Senatsverwaltung für Inneres und Sport Verfassungsschutzbericht Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Verfassungsschutzbericht 2007 Erreichbarkeit des Berliner Verfassungsschutzes Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Abteilung Verfassungsschutz Adresse: Potsdamer Str. 186, 10783 Berlin Postanschrift: Postfach 62 05 60, 10795 Berlin Internet: www.verfassungsschutz-berlin.de E-Mail: info@verfassungsschutz-berlin.de Vermittlung: (030) 90 129-0 Fax: (030) 90 129-844 Kontakttelefon: (030) 90 129-440 Fax: (030) 90 129-876 Pressestelle: (030) 90 129-565 Fax: (030) 90 129-533 Vertrauliches Telefon: (030) 90 129-400 Deutsch / Englisch (030) 90 129-401 Türkisch (030) 90 129-402 Arabisch Herausgeber: Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Redaktion: Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit Druck: Mercedes-Druck GmbH, Berlin Redaktionsschluss: März 2008 Abdruck gegen Quellenangabe gestattet, Belegexemplar erbeten. Hinweis: Dieser Verfassungsschutzbericht erwähnt nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes. VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 III VORWORT Am 4. September und 6. November 2007 haben die deutschen Sicherheitsbehörden vier Terror-Verdächtige - mutmaßliche Anhänger der "Islamischen Jihad Union" - festgenommen. Sie hatten mehrere Bombenanschläge auf amerikanische Einrichtungen in Deutschland geplant. Nur der guten Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden ist es zu verdanken, dass Anschläge verhindert werden konnten. Die Festnahmen haben die bereits vorher begonnene Debatte über die Befugnisse von Polizei und Verfassungsschutz weiter beflügelt. Hier ist Augenmaß gefordert, denn der internationale Terrorismus lässt sich nicht allein mit Paragraphen bekämpfen. Wir dürfen jedoch auch nicht übersehen, dass sich Technik und Vorgehen terroristischer Gruppen ständig fortentwickeln. Hier müssen wir Schritt halten und besonnen bleiben. Das betrifft insbesondere das Mittel der "Online-Durchsuchung", die wie der große "Lauschangriff" und der "Spähangriff" in ihrer Bedeutung überschätzt werden. Die Verfassungsrichter in Karlsruhe haben im Februar 2008 für eine wichtige Klarstellung gesorgt. Sie haben mit der Auffassung, dass man zwischen der Nutzung von Computern als Kommunikationsinstrument und der privaten Nutzung als Speicherinstrument unterscheiden muss, eine deutliche Grenze gezogen. Diese Differenzierung ist für die noch 2008 geplante Verabschiedung des Bundeskriminalamtsgesetzes von großer Wichtigkeit. Die Festnahmen haben aber auch erneut deutlich gemacht, dass die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland durchaus real ist. Diese Gefahr stellt eine große Herausforderung für den Verfassungsschutz dar, denn es gibt innerhalb der islamistischen Szene kein klares Gefährder-Profil. Radikalisierung ist an keinen festen Ort und an keine Nationalität gebunden. Daher sollten wir uns davor hüten, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht zu stellen. Im Gegenteil: Integration ist angesichts der Entwicklung des islamistischen Terrorismus in den letzten Jahren eine der wichtigsten innenpolitischen Herausforderungen. Hieran müssen wir arbeiten, um IV VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Konflikte präventiv zu entschärfen und gewalttätige Eskalationen zu vermeiden. Denn auch zur Gefahrenabwehr ist es notwendig, frühzeitig Hinweise auf Radikalisierungstendenzen zu erkennen. Der Dialog mit den Muslimen in Deutschland und Europa hat auf unterschiedlichen Ebenen immerhin begonnen - optimal verläuft er noch nicht. Eines muss auf jeden Fall klar sein: Bei diesem Dialog sind das Grundgesetz und seine Rechtsordnung nicht verhandelbar und nicht relativierbar. Im Bereich des Rechtsextremismus sind in Berlin vor allem die NPD und die Aktionsgemeinschaften aktiv. Die NPD ist nach wie vor der zentrale politische Akteur der rechtsextremistischen Szene. Sie ist eine verfassungsfeindliche Partei, die mit aggressiv kämpferischen Mitteln unsere freiheitliche demokratische Grundordnung abschaffen will und die man gesellschaftlich, politisch und mit allen zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten bekämpfen muss. Auch wenn ein erneuter Verbotsantrag in nächster Zeit nicht zustande kommen wird, müssen wir dieses Instrument als eine Option weiter im Auge behalten. Ebenso bedeutsam bleibt die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus: Wir müssen weiter an Schulen und Bildungseinrichtungen aufklären sowie Organisationen und Bürgerinitiativen gegen Rechtsextremismus in ihrer Arbeit unterstützen. Der Jugendkongress gegen Rechtsextremismus im November 2007 hat hier einen wichtigen Beitrag geleistet. 200 Schülerinnen und Schüler haben auf Einladung des Berliner Verfassungsschutzes im Abgeordnetenhaus von Berlin über rechtsextremistische Musik, Gewalt und die subtile Gefahr dieser menschenverachtenden Ideologie diskutiert. Im Nachklang wird eine DVD herausgeben, die sich sicher hervorragend als Unterrichtsmaterial an Schulen eignen wird. Linksextremisten sind in Berlin im vergangenen Jahr vor allem durch ihre Beteiligung an den Protestaktionen und zahlreichen Brandstiftungen von Autos im Zusammenhang mit dem G 8-Gipfel im Juni in Heiligendamm aufgefallen. Es gelang ihnen jedoch nicht, die friedlichen Demonstrationen zu missbrauchen und das Treffen der Staatsoberhäupter nachhaltig zu stören. Über Monate hatte sich innerhalb der linksextremistischen Szene die Diskussion über die Legitimität von Gewalt hingezogen. Diese Debatte machte die ideologischen und strategischen Gräben innerhalb des extremistischen Spektrums deutlich. Der kurzfristige Mobilisierungserfolg wurde so wieder aufgehoben. VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 V Jegliche extremistische Bestrebung - ganz gleich aus welcher Richtung - kann das Zusammenleben in unserer Stadt beeinträchtigen. Sie im Ansatz zu verhindern, aufzuklären und mit Überzeugung für die Demokratie einzutreten, bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dr. Ehrhart Körting Senator für Inneres und Sport VI VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Inhaltsverzeichnis Vorwort I AKTUELLE ENTWICKLUNGEN IN DEN BEOBACHTUNGSFELDERN...................................................... 1 1 RECHTSEXTREMISMUS .........................................................................2 1.1 Überblick..............................................................................................2 1.2 Parlamentsorientierter Rechtsextremismus.....................................7 1.2.1 NPD konsolidiert Rolle als zentraler rechtsextremistischer Akteur in Berlin.....................................................................................7 1.3 Aktionsorientierter Rechtsextremismus .........................................19 1.3.1 Entwicklungen im Kameradschaftsnetzwerk......................................19 1.3.2 Weniger öffentlichkeitswirksame Aktivitäten im "Netzwerk Musik" .........................................................................25 1.4 Diskursorientierter Rechtsextremismus ........................................31 1.4.1 VRBHV setzt sich von Mahlers "Feldzug gegen die Offenkundigkeit des Holocaust" ab ....................................................31 2 LINKSEXTREMISMUS ...........................................................................35 2.1 Überblick............................................................................................35 2.2 Linksextremistische Protestaktionen gegen den G 8-Gipfel.........40 2.2.1 Vorbereitung .......................................................................................40 2.2.2 Protestaktionen während des Gipfels..................................................45 2.2.3 Nachbereitung .....................................................................................50 2.3 Ermittlungsverfahren gegen die "militante gruppe" (mg) und Ende der Militanzdebatte .........................................................53 2.4 Kurz notiert .......................................................................................61 2.4.1 Kampf um "autonome Freiräume"......................................................61 2.4.2 1. Mai ..................................................................................................63 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 VII 3 AUSLÄNDEREXTREMISMUS .................................................................65 3.1 Überblick............................................................................................65 3.2 Transnationaler islamistischer Terrorismus..................................72 3.2.1 Bedrohungslage...................................................................................72 3.2.2 Ausdifferenzierung der Täterprofile ...................................................76 3.2.3 Aktuelle Tendenzen des Netzwerks "al-Qa'ida" ...............................77 3.2.4 Das Internet als Propagandaund Rekrutierungsinstrument ..............79 3.3 Prozesse und Exekutivmaßnahmen ................................................89 3.3.1 "Ansar al-Islam"-Verfahren................................................................90 3.3.2 Prozessauftakt zum Anschlagsversuch auf Regionalzüge ..................91 3.3.3 Prozessauftakt gegen einen mutmaßlichen Werber für "al-Qa'ida" ....................................................................................92 3.3.4 Urteil zur "al-Qa'ida"-Mitgliedschaft.................................................93 3.3.5 Prozess im Zusammenhang mit dem 11. September 2001 gegen Mounir El-Motassadeq .............................................................93 3.4 Regional gewaltausübende islamistische Gruppen........................94 3.4.1 "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS) ......................94 3.5 Nicht-gewaltorientierte Islamisten ..................................................97 3.5.1 Enge Bindung der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) an die Milli Görüs-Bewegung in der Türkei besteht trotz Diskussionen über eine Neuausrichtung fort .................97 3.5.2 "Muslimbruderschaft" / "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." ........................................................................108 3.6 Kurdische Extremisten von PKK / KONGRA GEL ...................110 3.6.1 Exekutivmaßnahmen.........................................................................110 3.6.2 Aktionsphase im Frühjahr.................................................................111 3.6.3 Vergiftungsbehauptungen .................................................................112 3.6.4 Zentrale Newroz-Feier in Berlin .......................................................114 3.6.5 Fortführung der Aktionsphase ..........................................................115 3.6.6 Neue Strategiephase: Öcalan als Ansprechpartner ...........................116 3.6.7 Exkurs: Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen emotionalisierten türkischen Volkszugehörigen und Anhängern von PKK / KONGRA GEL in Deutschland ..................119 3.6.8 Kämpfe im Nordirak .........................................................................121 VIII VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 3.7 Extremisten aus der Türkei ...........................................................122 3.7.1 Ereignisse in der Türkei ....................................................................122 3.7.2 Ereignisse in Deutschland .................................................................126 3.7.3 Exekutivmaßnahmen in Deutschland ...............................................128 3.8 Iranische Extremisten.....................................................................129 3.9 Kurz notiert: ....................................................................................133 3.9.1 Abschiebung von Mykonos-Attentätern ...........................................133 3.9.2 Terrorverdächtige werden nicht ins Grundbuch eingetragen ...........133 3.9.3 "Al-Quds"-Demonstration ................................................................134 4 SPIONAGEABWEHR............................................................................136 5 GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ ....................................................138 5.1 Personeller und materieller Geheimschutz im öffentlichen Bereich ...................................................................138 5.2 Geheimschutz in der Wirtschaft....................................................141 5.3 Sabotageschutz ................................................................................145 5.4 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen ..............145 5.5 Mitwirkung bei den Sicherheitsmaßnahmen anlässlich der deutschen Ratspräsidentschaft bei der Europäischen Union und des G 8-Vorsitzes .................................150 II HINTERGRUNDINFORMATIONEN.....................................151 1 IDEOLOGIEN ......................................................................................152 1.1 Definition Extremismus ..................................................................152 1.2 Ideologie des Rechtsextremismus ..................................................153 1.3 Ideologie des Linksextremismus ....................................................154 1.4 Ausländerextremistische Ideologien..............................................157 1.4.1 Linksextremistische Gruppierungen .................................................158 1.4.2 Nationalistische Gruppierungen........................................................158 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 IX 1.4.3 Islamistische Gruppierungen ............................................................158 2 RECHTSEXTREMISMUS .....................................................................163 2.1 Parlamentsorientierter Rechtsextremismus.................................163 2.1.1 "Deutsche Volksunion".....................................................................163 2.1.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands".................................167 2.2 Aktionsorientierter Rechtsextremismus .......................................171 2.2.1 "Anti-Antifa" ....................................................................................171 2.2.2 "Autonome Aktionsgemeinschaften" ...............................................172 2.2.3 "Blood & Honour" ............................................................................173 2.2.4 "Hammerskins".................................................................................174 2.2.5 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." ............................................................176 2.2.6 "Kameradschaft Spreewacht" ...........................................................177 2.2.7 Neonazis............................................................................................178 2.2.8 Rechtsextremistische Kameradschaften ...........................................179 2.2.9 Rechtsextremistische Musik .............................................................180 2.2.10 Skinheads ..........................................................................................183 2.2.11 "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft"......................184 2.3 Diskursorientierter Rechtsextremismus .......................................186 2.3.1 "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V."..........................................186 2.3.2 "Heimattreue Deutsche Jugend e. V." ..............................................188 2.3.3 "Kampfbund Deutscher Sozialisten" ................................................191 2.3.4 "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" ..................................194 2.3.5 Revisionismus ...................................................................................195 2.3.6 "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten e. V." .......................................................197 3 LINKSEXTREMISMUS.........................................................................199 3.1 Aktionsorientierter Linksextremismus.........................................199 3.1.1 "Antifaschistische Linke Berlin" ......................................................199 3.1.2 Autonome..........................................................................................202 3.1.3 "militante gruppe".............................................................................207 X VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 3.1.4 "Theorie. Organisation. Praxis" ........................................................208 3.2 Parlamentsorientierter Linksextremismus...................................209 3.2.1 "Deutsche Kommunistische Partei"..................................................209 3.2.2 "Linksruck" .......................................................................................211 3.2.3 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" ...........................213 3.2.4 "Sozialistische Alternative e. V." .....................................................215 4 AUSLÄNDEREXTREMISMUS ...............................................................217 4.1 Gewaltorientierte Islamisten..........................................................217 4.1.1 Transnationale Terrornetzwerke .......................................................217 4.1.1.1 "Mujahidin-Netzwerke" / "al-Qa'ida" ................................................................ 217 4.1.1.2 "Ansar al-Islam" ("Anhänger des Islam") / "Ansar al-Sunna" ("Anhänger der Sunna") ........................................................ 219 4.1.2 Regional gewaltausübende Gruppen.................................................221 4.1.2.1 "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS) ...................................... 221 4.1.2.2 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") ........................................................................... 222 4.1.3 Gewaltbefürwortende Gruppen.........................................................225 4.1.3.1 "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung") .......................................................... 225 4.1.3.2 "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti") ...................................................................... 227 4.2 Nicht-gewaltorientierte Islamisten ................................................230 4.2.1 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. ..................................230 4.2.2 "Muslimbruderschaft" / "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." ........................................................................236 4.3 Sonstige Islamisten ..........................................................................239 4.3.1 "Tabligh-i Jama'at" / "Jama'at-i Tabligh" ("Gemeinschaft der Verkündigung und Mission")...........................239 4.4 Gewaltorientierte Linksextremisten..............................................241 4.4.1 "Arbeiterpartei Kurdistans" / "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" / "Volkskongress Kurdistans" ....241 4.4.2 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" ......................244 4.4.3 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" / "Volksbefreiungspartei-Front der Türkei - Revolutionäre Linke" .245 4.4.4 "Kommunistische Partei der Türkei / Marxisten-Leninisten" .........247 4.4.5 "Volksmojahedin Iran-Organisation" / "Nationaler Widerstandsrat Iran"......................................................248 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 XI III VERFASSUNGSSCHUTZ BERLIN .......................................... 251 1 STRUKTUR .........................................................................................252 2 GESETZLICHE GRUNDLAGEN ...........................................................253 2.1 Aufgaben und Befugnisse ...............................................................253 2.2 Entwicklungen in der Rechtssprechung .......................................253 2.3 Kontrolle ..........................................................................................255 3 ARBEITSWEISE ..................................................................................256 3.1 Informationsbeschaffung ...............................................................256 3.2 Informationsbearbeitung ...............................................................257 3.3 Informationsweitergabe .................................................................258 3.3.1 Zusammenarbeit mit anderen Behörden ...........................................258 3.3.2 Öffentlichkeitsarbeit..........................................................................261 IV ANHANG .................................................................................... 265 1 Gesetz über den Verfassungsschutz Berlin .......................... 268 2 Personenund Sachregister ...........................................................279 XII VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 2 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 1 RECHTSEXTREMISMUS 1.1 Überblick Personenpotenzial Erneuter Rückgang Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Berlin ist im vergangenen Jahr von ca. 2 190 auf ca. 2 010 Personen zurückgegangen. Die Zahl der Neonazis hat sich weiter von ca. 750 auf ca. 650 Personen verringert. Dieser Trend begann bereits 2004. Auch die Mitgliederzahl rechtsextremistischer Parteien nahm von ca. 910 auf ca. 810 ab - mit Ausnahme der NPD. Mitgliedergewinne Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) der NPD legte sowohl im Bundesgebiet als auch in Berlin abermals zu: In Berlin stieg die Mitgliederzahl von ca. 220 auf nunmehr ca. 290. Die Bundespartei steigerte die Mitgliederzahl von ca. 7 000 auf ca. 7 200. Überalterung der Die "Deutsche Volksunion" (DVU) hat jedoch aufgrund von DVU Überalterung und mangelnder Dynamik weiter Mitglieder verloren und kaum neue hinzugewonnen. Ihre Mitgliederzahl sank von ca. 380 auf ca. 300. Die Anzahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten stagniert bei ca. 500 Personen. Gesamtpotenzial rechtsextremistischer Personenzusammenschlüsse: ca. 2 010* Sonstige rechtsextremistische Organisationen 200 Subkulturell geprägte und sonstige 500 gewaltbereite Rechtsextremisten Neonazis 650 Rechtsextremistische Parteien 810 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 * Aufgrund von Doppelmitgliedschaften (vgl. nachfolgende Tabelle) ist das Gesamtpotenzial niedriger als die Summe der in der Grafik genannten Zahlen. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 3 Rechtsextremistisches Personenpotenzial* Berlin Bund 2006 2007 2006 2007 Gesamt 2 360 2 160 39 900 32 600 ./. Mehrfachmitgliedschaften 170 150 1 300 1 600 Tatsächliches 2 190 2 010 38 600 31 000 Personenpotenzial * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. Personenpotenziale einzelner Personenzusammenschlüsse Berlin Bund 2006 2007 2006 2007 Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite 500 500 10 400 10 000 Rechtsextremisten Neonazis 750 650 4 200 4 400 Rechtsextremistische Parteien, 910 810 21 500 14 200 davon DVU 380 300 8 500 7 000 NPD 220 290 7 000 7 200 Sonstige 310 220 6 000 - Sonstige rechtsextremistische 200 200 3 800 4 000 Organisationen Straftaten Die "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" ist im Rückgang politisch vergangenen Jahr deutlich von 1 914 auf 1 456 Fälle zurückmotivierter Kriminalität - rechts gegangen. In allen drei Themenfeldern "antisemitisch", "fremdenfeindlich" und "gegen links" sind die Deliktzahlen stark gesunken. Auch die Gewaltdelikte sanken im vergangenen Jahr von 96 Weniger auf 67 Fälle. Vor allem bei den Gewaltdelikten, die fremdenGewalttaten feindlich motiviert waren oder sich "gegen links" richteten, ist ein Rückgang festzustellen. Die Zahlen befinden sich jetzt wieder auf dem Niveau der Vorjahre. 4 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Weniger Die Propagandadelikte sind von 1 330 auf 980 gesunken. Propagandadelikte Konkrete Ursachen hierfür sind nicht erkennbar. In 81 Prozent der Fälle konnte die Berliner Polizei keine Tatverdächtigen ermitteln. 76 Prozent der Delikte sind rechtsgerichtete Parolen und Symbole. Bei den sonstigen Delikten ist vor allem in den Bereichen "Beleidigung/Üble Nachrede/Verleumdung" und bei der "Volksverhetzung" ein Rückgang zu verzeichnen. Fallzahlen Politisch motivierte Kriminalität - Rechts* 2006 2007 Gewaltdelikte 96 67 davon antisemitisch 4 9 fremdenfeindlich 45 33 gegen links 40 20 Propagandadelikte 1 330 980 davon antisemitisch 61 50 fremdenfeindlich 112 95 gegen links 38 18 sonstige Delikte 488 409 davon antisemitisch 207 153 fremdenfeindlich 169 142 gegen links 61 42 Gesamt 1914 1456 davon antisemitisch 272 212 fremdenfeindlich 326 270 gegen links 139 80 * Auszug aus dem Bericht "Lagedarstellung der Politisch motivierten Kriminalität in Berlin für das Jahr 2007" des Landeskriminalamtes Berlin (LKA). Der vollständige Bericht ist im Internet eingestellt unter www.berlin.de/sen/ inneres/sicherheit/statistiken/index.html. Entwicklung NPD Der Berliner NPD ist es nach der dynamischen Entwicklung im Vorjahr in 2007 gelungen, ihre Position als zentraler rechtsextremistischer Akteur in Berlin zu konsolidieren. Sie AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 5 nutzte die Bezirksverordnetenversammlungen als ein Forum für Vortragsveranstaltungen in den Bezirksrathäusern, wobei sie das selbst gesteckte Ziel von 40 Veranstaltungen in öffentlichen Räumen nicht erreichen konnte. Inhaltlich kam die Partei über populistische Propaganda selten hinaus. Zustand und Zukunft der Partei sind eng mit der Person des Berliner Landesvorsitzenden verbunden. Er verfügt innerhalb der Partei über uneingeschränkte Autorität und ist in der Lage, Bündnispartner einzubinden. An ihre Grenzen gerät die NPD durch die fehlende Personaldecke und Fachkompetenz: So konnte die Partei die angekündigten Beratungsbüros für Arbeitslosengeld II-Empfänger nicht in die Tat umsetzen. Etwas erfolgreicher war die NPD bei Aktionsformen wie Demonstrationen und Flugblattverteilungen. An den bundesweiten Protesten gegen den G 8-Gipfel beteiligte sich die Berliner NPD kaum. In Berlin arbeitet die NPD weiterhin eng mit den aktionsorientierten Rechtsextremisten und autonomen Nationalisten zusammen und zeigt dabei auch keine Berührungsängste mit Gewalttätern. Das Berliner Kameradschaftsnetzwerk besteht aus ca. 200 Kameradschaftsaktionsorientierten Rechtsextremisten. Allerdings bestehen netzwerk keine Kameradschaften mit abgegrenztem Aktivistenstamm, die eine Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit haben. Es haben sich vielmehr Aktionsgemeinschaften ohne feste Mitgliedschaften gebildet. Aktivitäten werden nicht mehr öffentlichkeitswirksam sondern eher konspirativ durchgeführt. Sofern bei Aktionen überhaupt noch unter einem bestimmten Namen agiert wird, ist dieser möglichst allgemein gehalten wie "Autonome Nationalisten Berlin" (ANB) oder "Freie Kräfte Berlin" (FKB) oder es werden wechselnde Organisationsbezeichnungen angegeben. Teilweise gab es Abwanderungen in die Jugendorganisation der NPD, die "Jungen Nationaldemokraten" (JN), sowie in die "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ). Trotz der geringen formalen Strukturen waren Aktivisten des Kampagnen Kameradschaftsnetzwerks in der Lage, Kampagnen zu organisieren, so beispielsweise Propagandaschmierereien 6 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 oder Plakate und Flugblätter zu unterschiedlichen Themen. Die vermehrten Aktionen zum Gedächtnis an Rudolf Hess und Horst Wessel zeigen die weiterhin hohe Bedeutung neonazistischer Themen. Musiknetzwerk Dem rechtsextremistischen Musiknetzwerk gehören rund 200 Personen an. Auch wenn deren Aktivitäten in Berlin zurückgegangen sind, ist der Personenzusammenhang in seinen Strukturen weiterhin sehr beständig. Das Musiknetzwerk besteht im Kern seit Jahren aus weitgehend denselben Gruppen und Einzelpersonen. Rechtsextremistische Musikgruppen wie "Deutsch, Stolz, Treue" (D.S.T., auch X.x.X.), "Spreegeschwader", "Legion of Thor" (LoT) und "Die Lunikoff-Verschwörung" produzieren Tonträger und treten bei Konzerten auf. Tonträgerproduktion Die Tonträgerproduktion ging im vergangenen Jahr weiter und Konzerte zurück. Berliner Bands produzierten nicht mehr als zwei Tonträger. Rechtsextremistische Konzerte fanden 2007 in Berlin nicht statt. 1 Berliner Musiker nahmen jedoch mehrfach an Konzerten außerhalb Berlins teil. Holocaustleugnung Im diskursorientierten Rechtsextremismus verfolgt der "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) das Ziel, "einen organisierten und geordneten Angriff auf die Auschwitzlüge als dem Fundament der Fremdherrschaft über das Deutsche Reich zu beginnen". 2 2007 gab der VRBHV seinen in den vergangenen Jahren betriebenen "Feldzug gegen die Offenkundigkeit des Holocaust" 3 faktisch auf, distanzierte sich weitgehend von Horst Mahler und agierte weniger in der Öffentlichkeit. 1 Anderslautende Meldungen in Internet und Printmedien hielten einer Überprüfung nicht stand. So fand ein Konzert nicht wie angegeben in Berlin, sondern in Brandenburg statt. Vgl. S. 30. 2 Gründungserklärung des VRBHV vom 9.11.2003. 3 Die von Horst Mahler konzipierte Strategie zielte darauf ab, den Völkermord an den europäischen Juden öffentlich zu leugnen, um in den dann folgenden Gerichtsverfahren ein breites Medieninteresse für die eigenen Positionen zu finden. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 7 1.2 Parlamentsorientierter Rechtsextremismus 1.2.1 NPD konsolidiert Rolle als zentraler rechtsextremistischer Akteur in Berlin Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (= NPD) NPD konsolidiert sich konnte ihre im Vorjahr gezeigte Dynamik nicht beibehalten, konsolidierte aber die 2006 gewonnene Position als zentraler rechtsextremistischer Akteur in Berlin. Der Landesverband der Partei entfaltete über das ganze Jahr hinweg rege Aktivitäten. Mit zwei Landesparteitagen wurden die personellen und programmatischen Grundlagen für die Konsolidierung gelegt. Die im vergangenen Jahr angestrebte Mitgliederzahl von 700 Personen wurde aber nicht erreicht; sie stieg nur auf ca. 290. Die Präsenz in den vier Bezirksverordnetenversammlungen BVV als Forum (BVV) seit Oktober 2006 gab der Partei in Berlin ein öffentliches Forum: Sie nutzte diese neue Rolle für Vortragsveranstaltungen in den Bezirksrathäusern. Die Zahl der Veranstaltungen in öffentlichen Räumen blieb aber weit hinter dem angekündigten Ziel von 40 Veranstaltungen zurück. Eine Verankerung in den Bezirken oder die proklamierte "Graswurzelrevolution" 4 ist für die Partei angesichts ihrer strukturellen und personellen Möglichkeiten weiter unrealistisch. In der bundesweiten Parteiarbeit - dies gilt allerdings nicht für die Berliner NPD - lag ein Schwerpunkt im Protest gegen das G 8-Gipfeltreffen vom 6. - 8. Juni in Heiligendamm. Fortsetzung der Die Bundes-NPD arbeitet weiterhin mit ihren "Volksfront"Bündnispolitik Bündnispartnern Deutsche Volksunion (= DVU) und den "Freien Kräften" zusammen. Der Spagat, den die NPD im 4 Der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen Gansel verglich die angebliche sukzessive Verankerung "nationalistischer" Tendenzen insbesondere in der ostdeutschen Bevölkerung mit einer "geräuschlosen völkischen Graswurzelrevolution". Ziel sei es, diese Ideologie gesellschaftlich weiter zu verankern. Vgl. u. a. Norbert Gansel: Angst vor der völkischen Graswurzelrevolution. In: "Deutsche Stimme" Nr. 7/06, S. 11. 8 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Rahmen des Bündnisses zwischen deutschnationaler DVU und neonazistischen "Freien Kräften" vollziehen muss, bleibt schwierig. Diejenigen in der NPD, die die "klassische" Parteiarbeit und die Parlamentsarbeit in den Vordergrund stellen, gehen zunehmend zu denjenigen auf Distanz, die neonazistisch und aktionistisch orientiert sind und schwerpunktmäßig öffentlich NS-Verherrlichung betreiben (z. B. bei Demonstrationen und Gedenkfeiern). Dabei gibt es zwischen beiden Lagern ideologische Gemeinsamkeiten. Die Unterschiede liegen in der thematischen Gewichtung und im Stil der öffentlichen Auftritte. Aufschwung Der Aufschwung der NPD in Berlin bleibt fragil. Der Erfolg bleibt fragil der Partei ist eng mit der Person des Berliner Landesvorsitzenden verbunden. Er verfügt innerhalb der Partei über uneingeschränkte Autorität und ist in der Lage, die Bündnispartner einzubinden. Der Berliner Landesverband ist dem neonazistischen Flügel zuzuordnen. Der Ausgang der Streitigkeiten zwischen den Parteilagern wird unmittelbare Auswirkungen auf den Berliner Landesverband haben. Konsolidierung und Ausweitung des Parteilebens Regeres Ein Zeichen des regeren Parteilebens der Berliner NPD war Parteileben die Durchführung von zwei Landesparteitagen in 2007. Beim turnusmäßigen Landesparteitag am 24. November wurde der bisherige Landesvorsitzende ohne Gegenkandidat für weitere zwei Jahre gewählt. Zudem wurde der Landesvorstand um zwei Beisitzer erweitert. Der Landesparteitag fand mit 60 Teilnehmern in einer Gaststätte in Velten (Brandenburg) statt, da es nach Angaben der Sprecherin der Berliner NPD nicht gelungen war, einen geeigneten Raum in Berlin zu mieten. Mit der Wiederwahl des seit November 2005 amtierenden Landesvorsitzenden wahrte die Berliner NPD erstmals seit Jahren Kontinuität in ihren Führungsstrukturen. Erst unter seinem Vorsitz war es der Partei gelungen, ihre Strukturen in Berlin neu zu ordnen, neue Kreisverbände zu gründen und die Aktivitäten zu ver- AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 9 stärken. 5 Der Landesvorsitzende kündigte als Ziel für 2008 an, die öffentliche Präsenz der Partei weiter zu verstärken. Die Erweiterung des Landesvorstands spiegelt die breitere Erweiterung des Verankerung der NPD im rechtsextremistischen Spektrum Landesvorstands wider. Neben den Kreisverbands-Vorsitzenden der WestBerliner Bezirke Neukölln und Tempelhof-Schöneberg wurden der ehemalige Landesvorsitzende der DVU sowie "kraft Amtes" der zukünftige JN-Vorsitzende neu in den Landesvorstand aufgenommen. Zwei wiedergewählte Vorstandsmitglieder haben enge Verbindungen zu Organisationen wie der Heimattreuen Deutschen Jugend (= HDJ), der "Gemeinschaft Deutscher Frauen" (GDF) und dem "Ring Nationaler Frauen" (RNF). Die inhaltliche Ausrichtung des Landesverbands war bereits auf einem außerordentlichen Landesparteitag am 4. Februar beschlossen worden. Die Partei verabschiedete das zur Programmatische Abgeordnetenhauswahl 2006 veröffentlichte "AktionsproForderungen gramm" als programmatische Grundlage des Landesverbands. Es enthält Positionen wie "Trennung von Deutschen und Ausländern in Hort und Schule", "Arbeit zuerst für Deutsche" oder "Einführung von Einfuhrzöllen auf Waren, die in Deutschland produziert werden können und auf Waren von Firmen, die Deutschland verlassen haben". 6 Bezirksverordnetenversammlungen als öffentliches Forum Die Präsenz der elf Bezirksverordneten der NPD 7 in den Präsenz in den Bezirksverordnetenversammlungen von Marzahn-HellersBVVen dorf, Lichtenberg, Treptow-Köpenick und Neukölln seit Oktober 2006 hat zur Öffentlichkeitswirksamkeit der Partei beigetragen. Im Ganzen betrachtet war in den Anträgen der Bezirksverordneten der NPD keine abgestimmte Strategie zu 5 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007, S. 17 ff. 6 "Aktionsprogramm 'Neues Berlin'". Internetauftritt der NPD Berlin, datiert 19.2.2007. 7 Ursprünglich waren drei der NPD-Bezirks-Verordneten Mitglieder der DVU; inzwischen sind sie zum Teil Mitglieder der NPD geworden. 10 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 erkennen, auch wenn es einzelne gleichlautende Anträge in allen vier BVVen gab. So forderten alle NPD-Fraktionen, Integrationsbeauftragte in "Beauftragte für Ausländerrückführung" umzubenennen. Mit Einzelfällen wie diesem fanden sie vorübergehend öffentliche Aufmerksamkeit. Die inhaltliche Positionierung beinhaltet überwiegend populistische, teilweise auch rassistische Propaganda: "Ich bin gerne bereit, alle Orientalen, alle Schwarzen und alle Asiaten durch Hugenotten, durch Polen, durch Salzburger oder sonst was zu ersetzen [...]. Insofern handelt es sich bei der geforderten Ausländerrückführung vor allem um Rückführung von raumund kulturfremden 8 Menschen." In Ansätzen konnte die NPD - die in den vergangenen Kommunalpolitisches Jahren keine soziale Anbindung in den Kiezen hatte - durch Profil die Präsenz in den BVVen an kommunalpolitischem Profil gewinnen. Sie ging auf lokale Problemund Interessenlagen ein und stellte Kleine Anfragen zu alltäglichen Themen wie "Impferhebung in Kitas" oder "Fahrradabstellanlagen an BVG-Haltestellen". 9 Das Fazit der NPD selbst fiel nach einem halben Jahr ernüchternd aus. Angesichts fehlender inhaltlicher Erfolge reduzierte die NPD nachträglich ihre Zielmarken für die politische Arbeit in den Bezirksparlamenten: "Wir wollten ins Gespräch kommen, wahrgenommen werden und auch mal provozieren." 10 Zeitung Über die Arbeit der BVV-Fraktionen und der Kreisverbände "Weiterdenken" berichtete die Berliner NPD in der 2007 neu konzipierten Zeitung "Weiterdenken". Sie verteilte das acht Seiten starke Blatt in jedem Bezirk mit einer eigenen Ausgabe in Haus- 8 Jörg Hähnel (NPD). In: Wortprotokoll der 9. Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Lichtenberg vom 28.6.2007, zum Antrag der NPD-Fraktion "Umbenennung der Lichtenberger Migrationsbeauftragten" (DS/0255/VI). 9 "Weiterdenken" Nr. 2/2007, Ausgabe Treptow-Köpenick, S. 3. 10 "Ein großes Nichts". In: "Berliner Zeitung" vom 23.10.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 11 briefkästen. Neben allgemeinen Artikeln über den Landesverband der NPD listete die Partei in Bezirken, in denen Bezirksverordnete der NPD gewählt wurden, auch deren Anfragen in den BVVen auf. Gegen die zweite Ausgabe der Zeitung "Weiterdenken" erging ein Beschlagnahmebeschluss wegen eines Artikels über Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess. Die NPD vollzog den Schulterschluss mit den aktionsSchulterschluss mit orientierten Rechtsextremisten und griff teilweise deren aktionsorientierten Rechtsextremisten Forderungen in den BVV-Sitzungen auf. Am deutlichsten wurde dies bei dem von aktionsorientierten Rechtsextremisten seit Jahren geforderten "nationalen Jugendzentrum". Die NPD brachte die Forderung am 25. Januar als Antrag in die BVV Lichtenberg ein. Zudem stellte sie mehrere Redner - u. a. den Bundesvorsitzenden - bei der jährlich im Namen der "Freien Kräfte Berlin" (FKB) organisierten Demonstration "Jugend braucht Perspektiven - Für ein nationales Jugendzentrum" am 1. Dezember in Rudow. Im Nachgang berichtete sie mit zahlreichen Pressemeldungen auf ihrer Homepage über die Veranstaltung. Zunahme der öffentlichen Aktionen Auf dem Parteitag am 4. Februar kündigte der LandesÖffentliche vorsitzende eine "Veranstaltungsoffensive" an: Veranstaltungen "Neben der verstärkten Mitgliedergewinnung wird die Durchdringung des öffentlichen Raumes stehen. Die NPD wird sich zu unzähligen Versammlungen in die Berliner Rathäuser notfalls einklagen." 11 Deren Bilanz ist zwiespältig: Zwar gelang es der Partei, mehrere Informationsund Vortragsveranstaltungen in öffentlichen Räumen, schwerpunktmäßig in Bezirksrathäusern, durchzuführen. Das selbst gesteckte Ziel von 40 Veranstaltungen wurde aber weit verfehlt. Die Teilnehmerzahlen blieben mit 50 bis 100 Personen, von denen die meisten Szeneangehörige waren, überschaubar. Bei den Vortragsveranstaltung gab es auch Unterstützung von anderen NPDLandesverbänden. So hielt der Vordenker der NPD und 11 "Landesparteitag". Internetauftritt der NPD Berlin, datiert 8.2.2007. 12 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Abgeordnete im Sächsischen Landtag, Jürgen Gansel, am 23. Juli vor 50 Personen im Rathaus Tempelhof einen Vortrag zum Thema "Mitteldeutschland im Zangengriff der Globalisierung". Die zur Mitgliederwerbung von der Berliner NPD in Zusammenarbeit mit ihrem Jugendverband JN heraus"Schülerzeitung" gegebene "Schülerzeitung" hat ihr Ziel verfehlt (Auflage von NPD und JN 20 000 Exemplare). Die Zeitung mit dem Namen "Stachel" wurde zum Schulbeginn nach den Herbstferien am 22. Oktober vor einigen Berliner Schulen verteilt. Das Blatt enthielt Artikel zu den Themen Nationalismus, Drogen, Mädchen und Nationalismus, Schule und Einwanderung. Die Autoren vermieden eindeutig rechtsextremistische Aussagen. Die biedere Form und die Humorlosigkeit dieser "Schülerzeitung" wirkten aber wenig ansprechend auf Jugendliche. Zudem erwirkte der Landesverband "Bündnis 90 / Die Grünen" am 24. Oktober eine einstweilige Verfügung gegen die weitere Verteilung des "Stachel" wegen der Namensgleichheit mit einer Partei-Publikation. Schulen informiert Der Verfassungsschutz Berlin hatte in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung vor der Verteilung die Schulen über die Aktion informiert und mit einer Handreichung vorbereitet. 12 Keine Der NPD waren trotz der dargestellten Initiativen durch die Beratungsangebote geringe Personaldecke und die meist fehlende Fachkompetenz Grenzen gesetzt. So konnte die Partei die angekündigten Beratungsbüros für Empfänger des Arbeitslosengeldes II ("Hartz IV") nicht in die Tat umsetzen. Der Bundesvorsitzende beklagte, dass der NPD in Berlin aus 12 "NPD und JN geben neue Schülerzeitung heraus - Verfassungsschutz informiert Lehrer über Hintergründe." Internetauftritt der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Abt. Verfassungsschutz, Aktuelle Meldung vom 19.10.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 13 politischen Gründen keine Räumlichkeiten für Büros vermietet würden. Auch die für Herbst avisierten mobilen Beratungsbüros mit PKW wurden 2007 nicht realisiert. 13 Erfolgreicher war die Berliner NPD bei Aktionsformen wie Aktionsformen Demonstrationen und Flugblattverteilungen. Dabei verwandte sie häufig rechtsextremistische revisionistische Argumentationsmuster. Der Kreisverband Pankow griff im Juni die angebliche Vernachlässigung eines Soldatenfriedhofs in Blankenfelde durch den Bezirk Pankow auf und stellte diese in Zusammenhang mit einem Moscheebau im gleichen Bezirk. Die NPD konstruierte hierbei eine politische Prioritätenverschiebung zu Ungunsten des "eigenen Volks": "Eine Moschee wird gegen den Willen der Pankower gebaut, eine Kriegsgräberstätte für deutsche Opfer des Krieges hingegen zerstört. Das ist symptomatisch für die Politik, die sich gegen die Menschen des Bezirkes und gegen das eigene Volk richtet. Die Verantwortlichen müssen bestraft werden!" 14 Mit dem Moscheebau glaubte die NPD, ein anschlussfähiges Thema gefunden zu haben, und wollte bürgerlichen Protest nutzen, um in fremdenfeindlicher Weise zu polarisieren. Zum Volkstrauertag erweiterte der Berliner Landesvorsitzende das Argumentationsmuster von der angeblichen Vernachlässigung des Gedenkens an deutsche Opfer durch antisemitische Verschwörungstheorien. Danach stehe hinter der Achtlosigkeit ein bewusster Plan "uralter Feinde" des deutschen Volkes. Mit dieser Formulierung spielte er auf eine angeblich "ewige" Feindschaft von Juden und Deutschen an: "Wundersame Dinge geschehen in Deutschland. [...] Friedhöfe deutscher Soldaten sind überwuchert, werden eingeebnet oder von Müllhalden bedeckt. Dienstgrade werden unkenntlich gemacht, sterbliche Überreste geschändet und Taten für Deutschland verpönt. 13 "NPD will Beratungsautos einsetzen". In: "Der Tagesspiegel" vom 16.8.2007. 14 "Bezirk Pankow entfernt deutschen Soldatenfriedhof". Internetauftritt der NPD Berlin, datiert vom 25.6.2007. 14 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Selbst vor Grabstätten von Bombenopfern macht der wahrhaft pathologisch anmutende, zügelund schrankenlose Vernichtungswillen einer uralten Feindschaft keinen Halt." 15 Propaganda am Zum Volkstrauertag am 17. November demonstrierte der Volkstrauertag Berliner Landesverband mit ca. 200 Teilnehmern vor dem Deutsch-Russischen Museum Karlshorst unter dem Motto "Trotz alledem - Gedenkkundgebung anlässlich des Volkstrauertages". Die revisionistische Ausrichtung der Veranstaltung machte der Berliner NPD-Landesvorsitzende in seiner Rede deutlich: "Ist es [...] nicht legitim, statt von einer Kriegsschuld Deutschlands am 2. Weltkrieg von einem Weltkrieg gegen Deutschland zu reden? Einem Weltkrieg der unserem Volk unvorstellbares abverlangt hat und zu einem Heldentum ohne Beispiel führte." 16 G 8-Kampagne: Propaganda-Schwerpunkt der NPD auf Bundesebene G 8-Kampgange Im Gegensatz zu diesen klassisch neonazistischen Themen der Bundes-NPD stand für die Bundes-NPD mit den Protesten gegen das Gipfeltreffen der Staatsund Regierungschefs der acht führenden Industrienationen G 8 am 6. - 8. Juni in Heiligendamm ein aktuelles Thema im Fokus der Propaganda. Unter der Überschrift "Signale für eine Welt freier Völker" kündigte die NPD bereits auf der Titelseite der JanuarAusgabe ihres Parteiorgans "Deutsche Stimme" (DS) eine Kampagne gegen die G 8 als "Zentrum des modernistischen völkerfeindlichen Imperialismus" und gegen die Auflösung der "Volksgemeinschaft" an. Auf einer eigens eingerichteten, NPD-nahen Internetseite erklärten NPD und Kameradschaften, ihre "grundsätzliche Ablehnung der völkerund kulturvernichtenden Globalisierung" deutlich machen zu wollen. 15 Eckart Bräuniger: Gedanken zum Volkstrauertag. Internetauftritt der NPD Berlin, datiert vom 12.11.2007. 16 Redeauszug Eckart Bräuniger. Dokumentiert auf einer zivilgesellschaftlichen Internetseite, datiert vom 20.11.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 15 Höhepunkt sollte eine von der NPD für den 2. Juni in Demonstration in Schwerin angemeldete Kundgebung unter dem Motto "Es Schwerin verboten gibt keine gerechte Globalisierung" sein. Diese wurde jedoch aufgrund der angespannten Sicherheitslage vom OVG Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald am 1. Juni verboten. Zahlreiche Kundgebungen am selben Tag wurden als Ersatzveranstaltung ebenfalls verboten; eine davon war von zwei führenden Berliner aktionsorientierten Rechtsextremisten in Brandenburg an der Havel unter dem Motto "Meinungsfreiheit muß man schützen gegen 8 die oben sitzen" angemeldet worden. Da sich das von der NPD mit Eilantrag angerufene Bundesverfassungsgericht nicht mehr vor der beabsichtigten Veranstaltung in Schwerin mit der Sache befasste, rief die NPD ihre Anhängerschaft zu "dezentralisierten, spontanen Demonstrationen" auf. Die größtenteils bereits mit Bussen anreisenden NPDSpontanaktion am Anhänger führten daraufhin in mehreren Bundesländern Brandenburger Tor Protestkundgebungen durch. In Berlin zogen thüringische und fränkische Rechtsextremisten in einer spontanen Aktion mit Fahnen durch das Brandenburger Tor. Die Polizei nahm 13 Personen wegen Widerstandshandlungen vorläufig fest. Die NPD-Parteispitze, die verspätet eintraf, wurde von der Polizei am geschlossenen Durchschreiten des Brandenburger Tores gehindert. Der Bundesvorsitzende ging daraufhin allein durch das Tor und ließ sich zu Propagandazwecken gemeinsam mit anderen Funktionären vor dem Tor von Pressevertretern fotografieren. Andere Rechtsextremisten, darunter angeblich drei Landtagsabgeordnete der NPD aus Sachsen, begaben sich vor das Reichstagsgebäude, um dort die Transparente gegen den G 8-Gipfel zu zeigen. In zahlreichen rechtsextremistischen Internetveröffentlichungen wurde die Aktion im nachhinein als großer Erfolg bezeichnet. Der Berliner Landesverband der NPD beteiligte sich anlässlich der drei bundesweiten Aktionstage an der Kampagne lediglich mit einigen Infoständen und Flugblättern. 16 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Konflikte bei "Volksfront" und "Deutschlandpakt" Bündniskonflikte Ausgangspunkt für den bundesweiten Aufschwung der NPD in den letzten Jahren waren das so genannte "Volksfront"Bündnis mit aktionsorientierten Rechtsextremisten und der "Deutschlandpakt" mit der DVU. 17 Die Zusammenarbeit mit den heterogenen Partnern von der deutschnationalen DVU über die neonazistischen "Freien Kräfte" bis zu aus der Skinhead-Subkultur stammenden Rechtsextremisten bleibt fragil. Die jüngsten Entwicklungen haben Konfliktlinien innerhalb des breiten Zusammenschlusses aufgezeigt. "Deutschlandpakt" in Anlass für einen möglichen Bruch des "Deutschlandpaktes" anstehenden von NPD und DVU könnten die Fortschritte der NPDLandtagswahlen Landesverbände Thüringen und Brandenburg beim Ausbau der Organisationsstrukturen und bei der Mitgliedergewinnung werden. Für beide Länder ist ein Antritt der DVU zu den nächsten Landtagswahlen verabredet, die jedoch lokal deutlich schwächer verankert ist. Insbesondere die ortsansässige NPD-Parteibasis müsste freiwillig auf einen erhofften Einzug in die Landtage und die damit verbundenen finanziellen Vorteile verzichten. Vor allem "Freie Nationalisten", die in beiden Ländern mit der NPD eng zusammenarbeiten und daher ebenfalls von einem Landtagseinzug profitieren würden, forderten bereits offen den Wahlantritt der NPD. 18 Allerdings kündigten die Parteivorstände beider Parteien an, den "Deutschlandpakt" einhalten zu wollen. Unmut in der DVU In der DVU dürfte dagegen für Unmut sorgen, dass fast ausschließlich die NPD von dem Bündnis in Form von Mitgliederzuwachs, Wahlergebnissen und Prestigegewinn profitiert hat. Auch sind bereits zahlreiche DVU-Mitglieder und sogar Führungsfunktionäre zur NPD übergetreten. Unter ihnen ist der ehemalige Landesvorsitzende der DVU in Berlin und seine Frau, die Bezirksverordnete für die NPD in Lichtenberg ist. Er wurde auf dem NPD-Landesparteitag am 24. November in den Landesvorstand gewählt. 17 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2005. Berlin 2006, S. 51. 18 "Krach und Jubel - Nationalisten fordern: Schafft den 'Deutschlandpakt' ab". Rechtsextremistisches Internetportal, datiert vom 15.12.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 17 Auf der anderen Seite hat der Parteivorstand der NPD das NPD-AbgrenzungsVertrauen der "Freien Kräfte" in die Zuverlässigkeit der beschluss gegen "Schwarzen Block" Partei erschüttert, als er am 16. August unter der Überschrift "Unsere Fahnen sind schwarz - unsere Blöcke nicht" einen Abgrenzungsbeschluss gegen die - insbesondere in Berlin zahlenmäßig relevanten - Autonomen Rechtsextremisten veröffentlichte. Die Partei befürchtete, potenzielle Wähler könnten durch Aussehen und Verhalten eines "Schwarzen Blocks" abgeschreckt werden: "Vertreter des 'Schwarzen Blocks' sind für die breite Masse unseres Volkes keine Sympathieträger und können auch nicht glaubhaft mit ihrem Aussehen und Verhalten eine neue Ordnung vertreten, die deutsche Werte einfordert. Im Gegensatz zu ihnen wollen wir aber gerade in Zeiten von Auflösung und Verfall wieder Werte setzen. Haltung, Anstand und Disziplin gehören dazu." 19 Eine Absage an eine revolutionäre Politik stelle dies dennoch nicht dar: "Das auf außenstehende Betrachter beängstigende und damit abstoßende Äußere ist nach unserer Auffassung kein Ausdruck revolutionären Handelns [...] revolutionäre Überzeugungsarbeit schafft man allein dadurch, daß man in die Köpfe der breiten Masse des Volkes eindringt, dort die Ketten der Umerziehung sprengt und so den befreiten und wiederbelebten Geist für die nationale und soziale Revolution mobilisiert, die unserem Volk seine Freiheit zurückgibt und seinen Fortbestand sichert." 20 Hintergrund des Abgrenzungsbeschlusses war eine am 7. Juli Auseinandersetzungen vom Hessischen NPD-Landesverband veranstaltete Demonbei Demonstration stration, bei der es zwischen NPD-Ordern und den Teilnehmern eines "Schwarzen Blocks" Autonomer Nationalisten zu Auseinandersetzungen kam. Der Beschluss führte unter den "Freien Kräften" zu heftigen Diskussionen: "Die NPD-Führung is wohl nen bissel hohl in der Birne... [...] ich empfehle der Partei, sich genau zu überlegen, was sie dort tun ... sonst werden sie gewaltig von ihren jetzigen Höhenflügen abstürzen!!! 19 NPD-Parteipräsidium: "Unsere Fahnen sind schwarz - unsere Blöcke nicht!" Internetauftritt der NPD, datiert vom 15.8.2007. 20 Ebenda. 18 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Überlegt einfach mal, wer für euch den Wahlkampf überall macht! In Berlin zum Beispiel kann ich mich nicht entsinnen, dass ihr irgendwelche Parteiler uns zur Unterstützung geschickt habt um eure Pappen [Plakate, d. Red.] zu hängen [...] Ne so nich meine lieben Leute ... Nur am vollendeten Ende steht der Sieg!!! Keine halben Sachen!" 21 Abgrenzungsbeschluss Konsequenzen der NPD folgten dem Abgrenzungsbeschluss ohne Konsequenzen nicht. Aufgrund der empörten Reaktionen von aktionsorientierten Rechtsextremisten bemühte sich die NPD im Gegenteil mit einer weiteren Erklärung, den Beschluss zu relativieren. 22 Bereits am 15. September begrüßte der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt bei der Auftaktveranstaltung für die Niedersächsische Landtagswahl vor 650 Teilnehmern, darunter zahlreiche Autonome Nationalisten, ausdrücklich auch die Anhänger des "Schwarzen Blocks". Schon auf der vorangegangenen Pressekonferenz hatte sich der niedersächsische Spitzenkandidat zur Zusammenarbeit mit den "Freien Kräften" bekannt. Auf den Vorwurf, darunter befänden sich auch viele Vorbestrafte, hatte er erklärt, dass auch solche "im Rahmen einer Resozialisierung" eine zweite Chance verdient hätten. Keine In Berlin arbeitet die NPD eng mit den aktionsorientierten Berührungsängste Rechtsextremisten und Autonomen Nationalisten zusammen mit Gewalttätern und zeigt dabei keine Berührungsängste mit Gewalttätern. In einer Veröffentlichung vom 7. Juni solidarisierte sich der Neuköllner Kreisverbandsvorsitzende mit zwei verurteilten rechtsextremistischen Gewalttätern. Er nannte darin deren Verurteilungen "ungeheuerlich" und bezeichnete sie als "Repressalien gegen den Nationalen Widerstand". Einer der Täter war beteiligt an dem Überfall auf den Wahlkampfstand der Partei "Die Linke" am 25. August 2006. Der zweite war mitverantwortlich für den fremdenfeindlichen Überfall einer vierköpfigen Gruppe am 18. Juni 2006 in Schönefeld (Bran21 Kommentar in einem rechtsextremistischen Internetportal, datiert 18.8.2007. Im Original wechselnde Großund Kleinschreibung sowie weitere Tippfehler. 22 Vgl. "Erklärung: Unsere Fahnen sind schwarz, unsere Blöcke nicht". Internetauftritt der NPD, Aufruf am 18.12.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 19 denburg), bei dem ein 15-jähriger äthiopischer Staatsangehöriger erhebliche Kopfverletzungen erlitt. In der Veröffentlichung der NPD wurde diese als "Schramme am Kopf eines negriden Menschen" bezeichnet. 23 1.3 Aktionsorientierter Rechtsextremismus 1.3.1 Entwicklungen im Kameradschaftsnetzwerk Das Kameradschaftsnetzwerk in Berlin besteht weiterhin aus Kameradschaften ca. 200 aktionsorientierten Rechtsextremisten, die kontinuierlich in Kontakt miteinander stehen. Dabei vermeiden sie stärker noch als in den Vorjahren identifizierbare Organisationsstrukturen. Rechtsextremistische Kameradschaften (=) im Sinne von Gruppen mit geringer personeller Fluktuation, abgegrenztem Aktivistenstamm und einer Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit existieren in Berlin nicht mehr. Zum einen werden öffentlichkeitswirksame Aktivitäten in einem konkreten Personenzusammenschluss zugunsten eher konspirativer Aktivitäten aufgegeben. Es haben sich AutoAutonome Aktionsgemeinschaften nome Aktionsgemeinschaften (=) ohne feste Mitgliedschaften gebildet. Zum anderen erfolgten auch Eintritte in die Jugendorganisation der NPD, die "Jungen Nationaldemokraten", sowie in die "Heimattreue Deutsche Jugend". Diese Organisationen eignen sich eher für öffentliche Auftritte und für die Betreuung von Mitgliedern. Trotz der insgesamt geringen formalen Strukturen bewiesen die Aktivisten des Kameradschaftsnetzwerks aber ihre vergleichsweise gute Koordination durch eine verstärkte Kampagnenfähigkeit. Konspiratives Agieren in Aktionsgemeinschaften Die Entwicklung, dass sich aktionsorientierte RechtsextreMitgliedschaft misten des Kameradschaftsnetzwerks in Autonomen durch Mitmachen 23 Thomas Vierk: "Neuköllner unter Dauerfeuer". Internetauftritt der NPD Berlin, datiert vom 7.6.2007. 20 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Aktionsgemeinschaften organisieren, hat sich im vergangenen Jahr bundesweit verstärkt: Mitgliedschaft konstituiert sich über Mitmachen. Sofern bei Aktionen überhaupt noch unter Organisationsnamen agiert wird, werden diese möglichst allgemein gehalten oder es werden wechselnde Organisationsbezeichnungen angegeben. Die meist gebrauchten Bezeichnungen sind "Autonome Nationalisten Berlin" (ANB) oder "Freie Kräfte Berlin" (FKB). Die ANB sind zwar ein tatsächlicher Personenzusammenschluss, die Bezeichnung "Autonomer Nationalist" ist aber auch zu einer gängigen Selbstbezeichnung, einer "Marke" geworden. Diese wird auch unabhängig von dem ei"Autonome gentlichen Personenzusammenschluss benutzt. Die BezeichNationalisten" nung FKB wird von den führenden Aktivisten für öffentlichkeitswirksame Aktivitäten wie die Anmeldung von Demonstrationen, einen eigenen Internetauftritt und die Erstellung von Propagandamaterial genutzt. Neben einer hauptsächlich internen konspirativen Verständigung dient insbesondere die FKB-Internetseite als Kommunikationsplattform des Kameradschaftsnetzwerks. Wechselnde Bei verschiedenen Anlässen werOrganisationsden auch wechselnde Organisabezeichnungen tionsbezeichnungen verwendet. Anlässlich des alljährlich von Rechtsextremisten begangenen Gedenkens an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess, des Protests gegen den G 8-Gipfel und des Baus einer Moschee in Pankow wurden Transparente mit der Gruppenbezeichnung "Vereinte Nationalisten Nordost" (VNNO) an Autobahnbrücken angebracht. Auf rechtsextremistischen Demonstrationen wurden Plakate von "Nationalen Aktivisten Prenzlauer Berg" (NAPB) präsentiert. Mehrfach wurde AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 21 deren Spruchband "Für eine revolutionäre Jugendbewegung! Wir lassen uns nicht demokratisieren! Gegen Polizeiwillkür und Systemparteien!" mitgeführt. Auch die Bezeichnungen "Freie Nationalisten Tempelhof", "Berlin Nordwest" oder "Nationale Aktivisten Neukölln" (NAN) wurden für Transparente, Demonstrationsaufrufe oder so genannte "Spuckis" (Aufkleber) verwandt. Als Personenzusammenschlüsse mit eigenen Aktivitäten trat jedoch keine dieser angeblichen Organisationen in Erscheinung. Durch die Verwendung Vorgetäuschte verschiedener Gruppenbezeichnungen soll eine größere Gruppierungen Bewegung zahlreicher Gruppierungen vorgetäuscht werden. Anziehungskraft von Organisationen Bei der weitgehenden Strukturlosigkeit des Berliner Kameradschaftsnetzwerks haben Organisationsstrukturen, die ein Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, aber eine Anziehungskraft. So trat 2007 die NPD-Jugendorganisation "Junge "Junge NationalNationaldemokraten" (JN) erstmals seit 2005 wieder in demokraten" (JN) Erscheinung - jetzt getragen von Aktivisten des Kameradschaftsnetzwerks. Bisher war aber nur der "Stützpunkt" der JN in Treptow-Köpenick öffentlich aktiv. Die Bezeichnung "JN Reichshauptstadt Berlin" wurde auf Transparenten benutzt. Zudem gibt es eine sporadisch aktualisierte Internetpräsenz der Berliner JN. Auf der Internetpräsenz der JN Bund wird aber weiterhin kein Berliner Landesverband aufgeführt. Die erste eigenständige Aktion der Berliner JN fand am Aktion der JN zum 6. Mai statt. Aktivisten des "Stützpunktes Berlin Südost" 8. Mai sowie "Freie Kräfte" zeigten am Sowjetischen Ehrenmal in Treptow anlässlich der Kapitulation der Wehrmacht ein Transparent "8. Mai - Wir feiern nicht". Anschließend wurden in der Umgebung Flugblätter der "JN TreptowKöpenick" 24 verteilt. Bereits zuvor waren auf verschiedenen Demonstrationen des Kameradschaftsnetzwerks Transparente der Berliner JN mit der Aufschrift "Werde auch du ein Teil der Revolution" aufgetaucht. Das Zeigen des Trans24 Die JN im Südosten Berlins bezeichnete sich abwechselnd als "Stützpunkt Berlin Südost" und als "JN Treptow-Köpenick". 22 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 parents "Wir räumen auf - Revolutionär, Aktionär, Sozialistisch. Reichshauptstadt Berlin" während einer "Mahnwache" der Berliner NPD zum Thema "Verwahrloster Staat - verwahrloste Kinder" am 5. Mai in Reinickendorf wurde der JN durch die Polizei untersagt. Neuer Auch auf Bundesebene bemühten sich die JN um eine Bundesvorstand effizientere Organisation. Auf dem Bundeskongress am 6. Oktober wurde wegen mangelnder politischer Gestaltungskraft des alten Vorstands eine neue Bundesführung gewählt. Der neue Bundesvorsitzende äußerte in einem Interview in der Parteizeitung "Deutsche Stimme": "Leider muß ich Ihnen Recht geben, bei den JN gab es Defizite. [...] Wir haben den Kameraden klar gemacht, daß wir alles tun werden, damit aus den JN wieder eine moderne und schlagkräftige nationalistische Jugendorganisation wird." 25 Er kündigte an, dass die JN künftig stärker als Bindeglied zu aktionsorientierten Rechtsextremisten fungieren wollen, die sie ebenso wie die Mutterpartei als Teil ein und derselben "Bewegung" ansähen: "Die JN müssen das Bindeglied sein zwischen der Mutterpartei und den radikaleren Kräften in Deutschland. Wir müssen dafür sorgen, daß das Bündnis zwischen einsichtigen und konstruktiven Gruppen außerhalb der NPD und dem parlamentarischen Arm der Bewegung bestehen bleibt. Auch wenn das heißt, daß wir die NPD öfters mal daran erinnern müssen, wo sie her kommt." 26 "Heimattreue Neben den JN haben sich die Aktivisten des Berliner KameDeutsche Jugend" radschaftsnetzwerks im vergangenen Jahr auch der HDJ zugewandt. Diese organisiert vor allem Veranstaltungen zur Brauchtumspflege, Zeltlager und Märsche - Aktivitäten, die das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. 2007 beteiligten sich Rechtsextremisten des Kameradschaftsnetzwerks deutlich stärker an den häufig im Umland durchgeführten Aktivitäten der HDJ-"Einheit Preußen". Bei einem Treffen 25 "Wir stehen für einen modernen Nationalismus". Im Gespräch mit dem neuen JN-Bundesvorsitzenden Michael Schäfer. In: "Deutsche Stimme" 12/2007, S. 3. 26 Ebenda. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 23 in Oranienburg am 9. Juni wurde gegen HDJ-Mitglieder ein Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Uniformierungsverbot gem. SS 3 Abs. 1 VersammlG eingeleitet. Das LKA durchsuchte am 12. September mehrere Wohnungen von HDJ-Mitgliedern in Berlin und Brandenburg. 27 Kampagnenfähigkeit des Kameradschaftsnetzwerks Im vergangenen Jahr konnte die Koordination des KameradKoordinierte schaftsnetzwerks trotz der geringen formalen Strukturen Kampagnen weiter ausgebaut werden. Zu Anlässen wie dem neonazistischen Gedächtnis an Rudolf Hess und Horst Wessel sowie der Tage der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 und der Bombardierung Dresdens durch alliierte Luftangriffe am 13. Februar 1945 aber auch zu aktuellen Themen wie Globalisierung oder staatliche Repression führten sie Propagandakampagnen durch. In dichter Folge gab es ein stets gleiches "Set" an Aktivitäten: Propagandaschmierereien, Plakate und Transparente, Flugblätter und der Wurf hunderter kleiner Papierschnipsel mit Themenbezug aus den oberen Etagen von Einkaufspassagen. Im Nachgang fand sich auf der FKB-Internetseite ein Bericht, der die Aktivitäten als großen Propagandaerfolg darstellte. Die deutlich gestiegenen Propaganda-Aktionen zum GeGedenken an dächtnis an Hess und Wessel zeigen die weiterhin hohe nationalsozialistische Funktionäre Bedeutung neonazistischer Themen im Kameradschaftsnetzwerk. Aktivisten der "Autonomen Nationalisten Berlin" (ANB) sowie der "Aktionsgruppe Rudow" (AGR) wurden wegen des Anbringens von strafbarem Propagandamaterial festgenommen. 27 AG Neuruppin, Az. 329 Js 25500/07. Vgl. Hintergrundinformationen, S. 190. 24 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Die Thematisierung der Zerstörung deutscher Städte durch alliierte Luftangriffe - und hier insbesondere Dresdens - gewinnt in der rechtsextremistischen Szene allgemein an Bedeutung seit die Verherrlichung des Nationalsozialismus wie die alljährlichen Demonstrationen am Grab von Rudolf Hess in Wunsiedel oder auf dem Soldatenfriedhof in Halbe verboten oder durch Auflagen eingeschränkt werden. Beim Gedenken an die Bombardierung deutscher Städte geht es Rechtsextremisten nicht um die historische Aufarbeitung, Revisionistische sondern um revisionistische Relativierung der nationalKampagnen sozialistischen Kriegsverbrechen. Ähnlich argumentierten die Aktivisten des Kameradschaftsnetzwerks anlässlich des Jahrestags der deutschen Kapitulation im Zweiten Weltkrieg. Auf der FKB-Homepage veröffentlichten sie einen Text, in dem die deutschen Verbrechen im "3. Reich" durch Verweis auf die Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten und die Opfer der alliierten Kriegsführung relativiert werden: "Die Politik und Medien beherrschenden Kräfte wissen, wie wackelig und brüchig ihr Propagandagebäude ist, das auf der Alleinschuld der Deutschen am Zweiten Weltkrieg und der dem Volk eingeimpften Schuldpsychose aufbaut, daß es in diesem Krieg nur deutsche Verbrechen gegeben habe. Deswegen werden die Verbrechen der Sieger verschwiegen und gebilligt, gerechtfertigt und verharmlost und der 8. Mai wie ein ritualisiertes Glaubensbekenntnis als 'Tag der Befreiung' gefeiert." 28 28 Internetauftritt der FKB, Aufruf am 9.5.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 25 Neben den klassischen neonazistischen und geschichtsAktuelle Themen: revisionistischen Themen griffen die Aktivisten des KameGlobalisierung radschaftsnetzwerks auch aktuelle Themen wie Globalisierung oder Jugendförderung auf. Mehrfach demonstrierten Berliner Rechtsextremisten zudem gegen Maßnahmen von Polizei und Justiz oder aus Solidarität mit inhaftierten Kameraden. Dabei war eine konfrontativere Haltung gegenüber staatlichen Organen festzustellen. Die alljährlich Anfang Dezember von Aktivisten des KameDemonstration radschaftsnetzwerks organisierte Demonstration "Jugend "Jugend braucht Perspektiven" braucht Perspektiven - für ein nationales Jugendzentrum" war 2007 die größte rechtsextremistische Demonstration in Berlin. Bei der unter dem Namen der FKB ausgerichteten Veranstaltung konnten aufgrund der frühzeitigen Werbung, der überregionalen Kontakte der Organisatoren und der Unterstützung durch die NPD am 1. Dezember rund 550 Teilnehmer mobilisiert werden. Die Demonstration, die von einem "Schwarzen Block" Autonomer Nationalisten aus Berlin angeführt wurde, führte an zwei Jugendklubs vorbei, vor denen Reden von NPD-Funktionären gehalten wurden. 29 Zum Abschluss wurde mit "Ein junges Volk steht auf" ein Lied der Hitler-Jugend gesungen. 1.3.2 Weniger öffentlichkeitswirksame Aktivitäten im "Netzwerk Musik" Das rechtsextremistische Musiknetzwerk (=), dem rund 200 Personen angehören, besteht im Kern seit Jahren aus weitgehend denselben Gruppen, Musikbands und Einzelpersonen. Die meisten von ihnen sind zwischen 25 und 40 Jahre alt. Rechtsextremistische Musikgruppen wie "Deutsch, Stolz, Rechtsextremistische Treue" (D.S.T., auch X.x.X.), "Spreegeschwader", "Legion Musikgruppen 29 Mit Teilnehmern einer Party hatte es wenige Wochen zuvor vor einem der Jugendklubs körperliche Auseinandersetzungen gegeben, bei der ein Rechtsextremist verletzt wurde. 26 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 of Thor" (LoT) und "Die Lunikoff-Verschwörung" 30 produzieren Tonträger und treten bei Konzerten auf; subkulturelle Gruppen wie die "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft (= Vandalen), Lichtenberg 35, Kameradschaft Spreewacht (= KSW) und Hammerskins (=) fungieren als Bindeglied zu Händlern und Musikproduzenten und treten bei der Organisation von Szenefeiern und Konzerten in Erscheinung. Insbesondere Konzerte als Live-Konzerte sind als Gemeinschaftserlebnisse geeignet, GemeinschaftsJugendliche an den Rechtsextremismus heranzuführen. erlebnis Szenefeiern, Konzertveranstaltungen und Tonträgerproduktion erfolgen aus kommerziellen Gründen und zur Propaganda rechtsextremistischer Ideologie. Sie bieten Unterhaltung für die Anhänger und sind gleichzeitig Bindeglied der Subkultur. 31 Tonträgerproduktion geht weiter zurück Geringe Die Tonträgerproduktion ging im Vergleich zum bereits Tonträgerproduktion niedrigen Vorjahresniveau weiter zurück. Die rechtsextremistischen Berliner Bands produzierten 2007 lediglich zwei neue Tonträger. Veröffentlicht wurde von "X.x.X." und der rechtsextremistischen Band "Burn Down" die gemeinsame Split-CD "Gift für die Ohren". Es erschien die CD "Hass schürender Lärm II" von "Macht & Ehre", "Die Barbaren" (Brandenburg) und "Aryan Brotherhood" (Brandenburg). 30 Die Band "Die Lunikoff-Verschwörung" setzt sich aus den Musikern der Band "Spreegeschwader" und dem ehemaligen Sänger der rechtsextremistischen Band "Landser" zusammen. 31 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007, S. 41, sowie Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Info Rechtsextremistische Musik. Berlin 2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 27 Thematisiert wird von "X.x.X." und "Burn Down" der Kampf gegen das politische System. So heißt es im Lied "Gift für die Ohren": "Wir sind voller Hass auf das Scheißsystem Gegen das wir täglich im Kampf bestehen" "X.x.X." hat mit "Kameraden, lasst erschallen!" in leicht Rechtsextremistische abgewandelter Form ein Lied der Waffen-SS mit Text von Texte Horst Wessel aufgenommen. Ein anderes Lied ruft zur Solidarität mit verurteilten Rechtsextremisten auf, deren "Wahrheit" durch die Gerichte "zerschlagen" werden solle (darunter befinden sich zahlreiche Holocaust-Leugner). Strafrechtlich relevante Texte versuchten "X.x.X." und "Burn Down" bei einigen Passagen durch Auslassungszeichen zu vermeiden. Durch die naheliegenden Reime wird der Sinn jedoch deutlich: "Das Kriegbeil das wir nie begruben ist reserviert für all die ... 32 [...] Mit dem halben Zeug haben wir nichts zu tun Für uns kein Rasten und auch kein Ruhen Wir sind die wirklich 'Bösen' Buben All unser Hass ... Scheiß Zensur!" Weniger rechtsextremistische Veröffentlichungen von BerNachlassende liner Bands gab es zuletzt 1993. 33 In den letzten Jahren Kreativität gaben sie zudem viele Tonträger mit altem Material heraus. So erschien 2007 die CD "Die Rückkehr des Unbegreiflichen" von der Band "Die Lunikoff-Verschwörung" als LP. Die Ursachen für diese Entwicklung können unterschiedlich sein. Neben einer zunehmenden Professionalisierung und Profitorientierung Profitorientierung der rechtsextremistischen Bands kann der Anstieg von Wiederverwertungen auch ein Anzeichen nachlassender Kreativität sein. Alle Berliner Bands sind mit einer Lebensdauer von rund zehn Jahren im Vergleich zu der bundesweit festzustellenden hohen Fluktuation bei rechts32 Gemeint ist "Juden". Auf der CD wird an dieser Stelle "Juhuhu" gesungen. 33 Vgl. S. 181 ff. 28 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 extremistischen Musikgruppen recht alt. Möglicherweise führte auch die infolge staatlichen Verfolgungsdrucks in den vergangenen Jahren festzustellende Abnahme offen rassistischer und nationalsozialistischer Texte zu gewissen Ermüdungserscheinungen. 34 Exekutivmaßnahmen Die Sicherheitsbehörden halten die staatliche Repression gegen Bands weiter hoch. Das Berliner LKA durchsuchte allein bei den Mitgliedern der Band "X.x.X" und ihren Unterstützern im Verlauf des Jahres fünfmal Wohnungen und Geschäftsräume. Im Zusammenhang mit der 2005 veröffentlichten CD "Die Antwort auf's System" wurden am 14. Februar in mehreren Bundesländern dreizehn Wohnungen und Geschäftsräume Wohnungsvon an der Produktion beteiligten Personen durchsucht. In durchsuchungen und einem CD-Presswerk in Nordrhein-Westfalen wurden UnterBeschlagnahmungen lagen sichergestellt, die eine Auflagenhöhe von 5 000 Stück belegen. Bei dem Produzenten in Mecklenburg-Vorpommern wurden ca. 1 100 Exemplare der CD, diverse T-Shirts mit SS-Totenkopf sowie eine funktionsfähige Pump-Gun aufgefunden. Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung ihres Tonträgers "Gift für die Ohren" wurden wegen eines strafrechtlich relevanten Liedes am 16. und 21. März abermals Wohnund Geschäftsräume der Bandmitglieder von "X.x.X." und ihrer Produzenten durchsucht. Dabei wurden über 100 Exemplare beschlagnahmt. Im Zusammenhang mit dieser CD durchsuchte das Berliner Landeskriminalamt am 2. August auch die Wohnräume eines Berliner Polizeibeamten, der im Verdacht steht, an der CD mitgewirkt zu haben. Es wurde umfangreiches rechtsextremistisches Propagandamaterial sichergestellt. Die Band ersetzte in einer leicht veränderten Form der CD das inkriminierte Lied durch ein strafrechtlich nicht relevantes. Da sich auch auf der zweiten Ausgabe von "Gift für die Ohren" ein weiteres Lied befindet, das den Verdacht der Volksverhetzung nach SS 130 StGB erfüllt, 34 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Info Rechtsextremistische Musik. Berlin 2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 29 wurden am 16. Januar 2008 abermals zahlreiche Wohnungen und Geschäftsräume von Musikern und Produzenten in fünf Bundesländern durchsucht. Ein weiterer Schlag gegen die rechtsextremistische Berliner Verurteilung und Musikszene war die Verurteilung des Schlagzeugers von Prozesse "Spreegeschwader" und D.S.T. / "X.x.X." am 29. Mai. Er wurde wegen eines Raubüberfalls am 4. Oktober 2006 in Wismar auf einen rechtsextremistischen Musikhändler zu drei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. 35 Zudem musste die Band "Spreegeschwader" eine juristische Niederlage hinnehmen. Sie legte erstmals gegen eine Indizierungsentscheidung Verfassungsbeschwerde ein, die jedoch vom BVerfG nicht angenommen wurde. Das Gericht stellte fest, dass "Auslegung und Anwendung von SS 18 JuSchG durch die Gerichte [...] verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden" seien. 36 Bereits das VG Köln hatte am 28. Oktober 2005 die Klage der Band gegen die Indizierung ihrer CD "Live 2002" durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) im Januar 2004 abgelehnt, da in Teilen der CD und dem zugehörigen Begleitmaterial die nationalsozialistische Gewaltund Willkürherrschaft verherrlicht oder verharmlost werde. Die Berufung wurde vom OVG Münster am 29. Mai 2007 zurückgewiesen. Szenepartys im kleineren Rahmen Noch vor einigen Jahren zeigten die bei den Jahresfeiern von Kleinere "Hammerskins" und "Vandalen" polizeilich festgestellten Szenepartys Besucher die bundesweite und internationale Vernetzung und Bedeutung der Berliner Gruppierungen des rechtsextremistischen Musiknetzwerks. 37 2007 fanden diese Feiern in kleinerem Rahmen als in früheren Jahren statt: So nahmen 35 LG Schwerin, Az. 145 Js 25831/06. Die Revision wurde am 6.12.2007 vom BGH verworfen. Az. 4 StR 559/07. 36 Beschluss vom 10.9.2007. Az.: BVerfG 1 BvR 1584/07. 37 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2004. Berlin 2005, S. 30 f. 30 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 an der Feier am 2. Juni in Lichtenberg 100 Personen und bei den "Hammerskins" am 14. Juli in Köpenick 60 Personen teil. Live-Musik und Straftaten waren nicht festzustellen. Die Feiern verursachten keine Außenwirkung und wurden auch in den szeneüblichen Foren nicht wahrgenommen. Die "Vandalen" traten wegen der Inhaftierung ihres Anführers als Gruppe nicht öffentlich in Erscheinung. Kein Konzert in In einschlägigen Foren wurde behauptet, dass "ältere Berlin Szenegrößen" des Berliner Musiknetzwerks am 3. November ein rechtsextremistisches Konzert in Berlin veranstaltet hätten. Den von der Öffentlichkeit unbemerkten Auftritt von "X.x.X.", "Legion of Thor", "Burn Down" und "Blitzkrieg" im Wedding sollen 300 Teilnehmer besucht haben. Da die Polizei am selben Tag eine größere rechtsextremistische Musikveranstaltung mit Beteiligung von Berliner Rechtsextremisten in Königswusterhausen (Brandenburg) feststellte, scheint die Ortsangabe "Wedding" unwahrscheinlich. Beständigkeit des Netzwerks Auch wenn 2007 die Aktivitäten des Musiknetzwerks in Berlin zurückgegangen sind, ist es weiterhin sehr beständig. Konzertteilnahmen Dies zeigt auch die Konzertteilnahme der Berliner Bands in Berliner Bands anderen Bundesländern. "Legion of Thor" trat gemeinsam mit den Bands "Kahlschlag" und "Burn Down" am 12. Mai bei einem Konzert auf dem Grundstück eines Brandenburger DVU-Funktionärs in Finowfurt (Brandenburg) auf. Die Veranstaltung mit 230 Personen wurde von der Polizei aufgelöst, nachdem rechtsextremistische Parolen skandiert worden waren. Die Aktivitäten könnten 2008 wieder zunehmen, da die Führungsfigur des Musiknetzwerks - der ehemalige Sänger der Band "Landser" und Anführer der "Vandalen" - im Februar 2008 aus der Haft entlassen wurde. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 31 1.4 Diskursorientierter Rechtsextremismus 1.4.1 VRBHV setzt sich von Mahlers "Feldzug gegen die Offenkundigkeit des Holocaust" ab Der "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (= VRBHV) hat weiterhin das in VRBHV seiner Gründungserklärung vom 9. November 2003 beschriebene Ziel, "einen organisierten und geordneten Angriff auf die Auschwitzlüge als dem Fundament der Fremdherrschaft über das Deutsche Reich zu beginnen". 38 Jedoch gab der VRBHV seinen in den vergangenen Jahren betriebenen "Feldzug gegen die Offenkundigkeit des Holocaust" 39 faktisch auf, distanzierte sich weitgehend von Horst Mahler und agierte weniger in der Öffentlichkeit. Eine Ausnahme war die Veröffentlichung einer DokumentationsDVD über die Teheraner Holocaust-Konferenz, die im Teheraner Dezember 2006 stattgefunden hatte. Horst Mahler selbst und Holocaust-Konferenz vereinzelte Revisionisten des VRBHV fuhren mit der Strategie des "Feldzugs" fort und leugneten wiederholt öffentlich den Holocaust. Diese Differenzen könnten eine Zerreißprobe für den VRBHV werden. Keine neuen Gerichtsverfahren Die Mehrzahl der Berliner VRBHV-Mitglieder provozierten Keine keine weiteren Gerichtsverfahren durch Selbstanzeigen oder Selbstanzeigen öffentliche Holocaustleugnung und kündigten Mahler damit ihre Gefolgschaft auf. Im Internet wurde Mahler offen kritisiert und behauptet, dass sich ihm inzwischen das "gesamte national patriotische Spektrum" verweigere. 40 Ebenso wurde seine Führungskompetenz vermehrt in Frage 38 Gründungserklärung des VRBHV vom 9.11.2003. 39 Die von Horst Mahler konzipierte Strategie zielte darauf ab, den Völkermord an den europäischen Juden öffentlich zu leugnen, um in den dann folgenden Gerichtsverfahren ein breites Medieninteresse für die eigenen Positionen zu finden. 40 Homepage eines Prozessbeobachters, Aufruf am 14.12.2007. 32 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 gestellt. Diese gilt offenbar bei vielen im VRBHV als "extrem schwach". 41 Die hohen persönlichen "Opfer" ohne erkennbaren Erfolg des "Feldzugs" hatten bereits 2006 zu Streit innerhalb der Berliner Gruppe des VRBHV geführt. Prozessbeobachter VRBHV-Mitglieder waren aber weiterhin als "Prozessbeobachter" bei den 2007 noch anhängigen Prozessen gegen Revisionisten, darunter ein Berliner, zugegen. Besondere Aufmerksamkeit widmeten sie den Gerichtsverfahren gegen Ernst Zündel und Germar Rudolf in Mannheim sowie gegen einen Thüringer Revisionisten in Gera. Die Prozesse erlangten jedoch nicht die gleiche Medienresonanz wie in 2006. Zündel wurde am 15. Februar vom Landgericht Mannheim zu fünf Jahren Haft verurteilt. 42 Am 15. März verurteilte dasselbe Gericht Germar Rudolf zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft. Rudolf hatte sich zuvor von seinen Szeneanwälten distanziert. Veröffentlichung der DVD "Die frohe Botschaft von Teheran" VRBHV in Teheran An der Holocaust-Konferenz "Review of the Holocaust: Global Vision" des iranischen "Instituts für internationale und politische Studien" (IPIS) in Teheran am 11./12. Dezember 2006 hatten der Vorsitzende und Mitglieder des VRBHV teilgenommen. Die 2007 veröffentlichte DVD mit dem Titel "Die frohe Botschaft von Teheran" enthält die Reden der wichtigsten Holocaustleugner sowie weitere holocaustleugnende Schriften. Vom VRBHV ist lediglich die Rede des damaligen Vorsitzenden und Schweizer Staatsbürgers Bernhard Schaub dokumentiert. Dies bestätigt die gesunkene Bereitschaft der Mitglieder, sich öffentlich strafrechtlich relevant zu äußern. In der Rede hieß es: "[Die] herrschenden Schichten des Westens [haben] das Thema Holocaust mit Hilfe der Gleichschaltung von Medien, 41 Ebenda. 42 Die Revision wurde vom Bundesgerichtshof am 17.9.2007 verworfen. Das Urteil ist damit rechtskräftig. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - RECHTSEXTREMISMUS 33 Bildung, Politik und Justiz vollständig tabuisiert, es jeglicher kontroversen Diskussion entzogen und den Glauben an den Holocaust zu einer Art von europäisch-amerikanischer Zwangsreligion gemacht." Deutlich wird der Massenmord an den europäischen Juden während des Dritten Reichs geleugnet: "Und wenn mir einer auf Heller und Pfennig beweist, dass es Holocaustleugnung die Gaskammern doch gegeben hat, dann sage ich: Gut. Dann habe ich mich geirrt [...]." 43 "Adolf Hitler und das Dritte Reich sind in dieser Holocaustreligion [...] der Teufel und die Teufel und die Deutschen sind seine Nachfahren und müssen dafür büßen [...], moralisch und finanziell und politisch und auf jede Weise. Und die Juden sind dadurch unangreifbar geworden, dass sie diesen Holocaust erlebt haben, oder erlebt haben wollen." 44 Der tief verwurzelte Antisemitismus im revisionistischen Rechtsextremismus betrifft auch die Ablehnung der Existenz des Staates Israel, der gemäß einer gängigen revisionistischen Argumentation sein Existenzrecht nahezu ausschließlich mit dem Holocaust legitimiere: "Und es ist eben nicht nur die moralische Grundlage der Bundesrepublik Deutschland dieser Holocaust, sondern selbstverständlich in einem ebenso hohen Maße die moralische Grundlage für den Räuberstaat im Nahen Osten namens Israel." 45 Öffentliche Holocaustleugnung fortgesetzt Vereinzelte Revisionisten des VRBHV und Horst Mahler Horst Mahler leugneten weiterhin öffentlich den Holocaust. So legte Mahler im Oktober seine Ideologie in einem Interview mit Michel Friedman dar, den Mahler mit "Heil Hitler, Herr Friedman" begrüßte. Mahler, der von einer Fortexistenz des Deutschen Reiches ausgeht, betonte seine Nicht-Anerkennung der Bundesrepublik, die für ihn lediglich ein "Instrument der Fremdherrschaft" sei. Diese Fremdherrschaft wird 43 Rede von Bernhard Schaub auf der Konferenz von Teheran, dokumentiert auf der DVD "Die frohe Botschaft von Teheran". 44 Ebenda. 45 Ebenda. 34 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 im antisemitischen Weltbild der Holocaustleugner von "den Juden" ausgeübt: Friedman: "Erkennen Sie denn das Grundgesetz an?" Mahler: "Nein." Friedman: "Erkennen Sie irgendwelche Gesetze Deutschlands an?" Mahler: "Na sicher, die deutschen Reichsgesetze. Die sind nur im Augenblick nicht wirksam, weil die Fremdherrschaft sich darübergesetzt hat und die bestimmt." Friedman: "Wer sind die Fremden?" Mahler: "Na, das sind die Juden halt. ... Der Jude trachtet danach, sich zum Fürsten seiner Herren zu machen. Trachtet danach, die Weltherrschaft zu erlangen. ..." 46 Zudem verherrlichte er im selben Interview Adolf Hitler und leugnete mehrfach den Holocaust: Mahler: "Hitler war der Erlöser des deutschen Volkes. Nicht nur des deutschen Volkes. Und er ist [...] dämonisiert worden, damit jeder Gedanke an den Erlöser ausgetilgt ist im Bewusstsein der Deutschen und der Welt überhaupt." Friedman: "Hitler hat ... sechs Millionen Juden umgebracht." Mahler: "Das sagen Sie. Ich sage: Das ist eine Lüge. Und das wissen Sie auch. [...] Auschwitz als Konzentrationslager, Arbeitslager hat es gegeben, [...] aber die systematische Vernichtung der Juden in Auschwitz, das ist eine Lüge." 47 Für seine Aussagen wurde Mahler wegen Volksverhetzung nach SS 130 StGB angezeigt. Zusätzlich wurde er am 23. November vom Cottbusser Amtsgericht wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach SS 86a StGB zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Er hatte beim Haftantritt in der JVA Cottbus am 15. November 2006 den Hitlergruß gezeigt. 46 Horst Mahler im Interview mit Michel Friedman. In: "Vanity Fair" Nr. 11/2007. 47 Ebenda. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 35 2 LINKSEXTREMISMUS 2.1 Überblick Personenpotenzial Das linksextremistische Personenpotenzial hat sich mit Personenpotenzial ca. 2 210 Personen gegenüber dem Vorjahr kaum verändert kaum verändert (2006: ca. 2 230 Personen). Dies gilt sowohl bei den gewaltbereiten aktionsorientierten Linksextremisten mit ca. 1 160 Personen (2006: ca. 1 170) als auch bei den nichtgewaltbereiten Linksextremisten mit ca. 700 Personen (2006: ca. 710 ). Ebenfalls konstant blieb mit ca. 350 Personen die Zahl derer, die linksextremistischen Parteien zugerechnet werden. Gesamtpotenzial linksextremistischer Personenzusammenschlüsse: ca. 2 210 1160 700 350 Gewaltbereite auch aktionsorientierte Linksextremisten Nicht-gewaltbereite Linksextremisten Linksextremistische Parteien und innerparteiliche Zusammenschlüsse 36 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Linksextremistisches Personenpotenzial* Berlin Bund 2006 2007 2006 2007 Gesamt 2 230 2 210 31 000 31 100 ./. Mehrfachmitgliedschaften 300 300 Tatsächliches 2 230 2 210 30 700 30 800 Personenpotenzial * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. Personenpotenziale einzelner Personenzusammenschlüsse Berlin Bund 2006 2007 2006 2007 Aktionsorientierte auch gewaltbereite Linksextremisten, 1 170 1 160 6 000 6 300 davon Autonome 980 980 Sonstige 190 180 Nicht-gewaltbereite 710 700 25 000 24 800 Linksextremisten, davon "Linksruck" 100 80 "Sozialistische Alternative 50 60 e. V." "Rote Hilfe e. V." 320 320 Sonstige 240 240 Linksextremistische Parteien und innerparteiliche 350 350 s. o. s. o. Zusammenschlüsse Straftaten Mehr Straftaten, Die Anzahl der Straftaten im Bereich der "Politisch mehr Gewalttaten motivierten Kriminalität - links" ist gegenüber dem Vorjahr von 543 auf 729 Fälle angestiegen. Dies betrifft sowohl die Gewaltdelikte (Anstieg von 112 auf 180 Fälle) als auch die sonstigen Delikte. Trotz dieses Anstiegs ist ein Rückgang in der Kategorie "gegen rechts" zu verzeichnen. Dieser Rückgang könnte auf repressive und präventive Maßnahmen AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 37 der Berliner Polizei und eine damit verbundene Verunsicherung innerhalb der linksextremistischen Szene zurückzuführen sein. Während laut Polizeistatistik die Gewaltdelikte im Bereich Hauptmotivation "gegen rechts" von 57 auf 24 zurückgegangen sind, stiegen "Antikapitalismus" die Fälle im Bereich "Antikapitalismus" von fünf auf 97 und im Bereich "Umstrukturierung" (dieser Bereich umfasst auch den Bereich "Wohnraumproblematik") von zwei auf 24 Taten. Vor allem die Brandstiftungen nahmen zu: waren Mehr es im Jahr 2006 16, so stieg die Zahl im vergangenen Jahr Brandstiftungen auf 102. In 94 Fällen wurden Kraftfahrzeuge in Brand gesetzt, davon in 60 Fällen Firmenwagen. Fünf Gewaltdelikte wurden im Zusammenhang mit Sympathieaktionen gegen die Räumung eines besetzten Hauses in Kopenhagen / Dänemark begangen, elf weitere Gewaltdelikte standen im Zusammenhang mit der Versteigerung des Grundstückes Köpenicker Straße 137 bzw. dem ehemals besetzten Haus Rigaer Straße 94. Die sonstigen Delikte stiegen um 127 auf 548 Fälle. Im Zusammenhang mit dem G 8-Gipfel wurden 46 Straftaten begangen. Außerdem führten zum Teil strafbare Aktionen zum Erhalt alternativer Wohnprojekte zu einem Anstieg der Fallzahlen. 38 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Fallzahlen Politisch motivierte Kriminalität - links* 2006 2007 Terrorismus** 9 1 davon u. a. Antikapitalismus 6 gegen rechts Umstrukturierung 1 Gewaltdelikte 112 180 davon u. a. Antikapitalismus 5 97 gegen rechts 57 24 Umstrukturierung 2 24 Propagandadelikte 1 davon u. a. Antikapitalismus gegen rechts 1 Umstrukturierung sonstige Delikte 421 548 davon u. a. Antikapitalismus 14 89 gegen rechts 216 145 Umstrukturierung 32 155 Gesamt 543 729 davon u. a. Antikapitalismus 25 186 gegen rechts 274 169 Umstrukturierung 35 179 * Auszug aus dem Bericht "Lagedarstellung der Politisch motivierten Kriminalität in Berlin für das Jahr 2007" des Landeskriminalamtes Berlin (LKA). Der vollständige Bericht ist im Internet unter www.berlin.de/sen/inneres/sicherheit/statistiken/ index.html eingestellt. ** Die Fallzahlen im Deliktbereich Terrorismus für das Jahr 2006 enthalten acht Anschläge der "militanten gruppe" (mg). Nach dem Urteil des BGH vom 28.11.2007 (Az.: BGH StB 43/07), nachdem die mg nicht als terroristische sondern als kriminelle Vereinigung zu betrachten ist, wurden ihre Anschläge im Jahr 2007 nicht mehr zum Deliktbereich Terrorismus gezählt. Entwicklung Schwerpunkt Die Protestaktionen gegen den G 8-Gipfel in Heiligendamm Proteste gegen im Juni bildeten den Schwerpunkt der Aktivitäten der G 8-Gipfel gesamten linksextremistischen Szene. Obwohl es nicht gelang, den Gipfel zu verhindern oder nachhaltig zu stören, werteten Linksextremisten die Protestaktionen mehrheitlich als Erfolg. Anlässlich der Demonstration vom 2. Juni in AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 39 Rostock, bei der es zu erheblichen Ausschreitungen gekommen war, entzündete sich jedoch eine tiefgreifende Diskussion über den Einsatz von Gewalt. Diese Debatte zeigt die ideologischen und strategischen Gräben zwischen den linksextremistischen Spektren und stellt den kurzfristigen Mobilisierungserfolg im Zusammenhang mit dem Gipfel wieder in Frage. Außerdem könnte die Diskussion zu einer weiteren Spaltung der Szene führen. Weit im Vorfeld des Gipfels hatten sich zivilgesellschaftDiskussion über liche und linksextremistische Gruppierungen über die ForProtestformen men des Protestes öffentlich auseinandergesetzt. Hintergrund war die bereits seit Sommer 2005 anhaltende militante Kampagne linksextremistischer Gipfelgegner. Allein in dem Zeitraum von Mitte Mai bis Mitte Juni verzeichnete das Bundeskriminalamt (BKA) bundesweit 604 Straftaten, die einen unmittelbaren Bezug zu den Themen G 8 oder EU aufwiesen. In Berlin wurden allein in diesem Zeitraum 34 Brandanschläge gegen Fahrzeuge und Gebäude begangen. Die "militante gruppe" (mg) setzte ihre gewaltsamen An"militante Gruppe" schläge im ersten Halbjahr 2007 fort. In mehreren Selbst(mg) bezichtigungsschreiben bekannte sich die Gruppe zu diversen Straftaten. Die seit 2001 in der linksextremistischen Szene geführte Militanzdebatte Militanzdebatte ist 2007 vorerst beendet worden. Zum Ausbeendet laufen der Diskussion haben möglicherweise die Festnahmen im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren gegen die mg geführt. Gleichzeitig waren diese der Beginn der Kampagne gegen die "staatliche Repression" und für die Abschaffung der Paragraphen 129 a und 129 b StGB, die sowohl von linksextremistischen Gruppierungen wie nichtextremistischen Akteuren unterstützt wurde. Im März räumte die Polizei in Kopenhagen / Dänemark das autonome Jugendzentrum "Ungdomshuset". Danach kam es zu massiven Ausschreitungen. Auch in Berlin hat der Kampf um "autonome Freiräume" an Gewicht gewonnen und sich zum Kampagnenthema der linksextremistischen autonomen Kampagnenthema Szene entwickelt. In diesem Zusammenhang wurden im "autonome Freiräume" Verlauf des Jahres zahlreiche Straftaten begangen. 40 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 2.2 Linksextremistische Protestaktionen gegen den G 8-Gipfel In der Zeit vom 6. bis 8. Juni fand in Heiligendamm der G 8-Gipfel statt. Die Proteste gegen das Treffen der sieben führenden Industrienationen 48 und Russlands wurden überwiegend von einer Vielzahl nicht-extremistischer Organisationen und Globalisierungskritiker getragen. Die Vorbereitung und Durchführung von Protestaktionen gegen den Schwerpunkt Gipfel bildete aber auch den Schwerpunkt der Aktivitäten G 8-Gipfel der linksextremistischen Szene im Jahr 2007. 49 An den linksextremistischen Protestaktionen beteiligte sich ein breites Spektrum von orthodoxen marxistisch-leninistischen Organisationen bis hin zu autonomen Gruppen. Obwohl es ihnen nicht gelang, den Gipfel zu verhindern oder nachhaltig zu stören, werteten Linksextremisten die Protestaktionen mehrheitlich als Erfolg. Allerdings entzündete sich an dem Gewalttätige teilweise gewalttätigen Verlauf der Demonstration am Demonstration 2. Juni in Rostock eine tiefgreifende Diskussion über den Einsatz von Gewalt. In dieser Debatte sind die ideologischen und strategischen Gräben zwischen den linksextremistischen Spektren deutlich hervor getreten, was den kurzfristigen Mobilisierungserfolg im Zusammenhang mit dem Gipfel wieder in Frage stellt und zu einer weiteren Spaltung der linksextremistischen Szene führen könnte. 2.2.1 Vorbereitung Im Gegensatz zu den nicht-extremistischen Gipfelgegnern ging es den Linksextremisten in Heiligendamm nicht vor allem um die Äußerung von Kritik. Linksextremisten versuchten das Gipfeltreffen zu stören und zu delegitimieren, weil sie darin ein Symbol der herrschenden Gesellschaftsordnung sahen, 50 die bekämpft und letztlich abgeschafft 48 Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, Vereinigte Staaten von Amerika. 49 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Linksextremistische Protestvorbereitungen gegen den G 8-Gipfel 2007. Berlin 2007. 50 Vgl. Was ging ab bei G 8? In: "Roter Oktober" Nr. 18, Onlineausgabe Juni 2007, S. 8 - 16. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 41 werden soll. Sie sehen in der globalisierungskritischen Bewegung ein Agitationsund Rekrutierungsfeld für ihre Rekrutierungsfeld ideologischen Vorstellungen. Die Zielvorstellungen beGlobalisierungskritiker schreibt das überwiegend aus autonomen Gruppen bestehende Bündnis "Interventionistische Linke" (IL) in seiner Gipfel-Zeitung: "Was aber ist der Punkt, den die IL für sich setzen will? Was trennt ihre Position von einer Position der 'kritischen Zivilgesellschaft', und was trennt, schärfer noch, eine linksradikale von einer moderaten linken Position? Die Antwort ergibt sich ganz von selbst und wird traditionell mit der 'Systemfrage' verbunden. Kritische Zivilgesellschaft und moderate Linke streiten für die Beseitigung konkreter Missstände kapitalistischer Vergesellschaftung. Radikale Linke tun das auch - und noch etwas mehr: Sie wollen die kapitalistische Vergesellschaftung selbst überwinden, überschreiten, sprengen. Das ist wörtlich genommen, der Unterschied ums Ganze." 51 51 Das Ende der Straßenverkehrsordnung. In: "G8Xtra - Zeitung für eine Interventionistische Linke" Nr. 4, Frühjahr 2007, S. 7 (Hervorhebungen im Original). 42 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Militante Kampagne Bereits im Vorfeld des Gipfels kam es zu öffentlichen Auseinandersetzungen zwischen zivilgesellschaftlichen und Kontroverse über linksextremistischen Gruppierungen ebenso wie zu KontroGewalteinsatz versen innerhalb der linksextremistischen Szene über die Formen des Protestes. Hintergrund war die seit Sommer 2005 anhaltende militante Kampagne linksextremistischer Gipfelgegner. 52 Vertreter der nicht-extremistischen globalisierungskritischen Organisation Attac erklärten, dass die Brandanschläge im Rahmen dieser Kampagne dem Protest gegen den G 8-Gipfel schaden würden, und sprachen sich für friedliche Aktionen aus. Dem widersprachen mehrere linksextremistische Gruppierungen. Die "Antifaschistische Linke ALB Berlin" (ALB) verharmloste die Brandanschläge als "symbolische Sachbeschädigungen" 53 . Sie hielt Attac vor, sich von Teilen der Protestbewegung zu distanzieren: "Diejenigen Organisationen, die sich bereits heute, mehr als zwei Monate vor Beginn der Protestaktionen in voraus eilendem Gehorsam von der Bewegung und ihren Akteuren distanzieren, wissen selbst nur zu gut, daß sie ohne die militanten Auseinandersetzungen anläßlich der Gipfel der vergangenen Jahre in Seattle, Prag, Göteborg und Genua nicht in ihrer jetzigen Form existieren würden, geschweige denn die mediale Aufmerksamkeit bekommen hätten, in der sie sich so gerne sonnen. [...] Wer Gewaltfreiheit einfordern will, soll sie dort einfordern, wo die Gewalt ihren Ursprung nimmt: Bei den Verantwortlichen der G 8-Staaten und ihrem Polizeiund Militärapparat." 54 Netzwerk "Dissent" Das vor allem aus autonomen Gruppen bestehende linksextremistische Netzwerk "Dissent" ging noch weiter und warf Attac vor, die Bewegung spalten zu wollen: "Wir lehnen ein Unterteilen von Widerstand in gewaltfrei und gewalttätig ab, da diese Einteilung nur den Herrschenden nutzt und indem sie den Widerstand spaltet. Wir lehnen es ab sich vorauseilend zuzuordnen oder sich zu distanzieren. Unter52 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007, S. 63 f. 53 Der Protest hält sich nicht an die Straßenverkehrsordnung. Internetauftritt der ALB, Aufruf am 10.12.2007. 54 Ebenda. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 43 schiedliche Formen von Widerstand und Gegenmacht haben ihre Berechtigung. [...] Für einen breiten Protest der vielfältigste Aktionen beinhaltet!" 55 Im Rahmen der militanten Kampagne zählte das Bundeskriminalamt (BKA) bundesweit 24 Brandanschläge sowie Brandanschläge Anschlagsversuche gegen Fahrzeuge und Gebäude. Sechs Anschläge fanden in Berlin statt. So verübten die "Autonomen Gruppen" am 6. März einen Brandanschlag auf einen Catering-Service in Berlin-Pankow. In ihrer Selbstbezichtigung warfen sie dem Inhaber des Unternehmens vor, "zu den NutznießerInnen der menschenverachtenden europ. Migrationsund Vertreibungspolitik" 56 zu gehören. Die "Autonomen Gruppen" reihten ihre Tat in die militante Kampagne gegen den G 8-Gipfel ein: "Wir werden im Juni in Heiligendamm einmal mehr das Abfeiern dieser Gestalten erleben, die sich wie P. D. [Inhaber des Unternehmens] skrupellos an den Lebensgrundlagen des Großteils der Menschheit bereichern und Millionen in den sicheren Tod treiben. Deswegen sehen wir unsere Aktion als Teil der Mobilisierung gegen den G 8 im Juni in Heiligendamm. Wir werden dem mörderischen Treiben dieser Damen und Herren nicht mehr tatenlos zusehen. Der Tanz dagegen hat gerade erst begonnen." 57 "Volxsportwettbewerb" Neben den Brandanschlägen in Rahmen der militanten Aufruf zu Straftaten Kampagne riefen die "Autonomen Gruppen Berlin" in einer Broschüre zu einem so genannten "Volxsportmonat" auf. Unter dem Motto "Jetzt das Image Eurer Stadt beschädigen - Randalieren gegen G 8!!!" sollten vom 10. Mai bis 10. Juni wettkampfartig Straftaten begangen werden. Die Initiatoren erklärten zum Ziel dieser Aktion: 55 Erklärung zur Diskussion der "Gewaltfrage". Internetauftritt von Dissent, Aufruf am 11.12.2007 (Schreibweise wie im Original). 56 Selbstbezichtigung der "Autonomen Gruppen" vom 6.6.2007. 57 Ebenda. 44 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 "Als Teil dieser Widerstandskultur wollen wir den G 8-Gipfel in Heiligendamm ins Chaos stürzen, nicht mit Latschdemos sondern mit Gewalt!" 58 Das BKA verzeichnete in diesem Monat bundesweit weitere 604 Straftaten, überwiegend Sachbeschädigungen, die einen unmittelbaren Bezug zu den Themen G 8 oder EU aufwiesen. In Berlin wurden allein in diesem Monat 34 Brandanschläge gegen Fahrzeuge und Gebäude begangen. So verübten unbekannte Täter in der Nacht zum 14. Mai einen Brandanschlag auf eine Tiefgarage in Berlin-Kreuzberg. In Selbstbezichtigung ihrer Selbstbezichtigung nahmen sie Bezug auf den "Volxsportwettbewerb": "wir stellen die aktion ausdrücklich in den rahmen der volxsportaktionswochen vom 10. mai bis 10. juni 2007 [...] und machen damit mal punkte für kreuzberg gut." 59 Zu den restlichen Taten liegen keine Selbstbezichtigungen vor. In der linksextremistischen Zeitschrift "INTERIM" wurden die Brandanschläge und Sachbeschädigungen aus dem "Volxsportmonat" mit einer dazugehörigen Punktewertung dargestellt. Durchsuchungen bei Gipfelgegnern Ermittlungsverfahren Vor dem Hintergrund der anhaltenden Straftaten führte der des GBA Generalbundesanwalt (GBA) ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Gipfelgegner wegen des Verdachts der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung (SS 129 a StGB). Ihr Ziel sei es, durch Brandanschläge und Sachbeschädigungen gewaltbereite Gesinnungsgenossen zu mobilisieren, um den Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm erheblich zu stören oder zu verhindern. Der Vereinigung seien im Zeitraum von Juli 2005 bis März 2007 insgesamt zwölf gewalttätige Aktionen zuzurechnen, bei denen ein Schaden von ca. 2,6 Millionen Euro entstanden sei. 58 "Autonome Gruppen Berlin": Volxsportmonat, Berlin 2007 (Hervorhebung im Original). 59 Masse gegen Klasse. In: "INTERIM" Nr. 656 vom 25.4.2007, S. 29. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 45 Am 9. Mai wurden daraufhin zahlreiche Wohnungen in Berlin durchsucht. In einem Beschwerdeverfahren wendeten sich die Beschuldigten gegen diese und andere Ermittlungsmaßnahmen. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied, BGH: "mittlere dass die Strafverfolgungsorgane des Bundes hierfür nicht Kriminalität" zuständig gewesen seien. 60 Die fehlende Strafverfolgungskompetenz des Generalbundesanwalts ergebe sich aus der fehlenden Eignung der Anschläge, den Staat erheblich zu schädigen (SS 129 a Abs. 2 Nr. 2 StGB). Die Straftaten richteten sich ausschließlich gegen Sachen und seien etwa nach der Art ihrer Begehung und ihren Auswirkungen lediglich dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen. 61 Zwar seien die Taten nicht zu verharmlosen, nach der föderalen Ordnung seien jedoch die Länder für die Strafverfolgung zuständig. 62 2.2.2 Protestaktionen während des Gipfels Den Auftakt der Protestwoche in Heiligendamm bildete eine Demonstration internationale Großdemonstration am 2. Juni in Rostock, in in Rostock deren Verlauf es zu gewalttätigen Ausschreitung durch einige linksextremistische Teilnehmer kam. Die weiteren Proteste verliefen dagegen überwiegend friedlich. Ausschreitungen bei Großdemonstration An der Auftaktdemonstration nahmen ca. 30 000 Personen mehrheitlich aus der nicht-extremistischen globalisierungskritischen Bewegung teil. In einem der beiden Demonstrationszüge befanden sich jedoch auch drei voneinander getrennte Blöcke, deren Angehörige überwiegend der linksLinksextremistische extremistischen Szene zuzuordnen waren. Dabei handelte es Teilnehmer sich um den antideutschen "Ums Ganze"-Block, den 60 Vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs, Az.: BGH StB 12/07, 13/07 und 47/07 vom 20.12.2007. 61 Der BGH verneinte auch die besondere Bedeutung des Falles und lehnte eine Zuständigkeit des Generalbundesanwalts nach SS 129 StGB (kriminelle Vereinigung) ab. 62 Vgl. Keine Bundeszuständigkeit für die Durchsuchungsaktion gegen Globalisierungsgegner im Vorfeld des Weltwirtschaftsgipfels. Pressemitteilung des BGH Nr. 3/2008 vom 4.1.2008. 46 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 internationalistischen revolutionären Block des antiimperialistischen Lagers und den "Make Capitalism History"Block der IL. Ausschreitungen Sowohl im "Ums Ganze"-Block als auch im Block der IL hatten sich "schwarze Blöcke" gebildet. Aus dem Block der IL heraus wurden vereinzelt Steine auf die Sicherheitskräfte geworfen. Kurz vor Erreichen des Endplatzes eskalierte die Konfrontation als vermummte Autonome ein Einsatzfahrzeug der Polizei angriffen. In der Folge kam es zu massiven Ausschreitungen, in deren Verlauf eine Vielzahl von Polizisten und Demonstranten verletzt wurden. Die Übergriffe führten noch vor Ort zu einer scharfen Auseinandersetzung über die Frage des Einsatzes von Gewalt. Ein Teil der Veranstalter der Demonstration verurteilte umgehend die gewalttätigen Ausschreitungen durch die linksextremistischen Autonomen und distanzierte sich eindeutig von ihnen. So erklärte ein Vertreter von Attac: "Wir können der Polizei keinen Vorwurf machen, [...] die haben sich an den deeskalierenden Kurs gehalten. [...] Wir können uns nur entschuldigen, dass sich die Demonstranten nicht an ihren Teil der Verabredung gehalten haben." 63 63 Randale in Rostock. Internetauftritt des "Focus", datiert 2.6.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 47 Die Linksextremisten innerhalb der Protestbewegung befanden sich unmittelbar nach den Ereignissen aufgrund des negativen Medienechos und der eindeutigen Kritik der nichtKritik der extremistischen Organisationen in der Defensive. Aus nicht-extremistischen Organisationen taktischen Gründen distanzierten sie sich daher zunächst ebenfalls von den Gewaltexzessen. Der unter Pseudonym auftretende Pressesprecher der IL, ein Mitglied der ALB, erklärte, dass die Demonstration schief gelaufen sei und man die Abläufe so nicht gewollt habe. 64 Die weiteren Aktionen gegen den G 8-Gipfel sollten jedoch gewaltfrei verlaufen: "Den Leuten, die die Zusammenstöße am Samstag vom Zaun gebrochen hatten, haben wir jedenfalls gesagt, dass wir sie nicht dabei haben wollen." 65 Dem widersprach ein führender Vertreter der ALB. Es habe nicht wenige mit klammheimlicher Freude berührt, Berliner Polizisten auch einmal rennen zu sehen: "Militanz heißt, nicht noch die andere Wange hinzuhalten, sondern auch mal zurückzuschlagen. Das wird in den kommenden Tagen sicher passieren. Und das ist auch gut so." 66 In einer Presseerklärung bekundete die ALB, dass es sich bei "ALB": den militanten Angriffen auf die Polizei um zielgerichtete zielgerichtete Angriffe Aktionen gehandelt habe, die in keinem Verhältnis zur Gewalttätigkeit der bestehenden Verhältnisse ständen. Distanzierungen von militanten Widerstandsformen seien unfruchtbar. Diese seien legitim und gehörten zur Vielfältigkeit einer Bewegung. 67 Um sich innerhalb der linksextremistischen Szene nicht selbst zu isolieren, versuchte die IL daraufhin, die Aussagen ihres Pressesprechers zu relativieren: 64 Vgl. "Das ist schief gelaufen". In: Online-Magazin "Zünder" Nr. 23/2007. Internetauftritt "Die Zeit", Aufruf am 12.12.2007. 65 Einig nur beim Outfit. In: "Berliner Zeitung" vom 5.6.2007, S. 2. 66 Gleiche Gewalt gegen alle. In: "junge Welt", Onlineausgabe vom 5.6.2007. 67 Vgl. Linker Widerstand wird sich nicht in "Gut" und "Böse" spalten lassen. Presseerklärung der ALB vom 5.6.2007. 48 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 "Nicht alles was geschrieben wurde, wurde auch so gesagt und andere Äußerungen waren dem Umstand geschuldet, dass Leute rund um die Uhr unter den Polizeihubschraubern den aufgeregten Pressevertretern Rede und Antwort gestanden haben." 68 Von den gewalttätigen Aktionen, die vom Block der IL ausgingen, war nun nicht mehr die Rede. Das Geschehen sollte durch die Behauptung umgedeutet werden, die Polizei habe ihre Deeskalationsstrategie aufgegeben, die Demonstrationsteilnehmer zuerst angegriffen und dabei zum Teil schwer verletzt. 69 Die gegenwärtige Gewaltdebatte habe den Zweck, die globalisierungskritische Bewegung zu diskreditieren und zu spalten: "Zur globalisierungskritischen Bewegung gehören zu einem nicht unwesentlichen Teil Linksradikale und Autonome. Deren Aktionsformen sind legitim und gehören zur Vielfältigkeit einer Bewegung, die ohne die Ereignisse in Rostock kaum wahrgenommen worden wäre. Zeigen wir, dass wir uns nicht spalten und einschüchtern lassen und eine andere Welt möglich ist. Wir sind die Guten." 70 Auch die ALB war bemüht, die Aussagen des Pressesprechers der IL weiter zu korrigieren: "Wir sind in diesen Tagen von der Wirkungsmacht des Gewaltdiskurses überrollt worden, waren vom Ansturm der Medien und der Wucht der Hetze überfordert und sind mit einigen Äußerungen in den Jargon von Medien und Polizei verfallen. Dies entsprach weder der wirklichen Position unserer Gruppe noch ihrer Sprecher/-innen [...]." 71 Schließlich nahm die IL die ursprüngliche Abgrenzung von den gewalttätigen Autonomen zurück: 68 Kurz vor Beginn des G 8-Gipfels zieht die Interventionistische Linke Zwischenbilanz. Internetauftritt der IL, Aufruf am 11.12.2007. 69 Vgl. ebenda. 70 Ebenda. 71 Der G 8-Protest. Erste Bilanz der ALB. Juni 2007. Internetauftritt der ALB, Aufruf am 11.12.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 49 "Es war idiotisch, sich nach dem Samstag öffentlich von 'den Autonomen' zu distanzieren, schon deshalb, weil wir auch die Autonomen sind." 72 Spontanaufzug in Berlin Gegen Ende des Gipfeltreffens riefen Aktivisten des autonomen Spektrums dazu auf, weitere Aktionen nicht mehr vor Ort, sondern in Berlin durchzuführen: "Nach den Demos im provinziellen Rostock und nach den erfolgreichen Blockaden auf den Aeckern rund um Heiligendamm gehen wir jetzt auf die ganz grosse Buehne. Wir sabotieren das, was wir am meisten hassen und was die G 8 absichern wollen - die kapitalistischen Oekonomie. Unser Ziel ist die Unterbrechung des reibungslosen Funktionierens des kapitalistischen Alltags. Ein Stop im Ineinandergreifen von Verwertung, Kommerz und seichter Unterhaltung. Nun wenden wir der roten Zone von Heiligendamm den Ruecken zu und schaffen eine Zone des Protestes im Herzen von Berlin. An diesem Abend, in dieser Nacht unterbrechen wir den Strom von Waren, Geld und Verkehr und verwandeln einen der immer gleich aussehenden Platye in eine Zone des lebendigen Widerstandes, in einen Raum gelebter Utopie. In dieser Nacht besetzen wir den Hackeschen Markt in Berlin." 73 Am 8. Juni versammelten sich ca. 600 Personen in den späAktionsort Berlin ten Abendstunden auf dem Hackeschen Markt in BerlinMitte zu einem Spontanaufzug und skandierten "Wir sind alle 129 a". Vereinzelt wurden Steine und Flaschen geworfen. In einer Nachbetrachtung auf der Internetplattform "indymedia" räumte ein Teilnehmer ein, dass schwerwiegende Ausschreitungen nur durch den Einsatz zahlreicher Polizeikräfte verhindert werden konnten: "Statt eines Riots hatten wir einen über uns in der Luft stehenden Helicopter und hunderte PolizistInnen aus Stadt und Land. Bei einem Verhältnis von 1:1 von Black Blockers und Cops 72 IL: Wenn der Staub sich legt oder: Der richtige Zeitpunkt ist entscheidend. Internetauftritt von F.e.l.S., Aufruf am 5.11.2007. 73 Plan B: Heute 21:00 Berlin, Hackescher Markt. Beitrag auf der Internetplattform "indymedia", Aufruf am 8.6.2007 (Schreibweise wie im Original). 50 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 wäre es eine Selbstmord-Mission gewesen, den Riot zu beginnen." 74 Dennoch wurden in der Nacht zum 9. Juni mehrere Sachbeschädigungen und zahlreiche Brandanschläge auf Autos verübt. 2.2.3 Nachbereitung Linksextremisten Die linksextremistische Szene feierte die Aktivitäten gegen werten Proteste den G 8-Gipfel überwiegend als Erfolg. "Der Gipfel ist als Erfolg vorbei, der Protest hat gewonnen!" 75 behauptete die Gruppe "Für eine linke Strömung" (F.e.l.S.). Die ALB zog das Fazit: "Nur durch die gemeinsame Aktion und den vielfältigen Widerstand waren die Proteste so erfolgreich und eine tatsächliche Störung des G 8-Treffens möglich!" 76 MobilisierungsTatsächlich ist es den linksextremistischen Gipfelgegnern potenzial nach einer langen Vorbereitungsphase gelungen, ihr Mobiausgeschöpft lisierungspotenzial auszuschöpfen. Allerdings blieb die Gesamtzahl der Teilnehmer deutlich hinter den Erwartungen zurück. Der Versuch, ein gemeinsames Bündnis mit der nicht-extremistischen Protestbewegung zu organisieren, ist gescheitert. Darüber hinaus haben die Vorbereitung und Durchführung der Proteste gegen den G 8-Gipfel nur vorübergehend zu einem Zusammenrücken der ideologisch Kein Bündnis mit untereinander verfeindeten Teile der linksextremistischen nicht-extremistischer Szene geführt. Die Fraktionierung der einzelnen GipfelProtestbewegung Bündnisse blieb unübersehbar. So führte das "Gegeninformationsbüro" (GIB) in einer Nachbetrachtung aus: "Die gemeinsame Organisierung von Protesten gegen imperialistische Großevents, trägt zur politischen Weiterentwicklung innerhalb der linken Spektren nicht viel bei. Unsere eigenen Versuche, den systematischen Zusammenhang von Ausbeutung und imperialistischen Kriegen zu thematisieren, das 74 a. anti. antikapitalista. Beitrag auf der Internetplattform "indymedia", Aufruf am 22.6.2007. 75 G 8 blockiert - we are winning! Internetauftritt von F.e.l.S., datiert 30.7.2007. 76 G 8-2007: Danke. Thank You. Gracias. Internetauftritt der ALB, Aufruf am 12.12.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 51 Bewusstsein dafür zu erweitern sind nicht über enge Bündnisgrenzen wirksam geworden." 77 Neben dem strategischen Misserfolg fiel auch die Bewertung der Aktionen sehr unterschiedlich aus. Das dem antideutschen Spektrum zuzurechnende "Ums Ganze"-Bündnis stellte resigniert fest, dass die "Rote Zone", in der keine Demonstrationen erlaubt waren, von der Polizei lediglich eingerichtet worden sei, um sie wieder aufgeben zu können: "Dass diese Revolutionssimulation [die Blockaden] dann als riesiger Erfolg verkauft wurde, rundet das Bild der Realitätsverweigerung ab und erinnert weniger an den Beginn einer 'neuen Zeit' als an krampfhafte Durchhalteparolen." 78 Das GIB kam rückblickend zu dem gleichen Ergebnis: "Das Erreichen des Zaunes kann von uns nicht als Triumph eingeschätzt werden, obwohl die Freude über die blockierten Zufahrtswege zum Tagungsort groß war. Die Staatsmacht hat uns offensichtlich aus taktischen Gründen die 'rote Zone' als 'Kampffeld' oder 'Spielwiese' zugewiesen." 79 In der Zeit nach dem Gipfeltreffen diskutierten die linksFortführung der extremistischen Gruppierungen wiederum insbesondere die Gewaltdiskussion Frage der Gewalt. Fast durchgängig versuchten sie, die Verantwortung für die Krawalle bei der Großdemonstration am 2. Juni der Polizei zuzuschreiben. Vor allem orthodox marxistisch-leninistische und trotzkistische Gruppen kritisierten die Aktionen der Autonomen. Die trotzkistische Jugendorganisation "Revolution" erklärte, dass man die Taktik des "Schwarzen Blocks" nicht unterstütze, aber die Gewalt vom Staat ausgegangen sei. 80 Die "Sozialistische Alternative" (SAV) bezeichnete das gewalttätige Auftreten der Autonomen als "idiotisch" - kritisierte dabei allerdings 77 Nach dem Gipfel - Eine Anti-G 8-Nachbereitung. Internetauftritt des GIB, datiert vom 26.6.2007. 78 "Ums Ganze": First Steps. Internetauftritt von T.O.P. Berlin, datiert vom 27.11.2007. 79 Nach dem Gipfel - Eine Anti-G 8-Nachbereitung. Internetauftritt des GIB, Aufruf am 12.12.2007. 80 Vgl. Zehntausende gegen die G 8. Internetauftritt von "Revolution", Aufruf am 5.11.2007. 52 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 nicht den Einsatz von Gewalt selbst, sondern lediglich die Wirkung: "[...] weil sie keinen Beitrag zum Aufbau einer starken antikapitalistischen Bewegung leisten, sondern im Gegenteil dem kapitalistischen Staat in die Hände spielen." 81 "Es hat am 2. Juni eine Verteidigung der Demonstration gegeben. Diese war gerechtfertigt und wenn dabei Steine geflogen sind, liegt die Verantwortung dafür bei der attackierenden Polizei, die auf ihrer Seite Knüppel, Tränengas und Wasserwerfer zum Einsatz gebracht hat." 82 Aber auch innerhalb des autonomen Spektrums wurden unterschiedliche Positionen zu den Ausschreitungen in Rostock vertreten. Zum einen wurden die gewalttätigen Aktionen begrüßt: "In einem Punkt freuen wir uns aber sehr: Über die Militanz des 2. Juni. Sie war eine kollektive, militante Intervention. Sie stellte wie keine andere Aktion dieser Tage die Unversöhnlichkeit mit den herrschenden Verhältnissen und der Politik der G 8- Staaten heraus." 83 Zum anderen gab es Stimmen, die bei einzelnen Aktionen die Grenzen legitimer Militanz überschritten sahen, "weil es nicht unser Ziel ist, Polizeibeamte (schwerer) zu verletzen." 84 Wieder andere kritisierten vor allem den Zeitpunkt des Angriffs auf die Polizei. "Der Angriff auf die Verkehrsbullenwanne war in dieser Form nicht nur an und für sich falsch, sondern zog den Block eventuell auch in eine frühzeitige Konfrontation mit den Bullen und machte es so unmöglich, zu einem späteren Zeitpunkt einen selbstbestimmten Akzent zu setzen, der (falls gut platziert), die gemeinsame Abschlusskundgebung ermöglicht, keine Unbeteiligten gefährdet, weit mehr positive Resonanz 81 Der G 8-Gipfel und der Widerstand - eine Nachbetrachtung. Internetauftritt der SAV, datiert 20.6.2007. 82 Ebenda. 83 Anton: "Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht" oder: In Rostock waren Steine notwendig. In: Resistance inside - einblicke in das innenleben einer mobilisierung 2.0, Berlin 2007, S. 60. 84 United Color of Resistance: Demo 2.6. in Rostock aus autonomer Sicht. In: Ebenda, S. 71. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 53 erzeugt und den Bullen den Erfolg verwehrt hätte, den riot aus der Innenstadt rausgehalten zu haben." 85 Trotz aller ideologischen Unstimmigkeiten und ambivaMediale lenten Positionen zu den Aktionsformen - insbesondere zur Aufmerksamkeit erreicht Gewaltfrage - brachten die Proteste gegen das G 8-Treffen für die linksextremistischen Gipfelgegner zumindest kurzfristig einen medialen Aufmerksamkeitserfolg. Nach den Ereignissen von Rostock erfuhren sie zwar zunächst eine breite öffentliche Ablehnung. In der Folge nutzen sie jedoch bereitwillig die ihnen gebotene Bühne zur Selbstdarstellung. 2.3 Ermittlungsverfahren gegen die "militante gruppe" (mg) und Ende der Militanzdebatte Die seit 2001 in der linksextremistischen Szene geführte "Militanzdebatte" Militanzdebatte hat 2007 vorerst ihr Ende gefunden. 86 Schon der mg beendet in den Vorjahren war eine inhaltliche Verflachung der Debatte zu erkennen. Da die "militante gruppe" (mg) der wesentliche Motor der Diskussion gewesen ist, haben möglicherweise die im Sommer erfolgten Festnahmen im Ermittlungsverfahren gegen die mg zum Auslaufen der Debatte beigetragen. Gleichzeitig führten die Festnahmen zu einer Kampagne gegen die "staatliche Repression" und für die Abschaffung der Paragraphen 129 a und 129 b StGB 87 , die sowohl von linksextremistischen Gruppierungen wie nicht-extremistischen Akteuren unterstützt wurde. Anschläge der mg Die mg setzte ihre gewaltsamen Anschläge im ersten HalbWeitere Anschläge jahr 2007 unvermindert fort. In der Nacht zum 15. Januar auf Fahrzeuge und Gebäude verübte sie einen Brandanschlag auf zwei Dienstfahrzeuge der Bundespolizei am Bahnhof Oranienburg in Brandenburg. Sie begründete die Tat mit der Rolle der Bundespolizei als 85 The Others: Reflexions on Rostock. In: Ebenda, S. 63. 86 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007, S. 66 ff. 87 SS 129 a StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen), SS 129 b StGB (kriminelle und terroristische Vereinigung im Ausland). 54 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 dem "zentrale(n) ausführende(n) Verfolgungsund Abschiebeorgan von MigrantInnen und Flüchtlingen in der BRD". 88 Bereits 2006 hatte sie im Begründungszusammenhang Antirassismus und Migration einen Brandanschlag auf Fahrzeuge der Bundespolizei verübt. Ferner reihte die mg ihre Tat in die militante Kampagne gegen den G 8-Gipfel 2007 in Heiligendamm ein: "Im Rahmen der Mobilisierung gegen den bevorstehenden G 8- Gipfel spielt die weltweite Migrationskontrolle und Flüchtlingsbekämpfung eine hervorgehobene Rolle. Militanter Antirassismus hat darauf Antworten zu finden. Wir haben eine mögliche gegeben! Mit dieser militanten Aktion eröffnen wir freudig unseren Einstieg in die vielschichtigen Mobilisierungen gegen den im Juni dieses Jahres stattfindenden G 8-Gipfel in Heiligendamm. Mit diesem militanten 'Erstbeitrag' wollen wir die im Entstehen begriffene militante Kampagne gegen den G 8-Gipfel unterstützen." 89 Ein weiterer Brandanschlag erfolgte am 16. März auf ein Bürogebäude mit Sitz der italienischen Handelskammer und des Verbandes türkischer Industrieller und Unternehmer (Tüsiad) in Berlin-Mitte. In Farbschmierereien am Tatort wurde die Freilassung von Inhaftierten türkischer und italienischer terroristischer Organisationen gefordert. Die mg erklärte, dass der türkische Unternehmerverband und die italienische Handelskammer tragende Säulen eines Staatsapparates seien, dessen Ziel es sei, Aktivitäten der revolutionären Linken zu unterbinden: 90 "Hier wie dort ist es unsere Aufgabe, organisiert für eine sozialrevolutionäre und antiimperialistische Befreiungsperspektive zu kämpfen - für eine klassenund staatenlose Gesellschaft, dass heißt für den Kommunismus!" 91 88 Selbstbezichtigung der mg vom 14.1.2007. In: "INTERIM" Nr. 649 vom 1.2.2007, S. 14. 89 Ebenda. 90 Vgl. Selbstbezichtigung der mg. In: "mg-express" Nr. 5, Frühjahr 2007. 91 Ebenda. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 55 Ferner ging sie in der Anschlagserklärung auf die Haftentlassung der ehemaligen RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt und das Gnadengesuch des ehemaligen RAF-Terroristen Christian Klar ein. Sie bezeichnete die öffentliche Diskussion darüber als "Denunziationsund Desinformationskampagne", die zum Ziel habe, den Gedanken an eine gesellschaftliche Alternative auszulöschen. 92 Durchsuchungsmaßnahmen Im Rahmen der Ermittlungsverfahren gegen die mg sowie im Ermittlungsverfahren Zusammenhang mit der "militanten Kampagne gegen den gegen die mg G 8-Gipfel" durchsuchte das BKA im Auftrag des Generalbundesanwaltes am 9. Mai wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung 40 Wohnungen und andere Objekte in Berlin sowie in weiteren Bundesländern. 93 Hintergrund der Durchsuchungsmaßnahmen waren die bis zu diesem Zeitpunkt begangenen 25 Brandanschläge der mg und die zwölf der militanten Kampagne zuzuordnenden Brandstiftungen. Am selben Tag demonstrierten ca. 3 000 Personen in BerlinDemonstration Kreuzberg gegen die Durchsuchungen, die als eine Krimigegen Durchsuchungen nalisierung des legitimen Widerstands gegen den G 8-Gipfel gesehen wurden. An der Demonstration beteiligten sich auch zahlreiche Linksextremisten. Es wurden Parolen wie "Wir sind alle 129 a", "Wir haben euch was mitgebracht - Hass, Hass, Hass" und "Nie wieder Deutschland" skandiert. Die mg nahm die Durchsuchungen zum Anlass, in der Nacht zum 18. Mai einen Brandanschlag auf zwei Fahrzeuge der Berliner Polizei in Berlin-Spandau zu verüben. In ihrer Selbstbezichtigung nannte sie die Tat einen "Akt der Prävention": 92 Vgl. ebenda. 93 Vgl. Kapitel 2.2.1 (Durchsuchungen bei Gipfelgegner); Beschluss des Bundesgerichtshofs, Az.: BGH StB 12/07, 13/07 und 47/07 vom 20.12.2007. 56 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 "Wir erklären regelmäßig, dass Repressionsorgane ein Zielpunkt revolutionärer Politik im allgemeinen und unserer Intervention im besonderen sind. [...] Der Kampf für den Kommunismus, für eine herrschaftsfreie und staatenlose Gesellschaft wird neben den sozialrevolutionären und antiimperialistischen Grundlinien immer einen Blick auf die repressionstechnische Gefahrenlage werfen müssen." 94 Kurz darauf bezeichnete die mg in einer Erklärung die Durchsuchungsmaßnahmen des BKA als "Aktion Wasserschlag", weil sie zu keinen Festnahmen geführt hätten. 95 Militanzdebatte Anknüpfung an In dem gleichen Text - der bislang letzten Veröffentlichung G 8-Debatte der mg - ging die Gruppe ausführlich auf die vor dem G 8-Gipfel geführte Gewaltdebatte ein. Der nicht-extremistischen globalisierungskritischen Organisation "Attac" warf sie vor, den sozialen Protest zu befrieden und zu kanalisieren: "Einstweilen bleibt uns nur unmissverständlich klar zu machen, dass jede passive oder gar aktive Unterstützung der AttacVerkündung der Befriedung von Widerstand kein 'Kavaliersdelikt' ist. Wer/welche seine/ihre Kraft und Zeit aufbringt, um Aufruhr staatskonform zu kanalisieren, statt ihm bei Ausbruchsversuchen Richtung und Halt zu geben, befindet sich rasch auf der anderen Seite der Barrikade. Dass das kein Platz an der Sonne ist, brauchen wir wohl nicht zu betonen [...]" 96 Linksextremistische Organisationen wie die ALB bezeichnete sie als "politisch unsichere Kantonisten", weil sie nur sehr bedingt eine Verfechterin revolutionärer Politik sei. 97 Die Gewaltdebatte sei ein Klärungsprozess, in dem man sich zu entscheiden habe, auf welcher Seite man stehe. 98 Darüber hinaus sah die mg die Möglichkeit, die Reaktionen auf die 94 Selbstbezichtigung der mg vom 18.5.2007. 95 Vgl. mg: Erklärung zur BAW-Razzia und "Gewaltdebatte" im Rahmen der Anti-G 8-Proteste, Mai 2007. 96 Ebenda. 97 Die mg warf der ALB etwa vor, 2006 eine Veranstaltung durchgeführt zu haben, an der auch der Berliner Polizeipräsident teilgenommen hat. 98 Vgl. mg: Erklärung zur BAW-Razzia und "Gewaltdebatte" im Rahmen der Anti-G 8-Proteste, Mai 2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 57 Durchsuchungsmaßnahmen und die Gewaltdebatte für das Ziel: militante Ziel der Schaffung einer militanten Plattform zu nutzen. Es Plattform aufbauen komme darauf an, den Schub, der durch die Proteste gegen die Durchsuchungen entstanden sei, zu bewahren und zu verstärken: "Man kann uns nicht ernsthaft vorwerfen, eine auf Gewaltverhältnissen beruhende Sozialordnung umwerfen zu wollen. Dem Klassenkampf von oben kann nur der Klassenkampf von unten als Antwort folgen. Und dies kann nur bedeuten, den repressiven und ideologischen Apparaten des Klassenstaates in jeder Hinsicht alle Akzeptanz aufzukünden und sie in letzter Konsequenz politisch-militärisch in die Schranken zu weisen." 99 Notwendig dafür sei eine Nachbereitung der militanten Forderung: Kampagne und ein organisierter Strukturaufbau, der die Strukturen schaffen verschiedenen militanten Gruppen miteinander verbinde. Der militanten Kampagne gegen den G 8-Gipfel habe eine gemeinsam entwickelte und getragene Basis gefehlt. Daher bestehe die Gefahr, dass die Ansätze nach dem Gipfel verpufften. Negativ äußerte sich die mg zu dem Aufruf zum "Volxsportmonat". 100 Dieser sei eine entpolitisierte Karikatur einer militanten Kampagne. Der mg fehlte hier die politische Zielrichtung der Brandstiftungen. Insbesondere bemängelte sie, dass nicht sichergestellt worden sei, dass Kleinund Mittelklassewagen von Anwohnern nicht zum Ziel von Brandstiftungen werden: "Wir machen nicht die ErfinderInnen dieses 'Wettbewerbs' persönlich für das willkürliche Abfackeln von PKWs verantwortlich, aber wir sehen es als politisch unverantwortlich an, wenn von diesen nicht erklärt wird, dass es für einen verkokelten Schrotthaufen von Tante Erna und Yousuff Aladin keine Punkte gibt. [...] Einen solchen Aufruf aus Jux & Tollerei in Umlauf zu bringen, ohne dazu beizutragen, einzuschreiten, wenn die Dinge aus dem Ruder zu laufen drohen, hat mit einem verantwortlichen Umgang mit Militanz nix zu tun." 101 99 Ebenda. 100 Vgl. Kapitel 2.2.1. 101 mg: Erklärung zur BAW-Razzia und "Gewaltdebatte" im Rahmen der Anti-G 8-Proteste, Mai 2007. 58 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Abschluss der Diese Veröffentlichung der mg kann als vorläufiger Militanzdebatte Abschluss der auslaufenden Militanzdebatte angesehen werden. Zwar gab es 2007 auch Beiträge anderer Gruppen, die jedoch keine inhaltliche Fortentwicklung mehr darstellten. So blieb etwa das im Herbst von der Gruppe "freie radikale" in der linksextremistischen Szene-Zeitschrift "INTERIM" veröffentlichte Diskussionspapier, in dem eine Neuauflage der Militanzdebatte gefordert wurde, ohne erkennbare Resonanz. 102 Festnahmen Festnahmen In der Nacht vom 31. Juli auf den 1. August konnten drei mutmaßlicher mgmutmaßliche Angehörige der mg nach einem Versuch, Angehöriger Bundeswehrfahrzeuge auf einem Firmengelände in Brandenburg in Brand zu setzen, festgenommen werden. In der Folge durchsuchte das BKA insgesamt 14 Objekte in Berlin und Sachsen und stellte umfangreiche Beweismittel sicher. Gegen die drei und einen weiteren Beschuldigten wurden Haftbefehle erlassen. SolidaritätsIm Zusammenhang mit den Inhaftierungen entwickelte sich bekundungen eine breite Solidaritätsbewegung, die sowohl von linksextremistischen Gruppierungen wie nicht-extremistischen Akteuren unterstützt wurde. Das Augenmerk richtete sich dabei insbesondere auf die Festnahme des Beschuldigten, bei dem die Generalbundesanwaltschaft den Vorwurf der Mitgliedschaft in der mg auf Textanalysen stützte. Bei mehreren von ihm verfassten Schriften seien Übereinstimmungen mit den Selbstbezichtigungen der mg festgestellt worden. Darüber hinaus habe er konspirativ Kontakte zu weiteren Beschuldigten unterhalten. In der linksextremistischen Szene gilt das Anzünden von Bundeswehrfahrzeugen vielfach nicht als Terrorismus, da hierbei lediglich "Kriegsmaterial" vernichtet werde. Anlässlich einer Solidaritätsdemonstration erklärten linksextremistische Redner: 102 Vgl. freie radikale: THIS IS A LOVE SONG III. In: "INTERIM" Nr. 661 vom 27.9.2007, S. 13 - 19. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 59 "Der Kampf für die Abschaffung der Paragrafen 129 a und b ist sehr wichtig. Der fortdauernde Gebrauch dieses Paragrafen dient zur Kriminalisierung unseres Widerstands. [...] Wir wiederholen es gerne noch einmal, für uns gibt es nur eine Terroristenorganisation und dies ist der Staat. Deshalb ist es ein großer Widerspruch Menschen, welche sich aktiv einer der Hauptorganisationen des Todes und des Terrorismus, wie der Armee, entgegensetzen, jetzt als Terroristen zu benennen!" 103 "Dass Proteste nicht ausreichen, um die menschenverachtende Politik der kapitalistischen Elite zu stoppen, haben wir millionenfach in einer langen Geschichte erfahren. Wir müssen den Schritt vom Protest zum Widerstand organisieren und das geht nicht ohne Infragestellung des bürgerlichen Legalismus. [...] Die Kriegsarmee sabotieren! Den Kapitalismus abschaffen!" 104 Der Haftbefehl gegen den aufgrund von Textanalysen BGH hebt Beschuldigten wurde am 22. August außer Vollzug gesetzt. Haftbefehle auf In der Begründung bestätigte der Ermittlungsrichter des BGH den dringenden Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, verneinte aber einen dringenden Tatverdacht hinsichtlich der unmittelbaren Beteiligung an dem Brandanschlag am 31. Juli. Am 18. Oktober verwarf der BGH die Beschwerde des Generalbundesanwalts und hob den Haftbefehl auf: "Es [das Beweismaterial, d. Red.], bestätigt zwar in hinreichender Weise seine linksextremistische Einstellung, seine Einbindung in die entsprechende Szene im Raum Berlin und auch seine Mitarbeit an den letzten Ausgaben der aus dem Untergrund publizierten Szenezeitschrift 'radikal'; es mag auch ein Indiz für seine Gewaltbereitschaft liefern. Mehr als einen Anfangsverdacht, dass der Beschuldigte selbst Mitglied der 'militanten gruppe' sein könnte, ergeben die bisher aufgedeckten Beweistatsachen indessen auch in ihrer Gesamtheit nicht." 105 103 Redebeitrag von Anarchist Black Cross Berlin bei einer Demonstration am 22.8.2007 in Berlin (Schreibweise wie im Original). 104 Redebeitrag des GIB bei einer Demonstration am 22.8.2007 in Berlin: Wer kämpft kann verlieren. Wer nicht kämpft hat schon verloren. Internetauftritt des GIB, datiert 22.8.2007. 105 Beschluss des 3. Strafsenates des Bundesgerichtshofs, Az.: BGH StB 34/07 vom 18.10.2007. 60 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 BGH: Am 28. November setzte der BGH auch die Haftbefehle mg kriminelle, nicht gegen die anderen drei Beschuldigten außer Vollzug. Nach terroristische Vereinigung der grundlegenden Änderung des SS 129 a StGB im Dezember 2003 könne nur noch der Tatvorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen - nicht in einer terroristischen - Vereinigung aufrecht erhalten werden: 106 "Nach den dargestellten Maßstäben sind die Straftaten, auf deren Begehung die Tätigkeit der 'militanten gruppe' gerichtet ist, weder nach Art ihrer Begehung noch nach ihren Auswirkungen geeignet, die Bundesrepublik Deutschland erheblich zu schädigen. [...] Eine nennenswerte Beeinträchtigung der Tätigkeit der betroffenen staatlichen und privaten Stellen ist weder eingetreten, noch war sie zu erwarten; die Gesamtschadenssumme beläuft sich zudem nur auf etwa 1.000.000 Euro." 107 Die mg hat sich nach den Exekutivmaßnahmen am 31. Juli und 1. August weder ein weiteres Mal schriftlich zu Wort gemeldet noch einen weiteren Anschlag begangen. Demonstration Am 15. Dezember versammelten sich in Hamburg in Hamburg ca. 3 200 Personen zu einem Demonstrationszug unter dem Motto "Gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat", aus dem heraus die Polizei fortlaufend mit Flaschen und Knallkörpern beworfen wurde. Nachdem die Demonstration aufgelöst worden war, kam es zu weiteren Ausschreitungen, in deren Verlauf zwei Autos in Brand gesetzt wurden. Die Demonstration in Hamburg zeigt, dass sich mit dem Thema Anti-Repression eine bundesweite Mobilisierung innerhalb der linksextremistischen Szene erzielen lässt. 106 SS 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB setzt voraus, dass eine der Taten dazu bestimmt ist, die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen (subjektiver Tatbestand) und durch die Art ihrer Begehung oder Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann (objektiver Tatbestand). Den subjektiven Tatbestand sah der BGH in dem Streben der mg nach einem revolutionären Umsturz und der Schaffung eines kommunistischen Gesellschaftssystems verwirklicht - nicht aber den objektiven Tatbestand. 107 Beschluss des Bundesgerichtshofs, Az.: BGH StB 43/07 vom 28.11.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 61 2.4 Kurz notiert 2.4.1 Kampf um "autonome Freiräume" In Folge der massiven Ausschreitungen bei der Räumung des autonomen Jugendzentrums "Ungdomshuset" in Kopenhagen / Dänemark am 1. März hat der Kampf um "autonome Freiräume" auch in Berlin wieder an Gewicht gewonnen. Er wurde zum Kampagnenthema der linksextremistischen autonomen Szene und es kam im Laufe des Jahres zu zahlreichen Straftaten. Aufhänger waren mehrere ehemals besetzte Häuser, die Ehemals mittlerweile verkauft wurden und kommerziell genutzt werbesetzte Häuser als "Rückzugsräume" den sollen. Die linksextremistische autonome Szene propagiert diese Häuser nach wie vor als 'Rückzugsräume', die "den staatlichen und kapitalistischen Zwängen etwas ernsthaft Alternatives" 108 entgegen stellen. Diese so genannten 'Freiräume' sollen der städtebaulichen Umstrukturierung mit allen Mitteln entzogen werden, um dort eine 'selbstorganisierte Gesellschaft' zu verwirklichen. So kam es im Zusammenhang mit der angekündigten Versteigerung des Hauses Köpenicker Straße 137 im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg im Mai im Laufe des Jahres zu zahlreichen Solidaritätsaktionen. Die "Antifa Friedrichshain" erklärte dazu: "Unsere Wut über diesen Zustand ist grenzenlos, aber wir werden nicht resignieren, sondern unsere Wut in aktiven und solidarischen Widerstand verwandeln. Ungdomshuset hat uns gezeigt wie mensch kämpft, lasst uns an diesen Widerstand anknüpfen! Vielfältigen Widerstand - statt langweiliger Angepasstheit! Köpi für 109 alle - sonst gibt's Krawalle!" Auch an der revolutionären 1. Mai-Demonstration beteiligte sich ein so genannter "Freiräume-Block". 108 Warum kämpfen wir für Freiräume? Freie Räume sind essentiell für die Befreiung unserer Gesellschaft! Internetauftritt der AFB, Aufruf am 12.12.2007. 109 Köpi wurde versteigert! Internetauftritt der AFH, Aufruf am 15.6.2007. 62 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Am 6. Dezember setzten unbekannte Täter das Auto des Eigentümers der Yorckstraße 59 in Brand. Das ehemalige Symbolobjekt der linksextremistischen Szene war 2005 geräumt worden: Angriffe auf "30 Monate nach der Räumung ging gestern, am 6.12.07 der "Reiche" gefordert Privatwagen des Investors [...] aus Wilmersdorf in Flammen auf. Wir wehren uns mit diesem kleinen Beitrag gegen die Aufwertung unserer Kieze, der immer mehr bezahlbarer Wohnraum und linke Projekte zum Opfer fallen. Wir begrüßen den diesjährigen Wagensport bei dem schon mehr als 100 (leider nicht nur) Luxuskarossen flambiert wurden. Wir wünschen uns mehr und gezielte Angriffe auf die, die ihren Reichtum zur Schau stellen, in den 110 Kiezen investieren oder hier abends teuer dinieren." Demonstration Zwei Tage nach dem Brandanschlag, am 8. Dezember, dein Berlin monstrierten ca. 1 200 Personen vorwiegend aus dem linksextremistischen autonomen Spektrum in Berlin unter dem Motto "One struggle - one fight" für den Erhalt "autonomer Freiräume". Kurz vor dem Hackeschen Markt in BerlinMitte beendete der Veranstalter die Demonstration vorzeitig. Unmittelbar danach griffen Demonstranten die Polizeikräfte mit Steinen und Flaschen an. In der Nacht wurden mehrere Fahrzeuge in Brand gesetzt. 110 Selbstbezichtigung (undatiert). AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - LINKSEXTREMISMUS 63 2.4.2 1. Mai In Berlin verlief die von Autonomen organisierte "Antikapitalistische Walpurgisnacht" am 30. April mit mehr als 1 000 Teilnehmern friedlich. Ohne Zwischenfälle blieb auch der Aufzug des " ums-Ganze!"-Bündnisses 111 mit etwa 900 Teilnehmern. Das Bündnis ist dem so genannten antideutschen Spektrum im Rahmen der "Anti-G8-Mobilisierung" zuzurechnen. Im weiteren Verlauf der Nacht kam es jedoch am gemeinsamen Abschlussort in Friedrichshain zu Steinund Flaschenwürfen auf Polizeikräfte. In Friedrichshain und Lichtenberg wurden mehrere Fahrzeuge in Brand gesetzt. Ohne Zwischenfälle blieben dort am 1. Mai sowohl die im 1. MaiWesentlichen von dogmatischen - auch ausländischen - Demonstrationen ohne Zwischenfälle Linksextremisten organisierte Demonstration 112 mit anfangs bis zu 1 000 Personen als auch die maßgeblich von der linksextremistischen Gruppe "Für eine linke Strömung" (F.e.l.S.) initiierte "Mayday-Parade" 113 mit bis zu 6 000 Personen. Auch die "18-Uhr-Demo" durch Kreuzberg mit bis zu 6 000 Teilnehmern 114 - hauptsächlich von Autonomen initiiert - verlief weitgehend friedlich. Bei der Auftaktkundgebung wurde die Freilassung aller RAF-Gefangenen gefordert; auf Transparenten hieß es u. a. "Freiheit für Christian Klar", "G 8 angreifen - Imperialistische Kriege verhindern - Kapitalismus abschaffen" und "Köpi verteidigen - Investoren die Köpfe kürzen". Nach Abschluss der Demonstration sammelten sich zunächst etwa 600 Personen - anfangs überwiegend aus dem Kreis der ehemaligen Demonstrationsteilnehmer - und bildeten einen spontanen Aufzug. Diese spon111 Motto "Reduce to the max: Just communism". 112 Motto "International kämpfen gegen Ausbeutung, Unterdrückung und imperialistischen Krieg! Keine Befreiung ohne Revolution - Kein Angriff auf den Iran - Eine andere Welt ist möglich". 113 Motto "Hol Dir Dein Leben zurück - Solidarität statt Prekarität - Mayday in Berlin". 114 Motto "Gemeinsame Bündnisdemonstration zum 1. Mai gegen Sozialabbau". 64 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 tane Demonstration wuchs im weiteren Verlauf auf bis zu 1 000 Personen an, worunter sich zunehmend Jugendliche mit Migrationshintergrund befanden. Zahlreiche Teilnehmer vermummten sich und bewarfen Polizeibeamte mit Steinen und Flaschen. Mehrfach wurden Gegenstände auf die Fahrbahn gebracht und zum Teil angezündet. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 65 3 AUSLÄNDEREXTREMISMUS 3.1 Überblick Personenpotenzial Extremistische Gruppierungen werden in Berlin nur von einer kleinen Minderheit der hier lebenden Ausländer unterstützt. Im Jahr 2007 ließen sich ca. 4 970 Personen extremistischen Ausländerorganisationen zurechnen (2006: ca. 5 050 Personen); dies entspricht ca. einem Prozent der ausländischen Bevölkerung Berlins (30. Juni 2007: 466 300 Personen). Die Verteilung auf die einzelnen Extremismusfelder ist weitVerteilung nach gehend konstant geblieben: Unter den ausländerextremistiExtremismusfeldern schen Organisationen in Berlin bilden die Anhänger islamistischer Gruppierungen mit ca. 3 420 Personen die Mehrheit; dies entspricht einem Anteil von etwa zwei Dritteln. Linksextremistische Organisationen stellen mit ca. 1 250 Personen etwa ein Viertel. Ca. 300 Personen sind extrem nationalistischen Organisationen zuzurechnen. Gesamtpotenzial extremistischer Ausländerorganisationen: ca. 4 970 Personen 3420 1250 300 Islamisten Linksextremisten Extreme Nationalisten 66 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Personenpotenzial Ausländerextremisten* Berlin Bund 2006 2007 2006 2007 Gesamt 5 050 4 970 57 500 58 420 Islamisten, 3 450 3 420 32 150 33 170 davon arabischen Ursprungs 450 420 3 350 3 390 türkischen Ursprungs 2 900 2 900 27 250 27 920 iranischen Ursprungs 30 30 150 150 Sonstige 70 70 1 400 1 710 Linksextremisten, 1 300 1 250 16 870 16 870 davon arabischen Ursprungs 30 30 150 150 türkischen Ursprungs 225 165 3 150 3 150 iranischen Ursprungs 45 55 1 150 1 150 kurdischen Ursprungs 1 000 1 000 11 500 11 500 Sonstige 920 920 Extreme Nationalisten, 300 300 8 380 8 380 davon türkischen Ursprungs 300 300 7 500 7 500 Sonstige 880 880 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. Islamistische Innerhalb der islamistischen Gruppierungen in Berlin Gruppierungen: (ca. 3 420 Personen) stellen die türkischen Islamisten, die ethnische Zugehörigkeit überwiegend in der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) organisiert sind, mit ca. 2 900 Personen die Mehrheit. Die arabischen Islamisten - Anhänger der "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS), der "Hizb Allah" oder der in diversen Vereinen organisierten "Muslimbruderschaft" (MB) - haben dagegen mit ca. 420 Personen nur einen geringen Anteil. Iranische Islamisten machen lediglich ca. 30, Islamisten sonstiger Nationalitäten ca. 70 Personen aus. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 67 Potenzial islamistischer Ausländerorganisationen: ca. 3 420 Personen 2900 30 420 Türkische Islamisten 70 Arabische Islamisten Iranische Islamisten Sonstige Islamisten Innerhalb des Spektrums der linksextremistischen AuslänLinksextremisten: derorganisationen (ca. 1 250 Personen) nehmen die kurdiethnische Zugehörigkeit schen Linksextremisten unverändert mit ca. 1 000 Personen den weitaus größten Anteil ein, während zu den türkischen linksextremistischen Organisationen nur ca. 165 Personen zählen. Von den ca. 4 970 Personen, die extremistischen AusländerGewaltorientierte organisationen zugerechnet werden, gelten ca. 1 540 als AnExtremisten hänger gewaltorientierter Organisationen. Dies entspricht knapp einem Drittel des Gesamtpersonenpotenzials. Diese Personen werden extremistischen Ausländerorganisationen zugerechnet, die im Ausland - regional unterschiedlich - entweder terroristisch aktiv sind oder ausdrücklich Gewalt befürworten, z. B. zur Beseitigung der Herrschaftsstrukturen im jeweiligen Heimatland. In Berlin verhalten sich Angehörige dieser Gruppierungen zurückhaltend und größtenteils gewaltfrei. Von den ca. 1 540 Anhängern gewaltorientierter extremistischer Ausländerorganisationen sind ca. 1 250 linksextremistischen und ca. 290 islamistischen Organisationen zuzurechnen. 68 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Gesamtpotenzial gewaltorientierter extremistischer Ausländerorganisationen:* ca. 1 540 Personen 1250 290 Linksextremisten Islamisten * Es handelt sich dabei um Organisationen, die regional im Ausland (z. B. im jeweiligen Heimatland) mit Gewalttaten in Erscheinung treten. In Deutschland verhalten sich die Anhänger dieser Organisationen weitgehend gewaltfrei. Islamisten: Die ca. 290 Islamisten, die gewaltorientierten islamistischen gewaltorientierte Organisationen zugerechnet werden, sind Angehörige der "Hizb Allah" (ca. 160 Personen), der "Hizb ut-Tahrir" (= HuT / ca. 60 Personen), der HAMAS (= / ca. 50 Personen) und der Tschetschenischen Separatistenbewegung (ca. 20). Bei öffentlichen Aktionen treten die Angehörigen dieser Gruppierungen in Berlin in der Regel friedlich auf. Es liegen keine belastbaren Zahlenangaben über in Berlin möglicherweise aufhältliche Angehörige islamistisch-terroristischer Gruppierungen bzw. Netzwerke vor. Islamisten: nichtInnerhalb der ca. 3 130 Angehörigen nicht-gewaltorientierter gewaltorientierte islamistischer Gruppierungen in Berlin stellen die türkischen Islamisten, die überwiegend in der IGMG organisiert sind, mit ca. 2 900 Personen die große Mehrheit. Bei den arabischen nicht-gewaltorientierten islamistischen Organisationen bilden die Anhänger der MB mit ca. 100 Personen die stärkste Gruppe. Linksextremisten: Die ca. 1 250 linksextremistischen Ausländer in Berlin gehögewaltorientierte ren alle gewaltorientierten Ausländerorganisationen an. Die kurdischen Linksextremisten - Anhänger der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und ihrer Nachfolgeorganisationen - stellen darunter die weitaus größte Gruppe mit ca. 1 000 Per- AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 69 sonen. Die Angehörigen dieser gewaltorientierten linksextremistischen Ausländerorganisationen treten in Berlin ebenfalls überwiegend gewaltfrei in Erscheinung, auch wenn speziell in diesem Bereich die Zahl der Gewalttaten 2007 zugenommen hat. Straftaten Nach der Statistik der "Politisch motivierten Kriminalität - Rückgang bei Ausländer" war eine deutliche Abnahme von 176 auf Straftaten 137 Straftaten festzustellen. Dieser Rückgang ist vor allem auf die gesunkene Straftatenzahl im Themenfeld "Islamismus / Fundamentalismus" zurückzuführen. Öffentlichkeitswirksame Diskussionen, wie die Absage der Opern-Aufführung "Idomeneo", und der so genannte Karikaturenstreit, die noch im Jahr 2006 zu Straftaten geführt hatten, waren 2007 nicht zu verzeichnen. Die politisch motivierten Gewaltdelikte stiegen im Vergleich Anstieg der zum Vorjahr von 26 auf 32. Vor allem im Bereich "LandGewaltdelikte friedensbruch" ist ein Anstieg von vier auf zehn Fälle festzustellen. Diese sind dem Thema "PKK / Kurdenproblematik" zuzurechnen. 70 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Fallzahlen Politisch motivierte Kriminalität - Ausländer* 2006 2007 Terrorismus davon u. a. PKK / Kurdenproblematik Islamismus / Fundamentalismus Gewaltdelikte 26 32 davon u. a. PKK / Kurdenproblematik 13 19 Islamismus / Fundamentalismus Propagandadelikte 5 4 davon u. a. PKK / Kurdenproblematik 1 Islamismus/Fundamentalismus 1 sonstige Delikte 145 101 davon u. a. PKK / Kurdenproblematik 37 45 Islamismus / Fundamentalismus 36 7 Gesamt 176 137 davon u. a. PKK / Kurdenproblematik 51 64 Islamismus / Fundamentalismus 37 7 * Auszug aus dem Bericht "Lagedarstellung der Politisch motivierten Kriminalität in Berlin für das Jahr 2007" des Landeskriminalamtes Berlin (LKA). Der vollständige Bericht ist im Internet unter www.berlin.de/sen/inneres/sicherheit/statistiken/ index.html eingestellt. Entwicklung Gefährdungslage Auch Deutschland liegt im Fokus des internationalen Terrorismus. Das haben nicht zuletzt die vereitelten Anschlagspläne und Festnahmen der vier mutmaßlichen Anhänger der "Islamischen Jihad Union" (IJU) im September und November bestätigt. Beim islamistischen Terrorismus haben sich die Täterprofile zunehmend ausdifferenziert. Anschläge drohen nicht mehr nur durch von "al-Qa'ida" gesteuerte regionale Mujahidin-Zellen, sondern auch durch so genannte "homegrown"-Terroristen, durch von "al-Qa'ida" ideologisch "inspirierte", strukturell ungebundene Tätergruppen sowie durch Einzeltäter, die sich aus aktuellen Anlässen zu terroristischen Aktionen entschließen. Für die Verbreitung ihrer Botschaften hat das Internet zunehmend an Bedeutung gewonnen. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 71 In den Palästinensischen Autonomiegebieten eskalierte im vergangenen Jahr der gewaltsame Machtkampf zwischen der "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS) und HAMAS der FATAH. Während die bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Konfliktparteien im Juni eine faktische Teilung des Palästinensischen Autonomiegebietes zur Folge hatte, verhielten sich die Berliner Anhänger beider Organisationen ruhig. Bei der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e. V. IGMG (IGMG) besteht trotz interner Diskussionen die enge Bindung zu der türkischen Milli Görüs-Bewegung sowie ihrem Führer Necmettin Erbakan fort. Schwerpunkte der Verbandsaktivitäten waren die Jugendund Bildungsarbeit sowie die Intensivierung der Kontakte zu Politik und Gesellschaft. Die Entwicklung der PKK / KONGRA GEL war wie schon PKK / KONGRA im Vorjahr durch die Ereignisse in der Türkei bzw. im GEL Nordirak sowie durch zahlreiche Exekutivmaßnahmen in Europa geprägt. Besonders nach der Verschärfung des Konfliktes im Nordirak und den damit verbundenen blutigen Auseinandersetzungen im Grenzgebiet kam es im Herbst europaweit zu teilweise gewaltsamen Demonstrationen von Kurden und extrem nationalistischen Türken. Türkische Linksextremisten verhielten sich wie auch in den vergangenen Jahren in Berlin überwiegend friedlich. Sie beteiligten sich vor allem an den Protesten gegen den G 8-Gipfel im Juni in Heiligendamm. Die Aktivitäten der Anhänger der durch den "Nationalen NWRI / MEK Widerstandsrat Iran" (NWRI) vertretenen "Volksmojahedin Iran-Organisation" (MEK) waren wie bereits in den Vorjahren auf ihre politische Selbstdarstellung als freiheitsliebende und demokratische Exilbewegung ausgerichtet. Auf diesem Weg warb die Organisation vor allem in den Kreisen politischer Entscheidungsträger um Unterstützung. Ziel ist, die Streichung von MEK und "Nationaler Befreiungsarmee" 72 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 (NLA) 115 von der EU-Terrorliste zu erreichen, auf der sie wegen ihrer in der Vergangenheit gegen den Iran durchgeführten Terroraktionen seit Mai 2002 geführt werden. 3.2 Transnationaler islamistischer Terrorismus 3.2.1 Bedrohungslage Anhaltende Die in Deutschland am 4. September und 6. November durch Gefährdung die Verhaftung von vier mutmaßlichen Anhängern der "Islamischen Jihad Union" (IJU) vereitelten Anschläge bestätigen, dass Deutschland weiterhin als Teil eines weltweiten Gefahrenraumes anzusehen ist und somit im unmittelbaren Zielspektrum terroristischer Gruppierungen liegt. Für diese Einschätzung sprechen auch die von der "Globalen Islamischen Medienfront" (GIMF) am 10. März und 20. November veröffentlichten Videobotschaften, in denen Deutschland und Österreich mit Anschlägen bedroht werden, falls sie nicht ihre Soldaten aus Afghanistan abzögen. Bereits die fehlgeschlagenen Anschläge Anschläge der "Trolley-Bomber" vom 31. Juli 2006 haben deutlich möglich gemacht, dass die Bedrohung durch islamistische Terroristen unmittelbar in Deutschland angekommen ist und sich qualitativ erhöht hat. Weitere Anschlagsversuche können nicht ausgeschlossen werden. Begründet werden Drohungen und Anschlagsversuche vor allem mit dem Engagement deutscher Bundeswehrund Polizeieinheiten in Afghanistan, vor der Küste des Libanon oder am Horn von Afrika aber 115 Die "Nationale Befreiungsarmee" (NLA) ist der im iranisch-irakischen Grenzgebiet stationierte ehemals bewaffnete Arm, über den die MEK bis zum Sturz Saddam Hussains terroristische Anschläge im Iran verübte. Nach dem im Mai 2003 zwischen den Alliierten und der MEK geschlossenen Waffenstillstand wurde die NLA entwaffnet. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 73 auch mit der Ausbildung irakischer Offiziere und Polizeibeamter im NATO-Rahmen. Auch andere Teile Europas unterliegen nach wie vor einer Bedrohung durch den internationalen islamistischen Terrorismus. Dies belegen die vereitelten Anschläge in London am 29. Juni sowie der gescheiterte Anschlag in Glasgow am 30. Juni. Vereitelte Anschläge in Deutschland Am 4. September wurden im Sauerland drei mutmaßliche Geplante Mitglieder einer terroristischen Vereinigung festgenommen, Sprengstoffanschläge verhindert gegen die bereits seit Januar ermittelt wurde. Sie stehen im Verdacht, mehrere simultane Sprengstoffanschläge auf Ziele in Deutschland vorbereitet zu haben. Die Tatverdächtigen hatten sich mehr als 700 kg Wasserstoffperoxyd sowie militärische Sprengzünder beschafft. Ermittlungserkenntnissen zufolge zielte ihr Handeln darauf ab, ein Höchstmaß an Personenund Sachschäden zu bewirken. Die Festgenommenen hatten mehrere AnschlagsAnschlagsziele ziele - unter anderem amerikanische Militärliegenschaften in Deutschland - im Visier, die sie zum Teil bereits ausgespäht hatten. Endgültig festgelegt hatten sie die Anschlagsziele offenbar noch nicht. Die Menge der Chemikalien hätte allerdings ausgereicht, um Sprengsätze mit einer weitaus größeren Wirkung zu konstruieren als bei den Anschlägen 2004 in Madrid und 2005 in London. Bei den Festgenommenen Fritz G. und Daniel S. handelt es Tatverdächtige sich um Konvertiten, bei Adem Y. um einen schon sehr lange in Deutschland lebenden türkischen Staatsangehörigen. Attila S., ein weiterer Tatverdächtiger, wurde am 6. November im türkischen Konya festgenommen. Er soll laut Haftbefehl an der Beschaffung jener 26 Zünder beteiligt gewesen sein, die bei der Festnahme der drei anderen sichergestellt wurden. Am 11. September übernahm die "Islamische Jihad Union" Selbstbezichtigung (IJU) die Verantwortung für die Anschlagspläne. Als Ziele der "Islamischen Jihad Union" der Anschläge benannte sie in ihrem Selbstbezichtigungsschreiben die US-Luftwaffenbasis Ramstein sowie US- 74 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 amerikanische und usbekische Generalkonsulate. So sollten die Anschläge die Schließung der von der Bundesluftwaffe genutzten usbekischen Militärbasis in Termez erzwingen, die zentrale Bedeutung für die Versorgung der Bundeswehreinheiten in Afghanistan hat. Den Westen stellte die IJU als Mafia dar, die unter dem Vorwand, demokratische Systeme zu etablieren, Muslime unterdrücken würde. Ferner bezeichnete die Erklärung die Festgenommenen implizit als Mitglieder der IJU. Ursprungsland Die - auch als "Usbekische Gruppe Islamischer Jihad" Usbekistan (UGIJ) firmierende - IJU hatte sich 2002 von der extremistischen "Islamischen Bewegung Usbekistans" (IBU) abgespalten. Die IJU verfolgte ursprünglich eine regionale Agenda, die auf den Sturz des usbekischen Präsidenten Karimov abzielte. Sie verübte 2004 Anschläge in Usbekistan, unter anderem gegen die israelische und die USBotschaft und das Büro des usbekischen Generalstaatsanwalts. 2005 erweiterte sie ihr Tätigkeitsfeld und begann in Pakistan mit der Ausbildung von Jihadisten aus Europa und Nordafrika. Auf welche Weise eine Radikalisierung der festgenommenen Personen erfolgte und wie der Kontakt zur IJU zustande kam, ist noch nicht abschließend bekannt. Sie sollen sich in Pakistan in IJU-Trainingslagern aufgehalten haben und mittels elektronischer Kommunikation von einem usbekischen Aktivisten der IJU in Pakistan angeleitet worden sein. Verhaftung von GIMF-Internetaktivisten in Österreich und Kanada Urheber von Etwa sechs Monate nach Veröffentlichung der an DeutschInternetland und Österreich gerichteten Drohbotschaft vom Drohbotschaften 10. März 116 wurden am 12. September in Wien drei mutmaßliche Internetaktivisten der deutschsprachigen GIMFWebsite - unter ihnen auch der Administrator Mohammed M. und dessen Ehefrau Mona S. - verhaftet. Sie sollen für die Herstellung dieses Beitrags verantwortlich sein. Am selben Tag nahm die Polizei mit Said N. einen weiteren 116 Zur GIMF und zu dieser Videobotschaft vgl. S. 80 ff. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 75 Verdächtigen in Kanada fest, der beschuldigt wird, mit der Wiener Gruppe zusammengearbeitet zu haben. Die in Österreich Verhafteten - von denen einer mittlerweile wieder entlassen wurde - müssen mit Anklagen wegen Nötigung sowie der Bildung einer terroristischen Vereinigung rechnen. Ihnen drohen bis zu zehn Jahre Haft. Allerdings bedeuteten diese Festnahmen keineswegs das Ende der deutschsprachigen GIMF. Die Website war auch nach den Verhaftungen funktionsfähig und wurde weiterhin gepflegt. Schon vorher wurden deren Internetauftritte ohnehin durch den Provider regelmäßig abgeschaltet, tauchten aber kurze Zeit später unter veränderter Adresse wieder im Netz auf. Anschlagsversuche in Großbritannien Am 29. Juni gelang den Sicherheitskräften in London die Autobomben und rechtzeitige Entschärfung zweier Autobomben. Im Falle der Selbstmordanschlag Zündung hätten die Sprengsätze vermutlich erhebliche Schäden angerichtet. Einen Tag später in Glasgow scheiterten zwei Personen mit einem Selbstmordanschlag, weil das von ihnen in den Eingangsbereich des Flughafens gesteuerte Fahrzeug zwar Feuer fing, der Sprengsatz aber nicht explodierte. Einer der Attentäter erlag später seinen Verletzungen. Im Zuge der Fahndungsmaßnahmen wurden neben den beiden Attentätern von Glasgow fünf weitere Personen in Großbritannien sowie eine Person in Australien festgenommen. Sie werden verdächtigt, die Anschlagsversuche in London und den gescheiterten Selbstmordanschlag von Glasgow vorbereitet zu haben. Die Verdächtigen haben ein Alter zwischen Mitte und Ende 20 und hohe Bildungsabschlüsse. Fast alle sind in medizinischen Berufen tätig. Auffällig ist ihre multinationale Zusammensetzung. Die Multinationale Festgenommenen stammen aus Jordanien, Irak, SaudiTätergruppe mit hohen Arabien und Indien und hielten sich überwiegend erst seit Bildungsabschlüssen kurzem in Großbritannien auf. Allerdings waren einige zu Ausbildungszwecken zuvor mehrmals im Land, einer von ihnen war zum Teil in Großbritannien aufgewachsen. 76 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 3.2.2 Ausdifferenzierung der Täterprofile Beim islamistischen Terrorismus lässt sich eine zunehmende Ausdifferenzierung der Täterprofile beobachten. Anschläge drohen nicht mehr nur durch von "al-Qa'ida" gesteuerte regionale Mujahidin-Zellen, sondern auch durch so genannte "Homegrown""homegrown"-Terroristen, von "al-Qa'ida" ideologisch Terroristen und "inspirierte", strukturell ungebundene Tätergruppen sowie Einzeltäter Einzeltäter, die sich aus aktuellen Anlässen zu terroristischen Aktionen entschließen. "homegrown"-Terroristen Die Verhaftung der Konvertiten Fritz G. und Daniel S. sowie der zwei in Deutschland lebenden Personen türkischer Herkunft Adem Y. und Attila S. am 4. September und 6. November macht deutlich, dass auch Deutschland von so genannten "homegrown"-Terroristen bedroht ist. "Homegrown"-Terrorismus geht von in Europa radikalisierten Personengruppen aus. Es handelt sich um Muslime der ersten und zweiten Einwanderergeneration oder Konvertiten, die Radikalisierungsprozesse durchlaufen und ihre terroristischen Aktivitäten gegen die Länder, in denen sie leben, richten. Als Beispiele für "homegrown"-Terrorismus gelten die Anschläge von Madrid (2004) und London (2005) sowie das Attentat auf den niederländischen Filmemacher Theo van Gogh (2004). "Homegrown"Das Täterprofil stellt für Deutschland ein Novum dar, denn Terroristen: nie zuvor waren hierzulande Anschläge von in Deutschland in Deutschland neu geborenen oder hier aufgewachsenen Islamisten geplant worden. Die Zelle gilt als von der "Islamischen JihadUnion" (IJU) gesteuert, ein in der iranisch-pakistanischen Grenzregion vermuteter Usbeke soll Auftraggeber für die Anschläge gewesen sein. Auch die in Österreich verhafteten Internetaktivisten der GIMF sind Muslime der zweiten Einwanderergeneration, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und größtenteils in Wien geboren sind. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 77 Ideologisch "inspirierte" Gruppen Neben von "al-Qa'ida" direkt gesteuerten Gruppen (aligned mujahidin) existieren auch Zellen, die das jihadistische Gedankengut der Organisation weitertragen, obgleich sie organisatorisch nicht an "al-Qa'ida" gebunden sind (nonNon-aligned aligned mujahidin). Diese Zellen werden als ideologisch mujahidin "inspiriert" bezeichnet. Sowohl die IJU-Anhänger aus Deutschland als auch die Internetaktivisten der GIMF fallen hierunter. Radikalisierte Einzeltäter Islamistisch radikalisierte Einzeltäter haben weder organiEinzeltäter satorische Verbindungen zu Terrorgruppen noch sind sie vorrangig von der "al-Qa'ida"-Ideologie "inspiriert". Sie entschließen sich aufgrund aktueller Ereignisse zu Terroranschlägen. Ein Beispiel hierfür stellen die libanesischen "Trolley-Bomber" 117 dar. Da sie sich erst seit relativ kurzer Zeit zum Studium in Deutschland aufhielten, handelt es sich bei ihnen nicht um "homegrown"-Terroristen. Möglicherweise wurden sie bereits im Heimatland radikal vorgeprägt. Nach bisherigen Erkenntnissen soll der Auslöser für die Anschläge die Veröffentlichung der Muhammad-Karikaturen 118 gewesen sein. 3.2.3 Aktuelle Tendenzen des Netzwerks "al-Qa'ida" Das Netzwerk "al-Qa'ida" gibt im Berichtsjahr ein vielschichtiges Bild ab. Die Kernorganisation "al-Qa'ida" al-Qa'idaagiert trotz erhöhten Verfolgungsdrucks nach wie vor in der Kernorganisation Grenzregion zwischen Afghanistan und Pakistan. Die Planung terroristischer Operationen ist weiterhin Ziel und 117 Zu den "Trolley-Bombern" vgl. S. 91 f. und Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007, S. 93 f., 96. 118 Die dänische Zeitung "Jyllands-Posten" veröffentlichte 2005 Karikaturen über den Propheten Muhammad, die auch von Zeitungen in anderen Ländern - darunter Deutschland - unter Hinweis auf die Pressefreiheit veröffentlicht wurden. Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007, S. 96. 78 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Mittel der Organisation. Auch für Europa gibt es verstärkte Anzeichen, dass junge Muslime die ideologischen und strategischen Vorgaben von "al-Qa'ida" aufnehmen und ihre terroristischen Aktivitäten daran ausrichten. Regionale Die regionalen "al-Qa'ida"-Organisationen sind von unter"al-Qa'ida"schiedlichen bis gegenläufigen Entwicklungen geprägt. Für Organisationen "al-Qa'ida im Irak", die sich seit 2006 als "Islamischer Staat Irak" (ISI) bezeichnet und nach wie vor die Alliierten, die neue irakische Regierung sowie Schiiten und Kurden bekämpft, zeichnet sich eine leichte Schwächung ab. Der Rückgang der Anschlagsintensität hat seine Ursache in stärkerer Verfolgung, verbesserter Zusammenarbeit zwischen dem irakischen Staat, den US-Truppen und zentralirakischen Stämmen sowie im Bruch der Allianz zwischen "al-Qa'ida" und einigen national-irakischen Gruppen. Allerdings ist die Sicherheitslage im Irak weiterhin kritisch. Pakistan und In Pakistan lassen sich hingegen intensivierte Aktivitäten Afghanistan von "al-Qa'ida" beobachten. Dies gilt auch für Afghanistan, wo "al-Qa'ida" und die "Taliban-Bewegung" sowohl auf militanter als auch auf Propaganda-Ebene verstärkt kooperieren. Die neubelebte Allianz aus "al-Qa'ida" und den "Taliban" hatte eine deutliche Verschärfung der Sicherheitslage zur Folge. Von der Zunahme an Entführungen, Selbstmordund Autobombenanschlägen auf afghanische und westliche Ziele waren auch Deutsche betroffen. Dies gilt für die Bundeswehr im ISAF-Einsatz 119 , Polizeibeamte im Rahmen der Ausbildung der afghanischen Polizei, Entwicklungshelfer und Mitarbeiter von am Aufbau der Infrastruktur beteiligten Unternehmen. Nordafrika In der nordafrikanischen Region schloss sich im Januar die algerische GSPC ("Groupe Salafite pour la Predication et le Combat") an "al-Qa'ida" an und die Gruppe wurde in "alQa'ida im Islamischen Maghreb" (AQIM) umbenannt. Die 119 ISAF (International Security Assistance Force): Internationale Truppe unter Führung der NATO, die im Auftrag der Vereinten Nationen die afghanische Regierung bei der Herstellung und Wahrung der inneren Sicherheit sowie beim Wiederaufbau des Landes unterstützen soll. Die Bundeswehr ist seit 2002 an dieser Mission beteiligt. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 79 AQIM, die hiermit eine stärkere internationale Ausrichtung signalisiert und auf die Rekrutierung von Nordafrikanern für den weltweiten Jihad abzielt, erweist sich inzwischen als der zentrale Gewaltakteur in der Region. In der Folge war insbesondere Algerien Serien von Selbstmordund Autobombenanschlägen ausgesetzt, wobei sowohl die Auswahl ziviler Opfer als auch Anschlagsmethoden und -intensität typische Merkmale von "al-Qa'ida" aufweisen. Darüber hinaus verkündete "al-Qa'ida" im November den Anschluss der "Libyschen Islamischen Kämpfenden Gruppe" (LIFG). 3.2.4 Das Internet als Propagandaund Rekrutierungsinstrument Die Verbreitung ihrer Botschaft unter einer möglichst großen Gruppe von Personen bekommt für Islamisten eine stetig wachsende Bedeutung. Dabei hat das Internet den herInternet als kömmlichen Kanälen wie Fernsehen oder Rundfunk im Leitmedium Laufe der Zeit eindeutig den Rang abgelaufen. Mehr als 5 000 islamistische Websites belegen, wie intensiv dieses Medium mittlerweile von Anhängern dieser Ideologie genutzt wird. Das Internet erfüllt für militante Islamisten zahlreiche wichInstrument für tige Funktionen, dient vor allem aber als Propagandaund Propagandaund Rekrutierung Rekrutierungsinstrument. Propaganda-Aktivitäten im Internet werden dabei in diesen Kreisen mittlerweile als eine Form von Jihad angesehen, der auch von Leuten geführt werden kann, die aus unterschiedlichen Gründen nicht am bewaffneten Kampf teilnehmen oder selbst Bomben bauen. Dieser Propagandafeldzug stellt für sie somit eine Art "Ersatz-Schlachtfeld" dar. Im Gegensatz zu den 90er Jahren sind viele der islamisVielsprachige Texte tischen Internetseiten mittlerweile nicht nur in Layout und Design äußerst professionell, sondern veröffentlichen ihre Botschaften auch in mehreren Sprachen. Auf diese Weise zielen die militanten Islamisten darauf ab, ihr Gedankengut weltweit zu verbreiten und auch Anhänger - etwa in Europa oder den USA - zu gewinnen, die der arabischen Sprache nicht mächtig sind. 80 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Die Akteure: Medienproduktionszentren als Verbreiter des islamistischen Gedankenguts Islamistische Die eigentlichen Akteure im World Wide Web sind MedienMedienproduktionszentren wie "al-Sahab" oder "al-Furqan". produktionszentren Sie zeichnen für die Verbreitung des islamistischen Gedankenguts verantwortlich. Während "al-Sahab" für Verlautbarungen von Kern-"al-Qa'ida" zuständig ist und u. a. die Audiound Videobotschaften von Usama Bin Ladin und Ayman al-Zawahiri veröffentlicht, produziert "al-Furqan" die Veröffentlichungen des "Islamischen Staates Irak". Im deutschsprachigen Raum fungiert die "Globale Islamische Medienfront" (GIMF) als größte Verbreiterin jihadistischer Propaganda. Sie hat allerdings im internationalen Vergleich nicht denselben Stellenwert wie die beiden anderen Medienzentren, da ihr bisher der unmittelbare Zugang zur "alDeutschsprachige Qa'ida"-Führungsebene fehlt. Die GIMF existiert seit Angebote August 2004 in arabischer Sprache, seit Mai 2006 ist sie ebenfalls auf Deutsch aktiv. Ihr Internetauftritt wurde auch nach der Verhaftung der vier Aktivisten im September in Wien und in Kanada fortgeführt. 120 Videobotschaften der GIMF an Deutschland und Österreich Das von der GIMF produzierte Nachrichtenprogramm "Stimme des Kalifat Kanal" (Qana sawt al-khilafa), veröffentlichte am 10. März und am 20. November Aufrufe an die Regierungen von Deutschland und Österreich. Beiden Ländern wurde mit Anschlägen gedroht, falls sie ihre Soldaten nicht aus Afghanistan abzögen. So hieß es in der Videobotschaft vom 10. März, die in arabischer Sprache erfolgte aber auch deutsche Untertitel enthielt: "Die Teilnahme Deutschlands an dem Krieg der VerliererStaaten von Amerika gegen den Islam und die Muslime wird zu nichts führen, außer dass es zu mehr Drohungen kommt und dass Deutschland Gefahren in seinem Land erleben wird. [...] 120 Vgl. S. 74 f. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 81 Denn der Verbündete muss damit rechnen, dass er das gleiche Schicksal wie sein Verbündeter erleben wird." 121 An anderer Stelle fragte der Sprecher: "Ist es nicht dumm, dass ihr die Mudjahedin dazu motiviert, Operationen in eurem Land zu führen? Mit eurem Beistand und eurer grenzenlosen Unterstützung für Amerika habt ihr die, die ihr Terroristen nennt, dazu motiviert, euch anzugreifen. Und somit zerstört ihr eure Sicherheit mit euren eigenen Händen." 122 Es war das erste Mal, dass Islamisten exklusiv Deutschland Erstmals Aufrufe und Österreich zum Thema einer Videobotschaft machten - an Deutschland insofern handelte es sich hierbei um eine neue Qualität in ihrem Propagandafeldzug. Im zweiten "Aufruf an die Regierungen von Deutschland und Österreich" 123 vom 20. November richtete die GIMF auf ihrer deutschsprachigen Website per Videobotschaft erneut Warnungen an die Adresse beider Länder. In wesentlichen Teilen war es eine Wiederholung von Positionen, die bereits im März geäußert worden waren: "Das nächste Thema, auf das wir eingehen wollen, ist die Beteiligung Deutschlands am Kreuzzug gegen die Muslime. Die deutschen Soldaten besetzen immer noch Afghanistan und wir wiederholen den Aufruf aus dem letzten Video, dass Deutschland seine Truppen aus Afghanistan abziehen soll. Dies dient nur zu eurer eigenen Sicherheit in eurem Lande. Dasselbe gilt auch für Österreich. Die Mujahidin haben euch bisher noch verschont, deshalb ist die Zahl eurer getöteten Soldaten nicht besonders hoch, doch dies wird bald anders sein, da die Taliban eine Winteroffensive angekündigt haben, und diese Offensive erstreckt sich auch auf den Norden." 124 Darüber hinaus verlangte die GIMF von Österreich die Freilassung ihrer im September verhafteten Kameraden. Die extremistische Einstellung der Schöpfer dieses Videos wurde insbesondere dadurch deutlich, dass sie auch islamischen Gelehrten sowie Vertretern der muslimischen Verbände in 121 Internetauftritt der GIMF vom 10.3.2007, Aufruf am 3.12.2007. 122 Ebenda. 123 Vgl. Internetauftritt der GIMF, datiert vom 20.11.2007. 124 Ebenda. 82 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Deutschland - eingeblendet wurden hier die Embleme von ZMD und DITIB - eine Abkehr vom wahren Islam vorwarfen. Durch den Vorwurf der Beteiligung an einem Kreuzzug hob der Sprecher hier Deutschland ganz bewusst auf eine Stufe mit den USA oder Großbritannien. Entsprechende Passagen des Videos waren unterlegt mit Aufnahmen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, vom bayerischen Ministerpräsidenten Günter Beckstein sowie von deutschen Soldaten, die während ihres Militärdienstes in Afghanistan mit Totenschädeln posiert hatten. 125 Keine konkreten Konkrete Drohungen im Sinne einer expliziten Ankündigung Drohungen von Anschlägen oder eines Ultimatums enthielten die Botschaften nicht. Gleichwohl bargen sie insofern ein Gefährdungspotenzial, als sie Personen möglicherweise hätten aufstacheln und zu Attentaten inspirieren können. Computerspiel "Night of Bush Capturing" Computerspiel Mit dem Computerals Rekrutierungsspiel "Night of Bush versuch Capturing" (laila l- qabd 'ala Bush), das sie am 9. Mai auf ihrer Website einstellte, 126 versuchte die GIMF, bereits Kinder und Jugendliche anzusprechen und für den bewaffneten Kampf zu begeistern. Dies wurde schon durch die Ankündigung "das Computerspiel für unsere kleinen Mujahidin" 127 deutlich. Der Spieler nimmt dabei die Rolle eines Mujahid ein, der in einem US-Militärlager gegen feindliche Soldaten kämpft. Er muss versuchen, möglichst viele dieser Soldaten zu eliminieren. Am Ende des Spiels trifft der Mujahid dann auf einen Soldaten mit dem Aus125 Vgl. ebenda. 126 Vgl. Internetauftritt der GIMF, datiert vom 9.5.2007. 127 Ebenda. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 83 sehen von US-Präsident George W. Bush, den es zu erschießen gilt. "Die Medienschwertkampagne" Nachdem am 12. Juni auf der GIMF-Website zunächst ein arabischsprachiges Video zum Thema "Die Medienschwertkampagne zur Verteidigung des Islamischen Staates Irak" - u. a. auch mit deutschen Untertiteln - erschienen war, 128 wurde am 26. Juni ein Text in deutscher Sprache eingestellt, der diese Angelegenheit noch einmal aufgriff. Unter dem Aufruf zur Titel "Die Medienschwert-Kampagne: Wie kann ich mich Beteiligung beteiligen? Was kann ich (dafür) tun? Und welche Rolle spiele ich?" 129 hob der Verfasser die Opfer hervor, die von den Anhängern der GIMF erbracht worden seien, um diese Medien-Kampagne vorzubereiten: "Und sie bringen nach wie vor Opfer und, mit Allahs Willen, werden sie mit der Pflicht fortfahren, Allahs Religion zu unterstützen so gut sie können, nachdem sie sich schuldig fühlen, dem Jihad fernzubleiben und nicht mit ihren Seelen und ihrem Geld zu kämpfen." 130 Er forderte dazu auf, die Themen der Kampagne über alle möglichen medialen Kanäle zu verbreiten - etwa in jihadistischen und nicht-jihadistischen Foren des Internets, durch Anrufe in Live-Sendungen des Fernsehens oder auch per CD. Dies sollte nach den Vorstellungen der GIMF so ablaufen: "Die verschiedenen Veröffentlichungen der Kampagne runterladen und sie unter den Leuten verbreiten, sie eurer Familie und Freunden zeigen. Du kannst verhindern erkannt zu werden, indem du zum Beispiel eine CD in die Tasche deines Freundes steckst, ohne es ihm zu sagen, oder sie während des Einkaufs in die Tasche irgendjemandes legst, oder in den Briefkasten deiner Nachbarn." 131 128 Vgl. Internetauftritt der GIMF, datiert vom 12.6.2007. 129 Vgl. Internetauftritt der GIMF, datiert vom 26.6.2007. 130 Ebenda. 131 Ebenda. (Schreibweise wie im Original.) 84 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Keine Im Anschluss an diesen Aufruf waren allerdings weder im nennenswerte Internet noch im Fernsehen nennenswerte Reaktionen auf die Resonanz "Medienschwertkampagne" der GIMF feststellbar. Internetauftritt "Islamischer Jihad" Etwa seit Dezember 2007 fand sich auf der GIMF-Website ein Querverweis auf die deutschsprachige Internetpräsenz Anleitung zum "Islamischer Jihad". Dort waren Anleitungen für die HerBombenbau im stellung von Bomben, Sprengstoffen und Giften aber auch deutschsprachigen Internet Beschreibungen von Waffen abrufbar - teils auf Arabisch und Deutsch, teils aber auch auf Englisch. Von Schießpulver über Rohrund Briefkastenbomben bis hin zu Schwefelsäure und Zyankali reichte dabei die umfangreiche Palette für den interessierten Nutzer. 132 Islamistische Propagandatexte rundeten das Angebot ab. Eine derartige Sammlung von Anleitungen über Waffen, Gifte oder Sprengstoffe auf einer deutschsprachigen Internetseite stellte ein Novum dar. Durch die Kombination von islamistischem Propagandamaterial einerseits und handwerklichen Anweisungen andererseits zielten die Betreiber darauf ab, den Nutzer nicht nur in theoretischer, sondern gleichzeitig auch in praktischer Hinsicht auf den Jihad vorzubereiten. Kein Zugriff auf Da sich der Server dieser Website in den Niederlanden Server außerhalb befand, bestand seitens der deutschen Sicherheitsbehörden Deutschlands keine Zugriffsmöglichkeit. Hinzu kommt, dass auch eine Abschaltung dieses Internetauftritts durch den Provider mit hoher Wahrscheinlichkeit keine dauerhafte Wirkung gehabt hätte, da militant-islamistische Seiten wie diese sehr häufig schon nach kurzer Zeit mit neuer Adresse wieder online sind. Audiound Videobotschaften führender Vertreter von "al-Qa'ida" und des "Islamischen Staates Irak" Was die Veröffentlichung von Audiound Videobotschaften führender Vertreter des militanten Islamismus angeht, nahm bis zum August - wie auch schon in den Jahren zuvor - Ayman al-Zawahiri die Vorreiterrolle ein. Im September starteten die Jihadisten dann aus Anlass des sechsten Jahres132 Vgl. Internetauftritt "Islamischer Jihad", datiert vom 17.12.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 85 tags der Anschläge vom 11. September 2001 eine mediale Offensive, an der Medienoffensive sich auch Usama Bin Ladin erstmals seit fast drei Jahren wieder mit einer Videobotschaft beteiligte. 133 Hierdurch sollte nicht nur demonstriert werden, dass Bin Ladin - entgegen anderer Aussagen - noch lebt, sondern auch, dass "al-Qa'ida" trotz aller Maßnahmen im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus nach wie vor ideologischer Impulsgeber und bestimmende Größe für den militanten Islamismus sunnitischer Prägung ist. Die Audiound Videobotschaften erscheinen häufig als Reaktion auf aktuelle Ereignisse - wie die Erstürmung der Roten Moschee in Islamabad oder die Veröffentlichung von Muhammad-Karikaturen in einer schwedischen Zeitung. Sie Ziel: Motivation dienen aber auch als Mittel, um Zielvorgaben der jihadisstärken, Anhänger gewinnen tischen Ideologie zu definieren, die Motivation und den Durchhaltewillen der bewaffneten Kämpfer zu bestärken, neue Anhänger zu rekrutieren oder um Geschlossenheit und Schlagkraft der islamistischen Bewegung zu demonstrieren. In der Videobotschaft "Die Lösung" vom 7. September, die Videobotschaft wie alle seine Verlautbarungen von "al-Sahab" produziert an Amerika wurde, richtete sich Usama Bin Ladin an das USamerikanische Volk. Er bot den US-Amerikanern darin zwei Wahlmöglichkeiten an, wie der Irak-Krieg beendet werden könne. Die erste Lösung bestünde darin, dass die Mujahidin ihren Kampf gegen die USA weiter steigern. Als zweite Lösung legte Bin Ladin den US-Amerikanern einen Übertritt zum Islam nahe. Auf diese Weise könnten sie ins Paradies gelangen. 134 Am 30. November nahm Bin Ladin in der Audiobotschaft Videobotschaft "An "An die Völker Europas" dann Stellung zum Krieg in die Völker Europas" Afghanistan. Dabei appellierte er an die Vernunft der euro133 Zuletzt hatte sich Bin Ladin zwar noch im Juli 2006 zu Wort gemeldet - allerdings nur mit einer Tonaufnahme. 134 Vgl. Videobotschaft Usama Bin Ladin: "Die Lösung" vom 7.9.2007. 86 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 päischen Bevölkerung, die eigenen Politiker zu überzeugen, den militärischen Einsatz in Afghanistan zu beenden. Wie er betonte "haben Eure Unrecht verübenden Regierungen sie [die afghanische Bevölkerung] ohne Recht angegriffen". 135 Es war das erste Mal, dass eine Botschaft von Bin Ladin mit deutschen Untertiteln veröffentlicht wurde. Auch wenn inhaltlich kein direkter Bezug auf Deutschland oder deutsche Politiker vorhanden war, so diente die Botschaft doch als Instrument, um die Drohkulisse gegenüber Deutschland zu verstärken. In einer weiteren Audiobotschaft vom 23. Oktober mit dem Titel "An unsere Leute im Irak" rief Bin Ladin die dortigen unterschiedlichen Mujahidin-Gruppen zur Einigkeit auf. So sehr er ihren Einsatz im Kampf gegen den Feind lobte, kritisierte er gleichzeitig doch auch, dass es ihnen bisher nicht gelungen sei, "unter einer Flagge" 136 zu kämpfen. Aufruf zur Diesen Fraktionalismus unter den Mujahidin im Irak griff Geschlossenheit Bin Ladin erneut in der Audiobotschaft "Der Weg zur im Irak Vereitelung von Verschwörungen" vom 29. Dezember auf. Nur durch Geschlossenheit wären die unterschiedlichen Gruppierungen in der Lage, der von den USA geplanten "Verschwörung", die auf die Verhinderung eines islamischen Emirats im Irak abziele, erfolgreich entgegen zu wirken. Ausdrücklich sieht Bin Ladin hierbei den "Islamischen Staat Irak" als Vorreiter in diesem Einigungsprozess. Darüber hinaus ruft er einerseits zum Schulterschluss mit den "Mujahidin aus den Reihen der HAMAS" 137 auf, während er andererseits die "Hizb Allah" als Verräterin brandmarkt. Der schiitischen Organisation und deren Patron Iran gehe es aus seiner Sicht primär nicht um die Bekämpfung Israels, sondern um die Eindämmung des Einflusses der sunnitischen Mujahidin. 135 Audiobotschaft Usama Bin Ladin: "An die Völker Europas" vom 30.11.2007. 136 Audiobotschaft Usama Bin Ladin: "An unsere Leute im Irak" vom 23.10.2007. 137 Audiobotschaft Usama Bin Ladin: "Der Weg zur Vereitelung von Verschwörungen" vom 29.12.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 87 Auch für die gesamten VeröfAyman al-Zawahiri fentlichungen von Ayman alZawahiri zeichnet "al-Sahab" verantwortlich. Hierzu gehörte die auf hohem technischen Niveau produzierte Videobotschaft "Die Macht der Wahrheit" vom 20. September. Al-Zawahiri vertrat dort die These, dass die Mujahidin nicht mehr weit entfernt seien von einem Sieg gegen die westlichen Armeen. Wie er meinte, solle das Volk der USA seinen Präsidenten nicht fragen, wann die Soldaten nach Hause kommen, sondern wie viele von ihnen zurückkehren werden. 138 Eine prominente Rolle spielte bei al-Zawahiri zudem die palästinensische Frage. So kritisierte er etwa in seiner Audiobotschaft "Palästina betrifft uns und jeden Muslim" vom 11. März die HAMAS auf das Schärfste, der er nach Übernahme der Regierungsmacht 2006 ein falsches JihadVerständnis und einen "Kapitulationskurs" 139 gegenüber dem Westen vorwarf. Durch seine Kritik an der HAMAS Ideologische Kluft kommt die ideologische Kluft zwischen den in erster Linie zwischen Islamisten regional operierenden und den transnational orientierten militanten Islamisten deutlich zum Ausdruck. In der Audiobotschaft "Vierzig Jahre nach dem Fall von alQuds (Jerusalem)" vom 25. Juni widmete sich al-Zawahiri erneut den Palästinensern. Hier vollzog er bemerkenswerterweise einen partiellen Richtungswechsel, indem er seine Kritikpunkte an der HAMAS zwar erneuerte, sie diesmal allerdings sehr viel moderater formulierte. Angesichts der Machtergreifung durch die HAMAS im Gaza-Streifen bei den Juni-Unruhen rief al-Zawahiri dazu auf, die Mujahidin in Palästina zu unterstützen. Als Bedingung nannte er jedoch, dass die HAMAS ihr Verhalten ändern müsse. Wie er 138 Vgl. Videobotschaft Ayman al-Zawahiri: "Die Macht der Wahrheit" vom 20.9.2007. 139 Audiobotschaft Ayman al-Zawahiri: "Palästina betrifft uns und jeden Muslim" vom 11.3.2007. 88 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 erklärte, gebe es "rote Linien" 140 , die nicht überschritten werden dürften, etwa die Abwendung von der Shari'a, die Preisgabe muslimischen Bodens oder die "Anerkennung von Nationalstaaten anstelle des Kalifats". 141 FriedensDen Versuch, die Friedensverhandlungen zwischen den verhandlungen palästinensisch-israelischen Konfliktparteien wieder in Gang als "Verrat" zu bringen, kommentierte al-Zawahiri in der am 14. Dezember veröffentlichten Audiobotschaft "Annapolis ... der Verrat". Hierin bezeichnete er den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas als "Kollaborateur der Kreuzfahrer und Zionisten". 142 Das auf der Konferenz von Annapolis 143 geschlossene Abkommen stelle seiner Ansicht nach einen Verrat am palästinensischen Volk dar und diene lediglich den Interessen Israels sowie der USA. Folglich solle man alle bisherigen Vereinbarungen zum Nahost-Konflikt boykottieren, da sie nur zu einem Ausverkauf der legitimen Rechte der Palästinenser führen würden. Zum bewaffneten Jihad gegen die Feinde des Islam gibt es laut al-Zawahiri keine Alternative. Im Gegensatz zu den Veröffentlichungen von Bin Ladin und al-Zawahiri werden die Verlautbarungen von Abu Umar alBaghdadi - Emir des "Islamischen Staates Irak" (ISI) - von Aufruf zum Mord "al-Furqan" produziert. Für das größte mediale Echo sorgte an Karikaturisten er dabei mit einer Audiobotschaft vom 15. September, in der er zum Mord an einem Karikaturisten sowie am Chefredakteur der schwedischen Zeitung "Nerikes Allehanda" aufruft. Dort war am 18. August eine Muhammad-Karikatur 140 Audiobotschaft Ayman al-Zawahiri: "Vierzig Jahre nach dem Fall von al-Quds (Jerusalem)" vom 25.6.2007. 141 Ebenda. 142 Audiobotschaft Ayman al-Zawahiri: "Annapolis... der Verrat" vom 14.12.2007. 143 Auf der Konferenz von Annapolis in den USA kamen vom 26.11. - 27.11.2007 unter der Schirmherrschaft des US-Präsidenten Bush Vertreter von fast 50 Staaten und internationalen Organisationen zusammen. Ziel dieses Treffens war es, Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern zu initiieren und die Gründung eines Palästinenserstaates vorzubereiten. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 89 veröffentlicht worden, die den Propheten als Hund abbildete, woraufhin al-Baghdadi verkündete: "Aus diesem Grund rufen wir von heute an dazu auf, diesen Karikaturisten [...] zu töten, der es gewagt hat, unseren Propheten [...] zu beleidigen. [...] Wir setzen [...] eine Belohnung von 100 000 US-Dollar aus für denjenigen, der diesen ungläubigen Verbrecher umbringt. [...] Diese Belohnung wird sich auf 150 000 US-Dollar erhöhen, falls er ihn wie ein Lamm schlachten sollte. Ebenso bieten wir demjenigen 50 000 USDollar, der den Kopf des Chefredakteurs dieser Zeitung bringt [...]." 144 3.3 Prozesse und Exekutivmaßnahmen Bis Ende 2007 wurde in 230 Verfahren mit islamistischterroristischem Hintergrund ermittelt, davon führten 105 das Bundeskriminalamt und 125 die Länder. Mehrere Verfahren waren auch in diesem Jahr im ZusamAnsar al-Islam menhang mit der Organisation "Ansar al-Islam" anhängig. Schon die Ermittlungen zu dem vereitelten Anschlag auf den damaligen irakischen Ministerpräsidenten Dr. Iyad Allawi während seines Staatsbesuchs am 2./3. Dezember 2004 in Berlin verdeutlichten, dass in Deutschland terroristisch aktive Strukturen der "Ansar al-Islam" existieren. Die in 2007 erfolgten Verurteilungen wegen Unterstützung von "Ansar al-Islam" haben dies bestätigt. Des Weiteren begann der Prozess gegen einen der mut"Kofferbomber" maßlichen "Kofferbomber" Youssef Mohamed E. H.; der Mittäter Jihad H. wurde im Libanon gefasst und verurteilt. 145 Im Zusammenhang mit al-Qa'ida wurden in 2007 zwei Al-Qa'ida Personen wegen Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung der Terrororganisation verurteilt. Zudem hat der Prozess gegen einen "al-Qa'ida"-Werber begonnen. Das Urteil gegen Mounir El-Motassadeq, der die Attentäter vom 11. September 2001 unterstützte und zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde, ist seit Mai rechtskräftig. 144 Audiobotschaft Abu Umar al-Baghdadi: "Sie haben geplant, aber Allah hat auch geplant" vom 15.9.2007. Übersetzung aus dem Englischen. 145 Vgl. S. 91 f. 90 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 3.3.1 "Ansar al-Islam"-Verfahren Der am 20. Juni 2006 vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart begonnene Prozess gegen die drei irakischen Staatsangehörigen Ata A. R. aus Stuttgart, Mazen A. H. aus Augsburg und Rafik Y. aus Berlin dauert noch an. 146 Ihnen wird vorgeworfen 147 , von Deutschland aus für die ausländische terroristische Vereinigung "Ansar al-Islam" (= Ansar al-Islam) tätig gewesen zu sein. Mit der Anklage wird Ata A. R. und Mazen A. H. zur Last gelegt, Geldsammlungen und -transfers in den Irak und Iran durchGeldtransfers geführt zu haben. Diese Geldtransfers für die "Ansar alund Tötungsabsicht Islam" stellen neben der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung zugleich einen Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz dar. 148 Zudem werden alle Angeklagten der Übereinkunft zur Tötung des ehemaligen irakischen Ministerpräsidenten Dr. Iyad Hashim Allawi beschuldigt. 149 Das OLG Stuttgart hat am 26. September den irakischen Staatsangehörigen Burhan B. wegen Unterstützung der "Ansar al-Islam" zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten rechtskräftig verurteilt. 150 Nach den Feststellungen des Gerichts habe Burhan B. von dem wegen des geplanten Allawi-Attentats angeklagten Ata A. R. einen Geldbetrag in Höhe von 12 500 EUR erhalten, der für die "Ansar al-Islam" bestimmt gewesen sei. Ata A. R. habe nach Geldtransfer durch dem Prinzip des so genannten "Hawala-Bankings" - ein in"Hawala-Banking" formelles Geldtransfersystem über Treuhänder - die Auszahlung von Geldbeträgen an Beauftragte der "Ansar alIslam" über ein Büro in Istanbul bzw. dessen Niederlassungen im Irak veranlasst. Burhan B. habe mit dem ihm 146 Vgl. Oberlandesgericht Stuttgart, Az.: OLG 5-2 StE 2/05; Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2005. Berlin 2006, S. 134; Dies.: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007, S. 108 f. 147 SSSS 129 a, 129 b StGB. 148 SS 34 Abs. 4 AWG. 149 SS 30 Abs. 2 StGB. 150 Vgl. Presseerklärung des OLG Stuttgart vom 26.9.2007, www.olg-stuttgart.de. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 91 überlassenen Geld gebrauchte Kraftfahrzeuge gekauft, die Hohe Haftstrafen nach ihrem Transport in den Irak dort veräußert worden für Geldspenden an Terroristen seien. Das Gericht hat festgestellt, dass zumindest ein Teilbetrag von 8 000 EUR der "Ansar al-Islam" tatsächlich zugeflossen sei. Durch das OLG München erfolgten 2007 zwei - bislang noch nicht rechtskräftige - Verurteilungen wegen Unterstützung der "Ansar al-Islam" und damit im Zusammenhang stehende Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz. 151 Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der irakische Staatsangehörige Dieman A. I. aus Nürnberg die "Ansar alIslam" mit einer Geldspende in Höhe von 150 EUR unterstützt habe. Trotz dieser relativ geringen Summe habe der Geldbetrag im Irak ein Vielfaches der hiesigen Kaufkraft und stelle daher eine bedeutsame Unterstützung der Terrororganisation dar. Der Angeklagte wurde am 25. Juni zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. 152 Ferner verurteilte das OLG München den Iraker Farhad Kanabi A. aus München am 9. Juli zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. 153 Nach den Feststellungen des Gerichts habe der Angeklagte die "Ansar al-Islam" mit Spendengeldern in Höhe von 6 555 EUR unterstützt. Die Übergabe weiterer 5 300 EUR sei durch seine Festnahme verhindert worden. 3.3.2 Prozessauftakt zum Anschlagsversuch auf Regionalzüge Am 18. Dezember 2007 begann am OLG Düsseldorf die "Kofferbomber": Hauptverhandlung gegen den mutmaßlichen "KofferbomHauptverhandlung eröffnet ber" Youssef Mohamed E.-H.. Der Generalbundesanwalt (GBA) hatte E.-H. am 11. Juni angeklagt 154 , gemeinschaftlich mit Jihad H. zwei Bombenanschläge auf Regionalzüge 151 SS 129 a und 129 b StGB und SS 34 Abs. 4 AWG. 152 Vgl. Presseerklärung des OLG München vom 25.6.2007. 153 Vgl. Presseerklärung des OLG München vom 9.7.2007. 154 Vgl. Presseerklärung 15/2007 des GBA vom 20.6.2007, unter www.generalbundesanwalt.de. 92 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 versucht zu haben, um eine möglichst hohe Anzahl von Menschen zu töten. 155 E.-H. wird vorgeworfen, am 31. Juli 2006 am Hauptbahnhof Köln einen Koffertrolley mit einer Bombenvorrichtung in einem Regionalzug nach Koblenz deponiert zu haben, der während der Fahrt detonieren sollte. Jihad H. stellte einen gleichartigen Koffer in einem Zug nach Dortmund / Hamm ab. Die Zündauslöser detonierten aufgrund eines handwerklichen Fehlers jedoch nicht. Verurteilung Der im Libanon gefasste Jihad H. wurde dort am 18. Dezemim Libanon ber zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Youssef Mohamed E.-H. erhielt in Abwesenheit eine lebenslange Freiheitsstrafe. 3.3.3 Prozessauftakt gegen einen mutmaßlichen Werber für "al-Qa'ida" Am 26. September begann am OLG Celle die Hauptverhandlung gegen den irakischen Staatsangehörigen Ibrahim R. aus Georgsmarienhütte. Die Anklage des GBA 156 erfolgte wegen Werbung um Mitglieder oder Unterstützer für die ausländischen terroristischen Vereinigungen "al-Qa'ida" und "al-Qa'ida im Zweistromland" in 28 Fällen von 2005 bis 2006. 157 Internet-Aufruf Ibrahim R. wird vorgeworfen, in einem allgemein zugängzum Jihad lichen Internet-Chatroom Erklärungen der Rädelsführer von "al-Qa'ida" und "al-Qa'ida im Zweistromland" - u. a. Usama Bin Ladin, Ayman al-Zawahiri und Abu Mus'ab al-Zarqawi - verbreitet zu haben. In diesen Verlautbarungen seien terroristische Anschläge gerechtfertigt und verherrlicht sowie Handlungsanweisungen gegeben worden. Ibrahim R. habe dazu teilweise eigene, befürwortende Stellungnahmen abgegeben und dazu aufgerufen, am Jihad teilzunehmen. Ursprünglich sollte R. durch den GBA wegen Unterstützungshandlungen für "al-Qa'ida" angeklagt werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte in einem Beschluss vom 155 SSSS 211 Abs. 2, 308 Abs. 1 bis 3, 52 Abs. 1, 25 Abs. 2, 22, 23 StGB. 156 Vgl. Presseerklärung 16/2007 des GBA vom 28.6.2007, unter www.generalbundesanwalt.de. 157 SSSS 129 b Abs. 1 i. V. m. 129 a Abs. 5 S. 2, 52 Abs. 1, 53 Abs. 1 StGB. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 93 16. Mai jedoch fest, dass die Internet-Aktivitäten des R. keine Unterstützung, sondern eine Werbung für eine terroristische Vereinigung seien. Laut BGH sei auch keine Beihilfehandlung des R. erkennbar, da er an der Herstellung der Dateien sowie deren Bereitstellung im Internet nicht beteiligt war. 158 3.3.4 Urteil zur "al-Qa'ida"-Mitgliedschaft Am 5. Dezember wurden am OLG Düsseldorf Ibrahim Freiheitsstrafen für Mohamed K., Yasser A. S. und Ismail A. S. zu teilweise Terroristen langjährigen Freiheitsstrafen wegen Mitgliedschaft bzw. Unterstützung der "al-Qa'ida" verurteilt. 159 Sie hatten versucht, durch Versicherungsbetrug Geld für die Organisation zu beschaffen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 3.3.5 Prozess im Zusammenhang mit dem 11. September 2001 gegen Mounir ElMotassadeq Die von El-Motassadeq eingelegte Revision gegen das Urteil Urteil im des OLG Hamburg wurde durch den Bundesgerichtshof am Zusammenhang mit dem 11. September 2. Mai als unbegründet verworfen. 160 El-Motassadeq war am 2001 rechtskräftig 8. Januar durch das OLG Hamburg zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord in 246 Fällen verurteilt worden. 161 Dieses Urteil ist nun rechtskräftig. 158 Vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofes AK 6/07 und StB 3/07, unter www.bundesgerichtshof.de. 159 Verurteilung nach SS 129 b StGB in Tateinheit mit bandenmäßigem Betrug. Vgl. mündliches Urteil des OLG Düsseldorf, AZ: III-VI 10/05; Presseerklärung vom 5.12.2007 des OLG Düsseldorf, unter www.olgduesseldorf.nrw.de. 160 Vgl. Presseerklärung 57/2007 des Bundesgerichtshofes vom 11.5.2007, unter www.bundesgerichtshof.de. 161 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007, S. 110. 94 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 3.4 Regional gewaltausübende islamistische Gruppen 3.4.1 "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS) Bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen in den Palästinensischen Autonomiegebieten Kämpfe zwischen Im Juni eskalierte der Machtkampf zwischen HAMAS und HAMAS und FATAH in den Palästinensischen Autonomiegebieten. Bei FATAH den schweren Kämpfen sollen laut Schätzungen mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen sein. Hunderte von Palästinensern mussten fliehen. Auslöser der Gewaltspirale waren Angriffe von HAMAS-Kämpfern auf Kommandoposten der durch die FATAH kontrollierten Polizei und Sicherheitskräfte, da die FATAH sich trotz des Verlusts der Regierungsmacht 2006 beständig geweigert hatte, ihre Kontrolle über die Sicherheitskräfte an den Wahlsieger HAMAS zu übergeben. Dabei gelang es der HAMAS innerhalb von nur wenigen Tagen, den Gaza-Streifen vollständig einzunehmen, während die FATAH nach ihrer vernichtenden Niederlage gezwungen war, sich in das Westjordanland zurückzuziehen. HAMAS: "Beginn HAMAS-Sprecher Sami Abu Suhri betonte: "Dies ist der der islamischen Beginn der islamischen Herrschaft!" 162 Den Sieg über die Herrschaft" FATAH erklärte er kurzerhand zur "zweiten Befreiung des Gaza-Streifens" 163 . Nach den israelischen Siedlern 2005 habe man nun auch die Verräter von der FATAH vertrieben. In der Folge löste Palästinenserpräsident Mahmud Abbas (FATAH) die bis dato amtierende Einheitsregierung auf und entließ den Ministerpräsidenten Ismail Haniyah (HAMAS). Der gewaltsame Konflikt zwischen HAMAS und FATAH stellte in dieser Intensität eine neue Qualität im Verhältnis beider Gruppierungen dar. Der Tod des langjährigen PLOFührers Yassir Arafat im November 2004 ebenso wie der Wahlsieg der HAMAS bei den Parlamentswahlen im Januar 162 Deutsche Presse-Agentur (dpa) vom 14.6.2007. 163 Ebenda. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 95 2006 hatten Machtverschiebungen zur Folge, in deren Zuge sich das Verhältnis der beiden Organisationen sukzessive verschlechterte. Während die bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwiKeine Auseinanderschen HAMAS und FATAH im Juni eine faktische Teilung setzungen in Berlin des Palästinensischen Autonomiegebiets zur Folge hatten, blieb die Lage unter den Berliner Anhängern beider Organisationen ruhig. Es kam hier weder zu Demonstrationen noch zu Protestkundgebungen. Die HAMAS scheint also auch weiterhin an ihrer bisherigen Strategie festzuhalten, den bewaffneten Kampf "vor Ort" in Nahost auszutragen und nicht auf Deutschland ausweiten zu wollen. Kindersendungen als islamistische Propagandawaffe der HAMAS Abseits der bewaffneten Konfrontation mit der FATAH war Islamistische die HAMAS aber noch an einer zweiten Front aktiv. Der von Kindersendung: Maus ruft zu Gewalt ihr betriebene Fernsehsender "al-Aqsa-TV" nutzte Kinderund Selbstmord auf sendungen, um schon Zuschauer im Vorschulalter in drastischer Weise mit islamistischem Gedankengut zu indoktrinieren. Eine Maus sorgte dabei mehrere Monate lang für Furore. Sie hieß Farfur und sah der weltberühmten Mickey Mouse von Walt Disney täuschend ähnlich. In der Sendung "Pioniere von morgen (ruwwad al-ghad)" betrieb sie ganz unverblümt antisemitische Hetze, rief zu Gewalt und Selbstmord auf oder propagierte die globale Expansion des Islam. "Wir werden die Juden vernichten" 164 oder "mit unserer Seele und unserem Blut müssen wir die al-AqsaMoschee verteidigen" 165 lauteten zentrale Aussagen in der Sendung. Bei anderer Gelegenheit skandierte Farfur: "Wir werden niemals aufgeben im Kampf gegen den Feind - Kinder, Männer, Frauen und alte Menschen. Wir werden siegen, Bush! Wir werden siegen, Sharon - oh, Sharon ist tot! 164 Fernsehsendung "Pioniere von morgen (ruwwad al-ghad)", ausgestrahlt auf "al-Aqsa-TV", Folge vom 6.4.2007. 165 Ebenda. 96 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Wir werden siegen, Olmert! Wir werden siegen, 166 Condoleeza!" Feindbild Einen besonderen Paukenschlag gab es in der Folge am Judentum und Israel 29. Juni 2007. Als Farfur sich weigerte, ihr Land zu verkaufen, erschlug ein als "israelischer Agent" auftretender Schauspieler kurzerhand die Maus. 167 Ganz bewusst wählte der HAMAS-Sender die "Tötung" einer Sympathieträgerin wie Farfur, um bei den Kindern Betroffenheit und Wut zu erzeugen. Indem sie den "Märtyrertod" der Maus idealisieren, zielen die Produzenten der "Pioniere von morgen" darauf ab, Anhänger für die islamistische Sache der HAMAS zu gewinnen und möglicherweise unter den halbwüchsigen Zuschauern sogar die Bereitschaft zum bewaffneten Kampf zu wecken. Kindertaugliche Allerdings hatte die islamistische Hetze mit dem Tod von Propaganda Farfur kein Ende. Nur rund 14 Tage später trat Nahoul auf den Plan, eine Biene, die sich selbst als "Cousin von Farfur" 168 vorstellte. Sie kündigte an, dem Märtyrer-Vorbild der Maus nacheifern zu wollen und fortan deren Platz in der Sendung zu übernehmen. Der Biene folgte noch im August ein Zeichentrick-Löwe, der eine Horde von verbrecherischen Ratten aus dem Gaza-Streifen vertrieb. Der Löwe fungierte dabei als Symbol für die HAMAS, während die Ratten die Anhänger der FATAH verkörpern sollten. 169 Empfang auch Da "al-Aqsa-TV" via Satellit auch in Berlin empfangen in Berlin werden kann, bergen solche Sendungen die Gefahr, in erheblichem Maße zur Radikalisierung hier lebender muslimischer Kinder und Jugendlicher beizutragen. 166 Ebenda, Folge vom 23.4.2007. 167 Vgl. ebenda, Folge vom 29.6.2007. 168 Ebenda, Folge vom 13.7.2007. 169 Vgl. Zeichentrickfilm "Eine Nachricht an die kriminellen Banden in der besetzten Westbank", ausgestrahlt auf "al-Aqsa-TV" am 23.8.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 97 3.5 Nicht-gewaltorientierte Islamisten 3.5.1 Enge Bindung der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) an die Milli Görüs-Bewegung in der Türkei besteht trotz Diskussionen über eine Neuausrichtung fort Trotz interner Diskussionen besteht die enge Bindung Gegenseitige zwischen IGMG und der türkischen Milli Görüs-BeweUnterstützung gung sowie ihrem Führer Necmettin Erbakan fort. Die IGMG unterstützte den Wahlkampf der "Saadet Partisi" (SP) 170 anlässlich der türkischen Parlamentswahlen am 22. Juli, im Gegenzug entsandte die Milli GörüsBewegung ihre Vertreter zu IGMG-Veranstaltungen nach Deutschland. Schwerpunkte der Verbandsaktivitäten waren die Jugendund Bildungsarbeit sowie die Intensivierung der Kontakte zu Politik und Gesellschaft. Im Oktober veranstaltete die IGMG in Bonn ein Symposium zum Thema "Selbstwahrnehmung der Muslime". 171 In seinem Redebeitrag teilte der Generalsekretär mit, dass es in der Organisation "innergemeindliche Spannungen" im ZuSpannungen sammenhang mit Diskussionen um eine inhaltliche Neuauszwischen Traditionalisten richtung gebe, ohne genauere Details zu nennen. Fest steht und Reformern bislang, dass reformorientierte Mitglieder eine Distanzierung von Necmettin Erbakan sowie eine Neuausrichtung auf die veränderten Bedürfnisse der Anhänger der zweiten und dritten Generation in Europa fordern. Die Traditionalisten dagegen sind dem Gründer der Milli Görüs-Bewegung weiterhin verbunden. 170 Saadet Partisi (Glückseligkeitspartei), Partei der Milli GörüsBewegung. 171 Genauer Titel: "Begriffe des Chaos, Chaos der Begriffe - Selbstwahrnehmung der Muslime." Vgl. Internetauftritt der IGMG, datiert vom 12.12.2007. 98 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 IGMG unterstützt Wahlkampf der SP WahlkampfAnlässlich der türkischen Parlamentswahlen am 22. Juli unterstützung unterstützte die IGMG den SP-Wahlkampf. Im April nahmen in der Türkei IGMG-Funktionäre an einer Provinzratssitzung der SP in Istanbul 172 teil. In seiner Rede versprach der Berater des IGMG-Vorsitzenden, Hasan Damar, dass man den Wahlkampf der SP aktiv mit "tausend Fahrzeugen" und "tausend Predigern" unterstützen werde. 173 Auch eine im Mai von der IGMG Hannover veranstaltete Türkeireise diente vorrangig der Unterstützung des SPWahlkampfes. In der Istanbuler SP-Generalzentrale wurde die Reisegruppe über die Parteiarbeit informiert. Des Weiteren wurden Besuche bei den beiden Milli GörüsMedien "Milli Gazete" sowie "tv 5" organisiert. In Ankara nahm die Gruppe an einer von der SP organisierten Konferenz teil, auf der der stellvertretende SP-Generalvorsitzende Mete Gündogan zum Thema "Politische Entwicklungen" sprach. Den Abschluss der Reise bildete ein Treffen mit Necmettin Erbakan. 174 Ideologie der Milli Görüs Weltbild und Im Verlauf des türkischen Wahlkampfes publizierte VerlautFeindbilder barungen der islamistischen Milli Görüs-Bewegung zeiunverändert gen, dass sich ihre politischen Vorstellungen von einer gesellschaftlichen Neuordnung, ihr Weltbild und ihre Feindbilder nicht verändert haben. In einem in der "Milli Gazete" veröffentlichten Gedicht werden die Pflichten des Milli Görüs-Anhängers benannt. Von ihm wird erwartet, dass er sich mit ganzer Kraft für die Institutionen der Bewegung einsetzt, damit "der Islam zur Herrschaft gelangt". Das Ziel ist demnach die Errichtung eines islamistischen Staatswesens: 172 Der Vorsitzende des Istanbuler SP-Verbandes war bis 1995 Vorsitzender der IGMG. 173 Vgl. "Milli Gazete" vom 16.4.2007, S. 11. 174 Vgl. "Milli Gazete" vom 10.5.2007, S. 19. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 99 Der Milli Görüs Mann ... tut alles für die Ordnung (nizam), das Heil (selamet), die Wohlfahrt ( refah), die Tugend (fazilet) und die Glückseligkeit (saadet) der Menschheit. 175 ... weiß, dass der einzige Weg, der ihn zur Wahrheit (hak; auch: Gott) führt, in der Milli Görüs liegt; setzt sich für seine Zeitung, seinen Fernsehsender, seine Stiftung, seine Partei ein. ... trifft die notwendigen Maßnahmen dafür, dass der Islam zur Herrschaft gelangt, und ergibt sich in Gottes Willen." 176 Vorgesehen ist dabei nicht nur eine politische Neuordnung der Türkei, sondern der gesamten Welt: Die Milli Görüs ist eine wichtige Bewegung nicht nur für dieses Land, sondern für die ganze Welt. Sie ist unter allen politischen Bewegungen weltweit die einzige Bewegung, die das Ziel verfolgt, eine Neue Welt zu schaffen." 177 In ihren Wahlkampftexten greifen die Milli Görüs-IdeoAblehnung der logen die westlichen Staaten - insbesondere die USA - an, westlichen Staaten die generalisierend als "rassistische Imperialisten" bezeichnet und für alle politisch ungerechten Verhältnisse, vor allem in islamischen Ländern, verantwortlich gemacht werden. Für die aktuelle politische Situation in der Türkei trügen "Imperialisten" die Verantwortung. Auf einer Konferenz des ESAM 178 im Juli warf Necmettin Erbakan den "rassistischen Imperialisten" vor, das türkische Volk zu betäuben, um es zu vernichten. Die regierende AKP 179 sei ein "Kollaborateur" und arbeite mit dem IWF und den "Imperialisten" zusammen. Die Milli Görüs-Bewegung werde, wenn die SP an 175 Es handelt sich hier um die ehemaligen Namen der Milli GörüsParteien, bis hin zur heute existierenden "Glückseligkeitspartei" (Saadet Partisi, SP). 176 "Milli Gazete" vom 9.6.2007, S. 17. 177 "Milli Gazete" vom 25.7.2007, S. 12. 178 Ekonomik ve Sosyal Arastrmalar Merkezi (Zentrum für Wirtschaftsund Sozialstudien"). 179 Adalet ve Kalknma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung"). 100 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 "Groß-Türkei" die Regierung komme, erneut eine Groß-Türkei gründen, das angestrebt türkische Volk werde erneut Herr über die Welt sein. 180 Auch Arif Ersoy 181 , einer der wichtigsten Ideologen der Milli Görüs-Bewegung, der im Sommer Seminare für IGMG-Führungskräfte hielt 182 , sieht die Türkei von "Imperialisten" manipuliert: "Der rassistische Imperialismus, der seit Beginn des 19. Jahrhunderts unsere Geographie zu kolonialisieren beabsichtigt, hat eine Reihe von Plänen und Projekten entworfen, mit der Absicht, unsere Nation von ihrer eigenen Weltanschauung und Wertvorstellung zu entfremden." [...] Unsere Nation setzt sich seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts intensiv mit den Veränderungen in unserem Land, in unserer Geographie und in der Welt auseinander und sie analysiert dank ihrem Scharfsinn und Weitblick die Pläne und Machenschaften des inszenierten globalen rassistischen Imperialismus. [...] Unsere Nation wird bei den für den 22. Juli 2007 vorgesehenen Wahlen eine historische Entscheidung treffen. Die Pläne des Imperialismus werden besiegt und die geplanten Machenschaften werden zerstört." 183 SP als Splitterpartei Das Ergebnis der türkischen Parlamentswahl 184 , bei der die SP noch weniger Stimmen erhielt als im November 2002, wird schließlich ebenfalls dem "Imperialismus" oder konkreter den USA zugeschrieben: "Der Imperialismus hat die Wahlen gewonnen. Die amerikanischen Medien haben gewonnen. Die Spekulanten haben gewonnen. [...] Bei diesen Wahlen haben die Freimaurer, die Rotarier und die Lions gewonnen. [...] Bei diesen Wahlen hat 180 Vgl. "Milli Gazete" vom 19.7.2007, S. 9. 181 Arif Ersoy ist Vorstandsmitglied der SP und Generalsekretär des "Milli Görüs-nahen Instituts ESAM. 182 Vgl. S. 102 f. 183 Vgl. "Milli Gazete" vom 20.7.2007, S. 5. 184 Die AKP verbesserte sich bei der Parlamentswahl um 12,4 Prozentpunkte auf 46,6 Prozent, die SP fiel um 0,2 Prozentpunkte auf 2,3 Prozent zurück. Wegen der 10 Prozent-Sperrklausel schafften neben der AKP lediglich noch die CHP (Republikanische Volkspartei) mit 20,9 Prozent und die MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) mit 14,3 Prozent sowie 26 unabhängige Kandidaten, die zum großen Teil Angehörige der als "PKK-nah" bezeichneten "Partei der demokratischen Gesellschaft" (DTP) sind, den Einzug ins Parlament. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 101 der Imperialismus gesiegt. [...] Bei dieser Wahl hat unser Mordnachbar USA gewonnen, der Afghanistan und den Irak besetzt hat. [...]" 185 Ein weiterer fester Bestandteil der Milli Görüs-Ideologie Antisemitismus ist der Antisemitismus, wobei dieser häufig als Kritik am Zionismus formuliert wird. Neben den als "Imperialisten" bezeichneten westlichen Staaten ist aus Milli Görüs-Sicht die "zionistische Verschwörung" an den politischen Missständen schuld, wie ein Text des schon zuvor erwähnten Milli Görüs-Ideologen Arif Ersoy darlegt. Es handelt sich dabei um einen Kommentar von Ersoy über eine in Teheran abgehaltene Holocaust-Konferenz 186 in der "Milli Gazete". Auf der Tagung wurde der Völkermord an den Juden als Ergebnis einer angeblichen zionistischen Verschwörung dargestellt: "Die Konferenzteilnehmer betonten, der Zweite Weltkrieg habe geheime Ziele verfolgt, und es sei notwendig, die Gründe und das wahre Gesicht des "Völkermords an den Juden", der geradezu eine Religion geworden sei, aufzudecken. Sie forderten, anhand wissenschaftlicher Fakten müsse neu belegt werden, wie die Zionisten Hitler an die Macht gebracht und unterstützt hätten, damit auf palästinensischem Boden der rassistische und aggressive Staat Israel gegründet werden konnte." 187 Die Verfälschung der Geschichte führe nicht nur zur Unterdrückung der Palästinenser, sondern weltweit zu ungerechten politischen Verhältnissen. Am Ende seines Artikels bewertet Ersoy die Konferenz als wichtigen Schritt in der Menschheitsgeschichte auf dem Weg zur Gründung einer "neuen gerechten Weltordnung" ("Yeni bir Adil Dünya Düzeni"), da nun endlich die wahren Hintergründe für den Holocaust erforscht würden: "Die an der Konferenz teilnehmenden Delegierten luden die gesamte Menschheit dazu ein, sich den Lügen, dem Betrug und der Ausbeutung des rassistisch-monopolistischen Imperialis185 "Milli Gazete" vom 25.7.2007, S. 12. 186 Vgl. Hintergrundinformationen "VRBHV", S. 198 f. 187 "Die Geschichte wird neu geschrieben", Teil 1 und 2, veröffentlicht am 15./16.12.2006 in "Milli Gazete Online". 102 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 mus entgegenzustellen. Zweifelsohne wird diese Konferenz als ein wichtiger Schritt in der Menschheitsgeschichte hin zur Gründung einer auf Recht und Gerechtigkeit gegründeten Neuen Gerechten Weltordnung in die Geschichte eingehen." 188 IGMG beteiligt SP-Ideologen an Bildungsseminaren für ihre Führungskräfte Seminare auch in Arif Ersoy sowie der stellvertretende SP-Vorsitzende Numan Deutschland Kurtulmus nahmen als Referenten an IGMG-Bildungsseminaren für Führungskräfte im niederländischen Vianen und in Heidelberg teil. 189 Ersoy hielt in Heidelberg ein Seminar über Die Mission und Vision der Milli Görüs. 190 Er erklärte, dass die Milli Görüs angesichts der gegenwärtigen Zivilisationskrise eine neue Zivilisation errichten werde. Numan Kurtulmus sprach über Globale Entwicklungen und die islamische Welt". Die Teilnahme herausragender SP-Ideologen an IGMG-Bildungsseminaren zeigt die enge Bindung der Organisation an die SP und die "Milli Görüs-Ideologie. Jugendund Bildungsarbeit Bildung und Erziehung zählen zu den wichtigsten Aufgaben der Moscheen und Organisationen, schrieb die IGMG-Abteilung für Rechtleitung in einer Wochenpredigt und begründete dies auf folgende Weise: "Heute brauchen wir mehr denn je Menschen, die Dienstleistungen ausführen, die dem Islam und der Menschheit dienen. Und dieser Weg führt über die Bildung." 191 Korankurse und Neben Korankursen und Nachhilfeunterricht veranstaltete Nachhilfeunterricht der Verband Tagesund Wochenendseminare aber auch Festveranstaltungen wie Koranrezitationswettbewerbe für 188 Ebenda. 189 An der Veranstaltung in Vianen nahm auch der Vorsitzende der IGMGRechtsabteilung von Berlin teil. Vgl. "Milli Gazete" vom 20.2.2007, S. 19. 190 Vgl. "Milli Gazete" vom 28.2.2007, S. 20. 191 "Milli Gazete" vom 8.6.2007, S. 14. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 103 Jungen oder Mädchen. Einen besonderen Programmpunkt bildete dieses Jahr der "Tag der Studenten". In einem Interview über das IGMG-Bildungsprogramm hob Förderung einer der Vorsitzende für Bildung und Erziehung die Bedeutung "islamischen Identität" der "Sommerkurse" hervor. 192 Durch den dort erteilten Religionsunterricht entwickelten die Kinder ihren Glauben und ihre Identität. Die IGMG-Führung betont immer wieder, dass Kinder und Jugendliche nur mit einer gefestigten islamischen Identität fähig seien, sich zu integrieren. 193 Andere Äußerungen vermitteln eher den Eindruck, dass dieses Engagement weniger auf die Förderung der InteAbgrenzung gration der Kinder und Jugendlichen zielt, als vielmehr auf von der deutschen Gesellschaft die Abgrenzung von der deutschen Gesellschaft, die die Jugendlichen nicht beeinflussen soll: "Stahl ist deshalb Stahl, weil sich darin keine Zusätze und keine Schlacken befinden; wir wünschen uns auch eine Jugend, die sich von außen nicht beeinflussen lässt, die zugunsten ihrer Ideale Opfer erbringen kann und die der Gesellschaft von Nutzen ist. Deswegen nennen wir dies 'Stählung'." 194 Auf einem mehrtägigen Bildungsseminar der IGMG-Studenteneinheit in Wesel referierte ein Istanbuler Professor über die "Zivilisation Westeuropas". Er rief die Teilnehmer dazu auf, sich vor Augen zu halten, dass der "Imperialismus" die Macht des Westens verfestige. 195 Die Vermittlung solcher Stereotype deutet nicht auf die Förderung des Dialogs zwischen Nationen und Religionen hin. 192 Vgl. "Milli Gazete" vom 21.8.2007, S. 11. 193 Vgl. Internetauftritt der IGMG, datiert vom 25.1.2007 "IGMG-Jugendabteilung". 194 Hessischer Jugendvorsitzender in "Milli Gazete" vom 12.12.2006, S. 19. 195 Vgl. Internetauftritt der IGMG Berlin, datiert vom 28.6.2007. 104 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Erbakan und SP-Funktionär nehmen am "Tag der Studenten" teil Zielgruppe Die Studentenabteilung organisierte am 31. März einen "Tag Studierende der Studenten" in der Stadthalle Hagen. 196 An der Veranstaltung "Zukunft in der Tradition" nahmen ca. 1 600 Personen 197 aus Deutschland und dem europäischen Ausland teil. In einer Diashow wurde über die Leistungen des IGMGJugendverbandes sowie der ihm untergeordneten Studentenabteilung berichtet. 198 Durch die Teilnahme des stellvertretenden SP-Vorsitzenden Numan Kurtulmus und eine Videokonferenzschaltung mit Necmettin Erbakan war die Milli Görüs-Bewegung aus der Türkei mit hochrangigen Vertretern beteiligt. Die IGMG will mit solchen Veranstaltungen das Interesse junger und wissenschaftlich gebildeter Muslime an der Organisation wecken und sie als Mitglieder für die aktive Mitarbeit im Verband gewinnen. Gründung des neuen islamischen Dachverbandes "Koordinationsrat der Muslime" (KRM) Lobbyarbeit Die Lobbyarbeit bildete einen weiteren Handlungsschwerder IGMG punkt der IGMG. Die Organisation arbeitet weiter daran, ihre Kontakte zu Politik und Gesellschaft zu festigen, um bei deutschen Behörden als offizieller Ansprechpartner für muslimische Belange anerkannt zu werden. Mitglied im Islamrat Als Mitglied des "Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e. V." (Islamrat e. V.) ist die IGMG diesem Ziel einen Schritt näher gekommen. Am 28. März wurde der schon für das letzte Jahr angekündigte neue islamische Dachverband "Koordinationsrat der Muslime" (KRM) mit Beteiligung des "Islamrat e. V." gegründet. Dabei ist es den Initiatoren ge196 Für den Studententag richtete die IGMG eine eigene Homepage ein. In der "Milli Gazete" wurde die Veranstaltung ausführlich behandelt: In der Ausgabe vom 23.3.2007 erläuterte der IGMG-Studentenvorsitzende dem Berliner "Milli Gazete"-Redakteur das Veranstaltungsprogramm. Am 4.4.2007 erschien ein Bericht über den "Tag der Studenten". 197 Vgl. "taz" vom 2.4.2007, vgl. Internetauftritt der IGMG, datiert vom 4.4.2007. 198 Vgl. Internetauftritt der IGMG, datiert vom 4.4.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 105 lungen, die DITIB 199 als Mitglied einzubinden. In dem neuen Mitglied im Dachverband sind damit neben der DITIB der von der "Koordinationsrat der Muslime" IGMG dominierte "Islamrat e. V." 200 und der "Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V." (ZMD). Ihm gehören mehrere Organisationen an, die unter Einfluss der arabischislamistischen Muslimbruderschaft (= MB) stehen, sowie die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (= IGD). Neuer Berliner IGMG-Landesverbandsvorsitzender bekennt sich zur Milli Görüs-Bewegung Im Berliner IGMG-Landesverband fand im Januar ein FühFührungswechsel rungswechsel statt. In öffentlichen Verlautbarungen bekannin Berlin te sich der neue Landesvorsitzende zur Milli GörüsBewegung und ihren Zielen. Auf der ersten erweiterten Gebietsversammlung 201 des Jahres betonte er in Anwesenheit des IGMG-Generalsekretärs: Als Milli-Görüs-Organisationen ist es unser Ziel und unsere Verantwortung [ ] die Glückseligkeit [saadet] der Menschen auf der Welt und im Jenseits sicherzustellen." 202 Das Wort "Glückseligkeit" ("saadet") wird in der "Milli Görüs-Bewegung häufig verwendet. Bekanntestes Beispiel hierfür ist der aktuelle Name der Milli Görüs-Partei, "Glückseligkeitspartei" ("Saadet Partisi"). Es ist eine Anspielung auf den Begriff des "Zeitalters der Glückseligkeit" ("Asr-i Saadet"), womit die islamische Frühzeit idealisierend bezeichnet wird. Der Milli Görüs-Ideologie zufolge herrBekenntnis zur schte in dieser Zeit eine vollkommene Ordnung, basierend Milli GörüsIdeologie auf islamischem Recht. Mit der Verwendung des Begriffes 199 "Türkisch-Deutsche Union der Anstalt für Religion e. V." ("Diyanet Isleri Türk Islam Birligi). 200 Der Vizepräsident der "Islamischen Föderation in Berlin e. V." (IFB) wurde am 10.6.2007 zum Generalsekretär des "Islamrat e. V." gewählt. Vgl. Internetauftritt der IGMG, datiert vom 21.6.2007. 201 An einer erweiterten Gebietsversammlung nehmen nicht nur die Landesvorstandsmitglieder sondern auch Führungskräfte untergeordneter Organisationseinheiten teil, z. B. die Vorsitzenden der Moscheevereine oder Vertreter der Jugendund Frauenabteilungen. 202 Vgl. Internetauftritt der IGMG, datiert vom 12.9.2007. 106 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Glückseligkeit fordert die Milli Görüs-Bewegung, die ehemals vorhandene vollkommene Ordnung wieder herzustellen und meint damit die Errichtung eines islamistischen Staatswesens. Der IGMG-Landesvorsitzende unterstützt mit seinen Äußerungen diese Forderung. Auf der vom Landesverband am 12. Mai veranstalteten "Auferstehung durch das Gebet" im Kongresszentrum "An der Urania" lobte der Landesvorsitzende die von der IGMG seit 40 Jahren geleistete Arbeit und sagte in seiner Ansprache: "Es ist angesichts der Ungerechtigkeit und Unterdrückung auf der Erde die Pflicht der an Gott glaubenden Menschen, mit maximaler Kraft dafür zu arbeiten, dass das Recht herrscht." 203 "Dafür zu arbeiten, dass das Recht herrscht" ist eine von Necmettin Erbakan und anderen Milli Görüs-Funktionären vielfach gebrauchte Formulierung. Der Begriff "Recht" ("hakk") 204 wird in diesem Zusammenhang im Sinne von göttlichem Recht verwandt. Die Milli Görüs-Anhänger "Göttliches Recht" sollen sich dafür einsetzen, dass "göttliches Recht" herrscht. Das Zitat impliziert eine Kritik an politischen Systemen, die als nicht legitim angesehen werden, wenn sie nicht auf islamischem Recht gründen. Auch hier zielt die Argumentation darauf ab, dass nur eine nach den Regeln des Islam organisierte Gesellschaft gerecht und prosperierend sein kann. 205 Mit seinen Äußerungen bekennt sich der neue Landesvorsitzende zur Milli Görüs-Bewegung und deren ideologischen Zielen. 203 Vgl. Internetauftritt der IGMG Berlin, datiert vom 28.6.2007. 204 "hakk" bedeutet wörtlich übersetzt "Recht", wird aber auch in den Bedeutungen "göttliches Recht", "göttliche Wahrheit" oder "Gott" gebraucht. 205 Necmettin Erbakan (1991), Gerechte Wirtschaftsordnung, S. 9. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 107 Leiter der Öffentlichkeitsarbeit beim Landesverband gleichzeitig Lokalredakteur der "Milli Gazete" Seit dem Frühjahr wird die Internetseite der IGMG Berlin Internetpräsenz aktiv bearbeitet. Zeitgleich ist die Anzahl der "Milli der IGMG Berlin Gazete"-Artikel über den Berliner Regionalverband gestiegen. Die Berichte über Vorstandsversammlungen und Veranstaltungen in den Moscheevereinen sind in beiden Medien teilweise identisch. Möglicherweise liegt es daran, dass der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit beim Berliner Landesverband gleichzeitig der Lokalredakteur der "Milli Gazete" ist. Verkauf antisemitischer und antichristlicher Literatur auf der 6. Berliner Buchmesse im Hof der Mevlana Moschee Trotz wiederholter Zusagen durch Vorstandsmitglieder des der IGMG zuzurechnenden "Mevlana Moschee e. V." und seines Dachverbandes, der "Islamischen Föderation in Berlin e. V." (IFB), den Verkauf extremistischer Publikationen auf Buchmesse in den jährlich im Moscheehof stattfindenden Buchmessen Berliner Moscheehof unterbinden zu wollen, wurde auch auf der 6. Berliner Buchmesse im Frühjahr antisemitische und antichristliche Literatur verkauft. In der türkischen Übersetzung von Theodor Herzls Buch "Der Jüdische Staat" erläutert der Übersetzer Sedat Demir im Vorwort, wie er seine antisemitischen Vorurteile durch den Text selbst bestätigt sieht. 206 So stellt er die Frage, ob er wohl ein Antisemit sei, wenn er zur Sprache bringe, dass in allem, was es im letzten Jahrhundert an historischen Ereignissen gegeben habe, ob gut oder schlecht, "der Jude seine Finger gehabt habe". 207 Als nächstes fragt er, wie es wohl dazu komme, dass ein Großteil der Filme und Bücher, die vom Schicksal der Nationalstaaten handelten, die Vertreibung der Juden aus Europa und ihre Ermordung durch die Nationalsozialisten zum Thema hätten. Daran schließt er die Frage an, ob er wohl verhaftet würde, wenn er in einem 206 "Der Jüdische Staat" ("Yahudi Devleti") von Theodor Herzl, ins Türkische übersetzt von Sedat Demir (2007), S. 7 - 15. 207 Ebenda, S. 7. 108 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Pariser Cafe mit Gästen darüber diskutierte, inwieweit dies der Realität entspreche. Christenfeindliche In dem Buch "Die verräterischen Kinder Jesu - MissioLiteratur narstätigkeiten in der Türkei" polemisiert der Nationalist Müjdat Öztürk nicht nur offen gegen in der Türkei tätige christliche Zivilorganisationen, sondern generell gegen den "christlichen Westen" und dessen angebliche "Kollaborateure". 208 Die Ermordung eines katholischen Priesters in Trabzon im Februar 2006 rechtfertigt der Autor mit der Begründung, dass dieser statt des angekündigten interreligiösen Dialogs Missionierung betrieben habe. 209 3.5.2 "Muslimbruderschaft" / "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." In Deutschland werden die Interessen der "Muslimbruderschaft" (MB) von der "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e. V. (= IGD) vertreten. Die wichtigste VerJahreskonferenz anstaltung der IGD ist ihre Jahreskonferenz, an der regelin Berlin mäßig auch namhafte Vertreter der MB teilnehmen. Sie fand in diesem Jahr unter dem aus Koransure 2 (al-baqara), Vers 143 stammenden Motto " ... und so haben wir euch zu einer Gemeinschaft der Mitte gemacht (wa-ka-dhalika ja'alnakum ummatan wasatan)" am 17. und 18. November in Leverkusen und Berlin statt. Die Vorträge bezogen sich schwerpunktmäßig auf die Themen Integration der Muslime und die Bedeutung des Islam in Deutschland. Wichtigster Redner auf der Berliner Veranstaltung war der zur MB gehörende ägyptische Gelehrte Dr. Omar AbdelMildere Äußerungen Kafi. Er sprach sich für die Anpassung der Muslime an die Gegebenheiten in Deutschland und für gute Beziehungen zur deutschen Mehrheitsgesellschaft aus. Diese Aussagen stehen in deutlichem Gegensatz zu früheren Erklärungen. Noch auf 208 Vgl. "Die verräterischen Kinder Jesu - Missionarstätigkeiten in der Türkei (Isa'nin Hain Cocuklar Türkiye'de Misyonerlik Faaliyetler") von Müjdat Öztürk (2006). 209 Missionierung und Konversion stellen in der Türkei keine Straftaten dar. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 109 dem Jahrestreffen der IGD von 2003 hatte er es als wichtigste Aufgabe der Muslime in Deutschland bezeichnet, den Islam zu verbreiten und die Menschen zu bekehren. Schließlich gehöre die Zukunft der Religion Allahs. 210 In den 1990er Jahren war Abdel-Kafi durch christenfeindliche Äußerungen gegenüber der koptischen Minderheit in Ägypten aufgefallen. Darüber hinaus hatte er auch zu den Befürwortern jener Fatwa gehört, in der Ayatollah Khomeini 1989 zur Tötung des Schriftstellers Salman Rushdie aufrief. Mit ca. 600 Teilnehmern in Leverkusen und ca. 300 in Berlin blieb die Besucherzahl weit hinter den Erwartungen zurück. 210 Vgl. Fernsehsendung "tagesthemen", gesendet in der ARD am 22.9.2003; Uta Rasche: "Spinne im Netz der Muslime in Deutschland". In: "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 11.5.2007, S. 3. 110 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 3.6 Kurdische Extremisten von PKK / KONGRA GEL Ereignisse in Die Entwicklung im Bereich von PKK / KONGRA GEL war Türkei und Nordirak wie schon im Vorjahr durch die Ereignisse in der Türkei prägend bzw. im Nordirak sowie durch zahlreiche Exekutivmaßnahmen in Europa geprägt. Dabei fällt auf, dass sich die Aktionszeiträume im Jahresverlauf ähnlich verteilen wie im letzten Jahr. Dies lässt darauf schließen, dass politische Hintergründe und saisonale Vorgaben Einfluss auf Entscheidungen der Parteispitze haben und damit für Phasen mit erhöhten Aktivitäten verantwortlich sind. 3.6.1 Exekutivmaßnahmen Weitere In Europa erfolgte eine Reihe von Exekutivmaßnahmen. 211 Festnahmen Da bereits im letzten Jahr in Deutschland und den Niederin Europa landen Festnahmen durchgeführt wurden, muss sich bei Organisationsmitgliedern der Eindruck verfestigen, dass der Verfolgungsdruck im Rückzugsraum Europa zunimmt. Vor allem Festnahmen in Frankreich 212 trafen die Organisation unvorbereitet. PKK / KONGRA GEL reagierte entsprechend verärgert: Europa versuche, die Türkei bei Laune zu halten und entwickele zusammen mit den USA ein neues "Angriffskonzept". 213 Der Inhalt der Prozessakten sei zudem erfunden und "außerordentlich inhaltslos". 214 Boykottaufruf Die "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft gegen deutsche in Europa" (CDK) - der politische Arm von PKK / Waren KONGRA GEL - rief alle in Europa lebenden Kurden zu 211 So durchsuchte die Polizei in Süddeutschland am 10.1.2007 25 Wohnungen, zwei Geschäftsräume und fünf Vereine von mutmaßlichen PKK / KONGRA GEL-Anhängern. Gegen einen mutmaßlichen Gebietsverantwortlichen erging Haftbefehl. 212 Am 5.2.2007 wurden bei Razzien in Paris 13 Personen festgenommen, eine weitere Festnahme erfolgte auf europäischen Haftbefehl hin in Belgien. Die mutmaßlichen zum Teil hochrangigen Führungsmitglieder der PKK werden der Terror-Finanzierung und der Geldwäsche verdächtigt. 213 "Yeni Özgür Politika" vom 6.2.2007, S. 1 u. 5. 214 "Yeni Özgür Politika" vom 17.2.2007, S. 5. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 111 einem Boykott deutscher Waren und Produkte auf. Es sei offensichtlich, dass Deutschland diese "Angriffe" gegen die Kurden auf Grund seiner wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei durchführe. Der Boykottaufruf sei die Antwort auf diese "schmutzige Politik". 215 In Berlin wurde am 23. Januar 2008 ein Funktionär von Verurteilung eines PKK / KONGRA GEL unter anderem wegen Mitgliedschaft Funktionärs in Berlin in einer terroristischen Vereinigung und schwerer Brandstiftung zu zwei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Der Angeklagte hatte sich im März den Berliner Behörden gestellt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da Revision eingelegt wurde. 3.6.2 Aktionsphase im Frühjahr Das Frühjahr stellt für die Organisation traditionell eine Jahrestag der aktionsreiche Phase dar. Der Jahrestag der Festnahme Festnahme Öcalans und Newroz-Fest Abdullah Öcalans in Nairobi / Kenia am 15. Februar 1999 216 wird von PKK / KONGRA GEL jedes Jahr als Aktionstag begangen, bei dem durch verschiedene Aktivitäten auf die fortdauernde Haft Öcalans aufmerksam gemacht werden soll. Die Zeit zwischen diesem 15. Februar, dem NewrozFest am 21. März 217 und der darauf folgenden "Heldenwoche" (zum Gedenken an die "Märtyrer" der Partei) ist in Europa meist von Kampagnen und Demonstrationen sowie verstärkter Mobilisierung geprägt. In der Türkei finden jedes Jahr Aktionen vor allem der jugendlichen PKK / KONGRA GEL-Anhänger statt, bei denen es zu Brandstiftungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei kommt. PKK / KONGRA GEL-nahe Medien wie der Sender "Roj TV" oder die Zeitung Yeni Özgür Politika schürten die Stim215 "Yeni Özgür Politika" vom 27.1.2007, S. 1 u. 5. 216 Im Sprachgebrauch der Organisation wird vom "internationalen Komplott" gesprochen. 217 Das "Neujahrsfest" wird traditionell im Iran, Afghanistan, im Nahen Osten sowie in allen Ländern turkstämmiger Völker Asiens gefeiert und ist meist auch mit einem Mythos um Unterdrückung und Kampf um Freiheit verbunden. Von PKK / KONGRA GEL wird es immer wieder für Propagandazwecke genutzt. 112 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 mung. Es wurden zahlreiche Aufrufe der Parteispitze veröffentlicht, die weitere Aktionen einforderten. Die quasi als "ideologische Stimme" der Organisation fungierende "Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans" (KKK) rief sowohl gegen die "Angriffe" als auch gegen das "internationale Komplott" zu Aktionen auf und erklärte, sie sei Warnung an nicht verantwortlich für die Folgen der Empörung. 218 Murat europäische Staaten Karaylan, der Vorsitzende des Exekutivausschusses der KKK warnte die europäischen Staaten und erklärte: "Unsere Geduld hat eine Grenze." 219 Die Auswirkungen der Emotionalisierung und der Aufrufe waren in Europa zu spüren: Zwischen dem 7. und dem 17. Februar kam es in Dortmund, Freiburg, Hamburg und Hagen zu Sachbeschädigungen und Brandanschlägen. Auch aus Frankreich wurden ähnliche Vorkommnisse berichtet. Brandstiftungen Am 18. und 19. Februar 2007 kam es zu Brandstiftungen in in Berlin Kreuzberg und Wedding. Dabei wurde jeweils aus einer Gruppe von sechs bis sieben Personen heraus agiert. Es entstand an zwei Fahrzeugen Totalschaden, drei weitere wurden beschädigt. Während der Taten waren lautstark Öcalanund PKK-Parolen skandiert worden. 3.6.3 Vergiftungsbehauptungen In der beschriebenen, bereits angespannten Situation führte am 1. März die Pressemeldung der Anwälte Öcalans, er werde im Gefängnis langsam vergiftet, zu einem weiteren Aufheizen der Situation. 220 Die Veröffentlichung gerade in dieser Zeit macht deutlich, dass man entgegen aller Beteuerungen nicht an einer Lageberuhigung interessiert war. In der Türkei kam es zu Zusammenstößen aufgebrachter kurdischer Jugendlicher mit der Polizei, der Exekutivrat der PKK rief 218 Vgl. "Yeni Özgür Politika" vom 7.2.2007, S. 1. 219 Internetauftritt der "Yeni Özgür Politika" vom 8.2.2007, Aufruf am 20.12.2007. 220 ÖCALAN wurde inzwischen sowohl von türkischen Ärzten als auch von einer unabhängigen internationalen Ärztegruppe untersucht. Es gibt keine Hinweise auf eine Vergiftung. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 113 zum "ununterbrochenen Aufstand" 221 auf und Öcalan selbst prophezeite, es werde ein "totaler Krieg" 222 beginnen. Jeden Tag berichteten PKK / KONGRA GEL-nahe ZeitunAuseinandergen von Molotowanschlägen kurdischer Jugendlicher in der setzungen in der Türkei Türkei. Die Guerillaeinheiten meldeten sich mit so plastischen Parolen wie: "Die HPG sind das Gegengift!" 223 zu der angeblichen Vergiftung zu Wort und riefen alle Jugendlichen auf, sich den Guerillakräften anzuschließen und die Aktionen in den Städten zu verstärken. 224 Gleichzeitig drohten sie, man könne die Freiwilligen, die zur Verfügung stünden, um jeden Tag Hunderte von Selbstmordattentaten auszuführen, kaum noch kontrollieren. 225 Auch die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK), die mit der Warnung an Ausrufung des "Waffenstillstands" von PKK / KONGRA Türkei-Touristen GEL im Oktober 2006 ihre Aktivitäten eingestellt hatten, veröffentlichten eine Erklärung und warnten europäische Touristen vor neuen Anschlägen: "Wenn wir den Tourismus in der Türkei zum Ziel nehmen, dann werden wir vor allem die europäischen Touristen, die in die Türkei kommen, ins Ziel fassen. Deshalb warnen wir schon jetzt, kein Tourist soll in die Türkei kommen [ ]" 226 Am 29. März wurde bei einer Explosion in einem UrlauberTodesopfer in hotel in Antalya ein Mensch getötet und elf weitere verletzt. Antalya Die TAK gaben nur Stunden später eine Selbstbezichtigung 221 "Yeni Özgür Politika" vom 3.3.2007, S. 1 u. 3. 222 "Yeni Özgür Politika" vom 3.3.2007, S. 2. 223 "Yeni Özgür Politika" vom 6.3.2007, S. 1 u. 3. HPG sind die Guerillaeinheiten von PKK / KONGRA GEL. 224 Vgl. "Roj TV" vom 6.3.2007 / "Yeni Özgür Politika" vom 8.3.2007, S. 1 u. 3. 225 Vgl. "Yeni Özgür Politika" vom 8.3.2007, S. 1 u. 3. 226 Am 3.3.2007 bei der PKK / KONGRA GEL-nahen kurdischen Nachrichtenagentur "Firat News Agency" (ANF) - Kurdisch: Ajansa Nuceyan a Firate - veröffentlicht (Internetauftritt der "Komalen Ciwan", Aufruf am 25.5.2007), mittlerweile auf dem Internetauftritt der TAK, datiert vom 15.2.2007, Aufruf am 19.12.2007. 114 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 gegenüber der Nachrichtenagentur ANF ab. 227 Knapp eine Woche später folgte eine erneute Warnung: "Kein Tourist soll die Touristengebiete zu keinem Zweck aufsuchen, in diese Gebiete nicht gehen, wenn er nicht von der Racheflut ergriffen und ertränkt werden will. Wir erklären diese Gebiete zu primären Kriegsgebieten und warnen, dass diejenigen, die dort hingehen, sterben werden." 228 Am 1. März riefen die "Komalen Ciwan" 229 zum "Widerstand in allen Gebieten auf hohem Niveau" auf. Als Aktionsformen schlugen sie neben Sitzstreiks, Schulboykotten und Massenprotesten auch Besetzungsaktionen sowie von kleinen Einheiten durchgeführte gewalttätige Aktionen vor. 230 In Deutschland gab es daraufhin zwischen dem 2. und Brandanschläge dem 15. März Brandanschläge und versuchte Brandanschläin Deutschland ge in Esslingen, Dortmund, Freiburg, Köln und Hamburg. In Berlin blieb es zunächst ruhig, wohl auch, weil man die bevorstehende Newroz-Veranstaltung nicht gefährden wollte. 3.6.4 Zentrale Newroz-Feier in Berlin Die "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland" (YEKKOM) 231 meldete in Berlin für den 17. März eine Demonstration und Kundgebung unter dem Motto: "Newroz - Fest des Friedens - der Freiheit und der Völkerverständigung" an. Die Veranstaltung stellte die zentrale Newroz-Veranstaltung der YEK-KOM für das Bundesgebiet dar. Die ca. 16 000 Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet zogen auf zwei 227 Internetauftritt der TAK, datiert vom 30.3.2007. 228 Internetauftritt der TAK, datiert vom 8.4.2007. 229 Die Jugendorganisation von PKK / KONGRA GEL. 230 Internetauftritt der "Komalen Ciwan", Erklärung vom 1.3.2007, Aufruf am 20.12.2007. 231 Kurdisch: "Yekitiya Komelen Kurd li Elmanya". Bei der YEK-KOM handelt es sich um eine Dachorganisation, in der viele der örtlichen Vereine, die Anhängern von PKK / KONGRA GEL als Treffort dienen, zusammengefasst sind. Vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2005. Berlin 2006, S. 249. Berliner Mitgliedsverein der YEK-KOM ist der "Kurdische Verein für eine Demokratische Gesellschaft e. V." (Navenda Kurd). Kurdisch: Navenda Civaka Demokratika Kurd. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 115 getrennten Routen zum Brandenburger Tor, wo die Abschlusskundgebung stattfand. 18 Personen wurden wegen Verstößen gegen das Vermummungsverbot sowie wegen Mitführens von Waffen oder PKK / KONGRA GELbezogener Fahnen festgenommen. 232 Nach der Newroz-Feier kam es auch in Berlin zu militanten Molotowcocktails Aktionen: In der Nacht zum 21. März wurden gegen die Einin Neukölln gangstür eines türkischen Kulturvereins in Neukölln mehrere Molotowcocktails geworfen. Das Feuer konnte durch Lokalgäste gelöscht werden. Eine Person wurde leicht verletzt. Fünf mutmaßliche Täter wurden festgenommen. Am 16. Oktober erging ein Urteil wegen versuchter schwerer Verurteilungen Brandstiftung, gefährlicher Körperverletzung sowie Verstößen gegen das Waffenund Vereinsgesetz. Die höchste dabei verhängte Strafe betrug zwei Jahre und neun Monate. 233 Die Tat wird ausdrücklich als Unterstützungshandlung für die Ziele der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen bezeichnet. 3.6.5 Fortführung der Aktionsphase Öcalan selbst hatte bereits bei Ausrufung des "WaffenAufgeheizte stillstands" ein mögliches Ende im Mai angekündigt und in Stimmung der Zwischenzeit immer drohendere Töne gegenüber der 232 Für die Veranstaltung war mit einem Plakat geworben worden, auf dem der PKK / KONGRA GEL-Führer Öcalan sowie mehrere Reihen Guerillakrieger abgebildet waren. 233 Die beiden mutmaßlichen Täter mit den höchsten Strafen haben Revision eingelegt. 116 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Türkei angeschlagen. So hatte er in seinen Stellungnahmen mehrmals darauf hingewiesen, dass er nach Beendigung des "Waffenstillstands" keinerlei Möglichkeiten mehr habe, irgendwelche Aktivitäten zu beeinflussen, und es zu einem Krieg kommen werde, der alle Gesellschaftsschichten betreffen werde. 234 Die aufgeheizte Stimmung wurde damit über Newroz hinausgetragen. So schrieb die HPG: "Der Frühling ist da! [ ] Nicht nur jeder Guerillakämpfer, jeder Jugendliche aus Kurdistan wird zu einer Bombe werden und in eurem Gehirn explodieren. [ ] Jeder kurdische Jugendliche ist bereit, als opferbereiter Kämpfer Apos seinen Beitrag zu leisten ". 235 Ein Vorsitzender des Verteidigungskomitees der KKK schlug sogar eine "Gemeinsame Opferkampagne zur Verteidigung des Führers Apo" 236 vor. Europaweit erfolgten Aktionen, damit internationale Organisationen wegen der angeblichen Vergiftung Öcalans tätig werden. In Berlin war am 11. Mai das "Haus der Demokratie" von einem als "Besetzung" deklarierten Besuch betroffen. 237 3.6.6 Neue Strategiephase: Öcalan als Ansprechpartner Am 11. April kündigten der Exekutivrat der KKK und das Präsidium des KONGRA GEL den Beginn einer neuen Strategiephase an. Man ziehe sich als Verhandlungspartner zurück, einziger Ansprechpartner sei von nun an Öcalan. 238 234 Vgl. "Yeni Özgür Politika" vom 5.5.2007, S. 1 u. 3. 235 Internetauftritt der Komalen Ciwan vom 7.5.2007, Aufruf am 7.5.2007. Apo ist der gebräuchliche Kurzname für Abdullah Öcalan. 236 Internetauftritt der "Komalen Ciwan" vom 10.4.2007, Aufruf am 7.5.2007. 237 Internetauftritt der "Komalen Ciwan" vom 11.5.2007, Aufruf am 14.5.2007. Nach Medienberichten fanden weitere Aktionen gegen Büros von Amnesty International und Fernsehsender in Dänemark, Großbritannien, Frankreich und der Schweiz statt. Bereits am 9.5.2007 wurden 13 Personen, die im Landtag in Düsseldorf pro-Öcalan-Parolen skandiert hatten, vorläufig festgenommen. 238 "Firat News Agency" - Kurdisch: Ajansa Nuceyan a Firate (ANF), vom 11.4.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 117 Somit auf den "Führer Apo" eingeschworen, begann an Hungerstreik zur diesem Tag in Straßburg ein Hungerstreik, an dem sich Unterstützung Öcalans Organisationsanhänger aus ganz Europa beteiligten. Man forderte eine medizinische Untersuchung Öcalans durch eine unabhängige internationale Ärztegruppe. 17 der Teilnehmer am Hungerstreik kündigten in einer großangelegten Pressekampagne an, den Hungerstreik bis zur Erfüllung ihrer Forderung, notfalls bis zum Tod, fortsetzen zu wollen. Weil mehrere Teilnehmer des Hungerstreiks gesundheitlich bereits sehr angeschlagen waren, schien ein Todesfall tatsächlich möglich. Als Datum, auf das sich der Hungerstreik zuspitzte und zu dem auch das mögliche Ende des "Waffenstillstands" angekündigt wurde, stand der 18. Mai - der Termin für die Wahl des Staatspräsidenten in der Türkei - im Raum. 239 Durch die Konkretisierung der Drohung auf dieses Datum wurde einerseits zusätzlicher Druck auf die Regierung ausgeübt und andererseits eine Option zum sofortigen Reagieren offen gehalten, falls der Ausgang der Wahl für die Organisation ungünstig sein sollte. Die innenpolitischen Probleme bei der Besetzung des Präsidentenamtes, die zu einem zweimaligen Scheitern des Kandidaten der regierenden AKP, des damaligen Außenministers Abdullah Gül, führten, ließen dieses Ultimatum nun ins Leere laufen. Die Politik in der Türkei war mit der Wahl beschäftigt, der "Waffenstillstand" und PKK / KONGRA GEL in der Presse kein Thema. Die hoch emotionalisierten Anhänger mussten daher wieder Öcalan bremst gebremst werden - und dies tat Öcalan selbst: Am 17. Mai Hungerstreik zitierte der Sender "Roj TV" Öcalan mit der Aussage, er missbillige lebensgefährdende Aktionen wie den Hungerstreik in Straßburg. Daraufhin beendeten die Hungerstreikenden am 19. Mai ihre Aktion. 239 Zudem hat der Tag für PKK / KONGRA GEL eine Bedeutung als "Tag der Märtyrer". 118 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Dennoch entspannte sich die Situation nur in Europa. In der Türkei wurde der "Waffenstillstand" nie offiziell beendet, dennoch berichteten die HPG nahezu täglich auf ihrer Internetseite von gelungenen Anschlägen und siegreichen Gefechten, bei denen türkische Soldaten verletzt oder getötet worden seien. 240 Weitere Anschläge Bei einem Selbstmordanin der Türkei schlag am 22. Mai in Ankara wurden sieben Menschen getötet und mehr als 100 verletzt. 241 Die Behörden vermuteten einen PKK / KONGRA GEL-Hintergrund. Später wurde eine Selbstbezichtigung der bislang unbekannten "Racheteams Kurdistan" (TTK) 242 veröffentlicht, die Ähnlichkeit mit entsprechenden Erklärungen der TAK aufweist und den Gesundheitszustand Öcalans als Grund für den Anschlag angibt. 243 Die KKK distanzierten sich umgehend von dem Anschlag, denn gerade im Vorfeld der türkischen Parlamentswahlen vom 22. Juli konnte ein solches Attentat negative Auswirkungen haben. 240 Eine Statistik der HPG vom 11.7.2007 zeigt, dass die Anzahl der Gefechte ab April überproportional angestiegen ist. Internetauftritt der HPG, Aufruf am 12.11.2007. 241 Die Behörden vermuten, dass ursprünglich der dort erwartete türkische Generalstabschef Yasar Büyükant Ziel des Anschlags sein sollte und die Bombe zu früh gezündet wurde. 242 Kurdisch: Timen Tolhildana Kurdistan. 243 Internetauftritt des türkischen Senders "tv8", datiert vom 1.6.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 119 3.6.7 Exkurs: Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen emotionalisierten türkischen Volkszugehörigen und Anhängern von PKK / KONGRA GEL in Deutschland Im Herbst verschärfte sich im Nordirak der Konflikt zwiKonflikt im schen den HPG und der türkischen Regierung. Nachdem es Nordirak im Grenzgebiet zum Irak verstärkt zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen war, erteilte das türkische Parlament der Regierung in Ankara am 17. Oktober die Erlaubnis für grenzüberschreitende Militäreinsätze gegen die Guerillaeinheiten im Nordirak. Daraufhin töteten am 21. Oktober Guerillakämpfer von PKK / KONGRA GEL bei Hakkari im türkischen Grenzgebiet zum Nordirak 35 türkische Soldaten und nahmen acht weitere gefangen. 244 Diese Entwicklungen waren Auslöser europaweiter Demonstrationen "prokurdischen" und "protürkischen" Charakters, bei denen teilweise Ausschreitungen zu verzeichnen waren. Zu der Kundgebung am 28. Oktober am Hermannplatz in Veranstaltung Berlin zum Thema "Aufruf zur Einheit, Brüderlichkeit und in Berlin zum Frieden zwischen Türken und Kurden" erschienen etwa 1 500 Teilnehmer. Die Erwartungen des Veranstalters Berlin Mehter Takm e. V. 245 wurden damit um ein Mehrfaches übertroffen. Durch den Zustrom vor allem junger, teilweise vermummter Türken heizte sich die Stimmung merklich auf. Nachdem ein Einwirken des Versammlungsleiters auf die aggressiv auftretenden Jugendlichen wirkungslos blieb und der Veranstalter die Versammlung für beendet erklärt hatte, bildete 244 Die Soldaten kamen nach Verhandlungen erst am 4.11.2007 wieder frei. 245 Der Verein Berlin Mehter Takm e. V. steht im Verdacht, dem türkischen nationalistischen Spektrum anzugehören. Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Aktivitäten nationalistischer türkischer Organisationen. Berlin 2007. 120 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 sich ein Spontanaufzug, bei dem es zu Steinwürfen gegen Polizeifahrzeuge kam. Von der Polizei eingerichtete Sperrriegel wurden umlaufen. Vor der "Selahaddin Eyyubi Moschee" in der Kottbusser Straße wurden sich anbahnende belagerungsähnliche gewalttätige Aktionen durch massiven Polizeieinsatz und Schließung der Einrichtung verhindert. Am Kottbusser Tor in Kreuzberg kam es letztlich zu einer Konfrontation offenen Konfrontation zwischen etwa 60 Kurden und 100 bis zwischen Kurden 150 Türken, bei der Eisenstangen und Steine eingesetzt und Türken wurden. Es ist davon auszugehen, dass die tägliche Berichterstattung türkischer Medien über die Beerdigungsfeiern für die gefallenen Soldaten der türkischen Armee auf der einen Seite und die Berichterstattung einschlägiger kurdischer Medien über die gefallenen Kämpfer der Guerillaeinheiten von PKK / KONGRA GEL auf der anderen Seite zu der hohen Emotionalisierung beider Seiten führten. Bei den "protürkischen" Veranstaltungen fielen, auch in Berlin, zahlreiche Teilnehmer wiederholt durch das Zeigen der Embleme bzw. Zeichen (u. a. Abbildung des Wolfskopfes als spezifisches Handzeichen) der als nationalistisch einzuschätzenden "Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa e. V." (ADÜTDF) auf. Aufrufe zur Die ADÜTDF rief am 6. November auf ihrer Homepage Besonnenheit Landsleute und Angehörige der Föderation auf, Besonnenheit zu wahren und sich von Provokationen fernzuhalten. Alle Mitgliedsvereine seien aufgerufen, ihre Mitglieder davor zu warnen, an provokationsträchtigen Veranstaltungen teilzunehmen. 246 In einer Erklärung vom 3. November gegenüber der Zeitschrift "Aktüel Dergi" distanzierte sich der Vorsitzende der ADÜTDF, von den jugendlichen Verursachern der Ausschreitungen am 28. Oktober in Berlin: "Einige Leute verwenden, ohne uns zu fragen und ohne unser Wissen, unsere Symbole". An die Organisatoren der Demonstrationen richtete er die Forderung, die Verantwortung für ihre Veranstal246 Internetauftritt der ADÜTDF, Aufruf am 23.11.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 121 tungen zu tragen und die Verwendung dieser Symbole nicht zuzulassen. Angesichts der jüngsten Ereignisse rief am 31. Oktober auch die "Europäische Türkische Union" (ATB) 247 , die Türken in Westeuropa auf, Ruhe und Besonnenheit zu wahren. Die gegenwärtige Lage sei kein Grund zur Sorge; das türkische Volk sei stark genug, um mit dieser Situation fertig zu werden. Insbesondere solle man in den Ländern, in denen man lebt, keinerlei gesetzeswidrige Bestrebungen oder Demonstrationen an den Tag legen 248 . 3.6.8 Kämpfe im Nordirak Auf Seiten von PKK / KONGRA GEL wurde die Erlaubnis Vermehrte für grenzüberschreitende Militäreinsätze im Nordirak durch Aggression im Vorfeld vermehrte Aggression beantwortet. Die TAK bezichtigten sich am 19. November erneut eines Bombenanschlags in Istanbul. 249 Die HPG veröffentlichten nahezu täglich Meldungen über getötete türkische Soldaten, als wolle man einen türkischen Militäreinsatz provozieren. Die Rufe in der Türkei nach einem Eingreifen im Nordirak wurden immer lauter. Am 16. Dezember, vier Tage vor dem islamischen Opferfest, Türkische Operation begann die türkische Armee mit einer grenzüberschreitenden im Nordirak Operation. Bereits zwei Tage später veröffentlichte der Generalstab eine Erklärung, dass die Operation gegen Ziele der Terrororganisation PKK / KONGRA GEL mit Erfolg beendet worden sei. Noch während in ganz Deutschland 247 Türkisch: Avrupa Türk Birligi. Aufgrund ideologischer Differenzen 1993 von der ADÜTDF abgespalten. Ebenfalls als nationalistisch einzuschätzen. Vgl. Fußnote 245. 248 Internetauftritt der ATB, Aufruf am 19.11.2007. 249 Internetauftritt der Zeitung Atlm, datiert vom 19.11.2007. 122 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Protestaktionen vor den Vertretungen der Türkei und der USA stattfanden, war zu erkennen, dass die Kämpfe keinen Großangriff darstellten. Dennoch bleibt die Situation in der Türkei angespannt. Da Auswirkungen in die Konfliktlage in Deutschland von den Ereignissen und der Deutschland politischen Lage in der Türkei abhängig ist, ist damit zu rechnen, dass Kampfphasen in der Türkei sich auch auf Berlin auswirken. 3.7 Extremisten aus der Türkei Anschläge Die Aktivitäten der linksextremistischen Organisationen aus in der Türkei, der Türkei haben sich auch 2007 nicht verändert. Zahlgewaltfreie Aktivitäten reichen terroristischen Aktionen in der Türkei standen wie in in Deutschland den vergangenen Jahren überwiegend friedliche Aktivitäten in Deutschland gegenüber. Aufgegriffen wurden tagespolitische Themen wie das Zuwanderungsgesetz, Hartz IV und der G 8-Gipfel. Durch innenpolitische Themen soll dem Mitgliederschwund und Nachwuchsproblem begegnet werden, da den hier aufwachsenden Jugendlichen oft der Bezug zu innertürkischen Problemen fehlt und offenbar angenommen wird, dass sie sich eher für politische Fragen in Deutschland engagieren. Nach der Zustimmung des türkischen Parlaments zu grenzüberschreitenden Operationen der türkischen Armee gegen die Guerillaeinheiten von PKK / KONGRA GEL solidarisierten sich die linksextremistischen Organisationen aus der Türkei mit PKK / KONGRA GEL und führten auch selbst Aktionen zu diesem Thema durch. 3.7.1 Ereignisse in der Türkei MLKP verübt Die "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" Anschläge (MLKP) bezichtigte sich wie im Vorjahr zahlreicher Anschläge in der Türkei. Zu den Anschlagszielen zählten als "faschistische Zentren" bezeichnete Ziele, wie das Arbeitercafe eines der MHP 250 zuzuordnenden "Idealistenvereins" 250 "Partei der Nationalistischen Bewegung" ("Milliyetci Hareket Partisi") AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 123 (Ülkü Ocag) in Izmir. Nach Darstellung der MLKP seien diese Vereine für die Tötung von Beschäftigten eines christlichen Verlages in Malatya verantwortlich und trügen auch die moralische Verantwortung an der Tötung des armenischen Journalisten Hrant Dink 251 . Ein Bombenanschlag auf eine Filiale der Oyakbank 252 in Izmir wurde als Vergeltungsschlag für "gegen Kurden gerichtete" Angriffe und für die Operationen der türkischen Armee gegen die Guerillaeinheiten in "kurdischen Städten" dargestellt. 253 Anlässlich der Parlamentswahlen am 22. Juli in der Türkei verübte die MLKP mehrere Bombenanschläge in verschiedenen türkischen Städten auf Wahlbüros der MHP, der AKP 254 und der ÄdegP 255 . In einer Nachbetrachtung dieser Bombenanschläge stellte die MLKP mit Genugtuung fest: "Die bürgerlichen faschistischen Systemparteien, die sich kurz "Revolutionäre vor den Wahlen auf Stimmenjagd begaben, konnten sich vor Gewalt" der revolutionären Gewalt nicht retten und werden dies auch nicht schaffen". Die Anschläge wurden ferner mit "Angriffen des Staatsapparates" gerechtfertigt: Die MLKP fasse nach wie vor jeden Angriff auf "Revolutionäre und Unterdrückte" als einen Angriff auf sich selbst auf und habe diesen Angriffen daher eine Antwort in Form von revolutionärer Gewalt gegeben. Eine Erklärung aus diesem Anlass endet mit der Aussage: 251 Internetauftritt der MLKP, Erklärung vom 26.4.2007. 252 Ein Finanzinstitut des Solidaritätsund Rentenfonds von Angehörigen der türkischen Armee (Ordu Yardmlasma Kurumu). 253 Erklärung vom 22.5.2007 in der Online-Ausgabe vom "ATILIM" (Zeitschrift der MLKP). 254 Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (Adalet ve Kalknma Partisi"). 255 Arbeiterpartei (Isci Partisi). 124 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 "Unsere Partei wird die verschiedenen Kampfmittel, darunter legale und illegale, friedliche und auf Gewalt beruhende, in ihrem Kampf um die Revolution koordiniert anwenden und diesen Kampf weiterhin verstärken." 256 "Todesfasten" in Die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) türkischen hat am 22. Januar das im Jahr 2000 begonnene so genannte Gefängnissen beendet Todesfasten in türkischen Gefängnissen 257 beendet. Nach einer Erklärung des Vorsitzenden der DHKP-C-nahen Organisation TAYAD 258 habe man das Todesfasten "unterbrochen", nachdem es seinen Zweck erfüllt habe. Weiter heißt es in der Erklärung: "Für unser Volk haben wir einen politischen Sieg errungen gegen die Angriffe von Imperialismus und Oligarchie, die in der Isolationshaft ihren Ausdruck fanden". [...] Wir haben zwar 122 Kinder verloren, jedoch haben sie dazu verholfen, dass der seit sieben Jahren geführte Kampf letztendlich mit einem Sieg gekrönt werden konnte. [...] Keiner soll daran zweifeln, dass das Todesfasten erneut auf die Tagesordnung kommt, wenn die Versprechungen [der Behörden] nicht eingehalten werden. 259 Bekenntnis zum Auch die DHKP-C bekennt sich weiterhin zum bewaffneten bewaffneten Kampf Kampf in der Türkei. In einer Internet-Erklärung aus Anlass des Jahrestages ihrer Gründung am 30. März 1994 führte die Organisation aus: "Die Schaffung von Unabhängigkeit, Demokratie und Sozialismus ist ohne eine Revolution nicht realistisch. Die wirtschaftlichen Probleme der Türkei können nur gelöst werden, wenn die Imperialisten aus dem Land verjagt werden und die kapitalistische Ausbeutung beendet wird. Ziel ist die Gründung einer unabhängigen, demokratischen und sozialistischen Türkei. 256 Internationales Bulletin Nr. 60 / Juli 2007, Internetauftritt der MLKP, Aufruf am 8.10.2007. 257 Als Reaktion auf die Einführung der Gefängnisse des "Typs F" in der Türkei im Zuge der Anpassung an europäische Standards begann im Oktober 2000 auf Initiative der DHKP-C (anfangs unter Beteiligung von TKP / ML und MLKP) das so genannte Todesfasten. Die Umstellung auf Zellen mit höchstens drei bis vier Personen wurde in der Agitation als "Isolationshaft für politische Häftlinge" dargestellt. 258 "Solidaritätsverein der Familien von Inhaftierten und Verurteilten" (Tutuklu Hükümlü Aileleri Yardmlasma Dernegi). 259 Interneterklärung des TAYAD, datiert vom 15.2.2007. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 125 Hierfür haben wir die Partei und die Front gegründet und hierfür haben wir den bewaffneten Kampf aufgenommen." 260 In einer Stellungnahme zu den Parlamentswahlen in der Türkei am 22. Juli erklärt die DHKC 261 : "Wir haben uns nicht am Wahlbetrug der Oligarchie beteiligt. Wir haben von den etablierten Parteien Rechenschaft verlangt. Wahlen sind keine Lösung." 262 In dieser Erklärung bezichtigte sich die DHKC diverser miliMilitante Aktionen tanter Aktionen auf Wahlbüros der Parteien AKP, CHP 263 , SP 264 und der MHP sowie auf Dienstgebäude von zwei Landratsämtern. Hierzu zählt die Organisation Bombenanschläge, Anschläge mit Molotowcocktails, aber auch Steinwürfe. Die Aktionen würden fortgesetzt, "um die Ausbeuter, Unterdrücker und Betrüger zur Rechenschaft zu ziehen". 265 Die "Kommunistische Partei der Türkei / Marxisten-LeninisBefürwortung von ten" (TKP / ML) veröffentlichte aus Anlass der 8. ParteiGewalt konferenz im 35. Jahr ihres Bestehens eine Erklärung 266 , in der die Befürwortung der Gewalt und des bewaffneten Kampfes unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird: "Alle, die mit dem System [in der Türkei] nicht zufrieden sind, [...] sind aufgerufen, für ihre Rechte und Freiheiten in allen Bereichen zu kämpfen. Die einzige bestimmende Art des Kampfes um eine Hand voll Herrschenden zu entmachten, ist der Volkskrieg. Wir müssen das Feuer des Volkskrieges in unserer Heimat entzünden. In einem Land, in dem Rassismus und Chauvinismus über das kurdische Volk an erster Stelle und über alle revolutionären und demokratischen Kreise zügellos 260 Internetauftritt der DHKP-C, Erklärung vom 27.3.2007. 261 Bewaffneter Arm der DHKP-C; "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" (Devrimci Halk Kurtulus Cephesi). 262 Erklärung Nr. 369 der DHKC, Internetauftritt der DHKC, Aufruf am 30.11.2007. 263 "Republikanische Volkspartei" ("Cumhuriyet Halk Partisi"). 264 "Glückseligkeitspartei" ("Saadet Partisi"). 265 Erklärung Nr. 369 der DHKC, Internetauftritt der DHKC, Aufruf am 30.11.2007. 266 Erklärung des Politbüros im Zentralkomitee der TKP / ML von April 2007. 126 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 uneingeschränkten Terror praktiziert, sind die Voraussetzungen für einen lang andauernden Volkskrieg auf der Grundlage des bewaffneten Kampfes immer gegeben und es wird sie immer geben. [...] Die Partei hat beschlossen, alle Kräfte zu mobilisieren, um fest verknüpft mit dem Ziel der demokratischen Revolution den Krieg zu fördern und zu verstärken." 3.7.2 Ereignisse in Deutschland Türkische Gemeinsames Agitationsfeld linksLinksextremisten gegen G 8-Gipfel extremistischer Organisationen aus aktiv der Türkei war der G 8-Gipfel in Rostock. So beteiligten sie sich in unterschiedlichem Maß an den Protestaktionen. In einer Nachbereitung rühmte sich die TKP / ML damit, dass die Kräfte der ATIK 267 sowie ihrer Jugendorganisation YDG 268 und der verbündeten Organisation ILPS 269 "sowohl politisch als auch mit ihrer tapferen und militanten Haltung lobenswert in Erscheinung getreten" seien. Agitation gegen Auch das Zuwanderungsgesetz war weiterhin ein SchwerZuwanderungsgesetz punktthema. Die MLKP bezeichnete das Gesetz als rassistisch, diskriminierend und ausgrenzend. Insbesondere die DHKP-C protestierte in Berlin öffentlich gegen das Zuwanderungsgesetz. Die Veranstaltungen verliefen friedlich und blieben mit jeweils etwa 30 Personen weit unter den Erwartungen des Veranstalters. Zu den zahlreichen Aktionen zählten eine Protestkundgebung am 17. September vor der CDU-Zentrale in Mitte sowie eine Protestkundgebung am 5. Oktober vor der SPD-Zentrale in Kreuzberg. 267 "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" ("Avrupa Türkiyeli Isciler Konfederasyonu); Dachverband der an der TKP / ML orientierten Vereine in Europa. 268 "Neue Demokratische Jugend" ("Yeni Demokratik Genclik"). 269 "International League of Peoples' Struggle"; Internationaler Zusammenschluss marxistisch-leninistischer Organisationen. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 127 In einer Erklärung des IKAD e. V. 270 werden Vergleiche mit dem Nationalsozialismus gezogen: "Insbesondere in Deutschland nehmen die gegen die Emigranten gerichteten Sanktionen bedenkliche und gefährliche Ausmaße an. Dass Deutschland mit seiner belasteten Vergangenheit sich so verhält, als ob man sich nach der Vergangenheit sehnt, fällt nicht nur Ausländern, sondern auch allen besonnenen Deutschen auf, die den Schaden an Deutschland durch diese Vergangenheit gut erkannt haben." 271 Die MLKP veröffentlichte am 19. März einen Aufruf zur Solidarität mit "politischen Gefangenen" weltweit. Der Aufruf betrifft u. a. Angehörige der RAF und der DHKP-C in Deutschland. Die AGIF 272 , bei der eine thematische Nähe zur MLKP sichtbar wird, führte in Zusammenarbeit mit ICAD 273 in mehreren deutschen Städten, auch in Berlin, Kundgebungen gegen das "Verschwindenlassen" 274 und wegen Verhaftungen von Organisationsangehörigen in der Türkei durch. Die Veranstaltungen hatten einen friedlichen Verlauf. 270 "Verein gegen Rassismus und für Völkerverständigung - IKAD e. V." (Irkclga Kars Mücadele Dernegi); Berliner Mitgliedsverein der der DHKP-C nahe stehenden Organisation "Anatolische Föderation e. V." ("Anadolu Federasyonu"). 271 Erklärung vom 7.2.2007, Internetauftritt der "Anatolischen Föderation e. V.", Aufruf am 30.11.2007. 272 "Föderation der ArbeitsimmigrantInnen aus der Türkei in Deutschland e. V., (Almanya Göcmen Isciler Federasyonu). 273 "International Committee Against Disappearances". 274 Nach Darstellung des ICAD liege ein "Verschwindenlassen" vor, wenn eine [politisch missliebige] Person festgenommen und eingesperrt sei, ohne dass dies von staatlichen Stellen zugegeben werde. 128 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Gegen deutschen In einer Erklärung zum Konfliktgebiet Afghanistan führt die Einsatz in AGIF aus, der US-Imperialismus sei Hauptkriegstreiber Afghanistan und versuche, seine "neue Weltordnung" durchzusetzen; Deutschland sei Teil dieser Politik. Gegen den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan erfolgte eine punktuelle Zusammenarbeit der AGÄdegF und ATÄdegK mit weiteren internationalen Zusammenschlüssen und deutschen Organisationen des linken Spektrums. Die grenzüberschreitenden Operationen der türkischen Armee im Nordirak gegen die Guerillaeinheiten von PKK / KONGRA GEL führten bei allen linksextremistischen Solidarität mit Organisationen aus der Türkei zu Solidaritätsbekundungen. kurdischer PKK / In einer Erklärung der MLKP unter der Überschrift "Wir KONGRA GEL sind alle Kurden" rief die Organisation zu Solidarität und Aktionen auf. Alle organisierten Kräfte seien gezwungen, den Widerstand [auch] gegen die "in Europa vermehrt zu beobachtenden rassistischen und faschistischen Angriffe" zu erhöhen. Es sei erforderlich, Praktiken zu entwickeln, um dem Gegner die Straßen "enger werden zu lassen" 275 . 3.7.3 Exekutivmaßnahmen in Deutschland Anklage in Stuttgart Am 5. November hat die Bundesanwaltschaft vor dem Oberlandesgericht Stuttgart Anklage gegen fünf Mitglieder der innerhalb der DHKP-C bestehenden terroristischen Vereinigung in der Türkei erhoben. 276 Einem der Angeklagten wird vorgeworfen, mindestens seit 1998 im Auftrag der Organisation Kommunikationsmittel, militärische Ausrüstung, Waffen, Waffenteile und Munition besorgt zu haben. Gemeinsam mit anderen Funktionären habe er den Schmuggel dieser Gegenstände in die Türkei, wo sie im bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat eingesetzt werden sollten, organisiert. So habe er mit dem 2006 in Berlin festgenommenen türkischen Staatsangehörigen Hasan S. einen illega275 Veröffentlicht auf der Internetseite der "Komalen Ciwan", der Jugendorganisation der PKK bzw. des "KONGRA GEL", Aufruf am 2.11.2007. 276 Die Anklage wird gestützt auf SSSS 129 b Abs. 1, 129 a Abs. 1 Nr. 1, 52 Abs. 1 StGB, SS 34 Abs. 4 AWG. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 129 len Waffentransport in die Türkei organisiert, der verhindert werden konnte. 277 Hinter der bulgarisch-türkischen Grenze stellten türkische Sicherheitskräfte am 23. September 2002 in dem Fahrzeug fünf Maschinenpistolen, vier automatische Gewehre und ein Gewehr nebst Munition sicher. Gegen eine der obersten Führungsebene der DHKP-C angehörende Person, die am 8. April festgenommen worden war, werde zu einem späteren Zeitpunkt Anklage erhoben. Am 5. Dezember ließ die Bundesanwaltschaft in einem Hausdurchsuchungen Ermittlungsverfahren gegen zehn mutmaßliche Mitglieder im Bundesgebiet der innerhalb der TKP / ML bestehenden ausländischen terroristischen Vereinigung 13 Objekte im Bundesgebiet durchsuchen. Die Maßnahmen dienten dem Ziel, Beweismaterial über die personelle und organisatorische Struktur der terroristischen Vereinigung und deren Aktivitäten zu gewinnen. Diese Exekutivmaßnahmen gegen Strukturen der TKP / ML nahm die AGÄdegF zum Anlass, die deutsche Regierung des "Staatsterrors" zu bezichtigen. In einer Presseerklärung gibt die Organisation an: "Der Staatsterror mit dem Ziel der Einschüchterung der demokratischen, fortschrittlichen und patriotischen Emigrantenvereine und -institutionen dauert an. In der Vergangenheit waren Institutionen wie YEK-KOM 278 , "Anatolische Föderation" und islamische Vereine und deren Mitglieder diesem Polizeiterror ausgesetzt gewesen. Heute ist die ATIF vom Staatsterror, [...] unter Missachtung des Rechts auf Vereinsbildung und der Menschenrechte durch den deutschen Staat, betroffen. [...] Bevor morgen andere an die Reihe kommen, "sollten wir uns in Bewegung setzen". 279 3.8 Iranische Extremisten Die Aktivitäten der Anhänger der durch den "Nationalen Widerstandsrat Iran" (NWRI) vertretenen "Volksmojahedin Iran-Organisation" (MEK) waren unverändert auf ihre poli277 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2006, Berlin 2007, S. 143 - 144. 278 Vgl. S. 114 f. 279 "Yeni Özgür Politika" vom 7.12.2007, S. 5. 130 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Selbstdarstellung als tische Selbstdarstellung als freiheitsliebende und demokratidemokratische sche Exilbewegung ausgerichtet. Auf diesem Weg wirbt die Exilbewegung Organisation vor allem in den Kreisen politischer Entscheidungsträger um Unterstützung mit dem Ziel, die Streichung von MEK und NLA 280 von der EU-Terrorliste zu erreichen, auf der sie wegen ihrer in der Vergangenheit gegen den Iran durchgeführten Terroraktionen seit Mai 2002 geführt werden 281 . Politische Agitation des NWRI in Berlin Nachdem der NWRI in der Vergangenheit in erster Linie in den Kreisen des Europäischen Parlaments Lobbyarbeit betrieben hatte, wurden nunmehr auch Anstrengungen in Richtung der Berliner Parlamentarier unternommen: Am 13. Oktober fand auf Einladung des "Deutschen Solidaritätskomitees für einen freien Iran" (DSFI) 282 in der Urania Berlin eine Veranstaltung zur Menschenrechtssituation im Iran statt. Mitveranstalter war die "Exil-Iranische Gesellschaft in Berlin" (EIGB), die ebenfalls dem Spektrum des NWRI zuzurechnen ist. 280 Die "Nationale Befreiungsarmee" (NLA) ist der im iranisch-irakischen Grenzgebiet stationierte ehemals bewaffnete Arm, über den die MEK bis zum Sturz Saddam Hussains terroristische Anschläge im Iran verübte. Nach dem im Mai 2003 zwischen den Alliierten und der MEK geschlossenen Waffenstillstand wurde die NLA entwaffnet. 281 Vgl. S. 248 f. 282 Das "Deutsche Solidaritätskomitee für einen freien Iran" (DSFI) ist den Verfassungsschutzbehörden aus der Vergangenheit im Zusammenhang mit Lobbyaktivitäten des NWRI bekannt: So veranstaltete das DSFI im Dezember 2005 unter Beteiligung des NWRI ein Seminar mit dem Titel "Humanitärer Schutz und Sicherung der Grundrechte für die Volksmojahedin in Ashraf-City". In diesem Seminar bekräftigte das DSFI die Unterstützung für die MEK sowie ihre Mitglieder in dem unter US-Aufsicht stehenden Lager Ashraf (Irak) und forderte die Streichung der MEK von der EU-Liste terroristischer Organisationen. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 131 Wie bereits von NWRI / MEK-geprägten Veranstaltungen aus der Vergangenheit bekannt, wurde eine Videobotschaft von Maryam Rajavi, die vom NWRI 1993 zur "künftigen Präsidenten eines neuen Iran" gewählt worden war, ausgestrahlt. Im Vorfeld der Veranstaltung war auf Berliner Landesebene intensiv für eine Teilnahme politischer Vertreter geworben worden. Fortgesetzte Spendensammlungen Während die in Berlin durchgeführten Kundgebungen mit durchschnittlich 20 bis 30 Personen nur geringe Teilnehmerzahlen erreichten und keine nennenswerte öffentliche Wirkung entfalteten, fielen die Anhänger des NWRI vor allem durch massive Spendensammelaktionen auf, die vorwiegend Spendenin den Citybereichen durchgeführt wurden. Im Internet sammlungen in Innenstadtbereichen eingestellten Erfahrungsberichten 283 ist zu entnehmen, dass Passanten von zumeist ein oder zwei Sammlern in oftmals aufdringlicher Weise um Spenden zugunsten von Folteropfern im Iran gedrängt werden. Mit Bildmappen von im Iran erhängten und gesteinigten Menschen wird dabei an das Mitleid der angesprochenen Passanten appelliert. Auf diese Weise sollen sich die potenziellen Spender zur Zahlung nennenswerter Beträge moralisch verpflichtet fühlen. In Berlin traten hierbei neben dem bereits in der Vergangenheit bekannt gewordenen "Menschenrechtszentrum für ExiliranerInnen e. V." (MEI) auch das "Hilfswerk für Menschenrechte e. V." (HMI) und der "Menschenrechtsverein für Migranten e. V." auf. Die eingenommenen Gelder dienen u. a. der Finanzierung der teilweise kostenintensiven Aktivitäten des NWRI und dem Unterhalt seiner Einrichtungen in Deutschland. 283 www.blogressiv.de zu "Deckmantel Menschenrechte", Aufruf am 5.12.2007. 132 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Klageverfahren gegen die Listung auf der EU-Terrorliste Aufgrund einer am 26. Juli 2002 eingereichten Klage der MEK hatte das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften am 12. Dezember 2006 den Beschluss des EU-Rates vom 21. Dezember 2005, soweit er die Nennung der MEK auf der EU-Liste terroristischer Organisationen betrifft, wegen Verfahrensmängeln für nichtig erklärt. 284 Am 25. April gab der EU-Rat bekannt, dass er beabsichtige, die in den Nachfolgebeschlüssen vom 29. Mai und 21. Dezember 2006 aufgeführten Personen, Vereinigungen und Körperschaften, darunter auch die MEK, weiterhin in der Liste zu führen. Die Betroffenen wurden auf die Möglichkeit hingewiesen zu beantragen, dass ihnen die Begründung des Rates für ihren Verbleib in der Liste übermittelt wird und sie eine Überprüfung des Beschlusses unter Vorlage entspreMEK chender Nachweise beantragen können. 285 Dem weiterhin auf EU-Terrorliste entsprechend wird die MEK auch im Beschluss des Rates vom 28. Juni in der Liste der Personen und Organisationen geführt, deren Gelder und andere Finanzmittel eingefroren sind. 286 Hiergegen reichte die MEK am 16. Juli Klage 287 ein. 284 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2006, Berlin 2007, S. 146. 285 Vgl. Amtsblatt der Europäischen Union C 90 vom 25.4.2007, S. 1. 286 Vgl. Amtsblatt der Europäischen Union L 169 vom 29.6.2007, S. 58 ff. 287 Rechtssache T-256/07, vgl. Amtsblatt der Europäischen Union C 211 vom 8.9.2007, S. 50. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 133 3.9 Kurz notiert 3.9.1 Abschiebung von Mykonos-Attentätern Die zu lebenslangen Haftstrafen verurteilten MykonosAbschiebung von Attentäter Kazem D. und Abbas R. wurden im DezemAttentätern ber 2007 nach Verbüßung einer Mindeststrafdauer von 15 Jahren aus der Bundesrepublik abgeschoben. Bei dem Anschlag auf das Restaurant Mykonos in Berlin waren 1992 vier iranisch-kurdische Oppositionelle getötet worden. Kazem D. wurde vom Kammergericht als "Diener iranischer Interessen und überzeugter Anhänger der Politik der Islamischen Revolution" 288 bezeichnet. Abbas R. und ein weiterer Mittäter waren Mitglieder der "Hizb Allah". Das Gericht bezeichnete die "Hizb Allah" als Ableger der iranischen Politik. Der Iran benutze sie, um Regimegegner "mit militanten Mitteln zu bekämpfen" 289 . 3.9.2 Terrorverdächtige werden nicht ins Grundbuch eingetragen Der Europäische Gerichtshof entschied am 11. Oktober 2007, dass Personen und Organisationen, die auf der so genannten Terrorliste stehen, keine Grundstücke erwerben dürfen. 290 Da nach der entsprechenden EU-Verordnung 291 alle Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen eingefroren werden, darf auch keine Grundbucheintragung erfolgen. Der Eintrag in das Grundbuch bedeute ein "zur Verfügung stellen" einer wirtschaftlichen Ressource, da das Grundstück danach wieder veräußert werden könne. 288 Urteil des Berliner Kammergerichts in der Strafsache gegen Amin und andere wegen Mordes und Beihilfe zum Mord (Mykonos-Urteil) vom 10.4.1997, Geschäftsnummer (1) 2 StE 2/93 (19/93), S. 26. Vgl. www.kammergericht.de/entscheidungen/Strafsenate/1_StE_19-93.pdf. 289 Ebenda. 290 Vgl. Aktenzeichen des EuGH: C-117/06, nachzulesen unter www.curia.europa.eu. 291 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 881/2002 ff. 134 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Versuchter Im konkreten Fall wollte eine Gesellschaft bürgerlichen Grundstückskauf Rechts ein Grundstück in der Neuköllner Haberstraße erin Neukölln werben. Auf diesem Grundstück befinden sich die Räumlichkeiten der "al-Nur"-Moschee. Einer der Käufer war Aqeel Abdulaziz A., der seit dem 13. Juli 2004 auf der Terrorliste geführt wird. A. war mehrere Jahre ein Direktor der saudischen "al-Haramain"-Stiftung. Diese wurde im Oktober 2004 durch die saudische Regierung geschlossen, da sie verdächtig war, zur Finanzierung des Terrorismus beizutragen. 3.9.3 "Al-Quds"-Demonstration "Al-Quds"Am 6. Oktober fand in Berlin die so genannte "al-Quds"Demonstration mit Demonstration statt. Die Demonstration war ein Schweigeweniger Teilnehmern marsch von ca. 300 Teilnehmern und verlief ohne besondere Vorkommnisse. Im Vergleich zum Vorjahr nahm die Teilnehmerzahl um ca. 100 Personen ab. Die ideologische Haltung der Demonstrationsteilnehmer zeigte sich auf Plakaten mit Parolen wie "Zionismus ist der moderne Rassismus", "Zionisten raus aus Jerusalem" und "Meinungsfreiheit für Zionismusforscher und Gegner Israels". AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 135 Der iranische "Revolutionsführer" Ayatollah Khomeini hatte 1979 den "al-Quds"-Tag initiiert, um das Ziel der "Befreiung" der auch für Muslime heiligen Stadt al-Quds (Arabisch für Jerusalem) zu propagieren. 136 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 4 SPIONAGEABWEHR Unveränderte Die Aufklärungsaktivitäten der Nachrichtendienste fremder Aktivitäten Staaten in der Bundesrepublik Deutschland haben sich in fremder Dienste unvermindertem Umfang fortgesetzt. Eine Vielzahl von Staaten versucht, sich mit Hilfe ihrer Nachrichtendienste Interessenvorteile im politischen, militärischen und vermehrt auch wirtschaftlichen Bereich zu verschaffen. Darüber hinaus hat insbesondere für Nachrichtendienste totalitärer Staaten die Ausforschung von in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Oppositionellen und Dissidenten ihrer Heimatländer Priorität. Berlin als In Berlin als bundespolitischem Entscheidungszentrum mit Entscheidungsvielen politikberatenden Einrichtungen, Interessenverbänden zentrum und entsprechenden Veranstaltungen ist die Präsenz fremder Nachrichtendienste besonders hoch. In diesem Zusammenhang spielt auch die große Zahl der in Berlin angesiedelten Legalresidenturen 292 eine Rolle. Unverändert zählt das Agieren hauptamtlicher Mitarbeiter fremder Nachrichtendienste unter Abdeckung durch den vor Strafverfolgung schützenden Diplomatenstatus zu den typischen Tarnmethoden. Wirtschaftsspionage Die in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Unternehmen und Forschungseinrichtungen sind bevorzugte Zielobjekte von Ländern, die Wirtschaftsspionage 293 und Proliferation 294 betreiben. Für die deutsche Wirtschaft stellen Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung einen Deliktbereich mit hohem Gefährdungspotenzial dar. Der durch 292 Unter einer Legalresidentur versteht man den Stützpunkt eines fremden Nachrichtendienstes, abgetarnt in einer amtlichen (z. B. Botschaft) oder halbamtlichen (z. B. Presseagentur) Vertretung seines Landes im Gastland. 293 Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder unterstützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen. Sie ist abzugrenzen vom Begriff der Konkurrenzausspähung / Industriespionage, die ein konkurrierendes Unternehmen gegen ein anderes betreibt. 294 Unter Proliferation wird die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte einschließlich des dafür erforderlichen Wissens sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen verstanden. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - SPIONAGEABWEHR 137 ungewollten Informationsfluss eintretende Schaden dürfte in Deutschland pro Jahr in Milliardenhöhe liegen. 295 Im Phänomenbereich Proliferation bemühen sich insbesonProliferation dere Krisenländer 296 , in den Besitz von atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen oder der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte und Vorprodukte bzw. des für die Herstellung erforderlichen Wissens zu gelangen. Besonders problematisch ist dabei, dass die Wissenschaft und die gewerbliche Wirtschaft die wahren Absichten ihrer "Partner" aus proliferationsrelevanten Ländern häufig nicht erkennen können. Die Spionageabwehr ist bei ihrer Arbeit auch auf Hinweise Kontakt zum aus der Öffentlichkeit angewiesen. Diesen Hinweisen geht Verfassungsschutz sie vertraulich und diskret nach. Im Falle einer bereits vorhandenen nachrichtendienstlichen Verstrickung kann die Spionageabwehr Hilfe anbieten, sich aus ihr zu lösen. Für weitere Informationen und die Sensibilisierung für Fragen der Wirtschaftsspionage und Proliferation steht die Spionageabwehr ebenfalls jederzeit zur Verfügung. Kontaktadressen und Telefonnummern des Berliner Verfassungsschutzes, darunter auch ein "Vertrauliches Telefon", finden Sie im Impressum dieses Verfassungsschutzberichts. 295 Vgl. u. a. Universität Lüneburg : Fallund Schadensanalyse bezüglich Know-how- / Informationsverlusten in Baden-Württemberg ab 1995. Studie im Auftrag des Sicherheitsforums Baden-Württemberg, www.sicherheitsforum-bw.de. 296 Krisenländer sind Länder, von denen zu befürchten ist, dass von dort aus ABC-Waffen eingesetzt werden oder ihr Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele angedroht wird. 138 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 5 GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ Geheimschutz Der Schutz von Informationen, deren Kenntnisnahme durch unverzichtbar Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen, die Sicherheit und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden kann, ist unverzichtbar. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Antrag der zuständigen öffentlichen Stelle daran mit, durch personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen Ausforschungen durch Unbefugte in sicherheitsempfindlichen Bereichen zu verhindern. 297 Ferner sind sicherheitsempfindliche Stellen bei lebensund verteidigungswichtigen öffentlichen Einrichtungen zu schützen, deren Ausfall oder Zerstörung eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit und das Leben zahlreicher Menschen verursachen könnte oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind. Welche Einrichtungen dazu zählen, wird durch eine Rechtsverordnung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport festgelegt. 298 SicherheitsDie Verfassungsschutzbehörde überprüft bei öffentlichen überprüfungen Stellen und Wirtschaftsunternehmen Mitarbeiter (so genannte Sicherheitsüberprüfungen) und trifft selbst oder veranlasst Maßnahmen zum materiellen Geheimschutz. Zum Zweck des so genannten personellen Sabotageschutzes sind Sicherheitsüberprüfungen gesetzlich vorgesehen. 5.1 Personeller und materieller Geheimschutz im öffentlichen Bereich Personeller Der personelle Geheimschutz soll den Schutz von im Geheimschutz öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen (so genannten Verschlusssachen) gewährleisten. Verschlusssachen sind je nach dem 297 SS 5 Abs. 3 Nr. 1 u. Nr. 3 VSG Bln, Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG) vom 2.3.1998 (GVBl. S. 26) in der Fassung vom 25.6.2001 (GVBl. S. 243), zuletzt geändert durch Art. XV des Gesetzes vom 17.12.2003 (GVBl. S. 617). Das Gesetz ist im Anhang abgedruckt. 298 Verordnung zur Festlegung der Arten lebenswichtiger Einrichtungen im Land Berlin vom 2.9.2003 (GVBl. S. 316). AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ 139 Schutz, dessen sie bedürfen, nach SS 6 des Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (BSÜG) in folgende Geheimhaltungsgrade einzustufen: 1. Streng Geheim Verschlusssachen 2. Geheim 3. VS-Vertraulich 4. VS-Nur für den Dienstgebrauch Um Sicherheitsrisiken auszuschließen, werden Personen, denen Verschlusssachen mit dem Geheimhaltungsgrad VSVertraulich und höher anvertraut werden sollen, vorher einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Alle Details zur Definition eines Sicherheitsrisikos, zum SicherheitsVerfahren und zu den Folgen für den Betroffenen sind im überprüfungsgesetz BSÜG geregelt. Dabei berücksichtigt das BSÜG die Mindestanforderungen an Sicherheitsüberprüfungen, zu denen sich die Bundesrepublik Deutschland gegenüber ausländischen Staaten und als Mitglied zwischenstaatlicher Einrichtungen (z. B. NATO, WEU, EU) vertraglich verpflichtet hat, damit die Sicherheitsmaßnahmen einen möglichst einheitlichen Standard haben. Um die Grundrechte der Betroffenen zu gewährleisten, wird Überprüfung im BSÜG kein Zwang zur Sicherheitsüberprüfung festgelegt. freiwillig Dieser Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht 299 wird nur mit Zustimmung der Betroffenen durchgeführt. Auch beim Ehegatten oder Lebenspartner, der bei bestimmten Überprüfungsarten in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen wird, ist die Zustimmung Voraussetzung. Der Umfang der Sicherheitsüberprüfung richtet sich nach der Höhe des Geheimhaltungsgrades, zu dem der Betroffene Zugang erhalten soll oder sich verschaffen kann. Ein Sicherheitsrisiko ist nach SS 7 Abs. 2 BSÜG dann als gegeben Sicherheitsrisiko anzusehen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel am Bekenntnis des Betroffenen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder an seiner Zuverlässigkeit begründen. Ein weiterer Aspekt ist die Besorgnis der 299 BVerfGE 65, 1. 140 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Erpressbarkeit und damit die Anwerbungsmöglichkeit für eine gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete nachrichtendienstliche Tätigkeit. Die Verfassungsschutzbehörde wird nicht von sich aus tätig, sondern nur auf Antrag des Geheimschutzbeauftragten der Behörde, bei der die zu überprüfende Person beschäftigt ist (so genannte zuständige Stelle). Im Jahr 2007 führte der Berliner Verfassungsschutz 388 Überprüfungen durch (2006: 317). Materieller Der personelle Geheimschutz wird durch den materiellen Geheimschutz Geheimschutz ergänzt, der technische und organisatorische Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von Verschlusssachen umfasst. Der Verfassungsschutz berät die öffentlichen Stellen des Landes Berlin: Er informiert über Verschlusssysteme wie den Einbau von Sicherheitstüren und die Installierung von Alarmsystemen, er berät über die Datensicherheit bei der Bearbeitung von Verschlusssachen in Datenverarbeitungssystemen und begleitet die Planung und Durchführung der Maßnahmen. Zum materiellen Geheimschutz gehört auch die Information über die Vorgaben der Verschlusssachenanweisung für das Land Berlin vom 1. Dezember 1992, welche die Bearbeitung, Verwahrung und Verwaltung von Verschlusssachen regelt, und die Kontrolle der Einhaltung dieser Anweisung. Diese Aufgabe obliegt den Geheimschutzbeauftragten, die in jeder Behörde, die Verschlusssachen bearbeitet und verwaltet, eingesetzt sind. "Kenntnis nur, Der wichtigste Grundsatz der Verschlusssachenanweisung wenn nötig!" lautet: "Kenntnis nur, wenn nötig!" Nur die Personen, die mit einer bestimmten Verschlusssache befasst sind, sollen Kenntnis erlangen. Deshalb ist es Mitarbeitern, die Verschlusssachen bearbeiten oder sich Zugang verschaffen können, nicht erlaubt, mit Kollegen oder nach Feierabend mit Familienangehörigen über die zu erledigenden Aufgaben zu sprechen. Jede technische Sicherheitsmaßnahme ist sinnlos, wenn die Verschwiegenheit der Mitarbeiter nicht gegeben ist. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ 141 5.2 Geheimschutz in der Wirtschaft Wirtschaftsunternehmen, die geheimschutzbedürftige Aufträge von Bundesund Landesbehörden ausführen, müssen vor Ausspähung fremder Nachrichtendienste geschützt und deshalb in das Geheimschutzverfahren von Bund und Ländern aufgenommen werden. Es sollen Sicherheitsstandards Sicherheitsgeschaffen und eingehalten werden, um zu verhindern, dass standards schaffen Unbefugte Kenntnis von den im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen (Verschlusssachen) erhalten. Ein Unternehmen kann die Aufnahme in die GeheimschutzGeheimschutzbetreuung grundsätzlich nicht für sich selbst beantragen. betreuung Lediglich Firmen, die sich an NATO-Infrastruktur-Ausschreibungen beteiligen wollen, sind zur Antragstellung in eigener Sache befugt. 300 Voraussetzung für die Aufnahme eines Unternehmens in das Geheimschutzverfahren des Bundes ist die öffentliche Ausschreibung eines Auftrags mit Verschlusssachen im Bundesausschreibungsblatt. Öffentliche Auftraggeber können z. B. der Bundesminister für Verteidigung oder das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung sein. Bei derartigen Verschlusssachen-Aufträgen beantragt der Auftraggeber die Aufnahme des Unternehmens in das amtliche Geheimschutzverfahren beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen führt die Geheimschutzverfahren für die Berliner Firmen durch, wenn diese einen Verschlusssachen-Auftrag von einer Landesbehörde erhalten haben. Berliner Behörden schreiben geheimschutzbedürftige AufAusschreibung träge im Amtsblatt für Berlin aus. Wesentlich für die Ausim Amtsblatt schreibung bei vertraulichen Staatsaufträgen ist die Formulierung: "Es können sich geeignete Firmen bewerben, die bereits dem Geheimschutz in der Wirtschaft unterliegen, bzw. die sich dem Geheimschutzverfahren in der Wirtschaft unterziehen wollen." 300 Zuständig hierfür ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) mit Sitz in Eschborn. 142 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Aufgaben des Vor Auftragserteilung sind mindestens ein gesetzlicher SicherheitsVertreter des Unternehmens, ein Sicherheitsbevollmächtigter bevollmächtigten und auch die Firmenmitarbeiter, die von staatlicher Seite aus mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, einer freiwilligen Sicherheitsüberprüfung nach den Bestimmungen des BSÜG zu unterziehen. Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist nach SS 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 des VSG Bln die Verfassungsschutzbehörde. Im Jahr 2007 wurden 243 Sicherheitsüberprüfungen für Angehörige Berliner Unternehmen durchgeführt (2006: 133). Eine weitere grundlegende Voraussetzung für die Aufnahme in den amtlichen Geheimschutz bei Landesaufträgen ist der Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags zwischen der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen und der Unternehmensleitung. Dies bedeutet die rechtsverbindliche Anerkennung der Bestimmungen der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie herausgegebenen Sicherheitsanleitung "Handbuch für den Geheimschutz in der Wirtschaft" (GHB). Der Sicherheitsbevollmächtigte des Unternehmens ist in Angelegenheiten des Geheimschutzes für die ordnungsgemäße Durchführung der Sicherheitsüberprüfungen verantwortlich. Nach SS 28 Abs. 4 BSÜG wird der Sicherheitsbevollmächtigte für den personellen Geheimschutz von der Verfassungsschutzbehörde in seine Aufgaben eingeführt. Nach Überprüfung der erforderlichen Geheimschutzmaßnahmen erteilt die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen dem staatlichen Auftraggeber und dem Unternehmen einen Sicherheitsbescheid. Die Firma kann nunmehr an geheimhaltungsbedürftigen Auftragsverhandlungen beteiligt werden. Fast alle Berliner Firmen, die von staatlichen Auftraggebern einen Verschlusssachen-Auftrag erhalten haben, bearbeiten keine Verschlusssachen. Sie sind vielmehr mit Lieferungen und Leistungen beauftragt worden, bei denen sie Zugang zu Verschlusssachen haben bzw. sich verschaffen können, die VS-Vertraulich und höher eingestuft sind. Dazu zählen AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ 143 Montageund Wartungsarbeiten sowie Instandsetzungen in sicherheitsempfindlichen Bereichen. Seit Inkrafttreten des Berliner SicherheitsüberprüfungsgeAufklärungsund setzes 1998 und der damit verbundenen Regelung des GeSensibilisierungsgespräche heimschutzverfahrens fanden mit den Sicherheitsbevollmächtigten und Vertretern von Unternehmen 404 Aufklärungsund Sensibilisierungsgespräche statt, davon 80 im Jahr 2007. Zentrale Themen bei den Informationsgesprächen mit Wirtschaftsunternehmen waren Auslandsreisen und "socialnetworking" in Internet-Plattformen. Ansprachen oder Anbahnungsversuche fremder Nachrichtendienste erfolgen häufig auf Auslandsreisen. Dabei sind Unternehmensmitarbeiter, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben, für fremde Nachrichtendienste von besonderem Interesse. Wichtig ist für diese Mitarbeiter, sich über die im Reiseland geltenden Vorschriften zu informieren und sie genau einzuhalten. Handlungen, die in der Bundesrepublik erlaubt sind, können im Reiseland strafbar sein. In den Informationsgesprächen wurden die Beschaffung von Informationen über das Reiseland, die Vermeidung von Ansatzpunkten für eine Ansprache fremder Nachrichtendienste, das Verhalten gegenüber den Behörden des Reiselandes nachdem eine Person verschuldet oder unverschuldet in Schwierigkeiten geraten ist und das Verhalten nach der Rückkehr aus dem Reiseland erläutert. Eine weitere Gefahr für den Abfluss von Informationen über Sicherheitsrisiko Unternehmen und deren Mitarbeiter ist das "social"social-networking" networking" in Internet-Plattformen. Die im Internet öffentlich zugänglichen Informationen über Firmen oder deren Mitarbeiter werden durch fremde Nachrichtendienste oder so genannte "social-networking Dienste" beschafft, ausgewertet und weitergegeben. Auch nicht für jeden zugängliche Websites werden genutzt. Über Tarnidentitäten loggen sich Mitarbeiter dieser Dienste in passwortgeschützte Seiten ein. Informationsquellen finden sich im beruflichen und im privaten Bereich. Firmen-Mitarbeiter, die detaillierte Profile zu ihrer Person erstellen, sich in Diskussionen einbringen, 144 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 über Stärken und Schwächen der eigenen Person und der Firma berichten, öffnen das Tor zur Wirtschaftsspionage. Um die vertrauensvolle Kooperation der betroffenen Unternehmen mit den Sicherheitsbehörden zu vertiefen, unterstützt der Berliner Verfassungsschutz den "Berliner ArbeitsSIBE und AKUS kreis für Sicherheitsbevollmächtigte" (SIBE-Arbeitskreis) und den "Arbeitskreis für Unternehmenssicherheit BerlinBrandenburg" (AKUS) durch fachkundige Referenten und die Bereitstellung von Informationsmaterialien bei Seminaren und Tagungen. Beide Arbeitskreise sollen den in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätigen Berliner Unternehmen ein Austauschforum bieten. Am 28. März 2007 fand die vierte Arbeitskreistagung vom SIBE-Arbeitskreis statt, an der sich die Berliner Verfassungsschutzbehörde mit dem Vortrag "Aufgaben des Verfassungsschutzes im Rahmen der Sicherheitsvorkehrungen der EU-Ratspräsidentschaft" beteiligte. Der AKUS und die Senatsverwaltung für Inneres und Sport vereinbarten bereits in 2006 eine engere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und in anderen Bereichen der inneren Sicherheit. Die Zusammenarbeit erfolgt auf der Grundlage der gesetzlichen Befugnisse, Rechte und Pflichten der Sicherheitspartner. Wesentlicher Inhalt der Sicherheitspartnerschaft ist der verstärkte Austausch von Informationen zwischen der Wirtschaft und den Sicherheitsbehörden. So sollen Unternehmen Informationen über Fälle von Wirtschaftskriminalität oder zur Ergänzung von polizeilichen Lagebildern weiterleiten. Die Sicherheitsbehörden informieren über IT-Sicherheit, den Schutz vor Wirtschaftsspionage, Markenund Produktpiraterie oder politischen Extremismus. Außerdem können sie der Wirtschaft bei Bedarf allgemeine Lagebilder, Gefährdungsanalysen und zielgruppenorientierte Warnmeldungen zur Verfügung stellen. Beratungsangebote Weitere Felder der Zusammenarbeit sollen gegenseitige Unterstützung bei Ausund Fortbildungsveranstaltungen, die gemeinsame Erstellung von Informationsmaterial und regelmäßige oder anlassbezogene Informationsgespräche sein. Durch die Partnerschaft von Wirtschaft und Sicherheitsbe- AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ 145 hörden trägt der Verfassungsschutz zu einem effektiven Wirtschaftsund Informationsschutz bei, um Wirtschaftsspionage zu verhindern. Die Verfassungsschutzbehörde Berlin steht nicht nur geheimschutzbetreuten Unternehmen beratend zur Verfügung. Auch Unternehmen, die nicht mit geheimschutzbedürftigen Aufträgen befasst sind, können sich an den Verfassungsschutz wenden. 5.3 Sabotageschutz Ziel des Sabotageschutzes ist es, die Beschäftigung von PerSicherheitsrisiken sonen, bei denen Sicherheitsrisiken vorliegen, an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebenswichtigen öffentlichen Einrichtungen zu verhindern. Auch zu diesem Zweck ist die Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen gesetzlich vorgesehen (SSSS 1 Nr. 2; 2 Nr. 4 BSÜG). Regelungen zum Sabotageschutz sind erforderlich, weil Sabotageakte gegen lebenswichtige Einrichtungen erhebliche Risiken für die Gesundheit oder das Leben zahlreicher Menschen zur Folge haben oder das Funktionieren des Gemeinwesens gefährden können. In der Verordnung vom 2. September 2003 wurden die Arten der lebenswichtigen Einrichtungen für das Land Berlin festgelegt. 301 5.4 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen Der Verfassungsschutz wirkt nach SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG Bln mit bei Überprüfungen in Einbürgerungsverfahren. Auf Antrag der Einbürgerungsbehörde wird geprüft, ob über Personen, die einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben, Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden der Länder oder des Bundes vorliegen. Seit dem 1. Januar 2000 ist eine 301 Verordnung zur Festlegung der Arten lebenswichtiger Einrichtungen im Land Berlin vom 2.9.2003, GVBl., S. 316. 146 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Einbürgerung für Personen zwingend ausgeschlossen, 302 welche Einbürgerungen: * die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die AusschließungsSicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden, gründe * sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligen, * öffentlich zur Gewaltanwendung aufrufen, * mit Gewaltanwendung drohen. Eine Einbürgerung kann versagt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einbürgerungsbewerber verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt oder verfolgt. 303 Im Januar 2001 legte die Senatsverwaltung für Inneres fest, dass bei Einbürgerungsbewerbern aus bestimmten Herkunftsländern stets eine Anfrage beim Verfassungsschutz zu erfolgen hat. Unabhängig von der Herkunft ist eine Anfrage auch immer dann zu stellen, wenn Anhaltspunkte für eine extremistische Haltung oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten vorliegen. 2007 wurden 8 785 Anfragen bearbeitet (2006: 9 519). Vergleichbare Sicherheitsanforderungen gelten auch für das Aufenthaltsrecht von Ausländern. Das 2005 neu gefasste Aufenthaltsgesetz (AufenthaltG) 304 sieht vor, dass Personen, die gewaltbereit sind, terroristische Aktivitäten begehen oder unterstützen, keine Visa oder Aufenthaltsgenehmigungen erhalten oder einem Einreiseund Aufenthaltsverbot in Einreiseund Deutschland unterliegen. Zur Versagung der Einreise muss Aufenthaltsverbote festgestellt werden, dass eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bun302 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), vom 22.7.1913 i. d. F. des Art. 6 Nr. 9 Gesetz zur Änderung des AufenthaltsG vom 14.3.2005, BGBl. I S. 721. 303 SS 11 Nr. 1 StAG - zuletzt geändert durch Art. 3 G vom 19.8.2007, BGBl. I S. 1970. 304 Aufenthaltsgesetz (AufenthaltsG), BGBl. I S. 1953. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ 147 desrepublik Deutschland besteht. 305 Aus rechtsstaatlichen Gründen reichen Vermutungen nicht aus. Um terroristischen oder gewaltbereiten Ausländern keinen Ausweisungen Ruheraum in Deutschland zu gewähren, wurden ferner die Regelausweisungstatbestände erweitert. Im Regelfall wird ausgewiesen, wer nach dem neuen Versagungsgrund nicht hätte einreisen dürfen. 306 Zur Feststellung von Versagungsgründen können die Ausländerbehörden den Verfassungsschutzbehörden der Länder und weiteren Sicherheitsbehörden die von ihnen erhobenen Personalien übermitteln. Die angefragten Behörden teilen der Ausländerbehörde unverzüglich mit, ob Versagungsgründe vorliegen. 307 2007 gingen 10 101 Anfragen bei der Verfassungsschutzbehörde ein (2006: 7 526). Der Verfassungsschutz wirkt nach SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG Luftsicherheitsgesetz auch bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach SS 7 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) 308 mit. Die gemeinsame Luftfahrtbehörde der Länder Berlin und Brandenburg und zugleich gemeinsame Luftsicherheitsbehörde führt danach auch die Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Personen durch, die Zutritt zu den nicht allgemein zugänglichen Bereichen der Berliner Flughäfen Tegel und Tempelhof haben sollen. Hierfür bewertet die Luftsicherheitsbehörde die von der Polizei, aus dem Bundeszentralregister und vom Verfassungsschutz übermittelten Informationen. Über die Verwendung im Bereich der Flughäfen entscheidet die Behörde selbst. 2007 wurden 11 711 Personen gemäß SS 7 LuftSiG durch den Verfassungsschutz überprüft (2006: 9 961). Auch das Atomgesetz (AtomG) 309 sieht ZuverlässigkeitsAtomgesetz überprüfungen vor, an denen der Verfassungsschutz gemäß SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG mitwirkt. Da kerntechnische Anlagen 305 SS 5 Abs. 4 AufenthaltsG. 306 SS 55 Abs. 2 AufenthaltsG. 307 SS 73 Abs. 2 u. 3 AufenthaltsG. 308 BGBl. I S. 78 vom 11.1.2005. 309 BGBl. I S. 1565 mit letzten Änderungen vom 27.7.2001 (BGBl. I S. 1950). 148 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 im Hinblick auf mögliche unbefugte Handlungen besonders zu schützende Objekte darstellen, sind Sicherungsmaßnahmen auch in Form der Überprüfung von Personen erforderlich, die Zutritt zu den kerntechnischen Anlagen erhalten sollen. In Berlin werden die Personen überprüft, denen der Zutritt zum Forschungsreaktor des Hahn-MeitnerInstituts gewährt werden soll. Weitere kerntechnische Anlagen sind nicht vorhanden. Die Überprüfung gemäß SS 12 b AtomG wird von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung als zuständige atomrechtliche Behörde durchgeführt. Für die Prüfung der Zuverlässigkeit werden auch hier Auskünfte von der Polizei, der Verfassungsschutzbehörde und aus dem Bundeszentralregister eingeholt. Die Bewertung der übermittelten Erkenntnisse obliegt der atomrechtlichen Behörde. 2007 wurden durch den Verfassungsschutz 281 Personen überprüft (2006: 239). Waffenund Seit 2005 gibt es gesetzliche Regelungen über die BeteiliSprengstoffgesetz gung der Verfassungsschutzbehörden bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Waffengesetz, dem Sprengstoffgesetz und der Bewachungsverordnung. Seit 1. September 2005 sind die Verfassungsschutzbehörden der Länder an der Überprüfung von Personen beteiligt, die gewerbsmäßig mit explosionsgefährlichen Stoffen umgehen oder den Verkehr mit solchen Stoffen betreiben wollen. 310 Zuständige Behörde für die Durchführung der Zuverlässigkeitsüberprüfung in Berlin ist das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheit und technische Sicherheit. 2007 erfolgte eine Anfrage (2006: keine Anfragen). BewachungsWer gewerbsmäßig Leben und Eigentum fremder Personen verordnung bewachen will, bedarf einer Erlaubnis auf der Grundlage der Bewachungsverordnung durch die Gewerbeämter der Berliner Bezirke. In begründeten Einzelfällen können diese gemäß SS 9 Abs. 2 Nr. 2 der Bewachungsverordnung bei der örtlich zuständigen Verfassungsschutzbehörde anfragen, ob 310 SSSS 7 u. 8a Abs. 5 Nr. 4 Sprengstoffgesetz ( SprengG) , BGBl. I S. 3518, zuletzt geändert durch Art. 1 des dritten ÄnderungsG vom 15.6.2005 (BGBl. I S. 1676) Art. 35 des Gesetzes zur Umbenennung des BGS in Bundespolizei vom 21.7.2005 (BGBl. I S. 1818). AKTUELLE ENTWICKLUNGEN - GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ 149 Erkenntnisse vorliegen, die für die Beurteilung der persönlichen Zuverlässigkeit der Antragsteller von Bedeutung sind. 2007 erfolgten zwei Anfragen (2006: keine Anfragen). Ebenfalls zu den Mitwirkungsangelegenheiten gehören auf Überprüfung von Grund des 7. Gesetzes zur Änderung des BundesvertriebeSpätaussiedlern nach Bundesnengesetzes (BVFG) vom 16. Mai 2007 311 seit dem 24. Mai vertriebenengesetz 2007 auch Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem BVFG. 312 (Neufassung des Bundesvertriebenengesetzes vom 10. August 2007, BGBl. I S. 1 902) Die bislang in SS 5 BVFG aufgeführten Gründe, die den Erwerb der Rechtsstellung als Vertriebener ausschließen, wurden erweitert. Diese Erweiterung wurde von der Bundesregierung u. a. damit begründet, dass es bislang keine Regelungen gab, die sicherstellen, dass Schwerkriminelle, gewaltbereite Extremisten und Terroristen nicht auf dem Weg des Verfahrens zur Aufnahme von Spätaussiedlern nach Deutschland kommen können. 313 Die Rechtsstellung als Spätaussiedler kann nach SS 5 Nr. 1 e BVFG nicht erwerben, wer nach einer durch tatsächliche Anhaltspunkte gerechtfertigten Schlussfolgerung - einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, - bei der Verfolgung politischer Ziele sich an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufgerufen oder mit Gewaltanwendung gedroht hat oder - Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind, 311 BGBl. I S. 748. 312 Neufassung des Bundesvertriebenengesetzes vom 10.8.2007; BGBl. I S. 1902. 313 Bundesdrucksache 16/4017 vom 11.1.2007. 150 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 es sei denn, er macht glaubhaft, dass er sich von den früheren Handlungen abgewandt hat. Das Bundesverwaltungsamt, zuständig für das Aufnahmeverfahren von Spätaussiedlern, beteiligt zur Feststellung von Ausschlussgründen neben dem Bundesnachrichtendienst, dem militärischen Abschirmdienst, dem Bundeskriminalamt, dem Zollkriminalamt auch das Bundesamt für Verfassungsschutz, wenn die zu überprüfende Person das 16. Lebensjahr vollendet hat. Das Bundesamt für Verfassungsschutz gleicht die vom Bundesverwaltungsamt übermittelten Daten mit dem "Nachrichtendienstlichen Informationssystem" (NADIS) ab und beteiligt im Falle einer Fundstelle die jeweilige Landesbehörde, wenn sie nachrichtengebende Stelle ist. 5.5 Mitwirkung bei den Sicherheitsmaßnahmen anlässlich der deutschen Ratspräsidentschaft bei der Europäischen Union und des G 8-Vorsitzes Im ersten Halbjahr 2007 hatte Deutschland den Vorsitz für die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union (EU) und für das ganze Jahr den Vorsitz in der Runde der sieben wichtigsten Industriestaaten und Russland (G 8). Es fanden 52 internationale Konferenzen und Tagungen sowie vom 6. bis 8. Juni 2007 der G 8-Gipfel in Heiligendamm statt. Sicherung Den Maßnahmen zur Sicherung dieser Veranstaltungen kam internationaler eine besondere Bedeutung zu. Verfassungsschutzbehörden Konferenzen beteiligten sich an der Durchführung von Zuverlässigkeitsüberprüfungen der Personen, die im Rahmen der Veranstaltungen zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft sowie des deutschen G 8-Vorsitzes in sicherheitsrelevanten Bereichen tätig oder aufhältig waren, wie Pressevertreter oder Mitarbeiter von Dienstleistungsunternehmen (z. B. Catering, Fahrdienst). Insgesamt wurden bundesweit 25 000 Personen mit deren Zustimmung überprüft. Hintergrundinformationen 152 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 1 IDEOLOGIEN 1.1 Definition Extremismus Der Begriff Extremismus bezeichnet kein einheitliches Phänomen, sondern ist eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Bestrebungen, "die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln einig wissen" 314 . Die verfassungsmäßige Grenze des politischen Handelns ist in der Bundesrepublik Deutschland eindeutig festgelegt. Anlässlich des Verbots der "Sozialistischen Reichspartei" (SRP) bestimmte das Bundesverfassungsgericht 1952 den Kern des demokratischen Verfassungsstaates, die freiheitliche demokratische Grundordnung. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind zu rechnen: * die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, vor allem des Rechtes der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, * die Volkssouveränität, * die Gewaltenteilung, * die Verantwortlichkeit der Regierung, * die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, * die Unabhängigkeit der Gerichte, * das Mehrparteienprinzip, * die Chancengleichheit aller politischen Parteien, * das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. 315 Die Verfassungsschutzbehörden verwenden den Extremismusbegriff seit Anfang der 1970er Jahre in Abgrenzung zu dem Begriff des Radikalismus. Während extremistische Positionen die Grenze der verfassungsmäßigen Ordnung überschreiten, bezeichnet der Radikalismus Auf314 Uwe Backes / Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. 4. Aufl. Bonn 1996, S. 45. 315 Vgl. BVerfGE 2, 1 ff; BverfGE 5, 85 ff.; SS 6 VSG Bln. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - IDEOLOGIEN 153 fassungen, die zwar grundlegende systemoppositionelle Positionen vertreten, die sich aber mit ihrer fundamentalen Kritik innerhalb der Grenzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegen. 1.2 Ideologie des Rechtsextremismus Mit der Sammelbezeichnung Rechtsextremismus verbindet sich keine geschlossene politische Ideologie. Der Begriff umschreibt eine vielschichtige politische und soziale Gedankenwelt und ein Handlungssystem, das in der Gesamtheit seiner Einstellungen und Verhaltensweisen auf die Beseitigung oder nachhaltige Beeinträchtigung demokratischer Rechte, Strukturen und Prozesse gerichtet ist. Rechtsextremistischen Strömungen sind in jeweils unterschiedlichen Gewichtungen und Ausprägungen folgende Inhalte gemeinsam: 316 * Ablehnung des Gleichheitsprinzips: Die Ideologie der Ungleichheit äußert sich in der gesellschaftlichen Diskriminierung bestimmter Menschen und Gruppen aufgrund ethnischer, körperlicher und geistiger Unterschiede. * Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit: Die eigene Nation oder "Rasse" wird zum obersten Kriterium der Identität erhoben. Ihr wird ein höherwertiger Status zugeschrieben, was die Abwertung und Geringschätzung von nicht zur eigenen "Nation" oder "Rasse" gehörenden Menschen und Gruppen zur Folge hat. * Antipluralismus: Der pluralistische Interessenund Meinungsstreit wird als die Homogenität der Gemeinschaft zersetzend angesehen. Rechtsextremisten streben eine geschlossene Gesellschaft an, in der Volk und Führung eine Einheit bilden. * Autoritarismus: In demokratischen Ordnungssystemen ist der Staat ein Instrument der Selbstorganisation der Gesellschaft, das Wechselbeziehungen zwischen Staat und Gesellschaft vorsieht. Im autoritären Staatsverständnis steht der Staat in einem einseitig dominierenden Verhältnis über der Gesellschaft. Im Phänomenbereich des Rechtsextremismus treten zahlreiche ideologische Überschneidungen und Mischformen auf. Die Überbewertung der eigenen Nation im Vergleich zu anderen Nationen wird als Nationalis316 Vgl. Armin Pfahl-Traughber: Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. 2. Auflage München 2000, S. 11 - 16. 154 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 mus bezeichnet. Der Rassismus behauptet die Ungleichwertigkeit von "Menschenrassen" aufgrund ihrer unveränderlichen biologischen und sozialen Anlagen. Rassistische Ideologien leiten daraus ein "naturgegebenes" Recht zur Ausgrenzung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen ab. Eine besondere Form des Rassismus ist der Antisemitismus. Darunter versteht man die Feindschaft gegenüber den Juden als Gesamtheit aufgrund stereotypischer rassistischer, sozialer, politischer und / oder religiöser Vorurteile. Ein weiteres Element des Rechtsextremismus ist der Neonazismus, der durch seinen Bezug zum historischen Phänomen des Nationalsozialismus gekennzeichnet ist. Eine rechtsextreme Ideologie wird als neonazistisch bezeichnet, wenn sie an den historischen Nationalsozialismus anknüpft. 1.3 Ideologie des Linksextremismus Die Utopie linksextremistischer Ideologien ist auf ein herrschaftsfreies, mit politischer, sozialer und ökonomischer Freiheit (Befreiung von unterdrückerischen Machtstrukturen) ausgestattetes Gemeinwesen gleicher Menschen ausgerichtet: die so genannte herrschaftsfreie Ordnung. 317 Sie reicht weit über das in demokratischen Verfassungsstaaten akzeptierte Prinzip der menschlichen Fundamentalgleichheit hinaus und kann direkt oder über Zwischenstufen wie etwa im Marxismus-Leninismus (Diktatur des Proletariats / Sozialismus) erreicht werden. Ziel ist, die herrschende, als imperialistisch oder kapitalistisch diffamierte Staatsordnung durch einen revolutionären Akt zu überwinden, 318 da ihr unterstellt wird, sie diene ausschließlich der Unterdrückung der Massen bei gleichzeitiger Maskierung der Herrschaftssicherung der gesellschaftlichen Elite. 319 317 Vgl. u. a. Uwe Backes / Eckard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1996, S. 60. 318 Vgl. Ernesto Che Guevara: Guerilla - Theorie und Methode. Berlin 1968, S. 7: "Wir diskutieren das Problem des friedlichen Übergangs zum Sozialismus nicht als ein theoretisches Problem [ ] Darum sagen wir [...], daß der Weg zur Befreiung der Völker, der nur der Weg des Sozialismus sein kann, in fast allen Ländern durch die Kugel erkämpft werden wird." 319 Der Linksextremismus bildet aktuell vor allem die Gegensatzpaare Neoliberalismus versus Antikapitalismus, Faschismus versus Sozialismus, Herrschaft versus Anarchismus aus und diskreditiert die freiheitliche demokratische Grundordnung. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - IDEOLOGIEN 155 Trotz der Gemeinsamkeiten in der Umschreibung eines letzten utopischen Ziels unterscheiden sich die Ansätze bezüglich dessen Umsetzung stark voneinander. Anarchisten Anarchisten etwa erwarten eine spontane Bewusstseinsänderung, die - gegebenenfalls auch unter Anwendung von Gewalt - zur Auflösung sämtlicher staatlicher Institutionen führen werde. Diese seien durch dezentrale Selbstverwaltungseinheiten zu ersetzen: "Es kann auf keinen Fall der Zweck der anarchischen Aktion sein, auf die Eroberung der Macht oder die Verwaltung des Bestehenden auszugehen. [...] Die Arbeiter brauchen keine Vermittler, um an ihrer Stelle ihre Forderungen auszudrücken oder einen Kampf zu führen, sondern sie können und müssen es direkt selbst machen. Die Libertären [Anarchisten] denken, daß die Praxis der direkten Aktion, und des Streiks im besonderen, auch das bestmögliche und wirksamste Kampfmittel in den Händen der Arbeiter ist [...] Die Libertären haben sich immer jedem Versuch der Unterwerfung der revolutionären Bewegung oder der Arbeiterbewegung entgegengesetzt, und sie befürworten die Selbstorganisation, die kollektive und autonome Aktion der Arbeiter." 320 Autonome Ebenso wie Anarchisten haben auch Autonome kein zentrales Theoriegebäude ausgebildet. Sie wenden sich vor allem aktionsorientiert gegen einen staatlichen "Repressionsapparat", sind ideologisch stark zerstritten, richten sich jedoch diskontinuierlich an polarisierenden Themen aus. Thematischer Minimalkonsens der autonomen Szene sind neben der Akzeptanz von Gewalt gegen Menschen und Sachen die Schlüsselbegriffe Faschismus, Kapitalismus, Imperialismus, Militarismus, Rassismus und Sexismus, die als wesentliche Bestandteile des herrschenden politischen Systems angesehen und jeweils als "Anti"Faschismus, -Kapitalismus etc. die linksextremistischen Aktionsschwerpunkte bestimmen. "Zuerst möchte ich sagen, daß ich grundsätzlich gegen Gewalt bin. Aber in manchen Situationen glaube ich nicht, daß ich etwas ohne Gewalt ändern kann. Und dieses System baut ja selbst seit jeher auf Gewalt auf." 321 320 I-AFD [Initiative für eine anarchistische Föderation in Deutschland] - IFA [Internationale der anarchistischen Föderation]: Was ist Anarchismus. Krefeld 1993, S. 4 f. 321 "Antifaschistische Aktion Berlin". In: "Bravo Antifa" Nr. 1, 12/1996, S. 8. 156 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Versierter umschreibt die Gewaltoption ein Vordenker der autonomen Szene: "[...] wo Menschen anfangen die politischen, moralischen, technischen Herrschaftsstrukturen zu sabotieren, zu verändern, ist es ein Schritt zum selbstbestimmten Leben." 322 Kommunisten Orthodoxer in der Lehre, strategischer bei der Wahl der thematisierten Politikfelder und organisierter in der Betreuung seiner Anhänger ist der Kommunismus. In unterschiedlichen Ausprägungen strebt er eine klassenlose Gesellschaft an. Dabei fordert er zunächst eine völlige Unterordnung des Individuums unter die revolutionären Ziele und die diese anstrebenden Organisationen. Über Revolutionen, in deren Verlauf das Proletariat die herrschende Elite stürzen solle, und interrevolutionäre Zwischenstufen sei die klassenlose Gesellschaft erreichbar: "1. Der Faschismus ist [...] notwendige Tendenz der kapitalistischen Gesellschaft. 2. Daher gibt es keinen Kampf gegen den Faschismus, es sei denn den Kampf für die Vernichtung des Kapitalismus durch die proletarische Revolution und Diktatur. 3. Denn jeder Aufruf, die Demokratie zu verteidigen, jeder Versuch den Faschismus aufgrund der Demokratie zu bekämpfen, jedes Bündnis mit 'demokratischen' Parteien und Klassen führt zur Zerstörung der proletarischen Bewegung und bahnt dem Faschismus den Weg." 323 Von der Ideologie des Kommunismus als klassenloser Gesellschaft ist der real existierende Sozialismus als Übergangsphase vom Kapitalismus zum klassenlosen Gemeinwesen (Kommunismus) zu unterscheiden. Der Begriff des real existierenden Sozialismus stellt keine eigenständige ideologische Variante dar, er beschreibt vielmehr die gesellschaftlichen Gegebenheiten sozialistischer Staaten. Protagonisten derartiger Regime finden sich vor allem in der ehemaligen politischen Elite der DDR, die sich selbst ebenfalls dem Kommunismus zurechnet: 322 Zitiert nach "Geronimo": Feuer und Flamme. Edition ID-Archiv. Berlin 1990, S. 132 f. 323 "Internationale Revolution" Nr. 3/1969 vom Dezember 1969, S. 1, zitiert nach: Internetauftritt "sinistra", Aufruf am 30.3.2007. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - IDEOLOGIEN 157 "Kommunist zu sein heißt, [...] für die Einheit und Reinheit des MarxismusLeninismus zu kämpfen und gemäß der Lehren von Marx, Engels, Lenin und Stalin gegen alle Angriffe der bürgerlichen Ideologie und des Revisionismus und Reformismus innerhalb der Arbeiterklasse mit allen Mitteln zu verteidigen und zu vertreten, sich zur proletarischen Revolution, zur Diktatur des Proletariats und zum proletarischen Internationalismus zu bekennen." 324 Gemeinsam ist den unterschiedlichen linksextremistischen Bestrebungen, dass sie eine andere gesellschaftliche Ordnung zu errichten trachten. Ferner stimmen sie trotz aller Differenzen in den Zielrichtungen bei der Wahl ihrer Mittel überein: Sie sehen Militanz gegen den Staat und seine gesellschaftliche Ordnung als probates Mittel der politischen Auseinandersetzung an: "Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" 325 1.4 Ausländerextremistische Ideologien Ausländische Organisationen werden als extremistisch bewertet, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten und die Durchsetzung ihrer Weltanschauung in Deutschland anstreben. Als extremistisch werden aber auch ausländische Organisationen eingestuft, die eine gewaltsame Veränderung der politischen Verhältnisse in den Heimatländern anstreben. Sie gefährden durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. Ausländische Organisationen werden schließlich als extremistisch bewertet, wenn ihre Tätigkeit gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 21 Abs. 1 GG) gerichtet ist. Organisationen, die sich gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten, bedeuten eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit. Sie bilden den Nährboden für die Entstehung extremistischer Auffassungen und schüren Hass, der auch vor Anwendung terroristischer Gewaltanwendung nicht zurück 324 Internetauftritt der KPD, Aufruf am 10.9.2002. 325 Parteiprogramm vom 7.10.1999. Internetauftritt der KPD, Aufruf am 17.12.2002. 158 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 schreckt. In den meisten Fällen werden die Aktivitäten ausländerextremistischer Organisationen von den politischen Verhältnissen in ihren Herkunftsländern bestimmt. Einige der in Deutschland ansässigen Organisationen lassen inzwischen jedoch Tendenzen zu eigenständigem Handeln erkennen. 1.4.1 Linksextremistische Gruppierungen Bei ausländerextremistischen Organisationen lassen sich linksextremistische, nationalistisch orientierte und islamistische Gruppierungen unterscheiden. Linksextremistische Organisationen folgen weitgehend der Ideologie des Marxismus-Leninismus und streben meist mit Gewalt die Etablierung eines sozialistischen bzw. kommunistischen Systems in ihren Heimatländern an. 1.4.2 Nationalistische Gruppierungen Nationalistische Ausländerorganisationen kennzeichnet ein auf ethnische, kulturelle und politisch-territoriale Unterschiede gegründeter Überlegenheitsanspruch der eigenen Nation sowie die Negierung der Rechte anderer Ethnien. 1.4.3 Islamistische Gruppierungen Die größte Gruppe innerhalb der extremistischen Ausländerorganisationen bilden die islamistischen Gruppierungen. Der Islamismus ist nicht gleichbedeutend mit der islamischen Religion. Vielmehr stellt der Islamismus eine politische Ideologie der Gegenwart dar, die sich primär gegen die Herrschaftsverhältnisse in den Heimatländern wendet und den Islam weltweit als ein alternatives Gesellschaftssystem propagiert. Der gesetzliche Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes richtet sich weder auf die islamische Religion als solche noch auf die hier lebenden Muslime, von denen die Mehrheit unsere Rechtsordnung achtet. Dem Verfassungsschutz geht es um Bestrebungen, die auf die Durchsetzung der islamistischen Weltanschauung in Deutschland oder die gewaltsame Veränderung der politischen Verhältnisse in den Heimatländern abzielen. Was charakterisiert die Ideologie des Islamismus und wie ist das Phänomen eines transnationalen islamistischen Terrorismus einzuordnen? HINTERGRUNDINFORMATIONEN - IDEOLOGIEN 159 Herausbildung islamistischer Bewegungen Islamismus bezeichnet den Versuch einzelner Gruppen, den Islam zu ideologisieren und ein als islamisch deklariertes Herrschaftssystem zu errichten. Islamisten verkörpern weder per se eine anti-modernistische, rückwärtsgewandte Bewegung, noch rekrutieren sie sich mehrheitlich aus Modernisierungsverlierern. Vielmehr bilden sie eine breite, bis in die Mitte der Gesellschaft reichende Strömung. Ihnen geht es darum, den Islam zur Grundlage und Richtschnur allen Denkens und Handelns zu machen und Politik und Gesellschaft auf den Islam - so wie sie ihn verstehen - zu gründen. Der Islamismus stellt kein einheitliches Konzept dar, sondern umfasst höchst unterschiedliche Vorstellungen, die wiederum von den divergierenden historischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Herkunftsländer bestimmt sind. Insofern gibt es weder einen "Einheits-Islamismus" noch eine "islamistische Internationale". Richtiger ist es, von islamistischen Bewegungen und Grundzügen islamistischer Ideologie zu sprechen. Historisch geht islamistisches Denken auf die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zurück. Angesichts des Bedeutungsverlusts, den die islamische Religion in der muslimischen Welt infolge der Kolonisierung erlitten hatte, hatten sich religiöse Reformer für die Erneuerung von Religion und Gesellschaft durch die "Rückkehr zu den reinen Ursprüngen des Islam" ausgesprochen. Reform und Erneuerung des Islam sowie anti-koloniale - und damit auch anti-westliche - Motive bestimmten in der Folge das Entstehen islamistischer Bewegungen - so etwa der 1928 in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft (=). Große Anziehungskraft entfaltete islamistisches Denken nach dem Zweiten Weltkrieg, als in den dann unabhängigen arabischen Nationalstaaten nacheinander die Konzepte des Nationalismus, des Pan-Arabismus und des Sozialismus scheiterten. Ab den späten 70er Jahren gelang es Islamisten, dieses entstandene ideologische Vakuum zu füllen und den "Islam" als ein alternatives politisches und gesellschaftliches Modell zu präsentieren. Gefördert wurde das Erstarken islamistischer Bewegungen durch die iranische Revolution 1979. In der Folge etablierte sich der Iran als ein staatlicher Träger islamistischer Ideologie und suchte diese neue Weltanschauung durch den Export seiner Revolution zu verbreiten. Seit Ende der 1970er Jahre wurden islamistische Bewegungen auch von SaudiArabien unterstützt, das finanziell und ideologisch die Ausbreitung einer nicht minder fundamentalistischen islamischen Strömung, des Wahhabismus, über seine Landesgrenzen hinaus verfolgte. Eine entscheidende 160 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Rolle - insbesondere für die Herausbildung des Phänomens des islamistischen Terrorismus - spielte auch die Tatsache, dass ab 1979 "Kämpfer" ("Mujahidin") in Afghanistan Krieg gegen die sowjetische Besatzung führten, der zehn Jahre später mit dem Rückzug der sowjetischen Truppen endete. Diese regionalpolitischen Entwicklungen erleichterten es Islamisten in den 80er Jahren, die scheinbare Überlegenheit eines "islamischen" Gesellschaftssystems gegenüber dem kapitalistischen und sozialistischen Gesellschaftssystem zu propagieren. Hierzu prägten sie vor allem das Schlagwort "Der Islam ist die Lösung". Ideologische Grundzüge des Islamismus Wichtigstes gemeinsames Kennzeichen islamistischer Ideologie ist der Anspruch, dass der Islam stets zugleich "Religion" und "Politik" verkörpert habe - ein Anspruch, den die Islamisten als eine für die islamische Geschichte geltende historische Tatsache darstellen. Die Behauptung, dass es sich beim Islam um eine unteilbare Einheit von Religion und Politik handele, ist allerdings ein nicht mehr als 100 Jahre altes Ideologem. Islamisten verstehen Religion nicht als Glaube und Ethik, sondern als vollkommene Lebensform und Weltanschauung. So propagierte etwa der Chefideologe der pakistanischen "Jamaat-i Islami"Partei, Abul Ala Al-Maududi (1903 - 1979), eine "Ordnung des Islam" ("nizam al-islam"), die alle Lebensbereiche zu regeln imstande sei und die es anzuwenden gelte. Methodisch orientieren sich Islamisten bevorzugt am Wortlaut des Koran, den sie als ein "für alle Orte und Zeiten gültiges Gesetz" betrachten, und an der Sunna, den in "Berichten" ("Hadithen") schriftlich festgehaltenen Worten und Taten des Propheten Muhammad. Beide, Koran und Sunna, haben nach islamistischer Auffassung eine Vorbildfunktion für politisches Handeln in einem künftigen "islamischen Staat". Islamisten idealisieren das erste muslimische Staatswesen, die vor 1 400 Jahren gegründete "Gemeinde von Medina" sowie die Periode der "Vier Rechtgeleiteten Kalifen", die als direkte "Nachfolger" ("Kalifen") des Propheten Muhammad eine "gerechte Kalifatsherrschaft" ausgeübt haben. Ein Idealbild haben Islamisten auch von der Scharia, die sie nicht allein als ein Recht betrachten, sondern als ein politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip. Mit dem Schlagwort der "Anwendung der Scharia" ("tatbiq ash-sharia") plädieren sie für eine vollständige Umsetzung der Bestimmungen des islamischen Rechts. Islamisten sind davon überzeugt, dass das islamische Recht lediglich HINTERGRUNDINFORMATIONEN - IDEOLOGIEN 161 angewandt werden müsse, um sämtliche politischen und sozialen Probleme zu bewältigen. Konkret betrachtet beinhaltet ihre Forderung nach "Anwendung der Scharia" allerdings nur die Anwendung islamischer Strafrechtsbestimmungen und Elemente einer "islamischen Wirtschaftsordnung". Auffällig ist der Versuch von Islamisten, politische Herrschaft mit vermeintlich religiösen Grundlagen zu legitimieren. So ist bei ihnen häufig von der "Gottesherrschaft" ("hakimiyat Allah") die Rede, die impliziert, dass politische Herrschaft nicht den Menschen zustehe. Diese Formel steht für das Ziel der Gründung eines religiösen "islamischen Staates", wobei unklar bleibt, wer darin zur politischen Führung befugt und wie dieser Staat zu organisieren sei. Das Konzept der "Gottesherrschaft" geht zurück auf Abul Ala Al-Maududi und Sayyid Qutb (1906 - 1966), den 1966 hingerichteten Chefideologen der ägyptischen Muslimbruderschaft. Beide definierten die gesamte Welt, einschließlich des Westens und der islamischen Hemisphäre, als in einem Zustand der "heidnischen Unwissenheit" befindlich und forderten die Bekämpfung nicht-glaubenskonformer Muslime und so genannter "Ungläubiger" mit Hilfe des "Jihad" ("Kampf"). Den "Jihad um Gottes Willen" verstehen Islamisten nicht - wie in der klassischen islamischen Rechtstheorie definiert - als eine ausschließlich zum Zwecke der Verteidigung des Islam zulässige Methode. Der Jihad ist für sie vielmehr eine offensive und militante Aktionsform, die sie zudem zur individuellen Pflicht eines jeden Muslims erheben. Wie weit ein derartiges Verständnis des Jihad gehen kann, zeigte der von Usama Bin Ladin im Februar 1998 verfasste Aufruf der "Islamischen Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzzügler". Hierin hatte er u. a. die Tötung von Amerikanern zur individuellen Pflicht eines jeden Muslims erklärt und zugleich behauptet, sich in einem gerechten Verteidigungskampf gegen einen überlegenen Gegner zu befinden. Gemeinsam ist den islamistischen Bewegungen, dass sie die politischen Verhältnisse ihrer Heimatländer radikal in Frage stellen. Dies betrifft vor allem die Regierungen in Ägypten, Syrien, Jordanien, Algerien, Tunesien, Marokko, im Irak, sowie die Palästinensische Autonomiebehörde. Ziel der islamistischen Bewegungen ist es bis heute, die autokratischen Herrschaftssysteme in den muslimischen Ländern zu beseitigen, der islamischen Religion größeren Einfluss zu verschaffen und dort möglichst einen - wie auch immer gearteten - "islamischen Staat" zu errichten. Die Tatsache, dass die islamistischen Bewegungen eine gegen 162 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Monarchien, Militärdiktaturen und Einparteienherrschaften gerichtete Opposition darstellen, hat zur Konsequenz, dass die Regierungen dieser Staaten sie seit Jahrzehnten massiv bekämpfen; hierzu gehören auch langjährige Haftstrafen, die Anwendung von Folter und die Verhängung der Todesstrafe. Zusammen mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit finden sich bei Islamisten ferner heftige Polemiken gegen das Prinzip des Säkularismus, der Trennung von Religion und Politik. Die Polemiken sind vor allem gegen die herrschenden politischen Systeme der Herkunftsländer gerichtet, zielen aber auch gegen westliche Demokratiemodelle, die als vermeintlich "un-islamisch" abgelehnt werden. In dieser Hinsicht haben sich einige der islamistischen Gruppen nicht allein zu einer Bedrohung für die muslimischen Heimatländer, sondern auch für die internationale Staatengemeinschaft entwickelt. Dies gilt seit den Anschlägen vom 11. September 2001 im besonderen für den islamistischen Terrorismus, der sich einer ähnlichen Argumentation bedient. Den Boden für die zunehmende Militanz bereiten vor allem verbale Angriffe, die in der Mehrzahl gegen Israel und die USA gerichtet sind. Da hierbei selten zwischen staatlicher Politik und den Bewohnern eines Landes differenziert wird, entwerfen einige islamistische Gruppierungen drastische Feindbilder von "Juden" und "Christen". Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Großteil des ideologischen Gemeinguts islamistischer Gruppierungen unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und der Menschenwürde ist. Die Unvereinbarkeit mit der Verfassung betrifft zum einen das Politikverständnis, das in der Forderung nach Schaffung einer "islamischen Ordnung" zum Ausdruck kommt und das die Errichtung eines religiösen Staates, die Anwendung des islamischen Rechts sowie den Anspruch auf Besitz einer absoluten Wahrheit umfasst. Dies gilt zum anderen für die gesellschaftspolitischen Vorstellungen - etwa in der Frage der Gleichberechtigung der Frau -, welche gleichfalls nicht mit unserem pluralistischen System vereinbar sind. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 163 2 RECHTSEXTREMISMUS 2.1 Parlamentsorientierter Rechtsextremismus 2.1.1 "Deutsche Volksunion" ÜBERSICHT Abkürzung DVU Entstehung / Gründung Bund: 1987 Landesverband Berlin: 1988 Mitgliederzahl Bund: ca. 7 000 (2006: ca. 8 500) Berlin: ca. 300 (2006: ca. 380) Organisationsstruktur Partei Sitz München Veröffentlichungen "National-Zeitung / Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) (überregional, wöchentlich, Auflage deutlich unter 40 000 Die "Deutsche Volksunion" (DVU) wurde 1987 auf Initiative des Münchner Geschäftsmanns und Verlegers Dr. Gerhard Frey mit Unterstützung der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (= NPD) als Deutsche Volksunion Liste D gegründet. 1991 vollzog Frey mit der Streichung des Namensbestandteils "Liste D" die Trennung von der NPD. Das Organisationsgeflecht rund um die DVU umfasst den 1971 gegründeten Verein DVU e. V. sowie die drei so genannten Aktionsgemeinschaften "Initiative für Ausländerbegrenzung" (I.f.A.), "Ehrenbund Rudel" und "Aktion Oder-Neiße" (AKON). Darüber hinaus betreibt Frey den "DSZ Druckschriftenund Zeitungs-Verlag GmbH" (DSZ-Verlag) mit der "National-Zeitung / Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) und den "FZ Freiheitlicher Buchund Zeitschriften-Verlag GmbH" (FZ-Verlag) als Buchund Devotionalienversand. Die DVU ist mit 16 Landesverbänden im gesamten Bundesgebiet vertreten. Nach Jahren kontinuierlichen Mitgliederund Bedeutungsverlustes hat sie ihre Position als mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei an die NPD verloren. 164 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 In ihrem Parteiprogramm bekennt sich die DVU formal zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. In der praktischen Arbeit der Partei spielt die Programmatik allerdings kaum eine Rolle. Ihr politischideologischer Standpunkt spiegelt sich vielmehr in der Agitation der NZ wider. Die NZ ist die auflagenstärkste rechtsextremistische Wochenzeitung in Deutschland. Aufgrund der Rolle Freys als Herausgeber der NZ und Bundesvorsitzender der DVU kann die Zeitung als Presseorgan der Partei bezeichnet werden. In ihren Artikeln wird die angeblich einseitige Vergangenheitsbewältigung kritisiert: "Wenn es um die Totalverdammung der Wehrmacht als "verbrecherische Angriffsund Vernichtungsarmee" geht, verschanzt sich die bundesdeutsche Bewältigungsschickeria mit Vorliebe hinter dem breiten Rücken "des Auslands", welches angeblich eine derartige Verteufelung von den Deutschen erwarte. Tatsächlich aber ist das Bild von der Wehrmacht in fast allen Ländern der Welt günstiger und ehrenvoller als in Deutschland selbst." 326 Die Verbrechen der Nationalsozialisten und insbesondere die Ermordung der Juden werden zwar als historische Tatsachen nicht geleugnet, jedoch wird der Holocaust relativiert und die deutsche Kriegsschuld bestritten. So lautete die Bildunterschrift zu einem Foto aus dem Jahr 1939 zu dem Artikel "Wie lange noch deutsche Selbstgeißelung": "1. September 1939: Deutscher Einmarsch in Polen. In heutigen Geschichtsbüchern wird dieser Feldzug als unmotivierter deutscher Überfall auf das Nachbarland dargestellt, wobei man die Vorgeschichte völlig ausblendet." 327 Fremdenfeindliche Attacken sind regelmäßiger Bestandteil der politischideologischen Agitation der NZ. So wurde über Migration unter den Schlagzeilen "Freie Fahrt für Zigeuner?" 328 , "Kommen Millionen Afrikaner? So kann der Ansturm gestoppt werden" 329 , "Deutschland bald türkisch?" 330 und "Geht das Abendland unter?" berichtet. In diesem Artikel wird nachfolgend als "Die deutschen Lebensinteressen" aufgeführt: 326 Waren unsere Soldaten Mörder? In: "National-Zeitung" Nr. 49/2007, 30.11.2007, S. 2. 327 Wie lange noch deutsche Selbstgeißelung? In: "National-Zeitung" Nr. 27/2007, 29.6.2007, S. 11. 328 Freie Fahrt für Zigeuner? In: "National-Zeitung" Nr. 48/2007, 23.11.2007, S. 1. 329 Kommen Millionen Afrikaner? In: "National-Zeitung" Nr. 30/2007, 20.7.2007, S. 1. 330 Sven Eggers: Deutschland bald türkisch? In: "National-Zeitung" Nr. 34/2007, 17.8.2007, S. 3. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 165 "Verantwortliche Politiker im Kartell der etablierten Parteien steuern auf eine drastische Veränderung und Auswechslung des deutschen Volkes zu. Das Vermächtnis aller, die ihr Leben für Deutschland gaben, mahnt uns dazu, die deutsche Identität Deutschlands zu schützen und zu wahren." 331 Insbesondere gerät der Prozess der Erweiterung der "Europäischen Union" (EU) ins Visier, wobei die Türkei oder Israel als so genannte "raumfremde Staatswesen" eingestuft werden. Im Zusammenhang mit Strafprozessen und Haftstrafen gegen rechtsextremistische Revisionisten wie David Irving, Ernst Zündel und Gerd Honsik berichtete die NZ im Jahr 2007 ausführlich und solidarisierte sich mit ihnen. 332 In ähnlicher Weise wurde über Verfahren und Ermittlungen gegen NS-Kriegsverbrecher wie Erich Priebke berichtet. 333 Die DVU tritt bei Wahlen überwiegend auf Landesebene in loser Folge mit zumeist geringem Erfolg in den nordund ostdeutschen Bundesländern an. An der Bundestagswahl im September 2005 nahm die Partei nicht teil. Derzeit ist sie mit einer Fraktion im Brandenburger Landtag vertreten, in den sie nach einer Wahlabsprache mit der NPD anlässlich der Landtagswahlen im September 2004 erneut einzog. Das erst im Mai 2007 errungene Mandat in der Bremischen Bürgerschaft verlor sie bereits im Juli 2007 durch den Parteiaustritt ihres Abgeordneten. Ihr bestes Wahlergebnis erzielte die DVU 1998 mit 12,8 Prozent bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin am 17. September 2006 errangen auf der Liste der NPD drei DVU-Anhänger Mandate. 334 In den letzten Jahren verzichtete die DVU auf ihre traditionelle "Großkundgebung der National-Freiheitlichen" in der Passauer Nibelungenhalle. Dies ist ein deutliches Zeichen für die schon seit längerem anhaltende Stagnation der Partei. Die Mitgliederzahlen gehen zurück und die DVU überaltert zunehmend. Ein Parteileben findet nur in geringem Umfang statt. Die Mitglieder beschränken sich im Wesent331 Dr. Gerhard Frey: Geht das Abendland unter? In: "National-Zeitung" Nr. 35/2007, 24.8.2007, S. 4. 332 Vgl. u. a. Irvings Kampf für die Wahrheit - Mutiger Historiker trotzt der Gesinnungsdiktatur. In: "National-Zeitung" Nr. 16/2007, 13.4.2007, S. 7. 333 Hass und Rachsucht statt Versöhnung? In: "National-Zeitung" Nr. 27/2007, 29.6.2007, S. 7. 334 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007, S. 13. Vgl. auch S. 11 f. 166 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 lichen auf das Lesen der NZ. Der Grund für die mangelnde inhaltliche und strukturelle Dynamik der DVU liegt in ihrer besonderen Führungsstruktur. Die Partei wird von ihrem Gründer und Vorsitzenden autokratisch geleitet. Sie ist finanziell von dem privat vermögenden Frey abhängig. Die Kontrolle über die Parteifinanzen ermöglicht ihm die weitgehende Steuerung der gesamten Parteiarbeit. Auf dem Bundesparteitag im Januar 2007 wurde Gerhard Frey dementsprechend ohne Gegenkandidaten in seinem Amt bestätigt. Auch der Landesverband Berlin ist seit Jahren durch die Passivität seiner Mitglieder geprägt, die sich nach dem Austritt des Berliner Landesvorsitzenden im August 2007 noch verstärkt hat. Unterhalb der Ebene des Landesverbandes fand auch zuvor kein Parteileben statt. Die Berliner DVU verfügt über kein eigenständiges politisches Profil und agiert lediglich in enger Anlehnung an die Bundeszentrale der DVU. Nachdem sich einige DVU-Mitglieder im Berliner Wahlkampf des Jahres 2006 stark bei der NPD engagiert haben, deutet sich nun wieder eine größere Distanz zur NPD an. 335 335 Vgl. S. 16. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 167 2.1.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" ÜBERSICHT Abkürzung NPD Entstehung / Gründung Bund: 1964 Landesverband Berlin: 1966 Mitgliederzahl Bund: ca. 7 200 (2006: ca. 7 000) Berlin: ca. 290 (2006: ca. 210) Organisationsstruktur Partei Sitz Berlin Veröffentlichungen "Deutsche Stimme" (überregional, monatlich, Auflage ca. 21 000) "Zündstoff - Deutsche Stimme für Berlin und Brandenburg" (regional, vierteljährlich) Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) ging 1964 aus der rechtsextremistischen "Deutschen Reichspartei" (DRP) hervor. Der Vorsitzende der DRP, Adolf von Thadden, war Initiator der NPDGründung und von 1967 bis 1971 deren Vorsitzender. Die NPD verfügt mit den "Jungen Nationaldemokraten" (JN) über eine Jugendorganisation. Im September 2006 wurde der "Ring Nationaler Frauen" (RNF) als "bundesweite Frauen-Organisation der NPD" gegründet. Darüber hinaus existiert seit 2003 die "Kommunalpolitische Vereinigung" (KPV) als Organisation für die kommunalen Mandatsträger der NPD. Aktivitäten des formell noch bestehenden "Nationaldemokratischer Hochschulbund e. V." (NHB) als Studentenvereinigung sind nicht mehr wahrnehmbar. Als Parteizeitung vertreibt die NPD die Monatsschrift "Deutsche Stimme" (DS). Die Partei, deren Bundesgeschäftsstelle sich seit 2000 in Berlin befindet, verfügt über 16 Landesverbände. Im April 2003 kam es zur Trennung des gemeinsamen Landesverbands Berlin-Brandenburg. Der gemeinsame Landesverband der Jugendorganisation blieb davon unberührt. Zum Jahresende 2003 löste sich der JN-Landesverband Berlin-Brandenburg 168 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 nahezu selbst auf. In 2007 konnten Versuche zur Reorganisation der Berliner JN festgestellt werden. 336 Die NPD vertritt fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Positionen und versteht sich als Fundamentalopposition zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Als "sozialrevolutionäre Erneuerungsbewegung" strebt sie in aggressiver Weise die grundsätzliche Neuordnung des Staatsaufbaus an. Ziel ist die Beseitigung des derzeitigen politischen Systems: "Die JN versteht sich als Jugendorganisation mit revolutionärer Ausrichtung. Revolutionär heißt für uns den Angriff auf die bestehenden Verhältnisse. Wenn uns bürgerliche und reaktionäre Kreise vorwerfen, daß wir an einer "Umwälzung" hinarbeiten, dann sagen wir diesen Leuten: "Jawohl, wir versuchen nachzuholen, was Ihr in Eurer verbrecherischen Dummheit versäumt habt!" [...] Ein wirklicher Revolutionär, welcher diesen Begriff nicht als bloßes hüllenloses Werbeschild verwendet, steht keinesfalls loyal zur heutigen politischen Ordnung. Jedem muß es also um die Umkehrung der Herrschaftsverhältnisse gehen." 337 Grund dafür sei die Zerstörung der nationalen Identität durch die "herrschenden Parteien": "Es ist entlarvend mit welcher Wortwahl etablierte Parteienvertreter ihre Geisteshaltung offenbaren. Wenn mit Blick auf uns Deutsche im Zusammenhang mit der stattfindenden Überfremdung und verordneten Integration davon geredet wird, was der noch deutschen Mehrheitsgesellschaft abverlangt werden müsse, so zeigt dies überdeutlich, daß hier an einem demokratischen Willensausdruck vorbei ein Bevölkerungsaustausch herbeigeführt werden soll. Vokabeln wie "abverlangen" zeigen zudem, mit welcher Unverfrorenheit man bereits eingesteht, daß die Deutschen nach jahrzehntelanger ungefragter Zwangsduldung von Ausländermassen jetzt auch noch deren Übernahme der Ballungszentren unserer Heimat finanzieren sollen. Frau Merkel versteigt sich sogar dazu, die Deutschen lediglich noch als diejenigen, die länger hier leben, zu umschreiben. Dies ist ekelerregend und ruft Würgegefühle bei mir hervor. Unsere derzeitige politische Führung ist schlimmer als die internationalen Heuschrecken, vor denen sie heuchlerisch warnt." 338 336 Vgl. S. 21 f. 337 Hagen Brunner: Unser Ringen um die Zukunft. In: "Der Aktivist" Ausgabe 1/2007, S. 4. 338 Sascha Roßmüller (stellv. Parteivorsitzender), zitiert nach: NPD Pressestelle: Deutscher Städtetag verschreibt sich der Umvolkung. Internetauftritt der NPD, Aufruf am 29.5.2007. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 169 Zu diesem Zweck agitiert sie gegen die "Systemparteien" als Träger der rechtsstaatlichen Ordnung und gegen demokratische Prinzipien wie den Pluralismus. Ideologische Grundlage ist ein anti-individualistisches Menschenbild und der völkische Kollektivismus. Das Ziel der NPD ist die Schaffung einer "ethnisch homogenen Volksgemeinschaft" 339 : "Wir sind keine Zweckgemeinschaft aus zufällig an einem Ort zusammentreffenden Menschen. Wir sind ein Volk. Eine über jahrtausende gewachsene Gemeinschaft gleicher Kultur und gleicher Werte. [...] Wir Nationalisten wissen, dass wir nur Menschen sein können, wenn wir Wurzeln, Kultur, Werte und Heimat haben. Wir sind bereit, unseren Ruf, unsere Arbeit, unser Geld und unsere Zeit, ja unser Leben zu opfern, für das größere Ganze, das sich Deutschland nennt. [...] Entzündet die Fackel einer neuen Zeit, die den Völkern dieser Welt das Licht wieder geben soll, das sie aus der geistigen und ökonomischen Fremdherrschaft lösen soll. Seit einig, seit stark. Lernt wieder selber zu denken. Morgen schon kann das neue Deutschland Wirklichkeit sein." 340 So forderte die Berliner NPD in ihrem Aktionsprogramm zur Abgeordnetenhauswahl, das auf dem Landesparteitag am 4. Februar 2007 auch als Parteiprogramm übernommen wurde: "Heimat Berlin [...] Gleichartige Kultur, Menschen und der gemeinsam erlebte und gestaltete Lebensraum." 341 Eine Wesensverwandtschaft ihrer Positionen mit der nationalsozialistischen Ideologie und eine Verharmlosung ihrer menschenverachtenden Folgen wird durch die Wahl der Begriffe in ihrer Agitation deutlich: "Doch was sind schon Taten von gestern? Wer vor den Problemen der Gegenwart nicht besteht, ist eben gezwungen, eine ruhmreiche Vergangenheit in den Schmutz zu ziehen, um das eigene minderwertige Erscheinungsbild dadurch aufzupolieren. Da werden halt Rosstäuschertricks angewandt, damit hat man ja Erfahrung. So werden wirkliche Helden der staunenden Nachwelt als Prototypen des Verbrechertums, als Dämonen in Menschengestalt, beschrieben. Deserteure hingegen, Verräter und Sabo339 Holger Apfel: Weder Recht noch Menschlichkeit. In: "Deutsche Stimme" Nr. 9/2003, September 2003. 340 Jörg Hähnel: Auszug der Rede auf der NPD-Kundgebung zum Volkstrauertag "Trotz alledem" am 17.11.2007 in Berlin-Karlshorst. Dokumentiert auf der Internetseite www.hagalil.com, Aufruf am 19.12.2007. 341 Aktionsprogramm zur Abgeordnetenhauswahl 2006. Internetauftritt des Berliner NPDLandesverbands, Aufruf am 20.11.2006. 170 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 teure, Dissidenten und Opportunisten können ihre Auferstehung als überzeugend heldische Lichtgestalten feiern." 342 Hinzu kommt die Heroisierung führender Repräsentanten und Institutionen des NS-Regimes. Die NPD tritt regelmäßig mit ihrer aggressiven Propaganda öffentlich in Erscheinung. Wenige Jahre nach ihrer Gründung verzeichnete sie mit dem Einzug in mehrere Landesparlamente ihre ersten Erfolge. Ihren bisherigen Höhepunkt erlebte die NPD im Jahr 1969, als sie bei der Bundestagswahl mit 4,3 Prozent der Stimmen nur knapp den Einzug in den Deutschen Bundestag verpasste. Danach kam es aufgrund innerparteilicher Querelen zu einem Bedeutungsverlust der Partei. Der seit 1996 amtierende Parteivorsitzende Udo Voigt versucht mit einem "Drei-Säulen-Konzept" eine strategische Neuausrichtung und Wiederbelebung zu erreichen. 343 Demnach konzentriert sich die Arbeit auf drei strategische Ebenen: den "Kampf um die Straße", den "Kampf um die Köpfe" und den "Kampf um die Parlamente". Das Konzept formuliert das Ziel, die NPD nicht nur als Wahlpartei zu etablieren ("Kampf um die Parlamente"), sondern auch Einfluss auf intellektuelle Diskurse zu nehmen ("Kampf um die Köpfe") und durch provokante Aktionen und Demonstrationen die Basis ihrer Anhängerschaft zu verbreitern ("Kampf um die Straße"). Mit dem "Drei-Säulen-Konzept" und der Öffnung der Partei konnte die NPD insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern neue, überwiegend jüngere Mitglieder gewinnen. Mit der konzeptionellen Neuausrichtung war auch eine Radikalisierung der Partei verbunden, die im Jahr 2000 Anlass für die Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht war. 344 Das Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD und Auflösung ihrer Parteiorgani342 Eckart Bräuniger: Gedanken zum Volkstrauertag. Internetauftritt der NPD Berlin, Aufruf am 12.11.2007. 343 Vgl. Holger Apfel: 35 Jahre NPD - Alles Große steht im Sturm. Tradition und Zukunft einer großen Partei. Stuttgart 1999. 344 Vgl. Beschluss des BVerfG vom 18.3.2003, 2 BvB 1/01. Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2001. Berlin 2002, S. 32 - 36; Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2002. Berlin 2003, S. 17 - 20; Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004, S. 53 - 56. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 171 sation wurde mit Entscheidung des Zweiten Senats vom 18. März 2003 eingestellt. 345 Nach Abschluss des Verbotsverfahrens bemühte sich die NPD erfolgreich um die Überwindung der Isolation im rechtsextremistischen Lager. Bei der Landtagswahl in Sachsen im September 2004 konnte die Partei u. a. aufgrund einer Wahlabsprache mit der rechtsextremistischen Deutschen Volksunion (= DVU) mit 9,2 Prozent der Stimmen in den Landtag einziehen. Im Anschluss daran rief sie mit Erfolg zur Bildung einer "Volksfront" auf. Seit 2004 profitiert sie von diesem Bündnis mit der DVU und den parteifreien Rechtsextremisten sowohl im Bundesgebiet als auch in Berlin. Sie entwickelte sich im Jahr 2006 zum zentralen Akteur der rechtsextremistischen Szene und konnte diese Position 2007 behaupten. 346 2.2 Aktionsorientierter Rechtsextremismus 2.2.1 "Anti-Antifa" Als Reaktion auf die linksextremistische "Antifa" entwickelten gewaltbereite und ideologisch gefestigte aktionsorientierte Rechtsextremisten die Strategie der "Anti-Antifa". "Anti-Antifa"-Aktivisten sammeln Informationen und persönliche Daten über (vermeintliche) politische Gegner und veröffentlichen diese teilweise im Internet oder in Szenepublikationen. Zu diesem Personenkreis zählen sie Repräsentanten des Staates oder jüdischer Organisationen sowie Personen, die sie als "Linke" einstufen. Durch die Veröffentlichungen soll eine Drohkulisse aufgebaut und der politische Gegner verunsichert werden. Um die Gewalt gegen staatliche Organe oder deren Repräsentanten zu rechtfertigen, wird die Bundesrepublik Deutschland als Diktatur und 345 Im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts fand sich nicht die nach SS 15 Abs. 4 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) für eine Fortsetzung notwendige ZweiDrittel-Mehrheit. Eine Minderheit der Richter vertrat die Auffassung, dass die Beobachtung der NPD durch V-Personen, die unmittelbar vor und während des Verbotsverfahrens als Mitglieder des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands fungieren, in der Regel unvereinbar mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren sei. Die Mehrheit hielt eine Fortsetzung des Verbotsverfahrens für geboten. Sie sah in dem Vorgehen der Verfassungsschutzbehörden keinen schwerwiegenden Mangel, der eine Verfahrenseinstellung rechtfertigen könnte. 346 Vgl. S. 7 - 19. 172 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 "Unrechtsregime" verunglimpft, da nationalsozialistische Meinungen und politische Betätigungen "unterdrückt" würden. Die "Anti-Antifa"-Aktivitäten sind weiterhin der Aktionsschwerpunkt im Kameradschaftsnetzwerk (= Kameradschaften). Ort der Auseinandersetzungen ist insbesondere der so genannte "Weitlingkiez", der sowohl von Rechtswie auch von Linksextremisten zum eigenen "Revier" erklärt wurde. 347 Als Personenzusammenschlüsse sind in diesem Bereich vor allem die "Autonomen Nationalisten Berlin" (ANB) und die "Aktionsgruppe Rudow" (AGR) aktiv. Diese sind den "Autonomen Aktionsgemeinschaften (=) zuzurechnen. 2.2.2 "Autonome Aktionsgemeinschaften" Seit 2002 gibt es innerhalb des Kameradschaftsnetzwerks 348 in Berlin die Tendenz, sich hinsichtlich Habitus, Kleidung und Aktionen dem Stil autonomer Linksextremisten anzunähern. Diese "autonomen Rechtsextremisten" sind für Außenstehende, aber teilweise auch für die jeweiligen Szeneangehörigen, nicht mehr ohne Weiteres von Linksautonomen zu unterscheiden. Zu den identitätsstiftenden Merkmalen zählen ein eigener Slang, bestimmte Musik und eigene Codes. Gleichzeitig ist eine zunehmende Gewaltbereitschaft festzustellen. Im Gegensatz zu den konventionellen Kameradschaften (=) sind autonome Aktionsgemeinschaften Gruppen ohne feste Bindung (formale Mitgliedschaft, Kassenund Buchführung) und regelmäßige Basisarbeit (Kameradschaftsabende, politische Schulungen). Bei den autonomen Aktionsgemeinschaften gilt das Prinzip "Mitgliedschaft durch Mitmachen". Es werden erlebnisorientierte politische Aktionen durchgeführt, zu denen oft spontan über SMS-Ketten mobilisiert wird. Zentrale Aktionsfelder sind Anti-Antifa-Aktivitäten (=) das Ausspähen und Sammeln von Daten sowie die Auseinandersetzung mit politischen Gegnern. Agiert wird u. a. durch das Anbringen von Aufklebern ("Spuckis"), Farbschmierereien sowie die Bildung "schwarzer Blöcke" bei rechtsextremistischen Demonstrationen. In Berlin existieren die neonazistischen autonomen Aktionsgemeinschaften "Autonome Nationalisten Berlin" (ANB) und "Aktionsgruppe Rudow" (AGR). Die erstmals 2002 in Erscheinung getretenen ANB und 347 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007. S. 44. 348 Zum Begriff des "Kameradschaftsnetzwerks" vgl. S. 179 f. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 173 die 2005 entstandene AGR sind sehr um Konspiration bemüht. Für alle öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten wie die Anmeldung von Demonstrationen, den Betrieb eines eigenen Internetauftritts und die Erstellung von Propagandamaterial wird die bewusst allgemein gehaltene Bezeichnung "Freie Kräfte Berlin" (FKB) genutzt. Um einen eigenständigen Personenzusammenschluss handelt es sich bei den FKB nicht. Den autonomen Aktionsgemeinschaften sind in Berlin etwa 100 Personen zuzurechnen, die überwiegend in den östlichen Bezirken agieren. Lokale Schwerpunkte sind die Bezirke Lichtenberg, Treptow-Köpenick, Neukölln und Pankow. 2.2.3 "Blood & Honour" ÜBERSICHT Abkürzung B&H Entstehung / Gründung 1986 Großbritannien 1994 Deutschland Organisationsstruktur 2000 Vereinsverbot Der in Deutschland verbotene neonazistische Skinhead-Zusammenschluss Blood & Honour (B & H) ist neben den Hammerskins (= HS) eines der beiden international agierenden rechtsextremistischen Skinhead-Netzwerke (= Skinheads). Gegründet wurde B & H 1986 von Ian Stuart Donaldson in Großbritannien und etablierte sich im Laufe der 90er Jahre in vielen europäischen Ländern und den USA. Dem B & H- Netzwerk gehörten bundesweit rund 200 Personen an, die sich in 15 Sektionen organisierten. Die Sektion Berlin bestand aus ca. 30 fest eingebundenen Mitgliedern, das Aktivierungspotenzial der Organisation lag jedoch deutlich höher. B & H wird in Szenekreisen mit dem Zahlencode "28" abgekürzt (nach dem zweiten und achten Buchstaben des Alphabets). B & H versteht sich ausdrücklich als neonazistischer Personenzusammenschluss und ist eine wesentliche Kommunikationsplattform ideologisch gefestigter rechtsextremistischer Skinheads. Ziel der Organisation ist die Verbreitung der rechtsextremistischen Ideologie über das 174 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Medium Musik (= Rechtsextremistische Musik). Im Gegensatz zu rechtsextremistischen Parteien wurde B & H von den rechtsextremistischen Skinheads als authentisch akzeptiert und gewann vor allem durch die Veranstaltung von Konzerten und die Produktion rechtsextremistischer Musik an Bedeutung. Da sich die Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtet, verbot der Bundesminister des Innern den Personenzusammenschluss im September 2000. In den meisten Ländern ist B & H nicht verboten. So z. B. in Belgien und Italien; dort finden weiterhin von B & H organisierte Konzerte und Treffen statt. Einige der ehemaligen Berliner Aktivisten sind weiterhin im rechtsextremistischen Musiknetzwerk aktiv. In Berlin gelang es den ehemaligen B & H-Aktivisten nach dem Verbot nicht, den organisatorischen Zusammenhalt aufrecht zu erhalten und Konzerte zu veranstalten. 349 2.2.4 "Hammerskins" ÜBERSICHT Abkürzung HS Entstehung / Gründung Mitte der 80er Jahre USA 1994 Deutschland Mitgliederzahl Bund: ca. 100 (2006: ca. 100) Berlin: unter 20 (2006: unter 20) Organisationsstruktur Internationale Vereinigung Regional untergliedert in Chapter und Sektionen Die Hammerskins (HS) sind neben Blood & Honour (= B & H) die zweite international tätige rechtsextremistische Skinhead-Organisation (= Skinheads). Die HS wurden Mitte der 80er Jahre als neonazistische "Elite"-Organisation in den USA gegründet. Die Bemühungen um eine 349 In mehreren anderen Bundesländern sind Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Fortführung der verbotenen Vereinigung B & H anhängig. Der Schwerpunkt der Ermittlungen liegt in Bayern und Baden-Württemberg. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 175 länderübergreifende Zusammenarbeit leiten sich aus einem rassistischen Weltbild ab. Ziel der HS ist die Vereinigung aller "weißen" Skinheads über Ländergrenzen hinweg in einer "Hammerskin-Nation". Das Symbol der HS sind zwei gekreuzte Zimmermannshämmer, die auf die Wurzeln der Skinhead-Subkultur im Arbeitermilieu hinweisen und dessen Kraft symbolisieren sollen. In Deutschland bildeten sich ab etwa Mitte der 90er Jahre regionale Zusammenschlüsse ("Sektionen"). Aufgrund mangelnder Organisationsstrukturen und einer fehlenden Führungspersönlichkeit in ihren Reihen konnten die HS aber weder in Konkurrenz zu B & H treten, noch ihr Selbstbild als Elite der rechtsextremistischen Skinheads durchsetzen. Angesichts des postulierten Ziels einer "Hammerskin Nation" fällt die Konzeptionslosigkeit der HS auf. Eine Strategie zur Umsetzung ihres Ziels ist nicht erkennbar. Überregionale Koordinierungstreffen finden zwar regelmäßig statt, Impulse gehen von diesen Treffen bislang jedoch nicht aus. Die Berliner Sektion gründete sich 1994. Sie umfasste bei geringer Fluktuation nie mehr als 30 Mitglieder. Gemessen an dem von den "Hammerskins" formulierten Anspruch, geht von der Berliner Sektion keine Außenwirkung aus. 176 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 2.2.5 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." ÜBERSICHT Abkürzung HNG Entstehung / Gründung 1979 Mitgliederzahl Bund: ca. 600 (2006: ca. 600) Berlin: ca. 30 (2006: ca. 40) Organisationsstruktur Eingetragener Verein Sitz Frankfurt am Main Veröffentlichungen "Nachrichten der HNG" (überregional, monatlich, Auflage ca. 600) Die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) ist mit bundesweit ca. 600 Personen nach den größeren rechtsextremistischen Parteien der mitgliederstärkste Zusammenschluss im Rechtsextremismus. In Berlin verfügt die HNG über ein Mitgliederpotenzial von rund 40 Personen. Die HNG bezeichnet sich als "Sammelbecken und Solidargemeinschaft" für Neonazis aller politischen Gruppierungen. Laut ihrer Satzung verfolgt sie "ausschließlich karitative Zwecke, indem sie nationale und politische Gefangene und deren Angehörige im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Mittel unterstützt" 350 . Tatsächlich ist es ihr Ziel, die Einbindung der Straftäter in die rechtsextremistische Szene während der Haftzeit zu gewährleisten und sie nach der Haftentlassung nahtlos wieder zu integrieren. Zu diesem Zweck nutzt die HNG ihre Publikation "Nachrichten der HNG". Darin sind "Gefangenenlisten" abgedruckt sowie eine Liste inhaftierter Rechtsextremisten, die Briefkontakt wünschen. Auch in Berliner Haftanstalten werden Rechtsextremisten von der HNG betreut. Die Betreuung geht kaum über die Zustellung der "Nachrichten der HNG" hinaus, die allerdings von vielen Justizvollzugsanstalten unterbunden wird. Der Häftling wird in die dort publizierte "Gefange350 SS 2 Satzung der HNG vom 13.3.1999. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 177 nenliste" aufgenommen, manche erhalten Briefe der Vorsitzenden der HNG. Antworten auf diese Briefe werden teilweise in den "Nachrichten der HNG" veröffentlicht. In Einzelfällen erhalten Häftlinge geringe Geldspenden. Die HNG versucht, den Eindruck zu erwecken, alle von ihr betreuten Straftäter seien "politische Gefangene". Dabei nimmt sie keinen Anstoß daran, dass einige der Häftlinge für Kapitalverbrechen wie Mord oder Totschlag verurteilt worden sind. Aufgrund des eng umrissenen Vereinszwecks spielen ideologische oder strategische Meinungsverschiedenheiten der HNG-Mitglieder keine große Rolle. Die HNG ist bemüht, sich aus politischen Auseinandersetzungen innerhalb des Rechtsextremismus herauszuhalten, einen "neutralen" Status zu wahren und die Vernetzung innerhalb des Rechtsextremismus zu fördern. 2.2.6 "Kameradschaft Spreewacht" ÜBERSICHT Abkürzung KSW Entstehung / Gründung Ende der 90er Jahre Mitgliederzahl Unter 20 (2006: unter 20) Organisationsstruktur Gruppe Sitz Berlin Die Mitglieder der "Kameradschaft Spreewacht" (KSW) sind der Subkultur der rechtsextremistischen Skinheads zuzurechnen. Die lebensälteren Rechtsextremisten propagieren neonazistisches Gedankengut und transportieren das subkulturelle Lebensgefühl der Mitglieder in Abgrenzung zur bürgerlichen Gesellschaft. Auf ihrer Homepage, die 2007 teilweise monatelang nicht erreichbar war, finden sich rechtsextremistische Symbole und Codes, so beispielsweise "88" für "Heil Hitler". 351 Nach eigener Aussage gründete sich die 351 Vgl. Internetauftritt der KSW, Aufruf am 1.2.2007. 178 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Gruppe Ende der 90er Jahre und schottete sich ab, um sich der Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden zu entziehen: "Wir die Kameradschaft Spreewacht ein feierfreudiges Völkchen haben uns Ende der 90er Jahre zusammen gerauft. Da gerade in Berlin die sogenannte Staatsmacht [...] alles daran setzte um geistig gefestigte Menschen zu kriminalisieren, und zu unterwandern, haben wir uns abgeschottet [...]." 352 Auf der Homepage sind zahlreiche Schlagoder Schusswaffen abgebildet. Ihre Aggressivität gegenüber dem politischen Gegner zeigte eine Grafik, auf der ein Neonazi einer am Boden liegenden Person vor den Kopf tritt. Umrandet ist diese Szenerie mit dem Schriftzug: "Good night, left side." 353 Die KSW gehört zum rechtsextremistischen Musiknetzwerk in Berlin und betreibt ein Clubhaus in Berlin-Lichtenberg. Dort veranstaltet sie Feiern und versucht, rechtsextremistische Konzerte zu organisieren (= Rechtsextremistische Musik) 2.2.7 Neonazis Neonationalsozialisten (Neonazis) orientieren sich am historischen Nationalsozialismus wie er von der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP) zwischen 1920 und 1945 vertreten wurde. Wie in der NSDAP sind auch im Neonazi-Spektrum unterschiedliche ideologische Strömungen festzustellen. So gibt es Bezüge zum sozialrevolutionären Flügel innerhalb des Nationalsozialismus und dem damit verbundenen Antikapitalismus Ernst Röhms und der Gebrüder Strasser. Allen Versionen des Neonationalsozialismus gemeinsam ist die Glorifizierung der Führungspersonen des NS-Regimes und die Verharmlosung der NS-Verbrechen. Ein Teil der bundesweiten Neonazi-Szene ist in festen Strukturen wie den so genannten (=) Kameradschaften organisiert. In Berlin existieren derzeit keine einzelnen Kameradschaften. Andere Neonazis nehmen lediglich unregelmäßig an politischen Aktionen wie Demonstrationen teil oder betätigen sich in dem losen Verbund einer (=) autonomen Aktionsgemeinschaft. 352 Ebenda. 353 Ebenda. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 179 Rund 75 Prozent der Berliner Neonazis wohnen in den östlichen Bezirken. Insgesamt konzentrieren sich über 90 Prozent auf die fünf Bezirke Treptow-Köpenick, Pankow, Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Neukölln. 2.2.8 Rechtsextremistische Kameradschaften Rechtsextremistische Kameradschaften sind Personenzusammenschlüsse, die einen abgegrenzten Aktivistenstamm mit beabsichtigter geringer Fluktuation haben, eine lediglich lokale oder maximal regionale Ausdehnung, eine mindestens rudimentäre Struktur und die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf der Basis einer rechtsextremistischen, insbesondere neonazistischen Grundorientierung. Kameradschaften sind in der Regel hierarchisch gegliedert und bestehen aus einem autoritär agierenden Kameradschaftsführer, einem Stellvertreter und meist jugendlichen Kameradschaftsmitgliedern, die sich regelmäßig zu Kameradschaftsabenden treffen. Die für die Einordnung als Kameradschaft maßgebliche gemeinsame politische Arbeit geschieht z. B. durch geschlossene Teilnahme an Demonstrationen, Erstellung und Verbreitung von Flugblättern, Internetauftritte oder politische Schulungen. Kameradschaften entstanden als Reaktion auf die zahlreichen Organisationsverbote in den 90er Jahren. An die Stelle der zerschlagenen überregionalen Strukturen sollten kleinere, unabhängige Einheiten treten, die aufgrund ihres informellen Charakters weniger Angriffspunkte für staatliches Vorgehen bieten sollten. Nach den Verboten der "Kameradschaft Tor Berlin" (KTB) und der "Berliner Alternative SüdOst" (BASO) 2005 ist auch diese Organisationsform unattraktiv geworden. 2007 traten in Berlin keine Kameradschaften öffentlich in Erscheinung. Ehemalige Kameradschaftsmitglieder engagierten sich zum großen Teil in der Jugendorganisation der NPD oder bildeten einen übergeordneten losen Personenzusammenschluss (Kameradschaftsnetzwerk) ohne starke formale Gruppenzugehörigkeit mit sporadischen und thematisch eingegrenzten Aktionen (= Autonome Aktionsgemeinschaften). 354 Neonazi-Cliquen, die sich mitunter selbst als Kameradschaft bezeichnen, bei denen aber der politisch-ideologischen Arbeit nur sekundäre Bedeutung zukommt, werden vom Verfassungsschutz nicht als Kamerad354 Für aktuelle Entwicklungen im Kameradschaftsnetzwerk vgl. S. 19 - 25. 180 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 schaften eingeordnet. Bei diesen Gruppen stehen konspirative Aktivitäten, gemeinschaftliches Auftreten und gemeinsame Freizeitaktivitäten auf Basis einer neonazistischen Grundorientierung im Vordergrund. Dies gilt z. B. für den rechtsextremistischen Personenzusammenschluss Kameradschaft Spreewacht (=). 2.2.9 Rechtsextremistische Musik Unter rechtsextremistischer Musik versteht man die Kombination rechtsextremistischer Texte mit verschiedenen Musikstilen (u. a. Rock / Hardrock, Liedermacher, Schlager, Volkslieder). 355 Die Musik-Szene ist seit Mitte der 90er Jahre einer der dynamischeren Bereiche des Rechtsextremismus. Im strukturarmen aktionsorientierten Rechtsextremismus stellt sie - und hier besonders durch die Konzerte - eine wichtige Kommunikationsplattform dar. Die Mitgliedschaft in einer Band bietet die Möglichkeit, sich innerhalb der Szene zu profilieren - je menschenverachtender die Texte einer Band sind, desto größer das Ansehen unter den Szene-Angehörigen. Eng mit dem Bedeutungszuwachs der Musikszene war der Aufstieg der Blood & Honour-Organisation (= B & H) verbunden. Strategisch denkende Köpfe wie der B & H-Gründer Ian Stuart Donaldson versuchten, die Musik als Mittel der ideologischen Beeinflussung und Rekrutierung einzusetzen. Diese Strategie war nur begrenzt erfolgreich - eine Rekrutierung für die Szene erfolgt selten über das alleinige Hören rechtsextremistischer Musik. Für die Gewinnung Außenstehender ist der persönliche Kontakt, der auch auf Konzerten zustande kommt, wichtiger. Daneben erlangte der Musikbereich auch finanzielle Bedeutung für den aktionsorientierten Rechtsextremismus. Seit Mitte der 90er Jahre etablierten sich professionelle Händler, welche die Szene mit Tonträgern und sonstigem Szenebedarf (vor allem Kleidung) versorgen. Die Aktivitäten der rechtsextremistischen Musikszene in Berlin erreichten Mitte der 90er Jahre ihren Höhepunkt, bevor sie gegen Ende der 90er Jahre unter erheblichen Druck durch das Vorgehen der Sicherheitsbehörden gerieten: Rechtsextremistische Veranstaltungen wurden 355 Oft verwendete Schlagwörter wie "Rechtsrock" oder "Skinhead-Musik" sind unpräzise, da sie entweder nur einen kleinen Teil rechtsextremistischer Musik bezeichnen (Rechtsrock) oder aber mit ihr nicht deckungsgleich sind. Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Rechtsextremistische Skinheads. Berlin 2003, S. 56 ff und Senatsverwaltung für Inneres: Rechtsextremistische Musik. Berlin 2007. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 181 aufgelöst, Tonträger indiziert und Hausdurchsuchungen durchgeführt. Mit der Verurteilung der Mitglieder der Band "Landser" im Dezember 2003 wurde erstmals eine Band als kriminelle Vereinigung eingestuft. 356 Gegen die Bandmitglieder von "Deutsch, Stolz, Treue" (D.S.T.) hat die Berliner Staatsanwaltschaft wegen der CDs "Ave et Victoria" 357 und "Die Antwort auf's System" 358 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Im Frühjahr 2007 wurde wegen der CD "Ave et Victoria" Anklage erhoben. Im Zusammenhang mit der 2005 veröffentlichten CD "Die Antwort auf's System und den 2007 herausgegebenen Split-CDs "Gift für die Ohren" und "Gift für die Ohren 2", an denen auch die Band "Burn Down" beteiligt ist, wurden ebenfalls Ermittlungsverfahren nach SS 130 StGB eingeleitet. Der rechtsextremistische Konzertbetrieb im Land Berlin ist aufgrund des konsequenten Vorgehens der Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren weitgehend zum Erliegen gekommen. Das hat dazu geführt, dass die Berliner Bands ihre Auftritte überwiegend ins Bundesgebiet und ins Ausland verlegen mussten. Laut einem Beitrag in einem Internetforum soll am 3. November ein rechtsextremistisches Konzert in Berlin durchgeführt worden sein. Dieses Konzert fand jedoch außerhalb Berlins statt. 359 Die rechtsextremistischen Berliner Bands veröffentlichten zwei CDs und lagen damit weiterhin unter dem langjährigen Durchschnitt. 360 356 Urteil des Kammergerichts Berlin vom 22.12.2003, Az: (2) 3 StE 2/02-5(1) (2/02). Das Urteil des Kammergerichts Berlin wurde im März 2005 im Wesentlichen durch den Bundesgerichtshof bestätigt. Az: 3 StR 233/04. Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004, S. 46 - 48. 357 Deren Texte verwirklichen Straftatbestände nach SSSS 86 a (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) und 130 StGB (Volksverhetzung). 358 Es besteht Verdacht des Verstoßes gegen SS 130 StGB. 359 Vgl. S. 30. 360 Vgl. S. 26 ff. 182 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Tonträger-Veröffentlichungen Berliner Bands 12 10 10 8 7 7 6 6 5 5 5 5 4 3 3 2 2 2 2 2 1 1 1 0 0 19 19 19 19 19 19 1990 91 92 93 94 95 96 19 19 19 20 20 20 2097 98 99 00 01 02 03 20 20 20 2004 05 06 07 Die Berliner Bands sind im Vergleich zu früheren Jahren grundsätzlich bemüht, in ihren Veröffentlichungen jugendgefährdende oder strafrechtlich relevante Aussagen weitgehend zu vermeiden. Diese Absicht wurde jedoch nicht durchgängig in die Tat umgesetzt, so dass weiterhin fremdenfeindliche, antisemitische oder demokratiefeindliche Texte veröffentlicht werden. So war die 2007 veröffentlichte Split-CD "Gift für die Ohren" der Bands X.x.X. 361 und "Burn Down" (Brandenburg) strafrechtlich relevant und die "Split-CD "Hass schürender Lärm II" der Bands "Macht & Ehre", "Die Barbaren" (Brandenburg) und "Aryan Brotherhood" (Brandenburg) wurde von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert. In ihrem Lied "Es war einmal" unterstellt die Band X.x.X., dass das Tagebuch der Anne Frank eine Fälschung sei. Den Namen Anne Frank änderten die Musiker in "Hannelore Schrank": "Das dicke Buch der Hannelore Schrank / Ist viele Seiten lang Damit ist ganz genau geklärt / Was sich als guter Stoff bewährt Man denkt sich eine wilde Story aus / Und schlachtet die dann völlig aus... Lüge / Auf geht es zur neuen Runde Alles Lüge / In dieser Märchenstunde" So ging das oft, auch dieses Mal / Verkauft es sich Millionen mal." 362 361 X.x.X. ist das Pseudonym der Band D.S.T. 362 X.x.X.: "Es war einmal". In: "Gift für die Ohren" (2007). HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 183 Mit der Herausgabe von CDs, der Beteiligung an Samplern und Konzerten haben die rechtsextremistischen Berliner Bands auch überregionale Bedeutung. Sie sind vor allem im so genannten "Hardcore"Bereich angesiedelt: Zu den derzeit in Berlin aktiven Bands gehören "Spreegeschwader", "Deutsch, Stolz, Treue" (D.S.T.), "Legion of Thor" (LoT), "Macht & Ehre". Bis zur Verurteilung ihrer Mitglieder spielte die Band "Landser" eine dominante Rolle im rechtsextremistischen Musiknetzwerk. Der ehemalige Sänger dieser Band hat 2004 eine neue Band unter dem Namen "Die Lunikoff-Verschwörung" ins Leben gerufen, die zwischenzeitlich ebenso wie "Landser" verehrt wird. Seit seiner Inhaftierung ruhen die musikalischen Aktivitäten der Band weitgehend. 2007 erschien eine bereits veröffentlichte CD der Band als Langspielplatte. 2.2.10 Skinheads Die Subkultur der Skinheads 363 wird oft mit jugendlichem Rechtsextremismus gleichgesetzt. Dies ist eine unzutreffende Verkürzung, da die Skinheads zunächst eine jugendliche Subkultur wie die der Punks, Hippies oder Raver darstellen. Die Skinhead-Subkultur entstand in den 60er Jahren in Großbritannien und orientierte sich hinsichtlich ihrer Werte und ihres "Outfits" an der Arbeiterklasse. In Deutschland gibt es Skinheads seit Anfang der 80er Jahre, die größten Szenen entwickelten sich in Hamburg und Berlin. Erst im Laufe der Zeit driftete ein Teil der Skinhead-Szene in den Rechtsextremismus ab. Zum einen bestanden Abgrenzungsbestrebungen gegenüber den "linken" Punks, zum anderen bekam die Szene Zulauf aus dem neonazistischen Lager, nachdem die Skinheads aufgrund der Provokation mit rechtsextremistischen Zeichen in der Öffentlichkeit zum Symbol des Rechtsextremismus schlechthin wurden. Das Thema Rechtsextremismus spaltet die Skinhead-Szene. Viele Skinheads - wie zum Beispiel die sich selbst als unpolitisch bezeichnenden "Oi!-Skins" oder politisch links orientierte Skinheads ("Redskins") - wehren sich gegen ihre Vereinnahmung. Obwohl es auch überzeugte, ideologisch gefestigte rechtsextremistische Skinheads gibt (so genannte Nazi-Skins), hat ein großer Teil nur ein diffuses rechtsextremistisches Weltbild. Rechtsextremistische Skinheads sind dem aktionsorientierten Rechtsextremismus zuzuordnen. Das von ihnen ausgehende Risiko besteht vor 363 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Rechtsextremistische Skinheads. Berlin 2003. 184 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 allem in ihrer Gewaltbereitschaft. Rechtsextremistische Gewalt kann allerdings nicht auf die Gewalt der Skinheads reduziert werden. Umgekehrt haben zahlreiche Gewalttaten von Skinheads keinen politischen Hintergrund. 364 Rechtsextremistische Skinheads sind zum großen Teil organisationsfeindlich eingestellt und lehnen eine Einbindung in feste (Partei)-Strukturen ab. Versuche rechtsextremistischer Parteien, das SkinheadPotenzial dauerhaft an sich zu binden (z. B. durch die "Aktionsfront Nationaler Sozialisten" Anfang der 80er Jahre, die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" Mitte der 80er Jahre oder die "Nationale Alternative" Anfang der 90er Jahre), scheiterten. Den jüngsten Versuch machte die NPD mit ihrem Drei-Säulen-Konzept (= NPD). Im Gegensatz zu den Parteien, die von den rechtsextremistischen Skinheads überwiegend als szenefremd wahrgenommen werden, konnten sich in Deutschland seit Anfang der 90er Jahre zwei rechtsextremistische Skinhead-Zusammenschlüsse etablieren: Blood & Honour (=) und die Hammerskins (=). 2.2.11 "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft" ÜBERSICHT Abkürzung Vandalen Entstehung / Gründung 1982 Mitgliederzahl unter 20 (2006: unter 20) Organisationsstruktur Gruppe Sitz Berlin Die "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft" (Vandalen) sind eine Gruppe ideologisch gefestigter Neonazis (=). Die Gruppe wurde 1982 in Ost-Berlin gegründet. Ihre Mitglieder sind inzwischen alle älter als 35 Jahre. Sie machen sich entweder subkulturelle Codes der 364 Vgl. ebenda, S. 37 - 42. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 185 Rocker oder der Skinheads (=) zu eigen. Durch das uniforme Tragen einer "Kutte" verdeutlichen sie ihren Gruppenzusammenhalt. Im Zentrum ihrer Ideologie steht ein neonazistisches Weltbild in Verbindung mit einem völkischen Germanenkult. Der Anführer der "Vandalen" war Initiator und Sänger der rechtsextremistischen Band Landser (= Rechtsextremistische Musik). Die teilweise vorbestraften Bandmitglieder wurden im Dezember 2003 vom Kammergericht wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Im März 2005 bestätigte der BGH nach einer vom Initiator der Band eingelegten Revision das Urteil im Wesentlichen, seither ist er inhaftiert. Die Monate vor der Inhaftierung nutze er mit seiner neuen Band "Die Lunikoff-Verschwörung" zur fortlaufenden Produktion rechtsextremistischer Musik und trat bundesweit auf Konzerten auf, wobei er sich um legales Auftreten bemühte. Die "Vandalen" verfügen über persönliche Kontakte zu beinahe allen Personenzusammenschlüssen im rechtsextremistischen "Netzwerk Musik" in Berlin. Ihr Anführer wird als ehemaliger Texter und Sänger von "Landser" von vielen Rechtsextremisten idolisiert und inszeniert sich seit seiner Verurteilung als "Märtyrer". Die "Vandalen" haben daher eine wichtige Stellung im rechtsextremistischen Berliner Musiknetzwerk. Das Clubhaus der "Vandalen" in Berlin-Hohenschönhausen ist ein Treffort des Netzwerks. Der Ausfall ihres Anführers hat die Aktivitäten der "Vandalen" geschwächt. 186 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 2.3 Diskursorientierter Rechtsextremismus 2.3.1 "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." ÜBERSICHT Entstehung / Gründung 1951 Mitgliederzahl Bund: ca. 150 (2006: ca. 150) Berlin: ca. 20 (2006: ca. 20) Organisationsstruktur Eingetragener Verein Sitz Berlin Veröffentlichungen "Nordische Zeitung" (überregional, vierteljährlich, Auflage ca. 300) Die "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (Artgemeinschaft) ist eine heidnischgermanische Weltanschauungsgemeinschaft. Vorsitzender ist seit 1988 der Neonazi Jürgen Rieger (Hamburg). Der rechtsextremistische MultiFunktionär war auch Funktionär der inzwischen verbotenen "WikingJugend e. V." Er ist seit November 2006 Mitglied des Bundesvorstands der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD). Zuvor hatte er mehrfach durch vermeintliches Interesse an Immobilien, die angeblich zu Schulungszentren ausgebaut werden sollten, öffentliches Aufsehen erregt. Mitteilungsorgan der "Artgemeinschaft" ist die "Nordische Zeitung", deren "Schriftleiter" ebenfalls Rieger ist. Daneben publiziert die "Artgemeinschaft" zwei Schriftenreihen, eine Buchreihe und Einzelschriften in geringerer Auflage. Die "Artgemeinschaft" versteht sich als religiöse Gemeinschaft, die sich "zum germanischen Kulturerbe und dessen Weiterentwicklung" 365 bekennt. Dahinter verbirgt sich eine völkisch-rassistische Weltanschauung, die auf der biologistisch-rassistischen Annahme von verschiedenen 365 Vgl. u. a. Das Sittenbekenntnis unserer Art. Art. 7, In: "Nordische Zeitung", Heft 4/75 2007, Rückseite. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 187 "Menschenarten" mit unterschiedlichen Wertigkeiten basiert. Die Bewahrung und Förderung der eigenen Art ist für die "Artgemeinschaft" das höchste Ziel. Erreicht werden soll dieses Ziel durch "gleichgeartete Gattenwahl, die Gewähr für gleichgeartete Kinder" 366 . Die "Artgemeinschaft" nimmt eine klare Unterscheidung in "Eigene" und "Fremde" - "Freunde" und "Feinde" vor: "Das Sittengesetz in uns gebietet Treue und Vertrauen, Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit und Freimut, Rücksichtnahme, Zuneigung und Liebe gegenüber Verwandten, Freunden und Gefährten, Wachsamkeit und Vorsicht gegenüber Fremden, Härte und Hass gegen Feinde." 367 In ihren programmatischen Schriften "Das Artbekenntnis" und "Das Sittengesetz unserer Art" formuliert die "Artgemeinschaft" zudem eine pervertierte Lebensphilosophie, in deren Zentrum nicht das Leben, sondern Kampf, Opfer und Tod stehen. Die Aktivitäten der "Artgemeinschaft" beschränkten sich in den vergangenen Jahren fast ausschließlich auf die Ausrichtung von bundesweiten und regionalen Festen wie Sommerund Wintersonnenwendfeiern ("Julfeiern"). Die Feste sollen Gemeinschaftserlebnisse sein und tragen meist den Charakter von Familienfeiern; sie haben selten größere Außenwirkung. Gefahr geht von Personenzusammenschlüssen wie der "Artgemeinschaft" dadurch aus, dass sie ihren meist aktionsorientierten Teilnehmern einen lebensweltlichen Gegenentwurf auf heidnischer und völkisch-rassistischer Grundlage bieten. Allerdings schränkt der antimoderne Habitus der "Artgemeinschaft" ihre Anziehungskraft ein. In der "Artgemeinschaft" sind auch Berliner Rechtsextremisten vertreten. Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten entfaltet der Personenzusammenschluss in Berlin jedoch nicht, da für Veranstaltungen ländliche Räume bevorzugt werden. 366 Ebenda, Art. 19. 367 Ebenda, Art. 21. 188 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 2.3.2 "Heimattreue Deutsche Jugend e. V." ÜBERSICHT Abkürzung HDJ Entstehung / Gründung 1990 Mitgliederzahl Bund: ca. 400 (2006: ca. 100) Berlin: ca. 20 (2006: ca. 20) Organisationsstruktur Eingetragener Verein Sitz Kiel / Plön Veröffentlichungen "Funkenflug" (überregional, vierteljährlich) Die "Heimattreue Deutsche Jugend e. V." (HDJ) ist ein neonazistischer Jugendverband mit Sitz in Kiel / Plön. Sie entstand im Jahr 1990 nach einer Abspaltung einer bündischen Jugendorganisation. Zunächst firmierte sie unter "Die Heimattreue Jugend - Bund für Umwelt, Mitwelt und Heimat e. V." (DHJ). Den heutigen Namen gab sie sich im Jahr 2001. Die HDJ gibt vierteljährlich die Zeitschrift "Funkenflug" heraus. Die Bundesführung ist weitgehend in Berlin und dem Berliner Umland ansässig und plant von dort aus die überregionalen Veranstaltungen der HDJ. Die HDJ beschreibt sich selbst als "die aktive volksund heimattreue Jugendbewegung für alle deutschen Mädel und Jungen im Alter von 7 bis 25 Jahren" 368 . In einem Interview in der "Deutschen Stimme" vom Februar 2007 betonte der Bundesführer der HDJ jedoch, dass auch "Kleinstkinder" bereits in die Aktivitäten der HDJ eingebunden werden. 369 Ihre rechtsextremistische nationalistische Ideologie versucht sie hinter einer Selbstcharakterisierung als traditionsbewusst und wertorientiert ("volksund heimattreu") zu verbergen. Die HDJ behauptet, einzutreten für 368 Internetauftritt der HDJ, Aufruf am 20.12.2007. 369 Der Bundesführer der HDJ im Interview. In: "Deutsche Stimme", Nr. 2, Februar 2007, S. 14. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 189 "[...] eine Lebensführung, die sich ganzheitlich in einem gesunden Körper, Geist und Charakter wiederspiegelt. Für ein Leben mit Tradition und Werten wie Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, Hilfsbereitschaft, Kameradschaft, Treue. Gegen die Abwertung des Lebens durch Oberflächlichkeit, Beliebigkeit, Kulturlosigkeit und Verrohung". 370 Die HDJ hat ein stark revisionistisches Geschichtsbild, folglich spricht sie in Veröffentlichungen von der "Reichshauptstadt Berlin" 371 . In den Publikationen finden sich antisemitisch konnotierte Äußerungen, vermieden werden Äußerungen, die als strafbare Volksverhetzung oder Holocaustleugnung verfolgt werden könnten: "[Die Israelis] sind getrieben von einem selbstgeschaffenen Mythos. Sie brauchen internationale Entscheidungen nicht einzuhalten und haben große Lobbies in den westlichen kapitalistischen Ländern, besonders in den Vereinigten Staaten von Amerika. [...] Weltweit sind die personellen Verstrickungen bekannt." 372 In einigen Artikeln in der HDJ-Mitgliederzeitung "Funkenflug" wird eine Höherwertigkeit von traditioneller deutscher Kultur gegenüber der Moderne beziehungsweise gegenüber anderen Kulturen behauptet. In der Musik beispielsweise liege kulturelle Höherentwicklung nicht in der "Jazz, Klessma, Hip Hop und Funk", sondern bei "Volksweisen und Volksliedern" 373 . Diese im NS-Jargon als "Entartung" bezeichnete Entwicklung will die HDJ beseitigt sehen. 374 Die HDJ nimmt für sich in Anspruch, traditionelles Volksgut zu bewahren und zu tradieren. Ähnlich wie bei der seit 1994 verbotenen "Wiking Jugend" (WJ) zielt das Lebensbund-Konzept der HDJ darauf ab, ein rechtsextremistisches lebensweltliches Freizeitangebot für die ganze Familie zu bieten. Kinder und Jugendliche sollen bereits in jungen Jahren durch vorgeblich unpolitische Aktivitäten (z. B. Pfingst-, Sommerund Winterlager und ähnlichen Aktivitäten, Pflege völkischen Brauchtums, Singen und körperliche Ertüchtigung) für die rechtsextremistische Szene gewonnen werden. 370 Internetauftritt der HDJ, Aufruf am 20.12.2007 (Schreibweise wie im Original). 371 Ebenda. 372 Der Nahe Osten ist näher als Du denkst (ohne Autorenangabe). In: "Funkenflug" 04/06 - 01/07 (Doppelausgabe), S. 14 f. 373 Hat Dada gesiegt? (Ohne Autorenangabe). In: "Funkenflug" 03/07, S. 11 f. 374 Hip-Hop, eine schwarze Un-Kultur (ohne Autorenangabe). In: "Funkenflug" 03/07, S. 12 - 13, hier S. 13. 190 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Im Jahr 2007 rückte die HDJ stärker in den Blickpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Dies führte dazu, dass die wichtigste Veranstaltung der HDJ, der "Märkische Kulturtag", 2007 ausfiel. Er wurde in den vergangenen Jahren zusammen mit anderen rechtsextremistischen Gruppierungen organisiert und im Verborgenen durchgeführt. Am 12. September durchsuchte die Polizei auf Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin mehrere Wohnungen von HDJ-Mitgliedern in Berlin und Brandenburg. 375 Hintergrund war ein Verstoß gegen das Uniformierungsverbot gem. SS 3 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersammlG) bei einem Aufzug in Oranienburg am 9. Juni. Einen Antrag der HDJ-Bundesführung auf Ausnahmegenehmigung vom Uniformierungsverbot lehnte der Bundesminister des Innern mit Bescheid vom 27. September ab, da bei der HDJ die für eine Ausnahmegenehmigung gemäß SS 3 Abs. 2 VersammlG erforderliche unpolitische Jugendpflege zugunsten der "Förderung einer gemeinsamen politischen Gesinnung" zurückstehe. 375 AG Neuruppin, Az. 329 Js 25500/07. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 191 2.3.3 "Kampfbund Deutscher Sozialisten" ÜBERSICHT Abkürzung KDS Entstehung / Gründung 1999 Mitgliederzahl Bund: ca. 70 (2006: ca. 30) Berlin: ca. 20 (2006: ca. 20) Organisationsstruktur Vereinigung, regionale Stützpunkte, koordiniert durch Bundesleitung Sitz Hof / Bayern Veröffentlichungen "Der Gegenangriff" (überregional, unregelmäßiges Erscheinen) "Wetterleuchten" (überregional, meist jährlich) Der "Kampfbund Deutscher Sozialisten" (KDS) ist einer der heterogensten Personenzusammenschlüsse des deutschen Rechtsextremismus. Eine hierarchische Struktur hat die am 1. Mai 1999 gegründete Vereinigung nur in Ansätzen. Sie gliederte sich ursprünglich in eine Vielzahl von Gauen, Sektionen und Bezirken, über denen formal eine vierköpfige Führungsgruppe stand. Im Jahr 2005 hat der KDS diesen organisatorischen Ansatz aufgegeben: "Wir möchten keine starre Organisationsform mehr sein, sondern ein Forum, welches allen gutwilligen Aktivisten offen steht." 376 Das offizielle Organ des KDS ist "Der Gegenangriff". Als "Theorieorgan" fungiert die Zeitschrift "Wetterleuchten". Beide werden vor allem im Internet verbreitet. Daneben existiert eine Anzahl kleinerer Publikationen. Als "parteiund organisationsunabhängiger Zusammenschluß auf der Basis des Bekenntnisses zu Volk und Heimat" tritt er für eine "Annäherung 'rechter' und 'linker' Sozialisten" ein. 377 Allerdings erzielt er mit der unorthodoxen Mischung von linksund rechtsextremistischen Ideologieelementen nur geringe Resonanz. Als ideologische Grundlage 376 "Revolutionäres Manifest", Faltblatt, datiert vom 30.1.2005. 377 Langener Erklärung. Internetauftritt des KDS, Aufruf am 19.12.2007. 192 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 diente zunächst das Gründungsmanifest, die "Langener Erklärung" 378 . Seit Januar 2005 soll das "Revolutionäre Manifest" 379 die unveränderten ideologischen Grundpositionen des KDS abbilden. Beide Schriften enthalten keine ausgearbeitete Programmatik. Sein Anliegen fasst der KDS zusammen etwa in dem Aufruf: "Gegen 'One-World-Gesellschaft' und gegen die Diktatur des Kapitals! Für das Selbstbestimmungsrecht der Völker!" 380 Die Berliner Organisationseinheit nimmt mit ihrer nationalrevolutionär, in Teilen nationalbolschewistisch geprägten Grundausrichtung innerhalb des KDS eine gewisse Sonderrolle ein. 381 Ihre antikapitalistische Orientierung wird unter anderem in der von ihr herausgegebenen Publikation "Wetterleuchten" deutlich. In sieben Ausgaben werden dort die "Grundsätze eines Sozialistischen Nationalismus" abgehandelt. Einen ausformulierten Gegenentwurf einer Gesellschaftsordnung legte der KDS unter dem Titel "Die 'Sozialistische Nation' ist die nachkapitalistische Alternativ-Ordnung der Zukunft" mit dem 6. Grundsatz vor. Darin wird nicht nur der Kapitalismus als Wirtschaftsordnung abgelehnt, sondern auch die sich daraus ergebende pluralistische Gesellschaftsund demokratische Staatsform. 382 So forderte der Berliner Vorsitzende unter der Überschrift "Der gewöhnliche Kapitalismus" die revolutionäre Abschaffung des bundesrepublikanischen Gesellschaftssystems und drohte implizit mit Gewaltanwendung: "Die Überwindung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse wird von uns natürlich auf friedlichem Wege angestrebt, wobei dazu immer zwei Seiten gehören und der Grad der Friedfertigkeit einer Revolution immer auch vom Verhalten der Gegenseite abhängt. [...] Wir differenzieren durchaus, daß es im Lager des Großkapitals vereinzelt Konzerne gibt, die das Gesamt378 Ebenda. 379 "Revolutionäres Manifest". Internetauftritt des KDS, Aufruf am 19.12.2007. 380 INFOBRIEF für Mitglieder und Interessenten des Kampfbundes Deutscher Sozialisten, 2005. Die Informationsschrift wurde als Erläuterung des "Revolutionären Manifests" verschickt. 381 Während vor allem in westdeutschen Organisationseinheiten des KDS in Anlehnung an die ehemalige "Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Aktivisten" (ANS/NA) des Michael Kühnen die NS-Verherrlichung dominiert, vertritt der Berliner KDS mit der Verehrung ehemaliger SED-Größen eine "linke" Position im KDS. 382 Vgl. Die "Sozialistische Nation" ist die nachkapitalistische Alternativ-Ordnung der Zukunft. In: "Wetterleuchten" Nr. 7/2003. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 193 volkswohl sehen [...] Mit diesen Vertretern ihrer Klasse wird natürlich anders umgegangen werden als mit kapitalistischen Landesverrätern." 383 Der Berliner KDS beschränkt sich beinahe ausschließlich auf interne Schulungsveranstaltungen und vereinsähnliche Treffen. Vereinzelt versucht er, durch Demonstrationen in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. So beteiligten sich KDS-Mitglieder am 2. Juni an dem spontanen Marsch von ca. 150 Rechtsextremisten durch das Brandenburger Tor anlässlich des G 8-Gipfels in Heiligendamm. 384 Des weiteren demonstrierte der KDS am 1. September gemeinsam mit aktionsorientierten Rechtsextremisten aus Berlin und Brandenburg anlässlich des "Antikriegstages" in Neuruppin (Brandenburg). Die ca. 60 Teilnehmer führten Transparente und Plakate u. a. mit den Aufschriften "Gegen Krieg und Kapital - unser Kampf ist national" mit. In ihren Redebeiträgen solidarisierten sich führende KDS-Aktivisten mit dem "Kampf der Völker in Iran und Nordkorea gegen die USA": "Deutsche Sozialisten stehen deshalb ganz klar solidarisch mit allen Befreiungsbewegungen weltweit, die sich gegen die Besatzung und somit das internationale Kapital zur Wehr setzen! Sei es der Iran, Afghanistan, der Irak oder Kuba! Seien es der Libanon, Chile, Nordkorea oder die südamerikanischen Staaten!" 385 383 Michael Koth: Der gewöhnliche Kapitalismus. In: "Der rot-braune Kanal" Nr. 7/2006. Internetauftritt des KDS, Aufruf am 28.6.2006. 384 Vgl. S. 14 f. 385 Antikriegstag in Neuruppin. Internetauftritt des KDS, Aufruf am 5.9.2007. 194 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 2.3.4 "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" ÜBERSICHT Abkürzung N&E Entstehung / Gründung 1951 Herausgeber Peter Dehoust / Nation Europa Verlag Organisationsstruktur GmbH Sitz Coburg Veröffentlichungen Überregional, monatlich, deutlich unter 20 000 Die Zeitschrift "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" (N & E) wurde 1951 von dem ehemaligen SS-Sturmbannführer Arthur Erhardt gegründet. Sie erschien unter wechselnden Titeln, zuletzt bis 1990 als "Nation Europa - Deutsche Rundschau". Herausgegeben wird die Zeitschrift monatlich (gelegentlich zweimonatlich) von Peter Dehoust und Harald Neubauer. Dehoust war Funktionär der NPD, der "Gesellschaft für freie Publizistik" (GfP) und der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH). Neubauer trat ebenso als Funktionär der NPD, als Redakteur im DSZ-Verlag Gerhard Freys (= DVU) und als Funktionär der DLVH in Erscheinung. Zeitweilig trat auch Adolf von Thadden (Vorsitzender der NPD von 1967 - 1971) als Mitherausgeber auf. Zur Redaktionsgemeinschaft gehört außerdem Karl Richter. Er ist ebenfalls Vorstandsmitglied der GfP sowie wissenschaftlicher Berater der sächsischen NPD-Landtagsfraktion. Der zugehörigen "Nation Europa Verlags GmbH" ist ein Versandbuchhandel mit einem umfangreichen Angebot rechtsextremistischer Literatur angegliedert. "Nation & Europa" versteht sich als überparteiliches Theorieund Strategieorgan. Die Zeitschrift ergreift Partei für "ein einiges Deutschland in einem Europa freier Völker und für den Nationalstaat als bewährtes Ordnungsprinzip" 386 . Sie agitiert gegen einen "EU-Vielvölkerstaat", den "Ausverkauf nationaler Lebensinteressen" und die "multikulturelle Zerstörung der Volksidentität durch Masseneinwan386 Internetauftritt von N & E, Aufruf am 10.10.2007. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 195 derung und Asylmissbrauch". 387 Sie besetzt damit traditionelle rechtsextremistische Themenfelder und verbreitet Überfremdungsängste im Zusammenhang mit der europäischen Einigung und der Globalisierung. Inhaltliche Schwerpunkte der Berichterstattung bildeten die "verfehlte" Wirtschaftspolitik der EU, die Ablehnung der Globalisierung sowie Beiträge zur Politik Israels und Artikel über die angebliche politische Verfolgung rechtsextremistischen Revisionisten. Die Zeitschrift bemüht sich um eine intellektuelle Vernetzung europäischer Rechtsextremisten. Die organisationsübergreifende Bedeutung und die weitreichenden Verbindungen der Zeitschrift werden an den Gastbeiträgen inund ausländischer Autoren deutlich. 2.3.5 Revisionismus Revisionismus ist eine Sammelbezeichnung für die "politisch motivierte Umdeutungen durch einseitige, leugnende, relativierende oder verharmlosende Darstellungen der Zeit des Dritten Reiches". 388 Revisionisten benutzen pseudowissenschaftliche Argumente, um ihre rechtsextremistischen Positionen zu rechtfertigen und moralisch zu entlasten. Typische Argumentationsmuster der Revisionisten sind: * die Leugnung der Kriegsschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg, * die Umdeutung des Angriffskrieges Adolf Hitlers gegen die Sowjetunion als notwendigen Präventivkrieg gegen die "bolschewistische Expansion", * die Leugnung der Existenz oder des Umfangs des Holocaust, * das Aufrechnen der NS-Verbrechen mit den alliierten Bombenangriffen gegen deutsche Städte oder den Vertreibungen von "Volksdeutschen" nach Ende des Zweiten Weltkriegs, * die Betonung vermeintlich positiver Leistungen des NS-Regimes (Autobahn-Bau, Senkung der Arbeitslosigkeit) oder die Argumentation, der Nationalsozialismus sei eigentlich eine gute Idee gewesen, die nur schlecht ausgeführt worden sei. Die Veröffentlichung revisionistischer Literatur setzte in den 1950er Jahren ein. Bekannt wurden Autoren wie Peter Kleist ("Auch Du warst 387 Ebenda. 388 Armin Pfahl-Traughber: Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. 2. Auflage München 2000, S. 47. 196 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 dabei"), David Hoggan ("Der erzwungene Krieg. Die Ursachen und Urheber des Zweiten Weltkriegs") und Udo Walendy ("Wahrheit für Deutschland. Die Schuldfrage des zweiten Weltkriegs"). Der Revisionismus ist kein Phänomen, das auf Deutschland beschränkt ist, sondern spielt vor allem in den USA aber auch im europäischen Ausland eine Rolle. Da die Leugnung des Holocaust in Deutschland strafbar ist (SS 130 Abs. 3 StGB), agieren die Propagandisten der "Auschwitz-Lüge" vor allem vom Ausland aus, so bis zu seinem Tod Thies Christophersen ("Die Auschwitz-Lüge") und bis zu seiner Auslieferung nach Deutschland Ernst Zündel. Von besonderer Bedeutung sind der "LeuchterReport", der im Zusammenhang mit dem Prozess gegen den damals in Kanada lebenden Zündel verfasst wurde, und das "Rudolf-Gutachten" des deutschen Rechtsextremisten Germar Rudolf. In beiden Studien wird mit pseudo-naturwissenschaftlichen Methoden versucht, die Massenermordung in Auschwitz als technisch unmöglich darzustellen. Die Holocaustleugner in Deutschland konzentrieren sich um den "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (= VRBHV), dessen Hauptagitator und -initiator lange Zeit Horst Mahler war. 2007 wurden erneut Holocaustleugner wegen Volksverhetzung (SS 130 StGB) verurteilt. Die prominentesten unter ihnen, Ernst Zündel und Germar Rudolf, erhielten mehrjährige Haftstrafen. Von der Teheraner Holocaustkonferenz im Dezember 2006 389 gingen nicht - wie von Revisionisten erhofft - neue Impulse aus. 389 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007, S. 52 f. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - RECHTSEXTREMISMUS 197 2.3.6 "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten e. V." ÜBERSICHT Abkürzung VRBHV Entstehung / Gründung 2003 Mitgliederzahl Bund: ca. 120 (2006: ca. 120) Berlin: unter 20 (2006: unter 20) Organisationsstruktur Eingetragener Verein Sitz Berlin Sporadische Veröffentlichung einzelner Texte im Internet Veröffentlichungen Der "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) wurde am 9. November 2003 in Vlotho (Nordrhein-Westfalen) gegründet. Der Verein hat seinen Sitz in Berlin. Führender Kopf und Initiator des Vereins war Horst Mahler. Seine Position ist derzeit nicht nur im VRBHV umstritten. 390 Das Konzept trägt jedoch weiterhin Mahlers Handschrift. Er verfasste nahezu alle Texte des VRBHV. Der Zweck des VRBHV ist in der Gründungserklärung niedergelegt. Darin heißt es: "Der von den Unterzeichnern hiermit gegründete "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Verfolgten" soll durch organisierte Anstrengungen die bisher vorherrschende Vereinzelung der Verfolgten aufheben, ihrem Kampf um Gerechtigkeit die notwendige Wahrnehmung in der Öffentlichkeit gewährleisten und die finanziellen Mittel für einen erfolgreichen Rechtskampf bereitstellen." 391 Weiterhin beschließen die Unterzeichner, "die Wiederaufnahme aller Strafverfahren zu fordern, die zur Verurteilung wegen Verstoßes gegen SS 130 StGB mit der Begründung geführt haben, daß der Holocaust in dem beschriebenen Sinne eine 'offenkundige Tatsache' sei, die keines weiteren Beweises mehr bedürfe." 392 390 Vgl. S. 31-34. 391 Gründungserklärung. Internetauftritt des VRBHV, Aufruf am 19.3.2007. 392 Ebenda. 198 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Allerdings zielte der VRBHV vielmehr darauf ab, die historische Tatsache des Holocaust zu widerlegen. Mittel zu diesem Zweck sollte ein neuer "Auschwitzprozess" werden, der als Revision des Frankfurter Auschwitzprozesses (1963 - 1965) konzipiert werden soll. Laut Mahler stehe die internationale Gemeinde der revisionistischen "Wissenschaftler" bereit, sich in einem solchen Prozess zu engagieren. 393 Das "Dogma" des Holocaust sei das ideelle Fundament der Bundesrepublik Deutschland, die von den Siegermächten nach dem Zweiten Weltkrieg völkerrechtswidrig als "Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschaft" (OMF) installiert worden sei. Als tatsächlicher Zweck des VRBHV wird daher in der Gründungserklärung angegeben: "Reichsbürger treten dem VRBHV bei, um endlich den Allgemeinen Volksaufstand zur Wiedererlangung der Handlungsfähigkeit des deutschen Reiches durch einen organisierten und geordneten Angriff auf die Auschwitzlüge als dem Fundament der Fremdherrschaft über das Deutsche Reich zu beginnen." 394 Die Agitation des VRBHV gegen die Holocaust-Geschichtsschreibung führte in der Zwischenzeit zu mehreren Gerichtsverfahren wegen Verstoßes gegen SS 130 StGB (Volksverhetzung). Einige Mitglieder des VRBHV reisten im Dezember 2006 nach Teheran, um an der dortigen Konferenz "Review of the Holocaust: Global Vision" des "Instituts für internationale und politische Studien" (IPIS) teilzunehmen. Ziel der Veranstaltung war die revisionistische Auseinandersetzung mit dem von den Nationalsozialisten an den Juden verübten Völkermord. Im Nachgang veröffentlichte der VRBHV eine DVD über diese Konferenz mit dem Titel "Die frohe Botschaft von Teheran". 395 Des Weiteren waren einige VRBHV-Mitglieder 2007 bei den Prozessen gegen Ernst Zündel und Germar Rudolf in Mannheim sowie gegen einen Thüringer Revisionisten in Gera zugegen, um sich - entsprechend dem Vereinszweck - vor Ort mit den Angeklagten zu solidarisieren. 393 Vgl. Horst Mahler: Offener Brief an den Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten, datiert vom 16.3.2004. 394 Gründungserklärung. Internetauftritt des VRBHV, Aufruf am 19.3.2007. 395 Vgl. S. 32 f. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - LINKSEXTREMISMUS 199 3 LINKSEXTREMISMUS 3.1 Aktionsorientierter Linksextremismus 3.1.1 "Antifaschistische Linke Berlin" ÜBERSICHT Abkürzung ALB Entstehung / Gründung 2003 Mitgliederzahl Ca. 60 (2006: ca. 60) Organisationsstruktur Gruppe Sitz Berlin Veröffentlichungen Internet, Flugund Faltblätter Die Vorgängerorganisation der "Antifaschistischen Linken Berlin" (ALB) wurde Mitte 1993 in Berlin von militanten Autonomen aus Passau - zunächst unter der Bezeichnung "Antifa A+P" bzw. "Agitation und Praxis", danach "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB) - gegründet. Diese war eine der mitgliederstärksten und politisch aktivsten autonomen "Antifa"-Gruppen in Berlin. Nach eigener Darstellung hat sich die AAB am 13. Februar 2003 "aufgelöst" und in zwei etwa gleich starke Gruppen - die "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB) und die Gruppe Kritik & Praxis B3rlin (= KP) gespalten. 396 Auf ihrer Internet-Homepage bietet die ALB neben grundlegenden Ausführungen - etwa zum praktizierten Antifaschismus - Diskussionsforen und aktuelle Informationen zu Aktionsschwerpunkten, Kampagnen sowie überregionalen Aktivitäten an. Die ALB propagiert einen militanten Antifaschismus, der sich gegen tatsächliche und vermeintliche "Nazis" richtet. Veröffentlichungen und Positionserklärungen der ALB sowie personelle Kontinuitäten machen deutlich, dass sie die Nachfolgeorganisation der AAB ist. Das maßgebliche Personenpotenzial der ehe396 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004, S. 97 f. 200 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 maligen AAB führt politische Absichten und praktische Aktionsformen als ALB fort. Die ALB verfolgt Ziele, die gegen den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet sind. Das kommt z. B. in dem Aufruf der ALB zu Protesten gegen den Irak-Krieg zum Ausdruck: "NO NATION - NO WAR - NO CAPITALISM! - WE WILL STOP YOU!" und in Slogans wie "SMASH CAPITALISM!" Noch deutlicher wird die Organisation in ihrem Aufruf zur Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 2005: "Der Kapitalismus ist nicht das Ende vom Lied. Die Revolution war, ist und bleibt großartig. Freiheit ist auch die Freiheit, den Staat zu zerstören und im Übrigen sind wir der Meinung, dass alles andere Quark mit Soße ist!" 397 An anderer Stelle heißt es: "Die radikale Abschaffung der bestehenden Herrschaftsund Ausbeutungsverhältnisse in Form einer Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise kann die einzig sinnige Forderung sein. [...] Der Staat ist keine neutrale Instanz, die nur anders geführt oder besetzt werden muss, sondern Garant für den möglichst reibungslosen Ablauf der kapitalistischen Verwertung. [...] Eine Linke, die es mit der Abschaffung der Ausbeutung ernst meint, sollte sich aber stets bewusst sein, dass dies nicht ein Kampf um den Staat, sondern nur gegen den Staat sein kann." 398 Die ALB ist als gewaltbefürwortende Organisation einzustufen. Zu einer Demonstration am 3. Juni 2006 erklärte sie: "Besonders gefreut hat uns, wie energisch Angriffe der Polizei auf den Block abgewehrt wurden, und daß die Bullen so manches Farbei abbekommen haben." 399 Im Zusammenhang mit den gewalttätigen Protesten gegen den G 8- Gipfel am 2. Juni in Rostock verharmloste und befürwortete die ALB die militanten Ausschreitungen und rechtfertigte sie mit der "strukturellen Gewalt", einer Gewalttätigkeit der bestehenden Verhältnisse: "Die militanten Angriffe auf die Polizei am vergangenen Samstag in Rostock waren zielgerichtete Aktionen. Diese fanden trotz oder gerade vor dem Hintergrund eines in den letzten 10 Jahren massiv hochgerüsteten 397 LL-Demo 2005: öfter mal rot sehen. Internetauftritt der ALB, datiert 14.12.2004. 398 ALB: ALLES LÜGE - FASCHISTEN MACHEN AUF SOZIAL. Berlin 2005, S. 9 f. 399 Internetauftritt der ALB, Aufruf am 16.2.2007. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - LINKSEXTREMISMUS 201 Polizeiapparates, der Aushebelung elementarer Bürgerrechte und der zunehmenden Durchleuchtung der Bevölkerung statt. [...] Die Militanz der Gipfelgegner steht in keinem Verhältnis zur Gewalttätigkeit der bestehenden Verhältnisse. [...] Die symbolische Zerstörung von Schaufensterscheiben einer Bank ist eben eine Form der Artikulation von Opposition zum bestehenden System, die zudem weltweit verstanden wird. [...] In den kommenden Tagen werden rund um Heiligendamm Aktionen und Blockaden gegen den G 8-Gipfel stattfinden. Daran wird sich die gesamte Gegenbewegung zu G 8 beteiligen. Zu ihr gehören zu einem nicht unwesentlichen Teil Linksradikale und Autonome. Deren Aktionsformen sind legitim und gehören zur Vielfältigkeit einer Bewegung, die ohne die Ereignisse in Rostock kaum wahrgenommen worden wäre. 400 In einem Artikel der Zeitung "junge Welt" stellte der Autor dar, wie ein führendes Mitglied der ALB die Militanz des "Schwarzen Blocks" in Rostock verteidigte: 401 "Der 'militante Widerstand' des sogenannten Schwarzen Blockes am Samstag sei gerechtfertigt und wichtig gewesen - als Signal in die Welt, daß es auch in den Metropolen Widersprüche gibt. [...] Kriegseinsätze und Sozialabbau seien alltägliche Gewalt, die als solche einfach nicht wahrgenommen werde. Die Aufregung über die Eskalation - auch bei Teilen der Linken - sei so groß, weil in den vergangenen Jahren stets die Polizei den Ablauf von Protesten bestimmt und dominiert habe. In Rostock seien nun erstmals wieder martialisch ausgerüstete Beamte zurückgedrängt worden." 402 Darüber hinaus sprach er sich für weitere gewalttätige Übergriffe gegen die Polizei aus: "Militanz heißt, nicht noch die andere Wange hinzuhalten, sondern auch mal zurückzuschlagen. Das wird in den kommenden Tagen sicher passieren. Und das ist auch gut so." 403 Die ALB fordert die Überwindung des politischen Systems aus einem revolutionären Antifaschismusverständnis heraus. Der demokratische Verfassungsstaat sei nicht reformierbar. In ihm sei ein Faschismus angelegt, der sich nicht von dem Rassismus etwa der rechtsextremen NPD unterscheide: 400 Linker Widerstand wird sich nicht in "Gut und "Böse" spalten lassen. Presseerklärung der ALB vom 5.6.2007. 401 Vgl. Kapitel 2.2.1. 402 Gleiche Gewalt gegen alle. In: "junge Welt", Onlineausgabe vom 5.6.2007. 403 Ebenda. 202 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 "Die schlagkräftigste Antifa ist nichts wert, wenn sie nicht ihr politisches Profil schärft. Die autonome Antifa unterscheidet von den Akteuren der demokratischen Zivilgesellschaft die Analyse, dass Faschismus und faschistische Bewegungen nicht als Äußeres, der parlamentarischen Demokratie Wesensfremdes zu verstehen sind, sondern als daraus hervorgehend. Ein radikaler Antifaschismus macht nicht davor Halt, den gesellschaftlichen und institutionalisierten Rassismus - auch gegen politische Opportunitäten - anzugreifen. Liegt doch sowohl dem demokratisch legitimierten Rassismus als auch der rassistischen Hetze der NPD dieselbe Ideologie der Ungleichwertigkeit zu Grunde." 404 3.1.2 Autonome ÜBERSICHT Entstehung / Gründung Ab 1980 Mitgliederzahl Bund: ca. 5 800 (2006: ca. 5 500) Berlin: ca. 980 (2006: ca. 980) Organisationsstruktur Netzwerk Veröffentlichungen Mehrere Szenezeitschriften Berlin bildet einen regionalen Schwerpunkt der autonomen Szene, deren Anfänge zu Beginn der 80er Jahre lagen. Aus Kreisen weder organisationsgebundener noch im traditionellen Sinne ideologisch festgelegter, so genannter undogmatischer Linksextremisten erschienen damals Diskussionspapiere, deren Verfasser sich als "autonom" bezeichneten. Sie sprachen von einer "neuen autonomen Protestbewegung", die den "Koloss Staat" mit dezentralen Aktionen, mit "Phantasie und Flexibilität", mit "vielfältigen Widerstandsformen auf allen Ebenen" angreifen müsse. Es gelte, "den bürgerlichen Staat zu zerschlagen". Im Laufe der Jahre hat sich unter dem Begriff "Autonome" ein vielgestaltiges Spektrum linksextremistischer Gruppierungen herausgebildet. Der Einsatz von "befreiender Gewalt" - sowohl gegen Menschen als auch gegen Sachen - als politisches Mittel gegen die "strukturelle 404 ... Angriff! In: "Antifaschistisches Info-Blatt" Nr. 77 vom April 2007, S. 35 f. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - LINKSEXTREMISMUS 203 Gewalt" der Gesellschaft und des Staates, 405 stellt für die autonome Szene ein unverzichtbares Element ihrer "revolutionären Politik" dar. 406 Während sie ihren Hass auf das politische und gesellschaftliche System durch gezielte militante, bisweilen terroristische Aktionen zum Ausdruck bringt, lehnt sie zugleich das staatliche Gewaltmonopol kategorisch ab. "Manche werfen ihren ersten Stein als offensiven Akt der Befreiung, andere aus Notwehr gegen die Bullen. Aber allen ist gemeinsam, dass die Militanz zum identitätsstiftenden, prägenden Bestandteil der Bewegungserfahrung wird." 407 Ihre Aktionsfelder beziehen sich auf Themen, die in hohem Maße polarisieren: Faschismus, Imperialismus, Kapitalismus, Militarismus, Rassismus, Sexismus werden als wesentliche Bestandteile des herrschenden politischen Systems betrachtet, das es abzuschaffen gelte. Die Autonomen diffamieren den Verfassungsstaat, lehnen das parlamentarische System ab und vertreten Versatzstücke kommunistischen und anarchistischen Gedankenguts. Das Ziel einer "unterdrückungsfreien Gesellschaftsordnung" versuchen autonome Gruppen mittels Anschlägen zumeist gegen Firmen oder staatliche Stellen, die in ihren Augen das System repräsentieren, der Öffentlichkeit zu vermitteln. Die Auseinandersetzung mit den Themen Antifaschismus, Antimilitarismus, Antiimperialismus, Antisexismus, Antikapitalismus und Antirassismus verläuft dabei nicht in geraden Linien: Zum einen ist eine geschlossene theoretische Fundierung vielen Anhängern verdächtig, da sie ihrem Anspruch, autonom zu leben, widerspricht. Zum anderen versuchen sie, Protestbewegungen zu instrumentalisieren, um über sie ihre Ideologie zu vermitteln. 405 Vgl. Fridolin: Wo ist Behle? In: "INTERIM", Sonderheft "Bewegung - Militanz - Kampagne" vom März 1998 (Es handelt sich um ein unter Pseudonym geschriebenes Papier, das sich mit strategischen Fragen, auch dem Einsatz von Gewalt, auseinandersetzt.). 406 Die Bandbreite an Aktionsformen reicht von Demonstrationen, Informationsbzw. Diskussionsveranstaltungen, Vorträgen, Ausstellungen, der Herausgabe von Steckbriefen über politische Gegner, Flugblättern und Broschüren über Störaktionen, Blockaden, Brandanschläge und andere Sachbeschädigungen bis hin zu Überfällen auf tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. 407 Mehr als nur eine kämpferische Haltung: Autonome Militanz. In: Autorenkollektiv AG Grauwacke: Autonome in Bewegung. Berlin 2003, S. 141 - 160, hier S. 142. 204 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Das Verhältnis zur Theorie ist bei den einzelnen Gruppierungen der Autonomen unterschiedlich. Zu nennen sind zum einen die so genannten Altautonomen, die sich der autonomen Szene seit deren Entstehung 408 bis Mitte der 80er Jahre anschlossen. Sie suchten die Vernetzung mit Hausbesetzern und bürgerlichen Protestbewegungen wie AKW-Kritikern, Startbahn-West-Gegnern und der Friedensbewegung. 409 In ihrer Selbstsicht verstehen sie sich als gesellschaftliche Avantgarde. "Unser Problem besteht vielmehr darin, es mit einer Bevölkerung zu tun zu haben, die zum überwiegend großen Teil mit den hier herrschenden Verhältnissen identifiziert ist, und zwar unabhängig davon, inwieweit diese ihr zum Vorteil gereichen oder nicht." 410 Die Altautonomen gehören einem zahlenmäßig kleinen, ideologisch gefestigten und theoretisch fundierten Kreis mit engen persönlichen Verbindungen an, der über szeneinterne Autorität verfügt und vorwiegend klandestin, abseits vom Tagesgeschehen operiert. Von diesen Autonomen der ersten Generation sind jene zu unterscheiden, die ebenfalls stark motiviert sind, allerdings erst ab den späten 80er Jahren zur Szene stießen. Sie bilden gegenwärtig den harten Kern und sind federführend bei der Organisation von Veranstaltungen, Protestaktionen und Anschlägen. Ideologisch gefestigt verfügen sie jedoch nur selten über ein ähnlich theoretisch fundiertes Wissen wie die Altautonomen. 411 Aufgrund ihrer aktionistisch ausgerichteten Vorgehensweise binden und rekrutieren sie Autonome der jungen Generation. 408 Die öffentliche Rekrutenvereidigung in Bremen am 6.5.1980, die zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten führte, gilt als die Geburtsstunde der autonomen Szene in Deutschland. Die Gewaltwelle der Jahre 1980 / 81 blieb bisher der quantitative Höhepunkt dieser Szene. Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 1995. Berlin 1996, S. 14 ff. 409 Bürgerinitiativen, die sich in den benannten Bereichen engagiert haben, sind nicht Gegenstand der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Jedoch haben Vertreter des autonomen Spektrums häufig versucht, Protestbewegungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Dies gelang in unterschiedlicher Intensität und mit wechselnder Nachhaltigkeit. 410 Fridolin: Wo ist Behle? In: "INTERIM", Sonderheft "Bewegung - Militanz - Kampagne" vom März 1998, S. 24. 411 Vgl. Die Ästhetik des Widerstands und andere Fragen. In: "INTERIM" Nr. 474 vom 22.4.1999, S. 26 ff. Die Ästhetik des Widerstands: "Soziale Bewegungen und als ein Teil davon die Autonomen waren ein ernstzunehmender Faktor der Gesellschaft. Dies hat sich seit Ende der 80er Jahre geändert. Wenn man nur noch eine x-beliebige Subkultur in einer beliebigen Gesellschaft ist, hat das keine Sprengkraft mehr." HINTERGRUNDINFORMATIONEN - LINKSEXTREMISMUS 205 Deren Angehörige fluktuieren stark, sind zumeist im Ausbildungsalter und haben oft lediglich vage linksextremistische Vorstellungen, verbunden mit einem hohen Aggressionspotenzial, das sich ein Ventil im Hass auf das politische und gesellschaftliche System sucht. 412 Verbindendes Element zwischen den Generationen der Autonomen ist die hasserfüllte Ablehnung der bestehenden staatlichen Ordnung. Im Unterschied zu den Altautonomen und denen der zweiten Generation verfügen die Jugendlichen jedoch zumeist nicht über konkrete politische Vorstellungen, wie eine Gesellschaftsordnung nach der beabsichtigten Zerschlagung des demokratischen Verfassungsstaates aussehen soll. Dieses jugendliche Mobilisierungspotenzial instrumentalisieren die in ihrer Weltanschauung gefestigten Autonomen zur Umsetzung ihrer Aktionen. Mit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus Ende der 80er Jahre begann auch eine Erosion der linksextremistischen autonomen Szene. Ideologische Konzeptionslosigkeit und Legitimationsdefizite sorgten für einen kontinuierlichen personellen Rückgang bei den Autonomen. Seit Beginn der 90er Jahre verstärkte sich aufgrund einer wachsenden Kritik an der Unverbindlichkeit autonomer Strukturen die Tendenz, auch innerhalb des autonomen Lagers Organisierungsmodelle zu erproben, um zu einer dauerhaften Umsetzung von Theorie in Praxis zu gelangen. Insbesondere im Bereich des Antifaschismus wurden Vorstöße unternommen (z. B. "Antifaschistische Aktion Berlin" / AAB 413 ), die allerdings nur einen Teil der Szene erfassten und sich als nicht beständig erwiesen. Die Autonomen sind zunehmend zerstritten und damit in ihrer Handlungsfähigkeit beeinträchtigt. Die früher feststellbare "Kiezbezogenheit" sowie die hohe Mobilisierungskraft der 80er Jahre gingen weitgehend verloren. 414 412 Vgl. Matthias Mletzko: Merkmale politisch motivierter Gewalttaten bei militanten autonomen Gruppen. In: Uwe Backes / Eckhard Jesse (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie Nr. 11/1999, S. 180 - 199. 413 Die AAB löste sich im Jahr 2003 auf. Aus der AAB entstanden die "Antifaschistische Linke Berlin (= ALB) sowie Kritik & Praxis (KP). Seit Dezember 2006 tritt die Gruppe Theorie. Organisation. Praxis (= T.O.P.) als Nachfolgeprojekt von KP auf. 414 Vgl. Die Ästhetik des Widerstands und andere Fragen. In: "INTERIM" Nr. 474 vom 22.4.1999, S. 26 ff. Die Ästhetik des Widerstands: "[...] daß die bisherigen politischen Konzepte der Autonomen in dieser veränderten Welt seit Jahren nicht mehr greifen, streitet doch heute kaum noch jemand ab." 206 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Wenn auch das empirische Wissen zur autonomen Szene gering ist, lassen sich doch einige Feststellungen treffen: Die Angehörigen der autonomen Szene, deren Alter in der Regel zwischen dem 16. und 28. Lebensjahr liegt, wobei ein Anstieg des Eintrittsalters erkennbar ist, sind zumeist deutsche Staatsbürger - in Teilen aus bürgerlichen Elternhäusern. 415 Zu einem hohen Prozentsatz befinden sie sich in Ausbildung oder Studium, teils sind sie ohne festes Einkommen. Der überwiegende Teil der autonomen Szene ist organisatorisch nicht gebunden. Dies drückt sich einerseits in der hohen Fluktuation der Gruppen, andererseits in deren zumeist geringer "Lebensdauer" aus. Gleichwohl existieren Netzwerke, die sich in der Regel mit Einzelthemen aktionistisch auseinandersetzen. Bundesweit organisierte und kontinuierliche Zusammenarbeit gibt es seit dem Auseinanderbrechen der "Antifaschistischen Aktion / Bundesweite Organisation" (AA / BO) jedoch nicht mehr. Als Gründe für die hohe Fluktuation innerhalb der autonomen Szene werden von ehemaligen Angehörigen angegeben: Die selbstgewählte gesellschaftliche Isolation, die Auseinandersetzungen mit Altautonomen oder zwischen Frauen und Männern sowie ständige ergebnislose Diskussionen. 416 415 Helmut Willems betont die heterogene sozio-demografische Struktur militant Autonomer. Vgl. ders.: Jugendunruhen und Protestbewegungen. Opladen 1997, S. 455 - 459. 416 Vgl. Hugo Häberle: Sechs Anmerkungen zum Autonomie-Kongreß. In: "INTERIM" Nr. 329 vom 27.4.1995, S. 3. "Fertig macht mich, wenn alle paar Jahre das Rad neu erfunden werden muss [wegen Brüchen in der Diskussionskontinuität durch hohe Fluktuation]. Da wird über die Fragen von Internationalismus und nationale Befreiungsbewegungen geredet [...], da wird über die Widersprüche zwischen Mann und Frau diskutiert, als wäre es die neuste Erkenntnis. Wieso sind wir nicht in der Lage, unsere Erfahrungen und erarbeiteten Positionen so weiterzugeben, daß sie eine Grundlage bilden, auf der weiterdiskutiert wird?" (Schreibweise wie im Original). HINTERGRUNDINFORMATIONEN - LINKSEXTREMISMUS 207 3.1.3 "militante gruppe" ÜBERSICHT Abkürzung mg Entstehung / Gründung Vor 2001 Die "militante gruppe" (mg) ist eine klandestine Gruppe, die - ähnlich den "Revolutionären Zellen" (RZ) in den 80er Jahren - in Berlin und Umgebung Anschläge verübt. Erstmals trat die mg im Sommer 2001 in Erscheinung, als sie Patronen an den damaligen Regierungsbeauftragten für die Entschädigung der Zwangsarbeiter Otto Graf Lambsdorff und an zwei Mitglieder der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft schickte. Ihre militanten Aktionen richteten sich seitdem im Wesentlichen gegen Autos und Gebäude von Behörden. Begründet hat die mg ihre Anschläge bisher vor allem mit den Themengebieten Zwangsarbeiterentschädigung, Sozialabbau und Antiimperialismus. Bis zum Mai 2007 bezichtigte sie sich, 25 Brandanschläge begangen zu haben. In der Nacht vom 31. Juli auf den 1. August wurden nach einem versuchten Brandanschlag auf Fahrzeuge der Bundeswehr in Brandenburg drei mutmaßliche Mitglieder der mg festgenommen. Seitdem trat die mg nicht mehr in Erscheinung. 417 417 Vgl. S. 53 - 60. 208 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 3.1.4 "Theorie. Organisation. Praxis" ÜBERSICHT Abkürzung T.O.P. Entstehung / Gründung Dezember 2006 Mitgliederzahl Ca. 20 Organisationsstruktur Gruppe Sitz Berlin Veröffentlichungen Flugund Faltblätter Die Gruppe "Theorie. Organisation. Praxis" (T.O.P.) trat im Dezember 2006 als Nachfolgeprojekt von "Kritik & Praxis B3rlin" (KP) 418 erstmals in Erscheinung. Das Ziel von T.O.P. ist - aus einem antikapitalistischen Selbstverständnis heraus - weiterhin die Abschaffung der demokratischen zu Gunsten einer kommunistischen Ordnung: "Denn es geht um nichts weniger, als die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Einrichtung der Gesellschaft nach humanen Zwecken. [...] Für den Kommunismus" 419 Wie schon die KP will T.O.P. neben der eigenen Beteiligung an Aktionen auf der Straße durch Theoriearbeit eine Langzeitperspektive für die Systemüberwindung entwickeln. "Schon in der Gruppe 'Kritik & Praxis' war es uns wichtig, nicht nur durch puren Aktionismus und tolle Aktionen präsent zu sein, sondern uns selber theoretisch zu briefen. Wir sind auch jetzt der Meinung, dass die Debatten über gesellschaftliche Alternativen zu bürgerlicher Demokratie und Kapitalismus innerhalb der radikalen Linken wieder intensiviert werden sollten - dazu möchten wir einen Beitrag leisten." 420 418 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007, S. 212 f. 419 Aufruf zur Demonstration "Reduce to the max: Just Communism!" Internetauftritt von T.O.P., Aufruf am 10.4.2007. 420 Interview mit T.O.P. In: "Antifa Umschau" Nr. 21 vom April / Mai 2007, S. 7 - 10. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - LINKSEXTREMISMUS 209 Daneben verharmloste und befürwortete T.O.P. den Einsatz von Gewalt durch scheinbar unverfängliche Redewendungen. So forderte die Gruppe in mehreren Videos mit der Bezeichnung T.O.P.-Fernsehen einen "unversöhnlichen Akt der Negation". Dabei waren die jeweiligen Tonsequenzen mit bildlichen Darstellungen von Gewalthandlungen hinterlegt. In einem gemeinsamen Aufruf der Gruppen "T.O.P. Berlin", "autonome.antifa [f]" aus Frankfurt und "redical m" aus Göttingen gegen den G 8-Gipfel in Heiligendamm sprach sich T.O.P. ebenfalls für einen "unversöhnlichen Akt der Negation" aus und verlangte eine Gesellschaft "jenseits der Formen von Staat und Kapital" 421 . 3.2 Parlamentsorientierter Linksextremismus 3.2.1 "Deutsche Kommunistische Partei" ÜBERSICHT Abkürzung DKP Entstehung / Gründung 1968 Mitgliederzahl Bund: ca. 4 200 (2006: ca. 4 200) Berlin: ca. 100 (2006: ca. 100) Organisationsstruktur Partei Sitz Essen Veröffentlichungen "Unsere Zeit" (UZ) (überregional, wöchentlich) "Berliner Anstoß" (regional, monatlich) Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) wurde am 25. September 1968 von früheren Funktionären der 1956 verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) gegründet. Der Aufbau einer Partei421 Aufruf "...ums Ganze! Smash Capitalism. Fight the G8 Summit." Internetauftritt von T.O.P., datiert Dezember 2006. 210 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 organisation in Berlin begann 1990. 422 Sie ist mit bundesweit rund 4 000 Mitgliedern die größte kommunistische Partei. Die DKP erreichte trotz ihrer Mitgliederstärke bei Wahlen zumeist nur marginale Ergebnisse. Anlässlich der jüngsten Wahlgänge verfolgte sie daher eine Bündnisstrategie unter anderem mit nicht-extremistischen gesellschaftlichen Gruppen und stellte Kandidaten auf "offenen Listen" anderer Parteien auf: 423 "In der vor uns liegenden Etappe kommt es darauf an, gesellschaftliche Kräfte weit über die Linke hinaus im Widerstand gegen die neoliberale Politik zu bündeln. Allianzen verschiedener sozialer und gesellschaftlicher Kräfte, die sich an verschiedenen Fragen immer wieder neu bilden und in denen die Arbeiterklasse die entscheidende gesellschaftliche Kraft sein muss, sind die Voraussetzung, um die Rechtsentwicklung und den neoliberalen Umbau der Gesellschaft zu stoppen." 424 In einem Leitantrag vom 15. Parteitag (im Juni 2000) hielt die Partei am Marxismus-Leninismus fest und bekannte sich zur revolutionären Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung: "Das Ziel der DKP ist der Sozialismus als erste Stufe auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft. Sie strebt den grundlegenden Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen an, orientiert auf die Arbeiterklasse als entscheidende gesellschaftsverändernde Kraft. Grundlage ihres Handelns ist die wissenschaftliche Theorie von Marx, Engels und Lenin, die sie entsprechend ihrer Möglichkeiten weiterentwickelt." 425 Dieses Ziel bestätigte sie in dem am 8. April 2006 verabschiedeten Parteiprogramm ("Duisburger Programm"): 422 Während der Teilung Deutschlands gab es aufgrund von Chruschtschows "DreiStaaten-Theorie" (Deutschland zerfalle in drei Staaten: BRD, DDR, Berlin) in Berlin keinen Landesverband der DKP. Statt dessen gründete sich die "Sozialistische Einheitspartei Westberlins" (SEW), die ebenso wie die DKP massiv durch die DDR unterstützt wurde. Die Nachfolge der SEW trat 1990 die "Sozialistische Initiative" (SI) an, welche sich schon 1991 wieder auflöste. Noch im gleichen Jahr gründeten SEWund SI-Mitglieder eine DKP-Gruppe Berlin. 423 Vgl. u. a. Allianz ohne Alternative. Interview mit dem DKP-Vorsitzenden. In: "junge Welt" vom 11.1.2008, S. 10. 424 Parteiprogramm der DKP. Internetauftritt der DKP, datiert 8.4.2006. 425 Die DKP. Partei der Arbeiterklasse. Ihr politischer Platz heute. In: "DKP-Informationen" Nr. 3/2000 vom 15.6.2000, S. 24. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - LINKSEXTREMISMUS 211 "Der Sozialismus kann nicht auf dem Weg von Reformen, sondern nur durch tief greifende Umgestaltungen und die revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnisse erreicht werden." 426 Die Partei setzt neben Wahlteilnahmen auch auf außerparlamentarische Aktivitäten. Sie mobilisiert zu zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen unterschiedlicher Veranstalter vor allem gegen die Arbeitsmarktund Sozialreformen. Die DKP beteiligt sich an der jährlichen Berliner Luxemburg-Liebknecht (LL)-Demonstration. Durch die damit verbundene Aktivierung ihrer Mitglieder konnte die Landesorganisation (bisher: Bezirksorganisation) in Berlin zuletzt neue (Stadt-)Bezirksgruppen bilden. 3.2.2 "Linksruck" ÜBERSICHT Entstehung / Gründung 1993 / 1994, Auflösung September 2007 Mitgliederzahl Bund: ca. 400 (2006: ca. 400) Berlin: ca. 80 (2006: ca. 100) Organisationsstruktur Gruppe Sitz Berlin Veröffentlichungen "Linksruck" (bis Mai 2007 überregional, zweiwöchentlich) "Marx21" (ab August 2007 überregional, monatlich) Im September 2007 hat sich die Gruppe "Linksruck" 427 als eigenständige Vereinigung zu Gunsten der Partei "Die Linke" aufgelöst. Als Nachfolgeprojekt ist unter der Bezeichnung "Marx21" ein so genanntes "Netzwerk für internationalen Sozialismus" entstanden. Die neugegründete Gruppe beabsichtigt, ihre trotzkistischen Positionen vor allem durch ihre Arbeit in dem innerparteilichen Zusammenschluss "Sozialistische 426 Parteiprogramm der DKP. Internetauftritt der DKP, datiert 8.4.2006. 427 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007, S. 216 ff. 212 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Linke" in die Partei zu tragen. 428 Ehemalige Angehörige von "Linksruck" geben nunmehr die Zeitschrift "Marx21 - Magazin für internationalen Sozialismus" heraus. "Linksruck" verstand sich in der Vergangenheit als "Strömung der revolutionären Sozialisten" mit dem Ziel der Abschaffung des Kapitalismus und Einführung einer Planwirtschaft und Rätedemokratie unter Führung der Arbeiterklasse: "Wir denken, dass wirkliche Veränderung nur von unten kommen kann. Veränderung kommt nicht durch das Parlament - die wirkliche Macht liegt bei ungewählten Managern, Bankern und Richtern, nicht bei Politikern. Wir denken, dass der Kapitalismus nicht reformiert werden kann, sondern gestürzt werden muß." 429 Aktionsschwerpunkt war die Teilnahme an Kampagnen und Protesten insbesondere gegen die Arbeitsund Sozialreformen. Darüber hinaus engagierten sich "Linksruck"-Aktivisten in der ehemaligen "Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" (WASG), in der sie im Bundesvorstand vertreten waren. Parlamentsarbeit wurde dabei lediglich als taktisches Mittel betrachtet: "Sozialismus ist erst möglich, wenn die kapitalistische Ordnung als Ganzes beseitigt ist. Das kann parlamentarische Arbeit nicht leisten. Sie kann aber nützlich sein, um die Notwendigkeit einer Revolution öffentlich zu erklären." 430 428 Vgl. Netzwerk marx21 gegründet. Internetauftritt von "Marx21", datiert 1./2.9.2007. 429 Internetauftritt von "Linksruck", Aufruf am 19.2.2007. 430 Revolution! Beitrag in der Marx-Kolumne "Das Gesicht der Zukunft". In: "Linksruck" Nr. 208 vom 28.9.2005. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - LINKSEXTREMISMUS 213 3.2.3 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" ÜBERSICHT Abkürzung MLPD Entstehung / Gründung 1982 Mitgliederzahl Bund: ca. 2 200 (2006: ca. 2 300) Berlin: ca. 100 (2006: ca. 100) Organisationsstruktur Partei Sitz Gelsenkirchen Veröffentlichungen "Rote Fahne" (überregional, wöchentlich) "Lernen und Kämpfen" (überregional, mehrmals jährlich) "REBELL" (überregional, monatlich) Die 1982 in Bochum gegründete "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) bekennt sich zur Theorie des MarxismusLeninismus in der Interpretation durch Stalin und Mao Zedong. Sie ist aus dem "Kommunistischen Arbeiterverbund Deutschlands" (KABD) 431 hervorgegangen. Die MLPD unterhält Nebenund Vorfeldorganisationen wie den Jugendverband "REBELL", die Kinderorganisation "Rotfüchse" oder das "Arbeiterbildungszentrum" (ABZ) mit einer Außenstelle in Berlin. Der politische Einfluss der Partei ist gering. Zuletzt beteiligte sie sich mit Landeslisten in allen Bundesländern an der Bundestagswahl 2005. In Berlin erreichte die MLPD 0,1 Prozent der Zweitstimmen (1 290 Stimmen), was auch ihrem bundesweiten Ergebnis entsprach. Im Berliner Wahlkreis 83 (Neukölln) trat die MLPD mit einem Direktkandidaten an, der 0,2 Prozent der Erststimmen erhielt. An den Wahlen zum Abgeord431 Der Zusammenschluss besteht seit 1972 aus der "Kommunistischen Partei Deutschlands / Marxisten-Leninisten (Revolutionärer Weg)" und dem "Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands (Marxisten-Leninisten)". 214 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 netenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen im September 2006 nahm sie sich nicht teil. Die MLPD wirft anderen kommunistischen Parteien vor, den Marxismus-Leninismus verraten zu haben: "Der Verrat an den kommunistischen Idealen, die Verbrechen entarteter Elemente an der Spitze der Partei-, Staatsund Wirtschaftsführung in der ehemaligen DDR, ihre Machtergreifung als neue Bourgeoisie und der moderne Revisionismus haben den Begriff des 'Kommunismus' bei den Werktätigen in Misskredit gebracht." 432 Ihr Ziel ist "der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft." 433 Inhaltliche Schwerpunkte sind die Themen Arbeit und Soziales. Das von der MLPD ins Leben gerufene und dominierte "Berliner Bündnis Montagsdemo" organisiert regelmäßige Demonstrationen gegen Arbeitsmarktund Sozialreformen und mobilisierte im November 2005 bundesweit zu einem Sternmarsch "gegen die neue Regierung", an dem sich - im Gegensatz zu den von der MLPD zunächst genannten 25 000 Teilnehmern - etwa 4 000 Personen beteiligten. Sowohl die Berliner Montagsdemonstrationen wie auch die bundesweiten Sternmärsche wurden 2006 und 2007 auf Initiative der MLPD fortgesetzt. Die Teilnehmerzahl an den Montagsdemonstrationen sank zuletzt auf weniger als 50 Personen. 432 Präambel zum Statut der MLPD. Internetauftritt der MLPD, Aufruf am 19.2.2007. 433 Ebenda. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - LINKSEXTREMISMUS 215 3.2.4 "Sozialistische Alternative e. V." ÜBERSICHT Abkürzung SAV Entstehung / Gründung 1994 Mitgliederzahl Bund: ca. 400 (2006: ca. 400) Berlin: ca. 60 (2006: ca. 50) Organisationsstruktur Eingetragener Verein Sitz Berlin Veröffentlichungen "Solidarität - Sozialistische Zeitung" (überregional, monatlich) Die "Sozialistische Alternative e. V." (SAV) 434 bildet die deutsche Sektion des in London ansässigen trotzkistischen Dachverbands "Committee for a Workers International" (CWI). Die Bundesleitung der SAV hat ihren Sitz in Berlin. Die SAV finanziert sich über Mitgliedsbeiträge, Spenden und durch den Vertrieb ihres Organs "Solidarität - Sozialistische Zeitung". Ziel der SAV ist nach ihrem Grundsatzprogramm der Aufbau einer Arbeiterpartei als einer revolutionären, sozialistischen Massenpartei. Mit ihrer Hilfe soll der Kapitalismus abgeschafft und - verbunden mit der Auflösung des Mehrparteienstaates - durch ein sozialistisches System ersetzt werden: "Sozialismus bedeutet für sie [die SAV] im Sinne von Marx, Engels, Lenin, Luxemburg und Trotzki: weltweit Gemeineigentum an Produktionsmitteln, demokratische Planung und Kontrolle von Wirtschaft und Gesellschaft durch die arbeitende Bevölkerung. Das setzt eine sozialistische Revolution voraus. Die Aufgabe der sozialistischen Revolution ist es, die Produktionsmittel in Gemeineigentum zu überführen und demokratische Verwaltungsorgane der Arbeiterklasse an Stelle des bürgerlichen Staatsapparats aufzubauen." 435 434 Das "V" in der Kurzbezeichnung steht für "Voran" und weist auf eine frühere Publikation der SAV hin. 435 Grundsatzprogramm der SAV. Internetauftritt der SAV, Aufruf am 19.2.2007. 216 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Mittel zum Zweck der Überwindung des demokratischen Verfassungsstaates ist ein taktisches Verhältnis der SAV zur repräsentativen Demokratie: "Darum ist für mich die Teilhabe am Parlamentarismus auch kein Ziel an sich, sondern nur Mittel zum Zweck. Als Bühne zur Popularisierung unserer Positionen: ja. Aber als Instrument zur grundlegenden Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse: nein." 436 Mit dieser Zielrichtung engagierten sich Aktivisten der SAV im Sinne der "Entrismus"-Strategie in der Partei "Wahlalternative für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" (WASG). Bis zu ihrer Fusion mit der PDS nahmen SAV-Mitglieder in der WASG Parteifunktionen auf Landesund Bezirksebene war. Ein Vorstandsmitglied der SAV trat als Spitzenkandidatin der WASG bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl 2006 an. Bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) gelang drei SAV-Mitgliedern auf den Listen der WASG der Einzug in eine BVV. 437 Die SAV lehnte die Vereinigung der WASG mit der PDS zur Partei "Die Linke" im Jahr 2007 ausdrücklich ab und strebte den Aufbau einer eigenständigen Berliner Regionalorganisation unter der Bezeichnung "Berliner Alternative für Solidarität und Gegenwehr e. V." (BASG) an. Die BASG sieht sich in der Tradition der WASG 438 und steht unter dem Einfluss der SAV. So gehört dem Vorstand des eingetragenen Vereins das SAV-Vorstandsmitglied Lucy Redler an. Mit Blick auf die Berliner Wahlen 2010 soll die BASG dazu beitragen, eine "Alternative" zu entwickeln, welcher der Einzug in das Abgeordnetenhaus gelingen kann. 439 Die durch die WASG erreichten Mandate sollen bis dahin durch die mittlerweile fraktionslosen SAV-Mitglieder in den BVV genutzt werden, um den "Widerstand" zu stärken. 440 436 Lucy Redler zitiert nach Robert Allertz: Was will die rote Lucy? Gespräch mit der Rebellin Redler, Berlin 2007, S. 15. 437 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007, S. 80 ff. 438 Vgl. Satzung der BASG. Internetauftritt der BASG, Aufruf am 19.2.2007. 439 Vgl. ebenda. 440 Vgl. ebenda. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 217 4 AUSLÄNDEREXTREMISMUS 4.1 Gewaltorientierte Islamisten 4.1.1 Transnationale Terrornetzwerke 4.1.1.1 "Mujahidin-Netzwerke" / "al-Qa'ida" ÜBERSICHT Entstehung / Gründung Anfang 80er Jahre Afghanistan / Pakistan Organisationsstruktur Transnationale Netzwerke Veröffentlichungen Audiound Video-Botschaften Der Begriff "Mujahidin" bezeichnet pan-islamistisch orientierte Kämpfer unterschiedlicher ethnischer Herkunft, die an Kampfeinsätzen etwa in Afghanistan, Bosnien, Tschetschenien oder im Kaschmir teilgenommen haben. Das Entstehen der - häufig als Jihadisten bezeichneten - "Mujahidin" geht auf den Afghanistan-Krieg zurück, als sich 1979 freiwillige "Kämpfer" dem - unter dem Motto des Jihad geführten - Krieg gegen die sowjetische Besatzung anschlossen und dafür vor allem in afghanischen und pakistanischen Militärlagern ausgebildet wurden. Die Lage im von Krieg und Bürgerkrieg gezeichneten Afghanistan bot ideale Bedingungen für die ideologische Schulung und terroristische Ausbildung der "Mujahidin". Hierzu gehörten ein weitgehend rechtsfreier Raum, Kampfgebiete sowie die Tatsache, dass sich im Bürgerkrieg 1996 die islamistischen "Taliban-Kämpfer" durchsetzten. Die terroristischen Aktivitäten der "Mujahidin" richteten sich ab 1992 vor allem gegen Ägypten und Algerien, nachdem sich einzelne Kämpfer des Afghanistan-Kriegs den dortigen militanten islamistischen Gruppierungen angeschlossen hatten. Im Zentrum der "Mujahidin" steht die von Usama Bin Ladin Ende der 80er Jahre gegründete Organisation "al-Qa'ida" ("Die Basis"), die sich vermutlich Mitte der 90er Jahre mit Teilen der militanten ägyptischen Gruppen "al-Jihad al-islami" ("Der islamische Kampf") und "al-Jama'a 218 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 al-islamiya" 441 ("Die islamische Gemeinschaft") zu einem transnationalen Netzwerk zusammenschloss. Als zweiter Mann hinter Bin Ladin gilt der Führer der ägyptischen Gruppe "al-Jihad al-islami", Ayman alZawahiri. Programmatische Grundlage der internationalen Anschläge von "alQa'ida" war der von Usama Bin Ladin 1998 mitunterzeichnete 442 Aufruf der "Islamischen Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzzügler" 443 , den die Verfasser als ein religiöses "Rechtsgutachten" ("fatwa") 444 deklarierten. Darin waren die Tötung von Amerikanern zur vermeintlichen individuellen Pflicht eines jeden Muslims erhoben, die Stationierung von US-Truppen in Saudi-Arabien für unzulässig erklärt und als Ziel die Verdrängung der USA von der Arabischen Halbinsel genannt worden. Hierzu sollten die USA als Schutzmacht SaudiArabiens angegriffen und - wie bereits die Anschläge auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania 1998 sowie auf das Marineschiff USS Cole 2000 zeigten - möglichst viele US-Bürger getötet werden. 441 Hierbei handelt es sich um die hocharabische Schreibweise. Im ägyptischen Dialekt werden die Gruppierungen phonetisch als "al-Gihad al-islami" und "al-Gama'a alislamiya" wiedergegeben. 442 Zu den fünf Unterzeichnern gehörten Usama Bin Ladin ("al-Qa'ida"), Ayman alZawahiri ("al-Jihad al-islami"), Abu Yasir Rifa'i Ahmad Taha ("al-Jama'a alislamiya"), Mir Hamza (Generalsekretär der "Jam'iyat-ul-Ulama Pakistan") und Fazlur Rahman (Chef der "Jihad"-Gruppe, Bangladesch). 443 In der Verlautbarung hieß es: "Das Urteil, die Amerikaner und ihre Alliierten, Zivilisten und Militärs gleichermaßen zu töten, wo immer ihm dies möglich ist, ist eine individuelle Pflicht für jeden Muslim, der hierzu in der Lage ist, bis die Aqsa-Moschee [in Jerusalem] und die Heilige Moschee [in Mekka] von ihnen befreit sind und bis ihre Armeen das gesamte Territorium des Islam verlassen haben, geschlagen und unfähig, irgend einen Muslim noch zu bedrohen. Vgl. Nass Bayan al-Jabha al-islamiya alalamiya li-Jihad al-Jahud wa'l-Salibiyin. In: "al-Quds al-arabi" vom 23.2.1998. Eine englische Übersetzung findet sich im Internet unter www.fas.org/irp/world/para/docs/ 980223-fatwa.htm. 444 Diese Fatwa ist aus Sicht der islamischen Theologie nicht gültig, da Usama Bin Ladin als Laie weder die theologische Qualifikation noch die religiöse Autorität zur Erstellung von Rechtsgutachten, geschweige denn zur Ausrufung des Jihad im Namen der Muslime besitzt. Entsprechend wurden die Anschläge vom 11. September von einem Großteil der islamischen Religionsgelehrten als nicht mit dem Islam vereinbar zurückgewiesen, da die islamische Religion sowohl den Mord an unschuldigen Zivilisten als auch den Selbstmord verbiete. Vgl. Hanspeter Mattes: Ein Jahr danach. Der islamistische Terrorismus und seine Bekämpfung. In: "Herder Korrespondenz 56" Nr. 9/2002, S. 444 - 448. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 219 Statt Anschlägen der Basis-Organisation "al-Qa'ida" standen seit 2004 die Aktivitäten der so genannten "non-aligned Mujahidin" im Vordergrund. Das Terrornetzwerk "al-Qa'ida" scheint mit seinen zahlreichen Audiound Videobotschaften eher die ideologische Begründung für die Anschläge zu liefern, als diese zentral zu planen und selbst durchzuführen. Die "non-aligned Mujahidin" stehen für Kleingruppen oder einzelne Personen, die keiner bestimmten Organisation zuzurechnen sind. Sie finanzieren sich selbst - oftmals durch Allgemein-Kriminalität, wie zum Beispiel durch den Handel mit Betäubungsmitteln, Kreditkartenbetrug oder Raubüberfälle. 4.1.1.2 "Ansar al-Islam" ("Anhänger des Islam") / "Ansar al-Sunna" ("Anhänger der Sunna") ÜBERSICHT Abkürzung AAI AAS Entstehung / Gründung 2001 Irak (als Nachfolgeorganisation des "Jund al-Islam" / "Heer des Islam") Organisationsstruktur Transnationales Netzwerk Die 2001 im Nordirak aus verschiedenen Splittergruppen entstandene Organisation "Ansar al-Islam" (AAI) besteht hauptsächlich aus islamistischen Kurden, die die Errichtung eines islamistischen kurdischen Staatswesens im Nordirak nach dem Vorbild des früheren TalibanRegimes in Afghanistan anstreben. Hierzu bekämpft sie mit Waffengewalt die laizistischen kurdischen Gruppen "Patriotische Union Kurdistan" (PUK) und die "Kurdische Demokratische Partei" (KDP). Ihre terroristischen Aktionen richtet sie seit 2003 auch gegen die alliierten Streitkräfte im Irak sowie gegen dort tätige humanitäre Hilfsorganisationen. Von 2004 an agierte die "Ansar al-Islam" zwischenzeitlich unter der Bezeichnung "Jaish Ansar al-Sunna" ("Armee der Anhänger der Sunna"; kurz: "Ansar al-Sunna"; AAS). Mittlerweile ist sie allerdings 220 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 wieder zu ihrem ursprünglichen Namen zurückgekehrt. 445 Im Irak, wo sie in den letzten Jahren erheblich an Zulauf gewann, fungiert die AAI als Dachorganisation und als Sammelbecken für nicht-kurdischstämmige ausländische "Mujahidin". Ideologisch ist die AAI den salafistischen Jihadisten zuzuordnen, die sich an der Jihad-Konzeption von Sayyid Qutb (1906 - 1966) - eines Vordenkers des militanten Islamismus - orientieren. So propagiert die AAI die Bekämpfung von Juden und Christen und befürwortet die strikte Umsetzung islamischer Glaubensvorschriften sowie eine weitgehend an den Bestimmungen des Korans orientierte ursprüngliche Lebensweise. Die Organisation, die bis 2004 von dem in Norwegen lebenden Mullah Krekar angeführt wurde, unterhält zur logistischen und finanziellen Unterstützung auch in Westeuropa ein Netzwerk. In Deutschland fielen ihre Anhänger nicht allein durch werbende und unterstützende Tätigkeiten auf, sondern auch durch die Vorbereitung terroristischer Aktivitäten. Mehrere Personen sollen die AAI durch Logistik, Geldbeschaffung, die Einschleusung irakischer Staatsbürger sowie durch die Rekrutierung von "Jihad-Kämpfern" für den Irak-Krieg unterstützt haben. Im Jahr 2007 wurden drei Personen wegen Unterstützung dieser terroristischen Vereinigung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Ein im Juni 2006 begonnenes Verfahren gegen drei irakische Staatsbürger ist bislang noch nicht abgeschlossen. 446 445 Vgl. "al-Hayat" vom 31.1.2008, S. 3. 446 Vgl. S. 90 f. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 221 4.1.2 Regional gewaltausübende Gruppen 4.1.2.1 "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS) ÜBERSICHT Abkürzung HAMAS Entstehung / Gründung 1987 Gaza Mitgliederzahl Bund: ca. 300 (2006: ca. 300) Berlin: ca. 50 (2006: ca. 50) Die mit dem Kurzwort HAMAS 447 bezeichnete "Bewegung des Islamischen Widerstands" wurde 1987 im Gaza-Streifen von Ahmad Yassin in der Nachfolge eines Zweigs der "Muslimbruderschaft" (= MB) gegründet. In ihrer Charta von 1988 verneint die HAMAS das Existenzrecht Israels und strebt die "Befreiung ganz Palästinas" durch bewaffneten Kampf sowie die Errichtung eines islamistischen Staatswesens an. Den 1993 begonnenen Oslo-Friedensprozess lehnte die HAMAS als "Ausverkauf palästinensischer Interessen" ab und konkurrierte gleichzeitig mit der von der laizistischen FATAH dominierten Palästinensischen Autonomiebehörde um die Führung der Palästinenser. Durch ihre Kritik an den Friedensverhandlungen der Autonomiebehörde mit Israel sowie durch den kontinuierlichen Ausbau ihrer Basis im sozialen Bereich entwickelte sie sich im innerpalästinensischen Machtgefüge zu einem bedeutenden politischen Faktor. In der Folge verzeichnete die HAMAS bei den Kommunalwahlen 2004 und 2005 deutliche Erfolge und siegte überraschend auch bei den Parlamentswahlen am 25. Januar 2006. Im Palästinensischen Legislativrat stellt sie seither 76 der 132 Abgeordneten und verfügt gegenüber der bisherigen Mehrheitsfraktion FATAH (43 Sitze) und den sonstigen Gruppen (13 Sitze) über die absolute Mehrheit. Damit wurde in den Palästinensischen Gebieten der Nationalismus als bis dahin dominierende politische Ideologie durch den Islamismus abgelöst. Die von der HAMAS 447 Arabisch: "Harakat al-Muqawama al-islamiya". Der Begriff "Hamas" stellt zugleich ein - bereits im Koran enthaltenes - arabisches Wort dar, das "Begeisterung", "Eifer" und "Leidenschaft" bedeutet. Islamisten interpretieren den Begriff als "Tapferkeit". 222 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 verfolgte Gewaltstrategie schloss seit 1994 vor allem Selbstmordanschläge ein. Mit dem Ausbruch der "al-Aqsa-Intifada" im September 2000 und der Verschärfung des israelisch-palästinensischen Konflikts hatten die Selbstmordanschläge ihres militärischen Flügels, der "Izz adDin al-Qassam-Brigaden", gegen israelische Ziele erheblich zugenommen. Die "Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden" wurden im Juni 2002 in die EU-Liste terroristischer Organisationen aufgenommen; seit September 2003 wird auch die Gesamtorganisation der HAMAS als terroristisch eingestuft. Die als "Märtyrer-Operationen" bezeichneten Anschläge begrenzte die HAMAS dabei nicht auf die palästinensischen Gebiete des Westjordanlands und Gaza-Streifens, sondern führte sie vor allem im israelischen Kernland aus. Die Anschläge zielten zudem nicht allein auf Militärpersonal, sondern auch auf die israelische Zivilbevölkerung. Dieses seit Errichten des Grenzzauns erschwerte und von Waffenstillstandsabkommen zeitweise unterbrochene terroristische Vorgehen begründet die HAMAS nach wie vor mit einem "Recht auf Selbstverteidigung". In Deutschland tritt die HAMAS nicht offen in Erscheinung. Vielmehr treffen sich ihre Anhänger in Moscheen, Moscheevereinen und Islamischen Zentren. Als Berliner Treffpunkt von HAMAS-Anhängern gilt das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum Berlin e. V." (IKEZ). 4.1.2.2 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") ÜBERSICHT Entstehung / Gründung 1982 Beirut Mitgliederzahl Bund: ca. 900 (2006: ca. 900) Berlin: ca. 160 (2006: ca. 160) Veröffentlichungen "Al-Ahd - Al-Intiqad" ("Die Verpflichtung - Die Kritik") (überregional, wöchentlich) "Al-Manar-TV" ("Der Leuchtturm") Die schiitisch-islamistische "Hizb Allah" ("Partei Gottes") wurde 1982 nach dem Einmarsch israelischer Truppen in den Libanon gegründet und agierte im 15-jährigen libanesischen Bürgerkrieg (1976 - 1989) zusam- HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 223 men mit der AMAL 448 als eine der beiden schiitischen Milizen. Aus ideologischen, regionalpolitischen und konfessionellen Motiven wird die hierarchisch strukturierte Bewegung vom Iran und von Syrien unterstützt, die sie als militärisches Drohpotenzial vor allem gegenüber Israel einsetzen. Aus dieser umfassenden militärischen und finanziellen Unterstützung und ihrem Kampf gegen die 22-jährige israelische Besatzung resultiert eine Sonderstellung der "Hizb Allah" im Libanon. Als einzige der ehemaligen Bürgerkriegsmilizen unterhält sie weiter eine bewaffnete Miliz, den so genannten "Islamischen Widerstand" ("al-Muqawama alislamiya"). 449 Unter ihrem Generalsekretär Hassan Nasrallah negiert die "Hizb Allah" nach wie vor das Existenzrecht Israels und propagiert den - von ihr als "legitimen Widerstand" bezeichneten - bewaffneten Kampf gegen Israel. Den 2000 nicht erfolgten Abzug der Israelis aus dem Grenzgebiet der "Shebaa-Farmen" 450 benutzt die "Hizb Allah" seitdem als einen Vorwand für militärische Operationen gegen Israel. Im Juli 2006 löste die Entführung zweier israelischer Soldaten im israelisch-libanesischen Grenzgebiet einen mehrwöchigen Krieg zwischen der "Hizb Allah" und Israel aus, der auf beiden Seiten Hunderte von zivilen Todesopfern und Verletzten forderte. Der am 14. August 2006 vermittelte Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien wird seitdem von UN-Truppen überwacht, an denen sich auch die deutsche Marine im Seeraum vor der libanesischen Küste beteiligt. Im Libanon hat sich die "Hizb Allah" als parteiähnliche politische Bewegung konstituiert, die wegen ihrer sozialen Aktivitäten vor allem unter der schiitischen Bevölkerung des Libanon über breiten gesellschaftlichen Rückhalt verfügt. Insbesondere im Südlibanon baute die 448 AMAL ist die Organisationsbezeichnung laizistisch orientierter Schiiten des Libanon. Der Begriff steht für "Afwaj al-Muqawama al-lubnaniyah", "Batallione des libanesischen Widerstands". Amal heißt zugleich "Hoffnung". 449 Im Jahre 2004 forderte der UN-Sicherheitsrat mit Resolution 1559 die Entwaffnung der "Hizb Allah"; auch die Resolution 1701, die am 14.8.2006 den Waffenstillstand im Libanon einleitete, hält die Forderung nach einer Entwaffnung aufrecht. 450 Israel hatte 2000 seinen Nichtrückzug von den im Grenzdreieck zwischen Libanon, Syrien und Israel gelegenen "Shebaa-Farmen" damit begründet, dass dieser Landstrich syrisches Territorium sei. Der Libanon hingegen betrachtet die "Shebaa-Farmen" als sein - von Israel zu Unrecht besetztes - Staatsgebiet. 224 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 "Hizb Allah" quasistaatliche Strukturen auf. Im libanesischen Parlament ist sie seit 1992 vertreten. Nach dem aus ihrer Sicht erfolgreichen Krieg gegen Israel im Sommer 2006 451 versuchte die "Hizb Allah", ihre innenpolitische Stellung zu stärken. Mit dem Ziel, die pro-westliche Regierung Siniora zu stürzen, organisierte die von der "Hizb Allah" angeführte Opposition Massenproteste und zog im November 2006 ihre Minister aus der libanesischen Regierung zurück. Der Libanon ist seitdem politisch in ein pro-westliches Lager um den Ministerpräsidenten Siniora und ein pro-syrisches Lager um die "Hizb Allah" gespalten. Zu einem internationalen Streitfall wurde der parteieigene TV-Sender "al-Manar" ("Der Leuchtturm"), durch den die "Hizb Allah" ihre "Widerstandsideologie" verbreitet. Fester Bestandteil im Programm des über Satellit auch in Deutschland zu empfangenden Senders sind die Propagierung des bewaffneten Kampfes und von als "Märtyrer-Operationen" bezeichneten Selbstmordanschlägen. Die anti-israelische Hetze des Senders zeigt etwa den Generalsekretär Nasrallah, der seinen Anhängern versichert, dass "Israel in seiner Existenz vergehen wird". Die Propagandafilme beinhalten auch Bilder israelischer Attentatsopfer - unterlegt mit dem Text "Gewiss wird Israel verschwinden". Mit der Begründung, dass der Sender zu Hass und Gewalt gegen Israel aufrufe und Programme mit eindeutig antisemitischem Charakter ausstrahle 452 , hatten Frankreich und die USA "al-Manar" 2004 die Sendelizenz entzogen. Die "Hizb Allah" wird von den USA auf ihrer Liste der "Foreign Terrorist Organizations" aufgeführt. Die Europäische Union hat die "Hizb Allah" nicht in die Liste terroristischer Organisationen aufgenommen, wohl aber Imad Mughniyah 453 als führendes Mitglied ihres Nachrichtendienstes. 451 Israel konnte seine ursprünglichen Kriegsziele, die "Hizb Allah" zu vernichten und die entführten Soldaten zu befreien, nicht realisieren. 452 Hierzu zählt z. B. die während des Ramadan 2003 ausgestrahlte Sendereihe "alShatat" ("Diaspora"), in der die Existenz einer seit Jahrhunderten bestehenden geheimen jüdischen Weltregierung unterstellt wird, die für zahlreiche politische Komplotte und Großereignisse wie den Ausbruch des Ersten und Zweiten Weltkriegs verantwortlich zeichnen soll. 453 Imad Mughniyah wurde am 12.2.2008 bei einem Bombenattentat in Damaskus getötet. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 225 4.1.3 Gewaltbefürwortende Gruppen 4.1.3.1 "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung") ÜBERSICHT Abkürzung HuT Entstehung / Gründung 1953 Jordanien 1987 Landesverband Berlin Mitgliederzahl Bund: ca. 300 (2006: ca. 300) Berlin: ca. 60 (2006: ca. 60) Organisationsstruktur 2003 vereinsrechtliches Betätigungsverbot Veröffentlichungen "Explizit" (überregional, bis Januar 2003) "Al-Wa'i" ("Bewusstsein") (überregional, monatlich) "Khalifa" / "Hilafet" ("Kalifat") (überregional, monatlich) Die 1953 in Jordanien von Taqi ad-Din an-Nabhani (1909 - 1977) gegründete "Hizb ut-Tahrir" (HuT) ist eine pan-islamistische parteiähnliche Bewegung, die sich die weltweite Missionierung von Muslimen im Sinne ihrer Ideologie zum Ziel gesetzt hat. Ideologisch verfolgt die HuT eine universelle Staatsund Gesellschaftsdoktrin, die sie auf vermeintlich authentisch islamische Herrschaftskonzepte zurückführt. Im Zentrum stehen die Betonung des pan-islamischen Gedankens (in der Behauptung der Existenz einer weltumfassenden islamischen Gemeinde, der "Umma") sowie die Forderung nach Errichtung einer weltweiten Kalifatsherrschaft. Erklärte Ziele sind auch die Überwindung nationalstaatlicher Strukturen, die Vernichtung des Staates Israel, die Befreiung der muslimischen Welt von westlichen Einflüssen sowie die Einführung der Scharia als politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip. Die Ideologie der HuT kennzeichnet ferner eine ausgeprägte Judenfeindschaft sowie die Rechtfertigung von Gewaltanwendung durch vermeintlich religiöse Bezüge. So werden Koranverse aus ihrem historischen 226 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Kontext herausgelöst und Begriffe wie "Jihad" ("Bemühen", "Kampf") fast durchgängig militant interpretiert. In den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens wurde die HuT aufgrund ihrer radikalen Ausrichtung, insbesondere wegen ihrer Aufrufe zum gewaltsamen Umsturz der Regierungen, unmittelbar nach ihrer Gründung verboten. Seitdem operiert sie weitgehend im Geheimen, ihre Anhänger sind strikter Verfolgung ausgesetzt. Begründet werden die Maßnahmen mit der Beteiligung der HuT an Staatstreichen - etwa in Jordanien (1968), Irak (1969), Ägypten (1974) sowie Syrien (1976). Nach eigener Darstellung ist die HuT in diesen Ländern wie auch in Kuwait aber weiter aktiv. Darüber hinaus agiert sie im zentralasiatischen Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan. Aufgrund der Verfolgung ist die HuT in keinem Land Teil des Parteiensystems. Derzeitiger Vorsitzender ist der 1943 geborene Jordanier Ata Abu al-Rashta, dessen Aufenthaltsort im Libanon vermutet wird. In Deutschland trat die HuT vorwiegend in Universitätsstädten durch die Verbreitung von Flugblättern und Zeitschriften in Erscheinung. Diese enthielten regelmäßig antiisraelische und antiwestliche Positionen. Am 10. Januar 2003 erließ der Bundesminister des Innern ein Betätigungsverbot gegen die HuT. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte das vom BMI erlassene Verbot am 25. Januar 2006. 454 Das Urteil wurde damit begründet, dass die HuT mehrmals "zur gewaltsamen Beseitigung des Staates Israel und zur Tötung von Menschen aufgefordert" und auf diese Weise "der friedlichen Lösung der israelisch-palästinensischen Interessensgegensätze entgegengewirkt" habe. In seiner Begründung verwies das Bundesverwaltungsgericht auch auf Art. 9 Abs. 2 GG, wonach Organisationen verboten werden, die sich gegen die Verfassung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten. 454 Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Az.: BVerwG 6A 6.05. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 227 4.1.3.2 "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti") ÜBERSICHT Entstehung / Gründung 1984 Köln Mitgliederzahl Bund: ca. 750 (2006: ca. 750) Berlin: Einzelmitglieder (2006: Einzelmitglieder) Organisationsstruktur 2001 Vereinsverbot Sitz Köln Veröffentlichungen "Barika-i Hakikat" ("Das Aufleuchten der Wahrheit") (überregional, letztmalig erschienen Oktober 2004) Der islamistische "Kalifatsstaat" spaltete sich 1984 von der Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V. (AMGT) (= IGMG) ab. Er stand unter der Leitung von Cemaleddin Kaplan und bezeichnete sich anfangs als "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln" (ICCB). Sowohl der damalige ICCB als auch die AMGT strebten für die Türkei eine an der Scharia ausgerichtete islamistische Staatsordnung an. Anlass für die Abspaltung der so genannten Kaplanclar (Kaplan-Anhänger) war die unterschiedliche Vorstellung, auf welchem Weg die Gründung eines als "islamisch" deklarierten islamistischen Staatswesens zu realisieren sei. Während sich die AMGT für den gewaltfreien parlamentarischen Weg entschied, sprach sich Kaplan ausdrücklich für eine Revolution nach dem Vorbild des Iran aus. Im Zuge dieser Revolution sollte das 1924 in der neu gegründeten türkischen Republik abgeschaffte Kalifat - das Amt des weltlichen Oberhaupts der Muslime - wieder eingeführt werden. Den legalen Weg zur Macht über demokratische Wahlen lehnte Kaplan entschieden ab, da westliche Demokratiemodelle nicht mit der Scharia vereinbar seien. Seinen Vorstellungen zufolge sollte sich das zu gründende islamistische Staatswesen zunächst auf das Gebiet der heutigen Türkei beschränken, später aber alle muslimischen Länder unter der Herrschaft eines Kalifen vereinen. 1994 ließ sich Cemaleddin Kaplan von seinen Anhängern zum Kalifen ausrufen, woraufhin die Organisation in "Hilafet Devleti" ("Kalifatsstaat") umbenannt wurde. Nach dem Tod Cemaleddin Kaplans im Jahr 1995 übernahm sein Sohn Metin den Titel. Die Rechtmäßigkeit des 228 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 neuen "Kalifen" war umstritten und spaltete 1996 die Organisation. Der frühere Vertraute von Cemaleddin Kaplan, Dr. Halil Ibrahim Sofu, wurde zum "Gegenkalifen" ausgerufen. Sofu wurde im Mai 1997 in seiner Berliner Wohnung von Unbekannten erschossen. Metin Kaplan wurde daraufhin am 15. November 2000 vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen zweifacher öffentlicher Aufforderung zur Ermordung Sofus zu vier Jahren Haft verurteilt. Als er im Mai 2003 aus dem Gefängnis entlassen wurde, lag gegen ihn ein Auslieferungsantrag der Türkei wegen Hochverrats vor, dem am 12. Oktober 2004 stattgegeben wurde. 455 Ein Istanbuler Schwurgericht verurteilte das Oberhaupt des "Kalifatsstaats" wegen Attentatsplanung gegen die türkische Staatsspitze am 20. Juni 2005 zu lebenslanger Haft. Wegen Verfahrensfehlern hob die 9. Strafkammer des Kassationshofs in Ankara am 30. November 2005 diese Verurteilung auf und das Verfahren wurde 2006 vor der 14. Kammer des Istanbuler Landgerichts fortgesetzt. In Deutschland übernahm Harun Aydin am 25. März 1999 die Leitung des Verbandes, wobei das ideologische Konzept Cemaleddin Kaplans beibehalten und die aggressive, demokratiefeindliche und antisemitische Agitation fortgeführt wurden. Am 12. Dezember 2001 verbot der Bundesminister des Innern den "Kalifatsstaat". Das nach den Entscheidungen des Bundesverwaltungsund des Bundesverfassungsgerichts 456 rechtskräftige Verbot wurde durch die Streichung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz möglich. 457 Begründet wurde es damit, dass sich der "Kalifatsstaat" offen gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland sowie den Gedanken der Völkerverständigung richtet und die innere Sicherheit sowie außenpolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. 458 Das Verbot betraf den Gesamtverband und bundesweit 19 Teilorganisationen sowie die zum Verband gehörende, in den Niederlanden registrierte Stiftung "Diener des Islam". In Berlin war u. a. die 455 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2004. Berlin 2005, S. 138 ff. 456 Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Az.: BVerwG 6 A 4.02; Bundesverfassungsgericht, Az.: BVerfG 1 BvR 536/03. 457 Vgl. Erstes Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes (BGBl. I S. 3319). 458 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2001. Berlin 2002, S. 79 ff. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 229 Muhacirin-Moschee in Friedrichshain-Kreuzberg von den Maßnahmen betroffen. Da es weitere Veröffentlichungen der Zeitung "Ümmet-i Muhammed" ("Die Gemeinde Muhammads") und Sendungen des Fernsehkanals HAKK-TV nach dem Verbot gab, 459 leitete der Generalbundesanwalt 2002 ein Ermittlungsverfahren ein. Am 19. September 2002 wurden 16 weitere Teilorganisationen dieser Gruppierung in Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen verboten. Auch 2005 erfolgten Exekutivmaßnahmen gegen mutmaßliche Mitglieder des "Kalifatsstaats". Die Verbreitung der dritten vom "Kalifatsstaat" herausgegebenen Zeitung "Barika-i Hakikat" ("Das Aufleuchten der Wahrheit") ab März 2004 wurde noch im selben Jahr wieder eingestellt. Statt dessen stellte die Organisation über einen niederländischen Server neue Seiten in das Internet. 460 Das Vereinsverbot, zahlreiche Exekutivmaßnahmen sowie die Abschiebung Metin Kaplans in die Türkei führten zwar zu einer deutlichen Schwächung des "Kalifatsstaats", trotzdem gibt es Versuche, verbliebene Strukturen zu reorganisieren. 459 In beiden Fällen handelt es sich um frühere Verlautbarungsorgane des "Kalifatsstaats". 460 Nach dem Verbot des "Kalifatsstaats" wurden dessen Internetseiten gesperrt. 230 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 4.2 Nicht-gewaltorientierte Islamisten 4.2.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. ÜBERSICHT Abkürzung IGMG Entstehung / Gründung 1985 Köln (als Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V. / AMGT) Mitgliederzahl Bund: ca. 27 000 (2006: ca. 26 500) Berlin: ca. 2 900 (2006: ca. 2 900) Organisationsstruktur Eingetragener Verein Sitz Bonn Veröffentlichungen u. a. "IGMG Perspektive" (überregional, monatlich) Der Vorläufer dieser islamistischen Organisation wurde 1985 unter der Bezeichnung "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V." (Avrupa Milli Görüs Teskilatlar / AMGT) in Köln gegründet. Hieraus gingen 1995 die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) und die "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V." (EMUG) hervor. Die EMUG ist für die Verwaltung des Immobilienbesitzes der Vereinigung verantwortlich. Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. vertritt eine islamistische Ideologie, die auf das politische Konzept von Necmettin Erbakan zurückgeht, das dieser 1973 in dem gleichnamigen Buch Milli Görüs ("Nationale Sicht") veröffentlichte. Erbakans Ziel ist es, die türkischen Bürger unter dem Dach von Nationalismus und Islamismus zu einen und in der Türkei ein islamistisches Staatswesen zu errichten. Als politisches und gesellschaftliches Ordnungsmodell propagiert er eine "gerechte Ordnung" ("Adil Düzen"), in welcher die Scharia gilt und politisches Handeln sich an den Prinzipien von Koran und Sunna orientiert. Erbakan lehnt wesentliche rechtsstaatliche Prinzipien wie Volkssouveränität oder Parteienpluralismus als unvereinbar mit der "gerechten Ordnung" ab. Im Juli 2002 war im Internet ein Videomitschnitt von Erbakan zu sehen, in HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 231 dem er einen Systemwechsel nicht allein in der Türkei, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland forderte: "Du willst dich von diesen Sorgen befreien? Um dich von diesen Sorgen befreien zu können, muss aus der Staatsordnung in Deutschland eine 'gerechte Ordnung' werden. Bevor hier keine 'gerechte Ordnung' herrscht, wirst du nicht zu deinem Recht kommen. Alles hängt letztlich davon ab, ob aus der hiesigen Staatsordnung eine gerechte Ordnung wird." 461 Eine Äußerung Erbakans anlässlich eines im Oktober 2005 in Istanbul veranstalteten Iftar-Essens zeigt, dass er den Islam als Gesellschaftsmodell betrachtet, das sämtlichen westlichen Gesellschaftssystemen überlegen sein soll: "Wo immer die Imperialisten hinkommen, verbreiten sie Tod und Verderben. Die islamische Zivilisation wird den Menschen Frieden und Gerechtigkeit bringen." 462 Auszüge aus einer Rede Erbakans, anlässlich einer Konferenz von ESAM 463 am 29. und 30. Mai 2006 in Istanbul, belegen, dass er bis heute an der Milli Görüs-Ideologie festhält: "Die G-7 haben nichts, was sie der Menschheit bieten [...]. Die Basis des Islam ist auf dem Geist begründet, der Menschheit 'eine gerechte Lebensform zu bieten'. Der Gründungszweck der D-8 besteht darin, dass man sich verpflichtet sieht, die Wohltaten und Schönheiten der Welt auf gerechte Weise unter der Menschheit zu verteilen. [...] Milli Görüs ist das Gehirn. Die gerechte Ordnung (Adil Düzen) ist das Herz." 464 In seiner Analyse des am 28. und 29. Oktober 2006 in Istanbul veranstalteten Internationalen Milli Görüs-Symposiums hob der Milli Gazete-Kolumnist Abdullah Özkan hervor, dass die Milli GörüsBewegung das "bestehende System" ablehnt. Ein gerechtes politisches System könne nur auf Basis der Milli Görüs-Ideologie entstehen: Die Ideologie der Milli Görüs hat nicht den Willen, sich mit dem bestehenden System in der Welt zu einigen oder zu kooperieren, und möchte kein Zahn im paradoxen Rad der Ausbeutung sein. Die Milli Görüs hält es nicht für möglich, das bestehende System zu reformieren. Denn die Milli Görüs sagt, dass das 461 Rede von Necmettin Erbakan: "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung"), 1990. 462 "Milli Gazete" vom 20.10.2005. 463 Ekonomik ve Sosyal Arastrmalar Merkezi (Zentrum für Wirtschaftsund Sozialforschung"). Vorsitzender des ESAM ist der SP-Vorsitzende Recai Kutan. 464 "Milli Gazete" vom 7.6.2006. 232 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 System falsch errichtet worden sei und dass es unmöglich sei, auf einem morschen Fundament ein stabiles Gebäude zu bauen. Die Gesinnung der Milli Görüs beabsichtigt die Rettung und die Glückseligkeit (saadet) der gesamten Menschheit [...]." 465 Necmettin Erbakan hatte 1970 auf der Grundlage der Milli GörüsIdeologie - seine erste islamistische Partei in der Türkei gegründet. Im Gegensatz zu Parteiführern des linken und rechten Spektrums konnte er trotz mehrmaliger Parteiverbote und anschließender Neugründungen eine Spaltung seiner Anhängerschaft bis 2001 verhindern. Interne Flügelkämpfe zwischen den so genannten Traditionalisten und den Erneuerern in der "Fazilet Partisi" (FP / "Tugendpartei") führten nach ihrem Verbot im Juni 2001 jedoch zur Gründung von zwei Nachfolgeparteien. Hierzu gehört die im Juli 2001 vom ehemaligen Vorsitzenden der "Tugendpartei", Recai Kutan, gegründete "Saadet Partisi" (SP / "Partei der Glückseligkeit"), in der sich die "Traditionalisten" wiederfinden, die sich zur Milli Görüs-Ideologie und deren Begründer Erbakan bekennen. Die zweite Nachfolgepartei stellt die - im August 2001 vom ehemaligen Istanbuler Oberbürgermeister und früheren Anhänger der FP, Recep Tayyip Erdogan, gegründete - "Adalet ve Kalknma Partisi (AKP / Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei) dar, die als politisches Lager der "Erneuerer" gilt. Zwischen IGMG, Necmettin Erbakan und der SP bestehen - wie bei den anderen früher von Erbakan geführten Parteien - enge inhaltliche und personelle Verbindungen. Der IGMG-Funktionär Hassan Damar erklärte bei einer vom AGD in Anwesenheit Erbakans ausgerichteten Veranstaltung in Istanbul: "Wir durchschreiten einen außergewöhnlichen Prozess. Und aus diesem Grunde sind wir gezwungen, noch ehrgeiziger und enthusiastischer als in der Vergangenheit zu sein. Um die Milli-Görüs-Macht wieder an die Spitze zu bringen, müssen wir von Europa und Ihr dagegen von der Türkei aus mit Leib und Seele arbeiten. Denn die Rettung der islamischen Welt, die heute vielleicht die dunkelsten Tage ihrer Geschichte erlebt, ist nur durch die Türkei möglich. Wir als in Europa befindliche Auswanderer (muhacir) unterstehen den Befehlen unseres Hodschas Erbakan. Wir haben niemals unser Hemd ausgezogen und werden es auch niemals ausziehen." 466 465 "Milli Gazete" vom 31.10.2006. 466 "Milli Gazete" vom 29.5.2006, S. 11. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 233 Necmettin Erbakan sowie SP-Parteifunktionäre nehmen häufig an Veranstaltungen der IGMG teil. 467 Darüber hinaus sind Funktionäre der IGMG in Ämter der islamistischen Parteien Erbakans in Ankara gewählt worden. So wurden 1995 drei ehemalige AMGT-Mitglieder als Abgeordnete der "Wohlfahrtspartei" in das türkische Parlament gewählt, unter ihnen Osman Yumakogullari, der bis 1995 Vorsitzender der "Milli Görüs in Deutschland und Verantwortlicher der Deutschlandausgabe der "Milli Gazete" gewesen war. Seit April 2003 leitet Yumakogullari den Istanbuler SP-Landesverband. Die IGMG präsentiert sich insbesondere seit den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 in ihren offiziellen Verlautbarungen als eine auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehende Organisation, die sich für den Dialog zwischen türkischen Muslimen und der deutschen Gesellschaft einsetzt. Von der islamistischen Milli Görüs-Ideologie Erbakans hat sie sich jedoch bislang genausowenig distanziert, wie von der "Milli Gazete". Die türkische Tageszeitung, die mit einer Europaausgabe in Deutschland erscheint, ist von der IGMG formal unabhängig. Sie kann jedoch als Sprachrohr der Milli Görüs-Bewegung bezeichnet werden. In dieser Tageszeitung, die für den Zusammenhalt der Milli Görüs-Bewegung von zentraler Bedeutung ist, finden sich immer wieder antisemitische Artikel: "Und die große Lüge. Diese Lüge ist die Legende, dass 6 Millionen Juden ermordet worden seien. Diese Legende, die zu einem Dogma und (wie es das Wort Holocaust auch als Bedeutung beinhaltet) in eine heilige Legende verwandelt wurde, wird dafür missbraucht, um das Unrecht von Israel in Palästina, im ganzen Mittleren Osten, in den USA und mit Hilfe der USA in der gesamten Weltpolitik [...] zu rechtfertigen. [...] Die Legende des Genozids an den Juden passte den Interessen von allen, denn von ihm als dem größten Genozid der Geschichte zu reden, bedeutete für die westlichen Kolonialisten, ihre eigenen Verbrechen in Vergessenheit geraten zu lassen, für Stalin dagegen bedeutete das, seine grausamen Ungerechtigkeiten unter den Teppich zu kehren." 468 Die IGMG ist die größte islamistische Organisation in Deutschland. Durch Mitgliedsbeiträge und Spenden verfügt sie über erhebliche finanzielle Mittel. Dies ermöglicht es ihr, eine Vielzahl von Aktivitäten 467 Zur aktuellen Entwicklung der IGMG vgl. S. 97 - 108. 468 "Milli Gazete", Onlineausgabe vom 22.8.2006. Vgl. auch Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin 2007, S. 240. 234 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 anzubieten. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Erziehungsund Bildungsarbeit für Kinder und Jugendliche. Sefer Ahmetoglu, ein für die IGMG-Zentrale tätiger Imam, führte hierzu in der "Milli Gazete" aus: "Einige unserer Brüder erwerben Häuser und Wohnungen, die weit von den Moscheen entfernt sind. Auf diese Weise vernachlässigen sie den Besuch der Gemeinde. [...] Sie selbst verlieren langsam das Interesse an der Gemeinde. Weil sie in weiter Entfernung zu den Moscheen wohnen, müssen ihre Töchter und Söhne muslimische Freunde und das muslimische Umfeld entbehren. [...] Sie sind gezwungen, Freundschaften mit Personen einzugehen, die nicht zu ihrem Glauben und zu ihrer Mentalität passen. Deswegen mache ich eindringlich darauf aufmerksam, dass Muslime unbedingt in der Nähe von Moscheen wohnen sollten. Sie sollten sich in einem islamischen Umfeld aufhalten und sich nicht von den Moscheen und Gemeinden entfernen. Wir haben damit viel Erfahrung. Wenn wir dieser Situation keine besondere Aufmerksamkeit schenken, stehen wir der großen Gefahr gegenüber, unsere [junge] Generation und unseren Glauben zu verlieren. [...]" 469 Der Vorsitzende der IGMG-Jugend in Berlin, Celal Tüter, führte bei einem Jugendfest der IGMG in Berlin aus: "In Anbetracht all dieser Geschehnisse ist das einzige, was zu machen ist, die Verteidigung unserer Werte. Also, dass die Lösung im Islam und in der Milli Görüs liegt, ist offensichtlich. 470 Die zahlreichen Angebote sowie die Mitarbeit in islamischen Dachverbänden nutzt die IGMG auch für ihr Bestreben, hinsichtlich der Interessenvertretung der in Deutschland lebenden türkischen Muslime eine Vorrangstellung einzunehmen. Im Oktober 2002 trat der Vorsitzende des IGMG-Hauptverbandes, Mehmet Sabri Erbakan, von seinem Amt zurück. Dieser Schritt, die deutliche Niederlage der SP von Necmettin Erbakan bei den türkischen Parlamentswahlen vom 3. November 2002 sowie der Wahlsieg der "Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei" (AKP) von Recep Tayyip Erdogan 471 lösten in der IGMG in Deutschland eine Krise aus und führten zu internen Auseinandersetzungen zwischen Traditionalisten und so genannten Reformern über die zukünftige Ausrichtung der Organisation. 469 "Milli Gazete" vom 27.12.2002. 470 "Milli Gazete" vom 12.6.2006, S. 18. 471 Von ehemals 15,4 Prozent vor der Spaltung der FP sank das Ergebnis der SP auf 2,5 Prozent. Die AKP erhielt hingegen 34,2 Prozent der Wählerstimmen. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 235 Die Traditionalisten in der IGMG erwarten, dass die Organisation weiter auf die Verwirklichung politischer Ziele in der Türkei hinarbeitet und Necmettin Erbakans Forderungen nachkommt. Die so genannten Reformer hingegen fordern eine Neuausrichtung auf die veränderten Bedürfnisse vor allem der Anhänger der zweiten und dritten Generation in Europa. Diese wünschen den Ausbau des religiösen und sozialen Angebots. Sie fordern eine Emanzipation von Erbakan sowie der SP und wollen mehr Mitbestimmung in der IGMG durchsetzen. Die IGMG-Führung versuchte in der darauffolgenden Zeit, beiden Positionen gerecht zu werden, um eine Spaltung des Verbandes zu vermeiden. Dabei wurden Positionen vertreten, die nicht miteinander vereinbar sind. So bekannte sich der IGMG-Generalsekretär Oguz Ücüncü in zwei Zeitungsinterviews 472 zu Menschenrechten, Gleichberechtigung und Pluralismus, erklärte aber gleichzeitig, dass er bei der Parlamentswahl 2002 Necmettin Erbakans SP gewählt habe und dass Erbakan für die IGMG eine Integrationsfigur sei. Angesichts der Programmatik der SP, die den demokratischen Rechtsstaat zugunsten einer islamistischen Staatsordnung abschaffen will, ist Ücüncüs Bekenntnis zur Demokratie widersprüchlich und damit fragwürdig. Die ambivalenten Äußerungen des Generalsekretärs Ücüncü zeigen, dass die IGMG eine Distanzierung von Necmettin Erbakan und seiner islamistischen Milli Görüs-Ideologie vermeidet. Mit dieser Strategie ist es der IGMG-Führung bislang gelungen, eine Spaltung zu verhindern; die Glaubwürdigkeit des Verbandes in der deutschen Öffentlichkeit fördert dies nicht. Eine programmatische Neuausrichtung der IGMG hat bisher nicht stattgefunden. 472 Vgl. "Die Welt" vom 11.8.2004; "tageszeitung" vom 7.5.2004. 236 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 4.2.2 "Muslimbruderschaft" / "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." ÜBERSICHT Abkürzung MB IGD Entstehung / Gründung 1928 Ägypten (MB) 1960 Deutschland (IGD) Mitgliederzahl Bund: ca. 1 300 (2006: ca. 1 300) Berlin: ca. 100 (2006: ca. 100) Organisationsstruktur Eingetragener Verein (IGD) Veröffentlichungen "Risalat al-Ikhwan" (Rundschreiben der Bruderschaft) "Al-Islam" (Der Islam) (nur noch als Online-Version) Die 1928 in Ägypten gegründete "Muslimbruderschaft" (MB) ist die älteste und zugleich bedeutendste arabische islamistische Gruppierung. Die pan-islamistische Organisation ist heute, teils unter anderen Namen, in fast allen Ländern des Vorderen Orients vertreten und unterhält auch Zweige in westeuropäischen Ländern. In den meisten nahöstlichen Staaten bildet die MB eine halbbis illegale Opposition zur Regierung, wobei ihre Aktivitäten von den jeweiligen politischen Verhältnissen abhängen: Während in Syrien der Aufstand gegen die Staatsmacht 1982 gewaltsam beendet wurde, nahm die Bereitschaft der MB zur Anpassung dort zu, wo eine Einbindung in den parlamentarischen Prozess gelang. Dies war in Ägypten bereits in den 80er Jahren der Fall; auch in Jordanien ist die MB im Parlament vertreten. Die ägyptische MB, größte der MB-Organisationen, durchlief verschiedene historische Phasen: In ihrer Frühphase in den 20er und 30er Jahren hatte für sie die Lehre und Erziehung der Gläubigen Vorrang. In den 40er, 50er und 60er Jahren agierte sie militant und verübte zahlreiche politische Attentate auf Repräsentanten des ägyptischen Staates. Höhepunkt der drei Jahrzehnte andauernden gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen MB und dem Staat war die Hinrichtung ihres Chefideologen Sayyid Qutb 1966. Als nicht mehr gewaltorientiert gilt die ägyptische MB erst nach Abspaltung ihrer militanten Flügel in den späten 70er Jahren (mit dem Entstehen der terroristischen Gruppen HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 237 "Takfir wa'l-Hijra" 473 und "al-Jihad al-Islami"). Darauf folgte eine Phase der Integrationsbereitschaft in das politische System. Der Entschluss der MB, sich im politischen System Ägyptens auch an Wahlen zu beteiligen und im Parlament mitzuarbeiten, wird teilweise als ein "Marsch durch die Institutionen" gewertet. Ideologisch verkörpert die MB ein breites Spektrum, das bis zur Schaffung einer so genannten "islamischen Demokratie" reicht. Aus den 30er Jahren stammt der Anspruch der MB, dass es eine "Ordnung des Islams" gebe. Dieser relativ unkonkrete Anspruch definiert die islamische Religion als ein "System", das "zu jeder Zeit und an jedem Ort" anwendbar sein soll und das den Koran und die Sunna zur Richtschnur politischen Handelns erhebt. Zeitgenössische Vorstellungen zu Staat und Gesellschaft vertritt die MB mit der Forderung nach "Anwendung der Scharia", des islamischen Rechts und der Schaffung eines islamistischen Staatswesens. Da in diesem islamistischen Staatswesen Religion und Staat nicht getrennt sein sollen, wäre das von der MB angestrebte Staatswesen zwangsläufig ein Staat, der westlichen Vorstellungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zuwiderläuft. Ambivalenz kennzeichnet nach wie vor die Haltung der MB in der Gewaltfrage. Zwar lehnt sie seit den 70er Jahren Gewaltanwendung zur Durchsetzung ihrer politischen Agenda ab. Andererseits befürwort die MB Gewalt in spezifischen Konflikten - etwa im israelisch-palästinensischen Konflikt. Hier rechtfertigt die MB den militanten Jihad mit einer Verteidigungssituation und erklärt ihn für vermeintlich legitim. In einschlägigen Äußerungen führender MB-Vertreter, die bis zur expliziten Verneinung des Existenzrechts Israels reichen, werden Jihad und Selbstmordanschläge mit der militärischen Unterlegenheit der Palästinenser gegenüber Israel sowie mit dem vermeintlich militärischen Charakter der israelischen Gesellschaft zu begründen versucht. So äußerte der seit 2004 amtierende "Oberste Führer" (al-murshid al-'amm) der ägyptischen MB, Muhammad Mahdi Akif, dass es "für Israels Existenz in der Region keinen Grund gibt". Ferner prophezeite er, dass 473 Wörtlich übersetzt: "Exkommunizierung [des bestehenden Gesellschaftssystems] und [innere] Emigration". Das Wort "Hijra" (wörtlich "Auswanderung") bezieht sich zugleich auf die 622 a. D. erfolgte "Auswanderung" des Propheten Muhammad von Mekka nach Medina, wo er die Grundlagen des ersten islamischen Gemeinwesens schuf. 238 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 die MB bei einer Machtübernahme in Ägypten das zwischen Ägypten und Israel 1979 unterzeichnete Friedensabkommen annullieren werde. 474 Die in Deutschland mitgliederstärkste Organisation von Anhängern der "Muslimbruderschaft" (MB) ist die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD), die aus der 1960 in München von dem ägyptischen Muslimbruder Dr. Said Ramadan gegründeten "MoscheebauKommission e. V." hervorgegangen ist. Die IGD existiert seit 1982 unter ihrer heutigen Bezeichnung. Seit 2002 wird die IGD von Ibrahim ElZayat geleitet. Sie ist Mitgliedsorganisation des in Großbritannien ansässigen Dachverbands der MB nahestehenden Organisationen und Verbände aus Europa, der "Föderation Islamischer Organisationen in Europa" (FIOE). Die IGD ist mit gewaltbefürwortenden Äußerungen nicht in Erscheinung getreten. Die IGD hat Verbindungen zu einer Reihe von Vereinen. In Berlin zählen hierzu das "Interkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung e. V." (IZDB), das Islamische Kulturund Erziehungszentrum e. V." (IKEZ), aber auch "INSSAN für kulturelle Interaktion e. V." sowie der "Verband Interkultureller Zentren VIZ e. V." 474 Vgl. "al-Hayat" vom 6.10.2006. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 239 4.3 Sonstige Islamisten 4.3.1 "Tabligh-i Jama'at" / "Jama'at-i Tabligh" ("Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") ÜBERSICHT Abkürzung TJ JT Entstehung / Gründung 1927 Indien Mitgliederzahl Bund: ca. 700 (2006: ca. 600) Berlin: ca. 50 (2006: ca. 50) Organisationsstruktur Organisation Die 1927 in Indien von Muhammad Ilyas (1885 - 1944) gegründete "Tabligh-i Jama'at" (TJ) ist eine pan-islamische Missionierungsbewegung, die hierarchisch organisiert ist und weltweit mehrere Millionen Anhänger umfasst. Ihr organisatorisches und geistiges Zentrum hat die TJ in Indien, Pakistan und Bangladesh, von wo aus die weltweiten Aktivitäten der TJ gesteuert werden. In diesen Zentren werden TJ-Mitglieder aus der ganzen Welt geschult. Die europäische Zentrale der TJ befindet sich in Großbritannien. In Deutschland sind mehrere TJ-Gruppen aktiv, darunter auch in Berlin. Zu den Aktivitäten der TJ gehören Missionsreisen, auf denen Muslime von der Ideologie der TJ überzeugt und als Mitglieder rekrutiert werden sollen. Die einzelnen TJ-Gruppen werden von der Führung in Asien hinsichtlich ihrer Missionierungstätigkeiten kontrolliert. In Pakistan findet jährlich ein Welttreffen mit mehreren Hunderttausend Anhängern statt. Die TJ beschreibt sich selbst als apolitisch und gewaltlos. Sie orientiert sich an frühislamischen Vorschriften und Lebensgewohnheiten wie sie im siebten Jahrhundert in Mekka und Medina vorherrschten. Ihr Bemühen, eine muslimische Idealgesellschaft nach dem Vorbild des Frühislam zu schaffen, schließt ein weitgehend wörtliches Verständnis des Korans und der Sunna ein. Dies hat zur Konsequenz, dass ihre gegenwärtige Vorstellungswelt von der Befürwortung der rechtlichen 240 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Benachteiligung der Frau und der Abgrenzung gegenüber Nicht-Muslimen geprägt ist. Erfolgreich Missionierten werden häufig mehrmonatige Schulungsveranstaltungen in pakistanischen Koranschulen vermittelt. Solche intensiven Schulungen sind geeignet, die Teilnehmer zu indoktrinieren und für islamistisches Gedankengut empfänglich zu machen. In Einzelfällen haben Schulungsteilnehmer anschließend den Weg in Mujahidin-Ausbildungslager in Afghanistan gefunden. Auch wenn die Bewegung nach eigenem Bekunden Gewalt ablehnt und sich als unpolitisch darstellt, ist die Gefahr gegeben, dass sie aufgrund ihres strengen Islamsverständnisses und der weltweiten Missionierungstätigkeit islamistische Radikalisierungsprozesse fördert. Vom 20. bis 22. April 2007 wurde auch in diesem Jahr wieder in Berlin ein "Deutschlandtreffen" der TJ mit etwa 500 Teilnehmern aus dem Inund Ausland durchgeführt. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 241 4.4 Gewaltorientierte Linksextremisten 475 4.4.1 "Arbeiterpartei Kurdistans" / "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" / "Volkskongress Kurdistans" ÜBERSICHT Abkürzung PKK KADEK KONGRA GEL Entstehung / Gründung 1978 Türkei Mitgliederzahl Bund: ca. 11 500 (2006: ca. 11 500) Berlin: ca. 1 000 (2006: ca. 1 000) Organisationsstruktur Türkei: Verbotene Organisation Deutschland: 1993 vereinsrechtliches Betätigungsverbot (gilt in der Nachfolge auch für KADEK und KONGRA GEL) Veröffentlichungen "Serxwebun" ("Unabhängigkeit") (überregional, monatlich) Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 476 wurde 1978 vor dem Hintergrund des jahrzehntelangen Konflikts der im Ländereck Türkei, Iran, Irak und Syrien lebenden 25 Millionen Kurden im Südosten der Türkei gegründet. Erklärtes Ziel der Organisation war die Anerkennung der Kurden als Nation und die Erlangung der politischen Autonomie für die kurdische Minderheit innerhalb des türkischen Staatsgebiets. Von 1984 bis 1999 führte die PKK in der südöstlichen Türkei einen Guerillakrieg für ein unabhängiges Kurdistan. 1992 und 1993 verübten Anhänger der PKK zahlreiche Brandanschläge auf türkische Einrichtungen in Deutschland; bei Demonstrationen kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen. Am 24. Juni 1993 besetzten 13 Kurden das türkische Generalkonsulat in München und nahmen 475 Es handelt sich um Organisationen, die regional im Ausland (z. B. im jeweiligen Heimatland) mit Gewalttaten in Erscheinung treten. In Deutschland verhalten sich die Anhänger dieser Organisationen weitgehend gewaltfrei. 476 Kurdisch: "Partiya Karkeren Kurdistan". 242 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 20 Geiseln. Die gewalttätigen Aktionen führten 1993 zum vereinsrechtlichen Betätigungsverbot in Deutschland. Ab Mitte 1996 bis zur Festnahme des PKK-Führers Abdullah Öcalan im Jahre 1999 verliefen Demonstrationen und Kundgebungen der Anhänger der PKK in Deutschland in der Regel gewaltfrei. Die Festnahme und die Auslieferung Öcalans an die Türkei führte dagegen zu weltweiten militanten Protesten. In Berlin erstürmten am 17. Februar 1999 PKK-Anhänger das israelische Generalkonsulat, wobei vier Kurden von israelischen Sicherheitskräften erschossen wurden. Seit 1999 verfolgte die Organisation einen strategischen Kurswechsel mit dem Ziel, sich durch die Ankündigung von internen Reformen als politischer Gesprächpartner zu etablieren. Dieser Reformprozess wurde nach außen sichtbar gemacht, indem die Organisation sich selbst wie auch ihre Teilund Nebenorganisationen mehrfach umbenannte. Allerdings blieben die ursprünglichen Hierarchieund Befehlsstrukturen erhalten. Nachdem 2002 die Einstellung aller Tätigkeiten unter dem Namen PKK beschlossen worden war, wurde der "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) 477 gegründet. Der KADEK beschloss bereits im Jahr 2003 seine Auflösung. Kurz darauf gab der "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) 478 seine Gründung bekannt. 2005 wurden - in Umsetzung der Programmatik des von Abdullah Öcalan geprägten "demokratischen Konföderalismus" - eine "neue" PKK sowie die "Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans" (KKK) 479 gegründet, in die auch der KONGRA GEL eingebunden ist. Die KKK nannten sich auf der 5. Generalversammlung des KONGRA GEL vom 16. - 22. Mai in "Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans" (KCK) 480 um. Parallel dazu wurde aus der ursprünglichen Jugendorganisation der PKK, der "Union der Jugendlichen Kurdistans" (YCK) 481 , 2003 die "Bewegung der freien Jugend Kurdistans" (TECAK) 482 und 2005 die 477 Kurdisch: "Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistan". 478 Kurdisch: "Kongra Gele Kurdistan". 479 Kurdisch: "Koma Komalen Kurdistan". 480 Kurdisch: "Koma Civaken Kurdistan". 481 Kurdisch: "Yekitiya Ciwanen Kurdistan". 482 Kurdisch: "Tevgera Ciwanen Azad a Kurdistane". HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 243 "Koma Komalen Ciwanen Demokratik a Kurdistan" (KOMALEN CIWAN) 483 . Im Jahr 2004 wechselte die bisherige Frauenorganisation "Partei der Freien Frau" (PJA) 484 ihren Namen in "Freiheitspartei der Frauen Kurdistans" (PAJK) 485 . Seit 2005 ist diese ideologische Organisation - neben der Frauen-Guerilla "Verband freier Frauen Star" (YJA Star) 486 und der politisch-sozialen Frauenbewegung "Union der freien Frauen" (YJA) 487 - Teil der "Gemeinschaft der hohen Frauen" (KJB) 488 . Außerdem reorganisierte sich im Jahr 2004 die "Demokratische Union des kurdischen Volkes" (YDK) 489 unter der Bezeichnung "Koordination der Demokratischen Gesellschaft Kurdistans" (CDK) 490 . Die YDK war Anfang Mai 2000 als Ersatzorganisation für die im Januar 2000 aufgelöste und 1993 durch den Bundesminister des Innern verbotene "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) 491 gegründet worden, die auf internationaler Ebene für die politische Arbeit der PKK zuständig gewesen war. Im Gegensatz zu diesen als Reformprozess deklarierten Veränderungen steht die Tatsache, dass die Guerillaeinheiten der PKK, die "Volksverteidigungskräfte" (HPG) 492 , bereits zum 1. Juni 2004 den am 1. September 1998 von Öcalan erklärten "einseitigen Waffenstillstand" aufgekündigt hatten und seitdem - mit kurzen Unterbrechungen - erneut offensiv gekämpft wurde. Dies führte, zusammen mit terroristischen Anschlägen der "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) 493 , einer nach eigenen Angaben aus den HPG entstandenen Gruppe, zu einer Eskalation der 483 Übersetzt etwa: "Gemeinschaft der Kommunen der demokratischen Jugend Kurdistans". 484 Kurdisch: "Partiya Jina Azad". 485 Kurdisch: "Partiya Azadiya Jin a Kurdistan". 486 Kurdisch: "Yekiniya Jinen Azad Star". 487 Kurdisch: "Yekitiya Jinen Azad". 488 Kurdisch: "Koma Jinen Bilind". 489 Kurdisch: "Yekitiya Demokratika Gele Kurd". 490 Kurdisch: "Koordinasyona Civaka Demokratik a Kurdistan". 491 Kurdisch: "Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan". 492 Kurdisch: "Hezen Parastina Gel", früher "Volksbefreiungsarmee Kurdistans" (ARGK, von kurdisch: Artesa Rizgariya Gele Kurdistan). 493 Kurdisch: "Teyrebazen Azadiya Kurdistan". 244 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Situation. Auf Druck von verschiedenen Seiten rief daraufhin Öcalan zu einem erneuten "einseitigen Waffenstillstand" auf, den er jedoch von Anfang an nur bis zum Mai 2007 dieses Jahres aufrecht erhalten wollte. Tatsächlich haben seit Juni die Gefechte zugenommen, auch wenn der Waffenstillstand offiziell nie aufgekündigt wurde. 4.4.2 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" ÜBERSICHT Abkürzung MLKP Entstehung / Gründung 1994 Türkei Mitgliederzahl Bund: ca. 600 (2006: ca. 600) Berlin: ca. 25 (2006: ca. 25) Organisationsstruktur Türkei: Verbotene Organisation Deutschland: Vereine, MLKP-Verbindungen verschleiert Veröffentlichungen Atlm (Vorstoß) (überregional, täglich) "Partinin Sesi" ("Stimme der Partei") (überregional, täglich) Ziel der "Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP) ist die Errichtung eines kommunistischen Gesellschaftssystems in der Türkei auf der Basis der Ideologie des Marxismus-Leninismus. Hierbei versteht sich die Organisation als die authentische Stimme des Proletariats einer gemeinsamen türkisch-kurdischen Nation sowie als Vertreterin nationaler Minderheiten. In der Türkei versucht die MLKP, ihre politischen Ziele auch mit terroristischen Mitteln durchzusetzen. Hierzu bedient sie sich ihres militärischen Arms, der so genannten "Bewaffneten Streitkräfte der Armen und Unterdrückten" (FESK). Bereits seit mehreren Jahren sind die MLKP und ihr zugehörige Organisationen für über drei Viertel der Anschläge linksextremistischer Gruppierungen in der Türkei verantwortlich. In Deutschland agitiert die MLKP vor allem auf öffentlichen Veranstaltungen, die sich hauptsächlich auf aktuelle Ereignisse in der HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 245 Türkei beziehen. Auf Spruchbändern und Flugblättern findet sich anstelle der Bezeichnung MLKP meist die Organisationsbezeichnung "Föderation der Arbeitsimmigranten aus der Türkei in Deutschland e. V. (AGIF). Bei der AGIF handelt es sich um einen Dachverband MLKP-orientierter Vereine in Deutschland. 4.4.3 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" / "Volksbefreiungspartei-Front der Türkei - Revolutionäre Linke" ÜBERSICHT Abkürzung DHKP-C THKP-C Entstehung / Gründung 1994 Türkei Mitgliederzahl Bund: ca. 650 (2006: ca. 650) Berlin: ca. 65 (2006: ca. 65) Organisationsstruktur Türkei: Verbotene Organisation Deutschland: 1998 Vereinsverbot Veröffentlichungen Yürüyüs (Protestmarsch) (überregional, wöchentlich) "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") Die miteinander rivalisierenden Organisationen "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) und "Volksbefreiungspartei-Front der Türkei - Revolutionäre Linke" (THKP-C / "Devrimci Sol") sind aus der 1978 in der Türkei gegründeten Organisation "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") hervorgegangen, die 1983 in Deutschland verboten wurde. Beide Organisationen sind in der Türkei terroristisch aktiv und streben die Beseitigung des türkischen Staatsgefüges und die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Ideologie an. Sie wurden am 13. August 1998 durch den Bundesminister des Innern verboten. Die DHKP-C ist auch unter den Namen "Revolutionäre Volksbefreiungspartei" (DHKP) bzw. "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" 246 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 (DHKC) aktiv. Meist wird die DHKC als "bewaffneter Arm" der Organisation bezeichnet. Laut Statut kämpft die DHKP-C für die "Befreiung der türkischen und kurdischen Nation und aller anderen Nationen". Die DHKP-C geht davon aus, dass es in einem "vom Imperialismus abhängigen, durch den Faschismus regierten Land unmöglich" sei, die Machtverhältnisse durch Wahlen zu verändern. Deshalb könne "die faschistische Macht, die unter der Kontrolle des Imperialismus und der Oligarchie [stehe], nur durch den bewaffneten Kampf des Volkes zerstört werden". Personen, deren Aktivitäten sich gegen die "Revolution" richten, droht die DHKP-C eine "gnadenlose Bestrafung" 494 an. Nach einer zeitlichen Unterbrechung ist die DHKC seit 2003 in der Türkei terroristisch aktiv. Selbstbezichtigungen der Organisation erscheinen jeweils zeitnah im Internet und sind sogar in deutscher Übersetzung verfügbar. In Deutschland engagieren sich DHKP-C-nahe Organisationen wie zum Beispiel das "Tayad-Komitee" ("Solidaritätsverein der Familien von Inhaftierten und Verurteilten" 495 ) oder die "Anatolische Föderation e. V." ("Anadolu Federasyonu") für die Positionen der DHKP-C. Von November 2000 bis zur Beendigung des so genannten Todesfastens im Januar 2007 wurden die von der DHKP-C initiierten Solidaritätskundgebungen in Deutschland für die Hungerstreikenden in den türkischen Gefängnissen 496 hauptsächlich durch das TAYAD-Komitee organisiert. 494 Programm der DHKP. 495 Abgeleitet aus der türkischen Bezeichnung Tutuklu Hükümlü Aileleri Yardmlasma Dernegi (TAYAD). 496 Die DHKP-C war seit Mai 2002 die einzige türkische linksextremistische Organisation, deren Mitglieder versuchten, ihre politischen Ziele durch Hungerstreikaktionen durchzusetzen. HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 247 4.4.4 "Kommunistische Partei der Türkei / Marxisten-Leninisten" MKP Partisan ÜBERSICHT Abkürzung TKP / ML Entstehung / Gründung 1972 Türkei Mitgliederzahl Bund: ca. 1 300 (2006: ca. 1 300) Berlin: ca. 95 (2006: ca. 95) Organisationsstruktur Türkei: Verbotene Organisation Deutschland: Vereine, TKP / ML-Partizanbzw. MKPVerbindung verschleiert Veröffentlichungen TKP / ML: Özgür Gelecek Yolunda Isci Köylü (Arbeiter und Bauern auf dem Weg zur freien Zukunft") (überregional, zweiwöchentlich) MKP: "Halk icin Devrimci Demokrasi" ("Revolutionäre Demokratie für das Volk") (zweiwöchentlich) MKP: Halk Savas (Volkskrieg) (monatlich) Flugblätter Die "Kommunistische Partei der Türkei / Marxisten-Leninisten" (TKP / ML) ist seit 1994 in zwei Flügel gespalten. Der "Partizan-Flügel" verfügt über bewaffnete Einheiten, die die Bezeichnung "Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee der Türkei (TIKKO) tragen. Der zweite Flügel - bis Dezember 2002 unter dem Namen "Ostanatolisches Gebietskomitee" (DABK) aktiv - ist die "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP), deren bewaffnete Einheiten heute als "Volksbefreiungsarmee" (HKO) agieren. Beide Flügel sind marxistisch-leninistisch und sozialrevolutionär beziehungsweise maoistisch orientiert und streben die gewaltsame Beseitigung der staatlichen Ordnung in der Türkei an, um dort ein kommunistisches Gesellschaftssystem zu errichten. Beide Organisationen verüben unabhängig voneinander Anschläge gegen den türkischen Staat und führen einen Guerillakampf gegen die als "faschistisch" bezeichneten Streitkräfte der Türkei. 248 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Zum Umfeld der TKP / ML gehören in Deutschland und in anderen europäischen Ländern verschiedene Dachorganisationen. Dem "Partizan-Flügel" nahe stehen die Organisationen "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V. (ATIF) und die Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK). Bezüge zur MKP weisen die Dachorganisationen "Föderation für demokratische Rechte in Deutschland e. V." (ADHF) und "Konföderation für demokratische Rechte in Europa" (ADHK) auf. 4.4.5 "Volksmojahedin Iran-Organisation" / "Nationaler Widerstandsrat Iran" ÜBERSICHT Abkürzung MEK NWRI Entstehung / Gründung 1965 Iran 1981 Paris / in Deutschland vertreten seit 1994 (NWRI) Mitgliederzahl Bund: ca. 900 (2006: ca. 900) Berlin: ca. 55 (2006: ca. 45) Organisationsstruktur Verein (NWRI) Sitz Bei Paris (MEK) Berlin (NWRI) Veröffentlichungen "Mojahed" (überregional, wöchentlich) Flugblätter Die "Volksmojahedin Iran-Organisation" (MEK) ist die bedeutendste und war in der Vergangenheit auch die militanteste iranische Oppositionsgruppe. Ihr Hauptziel ist die Beseitigung des politischen Systems der Islamischen Republik Iran. Zu diesem Zweck verübte sie über ihren ehemals bewaffneten Arm, die "Nationale Befreiungsarmee" (NLA), bis zum Sturz Saddam Hussains terroristische Anschläge im Iran. Diese richteten sich zunächst gegen das Schah-Regime und danach gegen die konservativen Kleriker um Khomeini. 1981 wurde die Organisation im Iran verboten. 1997 wurde die MEK in die Liste terroristischer Organisationen der USA sowie 2001 in eine entsprechende Liste Großbritan- HINTERGRUNDINFORMATIONEN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS 249 niens aufgenommen. Seit Mai 2002 wird sie auch in der EU-Liste der terroristischen Organisationen geführt. Durch die Entwicklungen im Irak - dessen militärische und politische Unterstützung die MEK vorher hatte - ist die Organisation nachhaltig getroffen: Nach der Zerschlagung der NLA, der Auflösung ihrer Lager im Irak und der Internierung der im Hauptstützpunkt "Camp Ashraf" bei Bagdad verbliebenen MEK-Angehörigen, denen der Status von "geschützten Personen" nach den Bestimmungen der Vierten Genfer Konvention zuerkannt wurde, befindet sich die MEK in einem Zustand der Umorientierung. Die Organisation beschränkt ihre Aktivitäten auf politische Agitation, ohne dass sie ausdrücklich auf Gewaltanwendung als Handlungsoption verzichtet hätte. Auch die Einstufung der MEK als terroristische Vereinigung in den Listen terroristischer Organisationen der EU und der USA hat dazu beigetragen. Besondere Bedeutung kommt dem "Nationalen Widerstandsrat Iran" (NWRI) als dem international agierenden politischen Arm der MEK zu: Dessen Aktivitäten konzentrieren sich darauf, sich als friedliche und demokratische Exil-Oppositionsbewegung darzustellen, um so internationale politische Unterstützung zu gewinnen und die angestrebte Streichung von den Listen terroristischer Organisationen der EU und der USA zu erreichen. 497 Dafür bedient sich die Organisation einer geschickten Lobbyarbeit unter Einbindung von gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsträgern, insbesondere Parlamentariern und Menschenrechtsorganisationen. Zudem werden im Rahmen von Kundgebungen, Unterschriftenaktionen und Informationsständen vor allem Menschenrechtsverletzungen durch die Islamische Republik Iran angeprangert. Zur Finanzierung der Aktivitäten werden Spendengeldsammlungen unter Vortäuschung humanitärer Ziele durchgeführt. In Berlin treten in diesem Zusammenhang neben dem in Düsseldorf eingetragenen Verein "Menschenrechtszentrum für ExiliranerInnen e. V." (MEI) auch das "Hilfswerk für Menschenrechte im Iran e. V." (HMI) mit Sitz in Dortmund und der "Menschenrechtsverein für Migranten e. V." mit Sitz in Aachen auf. 498 497 Vgl. S. 132. 498 Vgl. S. 131. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 251 Verfassungsschutz Berlin 252 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 1 STRUKTUR Verfassungsschutzbehörde für das Land Berlin ist die Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Die Aufgaben werden durch die Abteilung II wahrgenommen: Abteilung II - Verfassungsschutz - Abteilungsleiterin Referat II A Referat II B Referat II C Referat II D Grundsatz, Recht, Auswertung Auswertung AusBeschaffung Öffentlichkeitsarbeit, Rechtsextremismus, länderextremismus Verwaltung, InforLinksextremismus Geheimschutz mationstechnik Spionageabwehr Während das Grundsatzreferat II A Querschnittsaufgaben wie Verwaltung, Recht, Informationstechnik und Öffentlichkeitsarbeit abdeckt, sind die Auswertungsreferate II B und II C für die Analyse und Bewertung von Informationen zuständig. Das Referat II D beschafft Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Für die Aufgaben des Verfassungsschutzes standen im Jahr 2007 Haushaltsmittel in Höhe von 8,36 Mio. EUR zur Verfügung (2006: 9,06 Mio. EUR). Der Abteilung waren 186 Stellen zugewiesen (2006: 186). VERFASSUNGSSCHUTZ BERLIN 253 2 GESETZLICHE GRUNDLAGEN 2.1 Aufgaben und Befugnisse Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist hinsichtlich der Aufgabenstellungen, der Befugnisse und der Kontrollverfahren im Grundgesetz und in Einzelgesetzen festgeschrieben. 499 Von Bedeutung sind hier: * das Grundgesetz (GG), Artikel 73 und 87, * das Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln), 500 * das Gesetz zur Beschränkung des Postund Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) 501 sowie das Gesetz zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz, 502 * das Bundesverfassungsschutzgesetz, 503 * das Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz. 2.2 Entwicklungen in der Rechtssprechung In seinem Urteil zu Vorschriften im Verfassungsschutzgesetz NordrheinWestfalen zur Online-Durchsuchung und zur Aufklärung des Internet, dem die Verfassungsbeschwerden einer Journalistin, eines Mitglieds des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der Partei "Die LINKE" und dreier Rechtsanwälte zugrunde lag, hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 27. Februar 2008 die Vorschriften zur Online-Durchsuchung sowie zur Aufklärung des Internet für verfassungswidrig und nichtig erklärt. 504 499 Detaillierte Darstellungen sowie Gesetzestexte sind auf der Internetseite des Verfassungsschutzes unter www.verfassungsschutz-berlin.de/Grundlagen eingestellt. 500 GVBl. Nr. 28 vom 21.7.2001, S. 235, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.12.2003 (GVBl. S. 571). Der vollständige Gesetzestext ist im Anhang abgedruckt und kann u. a. auf der Internetseite des Berliner Verfassungsschutzes unter www.verfassungsschutz-berlin.de abgerufen werden. 501 BGBl. I S. 1254 ff. vom 26.6.2001, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.8.2002 (BGBl. I S. 3390 f). 502 Gesetz vom 25.6.2001 (GVBl. S. 251), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.12.2003. 503 Gesetz vom 20.12.1990 (BGBl. I S. 2954) zuletzt geändert durch Art. 10, 2 und 1 des Gesetzes vom 5.1.2007 (BGBl. I S. 2). 504 Vgl. BVerfG 1 BvR 370/07 vom 27.2.2008. 254 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Das Gericht stellte dabei folgende Leitsätze auf, die im Falle einer künftigen Online-Durchsuchung und Aufklärung des Internets zu berücksichtigen sind: - Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. - Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Überragend wichtig sind Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt. Die Maßnahme kann schon dann gerechtfertigt sein, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr in näherer Zukunft eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall durch bestimmte Personen drohende Gefahr für das überragend wichtige Rechtsgut hinweisen. - Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems ist grundsätzlich unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen. Das Gesetz, das zu einem solchen Eingriff ermächtigt, muss Vorkehrungen enthalten, um den Kernbereich privater Lebensgestaltung zu schützen. - Soweit eine Ermächtigung sich auf eine staatliche Maßnahme beschränkt, durch welche die Inhalte und Umstände der laufenden Telekommunikation im Rechnernetz erhoben oder darauf bezogenen Daten ausgewertet werden, ist der Eingriff an Art. 10 Abs. 1 GG zu messen. - Verschafft der Staat sich Kenntnis von Inhalten der Internetkommunikation auf dem dafür technisch vorgesehenen Weg, so liegt darin nur dann ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG vor, wenn die staatliche Stelle nicht durch Kommunikationsbeteiligte zur Kenntnisnahme autorisiert ist. Nimmt der Staat im Internet öffentlich zugängliche Kommunikationsinhalte wahr oder beteiligt er sich an öffentlich zugänglichen Kommunikationsvorgängen, greift er grundsätzlich nicht in Grundrechte ein. VERFASSUNGSSCHUTZ BERLIN 255 2.3 Kontrolle Die Verfassungsschutzbehörde unterliegt bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben einer weitgehenden Kontrolle auf mehreren Ebenen: Öffentliche Revision Kontrolle Kontrollinstanz der durch Bürger und Leitung der Medien Senatsverwaltung für Inneres und Sport Datenschutz Allgemeine Beauftragter für parlamentarische Datenschutz und Kontrolle durch das Informationsfreiheit Abgeordnetenhaus Debatten, Aktuelle Abteilung II Stunden, Kleine und - VerfassungsGroße Anfragen, schutz - Petitionen Gerichtliche Kontrolle Besondere parlamentarische durch VerwaltungsKontrolle gerichte Ausschuss für Verfassungsschutz / ggf. Untersuchungsausschuss G10-Kommission Vertrauensperson Kontrolle von des Ausschusses für Eingriffen in das Verfassungsschutz Postund Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG 256 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 3 ARBEITSWEISE Der Verfassungsschutz Berlin hat laut VSG Bln die Aufgabe, den Senat und das Abgeordnetenhaus, andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu unterrichten. 505 Die Behörde beschafft Informationen, analysiert sie und unterrichtet Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit über ihre Erkenntnisse. 3.1 Informationsbeschaffung Bei der Informationsbeschaffung ist zwischen offenen und verdeckt erhobenen Informationen zu unterscheiden. Der Verfassungsschutz erhält einen hohen Anteil seiner Informationen aus allgemein zugänglichen Veröffentlichungen und Veranstaltungen. Nachrichtendienstliche Mittel dürfen nach dem VSG Bln eingesetzt werden, wenn verfassungsfeindliche Bestrebungen weitgehend konspirativ agieren und sich wegen der Abschottung auf andere Weise keine Informationen gewinnen lassen. Nach den Vorgaben des VSG Bln darf der Einsatz dieser Mittel nur erfolgen, wenn sie im Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel kommt deshalb erst dann in Betracht, wenn die anderen Mittel der Nachrichtenbeschaffung erschöpft sind, d. h. wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählen der Einsatz von Vertrauenspersonen (so genannten V-Personen, die aus Beobachtungsobjekten berichten), 506 die Observation sowie die Überwachung des Postund 505 Vgl. SSSS 1, 5 und 6 VSG Bln. 506 Die Informationsbeschaffung durch V-Personen ist ein Kernbereich nachrichtendienstlicher Arbeit, der in einem außerordentlichen Spannungsfeld steht: Einerseits bedarf es des Schutzes unserer freiheitlichen Demokratie, andererseits der Beschaffung von Informationen durch Mitglieder extremistischer Organisationen. V-Personen sind Privatpersonen, die in der Regel der zu beobachtenden verfassungsfeindlichen Organisation angehören oder ihr nahe stehen. Sie berichten über deren Strukturen und Aktivitäten. Der Gesetzgeber hat dieses Mittel der Informationsbeschaffung den Verfassungsschutzbehörden ausdrücklich zugewiesen (SS 8 Abs. 2 Nr. 1 VSG Bln). Aufgrund der besonderen Sensibilität der Maßnahme sind dem Einsatz von V-Personen aber enge rechtsstaatliche Grenzen gesetzt. Voraussetzung beim Einsatz von V-Personen ist die Vertraulichkeit (so genannter Quellenschutz). Vgl. auch Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutz - nehmen Sie uns unter die Lupe. Berlin 2002. VERFASSUNGSSCHUTZ BERLIN 257 Fernmeldeverkehrs, deren besonders engen rechtlichen Voraussetzungen im Gesetz zu Artikel 10 GG 507 geregelt sind. Zur Bekämpfung gewalttätiger, insbesondere terroristischer Bestrebungen dürfen Anfragen an Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsanbieter und Kreditinstitute gestellt werden. Gerade zur Aufklärung islamistischer terroristischer Netzwerke kann es erforderlich sein, Flüge festzustellen, Finanzierungsströme aufzuklären und Telefonverbindungsdaten zur Feststellung von Kontakten zu erlangen. Wegen der Eingriffstiefe dieser Befugnisse wurde die Umsetzung 2005 auf Bundesebene evaluiert. Danach wurden die Regelungen als erfolgreich und angemessen bewertet. Auf der Grundlage dieser Evaluation hat der Bundesgesetzgeber im so genannten Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz 508 diese Instrumente nicht nur für weitere fünf Jahre bestätigt, sondern auch Voraussetzungen für ihren Einsatz je nach Eingriffstiefe differenziert. Zudem wurde der Anwendungsbereich ausgeweitet. Die Anfragen können vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) nunmehr auch eingesetzt werden, wenn schwerwiegende Gefahren abzuwehren sind und es um extremistische Bestrebungen geht, die auf Gewalt gerichtet sind. 3.2 Informationsbearbeitung Die durch die Informationsbeschaffung gesammelten Rohdaten müssen gefiltert, systematisiert und analysiert werden. Dabei kommt der Informationstechnik für die Verarbeitung großer Datenmengen eine wichtige Rolle zu. Als bundesweite Hinweisdatei existiert für die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder das "Nachrichtendienstliche Informationssystem" (NADIS). Hierüber ist es möglich abzufragen, ob Daten zu einer Person bei einer Verfassungsschutzbehörde erfasst sind. 509 Für Berlin waren Ende 2007 17 023 Datensätze im NADIS gespeichert (2006: 14 571). Zugenommen haben aufgrund weiterreichender Vorschriften die Sicherheitsund Zuverlässigkeitsüberprüfungen, auf die rund drei Viertel der Datensätze entfallen. Die übrigen verteilen sich auf 507 BGBl. I 2001, S. 1254 ff.; BGBl. I 2002, S. 361 und 364. 508 BGBl. I 2007, S. 2. 509 Die Speicherungsgrundlagen sowie die Speicherungsdauer sind in den SSSS 11 - 17 VSG Bln geregelt. 258 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 die Aufgabenbereiche Spionageabwehr, Ausländer-, Rechtsund Linksextremismus. Für die Auswertung der Daten spielt die präzise Definition von Analysebegriffen etwa zur Risikobewertung und die Entwicklung von Instrumenten wie die computergestützte geographische Analyse eine wichtige Rolle. Durch letztere können lokale Schwerpunkte herausgearbeitet werden (vgl. "Im Fokus"-Studien "Rechte Gewalt in Berlin"). 510 3.3 Informationsweitergabe Der Verfassungsschutz Berlin ist eine politikberatende Institution. Sein Ziel ist es, politische Entscheidungsträger, andere Behörden und die Öffentlichkeit umfassend und zeitnah über Entwicklungen im Bereich des Extremismus und der Spionage zu informieren und zu beraten. Dadurch soll es den staatlichen Stellen insbesondere ermöglicht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen. 3.3.1 Zusammenarbeit mit anderen Behörden Die Zusammenarbeit mit anderen Behörden geschieht auf Grundlage der Regelungen des VSG Bln über die Informationsweitergabe. 511 Bei der Weitergabe von Erkenntnissen über Personen wird danach unterschieden, ob es sich um Sicherheitsbehörden, andere öffentliche Stellen oder ausländische Institutionen handelt. * Bei der Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund besteht eine Informationspflicht für alle anfallenden Erkenntnisse, die für die Aufgabenerfüllung der anderen Behörden erforderlich sind (SS 19 VSG Bln). * Die Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft wird durch besondere Übermittlungsbefugnisse flankiert. Wenn es zur Verhinderung und Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit extremistischen Bestrebungen erforderlich ist, dürfen Erkenntnisse weitergegeben werden (SS 21 VSG Bln). 510 Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Rechte Gewalt in Berlin. Berlin 2004; Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Rechte Gewalt in Berlin 2003 bis 2006. Berlin 2007. 511 Vgl. speziell SSSS 18 - 25 VSG Bln. VERFASSUNGSSCHUTZ BERLIN 259 * An andere öffentliche Stellen dürfen Erkenntnisse über Personen insbesondere übermittelt werden, wenn sie die Informationen zum Schutz vor verfassungsfeindlichen Bestrebungen benötigen oder wenn es zur Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist (SS 22 VSG Bln). * Besondere Beschränkungen gelten für die Weitergabe personenbezogener Informationen an ausländische Stellen (SSSS 24 und 25 VSG Bln). Angesichts der anhaltenden Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus haben die Innenminister die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden weiter ausgebaut. Die Funktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz als Zentralstelle für Informationsauswertung und -steuerung wurde 2004 auf Initiative Berlins durch eine Änderung der Koordinierungsrichtlinie gestärkt. Seitdem ist ausdrücklich geregelt, dass die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sich unter Federführung des Bundesamtes für Verfassungsschutz kontinuierlich über die Beobachtung des islamistischen Terrorismus abstimmen und die erforderlichen Maßnahmen vereinbaren. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wertet alle Erkenntnisse aus und unterrichtet die Landesbehörden für Verfassungsschutz unverzüglich über alle relevanten Erkenntnisse. 512 Zur weiteren Verbesserung des Informationsaustauschs zwischen Polizei und Nachrichtendiensten trat Ende 2006 das Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizei und Nachrichtendiensten in Kraft. 513 Bestandteil dieses Regelwerkes ist auch die Einführung der so genannten Anti-Terror-Datei (ATD). Dabei handelt es sich um eine ab dem 30. März 2007 freigeschaltete gemeinsame Datei der Polizeibehörden in Staatsschutzsachen und den Nachrichtendiensten (Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst und Bundesnachrichtendienst). Mit Hilfe dieser Datei tauschen die beteiligten Behörden Hinweise auf Erkenntnisse zu Personen aus, die dem internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland zugerechnet werden. 512 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2004. Berlin 2005. S. 275 f. 513 Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder vom 22.12.2006 (BGBl I S. 3409). 260 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Im Jahr 2004 hat das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin-Treptow seine Arbeit aufgenommen. Neben Experten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Bundeskriminalamtes (BKA), des Bundesnachrichtendienstes (BND), des Generalbundesanwalts (GBA) sowie ausländischer Partnerdienste sind die Länder mit Verbindungsbeamten der Polizei und der Verfassungsschutzbehörden dort vertreten. Das GTAZ ermöglicht, die den islamistischen Terrorismus betreffendenden Informationen umgehend gemeinsam zu analysieren, zu bewerten und die erforderlichen operativen Maßnahmen abzustimmen. Gerade bei der Bewältigung besonderer Lagen wie den versuchten Anschlägen der "Trolley-Bomber" 514 hat sich die Institution bewährt. Eine bundesweite Koordination gibt es derzeit auch hinsichtlich der Scientology Organisation (SO). Die Innenministerkonferenz hat am 6./7. Dezember 2007 die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder aufgefordert, unter Federführung des Bundes die erforderlichen Informationen zu sammeln und zu bewerten, die für ein mögliches vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Scientology Organisation erforderlich sind. Die Innenminister und -senatoren der Länder sind der Auffassung, dass die Scientology Organisation unverändert verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Auch das Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) stellte tatsächliche Anhaltspunkte dafür fest, dass die Scientology Organisation verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolge und es gerechtfertigt sei, sie auch künftig mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten. 515 Es hat am 12. Februar 2008 die Berufung der SO gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln 516 aus dem Jahr 2004 zurückgewiesen. Dieses hatte die Beobachtung der SO durch das Bundesamt für Verfassungsschutz für rechtmäßig erklärt. Nach Ansicht des OVG ergebe sich aus zahlreichen Hinweisen, dass die SO eine Gesellschaftsordnung anstrebe, in der zentrale Verfassungswerte wie die Menschenwürde und das Recht auf Gleichbehandlung außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden. Des Weiteren lägen aktuelle Erkenntnisse zu Aktivitäten der SO vor, ihr ideologisches Programm in Deutschland umzusetzen und zu diesem 514 Vgl. S. 91 f. 515 OVG Münster AZ.: 5 A 130/05. 516 VG Köln AZ.: 20 K 1882/03. VERFASSUNGSSCHUTZ BERLIN 261 Zweck personell zu expandieren sowie scientologische Prinzipien in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zunehmend zu verbreiten. Die Frage, ob die SO eine Religionsgemeinschaft sei, hat das OVG ausdrücklich offen gelassen, da es hierauf bei der Entscheidung nicht ankomme Ein besonderes Augenmerk legt die SO nach Ansicht des Gerichts auf Berlin als Hauptstadt. Am 13. Januar 2007 wurde in Berlin eine neue Niederlassung in der Otto-Suhr-Allee (Charlottenburg) eröffnet. Die damit verbundenen medienwirksamen Aktivitäten sorgten für erhöhte Wachsamkeit von Bevölkerung und staatlichen Stellen. Sie war zudem Anlass für mehrere parlamentarische Befassungen mit dem Thema Scientology Organisation. Der Verfassungsschutzausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses ist über den Prüfungsvorgang in vertraulicher Sitzung unterrichtet worden. 3.3.2 Öffentlichkeitsarbeit Die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Extremismus dient ebenso dem Schutz der Demokratie wie repressive Maßnahmen. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit ist deshalb als Aufgabe im VSG Bln festgeschrieben. 517 Publikationen Der große Informationsbedarf spiegelt sich in der hohen Nachfrage bei den Publikationen wieder: 2007 sind 22 000 Broschüren durch den Verfassungsschutz verteilt worden. Um dem unterschiedlichen Informationsbedarf gerecht zu werden, wurden mehrere Publikationsreihen entwickelt. * Verfassungsschutzberichte: Den umfassendsten Überblick über die einzelnen Beobachtungsfelder geben die jährlichen Verfassungsschutzberichte. Sie informieren über das aktuelle Geschehen im extremistischen Spektrum, über die ideologischen Grundlagen des Rechts-, Linksund Ausländerextremismus sowie über die wichtigsten in Berlin vertretenen extremistischen Gruppierungen. * Reihe Im Fokus: Die Reihe behandelt einzelne Themenkomplexe des Extremismus. Stärker als im Verfassungsschutzbericht steht die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Forschung im Vordergrund. 2007 wurde die Publikation "Rechte Gewalt in Berlin" 517 Vgl. SS 5 VSG Bln. 262 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 mit der Auswertung der Polizeistatistik für die Jahre 2003 - 2006 fortgeschrieben. Die Studie konzentriert sich vor allem auf zwei Aspekte: Analysiert werden Ausmaß und Charakteristika rechter Gewalt in Berlin sowie der Zusammenhang zwischen rechter Gewalt und Rechtsextremismus. Für den Zeitraum 2003 - 2006 basiert sie auf einer empirischen Analyse von Ermittlungsakten zu den Tatverdächtigen von 300 rechten Gewalttaten. Aufgrund des Ansatzes der Geographisierung rechter Gewalttaten in Berlin dient sie vor allem der Beratung von Akteuren "vor Ort". * Lageund Wahlanalysen: Diese Reihe bietet kurze Analysen zu Detailthemen. 2007 wurden aus aktuellem Anlass ein Lagebild zu linksextremistischen Vorbereitungen gegen den G 8-Gipfel und ein Bericht zu den Finanzquellen der rechtsextremistischen Kreise veröffentlicht. Des Weiteren gab es Analysen zu den Audiound Videobotschaften von "al-Qa'ida" sowie zu Aktivitäten nationalistischer türkischer Organisationen. * Reihe Info: Die Info-Reihe bietet praxisnahe kompakte Informationen über Erscheinungsformen des Extremismus. Die weiterhin stark nachgefragte Publikation "Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus" wurde erneut aktualisiert. Neu erarbeitet wurde die "Info"-Publikation "Rechtsextremistische Musik": Die Broschüre zeigt auf, wie Musik mit ideologischen Botschaften versehen und für Propaganda instrumentalisiert wird. * Lupe: Die Broschüre Verfassungsschutz nehmen Sie uns unter die Lupe" gibt Basisinformationen über Aufgaben und Befugnisse, Arbeitsfelder und Vorgehensweisen des Verfassungsschutzes. Veranstaltungsarbeit Der Verfassungsschutz Berlin war im vergangenen Jahr mit 34 Veranstaltungsbeiträgen präsent. Hauptadressat der Vorträge waren schulische und außerschulische Bildungseinrichtungen, Vertreterinnen und Vertreter von Polizei und anderen Behörden des Landes sowie der Parteien. Thematisch standen der Islamismus /der transnationale Terrorismus und der Rechtsextremismus im Vordergrund. VERFASSUNGSSCHUTZ BERLIN 263 Ein besonderes "Highlight" der Veranstaltungsarbeit war der Jugendkongress "In Aktion - gegen Rechtsextremismus", zu dem in Kooperation mit der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales im November ins Abgeordnetenhaus eingeladen wurde. Mehr als 200 Schülerinnen und Schüler nahmen teil. Sie setzten sich in Workshops mit Themen wie rechtsextremistischer Musik, Rolle und Programmatik der NPD, Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus, rechtsextremistischer Gewalt oder der Bedeutung des "modernen Antisemitismus" auseinander. Diskussionen mit Innensenator Ehrhart Körting, der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Heidi Knake-Werner, dem Staatssekretär der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung Hans-Gerhard Husung sowie dem Basketball-Nationalspieler Patrick Femerling von Alba Berlin oder Vertreterinnen und Vertretern von Projekten gegen Rechtsextremismus rundeten das Programm ab. In der Nachfolge des Kongresses wird 2008 gemeinsam mit der "medienakademie" Berlin eine DVD zur Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus herausgegeben werden. Gremienarbeit Der Verfassungsschutz sucht in der Gremienarbeit den Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen, um die Zusammenarbeit auszubauen und Vertrauen zu schaffen. So beteiligte er sich weiter am Berliner Islam- 264 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 forum, das sich am 16. November 2005 konstituierte, 518 und auf Bundesebene am "Dialog zwischen muslimischen Organisationen und Sicherheitsbehörden", aus dem das Konzept "Vertrauensbildende Maßnahmen" hervorging. In Berlin ist die Behörde im "Berliner Beratungsnetzwerk" gegen Rechtsextremismus vertreten. Internet Über den Internetauftritt können unter www.verfassungsschutz-berlin.de Aktuelle Meldungen, Informationen über die Grundlagen der Verfassungsschutzarbeit sowie die Veranstaltungen des Verfassungsschutzes Berlin und alle Publikationen abgerufen werden. Bürgerund Hinweistelefon Das Bürgertelefon als Teil der Öffentlichkeitsarbeit nimmt Ihre Hinweise oder Fragen gerne entgegen. Zu erreichen sind wir unter der Telefonnummer (030) 90 129-0 oder unter der E-Mail-Adresse info@verfassungsschutz-berlin.de. Daneben haben wir ein vertrauliches Telefon für Hinweise, z. B. zur Aufklärung des islamistischen Terrorismus, an den Berliner Verfassungsschutz eingerichtet: - (030) 90 129-400 (in deutscher Sprache) - (030) 90 129-401 (in türkischer Sprache) - (030) 90 129-402 (in arabischer Sprache) Die Anschlüsse sind werktags von 9.00 bis 15.00 Uhr von sprachkundigen Mitarbeitern besetzt. Außerhalb der genannten Zeiten ist ein Anrufbeantworter geschaltet. Darüber hinaus können auch vertrauliche E-Mails an die Adressen info@verfassungsschutz-berlin.de oder aman@verfassungsschutz-berlin.de gesendet werden. 518 Das Islamforum ist ein Kooperationsprojekt des Beauftragten des Berliner Senats für Integration und Migration und der 2003 gegründeten Muslimischen Akademie Deutschlands. Verfassungsschutz Berlin 265 Anhang 266 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 1 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin Gesetz über den SS3 Verfassungsschutz in Berlin Dienstkräfte (1) Die Dienstkräfte der Verfassungsschutzab(Verfassungsschutzgesetz Berlin - VSG Bln) in der teilung haben neben den allgemeinen Pflichten die Fassung vom 25. Juni 2001, geändert durch Art. V sich aus dem Wesen des Verfassungsschutzes und des Gesetzes vom 30. Juli 2001 (GVBl. S. 305), ihrer dienstlichen Stellung ergebenden besonderen geändert durch Art. II des Gesetzes vom 5. DezemPflichten. Sie haben sich jederzeit für den Schutz ber 2003 (GVBl. 571), zuletzt geändert durch Art. I der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im des Gesetzes vom 6. Juli 2006 (GVBl. Nr. 26, Sinne des Grundgesetzes und der Verfassung von S. 712) Berlin einzusetzen. Die Funktion des Leiters der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung soll ERSTER ABSCHNITT nur einer Person übertragen werden, die die Aufgaben und Befugnisse der Befähigung zum Richteramt besitzt. Verfassungsschutzbehörde (2) Der Senat von Berlin kann jährlich bestimmen, in welchem Umfang Dienstkräften der VerSS1 fassungsschutzabteilung freie, frei werdende und Zweck des Verfassungsschutzes neu geschaffene Stellen in der Hauptverwaltung für Zwecke der Personalentwicklung vorbehalten Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiwerden. heitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit der Bundesrepublik SS4 Deutschland und ihrer Länder. Zusammenarbeit SS2 (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verOrganisation pflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzu(1) Verfassungsschutzbehörde ist die Searbeiten. Die Zusammenarbeit besteht insbesondere natsverwaltung für Inneres. Die für den Verfasin gegenseitiger Unterstützung und Information sosungsschutz zuständige Abteilung nimmt ihre wie in der Unterhaltung gemeinsamer EinrichtunAufgaben gesondert von der für die Polizei zustängen (wie z. B. das nachrichtendienstliche Informadigen Abteilung wahr. tionssystem des Bundes und der Länder [NADIS] (2) Die für den Verfassungsschutz zustänund die Schule für Verfassungsschutz). dige Abteilung ist datenverarbeitende Stelle im (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder Sinne des SS 4 Abs. 3 Nr. 1 des Berliner Datendürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im schutzgesetzes in der Fassung vom 17. Dezember Einvernehmen, das Bundesamt für Verfassungs1990 (GVBl. 1991 S. 16, 54), das zuletzt durch schutz nur im Benehmen mit der VerfassungsArt. IX des Gesetzes vom 30. November 2000 schutzbehörde tätig werden. (GVBl. S. 495) geändert worden ist. Die Übermittlung an andere Organisationseinheiten der SS5 Senatsverwaltung für Inneres ist ungeachtet der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde fachund dienstaufsichtlichen Befugnisse zulässig, wenn dies für die Aufgabenerfüllung nach SS 5 Abs. (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Auf- 1 erforderlich ist. gabe, den Senat und das Abgeordnetenhaus von (3) Bei der Leitung der Senatsverwaltung Berlin, andere zuständige staatliche Stellen und die für Inneres wird eine Revision eingerichtet. Die ReÖffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche vision ist unbeschadet ihrer Verantwortung gegendemokratische Grundordnung, den Bestand und die über dem Senator im Übrigen in der Durchführung Sicherheit des Bundes und der Länder zu untervon Prüfungen und der Beurteilung von Prüfungsrichten. Dadurch soll es den staatlichen Stellen insvorgängen unabhängig. besondere ermöglicht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen. ANHANG 267 (2) Zur Erfüllung dieser Aufgaben sammelt und SS6 wertet die Verfassungsschutzbehörde InformatioBegriffsbestimmungen nen, insbesondere sachund personenbezogene Daten, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen aus (1) Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2 Nr. 1 über und 3 sind politisch motivierte, zielund zweck1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche degerichtete Verhaltensweisen oder Betätigungen von mokratische Grundordnung, den Bestand oder die Organisationen, Personenzusammenschlüssen ohne Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet feste hierarchische Organisationsstrukturen (unorsind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der ganisierte Gruppen) oder Einzelpersonen gegen die Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes in SS 5 Abs. 2 bezeichneten Schutzgüter. Für eine oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele Organisation oder eine unorganisierte Gruppe hanhaben, delt, wer sie in ihren Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche die nicht in einer oder für eine Organisation oder in Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes einer oder für eine unorganisierte Gruppe handeln, für eine fremde Macht, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundsie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärSchutzgut dieses Gesetzes erheblich zu betige Belange der Bundesrepublik Deutschland geschädigen. fährden oder gegen das friedliche Zusammenleben (2) Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, die der Völker (Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gegen die freiheitliche demokratische Grundgerichtet sind. ordnung gerichtet sind, sind solche, die auf die (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf ErsuBeseitigung oder Außerkraftsetzung wesentlicher chen der zuständigen öffentlichen Stellen mit Verfassungsgrundsätze abzielen. Hierzu gehören: 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbeWahlen und Abstimmungen und durch besondere dürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Geanvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen walt und der Rechtsprechung auszuüben und die oder ihn sich verschaffen können, Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebens2. die Bindung der Gesetzgebung an die veroder verteidigungswichtigen Einrichtungen fassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollbeschäftigt sind oder werden sollen, ziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Gesetz und Recht, Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhal3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer tungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erparlamentarischen Opposition, kenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbe4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre fugte, Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 4. bei aufenthaltsrechtlichen Verfahren, Einbür5. die Unabhängigkeit der Gerichte, gerungsverfahren, jagdund waffenrechtlichen Ver6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrfahren sowie bei sonstigen gesetzlich vorgeschrieschaft und benen Überprüfungen; die Mitwirkung ist nur 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenzulässig, wenn diese zum Schutz der freiheitlichen rechte. demokratischen Grundordnung oder für Zwecke der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist; Näheres (3) Im Sinne dieses Gesetzes sind wird in einer Verwaltungsvorschrift des Senators 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes für Inneres im Benehmen mit dem Berliner Beoder eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, auftragten für den Datenschutz und für das Recht die Freiheit des Bundes oder eines Landes von auf Akteneinsicht bestimmt. fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Die Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde bei Gebiet abzutrennen, der Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 sind im Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes 2. März 1998 (GVBl. S. 26) geregelt. oder eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in 268 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchSS8 tigen. Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde (4) Auswärtige Belange im Sinne des SS 5 Abs. (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf die zur 2 Nr. 3 werden nur gefährdet, wenn innerhalb des Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen InformatioGeltungsbereichs des Grundgesetzes Gewalt ausgenen einschließlich personenbezogener Daten verübt oder durch Handlungen vorbereitet wird und arbeiten und bei Behörden, sonstigen öffentlichen diese sich gegen die politische Ordnung oder EinStellen sowie nicht öffentlichen Stellen, insbesonrichtungen anderer Staaten richten. dere bei Privatpersonen, erheben, soweit die SS7 Bestimmungen dieses Gesetzes dies zulassen. Ein Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit der Ersuchen der Verfassungsschutzbehörde um ÜberVerfassungsschutzbehörde mittlung personenbezogener Daten darf nur diejenigen personenbezogenen Daten enthalten, die für (1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bedie Erteilung der Auskunft unerlässlich sind. stimmt, darf die Verfassungsschutzbehörde bei der Schutzwürdige Interessen des Betroffenen dürfen Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach SS 5 Abs. 2 nur nur im unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt tätig werden, wenn im Einzelfall tatsächliche Anwerden. haltspunkte für den Verdacht der dort genannten (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Bestrebungen oder Tätigkeiten vorliegen. heimlichen Informationsbeschaffung, insbesondere (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf für die zur Erhebung personenbezogener Daten, nur in Prüfung, ob die Voraussetzungen des Absatzes 1 begründeten Fällen folgende nachrichtendienstliche vorliegen, die dazu erforderlichen personenbezogeMittel anwenden: nen Daten aus allgemein zugänglichen Quellen 1. Einsatz von Vertrauensleuten, sonstigen geheierheben, speichern und nutzen. Eine Speicherung men Informanten, zum Zweck der Spionageabwehr dieser Daten im nachrichtendienstlichen Inforüberworbenen Agenten, Gewährspersonen und mationssystem (NADIS) oder in anderen Verbundverdeckten Ermittlern, dateien ist nicht zulässig. Eine Speicherung der 2. Observation, nach Satz 1 erhobenen personenbezogenen Daten in 3. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, VideoAkten und Dateien über den Ablauf eines Jahres grafieren und Filmen), seit der Speicherung hinaus ist nur zulässig, wenn spätestens von diesem Zeitpunkt an die Voraus4. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, setzungen des Absatzes 1 vorliegen. Dasselbe gilt 5. Mithören ohne Inanspruchnahme technischer für das Anlegen personenbezogener Akten. Mittel, (3) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die 6. Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich Verfassungsschutzbehörde nur die dazu erforgesprochenen Wortes unter Einsatz technischer derlichen Maßnahmen ergreifen; dies gilt insbesonMittel, dere für die Erhebung und Verarbeitung personen7. Beobachtungen des Funkverkehrs auf nicht für bezogener Informationen. Von mehreren möglichen den allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen und geeigneten Maßnahmen hat sie diejenige sowie die Sichtbarmachung, Beobachtung, Aufauszuwählen, die den einzelnen, insbesondere in zeichnung und Entschlüsselung von Signalen in seinen Grundrechten, und die Allgemeinheit vorKommunikationssystemen, aussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine 8. Verwendung fingierter biografischer, berufMaßnahme hat zu unterbleiben, wenn sie einen licher oder gewerblicher Angaben (Legenden), Nachteil herbeiführt, der erkennbar außer Ver9. Beschaffung, Erstellung und Verwendung von hältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Sie ist Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. 10. Überwachung des Brief-, Post-, und Fernmel(4) Soweit in diesem Gesetz besondere Eindeverkehrs nach Maßgabe des Art. 10-Gesetzes, griffsbefugnisse das Vorliegen gewalttätiger Bestrevom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), zuletzt bungen oder darauf gerichtete Vorbereitungshandgeändert durch Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes vom lungen voraussetzen, ist Gewalt die Anwendung 22. August 2002 (BGBl. I S. 3390), körperlichen Zwanges gegen Personen oder eine 11. Einsatz von weiteren vergleichbaren Methonicht unerhebliche Einwirkung auf Sachen. den, Gegenständen und Instrumenten zur heimlichen Informationsbeschaffung, insbesondere das sonstige Eindringen in technische Kommunikationsbeziehungen durch Bild-, Ton-, und Datenaufzeichnungen; dem Einsatz derartiger Methoden, ANHANG 269 Gegenstände und Instrumente hat der Ausschuss für oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Daten, die für das Verständnis der zu speichernden Berlin vorab seine Zustimmung zu erteilen. Informationen nicht erforderlich sind, sind unPersonen, die berechtigt sind, in Strafsachen aus verzüglich zu löschen. Die Löschung kann unterberuflichen Gründen das Zeugnis zu verweigern bleiben, wenn die Informationen von anderen, die (SSSS 53 und 53a der Strafprozessordnung), darf die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht Verfassungsschutzbehörde nicht von sich aus nach oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt Satz 1 Nr. 1 zur Beschaffung von Informationen in werden können; in diesem Fall dürfen die Daten Anspruch nehmen, auf die sich ihr Zeugnisvernicht verwertet werden. weigerungsrecht bezieht. Die Behörden des Landes (5) Die näheren Voraussetzungen für die Berlin sind verpflichtet, der VerfassungsschutzAnwendung der Mittel nach Absatz 2 sind in einer behörde technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen Verwaltungsvorschrift des Senators für Inneres zu zu geben. regeln, die auch die Zuständigkeit für die Anord(3) Die Verfassungsschutzbehörde darf Infornung solcher Informationsbeschaffung regelt. Die mationen einschließlich personenbezogener Daten Verwaltungsvorschrift ist dem Ausschuss für Vermit den Mitteln gemäß Absatz 2 erheben, wenn fassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin 1. sich ihr Einsatz gegen Organisationen, unorgavorab zur Kenntnis zu geben. nisierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Per(6) Für die Speicherung und Löschung der sonen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte durch Maßnahmen nach Absatz 2 erlangten per für den Verdacht der Bestrebungen oder Tätigkeiten sonenbezogenen Daten gilt SS 4 Abs. 1 des nach SS 5 Abs. 2 bestehen, Art. 10-Gesetzes entsprechend. 2. auf diese Weise Erkenntnisse über gewalttätige (7) Polizeiliche Befugnisse stehen der VerfasBestrebungen oder geheimdienstliche Tätigkeiten sungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei gewonnen werden können, auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. 3. auf diese Weise die zur Erforschung von (8) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Art. 20 erforderlichen Quellen erschlossen werden können des Grundgesetzes). oder 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, EinrichSS9 tungen, Gegenstände und Quellen der VerfassungsEinsatz technischer Mittel zur Überwachung von schutzbehörde gegen sicherheitsgefährdende oder Wohnungen geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. (1) Das in einer Wohnung nicht öffentlich geDatenerhebungen nach Satz 1 Nr. 2 dürfen sich sprochene Wort darf mit technischen Mitteln ausgegen andere als die in SS 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 schließlich bei der Wahrnehmung der Aufgaben auf genannten Personen nur richten, soweit dies zur dem Gebiet der Spionageabwehr und des gewaltGewinnung von Erkenntnissen unerlässlich ist. bereiten politischen Extremismus heimlich mit(4) Die Erhebung nach Absatz 2 ist unzulässig, gehört oder aufgezeichnet werden. Eine solche wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, Maßnahme ist nur zulässig, wenn sie im Einzelfall die betroffene Person weniger beeinträchtigende zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen ist in der Regel anzunehmen, wenn die InformaGefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Pertionen aus allgemein zugänglichen Quellen oder sonen, unerlässlich ist, ein konkreter Verdacht in durch eine Auskunft nach SS 27 gewonnen werden Bezug auf eine Gefährdung der vorstehenden können. Die Anwendung eines Mittels gemäß Rechtsgüter besteht und der Einsatz anderer MethoAbsatz 2 soll erkennbar im Verhältnis zur Bedeuden und Mittel zur heimlichen Informationsbetung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Der schaffung keine Aussicht auf Erfolg bietet. Die Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nach Abs. 2 Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für einen verSatz 1 Nr. 6 und 7 ist grundsätzlich nur zur Infordeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung mationsbeschaffung über Bestrebungen gegen die von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen in freiheitliche demokratische Grundordnung zulässig, Wohnungen. Maßnahmen nach den Sätzen 1 bis 3 wenn diese Bestrebung die Anwendung von Gewalt dürfen nur aufgrund richterlicher Anordnung billigen oder sich in aktiv kämpferischer, aggresgetroffen werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die siver Weise betätigen. Die Maßnahme ist unverzügMaßnahme auch durch den Senator für Inneres, der lich zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder im Verhinderungsfall durch den zuständigen Staatssich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er nicht sekretär vertreten wird, angeordnet werden; eine 270 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzumeldegeheimnisses gleichkommt und nicht den holen. Regelungen des SS 9 unterliegt, wozu insbesondere (2) Die Anordnung ist auf höchstens drei das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich Monate zu befristen. Verlängerungen um jeweils gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz nicht mehr als drei weitere Monate sind auf Antrag technischer Mittel gehört, bedarf der Anordnung zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anorddurch den Senator für Inneres, der im Verhinnung fortbestehen. Liegen die Voraussetzungen der derungsfall durch den zuständigen Staatssekretär Anordnung nicht mehr vor oder ist der verdeckte vertreten wird. Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewin(2) Die SSSS 2 und 3 des Gesetzes zur Ausnung nicht mehr erforderlich, ist die Maßnahme führung des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz gelten unverzüglich zu beenden. Der Vollzug der Anordentsprechend. nung erfolgt unter Aufsicht eines Bediensteten der (3) SS 9 Abs. 6 gilt entsprechend. Verfassungsschutzbehörde, der die Befähigung zum Richteramt hat. SS 10 (3) Sind technische Mittel ausschließlich zum Registereinsicht durch die Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen Verfassungsschutzbehörde tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur durch den Senator für Inneres, der im VerhinAufklärung derungsfall durch den zuständigen Staatssekretär - von sicherheitsgefährdenden oder geheimvertreten wird, angeordnet werden. Eine anderdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder weitige Verwertung der hierbei erlangten Erkennt- - von Bestrebungen, die durch Anwendung von nisse zum Zwecke der Gefahrenabwehr ist nur zuGewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßlungen gegen die freiheitliche demokratische nahme richterlich festgestellt worden ist; bei Gefahr Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverBundes oder eines Landes gerichtet sind oder züglich nachzuholen. (4) Zuständig für richterliche Entscheidungen - von Bestrebungen, die durch Anwendung von nach den Absätzen 1 und 3 ist das Amtsgericht Gewalt oder darauf gerichtete VorbereitungshandTiergarten. Für das Verfahren gelten die Vorschriflungen auswärtige Belange der Bundesrepublik ten des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiDeutschland gefährden, willigen Gerichtsbarkeit entsprechend. von öffentlichen Stellen geführte Register, z. B. (5) Der Senat unterrichtet die Kommission Melderegister, Personalausweisregister, Passrenach SS 2 des Gesetzes zur Ausführung des Art. 10gister, Führerscheinkarteien, Waffenscheinkarteien, Gesetzes in der Fassung vom 25. Juni 2001 (GVBl. einsehen. S. 251), das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom (2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, 5. Dezember 2003 (GVBl. S. 571) geändert worden wenn ist, unverzüglich, möglichst vorab, und umfassend 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht mögüber den Einsatz technischer Mittel nach Absatz 1 lich erscheint, insbesondere durch eine Übermittund, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach lung der Daten durch die registerführende Stelle der Absatz 3. SS 3 des Gesetzes zur Ausführung des Zweck der Maßnahme gefährdet würde, und Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz gilt entsprechend. 2. die betroffene Person durch eine anderweitige (6) Eine Maßnahme nach den Absätzen 1 und 3 Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würist nach ihrer Beendigung der betroffenen Person de, und mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zwecks 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsder Maßnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vorschrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtmehr zu erwarten ist. Die durch Maßnahmen im nahme nicht entgegensteht. Sinne des Satzes 1 erhobenen Informationen dürfen (3) Die Anordnung für die Maßnahme nach nur nach Maßgabe des SS 4 Abs. 1 des Art. 10-GeAbsatz 1 trifft der Leiter der Verfassungsschutzabsetzes verwendet werden. teilung, im Falle der Verhinderung der Vertreter. SS 9a (4) Die auf diese Weise gewonnenen ErkenntEingriffe, die in ihrer Art und Schwere einer nisse dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Beschränkung des Brief-, Postund Zwecken verwendet werden. Gespeicherte InformaFernmeldegeheimnisses gleichkommen tionen sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke nicht mehr (1) Ein Eingriff, der in seiner Art und Schwere benötigt werden. einer Beschränkung des Brief-, Postund Fern- ANHANG 271 (5) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Die Speicherung personenbezogener Informationen Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in über Minderjährige, die das 14. Lebensjahr nicht Anspruch genommene Stelle, die Namen der vollendet haben, ist unzulässig. Betroffenen, deren Daten für eine weitere Verwendung erforderlich sind, sowie der Zeitpunkt der EinSS 13 sichtnahme hervorgehen. Diese Aufzeichnungen Speicherungsdauer sind gesondert aufzubewahren, durch technische (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die und organisatorische Maßnahmen zu sichern und, Speicherungsdauer auf das für ihre Aufgabensoweit sie für die Aufgabenerfüllung der Verfaserfüllung erforderliche Maß zu beschränken. Die in sungsschutzbehörde nach SS 5 Abs. 2 nicht mehr Dateien gespeicherten Informationen sind bei der benötigt werden, am Ende des Kalenderjahres, das Einzelfallbearbeitung, spätestens aber fünf Jahre dem Jahr der Erstellung folgt, zu vernichten. nach Speicherung der letzten Information, auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen. Sofern die InforZWEITER ABSCHNITT mationen Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 1 oder Datenverarbeitung 3 betreffen, sind sie spätestens zehn Jahre nach der zuletzt gespeicherten relevanten Information zu SS 11 löschen. Speicherung, Veränderung und Nutzung (2) Sind Informationen über Minderjährige in personenbezogener Informationen Dateien oder in Akten, die zu ihrer Person geführt werden, gespeichert, ist nach zwei Jahren die Erfor(1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur derlichkeit der Speicherung zu überprüfen und Erfüllung ihrer Aufgaben rechtmäßig erhobene spätestens nach fünf Jahren die Löschung vorzupersonenbezogene Informationen speichern, vernehmen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volländern und nutzen, wenn jährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 5 Abs. 2 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen angefallen sind, die zur Erfüllung der Aufgaben im oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 vorliegen oder Sinne dieses Gesetzes eine Fortdauer der Speiche2. dies für die Erforschung oder Bewertung von rung rechtfertigen. gewalttätigen Bestrebungen oder geheimdienstlichen Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist SS 14 oder Berichtigung, Löschung und Sperrung 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtenpersonenbezogener Informationen in Dateien dienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätig(1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in keiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist oder Dateien gespeicherten personenbezogenen Informa4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichtuntionen zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie gen, Gegenstände und Quellen der Verfassungssind zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und schutzbehörde gegen sicherheitsgefährdende oder dadurch schutzwürdige Interessen der betroffenen geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist oder Person beeinträchtigt sein können. 5. sie auf Ersuchen der zuständigen Stelle nach (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in SS 5 Abs. 3 tätig wird. Dateien gespeicherten personenbezogenen InformaIn Akten dürfen über Satz 1 Nr. 2 hinaus personentionen zu löschen, wenn ihre Speicherung irrtümbezogene Daten auch gespeichert, verändert und lich erfolgt war, unzulässig war oder ihre Kenntnis genutzt werden, wenn dies sonst zur Erforschung für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich und Bewertung von Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 ist und schutzwürdige Interessen der betroffenen zwingend erforderlich ist. Person nicht beeinträchtigt werden. (2) In Dateien gespeicherte Informationen müs(3) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in sen durch Aktenrückhalt belegbar sein. Dateien gespeicherten personenbezogenen Informa(3) In Dateien ist die Speicherung von Informationen zu sperren, wenn die Löschung unterbleibt, tionen aus der Intimsphäre der betroffenen Person weil Grund zu der Annahme besteht, dass durch die unzulässig. Löschung schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt würden; gesperrte InformatioSS 12 nen sind entsprechend zu kennzeichnen und dürfen Speicherung, Veränderung und Nutzung nur mit Einwilligung der betroffenen Person verpersonenbezogener Informationen von wendet werden. Minderjährigen (4) In Dateien gelöschte Informationen sind gesperrt. Unterlagen sind zu vernichten, wenn sie zur 272 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 nicht oder nicht 7. Protokollierung, mehr erforderlich sind, es sei denn, dass ihre 8. Datenverarbeitungsgeräte und Betriebssystem, Aufbewahrung zur Wahrung schutzwürdiger Inte9. Inhalt und Umfang von Textzusätzen, die der ressen der betroffenen Person notwendig ist. Die Erschließung von Akten dienen. Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat in angeanderen, die zur Erfüllung der Aufgaben erfordermessenen Abständen die Notwendigkeit der Weilich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufterführung oder Änderung ihrer Dateien zu prüfen. wand getrennt werden können. (5) Personenbezogene Informationen, die ausSS 17 schließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, Gemeinsame Dateien der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer DatenverarbeiBundesgesetzliche Vorschriften über die Datenvertungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für arbeitung in gemeinsamen Dateien der Verfasdiese Zwecke und zur Verfolgung der in der jeweisungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ligen Fassung des Berliner Datenschutzgesetzes als bleiben unberührt. Straftaten bezeichneten Handlungen verwendet werden. DRITTER ABSCHNITT SS 15 Informationsübermittlung Berichtigung und Sperrung personenbezogener SS 18 Informationen in Akten Grundsätze bei der Informationsübermittlung durch (1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde fest, die Verfassungsschutzbehörde dass in Akten gespeicherte personenbezogene InforDie Übermittlung von personenbezogenen Informamationen unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit tionen ist aktenkundig zu machen. In der entsprevon dem Betroffenen bestritten, so ist dies in der chenden Datei ist die Informationsübermittlung zu Akte zu vermerken oder auf sonstige Weise vermerken. Vor der Informationsübermittlung ist festzuhalten. der Akteninhalt im Hinblick auf den Übermitt(2) Die Verfassungsschutzbehörde hat persolungszweck zu würdigen und der Informationsübernenbezogene Informationen in Akten zu sperren, mittlung zugrunde zu legen. Erkennbar unvollstänwenn sie im Einzelfall feststellt, dass ohne die dige Informationen sind vor der Übermittlung im Sperrung schutzwürdige Interessen von Betroffenen Rahmen der Verhältnismäßigkeit durch Einholung beeinträchtigt würden und die Daten für ihre Aufzusätzlicher Auskünfte zu vervollständigen. gabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. Gesperrte Informationen sind mit einem entsprechenSS 19 den Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr Informationsübermittlung zwischen den genutzt oder übermittelt werden. Eine Aufhebung Verfassungsschutzbehörden der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das Bundesamt für Verfassungsschutz und die VerfasSS 16 sungsschutzbehörden der Länder über alle AngeleDateianordnungen genheiten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsschutzbehörde sind in einer DateianordSS 20 nung im Benehmen mit dem Berliner Beauftragten Informationsübermittlung an den für den Datenschutz und für das Recht auf Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Akteneinsicht festzulegen: Abschirmdienst 1. Bezeichnung der Datei, Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem 2. Zweck der Datei, Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der SpeicheAbschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Inforrungen, Übermittlung und Nutzung (betroffener mationen einschließlich personenbezogener Daten, Personenkreis, Arten der Daten), wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, 4. Eingabeberechtigung, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Auf5. Zugangsberechtigung, gaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, Handelt die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen, so ist sie zur Übermittlung nur verpflichtet ANHANG 273 und berechtigt, wenn sich die Voraussetzungen aus kunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem der den Angaben der ersuchenden Behörde ergeben. Zweck der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen; die Nachweise sind SS 21 gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Informationsübermittlung an Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, Strafverfolgungsbehörden in Angelegenheiten des das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Staatsund Verfassungsschutzes Der Empfänger darf die übermittelten personenDie Verfassungsschutzbehörde übermittelt den bezogenen Informationen nur für den Zweck Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsverwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der anwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den PolizeibeEmpfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung hörden des Landes die ihr bekannt gewordenen und darauf hinzuwiesen, dass die VerfassungsInformationen einschließlich personenbezogener schutzbehörde sich vorbehält, um Auskunft über die Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorgenommene Verwendung der Informationen zu bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung bitten. oder Verfolgung von Straftaten, die im ZusamSS 24 menhang mit Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Übermittlung von Informationen an die SS 5 Abs. 2 stehen, erforderlich ist. Stationierungsstreitkräfte SS 22 Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezoÜbermittlung von Informationen an den gene Informationen an Dienststellen der Statioöffentlichen Bereich nierungsstreitkräfte übermitteln, soweit die Bundes(1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenrepublik Deutschland dazu im Rahmen von Art. 3 erfüllung gewonnenen, nicht personenbezogenen des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwiErkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde können schen den Parteien des Nordatlantikpaktes über die an andere Behörden und Stellen, insbesondere an Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der die Polizei und die Staatsanwaltschaft, übermittelt Bundesrepublik Deutschland stationierten auslänwerden, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der dischen Streitkräfte vom 3. August 1959 (BGBl. empfangenden Stellen erforderlich sein können. 1961 II S. 1183) verpflichtet ist. Die Übermittlung (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf persoist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist nenbezogene Informationen an inländische Behördarauf hinzuweisen, dass die übermittelten Informaden und juristische Personen des öffentlichen tionen nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, Rechts übermitteln, wenn dies zur Erfüllung ihrer zu dem sie ihm übermittelt wurden. Aufgaben erforderlich ist oder der Empfänger die SS 25 Informationen zum Schutz vor Bestrebungen oder Übermittlung von Informationen an öffentliche Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 oder zur StrafverfolStellen außerhalb des Geltungsbereichs des gung benötigt oder nach SS 5 Abs. 3 tätig wird. Grundgesetzes (3) Die empfangende Stelle von Informationen nach Absatz 2 ist darauf hinzuweisen, dass sie die Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbeübermittelten personenbezogenen Informationen zogene Informationen an ausländische öffentliche nur zu dem Zweck verwenden darf, zu dessen ErStellen sowie an überoder zwischenstaatliche Stelfüllung sie ihr übermittelt wurden. len übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher SS 23 Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich Übermittlung von Informationen an Personen und ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs Belange der Bundesrepublik Deutschland oder Personenbezogene Informationen dürfen an Persoüberwiegende schutzwürdige Interessen der betrofnen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Befenen Person entgegenstehen. Die Übermittlung ist reichs nicht übermittelt werden, es sei denn, dass nur im Einvernehmen mit dem Bundesamt für dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Verfassungsschutz zulässig. Sie ist aktenkundig zu Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, des Bundes oder eines Landes erforderlich ist und dass die übermittelten personenbezogenen Informader Senator für Inneres, der im Verhinderungsfall tionen nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, durch den zuständigen Staatssekretär vertreten zu dem sie ihm übermittelt wurden, und die Verfaswird, im Einzelfall seine Zustimmung erteilt hat. sungsschutzbehörde sich vorbehält, um Auskunft Die Verfassungsschutzbehörde führt über die Aus- 274 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 über die vorgenommene Verwendung der Informades Art. 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, tionen zu bitten. begeht oder begangen hat. Auf die der Verfassungsschutzbehörde nach Satz 1 übermittelten InforSS 26 mationen findet SS 4 Abs. 6, auf die dazugehörenden Unterrichtung der Öffentlichkeit Unterlagen findet SS 4 Abs. 1 Satz 2 des Art. 10Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die Gesetzes entsprechende Anwendung. Öffentlichkeit mindestens einmal jährlich über (5) Vorschriften zur Informationsübermittlung Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2. Daan die Verfassungsschutzbehörde nach anderen Gebei ist die Übermittlung von personenbezogenen setzen bleiben unberührt. Informationen nur zulässig, wenn die Bekanntgabe (6) Die Verfassungsschutzbehörde hat die für das Verständnis des Zusammenhanges oder der übermittelten Informationen nach ihrem Eingang Darstellung von Organisationen oder unorganisierunverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erten Gruppierungen erforderlich ist und die Interfüllung ihrer in SS 5 genannten Aufgaben erforderessen der Allgemeinheit an sachgemäßen Inforlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erformationen das schutzwürdige Interesse des Betrofderlich sind, sind die Unterlagen unverzüglich zu fenen überwiegen. vernichten. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur ErSS 27 füllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder Übermittlung von Informationen an die nur mit unvertretbarem Aufwand erfolgen kann; in Verfassungsschutzbehörde diesem Fall sind die Informationen gesperrt und entsprechend zu kennzeichnen. (1) Die Behörden des Landes und die sonstigen (7) Soweit andere gesetzliche Vorschriften der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen nicht besondere Regelungen über die DokumenPersonen des öffentlichen Rechts übermitteln von tation treffen, haben die Verfassungsschutzbehörde sich aus der Verfassungsschutzbehörde die ihnen und die übermittelnde Stelle die Informationsüberbekannt gewordenen Informationen, insbesondere mittlung aktenkundig zu machen. personenbezogene Daten, über Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2, die durch Anwendung von Gewalt oder SS 27a darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt Übermittlung von Informationen durch nicht werden, und über geheimdienstliche Tätigkeiten. öffentliche Stellen an die Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der Verfassungsschutzbehörde staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus auch andere im Rahmen (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Inforzelfall bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinmationen über Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. stituten und Finanzunternehmen unentgeltlich Aus2. künfte zu Konten, Kontoinhabern und sonstigen (2) Die Verfassungsschutzbehörde kann von Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr jeder der in Absatz 1 genannten öffentlichen Stellen Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlaverlangen, dass sie ihr die zur Erfüllung ihrer gen einholen, wenn dies zur Beobachtung gewaltAufgaben erforderlichen Informationen einschließtätiger Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 lich personenbezogener Daten übermittelt, wenn die erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für Informationen nicht aus allgemein zugänglichen Gefahren für Leib und Leben vorliegen. Quellen oder nur mit unverhältnismäßigem Auf(2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einwand oder nur durch eine den Betroffenen stärker zelfall zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen belastende Maßnahme erhoben werden können. Es nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn tatsächliche dürfen nur die Informationen übermittelt werden, Anhaltspunkte für Gefahren für Leib und Leben die bei der ersuchten Behörde bereits bekannt sind. vorliegen unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 (3) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Erdes Art. 10-Gesetzes bei Personen und Unternehsuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz men, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erder betroffenen Person dient oder eine Begründung bringen, sowie bei denjenigen, die an der Erbrinden Zweck der Maßnahme gefährden würde. gung dieser Dienstleistungen mitwirken, unent(4) Die Übermittlung personenbezogener Ingeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften, Postformationen, die aufgrund einer Maßnahme nach fächern und sonstigen Umständen des Postverkehrs SS 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden einholen. sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhalts(3) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einpunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 zelfall bei Luftfahrtunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften und zur Inanspruch- ANHANG 275 nahme von Transportleistungen und sonstigen Umerklärt, hat die Senatsverwaltung für Inneres unständen des Luftverkehrs einholen, wenn dies zur verzüglich aufzuheben. Für die Verarbeitung der Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen nach SS 5 nach den Abs. 1 bis 4 erhobenen Daten ist SS 4 des Abs. 2 Nr. 2 und 3 erforderlich ist und tatsächliche Art. 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. Das Anhaltspunkte für Gefahren für Leib und Leben Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten vorliegen. dürfen dem Betroffenen oder Dritten nicht mit(4) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Eingeteilt werden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Art. 10-Gezelfall zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen setzes findet entsprechende Anwendung. nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn tatsächliche (6) Die Senatsverwaltung für Inneres unterAnhaltspunkte für Gefahren für Leib und Leben richtet im Abstand von höchstens sechs Monaten vorliegen unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 den Ausschuss für Verfassungsschutz des Abgeorddes Art. 10-Gesetzes bei denjenigen, die geschäftsnetenhauses über die Durchführung der Absätze 1 mäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste bis 5; dabei ist insbesondere ein Überblick über erbringen oder daran mitwirken, unentgeltlich AusAnlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der künfte über Telekommunikationsverbindungsdaten im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen und Teledienstnutzungsdaten einholen. Die Ausnach den Absätzen 1 bis 4 zu geben. kunft kann auch in Bezug auf zukünftige Telekom(7) Die Senatsverwaltung für Inneres untermunikation und zukünftige Nutzung von Telerichtet das Parlamentarische Kontrollgremium des diensten verlangt werden. TelekommunikationsverBundes jährlich über die nach den Absätzen 1 bis 5 bindungsdaten und Teledienstnutzungsdaten sind: durchgeführten Maßnahmen; Abs. 6 gilt entspre1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, chend. Standortkennung sowie Rufnummer oder Kennung (8) Das Grundrecht des Brief-, Postund Ferndes anrufenden und angerufenen Anschlusses oder meldegeheimnisses (Art. 10 des Grundgesetzes, der Endeinrichtung, Art. 16 der Verfassung von Berlin) wird nach Maß2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum gabe der Absätze 2, 4 und 5 eingeschränkt. und Uhrzeit, SS 28 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Übermittlungsverbote Anspruch genommenen Telekommunikationsund Teledienst-Dienstleistungen, Die Übermittlung von Informationen nach den Vor4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr schriften dieses Abschnitts unterbleibt, wenn Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle er(5) Auskünfte nach den Abs. 1 bis 4 dürfen nur gibt, dass die Informationen zu löschen oder für die auf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist von empfangende Stelle nicht mehr bedeutsam sind, der Leitung der Verfassungsschutzabteilung, im 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erforFalle ihrer Verhinderung von ihrem Vertreter dern, schriftlich zu stellen und zu begründen. Über den 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass Antrag entscheidet der Senator für Inneres, im Fall unter Berücksichtigung der Art der Informationen seiner Verhinderung der Staatssekretär. Die Senatsund ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen verwaltung für Inneres unterrichtet die Kommission der betroffenen Personen das Allgemeininteresse an nach SS 2 des Gesetzes zur Ausführung des Art. 10der Übermittlung überwiegen oder Gesetzes über die beschiedenen Anträge vor deren 4. besondere gesetzliche ÜbermittlungsregelunVollzug. Bei Gefahr in Verzug kann der Senator für gen entgegenstehen; die Verpflichtung zur WahInneres, im Falle seiner Verhinderung der Staatsrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder sekretär den Vollzug der Entscheidung auch bereits von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, vor der Unterrichtung der Kommission anordnen. die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, Die Kommission prüft von Amts wegen oder bleibt unberührt. aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 SS 29 Abs. 5 des Art. 10-Gesetzes ist mit der Maßgabe Minderjährigenschutz entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbe(1) Informationen einschließlich personenbezofugnis der Kommission sich auf die gesamte gener Daten über das Verhalten Minderjähriger dürErhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach den fen nach den Vorschriften dieses Gesetzes überAbs. 1 bis 4 erlangten personenbezogenen Daten mittelt werden, solange die Voraussetzungen der erstreckt. Entscheidungen über Auskünfte, die die Speicherung nach SS 13 Abs. 2 erfüllt sind. Kommission für unzulässig oder nicht notwendig 276 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 (2) Informationen einschließlich personenbezoWesen nach, insbesondere wegen der überwiegener Daten über das Verhalten Minderjähriger vor genden berechtigten Interessen Dritter, geheimVollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den gehalten werden müssen. Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische Die Entscheidung nach den Sätzen 1 und 2 trifft der oder überoder zwischenstaatliche Stellen überLeiter der Verfassungsschutzabteilung oder ein von mittelt werden. ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. (3) Die Ablehnung einer Auskunft ist zuSS 30 mindest insoweit zu begründen, dass eine verwalNachberichtspflicht tungsgerichtliche Nachprüfung der VerweigerungsErweisen sich Informationen nach ihrer Übermitgründe gewährleistet wird, ohne dabei den Zweck tlung nach den Vorschriften dieses Gesetzes als der Auskunftsverweigerung zu gefährden. Die unvollständig oder unrichtig, so hat die übermitGründe der Ablehnung sind in jedem Fall aktentelnde Stelle ihre Informationen unverzüglich gekundig zu machen. genüber der empfangenden Stelle zu ergänzen oder (4) Wird die Auskunftserteilung ganz oder zu berichtigen, wenn dies zu einer anderen Beteilweise abgelehnt, ist die betroffene Person darauf wertung der Informationen führen könnte oder zur hinzuweisen, dass sie sich an den Berliner Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Beauftragten für den Datenschutz und für das Recht Person erforderlich ist. Die Ergänzung oder Berichauf Akteneinsicht wenden kann. Dem Berliner tigung ist aktenkundig zu machen und in den Beauftragten für den Datenschutz und für das Recht entsprechenden Dateien zu vermerken. auf Akteneinsicht ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht der Senator für Inneres im VIERTER ABSCHNITT Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. MitAuskunftserteilung teilungen des Berliner Beauftragten für den DatenSS 31 schutz und für das Recht auf Akteneinsicht an den Auskunft an den Betroffenen Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde zu(1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt einer lassen, soweit sie nicht einer weitergehenden Ausnatürlichen Person über die zu ihr gespeicherten kunft zustimmt. Der Kontrolle durch den Berliner Informationen auf Antrag unentgeltlich Auskunft. Beauftragten für den Datenschutz und für das Recht Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf auf Akteneinsicht unterliegen nicht personenbeInformationen, die nicht der alleinigen Verfügungszogene Informationen, die der Kontrolle durch die berechtigung der Verfassungsschutzbehörde unterKommission nach SS 2 des Gesetzes zur Ausführung liegen, sowie auf die Herkunft der Informationen des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz unterliegen, es und die Empfänger von Übermittlungen. sei denn, die Kommission ersucht den Berliner (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf den Beauftragten für den Datenschutz und für das Recht Antrag ablehnen, wenn das öffentliche Interesse an auf Akteneinsicht, die Einhaltung der Vorschriften der Geheimhaltung ihrer Tätigkeit oder ein überüber den Datenschutz bei bestimmten Vorgängen wiegendes Geheimhaltungsinteresse Dritter gegenoder in bestimmten Bereichen zu kontrollieren und über dem Interesse der antragstellenden Person an ausschließlich ihr darüber zu berichten. der Auskunftserteilung überwiegt. In einem solchen Fall hat die Verfassungsschutzbehörde zu prüfen, SS 32 ob und inwieweit eine Teilauskunft möglich ist. Ein Akteneinsicht Geheimhaltungsinteresse liegt vor, wenn (1) Sind personenbezogene Daten in Akten ge1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch speichert, so kann dem Betroffenen auf Antrag die Auskunftserteilung zu besorgen ist, Akteneinsicht gewährt werden, soweit Geheimhal2. durch die Auskunftserteilung Quellen gefährtungsinteressen oder schutzwürdige Belange Dritter det sein können oder die Ausforschung des Ernicht entgegenstehen. SS 31 gilt entsprechend. kenntnisstandes oder der Arbeitsweisen der Verfas(2) Die Einsichtnahme in Akten oder Aktensungsschutzbehörde zu befürchten ist, teile ist insbesondere dann zu versagen, wenn die 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährDaten des Betroffenen mit Daten Dritter oder geden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines heimhaltungsbedürftigen sonstigen Informationen Landes Nachteile bereiten würde oder derart verbunden sind, dass ihre Trennung auch 4. die Informationen oder die Tatsache der Speidurch Vervielfältigung und Unkenntlichmachung cherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Auf- ANHANG 277 wand möglich ist. In diesem Fall ist dem Betrofoder der Senat widerspricht; in diesem Fall legt der fenen zusammenfassende Auskunft über den Senat dem Ausschuss seine Gründe dar. Akteninhalt zu erteilen. (2) Die Vorschriften des Absatzes 1 gelten für (3) Das Berliner Informationsfreiheitsgesetz stellvertretende Mitglieder des Ausschusses entvom 15. Oktober 1999 (GVBl. S. 561) findet auf sprechend. die von der Verfassungsschutzabteilung der Senatsverwaltung für Inneres geführten Akten keine SS 35 Anwendung. Aufgaben und Befugnisse des Ausschusses (1) Der Senat hat den Ausschuss umfassend FÜNFTER ABSCHNITT über die allgemeine Tätigkeit der VerfassungsParlamentarische Kontrolle schutzbehörde und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten; er berichtet auch über SS 33 den Erlass von Verwaltungsvorschriften. Der AusAusschuss für Verfassungsschutz schuss hat Anspruch auf Unterrichtung. (2) Der Ausschuss hat auf Antrag mindestens (1) In Angelegenheiten des Verfassungseines seiner Mitglieder das Recht auf Erteilung von schutzes unterliegt der Senat von Berlin der Auskünften, Einsicht in Akten und andere UnterlaKontrolle durch den Ausschuss für Verfassungsgen, Zugang zu Einrichtungen der Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin. Die schutzbehörde sowie auf Anhörung von deren Rechte des Abgeordnetenhauses und seiner anderen Dienstkräften. Die Befugnisse des Ausschusses Ausschüsse bleiben unberührt. nach Satz 1 erstrecken sich nur auf Gegenstände, (2) Der Ausschuss für Verfassungsschutz bedie der alleinigen Verfügungsberechtigung der Versteht in der Regel aus höchstens zehn Mitgliedern. fassungsschutzbehörde unterliegen. Das Vorschlagsrecht der Fraktionen für die Wahl (3) Der Senat kann die Unterrichtung über einder Mitglieder richtet sich nach der Stärke der Frakzelne Vorgänge verweigern und bestimmten Kontionen, wobei jede Fraktion mindestens durch ein trollbegehren widersprechen, wenn dies erforderlich Mitglied vertreten sein muss. Eine Erhöhung der im ist, um vom Bund oder einem deutschen Land Satz 1 bestimmten Mitgliederzahl ist nur zulässig, Nachteile abzuwenden; er hat dies vor dem Aussoweit sie zur Beteiligung aller Fraktionen notwenschuss zu begründen. dig ist. Für jedes Mitglied wird ein stellvertretendes (4) Das Abgeordnetenhaus kann den Ausschuss Mitglied gewählt, das im Fall der Verhinderung des für einen bestimmten Untersuchungsgegenstand als Mitglieds dessen Rechte und Pflichten wahrnimmt. Untersuchungsausschuss (Art. 48 der Verfassung (3) Scheidet ein Mitglied aus dem Abgeordnevon Berlin) einsetzen. SS 3 des Gesetzes über die tenhaus oder seiner Fraktion aus, so verliert es die Untersuchungsausschüsse des Abgeordnetenhauses Mitgliedschaft im Ausschuss für Verfassungsvon Berlin vom 22. Juni 1970 (GVBI. S. 925), schutz. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Juni 1991 neues Mitglied zu wählen; das gleiche gilt, wenn (GVBI. S. 154), findet keine Anwendung. ein Mitglied aus dem Ausschuss ausscheidet. Für (5) Für den Ausschuss gelten im Übrigen die stellvertretende Mitglieder des Ausschusses gelten Bestimmungen der Geschäftsordnung des Abgedie Vorgaben der Sätze 1 und 2 entsprechend. ordnetenhauses von Berlin. SS 34 SS 36 Geheimhaltung Vertrauensperson des Ausschusses für (1) Die Öffentlichkeit wird durch einen Beschluss Verfassungsschutz des Ausschusses ausgeschlossen, wenn das öffentDer Ausschuss für Verfassungsschutz kann zur liche Interesse oder berechtigte Interessen eines Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben im Einzeleinzelnen dies gebieten. Sofern die Öffentlichkeit fall nach Anhörung des Senats mit der Mehrheit ausgeschlossen ist, sind die Mitglieder des Ausseiner Mitglieder eine Vertrauensperson beauftraschusses zur Verschwiegenheit über Angelegengen, Untersuchungen durchzuführen und dem Ausheiten verpflichtet, die ihnen dabei bekannt geschuss über das Ergebnis in nicht öffentlicher worden sind. Das gleiche gilt auch für die Zeit nach Sitzung zu berichten. Die Vertrauensperson soll die dem Ausscheiden aus dem Ausschuss. Die VerBefähigung zum Richteramt besitzen und wird für pflichtung zur Verschwiegenheit kann von dem die Dauer der jeweils laufenden Wahlperiode vom Ausschuss aufgehoben werden, soweit nicht beAusschuss für Verfassungsschutz mit der Mehrheit rechtigte Interessen eines Einzelnen entgegenstehen von zwei Dritteln seiner Mitglieder gewählt. 278 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2007 SECHSTER ABSCHNITT SS 39 Schlussvorschriften Inkrafttreten, Außerkrafttreten SS 37 (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Einschränkung von Grundrechten Verkündung im Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin in Kraft. Aufgrund dieses Gesetzes kann das Grundrecht auf SS 27a tritt außer Kraft, sobald das BundesverUnverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 des fassungsschutzgesetz vom 20. Dezember 1990 Grundgesetzes eingeschränkt werden. (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 16. August 2002 (BGBl. I SS 38 S. 3202), gemäß Art. 22 Abs. 2 des TerrorismusAnwendbarkeit des Berliner Datenschutzgesetzes bekämpfungsgesetzes vom 9. Januar 2002 (BGBl. I Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 durch die S. 361, 3142) wieder in seiner am 31. Dezember Verfassungsschutzbehörde finden die SSSS 6a, 10 bis 2001 maßgeblichen Fassung gilt. Der Tag des 17 und 19 Abs. 2 bis 4 des Berliner DatenschutzAußerkrafttretens ist im Gesetzund Verordgesetzes in der Fassung vom 17. Dezember 1990 nungsblatt für Berlin bekannt zu machen. (GVBI. 1991 S. 16, 54), das zuletzt durch Art. I des Gesetzes vom 30. Juli 2001 (GVBI. S. 305) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung keine Anwendung. ANHANG 279 2 Personenund Sachregister 1. Mai 61, 63, 191 Antifaschistische Linke Berlin Siehe ALB 8. Mai 21, 23 f antifaschistisch 46, 54, 56 11. September 73, 85, 89, 93, 162, 218, 233 Antirassismus 54, 203 Antisemitismus / antisemitisch 3 f, 13, 33 f, A 95, 101, 108, 154, 167, 182, 189, 224, 228, AAB 155, 199 f, 205 233, 263 AAI 89 ff, 219 f Anti-Terror-Datei Siehe ATD AAS 219 Apfel, Holger 169, 170 ADHF 248 AQIM 78 f ADHK 248 Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee der Adil Düzen 230 f Türkei Siehe TIKKO ADÜTDF 120 f Arbeiterpartei Kurdistans Siehe PKK AGIF 127 ff, 245 Artgemeinschaft Germanische GlaubensAGR 23, 172 f Gemeinschaft wesensgemäßer Akif, Muhammad Mahdi 237 Lebensgestaltung e. V. 186 f AKON 163 ATB 121 AKP 99, 117, 123, 125, 232, 234 ATD 259 Aktion Oder-Neiße Siehe AKON ATIF 129, 248 Aktionsfront Nationaler ATÄdegK 126, 128, 248 Sozialisten / Nationale Aktivisten Siehe Atomgesetz 147 ANS/NA Aufenthaltsgesetz 146 Aktionsgruppe Rudow Siehe AGR Autonome 5, 17 f, 36, 39 ff, 47 ff, 61 f, 155 f, Al-Ahd - Al-Intiqad 222 172 f, 179, 199, 202 ff al-Aqsa-TV 95 f Autonome Aktionsgemeinschaften 19, 172, ALB 42, 47 f, 50, 56, 199 ff, 205 179 al-Jama'a al-islamiya 218 Autonome Gruppen 44, 203 al-Jihad al-islami 217 Autonome Nationalisten Berlin Siehe ANB Al-Manar-TV 222 Al-Maududi, Abul Ala 160 f B al-Qa'ida 76 ff, 80, 84 f, 92 f, 219, 262 B & H 173 ff, 180, 184 al-Qa'ida im Islamischen Maghreb Siehe Barika-i Hakikat 227, 229 AQIM BASO 179 al-Quds 87, 134 Berlin Nordwest 21 al-Zarqawi, Abu Mus'ab 92 Berliner Alternative Süd-Ost Siehe BASO al-Zawahiri, Aiman 80, 84, 87 f, 92, 218 Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz Siehe AMGT 227, 230, 233 BSÜG Anarchisten 155 Bewachungsverordung 148 ANB 5, 20, 23, 25, 172 Bewaffnete Streitkräfte der Armen und ANS/NA 184, 192 Unterdrückten Siehe FESK Ansar al-Islam Siehe AAI Bewegung der freien Jugend Kurdistans Ansar al-Sunna Siehe AAS Siehe TECAK Antifa 61, 171, 199, 202, 209 Bewegung des Islamischen Widerstands Anti-Antifa 171 f Siehe HAMAS Antifa A+P (Agitation und Praxis) 199 Bin Ladin, Usama 80, 85 f, 88, 92, 161, 217 f Antifaschismus / antifaschistisch 42, 199, Blood & Honour Siehe B & H 203, 205 BSÜG 138 f, 142 f, 145, 267 Antifaschistische Aktion Berlin Siehe AAB Bundestagswahl 165, 170, 213 280 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2005 Bürgerund Hinweistelefon 264 F F.e.l.S. 49 f, 63 C Faschismus 154 ff, 201 ff, 246 CDK 110, 243 FATAH 71, 94 ff, 221 Committee for a Workers International 215 Fazilet Partisi Siehe FP FESK 244 D FKB 5, 7, 11, 16 ff, 20, 23 ff, 173 D.S.T. 6, 25, 29, 181 ff Föderation der Arbeiter aus der Türkei in DABK 247 Deutschland e. V. Siehe ATIF Dehoust, Peter 194 Föderation der ArbeitsimmigrantInnen aus Demokratische Union des kurdischen Volkes der Türkei in Deutschland Siehe AGIF Siehe YDK Föderation der türkisch-demokratischen Der Gegenangriff 191 Idealistenvereine in Europa e. V. Siehe Deutsch, Stolz, Treue Siehe D.S.T. auch ADÜTDF X.x.X. Föderation für demokratische Rechte in Deutsche Kommunistische Partei Siehe DKP Deutschland e. V. Siehe ADHF Deutsche Reichspartei 167 Föderation kurdischer Vereine in Deutschland Deutsche Stimme Siehe DS Siehe YEK-KOM Deutsche Volksunion Siehe DVU FP 232, 234 Deutsche Liga für Volk und Heimat Siehe Freie Kräfte Berlin Siehe FKB DLVH Freie Nationalisten Tempelhof 21 Deutschlandpakt 16 freiheitliche demokratische Grundordnung DHKC 125, 246 146, 149, 152, 154, 157, 256 f, 266 ff, 270 DHKP 245 f Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei 184 DHKP-C 124 ff, 245 f Freiheitsund Demokratiekongress Die Lunikoff-Verschwörung 6, 26 f, 183, 185 Kurdistans Siehe KADEK Dissent 42 f Freiheitsfalken Kurdistans Siehe TAK DKP 209 ff Freiheitspartei der Frauen Kurdistans Siehe DLVH 194 PAJK Donaldson, Ian Stuart 173, 180 Frey, Dr. Gerhard 163 f, 165 f, 194 Drei-Säulen-Konzept 170, 184 Funkenflug 188 f DRP 167 Für eine linke Strömung Siehe F.e.l.S. DS 7, 10, 14, 22, 167, 169, 188 FZ Freiheitlicher Buchund ZeitschriftenDSZ Druckschriftenund Zeitungs-Verlag Verlag GmbH 163 GmbH 163 DVU 2 f, 7 ff, 16, 30, 163 ff, 171, 194 G G 8 / G 8-Gipfel 5, 7, 14 f, 20, 37 ff, 47, E 50 ff, 71, 122, 126, 150, 193, 200 f, 209, Ehrenbund Rudel 163 262 Einbürgerungsverfahren 145 Gansel, Jürgen 7, 12 El-Motassadeq, Mounir 89, 93 GDF 9 EMUG 230 Gebrüder Strasser 178 Erbakan, Mehmet Sabri 234 Geheimschutz 138, 140 ff, 252 Erbakan, Necmettin 230 ff Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum Erdogan, Recep Tayyip 232, 234 Siehe GTAZ Europäische Moscheebauund Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans Unterstützungsgemeinschaft e. V. Siehe Siehe KKK EMUG Gemeinschaft Deutscher Frauen Siehe GDF Europäische Türkische Union Siehe ATB Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei Siehe AKP Gesellschaft für freie Publizistik Siehe GfP ANHANG 281 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin INTERIM 44, 54, 58, 203 ff Siehe VSG Bln Interventionistische Linke Siehe IL Gesetz zur Beschränkung des Postund IPIS 32, 198 Fernmeldegeheimnisses 253 ISI 78, 88 GfP 194 Islamische Bewegung Usbekistans Siehe GIMF 72, 74, 76 ff, 80 ff IBU Globale Islamische Medienfront Siehe GIMF Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. Grabert-Verlag 194 Siehe IGD Grundgesetz 34, 152, 157, 162, 253, 257, Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. 266 f, 267, 268 ff, 270, 273, 275 f, 278 Siehe IGMG GTAZ 260 Islamische Jihad Union Siehe IJU Islamische Föderation in Berlin e. V. Siehe H IFB HAKK-TV 229 Islamischer Jihad 74, 84 HAMAS 66, 68, 71, 86 f, 94, ff, 221 f Islamischer Staat Irak Siehe ISI Hammerskins Siehe HS Islamisches Kulturund Erziehungszentrum HDJ 5, 9, 19, 22, 188 ff Berlin e. V. Siehe IKEZ Heimattreue Deutsche Jugend e. V. Siehe Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden 222 HDJ Hess, Rudolf 6, 11, 20, 23 f J Hilfsorganisation für nationale politische Jama'at-i Tabligh Siehe JT Gefangene und deren Angehörige e. V. Jihad 79 f, 80, 83 ff, 87 f, 92, 161, 217 f, 220, Siehe HNG 226, 237 Hilfswerk für Menschenrechte e. V. Siehe JN 5, 9, 12, 19, 21 f, 167 f HMI JT 239 Hizb Allah 66, 68, 86, 133, 222 ff Junge Nationaldemokraten Siehe JN Hizb ut-Tahrir Siehe Hut HKO 247 K HMI 131, 249 KABD 213 HNG 176 f KADEK 241 f Homegrown-Terrorismus 71, 76, 77 Kalifatsstaat 227 ff HPG 113 f, 116, 118 f, 121, 243 Kameradschaft Spreewacht Siehe KSW HS 26, 29, 173 ff Kameradschaft Tor Berlin Siehe KTB HuT 68, 225 f Kameradschaften 172, 178 ff Kameradschaftsnetzwerk 5, 19, 23, 172, 179 I Kampfbund Deutscher Sozialisten Siehe I.f.A. 163 KDS IBU 74 Kaplan, Cemaleddin 227 f ICCB 227 Kaplan, Metin 227 ff IFB 105, 107 KDP 219 IGD 105, 108 f, 236, 238 KDS 191 ff IGMG 66, 68, 71, 97 f, 100, 102 ff, 106 f, KJB 243 227, 230, 232 ff KKK 112, 116, 118, 242 IJU 70, 72 ff Koma Komalen Ciwanen Demokratik a IKEZ 222 Kurdistan Siehe KOMALEN CIWAN IL 41, 46 ff KOMALEN CIWAN 113 ff, 116, 128, 243 indymedia 49 f Kommunismus / kommunistisch 54, 56, Initiative für Ausländerbegrenzung Siehe 156 ff, 203, 208, 210, 213 f, 247 I.f.A. Kommunistische Partei der Institut für internationale und politische Türkei / Marxisten-Leninisten Siehe Studien 198 TKP / ML 282 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2005 Kommunistischer Arbeiterverbund militante gruppe Siehe mg Deutschlands Siehe KABD Militanz 47, 52, 57, 157, 162, 201, 203 f Kommunistische Partei Deutschlands Siehe Milli Gazete 98 ff, 107, 231 ff KPD Milli Görüs 66, 97 ff, 104 ff, 230 ff Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in MKP 247 f Europa Siehe ATÄdegK MLKP 122 ff, 244 Konföderation für demokratische Rechte in MLPD 213 f Europa Siehe ADHK Muhacirin-Moschee 229 KONGRA GEL 71, 110 f, 113, 115 ff, 128, Mujahidin 71, 76 f, 81 f, 85 ff, 160, 217, 219, 241 f 220, 240 Konzerte 6, 26, 30, 174, 178, 180 f, 183, 185 Musiknetzwerk 6, 25, 174, 178, 183, 185 Koordination der Demokratischen Musikszene 29, 180 Gesellschaft Kurdistans Siehe CDK Muslimbruderschaft Siehe MB KP 199, 205, 208 KPD 157, 209, 213 N Kritik & Praxis B3rlin Siehe KP N & E 194 KSW 26, 177 f Nachrichtenbeschaffung 256 KTB 179 Nachrichtendienstliches Informationssystem Kühnen, Michael 192 Siehe NADIS Kurdische Demokratische Partei Siehe KDP Nachrichtendienstliche Mittel 256, 268 Kutan, Recai 232 NADIS 150, 257, 266, 268 NAN 21 L NAPB 20 Landser 26, 30, 181, 183, 185 Nasrallah, Hassan 223 f Langener Erklärung 191 f Nation & Europa - Deutsche Monatshefte Legalresidenturen 136 Siehe N & E Legion of Thor Siehe LoT Nationaldemokratische Partei Deutschlands Lernen und Kämpfen 213 Siehe NPD Lichtenberg 35 26 Nationaldemokratischer Hochschulbund e. V. Linksruck 36, 211 f Siehe NHB Liste D 163 Nationale Aktivisten Neukölln Siehe NAN LoT 6, 26, 183 Nationale Aktivisten Prenzlauer Berg Siehe Luftsicherheitsgesetz 147 NAPB Nationale Alternative 184 M Nationale Befreiungsarmee Siehe NLA Macht & Ehre 26, 182 f Nationaler Widerstandsrat Iran Siehe NWRI Mahler, Horst 6, 31, 33, 34, 196 ff Nationalsozialismus 24, 127, 154, 178, 195 Maoistische Kommunistische Partei Siehe Nationalsozialistische Deutsche MKP Arbeiterpartei Siehe NSDAP Marxismus-Leninismus 154, 157 f, 210, 213, National-Zeitung / Deutsche Wochen-Zeitung 244 Siehe NZ Marxistisch-Leninistische Kommunistische Neonazismus / neonazistisch 2 f, 6, 8, 14, 16, Partei Siehe MLKP 23, 25, 154, 172 ff, 183, 185 ff Marxistisch-Leninistische Partei Neubauer, Harald 194 Deutschlands Siehe MLPD Newroz-Feier 111, 114 ff MB 66, 68, 105, 108, 159, 161, 221, 236 ff NHB 167 MEI 131, 249 NLA 72, 130, 248 f MEK 71 f, 129, 130 ff, 248 f Nordische Zeitung 186 Menschenrechtszentrum für ExiliranerInnen NPD 2 ff, 7 ff, 21 f, 25, 163, 165 ff, 179, e. V. Siehe MEI 184, 186, 194, 201 f, 263 mg 38 f, 53 ff, 60, 207 NSDAP 178 ANHANG 283 NWRI 71, 129 ff, 248 f S NZ 163 ff Saadet Partisi Siehe SP Sabotageschutz 145 O SAV 51, 53, 215 f Observation 256, 268 Scharia 160 f, 225, 227, 230, 237 Ostanatolisches Gebietskomitee Siehe DABK Sicherheitsüberprüfung 138 f, 139, 142, 145, 257, 267 Ö Skinheads 173 ff, 177, 180, 183 ff Öcalan, Abdullah 112 f, 115 ff, 242 ff Solidarität - Sozialistische Zeitung 215 Sozialistische Alternative Siehe SAV P SP 97 ff, 125, 231 ff Spionageabwehr 136 f, 258, 268 f PAJK 243 Spreegeschwader 6, 25 f, 29, 183 Partei der Freien Frau Siehe PJA Sprengstoffgesetz 148 Partizan-Flügel 247 f Stimme des Kalifat Kanal 80 Patriotische Union Kurdistan Siehe PUK PJA 243 T PKK / KONGRA GEL 68, 70 f, 110 f, 113 ff, 117 ff, 128, 241 ff Tabligh-i Jama'at Siehe TJ Proliferation 136 f TAK 113 f, 118, 121, 243 PUK 219 Taliban 78, 81, 217, 219 Tayad-Komitee 246 Q TECAK 242 Terrorismus 38, 58, 70, 72 f, 76, 85, 134, Quellenschutz 256 149, 158, 160, 162, 218, 259, 260, 262, Qutb, Sayyid 161, 220, 236 264, 278 R TÄdegKKO 247 TJ 239 f Racheteams Kurdistan TTK TKP / ML 124 f, 126, 129, 247 f Rassismus / rassistisch 10, 28, 99 ff, 100 f, Trolley-Bomber 72, 77, 260 125 f, 128, 134, 168, 175, 186 f, 154 f, TTK 118 201 ff Tugendpartei 232 REBELL 213 Rechtsextremistische Musik 7, 25, 30, 174, Ü 178, 180, 262 Überwachung des Postund FernmeldeRevisionismus / revisionistisch 13 f, 24, 33, verkehrs 257 157, 189, 195 f, 198, 214 Ücüncü, Oguz 235 Revolutionäre Volksbefreiungsfront Siehe DHKC U Revolutionäre Volksbefreiungspartei Siehe DHKP UGIJ 74 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front Union der stolzen Frauen Siehe KJB Siehe DHKP-C Usbekische Gruppe Islamischer Jihad Siehe Revolutionäre Zellen Siehe RZ UGIJ Rieger, Jürgen 186 Ring Nationaler Frauen Siehe RNF V RNF 9, 167 Vandalen 26, 29 f, 184 f Röhm, Ernst 178 Vandalen - Ariogermanische Rote Fahne 213 Kampfgemeinschaft Siehe Vandalen Rudolf, Germar 32, 196, 198 Verband der islamischen Vereine und RZ 207 Gemeinden e. V. Köln Siehe ICCB 284 VERFASSUNGSSCHUTZBERI CHT BERLIN 2005 Verein zur Rehabilitierung der wegen W Bestreitens des Holocaust Verfolgten Siehe Waffengesetz 148 VRBHV Wessel, Horst 6, 23, 27 Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa Wetterleuchten 191 f e. V. Siehe AMGT Wiking-Jugend e. V. Siehe WJ Vereinte Nationalisten Nordost Siehe VNNO WJ 186, 189 VNNO 20 Voigt, Udo 18, 170 X Volksbefreiungsarmee Siehe HKO Volksfront 7, 16, 171 X.x.X. 6, 25 ff, 182 Volkskongress Kurdistans Siehe KONGRA GEL Y Volksmojahedin Iran-Organisation Siehe YDK 243 MEK YEK-KOM 114, 129 Volksverhetzung 4, 28, 34, 189, 196, 198 Volksverteidigungskräfte Siehe HPG Z V-Personen 256 Zündel, Ernst 32, 165, 196, 198 VRBHV 6, 31 ff, 101, 196 ff Zündstoff - Deutsche Stimme für Berlin und VSG Bln 142, 145, 147, 152 f, 256 ff, 259, Brandenburg 167 261, 266 Zuverlässigkeitsüberprüfungen 147 ff, 257 Publikationen des Verfassungsschutzes Berlin REIHE IM FOKUS Rechte Gewalt in Berlin 2003 bis 2006 1. Auflage Berlin 2007. 84 Seiten. Antisemitismus im extremistischen Spektrum Berlins 2. Auflage Berlin 2006. 56 Seiten. Islamismus. Diskussion eines vielschichtigen Phänomens 2. Auflage Berlin 2006. 116 Seiten. Rechtsextremistische Skinheads 1. Auflage Berlin 2003 (im Internet abrufbar). 86 Seiten. REIHE INFO Rechtsextremistische Musik 1. Auflage Berlin 2007. 36 Seiten. Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus 5. Auflage Berlin 2007. 33 Seiten. Islamismus 2. Auflage Berlin 2006. 42 Seiten. Diese sowie weitere Publikationen des Berliner Verfassungsschutzes können Sie unter der rückseitig angegebenen Adresse sowie telefonisch unter (030) 90 129-440 bestellen oder aber im Internet unter www.verfassungsschutz-berlin.de abrufen. Der Verfassungsschutz Berlin bietet zudem Vorträge zu den einzelnen Extremismusfeldern und zum Thema Spionage an. Nähere Informationen erhalten Sie ebenfalls unter (030) 90 129-440. Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Postfach 62 05 60 10795 Berlin Tel.: (030) 90 129-0 Internet: http://www.verfassungsschutz-berlin.de E-Mail: info@verfassungsschutz-berlin.de