Verfassungsschutzbericht 2014 Verfassungsschutzbericht 2014 4 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Erreichbarkeit Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Klosterstraße 47, 10179 Berlin Telefon 030 90129-440 Fax 030 90129-844 info@verfassungsschutz-berlin.de www.verfassungsschutz-berlin.de Pressestelle 030 90129-565 Vertrauliches Telefon 030 90129-400 Deutsch/Englisch 030 90129-401 Türkisch 030 90129-402 Arabisch Herausgeber Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Abteilung Verfassungsschutz Redaktionsschluss April 2015 Abdruck gegen Quellenangabe gestattet, Belegexemplar erbeten. Hinweis Dieser Verfassungsschutzbericht erwähnt nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes. Vorwort 5 Vorwort Am 1. April 2015 hat das Deradikalisierungsnetzwerk meines Hauses seine Arbeit aufgenommen. Die Berliner Sicherheitsbehörden arbeiten in diesem Projekt zusammen mit Fachleuten des Violence Prevention Network e. V. (VPN), um auf junge radikalisierte Menschen einzuwirken und so der Gefährdung in sicherheitsrelevanten Einzelfällen nachhaltig zu begegnen. Die "Kompass"-Beratungsstelle von VPN soll diesen Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen Weg aus der Radikalisierung aufzeigen und sie auf diesem begleiten. Denn oftmals sehen wir bei der Analyse von Radikalisierungsprozessen, dass die Betroffenen aufgrund von Brüchen in ihrem Lebenslauf haltlos und auf der Suche nach klaren Lebensinhalten sind. Extremisten nutzen diese Orientierungslosigkeit aus und versprechen ebenso einfache wie gefährliche Lösungen. Dem müssen wir begegnen. Der "Kompass" soll in die richtige Richtung weisen. Das ist ein schwieriger und vermutlich auch langer Weg - aber er wird sich auszahlen. Wie notwendig deradikalisierende und präventive Maßnahmen geworden sind, zeigt bereits die stetig wachsende Zahl der Salafisten, die nicht nur Sicherheitsbehörden aufmerken lassen muss. Allein in Berlin ist die Zahl der Salafisten von 350 im Jahr 2011 auf inzwischen mehr als 650 gestiegen. Sprachen wir vor vier Jahren noch von 100 gewaltorientierten Salafisten, sind es heute rund 340. Damit hat sich der Anteil der Gewaltorientierten also überproportional erhöht. Repressive Maßnahmen sind wichtig, reichen hier aber nicht aus. Wir müssen auf unterschiedlichen Ebenen und von ganz unterschiedlichen Seiten an das Phänomen herangehen. Aufklärung und Bildung sind dabei von besonderer Bedeutung. Die Bekämpfung des islamistischen Extremismus stellt eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft dar. 6 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Dies verdeutlichen auch die furchtbaren Anschläge in Brüssel, Paris und Kopenhagen. Denn dies waren Angriffe auf die gesamte freie Gesellschaft in Europa. Solche Taten können auch in Zukunft nirgendwo ausgeschlossen werden. Doch wir dürfen uns davon nicht verunsichern lassen, denn genau das ist das Ziel von Terroristen. Sie schaden auch unserem friedlichen Zusammenleben und dem Miteinander der unterschiedlichen Kulturen in unserer Stadt. Extremisten und Terroristen versuchen eine Religion - den Islam - für sich zu missbrauchen. Denn es ist eine politische Ideologie, die hinter ihrer Agitation steckt. Das fängt beim vermeintlich harmlosen Verteilen des Korans im Rahmen der "Lies!"-Kampagne an und hört bei Aufrufen zur Ausreise in den Jihad auf. Eine weitere ernst zu nehmende Entwicklung ist die Instrumentalisierung der Flüchtlingsthematik, die Rechtsextremisten zunehmend als Vehikel zur Verbreitung ihrer fremdenfeindlichen und rassistischen Hetze nutzen. Der Bürgerkrieg in Syrien und die vielen anderen Krisenherde haben die Zahl der Flüchtlinge, die auch in Berlin Zuflucht suchen, dramatisch steigen lassen. Rechtsextremisten versuchen, diese gestiegenen Flüchtlingszahlen für ihre Zwecke zu missbrauchen. Getarnt als so genannte "Bürgerbewegungen" oder "-initiativen" versuchen sie dabei, über ihre eigene Klientel hinaus zu wirken und so einen Zugang zum bürgerlichen Milieu zu bekommen. Sie stellen sich häufig als eine Art Interessenvertreter der Bevölkerung dar und hoffen so, auf subtile Art für ihre menschenverachtende Ideologie zu werben. In diesem Rahmen gab es auch eine Zunahme von rechten Straftaten: Fremdenfeindliche Gewaltdelikte, Volksverhetzung und Beleidigungen sind hier neben Propagandadelikten vor allem zu nennen. Die agressiven Demonstrationen und Anfeindungen gegen Flüchtlinge schaffen ein Klima der Angst, das wir nicht akzeptieren dürfen. Auch für Linksextremisten ist die Flüchtlingsthematik weiterhin ein wichtiges Aktionsfeld. 2014 waren die Entwicklungen geprägt von der Auflösung des Camps am Oranienplatz sowie die anhaltende Diskussion um die Situation in der Gerhart-Hauptmann-Schule. Unter Bezugnahme auf das Thema Flüchtlinge wurden zahlreiche und teilweise erhebliche Strafund Gewalttaten begangen, die sich gegen Politiker, Parteibüros und Behörden richteten, aber auch gegen unbeteiligte Privatpersonen, Unternehmen und Geschäftsleute. Vorwort 7 Sorge bereiten mir auch die Übergriffe auf Polizeibeamtinnen und -beamte sowie auf politisch Engagierte, die sich längst nicht mehr nur auf verbale Attacken beschränken. Feige und hinterhältig werden Polizisten bei ihrem Einsatz angegriffen. Dabei werden oft schwere Körperverletzungen und Schlimmeres bewusst in Kauf genommen. Die Bilder aus Frankfurt am Main, die zur Eröffnung der Europäischen Zentralbank im März zu sehen waren, kennen wir in Teilen aus Berlin nur gut genug. Brennende Polizeifahrzeuge und Feuerwehrkräfte, die angegriffen werden - das ist kein Zeichen einer politischen Meinung, sondern rohe Gewalt und Lust an Krawall. Auch Linksextremisten aus Berlin haben bei den Ausschreitungen eine Rolle gespielt. Diese Gewalt mit einer ideologischen Begründung zu verklären, ist weltfremd. Politisch begründete Gewalt ist mit nichts zu rechtfertigen. Dieser Bericht verschafft Ihnen einen guten Überblick über die Herausforderungen, denen sich der Berliner Verfassungsschutz im vergangenen Jahr gestellt hat. Mein Dank gilt allen Beschäftigten der Abteilung, die an dieser wichtigen Aufgabe mitgewirkt haben. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre. Frank Henkel Senator für Inneres und Sport 8 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Inhaltsverzeichnis I Verfassungsschutz Berlin 13 Struktur 14 Gesetzliche Grundlagen 15 Aufgaben und Befugnisse 15 Kontrolle 16 Arbeitsweise 17 Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes 22 Inhaltsverzeichnis 9 II Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 27 1 Islamismus 28 1.1 Ideologie des Islamismus 28 1.2 Personenpotenzial 32 1.3 Aktuelle Entwicklungen im islamistischen Terrorismus 33 1.3.1 Der "Islamische Staat" als jihadistischer Akteur in Syrien und Irak 34 1.3.2 Deutschsprachige Propaganda des IS 38 1.3.3 Die Gefährdungslage für Deutschland 42 1.3.4 "Al-Qaida"-Netzwerk 46 1.4 Salafistische Bestrebungen 49 1.4.1 Reaktionen des salafistischen Spektrums auf die Konflikte im Nahen Osten 51 1.4.2 Salafistische Propaganda in Berlin 52 1.5 Regional gewaltausübender Islamismus 56 1.5.1 "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS) 56 1.5.2 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") 58 1.6 Gewaltbefürwortender Islamismus 60 1.6.1 "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung") 61 1.7 Legalistischer Islamismus 62 1.7.1 "Muslimbruderschaft" / "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." 62 1.7.2 "Milli Görüs"-Bewegung 65 2 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 67 2.1 Ideologien extremistischer Bestrebungen ausländischer Organisationen 67 2.2 Personenpotenzial 68 2.3 Arbeiterpartei Kurdistans - PKK ("Partiya Karkeren Kurdistan") 69 2.3.1 Der Krieg zwischen Kurden und der Terrororganisation "Islamischer Staat" in Irak und Syrien 69 2.3.2 Krieg gegen IS beherrscht PKK-Aktivitäten in Deutschland und Berlin 72 3 Rechtsextremismus 78 3.1 Ideologie des Rechtsextremismus 78 3.2 Personenpotenzial und Straftaten 82 3.3 Aktuelle Entwicklungen 84 10 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 3.3.1 Die Instrumentalisierung steigender Flüchtlingszahlen durch die rechtsextremistische Szene 84 3.3.2 "Bürgerbewegungen" als Instrumente der rechtsextremistischen Szene 85 3.4 Aktionsorientierter Rechtsextremismus 89 3.4.1 Das Netzwerk "Freie Kräfte" zwischen Mobilisierungsschwäche und anhaltendem Repressionsdruck 89 3.4.2 "A3stus" als neuer Aktivposten innerhalb des Netzwerks "Rechtsextremistische Musik" 92 3.5 Parlamentsorientierter Rechtsextremismus 96 3.5.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 96 3.5.2 "Die Rechte" 102 3.5.3 "Bürgerbewegung Pro Deutschland" 104 3.6 Diskursorientierter Rechtsextremismus 107 3.6.1 Die "Montagsdemonstrationen" als Agitationsrahmen für Rechtsextremisten 107 3.6.2 "Reichsbürger" 108 3.6.3 "Europäische Aktion" 109 3.6.4 "Identitäre Bewegung" 111 4 Linksextremismus 114 4.1 Ideologie und Historie 114 4.2 Personenpotenzial und Straftaten 117 4.3 Aktuelle Entwicklungen 120 4.3.1 Rituale ziehen nicht mehr - Strategiedebatten 120 4.3.2 Frustration und Orientierungslosigkeit - Lösungsstrategien 130 4.4 Zusammenfassung und Fazit 148 5 "Scientology Organisation" 150 6 Spionageabwehr 153 7 Geheimund Sabotageschutz 155 7.1 Geheimschutz in der Wirtschaft 156 7.2 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen 157 8 Wirtschaftsspionage 160 Inhaltsverzeichnis 11 III Anhang 165 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 166 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 178 Personenund Sachregister 181 Bildnachweis 188 Publikationen des Verfassungsschutzes 190 12 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 I Verfassungsschutz Berlin 14 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Struktur Verfassungsschutzbehörde für das Land Berlin ist die Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Die Aufgaben werden durch die Abteilung II wahrgenommen: Abteilung II Verfassungsschutz Abteilungsleiter ÖAG Öffentlichkeitsarbeit/ Gremien Referat II A Referat II B Referat II C Referat II D Referat II E Grundsatz Rechtsextremismus Islamismus Linksextremismus Beschaffung Recht Mitwirkung / inkl. Terrorismus / Spionageabwehr Verwaltung Geheimschutz AusländerInformationstechnik extremismus Während das Grundsatzreferat II A Querschnittsaufgaben wie Verwaltung, Recht und Informationstechnik abdeckt, sind die Auswertungsreferate II B, II C und II D für die Analyse und Bewertung von Informationen zuständig. Das Referat II E beschafft Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Für die Aufgaben des Verfassungsschutzes standen 2014 Haushaltsmittel in Höhe von 11,22 Mio. Euro und 198,58 Stellen zur Verfügung. Gesetzliche Grundlagen 15 Gesetzliche Grundlagen Aufgaben und Befugnisse Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist hinsichtlich der Aufgabenstellungen, der Befugnisse und der Kontrollverfahren im Grundgesetz und in Einzelgesetzen festgeschrieben.1 Von Bedeutung sind hier: * das Grundgesetz (GG), Artikel 73 und 87, * das Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln),2 * das Gesetz zur Beschränkung des Postund Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) sowie das Gesetz zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz, * das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG), * das Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG). 1 Detaillierte Darstellungen sowie Gesetzestexte sind auf der Internetseite des Berliner Verfassungsschutzes unter www.verfassungsschutz-berlin.de eingestellt. 2 Der vollständige Gesetzestext ist im Anhang abgedruckt und kann auf der Internetseite des Berliner Verfassungsschutzes unter www.verfassungsschutz-berlin.de abgerufen werden. 16 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Kontrolle Die Verfassungsschutzbehörde unterliegt bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben einer Kontrolle auf mehreren Ebenen: Öffentliche Kontrolle Revision durch Bürger und Kontrollinstanz Medien der Leitung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Datenschutz Allgemeine Beauftragter für parlamentarische Datenschutz und Kontrolle durch das Informationsfreiheit Abgeordnetenhaus Debatten, Aktuelle Stunden, Parlamentarische Anfragen, Petitionen Abteilung II Verfassungsschutz Gerichtliche Besondere parlamenKontrolle tarische Kontrolle durch VerwaltungsAusschuss für Vergerichte fassungsschutz G10-Kommission Vertrauensperson Kontrolle von Eingrifdes Ausschusses für fen in das Postund Verfassungsschutz Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG Arbeitsweise 17 Arbeitsweise Der Verfassungsschutz Berlin hat laut Verfassungsschutzgesetz Berlin (VSG Bln) die Aufgabe, den Senat und das Abgeordnetenhaus, andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu unterrichten.3 Die Behörde beschafft Informationen, analysiert sie und unterrichtet Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit über ihre Erkenntnisse. Definition Extremismus Der Verfassungsschutz beobachtet extremistische Bestrebungen. Der Begriff Extremismus bezeichnet kein einheitliches Phänomen, sondern ist eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Bestrebungen, "die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln einig wissen".4 Die verfassungsmäßige Grenze des politischen Handelns ist in der Bundesrepublik Deutschland eindeutig festgelegt. Anlässlich des Verbots der "Sozialistischen Reichspartei" (SRP) bestimmte das Bundesverfassungsgericht 1952 den Kern des demokratischen Verfassungsstaates, die freiheitliche demokratische Grundordnung. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind zu rechnen: * die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, vor allem der Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf Leben, * die Volkssouveränität, * die Gewaltenteilung, * die Verantwortlichkeit der Regierung, * die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, 3 Vgl. SSSS 1, 5 und 6 VSG Bln. 4 Uwe Backes / Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. 4. Auflage, Bonn 1996, S. 45. 18 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 * die Unabhängigkeit der Gerichte, * das Mehrparteienprinzip, * die Chancengleichheit aller politischen Parteien, * das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.5 Die Verfassungsschutzbehörden verwenden den Extremismusbegriff seit Anfang der 1970er Jahre in Abgrenzung zu dem Begriff des Radikalismus. Während extremistische Positionen die Grenze der verfassungsmäßigen Ordnung überschreiten, bezeichnet der Radikalismus Auffassungen, die zwar grundlegende systemoppositionelle Positionen vertreten, die sich aber mit ihrer fundamentalen Kritik innerhalb der Grenzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegen. Informationsbeschaffung Bei der Informationsbeschaffung ist zwischen offenen und verdeckt erhobenen Informationen zu unterscheiden. Der Verfassungsschutz erhält einen hohen Anteil seiner Informationen aus allgemein zugänglichen Veröffentlichungen und Veranstaltungen. Nachrichtendienstliche Mittel dürfen nach dem VSG Bln eingesetzt werden, wenn verfassungsfeindliche Bestrebungen weitgehend konspirativ agieren und sich wegen der Abschottung auf andere Weise keine Informationen gewinnen lassen. Nach den Vorgaben des VSG Bln darf der Einsatz dieser Mittel nur erfolgen, wenn sie im Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel kommt deshalb erst dann in Betracht, wenn die anderen Mittel der Nachrichtenbeschaffung erschöpft sind, d.h. wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählen der Einsatz von Vertrauenspersonen (so genannten V-Personen), die aus Beobachtungsobjekten berichten,6 die Observation sowie die Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs, deren besonders engen rechtlichen Voraussetzungen im Gesetz zu Artikel 10 GG geregelt sind. 5 Vgl. BVerfG 2, 1 ff.; BVerfG 5, 85 ff.; SS 6 VSG Bln. 6 Die Informationsbeschaffung durch V-Personen ist von großer Bedeutung für die Gewinnung von Informationen über verfassungsfeindliche, insbesondere gewaltbereite, Organisationen. Der Einsatz von V-Personen steht in einem Spannungsfeld: Einerseits bedarf es des Schutzes der freiheitlichen Demokratie, andererseits der Beschaffung von Informationen durch Mitglieder extremistischer Organisationen. V-Personen sind Privatpersonen, die in der Regel der zu beobachtenden verfassungsfeindlichen Organisation angehören oder ihr nahe stehen. Sie berichten über deren Strukturen und Aktivitäten. Der Gesetzgeber hat dieses Mittel der Informationsbeschaffung den Verfassungsschutzbehörden zugewiesen (SS 8 Abs. 2 Nr. 1 VSG Bln). Aufgrund der besonderen Sensibilität der Maßnahme sind dem Einsatz von V-Personen aber enge rechtsstaatliche Grenzen gesetzt. Voraussetzung beim Einsatz von V-Personen ist die Vertraulichkeit (so genannter Quellenschutz). Arbeitsweise 19 Zur Bekämpfung gewalttätiger, insbesondere terroristischer Bestrebungen dürfen Anfragen an Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsanbieter und Kreditinstitute gestellt werden. Gerade zur Aufklärung islamistischer terroristischer Netzwerke kann es erforderlich sein, Flüge festzustellen, Finanzierungsströme aufzuklären und Telefonverbindungsdaten zur Feststellung von Kontakten zu erlangen. Wegen der Eingriffstiefe dieser Befugnisse wurde die Umsetzung in den letzten zehn Jahren zweimal auf Bundesebene evaluiert. In der Folge wurden die Befugnisse im Wesentlichen bestätigt, teilweise effektiver ausgestaltet. Informationsbearbeitung Die durch die Informationsbeschaffung gesammelten Rohdaten müssen gefiltert, systematisiert und analysiert werden. Dabei kommt der Informationstechnik für die Verarbeitung großer Datenmengen eine wichtige Rolle zu. Als bundesweite Verbunddatei existiert für die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder das "Nachrichtendienstliche Informationssystem" (NADIS). Hierüber ist es möglich abzufragen, ob Daten zu einer Person bei einer Verfassungsschutzbehörde erfasst sind.7 Soweit dies zur Aufklärung von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten oder von rechtsextremistischen oder von gewaltorientierten Bestrebungen erforderlich ist, dürfen auch Textdateien oder erweiterte Erkenntnisse ausgetauscht werden. Anfang 2015 waren für Berlin 36 637 Datensätze im NADIS gespeichert (Ende 2013: 32 510). Der überwiegende Anteil dieser Datensätze fällt auf die Sicherheitsund Zuverlässigkeitsüberprüfungen. Die übrigen verteilen sich auf die Aufgabenbereiche Spionageabwehr, Islamismus, Ausländer-, Rechtsund Linksextremismus. Für die Auswertung der Daten spielt die präzise Definition von Analysebegriffen etwa zur Risikobewertung und die Entwicklung von Instrumenten wie die computergestützte geografische Analyse eine wichtige Rolle. Durch letztere können lokale Schwerpunkte herausgearbeitet werden (vgl. "Im Fokus"-Studien "Rechte Gewalt in Berlin" und "Linke Gewalt in Berlin" sowie zahlreiche Lageanalysen).8 7 Die Speicherungsgrundlagen sowie die Speicherungsdauer richten sich nach den SSSS 10 und 11 BVerfSchG (SS 6 Satz 3 BVerfSchG). 8 Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Rechte Gewalt in Berlin 2003 bis 2006. Berlin 2007, Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Linke Gewalt in Berlin. Berlin 2009, Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Rechte Gewalt in Berlin 2003 bis 2012. Berlin 2014. 20 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Informationsweitergabe Die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Extremismus dient dem Schutz der Demokratie. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit ist deshalb als Aufgabe im VSG Bln festgeschrieben.9 Daneben soll die Informationsweitergabe an andere Behörden es diesen ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen. Die Zusammenarbeit mit anderen Behörden geschieht auf Grundlage der Regelungen des VSG Bln über die Informationsweitergabe.10 Bei der Weitergabe von Erkenntnissen über Personen wird danach unterschieden, ob es sich um Sicherheitsbehörden, andere öffentliche Stellen oder ausländische Institutionen handelt. * Bei der Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund besteht eine Informationspflicht für alle anfallenden Erkenntnisse, die für die Aufgabenerfüllung der anderen Behörden erforderlich sind (SS 19 VSG Bln). * Die Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft wird durch besondere Übermittlungsbefugnisse flankiert. Wenn es zur Verhinderung und Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit extremistischen Bestrebungen erforderlich ist, müssen Erkenntnisse weitergegeben werden (SS 21 VSG Bln), sofern keine Übermittlungsverbote (SS 28 VSG Bln) entgegen stehen. * An andere öffentliche Stellen dürfen Erkenntnisse über Personen insbesondere übermittelt werden, wenn sie die Informationen zum Schutz vor verfassungsfeindlichen Bestrebungen benötigen oder wenn es zur Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist (SS 22 VSG Bln). * Besondere Beschränkungen gelten für die Weitergabe personenbezogener Informationen an Personen und Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs oder an ausländische Stellen (SSSS 23, 24 und 25 VSG Bln). Zusammenarbeit mit anderen Behörden Angesichts der anhaltenden Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus haben die Innenminister die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren ausgebaut. 9 Vgl. SS 5 VSG Bln. 10 Vgl. speziell SSSS 18 - 25 VSG Bln. Für Übermittlungen an Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden außerhalb Berlins gilt SS 21 BVerfSchG. Arbeitsweise 21 2004 wurde das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in BerlinTreptow eingerichtet. Neben Experten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), des Bundeskriminalamtes (BKA), des Bundesnachrichtendienstes (BND), des Generalbundesanwalts (GBA) sowie ausländischer Partnerdienste sind die Länder mit Verbindungsbeamten der Polizei und der Verfassungsschutzbehörden dort vertreten. Das GTAZ ermöglicht, Informationen zum islamistischen Terrorismus umgehend gemeinsam zu analysieren und die operativen Maßnahmen abzustimmen. Gerade bei der Bewältigung besonderer Gefährdungslagen hat sich die Institution bewährt. Ende 2006 trat das Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizei und Nachrichtendiensten in Kraft. Von besonderer Bedeutung ist die "Anti-Terror-Datei" (ATD). Sie dient dem Erkenntnisaustausch zu Personen, die dem internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland zugerechnet werden. Das "Gemeinsame Internet-Zentrum" (GIZ) wurde im Januar 2007 eingerichtet. In ihm arbeiten Mitarbeiter von BfV, BKA, BND, MAD und GBA zusammen, um ihr Expertenwissen in der Beobachtung islamistischer Aktivitäten im Internet zu bündeln. Die stetig wachsende Zahl islamistischer Webseiten belegt die zunehmende Bedeutung des Internets für militante Islamisten, die dieses Medium vor allem als Propagandaund Rekrutierungsinstrument intensiv nutzen. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch die Analyse und Bewertung entsprechender Webseiten für die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus an Bedeutung. Nach der Aufdeckung der Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) und ihrer Taten wurde analog zum Arbeitsgebiet islamistischer Terrorismus auch im Rechtsextremismus eine Intensivierung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf den Weg gebracht. Im Dezember 2011 wurde das "Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus" (GAR) eingerichtet, das im BfV in Köln tagt. Es dient der engeren Koordination und Kooperation zwischen den Nachrichtendiensten und den Polizeibehörden von Bund und Ländern und ging im Herbst 2012 in dem neuen "Gemeinsamen Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) für alle Phänomenbereiche auf. Eine "Verbunddatei Rechtsextremismus" (RED) für Polizeibehörden und Nachrichtendienste sowie eine "Koordinierte Internetauswertung Rechtsextremismus" (KIAR) nahmen ebenfalls 2012 ihren Betrieb auf. 22 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes Die Information von Politik und Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ist die zentrale Aufgabe des Berliner Verfassungsschutzes, die im Verfassungsschutzgesetz an erster Stelle genannt wird. Als das Landesamt für Verfassungsschutz im Jahr 2000 aufgelöst und die Abteilung II bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport gegründet wurde, war es politischer Konsens, dass der Öffentlichkeitsarbeit ein gewichtiger Stellenwert eingeräumt wird. Diesen Auftrag erfüllen wir seitdem mit großem Engagement. Wir informieren Senat, Parlament und die Öffentlichkeit über aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern - so weitgehend und intensiv wie möglich. Dem Verfassungsschutz sind selbstverständlich in der Art und im Umfang seiner offenen Informationen Grenzen gesetzt. Oftmals werden die politische Leitung und die parlamentarischen Kontrollgremien in vertraulicher oder nicht-öffentlicher Sitzung über gravierende Ereignisse und Entwicklungen informiert. Gleichwohl sind wir bestrebt, relevante und bemerkenswerte Aktivitäten und Veränderungen in den Extremismusspektren auch der Öffentlichkeit mitzuteilen. Sei es in wissenschaftlichen Analysen oder knappen "Aktuellen Meldungen" im Internet - dem Thema angemessen informieren wir aktuell und präzise. Weil wir dazu beitragen, die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus zu führen, leistet der Verfassungsschutz einen aktiven Beitrag zur Prävention, indem er hinsichtlich extremistischer Hintergründe und Entwicklungen sensibilisiert. Wir informieren aber nicht nur in unterschiedlichen Publikationen und über das Internet. Wir halten auch Vorträge für Bildungseinrichtungen und interessierte Organisationen. Zudem veranstaltet der Berliner Verfassungsschutz Symposien zu seinen Themenfeldern. Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes 23 Dies sind die Formate der Öffentlichkeitsarbeit im Einzelnen: Publikationen Der Berliner Verfassungsschutz hat mehrere Publikationsreihen entwickelt, um dem unterschiedlichen Informationsbedarf gerecht zu werden. Alle Publikationen können schriftlich bestellt werden und sind im Internet abrufbar. * Verfassungsschutzbericht: Den umfassendsten Überblick über die einzelnen Beobachtungsfelder geben die jährlichen Verfassungsschutzberichte. Sie informieren über das aktuelle Geschehen im extremistischen Spektrum, über die ideologischen Grundlagen des Islamismus, Rechts-, Linksund Ausländerextremismus sowie über die wichtigsten in Berlin vertretenen extremistischen Gruppierungen. * Reihe "IM FOKUS": Die Reihe behandelt einzelne Themenkomplexe des Extremismus wie rechte oder linke Gewalttaten oder Phänomene des Islamismus. Auch eine Broschüre zu Scientology liegt vor. Stärker als im Verfassungsschutzbericht steht die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Forschung im Vordergrund. 2014 erschien in der FOKUS-Reihe die neue Studie "Rechte Gewalt in Berlin 2003 - 2012", die rechte Gewalttaten in Berlin über einen Zehnjahreszeitraum - Taten, Tatverdächtige und Opfer - analysiert. * Reihe "INFO": Die "INFO"-Reihe bietet praxisnahe kompakte Informationen über Erscheinungsformen des Extremismus. Neu im Programm sind die "INFO"-Broschüren "Linksextremismus" und "Salafismus als politische Ideologie". Die Linksextremismus-Broschüre befasst sich mit den Ursprüngen sowie den Entwicklungen des Linksextremismus und erläutert die aktuelle Lage und die Themenfelder, in denen Linksextremisten sich heute engagieren. Die Salafismus-Broschüre zeigt den Extremismus des Salafismus am Vergleich mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Deutschlands sowie die Unterscheidbarkeit salafistischer Strömungen auf. * Reihe "Infoflyer": Die neue Reihe "Infoflyer" klärt in kompakter Form über extremistische Aktivitäten auf, warnt vor Entwicklungen und Gefahren und bietet Hilfestellung bei praktischen Problemen an. 2014 erschien der Infoflyer "Extremisten auf öffentlichen Veranstaltungen", der die Versuche von Extremisten aller Phänomenbereiche thematisiert, öffentliche Veranstaltungen zu stören oder für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Er enthält Handlungsempfehlungen für einen störungsfreien Ablauf von Versammlungen. 24 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 * Lageund Wahlanalysen: Diese Reihe bietet kurze Analysen zu Detailthemen. * "Lupe": Die Broschüre "Verfassungsschutz - nehmen Sie uns unter die Lupe" gibt Basisinformationen über Aufgaben und Befugnisse, Arbeitsfelder und Vorgehensweisen des Verfassungsschutzes. Veranstaltungsarbeit Der Berliner Verfassungsschutz hat am 17. Dezember 2014 ein Symposium mit dem Thema "Linksextremismus - Herausforderung für unsere Demokratie" im Technikmuseum Berlin veranstaltet. Gäste aus Wissenschaft, Politik, Medien und Gesellschaft kamen hier zusammen und diskutierten die unterschiedlichen Facetten des Linksextremismus. Darüber hinaus hat der Berliner Verfassungsschutz zahlreiche Vortragsveranstaltungen durchgeführt. Dabei wurde sowohl über die Extremismusfelder, die der Verfassungsschutz beobachtet, als auch über die Arbeitsweise des Nachrichtendienstes informiert. Die Vortragsveranstaltungen wurden insbesondere von Polizei und Justiz sowie von schulischen und außerschulischen Bildungsträgern angefragt. Gremienarbeit Der Berliner Verfassungsschutz beteiligt sich in der Gremienarbeit am Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen. Er ist im "Berliner Beratungsnetzwerk" gegen Rechtsextremismus vertreten und hat am Aufbau des ressortübergreifenden Berliner "Verbundes gegen Sekten" mitgewirkt, der von der Sektenleitstelle der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft koordiniert wird. Internet Über den Internetauftritt unter www.verfassungsschutz-berlin.de können aktuelle Meldungen, Informationen über die Grundlagen der Verfassungsschutzarbeit sowie die Veranstaltungen des Verfassungsschutzes Berlin und alle Publikationen abgerufen werden. Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes 25 Bürgerund Hinweistelefon Das Bürgertelefon als Teil der Öffentlichkeitsarbeit nimmt Ihre Hinweise oder Fragen gerne entgegen. Zu erreichen sind wir unter der Telefonnummer 030 90129-440 oder unter der E-Mail-Adresse info@verfassungsschutz-berlin.de. Daneben haben wir ein vertrauliches Telefon für Hinweise, z.B. zur Aufklärung des islamistischen Terrorismus, an den Berliner Verfassungsschutz eingerichtet: - 030 90129-400 (in deutscher Sprache) - 030 90129-401 (in türkischer Sprache) - 030 90129-402 (in arabischer Sprache) Die Anschlüsse sind werktags von 9.00 bis 15.00 Uhr von sprachkundigen Mitarbeitern besetzt. Außerhalb der genannten Zeiten ist ein Anrufbeantworter geschaltet. Darüber hinaus können auch vertrauliche E-Mails an die Adressen info@ verfassungsschutz-berlin.de oder aman@verfassungsschutz-berlin.de gesendet werden. 26 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 II Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 28 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 1 Islamismus 1.1 Ideologie des Islamismus Islamismus lässt sich als das Bestreben politischer Bewegungen des 20. Jahrhunderts definieren, den Islam zu ideologisieren und dort, wo dies möglich ist, entweder eine islamistische Herrschaft zu errichten oder die Gesellschaft zu islamisieren. Islamisten begreifen den Islam nicht allein als Religion, sondern als Herrschaftsideologie und als Gesellschaftssystem. Sie versuchen, ihre Vorstellungen auf legalem Wege oder gewaltsam durchzusetzen. Das zentrale Ideologem des Islamismus ist die Behauptung, dass der Islam nicht allein "Religion und Welt" verkörpere, sondern darüber hinaus eine unteilbare Einheit von "Religion" und "Politik" bilde. Dem hieraus abgeleiteten politischen Anspruch versuchen Islamisten mit dem Slogan, der Islam sei "Religion und Staat" (Arabisch: "al-islam din wa-daula"), Nachdruck zu geben. Dieses ca. 100 Jahre alte Schlagwort wird in Bilddarstellungen häufig mit Koran (für Religion) und Schwert (für Politik) symbolisiert. Kennzeichnend für einige islamistiIslamismus sche Gruppen ist die Favorisierung Islamismus ist eine politische Ideofrühislamischer und mittelalterlicher logie der Neuzeit und steht für die Herrschaftskonzepte - etwa ein gloIdeologisierung der islamischen Rebales Kalifat, in dem die Führungsperligion. Er erhebt den Anspruch, der son (Kalif) zugleich die weltliche und Islam sei nicht nur Religion, sondern die religiöse Herrschaft ausübt. Darauch Herrschaftsideologie und Geüber hinaus begreifen Islamisten die sellschaftsordnung. Verbunden wird islamische Rechtsund Werteordnung dieser Anspruch mit der Forderung Scharia nicht allein als Recht, sondern nach Anwendung der islamischen als politisches und gesellschaftliches Rechtsund Werteordnung Scharia Ordnungsprinzip. So werben sie mit als politisches und gesellschaftliches dem Schlagwort der "Anwendung der Ordnungsprinzip. Scharia" meist für eine vollständige Islamismus 29 Umsetzung der Bestimmungen des Trotz ideologischer Gemeinsamkei- 1 islamischen Rechts. Schließlich versuten der verschiedenen islamistischen chen insbesondere gewaltorientierte Strömungen existieren verschiedeislamistische Gruppen, Gewalt durch ne, teils konkurrierende Konzepte, Bezüge auf die Religion zu legitimiedie von einer Ablehnung der Demoren. Hierbei reduzieren sie den Begriff kratie bis zur Beteiligung an Wahlen des Jihad (wörtl. "Bemühung") vorranreichen. gig auf die Bedeutung von Kampf und Erhebliche Unterschiede bestehen kriegerischer Handlung und verstehen im Bereich der Gewaltorientierung. ihn nicht - wie im islamischen Recht Während "legalistische Islamisten" fixiert - als eine vorrangig zum Zwenicht gewaltorientiert sind, gibt es cke der Verteidigung muslimischen Gruppen, die zur Durchsetzung ihrer Territoriums zulässige Methode. ZuZiele Gewalt befürworten oder andem wird der vermeintlich offensive Jiwenden. had zu einer individuellen Pflicht jedes Zum Islamismus gehört auch der Muslims erklärt. Salafismus in seiner politischen und Trotz gemeinsamer ideologischer jihadistischen Ausprägung. Hier finMerkmale folgen die islamistischen den sich aktuell die radikalsten AufGruppen keinem einheitlichen Konfassungen innerhalb des islamistizept. Der Islamismus umfasst vielmehr schen Spektrums. unterschiedliche bis konkurrierende Vorstellungen und Agenden, die meist von den differierenden politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Herkunftsländer bestimmt werden. Einige verketzern etwa Demokratie als vermeintlich unislamisch, während andere sich an Wahlen in ihrer Heimat beteiligen. Insofern gibt es keinen "Einheits-Islamismus". Abgesehen von den Netzwerken um "al-Qaida" und dem "Islamischen Staat" existiert auch nicht so etwas wie eine "islamistische Internationale". Gewaltorientierung In der Frage des Einsatzes von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele bestehen zwischen den Organisationen erhebliche Unterschiede. Das Spektrum reicht von der Ablehnung jeglicher Gewaltanwendung bis zur pseudoreligiösen Legitimation von Terrorismus. Zwei Hauptgruppen sind zu unterscheiden: Die erste Kategorie bilden die nicht-gewaltorientierten Islamisten, die auch als "legalistische Islamisten" bezeichnet werden. Hierzu gehören Gruppen, die entweder nie gewaltorientiert waren (z.B. die Anhänger der türkischen "Milli Görüs"-Ideologie) oder die - häufig nach langen Phasen des Terrorismus - der Gewalt inzwischen abge- 30 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 schworen haben (etwa die arabische "Muslimbruderschaft", MB). Das Fehlen der Gewaltorientierung gilt vor allem für die deutschen Ableger der "legalistischen Islamisten". Die zweite Kategorie bilden die gewaltorientierten Islamisten, die sich wiederum in drei Unterkategorien einteilen lassen. Zur ersten Unterkategorie gehören Gruppen, die Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele zwar befürworten, selbst aber vorrangig keine Gewalt ausüben. Dies betrifft die in Deutschland seit Januar 2003 mit einem Betätigungsverbot belegte "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung", HuT). Zur zweiten Unterkategorie gehören Gruppen, die ihre terroristischen Aktivitäten vorrangig auf den Nahen Osten beschränken. Dies gilt für die libanesische "Hizb Allah" ("Partei Gottes") und die palästinensische "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS). Die dritte Unterkategorie gewaltorientierter Islamisten bilden schließlich transnational agierende Terrornetzwerke. Hierzu gehört in erster Linie das Netzwerk "alQaida" ("die Basis"), von dem inzwischen mehrere feste regionale Zweige existieren, sowie auch die nicht fest mit "al-Qaida" verbundenen Organisationen wie die "Islamische Jihad-Union" (IJU). Hinzugekommen zu den transnationalen Terrornetzwerken ist 2014 der "Islamische Staat" (IS), der in Teilen Syriens und des Irak agiert, sowie die jihadistischen Gruppen, die dem Führer des IS seither die Treue geschworen haben. Ideologisch hebt sich der IS durch die exzessive Anwendung der "Verketzerung" (arab.: "Takfir") Andersgläubiger von "al-Qaida" ab, womit schwerste Verbrechen auch gegen Zivilisten und nicht dem IS folgende Muslime legitimiert werden. Salafismus Innerhalb des islamistischen Spektrums erweist sich der Salafismus in seiner politischen und jihadistischen Ausprägung als die in den letzten Jahren dynamischste Bewegung - sowohl in Deutschland als auch auf internationaler Ebene. Salafismus bezeichnet eine unbedingte Orientierung an der muslimischen Urgesellschaft, wie sie im siebten Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel existierte. Salafisten glauben, in den religiösen Quellen des Islam ein genaues Abbild dieser idealisierten islamischen Frühzeit gefunden zu haben und versuchen, die Gebote Gottes wortgetreu umzusetzen. Dies führt häufig zu einer wörtlichen Auslegung des Koran sowie der Sunna (wörtl. Brauch), der Tradition des Propheten und Religionsstifters Muhammad (570 - 632 n. Chr.). Das zumeist wortgetreue Verständnis religiöser Texte kann dazu führen, dass von ihnen frühislamische Herrschaftsund Rechts- Islamismus 31 formen befürwortet werden. Diese sind mit den Werten unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. 1 Im Gegensatz zu den übrigen islamistischen Gruppen und Ideologien in Deutschland, die wie die "Milli Görüs"-Bewegung, MB, "Hizb Allah", HAMAS und HuT mehrheitlich nicht salafistisch ausgerichtet sind, verkörpert der Salafismus eine eher traditionelle Islamismus-Variante. Hierzu gehört neben der strikten Orientierung an der Gesellschaftsform des ersten muslimischen Gemeinwesens in Medina (gegr. 622 n. Chr.) auch ein Exklusivanspruch des eigenen Islam-Verständnisses gegenüber jeglichen anderen Islam-Interpretationen. So versuchen Salafisten, die Scharia meist in ihrer ursprünglichen Form durchzusetzen und beharren darauf, dass ihre Bestimmungen zeitlos seien und keinesfalls an heutige Umstände angepasst werden dürften. Insbesondere Muslime werden von Salafisten aufgefordert, salafistische IslamInterpretationen zu übernehmen und Vorschriften minutiös zu befolgen. Hierzu schreiben sie ein umfassendes Regelwerk vor. Dieses betrifft das Tragen so genannter "islamischer Kleidung" und die Übernahme alltäglicher Handlungen aus der Zeit des Propheten wie auch einer strikten Geschlechtertrennung und die Abgrenzung von einer nicht-muslimischen Umwelt. Hierzu gehört vor allem die - von den meisten anderen islamistischen Gruppen so nicht praktizierte - Diffamierung als "Ungläubige" ("kuffar"). Diese zielt bei Salafisten nicht allein auf Juden und Christen, sondern auch auf jene Muslime, die ihre politischen und gesellschaftlichen Auffassungen nicht teilen. Entsprechend gibt es einschlägige Aufforderungen zur Kontaktvermeidung und zum Abbruch der Beziehungen zu sämtlichen so genannten "Ungläubigen" sowie die Zurückweisung jeglicher Integrationskonzepte und Warnungen vor dem Zusammenleben von Nicht-Muslimen und Muslimen. 32 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 1.2 Personenpotenzial Im islamistischen Spektrum wird eine Unterteilung nach der Form der Gewaltorientierung der Organisationen vorgenommen. Zu den gewaltorientierten Organisationen zählen die Kategorien transnationaler islamistischer Terrorismus, Teile des Salafismus sowie regional gewaltausübende und gewaltbefürwortende Islamisten. Die legalistischen Organisationen dagegen lehnen Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ab. Transnationale terroristische Netzwerke wie "al-Qaida" bzw. das "Islamische Emirat Kaukasus" und die "Mujahidin-Netzwerke", wozu auch der "Islamische Staat" zählt, agieren äußerst klandestin, haben unterschiedliche Strukturen und sind teilweise miteinander vernetzt. Das Personenpotenzial terroristischer Netzwerke in Deutschland ist quantitativ kaum zu erfassen. Das Personenpotenzial im Salafismus hat zwischen 2013 und 2014 von bundesweit 5 500 auf 7 000 Personen stark zugenommen. In Berlin ist eine Zunahme von 500 auf 570 Personen zu verzeichnen, die bis zum April 2015 bereits auf 650, davon mehr als die Hälfte gewaltorientiert, angewachsen sind. Damit ist der Salafismus auch 2014 die am dynamischsten wachsende Bestrebung des Islamismus in Deutschland. Regional gewaltausübende Organisationen agieren vor allem im Nahen Osten terroristisch. Sie verhalten sich in Deutschland in der Regel zurückhaltend und größtenteils gewaltfrei. Daneben existieren islamistische Gruppen, die Gewalt befürworten, selbst aber kaum gewaltausübend in Erscheinung treten. Das Personenpotenzial der regional gewaltausübenden Islamisten ist 2014 in Berlin gleich geblieben, während das der gewaltbefürwortenden islamistischen Gruppen leicht gestiegen ist. Das Personenpotenzial der legalistischen islamistischen Gruppierungen hat sich in Berlin deutlich verändert, was darauf zurückzuführen ist, dass nicht länger die IGMG als Ganzes im Fokus steht, sondern nur noch Träger der "Milli Görüs"Ideologie. In der Folge sinkt das Personenpotenzial der legalistischen Islamisten von 3 020 auf 620 Personen, davon 500 Anhänger der "Milli Görüs"-Bewegung (MGB). Islamismus 33 Personenpotenzial Islamismus* 1 2013 2014 Transnationaler islamistischer Terrorismus 40 30 unterteilt nach den Personenpotenzialen einzelner Personenzusammenschlüsse: al-Qaida/ keine gesicherten keine gesicherten Mujahidin-Netzwerke Zahlen Zahlen Islamisches Emirat Kaukasus 40 30 Salafistische Bestrebungen 500 570 Regional gewaltausübende und gewaltbefürwortende 405 415 islamistische Gruppen unterteilt nach den Personenpotenzialen einzelner Personenzusammenschlüsse: Regional gewaltausübende Gruppen, davon: 320 320 Hizb Allah 250 250 HAMAS 70 70 Gewaltbefürwortende Gruppen, davon: 85 95 Hizb ut-Tahrir (HuT) 35 45 Sonstige 50 50 Legalistischer Islamismus 3 020 620 Muslimbruderschaft (MB) / IGD 120 120 "Milli Görüs"-Bewegung 2 900 500 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. 1.3 Aktuelle Entwicklungen im islamistischen Terrorismus Das Geschehen in den Konfliktzentren Syrien und Irak bildet im diesjährigen Bericht über islamistisch-terroristische und ausländerextremistische Bestrebungen den Themenschwerpunkt. Große Teile der Aktivitäten in diesen Phänomenbereichen werden in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin vom Geschehen im Nahen Osten beeinflusst. Was in Syrien im Zuge des "Arabischen Frühlings" Anfang 2011 mit friedlichen Protesten begann, hat sich 2014 zu einem regionalen Großkonflikt ausgeweitet. Dessen Linien verlaufen zunehmend entlang ethnischer und konfessioneller Zugehörigkeiten und gehen mit schwersten Menschenrechtsverletzungen einher. Die Ausrufung eines "Kalifats" durch die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) und deren Gebietskontrolle in Teilen von Syrien und des Irak hatte 2014 zunehmend Einfluss auf die Sicherheitslage in angrenzenden Regionen und Ländern, insbesondere im syrisch-türkischen Grenzgebiet und im Libanon. Die Organisation droht damit, die Region insgesamt zu destabilisieren. 34 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Am Zusammenschluss dutzender, auch arabischer Staaten zu einer "Anti-IS-Koalition" unter der Führung der USA beteiligt sich auch Deutschland mit Waffenlieferungen und Ausbildungsunterstützung für die kurdischen Peschmerga-Kämpfer im Irak. Dieser Verbund soll dem IS militärisch entgegentreten und hat eine Ausweitung der von der Terrororganisation beherrschten Gebiete bislang verhindern können. Luftangriffe der "Anti-IS-Koalition", die im September begannen, forderten auch unter den Führungskadern des IS Opfer, konnten bis Ende des Jahres die Strukturen der Terrororganisation aber nicht entscheidend schwächen. Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland hat der Konflikt vor allem wegen der Beteiligung von Jihadisten aus Deutschland auf Seiten jihadistischer Terrororganisationen in Syrien. Diese dringen meist über die schwer zu kontrollierende Grenze der Türkei in die Konfliktzone ein und wollen sich dort dem IS anschließen. 1.3.1 Der "Islamische Staat" als jihadistischer Akteur in Syrien und Irak Die Ausrufung eines "Islamischen Staates" als "Kalifat" durch die gleichnamige Terrororganisation und ihre Kontrolle über größere Gebiete im Norden und Osten Syriens und im Westen des Irak haben das Gefüge jihadistischer Organisationen vor Ort und auch weltweit verändert. Der Führer der Kern-"al-Qaida", Aiman al-Zawahiri, hatte im Januar als Reaktion auf das Dominanzstreben des Führers des IS, Abu Bakr al-Baghdadi, jede organisatorische Verbindung zu dessen "Islamischen Staat im Irak und Großsyrien" (ISIG) - der Vorläuferorganisation des IS - verneint und die "Jabhat al-Nusra"11 als syrischen Zweig seines Netzwerks benannt. Damit hat sich die Gemeinschaft transnationaler Jihadisten - ein eher imaginärer denn organisierter Bund weltweiter jihadistischer Gruppen - faktisch in zwei große Blöcke gespalten, die sich feindlich gegenüber stehen. Inzwischen haben zahlreiche jihadistische Gruppen al-Baghdadi (s. Bild) die Treue geschworen, darunter bislang ungebundene Jihadistennetzwerke, jedoch auch Fraktionen innerhalb von Regionalzweigen der "al-Qaida". 11 Vgl. S. 48. Islamismus 35 "Islamischer Staat" (IS) 1 Die transnationale jihadistische Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) wurde am 29. Juni 2014 in der nordirakischen Metropole Mossul gegründet. Ihr Führer Abu Bakr al-Baghdadi hat sich durch Akklamation eines Gelehrtenrates (Schura) zum vorgeblichen "Kalifen" aller Muslime ernannt. Nach den Eroberungen des IS in Teilen des Irak und in Syrien ist es erstmals einer jihadistischen Organisation gelungen, weite zusammenhängende Gebiete zu kontrollieren, in denen der IS den Versuch unternimmt, staatsähnliche Strukturen zu etablieren. Der IS hat seinen Ursprung im jihadistischen Widerstand gegen die US-Invasion im Irak 2003. Nach Namenswechseln wurde der "Islamische Staat Irak" (ISI) als Regionalzweig der "al-Qaida" seit Mai 2010 von al-Baghdadi geführt. Im April 2013 benannte sich der ISI inmitten des syrischen Bürgerkrieges in "Islamischer Staat im Irak und Großsyrien" (ISIG) um und beanspruchte die Führung der Jihad-Gruppen auch in Syrien. Dies führte einerseits zum Bruch mit der Führung der Kern-"al-Qaida", andererseits zur Feindschaft mit der seit 2011 in Syrien aktiven "Jabhat al-Nusra" (JaN), die seither alleiniger Zweig der "al-Qaida" in Syrien ist. Mit der Ausrufung des "Kalifats" benannte sich der ISIG in IS um und unterstrich somit seinen globalen Anspruch, alle Muslime zu vertreten. Der Führer des IS, al-Baghdadi, der sich nun "Kalif Ibrahim" nennt, versteht sich als "Nachfolger / Stellvertreter des Gesandten Gottes" und behauptet eine Abstammung aus der Familie des Propheten Muhammad. Er meint "Befehlshaber der Gläubigen" (Amir al-Mu'minin) und damit oberste religiöse und weltliche Autorität zu sein. Mit dem Schwur (Bay'a) ihm gegenüber verpflichtet er seine Anhänger auf bedingungslose Loyalität. Ideologisch vertritt der IS die rigideste Form des jihadistischen Salafismus, bei dem exzessiv alle Andersgläubigen und -denkenden für ungläubig erklärt werden (arab.: Takfir). Dies legitimiere nach Auffassung des IS deren Tötung, auch wenn es sich um Muslime oder Zivilisten handelt. Auffällig im Handeln und in der Propaganda des IS ist das Streben, eine "Staatsidee" zu verwirklichen. Seit der Intensivierung des syrischen Bürgerkrieges konnte der ISIG / IS machtfreie Räume nutzen, um Kontrolle über größere Gebiete zu erlangen. Das Bündnis mit sunnitischen Stämmen im Irak und das Zurückweichen der irakischen Armee hatten im Sommer 2014 die Ausrufung des IS zur Folge. Die Vereinten Nationen, die USA, Deutschland und weitere Staaten haben den IS als Terrororganisation eingestuft. 36 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 In den vom IS beherrschten Gebieten werden schwerste Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen das Völkerrecht begangen. Beim militärischen Vorrücken des IS sind Massenerschießungen und Enthauptungen von gefangen genommenen Kämpfern, insbesondere Soldaten des Assad-Regimes, Schiiten und all jenen, die dem selbsternannten "Kalifen Ibrahim" des IS den Treueschwur verweigern, die Regel. Die Terrororganisation behauptet, dass ihr Handeln in ihrem Territorium durch eine vermeintlich vollständige und authentische Anwendung des islamischen Rechts (Scharia), die das Leben der "Bürger" minutiös und totalitär regelt, gekennzeichnet sei. Dies betrifft z.B. die Einhaltung der Gebete, Kleidungsvorschriften, Genussmittel, Handel, Steuerwesen etc. Zu den propagandistisch mit Stolz verkündeten "Errungenschaften" des IS zählt auch die Wiedereinführung der Sklaverei. Dazu behaupten vorgebliche Gelehrte in Propagandaschriften des IS, die Religionsgemeinschaft der Jesiden12 sei vorislamischen Ursprungs und damit heidnisch, was nach der Auslegung der Scharia durch den IS deren Versklavung legitimiere. Davon betroffen waren im August und Oktober vor allem kurdische Mädchen und Frauen jesidischen Glaubens, die dem IS im Nordirak in die Hände fielen. Nach der Hinrichtung der Männer waren sie als "Kriegsbeute" unter IS-Kämpfern verteilt oder verkauft worden. Zu den Strategien des IS, seinen "Staat" zu finanzieren, gehört neben dem Verkauf von Öl und Ölprodukten auf dem Schwarzmarkt auch die Erpressung von Lösegeldern für ausländische, vornehmlich westliche Geiseln. In mehreren Fällen enthauptete der IS westliche Geiseln und veröffentlichte von diesen Morden Propagandavideos. Die Berliner Nimetula H. und Benjamin X.: Vater und Sohn im Jihad Aus Deutschland sind bis Ende 2014 ca. 550 Islamisten mit dem Ziel Syrien ausgereist, darunter etwa 80 Personen aus Berlin. Zu den aus Berlin Ausgereisten gehört auch der seltene Fall, in dem Vater und Sohn gemeinsam nach Syrien gegangen sind, um sich dem damaligen ISIG anzuschließen. Im August 2013 wurde der Vater, Nimetula H., ein albanischstämmiger Mazedonier mit dem Kampfnamen "Abu Zayd al-Albani", im syrischen Latakia bei Gefechten getötet. Sein damals 12 Die Religion der Jesiden ist monotheistisch und stark synkretistisch. Sie enthält u.a. Elemente des Zoroastrismus, Manichäismus, des Judentums sowie des Islams. Islamismus 37 noch minderjähriger Sohn Benjamin X. erlitt dabei eine Schussverletzung am Bein. 1 Der deutsche Staatsbürger Benjamin X. beteiligte sich am 20. März an einem Anschlag in der zentralanatolischen Provinz Nigde. Gemeinsam mit zwei jungen Jihadisten des ISIG, einem Mazedonier und einem Schweizer, eröffnete er bei einer Straßenkontrolle aus einem Taxi heraus das Feuer. Dabei starben drei türkische Staatsbürger. Benjamin X. konnte wenig später festgenommen werden und ist seither in türkischer Haft. Unter dem Vorwurf, mit jihadistischen Motiven gehandelt zu haben, wartet er auf seinen Prozess. Tod in Syrien: Der Fall des Berliners Samir M. Inzwischen sind mehr als 50 Personen, die sich aus Deutschland nach Syrien begeben haben, dort verstorben. Da offizielle Dokumente über die Todesumstände regelmäßig nicht vorliegen, ist meist unklar, ob ihr Tod Folge einer aktiven Beteiligung an Kampfhandlungen war oder ob sie bei Aktivitäten umkamen, den Kampf gegen das syrische Assad-Regime logistisch oder humanitär zu unterstützen. Zu den bei bewaffneten Auseinandersetzungen Umgekommenen gehört der Berliner Samir M. Der 27-jährige Deutsch-Libanese soll im März im Umland der syrischen Stadt Kasab unweit der türkischen Grenze bei Gefechten getötet worden sein. Samir M. war in der Berliner Jihadisten-Szene bekannt. Zweimal konnten seine Reisepläne, mutmaßlich mit dem Ziel Pakistan, unterbunden werden. 2009 wurde ihm am Flughafen Berlin-Tegel die Ausreise untersagt, und 2010 wurde er in der Türkei festgenommen und ausgewiesen. Im Herbst 2011 hatte Samir M. dann rund sieben Wochen in Untersuchungshaft gesessen, weil er verdächtigt wurde, am Erwerb von Chemikalien und der Beschaffung von Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen mitgewirkt zu haben.13 Seine Ausreise nach Syrien und sein Tod bei Kampfhandlungen zeigen beispielhaft, dass gewaltbereite Salafisten auch nach Jahren nicht von ihren jihadistischen Plänen ablassen. Deutsche Selbstmordattentäter in Diensten des IS Zu den terroristischen Strategien des IS und seiner Vorläuferorganisationen zählte von Beginn an auch der Einsatz von Selbstmordattentätern, zum einen gegen staatliche und militärische Einrichtungen in Syrien und im Irak, aber auch gezielt gegen Zivilisten, seien es Andersgläubige oder als ungläubig Verketzerte. Dabei wurden mehrfach auch Jihadisten aus westlichen Ländern eingesetzt. 13 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2011. Berlin 2012, S. 35 f. 38 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Unter ihnen gilt der Solinger Konvertit Robert B. als erster Deutscher, der als Selbstmordattentäter für den ISIG den Tod fand. Im Frühjahr verdichteten sich Informationen, nach denen ein Deutscher mit dem Kampfnamen "Uthman al-Almani" Mitte Januar in einem Dorf unweit der syrischen Stadt Hama mit einem ferngezündeten Sprengsatz dutzende feindliche Milizionäre getötet haben soll. Fotos im Internet, die "Uthman al-Almani" als vermeintlichen "Märtyrer" des ISIG zeigten, ermöglichten seine Identifizierung. Zuvor hatte ihn sein Reiseweg schon 2012 nach Ägypten und Libyen geführt. Der zum Zeitpunkt seines Todes 26-Jährige hatte sich nach seiner Konversion 2009 radikalisiert und für seine jihadistische Überzeugung bereits in Haft gesessen. Er war im Sommer 2011 mit einer weiteren Person bei der Einreise nach England festgenommen worden, weil sich auf ihren Datenträgern jihadistische Texte befanden, darunter vier Ausgaben des Internetmagazins "Inspire", die Anleitungen zum Bombenbau enthielten.14 Da der Besitz derartiger Texte nach den englischen Antiterrorgesetzen strafbar ist, wurden beide verurteilt. Robert B. erhielt eine 16-monatige Haftstrafe, die er teilweise absitzen musste. 1.3.2 Deutschsprachige Propaganda des IS Die Terrororganisation "Islamischer Staat" hat die jihadistische Propaganda verändert. Der IS agiert im Internet in verschiedenen Formaten in bislang ungekannter Intensität. Dabei ist es die "Staatsidee" des IS, sein Streben nach territorialer Kontrolle und die Einrichtung "islamischer Institutionen", die zur radikalisierenden Wirkung der Propaganda in einer Weise beiträgt, die andere Terrororganisationen - auch "al-Qaida" - nicht glaubwürdig vertreten können. Propagandistisch sind zunächst die zahlreichen Kanäle in sozialen Netzwerken und Kurznachrichtendiensten von Bedeutung, die eine Teilhabe am Geschehen im vom IS kontrollierten Territorium in "Echtzeit" ermöglichen. Hierbei ist die Arbeitsweise "dezentralisiert". An der Aufbereitung und Verbreitung scheinen auch zahlreiche Unterstützer des IS außerhalb dieses Territoriums mitzuwirken. Hinzu kommt die Arbeit von Medienagenturen, die professionelle Videos 14 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2013. Berlin 2014, S. 52 f. Islamismus 39 produzieren und die Erstellung der online verfügbaren "Print"-Medien verantworten. 1 Propaganda einer vermeintlichen "Staatlichkeit" belegen die seit Mitte 2014 online erschienenen kurzen Broschüren "Islamic State Report" und "Islamic State News". Neben Meldungen über militärische Erfolge oder dem Abriss syrisch-irakischer Grenzanlagen wollen sie über den Aufbau des IS informieren. Es finden sich z.B. Ausführungen über die Einrichtung von "islamischen Institutionen" wie der Justiz, der Staatskasse und dem Steueramt. Hinzu treten "realitätsnahe" Berichte über das Funktionieren der Märkte, über "Verbraucherschutzbehörden" zur Warenund Fleischkontrolle, Koranschulen für Kinder und die Organisation der Armenhilfe. Darüber hinaus erscheinen online verfügbare Tätigkeitsund Rechenschaftsberichte, die administrative Transparenz und militärische Professionalität dokumentieren sollen. Im Bereich der Online-Magazine ist "Dabiq"15 das auffälligste Format, das seit Juli in fünf Ausgaben mit etwa 50 Seiten Umfang in verschiedenen Sprachen, anfänglich auch auf Deutsch, erschienen ist. Es strebt danach, das ideologische Fundament des IS zu stärken und sein Vorgehen zu rechtfertigen, z.B. die Einführung der Sklaverei. Das Handeln der Terrororganisation - auch die Hinrichtung westlicher Geiseln - wird dabei als Reaktion auf das Verhalten der IS-Gegner begründet. Eine kaum steigerungsfähige Polarisierung der Welt in ein unversöhnliches Gegenüber von Gut und Böse belegt das Zitat al-Baghdadis: "Der Befehlshaber der Gläubigen (Amir al-Mu'minin) sagte: Gemeinschaft des Islam! Wahrlich ist die Welt heute in zwei Lager und zwei Gräben geteilt, ohne Existenz eines dritten Lagers: Das Lager des Islam und des Vertrauens [in Allah] und das Lager des Unglaubens (Kufr) und der Heuchelei - das Lager der Muslime und Jihadisten (Mujahidin) überall und das Lager der Juden, Kreuzfahrer, ihrer Verbündeten und mit ihnen die übrigen Nationen und Religionen des Unglaubens, alle angeführt von Amerika und Russland und mobilisiert von den Juden." 16 15 Der Name des Magazins nimmt Bezug auf die syrische Stadt Dabiq nordöstlich von Aleppo. Dort soll nach islamischer Überlieferung in den Prophetentraditionen (Hadith) kurz vor dem nahenden Weltende die entscheidende Schlacht zwischen den vorgeblich "wahrhaften Muslimen" und ihren Feinden stattfinden. 16 In: "Dabiq", 1. Ausgabe, Juli 2014, S. 10, Online-Text, aus dem Englischen. 40 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Diese Breite jihadistischer Propagandaformate, vom Kurzclip bis zum Online-Journal, soll radikalisierten Salafisten ein Gefühl der - zunächst virtuellen - Teilhabe vermitteln, das nur durch eine direkte Mitarbeit am Aufbau des IS zu steigern wäre. Mit solchen Appellen trägt die Propaganda des IS wesentlich zu seiner Anziehungskraft bei, auch für Salafisten aus westlichen Staaten wie Deutschland. Der Berliner Denis Cuspert als Jihadist und Propagandist des IS Zu den führenden deutschsprachigen Propagandisten des IS zählt der Berliner Denis Cuspert. Der ehemals mäßig erfolgreiche Rap-Musiker auf Sinnsuche war innerhalb der deutschen Salafistenszene rasch zum angesehenen Multiplikator salafistischer Ideologie aufgestiegen und hatte zur Radikalsierung von Glaubensnovizen beigetragen. Nachdem Cuspert über Ägypten nach Syrien reiste und sich Anfang 2013 den Jihadisten anschloss, verfolgt seine Propaganda nun das Ziel, bereits jihadistisch radikalisierte Salafisten davon zu überzeugen, sich dem bewaffneten Kampf anzuschließen. Die von Cuspert ausgehende Gefährdung unterstreicht der Treueschwur, den er im April gegenüber einem hochrangigen Militärkommandeur des seinerzeitigen ISIG geleistet hatte. In dem Zusammenwirken von Cusperts Bekanntheit in der salafistischen Szene in Deutschland und seinen Aufforderungen zur Ausreise besteht ein hohes Mobilisierungspotenzial für radikalisierte Salafisten, sich auf den Weg nach Syrien zu begeben.17 Im Juli war erstmals ein Propagandavideo bekannt geworden, das Cuspert inmitten zahlreicher Leichen zeigt. Dabei handelte es sich überwiegend um Zivilisten und wenige Uniformierte, die mutmaßlich nach einem Angriff des IS auf ein Gasfeld unweit der syrischen Stadt Homs hingerichtet wurden. Es zeigt, wie Cuspert eine Leiche durch Schläge mit einem Schuh ins Gesicht schändet und legt seine Beteiligung an Kriegsverbrechen nahe. Anfang November wurde über soziale Netzwerke ein weiteres Video bekannt, dass diesen Verdacht bestärkt. Es wurde von Gegnern des IS verbreitet und zeigt die Enthauptung und Erschießung mehrerer Angehöriger des sunnitischen Stammes der Schu'aytat, die dem IS in Ostsyrien letztlich erfolglos Widerstand geleistet hatten. Cuspert, der in dem Video 17 "Denis Cuspert - Eine jihadistische Karriere". Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin, September 2014, abrufbar unter: www.verfassungsschutz-berlin.de/publikationen/. Islamismus 41 selbst nicht bei Mordtaten zu sehen ist, beteiligt sich an der Zurschaustellung der Opfer und erklärt, diese hätten ihre gerechte Strafe erhalten, weil sie durch ihren 1 Widerstand gegen den IS und seine Dogmen zu vermeintlichen Apostaten geworden seien. In Einzelschritten zum ISIG-Kämpfer: Der Werdegang des Abu Mujahid Im Februar wurde ein achtminütiges Propagandavideo bekannt, in dem ein deutschsprachiger Jihadist, der sich Abu Mujahid al-Muhajir nennt, beschreibt, wie er Kämpfer in den Reihen des ISIG wurde. Er propagiert, dass er damit seinen Glaubensweg als vermeintlich "wahrhafter Muslim" vervollkommnet habe und ruft "seine Brüder in Deutschland" auf, ihm nachzufolgen. Es handelt sich um eines der seltenen Videos, in denen ein deutscher Jihadist seinen Radikalisierungsprozess mit salafistischem Vokabular beschreibt und dabei zentrale Elemente der Radikalisierungsphasen benennt. Demnach habe eine "göttliche Fügung" ihn zu einem salafistischen Glaubensverständnis geführt. Seitdem habe er sich als Salafist in Deutschland wie in einer feindlichen Umwelt gefühlt, was ihn beschließen ließ, hier nicht länger leben zu können. "Ich (...) bin in Deutschland geboren und habe dort in der Zeit der Unwissenheit (Jahiliyya) (...) gelebt. (...) Eines Tages (...) hat mich auch der Weg der Rechtleitung getroffen und (...) ich bin zum Islam gekommen (...). Irgendwann 'mal bin ich auch auf den Entschluss gekommen, wie jeder andere auch, dass man in Deutschland definitiv nich' als Muslim leben kann und dass Allah (...) verlangt, dass man ein Gebiet der Unwissenheit (Dar al-Kufr) und ein Gebiet, mit dem die Muslime im Kriegszustand sind (Dar al-Harb) verlässt (...); ich (habe) das (...) gemacht; (...) Deutschland verlassen (...) und (...) nach dem (Erarbeiten einer korrekten) religiöse(n) Überzeugung und Praxis (Iman) versucht, in die nächste Etappe zu integrieren, und zwar in die Auswanderung in ein islamisches Gebiet (Hijra)." 18 In Syrien habe er sich zunächst dem syrischen "al-Qaida"-Zweig "Jabhat al-Nusra" (JaN) angeschlossen. Dort wurde ihm das salafistische Islamverständnis jedoch nicht mit der nötigen Rigidität gelebt. So wechselte er schließlich zum ISIG und wirbt nun für diese Terrororganisation. 18 Schreibweise im Original. 42 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 "Wo ich (...) in Syrien angekommen bin - (...) hab' ich mich der Gruppe "Jabhat an-Nusra" (...) angeschlossen (...). Ich hab' 'en Bruder kennengelernt, den ich aus Deutschland kannte und (...) so bin ich bei "Jabhat an-Nusra" reingekommen (...) Aber nach einigen Monaten hab' ich (...) gemerkt, das auch (...) dort nicht (...) der richtige Jihad ausgeführt wird wie ich mir den immer vorgestellt habe oder wie ich den aus den Büchern kenne oder von Vorträgen der Gelehrten. (...) Es werden dort Sachen praktiziert (...), die nicht zum Islam gehören (...). Jetzt bin ich froh, (...). Ich hab den Treueschwur (Bay'a) gegeben an Scheich Abu Bakr al-Baghdadi und (...) bin jetzt ein (...) volles Mitglied von "Daulat alIslamiyya fil-Iraq und Sham" (ISIG). Und ich kann auch nur jeden raten, (...) auch gerade die Brüder, die in Deutschland leben, sich uns anzuschließen (...)." 19 Die Wirkung der Propaganda des IS für Salafisten in Deutschland erklärt sich im Kern durch die beschriebenen Umstände: Zum einen liegt oftmals eine durch Elemente salafistischer Ideologie verzerrte Wahrnehmung gesellschaftlicher und politischer Realitäten vor, meist einhergehend mit den individuell wahrgenommenen Erlebnissen von Misserfolg und Ausgrenzung. Zum zweiten trifft diese verzerrte Wahrnehmung auf die in der Propaganda vorgeführte "Staatsidee" des IS, der danach strebt, für sich als vermeintlicher Staat zu werben. Das schließt ausdrücklich, wenn auch mit minderem Status, Beiträge zum "Staatsaufbau" ein, bei denen keine aktive Teilnahme an Kampfhandlungen notwendig ist, sei es durch eine Mitarbeit als Techniker, im medizinischen oder administrativen Bereich. Daraus ergibt sich für radikalisierte Salafisten ein vermeintlich attraktives Handlungsund Lebensmodell, in dessen Folge die Zahl der Personen, die Deutschland mit dem Ziel Syrien verlassen haben, steigt. 1.3.3 Die Gefährdungslage für Deutschland Zentrale Herausforderung der deutschen Sicherheitsbehörden ist die steigende Zahl an Islamisten, die Deutschland mit dem Ziel Syrien verlassen haben. Vor allem Rückkehrer, die an Waffen ausgebildet wurden und womöglich kampferprobt sind, stellen ein hohes Risiko dar, hier Anschlagspläne zu verfolgen, wie es die jihadistische Propaganda immer wieder fordert. 19 Schreibweise im Original. Islamismus 43 Betätigungsverbot gegen den IS in Deutschland Um insbesondere der Verbreitung von Propaganda der Terrororganisation "Isla- 1 mischer Staat" in Deutschland entgegenzutreten, erließ der Bundesminister des Innern am 12. September ein Betätigungsverbot gegen die Organisation.20 Das Verbot wird damit begründet, dass der IS Strafgesetzen zuwiderläuft, sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik richtet und gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstößt. Verboten ist damit auch die Verwendung von Kennzeichen des "Islamischen Staates", darunter die Banner und Logos seiner Medienorganisationen sowie sein Hauptsymbol, die schwarze Fahne. Sie zeigt im oberen Bereich in einem alten Schriftstil den ersten Teil des islamischen Glaubensbekenntnisses und darunter, als rundes "Prophetensiegel" abgesetzt, den zweiten Teil im Stil eines Siegelrings. Zudem kann die Fahne den arabischen Schriftzug des IS enthalten (Bild rechts). Als Folge dieser Verbotsmaßnahme und der weiter ansteigenden Zahl an Personen mit Bezügen nach Deutschland, die sich dem IS anschließen oder ihn unterstützen, nimmt auch die Zahl der Ermittlungsverfahren zu. Im Dezember war sie auf 140 Verfahren angestiegen, die etwa 280 Beschuldigte betrafen, von denen der Generalbundesanwalt mehr als 30 Verfahren mit mehr als 80 Beschuldigten wegen ihrer Bedeutung übernommen hat. Die Existenz von jihadistischen Strukturen in Berlin, die eine logistische Unterstützung des "Islamischen Staates" zum Ziel haben, zeigten Durchsuchungen am 5. November. Vier Brüder türkischer Nationalität im Alter von 28 bis 37 Jahren sind verdächtig, für den "Islamischen Staat" erhebliche Vermögenswerte gesammelt und bereitgestellt zu haben. Bei den Durchsuchungen der Wohnungen in Schöneberg wurden zahlreiche Geräte beschlagnahmt, darunter mehrere Nachtsichtgeräte. 20 Bundesanzeiger BAnz AT 12.9.2014 B1. 44 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Das Betätigungsverbot des IS schlug sich auch am 5. Dezember im Verbot des Bremer Vereins "Kultur & Familien Verein e.V." (KuF) nieder, der Unterstützungshandlungen für den IS vorgenommen hat.21 Zahlreiche Ausreisen deutscher und Berliner Jihadisten nach Syrien Den deutschen Sicherheitsbehörden lagen Ende 2014 Erkenntnisse zu etwa 550 Islamisten vor, die aus Deutschland in Richtung Syrien ausgereist sind, um dort mutmaßlich an Kampfhandlungen teilzunehmen oder den Widerstand gegen das Assad-Regime in anderer Form, auch humanitär, zu unterstützen. Die Zahl dieser Personen hatte Ende 2013 bei etwa 240 gelegen und sich damit binnen Jahresfrist mehr als verdoppelt. Sie ist weiter steigend. In vielen Fällen ist die Erkenntnislage über den tatsächlichen Aufenthalt der Personen in Syrien nicht gesichert. Von einigen Fällen ist bekannt, dass Personen mit jihadistischer Motivation in den Irak weitergereist sind. Etwa ein Drittel dieser 550 ausgereisten Personen ist, zumindest zeitweise, nach Deutschland zurückgekehrt. Zu etwa 30 dieser Rückkehrer liegen Erkenntnisse vor, dass sie sich am bewaffneten Kampf in Syrien oder dem Irak beteiligt haben. Etwa 50 der Ausgereisten sollen in Syrien oder dem Irak verstorben sein. Zudem wurden weitere Ausreiseplanungen bekannt. Die deutschen Sicherheitsbehörden sind bestrebt, diese Pläne frühzeitig zu erkennen und zu unterbinden. Die Zahl der tatsächlich verhinderten Ausreisen liegt im mittleren zweistelligen Bereich. Von den 570 Personen, die Ende 2014 in Berlin der salafistischen Szene zuzurechnen waren, galten 290 als gewaltorientiert, darunter etwa 10 Prozent Konvertiten. Die Zahl der Mitglieder des gewaltorientierten Milieus, die mit mutmaßlich jihadistischer Motivation Berlin in Richtung Syrien verlassen haben, lag bei 80 Personen, die Zahl der zu Tode gekommenen Berliner noch im einstelligen Bereich. Die Anziehungskraft des IS für Jihadisten aus der ganzen Welt und deren Reisen mit den Zielen Syrien und Irak sind 2014 zu einem globalen Phänomen geworden. Im September schätzte Peter Neumann22 bei einer Anhörung vor den Vereinten Nationen die Zahl der ausländischen Kämpfer in den Reihen des IS auf 12 000 bis 15 000 aus über 70 Staaten. Diese seien überwiegend aus dem Nahen und Mittleren Osten, jedoch ca. 3 000 Personen auch aus westlichen Staaten gekommen. 21 Pressemitteilung des Senators für Inneres und Sport der Freien Hansestadt Bremen zum Vereinsverbot des KuF vom 5.12.2014. 22 Prof. Peter Neumann ist Direktor des International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence (ICSR) am King's College in London. Er zählt zu den führenden Experten in Fragen der Radikalisierung. Islamismus 45 Insgesamt handele es sich um die größte Mobilisierung ausländischer Kämpfer seit dem Afghanistan-Krieg der 1980er Jahre. 1 Erster Syrien-Rückkehrer aus Berlin: Prozessbeginn gegen Fatih K. Am 8. Januar 2015 begann vor dem Kammergericht Berlin der erste Prozess gegen einen aus Syrien zurückgekehrten Jihadisten aus Berlin. Laut Anklage des Generalbundesanwalts vom 8. Oktober 2014 soll Fatih K., ein Deutscher türkischer Abstammung aus Kreuzberg, im Juni 2013 mit dem mitangeklagten 27-jährigen Türken Fatih I. aus Frankfurt am Main nach Syrien gereist sein und sich dort als Mitglied der jihadistischen Terrororganisation "Junud al-Scham" nach einer Waffenausbildung an Kampfeinsätzen beteiligt haben. Zudem soll er als Kameramann an der Erstellung von Propagandavideos mitgewirkt haben. Fatih K. war bei seiner Wiedereinreise nach Deutschland im September 2013 festgenommen und inhaftiert worden. Fatih K. bewegte sich spätestens seit 2010 in jihadistischen Kreisen und hatte Reisepläne in das afghanisch-pakistanische Waziristan verfolgt. Trotz einer Reiseuntersagung konnte er Deutschland verlassen. Er wurde in der Türkei im August 2010 festgenommen und im folgenden Dezember ausgeliefert. Im April 2011 verurteilte ihn das Kammergericht Berlin wegen Unterstützung einer Terrorgruppe zu 22 Monaten Haft.23 Er hatte die "Deutschen Taliban Mujahidin", eine 2010 zerschlagene Gruppe deutschsprachiger Jihadisten in Waziristan, mit Geldbeträgen unterstützt. Vor Gericht versicherte er damals, keinerlei jihadistische Bestrebungen mehr zu verfolgen. Sein Fall zeigt, dass Jihadisten auch über lange Zeiträume an ihrer gewaltbereiten Gesinnung festhalten. Allenfalls durch intensive äußere Einflussnahme - sei es durch ihr nichtjihadistisches Umfeld oder durch ein Strafverfahren mit anschließender Haft - scheinen sie davon zeitweise Abstand zu nehmen. Erstes Urteil gegen Syrien-Rückkehrer: Haftstrafe gegen Kreshnik B. Am Oberlandesgericht Frankfurt am Main endete am 5. Dezember der erste Prozess gegen einen aus Syrien zurückgekehrten Jihadisten in Deutschland mit einem Schuldspruch. Der 20-jährige Kreshnik B. wurde wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Er war Anfang Juli 2013 über Istanbul nach Syrien ausgereist und hatte sich wenig später dem ISIG angeschlossen. 23 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2011. Berlin 2012, S. 36. 46 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Nach einer Waffenausbildung hatte sich Kreshnik B. neben Wachund Sanitätsdiensten auch an mehreren Kampfeinsätzen beteiligt. Auf seinem Rückweg wurde er im Dezember 2013 am Frankfurter Flughafen festgenommen. Vor Gericht erklärte er, auf seinem Reiseweg weitere Deutsche getroffen zu haben, die ihm halfen, sich der Terrororganisation anzuschließen, schilderte aber auch Akzeptanzprobleme europäischer Jihad-Rekruten bei arabischen und tschetschenischen Jihadisten. Demoralisiert und zur Rückkehr bewegt hätten ihn schließlich die Not der syrischen Zivilbevölkerung und die Kämpfe des ISIG gegen andere jihadistische Gruppen, deren Zeuge er im Raum Aleppo geworden war.24 Anschlag eines Syrien-Rückkehrers: Mehdi Nemmouche in Brüssel Beispielhaft für Deutschland und Berlin belegte der Anschlag des Mehdi Nemmouche auf das Jüdische Museum in Brüssel am 24. Mai die Gefährdung durch Syrien-Rückkehrer, die über eine Kampfausbildung, Gewalterfahrung und verfestigte Feindbilder verfügen. Der 29 Jahre alte Franzose algerischer Abstammung hatte den Eingangsbereich des Museums betreten und sofort mit einer automatischen Waffe das Feuer eröffnet, wobei er ein israelisches Touristenpaar und zwei Angestellte des Museums tötete. Am 30. Mai konnte der Jihadist bei einer Kontrolle in Marseille festgenommen werden. In seinem Gepäck waren zwei Waffen mit Munition sowie ein Tuch mit dem Schriftzug des ISIG. Nemmouche, in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen und seit seiner Jugend kriminell, radikalisierte sich mutmaßlich während einer mehrjährigen Haftstrafe. Bei Mithäftlingen fiel er durch Missionierungseifer auf. Kurz nach seiner Entlassung Ende 2012 war er nach Syrien gereist und hatte sich dort wohl bis März 2014 aufgehalten. Durch die Aussagen von vier französischen Journalisten, die im April nach etwa zehnmonatiger Geiselhaft durch den ISIG freikamen, gilt als gesichert, dass Nemmouche sich als einer ihrer Bewacher an schweren Misshandlungen von Geiseln beteiligte und bereits in Syrien von Anschlagsplänen in Paris sprach. Nemmouche befindet sich nach seiner Auslieferung in belgischer Untersuchungshaft. 1.3.4 "Al-Qaida"-Netzwerk Die Propaganda der Kern-"al-Qaida" und ihrer Regionalorganisationen ist 2014 stark beeinflusst von der Haltung zum "Islamischen Staat" (IS) und dessen Aus24 Pressemitteilung der Generalbundesanwaltschaft 20/2014 vom 24.6.2014 und Pressemitteilungen des OLG Frankfurt a.M. vom 15.9.2014, 31.10.2014 und 5.12.2014; AZ: 5-2 StE 5/14-3-1/14. Islamismus 47 rufung unter dem selbsternannten "Kalifen Ibrahim" alias Abu Bakr al-Baghdadi. Dabei fällt es dem "al-Qaida"-Netzwerk aktuell schwer, mit der Propaganda des 1 IS zu konkurrieren. Deren "klassische" Propaganda, für deren Erstellung und Vertrieb mit teils unabhängigen Medienagenturen kooperiert wird, ist schon aus Sicherheitsgründen bei der Übermittlung elektronischer Materialien vergleichsweise schwerfällig. Auch die Jihad-Webforen der "al-Qaida"-Anhänger vermögen eine virtuelle "Teilhabe" am Jihad, anders als der IS, nicht authentisch zu vermitteln. Schwere Vorwürfe an den IS Ausgangspunkt der ideologischen Auseinandersetzung zwischen "al-Qaida" und dem IS ist die Frage, welche Bindungskraft die Treuebekundungen von Führungspersonen des IS, zu denen auch der jetzige IS-Führer zählt, gegenwärtig haben, die diese zu Zeiten der Vorläuferorganisationen des IS noch an Usama Bin Ladin und Aiman al-Zawahiri geleistet hatten. Einerseits hatte al-Zawahiri in einer Reihe von Botschaften Verhandlungsschritte vorgeschlagen, um das feindliche Gegeneinander insbesondere in Syrien zu beenden, andererseits waren diese von dem Bemühen geprägt, das "Kalifat" des IS zu delegitimieren und sein Vorgehen als unvereinbar mit den Prinzipien eines vermeintlich legitimen Jihad darzustellen. Vor allem die Tötung von muslimischen Zivilisten und die Gewalt gegen Kämpfer anderer jihadistischer Gruppen, insbesondere des offiziellen "al-Qaida"-Zweiges in Syrien, der JaN, stoßen bei den Ideologen der "al-Qaida" auf scharfe Ablehnung. Erschwert wurde eine Annäherung der beiden Terror-Netzwerke durch den Tod eines Vertrauten von al-Zawahiri im syrischen Aleppo im Februar, den der "alQaida"-Chef als Vermittler entsandt hatte. Im Oktober erschien erstmals ein neues Internetmagazin der Kern-"al-Qaida" mit Namen "Resurgence" (Wiederaufstieg). Obgleich die Beiträge der 117-SeitenSchrift eigentlich das Ziel verfolgen, den Jihad auf dem indischen Subkontinent zu beleben, ist das Magazin von einer Reihe Zitaten durchzogen, die sich an den "Islamischen Staat" richten und schwere Vorwürfe gegen ihn enthalten. Das folgende Zitat stammt von Shaykh Abu Dujana al-Pasha, Mitglied der Kern-"al-Qaida" und geht zurück auf dessen Audiobotschaft von Ende September: "Wir rufen nach der Rückkehr des rechtgeleiteten Kalifats, eingerichtet in Übereinstimmung mit der Vorgehensweise des Propheten - nicht ein Kalifat, eingerichtet in einer [davon] abweichenden Vorgehensweise oder durch Lügen, gebrochene Übereinkünfte und entweihte Schwüre. Wir rufen nach der Rückkehr eines Kalifats, gegründet auf Ge- 48 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 rechtigkeit, gegenseitiger Konsultation, Harmonie und Einheit - nicht ein Kalifat, gegründet auf Unterdrückung, Exkommunikation von Muslimen, der Tötung von Verteidigern der Einzigartigkeit [Allahs] (Tauhid) und der Aussaat von Zwietracht in den Reihen der Jihad-Kämpfer (Mujahidin)." 25 Kern-"al-Qaida" und seine Regionalorganisationen Im Zentrum des transnationalen islamistischen Terrorismus steht die von Usa"Al-Qaida" in Deutschland: Lange Haftstrafen für Pläne der "Düsseldorfer Zelle" ma Bin Ladin Ende der 1980er Jahre gegründete Organisation "al-Qaida" ("Die Am 13. November Basis"), die sich inendete vor dem den 1990er Oberlandesgericht Jahren mit militanten TeilenDüsseldorf nach 162 ägyptischer VerGruphandlungstagen das Verfahren pen zu einem Netzwerk gegen vier Mitglieder zusammenschloss. Bin Ladin derwurde "Düsseldorfer 2011 vonZelle", US-Eindas exemplarisch belegt,getötet. heiten in Pakistan dass die Führung wurde Nachfolger der "al-Qaida" PläneAiman sein Vertreter verfolgt hat, einen al-Zawahiri. Anschlag Grundlage in Deutschland zu begehen. der globalen Anschläge vonDrei der vierwar "al-Qaida" Männer im Bin der von Alter von1998 Ladin 23 bis 34unterzeichnete Jahren wurdenAufruf als Mitglieder der "al-Qaida" der "Islamischen zu Haftstrafen Weltfront für den Jihad von fünfeinhalb, gegen Juden sieben und neun Jahren und Kreuzzügler". Darin verurteilt. wurde die Das viertevon Tötung Gruppenmitglied, Amerikanern zur derPflicht 30 Jahre alte eines Deutsche Halil S.,erhoben jeden Muslims erhielt eineundStrafe von als Ziel dieviereinhalb Verdrängung Jahren derwegen USA von Unterstützung der Arabider "al-Qaida". schen HalbinselDiebenannt. drei Marokkaner, "Al-Qaida" davon einer verübte ammit 11.deutschem SeptemberPass 2001 und dieder An-23 Jahre alteauf schläge Deutsch-Iraner die USA. StattAmid C. waren Anschlägen Ende dieser April und Anfang Kern-"al-Qaida" Dezember standen 2011 seit 2004 festgenommen Terrorakte vonworden, als sie begonnen hatten, Regionalorganisationen aus Grillanzündern des Netzwerks, eigenständig Sprengstoff operiefürrender eine Splitterbombe Kleingruppen herstellen zu wollen.Einzeltäter ("homegrown-Terrorisund radikalisierter ten") im Vordergrund. Im Verfahren konnte nachgewiesen werden, dass der Anführer der Gruppe Abdeladim E.-K. beiZweige Die regionalen seinemdes Aufenthalt Netzwerks imhaben afghanisch-pakistanischen sich seit 2003 herausgebildet Grenzgebiet und Anfang 2010 das der Führung derMitglied der "al-Qaida"-Führung Kern-"al-Qaida" Yunis al-Mauretani die Treue geschworen. kennengeZu ihnen gehört seit lernt 2007 hatte und von "al-Qaida imihm beauftragt islamischen wurde, in(AQM), Maghreb" Deutschland weitere der zentrale Jihadisten zu Gewaltakteur rekrutieren, im Mahgreb umundmitimdiesen dort einen westlichen Sahel.Terroranschlag "Al-Qaida auf der zuArabischen verüben. Durch seinen Halbinsel" auch in Deutschland (AQAH) entstand 2009 fortbestehenden durch die FusionKontakt zum Führungskreis des jemenitischen und desder "al-Qaida" saudischen zählt er zu und Zweiges derenhathöchstrangigen sich zu einer Mitgliedern, schlagkräftigen die bislang in Deutschland Terrororganisation imverurteilt Jemen wurden. Das Urteil entwickelt. ist nicht Seit 2012 rechtskräftig. ist auch Die drei"Bewegung die somalische Jihadisten, diederals Mitglieder der Mujahidin-Ju"al-Qaida" verurteilt gend", arabisch kurz wurden, haben Revision "al-Shabab", fester Teil beim desBundesgerichtshof Netzwerks. "Al-Shabab" eingelegt. ist seit 2006 für Angriffe und Entführungen westlicher Ausländer sowie für Atten1.4 Salafistische Bestrebungen tate in der Region verantwortlich. Als Ableger in Syrien gilt die "Jabhat al-Nusra li-Ahl asch-Scham" (JaN, "Unterstützungsfront für das syrische Volk"), die seit 2013 mit dem ISIG, dem späteren IS, verfeindet ist. 25 Vgl. "Resurgence", Ausgabe 1, Herbst 2014, S. 82, Online-Text, aus dem Englischen. Islamismus 49 "Al-Qaida" in Deutschland: Lange Haftstrafen für Pläne der "Düsseldorfer Zelle" Am 13. November endete vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf nach 162 Ver- 1 handlungstagen das Verfahren gegen vier Mitglieder der "Düsseldorfer Zelle", das exemplarisch belegt, dass die Führung der "al-Qaida" Pläne verfolgt hat, einen Anschlag in Deutschland zu begehen. Drei der vier Männer im Alter von 23 bis 34 Jahren wurden als Mitglieder der "al-Qaida" zu Haftstrafen von fünfeinhalb, sieben und neun Jahren verurteilt. Das vierte Gruppenmitglied, der 30-jährige Deutsche Halil S., erhielt eine Strafe von viereinhalb Jahren wegen Unterstützung der "alQaida". Die drei Marokkaner, davon einer mit deutschem Pass, und der 23-jährige Deutsch-Iraner Amid C. waren Ende April und Anfang Dezember 2011 festgenommen worden, als sie begonnen hatten, aus Grillanzündern Sprengstoff für eine Splitterbombe herstellen zu wollen. Im Verfahren konnte nachgewiesen werden, dass der Anführer der Gruppe Abdeladim E.-K. bei seinem Aufenthalt im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet Anfang 2010 das Mitglied der "al-Qaida"-Führung Yunis al-Mauretani kennengelernt hatte und von ihm beauftragt wurde, in Deutschland weitere Jihadisten zu rekrutieren, um mit diesen hier einen Terroranschlag zu verüben. Durch seinen auch in Deutschland fortbestehenden Kontakt zum Führungskreis der "al-Qaida" zählt er zu deren höchstrangigen Mitgliedern, die bislang in Deutschland verurteilt wurden.26 Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die drei Jihadisten, die als Mitglieder der "al-Qaida" verurteilt wurden, haben Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt. 1.4 Salafistische Bestrebungen Salafismus Mitglieder: Berlin 570 (2013: 500) Der Begriff Salafismus bezeichnet eine auf wahhabitischem Gedankengut basierende Bewegung, die aus unterschiedlichen Strömungen besteht. Im islamistischen Spektrum dieser Bewegung sind zwei Strömungen zu unterscheiden: der "politische Salafismus" und der "jihadistische Salafismus". Beide Strömungen bedienen sich religiöser Begriffe für ihre politische Agenda. Sie fordern eine Gesellschaft, die sich vermeintlich ausschließlich an den Prinzipi26 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2011. Berlin 2012, S. 22 ff und Pressemitteilung des OLG Düsseldorf 26/2014 vom 13.11.2014; AZ: OLG Düsseldorf. III - 6 StS 1/12. 50 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 en des Koran sowie am Vorbild des Propheten Muhammad und den so genannten "rechtschaffenen Altvorderen" (arab.: al-salaf al-salih) orientiert. Wegen der Umdeutung religiöser Normen zu verbindlichen politischen Handlungsweisen und dem Versuch, sie durchzusetzen, gilt der Salafismus als besonders rigide Ausformung innerhalb des Islamismus. Die Absolutsetzung frühislamischer Herrschaftsund Rechtsformen hat zur Folge, dass jedes Abweichen von dieser Norm, die als "wahrer Islam" propagiert wird, als verbotene Verfälschung bzw. "Neuerung" (arab.: bid'a) abgelehnt wird. Ziel von politischen und jihadistischen Salafisten ist die vollständige Umgestaltung von Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach einem salafistischen Regelwerk, das als "gottgewollt" angesehen wird. Zentrale Forderung ist hierbei die Vorrangstellung des religiösen Gesetzes (Scharia) gegenüber der weltlichen Gesetzgebung. Die Anhänger beider Strömungen verfolgen damit eine politische Ideologie, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist. Dabei unterscheiden sich politischer und jihadistischer Salafismus prinzipiell in der Wahl ihrer Mittel. Der politische Salafismus agiert mit intensiver Propagandatätigkeit zur Verbreitung seiner Ideologie, die er als "Missionierung" (arab.: da'wa) bezeichnet. Der jihadistische Salafismus setzt hingegen auf eine Strategie der Gewaltanwendung. Die Übergänge zwischen beiden Strömungen sind fließend. Die Aktivitäten des salafistischen Spektrums waren im Berichtsjahr maßgeblich durch die bewaffneten Konflikte in Syrien und im Irak sowie im Gaza-Streifen geprägt. Unter dem Einfluss dieser Konflikte gab es in Berlin gezielte Provokationen durch Salafisten bei Demonstrationen von Gegnern der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS), aber auch eine antisemitische Predigt in der "Al-Nur-Moschee". Darüber hinaus verfolgte die salafistische Szene in Berlin mit zahlreichen Propaganda-Aktivitäten weiterhin das Ziel, ihre extremistischen Positionen als vermeintlich islamisches Allgemeingut darzustellen. Diese Propaganda-Aktionen reichten von einer Veranstaltung des bundesweit bekannten "Predigers" Pierre Vogel im Rahmen seiner "Deutschland-Tour" über eine Reihe von salafistischen Kundgebungen vor dem Brandenburger Tor und der US-Botschaft bis hin zur Koran-Verteilungaktion "Lies!", salafistischen "Islamseminaren" sowie den InternetAktivitäten der Facebook-Gruppe "Islamischer Staat Berlin" (ISB). Islamismus 51 1.4.1 Reaktionen des salafistischen Spektrums auf 1 die Konflikte im Nahen Osten Auseinandersetzung zwischen Kurden und Salafisten in Neukölln Anfang August löste die Verfolgung und Tötung von Jesiden und anderer Minderheiten (z.B. Christen, Turkmenen) durch den IS im Nord-Irak eine Protestwelle in Deutschland aus, an der sich vor allem die PKK ("Arbeiterpartei Kurdistans"), deren syrische Teilorganisation PYD ("Partei der Demokratischen Union") sowie linksextremistische Gruppen beteiligten. Bundesweit fanden zahlreiche Demonstrationen statt. Am 10. August provozierten 14 Personen, die überwiegend dem salafistischen Spektrum in Berlin zugerechnet werden, die Teilnehmer eines Protest-Aufzuges, der mit etwa 450 Personen unter dem Motto "Angriffe der IS-Banden auf die Bevölkerung im Nord-Irak" vom Hermannplatz in Neukölln zum Oranienplatz in Kreuzberg zog, durch das Schwenken von schwarzen Fahnen mit dem islamischen Glaubensbekenntnis (Schahada) in weißer Schrift. Derartige Flaggen werden immer wieder als Symbol des jihadistischen Salafismus missbraucht. Infolge dieser Provokation kam es zu Übergriffen der Demonstranten. Die Polizei trennte die Kontrahenten und sprach gegen die Salafisten Platzverweise aus. Antisemitische Predigt in der "Al-Nur-Moschee" Die "Al-Nur-Moschee" war am 18. Juli Schauplatz einer antisemitischen Freitagspredigt. Vor dem Hintergrund des Gaza-Konflikts klagte der aus Aarhus in Dänemark stammende Gastimam Abdallah Khalid Ismail alias "Abu Bilal", dass die Menschen in Gaza Opfer einer zionistischen Verschwörung und die Juden "Verräter", "Heuchler" und "Schlächter der Propheten" seien. Darüber hinaus enthielt seine Predigt Fürbitten an Allah, die Juden zu vernichten: "Oh Allah, rechne mit den zionistischen Juden ab, sie können nichts gegen Dich tun. Zähle sie, töte sie alle und lass niemanden von ihnen [am Leben]." Gegen lsmail wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet.27 Der gebürtige Libanese Ismail trat seit mindestens 2010 immer wieder als Gastimam in der "Al-Nur-Moschee" auf. Seine Predigten waren 27 Im März 2015 erging ein Strafbefehl von 120 Tagessätzen gegen den Prediger. Dagegen legte er Einspruch ein. 52 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 meist islamistisch geprägt. Die "Al-Nur-Moschee" verfügt über weitere Kontakte zu salafistischen Predigern aus dem Ausland, wie etwa Muhammad al-Arifi aus Saudi-Arabien, der in der Schweiz bereits mit einem Einreiseverbot belegt wurde28 und zusammen mit Ismail Anfang 2013 ein "Islamseminar" in der "Al-NurMoschee" besuchte. Am 23. Januar 2015 wurde in der "Al-Nur-Moschee" eine Predigt mit eindeutig salafistischer Ausrichtung durch den aus Ägypten stammenden Gastimam Abdel Moez Al-Eila gehalten. Die frauenverachtenden und -herabsetzenden Äußerungen des Predigers, der Frauen das Recht auf Gleichberechtigung absprach, zeigen erneut den verfassungswidrigen und desintegrativen Charakter des politischen Salafismus, wie er in Moscheen, die als salafistische Trefforte dienen, gepredigt wird. 1.4.2 Salafistische Propaganda in Berlin Auftritt von Pierre Vogel im Rahmen seiner "Deutschland-Tour" Mit Pierre Vogel und Sven Lau aus Nordrhein-Westfalen traten am 25. Januar zwei prominente Salafisten bei einer Kundgebung in Berlin auf. Vor allem Vogel alias "Abu Hamza" ist einer der populärsten salafistischen "Prediger" in Deutschland. Die Kundgebung in Neukölln trug den Titel "Was sagt der Islam zum Thema Rassismus" und fand im Rahmen der "Deutschland-Tour" von Vogel statt. Die Organisatoren hatten bereits zahlreiche Veranstaltungen zu ähnlichen Themen im Bundesgebiet durchgeführt. An dieser Kundgebung nahmen rund 150 Personen teil. Sie verlief störungsfrei. Unter den Teilnehmern befanden sich auch Personen, die dem salafistischen Spektrum Berlins zuzurechnen sind. Salafistische Kundgebungen vor dem Brandenburger Tor und der US-Botschaft Eine Reihe von salafistischen Kundgebungen fand auch am Pariser Platz, vor dem Brandenburger Tor und der US-Botschaft statt. Häufig trat hierbei der bekannte Salafist und ehemalige Linksextremist Bernhard Falk als Initiator und Redner in Erscheinung. Darüber hinaus nahmen aber auch andere Vertreter des 28 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2013, Berlin 2014, S. 63. Islamismus 53 salafistischen Spektrums an den Veranstaltungen teil. Die Kundgebungen hatten Themen wie "Freiheit für Sven Lau"29, der zu dieser Zeit in Untersuchungshaft 1 war, oder "Freiheit für die Gefangenen in Guantanamo"30, auf der man die Namen von 27 inhaftierten Islamisten verlas, die als "muslimische politische Gefangene" bezeichnet wurden. "Das Problem Demokratie" lautete der Titel einer weiteren Veranstaltung31, auf der Falk einen Beitrag verlas, der auch auf seiner FacebookSeite veröffentlicht wurde. Hierin vertrat er salafistische und demokratiefeindliche Positionen wie: "Die Demokratie ist im Grunde ein Willkür-System bis an die Grenze des Wahnsinns." In komplettem Gegensatz hierzu stünden nach seiner Überzeugung die Gesetze des Islam: "Islam heißt, die Gesetze Allahs (...) gemäß Qur'an und der Sunnah des Propheten (...) zu befolgen - eine Wohltat für die Menschheit!" Die Wahl des Kundgebungsortes vor dem Brandenburger Tor und der US-Botschaft erfolgte dabei bewusst, um diese Plätze gezielt als Symbole des "Unglaubens" zu brandmarken. So äußerte sich Falk auf seiner Facebook-Seite über die Versammlung "Freiheit für die Gefangenen in Guantanamo": "Dies erfolgte unter großem Presse-Interesse im Zentrum des Daru-l-Kufr [sinngemäß: "Herrschaftsbereich des Unglaubens"] 32 zwischen Brandenburger Tor und USBotschaft." Trotz dieser symbolträchtigen Auswahl des Kundgebungsortes blieb die Teilnehmerzahl bei allen Veranstaltungen stets gering, so dass sie nur eine begrenzte Außenwirkung entfalteten. 29 Salafistische Kundgebung am 9.3.2014. 30 Salafistische Kundgebung am 2.8.2014. 31 Salafistische Kundgebung am 27.4.2014. 32 Die wörtliche Übersetzung von "Daru-l-Kufr" (Schreibweise im Original) aus dem Arabischen lautet: "Gebiet des Unglaubens". Dieser Ausdruck ist eine Anlehnung an den in heutiger Zeit vor allem in islamistischen Kreisen verwendeten Begriff "Dar al-Harb" ("Gebiet des Krieges"), der den Herrschaftsbereich der Nicht-Muslime bezeichnet, in dem das islamische Recht (Scharia) nicht gilt. 54 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Fortgang der Koranverteilungsaktion "Lies!" in Berlin Im Rahmen der Kampagne "Lies! Im Namen deines Herrn, der dich erschaffen hat" ("Lies!") werden bundesweit Korane an öffentlichen Plätzen verteilt. Verantwortlich hierfür ist das salafistische Predigernetzwerk "Die Wahre Religion" (DWR). In Berlin fand erstmals im April 2012 ein "Islam-Infostand" des "Lies!"-Projekts statt. 2014 gab es hier zwei genehmigte "Info-Stände" - beide im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Am Joachimsthaler Platz fand in der Regel jeden Samstag ein "Info-Stand" statt. Für den Bereich der Fußgängerzone in der Wilmersdorfer Straße wurde ebenfalls eine erneute Standgenehmigung bis April 2015 ausgestellt. Auch in Zukunft ist mit der regelmäßigen Organisation von "Info-Ständen" zu rechnen. Neben diesen "Islam-Infoständen" gibt es seit September 2012 einen weiteren Modus der Koran-Verteilung. Die Korane werden von Einzelpersonen an öffentlichen Plätzen verteilt, ohne eine Standgenehmigung beantragt zu haben. So wurden über eine salafistische Seite in einem sozialen Netzwerk Bilder veröffentlicht, die eine Gruppe von fünf jungen Erwachsenen beim Verteilen von Koran-Exemplaren im Februar vor dem "Gesundbrunnen-Center" in Wedding zeigen. Für die Koran-Verteilung wird im Internet intensiv geworben. Auf einer entsprechenden Seite in einem sozialen Netzwerk werden beinahe täglich die Inhalte aktualisiert und Videos sowie Bilder von Verteil-Aktionen aus dem Bundesgebiet veröffentlicht. Über eine der Webseiten kann man auch Koran-Exemplare bestellen. Die Verteilung des Koran im Rahmen des "Lies!"-Projekts ist durch das Recht auf Religionsfreiheit im Grundgesetz gedeckt. Die Problematik der "Islam-Infostände" liegt bei den Initiatoren der Kampagne und deren Motiven. Ihr Ziel ist es, Interessierte in Kontakt mit der salafistischen Szene zu bringen und sie im Sinne ihrer extremistischen Ideologie zu beeinflussen. Adressaten sind dabei sowohl Muslime, die nach salafistischer Überzeugung vom "rechten Pfad" abgewichen sind, als auch Nicht-Muslime, die zum Übertritt zum Islam salafistischer Prägung bewegt werden sollen. Da hierbei oftmals Salafisten auf junge, teilweise ungefestigte Personen treffen, besteht die Gefahr einer Radikalisierung. Islamismus 55 Erstmals salafistisches "Islamseminar" in der "Ibrahim al-Khalil-Moschee" In der "Ibrahim al-Khalil-Moschee" in Tempelhof, einem salafistischen Treffort, 1 fand vom 22. bis 24. August erstmals ein salafistisches "Islamseminar" statt. Die zumeist mehrtägigen "Islamseminare" bilden ein wesentliches Element der salafistischen Propaganda-Aktivitäten. Sie dienen der Vermittlung salafistischer Ideologie, aber auch der Vernetzung der Salafisten untereinander und der Werbung neuer Anhänger. Die meisten der Berliner "Islamseminare" fanden bislang in der "Al-Nur-Moschee" in Neukölln und der "as-Sahaba-Moschee" in Wedding mit bekannten salafistischen "Predigern" aus dem Bundesgebiet statt. An ihnen nahmen teilweise mehrere Hundert Besucher teil. Virtuelles Netzwerk "Islamischer Staat Berlin" Im Herbst 2013 wurde in einem sozialen Netzwerk die Seite "Islamischer Staat Berlin" (ISB) als virtuelles Netzwerk jihad-salafistisch orientierter Personen eingerichtet. Die Namensgebung legt einen Berlin-Bezug der für das Profil Verantwortlichen nahe. Allerdings war ein relevanter Teil der ca. 500 Personen, die das Facebook-Profil ISB "geliked" hatten, laut ihrer Selbstauskunft nicht in Berlin, sondern im gesamten Bundesgebiet und auch im Ausland wohnhaft. In den eingestellten Veröffentlichungen wurde wiederholt die Teilnahme am "Jihad" als für Muslime obligatorisch bezeichnet und der in diesem Zusammenhang erlittene "Märtyrertod" als in höchstem Maße erstrebenswerte und "gottgefällige" Handlung glorifiziert. Aufgrund der Namensgleichheit wurde die virtuelle Gruppe "Islamischer Staat Berlin" durch mediale Berichterstattung seit August zunehmend in Verbindung zur Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) gebracht. Dies führte vermutlich auch zur Löschung bzw. Abschaltung des Profils im September. Ein organisatorischer Zusammenhang zwischen der im Herbst 2013 eingerichteten Seite ISB und dem im Juni 2014 ausgerufenen "Islamischen Staat" (IS) im Irak/Syrien ist unwahrscheinlich. 56 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 1.5 Regional gewaltausübender Islamismus Neben den in der Mehrzahl jihad-salafistisch geprägten transnationalen Terrornetzwerken und den "politischen Salafisten" gibt es auch regional gewaltausübende islamistische Gruppen. Sie agieren vor allem im Nahen Osten terroristisch. So steht für die libanesische "Hizb Allah" und die palästinensische HAMAS vor allem der bewaffnete Kampf gegen Israel im Vordergrund. Die Anhänger dieser Organisationen verhalten sich in Deutschland in der Regel zurückhaltend und gewaltfrei. Das Personenpotenzial der regional gewaltausübenden islamistischen Gruppen ist gegenüber 2013 in Berlin gleich geblieben. 1.5.1 "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS) HAMAS - "Bewegung des Islamischen Widerstands" Gründung: 1987 Mitglieder: Berlin ca. 70 (2013: ca. 70) Die HAMAS wurde 1987 zu Beginn der ersten Intifada gegründet. Ihre Wurzeln liegen in der palästinensischen Muslimbruderschaft, die in den 1980er Jahren ihre vorwiegend religiös-unpolitische Haltung aufgab, um sich verstärkt der Konfrontation mit Israel zuzuwenden. In ihrer Charta von 1988 verneint die HAMAS das Existenzrecht Israels und strebt die "Befreiung ganz Palästinas" durch bewaffneten Kampf sowie die Errichtung eines islamischen Staates an. Durch ihre Kritik an den Friedensverhandlungen der Autonomiebehörde mit Israel sowie durch den Aufbau eines effizienten Netzwerks von sozialen, karitativen und Bildungseinrichtungen entwickelte sich die HAMAS zu einem bedeutenden politischen und gesellschaftlichen Faktor. Bei den Kommunalwahlen 2004 und 2005 verzeichnete die HAMAS deutliche Erfolge und siegte überraschend auch bei den Parlamentswahlen 2006. Besonders hoch ist ihr Einfluss im Gaza-Streifen, wo sie seit Juni 2007 die alleinige Kontrolle ausübt. Die HAMAS wird seit 2003 auf der Liste terroristischer Organisationen der Europäischen Union geführt. Am 17. Dezember entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass die Organisation aufgrund von Verfahrensfehlern nicht gelistet werden dürfe. Die Europäische Union gab im Ja- Islamismus 57 nuar 2015 bekannt, dass sie gegen das Urteil Berufung einlege und die 1 HAMAS weiterhin als terroristische Organisation geführt werden solle. In Deutschland tritt die HAMAS nicht offen auf. Ihre Anhänger treffen sich in Moscheen und Islamischen Zentren. Als Berliner Treffpunkt von HAMASAnhängern gilt das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum Berlin e.V." (IKEZ). Die Absetzung des ägyptischen Präsidenten Mursi im Jahr 2013 bedeutete für die HAMAS einen schweren Schlag. Die neue ägyptische Führung beschuldigte die Organisation, in Anschläge im Land involviert zu sein und zerstörte einen Großteil der Schmuggeltunnel, durch die neben Waffen auch zahlreiche Güter des täglichen Bedarfs in den Gazastreifen gelangten. Die Lebensbedingungen in Gaza haben sich seitdem erheblich verschlechtert. Nach Jahren der Stagnation kam es bei den Bemühungen um eine innerpalästinensische Annäherung 2014 zum Durchbruch. Nach der Unterzeichnung eines Versöhnungsabkommens wurde am 2. Juni eine von HAMAS und PLO getragene, parteiunabhängige Einheitsregierung gebildet, die Neuwahlen vorbereiten sollte. Die Einigung beider Organisationen wurde jedoch Anfang Juli 2014 von der eskalierenden Lage im Nahen Osten überlagert, aus der ein weiterer bewaffneter Konflikt zwischen Israel und der HAMAS erwuchs. Die Kämpfe gingen am 26. August mit einer unbefristeten Waffenruhe zu Ende. Die HAMAS, die sich durch den Raketenbeschuss Israels gegenüber der Fatah sowie den jihadistischen Gruppen als "Widerstandsorganisation" zu profilieren sucht, reklamierte den Waffenstillstand als einen "Sieg". Die Lage im Nahen Osten hatte unmittelbaren Einfluss auf das Demonstrationsgeschehen in Berlin. Im Juli und August fanden in Berlin zahlreiche Kundgebungen und Demonstrationen mit Bezug zum Gaza-Konflikt statt, die vor allem die Zerstörung der Infrastruktur in Gaza und die hohe Opferzahl auf palästinensischer Seite zum Thema hatten. Wie bei anderen zurückliegenden Konflikten unter Beteiligung Israels wurden auch dieses Jahr anti-israelische sowie antisemitische Parolen festgestellt. Obwohl die Proteste zum Teil in einer hochemotionalen Atmosphäre stattfanden, kam es nur vereinzelt zu gewalttätigen Zwischenfällen. Bei mehreren Demonstrationen traten auch HAMAS-Anhänger auf, die bei diesem Anlass u.a. Bilder des HAMAS-Führers Ismail Haniye zeigten. Mitte September fand zudem in Berlin eine Veranstaltung palästinensischer Vereine statt, bei 58 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 der in Übereinstimmung mit der Linie der HAMAS das Ende des Gaza-Konfliktes als "Sieg des palästinensischen Volkes" gefeiert wurde. Auch die Situation in Jerusalem, vor allem die vorübergehende Schließung des Tempelberges im November durch die israelischen Behörden, war Anlass zu mehreren Kundgebungen sowie Demonstrationen. 1.5.2 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") "Hizb Allah" ("Partei Gottes") Gründung: 1982 Mitglieder: Berlin 250 (2013: 250) Die schiitisch-islamistische "Hizb Allah" entstand 1982 als paramilitärische Bewegung, nachdem Israel in den libanesischen Bürgerkrieg (19761989) militärisch eingegriffen hatte. Aus ideologischen, regionalpolitischen und konfessionellen Motiven wird sie vom Iran und von Syrien unterstützt. Als einzige ehemalige Bürgerkriegsmiliz im Libanon unterhält die "Hizb Allah" eine Armee, mit dem Namen "Islamischer Widerstand" ("al-Muqawama al-islamiya").33 Die "Hizb Allah" negiert das Existenzrecht Israels und propagiert den bewaffneten Kampf gegen Israel. Mit der Zeit hat sich die "Hizb Allah" zu einem politischen Machtfaktor im Libanon entwickelt. Seit 1992 ist sie im libanesischen Parlament vertreten; die Regierung des Libanon steht seit 2011 der "Hizb Allah" nahe. Wegen antisemitischer Propaganda sowie gegen Israel gerichteter Aufrufe zu Hass und Gewalt wurde 2004 die Ausstrahlung des parteieigenen Senders "al-Manar" ("Der Leuchtturm") über den Satellitenanbieter Eutelsat unterbunden. 2008 erließ der Bundesminister des Innern darüber hinaus ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot gegen "al-Manar". Ein öffentlicher Empfang des Senders ist damit untersagt. Zuvor war "al-Manar" bereits in Frankreich und den USA verboten worden. 33 Im Jahre 2004 forderte der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 1559 die Entwaffnung der "Hizb Allah"; auch die Resolution 1701, die am 14.8.2006 den Waffenstillstand im Libanon einleitete, hält die Forderung nach einer Entwaffnung aufrecht. Islamismus 59 Die "Hizb Allah" wird von den USA, Kanada und Israel jeweils als terroristische 1 Organisation geführt. In Großbritannien und in Australien sind lediglich militärische Gliederungen als terroristisch eingestuft. Am 22. Juli 2013 beschlossen die Außenminister der Europäischen Union ebenfalls, den militärischen Arm der "Hizb Allah" in die EU-Terrorliste aufzunehmen. Die "Hizb Allah" ist eine Kriegspartei im syrischen Bürgerkrieg, in dem sie die Regierungstruppen des Assad-Regimes unterstützt. Dabei hat sie zahlreiche Tote und Verletzte zu beklagen. Mit den zunehmenden Verlusten im syrischen Bürgerkrieg steigt die Unzufriedenheit der Anhängerschaft im Libanon. Der "Hizb Allah"Führer Hassan Nasrallah erklärte im Juni jedoch, dass der Bürgerkrieg nur enden könne, wenn die Rebellen sich für Versöhnung und Dialog mit Assad entscheiden würden. Die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen mit Israel stieg Anfang Oktober an, als sich die "Hizb Allah" zu einem Angriff auf den Grenzzaun zu Israel bekannte und Israel mit einem Beschuss von "Hizb Allah"-Stellungen antwortete. Weitere Kampfhandlungen blieben zwar aus, die verbalen Drohungen gehen aber unvermindert weiter. Eine Kooperation der "Hizb Allah" mit dem Iran, die beide auf Seiten des AssadRegimes im syrischen Bürgerkrieg kämpfen, belegte ein militärischer Zwischenfall am 18. Januar 2015. Offenbar bei einem Angriff des israelischen Militärs auf einen Fahrzeugkonvoi auf den Golan-Höhen starben neben sechs Kämpfern der "Hizb Allah" weitere sechs Angehörige der iranischen Revolutionsgarden, unter ihnen ein ranghoher Offizier. Der Vorfall weist auf eine militärische Kooperation zwischen "Hizb Allah" und dem Iran hin, die - zumindest in grenznahen Räumen Syriens zum Libanon - auch ohne Beteiligung der syrischen Regierungstruppen bestehen. Die Anhänger der "Hizb Allah" in Deutschland verhalten sich weitgehend unauffällig, auch aufgrund von Direktiven der Führung im Heimatland aus taktischen Überlegungen heraus. Eine hervorgehobene Rolle spielt der Verein "Waisenkinderprojekt Libanon e.V." (WKP) mit Sitz in Essen, der mit einer am 8. April vollstreckten Verfügung des Bundesministers des Innern verboten wurde. 60 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Die Verbotsverfügung führt aus, dass der WKP über einen langen Zeitraum und in beträchtlichem Umfang die "Hizb Allah"-eigene "Shahid Stiftung" ("MärtyrerStiftung") im Libanon finanziell unterstützt hat. Damit unterstützte der Verein die auf die Vernichtung Israels gerichteten Ziele der "Hizb Allah" und richtete sich gegen das friedliche Zusammenleben der Völker.34 Indem der WKP durch das Sammeln und Bereitstellen von Spendengeldern für die "Shahid Stiftung" zur Sicherung des Lebensunterhalts der Hinterbliebenen von gefallenen "Hizb Allah"-Kämpfern beitrug, unterstützte und förderte er den Kampf der "Hizb Allah" gegen Israel. Die Gewissheit, dass die Hinterbliebenen finanziell unterstützt werden, erhöhe die Bereitschaft junger Libanesen, sich am Kampf der "Hizb Allah" gegen Israel aktiv zu beteiligen. Weiterhin trug die finanzielle Unterstützungsleistung des WKP zur Glorifizierung der im Kampf der "Hizb Allah" gegen Israel Gefallenen bei. Dies wiederum habe motivierend auf die "Hizb Allah"-Kämpfer gewirkt. Im Zuge der Vollstreckung des Verbots am 8. April wurden in Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz diverse Objekte durchsucht. Die Durchsuchungen führten zur Beschlagnahme und Sicherstellung des Vereinsvermögens, einer Vereinsimmobilie und Vereinsakten sowie PCs, Laptops, Mobilfunkgeräten und Propagandamaterial der "Hizb Allah". Darüber hinaus diente sie der weiteren Aufklärung der Vereinsstrukturen. In Berlin waren ein Büro der Vereinigung, vier Wohnobjekte sowie ein Vereinskonto betroffen. Der WKP hat rechtliche Schritte gegen das Verbot eingeleitet. Nach einem Beschluss des 6. Senats des Bundesverwaltungsgerichts am 8. Juli wurde die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung des Bundesministers des Innern u.a. mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass der Antragsteller der im Libanon ansässigen "Shahid Stiftung" keine Gelder oder Sachgüter überlassen und in keiner Weise mit dieser Stiftung zusammenarbeiten darf. Das Verfahren dauert an. 1.6 Gewaltbefürwortender Islamismus Gewaltbefürwortende islamistische Gruppen treten selbst kaum gewaltausübend in Erscheinung, propagieren sie jedoch im Sinne ihrer Interessen. Hierzu zählt die Organisation "Hizb ut-Tahrir", die in Deutschland 2003 verboten wurde. 34 Bundesministerium des Innern: Pressemitteilung vom 8.4.2014. Islamismus 61 1.6.1 "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung") 1 "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung") Gründung: 1953 Mitglieder: Berlin ca. 45 (2013: ca. 35) Die "Hizb ut-Tahrir" (HuT) wurde 1953 in Jordanien von Taqi ad-Din an-Nabahani (1909 - 1977) gegründet. Sie strebt nach der Überwindung nationalstaatlicher Strukturen, der Vernichtung des Staates Israel, der Befreiung der muslimischen Welt von westlichen Einflüssen sowie nach der Einführung der Scharia als politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip. Im Zentrum ihrer Ideologie steht die Errichtung eines weltweiten Kalifats. Die HuT ist eine panislamistische Organisation, die in fast allen Ländern des Nahen Ostens, Zentralasiens sowie Südost-Asiens aktiv ist. Die größten Anhängerschaften hat sie in Usbekistan und Indonesien. Da die HuT in vielen Ländern verboten ist und ihre Anhänger verfolgt werden, agiert die Partei meist im Untergrund. Sie bedient sich jedoch durchweg friedlicher Mittel. Die HuT ist eine überwiegend sunnitische Partei, sie verzichtet jedoch auf anti-schiitische Stellungnahmen. Entscheidend hierfür ist die Erwartung, dass das angestrebte Kalifat sämtliche Muslime in einem einheitlichen Staatsgebilde vereinen und die Spaltung in verschiedene Rechtsschulen und Konfessionen überwinden soll. Derzeitiger Vorsitzender der HuT ist der 1943 geborene Jordanier Ata Abu al-Rashta, dessen Aufenthaltsort im Libanon vermutet wird. In Deutschland trat die HuT vor allem mit der Verteilung von Flugblättern und Zeitschriften in Erscheinung, die sich durch aggressive antisemitische Hetze auszeichneten. Am 10. Januar 2003 erließ der Bundesminister des Innern gegen die HuT ein Betätigungsverbot, das vom Bundesverwaltungsgericht mit Verweis auf Forderungen der Partei nach der Beseitigung des Staates Israel am 25. Januar 2006 bestätigt wurde.35 Seit ihrem Verbot tritt die HuT in Deutschland nicht mehr 35 Vgl. BVerwG, Az.: 6A 6.05. 62 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 offen auf. Sie setzt jedoch ihre Agitation mit konspirativen Mitteln fort und rekrutiert neue Mitglieder. In Syrien ist die HuT seit Beginn des Bürgerkrieges in den von Rebellen gehaltenen Gebieten aktiv. Sie unterhält dort keine bewaffneten Einheiten, betreibt jedoch den Aufbau ihrer Strukturen. Die Partei betrachtet Syrien als Grundstein für das von ihr angestrebte Kalifat. Die Ausrufung eines "Kalifats" durch die Terrorgruppe "Islamischer Staat" hat sie jedoch - auch in ihren deutschsprachigen Veröffentlichungen - als "Farce" bezeichnet und aufgrund der exzessiven Gewalt des IS kritisiert. Ihrer Auffassung nach ist die Gründung eines Kalifats von einem Konsens aller Muslime abhängig, wobei die Anwendung von "Gewalt, Zwang und Terror" kategorisch auszuschließen sind.36 1.7 Legalistischer Islamismus Legalistische Islamisten zeichnen sich durch Ablehnung jeglicher Gewalt aus. Entweder waren die hierzu zählenden Organisationen nie gewaltorientiert oder sie haben der Gewalt abgeschworen. Ersteres gilt für die Organisationen, die der Ideologie der "Milli Görüs" folgen, während die arabische "Muslimbruderschaft" (MB) seit den späten 1970er Jahren nicht mehr versucht, ihre Ziele mit gewaltsamen Mitteln zu erreichen. Insbesondere die deutschen Ableger der legalistischen Organisationen lehnen Gewalt ab. Legalistische islamistische Organisationen machen einen großen Teil des islamistischen Personenpotenzials in Berlin und bundesweit aus. 1.7.1 "Muslimbruderschaft" / "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." "Muslimbruderschaft" (MB) / "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) Gründung: 1928 Mitglieder: Berlin ca. 120 (2013: ca. 120) 36 Vgl. Medienbüro der "Hizb ut-Tahrir": "Der Irak und das Scheinkalifat", veröffentlicht am 10.9.2014. Islamismus 63 Die 1928 in Ägypten von Hassan al-Banna gegründete "Muslimbruderschaft" 1 (MB) ist die älteste arabische islamistische Gruppierung. Die panislamistische Organisation ist heute, teils unter anderen Namen, in fast allen Ländern des Nahen Ostens vertreten und unterhält auch Zweige in westeuropäischen Ländern. Die nationalen Zweige der MB haben sehr verschiedene Entwicklungen durchlaufen. Die syrische MB konnte bereits Ende der 1940er Jahre Vertreter ins Parlament entsenden. Seit einem Aufstandsversuch in Hama 1982, den das Regime rücksichtslos niederschlug, ist sie eine reine Exilorganisation. Im Gegensatz dazu strebte die jordanische MB danach, ihre Ziele in Anlehnung an das Königshaus zu verwirklichen. Die ägyptische MB, die größte der MB-Organisationen, durchlief verschiedene historische Phasen: In ihrer Frühphase in den 1920er und 1930er Jahren konzentrierte sie sich auf die Bildung und Erziehung der Gläubigen. Von den 1940er bis zu den 1960er Jahren agierte sie auch militant und verübte zahlreiche Anschläge auf Staatsvertreter. Als nicht mehr gewaltorientiert gilt die ägyptische MB erst seit der Abspaltung ihrer militanten Flügel in den späten 1970er Jahren. Die MB definiert den Islam als ein "System", das "zu jeder Zeit und an jedem Ort" anwendbar sei und erhebt Koran und Sunna zur Richtschnur des politischen Handelns. Hieraus leitet die Organisation ihre Forderung nach einer umfassenden "Anwendung der Scharia" und nach Schaffung eines islamischen Staates ab. Ideologisch verkörpert die MB jedoch ein breites Spektrum, das bis zu der Forderung nach Schaffung eines "zivilen Staates mit islamischem Referenzrahmen" bzw. einer "islamischen Demokratie" reicht. Die mitgliederstärkste Organisation von MB-Anhängern in Deutschland ist die 1960 gegründete "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD). Die IGD hat Verbindungen zu einer Reihe von Vereinen. In Berlin zählen hierzu das "Interkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung e.V." (IZDB), das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum Berlin e.V." (IKEZ), die "Neuköllner Begegnungsstätte e.V." (NBS), auch bekannt als "Dar as-Salam Moschee", und das "Teiba Kulturzentrum zur Förderung der Bildung und Verständigung e.V." (TKZ). 64 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Seit der Absetzung des MB-nahen Präsidenten Muhammad Mursi im Juli 2013 geht das ägyptische Militärregime mit allen Mitteln gegen die MB vor. Ihr oberster Führer Muhammad Badi'a sowie Ex-Präsident Mursi wurden festgenommen, die MB und alle ihre Ableger verboten und deren Vermögen beschlagnahmt. Am 25. Dezember 2013 wurde die Muslimbruderschaft zur Terrororganisation erklärt. Im Frühling 2014 wurden hunderte MB-Anhänger in Schauprozessen zum Tode verurteilt, darunter auch Muhammad Badi'a. Die meisten Urteile wurden später in lange Haftstrafen umgewandelt. Anfang Dezember wurden erneut mehr als 180 MB-Anhänger zum Tode verurteilt. Die Repression des ägyptischen Militärregimes stürzte die MB in eine tiefe Krise. Die Festnahme zehntausender Mitglieder sowie die Konfiszierung ihres Vermögens trafen die Organisation schwer. Hinzu kommt, dass das Emirat Katar, langjähriger Förderer der MB, ihr unter dem Druck Saudi-Arabiens im September seine Protektion entzog. Obwohl Katar die im Exil lebenden MB-Führer nicht an Ägypten auslieferte, mussten diese ausreisen und in anderen Staaten, darunter der Türkei, Zuflucht finden. Die MB-Führung vermochte es auch 2014 nicht, sich auf eine Strategie im Umgang mit der neuen Situation zu einigen. Sie forderte wie zuvor die Wiedereinsetzung Mursis als Präsident und verweigerte eine Anerkennung von Ex-General Abd alFattah as-Sisi, der Ende Mai zum Präsidenten Ägyptens gewählt wurde. Obwohl die Proteste gegen die Militärs abnahmen, bewies die MB bei zahlreichen Demonstrationen ihre ungebrochene Mobilisierungsfähigkeit. Anzeichen für eine Radikalisierung der ägyptischen MB sind derzeit nicht erkennbar. Seit der Machtübernahme des Militärs kam es vermehrt zu Anschlägen gegen die Sicherheitskräfte, insbesondere auf dem Sinai. Bei den Urhebern handelte es sich jedoch primär um Mitglieder jihadistischer Gruppen, während die Beteiligung von MB-Angehörigen von unabhängiger Seite nicht bestätigt werden kann. Nicht nur in Ägypten, sondern auch international mobilisierte die MB seit Juli 2013 ihre Anhänger. Als Symbol der Proteste hat sich weltweit eine stilisierte schwarze Hand mit vier ausgestreckten Fingern vor gelbem Hintergrund durchgesetzt. Die vier Finger (rabi'a heißt auf arabisch "die Vierte") sind eine Anspielung auf den Platz vor der "Rabi'a al-Adawiya-Moschee", auf dem Anhänger der MB ein Protestcamp errichtet hatten, bei dessen Räumung 2013 hunderte Menschen von den Sicherheitskräften getötet wurden. Auch in Berlin demonstrieren seitdem Sympathisanten und Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi, Islamismus 65 wobei das "Rabi'a-Symbol" einen zentralen Stellenwert besitzt. Zu einigen ProMursi-Demonstrationen rief auch der Landesverband der IGMG in Berlin auf. Die 1 Intensität der Proteste von MB-Anhängern ließ jedoch spürbar nach. 1.7.2 "Milli Görüs"-Bewegung "Milli Görüs"-Bewegung (MGB), vormals: "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) Mitglieder: Berlin ca. 500 (2013: ca. 2 900) Die "Milli Görüs"-Bewegung geht in ihrer islamistischen Ausrichtung auf das politische Konzept von Necmettin Erbakan zurück. Erbakans Ziel war es, die türkischen Bürger unter dem Dach von Nationalismus und Islamismus zu einen und in der Türkei ein islamistisches Staatswesen zu errichten. Als politisches und gesellschaftliches Ordnungsmodell propagierte er eine "gerechte Ordnung" ("adil düzen"), in welcher die Scharia gilt und politisches Handeln sich an den Prinzipien von Koran und Sunna orientiert. Erbakan lehnte wesentliche rechtsstaatliche Prinzipien wie Volkssouveränität oder Parteienpluralismus als unvereinbar mit der "gerechten Ordnung" ab. Er forderte einen Systemwechsel nicht allein in der Türkei, sondern in der gesamten Welt. Er betrachtete den Islam als Gesellschaftsmodell, das sämtlichen westlichen Systemen überlegen sein soll. Dieses Modell wird bis heute in der "Milli Görüs"-Bewegung propagiert, auch über den Tod von Erbakan am 27. Februar 2011 hinaus. Die Ideologie der "Milli Görüs" spiegelt sich nicht nur in den Verlautbarungen der Funktionäre, sondern auch in der breiten Diskussion an der Basis - etwa in der "Milli Gazete". Die türkische Tageszeitung, die mit einer Europa-Ausgabe in Deutschland erscheint, kann als inoffizielles Sprachrohr der "Milli Görüs"-Bewegung bezeichnet werden. Die größte Organisation im "legalistischen Islamismus" in Deutschland war bislang die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG), die 1995 aus der AMGT ("Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e.V.") hervorging. Necmettin Erbakan hatte 1970 - auf der Grundlage der "Milli Görüs"-Ideologie - seine erste islamistische Partei in der Türkei gegründet. Er konnte trotz mehr- 66 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 maliger Parteiverbote und anschließender Neugründungen eine Spaltung seiner Anhängerschaft bis 2001 verhindern. Flügelkämpfe zwischen den so genannten Traditionalisten und den Erneuerern in der "Fazilet Partisi" (FP / "Tugendpartei") führten nach ihrem Verbot 2001 zur Gründung von zwei Parteien. Hierzu gehört die im Juli 2001 vom ehemaligen Vorsitzenden der FP, Recai Kutan, gegründete "Saadet Partisi" (SP / "Partei der Glückseligkeit"), in der sich die "Traditionalisten" wiederfinden, die sich zur "Milli Görüs"-Ideologie und deren Begründer Erbakan, der von Oktober 2010 bis zu seinem Tod auch Parteivorsitzender war, bekennen. Die zweite Partei stellt die von Recep Tayyip Erdogan gegründete - "Adalet ve Kalkinma Partisi" (AKP / "Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei") dar, die als politisches Lager der "Erneuerer" gilt. Dies löste auch in der IGMG in Deutschland eine Krise aus und führte zu Auseinandersetzungen zwischen "Traditionalisten" und "Reformern" über die künftige Ausrichtung der Organisation. Mittlerweile verfolgen Teile der IGMG-Anhänger in Berlin keine extremistischen Ziele mehr. Insgesamt ist ein Wandlungsprozess festzustellen, der die schrittweise Loslösung von der extremistischen Ideologie Erbakans erkennen lässt. Zudem wurden interne Posten mit reformorientierten Funktionären besetzt. Dieser Entwicklung wird Rechnung getragen, indem nicht länger die Gesamtorganisation der IGMG als extremistisch bewertet wird, sondern nur noch die Träger der extremistischen "Milli Görüs"-Ideologie. Der Berliner Verfassungsschutz schaut folglich auf jene Organisationen und Bestrebungen, zu deren Zielen die Umsetzung der "Milli Görüs"Ideologie gehört. Damit reduziert sich das Personenpotenzial in Berlin von einstmals 2 900 Personen bei der IGMG auf nunmehr 500 IGMG-Mitglieder, die die "Milli Görüs"-Bewegung unterstützen. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 67 2 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 2 2.1 Ideologien extremistischer Bestrebungen ausländischer Organisationen Ausländische Organisationen werden als extremistisch bewertet, wenn sie Ideologien extremistischer Bestresich gegen die freiheitliche demokrabungen ausländischer Organisationen tische Grundordnung richten und die Im Gegensatz zu den BeobachDurchsetzung ihrer Weltanschauung tungsfeldern Rechtsoder Linksexin Deutschland anstreben. tremismus sowie Islamismus verfügen extremistische Bestrebungen Als extremistisch werden aber auch ausländischer Organisationen nicht ausländische Organisationen eingeüber eine einheitliche ideologische stuft, die eine gewaltsame VerändeAusrichtung mit verschiedenen Ausrung der politischen Verhältnisse in prägungen. Es lassen sich gegenden Heimatländern anstreben. Sie gesätzliche Ideologien unterscheiden: fährden durch Anwendung von Gewalt * Linksextremisten: Diese folgen oder darauf gerichtete Vorbereitungsweitgehend der Ideologie des Marxishandlungen auswärtige Belange der mus-Leninismus und streben meist Bundesrepublik Deutschland. mit Gewalt die Etablierung eines soAusländische Personenzusammenzialistischen bzw. kommunistischen schlüsse werden schließlich als extreSystems in ihren Heimatländern an. mistisch bewertet, wenn ihre Tätigkeit * Extreme Nationalisten: Natigegen das friedliche Zusammenleben onalistische Ausländerorganider Völker (Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz) sationen kennzeichnet ein auf gerichtet ist. Organisationen, die sich ethnische, kulturelle und politischgegen das friedliche Zusammenleben territoriale Unterschiede gegründeder Völker richten, bedeuten eine erhebter Überlegenheitsanspruch der eiliche Gefahr für die innere Sicherheit. genen Nation sowie die Negierung Sie bilden den Nährboden für extremisder Rechte anderer Ethnien. tische Auffassungen und schüren Hass, In den meisten Fällen werden die Akder auch zu terroristischer Gewaltantivitäten ausländerextremistischer 68 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 wendung führen kann. Bei nicht-islaOrganisationen von den politischen mistischen ausländerextremistischen Verhältnissen in ihren HerkunftslänOrganisationen lassen sich linksextredern bestimmt. mistische und nationalistisch orientierte Gruppierungen unterscheiden. Meist werden die Aktivitäten ausländerextremistischer Organisationen von den politischen Verhältnissen in ihren Herkunftsländern bestimmt. Einige der in Deutschland ansässigen Organisationen lassen inzwischen jedoch Tendenzen zu eigenständigem Handeln erkennen. 2.2 Personenpotenzial Das Personenpotenzial linksextremistischer ausländischer Organisationen ist in den letzten Jahren nahezu konstant geblieben. Die in der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) organisierten kurdischen Linksextremisten stellen hier weiterhin das einzige zahlenmäßig relevante Personenpotenzial. Für das Jahr 2014 waren ihr in Berlin etwa 1 050 Personen (2013: ca. 1 050) zuzurechnen. Auch im Bereich der extrem-nationalistischen Organisationen ist in Berlin das Personenpotenzial gleich geblieben. Den extremen Nationalisten insgesamt werden aktuell etwa 400 Personen zugerechnet (2013: ca. 400). Personenpotenzial extremistischer ausländischer Organisationen* 2013 2014 Gesamt 1 700 1 700 Linksextremisten, davon 1 300 1 300 PKK 1 050 1 050 Sonstige 250 250 Extreme Nationalisten 400 400 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 69 2.3 Arbeiterpartei Kurdistans - PKK ("Partiya Karkeren Kurdistan") Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 2 Gründung: 1978 Mitglieder: Berlin ca. 1 050 (2013: ca. 1 050) Die PKK ist auf der europäischen Liste terroristischer Organisationen verzeichnet. Die vor dem Hintergrund des jahrzehntelangen Konflikts im Ländereck Türkei, Iran, Irak und Syrien gegründete PKK führte ab 1984 einen Guerillakrieg für die Anerkennung der Kurden als Nation und die Erlangung der politischen Autonomie innerhalb des türkischen Staatsgebiets. Seit der Festnahme des PKK-Führers Abdullah Öcalan im Jahre 1999 gilt ein strategischer Kurswechsel, um sich durch die Ankündigung interner Reformen als politischer Gesprächspartner zu etablieren. Hierzu benannte die Organisation sich wie auch ihre Teilund Nebenorganisationen mehrfach um. Die PKK in der Türkei Bereits 2004 kündigten die Guerillaeinheiten der PKK den 1998 von Öcalan erklärten "einseitigen Waffenstillstand" auf. Seitdem fanden - mit einigen Unterbrechungen - offensive Kämpfe statt. Terroristische Anschläge in der gesamten Türkei verübten zudem die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK), eine nach eigenen Angaben aus der Guerilla entstandene Gruppe, die seit 2006 ebenfalls auf der europäischen Liste terroristischer Organisationen verzeichnet ist. Seit März 2013 herrscht jedoch Waffenruhe. 2.3.1 Der Krieg zwischen Kurden und der Terrororganisation "Islamischer Staat" in Irak und Syrien Am 21. März 2013 hatte der Führer der PKK Abdullah Öcalan die PKK-Anhänger anlässlich des Frühjahrsfestes Newroz zu einem einseitigen Waffenstillstand aufgefordert und die Guerillaeinheiten zum Rückzug aus der Türkei aufgerufen. Die danach teilweise erfolgte Verlagerung der PKK-Truppen in den Irak war eine notwendige Vorbedingung für eine tragfähige Waffenruhe und stellte einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einer möglichen Lösung der kurdischen Frage dar. 70 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Allerdings nahmen ab Sommer 2013 die kritischen Stimmen in der PKK zu, die mit dem stockenden Verlauf des Friedensprozesses unzufrieden waren und Konsequenzen in der Organisation bis hin zu einer Rückkehr der abgezogenen so genannten "Volksverteidigungskräfte" (HPG) aus dem Nordirak in die Türkei forderten. Gleichwohl hielt die PKK trotz Drohungen, den Kampf wieder aufzunehmen, an der Waffenruhe fest. So hatte Öcalan in seiner Frühjahrsansprache angekündigt, dass man trotz der Hinhaltetaktik der türkischen Regierung am Friedensprozess festhalte. Gleichzeitig hatte er eine zeitnahe Festlegung gesetzlicher Rahmenbedingungen für eine Fortführung des Friedensprozesses gefordert. Die Guerilla hielt sich auch dann weitgehend an den Waffenstillstand, als ein von der türkischen Regierung am 26. Juni im Parlament vorgelegter Entwurf eines "Gesetzes zur Beendigung des Terrors und Stärkung der gesellschaftlichen Einheit" die Erwartungen der PKK-Führung zur Lösung der Kurdenfrage nicht erfüllte. Ein kritischer Faktor für die Friedensverhandlungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK waren seit März die militärischen Offensiven der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS), die die mehrheitlich kurdisch besiedelten Gebiete in Nordsyrien und Nordirak betrafen. Vor allem die Verfolgung und Tötung kurdischer Jesiden und anderer Minderheiten37 im Nordirak im August, die massive Belagerung von Kobane ab September sowie die ambivalente Haltung der türkischen Regierung belasteten die Friedensgespräche zwischen der türkischen Regierung und der PKK und stellten den Fortgang des Friedensprozesses in Frage. Am Krieg zwischen Kurden und der Terrororganisation "Islamischer Staat" sind drei verschiedene kurdische Kampfeinheiten beteiligt. HPG (Hezen Parastina Gel) sind die vorrangig in der Türkei aktiven "Volksverteidigungskräfte" der PKK. YPG (Yekineyen Parastina Gel) sind die "Volksverteidigungseinheiten" der PYD, der syrischen Teilorganisation der PKK, die in Syrien agieren. Schließlich gibt es die 37 Der Irak ist ein multireligiöser und multiethnischer Staat. Bei dem Vormarsch des IS im Nordirak litten v.a. Jesiden, Christen - wie Chaldäer und Assyrer - sowie Turkmenen unter der Verfolgung und Vertreibung durch die islamistische Terrorganisation. Die Jesiden sprechen kurdisch. Ihre Religion ist monotheistisch und stark synkretistisch. Sie enthält u.a. Elemente des Zoroastrismus, Manichäismus, des Judentums sowie des Islams. Die Turkmenen sind ein türkischsprachiges Volk, das sich entweder zum schiitischen oder sunnitischen Islam bekennt. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 71 Peschmerga, die Streitkräfte der anerkannten autonomen Region Irakisch-Kurdistan im Norden des Irak.38 IS-Offensive im Nordirak ab Juni - Vertreibung von Jesiden in Sengal ab August Nachdem die Terrororganisation "Islamischer Staat" die nordsyrische Stadt Ko- 2 bane angegriffen hatte und es hier zu Kämpfen mit Kurden kam, verschob sich im Juni der Schwerpunkt der militärischen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und dem IS in den Nordirak, als die Jihadisten auf ihrem Vormarsch mutmaßlich hunderte Jesiden, aber auch Angehörige anderer ethnischer sowie religiöser Minderheiten töteten. Nachdem am 3. August die Stadt Sengal westlich von Mossul von Kämpfern des IS besetzt wurde, flohen tausende Jesiden in das nahe gelegene Sengal-Gebirge, wo sie, abgeschnitten von Wasser und Verpflegung, vom IS eingekesselt waren. Vor allem Ältere und Kranke sollen auf der Flucht und in den Bergen umgekommen sein, bevor schließlich ihre Evakuierung aus dem Gebirge gelang. Im Kampf gegen den IS erhielten kurdische Truppen und die irakische Armee ab dem 8. August Unterstützung durch US-Kampfflugzeuge, die Stellungen der ISMilizen angriffen. Das deutsche Parlament stimmte am 1. September einer Lieferung von Waffen und militärischer Ausrüstung an die Peschmerga im Nordirak zu. Kampf um Kobane Anfang März hatte der IS die Stadt Kobane (kurdisch; arabisch: Ain al-Arab) im syrisch-türkischen Grenzgebiet angegriffen. Für die PKK bzw. ihre syrische Teilorganisation, die "Partei der demokratischen Union" (PYD), die die Stadt verteidigten, hat Kobane als eine der drei seit Januar faktisch autonomen Gebiete in Nordsyrien eine besondere Bedeutung. Diesen Status wollen die PKK bzw. die PYD nicht verlieren. Im Falle einer Einnahme von Kobane durch den IS hätte die PKK die türkische Regierung mitverantwortlich gesehen, was zu einem endgültigen Abbruch der Friedensverhandlungen hätte führen können. Die erneute Offensive des IS gegen die Stadt im September und die passive Haltung der türkischen Regierung, aber auch die abwartende Haltung der internationalen Gemeinschaft lösten in der Türkei und auch im europäischen Ausland große Proteste unter den Kurden aus. Insbesondere die mediale Verbreitung der 38 Die Peschmerga der Region Irakisch-Kurdistan gelten in Deutschland, im Gegensatz zur PKK und ihrer Unterund Teilorganisationen, nicht als extremistisch. 72 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Nachricht am 6. Oktober, Kobane sei vom IS eingenommen worden, löste wütende und teils gewalttätige Proteste von Kurden auch in Berlin aus, die die PKK propagandistisch nutzte. Friedensprozess in der Türkei gefährdet Aus der Perspektive der PKK ist das Verhalten der türkischen Regierung gegen die Offensiven des IS in Syrien ambivalent. So versuche die türkische Regierung, die Krise zu nutzen, um den Autonomiestatus der kurdischen Regionen Afrin, Kobane und Cizire wieder abzuschaffen und die PKK auf türkischer Seite sowie die PYD auf syrischer Seite zu schwächen. Seit sich im Oktober der Kampf zwischen kurdischer Guerilla und dem IS um Kobane zuspitzte und Ankara zunächst die Grenzen für kurdischen Nachschub nach Kobane geschlossen hielt, nahmen in der Türkei die Auseinandersetzungen zwischen Kurden, der Polizei und der Armee deutlich zu. Berichten zufolge sollen Mitte Oktober türkische Flugzeuge Stellungen der PKK im Südosten der Türkei bombardiert haben, nachdem die PKK-Guerilla einen Militärposten an der Grenze zum Irak angegriffen hatte. Dies sei der erste größere Einsatz dieser Art seit Beginn des Friedensprozesses. Bei heftigen Straßenprotesten mit Zusammenstößen zwischen Kurden, Islamisten und türkischen Nationalisten waren in wenigen Tagen 37 Menschen getötet worden. Eine baldige Beruhigung der Lage ist angesichts der aktuellen Bürgerkriegssituation im Grenzgebiet zwischen Türkei, Irak und Syrien wenig wahrscheinlich. Der eineinhalb Jahre währende Waffenstillstand der PKK scheint ebenso gefährdet wie ein erfolgreicher Abschluss des Ende 2012 begonnenen Friedensprozesses. 2.3.2 Krieg gegen IS beherrscht PKK-Aktivitäten in Deutschland und Berlin Die PKK in Deutschland und Europa Nach zahlreichen Brandanschlägen auf türkische Einrichtungen in Deutschland 1992 und 1993 und der Geiselnahme von 20 Personen im türkischen Generalkonsulat in München erfolgte am 22. November 1993 das vereinsrechtliche Betätigungsverbot in Deutschland, das sich auch auf die Nachfolgeorganisationen erstreckt. Da die PKK einen Alleinvertretungsanspruch für alle Kurden erhebt, wurden bereits in den 1990er Jahren "Massenorganisationen" für Angehörige einzelner Interessen-, Berufsoder Religionsgruppen geschaffen, um Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 73 Einfluss auf alle wichtigen Bereiche kurdischer Aktivitäten in Deutschland zu gewinnen. Neben den Jugendlichen ist vor allem die "Kurdische Frauenbewegung in Europa" (TJKE), der "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK), die "Union kurdischer Familien" (YEK-MAL) sowie die "Islami- 2 sche Gemeinschaft Kurdistans" (CIK) zu nennen. Die Anhänger in Deutschland sind meist in örtlichen Vereinen aktiv. Deren Dachverband, die "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM), wurde anlässlich der Neustrukturierung im Juni in das "Zentrum der demokratischen Gesellschaft der Kurden in Deutschland e.V." (NAV-DEM) umbenannt. Durch eine Umstrukturierung sollten die europäischen PKK-Strukturen auf politischer Ebene als Dialogpartner etabliert und zu transparenten basisdemokratischen Institutionen werden. Die Organisationen wurden umbenannt. In der streng hierarchischen PKK-Führungsstruktur gibt es jedoch keine wesentlichen inhaltlichen Einflussmöglichkeiten durch die Mitglieder. Deutschland gilt als Rückzugsraum der PKK. Die Aktivitäten der deutschen PKKAnhänger sind darauf ausgerichtet, die Ziele der Partei in der Türkei und ihren Nachbarländern propagandistisch und materiell zu unterstützen. Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen der kurdischen Guerilla und dem IS in Nordsyrien und im Nordirak haben das diesjährige Demonstrationsgeschehen geprägt und waren Anlass für weitreichende Protestaktionen und Solidaritätsveranstaltungen. Obwohl diese weitgehend friedlich verliefen, zeigten sich die PKKAnhänger bei Provokationen bereit, Gewalt auszuüben. Für den Kampf gegen den IS rekrutierte die Organisation Nachwuchs und sammelte Spenden. Unterstützung erhielt die PKK hierbei durch das linksextremistische Spektrum. Erste Protestwelle der PKK-Anhänger in Deutschland nach dem 3. August Anfang August löste der Vormarsch des IS im Nordirak sowie die Verfolgung und Tötung von Jesiden und anderer Minderheiten eine erste große Protestwelle in Deutschland und Berlin aus. Auch die PKK sowie linksextremistische Organisationen waren an den Protesten beteiligt. Bundesweit fanden zahlreiche Demonstrationen statt, die sehr emotionsgeladen waren. Während die meisten dieser Veranstaltungen weitgehend störungsfrei verliefen, gab es auch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Jesiden bzw. Kurden einerseits und Muslimen und islamistischen Anhängern des IS andererseits. Die Entwicklungen im Nahen Osten 74 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 führten zu einer aggressiven Stimmung zwischen diesen Gruppen in Deutschland. Herford war eine der ersten Städte, in denen es am 6. August bei Auseinandersetzungen zwischen Jesiden und Salafisten, überwiegend aus dem Kaukasus, mehrere Verletzte gab. Ausschreitungen zwischen PKK-Anhängern und IS-Sympathisanten in Berlin Auch in Berlin standen die PKK-Aktivitäten im Zeichen des Bürgerkriegs in Irak und Syrien. Im Zusammenhang mit den Übergriffen des IS auf Jesiden im Nordirak und seiner Offensiven gegen die syrische Stadt Kobane nahmen öffentlichkeitswirksame Aktionen von PKK-Anhängern in der Hauptstadt im Vergleich zum Vorjahr stark zu. Soziale Netzwerke bildeten dabei ein wichtiges Medium, um die Anhänger kurzfristig für Aktionen zu mobilisieren. Angemeldete Demonstrationen, Mahnwachen sowie spontane Besetzungsaktionen verliefen weitgehend friedlich. Gleichwohl kam es bei einigen Demonstrationen zu Auseinandersetzungen. Auf einer am 6. August von der PYD Berlin veranstalteten Solidaritätskundgebung für Jesiden am Pariser Platz provozierte ein Iraker Demonstranten, die sich mehrheitlich aus PKK-Anhängern und Personen des linksextremistischen Spektrums zusammensetzten, indem er eine Fahne mit arabischen Schriftzeichen hochhielt. Ca. 60 Teilnehmer attackierten daraufhin den Iraker, der sich in ein Hotel flüchtete. Am 10. August versammelten sich am Hermannplatz Teilnehmer zu einem PKK-nahen Aufzug, der sich gegen die "Angriffe der IS-Banden auf die Bevölkerung im Nord-Irak" richtete. Als aus einer Gruppe von 14 Personen, die überwiegend dem salafistischen Spektrum zugerechnet werden, provokativ eine schwarze Fahne mit dem islamischen Glaubensbekenntnis gezeigt wurde, griffen Demonstranten mit Flaschenwürfen, Tritten und Schlägen an. Die gezeigte Fahne wird oft von islamistischen und insbesondere jihad-salafistischen Gruppen verwendet und dürfte von den Demonstranten als Sympathiebekundung für den IS gewertet worden sein. Auf beiden Kundgebungen konnten weitere gewalttätige Übergriffe nur durch massiven Polizeieinsatz verhindert werden. Zweite große Protestwelle in Deutschland ab dem 6. Oktober Am 6. Oktober veröffentlichten Medien Berichte über den bevorstehenden Fall der Stadt Kobane. Dies führte zu einer erneuten Zunahme spontaner wie auch ange- Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 75 meldeter Proteste von PKK-Anhängern, an denen sich auch deutsche linksextremistische Gruppen beteiligten. Bei unorganisierten Straßenprotesten in Celle und Hamburg kam es am 6. und 7. Oktober zu äußerst gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Schlagund Stich- 2 waffen zwischen Kurden bzw. Jesiden und Islamisten bzw. Muslimen meist kaukasischer Herkunft. In Hamburg wurden bei Ausschreitungen am 7. Oktober 23 Personen verletzt, neun mussten stationär behandelt werden. In Celle nahm die Polizei am 7. Oktober 450 Personen in Gewahrsam. Demonstrationen, die von PKK-nahen Organisationen veranstaltet wurden, verliefen meistens störungsfrei. In einigen Städten, u.a. in Berlin, kam es teilweise zu Ausschreitungen. Die zweite Protestwelle der PKK-Anhänger erreichte in Deutschland mit einem am 1. November veranstalteten "Internationalen Aktionstag für Kobane - Global Rally for Kobane" ihren Abschluss. Für die Aktion wurden international ca. 38 000 Personen mobilisiert. Der überwiegend störungsfrei verlaufende Protest richtete sich gegen die türkische Regierung, die nach Überzeugung der PKK-Anhänger den IS finanziere und deshalb für die Verfolgung von Kurden in Kobane verantwortlich sei und gegen die internationale Gemeinschaft, die den kurdischen Widerstand nicht ausreichend unterstütze. Ausschreitungen zwischen PKK-Anhängern und Gegnern auf Berliner Demonstrationen In Berlin mobilisierte die PYD ihre Anhängerschaft in der Nacht auf den 7. Oktober kurzfristig über das Internet zu einem spontanen Aufzug vom Brandenburger Tor zum Alexanderplatz, zu dem sich in kurzer Zeit bis zu 600 Teilnehmer versammelten. Am Tag zuvor hatte es Besetzungsaktionen am Berliner Hauptbahnhof und am Flughafen in Tegel gegeben. Während diese Aktionen weitgehend friedlich verliefen, kam es auf zwei größeren ebenfalls von der PYD organisierten Demonstrationen zu Ausschreitungen. Auf einem am 12. Oktober durchgeführten Aufzug vom Hermannplatz zur Oranienstraße mit 1 600 Teilnehmern zum Thema "Berlin ist Kobane" musste die Polizei nach einem Flaschenwurf auf ein türkisches Lokal eingreifen, um eine Eskalation zu verhindern. Am 18. Oktober nahm eine Demonstration durch den Wedding ebenfalls einen unfriedlichen Verlauf. An dem Aufzug von der Bernauer Straße zum Nettelbeckplatz, ebenfalls zum Thema "Kobane", 76 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 beteiligten sich etwa 1 100 Personen. Zwischen den Demonstranten und Umstehenden, von denen einige dem türkisch-nationalistischen Spektrum zuzurechnen waren, kam es zu gegenseitigen verbalen Provokationen und körperlichen Attacken. Es wurden mehrere Versammlungsteilnehmer und 32 Polizeibeamte verletzt. Nur durch massive polizeiliche Präsenz konnten Gewaltausbrüche unterbunden und eine Ausweitung der Auseinandersetzungen verhindert werden. PKK ruft junge Anhänger in Deutschland zum Kampf gegen den IS auf Vor dem Hintergrund der militärischen Offensiven des IS in Syrien und im Irak hat die PKK ihre Bemühungen in Deutschland verstärkt, kurdische Jugendliche für den bewaffneten Kampf gegen die Jihadisten zu rekrutieren. Vor allem die PKK-Jugendund Studentenorganisation sind in diesem Bereich aktiv. Für den bewaffneten Kampf in Nordsyrien (kurdisch: Rojava) erhielt die PKK ideelle und finanzielle Unterstützung von linksextremistischen Organisationen.39 Im September veröffentlichte der "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK) auf ihrer Internetseite eine Erklärung zu den Angriffen in Kobane. Die Herausgeber verurteilen die vermeintliche Unterstützung des IS durch die Türkei, Katar und Saudi-Arabien und fordern die Zivilgesellschaft auf, sich für das "demokratische Projekt Rojava" einzusetzen. Der Text endet mit einem Aufruf an Jugendliche in Europa, sich am Kampf gegen den IS aktiv zu beteiligen: "Wir rufen alle zivilgesellschaftlichen Organisationen in Europa auf, die Selbstverteidigung der Völker in gesamt Kurdistan aktiv zu unterstützen. Dafür rufen wir vor allem die Jugend in Europa dazu auf, sich an dem Kampf gegen den islamischen Staat aktiv zu beteiligen !!!" 39 Die linksextremistischen Organisationen "Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin" (ARAB) und "Neue antikapitalistische Organisation" (NaO) initiierten am 3. Oktober eine eigene Kampagne zur Unterstützung des Kampfes gegen den IS in Nordsyrien. Das im Rahmen der Kampagne "Solidarität mit Rojava - Waffen für YPG/YPJ" gesammelte Geld sei u.a. dafür bestimmt, "Waffen für die kurdischen Volksverteidigungseinheiten in Syrien" zu kaufen. Mit der gleichen Zielrichtung startete am 28. Oktober in Berlin ein Bündnis aus Vertretern des linksextremistischen Netzwerks "Interventionistische Linke" (IL) und des PKK-nahen "Verbands der Studierenden aus Kurdistan" (YXK), die Spendenkampagne "Solidarität für Rojava". Vgl. S. 137f. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 77 Kurdische Moscheen in Berlin rufen zum Kampf für Kobane auf Am 4. Oktober veröffentlichten zwei kurdische Moscheen in Berlin in der PKK-nahen "Yeni Özgür Politika" eine Grußbotschaft zum Opferfest. Darin richteten die Vereinsvorstände der Moscheen einen Appell an die islamische Welt, sich gegen den Terror des IS zu erheben und sich mit den Kurden zu solidarisieren. Abschlie- 2 ßend riefen sie "das kurdische Volk und die wahrhaft Gläubigen" dazu auf, "aktiv" gegen die islamistisch-terroristische Gruppe "Islamischer Staat" (IS) in Kobane "zu kämpfen". Die kontinuierliche Rekrutierung für den bewaffneten Kampf ist fester Bestandteil der Aktivitäten der PKK-Anhänger in Deutschland. Die PKK hat sich nicht von der Gewalt distanziert. Das weitgehend ruhige Verhalten der Anhänger auf Demonstrationen steht in Zusammenhang mit dem Ziel, Deutschland als Rückzugsraum nicht zu gefährden. Die Situation kann sich bei einer weiteren Eskalation der Lage im Nahen Osten und durch entsprechende Weisungen der PKK-Führung schnell ändern. 78 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 3 Rechtsextremismus 3.1 Ideologie des Rechtsextremismus Eine einheitliche, von Sicherheitsbehörden, wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen gleichermaßen verwendete Definition des Rechtsextremismus-Begriffes existiert nicht. In der Öffentlichkeit werden Rechtsextremisten nicht selten gleichgesetzt und synonym als "Rechtsradikale" oder "Neonazis" bezeichnet. Diese Begriffsvielfalt dokumentiert nicht nur eine definitorische Unschärfe, sondern zugleich auch die Heterogenität einer Szene, die auf der Grundlage diverser ideologischer, strategischer und organisatorischer Konzepte agiert. Hinter dem Begriff Rechtsextremismus verbergen sich verschiedene - sich überschneidende, z.T. aber auch einander ausschließende - Einstellungen und Aktivitäten. Dessen ungeachtet existiert jedoch ein ideologischer Kernkonsens des Rechtsextremismus, dessen Inhalte sich in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität innerhalb der verschiedenen rechtsextremistischen Strömungen wiederfinden. Rechtsextremisten lehnen das Gleichheitsprinzip ab. Sie begründen diese Ablehnung mit einer vermeintlichen Ungleichwertigkeit der Menschen, die zudem die politische, soziale und gesellschaftliche Diskriminierung bestimmter Menschen und Gruppen rechtfertigt. Diese Ungleichbehandlung kann aus ethnischen, aber auch aus kulturellen, geistigen oder körperlichen Eigenschaften resultieren. Im Ergebnis führt sie aber immer dazu, dass einzelnen Personen oder bestimmten ethnisch, sozial oder kulturell als "fremd" definierten Gruppen weniger Rechte zugestanden werden. Das Weniger an Rechten reicht von der gesellschaftlichen Ausgrenzung über eine juristische Ungleichbehandlung bis hin zum Bestreiten des Lebensbzw. Existenzrechtes der diskriminierten Personen oder Gruppen. Der Überbewertung der eigenen Ethnie fällt dabei eine Schlüsselrolle zu. Für Rechtsextremisten wird die eigene Nation oder "Rasse" - zu der ein Mensch "naturgegeben" und damit ausschließlich durch seine biologische Abstammung gehört - zum obersten Kriterium der Identität erhoben. Damit einher gehen Rassismus Rechtsextremismus 79 und ein übersteigerter Nationalismus, Rechtsextremismus auf deren Grundlage die eigene Nation Mit der Sammelbezeichnung Rechtsoder "Rasse" überhöht und als überleextremismus verbindet sich keine gen definiert wird.40 geschlossene politische Ideologie. Um diese vermeintliche ÜberlegenDer Begriff umschreibt vielmehr eine heit zu erhalten, streben Rechtsexvielschichtige politische und soziale tremisten einen ethnisch homogeGedankenwelt, die sich in ihrer Ge- 3 nen "Volkskörper" an und propagiesamtheit auf die Beseitigung oder ren eine "Volksgemeinschaft". Diese nachhaltige Beeinträchtigung demo"Volksgemeinschaft" soll jedoch nicht kratischer Rechte, Strukturen und nur ethnisch homogen sein, in ihr ist Prozesse richtet. Folgende Inhalte auch kein Platz für gesellschaftliche finden sich dabei in allen rechtsexAuseinandersetzungen oder das Vertremistischen Strömungen: folgen individueller Interessen. Bei- - Ablehnung des Gleichheitsprinzips des wird als "schädlich" und die Ge- - Überbewertung ethnischer meinschaft "zersetzend" angesehen. Zugehörigkeit Dieser Antipluralismus trifft auch den - Antipluralismus Rechtsstaat, die politische Opposition - Autoritarismus oder den Parlamentarismus in Gänze, die von Rechtsextremisten abgelehnt, Im Kern handelt es sich beim Rechtsdelegitimiert und bekämpft werden. extremismus - in all seinen Facetten - um eine autoritäre Ideologie der Die Umsetzung solcher Vorstellungen Ungleichheit. Kriterien für diese Unwäre nur in einem autoritär geführgleichheit, mit der Rechtsextremisten ten Staat denkbar - einem Staat also, eine Ungleichwertigkeit verbinden, der streng hierarchisch und mit zentkönnen die Ethnie, Kultur, Äußerlichralistischen Strukturen geführt würde. keiten oder politische Einstellungen Individuelle Interessen hätten hinter sein. Hieraus resultiert auch die Legieinem einheitlichen "Volkswillen" zutimation von Gewalt, die dem Rechtsrückzustehen. Anstelle der für demoextremismus immanent ist und sich kratische Gesellschaften typischen gegen als "minderwertig" definierte Wechselbeziehungen zwischen Staat "Fremde" richtet. und Gesellschaft würde ein Verhältnis treten, in dem der Staat in einem 40 Neue rechtsextremistische Ideologieansätze argumentieren anstatt mit Begriffen wie Nation oder "Rasse" mit der "Höherwertigkeit" der eigenen Kultur und den "Eigenarten der Völker" ("Ethnopluralismus"). 80 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 eindeutig dominierenden Verhältnis über der Gesellschaft stehen würde und alle Rechte bei der Bildung und Umsetzung des "Volkswillens" hätte. Diese vier Kernelemente rechtsextremistischer Ideologie dominieren - in Abhängigkeit von Aktualität und Anschlussfähigkeit - auch die Außendarstellung des Berliner Rechtsextremismus. Beispielhaft hierfür steht ein Auszug aus dem Wahlprogramm der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) zu den Berliner Abgeordnetenhauswahlen 2011: "Die NPD will eine Ordnung, in der das Recht auf Identität kraft Abstammung und Schicksal garantiert wird und jeder Deutsche mit seiner Persönlichkeit als dienendes Glied der Gemeinschaft verantwortlich am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben des deutschen Volkes mitwirkt." 41 Ergänzt wird das ideologische Spektrum der rechtsextremistischen Szene in Berlin durch einen immer wieder auch offen zutage tretenden Antisemitismus42 und die Verherrlichung des historischen Nationalsozialismus. Das Risikoanalysemodell des Berliner Verfassungsschutzes Um Strukturen und Risiken im Phänomenbereich Rechtsextremismus analysieren und bewerten zu können, greift der Berliner Verfassungsschutz auf sein Modell zur Risikoanalyse zurück. Dieses grenzt rechtsextremistische Bestrebungen auf der Grundlage ihres jeweiligen Aktivitätsschwerpunktes voneinander ab. Die Grenzen zwischen diesen Risikofeldern sind fließend und verschwimmen zunehmend. A) Aktionsorientierter Rechtsextremismus Bestrebungen, die diesem Risikofeld zugeordnet werden, zielen in erster Linie auf Machtausübung im öffentlichen Raum ab. Hierfür bedienen sich aktionsorientierte Rechtsextremisten legaler und illegaler Aktivitäten gleichermaßen, so dass neben Demonstrationen oder Kundgebungen auch Sachbeschädigungen, Bedrohungen und Körperverletzungen zu ihrem Aktionsrepertoire gehören. 41 "Wir sagen, was Sie denken! Landesaktionsprogramm für ein deutsches Berlin", Internetauftritt der Berliner NPD, abgerufen am 15.8.2011. 42 Unter Antisemitismus versteht man die Feindschaft gegenüber den Juden als Gesamtheit aufgrund stereotyper rassistischer, sozialer, politischer und / oder religiöser Vorurteile. Regelmäßig werden diese Vorurteile auch mit Kritik am Staat Israel und seiner Politik verbunden. Rechtsextremismus 81 B) Parlamentsorientierter Rechtsextremismus Akteure dieses Risikofeldes, insbesondere rechtsextremistische Parteien, versuchen unter der Nutzung demokratischer Spielregeln die Demokratie zu unterwandern. Parlamentarische Aktivitäten werden als bloßes "Mittel zum Zweck" gesehen, d.h. die damit verbundenen finanziellen Mittel und Möglichkeiten zur öffentlichen Darstellung werden zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eingesetzt. 3 C) Diskursorientierter Rechtsextremismus Die Beeinflussung des öffentlichen Diskurses durch das Einbringen extremistischer Positionen steht im Zentrum der Aktivitäten diskursorientierter Rechtsextremisten. Die öffentliche Wahrnehmung dieses äußerst heterogenen Spektrums wurde in den vergangenen Jahren vor allem von der so genannten "Reichsbürgerbewegung" dominiert. Mit z.T. absurden verschwörungstheoretischen, demokratiefeindlichen und antisemitischen Positionen versuchen "Reichsbürger", das politische System zu delegitimieren. Parlamentsorientierter Rechtsextremismus Diskursorientierter Rechtsextremismus "Reichsbürgerbewegung" Netzwerk "Freie Kräfte" Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" Aktionsorientierter Rechtsextremismus 82 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 3.2 Personenpotenzial und Straftaten Das rechtsextremistische Gesamtpersonenpotenzial bleibt wie in den Vorjahren weitgehend stabil. Allerdings verliefen Entwicklungen in den verschiedenen rechtsextremistischen Milieus 2014 in Teilen gegenläufig. Die traditionelle rechtsextremistische Szene in Berlin verlor in den letzten Jahren durch Vereinsverbote und Schließungen von Trefforten zunehmend ihre Infrastruktur. Lediglich die NPD, deren Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) und die Partei "Die Rechte" boten den in informellen Netzwerken organisierten aktionsorientierten Rechtsextremisten legalistische Strukturen. Zwar schloss sich der überwiegende Teil dieser Rechtsextremisten in Berlin an diese Strukturen oder deren Veranstaltungen an. Einige wandten sich jedoch aufgrund der desolaten Situation insbesondere des aktionsorientierten Rechtsextremismus von der Szene ab, wodurch sich die Anzahl der Neonazis reduzierte. Allerdings konnten sich jenseits dieses traditionellen rechtsextremistischen Milieus islamfeindliche Gruppierungen bzw. Netzwerke und auch die überwiegend aus Einzelpersonen bestehende Gruppe der so genannten "Reichsbürger" etablieren ("sonstige rechtsextremistische Organisationen"), was den Rückgang des rechtsextremistischen Personenpotenzials kompensierte und insgesamt sogar zu einem leichten Anstieg der Gesamtzahl der Rechtsextremisten in Berlin führte. Die Szene der "Reichsbürger" machte in den letzten Jahren überwiegend durch den Versand von Drohbriefen gegen Ausländer oder Amtsanmaßungen von sich reden. Zuletzt traten "Reichsbürger" allerdings in Berlin verstärkt in der Öffentlichkeit auf, u.a. auf Veranstaltungen, auf denen antisemitisch konnotierte Verschwörungstheorien oder andere, unter "Reichsbürgern" populäre Themen und Thesen verbreitet wurden. Dies führte zu einer stärkeren Präsenz dieser Gruppe in der Öffentlichkeit sowie einer deutlich besseren internen Vernetzung. Rechtsextremismus 83 Personenpotenzial Rechtsextremismus* 2013 2014 Subkulturell geprägte und sonstige 470 470 gewaltbereite Rechtsextremisten Neonazis 460 430 Parteien (insgesamt), davon 350 345 NPD** 230 230 Die Rechte 20 15 3 Bürgerbewegung Pro Deutschland 100 100 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 100 210 Gesamt 1 380 1 455 ./. Mehrfachmitgliedschaften 90 100 Tatsächliches Personenpotenzial 1 290 1 355 Davon gewaltbereite Rechtsextremisten 630 600 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. ** Die NPD-Zahlen beinhalten die Mitglieder der JN (2013: 30, 2014: 30). Fallzahlen politisch motivierte Kriminalität - Rechts* 2013 2014 Gewaltdelikte 89 111 Propagandadelikte 821 795 sonstige Delikte 475 630 Gesamt 1 385 1 536 * Auszug aus dem Bericht "Lagedarstellung der Politisch motivierten Kriminalität in Berlin für das Jahr 2014" des Landeskriminalamtes Berlin (LKA). Der vollständige Bericht ist im Internet unter www.berlin.de/sen/inneres/ sicherheit/polizei/kriminalstatistiken-und-lagebilder/2014/artikel.266888.php eingestellt. Die Fallzahlen im Phänomenbereich politisch rechts motivierter Kriminalität sind insgesamt um elf Prozent, von 1 385 Fällen auf 1 536 gestiegen. Hierbei ist ein deutlicher Anstieg von 25 Prozent im Bereich rechts motivierter Gewaltdelikte zu verzeichnen. Daneben haben Delikte wie Volksverhetzung und Beleidigung mit einem Anstieg um 33 Prozent stark zugenommen. Zu der Zunahme fremdenfeindlicher Gewaltdelikte trugen vor allem die anhaltenden Debatten und Auseinandersetzungen um die Eröffnung von Flüchtlingsunterkünften bei. Die Ankündigung des Senats im Oktober 2014, zusätzlich sechs so genannte Containerdörfer zu errichten, hatte ähnliche demonstrative Aktivitäten wie im Sommer 2013 zur Folge. In diesem Rahmen kam es immer wieder zu Pro- 84 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 pagandadelikten wie Farbschmierereien an Flüchtlingsunterkünften, zu Beleidigung und Volksverhetzung während des Versammlungsgeschehens im Zuge von Protesten gegen Flüchtlingsunterkünfte, aber auch zu Brandstiftung, Körperverletzung und Sachbeschädigung durch wiederholtes Umstürzen von Bauzäunen an den Standorten der Unterkünfte. So wird erneut belegt, dass die rechtsextremistisch initiierten Protestformen, die sich gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik richteten, zur vermehrten Begehung einschlägiger Straftaten beitragen. 3.3 Aktuelle Entwicklungen 3.3.1 Die Instrumentalisierung steigender Flüchtlingszahlen durch die rechtsextremistische Szene Die in einer Vielzahl medialer, politischer und gesellschaftlicher Diskurse thematisierte Asylund Zuwanderungsfrage blieb auch 2014 das alles dominierende Thema innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus dienten dabei als konsensstiftende Elemente des sonst sehr heterogenen rechtsextremistischen Lagers, da sich diese Merkmale in allen ideologischen Ansätzen wiederfinden. Neben öffentlicher Aufmerksamkeit ging es den beteiligten Rechtsextremisten in Berlin dabei mit einem vordergründig zurückhaltenden Auftreten auch darum, über die eigene Klientel hinaus zu wirken und dadurch Zugang zum bürgerlichen Milieu zu erhalten. Sich selbst als Interessenvertreter der Bevölkerung sowie "besorgte Nachbarn" stilisierend, wurde intensiv auch um Rückhalt in wirtschaftlich und sozial schwächeren Regionen geworben. Aller Zurückhaltung zum Trotz griffen die Protagonisten der rechtsextremistisch motivierten Proteste gegen Flüchtlinge und deren Unterbringung in ihrer "Argumentationslogik" auch auf klassisch rechtsextremistische Thesen, wie etwa die drohende "kulturelle und ethnische Überfremdung" oder den "Volkstod", zurück. Die überwiegende Mehrheit der entsprechenden rechtsextremistischen Aktivitäten fand vor allem während der Planungsbzw. Bauphase neuer Flüchtlingsunterkünfte statt. Mit der Aussicht darauf, noch etwas "bewegen" oder "verhindern" zu können, sollten möglichst viele Anwohner eingebunden und eine maximale Mobili- Rechtsextremismus 85 sierung erreicht werden. Im Vergleich hierzu fanden deutlich weniger Proteste vor bereits existierenden Einrichtungen statt, was auch als Indiz dafür gelten kann, dass die von Rechtsextremisten im Rahmen dieser Proteste entworfenen "Horrorszenarien" von Flüchtlingsheimen als "Hort von Schmutz und Kriminalität" kaum mit der Realität in Einklang zu bringen und Anwohner bestehender Flüchtlingseinrichtungen dadurch auch wesentlich schwieriger für öffentliche Aktivitäten zu mobilisieren sind. 3 3.3.2 "Bürgerbewegungen" als Instrumente der rechtsextremistischen Szene Exemplarisch für das oben beschriebene Vorgehen stand die Agitation der so genannten "Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf" (BMH), die auch unter den Namen "Bürgerbewegung Hellersdorf" und "Bürgerbewegung Marzahn" agierte. Die BMH trat erstmals Anfang Juli 2013 mit einem Flugblatt, das sich gegen die Eröffnung einer Flüchtlingsunterkunft im Ortsteil Hellersdorf wandte, öffentlich in Erscheinung.43 Das Flugblatt ließ keinen Zweifel an der Gesinnung seiner Urheber und stellte Assoziationen von Asylbewerberheimen mit Verschmutzung, organisierter Kriminalität und allgemeiner Gesetzlosigkeit her. Anschließend erfolgte die Einrichtung einer Seite in einem sozialen Netzwerk. Die Seite erzielte rasch eine größere Publizität und erreichte "Gefällt mir"-Angaben im vierstelligen Bereich. Mit einer Vielzahl von Textbeiträgen, Videos, Liedern und Kommentaren entwickelte sich die Seite der BMH schnell zum Zentrum der Aktivitäten. Dabei kam es auch zur Vernetzung mit anderen Seiten bzw. Gruppierungen und zu einer wachsenden Radikalisierung, die sich vor allem in den Kommentaren und Beiträgen der Diskussionsteilnehmer widerspiegelte. Nachdem das Profil der BMH wegen seiner Inhalte vom Betreiber des sozialen Netzwerks gesperrt worden war, tauchte im Dezember 2013 dessen Nachfolgeaccount unter dem Namen "Bürgerbewegung Hellersdorf" (BBH) auf, der hinsichtlich der ideologischen Ausrichtung und der Gestaltung nahezu identisch war. Im Fahrwasser dieser virtuellen Agitation gegen Flüchtlinge sowie deren Unterbringung entstanden eine Reihe weiterer Präsenzen in sozialen Netzwerken mit Titeln wie "Bürgerinitiative Neukölln", "Nein zum Heim in Pankow", "Nein zum Heim in Lichtenberg", "Wache auf-Handeln statt klagen" oder die Seite "Nein zum Heim in Köpenick". 43 Als verantwortliche Person wurde im Flugblatt ein ehemaliger BVV-Kandidat der NPD genannt, der für die Wahl zum Abgeordnetenhaus 2011 kandidiert hatte. 86 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Mehr oder weniger offensichtlich zeigten sich dabei auch Bezüge der "Bürgerbewegungen" in das gesamte rechtsextremistische Spektrum Berlins. Die Szene kooperierte etwa in der Verbreitung einer Online-Petition gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Adlershof,44 aber auch bei der Teilnahme an den von den "Bürgerbewegungen" veranstalteten Demonstrationen. An diesen Demonstrationen nahmen regelmäßig nicht nur NPD-Funktionäre und Mitglieder, sondern auch führende Aktivisten der Partei "Die Rechte" und des Netzwerks "Freie Kräfte" teil. Hinzu kam eine verstärkte Interaktion von rechtsextremistischer Musikszene und den als "Bürgerbewegungen" agierenden Flüchtlingsgegnern. Es war die "Bürgerbewegung Marzahn" (BBM), die erstmals das Musikvideo "Für unsere Kinder" sowie das Lied "Lass uns die Welt bewegen" der rechtsextremistischen Band "A3stus" veröffentlichte. Am 3. Mai veranstaltete die Band ein Konzert für die "Bürgerbewegung" in Hellersdorf. In Kooperation mit "A3stus" wurde zudem ein "Kreativwettbewerb", der sich gegen Flüchtlingsunterkünfte richtete, unter dem Motto "Unsere Stadt, unsere Heimat" ausgerufen. Teilnehmern wurde als Gewinn die neue "A3stus"-CD versprochen. Feindbilder und Aktivitäten der "Bürgerbewegungen" Die rechtsextremistischen Aktivitäten der "Bürgerbewegungen" verliefen auf mehreren Ebenen und richteten sich gegen unterschiedliche Akteure. Aufkleberund Flugblattaktionen, Farbund Symbolschmierereien sowie die Anbringung von Transparenten im Umfeld geplanter und bestehender Flüchtlingsunterkünfte sind nur einige Beispiele für diese Aktivitäten. Immer wieder gerieten auch Parteien und Politiker in den Fokus der "Bürgerbewegungen". Im Januar wurde an einem CDU-Bürgerbüro in Mahlsdorf ein Transparent mit dem Slogan "Nein zum Heim" angebracht. Die "Bürgerbewegung Hellersdorf" bekannte sich im Internet zu dieser explizit an den Berliner Senator für Gesundheit und Soziales gerichteten Aktion mit den Worten: 44 So wurde auf "openPetition" am 20.2.2014 die Petition "Gegen eine Eröffnung einer neuen Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Adlershof" geschaltet. Als prominenter Verbreiter dieser Petition trat der Berliner Landesvorsitzende der NPD in Erscheinung. Rechtsextremismus 87 "Er ist der Hauptverantwortliche für das Asyldesaster in ganz Berlin..." 45 Am 30. September rief die "Bürgerbewegung Hellersdorf" ihre Anhängerschaft zur Beteiligung an Kiezstreifen auf, mit dem Ziel: "Anwohnern ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, als Ansprechpartner für besorgte Anwohner zu fungieren sowie Straftaten von kriminellen Ausländern aber auch 3 natürlich von Deutschen, zum Beispiel Linken oder Gutmenschen, anzuzeigen und nachzugehen." 46 Dieses Beispiel zeigt, wie systematisch die Selbststilisierung als bürgerliche Interessenvertreter und Bewahrer der öffentlichen Sicherheit in einem Atemzug mit der Denunzierung von gesellschaftlichen Gruppen und der Anwendung rechtsextremistischer Feindbild-Konstrukte einherging. Auch Flüchtlinge selbst und deren Unterstützer waren von den Aktivitäten der "Bürgerbewegungen" und deren Anhängern unmittelbar betroffen. In der Nacht vom 13. auf den 14. März wurden in Marzahn zwei jugendliche Flüchtlinge auf offener Straße angegriffen. Glücklicherweise konnten sich beide in ihre Unterkunft retten. Im Oktober drang eine Personengruppe, darunter führende Aktivisten der "Bürgerbewegung Hellersdorf", in die Begegnungsstätte einer Initiative zur Unterstützung von Flüchtlingen ein. Sie versuchten, die dort anwesenden Mitarbeiter im Rahmen von aggressiven Diskussionen über die Flüchtlingsproblematik zu attackieren und äußerten ausländerfeindliche und rassistische Parolen. Eine neue Dynamik entwickelte der Protest im Oktober mit der Ankündigung des Berliner Senats, Containerdörfer zur Unterbringung von Flüchtlingen zu errichten und dem Erstarken islamkritischer und islamfeindlicher Bewegungen im gesamten Bundesgebiet. Noch stärker 45 Profil der "Bürgerbewegung Hellersdorf" in einem sozialen Netzwerk, Posting vom 15.1.2014, abgerufen am 16.1.2014. 46 Profil der "Bürgerbewegung Hellersdorf" in einem sozialen Netzwerk, Posting vom 30.9.2014, abgerufen am 4.10.2014. 88 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 als zuvor verschrieb sich die gesamte rechtsextremistische Szene dem Kampf gegen Flüchtlingsunterkünfte und die Flüchtlingspolitik. Die Anzahl der in diesem Sinne virtuell agitierenden Seiten stieg rapide an und die Bemühungen um eine Bündelung der Kapazitäten wurden auch öffentlich klar artikuliert: "Der Zusammenschluss wächst! Und das ist gut so! Hier finden Sie die regionalen Informationsportale sowie die anstehenden Termine." 47 Dem Eintrag folgt eine Verlinkung auf verschiedene Profile und eine Liste mit Demonstrationsankündigungen. Der größte Mobilisierungserfolg gelang den "Bürgerbewegungen" am 24. November, als sich ca. 950 Personen an einer Demonstration unter dem Titel "Nein zum Containerdorf in Marzahn!" beteiligten. Damit war allerdings auch der vorläufige Zenit der Außenwirkung der "Bürgerbewegungen" erreicht. Bei ihren Demonstrationen im Januar 2015 brachen die Teilnehmerzahlen regelrecht ein. Am 26. Januar 2015 demonstrierten auf der Landsberger Allee in Marzahn nur noch 170 Personen unter dem Motto "Nein zum Containerdorf" mit der "Bürgerbewegung Marzahn". Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Eine seit Beginn des Jahres stattfindende Konkurrenzveranstaltung mit ähnlicher Thematik und der letztlich gescheiterte Versuch, fremdenund islamfeindliche Demonstrationen bundesweit zu etablieren, führten u.a. zu den rapide sinkenden Teilnehmerzahlen dieser Demonstrationen. Entscheidend dürfte hierzu allerdings auch beigetragen haben, dass es den Protagonisten der "Bürgerbewegungen" mit ihrer eindeutig fremdenfeindlichen Argumentation nicht gelungen ist, über ihr rechtsextremistisches Spektrum hinaus dauerhaft Anschluss zu finden. Ein Ende der fremdenfeindlichen Proteste ist mit dieser für die "Bürgerbewegungen" wenig erfolgreichen Entwicklung allerdings nicht verbunden. Mit einer eigenen Homepage - jetzt unter dem Namen "Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf" (BB MaHe) - und weiteren Demonstrationen bemühen sich die rechtsextremisti47 Rechtsextremistisches Profil in einem sozialen Netzwerk, Posting vom 14.11.2014, abgerufen am 18.11.2014. Rechtsextremismus 89 schen Protagonisten weiterhin, steigende Flüchtlingszahlen und neue Flüchtlingsunterkünfte in ihrem Sinne zu instrumentalisieren. 3.4 Aktionsorientierter Rechtsextremismus Der aktionsorientierte Rechtsextremismus in Berlin wird im Wesentlichen durch die beiden informellen Netzwerke "Freie Kräfte" und "Rechtsextremistische Musik" geprägt. Während Aktivitätsniveau und Personenpotenzial des Netzwerks 3 "Rechtsextremistische Musik" nahezu unverändert blieben, trat das Netzwerk "Freie Kräfte" nur noch sporadisch öffentlich in Erscheinung und verlor damit an Bedeutung für die Szene. 3.4.1 Das Netzwerk "Freie Kräfte" zwischen Mobilisierungsschwäche und anhaltendem Repressionsdruck Netzwerk "Freie Kräfte" Der frühere Name "Netzwerk Kameradschaften" des Netzwerks "Freie Kräfte" verweist auf dessen Verwurzelung in der Kameradschaftsszene, die mit dem Netzwerkansatz Anfang der 2000er Jahre auf staatliche Repression in Form von Vereinsund Kameradschaftsverboten reagierte. Charakteristische Merkmale dieser fragmentierten, neonazistischen Szene sind deren lockere, z.T. konspirative und bezirksübergreifende Organisationsstrukturen. Neben einer informellen Grundstruktur wird auf strenge Hierarchien und formale Regelungen verzichtet, um sich gegenüber äußeren Zugriffen abzuschotten. Die Netzwerkstruktur dient hierbei zur gezielten Kommunikation. Eine aus ca. zehn bis 15 Personen bestehende Führungsgruppe steuert die Kommunikation. Zwei Unterstützerkreise, die sich um die Führungsgruppe organisieren und aus einem inneren Unterstützerkreis, der in interne Aktivitäten involviert ist, und einem lose angeschlossenen, äußeren Unterstützerkreis bestehen, bilden den organisatorischen Kern des Netzwerks. Der Ansatz verdeutlicht die starke Einflussnahme der im Netzwerk "Freie Kräfte" eingegliederten "Autonomen Nationalisten" (AN). Diese seit etwa 2002 in Berlin präsente Gruppierung wich mit ihrem an die linksautonome Szene anknüpfenden Stil, Habitus sowie Organisationsund Aktionsformen vom gängigen Neonazi-Klischee ab.48 48 Zu "Autonomen Nationalisten" in Berlin vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2013. Berlin 2014, S. 88 f. 90 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Daneben kennzeichnen der niedrigschwellige Zugang durch das Prinzip "Mitgliedschaft durch Mitmachen" sowie die "Anti-Antifa-Arbeit"49 das Selbstverständnis des Netzwerks "Freie Kräfte". Im "Kampf um die Straße" bemühen sich die Aktivisten des Netzwerks "Freie Kräfte", ihre Positionen öffentlichkeitswirksam darzustellen und Demonstrationen als identitätsstiftende Gemeinschaftserlebnisse zu inszenieren. Anlassbezogenes Agieren sowie illegale Aktivitäten, zu denen Sachbeschädigung, Bedrohung und Körperverletzung gehören, zählen ebenso zu ihrem Aktionsrepertoire. Ergänzt werden diese konspirativen Aktivitäten von Vernetzungstreffen sowie Schulungs-, Vortragsund Trainingsveranstaltungen. 49 2014 setzte sich die Strategie aktionsorientierter Rechtsextremisten fort, sich unter dem Deckmantel des Parteienprivilegs der Verfolgung durch Polizei und Justiz zu entziehen. Ihren historischen Ursprung hat diese Allianz aus "Freien Kräften" und Parteien in dem von der NPD als eine von drei strategischen Säulen etablierten "Kampf um die Straße", der im Jahr 2004 nochmals in Form eines informellen Bündnisses, der so genannten "Volksfront von rechts"50, bestärkt wurde. Der damit verbundene Parteieintritt von Aktivisten der Neonaziszene in die NPD beförderte die fließenden Grenzen zwischen aktionsund parlamentsorientiertem Rechtsextremismus und ist charakteristisch für die aktuelle Situation in Berlin. Die integrativen Prozesse zwischen diesen beiden Spektren zeigen sich auch in deren virtuellen Präsenzen. So wurde der Verlust der im Jahr 2012 vom Netz genommenen Internetseite "nw-berlin.net", welche die "Freien Kräfte" Berlin online repräsentiert hatte, mit der Einrichtung eines Online-Profils der Berliner NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" im April 2013 kompensiert. Die Misserfolge bei der Mobilsierung und Rekrutierung neuer Mitglieder sowie der anhaltende Repressionsdruck von staatlicher Seite und seitens des politischen Gegners entwickelten sich zunehmend zu einer existentiellen Bedrohung für das Netzwerk "Freie Kräfte", das lange Zeit das aktive Zentrum des gesamten Berliner Rechtsextremismus bildete. So wurden Rechtsextremisten nicht nur vermehrt öffentlich "enttarnt" und damit gesellschaftlich isoliert, sondern auch im Zuge gro49 Die "Anti-Antifa-Arbeit" bezeichnet das organisierte Agieren gegen politische Gegner und beinhaltet Aktivitäten wie "Outing" (das Ausforschen und Veröffentlichen privater Daten), Beleidigung sowie Bedrohung, etwa in Form so genannter "Feindeslisten", aber auch körperliche Angriffe. 50 "Der "Kampf um die Straße" war ebenso wie die "Volksfront von rechts" der strategische Versuch der NPD, aktionsorientierte Rechtsextremisten, Neonazis und Skinheads an die Partei zu binden. Führende Vertreter dieser parteiungebundenen Szene traten in die NPD ein, übernahmen Vorstandsposten und sollten als institutionelles Bindeglied zwischen NPD und "Freien Kräften" wirken. Rechtsextremismus 91 ßer Gegenmobilisierungen und verstärktem zivilgesellschaftlichen Engagement in die Defensive gedrängt. Neben diesen externen Faktoren war Neonazis die Mobilisierungsschwäche des NetzAls Neonazis (Neonationalsozialiswerks "Freie Kräfte" auch auf das ten) werden rechtsextremistische Fehlen fähiger Organisatoren zurückPersonenzusammenschlüsse bezuführen, die insbesondere neue Mitzeichnet, die sich an der Ideologie 3 glieder an die Szene binden könnten. des historischen Nationalsozialismus Dementsprechend hat sich das Perorientieren. Hierbei beziehen sich sonenpotenzial des Netzwerks "Freie Neonazis in unterschiedlicher AusKräfte" im Vergleich zum Vorjahr prägung auf ideologische Elemente kaum verändert und umfasste etwa des Nationalismus, Antisemitismus, 150 aktive Rechtsextremisten. Die BeAntipluralismus, Sozialdarwinismus zirke Pankow, Lichtenberg, Marzahnund Rassismus als Teil der vor allem Hellersdorf sowie Treptow-Köpenick von den Nationalsozialisten vertrebildeten die regionalen Schwerpunktenen völkischen Ideologie, die einen te des Netzwerks. Die Bedeutung des ethnisch homogenen Staat anstrebt Bezirks Neukölln ist infolge personelund jeglichen Pluralismus als exisler Rückgänge sowie dem Verlust eines tenzbedrohend verachtet. Neonazis Treffortes stark zurückgegangen. sind überdies häufig Revisionisten, Der anhaltende staatliche und öffentdie durch eine Umdeutung der Geliche Druck auf das Netzwerk "Freie schichtsschreibung die Verbrechen Kräfte" führte auch dazu, dass die Szedes NS-Regimes zu relativieren verne Trefforte und zentrale Anlaufstellen suchen. verlor. So gab das Landgericht Berlin der Räumungsklage gegen die rechtsextremistische Kneipe "Zum Henker" statt und stellte das Ende des Mietvertrages zum 15. Februar fest. Die im Februar 2009 im Ortsteil Schöneweide eröffnete Szenekneipe "Zum Henker" hatte sich rasch zu einem Kristallisationspunkt des aktionsorientierten Rechtsextremismus in Berlin entwickelt. Zwar verlor dieser Treffort sukzessive sowohl an Besuchern als auch an Bedeutung für die Szene. Er blieb jedoch für lange Zeit ein Rückzugsort für lokale Rechtsextremisten und 92 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 gehörte zum festen Programmpunkt eines Berlinbesuchs auswärtiger Rechtsextremisten. Der Schließung des "Henker" folgend, ging im März mit dem vom Berliner NPD-Landesvorsitzenden in Schöneweide betriebenen Militaria-Geschäft "Hexogen" eine weitere Anlaufstelle für die rechtsextremistische Szene in Berlin verloren. Im Mai schloss mit einem als zentrale Anlaufstelle der "Autonomen Nationalisten" fungierenden so genannten "Jugendzentrum" eine weitere von aktionsorientierten Rechtsextremisten genutzte Immobilie im Bezirk Lichtenberg. 2014 war es der Szene nicht gelungen, neue Objekte anzumieten. Perspektivisch werden sich die Protagonisten insbesondere des Netzwerks "Freie Kräfte" allerdings wieder stärker darum bemühen, eigene Immobilien anzumieten, die für Konzerte, Schulungen oder Versammlungen genutzt werden können. 3.4.2 "A3stus" als neuer Aktivposten innerhalb des Netzwerks "Rechtsextremistische Musik" Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" Musik bildet einen wichtigen Bestandteil der rechtsextremistischen Erlebniswelt, in der die Grenzen zwischen politischen Zielen, Identitätsstiftung, Kommerz und Unterhaltung verschwimmen. Durch die Vermittlung von Feindbildern sowie der Kommunikation von Ideologiefragmenten in Liedtexten ist rechtsextremistische Musik ein verbindendes Element und für die Szene von enormer Bedeutung. Im Berliner Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" sind neben verschiedenen Bands und Liedermachern auch Einzelpersonen sowie Personenzusammenschlüsse wie die "Hammerskins" und "Vandalen" aktiv, die im Umfeld der Bands agieren und diese logistisch unterstützen. Insgesamt liegt das Personenpotenzial des Netzwerks "Rechtsextremistische Musik", das heißt Personen, die an Produktion und Vertrieb der Musik sowie der Organisation von Konzerten beteiligt sind, bei ungefähr 170 Personen. Den Kern dieser konspirativ agierenden Musikszene bilden derzeit sechs Bands: "Die Lunikoff-Verschwörung", D.S.T. oder X.x.X., "Legion of Thor", "Marci und Kapelle", auch "Tätervolk" (TV) genannt, "Second Class Citizen" sowie die 2014 erstmals in Erscheinung getretenen "A3stus". Ein Großteil der rechtsextremistischen Bands und Interpreten lässt sich den Stilrichtungen Rock, Hardrock, Hardcore oder Hatecore zuordnen. "A3stus" verdeutlichen jedoch mit ihrem poppigen Rechtsextremismus 93 Sprechgesang, dass die Szene auch auf alltagstauglichere Stilrichtungen zur Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts setzt. Aufgrund anhaltender Exekutivmaßnahmen sowie Strafanzeigen agiert die Szene sehr vorsichtig. Als Gegenmaßnahmen zu staatlicher Repression werden beispielsweise Texte auf ihre strafrechtliche Relevanz hin geprüft, und die Planung und Durchführung von Konzerten erfolgt konspirativ. 3 Das Netzwerk "Rechtsextremistische Musik", zweiter integraler Teil des aktionsorientierten Rechtsextremismus in Berlin, weist seit Jahren eine hohe Stabilität im Hinblick auf sein Personenpotenzial und die dazugehörigen Unterstützerkreise auf. Die "Lunikoff-Verschwörung" gehört zu den populärsten Bands, was vor allem auf die Prominenz des Kopfes der Band, Michael Regener, der auch allein unter dem Namen "Lunikoff" auftritt, zurückzuführen ist.51 Die Band ist seit 2004 aktiv und bedient das rechtsextremistische Rockund Balladengenre. 2014 veröffentlichte sie die CD "Lunikoff - über die Zeiten fort", die alte Titel und Samplerbeiträge beinhaltete. Die Aktivitäten der Band und des Einzelinterpreten "Lunikoff" schwankten zwischen öffentlicher Werbung und Konspiration. Bei Großveranstaltungen wurde mit der Band als "Zugpferd" geworben. Kleinere Konzerte, wie etwa im Rahmen einer "Clubtour" außerhalb Berlins im Herbst, wurden unter großer Geheimhaltung organisiert und erst im Nachgang in sozialen Netzwerken kommentiert. Im Gegensatz zur "Lunikoff-Verschwörung" ist die seit Januar aktive Band "A3stus" eine neue Erscheinung in der rechtsextremistischen Musikszene Berlins. Die mittlerweile dreiköpfige Band verbreitet einen szeneuntypischen poppigen Sprechgesang mit rechtsextremistischen Inhalten, schwerpunktmäßig über soziale Netzwerke und Videoplattformen. Auffällig ist die enge Beziehung zu den "Bürgerbewegungen" bzw. die Einbindung in die rechtsextremistischen Aktivitäten gegen Flüchtlingsunterkünfte in Berlin. Die Liedtexte von "A3stus" thematisieren überwiegend eine vermeintlich "drohende Überfremdung 51 Michael "Lunikoff" Regener war der Gründer der Band "Landser", die sich selbst als "Terroristen" mit E-Gitarre bezeichneten. Er sowie zwei weitere Mitglieder der Band wurden 2005 letztinstanzlich vom Bundesgerichtshof wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Ursächlich hierfür waren u.a. die von der Band verbreiteten Texte. 94 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 der Gesellschaft", rufen zum gewaltsamen Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung auf und stecken voller rassistischer und fremdenfeindlicher Ressentiments. Immer wieder werden in den Texten und Videos von "A3stus" auch die Opfer des Holocausts verunglimpft. Im Januar veröffentlichte die "Bürgerbewegung Hellersdorf" (BBH) das erste Musikvideo "Für unsere Kinder" von "A3stus" über ihre Seite in einem sozialen Netzwerk. Aufgrund der antisemitischen und fremdenfeindlichen Diktion des Textes regte der Berliner Verfassungsschutz die Indizierung des Videos an,52 in dem es u.a. heißt: "Brüder dieser Welt vereinigt euch und Zion fällt, ihm geht's nicht mehr um Religion oder Volk, Nein er kommt über Nacht und will nur euer Gold." 53 Auch die zweite Videoveröffentlichung von "A3stus", mit dem Titel "Lass uns die Welt bewegen", wurde über das Profil der BBH lanciert. Im Gegensatz zu dieser Suche nach Öffentlichkeit durch die gezielte Nutzung sozialer Netzwerke durch "A3stus" stand der konspirative Zugang zu den Konzerten der Band. Die Termine wurden nicht öffentlich beworben, standen meist nur für einen kleinen, festen Besucherkreis offen und wurden erst im Nachgang öffentlich kommentiert. Trotz dieser Konspiration konnte das von "A3stus" anlässlich der Veröffentlichung ihres Albums am 30. August geplante Konzert im Bezirk Mitte verhindert werden. Rechtsextremistische Propaganda durch Musik - die Aktion "Schwarze Kreuze Deutschland" Am 13. Juli rief der Sänger der Band "A3stus", der sich selbst "Villain 051" nennt, über dessen Profil in einem sozialen Netzwerk zum bundesweiten Aktionstag "Schwarze Kreuze Deutschland" auf. Parallel dazu verbreitete er das Musikvideo mit dem Titel "Wehret den Anfängen", in dem die vermeintliche Gewalt "Nicht-Deutscher" und deren "deutsche Opfer" sowie eine daraus konstruierte verschwiegene "Opferzahl" thematisiert wurden. 52 Nach der Anregung der Indizierung war das Musikstück unter der angegebenen Internetadresse nicht mehr auffindbar. 53 Schreibweise im Original. Rechtsextremismus 95 "Allein in den letzten zwanzig Jahren, verdammt starben tausende von Deutschen, die genaue Zahl ist unbekannt, durch Zuwandererhand, durch Fremde feige hingerichtet. Wir gedenken heut', den Opfern dieser blinden Liste." Die Argumentationslogik dieser Aktion griff die unter Rechtsextremisten weitverbreitete Kampagne des so genannten "Volkstodes" auf. Diese Kampagne hat ihre 3 Wurzeln in der völkischen Ideologie und wurde in den vergangenen Jahren von Gruppen wie den "Unsterblichen" sowie den "Spreelichtern" initiiert. Die Aktivitäten von "A3stus" zeigen, dass sich die rechtsextremistische MuVölkische Ideologie sikszene trotz ihrer größtenteils lebensDie völkische Ideologie oder der völälteren Anhängerschaft gegenüber kische Nationalismus ist zentraler neuen Medien und VerbreitungsweBestandteil der nationalsozialistigen geöffnet hat. Forciert wurden dieschen Weltanschauung. Der darin se Bemühungen durch die Suche nach verkündete vermeintliche "Volkstod" neuen Zielgruppen, die vor allem auf beschreibt das Szenario vom AusMusikangebote im virtuellen Raum zusterben des deutschen Volkes. Im rückgreifen. Zusammenspiel mit dem damit unweigerlich verknüpften SozialdarDie Sicherheitsbehörden haben diewinismus, der Eugenik und "Rasse sich in Teilen verändernden Versenhygiene" sowie dem extremen triebsund Verbreitungswege im Blick Nationalismus leiten sich daraus ein und werden den Verfolgungsdruck auf "rassespezifisches Wertesystem" sodas Netzwerk "Rechtsextremistische wie bestimmte Verhaltensnormen Musik" auch im Hinblick auf die Interab, die auch zum Kern der neonazisnetaktivitäten der Szene aufrechtertischen Ideologie gehören. halten. So zog die Aktion "Schwarze Kreuze Deutschland" mehrere bundesweite Ermittlungsverfahren nach sich. Darüber hinaus gehörten das Verhindern bzw. Auflösen von Veranstaltungen und die konsequente strafrechtliche Verfolgung relevanter Veröffentlichungen zu den wirksamsten Instrumenten der Sicherheitsbehörden. Die Indizierung von Tonträgern und Musikvideos bildete eine weitere staatliche Maßnahme gegen die rechtsextremistische Musikszene. So wurde das Album "Musikkrieg" der Rechtsrockband "Marci und Kapelle", die bundesweit auch als "Tätervolk" oder "Totalverlust" bekannt ist, auf Anregung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport von der "Bundesprüfstelle jugendgefährdender 96 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Medien" (BPjM) auf die Liste jugendgefährdender Medien gesetzt. Begründet wurde diese Entscheidung u.a. durch die den Nationalsozialismus verherrlichenden Liedinhalte sowie die propagierte Aufforderung zum Rassenhass. Ebenfalls auf Anregung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport indizierte die BPjM den Titel "Gegen die Pest" des "A3stus"-Sängers "Villain 051". 3.5 Parlamentsorientierter Rechtsextremismus Mit der NPD, der Partei "Die Rechte" und der "Bürgerbewegung Pro Deutschland" sind aktuell drei rechtsextremistische Parteien in Berlin aktiv. Zur Europawahl war nur die NPD angetreten, die mit einem Prozent der Stimmen bundesweit (Berlin: ein Prozent) ein Mandat im Europaparlament erringen konnte. In personeller Hinsicht stagnieren alle drei Parteien. Weder die NPD, noch "Die Rechte" oder "Pro Deutschland" konnten ihre Mitgliederzahlen steigern. 3.5.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Gründung: 1964 Mitglieder: Berlin 230 (2013: 230) Die aus der rechtsextremistischen "Deutschen Reichspartei" hervorgegangene NPD ist die älteste rechtsextremistische Partei in Deutschland. Sie verfügt mit den "Jungen Nationaldemokraten" (JN) über eine Jugendund mit dem "Ring Nationaler Frauen" (RNF) über eine Frauen-Organisation. Die NPD, deren Bundesgeschäftsstelle sich seit 2000 in Berlin befindet, vertritt rassistische und antisemitische Positionen sowie das Konzept einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" und lehnt die freiheitliche demokratische Grundordnung ab. Wegen ihrer verfassungsfeindlichen Ideologie und den gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Aktivitäten hat der Bundesrat am 13. Dezember 2013 ein Parteiverbotsverfahren gegen die NPD eingeleitet. Die NPD ist im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern vertreten und hat bundesweit mehr als 300 Kommunalmandate inne. Seit November 2014 am- Rechtsextremismus 97 tiert Frank Franz als Parteivorsitzender, nachdem er nach langen Personalund Strategiedebatten auf einem Parteitag als Nachfolger von Holger Apfel bzw. Udo Pastörs gewählt wurde. Der seit 2012 von Sebastian Schmidtke geführte Berliner Landesverband der NPD ist in neun Kreisverbänden organisiert. Aktuell sitzen je zwei NPD-Verordnete in den Bezirksverordnetenversammlungen von Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick. 3 Auch 2014 war für die NPD alles andere als ein erfolgreiches Jahr. Wahlniederlagen, finanzielle Probleme und ein drohendes Parteiverbot setzten der Partei nachhaltig zu. Hinzu kommt die bereits seit längerem unklare politische Ausrichtung der Partei, die in ihrer Programmatik und ihren politischen Zielen zwischen traditioneller neonazistischer Ideologie und rechtsextremistischer Jugendkultur auf der einen, sowie vermeintlichem Parlamentarismus und dem Anschluss an rechtspopulistische Thesen auf der anderen Seite laviert. Regelmäßig versucht die Partei ihre Anschlussfähigkeit zu erhöhen, indem sie auf Themen und Debatten etablierter Parteien wie Tierschutz, Wohnungsnot oder Umweltschutz Bezug nimmt. Diese eher inhaltsund konzeptlosen Kampagnen werden zwar ideologisch konnotiert, allerdings weniger offensiv, da sich der Ansatz an die bürgerliche Mitte richtet. Ein Beispiel hierfür war die Säuberung der Grünanlagen im Schlosspark Buch, die vom Pankower NPD-Kreisverband gemeinsam mit Mitgliedern des Netzwerks "Freie Kräfte" im Juni im Rahmen der Kampagne "Umweltschutz ist Heimatschutz" durchgeführt wurde. Im Duktus der völkischen Ideologie schrieben die Aktivisten hierzu: "Wir wollen unsere Volksgenossen und den Bürgern vor Ort beweisen, dass Volk und Heimat eine unzertrennliche Einheit bildet, welche keine Zukunft mehr besitzt, wenn das deutsche Volk oder unsere geliebte Heimat zugrunde geht!" 54 Ehemaliger Bundesvorsitzender als Krisengewinner? Eine der größten Herausforderungen der Partei bleibt weiterhin deren personelle Besetzung. Ihre ideologischen Ziele und die demokratieverachtende Programma54 Profil des NPD-Kreisverbandes Pankow, Posting vom 21.6.2014, abgerufen am 3.12.2014. Schreibweise im Original. 98 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 tik ziehen ein spezifisches Personal an, dem nicht zuletzt die soziale und fachliche Kompetenz fehlt, um sich im parlamentarischen Politikbetrieb einbringen zu können. Hinzu kamen Veränderungen im innerparteilichen Machtgefüge, das von zahlreichen Konflikten beherrscht wurde. Die sich nach dem Rücktritt des Bundesvorsitzenden Holger Apfel, dem Verlust der Mandate im sächsischen Landtag und der Wahlniederlage in Thüringen fortsetzende Krise innerhalb der NPD verhalf dem früheren Bundesvorsitzenden Udo Voigt zu neuem Auftrieb. Aber auch Voigt, dessen Rückkehr an die Parteispitze von nicht wenigen Parteimitgliedern nach wie vor gewünscht wird, konnte, anders als von der Partei erhofft, mit einem zur Europawahl erreichten Mandat für die NPD bislang keinen großen Erfolg erzielen. Insbesondere die angestrebte Vernetzung auf europäischer Ebene über die "Allianz der Europäischen Nationalen Bewegungen" war weniger von konstruktiver Zusammenarbeit als vielmehr von internen Verwerfungen geprägt. Das Mandat ermöglichte jedoch die Einrichtung eines "Bürgerbüros" in der Berliner NPD-Zentrale und sicherte Voigt spezifische Leistungen, welche er an die finanziell schlecht aufgestellte Partei weitergeben kann. Kreisverband als Aktivposten der NPD in Berlin Ähnlich wie die Bundes-NPD befand sich auch der Berliner Landesverband der Partei in einer schwierigen Situation. Weniger mit ihren politischen Aktivitäten, als vielmehr mit den Strafverfahren gegen den Landesvorsitzenden Sebastian Schmidtke machte die Partei von sich reden. Schmidtke hatte in einem Verfahren gegen die Betreiber der Homepage "nw-berlin.net" falsch beeidet, keine Bezüge hierzu zu haben, und wurde wegen Meineides verurteilt. "nw-berlin.net" diente als Kommunikationsund Integrationslabel für aktionsorientierte Rechtsextremisten in Berlin. Auf ihr wurden Feindeslisten zu politischen Gegnern geführt, Personen bedroht und der Nationalsozialismus verherrlicht. Darüber hinaus wurde Schmidtke wegen der Verbreitung volksverhetzender Texte auf der so genannten "NPD Schulhof-CD" verurteilt. Als einer der wenigen Aktivposten innerhalb der Berliner NPD erwies sich der Pankower Kreisverband, in dem auch mehrere Aktivisten der früheren "Autonomen Nationalisten" aktiv sind. Verantwortlich hierfür war zum einen das ausgeprägte Engagement des Kreisvorsitzenden. Zum anderen fiel dieser Kreisverband durch eine intensiv betriebene Internetkommunikation und die offene Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner auf. So kam es im Zuge des Europawahlkampfes zu Zusammenstößen zwischen SPDund NPD-Wahlhelfern. Die Rechtsextremis- Rechtsextremismus 99 ten störten zudem Parteiveranstaltungen der Pankower SPD, wie z.B. die Eröffnung eines SPD-Wahlkreisbüros in Karow. Wie alle rechtsextremistischen Gruppierungen versuchte auch die Berliner NPD mit maximaler Provokation gegen Einwanderung, Flüchtlinge sowie die Flüchtlingspolitik zu mobilisieren und platzierte das Thema zentral in ihrem Europawahlkampf: 3 "Die Einwanderung aus Südosteuropa geht auch mit einer rasant ansteigenden Kriminalität einher. Aufdringliche Bettler, auf den Straßen lungernde "Klau-Kids" und die organisierte Kriminalität sind aus den deutschen Städten nicht mehr wegzudenken." 55 Intensiv wurde auf so genannten "Kundgebungsfahrten" zu geplanten oder existierenden Flüchtlingsunterkünften und mit mehreren Demonstrationen in verschiedenen Stadtbezirken gegen eine "Asylflut" agitiert oder vor "Kreuzberger Verhältnissen" gewarnt: "Überfremdung, Multikulturalität, Kriminalität und eine sich eigendynamisch verstärkende Verslumung sind die kennzeichnenden Begriffe des vollständigen Versagens (...) Viele Menschen benutzen den Namen Kreuzberg sinngemäß als Ersatzbegriff für Rauschgift, Islamismus, Verbrechertum, Anarchie, Müll, Gewalt und Tod." 56 Für den 26. April hatte die NPD eine Demonstration durch Kreuzberg geplant, die am Flüchtlingscamp am Oranienplatz sowie der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule vorbeiführen sollte. Von der angekündigten Präsenz im Terrain des politischen Gegners erhoffte sich die Partei eine große Zahl von Rechtsextremisten mobilisieren zu können. Diese Strategie ging jedoch nicht auf. Tatsächlich standen nur etwa 100 bis 120 rechtsextremistische Demonstrationsteilnehmer ca. 2 700 Gegendemonstranten gegenüber, deren erfolgreiche Blockade jegliche Bewegung des Demonstrationszugs in Richtung Kreuzberg verhinderte und die anschließende Auflösung der rechtsextremisti55 NPD-Landesverband Berlin: Flyer zur Europawahl 2014. 56 Profil der Berliner NPD in einem sozialen Netzwerk, Posting vom 7.4.2014, abgerufen am 9.10.2014. 100 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 schen Demonstration beschleunigte. Die nicht nachlassenden Aufrufe zur Beteiligung an Demonstrationen gegen Flüchtlingsunterkünfte und die damit verbundene Stigmatisierung von Flüchtlingen als Kriminelle und Betrüger spiegelte sich auch auf den Internetseiten und verschiedenen von der Partei genutzten sozialen Medien wider. Dabei inszenierten sich die Aktivisten der NPD als "Volksvertreter" in einem "Kampf für das Recht auf Lebensqualität", die durch die Ansiedlung von Flüchtlingen bedroht würde. "Die Wohncontaineranlage soll in unmittelbarer Nähe einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in der Salvador-Allende-Straße 91 die mit rund 300 Insassen belegt ist. Nahezu täglich muss von den Nachbarn die Polizei gerufen werden. Sollte die Wohncontaineranlage errichtet werden, wird sich die soziale Lage im Allende-Viertel weiter verschärfen und die Lebensqualität der Deutschen weiter gemindert." 57 Die Rolle der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" Die symbiotische Beziehung zwischen parlamentsund aktionsorientierten Rechtsextremisten in Berlin wird seit Jahren von der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) getragen. Deren Hauptaktionsfeld ist der "vorpolitische Raum", in dem ideologisch-organisatorische Graswurzelarbeit betrieben werden soll. Hierzu gehört die intensive Nutzung sozialer Netzwerke zur Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts, in denen die Berliner JN von aktuellen Aktionen berichten, das politische Tagesgeschehen kommentieren und die neonazistische Ideologie geschickt inszenieren. Betont jugendnah vertreiben die JN über ihre Internetpräsenzen Kapuzenpullover, Shirts und Flyer mit entsprechenden Logos und Aussagen. Die von der Bundesorganisation der JN im Juni gestartete überregionale Kampagne unter dem Motto "Sag was du denkst! Entfache das Feuer der Wahrheit!" veranschaulichte, mit welchen Mitteln Jugendliche als wichtigste Zielgruppe der Neonazis angesprochen werden sollen. In einem aggressiven, kämpferischen Aufruf klagten die JN die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der 57 Profil der Berliner NPD in einem sozialen Netzwerk, Posting vom 13.11.2014, abgerufen am 3.3.2015. Schreibweise im Original. Rechtsextremismus 101 Bundesrepublik an und entwarfen ein Bedrohungsszenario durch fortschreitende "Überfremdung". "Die Zeiten sind reif für eine Veränderung! Sie stehen auf Sturm in ganz Europa. Überall geht die Jugend auf die Straße, um ähnliche Verhältnisse wie hier zu bekämpfen. Damit das auch endlich in Deutschland so wird: SAG', WAS DU DENKST!" 58 Besonders augenfällig war die Ähnlichkeit dieser Kampagne mit Auftreten und 3 Habitus der "Identitären Bewegung"59, auf die gleichwohl kein direkter Bezug genommen wurde. Die Ähnlichkeiten hinsichtlich Stil, Wortwahl oder Argumentation wurden auch bei der seit einigen Jahren von der JN betriebenen "Identitätskampagne" deutlich. Diese Kampagne war auch eine Reaktion auf das Aufkommen der "Identitären Bewegung" und der Versuch, sich damit in einem ureigenen Themenfeld als zentraler Akteur zu behaupten. Im Rahmen der "Sag was du denkst!"-Kampagne veranstalteten die JN am 13. September in Berlin eine Demonstration mit ca. 70 Teilnehmern, auf der die aktuelle Flüchtlingspolitik kritisiert und allgemeine Systemkritik geäußert wurde. Nachdem die Polizei am Veranstaltungsende eine anschließende Spontankundgebung an der Weltzeituhr untersagt hatte, bildeten einige Demonstranten mit an Holzstäben befestigten Großbuchstaben das Kürzel ACAB ("All Cops are Bastards"). Im Anschluss fotografierten sie sich z.T. gegenseitig am Denkmal für die ermordeten Juden Europas, einheitlich in T-Shirts der JN gekleidet, und veröffentlichten die Fotos auf ihrer Internetseite. Die JN waren 2014 neben dem Pankower Kreisverband der Aktivposten der NPD in Berlin. Über gute Verbindungen in nahezu alle rechtsextremistischen Spektren verfügend, besitzen die JN ein entsprechend großes Aktivund Mobilisierungspotenzial. Auffällig war allerdings, dass dieses Potenzial immer weniger der "Mutterpartei" NPD zugute kam, die weder in der öffentlichen Wahrnehmung noch durch steigende Mitgliederzahlen von den Aktivitäten der JN profitierte. Vielmehr führen die JN in Berlin offenkundig ein Eigenleben, das vor allem dazu genutzt wird, aktionsorientierten Rechtsextremisten den Zugang zu Strukturen und Ressourcen der Partei zu ermöglichen. 58 Posting auf einer rechtsextremistischen Internetseite, abgerufen am 20.11.2014. 59 Vgl. S. 111ff. 102 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 3.5.2 "Die Rechte" "Die Rechte" Gründung: 2012 Mitglieder: Berlin 15 (2013: 20) Die im Mai 2012 gegründete Partei "Die Rechte" verstand sich zunächst als Alternative zur aufgelösten "Deutschen Volksunion" (DVU) sowie der NPD und zog überwiegend ehemalige Mitglieder dieser rechtsextremistischen Parteien an. Nachdem der seit Jahrzehnten im gesamten Bundesgebiet aktive Rechtsextremist Christian Worch den Bundesvorsitz übernommen hatte, öffnete dieser die Partei für aktionsorientierte Neonazis und bot damit den vielerorts verbotenen Kameradschaften ein neues Betätigungsfeld. Ideologisch vertritt die Partei neonazistische, nationalistische und fremdenfeindliche Positionen und agitiert öffentlich überwiegend im Rahmen von Demonstrationen oder Kundgebungen. Derzeit verfügt "Die Rechte" nicht flächendeckend über Landesverbände. Ihre Aktivitäten entfaltet sie über regionale Schwerpunkte, von denen der Landesverband Nordrhein-Westfalen am aktivsten in Erscheinung tritt. Hinter der Gründung der Partei "Die Rechte" verbarg sich von Anfang an das Kalkül, sich staatlicher Repression in Form von Vereinsverboten zu entziehen. Auf individueller Ebene bot die "Parteizugehörigkeit als Organisationsstrategie" vormals parteiunabhängigen Neonazis, wie dem Bundesvorsitzenden Christian Worch, der bereits wegen Volksverhetzung, Aufstachelung zu Rassismus sowie Verunglimpfung des Staates fünfeinhalb Jahre in Haft saß, ein geschütztes Agitationsfeld. Dementsprechend bemühte sich "Die Rechte" nach außen in ihrem Parteiprogramm auf offen rechtsextremistische oder demokratiefeindliche Ziele zu verzichten. Die personelle Zusammensetzung sowie der Tenor ihrer öffentlichen Aktivitäten wies die Partei jedoch eindeutig als Schmelztiegel neonazistischer Kameradschaften und Splittergruppen aus. Dieser strategische Ansatz sowie die Verankerung im aktionsorientierten Rechtsextremismus prägten auch den Berliner Landesverband der Partei, der am 15. Sep- Rechtsextremismus 103 tember 2013 in der inzwischen geschlossenen, rechtsextremistischen Szenekneipe "Zum Henker" gegründet wurde. Neben der Tatsache, dass die Gründungsmitglieder nahezu vollständig aus der 2009 verbotenen Kameradschaft "Frontbann 24" stammten, ging die neonazistische Ausrichtung der Partei auch aus deren Positionen und öffentlichem Auftreten hervor. So gedachte der Berliner Landesverband etwa dem verurteilten NS-Verbrecher Erich Priebke mit den Worten: "Ewig währt der Toten Tatenruhm." 60 3 Misslungene Transformation von Kameradschaftsin Parteistrukturen Öffentlich spielte die Partei "Die Rechte" in Berlin bislang allenfalls eine untergeordnete Rolle. Die wenigen überhaupt durchgeführten Aktionen verliefen ohne nachhaltige Außenwirkung und dienten eher als Beleg für das geringe Engagement und die Initiativlosigkeit der Parteimitglieder. Öffentliche Aktivitäten entfaltete "Die Rechte" in Berlin fast ausschließlich zum Jahresbeginn. Am 4. Januar mobilisierten die Landesverbände Brandenburg und Berlin gemeinsam für eine Demonstration gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Bad Freienwalde. Zu den ca. 55 Teilnehmern der Demonstration unter dem Motto "Asylantenheim - wir sagen nein!" gehörten neben Aktivisten der verbotenen Kameradschaft "Frontbann 24" Mitglieder brandenburgischer Kameradschaften sowie JNund NPD-Aktivisten. Am 13. Februar jährte sich zum 69. Mal der Tag der Bombardierung Dresdens durch alliierte Luftverbände im Zweiten Weltkrieg, zu welchem die rechtsextremistische Szene in den vergangenen Jahren mit bundesweiter Mobilisierung einen "Gedenkmarsch" in Dresden veranstaltet hatte. Die in der Szene als bedeutendstes jährliches Großereignis veranstaltete Demonstration verlor aufgrund des großen zivilgesellschaftlichen Widerstands und entsprechender 60 Profil des Berliner Landesverbandes der Partei "Die Rechte" in einem sozialen Netzwerk, Posting vom 10.10.2014, abgerufen am 11.10.2014. 104 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Gegenmobilisierung an Attraktivität. "Die Rechte" rief in diesem Kontext zu einer Demonstration am Pariser Platz auf, erzielte aber mit einer Teilnehmerzahl von etwa 60 Personen kaum Resonanz. Das geringe Personenpotenzial, die fehlende Eigeninitiative sowie der zunehmende Anschluss von Parteianhängern an andere Organisationen zeigen, dass die Partei in Berlin bislang kaum Rückhalt oder Zulauf erfahren hat. Die strukturelle und ideologische Kongruenz zur Berliner NPD hat bisher weder Synergien noch Spannungen erzeugt, vielmehr scheinen sich die Landesverbände beider Parteien mehr oder weniger zu ignorieren. 3.5.3 "Bürgerbewegung Pro Deutschland" "Bürgerbewegung Pro Deutschland"Landesverband Berlin Gründung: 2010 Mitglieder: Berlin 100 (2013: 100) Die "Bürgerbewegung Pro Deutschland" ist Teil einer diffusen islamund fremdenfeindlichen Szene, durch die vor allem Ängste vor einer vermeintlichen "Islamisierung" der Bundesrepublik Deutschland geschürt werden. Das von "Pro Deutschland" vorrangig gegen Muslime gerichtete Überfremdungsszenario wird dominiert von der Gleichsetzung von Islam und Islamismus, der Bedrohung durch islamistischen Terror und einem angeblich von Muslimen verursachten Wertekonflikt zwischen dem "Abendland" und insbesondere dem Nahen Osten. Neben diesem religiös-kulturellen Rassismus manifestiert sich der rechtsextremistische Charakter dieser Partei in der Forderung nach der Rückführung von spezifischen Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund sowie der Vernetzung mit anderen einschlägigen Parteien und Vereinen Europas. Eine klare Abgrenzung zwischen dem Landesund dem Bundesverband von "Pro Deutschland" ist aufgrund personeller Überschneidungen, gemeinsamer Verantwortlichkeiten und Kommunikationsmedien nach außen kaum erkennbar. Der Landesverband Berlin, der im Januar einen neuen Landesvorstand gewählt hat, besteht aus zwölf Kreisverbänden. Rechtsextremismus 105 "Pro Deutschland" verwandte viel Energie darauf, sich als demokratische Partei zu präsentieren und von rechtsextremistischen Kreisen abzugrenzen. Allein die personelle Besetzung dokumentierte allerdings die Bezüge der Partei zum rechtsextremistischen Milieu. So war etwa der Bundesvorsitzende, Manfred Rouhs, früher bei der rechtsextremistischen "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH), der NPD sowie den "Republikanern" aktiv. Profile in sozialen Netzwerken zeigen, dass Funktionäre von "Pro Deutschland" auch über Kontakte zu Neonazis des Netzwerks "Freie Kräfte" verfügen. 3 Auch Programmatik und Ziele von "Pro Deutschland" enthalten extremistische Positionen. Die Instrumentalisierung von Ängsten und Vorurteilen der Bevölkerung, die Pauschalisierung und Kriminalisierung von Flüchtlingen sowie die Delegitimation von Menschenrechten gehörten zur dominierenden Argumentationslogik von "Pro Deutschland". "12 Millionen Deutsche sind inzwischen von Armut und Abstieg bedroht. Andere dagegen hoffen auf ihre Chance: 'Flüchtlinge', zu mehr als 90 Prozent Asylbetrüger, kommen ins gelobte (deutsche) Land und zocken den gebeutelten deutschen Steuerzahler schamlos ab." 61 Islamfeindliche Provokationen "Pro Deutschland" agierte überwiegend virtuell und unterhielt eigene Internetseiten sowie verschiedene Profile ihres Bundes-, Landesund Jugendverbandes in sozialen Netzwerken. Die Themen wurden im Rahmen von Kampagnen und Demonstrationen kommuniziert, stießen jedoch kaum auf nennenswerte Resonanz. Nicht selten stand jedoch viel mehr die Provokation als die Aktion selbst oder die Mobilisierung vieler Anhänger im Mittelpunkt des Handelns von "Pro Deutschland". So beabsichtigten die Funktionäre der Partei z.B. am 4. Juli mit einer öffentlichen Einladung an Interessierte zur Uraufführung des islamfeindlichen Animationsfilms "Aisha und Mohammad - Das dramatische Leben eines Kindes, das mit dem Propheten des Islam verheiratet war" die weltweite Aufmerksamkeit, die diesem 61 Internetauftritt der "Bürgerbewegung Pro Deutschland": "Jetzt kommen die Hooligans!", abgerufen am 5.11.2014. Schreibweise im Original. 106 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Film zuteil wurde, für ihre Zwecke zu nutzen. Der gleichzeitig in Washington uraufgeführte Film wurde von dessen Regisseur als realistische Darstellung des Lebens von Aisha in ihrer Ehe mit dem Propheten Mohammed angepriesen. Tatsächlich kritisierte der Film auf eine pietätlose Art und Weise Aspekte wie die Kinderehe sowie eine vermeintliche islamische Sexualmoral und suggerierte aufgrund des Vergleichs mit aktuellen Fällen von Ehrenmord das Bild einer unmoralischen Religion. Ein weiteres Beispiel für die Diffamierung und Diskriminierung von Muslimen durch "Pro Deutschland" war der bundesweite Petitionsaufruf unter dem Titel "Keine Staatsverträge mit der Türkisch-Islamischen Union! Keine Staatsverträge mit der DITIB!". Hierin wurde die dem staatlichen Präsidium für Religionsangelegenheiten der Türkei unterstehende "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V." (DITIB), welche zu den größten Dachverbänden türkischer Muslime in Deutschland gehört, mit dem Islamismus assoziiert. Mit einer weiteren Petition unter dem Titel "Asylmissbrauch stoppen!" forderte "Pro Deutschland" eine Änderung des Asylrechts im Sinne einer Aufnahme von Asylverfahren und Entscheidung vor der Einreise und reiht sich damit als weiterer Akteur in den gegenwärtig dominanten rechtsextremistischen Diskurs gegen Flüchtlinge ein. Darüber hinaus wurden Flüchtlinge in zahlreichen Online-Beiträgen auf Seiten der Partei als "Asylbetrüger" und "Kriminelle" stigmatisiert und es wurde ein Bedrohungsszenario im Hinblick auf Verteilungsund Kostenherausforderungen durch steigende Flüchtlingszahlen konstruiert. Diese Form der Agitation fand sich auch auf den seit Oktober existierenden Seiten in sozialen Netzwerken, die sich gegen die Errichtung so genannter "Asylanten-Containerdörfer" richteten. Entsprechende Profile wurden für die Bezirke Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf eingerichtet. Aufgrund der dort veröffentlichten Beiträge, Kommentare sowie Aktivitäten konnten die Urheber "Pro Deutschland" zugerechnet werden. So wurden etwa die oben genannte Petition sowie entsprechende Beiträge von Parteifunktionären über diese Seiten verbreitet. Parallel dazu wurden entsprechende Argumentationsmuster auch auf den der Partei offiziell zugehörigen Seiten benutzt: Rechtsextremismus 107 "Der geplante Bau eines Containerdorfes für Scheinasylanten erhitzt weiterhin die Gemüter der Bucher Bürger und die Situation spitzt sich weiter zu. (...) Eine erfolgreiche Politik, mit einem zufriedenen Volk kann nur gewährleistet werden, wenn die eigenen Probleme erkannt und beseitigt werden. Diese links-etablierte Politikvorstellung fördert den Hass gegen Ausländer und nicht das friedliche Zusammenleben!" 62 Darüber hinaus versuchte die "Bürgerbewegung Pro Deutschland" im Rahmen 3 von Demonstrationen, die häufig unter Bezeichnungen wie "Bürgerversammlung" angekündigt wurden, gegen Flüchtlingsunterkünfte zu mobilisieren. Bisher blieben diese Aktionen vollkommen erfolglos, wofür eine Demonstration am 29. November gegen den Bau einer Flüchtlingsunterkunft in Marzahn mit lediglich sechs Teilnehmern beispielhaft stand. "Pro Deutschland" wird es in Berlin mit der bisherigen Strategie, sich öffentlich von der rechtsextremistischen Szene zu distanzieren und gleichzeitig inhaltlich auf nahezu identische Positionen zu setzen, weiterhin schwer haben. Die bisherigen Wahlergebnisse sind eindeutige Belege hierfür, ebenso wie die Tatsache, dass die Partei zur Europawahl gar nicht angetreten war. 3.6 Diskursorientierter Rechtsextremismus 3.6.1 Die "Montagsdemonstrationen" als Agitationsrahmen für Rechtsextremisten Die ursprünglich von Bürgerrechtlern ins Leben gerufenen "Montagsdemonstrationen" waren eine treibende Kraft der friedlichen Revolution in der DDR. Nach deren Ende entwickelten sie sich zu einem Forum für Bürgerbewegungen, die sich dann überwiegend sozialund umweltpolitischen Themen widmeten. Unter ausdrücklichem Bezug auf diesen historischen Rahmen gab es seit Anfang des Jahres in Mitte regelmäßige Kundgebungen mit mehreren hundert Teilnehmern, auf denen insbesondere mit verschwörungstheoretischen und antiamerikanischen Positionen gegen die etablierte Politik und die Medien polemisiert wurde. Rechtsextremistische Bestrebungen nutzten diesen Rahmen, um unter dem Schirm dieses grundsätzlich demokratisch legitimierten Protests für ihre verfassungsfeindlichen Ideen und Ziele zu werben. So erschienen Vertreter der "Reichs62 Profil des Kreisverbandes Pankow der "Bürgerbewegung Pro Deutschland" in einem sozialen Netzwerk, Posting vom 14.11.2014, abgerufen am 18.11.2014. Schreibweise im Original. 108 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 bürgerbewegung" und der "Europäischen Aktion" sowie verschiedener islamfeindlicher, teils rechtsextremistischer Gruppierungen immer häufiger auf diesen so genannten "Montagsdemonstrationen", propagierten antisemitische Verschwörungstheorien, islamfeindliche Parolen und verteilten entsprechende Flugblätter. Auch Funktionäre des Berliner Landesverbands der NPD nahmen an diesen "Montagsdemonstrationen" teil. 3.6.2 "Reichsbürger" Die heterogene Szene der "Reichsbürgerbewegung" setzt sich aus mehreren Einzelpersonen sowie tatsächlichen, aber auch fiktiven Personenzusammenschlüssen wie der "Exilregierung Deutsches Reich" oder dem "Fürstentum Germania" zusammen. Neben Verschwörungstheorien vertreten die "Reichsbürger" z.T. revisionistische, antisemitische und den Nationalsozialismus verherrlichende Positionen. Grundlegendes Merkmal dieser Szene ist die Vorstellung, Deutschland wäre in Form der so genannten "BRD GmbH" besetzt und von den Alliierten beherrscht. Weitere ideologische Übereinstimmungen innerhalb der "Reichsbürgerbewegung" bestehen hinsichtlich der Annahmen, dass das Deutsche Reich völkerrechtlich bis heute fortbestünde, die Bundesrepublik Deutschland keine Existenzberechtigung habe sowie ihre verfassungsmäßige Ordnung, Organe und Institutionen keine Legitimation besäßen. "Reichsbürger" richten daher "kommissarische Reichsregierungen" ein - die zahlreiche Gruppierungen zu vertreten glauben -, die zwar keine faktische Staatsgewalt haben, jedoch ersatzweise die Amtsgeschäfte zu führen meinen.63 Die vermeintliche Illegitimität der Bundesrepublik Deutschland versuchen Anhänger der "Reichsbürgerbewegung" teilweise im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten sowie vermeintlichen Rechtsgutachten zu belegen. Darüber hinaus werden zahlreiche Ausweise, Dokumente und Rechtsprechungen, partiell kostenpflichtig, in Umlauf gebracht, die deren Inhaber als "Bürger" oder "Mitglied" des jeweiligen "Reiches" ausweisen. "Reichsbürger" fielen in den vergangenen Monaten auch in Berlin durch ein offensiveres Auftreten auf, indem sie etwa öffentliche Stellen durch zeitintensive, irra63 Vgl.: Caspar, Christa / Neubauer, Reinhard: "Durchs wilde Absurdistan - oder: Wie "Reichsbürger" den Fortbestand des Deutschen Reiches beweisen wollen", in: Landesund Kommunalverwaltung (LKV), 12/ 2012, 22. Jahrgang, S. 529 - 576. Rechtsextremismus 109 tionale und mit rechtsextremistischen Positionen unterfütterte Eingaben zu verunsichern versuchten. Ferner traten Aktivisten als Betreiber angeblich exterritorialer Liegenschaften auf, boten kostenpflichtige Schulungen an und verbreiteten zahlreiche, mit Verschwörungstheorien durchsetzte Propagandavideos im Internet. Vermehrt versuchten "Reichsbürger" auch öffentlichkeitswirksam zu agitieren. Im Oktober 3 gab es eine Demonstration dieser Szene vor dem Reichstagsgebäude, an der sich ca. 300 Personen beteiligten und bei der auch prominente Redner auftraten, was eine breite mediale Resonanz nach sich zog. 3.6.3 "Europäische Aktion" Die "Europäische Aktion" (EA) wurde zu Beginn des Jahres 2010 von ehemaligen Mitgliedern der im Mai 2008 verbotenen Organisationen "Collegium Humanum" (CH) und "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) gegründet. Der VRBHV betätigte sich insbesondere auf dem Gebiet der Holocaustleugnung und unterstützte Holocaustleugner wie den wegen Volksverhetzung inhaftierten Horst Mahler bei Strafprozessen. Viele Funktionäre der EA sind überdies Mitglieder der NPD. Zur Kommunikation und Verbreitung ihrer politischen Ziele und Interessen nutzt die EA eine eigene Internetseite, eine assoziierte Webseite sowie die regelmäßig erscheinende Zeitschrift "Europa ruft". Die EA besitzt eine hierarchische Organisationsstruktur und strebt ein so genanntes "Führerprinzip" an. Die unterste Ebene wird durch die wenige Personen umfassenden Stützpunkte gebildet, die von einem Stützpunktleiter angeleitet werden. Mehrere Stützpunkte werden zu einem Gebiet zusammengefasst, das von einem Gebietsleiter organisiert wird. Höchste Instanz in einem Land ist die Landesleitung, wie sie aktuell in der Bundesrepublik Deutschland besteht. Die oberste Instanz der EA ist die "Europäische Tagsatzung". In Berlin ist das Personenpotenzial gering. Eine zuverlässige Mitgliederzahl europaweit kann nicht genau beziffert werden. Es ist jedoch von einem Personenpotenzial im mittleren dreistelligen Bereich auszugehen. In ihrer Agitation verhalten sich die Akteure bezüglich der strafbewehrten Holocaustleugnung zurückhaltend und bedienen stattdessen die in der rechtsextremis- 110 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 tischen Szene verbreiteten, antisemitischen Codes. Der von der EA vertretene Antiamerikanismus basiert auf der Behauptung einer "jüdischen Weltverschwörung", welche sich an der amerikanischen Ostküste konzentriere. Zudem argumentieren die Anhänger geschichtsrevisionistisch, was sich in deren Überzeugung, Deutschland und Österreich wären nach dem 2. Weltkrieg völkerrechtswidrig von den Alliierten errichtet worden und daher illegitim, offenbart. Ein zentraler Vordenker ist ein Schweizer Holocaustleugner, dessen Schriften als verbindliche Lektüre gelten. Die Mitglieder der "Europäischen Aktion" verfolgen sieben handlungsweisende Ziele, weshalb ihrer Ansicht nach jeder, der nach diesen Richtlinien handelt, zur "Europäischen Aktion" gehört. Das Adjektiv "europäisch" leitet sich demnach aus dem primären Ziel der Schaffung einer "Europäischen Eidgenossenschaft" ab, denn die EA versteht sich als Bewegung eines "neuen europäischen Selbstbewusstseins". Das selbstgesetzte dritte Ziel verdeutlicht die Fremdenfeindlichkeit und den Rassismus der EA: "Im Interesse aller Völker dieser Welt setzt sich die Europäische Aktion für die Wiederherstellung der natürlichen Grenzen ein und die Rücksiedlung der durcheinander geratenen Völkerund Rassenmassen in ihre angestammte Heimat." 64 In Berlin trat die "Europäische Aktion" bislang nur sporadisch öffentlich in Erscheinung. Neben der Beteiligung an den so genannten "Montagsdemonstrationen" führte die "Europäische Aktion" u.a. am 26. April eine Mahnwache unter dem Titel "Kein Krieg mit Russland" durch. Diese Losung wurde dort, wie auch auf anderen Mahnwachen im Bundesgebiet, mit Forderungen nach einem Austritt aus internationalen Organisationen wie der NATO und der EU verknüpft. Diese Organisationen würden nach Ansicht der "Europäischen Aktion" lediglich der Sicherung einer "angloamerikanisch-jüdischen Hegemonie" dienen, die "nicht nur eine existenzielle Bedrohung für den Frieden zwischen den Völkern dar[stellt], sie zeichnet sich vielmehr auch verantwortlich für die grenzenlose Ausbeutung von Mensch und Natur an allen Ecken und Enden der Welt. Schluss mit NATO und EU, Schluss mit der völkerrechtswidrigen Besatzung Deutschlands und Europas durch USAmerika." 65 64 Internetauftritt der "Europäischen Aktion": "In eigener Sache/ Ziel 3", abgerufen am 19.11.2014. 65 Internetauftritt der "Europäischen Aktion": "Mahnwache vor diplomatischen Vertretungen der USA", abgerufen am 13.8.2014. Rechtsextremismus 111 3.6.4 "Identitäre Bewegung" Neben diesen in vielen Punkten "klassisch" rechtsextremistischen Positionen der "Reichsbürger" und der "Europäischen Aktion" hat in den letzten Jahren vor allem der Einfluss islamfeindlicher Gruppierungen auf den rechtsextremistischen Diskurs rasant zugenommen. Neben Kleinparteien agieren in diesem Spektrum auch netzwerkartige 3 Strukturen und lockere Personenzusammenschlüsse. Zu diesen Strukturen gehört die so genannte "Identitäre Bewegung" (IB), deren Aktivitäten sich bisher hauptsächlich auf den virtuellen Raum, vor allem auf Websites, Blogs und soziale Netzwerke, beschränken. Das virtuelle Agieren der "Identitären" geht mit einem wenig gefestigten Personenpotenzial sowie dem häufigen Wandel der Strukturen einher. Die deutsche Gruppe der IB in einem sozialen Netzwerk gründete sich am 10. Oktober 2012 und nutzt das Profil vorrangig zur sozialen Vernetzung sowie als Mittel zur Außendarstellung. Über das Auftreten im Internet sind die "Identitären" bekannt geworden. Ihre Rolle in der Realwelt scheint dagegen marginal. Die ideologische Basis der "Identitären" entfaltet sich bereits in ihrer Interpretation des Begriffes "Identität", der mit kulturellem Rassismus und klassischen, völkischen Standards durchsetzt ist. "Unsere Identität ist für uns das Zusammenspiel aus unserer tradierten Kultur, unserem Bewusstsein, eine homogene, verwandte Gemeinschaft zu sein sowie der gemeinsamen Erinnerung an ihren Weg durch die Zeit." 66 Auch die "Identitären" konstruieren ein Bedrohungsszenario durch Überfremdung und warnen vor einer "Islamisierung der Gesellschaft". In ihren virtuellen Foren werden Behauptungen und Zitate aus dem Kontext gerissen und im Sinne einer völkischen Sichtweise vorgetragen, wobei Muslime in weiten Teilen als unzivilisiert und fanatisch portraitiert werden. Die permanente Gleichsetzung von Muslimen und Islamisten fügt sich in den klassischen Argumentationsstrang der Kulturkampfvertreter. 66 Internetauftritt der "Identitären Bewegung Deutschland": "Positionierung, 100% Identität", abgerufen am 19.11.2014. 112 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 "Uns Identitären geht es um den Erhalt unserer ethnokulturellen Identität, die heute durch den demographischen Kollaps, die Massenzuwanderung und die Islamisierung bedroht ist." 67 Gleichermaßen aussagekräftig ist die Wahl der Symbolik, denn die "Identitären" präsentieren sich unter dem griechischen Buchstaben Lambda, welchen die Soldaten Spartas auf ihren Schutzschilden trugen.68 Bei ihrem vermeintlichen Kampf gegen Bedrohung und Verfall greifen sie immer wieder auf Stilmittel der Jugendund Popkultur zurück, um ihr angestrebtes aktivistisch-rebellisches Auftreten zu unterstreichen. Um ihr Ziel, die Rückkehr zu den Wurzeln, der "Identität", zu erreichen, fordern sie eine "kulturell-geistige Revolution". Die Verbreitung der Ziele erfolgt im Rahmen von Videos über das Internet, in welchen die Grundsätze der IB mit martialischer Musik untermalt und in archaisch anmutender Wortwahl dargestellt werden. Auf dem Profil der "Identitären BeweRechtsextremistische gung Berlin-Brandenburg" in einem Internetaktivitäten sozialen Netzwerk werden islamfeindRechtsextremistische Bestrebungen liche, homophobe und in Teilen rechtshaben längst die vielfältigen Mögextreme Positionen verbreitet. In den lichkeiten von twitter, facebook, überwiegend anonym veröffentlichten xing oder vk erkannt und nutzen Beiträgen wird Berlin als "weiße Stadt" diese Kommunikationsund Ausbezeichnet. In Beiträgen zu Jugendgedrucksformen, den großen Verbreiwalt werden Begriffe wie "Dusche" tungsgrad und den unkomplizieroder "Granulat" als probate Methode ten Zugang für ihre Zwecke. Oft der Konfliktlösung beschrieben, worin sind entsprechende Angebote nicht ein klarer Bezug zu dem von Nationalsofort Rechtsextremisten zuzusozialisten verübten Massenmord erordnen. Dahinter verbirgt sich die kennbar ist. Strategie, Ideologien und politische Ziele subtiler und durch jugendafMit ihrem an moderner Jugendkulfine Gestaltung sowie erlebnisoritur orientierten Ansatz inspirieren die entierte Ansprachen zu verbreiten. "Identitären" andere Protagonisten der rechtsextremistischen Szene. Die Die virtuelle Welt des Rechtsextrevon ihnen vertretene ethnopluralistimismus dient jedoch nicht nur der 67 Internetauftritt der "Identitären Bewegung Deutschland": "Idee und Tat", abgerufen am 19.11.2014. 68 Hier wird auch auf einen bekannten Hollywood-Film abgestellt, der vom "heldenhaften" Kampf einer kleinen Gruppe von Spartanern gegen eine persische Übermacht erzählt. Rechtsextremismus 113 sche und kulturalistische Sichtweise wird poWeitergabe politischer Propaganda pulär inszeniert, um unpolitisierte Personen und der sozialen Vernetzung. Rechtsan die rechtsextremistische Szene heranzuextremistischer Lifestyle, interaktive führen. So versuchte u.a. die NPD-JugendorKommunikation und die Integration ganisation "Junge Nationaldemokraten" das verschiedener Medien in Form von Design und den Stil der IB zu kopieren, um isMusikvideos, Apps, Blogs oder Inlamfeindliche Kräfte anzusprechen. Ihre Kamternetradios zielen auch auf die Rapagne unter dem Titel "Identität - werde, wer 3 dikalisierung und Mobilisierung eiDu bist" war ein Bespiel für eine solche Adapnes breiten Adressatenkreises ab. tion. Zum Katalog der GegenmaßnahMit ihrem modernen, betont jugendaffinen men gehört die Anzeige von WebAuftreten, der professionellen Nutzung soseiten mit strafrechtlichen Inhalten zialer Netzwerke aber auch der Betonung wie verfassungsfeindlichen Symboethnopluralistischer anstelle rassistischer len oder Texten bei der Polizei oder Positionen steht die "Identitäre Bewegung" Staatsanwaltschaft. Nutzer können beispielhaft für eine neue Generation innersich bei Unsicherheiten darüber, ob halb der rechtsextremistischen Szene. Abzueine Seite verbotene Inhalte verbreiwarten bleibt, inwieweit diese neue Generatet, auch an jugendschutz.net wention gewillt und in der Lage ist, ihren virtuellen den, um dort den Inhalt prüfen zu Aktionismus in die reale Welt zu übertragen. lassen. Auch der Aufklärung über Hintergründe und Ziele bestimmter Internetaktivitäten durch den Verfassungsschutz fällt eine zentrale Rolle bei der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus zu. 114 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 4 Linksextremismus 4.1 Ideologie und Historie Die Erweiterung des Extremismusbegriffs um die Richtungsangabe "Links" ist historisch bedingt: Am Vorabend der Französischen Revolution saßen links vom Parlamentspräsidenten der Nationalversammlung die Kräfte, die sich gegen die alte feudalistische Ordnung auflehnten und den Werten der Aufklärung politisch die Bahn brachen. Als Linksextremismus erhält der Begriff heute seinen Gehalt in der Verabsolutierung der aufklärerischen Ziele von Freiheit und Gleichheit, wie sie sich insbesondere in den Ideen von Kommunismus und Anarchismus ausdrücken. Versuche, diese Konzepte in die Realität umzusetzen, scheiterten sämtlich. Die Idee des Kommunismus setzt das Ziel der Gleichheit absolut und macht die kapitalistische Eigentumsordnung für die immensen sozialen Ungleichheiten am Beginn des Industriezeitalters verantwortlich. Marx und Engels unterscheiden in Besitzer ("Bourgeoisie") und Nicht-Besitzer ("Proletariat") von Produktionsmitteln, die ihre gegensätzlichen Interessen nach einem historischen Gesetz ("Historischer Materialismus") im Klassenkampf austragen. Durch den Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie sollten mit den Produktionsverhältnissen ("Basis") schrittweise auch die Herrschaftsverhältnisse ("Überbau") überwunden werden. Über den Sozialismus und die "Diktatur des Proletariats" führe der Weg in den vollständig egalitären Kommunismus. In der Praxis fand die Arbeiterklasse jedoch nicht über ihr "Sein" selbständig zum revolutionären "Bewusstsein". Lenin ergänzte die Theorie daher um eine "Partei neuen Typs" als revolutionäre Avantgarde der Arbeiterklasse. Stalin erweiterte den Führungsanspruch der Partei zu einem quasi-religiösen Kult um seine eigene Person. Und Mao schließlich versuchte nach Ausschaltung der Feinde innerhalb und außerhalb des Apparats mit gewaltigen Umerziehungsprogrammen auch die innere Opposition der Menschen zu brechen. Am Ende stand bzw. steht in allen Fällen des "real existierenden Sozialismus" nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur über das Proletariat. Der so genannte "Marxismus-Leninis- Linksextremismus 115 mus" ist gleichwohl bis heute die programmatische Grundlage kommunistischer Parteien. Anders als der Kommunismus verabLinksextremismus solutiert der Anarchismus nicht die Linksextremismus ist ein SammelIdee der Gleichheit, sondern die der begriff für alle gegen die freiheitliFreiheit. In diesem Sinne gilt es zuche demokratische Grundordnung nächst nicht, das Eigentum abzugerichteten Bestrebungen, die auf schaffen, sondern den Staat. Das Ziel einer Verabsolutierung der aufkläist eine herrschaftsfreie Gesellschaft rerischen Werte von Freiheit und ohne jegliche "Fremdbestimmung". Gleichheit beruhen, wie sie sich ins- 4 Dennoch lehnen auch Anarchisten das besondere in den Ideen von KomPrivateigentum als Herrschaftsform munismus und Anarchismus ausder Besitzenden über die Nicht-Besitdrücken. Neben der Abschaffung der zenden ab. Der Anarchismus verfügt marktwirtschaftlichen Wirtschaftsüber kein stringentes und vermeintordnung, die allein keinen Anhaltslich "wissenschaftliches" Theoriegepunkt für verfassungsfeindliche rüst, wodurch er sich vom KommunisBestrebungen begründet, streben mus unterscheidet. Es existieren eine Linksextremisten auch die AbschafReihe von Auslegungen unterschiedlifung der repräsentativen Demokratie cher Vordenker. Überwiegend gemeinan. Dieses, meist auf den Begriff des sam ist ihnen die Erwartung, dass die Kapitalismus reduzierte "System" Menschen sich mit der Abschaffung soll entweder durch die Herrschaft eihierarchischer Strukturen selbst orner zentralistischen Partei, durch deganisieren, z.B. in dezentralen Räten. zentrale Selbstverwaltungen oder die Der Weg dorthin muss entgegen landEliminierung jeglicher Regierungsläufiger Meinung auch nicht zwingend strukturen ersetzt werden. Verfechgewaltsam sein, sondern setzt in der ter solcher Ideen gründen Parteien syndikalistischen Interpretation z.B. und Organisationen, um bei Wahlen bei gewerkschaftlicher Organisierung anzutreten oder für ihre Ziele öffentan. Mit dem Anarchismus historisch lich zu werben. Andere versuchen, ziverbunden bleiben jedoch die als "Provilgesellschaftliche Initiativen zu unpaganda der Tat" gedachten Attentaterwandern, um diese in ihrem Sinne te auf zahlreiche Staatsoberhäupter zu beeinflussen. Organisationsund an der Wende zum zwanzigsten Jahrtheorieferne "Autonome" setzen hundert. Die erhoffte Signalwirkung eher auf demonstrative bis militante für einen "Aufstand der Massen" hatAusdrucksformen, um damit Signalten diese jedoch nicht und so blieb die 116 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Idee des Anarchismus im Hinblick auf wirkung zu erzielen - und missachihre Umsetzung eine Fußnote der Geten dabei bewusst das staatliche Geschichte. waltmonopol. Gemeinsam ist ihnen die Neigung, soziale Problemlagen Die auf dem Prinzip der "wehrhaften politisch zu instrumentalisieren und Demokratie" gründende Bundesrevordergründig im Gewand legitimer publik Deutschland setzte durch das Gesellschaftskritik zu verschleiern. Verbot der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) - sie hatte zum revolutionären Sturz des Adenauer-Regimes aufgerufen - im Jahre 1956 ein Zeichen gegen den parteipolitischen Extremismus von Links. Im Kampf gegen den mit politischen Morden agierenden Linksterrorismus - mit dem Kulminationspunkt im "Deutschen Herbst" 1977 - erlebte die freiheitliche demokratische Grundordnung wohl ihre größte Bewährungsprobe. Die Strategie der "Roten Armee Fraktion" (RAF) zielte - erfolglos - darauf ab, den Staat durch Attentate auf seine Repräsentanten zu Überreaktionen zu provozieren, um dessen vermeintlich autoritäres und faschistisches Wesen zu demaskieren. Seit den 1980er Jahren wird das Bild vom Linksextremismus in Deutschland vor allem von den so genannten "Autonomen" geprägt, die mit ihrem martialischen Auftreten in "Schwarzen Blöcken" und oftmals krawallartigem Aktionismus manchmal den Eindruck eines eher unpolitischen Vandalismus erwecken. Doch diese Einschätzung bliebe vordergründig. Autonome grenzen sich vom strengen Dogmatismus und der kaderartigen Organisation kommunistischer Parteien wie auch von Linksterroristen ab. Wie Anarchisten besitzen sie kein geschlossenes Theoriegebäude. Die Unterordnung unter einen organisierten Willen lehnen sie kategorisch ab. Diese Theorieund Organisationsferne ist wesentlicher Teil ihrer Ideologie, die das Individuum und seine Selbstverwirklichung in den Mittelpunkt stellt. Das Prinzip der so genannten "Politik der ersten Person" beruht auf dem souveränen Handeln aufgrund individuellen Betroffenseins. Entscheidungen über das eigene Leben sollen nicht von Dritten stellvertretend getroffen werden. Dieses selbstermächtigende Politikverständnis manifestiert sich praktisch u.a. im militanten Widerstand gegen alles, was subjektiv als Missstand empfunden wird - nach dem Credo "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Aus dieser Haltung heraus lehnen Autonome sowohl das Repräsentationsprinzip wie auch das staatliche Gewaltmonopol ab. Linksextremismus 117 Im historischen Rückblick sind für Berlin drei Strömungen von Autonomen zu unterscheiden: Die Hausbesetzer-Szene Anfang der 1980er Jahre als Reaktion auf zunehmende Wohnraumspekulation, zweitens die "Antifa" Anfang der 1990er Jahre in Folge einer Welle fremdenfeindlicher Übergriffe sowie drittens und aktuell die (re-)organisierten Postautonomen, die vor allem im Zuge von Globalisierungskritik und Finanzkrise Aufwind erhalten. Letztere sind nicht mehr als Autonome im ursprünglichen Sinne zu bezeichnen. Im politischen Protest u.a. gegen Kapitalismus, Faschismus, Rassismus und Militarismus suchen und finden diese Strömungen in unterschiedlichem Ausmaß Anschluss an subkulturell verwandte oder ideologisch nahestehende Milieus. Das macht die Unterscheidung zwischen dem Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und für ein legitimes 4 gesellschaftliches Anliegen erheblich schwieriger als in anderen Phänomenbereichen des politischen Extremismus. 4.2 Personenpotenzial und Straftaten Linksextremisten führen ihren Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sowohl mit legalen als auch mit illegalen Mitteln. Zu den legalen gehören Parteiund Vereinsgründungen sowie die Durchführung von öffentlichen Veranstaltungen und das Erstellen von Publikationen zur Verbreitung ihrer politischen Ideen. Hierfür nutzen sie intensiv auch das Internet. Unter anderem dadurch, dass sie aktuelle Themen aufgreifen, die viele Menschen bewegen, sind sie bemüht, sich weit über ihr eigenes Spektrum hinaus zu vernetzen. Zu diesem Zweck versuchen sie außerdem andere Organisationen und Zusammenschlüsse zu unterwandern. Manchmal treten sie zu Wahlen an. Primäres Ziel ist es, Menschen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu gewinnen. Darüber hinaus kämpfen Teile der linksextremistischen Szene auch mit illegalen Mitteln gegen das ihnen verhasste "System". Dabei begehen sie Straftaten bis hin zu schwerer Gewalt gegen Repräsentanten und Institutionen von Staat und Wirtschaft, andere Personen oder Organisationen, die sie als politische Gegner betrachten, sowie gegen Fahrzeuge und Gebäude, deren Besitzer nicht in ihr Weltbild passen. Insofern sind sowohl die Personenpotenziale wie auch die Zahl der Straftaten wichtige quantitative Indikatoren für die aktuelle Entwicklung im Berliner Linksextremismus. 118 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Personenpotenzial Linksextremismus* 2013 2014 Gesamt 2 520 2 560 Gewaltbereite Linksextremisten, davon 1 020 960 Autonome 810 720 Sonstige 210 240 Nicht-gewaltbereite Linksextremisten, davon 1 280 1 400 "Rote Hilfe e.V." 1 000 1 100 Sonstige 280 300 Linksextremistische Parteien 220 200 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. Das linksextremistische Personenpotenzial Berlins hat erneut leicht zugenommen. Wie in den Vorjahren beruht diese Entwicklung auf einem Mitgliederzuwachs bei den eher unterstützend und propagandistisch wirkenden Organisationen, vor allem beim "Rote Hilfe e.V.". Rote Hilfe e.V. Gründung: 1995 Mitglieder: Berlin 1 100 (2013: 1 000) Die "Rote Hilfe" wurde unter historischer Bezugnahme auf einen von 1924 bis 1936 bestehenden gleichnamigen Vorläufer 1975 als eingetragener Verein neu gegründet. 1995 entstand die Ortsgruppe Berlin, welche sich mittlerweile zur mit Abstand größten linksextremistischen Organisation der Stadt entwickelt hat. Die "Rote Hilfe" versteht sich gemäß Satzung als "linke Schutzund Solidaritätsorganisation" für alle, die aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt würden. Sie unterstützt von Strafermittlungen Betroffene materiell und politisch. Ausschlaggebend ist allein die politische linke Motivation der Tat. Die "Rote Hilfe" versteht sich als Gegengewicht zu den "staatlichen Repressionsorganen", welche die bestehenden "Ausbeutungsund Unterdrückungsverhältnisse" verteidigen würden. Trotz der eindeutigen Ausrichtung verfolgen nicht alle Mitglieder des Vereins selbst verfassungsfeindliche Zielsetzungen. Linksextremismus 119 Diegilt Dies an insbesondere Statuten und Aktivitäten erkennbarenAnti-Faschismus für den Themenbereich Bestrebungen der Organisation bzw. Anti-Rassisundder mus, ihrer imEntscheidungsträger Zusammenhang mitführen jedoch zu ihrer Beobachtung der Flüchtlingsproblematik durch den 2014, insbesondere inVerfassungsschutz. Berlin, im Fokus stand Da alle undMitglieder in dem nach Beiträge zahlendiverser Auffassung und zudem Spenden linksextremistiakquiriert werden, verfügt die "Rote Hilfe" über erhebliche finanzielle Mittel. Die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten ist dagegen rückläufig. Während vor allem die Basis der "traditionellen" Autonomen weiter bröckelt, rekrutieren die vordergründig moderater auftretenden postautonomen Gruppierungen weiterhin neue Aktivisten. Eine Ursache hierfür ist die demografische Entwicklung, die dazu führt, dass dem Jugendalter entwachsene Autonome ihr politisches Engagement 4 in weniger aggressiven Formen fortführen. Fallzahlen Politisch motivierte Kriminalität - Links* 2013 2014 Gewaltdelikte 288 480 sonstige Delikte 751 868 Gesamt 1 040 1 350 * Auszug aus dem Bericht "Lagedarstellung der Politisch motivierten Kriminalität in Berlin für das Jahr 2014" des Landeskriminalamtes Berlin (LKA). Der vollständige Bericht ist im Internet unter www.berlin.de/sen/inneres/sicherheit/polizei/kriminalstatistiken-und-lagebilder/2014/artikel.266888.php eingestellt. Die Anzahl politisch links motivierter Straftaten ist 2014 stark gestiegen (um ein Drittel), die der Gewalttaten sogar um zwei Drittel. Bereits 2013 gab es einen Anstieg, der mit Entwicklungen rund um das Thema Flüchtlinge verknüpft war. Diese Tendenz setzte sich 2014 fort und führte zu mehr als einer Verdoppelung der Strafund Gewalttaten, die in diesen Begründungszusammenhang gestellt bzw. im Zusammenhang mit diesem Thema begangen wurden. Ursächlich dafür ist insbesondere das rege Demonstrationsgeschehen, in dessen Rahmen es oft zu einer Häufung von Gewalttaten kommt (Widerstandsdelikte, Landfriedensbrüche). Darüber hinaus gab es aber auch eine Reihe von Anschlägen gegen vermeintlich Verantwortliche (insbesondere Parteibüros). Selbst Aktionen gegen Neubauten und vermeintliche Luxusgeschäfte werden nicht mehr nur als Maßnahmen gegen Stadtumstrukturierung und Kapitalismus bezeichnet, sondern ebenfalls in den Zusammenhang Anti-Rassismus gestellt. Zieht man den Anteil der Taten im Themenzusammenhang Flüchtlinge ab, bleibt immer noch ein moderater Anstieg linksextremistischer Gewalt in den letzten Jahren, der insbesondere auf die Zunahme nächtlicher Aktionen militanter Kleingruppen zurück geht. 120 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Linksextremistische Parteien bleiben auch weiterhin bedeutungslos. So erreichten u.a. die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und die "Marxistisch-Leninistische Partei" (MLPD) bei der Europawahl am 25. Mai in Berlin lediglich Stimmenanteile im Promillebereich. 4.3 Aktuelle Entwicklungen In den vergangenen Jahren hat der Verfassungsschutz Berlin die linksextremistische Szene aus verschiedenen Perspektiven beschrieben. 2011 standen die zentralen Aktionsfelder im Vordergrund - zu dieser Zeit Anti-Faschismus, Anti-Repression und Anti-Gentrifizierung. 2012 wurden symbolische, sabotierende, konfrontative und aufwiegelnde Straftaten differenziert. 2013 ist eine Unterteilung der Szene in Anarcho-, Antifaund postautonome Gruppen vorgenommen worden. Dieses Mal sollen Strategiedebatten und deren Auswirkungen auf aktuelle Entwicklungen im Vordergrund stehen. Das Jahr 2014 war im Hinblick auf die linksextremistische Szene Berlins gekennzeichnet durch eine vielschichtige Krise der autonomen Szene, die sich unterschiedlich manifestierte: In fortgesetzten und wiederaufgeflammten Organisationsund Militanzdebatten, einer Identitätskrise der autonomen Antifa und nicht zuletzt einem eklatanten Anstieg linksextremistischer Strafund Gewalttaten, die zu einem großen Teil auf das Konto autonomer Klein(st)gruppen gehen dürften und aggressiver Ausdruck von Frust und Ohnmacht sind. Inhaltlich dominierend war neben Strategiediskussionen bzw. der Suche nach Möglichkeiten einer Neuausrichtung autonomer Politik auch 2014 das Thema Flüchtlingspolitik bzw. Flüchtlingsunterstützung. Wie im Kapitel 4.2 festgestellt, gab es in diesem Zusammenhang einen erheblichen Anstieg von Straftaten. 4.3.1 Rituale ziehen nicht mehr - Strategiedebatten Auf den ersten Blick scheint der selbstgewählte und sich auf Arbeitskämpfe in Italien Ende der 1960er Jahre beziehende Name "autonom"69 mit seinen Konnotationen Selbstbestimmung, Selbstermächtigung und Unabhängigkeit in seinem politischen Kontext im Widerspruch zu Debatten um eine Organisierung im weitesten Sinne zu stehen. Das gleiche gilt für so genannte Militanzdebatten, die die Haltung zur Ausübung von Gewalt zum Inhalt haben, aber auch Ansatzpunkte für 69 Von griech. autos - selbst und nomos - Gesetz; Autonomia wurde eine soziale Bewegung in Italien genannt, die sich aus diesen Arbeitskämpfen entwickelt hat. Linksextremismus 121 politische Kämpfe herausbilden sollen.70 Gleichwohl gab es innerhalb der autonomen Szene in beiden Themenbereichen von Anfang an lebhafte Debatten, die auch 2014 wieder aufgeflammt sind. Dabei geht es aktuell im Wesentlichen darum, dass die Zerstrittenheit und Zersplitterung der Szene in Kleingruppen gemeinsames und in diesem Sinn effektives Handeln erschwert oder unmöglich macht. Damit verknüpft ist die Frage, ob martialisches Auftreten in "Schwarzen Blöcken" und Gewaltausübung, z.B. im Rahmen von Demonstrationen, verhindert, dass man anschlussfähig ist für Bündnisse mit anderen politischen Gruppierungen. Zentrale Fragen sind hierbei, wie es gelingen könne, aus "Abwehrkämpfen" (Anti-Kapitalismus, Anti-Repression, Anti- 4 Faschismus, Anti-Rassismus) herauszukommen und neue politische Perspektiven zu entwickeln, wie eine Kommunikation und Kooperation unter den zahlreichen Kleingruppen und Einzelpersonen etabliert und in welchem Rahmen sie institutionalisiert werden könne, welches politische Selbstverständnis eigenem Handeln aktuell zugrunde liegt und wie eine "radikale, systemfeindliche, konfrontative" und beständige Politik zukünftig aussehen könne.71 "Zum Anfang strategischer Überlegungen könnte es um die Ausrichtung gehen; ist es ein Ziel militanter Politik Zustimmung in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen zu finden oder sind wir nicht doch so sehr Teil dieser Gesellschaft, dass es gerechtfertigt ist diese auch als Ganzes zu bekämpfen? (...) wenn einer Szene der fehlende Wille zur Organisierung attestiert wird, stellt sich auch die Frage nach der Fähigkeit Verantwortung zu übernehmen (...)." 72 Auslöser dieser Diskussionen ist eine tiefe Frustration darüber, dass es der autonomen Szene nach eigener Auffassung kaum noch gelingt, politische Akzente in Berlin zu setzen und zahlreiche, vormals klassische autonome Themenfelder zwischenzeitlich von anderen politischen Akteuren besetzt wurden. 70 Die "Militante Untersuchung" bezieht sich auf Arbeitskämpfe in den 1960er Jahren in Italien und den Operaismus. Dort hatte man mit Hilfe von so genannten "Arbeiterfragebögen", die ursprünglich von Karl Marx 1880 entwickelt worden waren, zum einen versucht, bewusstseinsbildend auf die Arbeiter einzuwirken, zum anderen spezifische Ansatzpunkte für eine Zuspitzung dieser Kämpfe herauszuarbeiten. 71 Vgl. "Protokoll, Reflektion und Einladung zum Offenen Treffen für Selbstorganisierung" auf der Internetpräsenz "linksunten" mit Datum vom 13.1.2014, abgerufen am 5.1.2015. 72 "Mit Militanz Politik machen? - Text zur Interim 763" auf der Internetpräsenz "linksunten" mit Datum vom 4.10.2014, abgerufen am 5.1.2015. Schreibweise im Original. 122 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Dies gilt insbesondere für den Themenbereich Anti-Faschismus bzw. Anti-Rassismus, der im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik 2014, insbesondere in Berlin, im Fokus stand und in dem nach Auffassung diverser linksextremistischer Spektren inzwischen "bürgerliche Gruppierungen" das Heft des Handelns übernommen haben. Aus Sicht der Autonomen ist es zudem bislang auch nicht gelungen, einen Kontrapunkt gegen Demonstrationen gegen die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften zu setzen. Regelmäßig stattfindende "Autonome Vollversammlungen" bzw. "Offene Treffen zur Selbstorganisierung" sollten diese Fragen diskutieren, mit dem Ziel, in Kontakt zu kommen, sich zu vernetzen sowie "ein möglichst gemeinsames linkes Tagesgeschehen in Berlin zu ermöglichen".73 Es gelang jedoch nicht zuletzt aufgrund der begrenzten Teilnehmerzahl - aber auch einer in diversen Papieren ausformulierten Ratlosigkeit - letztlich bislang nicht, konstruktive Perspektiven zu entwickeln. Gleiches gilt auch für aktionistische Ansätze wie das so genannte "Experiment". Dabei handelt es sich um eine Aktionsform, die zunächst monatlich etabliert werden sollte und in deren Rahmen man neue Demonstrationstaktiken in verschiedenen Bezirken ausprobieren wollte. Über einschlägige Internetportale war mit Bezugnahme auf die "Dynamik der 80/90er Jahre" dazu aufgerufen worden, "endlich radikalere Veränderungen"74 herbeizuführen. Die linke Szene müsse sich weiterentwickeln und enger zusammenrücken, um wieder mehr Wirksamkeit entfalten zu können. Klassische "Latsch-Anmelde-Demos" müssten durch spontane und "kreative" Aktionen ersetzt werden, Szenebezirke verlassen und der Protest in "Nobelbezirke" getragen werden. Es gelte, vielfältige Strategien und Konzepte in verschiedenen Bezirken auszuprobieren.75 Diese Aufrufe zielten auch darauf, dass es den beiden zu dieser Zeit noch führenden autonomen Gruppierungen Berlins, der "Antifaschistischen Linken Berlin" (ALB) und der "Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin" (ARAB) offensichtlich seit längerem nicht mehr gelang, entsprechende Akzente zu setzen. Letztlich fanden im Januar bzw. Mai zwei Aktionstage unter dem Label "Experiment" statt. Die Teilnehmerzahlen an beiden Veranstaltungen waren jedoch ver73 "AVV - offenes Treffen zur Selbstorganisierung November 2014" auf der Internetpräsenz "linksunten" mit Datum vom 13.11.2014, abgerufen am 5.1.2015. 74 "Berlin - Demo mit linken Themen / Zeit für Veränderungen / Experiment" auf der Internetpräsenz "linksunten" mit Datum vom 12.1.2014, abgerufen am 5.1.2015. Schreibweise im Original. 75 "Antikapitalistischer Aktionstag / Experiment 2.0-Reloaded / Demos" auf der Internetpräsenz "linksunten" mit Datum vom 19.5.2014 bzw. "Das (Demo) Experiment/ Infos&Szenarien für den Aktionstag am 31. Mai 2014" auf der Internetpräsenz "linksunten" mit Datum vom 24.5.2014, abgerufen am 5.1.2015. Linksextremismus 123 gleichsweise gering, und es konnte - vor allem am 31. Mai - keine Außenwirkung erzielt werden. Anschließend wurde die Frage gestellt, wie sinnvoll es sei, einer reinen Internetmobilisierung zu folgen, hinter der keine bekannten Personenzusammenschlüsse erkennbar seien. Das grundlegende Dilemma der linksextremistischen Szene lässt sich zu diesem Zeitpunkt also folgendermaßen beschreiben: Die führenden Gruppen setzen keine Akzente (mehr), ohne Gruppen gelingt jedoch keine erfolgreiche Mobilisierung. 4 Dass dies jedoch nur eine Teilerklärung des Misserfolgs ist, beweist auch der zeitlich dazwischen liegende so genannte "Anti-Repressionstag" am 22. März. Dieser war als Reaktion auf diverse Exekutivmaßnahmen gegen die linksextremistische Szene konzipiert, monatelang vorbereitet und bundesweit beworben worden. Auch hier war im Zuge der Diskussionen zu geeigneten Demonstrationstaktiken eine stadtweite Dezentralisierung von Versammlungen und Aktionen angedacht. Es sollte ein eindrucksvolles Zeichen des Widerstands gegen Repression und vermeintliche Polizeigewalt gesetzt werden. Zum Teil in martialischem Tonfall formulierte Aufrufe konnten jedoch letztlich statt der erhofften mehreren Tausend lediglich 800 Teilnehmer mobilisieren, Anreisen aus dem Bundesgebiet fanden so gut wie nicht statt. Der Aufzug wurde vorzeitig beendet und geplante Anschlussaktionen konnten durch konsequentes Eingreifen der Polizei keine Wirksamkeit entfalten. In diversen Szenereaktionen wurde der Antirepressionstag als gescheitert angesehen und harte Kritik an den Organisatoren geübt. Die Polizei habe das Geschehen "absolut im Griff gehabt" und es habe ein übergreifendes politisches Thema gefehlt, um mehr Menschen zu mobilisieren. "Dass die (...) Demo zu einem totalen Flop wurde, obwohl im Vorfeld etliche Aufrufe aus den verschiedenen Spektren der radikalen Restlinken kursierten, war eben im Kern nicht den Unterschieden bei den vorbereitenden Gruppen geschuldet, sondern hier bildete sich eines der Hauptprobleme der derzeitigen Situation ab. (...) Wir haben ein Jahr der Ohnmacht und der Lähmung hinter uns." 76 76 "2014 - Das Jahr in dem wir nirgendwo waren" auf der Internetpräsenz "linksunten" mit Datum vom 27.11.2014, abgerufen am 5.1.2015. 124 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Dies ist umso erstaunlicher, als dass Anti-Repression das Thema Repression bzw. ReaktiDer Kampf gegen vermeintliche on auf Repressionsmaßnahmen für staatliche Kontrolle und Repressidie autonome Szene auch 2014 aktuon ist konstitutiv für das Selbstverell und in einschlägigen Diskussionen ständnis von Autonomen und zusehr präsent war. Insofern dürften gleich Ausdruck ihrer ideologischen eher andere Gründe ausschlaggebend Verwurzelung im Anarchismus. Die für das Scheitern solcher Aktionstage damit verbundene Ablehnung des sein: Die Zersplitterung der Szene in staatlichen Gewaltmonopols ist das unzählige Kleingruppen und Einzelperzentrale verbindende Element insonen sowie die Zerstrittenheit dieser nerhalb der in Kleingruppen zersplitGruppen untereinander, die Taktik der terten Szene. Repression bezeichnet Polizei und ein Gefühl der Ohnmacht in ihrem Verständnis alle Institutiogegenüber diversen exekutiven Maßnen, die der Aufrechterhaltung von nahmen, denen die autonome Szene innerer Sicherheit und öffentlicher unterworfen war. Aber auch eine inOrdnung dienen, neben der Polizei haltliche Unsicherheit in Bezug darinsbesondere Gerichte, Gefängnisse auf, wie autonome Politik sich aktuell und Ämter. Staatliche Repräsentandefiniert und wie die autonome Szene ten aus Polizei und Justiz nehmen angemessen und zeitgemäß auf versie als Vertreter eines "Repressionsmeintliche politische Missstände reapparats" wahr, der nur dazu diene, agieren kann. Dies bezieht sich zum das "herrschende System" in seinem einen darauf, dass immer wieder eine Bestehen zu sichern. Um die angebRitualisierung von Protesten beklagt lich strukturelle Gewalt des Staates wird, die zu einer Ermüdung und Teilzu entlarven, wird bei Demonstrationahmslosigkeit geführt habe, anderernen die Konfrontation mit der Polizei seits aber immer offensichtlicher wird, gesucht. Mit Plakaten wie "Hass auf dass die autonome Szene aus sich heSchweine" und Parolen wie "Ganz raus nicht mehr in der Lage ist, politiBerlin hasst die Polizei!" sollen andesche Strahlkraft zu entfalten und z.B. re Teilnehmer aufgewiegelt und zu Massenmilitanz zu initiieren. KlassiStraftaten angestiftet werden. sche autonome Vorgehensweisen sind über die Szene hinaus nicht mehr anschlussfähig - was im Umkehrschluss dazu führt, dass Autonome bei öffentlichen Aktionen weitgehend unter sich bleiben und dadurch keine nennenswerte politische Wirkung mehr entfalten. Linksextremismus 125 Dies zeigte sich zum einen bei den genannten Aktionstagen, die eine Initialzündung sein sollten, sämtlich in Hinblick auf dieses Ziel aber gescheitert sind, zum anderen aber auch am ehemals zum Szeneevent ritualisierten 1. Mai. Der 1. Mai bleibt weitgehend friedlich Bereits in den vergangenen Jahren war ein Trend zu einem teilnehmerstarken, politisch geprägten und vor allem friedlicheren 1. Mai festzustellen, der sich in diesem Jahr fortsetzte. Entscheidend hierfür dürften vor allem eine konsequent durchgehaltene Deeskalationsstrategie der Polizei sowie die Etablierung des MyFestes durch den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und dessen Annahme durch die 4 Bevölkerung sein. Den Autonomen wurde auf diese Weise das Heft des Handelns aus der Hand genommen, ohne dass diese dem etwas entgegenzusetzen gehabt hätten. Nach wie vor ist jedoch der 1. Mai in Berlin ein Datum, das von traditionellen Großevents der linksextremistischen Szene wie der "Antikapitalistischen Walpurgisnacht" und dem "Revolutionären Ersten Mai" geprägt ist und bei denen es ihr gelingt, weit über ihr eigenes Spektrum hinaus zu mobilisieren. Federführende Organisatoren der "Antikapitalistischen Walpurgisnacht" waren 2014 erneut die "North East Antifascists" (NEA). Ihr Aufruf "Allet oder nüscht - selbstorganisiert gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung" setzte in der Hoffnung auf breite Anschlussfähigkeit auf die Themen Gentrifizierung, Repression sowie Rassismus. Die Teilnehmerzahl - vorwiegend aus dem bürgerlichen Spektrum - bewegte sich mit 2 900 Personen in etwa im Bereich der Vorjahre. Der Aufzug verlief weitgehend störungsfrei. Auch er markiert das Dilemma, in dem sich die autonome Szene befindet: Größere Teilnehmerzahlen an Veranstaltungen sind nur zu erreichen, wenn Themen so gefasst sind, dass sie viele Menschen ansprechen und die Verläufe von Kundgebungen und Demonstrationen nicht von so genannten "Schwarzen Blöcken" und gewalttätigen Ausschreitungen gekennzeichnet sind. Bleibt man unter sich, wird immer wieder mangelnde Wirksamkeit beklagt. 126 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 North East Antifascists (NEA) Gründung: 2007 Mitglieder: ca. 25 (2013: ca. 25) Die NEA sind eine autonome Antifa-Gruppierung, die neben der "radikalen linken | berlin" eine führende Rolle in der linksextremistischen Szene Berlins einnimmt. 2007 gegründet, zeichnet sie, dem Namen gemäß, für antifaschistische Aktionen im Nordosten der Stadt verantwortlich, beteiligt sich aber auch an berlinweiten und überregionalen Aktivitäten und kooperiert anlassbezogen mit anderen autonomen Gruppen. In den letzten Jahren war sie federführende Organisatorin der "Antikapitalistischen Walpurgisnacht". In einer Selbstdarstellung bezeichnen die NEA ihr ideologisches Fundament als "libertär" und verorten sich zwischen Anarchismus und Kommunismus. Sie stehen nicht nur für einen militanten Anti-Faschismus, sondern fordern, "die Kämpfe gegen Nazis, Bullen und Kapitalismus [zu] vereinen!". Breiteren Anschluss suchen sie vor allem mit den Themen Gentrifizierung und Flüchtlingsunterstützung. Die NEA treten nach außen vergleichsweise gemäßigt auf und verzichten darauf, ihre Gewaltbereitschaft allzu plakativ zur Schau zu stellen. Die Kernveranstaltung der linksextremistischen Szene, die so genannte "18-UhrDemo" zum "Revolutionären Ersten Mai" startete 2014 unter dem Motto "Gegen Krise, Krieg und Kapital - Widerstand, Aufstand, Revolution" traditionell vom Lausitzer Platz in Kreuzberg mit dem Ziel SPD-Bundeszentrale in der Wilhelmstraße. Dieses Ziel steht symbolisch für zahlreiche Proteste gegen und Angriffe auf Parteien im Jahr 2014, die sämtlich in Zusammenhang mit der Haltung dieser Parteien zu der Flüchtlingsdebatte stehen, die von Linksextremisten kritisiert wird. Hauptorganisatoren waren, wie bereits in den vorangehenden Jahren, die "Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin" (ARAB) sowie erstmals die "Neue antikapitalistische Organisation" (NaO). Die Teilnehmerzahl stieg von 3 500 Personen, die sich an der Auftaktkundgebung beteiligten, im Verlauf der Demonstration auf 19 000 an. Insgesamt verlief auch diese Veranstaltung friedlich. Die Zahl der demonstrationsbegleitenden Straftaten in Form von Pyrotechnik-, Steinund Flaschenwür- Linksextremismus 127 fen auf Polizeibeamte sowie Sachbeschädigungen an der Aufzugstrecke ging im Vergleich zu den Vorjahren noch einmal zurück.77 Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass es der linksextremistischen Szene zwar nach wie vor gelingt, hohe Teilnehmerzahlen für Demonstrationen zu mobilisieren, diese sind jedoch zunehmend bürgerlich geprägt. "Schwarze Blöcke" sowie "autonome Gewalt" spielen - zumindest in den letzten Jahren - keine, die Veranstaltungen prägende, Rolle mehr. Die Szene kommentierte die Ereignisse rund um den 1. Mai z.T. ratlos, aber auch zynisch-resignierend: 4 "Es ist nicht gelungen, die Proteste am 1. Mai an aktuell brisante politische Themen anzubinden. Kreuzberg in den 1980ern, der 1. Mai 1987, die Herausforderung und der kurzfristige Sieg über die Staatsmacht - das hatte eine solche Strahlkraft, dass der Mythos bis heute am 1. Mai die Menschen nach Kreuzberg zieht - Linke wie Touristen. Allerdings hat sich deren Verhältnis inzwischen umgekehrt. 'Früher Flaschen, heute gaffen'." 78 Autonome Antifa in der Krise Auf der Suche nach politischen PerspekAnti-Faschismus tiven ist insbesondere die autonome In der Bekämpfung des RechtsexAntifa. Eine Welle fremdenfeindlicher tremismus existiert ein breiter geGewalt und zunehmende Wahlerfolsellschaftlicher Konsens, den autoge rechtsextremistischer Parteien nome "Antifa"-Gruppierungen zu hatten seit Anfang der 1990er Jahre teils überregionalen Bündnissen mit zu vielfältigen Zusammenschlüssen zivilgesellschaftlichen Organisatiovon Autonomen mit dem Ziel geführt, nen, Parteien und Gewerkschaften sich und andere vor Übergriffen von nutzen, um aus ihrer gesellschaft"Rechten" zu schützen, Informationen lichen Isolation herauszutreten. Sie auszutauschen und gesamtgesellvereinbaren einen "Aktionskonsens" schaftlich gegen das Wiedererstarken und organisieren gemeinsame Blofaschistischer Ideologien zu wirken. ckaden gegen rechte Aufmärsche. Diese Gruppen waren (im Gegensatz Dadurch gerät oftmals in den Hin77 Gleichwohl wurden mehr Polizeibeamte verletzt (2014: 61) als 2013 (43). 2012 waren es jedoch noch mehr als doppelt so viele (126). 78 "Berlin: 25.000 auf revolutionärer (sic!) 1. Mai-Demo" auf der Internetpräsenz "linksunten" mit Datum vom 2.5.2014, abgerufen am 5.1.2015. 128 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 zum autonomen Anti-Faschismus der tergrund, dass diese Gruppen ebenso 1980er Jahre) oftmals offen, ihre Akwie Rechtsextremisten die freiheitteure kamen aus vielfältigen Spektren. liche demokratische Grundordnung Identitätsstiftend war neben dem "Anablehnen. Ihre Bündnispartner nuttifa-Logo", das von kommunistischen zen sie als Deckung für militante AkVorbildern aus den 1920er und 1930er tionen - auch gegen die Polizei. Der Jahren übernommen worden war, die Staat und seine Sicherheitsbehörden grundlegende Theorie, dass Faschiswerden pauschal verunglimpft. Explimus im Kapitalismus begründet liege zit wird - entgegen dem staatlichen und dass insofern jede im weitesten Gewaltmonopol - die Notwendigkeit Sinne kapitalistische Gesellschaft per einer "antifaschistischen Selbsthilse auch faschistisch sei (so genannte fe" betont. Dabei begehen "Antifas" Dimitroff-These79). Sachbeschädigungen an rechten Läden und Lokalen, stören VeranstalEs gelang der autonomen Antifa durch tungen, spähen Daten vermeintlicher fundierte Recherche und kluge Bündoder tatsächlicher Neonazis aus und nispolitik seinerzeit schnell, zu einem veröffentlichen diese - im Szenejarwichtigen Akteur im Hinblick auf die gon als "Outings" bezeichnet - mit gesellschaftliche Ächtung von Fremdem Ziel der Einschüchterung bis hin denfeindlichkeit und Rechtsextremiszu gewalttätigen Angriffen. mus zu werden. Sie bewegte sich zu diesem Ziel weit heraus aus im Allgemeinen nach außen hermetisch abgeschlossenen und im Hinblick auf Bündnispolitik in der Regel dogmatischen autonomen Zirkeln. Zugunsten eines vermeintlich höheren Ziels - der Bekämpfung von Rechtsextremismus (in ihrer Sprache: Faschismus) - wurde somit in diesem Politikfeld die Organisationsund Theoriefeindlichkeit der Autonomen erstmals deutlich aufgeweicht. Große Gruppen wie die "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB), die ARAB und die NEA hatten in den letzten Jahren die dominierende Rolle im Berliner Linksextremismus inne. Die Auflösung bzw. Wandlung von ALB und ARAB80 sind deshalb ein deutlicher Indikator für eine tief reichende Krise der Antifa. 79 Diese These wurde maßgeblich durch den Bulgaren Georgi Dimitroff (1882-1949) im Hauptreferat auf einem Kongress der Komintern 1935 geprägt. Sie behauptet, dass Faschismus "die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals" sei. In diesem Sinne wären alle kapitalistischen Systeme potenziell faschistisch. 80 S. Kapitel 4.3.2. Linksextremismus 129 "Unseres Erachtens befindet sich die klassische Antifa-Bewegung in einer Krise. (...) Der Rassismus der Mitte, der europaweite Erfolg rechter und rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen und auch der Sozialchauvinismus in weiten Teilen der Bevölkerung bedürfen neuer Ansätze und Antworten durch die antifaschistische Bewegung. (...) Eine Antifa-Bewegung, die erfolgreich sein will, muss sich in einen Reflexionsprozess begeben und ihre Aktionen und Aktionsformen (...) anpassen." 81 Proteste im Zusammenhang mit der Errichtung von Flüchtlingsunterkünften Diese Krise manifestiert sich u.a. im Zusammenhang mit Protesten gegen die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften in verschiedenen Bezirken Berlins. Bei von 4 Rechtsextremisten initiierten Demonstrationen gingen Ende 2014 u.a. in Marzahn-Hellersdorf, in Treptow-Köpenick, in Pankow und in weiteren Bezirken Menschen regelmäßig auf die Straße, um gegen die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften in den betreffenden Bezirken zu protestieren. Für eine funktionierende Antifa wäre es ihrem Selbstverständnis nach eine elementare Aufgabe, entweder diese Proteste durch Gegenund Störaktionen ganz zu verhindern oder ihnen zumindest nennenswerte Gegenwehr entgegenzusetzen. Tatsächlich gelang dies im Berichtszeitraum oftmals nicht. In zahlreichen Internetveröffentlichungen wurde selbstkritisch analysiert, dass die autonome Antifa dieser Bewegung nichts entgegenzusetzen habe. Es seien dauerhaft zu wenige "Antifas" zu mobilisieren gewesen. Die Gründe hierfür lägen zum einen darin, dass eine "Strategie der ständigen Mobilisierung zu Gegendemos, die im Dunkeln durch unbekannte Gebiete führ(t)en, weder erfolgreich sein (könnten) noch der Komplexität des Themas und des Problems gerecht" werde.82 Darüber hinaus habe eine "jahrelange Politik von 'Blockieren und Events'" in der autonomen Antifa eine "Generation von Konsumenten hervorgerufen, deren Risikobereitschaft sehr gering" sei.83 Diese Äußerung deutet darauf hin, dass aus Sicht der Antifa bewährte Strategien nur in Gegenden realisierbar sind, in denen das Terrain vertraut und Protestformen ritualisiert sind. 81 "Alles geht weiter?!" auf einer linksextremistischen Internetpräsenz mit Datum vom 8.9.2014, abgerufen am 5.1.2015. 82 "Strategiediskussion/-Vorschläge: antifaschistische Proteste in Marzahn/Buch/Köpenick" auf der Internetpräsenz "linksunten" mit Datum vom 26.11.2014, abgerufen am 5.1.2015. 83 Ebd.: Kommentar "Küsst die Faschisten wo ihr sie trefft". 130 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Dem entsprechen auch Aussagen, man könne vor Ort nicht auf Kooperationspartner zurückgreifen, mit denen gemeinsame Aktionen durchgeführt bzw. Bündnisse etabliert werden könnten - die Antifa sei stattdessen von bürgerlichen Akteuren verdrängt worden (mit denen sie jedoch ihrerseits nicht kooperieren will). "Alles in allem bleibt (...): Wenn wir nur das können, dann wird die "Antifa" keine gesellschaftlich relevanten Positionen erkämpfen. Wir können uns dann als die Reservearmee für Bürgerproteste aus unseren Altbauwohnungen in die Platte karren lassen, um da eine Show abzuziehen, die an Peinlichkeit nur noch zu übertreffen wäre, wenn wir dabei Clownsnasen trügen." 84 Ende des Jahres gelang es aus Sicht der autonomen Antifa zumindest, die Zahl der Demonstranten gegen die Proteste gegen die Errichtung von neuen Flüchtlingsunterkünften so zu steigern, dass diese zahlenmäßig in der Mehrheit waren. Dies ist jedoch nicht nur auf eigene Anstrengungen zurückzuführen, sondern auch darauf, dass die betreffenden Bezirke und damit die Politik zu bürgerschaftlichem Engagement aufgerufen hat, ein Bekenntnis zu Toleranz und gegen Rechtsextremismus durch Teilnahme an entsprechenden Demonstrationen abzugeben. Eigene strukturelle Schwäche und die sich daraus ergebende mangelnde Präsenz und Ansprechbarkeit, vor allem jedoch das Fehlen eines zeitgenössischen antifaschistischen Selbstverständnisses und, damit verknüpft, eine klare, anschlussfähige Positionierung in Hinblick auf die gegenwärtigen "Antifa"-Themen sind sicherlich relevante Faktoren, die zu einer Krise der autonomen Antifa beigetragen haben. Hinzu kommt der bislang gescheiterte Versuch, über eine Verknüpfung von Themenfeldern (Anti-Faschismus und Anti-Rassismus z.B. mit Anti-Kapitalismus) eine größere Schlagkraft zu erreichen. Faktisch trug dies ebenfalls zu einer fehlenden Konturierung bei, die letztlich zu einer weiteren Schwächung führte. 4.3.2 Frustration und Orientierungslosigkeit - Lösungsstrategien Auflösung, Transformation oder Neugründung Orientierungslosigkeit, Ratlosigkeit, das Gefühl der Ohnmacht und eine kontinuierliche Diskussion über Wege aus der ("Identitäts"-)Krise wirkten sich 2014 sehr 84 "In Schildkrötenformation zum SPD-Stand - Antifa, wir müssen reden!" auf einer linksextremistischen Internetpräsenz mit Datum vom 8.12.2014, abgerufen am 5.1.2015. Linksextremismus 131 nachhaltig auf die Strukturen der linksextremistischen Szene Berlins aus. Es gelang nicht, gemeinsame und damit effektive Perspektiven für eine Neuausrichtung zu entwickeln. Mit der "Antifaschistischen Linken Berlin" gab schließlich im September eine der lange Zeit sowohl in Berlin wie auch bundesweit einflussreichsten autonomen Gruppierungen ihre Auflösung bekannt. Diese Entwicklung kam nicht überraschend. Die ALB war nach internen Zerwürfnissen und einem "Spitzelvorwurf" bereits 2012 zeitweise handlungsunfähig und hatte ihre dominierende Rolle in der Szene bereits vor längerer Zeit eingebüßt. Antifaschistische Linke Berlin (ALB) 4 Gründung: 2003 Mitglieder: ca. 30 (2013: ca. 30-40) Die ALB war jahrelang die bedeutendste autonome Gruppierung Berlins und dürfte bundesweit noch immer die bekannteste sein. Sie ist im Jahr 2003 aus der Spaltung der "Antifaschistischen Aktion Berlin" (AAB) hervorgegangen und trat regelmäßig als Veranstalter größerer Kampagnen und Demonstrationen in Erscheinung, z.B. der "Silvio-Meier-Gedenkdemonstration". Dabei kooperierte sie nicht nur mit Linksextremisten, sondern schloss auch anlassbezogene Bündnisse mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, u.a. bei Protesten gegen rechtsextremistische Großaufmärsche. Sie zielte auf eine Radikalisierung gesellschaftlicher Konflikte, da nach ihrer Auffassung das System nicht reformiert, sondern "nur durch eine entschlossene revolutionäre Bewegung" überwunden werden könne. Nach internen Zerwürfnissen hat die ALB sukzessive an Mitgliedern und Einfluss verloren und geriet zunehmend in einen Spagat zwischen autonomem Habitus und postautonomer Organisierung. Im September 2014 erklärte die Gruppe schließlich ihre Auflösung. Da ihre ehemaligen Mitglieder zu den einflussreichsten Akteuren der linksextremistischen Szene Berlins gehören, ist davon auszugehen, dass sie sich in anderen Zusammenhängen - u.a. der "radikalen linken|| berlin" bzw. der "Interventionistischen Linken" - neu organisieren werden. Die Gruppe beschreibt in der Auflösungserklärung, dass sie vor allem an der Uneinigkeit darüber zerbrochen ist, ob man eine im Selbstverständnis und Auftreten autonome Gruppierung mit dem Schwerpunkt "Antifa" bleiben oder sich im Sin- 132 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 ne postautonomer Organisierungsstrategien transformieren solle. Letzteres bedeutet, durch den Aufbau überregionaler Strukturen und die Besetzung öffentlich anschlussfähiger Themen, der offenen wie verdeckten Kooperation mit zivilen Akteuren sowie nicht zuletzt einem weniger martialischen Auftreten die gesellschaftliche Isolation "traditioneller" Autonomer zu überwinden. Ein solcher Weg ist mit einer selbstermächtigten "Politik der ersten Person" und dem Habitus eines "Schwarzen Blocks" auf Dauer nicht kompatibel - auch, wenn die ALB diesen Spagat lange durchgehalten hat. Ihre Auflösung spiegelt das zugrunde liegende Dilemma von Autonomen wider.85 "Das Maß scheint voll und das Glas ist scheinbar leer ... (...) Wir haben uns nicht im Streit zur Auflösung der ALB entschlossen, doch mittlerweile sind die Ideen, Strategien und Ziele zu unterschiedlich, die wir hinsichtlich einer linksradikalen Praxis, Organisierung und Perspektive haben. (...) Dies ordnet sich unseres Erachtens in einen größeren Zusammenhang ein. Die radikale Linke in Deutschland und weiten Teilen Europas scheint sich in einer Krise zu befinden. Ehemals bewährte Konzepte und Ansätze eignen sich nur noch bedingt für die politischen Fragen unserer Zeit." 86 Die Mitglieder der ALB werden sich z.T. in anderen autonomen Gruppen wie der "radikalen linken|| berlin", und z.T. in der "Interventionistischen Linken", einem bundesweiten Bündnis autonomer und postautonomer Gruppierungen mit mehreren hundert Mitgliedern, wiederfinden. Diese Aufsplitterung entspricht dem Riss, der vor der Spaltung durch die Gruppe ging - und der letztlich auch durch die autonome Szene geht. Er versinnbildlicht das Dilemma, sich einerseits neu ausrichten zu müssen, u.a. um anschlussfähiger und damit "wirkmächtiger" zu werden, andererseits jedoch an autonomen Grundsätzen festhalten zu wollen. Dass die Mitglieder der ALB auch nach ihrer formalen Auflösung noch Einfluss in der linksextremistischen Szene Berlins besitzen, zeigt u.a. die traditionelle "SilvioMeier-Gedenkdemonstration" - nach dem "Revolutionären Ersten Mai" die wichtigste alljährliche Veranstaltung für Berliner Linksextremisten. Sie wurde auch 2014 am 22. November unter dem Motto "Antifa heißt Kampf um's Ganze!" mit bis zu 1 600 Teilnehmern durchgeführt. Sie war bereits in den Jahren zuvor von 85 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2013. Berlin 2014, S. 156. 86 "Alles geht weiter?!", Auflösungserklärung der ALB auf einer linksextremistischen Internetpräsenz mit Datum vom 8.9.2014, abgerufen am 5.1.2015. Linksextremismus 133 der ALB federführend vorbereitet worden. Es ist davon auszugehen, dass ihre (ehemaligen) Mitglieder auch in diesem Jahr an der Vorbereitung und Durchführung zumindest beteiligt waren. Bei dieser Demonstration wurde seitlich des Frontblocks ein Transparent "radikale linke | berlin" gezeigt, einer Gruppe, die schließlich Ende des Jahres 2014 mit einer Internetpräsenz sowie Accounts in sozialen Netzwerken an die Öffentlichkeit ging. Sie bezeichnet sich als "Gruppe im Aufbau", in der sich Menschen zusammengefunden hätten "mit politischer Praxis aus verschiedenen Strömungen, von ML bis autonomer Klein- 4 gruppe, von Antifa bis Anarchismus." 87 Ziel sei es, sich "mit einer klaren revolutionären Positionierung in die verschiedenen Kämpfe" einzubringen und "Strategien und Taktiken zu entwickeln, um diese Kämpfe auch zu gewinnen".88 Bei dieser Neugründung dürfte es sich um einen weiteren Versuch handeln, Zersplitterung und Vereinzelung zu überwinden und unabhängig von ideologischen Ausrichtungen ein Sammelbecken zu installieren mit dem Ziel, gemeinsam größere politische Wirksamkeit entfalten zu können. Federführend dürften erfahrene Mitglieder der ehemaligen ALB sein, worauf auch die Betonung der antifaschistischen Ausrichtung der "radikalen linken | berlin" hindeutet.89 Aufgrund der langjährigen Erfahrung der beteiligten Aktivisten sowie deren vielfältiger Kontakte ist davon auszugehen, dass die "radikale linke | berlin" zunächst weiter anwachsen und eine bedeutende Rolle in der linksextremistischen Szene einnehmen dürfte. Ob jedoch der strategische Konsens jenseits aller ideologischen Differenzen dauerhaft trägt, bleibt abzuwarten. 87 "Wer wir sind" auf einer linksextremistischen Internetpräsenz mit Datum vom 26.12.2014, abgerufen am 5.1.2015. 88 Ebd. 89 Rubrik "Theorie" auf einer linksextremistischen Internetpräsenz (ohne Datum), abgerufen am 5.1.2015. 134 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 radikale linke | berlin (rlb) Gründung: 2014 Mitglieder: ca. 20-30 Die "radikale linke | berlin" wurde Ende 2014 gegründet, nach eigenen Aussagen von "Menschen mit politischer Praxis aus verschiedenen Strömungen, von ML bis autonomer Kleingruppe, von Antifa bis Anarchismus".90 Es handelt sich somit um ein Sammelbecken, in dem sich u.a. Mitglieder der ehemaligen ALB, der erodierenden ARAB sowie anderer autonomer Gruppierungen neu organisieren mit dem Ziel, die Kleingruppenisolation zu überwinden und in größerem Verbund politisch handlungsfähiger zu werden. Bemerkenswert und ein Bruch mit traditionellen Gewohnheiten ist hierbei, dass ideologische und strategische Differenzen offensichtlich zurückgestellt werden, zugunsten einer Kooperation. Wenn die Gruppe in einer Erklärung ausdrücklich erklärt, Militanz sei nicht das einende Element der Mitglieder, ist damit keine ausdrückliche Abkehr von Gewalt als Mittel zur Erreichung politischer Ziele verbunden. 90 Nach der ALB geht mit der "Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin" (ARAB) schließlich eine weitere der bedeutendsten autonomen Gruppierungen Berlins neue Wege. Auch hier spielten die Widersprüchlichkeiten zwischen militantem Kleingruppenaktionismus und an breiter Anschlussfähigkeit orientierten Organisierungsstrategien, wie sie für einen großen Teil der Autonomen Berlins aktuell kennzeichnend sind, eine Rolle. Bereits seit Jahren beobachtet der Verfassungsschutz Berlin diese Polarisierung innerhalb der Szene, die auf der einen Seite in immer mehr und kleinere Cliquen zerfällt, die auf Militanz als Selbstzweck setzen, und auf der anderen Seite immer größer werdende und zunehmend überregional agierende Zusammenschlüsse entstehen lässt. 90 "Wer wir sind" auf einer linksextremistischen Internetpräsenz mit Datum vom 26.12.2014, abgerufen am 5.1.2015. Linksextremismus 135 Die ARAB gab schließlich auf ihrer Internetpräsenz und in sozialen Netzwerken bekannt, dass sie sich der "Neuen antikapitalistischen Organisation" (NaO) anschließt.91 Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (ARAB) Gründung: 2007 Mitglieder: ca. 10 (2013: 20) Die ARAB war lange eine der aktivsten und einflussreichsten autonomen Grup- 4 pierungen Berlins und ist noch immer wahrnehmbar. Sie wurde erst 2007 gegründet, hat sich aber in kurzer Zeit innerhalb der linksextremistischen Szene der Stadt breit vernetzt. Sie beteiligte sich an vielen relevanten Szeneereignissen und organisierte diese oft selbst federführend, wie die Demonstration zum "Revolutionären Ersten Mai". Darüber hinaus war sie in überregionalen Bündnissen aktiv und engagierte sich in internationalen Zusammenhängen, vor allem zu Griechenland und in der Kurdenfrage. Eher untypisch für Autonome bekennt sich die ARAB zum Kommunismus als politischem Ziel. In einem Grundsatzpapier propagiert sie einen militanten Anti-Faschismus und verknüpft diesen mit dem Kampf gegen "Staat, Nation und Kapital", der auch gewalttätige Aktionen gegen Institutionen aus Staat und Wirtschaft rechtfertige. Die ungesteuerte Gewaltbereitschaft einiger ihrer Mitglieder hat zu Personalverlusten bei der ARAB geführt und ihr Ansehen in der Szene beschädigt. Ende 2014 schloss sie sich - auch, um einer drohenden Auflösung vorzubeugen - der "Neuen antikapitalistischen Aktion" (NaO) an. Grund des Anschlusses sei u.a., dass soziale Kämpfe nicht in zersplitterten Kleingruppen geführt werden und revolutionären Charakter entfalten könnten, sondern nur auf Basis einer breiten, möglichst bundesweiten bis internationalen Organisierung. Versuche, sich dahingehend mit undogmatischen Gruppierungen - z.B. in der "Interventionistischen Linken" (IL) - zu vernetzen, seien gescheitert. Für den Zusammenschluss mit der NaO seien weniger die theoretischen Gemein91 Zu einer in verschiedenen Stellungnahmen kolportierten "Auflösung" der ARAB in die NaO stellt die Gruppe klar: "Wir lösen uns nicht auf, wir werden Teil der Neuen antikapitalistischen Organisation (NaO)", in: "Das linke Zirkelwesen überwinden" auf der Internetpräsenz "taz" mit Datum vom 16.10.2014, abgerufen am 5.1.2015. 136 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 samkeiten ausschlaggebend gewesen, als die "politische Praxis auf der Straße".92 "Von Anfang an hat die ARAB die Position vertreten, dass man wieder stärker klassenpolitische und antagonistische Politik machen soll und (...) dass man stärker internationalistische Themen aufgreifen soll, dass man stärker bei sozialen Kämpfen intervenieren soll. Und das sind schon Sachen, die uns - bei allen Gemeinsamkeiten - ein bisschen von der autonomen Antifabewegung (...) getrennt haben. (...) Es war (...) immer Perspektive der ARAB, dass wir Teil eines Vereinigungsprozesses der Linken sein wollen." 93 Tatsächlich ist mit dem Anschluss an Anti-Kapitalismus die NaO vorerst nicht von einer AuflöAnti-Kapitalismus im linksextremissung der ARAB auszugehen. Dies ertischen Verständnis bezieht sich gibt sich schon aus dem so genannten auf Karl Marx, nach dessen Theo"Manifest der Neuen antikapitalistirie mit den Produktionsauch die schen Organisation"94, in dem diese Herrschaftsverhältnisse überwunsich eher in der Rolle einer Dachorden werden sollen. Der Kampf geganisation sieht und erklärt, dass die gen das "kapitalistische System" hat darin vertretenen Organisationen und für Linksextremisten deshalb nicht Gruppierungen weiter fortbestehen. nur die Abschaffung der marktwirtschaftlichen Ordnung, sondern auch Bereits seit Anfang 2014 kooperierten der parlamentarischen DemokraARAB und NaO in zunehmender Intentie zum Ziel. Im Kapitalismus sehen sität. Dies wurde u.a. durch die tragensie u.a. die Ursache für Kriege (Imde Rolle deutlich, welche die NaO an perialismustheorie) und Faschismus der Seite der ARAB im Vorbereitungs(Dimitroffthese). Und selbst Anarbündnis zum "Revolutionären Ersten chisten finden im - von ihnen so Mai" 2014 eingenommen hat. bezeichneten - "Schweinesystem" Der Beitritt der ARAB zur NaO ist jeErklärungen für vermeintliche staatdoch auch die Folge eines schleichenliche Repression sowie die Verdränden Erosionsprozesses der Gruppe gung aus "Freiräumen". Durch weltund in der Wirkung auf ihre endgültiweite Wirtschaftsund Finanzkrisen ge Spaltung angelegt. Die ARAB war in 92 "Eine Frage der Praxis" auf einer linksextremistischen Internetpräsenz mit Datum vom 14.10.2014, abgerufen am 5.1.2015. 93 "ARAB wird zur NaO: Eine Frage der Praxis" auf einer linksextremistischen Internetpräsenz mit Datum vom 14.10.2014, abgerufen am 5.1.2015. 94 "Manifest für eine Neue antikapitalistische Organisation" auf einer linksextremistischen Internetpräsenz mit Datum vom 15.12.2013, abgerufen am 5.1.2015. Linksextremismus 137 den letzten Jahren die führende autoam Beginn des neuen Jahrtausends nome Gruppierung Berlins - insbesonhat die Marxsche Kapitalismusanadere durch die Organisation des "Relyse und damit der "klassische" Anvolutionären Ersten Mai" -, hat durch ti-Kapitalismus eine Renaissance interne Streitigkeiten und eine teils erlebt. Viele Menschen fühlen sich eher unpolitische Gewaltorientierung zudem dem ökonomischen, politijedoch an Größe, Ansehen und Einschen, sozialen und auch kulturellen fluss in der Szene verloren. Einer der Veränderungsdruck einer "entfesselHauptgründe für die Zwistigkeiten ten" Globalisierung nicht gewachsen. war, dass sich die Gruppe in der nach In per se nicht-extremistischen, aber außen getragenen Ideologie ihrer füh- 4 globalisierungskritischen Bewegunrenden Köpfe anti-imperialistisch gab, gen hoffen Linksextremisten daher ein großer Teil der Mitglieder in SelbstBündnispartner für ihre systemüberverständnis und Auftreten aber eher windenden Ziele zu finden. der "Antifa"-Szene zuzuordnen war. Gerade auf deren Seite war zuletzt ein erheblicher Mitgliederschwund zu verzeichnen. Der Anschluss an die NaO zementiert diese Spaltung. Einige ehemalige Mitglieder der ARAB dürften sich in der neu gegründeten "radikalen linken | berlin" engagieren. Neue antikapitalistische Organisation (NaO) Gründung: 2014 Mitglieder: Berlin ca. 30-40 Die "Neue antikapitalistische Organisation" (NaO) stellt sich bislang als ein Zusammenschluss vorwiegend trotzkistischer Splittergruppierungen mit Schwerpunkt in Berlin dar. Diesem ging ein 2011 begonnener, zäher Diskussionsprozess voraus, als dessen Ziel ausgegeben wurde, die Differenzen zwischen verschiedenen antikapitalistischen Strömungen zu überwinden. Bislang gibt es sechs Ortsgruppen. Die Berliner Ortsgruppe wurde formal am 15. Februar 2014 gegründet. Eine ideologische Klammer zwischen eher anti-imperialistisch ausgerichteten Teilen der ARAB und der trotzkistischen NaO liegt im Internationalismus, zurzeit sichtbar am Engagement für die von der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) bedrohten kurdischen Regionen in Syrien. Hier hat man u.a. gemeinsam eine Spendenaktion für Waffenkäufe or- 138 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 ganisiert. Dass die NaO Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele nicht grundsätzlich ablehnt, wird in folgender Aussage deutlich: "Wir diskutieren gemeinsam in der Bewegung, was uns weiterhilft, und wenn das Gewalt ist, ist es Gewalt." 95 So genannte Postautonome können schließlich als Weiterentwicklung der "klassischen" Autonomen verstanden werden. Auch sie sind damit letztlich Ausdruck einer Krise des undogmatischen Linksextremismus. Die organisatorische und strategische Weiterentwicklung unter dem Aspekt, durch Zusammenschluss zum einen eine größere Wirkmächtigkeit zu erlangen und zum anderen ein Scharnier zwischen gewaltbereiten Linksextremisten und bürgerlichen Linken bilden zu wollen und so eine größere Anschlussfähigkeit auch nach außen zu sichern, wird von ihnen als Ausweg aus der Krise angesehen. Durch den Aufbau überregionaler Strukturen, die Besetzung öffentlich anschlussfähiger Themen und der - offenen wie verdeckten - Kooperation mit zivilen Akteuren sowie nicht zuletzt einem weniger martialischen Auftreten soll die gesellschaftliche Isolation "traditioneller" Autonomer überwunden werden. Postautonome meiden "Schwarze Blöcke" und beteiligen sich vordergründig nicht an Randaleritualen, allerdings distanzieren sie sich auch nicht vom Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele. Als vermittelnde Instanz, mit dem sie z.T. grundverschiedene Akteure in gemeinsamen militanten Protesten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu einigen versuchen, dient der interpretationsoffene Begriff des "zivilen Ungehorsams". Eine bundesweite Organisationsform der Postautonomen ist die "Interventionistische Linke" (IL). Zu ihr gehören neben den Gruppierungen "Für eine linke Strömung" (F.e.l.S.) und "Avanti - Projekt undogmatische Linke" Teile der ehemaligen ALB, die auch nach deren Auflösung ein Verbindungsglied zu den "klassischen" Autonomen bilden. 2014 ist der Organisationsprozess der IL weiter fortgeschritten. Avanti hat als erste IL-Gruppierung in sämtlichen Ortsgruppen, darunter auch in Berlin, beschlossen, sich zukünftig nur noch als Mitgliedsorganisation der IL und nicht mehr als eigenständige Organisation zu verstehen. In einer Erklärung zu diesem Schritt heißt es unter dem Motto "25 Jahre Avanti - Ab jetzt sind wir Interventionistische Linke": 95 "Eine Frage der Praxis" auf einer linksextremistischen Internetpräsenz mit Datum vom 14.10.2014, abgerufen am 5.1.2015. Linksextremismus 139 "Diese Erklärung ist absehbar die letzte, die wir als "Avanti - Projekt undogmatische Linke" unterzeichnen. Sie ist dennoch kein Auflösungspapier. Wir berichten nicht von Zerwürfnissen oder Scheitern, sondern von unserem gemeinsamen Aufbruch - in und mit der Interventionistischen Linken (IL), die im Begriff ist, zu einer lokal verankerten, bundesweit handlungsfähigen und europäisch vernetzten linksradikalen Organisation zu werden." 96 Interventionistische Linke (IL) Gründung: 1998 4 Mitglieder: Berlin ca. 170-190 (2013: 150-170) Die "Interventionistische Linke" ist ein bundesweiter Zusammenschluss überwiegend postautonomer Gruppierungen, der 1999 bzw. 2005 mit dem Ziel gegründet wurde, die gesellschaftliche (und politische) Isolation "klassischer" Autonomer zu überwinden. Der Aufbau überregionaler Strukturen, die Besetzung gesellschaftlich relevanter Themen sowie ein gemäßigteres Auftreten sollen eine Anschlussfähigkeit an breite Bevölkerungskreise ermöglichen. In der IL sind inzwischen zahlreiche relevante postautonome Gruppierungen organisiert. Ein Ziel des Prozesses hin zu einer "Organisationswerdung" ist, dass diese Gruppierungen ihre Autonomie aufgeben und sich in die IL hinein auflösen. So haben die diversen Ortsgruppen von "Avanti - Projekt undogmatische Linke" im Herbst 2014 erklärt, sich fortan nur noch als IL-Gruppierung zu verstehen.97 Damit sei jedoch keine Auflösung der Gruppierungen verbunden. Dieser Schritt anderer IL-Gruppen steht noch aus. Avanti, aber auch F.e.l.S. versuchen, das Etikett "Autonome" zu überwinden und über die Szene hinaus zu wirken, indem man den Schulterschluss mit anderen politischen und sozialen Akteuren sucht. Erklärtes Ziel ist, durch eigene politische Arbeit innerhalb des Systems Akzeptanz für eine revolutionäre Organisation zu schaffen, die perspektivisch von einer Mehrheit als Alternative angesehen werden könne. Revolutionäre Zielsetzungen müssten deshalb mit nachvollziehbaren und erreichbaren Tagesforderungen verbunden werden. Zur Berliner IL gehören neben Avanti und F.e.l.S. auch Mitglieder der ehemaligen ALB und weitere Akteure. 97 96 Ebd. 97 "25 Jahre Avanti - ab jetzt sind wir Interventionistische Linke" auf einer linksextremistischen Internetpräsenz mit Datum vom 28.9.2014, abgerufen am 5.1.2015. 140 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Entscheidende Voraussetzung für den Erfolg postautonomer Gruppierungen ist es, das "richtige" Thema zu finden, mit dem sich über die Szene hinaus politisch Interessierte und Engagierte mobilisieren lassen. Unter anderem Stadtumstrukturierung, Mietsteigerungen, Zwangsräumungen, lokale Energieversorgung und nicht zuletzt Flüchtlinge bzw. die Unterstützung von Flüchtlingsprotesten gehören zu den Politikbereichen, in denen Postautonome "intervenieren". Alle diese Themen sind mit unterschiedlicher Aktualität von hoher allgemeingesellschaftlicher Relevanz und insofern in der Öffentlichkeit sehr präsent, werden kontrovers diskutiert und bieten vielfältige Verknüpfungsmöglichkeiten in zahlreiche Gesellschaftsbereiche hinein. Linksextremisten gerieren sich in diesen Zusammenhängen nach außen stets als Unterstützer für eine gerechte Sache - ohne dass ihre über den konkreten Problembereich weit hinausreichende Strategie des Umsturzes der bestehenden politischen Ordnung erkennbar wird. Postautonome sind hierbei auch deshalb besonders erfolgreich, weil sie häufig sehr gut ausgebildet sind, in der Regel nicht mehr ganz jung und nach außen im Gewand eines bürgerlichen Habitus auftreten. Dass sie gleichwohl Gewalt zur Erreichung ihrer Ziele nicht ablehnen, geben sie offen zu.98 Für eine linke Strömung (F.e.l.S.) Gründung: 1991 Mitglieder: ca. 120-130 (2013: 100-120) Die postautonome Gruppierung "Für eine linke Strömung" bezeichnet sich selbst als Initiative, die sich um die Weiterentwicklung linksradikaler Politik bemühe. Sie gründete sich 1991 - nach eigenen Aussagen in der Folge einer Debatte um den Zustand und die Perspektiven der Autonomen. Sie kritisiert die Theoriefeindlichkeit, geringe Verbindlichkeit und subkulturelle Selbstbezogenheit, mit der sich die Szene in eine Sackgasse manövriert habe. Dagegen setzt F.e.l.S. organisatorische Strukturen mit nahezu unabhängig voneinander agierenden Arbeitsgruppen in einer Vielzahl von Aktionsfeldern wie AntiFaschismus, internationale Solidarität, soziale Kämpfe, Klima und Energie. Das zentrale strategische Ziel dabei ist, mit möglichst vielen gesellschaftlichen Akteuren Allianzen zu schließen, um in einem längerfristigen Prozess auf diese Einfluss nehmen zu können. F.e.l.S. vernetzt sich in lokalen Kampagnen und 98 Vgl. hierzu IL auf Twitter, Posting vom 3.1.2015, abgerufen am 5.1.2015. Linksextremismus 141 überregionalen Bündnissen. Die Mitgliedschaft in der bundesweit verbreiteten "Interventionistischen Linken" (IL) ist Teil ihrer Bestrebungen zum Aufbau einer nachhaltig agierenden revolutionären Organisation. In ideologischer Hinsicht beruft sie sich auf den Kritischen Marxismus und den Operaismus. Sie gibt die Zeitschrift "arranca!" heraus. Der Zusammenschluss in größeren, überregionalen Organisationen wird inzwischen auch von anderen linksextremistischen Gruppierungen als Ausweg aus der Isolation und oftmals beklagten Wirkungslosigkeit autonomer Kleingruppen angesehen - wie neben der IL auch die NaO zeigt. 4 Kleingruppen verüben Anschläge Einen anderen Weg gehen klandestine Kleingruppen, die ihren Hass auf das (von ihnen abgelehnte politische) "System" durch Anschläge zum Ausdruck bringen. Sie verharren in von Autonomen selbst so bezeichneten "Abwehrkämpfen" und negieren die Möglichkeit konstruktiver politischer Perspektiven unter den gegebenen Umständen. Getreu der Devise "Macht kaputt, was euch kaputt macht" suchen sie nicht nur die gewalttätige Auseinandersetzung mit der Polizei als Repräsentanten der Staatsmacht, sondern bedrohen Politiker, verüben Anschläge auf Parteibüros, Gerichte und Behörden, öffentliche Einrichtungen sowie staatliche und private Unternehmen und deren Repräsentanten. 2014 war gekennzeichnet von einem eklatanten Anstieg linksextremistischer Strafund Gewalttaten. Auch diese Entwicklung kann z.T. als Ausdruck von Frustration und Ohnmacht aufgrund mangelnder Perspektiven gewertet werden. Angesichts der Tatsache, dass sich die führenden autonomen Gruppen Berlins aufgelöst oder transformiert haben und sich damit (zumindest in der Begründung) ein Stück weit vom autonomen Selbstverständnis im weitesten Sinn entfernen, wächst der Handlungsdruck auf jene, die den Weg hin zu einer Organisierung in größeren - nach wie vor linksextremistischen - Zusammenhängen für sich ablehnen (oder über diese Option gar nicht verfügen). Zumal sie sich, aus ihrer Sicht, gleichzeitig Entwicklungen ausgesetzt sehen, die ihre Handlungsfähigkeit herausfordern. Dies gilt für alle relevanten Themenfelder autonomer Politik - im Hinblick auf 2014 insbesondere für Flüchtlingsunterstützung und damit sowohl Anti-Faschismus als auch Anti-Rassismus sowie nach wie vor den Kampf gegen Gentrifizierung. 142 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Militante Kleingruppen setzen hierbei auf die "Propaganda der Tat"99, die mit Aktionen und Anschlägen Zeichen setzen und die Bevölkerung aufrütteln soll und nicht auf Anschlussfähigkeit und breite Bündnisse. Ein kritischer szeneinterner "Jahresrückblick" fasst die Ursachen für den Anstieg solcher gewaltorientierter Kleingruppenaktionen folgendermaßen zusammen: "Wie nie zuvor gibt es eine hohe Fluktuation in den Gruppen und Zusammenhängen. Das Aufbegehren erscheint bei vielen nur noch als kurzer Lebensabschnitt, der die Pubertät verlängert. (...) Die ausbleibende Bereitschaft, sich zu konfrontieren, ist auch der Tatsache geschuldet, sich im individuellen Positionskampf im prekären Spätkapitalismus keine zukünftigen Chancen verbauen zu wollen. Selbst bei Jenen, denen zu unterstellen ist, dass sie es ernst meinen, ist eine deutliche Risikoabwägung zu beobachten. Der Rückzug auf nächtliche Kleingruppenaktionen erfolgt nicht nur, weil es immer schwieriger geworden ist, sich auf der Straße gegen die Bullen zu behaupten, sondern auch, weil diese Aktionsformen mit einem wesentlich geringeren Risiko behaftet sind." 100 Zahlreiche dieser Anschläge gehen auf das Konto der so genannten "Anarchos", der ältesten und ursprünglichsten Erscheinungsform der Autonomen in Berlin, die ihre Wurzeln in der Hausbesetzerszene der 1980er Jahre haben. Dabei ging es im Wesentlichen um den Kampf gegen Wohnraumspekulation. Teile dieser Szene standen jedoch schon damals für das Ziel, von ihnen so genannte "autonome Freiräume" und damit anti-autoritäre Gegenentwürfe zu den vorherrschenden Lebensverhältnissen durchzusetzen. Darüber hinaus war die offensive Konfrontation mit dem als repressiv empfundenen Staat von Anfang an konstituierendes Element dieser Bewegung. Die Grenzen zu traditionellen Anarchisten sind fließend, diese orientieren sich jedoch an Theoretikern, weisen festgefügtere Organisationsstrukturen auf und sind in der Regel weniger gewaltgeneigt. Anarchos bleiben dagegen ideologisch weitgehend an der Oberfläche und bedienen sich in der Regel lediglich theoretischer Fragmente. Im Vordergrund steht ihr militanter Habitus. In der autonomen Szene tragen sie zu einer weiteren Erosion der ohnehin 99 Dieses Konzept hat seinen Ursprung in der anarchistischen Bewegung, wesentlich bei Paul Brousse. 100 "2014 - Das Jahr in dem wir nirgendwo waren" auf der Internetpräsenz "linksunten" mit Datum vom 27.11.2014, abgerufen am 5.1.2015. Schreibweise im Original. Linksextremismus 143 schon schwachen Strukturen bei. Früher sehr aktive Zusammenschlüsse der Berliner Anarcho-Szene waren 2014 kaum feststellbar, was auf eine fortschreitende Parzellierung hindeutet. Die nach wie vor wichtigste Institution der Berliner Anarcho-Szene ist die "Rigaer 94" in Friedrichshain. Dabei handelt es sich vordergründig um einen Gebäudekomplex in der zweiten Häuserreihe der Rigaer Straße. Die Szene reklamiert jedoch für sich, einen "autonomen Freiraum" erkämpft zu haben, den es um jeden Preis zu verteidigen gelte. Das bedeutet ganz konkret, dass dort rechtsstaatlichen Normen die Geltung abgesprochen wird und dass dieser Raum dem Zugriff des Staates und von Investoren entzogen werden soll. Die nächstgelegene Straßenkreuzung 4 zur Liebigstraße (in der sich ebenfalls ein Szeneobjekt befand) wird im Szenejargon einvernehmend "Dorfplatz" genannt. Dieser Euphemismus verschleiert, dass Autonome dort in der Vergangenheit wiederholt äußerst gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei provoziert haben und dass davon auszugehen ist, dass die "Rigaer 94" Ausgangspunkt zahlreicher gewaltorientierter Aktionen und Anschläge war und ist. Rigaer 94 Gründung: 1990 Mitglieder: ca. 30-40 (2013: 30-40) Bei der "Rigaer 94" handelt es sich um einen Personenzusammenschluss, der sich aus Teilen der Bewohner und Besucher eines Wohnprojekts sowie der darin befindlichen Veranstaltungsstätte "Kadterschmiede" in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain zusammensetzt. Dieser ist zum harten Kern der autonomen "Anarcho"-Szene zu rechnen. Haus und Veranstaltungsräume gehören nach eigenen Angaben "zu den letzten offen (teil) besetzten Räumen Berlins" und haben für die Szene eine hohe symbolische wie auch praktische Bedeutung. Sie sind Ausgangspunkt und Rückzugsort von bzw. nach militanten Aktionen zur Erkämpfung "autonomer Freiräume". In Selbstdarstellungen bekennen sich die Protagonisten zum Anarchismus sowie zum Hass auf "Bullen, Staat und Repression". Polizeiliche Maßnahmen vor Ort führen zu gewalttätigen Reaktionen. Aktionen richten sich allerdings nicht nur gegen die Polizei, sondern ebenso gegen Hinzugezogene sowie bauliche Veränderungen im weiteren Umfeld. 144 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Ebenfalls als autonomer Freiraum wird von Linksextremisten die Nahtstelle zwischen den Bezirken Kreuzberg, Mitte und Treptow angesehen. Im Selbstverständnis der Szene gilt die gewaltsame Verteidigung dieser vereinnahmten Räume gegen "Eindringlinge" - dazu zählen Polizei und Eigentümer, aber auch Neumieter, Touristen sowie das Quartiersmanagement - als legitim. Zahlreiche Straftaten mit z.T. erheblichen Sachschäden werden zumeist in die Themenzusammenhänge Anti-Gentrifizierung sowie Anti-Repression gestellt. Es besteht eine latent aggressive Grundhaltung gegenüber der Polizei, die sich in teilweise äußerst gewalttätigen Angriffen auf Polizeibeamte, Polizeidienststellen sowie Funkwagen manifestiert. Markantestes Beispiel von StrafAnti-Gentrifizierung taten gegen GentrifizierungsmaßDer Kampf gegen städtebauliche Umnahmen war die mehrfache schwestrukturierungen mit der Folge einer re Sachbeschädigung an Wohnund Aufwertung von Kiezen - auch "GenGeschäftshäusern am Engelbecken trifizierung" genannt - ist ebenso wie in Kreuzberg. Dabei hatten Gruppen der Kampf gegen vermeintliche Revon 20 bis 30 Personen Eigentumspression eng mit der Genese der Auwohnungen, Lofts und ein Einrichtonomen als politischer Bestrebung tungsgeschäft mehrmals mit Kleinverbunden. Im Gegensatz zu vielen pflastersteinen und Farbbeuteln Stadtteilund Mieterinitiativen geht beworfen, beschmiert und zahlreiche es ihnen jedoch nicht allein um den Fensterscheiben beschädigt. In einem Erhalt sozialund wohnräumlich geFall wurde zudem ein Verkehrszeichen wachsener Strukturen, sondern um auf die Fahrbahn gelegt und angezündie Etablierung so genannter "autodet sowie ein abgestellter PKW durch nomer Freiräume", die dem Zugriff Einritzen der Worte "Bonzen verpisst des Staates entzogen und in denen euch!" beschädigt. Ein Szene-Video rechtsstaatliche Normen außer Kraft feierte diese Tat anschließend als gesetzt werden sollen. Als "Freiraum" "selbstverschuldete" Reaktion auf eideklarierte Gebiete oder Gebäude nen Fernsehbeitrag, der ähnliche Akwerden gegen rechtmäßige Räutionen zuvor als linksextremistischen mungen gewaltsam "verteidigt" und "Terror im Kiez" gebrandmarkt hatte. Linksextremismus 145 Anschläge von Kleingruppen werden in noch nach erfolgten Sanierungen imder linksextremistischen Szene als akmer wieder angegriffen. Nicht selten tuell geeignetes taktisches Mittel und mündet dies in schweren SachbeAusweg aus der umfassenden Frusschädigungen und mehr oder wenitration angesehen, eine kaum nenger spontanen Landfriedensbrüchen. nenswerte Außenwirkung entfalten Auch Neumieter und Eigentümer sobzw. breitere Massen für die eigenen wie ihre vermeintlichen "Erfüllungspolitischen Ziele mobilisieren zu köngehilfen" in Senatsverwaltungen, Ponen. Militanz wird dabei weitgehend lizei und Justiz sowie Einrichtungen zum Selbstzweck verklärt. In einem des Quartiersmanagements geraten Internetbeitrag heißt es, "die nächtli- 4 in den Fokus ihrer Aktionen. Dabei chen Aktionen [müssten] auch als ein entstehende Drohkulissen sind geScheitern begriffen werden". Sie seiwollt und zielen auf Machtausübung en "zurzeit das Kleingruppenpendant in Teilen des öffentlichen Raums. zur Massenmilitanz", da letztere erst "ab einer gewissen Anzahl von Aktiven Menschen" möglich sei. Eine "Fixierung auf 'Riot'" liege auch darin begründet, dass "den Bullenstrategien im derzeitigen Zustand in den meisten Situationen nichts entgegenzusetzen" sei.101 Dass tatsächlich vorwiegend Frustration - vor allem Resignation - und nicht politische Perspektive hinter diesen Aktionen steckt, belegt auch folgendes Zitat: "Nachts brennen Bullenkarre und werden Projekte der Aufwertung entglast, ohne dass sich daraus eine politische oder soziale Perspektive ergibt. Dies ist kein Vorwurf an die nächtlichen GefährtInnen, sondern nur eine ebenso realistische wie trostlose Bilanzierung." 102 Ein anderer Themenkomplex, in dessen Namen im vergangenen Jahr erhebliche Straftaten begangen wurden, ist die Flüchtlingspolitik. Das Thema vereint die zersplitterte linksextremistische Szene aus verschiedenen Gründen. Zum einen ist der Kampf gegen eine vermeintliche "Entrechtung" von Flüchtlingen und deren gesellschaftliche Ausgrenzung ein klassisches Betätigungsfeld für Linksextremisten. Hier lassen sich zudem die Kämpfe gegen einen dem Kapitalismus vermeint101 "Graffito und Gedanken" auf der Internetpräsenz "linksunten" mit Datum vom 17.7.2014, abgerufen am 5.1.2015. Schreibweise im Original. 102 "2014 - Das Jahr in dem wir nirgendwo waren" auf der Internetpräsenz "linksunten" mit Datum vom 27.11.2014, abgerufen am 5.1.2015. Schreibweise im Original. 146 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 lich immanenten Faschismus und gegen Rassismus idealtypisch verknüpfen. Nicht zuletzt dürfte auch die Tatsache, dass das Thema Flüchtlinge nach wie vor gesellschaftlich und medial relevant ist, ein weiterer Antrieb für linksextremistische Aktivitäten sein. In Berlin entwickelten sich markante Schauplätze des Flüchtlingsprotestes zu symbolischen Orten, die stellvertretend für eine aus Sicht von Linksextremisten grundsätzlich verfehlte Flüchtlingspolitik standen. Die Entwicklungen in 2014 waren geprägt von der Auflösung des Camps am Oranienplatz im April sowie der vermeintlich permanent drohenden Räumung der Gerhart-Hauptmann-Schule und diversen anschließenden bzw. begleitenden öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Flüchtlinge und ihrer Unterstützer. Dass Linksextremisten die Proteste jedoch nicht zuletzt für eigene Ziele ausnutzen, wird u.a. auch daran ersichtlich, dass sich die Flüchtlinge selbst zunehmend von ihren angeblichen Unterstützern distanzierten und emanzipierten. Im Fokus linksextremistischer AktivitäAnti-Rassismus ten in diesem Themenfeld standen u.a. Dieses Aktionsfeld zielt nicht allein Politiker und Parteien, die für die Lage auf einen sich in fremdenfeindlichen von Flüchtlingen in Berlin verantwortVorfällen offenbarenden "Alltagsraslich gemacht werden. Zumeist handelsismus", sondern richtet sich gegen te es sich um Sachbeschädigungen an alle institutionellen BenachteiligunParteibüros von Bündnis 90/Die Grügen von Zuwanderern oder Flüchtnen bzw. der SPD. In der ersten Jahlingen. In dieser Hinsicht sind nicht reshälfte wurden unter einer Internetnur Linksextremisten aktiv, sondern adresse Fotos und Kontaktdaten von auch humanitäre Organisationen Politikern veröffentlicht, zu direkten und anti-rassistische Initiativen, die Angriffen auf Personen kam es jedoch sich für eine Verbesserung der soziaglücklicherweise nicht. Ende des Jahres len, politischen und rechtlichen Lage fanden allerdings so genannte "autovon Migranten engagieren. Linksexnome Hausbesuche" bei der Bezirkstremisten überspitzen deren Kritik bürgermeisterin von Friedrichshainan den bestehenden Regelungen z.B. Kreuzberg sowie dem Präsidenten des Linksextremismus 147 Landesamtes für Gesundheit und Soin der Diffamierung als "rassistische ziales (LaGeSo) statt, bei denen SachSondergesetze". Sie weiten die Forbeschädigungen u.a. durch Beschmiederungen nach einem Bleiberecht für ren von Wänden begangen und leere alle, offenen Grenzen sowie eine AbUmzugskartons vor die Wohnungen schaffung nationalstaatlicher Strukplatziert wurden. Das Eindringen in die turen aus ("no border, no nation"). Privatsphäre von Akteuren aus Staat, Staatlichen Repräsentanten unterPolitik oder Wirtschaft dient der Einstellen sie einen "systemimmanenschüchterung der Betroffenen und ist ten" Rassismus, mit dem Privilegien in den letzten Jahren zunehmend zu der "weißen Mehrheitsbevölkerung" beobachten, auch beim Thema Gentri- 4 verteidigt würden. Zum Teil werden fizierung. diese auf eine Stufe mit RechtsexSachbeschädigungen in diesem Betremisten gestellt ("Nazis morden, gründungszusammenhang wurden der Staat schiebt ab, es ist das gleizudem an der Senatsverwaltung für che Rassistenpack"). Militant agieren Inneres und Sport, an diversen Amtssie bei Versuchen, Abschiebungen zu gerichten, an der Ausländerund zahlverhindern, - bei solchen Anlässen reichen weiteren Behörden und öffentvermischen sich die Spektren - und lichen Einrichtungen begangen, denen vor allem durch symbolische Strafsämtlich Mitverantwortung für eine, taten gegen die vermeintlich verantaus Sicht der Szene menschenverachwortlichen Institutionen, wie die Austende Flüchtlingspolitik zugewiesen länderbehörde, die Innenverwaltung wurde. In diesen Zusammenhang geoder Parteibüros. hört auch ein gegen die Deutsche Bahn AG gerichteter Brandanschlag, durch den im Sommer der S-Bahnverkehr in Berlin auf mehreren Strecken stark beeinträchtigt wurde. Diese Tat wurde als Solidaritätsaktion mit Flüchtlingen deklariert: "während ein paar meter entfernt (...) einige menschen auf dem dach eines hostels für nichts, als ihr recht zu bleiben - um zu leben - kämpfen, stehen hier dutzende von menschen tagtäglich lethargisch in reih und glied, um auf ihre s-bahn zur arbeit, in die schule oder zum einkaufen zu warten. (...) henkel, kolat und deren lakaien sollten sich bewusst sein das ihr handeln konsequenzen hat, ihre politik die menschen ein sicheres leben verwehrt, ihre lügen und ihre propaganda der habgier und des hasses wird nicht 148 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 widerspruchslos hingenommen. Diese gesellschaft und ihre vertreter in wirtschaft und politik sind angreifbar und das jeden tag und jede sekunde." 103 Gegen Ende des Jahres hat sich die Situation scheinbar beruhigt, insbesondere Aktionen wie die so genannten "Hausbesuche" von Autonomen, die damit in die Privatsphäre von Politikern und Verantwortungsträgern vordrangen, zeigen jedoch, dass das Thema Flüchtlingspolitik aus den zuvor beschriebenen Gründen nach wie vor im Fokus von Linksextremisten steht. 4.4 Zusammenfassung und Fazit Die beschriebenen Entwicklungen markieren neben Frustration und Resignation im Kern vor allem eins: Die linksextremistische Szene hat noch keine Antwort auf die offensichtlich zentrale Frage gefunden, wie eine zeitgemäße autonome Politik aussehen kann. Das Jahr 2014 war dementsprechend gekennzeichnet durch eine tiefgreifende Krise des undogmatischen Berliner Linksextremismus. Es gelingt insbesondere der so genannten autonomen Szene gegenwärtig nicht, Auswege aus einer vielfältig beklagten Orientierungslosigkeit und Festgefahrenheit in rituellen Handlungsmustern zu finden. Die sich dadurch zunehmend manifestierende Frustration äußert sich in Resignation auf der einen und zunehmenden Strafund Gewalttaten auf der anderen Seite. Auch die Auflösung der ALB und die Transformation der ARAB - der beiden lange Zeit dominierenden Gruppierungen des undogmatischen militanten Linksextremismus in Berlin - sind deutlicher Ausdruck einer krisenhaften Entwicklung. Die Orientierung an größeren und überregionalen Zusammenschlüssen lässt dabei erkennen, dass eine Entwicklung hin zu einer Zweiteilung in unabhängig voneinander agierende Kleingruppen auf der einen und größere Kooperationen diversiver Organisationsformen auf der anderen Seite die Spaltung des undogmatischen militanten Linksextremismus in Berlin weiter manifestiert. Die Akteure in Berlin, die sich bemühen, diesen Zerfall der autonomen Szene aufzuhalten, sind auf der einen Seite die NEA, die inzwischen als Konstante der linksextremistischen Szene Berlins bezeichnet werden muss und die ihren Einfluss über 103 Artikel "Feuer und Flamme für Berlin!" der Internetpräsenz "linksunten" vom 28.8.2014, abgerufen am 5.1.2015. Schreibweise im Original. Linksextremismus 149 den ursprünglichen Aktionsradius im Norden Berlins hinaus sukzessive erweitert. Auf der anderen Seite steht auch die Neugründung "radikale linke | berlin" für den Versuch, einer weiteren Zersplitterung entgegenzuwirken und neue - gemeinsame - Perspektiven zu entwickeln. Überdeckt werden die Unterschiede zwischen den Spektren durch Anlässe, bei denen es gegen tatsächliche und vermeintliche Rechtsextremisten, gegen Stadtumstrukturierung bzw. um die Unterstützung von Flüchtlingen geht. Hierzu gehört auch der 1. Mai, der noch immer das zentrale Szeneevent ist. In überregionaler Perspektive dürften für das Jahr 2015 aber auch die Eröffnung der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie der G 7-Gipfel im bayerischen Elmau 4 eine Klammer bilden, zwei auch für Berliner Linksextremisten zentrale Ereignisse, die aus ihrer Sicht symbolisch für den zu bekämpfenden Kapitalismus stehen. Zu beantworten sein wird aus linksextremistischer Sicht darüber hinaus, wie auf gesellschaftlich relevante Entwicklungen wie die Proteste der "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (PEGIDA) und die Bedrohung durch islamistischen Terror zu reagieren ist. Diesbezügliche Diskussionsprozesse blieben bislang oberflächlich und zaghaft, wirkten ratlos und unbeholfen. Es wird darauf ankommen, ob es Gruppierungen wie der "radikalen linken | berlin" oder Zusammenschlüssen wie der "Intenventionistischen Linken" gelingt, eine mindestens spektrenübergreifend konsensuale Haltung zu diesen auch für Linksextremisten zentralen Themen zu entwickeln. Der Strukturwandel der linksextremistischen Szene Berlins setzt sich fort. 150 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 5 "Scientology Organisation" "Scientology Organisation" Mitglieder: Berlin 130 (2013: 130) Die "Scientology Organisation" (SO) wurde 1954 in den USA gegründet. Der deutsche Ableger entstand 1971. Sie geht auf den amerikanischen ScienceFiction-Autor L. Ron Hubbard zurück, welcher behauptete, die Welt von Armut, Krieg, Verbrechen, Krankheit und anderen Übeln befreien zu können. Seitdem verbreitet die SO ihre Ideologie weltweit im Rahmen von Publikationen, Kurssystemen, Veranstaltungen und im Internet mit dem Ziel, eine ausschließlich nach scientologischen Richtlinien funktionierende Welt zu schaffen. Durch die Anwendung scientologischer Ideologie und Techniken soll ein perfekt funktionierender Mensch, der so genannte "Clear", bzw. der höher trainierte "operierende Thetan" erzeugt werden. Nur diesen Menschen sollen Bürgerrechte zugestanden werden, um mit ihnen eine scientologische Gesellschaftsordnung zu errichten. Außerhalb dieser Gesellschaft stehenden oder der SO gegenüber kritisch eingestellten Personen wird jeglicher Wert abgesprochen. Gegner und Kritiker werden von Scientology verfolgt und nach deren Aussage auch bedroht. Der Einstieg in die Organisation erfolgt in der Regel durch einen kostenfreien "Persönlichkeitsoder Stresstest", der als vermeintlich individuelle Lebenshilfe angeboten wird. Seine Auswertung durch einen speziell geschulten Scientologen wird immer Defizite aufzeigen, welche durch - dann kostenpflichtige - Seminare korrigiert werden sollen. Scientology manipuliert ihre Anhänger, unterwirft sie einer ständigen Kontrolle und beutet sie finanziell aus. In Berlin setzt sich die Organisation aus der "Scientology Kirche Berlin e.V." sowie verschiedenen Tarnorganisationen, wie der "Jugend für Menschenrechte", der "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte" (KVPM) oder der "Initiative Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben e.V." zusammen. Scientology Organisation 151 Die Situation der "Scientology Organisation" in Berlin lässt sich seit Jahren als kontinuierlich isoliert charakterisieren. Nachdem die Strategie einer repräsentativen Öffnung mit dem Ziel, neue Mitglieder zu gewinnen, durch das häufige Veranstalten eines "Tages der offenen Tür" 2013 gescheitert war, waren die Bemühungen der Organisation um öffentliche Wahrnehmung auch im vergangenen Jahr von wenig Erfolg gekennzeichnet. Darüber hinaus stagnieren die Mitgliederzahlen seit Jahren auf einem niedrigen Niveau, was der wirtschaftlichen Lage von Scientology in Berlin nicht zuträglich ist. Auf der Suche nach Einnahmequellen hat Scientology 2014 das "goldene Zeitalter der Tech, Phase 2" ausgerufen. Dahinter verbirgt sich eine Reformation und für die Anhänger folgenschwere Überarbeitung von Kursinhalten, da deren bisher in Seminaren vermeintlich erworbenes Wissen nicht den qualitativen Anforderungen entspricht und besuchte Kurse wiederholt werden müssen. 5 Zudem wurde ein neuer "E-Meter" ("Elektropsychometer") eingeführt. Das von Scientology genutzte vermeintliche Diagnoseund Therapiegerät soll den elektronischen Widerstand des Körpers messen und damit Rückschlüsse auf den Zustand einer Person ermöglichen. Tatsächlich misst der E-Meter eine einzige physiologische Reaktion, die Veränderung des Körperwiderstands durch Schwitzen, und verfügt damit über keinen nachweisbaren medizinischen Nutzen.104 Dies veranschaulicht, dass die Strategien der SO zunächst auf wirtschaftliche Interessen ausgerichtet sind. Die Organisation legt ihren Schwerpunkt auf das Anwerben neuer Mitglieder und den Verkauf von Materialien sowie kostenpflichtiger Kurse. Ausbleibender Zuspruch und gesellschaftliche Isolation Trotz eines breiten Kursangebotes und vielfältigen, über Tarnorganisationen angebotenen Aktivitäten gelingt es der SO weiterhin nicht, die angestrebte gesellschaftliche Rolle sowie eine breite Akzeptanz zu erreichen. Der im März auf der jährlichen Psychiatrieausstellung der KVPM vorgestellte DVD-Film "Der Schein trügt - Ein Blick in die Psychiatrie", fügt sich, ebenso wie die regelmäßigen Protestaktionen gegen Ärzte, in das Bild der kontinuierlichen Diffamierung von Psychologen sowie Psychiatern. Als weitere Aktion wurde der Film bundesweit an Gerichte versandt. Einen weiteren Schwerpunkt der Aktivitäten der Scientology stellen die vermeintlichen Präventionsaktivitäten dar. Hierzu zählt die erstmalig durchgeführte Veran104 Vgl.: Endbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages: "So genannte Sekten und Psychogruppen", Berlin, 1996. 152 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 staltungsreihe "7 Tage 7 Städte" der "Initiative Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben e.V.", welche federführend von Berliner Mitgliedern organisiert und durchgeführt wurde. Unter gleichem Label führte die Organisation Versandaktionen zur Drogenaufklärung an Schulen sowie Geschäften durch. So wurden im November unter dem Motto "100 000 Booklets - 1 Woche" innerhalb Berlins 100 000 Broschüren mit dem Titel "Fakten über Drogen" verteilt. Auch bei einem Gesundheitstag in Berlin-Karow war die SO mit einem Infostand vertreten und verteilte ihr "Informationsmaterial". Dieses von außen schwer als Aktivitäten der SO wahrnehmbare "soziale Engagement" zeigt klar, mit welchen Mitteln die Organisation versucht, sich gesellschaftlichen Zugang und Legitimation zu verschaffen. Besonders problematisch daran ist, dass sie sich mit dieser Drogenkampagne vordergründig an Kinder und Jugendliche wendet und mit großem Einsatz Broschüren an Schulen zu verteilen versucht. Die Materialien zeigen abschreckende, bedrohliche Bilder und werden in ihrem Ansatz als völlig ungeeignet für die Suchtprävention eingestuft. Zudem besteht eine irreführende Ähnlichkeit zur Kampagne "Keine Macht den Drogen" des Deutschen Fußballbundes.105 Einmal mehr versuchte sich die "Scientology Organisation" Berlin zudem als etablierte Glaubensgemeinschaft auszuweisen. Anlässlich der "Langen Nacht der Religionen" am 6. September öffnete die Organisation ihre Türen und lud zu Führungen, Videovorführungen und persönlichen Gesprächen ein. Die Einbindung Scientologys bildete selbstverständlich keinen offiziellen Programmpunkt und die Initiatoren der "Langen Nacht der Religionen" distanzierten sich explizit von deren Teilnahme. Auch auf anderen Ebenen suchte man immer wieder den Kontakt zu anderen Glaubensgemeinschaften und stilisierte sich dabei selbst als offener Gesprächspartner. Diese vermeintliche Offenheit steht jedoch in einem krassen Gegensatz zu den Gefahren, die von der von SO angestrebten Gesellschaftsordnung und ihren Aktivitäten ausgehen. Aus einer ganzen Reihe von Aktionen und Schriften lassen sich Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung nachweisen. Wesentliche Verfassungsgrundsätze, wie die Menschenwürde und das Recht auf Gleichbehandlung, sollen eingeschränkt bzw. aufgehoben werden.106 105 "Stellungnahme der Fachstelle für Suchtprävention zu Aktivitäten von Scientology an Berliner Schulen", www.berlin-suchtpraevention.de, abgerufen am 28.4.2014. 106 Vgl. OVG Münster, AZ: 5 A 130/05, Urteil vom 12.2.2008. Spionageabwehr 153 6 Spionageabwehr Die Bundesrepublik Deutschland ist wegen ihrer geopolitischen Lage in Europa, ihrer wichtigen Rolle in der Europäischen Union und NATO sowie als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie mit Weltmarktführung für fremde Nachrichtendienste sehr attraktiv. Die Nachrichtendienste sind in unterschiedlicher Personalstärke an den jeweiligen amtlichen oder halbamtlichen Vertretungen in Deutschland präsent und unterhalten dort so genannte Legalresidenturen. Unter einer "Legalresidentur" versteht man den Stützpunkt eines fremden Nachrichtendienstes, abgetarnt in einer amtlichen (z.B. Botschaft) oder halbamtlichen (z.B. Presseagentur) Vertretung seines Landes im Gastland. Die dort als Diploma- 6 ten oder Journalisten getarnt arbeitenden Nachrichtendienstmitarbeiter betreiben entweder selbst - offen oder verdeckt - Informationsbeschaffung oder leisten Unterstützung bei nachrichtendienstlichen Operationen, die direkt von den Zentralen der Dienste in den Heimatländern geführt werden. Werden solchen "Diplomaten" statuswidrige Aktivitäten nachgewiesen, kann dies zur Ausweisung der betreffenden Person aus Deutschland führen. In Berlin ist in Folge der Funktion als Hauptstadt und Regierungssitz die Anzahl diplomatischer Einrichtungen und damit die Präsenz fremder Nachrichtendienste besonders hoch. Die Schwerpunkte ihrer jeweiligen Beschaffungsaktivitäten orientieren sich an den aktuellen politischen Vorgaben oder wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Prioritäten in ihren Staaten. Die Aufklärungsziele ausländischer Nachrichtendienste reichen von der Informationsbeschaffung aus Politik, Wirtschaft und Militär bis hin zur Ausspähung und Unterwanderung in Deutschland ansässiger Organisationen und Personen, die in Opposition zu ihren Regierungen im Heimatland stehen. Darüber hinaus bemühen sich einige Länder darum, in den Besitz atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen mit den erforderlichen Trägersystemen zu gelangen sowie die zu deren Herstellung notwendigen Güter und das erforderliche Know-how zu erwerben, indem sie versuchen Kontrollmaßnah- 154 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 men durch Lieferungen über Drittländer und die Beschaffung von doppelt verwendungsfähigen Gütern ("dual use" - Gütern) zu umgehen. Einen breiten Raum nehmen für einige Nachrichtendienste Aufklärungsziele im Bereich von Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung ein. Technologisch weniger entwickelte Staaten spähen technisches Know-how aus, um Kosten für die eigene Forschung und Entwicklung sowie mögliche Lizenzgebühren zu vermeiden. Hochentwickelte Staaten dagegen interessieren sich für bestimmte Produktideen, komplexe Fertigungstechniken und Unternehmensund Marktstrategien. Eine zunehmende Bedeutung besitzen in diesem Zusammenhang internetgebundene Angriffe auf Computersysteme von Wirtschaftsunternehmen und Regierungsstellen. Angesichts der ausgewählten Ziele und der angewandten Methoden erscheint eine nachrichtendienstliche Steuerung oder zumindest Beteiligung in vielen Fällen als sehr wahrscheinlich. Im Zusammenhang mit den Spionagevorwürfen gegen verbündete Staaten kooperiert der Berliner Verfassungsschutz mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das bei der Aufklärung diesbezüglicher Hinweise federführend ist. Mit den Nachrichtendiensten diverser Länder besteht durch das BfV eine vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit, weshalb die Bewertung der Spionagevorwürfe wesentlich von den Prüfungen auch des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof (GBA) abhängt. Hinweistelefon Die Spionageabwehr ist bei ihrer Arbeit auch auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen. Diesen Hinweisen geht sie vertraulich und diskret nach. Im Falle einer bereits vorhandenen nachrichtendienstlichen Verstrickung kann die Spionageabwehr Hilfe anbieten, sich aus dieser zu lösen. Für weitere Informationen und die Sensibilisierung zu Fragen der Wissens-, Technikund Wirtschaftsspionage und Proliferation steht der Berliner Verfassungsschutz jederzeit zur Verfügung. Kontaktadressen und Telefonnummern des Berliner Verfassungsschutzes, darunter auch ein "Vertrauliches Telefon", finden Sie unter "Erreichbarkeit" am Anfang dieses Verfassungsschutzberichts. Geheimund Sabotageschutz 155 7 Geheimund Sabotageschutz Unverzichtbar ist der Schutz von Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen, die Sicherheit und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Bundesländer gefährden kann. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Antrag der zuständigen öffentlichen Stelle daran mit, durch personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen Ausforschungen durch Unbefugte in sicherheitsempfindlichen Bereichen zu verhindern.107 Ferner sind sicherheitsempfindliche Stellen bei lebensund verteidigungswichtigen öffentlichen Einrichtungen zu schützen, deren Ausfall oder Zerstörung eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit und das Leben zahlreicher Menschen verursachen könnte oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport hat die Einrichtungen durch Rechtsverordnung festgelegt.108 Dazu zählen u.a. die Behör- 7 den zum Schutz der inneren Sicherheit und die Lagezentren und Leitstellen von Polizei und Feuerwehr. Die Verfassungsschutzbehörde überprüft bei öffentlichen Stellen und Wirtschaftsunternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (so genannte Sicherheitsüberprüfungen) und trifft selbst oder veranlasst Maßnahmen zum materiellen Geheimschutz. Zum Zweck des so genannten personellen Sabotageschutzes sind Sicherheitsüberprüfungen ebenfalls gesetzlich vorgesehen. Die Verfassungsschutzbehörde wird nicht von sich aus tätig, sondern nur auf Antrag des Geheimschutzbeauftragten der Behörde, bei der die zu überprüfende Person beschäftigt ist (so genannte zuständige Stelle). Im Jahr 2014 führte der Berliner Verfassungsschutz 427 Überprüfungen durch (2013: 580). 107 SS 5 Abs. 3 Nr. 1 u. Nr. 3 VSG Bln, Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG) vom 2.3.1998 (GVBl. S. 26) in der Fassung vom 25.6.2001 (GVBl. S. 243), zuletzt geändert durch Art. XV des Gesetzes vom 17.12.2003 (GVBl. S. 617). 108 Verordnung zur Festlegung der Arten lebenswichtiger Einrichtungen im Land Berlin vom 2.9.2003 (GVBl. S. 316). 156 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 7.1 Geheimschutz in der Wirtschaft Wirtschaftsunternehmen, die geheimschutzbedürftige Aufträge von Bundesund Landesbehörden ausführen, müssen vor Ausspähung fremder Nachrichtendienste geschützt und deshalb in das Geheimschutzverfahren von Bund oder Ländern aufgenommen werden. Es sollen Sicherheitsstandards geschaffen und eingehalten werden, um zu verhindern, dass Unbefugte Kenntnis von den im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen (Verschlusssachen) erhalten. Ein Unternehmen kann die Aufnahme in die Geheimschutzbetreuung grundsätzlich nicht für sich selbst beantragen. Voraussetzung für die Aufnahme eines Unternehmens in das Geheimschutzverfahren des Bundes oder eines Landes ist die öffentliche Ausschreibung eines Auftrags mit Verschlusssachen. Berliner Behörden schreiben geheimschutzbedürftige Aufträge im Amtsblatt für Berlin aus. Wesentlich für die Ausschreibung bei vertraulichen Staatsaufträgen ist die Formulierung: "Es können sich geeignete Firmen bewerben, die bereits dem Geheimschutz in der Wirtschaft unterliegen, bzw. die sich dem Geheimschutzverfahren in der Wirtschaft unterziehen wollen." Vor Auftragserteilung sind mindestens ein gesetzlicher Vertreter des Unternehmens, ein Sicherheitsbevollmächtigter und auch die Firmenmitarbeiter, die von staatlicher Seite aus mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, einer freiwilligen Sicherheitsüberprüfung nach den Bestimmungen des BSÜG zu unterziehen. Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist die Verfassungsschutzbehörde.109 2014 wurden 83 Sicherheitsüberprüfungen für Angehörige Berliner Unternehmen durchgeführt (2013: 77). Um die vertrauensvolle Kooperation der betroffenen Unternehmen mit den Sicherheitsbehörden zu vertiefen, unterstützt der Berliner Verfassungsschutz den "Länderarbeitskreis der Sicherheitsbevollmächtigten Berlin-Brandenburg" (SIBEAK BR-BB) durch fachkundige Referenten und die Bereitstellung von Informationsmaterialien bei Seminaren und Tagungen. Dieser Arbeitskreis soll den in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätigen Berliner Unternehmen ein Austauschforum bieten. 109 SS 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 des VSG Bln. Geheimund Sabotageschutz 157 7.2 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen Der Verfassungsschutz wirkt bei Überprüfungen in Einbürgerungsverfahren mit.110 Auf Antrag der Einbürgerungsbehörde wird geprüft, ob über Personen, die einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben, Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden der Länder oder des Bundes vorliegen. Seit dem 1. Januar 2000 ist eine Einbürgerung für Personen zwingend ausgeschlossen,111 welche * die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden, * sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligen, * öffentlich zur Gewaltanwendung aufrufen, * mit Gewaltanwendung drohen. Eine Einbürgerung kann versagt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einbürgerungsbewerber verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt oder verfolgt.112 Im Januar 2001 legte die Senatsverwaltung für Inneres fest, dass bei Einbürge- 7 rungsbewerbern aus bestimmten Herkunftsländern stets eine Anfrage beim Verfassungsschutz zu erfolgen hat. Unabhängig von der Herkunft ist eine Anfrage auch immer dann zu stellen, wenn Anhaltspunkte für eine extremistische Haltung oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten vorliegen. 2014 wurden 7 613 Anfragen bearbeitet (2013: 8 486). Vergleichbare Sicherheitsanforderungen gelten auch für das Aufenthaltsrecht von Ausländern. Das 2005 neu gefasste Aufenthaltsgesetz (AufenthaltG) sieht vor, dass Personen, die gewaltbereit sind, terroristische Aktivitäten begehen oder unterstützen, keine Visa oder Aufenthaltsgenehmigungen erhalten oder einem Einreiseund Aufenthaltsverbot in Deutschland unterliegen. Zur Versagung der Einreise muss festgestellt werden, dass eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland besteht.113 Aus rechtsstaatlichen Gründen reichen Vermutungen nicht aus. 110 SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG Bln. 111 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), vom 22.7.1913 i. d. F. des Art. 6 Nr. 9 Gesetz zur Änderung des AufenthaltsG vom 14.3.2005, BGBl. I S. 721. 112 SS 11 Nr. 1 StAG - zuletzt geändert durch Art. 3 G vom 19.8.2007, BGBl. I S. 1 970. 113 SS 5 Abs. 4 AufenthaltsG. 158 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Um terroristischen oder gewaltbereiten Ausländern keinen Ruheraum in Deutschland zu gewähren, wurden ferner die Regelausweisungstatbestände erweitert. Im Regelfall wird ausgewiesen, wer nach dem neuen Versagungsgrund nicht hätte einreisen dürfen.114 Zur Feststellung von Versagungsgründen können die Ausländerbehörden den Verfassungsschutzbehörden der Länder und weiteren Sicherheitsbehörden die von ihnen erhobenen Personalien übermitteln. Die angefragten Behörden teilen der Ausländerbehörde unverzüglich mit, ob Versagungsgründe vorliegen.115 Bei Flughäfen und kerntechnischen Anlagen handelt es sich um besonders schützenswerte Objekte. Unbefugte Handlungen durch Beschäftigte können Gefahren für das Objekt und für Leib und Leben anderer Menschen zur Folge haben. Aus diesen Gründen werden gem. SS 7 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) und SS 12 b Atomgesetz (AtomG) Zuverlässigkeitsüberprüfungen durchgeführt, an denen der Verfassungsschutz mitwirkt. 2014 wurden nach dem LuftSiG 8 777 Anfragen durch den Verfassungsschutz bearbeitet (2013: 1 287), nach dem AtomG 225 (2013: 230). Seit 2005 gibt es gesetzliche Regelungen über die Beteiligung der Verfassungsschutzbehörden bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Waffengesetz, dem Sprengstoffgesetz und der Bewachungsverordnung. Seit dem 1. September 2005 sind die Verfassungsschutzbehörden der Länder an der Überprüfung von Personen beteiligt, die gewerbsmäßig mit explosionsgefährlichen Stoffen umgehen oder den Verkehr mit solchen Stoffen betreiben wollen.116 Zuständige Behörde für die Durchführung der Zuverlässigkeitsüberprüfung in Berlin ist das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheit und technische Sicherheit. 2014 erfolgten 253 Anfragen (2013: 290). 114 SS 55 Abs. 2 AufenthaltsG. 115 SS 73 Abs. 2 u. 3 AufenthaltsG. 116 SSSS 7 u. 8a Abs. 5 Nr. 4 Sprengstoffgesetz (SprengG), BGBl. I S. 3 518, zuletzt geändert durch Art. 1 des dritten ÄnderungsG vom 15.6.2005 (BGBl. I S. 1 676) Art. 35 des Gesetzes zur Umbenennung des BGS in Bundespolizei vom 21.7.2005 (BGBl. I S. 1 818). Geheimund Sabotageschutz 159 Wer gewerbsmäßig Leben und Eigentum fremder Personen bewachen will, bedarf einer Erlaubnis auf der Grundlage der Bewachungsverordnung durch die Gewerbeämter der Berliner Bezirke. In begründeten Einzelfällen können diese bei der örtlich zuständigen Verfassungsschutzbehörde anfragen, ob Erkenntnisse vorliegen, die für die Beurteilung der persönlichen Zuverlässigkeit der Antragsteller von Bedeutung sind.117 Ebenfalls zu den Mitwirkungsangelegenheiten gehören aufgrund des 7. Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) vom 16. Mai 2007118 seit dem 24. Mai 2007 auch Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem BVFG.119 Durch die Überprüfung soll sichergestellt werden, dass Schwerkriminelle, gewaltbereite Extremisten und Terroristen nicht auf dem Weg des Verfahrens zur Aufnahme von Spätaussiedlern nach Deutschland kommen können. 7 117 SS 9 Abs. 2 Nr. 2 Bewachungsverordnung. 118 BGBl. I S. 748. 119 Neufassung des Bundesvertriebenengesetzes vom 10.8.2007; BGBl. I S. 1 902. 160 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 8 Wirtschaftsspionage 164 482 Betriebe120 unterschiedlicher Wirtschaftsbereiche sind als Arbeitgeber mit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Berlin ansässig. Informationsund Kommunikationstechnologie, Medizintechnik, Biotechnologie, optische Technologien und Verkehrstechnik sowie kreative Dienstleistungen haben sich als Branchen mit Zukunftsperspektive in Berlin etabliert. Darüber hinaus gehört Berlin zu den größten und vielfältigsten Wissenschaftsregionen in Europa. An vier Universitäten, an der Charite - Universitätsmedizin Berlin, sieben Fachhochschulen, vier Kunsthochschulen, 26 privaten Hochschulen sowie über 60 Forschungsstätten studieren, lehren, forschen und arbeiten rund 200 000 Menschen aus aller Welt. Die Erfolge der Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind Ergebnis langjähriger Forschung, Entwicklung, kreativer Ideen und des Mutes, ein finanzielles Risiko zu tragen. Der Verlust von Know-how ist eines der Risiken für ein Unternehmen, dessen Verwirklichung insbesondere mittelständische Unternehmen stark gefährden kann. Know-how ist wirtschaftlich relevantes und geheimes Wissen. Dieses Wissen baut in der Regel auf Informationen und Daten auf, die im Unternehmen vorliegen. Wer betreibt Wirtschaftsspionage? Wirtschaftsspionage zählt neben der politischen und militärischen Ausforschung zu den klassischen Aufklärungszielen fremder Nachrichtendienste. Eine aktuelle Umfrage121 ergab, dass die deutsche Wirtschaft Verluste von 11,8 Milliarden Euro durch Industriespionage122 erwartet. Bevorzugte Ziele von Wirtschaftsspionage sind forschungsintensive und innovationsstarke Branchen. Die Bereiche Rüstung, Luftund Raumfahrttechnik, Maschinenund Fahrzeugbau, Informationstechnik, Biotechnologie, Energieund Umwelttechnik sowie die optische Industrie sind besonders betroffen. 120 Amt für Statistik, Unternehmensregister in Berlin und Brandenburg 2011, Stand 31.5.2013. 121 Studie der Firma Corporate Trust "Industriespionage 2014". 122 Der Begriff "Industriespionage" umfasst in diesem Kontext Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung. Wirtschaftsspionage 161 Die aktivsten Nachrichtendienste im Bereich der Wirtschaftsspionage sind, Wirtschaftsspionage wie schon in den letzten Jahren, die Für den Verfassungsschutz ist die der Volksrepublik China und der RusUnterscheidung zwischen Wirtsischen Föderation. schaftsspionage und Konkurrenzausspähung unerlässlich. Nur für die China, lange als "verlängerte WerkBekämpfung der Wirtschaftsspionabank" der Welt bezeichnet, beabsichge hat der Verfassungsschutz einen tigt eine Innovationsgesellschaft zu gesetzlichen Auftrag. Wirtschaftsspiwerden. Zuletzt waren dort die angeonage ist die staatlich gelenkte und wandte Forschung, berufliche Bildung unterstützte, von fremden Nachund Innovationen wichtige Themen. richtendiensten ausgehende AusforInternational tätige Unternehmen solschung von Wirtschaftsunternehmen len weiterhin ermutigt werden, Forund Betrieben. schungsund Entwicklungszentren in China zu errichten. Die Verzahnung und Vernetzung mit der deutschen Wirtschaft wurde weiterhin intensiviert. Die chinesischen Nachrichtendienste spielen eine nicht unwesentliche Rolle, um die heimische Wirtschaft zu unterstützen, indem Know-how ausländischer Unternehmen illegal beschafft wird. Für Russland steht ebenfalls die rasche Modernisierung der heimischen Wirtschaft im Vordergrund der politischen Bemühungen. Der russische Präsident Putin hat sich mehrfach zur Notwendigkeit bekannt, die Ölabhängigkeit der heimischen Wirtschaft hinter sich zu lassen und zu diesem Zweck 8 in die Entwicklung alternativer Wirtschaftszweige zu investieren. Nachrichtendienstliche Aktivitäten der Russischen Föderation mit dem Ziel der Auslandsaufklärung im Bereich Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie entfaltete bislang insbesondere der zivile Auslandsnachrichtendienst SWR.123 Als Ziele sind dabei die "Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und des wissenschaftlich-technischen Fortschritts des Landes durch Beschaffung von wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Informationen durch die Organe der Auslandsaufklärung" gemäß Artikel 5 des Gesetzes der Russischen Föderation über die Auslandsaufklärung definiert. Damit hat der SWR eine ihm konkret auferlegte gesetzliche Verpflichtung, Wirtschaftsspionage zu betreiben. Berichte in den Medien und Äußerungen aus der Politik gehen davon aus, dass auch westliche Nationen Wirtschaftsspionage betreiben. Belege für eine systema123 SWR: Sluschba Wneschnei Raswedki - Dienst der Außenaufklärung. 162 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 tische Wirtschaftsspionage westlicher Dienste liegen der Berliner Verfassungsschutzbehörde jedoch nicht vor, wobei je nach der Art der Begehung einer solchen Tätigkeit auch die Zuständigkeit von Bundesbehörden zu berücksichtigen ist. Wie wird vorgegangen? Kein modernes Unternehmen kommt ohne IT-Technik aus. Forschung und Entwicklung, die Verwaltung des Unternehmens, die Kundenbetreuung und Werbemaßnahmen sind heutzutage ohne IT-Infrastrukturen nicht denkbar. Obwohl Informationen immateriell sind, können diese einen erheblichen Wert besitzen. Ein vorrangiges Ziel von Cyberangriffen ist daher der Diebstahl von Informationen. Dabei sind Forschungsund Entwicklungsdaten, Kalkulationsdaten sowie Informationen über Werbestrategien und Kundendaten von besonderem Interesse für Wirtschaftsspione. In den Medien ist im Jahr 2014 erneut eine Vielzahl von Fällen elektronischer Angriffe bekannt geworden. Auch Berliner Unternehmen und Institutionen waren betroffen. Das Bedrohungspotenzial ist unverändert hoch. Ein wirksamer Schutz vor Spionage darf sich aber nicht nur auf Maßnahmen der IT-Sicherheit beschränken. Das Thema "Sicherheit" umfasst viel mehr als nur die alleinige Betrachtung der technischen Infrastrukturen. Die "Sicherheitslücke Mensch" ist nach wie vor eines der größten "Einfallstore" in Unternehmen. Die sicherste IT-Ausstattung ist wertlos, wenn die Mitarbeiter den Informationsschutz im Unternehmen nicht beachten oder sie über bestimmte Gefahren, wie z.B. verschiedene Ausforschungsmöglichkeiten, nicht aufgeklärt sind. Präventionsmaßnahmen Die Angriffsmethoden und Zielrichtungen der ausländischen Nachrichtendienste können sehr vielfältig sein. Einen effektiven Schutz vor gezielten Spionageangriffen aufzubauen ist jedoch möglich. Die wichtigste Empfehlung ist es, das Knowhow zu identifizieren, welches es vorrangig zu schützen gilt. Das können Forschungsdaten, Kundendaten oder Vertriebsdaten sein, ebenso wie Patente oder Geschmacksmuster. Es gilt, diese so genannten "Kronjuwelen"124 sicher vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Häufig sind dies bei der Fülle von Informationen, die ein Unternehmen ansammelt, nicht mehr als fünf Prozent der gesamten Daten. Darüber hinaus sollte ein Unternehmen eine Risikound Schwachstellenanalyse 124 Als "Kronjuwelen" werden die elementaren Unternehmenswerte bezeichnet, die für den Erfolg und Bestand der Firma unabdingbar sind. Wirtschaftsspionage 163 durchführen und entsprechende Notfallpläne erstellen. In Sicherheitsfragen sollte jedes Unternehmen seine Stärken und Schwächen kennen. Der Grundsatz "needto-know"125 ist ein wesentliches Prinzip, Sicherheitsrisiken zu minimieren. Es ist wichtig, ein grundsätzliches Sicherheitsbewusstsein im Unternehmen zu schaffen und dies auch zu leben. Eine hinreichende Schulung und Sensibilisierung aller Mitarbeiter in Bezug auf die möglichen Gefahren von Know-how-Abfluss ist unerlässlich. Dabei sollte die Sicherheit immer "Chefsache" sein. Ein Vorgesetzter, der mit gutem Beispiel voran geht, kann auch seine Mitarbeiter von der Notwendigkeit der Sicherheitsmaßnahmen überzeugen. Zusammenarbeit mit anderen Institutionen Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport, die Industrieund Handelskammer Berlin und der Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Berlin-Brandenburg vereinbarten im November 2010 eine engere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und in anderen Bereichen der inneren Sicherheit. Die Zusammenarbeit erfolgt auf der Grundlage der gesetzlichen Befugnisse, Rechte und Pflichten der Sicherheitspartner. Wesentliches Ziel der Sicherheitspartnerschaft ist der verstärkte Austausch von Informationen zwischen der Wirtschaft und den Sicherheitsbehörden. So sollen Unternehmen Informationen über Fälle von Wirtschaftsspionage weiterleiten. Die Sicherheitsbehörden informieren über IT-Sicherheit, den Schutz vor Wirtschaftsspionage oder über politischen Extremismus. Außerdem können sie der Wirtschaft bei Bedarf allgemeine Lagebilder, Gefährdungsanalysen und zielgruppenorientierte Warnmeldungen zur Verfügung 8 stellen. Unternehmen, die bereits von Wirtschaftsspionage betroffen sind oder einen entsprechenden Verdacht hegen bzw. besonderes Know-how besitzen, sollten nicht zögern, den Kontakt zur Verfassungsschutzbehörde zu suchen. Ein vertraulicher und vertrauensvoller Informationsaustausch wird garantiert. Im Gegensatz zu den Strafermittlungsbehörden unterliegt der Verfassungsschutz nicht dem Strafverfolgungszwang. Es liegt weitgehend im Ermessen der Behörde, ob sie einen Sachverhalt zur Strafverfolgung an Polizei und Staatsanwaltschaft weiterleitet oder nicht (Opportunitätsprinzip). 125 Der Grundsatz "need-to-know", übersetzt "Kenntnis nur wenn nötig", bedeutet einen restriktiven Zugriff auf sensible Informationen. Dabei sollen nur Personen Kenntnis von diesen Informationen erhalten, die sie unbedingt für ihre Arbeit benötigen. 164 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 III Anhang 166 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin Gesetz über den VerfassungsSS 3 Dienstkräfte schutz in Berlin (1) Die Dienstkräfte der Verfassungsschutzabteilung haben neben den allgemeinen Pflichten die sich aus (Verfassungsschutzgesetz Berlin - VSG Bln) in der dem Wesen des Verfassungsschutzes und ihrer dienstFassung vom 25. Juni 2001, geändert durch Art. V des lichen Stellung ergebenden besonderen Pflichten. Sie Gesetzes vom 30. Juli 2001 (GVBl. S. 305), geändert haben sich jederzeit für den Schutz der freiheitlichen durch Art. II des Gesetzes vom 5. Dezember 2003 demokratischen Grundordnung im Sinne des Grund(GVBl. 571), zuletzt geändert durch Gesetz vom gesetzes und der Verfassung von Berlin einzusetzen. 1. Dezember 2010 (GVBl., S. 534) Die Funktion des Leiters der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung soll nur einer Person übertragen werden, die die Befähigung zum Richteramt besitzt. (2) Der Senat von Berlin kann jährlich bestimmen, Erster Abschnitt in welchem Umfang Dienstkräften der VerfassungsAufgaben und Befugnisse der schutzabteilung freie, frei werdende und neu geschaffene Stellen in der Hauptverwaltung für Zwecke der Verfassungsschutzbehörde Personalentwicklung vorbehalten werden. SS 1 Zweck des Verfassungsschutzes SS 4 Zusammenarbeit Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Bestandes und der Sicherheit der Bundesrepublik Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Deutschland und ihrer Länder. Zusammenarbeit besteht insbesondere in gegenseitiger Unterstützung und Information sowie in der SS 2 Organisation Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen (wie z.B. (1) Verfassungsschutzbehörde ist die Senatsverdas nachrichtendienstliche Informationssystem des waltung für Inneres. Die für den Verfassungsschutz Bundes und der Länder [NADIS] und die Schule für zuständige Abteilung nimmt ihre Aufgaben gesondert Verfassungsschutz). von der für die Polizei zuständigen Abteilung wahr. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder (2) Die für den Verfassungsschutz zuständige Abteidürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im lung ist datenverarbeitende Stelle im Sinne des SS 4 Einvernehmen, das Bundesamt für Verfassungsschutz Abs. 3 Nr. 1 des Berliner Datenschutzgesetzes in der nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde Fassung vom 17. Dezember 1990 (GVBl. 1991 S. 16, tätig werden. 54), das zuletzt durch Art. IX des Gesetzes vom 30. November 2000 (GVBl. S. 495) geändert worden ist. SS 5 Aufgaben Die Übermittlung an andere Organisationseinheiten der Verfassungsschutzbehörde der Senatsverwaltung für Inneres ist ungeachtet der (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Aufgabe, fachund dienstaufsichtlichen Befugnisse zulässig, den Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin, anwenn dies für die Aufgabenerfüllung nach SS 5 Abs. 1 dere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlicherforderlich ist. keit über Gefahren für die freiheitliche demokratische (3) Bei der Leitung der Senatsverwaltung für Inneres Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des wird eine Revision eingerichtet. Die Revision ist unbeBundes und der Länder zu unterrichten. Dadurch soll schadet ihrer Verantwortung gegenüber dem Senator es den staatlichen Stellen insbesondere ermöglicht im Übrigen in der Durchführung von Prüfungen und werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur der Beurteilung von Prüfungsvorgängen unabhängig. Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen. Verfassungsschutzgesetz 167 (2) Zur Erfüllung dieser Aufgaben sammelt und eine unorganisierte Gruppe handelt, wer sie in ihren wertet die Verfassungsschutzbehörde Informationen, Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensinsbesondere sachund personenbezogene Daten, weisen von Einzelpersonen, die nicht in einer oder für Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen aus über eine Organisation oder in einer oder für eine unorga1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokranisierte Gruppe handeln, sind Bestrebungen im Sinne tische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder zu beschädigen. ihrer Mitglieder zum Ziele haben, (2) Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, die 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für gerichtet sind, sind solche, die auf die Beseitigung oder eine fremde Macht, Außerkraftsetzung wesentlicher Verfassungsgrundsät3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgeze abzielen. Hierzu gehören: setzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige und Abstimmungen und durch besondere Organe Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung (Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Ersuchen geheimer Wahl zu wählen, der zuständigen öffentlichen Stellen mit 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungs1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen mäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlawerden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich mentarischen Opposition, verschaffen können, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwort2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die lichkeit gegenüber der Volksvertretung, an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebens oder 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft oder werden sollen, und 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürf(3) Im Sinne dieses Gesetzes sind tigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, die Frei4. bei aufenthaltsrechtlichen Verfahren, Einbürgeheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrrungsverfahren, jagdund waffenrechtlichen Verfahren schaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen sowie bei sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen, Überprüfungen; die Mitwirkung ist nur zulässig, wenn 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder diese zum Schutz der freiheitlichen demokratischen eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, den Grundordnung oder für Zwecke der öffentlichen SiBund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer cherheit erforderlich ist; Näheres wird in einer VerwalFunktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. tungsvorschrift des Senators für Inneres im Benehmen (4) Auswärtige Belange im Sinne des SS 5 Abs. 2 Nr. 3 mit dem Berliner Beauftragten für den Datenschutz werden nur gefährdet, wenn innerhalb des Geltungsbeund für das Recht auf Akteneinsicht bestimmt. reichs des Grundgesetzes Gewalt ausgeübt oder durch Die Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde bei der Handlungen vorbereitet wird und diese sich gegen die Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 sind im Berliner politische Ordnung oder Einrichtungen anderer Staaten Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 2. März 1998 richten. (GVBl. S. 26) geregelt. SS 7 Voraussetzung und Rahmen für die SS 6 Begriffsbestimmungen Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde (1) Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2 Nr. 1 und (1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, darf 3 sind politisch motivierte, zielund zweckgerichtete die Verfassungsschutzbehörde bei der Wahrnehmung Verhaltensweisen oder Betätigungen von Organiihrer Aufgaben nach SS 5 Abs. 2 nur tätig werden, sationen, Personenzusammenschlüssen ohne feste wenn im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte für hierarchische Organisationsstrukturen (unorganisierte den Verdacht der dort genannten Bestrebungen oder Gruppen) oder Einzelpersonen gegen die in SS 5 Abs. 2 Tätigkeiten vorliegen. bezeichneten Schutzgüter. Für eine Organisation oder 168 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf für die 2. Observation, Prüfung, ob die Voraussetzungen des Absatzes 1 3. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Videografieren vorliegen, die dazu erforderlichen personenbezogenen und Filmen), Daten aus allgemein zugänglichen Quellen erheben, 4. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, speichern und nutzen. Eine Speicherung dieser Daten 5. Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel, im nachrichtendienstlichen Informationssystem (NA6. Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich DIS) oder in anderen Verbunddateien ist nicht zulässig. gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel, Eine Speicherung der nach Satz 1 erhobenen perso7. Beobachtungen des Funkverkehrs auf nicht für den nenbezogenen Daten in Akten und Dateien über den allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen sowie die Ablauf eines Jahres seit der Speicherung hinaus ist nur Sichtbarmachung, Beobachtung, Aufzeichnung und zulässig, wenn spätestens von diesem Zeitpunkt an die Entschlüsselung von Signalen in KommunikationssyVoraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen. Dasselbe stemen, gilt für das Anlegen personenbezogener Akten. 8. Verwendung fingierter biografischer, beruflicher (3) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Verfassungsoder gewerblicher Angaben (Legenden), schutzbehörde nur die dazu erforderlichen Maßnah9. Beschaffung, Erstellung und Verwendung von Tarnmen ergreifen; dies gilt insbesondere für die Erhebung papieren und Tarnkennzeichen, und Verarbeitung personenbezogener Informationen. 10. Überwachung des Brief-, Post-, und FernmeldeverVon mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen kehrs nach Maßgabe des Art. 10-Gesetzes, vom 26. Juni hat sie diejenige auszuwählen, die den einzelnen, 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), zuletzt geändert durch insbesondere in seinen Grundrechten, und die AllgeArt. 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 22. August 2002 (BGBl. meinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. I S. 3390), Eine Maßnahme hat zu unterbleiben, wenn sie einen 11. Einsatz von weiteren vergleichbaren Methoden, Nachteil herbeiführt, der erkennbar außer Verhältnis Gegenständen und Instrumenten zur heimlichen zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Sie ist nur solange Informationsbeschaffung, insbesondere das sonstige zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass Eindringen in technische Kommunikationsbeziehungen er nicht erreicht werden kann. durch Bild-, Ton-, und Datenaufzeichnungen; dem (4) Soweit in diesem Gesetz besondere EingriffsbeEinsatz derartiger Methoden, Gegenstände und fugnisse das Vorliegen gewalttätiger Bestrebungen Instrumente hat der Ausschuss für Verfassungsschutz oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen des Abgeordnetenhauses von Berlin vorab seine voraussetzen, ist Gewalt die Anwendung körperlichen Zustimmung zu erteilen. Zwanges gegen Personen oder eine nicht unerhebliche Personen, die berechtigt sind, in Strafsachen aus Einwirkung auf Sachen. beruflichen Gründen das Zeugnis zu verweigern (SSSS 53 und 53a der Strafprozessordnung), darf die VerSS 8 Befugnisse fassungsschutzbehörde nicht von sich aus nach Satz 1 Nr. 1 zur Beschaffung von Informationen in Anspruch der Verfassungsschutzbehörde nehmen, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf die zur bezieht. Die Behörden des Landes Berlin sind verpflichErfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen tet, der Verfassungsschutzbehörde technische Hilfe für einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten Tarnungsmaßnahmen zu geben. und bei Behörden, sonstigen öffentlichen Stellen sowie (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf Informationen nicht öffentlichen Stellen, insbesondere bei Privateinschließlich personenbezogener Daten mit den personen, erheben, soweit die Bestimmungen dieses Mitteln gemäß Absatz 2 erheben, wenn Gesetzes dies zulassen. Ein Ersuchen der Verfassungs1. sich ihr Einsatz gegen Organisationen, unorganischutzbehörde um Übermittlung personenbezogener sierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Personen Daten darf nur diejenigen personenbezogenen Daten richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den enthalten, die für die Erteilung der Auskunft unerlässVerdacht der Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 lich sind. Schutzwürdige Interessen des Betroffenen Abs. 2 bestehen, dürfen nur im unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt 2. auf diese Weise Erkenntnisse über gewalttätige werden. Bestrebungen oder geheimdienstliche Tätigkeiten (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur heimlichen gewonnen werden können, Informationsbeschaffung, insbesondere zur Erhebung 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrepersonenbezogener Daten, nur in begründeten Fällen bungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlichen folgende nachrichtendienstliche Mittel anwenden: Quellen erschlossen werden können oder 1. Einsatz von Vertrauensleuten, sonstigen geheimen 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichtungen, GeInformanten, zum Zweck der Spionageabwehr übergenstände und Quellen der Verfassungsschutzbehörde worbenen Agenten, Gewährspersonen und verdeckten gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Ermittlern, Tätigkeiten erforderlich ist. Datenerhebungen nach Satz 1 Nr. 2 dürfen sich gegen Verfassungsschutzgesetz 169 andere als die in SS 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 genannten gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen nur richten, soweit dies zur Gewinnung von Personen, unerlässlich ist, ein konkreter Verdacht Erkenntnissen unerlässlich ist. in Bezug auf eine Gefährdung der vorstehenden (4) Die Erhebung nach Absatz 2 ist unzulässig, wenn Rechtsgüter besteht und der Einsatz anderer Methoden die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die beund Mittel zur heimlichen Informationsbeschaffung troffene Person weniger beeinträchtigende Weise mögkeine Aussicht auf Erfolg bietet. Die Sätze 1 und 2 lich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel gelten entsprechend für einen verdeckten Einsatz anzunehmen, wenn die Informationen aus allgemein technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen zugänglichen Quellen oder durch eine Auskunft nach und Bildaufzeichnungen in Wohnungen. Maßnahmen SS 27 gewonnen werden können. Die Anwendung eines nach den Sätzen 1 bis 3 dürfen nur aufgrund richMittels gemäß Absatz 2 soll erkennbar im Verhältnis terlicher Anordnung getroffen werden. Bei Gefahr im zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts Verzuge kann die Maßnahme auch durch den Senator stehen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel für Inneres, der im Verhinderungsfall durch den nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 und 7 ist grundsätzlich nur zur zuständigen Staatssekretär vertreten wird, angeordnet Informationsbeschaffung über Bestrebungen gegen die werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich freiheitliche demokratische Grundordnung zulässig, nachzuholen. wenn diese Bestrebung die Anwendung von Gewalt (2) Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu billigen oder sich in aktiv kämpferischer, aggressiver befristen. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als Weise betätigen. Die Maßnahme ist unverzüglich zu drei weitere Monate sind auf Antrag zulässig, soweit beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Andie Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. haltspunkte dafür ergeben, dass er nicht oder nicht auf Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr diese Weise erreicht werden kann. Daten, die für das vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel Verständnis der zu speichernden Informationen nicht zur Informationsgewinnung nicht mehr erforderlich, ist erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Die die Maßnahme unverzüglich zu beenden. Der Vollzug Löschung kann unterbleiben, wenn die Informationen der Anordnung erfolgt unter Aufsicht eines Bedienstevon anderen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderten der Verfassungsschutzbehörde, der die Befähigung lich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand zum Richteramt hat. getrennt werden können; in diesem Fall dürfen die (3) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze Daten nicht verwertet werden. der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen (5) Die näheren Voraussetzungen für die Anwendung vorgesehen, kann die Maßnahme durch den Senator der Mittel nach Absatz 2 sind in einer Verwaltungsvorfür Inneres, der im Verhinderungsfall durch den schrift des Senators für Inneres zu regeln, die auch die zuständigen Staatssekretär vertreten wird, angeordnet Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationswerden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei beschaffung regelt. Die Verwaltungsvorschrift ist dem erlangten Erkenntnisse zum Zwecke der GefahrenabAusschuss für Verfassungsschutz des Abgeordnetenwehr ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit hauses von Berlin vorab zur Kenntnis zu geben. der Maßnahme richterlich festgestellt worden ist; bei (6) Für die Speicherung und Löschung der durch MaßGefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung nahmen nach Absatz 2 erlangten personenbezogenen unverzüglich nachzuholen. Daten gilt SS 4 Abs. 1 des Art. 10 Gesetzes entsprechend. (4) Zuständig für richterliche Entscheidungen nach (7) Polizeiliche Befugnisse stehen der Verfassungsden Absätzen 1 und 3 ist das Amtsgericht Tiergarten. schutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch nicht Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbardenen sie selbst nicht befugt ist. keit entsprechend. (8) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allge(5) Der Senat unterrichtet die Kommission nach meinen Rechtsvorschriften gebunden (Art. 20 des SS 2 des Gesetzes zur Ausführung des Art. 10-Gesetzes Grundgesetzes). in der Fassung vom 25. Juni 2001 (GVBl. S. 251), das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 5. Dezember 2003 (GVBl. S. 571) geändert worden ist, unverzüglich, SS 9 Einsatz technischer Mittel zur möglichst vorab, und umfassend über den Einsatz Überwachung von Wohnungen technischer Mittel nach Absatz 1 und, soweit rich(1) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene terlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 3. SS 3 Wort darf mit technischen Mitteln ausschließlich bei des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 der Wahrnehmung der Aufgaben auf dem Gebiet der Grundgesetz gilt entsprechend. Spionageabwehr und des gewaltbereiten politischen (6) Eine Maßnahme nach den Absätzen 1 und 3 Extremismus heimlich mitgehört oder aufgezeichnet ist nach ihrer Beendigung der betroffenen Person werden. Eine solche Maßnahme ist nur zulässig, wenn mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der sie im Einzelfall zur Abwehr einer dringenden Gefahr Maßnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer zu erwarten ist. Die durch Maßnahmen im Sinne des 170 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Satzes 1 erhobenen Informationen dürfen nur nach (5) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter NachMaßgabe des SS 4 Abs. 1 des Art. 10-Gesetzes verwenweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch det werden. genommene Stelle, die Namen der Betroffenen, deren Daten für eine weitere Verwendung erforderlich sind, sowie der Zeitpunkt der Einsichtnahme hervorgehen. SS 9a Eingriffe, die in ihrer Art und Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, Schwere einer Beschränkung des Brief-, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu Postund Fernmeldegeheimnisses gleichsichern und, soweit sie für die Aufgabenerfüllung der kommen Verfassungsschutzbehörde nach SS 5 Abs. 2 nicht mehr (1) Ein Eingriff, der in seiner Art und Schwere einer benötigt werden, am Ende des Kalenderjahres, das dem Beschränkung des Brief-, Postund FernmeldegeheimJahr der Erstellung folgt, zu vernichten. nisses gleichkommt und nicht den Regelungen des SS 9 unterliegt, wozu insbesondere das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel gehört, Zweiter Abschnitt bedarf der Anordnung durch den Senator für Inneres, der im Verhinderungsfall durch den zuständigen Datenverarbeitung Staatssekretär vertreten wird. (2) Die SSSS 2 und 3 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz gelten entsprechend. SS 11 Speicherung, Veränderung und Nut(3) SS 9 Abs. 6 gilt entsprechend. zung personenbezogener Informationen (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben rechtmäßig erhobene personenbezoSS 10 Registereinsicht durch die gene Informationen speichern, verändern und nutzen, Verfassungsschutzbehörde wenn (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Aufklärung 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder - von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstTätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 vorliegen oder lichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder 2. dies für die Erforschung oder Bewertung von - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gegewalttätigen Bestrebungen oder geheimdienstlichen walt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist oder gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtenden Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines dienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder TätigLandes gerichtet sind oder keiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist oder - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Ge4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichtungen, Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen genstände und Quellen der Verfassungsschutzbehörde auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche gefährden, Tätigkeiten erforderlich ist oder von öffentlichen Stellen geführte Register, z.B. 5. sie auf Ersuchen der zuständigen Stelle nach SS 5 Melderegister, Personalausweisregister, Passregister, Abs. 3 tätig wird. Führerscheinkarteien, Waffenscheinkarteien, einsehen. In Akten dürfen über Satz 1 Nr. 2 hinaus personen(2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn bezogene Daten auch gespeichert, verändert und 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich genutzt werden, wenn dies sonst zur Erforschung und erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Bewertung von Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 zwingend Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der erforderlich ist. Maßnahme gefährdet würde, und (2) In Dateien gespeicherte Informationen müssen 2. die betroffene Person durch eine anderweitige Aufdurch Aktenrückhalt belegbar sein. klärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würde, und (3) In Dateien ist die Speicherung von Informationen 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvoraus der Intimsphäre der betroffenen Person unzulässchrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtnahme sig. nicht entgegensteht. (3) Die Anordnung für die Maßnahme nach Absatz 1 trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung, im Falle der Verhinderung der Vertreter. (4) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. Gespeicherte Informationen sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke nicht mehr benötigt werden. Verfassungsschutzgesetz 171 SS 12 Speicherung, Veränderung und Nutderlich sind, es sei denn, dass ihre Aufbewahrung zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen zung personenbezogener Informationen Person notwendig ist. Die Vernichtung unterbleibt, von Minderjährigen wenn die Unterlagen von anderen, die zur Erfüllung der Die Speicherung personenbezogener Informationen Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unverüber Minderjährige, die das 14. Lebensjahr nicht volltretbarem Aufwand getrennt werden können. endet haben, ist unzulässig. (5) Personenbezogene Informationen, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsSS 13 Speicherungsdauer gemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Speigespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke und cherungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung zur Verfolgung der in der jeweiligen Fassung des Berlierforderliche Maß zu beschränken. Die in Dateien gener Datenschutzgesetzes als Straftaten bezeichneten speicherten Informationen sind bei der EinzelfallbearHandlungen verwendet werden. beitung, spätestens aber fünf Jahre nach Speicherung der letzten Information, auf ihre Erforderlichkeit zu SS 15 Berichtigung und Sperrung persoüberprüfen. Sofern die Informationen Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 betreffen, sind sie nenbezogener Informationen in Akten (1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde fest, dass in spätestens zehn Jahre nach der zuletzt gespeicherten Akten gespeicherte personenbezogene Informationen relevanten Information zu löschen. unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von dem (2) Sind Informationen über Minderjährige in Dateien Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu veroder in Akten, die zu ihrer Person geführt werden, gemerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. speichert, ist nach zwei Jahren die Erforderlichkeit der (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat personenbeSpeicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf zogene Informationen in Akten zu sperren, wenn sie Jahren die Löschung vorzunehmen, es sei denn, dass im Einzelfall feststellt, dass ohne die Sperrung schutznach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse würdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt nach SS 5 Abs. 2 angefallen sind, die zur Erfüllung der würden und die Daten für ihre Aufgabenerfüllung nicht Aufgaben im Sinne dieses Gesetzes eine Fortdauer der mehr erforderlich sind. Gesperrte Informationen sind Speicherung rechtfertigen. mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt oder übermittelt werden. SS 14 Berichtigung, Löschung und SperEine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. rung personenbezogener Informationen in Dateien (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien SS 16 Dateianordnungen (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsgespeicherten personenbezogenen Informationen schutzbehörde sind in einer Dateianordnung im zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie sind zu Benehmen mit dem Berliner Beauftragten für den ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht schutzwürdige Interessen der betroffenen Person festzulegen: beeinträchtigt sein können. 1. Bezeichnung der Datei, (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien 2. Zweck der Datei, gespeicherten personenbezogenen Informationen zu 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der Speichelöschen, wenn ihre Speicherung irrtümlich erfolgt war, rungen, Übermittlung und Nutzung (betroffener unzulässig war oder ihre Kenntnis für die AufgabenerPersonenkreis, Arten der Daten), füllung nicht mehr erforderlich ist und schutzwürdige 4. Eingabeberechtigung, Interessen der betroffenen Person nicht beeinträchtigt 5. Zugangsberechtigung, werden. 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, (3) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien 7. Protokollierung, gespeicherten personenbezogenen Informationen zu 8. Datenverarbeitungsgeräte und Betriebssystem, sperren, wenn die Löschung unterbleibt, weil Grund 9. Inhalt und Umfang von Textzusätzen, die der zu der Annahme besteht, dass durch die Löschung Erschließung von Akten dienen. schutzwürdige Interessen der betroffenen Person (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat in angemesbeeinträchtigt würden; gesperrte Informationen sind senen Abständen die Notwendigkeit der Weiterführung entsprechend zu kennzeichnen und dürfen nur mit oder Änderung ihrer Dateien zu prüfen. Einwilligung der betroffenen Person verwendet werden. (4) In Dateien gelöschte Informationen sind gesperrt. Unterlagen sind zu vernichten, wenn sie zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 nicht oder nicht mehr erfor- 172 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 SS 17 Gemeinsame Dateien SS 21 Informationsübermittlung an StrafBundesgesetzliche Vorschriften über die Datenververfolgungsbehörden in Angelegenheiten arbeitung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bleiben des Staatsund Verfassungsschutzes Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt den unberührt. Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeibehörden des Landes die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn Dritter Abschnitt tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Informationsübermittlung Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten, die im Zusammenhang mit Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 stehen, erforderlich ist. SS 18 Grundsätze bei der Informationsübermittlung durch die VerfassungsSS 22 Übermittlung von Informationen an schutzbehörde den öffentlichen Bereich Die Übermittlung von personenbezogenen Informatio(1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenerfüllung nen ist aktenkundig zu machen. In der entsprechenden gewonnenen, nicht personenbezogenen Erkenntnisse Datei ist die Informationsübermittlung zu vermerken. der Verfassungsschutzbehörde können an andere Vor der Informationsübermittlung ist der Akteninhalt Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und im Hinblick auf den Übermittlungszweck zu würdigen die Staatsanwaltschaft, übermittelt werden, wenn sie und der Informationsübermittlung zugrunde zu legen. für die Aufgabenerfüllung der empfangenden Stellen Erkennbar unvollständige Informationen sind vor der erforderlich sein können. Übermittlung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf personendurch Einholung zusätzlicher Auskünfte zu vervollbezogene Informationen an inländische Behörden ständigen. und juristische Personen des öffentlichen Rechts übermitteln, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben SS 19 Informationsübermittlung zwischen erforderlich ist oder der Empfänger die Informationen den Verfassungsschutzbehörden zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das SS 5 Abs. 2 oder zur Strafverfolgung benötigt oder nach Bundesamt für Verfassungsschutz und die VerfasSS 5 Abs. 3 tätig wird. sungsschutzbehörden der Länder über alle Angelegen(3) Die empfangende Stelle von Informationen nach heiten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der Absatz 2 ist darauf hinzuweisen, dass sie die übermitempfangenden Stellen erforderlich ist. telten personenbezogenen Informationen nur zu dem Zweck verwenden darf, zu dessen Erfüllung sie ihr übermittelt wurden. SS 20 Informationsübermittlung an den Bundesnachrichtendienst und den MilitäSS 23 Übermittlung von Informationen rischen Abschirmdienst an Personen und Stellen außerhalb des Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen öffentlichen Bereichs Personenbezogene Informationen dürfen an Personen Abschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Inforoder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nicht mationen einschließlich personenbezogener Daten, übermittelt werden, es sei denn, dass dies zum Schutz wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines der empfangenden Stellen erforderlich ist. Handelt Landes erforderlich ist und der Senator für Inneres, der die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen, so ist im Verhinderungsfall durch den zuständigen Staatssesie zur Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, kretär vertreten wird, im Einzelfall seine Zustimmung wenn sich die Voraussetzungen aus den Angaben der erteilt hat. Die Verfassungsschutzbehörde führt über ersuchenden Behörde ergeben. die Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen Verfassungsschutzgesetz 173 Informationen nur für den Zweck verwenden, zu dem SS 27 Übermittlung von Informationen an sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Behörden des Landes und die sonstigen der dass die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, um Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Personen des öffentlichen Rechts übermitteln von sich Informationen zu bitten. aus der Verfassungsschutzbehörde die ihnen bekannt gewordenen Informationen, insbesondere personenbeSS 24 Übermittlung von Informationen an zogene Daten, über Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2, die die Stationierungsstreitkräfte durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, und über Informationen an Dienststellen der Stationierungsgeheimdienstliche Tätigkeiten. Die Staatsanwaltschafstreitkräfte übermitteln, soweit die Bundesrepublik ten und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen SachleiDeutschland dazu im Rahmen von Art. 3 des Zusatzabtungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus kommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien auch andere im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung des Nordatlantikpaktes über die Rechtsstellung bekannt gewordene Informationen über Bestrebungen ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik im Sinne des SS 5 Abs. 2. Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte (2) Die Verfassungsschutzbehörde kann von jeder der vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183) verpflichtet in Absatz 1 genannten öffentlichen Stellen verlangen, ist. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Der dass sie ihr die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderEmpfänger ist darauf hinzuweisen, dass die übermitlichen Informationen einschließlich personenbezogener telten Informationen nur zu dem Zweck verwendet Daten übermittelt, wenn die Informationen nicht aus werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden. allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand oder nur durch eine den SS 25 Übermittlung von Informationen Betroffenen stärker belastende Maßnahme erhoben an öffentliche Stellen außerhalb des werden können. Es dürfen nur die Informationen übermittelt werden, die bei der ersuchten Behörde bereits Geltungsbereichs des Grundgesetzes bekannt sind. Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene (3) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchen Informationen an ausländische öffentliche Stellen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betrofsowie an überoder zwischenstaatliche Stellen fenen Person dient oder eine Begründung den Zweck übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung der Maßnahme gefährden würde. ihrer Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicher(4) Die Übermittlung personenbezogener Informatiheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die onen, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a der Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nur der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür besteschutzwürdige Interessen der betroffenen Person hen, dass jemand eine der in SS 3 des Art. 10-Gesetzes entgegenstehen. Die Übermittlung ist nur im Einvergenannten Straftaten plant, begeht oder begangen nehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz hat. Auf die der Verfassungsschutzbehörde nach Satz 1 zulässig. Sie ist aktenkundig zu machen. Der Empübermittelten Informationen findet SS 4 Abs. 6, auf die fänger ist darauf hinzuweisen, dass die übermittelten dazugehörenden Unterlagen findet SS 4 Abs. 1 Satz 2 personenbezogenen Informationen nur zu dem Zweck des Art. 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt (5) Vorschriften zur Informationsübermittlung an die wurden, und die Verfassungsschutzbehörde sich Verfassungsschutzbehörde nach anderen Gesetzen vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene bleiben unberührt. Verwendung der Informationen zu bitten. (6) Die Verfassungsschutzbehörde hat die übermittelten Informationen nach ihrem Eingang unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erfüllung ihrer in SS 26 Unterrichtung der Öffentlichkeit SS 5 genannten Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, sind die UnÖffentlichkeit mindestens einmal jährlich über Bestreterlagen unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung bungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2. Dabei ist die unterbleibt, wenn die Trennung von anderen InforÜbermittlung von personenbezogenen Informationen mationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich nur zulässig, wenn die Bekanntgabe für das Verständsind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand nis des Zusammenhanges oder der Darstellung von erfolgen kann; in diesem Fall sind die Informationen Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen gesperrt und entsprechend zu kennzeichnen. erforderlich ist und die Interessen der Allgemeinheit (7) Soweit andere gesetzliche Vorschriften nicht an sachgemäßen Informationen das schutzwürdige besondere Regelungen über die Dokumentation Interesse des Betroffenen überwiegen. 174 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 treffen, haben die Verfassungsschutzbehörde und die Dienstleistungen, übermittelnde Stelle die Informationsübermittlung 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr aktenkundig zu machen. Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. (5) Auskünfte nach den Abs. 1 bis 4 dürfen nur auf SS 27a Übermittlung von Informationen Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist von der Leitung der Verfassungsschutzabteilung, im Falle durch nicht öffentliche Stellen an die ihrer Verhinderung von ihrem Vertreter schriftlich zu Verfassungsschutzbehörde stellen und zu begründen. Über den Antrag entscheidet (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall der Senator für Inneres, im Fall seiner Verhinderung bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten der Staatssekretär. Die Senatsverwaltung für Inneres und Finanzunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu unterrichtet die Kommission nach SS 2 des Gesetzes Konten, Kontoinhabern und sonstigen Berechtigten zur Ausführung des Art. 10-Gesetzes über die beschiesowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu denen Anträge vor deren Vollzug. Bei Gefahr in Verzug Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, wenn dies kann der Senator für Inneres, im Falle seiner Verhindezur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen nach SS 5 rung der Staatssekretär den Vollzug der Entscheidung Abs. 2 Nr. 2 und 3 erforderlich ist und tatsächliche Anauch bereits vor der Unterrichtung der Kommission haltspunkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen. anordnen. Die Kommission prüft von Amts wegen (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen nach Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn tatsächliche AnhaltsAbs. 5 des Art. 10-Gesetzes ist mit der Maßgabe entpunkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen sprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Art. Kommission sich auf die gesamte Erhebung, Verarbei10-Gesetzes bei Personen und Unternehmen, die tung und Nutzung der nach den Abs. 1 bis 4 erlangten geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen, sowie personenbezogenen Daten erstreckt. Entscheidungen bei denjenigen, die an der Erbringung dieser Dienstleiüber Auskünfte, die die Kommission für unzulässig stungen mitwirken, unentgeltlich Auskünfte zu Namen, oder nicht notwendig erklärt, hat die Senatsverwaltung Anschriften, Postfächern und sonstigen Umständen für Inneres unverzüglich aufzuheben. Für die Verardes Postverkehrs einholen. beitung der nach den Abs. 1 bis 4 erhobenen Daten ist (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall SS 4 des Art. 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. bei Luftfahrtunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Das Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten Namen, Anschriften und zur Inanspruchnahme von dürfen dem Betroffenen oder Dritten nicht mitgeteilt Transportleistungen und sonstigen Umständen des werden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Art. 10-Gesetzes findet Luftverkehrs einholen, wenn dies zur Beobachtung entsprechende Anwendung. gewalttätiger Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und (6) Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet im 3 erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für Abstand von höchstens sechs Monaten den Ausschuss Gefahren für Leib und Leben vorliegen. für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses (4) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall über die Durchführung der Absätze 1 bis 5; dabei ist zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen nach insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn tatsächliche AnhaltsDauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum punkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen durchgeführten Maßnahmen nach den Absätzen 1 bis unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Art. 4 zu geben. 10-Gesetzes bei denjenigen, die geschäftsmäßig (7) Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet das Telekommunikationsdienste und Teledienste erbringen Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes jährlich oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte über die nach den Absätzen 1 bis 5 durchgeführten über Telekommunikationsverbindungsdaten und Maßnahmen; Abs. 6 gilt entsprechend. Teledienstnutzungsdaten einholen. Die Auskunft kann (8) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldeauch in Bezug auf zukünftige Telekommunikation und geheimnisses (Art. 10 des Grundgesetzes, Art. 16 der zukünftige Nutzung von Telediensten verlangt werden. Verfassung von Berlin) wird nach Maßgabe der Absätze Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienst2, 4 und 5 eingeschränkt. nutzungsdaten sind: 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, SS 28 Übermittlungsverbote Standortkennung sowie Rufnummer oder Kennung des Die Übermittlung von Informationen nach den Voranrufenden und angerufenen Anschlusses oder der schriften dieses Abschnitts unterbleibt, wenn Endeinrichtung, 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und dass die Informationen zu löschen oder für die empUhrzeit, fangende Stelle nicht mehr bedeutsam sind, 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern, genommenen Telekommunikationsund Teledienst3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass Verfassungsschutzgesetz 175 unter Berücksichtigung der Art der Informationen und inwieweit eine Teilauskunft möglich ist. Ein Geheimhalihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der tungsinteresse liegt vor, wenn betroffenen Personen das Allgemeininteresse an der 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Übermittlung überwiegen oder Auskunftserteilung zu besorgen ist, 4. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen 2. durch die Auskunftserteilung Quellen gefährdet sein entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder der Arbeitsweisen der Verfassungsschutzbehörde oder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf zu befürchten ist, gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder SS 29 Minderjährigenschutz 4. die Informationen oder die Tatsache der Speiche(1) Informationen einschließlich personenbezogener rung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen Daten über das Verhalten Minderjähriger dürfen nach nach, insbesondere wegen der überwiegenden beden Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, rechtigten Interessen Dritter, geheimgehalten werden solange die Voraussetzungen der Speicherung nach müssen. SS 13 Abs. 2 erfüllt sind. Die Entscheidung nach den Sätzen 1 und 2 trifft der (2) Informationen einschließlich personenbezogener Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder ein von Daten über das Verhalten Minderjähriger vor Vollenihm besonders beauftragter Mitarbeiter. dung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschrif(3) Die Ablehnung einer Auskunft ist zumindest insoten dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überweit zu begründen, dass eine verwaltungsgerichtliche oder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. Nachprüfung der Verweigerungsgründe gewährleistet wird, ohne dabei den Zweck der AuskunftsverweigeSS 30 Nachberichtspflicht rung zu gefährden. Die Gründe der Ablehnung sind in Erweisen sich Informationen nach ihrer Übermittlung jedem Fall aktenkundig zu machen. nach den Vorschriften dieses Gesetzes als unvollstän(4) Wird die Auskunftserteilung ganz oder teilweise abdig oder unrichtig, so hat die übermittelnde Stelle ihre gelehnt, ist die betroffene Person darauf hinzuweisen, Informationen unverzüglich gegenüber der empfandass sie sich an den Berliner Beauftragten für den Dagenden Stelle zu ergänzen oder zu berichtigen, wenn tenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht wenden dies zu einer anderen Bewertung der Informationen kann. Dem Berliner Beauftragten für den Datenschutz führen könnte oder zur Wahrung schutzwürdiger Inteund für das Recht auf Akteneinsicht ist auf sein Verressen der betroffenen Person erforderlich ist. Die Erlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht der Senator gänzung oder Berichtigung ist aktenkundig zu machen für Inneres im Einzelfall feststellt, dass dadurch die und in den entsprechenden Dateien zu vermerken. Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Berliner Beauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde Vierter Abschnitt zulassen, soweit sie nicht einer weitergehenden Auskunftserteilung Auskunft zustimmt. Der Kontrolle durch den Berliner Beauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht unterliegen nicht personenbezogene SS 31 Auskunft an den Betroffenen Informationen, die der Kontrolle durch die Kommission (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt einer nach SS 2 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes natürlichen Person über die zu ihr gespeicherten zu Art. 10 Grundgesetz unterliegen, es sei denn, die Informationen auf Antrag unentgeltlich Auskunft. Die Kommission ersucht den Berliner Beauftragten für den Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf InforDatenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht, die mationen, die nicht der alleinigen VerfügungsberechtiEinhaltung der Vorschriften über den Datenschutz bei gung der Verfassungsschutzbehörde unterliegen, sowie bestimmten Vorgängen oder in bestimmten Bereichen auf die Herkunft der Informationen und die Empfänger zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu von Übermittlungen. berichten. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf den Antrag ablehnen, wenn das öffentliche Interesse an der Geheimhaltung ihrer Tätigkeit oder ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse Dritter gegenüber dem Interesse der antragstellenden Person an der Auskunftserteilung überwiegt. In einem solchen Fall hat die Verfassungsschutzbehörde zu prüfen, ob und 176 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 SS 32 Akteneinsicht SS 34 Geheimhaltung (1) Sind personenbezogene Daten in Akten (1) Die Öffentlichkeit wird durch einen Beschluss des gespeichert, so kann dem Betroffenen auf Antrag Ausschusses ausgeschlossen, wenn das öffentliche Akteneinsicht gewährt werden, soweit GeheimhalInteresse oder berechtigte Interessen eines einzelnen tungsinteressen oder schutzwürdige Belange Dritter dies gebieten. Sofern die Öffentlichkeit ausgeschlossen nicht entgegenstehen. SS 31 gilt entsprechend. ist, sind die Mitglieder des Ausschusses zur Verschwie(2) Die Einsichtnahme in Akten oder Aktenteile ist genheit über Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen insbesondere dann zu versagen, wenn die Daten des dabei bekannt geworden sind. Das gleiche gilt auch für Betroffenen mit Daten Dritter oder geheimhaltungsbedie Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Ausschuss. Die dürftigen sonstigen Informationen derart verbunden Verpflichtung zur Verschwiegenheit kann von dem Aussind, dass ihre Trennung auch durch Vervielfältigung schuss aufgehoben werden, soweit nicht berechtigte und Unkenntlichmachung nicht oder nur mit unverInteressen eines Einzelnen entgegenstehen oder der hältnismäßig großem Aufwand möglich ist. In diesem Senat widerspricht; in diesem Fall legt der Senat dem Fall ist dem Betroffenen zusammenfassende Auskunft Ausschuss seine Gründe dar. über den Akteninhalt zu erteilen. (2) Die Vorschriften des Absatzes 1 gelten für stellver(3) Das Berliner Informationsfreiheitsgesetz vom tretende Mitglieder des Ausschusses entsprechend. 15. Oktober 1999 (GVBl. S. 561) findet auf die von der Verfassungsschutzabteilung der Senatsverwaltung für SS 35 Aufgaben und Befugnisse Inneres geführten Akten keine Anwendung. des Ausschusses (1) Der Senat hat den Ausschuss umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu Fünfter Abschnitt unterrichten; er berichtet auch über den Erlass von Verwaltungsvorschriften. Der Ausschuss hat Anspruch Parlamentarische Kontrolle auf Unterrichtung. (2) Der Ausschuss hat auf Antrag mindestens eines SS 33 Ausschuss für Verfassungsschutz seiner Mitglieder das Recht auf Erteilung von Auskünf(1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes ten, Einsicht in Akten und andere Unterlagen, Zugang unterliegt der Senat von Berlin der Kontrolle durch den zu Einrichtungen der Verfassungsschutzbehörde sowie Ausschuss für Verfassungsschutz des Abgeordnetenauf Anhörung von deren Dienstkräften. Die Befugnisse hauses von Berlin. Die Rechte des Abgeordnetenhauses des Ausschusses nach Satz 1 erstrecken sich nur auf und seiner anderen Ausschüsse bleiben unberührt. Gegenstände, die der alleinigen Verfügungsberechti(2) Der Ausschuss für Verfassungsschutz besteht gung der Verfassungsschutzbehörde unterliegen. in der Regel aus höchstens zehn Mitgliedern. Das (3) Der Senat kann die Unterrichtung über einzelne Vorschlagsrecht der Fraktionen für die Wahl der Vorgänge verweigern und bestimmten KontrollbegehMitglieder richtet sich nach der Stärke der Fraktionen, ren widersprechen, wenn dies erforderlich ist, um vom wobei jede Fraktion mindestens durch ein Mitglied Bund oder einem deutschen Land Nachteile abzuwenvertreten sein muss. Eine Erhöhung der im Satz 1 den; er hat dies vor dem Ausschuss zu begründen. bestimmten Mitgliederzahl ist nur zulässig, soweit (4) Das Abgeordnetenhaus kann den Ausschuss für sie zur Beteiligung aller Fraktionen notwendig ist. Es einen bestimmten Untersuchungsgegenstand als werden stellvertretende Mitglieder gewählt, die im Fall Untersuchungsausschuss (Art. 48 der Verfassung von der Verhinderung eines ordentlichen Mitglieds dessen Berlin) einsetzen. SS 3 des Gesetzes über die UntersuRechte und Pflichten wahrnehmen. Die Anzahl der chungsausschüsse des Abgeordnetenhauses von Berlin stellvertretenden Mitglieder entspricht der Anzahl der vom 22. Juni 1970 (GVBI. S. 925), zuletzt geändert ordentlichen Mitglieder. Kann das ordentliche Mitglied durch Gesetz vom 24. Juni 1991 (GVBI. S. 154), findet seine Rechte und Pflichten nicht wahrnehmen, so keine Anwendung. wird es durch ein stellvertretendes Mitglied derselben (5) Für den Ausschuss gelten im Übrigen die BestimFraktion vertreten. mungen der Geschäftsordnung des Abgeordneten(3) Scheidet ein Mitglied aus dem Abgeordnetenhaus hauses von Berlin. oder seiner Fraktion aus, so verliert es die Mitgliedschaft im Ausschuss für Verfassungsschutz. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Ausschuss ausscheidet. Für stellvertretende Mitglieder des Ausschusses gelten die Vorgaben der Sätze 1 und 2 entsprechend. Verfassungsschutzgesetz 177 SS 36 Vertrauensperson des Ausschusses für Verfassungsschutz Der Ausschuss für Verfassungsschutz kann zur Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben im Einzelfall nach Anhörung des Senats mit der Mehrheit seiner Mitglieder eine Vertrauensperson beauftragen, Untersuchungen durchzuführen und dem Ausschuss über das Ergebnis in nicht öffentlicher Sitzung zu berichten. Die Vertrauensperson soll die Befähigung zum Richteramt besitzen und wird für die Dauer der jeweils laufenden Wahlperiode vom Ausschuss für Verfassungsschutz mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder gewählt. Die Vertrauensperson erhält für ihre Dienstleistungen im Einzelfall auf Antrag eine Vergütung entsprechend den SSSS 8, 9 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), das zuletzt durch Artikel 7 Absatz 3 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2449) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung. Die Höhe des Honorars richtet sich nach der Honorargruppe M 3. Sechster Abschnitt Schlussvorschriften SS 37 Einschränkung von Grundrechten Aufgrund dieses Gesetzes kann das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 des Grundgesetzes eingeschränkt werden. SS 38 Anwendbarkeit des Berliner Datenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 durch die Verfassungsschutzbehörde finden die SSSS 6a, 10 bis 17 und 19 Abs. 2 bis 4 des Berliner Datenschutzgesetzes in der Fassung vom 17. Dezember 1990 (GVBI. 1991 S. 16, 54), das zuletzt durch Art. I des Gesetzes vom 30. Juli 2001 (GVBI. S. 305) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung keine Anwendung. SS 39 Inkrafttreten, Außerkrafttreten (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung im Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin in Kraft. SS 27a tritt außer Kraft, sobald das Bundesverfassungsschutzgesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 16. August 2002 (BGBl. I S. 3202), gemäß Art. 22 Abs. 2 des Terrorismusbekämpfungsgesetzes vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) wieder in seiner am 31. Dezember 2001 maßgeblichen Fassung gilt. Der Tag des Außerkrafttretens ist im Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin bekannt zu machen. 178 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Extremistische Organisationen und Gruppierungen Islamismus / islamistischer Terrorismus Organisation / Gruppierung Seite Mujahidin-Netzwerke 35, 48 Islamisches Emirat Kaukasus 33 Salafistische Bestrebungen 49f As-Sahaba / Die Gefährten e.V. 55 Die Islamische Gemeinschaft in BerlinAl-Nur-Moschee e.V. (IGB) 51f Ibrahim al-Khalil-Moschee - Islamische Gemeinschaft 55 Ibrahim Alkhalil Moschee e.V. Hizb ut-Tahrir (HuT) 61 Hizb Allah (Partei Gottes) 58f Waisenkinderprojekt Libanon e.V. (WKP) 59f Bewegung des Islamischen Widerstands (HAMAS) 56f Muslimbruderschaft (MB) / Islamische Gemeinschaft 62f in Deutschland e.V. (IGD) Milli Görüs - Bewegung (MGB) 65 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 179 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) Organisation / Gruppierung Seite Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (Partiya Karkeren Kurdistan) 69, 72f Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) 69 Islamische Gemeinschaft Kurdistans (CÄdegK) 72f Kurdische Frauenbewegung in Europa (TJKE) 72f Partei der demokratischen Union (PYD) 71 Union kurdischer Familien (YEK-MAL) 72f Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) 72f, 76 Volksverteidigungseinheiten (YPG) 70 Volksverteidigungskräfte (HPG) 70 Zentrum der demokratischen Gesellschaft der Kurden in 72f Deutschland e.V. (NAV-DEM); ehemals Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM) Rechtsextremismus Organisation / Gruppierung Seite Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) / 96f Junge Nationaldemokraten (JN) Die Rechte 102 Bürgerbewegung Pro Deutschland 104 Rechtsextremistische Bürgerbewegungen 85ff Netzwerk Freie Kräfte 89f Netzwerk Rechtsextremistische Musik 92f Identitäre Bewegung 111ff Europäische Aktion 109f Reichsbürgerbewegung 108f 180 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Linksextremismus Organisation / Gruppierung Seite Antifaschistische Linke Berlin (ALB) 131 Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (ARAB) 135 Für eine linke Strömung (F.e.l.S.) 140f Interventionistische Linke (IL) 139 Neue antikapitalistische Organisation (NaO) 137f North East Antifascists (NEA) 126 radikale linke | berlin (rlb) 134 Rigaer 94 143 Rote Hilfe e.V. 118f Sonstige Organisationen / Gruppierungen Organisation / Gruppierung Seite Scientology 150 Es wird darauf hingewiesen, dass nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes namentlich im Verfassungsschutzbericht und in der Auflistung aufgeführt werden. Personenund Sachregister 181 Personenund Sachregister 18-Uhr-Demo siehe Revolutionärer al-Scham, Junud 45 Erster Mai al-Shabab 48 al-Zawahiri, Aiman 34, 47f A AMGT 65 A3stus 86, 92ff, 188 AN 89, 92, 98 AAB 131 Anarchismus 114ff, 124, 126, 133f, 136, adil düzen 65 142f Aktionsorientierter Rechtsextremismus Anarchos 120, 142f 80ff, 89ff, 98, 100ff "Anarcho"-Szene 143 Aktionstag "Schwarze Kreuze an-Nabahani, Taqi ad-Din 61 Deutschland" 94f Anti-Antifa-Arbeit 90 al-Albani, Abu Zayd 36 Antifa 117, 120, 126ff, 137 al-Almani, Uthman siehe B., Robert Anti-Faschismus 120ff, 126ff, 140f al-Arifi, Muhammad 52 Antifaschistische Aktion Berlin siehe AAB ALB 122, 128, 131ff, 138f, 148, 180 Antifaschistische Linke Berlin siehe ALB al-Baghdadi, Abu Bakr 34f, 39, 42, 47 Antifaschistische Revolutionäre Aktion al-Banna, Hassan 63 Berlin siehe ARAB Allianz der Europäischen Nationalen Anti-Gentrifizierung 120, 144 Bewegungen 98 Anti-IS-Koalition 34 al-Manar 58 Anti-Kapitalismus 121, 130, 136f al-Mauretani, Yunis 49 Antikapitalistische Walpurgisnacht 125f al-Muhajir, Abu Mujahid 41 Anti-Rassismus 119, 121f, 130, 141, 146 Al-Nur-Moschee 50ff, 55, 178 Anti-Repression 120f, 124, 144 al-Pasha, Shaykh Abu Dujana 47 Anti-Repressionstag 123 al-Qaida 29ff, 38, 41, 46ff Antisemitismus 80, 91, 190 al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel Anti-Terror-Datei siehe ATD siehe AQAH Apfel, Holger 97f al-Qaida im islamischen Maghreb AQAH 48 siehe AQM AQM 48 al-Rashta, Ata Abu 61 ARAB 76, 122, 126, 128, 134ff, 148, 180 182 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Arabischer Frühling 33 Bundesprüfstelle jugendgefährdender Arbeiterpartei Kurdistans siehe PKK Medien siehe BPjM arranca! 141 Bundesverfassungsschutzgesetz As-Sahaba-Moschee 55, 178 siehe BVerfSchG ATD 21 Bundesvertriebenengesetz siehe BVFG AtomG 158 Bürgerbewegung Hellersdorf siehe BBH Atomgesetz siehe AtomG Bürgerbewegung Marzahn siehe BBM Aufenthaltsgesetz (AufenthaltG) 157f Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf Autonome 115f, 118ff, 124ff, 146, 148 siehe BB MaHe Autonome Antifa 120, 126ff, 136 Bürgerbewegung Pro Deutschland autonome Freiräume 142f siehe Pro Deutschland Autonome Nationalisten siehe AN Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf Autonome Szene 89, 120f, 124f, 132, 142, siehe BMH 148 Bürgerinitiative Neukölln 85 Autonome Vollversammlungen 122 BVerfSchG 15, 18ff, 177 AVANTI - Projekt undogmatische Linke BVFG 159 138f C B CH 109 B., Kreshnik 45f CIK 73, 179 B., Robert 38 Collegium Humanum siehe CH Badi'a, Muhammad 64 Cuspert, Denis 40 BB MaHe 88 BBH 85ff, 94 D BBM 85f, 88 D.S.T. / X.x.X. 92 Berliner Beratungsnetzwerk 24 da'wa 50 Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz Dabiq 39 siehe BSÜG Dar as-Salam Moschee 63 Betätigungsverbot 30, 43f, 58, 61, 72 Deutsche Kommunistische Partei Bewachungsverordnung 158f siehe DKP Bewegung des Islamischen Widerstands Deutsche Liga für Volk und Heimat siehe HAMAS siehe DLVH Bin Ladin, Usama 47f Deutsche Taliban Mujahidin 45 BMH 85 Deutsche Volksunion siehe DVU BPjM 96 Die Lunikoff-Verschwörung 92f BSÜG 15, 155f, 167 Die Rechte 96, 102ff, 179 Die Wahre Religion siehe DWR Personenund Sachregister 183 Dimitroff-These 128, 136 Gaza-Konflikt 50f, 57f Diskursorientierter Rechtsextremismus Geheimschutz 14, 155f 81, 107 Gemeinsames Abwehrzentrum gegen DKP 120 Rechtsextremismus siehe GAR DLVH 105 Gemeinsames Extremismusund "dual use" - Güter 154 Terrorismusabwehrzentrum siehe GETZ Düsseldorfer Zelle 49 Gemeinsames Internet-Zentrum DVU 102 siehe GIZ DWR 54 Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum siehe GTAZ E Gesetz über den Verfassungsschutz in E.-K., Abdeladim 49 Berlin siehe VSG Bln EA 109f, 179 Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz Erbakan, Necmettin 65f siehe G 10 Europa ruft 109 GETZ 21 Europäische Aktion siehe EA GIZ 21 EU-Terrorliste 59 GTAZ 21 Exilregierung Deutsches Reich 108 Experiment 122 H H., Nimetula 36 F HAMAS 30f, 33, 56ff, 178 F.e.l.S. 138ff, 180 Hammerskins 92 Falk, Bernhard 52f Haniye, Ismail 57 Faschismus 117, 128, 136, 146 Hexogen 92 Fazilet Partisi siehe FP / Tugendpartei Hizb ut-Tahrir Partei der Befreiung Föderation kurdischer Vereine in siehe HuT Deutschland e. V siehe YEK-KOM Hizb Allah (Partei Gottes) 30f, 33, 56, FP / Tugendpartei 66 58ff, 178 Franz, Frank 97 Holocaustleugnung 109f Freiheitsfalken Kurdistans siehe TAK Homegrown-Terroristen 48 Frontbann 24 103 HPG 70, 179 Für eine linke Strömung siehe F.e.l.S. Hubbard, L. Ron 150 Fürstentum Germania 108 HuT 30f, 33, 60ff, 178 G I G10 15, 16, 18 Ibrahim al-Khalil-Moschee 55, 178 GAR 21 Identitäre Bewegung 101, 111ff, 179 184 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 IGD 33, 62f, 178 Ismail, Abdallah Khalid 51f IGMG 32, 65f IZDB 63 IJU 30 IKEZ 57, 63 J IL 76, 131f, 135, 138ff, 180 Jabhat al-Nusra li-ahl asch-Scham Industriespionage 160 siehe JaN Initiative Sag NEIN zu Drogen - Sag JA JaN 34f, 41, 47f zum Leben e.V. 150, 152 Jesiden 36, 51, 70f, 73ff Interkulturelles Zentrum für Dialog und Jihad 29, 35f, 42, 46ff, 55f, 74 Bildung e. V. siehe IZDB Jihadisten 34, 37, 39ff, 44ff, 49, 71, 76 Internetmagazin Inspire 38 Jihadistischer Salafismus 35, 49ff Interventionistische Linke siehe IL JN 82f, 90, 96, 100f, 103, 113, 179 IS 30, 33ff, 42ff, 46ff, 50f, 55, 62, 69ff, 77, Jugend für Menschenrechte 150 137, 188 Junge Nationaldemokraten siehe JN ISB 50f, 55 ISI 35 K ISIG 34ff, 40ff, 45f, 48 K., Fatih 45 Islamic State News 39 Kadterschmiede 143 Islamic State Report 39 Kalif 28, 35f, 47 Islamische Gemeinschaft in Deutschland Kalif Ibrahim 35f, 47 e. V. siehe IGD Kalifat 28, 33ff, 47f, 61f Islamische Gemeinschaft Kurdistans Kameradschaftsszene 89 siehe CIK Kampf um die Straße 90 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs Kern-al-Qaida 34f, 46ff siehe IGMG KIAR 21 Islamische Jihad-Union siehe IJU Know-how 153f, 160ff Islamischer Staat Berlin siehe ISB Kommissarische Reichsregierungen 108 Islamischer Staat im Irak und Großsyrien Kommission für Verstöße der Psychiatrie siehe ISIG gegen Menschenrechte siehe KVPM Islamischer Staat Irak siehe ISI Kommunismus 114f, 126, 135 Islamischer Staat siehe IS Kommunistische Partei Deutschlands Islamischer Widerstand ("al-Muqawama siehe KPD al-islamiya") 58 Koordinierte Internetauswertung Islamisches Emirat Kaukasus 32f, 178 Rechtsextremismus siehe KIAR Islamisches Kulturund ErziehungsKoran-Verteilungsaktion "Lies!" zentrum Berlin e. V. siehe IKEZ siehe Lies! Islamseminar 50, 52, 55 KPD 116 Personenund Sachregister 185 Kronjuwelen 162 N Kurdische Frauenbewegung in Europa Nachrichtendienstliches Informationssiehe TJKE system siehe NADIS Kutan, Recai 66 NADIS 19, 166, 168 KVPM 150f NaO 76, 126, 135ff, 141, 180 Nasrallah, Hassan 59 L Nationaldemokratische Partei Länderarbeitskreis der SicherheitsbevollDeutschlands siehe NPD mächtigten Berlin-Brandenburg Nationalsozialismus 80, 91, 96, 98, 108 siehe SIBE-AK BR-BB Nationalsozialistischer Untergrund Lau, Sven 52f siehe NSU Legion of Thor 92 NAV-DEM 73, 179, 188 Lies! 6, 50, 54 NBS 63 Liste terroristischer Organisationen NEA 125f, 128, 148, 180 der Europäischen Union 56, 69 Nein zum Heim in Köpenick 85 Luftsicherheitsgesetz siehe LuftSiG Nein zum Heim in Lichtenberg 85 LuftSiG 158 Nein zum Heim in Pankow 85 Nemmouche, Mehdi 46 M Neonazis 78, 82f, 90f, 100, 102, 105, 128 Mahler, Horst 109 Netzwerk Rechtsextremistische Musik Marci & Kapelle - auch: Tätervolk (TV) 81, 89, 92f, 95, 179 siehe TV Netzwerk Freie Kräfte 81, 86, 89ff, 97, Marxismus-Leninismus 67, 114f 105, 179, Marxistisch-Leninistische Partei Netzwerk Kameradschaften 89 siehe MLPD Neue antikapitalistische Organisation MB 30f, 33, 56, 62ff, 178 siehe NaO MGB 31ff, 62, 65f Neuköllner Begegnungsstätte e.V. MillA(r) Gazete 65 siehe NBS Milli Görüs-Bewegung siehe MGB North East Antifascists siehe NEA Milli Görüs-Ideologie 29, 32, 65f NPD 80ff, 85f, 90, 92, 96ff, 108f, 113, 179 MLPD 120 NPD Schulhof-CD 98 Montagsdemonstrationen 107f, 110 NSU 21 Mujahidin-Netzwerke 32f, 178 nw-berlin.net 90, 98 Mursi, Muhammad 57, 64f Muslimbruderschaft siehe MB 186 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 O Rigaer 94 143, 180 Öcalan, Abdullah 69f Ring Nationaler Frauen siehe RNF Offene Treffen zur Selbstorganisierung RNF 96 121f Rojava 76 Rote Armee Fraktion siehe RAF P Rote Hilfe e.V. 118f, 180 Parlamentsorientierter RechtsextremisRouhs, Manfred 105 mus 81, 90, 96, 100 Partei der demokratischen Union S siehe PYD Saadet Partisi siehe SP / Partei Parteiverbotsverfahren 96 der Glückseligkeit Pastörs, Udo 97 Salafismus 23, 29ff, 35, 49ff, 191 Peschmerga 34, 71 Schmidtke, Sebastian 97f PKK 51, 68ff, 179, 188 Schu'aytat 40 Politischer Salafismus 49f, 52 Schwarze Blöcke 116, 121, 125, 127, 132, Postautonome 117, 119f, 131f, 138ff 138 Priebke, Erich 103 Scientology Kirche Berlin e.V. 150 Pro Deutschland 83, 96, 104ff, 179, Scientology Organisation siehe SO 188f Second Class Citizen 92 Proliferation 154 Shahid Stiftung 60, 188 Propaganda 6, 21, 35f, 38ff, 45ff, 50, 52, SIBE-AK BR-BB 156 55, 58, 60, 83, 94, 109, 113, 115, 142, Silvio-Meier-Gedenkdemonstration 131f 147, 188 Sluschba Wneschnei Raswedki - Dienst PYD 51, 70ff, 74f, 179, 188 der Außenaufklärung siehe SWR SO 150ff, 180 R Sozialistische Reichspartei siehe SRP Rabi'a-Symbol 64f SP / Partei der Glückseligkeit 66 radikale linke | berlin 126, 131ff, 137, Spionageabwehr 14, 19, 153f, 168f 149, 180 Spreelichter 95 RAF 116 Sprengstoffgesetz 158 RED 21 SRP 17 Regener, Michael "Lunikoff" 93 SWR 161 Reichsbürger 81f, 108f, 111 Reichsbürgerbewegung 81, 108, 179 T Resurgence 47f TAK 69, 179 Revolutionärer Erster Mai 125ff, 132, Takfir 30, 35 135ff Tätervolk siehe TV Personenund Sachregister 187 Teiba Kulturzentrum zur Förderung der W Bildung und Verständigung e.V. Wache auf-Handeln statt klagen 85 siehe TKZ Waisenkinderprojekt Libanon e. V. TJKE 73, 179 siehe WKP TKZ 63 Wirtschaftsspionage 154, 160ff TV 92, 95 WKP 59f, 178, 188 Worch, Christian 102 U Union kurdischer Familien siehe YEK-MAL X Unsterbliche 95 X., Benjamin 36f V Y Vandalen 92 YekA(r)neyen Parastina Gel siehe YPG Verband der Studierenden aus Kurdistan YEK-KOM 73, 179 siehe YXK YEK-MAL 73, 179 Verbunddatei Rechtsextremismus YPG 70, 76, 179 siehe RED YXK 73, 76, 179, 188 Verein zur Rehabilitierung der wegen Zentrum der demokratischen Gesellschaft Bestreitens des Holocaust Verfolgten der Kurden in Deutschland e.V. siehe VRBHV siehe NAV-DEM Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V. siehe AMGT Z Vereinsverbot 44, 82, 102 Zum Henker 91f, 103 Verketzerung siehe Takfir Villain 051 94, 96 Vogel, Pierre 50, 52 Voigt, Udo 98 Völkische Ideologie 91, 95, 97 Volksfront von rechts 90 Volksverteidigungskräfte (Hezen Parastina Gel) siehe HPG V-Personen 18 VRBHV 109 VSG Bln 15, 17ff, 155ff, 166 188 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Bildnachweis Seite 5 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 34 Ausschnitt aus einem Propagandavideo einer jihadistischen Internetseite Seite 36 picture alliance Seite 38 picture alliance Seite 40 Islamistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 43 Zwei Varianten des Logos der verbotenen Organisation "Islamischer Staat" Seite 52 Islamistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 54 Islamistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 55 Islamistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 59 Logo des verbotenen Vereins "Waisenkinderprojekt Libanon" Seite 60 Logo der "Shahid Stiftung" im Libanon Seite 64 Logo Rabia Seite 70 Abbildung auf einer Internetseite der PKK Seite 71 Logo der PYD Seite 73 Logo des NAV-DEM Seite 74 Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 75 Abbildung auf einer Internetseite mit linksextremistischen Inhalten Seite 76 Logo der YXK Seite 84 Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 86 Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 87 Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 88 Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 91 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 93 Coverbild einer CD von "A3STUS" Seite 94 Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 99 picture alliance Seite 100 Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 103 oben: Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 103 unten: picture alliance Seite 105 Internetauftritt der "Bürgerbewegung Pro Deutschland" Bildnachweis 189 Seite 106 Internetauftritt der "Bürgerbewegung Pro Deutschland" Seite 109 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 111 Rechtsextremistischer Auftritt in einem sozialen Netzwerk Seite 123 Abbildung auf einer Internetseite mit linksextremistischen Inhalten Seite 125 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 126 Abbildung auf einer Internetseite mit linksextremistischen Inhalten Seite 134 Abbildung auf einer Internetseite mit linksextremistischen Inhalten Seite 142 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 144 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 146 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 149 Senatsverwaltung für Inneres und Sport 190 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Publikationsübersicht Reihe IM FOKUS Rechte Gewalt in Berlin 2003 - 2012 1. Auflage Berlin 2014. 68 Seiten. Scientology - Eine kritische Bestandsaufnahme 1. Auflage, Berlin 2011. 83 Seiten. Zerrbilder von Islam und Demokratie 1. Auflage, Berlin 2011. 128 Seiten. Linke Gewalt in Berlin 1. Auflage, Berlin 2009. 84 Seiten. Rechte Gewalt in Berlin 2003 bis 2006 1. Auflage, Berlin 2007. 84 Seiten. Antisemitismus im extremistischen Spektrum Berlins 2. Auflage, Berlin 2006. 56 Seiten (nur im Internet abrufbar). Islamismus. Diskussion eines vielschichtigen Phänomens 2. Auflage, Berlin 2006. 116 Seiten (nur im Internet abrufbar). Publikationsübersicht 191 Rechtsextremistische Skinheads 1. Auflage, Berlin 2003. 86 Seiten (nur im Internet abrufbar). Reihe INFO Salafismus als politische Ideologie 2. Auflage, Berlin 2015. 66 Seiten. Linksextremismus 1. Auflage, Berlin 2014. 66 Seiten. Rechtsextremismus in Berlin 2. Auflage, Berlin 2014. 58 Seiten. Rechtsextremistische Musik 3. überarbeitete Auflage, Berlin 2012. 58 Seiten. Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus 8. überarbeitete Auflage, Berlin 2011. 38 Seiten. Islamismus 3. Auflage, Berlin 2006. 42 Seiten. 192 Verfassungsschutzbericht Berlin 2014 Sonstiges Verfassungsschutz - Nehmen Sie uns unter die Lupe 1. Auflage, Berlin 2002. 19 Seiten. Islamismus: Prävention und Deradikalisierung (DVD) 1. Auflage, Berlin 2011. 59 min. Diese sowie weitere Publikationen des Berliner Verfassungsschutzes können Sie unter der rückseitig angegebenen Adresse sowie telefonisch unter 030 90129-440 bestellen oder im Internet unter www.verfassungsschutz-berlin.de abrufen. Der Verfassungsschutz Berlin bietet zudem Vorträge zu den einzelnen Extremismusfeldern und zum Thema Spionage an. Nähere Informationen erhalten Sie ebenfalls unter 030 90129-440. Kolumnentitel 193 DER VERFASSUNGSSCHUTZ DIENT DEM SCHUTZ DER FREIHEITLICHEN DEMOKRATISCHEN GRUNDORDNUNG, DES BESTANDES UND DER SICHERHEIT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND UND IHRER LÄNDER. Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Klosterstraße 47, 10179 Berlin Tel 030 90129-440 www.verfassungsschutz-berlin.de info@verfassungsschutz-berlin.de