen Streben nach Autonomie und Eigenstaatlichkeit, die hegemonialen Interessen der Regionalmächte Saudi-Arabien und des Iran, der den Verlust seiner Verbündeten in der Region fürchtet, sowie die internationale Allianz, die militärisch ein weiteres Erstarken des IS zu verhindern sucht. Der "Konfliktraum" umfasst im engeren Sinne Syrien und den Irak, berührt aber insbesondere mit Blick auf die Flüchtlingssituation alle Anrainerstaaten und mit Bezug auf eine militärische Mitwirkung am multinationalen Vorgehen gegen den IS weitere Staaten des Nahen und Mittleren Ostens. Das aktive militärische Eingreifen Russlands im September 2015 zur Unterstützung des Assad-Regimes hat die Komplexität des Konfliktes weiter erhöht, aber die militärische und politische Patt-Situation, bei der die Integrität des syrischen Staatsgebiets infrage steht, nicht grundsätzlich verändert. Die Fragmentierung des syrischen Staatsgebiets in Interessenssphären des Assad-Regimes, der Kurden sowie des so genannten "Islamischen Staats" und weiterer jihadistischer Gruppen hat sich 2015 verfestigt. Die zunehmende Unsicherheit und großräumige Zerstörungen haben in Syrien zu einer deutlichen Verschlechterung der humanitären Lage geführt, so dass sich für viele der im Land gebliebenen Menschen auf allen Seiten des Konflikts keine Lebensgrundlage mehr bietet. Gleiches gilt für die Flüchtlinge in den Lagern der syrischen Nachbarstaaten: Bei mehreren Millionen Menschen ist die Hoffnung auf eine zeitlich absehbare Möglichkeit zur Rückkehr in die Heimat geschwunden. Folge dieser Entwicklungen ist eine seit dem Frühjahr 2015 stark ansteigende Zahl von Flüchtlingen, die außerhalb des Nahen Ostens Schutz suchen und insbesondere in die Staaten der Europäischen Union drängen. 1.3.2 Die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) in Syrien und Irak Die Terrororganisation "Islamischer Staat" ist auch 2015 im Konfliktraum Syrien und Irak der zentrale Akteur, der Einfluss auf die Sicherheitslage in vielen Staaten hat. In den Reihen des IS sollen nach Schätzungen der Vereinten Nationen ca. 25 000 ausländische Kämpfer (Foreign Fighters) aktiv sein, vorrangig aus arabischen Staaten, jedoch auch mehrere Tausend Jihadisten aus Westeuropa, die von der "Staatsidee" des IS, die dieser unverändert propagiert, angezogen werden. Islamismus 35 "Islamischer Staat" (IS) 1 Die transnationale jihadistische Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) wurde am 29. Juni 2014 im nordirakischen Mossul gegründet. Ihr Führer Abu Bakr al-Baghdadi hat sich durch Akklamation eines Gelehrtenrates (arab.: Schura) zum vorgeblichen "Kalifen" aller Muslime ernannt. Mit dem Schwur (arab.: Bay'a) verpflichtet er seine Anhänger auf bedingungslose Loyalität. Nach den Eroberungen des IS von Teilen des Irak und Syriens ist es erstmals einer jihadistischen Organisation gelungen, zusammenhängende Gebiete zu kontrollieren, in denen der IS versucht, staatsähnliche Strukturen zu etablieren. Der IS hat seinen Ursprung im jihadistischen Widerstand gegen die US-Invasion im Irak 2003. Die Vorläuferorganisation des IS war bereits seit 2003 im Irak aktiv und schloss sich 2004 formal der "al-Qaida" an. Mitte 2006 wurde der "Islamische Staat Irak" (ISI) ausgerufen und seit Mai 2010 von al-Baghdadi geführt. Im April 2013 benannte sich der ISI inmitten des syrischen Bürgerkriegs in "Islamischer Staat im Irak und Großsyrien" (ISIG) um. Al-Baghdadi beanspruchte die Führung der "al-Qaida"-Gruppen auch in Syrien. Dies führte zum Bruch mit der Führung der Kern-"al-Qaida" und zur Feindschaft mit der seit 2011 in Syrien aktiven "Jabhat al-Nusra" (JaN), die seither alleiniger Zweig der "al-Qaida" in Syrien ist. Mit der Ausrufung des "Kalifats" benannte sich der ISIG in IS um und unterstrich somit seinen globalen Anspruch, alle Muslime zu vertreten. Ideologisch vertritt der IS die rigideste Form des jihadistischen Salafismus, bei dem exzessiv alle Andersgläubigen und -denkenden für ungläubig erklärt werden (arab.: Takfir). Dies legitimiere nach Auffassung des IS deren Tötung, auch wenn es sich um Muslime oder Zivilisten handelt. Auffällig im Handeln und in der Propaganda des IS ist das Streben, sich als "Staat" darzustellen. Seit der Intensivierung des syrischen Bürgerkriegs konnte der ISIG / IS machtfreie Räume nutzen, um Kontrolle über größere Gebiete zu erlangen. Das Bündnis mit sunnitischen Stämmen im Irak und das Zurückweichen der irakischen Armee hatten im Sommer 2014 die Ausrufung des IS zur Folge. Inzwischen haben zahlreiche jihadistische Organisationen außerhalb des IS-Territoriums dem "Kalifen" des IS die Treue geschworen und "Provinzen des IS" gebildet, darunter in Libyen, auf dem Sinai in Ägypten und im Jemen. Obgleich die Verwirklichung der "Staatsidee" und die territoriale Verteidigung des IS das Handeln der Organisation unverändert bestimmen, spre- 36 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 chen die terroristischen Aktivitäten des IS 2015 für eine in Teilen veränderte Strategie. Mehrfach scheint der IS Einzeltäter und Kleingruppen oder seine regionalen "Zweigstellen" beauftragt oder inspiriert zu haben, Anschläge gegen feindliche Konfliktparteien auch außerhalb seiner Kernregion zu verüben. Die Folge waren schwere Anschläge in Europa, insbesondere in Paris im November 2015, und im Nahen Osten wie der Anschlag im Oktober auf Demonstrationsteilnehmer in Ankara mit über 100 Toten sowie dem Anschlag Ende Oktober auf ein Passagierflugzeug über der Sinai-Halbinsel mit 224 getöteten meist russischen Touristen. Die Vereinten Nationen, die USA, Deutschland und weitere Staaten haben den IS als Terrororganisation eingestuft. 1.3.3 Deutschsprachige Propaganda des IS Die Propaganda des IS hat sich 2015 weiter diversifiziert, professionalisiert und ist vielsprachiger geworden. Auffällig ist eine Entwicklung, die Vorgehensweisen zur Verbreitung von Propaganda von den Techniken zur internen Kommunikation zu trennen. Nachdem große Kommunikationsdienstleister viele Tausend Nutzerkonten löschten, um der Verbreitung von IS-Propaganda entgegenzutreten, werden diese Anbieter von Jihadisten bei interner Kommunikation inzwischen vielfach gemieden. Da sie als unsicher gelten und eine Kooperation mit Sicherheitsbehörden angenommen wird, sollen Anweisungen existieren, bei Postings alles zu unterlassen, was Rückschlüsse auf IS-Aktivitäten oder eine Identifizierung zulassen könnte. Stattdessen ist bei Anhängern und Mitgliedern des IS ein Trend erkennbar, die Kommunikation zunehmend über Messenger-Dienste abzuwickeln, die auf unterschiedlichen technischen Plattformen betrieben werden können. Genutzt wird dazu "Open Source"-Software. Die noch vor einigen Jahren bedeutsamen jihadistischen Internetforen, die teils frei zugänglich waren und teils eine Anmeldung erforderten, haben an Bedeutung abgenommen. Nachdem der IS wegen seiner Art der Propaganda auch von Ideologen des Jihad deutlich kritisiert wurde, scheint die Intensität medial inszenierter Grausamkeiten Ende 2015 abgenommen zu haben. Im Vordergrund der Propaganda steht eine Selbstdarstellung des IS als Islamismus 37 "Staat" im Aufbau mit der gelebten Normalität seiner "Bürger" sowie die Bericht- 1 erstattung über jene Gruppen, die, loyal zu al-Baghdadi, Ableger fernab des ISKernlands gründen. Zu den deutschsprachigen Propagandisten des IS zählen mehrere Personen mit Bezügen nach Berlin. Neben Denis Cuspert, sowohl Kriegsverbrecher wie Propagandist, ist es auch Reda Seyam "gelungen", eine verantwortliche Position in den Führungskreisen des IS einzunehmen. Hinzu kommt 2015 der zeitweilig in Berlin wohnhaft gewesene Mohamed Mahmoud, der nach mehrjähriger Haft in Österreich nach Berlin gekommen war und mit Cuspert zu den Gründern der 2012 in Deutschland verbotenen Vereinigung "Millatu Ibrahim" zählte.11 Auch für Mahmoud ist die Beteiligung an Kriegsverbrechen inzwischen belegt. Der Berliner Denis Cuspert - Kriegsverbrecher und Propagandist des IS Führender deutschsprachiger Propagandist des IS ist der Deutsch-Ghanaer Denis Cuspert.12 Nachdem er sich 2013 den Jihadisten in Syrien anschloss, leistete er 2014 den Treueschwur auf al-Baghdadi. Nachdem ein Propagandavideo des IS Cuspert im November 2014 bei der Erschießung eines Gefangenen zeigte und seine Beteiligung an Kriegsverbrechen außerfrage steht, wurde er im Februar auf den Terrorlisten der Vereinten Nationen und den USA aufgeführt. Mitte April wurde über frei zugängliche Social-Media-Kanäle ein dreiminütiges Video gepostet, das den Titel "An Euch Feinde Allahs" trägt. Der deutschsprachige Kampfgesang (Naschid) ist aufgrund der Stimme Cuspert zuzuschreiben, obwohl dieser im Video nicht gezeigt wird. Cusperts Video belegt sein Streben, jihadistisch motivierte Personen im Westen zur Begehung von Anschlägen in ihren Heimatländern zu bewegen. Im ersten Teil zeigt das Video verschiedene Kriegsverbrechen des IS. Der zweite Teil ist aufwendiger produziert und will den Anschein erwecken, im Westen gefilmt worden zu sein. Gezeigt werden Personen bei vermeintlichen Anschlagsvorbereitungen, u.a. mit Schusswaffen und Plastikbehältern mit Drähten. Im unterlegten Text fordert Cuspert die "Feinde Allahs" auf, nach Syrien oder in den Irak zu kommen, um den IS zu bekämpfen. Zudem werden im Westen befindliche Jihadisten aufgefordert, in ihren Heimatländern Anschläge zu begehen. 11 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2012. Berlin 2013, S. 41f. 12 Zu Cusperts jihadistischen Kampfliedern siehe: "Vom Gangster-Rap zum Jihad-Aufruf - radikalisierende Hymnen "neugeborener" Salafisten", Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Lageanalyse. September 2011. Zu seiner Biografie und Radikalisierung siehe: "Denis Cuspert - Eine jihadistische Karriere", Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Lageanalyse. September 2014. Beide Lageanalysen sind abrufbar über: www.verfassungsschutz-berlin.de/publikationen/. 38 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Dabei wird Bezug auf die Anschläge in Frankreich im Januar genommen: "In Frankreich folgten Taten, die deutschen Schläfer warten, die Brüder operieren, terrorisieren die Kuffar [die Ungläubigen], der Krieg hat erst begonnen, Blut ham' wir gerochen... "Bruder [im Westen] sei nicht traurig, aber ich, ich musste [in den Jihad] gehen, auch wenn Du in Europa bist, mache Dein[en] Jihad, Allah wird Dich belohnen, setz' den Dreckigen ein Ende, al-Jannah [Paradies] ist geöffnet ..." Das Zusammenwirken von Cusperts Biographie und seiner Bekanntheit erklärt die radikalisierende Wirkung derartiger Propagandainhalte. Sie sollen suggerieren, dass dem radikalisierten Salafisten nur die Wahl zwischen der Begehung von Anschlägen im Westen oder der Ausreise an einen JihadSchauplatz bliebe. Mehrfach kursierende Informationen über den Tod Cusperts, zuletzt im Oktober, konnten bislang nicht bestätigt werden. Deutschsprachiges IS-Video zeigt Mohamed Mahmoud als Kriegsverbrecher Anfang August wurde ein Propaganda-Video des IS bekannt, das zeigt, wie der einstmals in Berlin wohnhafte österreichische Staatsangehörige Mohamed Mahmoud13 in den antiken Ruinen des syrischen Palmyra an der Exekution von zwei Gefangenen unmittelbar beteiligt ist. Die gut fünfminütige Botschaft trägt den Titel "Der Tourismus dieser Ummah". Das Video zeigt Mahmoud und den aus dem Raum Bonn stammenden Jihadisten Yamin A.-Z., mit Kampfnamen "Abu Umar al-Almani". Sie stehen bewaffnet hinter zwei knieenden Gefangenen des IS. Mahmoud fordert deutsche und österreichische Muslime zur Auswanderung und zur Teilnahme am Jihad in den Reihen des IS auf. Alternativ sei der Jihad in Deutschland und Österreich durchzuführen. 13 Mahmoud war 2013 bei dem Versuch, nach Syrien einzureisen, in der Türkei inhaftiert und im August 2014 entlassen worden, weil die Maximaldauer der Untersuchungshaft ausgeschöpft war. Ein Auslieferungsersuchen der österreichischen Justiz war zuvor abgelehnt worden. Danach hatte sich Mahmoud dem IS angeschlossen. Islamismus 39 "Entweder schließt euch hier [in Syrien] den Gotteskämpfern [Mujahidin] an oder führt 1 den Jihad in Deutschland und Österreich durch. Du brauchst nicht viel dafür: nimm' ein großes Messer, geh' auf der Straße und schlachte jeden Ungläubigen [Kafir], der dir gegenüber kommt. Sie sind wie Hunde und ihr fürchtet sie !?" Gegen Ende des Videos werden die zivil gekleideten männlichen Gefangenen von Mahmoud und seinem "Waffenbruder" durch mehrere Kopfschüsse ermordet. Bei der Erschießung läuft im Hintergrund ein Kampfgesang (Nashid) von Cuspert. In dem Video beleidigt Mahmoud Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er kündigt an, aus drei Gründen Rache an Deutschland nehmen zu wollen: erstens wegen der Beleidigung des Propheten, womit sehr wahrscheinlich die Abdrucke der Mohammed-Karikaturen und die Auszeichnung des Karikaturisten Kurt Westergaard mit einem Medienpreis 2010 sowie die positive Reaktion der Kanzlerin darauf gemeint ist, zweitens wegen des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr und drittens wegen der Waffenlieferungen an die "Abtrünnigen", was sich auf die Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga beziehen dürfte. Inhaltlich sind Mahmouds Drohungen nicht neu. Seine Bedeutung erlangt das Video erst durch die unzweifelhaft dokumentierten Verbrechen. Diese unmittelbare Kopplung aus Drohung und Tat begründet das Gefährdungspotenzial, das von derartiger Propaganda ausgeht. Zum einen können radikalisierte Einzeltäter zur Durchführung von terroristischen Aktionen in Deutschland (und Österreich) motiviert werden, zum anderen radikalisierte Salafisten zu einer Ausreise in IS-kontrollierte Gebiete bewegt werden. Reda Seyam als "Bildungsminister" des IS Unter den Mitgliedern des IS mit einem Bezug nach Berlin sticht auch der 1960 in Ägypten geborene Reda Seyam heraus, der seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten zu den Schlüsselfiguren der deutschen und internationalen Islamistenszene zählt. In Berlin hatte er seit 2005 Kontakte zu einer Salafistengruppe, die Anfang 2008 den Verein "As-Sahaba / Die Gefährten e.V." gründete. Obgleich Seyam im Verein nie eine offizielle Position bekleidete, zählte er zu dessen Führungszirkel. Die im Juni 2010 von der Gruppe eröffnete "As-Sahaba-Moschee"14 im Wedding entwickelte sich seither zu einem der wichtigsten Trefforte deutschsprachiger Salafisten und Jihadisten in Berlin. Nach seinem Rückzug aus der Moschee blieb er als Betreiber 14 Vgl. S. 53. 40 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 der inzwischen gelöschten salafistischen Internetseite www.alrisalah.de aktiv, die sich auch an den Koranverteilungen des "Lies!"-Projekts15 in Berlin beteiligt hatte. Nachdem Seyam um die Jahreswende 2012 / 2013 ins Ausland verzogen war, belegte ein Propagandavideo vom August 2013 seinen Aufenthalt in Syrien, in dem er als Kameramann einen al-Jazeera-Reporter filmte.16 Ende März 2015 erschien ein arabischsprachiges Video mit dem Titel "Bildung unter dem Schirm des Kalifats". Darin informierte Reda Seyam als "Verantwortlicher eines Gremiums für Bildung" (arab.: Ra'is Diwan al-Ta'lim) des IS in Mossul über die künftigen Leitlinien islamischer Bildung. Damit bestätigten sich Informationen aus dem Herbst 2014, dass ein Jihadist mit deutschem Pass unter dem Namen Dhu l-Qarnain ("Der Zweigehörnte") 17 als Leiter des Bildungsbüros fungiere, was dem Rang eines Ministers (arab.: Wazir) entspräche. In dem Video wird betont, es müsse alles aus Lehrplänen entfernt werden, was auf "Vielgötterei" und "Unglauben" hinweise, altgediente Lehrer müssten bereuen, früher unislamische Inhalte gelehrt zu haben, und seien verpflichtet, dem "Kalifen des IS" die Treue zu schwören. Reda Seyam, dessen Biographie über Jahrzehnte von einer islamistischen Grundhaltung durchzogen ist, scheint hier, wie zuvor schon in Berlin, in der Rolle eines Mentors multiplikatorisch wirken zu können, nun aber in verantwortlicher Position für den IS. Mehrfache Meldungen, Seyam sei durch Kriegseinwirkungen zu Tode gekommen, haben sich bislang nicht bestätigt. 1.3.4 Ideologische Gräben zwischen "al-Qaida" und IS Die Spaltung der transnationalen Jihadisten in zwei Hauptblöcke, der "al-Qaida" und ihrer Ableger einerseits und dem so genannten "Islamischen Staat" und den ihm folgenden Gruppen andererseits bestand auch 2015 fort. Dabei ist die im Vergleich zum IS deutlich schwerfälligere Propaganda der Kern-"al-Qaida" von Bemühungen durchzogen, den IS zu delegitimieren. Anfang November wurde über soziale Medien eine Audiobotschaft vom "alQaida"-Führer al-Zawahiri verbreitet, in der dieser die zahlreichen Messerattacken durch Palästinenser in Israel als "Angriffswelle der Mujahidin" umdeutet und 15 Vgl. S. 54f. 16 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2013. Berlin 2014, S. 42. 17 Dhu l-Qarnain als ehrender Beiname eines Muslim nimmt Bezug auf eine Figur in Koransure 18, in der diese gegen satanische Mächte siegt. Dhu l-Qarnain wird in der islamischen Geschichtsschreibung teilweise auch mit Alexander dem Großen gleichgesetzt. Islamismus 41 verstärkte Angriffe gegen Israel und den Westen fordert. Die 16-minütige Bot- 1 schaft mit dem Titel "Lasst uns vereint sein, um Jerusalem zu befreien" spricht den IS und seinen "Kalifen" nicht direkt an, sondern erinnert an ein Grundmotiv jihadistischen Strebens, der Befreiung Jerusalems. Dafür seien zwei Dinge notwendig: "Das erste ist, Anschläge gegen den Westen und besonders die Vereinigten Staaten auf ihrem eigenen Boden zu verüben und ihre weit gespannten Interessen an jedem Ort anzugreifen. Die Unterstützer Israels müssen mit ihrem Blut und ihrer Wirtschaft bezahlen. Das wird ihr Preis für die Unterstützung der israelischen Verbrechen gegen Muslime und den Islam sein." [...] "Das zweite ist die Gründung eines islamischen Staates in Ägypten und der Levante, um die islamische Gemeinschaft für die Befreiung Palästinas zu mobilisieren. Dies kann nur auf dem Weg der Einheit getan werden. Wir müssen den Konflikt zurückweisen und die Kämpfe zwischen den Gotteskriegern (Mujahidin) stoppen." Die Aussagen belegen die ungebrochen aggressive Programmatik der "al-Qaida", die auch nach Gebietskontrolle und einem "Staat" strebt. Die Forderung nach Gründung eines "islamischen" Staats in Ägypten und der Levante macht jedoch deutlich, dass damit eben nicht eine territoriale Ausweitung des syrisch-irakischen IS gemeint sein kann. Die Rede ist nur von einem Zusammenschluss der Kämpfer und nicht von deren politischer und geistlicher Führung. Die Führung der Kern-"al-Qaida" ist unverändert gewillt, Anschläge im Westen zu beauftragen und die Umsetzung durch eigene Ableger durchführen zu lassen. Für ein solches Vorgehen sprechen die Hintergründe zum Anschlag auf die Redaktion der Pariser Zeitschrift "Charlie Hebdo" im Januar, die mutmaßlich der jemenitische Ableger AQAH im Auftrag der Kern-"al-Qaida" organisierte. 42 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Kern-"al-Qaida" und seine Regionalorganisationen Im Zentrum des transnationalen islamistischen Terrorismus steht die von Usama Bin Ladin Ende der 1980er Jahre gegründete Organisation "al-Qaida" ("Die Basis"), die sich in den 1990er Jahren mit militanten Teilen ägyptischer Gruppen zu einem Netzwerk zusammenschloss. Bin Ladin wurde 2011 von US-Einheiten in Pakistan getötet. Nachfolger wurde sein Vertreter Aiman al-Zawahiri. Programmatische Grundlage der weltweiten Anschläge von "al-Qaida", die mit den Angriffen auf die USA am 11. September 2001 ihren Höhepunkt erreichten, war der von Bin Ladin 1998 unterzeichnete Aufruf der "Islamischen Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzzügler". Darin wurde die Tötung von Amerikanern zur Pflicht eines jeden Muslims erhoben und als Ziel die Verdrängung der USA von der Arabischen Halbinsel benannt. Statt Anschlägen dieser Kern"al-Qaida" standen seit 2004 Terrorakte von Regionalorganisationen des Netzwerks, eigenständig operierender Kleingruppen und radikalisierter Einzeltäter ("homegrown-Terroristen") im Vordergrund. Die regionalen Zweige des Netzwerks haben sich seit 2003 herausgebildet und der Führung der Kern-"al-Qaida" die Treue geschworen. Zu ihnen gehört seit 2007 "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM), der zentrale Gewaltakteur im Maghreb und im westlichen Sahel. "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) entstand 2009 durch die Fusion des jemenitischen und des saudischen Zweigs und hat sich zu einer schlagkräftigen Terrororganisation im Jemen entwickelt. Seit 2012 ist auch die somalische "Bewegung der Mujahidin-Jugend", arabisch kurz "al-Shabab", fester Teil des Netzwerks. "Al-Shabab" ist seit 2006 für Angriffe und Entführungen westlicher Ausländer sowie für Attentate in der Region verantwortlich. Als Ableger in Syrien gilt die "Jabhat al-Nusra li-Ahl asch-Scham" (JaN, "Unterstützungsfront für das syrische Volk"), die seit 2013 mit dem ISIG, dem späteren IS, verfeindet ist. Im Konfliktraum Syrien und Irak, wo beide terroristische Organisationen aufeinander treffen, unterscheidet sich die Handlungsweise des syrischen Zweigs der "al-Qaida", JaN, in einigen Punkten markant von der des IS. Während der IS nur die Mitgliedschaft und bedingungs- Islamismus 43 lose Loyalität zum "Kalifen" oder aber erbitterte Feindschaft kennt, agiert die JaN 1 militärisch und territorial auch in Bündnissen mit anderen jihadistischen Organisationen wie der "Jaisch al-Fath" ("Armee der Eroberung / des Sieges"), die sie dominiert. Derart ist es der JaN Mitte 2015 gelungen, sich in der nordsyrischen Provinz Idlib zu konsolidieren und über die territoriale Kontrolle hinaus auch Versorgungsstrukturen für die dort verbliebene Zivilbevölkerung aufzubauen. Ende Mai strahlte der Fernsehsender "al-Jazeera" ein Interview mit dem Führer der JaN, Muhammad al-Julani, aus, indem dieser versuchte, die JaN als moderate syrische Organisation darzustellen. Er führte aus, über Anweisungen des "alQaida"-Führers al-Zawahiri zu verfügen, nach denen zumindest die JaN nicht Europa oder die USA anzugreifen hätte. Zudem würden sich die Aktivitäten der JaN nicht gegen die religiösen Minderheiten in Syrien richten. 1.3.5 Die Gefährdungslage in Deutschland Zentrale Herausforderung der deutschen Sicherheitsbehörden ist die auch 2015 angestiegene Zahl an Islamisten, die Deutschland mit dem Ziel Syrien oder Irak verlassen haben. Vor allem Rückkehrer aus Syrien, die an Waffen ausgebildet wurden und womöglich kampferprobt sind, stellen ein hohes Risiko dar, hier Anschlagspläne zu verfolgen, wie sie die jihadistische Propaganda immer wieder fordert. Insbesondere die Anschläge in Frankreich, darunter der schwerste islamistisch motivierte Anschlag in Europa seit vielen Jahren, bei der in Paris am 13. November 130 Menschen umkamen, belegen die hohe Gefährdung durch radikalisierte Rückkehrer von Jihad-Schauplätzen, die über eine Anbindung an terroristische Organisationen verfügen. Auch den deutschen Sicherheitsbehörden lag eine Vielzahl von Gefährdungshinweisen vor, die in einer Reihe von Fällen, bei denen eine konkrete Gefährdung für möglich gehalten wurde, auch zur Absage von Großveranstaltungen in Deutschland führten. Ausreisen deutscher und Berliner Jihadisten nach Syrien Den deutschen Sicherheitsbehörden lagen Ende 2015 Erkenntnisse zu mehr als 780 Deutschen vor, die aus Deutschland in Richtung Syrien und Irak ausgereist sind, um dort mutmaßlich auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen 44 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 tatsächlich in Syrien oder dem Irak aufhalten oder aufgehalten haben. Nachdem noch in den Vorjahren ein erheblicher Anstieg der Ausreisezahlen festgestellt wurde (von 240 Ende 2013 auf ca. 550 Ende 2014), zeichnet sich für 2015 insgesamt ein etwas geringerer Anstieg ab. Die Gründe dafür liegen auch in repressiven Maßnahmen, wie dem Passentzug und einer hohen Strafandrohung bei einer Rückkehr nach Deutschland, sowie in den verstärkten Kontrollen der Reiseströme durch die Türkei. Etwa ein Fünftel der ausgereisten Personen ist weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt ausgereisten Personen ist jünger als 30 Jahre. Etwa ein Drittel dieser ausgereisten Personen befindet sich wieder in Deutschland. Zu der Mehrzahl dieser Rückkehrer liegen keine belastbaren Informationen vor, dass sie sich aktiv an Kampfhandlungen in Syrien oder dem Irak beteiligt haben. Zu über 70 Personen liegen Erkenntnisse vor, nach denen sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Ferner gehen die Sicherheitsbehörden von ca. 120 Personen aus, die in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Zudem wurden weitere Ausreiseplanungen bekannt, deren Umsetzung unterbunden werden soll. Die Anzahl der von Behörden verhängten Ausreiseverbote bewegt sich bundesweit im niedrigen dreistelligen Bereich. Von den 680 Personen, die zum Jahresende in Berlin der salafistischen Szene zuzurechnen waren, gelten 360 als gewaltorientiert, darunter sind ca. zehn Prozent Konvertiten. Die Zahl der Mitglieder des gewaltorientierten Milieus, die mit mutmaßlich jihadistischer Motivation Berlin in Richtung Syrien verlassen haben, lag bei mehr als 100 Personen, von denen ein Großteil die Terrororganisation "Islamischer Staat" unterstützte. Etwa die Hälfte dieser Personen ist inzwischen aus dem Krisenraum zurückgekehrt. Etwa ein Dutzend Berliner ist im Konfliktgebiet zu Tode gekommen. Hintergründe zu den aus Berlin ausgereisten Jihadisten Der Berliner Verfassungsschutz hat in einer im Juni veröffentlichten Lageanalyse18 den biographischen Hintergrund von 60 der seinerzeit 90 Personen untersucht, die aus Berlin in Richtung Syrien und Irak ausgereist sind. Sie informiert über Herkunft, Bildungsweg und sozialer Situation der Ausgereisten und berichtet über Art und Weise ihrer Ausreise und Rolle im Konfliktgebiet sowie über ihren Verbleib. 18 "Ausreisen von Personen aus dem islamistischen Spektrum in Berlin nach Syrien / Irak." Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Lageanalyse, Juni 2015, abrufbar unter: www.verfassungsschutz-berlin.de/ publikationen/. Islamismus 45 Die Mehrzahl der ausgereisten Personen stammt demnach aus den Bezirken Wed- 1 ding, Neukölln und Reinickendorf. Wie im Bundesdurchschnitt ist die Mehrheit von ihnen unter 30 Jahre. Der Frauenanteil entspricht mit ca. 20 Prozent ebenfalls dem Bundestrend. Auffällig ist jedoch das geringe Bildungsniveau der ausgereisten Personen, von denen ca. ein Drittel nicht über einen Schulabschluss verfügte. Die Berliner Syrienreisenden haben sich, soweit organisatorische Bezüge bekannt geworden sind, vor allem dem IS angeschlossen. Die Hauptursache für die Attraktivität des IS dürfte in dessen gezieltem Werben um Unterstützer aus Europa liegen. So präsentiert sich die Organisation in ihrer Propaganda nicht nur als jihadistische Terrororganisation unter vielen, sondern als neu entstehender "Staat", zu dessen Gelingen alle Muslime im Rahmen ihrer Möglichkeiten beitragen sollen. Eine binnen weniger Monate verlaufende Radikalisierung, die primär über das Internet erfolgt ("Turbo- / Blitzradikalisierung"), ist für die Berliner Syrienreisenden nicht belegbar. Vielmehr unterhielt die deutliche Mehrheit der betrachteten Personen z.T. langjährige Kontakte zu dem Verfassungsschutz einschlägig bekannten Moscheen und anderen von Islamisten genutzten Trefforten. Ein Viertel der Personen ist ihren jihadistischen Überzeugungen über Jahre treu geblieben und hat sich zudem in der Vergangenheit am Jihad an anderen Schauplätzen, wie z.B. Afghanistan oder Bosnien, beteiligt. Insgesamt vier von ihnen standen vor ihrer Ausreise in Beziehung zum so genannten "Lies!"-Projekt.19 Gefahren in Europa durch Aufträge an Kleingruppen Die schwersten islamistisch motivierten Terroranschläge, die sich in den vergangenen Jahren in Europa ereigneten, haben 2015 mehrfach Frankreich getroffen. Auch Brüssel wurde im März 2016 von einem schweren Anschlag getroffen. Sie stehen beispielhaft für die Gefährdungslage in westeuropäischen Staaten, die von radikalisierten Einzeltätern und Kleingruppen ausgeht, die an eine Terrororganisation angebunden sind. In den Abendstunden des 13. November griffen in Paris drei Kleingruppen koordiniert und in enger zeitlicher Abfolge einen Konzertclub sowie mehrere Restau19 Vgl. S. 54f. 46 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 rants und Cafes an und versuchten, in das Fußballstadion einzudringen, in dem gerade ein Länderspiel zwischen Frankreich und Deutschland ausgetragen wurde. Dabei wurden 130 Menschen erschossen, darunter zwei Deutsche, sowie mehr als 350 Menschen verletzt, davon fast 100 schwer. Als Sicherheitskräfte gegen die Angreifer vorgingen, zündeten mindestens sechs von ihnen ihre Sprengstoffwesten. In einer Propagandabotschaft, die zeitnah mehrsprachig über soziale Medien verbreitet wurde, bekannte sich der IS dazu, die Angriffe als "Vergeltung" für die französische Beteiligung an den Angriffen auf die vom IS in Syrien und dem Irak beherrschten Gebiete organisiert und finanziert zu haben. Die Auswahl der Anschlagsziele in Paris zeigt, dass die Lebensweise einer offenen, freiheitlichen Gesellschaft angegriffen werden sollte. Vorläufige Ermittlungsergebnisse weisen darauf hin, dass Attentäter die Flüchtlingsrouten nach Europa gezielt als Möglichkeit der Einschleusung genutzt haben. Bei zwei Attentätern, die sich vor dem Stadion durch die Explosion von Sprengstoffwesten selbst töteten, gilt durch den Abgleich von Fingerabdrücken als gesichert, dass sie Anfang Oktober auf der griechischen Insel Leros als Flüchtlinge registriert wurden. Hinzu kommt, dass die Komplexität der Anschlagsserie und das Verhalten der Attentäter dafür sprechen, dass zumindest einige von ihnen eine militärische Ausbildung durchlaufen hatten. Die ersten Anschläge durch Selbstmordattentäter in Frankreich führten zur Verhängung eines nationalen Ausnahmezustands und in vielen europäischen Ländern zur Verstärkung auch öffentlich sichtbarer Sicherheitsmaßnahmen. Zu den Folgen der Anschlagsserie gehören ebenfalls internationale Bemühungen, das militärische Vorgehen gegen den IS zu intensivieren. Dabei zeichnet sich auch eine stärkere Beteiligung der Bundeswehr ab, u.a. durch die Bereitstellung von Tankund Aufklärungsflugzeugen. Bislang weist das Tatgeschehen keine unmittelbaren Bezüge nach Deutschland auf. Bereits am 7. Januar hatte der Anschlag auf die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" im Zentrum von Paris Europa erschüttert. Vormittags drangen die Brüder Kouachi, Kinder algerischer Einwanderer und französische Staatsbürger, in die Redaktion ein und töteten dort und auf der Flucht zwölf Personen, weitere verletzten sie schwer. Zwei Tage später wurden die Attentäter auf der Flucht gestellt und bei einem Schusswechsel getötet. Als Auftraggeber und Financier des Anschlags bekannte sich wenig später der jemenitische Zweig des "alQaida"-Netzwerks, "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH). Mindestens Islamismus 47 einer der Brüder Kouachi soll sich 2011 im Jemen aufgehalten und in einem Lager 1 der AQAH den Umgang mit Waffen erlernt haben. Der Anführer der AQAH, al-Ansi, erklärte im Bekennervideo, man habe mit dem Anschlag Vergeltung geübt für die Mohammed-Karikaturen und sei damit einer Anordnung des "al-Qaida"-Führers al-Zawahiri gefolgt. Dies verdeutlicht, dass eine Anschlagsplanung von der Führung der Kern-"al-Qaida" ausgehen kann, ihre Planung jedoch durch einen Regionalableger erfolgt. Deutsche Opfer bei Anschlag des IS in Istanbul Eine Gefährdung für westliche Interessen und Bürger durch den islamistischen Terrorismus besteht auch im Ausland. Mehrfach waren deutsche Opfer von Terroranschlägen, sei es in einer europäischen Metropole wie Paris oder als Tourist im Orient. Am Vormittag des 12. Januar 2016 zündete ein mutmaßlich 28-jähriges Mitglied des IS seinen am Körper getragenen Sprengsatz inmitten einer Reisegruppe eines Berliner Unternehmens in Istanbul. Die Explosion in einem der touristischen Zentren der Stadt tötete elf Deutsche und verletzte 14 weitere, unter ihnen acht Deutsche. Der Anschlag richtete sich allgemein gegen den Tourismus in der Türkei, nach vorliegenden Erkenntnissen aber nicht gezielt gegen Deutsche. Gleiches gilt für den Anschlag eines jungen tunesischen Jihadisten, der, mutmaßlich vom so genannten "Islamischen Staat" angestiftet, am 26. Juni im Hotel eines tunesischen Badeorts gezielt Touristen erschoss. Zu den 38 Opfern, weit überwiegend britischer Nationalität, zählten auch zwei Deutsche. Zahlreiche Verfahren und Verurteilungen gegen Terroristen Die unverändert ansteigenden jihadistisch motivierten Ausreisen in den Krisenraum und eine zunehmende Zahl von in Deutschland festgestellten Rückkehrern haben die Anzahl der Strafverfahren mit Bezug zu einer terroristischen Vereinigung im Ausland weiter steigen lassen. Seit Ausrufung des "Kalifats" dominiert jedoch der IS zunehmend das ausreisebereite jihadistische Milieu als bei weitem "attraktivste" Terrororganisation. Es zeigt sich bereits, dass deutlich ansteigende Zahlen an Verfahren und Verurteilungen mit einem Bezug zum IS zu erwarten sind. Bei den Strafverfahren mit Terrorismusbezug fällt daher bundesweit auf, dass diese sich vielfach (noch) nicht auf terroristische Aktivitäten für den so genannten "Islamischen Staat" beziehen. Sofern sie jihadistische Gruppen betreffen und wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland erfolgen, waren 2015 meist Terrororganisationen wie die "Junud alScham" Verfahrensgegenstand, eine in Syrien aktive jihadistische Gruppe, die u.a. 48 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 mit dem "al-Qaida"-Ableger in Syrien, der JaN, kooperiert. Unter den Verfahren mit Terrorismusbezug sticht wegen der Strafhöhe das Urteil gegen Harun P. heraus. Das Oberlandesgericht München verurteilte den 27-jährigen in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Münchner am 15. Juli zu elf Jahren Freiheitsstrafe u.a. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie wegen versuchten Mords.20 Es ist erwiesen, dass er von Herbst 2013 bis März 2014 Mitglied der "Junud al-Scham" gewesen war und eine Kampfausbildung erhalten hatte. Er beteiligte sich am Sturm auf ein Gefängnis im syrischen Aleppo und feuerte später eine Mörsergranate auf Feinde seiner Gruppe ab. Nur sein ausführliches Geständnis und seine Abkehr vom Jihadismus haben Harun P. eine noch längere Strafe erspart. Erster Syrien-Rückkehrer aus Berlin: Lange Haft für Fatih K. Am 9. September verurteilte das Kammergericht Berlin den 36-jährigen Fatih K. zu sechs Jahren Haft wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Der Deutsche türkischer Abstammung aus Kreuzberg war im Juni 2013 nach Syrien gereist und hatte sich dort der jihadistischen "Junud alScham" angeschlossen, bei der er eine Waffenausbildung durchlief. Zudem betätigte er sich als Kameramann an der Erstellung von Propagandavideos.21 Im ersten Prozess gegen einen aus Syrien zurückgekehrten Jihadisten aus Berlin entging Fatih K. durch sein Geständnis einem höheren Strafmaß. Mit der erneuten Verurteilung enden vorerst seine jihadistischen Umtriebe, die spätestens 2010 begonnen hatten und ihm bereits zweimal Haftstrafen einbrachten, u.a. wegen Unterstützung der "Deutschen Taliban Mujahidin", eine 2010 zerschlagene Gruppe deutschsprachiger Jihadisten in Waziristan. Sein Fall belegt, dass Jihadisten auch über lange Zeiträume an ihrer gewaltbereiten Gesinnung festhalten. Der gemeinsam mit Fatih K. angeklagte Fatih I. war bereits am 6. Juli zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, weil er die Terrororganisation "Junud al-Scham" mit einem Auto und mit 7 000 Euro unterstützt und das Geld durch einen betrügerisch beschafften Kredit erlangt hatte. 20 Vgl. Pressemitteilung des OLG München vom 15.7.2015. 21 Pressemitteilung Nr. 45/2015 des Kammergerichts Berlin vom 9.9.2015; AZ des Urteils: (1) 2 StE 7/14-4 (7/14). Vgl. auch Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2014. Berlin 2015, S. 45. Islamismus 49 Erstes Urteil wegen Terrorvorbereitung gegen einen Berliner 1 Am 14. September erging vor dem Kammergericht Berlin erstmals ein Urteil, das sich ausschließlich auf SS 89 a StGB stützte, das Vorbereitungshandlungen für schwere staatsgefährdende Gewalttaten unter Strafe stellt.22 Der 41 Jahre alte Berliner Murat S. wurde zu vier Jahren Haft verurteilt, weil er drei Mal nach Syrien ausgereist war, eine Ausbildung an der Waffe absolviert hatte und mehrfach Wachdienste für die Terrororganisation "Junud al-Scham" leistete. An Kampfhandlungen hatte er sich nicht beteiligt. Murat S., gebürtiger Kurde türkischer Nationalität, gehörte in Berlin zur Gruppe des selbsternannten "Anführers" (Emir) Ismet D., der als Vorsitzender dem Verein "Fussilet 33 e.V." im Berliner Stadtteil Moabit vorstand. Dort soll er Muslime, meist Türken und Kaukasier, mit seinem Islamunterricht für den Jihad in Syrien radikalisiert haben. Mitte Januar folgten an elf Berliner Objekten Durchsuchungsmaßnahmen gegen den Verein "Fussilet 33" und seine Funktionsträger. Das Verfahren gegen Ismet D., der sich seither in Untersuchungshaft befindet, hat am 8. Januar 2016 vor dem Kammergericht Berlin begonnen. Dem "Emir" und dem mitangeklagten Emin F. wird vorgeworfen, von Mitte 2013 bis Ende 2014 die syrische Terrororganisation "Junud al-Scham" mit Geldzahlungen, technischem Gerät und organisatorischer Hilfe unterstützt zu haben. 1.4 Salafistische Bestrebungen Salafismus Mitglieder: Berlin 680 (2014: 570) Der Begriff "Salafismus" bezeichnet eine auf wahhabitischem Gedankengut basierende traditionalistische Bewegung, die aus drei unterscheidbaren Strömungen besteht, dem quietistisch-puristischen, dem politischen und dem jihadistischen Salafismus. Vertreter des quietistisch-puristischen Salafismus entwickeln keine politisch zielgerichteten Aktivitäten gegen den demokratischen Rechtsstaat. Der politische Salafismus und der jihadistische Salafis22 Vgl. Pressemitteilung Nr. 48/2015 des Kammergerichts Berlin vom 14.9.2015, Az des Urteils: (502 KLs) 173 Js 8/15 (8/15). 50 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 mus gelten hingegen als Formen des Islamismus, weil sie eine extremistische Ideologie darstellen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist.23 Salafisten fordern eine Gesellschafts-, Rechts-, und Herrschaftsordnung, die sich ausschließlich an einer wortgetreuen Auslegung von Koran und Sunna (zur Nachahmung empfohlene Lebensweise des Propheten) sowie an den so genannten "rechtschaffenen Altvorderen" (arab.: al-salaf al-salih) orientiert. Wegen der Umdeutung religiöser Normen zu verbindlichen politischen Handlungsweisen und dem Versuch, diese als salafistisches Regelwerk durchzusetzen, gilt der Salafismus als besonders rigide Ausformung innerhalb des Islamismus. Die Absolutsetzung frühislamischer Herrschaftsund Rechtsformen hat zur Folge, dass jedes Abweichen von dieser Norm, die als "wahrer Islam" propagiert wird, als verbotene Verfälschung bzw. "Neuerung" (arab.: bid'a) abgelehnt wird. Kennzeichnend für Salafisten ist auch eine dualistische Weltsicht, die nur zwischen "gläubigen Muslimen" und vermeintlich "Ungläubigen" unterscheidet. Viele Vertreter des Salafismus propagieren zudem einen aggressiven Antisemitismus und verunglimpfen sogar alle nicht-salafistischen Muslime als Ungläubige. Unter Berufung auf das angeblich religiöse Prinzip der "Loyalität [gegenüber wahren Muslimen] und Lossagung [von allem Nicht-Muslimischen]" (arab.: al-wala' wal-bara') fordern sie den Abbruch aller Beziehungen zur als "ungläubig" empfundenen Umwelt und einen Hass auf alle, die ihre Ideologie nicht teilen. Politischer und jihadistischer Salafismus unterscheiden sich prinzipiell in der Wahl ihrer Mittel. Der politische Salafismus agiert mit intensiver Propaganda zur Verbreitung seiner Ideologie, die er als "Missionierung" (arab.: da'wa) bezeichnet. Der jihadistische Salafismus setzt hingegen auf eine Strategie der Gewaltanwendung. Er interpretiert den Jihad ausschließlich in seiner militanten Deutung und erklärt ihn im Widerspruch zu allen religiösen Traditionen sogar zur individuellen Glaubenspflicht eines jeden Muslims. Die Übergänge zwischen beiden Strömungen sind fließend. 23 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Salafismus als politische Ideologie. Berlin 2014. Islamismus 51 1.4.1 Überblick: Aktivitäten und Trefforte in Berlin 1 Die Aktivitäten des salafistischen Spektrums in Berlin waren maßgeblich durch das Geschehen im Konfliktraum Syrien und Irak geprägt. In der zweiten Jahreshälfte war auch ein zunehmendes Interesse an der Flüchtlingsthematik festzustellen. Im Unterschied zum Vorjahr waren 2015 in Berlin kaum salafistische Demonstrationen und Kundgebungen in der Öffentlichkeit zu verzeichnen. Ebenso wenig wurde bekannt, dass Salafisten in größerer Anzahl an öffentlichen Veranstaltungen teilnahmen, die anderen Organisationen des islamistischen Spektrums zuzurechnen sind. Personen aus dem salafistischen Spektrum sowie salafistische Vereine sind im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften und anderen Einrichtungen aufgetreten. Bei der Verbreitung salafistischer Inhalte kommt weiterhin dem Internet große Bedeutung zu. Dabei finden sich auf den Internetseiten vieler Trägerorganisationen, meist eingetragene Vereine, oft lediglich Basisinformationen wie Gebetszeiten, Anfahrten und Literatur-Downloads, jedoch kaum ideologisch auffällige Inhalte. Informationen über salafistische Aktivitäten erfolgen vielmehr über Verweise auf soziale Netzwerke, insbesondere Facebook-Seiten und YouTube-Kanäle. In teils geschlossenen WhatsApp-Gruppen und über Twitter-Meldungen unterrichtet sich die salafistische Szene über Aktualisierungen und Einstellungen neuer Inhalte. Ein wichtiges strukturelles Element salafistischer Aktivitäten sind unverändert so genannte "Islamseminare", die oft über mehrere Tage hinweg stattfinden und von Teilnehmern aus dem ganzen Bundesgebiet besucht werden. Sie dienen der Vermittlung eines salafistischen Islamverständnisses und salafistischer Ideologie, der Werbung neuer Anhänger sowie der Kontaktpflege und Vernetzung untereinander. Gerade der letzte Aspekt ist für den Zusammenhalt der salafistischen Szene wesentlich, die nicht im herkömmlichen Sinne in Organisationen oder Vereinen organisiert ist, sondern vor allem durch informelle Netzwerke und persönliche Kontakte verbunden ist. So gibt es mehrere salafistische Berliner Imame von überregionaler Bedeutung, die bundesweit bei Vortragsreisen auf Islamseminaren auftreten. Salafistische "Islamseminare" in Berlin, bei denen Prediger aus ganz Deutschland und dem Ausland auftraten, fanden in der "Al-Nur-Moschee" in Neukölln, der "As-Sahaba-Moschee" in Wedding und der "Ibrahim al-Khalil-Moschee" in Tempelhof statt. Ein weiterer Treffpunkt von Salafisten in Berlin war die Moschee des Vereins "Fussilet 33 e.V." im Stadtteil Moabit.24 24 Vgl. S. 49. 52 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Zu den öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten in Berlin zählten die Informationsstände der "Lies!"-Aktion sowie ähnliche Verteilaktionen religiöser Schriften wie dem Koran und der Prophetenbiographie. Salafistische Aktivitäten in der "Al-Nur-Moschee" Die "Al-Nur-Moschee" war als Berliner Treffpunkt von Salafisten auch 2015 Veranstaltungsort mehrerer salafistischer Islamseminare, bei denen wiederholt Gastimame auftraten, deren Predigten nicht mit den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinbaren sind. Im Januar sorgte der Gastimam Abd al-Mu'izz al-Eila für öffentliche Empörung, als er in einer Predigt die permanente sexuelle Verfügbarkeit von Frauen propagierte und diesen zudem untersagte, ohne Genehmigung ihrer Männer das Haus zu verlassen und eine Arbeit anzunehmen. Wegen einer antisemitischen Predigt an der "Al-Nur-Moschee" im Jahr 2014 wurde im Oktober 2015 der aus Dänemark stammende Gastimam Abdallah Khalid Ismail alias "Abu Bilal" wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 1 800 Euro verurteilt. In seinem Urteil hatte das Amtsgericht festgestellt, dass der Prediger sich mit der Aussage "Oh Gott, übernimm die Angelegenheit der zionistischen Juden, denn sie werden sich DIR nicht entziehen! Verringere ihre Zahl und töte sie, einen nach dem anderen! Und verschone niemanden unter ihnen!" der antisemitischen Volksverhetzung schuldig gemacht hatte.25 Vom 18. bis 20. Dezember fand in der "Al-Nur-Moschee" das "9. Jahresseminar 2015" statt. Bereits seit mehreren Jahren richtet die Moschee mehrtägige salafistische Vortragsveranstaltungen aus, die mit wechselnder Bezeichnung, z.B. "Deutschsprachiges Islamseminar", beworben wurden. Zu den Vortragenden der Veranstaltung gehörten neben den regelmäßigen Predigern der Moschee auch eingeladene Referenten. Dazu zählten Mohammed Benhsain ("Abu Jamal"), ein salafistischer Prediger aus Bonn, der schon mehrfach in Berliner Moscheen zu Gast war, sowie Mohamed Ciftci ("Scheikh Abu Anas"), einer der bekanntesten Vertreter des politischen Salafismus in Deutschland. Ciftci ist Leiter einer privaten salafistischen Islamschule in Braunschweig und war Vorsitzender des mittlerweile aufgelösten Vereins "Einladung zum Paradies e.V.". Die Veranstaltung belegt, dass die "Al-Nur-Moschee" auch weiterhin eine Plattform 25 Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Beklagte hat gegen die Verurteilung Rechtsmittel eingelegt. Islamismus 53 für bundesweit bekannte salafistische Prediger bietet und in ihr salafistische Ideo- 1 logie verbreitet wird. Infolge der wiederholten extremistischen und volksverhetzenden Predigtinhalte durch Prediger in der "Al-Nur-Moschee" prüft die Senatsverwaltung für Inneres und Sport die Einleitung vereinsrechtlicher Verbotsmaßnahmen gegen den Trägerverein der Moschee. Aktivitäten an weiteren salafistischen Trefforten Auch in der im Juni 2010 eröffneten Weddinger "As-Sahaba-Moschee" fanden 2015 mehrere salafistische Islamseminare statt. Hier traten u.a. ebenfalls der Bonner Prediger Mohammed Benhsain und der in Leipzig tätige Hassan Dabbagh ("Abu al-Hussein") auf, der zu den einflussreichsten Vertretern des politischen Salafismus in Deutschland zählt. Die Tempelhofer "Ibrahim al-Khalil-Moschee" hat sich bereits 2014 neben der "AlNur-Moschee" und der "As-Sahaba-Moschee" als weiterer Treffpunkt von extremistischen Salafisten etabliert. Ihr Imam sorgte im Februar für Aufsehen, als er vehement die obengenannte Predigt des Gastimams al-Eila in der "Al-Nur-Moschee" verteidigte, in der dieser die unbeschränkte sexuelle Verfügbarkeit von Frauen gegenüber ihren Ehemännern propagiert hatte. Auch an der "Ibrahim al-Khalil-Moschee" traten salafistische Gastprediger auf, wie z.B. im April der in Großbritannien lebende Haitham al-Haddad, der in ganz Europa ein beliebter Redner bei salafistischen Großveranstaltungen ist. In der Vergangenheit war al-Haddad wiederholt durch antisemitische, homophobe und frauenverachtende Äußerungen aufgefallen, etwa indem er die umfassende Anwendung der durch die Scharia vorgesehenen Körperstrafen (arab.: hudud) forderte, Männern ein Züchtigungsrecht gegenüber ihren Frauen zubilligte und die Praxis der weiblichen Genitalbeschneidung befürwortete. Darüber hinaus hatte al-Haddad die Tötung von Apostaten26 gutgeheißen, Usama Bin Ladin anlässlich dessen Tötung durch amerikanische Soldaten einen "Märtyrer" genannt und auf einer Konferenz der "Hizb ut-Tahrir" (HuT) in London die Errichtung eines Kalifats gefordert. 26 Apostasie ist die Abwendung von einer Religionszugehörigkeit durch Austritt oder Übertritt in eine andere Religionsgemeinschaft. 54 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 1.4.2 Weiterführung der "Lies!"-Aktion in Berlin Die Aktion "Lies! Im Namen deines Herrn, der dich erschaffen hat" ist eine Kampagne des salafistischen Netzwerks "Die Wahre Religion" (DWR) aus NordrheinWestfalen, bei der kostenlose Koranexemplare verteilt werden. Ursprünglich angetreten mit dem Ziel, jedem Haushalt in Deutschland ein kostenloses Exemplar des Koran zur Verfügung zu stellen, ist die Kampagne mittlerweile in vielen Ländern Europas mit Übersetzungen in zehn verschiedenen Sprachen präsent. Die häufig stattfindenden Verteilaktionen werden in der Regel ausführlich in sozialen Netzwerken und einschlägigen Internetseiten dokumentiert. Problematisch an den Aktivitäten der "Lies!"-Kampagne ist nicht die Verteilung des Korans als heilige Schrift der Muslime, sondern der Versuch, Nicht-Muslime ebenso wie Muslime, die nach salafistischer Überzeugung vom "rechten Pfad" abgewichen sind, zur Annahme eines Islam salafistischer Prägung zu bewegen und sie im Sinne dieser extremistischen Ideologie zu beeinflussen. Der Umstand, dass mittlerweile mehrere im Zusammenhang mit der Berliner "Lies!"-Kampagne aufgefallene Personen in Richtung Syrien bzw. Irak ausgereist sind, verdeutlicht, dass es bei diesen Aktionen nicht vornehmlich um die Wahrnehmung religiöser Grundrechte geht, sondern dass die Initiatoren und Aktivisten weiterreichende extremistische Ziele verfolgen. Gerade weil im Umfeld der "Lies!"-Stände oftmals junge, z.T. ungefestigte Personen auf der Suche nach Anerkennung und Wertschätzung auf extremistische Salafisten treffen, besteht die Gefahr, dass diese in die Szene eingebunden und im schlimmsten Fall radikalisiert werden können. Zu den Standorten der regelmäßig stattfindenden "Info-Stände" der "Lies!"-Kampagne gehören der Joachimsthaler Platz und die Fußgängerzone in der Wilmersdorfer Straße im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Darüber hinaus führten Aktivisten der "Lies!"-Kampagne auch weiterhin mobile Verteilaktionen von Koranen (so genannte "Street-Dawa") ohne Infostand durch, für die keine ordnungsrechtliche Genehmigung erforderlich ist, so z.B. rund um die Karl-Marx-Straße in Neukölln. Islamismus 55 Die Gruppierung "Siegel der Propheten", die analog zur "Lies!"-Kampagne in meh- 1 reren deutschen Städten Missionsarbeit salafistischer Prägung betreibt, konnte dagegen nur in Einzelfällen öffentliche Aktivitäten in Berlin entfalten. 1.5 Regional gewaltausübende islamistische Gruppen Neben den salafistischen Bestrebungen, deren jihadistischer Anteil von terroristischen Netzwerken dominiert wird, existieren weitere islamistische Organisationen, deren Agenden Gewaltanwendung beinhalten. Dazu zählen regional gewaltausübende Islamisten, zu denen in Deutschland die palästinensische HAMAS ("Bewegung des Islamischen Widerstands") und die schiitisch-libanesische "Hizb Allah" ("Partei Gottes") gehören. Beide Organisationen agieren vor allem im Nahen Osten terroristisch und verhalten sich in Deutschland in der Regel zurückhaltend und gewaltfrei. 1.5.1 "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS) "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS) Gründung: 1987 Mitglieder: Berlin 70 (2014: 70) Die HAMAS wurde 1987 zu Beginn der ersten Intifada gegründet. Ihre Wurzeln liegen in der palästinensischen Muslimbruderschaft, die in den 1980er Jahren ihre vorwiegend religiös-unpolitische Haltung aufgab, um sich verstärkt der Konfrontation mit Israel zuzuwenden. In ihrer Charta von 1988 verneint die HAMAS das Existenzrecht Israels und strebt die "Befreiung ganz Palästinas" durch bewaffneten Kampf sowie die Errichtung eines islamischen Staates an. Durch ihre Kritik an den Friedensverhandlungen der Autonomiebehörde mit Israel sowie durch den Aufbau eines effizienten Netzwerks von sozialen, karitativen und Bildungseinrichtungen entwickelte sich die HAMAS zu einem bedeutenden politischen und gesellschaftlichen Faktor. Bei den Kommunalwahlen 2004 und 2005 verzeichnete die HAMAS deutliche Erfolge und siegte auch bei den Parlamentswahlen 2006. Besonders hoch ist ihr Einfluss im Gaza-Streifen, wo sie seit Juni 2007 die alleinige Kontrolle ausübt. 56 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Die HAMAS wird seit 2003 auf der Liste terroristischer Organisationen der Europäischen Union geführt. In Deutschland tritt die HAMAS nicht offen auf. Ihre Anhänger treffen sich in Moscheen und Islamischen Zentren. Als Berliner Treffpunkt von HAMAS-Anhängern gilt das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum Berlin e.V." (IKEZ). Die Absetzung des ägyptischen Präsidenten Mursi im Jahr 2013 bedeutete für die HAMAS einen schweren Schlag. Die neue ägyptische Führung beschuldigte die Organisation, in Terroranschläge auf ägyptischem Boden involviert zu sein und zerstörte in den vergangenen zwei Jahren einen Großteil der Schmuggeltunnel, durch die zahlreiche Güter des täglichen Bedarfs, aber auch Waffen vom Sinai in den Gazastreifen gelangten. Die ökonomische und soziale Lage im Gazastreifen ist seit dem Krieg 2014, bei dem weite Teile der Infrastruktur zerstört wurden, schlecht. Hiervon profitierten vor allem jihadistische Organisationen, darunter auch der so genannte "Islamische Staat", die die HAMAS mit zunehmendem Selbstbewusstsein herausfordern und ohne Rücksicht auf die Interessen der HAMAS-Autoritäten Angriffe gegen Israel durchführten. Eine Überwindung der innerpalästinensischen Spaltung ist trotz des im April 2014 zwischen Fatah und HAMAS unterzeichneten Versöhnungsabkommens weiterhin nicht absehbar. Die bereits im Jahr 2014 angespannte Situation um die al-Aqsa-Moschee und den Felsendom in Jerusalem hat sich im Jahr 2015 weiter zugespitzt. Das Gebiet des Tempelbergs gilt sowohl Juden als auch Muslimen als heiliger Ort. Die HAMAS, aber auch andere islamistische Organisationen in der Region versuchen mit der Behauptung, die israelischen Behörden würden die Zerstörung der muslimischen Heiligtümer planen, die Bevölkerung ihrer Länder gegen Israel zu mobilisieren. Seit Anfang Oktober häufen sich Angriffe von meist mit Messern bewaffneten Palästinensern auf israelische Zivilisten und Angehörige der Sicherheitskräfte, begleitet von gewalttätigen Auseinandersetzungen in den palästinensischen Autonomiegebieten. Die HAMAS und andere palästinensische Organisationen versuchen zwar, diese Attacken propagandistisch zu vereinnahmen, die Mehrheit der in der Regel noch jungen Täter unterhalten jedoch keine Verbindungen zu einer der palästinensischen Organisationen. Wie in den vergangenen Jahren beeinflusste die Lage im Nahen Osten unmittelbar das Demonstrationsgeschehen in Berlin. Anlass zu Kundgebungen und Demon- Islamismus 57 strationen gaben alljährlich wiederkehrende Ereignisse wie der "Tag des Bodens", 1 aber auch die Situation palästinensischer Gefangener, Übergriffe israelischer Siedler auf Palästinenser und die anhaltenden Auseinandersetzungen um den Tempelberg. Im April fand in Berlin die "13. Konferenz der Palästinenser in Europa" statt. Die Konferenz wird seit 2002 jährlich in verschiedenen europäischen Städten abgehalten, wobei Berlin nach 2010 und 2011 zum dritten Mal als Veranstaltungsort ausgewählt wurde. Organisiert wurde die Konferenz, zu der mehrere tausend Menschen aus ganz Europa anreisten, durch das in London ansässige "Palestinian Return Center" (PRC) mit Verbindungen zur HAMAS. Zu den Organisatoren gehörte auch die "Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (PGD), zu deren Mitgliedern auch HAMAS-Anhänger zählen. Thematischer Schwerpunkt der diesjährigen PRC-Konferenz war wie in den Vorjahren die Forderung nach einem uneingeschränkten Rückkehrrecht aller Palästinenser. Anders als in der Vergangenheit traten jedoch dieses Jahr keine offiziellen Repräsentanten der HAMAS auf. 1.5.2 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") "Hizb Allah" ("Partei Gottes") Gründung: 1982 Mitglieder: Berlin 250 (2014: 250) Die schiitisch-islamistische "Hizb Allah" entstand 1982 als paramilitärische Bewegung, nachdem Israel militärisch in den libanesischen Bürgerkrieg (19761989) eingegriffen hatte. Aus ideologischen, regionalpolitischen und konfessionellen Motiven wird die "Hizb Allah" von Iran und Syrien unterstützt. Als einzige ehemalige Bürgerkriegsmiliz im Libanon unterhält die "Hizb Allah" eine Armee mit der Bezeichnung "Islamischer Widerstand" (arab.: al-Muqawama al-islamiya).27 Die "Hizb Allah" negiert seit ihrem Bestehen das Existenzrecht Israels und propagiert den bewaffneten Kampf gegen Israel auch mit terroristischen Mitteln. 27 Der UN-Sicherheitsrat forderte in zwei Resolutionen die Entwaffnung der "Hizb Allah", so 2004 mit Resolution 1 559 und 2006 mit Resolution 1 701. 58 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Aufgrund ihres sozialpolitischen Engagements verfügt die "Hizb Allah" unter den libanesischen Schiiten über eine erhebliche Anhängerschaft. Seit 1992 ist sie im Parlament vertreten und mittlerweile im Libanon zu einem festen Bestandteil des politischen Systems geworden. Nach einer längeren Regierungskrise konnte 2014 im Libanon erstmals eine Regierung gebildet werden, die die beiden rivalisierenden Lager um die "Hizb Allah" und den früheren, 2005 ermordeten Ministerpräsidenten Rafik Hariri vereint.28 Wegen antisemitischer Propaganda sowie gegen Israel gerichteter Aufrufe zu Hass und Gewalt wurde in Deutschland 2004 die Ausstrahlung des "Hizb Allah"-eigenen TV-Senders "al Manar" ("Der Leuchtturm") über den Satellitenanbieter Eutelsat unterbunden. 2008 erließ der Bundesminister des Innern darüber hinaus ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot gegen "al Manar". Ein öffentlicher Empfang des Senders ist damit untersagt. Zuvor war "al Manar" bereits in Frankreich und den USA verboten worden. Die "Hizb Allah" ist von den USA, Kanada und Israel als terroristische Organisation eingestuft. In Großbritannien und in Australien gelten lediglich militärische Gliederungen der "Hizb Allah" als terroristisch. In Reaktion auf den Anschlag auf einen Reisebus im bulgarischen Burgas im Juli 2012, bei der fünf israelische Touristen und der bulgarische Fahrer getötet wurde, beschlossen die Außenminister der Europäischen Union am 22. Juli 2013 ebenfalls, den militärischen Arm der "Hizb Allah" in die Liste des "Gemeinsamen Standpunktes des Rates über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus" (GASP, "EU-Terrorliste") aufzunehmen. Verhalten im Heimatgebiet Der Libanon droht, immer stärker in den syrischen Bürgerkrieg verwickelt zu werden. Mit einer Million syrischer Flüchtlinge trägt das 4,5 Millionen Einwohner zählende Land eine Hauptlast der syrischen Flüchtlingskrise.29 28 Der Regierungsbildung am 20.3.2014 waren im libanesischen Parlament zweitätige Diskussionen um die militärische Rolle der "Hizb Allah" vorausgegangen. Ein Kompromiss entzog der "Hizb Allah" ihr "Sonderrecht auf militärischen Widerstand gegen Israel" und gewährt nun allen Libanesen "das Recht zum Widerstand gegen die israelischen Besatzer, zur Abwehr ihrer Angriffe und zur Rücknahme des besetzen Gebiets." 29 Zum 30.9.2015 waren 1.078.338 Syrer im Libanon offiziell als Flüchtlinge registriert. Unregistrierte Flüchtlinge sind in der Zahl nicht enthalten. (Quelle: http://data.unhcr.org/syrianrefugees/country. php?id=122, abgerufen am 30.10.2015). Islamismus 59 Die "Hizb Allah" ist seit 2012 militärisch mit mehreren tausend Soldaten auf Sei- 1 ten des Assad-Regimes aktiv, während das libanesisch-sunnitische Lager um Saad Hariri die Rebellen unterstützt. Im Februar räumte Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der "Hizb Allah", erstmals öffentlich ein, dass seine Organisation auch im Irak aktiv im Kampf gegen den IS beteiligt ist. Im Irak sei man bereit, "fünfmal mehr Märtyrer zu opfern als in Syrien." Aufgrund ihrer Parteinahme für das Assad-Regime hat die "Hizb Allah" in der arabisch-islamischen Welt einiges von ihrem Nimbus als "legitime anti-israelische Widerstandsbewegung" eingebüßt. Angesichts ihrer hohen Verluste im syrischen Bürgerkrieg steigt auch die Unzufriedenheit der eigenen Anhängerschaft. Im Libanon selbst kam es immer wieder zu Kämpfen zwischen der Armee und Einheiten der "Hizb Allah" auf der einen, sowie islamistischen Rebellen aus Syrien, darunter Angehörigen der "al-Nusra"-Front,30 auf der anderen Seite. Letztere halten seit 2014 die im Osten des Libanon gelegene Stadt Arsal besetzt. Mehrfach wurden in der nördlichen, mehrheitlich von Sunniten bewohnten Hafenstadt Tripolis und in den Hochburgen der "Hizb Allah" verheerende Bombenanschläge auf Zivilisten verübt. Zudem griff die israelische Luftwaffe im syrisch-libanesischen Grenzgebiet wiederholt Ziele der "Hizb Allah" an. Verhalten in Deutschland Grundsätzlich hält sich die "Hizb Allah" in Deutschland mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen zurück, auch aufgrund von Direktiven der Führung im Heimatland. Öffentlich beteiligten sich "Hizb Allah"-Anhänger in Berlin an der anti-israelischen Demonstration zum "Jerusalem-Tag" (arab.: "al-Quds") am 11. Juli. Der "QudsTag" wurde 1979 vom iranischen Regime aus Solidarität mit den Palästinensern und aufgrund seiner Ablehnung des Zionismus und der Existenz des israelischen Staates initiiert. Der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeni erklärte 1979 die "Befreiung" Jerusalems zur religiösen Pflicht eines jeden Muslims. 30 Vgl. S. 42. 60 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Nachdem Ende Dezember der "Hizb Allah"-Kommandeur Samir al-Quntar bei einem vermutlich israelischen Luftangriff getötet wurde, veranstalteten verschiedene arabische und islamische Vereine in einem zu diesem Zweck angemieteten Festsaal eine Trauerfeier, bei der auch Anhänger der "Hizb Allah" und Vertreter "Hizb Allah"-naher Vereine auftraten. Hierbei wurde al-Quntar als "Märtyrer", "Held" und "Führer" glorifiziert und anti-israelische Aussagen getätigt. "Waisenkinderprojekt Libanon e.V." (WKP e.V.) / "Farben für Waisenkinder e.V." Eine hervorgehobene Rolle spielt das "Waisenkinderprojekt Libanon e.V." (WKP, seit dem 16. Oktober 2014: "Farben für Waisenkinder e.V.") mit Sitz in Essen, das am 2. April 2014 vom Bundesministerium des Innern verboten wurde. Gegen das Verbot hatte der WKP rechtliche Schritte eingeleitet. Nach einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juli wurde die aufschiebende Wirkung der Klage gegen das Verbot u.a. mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass der Antragsteller der im Libanon ansässigen "Shahid Stiftung" keine Gelder oder Sachgüter überlassen und in keiner Weise mit dieser Stiftung zusammenarbeiten dürfe. Am 16. November bestätigte das Bundesverwaltungsgericht schließlich das Verbot. Laut Urteil ist die "Shahid Stiftung" integraler Teil der "Hizb Allah". Unter anderem kümmert sich die Stiftung um Hinterbliebene von "Hizb Allah"-Kämpfern, die auch bei Kampfhandlungen gegen israelische Soldaten ums Leben kommen. Die Tätigkeit der "Shahid Stiftung" zielt damit darauf ab, durch die soziale Absicherung der Hinterbliebenen der so genannten "Märtyrer" die Bereitschaft zur gewaltsamen Beseitigung des Staates Israel zu wecken und zu stärken. Indem WKP Spendengelder für die "Shahid Stiftung" sammelt und bereitstellt, unterstützt und fördert der Verein bewusst deren Kampf gegen Israel. 1.6 Gewaltbefürwortender Islamismus Gewaltbefürwortende islamistische Gruppen kennzeichnet, dass sie selbst keine Gewalt ausüben, die Gewalt anderer Gruppierungen jedoch propagandistisch einsetzen oder im Sinne ihrer Interessen legitimieren. Zu dieser Form des Islamismus wird in Deutschland die 2003 verbotene "Hizb ut-Tahrir" gezählt. Islamismus 61 1.6.1 Hizb ut-Tahrir (HuT, "Partei der Befreiung") 1 "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung") Gründung: 1953 Mitglieder: Berlin 35 (2014: 45) Die "Hizb ut-Tahrir" (HuT) wurde 1953 in Jordanien von Taqi ad-Din an-Nabahani (1909 - 1977) gegründet. Sie strebt nach der Überwindung nationalstaatlicher Strukturen, der Vernichtung des Staates Israel, der Befreiung der muslimischen Welt von westlichen Einflüssen sowie der Einführung der Scharia als politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip. Im Zentrum ihrer Ideologie steht die Errichtung eines weltweiten Kalifats. Die HuT ist eine panislamistische Organisation, die in fast allen Ländern des Nahen Ostens, Zentralasiens sowie Südost-Asiens aktiv ist. Die größte Anhängerschaft hat sie in Usbekistan und Indonesien. Da die HuT in vielen Ländern verboten ist und ihre Anhänger verfolgt werden, agiert die Partei meist im Untergrund. Sie bedient sich jedoch durchweg friedlicher Mittel. Derzeitiger Vorsitzender der HuT ist der 1943 geborene Jordanier Ata Abu alRashta, dessen Aufenthaltsort im Libanon vermutet wird. In Syrien ist die HuT seit Beginn des Bürgerkrieges in den von Rebellen gehaltenen Gebieten aktiv. Sie unterhält dort keine bewaffneten Einheiten, betreibt jedoch den Aufbau ihrer Parteistrukturen. Die HuT betrachtet Syrien als Grundstein für den Aufbau des von ihr angestrebten Kalifats. Sie steht jedoch der Ausrufung eines Kalifats durch den IS u.a. wegen dessen exzessiver Anwendung von Gewalt kritisch gegenüber. In Deutschland trat die HuT vor allem durch die Verteilung von Flugblättern und Zeitschriften in Erscheinung, die sich durch aggressive antisemitische Hetze auszeichneten. Am 10. Januar 2003 erließ der Bundesminister des Innern gegen die HuT ein Betätigungsverbot, welches das Bundesverwaltungsgericht mit Verweis auf Forderungen der Partei zur Beseitigung des Staates Israel am 25. Januar 2006 62 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 bestätigte.31 Eine Klage gegen das Betätigungsverbot in Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte scheiterte im Jahr 2012 ebenfalls. Seit ihrem Verbot tritt die HuT in Deutschland nicht mehr offen auf. Sie setzt jedoch ihre Agitation mit konspirativen Mitteln fort und versucht weiterhin, neue Mitglieder zu rekrutieren, wobei sie sich auf Treffen in Privatwohnungen sowie auf geschlossene Veranstaltungen beschränkt. Aufgrund ihres oft aggressiven Auftretens und ihres sektenähnlichen Habitus sind die Mitglieder der HuT selbst innerhalb des islamistischen Lagers isoliert. In den letzten Jahren haben sich vor allem jüngere HuT-Mitglieder ungeachtet der bestehenden ideologischen Unterschiede auch im salafistischen Spektrum engagiert. 1.7 Legalistischer Islamismus Zum legalistischen Islamismus zählen die mitgliederstärksten islamistischen Organisationen in Deutschland. In der Agenda legalistischer Islamisten spielt Gewalt keine Rolle. Entweder waren die hierzu zählenden Organisationen nie gewaltorientiert oder sie haben der Gewalt abgeschworen. Zur Durchsetzung ihrer islamistischen Vorstellungen, die sie im Regelfall nicht offen äußern, nutzen sie legale Mittel. Organisationen des legalistischen Islamismus sind oft karitativ tätig, sei es durch Bildungsangebote oder soziale Projekte. In diesem Rahmen propagieren sie vermeintlich authentische islamische Normen und Werte, um den Grundstein einer aus ihrer Sicht wahrhaft islamischen Gesellschaft zu legen. Hinzu tritt eine angestrebte Nähe zu öffentlichen Institutionen, mit denen Kooperationen und Partnerschaften eingegangen werden. Legalistische Islamisten vertreten jedoch Positionen, z.B. in Bezug auf das Staatsmodell oder die Gleichheit der Geschlechter, die mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind. Zu den legalistischen islamistischen Gruppierungen in Deutschland zählen die "Muslimbruderschaft" (MB) und die türkisch dominierte "Milli Görüs-Bewegung" (MGB). Die MB und die MGB verfügen bundesweit über das größte Personenpotenzial aller islamistischen Organisationen. 31 Vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), Az.: 6A 6.05. Islamismus 63 1.7.1 Muslimbruderschaft (MB) 1 "Muslimbruderschaft" (MB) / "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) Gründung: 1928 Mitglieder: Berlin 120 (2014: 120) Die 1928 in Ägypten von Hassan al-Banna gegründete "Muslimbruderschaft" (MB) ist die älteste arabische islamistische Gruppierung. Die panislamistische Organisation ist heute, teils unter anderen Namen, in fast allen Ländern des Nahen Ostens vertreten und unterhält auch Zweige in westeuropäischen Ländern. Die nationalen Zweige der MB haben sehr verschiedene Entwicklungen durchlaufen. Die syrische MB konnte bereits Ende der 1940er Jahre Vertreter ins Parlament entsenden. Seit einem Aufstandsversuch in Hama 1982, den das Regime rücksichtslos niederschlug, ist sie eine reine Exilorganisation. Im Gegensatz dazu strebte die jordanische MB danach, ihre Ziele in Anlehnung an das Königshaus zu verwirklichen. Die ägyptische MB, die größte der MB-Organisationen, durchlief verschiedene historische Phasen: In ihrer Frühphase in den 1920er und 1930er Jahren konzentrierte sie sich auf die Bildung und Erziehung der Gläubigen. Von den 1940er bis zu den 1960er Jahren agierte sie auch militant und verübte zahlreiche Anschläge auf Staatsvertreter. Als nicht mehr gewaltorientiert gilt die ägyptische MB seit der Abspaltung ihrer militanten Flügel in den späten 1970er Jahren. Die MB definiert den Islam als ein "System", das "zu jeder Zeit und an jedem Ort" anwendbar sei und erhebt Koran und Sunna zur Richtschnur des politischen Handelns. Hieraus leitet die Organisation ihre Forderung nach einer umfassenden "Anwendung der Scharia" und nach Schaffung eines islamischen Staates ab. Ideologisch verkörpert die MB jedoch ein breites Spektrum, das bis zu der Forderung nach Schaffung eines "zivilen Staates mit islamischem Referenzrahmen" bzw. einer "islamischen Demokratie" reicht. Die mitgliederstärkste Organisation von MB-Anhängern in Deutschland ist die 1960 gegründete "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD). Die IGD hat Verbindungen zu einer Reihe von Vereinen. In Berlin zählen hierzu das "In- 64 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 terkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung e.V." (IZDB), das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum Berlin e.V." (IKEZ), und das "Teiba Kulturzentrum zur Förderung der Bildung und Verständigung e.V." (TKZ). Die lange Zeit verbotene MB profitierte zunächst von den politischen Umbrüchen des "Arabischen Frühlings", die in Ägypten zum Sturz des Präsidenten Mubarak führten und nach jahrzehntelanger politischer Stagnation erstmals freie Wahlen ermöglichten. Nach ersten Erfolgen der MB bei den Parlamentswahlen 2011 wurde schließlich im Juni 2012 ihr Kandidat Muhammad Mursi zum Präsidenten gewählt. Begleitet von Massenprotesten der Opposition setzte das ägyptische Militär den Präsidenten am 3. Juli 2013 ab. Das Militärregime geht seither mit allen Mitteln gegen die "Muslimbruderschaft" vor. Die gesamte MB-Führung wurde festgenommen, die MB und alle ihre Ableger verboten und Vermögen sowie Immobilienbesitz der Organisation beschlagnahmt. Seither wurden hunderte MB-Anhänger in Schauprozessen zum Tode verurteilt, darunter auch der Führer der Organisation Muhammad Badi'a und Ex-Präsident Muhammad Mursi, dessen Todesurteil zuletzt im Juni von einem Gericht bestätigt wurde. Auch international ist die MB zunehmend isoliert. So haben nach Ägypten auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate die MB zur Terrororganisation erklärt, letztere auch mehr als 80 weitere MB-nahe Organisationen, darunter auch die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD). Selbst das Emirat Qatar, ein langjähriger Förderer der MB, hat der Organisation unter dem Druck Saudi-Arabiens im September 2014 seine Protektion entzogen. Obwohl Qatar die im Exil lebenden MB-Führer zwar nicht, wie gefordert, nach Ägypten auslieferte, mussten diese das Land verlassen und in anderen Staaten, darunter der Türkei, Zuflucht finden. Die Festnahme ihrer Führung und zehntausender Mitglieder, die Konfiszierung ihres Vermögens und ihre internationale Isolierung haben die "Muslimbruderschaft" erheblich geschwächt. Ungeachtet der tatsächlichen Machtverhältnisse verweigern MB-Vertreter weiterhin eine Anerkennung des ehemaligen General Abd al-Fattah as-Sisi, der im Mai 2014 zum ägyptischen Präsidenten gewählt wurde, und fordern die Wiedereinsetzung von Muhammad Mursi als Präsident. Obwohl die Beteiligung an den Protesten gegen das Militärregime 2015 zurückging, stellte die MB wiederholt unter Beweis, dass ihre Mobilisierungsfähigkeit Islamismus 65 zwar geschwächt, aber nicht gebrochen ist. Anzeichen für eine Radikalisierung der 1 ägyptischen MB-Organisation sind weiterhin nicht erkennbar. Zwar kommt es seit der Machtübernahme des Militärs vermehrt zu Anschlägen gegen Angehörige und Einrichtungen der Sicherheitskräfte, insbesondere auf dem Sinai. Bei den Urhebern handelt es sich jedoch in erster Linie um Angehörige jihadistischer Gruppen wie der Terrororganisation "Islamischer Staat - Provinz Sinai", während die Beteiligung von MB-Angehörigen weiterhin nicht bestätigt werden kann. Nicht nur in Ägypten, sondern auch auf internationaler Ebene mobilisiert die MB seit Juli 2013 ihre Anhänger. Als Symbol der Proteste findet weiterhin eine stilisierte schwarze Hand mit vier ausgestreckten Fingern vor gelbem Hintergrund Anwendung. Die vier Finger (rabi'a heißt auf Arabisch "die Vierte") sind eine Anspielung auf den Platz vor der Rabi'a al-Adawiya-Moschee, auf dem Anhänger der MB ein Protestcamp errichtet hatten, bei dessen Räumung 2013 bis zu 800 Menschen von den Sicherheitskräften getötet wurden. Auch in Berlin demonstrieren seitdem immer wieder Sympathisanten und Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi, wobei das "Rabi'a-Symbol" einen zentralen Stellenwert besitzt. In den letzten beiden Jahren ließ die Intensität der Proteste von MB-Anhängern jedoch spürbar nach. Lediglich bei symbolträchtigen Anlässen wie dem Jahrestag des Putsches oder dem Besuch des ägyptischen Präsidenten as-Sisi Anfang Juli in Berlin mobilisierten MB-Anhänger zu Kundgebungen und Demonstrationen. 1.7.2 "Milli Görüs"-Bewegung (MGB) "Milli Görüs"-Bewegung (MGB), vormals: "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) Mitglieder: Berlin 500 (2014: 500) Die Ideologie der "Milli Görüs"-Bewegung beruht auf den politischen Konzepten von Necmettin Erbakan, die von ihm mit den Begriffen "Milli Görüs" (Nationale Sicht) und "Adil Düzen" (Gerechte Ordnung) charakterisiert wurden. Erbakan wollte die türkischen Bürger unter dem Dach von Nationalismus und Islamismus vereinen, die bestehende "nichtige" bzw. "falsche Ordnung" (batil düzen) überwinden und sie durch eine "gerechte Ordnung" - mit letztlich glo- 66 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 balen Anspruch - ersetzen, die auf der göttlichen Offenbarung begründet ist bzw. sich an den Prinzipien von Koran und Sunna orientiert. Erbakan lehnte wesentliche demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien wie Volkssouveränität oder Parteienpluralismus als unvereinbar mit der "gerechten Ordnung" ab und propagierte die Überwindung des Laizismus, die Schaffung einer "neuen, großen Türkei" sowie die Errichtung einer "gerechten Wirtschaftsordnung" auf autoritär-korporatistischer Basis. In diesem Zusammenhang vertrat er auch offen antisemitische Stereotype. Nach Erbakans Tod im Jahr 2011 wurde und wird das von ihm propagierte Gesellschaftsmodell von der "Milli Görüs"-Bewegung (MGB) propagiert. In der politischen Landschaft der Türkei ist die "Milli Görüs"-Bewegung seit Jahrzehnten durch mehrere, aufeinander folgende islamistische Parteien vertreten, die zum größten Teil von Erbakan gegründet und geführt wurden. Diese erzielten in der Vergangenheit bei den Parlamentswahlen beachtliche Erfolge und sicherten Erbakan von 1996 bis 1997 das Amt des Ministerpräsidenten, bevor ihn das Militär zum Rücktritt drängte. Trotz mehrmaliger Parteiverbote und anschließender Neugründungen gelang es Erbakan, seine Position als Führer der "Milli Görüs"-Bewegung über Jahrzehnte zu behaupten und eine Spaltung seiner Anhängerschaft zu verhindern. Erst nach dem Verbot der "Fazilet Partisi" (Partei der Tugend, FP) im Jahr 2000 kam es zu einer Spaltung der "Milli Görüs"-Bewegung. Das Lager der Erneuerer löste sich unter der Führung des jetzigen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan sowohl organisatorisch als auch ideologisch von Erbakan und ging in der "Adalet ve Kalkinma Partisi" (Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung, AKP) auf. Die "Traditionalisten", die sich bis heute zur "Milli Görüs"-Ideologie und deren Begründer Erbakan bekennen, gründeten im Juli 2001 unter der Führung des ehemaligen FP-Vorsitzenden Recai Kutan die "Saadet Partisi" (Partei der Glückseligkeit, SP). Der "Milli Görüs"-Bewegung in Deutschland sind u.a. zuzurechnen: * Strukturen der "Saadet Partisi" (SP) * Die Tageszeitung "Milli Gazete" * Teile der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) Islamismus 67 Von diesen Organisationen bekennt sich die SP offen zur Ideologie Erbakans. Sie 1 hat seit 2013 mit der Etablierung von Strukturen außerhalb der Türkei begonnen, die vor allem der Unterstützung der Mutterpartei in der Türkei und der Verbreitung der "Milli Görüs"-Ideologie dienen. 2015 eröffnete die SP auch in Berlin ein Büro, in dem regelmäßig religiöse und politische Vorträge gehalten werden. Die "Milli Gazete", die in Deutschland seit Mai 2011 nur im Abonnement erhältlich ist, gilt als Sprachrohr der "Milli Görüs"-Bewegung. Am 10. August erschien ein Beitrag mit dem Titel "Was es bedeutet, für die "Milli Gazete" zu schreiben". Dort heißt es: "Für die Milli Gazete zu schreiben, bedeutet die Wahrheit der Milli Görüs zu präsentieren, ohne sich hinter den Begrifflichkeiten der "Realität" zu verstecken [...] bedeutet sich anzustrengen, damit das Volk gemäß Traditionen, Bräuchen und Regeln lebt, die nicht dem Islam widersprechen [...] bedeutet Widerstand gegen die ideologische Vergiftung junger Geister [...] bedeutet sich der Weltherrschaft der zionistischen Ideologen zu widersetzen [...] bedeutet Erbakan Hoca." Der Artikel unterstreicht die ungeminderte Bedeutung von Erbakans Ideologie für diese Zeitung. Er bedient antisemitische Stereotype, nach denen der Zionismus eine Weltherrschaft anstrebe, und die Forderung nach der "Gerechten Ordnung" ("Adil Düzen"), die mit den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind. Die IGMG ist aus der 1985 gegründeten "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT) hervorgegangen. 1995 wurde die AMGT in zwei unabhängige Vereine aufgeteilt. Von diesem Zeitpunkt an übernahm die IGMG die sozialen, kulturellen und religiösen Aufgaben der AMGT und die "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e.V." (EMUG) die Verwaltung des Immobilienbesitzes der ehemaligen AMGT. Ideologische Referenzen an Erbakan und dessen Ideologie sind bei der IGMG im Gegensatz zur "Saadet Partisi" jedoch nur noch in Teilen feststellbar. 68 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 1.8 Islamisten und die Flüchtlingsthematik Die Lageentwicklung im Krisenraum Syrien und Irak hat bundesweit und in Berlin dazu geführt, dass eine große Zahl an Menschen ihre Heimat verlassen hat und als Flüchtlinge Schutz suchen. Die Mehrheit von ihnen stammt aus überwiegend muslimisch geprägten Ländern. Sie fliehen vor Kriegen und Bürgerkriegen, vor politischer und religiöser Verfolgung, vor Terrororganisationen wie dem IS, oder weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive auf ein menschenwürdiges Leben sehen. Die aktuelle Flüchtlingssituation hat das Handeln extremistischer Organisationen verändert, die zunehmend in der Flüchtlingshilfe in Erscheinung treten. Dabei ist das Agieren islamistischer Organisationen und Einzelakteure gegenwärtig dominiert von einem "humanitären Pragmatismus" und erfolgt nicht zwingend aus extremistischen Motiven. Die Bereitschaft, Notleidende zu unterstützen, hat im Islam eine starke moralische Verankerung. Der Islam benennt ausdrücklich ethische Werte wie Barmherzigkeit und Unterstützung Notleidender und fordert die Gläubigen auf, danach zu handeln. Dennoch steht zu befürchten, dass islamistische Akteure unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe versuchen, Flüchtlinge ideologisch zu beeinflussen und sie organisatorisch an sich zu binden, was einer genauen Beobachtung und Aufklärung bedarf. Einige Fälle sind bekannt geworden, die ein Einwirken islamistischer Organisationen auf Flüchtlinge nahelegen: Im September wurden auf dem Gelände der "Zentralen Aufnahmeeinrichtung des Landes Berlin für Asylbewerber" (ZAA) Personen festgestellt, die der salafistischen Szene zuzurechnen und als Berliner Akteure des Koran-Verteilprojekts "Lies!" bekannt sind. Das vornehmlich in Berlin aktive Flüchtlingshilfeprojekt "Hayah - Humanitäre Unterstützung für Flüchtlinge" kooperiert mit dem "Islamischen Kulturund Erziehungszentrum Berlin e.V." (IKEZ), dem "Interkulturellen Zentrum für Dialog und Bildung e.V." (IZDB) und der "Dar as-Salam-Moschee", die als Trefforte von Islamisten32 in Berlin gelten. Das Projekt organisiert regelmäßig humanitäre Aktionen und logistische Hilfeleistungen für arabisch-sprachige Flüchtlinge. Berliner Moscheen, die als islamistische Trefforte dienen, haben zur humanitären Unterstützung von Flüchtlingen aufgerufen und vereinzelt Geldspenden gesam32 Vgl. S. 56, 63f. Islamismus 69 melt. Es wurden auch wiederholt Veranstaltungen in Moscheen durchgeführt, die 1 sich explizit an Flüchtlinge richteten und teilweise Resonanz fanden. Dennoch ist anzunehmen, dass dieses Engagement auch zu einer Bindung von Flüchtlingen an die jeweiligen Einrichtungen geführt hat, da unter den Besuchern dieser Moscheen zunehmend Flüchtlinge festgestellt werden. Bemerkenswert ist eine Rechtsauskunft von Yusuf al-Qaradawi, dem führenden Ideologen der "Muslimbruderschaft" (MB).33 Der in Qatar lebende Gelehrte wurde im September von deutschen Muslimen gefragt, wie es nach islamischem Recht zu beurteilen sei, dass alleinstehende minderjährige Flüchtlinge ohne Begleitung eines Schutzverwandten (arab.: mahram) in Familien untergebracht seien. Unter anderem führte al-Qaradawi in seiner Rechtsauskunft aus: "Die islamischen Gemeinschaften, Zentren und Schulen in Europa sollten die zuständigen Behörden in Europa kontaktieren, um die religiöse Obhut über Kinder zugesprochen zu bekommen, die in der Betreuung deutscher Familien sind, damit diese Betreuung nicht als Instrument verwendet werde, um die Kinder von der Religion und vom Glauben abzubringen." Die Antwort von al-Qaradawi ist insgesamt nicht extremistisch und enthält auch eine deutliche Kritik an den arabischen Staaten, die in der Flüchtlingshilfe nicht aktiv genug seien. Die Ausführung weist aber auf Ängste hin, die bei Muslimen in einer nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft bestehen können. Sie kann eine integrationshemmende Wirkung befördern. Diese Rechtsauskunft (arab.: Fatwa) wurde von einem Berliner Imam aus dem Bereich des legalistischen Islamismus über soziale Medien verbreitet. Angesichts der aktuellen Zuwanderungsbewegung nach Deutschland ist nicht auszuschließen, dass sich unter den Flüchtlingen auch Personen aus dem Bereich der Allgemeinkriminalität, Mitglieder militanter Gruppen bzw. terroristischer Organisationen oder Einzelpersonen mit extremistischer Gesinnung befinden könnten. Der Berliner Verfassungsschutz erhält in diesem Zusammenhang wie alle Sicherheitsbehörden eine Vielzahl von Hinweisen auf derartige Personen. Diesen Hinweisen gehen Polizei und Verfassungsschutz in jedem Einzelfall unverzüglich nach. Die Erkenntnisse aus den Anschlägen in Paris am 13. November werden dabei berücksichtigt. 33 Vgl. S. 63ff. 70 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Bislang ist nicht erkennbar, dass sich unter den Flüchtlingen ein signifikanter Anteil bereits radikalisierter Islamisten befindet. Allerdings haben sich islamistische Organisationen in Berlin als Akteure in der Flüchtlingshilfe positioniert und versuchen, ihren Einfluss auf Flüchtlinge zu erweitern. Mit Blick auf den Umstand, dass sich unter den Flüchtlingen ein hoher Anteil junger Männer ohne familiäre Anbindung in Deutschland befindet, können deren vielfach schwierigen Lebensumstände den Grad ihrer Anfälligkeit für die Angebote islamistischer Ideologen in Berlin erhöhen.34 34 Um das Personal von Flüchtlingsunterkünften sowie ehrenamtliche Helfer über Elemente islamistischer Ideologie aufzuklären und mit Hinweisen für die Erkennung einer Radikalisierung zu sensibilisieren, hat der Berliner Verfassungsschutz im November die Handreichung "Aktivitäten islamistischer Akteure im Zusammenhang mit der Flüchtlingssituation" herausgegeben. Sie ist abrufbar über: www. verfassungsschutz-berlin.de/publikationen/. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 71 2 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 2 2.1 Ideologien extremistischer Bestrebungen ausländischer Organisationen Ausländische Organisationen werden als extremistisch bewertet, wenn sie Ideologien extremistischer Bestresich gegen die freiheitliche demokrabungen ausländischer Organisationen tische Grundordnung richten und die Im Gegensatz zu den BeobachDurchsetzung ihrer Weltanschauung in tungsfeldern Rechtsoder LinksexDeutschland anstreben. tremismus sowie Islamismus verfügen extremistische Bestrebungen Als extremistisch werden aber auch ausländischer Organisationen nicht ausländische Organisationen eingeüber eine einheitliche ideologische stuft, die eine gewaltsame VerändeAusrichtung mit verschiedenen Ausrung der politischen Verhältnisse in prägungen. Es lassen sich gegenden Heimatländern anstreben. Sie gesätzliche Ideologien unterscheiden: fährden durch Anwendung von Gewalt * Linksextremisten: Diese folgen oder darauf gerichtete Vorbereitungsweitgehend der Ideologie des Marxishandlungen auswärtige Belange der mus-Leninismus und streben meist Bundesrepublik Deutschland. mit Gewalt die Etablierung eines soAusländische Personenzusammenzialistischen bzw. kommunistischen schlüsse werden schließlich als extreSystems in ihren Heimatländern an. mistisch bewertet, wenn ihre Tätigkeit * Extreme Nationalisten: Natigegen das friedliche Zusammenleben onalistische Ausländerorganider Völker (Art. 21 Abs. 1 Grundgesationen kennzeichnet ein auf setz) gerichtet ist. Organisationen, die ethnische, kulturelle und politischsich gegen das friedliche Zusammenterritoriale Unterschiede gegründeleben der Völker richten, bedeuten ter Überlegenheitsanspruch der eieine erhebliche Gefahr für die innere genen Nation sowie die Negierung Sicherheit. Sie bilden den Nährboden der Rechte anderer Ethnien. für extremistische Auffassungen und In den meisten Fällen werden die Akschüren Hass, der auch zu terroristitivitäten ausländerextremistischer 72 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 scher Gewaltanwendung führen kann. Organisationen von den politischen Bei nicht-islamistischen ausländerexVerhältnissen in ihren Herkunftsläntremistischen Organisationen lassen dern bestimmt. sich linksextremistische und nationalistisch orientierte Gruppierungen unterscheiden (siehe Kasten). Meist werden die Aktivitäten ausländerextremistischer Organisationen von den politischen Verhältnissen in ihren Herkunftsländern bestimmt. Einige der in Deutschland ansässigen Organisationen lassen inzwischen jedoch Tendenzen zu eigenständigem Handeln erkennen. 2.2 Personenpotenzial Das Personenpotenzial linksextremistischer ausländischer Organisationen ist in den letzten Jahren nahezu konstant geblieben. Die in der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) organisierten kurdischen Linksextremisten stellen hier weiterhin das einzige zahlenmäßig relevante Personenpotenzial, das bis Ende 2015 auf 1 100 Personen leicht angewachsen ist (2014: 1 050). Auch im Bereich der extrem-nationalistischen Organisationen ist in Berlin das Personenpotenzial gleich geblieben, das von der türkischen "Ülkücü-Bewegung" bestimmt wird. Ihr werden aktuell ca. 400 Personen zugerechnet (2014: 400). Personenpotenzial extremistischer ausländischer Organisationen* 2014 2015 Gesamt 1 700 1 750 Linksextremisten, davon 1 300 1 350 PKK 1 050 1 100 Sonstige 250 250 Extreme Nationalisten, davon 400 400 Ülkücü-Bewegung 400 400 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 73 2.3 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 2 Gründung: 1978 Mitglieder: Berlin 1 100 (2014: 1 050) Die 1978 gegründete "Arbeiterpartei Kurdistans" (Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) kämpft seit 1984 in einem Guerillakrieg für einen unabhängigen kurdischen Nationalstaat im Ländereck Türkei, Iran, Irak und Syrien. Nach der Festnahme ihres Führers Abdullah Öcalan 1999 änderte die Partei ihre strategische Ausrichtung und Öcalan verkündete einen "einseitigen Waffenstillstand". Die PKK beschränkte sich seither auf Forderungen nach autonomer Selbstverwaltung der mehrheitlich kurdisch besiedelten Gebiete innerhalb des türkischen Staatsgebiets. Die Partei ist eine streng hierarchisch organisierte Kaderpartei mit einer strikten Parteidisziplin, einem ausgeprägten Märtyrerkult sowie einem extremen Personenkult um ihren Führer Abdullah Öcalan. Sie unterhält zahlreiche Unterorganisationen. Die PKK ist auf der europäischen Liste der terroristischen Organisationen verzeichnet. Die PKK in der Türkei Nach dem Strategiewechsel der PKK machte die türkische Regierung Zugeständnisse zur Beilegung des Konflikts, indem kurdische Minderheitenrechte, Sprache und Kultur anerkannt wurden. 2004 kündigten die so genannten "Volksverteidigungskräfte" (Hezen Parastina Gel, HPG), der bewaffnete Arm der PKK, den von Öcalan erklärten "einseitigen Waffenstillstand" auf. Die Kämpfe und Terroranschläge wurden in wechselnder Intensität fortgesetzt, bis Ende 2012 der Friedensprozess wieder aufgenommen wurde. Der Kampf um die von syrischen Kurden besiedelte Stadt Kobane führte 2014 zu wachsenden Spannungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK. Der Anschlag in der türkischen Stadt Suruc am 20. Juli führte zum Abbruch der Friedensverhandlungen und zu einer Welle der Gewalt in der Türkei, die in eine anhaltende Eskalation des Konflikts mündete. 74 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 2.3.1 Entwicklung in kurdisch besiedelten Gebieten des Krisenraums Syrien/Irak Die 2003 in Syrien gegründete "Partei der Demokratischen Union" (Partiya Yekitiya Demokrat, PYD) unter dem Vorsitz von Salih Muslim untersteht dem Exekutivrat der PKK und kann insofern als ihre syrische Teilorganisation angesehen werden. Die PYD, die erst seit 2011 öffentlich auftritt, nutzte im Jahr 2012 die Unruhen in Syrien, um weite Teile der mehrheitlich kurdisch besiedelten Gebiete im Nordosten Syriens unter ihre Kontrolle zu bringen. Die "Volksverteidigungseinheiten" (Yekineyen Parastina Gel, YPG) als militärischer Arm der PYD konzentrieren sich seither vor allem auf die Verteidigung dieses von den Kurden auch als "Rojava" bezeichneten Gebiets, in dem 2,5 Millionen Einwohner und mittlerweile ca. 500 000 Flüchtlinge leben. In "Rojava" gelang es der PYD, ihren Alleinvertretungsanspruch gegenüber konkurrierenden Organisationen, wie etwa den Ablegern der nordirakischen Kurdenparteien "Patriotische Union Kurdistans" (Yeketiy Nistimaniy Kurdistan, PUK) und "Demokratische Partei Kurdistans" (Partiya Demokrata Kurdistane, DPK), durchzusetzen, eine autonome Selbstverwaltung auszurufen und quasi-staatliche Strukturen zu etablieren. Als im August 2014 Kämpfer der Terrormiliz IS die irakische Stadt Sinjar besetzten und tausende Jesiden im nahe gelegenen SinjarGebirge einkesselten, trug die YPG mit einer Offensive maßgeblich dazu bei, dass die Eingeschlossenen über einen Korridor in die syrischen Kurdengebiete gerettet werden konnten. Es waren auch vor allem Kämpfer der YPG, die im Jahr 2014 die Stadt Kobane (arab.: Ain alArab) im syrisch-türkischen Grenzgebiet gegen die angreifenden Milizen des IS verteidigten und diese Ende Januar 2015 aus der Stadt vertrieben. 2.3.2 Eskalation des Konflikts zwischen türkischem Staat und PKK Aufkündigung des Waffenstillstands zwischen PKK und der Türkei Durch die kurdische Autonomieregion im Norden Iraks, die fortschreitende Selbstverwaltung in den syrischen Kurdengebieten unter Führung der PYD und dem wachsenden Einfluss der PKK, sieht die türkische Regierung die für sie inakzeptable Gefahr eines erneuten Strebens nach einem kurdischen Nationalstaat. Sie Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 75 befürchtet damit einhergehende Auswirkungen auf das vorwiegend kurdisch besiedelte Staatsgebiet im Südosten der Türkei. Als wichtigstes Ereignis für den Abbruch des ohnehin schon bedrohten Friedensprozesses, der 2012 begann, und das erneute Aufflammen des Bürgerkriegs in der 2 Türkei gilt der Selbstmordanschlag eines mutmaßlichen IS-Anhängers im ostanatolischen Suruc, bei dem im Juli mindestens 32 Menschen getötet wurden. Es waren meist junge Anhänger der linksgerichteten und kurdennahen "Demokratischen Partei der Völker" (HDP), die sich am Wiederaufbau von Kobane beteiligen wollten. Der Bombenanschlag von Suruc verstärkte die gesellschaftliche Polarisierung in der Türkei und löste eine Welle der Gewalt aus. Der Anschlag wurde von PKK-nahen Kreisen als "Massaker des türkischen Staates" eingestuft. Die PKK-Jugend Europa35 nahm den Anschlag zum Anlass, ihre Mitglieder in einer am selben Tag veröffentlichten Pressemitteilung zu medienwirksamen Protestaktionen aufzurufen: "Wir rufen alle Jugendlichen dazu auf, sich auf die Straßen zu begeben, um ihre Stimmen zu erheben, damit sie Kobane erreichen. Wir rufen dazu auf, diese niederträchtigen Morde zu verurteilen." An anderer Stelle wird in der Presseerklärung mit Vergeltung für die Toten von Suruc gedroht. Die Drohung kann gegen den IS aber auch gegen die Türkei gerichtet sein, der die PKK eine Zusammenarbeit mit dem IS vorwirft: "Wir als die Opferbereiten und Weggefährten des Führers [Abdullah Öcalan] möchten festhalten, dass die Angriffe, die gegen unseren Führer, gegen sein Paradigma und seine Weggefährten gerichtet sind, nicht unbeantwortet bleiben werden." Nur zwei Tage später nahm die PKK ihre Angriffe gegen türkische Polizisten und Soldaten wieder auf. Dem schwerwiegendsten Terroranschlag der PKK fielen am 6. September in der Provinz Hakkari 15 türkische Soldaten zum Opfer. Die türkische Armee reagierte mit Luftangriffen gegen PKK-Stellungen im Nordirak. Vorgezogene Parlamentswahlen stärken die regierende AKP Der Konflikt zwischen PKK und türkischem Staat wurde nicht nur durch die Lage in Syrien, sondern auch durch den Kampf um parlamentarische Mehrheiten in der 35 Ciwanen Azad Avrupa. 76 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Türkei beeinflusst. Da der Erfolg der HDP bei den türkischen Parlamentswahlen im Juni eine Regierungsbildung erschwerte und die von der Regierungspartei AKP avisierte Einführung eines Präsidialsystems unmöglich machte, setzte Staatspräsident Erdogan für Anfang November vorgezogene Neuwahlen an. Der Wahlkampf fand vor dem Hintergrund neu aufflammender Kämpfe zwischen PKK und Militär sowie einer Anschlagswelle gegen Polizisten und Einrichtungen der Polizei statt. Die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung führte zu einer Reihe politisch motivierter Gewalttaten durch Regierungsanhänger und Nationalisten, die sich u.a. gegen die HDP, aber auch gegen kurdische Privatpersonen richtete. Die PKK kündigte trotzdem mehrere Wochen vor den Wahlen einen Verzicht auf gewalttätige Aktionen bis zum Wahltag an. Während des Wahlkampfs ereignete sich am 10. Oktober in Ankara der bislang folgenreichste Anschlag in der Geschichte der Türkei. Zwei Selbstmordattentäter zündeten ihre Sprengsätze inmitten einer Demonstration linker Parteien und Gewerkschaften, zu deren Hauptorganisatoren die HDP zählte. Bei dem Anschlag, für den die türkischen Behörden die Terrormiliz IS verantwortlich machten, kamen 102 Menschen ums Leben, über 500 wurden z.T. schwer verletzt. Die HDP sagte daraufhin alle weiteren Wahlkampfkundgebungen ab. Bei den erneuten Parlamentswahlen am 1. November erreichte die AKP die angestrebte absolute Mehrheit, aber auch die HDP ist wieder im Parlament vertreten. In den Kurdengebieten der Türkei fiel die Wahlbeteiligung geringer aus, die HDP musste dort Stimmenverluste hinnehmen. In Medienberichten wurde der Wunsch der Bevölkerung nach Frieden und Stabilität als Erklärung für das Wahlergebnis angeführt. Noch im November verkündete die PKK die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes. Eskalation des Konflikts im Südosten der Türkei Die Kämpfe zwischen PKK und türkischen Truppen haben seither deutlich an Intensität zugenommen. Im November und Dezember kamen hierbei zahlreiche Zivilisten ums Leben, vor allem durch den Einsatz schwerer Waffen der türkischen Armee im Südosten des Landes. In seiner Neujahrsansprache kündigte der türkische Staatspräsident Erdogan an, das militärische Vorgehen gegen die PKK fortsetzen zu wollen und sprach von "Säuberungen". Die HDP warf der türkischen Armee vor, für Massaker unter der Zivilbevölkerung verantwortlich zu sein, während die türkische Regierung von Terrorbekämpfung sprach. In zahlreichen Städten im Südosten der Türkei wurden Ausgangssperren verhängt, ein Ende der Kampfhandlungen ist vorerst nicht absehbar. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 77 Daneben versucht die Türkei, die kurdischen Gebiete im Irak und in Syrien zu destabilisieren, indem sie auf türkischem Staatsgebiet stationierte Artilleriegeschütze gegen Stellungen der YPG in Syrien einsetzt und PKK-Stellungen im Nordirak bombardiert. 2 Als mutmaßliche Unterorganisation der PKK zeichnen die "Freiheitsfalken Kurdistans" (Teyrebazen Azadiya Kurdistan, TAK) für zahlreiche Terroranschläge in der Türkei in den letzten Jahren verantwortlich. Die Organisation steht wie die PKK auf der europäischen Liste der terroristischen Organisationen. Am 17. Februar 2016 zündete ein Selbstmordattentäter in der türkischen Hauptstadt Ankara ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug in der Nähe eines Militärkonvois. 28 Menschen starben, 45 weitere wurden z.T. schwer verletzt. Die TAK bezichtigten sich zu diesem Anschlag. Beim jüngsten Anschlag am 13. März 2016, erneut in Ankara, brachten offenbar zwei Selbstmordattentäter wiederum ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug auf einem der belebtesten Plätze im Zentrum zur Detonation. Bei diesem Terroranschlag starben 37 Menschen, 120 wurden z.T. schwer verletzt. Auch zu diesem Anschlag bezichtigten sich die TAK. Der Konflikt zwischen dem türkischen Staat und den Guerilla-Einheiten der PKK eskaliert weiter. 2.3.3 Die PKK in Europa, Deutschland und Berlin Strukturen der PKK in Deutschland und Europa Nach zahlreichen Brandanschlägen auf türkische Einrichtungen in Deutschland 1992 und 1993 und der Geiselnahme von 20 Personen im türkischen Generalkonsulat in München erfolgte am 22. November 1993 ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot der PKK in Deutschland, das sich auch auf die Nachfolgeorganisationen erstreckt. Da die PKK einen Alleinvertretungsanspruch für alle Kurden erhebt, schuf sie bereits in den 1990er Jahren "Massenorganisationen" für Angehörige einzelner Interessens-, Berufsoder Religionsgruppen, um auf diese Weise ihren Einfluss auf alle wichtigen Bereiche kurdischer Aktivitäten in Deutschland zu gewinnen. Hierzu zählen u.a. der Jugendverband "Komalen Civan", die "Kurdische Frauenbewegung in Europa" (TJKE), der "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK), die "Union kurdischer Familien" (YEK-MAL) sowie die "Is- 78 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 lamische Gemeinschaft Kurdistans" (CIK). Der Dachverband der PKK im Untergrund in Europa ist der "Kongress der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa" (KCD-E)36 mit Sitz in Brüssel. Die Anhänger in Deutschland sind nicht nur in den genannten "Massenorganisationen", sondern vor allem in örtlichen Vereinen aktiv. Deren Dachverband, die "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM) wurde anlässlich der Neustrukturierung im Juni 2014 in das "Zentrum der demokratischen Gesellschaft der Kurden in Deutschland e.V." (NAV-DEM) umbenannt. Diesem Dachverband gehört auch der "Deutsch Mesopotamische Bildungszentrum e.V." (DMBZ) an, der in "NAV-DEM Berlin e.V." umbenannt wurde. Die vorgeblichen Demokratisierungsprozesse und eine Direktive zum Gewaltverzicht in Westeuropa sollen die Organisation als politische Dialogpartner etablieren und zur Revidierung der Einstufung als Terrororganisation führen. Seit dem Jahr 2000 verzichtet die PKK auf die Anwendung von Gewalt in Deutschland. Die Anhänger erhoffen sich eine Aufhebung des vereinsrechtlichen Betätigungsverbots. Der Konflikt zwischen PKK, PYD und der Terrormiliz IS in der türkisch-syrisch-irakischen Grenzregion sowie der Wiederbeginn des bewaffneten Kampfes zwischen der PKK und dem türkischen Militär wirken sich auch auf die innere Sicherheit in Deutschland aus. Deutschland stellt für die PKK einen Rückzugsund Rekrutierungsraum dar, in dem die Organisation aus taktischen Gründen seit 2000 auf die Anwendung von Gewalt verzichtet. Das Schicksal der Jesiden und der Kampf um die Stadt Kobane haben der PKK im politischen Raum Aufmerksamkeit beschert. Die kurdischen Peschmerga im Nordirak und die syrischen Kurden boten sich als strategische Partner westlicher Interessen an. Die Direktive eines Gewaltverzichts in Westeuropa könnte aus Sicht der PKK zu einer Etablierung der Organisation als Dialogpartner führen, um mittelfristig nicht mehr als Terrororganisation eingestuft zu werden und eine Aufhebung des vereinsrechtlichen Betätigungsverbots in Deutschland erreichen zu können. 36 Der Dachverband hieß bis Mitte Juni 2014 "Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa (KONKURD). Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 79 Die Aktivitäten der deutschen PKK-Anhängerschaft sind darauf ausgerichtet, die Ziele der Partei und ihres bewaffneten Arms in der Türkei und ihren Nachbarländern propagandistisch, materiell und finanziell zu unterstützen. Zu diesem Zweck organisiert sie umfangreiche Spendenkampagnen, bei denen im Jahr 2014 allein in Deutschland über zehn Millionen Euro eingenommen wurden. 2015 wird ein 2 ähnlich hohes Spendenaufkommen vermutet, in Berlin dürfte ein knapp siebenstelliger Betrag eingenommen werden. 2.3.4 Aktivitäten der PKK in Berlin Jährlich wiederkehrende Anlässe für Aktivitäten der PKK Für die Kurden haben alljährlich wiederkehrende Anlässe eine große Bedeutung. Das wichtigste Ereignis ist das Neujahrsfest (kurdisch: Newroz), das zum Frühlingsbeginn am 21. März gefeiert wird und auch in der Türkei als offizieller Feiertag gilt. 2015 fand die zentrale Newroz-Feier mit ca. 17 000 Teilnehmern in Bonn statt. Das Motto der als Versammlung angemeldeten Veranstaltung lautete: "Im Lichte von Kobane zur Freiheit der Völker". Auch in Berlin fanden Feierlichkeiten zum Newroz-Fest, allerdings ohne größere Öffentlichkeitswirkung, statt. Für die PKK zählt das Newroz-Fest zu den herausragenden Ereignissen, gilt es doch, sich an diesem Tag der nationalen Identität bewusst zu werden und der empfundenen Unterdrückung im "Freiheitskampf" Ausdruck zu verleihen, indem öffentlichkeitswirksame, propagandistische Veranstaltungen durchgeführt werden. Angesichts der aktuellen Lage in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei, in Syrien und im Nordirak hatte auch die zentrale Newroz-Feier am 19. März 2016 in Hannover eine symbolträchtige Bedeutung. Als weitere relevante Tage gelten für die PKK der Tag der Aufnahme des bewaffneten Kampfes durch die PKK am 15. August 1984 und der Tag der Inhaftierung Abdullah Öcalans am 15. Februar 1999. Aus der jüngeren Vergangenheit sind von Bedeutung: der Jahrestag der Ermordung von drei PKK-Aktivistinnen in Paris am 9. Januar 2013 oder der "Jahrestag der Revolution in Rojava", auch "Internationaler Unterstützungstag / Solidaritätstag für Rojava" genannt, der 1. November 2014. Zu diesen Veranstaltungen melden PKK-Anhänger, aber auch die Vertreter der HDP in Berlin regelmäßig Demonstrationen an. Ereignisse in den Kurdengebieten bestimmen Aktivitäten der PKK auch in Berlin Aktuelle Ereignisse in den Kurdengebieten spiegeln sich häufig binnen weniger Stunden in der Bundeshauptstadt Berlin in demonstrativen Aktionen wider. Der 80 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Emotionalisierungsgrad ist dabei im Laufe des Jahres 2015 deutlich gestiegen. In der ersten Jahreshälfte prägten die militärischen Auseinandersetzungen zwischen der kurdischen Guerilla und der Terrormiliz IS in Nordsyrien sowie im Nordirak das Demonstrationsgeschehen und waren Anlass für zahlreiche Protestaktionen und Solidaritätsveranstaltungen. Ein weiterer thematischer Schwerpunkt der Aktivitäten war die in diesem Jahr mit Nachdruck erhobene Forderung nach Aufhebung des seit 1993 bestehenden PKK-Verbots. Die Aktivitäten der PKK-Anhänger wurden in der zweiten Jahreshälfte zunehmend von der sich zuspitzenden Lage in der Türkei, insbesondere von den schweren Terroranschlägen, den vorgezogenen Neuwahlen sowie dem Wiederaufflammen des Bürgerkriegs bestimmt. Insgesamt konnte ein deutlicher Anstieg von Demonstrationen und anderen Protestveranstaltungen festgestellt werden, bei denen es vereinzelt auch in Berlin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen PKK-Anhängern und Anhängern türkischrechtsextremistischer Organisationen kam. Erneute Forderungen nach Aufhebung des PKK-Verbots Die überwiegend positive Berichterstattung in den Medien über den Beitrag der PKK bzw. der PYD zur Rettung der jesidischen Kurden im Sinjar-Gebirge vor der Terrormiliz IS und der Verteidigung der syrischen Grenzstadt Kobane führte bei den PKK-Anhängern und Sympathisanten zur Forderung nach einer Aufhebung des PKK-Verbots. So fand am 21. Februar in Berlin eine Demonstration mit ca. 400 Teilnehmern unter dem Motto "PKK-Verbot aufheben! Rojava und Kobane verteidigen!" statt, zu der u.a. der Dachverband NAV-DEM aufgerufen hatte. Dass die Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland auch für die Führung der Organisation einen hohen Stellenwert hat, zeigt eine Aussage des stellvertretenden PKK-Führers Cemil Bayik, der in einem Interview mit einem deutschen Fernsehteam die Autobahn-Blockaden und Selbstverbrennungen durch PKK-Anhänger in den 1990er Jahren in Deutschland bedauerte. Unter anderem erklärte Bayik: "Ich möchte mich im Namen der PKK beim deutschen Volk entschuldigen. So etwas wird nie wieder passieren." Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 81 Reaktionen auf den Anschlag von Suruc am 20. Juli Der Anschlag von Suruc am 20. Juli löste zahlreiche, emotional aufgeladene Proteste in ganz Deutschland aus. Die PKK bewies ihre Mobilisierungsfähigkeit in Berlin noch am selben Tag mit einer unangemeldeten Demonstration vom Herrmannplatz zum Kottbusser Tor unter dem Motto "Protest gegen das Massaker in 2 Suruc", an der ca. 1 100 Menschen teilnahmen. Entlang der Aufzugsstrecke kam es zwischen den mehrheitlich kurdischen Aufzugsteilnehmern und einigen türkischen Rechtsextremisten am Straßenrand zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die mit der vorläufigen Festnahme von sechs Personen und der Einleitung von 13 Strafermittlungsverfahren u.a. wegen schweren Landfriedensbruchs, Widerstands gegen Polizeibeamte sowie versuchter Gefangenenbefreiung endeten. Eine weitere, angemeldete Demonstration als Reaktion auf den Anschlag in Suruc am 25. Juli in Berlin mit 2 000 Teilnehmern verlief dagegen störungsfrei. Wahlkampf in der Türkei Auch in den folgenden Wochen, vor allem während des Wahlkampfes in der Türkei, organisierten PKK-Anhänger zahlreiche Veranstaltungen in Berlin. Eine in diesem Zusammenhang durchgeführte vorübergehende Besetzungsaktion am Flughafen Tegel am 11. September verlief friedlich. Die Übergriffe von türkischen Nationalisten auf Anhänger der HDP in der Türkei Anfang September führten unmittelbar danach zu Auseinandersetzungen zwischen PKK-Anhängern und nationalistischen Türken in Deutschland. Am 12. und 13. September kam es am Rande einer Kundgebung am Kottbusser Tor zur Konfrontation zwischen Anhängern der PKK und türkischen Nationalisten. Die Gruppen umfassten z.T. bis zu dreihundert Personen. Eine Eskalation konnte nur durch das konsequente Eingreifen der Polizei verhindert werden. Am 4. Oktober wurde auf das kurz zuvor eröffnete HDP-Büro in Kreuzberg ein Brandanschlag verübt, bei dem ein geringer Sachschaden entstand. Mitte Dezember und in der Silvesternacht wurde das HDP-Büro ebenfalls Ziel von Angriffen. Die Verantwortlichen der HDP vermuteten türkische Rechtsextremisten hinter den Anschlägen. 82 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Reaktion auf den Anschlag von Ankara am 10. Oktober Eine weitere große Demonstration von PKK-Anhängern in Berlin fand am 10. Oktober unmittelbar nach dem verheerenden Bombenanschlag von Ankara mit 102 Toten statt. Zu der bereits vor dem Attentat angemeldeten und friedlich verlaufenden Demonstration erschienen statt der ursprünglich angemeldeten 500 über 1 000 Teilnehmer. Internationaler Aktionstag für Kobane am 1. November Zum "Internationalen Solidaritätstag für die Stadt Kobane" am 1. November mobilisierte der NAV-DEM-Berlin für eine Demonstration, zu der 1 000 Teilnehmer erwartet wurden. Die linksextremistische Szene Berlins engagiert sich stark für das Thema und bewarb die Veranstaltung ebenfalls. Verschiedene autonome Gruppierungen unterstützen den Kampf der Kurden gegen die Terrormiliz IS sowie den Wiederaufbau in der Kurdenregion "Rojava". In Szenepublikationen wird das Thema in zahlreichen Beiträgen, Interviews und Sonderveröffentlichungen immer wieder aufgegriffen. Auf den Internetpräsenzen der Organisationen finden sich regelmäßig Hinweise auf Themenabende und Vorträge sowie wiederkehrende Spendenaufrufe. An der friedlich verlaufenden Demonstration in Berlin-Mitte nahmen schließlich 400 Personen teil. Vereinzelte Mobilisierung von Jugendlichen zum Kampf gegen den IS Vor dem Hintergrund der militärischen Offensiven der Terrormiliz IS in Syrien und im Irak hat die PKK ihre Bemühungen in Deutschland verstärkt, kurdische Jugendliche für den bewaffneten Kampf gegen die Jihadisten zu rekrutieren. Die Zahl der deutschen bzw. aus Deutschland stammenden Personen, die seit Juni 2013 nach Syrien bzw. in den Irak ausgereist sind, um für die PKK zu kämpfen, liegt im mittleren zweistelligen Bereich. Vor allem die PKK-Jugendund Studentenorganisation sind in diesem Zusammenhang aktiv. Die Rekrutierungsbemühungen dürften sich nach der Eskalation der Lage in der Türkei ab Juli noch verstärken. Ausblick Seit der Eskalation des Konflikts zwischen der PKK, ihrer syrischen Teilorganisation PYD und der jihadistischen Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) in Syrien und Irak haben die Aktivitäten der PKK-Anhänger in Deutschland zugenommen. Anders als im Jahr zuvor kam es dabei in Berlin 2015 nicht zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Anhängern beider Lager. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 83 Die PKK hat bei mehreren spontanen Protestveranstaltungen nachdrücklich unter Beweis gestellt, dass sie weiterhin in der Lage ist, in kurzer Zeit zahlreiche Menschen sowohl in Berlin als auch bundesweit zu mobilisieren. Die meisten dieser Veranstaltungen verliefen friedlich. Bei Provokationen von türkischen Rechtsextremisten schrecken insbesondere die jungen PKK-Anhänger nicht vor einer Ge- 2 waltanwendung zurück, selbst wenn ein solches Vorgehen der vorgegebenen Parteilinie widerspricht. Aufgrund der Ereignisse in der Türkei muss auch weiterhin mit einer erhöhten Gewaltbereitschaft von jungen PKK-Aktivisten gerechnet werden. Zwar wirken verantwortliche PKK-Aktivisten beruhigend auf den Nachwuchs der Organisation ein, nicht zuletzt um Deutschland als Rückzugsraum nicht zu gefährden. Die Situation kann sich jedoch abhängig von einer weiteren Eskalation der Lage in der Türkei sowie im Nahen Osten und entsprechender Weisungen der PKK-Führung schnell ändern. 2.4 Ülkücü-Bewegung Ülkücü-Bewegung - Dachverband in Deutschland ADÜTDF: Föderation der Türkischen Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu) Mitglieder: Berlin 400 (2014: 400) Die Bewegung der türkischen Nationalisten entstand Anfang des 20. Jahrhunderts kurz vor dem Ende des Osmanischen Reiches und basiert auf einer nationalistischen und rassistischen Ideologie, die in ihrer Hochphase die Vereinigung aller Turkvölker unter Führung des Osmanischen Sultans als Ziel postulierte. Die türkische Nation wird ethnisch und kulturell als Ideal überhöht dargestellt. Hieraus begründet sich ein entsprechendes politisches und territoriales Anspruchsdenken. Der Islam ergänzt die Ideologie als prägnanter Teil erst seit den siebziger Jahren. Die vermeintliche Überlegenheit der türkischen Identität bedeutet eine Abwertung von anderen Ethni- 84 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 en und Religionsgemeinschaften. Andere Volksgruppen und Religionsgemeinschaften werden zu Feinden des Türkentums erklärt, insbesondere Kurden, Armenier, Griechen, Juden und Christen. Die Bewegung richtet sich gegen den Gleichheitsgrundsatz und den Gedanken der Völkerverständigung. Der Nationalismus überwiegt zwar in der Ideologie, Rassismus und Antisemitismus sind der Bewegung jedoch immanent. Der Begriff "Rechtsextremismus" deckt diese Ideologieelemente mit ab. Die Anhänger der Bewegung sind als "Graue Wölfe" oder Ülkücü-Bewegung bekannt und bezeichnen sich selbst als Idealisten (Ülkücü). Die Ülkücü-Bewegung ist vorwiegend in Vereinen organisiert, die diverse Veranstaltungen ohne größere Öffentlichkeitswirkung durchführen. Die Mitgliederzahlen der Dachverbände sind dabei relativ konstant geblieben. Die Dachverbände bemühen sich um ein positives Ansehen in der Öffentlichkeit und distanzieren sich im Gegensatz zu der von ihnen verfolgten Ideologie öffentlich von Rassismus und Diskriminierung. Die politische Entwicklung in der Türkei und die dort stattfindenden herausragenden Ereignisse spiegeln sich in kürzester Zeit in Deutschland und auch in Berlin wider. Nach dem Anschlag von Suruc am 20. Juli und der erneuten Eskalation des Konflikts zwischen der Türkei und den Kurden in der Osttürkei gab es mehrere Demonstrationen in Berlin. Dabei konnten auf türkischer Seite jeweils rund 1 300 bis 1 500 Teilnehmer mobilisiert werden, unter denen sich türkische Rechtsextremisten befanden. Ülkücü-Anhänger waren auch am Rande von prokurdischen Demonstrationen provozierend aufgetreten, die Mitte September im Nachgang zu den Demonstrationen in Berlin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit PKKAnhängern führten.37 Das Aufeinandertreffen meist jugendlicher PKK-Anhänger mit türkischen Rechtsextremisten musste in der Folgezeit durch eine starke Polizeipräsenz verhindert werden. Am 20. September riefen sowohl die stellvertretende Vorsitzende der HDP in Berlin als auch der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Berlin beide Seiten öffentlich zu Besonnenheit und Gewaltverzicht auf und sprachen sich für einen Dialog aus. In der Nacht zum 4. Oktober kam es zu zwei Brandanschlägen auf ein kurz zuvor eröffnetes Büro der HDP in Kreuzberg. Das Büro war in den folgenden Wochen 37 Vgl. S. 81. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 85 mehrfach Ziel von Sachbeschädigungen. Die HDP machte türkische Rechtsextremisten für die Anschläge verantwortlich, eine Urheberschaft für die Taten steht bislang jedoch nicht fest. Das Ergebnis der vorgezogenen Neuwahlen zum türkischen Parlament am 1. No- 2 vember führte zunächst zu einer Beruhigung der Lage in Berlin. Nach dem Abschuss eines russischen Militärjets im türkisch-syrischen Grenzgebiet durch die türkische Armee am 24. November wurde umgehend eine Demonstration unter Beteiligung türkischer Rechtsextremisten vor der russischen Botschaft in Berlin angemeldet. Die Teilnehmer wandten sich gegen eine Bombardierung von Turkmenen durch die russischen Streitkräfte im Norden Syriens. An dem provozierenden Auftreten bei Demonstrationen und gewalttätigen Aktionen waren überwiegend jugendliche Anhänger der Bewegung beteiligt, die über soziale Medien kommunizieren und mobilisieren. Aktuelle politische Themen werden zwischen türkischen und kurdischen Jugendlichen in den sozialen Netzwerken oft sehr emotional diskutiert. Hieraus können schnell Verabredungen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen resultieren. Ein Teil der Ülkücü-Bewegung sind die "Osmanli Ocaklari" (etwa "Osmanische Vereinigungen"), die eine Art Personenkult um den Staatspräsidenten der Türkei pflegen. Dieser distanzierte sich in einer Presseerklärung am 4. Dezember von dieser Bewegung und erklärte, dass diese keinesfalls unter seiner Schirmherrschaft stehen würde. 86 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 3 Rechtsextremismus 3.1 Ideologie des Rechtsextremismus Es gibt keine einheitliche Definition des Rechtsextremismus-Begriffs. In der Öffentlichkeit werden Rechtsextremisten nicht selten synonym als "Rechtsradikale" oder "Neonazis" bezeichnet. Die Begriffsvielfalt dokumentiert nicht nur eine definitorische Unschärfe, sie spiegelt zugleich auch die Heterogenität einer Szene wider, die verschiedene ideologische, strategische und organisatorische Konzepte verwendet. Hinter dem Begriff Rechtsextremismus verbergen sich verschiedene Einstellungen und Aktivitätsschwerpunkte. Allerdings eint ein ideologischer gemeinsamer Nenner alle Rechtsextremisten, der sich in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität innerhalb der verschiedenen rechtsextremistischen Strömungen wiederfindet: Rechtsextremisten lehnen das GleichRechtsextremismus heitsprinzip ab. Sie rechtfertigen mit Mit der Sammelbezeichnung Rechtseiner verschiedenartigen Wertigkeit extremismus verbindet sich keine der Menschen politische, soziale und geschlossene politische Ideologie. gesellschaftliche Diskriminierungen Der Begriff umschreibt vielmehr eine bestimmter Personen und Gruppen. vielschichtige politische und soziale Diese Ungleichheit wird u.a. mit ethGedankenwelt, die sich in ihrer Genischen, kulturellen, geistigen, körsamtheit auf die Beseitigung oder perlichen oder politischen Aspekten nachhaltige Beeinträchtigung demobegründet. Im Ergebnis werden einkratischer Rechte, Strukturen und zelnen als "fremd" definierten PerProzesse richtet. Folgende Inhalte sonen oder Gruppen weniger Rechte finden sich dabei in allen rechtsexzugestanden. Hieraus resultiert auch tremistischen Strömungen: die Legitimation von Gewalt, die dem - Ablehnung des Gleichheitsprinzips Rechtsextremismus immanent ist und - Überbewertung ethnischer sich gegen als "minderwertig" defiZugehörigkeit nierte "Fremde" richtet. Rechtsextremismus 87 Der Überbewertung der eigenen Eth- - Antipluralismus nie fällt dabei eine Schlüsselrolle zu. - Autoritarismus Rechtsextremisten erheben die eigene Nation oder "Rasse" - zu der ein Im Kern handelt es sich beim RechtsMensch "naturgegeben" und damit extremismus - in all seinen Facetten ausschließlich durch seine biologische - um eine autoritäre Ideologie der Abstammung gehört - zum obersten Ungleichheit. Kriterien für diese Un- 3 Kriterium der Identität. Damit einher gleichheit, mit der Rechtsextremisten gehen Rassismus und ein übersteigereine Ungleichwertigkeit verbinden, ter Nationalismus, auf deren Grundkönnen u.a. die Ethnie, Kultur, Äulage die eigene Nation oder "Rasse" ßerlichkeiten oder politische Einstelüberhöht und als überlegen definiert lungen sein. Hieraus resultiert auch wird.38 die Legitimation von Gewalt, die dem Rechtsextremismus immanent ist Rechtsextremisten fordern einen und sich gegen als "minderwertig" ethnisch homogenen "Volkskörper" definierte "Fremde" richtet. und propagieren eine "Volksgemeinschaft". In dieser Gemeinschaft sind individuelle Interessen und Meinungspluralismus dem völkischen Gedanken untergeordnet. Beides wird unter Rechtsextremisten als "schädlich" und die Gemeinschaft "zersetzend" bewertet. Dieser Antipluralismus trifft auch den Rechtsstaat, die politische Opposition oder den Parlamentarismus, die von Rechtsextremisten abgelehnt, delegitimiert und bekämpft werden. Dies könnte nur durch einen autoritär geführten Staat mit zentralistischen Strukturen und strengen Hierarchien gewährleistet werden. Ein offener Antisemitismus39 und die Verherrlichung des historischen Nationalsozialismus gehören zwar zum ideologischen Traditionsbestand des Rechtsextremismus, beides hat aber aufgrund anderer relevanter Themen derzeit in der rechtsextremistischen Szene Berlins an Bedeutung verloren. Im Bereich des islamfeindlichen Rechtsextremismus werden sogar vereinzelt pro-israelische Positionen vertreten. Mit diesem Novum grenzen sich innerhalb der Szene die islamfeindlichen Rechtsextremisten am deutlichsten von den traditionellen Rechtsextremisten ab. 38 Neue rechtsextremistische Ideologieansätze argumentieren anstatt mit Begriffen wie Nation oder "Rasse" mit der "Höherwertigkeit" der eigenen Kultur und den "Eigenarten der Völker" ("Ethnopluralismus"). 39 Unter Antisemitismus versteht man die Feindschaft gegenüber den Juden als Gesamtheit aufgrund stereotyper rassistischer, sozialer, politischer und / oder religiöser Vorurteile. Regelmäßig werden diese Vorurteile auch mit Kritik am Staat Israel und seiner Politik verbunden. 88 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 3.2 Personenpotenzial und Straftaten In Berlin existiert eine sehr heterogene rechtsextremistische Szene, deren Akteure unterschiedliche ideologische Positionen, Ziele und Handlungsfelder bedienen. Die Gruppierungen lassen sich grob in zwei Lager einteilen Zum einen bestehen traditionelle rechtsextremistische Strukturen mit nationalsozialistischer Orientierung. Die von den beiden informellen Netzwerken "Freie Kräfte" und "Rechtsextremistische Musik" dominierte Szene verlor in den letzten Jahren durch Vereinsverbote sowie den Verlust von Trefforten zunehmend ihre Infrastruktur. Parteien wie die NPD, deren Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten", "Die Rechte" und "Der III. Weg" bieten diesen in informellen Netzwerken organisierten aktionsorientierten Rechtsextremisten legalistische Strukturen und fungieren auch als Auffangbecken für die von Vereinsverboten betroffenen Rechtsextremisten. Zum anderen gewannen in den letzten Jahren islamfeindliche Gruppierungen wie die "Bürgerbewegung Pro Deutschland", "Hooligans gegen Salafisten"/ "Bündnis Deutscher Hooligans"-Berlin und "Identitäre Bewegung" an Bedeutung. Deren thematischer Schwerpunkt liegt in der Ablehnung des Islam bzw. der Zuwanderung von Menschen aus dem islamisch geprägten Kulturkreis. Im islamfeindlichen Spektrum werden Muslime pauschal als Angehörige einer archaischen Religion mit Neigung zu gewaltsamer Missionierung bis hin zum Terrorismus diffamiert. Selten wird dort zwischen Islam, Islamismus und islamistischem Terrorismus differenziert. Vielmehr wird unterstellt, dass Gewalt und Terror gegen Nicht-Muslime in großen Teilen der islamischen Glaubensgemeinschaft gutgeheißen oder zumindest als nachvollziehbar legitimiert werde. Gruppen des islamfeindlichen Spektrums wollen das Recht auf freie Religionsausübung für Muslime einschränken bzw. teilweise - z.B. mit Protesten gegen den Bau von Moscheen - ganz versagen und verstoßen damit gegen Art. 4 Abs. 2 des Grundgesetzes, in dem der ungestörten Religionsausübung Verfassungsrang eingeräumt wird. Rechtsextremismus 89 Personenpotenzial Rechtsextremismus* 2014 2015 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 470 520 Neonazis 430 420 Parteien (insgesamt), davon 345 380 3 NPD** 230 250 Die Rechte 15 unter 20 Der III. Weg - unter 20 Bürgerbewegung Pro Deutschland 100 110 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 210 230 Gesamt 1 455 1550 ./. Mehrfachmitgliedschaften 100 100 Tatsächliches Personenpotenzial 1 355 1450 Davon gewaltorientierte Rechtsextremisten 600 700 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. ** Die NPD-Zahlen beinhalten die Mitglieder der JN (2014: 30, 2015: 30).ab. Nachdem im Jahr 2014 der Verlust von Mitgliedern des traditionellen rechtsextremistischen Milieus, insbesondere im Netzwerk "Freie Kräfte", durch neue, islamfeindliche rechtsextremistische Gruppierungen lediglich kompensiert werden konnte, wuchs im Jahr 2015 das rechtsextremistische Gesamtpotenzial in Berlin wieder an. Die Themen Flüchtlingsunterbringung und Asylpolitik bescherten der Szene in Teilen einen deutlichen Zulauf. Durch die neuen islamfeindlichen Gruppierungen und Netzwerke gibt es inzwischen auch für Personen ein Angebot, die keinen Bezug zur klassischen rechtsextremistischen Ideologie haben und für die die Themen Zuwanderung bzw. Zuwanderungspolitik prioritär sind. Der Bereich der subkulturellen Rechtsextremisten wuchs durch die neue Gruppierung "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa) um ca. 50 Personen. Bezüglich ihres Habitus und der Gewaltneigung zählen diese Hooligans zum subkulturellen Rechtsextremismus, sie pflegen dort allerdings keine Kontakte. HoGeSa ist vielmehr einer der Akteure im islamfeindlichen Rechtsextremismus. Der Bereich der Neonazis, innerhalb derer das Netzwerk "Freie Kräfte" mit 150 Personen den relevantesten Personenzusammenschluss bildet, ist leicht geschrumpft 90 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 und bewegt sich bei 420 Personen. Diese Stagnation auf vergleichsweise niedrigem Niveau ist weiterhin Folge fehlender Strukturen wie beispielsweise Kameradschaften, die es nach den Verboten bis 2009 in Berlin nicht mehr gibt. Zudem fehlt es der Szene an einer funktionierenden Infrastruktur. Rechtsextremistische "Jugendzentren", Szenekneipen und ein Ladenlokal sind geschlossen worden. Nicht einmal virtuell gelang es den Aktivisten des Netzwerks, eine Plattform wie die 2012 geschlossene Seite nw-berlin.net zu reaktivieren, auf der Informationen über rechtsextremistische Veranstaltungen und teilweise private Informationen über politische Gegner abzurufen waren. Derzeit werden unter aktionsorientierten Rechtsextremisten für die Vernetzung die sozialen Netzwerke, insbesondere Facebook und ein russisches Portal, genutzt. Lediglich die NPD konnte von ihrer Agitation gegen Flüchtlinge bzw. dem Flüchtlingsthema profitieren und steigerte ihre Mitgliederzahl um 20 Personen, da die Partei trotz des Verbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht vergleichsweise stabile strukturelle Rahmenbedingungen bot. Zwar sind in Berlin weiterhin die meisten aktiven NPD-Mitglieder ehemalige aktionsorientierte Rechtsextremisten; der Trend, vom Netzwerk "Freie Kräfte" in die NPD zu wechseln, hält derzeit jedoch nicht an. Vielmehr wenden sich im Netzwerk "Freie Kräfte" Einzelpersonen eher von der Szene ab, ohne dass durch Neuzugänge diese Verluste kompensiert werden können. Die Berliner Ortsverbände der Parteien "Der III. Weg" und "Die Rechte" konnten hingegen weder in der Außendarstellung noch bei der Mitgliedergewinnung mit der NPD mithalten. Im "sonstigen Rechtsextremismus" etablierten sich wieder diskursorientierte Kleingruppen, die jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung unterrepräsentiert blieben. Unter diese Rubrik fallen auch einige der in den letzten Jahren sehr aktiv gewordenen so genannten "Reichsbürger", die üblicherweise nicht in Gruppen agieren, sondern in querulatorischen Schreiben an Behörden oder im Internet ihre kruden Theorien verbreiten. Rechtsextremismus 91 Fallzahlen politisch motivierte Kriminalität - Rechts* 2014 2015 Gewaltdelikte 111 143 Propagandadelikte 795 774 sonstige Delikte 630 738 Gesamt 1 536 1 655 * Auszug aus dem Bericht "Lagedarstellung der Politisch motivierten Kriminalität in Berlin für das Jahr 2015" des Landeskriminalamtes Berlin (LKA). Der vollständige Bericht ist im Internet unter www.berlin.de/sen/inneres/sicherheit/statistiken/index.html eingestellt. 3 Im Gegensatz zum Gesamtaufkommen "Politisch Motivierter Kriminalität" (PMK), das in Berlin 2015 leicht rückläufig war, stiegen im Bereich der PMK rechts in fast allen Bereichen (Gewalt-, Propagandaund sonstige Delikte wie z.B. Beleidigung, Volksverhetzung) die Fallzahlen und erreichten damit den höchsten Stand seit 2007. Eine Folge der rechtsextremistischen Proteste aus dem virtuellen in den öffentlichen Raum war eine deutliche Zunahme fremdenfeindlich motivierter Gewalttaten als auch Gewalttaten gegen den politischen Gegner um 32 Prozent (2014: 108; 2015: 143). Unter diesen war der Anstieg der Gewalttaten im Themenfeld "Ausländer-/Asylthematik" mit fast 100 Prozent (2014: 21; 2015: 40) am stärksten. Dass der Zuwachs rechtsextremistischer Gewalt direkt mit dem Flüchtlingsthema in Verbindung steht und die Propaganda die Stimmung vor Ort beeinflusst, belegt der mittelbare Zusammenhang zwischen der relativen Nähe von Orten rechtsextremistischer Proteste und der Häufung von Gewalttaten gegen Flüchtlingsunterkünfte oder Flüchtlinge.40 Die Propagandadelikte gingen als einziges Themenfeld innerhalb der PMK rechts leicht zurück, obwohl insbesondere in der zweiten Jahreshälfte Rechtsextremisten mit mehreren Kampagnen verstärkt die Öffentlichkeit gesucht haben (2014: 802; 2015: 774). Dennoch kam es in diesem Bereich zu weniger Verstößen gegen das Strafrecht. Ein Grund dafür dürfte die konsequente Strafverfolgung von Hetze in den sozialen Netzwerken gewesen sein. 2015 wurden wegen derartiger Postings mehrere Wohnungen durchsucht und Beweismittel sichergestellt. Auch die NPD verordnete sich aufgrund des laufenden Verbotsverfahrens Zurückhaltung und hielt sich mit strafrechtlich relevante Aktionen und Losungen zurück. 40 "Rechtsextremistische Aktivitäten gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte in Berlin". Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin, Juni 2015, abrufbar unter: www.verfassungsschutz-berlin.de/ publikationen/. 92 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 3.3 Rechtsextremistische Strukturen mit neonazistischer Orientierung 3.3.1 Netzwerk "Freie Kräfte" Netzwerk "Freie Kräfte" Der frühere Name "Netzwerk Kameradschaften" des Netzwerks "Freie Kräfte" verweist auf dessen Ursprünge in der Kameradschaftsszene, die mit dem Netzwerkansatz Anfang der 2000er Jahre auf staatliche Repression in Form von Vereinsund Kameradschaftsverboten reagierte. Diese neonazistische Szene zeichnet sich durch lockere, z.T. konspirative und bezirksübergreifende Organisationsstrukturen aus. Neben einer informellen Grundstruktur verzichtet man auf strenge Hierarchien und formale Regelungen, um sich gegenüber äußeren Zugriffen abzuschotten. Die Netzwerkstruktur wird zur gezielten Kommunikation genutzt. Eine aus ca. zehn bis 15 Personen bestehende Führungsgruppe steuert die Kommunikation. Zwei Unterstützerkreise, die sich um die Führungsgruppe organisieren und aus einem inneren Unterstützerkreis, der interne Aktivitäten koordiniert und einem lose angeschlossenen, äußeren Unterstützerkreis, bilden den Kern des Netzwerks. Der Ansatz basiert auf der starken Einflussnahme der im Netzwerk "Freie Kräfte" aufgegangenen "Autonomen Nationalisten". Diese seit etwa 2002 in Berlin präsente Gruppierung weicht mit ihrem an die linksautonome Szene anknüpfenden Stil, Habitus sowie Organisationsund Aktionsformen vom gängigen Neonazi-Klischee ab und wirkte auf die Szene stilprägend.41 Darüber hinaus charakterisieren der niedrigschwellige Zugang durch das Prinzip "Mitgliedschaft durch Mitmachen" sowie die "Anti-Antifa-Arbeit"42 das Selbstverständnis des Netzwerks "Freie Kräfte". Im "Kampf um die Straße" streben die Aktivisten des Netzwerks nach einer öffentlichkeitswirksamen Darstellung ihrer Positionen und inszenieren Demonstrationen als identitätsstiftende Gemeinschaftserlebnisse. Ebenso gehören illegale Aktivitäten, zu denen Sachbeschädigung, Bedrohung und Körperverletzung zählen, zu ihrem 41 Zu "Autonomen Nationalisten" in Berlin, vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2013. Berlin 2014, S. 88f. 42 Die "Anti-Antifa-Arbeit" bezeichnet das organisierte Agieren gegen politische Gegner und beinhaltet Aktivitäten wie "Outing" (das Ausforschen und Veröffentlichen privater Daten), Beleidigung sowie Bedrohung, etwa in Form so genannter "Feindeslisten", aber auch körperliche Angriffe. Rechtsextremismus 93 Aktionsrepertoire. Ergänzt werden diese konspirativen Aktivitäten von Vernetzungstreffen sowie Schulungs-, Vortragsund Trainingsveranstaltungen. Durch hohe Fluktuation sowie Vereinsverbote war das Netzwerk "Freie Kräfte" in Berlin von einer starken Veränderung geprägt. Immer schon war diese Szene überwiegend für jüngere Rechtsextremisten reizvoll, unabhängig davon, ob sie dort, 3 wie vormals, in feste Strukturen eingebunden waren (Kameradschaften) oder, wie heute, in einem losen Netzwerk aktiv sein können. In den letzten Jahren schufen sich Rechtsextremisten des Netzwerks "Freie Kräfte" weitere Parteistrukturen neben der NPD ("Die Rechte"; "Der III. Weg"), in denen Aktivisten eine Heimat fanden, die sich nicht für die ihrer Ansicht nach zu stark etablierte und zu gemäßigte NPD erwärmen konnten. Ein geschlossenes neonazistisches Weltbild bildet den kleinsten gemeinsamen Nenner dieser ansonsten heterogenen Szene. Die meisten Angehörigen des Netzwerks agieren anlassbezogen und sind z.T. überregional vernetzt. Die Angehörigen des Netzwerks "Freie Kräfte" bezeichnen sich offen als Nationalsozialisten und dokumentieren ihre ideologische Provenienz deutlicher, als es sonst in der rechtsextremistischen Szene üblich ist. Eine diesbezügliche Zurückhaltung gibt es im Netzwerk "Freie Kräfte" nicht, anders als bei rechtsextremistischen Parteien und Organisationen, die nach außen den Anschein von Seriosität wahren wollen. Die Aktivisten nehmen an überregiNeonazis onalen rechtsextremistischen VerAls Neonazis (Neonationalsozialisanstaltungen teil, sind in Berlin aber ten) werden rechtsextremistische überwiegend in verschiedenen rechtsPersonenzusammenschlüsse beextremistischen Organisationen bzw. zeichnet, die sich an der Ideologie Parteien aktiv. Insofern tritt das Netzdes historischen Nationalsozialismus werk als solches öffentlich gar nicht orientieren. Hierbei beziehen sich mehr in Erscheinung. Der Berliner Neonazis in unterschiedlicher AusLandesverband der NPD ist seit Jahprägung auf ideologische Elemente ren stark von den zumeist jüngeren des Nationalismus, Antisemitismus, und aktionsorientierten, offen nazisAntipluralismus, Sozialdarwinismus tischen Rechtsextremisten geprägt, 94 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 die überwiegend dem Netzwerk "Freie und Rassismus als Teil der vor allem Kräfte" angehören. von den Nationalsozialisten vertretenen völkischen Ideologie, die einen Die durch das Parteienprivileg geethnisch homogenen Staat anstrebt schützten Parteistrukturen geben und jeglichen Pluralismus als exisBerliner Rechtextremisten die Mögtenzbedrohend ablehnt. Neonazis lichkeit, sich ohne Risiko weiterer Versind überdies häufig Revisionisten, einsverbote politisch zu betätigen. Sie die durch eine Umdeutung der Gewirken an Aktionen der NPD und der schichtsschreibung die Verbrechen Partei "Der III. Weg" mit und erschwedes NS-Regimes zu relativieren verren somit Sicherheitsund Justizbesuchen. hörden, ihnen die organisatorische Grundlage zu entziehen. Insbesondere die Einbindung von Aktivisten des Netzwerks "Freie Kräfte" in die NPD verhinderte in Berlin eine noch stärkere Abwanderung von Aktivisten aus der Szene. Allerdings gelang es ihr, wie auch den Berliner Landesverbänden der beiden anderen rechtsextremistischen Parteien, trotz dieser Integration vieler aktionsorientierter Rechtsextremisten nicht, den Niedergang des Netzwerks "Freie Kräfte" zu stoppen. Denn die Zahl der Rechtsextremisten sowie die Anzahl der Aktionen und überregionalen Demonstrationsteilnahmen nahmen in den letzten Jahren leicht ab. Neben externen Faktoren wie dem Verlust von Trefforten und Strukturen ist die aktuelle Mobilisierungsund Rekrutierungsschwäche des Netzwerks "Freie Kräfte" auch auf das Ausscheiden älterer Szeneangehöriger (u.a. durch Wegzug ins Berliner Umland) zurückzuführen, das nicht in vollem Umfang durch die Akquise neuer Aktivisten ausgeglichen werden konnte. Somit stieg das Durchschnittsalter des überwiegend von jungen Männern dominierten Netzwerks in den letzten Jahren an. Verschärft wird die Situation durch den akuten Mangel an charismatischem und organisatorisch talentiertem Führungspersonal. Angehörige des Netzwerks sind in den Bezirken Pankow, Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf sowie Treptow-Köpenick aktiv. Dort werden sie sich weiterhin darum bemühen, eigene Immobilien anzumieten, die für Konzerte, Schulungen oder Versammlungen genutzt werden können. Derzeit lassen sich für das Netzwerk "Freie Kräfte" in Berlin lediglich virtuelle Propaganda und Kontaktpflege feststellen. Die Kommunikation in den sozialen Netzwerken, insbesondere in dem Profil der "Autonomen Nationalisten", belegt z.B. Rechtsextremismus 95 Teilnahmen der "Freien Kräfte" an fremdenfeindlichen Kundgebungen der NPD. Darüber hinaus mobilisierten die "Freien Kräfte" für überregionale rechtsextremistische Veranstaltungen wie den so genannten Trauermarsch zum Gedenken an die Bombardierung von Dresden im Jahr 1945. Die für jeden 13. Februar bundesweit von Rechtsextremisten beworbene Ver- 3 anstaltung galt einst mit mehreren tausend Teilnehmern als das bedeutendste Szene-Ereignis des Jahres. Mittlerweile sind die Zahlen auf durchschnittlich 500 Personen gesunken und die Rechtsextremisten auf Grund der breiten gesellschaftlichen Gegenmobilisierung gezwungen, geplante Aktionen nicht im Rahmen des Gedenkmarschs durchzuführen. Deswegen mobilisierten die Rechtsextremisten 2015 zum einen höchst konspirativ, meldeten die Demonstration spätmöglichst an und führten zudem als eine Ergänzung zu dem Gedenkmarsch eine so genannte Aktionswoche mit mehreren Veranstaltungen durch, die weniger durch Störungen politischer Gegner gefährdet waren. Dazu zählte auch eine Vortragsveranstaltung in Dresden mit dem britischen Holocaustleugner David Irving. An der "Aktionswoche" nahmen auch in diesem Jahr wieder Aktivisten aus Berlin teil. In einem Facebook-Profil, das 2015 unter der Bezeichnung "Autonome Nationalisten Berlin" eingerichtet wurde, berichteten die Betreiber über die Teilnahme von Aktivisten des Netzwerks an fremdenfeindlichen Kundgebungen der NPD. Als "Autonome Nationalisten" bezeichnete sich bis vor einigen Jahren der gewaltbereite Kern des Netzwerks "Freie Kräfte". Zahlreiche weitere Profile bestanden nur für kurze Zeit oder wurden nur sehr unregelmäßig aktualisiert. Wiederholt wurden dabei die Abkürzungen AN, FK ("Freie Kräfte") oder NW ("Nationaler Widerstand") als Namensbestandteil verwendet. Wegen der sich häufenden Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner insbesondere in der Flüchtlingsfrage bekam die "Anti-Antifa-Agitation" in der Szene wieder ein stärkeres Gewicht. Bei der "Anti-Antifa" geht es um die Einschüchterung und Bedrohung von Gegnern und letztlich um die Steigerung öffentlicher Präsenz und lokaler Dominanz. Dafür suchen Rechtsextremisten auch die Konfrontation in Kiezen, die von politischen Gegnern dominiert werden. Weil das Ver- 96 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 bot des "Tags der deutschen Patrioten" am 12. September in Hamburg auch bei den Berliner Rechtsextremisten, von denen einige ursprünglich nach Hamburg anreisen wollten, zu einer erheblichen Frustration geführt hatte, begab sich am frühen Morgen des 12. September eine größere Gruppe Rechtsextremisten in die Rigaer Straße, um in dieser szenebekannten Gegend des politischen Gegners gezielt zu provozieren. Lauthals skandierten sie Parolen und erregten schnell die Aufmerksamkeit linker Aktivisten. Bei der anschließenden Auseinandersetzung gingen beide Seiten mit Steinen, Holzlatten und Flaschen aufeinander los. Im Kampf um Kiezhoheit werden Aktionen gegen politische Gegner auch im Internet dokumentiert. So stellten am 9. Juli NPD-Aktivisten an einem Infostand eine maskierte Person, die von einem Fahrrad aus mit Flüssigkeit gefüllte Ballons in Richtung NPD-Infostand warf. Polizeikräfte konnten schwerere Verletzungen beim Angegriffenen verhindern. Am 24. Juli wurde eine politische Gegnerin der NPD, die u.a. gegen einen Aufsteller am NPD-Infostand getreten hatte, von Rechtsextremisten festgehalten, bis die Polizei eintraf. Der Berliner NPD-Landesverband berichtete über eine Auseinandersetzung mit linken Aktivisten, die in Pankow bei der Verteilung "denunziatorischer Flugblätter" beobachtet wurden. Ein Flugblattverteiler wurde von den Rechtsextremisten festgehalten und der Polizei überstellt. Derartige direkte Konfrontationen wurden bislang zwischen den Kontrahenten unmittelbar und teilweise mit Gewalt ausgefochten. Dass Rechtsextremisten die Polizei einschalten und anschließend ihre "Erfolge" im Internet verbreiten, ist hingegen eine neue Strategie. Verbot der "Weiße Wölfe Terrorcrew" Die Gruppierung "Weiße Wölfe Terrorcrew" (WWT) wurde in den Jahren 2007/2008 in Hamburg als "Fangruppe" der rechtsextremistischen Band "Weiße Wölfe" (NRW) gegründet. Die Mitglieder der ursprünglichen WWT waren subkulturell geprägte Rechtsextremisten aus Norddeutschland. Nach der Vereinigung mit einer anderen Hamburger rechtsextremistischen Gruppierung politisierte sich die WWT und zeigte zunehmen öffentlich Präsenz, z.B. bei rechtsextremistischen Demonstrationen. Die WWT transformierte von einer klassischen, mehr oder weniger losen Gruppierung subkulturell geprägter Rechts- Rechtsextremismus 97 extremisten zu einem sehr aktiven Netzwerk. Zugleich wurden bundesweit WWTSektionen gegründet. Die Berliner Sektion der WWT existierte seit 2014, war bundesweit vernetzt und frühzeitig im Blickfeld des Berliner Verfassungsschutzes. Die Mitglieder der WWT galten szeneintern als besonders aktionsorientiert und gewaltgeneigt. Zahlreiche Gewaltvorfälle und Straftaten von WWT-Mitgliedern wurden aktenkundig. Auch die Organisation von rechtsextremistischen Konzerten gehört zum Aktionsspektrum der WWT. 3 Da der Verein "Weisse Wölfe Terrorcrew" nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider lief und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtete, wurde er am 16. März 2016 durch das Bundesministerium des Innern verboten. In Berlin waren zwei Rechtsextremisten von dem Verbot betroffen. Sie galten als die Führungsmitglieder der WWT-Sektion Berlin, hatten einen langen Vorlauf in der rechtsextremistischen Szene in Berlin und bundesweite Kontakte zu anderen Rechtsextremisten. 3.3.2 Rechtsextremistische Musik im Zeichen der Hetze gegen Flüchtlinge Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" Musik bildet einen wichtigen Bestandteil der rechtsextremistischen Erlebniswelt, in der die Grenzen zwischen politischen Zielen, Identitätsstiftung, Kommerz und Unterhaltung verschwimmen. Durch die Vermittlung von Feindbildern sowie Ideologiefragmenten in Liedtexten ist rechtsextremistische Musik ein verbindendes Element und für die Szene von enormer Bedeutung. Das Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" gehört mit ca. 170 Personen zur aktionsorientierten rechtsextremistischen Szene Berlins. In ihm agieren Bands, Liedermacher sowie Personenzusammenschlüsse im Umfeld der Bands. Die Bedeutung der sonstigen, meist subkulturell geprägten Personenzusammenschlüsse hat in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen, so dass dieses Netzwerk von rechtsextremistischen Bands dominiert wird. Die Akteure veröffentlichen Tonträger, veranstalten Konzerte und Festivals oder beteiligen sich an sonstigen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. Den Kern dieser konspirativ organisierten Szene bilden die seit Jahren aktiven Bands "Deutsch, Stolz, Treue" (D.S.T.) auch "X.x.X." genannt, "Die Lunikoff- 98 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Verschwörung" und "Legion of Thor". Mit "Marci & Kapelle"/ "Tätervolk" und "Punk Front" erweiterten im Jahr 2011 zwei weitere Bands das Repertoire der rechten Musikszene Berlins. Das seit 2014 aktive Bandprojekt "A3stus" verdeutlicht mit seinem rapartigen Stil, dass die Szene auch auf alltagstauglichere Stilrichtungen zur Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts setzt. "Die LunikoffVerschwörung" Die "Lunikoff-Verschwörung" gehört zu den populärsten rechtsextremistischen Bands. Dies basiert wesentlich auf der Prominenz des Sängers Michael Regener, der auch unter dem Pseudonym "Lunikoff" auftritt.43 Die seit 2004 aktive Band bedient das rechtsextremistische Rockund Balladengenre. Bei Großveranstaltungen ist die Band oft prominentes "Zugpferd". So trat Regener sowohl solo als auch mit seiner Band in diesem Jahr bundesweit bei verschiedenen Veranstaltungen wie Parteiveranstaltungen der NPD und der Partei "Die Rechte" auf. Aufgrund von Führungsauflagen nach seiner Haftentlassung 44 im Februar 2008 bemüht sich Regener, strafrechtlich relevante Formulierungen in Liedtexten zu vermeiden und keine Grundlage für Strafverfolgung oder Indizierungen zu liefern. Dennoch indizierte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) 2015 eine CD eines "Ian Stuart Donaldson-Memorial Konzertes", das 2013 in der Ukraine stattgefunden hatte und bei dem mehrere rechtsextremistische Bands auftraten.45 Ausschlaggebend für die Indizierung der CD war ein Lied der "Lunikoff-Verschwörung". Die Jugendgefährdung wurde festgestellt, weil Regener mit einzelnen Textzeilen wie beispielsweise "White Power!", "Wir sind die Stimme der arischen Jugend" oder "Das Deutsche Reich wird wieder aufersteh'n" den Nationalsozialismus verherrlicht und dessen Rassenideologie in einen positiven Kontext gerückt hat. Trotz seiner Zurückhaltung bedient Regener weiterhin eine offen neonazistische Klientel. Dies zeigt auch seine bundesweite "Tournee", die er als 43 Regener war der Gründer der Band "Landser", die sich selbst als "Terroristen mit E-Gitarre" bezeichnete. Er wurde wie zwei weitere Mitglieder der Band 2005 letztinstanzlich vom Bundesgerichtshof wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Ursächlich hierfür waren u.a. die von der Band verbreiteten Texte. 44 Unter anderem war er gerichtlich verpflichtet worden, dem Berliner Landeskriminalamt jede neue CD vor ihrer Veröffentlichung zur Prüfung vorzulegen. Diese Auflagen waren auf fünf Jahre beschränkt und liefen im Februar 2013 aus. 45 Ian Stuart Donaldson war der britische Gründer der in Deutschland verbotenen rechtsextremistischen Gruppierung "Blood & Honour" und Frontmann der neonazistischen Skinhead-Band "Skrewdriver". Rechtsextremismus 99 "Große Frontbespaßungstour" bezeichnet hatte. 2015 veröffentlichte die "Lunikoff-Verschwörung" eine neue CD mit Liedtiteln wie "Ebola im Jobcenter". In den Texten werden Flüchtlinge als Kriminelle stigmatisiert, die die öffentliche Sicherheit in Deutschland gefährden würden. Es wird eine deutliche Systemfeindlichkeit zum Ausdruck gebracht und auch die Rolle der Medien mit dem insbesondere in der NS-Zeit als Schlagwort geprägten Begriff der "Lügenpresse" verzerrt: 3 "Zuwanderung in ungeahntem Ausmaß das ist bitterer Ernst - längst mehr kein Spaß Es wird nicht besser von vor dem Fernseher schimpfen es wird nicht besser, wenn du heimlich weinst es wird erst besser, wenn du erkennst Dieser Staat ist unser Feind." 46 "A3stus" Die Band "A3stus" erlangte schnell durch ihren zeitgemäßen und für die rechtsextremistische Szene eher ungewöhnlichen Musikstil sowie die gezielte Nutzung moderner Verbreitungsund Kommunikationswege einen hohen Bekanntheitsgrad, insbesondere in der rechtsextremistischen "Heimgegnerszene".47 Sie ist stark in die rechtsextremistischen Aktivitäten gegen Flüchtlingsunterkünfte in Berlin eingebunden. So sind die Liedtexte von "A3stus" von rassistischen und fremdenfeindlichen Ressentiments geprägt. Aus diesem Grund indizierte die BPjM die CD "Wehret den Anfängen". Die Polizei leitete u.a. wegen des Liedes "Gegen die Pest" ein Strafverfahren wegen Volksverhetzung ein und durchsuchte im Mai die Wohnungen der Bandmitglieder. Hierbei wurde umfangreiches Beweismaterial wie Tonträger, Hardware zur CD-Herstellung sowie nicht zugelassene Luftdruckwaffen und Pyrotechnik beschlagnahmt. "A3stus" treten zwar bei Veranstaltungen der NPD und der Partei "Die Rechte" auf, allerdings ist ihre Musik dort nicht unumstritten, was u.a. an deren Anleihen an der afro-amerikanischen Musikkultur liegt. 46 "Die Lunikoff-Verschwörung" - "Ebola im Jobcenter", 2015 - Titel: D.S.i.u.F. ("Der Staat ist unser Feind"). 47 Vgl. S. 109. 100 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Der Sänger der Band, der unter dem Pseudonym "Villain051" auftritt, engagierte sich auch intensiv im bundesweiten Netzwerk "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa) und trat bei den HoGeSa-Demonstrationen im Oktober 2014 in Köln und November 2014 in Hannover auf. Mit einer szenebekannten Sängerin sang er u.a. dort den Titel "Vereint Euch (gegen Salafisten)", der auch im Internet verbreitet wurde. Unter dem Namen "Vendetta" betreibt der Sänger von "A3stus" ein weiteres Bandprojekt, das mit Liedern wie "Tröglitz - selbstgemacht?" rechtsextremistische Hetze gegen Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik verbreitet. Das Lied thematisiert einen Brandanschlag auf eine sich im Ausbau befindliche Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz und unterstellt staatlichen Institutionen die Brandurheberschaft, da der Staat dadurch Proteste gegen Flüchtlinge kriminalisieren wolle. Über sein Bandprofil bewarb der "A3stus"-Sänger den bundesweiten Aktionstag "Schwarze Kreuze Deutschland"48 am 13. Juli. An diesem Aktionstag sollten Rechtsextremisten schwarze Kreuze für vermeintliche Opfer von Ausländergewalt aufstellen. 3.3.3 NPD Berlin - zwischen "Kümmerer-Image" und offener Fremdenfeindlichkeit "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Gründung: 1964 Mitglieder: Berlin 250 (2014: 230) Die aus der rechtsextremistischen "Deutschen Reichspartei" hervorgegangene NPD ist die älteste rechtsextremistische Partei in Deutschland. Sie verfügt mit den "Jungen Nationaldemokraten" (JN) über eine Jugendund mit dem "Ring Nationaler Frauen" (RNF) über eine Frauen-Organisation. Die NPD, deren Bundesgeschäftsstelle sich seit 2000 in Berlin befindet, vertritt rassistische und antisemitische Positionen sowie das Kon48 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2014. Berlin 2015, S. 94 f. Rechtsextremismus 101 zept einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" und lehnt die freiheitliche demokratische Grundordnung ab. Auf Grund ihrer verfassungsfeindlichen Ideologie und den gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Aktivitäten hat der Bundesrat am 13. Dezember 2013 ein Parteiverbotsverfahren gegen die NPD eingeleitet. Die NPD ist im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern vertreten und 3 hat bundesweit mehr als 300 Kommunalmandate inne. Seit November 2014 amtiert Frank Franz als Parteivorsitzender, nachdem er nach langen Personalund Strategiedebatten auf einem Parteitag als Nachfolger von Holger Apfel beziehungsweise Udo Pastörs gewählt wurde. Der seit 2012 von Sebastian Schmidtke geführte Berliner Landesverband der NPD ist in neun Kreisverbänden organisiert. Aktuell sitzen je zwei NPD-Verordnete in den Bezirksverordnetenversammlungen von Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick. In ihrer Außendarstellung schwankt die NPD seit Jahren zwischen traditioneller neonazistischer Ideologie und Aktionismus auf der einen Seite sowie Parlamentarismus und dem Anschluss an rechtspopulistische Thesen auf der anderen Seite. Diese Ambivalenz tritt in den öffentlichen Auftritten des Bundesvorsitzenden Frank Franz auf Veranstaltungen der NPD besonders zu Tage. Der meist mit Anzug gekleidete Bundesvorsitzende hebt sich äußerlich von vielen Parteimitgliedern deutlich ab und soll der NPD offensichtlich zu einem seriöseren Image verhelfen und von deren Verwurzelung in der Neonaziszene ablenken. Entsprechende verbale Bekundungen auf Veranstaltungen oder den Internetpräsenzen der NPD sollen diesen Eindruck verstärken: "Wir sind keine 'normale' Partei - wir sind die einzige Partei der Normalität! Wir sind die letzte verbliebene Bastion, die noch für das Wohl des Deutschen Volkes kämpft!" 49 49 Internetseite des Bundesverbandes der NPD, Posting vom 23.11.2015, abgerufen am 14.1.2016. 102 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Solche Lippenbekenntnisse und die dahinterstehende Strategie der "Normalisierung" der NPD kaschieren jedoch nur vordergründig die rechtsextremistische Ideologie der Partei, die auch im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen immer wieder gezielt und provokant zum Ausdruck gebracht wird. So organisierte z.B. der Berliner Landesverband der NPD am 9. November auf dem Pariser Platz eine Kundgebung mit der angeblichen Intention, der Maueropfer zu gedenken. Im Nachgang forderten die Aktivisten, den Tag zum Nationalfeiertag zu erklären. Das vermeintliche Gedenken an die Maueropfer diente hier allerdings nur als Deckmantel für die wahre - und unzweifelhaft antisemitische - Intention der Partei. Während einer in unmittelbarer Nähe zum Denkmal der ermordeten Juden Europas durchgeführten Veranstaltung die Forderung zu erheben, ein Datum, an dem an die "Reichspogromnacht" 1938 gedacht wird, zum Nationalfeiertag zu erheben, ist nicht nur eine Provokation, sondern auch eine Verhöhnung der jüdischen Opfer des NS-Regimes. Die meisten Aktivitäten der Berliner NPD standen im vergangenen Jahr jedoch eindeutig im Zusammenhang mit den gestiegenen Flüchtlingszahlen und der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge. Hier entwickelte die NPD über ihre Agitation gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik eine Bandbreite an Aktivitäten, die in unterschiedlichem Maße andere Rechtsextremisten mobilisierten, aber auch in das bürgerliche Spektrum hinein wirkten und der Berliner NPD zu neuem Auftrieb verhalfen. Anti-Flüchtlingskampagne der NPD Die NPD zeigte in der zweiten Jahreshälfte wieder verstärkt öffentlich Präsenz, nachdem sie seit 2013 bei den Protesten gegen Flüchtlingsunterkünfte überwiegend anonym und unter dem Label von "Bürgerbewegungen" agiert hatte. Mit dem Kampagnen-Slogan "Sicherheit durch Recht und Ordnung" setzte sich die NPD ab dem zweiten Halbjahr 2015 als die einzige Kraft in Szene, die in der Flüchtlingsthematik zielführende Lösungen anzubieten hätte. Flankiert wird diese Eigendarstellung durch weitere Aktionen, mit denen sich die NPD vor Ort als Kümmerer geriert: Der Pankower NPD-Kreisverband organisierte in Blankenburg so genannte "Kiezstreifen", mit denen "für Sicherheit, Recht und Ordnung" gesorgt werden sollte. Man sei, so der Kreisverband Pankow auf seiner Facebook-Seite, durch "Hinweise aus der Bevölkerung" auf zunehmende Kriminalität durch Ausländer in der Um- Rechtsextremismus 103 gebung aufmerksam gemacht worden. Einen Beleg dafür liefert u.a. ein angebliches Schreiben einer Mutter, in dem sie über Übergriffe auf ihre Tochter berichtet. Die Authentizität des Sachverhalts konnte nicht belegt werden. Daraufhin wurde durch NPD-Aktivisten in Blankenburg an Frauen Reizgas zur Selbstverteidigung verteilt. Auch die NPD in Lichtenberg berichtete in einem spärlich kommentierten Beitrag von einer so genannten "Nachtstreife" am Flüchtlingsheim in Falkenberg. 3 Diese Strategie des Einsatzes für Anwohner aufgrund angeblichen Versagens lokaler Politik und Verwaltung ist nicht neu. Mehrfach kündigte die NPD in den vergangenen Jahren an, lokale Kiezstreifen ins Leben zu rufen. Nach diesen Aufrufen wurden jedoch keine regelmäßigen Kiezstreifenaktivitäten durch Rechtsextremisten registriert. Zudem organisierte die NPD im Zuge dieser Kampagne verstärkt Infostände und Kundgebungen in mehreren Bezirken. Um die Öffentlichkeitswirkung zu maximieren, setzte die NPD auch auf provokative Aktionen. Am 9. September führte sie eine Kundgebung vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) und den auf dem Vorplatz wartenden Flüchtlingen durch, spielte dort u.a. zwei indizierte rechtsextremistische Lieder ab und stellte ein Begleitfahrzeug mit dem Slogan "Das Boot ist voll - Asylbetrug macht uns arm" ab. Eine besondere Provokation war eine Verteilaktion von NPD-Propagandamaterial in der Neuköllner Hufeisensiedlung am 10. September, in der es vor Jahren zwischen NPD-Angehörigen und Anwohnern zu Konflikten, ebenfalls im Zusammenhang mit einer Flugblattaktion, gekommen war. Die NPD konnte diese wochenlange intensive Kampagne nach Jahren der Stagnation als Erfolg verbuchen. Insbesondere in Pankow und Lichtenberg gelingt es einzelnen Funktionären zunehmend besser, Mitglieder zur Mitarbeit für derartige Aktionen zu motivieren oder gar Interessenten für die NPD zu gewinnen. Die NPD erreicht mit ihrer undifferenzierten und diffamierenden Darstellung der Problemlage weiterhin überwiegend eine extremistische Klientel. Allerdings kam es durch die NPD in der rechtsextremistischen Szene in Berlin zu einem breiten Motivationsschub, zumal weiterhin aktionsorientierte Rechtsextremisten mit besten Kontakten in das Netzwerk "Freie Kräfte" die Berliner NPD dominieren. In der zweiten Jahreshälfte konnte die NPD zudem auch neue Mitglieder rekrutieren. Auch wurde sie bei Protesten von Anwohnern vereinzelt zumindest kurzfristig als 104 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Kooperationspartner angenommen und kam in diesem Zusammenhang somit auch mit nicht-extremistischen, teilweise bürgerlichen Kreisen in Kontakt. Mit derartigen Aktionen verband die NPD auch bereits die Aufforderung, Unterstützungsunterschriften für die Teilnahme an der Abgeordnetenhausund Bundestagswahl zu leisten. Dabei setzt die NPD fast ausschließlich auf das Thema Asylund Flüchtlingsunterbringung. In den öffentlichen Stellungnahmen von Parteiaktivisten zeigt sich dabei auch immer wieder, wie weit die Partei in diesem Zusammenhang offenkundig bereit ist, zu gehen. So äußerte sich der amtierende NPD-Landesvorsitzende beispielsweise zu einem Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Brandenburg wörtlich wie folgt: "Für die Region ist es [der Brandanschlag] natürlich erst mal ein Erfolg. Für Brandenburg selber trotzdem nicht, weil sie [die Flüchtlinge] natürlich in anderen Heimen untergebracht werden. Vor Ort, für die Bürger ist es erst mal gut und auch für die Bürgerinitiative vor Ort ist es gut, ja!" 50 Die Rolle der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" Wie bereits in den Vorjahren erwies sich die Jugendorganisation der Berliner NPD, die "Jungen Nationaldemokraten" (JN), erneut als Aktivposten innerhalb der Partei. Die JN dienen in Berlin als Bindeglied zwischen parteipolitischund aktionsorientierten Rechtsextremisten. Sie agieren eigenen Bekundungen zufolge überwiegend im "vorpolitischen Raum" und übernehmen damit die ideologisch-organisatorische Graswurzelarbeit. Hierzu gehört die intensive Nutzung sozialer Netzwerke zur Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts, die Bewerbung und Dokumentation aktueller Aktionen sowie das geschickte Inszenieren tagespolitischer Themen mit neonazistischer Kommentierung. Mit ihrer betonten Jugendaffinität bewerben die Aktivisten der JN eine Art "neonazistischen Lifestyle", der sich auch in ihrem Versandhandel mit dem bezeichnenden Namen "Frontdienst" widerspiegelt, und über den ein breitgefächertes Angebot von Kapuzenpullo50 www.rbb-online.de/doku/c-d/dunkles-deutschland.html: "Die Story im Ersten. Dunkles Deutschland. Die Front der Fremdenfeinde"; ab Minute 12:45, zuletzt abgerufen am 10.12.2015. Rechtsextremismus 105 vern und Jutebeuteln bis zu Flyern und Plakaten mit entsprechenden Logos und Aussagen vertrieben wird. Im Vergleich zur NPD unterscheidet sich die JN durch eine aggressivere Rhetorik, die auch kaum verhohlene militante Parolen beinhalten kann: "Aktivismus heißt, den Kampf um die Straße zu führen. Wir wollen die Jugend für unsere Anschauungen gewinnen" (...) Mit kreativen, witzigen und bewährten Methoden 3 greifen wir in das politische Geschehen ein und ergänzen damit die parlamentarische Arbeit unserer Mutterpartei, der NPD." 51 3.3.4 "Die Rechte": Kameradschaften unter dem Schutzschild des Parteienprivilegs Die Rechte Gründung: 2012 Mitglieder: Berlin unter 20 (2014: 15) Die Partei "Die Rechte" formierte sich im Mai 2012 zunächst als Alternative zur aufgelösten "Deutschen Volksunion" (DVU) sowie der NPD und gewann überwiegend ehemalige Mitglieder dieser rechtsextremistischen Parteien als Anhänger. Mit der Übernahme des Bundesvorsitzes durch den seit Jahrzehnten im gesamten Bundesgebiet aktiven Rechtsextremisten Christian Worch, öffnete dieser die Partei für aktionsorientierte Neonazis und ermöglichte den verbotenen Kameradschaften ein neues Betätigungsfeld. "Die Rechte" tritt öffentlich hauptsächlich im Rahmen von Demonstrationen oder Kundgebungen in Erscheinung und vertritt neonazistische, nationalistische sowie fremdenfeindliche Positionen. Aktuell ist "Die Rechte" nicht flächendeckend in Landesverbänden organisiert. Ihre Aktivitäten entfaltet sie über regionale Schwerpunkte. Innerhalb der Landesverbände tritt der nordrhein-westfälische Verband am aktivsten in Erscheinung. 51 Internetauftritt und Profil der JN in einem sozialen Netzwerk, Posting vom 20.9.2015, abgerufen am 26.1.2016. 106 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Die Partei "Die Rechte" wurde gegründet, da sich deren Mitglieder staatlicher Repression im Zuge von Vereinsverboten entziehen wollten. Sie nahm deutschlandweit, so auch in Berlin, aufgrund von Vereinsverboten "heimatlos" gewordene Rechtsextremisten auf und bot diesen ein geschütztes Agitationsfeld. Ihr gehören überwiegend vormals parteiunabhängige Neonazis an. Der Bundesvorsitzende Christian Worch saß bereits wegen Volksverhetzung, Aufstachelung zu Rassenhass sowie Verunglimpfung des Staates fünfeinhalb Jahre in Haft. Die personelle Aufstellung sowie die Zielrichtung ihrer öffentlichen Aktionen weisen die Partei klar als Schmelztiegel neonazistischer Kameradschaften und Splittergruppen aus. Dieser strategische Ansatz sowie die Verankerung im neonazistischen Milieu charakterisieren auch den Berliner Landesverband der Partei, der am 15. September 2013 in der inzwischen geschlossenen rechtsextremistischen Szenekneipe "Zum Henker" gegründet wurde. Die Tatsache, dass die Gründungsmitglieder in großem Umfang aus der 2009 verbotenen Kameradschaft "Frontbann24" stammten, liefert einen weiteren Beleg für die neonazistische Ausrichtung der Partei und die Strategie der Mitglieder, weniger verbotsgefährdete Strukturen für ihre politische Agitation zu nutzen. In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Berliner Landesverband der Partei "Die Rechte" kaum präsent. So gab es im Jahr 2015 keinerlei einschlägige Aktionen der Mitglieder unter dem Label der Partei. Die Partei hat in Berlin bislang kaum Zuspruch oder Zulauf erfahren. Das liegt einerseits an dem fehlenden Engagement der Parteimitglieder, andererseits waren die damaligen "Frontbann 24"-Mitglieder bereits im Netzwerk "Freie Kräfte" zwar gut vernetzt, blieben aber mit ihren Aktionen und Demonstrationen häufig unter sich. Von anderen Rechtsextremisten wurde ihnen mangelhafte Kooperationsbereitschaft sowie eine geringe Szenekompatibilität vorgeworfen, da sie häufig Aktionen anderer Rechtsextremisten kritisiert und demonstrativ auf eigene Kleinveranstaltungen ohne große Außenwirkung gesetzt hatten. Rechtsextremismus 107 3.3.5 Die neonazistische Partei "Der III. Weg" Der III. Weg Gründung: 2015 Mitglieder: Berlin unter 20 3 Seit März 2015 ist die Partei "Der III. Weg" mit einem Stützpunkt in Berlin aktiv. Die Parteigründung im September 2013 fiel keineswegs zufällig in den Zeitraum des vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens und der Verbotsüberlegungen gegen das neonazistische Netzwerk "Freies Netz Süd" in Bayern. Sie offenbart vielmehr einen weiteren Versuch von Rechtsextremisten, Strukturen zu schaffen, für die deutlich höhere Verbotshürden gelten als für Vereine und andere Organisationsformen. Bisher liegt der Aktionsschwerpunkt der Partei "Der III. Weg" in Süddeutschland. Allerdings versuchen die Aktivisten mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Kampagnen, die sich insbesondere gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik richten, ihre öffentliche Wahrnehmung massiv auszubauen und in die Gesellschaft hinein zu wirken. Ideologisch vertritt die Partei "Der III. Weg" offen neonazistische und fremdenfeindliche Positionen, weshalb der Berliner Ableger insbesondere für Aktivisten des Netzwerks "Freie Kräfte", denen die NPD zu moderat agiert, attraktiv ist. Als Alternativangebot bietet "Der III. Weg" damit einen neuen legalistischen Betätigungsrahmen für Rechtsextremisten. Ein inhaltlicher Schwerpunkt des "III. Wegs" liegt laut dem Parteiprogramm auf Aktionen gegen Flüchtlinge. Bei ihren wenigen Aktivitäten in diese Richtung arbeiteten die Mitglieder jedoch nicht mit anderen rechtsextremistischen Akteuren wie z.B. den rechtsextremistischen Bürgerbewegungen aus der "Heimgegnerszene" zusammen. Dieser Unwille zur Kooperation offenbart das Verständnis der Partei, sich ausschließlich auf das eigene Milieu innerhalb des aktionsorientierten Rechtsextremismus zu beschränken und auf größere Außenwirkung zugunsten einer in sich geschlossenen und ideologisch zuverlässigen Parteibasis zu verzichten. 108 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Eines ihrer Ziele ist es, die "Heimat [zu] bewahren", und den von ihnen so genannten Asylmissbrauch in Deutschland zu stoppen. Im April verteilten Mitglieder der Partei fremdenfeindliche Flugblätter im Rahmen einer so genannten "Aufklärungskampagne zum Schutze der Volksgesundheit". In dem heißt es, dass durch Flüchtlinge Krankheiten verbreitet würden: "Der nicht enden wollende Zustrom von Asylanten und Ausländern in unsere Heimat bringt nicht nur die fortschreitende Überfremdung mit sich, sondern auch verschiedenste Krankheiten." Über ihre Internetseite verbreitete die Partei zudem einen "Leitfaden Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft". Darin werden ausführlich aus rechtsextremistischer Perspektive Folgen, Protestformen und mögliche Rechtsmittel gegen Flüchtlingsunterkünfte aufgeführt. Für Aufsehen sorgte in diesem Zusammenhang eine Karte bei Google Maps mit dem Titel "Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft", auf der bundesweit Flüchtlingsheime mit Bewohnerzahl angezeigt wurden. Diese hatte die Partei "Der III. Weg" zusammen mit dem "Leitfaden" auf ihrer Internetseite eingestellt. Die Karte wurde von Google entfernt, da sie zu Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte ermutigen könnte. Die Partei "Der III. Weg" führte nahezu ausschließlich interne Veranstaltungen wie einen "Gemeinschaftsabend" Ende September durch, der im Zeichen des "Dauereinsatzes an der Aufklärungsfront" gegen Flüchtlinge stand und bei dem auch verschiedene rechtsextremistische Musiker auftraten. Ein Beitrag auf der Internetseite zur einer "Saalveranstaltung" im November mit dem Titel "Asylflut stoppen", zu der Aktivisten aus verschiedenen Bundesländern anreisten, zeigt die bundesweiten Vernetzungsbemühungen der Rechtsextremisten. Dabei legt das eigene Rollenverständnis die Kernstrategie offen: "Die Aufklärung vor Ort bei den Bürgern stellt die wichtigste Säule im Kampf für ein gemeinsames Umdenken dar." 52 Dieser markigen Ankündigung wurde die Partei mit lediglich einer öffentlichen Kundgebung mit ca. 50 Teilnehmern am 5. Dezember in Hellersdorf sowie wenigen Flugblattaktionen in keiner Weise gerecht. 52 Internetseite der Partei "Der III. Weg", Eintrag vom 24.11.2015, abgerufen am 27.11.2015. Rechtsextremismus 109 3.3.6 "Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf" - vom Motor der Bewegung zur Randerscheinung Die seit 2013 unter dem Deckmantel von vermeintlich unparteiischen "Bürgerinitiativen" oder "Bürgerbewegungen" auftretenden rechtsextremistischen Heimgegner setzten sich ursprünglich aus Vertretern der NPD und einigen Anhängern des 3 neonazistischen Spektrums wie beispielsweise Mitgliedern der Partei "Die Rechte" zusammen. Auf der anderen Seite waren auch die islamfeindliche Partei "Bürgerbewegung Pro Deutschland" sowie verschiedene andere rechtsextremistische islamfeindliche Gruppierungen mit eigenem Protest wie z.B. als "Bürgersprechstunde" getarnte Kundgebungen gegen Flüchtlingsheime beteiligt. Der Hauptakteur dieser Szene war die "Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf", die wöchentlich eine "Montagsdemonstration" gegen Flüchtlinge organisierte und im Herbst 2014 mit 950 Demonstrationsteilnehmern den bisher größten Mobilisierungserfolg, auch außerhalb des extremistischen Spektrums, erreichen konnte. Seit dem Frühjahr verlor die "Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf" immer stärker an Bedeutung, was sich in einem signifikanten Rückgang an Demonstrationsteilnehmern und der schwindenden Präsenz sowie Aufmerksamkeit in sozialen Netzwerken widerspiegelte. Dieser Bedeutungsverlust ging mit einer offenen Radikalisierung der verbliebenen Akteure einher. Dies zeigte sich z.B. als im Juni rechtsextremistische Symbole wie die "schwarze Sonne" und Parolen wie "Ausländer raus" oder das Bekenntnis zu "white power" offen auf einer Demonstration zur Schau gestellt wurden. Daneben agitierten neonazistische Kleingruppen gegen Flüchtlingsunterkünfte und führten regelmäßig Kundgebungen durch. So veranstaltete ein einschlägig bekannter Neonazi wöchentlich Kundgebungen sowie Demonstrationen unter dem Motto "Wegducken ist nicht" oder als "Abendspaziergänge" apostrophierte Demonstrationen in Marzahn. Die Mobilisierung betrieb er offen über seinen mit neonazistischer Symbolik gestalteten Twitter-Account. 110 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 3.4 Die islamfeindliche Mischszene Berlins 3.4.1 Bürgerbewegung Pro Deutschland Bürgerbewegung Pro Deutschland/ Landesverband Berlin Gründung: 2010 Mitglieder: Berlin 110 (2014: 100) Die "Bürgerbewegung Pro Deutschland" ist Teil einer diffusen islamund fremdenfeindlichen Szene Berlins, durch die vor allem Ängste vor einer vermeintlichen "Islamisierung" Deutschlands geschürt werden. Das von "Pro Deutschland" vorrangig gegen Muslime verbreitete Überfremdungsszenario wird dominiert von der Gleichsetzung von Islam und Islamismus und einem angeblich von Muslimen verursachten Wertekonflikt zwischen dem "Abendland" und insbesondere dem Nahen Osten. Neben diesem religiös-kulturellen Rassismus manifestiert sich der rechtsextremistische Charakter der Partei in der Forderung nach einer Rückführung spezifischer Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund sowie der Vernetzung mit anderen einschlägigen Parteien und Vereinen Europas. Auf Grund personeller Überschneidungen sowie gemeinsamer Verantwortlichkeiten ist eine klare Abgrenzung zwischen dem Landesverband und dem Bundesverband von "Pro Deutschland" kaum möglich. Im November wählten die Mitglieder einen neuen Landesund Bundesvorstand. Der Landesverband Berlin organisiert sich in Kreisverbänden. Die Betrachtung der personellen Besetzung der "Bürgerbewegung Pro Deutschland" dokumentiert die bundesweiten Bezüge der Partei zur rechtsextremistischen Szene. So engagierte sich der Bundesvorsitzende, Manfred Rouhs, bei der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH) und der NPD. Profile in sozialen Netzwerken belegen, dass Funktionäre von "Pro Deutschland" auch Kontakte zu anderen Rechtsextremisten in Berlin pflegen. Die Programmatik und Ziele von "Pro Deutschland" enthalten verfassungsfeindliche Positionen. Die Instrumentalisierung von Ängsten und Vorurteilen der Bevölkerung gegen Flüchtlinge sowie die Pauschalisierung und Kriminalisierung von Flüchtlingen gehören zum grundsätzlichen Argumentationsmuster von "Pro Deutschland". Rechtsextremismus 111 Auch die "Bürgerbewegung Pro Deutschland" bedient in den Aussagen und der Bildersprache der von ihr verteilten Werbematerialien rechtsextremistische Positionen. So wird beispielsweise in den Postings auf dem Facebook-Profil der Partei suggeriert, dass Flüchtlinge generell schwer bewaffnet in ihren Unterkünften wohnten, dort unter häufiger Anwendung körperlicher Gewalt 3 miteinander lebten, es seitens der Flüchtlinge zu sexuellen Übergriffen auf Kinder komme und sie mitunter ihren Zufluchtsort mutwillig zerstörten. Des Weiteren handele es sich laut "Pro Deutschland" nicht um Flüchtlinge, die eine Aussicht auf Asyl hätten und damit legitim nach Deutschland kämen, sondern um Menschen, die ausschließlich das Sozialsystem der Bundesrepublik ausnutzen wollten. "Die meisten Flüchtlinge halten sich unrechtmäßig in Deutschland auf. Sie [...] fliehen vor der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit in ihrer Herkunftsregion." 53 Regelmäßig werden Flugblätter mit dieser Botschaft insbesondere in Ostberliner Bezirken verteilt. Neben der Verbreitung von Werbematerialien versucht die "Bürgerbewegung Pro Deutschland", ihre Anschlussfähigkeit an ein nicht-extremistisches Spektrum im Rahmen von so bezeichneten Bürgersprechstunden oder Bürgeranhörungen zu erhöhen. Diese sind jedoch nichts anderes als von Rechtsextremisten organisierte Veranstaltungen. Am 10. Oktober veranstaltete die "Bürgerbewegung Pro Deutschland" beispielsweise eine Demonstration in Marzahn unter dem Titel "Asylmissbrauch stoppen". Die Teilnehmerzahl lag - unter Beteiligung auch nichtextremistischer Personen - im oberen zweistelligen Bereich. Im Vorfeld bewarb sie die als "Bürgersprechstunde" deklarierte Veranstaltung über soziale Netzwerke sowie im Rahmen eines Videobeitrags und verteilte Flugblätter als Postwurfsendung. Daneben erfolgte eine Mobilisierung über das Facebook-Profil "Wir Für Berlin & Wir Für Deutschland", das Aktivisten von HoGeSa-Berlin zugerechnet wird. Die Zusammenarbeit zwischen HoGeSa-Berlin und der "Bürgerbewegung Pro Deutschland" war allerdings kein rein virtuelles Phänomen. So sprach etwa der Bundesvorsitzende "Pro Deutschlands" auf der von Mitgliedern HoGeSa-Berlins 53 "Asyl-Irrsinn kostet Milliarden"; Internetseite der Partei "Bürgerbewegung Pro Deutschland", Eintrag vom 12.12.2015. 112 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 organisierten Demonstration unter dem Motto "Wiedervereinigung 3.0" im Oktober vor dem Roten Rathaus als Hauptredner, während Aktivisten "Pro Deutschlands" als Ordner oder Techniker an der Veranstaltung mitwirkten. 3.4.2 HoGeSa Berlin - Rechtsextremistische Hooligans Bei der Personengruppe "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa) oder "Bündnis Deutscher Hooligans" (BDH) in Berlin handelt es sich um selbsternannte Hooligans, die ein fremdensowie islamfeindliches Weltbild vertreten und dies durch entsprechende Aktionen nach außen tragen. Über das HoGeSa-Berlin zuzurechnende FacebookProfil riefen die Aktivisten beispielsweise im August zur Teilnahme an einer Demonstration unter dem Motto "Rechts vor Links" auf und wollten die Eröffnung einer Flüchtlingsunterkunft in Falkenberg stören und in die Unterkunft gelangen. Regelmäßig werden auf diesem Facebook-Profil auch Flüchtlingsunterstützer und Vertreter demokratischer Parteien verunglimpft. Welches Gefahrenpotenzial von dieser Gruppierung ausgeht, zeigt eine Aktion, bei der sich eine Gruppe aus dem HoGeSa-Spektrum, bewaffnet mit brennenden Holzlatten, in der Nacht des 20. August der Flüchtlingsunterkunft am Blumberger Damm näherte. Nachdem ein Wachmann die Gruppe bemerkt hatte, warfen die Beteiligten die brennenden Holzlatten über den Zaun und lösten einen Rasenbrand aus, der von den Heimbewohnern gelöscht werden konnte. 3.4.3 Identitäre Bewegung Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg Gründung: Seit 2012 im Internet aktiv, seit 2014 Vereinsstatus Mitglieder: Berlin 20 Die Aktivitäten der "Identitären Bewegung" (IB) entfalten sich hauptsächlich im virtuellen Raum, vor allem über die zahlreichen Websites, Blogs und Profile in sozialen Netzwerken, welche die "Identitären" zur Verbreitung ihrer Rechtsextremismus 113 Kampagnen und Thesen nutzen. Im Jahr 2012 traten sie erstmals virtuell in Erscheinung und verbreiteten ihre Positionen überwiegend im Rahmen einer Gruppe auf Facebook. Seit 2014 verfügt die "Identitäre Bewegung" über den Vereinsstatus.54 Als Ableger des französischen "bloc identitaire" versteht sich die "Identitäre Bewegung" in Deutschland als in der Tradition der "Neuen Rechten" stehend und betont ihre Rolle als "metapolitischer und aktivistischer Arm der 'Neuen 3 Rechten'".55 Die "Identitären" beziehen sich daher explizit auf den Ethnopluralismus als ideologische Basis. Dieser Ansatz, der auf die Vordenker der "Neuen Rechten" zurückgeht, wird auch als "Rassismus ohne Rassen" bezeichnet, da er nicht biologistisch argumentiert. Er konstruiert vielmehr das vermeintlich "Fremde" an Hand von Merkmalen wie Kultur oder Religion und zieht daraus etwa die Konsequenz einer erforderlichen Trennung von Ethnien und Religionsgemeinschaften. Die sich daraus ergebende Unterscheidung und Diskriminierung von Menschen an Hand ihrer Religionszugehörigkeit oder kulturellen Wurzeln ist ein klassisches Merkmal rechtsextremistischer Ideologie. Ebenso aufschlussreich ist eine Betrachtung der Bildsprache der "Identitären Bewegung". So präsentieren sie sich unter dem griechischen Buchstaben Lambda, der in einem Hollywoodfilm ("300") von den Spartanern auf ihren Schutzschilden als Erkennungszeichen verwendet wurde. Bei ihrem Kampf gegen die vermeintliche "Überfremdung" der Gesellschaft nutzen sie immer wieder Stilmittel der Jugendund Popkultur und inszenieren ihre angestrebten Ziele durch aktivistisch-rebellisches Auftreten. Die "Identitäre Bewegung" ist eines der jüngeren Phänomene, die sich zuerst in sozialen Netzwerken etablieren und erst danach verstärkt in der Öffentlichkeit Aktionen durchführen. Für Interessenten besteht somit in der Anonymität des Internets einfacher die Möglichkeit, sich dieser Bewegung unverbindlich anzuschließen. Das dürfte insbesondere für Personen, die keinen Vorlauf in extremistischen Zusammenhängen haben, eine attraktive Form der Annäherung an die IB sein. 54 "Identitäre Bewegung Deutschland e.V.", registriert beim Amtsgericht Paderborn. 55 Internetseite der "Identitären Bewegung", abgerufen am 26.1.2016. 114 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Nachdem sie in den ersten Jahren nur kurze Aktionen durchführten, die nahezu ausschließlich über das Facebook-Profil publik gemacht wurden, gelang es der IB 2015 erstmals, deutschlandweit eine eigene Kampagne unter dem Motto "Der große Austausch" zu initiieren. Inhaltlich wird die in islamund fremdenfeindlichen Kreisen verbreitete völkische Sicht einer vermeintlichen ethnischen Veränderung der europäischen Gesellschaften durch unkontrollierte und massenhafte Zuwanderung verbreitet: "Wir fordern einen sofortigen Zuwanderungsstopp, die Abschaffung des maroden Asylsystems, das Ende der Islamisierung und Maßnahmen zu einer Trendwende gegen den Großen Austausch, die deutschen Familien wieder soziale Zukunftsperspektiven eröffnen." 56 Mit dem "Großen Austausch" ist ein demografischer Wandel gemeint, der durch die vermeintliche Masseneinwanderung verursacht werde und an dessen Ende "autochthone Deutsche" eine Minderheit in Deutschland seien. Zudem würde dieser Prozess mit einer Islamisierung der Bundesrepublik einhergehen. Mit der kurzzeitigen Besetzung der SPD-Bundeszentrale in der Wilhelmstraße am 28. Juni begann die IB in Berlin mit Aktionen im Rahmen dieser Kampagne. Neben mehrerer Klebeund Verteilaktionen sowie der regelmäßigen Teilnahme von IBAktivsten an den Bärgida-Kundgebungen demonstrierten einige IB-Anhänger am 18. September während einer Live-Sendung des rbb in Berlin und setzten ihren Protest medial mit Transparenten ("Stoppt den großen Austausch") in Szene. Auf ihrem Facebook-Profil verunglimpften die Identitären den rbb als "Lügenmedien" und propagandistisches Sprachrohr des Staates.57 Am 2. November wurde ein Wahlkreisbüro der Partei Bündnis 90/Die Grünen mit verschiedenen Plakaten und Stickern der "Identitären" beklebt. Auch hier stand der Inhalt der Propaganda im Kontext der Kampagne "Der große Austausch" und so hieß es auf den angebrachten Plakaten und Aufklebern: "Minderheit im eigenen Land? Wehr Dich gegen den großen Austausch" oder "Pro Border! Pro Nation!". Auf ihrer Facebookseite begrüßte die "Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg" die Aktion von angeblich Unbekannten. 56 Internetseite der "Identitären Bewegung", abgerufen am 18.11.2015. 57 Profil der "Identitären Bewegung Berlin-Brandenburg" in einem sozialen Netzwerk, Posting vom 18.9.2015, abgerufen am 21.9.2015. Rechtsextremismus 115 Die "Identitären" steigerten im Rahmen ihrer Kampagne nicht nur deutlich ihr Aktivitätsniveau, sondern haben eigenen Angaben zufolge zusätzliche Unterstützer gewinnen können. 3.4.4 Aktivitäten der Bärgida ("Berliner Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes") In Anlehnung an das seit Oktober 2014 in Dres- 3 den bestehende so genannte Pegida-Bündnis existiert seit Ende 2014 in Berlin ein Ableger unter dem Namen Bärgida ("Berliner Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes"). Diese Sammelbewegung besteht hauptsächlich aus Gruppierungen, die dem islamfeindlichen Rechtsextremismus zugerechnet werden. Bärgida wurde von einem Aktivisten aus dem islamfeindlichen Parteienspektrum ins Leben gerufen. Die Bärgida-Protagonisten traten erstmals im Rahmen einer Demonstration am 5. Januar in Erscheinung und veranstalten seitdem wöchentliche "Abendspaziergänge" an jedem Montag durch die Berliner Innenstadt. Im Vordergrund des Protests der Bewegung steht der Kampf gegen eine vermeintliche "Islamisierung des Abendlandes" sowie die Änderung des Asylrechts. In verschiedenen Positionspapieren, Redebeiträgen sowie Pressemitteilungen werden islamfeindliche rechtsextremistische Stereotype verbreitet, wie beispielsweise: "Überproportional viele Kriminelle sind Muslime, diese haben jeden Freitag in der Moschee gehört, dass der Räuber, Vergewaltiger und Massenmörder Mohammed das Vorbild von allen Muslimen ist." "Nach all den weltweiten Bombenanschlägen, Morden und "Ehren"morden, Köpfungen, Steinigungen, Vergewaltigungen, Kindesmissbrauch und Tierquälereien im Namen des "perfektesten Menschen der Welt" können die Urteile über die faschistische Ideologie "Islam" keine Vorurteile mehr sein." 58 Auf Grund dieser ideologischen Ausrichtung stieß die Veranstaltung von Beginn an auf Interesse innerhalb der rechtsextremistischen Szene Berlins. An der ersten 58 Internetauftritt und Profil von Bärgida in einem sozialen Netzwerk, Posting vom 22.1.2015 bzw. 2.10.2015, abgerufen am 16.2.2015 bzw. am 8.10.2015. 116 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Bärgida-Demonstration beteiligten sich mit 500 Teilnehmern noch sehr viele Personen, zum Teil auch Nicht-Extremisten. Der Personenanteil aus dem nicht-extremistischen Spektrum nahm jedoch aufgrund der deutlichen Dominanz rechtsextremistischer Themen und Personen schnell drastisch ab. Ab Mitte des Jahres dominierten zahlenmäßig Rechtsextremisten die BärgidaDemonstrationen. Neben der organisatorischen und ideologischen Verbindung der Veranstalter zu rechtsextremistischen Gruppierungen wie der "Bürgerbewegung Pro Deutschland" sowie HoGeSa-Berlin nehmen regelmäßig Funktionäre und Mitglieder der "Identitären Bewegung", der NPD Berlin sowie der "Europäischen Aktion" an den Demonstrationen teil. Bei mehreren Kundgebungen stellten Aktivisten von HoGeSa-Berlin die Ordner. Das rechtsextremistische Teilnehmerpotenzial schlägt sich auch in der Zunahme strafrechtlich relevanter Vorfälle wie dem Zeigen des Hitlergrußes auf den Bärgida-Veranstaltungen nieder. 3.5 Rechtsextremistische Agitation gegen Flüchtlinge in Berlin Seit 2014 konzentrieren sich die Aktivitäten des überwiegenden Teils der rechtsextremistischen Szene Berlins auf Proteste gegen Flüchtlinge oder Flüchtlingsheime. Rechtsextremistische Demonstrationen, Kundgebungen und "Mahnwachen" nahmen im letzten Jahr zahlenmäßig deutlich zu und fanden ab der zweiten Jahreshälfte nahezu täglich und an unterschiedlichen Orten statt. Die überwiegende Mehrheit dieser Aktionen wurde in den östlichen Stadtbezirken Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick, Pankow und Lichtenberg durchgeführt. Zum einen herrscht innerhalb der Szene Konsens, dass die Aufnahme von Flüchtlingen ausschließlich negative Folgen für die Gesellschaft habe. Zum anderen versuchen Rechtsextremisten, mit diesem Thema Anschlussfähigkeit außerhalb ihres eigenen Milieus zu erzielen. Sie gerieren sich vor Ort als Interessenwahrer verunsicherter Bürger. Teilweise geschieht das unter Verschleierung ihrer tatsächlichen Identität. Zwischen den rechtsextremistischen Lagern (traditioneller vs. islamfeindlicher Rechtsextremismus) ist das Thema Flüchtlinge derzeit der einzige verbindende ideologische Kitt. Trotz unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung kommt es bisweilen zu Kooperationen. Auf einigen Demonstrationen (z.B. Bärgida) nahmen Angehörige beider Lager teil und treten dort teilweise gemeinsam als Redner auf. Rechtsextremismus 117 Durch die Flüchtlingsthematik konnte die traditionelle rechtsextremistische Szene ihr Aktivitätsniveau deutlich steigern. Allerdings gelang es damit nur der NPD, neue Mitglieder zu gewinnen, da insbesondere die nach außen gemäßigt auftretenden islamfeindlichen Gruppierungen und Netzwerke mit ebenfalls neuen Akteuren mit bürgerlicher Attitüde (Parteien und andere Gruppierungen), die kritische Positionen zur Flüchtlingsthematik einnehmen, in Konkurrenz stehen und um Interessenten buhlen. 3 Neben Propagandaaktionen kommt es immer häufiger zu Übergriffen und Bedrohungen gegen Medienvertreter und Politiker sowie Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren. Rechtsextremisten versenden Briefe mit islamund fremdenfeindlichen sowie antisemitischen Inhalten oder beschimpfen Mitarbeiter von Flüchtlingsunterkünften. Politiker werden öffentlich beleidigt und bedroht, ihre Wahlkreisbüros mit rechtsextremistischer Propaganda beschmiert und beklebt. Der Begriff der "Lügenpresse" hat sich - nicht zuletzt durch seine exzessive Verwendung im Rahmen der bundesweiten GIDA-Aufmärsche - weit über die rechtsextremistische Szene hinaus verbreitet. Das Internet bietet in Form zahlreicher sozialer Netzwerke und Internetseiten die Möglichkeit, rechtsextremistische Inhalte sehr schnell zu streuen, mit Zielgruppen unmittelbar in Kontakt zu treten und sich dem Zugriff der Sicherheitsbehörden durch die Nutzung ausländischer Angebote zu entziehen. Soziale Netzwerke stellen dabei weiterhin die wichtigste Kommunikationsbasis der rechtsextremistischen Akteure gegen Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik dar, da sie hier auf direktem Weg ihre Hetze verbreiten und für Aktionen mobilisieren können. Nach dem Bedeutungsverlust der überwiegend von so genannten "Bürgerbewegungen/ Bürgerinitiativen" und der NPD betriebenen "Nein zum Heim"-Seiten59 werden zunehmend Profile von unorganisierten und kaum mit der Szene vernetzten "Einzelkämpfern" bekannt. Diese sind ausschließlich innerhalb der sozialen Netzwerke aktiv und äußern sich bisweilen vollkommen enthemmt aggressiv. Zunehmend werden solche Profile in einem russischen Portal erstellt, in dem keine Zensur stattfindet und Ermittlungen für deutsche Sicherheitsbehörden deutlich schwieriger sind. Diese Alternative nutzen Rechtsextremisten, weil aufgrund von 59 Daneben existiert eine Vielzahl von Seiten in sozialen Netzwerken, etwa "Nein zum Heim in Köpenick", "Kein AsylantenContainerdorf in Buch", "Kein AsylantenContainerdorf in Falkenberg". 118 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Interventionen aus Politik und Zivilgesellschaft Profile mit Hassbotschaften bei Facebook und Twitter zügiger gelöscht werden und zudem Strafverfolgung droht. Trotz der teils schwierigen Bedingungen von Ermittlungen zu Straftaten im Internet konnten Sicherheitsbehörden auch Erfolge im Kampf gegen Hasskommentare und die Betreiber der betreffenden Profile verbuchen. Im September wurde z.B. bei dem mutmaßlichen Betreiber der Webseite "Berlin wehrt sich", auf der Anfang September das Bild eines toten Flüchtlingskindes mit dem Kommentar "Wir TRAUERN NICHT sondern wir FEIERN ES!" gepostet wurde, unmittelbar im Anschluss an die Veröffentlichung die Wohnung durchsucht. Anfang November gab es bei weiteren zehn Tatverdächtigen Hausdurchsuchungen, die Hasskommentare gegen Flüchtlinge im Internet verbreitet hatten. Diese Ermittlungserfolge werden insbesondere durch regelmäßigen Austausch und Zusammenarbeit aller beteiligten Sicherheitsbehörden über derartige Umtriebe möglich. 3.6 Sonstige rechtsextremistische Strukturen 3.6.1 Europäische Aktion Europäische Aktion Gründung: 2010 Mitglieder: Berlin unter 10 (2014: unter 10) Die "Europäische Aktion" (EA) wurde im Jahr 2010 von ehemaligen Mitgliedern der im Mai 2008 verbotenen Organisationen "Collegium Humanum" (CH) und dem "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) gegründet. Der VRBHV unterstützte bekannte Holocaustleugner wie Horst Mahler bei Strafprozessen. Viele Funktionäre der EA sind zudem ehemalige Mitglieder rechtsextremistischer Gruppierungen wie der NPD oder der "Deutschen Liga für Volk und Heimat". Die Aktivisten der EA treten nach außen vorsichtig auf und vermeiden Positionen, die unter die strafbewehrte Holocaustleugnung fallen. In typischen antisemitischen Codes und mit Antiamerikanismus kombinierten Äußerungen propagieren sie z.B. die Existenz einer "jüdischen Weltverschwörung", die sich an der amerikanischen Ostküste etabliert hätte. Rechtsextremismus 119 Ein Kernanliegen der "Europäischen Aktion" besteht in der Errichtung einer "Europäischen Eidgenossenschaft", welche die EA als Organisation eines "neuen europäischen Selbstbewusstseins" verkörpern würde. Die "Europäische Aktion" ist in Deutschland in die so genannte Landesleitung, Gebiete sowie Stützpunkte gegliedert. 3 Die "Europäische Aktion" trat in Berlin Völkische Ideologie kaum im Rahmen öffentlicher AktivitäDie völkische Ideologie oder der völten in Erscheinung. Allerdings nahmen kische Nationalismus ist zentraler vereinzelt Aktivisten an den wöchentBestandteil der nationalsozialistilichen Bärgida-Veranstaltungen teil schen Weltanschauung. Der darin und sympathisierten öffentlich mit der verkündete vermeintliche "Volkstod" islamund fremdenfeindlichen Szene. beschreibt das Szenario vom AusAuch die virtuellen Aktivitäten auf den sterben des deutschen Volkes. Im Internetseiten der EA belegen, dass dieZusammenspiel mit dem damit unse sich an den rechtsextremistischen weigerlich verknüpften SozialdarKampagnen gegen Flüchtlinge und die winismus, der Eugenik und "RasFlüchtlingspolitik beteiligen. So wursenhygiene" sowie dem extremen den auf der Internetseite zahlreiche Nationalismus werden daraus ein Textbeiträge unter Titeln wie "Land "rassespezifisches Wertesystem" sounter - die tödliche Zuwanderungswie bestimmte Verhaltensnormen flut" oder "Der Vernichtungskrieg geabgeleitet, die auch zum Kern der gen die Völker Europas" veröffentlicht. neonazistischen Ideologie gehören. Hierin wird das Flüchtlingsthema mit rechtsextremistischen Thesen wie dem drohenden "Volkstod" durch eine angebliche Überfremdung konnotiert. Die Thesen der EA zeigen sich deutlich in Aussagen, die den gegenwärtigen Zustand in der Bundesrepublik als "Völkerund Rassenchaos" beschreiben, dem nur durch dem von der EA geforderten Ziel der "Repatriierung außereuropäischer Einwanderer" (konsequenter Abschiebung) begegnet werden kann. Die aggressive Rhetorik gegen Flüchtlinge spiegelt die Stimmung in der rechtsextremistischen Szene wider: 120 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 "Normalerweise werden beim Ansturm Raumfremder die Streitkräfte in Bereitschaft versetzt und die Grenzen dicht gemacht. Nicht so in Deutschland. Hier stehen allen Ernstes Empfangskomitees mit Musik und Kuchen bereit. Im Ausland wird der Verdacht laut, die Deutschen hätten den Verstand verloren. Zu recht!" 60 3.6.2 Reichsbürger Die heterogene Szene der "Reichsbürgerbewegung" setzt sich aus verschiedenen Einzelpersonen sowie Personenzusammenschlüssen wie der "Exilregierung Deutsches Reich" oder "staatenlos.info" zusammen. Ideologisch vertreten zahlreiche "Reichsbürger" neben Verschwörungstheorien zum Teil revisionistische, antisemitische und den Nationalsozialismus verherrlichende Positionen. Ein zentrales Merkmal dieser Szene ist die Vorstellung, Deutschland würde als eine so genannte "BRD GmbH" existieren und weiterhin von den Alliierten besetzt sein. Zudem teilen die verschiedenen Gruppierungen innerhalb der "Reichsbürgerbewegung" die Annahme, dass das Deutsche Reich völkerrechtlich bis heute fortbestünde, die Bundesrepublik Deutschland keine Existenzberechtigung habe und demzufolge ihre verfassungsmäßige Ordnung, Organe und Institutionen keine Legitimation besäßen. Aus dieser Vorstellungswelt heraus gründen "Reichsbürger" "kommissarische Reichsregierungen" - die zahlreiche Gruppierungen zu vertreten glauben -, die zwar keine faktische Staatsgewalt haben, jedoch ersatzweise die Amtsgeschäfte führen.61 Ein großer Teil der Anhänger versucht die "Illegitimität der Bundesrepublik Deutschland" im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten sowie vermeintlichen Rechtsgutachten zu belegen und zu bekämpfen. Darüber hinaus bringen die Aktivisten verschiedene Ausweise, Dokumente und Rechtsprechungen, zum Teil kostenpflichtig, in Umlauf, die deren Inhaber als "Bürger", "Mitglied" oder auch "Diplomat" des jeweiligen "Reiches" ausweisen. Öffentlich treten die Reichsbürger überwiegend bei Kundgebungen und Demonstrationen wie der von "staatenlos.info" durchgeführten Dauermahnwache vor dem Bundestag sowie über ihre zahllosen Internetseiten und Profile in sozialen 60 Internetseite der "Europäischen Aktion", Eintrag vom 2.12.2015, abgerufen am 10.12.2015. 61 Vgl.: Caspar, Christa / Neubauer, Reinhard: "Durchs wilde Absurdistan - oder: Wie "Reichsbürger" den Fortbestand des Deutschen Reiches beweisen wollen", in: Landesund Kommunalverwaltung (LKV), 12/ 2012, 22. Jahrgang, S. 529 - 576. Rechtsextremismus 121 Netzwerken in Erscheinung. Allerdings findet diese Szene auf Grund ihrer kruden Theorien und ihres speziellen Auftretens kaum positive Resonanz. In weiten Teilen stellen die Reichsbürger ein polizeiund ordnungsrechtliches Problem dar, da sie Behörden und Gerichte mit umfangreichen Anträgen und Beschwerden blockieren. In Berlin sind derzeit ca. 100 Reichsbürger, weitgehend ohne Organisationsbezug, aktiv. 3 122 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 4 Linksextremismus 4.1 Ideologie und Historie Die Erweiterung des Extremismusbegriffs um die Richtungsangabe "Links" ist historisch bedingt: Am Vorabend der Französischen Revolution saßen links vom Parlamentspräsidenten der Nationalversammlung die Kräfte, die sich gegen die alte feudalistische Ordnung auflehnten und den Werten der Aufklärung politisch die Bahn brachen. Als Linksextremismus erhält der Begriff heute seinen Gehalt in der Verabsolutierung der aufklärerischen Ziele von Freiheit und Gleichheit, wie sie sich insbesondere in den Ideen von Kommunismus und Anarchismus ausdrücken. Versuche, diese Konzepte in die Realität umzusetzen, scheiterten sämtlich. Die Idee des Kommunismus setzt das Ziel der Gleichheit absolut und macht die kapitalistische Eigentumsordnung für die sozialen Ungleichheiten am Beginn des Industriezeitalters verantwortlich. Marx und Engels unterscheiden in Besitzer ("Bourgeoisie") und Nicht-Besitzer ("Proletariat") von Produktionsmitteln, die ihre gegensätzlichen Interessen nach einem historischen Gesetz ("Historischer Materialismus") im Klassenkampf austragen. Durch den Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie sollten mit den Produktionsverhältnissen ("Basis") schrittweise auch die Herrschaftsverhältnisse ("Überbau") überwunden werden. Über den Sozialismus und die "Diktatur des Proletariats" führe der Weg in den vollständig egalitären Kommunismus. In der Praxis fand die Arbeiterklasse jedoch nicht über ihr "Sein" selbständig zum revolutionären "Bewusstsein". Lenin ergänzte die Theorie daher um eine "Partei neuen Typs" als revolutionäre Avantgarde der Arbeiterklasse. Stalin erweiterte den Führungsanspruch der Partei zu einem quasi-religiösen Kult um seine eigene Person. Und Mao schließlich versuchte nach Ausschaltung der Feinde innerhalb und außerhalb des Apparats mit gewaltigen Umerziehungsprogrammen auch die innere Opposition der Menschen zu brechen. Am Ende stand bzw. steht in allen Fällen des "real existierenden Sozialismus" nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur über das Proletariat. Der so genannte "Marxismus-Leninismus" ist gleichwohl bis heute die programmatische Grundlage kommunistischer Parteien. Linksextremismus 123 Anders als der Kommunismus verabsolutiert der Anarchismus nicht die Linksextremismus Idee der Gleichheit, sondern die der Linksextremismus ist ein SammelFreiheit. In diesem Sinne gilt es zubegriff für alle gegen die freiheitlinächst nicht, das Eigentum abzuche demokratische Grundordnung schaffen, sondern den Staat. Das Ziel gerichteten Bestrebungen, die auf ist eine herrschaftsfreie Gesellschaft einer Verabsolutierung der aufkläohne jegliche "Fremdbestimmung". rerischen Werte von Freiheit und Dennoch lehnen auch Anarchisten das Gleichheit beruhen, wie sie sich insPrivateigentum als Herrschaftsform besondere in den Ideen von Komder Besitzenden über die Nicht-Besitmunismus und Anarchismus aus- 4 zenden ab. Der Anarchismus verfügt drücken. Neben der Abschaffung der über kein stringentes und vermeintmarktwirtschaftlichen Wirtschaftslich "wissenschaftliches" Theoriegeordnung, die allein keinen Anhaltsrüst, wodurch er sich vom Kommunispunkt für verfassungsfeindliche mus unterscheidet. Es existieren eine Bestrebungen begründet, streben Reihe von Auslegungen unterschiedliLinksextremisten auch die Abschafcher Vordenker. Überwiegend gemeinfung der repräsentativen Demokratie sam ist ihnen die Erwartung, dass die an. Dieses, meist auf den Begriff des Menschen sich mit der Abschaffung Kapitalismus reduzierte "System", hierarchischer Strukturen selbst orsoll entweder durch die Herrschaft eiganisieren, z.B. in dezentralen Räten. ner zentralistischen Partei, durch deDer Weg dorthin muss entgegen landzentrale Selbstverwaltungen oder die läufiger Meinung auch nicht zwingend Eliminierung jeglicher Regierungsgewaltsam sein, sondern setzt in der strukturen ersetzt werden. Verfechsyndikalistischen Interpretation z.B. ter solcher Ideen gründen Parteien bei gewerkschaftlicher Organisierung und Organisationen, um bei Wahlen an. Mit dem Anarchismus historisch anzutreten oder für ihre Ziele öffentverbunden bleiben jedoch die als "Prolich zu werben. Andere versuchen, zipaganda der Tat" gedachten Attentavilgesellschaftliche Initiativen zu unte auf zahlreiche Staatsoberhäupter terwandern, um diese in ihrem Sinne an der Wende zum 20. Jahrhundert. zu beeinflussen. Organisationsund Die erhoffte Signalwirkung für einen theorieferne "Autonome" setzen "Aufstand der Massen" hatten diese eher auf demonstrative bis militante jedoch nicht und so blieb die Idee des Ausdrucksformen, um damit SignalAnarchismus im Hinblick auf ihre Umwirkung zu erzielen - und missachsetzung eine Fußnote der Geschichte. ten dabei bewusst das staatliche Ge- 124 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Die auf dem Prinzip der "wehrhaften waltmonopol. Gemeinsam ist ihnen Demokratie" gründende Bundesredie Neigung, soziale Problemlagen publik Deutschland setzte durch das politisch zu instrumentalisieren und Verbot der "Kommunistischen Partei vordergründig im Gewand legitimer Deutschlands" (KPD) - sie hatte zum Gesellschaftskritik zu verschleiern. revolutionären Sturz des AdenauerRegimes aufgerufen - im Jahre 1956 ein Zeichen gegen den parteipolitischen Extremismus von Links. Im Kampf gegen den mit politischen Morden agierenden Linksterrorismus - mit dem Kulminationspunkt im "Deutschen Herbst" 1977 - erlebte die freiheitliche demokratische Grundordnung wohl ihre größte Bewährungsprobe. Die Strategie der "Roten Armee Fraktion" (RAF) zielte - erfolglos - darauf ab, den Staat durch Attentate auf seine Repräsentanten zu Überreaktionen zu provozieren, um dessen vermeintlich autoritäres und faschistisches Wesen zu demaskieren. Seit den 1980er Jahren wird das Bild vom Linksextremismus in Deutschland vor allem von den so genannten Autonomen geprägt, die mit ihrem martialischen Auftreten in "Schwarzen Blöcken" und oftmals krawallartigem Aktionismus manchmal den Eindruck eines eher unpolitischen Vandalismus erwecken. Doch diese Einschätzung bliebe vordergründig. Autonome grenzen sich vom strengen Dogmatismus und der kaderartigen Organisation kommunistischer Parteien wie auch von Linksterroristen ab. Wie Anarchisten besitzen sie kein geschlossenes Theoriegebäude. Die Unterwerfung unter einen organisierten Willen lehnen sie kategorisch ab. Diese Theorieund Organisationsferne ist wesentlicher Teil ihrer Ideologie, die das Individuum und seine Selbstverwirklichung in den Mittelpunkt stellt. Das Prinzip der so genannten "Politik der ersten Person" beruht auf dem souveränen Handeln aufgrund individuellen Betroffenseins. Entscheidungen über das eigene Leben sollen nicht von Dritten stellvertretend getroffen werden. Dieses selbstermächtigende Politikverständnis manifestiert sich praktisch u.a. im militanten Widerstand gegen alles, was subjektiv als Missstand empfunden wird - nach dem Credo "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Aus dieser Haltung heraus lehnen Autonome sowohl das Repräsentationsprinzip wie auch das staatliche Gewaltmonopol ab. Linksextremismus 125 Im historischen Rückblick sind für Berlin drei Strömungen von Autonomen zu unterscheiden: Die Hausbesetzer-Szene Anfang der 1980er Jahre als Reaktion auf zunehmende Wohnraumspekulation, zweitens die "Antifa" Anfang der 1990er Jahre in Folge einer Welle fremdenfeindlicher Übergriffe sowie drittens und aktuell die (re)organisierten Postautonomen, die vor allem im Zuge von Globalisierungskritik und Finanzkrise Aufwind erhalten. Letztere sind nicht mehr als Autonome im ursprünglichen Sinne zu bezeichnen. Im politischen Protest u.a. gegen Kapitalismus, Faschismus, Rassismus und Militarismus suchen und finden diese Strömungen in unterschiedlichem Ausmaß Anschluss an subkulturell verwandte oder ideologisch nahestehende Milieus. Das macht die Unterscheidung zwischen dem Kampf gegen 4 die freiheitliche demokratische Grundordnung und für ein legitimes gesellschaftliches Anliegen erheblich schwieriger als in anderen Phänomenbereichen des politischen Extremismus. 4.2 Personenpotenzial und Straftaten Linksextremisten führen ihren Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sowohl mit legalen als auch mit illegalen Mitteln. Zu den legalen gehören Parteiund Vereinsgründungen sowie die Durchführung von öffentlichen Veranstaltungen und das Erstellen von Publikationen zur Verbreitung ihrer politischen Ideen. Hierfür nutzen sie intensiv auch das Internet. Unter anderem dadurch, dass sie aktuelle Themen aufgreifen, die viele Menschen bewegen, sind sie bemüht, sich weit über ihr eigenes Spektrum hinaus zu vernetzen. Zu diesem Zweck versuchen sie außerdem, andere Organisationen und Zusammenschlüsse zu unterwandern. Manchmal treten sie zu Wahlen an. Primäres Ziel ist es, Menschen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu gewinnen. Darüber hinaus kämpfen Teile der linksextremistischen Szene auch mit illegalen Mitteln gegen das ihnen verhasste "System". Dabei begehen sie Straftaten bis hin zu schwerer Gewalt gegen Repräsentanten und Institutionen von Staat und Wirtschaft, andere Personen oder Organisationen, die sie als politische Gegner betrachten, sowie gegen Fahrzeuge und Gebäude, deren Besitzer nicht in ihr Weltbild passen. Insofern sind sowohl die Personenpotenziale wie auch die Zahl der Straftaten wichtige quantitative Indikatoren für die aktuelle Entwicklung im Berliner Linksextremismus. 126 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Personenpotenzial Linksextremismus* 2014 2015 Gesamt 2 560 2 640 Gewaltbereite Linksextremisten, davon 960 940 Autonome 720 660 Postautonome 240 280 Nicht-gewaltbereite Linksextremisten, davon 1 400 1 520 "Rote Hilfe e.V." 1 100 1 200 Sonstige 62 300 320 Linksextremistische Parteien 200 180 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. Die Entwicklung des linksextremistischen Personenpotenzials in Berlin entspricht weitgehend dem der Vorjahre. Das Personenpotenzial hat insgesamt erneut leicht zugenommen. Wie in 2014 beruht diese Entwicklung auf einem Mitgliederzuwachs bei den eher unterstützend und propagandistisch wirkenden Organisationen, vor allem beim "Rote Hilfe e. V.". Rote Hilfe e.V. Gründung: 1995 Mitglieder: Berlin 1 200 (2014: 1 100) Die "Rote Hilfe" wurde unter historischer Bezugnahme auf einen von 1924 bis 1936 bestehenden gleichnamigen Vorläufer 1975 als eingetragener Verein neu gegründet. 1995 entstand die Ortsgruppe Berlin, welche sich mittlerweile zur mit Abstand größten linksextremistischen Organisation der Stadt entwickelt hat. Die "Rote Hilfe" versteht sich gemäß Satzung als "linke Schutzund Solidaritätsorganisation" für alle, die aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt würden. Sie unterstützt von Strafermittlungen Betroffene materiell und politisch. Ausschlaggebend ist allein die politisch linke Motivation der Tat. Die "Rote Hilfe" versteht sich als Gegengewicht zu den "staatlichen Repressionsorganen", welche die bestehenden "Ausbeutungsund Unterdrückungsverhältnisse" verteidigen würden. Trotz der eindeutigen Ausrichtung verfolgen nicht alle Mitglieder des Vereins selbst verfassungsfeindliche Zielsetzungen. 62 Überwiegend orthodoxe Linksextremisten. Linksextremismus 127 Die an Statuten und Aktivitäten erkennbaren Bestrebungen der Organisation und ihrer Entscheidungsträger führen jedoch zu ihrer Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Da alle Mitglieder Beiträge zahlen und zudem Spenden akquiriert werden, verfügt die "Rote Hilfe" über erhebliche finanzielle Mittel. Die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten ist dagegen leicht rückläufig. Die Basis der "traditionellen" Autonomen bröckelt weiter. Allerdings wird der quantitative Verlust durch den Zuwachs bei den vordergründig moderater auftretenden postautonomen Gruppierungen fast aufgefangen. Sie profitieren zum einen da- 4 von, dass dem Jugendalter entwachsene Autonome ihr politisches Engagement in mindestens äußerlich weniger aggressiven Formen fortführen, zum anderen davon, dass auch bei jüngeren Aktivisten das Engagement in autonomen Kleingruppen als immer weniger zielführend betrachtet wird. Fallzahlen Politisch motivierte Kriminalität - Links* 2014 2015 Gewaltdelikte 496 361 Sonstige Delikte 877 698 Gesamt 1 373 1 059 * Auszug aus dem Bericht "Lagedarstellung der Politisch motivierten Kriminalität in Berlin für das Jahr 2015" des Landeskriminalamtes Berlin (LKA). Der vollständige Bericht ist im Internet unter www.berlin.de/sen/inneres/sicherheit/statistiken/index.html eingestellt. Nach einem starken Anstieg der Strafund Gewalttaten 2014 sind die Zahlen 2015 wieder deutlich rückläufig. Das entspricht der in den letzten Jahren zu beobachtenden Tendenz, dass einzelne Ereignisse und Entwicklungen wie die gewalttätigen Proteste gegen die Räumung eines Szeneobjekts im Jahre 2011 oder das konfrontative Demonstrationsgeschehen im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik insbesondere 2014 erhebliche Auswirkungen auf die Statistiken zur politisch motivierten Kriminalität besitzen. Auch 2015 machen Widerstandsdelikte und Landfriedensbrüche im Rahmen von Versammlungen einen erheblichen Anteil aus. Im Vergleich der letzten zehn Jahre bleibt das Gewaltniveau nicht zuletzt deshalb quantitativ hoch. Qualitativ stehen versuchte Tötungsdelikte aber auch für eine unverändert niedrige Hemmschwelle bei Angriffen auf Leib und Leben - insbesondere von Polizisten. Vor allem im Umfeld der Rigaer Straße kommt es zu solch schweren Gewalttaten. 128 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 4.3 Aktuelle Entwicklungen Die Berliner linksextremistische Szene befindet sich seit einigen Jahren in einem Strukturwandel, der noch nicht abgeschlossen ist. Darüber wurde im Berliner Verfassungsschutzbericht 2014 bereits ausführlich berichtet. Im vorliegenden Bericht wird analysiert, wie sich die Situation im Laufe des Jahres 2015 weiter entwickelt hat und welche Gruppierungen sich im Zuge dieser Entwicklung als die künftig tonangebenden der linksextremistischen Szene Berlins herauskristallisieren. Was war bzw. ist der Hintergrund dieses Strukturwandels? Die autonome Szene beklagt seit langem Perspektivund Ideenlosigkeit, die zu einer Erstarrung geführt habe und auf der einen Seite Organisationsund Militanzdebatten befeuerte sowie auf der anderen Seite einen zwischenzeitlich eklatanten Anstieg linksextremistischer Strafund Gewalttaten zur Folge hatte. Diese zeitweise gestiegene Militanz ist zum einen auf das Demonstrationsgeschehen im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik zurückzuführen. Zum anderen dürfte sie zu einem großen Teil auf das Konto autonomer Klein(st)gruppen - vor allem aus der "Anarcho"-Szene - gehen, die in klandestinen Aktionen eine Vielzahl von gezielten Sachbeschädigungen und Brandstiftungen begangen hat und diese anschließend nicht selten in Selbstbezichtigungsschreiben zu begründen versuchte. Zuletzt wurde mit einer gezielten Eskalationsstrategie im Umfeld der Rigaer Straße versucht, wieder eine politisch wahrnehmbare Signalwirkung zu entfalten. Bewohner und Sympathisanten eines Szeneobjekts in der Rigaer Straße 94 haben dabei diverse, u.a. gegen Polizeibeamte gerichtete und zum Teil äußerst gewalttätige Aktionen durchgeführt - vorgeblich, um einen "autonomen Freiraum" zu verteidigen. Letztlich gelang es der autonomen Szene nach wie vor nicht, Nachahmer zu finden und so größere Bevölkerungskreise - vor allem Jugendliche - zu politisieren und zu radikalisieren. Es wird deshalb spektrenübergreifend über eine stärkere Vernetzung diskutiert. Die Strategie, in abgeschotteten Kleingruppen zu agieren, gilt in überwiegenden Teilen der Szene erklärtermaßen als gescheitert. "Es ist höchste Zeit, unsere Strukturen zu reorganisieren. Was wir vor allem brauchen, sind eng verbundene antifaschistische und antirassistische, linksradikale und autonome Netzwerke. Was es braucht, ist die einzelne und kollektive Bereitschaft, lokal zu handeln, sich regional zu vernetzen und bundesweit (re)agieren zu können." 63 63 Artikel "Re:organisiert die Antifaschistische Aktion" auf der Internetpräsenz linksunten. Veröffentlicht am 30.8.2015. Abgerufen am 4.12.2015. Linksextremismus 129 So luden "Autonome Vollversammlungen" monatlich dazu ein, über neue Projekte zu diskutieren und anstehende Termine zu koordinieren. Auch die autonome "Antifa" sah sich durch im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik stark gestiegenes zivilgesellschaftliches Engagement in einer Identitätskrise. Mit zunehmendem Aktionismus gegen neue politische Akteure, die sich asylkritisch bis fremdenfeindlich gerieren, versucht sie sich aus dieser Krise zu befreien. "Antifa"-Vollversammlungen sollen u.a. dazu dienen, Kleingruppen zu vernetzen, gemeinsame Aktionsplattformen zu schaffen sowie Nachwuchs zu rekrutieren - nicht zuletzt, um den weiteren Rückgang des Personenpotenzials aufzuhalten. 4 Erfolgreiche Vorreiter dieser Reorganisierungstendenzen sind so genannte Postautonome, deren Personenzusammenschlüsse Mitgliederzulauf erhalten. Zudem sind sie mit ihrer im weitesten Sinne entristischen Strategie der Unterwanderung zivilgesellschaftlicher Initiativen weiterhin erfolgreich. Sie engagieren sich in nahezu allen gesellschaftlich relevanten Themenfeldern - auch in der "Antifa"-Arbeit - und es gelingt ihnen dabei oftmals, das Heft des Handelns sukzessive zu übernehmen. Thematisch standen 2015 in Berlin zum einen Anti-Kapitalismus in Verbindung mit Anti-Gentrifizierung, zum anderen Anti-Rassismus und Anti-Faschismus im Vordergrund linksextremistischer Aktivitäten. Diese Schwerpunktsetzung galt - mit unterschiedlichen Nuancierungen - spektrenübergreifend. Anti-Kapitalismus ist dabei nach wie Anti-Kapitalismus vor das grundlegende Themenfeld, Anti-Kapitalismus im linksextremiszumal es in linksextremistischer Betischen Verständnis bezieht sich trachtungsweise zahlreiche weitere auf Karl Marx, nach dessen TheoBereiche impliziert, wie das in Berlin rie mit den Produktionsauch die relevante Thema Mietensteigerung Herrschaftsverhältnisse überwunund sozialräumliche Verdrängungsden werden sollen. Der Kampf geprozesse (Anti-Gentrifizierung). Hierzu gen das "kapitalistische System" hat gab es diverse Kampagnen (vor allem für Linksextremisten deshalb nicht rund um den 1. Mai) und zahlreiche nur die Abschaffung der marktwirtSachbeschädigungen (insbesondere schaftlichen Ordnung, sondern auch an Neubauprojekten). Eine verschärfder parlamentarischen Demokrate Form der "Entwertung" von Kiezen tie zum Ziel. Im Kapitalismus sehen ist der Versuch, "autonome Freiräu- 130 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 me" zu etablieren, wie im Umfeld der sie u.a. die Ursache für Kriege (ImRigaer Straße. Dabei verbindet sich der perialismustheorie) und Faschismus Kampf gegen Umstrukturierung mit (Dimitroffthese). Und selbst Anardem gegen rechtsstaatliche Normen chisten finden im - von ihnen so (Anti-Repression). Vor allem Polizisten bezeichneten - "Schweinesystem" werden häufig Opfer schwerer, zum Erklärungen für vermeintlich staatTeil hinterhältiger Angriffe. liche Repression sowie die Verdrängung aus "Freiräumen". Durch weltDie bedeutendsten Ereignisse mit anweite Wirtschaftsund Finanzkrisen ti-kapitalistischem Bezug waren die am Beginn des neuen Jahrtausends Eröffnung der Europäischen Zentralhat die Marxsche Kapitalismusanabank (EZB) am 18. März und der G7lyse und damit der "klassische" AnGipfel im bayerischen Elmau am 7./8. ti-Kapitalismus eine Renaissance Juni. Beide wurden auch in Berlin umerlebt. Viele Menschen fühlen sich fassend thematisiert. Die räumliche zudem dem ökonomischen, politiNähe zu Frankfurt/Main sowie die schen, sozialen und auch kulturellen zentrale Bedeutung der EZB als BeVeränderungsdruck einer "entfesselstandteil der "Troika" und damit beten" Globalisierung nicht gewachsen. deutender Akteur des "europäischen In per se nicht-extremistischen, aber Krisenregimes"64 führten zu einer globalisierungskritischen Bewegunbreiten Beteiligung der linksextremisgen hoffen Linksextremisten daher tischen Szene Berlins an ProtestaktiviBündnispartner für ihre systemübertäten in Frankfurt. Bei den Protestakwindenden Ziele zu finden. tionen gegen den G7-Gipfel in Elmau waren dagegen kaum Berliner vor Ort. Dies dürfte zum einen in der räumlichen Entfernung sowie der aus Sicht der linksextremistischen Szene "ungünstigen" Gegebenheiten vor Ort (u.a. unzugängliches Gelände) begründet liegen. Zum anderen fanden zeitgleich in Neuruppin Proteste gegen den rechtsextremistischen "Tag der deutschen Zukunft" statt. Auch der Anti-Faschismus leitet sich in linksextremistischer Perspektive aus Kapitalismuskritik ab. Hier entstehen zunehmend fließende Übergänge zum Thema Anti-Rassismus. Dafür ursächlich ist die sich in 2015 zuspitzende Flüchtlingsthematik, verbunden mit beschlossenen Asylrechtsverschärfungen und Diskussionen um eine Zuwanderungsbegrenzung. Die linksextremistische Szene leistet sowohl 64 Damit ist der aus linksextremistischer Sicht kritikwürdige Umgang europäischer Staaten und Institutionen bzw. der so genannten Troika (Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds, Europäische Kommission) mit den Krisensituationen in Europa (z.B. Griechenland) gemeint. Linksextremismus 131 traditionell politische wie auch konkrete Unterstützungsarbeit vor Ort (u.a. in Flüchtlingseinrichtungen). Dabei ist zu berücksichtigen, dass neben humanitären Gesichtspunkten auch das Ziel, Flüchtlinge und deren Unterstützer für die eigene politische Arbeit zu gewinnen, handlungsmotivierend ist. Vor dem Hintergrund der sich stark Anti-Rassismus zuspitzenden Situation sowie dem Dieses Aktionsfeld zielt nicht allein Umstand, dass inzwischen eine umauf einen sich in fremdenfeindlichen fassende und nachhaltige zivilgesellVorfällen offenbarenden "Alltagsrasschaftliche Unterstützung von Flüchtsismus", sondern richtet sich gegen lingen etabliert werden konnte, hat 4 alle institutionellen Benachteiligundie linksextremistische Szene ihren gen von Zuwanderern oder FlüchtlinSchwerpunkt in diesem Themenfeld gen. In dieser Hinsicht sind nicht nur zum Teil verlagert. Im Vordergrund Linksextremisten aktiv, sondern auch stehen nun das Anprangern der staathumanitäre Organisationen und anlichen Asylund Flüchtlingspolitik (mit ti-rassistische Initiativen, die sich für lebhaftem Demonstrationsgeschehen eine Verbesserung der sozialen, poliin Berlin und zum Teil auch in andetischen und rechtlichen Lage von Miren Städten wie Dresden, Leipzig und granten engagieren. LinksextremisFreital) sowie das Brandmarken und ten überspitzen deren Kritik an den Bekämpfen eines vermeintlichen "Rasbestehenden Regelungen z.B. in der sismus der Mitte", wie er sich - aus Diffamierung als "rassistische SonSzenesicht - z.B. in der Pegida-Bewedergesetze". Sie weiten die Forderungung ausdrückt. Letzteres beförderte gen nach einem Bleiberecht für alle die Versuche einer Wiederbelebung und offenen Grenzen auf eine Abder autonomen "Antifa", die in Vollschaffung nationalstaatlicher Strukversammlungen über geeignete Geturen aus ("no border, no nation"). genmaßnahmen diskutiert. Auch die Staatlichen Repräsentanten unterGewaltbereitschaft gegen vermeintlistellen sie einen "systemimmanenche und tatsächliche Rechtsextremisten" Rassismus, mit dem Privilegien ten steigt aktuell wieder deutlich. Dies der "weißen Mehrheitsbevölkerung" zeigte sich nicht zuletzt in einem deutverteidigt würden. Zum Teil werden lichen Anstieg von Anschlägen u.a. diese auf eine Stufe mit Rechtsexgegen Protagonisten und Einrichtuntremisten gestellt ("Nazis morden, gen der "Alternative für Deutschland" der Staat schiebt ab, es ist das glei(AfD) seit dem dritten Quartal. So kam che Rassistenpack"). Militant agieren es zu versuchten und durchgeführten 132 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 sie bei Versuchen, Abschiebungen zu Brandstiftungen an Fahrzeugen von verhindern, - bei solchen Anlässen AfD-Funktionären (darunter der Bervermischen sich die Spektren - und liner Landesvorsitzenden und stellvor allem durch symbolische Strafvertretenden Bundesvorsitzenden), zu taten gegen die vermeintlich verantSachbeschädigungen an Ständen und wortlichen Institutionen, wie die AusEinrichtungen der AfD sowie zu Beländerbehörde, die Innenverwaltung leidigungen zum Nachteil prominenoder Parteibüros. ter AfD-Vertreter. Zudem wurden die Wohnund Büroräume der Landesund stellvertretenen Bundesvorsitzenden in Berlin im November mit Farbe und Steinen beschädigt. Nach einer Phase der Fragmentierung und der Orientierungslosigkeit, die u.a. mit der Auflösung zahlreicher Gruppierungen einherging, war das Jahr 2015 geprägt durch Konsolidierungsversuche. Diese manifestieren sich vor allem durch die Anbahnung von Bündnissen bzw. diversen anderen Formen der Zusammenarbeit. Es zeichnet sich ab, dass die führenden Akteure ihre Zukunft in einer deutlich verstärkten Kooperation oder sogar dem Zusammenschluss mit anderen Gruppierungen sehen. Dabei geht der Radius oftmals weit über Berlin hinaus, wie bundesweit ausgerichtete Organisationen wie die "Interventionistische Linke" (IL) belegen. Zunehmend rückt auch eine internationale Vernetzung in den Fokus. Im Folgenden soll das linksextremistische Spektrum Berlins anhand seiner bedeutendsten Akteure unter diesem Aspekt vorgestellt werden. Linksextremismus 133 Anti-Repression "Anarchos" Anti-Militarismus Anti-Gentrifizierung 4 NEA Postautonome "Antiimps" Anti-Faschismus Anti-Kapitalismus "Antifa" Anti-Rassismus 4.3.1 Interventionistische Linke (IL) Die "Interventionistische Linke" (IL) ist ein bundesweiter Zusammenschluss überwiegend postautonomer Gruppierungen, der 1999 bzw. 200565 als Netzwerk mit dem Ziel gegründet wurde, durch einen Aufbau überregionaler Strukturen, der Besetzung gesellschaftlich relevanter Themen sowie einem gemäßigterem Auftreten die gesellschaftliche und politische Stigmatisierung "klassischer" Autonomer zu überwinden. Zunächst handelte es sich um ein Netzwerk weitgehend unabhängiger Gruppierungen, seit 2005 hat die IL jedoch stringent darauf hingearbeitet, 65 1999 gründete sich die IL zunächst als informelles Netzwerk, 2005 erfolgte der formale bundesweite Zusammenschluss. 134 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 dass aus einem losen Zusammenschluss im Grundsatz gleichgesinnter Gruppierungen eine Organisation mit verbindlichen Strukturen erwuchs. In der IL Berlin sind inzwischen mit einer Ausnahme66 die bedeutendsten postautonomen Gruppierungen der Stadt aktiv. Nachdem im September 2014 bereits "Avanti - Projekt undogmatische Linke" erklärt hatte, sich in die IL hinein aufzulösen und zukünftig nur noch als Bestandteil der IL agieren zu wollen, ist 2015 die Berliner Gruppierung "Für eine linke Strömung" (F.e.l.S.) diesem Beispiel gefolgt. Der IL Berlin gehören darüber hinaus Mitglieder der ehemaligen "Antifaschistischen Linken Berlin" (ALB) sowie weiterer Gruppierungen an. Die IL unterstreicht mit dieser Entwicklung ihr Selbstverständnis, nicht nur in Berlin, sondern auch bundesweit eine führende Rolle im linksextremistischen Spektrum einzunehmen. Dass es sich dabei nicht nur um einen Anspruch handelt, zeigt u.a. die - oftmals federführende - Beteiligung der IL an bundesweiten Ereignissen wie den Protesten gegen die Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) am 18. März in Frankfurt am Main. Die IL ist als bedeutender und erfahrener Akteur im Themenfeld Anti-Kapitalismus in der bundesweiten bzw. internationalen Blockupy-Plattform, die auch die Proteste in Frankfurt koordinierte, engagiert. Dieses Engagement ist auch unter dem Aspekt einer zunehmend internationalistischen Ausrichtung postautonomer Aktivitäten zu sehen. Der Bewegung gehören in Deutschland und Europa vielfältige zivilgesellschaftliche Gruppierungen und Privatpersonen, aber auch zahlreiche linksextremistische Gruppierungen an. Ausschließlich letztere werden von der Verfassungsschutzbehörde Berlin beobachtet. Die IL Berlin ist ein bedeutender Akteur bei Blockupy. Nicht zuletzt deshalb diskutiert die Plattform einen Umzug aus der Banken-Metropole Frankfurt am Main (die als Symbol für den Kapitalismus betrachtet wird) nach Berlin, das politische Zentrum Deutschlands. Zeitweise wurde sogar erwogen, sich federführend in die Organisierung des 1. Mai 2016 in Berlin einzubringen. Die IL war in allen bedeutenden linksextremistischen Themenfeldern aktiv. Ihrem Selbstverständnis gemäß versucht sie, in sämtlichen gesellschaftlich relevanten 66 Hierbei handelt es sich um die im ebenfalls bundesweiten Zusammenschluss "... um's Ganze!" aktive Gruppierung Theorie Organisation Praxis TOP B3rlin. Vgl. S. 136ff. Linksextremismus 135 Fragestellungen zu "intervenieren" und die Diskussionen möglichst prägend zu beeinflussen. Dazu gehört eine breite und umfassende Bündnispolitik mit linksextremistischen, vor allem aber auch zivilgesellschaftlichen Partnern mit dem Ziel einer möglichst breiten Vernetzung und sukzessiven Erweiterung des eigenen Handlungsfeldes. Dass damit jedoch nicht zwangsläufig eine Abkehr von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele verknüpft ist, zeigt eine kontinuierliche Diskussion um den Begriff des zivilen Ungehorsams, der von einem Teil der Akteure als Absage an Gewaltausübung ausgelegt wird, von anderen dagegen als Nährboden verstanden wird, auf dem alle Arten von gewaltorientierten Aktionen möglich sind. Dass damit ge- 4 nau diese Schere eröffnet und Gewaltausübung zumindest billigend in Kauf genommen wird, zeigt auch der historische Hintergrund dieses Begriffs, demzufolge ziviler Ungehorsam ein Akt politischer Partizipation ist, der auf die Beseitigung einer (ggf. vermeintlichen) Unrechtssituation zielt. Die von der IL aufgegriffene und zunehmend praktizierte so genannte "Fingertaktik", bei der sich Demonstrationsteilnehmer in mehrere Blöcke (Finger) aufteilen, um so der Polizei zu erschweren, alle Teilnehmer unter Kontrolle zu behalten, ist ebenfalls keine per se friedliche Aktionsform. Unter anderem anlässlich der Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) hat sich gezeigt, dass von diesen "Fingern" zum Teil eklatante Gewalt ausging. Die IL Berlin ist ein wichtiger Akteur der linksextremistischen Szene Berlins mit wachsender Bedeutung. Sie ist in zahlreiche gesellschaftlich relevante Diskussionen der Stadt zum Teil federführend involviert. Auch geplante oder tatsächliche Kooperationen mit anderen bedeutenden linksextremistischen Gruppierungen wie der "radikalen linken | berlin" sowie der ebenfalls postautonomen Gruppierung "Theorie Organisation Praxis TOP B3rlin" belegen, dass sie als bedeutender Akteur in der Szene anerkannt ist. Sie profitiert damit zum einen von der Strukturkrise der Berliner autonomen Szene. Zum anderen rekrutiert sie eher gemäßigte Akteure in der Grauzone zum Linksextremismus und wirkt dabei als radikalisierender Faktor. 136 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 "Interventionistische Linke" (IL) Gründung: 1999 Mitglieder: Berlin 210 - 230 (2014: 170 - 190) Die "Interventionistische Linke" ist ein bundesweiter Zusammenschluss überwiegend postautonomer Gruppierungen, der 1999 bzw. 2005 mit dem Ziel gegründet wurde, die gesellschaftliche (und politische) Isolation "klassischer" Autonomer zu überwinden. Der Aufbau überregionaler Strukturen, die Besetzung gesellschaftlich relevanter Themen sowie ein gemäßigteres Auftreten sollen eine Anschlussfähigkeit an breite Bevölkerungskreise ermöglichen. In der IL sind inzwischen zahlreiche relevante postautonome Gruppierungen organisiert. Ein Ziel des Prozesses hin zu einer "Organisationswerdung" ist, dass diese Gruppierungen ihre Autonomie aufgeben und sich in die IL hinein auflösen. So haben die diversen Ortsgruppen von "Avanti - Projekt undogmatische Linke" im Herbst 2014 erklärt, sich fortan nur noch als IL-Gruppierung zu verstehen. "Für eine linke Strömung" (F.e.l.S.) zog Mitte 2015 nach. Erklärtes Ziel ist, durch gemeinsame politische Arbeit innerhalb des Systems Akzeptanz für eine revolutionäre Organisation zu schaffen, die perspektivisch von einer Mehrheit als Alternative angesehen werden könne. Revolutionäre Zielsetzungen müssten deshalb mit nachvollziehbaren und erreichbaren Tagesforderungen verbunden werden. Zur Berliner IL gehören neben Avanti und F.e.l.S. auch Mitglieder der ehemaligen ALB und weitere Akteure. 4.3.2 Theorie Organisation Praxis (TOP B3rlin) Die in Berlin beheimatete postautonome Gruppierung "Theorie Organisation Praxis TOP B3rlin" (TOP B3rlin) hat sich mit wachsenden Mitgliederzahlen, breiter Vernetzung und nachhaltigen Aktivitäten als ein berlinwie bundesweit relevanter Akteur der linksextremistischen Szene etabliert. Ihre Rolle bei der Initiierung auch militanter Proteste sollte nicht unterschätzt werden. TOP B3rlin trat Ende 2006 als Abspaltung und Nachfolgeprojekt "Kritik & Praxis Berlin" (KP) der ehemaligen "Antifaschistischen Aktion Berlin" (AAB) erstmals Linksextremismus 137 öffentlich in Erscheinung. Antideutsch ausgerichtet67 war die Gruppierung in der linksextremistischen Szene Berlins zunächst isoliert. In den letzten Jahren hat sie sich jedoch nach einer sukzessiven Öffnung und Wandlung zu einem aktiven, gut vernetzten und mobilisierungsfähigen postautonomen Akteur entwickelt. Als Bestandteil des bundesweiten postautonomen "...um's Ganze! Kommunistisches Bündnis" verfügt TOP B3rlin auch über Berlin hinaus über gute Kontakte. Die Gruppierung kooperiert eng mit der IL Berlin. Auf Grund ihrer Wurzeln im autonomen "Antifa"-Spektrum dürfte sie den Aktionsradius, möglicherweise auch die Mobilisierungsbreite postautonomer Gruppierungen erweitern. Der Name "Theorie Organisation Praxis" deutet auf eine Verwurzelung im theore- 4 tischen Kontext des Marxismus, eine Betonung der Bedeutung von Organisierung zur Erreichung politischer Ziele (und insofern eine Abkehr von autonomen Wurzeln) sowie ein Bemühen um breite politische Praxis zur Vergrößerung des Aktionsradius. TOP B3rlin ist ideologisch dogmatischer und im Hinblick auf die politische Praxis militanter ausgerichtet als andere postautonome Gruppierungen. Die Gruppe profitiert mit dieser Bandbreite von der Erosion anderer Gruppierungen und dem Strukturwandel der linksextremistischen Szene Berlins. TOP B3rlin strebt perspektivisch eine Abschaffung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung an. Dass es sich dabei nicht um reine Wirtschaftskritik handelt, belegt nicht nur der Slogan "Für den Kommunismus", sondern auch Zitate wie das folgende unter dem Motto "Deutschland, Du mieses Stück Scheiße": "Demokratie ist im Kapitalismus eben immer nur dazu da, das Rad der kapitalistischen Verwertung und Ausbeutung möglichst geschmeidig am Laufen zu halten. (...) Ein Nein [in einer Abstimmung zur Sparpolitik der Europäischen Union gegenüber Griechenland] macht also nur Sinn, wenn sie als Türöffner für eine Perspektive jenseits von Staat, Nation und Kapital verstanden wird. (...) Nein zum kapitalistischen Totalitarismus, Nein zur Diktatur des Marktes. Für den Kommunismus." 68 67 So genannte "Antideutsche" wenden sich gegen einen aus ihrer Sicht spezifischen deutschen Nationalismus, dem sie ein immanentes Großmachtstreben unterstellen, das andere Nationen gefährde. Sie fordern eine bedingungslose Solidarität mit Israel und wenden sich gegen Anti-Zionismus sowie AntiAmerikanismus. Es handelt sich um eine aus verschiedenen Teilen der linksextremistischen Szene entstandene Bewegung, die im heutigen Verständnis nach der Wiedervereinigung Deutschlands entstand. 68 Artikel "Deutschland, Du mieses Stück Scheiße" auf der Internetpräsenz von TOP B3rlin. Veröffentlicht am 7.7.2015. Abgerufen am 24.11.2015. 138 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Thematisch engagiert sich TOP B3rlin primär in den Themenfeldern Anti-Kapitalismus sowie Anti-Faschismus und Anti-Rassismus. So spielte die Gruppierung seit 2013 im Rahmen der umfassenden Krisenproteste eine wichtige Rolle und hat sich folgerichtig 2015 u.a. an den Aktionen gegen die Eröffnung der EZB am 18. März in Frankfurt am Main beteiligt. Gegen die Eröffnung der EZB war in der linksextremistischen Szene bereits seit Jahren zu Protesten aufgerufen worden, sie steht ebenso wie der Finanzplatz Frankfurt symbolisch für die "kapitalistische Gesellschaft". Von Berlin aus fuhr u.a. ein Sonderzug mit über 800 Personen nach Frankfurt. Vor Ort war eine "Protestchoreografie" geplant, zu der Blockaden der Zufahrtswege zur EZB, Kundgebungen in der Frankfurter Innenstadt und Demonstrationen gehörten. Die Berliner Mobilisierung zu den Protesten wurde neben TOP B3rlin als Teil des "...um's Ganze!"-Bündnisses von der IL Berlin getragen. Beide agieren gemeinsam in der "Blockupy Plattform Berlin", die in der Hauptstadt diverse Mobilisierungsveranstaltungen und Aktionstrainings durchgeführt hat. Für den 19. Oktober rief TOP B3rlin unter dem Motto "Zum Geburtstag wünsch' ich mir, dass ihr aufhört zu Atmen" zu einer bundesweiten Demonstration gegen den ersten Jahrestag der so genannten Pegida-Bewegung auf. Im Aufruf heißt es außerdem: "Readucation für die autoritären Charaktäre von Pegida & Co. kann nur in Handarbeit bestehen."69 Wie die IL hat auch TOP B3rlin einen internationalen Anspruch. Wie schon in den Jahren zuvor agitierte sie gegen den Wiener Akademikerball am 30. Januar in Wien unter dem Motto "There is an alternative - Kommunismus statt Österreich" und beteiligte sich an den Protesten vor Ort, die zum Teil ausgesprochen gewalttätig verliefen.70 Als wichtiger Akteur im Rahmen einer internationalen Vernetzung agiert TOP B3rlin in der "Beyond Europe. Antiauthoritarian Platform against Capitalism", die vom "...um's Ganze!"-Bündnis 2013 gegründet wurde und der laut Internetseite außerdem griechische, zypriotische und britische Gruppierungen angehören. Es 69 Artikel "Zum Geburtstag wünsch' ich mir, dass ihr aufhört zu Atmen." auf der Internetpräsenz von TOP B3rlin. Veröffentlicht am 16.10.2015. Abgerufen am 30.11.2015. Schreibweise im Original. 70 Vgl. hierzu Artikel "Akademikerball: 54 Festnahmen" auf der Internetpräsenz oe24.at. Veröffentlicht am 30.1.2015. Abgerufen am 7.12.2015. Linksextremismus 139 handelt sich dabei um eine Online-Plattform mit dem Ziel, "Erfahrungen auszutauschen, gemeinsam zu diskutieren und Projekte anzustoßen": "Der Kapitalismus ist seit jeher transnational, aber Politik und Widerstand sind meist im nationalstaatlichen Rahmen gefangen. Und von Staat und Nation halten wir bekanntlich nicht besonders viel. Wir wollen keinen sozialeren Nationalstaat, sondern gar keinen. Und wir wollen auch keine verbesserte EU, denn die ist eh ein neoliberales Projekt. (...) Wir streiten für die Alternative jenseits von Staat, Nation und Kapital." 71 Dass "Beyond Europe" neben einem Online-Austausch durchaus auch vor Ort ak- 4 tiv wird, belegen diverse, zum Teil gewalttätig verlaufene Aktivitäten in Deutschland und Europa wie der "Dezentrale europäische Aktionstag gegen Kapitalismus M31" am 31. März 2012 und zahlreiche Veranstaltungen in Griechenland in den letzten Jahren, bei denen u.a. deutsche Aktivisten festgenommen wurden. "Theorie Organisation Praxis TOP B3rlin" Gründung: 2006 Mitglieder: Berlin 50 - 60 TOP B3rlin ist eine aus der ehemaligen "Antifaschistischen Aktion Berlin" (AAB) durch Abspaltung hervorgegangene antideutsche Gruppierung, die sich zunächst "Kritik & Praxis" nannte und in der linksextremistischen Szene Berlins weitgehend isoliert war. Nach einer sukzessiven Öffnung und Abwendung von antideutschen Haltungen entwickelte sich die Gruppierung in den letzten Jahren zu einem ernstzunehmenden postautonomen Akteur. Personellen Zuwachs erhielt sie nicht zuletzt aus ehemaligen Gruppen der autonomen Szene. Sie ist in ihren Äußerungen und ihrem Auftreten gewaltbereiter einzuschätzen als die IL, mit der sie jedoch anlassbezogen kooperiert. Ideologisch ist sie dogmatischer und stärker im Marxismus verwurzelt als die IL. Sie ist ein tragender Akteur des bundesweiten postautonomen "...um's Ganze Kommunistisches Bündnis". TOP B3rlin verfügt über internationale Kontakte und beteiligt sich an Demonstrationen außerhalb Deutschlands. 71 Artikel "Beyond Europe - Antiauthoritarian Platform against Capitalism" auf der Internetpräsenz von "...um's Ganze!". Veröffentlicht am 10.12.2013. Abgerufen am 7.12.2015. 140 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Darüber hinaus beteiligte sich TOP B3rlin an zahlreichen, für die linksextremistische Szene Berlins bedeutenden Aktivitäten, insbesondere im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik. Außerdem unterstützte sie gemeinsam mit weiteren linksextremistischen Gruppierungen die Proteste gegen den so genannten "Marsch für das Leben" von Abtreibungsgegnern am 19. September. Die eingesetzte "Fingertaktik" beim Versuch, den Aufzug zu blockieren, weist auf den Einfluss der in dieser Hinsicht erfahrenen TOP B3rlin und IL Berlin hin. Unter dem Motto "Schule Nation Kapital Scheiße" und dem Slogan "Fack ju Schweinesystem" 72 versuchte TOP B3rlin zudem, Jugendliche für die eigenen politischen Ziele zu interessieren. Die wachsende Bedeutung der IL Berlin und von TOP B3rlin entspricht der im Rahmen des Strukturwandels der linksextremistischen Szene Berlins zu beobachtenden Verschiebung von autonomen Kleinund Kleinstgruppierungen hin zu größeren und breiter vernetzten Organisationsformen. Aber selbst innerhalb der traditionellen autonomen Szene ist eine Tendenz zu erkennen, sich in größerem Rahmen zu reorganisieren. Beispiele dafür sind die "radikale linke | berlin" als Sammelbecken von Protagonisten aus ehemals führenden autonomen Gruppierungen der Hauptstadt und die "Neue antikapitalistische Organisation" (NaO), in der die tonangebenden Köpfe der "Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin" (ARAB) den Schulterschluss mit trotzkistischen Akteuren suchten. Besonders bemerkenswert ist dabei das Bemühen, die üblichen szeneinternen Animositäten zu überwinden und sich auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Wie die Beispiele "radikale linke" und NaO zeigen, sind diese Experimente jedoch unterschiedlich erfolgreich. Es bleibt zudem abzuwarten, ob ein Minimalkonsens auf Dauer tragfähig ist. 4.3.3 radikale linke | berlin Die "radikale linke | berlin" wurde Ende 2014 unter Beteiligung ehemaliger Mitglieder der "Antifaschistischen Linken Berlin" (ALB), die im September 2014 ihre Auflösung bekannt gegeben hatte, sowie der "Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin" (ARAB) gegründet. Dabei handelte es sich um einen Versuch, Zer72 Artikel "Die SAZ #10 ist online" auf der Internetpräsenz von TOP B3rlin. Veröffentlicht am 2.1.2015. Abgerufen am 30.11.2015. Linksextremismus 141 splitterung und Vereinzelung zu überwinden und unabhängig von ideologischen Ausrichtungen ein Sammelbecken zu installieren mit dem Ziel, gemeinsam größere politische Wirksamkeit entfalten zu können. Die Gruppierung übernahm schnell eine dominierende Rolle im autonomen "Antifa"-Spektrum und hat damit eine Leerstelle besetzt. Die ehemals führenden "Antifa"-Gruppierungen befanden sich in einer Krise, die autonome "Antifa" insgesamt in weitgehender Orientierungslosigkeit. Ihren Führungsanspruch realisierte die Gruppe spätestens im Rahmen der Vorbereitungen zur "Revolutionären 1. Mai-De- 4 monstration". Sie hat mit dem Kampf gegen Gentrifizierung und für "autonome Freiräume" das Thema gesetzt und führte die Demon-stration im Frontblock an. Auf dem Weg von Kreuzberg nach Neukölln und wieder zurück folgten ihr bis zu 18 000 Menschen. Es blieb weitgehend friedlich. Als "Salz in der Suppe", das vor allem der militanten Szene wieder mehr Geschmack auf den 1. Mai machen sollte, wurde von der "radikalen linken" im Vorfeld offensiv angekündigt, aus dem Aufzug heraus eine Hausbesetzung durchführen zu wollen, um dort anschließend ein "Soziales Zentrum" zu etablieren. Es gelang ihr jedoch nicht, innerhalb der Demonstration genügend Unterstützer zu mobilisieren, um tatsächlich ein ehemaliges Kaufhaus an der Wegstrecke zu besetzen. Ein zweiter und ein dritter Versuch im September und November, bei denen leer stehende Gebäude kurzzeitig besetzt werden konnten, scheiterten ebenfalls - die Eigentümer bzw. Objektverantwortlichen ließen die Gebäude umgehend räumen. Unter zwei unterschiedlichen Labels - "Soziales Zentrum" und "Social Center 4 All" (SC4A) - wirbt die "radikale linke" auf ihrer Internetseite sowie in sozialen Medien seitdem dafür, leer stehende Gebäude zu besetzen und so einen "Raum des Widerstands" zur "Entwicklung politischer Projekte, gemeinsamer Debatten und zur Schaffung 142 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 sozialer Beziehungen" aufzubauen.73 Sie trat bei den Besetzungsversuchen vordergründig nur als Unterstützerin und nicht als Initiatorin auf, die Aktionen und deren politischer Hintergrund tragen jedoch die Handschrift der "radikalen linken". Möglicherweise will sie auf diese Weise die strafrechtliche Seite der Aktionen von Mitgliedern der Gruppe fernhalten und eine möglichst breite Unterstützung des politischen Anspruchs der Aktionen sicherstellen. Das Wiederaufgreifen des Themas Anti-Gentrifizierung Hausbesetzungen soll nach innen der Der Kampf gegen städtebauliche Bündelung von Ressourcen und AktiviUmstrukturierungen mit der Foltäten dienen. Nach außen ist eine Symge einer Aufwertung von Kiezen - bolwirkung beabsichtigt: Angesichts auch "Gentrifizierung" genannt - ist von zum Teil prekären Verhältnissen ebenso wie der Widerstand gegen auf dem Berliner Wohnungsmarkt soll vermeintliche Repression eng mit auf Leerstand aufmerksam gemacht der Genese der Autonomen als pound zur Nachahmung aufgefordert litischer Bestrebung verbunden. Im werden. Vor dem Hintergrund einer Gegensatz zu vielen Stadtteilund Zuspitzung der Flüchtlingskrise erMieterinitiativen geht es ihnen jeklärte die Gruppierung schließlich, im doch nicht allein um den Erhalt sozigeplanten "Sozialen Zentrum" auch alund wohnräumlich gewachsener Notunterkünfte für Flüchtlinge einStrukturen, sondern um die Etablierichten zu wollen. Neben humanitären rung so genannter "autonomer FreiGesichtspunkten dürfte auch hierbei räume", die dem Zugriff des Staates im Vordergrund stehen, tagesaktuelle entzogen und in denen rechtsstaatliEreignisse öffentlichkeitswirksam mit che Normen außer Kraft gesetzt wereigenen Politikvorstellungen ("Ansätden sollen. Als "Freiraum" deklarierte ze für Systemkritik") zu verknüpfen. Gebiete oder Gebäude werden gegen rechtmäßige Räumungen gewaltsam Ob es der "radikalen linken | berlin" "verteidigt" und noch nach erfolgten tatsächlich gelingen wird, das TheSanierungen immer wieder angema Hausbesetzungen als Aktionsform griffen. Nicht selten mündet dies in wiederzubeleben, bleibt abzuwarschweren Sachbeschädigungen und ten. In diversen Diskussionen anderer mehr oder weniger spontanen LandGruppierungen wurde es zumindest 73 Blogpost "Veranstaltung: Einen Raum des Widerstands aufbauen!" auf der Internetpräsenz der "radikalen linken | berlin". Veröffentlicht am 16.10.2015. Abgerufen am 18.11.2015 bzw. Blogpost "Solidarität mit den BesetzerInnen der Englischen Straße! Stellungnahme der radikalen linken | berlin" auf ihrer Internetpräsenz. Veröffentlicht am 10.9.2015. Abgerufen am 18.11.2015. Linksextremismus 143 als mögliche Handlungsoption aufgefriedensbrüchen. Auch Neumieter griffen. Ob die Gruppe auf Dauer ihund Eigentümer sowie ihre vermeintrem Anspruch gerecht werden kann, lichen "Erfüllungsgehilfen" in Seim linksextremistischen Spektrum natsverwaltungen, Polizei und Justiz Berlins eine führende Rolle einzunehsowie selbst Einrichtungen des Quarmen, hängt u.a. davon ab, ob es ihr tiersmanagements geraten in den gelingt, die unterschiedlichen ideoloFokus ihrer Aktionen. Dabei entstegischen Strömungen, aus denen ihre hende Drohkulissen sind gewollt und Mitglieder kommen, dauerhaft unter zielen auf Machtausübung in Teilen einem Dach zu vereinen. Die IL Berlin des öffentlichen Raums. 4 und TOP B3rlin scheinen in dieser Hinsicht schon weiter zu sein. "radikale linke | berlin" (rlb) Gründung: 2014 Mitglieder: Berlin 50 (2014: 20 - 30) Die "radikale linke | berlin" wurde Ende 2014 gegründet, nach eigenen Aussagen von "Menschen mit politischer Praxis aus verschiedenen Strömungen, von ML bis autonomer Kleingruppe, von Antifa bis Anarchismus". Es handelt sich somit um ein Sammelbecken, in dem sich u.a. Mitglieder der ehemaligen ALB, der erodierenden ARAB sowie anderer autonomer Gruppierungen neu organisieren mit dem Ziel, die Kleingruppenisolation zu überwinden und in größerem Verbund politisch handlungsfähiger zu werden. Bemerkenswert und ein Bruch mit traditionellen Gewohnheiten ist hierbei, dass ideologische und strategische Differenzen offensichtlich zurückgestellt werden, zugunsten einer Kooperation. Wenn die Gruppe in einer Erklärung ausdrücklich erklärt, Militanz sei nicht das einende Element der Mitglieder, ist damit keine ausdrückliche Abkehr von Gewalt als Mittel zur Erreichung politischer Ziele verbunden. Anders als die IL Berlin oder TOP B3rlin ist die "radikale linke | berlin" eine "klassische" autonome Gruppierung. 144 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 4.3.4 Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (ARAB) / Neue antikapitalistische Organisation (NaO) Nach der Auflösung der "Antifaschistischen Linken Berlin" (ALB) ging Ende 2014 mit der "Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin" (ARAB) eine weitere der bedeutendsten autonomen Gruppierungen Berlins neue Wege. Bei beiden Gruppierungen spielten die beschriebenen Widersprüchlichkeiten zwischen militantem Kleingruppenaktionismus und an breiter Anschlussfähigkeit orientierten Organisierungsstrategien, wie sie für einen großen Teil der Autonomen Berlins zuletzt kennzeichnend waren, eine Rolle. In den letzten Jahren beobachtete und beschrieb der Verfassungsschutz Berlin eine Polarisierung innerhalb der Szene, die auf der einen Seite in immer mehr und kleinere Cliquen zerfiel, die auf Militanz als Selbstzweck setzen, und auf der anderen Seite immer größer werdende und zunehmend überregional agierende Zusammenschlüsse entstehen ließ. Letztere scheinen sich als das "erfolgreichere" Modell durchzusetzen. Die ARAB gab schließlich auf ihrer Internetpräsenz und in sozialen Netzwerken bekannt, dass sie sich der "Neuen antikapitalistischen Organisation" (NaO) anschließt.74 Diese Neuausrichtung wurde als Weiterentwicklung verbrämt.75 Die Hoffnung, durch Zusammenschluss eine größere Wirksamkeit entfalten zu können, erfüllte sich jedoch nicht. Die Entwicklung im Verlauf des Jahres hat gezeigt, dass die ARAB auch als Bestandteil der NaO nur noch eine marginale Rolle in der linksextremistischen Szene Berlins spielt (die sich zudem primär aus ihrer Vergangenheit als eine der bedeutendsten autonomen Gruppierungen Berlins speist) und mit dem Beitritt zur NaO letztlich ihre Auflösung - die allerdings formal noch aussteht - eingeleitet hat. Führende Akteure sind als Einzelpersonen jedoch - zum Teil auch unter dem Label ARAB - nach wie vor in der Szene aktiv. 74 Zu einer in verschiedenen Stellungnahmen kolportierten "Auflösung" der ARAB in die NaO stellt die Gruppe klar: "Wir lösen uns nicht auf, wir werden Teil der Neuen antikapitalistischen Organisation (NaO)". Artikel "Das linke Zirkelwesen überwinden" auf der Internetpräsenz taz. Veröffentlicht am 16.10.2014. Abgerufen am 5.1.2015. Vgl. hierzu auch Artikel "Manifest für eine Neue antikapitalistische Organisation" auf der Internetpräsenz der NaO. Veröffentlicht am 15.12.2013. Abgerufen am 24.11.2015. 75 "Von Anfang an hat die ARAB die Position vertreten, dass man wieder stärker klassenpolitische und antagonistische Politik machen soll und (...) dass man stärker internationalistische Themen aufgreifen soll, dass man stärker bei sozialen Kämpfen intervenieren soll. Und das sind schon Sachen, die uns - bei allen Gemeinsamkeiten - ein bisschen von der autonomen Antifabewegung (...) getrennt haben. (...) Es war (...) immer Perspektive der ARAB, dass wir Teil eines Vereinigungsprozesses der Linken sein wollen." Artikel bzw. Interview "ARAB wird zur NaO: "Eine Frage der Praxis" auf der Internetpräsenz der ARAB. Veröffentlicht am 14.10.2014. Abgerufen am 5.1.2015. Linksextremismus 145 Ursächlich hierfür dürfte sein, dass die nachhaltige Erosion der ARAB zum einen hausgemacht ist, zum anderen mit den verschiedenen beschriebenen allgemeinen Entwicklungen der autonomen Szene Berlins zusammen hängt. Interne Streitigkeiten und eine teils eher unpolitische Gewaltorientierung hatten dazu geführt, dass die ARAB in den letzten Jahren an Größe, Ansehen und Einfluss in der Szene verlor. Einer der Hauptgründe für die Zwistigkeiten war hierbei, dass sich die Gruppe in der nach außen getragenen Ideologie ihrer führenden Köpfe anti-imperialistisch gab, ein großer Teil der Mitglieder in Selbstverständnis und Auftreten aber eher in der "Antifa"-Szene zu verorten war. Gerade auf deren Seite war vor dem Beitritt zur NaO ein erheblicher Mitgliederschwund zu verzeichnen, sodass 4 von ehemals 30 bis 40 Mitgliedern Mitte 2014 noch ein Dutzend übrig blieben. Der Anschluss an die NaO zementierte diese Spaltung. Als Kleingruppe hätte die ARAB zusätzlich Einfluss in der Szene verloren. Dieser Entwicklung versuchte sie durch den Beitritt zur NaO zuvorzukommen. Dieses "Experiment" muss als gescheitert betrachtet werden. Die Internetseite der Gruppierung wurde im Laufe des Jahres nur unregelmäßig gepflegt, in sozialen Netzwerken finden sich jedoch nach wie vor aktuelle Beiträge - darunter Kommentare wie "... zum Glück müssen wir uns als Kommunist_innen nicht mit so nem Scheiss wie "Meinungsfreiheit" einlassen."76 "Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin" (ARAB) Gründung: 2007 Mitglieder: Berlin Einzelpersonen (2014: 20) Die ARAB war lange eine der aktivsten und einflussreichsten autonomen Gruppierungen Berlins und ist noch immer wahrnehmbar. 2007 gegründet, vernetzte sie sich in kurzer Zeit breit innerhalb der linksextremistischen Szene der Stadt. Sie beteiligte sich an vielen relevanten Szeneereignissen und organisierte diese oft selbst federführend, wie die Demonstration zum "Revolutionären 1. Mai". Darüber hinaus war sie in überregionalen Bündnissen aktiv 76 Post von ARAB in einem sozialen Netzwerk am 27.11.2015 um 16.12 Uhr. Schreibweise im Original. 146 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 und engagierte sich in internationalen Zusammenhängen, vor allem zu Griechenland und in der Kurdenfrage. Eher untypisch für Autonome bekennt sich die ARAB zum Kommunismus als politischem Ziel. In einem Grundsatzpapier propagiert sie einen militanten Anti-Faschismus, der auch gewalttätige Aktionen gegen Institutionen aus Staat und Wirtschaft rechtfertige. Nicht zuletzt die ungesteuerte Gewaltbereitschaft einiger ihrer Mitglieder hat ihr Ansehen in der Szene beschädigt und zu Personalverlusten geführt. Ende 2014 schloss sie sich - auch, um einer drohenden Auflösung vorzubeugen - der "Neuen antikapitalistischen Aktion" (NaO) an. Auch die NaO, deren erklärtes Ziel es war, "eine neue gesellschaftlich relevante Organisation links von der Linkspartei aufzubauen", konnte im zurückliegenden Jahr keine effektiven Akzente setzen. "Der Hauptfeind steht im eigenen Land! Um diesen konsequent zu bekämpfen (...) brauchen wir eine starke, vereinigte, antikapitalistisch-revolutionäre Alternative. (...) Wir glauben und hoffen - in programmatischen Diskussionen sowie durch revolutionäre interventionistische Politik (...) beim Aufbau einer breiten revolutionären/antikapitalistischen Organisation - auch international - erfolgreich sein zu können. Denn bei diesem Kampf sehen wir uns auch als einen Bestandteil des Neuformierungsund Umgruppierungsprozesses innerhalb der internationalen radikalen Linken." 77 Trotz zahlreicher Veranstaltungen gelang es der NaO bislang nicht, in der linksextremistischen Szene Berlins tatsächlich Fuß zu fassen. Dies mag zum einen daran liegen, dass sie sich vorwiegend aus ehemaligen trotzkistischen Kleingruppen konstituiert, die traditionell eher zu weiterer Zersplitterung statt zu dauerhafter und konstruktiver Kooperation neigen. Darüber hinaus dürfte es ihr durch die beschriebene Schwächung der ARAB an in der Szene anerkannten Protagonisten fehlen. Zum anderen dürfte eine Rolle spielen, dass die NaO auch thematisch keine Sogwirkung entfalten konnte. Sie engagierte sich im zurückliegenden Jahr weiterhin für die autonomen Kurdengebiete im Norden Iraks und im syrischen Grenzgebiet zur Türkei sowie in zahlreichen, auch für andere linksextremistische Gruppierungen relevanten Themenbereichen, konnte jedoch hierbei keine Meinungsführerschaft erzielen. 77 Artikel "Wer ist die Neue antikapitalistische Organisation?" auf der Internetpräsenz der NaO. Ohne Datum. Abgerufen am 24.11.2015. Linksextremismus 147 "Neue antikapitalistische Organisation" (NaO) Gründung: 2014 Mitglieder: Berlin 25 - 35 (2014: 30 - 40) Die "Neue antikapitalistische Organisation" (NaO) stellt sich bislang als ein Zusammenschluss vorwiegend trotzkistischer Splittergruppierungen mit Schwerpunkt in Berlin dar. Diesem ging ein 2011 begonnener, zäher Diskussionsprozess voraus, als dessen Ziel ausgegeben wurde, die Differenzen zwischen verschiedenen antikapitalistischen Strömungen zu überwinden. Die Berliner 4 Ortsgruppe wurde formal am 15. Februar 2014 gegründet. Eine ideologische Klammer zwischen eher anti-imperialistisch ausgerichteten Teilen der ARAB und der trotzkistischen NaO liegt im Internationalismus, zurzeit sichtbar am Engagement für die von der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) bedrohten kurdischen Siedlungsgebiete in Syrien. Hier hat man u.a. gemeinsam eine Spendenaktion für Waffenkäufe organisiert. Die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele wird von der NaO ausdrücklich nicht abgelehnt. 4.3.5 North East Antifascists (NEA) Im Rahmen des Strukturwandels der linksextremistischen Szene Berlins stellen die "North East Antifascists" (NEA) weiterhin eine Konstante dar. Die NEA sind neben der "radikalen linken" nach wie vor die bedeutendste autonome "Antifa"-Gruppierung der Hauptstadt. Sie agieren ihrem Namen entsprechend vorwiegend im Nordosten der Stadt in den Ortsteilen Wedding, Prenzlauer Berg und Weißensee und damit einem der regionalen Schwerpunkte linksextremistischer Aktivitäten in Berlin. Die regionale Verankerung ist bewusst gewählt: "Ein Grund, warum wir den Rückzug großer Teile der ehemals antifaschistischen Szene in überregionale Großstrukturen a la IL äußerst skeptisch betrachten, ist, dass dieser nicht nur so wirkt wie der Versuch, die eigene strukturelle Schwäche durch personelle Größe und einen noch weitergehenden Rückzug in die eigene Parallelwelt zu kaschie- 148 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 ren. (...) Organisationen ohne lokale materielle Verankerung (...) bleiben ein Papiertiger. Wo sie angesichts drängender Herausforderungen schweigen, spielen sie sich mit dem Management von Großevents die Illusion eigener Stärke vor." 78 Die NEA agiert nicht ausschließlich unter eigenem Namen, sondern beeinflusst zudem diverse "Satelliten"-Gruppierungen, die zum Teil aus ihr hervorgegangen sind und weiter eng mit ihr kooperieren. Diese decken auch Themen wie AntiGentrifizierung ab. Ihrem Selbstverständnis gemäß beteiligten sich die NEA an nahezu sämtlichen bedeutenden Aktivitäten der autonomen "Antifa", darunter der "Antikapitalistischen Walpurgisnacht" am Vorabend des 1. Mai in Wedding und der "SilvioMeier-Gedenkdemonstration". Sie zeichnen zudem verantwortlich für zahlreiche antifaschistische Demonstrationen in den Bezirken Marzahn-Hellersdorf und Pankow-Buch. "... ohne eine fundierte antikapitalistische Gesellschaftskritik, ohne die Nennung, Beurteilung und Bekämpfung derjenigen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen, sowie deren Akteure und Profiteure, in denen sich neonazistische, (kultur-)rassistische, sexistische und andere Ideologien und Inhalte, die auf Ausschluss und soziale Hierarchisierung aufbauen, verbreiten und gedeihen können, verkommt Antifaschismus zur bloßen "Feuerwehrpolitik" ohne gesellschaftlichen Mehrwert. (...) Organisierter emanzipatorischer Antifaschismus kann (...) niemals staatsaffirmativ sein" 79 Als Mitorganisator hat die NEA daran mitgewirkt, die diesjährige "Silvio-MeierGedenkdemonstration" aus dem Szenekiez Friedrichshain heraus in den Randbezirk Marzahn zu verlegen, um gegen die aus Sicht der linksextremistischen Szene flüchtlingsfeindliche Stimmung dort ein Zeichen zu setzen, nach dem Motto: "Dahin gehen, wo es brennt." Letztlich folgten am 21. November aber nur 1 300 Aktivisten (2014: 1 600, 2013: 3 500) dem Aufruf und die Bevölkerung vor Ort nahm den friedlichen Aufzug kaum zur Kenntnis. 78 Artikel "Antifa-Debatte: Nicht jammern, Antifa aufbauen!" auf der Internetpräsenz der NEA. Veröffentlicht am 6.2.2015. Abgerufen am 3.12.2015. Schreibweise im Original. 79 Ebenda. Schreibweise im Original. Linksextremismus 149 Für die sinkende Teilnahme an der Anti-Faschismus Demonstration wurde selbstkritisch In der Bekämpfung des Rechtsexverantwortlich gemacht, dass im Zutremismus existiert ein breiter gesammenhang mit der Flüchtlingskrise sellschaftlicher Konsens, den autostark gewachsenes zivilgesellschaftlinome "Antifa"-Gruppierungen zu ches Engagement der klassischen "Anteils überregionalen Bündnissen mit tifa" das "Heft des Handelns" aus der zivilgesellschaftlichen OrganisatioHand genommen habe. Tatsächlich nen, Parteien und Gewerkschaften scheint die autonome "Antifa" sich in nutzen, um aus ihrer gesellschafteiner Identitätskrise zu befinden, aus lichen Isolation herauszutreten. Sie 4 der sie bislang keinen Ausweg gefunvereinbaren einen "Aktionskonsens" den hat. Ritualisierte Appelle, dass die und organisieren gemeinsame Bloaktuelle politische Situation eine starckaden gegen rechte Aufmärsche. ke "Antifa" erfordere, können nicht Dadurch gerät oftmals in den Hindarüber hinwegtäuschen, dass vertergrund, dass diese Gruppen ebenso meintlicher Handlungsdruck auf der wie Rechtsextremisten die freiheiteinen und Ratlosigkeit auf der anderen liche demokratische Grundordnung Seite zu einer ausgeprägten Lähmung ablehnen. Ihre Bündnispartner nutführen. Auch diverse Vollversammlunzen sie als Deckung für militante Akgen der autonomen "Antifa" konnten tionen - auch gegen die Polizei. Der bislang keinen effektiven Ausweg aus Staat und seine Sicherheitsbehörden dieser Situation aufzeigen. werden pauschal verunglimpft. ExpliAuch wenn die NEA eine der aktivsten zit wird - entgegen dem staatlichen linksextremistischen Gruppierungen Gewaltmonopol - die Notwendigkeit der Stadt ist, gelang es ihr ebenfalls einer "antifaschistischen Selbsthilnicht, nachhaltige Akzente zu setzen fe" betont. Dabei begehen "Antifas" oder gar der nach wie vor um RestrukSachbeschädigungen an rechten Läturierung und Perspektiven bemühten den und Lokalen, stören Veranstalautonomen Szene Berlins wesentliche tungen, spähen Daten vermeintlicher Impulse zu geben. oder tatsächlicher Neonazis aus und veröffentlichen diese - im Szenejargon als "Outings" bezeichnet - mit dem Ziel der Einschüchterung bis hin zu gewalttätigen Angriffen. 150 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 "North East Antifascists" (NEA) Gründung: 2007 Mitglieder: Berlin 20 (2014: 25) Die NEA sind eine autonome "Antifa"-Gruppierung, die neben der "radikalen linken | berlin" eine führende Rolle in der linksextremistischen Szene Berlins einnimmt. 2007 gegründet, zeichnet sie, dem Namen gemäß, für antifaschistische Aktionen im Nordosten der Stadt verantwortlich, beteiligt sich aber auch an berlinweiten und überregionalen Aktivitäten und kooperiert anlassbezogen mit anderen autonomen Gruppen. In den letzten Jahren war sie eine der federführenden Organisator(inn)en der "Antikapitalistischen Walpurgisnacht". In einer Selbstdarstellung bezeichnen die NEA ihr ideologisches Fundament als "libertär" und verorten sich zwischen Anarchismus und Kommunismus. Sie stehen nicht nur für einen militanten Anti-Faschismus, sondern fordern, "die Kämpfe gegen Nazis, Bullen und Kapitalismus [zu] vereinen!". Breiteren Anschluss suchen sie vor allem mit den Themen Gentrifizierung und Flüchtlingsunterstützung. Die NEA treten nach außen vergleichsweise gemäßigt auf und verzichten darauf, ihre Gewaltbereitschaft allzu plakativ zur Schau zu stellen. 4.3.6 Rigaer 94 Neben autonomen "Antifa"-Gruppierungen und Postautonomen sind die so genannten "Anarchos" ein weiterer prägender Teil der linksextremistischen Szene Berlins. "Anarchos" haben ihre Wurzeln in der Hausbesetzerszene der 1980er Jahre. Sie bilden die älteste und ursprünglichste Erscheinungsform der Autonomen in Berlin. Im Wesentlichen ging es ihnen zunächst um den Kampf gegen Wohnraumspekulation. Teile dieser Szene standen jedoch schon in den Anfängen für das Ziel, von ihnen so genannte "autonome Freiräume" und damit anti-autoritäre Gegenentwürfe zu den vorherrschenden Lebensverhältnissen durchzusetzen. Mit dieser so genannten Freiraumstrategie sollen Ansätze für eine herrschaftsfreie Gesellschaft realisiert werden. Die Grenzen zu traditionellen Anarchisten sind fließend, diese orientieren sich jedoch an Theoretikern, weisen festgefügtere Organisationsstrukturen auf und sind in der Regel weniger gewaltgeneigt. "Anarchos" bleiben dagegen ideologisch weit- Linksextremismus 151 gehend an der Oberfläche und bedienen sich in der Regel lediglich theoretischer Fragmente. Im Vordergrund steht ihr militanter Habitus. In der autonomen Szene tragen sie seit Jahren zu einer weiteren Erosion der ohnehin schon schwachen Strukturen bei. Ihrer politischen Haltung gemäß verweigern sie sich nicht nur der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch jeglichen Strukturen, Kooperationen und Organisierungsbemühungen der linksextremistischen Szene. Gleichzeitig stehen sie für Klein(st)gruppenaktionen und die Erkämpfung und Verteidigung so genannter "Freiräume". Rechtsstaatlichen Normen wird in diesen "Freiräumen" - aus autonomer Sicht - die Gültigkeit abgesprochen. Die offensive Konfrontation mit dem als repressiv 4 empfundenen Staat war deshalb von Anfang an konstituierendes Element dieser Bewegung. In Berlin wird die räumliche Umgebung Anti-Repression diverser Szeneobjekte im Bezirk FriedDer Kampf gegen vermeintliche richshain-Kreuzberg von "Anarchos" staatliche Kontrolle und Repressials ein solcher Freiraum angesehen, on ist konstitutiv für das Selbstverden es gegen "Eindringlinge" zu verteiständnis von Autonomen und zudigen gelte. Dazu gehören insbesondegleich Ausdruck ihrer ideologischen re das Umfeld um ein Wohnprojekt in Verwurzelung im Anarchismus. Die der Rigaer Straße 94 sowie eine nahedamit verbundene Ablehnung des gelegene Kreuzung, im Szenejargon staatlichen Gewaltmonopols ist das "Dorfplatz" genannt. Hier kommt es zentrale verbindende Element inimmer wieder zu - zum Teil außerornerhalb der in Kleingruppen zersplitdentlich gewalttätigen - Angriffen von terten Szene. Repression bezeichnet Bewohnern und Besuchern der umliein ihrem Verständnis alle Institutiogenden Szeneobjekte auf Anwohner, nen, die der Aufrechterhaltung von Touristen, Gewerbetreibende, Immoinnerer Sicherheit und öffentlicher bilieninvestoren und Polizisten. Sie Ordnung dienen, neben der Polizei manifestieren sich u.a. in Sachbeschäinsbesondere Gerichte, Gefängnisse digungen an Neubauprojekten, Brandund Ämter. Staatliche Repräsentanlegungen, Angriffen auf Polizeifahrten aus Polizei und Justiz nehmen zeuge und -beamte - insbesondere sie als Vertreter eines "Repressionsund wiederholt durch massive Steinapparats" wahr, der nur dazu diene, würfe u.a. von Dächern - sowie zuletzt das "herrschende System" in seinem einigen Links-Rechts-AuseinandersetBestehen zu sichern. Um die angeb- 152 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 zungen.80 Dabei werden schwerwielich strukturelle Gewalt des Staates gende Personenschäden in Kauf gezu entlarven, wird bei Demonstrationommen oder sogar provoziert. Einige nen die Konfrontation mit der Polizei vermeintliche Rechtsextremisten, die gesucht. Mit Plakaten wie "Hass auf sich in der Rigaer Straße aufhielten, Schweine" und Parolen wie "Ganz wurden u.a. mit Reizgas und einem Berlin hasst die Polizei!" sollen andeKettenschloss attackiert. re Teilnehmer aufgewiegelt und zu Straftaten angestiftet werden. Am 21. März wurden während eines möglicherweise willkürlich herbeigeführten Stromausfalls Gegenstände auf der Fahrbahn der Rigaer Straße/Ecke Liebigstraße entzündet, Einsatzkräfte massiv mit Steinen beworfen (ein Stein durchschlug die Frontscheibe eines besetzten Einsatzfahrzeugs) sowie ein Supermarkt beschädigt und teilweise geplündert. Auf diese Aktion bezieht sich zudem deutlich später eine "Anzeige" in einer offensichtlich von Bewohnern der Rigaer Straße herausgegebenen Szenepublikation und fordert indirekt zu weiteren Plünderungen auf. In der "Langen Woche der Rigaer Straße" im Juli kam es zu Sachbeschädigungen an dem Gebäude einer Immobilienfirma, an Straßenlaternen, zu Inbrandsetzungen an einem Rohbau sowie von auf die Fahrbahn verbrachten Gegenständen wie Müllcontainern. Darüber hinaus wurden wiederholt Einsatzfahrzeuge der Polizei beschädigt und Einsatzkräfte mit Steinen, Flaschen sowie Pyrotechnik beworfen.81 Im weiteren Verlauf des Jahres setzten sich die Auseinandersetzungen fort. So wurde ein Fahrzeug eines Carsharing-Unternehmens in Brand gesetzt und Polizeibeamte während der Löscharbeiten mit Steinen beworfen, wiederholt Notrufe fingiert und ankommende Polizeifahrzeuge mit Steinen attackiert. Diese Taten wurden nicht etwa im Affekt begangen, sondern bedurften strategischer Planungen und zum Teil umfangreicher Vorbereitungen. Im Oktober warfen Unbekannte von den Dächern zweier Häuser in der Rigaer Straße Pyrotechnik und Pflastersteine auf Einsatzkräfte. Ein Polizeifahrzeug sowie 80 Vgl. S. 95f. 81 Vgl. Szenepublikation "ZAD DORFPLATZ". Berlin 2015. S. 27. Linksextremismus 153 zwei geparkte PKW wurden zudem durch Teile von herab geworfenen Gehwegplatten beschädigt. In diesem sowie dem geschilderten Fall aus dem März wurde wegen versuchter Tötungsdelikte ermittelt. Das militante Agieren dient der Abschreckung, Einschüchterung und letztlich der Machtausübung im öffentlichen Raum. Es handelt sich faktisch um einen andauernden, systematischen und gewalttätigen Versuch von Einschüchterung und der Oktroyierung eigener Politikvorstellungen unter offensiver Missachtung rechtsstaatlicher Normen und Gesetze. Insofern geht von den so genannten "Anarchos" rund um die Rigaer Straße 94 und 4 deren Sympathisanten das größte Gewaltpotenzial der linksextremistischen Szene Berlins aus. Da sie gemäß ihrer ideologischen Ausrichtung politische Theoriegebäude weitgehend ablehnen, ist Militanz das aus ihrer Sicht einzige probate Mittel zur Durchsetzung ihres wichtigsten politischen Ziels Herrschaftsfreiheit. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die "Rigaer 94" auch weiterhin Ausgangspunkt zahlreicher gewaltorientierter Aktionen und Anschläge bleibt. Rigaer 94 Gründung: 1990 Mitglieder: Berlin 30 - 40 (2014: 30 - 40) Bei der "Rigaer 94" handelt es sich um einen Personenzusammenschluss, der sich aus Teilen der Bewohner und Besucher eines Wohnprojekts sowie der darin befindlichen Veranstaltungsstätte "Kadterschmiede" in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain zusammensetzt. Dieser ist zum harten Kern der autonomen "Anarcho"-Szene zu rechnen. Haus und Veranstaltungsräume gehören nach eigenen Angaben "zu den letzten offen (teil) besetzten Räumen Berlins" und haben für die Szene eine hohe symbolische wie auch praktische Bedeutung. Sie sind Ausgangspunkt und Rückzugsort von bzw. nach militanten Aktionen zur Erkämpfung "autonomer Freiräume". In Selbstdarstellungen bekennen sich die Protagonisten zum Anarchismus sowie zum Hass auf "Bullen, Staat und Repression". 154 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 4.4 Fazit und Ausblick Das Bemühen um Konsolidierung nach einer umfassenden Strukturkrise war auch 2015 prägend für die linksextremistische Szene Berlins. Dabei steht im Vordergrund eine Umorientierung von dem Agieren in Kleinund Kleinstgruppen hin zu größeren Zusammenschlüssen mit dem Ziel einer Erhöhung der "Schlagkraft". Die autonome Szene hat jedoch bislang kein wirksames Mittel aus der Krise gefunden. Weder von "Autonomen Vollversammlungen" noch von Vollversammlungen der autonomen "Antifa" gingen bislang effektive Impulse aus. Das verbale Beschwören, man müsse aus der Isolation vereinzelt agierender Kleingruppen herausund zu neuen Kooperationsformen finden, konnte auch vor dem Hintergrund einer sich zuspitzenden Flüchtlingssituation und Protesten dagegen - einem klassischen Betätigungsfeld für autonomen Anti-Faschismus und Anti-Rassismus - nicht in Handlungsstrategien umgesetzt werden. Das - bislang vergebliche - Bemühen der "radikalen linken | berlin" als führender autonomer Gruppierung um die Etablierung eines "Sozialen Zentrums", das in zahlreichen Veröffentlichungen als Perspektive beschworen wurde, steht hierfür beispielhaft. Weder gelang es der Gruppierung selbst, eine nachhaltige Besetzung durchzuführen, noch fanden sich Nachahmer. Profitieren von der Strukturkrise konnten postautonome Gruppierungen, die seit Jahren kontinuierliche Mitgliederzuwächse verzeichnen und sich zudem sukzessive dichter vernetzen. In diesem Spektrum gibt es zudem einen deutlichen Trend hin zu einer Internationalisierung. Insbesondere die IL orientiert sich stark über deutsche Grenzen hinaus mit dem Ziel, durch eine verfestigte internationale Vernetzung nicht nur den Wirkradius auszudehnen, sondern auch die eigene Schlagkraft vor Ort zu erhöhen. Dass es dabei nicht nur um ideologisch-strategische Ziele geht, zeigt aus hiesiger Sicht nicht zuletzt die Beteiligung europäischer Linksextremisten an den Ausschreitungen am 18. März in Frankfurt am Main. Zuletzt wurde berichtet, dass europäische Aktivisten stark auf eine Neuausrichtung des 1. Mai 2016 in Berlin drängen, eine Idee, die jedoch nach langen internen Diskussionen offensichtlich verworfen wurde. Gleichwohl ist damit zu rechnen, dass Proteste gegen das so genannte "europäische Krisenregime" nach Berlin und damit in das politische Zentrum Deutschlands verlagert werden könnten. Linksextremismus 155 Das Thema Flüchtlinge und Asylrecht sowie die konkrete Situation vor Ort (und die sich daraus aus linksextremistischer Sicht ergebenden Ansätze für eine "Systemkritik") bleibt weiterhin von höchster Relevanz für die linksextremistische Szene Berlins. Nicht nachhaltig aus Sicht der linksextremistischen Szene waren in diesem Zusammenhang jedoch bislang Vollversammlungen der autonomen "Antifa", Neugründungen lokaler "Antifa"-Gruppierungen sowie die Ausweitung von Aktivitäten über vertraute Kieze hinaus mit dem Ziel einer Wiederbelebung der so genannten autonomen "Antifa". Proteste gegen die NPD und Bärgida ("Berliner Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes") sowie gegen die "Alternative 4 für Deutschland" (AfD) als Symbole für einen "Rassismus der Mitte" entfalteten bislang nicht die Strahlkraft, die aus Sicht der Szene situationsangemessen wäre. Die im Hinblick auf Frequenz und Schwere zunehmenden Anschläge gegen vermeintliche Rechtsextremisten sowie Mitglieder und Funktionäre der AfD können insofern auch als Zeichen von Ohnmacht gewertet werden. Weitere Aktionen dieser Art, darunter auch physische Angriffe auf Personen sind nicht ausgeschlossen. Dies gilt ebenfalls für die Situation in der Rigaer Straße, die ein hohes Eskalationspotenzial birgt. Militante "Anarchos" führen hier einen symbolischen Kampf für eine andere, herrschaftsfreie Gesellschaft und nutzen jede Gelegenheit, Ordnungskräfte oder vermeintliche Rechtsextremisten, aber auch Immobiliengesellschaften und Bewohner, die nicht mit ihnen sympathisieren, zu attackieren. Dabei verteidigen sie sich keineswegs nur, wie vorgegeben, gegen vermeintliche Eindringlinge, sondern führen immer wieder auch gezielt Situationen herbei, in denen sie zum Teil äußerst gewalttätige Angriffe durchführen. Hierbei ist es nur durch Glück bislang nicht zu schweren Verletzungen bzw. Todesfällen gekommen. Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die linksextremistische Szene Berlins weiterhin gekennzeichnet ist durch eine große Spannbreite von postautonomen Großorganisationen mit dem Anspruch, gesellschaftlich anschlussfähig zu sein bzw. zu werden auf der einen Seite und militanten Klein(st)gruppen auf der anderen Seite, die nach wie vor nach der traditionellen autonomen "Politik der ersten Person" verfahren und sich in "Straßenkämpfen" mit dem politischen Gegner aufreiben. Erstere gewinnen sukzessive die Oberhand, letztere sterben aber nicht aus. Bei geeigneten Anlässen werden sie auch weiterhin gemeinsam agieren. 156 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 5 Scientology Organisation "Scientology Organisation" Mitglieder: Berlin 130 (2014: 130) Die "Scientology Organisation" (SO) wurde 1954 in den USA gegründet. Der deutsche Ableger entstand 1971. Sie geht auf den amerikanischen ScienceFiction-Autor L. Ron Hubbard zurück, welcher behauptete, die Welt von Armut, Krieg, Verbrechen, Krankheit und anderen Übeln befreien zu können. Seitdem verbreitet die SO ihre Ideologie weltweit im Rahmen von Publikationen, Kurssystemen, Veranstaltungen und im Internet mit dem Ziel, eine ausschließlich nach scientologischen Richtlinien funktionierende Welt zu schaffen. Durch die Anwendung scientologischer Ideologie und Techniken soll ein perfekt funktionierender Mensch, der sogenannte "Clear", beziehungsweise der höher trainierte "operierende Thetan" erzeugt werden. Nur diesen Menschen sollen Bürgerrechte zugestanden werden, um mit ihnen eine scientologische Gesellschaftsordnung zu errichten. Außerhalb dieser Gesellschaft stehenden oder der SO gegenüber kritisch eingestellten Personen wird jeglicher Wert abgesprochen. Gegner und Kritiker werden von Scientology verfolgt und nach deren Aussagen auch bedroht. Der Einstieg in die Organisation erfolgt in der Regel durch einen kostenfreien "Persönlichkeitsoder Stresstest", der als vermeintlich individuelle Lebenshilfe angeboten wird. Seine Auswertung durch einen speziell geschulten Scientologen wird immer Defizite aufzeigen, welche durch - dann kostenpflichtige - Seminare korrigiert werden sollen. Scientology manipuliert ihre Anhänger, unterwirft sie einer ständigen Kontrolle und beutet sie finanziell aus. Scientology Organisation 157 Nachdem die Strategie einer repräsentativen Öffnung durch PR-Aktionen wie "Tage der offenen Tür" im Jahr 2013 scheiterte, verliefen die Bemühungen der "Scientology Organisation" um öffentliche Wahrnehmung auch in den vergangenen Jahren erfolglos. Neben einzelnen Infoständen in der Berliner Innenstadt versuchte Scientology 2015 erneut, mit Tarnorganisationen Interessenten an sich heranzuführen. Diese Strategie der SO, ihre Urheberschaft für Kampagnen zu verschleiern, ist nicht neu. Dazu gehörten auch die Aktivitäten des Vereins "Sag nein zu Drogen, sag ja zum Leben". Überwiegend wurde das Informationsmaterial des Vereins bundesweit bei einer Bustour durch Deutschland und verstärkt in der Nähe von Schulen verteilt. Die Adressaten der Broschüren und des Infomaterials von Scientology werden offensiv aufgefordert, mit der Dachorganisation von "Sag nein zu Drogen" Kontakt aufzunehmen, vordergründig um Meinungen zu der Kampagne zu sammeln. Auch in mindestens einer Berliner Schule wurde eine Aktion von 5 "Sag nein zu Drogen" durchgeführt, ohne dass sich Scientology als Organisator zu erkennen gab. Abgesehen von diesem Vorfall war die öffentliche Resonanz auf die Aktivitäten der SO, trotz anderslautender Darstellung seitens Scientology, gering. Die Mitgliederzahlen der SO stagnieren in Berlin weiterhin auf niedrigem Niveau. 158 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 6 Spionageabwehr Die Bundesrepublik Deutschland ist wegen ihrer geopolitischen Lage in Europa, ihrer Rolle in der Europäischen Union (EU) und der Organisation des Nordatlantikvertrags (NATO) sowie als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie für andere Nachrichtendienste, d.h. für alle nicht-deutschen Nachrichtendienste, attraktiv. Diese Dienste sind in unterschiedlicher Personalstärke an den jeweiligen amtlichen oder halbamtlichen Vertretungen in Deutschland präsent und unterhalten dort Legalresidenturen. Darunter sind Stützpunkte eines anderen Nachrichtendienstes zu verstehen, die in einer Botschaft, einem Konsulat oder einer Presseagentur eingerichtet sind. Die dort als Diplomaten oder Journalisten getarnt arbeitenden Mitarbeiter betreiben, offen oder verdeckt, operative Informationsbeschaffung oder unterstützen nachrichtendienstliche Aktivitäten, die von den jeweiligen Zentralen in ihren Herkunftsländern geführt werden. Werden solchen Personen statuswidrige Aktivitäten nachgewiesen, kann dies zur ihrer Ausweisung aus Deutschland führen. Neben dem Agieren aus den Legalresidenturen heraus sind unabhängig davon operative Aktivitäten festzustellen, die gänzlich ohne diplomatische Immunität ausgeführt werden. In Berlin als Hauptstadt und Regierungssitz ist die Anzahl diplomatischer Vertretungen und folglich die Präsenz anderer Nachrichtendienste hoch. Die jeweiligen operativen Schwerpunkte orientieren sich in der Regel an aktuellen politischen Vorgaben, wissenschaftlichen und technologischen Prioritäten sowie militärtaktischen und -strategischen Interessen. Angesichts dieser Aufgabenkataloge reichen die Ziele der anderen Nachrichtendienste von der offenen und konspirativen Beschaffung von Informationen aus relevanten Objekten bis hin zur Infiltration in Deutschland ansässiger Organisationen, aber auch von Bürgern, die in Opposition zu ihren Regierungen im Heimatland stehen. Einige Länder sind darüber hinaus bemüht, in den Besitz atomarer, biologischer oder chemischer Waffen zu gelangen sowie die zu deren Herstellung erforderlichen Güter und Know-how zu erlangen. Dies ist meist mit dem Versuch verbunden, durch Lieferungen an Drittländer und die Beschaffung von doppelt verwendungsfähigen Gütern ("dual use"-Güter) Kontrollmaßnahmen zu umgehen. Spionageabwehr 159 Einen besonderen Stellenwert nehmen für andere Nachrichtendienste Ziele im Bereich von Wissenschaft, Technik und Forschung ein. Von operativem Interesse sind auch Produktideen, komplexe Fertigungstechniken und Unternehmensund Marktstrategien. In diesem Zusammenhang sind internetgebundene Angriffe auf Computersysteme von Wirtschaftsunternehmen und Regierungsstellen bedeutend. Angesichts des zunehmenden Stellenwertes der Aktivitäten anderer Nachrichtendienste wird die Berliner Spionageabwehr personell weiter gestärkt. Der Berliner Verfassungsschutz kooperiert in allen Belangen der Spionageabwehr eng mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das bei der Aufklärung aller nachrichtendienstlichen Aktivitäten federführend ist. Hinweistelefon Die Spionageabwehr ist bei ihrer Arbeit auch auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen. Diesen Hinweisen geht sie vertraulich und diskret nach. Im Falle einer bereits vorhandenen nachrichtendienstlichen Verstrickung kann die Spionageab- 6 wehr Hilfe anbieten, sich aus dieser zu lösen. Für weitere Informationen und die Sensibilisierung zu Fragen der Wissens-, Technikund Wirtschaftsspionage und Proliferation steht der Berliner Verfassungsschutz jederzeit zur Verfügung. Kontaktadressen und Telefonnummern des Berliner Verfassungsschutzes, darunter auch ein "Vertrauliches Telefon", finden Sie unter "Erreichbarkeit" am Anfang dieses Verfassungsschutzberichts. 160 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 7 Geheimund Sabotageschutz Unverzichtbar ist der Schutz von Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen, die Sicherheit und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Bundesländer gefährden kann. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Antrag der zuständigen öffentlichen Stelle daran mit, durch personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen Ausforschungen durch Unbefugte in sicherheitsempfindlichen Bereichen zu verhindern.82 Ferner sind sicherheitsempfindliche Stellen bei lebensund verteidigungswichtigen öffentlichen Einrichtungen zu schützen, deren Ausfall oder Zerstörung eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit und das Leben zahlreicher Menschen verursachen könnte oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport hat die Einrichtungen durch Rechtsverordnung festgelegt.83 Dazu zählen u.a. die Behörden zum Schutz der inneren Sicherheit und die Lagezentren und Leitstellen von Polizei und Feuerwehr. Die Verfassungsschutzbehörde überprüft bei öffentlichen Stellen und Wirtschaftsunternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (so genannte Sicherheitsüberprüfungen) und trifft selbst oder veranlasst Maßnahmen zum materiellen Geheimschutz. Zum Zweck des so genannten personellen Sabotageschutzes sind Sicherheitsüberprüfungen ebenfalls gesetzlich vorgesehen. Die Verfassungsschutzbehörde wird nicht von sich aus tätig, sondern nur auf Antrag des Geheimschutzbeauftragten der Behörde, bei der die zu überprüfende Person beschäftigt ist (so genannte zuständige Stelle). Im Jahr 2015 führte der Berliner Verfassungsschutz 519 Überprüfungen auf diesem Gebiet durch (2014: 427). 82 SS 5 Abs. 3 Nr. 1 u. Nr. 3 VSG Bln, Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG) vom 2.3.1998 (GVBl. S. 26) in der Fassung vom 25.6.2001 (GVBl. S. 243), zuletzt geändert durch Art. XV des Gesetzes vom 17.12.2003 (GVBl. S. 617). 83 Verordnung zur Festlegung der Arten lebenswichtiger Einrichtungen im Land Berlin vom 2.9.2003 (GVBl. S. 316). Geheimund Sabotageschutz 161 7.1 Geheimschutz in der Wirtschaft Wirtschaftsunternehmen, die geheimschutzbedürftige Aufträge von Bundesund Landesbehörden ausführen, müssen vor Ausspähung fremder Nachrichtendienste geschützt und deshalb in das Geheimschutzverfahren von Bund oder Ländern aufgenommen werden. Es sollen Sicherheitsstandards geschaffen und eingehalten werden, um zu verhindern, dass Unbefugte Kenntnis von den im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen (Verschlusssachen) erhalten. Ein Unternehmen kann die Aufnahme in die Geheimschutzbetreuung grundsätzlich nicht für sich selbst beantragen. Voraussetzung für die Aufnahme eines Unternehmens in das Geheimschutzverfahren des Bundes oder eines Landes ist die öffentliche Ausschreibung eines Auftrags mit Verschlusssachen. Berliner Behörden schreiben geheimschutzbedürftige Aufträge im Amtsblatt für Berlin aus. Wesentlich für die Ausschreibung bei vertraulichen Staatsaufträgen ist die Formulierung: "Es können sich geeignete Firmen bewerben, die bereits dem Geheimschutz in der Wirtschaft unterliegen, bzw. die sich dem Geheimschutzverfahren in der Wirtschaft unterziehen wollen." Vor Auftragserteilung sind mindestens ein gesetzlicher Vertreter des Unterneh- 7 mens, ein Sicherheitsbevollmächtigter und auch die Firmenmitarbeiter, die von staatlicher Seite aus mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, einer freiwilligen Sicherheitsüberprüfung nach den Bestimmungen des BSÜG zu unterziehen. Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist die Verfassungsschutzbehörde.84 2015 wurden 114 Sicherheitsüberprüfungen für Angehörige Berliner Unternehmen durchgeführt (2014: 83). Um die vertrauensvolle Kooperation der betroffenen Unternehmen mit den Sicherheitsbehörden zu vertiefen, unterstützt der Berliner Verfassungsschutz den Länderarbeitskreis der Sicherheitsbevollmächtigten Berlin-Brandenburg (SIBE-AK BR-BB) durch fachkundige Referenten und die Bereitstellung von Informationsmaterialien bei Seminaren und Tagungen. Dieser Arbeitskreis soll den in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätigen Berliner Unternehmen ein Austauschforum bieten. 84 SS 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 des VSG Bln. 162 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 7.2 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen Der Verfassungsschutz wirkt bei Überprüfungen in Einbürgerungsverfahren mit.85 Auf Antrag der Einbürgerungsbehörde wird geprüft, ob über Personen, die einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben, Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden der Länder oder des Bundes vorliegen. Seit dem 1. Januar 2000 ist eine Einbürgerung für Personen zwingend ausgeschlossen,86 welche * die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden, * sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligen, * öffentlich zur Gewaltanwendung aufrufen, * mit Gewaltanwendung drohen. Eine Einbürgerung kann versagt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einbürgerungsbewerber verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt oder verfolgt.87 Im Januar 2001 legte die Senatsverwaltung für Inneres fest, dass bei Einbürgerungsbewerbern aus bestimmten Herkunftsländern stets eine Anfrage beim Verfassungsschutz zu erfolgen hat. Unabhängig von der Herkunft ist eine Anfrage auch immer dann zu stellen, wenn Anhaltspunkte für eine extremistische Haltung oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten vorliegen. 2015 wurden 7 401 Anfragen bearbeitet (2014: 7 613). Vergleichbare Sicherheitsanforderungen gelten auch für das Aufenthaltsrecht von Ausländern. Das 2005 neu gefasste Aufenthaltsgesetz (AufenthG) sieht vor, dass Personen, die gewaltbereit sind, terroristische Aktivitäten begehen oder unterstützen, keine Visa oder Aufenthaltsgenehmigungen erhalten oder einem Einreiseund Aufenthaltsverbot in Deutschland unterliegen. Zur Versagung der Einreise muss festgestellt werden, dass eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland besteht.88 Aus rechtsstaatlichen Gründen reichen Vermutungen nicht aus. 85 SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG Bln. 86 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), vom 22.7.1913 i. d. F. des Art. 6 Nr. 9 Gesetz zur Änderung des AufenthG vom 14.3.2005, BGBl. I S. 721. 87 SS 11 Nr. 1 StAG - zuletzt geändert durch Art. 3 G vom 19.8.2007, BGBl. I S. 1 970. 88 SS 5 Abs. 4 AufenthaltsG. Geheimund Sabotageschutz 163 Um terroristischen oder gewaltbereiten Ausländern keinen Ruheraum in Deutschland zu gewähren, wurden ferner die Regelausweisungstatbestände erweitert. Im Regelfall wird ausgewiesen, wer nach dem neuen Versagungsgrund nicht hätte einreisen dürfen.89 Zur Feststellung von Versagungsgründen können die Ausländerbehörden den Verfassungsschutzbehörden der Länder und weiteren Sicherheitsbehörden die von ihnen erhobenen Personalien übermitteln. Die angefragten Behörden teilen der Ausländerbehörde unverzüglich mit, ob Versagungsgründe vorliegen.90 2015 gingen 4 649 Anfragen91 bei der Verfassungsschutzbehörde ein. Bei Flughäfen und kerntechnischen Anlagen handelt es sich um besonders schützenswerte Objekte. Unbefugte Handlungen durch Beschäftigte können Gefahren für das Objekt und für Leib und Leben anderer Menschen zur Folge haben. Aus diesen Gründen werden gem. SS 7 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) und SS 12 b Atomgesetz (AtomG) Zuverlässigkeitsüberprüfungen durchgeführt, an denen der Verfassungsschutz mitwirkt. 2015 wurden nach dem LuftSiG 3 013 Anfragen durch den Verfassungsschutz bearbeitet (2014: 8 777), nach dem AtomG 221 (2014: 225). Seit 2005 gibt es gesetzliche Regelungen über die Beteiligung der Verfassungsschutzbehörden bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Waffengesetz, dem 7 Sprengstoffgesetz und der Bewachungsverordnung. Seit dem 1. September 2005 sind die Verfassungsschutzbehörden der Länder an der Überprüfung von Personen beteiligt, die gewerbsmäßig mit explosionsgefährlichen Stoffen umgehen oder den Verkehr mit solchen Stoffen betreiben wollen.92 Zuständige Behörde für die Durchführung der Zuverlässigkeitsüberprüfung in Berlin ist das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheit und technische Sicherheit. 2015 erfolgten 363 Anfragen (2014: 253). Wer gewerbsmäßig Leben und Eigentum fremder Personen bewachen will, bedarf einer Erlaubnis auf der Grundlage der Bewachungsverordnung durch die Gewerbeämter der Berliner Bezirke. In begründeten Einzelfällen können diese bei der örtlich zuständigen Verfassungsschutzbehörde anfragen, ob Erkenntnisse vorlie89 SS 55 Abs. 2 AufenthG. 90 SS 73 Abs. 2 u. 3 AufenthG. 91 Die Anzahl der Mitwirkungsanfragen ist nicht mit den Zahlen früherer Jahre vergleichbar. Anfang 2015 erfolgte eine Umstellung der Arbeitsprozesse, die eine Vergleichbarkeit ausschließt. 92 SSSS 7 u. 8a Abs. 5 Nr. 4 Sprengstoffgesetz (SprengG), BGBl. I S. 3 518, zuletzt geändert durch Art. 1 des dritten ÄnderungsG vom 15.6.2005 (BGBl. I S. 1 676) Art. 35 des Gesetzes zur Umbenennung des BGS in Bundespolizei vom 21.7.2005 (BGBl. I S. 1 818). 164 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 gen, die für die Beurteilung der persönlichen Zuverlässigkeit der Antragsteller von Bedeutung sind.93 Ebenfalls zu den Mitwirkungsangelegenheiten gehören auf Grund des 7. Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) vom 16. Mai 200794 seit dem 24. Mai 2007 auch Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem BVFG.95 Durch die Überprüfung soll sichergestellt werden, dass Schwerkriminelle, gewaltbereite Extremisten und Terroristen nicht auf dem Weg des Verfahrens zur Aufnahme von Spätaussiedlern nach Deutschland kommen können. 93 SS 9 Abs. 2 Nr. 2 Bewachungsverordnung. 94 BGBl. I S. 748. 95 Neufassung des Bundesvertriebenengesetzes vom 10.8.2007; BGBl. I S. 1 902. Wirtschaftsspionage 165 8 Wirtschaftsspionage In Berlin sind 168 943 Betriebe96 unWirtschaftsspionage terschiedlicher Wirtschaftsbereiche Wirtschaftsspionage hat sich als gänals Arbeitgeber mit sozialversichegige Bezeichnung für die Absicht anrungspflichtigen Beschäftigten anderer Nachrichtendienste etabliert, sässig. Informationsund Kommuniaus den Bereichen Wissenschaft kationstechnologie, Medizintechnik, und Technik in der Bundesrepublik Biotechnologie, optische TechnoloDeutschland Informationen zu begien und Verkehrstechnik sowie kreschaffen, um Unternehmen anderer ative Dienstleistungen haben sich als Staaten einen Vorteil zu verschaffen. Branchen mit Zukunftsperspektive in Im Gegensatz zu dieser staatlich orBerlin etabliert. Darüber hinaus geganisierten Wirtschaftsspionage gibt hört die Stadt zu den größten und vieles Industriespionage, die zumeist von fältigsten Wissenschaftsregionen in Unternehmen im Kontext der KonkurEuropa. An vier Universitäten, an der renzausspähung ausgeht. DeutschCharite - Universitätsmedizin Berlin, land unterhält keinen Nachrichten- 8 sechs Fachhochschulen, vier Kunstdienst, der für die deutsche Wirtschaft hochschulen, 31 privaten Hochschulen in anderen Staaten solcherart Inforsowie über 60 Forschungsstätten stumationen beschafft. Wirtschaftsspidieren, lehren, forschen und arbeiten onage durch andere Staaten wird rund 200 000 Menschen aus aller Welt. wesentlich vom Bundesamt für VerDie Erfolge der Unternehmen, Hochfassungsschutz beobachtet. Dieser schulen und Forschungseinrichtungen Wirtschaftsschutz soll Forschungssind Ergebnis nicht nur von Entwickund Technologieentwicklungen an lungskosten, sondern von langjähriger Hochschulen und Wirtschaft vor WirtForschung und kreativer Ideen. Ein solschaftsspionage und Wettbewerbsches Know-how ist stets mit dem Risinachteilen schützen. ko verbunden, durch Wirtschaftsspionage verloren zu gehen. 96 Vgl. Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Statistischer Bericht Unternehmen und Betriebe im Land Berlin 2012. Berlin 2014, S. 11. 166 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Cyberkriminalität Einen beachtlichen Stellenwert bei der Beschaffung von Informationen nimmt die elektronische Aufklärung ein, die "Signals Intelligence" (SIGINT) genannt wird. Dabei steht das Bemühen im Mittelpunkt, in Infrastrukturen der Informationstechnologie einzudringen, um Informationen zu beschaffen oder um das IT-System zu beschädigen oder zu sabotieren. Angesichts der zunehmenden IT-Vernetzung in Wissenschaft und Technik sowie von Parlamenten und Verwaltungen ist dies ein bedeutsames Instrument nachrichtendienstlicher Arbeit, zumal der personelle Aufwand - und damit das Risiko einer Enttarnung - eher gering ist. Cyberkriminalität schließt Betrug, Fälschungen und unerlaubte Zugriffe auf IT-Systeme ein. Angriffe werden mit E-Mails mit spezifischen Anhängen, präparierten Websites oder USB-Sticks durchgeführt. Angesichts der Komplexität dieser Aktivitäten nahm im April 2011 ein "Nationales Cyber-Abwehrzentrum" seine Arbeit auf, in dem das Bundesamt für Verfassungsschutz vertreten ist. Gesetzesnovelle Angesichts der Bedeutung der Wirtschaftsspionage wurde dem Bundesamt für Verfassungsschutz im November 2015 durch eine Gesetzesnovelle die Aufgabe zugewiesen, die Öffentlichkeit über präventiven Wirtschaftsschutz zu unterrichten.97 Der Wirtschaftsschutz soll Forschungsund Technologieentwicklungen an Hochschulen und Wirtschaft vor Wirtschaftsspionage schützen. Damit trägt der Gesetzgeber der wachsenden Bedeutung der Wirtschaftsspionage Rechnung. Auch in Berlin wurden zahlreiche Versuche festgestellt, mit elektronischen Mitteln unerlaubt an Informationen zu gelangen. Eine Möglichkeit, sich vor solcherart Spionage zu schützen, ist die Weiterentwicklung von technischen Infrastrukturen. Auch die Identifikation von schützenswertem Know-how ist sehr wichtig, um dessen besonderen Schutz sicherzustellen. Ein wirksamer Schutz vor Spionage darf sich aber nicht nur auf Maßnahmen der IT-Sicherheit beschränken. Das Thema "Sicherheit" umfasst viel mehr als nur die alleinige Betrachtung der technischen Infrastrukturen. Die "Sicherheitslücke Mensch" ist nach wie vor eines der größten "Einfallstore" in Unternehmen. Die sicherste IT-Ausstattung ist wertlos, wenn die Mitarbeiter den Informationsschutz im Unternehmen nicht beachten oder sie über bestimmte Gefahren, wie z.B. verschiedene Ausforschungsmöglichkeiten, nicht aufgeklärt sind. 97 Bundesverfassungsschutzgesetz vom 20.12.1990 (BGBl. I S. 2 954, 2 970), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17.11.2015 (BGBl. I S. 1 938). Wirtschaftsspionage 167 Kooperationen mit anderen Institutionen Im November 2010 vereinbarten die Senatsverwaltung für Inneres und Sport, die Industrieund Handelskammer sowie der Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Berlin-Brandenburg eine engere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und in anderen Bereichen der inneren Sicherheit. Wesentlich geht es dabei um den Austausch von Informationen zwischen Wirtschaft und Sicherheitsbehörden, wobei die Wirtschaft über sie betreffende Spionageaktivitäten berichtet und die Sicherheitsbehörden zur IT-Sicherheit, den Schutz vor Wirtschaftsspionage und über politischen Extremismus informiert. Wenn Unternehmen von Wirtschaftsspionage betroffen sind oder Anhaltspunkte für entsprechende Aktivitäten haben, können sie den Kontakt zum Verfassungsschutz suchen, der Vertraulichkeit garantiert; zumal er nicht - wie Strafermittlungsbehörden - dem Strafverfolgungszwang unterliegt. Es unterliegt dem Opportunitätsprinzip, ob der Verfassungsschutz einen Sachverhalt zur Strafverfolgung an Polizei und Staatsanwaltschaft weiterleitet. Beim Berliner Verfassungsschutz ist das Referat Spionageabwehr für die Beobachtung von Wirtschaftsspionage zuständig. Es unterstützt das Bundesamt für Verfassungsschutz bei der Erfüllung des nun im dortigen Gesetz verankerten Auftrages des präventiven Wirtschaftsschutzes bei seiner Beratung. 8 168 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 III Anhang 170 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin Gesetz über den VerfassungsSS 3 Dienstkräfte schutz in Berlin (1) Die Dienstkräfte der Verfassungsschutzabteilung haben neben den allgemeinen Pflichten die sich aus (Verfassungsschutzgesetz Berlin - VSG Bln) in der dem Wesen des Verfassungsschutzes und ihrer dienstFassung vom 25. Juni 2001, geändert durch Art. V des lichen Stellung ergebenden besonderen Pflichten. Sie Gesetzes vom 30. Juli 2001 (GVBl. S. 305), geändert haben sich jederzeit für den Schutz der freiheitlichen durch Art. II des Gesetzes vom 5. Dezember 2003 demokratischen Grundordnung im Sinne des Grund(GVBl. 571), zuletzt geändert durch Gesetz vom gesetzes und der Verfassung von Berlin einzusetzen. 1. Dezember 2010 (GVBl., S. 534) Die Funktion des Leiters der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung soll nur einer Person übertragen werden, die die Befähigung zum Richteramt besitzt. (2) Der Senat von Berlin kann jährlich bestimmen, Erster Abschnitt in welchem Umfang Dienstkräften der VerfassungsAufgaben und Befugnisse der schutzabteilung freie, frei werdende und neu geschaffene Stellen in der Hauptverwaltung für Zwecke der Verfassungsschutzbehörde Personalentwicklung vorbehalten werden. SS 1 Zweck des Verfassungsschutzes SS 4 Zusammenarbeit Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Bestandes und der Sicherheit der Bundesrepublik Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Deutschland und ihrer Länder. Zusammenarbeit besteht insbesondere in gegenseitiger Unterstützung und Information sowie in der SS 2 Organisation Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen (wie z.B. (1) Verfassungsschutzbehörde ist die Senatsverdas nachrichtendienstliche Informationssystem des waltung für Inneres. Die für den Verfassungsschutz Bundes und der Länder [NADIS] und die Schule für zuständige Abteilung nimmt ihre Aufgaben gesondert Verfassungsschutz). von der für die Polizei zuständigen Abteilung wahr. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder (2) Die für den Verfassungsschutz zuständige Abteidürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im lung ist datenverarbeitende Stelle im Sinne des SS 4 Einvernehmen, das Bundesamt für Verfassungsschutz Abs. 3 Nr. 1 des Berliner Datenschutzgesetzes in der nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde Fassung vom 17. Dezember 1990 (GVBl. 1991 S. 16, tätig werden. 54), das zuletzt durch Art. IX des Gesetzes vom 30. November 2000 (GVBl. S. 495) geändert worden ist. SS 5 Aufgaben Die Übermittlung an andere Organisationseinheiten der Verfassungsschutzbehörde der Senatsverwaltung für Inneres ist ungeachtet der (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Aufgabe, fachund dienstaufsichtlichen Befugnisse zulässig, den Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin, anwenn dies für die Aufgabenerfüllung nach SS 5 Abs. 1 dere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlicherforderlich ist. keit über Gefahren für die freiheitliche demokratische (3) Bei der Leitung der Senatsverwaltung für Inneres Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des wird eine Revision eingerichtet. Die Revision ist unbeBundes und der Länder zu unterrichten. Dadurch soll schadet ihrer Verantwortung gegenüber dem Senator es den staatlichen Stellen insbesondere ermöglicht im Übrigen in der Durchführung von Prüfungen und werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur der Beurteilung von Prüfungsvorgängen unabhängig. Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen. Verfassungsschutzgesetz 171 (2) Zur Erfüllung dieser Aufgaben sammelt und eine unorganisierte Gruppe handelt, wer sie in ihren wertet die Verfassungsschutzbehörde Informationen, Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensinsbesondere sachund personenbezogene Daten, weisen von Einzelpersonen, die nicht in einer oder für Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen aus über eine Organisation oder in einer oder für eine unorga1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokranisierte Gruppe handeln, sind Bestrebungen im Sinne tische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder zu beschädigen. ihrer Mitglieder zum Ziele haben, (2) Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, die 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für gerichtet sind, sind solche, die auf die Beseitigung oder eine fremde Macht, Außerkraftsetzung wesentlicher Verfassungsgrundsät3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgeze abzielen. Hierzu gehören: setzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige und Abstimmungen und durch besondere Organe Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung (Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Ersuchen geheimer Wahl zu wählen, der zuständigen öffentlichen Stellen mit 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungs1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen mäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlawerden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich mentarischen Opposition, verschaffen können, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwort2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die lichkeit gegenüber der Volksvertretung, an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebens oder 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft oder werden sollen, und 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürf(3) Im Sinne dieses Gesetzes sind tigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, die Frei4. bei aufenthaltsrechtlichen Verfahren, Einbürgeheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrrungsverfahren, jagdund waffenrechtlichen Verfahren schaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen sowie bei sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen, Überprüfungen; die Mitwirkung ist nur zulässig, wenn 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder diese zum Schutz der freiheitlichen demokratischen eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, den Grundordnung oder für Zwecke der öffentlichen SiBund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer cherheit erforderlich ist; Näheres wird in einer VerwalFunktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. tungsvorschrift des Senators für Inneres im Benehmen (4) Auswärtige Belange im Sinne des SS 5 Abs. 2 Nr. 3 mit dem Berliner Beauftragten für den Datenschutz werden nur gefährdet, wenn innerhalb des Geltungsbeund für das Recht auf Akteneinsicht bestimmt. reichs des Grundgesetzes Gewalt ausgeübt oder durch Die Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde bei der Handlungen vorbereitet wird und diese sich gegen die Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 sind im Berliner politische Ordnung oder Einrichtungen anderer Staaten Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 2. März 1998 richten. (GVBl. S. 26) geregelt. SS 7 Voraussetzung und Rahmen für die SS 6 Begriffsbestimmungen Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde (1) Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2 Nr. 1 und (1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, darf 3 sind politisch motivierte, zielund zweckgerichtete die Verfassungsschutzbehörde bei der Wahrnehmung Verhaltensweisen oder Betätigungen von Organiihrer Aufgaben nach SS 5 Abs. 2 nur tätig werden, sationen, Personenzusammenschlüssen ohne feste wenn im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte für hierarchische Organisationsstrukturen (unorganisierte den Verdacht der dort genannten Bestrebungen oder Gruppen) oder Einzelpersonen gegen die in SS 5 Abs. 2 Tätigkeiten vorliegen. bezeichneten Schutzgüter. Für eine Organisation oder 172 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf für die 2. Observation, Prüfung, ob die Voraussetzungen des Absatzes 1 3. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Videografieren vorliegen, die dazu erforderlichen personenbezogenen und Filmen), Daten aus allgemein zugänglichen Quellen erheben, 4. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, speichern und nutzen. Eine Speicherung dieser Daten 5. Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel, im nachrichtendienstlichen Informationssystem (NA6. Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich DIS) oder in anderen Verbunddateien ist nicht zulässig. gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel, Eine Speicherung der nach Satz 1 erhobenen perso7. Beobachtungen des Funkverkehrs auf nicht für den nenbezogenen Daten in Akten und Dateien über den allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen sowie die Ablauf eines Jahres seit der Speicherung hinaus ist nur Sichtbarmachung, Beobachtung, Aufzeichnung und zulässig, wenn spätestens von diesem Zeitpunkt an die Entschlüsselung von Signalen in KommunikationssyVoraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen. Dasselbe stemen, gilt für das Anlegen personenbezogener Akten. 8. Verwendung fingierter biografischer, beruflicher (3) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Verfassungsoder gewerblicher Angaben (Legenden), schutzbehörde nur die dazu erforderlichen Maßnah9. Beschaffung, Erstellung und Verwendung von Tarnmen ergreifen; dies gilt insbesondere für die Erhebung papieren und Tarnkennzeichen, und Verarbeitung personenbezogener Informationen. 10. Überwachung des Brief-, Post-, und FernmeldeverVon mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen kehrs nach Maßgabe des Art. 10-Gesetzes, vom 26. Juni hat sie diejenige auszuwählen, die den einzelnen, 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), zuletzt geändert durch insbesondere in seinen Grundrechten, und die AllgeArt. 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 22. August 2002 (BGBl. meinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. I S. 3390), Eine Maßnahme hat zu unterbleiben, wenn sie einen 11. Einsatz von weiteren vergleichbaren Methoden, Nachteil herbeiführt, der erkennbar außer Verhältnis Gegenständen und Instrumenten zur heimlichen zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Sie ist nur solange Informationsbeschaffung, insbesondere das sonstige zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass Eindringen in technische Kommunikationsbeziehungen er nicht erreicht werden kann. durch Bild-, Ton-, und Datenaufzeichnungen; dem (4) Soweit in diesem Gesetz besondere EingriffsbeEinsatz derartiger Methoden, Gegenstände und fugnisse das Vorliegen gewalttätiger Bestrebungen Instrumente hat der Ausschuss für Verfassungsschutz oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen des Abgeordnetenhauses von Berlin vorab seine voraussetzen, ist Gewalt die Anwendung körperlichen Zustimmung zu erteilen. Zwanges gegen Personen oder eine nicht unerhebliche Personen, die berechtigt sind, in Strafsachen aus Einwirkung auf Sachen. beruflichen Gründen das Zeugnis zu verweigern (SSSS 53 und 53a der Strafprozessordnung), darf die VerSS 8 Befugnisse fassungsschutzbehörde nicht von sich aus nach Satz 1 Nr. 1 zur Beschaffung von Informationen in Anspruch der Verfassungsschutzbehörde nehmen, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf die zur bezieht. Die Behörden des Landes Berlin sind verpflichErfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen tet, der Verfassungsschutzbehörde technische Hilfe für einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten Tarnungsmaßnahmen zu geben. und bei Behörden, sonstigen öffentlichen Stellen sowie (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf Informationen nicht öffentlichen Stellen, insbesondere bei Privateinschließlich personenbezogener Daten mit den personen, erheben, soweit die Bestimmungen dieses Mitteln gemäß Absatz 2 erheben, wenn Gesetzes dies zulassen. Ein Ersuchen der Verfassungs1. sich ihr Einsatz gegen Organisationen, unorganischutzbehörde um Übermittlung personenbezogener sierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Personen Daten darf nur diejenigen personenbezogenen Daten richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den enthalten, die für die Erteilung der Auskunft unerlässVerdacht der Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 lich sind. Schutzwürdige Interessen des Betroffenen Abs. 2 bestehen, dürfen nur im unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt 2. auf diese Weise Erkenntnisse über gewalttätige werden. Bestrebungen oder geheimdienstliche Tätigkeiten (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur heimlichen gewonnen werden können, Informationsbeschaffung, insbesondere zur Erhebung 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrepersonenbezogener Daten, nur in begründeten Fällen bungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlichen folgende nachrichtendienstliche Mittel anwenden: Quellen erschlossen werden können oder 1. Einsatz von Vertrauensleuten, sonstigen geheimen 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichtungen, GeInformanten, zum Zweck der Spionageabwehr übergenstände und Quellen der Verfassungsschutzbehörde worbenen Agenten, Gewährspersonen und verdeckten gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Ermittlern, Tätigkeiten erforderlich ist. Datenerhebungen nach Satz 1 Nr. 2 dürfen sich gegen Verfassungsschutzgesetz 173 andere als die in SS 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 genannten gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen nur richten, soweit dies zur Gewinnung von Personen, unerlässlich ist, ein konkreter Verdacht Erkenntnissen unerlässlich ist. in Bezug auf eine Gefährdung der vorstehenden (4) Die Erhebung nach Absatz 2 ist unzulässig, wenn Rechtsgüter besteht und der Einsatz anderer Methoden die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die beund Mittel zur heimlichen Informationsbeschaffung troffene Person weniger beeinträchtigende Weise mögkeine Aussicht auf Erfolg bietet. Die Sätze 1 und 2 lich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel gelten entsprechend für einen verdeckten Einsatz anzunehmen, wenn die Informationen aus allgemein technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen zugänglichen Quellen oder durch eine Auskunft nach und Bildaufzeichnungen in Wohnungen. Maßnahmen SS 27 gewonnen werden können. Die Anwendung eines nach den Sätzen 1 bis 3 dürfen nur aufgrund richMittels gemäß Absatz 2 soll erkennbar im Verhältnis terlicher Anordnung getroffen werden. Bei Gefahr im zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts Verzuge kann die Maßnahme auch durch den Senator stehen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel für Inneres, der im Verhinderungsfall durch den nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 und 7 ist grundsätzlich nur zur zuständigen Staatssekretär vertreten wird, angeordnet Informationsbeschaffung über Bestrebungen gegen die werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich freiheitliche demokratische Grundordnung zulässig, nachzuholen. wenn diese Bestrebung die Anwendung von Gewalt (2) Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu billigen oder sich in aktiv kämpferischer, aggressiver befristen. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als Weise betätigen. Die Maßnahme ist unverzüglich zu drei weitere Monate sind auf Antrag zulässig, soweit beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Andie Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. haltspunkte dafür ergeben, dass er nicht oder nicht auf Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr diese Weise erreicht werden kann. Daten, die für das vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel Verständnis der zu speichernden Informationen nicht zur Informationsgewinnung nicht mehr erforderlich, ist erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Die die Maßnahme unverzüglich zu beenden. Der Vollzug Löschung kann unterbleiben, wenn die Informationen der Anordnung erfolgt unter Aufsicht eines Bedienstevon anderen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderten der Verfassungsschutzbehörde, der die Befähigung lich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand zum Richteramt hat. getrennt werden können; in diesem Fall dürfen die (3) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze Daten nicht verwertet werden. der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen (5) Die näheren Voraussetzungen für die Anwendung vorgesehen, kann die Maßnahme durch den Senator der Mittel nach Absatz 2 sind in einer Verwaltungsvorfür Inneres, der im Verhinderungsfall durch den schrift des Senators für Inneres zu regeln, die auch die zuständigen Staatssekretär vertreten wird, angeordnet Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationswerden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei beschaffung regelt. Die Verwaltungsvorschrift ist dem erlangten Erkenntnisse zum Zwecke der GefahrenabAusschuss für Verfassungsschutz des Abgeordnetenwehr ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit hauses von Berlin vorab zur Kenntnis zu geben. der Maßnahme richterlich festgestellt worden ist; bei (6) Für die Speicherung und Löschung der durch MaßGefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung nahmen nach Absatz 2 erlangten personenbezogenen unverzüglich nachzuholen. Daten gilt SS 4 Abs. 1 des Art. 10 Gesetzes entsprechend. (4) Zuständig für richterliche Entscheidungen nach (7) Polizeiliche Befugnisse stehen der Verfassungsden Absätzen 1 und 3 ist das Amtsgericht Tiergarten. schutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch nicht Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbardenen sie selbst nicht befugt ist. keit entsprechend. (8) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allge(5) Der Senat unterrichtet die Kommission nach meinen Rechtsvorschriften gebunden (Art. 20 des SS 2 des Gesetzes zur Ausführung des Art. 10-Gesetzes Grundgesetzes). in der Fassung vom 25. Juni 2001 (GVBl. S. 251), das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 5. Dezember 2003 (GVBl. S. 571) geändert worden ist, unverzüglich, SS 9 Einsatz technischer Mittel zur möglichst vorab, und umfassend über den Einsatz Überwachung von Wohnungen technischer Mittel nach Absatz 1 und, soweit rich(1) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene terlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 3. SS 3 Wort darf mit technischen Mitteln ausschließlich bei des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 der Wahrnehmung der Aufgaben auf dem Gebiet der Grundgesetz gilt entsprechend. Spionageabwehr und des gewaltbereiten politischen (6) Eine Maßnahme nach den Absätzen 1 und 3 Extremismus heimlich mitgehört oder aufgezeichnet ist nach ihrer Beendigung der betroffenen Person werden. Eine solche Maßnahme ist nur zulässig, wenn mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der sie im Einzelfall zur Abwehr einer dringenden Gefahr Maßnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer zu erwarten ist. Die durch Maßnahmen im Sinne des 174 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Satzes 1 erhobenen Informationen dürfen nur nach (5) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter NachMaßgabe des SS 4 Abs. 1 des Art. 10-Gesetzes verwenweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch det werden. genommene Stelle, die Namen der Betroffenen, deren Daten für eine weitere Verwendung erforderlich sind, sowie der Zeitpunkt der Einsichtnahme hervorgehen. SS 9a Eingriffe, die in ihrer Art und Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, Schwere einer Beschränkung des Brief-, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu Postund Fernmeldegeheimnisses gleichsichern und, soweit sie für die Aufgabenerfüllung der kommen Verfassungsschutzbehörde nach SS 5 Abs. 2 nicht mehr (1) Ein Eingriff, der in seiner Art und Schwere einer benötigt werden, am Ende des Kalenderjahres, das dem Beschränkung des Brief-, Postund FernmeldegeheimJahr der Erstellung folgt, zu vernichten. nisses gleichkommt und nicht den Regelungen des SS 9 unterliegt, wozu insbesondere das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel gehört, Zweiter Abschnitt bedarf der Anordnung durch den Senator für Inneres, der im Verhinderungsfall durch den zuständigen Datenverarbeitung Staatssekretär vertreten wird. (2) Die SSSS 2 und 3 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz gelten entsprechend. SS 11 Speicherung, Veränderung und Nut(3) SS 9 Abs. 6 gilt entsprechend. zung personenbezogener Informationen (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben rechtmäßig erhobene personenbezoSS 10 Registereinsicht durch die gene Informationen speichern, verändern und nutzen, Verfassungsschutzbehörde wenn (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Aufklärung 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder - von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstTätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 vorliegen oder lichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder 2. dies für die Erforschung oder Bewertung von - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gegewalttätigen Bestrebungen oder geheimdienstlichen walt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist oder gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtenden Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines dienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder TätigLandes gerichtet sind oder keiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist oder - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Ge4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichtungen, Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen genstände und Quellen der Verfassungsschutzbehörde auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche gefährden, Tätigkeiten erforderlich ist oder von öffentlichen Stellen geführte Register, z.B. 5. sie auf Ersuchen der zuständigen Stelle nach SS 5 Melderegister, Personalausweisregister, Passregister, Abs. 3 tätig wird. Führerscheinkarteien, Waffenscheinkarteien, einsehen. In Akten dürfen über Satz 1 Nr. 2 hinaus personen(2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn bezogene Daten auch gespeichert, verändert und 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich genutzt werden, wenn dies sonst zur Erforschung und erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Bewertung von Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 zwingend Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der erforderlich ist. Maßnahme gefährdet würde, und (2) In Dateien gespeicherte Informationen müssen 2. die betroffene Person durch eine anderweitige Aufdurch Aktenrückhalt belegbar sein. klärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würde, und (3) In Dateien ist die Speicherung von Informationen 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvoraus der Intimsphäre der betroffenen Person unzulässchrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtnahme sig. nicht entgegensteht. (3) Die Anordnung für die Maßnahme nach Absatz 1 trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung, im Falle der Verhinderung der Vertreter. (4) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. Gespeicherte Informationen sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke nicht mehr benötigt werden. Verfassungsschutzgesetz 175 SS 12 Speicherung, Veränderung und Nutderlich sind, es sei denn, dass ihre Aufbewahrung zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen zung personenbezogener Informationen Person notwendig ist. Die Vernichtung unterbleibt, von Minderjährigen wenn die Unterlagen von anderen, die zur Erfüllung der Die Speicherung personenbezogener Informationen Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unverüber Minderjährige, die das 14. Lebensjahr nicht volltretbarem Aufwand getrennt werden können. endet haben, ist unzulässig. (5) Personenbezogene Informationen, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsSS 13 Speicherungsdauer gemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Speigespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke und cherungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung zur Verfolgung der in der jeweiligen Fassung des Berlierforderliche Maß zu beschränken. Die in Dateien gener Datenschutzgesetzes als Straftaten bezeichneten speicherten Informationen sind bei der EinzelfallbearHandlungen verwendet werden. beitung, spätestens aber fünf Jahre nach Speicherung der letzten Information, auf ihre Erforderlichkeit zu SS 15 Berichtigung und Sperrung persoüberprüfen. Sofern die Informationen Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 betreffen, sind sie nenbezogener Informationen in Akten (1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde fest, dass in spätestens zehn Jahre nach der zuletzt gespeicherten Akten gespeicherte personenbezogene Informationen relevanten Information zu löschen. unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von dem (2) Sind Informationen über Minderjährige in Dateien Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu veroder in Akten, die zu ihrer Person geführt werden, gemerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. speichert, ist nach zwei Jahren die Erforderlichkeit der (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat personenbeSpeicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf zogene Informationen in Akten zu sperren, wenn sie Jahren die Löschung vorzunehmen, es sei denn, dass im Einzelfall feststellt, dass ohne die Sperrung schutznach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse würdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt nach SS 5 Abs. 2 angefallen sind, die zur Erfüllung der würden und die Daten für ihre Aufgabenerfüllung nicht Aufgaben im Sinne dieses Gesetzes eine Fortdauer der mehr erforderlich sind. Gesperrte Informationen sind Speicherung rechtfertigen. mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt oder übermittelt werden. SS 14 Berichtigung, Löschung und SperEine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. rung personenbezogener Informationen in Dateien (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien SS 16 Dateianordnungen (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsgespeicherten personenbezogenen Informationen schutzbehörde sind in einer Dateianordnung im zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie sind zu Benehmen mit dem Berliner Beauftragten für den ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht schutzwürdige Interessen der betroffenen Person festzulegen: beeinträchtigt sein können. 1. Bezeichnung der Datei, (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien 2. Zweck der Datei, gespeicherten personenbezogenen Informationen zu 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der Speichelöschen, wenn ihre Speicherung irrtümlich erfolgt war, rungen, Übermittlung und Nutzung (betroffener unzulässig war oder ihre Kenntnis für die AufgabenerPersonenkreis, Arten der Daten), füllung nicht mehr erforderlich ist und schutzwürdige 4. Eingabeberechtigung, Interessen der betroffenen Person nicht beeinträchtigt 5. Zugangsberechtigung, werden. 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, (3) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien 7. Protokollierung, gespeicherten personenbezogenen Informationen zu 8. Datenverarbeitungsgeräte und Betriebssystem, sperren, wenn die Löschung unterbleibt, weil Grund 9. Inhalt und Umfang von Textzusätzen, die der zu der Annahme besteht, dass durch die Löschung Erschließung von Akten dienen. schutzwürdige Interessen der betroffenen Person (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat in angemesbeeinträchtigt würden; gesperrte Informationen sind senen Abständen die Notwendigkeit der Weiterführung entsprechend zu kennzeichnen und dürfen nur mit oder Änderung ihrer Dateien zu prüfen. Einwilligung der betroffenen Person verwendet werden. (4) In Dateien gelöschte Informationen sind gesperrt. Unterlagen sind zu vernichten, wenn sie zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 nicht oder nicht mehr erfor- 176 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 SS 17 Gemeinsame Dateien SS 21 Informationsübermittlung an StrafBundesgesetzliche Vorschriften über die Datenververfolgungsbehörden in Angelegenheiten arbeitung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bleiben des Staatsund Verfassungsschutzes Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt den unberührt. Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeibehörden des Landes die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn Dritter Abschnitt tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Informationsübermittlung Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten, die im Zusammenhang mit Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 stehen, erforderlich ist. SS 18 Grundsätze bei der Informationsübermittlung durch die VerfassungsSS 22 Übermittlung von Informationen an schutzbehörde den öffentlichen Bereich Die Übermittlung von personenbezogenen Informatio(1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenerfüllung nen ist aktenkundig zu machen. In der entsprechenden gewonnenen, nicht personenbezogenen Erkenntnisse Datei ist die Informationsübermittlung zu vermerken. der Verfassungsschutzbehörde können an andere Vor der Informationsübermittlung ist der Akteninhalt Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und im Hinblick auf den Übermittlungszweck zu würdigen die Staatsanwaltschaft, übermittelt werden, wenn sie und der Informationsübermittlung zugrunde zu legen. für die Aufgabenerfüllung der empfangenden Stellen Erkennbar unvollständige Informationen sind vor der erforderlich sein können. Übermittlung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf personendurch Einholung zusätzlicher Auskünfte zu vervollbezogene Informationen an inländische Behörden ständigen. und juristische Personen des öffentlichen Rechts übermitteln, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben SS 19 Informationsübermittlung zwischen erforderlich ist oder der Empfänger die Informationen den Verfassungsschutzbehörden zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das SS 5 Abs. 2 oder zur Strafverfolgung benötigt oder nach Bundesamt für Verfassungsschutz und die VerfasSS 5 Abs. 3 tätig wird. sungsschutzbehörden der Länder über alle Angelegen(3) Die empfangende Stelle von Informationen nach heiten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der Absatz 2 ist darauf hinzuweisen, dass sie die übermitempfangenden Stellen erforderlich ist. telten personenbezogenen Informationen nur zu dem Zweck verwenden darf, zu dessen Erfüllung sie ihr übermittelt wurden. SS 20 Informationsübermittlung an den Bundesnachrichtendienst und den MilitäSS 23 Übermittlung von Informationen rischen Abschirmdienst an Personen und Stellen außerhalb des Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen öffentlichen Bereichs Personenbezogene Informationen dürfen an Personen Abschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Inforoder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nicht mationen einschließlich personenbezogener Daten, übermittelt werden, es sei denn, dass dies zum Schutz wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines der empfangenden Stellen erforderlich ist. Handelt Landes erforderlich ist und der Senator für Inneres, der die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen, so ist im Verhinderungsfall durch den zuständigen Staatssesie zur Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, kretär vertreten wird, im Einzelfall seine Zustimmung wenn sich die Voraussetzungen aus den Angaben der erteilt hat. Die Verfassungsschutzbehörde führt über ersuchenden Behörde ergeben. die Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen Verfassungsschutzgesetz 177 Informationen nur für den Zweck verwenden, zu dem SS 27 Übermittlung von Informationen an sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Behörden des Landes und die sonstigen der dass die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, um Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Personen des öffentlichen Rechts übermitteln von sich Informationen zu bitten. aus der Verfassungsschutzbehörde die ihnen bekannt gewordenen Informationen, insbesondere personenbeSS 24 Übermittlung von Informationen an zogene Daten, über Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2, die die Stationierungsstreitkräfte durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, und über Informationen an Dienststellen der Stationierungsgeheimdienstliche Tätigkeiten. Die Staatsanwaltschafstreitkräfte übermitteln, soweit die Bundesrepublik ten und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen SachleiDeutschland dazu im Rahmen von Art. 3 des Zusatzabtungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus kommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien auch andere im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung des Nordatlantikpaktes über die Rechtsstellung bekannt gewordene Informationen über Bestrebungen ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik im Sinne des SS 5 Abs. 2. Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte (2) Die Verfassungsschutzbehörde kann von jeder der vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183) verpflichtet in Absatz 1 genannten öffentlichen Stellen verlangen, ist. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Der dass sie ihr die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderEmpfänger ist darauf hinzuweisen, dass die übermitlichen Informationen einschließlich personenbezogener telten Informationen nur zu dem Zweck verwendet Daten übermittelt, wenn die Informationen nicht aus werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden. allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand oder nur durch eine den SS 25 Übermittlung von Informationen Betroffenen stärker belastende Maßnahme erhoben an öffentliche Stellen außerhalb des werden können. Es dürfen nur die Informationen übermittelt werden, die bei der ersuchten Behörde bereits Geltungsbereichs des Grundgesetzes bekannt sind. Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene (3) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchen Informationen an ausländische öffentliche Stellen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betrofsowie an überoder zwischenstaatliche Stellen fenen Person dient oder eine Begründung den Zweck übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung der Maßnahme gefährden würde. ihrer Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicher(4) Die Übermittlung personenbezogener Informatiheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die onen, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a der Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nur der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür besteschutzwürdige Interessen der betroffenen Person hen, dass jemand eine der in SS 3 des Art. 10-Gesetzes entgegenstehen. Die Übermittlung ist nur im Einvergenannten Straftaten plant, begeht oder begangen nehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz hat. Auf die der Verfassungsschutzbehörde nach Satz 1 zulässig. Sie ist aktenkundig zu machen. Der Empübermittelten Informationen findet SS 4 Abs. 6, auf die fänger ist darauf hinzuweisen, dass die übermittelten dazugehörenden Unterlagen findet SS 4 Abs. 1 Satz 2 personenbezogenen Informationen nur zu dem Zweck des Art. 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt (5) Vorschriften zur Informationsübermittlung an die wurden, und die Verfassungsschutzbehörde sich Verfassungsschutzbehörde nach anderen Gesetzen vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene bleiben unberührt. Verwendung der Informationen zu bitten. (6) Die Verfassungsschutzbehörde hat die übermittelten Informationen nach ihrem Eingang unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erfüllung ihrer in SS 26 Unterrichtung der Öffentlichkeit SS 5 genannten Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, sind die UnÖffentlichkeit mindestens einmal jährlich über Bestreterlagen unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung bungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2. Dabei ist die unterbleibt, wenn die Trennung von anderen InforÜbermittlung von personenbezogenen Informationen mationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich nur zulässig, wenn die Bekanntgabe für das Verständsind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand nis des Zusammenhanges oder der Darstellung von erfolgen kann; in diesem Fall sind die Informationen Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen gesperrt und entsprechend zu kennzeichnen. erforderlich ist und die Interessen der Allgemeinheit (7) Soweit andere gesetzliche Vorschriften nicht an sachgemäßen Informationen das schutzwürdige besondere Regelungen über die Dokumentation Interesse des Betroffenen überwiegen. 178 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 treffen, haben die Verfassungsschutzbehörde und die Dienstleistungen, übermittelnde Stelle die Informationsübermittlung 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr aktenkundig zu machen. Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. (5) Auskünfte nach den Abs. 1 bis 4 dürfen nur auf SS 27a Übermittlung von Informationen Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist von der Leitung der Verfassungsschutzabteilung, im Falle durch nicht öffentliche Stellen an die ihrer Verhinderung von ihrem Vertreter schriftlich zu Verfassungsschutzbehörde stellen und zu begründen. Über den Antrag entscheidet (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall der Senator für Inneres, im Fall seiner Verhinderung bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten der Staatssekretär. Die Senatsverwaltung für Inneres und Finanzunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu unterrichtet die Kommission nach SS 2 des Gesetzes Konten, Kontoinhabern und sonstigen Berechtigten zur Ausführung des Art. 10-Gesetzes über die beschiesowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu denen Anträge vor deren Vollzug. Bei Gefahr in Verzug Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, wenn dies kann der Senator für Inneres, im Falle seiner Verhindezur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen nach SS 5 rung der Staatssekretär den Vollzug der Entscheidung Abs. 2 Nr. 2 und 3 erforderlich ist und tatsächliche Anauch bereits vor der Unterrichtung der Kommission haltspunkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen. anordnen. Die Kommission prüft von Amts wegen (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen nach Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn tatsächliche AnhaltsAbs. 5 des Art. 10-Gesetzes ist mit der Maßgabe entpunkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen sprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Art. Kommission sich auf die gesamte Erhebung, Verarbei10-Gesetzes bei Personen und Unternehmen, die tung und Nutzung der nach den Abs. 1 bis 4 erlangten geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen, sowie personenbezogenen Daten erstreckt. Entscheidungen bei denjenigen, die an der Erbringung dieser Dienstleiüber Auskünfte, die die Kommission für unzulässig stungen mitwirken, unentgeltlich Auskünfte zu Namen, oder nicht notwendig erklärt, hat die Senatsverwaltung Anschriften, Postfächern und sonstigen Umständen für Inneres unverzüglich aufzuheben. Für die Verardes Postverkehrs einholen. beitung der nach den Abs. 1 bis 4 erhobenen Daten ist (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall SS 4 des Art. 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. bei Luftfahrtunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Das Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten Namen, Anschriften und zur Inanspruchnahme von dürfen dem Betroffenen oder Dritten nicht mitgeteilt Transportleistungen und sonstigen Umständen des werden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Art. 10-Gesetzes findet Luftverkehrs einholen, wenn dies zur Beobachtung entsprechende Anwendung. gewalttätiger Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und (6) Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet im 3 erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für Abstand von höchstens sechs Monaten den Ausschuss Gefahren für Leib und Leben vorliegen. für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses (4) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall über die Durchführung der Absätze 1 bis 5; dabei ist zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen nach insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn tatsächliche AnhaltsDauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum punkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen durchgeführten Maßnahmen nach den Absätzen 1 bis unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Art. 4 zu geben. 10-Gesetzes bei denjenigen, die geschäftsmäßig (7) Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet das Telekommunikationsdienste und Teledienste erbringen Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes jährlich oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte über die nach den Absätzen 1 bis 5 durchgeführten über Telekommunikationsverbindungsdaten und Maßnahmen; Abs. 6 gilt entsprechend. Teledienstnutzungsdaten einholen. Die Auskunft kann (8) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldeauch in Bezug auf zukünftige Telekommunikation und geheimnisses (Art. 10 des Grundgesetzes, Art. 16 der zukünftige Nutzung von Telediensten verlangt werden. Verfassung von Berlin) wird nach Maßgabe der Absätze Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienst2, 4 und 5 eingeschränkt. nutzungsdaten sind: 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, SS 28 Übermittlungsverbote Standortkennung sowie Rufnummer oder Kennung des Die Übermittlung von Informationen nach den Voranrufenden und angerufenen Anschlusses oder der schriften dieses Abschnitts unterbleibt, wenn Endeinrichtung, 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und dass die Informationen zu löschen oder für die empUhrzeit, fangende Stelle nicht mehr bedeutsam sind, 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern, genommenen Telekommunikationsund Teledienst3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass Verfassungsschutzgesetz 179 unter Berücksichtigung der Art der Informationen und inwieweit eine Teilauskunft möglich ist. Ein Geheimhalihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der tungsinteresse liegt vor, wenn betroffenen Personen das Allgemeininteresse an der 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Übermittlung überwiegen oder Auskunftserteilung zu besorgen ist, 4. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen 2. durch die Auskunftserteilung Quellen gefährdet sein entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder der Arbeitsweisen der Verfassungsschutzbehörde oder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf zu befürchten ist, gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder SS 29 Minderjährigenschutz 4. die Informationen oder die Tatsache der Speiche(1) Informationen einschließlich personenbezogener rung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen Daten über das Verhalten Minderjähriger dürfen nach nach, insbesondere wegen der überwiegenden beden Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, rechtigten Interessen Dritter, geheimgehalten werden solange die Voraussetzungen der Speicherung nach müssen. SS 13 Abs. 2 erfüllt sind. Die Entscheidung nach den Sätzen 1 und 2 trifft der (2) Informationen einschließlich personenbezogener Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder ein von Daten über das Verhalten Minderjähriger vor Vollenihm besonders beauftragter Mitarbeiter. dung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschrif(3) Die Ablehnung einer Auskunft ist zumindest insoten dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überweit zu begründen, dass eine verwaltungsgerichtliche oder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. Nachprüfung der Verweigerungsgründe gewährleistet wird, ohne dabei den Zweck der AuskunftsverweigeSS 30 Nachberichtspflicht rung zu gefährden. Die Gründe der Ablehnung sind in Erweisen sich Informationen nach ihrer Übermittlung jedem Fall aktenkundig zu machen. nach den Vorschriften dieses Gesetzes als unvollstän(4) Wird die Auskunftserteilung ganz oder teilweise abdig oder unrichtig, so hat die übermittelnde Stelle ihre gelehnt, ist die betroffene Person darauf hinzuweisen, Informationen unverzüglich gegenüber der empfandass sie sich an den Berliner Beauftragten für den Dagenden Stelle zu ergänzen oder zu berichtigen, wenn tenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht wenden dies zu einer anderen Bewertung der Informationen kann. Dem Berliner Beauftragten für den Datenschutz führen könnte oder zur Wahrung schutzwürdiger Inteund für das Recht auf Akteneinsicht ist auf sein Verressen der betroffenen Person erforderlich ist. Die Erlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht der Senator gänzung oder Berichtigung ist aktenkundig zu machen für Inneres im Einzelfall feststellt, dass dadurch die und in den entsprechenden Dateien zu vermerken. Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Berliner Beauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde Vierter Abschnitt zulassen, soweit sie nicht einer weitergehenden Auskunftserteilung Auskunft zustimmt. Der Kontrolle durch den Berliner Beauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht unterliegen nicht personenbezogene SS 31 Auskunft an den Betroffenen Informationen, die der Kontrolle durch die Kommission (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt einer nach SS 2 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes natürlichen Person über die zu ihr gespeicherten zu Art. 10 Grundgesetz unterliegen, es sei denn, die Informationen auf Antrag unentgeltlich Auskunft. Die Kommission ersucht den Berliner Beauftragten für den Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf InforDatenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht, die mationen, die nicht der alleinigen VerfügungsberechtiEinhaltung der Vorschriften über den Datenschutz bei gung der Verfassungsschutzbehörde unterliegen, sowie bestimmten Vorgängen oder in bestimmten Bereichen auf die Herkunft der Informationen und die Empfänger zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu von Übermittlungen. berichten. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf den Antrag ablehnen, wenn das öffentliche Interesse an der Geheimhaltung ihrer Tätigkeit oder ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse Dritter gegenüber dem Interesse der antragstellenden Person an der Auskunftserteilung überwiegt. In einem solchen Fall hat die Verfassungsschutzbehörde zu prüfen, ob und 180 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 SS 32 Akteneinsicht SS 34 Geheimhaltung (1) Sind personenbezogene Daten in Akten (1) Die Öffentlichkeit wird durch einen Beschluss des gespeichert, so kann dem Betroffenen auf Antrag Ausschusses ausgeschlossen, wenn das öffentliche Akteneinsicht gewährt werden, soweit GeheimhalInteresse oder berechtigte Interessen eines einzelnen tungsinteressen oder schutzwürdige Belange Dritter dies gebieten. Sofern die Öffentlichkeit ausgeschlossen nicht entgegenstehen. SS 31 gilt entsprechend. ist, sind die Mitglieder des Ausschusses zur Verschwie(2) Die Einsichtnahme in Akten oder Aktenteile ist genheit über Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen insbesondere dann zu versagen, wenn die Daten des dabei bekannt geworden sind. Das gleiche gilt auch für Betroffenen mit Daten Dritter oder geheimhaltungsbedie Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Ausschuss. Die dürftigen sonstigen Informationen derart verbunden Verpflichtung zur Verschwiegenheit kann von dem Aussind, dass ihre Trennung auch durch Vervielfältigung schuss aufgehoben werden, soweit nicht berechtigte und Unkenntlichmachung nicht oder nur mit unverInteressen eines Einzelnen entgegenstehen oder der hältnismäßig großem Aufwand möglich ist. In diesem Senat widerspricht; in diesem Fall legt der Senat dem Fall ist dem Betroffenen zusammenfassende Auskunft Ausschuss seine Gründe dar. über den Akteninhalt zu erteilen. (2) Die Vorschriften des Absatzes 1 gelten für stellver(3) Das Berliner Informationsfreiheitsgesetz vom tretende Mitglieder des Ausschusses entsprechend. 15. Oktober 1999 (GVBl. S. 561) findet auf die von der Verfassungsschutzabteilung der Senatsverwaltung für SS 35 Aufgaben und Befugnisse Inneres geführten Akten keine Anwendung. des Ausschusses (1) Der Senat hat den Ausschuss umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu Fünfter Abschnitt unterrichten; er berichtet auch über den Erlass von Verwaltungsvorschriften. Der Ausschuss hat Anspruch Parlamentarische Kontrolle auf Unterrichtung. (2) Der Ausschuss hat auf Antrag mindestens eines SS 33 Ausschuss für Verfassungsschutz seiner Mitglieder das Recht auf Erteilung von Auskünf(1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes ten, Einsicht in Akten und andere Unterlagen, Zugang unterliegt der Senat von Berlin der Kontrolle durch den zu Einrichtungen der Verfassungsschutzbehörde sowie Ausschuss für Verfassungsschutz des Abgeordnetenauf Anhörung von deren Dienstkräften. Die Befugnisse hauses von Berlin. Die Rechte des Abgeordnetenhauses des Ausschusses nach Satz 1 erstrecken sich nur auf und seiner anderen Ausschüsse bleiben unberührt. Gegenstände, die der alleinigen Verfügungsberechti(2) Der Ausschuss für Verfassungsschutz besteht gung der Verfassungsschutzbehörde unterliegen. in der Regel aus höchstens zehn Mitgliedern. Das (3) Der Senat kann die Unterrichtung über einzelne Vorschlagsrecht der Fraktionen für die Wahl der Vorgänge verweigern und bestimmten KontrollbegehMitglieder richtet sich nach der Stärke der Fraktionen, ren widersprechen, wenn dies erforderlich ist, um vom wobei jede Fraktion mindestens durch ein Mitglied Bund oder einem deutschen Land Nachteile abzuwenvertreten sein muss. Eine Erhöhung der im Satz 1 den; er hat dies vor dem Ausschuss zu begründen. bestimmten Mitgliederzahl ist nur zulässig, soweit (4) Das Abgeordnetenhaus kann den Ausschuss für sie zur Beteiligung aller Fraktionen notwendig ist. Es einen bestimmten Untersuchungsgegenstand als werden stellvertretende Mitglieder gewählt, die im Fall Untersuchungsausschuss (Art. 48 der Verfassung von der Verhinderung eines ordentlichen Mitglieds dessen Berlin) einsetzen. SS 3 des Gesetzes über die UntersuRechte und Pflichten wahrnehmen. Die Anzahl der chungsausschüsse des Abgeordnetenhauses von Berlin stellvertretenden Mitglieder entspricht der Anzahl der vom 22. Juni 1970 (GVBI. S. 925), zuletzt geändert ordentlichen Mitglieder. Kann das ordentliche Mitglied durch Gesetz vom 24. Juni 1991 (GVBI. S. 154), findet seine Rechte und Pflichten nicht wahrnehmen, so keine Anwendung. wird es durch ein stellvertretendes Mitglied derselben (5) Für den Ausschuss gelten im Übrigen die BestimFraktion vertreten. mungen der Geschäftsordnung des Abgeordneten(3) Scheidet ein Mitglied aus dem Abgeordnetenhaus hauses von Berlin. oder seiner Fraktion aus, so verliert es die Mitgliedschaft im Ausschuss für Verfassungsschutz. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Ausschuss ausscheidet. Für stellvertretende Mitglieder des Ausschusses gelten die Vorgaben der Sätze 1 und 2 entsprechend. Verfassungsschutzgesetz 181 SS 36 Vertrauensperson des Ausschusses für Verfassungsschutz Der Ausschuss für Verfassungsschutz kann zur Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben im Einzelfall nach Anhörung des Senats mit der Mehrheit seiner Mitglieder eine Vertrauensperson beauftragen, Untersuchungen durchzuführen und dem Ausschuss über das Ergebnis in nicht öffentlicher Sitzung zu berichten. Die Vertrauensperson soll die Befähigung zum Richteramt besitzen und wird für die Dauer der jeweils laufenden Wahlperiode vom Ausschuss für Verfassungsschutz mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder gewählt. Die Vertrauensperson erhält für ihre Dienstleistungen im Einzelfall auf Antrag eine Vergütung entsprechend den SSSS 8, 9 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), das zuletzt durch Artikel 7 Absatz 3 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2449) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung. Die Höhe des Honorars richtet sich nach der Honorargruppe M 3. Sechster Abschnitt Schlussvorschriften SS 37 Einschränkung von Grundrechten Aufgrund dieses Gesetzes kann das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 des Grundgesetzes eingeschränkt werden. SS 38 Anwendbarkeit des Berliner Datenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 durch die Verfassungsschutzbehörde finden die SSSS 6a, 10 bis 17 und 19 Abs. 2 bis 4 des Berliner Datenschutzgesetzes in der Fassung vom 17. Dezember 1990 (GVBI. 1991 S. 16, 54), das zuletzt durch Art. I des Gesetzes vom 30. Juli 2001 (GVBI. S. 305) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung keine Anwendung. SS 39 Inkrafttreten, Außerkrafttreten (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung im Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin in Kraft. SS 27a tritt außer Kraft, sobald das Bundesverfassungsschutzgesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 16. August 2002 (BGBl. I S. 3202), gemäß Art. 22 Abs. 2 des Terrorismusbekämpfungsgesetzes vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) wieder in seiner am 31. Dezember 2001 maßgeblichen Fassung gilt. Der Tag des Außerkrafttretens ist im Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin bekannt zu machen. 182 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Extremistische Organisationen und Gruppierungen Islamismus / islamistischer Terrorismus Organisation / Gruppierung Seite Mujahidin-Netzwerke 35f, 42 Islamisches Emirat Kaukasus 33 Salafistische Bestrebungen 49f As-Sahaba / Die Gefährten e.V. 53 Die Islamische Gemeinschaft in BerlinAl-Nur-Moschee e.V. (IGB) 52f Ibrahim al-Khalil-Moschee - Islamische Gemeinschaft Ibrahim 53 Alkhalil Moschee e.V. Hizb ut-Tahrir (HuT) 61 Hizb Allah (Partei Gottes) 57f Waisenkinderprojekt Libanon e.V. (WKP) / 60 Farben für Waisenkinder e.V. Bewegung des Islamischen Widerstands (HAMAS) 55f Muslimbruderschaft (MB) / Islamische Gemeinschaft 63f in Deutschland e.V. (IGD) Milli Görüs - Bewegung (MGB) 65f Fussilet 33 e.V. 51 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 183 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) Organisation / Gruppierung Seite Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (Partiya Karkeren Kurdistan) 73, 77f Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) 77 Islamische Gemeinschaft Kurdistans (CÄdegK) 77f Kurdische Frauenbewegung in Europa (TJKE) 77 Partei der demokratischen Union (PYD) 74 Union kurdischer Familien (YEK-MAL) 77 Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) 77 Volksverteidigungseinheiten (YPG) 74 Volksverteidigungskräfte (HPG) 73 Zentrum der demokratischen Gesellschaft der Kurden in 77f Deutschland e.V. (NAV-DEM) NAV-DEM Berlin e.V. (ehemals Deutsch Mesopotamisches 77f Bildungszentrum e.V. (DMBZ)) Ülkücü-Bewegung, Dachverband ADÜTDF 83f (Föderation der Türkischen Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.) Rechtsextremismus Organisation / Gruppierung Seite Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) / 100f Junge Nationaldemokraten (JN) Der III. Weg 107 Die Rechte 105 Bürgerbewegung Pro Deutschland 110 Rechtsextremistische Bürgerbewegungen 109 Netzwerk Freie Kräfte 92f Weiße Wölfe Terrorcrew 96f Netzwerk Rechtsextremistische Musik 97f Identitäre Bewegung 112f Europäische Aktion 118f Reichsbürgerbewegung 120f 184 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Linksextremismus Organisation / Gruppierung Seite Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (ARAB) 145f Interventionistische Linke (IL) 136 Neue antikapitalistische Organisation (NaO) 147 North East Antifascists (NEA) 150 radikale linke | berlin 143 Rigaer 94 153 Rote Hilfe e.V. 126f Theorie Organisation Praxis TOP B3rlin 139 Sonstige Organisationen / Gruppierungen Organisation / Gruppierung Seite Scientology Organisation 156 Es wird darauf hingewiesen, dass nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes namentlich im Verfassungsschutzbericht und in der Auflistung aufgeführt werden. Personenund Sachregister 185 Personenund Sachregister ...um's Ganze! Kommunistisches Bündnis al-Qaida im islamischen Maghreb 134, 137 ff siehe AQM al-Qaradawi, Yusuf 69 A al-Quntar, Samir 60 "Anarcho"-Szene 128, 153 al-Rashta, Ata Abu 61 "dual use" - Güter 158 al-Scham, Junud 47 ff 1. Mai 129, 134, 141, 145, 148, 154 al-Shabab 42 13. Konferenz der Palästinenser in Europa al-Zawahiri, Aiman 40, 42 f, 47 57 AMGT 67 A3stus 98 ff AN 95 AAB 136, 139 Anarchismus 122 f, 143, 150 f, 153 Abendspaziergänge 109, 115 Anarchos 133, 150 f, 153, 155 Abu Bilal siehe Ismail, Abdallah Khalid Ankara 36, 76 f, 82 adil düzen 65, 67 an-Nabahani, Taqi ad-Din 61 ADÜTDF 83, 183 Anti-Antifa-Agitation 95 Aktionstag "Schwarze Kreuze Anti-Antifa-Arbeit 92 Deutschland" 100 Antideutsch 137, 139 al-Ansi 47 Antifa 6, 125, 129, 131, 133, 137, 141, ALB 134, 136, 140, 143 f 143 ff, 147 ff, 154 f al-Baghdadi, Abu Bakr 35, 37 Anti-Faschismus 129 f, 133 al-Banna, Hassan 63 Antifaschistische Aktion Berlin siehe AAB al-Haddad, Haitham 53 Antifaschistische Linke Berlin siehe ALB al-Manar 58 Antifaschistische Revolutionäre Aktion al-Mu'izz al-Eila, Abd 52 Berlin siehe ARAB Al-Nur-Moschee 51 ff, 182 Antifa-Vollversammlung 129, 131, 149, al-Nusra-Front siehe JaN 154 f al-Qaida 29 f, 32 f, 35, 40 ff, 46 ff Anti-Gentrifizierung 129, 133, 141 f, 148 al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel Anti-Imperialismus 145, 147 siehe AQAH Anti-Kapitalismus 129 f, 133 f, 138 Antikapitalistische Walpurgisnacht 150 186 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Anti-Rassismus 129 ff, 133, 138, 154 Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz Anti-Repression 130, 133, 151 siehe BSÜG Antisemitismus 50, 84, 87, 93 Bewachungsverordnung 163 f Anti-Terror-Datei siehe ATD Bewegung der Mujahidin-Jugend, AQAH 41 f, 46 f siehe al-Shabab AQM 42 Bewegung des Islamischen Widerstands ARAB 140, 143 ff, 184 siehe HAMAS Arbeiterpartei Kurdistans siehe PKK Beyond Europe. Antiauthoritarian As-Sahaba / Die Gefährten e.V. 39 Platform against Capitalism 138 f As-Sahaba-Moschee 39, 51, 53 BfV 20 f, 159, 165 ff, 170, 176 f ATD 21 Bin Ladin, Usama 42, 53 AtomG 163 BKA 20 f Atomgesetz siehe AtomG bloc identitaire 113 AufenthG 162 f Blockupy-Plattform 134, 138 Aufenthaltsgesetz siehe AufenthG BND 20 f, 176 Autonome 123 ff, 133, 136, 142, 144, BPjM 98 f 146, 150 f Brüssel 45, 78 autonome Freiräume 128, 141 f, 150 f, BSÜG 15, 160 f 153 Bundesamt für Verfassungsschutz Autonome Nationalisten Berlin 95 siehe BfV Autonome Nationalisten siehe AN Bundeskriminalamt siehe BKA Autonome Vollversammlung 129, 149, Bundesnachrichtendienst siehe BND 154 f Bundesprüfstelle jugendgefährdender AVANTI - Projekt undogmatische Linke Medien siehe BPjM 134, 136 Bundesverfassungsschutzgesetz siehe BVerfSchG B Bundesvertriebenengesetz siehe BVFG Badi'a, Muhammad 64 Bündnis Deutscher Hooligans siehe BDH Bärgida 114 ff, 119, 155 Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf Bayik, Cemil 80 109 BDH 89, 112 Bürgerbewegung Pro Deutschland Benhsain, Mohammed (Abu Jamal) 52 f siehe Pro Deutschland Beratungsstelle Kompass 24 Bürgerbewegungen 102, 107, 109, 117 Berliner Beratungsnetzwerk 24 Bürgerinitiativen 104, 109, 117 Berliner Patrioten gegen die Islamisierung BVerfSchG 15, 19 f, 166, 181 des Abendlandes siehe Bärgida BVFG 164 Personenund Sachregister 187 C E CH 118 EA 116, 118 ff, 183 Charlie Hebdo 41, 46 Einbürgerungsverfahren 162, 171 Ciftci, Mohamed (Scheikh Abu Anas) 52 Einladung zum Paradies e.V. 52 CIK 78, 183 EMUG 67 Ciwanen Azad Avrupa 75 Erbakan, Necmettin 65 ff Collegium Humanum siehe CH Europäische Aktion siehe EA Cuspert, Denis 37 ff Europäische Eidgenossenschaft 119 Cyberkriminalität 166 Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e.V. siehe EMUG D Europäische Zentralbank siehe EZB D., Ismet 49 EU-Terrorliste 58 D.S.T. / X.x.X. 97 Exilregierung Deutsches Reich 120 Dabbagh, Hassan (Abu al-Hussein) 53 EZB 130, 134 f, 138 Der III. Weg 88 f, 90, 93 f, 107 f, 183 F Deradikalisierungsnetzwerk gegen F.e.l.S. 134, 136 Salafismus 24 Farben für Waisenkinder e.V. 60, 182 Deutsch Mesopotamisches BildungsFazilet Partisi 66 zentrum e.V. siehe DMBZ Föderation der Türkischen DemokratiDeutsch, Stolz, Treue siehe D.S.T. / X.x.X. schen Idealistenvereine in Deutschland Deutsche Liga für Volk und Heimat e.V. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk siehe DLVH Dernekleri Federasyonu) siehe ADÜTDF Deutsche Taliban Mujahidin 48 Föderation kurdischer Vereine in DeutschDeutsche Volksunion siehe DVU land e.V. siehe YEK-KOM Dhu l-Qarnain 40 Franz, Frank 101 Die Lunikoff-Verschwörung 97 ff Freiheitliche demokratische GrundordDie Rechte 88 ff, 93, 98 f, 105 f, 109, 183 nung 17 f, 22 f, 31, 50, 52, 62, 67, 71, Die Wahre Religion siehe DWR 101, 123 ff, 149, 162, 170 f, 173 f, 176 DLVH 110, 118 Freiheitsfalken Kurdistans (Teyrebazen DMBZ 78, 183 Azadiya Kurdistan) siehe TAK DVU 105 Frontbann 24 106 DWR 54 Frontdienst 104 Für eine linke Strömung siehe F.e.l.S. Fussilet 33 e.V. 49, 51, 182 188 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 G Hizb Allah (Partei Gottes) 30 f, 33, 55, G10 15 f, 18, 172, 174, 178 57 ff, 182 G7-Gipfel 130 HoGeSa 88 f, 100, 111 f, 116 GAR 21 HoGeSa-Berlin 111 f, 116 GBA 21 Hooligans gegen Salafisten Geheimund Sabotageschutz 160 f siehe HoGeSa Geheimschutzbeauftragter 160 HPG 73, 183 Geheimschutzbetreuung 161 Hubbard, L. Ron 156 Gemeinsames Abwehrzentrum gegen HuT 30 f, 33, 53, 60 ff, 182 Rechtsextremismus siehe GAR Gemeinsames Extremismusund I Terrorismusabwehrzentrum siehe GETZ I., Fatih 48 Gemeinsames Internet-Zentrum Ian Stuart Donaldson-Memorial Konzert siehe GIZ 98 Gemeinsames TerrorismusabwehrIB 88, 112 ff, 183 zentrum siehe GTAZ Ibrahim al-Khalil-Moschee 51, 53, 182 Generalbundesanwalt siehe GBA Idealisten 84 Gesetz über den Verfassungsschutz in Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg Berlin siehe VSG Bln 112, 114 Gesetz zur Beschränkung des Postund Identitäre Bewegung siehe IB Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu IGD 33, 63 f, 182 Artikel 10 Grundgesetz) siehe G 10 IKEZ 56, 64, 68 GETZ 21 IL 132 ff, 143, 147, 154, 184 GIDA-Aufmärsche 117 Interkulturelles Zentrum für Dialog und GIZ 21 Bildung e. V. siehe IZDB Graue Wölfe 84 Interventionistische Linke siehe IL Großer Austausch 114 Irving, David 95 Grundgesetz 15 ff, 71, 88, 170 f, 173 f, IS 29 f, 32 ff, 44 ff, 55 f, 59, 61, 63, 65, 68, 177 ff, 181 74 ff, 78, 80, 82, 147 GTAZ 20 f ISI 35 ISIG 35, 42 H Islamfeindliche Rechtsextremisten HAMAS 30 ff, 55 ff, 182 6, 87 ff, 109, 115 ff Hayah - Humanitäre Unterstützung Islamische Gemeinschaft in Deutschland für Flüchtlinge 68 e. V. siehe IGD Hizb ut-Tahrir (Partei der Befreiung) siehe HuT Personenund Sachregister 189 Islamische Gemeinschaft Kurdistans KCD-E 78 siehe CIK Kern-"al-Qaida" 35, 40 ff, 47 Islamische Weltfront für den Jihad gegen Khomeni, Ayatollah 59 Juden und Kreuzzügler 42 KIAR 21 Islamischer Staat - Provinz Sinai 65 Know-how 158, 165 f Islamischer Staat im Irak und Großsyrien Kommunismus 122 f, 137 f, 146, 150 siehe ISIG Kommunistische Partei Deutschlands Islamischer Staat Irak siehe ISI siehe KPD Islamischer Staat siehe IS Kongress der kurdischen demokratischen Islamischer Widerstand (al-Muqawama Gesellschaft in Europa siehe KCD-E al-islamiya) 57 Koordinierte Internetauswertung Islamisches Emirat Kaukasus 33, 182 Rechtsextremismus siehe KIAR Islamisches Kulturund ErziehungsKouachi 46 f zentrum Berlin e. V. siehe IKEZ KP 136, 139 Islamseminar 51 ff KPD 124 Ismail, Abdallah Khalid 52 Kritik & Praxis siehe KP Istanbul 47 Kurdische Frauenbewegung in Europa IZDB 63 f, 68 siehe TJKE J L Jabhat al-Nusra li-ahl asch-Scham Länderarbeitskreis der Sicherheitsbevollsiehe JaN mächtigten Berlin-Brandenburg Jaisch al-Fath 43 siehe SIBE-AK BR-BB JaN 35, 42 f, 48, 59 Legalresidenturen 158 Jerusalem-Tag (arab.: al-Quds) 59 Legion of Thor 98 Jihad 29, 36 ff, 42 f, 45, 49 f Lies! Im Namen deines Herrn, der dich Jihadisten 34, 36 ff, 43 f, 47 f, 82 erschaffen hat 40, 45, 54, 68 Jihadistischer Salafismus 35, 49 ff Liste terroristischer Organisationen JN 88 f, 100, 104 f, 183 der Europäischen Union 56 Luftsicherheitsgesetz siehe LuftSiG K LuftSiG 163 Komalen Civan 77 Lügenmedien 114 Junge Nationaldemokraten siehe JN Lügenpresse 99, 117 K., Fatih 48 Lunikoff siehe Regener, Michael Kadterschmiede 153 Kalif 28, 30, 35, 40 f, 43 Kalifat 28, 35, 40, 47, 53, 61 190 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 M Netzwerk "Freie Kräfte" Mahmoud, Mohamed 37 ff 88 ff, 92 ff, 103, 106 f, 183 Marci & Kapelle" / "Tätervolk" 98 Netzwerk Kameradschaften 92 Marxismus-Leninismus 71, 122 Neue antikapitalistische Organisation Materieller Geheimschutz 160 siehe NaO MB 30 ff, 62 ff, 69, 182 MGB 32 f, 62, 65 f, 182 MillA(r) Gazete 66 f North East Antifascists siehe NEA Milli Görüs 29, 31 ff, 62, 65 ff, 182 NPD 88 ff, 93 ff, 98 ff, 107, 109 f, 116 ff, Milli Görüs - Bewegung siehe MGB 155, 183 Milli Görüs-Ideologie 29, 65 ff NW 95 Mitwirkungsangelegenheiten 164 Mohammed-Karikaturen 39, 47 O Mujahidin-Netzwerke 32 f, 182 Öcalan, Abdullah 73, 75, 79 Mursi, Muhammad 56, 64 f Osmanli Ocaklari 85 Muslim, Salih 74 Muslimbruderschaft siehe MB P P., Harun 48 N Palästinensische Gemeinschaft in Nachrichtendienstliches InformationsDeutschland e.V. siehe PGD system siehe NADIS Palestinian Return Center siehe PRC NADIS 19, 170, 172 Paris 5, 36, 41, 43, 45 ff, 69, 79 NaO 140, 144 ff, 184 Partei der demokratischen Union Nasrallah, Hassan 59 (Partiya YekitA(r)ya Demokrat) siehe PYD Nationaldemokratische Partei Partiya Karkeren Kurdistan siehe PKK Deutschlands siehe NPD Pegida 115, 131, 138 Nationaler Widerstand siehe NW Persönlichkeitsoder Stresstest 156 Nationales Cyber-Abwehrzentrum 166 PGD 57 Nationalsozialisten 93 f PKK 33, 72 ff, 183 NAV-DEM 78, 80, 82, 183 Politischer Salafismus 23, 29 f, 49 f, 52 f NAV-DEM Berlin e.V. 78, 82, 183 Postautonome 6, 125 ff, 129, 133 ff, 139, 150, 154 f NEA 133, 147 ff, 184 PRC 57 Nein zum Heim-Seiten 117 Pro Deutschland 88 f, 109 ff, 116, 183 Neonazis 86, 89, 92 ff, 105 f, 149 Proliferation 159 Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" Punk Front 98 88, 97, 183 PYD 74, 78, 80, 82, 183 Personenund Sachregister 191 Q Seyam, Reda 37, 39 f Quds-Tag 59 Shahid Stiftung 60 SIBE-AK BR-BB 161 R Sicherheitsüberprüfungen 160 f, 171 Rabi'a-Symbol 65 Siegel der Propheten 55 radikale linke | berlin 135, 140 ff, 150, SIGINT 166 154, 184 Signals Intelligence siehe SIGINT RAF 124 Silvio-Meier-Gedenkdemonstration Rechtsextremistische Musik 148 88, 97, 108, 183 SO 23, 156 f, 184 RED 21 Social Center 4 All siehe SC4A Regener, Michael 97 ff Soziales Zentrum 141 f, 154 Reichsbürger 23, 90, 120 f Spionageabwehr 14, 19, 158 f, 167, 172 f Reichsbürgerbewegung 23, 120, 183 Sprengstoffgesetz 163 Revolutionäre 1. Mai-Demonstration staatenlos.info 120 siehe 1. Mai Staatsangehörigkeitsgesetz siehe StAG Rigaer 94 150 f, 153, 184 StAG 162 Rigaer Straße 152 f, 155 Street-Dawa 54 Ring Nationaler Frauen siehe RNF Suruc 73, 75, 81, 84 RNF 100 Rojava 74, 79 f, 82 T Rote Armee Fraktion siehe RAF Tag der deutschen Patrioten 95 f Rote Hilfe e.V. 126 f, 184 Tag der deutschen Zukunft 130 Rouhs, Manfred 110 TAK 77, 183 Teiba Kulturzentrum zur Förderung der S Bildung und Verständigung e.V. S., Murat 49 siehe TKZ Saadet Partisi 66 f Terrororganisation Islamischer Staat Sabotageschutz 160 siehe IS Sag nein zu Drogen, sag ja zum Leben e.V. Theorie Organisation Praxis 157 siehe TOP B3rlin Salafismus 23 f, 29 ff, 35, 49 f, 52 f TJKE 77, 183 SC4A 141 TKZ 64 Schmidtke, Sebastian 101 TOP B3rlin 134 ff, 143, 184 Schwarze Blöcke 124 Traditionelle Rechtsextremisten Schwarze Kreuze Deutschland 100 6, 87 ff, 116 f Scientology Organisation siehe SO 192 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Transnationale terroristische Netzwerke W 30, 32 f Waffengesetz 163 Trauermarsch 95 Waisenkinderprojekt Libanon e. V. siehe WKP U Wehrhafte Demokratie 124 Ülkücü-Bewegung 72, 83 ff, 183 Weiße Wölfe Terrorcrew siehe WWT Union kurdischer Familien Wir für Berlin & Wir für Deutschland siehe YEK-MAL 111 Wirtschaftsschutz 165 ff V Wirtschaftsspionage 159, 165 ff Vendetta siehe Villain051 WKP 60, 182 Verband der Studierenden aus Kurdistan Worch, Christian 105 f siehe YXK WWT 96 f, 183 Verbunddatei Rechtsextremismus www.alrisalah.de 40 siehe RED Verein zur Rehabilitierung der wegen Y Bestreitens des Holocaust Verfolgten YEK-KOM 78 siehe VRBHV YEK-MAL 77, 183 Vereinigung der Neuen Weltsicht in YPG 74, 77, 183 Europa e. V. siehe AMGT YXK 77, 183 Verfassung von Berlin 15, 170, 178, 180 Verschlusssachen 161 Z Vertrauliches Telefon 4, 25, 159 Zentrum der demokratischen Gesellschaft Villain051 100 der Kurden in Deutschland e.V. Violence Prevention Network 24 siehe NAV-DEM Volkstod 119 Zum Henker 106 Volksverteidigungseinheiten YekA(r)neyen Parastina Gel siehe YPG Volksverteidigungskräfte (Hezen Parastina Gel) siehe HPG VRBHV 118 VSG Bln 15, 17 f, 20, 160 ff, 170 Personenund Sachregister 193 194 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Bildnachweis Seite 5 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 34 picture alliance Seite 36 picture alliance Seite 38 picture alliance Seite 42 picture alliance Seite 45 picture alliance Seite 54 oben: Islamistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 54 unten: Islamistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 55 Logo der HAMAS Seite 57 Logo der "Hizb Allah" Seite 59 picture alliance Seite 60 oben: Logo des verbotenen Vereins "Waisenkinderprojekt Libanon" Seite 60 unten: Logo der "Shahid Stiftung" im Libanon Seite 61 Logo der "Hizb ut-Tahrir" Seite 63 Logo der "Muslimbruderschaft" Seite 65 Logo Rabi'a Seite 73 Logo der PKK Seite 74 oben: Logo der PYD Seite 74 unten: picture alliance Seite 78 Logo der NAV-DEM Seite 80 picture alliance Seite 81 picture alliance Seite 83 Logo Ülkücü Seite 93 Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 95 oben: Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 95 unten: Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 96 Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 100 Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 101 Internetauftritt des Berliner Landesverbands der NPD Bildnachweis 195 Seite 104 oben: Internetauftritt der JN Seite 104 unten: Werbematerial der JN Seite 107 oben: Internetauftritt der Partei "Der III. Weg" Seite 107 unten: Internetauftritt der Partei "Der III. Weg" Seite 108 Internetauftritt der Partei "Der III. Weg" Seite 109 oben: Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 109 unten: Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 111 Internetauftritt der "Bürgerbewegung Pro Deutschland" Seite 112 oben: Internetauftritt Bärgida Seite 112 unten: Logo der "Identitären Bewegung" Seite 115 Internetauftritt Bärgida Seite 118 Logo der "Europäischen Aktion" Seite 126 Logo der "Roten Hilfe" Seite 134 Abbildung auf einer Internetseite mit linksextremistischen Inhalten Seite 136 Logo der "Interventionistischen Linken" Seite 137 picture alliance Seite 138 picture alliance Seite 139 Logo "TOP B3rlin" Seite 141 oben: Abbildung auf einer Internetseite mit linksextremistischen Inhalten Seite 141 unten: picture alliance Seite 143 Logo der "radikalen linken | berlin" Seite 145 oben: Abbildung auf einer Internetseite mit linksextremistischen Inhalten Seite 145 unten: Logo der ARAB Seite 147 oben: Logo der NaO Seite 147 unten: Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 150 Logo der NEA Seite 152 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 153 Logo "Rigaer 94" 196 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Publikationsübersicht Reihe IM FOKUS Zerrbilder von Islam und Demokratie 2. Auflage, Berlin 2016. 156 Seiten. Linke Gewalt in Berlin 2009 - 2013 1. Auflage, Berlin 2015. 70 Seiten. Rechte Gewalt in Berlin 2003 - 2012 1. Auflage, Berlin 2014. 66 Seiten. Scientology - Eine kritische Bestandsaufnahme 1. Auflage, Berlin 2011. 83 Seiten. Antisemitismus im extremistischen Spektrum Berlins 2. Auflage, Berlin 2006 (im Internet abrufbar). 56 Seiten. Islamismus. Diskussion eines vielschichtigen Phänomens 2. Auflage, Berlin 2006 (im Internet abrufbar). 116 Seiten. Rechtsextremistische Skinheads 1. Auflage, Berlin 2003 (im Internet abrufbar). 86 Seiten. Publikationsübersicht 197 Reihe INFO Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus 9. überarbeitete Auflage, Berlin 2015. 42 Seiten. Salafismus als politische Ideologie 1. Auflage, Berlin 2015. 66 Seiten. Linksextremismus 1. Auflage, Berlin 2014. 66 Seiten. Rechtsextremismus in Berlin 2. Auflage, Berlin 2014. 58 Seiten. Rechtsextremistische Musik 3. Auflage, Berlin 2012. 58 Seiten. Islamismus 3. Auflage, Berlin 2006. 42 Seiten. 198 Verfassungsschutzbericht Berlin 2015 Sonstiges Islamismus: Prävention und Deradikalisierung (DVD) 1. Auflage, Berlin 2011. 59 min. Verfassungsschutz - Nehmen Sie uns unter die Lupe 1. Auflage, Berlin 2002. 19 Seiten. Diese sowie weitere Publikationen des Berliner Verfassungsschutzes können Sie unter der rückseitig angegebenen Adresse sowie telefonisch unter 030 90129-440 bestellen oder im Internet unter www.verfassungsschutz-berlin.de abrufen. Der Verfassungsschutz Berlin bietet zudem Vorträge zu den einzelnen Extremismusfeldern an. Nähere Informationen erhalten Sie ebenfalls unter 030 90129-440. DER VERFASSUNGSSCHUTZ DIENT DEM SCHUTZ DER FREIHEITLICHEN DEMOKRATISCHEN GRUNDORDNUNG, DES BESTANDES UND DER SICHERHEIT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND UND IHRER LÄNDER. Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Klosterstraße 47, 10179 Berlin Tel 030 90129-440 www.verfassungsschutz-berlin.de info@verfassungsschutz-berlin.de