Senatsverwaltung für Inneres 1 Senatsverwaltung für Inneres Abteilung Verfassungsschutz 1 Verfassungsschutzbericht 2004 Erreichbarkeit des Berliner Verfassungsschutzes: Senatsverwaltung für Inneres Abteilung Verfassungsschutz Briefanschrift: Potsdamer Str. 186, 10783 Berlin Postfach 62 05 60, 10795 Berlin Internet: http://www.verfassungsschutz-berlin.de E-Mail: info@verfassungsschutz-berlin.de Vermittlung: (030) 90 129-0 Fax: (030) 90 129-844 Öffentlichkeitsarbeit: (030) 90 129-874 oder 516 Fax: (030) 90 129-876 Pressestelle: (030) 90 129-565 Fax: (030) 90 129-533 Vertrauliches Telefon: (030) 90 129-400 Informationsmaterial: (030) 90 129-853 Herausgeber: Senatsverwaltung für Inneres, Abteilung Verfassungsschutz Redaktion: Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit Druck: KOMAG mbH, www.komag.de Redaktionsschluss: März 2005 Abdruck gegen Quellenangabe gestattet, Belegexemplar erbeten. Hinweis: Dieser Verfassungsschutzbericht erwähnt nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes. Der Hintergrundteil enthält Ausführungen zu den Organisationen, die im Berichtsteil Aktuelle Entwicklungen genannt werden. Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 5 VORWORT Mit den Anschlägen von Madrid hat der islamistische Terrorismus Europa in verheerender Weise erreicht, auch wenn der Schwerpunkt der Terroraktivitäten 2004 in den Ländern des Nahen Ostens lag - vor allem im Irak und in Israel, aber auch in Saudi-Arabien. Anfang Dezember wurden drei mutmaßliche Angehörige von "Ansar-al-Islam" verhaftet, denen vorgeworfen wird, in Berlin einen Anschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten Iyad Allawi geplant zu haben. Dies zeigt, dass auch für Deutschland extremistische Anschläge nicht ausgeschlossen werden können. Glücklicherweise konnten bisher Anschlagsplanungen frühzeitig aufgedeckt werden. Dies spricht für die funktionierende Arbeit der Sicherheitsbehörden. Die in Deutschland geführten Prozesse gegen mutmaßliche Terroristen in Hamburg und in Berlin offenbaren aber ein grundsätzliches Problem. Selbst wenn die böse Absicht wahrscheinlich ist, wo Schuld nicht zweifelsfrei zu belegen ist, gilt der rechtsstaatliche Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten". Das ist der Preis des Rechtsstaats, auf dessen Grundsätze wir vertrauen. Neben den gewaltbereiten Extremisten ist es besonders notwendig, sonstige islamistische Gruppierungen im Auge zu behalten. Sie versuchen, auf legalistischem Wege, Parallelgesellschaften zu entwickeln und die Wertvorstellungen, auf denen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland basiert, zu verdrängen. Das reicht von der Ungleichberechtigung der Frau gegenüber dem Mann bis zur Ablehnung unseres Rechtssystems zugunsten der dann angestrebten Scharia. Diese bewusste Ablehnung von Integration kann wiederum die Gewaltbereitschaft junger Muslime fördern, die sich nirgendwo "zu Hause" fühlen. Die Integration muslimischer Jungen und Mädchen in unsere Werteordnung muss uns ein besonderes Anliegen sein, um ihnen für ihre Zukunft echte Chancen zu eröffnen. Neben dem Islamismus waren 2004 besonders die Entwicklungen im Rechtsextremismus bedeutsam. Die Wahlerfolge von NPD und DVU in Sachsen und Brandenburg haben das parlamentsorientierte rechtsextreme 6 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Potenzial wieder deutlich zutage treten lassen. In Berlin konnten die rechtsextremen Parteien davon nicht profitieren. Hier haben aber die Kameradschaften erheblich an Einfluss gewonnen - eine Besorgnis erregende Entwicklung, der wir nicht tatenlos zusehen wollen. Zwei Kameradschaften, die "Berliner Alternative Südost" und die "Kameradschaft Tor Berlin", habe ich im März 2005 verboten, weil sie das rechtlich Zulässige überschritten hatten. Organisationen, die sich aggressiv gegen unsere freiheitliche Verfassung stellen und sich an nationalsozialistische Ideologien anlehnen, werden in Berlin nicht toleriert, sondern entschieden bekämpft. Auch die linksextremen Parteien haben weiterhin Mitglieder verloren. Dagegen erwuchs wie beim Rechtsextremismus im aktionsorientierten Milieu eine neue Dynamik. Der Zusammenschluss von vier autonomen Gruppen war der erste Versuch seit längerer Zeit, die Szene zu stärken. Durch die ideologische Spaltung zwischen antideutschen und antiimperialistischen Gruppen hat sich aber auch eine gegenläufige Entwicklung ergeben. Im Extremismus steckt immer Menschenverachtung, egal, wie er auftritt. Deshalb müssen wir insbesondere den jungen Menschen vermitteln, dass eine lebenswerte Zukunft nur über den sicherlich schwierigen Prozess demokratischer Auseinandersetzung gestaltet werden kann, nicht aber über extremistische Ansätze mit Weltanschauungen, deren Ideologen meinen, die Wahrheit gepachtet zu haben. Dem Verfassungsschutz des Landes Berlin kommt dabei die Aufgabe zu, über verfassungsfeindliche Bewegungen zu informieren. Mit dem Verfassungsschutzbericht 2004 legen wir wieder umfangreiches Material für die demokratische Auseinandersetzung über die Struktur extremistischer Bestrebungen vor. Dr. Ehrhart Körting Senator für Inneres Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 7 Inhaltsverzeichnis Vorwort .........................................................................................................5 I Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern ..............12 1 Rechtsextremismus.......................................................................12 1.1 Überblick ..........................................................................................12 1.2 Aktionsorientierter Rechtsextremismus ...........................................18 1.2.1 Anhaltende Dynamik im Netzwerk "Kameradschaften" ...................18 1.2.2 Verfolgungsdruck hemmt Entfaltung des Netzwerks "Rechtsextremistische Musik" ..........................................................30 1.2.3 "Projekt Schulhof" ............................................................................39 1.3 Parlamentsorientierter Rechtsextremismus.....................................43 1.3.1 Wahlerfolge rechtsextremistischer Parteien ....................................43 1.3.2 Bildung einer "Volksfront".................................................................49 1.3.3 Gründung der "Bewegung Neue Ordnung" (BNO) ..........................64 1.4 Diskursorientierter Rechtsextremismus ...........................................67 1.4.1 Spaltung des "Deutschen Kollegs" (DK) ..........................................67 2 Linksextremismus .........................................................................71 2.1 Überblick ..........................................................................................71 2.2 Strukturelle Entwicklungen...............................................................76 2.2.1 Gründung des linksextremistischen Netzwerkes "ACT!" .................76 2.2.2 Bündnisbestrebungen durch die Militanzdebatte und Anschläge der "militanten Gruppe (mg)" ...........................................................78 2.2.3 Spaltung durch "Antideutsche" ........................................................84 2.3 Aktionsfelder ....................................................................................88 2.3.1 Sozialreformen als beherrschendes Thema linksextremistischer Aktionen ...........................................................................................88 2.3.2 "Antifaschistischer Kampf" .............................................................100 3 Ausländerextremismus ...............................................................109 3.1 Überblick ........................................................................................109 3.2 Der internationale islamistische Terrorismus.................................115 3.2.1 Die Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus.................115 3.2.2 Die Lage im Irak.............................................................................118 3.2.3 Die Audiound Videobotschaften von "al-Qa'ida"..........................119 3.2.4 Das Medium Internet......................................................................123 3.2.5 Die Lage in Tschetschenien ..........................................................125 3.3 Prozesse und Exekutivmaßnahmen ..............................................128 3.3.1 Prozess wegen Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung in Berlin......................................................................129 3.3.2 Prozesse im Zusammenhang mit dem 11. September 2001.........130 3.3.3 Spanisches Auslieferungsersuchen zu Darkazanli........................131 3.3.4 Prozess gegen die "Meliani-Gruppe" in Paris ................................132 8 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 3.3.5 Vereitelter Anschlag: Exekutivmaßnahmen des Generalbundesanwalts gegen mutmaßliche Angehörige der "Ansar al-Islam"......132 3.4 Araber ............................................................................................134 3.4.1 Die Entwicklung im Nahen Osten und ihre Auswirkungen auf Deutschland ...................................................................................134 3.4.2 Verbot des "Ersten Arabisch-Islamischen Kongresses in Europa" 136 3.5 Türken............................................................................................138 3.5.1 Exekutivmaßnahmen gegen den "Kalifatsstaat" ............................138 3.5.2 Krise der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e. V." ................140 3.5.3 Türkische Linksextremisten ...........................................................148 3.6 Kurden ...........................................................................................154 4 Spionageabwehr ..........................................................................163 4.1 Überblick ........................................................................................163 4.2 Wirtschaftsspionage ......................................................................165 4.3 Proliferation....................................................................................167 5 Geheimund Sabotageschutz ....................................................172 5.1 Personeller und materieller Geheimschutz im öffentlichen Bereich...........................................................................................172 5.2 Geheimschutz in der Wirtschaft.....................................................174 5.3 Sabotageschutz .............................................................................177 5.4 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen ................................177 II Hintergrundinformationen ...................................................... 182 1 Ideologien .....................................................................................182 1.1 Definition Extremismus ..................................................................182 1.2 Ideologie des Rechtsextremismus.................................................183 1.3 Ideologie des Linksextremismus....................................................184 1.4 Ausländerextremistische Ideologien ..............................................187 2 Rechtsextremismus.....................................................................193 2.1 Aktionsorientierter Rechtsextremismus .........................................193 2.1.1 "Anti-Antifa" ....................................................................................193 2.1.2 "Anti-Antifa-Network" (AAN)...........................................................193 2.1.3 "Autonome Nationalisten Berlin" (ANB) .........................................194 2.1.4 "Blood & Honour" (B&H) ................................................................195 2.1.5 "Hammerskins" (HS) ......................................................................196 2.1.6 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) .....................................................197 2.1.7 Kameradschaften...........................................................................198 2.1.8 Neonazis ........................................................................................199 2.1.9 Rechtsextremistische Musik ..........................................................200 2.1.10 Skinheads ......................................................................................202 2.1.11 "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft" (Vandalen)...204 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 9 2.2 Parlamentsorientierter Rechtsextremismus...................................205 2.2.1 "Deutsche Volksunion" (DVU)........................................................205 2.2.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD)....................207 2.2.3 "Die Republikaner" (REP) ..............................................................210 2.3 Diskursorientierter Rechtsextremismus .........................................212 2.3.1 "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (Artgemeinschaft)........212 2.3.2 "Deutsches Kolleg" (DK) ................................................................214 2.3.3 "Heimattreue Deutsche Jugend e. V." (HDJ) .................................217 2.3.4 "Kampfbund Deutscher Sozialisten" (KDS) ...................................219 2.3.5 "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" (N&E) .......................221 2.3.6 Revisionismus................................................................................222 2.3.7 "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) ....................................................223 3 Linksextremismus .......................................................................226 3.1 Aktionsorientierter Linksextremismus ............................................226 3.1.1 "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB)............................................226 3.1.2 Autonome.......................................................................................227 3.1.3 "Autonome Antifa Nordost" (AANO)...............................................231 3.1.4 "Kritik & Praxis B3rlin" (KP)............................................................232 3.1.5 "militante gruppe (mg)"...................................................................233 3.2 Parlamentsorientierter Linksextremismus......................................234 3.2.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP).....................................234 3.2.2 "Linksruck" .....................................................................................235 3.2.3 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD)..............236 3.2.4 "Sozialistische Alternative Voran" (SAV) .......................................237 4 Ausländerextremismus ...............................................................239 4.1 Araber ............................................................................................239 4.1.1 "Hizb Allah" ("Partei Gottes")..........................................................239 4.1.2 "Hizb ut-Tahrir al-islami" (HuT / "Islamische Befreiungspartei").....242 4.1.3 "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) / "Islamischer Bund Palästina" (IBP)................................................243 4.1.4 "Mujahidin-Netzwerke" ...................................................................245 4.1.5 "Muslimbruderschaft" (MB) ............................................................247 4.2 Iraner..............................................................................................250 4.2.1 "Arbeiterkommunistische Partei Irans" (API) .................................250 4.2.2 "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) / "Nationaler Widerstandsrat Iran" (NWRI).......................................251 4.3 Türken............................................................................................253 4.3.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG).....................253 4.3.2 "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti") .....................................................256 4.3.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) .........259 4.3.4 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C)................260 4.3.5 "Türkische Kommunistische Partei / MarxistenLeninisten" (TKP/ML) .....................................................................261 10 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 4.4 Kurden ...........................................................................................263 4.4.1 "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL) / "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) ..................................................263 III Verfassungsschutz Berlin ...................................................... 268 1 Grundlagen - Strukturen - Arbeitsweisen..................................268 1.1 Aufbau und Ressourcen ................................................................268 1.2 Gesetzliche Grundlagen zu den Aufgaben und Befugnissen ........268 1.3 Arbeitsweisen.................................................................................272 1.4 Kontrollinstanzen ...........................................................................276 1.5 Öffentlichkeitsarbeit: Verfassungsschutz durch Aufklärung ..........277 IV Anhang .................................................................................. 282 1 Entwicklung Politisch motivierter Kriminalität in Berlin 2004................................................................................282 2 Gesetzestexte...............................................................................307 2.1 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin...............................307 2.2 Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen im Land Berlin..............................321 3 Personenund Sachregister.......................................................335 Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 11 12 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 I AKTUELLE ENTWICKLUNGEN IN DEN BEOBACHTUNGSFELDERN 1 Rechtsextremismus 1.1 Überblick Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Berlin ist im Personenpotenzial leicht angestiegen Jahr 2004 von ca. 2 395 auf ca. 2 435 Personen leicht angestiegen.1 Auch wenn sich das Gesamtpotenzial damit als weitgehend stabil darstellt, zeigen sich größere Veränderungen bei Neonazis und rechtsextremistischen Parteien. Die Parteien stellen zwar auch nach mehreren Jahren des MitgliederVerschiebungen innerhalb Rückgangs immer noch den größten Anteil des Personender Szene potenzials, die Anzahl der Neonazis ist inzwischen jedoch annähernd gleich groß. Gesamtpotenzial rechtsextremistischer 2004 Gruppierungen: 2 435 Personen* Rechtsextremistische Parteien 1005 Neonazis 950 Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite 550 Rechtsextremisten Sonstige rechtsextremistische 140 Organisationen 0 200 400 600 800 1000 1200 * Aufgrund von Mehrfachmitgliedschaften liegt die Summe der für die einzelnen Gruppen geschätzten Potenziale über dem Gesamtpotenzial der rechtsextremistischen Gruppierungen. 1 Diese Angaben sowie alle folgenden Angaben zu Personenpotenzialen sind geschätzt. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 13 Mitgliederverluste hatten im vergangenen Jahr alle rechtsextremistischen Parteien zu verzeichnen. Gründe hierfür waren die mangelnde Bindungskraft der Parteien und zum Teil die Überalterung. Dies gilt auch für die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), die erst gegen Ende des Jahres 2004 von der Aufbruchstimmung nach den für NPD und "Deutsche Volksunion" (DVU) erfolgreichen Wahlen in Sachsen und Brandenburg profitieren und ihre Mitgliederzahl im Bundesgebiet auf 5 300 (2003: 5 000) erhöhen konnte. Der Anstieg der Neonazis resultiert aus einer Zunahme an Aktivitäten und einem Anwachsen der Kameradschaftsszene im vergangenen Jahr. Rechtsextremistisches Personenpotenzial Rechtsextremismus Berlin Bund 2003 2004 2003 2004 Gesamt 2 645 2 645 42 100 41 900 ./. Mehrfachmitgliedschaften 250 210 600 1 200 Tatsächliches Personenpotenzial 2 395 2 435 41 500 40 700 Personenpotenziale einzelner Gruppierungen Berlin Bund 2003 2004 2003 2004 Subkulturell geprägte und sonstige 550 550 10 000 10 000 gewaltbereite Rechtsextremisten Neonazis 750 950 3 000 3 800 Rechtsextremistische Parteien, davon 1 210 1 005 24 500 23 800 * "Deutsche Volksunion" (DVU) 480 450 11 500 11 000 * "Nationaldemokratische Partei 180 150 5 000 5 300 Deutschlands" (NPD) * "Die Republikaner" (REP) 550 400 8 000 7 500 Sonstige rechtsextremistische 135 140 4 600 4 300 Organisationen1 Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. 1 Dazu zählt u. a. die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG), die inhaftierte Gesinnungsgenossen materiell und sozial betreut, um sie nach ihrer Entlassung wieder in die Szene zu integrieren. 14 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Bei den Straftaten im Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - Leichter Anstieg der rechts" ist ein leichter Anstieg zu verzeichnen (2004: 976 StrafStraftaten taten gegenüber 2003: 944 Straftaten).2 Dagegen ist die Zahl Weniger der darin enthaltenen Gewaltdelikte von 70 Gewalttaten im Jahr Gewalttaten 2003 auf 60 Gewalttaten 2004 gesunken. Allerdings wurde - anders als im Vorjahr - auch ein fremdenfeindliches Tötungsdelikt verübt.3 Gesunken ist auch die Zahl der Propagandadelikte4 (2004: 655 Delikte gegenüber 2003: 673 Delikte). Deutlich gestiegen - und zwar von 126 Taten 2003 auf 154 Taten 2004 - ist die Zahl der Volksverhetzungsdelikte. Auch die Anzahl antisemitischer Straftaten stieg von 123 Fällen (davon 2 Gewaltdelikte) auf 146 Fälle (davon 4 Gewaltdelikte) im Jahr 2004. Daneben ist eine höhere Zahl von Straftaten auch im Bereich der RechtsLinks-Auseinandersetzungen zu verzeichnen (2004: 38 Straftaten gegenüber 2003: 30 Straftaten). 2 Grundlegend sind hier die Zahlen des Polizeilichen Staatsschutzes. Vgl. Der Polizeipräsident in Berlin: Kriminalität in Berlin 2004 (2005). 3 Dabei handelt es sich um ein versuchtes Tötungsdelikt am 22. April 2004, als drei Männer einen dunkelhäutigen Mann auf dem Weg zur S-Bahn überfielen, ihn zu Boden schubsten und unter Beleidigungen auf ihn eintraten. Erst das Einschreiten von Passanten und Sicherheitskräften konnte die Täter von ihrem zwischenzeitlich besinnungslosen Opfer abbringen, das starke Verletzungen erlitt. 4 SSSS 86, 86a StGB. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 15 Fallzahlen für Politisch motivierte Kriminalität - Rechts -1 (einschließlich antisemitischer und fremdenfeindlicher Straftaten) 2003 2004 Gesamt 944 976 Gewaltdelikte, davon 70 60 * Tötungsdelikte SSSS 211 - 221 StGB 0 1 * Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 55 51 * Brandstiftung SSSS 306 - 306 f StGB 2 0 * Sprengstoffexplosion SS 308 StGB 0 0 * Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 3 4 * Widerstandsdelikte SS 113 StGB 8 3 * Raub SSSS 249 - 255 StGB 2 0 Andere Straftaten, davon 874 916 * Propagandadelikte SSSS 86, 86 a StGB 672 655 * Volksverhetzung SS 130 StGB 126 154 * Nötigung/Bedrohung SSSS 240, 241 StGB 6 11 * Beleidigung / üble Nachrede / SSSS 185 - 189 StGB 38 35 Verleumdung * Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 21 20 * Sonstiges 11 412 1 Vollständige Angaben im Auszug aus dem Bericht "Kriminalität in Berlin 2004" im Anhang. 2 Davon 28 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Innerhalb des aktionsorientierten Rechtsextremismus können zwei verschiedene "Szenen" unterschieden werden, die jeweils als weitgehend voneinander unabhängige Netzwerke agieren. Es handelt sich um ein "Netzwerk Kameradschaften" und ein Netzwerke "Netzwerk Rechtsextremistische Musik". Die nach mehrjähriger Stagnation seit dem Vorjahr zu beobachtende dynamische Entwicklung des Berliner Kameradschaftsnetzwerks setzte sich im Dynamik bei Kameradschaften Jahr 2004 fort. Es kam zu zahlreichen Neugründungen, so dass mit Ausnahme der "Kameradschaft Tor Berlin" (KS Tor) und der "Berliner Alternative Süd-Ost" (BASO) alle aktiven Berliner Kameradschaften erst im Jahr 2004 entstanden.5 Im "Netzwerk 5 Die "Kameradschaft Tor Berlin" (KS Tor) und die "Berliner Alternative SüdOst" (BASO) wurden am 9.3.2005 verboten. 16 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Kameradschaften" waren viele eigenständige und öffentlichkeitswirksame Aktionen mit neuartigen Aktionsformen und einem äußerlich veränderten Erscheinungsbild zu beobachten, wobei vielfach Formen der linksextremistischen Szene übernommen wurden. Dieser Trend ging zunächst von der KS Tor aus und wurde zunehmend auch von Aktivisten anderer Kameradschaften praktiziert. Einige Kameradschaften wandten im vergangenen Jahr eine Doppelstrategie an: Nach außen sollte das Bild von erlebnisorientierten, modernen lokalund jugendpolitisch engagierten Aktivisten vermittelt werden, während gleichzeitig die Gewaltbereitschaft gegenüber politischen Gegnern und der Polizei zunahm.6 Rechte Musik: Das Netzwerk Rechtsextremistische Musik ist seit Jahren einem Hoher hohen Verfolgungsdruck der Strafverfolgungsbehörden Verfolgungsdruck ausgesetzt. Auch im vergangenen Jahr wurden die für die Szene wichtigen Veranstaltungen wie die "Vandalen-Feier" und die Jahresfeier der "Hammerskins" sowie angekündigte rechtsextremistische Konzerte von der Polizei aufgelöst und passbeschränkende Maßnahmen gegen rechtsextremistische Musikbands ausgesprochen. Einige Musikstücke wurden als jugendgefährdende Tonträger durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert. Bundesweit sorgte das rechtsextremistische "Projekt Schulhof" für Aufsehen, mit dem die kostenlose Verteilung von rechtsextremistischen Musik-CDs im Umfeld von Schulen geplant war. Der hohe Verfolgungsdruck gegen die noch unbekannten Urheber des Projekts verhinderte bislang dessen Realisierung.7 Der parlamentsorientierte Rechtsextremismus in Berlin wurde im vergangenen Jahr durch die bundesweite Entwicklung Kooperation von bestimmt. Nach zunächst marginalen Wahlergebnissen und NPD und DVU anhaltendem Mitgliederschwund der rechtsextremistischen Parteien8 stand im letzten Quartal die Zusammenarbeit der NPD mit anderen Parteien und "Freien Nationalisten" im Zeichen der "Volksfront von rechts" bundesweit im Vordergrund. Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Branden- 6 Vgl. S. 18 ff. 7 Vgl. S. 39. 8 Vgl. S. 43. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 17 burg, wo nach einem gegenseitigen Wahlverzicht die NPD in Sachsen mit 9,2 Prozent und die DVU in Brandenburg mit Wahlerfolge in Sachsen und 6,1 Prozent in die Landtage einzogen, wurden von den RechtsBrandenburg extremisten bundesweit als Erfolg gewertet. Sie führten zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein der rechtsextremistischen Szene. Getragen von einer euphorischen Stimmung war seit Oktober daher bundesweit ein Bemühen um Zusammenarbeit ungeachtet der bisherigen ideologischen, strategischen und persönlichen Differenzen zu beobachten. Dabei ist es der NPD stärker als der DVU gelungen, den Wahlerfolg zu nutzen. Die Annäherung der NPD an die "Freien Nationalisten" war bereits vor der sächsischen Landtagswahl im September zu verschiedenen Anlässen zu beobachten. Die "Republikaner" (REP), die sich einer Kooperation mit der NPD und der DVU bislang verweigern, sehen sich mit einer rapide steigenden Zahl von Parteiaustritten konfrontiert und stehen vor einer Zerreißprobe.9 Demgegenüber spielt der diskursorientierte Rechtsextremismus Diskursorientierter in Berlin eine untergeordnete Rolle. Öffentlichkeitswirksame Rechtsextremismus Aktionen waren aus diesem Bereich im vergangenen Jahr kaum zu verzeichnen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die führenden Köpfe des "Deutschen Kolleg" (DK), Horst Mahler, Reinhold Oberlercher und Uwe Meenen, seit April vor dem Berliner Landgericht wegen Volksverhetzung10 angeklagt waren. Bei diesem Prozess kam es zur Spaltung des DK. Hintergrund waren Streitigkeiten über die zunehmende Radikalisierung des von Mahler initiierten, aus dem DK hervorgegangenen "Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV).11 9 Vgl. S. 61. 10 SS 130 StGB. 11 Vgl. S. 67. 18 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 1.2 Aktionsorientierter Rechtsextremismus 1.2.1 Anhaltende Dynamik im Netzwerk "Kameradschaften" Die im Jahr 2003 zu beobachtende dynamische Entwicklung des Berliner Kameradschaftsnetzwerks (= Kameradschaften) setzte sich auch im Jahr 2004 fort.12 Dies äußerte sich durch Gründung neuer die Gründung einiger neuer Kameradschaften und den Versuch Kameradschaften der Abstimmung der politischen Arbeit. Nach mehrjähriger Stagnation traten die Kameradschaften in den letzten beiden Jahren wieder vermehrt durch eigenständige und öffentlichkeitswirksame Aktionen in Erscheinung. Die Kameradschaftsführer wandten dabei eine Doppelstrategie an: Einerseits Doppelstrategie setzten sie auf erlebnisorientierte, jugendtypische Aktionsformen und ein verändertes Erscheinungsbild, um eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz zu gewinnen. Dieses Vorgehen führte zu einer szeneinternen Diskussion zwischen Vertretern eines "modernen" und eines "traditionellen" Nationalsozialismus. Andererseits nahm die Konfrontation mit den politischen Gegnern als Ausdruck der Gewaltbereitschaft der Aktivisten weiter zu. Neugründungen und Koordinierungsbemühungen Unter den Bedingungen dieser Doppelstrategie gründeten sich im Jahr 2004 vier neue Kameradschaften in Berlin. Gleichzeitig traten aufgrund der insgesamt hohen Fluktuation einige in der Vergangenheit aktive Kameradschaften öffentlich nicht mehr in Erscheinung oder lösten sich auf. Die bestimmende Rolle hatten die am 9. März 2005 verbotenen "Kameradschaft Tor Berlin" (KS Tor) und die "Berliner Alternative Süd-Ost" (BASO) inne. Beide bemühten sich 2004 um öffentlichkeitswirksame Aktionen. Die KS Tor trat in erster Linie durch ihre "Anti-Antifa"Arbeit (=), durch verschiedene Propagandaaktionen z. B. anlässlich der "Rudolf-Heß-Aktionswoche" sowie durch ihre Teilnahme an zahlreichen rechtsextremistischen Demonstrationen auch außerhalb Berlins in Erscheinung. Die BASO war hauptsächlich im Bezirk Treptow-Köpenick aktiv, wo sie einige 12 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004, S. 37 - 43. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 19 Versammlungen mit regionaler und kommunalpolitischer Thematik durchführte. Aktivisten der BASO verfolgten aber auch eine Strategie der "Wortergreifung", d. h. sie nahmen an Veranstaltungen demokratischer Parteien teil, um diese durch eigene Propagandabeiträge zu rechtsextremistischen Werbeveranstaltungen umzufunktionieren, was jedoch nicht gelang. Mit Ausnahme der KS Tor und der BASO entstanden alle aktiven Berliner Kameradschaften erst im Jahr 2004. Im Oktober gab einer der einflussreichsten Personenzusammenschlüsse im aktionsorientierten Rechtsextremismus Brandenburgs, der Ableger des MHS in "Märkische Heimatschutz" (MHS)13, die Gründung einer "SekBerlin gegründet tion Berlin" bekannt.14 Damit kam es ausnahmsweise zur überregionalen Ausdehnung einer rechtsextremistischen Kameradschaft. Der MHS und Angehörige des Berliner Netzwerks Kameradschaften waren allerdings bereits zuvor häufig gemeinsam sowohl in Berlin als auch in Brandenburg aktiv gewesen. Durch die Gründung der Berliner MHS-Sektion sollte nunmehr die Abstimmung untereinander verbessert werden, ohne dass dies 2004 zu nennenswerten Aktivitäten führte. Im Laufe des Jahres wurden die "Berliner Nationale Jugend" (BNJ), die "Nationalen Aktivisten Prenzlauer Berg" (NAPB) soWeitere Neugründungen wie die "Vereinten Nationalisten Nordost" (VNNO) bekannt. Die in Berlin BNJ gründete sich spätestens im Sommer. Sie konnte innerhalb des Netzwerks Kameradschaften nur wenig Einfluss gewinnen und blieb bislang weitgehend inaktiv. Der anspruchsvolle Name will eine ganz Berlin umfassende Sammlungsbewegung rechtsextremistischer Jugendlicher und junger Erwachsener suggerieren. Die BNJ besteht derzeit jedoch nur aus einigen wenigen Mitgliedern. 13 Der MHS wurde im November 2001 in der Uckermark gegründet und umfasst derzeit etwa 40, zumeist junge Mitglieder, die sich auf verschiedene Brandenburger "Sektionen" verteilen. Der MHS ist der mitgliederstärkste aktionsorientierte Personenzusammenschluss in Brandenburg. Er tritt vor allem durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten in Erscheinung. Dazu gehören die Organisation von und die Teilnahme an rechtsextremistischen Demonstrationen sowie die Verteilung von Flugblättern. Da sich der MHS um ein positives Image bemüht, strebt er ein gewaltfreies Auftreten seiner Mitglieder in der Öffentlichkeit an. Vgl. Ministerium des Innern Brandenburg: Verfassungsschutzbericht 2003. Potsdam 2004, S. 92 - 96. 14 Vgl. Pressemitteilung "MHS gründet Sektion Berlin". Internetauftritt "Berliner Infoportal", datiert 11.10.2004. 20 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Die Bezeichnung "Nationale Aktivisten Prenzlauer Berg" wurde erstmals Ende Juli über das Internet bekannt. Bisher sind keine eigenständig organisierten Veranstaltungen der NAPB zu verzeichnen. Die NAPB verfügen über eine Homepage, auf der bislang im Wesentlichen über die Teilnahme an Veranstaltungen berichtet wurde. Mehrere Einträge weisen auf die Fremdenfeindlichkeit der Kameradschaftsaktivisten hin. In Berichten über die Verbreitung von Plakaten und Flugblättern wird Rudolf Heß als Opfer dargestellt und der Nationalsozialismus verherrlicht.15 Ein auf der Homepage der NAPB eingestelltes Bild eines Demo-Transparents16 zeigt die Feindschaft der NAPB gegenüber dem demokratischen Verfassungsstaat: Die "Vereinten Nationalisten Nordost" traten seit Juni in Erscheinung. Sie sind der Versuch, die personellen Verbindungen zwischen der NPD und dem Kameradschaftsnetzwerk zu stärken. Sie machten durch die umfangreiche Verteilung von Aufklebern und Plakaten mit rechtsextremistischen Inhalten im Raum Pankow auf sich aufmerksam. Die Aggressivität und Fremdenfeindlichkeit der VNNO sowie der regionale Bezug wurden durch Parolen wie "Deutsche, kauft bei Deutschen! Nationale Solidarität gegen Überfremdung!", "Pankow bleibt 15 Vgl. u. a. Demobericht. Internetauftritt der NAPB, datiert 25.8.2004. 16 Aufnahme eines Transparents, das NAPB-Mitglieder am 27.11.2004 während einer Demonstration in Duisburg (NRW) mitführten. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 21 deutsch! Heimat ist mehr als nur ein Wohnort!" und "National befreite Zone! Hier herrscht Recht und Ordnung!" deutlich. Die neugegründeten Kameradschaften gaben sich z. T. hochtrabende Namen, wodurch eine organisatorische Verfestigung, eine Mitgliederstärke und ein politischer Anspruch vorgetäuscht werden sollten, die zumeist nicht existierten. Erhofft wurde, durch klangvolle Namenszusätze eine größere Reichweite zu erzielen und die eigene Stellung im rechtsextremistischen Lager aufzuwerten. Aufgrund der geringen Mitgliederzahlen werden jedoch nicht die Personenzusammenschlüsse, sondern die einzelnen Führungsaktivisten zum bestimmenden Faktor der Entwicklung. Von ihrer Einsatzbereitschaft hängt die Aktionsfähigkeit des gesamten Netzwerks ab. Neben den Neugründungen kam es erneut zu KooperationsKooperationsbemühungen, um über die regionalen Bezüge der so genannbemühungen ten "Freien Kräfte" hinaus die Aktionsfähigkeit des Kameradzwischen den Kameradschaften schaftsnetzwerks zu erhöhen. So wurde bereits 2003 unter dem Namen "Nationales und soziales Aktionsbündnis Mitteldeutschland" (NSAM) ein überregionales Forum ins Leben gerufen. Ziel des NSAM ist es, das Vorgehen der neonazistischen unabhängigen Kameradschaften in den ostdeutschen Ländern zu koordinieren und die Schwerpunkte in der politischen Arbeit abzustimmen. Seit etwa Anfang 2004 agitierte das NSAM gegen den vermeintlichen Sozialabbau durch die "Agenda 2010" der Bundesregierung. Das NSAM betrieb dazu eine Propaganda eigene Kampagnenseite im Internet und führte einige Demonstrationen sowie Infostände durch.17 Zur NSAM-Kampagne gehörte auch die Herausgabe von Propagandamaterial. So wurde eine erste Ausgabe des "Berliner Boten - Unabhängiges Mitteilungsblatt für Berlin" datiert auf April/Mai 2004 im Internet veröffentlicht und in Berlin verteilt.18 Der "Berliner Bote" kann als Schwesterblatt des bereits bekannten "Märkischen Boten" 17 In Berlin sollte am 9.10.2004 ein Aufzug mit dem Titel "Nein zur Agenda 2010. Ein neues System bietet neue Möglichkeiten" stattfinden. Die Kundgebung fiel jedoch aus. 18 Nach eigenen Angaben soll die Auflage des "Berliner Boten" bei 5 000 Exemplaren gelegen haben, von denen allerdings nur ein geringer Teil verteilt worden sein dürfte. 22 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 des MHS sowie des "Inselboten" aus Mecklenburg-Vorpommern angesehen werden. Der "Berliner Bote" beschäftigte sich vor allem mit regionalen Themen. Einzelne Beiträge enthalten eine positive Bewertung des Nationalsozialismus und fremdenfeindliche Agitation. So wird die Diskussion um die Einführung eines neuen Sirenensignals bei der Polizei wie folgt kommentiert: "Vielleicht verstehen die Fremden unsere Polizei einfach nicht und deswegen ist ein überwiegender Teil dieser 'ausländischen Mitbürger' kriminell. (...) Und da bekanntlich alles, was in der Zeit von 1933 bis 1945 gut und richtig war, heute falsch und schlecht ist, hat man sich vielleicht für das 19 neue Signal entschieden?" Um eine gemeinsame virtuelle Kommunikationsbasis der aktionsorientierten Berliner Rechtsextremisten bemühte sich weiterhin auch das "Aktionsbüro Mitteldeutschland / Nationaler Widerstand Berlin-Brandenburg" (AMD/NWBB). Neu hinzugekommen ist im Mai das Internet-Projekt "Berliner Infoportal", das Internet-Projekte eine hohe Aktualität und Interaktivität ausweist. Dies wird durch den Charakter einer Informationsplattform erreicht, auf der Szeneangehörige ihre Aktionsberichte platzieren und verbreiten können. Der Bedeutungsgewinn des "Info-Portals" zeigt sich derzeit an der im Vergleich zum AMD/NWBB deutlich höheren Zahl der Zugriffe. Erlebnisorientierung und verändertes Erscheinungsbild Die Doppelstrategie der meisten Kameradschaftsführer - einerseits mit erlebnisorientierten Aktionsformen und einem veränderten Erscheinungsbild um gesellschaftliche Akzeptanz zu werben, gleichzeitig jedoch mit zunehmender Gewaltbereitschaft die bewusste Konfrontation mit dem politischen Gegner zu suchen - bedeutet einen Spagat, der auch zu Spannungen innerhalb des Kameradschaftsnetzwerks führt. Die Hinwendung zu erlebnisorientierten Veranstaltungsangeboten und einem äußerlich veränderten Erscheinungsbild hängt unter anderem mit dem im Durchschnitt niedrigen Lebensalter der Angehörigen der Kameradschaften sowie ihrer Scheu vor Verpflichtungen und kontinuierlicher politischer Arbeit zusam19 "Tatütata...!" In: Berliner Bote Nr.1, April/Mai 2004, S.2. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 23 men. Aufsehenerregende Aktionsformen mit Erlebnischarakter scheinen insbesondere für die Zielgruppe der ideologisch weniger gefestigten Jugendlichen attraktiv zu sein. Bislang bekannte rechtsextremistische Aktivitäten wie Schulungen, Verteilen von Flugblättern und Mahnwachen wurden zwar aufrecht erhalten, spielten jedoch eine untergeordnete Rolle. Da sich einige Kameradschaften als "geschlossene" Gemeinschaften definieren, legen sie es derzeit offenbar stärker darauf an, die Mobilisierungsfähigkeit zu einzelnen Anlässen zu erhöhen, als direkte Mitglieder zu rekrutieren. Dies zeigt sich an der im Durchschnitt gestiegenen Zahl der Demonstrationsteilnehmer in Berlin. Zusätzlich wurden politisch-ideologische Inhalte oft nicht mehr direkt, sondern in taktisch verfremdeter Aufmachung präsentiert, etwa unter dem Deckmantel von Alltagsoder Lokalthemen. Dieses Auftreten soll Jugendliche anpolitisieren und der gesellschaftlichen Stigmatisierung als Rechtsextremisten entgegenwirken. Zu diesem Zweck wurden auch Aktionsformen der linksexÜbernahme tremistischen Szene übernommen. Der Trend ging von der linksextremistischer Aktionsformen KS Tor aus und wurde zunehmend auch von Aktivisten anderer Kameradschaften praktiziert. So waren bei den rechtsextremistischen Demonstrationen am 6. Dezember 200320 und 10. Januar 200421 in Berlin erstmals in Ansätzen "Schwarze Blöcke" zu beobachten. Diese Aktionsform stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl, dient der Provokation des politischen Gegners und signalisiert Abwehrbereitschaft. Anlässlich der 1. Mai-Demonstration in Berlin wurde diese Strategie auf einer eigens freigeschalteten Homepage erörtert und in verschiedenen Internetforen kontrovers diskutiert. Zwar wurde betont, es gehe nicht darum "unerkannt zu randalieren", in den Diskussionsbeiträgen wurde jedoch auch die Bereitschaft zur Militanz zum Ausdruck gebracht: "BB (Anm. Black Block) ist nur die Bereitschaft Widerstand zu leisten. Wenn die Bullen sich nichts rausnehmen und die Demo normal ablaufen lassen ist doch alles in Ordnung, 20 Demonstration in Rudow mit 70 Teilnehmern unter dem Motto "Freiräume schaffen - nationale Zentren erkämpfen". 21 Demonstration in Lichtenberg mit 50 Teilnehmern unter dem Motto "Weg mit dem Landser-Urteil. Musik ist nicht kriminell". 24 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 wenn aber ein Machobulle meint, nen Kameraden schlagen zu müssen oder Leute wegen Kleinigkeiten festnehmen zu lassen, müssen wir daraus halt Konsequenzen ziehen."22 Am 24. und 25. Juli gab es auch symbolische Hausbesetzungen: Leerstehende Häuser in verschiedenen Bezirken, u. a. eine Ruine in Lichtenberg, wurden kurzzeitig betreten, um dort Transparente anzubringen. Im Anschluss wurde die Aktion auf einer Kampagnenseite im Internet beschrieben, auf der etwa die KS Tor und die BASO als Unterstützer genannt wurden. Demnach war auf einem Transparent die Parole "Nationale Zentren erkämpfen" zu lesen. Eine weitere neuartige Veranstaltungsform wurde auf der Demonstration am 20. November unter dem Motto "Dem linken Terror offen entgegentreten" in Berlin erprobt. Auf der vor allem von der BASO getragenen Kundgebung mit ca. 160 Teilnehmern spielten die Veranstalter mit linksextremistischen Provokation Codes. Sie wandten sich mit bewussten Provokationen direkt der Gegenan die Gegendemonstranten, indem sie ein Transparent mit der demonstranten Aufschrift "Wir gedenken Silvio Meier"23 zeigten sowie die Parolen "Eure Argumente sind Terror und Gewalt" und "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen" skandierten. Neben rechtsextremistischer Musik spielten sie erstmals in größerem Umfang auch populäre bei Jugendlichen beliebte Chartmusik. Es wurde aber auch die verfassungsfeindliche Einstellung deutlich, so z. B. an dem Transparent: 22 Forumsbeitrag. Internetauftritt des "Freien Widerstands", Aufruf am April 2004. 23 Der aus der linken Berliner Hausbesetzer-Szene stammende Silvio Meier wurde am 21.11.1992 bei einer Auseinandersetzung von einem Rechtsextremisten erstochen. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 25 Den gleichen strategischen Ansatz verfolgte die BASO mit der Demonstration am 4. Dezember, bei der unter dem Motto "Freiräume erschaffen - Nationale Zentren erkämpfen" 250 Personen durch den Bezirk Treptow-Köpenick zogen. Stark verändert hat sich auch das äußere Erscheinungsbild der Verändertes Outfit einzelnen Kameradschaftsaktivisten bei ihren öffentlichen Auftritten, indem sie Elemente der linksextremistischen Szene kopieren, wie z. B. anlässlich verschiedener Demonstrationen den so genannten "schwarzen Block". Ferner trugen Rechtsextremisten so genannte Palästinenser-Tücher und T-Shirts mit dem Konterfei Che Guervaras. Gleiches galt auch für die Gestaltung von Demonstrations-Transparenten und bei der Formulierung von Parolen. Die inhaltliche Betonung lag vielfach auf der Zielvorstellung eines "nationalen Sozialismus". Es wurden kapitalismuskritische Positionen propagiert oder jugendund sozialpolitische Forderungen erhoben. Neonazistische Reizwörter wurden vermieden, auf Transparenten wurden Piktogramme und Ausdrücke in englischer Sprache verwandt. Dahinter verbirgt sich die Absicht, den rechtsextremistischen Gehalt der Positionen zu verschleiern, um spontane Abwehrreaktionen zu vermeiden und anschlussfähig zu wirken. Dieses Vorgehen - insbesondere im Verlauf der Demonstration am 20. November - löste eine rege Diskussion innerhalb der Unterschiedliche rechtsextremistischen Szene über den Zwiespalt zwischen Akzeptanz in der einem "modernen" oder einem "traditionellen" Selbstverständnis Szene als Nationalsozialist aus. Den Anstoß gab der Betreiber des "Aktionsbüros Mitteldeutschland / Nationaler Widerstand BerlinBrandenburg" (AMD/NWBB) mit seiner Kritik an dem Veranstalter in einem Internetforum: "Irgendwelche Hip-Hop Klänge [...] haben auf einer nationalen Demonstration nichts verloren. Nicht nur das solches Geseiere nichts mit unserer Art zu tun hat, ja ihr vollkommen fremd ist, nein es widerspricht auch unserem politischen Wollen, welches sich gegen die, von den Henkern Deutschlands gewollte sog. , richtet."24 Andere Forumsnutzer sahen in der Strategie der Übernahme linker Symbolik und der Anlehnung an den gesellschaftlichen Mainstream eine Modernisierung ihrer propagandistischen 24 Forumsbeitrag. Internetauftritt "Freier Widerstand", Aufruf im Dezember 2004. 26 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Methodik. Die Konfliktlinie verlief entlang der Fragestellung: "Wollen wir in die Breite wachsen oder wollen wir einen monolithischen Stil kultivieren?"25 Das neue, strategisch motivierte Vorgehen bringt zwar steigende Teilnehmerzahlen bei verschiedenen Demonstrationen, könnte jedoch bundesweit zu einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse der "Freien Nationalisten" untereinander, wenn nicht sogar zu einer ideologischen Spaltung der Neonaziszene führen. Der Streitpunkt wird dabei sein, inwieweit eine politische Strategie um der öffentlichen Aufmerksamkeit willen angewandt werden kann, wenn sie dem eigenen Weltbild zuwider läuft. Letztlich könnte diese Diskussion auch der Ausdruck eines sich anbahnenden Generationenkonfliktes sein. Trotz ihres strategisch motivierten Vorgehens und der dadurch Unveränderte neonazistische möglichen größeren Mobilisierung richtet sich die Mehrheit der Grundhaltung Angehörigen des Kameradschaftsnetzwerks weiterhin am historischen Nationalsozialismus aus. Die neonazistische Grundhaltung zeigt sich in ihrer Ablehnung der Grundwerte des demokratischen Rechtsstaats und seiner Institutionen, in antisemitischer Agitation und in der Verherrlichung von NS-Führern wie Rudolf Heß und Horst Wessel. So demonstrierten Aktivisten der KS Tor, der BASO und des MHS (Brandenburg) ihre Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und des staatlichen Gewaltmonopols mit einem Transparent "Polizei und Demokratie - unsere Ketten sprengt ihr nie". Anlass war der "Tag der offenen Tür der Berliner Polizei" am 16. Mai im Bezirk Spandau. Antisemitismus Die antisemitische Stossrichtung des Kameradschaftsnetzwerks manifestierte sich bei einer geplanten Propagandaaktion am 12. Juli während des Richtfests am Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin-Mitte. Mehrere Kameradschaftsaktivisten hatten versucht, den Ablauf zu stören, wurden jedoch bis zum Ende der Veranstaltung in polizeilichen Gewahrsam genommen. Im Nachgang meldete einer der Störer eine Eilversammlung auf dem Alexanderplatz an. Bei dieser Kundgebung "Gegen die Polizeiwillkür am Holocaust-Mahnmal" wurden Transparente der Berliner Kameradschaften sowie der NPD und des (MHS) gezeigt: 25 Ebenda. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 27 Am 25. August veranstalteten ca. 60 Kameradschaftsaktivisten Rudolf-Heßeine Mahnwache zum Gedenken an den NS-Funktionär Rudolf Veranstaltung Heß vor der Britischen Botschaft. Sie präsentierten Transparente und verteilten Flugblätter. In dem Flugblatt heißt es unter der Überschrift "Mord!" u. a. "Standhaft bis zu seinem Tod. Rudolf Hess." Nach der Veranstaltung bewegte sich die Gruppe auf das Brandenburger Tor zu, formierte sich kurz davor in Dreierreihen und durchschritt es. Diese Aktion wurde unter Rechtsextremisten als großer Erfolg gefeiert. Konfrontation und Gewaltbereitschaft Das Bemühen um gesellschaftliche Akzeptanz stand auch im Widerspruch zum konfrontativen Verhalten gegenüber dem politischen Gegner und der Gewaltbereitschaft eines Teils der Szeneangehörigen. Zahlreiche Kameradschaftsaktivisten suchten die verbale oder sogar körperliche Auseinandersetzung. Waren in den letzten Jahren noch diejenigen innerhalb des Kameradschaftsnetzwerks in der Mehrzahl, die Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ablehnten, bestimmten nun gewaltbereite Neonazis das Handeln. Sie nahmen Angriffe von Linksextremisten zum Anlass, eigene Gewaltanwendung zu legitimieren. Gewalt-bejahende Äußerungen nahmen dadurch im vergangenen Jahr zu. Oft blieb es zwar bei Gewaltrhetorik, der Imponiergehabe und Geltungsdrang zu Grunde liegen. Doch auch die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen 28 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 der rechtsextremistischen und linksextremistischen Szene stiegen im vergangenen Jahr.26 Einige "Anti-Antifa"-Aktivisten schreckten auch vor tatsächlicher Gewaltanwendung gegen selbst definierte politische Gegner nicht zurück: * So wurde am 5. Dezember ein PDS-Bezirksverordneter an einer Bahnhaltestelle in Treptow-Köpenick angegriffen. Laut Aussage des Geschädigten wurde er von Rechtsextremisten zunächst angepöbelt und verfolgt; später griffen ihn diese erneut körperlich an. Dabei wurde dem PDSPolitiker der Fuß gebrochen. * Am 14. Februar traten und schlugen zwei Angehörige des Netzwerks Kameradschaften auf zwei Punker ein und drohten ihnen, sie bei nochmaligem Wiedersehen zu erschießen. * Am 28. August sprühten Angehörige des Kameradschaftsnetzwerks einem "Linken" Tränengas ins Gesicht, als dieser sie nach dem Weg zu einer Demonstration fragen wollte. Oftmals wirkt allerdings die zahlenmäßige Überlegenheit der politischen Gegner hemmend. In der gegnerorientierten "Anti-Antifa"-Arbeit (=) waren eine Datensammlungen der Gegner Professionalisierung und Ansätze einer bundesweiten Organisierung beim Sammeln, Verwalten und Archivieren der personenbezogenen Daten zu beobachten. In diesem Agitationsfeld waren vor allem die "Autonomen Nationalisten Berlin" (= ANB) als kameradschaftsübergreifendes, anlassbezogenes Projekt weiterhin aktiv. Mit Drohungen gegen namentlich genannte politische Gegner beabsichtigen sie, ein Klima der Einschüchterung und der Angst zu erzeugen. In gleicher Weise agiert seit September ein "Anti-AntifaBundesweites Netzwerk Network" (= AAN), ein erstmals bundesweites Netzwerk von "Anti-Antifa"-Aktivisten, um politische Gegner zu bekämpfen. Die AAN ist in sechs verschiedene regionale Sektionen unter26 Fallzahlen für PMK-Rechts 2004: 38 Straftaten gegenüber 2003: 30 Straftaten. Vgl. S. 72, 100. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 29 gliedert, darunter die "Sektion Berlin". Auf einer Homepage im Internet veröffentlicht das AAN personenbezogene Daten von politischen Gegnern in Form von "Schwarzen Listen". In den Rubriken "Alternative Objekte" und "Personen Index" der "Sektion Berlin" sind die Adressen von Einrichtungen, Gruppenund Personen eingestellt - letztere teilweise mit Fotos. Zu gewaltKonfrontation bei tätigem Verhalten kam es am 8. Mai bei einer GedenkverDemonstrationen anstaltung des "Bundes der Antifaschisten Treptow e. V." am sowjetischen Ehrenmal in Treptow, die durch Mitglieder des Netzwerks Kameradschaften gestört wurde. Etwa 20 teilweise vermummte Aktivisten, darunter Mitglieder der Kameradschaften "Tor Berlin" und "Berliner Alternative Süd-Ost" versuchten an den Veranstaltungsort zu gelangen und mittels themenbezogener Transparente und Trillerpfeifen den Ablauf zu stören. Beim Einschreiten der Polizei kam es seitens der Rechtsextremisten zu gewaltsamen Widerstandshandlungen. Das neue Selbstbewusstsein der Kameradschaften in der Auseinandersetzung mit ihren Gegnern zeigte sich exemplarisch an der Provokation, den traditionellen "Silvio-MeierAufzug" der linksextremistischen Szene durch den Bezirk Lichtenberg in seiner ursprünglichen Form zu verhindern. Rechtsextremisten hatten die geplante Wegstrecke des "SilvioMeier-Aufzugs" in Erfahrung gebracht und diese durch die frühzeitige Anmeldung einer eigenen Demonstration blockiert. So fand dort am 20. November unter dem Motto "Dem linken Terror offen entgegentreten" eine vor allem von der BASO getragene Kundgebung mit ca. 160 Teilnehmern statt. Linksextremisten versuchten zwar, nach Beendigung ihrer Demonstration zum Sammelplatz der rechtsextremistischen Veranstaltung zu gelangen, doch dies konnte von der Polizei verhindert werden. Vor dem Hintergrund der bewussten Konfrontation und der Perspektive gestiegenen Gewaltbereitschaft ist zu erwarten, dass die Auseinandersetzungen zwischen Teilen der rechtsund der links- 30 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 extremistischen Szene in Berlin sowohl qualitativ als auch quantitativ weiter zunehmen. 1.2.2 Verfolgungsdruck hemmt Entfaltung des Netzwerks "Rechtsextremistische Musik" Das Berliner Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" (=) stand Anhaltend hoher Verfolgungsdruck unter anhaltend hohem Verfolgungsdruck der Berliner Sicherheitsbehörden: Gefahrenabwehrende und strafverfolgende Maßnahmen wie die Auflösung rechtsextremistischer Veranstaltungen, die Indizierung rechtsextremistischer Tonträger und Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern rechtsextremistischer Bands zwangen die unvermindert aktive Musikszene, nach Ausweichstrategien zu suchen. So war im vergangenen Jahr zu Ausweichstrategien beobachten, dass die Berliner Bandprojekte weiterhin kooperierten und verstärkt strafrechtlich nicht relevante Tonträger produzierten. Ein "Bandprojekt" ist ein Personenzusammenschluss, der nicht nur die Bandmitglieder erfasst, sondern auch die Personen, die für das Management, die Produktion und den Vertrieb der Tonträger zuständig sind. Der Handlungsspielraum der Akteure des Musiknetzwerks konnte durch die enge Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei erfolgreich eingeschränkt werden. Eine zentrale Rolle spielte weiterhin der Sänger der ehemaligen Berliner Band "Landser" (= Rechtsextremistische Musik). Er ist die dominierende Figur des rechtsextremistischen Musiknetzwerks in Berlin. Auflösung der Jahresfeiern der "Vandalen" und der "Hammerskins" Wie schon in den Vorjahren wurden auch 2004 die symbolträchtigen und identitätsstiftenden Jahresfeiern der "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft" (=) und der "Hammerskins" (=) von der Polizei aufgelöst. Diese Termine gehören zum festen Bestandteil des Veranstaltungskalenders und sind von überregionaler Bedeutung für die rechtsextremistische Musikszene. Die Jahresfeier der "Vandalen" fand am 21. August in einem Lokal im Bezirk Lichtenberg statt. Die "Vandalen" nehmen derzeit eine dominierende Stellung ein, wie sie zuvor die im Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 31 Jahr 2000 verbotene Vereinigung "Blood & Honour" (= B&H) inne hatte. Der Anführer der "Vandalen" war zugleich Kopf der Band "Landser". Die Teilnahme an der Feier ist einem ausgewählten Personenkreis vorbehalten. Bei der Auflösung der Veranstaltung bestätigten sich erneut die weitreichenden Kontakte der Gruppe: Anwesend waren zahlreiche Angehörige des rechtsextremistischen Musiknetzwerks, darunter Mitglieder der Band "Spreegeschwader" (= Rechtsextremistische Musik), der neonazistischen Gruppe "Lichtenberg 35", ein Mitglied der "Kameradschaft Nordland"27 sowie ehemalige B&H-Aktivisten und Szeneangehörige aus dem übrigen Bundesgebiet. Insgesamt wurden 88 Personen festgestellt. Ebenfalls aufgelöst wurde die zehnte Jahresfeier der Berliner "Hammerskins", die am 6. November in einem Lokal in Friedrichshain stattfand. Zu Beginn des Einsatzes traten die Teilnehmer den Polizeibeamten aggressiv gegenüber. Die relativ hohe Teilnehmerzahl zeigte, dass die "Hammerskins", obwohl sie in Berlin nicht zu den Hauptakteuren des Musiknetzwerks gehören, über internationale Kontakte verfügen. Die Polizei stellte 97 Personen fest; davon stammten 62 aus Berlin, unter ihnen zahlreiche Angehörige des Netzwerks Rechtsextremistische Musik (u. a. Mitglieder der "Vandalen"), zwei Mitglieder der NPD und ein Angehöriger des Kameradschaftsnetzwerks. Weitere Teilnehmer kamen aus dem Bundesgebiet, der Schweiz und Portugal. Ausreiseuntersagung, Konzertauflösung und Indizierungen Mit Ausnahme einer Musikveranstaltung im Juni, die erst im Verhinderung von Verlauf aufgelöst wurde, konnte auch im Jahr 2004 in Berlin Konzerten kein rechtsextremistisches Konzert durchgeführt werden, was die Angehörigen des Musiknetzwerks zur Mobilität zwang. So sollte im Januar ein rechtsextremistisches Konzert in Flandern (Belgien) stattfinden. Für dieses Konzert war auch die Ausreiserechtsextremistische Berliner Band "Spreegeschwader" angeuntersagungen kündigt. Die Ausreise der Musiker wurde jedoch durch passgegen beschränkende Maßnahmen des Landeseinwohneramts Berlin "Spreegeschwader" verhindert, so dass der geplante Auftritt nicht erfolgen konnte. 27 Vgl. S. 34. 32 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Die Ausreiseuntersagung gründete sich auf die Annahme, dass im Verlauf des Konzerts - wie schon zuvor bei anderen Auftritten der Band - Straftaten zu erwarten seien, ein Verhalten, das das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland erheblich schädigt. Dies war bereits die dritte Maßnahme dieser Art gegen "Spreegeschwader". Darüber hinaus hat sich unter dem Eindruck der KonzertKombination: Parteiveranstaltungen und auflösungen der letzten Jahre bundesweit der Trend zur VerMusikauftritte bindung von politischen Veranstaltungen mit musikalischen Beiträgen fortgesetzt. Während sich die Bands auf diese Weise unter Ausnutzung des Versammlungsrechts ungestörte Auftritte erhoffen, versuchen die Veranstalter, durch die Musik politisch weniger interessierte, erlebnisorientierte Teilnehmer zu erreichen. Diese Form der Mischveranstaltung hat sich für Organisatoren und Bands bewährt, so anlässlich des "DSPressefestes"28 der NPD im August in Mücka (Sachsen). Dort traten vor mehreren Tausend Gästen die Bands "Kraftschlag" und "Radikahl" aus Deutschland und "Youngland" aus England auf.29 Bisweilen führte die Vermengung der Programmpunkte aber auch zur Auflösung der gesamten Veranstaltung, wenn es im Verlauf der Musikdarbietungen zu strafbaren Handlungen kam. Dies geschah im Juni auf einem Firmengelände in Lichtenberg. Im Anschluss an eine Vortragsveranstaltung des NPD-Landesverbands fand ein Konzert mit ca. 60 Teilnehmern statt, bei dem die Bands "Spreegeschwader" und "Die Lunikoff-Verschwörung"30 auftraten. Das Konzert wurde von der Polizei aufgelöst, es wurden vier Ermittlungsverfahren u. a. wegen des Verstoßes gegen SS 86 a StGB eingeleitet. Ein weiteres Instrument der Einschränkung der AktionsmöglichIndizierung keiten von Herstellern und Vertreibern rechtsextremistischer Musik ist die Indizierung jugendgefährdender Tonträger durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM). So kann die Verbreitung von rechtsextremistischer, nicht straf28 Die "Deutsche Stimme" (DS) ist die überregionale monatliche Publikation der NPD. 29 Vgl. S. 54 f. 30 Vgl. S. 36. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 33 rechtsrelevanter Musik insbesondere über den Internet-Versandhandel unterbunden werden. Im Jahr 2004 wurden fünf Tonträger von Berliner Bands indiziert: Im Mai wurde die CD mit "Spreegeschwader" dem Titel "Live 2002" der Band "Spreegeschwader" indiziert.31 Im Oktober wurde die CD "Gefangen im System" von "Spreegeschwader" aus dem Jahr 2003 auf den Index gesetzt.32 Als Begründung gab die Bundesprüfstelle an, die CD "Gefangen im System" enthalte Versatzstücke der im Nationalsozialismus propagierten Rassenlehre wie die "Reinheit des Blutes". In dem gleichnamigen Titel "Gefangen im System" heißt es: "Bekämpft den wahren Feind, er ist ja wohl bekannt. Kämpft für euer Blut, eures Volkes Fortbestand. Vernichtet diesen Virus, der unser Volk befiel. Die Reinheit zu bewahren, das ist unser Ziel." Darüber hinaus wirken einige Textpassagen auf dem Tonträger verrohend und regen zu Gewalttätigkeiten an. In dem Lied "Am Ende steht der Sieg" wird zum Kampf gegen den demokratischen Verfassungsstaat aufgerufen: "Sie hetzen gegen uns, verhöhnen unsere Ahnen. Doch wir kämpfen weiter bis wir siegen. Denn steht es geschrieben. Sei wahr, sei stark, sei bewußt deines Blutes, sei Feind deiner Feinde und stolz deines Mutes. Wir geben niemals auf. Die Zukunft nimmt ihren Lauf. Mit dem System stehen wir im Krieg und am Ende steht der Sieg [...]" Ebenfalls indiziert wurde im Oktober auf Initiative des Berliner "Legion of Thor" Verfassungsschutzes das aktuelle Album der Berliner Band "Legion of Thor" (LoT / = Rechtsextremistische Musikszene) mit dem Titel "The 4th Crusade".33 Auch hier finden sich rassistische Textpassagen, so in dem Titel "Berlin": 31 Vgl. BAnz. Nr. 100, 29.5.2004. 32 Vgl. BAnz. Nr. 207, 30.10.2004. 33 Vgl. ebenda. 34 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 "Oh, Mann, mich kotzt es an, wenn ich das hier seh. Diese Massen von Dreck in Berlin, wenn ich durch die Straßen geh. Deutsche Kultur ist nicht mehr vorhanden, Parasiten machen sich in dir breit. Nur noch Dönerstände und Mafiabanden, Berlin, wo ist deine Herrlichkeit? Deine Stunde schlägt, Berlin wach auf. Nimm dieses Schicksal nicht länger in Kauf! Reichshauptstadt du stehst fürs ganze Land! Und hast deine Zukunft selbst in der Hand!" [...] Ganze Stadtbezirke voll von fremden Kulturen. Schutzgelderpressung liegt im Trend der Zeit. Dealer, Mörder, Erpresser und Huren, verdammt Berlin, das geht zu weit!" Zudem wurden im November die CD "Rassenschande" von "Deutsch Stolz Treue" (D.S.T.)34 - die auch einen strafrechtsrelevanten Musiktitel enthält - sowie im März die CD "Schwarzer Orden"35 der Berliner Band "Macht & Ehre" auf den Index der BPjM gesetzt. Polizeiliche Maßnahmen gegen "Spreegeschwader" und "D.S.T." sowie die "Kameradschaft Nordland" Am 14. Dezember durchsuchte die Polizei wegen UrheberDurchsuchungen rechtsverstößen36 die Wohn-, Geschäftsund Proberäume von Mitgliedern der rechtsextremistischen Bands "Spreegeschwader" und "D.S.T." in Berlin und Brandenburg sowie eines Tonträgervertriebs in Sachsen-Anhalt. Dabei wurden in einem Szeneladen in Hennigsdorf (Brandenburg) ca. 1 700 Exemplare der CD "Hier tobt der Bär"37 beschlagnahmt. Auf diesem Sampler befinden sich drei urheberrechtlich geschützte Melodien, die von rechtsextremistischen Bands mit eigenen Texten belegt wurden. Die Gewaltbereitschaft von einigen Mitgliedern des rechtsextremistischen Musiknetzwerks zeigt das Beispiel der "Kamerad34 Vgl. BAnz. Nr. 227, 30.11.2004. Erscheinungsjahr unbekannt. 35 Vgl. BAnz. Nr. 63, 31.3.2004. 36 SS 106 Urheberrechtsgesetz. 37 Vgl. S. 38. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 35 schaft Nordland",38 deren Mitglieder wegen politischer GewaltWehrsportübung der sowie Waffenund Sprengstoffdelikten einschlägig vorbestraft "Kameradschaft sind. Im April kam es während einer Wehrsportübung in einem Nordland" Waldgebiet in Brandenburg zu einem Zugriff der Polizei. Es wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach SS 129 StGB eingeleitet. Die Mitglieder der "Kameradschaft Nordland" machen z. T. selbst Musik bzw. sind eng mit Führungspersonen des rechtsextremistischen Musiknetzwerks in Berlin verbunden. Mitglieder der "Kameradschaft Nordland" übernahmen beispielsweise den Begleitschutz für Michael Regener, den Sänger der "Landser"Band, bei seinen Gerichtsterminen. Kooperation der Berliner Bands Dem unvermindert hohen Verfolgungsdruck begegneten die verschiedenen Bands strategisch mit einer Kooperation bei der Einspielung von Tonträgern. Treibende Kraft der Zusammenarbeit war vor allem der ehemalige Frontmann von "Landser", Michael Regener ("Lunikoff"), der sich seinen durch das "Landser"-Verfahren erworbenen Märtyrerstatus in der rechtsextremistischen Musikszene zu nutze machte.39 Im Vorjahr waren die Mitglieder der Band vom Berliner Kammergericht wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach SS 129 StGB verurteilt worden, was die faktische Auflösung der Band zur Folge hatte.40 Der als "Rädelsführer" der Band geltende Regener legte gegen die Entscheidung des Kammergerichts Revision ein. Er konnte daher unvermindert im rechtsextremistischen Musikgeschäft tätig sein, bei Konzerten auftreten und sich verstärkt an der Produktion von Tonträgern beteiligen. 38 Die "Kameradschaft Nordland" stellt keine Kameradschaft nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden dar. Ihre Mitglieder gehören dem Netzwerk Rechtsextremistische Musik an. 39 Der Prozess wurde von der rechtsextremistischen Szene - auch überregional - mit großem Interesse verfolgt und mit Solidaritätsaktionen wie der Produktion und dem Verkauf von "Landser"-T-Shirts sowie Buttons mit der Aufschrift "Märtyrer für Deutschland" und "Freiheit für die Helden aus Berlin" begleitet. 40 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004, S. 46 - 49. 36 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Am 10. März 2005 bestätigte der Bundesgerichtshof im WeBHG bestätigt sentlichen das Urteil des Kammergerichts Berlin. Er billigte "Landser"-Urteil insbesondere die Annahme, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des SS 129 Abs. 1 StGB handelte. Der Schuldspruch wurde nur dahingehend geändert, dass die Verurteilung wegen öffentlichen Aufforderns zu Straftaten entfällt, weil es an tragfähigen Feststellungen fehlte. Auf die Strafe hat dies keine Auswirkung, so dass die Revision im übrigen verworfen wurde. Das Urteil ist somit rechtskräftig. Regener rief zu Beginn des JahNeue Band res 2004 zusammen mit Ange"Die Lunikoffhörigen der Band "SpreegeVerschwörung" schwader" eine neue Band "Die Lunikoff-Verschwörung" ins Leben. Das Hauptaugenmerk dieses Projekts liegt offensichtlich auf der finanziellen Abschöpfung des rechtsextremistischen Musikmarktes. Im Februar erschien eine CD mit dem Titel "Die Rückkehr des Unbegreiflichen", womit wahrscheinlich Regener selbst gemeint ist. Mit Rücksicht auf die anhängige Revision sowie aus Furcht vor repressiven Maßnahmen sind die Texte dieser CD im Vergleich zu den früheren Texten von "Landser" zurückhaltend formuliert. Der Tonträger ist als strafrechtlich nicht relevant zu bewerten. Seit Juni wirbt die Band mit einem eigenen Internetauftritt, der aufwendig und professionell gestaltet ist. Es werden dort CDs und diverse Merchandisingartikel wie T-Shirts oder Mützen beworben. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit politischen Themen wird vermieden. Darüber hinaus bietet die Homepage ein Gästebuch, das Regener zur Kommunikation mit seiner Anhängerschaft nutzt. Des Weiteren trat der Sänger unter dem neuen Namen bei Auftritt in Berlin einem von der Polizei aufgelösten Konzert im Juni in Berlin41 sowie zusammen mit "Spreegeschwader" im September in Süddeutschland auf. Anlässlich eines weiteren Auftritts, zusam41 Vgl. S. 31. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 37 men mit zwei Bands aus anderen Bundesländern, kamen ca. 800 Besucher im November nach Mücka (Sachsen), was für die nach wie vor herausgehobene Stellung des ehemaligen "Landser"-Sängers spricht. Unterdessen gingen vor allem in der ersten Jahreshälfte die Solidaritätsaktionen Solidaritätsaktionen für die Band "Landser" weiter, die sich nach dem Ausstieg der beiden übrigen Bandmitglieder ausschließlich auf Regener konzentrierten. In Berlin kam es im Januar zu einer Unterstützungsdemonstration unter dem Motto "Weg mit dem Landser-Urteil - Musik ist nicht kriminell" mit ca. 500 Teilnehmern. An dem von dem Hamburger Rechtsextremisten Christian Worch angemeldeten Aufzug durch Lichtenberg beteiligten sich auch zahlreiche Angehörige des Berliner Kameradschaftsnetzwerks. Die relativ hohe Zahl an Demonstranten spricht ebenso wie der prominente auswärtige Anmelder für die überregionale und szeneübergreifende Bedeutung, die der Band "Landser" unter den Rechtsextremisten beigemessen wird. Ferner wurden weitere Unterstützungs-CDs veröffentlicht. So legte der amerikanische Musikvertrieb "Panzerfaust Records" eine CD mit dem Namen "Landser English" auf, die in Deutschland jedoch indiziert wurde.42 Darüber hinaus wurde der dritte der "Landser"-Tribute-Sampler43 mit dem Titel "Tribute to Lunikoff" veröffentlicht. Die CD enthält bereits bekannte Lieder von "Landser" und vom Album "Die Rückkehr des Unbegreiflichen". Alle Titel wurden durch namhafte rechtsextremistische deutsche sowie ausländische Bands und Liedermacher interpretiert. Andere Angehörige des Musiknetzwerks bemühten sich nicht nur um die Unterstützung der Bandmitglieder von "Landser", Sampler Berliner sondern versuchten auch, von dem gestiegenen Ansehen des Bandprojekte ehemaligen "Landser"-Sängers selber finanziell zu profitieren. Dieser förderte ihr Vorhaben, indem er sich zur Einspielung eines Samplers zur Verfügung stellte. So wurde als Gemein42 Vgl. BAnz. Nr. 142, 31.7.2004. 43 Als 1. Teil der Trilogie erschien im Jahr 2002 die CD "Landser - A Tribute". Der 2. Teil wurde 2003 unter dem Titel "White covers to Landser" veröffentlicht. Diese CD wurde von der BPjM indiziert. 38 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 schaftsproduktion der Berliner Bandprojekte im August der Sampler "Hier tobt der Bär" herausgegeben. Beteiligt waren die bekannten Bands "Die Lunikoff-Verschwörung", "Spreegeschwader" und "LoT" sowie eine Band unter dem Pseudonym "XXX", hinter dem sich vermutlich die Band "D.S.T." verbirgt. Der Grund für die Anonymisierung dürfte das laufende Ermittlungsverfahren der Berliner Staatsanwaltschaft gegen die Bandmitglieder sein.44 Die CD ist der erste gemeinsame Tonträger der Berliner Bands, bislang waren die Musiker lediglich gemeinsam bei Konzerten aufgetreten. "Exklusiv für diesen Gemeinschaftstonträger wurden von den bekanntesten Bands aus der Reichshauptstadt insgesamt 11 Lieder rund um Frauen, Bier und Polizeiterror aufgenommen. Kurz: Die Antwort auf staatliche Repression."45 Die Machart des Samplers "Hier tobt der Bär" zeigt die Erfolge Finanzielle des konsequenten polizeilichen Vorgehens: Die Verbreitung Interessen strafrechtsrelevanter Inhalte wird vermieden, stattdessen soll mit eher populären Inhalten ein breiterer Markt finanziell abgeschöpft werden. An Stelle der Ideologievermittlung über das 44 Hintergrund des zu erwartenden Strafverfahrens gegen die Bandmitglieder von "D.S.T." ist die Beschlagnahmung der CD "Ave et Victoria", deren Texte möglicherweise Straftatbestände nach SSSS 86 a (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) und 130 StGB (Volksverhetzung) verwirklichen. Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2002. Berlin 2003, S. 22. 45 Internetauftritt von "Spreegeschwader", Aufruf am 1.12.2004. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 39 Medium Musik scheint der ökonomische Eigennutz in den Vordergrund zu treten. Allerdings sind die Texte politisiert, wie ja auch die CD "Hier tobt der Bär" gleichzeitig als "Antwort auf die staatliche Repression" verstanden wird. So wird in einem Titel die Konfrontation personalisiert und ein leitender Berliner Polizeibeamter namentlich angegriffen, der intensiv mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus befasst ist. Der Versuch der persönlichen Versuch der Einschüchterung durch direkte Konfrontation sollte zudem Einschüchterung durch eine Demonstration im Wohnumfeld des Beamten verstärkt werden; die Versammlung wurde jedoch verboten und das Verbot vom Bundesverfassungsgericht bestätigt.46 Der persönliche Angriff auf einen Vertreter der Sicherheitsbehörden - nicht nur durch ein Musikstück, sondern auch durch eine Kundgebung auf der Straße - stellt eine neue Qualität in der Auseinandersetzung des rechtsextremistischen Berliner Musiknetzwerks mit den staatlichen Sicherheitsbehörden dar. 1.2.3 "Projekt Schulhof" Bundesweit stand besonders das "Projekt Schulhof" in der öffentlichen Diskussion, ein Propagandaprojekt, das aufgrund strafprozessualer Maßnahmen bislang nur ansatzweise umgesetzt werden konnte. Unter dem Titel "Projekt Schulhof" war die kostenlose VerteiGeplante kostenlose lung einer CD mit rechtsextremistischen Liedern und KontaktVerteilung von CDs adressen im Umfeld von Schulen, an Jugendeinrichtungen und anderen öffentlichen Orten geplant. Damit sollte den Jugendlichen die neonazistische Gesinnung auf jugendgemäße Art und Weise näher gebracht werden.47 Zwar ist die Idee der 46 Vgl. Beschluss des VG Berlin vom 17.12.2004, VG 1 A 325.04; Beschluss des OVG Berlin vom 17.12.2004, OVG 1 S 82.04. Beschluss des BVerfG vom 18.12.2004, 1 BvQ 50/04. 47 Die NPD ist diesem Beispiel gefolgt und hat im Vorfeld der Wahl zum Sächsischen Landtag am 19.9.2004 ebenfalls eine eigene CD in großer Auflage mit dem Titel "Schnauze voll? Wahltag ist Zahltag" produziert und kostenlos verteilt. Diese CD ist allerdings nicht identisch mit der "Schulhof"-CD und enthält keine strafrechtlich relevanten Musikstücke. 40 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 "Rekrutierung durch Musik" an sich nicht neu,48 dennoch kommt dem "Projekt Schulhof" eine besondere Bedeutung zu: Es handelt sich um einen in dieser Form beispiellosen strategisch angelegten und systematisch betriebenen Versuch, Jugendliche im großen Stil mit Musik für den Rechtsextremismus zu gewinnen. Hinter dem "Projekt Schulhof" stehen verschiedene, überÜberregionales Projekt regional agierende Aktivisten der rechtsextremistischen Musikszene in Deutschland. Es ist weder einem einzelnen Personenzusammenschluss noch einer einzelnen Region zuzuordnen. Eine direkte Beteiligung von Berliner Rechtsextremisten an der Planung und Durchführung des Projekts ist bislang nicht zu erkennen. Von den Interpreten ist lediglich der Musiker des Soloprojekts "Spirit of 88" in Berlin wohnhaft. Darüber hinaus wird in den Text-Dateien der CD der in Berlin ansässige Musikhandel "Joe-Hawkins-Versand" genannt. Unter dem Titel "Anpassung ist Feigheit - Lieder aus dem Untergrund" wurden in der ersten Jahreshälfte 50 000 CDExemplare in einem ausländischen Werk gepresst. Die CD ist professionell gestaltet und versucht, breite Kreise anzusprechen, indem die rechtsextremistischen Inhalte nicht auf aggressive, sondern auf vielfältige und eher unauffällige Art und Weise präsentiert werden. Sie enthält 19 Musiktitel von deutschen und ausländischen Interpreten sowie mehrere TextDateien. Der Musikstil reicht von Hardrock über Heavy Metal bis hin zu Balladen; die Texte behandeln so unterschiedliche Themen wie die germanische Mythologie und aktuelle gesellschaftliche Fragen. Es wird darin gegen die Zuwanderung agitiert, die angebliche Zensur gegenüber "rechten" Positionen beklagt und Kritik an der "Agenda 2010" der Bundesregierung geübt. 48 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Rechtsextremistische Skinheads. Berlin 2003. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 41 In einem gesprochenen Vorwort werden Ängste vor Überfremdung, Kriminalität und Arbeitslosigkeit geschürt und mit der Ideologische Ansprache rechtsextremistischen Ideologie verbunden. Zudem werden in einer gesonderten Textdatei für jedes Bundesland rechtsextremistische Personenzusammenschlüsse und Internetseiten mit regionalem Bezug als Anlaufstellen für Interessierte aufgeführt. Die Strafverfolgungsbehörden bewerten die CD als strafrechtStrafrechtliche lich relevant. Das Amtsgericht Halle-Saalkreis (Sachsen-Anhalt) Relevanz erließ am 4. August einen allgemeinen Beschlagnahmebeschluss.49 Demnach erfülle das auf der CD enthaltene Lied "Im Krieg gegen ein Scheiss-System" der Band "Stahlgewitter" den Tatbestand des SS 90 a StGB (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole). "Deutschland steht am Abgrund, das wird schon bald den Letzten klar, denn nichts wird davon bleiben, nichts so wie es einmal war. [...] Der Staat unfähig und bankrott, ja es dauert nicht mehr lange. [...] Eine stets devote Klein-Provinz, auch BRD genannt. Aufrecht geht hier nur noch der Nationale Widerstand. Wir sind im Krieg, wir sind im Krieg, wir sind im Krieg gegen ein Scheiß-System! Staatsverschuldung, Multikulti, und die Freiheit eine Phrase. [...] Sozialabbau und Überfremdung, Massenarbeitslosigkeit. Ihr Pseudo-Demokraten seid dem Untergang geweiht. Ja, ihr Staatsbüttel ihr, was wollt ihr also schützen, die Auflösung von Volk und Nation, aber auch das wird nicht mehr nützen. [...] Will keine Büßerrepublik mit Schuldund Sühneritualen. Keine Stiefellecker, die ständig nur Tribute zahlen. Will keine Kniefallpolitik und keine Börsenkolonien, keine Republik der Reue, keine Scheindemokratie. Im Krieg gegen das ScheißSystem, morgen wird es untergehen!" Darüber hinaus werde ein Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz gemäß SS 27 Abs. 1 i. V. m. SS 15 Abs. 1 JuSchG (Schwere jugendgefährdende Trägermedien) verwirklicht. Die CD sei geeignet, die Entwicklung von Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit schwer zu gefährden. Die Staatsanwaltschaft Berlin stellte ebenfalls die strafrechtliche Relevanz des Tonträgers aufgrund der oben genannten Strafrechtsnormen fest.50 49 Vgl. Beschluss des AG Halle vom 4.8.2004, Az 700 Js 26587/04. 50 Vgl. Beschluss der Staatsanwaltschaft Berlin vom 6.8.2004, Az 78 Js 795/04. 42 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Aufgrund dieser Rechtslage verzichteten die Verantwortlichen Verteilung vorerst gestoppt vorerst auf die Verteilung der CD in der beabsichtigten Form. Innerhalb der rechtsextremistischen Szene wird derzeit eine Anfechtung des Beschlagnahmebeschlusses diskutiert und nach neuen Wegen der Verteilung der bereits produzierten CDs gesucht. Seit Anfang November ist ein Internetauftritt des Internet-Auftritt "Projekts Schulhof" freigeschaltet. Die Internet-Seite ist weitfreigeschaltet gehend mit den auf der CD enthaltenen Text-Dateien identisch; die 19 Musiktitel des Samplers dagegen werden auf der Homepage nicht zum Download angeboten. Statt dessen können zahlreiche andere Lieder rechtsextremistischer Bands heruntergeladen werden. Neben diesen Musiktiteln weist die Homepage ein zusätzliches Vorwort auf, in dem die ursprünglich geplante CD-Verteilung und deren Scheitern thematisiert werden. Darüber hinaus wurde die Online-Version um einen Beitrag "Standpunkte und Forderungen der nationalen Opposition" zu Hartz IV erweitert. Unterdessen hat das Projekt Nachahmer in den USA gefunden. Nachahmer in den USA Seit September wird auf der Homepage des amerikanischen Musikvertriebs "Panzerfaust Records" für das "Project Schoolyard" geworben. Im Rahmen dieses Projekts sollen 100 000 CDs gepresst und in den USA kostenlos an "weiße Jugendliche" verteilt werden. Die CDs sollen gegen ein geringes Entgelt auch aus dem Ausland zu beziehen sein. Einige der auf dem Tonträger enthaltenen Titel sind in Deutschland als strafrechtlich relevant nach SSSS 86 a und 130 StGB zu bewerten. Der Verfassungsschutz Berlin und das Berliner LandeskriminalFrühzeitige Reaktion der amt haben auf das "Projekt Schulhof" frühzeitig reagiert und Sicherheitsden Sachverhalt der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und behörden Sport übermittelt. Diese sensibilisierte daraufhin die Schulaufsicht und wies zu Schuljahresbeginn im August gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Inneres die Öffentlichkeit auf die mögliche Verteilaktion hin.51 Auf diese Weise sollten die Berliner Jugendeinrichtungen vorbereitet und sichergestellt werden, dass im Falle des Auftauchens der CDs diese umgehend beschlagnahmt und Ermittlungsverfahren gegen die verantwort51 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Gemeinsame Aktion von Polizei und Schule gegen die Verteilung von rechten CDs an Schulhöfen. Pressemitteilung Nr. 16 vom 6.8.2004. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 43 lichen Personen eingeleitet werden. Gleichzeitig wurden FortLehrerfortbildungen bildungen zum Thema rechtsextremistische Musik für Lehrerinnen und Lehrer vom Landesinstitut für Schule und Medien (LISUM) in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz angeboten.52 1.3 Parlamentsorientierter Rechtsextremismus 1.3.1 Wahlerfolge rechtsextremistischer Parteien Im vergangenen Jahr fanden in Deutschland zahlreiche Wahlgänge statt: Insgesamt wurden mit der Europawahl eine bundesweite Wahl, fünf Landtags-53 und neun Kommunalwahlen abgehalten. Dabei fiel die Bilanz der drei größten rechtsextremistischen Parteien "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (= NPD), "Deutsche Volksunion" (= DVU) und "Die Republikaner" (= REP) zwiespältig aus. Neben marginalen Wahlergebnissen konnten sie gegen Ende des Jahres durchaus überraschende Resultate verbuchen. Herausragende Ergebnisse erzielten die NPD und die DVU bei den LandWahlerfolge in tagswahlen in Sachsen und Brandenburg, wo ihnen jeweils der Sachsen und Brandenburg Einzug in die Parlamente gelang. Hier waren - anders als bei den anderen Wahlen - Wahlabsprachen vorausgegangen. Europawahl An den Wahlen zum Europäischen Parlament am 13. Juni beteiligten sich die NPD, die REP und die "Deutsche Partei - Die Freiheitlichen" (DP).54 Alle drei Parteien verfügen über einen Berliner Landesverband, die DP über einen gemeinsamen Landesverband Berlin-Brandenburg. Die DVU stellte sich ohne Angabe von Gründen nicht zur Wahl. 52 Die Veranstaltungen liefen im Rahmen des Projekts "Standpunktepädagogen". 53 Landtagswahlen fanden in Hamburg, Thüringen, Saarland, Brandenburg und Sachsen statt. 54 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Ergebnisse rechtsextremistischer Parteien in Berlin. Europawahl 2004. Berlin Juli 2004. Bei der DP handelt es sich in der Gesamtschau um eine rechtsextremistische Partei, obwohl nicht jedes einzelne Mitglied verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. 44 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Alle rechtsextremistischen Parteien konnten ihre WahlergebLeichte Gewinne bei nisse im Bundesgebiet leicht verbessern, die Ergebnisse Europawahl blieben allerdings durchgängig auf einem niedrigen Niveau. Zusammengenommen erzielten alle rechtsextremistischen Parteien bei der Europawahl 2004 bundesweit 3,0 Prozent und damit einen Zuwachs von 0,9 Prozentpunkten. Wahlergebnisse rechtsextremistischer Parteien bundesweit Europawahl Europawahl Veränderung 2004 1999 (in (in Prozent) (in Prozent) Prozentpunkten) REP 1,9 1,7 + 0,2 NPD 0,9 0,4 + 0,5 DP 0,2 - + 0,2 Gesamt 3,0 2,1 + 0,9 In Berlin fielen die Wahlergebnisse der rechtsextremistischen Uneinheitliche Ergebnisse Parteien uneinheitlich aus, es ergab sich jedoch keine entscheidende Verschiebung der Kräfte. Die REP hatten ein rückläufiges Wahlergebnis zu verzeichnen und lagen in Berlin damit unter dem Bundesdurchschnitt. Sie verloren 0,5 Prozentpunkte und erreichten nur noch 1,4 Prozent, blieben aber dennoch die bei Wahlen erfolgreichste rechtsextremistische Partei in Berlin. Die NPD konnte ihren Stimmenanteil um 0,2 Prozentpunkte auf 0,9 Prozent steigern. Die DP erhielt 0,3 Prozent der Wählerstimmen. Zusammengenommen erreichten die drei rechtsextremistischen Parteien 2,6 Prozent der Wählerstimmen, wie REP und NPD bei der Europawahl 1999. Wahlergebnisse rechtsextremistischer Parteien in Berlin Europawahl Europawahl Veränderung 2004 1999 (in (in Prozent) (in Prozent) Prozentpunkten) REP 1,4 1,9 - 0,5 NPD 0,9 0,7 + 0,2 DP 0,3 - + 0,3 Gesamt 2,6 2,6 + 0,0 Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 45 Hinsichtlich ihrer geographischen Verteilung lassen die Ergebnisse der rechtsextremistischen Parteien in Berlin deutliche Unterschiede erkennen. Die REP hatten im Osten Berlins mit einem Minus von 0,9 gegenüber 0,3 Prozentpunkten im Westen einen deutlich höheren Einbruch zu verzeichnen. Die unterschiedlich hohen Stimmenverluste führten zu einer Verschiebung ihrer Wählerschwerpunkte im Berliner Stadtgebiet von Ost nach West. Bei der NPD wurde - wie schon bei der Europawahl Unterschiedliche 1999 und der Bundestagswahl 2002 - ein Ost-West-Gefälle Wählerschwerpunkte sichtbar. Sie hatte ihre Hochburgen eindeutig im Ostteil der Stadt. Zwar legte sie in beiden Teilen Berlins etwa in der gleichen Größenordnung zu, der prozentuale Stimmenanteil lag in den östlichen Wahlbezirken mit 1,6 Prozent allerdings mehr als dreimal so hoch wie in den westlichen Wahlbezirken mit 0,5 Prozent. Wahlergebnisse der REP und der NPD in Berlin-Ost und Berlin-West Europawahl 2004 Europawahl 1999 Veränderung (in Prozent) (in Prozent) (in Prozentpunkten) REP Gesamt 1,4 1,9 - 0,5 Berlin - West 1,5 1,8 - 0,3 Berlin - Ost 1,2 2,1 - 0,9 NPD Gesamt 0,9 0,7 + 0,2 Berlin - West 0,5 0,4 + 0,1 Berlin - Ost 1,6 1,4 + 0,2 Im Vorfeld der Europawahl war eine Initiative der NPD zur Bildung einer gemeinsamen Wahlplattform mit dem Ziel der Bündelung der rechtsextremistischen Kräfte ("Leipziger Appell") an dem Widerstand der Parteivorsitzenden von DVU und REP, Gerhard Frey und Rolf Schlierer, gescheitert.55 So traten die rechtsextremistischen Parteien in Konkurrenz zueinander an. Auch im Fall eines gemeinsamen Wahlantritts wäre es ihnen jedoch nicht gelungen, in die Nähe der 5 Prozent-Hürde zu 55 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004, S. 59 - 62. 46 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 gelangen.56 Ihr erstrangiges Ziel, die Beteiligung an der staatZiel Wahlkampfkostenerstattung lichen Wahlkampfkostenerstattung, haben allerdings sowohl die erreicht REP als auch die NPD erreicht. Der Grund für das relativ gute Abschneiden aller rechtsextremistischen Parteien liegt weniger in der eigenen Stärke als vielmehr in der besonderen Charakteristik europäischer WahlGeringe Wahlbeteiligung gänge. Zum einen spielte die geringe Wahlbeteiligung eine entscheidende Rolle für den Ausgang der Wahl. Im Vergleich zur letzten Europawahl sank die Wahlbeteiligung auf Bundesebene erneut. Während im Jahr 1999 immerhin 45,2 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl gingen, waren es im Jahr 2004 nur 43,0 Prozent. Noch geringer fiel die Wahlbeteiligung in Berlin aus. 1999 lag sie bei 39,9 Prozent, im Jahr 2004 nur bei 38,8 Prozent.57 Bei sinkender Wahlbeteiligung konnten die rechtsextremistischen Parteien mit vergleichsweise weniger Stimmen prozentuale Effekte erzielen. Zum anderen wird die Europawahl in besonderem Maße als Protestwahl genutzt. Landtagswahlen Bei den Landtagswahlen fielen die Ergebnisse der rechtsextremistischen Parteien in der ersten Jahreshälfte eher gering aus. Anlässlich der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft am 29. Februar konnte die NPD - trotz fehlender Konkurrenz von DVU und REP - lediglich 0,3 Prozent der Stimmen gewinnen. An der zeitgleich mit der Europawahl am 13. Juni abgehaltenen Wahl zum Thüringer Landtag beteiligten sich die REP mit 2,0 Prozent und die NPD mit 1,6 Prozent ebenfalls wenig erfolgreich. Die DVU hatte auf einen Wahlantritt verzichtet.58 Einen Teilerfolg 56 Die NPD wandte sich mit einer Organklage (2 BvE 1/04) gegen die Sperrklausel (5-Prozent-Hürde) in SS 2 Abs. 6 des deutschen Europawahlgesetzes (EuWG). Aufgrund des Verzichts der NPD auf einen Eilantrag wurde die Klage vom Bundesverfassungsgericht bislang nicht entschieden. 57 Ein deutlicher Unterschied zeigte sich auch zwischen dem Westund dem Ostteil der Stadt. Gaben am Wahltag im Westen Berlins 41,7 Prozent der Berechtigten ihre Stimme ab, waren es im Osten nur 34,1 Prozent. Dieses West-Ost-Gefälle war schon bei der Europawahl 1999 und der Bundestagswahl 2002 zu beobachten. 58 Ebenfalls am 13.6.2004 fand die Kommunalwahl in Sachsen statt. Bei dieser Testwahl für die Landtagswahl wenige Monate später trat mit dem "Nationalen Bündnis Dresden e. V." erstmals eine gemeinsame Wahlliste von Vertretern Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 47 konnte die NPD wenig später bei der Landtagswahl im Saarland am 5. September verzeichnen. Zwar scheiterte sie auch hier an der 5 Prozent-Hürde, erhielt aber aus dem Stand - die Partei war bei der vorherigen Landtagswahl 1999 nicht angetreten - 4,0 Prozent der Wählerstimmen.59 Bei diesen Wahlgängen waren die rechtsextremistischen Parteien noch zum Teil in Konkurrenz zueinander angetreten oder mussten aufgrund struktureller bzw. finanzieller Schwäche der jeweiligen Landesverbände auf einen Wahlantritt verzichten. Mit der erstmaligen Wahlabsprache zwischen NPD und DVU bei den zeitgleich am 19. September stattfindenden LandtagsWahlerfolge in der zweiten Jahreshälfte wahlen in Sachsen und Brandenburg erzielten beide Parteien am Wahltag überraschende Erfolge. Der DVU gelang wie schon bei der Landtagswahl 1999 der Einzug in den Brandenburger Landtag. Sie konnte ihr Ergebnis sogar auf 6,1 Prozent der Stimmen verbessern (1999: 5,3 Prozent) und ist nunmehr mit sechs Mandaten vertreten. Noch deutlicher fiel der Erfolg der NPD in Sachsen aus: Mit 9,2 Prozent der Stimmen zog sie erstmals seit den 60er Jahren wieder in eine Landesvertretung ein und stellt zwölf Landtagsabgeordnete in Sachsen. Vorausgegangen war eine "Gemeinsame Erklärung der ParteiWahlabsprachen der vorstände von DVU und NPD" unter dem Titel "Taten statt DVU und NPD Worte" vom 23. Juni. Darin gaben die beiden Parteivorsitzenden Udo Voigt und Gerhard Frey einen gegenseitigen Wahlverzicht bekannt. Die DVU verzichtete auf einen Wahlantritt in Sachsen, im Gegenzug stellte sich die NPD in Brandenburg nicht zur Wahl. Zusätzlich riefen die Parteivorsitzenden zur Wahl der jeweils anderen Partei auf: "Die Parteivorstände von DVU und NPD haben angesichts der zunehmenden Überfremdung und der sozialen Verarmung der Deutschen beschlossen, sich bei den Wahlen in Brandenburg und Sachsen nicht durch gleichzeitige Kandidaturen zu behindern. Die Vorstände empfehlen den natioder NPD, REP und DVU zur Wahl an und zog mit drei Mandaten in den Stadtrat der Landeshauptstadt Dresden ein. 59 Darüber hinaus war der Bundesvorsitzende der NPD, Udo Voigt, bei der ebenfalls am 5.9.2004 stattfindenden Wahl des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Saarbrücken als Kandidat ins Rennen gegangen und hatte mit 3,9 Prozent der Stimmen ein beachtliches Ergebnis erzielt. 48 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 nalen Wählern, in Brandenburg der DVU und in Sachsen der NPD ihre Stimme zu geben."60 Mit diesem aufsehenerregenden Schritt gelang es im Wahlkampf eine umfassende Einigkeit und inhaltliche Zusammenarbeit im rechtsextremistischen Parteienlager zu suggerieren. Derartige Absprachen berücksichtigen aber immer auch die tatsächlichen Kräfteverhältnisse zwischen den rechtsextremistischen Parteien vor Ort. Weder verfügte die NPD in Brandenburg noch die DVU in Sachsen über funktionstüchtige Parteistrukturen, die eine erfolgreiche Wahlteilnahme wahrscheinlich gemacht hätten. Proteststimmung Allerdings konnten NPD und DVU durch aufeinander abgeausgenutzt stimmte Wahlkämpfe die Proteststimmung gegen die Arbeitsmarktund Sozialreformen der Bundesregierung (Hartz IVReformen) ausnutzen und darüber hinaus das rechtsextremistische Wählerpotenzial aktivieren. Darüber hinaus waren sie bemüht, sich an dem Demonstrationsgeschehen gegen die Hartz IV-Reformen zu beteiligen, was ihnen jedoch nicht gelang. Auf diese Weise versuchten sie, den Anschluss an einen aktuellen gesellschaftlichen Diskurs herzustellen und sich als wählbare Alternative zu präsentieren. Keine Rolle für den Ausgang der Wahl spielte dagegen die Wahlbeteiligung. DVU und NPD konnten auch in absoluten 60 Vgl. u. a. Gerhard Frey / Udo Voigt: Taten statt Worte. Gemeinsame Erklärung der Parteivorstände von DVU und NPD. In: "National-Zeitung" Nr. 27, 25.6.2004. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 49 Zahlen ihre Wählerstimmen deutlich steigern. Bei der NPD, die Lokale Verankerung sich im Gegensatz zur DVU mit mehreren Direktkandidaten zur in Sachsen Wahl stellte, ist darüber hinaus eine zunehmende lokale Verankerung in Sachsen zu beobachten. In der rechtsextremistischen Szene sind diese Erfolge auch über den parlamentsorientierten Phänomenbereich hinaus überwiegend mit Zustimmung aufgenommen worden. In Berlin provozierten die Ergebnisse noch am Wahlabend eine Spontandemonstration unter dem Motto "Alles für Deutschland - Bei jeder Wahl: national". Auf der Demonstrationsroute zogen 68 Teilnehmer aus dem Kameradschaftsnetzwerk durch Lichtenberg. Die Wahlerfolge verhalfen den Parteien - insbesondere der Imagegewinn der NPD - zu einem erheblichen Imagegewinn in der rechtsextreNPD in der Szene mistischen Szene und bestätigten die NPD in ihrer Strategie einer umfassenden Zusammenarbeit aller Rechtsextremisten. Noch am Wahltag veröffentlichte das Präsidium der NPD eine Erklärung "Volksfront statt Gruppenegoismus", in der sich die Partei zu einer "Gesamtbewegung des nationalen Widerstands" bekennt.61 Die Kooperation sowohl mit der DVU als auch mit den "Freien Nationalisten" wurde in der Folge weiter ausgebaut. 1.3.2 Bildung einer "Volksfront" Obwohl der Schulterschluss sowohl mit den aktionsorientierten Rechtsextremisten als auch mit den anderen rechtsextremistischen Parteien im Jahr 2003 noch an den Nachwirkungen des NPD-Verbotsverfahrens gescheitert war,62 setzte die NPD ihre Versuche der innerparteilichen Konsolidierung und Kooperation Bestrebungen zur im rechtsextremistischen Lager kontinuierlich fort. Erste Erfolge Kooperation in der erneuten Annäherung waren auf Großveranstaltungen wie der 1. Mai-Demonstration in Berlin, dem Pressefest des NPD-Organs "Deutsche Stimme" in Mücka (7. August) sowie bei der "Rudolf-Heß-Aktionswoche" und der damit verbundenen Demonstration in Wunsiedel (21. August) zu beobachten. 61 Vgl. S. 50. 62 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004, S. 59 - 62. 50 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Die erfolgreiche Wahlabsprache mit der DVU63 bedeutete einen qualitativen Sprung auf dem Weg zur Überwindung der Isolation und brachte der NPD einen erheblichen Ansehenszuwachs im rechtsextremistischen Lager. Gleichzeitig wurde sie im sächsischen Wahlkampf von Vertretern der "Freien Kräfte" unterstützt, die sie auch nach der Wahl verstärkt in die Parteiarbeit einbinden konnte. NPD und DVU demonstrierten ihr Bündnis auf den jeweiligen Bundesparteitagen im Oktober 2004 und Gemeinsames Januar 2005; die politische Führung der REP grenzte sich Auftreten bei Bundesparteitagen davon ab - sie muss dafür aber starke innerparteiliche Spannungen und Parteiaustritte in Kauf nehmen. Aufruf zur "Gesamtbewegung des nationalen Widerstands" Mit einem am Tag der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg von der NPD veröffentlichten Konzept unter dem Titel "Volksfront statt Gruppenegoismus" bekannte sich die NPD Öffnung zur "Gesamtbewegung des nationalen Widerstands".64 Damit der Partei für "Freie Nationalisten" verkündete sie die Öffnung der Partei gegenüber den "Freien Nationalisten" und rief unter dem Slogan "Eine Bewegung werden" zum gemeinsamen Kampf auf. Künftig solle der "Kampf um die Parlamente" mit dem "Kampf um die Straße" verknüpft, die Bündelung aller Kräfte erreicht und so das vorhandene Mobilisierungspotenzial erschlossen werden. In seiner Erklärung beklagte das NPD-Präsidium die bisherige Ineffektivität der zersplitterten "nationalen Opposition": "Entscheidender Fehler in der Konstruktion der nationalen Nachkriegsbewegung war der Umstand, daß sich nationale Parteien zu stark am Parlamentarismus orientiert und die außerparlamentarische Opposition vernachlässigt haben."65 Die NPD bemühe sich, diese Fehlentwicklung zu korrigieren und das "Organisationsdenken" und "Dominanzringen" zwischen NPD und "Freien Nationalisten" zu überwinden. Dabei räumte sie eigene Defizite sowohl auf der Ebene der Parteistrukturen als auch hinsichtlich der Professionalität ihrer 63 Vgl. S. 47 f. 64 NPD-Präsidium: Volksfront statt Gruppenegoismus. Erklärung des Parteipräsidiums der NPD. Internetauftritt "Eine Bewegung werden", datiert 19.9.2004. 65 Ebenda. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 51 Führungsaktivisten ein. Sie sei bereit, "reine Parteiinteressen zum Wohle des Ganzen" zurückzustellen: "Parteien sind ebenso wie Kameradschaften und andere Gruppen Mittel zum Zweck. Doch um die globalen Probleme der Gegenwart meistern zu können, bedarf es sowohl parteiunabhängiger Aktionsformen - wie auch der Plattform des organisierten Nationalismus! Wir rufen alle volkstreuen Deutschen dazu auf, mit uns und den führenden Vertretern freier Kräfte in dieser Phase des Überlebenskampfes unseres Volkes an einer wahren Volksbewegung für Deutschland zu arbeiten."66 Die innerhalb der neonazistischen Szene weitgehend anerParteieintritte von kannten Führungsaktivisten des "Nationalen Widerstands" Führungsaktivisten Ralph Tegethoff (Rheinland-Pfalz), Thorsten Heise (Thüringen) und Thomas Wulff67 (Mecklenburg-Vorpommern) hatte die NPD bereits zuvor für sich gewinnen können. Als prominente Vertreter der "Freien Nationalisten" kommt ihnen die Aufgabe zu, durch ihre Einbindung in die NPD den Schulterschluss mit der Partei zu dokumentieren und gleichzeitig zwischen den beiden sehr unterschiedlichen rechtsextremistischen Spektren zu vermitteln. Um sich nicht dem Vorwurf des Opportunismus auszusetzen, gaben Tegethoff, Heise und Wulff bereits am 17. September ihren Eintritt in die NPD bekannt.68 Es habe wiederholt Gespräche mit den Vorsitzenden der NPD, Udo Voigt und Holger Apfel gegeben. Die NPD habe aus dem Verbotsverfahren gelernt und sei bereit, sich in das "Gesamtgefüge einer Bewegung des Widerstands" einzuordnen. Unter diesen Voraussetzungen sei ein "Neubeginn in der Zusammenarbeit mit der Partei" möglich. In ihrer Stellungnahme rechtfertigten die Autoren ihren Anhängern gegenüber die Vereinbarkeit ihres Parteieintritts mit dem Konzept der "Freien Nationalisten": "Wir halten diese freie Arbeitsstruktur auch weiterhin für absolut wichtig und richtig. Es wird von uns daher auch 66 Ebenda. 67 Thomas Wulff hatte bereits zuvor in dem NPD-Presseorgan "Deutsche Stimme" (DS) zur Einigung mit der NPD aufgerufen. Vgl. Volksfront von rechts schaffen. Der Nationalist Thomas "Steiner" Wulff über das Gebot nationaler Geschlossenheit. In: "Deutsche Stimme" Nr. 5/2004, Mai 2004. 68 Ralph Tegethoff, Thorsten Heise, Thomas Wulff: Erklärung zum Eintritt in die NPD. Internetauftritt "Eine Bewegung werden", datiert 17.9.2004. 52 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 keinerlei Aufrufe dazu geben, unserem Schritt nunmehr nachzukommen und ebenfalls in die Partei einzutreten! Wie sehen uns aber auch verpflichtet, mit gutem Beispiel der Zusammenarbeit voranzugehen und einen Brückenschlag vorzunehmen. Wir wollen in der Partei das Sprachrohr und der Ansprechpartner sein für all die Kameradinnen und Kameraden, welche sich außerhalb der Partei organisieren."69 In einer weiteren Erklärung hieß es im Zusammenhang mit der neugewonnen Gemeinsamkeit mit der NPD: "Wir wollen und dürfen die NPD auf ihrem kommenden Weg nicht alleine lassen, denn sie ist erklärter Teil des nationalen Widerstandes innerhalb unserer Oppositionsbewegung!"70 In Folge dieser Vernetzungsbemühungen waren seit September vereinzelt weitere Eintritte "Freier Nationalisten" in die NPD zu beobachten. Als prominenter Berliner Führungsaktivist des Sänger von rechtsextremistischen Musiknetzwerks wurde der ehemalige "Landser" in NPD eingetreten Sänger der Band "Landser" und Kopf der neonazistischen Gruppe "Vandalen" (=), Michael Regener, Parteimitglied.71 Auf seiner Homepage begründete er seinen Entschluss damit, "diese schöne Partei nicht den Demokraten [...] überlassen zu wollen"72. Allerdings verfügte Regener schon vor seinem Parteieintritt über vielfältige Kontakte zur NPD.73 Bislang ist Regener jedoch kein Parteiamt übertragen worden. 1. Mai-Demonstration in Berlin Erste Erfolge bei der Überwindung der gegenseitigen Abgrenzung von NPD und DVU sowie zwischen NPD und "Freien Nationalisten" waren im Laufe des Jahres bereits bei der Mobili69 Ebenda. 70 Eine Bewegung werden ... Internetauftritt "Eine Bewegung werden", datiert 18.9.2004. 71 Vgl. Lunikoff nun NPD-Mitglied. Internetauftritt des NPD-KVs Pankow, Aufruf am 6.1.2005. 72 Internetaufruf der "Lunikoff-Verschwörung", Aufruf am 1.12.2004. 73 So veröffentlichte die NPD-Parteizeitung "Deutsche Stimme" im Juni ein längeres Interview mit dem Aktivisten. (Vgl. "Meine Kirche heißt Deutschland!". "Lunikoff", Kopf und Sänger der Kultkapelle "Landser", über "Rechtsstaatlichkeit" und Lebensgefühl. In: "Deutsche Stimme" Nr. 6/2004, Juni 2004.) Zudem nahm er an der diesjährigen 1. Mai-Demonstration der NPD in Berlin ebenso teil wie an dem "DS-Pressefest" in Mücka / Sachsen (s. u.). Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 53 sierung zu den alljährlichen identitätsstiftenden Großveranstaltungen der Rechtsextremisten zu erkennen. Mit ihrem Aufruf zur zentralen 1. Mai-Demonstration in Berlin mobilisierte die NPD unter dem Motto "Volksgemeinschaft statt Globalisierungswahn! Arbeit für Millionen statt Profite für Millionäre!" bundesweit gemeinsam mit Vertretern des aktionsorientierten Rechtsextremismus.74 Auf einer eigens eingerichteten Kampagnenseite im Internet waren sowohl die NPD-Funktionäre Voigt und Apfel als auch die "Freien Nationalisten" Wulff und Tegethoff als Redner angekündigt. An dem Aufzug durch Lichtenberg beteiligten sich mit ca. 2 300 Deutlicher Personen deutlich mehr als noch im Vorjahr (2003: 1 300).75 Teilnehmerzuwachs Damit muss die Berliner 1. Mai-Demonstration als überregionaler Erfolg für die NPD gewertet werden. Mit der Einbindung der aktionsorientierten Rechtsextremisten stieg allerdings nicht nur die Zahl der Teilnehmer, sondern auch die Aggressivität und Gewaltbereitschaft einiger Demonstranten. Erstmals kam es nicht nur zur Konfrontation der politischen Gegner, sondern aus der NPD-Demonstration heraus auch zu gewalttätigen Angriffen etwa mit Flaschenwürfen auf die Polizeikräfte. Der Demonstrationszug wurde zeitweise von ca. 1 500 Gegendemonstranten begleitet. Darunter befanden sich ca. 850 Personen des linksextremistischen Spektrums, die versuchten, den Aufzug zu verhindern. Sie errichteten Blockaden, zündeten Hindernisse an und warfen Farbbeutel auf die Demonstranten. Aufgrund der massiven Ausschreitungen nach der zunächst friedlich verlaufenen Gegendemonstration musste der Demonstrationszug bereits nach kurzer Zeit wenden und zum Ausgangspunkt zurückkehren.76 Am Abend fand ein Konzert mit dem rechtsextremistischen Liedermacher Frank Rennicke in Hoppegarten (Brandenburg) statt. 74 Ursprünglich sollte die Demonstration unter dem Motto "Arbeitsplätze für Deutsche sichern - Sozialabbau bekämpfen! NEIN zur EU-Osterweiterung und zum EU-Beitritt der Türkei!" stattfinden. 75 Die Teilnehmerzahl ist um so bemerkenswerter als der Hamburger Rechtsextremist Christian Worch in diesem Jahr eine konkurrierende Demonstration zum 1. Mai in Leipzig angemeldet hatte, an der ca. 1 000 Personen teilnahmen. 76 Vgl. S. 104. 54 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Angesichts des Demonstrationsverlaufs fielen die Reaktionen Unterschiedliche Bewertung im rechtsextremistischen Lager sehr unterschiedlich aus. Die NPD wertete die übergreifende Mobilisierung "zur Gemeinschaftsdemonstration der Nationalen Opposition" als Erfolg und gab die Richtung für die Zukunft vor: "Wir [...] werden auch künftig jede Gelegenheit nutzen, um mit immer größer werdenden Demonstrationen immer mehr Volksgenossen davon zu überzeugen, daß der Kampf der Nationalen Opposition für eine nationale und soziale Gemeinschaft die letzte Chance ist, um die volksfremden Pläne dieses asozialen Systems zu durchkreuzen. [...] Die Nationale Opposition bündelt ihre Kräfte für den Kampf um Deutschland!" 77 Kritischer wurde die Demonstration unter den "Freien Nationalisten" in Internetforen besprochen. Zur im Vorfeld diskutierten Bildung eines "Schwarzen Blocks" als Demonstration der Stärke sei es zwar nicht gekommen. Allerdings habe es einen "nationalrevolutionären Block" gegeben, der mehrfach mit Durchbruchversuchen die direkte Konfrontation mit der Polizei gesucht habe. Dieser habe aus Berliner und Brandenburger Rechtsextremisten bestanden, die sich an die Spitze der AuseinanderDemonstration gesetzt hatten. Darüber hinaus sei es im Desetzungen innerhalb monstrationszug zu Auseinandersetzungen "Freier Nationader Demo listen" mit NPD-Angehörigen gekommen, so dass von einigen Teilnehmern lautstark "1. Mai - ohne Partei!" skandiert wurde. Grund für die Auseinandersetzungen war offensichtlich das aggressive Auftreten einiger Demonstrationsteilnehmer, die den Anweisungen der eingesetzten Ordner der NPD nur bedingt Folge leisteten. Weitere Großveranstaltungen: "DS-Pressefest", "RudolfHeß-Aktionswoche", "Heldengedenken" Trotz dieser unterschiedlichen Bewertungen wurde der strategische Kurs der gemeinsamen Mobilisierung und der gegenseitigen Teilnahme an symbolträchtigen Großveranstaltungen auch nach dem 1. Mai fortgesetzt. Damit konnten die Teilnehmerzahlen bei diesen Versammlungen gegenüber den 77 Die Straße frei dem neuen Deutschland. 3 500 Nationalisten demonstrierten trotz Polizeirepression und Antifaterror für "Volksgemeinschaft statt Globalisierung". In: "Deutsche Stimme" Nr. 6/2004, Juni 2004. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 55 Vorjahren deutlich gesteigert werden. So waren unter den Gestiegene mehreren Tausend Besuchern des von dem NPD-Organ Teilnehmerzahl veranstalteten "DS-Pressefests" am 7. August in Mücka (Sachsen) zahlreiche Vertreter der "Freien Nationalisten". Darunter befand sich auch der Protagonist des Berliner Netzwerks Rechtsextremistische Musik, Michael Regener. Im Gegenzug nahm der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt am 21. August an der Demonstration in Wunsiedel (Bayern) im Rahmen der jährlich stattfindenden "Rudolf-Heß-Aktionswoche" teil. Die Heß-Demonstration ist eine der wichtigsten Veranstaltungen für die "Freien Nationalisten". Unter dem Motto "Mut zur Wahrheit - schafft Gerechtigkeit" wurde bundesweit mobilisiert. 2004 konnte mit ca. 3 800 Personen - darunter zahlreiche Wunsiedel: Berliner Rechtsextremisten - die Teilnehmerzahl des Vorjahres Zahlreiche Berliner deutlich überschritten werden (2003: ca. 2 600). Gleiches galt Teilnehmer für die "Kundgebung zu Ehren der Soldaten der Wehrmacht" in Halbe am 13. November: Mit ca. 1 600 Rechtsextremisten waren sichtbar mehr Teilnehmer vor Ort als noch im letzten Jahr (2003: ca. 600). Demonstrationsverbot am 25. September in Berlin Zum ersten Testfall für die neue Einigkeit wurde der gemeinsame Aufruf zur NPD-Demonstration am 25. September in Berlin - allerdings wurde diese Kundgebung kurzfristig durch den Berliner Polizeipräsidenten verboten. Das NPD-Präsidium hatte erklärt, dass auch in Zukunft der "Kampf um die Parlamente" eng mit dem "Kampf um die Straße" verknüpft sein werde: "Um ein diesbezügliches Zeichen zu setzen, werden NPD und führende freie Nationalisten am 25. September in Berlin unter dem Motto auf die Straße gehen, um der Überfremdung in Deutschland den Kampf anzusagen."78 Die Demonstration war von dem Berliner Landesvorsitzenden der NPD unter dem Motto "Keine islamistischen Zentren - Weg 78 NPD-Präsidium: Volksfront statt Gruppenegoismus. Erklärung des Parteipräsidiums der NPD. Internetauftritt "Eine Bewegung werden", datiert 19.9.2004. 56 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 damit!" angemeldet worden.79 Die NPD hatte ihr Demonstrationsthema aber noch kurzfristig geändert und warb schließVeränderung des Slogans lich mit dem Slogan "gegen islamische Zentren in der Stadt". Ferner war das Motto "Berlin bleibt deutsch" hinzugefügt worden, das sich bewusst sowohl an eine inkriminierte "Landser"-CD mit volksverhetzenden und gewaltverherrlichenden Inhalten aus dem Jahre 1996 als auch an einen Tagesbefehl Adolf Hitlers anlehnte. Schließlich war entgegen vorherigen Zusicherungen ein Auftritt des ehemaligen "Landser"Sängers Michael Regener vorgesehen und damit ein Bezug zu der kriminellen Vereinigung "Landser" hergestellt worden. Verbotsbescheid So wurde die Versammlung mit Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 24. September verboten, da mit der Änderung des Mottos von "islamistisch" zu "islamisch" einer gesamten Bevölkerungsgruppe ihr Recht auf freie Religionsausübung abgesprochen werde und die Begehung von Strafund Gewalttaten zu befürchten sei. Nachdem der Veranstalter die Verbotsverfügung gerichtlich angefochten hatte, bestätigte letztlich das Bundesverfassungsgericht das Demonstrationsverbot.80 NPD-Bundesparteitag am 30./31. Oktober bestätigt "Volksfront" Mit der deutlichen Wiederwahl Udo Voigts zum Vorsitzenden und der Zusammensetzung des neuen NPD-Vorstands bestätigte der Bundesparteitag der NPD am 30./31. Oktober in Leinefelde (Thüringen) den politisch-strategischen Kurs der Bildung einer "Volksfront".81 Udo Voigt wurde ohne Gegenkandidaten - nach Angaben der NPD mit 158 von 182 Delegier79 Die Demonstration sollte zunächst am 11.9.2004 durch Kreuzberg führen. Aufgrund zeitgleich an diesem Tag stattfindender Ereignisse stimmte die NPD einer Verlegung des Demonstrationstermins auf den 25.9. und aufgrund befürchteter Ausschreitungen politischer Gegner einer Verlegung der Demonstrationsroute nach Lichtenberg zu. 80 Das Verbot war zuvor sowohl durch das Verwaltungsgericht als auch das Oberverwaltungsgericht Berlin bestätigt worden. Vgl. Beschluss des VG Berlin vom 24.9.2004, Az VG 1 A 262.04; Beschluss des OVG vom 24.9.2004, Az 1 S 68.04; Beschluss des BVerfG vom 25.9.2004, Az 1BvQ 42/04. 81 Der Bundesparteitag stand unter dem Motto "Arbeit - Familie - Vaterland". Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 57 tenstimmen82 - in seinem Amt als Vorsitzender ebenso bestätigt wie der Fraktionsvorsitzende im Sächsischen Landtag Holger Berliner im Apfel als stellvertretender Vorsitzender. Auch die Berliner Bundesvorstand Rechtsextremisten Frank Schwerdt und Jörg Hähnel wurden als Beisitzer in den Vorstand gewählt.83 Darüber hinaus gelang mit Thorsten Heise einem neonazistischen Führungsaktivisten der Einzug in den NPD-Bundesvorstand. Die "Freien Nationalisten" Ralph Tegethoff und Thomas Wulff hatten entgegen ihrer vorherigen Ankündigung auf eine Kandidatur verzichtet. Dennoch würdigte Wulff den neuen Vorstand als eine von "Kampfeswillen geprägte Riege"84. Seinen kurzfristigen Kandidaturverzicht stilisierte er zur vertrauensbildenden "Geste der Zurückhaltung"85 und deutete gleichzeitig die Wahl Heises als Zustimmung der Partei zum "Volksfront"-Kurs. Möglicherweise wurde mit diesem Vorgehen aber auch nur eine Kampfabstimmung vermieden, die das Ende der Einigungsbemühungen hätte bedeuten können. Somit dürfte ein für beide Seiten - die Partei und die "Freien Nationalisten" - zufrieden stellendes Ergebnis erzielt worden sein. Der Kooperationskurs bedeutet jedoch einen Spagat zwischen widerstreitenden und z. T. miteinander unverträglichen InterGefahr der weiteren Radikalisierung essen einzelner rechtsextremistischer Spektren. Mit der Annäherung an die "Freien Nationalisten" könnte sich einerseits eine erneute Radikalisierung der NPD und eine steigende Militanz ihrer Mitglieder verbinden. Ein Anzeichen dafür war beispielsweise ein Interview mit Udo Voigt in der Wochenzeitung "Junge Freiheit", das ein deutliches Signal in Richtung der neonazistischen Kräfte in der "Volksfront" aussandte. Der NPD-Vorsitzende propagierte darin freimütig die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch einen revolutionären Umsturz und bekannte sich zum Nationalso82 Die Redaktion: Udo Voigt wurde mit 158 Stimmen, von 182 Delegierten im Amt des Parteivorsitzenden eindrucksvoll bestätigt. Internetauftritt der NPD, datiert 30.10.2004. 83 Die Redaktion: NPD-Bundesparteitag 2004. 30./31. Oktober in Leinefelde. Kurzbericht: Bekanntgabe der gewählten Vorstandsmitglieder. Internetauftritt der NPD, datiert 31.10.2004. 84 Thomas Wulff: Die Partei geht auf Kurs (Nachlese zum Bundesparteitag der NPD). Internetauftritt "Eine Bewegung werden", datiert 8.11.2004. 85 Ebenda. 58 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 zialismus. Adolf Hitler bezeichnete er als "großen deutschen Staatsmann". Die NPD bemühe sich heute darum, "die nationalsozialistische Strömung zu integrieren".86 Andererseits könnten aktionsorientierte und gewaltbereite Rechtsextremisten den Versuch unternehmen, die NPD als legalen "parlamentarischen Arm" zu instrumentalisieren. Thomas Wulff gab seiner Hoffung Ausdruck, durch die "Scharnierfunktion" der "Freien Nationalisten" in der NPD die Partei "auf Erfolgskurs zu halten".87 Doch dieser Kurs ist auch innerhalb der NPD umstritten. Der Innerparteiliche Kritik NPD-Theoretiker Jürgen Schwab sieht in der "Volksfront" eine neue "Bürgerkriegsposition" und zweifelt an der Dauerhaftigkeit ihres Erfolges.88 Das Zusammengehen mit den "Freien Nationalisten" sei ein "taktisch motiviertes Zweckbündnis". Auch die Wahl der neonazistischen Führungsaktivisten in den Bundesvorstand bewertet er kritisch: "Die Frage allerdings, ob ein Neonationalsozialismus zukunftsfähig sein könnte, hat Voigt somit nicht beantwortet. Das wäre aus seiner Sicht auch ungeschickt, da er den bundesrepublikanischen Neonationalsozialismus seit dem letzten Parteitag nun stärker als je zuvor in den Parteivorstand eingebunden hat."89 In seiner Parteitagsrede kündigte Voigt die Fortsetzung seiner bisherigen Bündnispolitik an. Er erklärte, das "Drei-SäulenKonzept" der NPD weiter verfolgen und es um eine vierte Säule erweitern zu wollen, den "Kampf um den organisierten Willen"90. In diesen Zusammenhang stellte er auch die vertiefte Zusam86 "Ziel ist, die BRD abzuwickeln". Der NPD-Vorsitzende Udo Voigt über den Wahlerfolg seiner Partei und den "Zusammenbruch des liberal-kapitalistischen Systems". In: "Junge Freiheit" Nr. 40/2004, 24.9.2004. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin hatte aufgrund der Äußerungen Voigts in dem Interview ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Allerdings ergab die Prüfung, dass die Aussagen Voigts strafrechtlich nicht relevant waren. Das Ermittlungsverfahren wurde daraufhin eingestellt. 87 Thomas Wulff: Wo bitte geht's zur Volksfront?! Internetauftritt "Eine Bewegung werden", datiert 8.11.2004. 88 Jürgen Schwab: Die NPD und ihr "Staat". Internetauftritt "Die Kommenden", Aufruf am 17.11.2004. 89 Ebenda. 90 Udo Voigt: Ansprache des Parteivorsitzenden auf dem NPD-Bundesparteitag 2004. 30./31.10.2004 in Leinefelde. Arbeit - Familie - Vaterland. Internetauftritt der NPD, datiert 30.10.2004. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 59 menarbeit mit der DVU und gab den Beginn eines ersten Unterschriftenaktion konkreten Projekts, einer gemeinsamen Unterschriftenaktion von NPD und DVU von NPD und DVU gegen den möglichen EU-Beitritt der Türkei, bekannt. Mittlerweile ist die Unterschriftensammlung angelaufen, ohne nennenswerte Resonanz in der Öffentlichkeit gefunden zu haben. Der DVU-Vorsitzende Gerhard Frey bestätigte in einer GastFrey als Gast auf rede auf dem NPD-Bundesparteitag die Übereinkunft der NPD-BundesParteivorstände über eine absolut gleichberechtigte partnerparteitag schaftliche Zusammenarbeit und gab weitere Wahlabsprachen bekannt.91 Zur Bundestagswahl 2006 solle der Listenführer einer gemeinsamen Wahlliste die NPD sein. Im Gegenzug sollten sich bei der Europawahl 2009 die Kandidaten der NPD auf der DVU-Liste zur Wahl stellen. Des Weiteren solle die NPD als einzige rechtsextremistische Partei 2005 zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein antreten. Mittlerweile kam es zu weiteren Wahlabsprachen zwischen Weitere NPD und DVU. Am 15. Januar 2005 schlossen die beiden Wahlabsprachen Parteivorsitzenden auf dem Bundesparteitag der DVU in München einen "Deutschland-Pakt". Darin teilten die beiden Parteien die meisten der bis zum 31. Dezember 2009 stattfindenden Wahlen unter sich auf. In der Präambel stellen sie allerdings fest: "NPD und DVU bleiben eigenständige 91 Vgl. Udo Voigt: Signal aus Leinefelde: Deutsche Volksfront geht auf Kurs. Internetauftritt der NPD, datiert 2.11.2004. 60 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Parteien gemäß ihren Satzungen und Programmen."92 Für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Jahr 2006 wurde Keine Festlegung für Berlin keine Festlegung getroffen. Hier gilt der Grundsatz, die DVU kandidiert nicht, wenn die NPD antritt.93 Die Vereinbarungen zwischen NPD und DVU zur Vermeidung konkurrierender Wahlantritte erscheinen derzeit erfolgversprechend. Allerdings orientiert sich die Kooperation bislang an bestehenden Kräfteverhältnissen und setzt auf Synergieeffekte. Die Absprachen erstrecken sich lediglich auf die Frage des gegenseitigen Wahlverzichts, offene Listen und möglicherweise Listenverbindungen. Da beide Parteien weiterhin auf ihrer Langfristige Eigenständigkeit bestehen, ist eine langfristige Zusammenarbeit Zusammenarbeit unter den Bedingungen der absoluten Führungsansprüche der fraglich beiden Parteivorsitzenden und eventuell nachlassender Wahlerfolge fraglich. Darüber hinaus betont Gerhard Frey stets, eine Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Neonazis abzulehnen. Auch das "Volksfront"-Bündnis von NPD und Freien Nationalisten reicht bislang nicht über Absichtserklärungen und gemeinsame Mobilisierungserfolge hinaus. Weder sind Richtungsund Machtkämpfe innerhalb der NPD für die Zukunft ausgeschlosGegenseitiges sen, noch ist das bisherige Misstrauen und der Geltungsdrang Misstrauen der beteiligten Führungsaktivisten überwunden. Die Versuchung der gegenseitigen Vereinnahmung ist groß. Damit kann aber der bündnispolitische Kurs jederzeit zur Machtprobe für die NPD werden. Eine der treibenden Kräfte der Annäherung, Thomas Wulff, deutete eine weitere künftige Konfliktlinie im Verhältnis zwischen denn rechtsextremistischen Parteien auf der einen und den "Freien Nationalisten" auf der anderen Seite bereits an: "Was wir hier in den letzten Wochen lesen ist die Einigung der Kräfte auf dem parlamentarischen Flügel der Gesamtbewegung. Dass es dort zum Teil erhebliche Unterschiede zur Sichtweise der außerparlamentarischen Kräfte gibt, dürfte vollkommen klar sein. Die Bündelung der Kräfte der parlamentarischen Parteienarbeit werden voraussichtlich nur zeitlich begrenzt sein und für die eigentliche Gesamtbewegung den Zweck haben, durch Wahlerfolge eine 92 Deutschland-Pakt von DVU und NPD. In: "National-Zeitung" Nr. 04/2004, 21.1.05. 93 Vgl. ebenda. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 61 größere Breitenwirkung der außerparlamentarischen Kräfte zu ermöglichen."94 Isolation der REP Die REP haben sich unter ihrem Vorsitzenden Rolf Schlierer an diesen Einigungsbestrebungen bislang nicht beteiligt. Dies führte die REP zunehmend in die parteipolitische Isolation. Die öffentliche Auseinandersetzung um das "Volksfront"-Konzept zwischen mehreren Landesverbänden und der Bundesführung Innerparteiliche belegt die innerparteiliche Zerstrittenheit der REP. Die BereitZerstrittenheit schaft großer Teile der Partei, mit anderen Rechtsextremisten zusammenzuarbeiten, kann langfristig zur Zerreißprobe für die REP werden. Weiter zugespitzt hat sich die innerparteiliche Konfrontation durch ein Strategiepapier des REP-Vorsitzenden, in dem er im Oktober die Bildung einer "Braunen Volksfront" erneut ablehnte.95 Allerdings scheint sich diese Ablehnung nur mehr auf die Zusammenarbeit mit der NPD und der DVU zu beziehen. Mit der "Frankfurter Erklärung" legten die REP im November einen Gegenentwurf zum "Volksfront"-Konzept der Gegenentwurf zum NPD vor.96 Dieser Versuch seitens der Parteivorsitzenden von Konzept der NPD REP, DP und DSU "zusammen mit weiteren Parteien zu einer engen Kooperation und zu gemeinsamen Wahlkampfantritten zu kommen"97, scheint unterdessen an dem Bundesvorstand der DP gescheitert zu sein.98 Als Reaktion auf die Beibehaltung des Abgrenzungskurses sind in letzter Zeit bereits einige ehemalige REP-Funktionäre der Zahlreiche Übertritte zur NPD NPD beigetreten. So wurde auf dem NPD-Bundesparteitag ein ehemaliger stellvertretender Bundesvorsitzender der REP in den Bundesvorstand gewählt. Des weiteren löste sich Anfang 94 Thomas Wulff: Wo bitte geht's zur Volksfront?! Internetauftritt "Eine Bewegung werden", datiert 8.11.2004. 95 Vgl. Rolf Schlierer: Keine braune Volksfront! Zur aktuellen Diskussion. Internetauftritt der REP, datiert Oktober 2004. 96 Vgl. Frankfurter Erklärung der Parteivorsitzenden von REP, DP und DSU. Pressemitteilung. Internetauftritt der DP, datiert 2.11.2004. 97 Ebenda. 98 Keine Zustimmung zur Frankfurter Erklärung. Internetauftritt der DP, datiert 21.11.2004. 62 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Januar 2005 der REP-Landesverband Hamburg auf. Sein Vorstand und ein großer Teil der Mitglieder sollen zur NPD übergetreten sein. Diese Entwicklung führt zu einer weiteren Schwächung der REP. Dessen ungeachtet bestätigte der Bundesparteitag der REP die politische Linie der REP-Bundesführung. Am 27./28. November Knappe wählten die Delegierten in Veitshöchheim (Bayern) den bisheWiederwahl des Bundesvorsitzenden rigen Bundesvorsitzenden erneut in sein Amt. Schlierer setzte sich dabei mit lediglich 145 von 249 Stimmen gegen seinen Konkurrenten, den stellvertretenden REP-Bundesvorsitzenden und stellvertretenden Landesvorsitzenden von NordrheinWestfalen Björn Clemens, durch. In einer mit großer Mehrheit verabschiedeten Resolution sei daraufhin eine Beteiligung an der "Volksfront" abermals abgelehnt worden.99 Allerdings würden die REP die Zusammenarbeit mit Parteien, Gruppierungen und Personen suchen, "die sich den gleichen Zielen verpflichtet sehen und sich uneingeschränkt zum Grundgesetz bekennen"100. Damit konnten sich zwar nochmals die Kräfte innerhalb der REP durchsetzen, die der "Volksfront" ablehnend gegenüber stehen. Das relativ schlechte Wahlergebnis des Bundesvorsitzenden zeigt jedoch, dass es nach wie vor erhebliche Widerstände gegen den Abgrenzungskurs gibt und eine weitere Schwächung der REP wahrscheinlich ist. Abweichender Kurs Der Berliner Landesverband der REP befindet sich in der Frage des Berliner der parteiübergreifenden Kooperation auf einem offenen Landesverbandes Konfrontationskurs mit der Bundesführung. Im August hatte sich dieser erstmals öffentlich zu den Wahlabsprachen zwischen DVU und NPD in Brandenburg und Sachsen geäußert. In einer Pressemitteilung forderte er von der Parteiführung, die Abgrenzungspolitik zu beenden: "Wir fordern deshalb das Bundespräsidium und den Bundesvorstand auf, sich in Zukunft an den Wahlteilnahmeabsprachen zu beteiligen, um unserer Partei in den Regionen Deutschlands einen Vorrang zu sichern, wo sie mit Abstand 99 Vgl. Republikaner bestätigen ihren Bundesvorsitzenden Rolf Schlierer und seinen Kurs. Pressemitteilung Nr. 61/04. Internetauftritt der REP, datiert 28.11.2004. 100 Der Bundesparteitag der Partei Die Republikaner: Die Republikaner bekennen sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Demokratie. Internetauftritt der REP, datiert 27./28.11.2004. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 63 stärker ist als die bisherigen Konkurrenten. Ein solches Vorgehen wäre das Minimum einer Parteistrategie, die mit Sicherheit vom Wähler verstanden und vermutlich auch honoriert wird."101 Gleichzeitig sprach der Landesvorstand eine Wahlempfehlung Berliner für die DVU aus, da die REP selbst in Brandenburg nicht zur Wahlempfehlung für Wahl standen: DVU in Brandenburg "Der Landesverband Berlin empfiehlt daher allen Interessenten und Mitgliedern beim Brandenburger Urnengang die DVU zu wählen. [...] Es gilt die DVU als einzige im Landtag vertretene Rechtspartei zu unterstützen."102 Kurz nach der für die DVU erfolgreich verlaufenen Landtagswahl im September veröffentlichte der Berliner REP-Landesvorstand einen einstimmigen Beschluss, in dem sich der Landesvorstand erneut von der Abgrenzungspolitik Schlierers distanzierte.103 Insbesondere seien dessen Stellungnahmen zu anderen rechten Parteien von "Emotionen und Aggressionen beherrscht", anstatt in diesem für die Wählerschaft sensiblen Bereich "nüchterne Rationalität walten zu lassen". "Das Verhalten der eigenen Parteiführung gegenüber bestimmten konkurrierenden Parteien beginnt auf diesem dramatischen Hintergrund allmählich geradezu aberwitzige Züge anzunehmen. [...] Wir appellieren deshalb in großer Sorge um unser Land noch einmal eindringlich an das Bundespräsidium, sich wenigstens für WahlteilnahmeAbsprachen zu öffnen, um überhaupt als politisch handelnde Partei in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Im übrigen sind Wahlteilnahme-Absprachen ein Element, um getrennt Erfolg zu haben."104 Diese Erklärungen bedeuten die konsequente Fortsetzung des politischen Kurses des Berliner Landesverbands der REP. Im Gegensatz zur Bundesführung befürwortet dieser eine Strategie der pragmatischen Kooperation mit rechtsextremistischen Parteien und Personenzusammenschlüssen. Der Wahlaufruf zu Gunsten der DVU in Brandenburg steht somit in einer Linie mit dem öffentlichkeitswirksamen Rücktritt des ehemaligen Landes101 Vgl. Konrad Voigt: Presseerklärung. Erklärung des Landesvorstandes Berlin. Internetauftritt des REP-Landesverbandes Berlin, datiert 17.8.2004. 102 Reinhard Haese: Ebenda. 103 Vgl. REP-Landesvorstand Berlin: Wahlteilnahme-Absprachen Ja oder Nein? Stellungnahme des Landesvorstandes. Internetauftritt des REP-Landesverbands Berlin, datiert 28.9.2004. 104 Ebenda. 64 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 vorsitzenden Bernd Bernhard im Mai 2003.105 Als Grund für seinen Amtsverzicht hatte dieser den Abgrenzungskurs des Bundesvorstands genannt. Neuer Am 4. Dezember wählten die Delegierten des Landesverbands Landesvorstand Berlin auf ihrem Parteitag einen neuen Landesvorstand. In einer Kampfabstimmung setzte sich der stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbands Tiergarten/Mitte, Peter Warnst, gegen den bisherigen Landesvorsitzenden Reinhard Haese durch.106 Bislang ist mit dem Führungswechsel allerdings noch kein Richtungswechsel des Landesverbands verbunden. Ob sich die REP dem gegenwärtigen Sog des "Volksfront"Konzepts der NPD weiter entziehen und unter ihrem Bundesvorsitzenden ihren Abgrenzungskurs bewahren können, ist ungewiss. 1.3.3 Gründung der "Bewegung Neue Ordnung" (BNO) Von Beginn an traf der breit angelegte Kurs der Öffnung unter dem Stichwort "Volksfront" innerhalb der NPD nicht nur auf Austritte aus JN Zustimmung. Zum Ende des Jahres 2003 traten zahlreiche Mitglieder aus dem NPD-Jugendverband aus, der ein gemeinsamer Landesverband Berlin-Brandenburg der "Jungen Nationaldemokraten" (JN / = NPD) ist. Sie gründeten in bewusster Abgrenzung zum aktuellen politischen Kurs des Parteivorstands - der Öffnung der NPD - die rechtsextremistische "Bewegung Neue Ordnung" (BNO).107 Damit verfügen die JN in Berlin über keine aktiven Strukturen mehr. Der Protest der Berliner und Brandenburger JN-Mitglieder richtete sich insbesondere gegen die Aufstellung eines NPDMitglieds bosnischer Herkunft als Kandidaten zur Europawahl am 13. Juni. In einer Erklärung beklagte der ehemalige JNLandesvorsitzende, es fehle eine "weltanschauliche Grundlage" 105 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004, S. 62 - 64. 106 Vgl. Peter Warnst: Landesverband Berlin mit neuer Führung. Pressemitteilung. Internetauftritt des REP-Landesverbands Berlin, datiert 8.12.2004. 107 Vgl. Ministerium des Innern des Landes Brandenburg, Verfassungsschutzbericht Brandenburg 2003, Potsdam 2004, S. 120 f. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 65 innerhalb der Mutterpartei, und kündigte an, dass deren Biologistischer "verbaler und inhaltlicher Anpassungskurs an das herrschende Rassismus System" erfolglos bleiben werde.108 Die "weltanschauliche Grundlage" sah er in einem biologistischen Rassismus: "Für mich als Person sowie für meine Kameraden des Landesverbandes ist der kleinste gemeinsame Nenner, der für eine weitere Zusammenarbeit notwendig gewesen wäre, die Anerkennung der Biologie als Grundlage unserer Politik. In diesem Zusammenhang ist natürlich auch das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht nach dem Prinzip der Abstammung zu nennen."109 Das NPD-Präsidium wandte sich wiederum gegen den Vorwurf, das "völkische Prinzip" aufgegeben zu haben, und rechtfertigte einige wenige "Ausnahmeregelungen".110 Den Parteiaustritt wertete die Partei als Spaltversuch: "Ebenso durchsichtig ist der Versuch, in diesem Zusammenhang eine Spaltung der Partei, vor allem aber einen Bruch zwischen der NPD und Teilen des parteifreien nationalen Widerstands zu provozieren, wo sich zur Verärgerung der Herrschenden und mancher Spaltpilze vielerorts wieder ein stärkerer Schulterschluß zwischen diesen abzeichnet."111 Die Bildung der BNO am 1. Februar in Vetschau (Brandenburg) war die Folge der ideologischen Radikalisierung ihrer GrünIdeologische Radikalisierung dungsmitglieder. Die treibende Rolle spielte dabei der ehemalige Landesvorsitzende der JN, der nunmehr als Führungsaktivist der BNO auftritt. Kernbestandteil des Weltbilds der BNO-Aktivisten ist ein übersteigerter völkischer Nationalismus. Ihr Ziel ist die Abschaffung des demokratischen Verfassungsstaates und die Errichtung einer "Volksgemeinschaft". Ihr 15Punkte-Grundsatzprogramm erinnert in seinem Charakter eines Forderungskatalogs an das 25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920 - wenn auch die beiden Programme im Wortlaut nicht übereinstimmen. Im Grundsatzprogramm wird die "Wiederherstellung des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts nach dem 108 Jens Pakleppa: An den Parteivorstand der NPD/Bundesvorstand der JN. Berlin, datiert 31.12.2003. Zit. nach: Internetauftritt des "Freien Widerstands". Forum, datiert 23.1.2004. 109 Ebenda. 110 Spaltversuche gegen die nationale Opposition abwehren. Erklärung des NPDPräsidiums. Internetauftritt der NPD, datiert 23.1.2004. 111 Ebenda. 66 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Prinzip der Abstammung" gefordert: "Deutscher ist, wer deutschen Blutes ist." Innerhalb der rechtsextremistischen Szene Berlins ist die BNO Isolation innerhalb der Szene bislang weitgehend isoliert geblieben. Es bestehen keine institutionalisierten Verbindungen zwischen der BNO und der NPD oder sonstigen rechtsextremistischen Personenzusammenschlüssen. Auch der Versuch eines überregionalen ZusammenÜberregionaler Zusammenschluss schlusses mit der "Bewegung Deutsche Volksgemeinschaft" gescheitert (BDVG) - ebenfalls eine Abspaltung der JN - zu einer "Plattform Neue Ordnung" (PNO) am 30. Mai in Stuttgart ist gescheitert.112 Auf dieser Veranstaltung wurde jedoch mit dem "Appell zu Württemberg" ein Sofortprogramm verabschiedet, mit dem man das vermeintlich bedrohte "materielle, geistige und biologischgenetische Erbe des deutschen Volkes"113 erhalten will. In Berlin ist die BNO bislang öffentlich nicht in Erscheinung getreten.114 In Brandenburg kam es zu Plakatierungen und zur Teilnahme an der Landtagswahl am 19. September . Mit einer Initiative unter dem Titel "Ja zu Brandenburg" (Ja) errang sie 0,4 Prozent der Wählerstimmen. Der Wahlantritt hatte allerdings nicht den Einzug in das Landesparlament, sondern den Erhalt der Wahlkampfkostenerstattung zum Ziel. Die BNO beteiligte sich ebenfalls an einer Demonstration am 1. Mai in Leipzig, die von dem Rechtsextremisten Christian Worch (Hamburg) als Gegenveranstaltung zur gemeinsamen 1. Mai-Demonstration von NPD und "Freien Nationalisten" in Berlin durchgeführt wurde.115 Das Veranstaltungsmotto lautete "DEUTSCH BLEIBT DAS LAND! Für Volksgemeinschaft & Sozialstaat!". 112 Dort wurde in einer Feierstunde vor ca. 350 Teilnehmern der 80. Geburtstag des anwesenden neonazistischen Publizisten Herbert Schweiger gewürdigt. Vgl. Tag der Volksgemeinschaft: Volksgemeinschaft leben! Bericht zur großen Saalveranstaltung in Württemberg vom 30.5. Internetauftritt der BDVG, datiert 30.5.2004. 113 Appell zu Württemberg am 30.5.: Wir fordern die Volksgemeinschaft! Internetauftritt der BDVG, datiert 30.5.2004. 114 Auch nicht unter der Bezeichnung "Schutzbund Deutschland", die die BNO bisweilen verwendet. 115 Vgl. S. 52 ff. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 67 1.4 Diskursorientierter Rechtsextremismus 1.4.1 Spaltung des "Deutschen Kollegs" (DK) Im diskursorientierten Rechtsextremismus spielte in Berlin vor allem der hier ansässige "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (= VRBHV) mit seiner "Wortergreifungsstrategie"116 zur Agitation gegen die HolocaustGeschichtsschreibung eine Rolle. Diese Linie des Vereins führBruch zwischen te im September zum offenen Bruch zwischen Horst Mahler - führenden Ideologen als gleichzeitig führendem Vertreter des VRBHV und des "Deutschen Kollegs" (= DK) - und Reinhold Oberlercher, dem anderen Chefideologen des DKs. Beide haben seitdem ihre Tätigkeit getrennt voneinander fortgesetzt. Das DK und der VRBHV sind nur noch eingeschränkt aktiv. Es steht zu erwarten, dass das DK seine in den letzten Jahren gewonnene Bedeutung im rechtsextremistischen Lager künftig einbüßen wird. Hintergrund des Streits war der Umstand, dass die Mitglieder des VRBHV den Zeitpunkt gekommen sahen, nicht mehr lediglich als Theorie-orientiertes "Denkorgan" zu wirken wie das DK, sondern aktiv gegen die von ihnen konstatierte "AuschwitzLüge" als die vermeintliche Grundlage des demokratischen Verfassungsstaates vorzugehen.117 Horst Mahler trieb diese Bestrebungen zunehmend voran und wandte die Strategie der "Wortergreifung" ohne Rücksicht auf strafrechtliche Konsequenzen an. Die Gelegenheit dazu bot sich ihm im Februar, als Prozess in Berlin die drei Funktionäre des DK vor dem Landgericht Berlin wegen Volksverhetzung gemäß SS 130 StGB angeklagt wurden. Horst Mahler, Reinhold Oberlercher und Uwe Meenen wurden Passagen ihres Textes "Ausrufung des Aufstandes der Anständigen" zur Last gelegt, in denen ein Verbot der jüdischen Gemeinden gefordert wurde: "Das Deutsche Kolleg verlangt das Verbot der jüdischen Gemeinden [...] Der Judaismus ist eine tödliche Gefahr für die Völker [...] Diese Geschichte [Anm.: des Abendlandes] ist 116 Die "Wortergreifungsstrategie" zielt darauf ab, öffentliche Veranstaltungen durch umfangreiche Vorträge der eigenen Positionen zu Propaganda-Veranstaltungen umzufunktionieren. 117 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004, S. 183 - 187. 68 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 der Kampf des zersetzenden Jüdischen Geistes gegen den sittlichen Geist der Germanen."118 Darüber hinaus wird in dem Text ein "Hunderttageprogramm" einer "Provisorischen Reichsregierung" entworfen, in dem die Ausweisung aller Ausländer gefordert wird. Die Schrift erweckt nach Ansicht der Staatsanwaltschaft den Eindruck, dass allen in Deutschland lebenden Ausländern jegliche Grundrechte entzogen werden sollten. Mahler wurde zusätzlich wegen eines Schriftsatzes im Zusammenhang mit seiner Funktion als Anwalt im NPD-Verbotsverfahren aus dem Jahr 2002 vor dem Landgericht Berlin angeklagt. Er hatte darin den Hass auf Hass auf Juden Juden als etwas "ganz Normales" und "Zeichen eines gesunden spirituellen Immunsystems, also von geistiger Gesundheit" bezeichnet.119 Im Verlauf des Prozesses kam es zum Streit zwischen Mahler und Oberlercher.120 Mahler hatte das Verfahren durch ausführliche Verteidigungsreden derart in die Länge gezogen, dass Oberlercher schließlich dem Vorschlag des Richters zustimmte, die beiden Anklagepunkte voneinander zu trennen und gesondert zu verhandeln. Mahler hatte den ursprünglich auf drei Verhandlungstage angesetzten Prozess genutzt, um über knapp 30 Termine hinweg aus seinen antisemitischen Schriften vorzutragen. Neben einem im Prozessverlauf spürbar nachlassenden Medieninteresse führte dieses Verhalten auch zu einem Folgeverfahren gegen ihn wegen Volksverhetzung. Im Zuge des Folgeverfahrens verhängte das Amtsgericht TierVorläufiges garten auf Antrag der Staatsanwaltschaft Berlin gegen ihn ein Berufsverbot vorläufiges Berufsverbot für die Tätigkeit als Rechtsanwalt.121 Die gezielte Provokation verstand der Angeklagte indes als Teil der "Wortergreifungsstrategie":122 118 Ausrufung des Aufstandes der Anständigen. Internetauftritt des DK, datiert 15.10.2000. 119 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004, S. 187. 120 Ursula Haverbeck-Wetzel: Bericht vom 27. Prozesstag im Prozess gegen MOM, Internetauftritt von "Alsoattac", Aufruf am 1.10.2004. 121 Beschluss des AG Tiergarten vom 8.4.2004, Az. 351 Gs 745/04. 122 Im Juni 2004 wurden zwei weitere Mitglieder des VRBHV vom Amtsgericht Bad Oeynhausen (Nordrhein-Westfalen) wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Sie zeichneten für mehrere Holocaust-leugnende Artikel Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 69 "Wird dann auch noch das Hauptverfahren eröffnet, haben wir erreicht, was wir mit der Vereinsgründung angestrebt haben: es wird gegen eine öffentliche Hauptverhandlung wegen geben. Damit ergibt sich zum ersten Male in der Geschichte die Gelegenheit, den 'Auschwitzprozeß' wiederaufzurollen."123 Oberlercher und Meenen wurden wegen der Passagen in dem Text "Ausrufung des Aufstands der Anständigen" vom Landgericht Berlin zu geringfügigen Geldstrafen verurteilt.124 Gegen Mahler wurde das Verfahren in diesem Anklagepunkt wegen Geringfügigkeit eingestellt, da in dem zweiten Verfahren aufgrund seines Schriftsatzes im NPD-Verbotsverfahren ein Mahler zu Haftstrafe höheres Strafmaß zu erwarten war.125 In diesem Verfahren verurteilt wurde er am 12. Januar 2005 wegen Volksverhetzung zu einer Haftstrafe von neun Monaten ohne Bewährung verurteilt.126 Gegen das Urteil hat Mahler Rechtsmittel eingelegt. Horst Mahlers Thesen und Strategien sind innerhalb der rechtsextremistischen Szene nicht unumstritten. Seine unverhohlene Radikalität und Entschlossenheit auch im Namen des VRBHV haben jedoch sein Ansehen in der internationalen Revisionisten-Szene (= Revisionismus) erhöht. So wurde der Gründungsaufruf des VRBHV im Internet etwa auf den revisionistischen Seiten der "Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung" und des "Adelaide-Institute" wiedergegeben. Mahler Mahlers selbst inszeniert sich unterdessen weiterhin als "Auserwählter" Selbstinszenierung im Kampf gegen den demokratischen Verfassungsstaat: "Ich bin glücklich, daß das Schicksal mich ausersehen hat, diesen Schlag gegen unsere Feinde zu führen."127 in der Zeitschrift "Stimme des Gewissens" des rechtsextremistischen "Collegiums Humanum" (Vlotho, Nordrhein-Westfalen) verantwortlich. In Anwesenheit zahlreicher Anhänger des DK und des VRBHV, darunter Mahler und Oberlercher, versuchten auch sie, vor Gericht ihre "Wortergreifungsstrategie" durchzusetzen. 123 Horst Mahler: Offener Brief an den "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV), Internetauftritt des "AdelaideInstitutes", datiert 16.3.2004. 124 Vgl. Urteil des LG Berlin vom 7.12.2004, Az 81 Js 3570/00. 125 Vgl. ebenda. 126 Vgl. Urteil des LG Berlin vom 12.1.2005, Az 81 Js 5200/02. 127 Horst Mahler: Offener Brief an den "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV), datiert 16.3.2004. 70 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Die Prozesse und persönlichen Auseinandersetzungen der führenden Köpfe bestimmten auch die Entwicklung von DK und VRBHV. Das DK befand sich bereits seit Jahresbeginn in der Krise, während der VRBHV ab der zweiten Jahreshälfte nur Verringerte Aktivität noch wenige Aktivitäten entfaltete. Der Verein beschränkte sich von VRBHV und DK im Wesentlichen auf die Herausgabe eines "Reichsbürgerbriefs", in dem vor allem bereits bekannte Texte Mahlers veröffentlicht wurden. Darüber hinaus versuchten einige seiner Anhänger, im Umfeld mehrerer Berliner Schulen strafrechtlich relevante Flugblätter zu verteilen, was jedoch durch die Berliner Polizei unterbunden wurde. Einer dieser Aktivisten versandte zudem Briefe mit Holocaust-leugnenden Inhalten an verschiedene öffentliche Stellen wie die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport. In den bekannt gewordenen Fällen wurden Anzeigen wegen Volksverhetzung erstattet. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 71 2 Linksextremismus 2.1 Überblick Das linksextremistische Personenpotenzial hat sich mit ca. 2 375 Personen gegenüber dem Vorjahr nur unwesentlich verringert (2003: ca. 2 410 Personen).128 Während die Anzahl der gewaltbereiten aktionsorientierten Linksextremisten gleichgeblieben ist, haben die linksextremistischen Parteien - insbesondere die "Deutsche Kommunistische Partei" (= DKP) - MitMitgliederverluste gliederverluste zu verzeichnen. Die mangelnde Attraktivität der bei Parteien DKP ist weiterhin durch die Überalterung ihrer Mitgliedschaft und innerparteiliche programmatische Auseinandersetzungen begründet. Auch 2004 konnte der parlamentsorientierte Linksextremismus keinen relevanten Einfluss entfalten. Die Versuche der "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands" (= MLPD), die Proteste gegen die Hartz IV-Gesetze massiv zu beeinflussen, blieben weitgehend erfolglos. Gesamtpotenzial linksextremistischer Gruppierungen: 2004 2 375 Personen Parteien Aktionsorientierte nicht-gewaltbereite 380 Szene 715 1 280 Aktionsorientierte gewaltbereite Szene Der aktionsorientierte Linksextremismus hingegen wies eine Bündnisse und neue Dynamik auf. Seit langem gab es erstmals wieder VerSpaltungen suche, die Szene zu stärken, indem sich vier autonome Gruppen zum Bündnis "ACT!" zusammenschlossen. Eine gegenläufige Entwicklung stellt die ideologische Spaltung zwischen 128 Diese Angaben sowie alle folgenden Angaben zu Personenpotenzialen sind geschätzt. 72 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 antideutschen und antiimperialistischen Gruppen dar. Diese verstärkte sich und führte zu einer Schwächung der Szene, da gemeinsame Mobilisierungen zu Demonstrationen und Kampagnen die Ausnahme blieben. Linksextremistisches Personenpotenzial Linksextremismus Berlin Bund 2003 2004 2003 2004 Gesamt 2 410 2375 31 700 31 200 ./. Mehrfachmitgliedschaften 400 400 Tatsächliches Personenpotenzial 2 410 2375 31 300 30 800 Personenpotenziale einzelner Gruppierungen Berlin Bund 2003 2004 2003 2004 Gewaltbereite aktionsorientierte Linksextremisten, davon 1 280 1280 5 400 5 500 * Autonome1 1 080 1080 * Anarchisten 150 150 * Antiimperialisten 50 50 Nicht-gewaltbereite aktionsorientierte Linksextremisten davon 730 715 26 3002 25 700 * "Linksruck" 110 110 * "Sozialistische Alternative Voran" (SAV) 50 45 * "Rote Hilfe e. V." (RH) 300 300 * Sonstige 270 260 Linksextremistische Parteien und innerparteiliche Zusammenschlüsse 400 380 s. o. s.o. Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. 1 Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere hundert Personen. 2 Als Summe für alle nicht-gewaltbereiten Organisationen und Parteien. Die Anzahl der Straftaten im Bereich "Politisch motivierte Anstieg der Straftaten Kriminalität - links" ist gegenüber dem Vorjahr um 25 Prozent gestiegen (2004: 666 Straftaten gegenüber 2003: 531 Straftaten). Überdurchschnittlich hat sich der Anteil der GewaltMehr Gewalttaten straftaten erhöht; diese nahmen gegenüber dem Vorjahr um 32 Prozent zu (2004: 206 Gewaltstraftaten gegenüber 2003: 156 Gewaltstraftaten). Der Anstieg ist wesentlich durch die Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 73 Zunahme der Angriffe von Linksextremisten auf Rechtsextremisten und rechtsextremistische Versammlungen begründet. Landfriedensbrüche haben sich in diesem Zusammenhang mehr als vervierfacht und Körperverletzungsdelikte annähernd verdoppelt. Bei den anderen Straftaten haben insbesondere die Verstöße gegen das Versammlungsgesetz stark zugenommen. Auch hier waren vielfach Auseinandersetzungen mit Rechtsextremisten die Ursache, des Weiteren gab es viele dieser Verstöße am 1. Mai. Fallzahlen für Politisch motivierte Kriminalität - Links -1 2003 2004 Gesamt 531 666 Terrorismus, davon 5 2 2 * Bildung terroristischer Vereinigungen SS 129 a StGB 5 2 Gewaltdelikte, davon 156 206 * Brandstiftung SSSS 211 - 221 StGB 26 13 * Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 38 71 * Landfriedensbruch SSSS 306 - 306 f StGB 37 65 * Raub SS 308 StGB 2 5 * Verkehrsgefährdungen SSSS 125, 125 a StGB 0 2 * Widerstandsdelikte SSSS 113 - 121 StGB 53 50 Andere Straftaten, davon 370 458 * Propagandadelikte SS 86 a StGB 31 12 * Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 131 116 * Beleidigung/üble Nachrede/Verleumdung SSSS 185 - 189 StGB 27 30 * Nötigung / Bedrohung SSSS 240, 241 StGB 10 11 * Versammlungsgesetz 141 203 * Sonstiges 30 86 1 Vollständige Angaben im Auszug aus dem Bericht "Kriminalität in Berlin 2004" im Anhang. 2 Hierbei handelt es sich um Verfahren, die beim BKA aufgrund der Deliktzuweisung geführt, aber dem Land Berlin wegen der Tatörtlichkeit zugeordnet werden. Dieses Verfahren wird erst seit 2003 praktiziert. Das neue Bündnis "ACT!" hat im Jahr 2004 mehrere Aktionen entweder federführend organisiert oder zumindest bei deren Neues Bündnis "ACT!" Durchführung mitgewirkt. Zu nennen sind hier insbesondere die gemeinsam organisierten "Mai-Steine"-Aktionen und die Aktivitäten im Rahmen der Hartz IV-Proteste. Nach Jahren der 74 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 inneren Zerstrittenheit, zahlenmäßigem Rückgang und schwindender Bedeutung konnte die Mobilisierungsfähigkeit erhöht und gewaltbereites Personenpotenzial stärker koordiniert werden. Dies galt insbesondere für die Gruppen, die den harten Kern der autonomen Szene ausmachen.129 Auch bei den im Untergrund agierenden Gruppen gab es VerMilitanzdebatte netzungsbemühungen, und zwar in Form der Militanzdebatte. Die Diskussion erreichte allerdings nicht die erwünschte Intensität und führte nicht zum beabsichtigten Ziel einer Vernetzung militanter Kräfte.130 Diesen Entwicklungen stehen gravierende Verwerfungen Auseinanderinnerhalb der linksextremistischen Szene gegenüber. Konfliktsetzungen um IsraelPalästina-Konflikt stoff ist die Positionierung im Israel-Palästina-Konflikt seit dem Ausbruch der zweiten Intifada 2000. Gegenpole sind antideutsche bzw. israelsolidarische Gruppen einerseits und Antiimperialisten anderseits. Mit der zunehmenden ideologischen Ausrichtung einiger "Antifa"-Gruppen in Richtung antideutscher Ideologie haben die Auseinandersetzungen an Schärfe zugenommen: Getrennte Demonstrationen, Körperverletzungen oder Schlägereien waren im Berichtsjahr keine Seltenheit. Erstmals demonstrierten am 10. Juli sogar Linksextremisten gegen andere Linksextremisten. Die internen Streitigkeiten haben die Mobilisierungsfähigkeit nach außen stark beeinträchtigt.131 Während in den Vorjahren die Aktionsfelder Antirassismus, Antiglobalisierung oder Anti-Atom-Proteste ein hohes Mobilisierungspotenzial besaßen, richteten Linksextremisten ihre AktiviSchwerpunkte Sozialreformen und täten 2004 zumeist an den Auseinandersetzungen um die Antifaschismus Sozialreformen oder am Thema Antifaschismus aus. Das Vorgehen unterschied sich je nach ideologischer Provenienz: Während Angehörige orthodoxer Gruppierungen legale Formen des Protests nutzten, traten die aktionsorientierten Autonomen darüber hinaus auch durch militante Aktionen in Erscheinung. 129 Vgl. S. 76 ff. 130 Vgl. S. 78 ff. 131 Vgl. S. 84 ff. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 75 Mit militanten oder gewaltfreien, aber regelüberschreitenden Aktionsformen Aktionen verfolgen linksextremistische Gruppierungen eine Kommunikationsstrategie. Die Aktionsformen dienen dazu, ein Thema sowohl in der Szene selbst, als auch gegenüber bürgerlichen Kreisen zu kommunizieren. Dies wurde bereits 1998 in einer Art Strategiepapier links-autonomer Agitation postuliert. Demnach ist es das Ziel einer solchen Kampagne, "ein soziales und mediales Halli-Galli zu entfachen, auf dessen Grundlage dann Mobilisierungsund Aufklärungsprozesse im tatsächlich linksradikalen Sinne losgetreten werden können".132 Nicht-legale Formen des Protests sind demnach integraler Bestandteil: "Ein mit Sicherlichkeit toller Werbegag dürfte darin bestehen, drei bis vier Tage vor der Demo einige so richtig spektakuläre 'Dinger' zu drehen. Hierzu könnten geeignete Behinderungen des Personenzugverkehrs genauso gehören wie Brandanschläge auf Autos, Clubgebäude, leerstehende Villen, Supermärkte etc.".133 In der linksextremistischen Agitation des Jahres 2004 wurden diese Grundsätze durchaus beherzigt, so beispielsweise bei den Anschlägen auf Automaten der BVG im Rahmen der "MaiSteine"-Kampagne oder auf Arbeitsämter unmittelbar vor dem 1. Mai. Ebenso versuchten linksextremistische Gruppierungen durch Teilnahme an bürgerlichen Protesten, diese zu instrumentalisieren oder zu infiltrieren. Bei den so genannten Montagsdemonstrationen gegen die Hartz IV-Reform hatte dies aber eine Spaltung von extremistischem und weitgehend nichtextremistischem Protest zur Folge.134 Neben dem Antikapitalismus gilt der Antifaschismus in der linksextremistischen Szene als gruppenübergreifender Konsens und stellte erneut einen Schwerpunkt der Aktivitäten, insbesondere der autonomen "Antifa"-Gruppen dar. Im Jahr 2004 nahmen Recherche-Aktivitäten der "Antifa" zu. Hierbei handelt es sich um eine gezielte Sammlung und Veröffentlichung von personenbezogenen Daten tatsächlicher und vermeintlicher 132 "Fridolin: Wo ist Behle?" anonymes Positionspapier, veröffentlicht im "INTERIM"-Sonderheft "Bewegung-Militanz-Kampagne", März 1998. 133 Ebenda, S. 38. 134 Vgl. S. 88 ff. 76 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Rechtsextremisten. Derartige Aktivitäten werden als Aufklärungsarbeit gegenüber der Öffentlichkeit bezeichnet; ihr tatsächlicher Zweck dürfte jedoch die Verunsicherung und versteckte Bedrohung des politischen Gegners sein.135 2.2 Strukturelle Entwicklungen 2.2.1 Gründung des linksextremistischen Netzwerkes "ACT!" Am Jahresanfang schlossen sich die autonomen Gruppen "Autopool", "Antifaschistische Linke Berlin" (= ALB), "Für eine linke Strömung" (F.e.l.S.) sowie die Gruppe "Subversion International" (!SI!) zum linksextremistischen Netzwerk "ACT!" zusammen. Kundgetan wurde die Gündung bei einer "Fiesta Zapatista" anlässlich des zehnten Jahrestages des ZapatistenAufstandes im mexikanischen Bundesstaat Chiapas - ursprünglich eine Solidaritätsaktion des linksextremistischen Spektrums mit den Aufständischen - am 10. Januar in KreuzAktionsbezogener berg. "ACT!" ist ein aktionsbezogener Zusammenschluss verZusammenschluss schiedener linksextremistischer autonomer Gruppen, die ihre jeweiligen Strukturen und Identitäten weiterhin bewahren. Eine Auflösung der einzelnen Gruppen zugunsten des Bündnisses scheint bisher nicht beabsichtigt zu sein. In der Tageszeitung "junge Welt" vom 14. Januar wurde das Aktionsnetzwerk "ACT!" öffentlich bekannt gemacht.136 Den Ausführungen zufolge stehen die beteiligten Gruppen als "repräsentativ für das Spektrum der radikalen außerparlamentarischen Linken". In seinem Grundsatzpapier "Kommunique No. 1" führt das Bündnis aus: "Mit ACT! gründen wir ein Netzwerk aus derzeit vier Berliner Gruppen der radikalen Linken, in denen insgesamt rund 100 Menschen organisiert sind. Auf der Grundlage unserer gemeinsamen politischen Praxis wollen wir zukünftige Aktionen koordinieren und gemeinsame Debatten über politische Ziele führen."137 135 Vgl. S. 100 ff. 136 Anja Wagner-Roth: "Gemeinsam rebelliert es sich besser". In: Junge Welt vom 14.1.2004. 137 Internetauftritt von ACT!, Aufruf am 9.11.2004. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 77 Das Spektrum der Aktionsfelder, in denen sich die Einzelgruppierungen des Bündnisses bisher engagierten, ist breit: Es reicht von der "Antifa"-Arbeit über den "Revolutionären 1. Mai" Aktionsfelder von bis hin zu Protesten im Rahmen der Anti-Globalisierungs"ACT!" bewegung. Dementsprechend kündigte auch "ACT!" an, in den Themenbereichen Antifa, Sozialabbau, Globalisierungskritik sowie staatliche Repression aktiv werden zu wollen. Insgesamt streben die beteiligten "ACT!"-Gruppen an, sich mittelfristig über gemeinsame politische Strategien und Schwerpunkte zu verständigen, da auf diesem Wege politische Ziele erfolgreicher zu verfolgen seien. Zum gegenwärtigen Engagement wird ausgeführt: "Aktuell beteiligen wir uns an den sozialen Kämpfen in Berlin gegen Sparpolitik und für ein Sozialforum und ein Soziales Zentrum. Nicht alle von uns machen alles. Aber es gibt genug Gemeinsamkeiten, um unsere politische Praxis zu verbinden. In unserer Unterschiedlichkeit können wir uns ergänzen."138 Ausdrücklich wird eine Zusammenarbeit mit anderen linksextreBündnisse mistischen Gruppen innerhalb von Bündnissen in Betracht gezogen. Hierbei will "ACT!" "militante, also unversöhnliche Standpunkte beziehen"139. Gemäß dem extremistischen Selbstverständnis wird im Kommunique erklärt: "ACT! versteht sich als revolutionär in dem Sinne, dass eine Gesellschaft, wie wir sie uns vorstellen, jenseits des Bestehenden liegt. Unsere Herrschaftskritik hat die Beendigung jeder Form von Ausbeutung und Unterdrückung zum Ziel. Das beinhaltet die Überzeugung, dass die Überwindung dieser Verhältnisse nicht im Parlament und nicht am Verhandlungstisch zu erreichen ist. Wir glauben an keinen Sozialstaat, an keine Religion und keinen Dialog mit den Herrschenden. Wir wollen Widerstand zeigen, entwickeln und vorantreiben. Wir wollen aneignen, enteignen und rebellieren. Was danach kommt - werden wir sehen!"140 Der angekündigte "Widerstand" wurde von "ACT!" über das Jahr bei verschiedenen Anlässen praktiziert und wie angekündigt, wurden schwerpunktmäßig soziale Themen aufge"Mai-Steine"Kampagne griffen. So war "ACT!" Hauptinitiator der "Mai-Steine"-Kam138 Ebenda. 139 Ebenda. 140 Ebenda. 78 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 pagne, mit der im Vorfeld des 1. Mai durch Aktionen der autonomen Szene wie ein "Festbankett" am Hermannplatz oder die Aktion "MoMa umsonst" eine Re-Politisierung der Proteste und Krawalle am 1. Mai in Kreuzberg angestoßen werden sollte.141 In der zweiten Jahreshälfte richteten sich die Aktionen vor allem gegen die Arbeitsmarktreformen (Hartz IV-Reformen). "ACT!" beteiligte sich an den Großdemonstrationen - wobei aus dem "ACT!"-Block heraus auch Straftaten begangen wurden.142 Und von "ACT!" ging auch die Kampagne "Die Überflüssigen" aus, bei der mit einer Besetzung und einer Störaktion in einem Restaurant die öffentliche Aufmerksamkeit gesucht und eine große Medienresonanz erreicht wurde. Mit "ACT!" ist es den am Bündnis beteiligten Gruppen gelungen, Öffentliche Wirkung ihre Aktivitäten zu bündeln und insbesondere bei den "MaiSteine"-Aktivitäten und den Aktionen in Form der "Überflüssigen" eine größere Öffentlichkeitswirkung zu erzielen. Das Ziel, über derartige Aktivitäten Anschluss an den demokratischen Protest zu finden und die eigene Basis zu verbreitern, wurde nicht erreicht. Selbstkritisch stellt ein Mitglied des Bündnisses fest: "Ein weiteres Ziel, nämlich die Grenzen typisch linksradikaler Aktionsformen, die viele Nicht-Szene-Menschen ausschließen, zu überwinden, wurde nur selten erreicht. (...) Es zeigte auch ein grundsätzliches Dilemma auf, nämlich die Frage, wie denn die radikale Linke tatsächlich in soziale Kämpfe intervenieren will, wenn sie nicht Gewerkschaftsund Klientel-Politik betreiben möchte. Unsere starke Orientierung auf Medien und Spektakel steht uns dabei vielleicht manchmal selbst im Wege."143 2.2.2 Bündnisbestrebungen durch die Militanzdebatte und Anschläge der "militanten Gruppe (mg)" Die Militanzdebatte ist ein weiterer Versuch der Vernetzung mit dem Ziel, Aktionen und Anschläge von klandestinen militanten Gruppen strategisch zu erörtern und zu koordinieren. Durch die Debatte soll eine gegenseitige Bezugnahme der verschiedenen 141 Im Kapitel "Proteste gegen die Sozialreformen", S. 88 ff. werden die Kampagnen ausführlich dargestellt. 142 Ebenda. 143 Internetauftritt der "Arranca", Aufruf am 18.1.2005. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 79 militanten Gruppen bundesweit aufeinander gewährleistet sowie die militante linksextremistische Szene gestärkt werden. Angestoßen wurde sie bereits im Jahr 2001 durch die Berliner "militante gruppe (mg)" (=). Diese veröffentlichte im November 2001 ihr erstes Debattenpapier in der linksextremistischen Debattenpapier Szenezeitschrift "INTERIM". Im Sommer 2001 hatte sie drei der "militanten scharfe Patronen an den Regierungsbeauftragten für die gruppe (mg)" Entschädigung der Zwangsarbeiter sowie zwei Mitglieder der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft geschickt. Es folgten Anschläge, die sich im wesentlichen gegen Fahrzeuge und Gebäude von Behörden richteten.144 In der "INTERIM" wurden seitdem sowohl Selbstbezichtigungen als auch Diskussionsbeiträge zu linksextremistisch motivierter Militanz abgedruckt. Dabei wurde die sozialrevolutionäre und antiimperialistische Motivation der Anschläge ebenso betont wie die Art Sozialrevolutionärer und Weise, wie Militanz organisatorisch umzusetzen sei. Zu und Beginn gab es in der Debatte Positionierungen, die sich auch antiimperialistischer für gezielte Liquidierungen von Personen aussprachen, was Anspruch jedoch mehrheitlich auf Widerspruch traf. Nach anfangs reger Beteiligung mehrerer klandestiner Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet schlief die Debatte Ende 2002 ein. Mehrere Stimmen aus dem linksextremistischen Lager äußerten sich seither skeptisch zu den Vorschlägen der "militanten gruppe (mg)". Trotzdem versuchte diese, die Militanzdebatte im Jahr 2004 aufrechtzuerhalten und durch Anschläge zu untermauern; thematische Bezüge suchte sie dabei in der aktuellen Diskussion um die Sozialreformen. Schon unmittelbar zu Jahresbeginn - in der Nacht auf den Brandanschläge 1. Januar - verübte die "militante gruppe (mg)" einen Brandanschlag auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, bei dem ein Raum völlig ausbrannte und zwei weitere stark beschädigt wurden. In dem zum Anschlag veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben bezeichnete die "militante gruppe (mg)" das DIW als "kapitalistische Institution". Die Forschung des DIW trage dazu bei, dass Menschen weiter in die Armut gedrängt würden und sich den Unterdrückungs144 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2001. Berlin 2002. Dies.: Verfassungsschutzbericht 2002. Berlin 2003. Dies.: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004. 80 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 mechanismen der Sozialtechnokratie weiter ausgesetzt sähen.145 Eine Positionierung in der Militanzdebatte enthält dieses Schreiben - abgesehen von der plakativen und regelmäßig wiederholten Forderung nach einer militanten Plattform - nicht. In der Nacht auf den 30. März verübte die "militante gruppe (mg)" einen weiteren Brandanschlag auf die gemeinsame Anlaufstelle des Bezirksamtes Pankow und des Arbeitsamtes Berlin-Nord in Pankow, bei dem geringer Sachschaden entstand. Wiederum standen im Mittelpunkt der Selbstbezichtigung die Sozialreformen. Die "militante gruppe (mg)" sah diesen Anschlag als Mobilisierungsbeitrag zu den europäischen "Aktionstagen gegen den Sozialkahlschlag" am 2./3. April. Zudem betonte die "militante gruppe (mg)" in dieser Selbstbezichtigung die Notwendigkeit des Aufbaus einer militanten Plattform; diese sei "sowohl eine Voraussetzung als auch ein Ausgangspunkt einer Fundierung und [Neu-] Formulierung revolutionärer Politik, die den organisierten Klassenkampf von unten nicht nur auf geduldigem Papier niederschreibt, sondern mit den verfügbaren Mitteln in die Tat umsetzt". Bereits in der Nacht zum 7. Mai schlug die "militante gruppe (mg)" erneut zu. Diesmal richtete sich der Angriff gegen Fahrzeuge der Deutschen Telekom AG. Bei dem Brandanschlag brannten drei Fahrzeuge völlig aus, zwei weitere wurden aufgrund der Hitzeentwicklung beschädigt. In der Selbstbezichtigung erklärte die "militante gruppe (mg)", dass sie mit diesem Anschlag ihre "militanten Aktionen gegen die sozialtechnokratische Offensive von Staat und Kapital" (Anm.: gemeint sind die Hartz IV-Reformen) fortsetze. Ferner erklärte sie, dass sie in der Sozialgesetzgebung "ein (militantes) Interventionsfeld" sehe. Sie stellte die Tat ausdrücklich in Zusammenhang mit militanten Aktionen, die im Vorfeld des 1. Mai von anderen Gruppen durchgeführt wurden, und versuchte damit zu suggerieren, dass es sich bei diesen Anschlägen um "militante Eingriffe des Zusammenwirkens von breiter angelegten Initiativen" handele. Sie beklagte aber andererseits die fehlende gegenseitige Bezugnahme in den Selbstbezichtigungen. Ein145 Vgl. "militante gruppe (mg)": Anschlagserklärung vom 31.12.2003. In: "Indymedia", Aufruf am 9.1.2004. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 81 dringlich bat sie andere Gruppen darum, Stellung zu nehmen und eine militante Praxis zu entwickeln. Mit dieser Bitte gibt die "militante gruppe (mg)" indirekt zu, dass die Militanzdebatte lediglich durch sie selbst am Leben gehalten wird. Nachdem auch auf diesen Anschlag und die Erklärung der "militanten gruppe (mg)" keine Reaktionen anderer erfolgten, Fehlende Resonanz erschien im Sommer eine 66seitige Broschüre mit dem Titel in der Szene "militanzdebatte - dokumentation einer diskussion 2001 - 2004". Diese wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit von der "militanten gruppe (mg)" selbst oder ihrem engsten Umfeld veröffentlicht. Sie enthielt neben schon bekannten Texten der Militanzdebatte den "Versuch einer Zwischenbilanz"146 der mg. Versuch einer In dieser Erklärung setzte sie sich kritisch mit den bisher im Zwischenbilanz Rahmen der Debatte veröffentlichten Positionen auseinander: Die mg ging zwar auf Kritiken anderer Gruppen ein, versuchte aber, eine größere Beteiligung einzufordern.147 Ernüchtert stellte sie fest: "Wir geben zu, uns würde ein 'Rollentausch' auch mal reizen, in dem wir auf einen konkreten Konzeptvorschlag anderer Gruppen zu militanter Politik reagieren könnten. Das würde unserem Diskussionsprozeß zusätzliche Impulse verleihen."148 Damit gab die "militante gruppe (mg)" zu, der Motor einer Diskussion zu sein, die eigentlich schon kaum mehr stattfand und inhaltlich neue Impulse vermissen ließ. Eine Wende erhielt die Debatte mit der Veröffentlichung der 600. Ausgabe der "INTERIM". Diese enthielt neben der "ZwiWiederbelebung der Debatte schenbilanz" und einem Aufsatz über Theoretiker revolutionärer und militanter Politik Stellungnahmen einer Gruppe namens "Friends of Interim" sowie einiger vermutlicher Redaktionsangehöriger der "INTERIM". "Friends of Interim" unternahm den Versuch, die Militanzdebatte wiederzubeleben, in dem sie sich 146 "militante gruppe (mg)": Der Aufbau einer militanten Plattform - Versuch einer Zwischenbilanz. In: militanzdebatte - dokumentation einer diskussion 2001 - 2004, S. 2 - 8. 147 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2002. Berlin 2003 und dies.: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004. 148 "militante gruppe (mg)": Der Aufbau einer militanten Plattform - Versuch einer Zwischenbilanz. In: militanzdebatte - dokumentation einer diskussion 2001 - 2004, S. 6. 82 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 als Moderator anbot. Die Gruppe konstatierte, dass es der "militanten gruppe (mg)" zu verdanken sei, dass diese Debatte überhaupt geführt werde. Gleichzeitig erklärte sie jedoch, "dass Sprache und Gesamtbild von MG von vielen in der linksradikalen Szene nicht geteilt werden"; mg selbst als Urheberin sei "vielen nicht geheuer".149 Die Militanzdebatte sei in der Sackgasse: "Es fällt auf, daß es eine Weile lang relativ viele Gruppen gab, die sich zu Wort gemeldet haben (...) aber die meisten dieser MitdiskutantInnen sind sangund klanglos von der Bühne verschwunden."150 Andererseits stimmten "Friends of Interim" mit der "militanten gruppe (mg)" überein, dass sich das Thema der Sozialreformen geradezu aufdränge, um "über Gruppengrenzen hinweg eine gemeinsame militante Kampagne zu entwickeln"151, bedauerten aber, dass ein Austausch über Perspektiven zwischen den Gruppen fehle. Letztlich forderte die Gruppe alle diejenigen auf, "die ein ernsthaftes Interesse an der Weiterentwicklung der Debatte haben, das ausdrücklich kund (zu) tun".152 Sah es mit der Veröffentlichung der Beiträge in der "INTERIM" Weiterhin Nr. 600 zunächst so aus, als würde die Militanzdebatte neue ausbleibende Reaktionen Impulse erhalten, so blieben Reaktionen darauf bisher weitgehend aus. Zwar meldete sich in der Ausgabe Nr. 601 eine Gruppe namens "Familie Feuerstein" zu Wort und begrüßte den Moderationsversuch der "Friends of Interim" als "konkrete Verantwortungsübernahme"153; inhaltlich neue Positionen enthielt dieser Beitrag jedoch nicht. Aufgrund der verwandten Diktion und der konsequenten Inschutznahme der "militanten gruppe (mg)" gegen Kritiken - auch der "Friends of Interim" - liegt die Vermutung nahe, dass dieser Text von der "militanten gruppe (mg)" selbst oder mit ihr befreundeten Personen verfasst wurde. 149 "INTERIM" Nr. 600, S. 5. 150 Ebenda, S. 5. 151 Ebenda, S. 6. 152 Ebenda S. 6. Auch die mutmaßlichen Redaktionsmitglieder der "INTERIM" trugen zur Debatte keine neuen inhaltlichen Impulse bei. Ihr Beitrag war ebenfalls als Aufforderung zu verstehen, sich an der Debatte zu beteiligen. 153 "INTERIM" Nr. 601, S. 21. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 83 Parallel zu der Debatte verübte die "militante gruppe (mg)" in den frühen Morgenstunden des 23. September zwei BrandanErneute schläge auf die Sozialämter Reinickendorf und TempelhofBrandanschläge Schöneberg. An beiden Gebäuden entstanden Sachschäden. Zu den Anschlägen verschickte die "militante gruppe (mg)" ein Selbstbezichtigungsschreiben an den Sozialstadtrat des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg, welches eine Patrone enthielt. Nach den Patronenverschickungen im Jahr 2001 verwandte die "militante gruppe (mg)" diese Praxis erstmalig wieder. Sie bezwecke damit, "den sozialtechnokratischen Akteuren (...) in 'geballter' Form (zu) präsentieren, was es heißt, existenzielle Ängste zu haben".154 Mit diesen Brandanschlägen setzte die "militante gruppe (mg)" ihre Angriffe auf Institutionen des Sozialstaates vor dem Hintergrund der Hartz IV-Reformen fort. Sie erklärte: "Militante Aktionen gegen sozialtechnokratische Einrichtungen haben also die reelle Chance, Bausteine dieses Projektes so zu zerstören, daß der ganze Ablauf ins Stocken geraten oder gar vollständig ausgebremst werden kann."155 Mit vier Anschlägen156 hat die "militante gruppe (mg)" 2004 Vier Brandanschläge ebenso viele Anschläge wie im Vorjahr begangen. Darüber der "militanten hinaus hat sie sich neben den Selbstbezichtigungen mit ihrer Gruppe (mg)" im Jahr 2004 Zwischenbilanz und einer Theoriereihe zu Wort gemeldet. Der Moderationsversuch der Militanzdebatte durch die "Friends of Interim" scheint in seinen Ansätzen stecken geblieben zu sein und die Wiederaufnahme einer intensiven Debatte ist derzeit eher unwahrscheinlich. Damit ist der Versuch einer Vernetzung militanter Gruppen als gescheitert anzusehen. Diese Vernetzungsversuch gescheitert Entwicklung geht aber nicht einher mit einem prinzipiellen Abrücken von Militanz. Die Zahl der militanten Gewaltstraftaten ist nach wie vor hoch.157 154 "militante gruppe (mg)": Anschlagserklärung vom 23.9.2004. In: "Interim" Nr. 602, S. 14. 155 Ebenda S. 15. 156 Die zwei Brandanschläge auf die Sozialämter Reinickendorf und TempelhofSchöneberg vom 23. September werden als ein Anschlag gezählt. 157 Vgl. S. 72 f. 84 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 2.2.3 Spaltung durch "Antideutsche" Während die Gründung von "ACT!" eine Vernetzung von maßgeblichen Gruppen der autonomen Szene war, verschärfte Ideologischer sich der ideologisch begründete Konflikt zwischen antiKonflikt deutschen und antiimperialistischen Gruppierungen. Hintergrund der Spaltung ist die zunehmende Verbreitung der antideutschen Ideologie insbesondere bei den autonomen "Antifa"-Gruppen. Grundannahme der antideutschen Ideologie - die in Berlin u. a. Antideutsche Ideologie von den Gruppen "Kritik & Praxis" (= KP) und "Autonome Antifa Nordost" (= AANO) vertreten wird - ist der angeblich in allen Deutschen angelegte Hang zum Faschismus. Diese quasi-biologische Faschismus-Disposition158 der Deutschen sei Angebliche "Faschismusnicht nur verantwortlich für den Holocaust, sondern könne auch Disposition" jederzeit wieder ausbrechen: "Jene, die den Kapitalismus in weltweitem Rahmen bekämpfen wollen, ohne Deutschland einer spezifischen Kritik auszusetzen, übersehen, dass gerade deutsche Identität Herrschaft, Verwertung und Vernichtung meint, die in äußerster Konsequenz zu den Leichenbergen der beiden Weltkriege und von Auschwitz führte und weitere produzieren könnte."159 Dabei reicht die Feindschaft gegenüber Deutschland bis zum Wunsch nach dessen Zerstörung.160 Die deutsche Linke sei dazu verpflichtet, den Staat Israel als Staat der Juden und als Heimstätte der größten Opfergruppe des Nationalsozialismus uneingeschränkt zu unterstützen. Wegen der angeblichen Anfälligkeit der Deutschen für den Faschismus ist aus Sicht der "Antideutschen" aber starkes Misstrauen angebracht; auch im 158 Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz: Massiver ideologischer Streit zum Nahost-Konflikt unter Linksextremisten. In: Bundesministerium des Inneren (Hg.): Extremismus in Deutschland. Erscheinungsformen und aktuelle Bestandsaufnahme. Berlin 2004, S. 197 - 210, hier S. 204. 159 "Gründungspamphlet der Antideutschen Kommunisten". Internetauftritt der "Antideutschen Kommunisten Berlin", Aufruf am 19.3.2004. 160 Auf einem Transparent einer "Antifa"-Gruppierung auf der "Revolutionären 1. Mai-Demonstration" (18.00 Uhr) wurde die erneute Bombardierung Deutschlands wie im Zweiten Weltkrieg gefordert: "Bomber Harris says: I would do it again. We say: Do it now." (Mit "Bomber Harris" ist der englische Marschall ARTHUR HARRIS gemeint, der u. a. die Bombardierung Dresdens befehligte.) Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 85 linken Spektrum gebe es einen weit verbreiteten Antisemitismus, der sich im so genannten Antizionismus - etwa in der Antizionismus als linke Form des Kritik an Israels Vorgehen in den besetzten Gebieten - äußere: Antisemitismus "Nur verkennen die linken Israel-KritikerInnen, daß Kritik-anIsrael-üben zur Zeit die Art ist, mit der sich Antisemitismus in Deutschland äußert und verbreitet."161 Da die USA seit jeher als Schutzmacht Israels gelten, wird von Begrüßung der den "Antideutschen" die Politik der USA im Nahen und Mittleren amerikanischen Osten, insbesondere das Vorgehen gegen den Irak begrüßt. Politik Die antideutschen Positionen treffen im weiteren linksextremistischen Spektrum auf scharfe Kritik. Die Befürwortung der Nahost-Politik der USA und insbesondere die Begrüßung des Krieges gegen den Irak162 brachte den "Antideutschen" die Bezeichnung "Bellizisten" ein (im Sinne von Kriegsbefürwortern, lat. bellum = Krieg). Die mit Hilfe der antideutschen Ideologie Antiimperialistische Positionen gerechtfertigte Unterstützung Israels bricht zudem ein linksextremistisches Tabu, da Nationalstaaten dort grundsätzlich als Ausdruck von Herrschaft und struktureller Unterdrückung gelten. So wird das Mitführen von Israelund USA-Fahnen auf Demonstrationen von Teilen der linksextremistischen Szene als Provokation empfunden und führt zu teils offener Aggression gegenüber den "Antideutschen". Insbesondere die autonome antifaschistische Szene ist von dieser ideologischen Spaltung betroffen. Als Gegenpol zu den Unterstützung palästinensischer "Antideutschen" gelten die antiimperialistischen Gruppierungen. Positionen Sie begreifen ihren Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse nicht nur regional, sondern - indem sie sich mit den Befreiungsbewegungen der Welt solidarisieren - international. Als Hauptfeind gelten die "imperialistischen Mächte", an erster Stelle die USA aber auch die Bundesrepublik Deutschland. Da die Palästinenser von den "Antiimperialisten" als ein "von den USA und ihrem Kampfhund im Nahosten, Israel,"163 unterdrücktes Volk angesehen werden, trifft die uneingeschränkte Solidarität der "Antideutschen" mit Israel hier auf besonderen 161 "Das Problem ist Antisemitismus". In: "INTERIM" Nr. 550 (9.5.2002), S. 3 - 4, hier S. 4. 162 Gemeint ist hier der erste Irakkrieg. 163 "Das Problem ist Antisemitismus". In: "INTERIM" Nr. 550, S. 3 - 4. 86 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Widerspruch. Die Unterstützung der Palästinenser reicht in diesem Lager bis zur Begrüßung des bewaffneten Kampfes: "Der Widerstand - einschließlich bewaffneten Widerstand - gegen die imperialistischen Oberherren stärkt und verbreitet sich. Nicht nur im Irak, sondern im gesamten Nahen Osten und den unterdrückten Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens: in der Türkei, Palästina (...) Es liegt an uns sicherzustellen, dass nicht nur unser Widerstand weitergeht, sondern auch an Einheit, Stärke, Richtungsund Zielklarheit wächst. Nur auf diese Weise werden wir in der Lage sein, nicht nur den gegenwärtigen US-geführten verbrecherischen Kreuzzug zu stoppen, sondern unsere Welt vom Imperialismus insgesamt zu befreien!"164 und "Wir können es unseren Feinden nie erlauben, festzulegen, welcher Kampf legitim ist und welcher nicht. Alle Kämpfe gegen den Imperialismus und die Reaktion müssen unterstützt werden, einschließlich derer, wo die Unterdrückten und Ausgebeuteten zur Waffe gegen die Vollstrecker der alten Ordnung gegriffen haben."165 Diese unüberbrückbaren ideologischen Gegensätze führten Spaltung der linksextremistischen 2004 zu einer fortschreitenden Spaltung der linksextremistiSzene schen Szene, die sich in körperlichen Auseinandersetzungen und Demonstrationen gegeneinander bemerkbar machte. So wurde auf einer Demonstration gegen Rechtsextremisten am 31. Januar in Hamburg eine Gruppe Berliner "Antideutscher" (KP, AANO) von Mitdemonstranten angegriffen, weil sie versuchten, mit Israelund USA-Fahnen an die Spitze des DeKonfrontationen monstrationszugs zu gelangen. Dort kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen: "Das Transparent der GenossInnen von der KP Berlin (Deutschland denken heißt Auschwitz denken) wurde zuerst angegriffen und entwendet. Besonderen Zorn erregten die mitgeführten Israelfahnen. [...] Die teilweise vermummten Demonstranten entrissen sie den Antifaschisten unter Schlägen und Tritten, in einigen Fällen zerfetzten sie die Fahnen oder versuchten sie zu verbrennen. Dies wurde von den umstehenden Demonstranten entweder ignoriert bzw. durch Sprechchöre wie 'Intifada, Intifada!' oder 'Sharon ist ein Mörder und Faschist!' honoriert."166 164 Ebenda (Fehler im Original). 165 Internetauftritt der "Volkswiderstandsbewegung der Welt", Aufruf am 29.11.2004. 166 Die Antifa ist tot, es lebe die Antifa. Erklärung der "Autonomen Antifa Nordost Berlin" (AANO), Internetportal Indymedia, Aufruf am 4.2.2004. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 87 Bisheriger Höhepunkt der gewalttätigen Auseinandersetzungen innerhalb der linksextremistischen Szene war eine MesserAttacke eines Mitglieds der "Revolutionären Kommunisten" (RK) auf einen Angehörigen der antideutschen Gruppe "Kritik & Praxis" (KP) während des Karnevals der Kulturen in Kreuzberg am 30. Mai. Dieser Vorfall führte nicht nur zu einer bundesweiten Solidaritätserklärung mit den Opfern und der Forderung nach Ausschluss der RK aus linken Zusammenhängen,167 sondern auch erstmalig zu einer Demonstration von Linksextremisten gegen Linksextremisten in Kreuzberg am 10. Juli. Demonstration Aufgerufen dazu hatten antideutsche Gruppierungen, darunter am 10. Juli die AANO, unter dem Motto "Gegen den antizionistischen Konsens - Schluß mit der antisemitischen Gewalt in Kreuzberg und Neukölln". Adressaten der Demonstration waren in erster Linie andere Linksextremisten, denen vorgeworfen wurde, "im Bündnis mit Angehörigen arabischer Streetgangs [...], die bekanntlich vor keiner Gewalttat zurückschrecken"168, zu stehen. Weiter heißt es in dem Aufruf über Kreuzberg: "Wenn sich dessen Bewohner auch über sonst nichts einig sind, wissen sie doch ganz genau, wen sie hier nicht haben wollen, nämlich Juden. Dabei haben die Dörfler nichts gegen Juden, solange sie tot sind und sie mit ihnen ihren antifaschistischen Lerneifer illustrieren können, dessen Quintessenz darin besteht, den lebenden Juden Lektionen in deutscher Friedenspolitik zu erteilen."169 Die von "Antiimperialisten" und orthodoxen Linksextremisten als Gegenproteste Provokation empfundene Demonstration der "Antideutschen" führte zu wütenden Gegenprotesten. In einem Flugblatt eines "linksradikalen autonomen 1. Mai-Bündnisses" werden die Veranstalter als "Rassisten" bezeichnet.170 In einem anderen Flugblatt heißt es: "Die Antideutschen führen solche Provokationen durch, weil sie hoffen, berechtigten Zorn von Immigranten und Linken 167 Flugblatt "Messerattacke auf Antifas!" des "UnterstützerInnenkreis der Betroffenen". 168 Demonstrationsaufruf "Gegen den antizionistischen Konsens - Schluß mit der antisemitischen Gewalt in Kreuzberg und Neukölln". 169 Ebenda. 170 Flugblatt eines "linksradikalen autonomen 1. Mai-Bündnisses" zur Demonstration gegen den antideutschen Aufzug. 88 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 auszulösen und den Bullen so eine Rechtfertigung zu liefern, diese zu verprügeln und zu verhaften."171 An der Demonstration der "Antideutschen" nahmen ca. 200 Personen teil, an den Gegenprotesten waren ca. 70 Personen mit Palästina-Fahnen sowie einem Transparent "Solidarität mit allen emanzipatorischen Befreiungsbewegungen weltweit" beteiligt. Auch bei der Demonstration kam es zu verbalen und vereinzelten körperlichen Attacken gegeneinander. Warf die eine Seite der anderen vor, mit Nazis und Islamisten gemeinsame Positionen zu vertreten,172 konterte diese wiederum mit Parolen wie "Nazis morden, der Staat schiebt ab - ihr seid das gleiche Rassistenpack" oder "Stoppt Massaker, Stoppt den Krieg - Intifada bis zum Sieg". Die szeneinterne Auseinandersetzung birgt erhebliches PotenSchwächung des zial zur Schwächung des linksextremistischen Spektrums. linksextremistischen Spektrums Aufgrund zunehmend getrennter Mobilisierung beider Lager zu Demonstrationen ist absehbar, dass sich auf beiden Seiten eigene bundesweite Bündnisstrukturen herausbilden. Ferner zeigt der beabsichtigte Ausschluss eines "Antideutschen" aus der Gefangenenhilfe "Rote Hilfe", dass der Konflikt nicht vor strömungsübergreifenden Organisationen Halt macht. Der Betroffene kommentierte den Vorgang in einem Interview wie folgt: "Wenn antideutsche Positionen in einer Solidaritätsorganisation unter den Tisch fallen, dann werden diejenigen auch bald die Rote Hilfe verlassen, soweit sie es nicht schon getan haben."173 2.3 Aktionsfelder 2.3.1 Sozialreformen als beherrschendes Thema linksextremistischer Aktionen Die soziale Frage in der Gestalt der Diskussion um die Arbeitsmarktreformen Hartz IV war im linksextremistischen Spektrum im Jahr 2004 das beherrschende Thema. Die Zusammenlegung der Arbeitslosenund Sozialhilfe zum Arbeitslosen171 Flugblatt der Spartakist-Jugend gegen den Aufmarsch der antideutschen Gruppen, datiert 10.7.2004. 172 Redebeiträge und Nachlese zur Demonstration, Internetauftritt der Redaktion Bahamas, Aufruf am 29.11.2004. 173 Internetauftritt "Die Jüdische" vom 31.10.2004, Aufruf am 29.11.2004. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 89 geld II wurde als "Sozialbzw. Lohnraub" oder als "ArbeitsAnfangs zwang" (in Anspielung auf die 1-Euro-Jobs) bezeichnet.174 Zwar konsensfähige nutzten Linksextremisten anfangs überwiegend konsensfähige Formulierungen Formulierungen, um sich in den Protest zu integrieren und Abwehrreaktionen eines bürgerlichen Teilnehmerspektrums zu vermeiden; doch insgesamt zielte der linksextremistische Protest nicht auf eine kritische Auseinandersetzung im pluralistischen Meinungsstreit, sondern fundamental auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Gesellschaftsordnung. So heißt es in einem Aufruf zur Demonstration am 2. Oktober in Berlin, der u. a. von "ACT!", der "Antifa Weissensee" und der "Antikapitalistischen Aktion Berlin" unterzeichnet wurde: "Es ist nun an der Zeit, dass die offensichtliche Wut und Empörung ihren praktischen Ausdruck findet und zum organisierten Widerstand wird ? einem linken emanzipatorischen Widerstand, der sich nicht in Appellen an den Staat erschöpft, sondern in einem Kampf ums Ganze mündet. [...] Kapitalismus abschaffen! Alles für alle!"175 Die Proteste gegen die Sozialund Arbeitsmarktreformen waren ein Forum für alle Linksextremisten. Neben aktionsorientierten Autonomen engagierten sich dort auch die trotzkistische Gruppe "Linksruck" (=), die orthodox-kommunistischen Parteien "Deutsche Kommunistische Partei" (= DKP) und "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (= MLPD) sowie die anarchosyndikalistische "Freie Arbeiterunion" (FAU). Bereits im Frühjahr beteiligten sich Linksextremisten am europaweiten "Aktionstag gegen Sozialabbau". Zu der bundesweit u. a. von Gewerkschaften organisierten Demonstration am Aktionstag: 3. April in Berlin mobilisierte auch das linksextremistische "Wir - Wollen - Bündnis "ACT!"176 mit einem Aufruf zu einem "Wir - Wollen - Alles-Block!" Alles-Block!": 174 Vgl. Aufruf der "Antifaschistischen Linke Berlin" zur Demonstration am 6.11.2004 in Nürnberg, Internetauftritt der ALB, Aufruf am 1.11.2004: "Während die Großkonzerne Gewinne einfahren, folgt zielstrebig ein Sozialraubschachzug dem nächsten [...] Feste Arbeitsplätze werden vernichtet, ein Millionenheer an Erwerbslosen geschaffen, soziale Leistungen gekürzt und privatisiert, prekäre Billiglohn-, Leihund Zwangsarbeit eingeführt." 175 Internetauftritt der ALB, Aufruf am 21.1.2005. 176 Vgl. S. 76 ff. 90 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 "In den Staat, der Umstrukturierungen und Privatisierungen betreibt und die Ausgrenzung breiter Teile der Gesellschaft vom bestehenden Reichtum organisiert, setzen wir keine Hoffnung. Es ist ein Trugschluss, mit appellativen Forderungen an den Staat so zu tun, als ob er für uns da wäre. Soziale Rechte werden erkämpft, nicht erbettelt. Wenn der Widerstand gegen die Angriffe auf unsere Lebensbedingungen erfolgreich sein soll, so darf er sich nicht auf den Raum zwischen Bratwurstbude und Brandenburger Tor beschränken. Widerstand muss da ansetzen, wo es ihnen weh tut. Widerstand muss ungebührlich, unversöhnlich und maßlos sein."177 Auf dem Mobilisierungsplakat "Regierung stürzen" und "Kapitalismus von "ACT!" zur Demonstration abschaffen" wurden dementsprechend die Forderungen "Regierung stürzen" und "Kapitalismus abschaffen" propagiert. Bei der Demonstration stellten die Linksextremisten gemessen an der Gesamtteilnehmerzahl von ca. 126 000 Personen eine verschwindend geringe Minderheit. Durch Ausschreitungen wie Farbeierwürfe auf das Gebäude der Arbeitgeberverbände sowie die symbolische Besetzung eines Hauses mit der Forderung nach einem sozialen Zentrum fanden sie aber eine Resonanz in den Medien. Der "Revolutionäre 1. Mai" und Aktionen im Vorfeld Auch die jährlichen "Revolutionären 1. Mai"-Demonstrationen, die seit 16 Jahren mit sich anschließenden Krawallen ein sinnRitual-Charakter und identitätsstiftendes Ritual für die linksextremistische Szene sind, hatten das Schwerpunktthema Sozialreformen. Bereits im Vorfeld des 1. Mai sollte dieses Thema zu einer stärkeren Politisierung und Mobilisierung auch szenefremder Personen führen. Unter dem Motto "Sag Ja zum Nein!" riefen zahlreiche linksextremistische Gruppierungen unter der Federführung des 177 Internetauftritt ACT!, Aufruf am 26.11.2004. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 91 Bündnisses "ACT!" bereits im April zum 'sozialen Widerstand' Vorfeld: in Form der so genannten "Mai-Steine-Kampagne" auf:178 "Mai-SteineKampagne" "Die Mai-Steine sind unsere Antwort auf den neoliberalen Sozialraub: Aktionen und Veranstaltungen, mit denen in einer dreiwöchigen Kompakt-Kampagne der Soziale Widerstand forciert werden soll. Im Rahmen der Mai-Steine werden wir die Orte des sozialen Grauens aufsuchen, um gemeinsam Sand ins Getriebe zu werfen. [...] Die Mai-Steine im Vorfeld des Ersten Mai sollen nicht nur diesen einen Tag, sondern auch die Wochen im Vorfeld zum Schauplatz des Sozialen Widerstands machen. Die Mai-Steine sollen sozialen Widerstand erlebbar sowie Alternativen zu den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen denkbar machen."179 Vom 14. bis 30. April fanden hierzu 17 Veranstaltungen statt. Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erregten das so genannte "Festbankett" am 14. April auf dem Hermannplatz und die Aktion "MoMA für alle" am 17. April vor der Neuen Nationalgalerie. Befürchtungen, es könne hierbei zu einer Vielzahl von Straftaten kommen, traten nicht ein, obwohl bis zu 450 Personen an den jeweiligen Aktionen teilnahmen. Dennoch kam es im Zusammenhang mit der "Mai-Steine-Aktion" zu militanten Straftaten: So wurden drei Tage vor der "Mai-Steine"-Veranstaltung "BVG-Aktion: Fährst Du noch oder läufst Du schon?" Militante Straftaten mehrere Fahrscheinautomaten durch Brandstiftung oder Bauschaum zerstört. Es entstand hoher Sachschaden. 178 Vgl. S. 76 ff. 179 Internetauftritt "Mai-Steine-Kampagne", Aufruf am 1.6.2004. 92 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Auch vier in den Morgenstunden des 27. April verübte Anschläge auf Arbeitsämter in Berlin - zu einem der Anschläge bekannten sich "Autonome Gruppen" - lassen sich inhaltlich der "Mai-Steine-Kampagne" zuordnen. Diese Militanz passte in die Strategie der Organisatoren. So erklärte eine Vertreterin von "ACT!" in einem Interview mit der Szene-Zeitschrift "INTERIM": "Die militanten Aktionen haben die Öffentlichkeitswirksamkeit der Mai-Steine doch gut ergänzt."180 Insgesamt wurde die "MaiSteine-Kampagne" aus Sicht der Szene als Erfolg gewertet. Sie hatte - zu Beginn zumindest - erreicht, das eigene Potenzial zu mobilisieren und in der Berichterstattung der Medien Beachtung zu finden. Zudem war es durch die Bezugnahme auf soziale Themen gelungen, den 1. Mai wieder zu politisieren. Unabhängig von den "Mai-Steine-Aktionen" hatte der 1. Mai aber auch wieder seinen eigenen ritualhaften Charakter. Bereits im März kursierten mehrere Exemplare einer CD-ROM zum CD-ROM: Gewalt1. Mai mit gewaltverherrlichendem Inhalt, die unverhohlen zur verherrlichung Teilnahme an Krawallen aufforderten. So wurden taktische Hinweise gegeben, dass die beste Wurfentfernung für Steine 10 bis 30 Meter und für Brandsätze 5 bis 15 Meter sei. Weiter Verteilung vor wurde der Hoffnung Ausdruck verliehen, "dass der 1. Mai 2004 Schulen fuer die Bullen und den faschistischen Berliner Senat so schlimm wird wie noch nie". Diese CD-ROM wurde vor Schulen in Kreuzberg verteilt. Nach der Spaltung der Szene im vorangegangenen Jahr - damals gab es insgesamt drei "Revolutionäre 1. Mai"-Demonstrationen - und der Erkenntnis, dass der 1. Mai zunehmend unpolitisch geworden sei, war die linksextremistische Szene bemüht, eine gemeinsame Demonstration durchzuführen. Die Bemühungen um Zusammenführung der Demonstrationen gelang ihr jedoch nur Koordination eingeschränkt, mit dem Ergebnis, dass am 1. Mai zwei statt drei am 1. Mai "Revolutionäre" Demonstrationen stattfanden. Bei den Auseinandersetzungen um die Streckenverläufe der Demonstrationen mit der Versammlungsbehörde traten die Veranstalter aber gemeinsam auf; sie bezeichneten die Auflagen als Verbote und warfen dem Senat eine Eskalationsstrategie vor, deren Folgen 180 "INTERIM" Nr. 597, S. 9. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 93 er alleine zu verantworten habe.181 Zugleich wurde zu einer "Spontandemonstration" am 1. Mai um 19.00 Uhr ab dem Heinrichplatz - innerhalb des Festbereiches - aufgerufen. Die Demonstrationen begannen am 30. April. Die linksextremistische Szene hatte unter dem Motto "Kommunismus statt Europa" zu einer Demonstration gegen die Festveranstaltung zur EU-Osterweiterung am Gendarmenmarkt aufgerufen. Angemeldet wurde die Demonstration von einem Vertreter der Gruppe "Kritik & Praxis". Sie verlief mit bis zu 800 Personen friedlich. Im Anschluss daran begab sich eine Vielzahl der Teilnehmer in Konzert im den Mauerpark (Prenzlauer Berg). Dort fand, wie bereits im Mauerpark Vorjahr, ein Konzert unter dem Motto "Dem System auf der Nase herumtanzen - Hinein in den revolutionären 1. Mai" statt. Die Versammlung wurde maßgeblich von der "Antifaschistischen Linken Berlin" (= ALB) und der "Autonomen Antifa Prenzlauer Berg" organisiert. Insgesamt besuchten ca. 5 500 Personen den Mauerpark (beim Konzert ca. 3 500 Personen); nur ein geringer Teil davon war dem extremistischen Spektrum zuzurechnen. Nach dem Konzert kam es gegen Ausschreitungen 24.00 Uhr zu ersten Ausschreitungen, die in der Folge kurzfristig immer wieder aufflackerten. Die Polizei konnte schwere Ausschreitungen wie im Vorjahr verhindern, wobei sich besonders das Flaschenverbot sowie das Parkverbot im und am Mauerpark bewährten. So wurde verhindert, dass sich Störer mit Wurfutensilien versorgten oder Barrikaden errichteten. Insgesamt haben sich an den Ausschreitungen überwiegend nicht dem extremistischen Spektrum zuzurechnende gewaltorientierte Personen beteiligt. Nach den erfolgreichen "Mai-Steine-Aktivitäten" blieben die Teilnehmerzahlen bei den von Linksextremisten organisierten Demonstrationen am 1. Mai hinter deren Erwartungen zuDemonstrationen: Geringe rück.182 An der 13.00 Uhr-Demonstration nahmen ca. 400 PerTeilnehmerzahlen sonen teil, darunter Angehörige der "Revolutionären Kommunisten" (RK), der "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutsch181 Internetauftritt des "Gegeninformationsbüro", Aufruf am 16.6.2004. 182 Die Aktionen von Linksextremisten gegen die Demonstration der NPD am 1. Mai werden im Teil "Antifaschistischer Kampf" behandelt. 94 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 lands" (= MLPD) sowie türkischer linksextremistischer Gruppierungen. Die 16.00 Uhr Demonstration startete mit ca. 2 400 Teilnehmern, darunter ca. 900 Personen, die als gewaltbereit eingeschätzt wurden. Die Teilnehmer stammten u. a. aus den Gruppen "ACT!", "B.A.N.G.", "Anti-Atom-Plenum" (AAP), "Autonome Antifa Gruppen", "Freiheitliche Arbeiter Union" (FAU), "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) und "Linksruck". Nach den Demonstrationen begab sich ein Teil der Teilnehmer auf das "MyFest". Dort bildete sich gegen 20.00 Uhr am Spontandemonstration Heinrichplatz plötzlich ein Demonstrationszug aus ca. 100 Personen des autonomen Spektrums. Angeführt wurde der Zug von der Gruppe "B.A.N.G.", die ein Transparent mit der Aufschrift "Alle Macht den Räten, brecht dem System die Gräten" vor sich hertrug. Die Teilnehmer dieses Blockes hatten sich überwiegend vermummt. Während des Marsches schwoll die Teilnehmerzahl auf ca. 1 000 Personen an. Unter diesen befanden sich auch gewaltorientierte Jugendliche, die sich zum Teil nach Vorbild des Autonomenblocks ebenfalls vermummten. Nach dem Angriff auf Abfeuern von Leuchtraketen am Heinrichplatz kam es am Ende Polizeikräfte der Demonstration zu einem unvermittelten Angriff der Autonomen, die die Polizeikräfte mit Steinen bewarfen. Die Ausschreitungen konnten von der Polizei jedoch zügig unterbunden Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 95 werden, so dass es nicht zu erheblichen Sachbeschädigungen wie in den Vorjahren kam. In der Nachschau wurden die beiden "Revolutionären 1. Mai"Demonstrationen in der Szene als "lahm" bezeichnet. Insbesondere die geringe Teilnehmerzahl enttäuschte. Selbstkritisch wurde angemerkt, dass die Aktionen gegen die NPD-Demonstration zu einer Zersplitterung der Kräfte geführt habe.183 So Zersplitterung des erklärte eine Vertreterin von ACT! in einem Interview mit der Potenzials Szene-Zeitschrift "INTERIM": "Insgesamt war die Demo 2004 natürlich enttäuschend, klar. In ihrer Ausstrahlung genauso wie in der Größe ... die offensive Politikfraktion hat lieber in Friedrichshain Barrikaden gebaut - was wir gut verstehen können."184 Die Spontan-Demonstration in Kreuzberg wurde jedoch als Erfolg gewertet, da sie eine Initialzündung für die Jugendlichen gewesen sei. Sie habe "die Spaltung zwischen den Straßenkids und den Demonstranten [...] aufgehoben".185 Auch die Stellungnahmen im Internet-Portal "indymedia" waren überwiegend positiv. So hieß es dort beispielsweise, dass es "fast durchgehend Ketten und Vermummte, eine kämpferische - dem 1. Mai angemessene Stimmung" gegeben habe. Zu bedauern seien leider "viele Festnahmen, doch auch Team Green [Bezeichnung für die Polizei]" sei "nicht ohne Ausfälle ausgekommen".186 In einem anderen Beitrag wurde erklärt, dass "nachdem die Kommerz-Buden des SPD-PDS-BezirkMyFest hektisch abbauen mussten [...] endlich die nötige Feierstimmung [auf]kam. [...] Viele TeilnehmerInnen empfanden die Spontandemo im Kiez als eine der besten Revolutionären 1. Mai Demos seit Jahren."187 Die Militanz wurde von den Linksextremisten begrüßt, wenn Militanz begrüßt auch konstatiert wurde, dass die Ausschreitungen nicht das 183 Vgl. S. 100 ff. 184 "INTERIM" Nr. 597, S. 5. 185 Internetauftritt des Gegeninformationsbüros, Stellungnahme, Aufruf im Mai 2004. 186 Vgl. "indymedia". 187 Vgl. "indymedia". 96 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Niveau der Vorjahre erreicht hatte. So erklärte eine Vertreterin von "ACT!": "Angesichts der Befriedungsstrategie von MyFest und Bullen war es wichtig und gut, dass überhaupt was gelaufen ist. Unser Eindruck war, die Randale war deutlich kürzer und auch räumlich beschränkter als in den vergangenen Jahren, dafür aber entschlossener und politisch eindeutiger gegen die Bullen gerichtet. [...] eine Randale muss sich auch politisch vermitteln lassen. Und genau das ist auch schon in den letzten Jahren oft zu kurz gekommen."188 Die polizeilichen Maßnahmen haben aus Sicht der Szene die Aktivitäten behindert. Als besonders misslich wurde angesehen, dass Autos für den Barrikadenbau fehlten. Für künftige Veranstaltungen seien deshalb bessere Gegenstrategien zu entwickeln. Ein Teil der linksextremistischen Szene setzte auf eine "RepoliRepolitisierung tisierung" des 1. Mai. Die "Mai-Steine-Kampagne" fand eine große Presseresonanz. Ob dadurch jedoch Mobilisierungserfolge bei der eigenen Klientel oder bei noch nicht in der Szene verhafteten Personen erzielt werden konnten, bleibt fraglich. Die Teilnehmerzahlen der 1. Mai-Demonstrationen lagen weit unter den Erwartungen. Bei der Beurteilung muss aber berücksichtigt werden, dass es in Folge der Aktivitäten gegen die NPD-Demonstration in Friedrichshain und Lichtenberg zu einer Zersplitterung des Potenzials gekommen ist. Eine Vielzahl von Extremisten war noch dort gebunden und konnte sich somit nicht an den "Revolutionären 1. Mai"-Demonstrationen in Mitte und Kreuzberg beteiligen. Das Ziel, beim 1. Mai Einigkeit und Stärke zu zeigen, ist in erster Linie bei der Vorbereitung der Demonstrationen gelungen. Bei den gewalttätigen Ausschreitungen hat sich gezeigt, dass diese durch militante Angehörige der linksextremistischen Initiierung von Ausschreitungen Szene in Kreuzberg zumindest initiiert, in Friedrichshain und durch Lichtenberg sogar fast ausschließlich von ihnen getragen Linksextremisten wurden.189 Die polizeiliche Einsatztaktik hat die Entfaltungsmöglichkeiten für Linksextremisten wesentlich beschränkt. Die Stimmung der "MyFest"-Teilnehmer in Kreuzberg hat sich 188 "INTERIM" Nr. 597, S. 9. 189 Vgl. S. 100 ff. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 97 zudem gegen Krawalle und deren Initiatoren gerichtet. Die beschriebenen Reaktionen der Szene zeigen, dass ein Teil nicht davon ablassen wird, seine Vorhaben auch mit Gewalt durchzusetzen. So erklärte eine Vertreterin von "ACT!" auf die Frage der "INTERIM", ob sie sich mit einem Szenario anfreunden könne, welches auf politische Inhalte setze und ohne abendlichen Krawall auskomme: "Der Abend und die Demo waren auch in den vergangenen Jahren zwei verschiedene Paar Schuhe. Aber so ganz ohne ... mhhh ... klingt auch nicht so richtig prickelnd. Was ich mir da vorstellen könnte, wäre das kämpferische und konfrontative Element stärker an die Demo zu binden und doch irgendwann einmal zu versuchen, eine selbstgewählte Route durchzusetzen."190 Beteiligung an den Sozialprotesten im zweiten Halbjahr Während sich Linksextremisten bei den Aktivitäten gegen die Sozialreformen im ersten Halbjahr von Beginn an beteiligt hatten, wurden sie durch die Anfang August entstehenden "Montagsdemonstrationen" völlig überrascht. Erst als sie feststellten, dass hier unzufriedene Bürger selbst organisiert Montagsdemos: ihrem Protest Ausdruck verliehen, versuchten sie, Einfluss zu Einflussversuche nehmen. Dabei tat sich insbesondere in Berlin die orthodoxdurch Parteien sozialistische "Marxistisch-Leninistische-Partei-Deutschlands" (= MLPD) hervor. Sie agierte ursprünglich im Hintergrund, indem Parteimitglieder ihre Parteizugehörigkeit verschleierten. Als jedoch ihre Absichten und Einflussnahme offenbar wurde, kam es in Berlin zu einer Spaltung und zu wöchentlich jeweils zwei Demonstrationen. Auf der einen Seite stand ein Bündnis Spaltung: aus "Attac", PDS, Sozialverbänden, Gewerkschaften sowie den Isolation der MLPD linksextremistischen Gruppen "Linksruck" (=), "Sozialistische Alternative Voran" (= SAV), DKP (=) und KPD, auf der anderen Seite ein von der MLPD dominiertes "Berliner Bündnis Montagsdemo". Ihren Höhepunkt erreichten die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Montagsdemonstrationen am 20. September. Es kam bei der Fusion der zwei angemeldeten Demonstrationszüge zu Handgreiflichkeiten zwischen Demonstranten und der 190 "INTERIM" Nr. 597, S. 9. 98 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Polizei. Grund war ein Versuch der Organisatoren des MLPDAufmarsches, einen Lautsprecherwagen an den Ordnern des anderen Aufzugs vorbei in den Demonstrationszug einzureihen. Dies führte einerseits zu Auseinandersetzungen zwischen den Extremisten sowie andererseits zu Auseinandersetzungen zwischen diesen und der Polizei. In ersten Reaktionen sprach die MLPD von "brutalem Polizeiterror", der durch unsolidarisches Verhalten der Organisatoren der anderen Demonstration verursacht worden sei: "Deshalb spielten die Veranstalter der Auftaktkundgebung am Roten Rathaus und Spalter der Berliner Montagsdemonstration [...] der Polizei gestern direkt in die Hände. Sie beendeten die Abschlusskundgebung genau in dem Moment, wo der zweite Teil der Montagsdemonstrierer [der MLPD-Aufzug] endlich von der Polizei durchgelassen wurde. Damit wurde ein erneuter Vorwand für einen Polizeieinsatz wegen einer nicht angemeldeten Kundgebung gegeben."191 Die MLPD verstand sich als Opfer von "Spaltern" und "antikommunistischen Ausgrenzungsversuchen". Im Gegensatz dazu wird der Vorfall von der anderen Seite wie folgt geschildert: "Da ich im Lautsprecherwagen saß, habe ich einige Ereignisse nicht, andere aber besonders gut und mit spezieller Perspektive mitgekriegt. [...] Attac und andere Organisationen müssen sich im Vorfeld der letzten Demo überlegt haben, wie sie die Störungen [Anm: gemeint sind Störungen der MLPD] verhindern können. Ihr Plan war dann offensichtlich, gegen Ende der Demo mit ein paar Lautsprecherwagen den Weg so zu blockieren, dass zwar die Leute, nicht aber der stalinistische Lautsprecherwagen [Anm.: MLPD] durchkommt. [...] Unangenehmerweise stand unser Lauti in der Mitte, weshalb sich der ganze Zorn des MLPD-Umfeldes auf uns entlud. Die StalinistInnen griffen hierbei Ordner aus den anderen Blöcken tätlich an und bedrohten auch uns mit Schlägen und der Zerstörung des Lautis."192 Auch in der Folge kam es regelmäßig zu getrennten Demonstrationen. So rief das MLPD-Bündnis für den 3. Oktober zu einem "Sternmarsch auf Berlin" auf und setzte sich bewusst von den Mitinitiatoren und Unterstützern (z. B. "Linksruck", DKP, SAV, ALB, KPD) einer Großdemonstration am 2. Oktober ab. Eine Einigung bezüglich einer gemeinsamen Mobilisierung 191 Stellungnahme "Hintergründe für den brutalen Polizeiterror gegen die Montagsdemonstration in Berlin", Internetauftritt der Roten Fahne, Aufruf am 22.9.2004. 192 Internetauftritt FAU, Aufruf am 8.12.2004. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 99 und Durchführung der Proteste scheiterte daran, dass die MLPD gilt als "nicht MLPD aus Sicht der anderen Gruppierungen als nicht bündnisfähig" bündnisfähig gilt. Die Großdemonstration am 2. Oktober, beginnend und endend am Alexanderplatz, verlief mit ca. 45 000 Teilnehmern, die fast ausschließlich nicht aus dem extremistischen Spektrum stammten, weitgehend friedlich. Lediglich am Ende des Demonstrationszuges (ca. 150 Personen) wurden aus dem "ACT!"2. Oktober: Block heraus Farbbeutel und Flaschen auf Polizisten und auf Übergriffe aus dem das Gebäude der VW-Repräsentanz Unter den Linden gewor"ACT!"-Block fen. Ebenso versuchten Demonstrationsteilnehmer aus dem linksextremistischen Spektrum, in das VW-Gebäude einzudringen. Dies konnte die Polizei jedoch unterbinden und einige gewaltbereite Demonstranten festnehmen. Bei dem von dem MLPD-Bündnis organisierten Sternmarsch am 3. Oktober versammelten sich ca. 3 500 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet unter dem Motto "Weg mit Hartz IV, das Volk sind wir". Der Aufzug verlief friedlich. Auf der Abschlusskundgebung erklärte der Vorsitzende der MLPD in seiner Rede "dass man diese Gesellschaft in Frage stellen muss. (...) Warum sparen wir uns nicht die ganzen Herrschenden, die hier nur in Saus und Braus leben von unserer Arbeit".193 Diese beiden Demonstrationen waren der Zenit der montäglichen Proteste gegen die Arbeitsmarktreform. Die Teilnehmerzahl sank danach kontinuierlich. Ideologische Grabenkämpfe verhinderten bei den von breiten Bevölkerungsgruppen getragenen Sozialprotesten eine Bündelung aller extremistischen Kräfte. Bis zum Eintritt der Maßnahmen im Zuge der Arbeitsmarktreform gab es deswegen keine größere Koordinierung weiterer Proteste mehr. Das Aktionsnetzwerk "ACT!" trat über die Demonstrationen Zusätzliche Aktionen hinaus - ähnlich wie bei der "Mai-Steine"-Kampagne - wieder von "ACT!" mit öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten in Erscheinung. Am 11. Oktober besetzten Aktivisten des Bündnisses die Landes193 Internetauftritt der MLPD, Aufruf am 23.2.2005. 100 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 zentrale der Arbeiterwohlfahrt in Kreuzberg. Ca. 25 Personen - bekleidet mit Kapuzenshirts mit der Aufschrift "Die Überflüssigen" - drangen in das Gebäude ein und befestigten ein Transparent an der Fassade, bis die Polizei die Aktion beendete. Der Protest richtete sich gegen die Hartz IV-Reformen und die damit verbundene Einführung der so genannten 1-Euro-Jobs. Als Protest gegen die Arbeitsmarktreformen wurde auch eine Aktion am 18. Dezember ausgegeben, bei der ca. 50 Aktivisten in ein Restaurant am Gendarmenmarkt eindrangen. Sie waren wiederum mit den Kapuzenshirts der "Überflüssigen" bekleidet, verteilten Flugblätter und belästigten Gäste, indem sie von deren Tellern aßen. Zu der Aktion erklärte eine Vertreterin: "Wir haben uns genommen, was uns sowieso zusteht. Wir haben keine Lust mehr zu fragen und zu betteln, wir eignen uns einfach ein schönes Leben an."194 Linksextremisten suchten zudem noch auf anderen Wegen, sich das Thema Sozialreformen bei politischen Aktivitäten zu nutze zu machen. So versuchten sie, die Gründung der "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WasG), die eine Sammelbewegung für die Sozialproteste mit der Unterwanderungsversuche bei Perspektive einer Parteigründung wurde, zu unterwandern. der WasG Insbesondere die trotzkistische Gruppe "Linksruck" hatte einen Schwerpunkt ihrer Agitation bei dem Engagement um die Gründung des Berliner Landesverbandes. 2.3.2 "Antifaschistischer Kampf" Antifaschismus ist für Linksextremisten ein Kernthema: Zu Kernthema Aktivitäten gegen Rechtsextremisten konnte in der Vergangenheit zumeist ein großes Personenpotenzial aus dem gesamten linksextremistischen Spektrum mobilisiert werden. Auch die oben beschriebene ideologische Spaltung zwischen "Anti194 Internetauftritt von "Indymedia", Aufruf am 19.1.2005. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 101 deutschen" und anderen Linksextremisten beeinträchtigte die Mobilisierung hier nur gering. Der antifaschistische Kampf von Linksextremisten richtet sich Ziel ist die nicht nur gegen tatsächliche und vermeintliche RechtsextreAbschaffung der misten, sondern zielt auch auf die Abschaffung der freiheitFdGO lichen demokratischen Grundordnung. Faschismus ist nach dem vorherrschenden Verständnis nur eine spezielle Unterdrückungsform des in die Krise geratenen Kapitalismus.195 So erklärt eine Vertreterin der "Antifa Hohenschönhausen" in einem Interview: "Nein, unsere Arbeit sollte sich schon nach unserer Gründungsdiskussion und dem daraus hervorgegangenen Grundsatzpapier auch auf andere Themenfelder linker Politik beziehen. Die Hauptschlußfolgerung zu diesem Zeitpunkt, also weit vor dem Sommer 2000, war ein starker Bezug auf den revolutionären Antifaschismus, demzufolge im Faschismus verschärfte Bereiche der kapitalistischen Normalität zu finden sind. An diese sind eben Rassismus, Sexismus oder inhumane kapitalistische Verwertungslogiken geknüpft. Aufgrund dieses Ansatzes ließ sich der Anspruch ausschließlich reine Antinaziarbeit zu machen, nicht vereinbaren."196 Auch die "Antifaschistische Initiative Reinickendorf" (AIR) fordert die Überwindung des bestehenden gesellschaftlichen "Systemüberwindung" Systems: "Nicht einzelne Bereiche innerhalb der Gesellschaft funktionieren streckenweise mal nicht oder nur geringfügig, sondern das gesamte System der Verwertungsfanatiker krankt, geht nicht in sich auf. [...] Die Überwindung allen gesellschaftlichen Übels kann nur in der Überwindung dieser kapitalistischen Gesellschaft liegen. Für eine andere Welt!"197 Noch deutlicher erklären die "Antifa Jugend Aktion Kreuzberg" (AJAK) und die "Antifa U7": "Unsere Kritik ist nicht konstruktiv; wir wollen die Gesellschaft nicht verbessern, d. h. natürlich wollen wir sie ver195 Dieses Verständnis wurde maßgeblich durch den bulgarischen Komintern Funktionär Georgi Dimitroff geprägt. Die nach ihm benannte Doktrin besagte, dass Faschismus die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen, und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals sei. In diesem Sinne seien alle kapitalistischen Systeme potenziell faschistisch. 196 Fight back Nr. 1, Dezember 2001. 197 Internetauftritt der AIR, Aufruf am 7.1.2005. 102 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 bessern, aber wir wollen eine komplett andere! [...] FÜR DEN KOMMUNISMUS!"198 Das Thema Antifaschismus ist für Linksextremisten zudem eine Möglichkeit, gezielt Nachwuchs zu werben. Bereits 1998 erklärte die Vorläuferorganisation der "Antifaschistischen Linken Nachwuchswerbung Berlin" (= ALB) - die "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB), - dass sich mit dem Konzept der "Antifa Jugendfront" die Erkenntnis durchgesetzt habe, "daß auf Jugendliche aktiv zugegangen werden muß".199 Weiter heißt es dort: "Für viele Jugendliche steht am Anfang eine Mischung aus 'angeborenem Linkssein', also bürgerlich - humanistisch - antifaschistisch mit einem romantischen Touch [...]. Diese Ideale müssen in eine politische Bewegung und damit in eine komplettere und komplexere politische Analyse eingebettet werden."200 Die damals formulierten Grundsätze gelten auch heute noch. So betont die ALB, dass nicht vernachlässigt werden dürfe, "dass sich gerade Jugendliche über Antifaund Antira-Themen politisieren".201 Den Kern der Berliner "Antifa"-Szene machen die autonomen "Antifa"-Szene gewaltbereit "Antifa"-Gruppen aus. Diese sind stark aktionsorientiert und größtenteils gewaltbereit. Sie sind meist regional in den Bezirken organisiert, wirken aber bei entsprechenden Anlässen überregional zusammen. Zu ihren Aktivitäten gehören insbesondere die Organisation von Demonstrationen gegen Rechtsextremisten, das Ausspähen und Veröffentlichen von persönlichen Daten sowie militante Aktionen gegen Personen und Sachen. Insbesondere die Veröffentlichung persönlicher Daten von Rechtsextremisten hat Veröffentlichung zugenommen und ist detaillierter geworden. Unter dem Vorpersönlicher Daten wand der Information der Öffentlichkeit wurden Fotos und Anschriften von Rechtsextremisten auf einschlägigen Homepages oder in Publikationen veröffentlicht. Tatsächlich soll eine Drohkulisse aufgebaut werden, denn nicht selten ist die 198 Internetauftritt der "Antifa U7", Aufruf am 7.1.2005. 199 AAB: Das Konzept Antifa - Grundsatztexte und Konkretes. Berlin 1998, S. 44. 200 Ebenda, S. 45. 201 ALB: Grenzen einer Bewegung. In: "Antifaschistisches Info Blatt", Nr. 4/2004, S. 33. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 103 Veröffentlichung mit der Aufforderung verbunden, die Personen aufzusuchen. So gab beispielsweise die "Antifa Hohenschönhausen" bei einer Kampagne gegen "rechte Läden" die Anschrift und Telefonnummer eines Zeitschriftengeschäftes, welches die "Nationalzeitung" verkauft, auf ihrer Homepage mit der Anmerkung an, dort gegen die Auslage der Zeitung "protestieren" zu können.202 Im Herbst veröffentlichte ein Konglomerat von "Antifa"-Gruppen eine Publikation namens "Antifaschistischer Süd-Ost Bote". Diese beinhaltete Namen und Fotos von Mitgliedern der rechtsextremistischen Kameradschaft "Berliner Alternative Süd-Ost" (BASO). In der Broschüre heißt es: "Die Mitglieder der 'Berliner Alternative Süd-Ost' sollen merken, dass sie nicht ungestört agieren können und unter der Beobachtung engagierter BürgerInnen aus Treptow stehen."203 In einem weiteren, dem autonomen "Antifa"-Bereich zuzurechnenden Flugblatt wurden Namen, Adressen und Bilder von bekannten Lichtenberger Rechtsextremisten veröffentlicht. Dieses Flugblatt wurde in Lichtenberg großflächig plakatiert und war unter anderem eine Aufforderung, in Nähe der Wohnorte der Rechtsextremisten gegen diese zu protestieren: "Eine Gelegenheit zum Handeln bietet zum Beispiel die 'Silvio-Meier-Demonstration' am 20.11.2004."204 In Folge der Veröffentlichung von Daten war gemäß der Parole "Antifa heißt Angriff" eine Zunahme von Übergriffen auf RechtsÜbergriffe auf Personen und Kfz extremisten oder deren Kraftfahrzeuge zu verzeichnen. Die Anzahl der Gewaltstraftaten in diesem Zusammenhang stieg von 21 in 2003 auf 53 Straftaten in 2004.205 So verübten unbekannte Täter am 20. April einen Brandanschlag auf die NPD-Bundeszentrale in Köpenick. Dabei wurde ein PKW vor die Häuserfront gefahren und angezündet. Dieser brannte völlig aus und beschädigte die Fassade und Räume der Immobilie erheblich. In der Taterklärung wurde dieser An202 Internetauftritt der "Antifa Hohenschönhausen", Aufruf am 1.11.2004. 203 "Antifaschistischer Süd-Ost Bote", 01/2004, S. 3. 204 Flugblatt "Achtung Neonazis", verteilt und plakatiert in Lichtenberg im Vorfeld der Silvio-Meier-Demonstration. 205 Vgl. S. 296 (Anhang - Polizeiliche Statistik). 104 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 schlag mit der "Köpenick-Kampagne" (s. u.) in Zusammenhang gestellt, indem deren Leitmotto "Endlich weg damit"206 aufgegriffen wurde. Am 16. Oktober kam es zu einem Überfall von ca. 30 vermummten "Antifa"-Aktivisten auf 16 Rechtsextremisten, die von einem rechtsextremistischen Gedenkmarsch aus Stralsund am Bahnhof Lichtenberg eintrafen. Die Angreifer waren mit Flaschen, Steinen, Ketten und Eisenstangen bewaffnet. Eine Person wurde am Kopf verletzt und musste im Krankenhaus behandelt werden. Die Täter konnten unerkannt entkommen. Im Vorfeld einer Demonstration von Rechtsextremisten am 4. Dezember kam es in der Nacht zum 1. Dezember an den Wohnanschriften von bekannten Rechtsextremisten in TreptowKöpenick zu Farbschmierereien und in der darauf folgenden Nacht zu einem Brandanschlag auf den PKW eines Mitglieds des Berliner DVU-Landesverbandes. Auch die demonstrativen Aktivitäten von Linksextremisten Gegendemongegen Rechtsextremisten nahmen 2004 zu. Hervorgerufen wird strationen diese Entwicklung insbesondere durch einen größeren Aktionismus der Rechtsextremisten und deren Erfolge bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen. Am 1. Mai versuchten Linksextremisten eine Demonstration der NPD militant zu verhindern. Schon im Vorfeld der NPDDemonstration kam es zu Zwischenfällen. Am Morgen wurde an der Wegstrecke ein sprengstoffverdächtiger Gegenstand gefunden, der sich jedoch als Attrappe herausstellte. Des Weiteren wurden zwei Angehörige der rechtsextremistischen Szene bei der Anreise in der S-Bahn von fünf vermummten Personen mit Holzstangen angegriffen und jeweils am Kopf verletzt. Die Gegendemonstration an sich verlief mit bis zu 2 000 Teilnehmern friedlich. Aus dem extremistischen Spektrum beteiligAusschreitungen ten sich Angehörige der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP), der "Sozialistischen Alternative Voran" (SAV) sowie der autonomen Szene. Nach der Veranstaltung jedoch versuchten ca. 1 500 Teilnehmer - darunter ca. 850 Linksextremisten - den 206 Selbstbezichtigungsschreiben zum Anschlag gegen die NPD-Bundeszentrale. In: "INTERIM" Nr. 598, S. 26. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 105 Demonstrationszug der NPD zu blockieren. Die Gegendemonstranten errichteten Blockaden, zündeten Hindernisse (u. a. Angriffe gegen die einen Kleinwagen) an und warfen Farbbeutel auf die TeilnehPolizei mer des NPD-Umzuges. Die Einsatzkräfte wurden mit Flaschen und Steinen angegriffen und mit Signalmunition beschossen. Darauf setzte die Polizei kurzzeitig einen Wasserwerfer sowie Schlagstöcke ein. Aufgrund der massiven Ausschreitungen wurde der Aufzug der NPD verkürzt. Nach einer improvisierten Zwischenkundgebung um 17.30 Uhr auf der Frankfurter Allee wendete der Demonstrationszug der NPD und kehrte zum Ausgangspunkt zurück, wo der Veranstalter den Aufzug beendete. Für die Ausschreitungen waren maßgeblich Personen aus dem autonomen "Antifa"-Spektrum verantwortlich. In der linksextremistischen Szene wurde die weitgehende Verhinderung der NPD-Demonstration als großer Erfolg gefeiert. Erstmals seit langem sei es wieder gelungen, einen Aufmarsch von Rechtsextremisten zu unterbinden. Obwohl einzelne Aktivisten von der Berliner Polizei festgenommen wurden, "kann der erste Mai dennoch in jedem Fall als Erfolg gewertet werden. Ein für die Naziszene von langer Hand vorbereiteter und wichtiger Aufmarsch wurde gestoppt; während antifaschistische Akzente konsequent und im solidarischen Miteinander gesetzt wurden".207 Der zweite Schwerpunkt im Frühjahr war die "Köpenick-Kampagne". Gruppenübergreifend organisierten "Antifa"und Anti"Köpenickrassismus-Gruppen eine Kampagne gegen die Bundeszentrale Kampagne" der NPD und ein dazu gehöriges "Nationaldemokratisches Bildungszentrum" (NBZ) sowie gegen den Abschiebegewahrsam im Ortsteil Grünau. Die Bundesgeschäftsstelle der NPD in Köpenick und der Abschiebegewahrsam in Grünau waren in den vergangenen Jahren mehrfach Ziele von Aktionen aus dem linksextremistischen, insbesondere autonomen Spektrum. Beide Objekte stehen stellvertretend für deren zentrale Agitationsfelder "Antifaschismus" und "Antirassismus". 207 "Antifa Rundschau", Mai 2004, Nr. 2, S. 3. 106 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Inhaltlich wurde, um die Kampagne auch für Gruppen außerVerknüpfung von Antifaschismus und halb des "Antifa"-Spektrums attraktiv zu machen, die VerAntirassismus knüpfung von Antirassismus und Antifaschismus folgendermaßen begründet: "Abschiebeknäste - verwaltungsrassistisch neuerdings als 'Ausreisezentren' bezeichnet - sind wesentliche Bestandteile des kontinuierlich ausgebauten Systems zur Abschreckung und Abwicklung hier unerwünschter Menschen. So ist staatlich organisierter Rassismus nicht von der Verwertungslogik im Kapitalismus zu trennen. [...]. Das tödliche Diktat des Marktes, das Menschen schlicht an ihrer Verwertbarkeit misst, hat bereits die Mehrheit des bundesdeutschen Bevölkerung verinnerlicht. In diesen Kontext erscheinen Nazis lediglich als besonders konsequente Vollstrecker der Vorgaben, die aus der kapitalistischen Normalität erwachsen. Wenn den Staatsrassisten der brauen Mob aus dem Ruder zu laufen und den Standort zu schädigen droht, sehen sich VertreterInnen etablierter Parteien gezwungen, einen 'Aufstand der Anständigen' auszurufen. Dieser 'Aufstand" hat jedoch weder rechte Gewalt eindämmen können, noch hat er die rassistische Flüchtlingsund Abschiebepraxis überhaupt thematisiert. Wir wollen statt dessen einen anständigen Aufstand!"208 Am 13. März demonstrierten ca. 500 Personen - u. a. aus den Gruppen ALB, F.e.l.S. und AAK - als Einstieg ("warm-upDemo") vor der NPD-Zentrale und dem Abschiebegewahrsam. Am 6. Juni sollte vor beiden Einrichtungen als Abschluss der Kampagne die zentrale Demonstration stattfinden, zu der die Berliner Szene bundesweit geworben hatte. In dem Aufruf zu dieser Demonstration hieß es, dass man an Aktionen wie denen zum 1. Mai, bei denen es "durch militantes Vorgehen seit AuseinanderJahren zum ersten Mal gelang, einen Aufmarsch der NPD [...] setzungen mit zu stoppen"209, anknüpfen wolle. Bei der Demonstration, die mit der Polizei ca. 1 500 Teilnehmern durchgeführt wurde, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nach den Wahlerfolgen der Rechtsextremisten bei den Landtagswahlen nahm die Häufigkeit der Demonstrationen zu. Am 30. Oktober versuchten Linksextremisten, darunter eine 208 FelS, ALB, TAG: Abschiebeknäste auflösen. Grenzen auf für alle! In: "INTERIM" Nr. 584, S. 13. 209 "INTERIM" Nr. 596, S. 4. Der Aufruf wurde u. a. von der ALB, AKAB und AAPB unterzeichnet sowie von zahlreichen weiteren Berliner autonomen "Antifa"-Gruppen unterstützt. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 107 nicht geringe Anzahl Berliner, militant eine Demonstration von Ausschreitungen Rechtsextremisten in Potsdam zu verhindern. Dabei kam es zu in Potsdam erheblichen Ausschreitungen der Linksextremisten. Besondere Bedeutung für die linksextremistische Szene hat die jährliche "Silvio-Meier-Demonstration". Diese Gedenkdemon"Silvio-MeierDemonstration" stration erinnert an einen im Jahr 1992 von Rechtsextremisten getöteten Hausbesetzer. Nachdem dieses Jahr erstmals Rechtsextremisten unter dem Motto "Gegen den linken Terror" eine eigene Versammlung auf der geplanten Wegstrecke der "Silvio-Meier-Demonstration" angemeldet hatten und somit den ursprünglichen Verlauf, der an Wohnungen von Rechtsextremisten vorbeiführen sollte, verhinderten, war die Stimmung in der linksextremistischen Szene besonders aufgeheizt. Unter dem Motto "Keine Homezone für Faschisten - Antifa heißt Angriff" versammelten sich am 20. November ca. 1 200 Personen. Der Versuch der Demonstrationsteilnehmer, nach Beendigung der Veranstaltung zum Sammelplatz der rechtsextremistischen Demonstration zu gelangen, konnte von der Polizei verhindert werden. Da die "Silvio-Meier-Demonstration" nicht wie geplant hatte Aktionen vor stattfinden können, zogen am 21. November ca. 50 Teilnehmer Wohnungen von einer "Silvio-Meier-Mahnwache" zu den Wohnungen der Rechtsextremisten Lichtenberger Rechtsextremisten und steigerten die Drohkulisse, indem sie Feuerwerkskörper abbrannten und einschlägige Parolen skandierten. Die Aggressivität wird auch in den Kommentaren im Internet deutlich: "Die heutige Aktion hat gezeigt, dass sich Lichtenberger Nazis stets damit abfinden müssen, auch am SonntagAbend noch einen spontanen Besuch von der Antifa zu bekommen. [...] Antifa heißt Angriff."210 Die letzte Aktion im Jahre 2004 war der Versuch von Linksextremisten, eine Demonstration von Rechtsextremisten am 4. Dezember durch Treptow-Köpenick zu verhindern. Neben Angriffe durch zahlreichen nichtextremistischen Gruppen hatten fast alle Polizei verhindert autonomen "Antifa"-Gruppen zu Protesten gegen die rechtsextremistische Demonstration aufgerufen. Auch hier konnten 210 Posting auf dem Internetportal "indymedia" vom 22.11.2004: "Wir machen auch (unangemeldet) Hausbesuche", Aufruf am 22.11.2004. 108 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Angriffe von Linksextremisten auf Rechtsextremisten durch die Polizei verhindert werden. Es ist zu erwarten, dass die Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten quantitativ und qualitativ zunehmen werden. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 109 3 Ausländerextremismus 3.1 Überblick Linksextremistische, extrem nationalistische und islamistische Ausländerorganisationen weisen weder eine einheitliche IdeoIdeologische logie noch eine vergleichbare organisatorische Struktur auf. Unterschiede Erhebliche Unterschiede zwischen den Organisationen bestehen zudem in der Frage des Einsatzes von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele; hier reicht das Spektrum von der Ablehnung jeglicher Gewaltanwendung bis zur religiösen Legitimation von Terrorismus. Unverändert werden extremistische Gruppierungen in Berlin nur von einer kleinen Minderheit der hier lebenden Ausländer unterstützt. Ca. 5 710 Personen lassen sich extremistischen Ausländerorganisationen zurechnen; dies entspricht ca. 1,3 Prozent Personenpotenziale: Leichter Rückgang der ausländischen Bevölkerung Berlins (2004: 453 800 Personen). Das Gesamtpotenzial - das 2003 noch bei 5 820 Personen lag - ist damit leicht zurückgegangen. 2004 Gesamtpotenzial extremistischer Ausländerorganisationen: 5 710 Personen Linksextremisten 1 430 Extreme Nationalisten 600 Sonstige 50 3 630 Islamisten 110 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Die Verteilung auf die einzelnen Extremismusfelder ist weitgehend konstant geblieben: Unter den ausländerextremistischen Organisationen in Berlin bilden die Anhänger islamistischer Gruppierungen mit ca. 3 630 Personen die Mehrheit; Extremisten: dies entspricht einem Anteil von knapp zwei Dritteln (63,6 ProMehrheit islamistisch zent). Linksextremistische Organisationen stellen mit ca. 1 430 Personen dagegen ein Viertel (25,0 Prozent) und extrem-nationalistische Organisationen mit ca. 600 Personen 10,5 Prozent der extremistischen Ausländerorganisationen in Berlin. Innerhalb der islamistischen Gruppierungen in Berlin machen Großteil türkische die türkischen Islamisten, die überwiegend in der "Islamischen Islamisten Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) organisiert sind, deutlich mehr als drei Viertel der Anhänger aus (ca. 2 900 Personen / 79,9 %). Die arabischen Islamisten - Anhänger der "Islamischen Widerstandsbewegung" (HAMAS), der "Hizb Allah" oder der in diversen Moscheevereinen organisierten "Muslimbruderschaft" (MB) - haben innerhalb der islamistischen Gruppierungen dagegen nur einen Anteil von 15,1 Prozent (550 Personen). Islamisten sonstiger Nationalitäten machen 4,1 Prozent (150 Personen), iranische Islamisten 0,8 Prozent aus (30 Personen). Innerhalb des Spektrums der linksextremistischen AusländerLinksextremisten: organisationen von insgesamt ca. 1 430 Personen nehmen die Mehrheit kurdisch kurdischen Linksextremisten unverändert mit mehr als drei Vierteln (76,9 Prozent / ca. 1 100 Personen) den weitaus größten Anteil ein, während die Anhänger türkischer Organisationen mit ca. 250 Personen 17,6 Prozent ausmachen. Anhänger arabischer Gruppierungen stellen unter den ausländischen Linksextremisten nur 3,5 Prozent (ca. 50 Personen), iranische Linksextremisten 2,1 Prozent (ca. 30 Personen). Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 111 2004 Gesamtpotenzial islamistischer Gruppierungen 3 630 Personen sonstige Nationalitäten Iraner 30 Araber 150 550 2 900 Türken 2004 Potenzial ausländischer Linksextremisten 1 430 Personen Iraner 30 Araber 50 Türken 250 1 100 Kurden 112 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Ausländerextremistisches Personenpotenzial Ausländerextremismus Berlin Bund 2003 2004 2003 2004 Gesamtsumme 5 820 5 710 57 300 57 520 Islamisten gesamt 3 730 3 630 30 950 31 800 arabische 800 550 3 300 3 250 türkische 2 900 2 900 27 300 27 250 iranische 30 30 50 50 sonstige k.A. 150 300 1 250 Linksextremisten gesamt 1 440 1 430 17 470 17 290 arabische 50 50 150 150 türkische 250 250 3 370 3 150 iranische 40 30 1 200 1 150 kurdische 1 100 1 100 11 850 11 950 sonstige 900 890 Extreme Nationalisten türkische 600 600 8 000 7 500 Sonstige gesamt 50 50 1 780 1 820 Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. Starker Rückgang Im Phänomenbereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" der Gewalttaten gingen 2004 die politisch motivierten Gewaltdelikte (vor allem Widerstandsdelikte, Landfriedensbruch und Körperverletzung) im Vergleich zum Vorjahr von 18 auf 10 Gewalttaten zurück. Bei den anderen Straftaten dieses Phänomenbereichs, zu Rückgang auch bei Straftaten denen vor allem Sachbeschädigungen, Verstöße gegen das Vereinsund Versammlungsgesetz, Propagandadelikte oder Volksverhetzung zählen, kam es zu einem Rückgang von 148 Straftaten im Jahre 2003 auf 100 Straftaten im Jahre 2004. Diese im Vergleich zum Vorjahr deutliche Reduzierung der Straftaten ist u. a. darauf zurückzuführen, dass 2004 keine umfangreichen Exekutivmaßnahmen auf der Grundlage des Vereinsgesetzes durchgeführt wurden. Im Vorjahr hatten das gegen die Organisationen "Kalifatsstaat" und "Hizb ut-Tahrir al-islami" ("Islamische Befreiungspartei") erlassene Vereinsverbot bzw. Verbot der politischen Betätigung zahlreiche Verstöße zur Folge. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 113 Fallzahlen für Politisch motivierte Kriminalität - Ausländer -1 2003 2004 Gesamt 168 112 Terrorismus, davon 2 2 * Bildung terroristischer Vereinigungen SS 129 a StGB 22 2 Gewaltdelikte, davon 18 10 * Erpressung 0 2 * Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 10 3 * Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 5 2 * Freiheitsberaubung SSSS 234 - 239 b StGB 0 1 * Raub SSSS 249 - 255 StGB 1 1 * Widerstandsdelikte SSSS 113 - 121 StGB 2 1 Andere Straftaten, davon 148 100 * Volksverhetzung SS 130 StGB 12 12 * Propagandadelikte SSSS 86, 86 a StGB 10 6 * Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 11 28 * Versammlungsgesetz 8 9 * Vereinsgesetz 88 21 * Sonstiges 19 24 1 Vollständige Angaben im Auszug aus dem Bericht "Kriminalität in Berlin 2004" im Anhang. 2 Hierbei handelt es sich um Verfahren, die beim BKA aufgrund der Deliktszuweisung geführt, aber dem Land Berlin wegen der Tatörtlichkeit zugeordnet werden. Dieses Verfahren wird erst seit 2003 praktiziert. Bei den ausländerextremistischen Organisationen zeichnet sich hinsichtlich der Ideologie, der politischen Handlungsformen sowie der daraus folgenden Sicherheitsvorkehrungen weiterhin ein vielschichtiges Bild ab: * Die Gefährdung durch den globalen islamistischen Terrorismus hält trotz der Erfolge im internationalen Anti-TerrorInternationale islamistische Terrorkampf nach wie vor an: Nicht zuletzt die Anschläge in Netzwerke Madrid am 11. März zeigen, dass grenzüberschreitende Strukturen des Terrornetzwerks "al-Qa'ida" weiterhin funktionsfähig sind und dass regional operierende Zellen Anschläge weitgehend auch ohne eine zentrale Vorbereitung und Lenkung durchzuführen vermögen. Die in Deutschland 114 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 geführten Prozesse gegen mutmaßliche Terroristen machen deutlich, dass auch für Deutschland von einem Potenzial bislang nicht enttarnter Mujahidin auszugehen ist, das die Bundesrepublik nicht mehr allein als einen Rückzugsund Ruheraum zu nutzen versucht, sondern inzwischen als einen Vorbereitungsraum und ein potenzielles Ziel von Anschlägen betrachtet. * Die Reaktionen auf Entwicklungen im nach wie vor von Gewalt gekennzeichneten israelisch-palästinensischen Konflikt waren in Berlin nur gering und beschränkten sich auf meist friedlich verlaufene Demonstrationen. * Große öffentliche Aufmerksamkeit fand dagegen der so "Islamistengenannte "Islamisten-Kongress", der im September in Berlin Kongress" verboten geplant war. Der aus radikalen Vertretern verschiedener politischer Richtungen zusammengesetzte "Erste arabischislamische Kongress in Europa" versuchte mit dem Motto "Gegen Zionismus und die Besatzung in Palästina und im Irak" zu mobilisieren; er wurde zehn Tage vor dem geplanten Termin verboten. * Nach einem langandauernden Rechtsstreit wurde Metin Kaplan abgeschoben Kaplan, der Führer des verbotenen "Kalifatsstaats" (ICCB), am 12. Oktober in die Türkei abgeschoben. Dort muss er sich ab dem 4. April 2005 vor einem Istanbuler Gericht wegen Hochverrats verantworten. Trotz weiterer Exekutivmaßnahmen gegen den "Kalifatsstaat" sind Teile der Anhängerschaft noch aktiv. Nach den Durchsuchungsmaßnahmen gegen die Bezieher des Verbandsorgans "Beklenen Asr-i Saadet" ("Das erwartete Zeitalter der Glückseligkeit") wurde der Versand eingestellt. An die Stelle trat eine neue Verbandszeitung mit dem Titel "Barika-i Hakikat" ("Das Aufleuchten der Wahrheit"), die seit dem Frühjahr 2004 versandt wird. * Die Führungsebene der "Islamischen Gemeinschaft Milli IGMG Görüs e. V." (IGMG) vermeidet weiterhin eindeutige Aussagen zu ihrer zukünftigen ideologischen Ausrichtung. Zwar gibt es öffentliche Bekenntnisse von IGMG-Vorstandsmitgliedern zu Demokratie und Rechtsstaat, aber eine Loslösung von Necmettin Erbakan und seiner islamistischen Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 115 Milli-Görüs-Ideologie wird weiterhin verweigert. Dies zielt vermutlich darauf, eine Spaltung der Organisation in Traditionalisten und Reformer zu vermeiden. In Berlin wurden darüber hinaus ausländerrechtliche Maßnahmen gegen einen IGMG-Funktionär eingeleitet, der auf einer Demonstration anlässlich des Abu-Ghraib-Folterskandals Gewalt in Irak und Palästina religiös legitimierte. * Im Bereich der linksextremistischen türkischen OrganisaTürkische tionen waren in diesem Jahr in Berlin keine gewalttätigen Linksextremisten Aktionen zu verzeichnen, während in der Türkei erneut eine steigende Anzahl terroristischer Anschläge festzustellen ist. Ins Visier der türkischen Linksextremisten geraten dabei zunehmend auch "ausländische" Ziele, d. h. jene Staaten, die im Irak Truppen unterhalten. * Die seit November 2003 als "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL) firmierende ehemalige "Arbeiterpartei KurKONGRA-GEL distans" (PKK) musste auch 2004 zahlreiche "Rückschläge" hinnehmen, zu denen auch die Aufnahme der PKKNachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL in die "EU-Terrorliste" zählten. Nachdem sich die Führungsebene der Organisation mit dem Ausbleiben greifbarer Erfolge immer stärkeren Legitimationsproblemen gegenüber der Anhängerschaft ausgesetzt sah, zeichneten sich bereits Anfang des Jahres hinsichtlich des weiteren Kurses der Organisation auch verstärkte Differenzen auf der Funktionärsebene ab, die Mitte des Jahres zu der Abspaltung der "Patriotisch-Demokratischen Partei" (PWD) führten. Es bleibt abzuwarten, ob diese Abspaltung nur eine Episode bleibt oder den Keim einer tatsächlichen Spaltung der Partei gelegt hat. 3.2 Der internationale islamistische Terrorismus 3.2.1 Die Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus Mit den Anschlägen auf vier Pendlerzüge in Madrid am Anschläge in Madrid 11. März 2004, die 191 Menschen das Leben kosteten und mehr als 1 500 zum Teil schwer verletzten, scheint der trans- 116 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 nationale islamistische Terrorismus Europa näher gerückt. Nach übereinstimmender Einschätzung der Sicherheitsbehörden hält die Gefährdung durch den globalen islamistischen Terrorismus trotz wichtiger - durch zahlreiche Festnahmen führender "al-Qa'ida"-Mitglieder und der Enttarnung internationaler Zellen erzielter Erfolge - im internationalen Anti-Terrorkampf an: Die Anschläge in Madrid, die die Attentäter mit der Präsenz spanischer Truppen im Irak zu rechtfertigen versuchten,211 machen deutlich, dass grenzüberschreitende Strukturen weiterhin funktionsfähig sind und dass regional operierende Zellen Anschläge auch ohne eine zentrale Vorbereitung und Lenkung durchzuführen vermögen. Wie die Anschläge in Casablanca im Jahre 2003 und in Taba Dezentralisierung am 7. Oktober 2004 zeigen, hat die Dezentralisierung des Jihad die Gefahr des Terrorismus nicht verringert - im Gegenteil: Auch relativ autonom operierende und semiprofessionelle Gruppen sind zu koordinierten und verheerenden simultanen Anschlägen in der Lage. So lebten auch die Mitglieder der - von "al-Qa'ida" vor allem politisch-ideologisch inspirierten aber strukturell weitgehend unabhängigen - Madrider Zelle unauffällig in ihrem Lebensumfeld, während sie die Anschläge weitgehend über kriminelle Aktivitäten wie den Drogenhandel finanzierten. Die in Deutschland geführten Terroristenprozesse sowie der Anschlagsversuch von drei mutmaßlichen Angehörigen der kurdisch-irakischen Islamisten-Gruppe "Ansar al-Islam" ("Helfer des Islam") auf den irakischen Ministerpräsidenten Iyad Allawi am 2. und 3. Dezember in Berlin zeigen, dass auch für Deutschland von einem Potenzial bislang nicht enttarnter Mujahidin ("Kämpfer") bzw. Jihadisten auszugehen ist; diese Mujahidin versuchen, die Bundesrepublik nicht mehr allein als Deutschland nicht nur Ruheraum einen Rückzugsund Ruheraum zu nutzen, sondern betrachten sie inzwischen als Vorbereitungsraum und potenzielles Ziel von Anschlägen. Im Fokus islamistischer Terroristen ist Deutschland vor allem aufgrund seiner Beteiligung am weltweiten 211 Die Frage, ob "al-Qa'ida" mit den Anschlägen die kurz danach stattfindenden Wahlen in Spanien beeinflussen wollte, ist spekulativ. Unabhängig von der Intention der Attentäter, haben die Anschläge die innenpolitische Lage aber mit bestimmt. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 117 Kampf gegen den islamistischen Terrorismus - insbesondere in Afghanistan und am Afrikanischen Horn - sowie aufgrund der Ausbildung irakischer Polizeibeamter und Offiziere im Rahmen der NATO. Die anhaltend hohe Gefährdung durch den transnationalen islamistischen Terrorismus belegt die hohe Zahl der "al-Qa'ida" bzw. den "Mujahidin-Netzwerken" (=) zuzuordnenden Anschläge, die zugleich eine internationale und eine regionale Stoßrichtung offenbaren. Der Schwerpunkt der Terroraktivitäten Schwerpunkt Naher lag 2004 eindeutig in den Ländern des Nahen und Mittleren und Mittlerer Osten Ostens - vor allem im Irak und auf der Arabischen Halbinsel. Wie die Anschläge in Saudi-Arabien auf den Sitz der saudischen Sicherheitsdienste am 21. April und am 30. Dezember sowie verschiedene Anschläge auf westliche Ziele im Lande deutlich machen, geht es "al-Qa'ida" und den mit ihr verbundenen Untergruppen nach wie vor um den Sturz der arabischen Herrscherhäuser sowie um die Vertreibung ausländischer Truppen aus der Region. Obwohl die Antiterrorbekämpfung etwa in Saudi-Arabien erste Erfolge zeigt (Ausschaltung der lokalen "al-Qa'ida"-Sektion um Abd al-Aziz al-Muqrin durch saudische Sicherheitskräfte am 18. Juni), gelang es Anhängern von "al-Qa'ida" sowohl in Saudi-Arabien als auch in anderen Rekrutierung lokaler Regionalstaaten, lokale Attentäter für die Anschläge zu reAttentäter krutieren. Als Begründung für die Anwerbung potenzieller Attentäter für die als Jihad pseudoreligiös legitimierte Gewaltanwendung dienen den Jihadisten die als undemokratisch, korrupt und als vermeintlich unislamisch bezeichneten Herrschaftsformen in den nahund mittelöstlichen Staaten. Ferner setzen sie auf die aufgrund ungelöster politischer Regionalkonflikte verbreitete Unzufriedenheit. Dies betrifft etwa den israelisch-palästinensischen Konflikt oder die von vielen Menschen in der arabischen Welt nach wie vor als völkerrechtswidrig betrachtete Besatzung des Irak durch vorwiegend amerikanische und britische Truppen. 118 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 3.2.2 Die Lage im Irak Im Irak ist es neben den aus Anhängern der aufgelösten Baath-Partei und ehemaligen Angehörigen der irakischen Armee zusammengesetzten "Widerstandgruppen" vor allem das Netzwerk "Gruppe für den Tauhid und den Jihad" ("Jama'at al-tauhid wa'l-jihad") von Abu Mus'ab al-Zarqawi 212, dessen spektakuläre Anschläge die Berichterstattung über das Land dominierten. Zahlreiche Anschläge Ziele der Anschläge auf alliierte Truppen, auf führende Repräsentanten der neugeschaffenen irakischen Institutionen, auf die neuformierten Sicherheitskräfte sowie auf unbeteiligte ZiviliAnschlagsziele sten sind die permanente Destabilisierung, das Schüren interreligiöser und -ethnischer Konflikte sowie die Unterbindung des demokratischen Prozesses im Lande. Vor allem die Alliierten sollen durch Anschläge auf militärische und zivile Objekte zermürbt und zu einem Abzug bewegt werden. Der Truppenabzug einiger Staaten sowie die Rückbeorderung von Mitarbeitern internationaler Hilfsorganisationen und der UNO machen deutlich, dass die Entführungen und Tötungen von Geiseln sowie die Behinderung jeglicher Maßnahmen zur Wiederherstellung von Sicherheit und Infrastruktur im Lande ihre Wirkung nicht verfehlen. In seiner Mischung aus fanatisch-religiösen, politischen und kriminellen Motiven, denen jegliche Vision einer Gesellschaftsordnung fehlt, richtet das Zarqawi-Netzwerk seine Angriffe im Irak vor allem gegen die christliche Minderheit, gegen die als 212 Abu Mus'ab al-Zarqawi ist ein 1966 unter dem Namen Ahmad al-Khalayla geborener Jordanier. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 119 vermeintliche Häretiker betrachteten Schiiten (Anschläge auf die beiden Heiligen Städte Kerbala und Najaf am 2. März und 19. Dezember) sowie gegen jene Sunniten, die mit den Alliierten oder dem provisorischen Regierungsrat kooperieren. Die Gruppe nannte sich am 17. Oktober in "Basis des Jihad im Zweistromland" ("Qa'idat al-jihad fi bilad al-rafidain") um und wurde am 27. Dezember von Usama Bin Ladin in der Ernennung Zarqawis zum "Befehlshaber von 'al-Qa'ida' im Irak" bestätigt. 3.2.3 Die Audiound Videobotschaften von "al-Qa'ida" Die zahlreichen Audiound Videobotschaften, die Bin Ladin, Aiman al-Zawahiri, Abu Mus'ab al-Zarqawi sowie mehrere Untergruppen wie etwa die Abu Hafs al-Masri-Brigaden 2004 Propagandaoffensive verbreiteten, markieren eine Propagandaoffensive von "al'Qa'ida" bzw. den "Mujahidin-Netzwerken". Ideologische Feindbilder Zu den wichtigsten ideologischen Bestandteilen der Audiound Videobotschaften aus dem Umfeld von "al-Qa'ida" gehören - neben der Forderung nach "wahrhaft islamischer Herrschaft" und der Vertreibung ausländischer Truppen aus der Region - vor allem die Exkommunizierung (takfir) von als "nicht Islamkonform" verketzerten Muslimen und die Stigmatisierung von Nicht-Muslimen als vermeintliche "Ungläubige". Um die Gewaltanwendung gegen beide Gruppen zu rechtBerufung auf Jihad fertigen, berufen sich militante Islamisten vor allem auf den Jihad als vorgeblich legitime Form des Kampfes. Diesen erklären sie selbst bei eigenen Angriffen zu einem Verteidigungsfall, erheben ihn so zu einer vermeintlich individuellen Pflicht eines jeden Muslims und rechtfertigen auf diese Weise Anschläge und Massenmord. Hierzu agitieren die Audiound Videobotschaften mit teils drastischen Feindbildern. Diese betreffen nicht allein - als vermeintliche "Ungläubige" diffamierte und zu "Kreuzzüglern" erklärte - Juden und Christen, sondern auch jene Mehrzahl der Muslime, die den politischen Vorstellungen der Militanten, ihrem Bild eines "system-konformen" Muslims 120 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 oder ihrer eng gefassten salafistischen Islam-Interpretation213 entgegen stehen. So zielen die Militanten mit ihrer pseudoreligiös legitimierten Ausgrenzung auf fast sämtliche politische Führer in den Staaten Innermuslimische des Nahen und Mittleren Ostens, deren Herrschaft sie als Gewaltaufrufe vermeintlich unislamisch ablehnen. Im Irak betreffen die innermuslimischen Gewaltaufrufe aus dem Umfeld von "al-Qa'ida" vor allem die ethnische Gruppe der Kurden sowie Angehörige der schiitischen Konfession. Deren Tötung suchen die Militanten mit "Kollaboration" sowie mit vorgeblicher Häresie (Schiiten stellen eine heterodoxe Strömung im Islam dar) zu begründen.214 So werden die irakischen Schiiten als "Alliierte der Juden und Amerikaner" bezeichnet und Groß-Ayatallah Sistani als "Imam der Atheisten" diffamiert.215 Hauptinhalte der Audiound Videobotschaften Neue AnschlagsDurchgängiges Element der mehr als ein Dutzend 2004 in drohungen Umlauf gebrachten Audiound Videobotschaften aus dem Umfeld von "al-Qa'ida" waren gezielte, wenn auch wenig konkretisierbare Anschlagsdrohungen, die eine internationale und eine regionale Dimension aufweisen. Diese waren vor allem gegen die USA, gegen Israel und gegen den Irak-Krieg unterstützende Staaten, gegen die Vereinten Nationen, gegen Vertreter der provisorischen irakischen Regierung sowie gegen 213 "Salafistisch" steht für gewaltorientierte islamistische Gruppen - wie beispielsweise die algerische "Salafistische Gruppe für die Predigt und den Kampf" (GSPC) -, die sich ideologisch an der Islam-Interpretation SaudiArabiens orientieren, in der eine deutliche Unterscheidung zwischen "Gläubigen" und so genannten "Ungläubigen" befürwortet wird. 214 Audiobotschaft al-Zarqawis 12.9.2004. 215 Audiobotschaft al-Zarqawis 6.4.2004. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 121 Kandidaten und potenzielle Wähler der irakischen Nationalversammlung am 30. Januar 2005 gerichtet. Darüber hinaus Aufruf zum Sturz wurden fast sämtliche politische Führer in der muslimischen der Herrscher Welt (in den arabischen Staaten, Pakistan und Afghanistan) für exkommuniziert erklärt und "die Muslime" zum Sturz der Herrscherhäuser aufgerufen. Ferner wurde an "alle Muslime" der Appell gerichtet, im Namen des Jihad einen weltweiten Kampf gegen so genannte "Kreuzritter" - d. h. westliche Ziele - zu führen, und Attentätergruppen für ihr Agieren und für erfolgreich durchgeführte Anschläge gelobt. Dies betraf etwa die im Irak aktive "Ansar al-Islam"-Gruppe oder von der lokalen "al-Qa'ida"-Sektion verübte Anschläge auf die US-Botschaft im saudischen Jidda.216 Neue Tendenzen in der Propagandaoffensive Ein neues Element in den 2004 verbreiteten Botschaften war das über die pan-arabischen Fernsehsender "al-Arabiya" und "al-Jazeera" ausgestrahlte so genannte "Friedensangebot" Bin Ladins vom 15. April. Demnach stellte er den europäischen Forderungen an Nationen ein Aussetzen Europäer der Anschläge in Aussicht, falls sie binnen dreier Monate ihre Truppen abzögen und auf eine politische Einflussnahme im Mittleren Osten verzichteten. Die primär an die europäischen Nationen gerichtete Erklärung, die in Teilen erstmals auch mit auf Deutsch verfassten Texttafeln versehen war und vor allem auf eine Spaltung der AntiTerrorkoalition zielte, versuchte die Politik der USA und ihrer Verbündeten in der Region als eine gegen den Islam gerichtete Aggression darzustellen und rief zur Rache für die Tötung des geistlichen HAMAS-Führers Ahmad Yassin auf. Ferner wurden die Anschläge in Madrid vom 11. März und die darauffolgende Erklärung der spanischen Regierung, ihre Truppen aus dem Irak abzuziehen, als ein erfolgversprechendes Beispiel be216 Audiobotschaft Bin Ladins 16.12.2004. 122 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 schrieben, wie sich die Politik westlicher Staaten beeinflussen lasse. Neu war in einer über "al-Jazeera" in Auszügen verbreiteten Anschlagsbekennung zum Videobotschaft vom 29. Oktober, in der sich Bin Ladin direkt an 11. September das amerikanische Volk wandte, sein erstmaliges Bekenntnis zu den Anschlägen vom 11. September. Neben der Rechtfertigung und der gleichzeitigen Androhung neuer Anschläge in den USA, ging es bei dem ersten Auftritt Bin Ladins auf einem Videoband seit zwei Jahren hauptsächlich darum, eine - trotz des intensivierten Fahndungsdrucks - uneingeschränkte Handlungsfähigkeit des Netzwerks "al-Qa'ida" unter Beweis zu stellen. Eine neue Qualität der Aggressivität in diesem vor allem auf die Psychologischer Verunsicherung der Öffentlichkeit in Europa und in den USA Medienkrieg zielenden psychologischen Medienkrieg lag in der zuvor nur über das Internet eingestellten Audiobotschaft vom 6. Mai, in der er ein Kopfgeld in Höhe von zehn Kilogramm Gold für die Tötung von UN-Generalsekretär Kofi Annan, den UN-Abgesandten im Irak, Lakhdar Brahimi, sowie auf den ehemaligen Leiter der US-Zivilverwaltung im Irak, Paul Bremer, und den Generalstabschef der US-Streitkräfte aussetzte. Die per Audiound Videobotschaften verbreiteten Erklärungen Aiman al-Zawahiris enthielten wiederholt Exkommunizierungen politischer Führer,217 Aufrufe zum Kampf gegen die "zionistischen und amerikanischen Kreuzzügler", die Erhebung der "Befreiung Palästinas" zu einer vermeintlich individuellen Pflicht eines jeden Muslims sowie offene Anschlagsdrohungen gegen die USA.218 Erstmals wurde auf einen innenpolitischen Streit in einem europäischen Land Bezug genommen - und zwar auf die Auseinandersetzung um das Kopftuch in Frankreich. Kopftuchstreit in Frankreich Zawahiri brandmarkte die Entscheidung der französischen Regierung, jegliche religiösen Symbole in öffentlichen Einrichtungen zu verbieten, als "Kampagne von Zionisten und 217 Betraf u. a. die Staatsoberhäupter Ägyptens, Saudi-Arabiens sowie den inhaftierten Saddam Hussain. 218 Audiobotschaft 1.10.2004. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 123 Kreuzzüglern", der sich auch die - von ihm als atheistisch apostrophierten - Regierungen Ägyptens, der Türkei und Tunesiens unterwerfen würden.219 Der klassischen Propagandastrategie von "al-Qa'ida" entspricht eine über "alJazeera" am 9. September in Auszügen ausgestrahlte Erklärung Zawahiris, die ihn erstmals wieder auf einem Video zeigte. Hierin versuchte er, den USA und den alliierten Truppen ein Scheitern ihrer Strategie in Afghanistan und im Irak zu bescheinigen und kündigte neue Anschläge, vor allem Selbstmordanschläge an. Hauptziel dieser Videobotschaft war - neben der nach außen wie nach innen propagandistisch bewusst gewählten zeitlichen Koinzidenz zum dritten Jahrestag der Anschläge des 11. September 2001 - die psychologische Stärkung, Motivation und Mobilisierung der aktiven und passiven Anhängerschaft von "al-Qa'ida", die sich gleichermaßen als Adressat: Durchhalteappell wie Defensivreflex auf westliche Bemühungen Eigene Anhänger regionaler Stabilisierung werten lassen. Eine andere Strategie verfolgte al-Zawahiri in seiner am 29. November über "al-Jazeera" ebenfalls nur in Teilen ausgestrahlten Videobotschaft, in der er die Forderung nach einem Politikwechsel der USA in den Ländern des Mittleren Ostens und nach einer Respektierung "der Muslime" erhob. Hierin rechtfertigte er erneut Anschläge und kündigte eine Fortsetzung des Kampfes gegen die USA an, bis die Regierung in Washington ihre Politik gegenüber der muslimischen Welt ändere. So hätten die USA die Wahl, Muslime entweder mit Respekt zu behandeln oder sie lediglich als leichte Beute zu betrachten. Im letzteren Fall drohe ihnen die Rache der muslimischen Welt. 3.2.4 Das Medium Internet Zu einem zentralen Instrument ist für "al-Qa'ida" auch das Zentrales Instrument Medium Internet geworden, das in den letzten Jahren mit deutlich zunehmender Intensität genutzt wird. Wie die kontinuierlich verbreiteten Audiound Videobotschaften Bin Ladins, al-Zawahiris und al-Zarqawis dienen die Internet219 Audiobotschaft 24.2.2004. 124 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 veröffentlichungen nicht allein den Anschlagsdrohungen gegen potenzielle Feinde. Sie zielen - etwa durch an die "non-alignedmujahidin" adressierte verdeckte Aufforderungen zu Anschlägen, durch Bekennerbotschaften und durch Anwerbung potenzieller Attentäter - vor allem auf die Binnenkommunikation innerhalb und im Umfeld der Netzwerke. Hierbei weisen einige der Internetpublikationen eine bemerkenswert hohe Professionalität auf. Zu den auf häufig wechselnden Rechnern, über freeserver oder Internetmagazine über verdeckt genutzte Fremdserver ins Netz gestellten Internetmagazinen zählen beispielsweise die online-Magazine "Mu'askar al-Battar" ("BattarMilitärlager"), "Saut al-Jihad" ("Stimme des Jihad") und "Khansaa", eine Web-Publikation, die gerade Frauen zum Jihad anleiten soll. Neue Taktik Hauptziele der Internet-Propaganda sind vor allem die Rekrutierung potenzieller Attentäter, ihre ideologische Schulung sowie die Verbreitung konkreter Handlungsanleitungen für Anschläge. Bei dieser neuen Taktik der "Mujahidin-Netzwerke", in einem via TV und Internet geführten "Krieg der Medien" Terrordrohungen gegen westliche Staaten und mittelöstliche Regierungen zu richten, wird auch gezielt auf den Einsatz von Ziel: Geiselvideos gesetzt. Zweck dieser vor allem auf die EinEinschüchterung schüchterung der Öffentlichkeit in den westlichen Staaten zie- Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 125 lenden Videos, in denen nicht zuletzt die Effekte bestialischer Tötungen bewusst einkalkuliert sind, ist die Erpressung und Abschreckung westlicher und mittelöstlicher Regierungen im Sinne von "al-Qa'ida". 126 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 3.2.5 Die Lage in Tschetschenien Zu den Entwicklungen des Jahres 2004, die trotz externer Zuschreibung und nachträglichem Gutheißen durch "al-Qa'ida" nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Anschlägen Eskalation dieses Terrornetzwerks stehen, gehört die Eskalation des Tschetschenien-Konflikts. Es ging den militanten Islamisten unter den tschetschenischen Separatisten220 darum, den Konflikt weiter zu schüren und in russisches Territorium hineinzutragen. Hierzu zielten die Anschläge sowohl gegen die politische Führung als auch gegen die Zivilbevölkerung. So wurde der Mordanschlag auf Präsident des Landes, Achmed Kadyrow, am 9. Mai Opfer Präsidenten eines Bombenanschlags in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny. Auch im Vorfeld der Wahl seines Nachfolgers Alu Alchanows am 29. August kam es erneut zu Anschlägen: Am 24. August sprengten sich zwei tschetschenische Selbstmordattentäterinnen, so genannte "Schwarze Witwen", fast zeitgleich an Bord von zwei in Moskau gestarteten Inlandsflügen in die Luft und rissen 87 Menschen mit in den Tod. Eine Woche später explodierte in der Nähe einer Moskauer Metro-Station eine Bombe, die wiederum von einer Selbstmordattentäterin tschetschenischer Herkunft gezündet worden war und zehn Menschen tötete. Höhepunkt der Terrorwelle - zu der sich Shamil Bassajew, Anführer des islamistischen Flügels der tschetschenischen Separatisten, bekannte221 - war die Geiselnahme von Beslan in Geiselnahme in Beslan der südrussischen Teilrepublik Nordossetien. Am 1. September brachten mindestens 32 männliche und weibliche Geiselnehmer über 1 100 Kinder, Eltern und Lehrer in ihre Gewalt. Sie forderten das sofortige Ende des Krieges in Tschetschenien, den Abzug der dort stationierten russischen Truppen und die Freilassung der in der Nachbarrepublik Inguschetien inhaf220 Seit Ausbruch des zweiten Tschetschenienkrieges im Herbst 1999 kämpfen tschetschenische Guerillagruppen für die Unabhängigkeit Tschetscheniens von Russland. 221 Shamil Bassajew ist der wichtigste Separatistenführer. Er strebt die Errichtung eines islamischen Staatswesens auf Basis der Scharia in Tschetschenien und über dessen Grenzen hinaus an. Die Selbstbezichtigung vom 16.9.2004 veröffentlichte Bassajew auf der Website der tschetschenischen Separatisten. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 127 tierten tschetschenischen Kämpfer. Die Täter drohten mit der Sprengung der Schule und kündigten an, Geiseln zu erschießen. Russische Spezialeinsatzkräfte beendeten die Geiselnahme am 3. September, doch bei den Feuergefechten und den Explosionen weiterer Sprengvorrichtungen wurden mindestens 344 Geiseln, davon mehr als die Hälfte Kinder, und die meisten der Geiselnehmer getötet. Mehrere hundert Menschen wurden verletzt, zahlreiche Personen gelten als vermisst. Das beispiellos brutale Vorgehen gegen Kinder ist eine neue Dimension der Gewalt, auch wenn Bassajew seine Skrupellosigkeit schon in der Vergangenheit mit Geiselnahmen wie im Oktober Neue Dimension 2002 im Moskauer Musical-Theater "Nordost" bewiesen hatte. der Gewalt Dass dies eine grundlegende Entwicklung ist, unterstreicht die Ankündigung von Bassajew, dass sich eine solche Tragödie wiederholen könne. Mit der Wahl des mehrheitlich christlichen Nordossetien als Ort der Geiselnahme verfolgte Bassajew offenbar das Kalkül, die nordkaukasischen Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzuhetzen, die fragile Region zu destabilisieren und somit den Konflikt weiter in russisches Territorium hineinzutragen. Für eine unmittelbare Beteiligung der "al-Qa'ida" an der Anschlagserie gibt es keine Hinweise.222 Allerdings agieren neben den von Bassajew geführten tschetschenischen Kampfeinheiten auch ausländische Kämpfer, vor allem aus arabischen Ländern (= "Mujahidin-Netzwerke") im Sinne des von "al-Qa'ida" propagierten globalen Jihad; so beispielsweise in der "Internationalen Islamischen Brigade in Tschetschenien". Es liegen derzeit keine Anzeichen dafür vor, dass die terroristischen Aktivitäten auf Westeuropa ausgeweitet werden. Deutschland dient der tschetschenischen Separatistenbewegung als Rückzugsraum und zur Gewinnung finanzieller und logistischer Unterstützung. Der Tschetschenienkonflikt wird auch künftig durch Islamisten als ideologische Motivation und 222 Kurz nach den Anschlägen von Moskau am 24. und 31.8.2004 hatten die "Islambuli-Brigaden von al-Qa'ida" - eine bislang nicht durch eigene terroristische Aktivitäten aufgefallene Gruppe - Selbstbezichtigungsschreiben im Internet veröffentlicht. Die Attentate seien als Rache für die von russischen Truppen in Tschetschenien begangenen Ermordungen von Muslimen verübt worden. Wegen des fehlenden Täterwissens ist von Trittbrettfahrern auszugehen, die versuchen Anschläge für "al-Qa'ida" zu instrumentalisieren. 128 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Beispiel für den behaupteten weltweiten Kampf der "Ungläubigen" gegen die Muslime propagandistisch benutzt werden. 3.3 Prozesse und Exekutivmaßnahmen Dem internationalen Terrorismus wird in der Bundesrepublik mit einem intensiven und dauerhaften Verfolgungsdruck begegnet. Zahlreiche Verfahren Ende 2004 wurde in 164 Verfahren mit islamistisch-terroristischem Hintergrund ermittelt, davon führte 84 Verfahren das Bundeskriminalamt und 80 die Länder. In sieben Fällen wurde Anklage erhoben. Die wichtigsten Strafverfahren waren 2004 der Prozess gegen den tunesischen Staatsangehörigen Ihsan G. vor dem Berliner Kammergericht sowie die Verfahren im Zusammenhang mit dem 11. September 2001 gegen Mounir El-Motassadeq und Abdelghani Mzoudi in Hamburg. Bei den Prozessen zeichnet sich eine grundlegende Schwierigkeit ab: Die Aufklärung der klandestinen terroristischen Vereinigungen und Bestrebungen ist vielfach nur durch nachrichtendienstliche Mittel möglich; die so gewonnenen Informationen sind aber in den Prozessen als Beweismittel in der Regel nicht verwendbar. Im Zuge der Terrorismusbekämpfung ist auch die internationale Internationale Zusammenarbeit verstärkt worden. So wurde der syrischZusammenarbeit deutsche Staatsangehörige223 Mamoun Darkazanli aufgrund eines Auslieferungsersuchens Spaniens wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation festgenommen. Grenzübergreifend ist auch die strafrechtliche Verfolgung der "Meliani-Gruppe". In Paris wurde der Prozess gegen den Anführer, Mohamed Bensakhria alias Meliani, sowie gegen zehn weitere Mitglieder dieser Gruppe eröffnet. Die Gruppe hatte einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg im Jahr 2000 geplant und vier ihrer Mitglieder waren 2003 in Frankfurt zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden.224 Festgenommen wurden drei mutmaßliche Angehörige der "Ansar al-Islam", die im Verdacht stehen, einen Anschlag auf 223 Mamoun Darkazanli hat sowohl die syrische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft. 224 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 129 den irakischen Ministerpräsidenten Dr. Iyad Hashim Allawi bei Verdacht der seinem Staatsbesuch in Berlin vorbereitet zu haben. Diese AnAnschlagsschlagsvorbereitungen sowie die Prozesse gegen Mitglieder der vorbereitung in Berlin militant-islamistischen "Al-Tawhid"-Bewegung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf225 und der Prozess gegen Ihsan G. vor dem Berliner Kammergericht zeigen, dass terroristische Gruppierungen auch Berlin als Tatort in Betracht ziehen. 3.3.1 Prozess wegen Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung in Berlin Der Prozess gegen den tunesischen Staatsangehörigen Ihsan G. vor dem Berliner Kammergericht wurde am 4. Mai Prozess Ihsan G. eröffnet. Laut Anklage des Generalbundesanwalts (GBA) soll Ihsan G. im Zeitraum vom 19. Januar 2003 bis zum Tag seiner Verhaftung am 20. März 2003 versucht haben, mit Hilfe einer zu gründenden terroristischen Vereinigung aus seiner islamischfundamentalistischen Einstellung heraus Sprengstoffanschläge auf jüdische und US-amerikanische Ziele in der Bundesrepublik zu verüben. Er habe durch die Tötung oder Verletzung einer Vielzahl von Menschen die westliche Welt demütigen wollen. Dies sei durch die Festnahmen von ihm sowie fünf weiteren Personen am 20. März 2003 vereitelt worden.226 Der seit 1996 in Deutschland lebende Tunesier soll 2001 in einem Lager der "al-Qa'ida" in Afghanistan eine ideologische und militärische Schulung erhalten haben, um am von Usama Bin Ladin erklärten weltweiten Kampf der Muslime gegen "Ungläubige" teilzunehmen. In Afghanistan habe G. den Auftrag erhalten, in der Bundesrepublik Sprengstoffanschläge zu verüben und dazu Gleichgesinnte anzuwerben. Im Januar 2003 sei G. über Südafrika und Brüssel illegal wieder eingereist. G. soll sich laut Anklageschrift an mehrere ihm bekannte Personen aus dem Umfeld der Berliner "Al-Nur-Moschee" gewandt haben. Vier von ihnen sollen ihm ihre Unterstützung zugesagt haben. Für die Ausbildung seiner Gruppe habe G. die Räumlichkeiten 225 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004. Die "Al-Tawhid"-Zelle hatte auch einen Anschlag auf eine jüdische Einrichtung in Berlin geplant. 226 Presseerklärung des Generalbundesanwalts 3/2004 vom 16.1.2004. 130 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 der "Al-Nur-Moschee" genutzt, bis der Imam der Moschee ihm dies untersagt habe. Darauf hin habe er die Ausbildung an einem unbekannten Ort fortgesetzt, die Materialien für die geplanten Anschläge beschafft und sie teilweise in einer Wohnung in Gelsenkirchen gelagert. Der Prozess gegen Ihsan G. dauert an.227 3.3.2 Prozesse im Zusammenhang mit dem 11. September 2001 Der Bundesgerichtshof hob am 4. März das Urteil gegen den marokkanischen Staatsangehörigen Mounir El-Motassadeq auf El-Motassadeq: Haftentlassung unter und er wurde am 7. April unter Auflagen aus der Haft entlassen. Auflagen El-Motassadeq war am 19. Februar 2003 vom Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg zunächst zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord in 3 066 Fällen sowie zum versuchten Mord und zur gefährlichen Körperverletzung in fünf Fällen verurteilt worden. Er habe als 'Statthalter' der Hamburger Gruppe um Mohammad Atta an der Planung der Anschläge vom 11. September 2001 mitgewirkt und für die Finanzierung der Gruppe gesorgt. Neuverhandlung Der Bundesgerichtshof verwies das Verfahren zur Neuverhandlung und Entscheidung an das Hanseatische Oberlandesgericht zurück, da die Aussagen des mutmaßlichen Mittäters Ramzi Binalshib, der sich in US-Gewahrsam befindet, nicht berücksichtigt werden konnten. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes dürfen Geheimhaltungsinteressen der Exekutive nicht grundsätzlich zu Lasten des Angeklagten gehen. Der Nachteil, der dem Angeklagten dadurch entstehe, sei durch eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung und gegebenenfalls durch die Anwendung des Grundsatzes 'im 227 Das Kammergericht hat G. am 6.4.2005 wegen Steuerhinterziehung, Verstoßes gegen das Waffengesetz u. a. zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen hat sich der 1. Strafsenat nicht von dem Vorwurf der versuchten "Bildung einer terroristischen Vereinigung" überzeugen können. Die Hauptversammlung habe in diesem Punkt nicht zweifelsfrei die Schuld des Angeklagten belegen können. Der Generalbundesanwalt hat Revision eingelegt. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 131 Zweifel für den Angeklagten' auszugleichen.228 Das erneute Verfahren vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht begann am 10. August in Hamburg. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zugunsten ElMzoudi: Motassadeqs war ein Freispruch des marokkanischen StaatsFreispruch wegen angehörigen Abdelghani Mzoudi durch das Hanseatische OberBeweismangel landesgericht in Hamburg am 5. Februar aus Mangel an Beweisen vorausgegangen. Auch Mzoudi war wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord in mehr als 3 000 Fällen angeklagt. Der GBA warf ihm vor, in die Attentatsvorbereitungen vom 11. September 2001 eingebunden gewesen zu sein. Er habe über lange Jahre enge Beziehungen zu den Angehörigen der Hamburger Gruppe um Mohammad Atta unterhalten und sei mit einigen Mitgliedern der Gruppe im Sommer 2000 in afghanischen Ausbildungslagern gewesen. Das Gericht schloss nicht aus, dass der Angeklagte Kenntnis von den Tatvorbereitungen hatte oder möglicherweise beteiligt war, folgte jedoch dem Revision eingelegt Grundsatz 'im Zweifel für den Angeklagten'.229 Der GBA legte am 6. Februar Revision ein. 3.3.3 Spanisches Auslieferungsersuchen zu Darkazanli Am 15. Oktober wurde in Hamburg der syrisch-deutsche Staatsangehörige Mamoun Darkazanli aufgrund eines Auslieferungsersuchens Spaniens wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation festgenommen. Die spanischen Behörden werfen Darkazanli vor, seit 1997 in Spanien, Deutschland und Großbritannien als eine der Schlüsselfiguren des terroristischen Netzwerks "al-Qa'ida" im Bereich der logistischen und finanziellen Unterstützung dieser Organisation aktiv gewesen zu sein.230 Das Auslieferungsersuchen der spanischen Behörden erfolgt auf Basis des neuen Europäischen Haftbefehlsgesetzes vom 21. Juni 2004, nach 228 BGH 3 StR 218/03 vom 4.3.2004. 229 OLG Hamburg 2 JBs 85/01-5. Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004, S. 116. 230 Vgl. Presseerklärung des Hanseatischen Oberlandesgerichts (HOLG) in Hamburg vom 15.10.2004. 132 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 dem Deutschland grundsätzlich auch deutsche Staatsangehörige an andere EU-Staaten ausliefern kann. Gegen die Auslieferung legte Darkazanli beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde ein, verbunden mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, dass die Übergabe an die spanischen Behörden bis zur Entscheidung über die Beschwerde ausgesetzt wird. Diesem Antrag wurde am 24. November einstweilig stattgegeben. Binnen sechs Monaten wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob das Europäische Haftbefehlsgesetz im Widerspruch zum Grundgesetz steht.231 Darkazanli befindet sich weiterhin in Haft. 3.3.4 Prozess gegen die "Meliani-Gruppe" in Paris Am 6. Oktober wurde in Paris der Prozess gegen den Anführer der "MelianiGruppe", Mohamed Bensakhria alias Meliani, sowie gegen zehn weitere Mitglieder dieser Gruppe eröffnet. Die "Meliani-Gruppe" hatte einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg im Jahr 2000 geplant. Bensakhria wurde im Juni 2001 in Spanien festgenommen und nach Frankreich ausgeliefert. Ein erster Prozess am Oberlandesgericht in Frankfurt a. M. gegen vier Mitglieder der "MelianiGruppe" endete am 10. März 2003 mit langjährigen Haftstrafen.232 3.3.5 Vereitelter Anschlag: Exekutivmaßnahmen des Generalbundesanwalts gegen mutmaßliche Angehörige der "Ansar al-Islam" Am 3. Dezember wurden drei irakische Staatsangehörige im Festnahmen: Mordanschlag Bundesgebiet, darunter der 30-jährige Rafik Y. aus Berlin, vorgeplant läufig festgenommen. Sie stehen im Verdacht, einen Mordanschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten Dr. Iyad Hashim Allawi während seines Staatsbesuches am 2./3. Dezember in Berlin geplant zu haben. Der Ermittlungsrichter des Bundes231 2 BvR 2236 / 04. Vgl. Presseerklärung des Bundesverfassungsgerichts 107/2004 vom 1.12.2004. 232 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004, S. 117. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 133 gerichtshofes hat am 4. Dezember gegen die Festgenommenen Haftbefehl erlassen. Die Hinweise auf Anschlagspläne ergaben sich aus einer Vielzahl von Telefongesprächen zwischen den Beschuldigten, die sie seit dem 28. November verschlüsselt geführt hatten. Diese zeigten, dass Rafik Y. aus Berlin konkrete Überlegungen zu einem Anschlag auf den Staatsgast anstellte und in den AbendAusspähung stunden des 2. Dezember zur Vorbereitung der Tat eine Ausin Berlin spähungsfahrt in Berlin unternahm, nachdem die weiteren Beschuldigten ihm die Erlaubnis zu dem Vorhaben erteilt hatten. Den Beschuldigten wird zur Last gelegt, dass die Anschlagsvorbereitungen eine mitgliedschaftliche Betätigung233 in der ausländischen terroristischen Vereinigung "Ansar al-Islam" gewesen seien. In Kooperation von Polizei und Verfassungsschutzbehörden wurden über die Festnahmen hinaus in diesem Zusammenhang insgesamt zehn Objekte in Augsburg, Stuttgart Durchsuchungen und Berlin durchsucht. Sprengstoff, Waffen oder sonstige zur Herstellung von Sprengstoff geeignete Utensilien wurden nicht gefunden. Eine weitere Person, die am 4. Dezember in Berlin vorläufig festgenommen worden war, wurde wieder auf freien Fuß gesetzt. Gegen sie bestehe jedoch nach wie vor Tatverdacht. 234 Die Mitglieder der im September 2001 im Nordirak gegründeten "Ansar al-Islam": "Ansar al-Islam" sind radikal-islamistische Kurden, die sich auch Vorbild Taliban mit Waffengewalt für die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates nach dem Vorbild des früheren Taliban-Regimes in Afghanistan einsetzen. Um ihr Einflussgebiet im Irak zu sichern und zu erweitern, bekämpfte die "Ansar al-Islam" auch andere im Nordirak ansässige kurdische Vereinigungen mit Mordund Sprengstoffanschlägen. Seit der Intervention der alliierten Streitkräfte im Irak im März 2003 richten sich ihre terroristischen Aktionen gegen die Koalitionstruppen der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer Verbündeten aber auch gegen humanitäre Hilfskräfte. Propagandistisch tritt sie seitdem, vor allem im Internet, unter dem Namen "Jaish Ansar al-Sunna" 233 Im Sinne der Strafvorschrift SS 129b StGB. 234 Vgl. Presseerklärung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof 29/2004 vom 7.12.2004. 134 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 auf. Zu ihrer logistischen und finanziellen Unterstützung unterhält die Organisation auch in Westeuropa ein Netzwerk.235 Der geplante Anschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten belegt, dass in Deutschland Strukturen von "Ansar al-Islam" existieren, die für diese Organisation nicht nur mit - u. a. kriminellen - Mitteln werbend und unterstützend tätig sind, sondern Aktivitäten in Deutschland auch in Deutschland terroristische Aktivitäten entfalten. Bisher konnten in Deutschland Personenzusammenhänge festgestellt werden, die die "Ansar al-Islam" im Nordirak hauptsächlich durch Rekrutierung, Logistik und Geldbeschaffung sowie durch die Einschleusung irakischer Staatsbürger in die Bundesrepublik Deutschland unterstützten.236 3.4 Araber 3.4.1 Die Entwicklung im Nahen Osten und ihre Auswirkungen auf Deutschland Die Lage im Nahen Osten spitzte sich im Jahr 2004 durch die Zuspitzung der Lage Tötung mehrerer Führer der palästinensischen "Islamischen Widerstandsbewegung" (= HAMAS) zu. Am 22. März kam der Gründer der HAMAS, Ahmad Yassin, durch eine israelische Militäraktion ums Leben. Auch sein Nachfolger Abd al-Aziz Rantissi wurde bei einem gezielten Angriff der israelischen Armee am 17. April in Gaza getötet; ebenso kam der Mitbegründer des militärischen Arms der HAMAS, Izz ad-Din Subhi Shaikh Khalil, am 26. September durch eine Autobombe in Damaskus ums Leben. Yassins Tötung führte im Gazastreifen und im Westjordanland zu Protesten Hunderttausender und löste weltweit Kritik aus.237 Für Unruhe sorgten einzelne Pressemeldungen, wonach die HAMAS nun Anschläge gegen israelische und amerikanische Einrichtungen im Ausland angekündigt habe. Dies wurde 235 Vgl. Presseerklärung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof 28/2004 vom 7.12.2004. 236 Ebenda. 237 Die EU-Außenminister verurteilten in scharfer Form die "außergesetzliche Tötung" Yassins. Israel untergrabe damit das "Konzept des Rechtsstaats, der ein Schlüsselelement im Kampf gegen den Terrorismus" darstelle. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 135 jedoch von dem Leiter des Politischen Büros der HAMAS in Damaskus, Khaled Mash'al, in einem Interview mit dem Fernsehsender "al-Arabija" am 27. März zurückgewiesen: "Der Kampf der HAMAS findet in Palästina statt." An den Protestaktionen in Berlin - etwa den Demonstrationen Friedliche Proteste am 26. März und am 24. April - beteiligten sich neben laizistischen arabischen auch verschiedene islamistische Gruppen. Die Veranstaltungen verliefen friedlich. An der Demonstration am 26. März auf dem Alexanderplatz nahmen ca. 600 Personen teil. In dem Demonstrationszug wurden neben palästinensischen Fahnen auch Fahnenwimpel der als terroristisch eingestuften HAMAS mitgeführt. Die Reaktionen von Anhängern islamistischer Organisationen im Bundesgebiet auf die Tötung Rantissis waren überwiegend zurückhaltend. Eine Mobilisierung zu Protestkundgebungen, wie dies nach der Tötung Yassins im März der Fall war, blieb aus. Auch in Berlin fand am 24. April eine von verschiedenen arabischen und islamischen Vereinen organisierte Kundgebung an der Gedächtniskirche unter dem Motto "Gegen Aggressionskriege, Besatzung und Staatsterrorismus, stoppt Scharon" mit ca. 30 Teilnehmern nur geringe Resonanz. Nach übereinstimmender Bewertung ist die Gefahr von Anschlägen des militärischen Flügels der HAMAS, der "Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden", und anderer terroristisch operierender palästinensischer Gruppen wie der "al-Aqsa-Märtyrerbrigaden" Keine Ausweitung oder des "Palästinensischen Islamischen Jihad" (PIJ) außerhalb des Aktionsraumes des israelischen Kernlands und der besetzten Gebiete weiterhin als wenig wahrscheinlich anzusehen. Keine der Gruppierungen war bisher außerhalb der Region terroristisch aktiv; Hinweise auf eine Ausweitung ihres Aktionsraums liegen bislang nicht vor. Die Entwicklung der politischen Lage im Nahen Osten nach dem Tode Yassir Arafats am 11. November hat zudem veränderte Ausgangsbedingungen für die zum Erliegen gekommenen Friedensverhandlungen in der Konfliktregion geschaffen. 136 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 3.4.2 Verbot des "Ersten Arabisch-Islamischen Kongresses in Europa" Im September wurde die öffentGroßes liche Berichterstattung in Berlin Medieninteresse vor allem von einem Thema beherrscht: Dem Berliner "Islamisten-Kongress". Im Internet war die Einladung zu einem "Ersten arabisch-islamischen Kongress in Europa" erschienen, in der zur Teilnahme an dieser für die Zeit vom 1. bis 3. Oktober in Berlin projektierten Veranstaltung unter dem Motto "Gegen Zionismus und die Besatzung in Palästina und im Irak" aufgerufen wurde. Internetseite des Kongress-Veranstalters Eine Liste angeblicher Teilnehmer des Kongresses wurde ebenfalls veröffentlicht, allerdings dementierten einige Betroffene umgehend. Am 11. September erschienen erste Presseberichte über den Kongress und hatten an dem sensiblen Datum eine große Öffentlichkeitswirkung, die die Organisatoren überrascht haben Organisationen: dürfte. Bei diesen handelte es sich nicht um Vertreter einer Verschiedene islamistischen Organisation, sondern um Personen aus vollpolitische kommen verschiedenen politischen Richtungen: Nationalisten, Richtungen Pan-Arabisten, Linksextremisten aber auch Islamisten trafen sich in ihrer Ablehnung Amerikas und Israels sowie der Unterstützung für den "Widerstand in Palästina und dem Irak". Die Einladung zeigte die Aggressivität der Veranstalter: So wird Aggressiver Einladungstext von den "zionistisch-terroristischen Banden" gesprochen, von den Feinden, die durch die "Ketten ihres infernalischen Plans und barbarischen Projekts verbunden" seien. Ziel sei die "Beseitigung des Schwerts des amerikanischen und zionistischen Terrors, das über dem Hals unseres Volkes und unserer Familien in allen Ländern unserer Nation und in den Einwanderungsländern erhoben ist". Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 137 Auf mehreren Ebenen wurden Maßnahmen gegen den Kongress eingeleitet: * Auf der Grundlage der aus dem Englischen und Arabischen übersetzten Internetveröffentlichungen leitete der Generalbundesanwalt am 17. September ein Ermittlungsverfahren gegen die Organisatoren des Kongresses wegen Verdachts der Werbung um Mitglieder und Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach SS 129 a und SS 129 b StGB und anderer Straftaten ein. Das Verfahren wurde zwischenzeitlich eingestellt. * Der Hauptinitiator des Kongresses, ein libanesischer Staatsangehöriger, wurde am 18. September bei seiner Ankunft aus dem Ausland am Flughafen Tegel nach Entzug seines Aufenthaltstitels nach Beirut zurückgewiesen. * Am 20. September wurden den sich in Berlin aufhaltenden Veranstaltungsweiteren Organisatoren Verbotsverfügungen für den Konverbot gress zugestellt. In der Begründung heißt es, in der im Internet zu der Veranstaltung veröffentlichten Erklärung werde "unspezifiziert zur Unterstützung aller mit Gewalt gegen die israelischen und amerikanischen 'Besatzer' in Palästina und dem Irak aktiven Gruppen aufgerufen". Es würden "Gewalttaten von erheblichem Ausmaß" propagiert. Man fordere die "Errichtung eines arabisch-islamischen Zirkels innerhalb der weltweit vereinigten Front, um sich der terroristischen amerikanisch-zionistischen Allianz und Hegemonie entgegenzustellen". Auch in den "Einwanderungsländern" werde zum Widerstand gegen das "amerikanische und zionistische Nazitum" aufgerufen. Der Hauptinitiator erklärte aus Beirut, man wolle den Kongress nun nach Wien verlegen. Auf der Internetseite, die zum Kongress aufrief, wurde jedoch der Vermerk "Canceled" angebracht. Gleichzeitig erhob der Libanese absurde Vorwürfe nicht nur gegen die deutsche Polizei, sondern gegen Bundesinnenminister Schily selbst: Er sei bei seiner "Ergreifung" geschlagen und betäubt worden. Herr Schily habe ihm persönlich gedroht, außerdem seien Angehörige des israelischen Geheimdienstes sowie der Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte in Berlin vor Ort gewesen. Bis zum heutigen Zeit- 138 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 punkt hat ein Kongress weder in Berlin noch in Wien stattgefunden. 3.5 Türken 3.5.1 Exekutivmaßnahmen gegen den "Kalifatsstaat" Abschiebung Metin Kaplans Der Führer des verbotenen "Kalifatsstaats" (= / Hilafet Devleti), Metin Kaplan, wurde am Nachmittag des 12. Oktober durch die Kölner Polizei im Internetcafe seines Sohnes festgenommen und noch am selben Tag in die Türkei abgeschoben. Bei der Widerstand bei Festnahme kam es zu Widerstandshandlungen von Anhängern Festnahme des selbsternannten "Kalifen". Darüber hinaus gab es nach der Abschiebung Kaplans keine weiteren Störungen oder gewaltsamen Aktionen von Kalifatsstaatsmitgliedern. Kaplan wurde nach seiner Ankunft in Istanbul in Haft genommen. Der am 20. Dezember gegen ihn eröffnete Prozess wegen Hochverrats wurde auf den 4. April 2005 vertagt. Grundlage für die Abschiebung Kaplans am 12. Oktober war der am gleichen Tag veröffentlichte Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 5. Oktober. Darin wurden Kaplans Anträge, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Abschiebungsverfügung der Stadt Köln vom 26. Mai anzuordnen sowie der Stadt Köln zu untersagen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen, abgelehnt. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass sich Kaplans Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet dem Allgemeininteresse an einer sofortigen Ausreise unterzuordnen habe. Er gelte als Identifikationsfigur für den islamischen Extremismus, seine umgehende Entfernung aus dem Bundesgebiet sei zwingend geboten.238 Das Bundesverwaltungsgericht entschied am 7. Dezember, dass die Abschiebung in die Türkei rechtmäßig war. Kaplan drohten "keine unmenschlichen oder folterähnlichen Haftbedingungen".239 238 VG Köln 12 L 1418/04. 239 BVerwG 1 C 14.04. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 139 Der Abschiebung Kaplans war eine längere juristische AusAbschluss einandersetzung vorausgegangen. Obwohl gegen das "Kalifatszahlreicher staats"-Oberhaupt ein Auslieferungsantrag der Türkei wegen Verfahren Hochverrats vorlag, war Metin Kaplan am 27. Mai 2003 nach Verbüßung einer vierjährigen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen worden.240 Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte damals festgestellt, dass Kaplan nicht ausgeliefert werden könne, da für ihn in der Türkei kein rechtsstaatliches Strafverfahren gewährleistet sei.241 Das Oberverwaltungsgericht Münster entschied aber am 4. Dezember 2003, dass Metin Kaplan der Status als Asylberechtigter aberkannt werde und stellte das Nichtvorliegen eines Abschiebungshindernisses nach SS 51 Abs. 1 AuslG fest.242 In der Folgezeit klagte Metin Kaplan gegen die Aberkennung dieses Status sowie die Abschiebung in die Türkei. Weitere Exekutivmaßnahmen gegen "Kalifatsstaats"-Anhänger Wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Vereinsverbot vom 12. Dezember 2001 erfolgten im Juni, August und September 2004 umfangreiche Exekutivmaßnahmen gegen den "Kalifatsstaat". Bei der größten Aktion am 6. August gab es zeitgleiche Durchsuchungsmaßnahmen bei 70 Personen in Umfangreiche Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sowie Durchsuchungen Räumlichkeiten in 32 Gebäuden. Dabei wurden zahlreiche Propagandamaterialien sichergestellt. Dies bestätigt den Verdacht, dass Ideologie und Ziele des "Kalifatsstaats" nach dem Vereinsverbot weiter verbreitet wurden. Neue Publikation "Barika-i Hakikat" ("Das Aufleuchten der Wahrheit") Trotz der Exekutivmaßnahmen gegen den "Kalifatsstaat" sind Weiterhin Aktivitäten Teile der Anhängerschaft weiterhin aktiv. Nach den Durchsuchungsmaßnahmen gegen die Bezieher des Verbandsorgans 240 Siehe dazu S. 256 ff. 241 OLG Düsseldorf 4 Ausl (A) 308/02 - 147, 203-204/03 III vom 27.5.2003. 242 Az 8 A 3766/03 .A; 8 A 3852/03 A. Dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster waren Verhandlungen des Bundesinnenministeriums mit der Türkei zur Absicherung eines rechtsstaatlichen Verfahrens vorausgegangen. 140 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 "Beklenen Asr-i Saadet" ("Das erwartete Zeitalter der Glückseligkeit") vom 11. Dezember 2003243 wurde der Versand der Zeitung aus den Niederlanden an hiesige "Kalifatsstaats"Anhänger zunächst eingestellt. An ihrer Stelle wurde ab dem Frühjahr dieses Jahres eine neue "Barika-i Hakikat": Versand aus den Verbandszeitschrift mit dem Titel "Barika-i Hakikat" ("Das AufNiederlanden leuchten der Wahrheit") aus den Niederlanden verschickt. In Layout und Stil unterscheidet sich die Zeitung von der "Beklenen Asr-i Saadet". Der Ton dieser neuen Publikation ist gemäßigter. Die vorrangigen Themen haben sich indessen nicht geändert: Es wird schwerpunktmäßig "die Überlegenheit des Islam gegenüber westlichen Lebensweisen und westlichen politischen Systemen" propagiert und weiterhin gegen Zionisten und den Staat Israel agitiert: "Das zionistische Israel besetzt die USA mit der Rolle des 'Trojanischen Pferdes', um seine Sicherheit und seine Ziele zu erreichen. Um das 'Groß-Israel-Projekt' (BIP) zu realisieren, ermordet Israel Scheich Ahmed Jassin. Von nun an wird sich im Nahen und Mittleren Osten kein Land in Sicherheit fühlen können. Diese kleinen Schlangen und diese giftigen Tausendfüßler haben das Motto 'Die Schlange, die mich nicht beißt, mag vierzig Jahre leben!' missbraucht und sich zu einer riesengroßen und furchteinflößenden Schlange entwickelt, die jetzt der Menschheit nur Unheil und Unglück bringt."244 Die ersten Ausgaben der "Barika-i Hakikat" enthielten im Gegensatz zu den vorherigen Verbandszeitungen fast keine Texte von Cemaleddin und Metin Kaplan. Dies hat sich seit dem Sommer geändert. Bislang sind zumindest drei Ausgaben der Zeitung bekannt, in denen Texte des verstorbenen Führers Cemaleddin Kaplan unkommentiert abgedruckt wurden. 3.5.2 Krise der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e. V." Um die programmatische Ausrichtung der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (= IGMG) gibt es nach wie vor interne Auseinandersetzungen: Die Spaltung des islamistischen 243 Siehe dazu S. 256 ff. 244 Barika-i Hakikat, Nr. 3 vom 15.4.2004. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 141 Lagers in der Türkei in Traditionalisten um Necmettin Erbakan und Reformer um Recep Tayyip Erdogan245, die TerroranInterne Auseinanderschläge vom 11. September 2001 sowie die Erkenntnis vieler setzungen türkischstämmiger Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, dass eine Rückkehr in die Türkei für sie langfristig unwahrscheinlich ist, haben unterschiedliche Strömungen in der Organisation zur Folge. Die Traditionalisten in Deutschland erwarten, dass die IGMG Traditionalisten ihre Arbeit weiter auf die Verwirklichung politischer Ziele in der Türkei orientiert und weiterhin Necmettin Erbakans Forderungen (vor allem in finanzieller Hinsicht) unhinterfragt erfüllt. Die Reformer hingegen fordern eine Neuausrichtung auf die verReformer änderten Bedürfnisse vor allem der Anhänger der zweiten und dritten Generation in Europa. Diese wünschen den Ausbau des religiösen und sozialen Angebots. Sie fordern eine Emanzipation von Erbakan sowie der SP und wollen mehr Mitbestimmung in der IGMG durchsetzen. Die IGMG versucht zur Zeit, beiden Positionen gerecht zu werden. Um eine Spaltung des Verbandes zu vermeiden, bemüht sie sich, weder Traditionalisten noch Reformer vor den Kopf zu stoßen. Dabei werden Positionen vertreten, die nicht miteinander vereinbar sind. Dies lässt sich an den Äußerungen des Generalsekretärs der IGMG Oguz Ücüncü in zwei Zeitungsinterviews beobachten. In der "Welt" vom 11. August spricht der Generalsekretär die Angst vor einer Spaltung der IGMG an. Als Angehöriger der zweiten Generation vertritt er die Modernisierer in dem Verband. Er will Neuerungen in der Organisation durchsetzen, sagt aber, dass er "die Dinge nicht 245 Die islamistische "Milli-Görüs-Bewegung" spaltete sich im Sommer 2001: Die traditionalistische "Saadet Partisi" (SP) führt die "Milli-Görüs"-Ideologie ihres geistigen Führers Necmettin Erbakan fort, nach der sich eine Staatsund Gesellschaftsordnung auf Koran und Sunna zu gründen habe. Die reformerische "Adalet ve Kalkinma Partisi" (AKP) hat sich im Gegensatz zur SP von dem politischen Ziel einer Staatsordnung auf Basis der Scharia distanziert. Sie misst dem Islam zwar eine hohe Bedeutung bei, erklärt Religion aber zur Privatsache jedes Einzelnen. SP und Necmettin Erbakan sind zur Zeit offenbar nicht in der Lage, das islamistische Wählerspektrum für sich zu mobilisieren. Die AKP hingegen gewann im November 2002 die türkischen Parlamentswahlen und konnte bei den Kommunalwahlen im März 2004 ihren Stimmenanteil um acht Prozentpunkte ausbauen. Mit ihrer absoluten Mehrheit verabschiedete die AKP unter der Führung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan eine Reihe von Gesetzespaketen, die zu einer grundlegenden Reform und Konsolidierung des türkischen Staates führen sollen. 142 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 übers Knie brechen" möchte, weil ihm klar sei, dass viele Mitglieder an der Basis sich gegen Reformen und eine Öffnung sträubten. Es bedürfe noch viel der Überzeugungsarbeit, bis die Mitglieder z. B. einer Aufhebung der strikten GeschlechterWidersprüchliche Aussagen trennung positiv gegenüber ständen. In dem Interview mit der "tageszeitung" vom 7. Mai bekennt der IGMG-Generalsekretär sich zu Menschenrechten, Gleichberechtigung und Pluralismus, erklärt aber gleichzeitig, dass er bei der Parlamentswahl 2002 Necmettin Erbakans "Saadet Partisi" (SP) gewählt habe und dass Erbakan für die IGMG eine Integrationsfigur sei. Angesichts der Programmatik der SP, die den demokratischen Rechtsstaat zugunsten einer islamistischen Staatsordnung abschaffen will, wird Ücüncüs Bekenntnis zur Demokratie widersprüchlich und damit fragwürdig. Ücüncü behauptet zudem, die IGMG habe verinnerlicht, dass antisemitische Äußerungen tabu seien. Er diskutiere auch mit Necmettin Erbakan dessen antisemitische bzw. antizionistische Sichtweisen, die IGMG würde aber deswegen nicht mit ihm brechen. Die Äußerungen des Generalsekretärs zeigen, dass die IGMG eine Distanzierung von Necmettin Erbakan und seiner islamistischen "Milli-Görüs"-Ideologie246 vermeidet. Ob dies eine Strategie ist, um eine Spaltung zu vermeiden oder ob es damit zusammenhängt, dass der Verband insgesamt nicht die Absicht hat, sich von der Milli-Görüs-Ideologie zu lösen, lässt sich nicht abschließend klären. Es bleibt festzuhalten, dass die IGMG in den letzten Jahren ihr Versuchter Image als politische Bewegung abzustreifen sucht. Stattdessen Imagewechsel bemüht sie sich, als islamische Religionsgemeinschaft in Deutschland anerkannt zu werden. Der damit verbundene Ausbau nicht nur des religiösen, sondern auch des sozialen Angebotes - Nachhilfekurse für Kinder und Jugendliche sowie Bildungsangebote für Frauen - kommt den geänderten Bedürfnissen der Mitglieder entgegen. Die IGMG schaffte die jährlichen großen politischen Kundgebungen ab, um sich in der Öffentlichkeit als religiöse Interessenvertretung türkischer Muslime zu präsentieren. 246 "Milli Görüs" heißt "Nationale Sicht". Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 143 Stattdessen fand am 29. und 30. Mai am Sitz des IGMGThema: Hauptverbandes in Kerpen ein "Familientag" statt, der hauptSoziale Probleme sächlich soziale Probleme der Mitglieder thematisierte. Trotzdem wurde nicht darauf verzichtet, auf den ideologischen Führer Necmettin Erbakan und seine "Milli-Görüs"-Bewegung Bezug zu nehmen. Als Gastredner war Numan Kurtulmus, ein Politikberater Erbakans und stellvertretender Vorsitzender der SP geladen, der zum Thema "Die sich globalisierende Welt und die Jugend" sprach.247 Den Bemühungen, sich als nicht-extremistische Organisation darzustellen, stehen Feststellungen in Berichten der VerfasKlagen gegen sungsschutzämter entgegen. Der Hauptverband hat deshalb Verfassungsschutzdie Länder Baden-Württemberg, Hamburg und Nordrheinbehörden Westfalen verklagt. Den Rechtsstreit gegen das Land BadenWürttemberg um den Jahresbericht 2001 hat die Organisation inzwischen verloren. Das Verwaltungsgericht Stuttgart stellte in seinem Urteil vom 9. Juli fest, dass die Organisation ihre Homepage erst nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 von belastenden Links bereinigt habe. Der Verfassungsschutz Baden-Württemberg habe durch Vorlage entsprechender Ausdrucke belegt, dass die Internetseite der IGMG-Zentrale in Kerpen beispielsweise noch am 20. August 2001 Verweise auf die Homepages der islamistischen Presseorgane "Akit" und "Milli Gazete" enthielt, die nach dem 11. September fehlten.248 Verhältnis zur "Milli Gazete" Eine ähnliche Widersprüchlichkeit findet sich im Umgang mit der türkischen Tageszeitung "Milli Gazete" (Nationale Zeitung). Es gibt zahlreiche Anhaltspunkte, dass die IGMG die "Milli Gazete" als Sprachrohr für den Verband nutzt - auch wenn die IGMG selber dieses bestreitet.249 247 Artikel auf der IGMG-Internetseite unter "Nachrichten>Verband" vom 25.5., 28.5. und 12.6.2004. 248 VG Stuttgart K 1474/04. 249 Ücüncü betont im Interview mit der "tageszeitung" vom 7.5.2004, dass die Inhalte der "Milli Gazete" nicht der IGMG zugerechnet werden dürften. Er räumt ein, dass die Zeitung antisemitisches Gedankengut verbreitet. 144 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 In der "Milli Gazete" wird nicht nur für IGMG-Veranstaltungen geworben, es wird auch regelmäßig über das IGMG-Vereinsleben berichtet. Neben der Veröffentlichung der wöchentlichen Freitagspredigt des IGMG-Hauptverbandes wird die Zeitung auch von IGMG-Ortsvereinen als Anzeigenblatt genutzt, um Glückwünsche und Beileidsbekundungen an Mitglieder zu Personelle Verflechtung publizieren. Ebenso gibt es personelle Verflechtungen zwischen dem Verband und der Zeitung, auch wenn die Organisation dieses abstreitet. Ein aktuelles Beispiel ist Ibrahim Gümüsoglu, der wenige Monate nach seinem Rücktritt als Vorsitzender des IGMG-Landesverbandes Hessen seine Arbeit als PR-Beauftragter der "Milli Gazete" aufnahm. In dieser Funktion wirbt er in IGMG-Ortsvereinen für ein Abonnement der Zeitung. Es stellt die Glaubwürdigkeit der IGMG in Frage, wenn sie sich Zeitung als Kommunikationsin der Öffentlichkeit für einen interreligiösen Dialog einsetzt und forum ihre Ablehnung von Gewalt versichert, gleichzeitig aber eine Zeitung als Forum für die Kommunikation mit ihren Mitgliedern nutzt, in der hetzerische und gewaltbefürwortende Artikel veröffentlicht werden. So brachte die "Milli Gazete" anlässlich der Meldungen über Misshandlungen und Folterungen irakischer Gefangener durch Angehörige der US-Armee im Gefängnis von Abu Ghraib folgenden Artikel: "Politiker, das Ende dieses Ungeheuers, das bis heute nur mit dem Blut anderer Länder lebte, ist nah. Es zappelt nur noch wie ein Hahn, dem man den Kopf abgeschnitten hat. Lasst euch nicht von seiner Macht beeindrucken. Gleicht nicht den Tieren, die Angst vor den vom Wind bewegten Haaren einer toten Hyäne haben, als würde sie noch leben. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo wir uns alle gemeinsam auf sie stürzen können. Außer eurem Blut habt ihr kein Schild mehr, das euch schützt vor denen, die eure Intellektuellen zu Ungläubigen und die Gläubigen zu Toten machen. [...] Angehörige der Konvente, rezitiert von nun an nur noch Vernichtung. [...] Muslime, die ihr als Führer für die Besatzer arbeitet, [...] rächt euch an diesen Besatzern für den Betrug und tragt den Koran in ihre Länder. Weinende, weint noch mehr, so dass sie im Meer der Tränen ertränkt werden. [...] Unterdrückte, diese dämonartigen Wesen, deren Ohren Genuss dabei empfinden, wenn sie Schreie aus den Flammen hören, die es vorziehen - anstatt Blätter vor dem Wind - Arme, Köpfe, Hände und Finger vor sich herzutreiben, die statt an Blumen zu riechen, viel lieber Leiber verbrannter Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 145 Kinder beschnuppern, bringt sie um und verhindert damit, dass sie noch mehr Unheil anrichten."250 Im Hinblick auf die Terroranschläge in Russland und Tschetschenien wird nicht nur die Existenz des islamistischen Terrorismus geleugnet, sondern die Anschläge werden pauschal dem "Zionismus" angelastet. Hier werden typische Stereotypen des türkischen Islamismus251 - geprägt von Necmettin Erbakan - herangezogen. Hinter allen Anschlägen stehe eine internationale Verschwörungstheorie Verschwörung gegen Muslime, die von "den Zionisten" ausgehe: "Die Katastrophe im nordossetischen Beslan wirft viele Fragen auf. Diese Katastrophe A la Putin wird wieder dazu genutzt, die Muslime zu diskreditieren. Erst zwei abgestürzte Flugzeuge, dann eine Explosion in der Metro und schließlich das Geiseldrama. Das alles riecht nach einem Szenario und einer internationalen Abrechnung. Das Zusammentreffen der Regierungschefs von Russland, Frankreich und Deutschland lässt die Frage aufkommen, ob diese Ereignisse nicht das Produkt einer internationalen Verschwörung sind. Unser Führer, Erbakan, hat in diesem Zusammenhang Folgendes geäußert: 'die Hauptverantwortlichen für den heutigen Terror sind Russland, USA und Israel. Ihre bestialische Politik ist der Auslöser dieser Aktionen. Der Zionismus zerstört den Frieden auf der Welt und schiebt die Schuld den Muslimen in die Schuhe. Die Ermordung von Kindern kann nicht das Werk von Muslimen sein. Der Islam ist die Religion der Barmherzigkeit, der Liebe und der Fürsorge'."252 Solange die IGMG die "Milli Gazete" de facto als Sprachrohr nutzt und damit derartige Äußerungen in der Zeitung toleriert, muss bezweifelt werden, dass sich die Organisation von der islamistischen Ideologie Erbakans gelöst hat. IGMG Berlin Auch der IGMG-Landesverband Berlin gab in der Öffentlichkeit Widersprüchlichein widersprüchliches Bild ab. Einerseits wurde auf dem jährkeiten lichen Tag der offenen Moschee zum interreligiösen Dialog aufgerufen und auf großen Veranstaltungen wie dem Jugendfest am 25. April für eine Integration der Muslime in Europa geworben. Andererseits wurde eine gewaltverherrlichende 250 "Milli Gazete" vom 15.5.2004. 251 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Antisemitismus im extremistischen Spektrum Berlins. Berlin 2004. 252 "Milli Gazete" vom 6.9.2004. 146 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Rede eines Predigers sowie eine diffamierend aggressive Predigt von ihm bekannt, die zu dessen Ausweisung führten. An einem Jugendfest in der Schöneberger Sporthalle nahmen nicht nur der IGMG-Landesverbandsvorsitzende und der Jugendleiter teil, auch der Generalsekretär des IGMG-Hauptverbandes Oguz Ücüncü war anwesend. Als einer der wichtigsten Augenblicke wurde die telefonische Live-Zuschaltung Necmettin Erbakans angekündigt. Gegenstand der Reden waren die Rolle der Jugendlichen in der "Milli Görüs" sowie die Bekenntnis zur Integration Integration der Muslime in Deutschland und Europa. Der IGMGJugendvorsitzende betonte in seiner Rede: "... niemals sind wir gegen die Integration gewesen. Ganz im Gegenteil, all unsere Aktivitäten sind nicht darauf gerichtet die Integration zu erschweren, sondern sie zu erleichtern."253 IGMG-Generalsekretär Oguz Ücüncü ging noch einen Schritt weiter und bezeichnete die IGMG als "Motor für die Integration der Muslime". Gleichzeitig betonte er, dass die Voraussetzung dafür sei, die eigene Identität zu bewahren und sich gegen Assimilationsbestrebungen zu Wehr zu setzen.254 Die Äußerungen der IGMG-Führungsebene zur Integration Ausweisung eines sowie ihr Engagement für einen friedlichen interreligiösen Predigers Dialog stehen im Widerspruch zum Fall des Berliner IGMGFunktionärs, der bis Ende 2004 Prediger in der Kreuzberger Mevlana-Moschee war. Die Berliner Ausländerbehörde hat den 59-Jährigen am 16. Dezember aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, weil er die öffentliche Sicherheit und Ordnung in schwerwiegender Weise gefährde. Es bestünde die Gefahr weiterer Auftritte, die das friedliche Zusammenleben deutscher und nichtdeutscher Berliner stören würden. Das Verwaltungsgericht (VG) und das Oberverwaltungsgericht (OVG) haben die hiergegen eingeleitete Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zurückgewiesen.255 253 "Milli Gazete" vom 3.5.2004. 254 Ebenda. 255 Der ehemalige Imam bestritt diese Äußerungen. Er hatte am 11.1.2005 Klage erhoben gegen seine Ausweisung und vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Das VG wies den Antrag am 22.2.2005 zurück und erklärte die Ausweisung für rechtmäßig (AZ: VG 25A6.05). Der Betroffene hat gegen die Entscheidung Beschwerde beim OVG eingelegt. Das OVG hat die Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutzverfahren am 22.3.2005 zurückgewiesen (Az. 3S17.05), Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 147 Der Prediger habe laut Ausweisungsbescheid auf einer Kundgebung anlässlich Misshandlung und Folterung von irakischen Häftlingen im Gefängnis von Abu Ghraib auf dem Berliner Oranienplatz am 12. Juni den Einsatz von Gewalt im Irak und in Nahost religiös legitimiert.256 Ergänzend wurde die Ausweisung auf Äußerungen von ihm in einer Predigt gestützt, die durch den Beitrag eines ZDF-Magazins am 9. November bekannt geworden waren. Danach habe der Prediger sich in der Moschee diffamierend über Deutsche geäußert. Derartige Äußerungen des Berliner IGMG-Funktionärs sind mit einem Engagement für Integration und einem friedlichen interreligiösen Dialog nicht in Einklang zu bringen. Der Prediger ist Gründungsmitglied des "Mevlana-Moschee e. V." und war dort von 1979 bis zu dem Vorfall tätig. Der "Mevlana-Moschee e. V." ist Mitglied im Dachverband der "Islamischen Föderation in Berlin e. V." (IFB). Zwei Tage nach Ausstrahlung der ZDF-Sendung teilte die IFB auf ihrer Homepage mit, dass der Beschuldigte bis zur Aufklärung des Funktionsträger der IGMG Vorfalls von seinen Ämtern enthoben sei. In der Berliner IGMG hatte der Prediger eine herausragende Funktion. Er organisierte die jährliche Pilgerfahrt des IGMG-Landesverbandes.257 Die Zukunft wird zeigen, ob es dem IGMG-Vorstand gelingt, Traditionalisten und Reformer zusammenzuhalten oder ob sich die Organisation spalten wird. Solange allerdings Necmettin Erbakan seinen Einfluss geltend machen kann und er durch die Anhänger der ersten Stunde - d. h. die erste Generation von Migranten in der IGMG - unterstützt wird, ist eine ideologische Neuausrichtung des Verbandes unwahrscheinlich. im Hauptsacheverfahren wurde bis Redaktionsschluss keine Entscheidung getroffen. Beim Verfassungsgerichtshof des Landes wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt, die aber wegen der anhängigen Verfahren beim BVerfG als unzulässig zurückgewiesen wurde. Die Entscheidung des BVerfG im dort anhängigen Eilsowie Hauptsacheverfahren steht noch aus. 256 Die Demonstration mit dem Titel "Sofortiger Stopp der Unmenschlichkeit im Namen der Demokratie im Irak und Verurteilung des brutalen Vorgehens des israelischen Militärs in Palästina" war am 11. Juni in der "Milli Gazete" angekündigt worden. Ein gleichlautender Flyer wurde am selben Tag vor der Kreuzberger Mevlana-Moschee verteilt. Die Kundgebung, an der sich 500 Personen beteiligten, verlief friedlich. 257 Vgl. dazu die Broschüre der IGMG-Zentrale für die Pilgerfahrt 2004/2005 "Hacc 2005-1425, Hacc ve Umre 'Milli Görüs'ile bir baskadir". 148 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 3.5.3 Türkische Linksextremisten Lage in der Türkei Die Entwicklung des Vorjahres setzte sich weiter fort: Vor allem die "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (= MLKP) war zunehmend terroristisch aktiv. Insgesamt Zahlreiche Anschläge in der müssen der Organisation in diesem Jahr über 60 Anschläge in Türkei der Türkei zugerechnet werden, die in der Mehrzahl vom militärischen Arm der MLKP, den "Bewaffneten Streitkräften der Armen und Unterdrückten" (FESK), begangen wurden. Die meisten Anschlagsziele lagen in Istanbul. Während bei 19 Zielen der türkische Staat und seine OrganiAnschlagsziele sationen getroffen werden sollten, war bei 17 Anschlägen die NATO das erklärte Angriffsziel. Sämtliche Aktionen gegen die NATO fanden im Vorfeld des NATO-Gipfels in Istanbul vom 28. - 29. Juni statt. Bevorzugtes Ziel waren dabei Banken. Auch bei den Anschlägen mit Bezug zum Irak wurden verstärkt Banken der vermeintlich schuldigen Länder (USA und Großbritannien) angegriffen. Insgesamt waren alleine zehn Filialen der englischen HSBC-Bank betroffen. Türkische linksextremistische Organisationen agierten somit stark gegen die Außenpolitik anderer Länder. Ein internationales Medienecho fanden Anschläge mit direktem Bezug zu weltpolitischen Ereignissen: * In der Nacht vom 16. auf den 17. Mai explodierten wenige Stunden vor einem Besuch des britischen Regierungschefs Tony Blair Bomben der FESK vor je zwei Filialen der HSBCBank in Istanbul und Ankara. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 149 * Am 24. Juni detonierte eine Bombe der "Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front" (= DHKP-C), die für ein unbekannt gebliebenes Ziel vorgesehen war, in einem voll besetzten Bus in Istanbul. Fünf Menschen starben, beinahe 20 weitere wurden verletzt. * Am gleichen Tag verübten die FESK einen Anschlag auf das Hilton-Hotel in Ankara, in dem der amerikanische Präsident George W. Bush während des NATO - Gipfels untergebracht werden sollte. Zwei Polizisten wurden verletzt. * Am 29. Juni detonierte in einem bereits gelandeten Flugzeug der Turkish Airlines (THY) eine Bombe der FESK, während sich der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im Flughafengebäude befand. Bereits einen Tag vor dem Eintreffen der Staatschefs zum NATO-Gipfel hatte es einen FESK-Bombenanschlag auf dem Parkplatz des Flughafens gegeben. * Am 28. September ereigneten sich kurz hintereinander Explosionen in Bankfilialen der britischen HSBC-Bank in Istanbul, Izmir und Adana sowie in einem türkisch-amerikanischen Verein in Ankara. Auch hier bezichtigten sich die FESK der Anschläge. Analog zu den eigenen terroristischen Aktivitäten finden sich Verlautbarungen: auch in den Verlautbarungen der verschiedenen linksextreAufrufe zu Gewalt mistischen türkischen Organisationen Passagen, in denen ganz offen der palästinensische oder irakische Widerstand befürwortet bzw. aktiv zur Gewalt aufgerufen wird. So schreibt die "Konföderation für demokratische Rechte in Deutschland" (ADHK): "Kurzgesagt, stehen die Völker der Welt, vor allem im Mittleren Osten vor der Gefahr von den USA unterworfen zu werden, um dieser Gefahr zu entgehen müssen sich die unterdrückten Völker gegen den Imperalismus wiedersetzen, 150 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 den Anti-Imperalistischen Wiederstand erhöhen. Aus diesem Grund begrüssen wir den Wiederstand gegen die irakische Besatzung, die am 20. März bereits ein Jahr andauert."258 Die "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland" (ATÄdegK) ist noch deutlicher: "Wir sind auf der Seite des gerechten Kampfes des unterdrückten Palästinensischen Volkes".259 "Der Widerstand der irakischen Bevölkerung gegen die Besatzungsmächte ist absolut gerechtfertigt! Wir müssen diesen Widerstand unterstützen!"260 Und die DHKC erklärt eindeutig: "VERGRÖSSERN WIR DIE FRONT DES KAMPFES DER VÖLKER GEGEN DIE AMERIKANISTISCHE FRONT! Wir stehen auf der Seite von allen, die gegen den USImperialismus und ihre Kollaborateure kämpfen."261 Exekutive Maßnahmen gegen die DHKP-C Bei koordinierten Polizeimaßnahmen gegen die DHKP-C in der Türkei, Italien, Belgien, den Niederlanden und der Bundesrepublik wurden am 1. April mehr als 40 mutmaßliche Mitglieder der Organisation festgenommen. Am 5. August wurde in Baden-Württemberg ein Zeltlager mutmaßlicher Anhänger der DHKP-C durchsucht. Zeitgleich fanden in Nordrhein-Westfalen Durchsuchungen in den Vereinsräumen des Veranstalters - der "Anatolischen Föderation e. V."262 - und der Privatwohnung der ersten Vorsitzenden statt. Dabei wurde jeweils umfangreiches Beweismaterial sichergestellt. Nachdem das Verwaltungsgericht Karlsruhe einen Eilantrag des Veranstalters gegen die von der Polizei verfügten Platzverweise abgelehnt hatte, räumte die Polizei am 6. August trotz erheblichen Widerstands den Platz. Drei Polizeibeamte wurden dabei verletzt. 258 Flugblatt der ADHK zum 1. Jahrestag der Besatzung des Irak am 20.3.2004 (Fehler im Original). 259 Aufruf der ATIK und ihrer Unterorganisationen - z. B. ATIF - zum 1.5.2004. 260 Flugblatt der ATÄdegK vom 5.3.2004. 261 Erklärung Nr. 325 der DHKC vom 22.3.2004. 262 Zweiter Vorstand des Vereins ist ein Berliner, der bei den polizeilichen Maßnahmen jedoch nicht im Sommerlager angetroffen wurde. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 151 Erneute Störung bei Besuch des türkischen Ministerpräsidenten in Berlin In Berlin beschränkten sich die Aktivitäten türkischer linksextremistischer Organisationen - wie bereits in den vorangegangenen Jahren - auf zumeist störungsfreie demonstrative Aktionen, vor allem an entsprechenden Jahrestagen.263 Zudem führte das TAYAD-Komitee halbjährlich im Dezember / Januar und im Juli Hungerstreikaktionen durch. Während des diesjährigen Hungerstreiks im Januar war eine Protestaktionen der Teilnehmerinnen an einer Störung beim Besuch des bei Staatsbesuch türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Berlin beteiligt. Vier Mitglieder des TAYAD-Komitees stürmten mit einem großen Transparent auf Erdogan zu und riefen lautstark Parolen wie "Es lebe unser Todesfastenwiderstand!" und "Nieder mit dem US-Imperialismus!" Die Polizei konnte die Demonstranten überwältigen und die Aktion ohne eine Gefahr für den türkischen Ministerpräsidenten beenden. Im Internet erklärte das TAYAD-Komitee daraufhin, dass die Aktion dem "aktuellen Repräsentanten des Faschismus in der Türkei" zum wiederholten Male264 deutlich gemacht habe, "dass er sich weder in der Türkei, noch in einem anderen Land, der Verantwortung [...] entziehen kann".265 Reaktionen in der Bundesrepublik Deutschland auf den NATO-Gipfel Im Gegensatz zur Türkei, wo es neben den bereits genannten Anschlägen Straßenschlachten zwischen Demonstranten und den Sicherheitskräften gab, verliefen in der Bundesrepublik die Friedliche Proteste Proteste gegen den NATO-Gipfel in Istanbul friedlich. Im Vorin Deutschland feld hatten sich nahezu alle türkischen und viele deutsche linksextremistische Organisationen mit entsprechenden Organi263 Zum Beispiel: 15.1. (Todestag von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg), 1.5. (Tag der Arbeit), 20.10. (Jahrestag des Beginns des Hungerstreiks in türkischen Gefängnissen), 19.12. (Jahrestag der Erstürmung der türkischen Gefängnisse), Gründungstage der jeweiligen Partei. 264 Bereits im September 2003 war es bei einem Besuch Erdogans in Berlin zu demonstrativen Handlungen gekommen, bei denen die Polizei einschreiten musste. Die damaligen Täter wiesen ebenfalls Bezüge zum TAYAD-Komitee auf. 265 Erklärung des TAYAD-Komitees vom 10.1.2004. 152 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 sationen aus dem europäischen Ausland zusammengeschlossen. Unter dem Namen "Resistanbul 2004" wurden bundesweit Protestaktionen gegen die als "Staatsterrorgruppe fungierende NATO"266 durchgeführt. Am 26. Juni fand in Berlin eine Demonstration "Gegen NATODemonstration in Treff in Istanbul" mit 250 Teilnehmern statt, bei der in erster Berlin Linie Transparente aus dem gesamten linksextremistischen türkischen Spektrum zu sehen waren. Feindbilder Trotz des anhaltenden Gewaltverzichts bei Aktionen im Bundesgebiet machen die inhaltlichen Aussagen der Organisationen das Feindbild - "alle Regierungen, die von systemkonfor266 Flugblatt der ATÄdegK zum NATO-Gipfel in Istanbul. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 153 men Parteien gegründet wurden"267 - sehr deutlich. So erklärt die DHKC den Haftgrund eines mutmaßlichen DHKP-C-Mitglieds in Deutschland: "Ilhan erhielt in Deutschland als Ergebnis eines Komplotts der Nazi-Rechtsprechung wegen eines DHKC-Prozesses eine lebenslange Haftstrafe."268 "Der deutsche Imperialismus" verhalte sich "zunehmend antidemokratisch"269 und Demokratie sei eine der "Lügen" der "Imperialisten", so die "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten" (= TKP/ML).270 Die MLKP erklärt, "dass der Kampf für Demokratie [...] dem Ziel der sozialistischen Revolution untergeordnet ist".271 Afghanistan, Irak, die palästiZiel: Revolution nensische Intifada und die internationale Anti-GlobalisierungsBewegung zeigten den Weg auf; der "Kampf gegen den imperialistischen Krieg" müsse aber erst geeint werden und lasse keinen Platz für Pazifismus.272 Am Ende steht "das Ziel, die Staatsmacht zu erobern"273, und dieses Ziel soll aktiv verfolgt werden: "[D]ie Erinnerung an unsere Märtyrer bedeutet Kampf. [...] Da wir Parteianhänger sind und einer Organisation[...] angehören, müssen wir diesen Befehl befolgen." - "[E]s gibt keinen anderen Weg, um zu gewinnen. [...] Um dies zu verwirklichen, muss der Kampf gegen Faschismus [...] an allen Fronten des Kampfes ausgeweitet werden."274 "Hör auf die Partei, befolge ihre Anweisungen, nimm an dem Kampf [...] teil!"275 267 Internetauftritt der DHKP, Erklärung Nr. 33, 16.10.2004. 268 Internetauftritt der DHKC, Text über Teilnehmer des internationalen Hungerstreiks. Aufruf im Mai 2004. 269 Flugblatt der ATÄdegF gegen Hartz IV. 270 Vgl. Flugblatt der TKP/ML vom 15.4.2004. 271 Programm der MLKP, S. 7. 272 Beitrag der MLKP Türkei / Nordkurdistan (Internationales Büro) zum Internationalen Kommunistischen Seminar vom 2.4.5.2004 in Brüssel. 273 Ebenda. 274 Flugblatt der TKP/ML vom 15.4.2004. 275 TKP/ML Zentralkomitee im Januar 2004. In: Yeni Demokrasi Yolunda Isci Köylü Nr. 26, 17.-30.1.2004. 154 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Diese Aussagen erklären auch, warum bei allen Sympathiebekundungen für den verstorbenen PLO-Führer Yassir Arafat ein Kritikpunkt genannt wird: Er habe sich "zu extrem für diplomatische Lösungen"276 engagiert. 3.6 Kurden Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (= PKK) leitete 1999 einen strategischen Kurswechsel ein. Durch die Ankündigung grundlegender Reformen, insbesondere durch die Gründung von Nachfolgeorganisationen wie dem "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) im April 2002 und dem "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL) im November 2003 versucht sie, den Makel einer terroristischen Organisation abzulegen und sich als politischer Gesprächspartner zu etablieren. In ihrem Bemühen, sich von der PKK-Vergangenheit zu lösen und einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen, musste die Organisation auch 2004 zahlreiche Rückschläge verzeichnen: Der Rat der EU beschloss am 2. April, den KONGRA-GEL und Aufnahme in EUTerrorliste seinen Vorgänger KADEK als Alias-Bezeichnungen der bereits eingetragenen PKK277 in die Liste der als terroristisch einge276 Erklärung Nr. 344 der DHKC vom 12.11.2004. 277 Beschluss des Rates vom 2.5.2002. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 155 stuften Organisationen und Einzelpersonen aufzunehmen.278 Der KONGRA-GEL-Vorsitzende Zübeyir Aydar bezeichnete in einem Interview der kurdischen Nachrichtenagentur MHA diese Entscheidung als einen "ungerechten Schritt", der ein "Produkt der interessengeleiteten Politik der EU" sei.279 In Deutschland setzte der Bundesminister des Innern mit einer Verfügung vom 30. Juli fest, dass das gegen die PKK verhängte Betätigungsverbot sich auch auf KADEK und KONGRA-GEL erstrecke. In einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 21. Oktober wurde die Führungsebene der PKK als kriminelle Vereinigung bewertet.280 Nachdem sich die Führungsebene der Organisation mit dem Ausbleiben greifbarer Erfolge immer stärkeren Legitimationsproblemen gegenüber der mit dem jahrelangen Gewaltverzicht unzufriedenen Anhängerschaft ausgesetzt sah, zeichneten sich Spaltung hinsichtlich des weiteren Kurses der Organisation nunmehr auch verstärkte Differenzen auf der Funktionärsebene ab, die Mitte des Jahres zu einer Spaltung der Organisation führten. Innerparteiliche Auseinandersetzungen in der Führungsspitze des KONGRA-GEL Im Februar und März verschärften sich bereits im Oktober 2003 zutage getretene, ernst zu nehmende parteiinterne Differenzen zwischen hochrangigen Parteifunktionären. Osman Öcalan, Bruder von Abdullah Öcalan281 und stellvertretender Vorsitzen278 "Beschluss des Rates vom 2.4.2004 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/902/EG" (2004/306/EG) - veröffentlicht am 3.5.2004 im Amtsblatt der EU. 279 Vgl. Internetauftritt des KONGRA-GEL. Das Interview wurde hier auch in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Aydar beklagte des Weiteren, dass das kurdische Volk zum "Opfer des Kuhhandels um Zypern" und damit "zur Verhandlungsmasse" werde. 280 Der Bundesminister des Innern sieht in KADEK und KONGRA-GEL eine Umfirmierung der PKK, das Betätigungsverbot vom 22.11.1993 bezieht sich auch auf diese Organisationen. BGH-Urteil vom 21.10.2004 - 3 StR 94/04. 281 Abdullah Öcalan amtierte seit der offiziellen Gründung der PKK im Jahr 1978 als Generalsekretär und unumschränkter Führer des die Partei leitenden Zentralkomitees (ZK). Nach seiner Verhaftung am 15. Februar 1999 führte ein "Präsidialrat" die Partei im Sinne der von Öcalan aus der Haft heraus abgegebenen Erklärungen. Öcalan wurde zum Generalvorsitzenden des KADEK gewählt, mit der Gründung des KONGRA-GEL wurde er zum kurdischen Volksführer ernannt. 156 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 der des KONGRA-GEL, soll mit weiteren Funktionären282 die beabsichtigte Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes und die distanzierte Haltung des KONGRA-GEL zu den USA kritisiert und sich mit einem Teil der Anhängerschaft von der Organisation abgewandt haben. Die "Hürriyet" berichtete,283 Osman Öcalan, Nizamettin Tas und Kani Yilmaz seien ihrer Befugnisse enthoben worden; etwa weitere 100 Organisationsmitglieder hätten sich von einem nordirakischen Camp entfernt Berichte über Überläufer und wären zu den USA "übergelaufen". Nach einem ersten Dementi des Sachverhalts durch Zübeyir Aydar284 bestätigte Murat Karayilan285, Mitglied des KONGRA-GEL-Exekutivrates, die Führung des KONGRA-GEL habe "drei Kameraden", die nicht mit der Satzung und der Parteidisziplin "konform gingen", vorübergehend ihrer Aufgaben enthoben. Um die "Spaltung" der Organisation zu verhindern, fand unter Außerordentlicher Kongress der Führung Karayilans vom 29. April bis 11. Mai eine Versammlung des im März gegründeten "Komitees für den Wiederaufbau der PKK" sowie ein außerordentlicher Kongress des KONGRA-GEL vom 16. bis 26. Mai im Nord-Irak statt. Auf den Tagungen seien die internen Probleme beseitigt und eine Einigung auf eine politische Linie im Sinne Abdullah Öcalans erreicht worden.286 Spaltung Eine Spaltung des KONGRA-GEL konnte zu diesem Zeitpunkt vorübergehend nur knapp verhindert werden. Allerdings dürfte der im Mai verhindert getroffene Beschluss der "Volksverteidigungskräfte" (HPG, bewaffneter Arm der Organisation) zur Aufhebung des einseitigen Waffenstillstandes ab Juni die Organisation erneut in zwei Lager - das die Militanz befürwortende und das den Friedenskurs verfechtende - gespalten haben.287 282 Darunter das ehemalige Mitglied im KADEK-Präsidialrat und KONGRA-GELExekutivrat Nizamettin Tas, der ehemalige PKK-Europa-Koordinator Kani Yilmaz und das ehemalige Zentralkomitee-Mitglied Hidir Yalcin. 283 "Hürriyet" vom 1.3.2004. 284 "Özgür Politika" vom 1.3.2004 (Meldung der mesopotamischen Nachrichtenagentur MHA). 285 "Özgür Politika" vom 7.3.2004 (Interview mit der Nachrichtenagentur MHA). 286 "Özgür Politika" vom 13.5., 14.5. und 31.5. sowie 2.6. und 7.6.2004. 287 Der Kommandorat der HPG erklärte, aufgrund der insbesondere seit dem Frühjahr verstärkt durchgeführten Operationen des türkischen Militärs gegen die HPG sei der von Abdullah Öcalan vor knapp sechs Jahren einseitig Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 157 Osman Öcalan gründet die PWD In einer am 14. August im Internet veröffentlichten, von 40 Personen - u. a. auch von Osman Öcalan, Nizamettin Tas und Kani Yilmaz - unterzeichneten Erklärung wurde die Gründung einer neuen Kurdenorganisation mit dem Namen "Partiya Welatperez'e Demokratik" (PWD) bzw. "Patriotisch-Demokratische Partei" (PDP) unter der Führung Osman Öcalans angekündigt. Auf einer ersten Konferenz der ebenfalls von Osman Öcalan geführten "Demokratischen Friedensinitiative" vom 2. bis 5. August im Nord-Irak sei die grundsätzliche politische Linie der PWD festgelegt worden. Ziel der Parteigründung sei die Unterstützung der "kurdischen Befreiungsbewegung", die - im Gegensatz zum KONGRA-GEL - auf friedlichem Wege erreicht werden soll. Die PWD wolle ihre Aktivitäten vor allem in der Türkei entfalten und sich auch für Abdullah Öcalan einUnabhängigkeit von Abdullah Öcalan setzen, dieser solle jedoch keinen Einfluss auf die Politik haben. Obwohl die Mitglieder des KONGRA-GEL aufgerufen seien, sich der neuen Organisation anzuschließen, strebe die PWD keine Zerstörung des KONGRA-GEL an. In der Berliner Anhängerschaft wurde die Gründung der PWD als Partei von "Verrätern" ohne Zukunftschance thematisiert. Etwaige Sympathien für die PWD wurden bislang nicht offen geäußert - wohl auch aus Angst, selbst als Dissident zu gelten. Angeblicher Befehl Abdullah Öcalans zur Liquidation der Dissidenten Der seit 1999 auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inReaktion haftierte Abdullah Öcalan bestimmt nach wie vor VorgehensAbdullah Öcalan weise und Aktivitäten der Partei. Noch vor der Gründung der PWD unterbreitete er den Dissidenten das Angebot, dass man ihnen "verzeihe", wenn sie zum KONGRA-GEL zurückkehrten.288 Nach der Gründung der PWD wurde in der deutschen Tagespresse berichtet, Abdullah Öcalan habe in Gesprächen mit seinen Rechtsanwälten die Liquidation mehrerer kurdischer Dissidenten, auch die seines Bruders Osman, angeordnet. Die Gesprächsprotokolle hätten jedoch lediglich erklärte Waffenstillstand faktisch als aufgehoben anzusehen; die im September 1998 verkündete Waffenruhe verliere ab dem 1.6.2004 ihre Gültigkeit. 288 "Hürriyet" vom 26.3. und "Özgür Politika" vom 14.8.2004. 158 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 die interpretierfähige Aufforderung enthalten, "das Notwendige" zu tun.289 KONGRA-GEL-Führungsmitglieder, die die Äußerungen des "kurdischen Volksführers" offensichtlich als Hinrichtungsbefehl auffassten, sollen die Liquidation Osman Öcalans angewiesen haben. Diesem Befehl habe Abdullah Öcalan widersprochen.290 In der Vergangenheit bestrafte die Partei Verräter rigoros, insofern war eine Interpretation der Aussagen Abdullah Öcalans als an die Anhänger gerichteter "Todesbefehl" möglich. Allerdings hat es derart scharfe Sanktionierungen seit Beginn des Friedenskurses nicht mehr gegeben, eine Rückkehr zu der alten "Bestrafungspraxis" würde die Organisation in ihrem Bemühen um politische Anerkennung zurückwerfen. Derzeit ist noch nicht absehbar, ob sich die PWD als Alternative Entwicklung offen zum KONGRA-GEL etablieren kann. Während es auch in der Vergangenheit immer wieder zu Abspaltungen kam, die nur unwesentliche Schwächungen verursachten, könnte sich mit der PWD eine ernst zu nehmende Konkurrenz für den angeschlagenen KONGRA-GEL entwickeln. Dies würde die prekäre Situation des KONGRA-GEL, der sich durch die anhaltenden militärischen Operationen des türkischen Militärs gegen die HPG und die zunehmende Unzufriedenheit der Anhänger ohnehin einem starken Druck ausgesetzt sieht, stark verschärfen. Sollten sich weitere Teile der Anhängerschaft und sogar der HPG der neuen Organisation anschließen, geriete der KONGRA-GEL in existentielle Not. Wie etwaige Reaktionen - auch der weitere Umgang mit Dissidenten - ausfallen, bleibt abzuwarten. 289 "Der Tagespiegel" vom 10.9.2004 und "Die Tageszeitung" vom 11.9.2004. Im Oktober berichteten türkische Tageszeitungen, ein Weggefährte Osman Öcalans, Sapur Badosiveh alias "Sipan", sei im Irak entführt und getötet worden. Osman Öcalan machte den KONGRA-GEL für die Entführung "Sipans" verantwortlich; der KONGRA-GEL bestritt dies und stellte den Tod "Sipans" als Racheakt der PWD dar. Vgl. "Hürriyet" vom 7.10. und 10.10. sowie "Özgür Politika" vom 11.10.2004. 290 "Hürriyet" vom 24.10.2004. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 159 KONGRA-GEL als Drahtzieher der Istanbuler Bombenanschläge verdächtigt Am 10. August wurden in den Istanbuler Hotels "Pars" und "Holiday" Bombenanschläge verübt, bei denen ein iranischer und ein türkischer Staatsbürger ums Leben kamen. Zu diesen und auch zu weiteren Anschlägen in der Türkei291 bekannten sich die "Freiheitsfalken Kurdistans"292 (TAK), die anderen kurdischen Bewegungen Passivität vorwarfen. Die TAK wollten ihre Angriffe auf touristische und ökonomische Ziele in der Türkei richten und warnten auch "Bürokraten" und das Militär. In einer Erklärung der TAK heißt es: "Gegen die ungerechte und hässliche Politik der türkischen Regierung werden wir unseren revolutionären Widerstandskampf noch radikaler weiterentwickeln, denn die Regierung versteht keine andere Sprache [...] Wir werden so oft es nötig ist, Bomben legen." Zwar liegen bislang keine Ermittlungsergebnisse vor, die einen Anhaltspunkte für eindeutigen Rückschluss auf einen Tathintergrund zulassen, Täterschaft zahlreiche Anhaltspunkte sprechen jedoch dafür, dass es sich bei den TAK um eine Teilbewegung der "Freien Jugendbewegung Kurdistans" (TECAK / Jugendorganisation des KONGRAGEL)293 handeln könnte. In der Vergangenheit traten die besonders gewaltbereiten Anhänger der TECAK - auch bei Aktionen in Deutschland - als "Falken" bzw. "Falken APO's"294 in Erscheinung. Anfängliche Unsicherheiten in der Berliner An291 Nach Berichten der "Özgür Politika" vom 12.8. hätten die TAK u. a. Bombenanschläge am 24.7. auf den Landrat von Van sowie auf das Valery-Beach Hotel und das Hatipoglu-Hotel (Antalya), am 25.6. auf die ATAS-Erdölraffinerieanlage in Mersin, am 26.6. auf eine Schleifmittelfabrik in Bursa, am 29.7. auf die "Pamukbank" in Mersin, am 17.8. auf den Kumbahce-Strand in Bodrum, am 20.8. auf eine mit chemischen Substanzen gefüllte Halle in Istanbul, am 19.9. bei einem Konzert in Mersin (Berichterstattung im KONGRA-GEL-nahen Fernsehsender ROJ TV und der "Neuen Züricher Zeitung"), am 22.10. und 3.11. in Istanbul. Unabhängige Informationen, die bestätigen, dass diese Anschläge tatsächlich stattgefunden haben, liegen nicht vor. 292 Über das Internet haben sich zu den Anschlägen auch die der "al-Qa'ida" nahe stehenden islamistischen "Abu Hafs Al-Masri-Brigaden" - wie zu zahlreichen anderen Anschlägen in der Vergangenheit - bekannt. An der Urheberschaft bestehen jedoch erhebliche Zweifel. 293 Vgl. S. 263 ff. 294 Die "Sahinler" (übersetzt Falken) führten vor allem in den 90er Jahren auch in Deutschland militante Aktionen durch; etwa ab dem Jahr 2000 wurden auf Straßenkreuzungen Feuer entfacht oder Autoreifen angezündet. "APO" ist der Spitzname Abdullah Öcalans. 160 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 hängerschaft zu den Drahtziehern der Anschläge wichen immer stärkeren Vermutungen zur Täterschaft der KONGRA-GELJugendorganisation. Murat Karayilan soll die Anschläge zum Jahrestag des Beginns des bewaffneten Kampfes der PKK (15. August 1984) in Auftrag gegeben haben.295 Auch die Aufhebung der Waffenruhe zum 1. Juni und die seitdem verstärkten Auseinandersetzungen zwischen der Guerilla und der türkischen Armee könnten eine Verantwortlichkeit des KONGRA-GEL begründen. Da die Gruppierung eigenen Angaben zufolge ihre Aktivitäten auf die Türkei beschränkt, sind gewalttätige Aktivitäten in Europa, insbesondere in Deutschland, derzeit unwahrscheinlich. Berliner Anhängerschaft zeigt Treue zu Abdullah Öcalan In Berlin fanden zahlreiche, störungsfreie öffentlichkeitswirkZahlreiche Veranstaltungen same Veranstaltungen zur Haftsituation Abdullah Öcalans statt, Geringere wobei die Teilnehmerzahlen früherer Jahre aber nicht erreicht Teilnehmerzahl wurden. So wurde am 17. Januar auf dem Breitscheidplatz zum Thema "Protest gegen Isolationshaft von Abdullah Öcalan ..." demonstriert, beteiligt waren etwa 150 Teilnehmer, darunter viele Jugendliche. Die Stimmung der Demonstranten war gereizt bis aggressiv. Weitere Demonstrationen für Öcalan fanden am 31. Januar und am 9. Oktober unter Beteiligung von 150 - 200 Teilnehmern statt. Am 9. Oktober wurde im Zusammenhang mit der Demonstration eine Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz eingeleitet. Europaweite Die Berliner KONGRA-GEL-Anhängerschaft beteiligte sich auch Aktionen an europaweiten Aktionen wie der Großdemonstration am 14. Februar in Straßburg anlässlich des Jahrestages der Festnahme Abdullah Öcalans, an der diesjährigen Demonstration zum kurdischen Newroz(Neujahrs-)Fest am 20. März in Hannover, am 12. Internationalen Kurdistan-Festival am 25. September in Gelsenkirchen und an der Protestdemon295 "Özgür Politika" vom 11.8.2004. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 161 stration am 30. Oktober in Den Haag (Niederlande) gegen die mögliche Auslieferung von Nuriye Kesbir296 an die Türkei. Berliner Protestaktionen nach schweren Ausschreitungen in Syrien Im Nordosten Syriens kam es am 12. März zwischen arabischen und kurdischen Fußballfans zu Auseinandersetzungen, die von syrischen Sicherheitskräften gewaltsam beendet wurden. Es sollen mehrere Kurden ums Leben gekommen sein. Daraufhin kam es zu weiteren schweren Ausschreitungen von Kurden und Arabern sowie Protesten gegen die syrische Regierung; hierbei spielten auch die jahrelangen ethnischen Spannungen zwischen den unter Saddam Hussain aus dem Irak vertriebenen Kurden und den unter seiner Regimeherrschaft angesiedelten Arabern eine Rolle.297 Nach Pressemeldungen sollen bis zu 70 Personen298 ums Leben gekommen sein. Auch in Europa bzw. Deutschland gab es Proteste: Neben Versuchte zahlreichen störungsfreien demonstrativen Aktionen am 13. und Botschafts14. März kam es zu versuchten Besetzungen der syrischen besetzungen Botschaft in Brüssel und des Konsulats der Arabischen Republik Syrien in Genf durch kurdische Demonstranten.299 In Berlin fanden mehrere friedliche Protestveranstaltungen, an Berlin: denen sich bis zu 200 Personen beteiligten, sowie eine größere Aggressives Demonstration mit etwa 1 200 Personen statt. Diese führte am Verhalten 15. März zur Botschaft der Arabischen Republik Syrien. Die zunächst ruhige Stimmung unter den Veranstaltungsteilnehmern 296 Nuriye Kesbir wurde im September 2001 in Amsterdam festgenommen. Die Türkei beantragte die Auslieferung Kesbirs aus den Niederlanden. Sie beschuldigt das ehemalige führende KONGRA-GEL-Mitglied, zwischen 1993 und 1995 an 25 PKK-Anschlägen gegen militärische Ziele beteiligt gewesen zu sein. Im Dezember 2002 entschied ein Amsterdamer Gericht gegen die Auslieferung; nach einem Beschluss des niederländischen Justizministers vom September 2004 hätte Kesbir an die Türkei ausgeliefert werden dürfen. Am 8.11.2004 entschied der Oberste Gerichtshof der Niederlande, dass vorerst keine Auslieferung an die Türkei erfolgen darf, u. a. weil ein fairer Prozessverlauf in der Türkei nicht garantiert werden könne. Ob die niederländische Regierung gegen die Entscheidung Rechtsmittel einlegt, ist noch ungewiss. 297 Flugblatt verschiedener Organisationen zum "Massaker in Syrisch-Kurdistan", Tenor: "Nationalistische Araber und syrische Regierung greifen Kurden an". 298 Nachrichtenagentur AFP vom 14.3.2004, Angabe der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). 299 "Özgür Politika" und "Hürriyet" vom 15.3.2004. 162 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 schlug in ein emotionalisiertes, aggressives Verhalten um; einige Teilnehmer bewarfen Polizeibeamte mit Steinen und verbrannten zwei syrische Nationalflaggen. Ein Eindringen auf das Botschaftsgelände konnte durch die Polizei verhindert werden. Strafrechtliche Verfolgung und Durchsuchung in Berlin In Berlin wurden am 28. Mai der Treffund Versammlungsort der Berliner Anhänger des KONGRA-GEL, MALA KURDA ("Kurdisches Haus Berlin-Brandenburg e. V.") in Kreuzberg Festnahmen sowie drei Wohnungen von Funktionären der Organisation wegen des Verstoßes gegen das Vereinsrecht durchsucht. Im Vorfeld wurden bereits zwei in Berlin tätige TECAK-Funktionäre festgenommen. Aktuelle Entwicklungen - Spionageabwehr 163 4 Spionageabwehr 4.1 Überblick Gesetzlicher Auftrag der Spionageabwehr ist die Sammlung und Auswertung von Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht. Ziel ist nicht nur, gegnerische Agenten zu überführen, sondern generell Strukturen, Methoden und Zielrichtungen in Systematische Deutschland tätiger Nachrichtendienste systematisch aufzuAufklärung klären. Deutschland ist auch weiterhin ein Aufklärungsziel für Nachrichtendienste aus Ländern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) - vornehmlich der Russischen Föderation -, solcher aus dem nah-, mittelund fernöstlichen sowie dem nordafrikanischen Raum. Eine grundlegende Veränderung hinsichtlich Präsenz und Vorgehensweise fremder Nachrichtendienste in Berlin wurde 2004 nicht festgestellt. Insgesamt hat Keine Veränderung bei Präsenz und sich bestätigt, dass politische und wirtschaftliche Annäherung Vorgehen sowie eine verstärkte Zusammenarbeit deutscher Sicherheitsbehörden mit ausländischen Diensten einige Länder nicht davon abhält, unvermindert in Deutschland nachrichtendienstliche Informationsgewinnung zu betreiben. Auftragslage und Zielrichtung der in Deutschland tätigen Dienste hängen von den aktuellen politischen Interessen der entsendenden Staaten sowie ihrem wirtschaftlichen und technischen Entwicklungsstand ab. Für Nachrichtendienste insbesondere aus einigen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas hat die Ausforschung der jeweiligen Exilopposition in Deutschland weiterhin oberste Priorität. Berlin Dissidentensteht als politisches Zentrum und Sitz vieler ausländischer ausspähung Gruppierungen insoweit besonders im Blickfeld. Andere Länder setzen ihren Aufklärungsschwerpunkt nach wie vor "klassisch", d. h. die Informationsbeschaffung aus den Klassische Bereichen Politik, Wirtschaft und Militär steht im Vordergrund. Aufklärungsziele Aufgabe der Nachrichtendienste dieser Länder ist es, ihre Regierungen möglichst früh und detailliert über anstehende außen-, sicherheitsund wirtschaftspolitische Entscheidungen der deutschen Regierung sowie die politische und fachliche 164 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Meinungsbildung in Deutschland zu aktuellen Themen und Hohe Präsenz in Berlin Konflikten zu informieren. Die hohe Präsenz fremder Nachrichtendienste in Berlin ist denn auch der Tatsache geschuldet, dass Berlin als bundespolitisches Entscheidungszentrum mit vielen die Politik beratenden Einrichtungen, Interessenverbänden und entsprechenden Veranstaltungen der politischen Spionage eine Vielzahl interessanter Ansatzpunkte bietet. Auch die große Zahl der in Berlin angesiedelten diplomatischen Vertretungen spielt eine Rolle. Denn unverändert zählt die Abdeckung hauptamtlicher Mitarbeiter fremder Nachrichtendienste durch den vor Strafverfolgung schützenden DiplomaLegalresidenturen tenstatus zu den typischen Tarnmethoden. Von derartigen Legalresidenturen300 aus agieren die Agenten in der Regel bundesweit. Dabei kommen auch nachrichtendienstliche Mittel wie die klassische Agentenführung zum Einsatz. Offene Abschöpfung Eine wichtige Beschaffungsmethode aufklärender Nachrichtendienste stellt weiterhin die offene Abschöpfung interessanter Kontakte etwa durch gezielte Gesprächsführung dar. Dabei wird das Wissen der Kontaktperson erschlossen, ohne dass diese den nachrichtendienstlichen Hintergrund des Kontakts erkennen muss. Insbesondere wird versucht, Personen, die gute Zugangsmöglichkeiten zum Zielgebiet oder -objekt aufweisen oder über entsprechende berufliche Perspektiven verfügen, möglichst langfristig zu binden. Gelingt dies, ist für den Betroffenen die Gefahr groß, gewollt oder ungewollt den Schritt hin zur geheimdienstlichen Agententätigkeit im Sinne von SS 99 StGB zu vollziehen. Verfassungsschutz Der Verfassungsschutz ist unabhängig davon, wie weit der bietet Hilfe Kontakt mit einem Mitarbeiter eines fremden Nachrichtendienstes vorangeschritten ist, für den Betroffenen der richtige Ansprechpartner. Verdachtshinweisen auf einen möglicherweise nachrichtendienstlichen Kontaktversuch wird vertraulich und diskret nachgegangen. Im Falle einer bereits vorliegenden nachrichtendienstlichen Verstrickung kann die Spionageabwehr Hilfe anbieten, sich aus ihr zu lösen. 300 Unter einer Legalresidentur versteht man den Stützpunkt eines fremden Nachrichtendienstes, abgetarnt in einer amtlichen (z. B. Botschaft) oder halbamtlichen (z. B. Presseagentur) Vertretung seines Landes im Gastland. Aktuelle Entwicklungen - Spionageabwehr 165 Der Berliner Verfassungsschutz ist unter der Telefonnummer 030/ 90 129-0 oder über das "Vertrauliche Telefon" unter 030 / 90 129-400 erreichbar. 4.2 Wirtschaftsspionage Wirtschaftsspionage301 und Konkurrenzausspähung stellen für die deutsche Wirtschaft weiterhin einen Deliktbereich mit sehr hohem finanziellen Gefährdungspotenzial dar. Der durch ungewollten Informationsabfluss tatsächlich eingetretene Schaden Schaden in dürfte unter Zugrundelegen einer aktuellen Hochrechnung302 in Milliardenhöhe Deutschland pro Jahr in Milliardenhöhe liegen. Als Opfer von Know-how-Diebstahl und sonstigem ungewollten Wissensabfluss kommen vor allem Unternehmen mit einem oder mehreren Wettbewerbsvorteilen in Betracht. Diese Vorteile können in den verschiedensten Bereichen liegen, z. B. Technik, Produktlinie, Verfahrensprozesse, Kundenstamm und Strategie. Als besonders gefährdet erweisen sich der o. a. Studie zufolge kleine, innovative, international agierende Unternehmen mit Kleine und mittelständische einem großen Wettbewerbsvorteil, wenn sie KleinserienUnternehmen fertigung mit neuen Produkten und zukunftsweisenden Produktionsverfahren betreiben und nur mit wenigen Mitbewerbern konkurrieren. Ungewollter Informationsabfluss verringert Wettbewerbsvorteile und kann zum Verlust von Aufträgen an ausländische KonVerlust von kurrenten führen. Damit verbunden ist eine Schwächung der Aufträgen deutschen Volkswirtschaft sowie eine Gefährdung von Arbeitsplätzen in Deutschland. Für das betroffene Unternehmen kann im Einzelfall sogar die Existenz auf dem Spiel stehen. Dennoch schützen sich viele Unternehmen nur unzureichend Unzureichender vor Spionage. Meist liegt der Schwerpunkt ihrer SicherheitsSpionageschutz vorkehrungen im Schutz ihrer internen Informationssysteme vor 301 Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder unterstützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen. Sie ist abzugrenzen von der Konkurrenzausspähung/Industriespionage, die ein konkurrierendes Unternehmen gegen ein anderes betreibt. 302 Studie der Universität Lüneburg (2004) "Fallund Schadensanalyse bezüglich Know-how-/Informationsverlusten in Baden-Württemberg ab 1995" im Auftrag des Sicherheitsforum Baden-Württemberg, siehe auch www.sicherheitsforumbw.de. 166 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 unbefugten Zugriffen. Die Möglichkeiten der Ausspähung des E-Mail-Verkehrs und der übrigen Telekommunikation werden häufig unterschätzt, ebenso die Gefahr durch Weitergabe kopierter oder fotografierter Unterlagen und von "Kopfwissen". Bei zeitlich befristeten Mitarbeitern wie Praktikanten oder Werkstudenten sollte auf die Einhaltung strenger Regeln zum Umgang mit schützenswerten Firmeninterna geachtet werden. In der Praxis muss der Schutz vor Wirtschaftsspionage und parallel dazu vor Konkurrenzausspähung "vor Ort" beginnen. Nur im jeweiligen Unternehmen kann eingeschätzt werden, inwieweit eine potenzielle Gefährdung durch Wirtschaftsspionage gegeben ist. Hierbei sollte berücksichtigt werden, dass der Wert der ausspähbaren Informationen von den unterschiedlichen Bedürfnissen, Entwicklungsund Wirtschaftsstandards der spionagebetreibenden Staaten abhängig ist. Interne Bedrohungsbzw. Gefährdungsanalysen sind demzufolge der erste Arbeitsschritt. Hieraus ergibt sich eine Bewertung, die helfen soll, Risiken zu erkennen und zu minimieren. Diese Risikobewertung kann dann Grundlage für ein umfasSicherheitskonzept sendes Sicherheitskonzept sein, das unter Einbeziehung von erforderlich technischen, organisatorischen und räumlichen Gegebenheiten auch menschliche Schwächen berücksichtigt. Es ist schwierig, gerichtsverwertbare Beweise bei der Bekämpfung von Wirtschaftsspionage zu erlangen, weil die nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung häufig in geschäftsübliches Handeln eingebettet ist und sich oft in einer zum legalen Handeln schwer abzugrenzenden Grauzone bewegt. Zudem werden vermutete Spionagefälle von betroffenen Unternehmen wegen befürchteter Vertrauenseinbußen bei Geschäftspartnern selten dem Verfassungsschutz oder der Polizei mitgeteilt. Die Bekämpfung von Wirtschaftsspionage kann jedoch nur in Kooperation zur Kooperation mit der Wirtschaft erfolgreich sein. Gerade die Bekämpfung Verfassungsschutzbehörden, die nicht dem Legalitätsprinzip303 unterliegen, können in Verdachtsfällen diskret Hilfe und Unter303 Das Legalitätsprinzip verpflichtet Strafverfolgungsbehörden, bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte Straftaten zu verfolgen. Im Gegensatz dazu gilt für Verfassungsschutzbehörden das Opportunitätsprinzip, wonach eine Mitteilung an Strafverfolgungsbehörden, wenn es zweckmäßig erscheint, in Ausnahmefällen unterbleiben kann. Aktuelle Entwicklungen - Spionageabwehr 167 stützung leisten. Hinweise und Fragen werden dabei vertraulich behandelt. Der Berliner Verfassungsschutz steht auch für individuelle Informationsgespräche zur Verfügung, denn Information zur Prävention ist der erste Schritt zur Verhinderung von Spionage. Erste Informationen und Hinweise auf Ansprechpartner bietet die Broschüre "Wirtschaftsspionage", die in Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder erschienen ist. Sie kann beim Berliner Verfassungsschutz angefordert werden und ist auf den Internetseiten unter www.verfassungsschutz-berlin.de abrufbar. 4.3 Proliferation Als eine der führenden Industrienationen ist die Bundesrepublik Deutschland auch bevorzugtes Zielland von Proliferation304 betreibenden Ländern. Insbesondere Krisenländer305 bemühen sich, in den Besitz von atomaren, chemischen und biologischen Sicherheitsrisiko MassenMassenvernichtungswaffen oder der zu ihrer Herstellung ververnichtungswaffen wendeten Produkte und Vorprodukte sowie entsprechender Waffenträgertechnologie zu gelangen. Am 17.2.2004 verurteilte das Amtsgericht Tiergarten306 in Berlin einen 61-jährigen libyschen Geschäftsmann wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Er hatte in den Jahren 1996 bis 1998 versucht, Raketentreibstoffkomponenten sowie Ersatzteile und Ausrüstungsgegenstände für Militärfahrzeuge für die libysche Regierung zu beschaffen. Auch der illegale Transfer des für die Herstellung erforderlichen Illegaler Wissens fällt unter den Begriff Proliferation und gewinnt zuWissenstransfer nehmend an Bedeutung. 304 Unter Proliferation wird die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte einschließlich des dafür erforderlichen Wissens sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen verstanden. 305 Länder, von denen zu befürchten ist, dass von dort aus ABC-Waffen eingesetzt werden oder ihr Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele angedroht wird. 306 AG Tiergarten (Berlin) (327) 5 Wi Js 36/00 Ls (62/03). 168 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Im Jahr 2004 sorgte der Fall des ehemaligen pakistanischen Regierungsberaters Abdul Quadeer Khan, des so genannten "Vaters der islamischen Atombombe", für internationales Aufsehen. Er hat zugegeben, Atomtechnologie an Nordkorea, Iran und Libyen geliefert zu haben. Khan hatte sich das für den Bau von Gasultrazentrifugen307 nötige Wissen in den 70er Jahren bei einem deutschen Unternehmen und einer von diesem in den Niederlanden betriebenen Urananreicherungsanlage illegal angeeignet. In Pakistan stand er später den "Khan Research Laboratories" 25 Jahre lang als Direktor vor und war dabei maßgeblich für die Entwicklung der pakistanischen Atomwaffe verantwortlich. Im Rahmen der Aufklärung des Handels mit Atomtechnologie hat die internationale Atomenergieagentur (IAEA) den Vereinten Nationen eine Liste mit Namen von Personen und Firmen Geheime übergeben, die im Verdacht stehen, an den geheimen AtomgeAtomgeschäfte schäften beteiligt gewesen zu sein. Auch in der Bundesrepublik Deutschland wurden daraufhin Ermittlungsverfahren eingeleitet. Motiv nachrichtendienstlich gesteuerter Beschaffungsaktivitäten ist häufig, Forschungsund Entwicklungskosten zu vermeiden und embargo-belegte Technik und Wissen zu erhalten. Die wünschenswerte Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zwecks Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die wirtschaftliche Praxis kann insoweit ein besonderes Risiko in sich bergen. Ausländische Studenten und Praktikanten sowie Gastwissenschaftler können im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Gewinnung proliferationsrelevanten Wissens oder der Wirtschaftsspionage für fremde Nachrichtendienste interessante Ansatzpunkte darstellen. Dem berechtigten Grundsatz von der Freiheit der Lehre und Forschung und dem Bestreben nach internationalen Geschäftsbeziehungen steht die ebenso berechtigte Forderung nach nationaler und internationaler Sicherheit gegenüber. Potenziell proliferationsrelevantes Wissen ist zum einen in der deutschen Wirtschaft und Industrie vorhanden, zum anderen aber auch in naturund ingenieurwissenschaftlichen Forschungseinrichtungen sowie in Fachbereichen von Hochschulen und Fachhochschulen. Auch zivile Tätigkeitsoder Forschungsbereiche kön307 Gasultrazentrifugen werden genutzt, um aus Natururan das für Atomwaffen benötigte, leicht spaltbare Uranisotop 235 herzustellen. Aktuelle Entwicklungen - Spionageabwehr 169 nen für eine militärische Nutzung interessant sein. Die Weitergabe von proliferationsrelevantem Wissen wird von der Exportkontrolle ebenso wie die Weitergabe von Gütern erfasst, Exportkontrolle nur ist sie schwieriger zu erkennen und zu verhindern. Hilfreiche Hinweise bieten die beiden Merkblätter "Verantwortung und Risiken beim Wissenstransfer I + II"308 des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), in denen Beispiele für kritischen Wissenstransfer sowie die aktuellen Anzeigeund Genehmigungspflichten aufgeführt sind. Proliferation stellt weltweit eines der größten Sicherheitsrisiken dar und kann, wenn deutsche Firmen oder Personen beteiligt sind, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich schädigen. Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die aktiv illegale Beschaffungsbemühungen unterstützt haben, müssen nicht nur mit Strafverfolgung, sondern auch mit Umsatzeinbußen und Reputationsverlust rechnen. Eine besondere Problematik liegt im Transfer von Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden Problem: können (so genannter Dual-Use-Charakter). Hier liegt die mögDual-Use-Güter liche Proliferationsrelevanz in der Endverwendung, die für den Unternehmer schwer zu erkennen ist. Kennzeichnend für proliferationskritische Exporte ist die Anwendung konspirativer Methoden. Es wird versucht, den tatsächVerschleierung lichen Verwendungszweck der Güter, den Auftraggeber und / oder Endverbraucher über Drittländer oder Drittfirmen zu verschleiern. Folgende Auffälligkeiten können auf ein proliferationsrelevantes Geschäft hindeuten: * Der Endverbleib oder -empfänger der Güter ist unklar und kann nicht plausibel dargestellt werden. * Die Transportroute ist geographisch oder wirtschaftlich nicht plausibel. * Zwischenhändler werden ohne zwingenden Grund beteiligt. * Der Kunde kann nicht erläutern, wofür das Produkt gebraucht wird oder der genannte Verwendungszweck weicht 308 Die Merkblätter sind auch unter www.ausfuhrkontrolle.info zu beziehen. 170 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 erheblich von der vom Hersteller angegebenen Produktbestimmung ab. * Der Käufer ist als Händler militärischer Güter bekannt. * Der Käufer verfügt nicht über das erforderliche Fachwissen. * Die Identität eines Neukunden bleibt unklar. * Der Kunde wünscht eine ungewöhnliche oder abweichende Kennzeichnung der Güter. * Es werden ungewöhnlich günstige Zahlungsbedingungen angeboten. * Der Käufer zeigt kein Interesse an Einweisung, Serviceleistungen und Garantiebedingungen. * Angehörige der ausländischen Firma werden zu Informationsoder Ausbildungszwecken zur deutschen Herstellerfirma geschickt, obwohl eine Installation und Einweisung vor Ort sinnvoller wäre. * Mitglieder von Besucherdelegationen werden namentlich nicht vorgestellt. * Zu weiteren Geschäftskontakten oder Referenzen werden keine Angaben gemacht. Die Bekämpfung der Proliferation kann nur in enger ZusamBekämpfung durch menarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden und befreundeten Zusammenarbeit Nachrichtendiensten bewältigt werden. Zu diesem Zweck existieren eine Reihe rechtlicher Regelungen und internationaler Abkommen309, für deren Einhaltung die Firmen und wissenschaftlichen Einrichtungen selbst verantwortlich sind. Den Verfassungsschutzbehörden kommen hierbei auch präventive Aufgaben zu. Sie führen Aufklärungsund Sensibilisierungsgespräche durch und leisten in Verdachtsfällen Hilfe und Unterstützung. Hinweise und Fragen werden dabei vertraulich behandelt. 309 U. a. Außenwirtschaftsgesetz und Außenwirtschaftsverordnung (AWG, AWV), Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG), Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ), diverse EU-Verordnungen und -Beschlüsse sowie weitere Embargoregelungen, die auf Beschlüssen der Vereinten Nationen (UN) oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) basieren. Aktuelle Entwicklungen - Spionageabwehr 171 Erste Informationen und Ansprechpartner bietet die im Jahr 2004 aktualisierte Broschüre "Proliferation - das geht uns an!", die in Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder erschienen ist. Sie kann beim Berliner Verfassungsschutz angefordert werden und ist auf den Internetseiten unter www.verfassungsschutz-berlin.de abrufbar. 172 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 5 Geheimund Sabotageschutz Der Schutz von Informationen, deren Kenntnisnahme durch Geheimschutz unverzichtbar Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen, die Sicherheit und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden kann, ist unverzichtbar. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Antrag der zuständigen öffentlichen Stelle daran mit, durch personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen Ausforschungen durch Unbefugte in sicherheitsempfindlichen Bereichen zu verhindern.310 Ferner sind sicherheitsempfindliche Stellen bei lebensund verteidigungswichtigen öffentlichen Einrichtungen zu schützen, deren Ausfall oder Zerstörung eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit und das Leben zahlreicher Menschen verursachen könnte oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind. Welche Einrichtungen dazu zählen, wird durch eine Rechtsverordnung der Senatsverwaltung für Inneres festgelegt.311 SicherheitsDie Verfassungsschutzbehörde überprüft bei öffentlichen Stelüberprüfungen len und Wirtschaftsunternehmen Mitarbeiter (so genannte Sicherheitsüberprüfungen) und trifft selbst oder veranlasst Maßnahmen zum materiellen Geheimschutz. Zum Zweck des so genannten personellen Sabotageschutzes sind Sicherheitsüberprüfungen gesetzlich vorgesehen. 5.1 Personeller und materieller Geheimschutz im öffentlichen Bereich Der personelle Geheimschutz soll den Schutz von im öffentVerschlusssachen lichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen (so genannte Verschlusssachen) gewährleisten. Verschlusssachen sind je nach dem Schutz, dessen sie bedürfen, nach SS 6 des "Berliner Sicherheitsüber310 SS 5 Abs. 3 Nr. 1 u. Nr. 3 VSG Bln, Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG) vom 2.3.1998 (GVBl. S. 26) in der Fassung vom 25.6.2001 (GVBl. S. 243), zuletzt geändert durch Art. XV des Gesetzes vom 17.12.2003 (GVBl. S. 617). 311 Verordnung zur Festlegung der Arten lebenswichtiger Einrichtungen im Land Berlin vom 2.9.2003 (GVBl. S. 316). Aktuelle Entwicklungen - Geheimund Sabotageschutz 173 prüfungsgesetz" (BSÜG) in folgende Geheimhaltungsgrade einzustufen: 1. STRENG GEHEIM, 2. GEHEIM, 3. VS-VERTRAULICH, 4. VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH. Um Sicherheitsrisiken auszuschließen, werden Personen, denen Verschlusssachen mit dem Geheimhaltungsgrad VSVERTRAULICH und höher anvertraut werden sollen, vorher einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Alle Details zur Definition eines Sicherheitsrisikos, zum Verfahren und zu den Folgen für den Betroffenen sind im BSÜG geregelt. Dabei berücksichtigt das BSÜG die Mindestanforderungen an Sicherheitsüberprüfungen, zu denen sich die BSÜG Bundesrepublik Deutschland gegenüber ausländischen Staaten und als Mitglied zwischenstaatlicher Einrichtungen (z. B. NATO, WEU, EU) vertraglich verpflichtet hat, damit die Sicherheitsmaßnahmen einen möglichst einheitlichen Standard haben. Um die Grundrechte der Betroffenen zu gewährleisten, wird im Freiwilligkeit BSÜG kein Zwang zur Sicherheitsüberprüfung festgelegt. Dieser Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht312 wird nur mit Zustimmung der Betroffenen durchgeführt. Auch beim Ehegatten oder Lebenspartner, der bei bestimmten Überprüfungsarten in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen wird, ist die Zustimmung Voraussetzung. Der Umfang der Sicherheitsüberprüfung richtet sich nach der Höhe des Verschlusssachengrades, zu dem der Betroffene Zugang erhalten soll oder sich verschaffen kann. Ein Sicherheitsrisiko ist nach SS 7 Abs. 2 BSÜG dann als gegeben anzusehen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel am Sicherheitsrisiko Bekenntnis des Betroffenen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder an seiner Zuverlässigkeit begründen. Ein weiterer Aspekt ist die Besorgnis der Erpressbarkeit und damit die Anwerbungsmöglichkeit für eine gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete nachrichtendienstliche Tätigkeit. 312 BVerfGE 65, 1. 174 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Die Verfassungsschutzbehörde wird nicht von sich aus tätig, sondern nur auf Antrag des Geheimschutzbeauftragten der Behörde, bei der die zu überprüfende Person beschäftigt ist (so genannte zuständige Stelle). Im Jahr 2004 führte der Berliner Verfassungsschutz 367 Überprüfungen durch (2003: 538). Der personelle Geheimschutz wird durch den materiellen Materieller Geheimschutz Geheimschutz ergänzt, der technische und organisatorische Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von Verschlusssachen umfasst. Der Verfassungsschutz berät die öffentlichen Stellen des Landes Berlin: Er informiert über Verschlusssysteme wie den Einbau von Sicherheitstüren und die Installierung von Alarmsystemen; er berät über die Datensicherheit bei der Bearbeitung von Verschlusssachen in Datenverarbeitungssystemen und begleitet die Planung und Durchführung der Maßnahmen. Zum materiellen Geheimschutz gehört auch die Information über die Vorgaben der Verschlusssachenanweisung für das Land Berlin vom 1. Dezember 1992, welche die Bearbeitung, Verwahrung und Verwaltung von Verschlusssachen regelt, und die Kontrolle der Einhaltung dieser Anweisung. Diese Aufgabe obliegt den Geheimschutzbeauftragten, die in jeder Behörde, die Verschlusssachen bearbeitet und verwaltet, eingesetzt sind. Der wichtigste Grundsatz der Verschlusssachenanweisung "Kenntnis nur lautet: "Kenntnis nur, wenn nötig!" Nur die Personen, die mit wenn nötig" einer bestimmten Verschlusssache befasst sind, sollen Kenntnis erlangen. Deshalb ist es Mitarbeitern, die Verschlusssachen bearbeiten oder sich Zugang verschaffen können, nicht erlaubt, mit Kollegen oder nach Feierabend mit Familienangehörigen über die zu erledigenden Aufgaben zu sprechen. Jede technische Sicherheitsmaßnahme ist sinnlos, wenn die Verschwiegenheit der Mitarbeiter nicht gegeben ist. 5.2 Geheimschutz in der Wirtschaft Wirtschaftsunternehmen, die geheimschutzbedürftige Aufträge von Bundesund Landesbehörden ausführen, müssen vor Ausspähung fremder Nachrichtendienste geschützt und deshalb in das Geheimschutzverfahren von Bund und Ländern Aktuelle Entwicklungen - Geheimund Sabotageschutz 175 aufgenommen werden. Es sollen Sicherheitsstandards geschafSicherheitsfen und eingehalten werden, um zu verhindern, dass Unbefugte standards Kenntnis von den im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen (Verschlusssachen) erhalten. Ein Unternehmen kann die Aufnahme in die Geheimschutzbetreuung grundsätzlich nicht für sich selbst beantragen. LedigGeheimschutzlich Firmen, die sich an NATO-Infrastruktur-Ausschreibungen betreuung beteiligen wollen, sind zur Antragstellung in eigener Sache befugt.313 Voraussetzung für die Aufnahme eines Unternehmens in das Geheimschutzverfahren des Bundes ist die öffentliche Ausschreibung eines Auftrages mit Verschlusssachen im Bundesausschreibungsblatt. Öffentliche Auftraggeber können z. B. der Bundesminister für Verteidigung bzw. das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung sein. Bei derartigen Verschlusssachen-Aufträgen beantragt der Auftraggeber die Aufnahme des Unternehmens in das amtliche Geheimschutzverfahren beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen führt die Geheimschutzverfahren für die Berliner Firmen durch, wenn diese einen Verschlusssachen-Auftrag von einer Landesbehörde erhalten haben. Berliner Behörden schreiben geheimschutzbedürftige Aufträge im Amtsblatt für Berlin aus. Wesentlich für die Ausschreibung Ausschreibung im Amtsblatt bei vertraulichen Staatsaufträgen ist die Formulierung: "Es können sich geeignete Firmen bewerben, die bereits dem Geheimschutz in der Wirtschaft unterliegen, bzw. die sich dem Geheimschutzverfahren in der Wirtschaft unterziehen wollen". Vor Auftragserteilung sind mindestens ein gesetzlicher Vertreter des Unternehmens, ein Sicherheitsbevollmächtigter und auch die Firmenmitarbeiter, die von staatlicher Seite aus mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, einer freiwilligen Sicherheitsüberprüfung nach den Bestimmungen des BSÜG zu unterziehen. Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist nach SS 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 313 Zuständig hierfür ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle mit Sitz in Eschborn. 176 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 des VSG Bln die Verfassungsschutzbehörde. Im Jahr 2004 Sicherheitswurden 72 Sicherheitsüberprüfungen für Angehörige Berliner überprüfungen Unternehmen durchgeführt (2003: 94). Eine weitere grundlegende Voraussetzung für die Aufnahme in den amtlichen Geheimschutz bei Landesaufträgen ist der Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen und der Unternehmensleitung. Dies bedeutet die rechtsverbindliche Anerkennung der Bestimmungen der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit verfassten Sicherheitsanleitung "Handbuch für den Geheimschutz in der Wirtschaft" (GHB). Der Sicherheitsbevollmächtigte des Unternehmens ist in SicherheitsAngelegenheiten des Geheimschutzes für die ordnungsgemäße bevollmächtigte im Unternehmen Durchführung der Sicherheitsüberprüfungen verantwortlich. Nach SS 28 Abs. 4 BSÜG wird der Sicherheitsbevollmächtigte für den personellen Geheimschutz von der Verfassungsschutzbehörde in seine Aufgaben eingeführt. Nach Überprüfung der erforderlichen Geheimschutzmaßnahmen erteilt die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen dem staatlichen Auftraggeber und dem Unternehmen einen Sicherheitsbescheid. Die Firma kann nunmehr an geheimhaltungsbedürftigen Auftragsverhandlungen beteiligt werden. Fast alle Berliner Firmen, die von staatlichen Auftraggebern einen Verschlusssachen-Auftrag erhalten haben, bearbeiten keine Verschlusssachen. Sie sind vielmehr mit Lieferungen und Leistungen beauftragt worden, bei denen sie Zugang zu Verschlusssachen haben bzw. sich verschaffen können, die VS-VERTRAULICH und höher eingestuft sind. Dazu zählen Montageund Wartungsarbeiten sowie Instandsetzungen in sicherheitsempfindlichen Bereichen. Seit Inkrafttreten des Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz 1998 und der damit verbundenen Regelung des Geheimschutzverfahrens fanden mit den Sicherheitsbevollmächtigten und Vertretern von Unternehmen 295 Aufklärungsund Aufklärungsund SensibilisierungsSensibilisierungsgespräche statt, davon 37 im Jahr 2004. Um gespräche die vertrauensvolle Kooperation der betroffenen Unternehmen mit den Sicherheitsbehörden zu vertiefen, wurde im September 2004 - mit Unterstützung des Berliner Verfassungsschutzes und Aktuelle Entwicklungen - Geheimund Sabotageschutz 177 der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen - der Berliner Arbeitskreis der Sicherheitsbevollmächtigten neu belebt. Der reaktivierte Arbeitskreis soll den in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätigen Berliner Unternehmen ein Forum für den Informationsund Erfahrungsaustausch bieten. Durch die Partnerschaft von Wirtschaft und Sicherheitsbehörden trägt der Verfassungsschutz auch weiterhin zu einem effektiven Wirtschaftsund Informationsschutz bei, um Wirtschaftsspionage zu verhindern. Die Verfassungsschutzbehörde Berlin steht nicht nur geheimschutzbetreuten Unternehmen beratend zur Verfügung. Auch Unternehmen, die nicht mit Beratungsangebote geheimschutzbedürftigen Aufträgen befasst sind, können sich mit Fragen zur Sicherheit in der Wirtschaft an den Verfassungsschutz wenden. 5.3 Sabotageschutz Ziel des Sabotageschutzes ist es, die Beschäftigung von Personen, bei denen Sicherheitsrisiken vorliegen, an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebenswichtigen öffentlichen Einrichtungen zu verhindern. Auch zu diesem Zweck ist die Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen gesetzlich vorgesehen (SSSS 1 Nr. 2; 2 Nr. 4 BSÜG). Regelungen zum Sabotageschutz sind erforderlich, weil Sabotageakte gegen lebenswichtige Einrichtungen erhebliche Risiken für die Gesundheit oder das Leben zahlreicher Menschen zur Folge haben oder das Funktionieren des Gemeinwesens gefährden können. In der Verordnung vom 2. September 2003 wurden die Arten der lebenswichtigen Einrichtungen für das Land Berlin festgelegt.314 5.4 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen Eine weitere Mitwirkungsangelegenheit des Verfassungsschutzes sind nach SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG Bln Überprüfungen in Einbürgerungsverfahren. 314 Verordnung zur Festlegung der Arten lebenswichtiger Einrichtungen im Land Berlin vom 2.9.2003 (GVBl., S. 316). 178 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Dabei prüft der Verfassungsschutz auf Antrag der Einbürgerungsbehörde, ob über Personen, die einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben, Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden der Länder oder des Bundes vorliegen. Seit dem 1. Januar 2000 ist eine Einbürgerung für Personen zwingend ausgeschlossen,315 welche * die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Ausschließungsgründe Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden, * sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligen, * öffentlich zur Gewaltanwendung aufrufen, * mit Gewaltanwendung drohen. Für die Versagung eines Einbürgerungsantrages reicht es aus, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einbürgerungsbewerber verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt oder verfolgt,316 wobei die Ausländerbehörde als zuständige Stelle bei der Entscheidung über einen Regelanfragen Ermessensspielraum verfügt. Im Januar 2001 legte die Senatsverwaltung für Inneres fest, dass bei Einbürgerungsbewerbern aus bestimmten Herkunftsländern stets eine Anfrage beim Verfassungsschutz zu erfolgen hat. Unabhängig von der Herkunft ist eine Anfrage auch immer dann zu stellen, wenn Anhaltspunkte für eine extremistische Haltung oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten vorliegen. Im Jahr 2004 wurden 9 598 Anfragen bearbeitet (2003: 11 360). Auswirkungen auf die Arbeit der Verfassungsschutzbehörde hat auch das Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 9. Januar 2002.317 Seit Inkrafttreten dieses Gesetzes Einreiseverbote erhalten Personen, die gewaltbereit sind, terroristische Aktivitäten begehen oder unterstützen, keine Visa oder Aufenthaltsgenehmigungen und unterliegen einem Einreiseund Aufenthaltsverbot in Deutschland. Zur Versagung der Einreise genügt die Feststellung einer Gefährdung der freiheitlichen demokra315 SS 46 Nr. 1 Ausländergesetz (AuslG). 316 SS 86 Abs. 2 AuslG. 317 Terrorismusbekämpfungsgesetz, BGBl. Teil I, S. 261. Aktuelle Entwicklungen - Geheimund Sabotageschutz 179 tischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Aus rechtsstaatlichen Gründen reichen Vermutungen nicht aus.318 Um terroristischen oder gewaltbereiten Ausländern keinen Ruheraum in Deutschland zu gewähren, wurden ferner die Ausweisungen Regelausweisungstatbestände des SS 47 Abs. 2 AuslG erweitert. Im Regelfall wird ausgewiesen, wer nach dem neuen Versagungsgrund nicht hätte einreisen dürfen.319 Zur Feststellung von Versagungsgründen nach SS 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG können die Ausländerbehörden den Verfassungsschutzbehörden der Länder und weiteren Sicherheitsbehörden die personenbezogenen Daten der betroffenen Person übermitteln. Die angefragten Behörden teilen der Ausländerbehörde unverzüglich mit, ob Versagungsgründe vorliegen.320 Im Jahr 2004 gingen 7 250 Anfragen bei der Verfassungsschutzbehörde ein (2003: 5 667). Ab 2005 wird die Einreise und der Aufenthalt von Ausländern durch das neu geschaffene Aufenthaltsgesetz (AufenthaltG)321 "Aufenthaltsgesetz" geregelt. Damit wird neben einer Neuordnung der verschiedenen Aufenthaltstitel auch den Erfordernissen der präventiven Terrorismusabwehr Rechnung getragen. Im Zuge dieser Neustrukturierung des Aufenthaltsrechts ist zukünftig mit einer weiter steigenden Zahl von Anfragen der Ausländerbehörde an den Verfassungsschutz zu rechnen. Zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes zählt nach SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG auch die Mitwirkung bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach SS 29 d Luftverkehrsgesetz (LuftVG).322 Die Luftfahrtbehörde Berlin, organisatorisch angesiedelt bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, führt danach Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Personen durch, die Zutritt zu den nicht allgemein zugänglichen Bereichen der Flughäfen Tegel und Tempelhof haben sollen. Zum Zweck der Überprüfung kann sich die Luftfahrtbehörde vorhandene, für die Beurteilung der Zuverlässigkeit bedeutsame Informationen von 318 Art. 11 Nr. 3 TerrorismusbekämpfungsG; SS 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG. 319 Art. 11 Nr. 8 TerrorismusbekämpfungsG. 320 Art. 11 Nr. 12 TerrorismusbekämpfungsG; SS 64 a AuslG. 321 BGBI, Teil I, S. 1950. 322 BGBl, Teil I, S. 549. 180 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 der Polizei, aus dem Bundeszentralregister und vom Verfassungsschutz übermitteln lassen. Liegen dem Verfassungsschutz Erkenntnisse vor, sind diese ohne Bewertung der Luftfahrtbehörde mitzuteilen. Über die Verwendung im Bereich der Flughäfen entscheidet die Behörde selbst. Im Jahr 2004 wurden 6 258 Personen gemäß SS 29 d LuftVG durch den Verfassungsschutz überprüft (2003: 6 452). Zukünftig wird die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich der Zugangsberechtigung zu sicherheitsempfindlichen Bereichen auf deutschen LuftsicherheitsFlughäfen durch das Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG)323 umfasgesetz send und auf eigenständiger gesetzlicher Grundlage geregelt. Auch das Atomgesetz (AtomG)324 sieht Zuverlässigkeitsüberprüfungen vor, an denen der Verfassungsschutz gemäß SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG mitwirkt. Da kerntechnische Anlagen im Kerntechnische Hinblick auf mögliche unbefugte Handlungen besonders zu Anlagen schützende Objekte darstellen, sind Sicherungsmaßnahmen auch in Form der Überprüfung von Personen erforderlich, die Zutritt zu den kerntechnischen Anlagen erhalten sollen. Im Land Berlin werden die Personen überprüft, denen der Zutritt zum Forschungsreaktor des Hahn-Meitner-Instituts gewährt werden soll. Weitere kerntechnische Anlagen sind im Land Berlin nicht vorhanden. Die Überprüfung gemäß SS 12 b AtomG wird ebenfalls von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung als zuständige atomrechtliche Behörde durchgeführt. Für die Prüfung der Zuverlässigkeit werden auch hier Auskünfte von der Polizei, Informationen aus dem Bundeszentralregister und der Verfassungsschutzbehörde eingeholt. Eine Bewertung der übermittelten Erkenntnisse unterbleibt, diese obliegt der zuständigen atomrechtlichen Behörde. Im Jahr 2004 wurden durch den Verfassungsschutz 226 Personen überprüft (2003: 210). 323 BGBL., Teil I 2005, S. 78 vom 11.1.2005 (Erstverkündung). 324 BGBl., Teil I, S. 1565 mit letzten Änderungen vom 27.7.2001 (BGBl. Teil I, S. 1950). Aktuelle Entwicklungen - Geheimund Sabotageschutz 181 182 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 II HINTERGRUNDINFORMATIONEN INTERGRUNDINFORMATIONEN 1 Ideologien 1.1 Definition Extremismus Der Begriff Extremismus bezeichnet kein einheitliches Phänomen, sondern ist eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Bestrebungen, "die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln einig wissen".325 Die verfassungsmäßige Grenze des politischen Handelns ist in der Bundesrepublik Deutschland eindeutig festgelegt. Anlässlich des Verbots der "Sozialistischen Reichspartei" (SRP) bestimmte das Bundesverfassungsgericht 1952 den Kern des demokratischen Verfassungsstaates, die freiheitliche demokratische Grundordnung. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind zu rechnen: * die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, vor allem des Rechtes der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, * die Volkssouveränität, * die Gewaltenteilung, * die Verantwortlichkeit der Regierung, * die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, * die Unabhängigkeit der Gerichte, * das Mehrparteienprinzip, * die Chancengleichheit aller politischen Parteien, * das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.326 Die Verfassungsschutzbehörden verwenden den Extremismusbegriff seit Anfang der 70er Jahre in Abgrenzung zu dem oftmals synonym gebrauchten Begriff des Radikalismus. Während extremistische Positionen die Grenze der verfassungsmäßigen Ordnung überschreiten, bezeichnet der Radikalismus Auffassungen, die zwar grundlegende systemoppositionelle 325 Uwe Backes/Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. 4. Aufl. Bonn 1996, S. 45. 326 Vgl. BVerfGE 2, 1 ff; BVerfGE 5, 85 ff.; VSG Bln, SS 6. Hintergrundinformationen - Ideologien 183 Positionen vertreten, die sich aber mit ihrer fundamentalen Kritik innerhalb der Grenzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegen. 1.2 Ideologie des Rechtsextremismus Mit der Sammelbezeichnung Rechtsextremismus verbindet sich keine geschlossene politische Ideologie. Der Begriff umschreibt eine vielschichtige politische und soziale Gedankenwelt und ein Handlungssystem, das in der Gesamtheit seiner Einstellungen und Verhaltensweisen auf die Beseitigung oder nachhaltige Beeinträchtigung demokratischer Rechte, Strukturen und Prozesse gerichtet ist. Rechtsextremistischen Strömungen sind in jeweils unterschiedlichen Gewichtungen und Ausprägungen folgende Inhalte gemeinsam:327 * Ablehnung des Gleichheitsprinzips: Die Ideologie der Ungleichheit äußert sich in der gesellschaftlichen Diskriminierung bestimmter Menschen und Gruppen aufgrund ethnischer, körperlicher und geistiger Unterschiede. * Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit: Die eigene "Nation" oder "Rasse" wird zum obersten Kriterium der Identität erhoben. Ihr wird ein höherwertiger Status zugeschrieben, was die Abwertung und Geringschätzung von nicht zur eigenen "Nation" oder "Rasse" gehörenden Menschen und Gruppen zur Folge hat. * Antipluralismus: Der pluralistische Interessenund Meinungsstreit wird als die Homogenität der Gemeinschaft zersetzend angesehen. Rechtsextremisten streben eine geschlossene Gesellschaft an, in der Volk und Führung eine Einheit bilden. * Autoritarismus: In demokratischen Ordnungssystemen ist der Staat ein Instrument der Selbstorganisation der Gesellschaft, das Wechselbeziehungen zwischen Staat und Gesellschaft vorsieht. Im autoritären Staatsverständnis steht der Staat in einem einseitig dominierenden Verhältnis über der Gesellschaft. Im Phänomenbereich des Rechtsextremismus treten zahlreiche ideologische Überschneidungen und Mischformen auf. Die Überbewertung der eigenen Nation im Vergleich zu anderen Nationen wird als Nationalismus bezeichnet. Der Rassismus behauptet die Ungleichwertigkeit von "Men327 Vgl. Armin Pfahl-Traughber: Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. 2. Aufl., München 2000, S. 11 - 16. 184 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 schenrassen" aufgrund ihrer unveränderlichen biologischen und sozialen Anlagen. Rassistische Ideologien leiten daraus ein "naturgegebenes" Recht zur Ausgrenzung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen ab. Eine besondere Form des Rassismus ist der Antisemitismus. Darunter versteht man die Feindschaft gegenüber den Juden als Gesamtheit aufgrund stereotypischer rassistischer, sozialer, politischer und/oder religiöser Vorurteile. Ein weiteres Element des Rechtsextremismus ist der Neonazismus, der durch seinen Bezug zum historischen Phänomen des Nationalsozialismus gekennzeichnet ist. Eine rechtsextreme Ideologie wird als neonazistisch bezeichnet, wenn sie an den historischen Nationalsozialismus anknüpft. 1.3 Ideologie des Linksextremismus Die Utopie linksextremistischer Ideologien ist auf ein herrschaftsfreies, mit politischer, sozialer und ökonomischer Freiheit (Befreiung von unterdrückerischen Machtstrukturen) ausgestattetes Gemeinwesen gleicher Menschen ausgerichtet: die so genannte herrschaftsfreie Ordnung.328 Sie reicht weit über das in demokratischen Verfassungsstaaten akzeptierte Prinzip der menschlichen Fundamentalgleichheit hinaus und kann direkt oder über Zwischenstufen wie etwa im Marxismus-Leninismus (Diktatur des Proletariats / Sozialismus) erreicht werden. Ziel ist, die herrschende, als imperialistisch oder kapitalistisch diffamierte Staatsordnung durch einen revolutionären Akt zu überwinden,329 da ihr unterstellt wird, sie diene ausschließlich der Unterdrückung der Massen bei gleichzeitiger Maskierung der Herrschaftssicherung der gesellschaftlichen Elite.330 Trotz der Gemeinsamkeiten in der Umschreibung eines letzten utopischen Ziels unterscheiden sich die Ansätze bezüglich dessen Umsetzung stark voneinander. 328 Vgl. etwa Uwe Backes; Eckard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1996, S. 60. 329 Vgl. Ernesto Che Guevara: Guerilla - Theorie und Methode, Berlin 1968, S. 7: "Wir diskutieren das Problem des friedlichen Übergangs zum Sozialismus nicht als ein theoretisches Problem [...] Darum sagen wir [...], dass der Weg zur Befreiung der Völker, der nur der Weg des Sozialismus sein kann, in fast allen Ländern durch die Kugel erkämpft werden wird." 330 Der Linksextremismus bildet aktuell vor allem die Gegensatzpaare Neoliberalismus versus Antikapitalismus, Faschismus versus Sozialismus, Herrschaft versus Anarchismus aus und diskreditiert das in Deutschland herrschende System der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hintergrundinformationen - Ideologien 185 > Anarchisten Anarchisten etwa erwarten eine spontane Bewusstseinsänderung, die - gegebenenfalls auch unter Anwendung von Gewalt - zur Auflösung sämtlicher staatlicher Institutionen führen werde. Diese seien durch dezentrale Selbstverwaltungseinheiten zu ersetzen. "Es kann auf keinen Fall der Zweck der anarchischen Aktion sein, auf die Eroberung der Macht oder die Verwaltung des Bestehenden auszugehen. [...] Die Arbeiter brauchen keine Vermittler, um an ihrer Stelle ihre Forderungen auszudrücken oder einen Kampf zu führen, sondern sie können und müssen es direkt selbst machen. Die Libertären [Anarchisten] denken, dass die Praxis der direkten Aktion, und des Streiks im besonderen, auch das bestmögliche und wirksamste Kampfmittel in den Händen der Arbeiter ist [...] Die Libertären haben sich immer jedem Versuch der Unterwerfung der revolutionären Bewegung oder der Arbeiterbewegung entgegengesetzt, und sie befürworten die Selbstorganisation, die kollektive und autonome Aktion der Arbeiter."331 > Autonome Ebenso wie Anarchisten haben auch Autonome kein zentrales Theoriegebäude ausgebildet. Sie wenden sich vor allem aktionsorientiert gegen einen staatlichen "Repressionsapparat", sind ideologisch stark zerstritten, richten sich jedoch diskontinuierlich an polarisierenden Themen aus. Thematischer Minimalkonsens der autonomen Szene sind neben der Akzeptanz von Gewalt gegen Menschen und Sachen die Schlüsselbegriffe Faschismus, Kapitalismus, Imperialismus, Militarismus, Rassismus und Sexismus, die als wesentliche Bestandteile des herrschenden politischen Systems angesehen und jeweils als "Anti-" (faschismus, -kapitalismus etc.) die linksextremistischen Aktionsschwerpunkte bestimmen. "Zuerst möchte ich sagen, dass ich grundsätzlich gegen Gewalt bin. Aber in manchen Situationen glaube ich nicht, dass ich etwas ohne Gewalt ändern kann. Und dieses System baut ja selbst seit jeher auf Gewalt auf."332 Versierter umschreibt die Gewaltoption ein Vordenker der autonomen Szene: "[...] wo Menschen anfangen die politischen, moralischen, technischen Herrschaftsstrukturen zu sabotieren, zu verändern, ist es ein Schritt zum selbstbestimmten Leben."333 331 I-AFD [Initiative für eine anarchistische Föderation in Deutschland] - IFA [Internationale der anarchistischen Föderation]: Was ist Anarchismus. Krefeld 1993, S. 4 f. 332 Antifaschistische Aktion Berlin: Bravo Antifa 1. Ausgabe, 12.1996, S. 8. 333 Zitiert nach Geronimo: Feuer und Flamme, Edition ID-Archiv, Berlin 1990, S. 103 f. 186 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 > Kommunisten Orthodoxer in der Lehre, strategischer bei der Wahl der thematisierten Politikfelder und organisierter in der Betreuung seiner Anhänger ist der Kommunismus. In unterschiedlichen Ausprägungen strebt er eine klassenlose Gesellschaft an. Dabei fordert er zunächst eine völlige Unterordnung des Individuums unter die revolutionären Ziele und die diese anstrebenden Organisationen. Über Revolutionen, in deren Verlauf das Proletariat die herrschende Elite stürzen solle, und interrevolutionäre Zwischenstufen sei die klassenlose Gesellschaft erreichbar. "1. Der Faschismus ist [...] notwendige Tendenz der kapitalistischen Gesellschaft. 2. Daher gibt es keinen Kampf gegen den Faschismus, es sei denn den Kampf für die Vernichtung des Kapitalismus durch die proletarische Revolution und Diktatur. 3. Denn jeder Aufruf, die Demokratie zu verteidigen, jeder Versuch den Faschismus aufgrund der Demokratie zu bekämpfen, jedes Bündnis mit 'demokratischen' Parteien und Klassen führt zur Zerstörung der proletarischen Bewegung und bahnt dem Faschismus den Weg."334 Von der Ideologie des Kommunismus als klassenloser Gesellschaft ist der real existierende Sozialismus als Übergangsphase vom Kapitalismus zum klassenlosen Gemeinwesen (Kommunismus) zu unterscheiden. Der Begriff des real existierenden Sozialismus stellt keine eigenständige ideologische Variante dar, er beschreibt vielmehr die gesellschaftlichen Gegebenheiten sozialistischer Staaten. Protagonisten derartiger Regimes finden sich vor allem in der ehemaligen politischen Elite der DDR, die sich selbst ebenfalls dem Kommunismus zurechnet. "Kommunist zu sein heißt [...] für die Einheit und Reinheit des MarxismusLeninismus zu kämpfen und gemäß der Lehren von Marx, Engels, Lenin und Stalin gegen alle Angriffe der bürgerlichen Ideologie und des Revisionismus und Reformismus innerhalb der Arbeiterklasse mit allen Mitteln zu verteidigen und zu vertreten, sich zur proletarischen Revolution, zur Diktatur des Proletariats und zum proletarischen Internationalismus zu bekennen."335 Gemeinsam ist den unterschiedlichen linksextremistischen Bestrebungen, dass sie eine andere gesellschaftliche Ordnung zu errichten trachten. Ferner stimmen sie trotz aller Differenzen in den Zielrichtungen bei der Wahl ihrer Mittel überein: Sie sehen Militanz gegen den Staat und seine gesell334 Internationale Revolution Nr. 3, 12.1969, S. 1, dok. in: Internetauftritt "sinistra". 335 Internetauftritt der KPD, Aufruf am 10.9.2002. Hintergrundinformationen - Ideologien 187 schaftliche Ordnung als probates Mittel der politischen Auseinandersetzung an: "Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt 336 Euch!" 1.4 Ausländerextremistische Ideologien Ausländische Organisationen werden als extremistisch bewertet, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten und die Durchsetzung ihrer Weltanschauung in Deutschland anstreben. Als extremistisch werden aber auch ausländische Organisationen eingestuft, die eine gewaltsame Veränderung der politischen Verhältnisse in den Heimatländern anstreben. Sie gefährden durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. Ausländische Organisationen werden schließlich als extremistisch bewertet, wenn ihre Tätigkeit gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 21 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet ist. Organisationen, die sich gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten, bedeuten eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit. Sie bilden den Nährboden für die Entstehung extremistischer Auffassungen und schüren Hass, der auch vor Anwendung terroristischer Gewaltanwendung nicht zurück schreckt. In den meisten Fällen werden die Aktivitäten ausländerextremistischer Organisationen von den politischen Verhältnissen in ihren Herkunftsländern bestimmt. Einige der in Deutschland ansässigen Organisationen lassen inzwischen jedoch Tendenzen zu eigenständigem Handeln erkennen. > Linksextremistische Gruppierungen Bei ausländerextremistischen Organisationen lassen sich linksextremistische, nationalistisch orientierte und islamistische Gruppierungen unterscheiden. Linksextremistische Organisationen folgen weitgehend der Ideologie des Marxismus-Leninismus und streben die Etablierung eines sozialistischen bzw. kommunistischen Systems in ihren Heimatländern an. Zur 336 Internetauftritt der KPD, Aufruf am 17.12.2002, Parteiprogramm vom 7.10.1999. 188 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Durchsetzung ihrer Ziele befürworten sie grundsätzlich die Anwendung von Gewalt. In letzter Zeit sind die Gewalttaten stark zurückgegangen. > Nationalistische Gruppen Nationalistische Ausländerorganisationen kennzeichnet ein auf ethnische, kulturelle und politisch-territoriale Unterschiede gegründeter Überlegenheitsanspruch der eigenen Nation sowie die Negierung der Rechte anderer Ethnien. In Deutschland spielen sie derzeit nur eine untergeordnete Rolle. > Islamistische Gruppierungen Die größte Gruppe innerhalb der extremistischen Ausländerorganisationen bilden die islamistischen Gruppierungen. Der "Islamismus" ist nicht gleichbedeutend mit der islamischen Religion. Vielmehr stellt der "Islamismus" eine politische Ideologie der Gegenwart dar, die sich primär gegen die Herrschaftsverhältnisse in den Heimatländern wendet und den "Islam" weltweit als ein alternatives Gesellschaftssystem propagiert. Der gesetzliche Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes richtet sich weder auf die islamische Religion als solche noch auf die hier lebenden Muslime, von denen die Mehrheit unsere Rechtsordnung achtet. Dem Verfassungsschutz geht es um Bestrebungen, die auf die Durchsetzung der islamistischen Weltanschauung in Deutschland oder die gewaltsame Veränderung der politischen Verhältnisse in den Heimatländern abzielen. Was charakterisiert nun die Ideologie des Islamismus und wie ist das Phänomen eines transnationalen islamistischen Terrorismus einzuordnen? Die Herausbildung islamistischer Bewegungen Im Gegensatz zur islamischen Religion, die im siebten Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel entstand und der mehr als eine Milliarde Muslime angehören, stellt der Islamismus eine politische Ideologie der Gegenwart dar. Islamismus bezeichnet den Versuch einzelner Gruppen, den "Islam" zu ideologisieren und ein als "islamisch" deklariertes Herrschaftssystem zu errichten. Islamisten verkörpern weder per se eine anti-modernistische, rückwärtsgewandte Bewegung, noch rekrutieren sie sich mehrheitlich aus Modernisierungsverlierern. Vielmehr bilden sie eine breite, bis in die Mitte der Gesellschaft reichende Strömung. Ihnen geht es darum, den Islam zur Grundlage und Richtschnur allen Denkens und Handelns zu machen und Politik und Gesellschaft auf den Islam - so wie sie ihn verstehen - zu gründen. Der Islamismus stellt kein einheitliches Konzept dar, sondern umfasst höchst unterschiedliche Vorstellungen, die wiederum von den Hintergrundinformationen - Ideologien 189 divergierenden historischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Herkunftsländer bestimmt sind. Insofern gibt es weder einen "EinheitsIslamismus" noch eine "islamistische Internationale". Richtiger ist es, von islamistischen Bewegungen und Grundzügen islamistischer Ideologie zu sprechen. Historisch geht islamistisches Denken auf die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zurück. Angesichts des Bedeutungsverlusts, den die islamische Religion in der muslimischen Welt infolge der Kolonisierung erlitten hatte, hatten sich religiöse Reformer für die Erneuerung von Religion und Gesellschaft durch die "Rückkehr zu den reinen Ursprüngen des Islam" ausgesprochen. Reform und Erneuerung des Islam sowie anti-koloniale - und damit auch anti-westliche - Motive bestimmten in der Folge das Entstehen islamistischer Bewegungen - so etwa der 1928 in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft (=). Große Anziehungskraft entfaltete islamistisches Denken nach dem Zweiten Weltkrieg, als in den dann unabhängigen arabischen Nationalstaaten nacheinander die Konzepte des Nationalismus, des Pan-Arabismus und des Sozialismus scheiterten. Ab den späten 70er Jahren gelang es Islamisten, dieses entstandene ideologische Vakuum zu füllen und den "Islam" als ein alternatives politisches und gesellschaftliches Modell zu präsentieren. Gefördert wurde das Erstarken islamistischer Bewegungen durch die iranische Revolution 1979. In der Folge etablierte sich der Iran als ein staatlicher Träger islamistischer Ideologie und suchte diese neue Weltanschauung durch den Export seiner Revolution zu verbreiten. Seit Ende der siebziger Jahre wurden islamistische Bewegungen auch von Saudi-Arabien unterstützt, das finanziell und ideologisch die Ausbreitung einer nicht minder fundamentalistischen islamischen Strömung, des Wahhabismus, über seine Landesgrenzen hinaus verfolgte. Eine entscheidende Rolle - insbesondere für die Herausbildung des Phänomens des islamistischen Terrorismus - spielte auch die Tatsache, dass ab 1979 Kämpfer (Mujahidin) in Afghanistan Krieg gegen die sowjetische Besatzung führten, der zehn Jahre später mit dem Rückzug der sowjetischen Truppen endete. Diese regionalpolitischen Entwicklungen erleichterten es Islamisten in den 80er Jahren, die scheinbare Überlegenheit eines "islamischen" Gesellschaftssystems gegenüber dem kapitalistischen und sozialistischen Gesellschaftssystem zu propagieren. Hierzu prägten sie vor allem das Schlagwort "Der Islam ist die Lösung". 190 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Ideologische Grundzüge des Islamismus Wichtigstes gemeinsames Kennzeichen islamistischer Ideologie ist der Anspruch, dass der Islam stets zugleich "Religion" und "Politik" verkörpert habe - ein Anspruch, den die Islamisten als eine für die islamische Geschichte geltende historische Tatsache darstellen. Die Behauptung, dass es sich beim Islam um eine unteilbare Einheit von Religion und Politik handele, ist allerdings ein nicht mehr als 100 Jahre altes Ideologem. Islamisten verstehen Religion nicht als Glaube und Ethik, sondern als vollkommene Lebensform und Weltanschauung. So propagierte etwa der Chefideologe der pakistanischen "Jamaat-i Islami"-Partei, Abul Ala AlMaududi (1903 - 1979), eine "Ordnung des Islam" (nizam al-islam), die alle Lebensbereiche zu regeln imstande sei und die es anzuwenden gelte. Methodisch orientieren sich Islamisten bevorzugt am Wortlaut des Koran, den sie als ein "für alle Orte und Zeiten gültiges Gesetz" betrachten, und an der Sunna, den in "Berichten" (Hadithen) schriftlich festgehaltenen Worten und Taten des Propheten Muhammad. Beide, Koran und Sunna, haben nach islamistischer Auffassung eine Vorbildfunktion für politisches Handeln in einem künftigen "islamischen Staat". Islamisten idealisieren das erste muslimische Staatswesen, die vor 1 400 Jahren gegründete "Gemeinde von Medina" sowie die Periode der "Vier Rechtgeleiteten Kalifen", die als direkte Nachfolger (Kalifen) des Propheten Muhammad eine "gerechte Kalifatsherrschaft" ausgeübt haben. Ein Idealbild haben Islamisten auch von der Scharia, die sie nicht allein als ein Recht betrachten, sondern als ein politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip. Mit dem Schlagwort der "Anwendung der Scharia" ("tatbiq ash-sharia") plädieren sie für eine vollständige Umsetzung der Bestimmungen des islamischen Rechts. Islamisten sind davon überzeugt, dass das islamische Recht lediglich angewandt werden müsse, um sämtliche politischen und sozialen Probleme zu bewältigen. Konkret betrachtet beinhaltet ihre Forderung nach "Anwendung der Scharia" allerdings nur die Anwendung islamischer Strafrechtsbestimmungen und Elemente einer "islamischen Wirtschaftsordnung". Auffällig ist der Versuch von Islamisten, politische Herrschaft mit vermeintlich religiösen Grundlagen zu legitimieren. So ist bei ihnen häufig von der "Gottesherrschaft" (hakimiyat Allah) die Rede, die impliziert, dass politische Herrschaft nicht den Menschen zustehe. Diese Formel steht für das Ziel der Gründung eines religiösen "islamischen Staates", wobei unklar bleibt, wer darin zur politischen Führung befugt und wie dieser Staat zu organisieren Hintergrundinformationen - Ideologien 191 sei. Das Konzept der "Gottesherrschaft" geht zurück auf Abul Ala AlMaududi und Sayyid Qutb (1906 - 1966), den 1966 hingerichteten Chefideologen der ägyptischen Muslimbruderschaft. Beide definierten die gesamte Welt, einschließlich des Westens und der islamischen Hemissphäre, als in einem Zustand der "heidnischen Unwissenheit" befindlich und forderten die Bekämpfung nicht-glaubenskonformer Muslime und so genannter "Ungläubiger" mit Hilfe des Jihad (Kampf). Den "Jihad um Gottes Willen" verstehen Islamisten nicht - wie in der klassischen islamischen Rechtstheorie definiert - als eine ausschließlich zum Zwecke der Verteidigung des Islam zulässige Methode. Der Jihad ist für sie vielmehr eine offensive und militante Aktionsform, die sie zudem zur individuellen Pflicht eines jeden Muslims erheben. Wie weit ein derartiges Verständnis des Jihad gehen kann, zeigte der von Usama Bin Ladin im Februar 1998 verfasste Aufruf der "Islamischen Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzzügler". Hierin hatte er u. a. die Tötung von Amerikanern zur individuellen Pflicht eines jeden Muslims erklärt und zugleich behauptet, sich in einem gerechten Verteidigungskampf gegen einen überlegenen Gegner zu befinden. Gemeinsam ist den islamistischen Bewegungen, dass sie die politischen Verhältnisse ihrer Heimatländer radikal in Frage stellen. Dies betrifft vor allem die Regierungen in Ägypten, Syrien, Jordanien, Algerien, Tunesien, Marokko, im Irak, sowie die Palästinensische Autonomiebehörde. Ziel der islamistischen Bewegungen ist es bis heute, die autokratischen Herrschaftssysteme in den muslimischen Ländern zu beseitigen, der islamischen Religion größeren Einfluss zu verschaffen und dort möglichst einen - wie auch immer gearteten - "islamischen Staat" zu errichten. Die Tatsache, dass die islamistischen Bewegungen eine gegen Monarchien, Militärdiktaturen und Einparteienherrschaften gerichtete Opposition darstellen, hat zur Konsequenz, dass die Regierungen dieser Staaten sie seit Jahrzehnten massiv bekämpfen; hierzu gehören auch langjährige Haftstrafen, die Anwendung von Folter und die Verhängung der Todesstrafe. Zusammen mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit finden sich bei Islamisten ferner heftige Polemiken gegen das Prinzip des Säkularismus, der Trennung von Religion und Politik. Die Polemiken sind vor allem gegen die herrschenden politischen Systeme der Herkunftsländer gerichtet, zielen aber auch gegen westliche Demokratiemodelle, die als vermeintlich "unislamisch" abgelehnt werden. In dieser Hinsicht haben sich einige der islamistischen Gruppen nicht allein zu einer Bedrohung für die muslimischen Heimatländer, sondern auch für die internationale Staatengemeinschaft 192 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 entwickelt. Dies gilt seit den Anschlägen vom 11. September 2001 im besonderen für den islamistischen Terrorismus, der sich einer ähnlichen Argumentation bedient. Den Boden für die zunehmende Militanz bereiten vor allem verbale Angriffe, die in der Mehrzahl gegen Israel und die USA gerichtet sind. Da hierbei selten zwischen staatlicher Politik und den Bewohnern eines Landes differenziert wird, entwerfen einige islamistische Gruppierungen drastische Feindbilder von "Juden" und "Christen". Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Großteil des ideologischen Gemeinguts islamistischer Gruppierungen unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und der Menschenwürde ist. Die Unvereinbarkeit mit der Verfassung betrifft zum einen das Politikverständnis, das in der Forderung nach Schaffung einer "islamischen Ordnung" zum Ausdruck kommt und das die Errichtung eines religiösen Staates, die Anwendung des islamischen Rechts sowie den Anspruch auf Besitz einer absoluten Wahrheit umfasst. Dies gilt zum anderen für die gesellschaftspolitischen Vorstellungen - etwa in der Frage der Gleichberechtigung der Frau -, welche gleichfalls nicht mit unserem pluralistischen System vereinbar sind. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 193 2 Rechtsextremismus 2.1 Aktionsorientierter Rechtsextremismus 2.1.1 "Anti-Antifa" Als Reaktion auf die linksextremistische "Antifa" (=) entwickelten gewaltbereite und ideologisch gefestigte, aktionsorientierte Rechtsextremisten das Konzept der "Anti-Antifa". Die "Anti-Antifa"-Aktivisten sind bestrebt, Informationen und persönliche Daten über Personen, die sie als politische Gegner ansehen, zu sammeln und im Internet oder in Publikationen zu veröffentlichen. Zu diesem Personenkreis zählen sie Repräsentanten des Staates (wie Politiker, Polizeibeamte, Richter, Staatsanwälte), Repräsentanten jüdischer Organisationen sowie Personen, die sie als "Linke" einstufen. Diese Veröffentlichungen sollen eine Drohkulisse aufbauen und den politischen Gegner verunsichern. In Umkehrung der Realität wird die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland als Diktatur und "Unrechtsregime" verunglimpft, da hier nationalsozialistische Meinungen und Handlungen unterdrückt würden. Diese Sichtweise dient den Neonazis (=) zur Rechtfertigung von Gewalt. In Berlin haben sich die "Anti-Antifa"-Aktivitäten 2004 verstärkt und professionalisiert. Als Personenzusammenschlüsse waren in diesem Bereich die "Autonomen Nationalisten Berlin" (= ANB) sowie das "Anti-Antifa-Network - Sektion Berlin" (= AAN) aktiv. Beide Personenzusammenschlüsse sind dem Netzwerk Kameradschaften (=) zuzurechnen. 2.1.2 "Anti-Antifa-Network" (AAN) Seit September 2004 veröffentlicht ein "Anti-Antifa-Network" (AAN) auf einer Homepage im Internet personenbezogene Daten von politischen Gegnern. Damit ist es erstmals gelungen, ein bundesweites Netzwerk von "AntiAntifa"-Aktivisten (=) zu bilden. Die Veröffentlichung von persönlichen Daten in Form von "Schwarzen Listen" ist der Versuch, die Betroffenen einzuschüchtern und ein Klima der Angst zu erzeugen. Gerechtfertigt wird die detaillierte Datensammlung als Instrument der "Gefahrenabwehr von linken und anarchistischen Gewalttaten"337. 337 Internetauftritt des AAN, Aufruf am 1.12.2004. 194 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Die Aktivisten des AAN haben es sich zur Aufgabe gemacht, "regional gegen die Antifa zu arbeiten"338. So ist die Homepage in sechs verschiedene geographische Sektionen untergliedert, darunter die "Sektion Berlin". Die Unterseite der "Sektion Berlin" ist in die Rubriken "Aktuelles", "Alternative Projekte", "Personen Index", "Gästebuch", "KFZ-Kennzeichen" und "Fotos" eingeteilt. In den Rubriken "Alternative Objekte" und "Personen Index" der "Sektion Berlin" sind bislang die Adressen von 20 Einrichtungen und Gruppen sowie personenbezogene Daten von 25 Personen - teilweise mit Fotos - eingestellt, welche offensichtlich als politische Gegner angesehen werden. Damit ist zwar eine bundesweite Vernetzung der "Anti-Antifa"-Aktivitäten gelungen, die auf der Internetseite veröffentlichten Informationen sind jedoch nur von geringer Dichte. Der martialisch gestaltete Internetauftritt mit der Abbildung einer Maschinenpistole auf der Startseite offenbart allerdings die Aggressivität der Betreiber. Die Berliner AAN-Aktivisten gehören dem Netzwerk Kameradschaften (=) an. 2.1.3 "Autonome Nationalisten Berlin" (ANB) Seit Mitte des Jahres 2002 existiert in Berlin ein "Anti-Antifa"-Projekt (=) unter dem Titel "Autonome Nationalisten Berlin" (ANB), dem gewaltbereite Aktivisten des neonazistischen Berliner Kameradschaftsnetzwerks (= Kameradschaften) angehören. Sie fordern vor allem zum gewaltsamen Kampf gegen politische Gegner, insbesondere die "Antifa" (=), auf. Mit den Drohungen gegen namentlich genannte politische Gegner ist beabsichtigt, ein Klima der Einschüchterung und der Angst zu erzeugen. Auch vor konkreter Gewaltanwendung schrecken die ANB nicht zurück. Die ANB-Aktivisten haben sich in letzter Zeit sowohl hinsichtlich der Planung und Durchführung der Gegneraufklärung als auch der Verwaltung und Archivierung der personenbezogenen Daten professionalisiert. Ferner proklamiert die ANB die Bildung von "revolutionären schwarzen Blöcken" bei rechtsextremistischen Demonstrationen. In ihrem äußeren Erscheinungsbild nähern sich die Aktivisten immer mehr dem Auftreten der Linksextremisten an, so dass sie kaum noch von diesen zu unterscheiden sind.339 Durch die Abwendung vom klassischen Neonazi-Outfit, durch Aktionen und direkte Konfrontationen mit den politischen Gegnern versuchen die ANB, erlebnis338 Ebenda. 339 Vgl. S. 22 f. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 195 orientierte und gewaltbereite Jugendliche anzupolitisieren und mehr oder weniger fest in die Neonazi-Szene einzubinden. In einzelnen Ortsteilen östlicher Berliner Bezirke gelingt dies mit zunehmendem Erfolg. 2.1.4 "Blood & Honour" (B&H) Der in Deutschland verbotene neonazistische Skinhead-Zusammenschluss "Blood & Honour" (B&H) war neben den "Hammerskins" (=) eines der beiden international agierenden rechtsextremistischen Skinhead-Netzwerke (= Skinheads). Gegründet wurde B&H 1986 von Ian Stuart Donaldson in Großbritannien und etablierte sich im Laufe der 90er Jahre in vielen europäischen Ländern und den USA. Dem B&H-Netzwerk gehörten bundesweit rund 200 Personen an, die sich in 15 Sektionen organisierten. Die Sektion Berlin bestand aus ca. 30 fest eingebundenen Mitgliedern, das Aktivierungspotenzial der Organisation lag jedoch deutlich höher. B&H wird in Szenekreisen mit dem Zahlencode "28" abgekürzt (nach dem zweiten und achten Buchstaben des Alphabets). B&H versteht sich ausdrücklich als neonazistischer Personenzusammenschluss. Die organisatorischen Strukturen von B&H ermöglichen und erleichtern die szeneinterne Vernetzung und Kommunikation ideologisch gefestigter rechtsextremistischer Skinheads. Ziel der Organisation ist die Verbreitung der rechtsextremistischen Ideologie über das Medium der Musik (= Rechtsextremistische Musik). Im Gegensatz zu den Parteien wurde die Organisation von der rechtsextremistischen Skinhead-Szene als authentisch akzeptiert und gewann vor allem durch die Veranstaltung von Konzerten und die Produktion rechtsextremistischer CDs an Bedeutung. Da sich die Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtet, verbot der Bundesminister des Innern den Personenzusammenschluss im September 2000. Im Ausland ist B&H nicht verboten. Dort finden weiterhin von B&H organisierte Konzerte und Treffen statt. Ein Großteil der ehemaligen Berliner Aktivisten ist weiterhin im rechtsextremistischen Musiknetzwerk aktiv und nimmt an Treffen von B&H im Ausland teil. In Berlin gelang es den ehemaligen B&H-Aktivisten nach dem Verbot nicht, den organisatorischen Zusammenhalt aufrecht zu erhalten und Konzerte zu veranstalten. 196 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 2.1.5 "Hammerskins" (HS) Organisationsstruktur: internationale Vereinigung; regional untergliedert in Divisionen, Sektionen und Chapter Entstehung/Gründung: in Deutschland seit 1991 Mitgliederzahl: ca. 100 bundesweit (2003: ca. 100), ca. 15 in Berlin (2003: ca. 15) Sitz: bundesweit Die "Hammerskins" (HS) sind neben "Blood & Honour" (= B&H) der zweite international tätige rechtsextremistische Skinhead-Zusammenschluss (= Skinheads). Die HS wurden Mitte der 80er Jahre als neonazistische "Elite"-Vereinigung in den USA gegründet. Die Bemühungen um eine länderübergreifende Zusammenarbeit leiten sich aus einem rassistischen Weltbild ab. Ziel der HS ist die Vereinigung aller weißen Skinheads über Ländergrenzen hinweg in einer "Hammerskin-Nation". Das Symbol der HS sind zwei gekreuzte Zimmermannshämmer, die auf die Wurzeln der Skinhead-Subkultur im Arbeitermilieu hinweisen und dessen Kraft und Stärke symbolisieren sollen. In Deutschland bildeten sich ab etwa Mitte der 90er Jahre regionale Zusammenschlüsse ("Sektionen"). Aufgrund mangelnder Organisationsstrukturen und einer fehlenden Führungspersönlichkeit in ihren Reihen konnten die HS aber weder in Konkurrenz zu B&H treten, noch ihr Selbstbild als Elite der rechtsextremistischen Skinhead-Szene durchsetzen. Angesichts des postulierten Ziels einer "Hammerskin-Nation" fällt die Konzeptionslosigkeit der HS auf. Eine Strategie zur Umsetzung ihres Ziels ist nicht erkennbar. Überregionale Koordinierungstreffen finden zwar regelmäßig statt, konzeptionelle Impulse gehen von diesen Treffen bislang jedoch nicht aus. Die Berliner Sektion gründete sich 1994. Sie umfasste in der Folgezeit bei geringer Fluktuation nie mehr als 30 Mitglieder. Gemessen an dem von den HS formulierten Anspruch, geht von der Berliner Sektion keine nennenswerte Außenwirkung aus. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 197 2.1.6 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) Organisationsstruktur: eingetragener Verein Entstehungsjahr/Gründung: 1979 Mitgliederzahl: ca. 600 bundesweit (2003: ca. 600), ca. 45 in Berlin (2003: ca. 45) Sitz: Frankfurt am Main Publikation: "Nachrichten der HNG" (monatlich, Auflage: ca. 600) Die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) ist mit bundesweit ca. 600 Personen der mitgliederstärkste Zusammenschluss im aktionsorientierten Rechtsextremismus. In Berlin verfügt die HNG über rund 45 Mitglieder. Die HNG bezeichnet sich als "Sammelbecken und Solidargemeinschaft für Neonazis aller politischen Gruppierungen aus Deutschland und dem nahen Ausland".340 Laut ihrer Satzung verfolgt sie "ausschließlich karitative Zwecke, indem sie nationale und politische Gefangene und deren Angehörige im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Mittel unterstützt".341 Tatsächlich ist es ihr Ziel, den Kontakt der Straftäter mit der rechtsextremistischen Szene während der Haftzeit aufrecht zu erhalten und die Anbindung an die Szene zu gewährleisten, um sie nach der Haftentlassung in dieses Spektrum nahtlos wieder aufzunehmen. Zu diesem Zweck nutzt die HNG ihre Publikation "Nachrichten der HNG", die über die Internetseite der HNG auch online abrufbar ist. Darin sind regelmäßig "Gefangenenlisten" abgedruckt sowie eine Liste der inhaftierten Rechtsextremisten, die Briefkontakt wünschen. Auf der Web-Seite werden neben aktuellen Meldungen zudem Gerichtsurteile und Termine veröffentlicht. Darüber hinaus versucht die HNG den Eindruck zu erwecken, alle von ihr betreuten Straftäter seien "politische" Gefangene. Aufgrund des eng umrissenen Vereinszwecks spielen ideologische oder strategische Meinungsverschiedenheiten der HNG-Mitglieder dabei keine große Rolle. Die HNG ist bemüht, sich aus politischen Auseinandersetzungen innerhalb des Rechtsextremismus herauszuhalten, um einen "neutralen" Status zu wahren und die Vernetzung innerhalb der rechtsextremistischen Szene zu unterstützen. Dabei entfaltet die HNG insgesamt nur wenig Aktivität. Auch in Berliner Gefängnissen werden Rechtsextremisten von der HNG betreut. 340 "Nachrichten der HNG" Nr. 130/1991. 341 Satzung der HNG vom 13. März 1999, SS 2. 198 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 2.1.7 Kameradschaften Organisationsstruktur: hierarchisch gegliederte, informelle Gruppen Mitgliederzahl: k.a. bundesweit (2003: k.a.), ca. 150 in Berlin (2003: ca. 60) Sitz: bundesweit 160 Kameradschaften, davon 6 in Berlin Publikationen: Flugblätter Nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden sind Kameradschaften Personenzusammenschlüsse, die einen abgegrenzten Aktivistenstamm mit beabsichtigter geringer Fluktuation haben, eine lediglich lokale oder maximal regionale Ausdehnung, eine mindestens rudimentäre Struktur und die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf der Basis einer rechtsextremistischen, insbesondere neonazistischen Grundorientierung. Kameradschaften (KS) sind in der Regel hierarchisch gegliedert und bestehen aus einem autoritär agierenden Kameradschaftsführer, einem Stellvertreter und meist jugendlichen Kameradschaftsmitgliedern, die sich regelmäßig zu Kameradschaftsabenden treffen. Die für die Einordnung als Kameradschaft maßgebliche gemeinsame politische Arbeit geschieht z. B. durch geschlossene Teilnahme an Demonstrationen, Erstellung und Verbreitung von Flugblättern, Internetauftritte oder politische Schulungen. Kameradschaften entstanden als Reaktion der rechtsextremistischen Szene auf die zahlreichen Organisationsverbote in den 90er Jahren. An die Stelle der zerschlagenen überregionalen Strukturen sollten kleinere, autonome Einheiten treten, die aufgrund ihres informellen Charakters weniger Angriffspunkte für staatliches Vorgehen bieten sollten. Das Kameradschaftsmodell bringt aber auch Koordinierungsschwächen für den aktionsorientierten Rechtsextremismus mit sich. Bundesweit existieren etwa 160 Kameradschaften. In Berlin gibt es derzeit ein Netzwerk mit sechs Kameradschaften von denen jedoch nur zwei - "Kameradschaft Tor Berlin" und "Berliner Alternative Süd-Ost" - im Jahr 2004 nennenswerte öffentliche Aktivitäten entwickelten.342 Dem Netzwerk Kameradschaften gehören etwa 150 Personen an, ein kräftiger Zuwachs gegenüber 2003 (60 Personen). Charakteristisch für das Netzwerk Kameradschaften ist die Unbeständigkeit der einzelnen Personenzusammenschlüsse. Die im Jahre 2004 aktiven Kameradschaften sind mit Ausnahme der "KS Tor" alle in den Jahren 2003 342 Die "Kameradschaft Tor Berlin" (KS Tor) und die "Berliner Alternative Süd-Ost" (BASO) wurden am 9.3.2005 verboten. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 199 oder 2004 gegründet worden, früher aktive Kameradschaften haben sich aufgelöst.343 Neonazi-Cliquen, die sich mitunter selbst als Kameradschaft bezeichnen, bei denen aber der öffentlichkeitswirksamen politisch-ideologischen Arbeit nur sekundäre Bedeutung zukommt, werden vom Verfassungsschutz nicht als Kameradschaften definiert. Bei diesen Gruppen stehen konspirative Aktivitäten, gemeinschaftliches Auftreten und gemeinsame Freizeitaktivitäten auf Basis einer neonazistischen Grundorientierung im Vordergrund. Dies gilt z. B. für die rechtsextremistischen Personenzusammenschlüsse "KS Nordland" und "Lichtenberg 35". 2.1.8 Neonazis Neonationalsozialisten (Neonazis) orientieren sich ideologisch am historischen Phänomen des Nationalsozialismus, wie er von der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP) vertreten wurde. Wie in der NSDAP sind auch in der Neonazi-Szene unterschiedliche ideologische Strömungen festzustellen. So gibt es Bezüge zum sozialrevolutionären Flügel innerhalb des Nationalsozialismus und dem damit verbundenen Antikapitalismus Ernst Röhms und der Gebrüder Strasser. Allen Versionen des Neonationalsozialismus gemeinsam ist die Glorifizierung der Führungspersonen des NS-Regimes und die Verharmlosung der NS-Verbrechen. Die Vertreter des Neonationalsozialismus sind wie die rechtsextremistische Skinhead-Szene (=) dem aktionsorientierten Rechtsextremismus zuzurechnen. Die ursprünglich subkulturell geprägte rechtsextremistische SkinheadSzene und die "klassische" Neonazi-Szene, die u. a. an dem an NS-Uniformen orientierten Kleidungsstil erkennbar ist (braune oder weiße Hemden, schwarze Krawatten, breite Ledergürtel), vermischten sich in den letzten Jahren zunehmend. Ein Teil der Neonazi-Szene ist in festen Strukturen wie den so genannten Freien Kameradschaften (=) organisiert. Andere Neonazis nehmen lediglich unregelmäßig an politischen Aktionen wie Demonstrationen teil. 80 Prozent der ideologisch gefestigten Berliner Neonazis wohnen in den östlichen Bezirken, bei den ideologisch gefestigten und gewaltbereiten Neonazis ergibt sich sogar ein Anteil von 85 Prozent. Geographische Schwerpunkte der Neonazi-Szene sind die Bezirke Lichtenberg, Marzahn343 Vgl. S. 18. 200 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Hellersdorf, Pankow und Treptow-Köpenick. Allein in diesen vier Bezirken leben 75 Prozent der ideologisch gefestigten Neonazis und befinden sich 80 Prozent der von der Neonazi-Szene genutzten Trefforte. Einen besonders betroffenen Raum stellt der Bezirk Lichtenberg dar, insbesondere die Gegend um den Bahnhof Lichtenberg. In den unmittelbar an dem Bahnhof gelegenen südöstlichen und nordwestlichen Wohngebieten lebt jeder sechste ideologisch gefestigte Berliner Neonazi. Weitere Ballungsgebiete sind Pankow sowie Treptow-Köpenick. 2.1.9 Rechtsextremistische Musik Unter rechtsextremistischer Musik versteht man die Kombination rechtsextremistischer Texte mit verschiedenen Musikstilen (u. a. Rock / Hardrock, Liedermacher, Gothic, Dark Wave, Schlager, Rockabilly, Volkslieder).344 Die Musik-Szene ist seit Mitte der 90er Jahre einer der dynamischsten Bereiche des Rechtsextremismus. Im strukturarmen aktionsorientierten Rechtsextremismus stellt sie - und hier besonders durch die Konzerte - eine wichtige Kommunikationsplattform dar. Die Mitgliedschaft in einer Band bietet die Möglichkeit, sich innerhalb der Szene zu profilieren - je menschenverachtender die Texte einer Band sind, desto größer das Ansehen unter den Szene-Angehörigen. Eng mit dem Bedeutungszuwachs der Musikszene ist der Aufstieg der "Blood & Honour"-Organisation (= B&H)) verbunden. Strategisch denkende Köpfe wie der B&H-Gründer Ian Stuart Donaldson versuchten, die Musik als Mittel der ideologischen Beeinflussung und Rekrutierung einzusetzen. Diese Strategie war nur begrenzt erfolgreich - eine Rekrutierung für die Szene erfolgt selten über das alleinige Hören rechtsextremistischer Musik. Für die Gewinnung Außenstehender ist der persönliche Kontakt mit der Szene, der auch auf Konzerten zustande kommt, wichtiger.345 Daneben erlangte der Musikbereich auch finanzielle Bedeutung für den aktionsorientierten Rechtsextremismus. Seit Mitte der 90er Jahre etablierten 344 Oft verwendete Schlagwörter wie "Rechtsrock" oder "Skinhead-Musik" sind unpräzise, da sie entweder nur einen kleinen Teil rechtsextremistischer Musik bezeichnen (Rechtsrock) oder aber mit ihr nicht deckungsgleich sind. So spielen in der Skinhead-Subkultur Musikrichtungen wie Ska, 2Tone oder Oi!-Punk eine wichtige Rolle. Diese Musikstile werden in der Regel nicht mit rechtsextremistischen Texten versehen. Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Rechtsextremistische Skinheads. Berlin 2003, S. 56 ff. 345 Vgl. Rainer Dollase: Welche Wirkung hat der Rock von Rechts? In: Dieter Baacke / Klaus Farin / Jürgen Lauffer (Hg.): Rock von Rechts. Milieus, Hintergründe und Materialien. Bielefeld 1999, S. 106 - 117. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 201 sich professionelle Händler, welche die Szene mit Tonträgern und sonstigem Szenebedarf (vor allem Kleidung) versorgen. Berlin hat eine äußerst aktive rechtsextremistische Musikszene346, die sich im Wesentlichen bereits Mitte der 90er Jahre formiert hat. Mit der Herausgabe von CDs oder der Beteiligung an Samplern und Konzerten spielt sie eine überregionale Rolle. Sie wird vor allem von Bands aus dem Hardcore-Bereich bestimmt: Zu den wichtigsten gehören hier "Spreegeschwader", "Spirit of 88" (Soloprojekt von "Spreegeschwader"), "Deutsch, Stolz, Treue" (D.S.T.) und "Legion of Thor" (LoT). In den vergangenen Jahren spielte vor allem "Landser" eine wichtige Rolle. Die Band "Spreegeschwader" entstand 1994 und besteht aus drei Personen. Sie veröffentlichte zahlreiche CDs, wobei die beiden CDs "Live 2002" und "Gefangen im System" indiziert sind.347 Das Soloprojekt des Sängers von "Spreegeschwader", "Spirit of 88", ist erstmalig 2000 mit der Herausgabe der CD "White Power Skinheads" in Erscheinung getreten. Diese wurde 2001 indiziert.348 Ebenfalls 1994 entstand die Band "D.S.T.", die aus fünf Mitgliedern besteht. Bei der Berliner Staatsanwaltschaft ist ein Ermittlungsverfahren gegen die Bandmitglieder wegen eines Verstoßes gegen SSSS 86 a (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) und 130 StGB (Volksverhetzung) durch die CD "Ave et Victoria" anhängig. Die Band "LoT" wurde 1997 gegründet und veröffentlichte mehrere Tonträger, von denen in diesem Jahr erstmalig die CD "The 4th Crusade" indiziert wurde. Der Prozess gegen die Band "Landser" führte 2003 zu ihrer Zerschlagung. Der ehemalige Sänger von "Landser" hat daraufhin 2004 unter dem Namen "Die Lunikoff-Verschwörung" eine neue Band ins Leben gerufen, die zwischenzeitlich ebenso wie "Landser" in der Szene verehrt wird. Ihren Höhepunkt erreichte die Musikszene Mitte der 90er Jahre, bevor sie gegen Ende der 90er Jahre unter erheblichen Druck durch die Strafverfolgungsbehörden geriet. Die Mitglieder von "Landser" - die sich als "Terro346 Vgl. S. 30. 347 Indiziert werden Schriften, Filme, Videokassetten, CDs, DVDs, Videound Computerspiele sowie Internetseiten, die jugendgefährdend sind. Dazu zählen vor allem unsittliche, verrohend wirkende oder zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende Medien. Wenn diese Medien in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen werden, unterliegen sie zahlreichen Werbeund Vertriebsbeschränkungen. 348 "Spirit of 88" beteiligte sich auch mit einem Titel an der CD "Anpassung ist Feigheit - Lieder aus dem Untergrund", die im Rahmen des "Projekts Schulhof"348 in einer bundesweiten Aktion an Jugendliche verteilt werden sollte. Vgl. Akt. Entwicklungen, S. 39. 202 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 risten mit E-Gitarre" bezeichnet hatten - wurden nach Anklageerhebung durch den Generalbundesanwalt vom Kammergericht im Dezember 2003 verurteilt. Erstmals wurde eine rechtsextremistische Band als kriminelle Vereinigung eingestuft.349 Das Urteil der Kammergerichts Berlin wurde im März 2005 durch den Bundesgerichtshof im Wesentlichen bestätigt.350 Die Berliner Konzertszene kam in den letzten Jahren aufgrund des konsequenten Vorgehens der Sicherheitsbehörden weitgehend zum Erliegen. Dagegen blieb die Zahl der veröffentlichten rechtsextremistischen CDs konstant. (Vgl. Abb.) Tonträger-Veröffentlichungen Berliner Bands 12 10 10 8 7 6 6 5 5 5 5 4 3 2 2 2 2 1 1 1 0 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2.1.10 Skinheads Die Subkultur der Skinheads351 wird oft mit jugendlichem Rechtsextremismus gleichgesetzt. Dies ist eine unzutreffende Verkürzung, da die Skinheads zunächst eine jugendliche Subkultur wie die der Punks, Hippies oder Raver darstellen. Die Skinhead-Subkultur entstand in den 60er Jahren in Großbritannien und orientierte sich hinsichtlich ihrer Werte und ihres "Outfits" an der Arbeiterklasse. In Deutschland gibt es Skinheads seit Anfang der 80er Jahre, die größten Szenen entwickelten sich in Hamburg und Berlin. 349 Beschluss des KG Berlin vom 22.12.2003, Az (2) 3 StE 2/02-5(1) (2/02). Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004. 350 AZ: 3 StR 233/04. 351 Für eine ausführliche Darstellung vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Rechtsextremistische Skinheads. Berlin 2003. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 203 Erst im Laufe der Zeit driftete ein Teil der Skinhead-Szene in den Rechtsextremismus ab. Zum einen bestanden Abgrenzungsbestrebungen gegenüber den "linken" Punks, zum anderen bekam die Szene Zulauf aus dem neonazistischen Lager, nachdem die Skinheads aufgrund der Provokation mit rechtsextremistischen Zeichen in der Öffentlichkeit zum Symbol des Rechtsextremismus schlechthin wurden.352 Das Thema Rechtsextremismus spaltet die Skinhead-Szene. Viele Skinheads - wie zum Beispiel die sich selbst als unpolitisch bezeichnenden "Oi!-Skins" oder politisch links orientierte Skinheads ("Redskins") - wehren sich gegen die Vereinnahmung der Szene. Wissenschaftler schätzen, dass etwa zwischen 30 und 60 Prozent der Skinhead-Szene rechtsextremistisch eingestellt sind.353 Es handelt sich dabei allerdings nicht ausschließlich um fanatisierte Neonationalsozialisten. Obwohl es auch überzeugte, ideologisch gefestigte rechtsextremistische Skinheads gibt (so genannte Neonazi-Skins), hat ein großer Teil nur ein diffuses rechtsextremistisches Weltbild. Rechtsextremistische Skinheads sind dem aktionsorientierten Rechtsextremismus zuzuordnen. Sie sind zum großen Teil organisationsfeindlich eingestellt und lehnen eine Einbindung in feste (Partei-)Strukturen ab. Versuche rechtsextremistischer Parteien, das Skinhead-Potenzial dauerhaft an sich zu binden (z. B. durch die "Aktionsfront Nationaler Sozialisten" Anfang der 80er Jahre, die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" Mitte der 80er Jahre oder die "Nationale Alternative" Anfang der 90er Jahre), scheiterten. Den jüngsten Versuch machte die NPD mit ihrem "Drei-Säulen-Konzept" (= NPD). Im Gegensatz zu den Parteien, die von den rechtsextremistischen Skinheads überwiegend als szenefremd wahrgenommen werden, konnten sich in Deutschland seit Anfang der 90er Jahre zwei rechtsextremistische Skinhead-Zusammenschlüsse etablieren: "Blood & Honour" (=) und die "Hammerskins" (=). Die Sozialstruktur der rechtsextremistischen Skinhead-Szene ist von einer starken Dominanz junger Männer geprägt. Der Frauenanteil der Szene in Berlin liegt bei knapp 20 Prozent. Die Berliner Skinheads rekrutieren sich zum überwiegenden Teil aus den Jahrgängen 1968 bis 1982 (ca. 85 Prozent). Besonders stark vertreten sind die heute 20 bis 28-Jährigen - 352 Vgl. Christian Menhorn: Skinheads: Portrait einer Subkultur. Baden-Baden 2001, S. 22, 149 ff. 353 Farin geht von ca. 30 %, Menhorn von einem höheren Anteil aus (über 50 %). Weltzer schätzt die Zahl in den alten Bundesländern auf 30 bis 50 %, in den neuen Ländern liege der Anteil wesentlich höher. Vgl. Klaus Farin: Interview. In: "Jungle World" Nr. 51, 17.12.1997; Jörg Weltzer: Skinheads, Nazi-Skins und rechte Subkultur. In: Jens Mecklenburg (Hg.): Handbuch Deutscher Rechtsextremismus. Berlin 1996, S. 782 - 791, hier: S. 785. 204 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 diese Altersgruppe macht mehr als die Hälfte aller rechtsextremistischen Skinheads aus (ca. 55 Prozent). Entgegen einem verbreiteten Vorurteil entspricht das formale Bildungsniveau der (gesamten) Skinhead-Szene dem gesellschaftlichen Durchschnitt. Gleiches gilt für die Arbeitslosenquote - sie liegt in der deutschen Skinhead-Szene etwa bei neun Prozent.354 Den geographischen Schwerpunkt hat die rechtsextremistische Skinhead-Szene Berlins im Ostteil der Stadt (über 80 Prozent). Besonders stark ist sie in den Bezirken Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Pankow. 2.1.11 "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft" (Vandalen) Organisationsstruktur: Vereinigung Mitgliederzahl: ca. 10 (2003: ca. 10) Entstehung/Gründung: 1982 Sitz: Berlin Die "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft" (Vandalen) sind eine Gruppe ideologisch gefestigter Neonazis (=). Die Gruppe wurde 1982 in Ost-Berlin gegründet und zählt etwa zehn feste Mitglieder, deren Durchschnittsalter bei Mitte Dreißig liegt. Sie machen sich sowohl subkulturelle Codes der "Rocker" wie der "Skinheads" (=) zu eigen. Durch das uniforme Tragen einer "Kutte" demonstrieren sie ihren Gruppenzusammenhalt. Im Zentrum ihrer Ideologie steht ein neonazistisches Weltbild in Verbindung mit einem völkischen Germanenkult. Die Mitglieder der "Vandalen" sind äußerst gewaltbereit, stark waffeninteressiert und begingen seit Anfang der 90er Jahre verschiedene Straftaten (u. a. Körperverletzungen und Propagandadelikte). Ein Mitglied der "Vandalen" wurde im Jahr 2000 wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Der Verurteilte versuchte, ein Präzisionsgewehr inklusive Schalldämpfer und Zielfernrohr mit passender Munition zu verkaufen. Die selbe Person wurde aufgrund seiner Unterstützung der Neonazi-Band "Landser" 2003 wegen Gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt." (= Rechtsextremistische Musik) Die "Vandalen" dominieren das rechtsextremistische Musiknetzwerk in Berlin. Das Clubhaus der "Vandalen" in Hohenschönhausen ist Zentrum und Treffort des Netzwerks. Die herausgehobene Stellung resultiert aus der per354 Vgl. Helmut Heitmann: Die Skinhead-Studie. In: Klaus Farin (Hg.): Die Skins. Mythos und Realität. Berlin 1997, S. 69 - 95. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 205 sonellen Überschneidung der "Vandalen" mit der inzwischen aufgelösten Neonazi-Band "Landser". Der "Vandalen"-Anführer war Initiator und Sänger der Band und unter den Musikern befanden sich weitere Mitglieder der "Vandalen". Die Bandmitglieder wurden 2003 durch das Kammergericht wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Da der Anführer gegen das Urteil Revision eingelegt hatte, befand er sich 2004 weiter auf freiem Fuß, produzierte unter dem neuen Namen "Lunikoff-Verschwörung" fortlaufend rechtsextremistische Musik und trat bundesweit auf Live-Konzerten auf, wobei er sich nunmehr bewusst im Rahmen der Legalität bewegt.355 Am 10. März 2005 bestätigte der Bundesgerichtshof im Wesentlichen das Urteil des Kammergerichts Berlin356 und der Vandalen-Anführer wird 2005 seine Haft antreten müssen. Zum engen Umfeld der "Vandalen" gehören Mitglieder von "Lichtenberg 35", der "Kameradschaft Nordland" und ehemalige "Blood & Honour"-Aktivisten (=). Ein Mitglied der "Vandalen" ist Schlagzeuger bei der Berliner Neonazi-Band "Spreegeschwader". Die "Vandalen" nehmen eine überregional koordinierende Rolle im rechtsextremistischen Musiknetzwerk ein und unterhalten Kontakte zu zahlreichen rechtsextremistischen Personenzusammenschlüssen, Parteien und Einzelpersonen im Inund Ausland. 2.2 Parlamentsorientierter Rechtsextremismus 2.2.1 "Deutsche Volksunion" (DVU) Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: 1987, Landesverband Berlin 1988 Mitgliederzahl: ca. 11 000 bundesweit (2003: ca. 11 500), ca. 450 in Berlin (2003: ca. 480) Sitz: München Publikation: "National-Zeitung / Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) (überregional, wöchentlich, Auflage: ca. 40 000 Herausgeber: Dr. Gerhard Frey) Die "Deutsche Volksunion" (DVU) wurde 1987 auf Initiative des Münchner Geschäftsmannes und Verlegers Dr. Gerhard Frey mit Unterstützung der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (= NPD) als "Deutsche Volksunion - Liste D" gegründet. 1991 vollzog Frey mit der Streichung des Namensbestandteils "Liste D" die Trennung von der NPD. Das Organisationsgeflecht rund um die DVU umfasst den 1971 gegründeten Verein 355 Vgl. S. 35 ff. 356 AZ: 3 StR 233/04. 206 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 DVU e. V. sowie die drei so genannten Aktionsgemeinschaften "Initiative für Ausländerbegrenzung" (I.f.A.), "Ehrenbund Rudel" und "Aktion Oder-Neiße" (AKON). Darüber hinaus betreibt Frey den "DSZ Druckschriftenund Zeitungs-Verlag GmbH" (DSZ-Verlag) mit der "National-Zeitung / Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) und den "FZ Freiheitlicher Buchund ZeitschriftenVerlag GmbH" (FZ-Verlag) als Buchund Devotionalienversand. Die DVU ist mit 16 Landesverbänden im gesamten Bundesgebiet vertreten und die mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei. In ihrem Parteiprogramm bekennt sich die DVU formal zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. In der praktischen Arbeit der Partei spielt die Programmatik allerdings kaum eine Rolle. Ihr politisch-ideologischer Standpunkt spiegelt sich vielmehr in der Agitation der NZ wider. Die NZ ist die auflagenstärkste rechtsextremistische Wochenzeitung in Deutschland. Aufgrund der Rolle Freys als Herausgeber der NZ und Bundesvorsitzender der DVU kann die Zeitung als Presseorgan der Partei bezeichnet werden. In ihren Artikeln wird die angeblich einseitige Vergangenheitsbewältigung kritisiert. Die Verbrechen der Nationalsozialisten und insbesondere die Ermordung der Juden werden zwar als historische Tatsachen nicht geleugnet, jedoch wird der Holocaust relativiert und die deutsche Kriegsschuld bestritten. Des Weiteren sind fremdenfeindliche Attacken ein regelmäßiger Bestandteil der politisch-ideologischen Agitation der NZ, wodurch Vorurteile verbreitet und Überfremdungsängste geschürt werden. Insbesondere der Prozess der Erweiterung der "Europäischen Union" (EU) gerät dabei ins Visier, wobei die Türkei oder Israel als so genannte "raumfremde Staatswesen" eingestuft werden. Zudem wird versucht, durch Angriffe auf das Demokratieprinzip und die Repräsentanten des demokratischen Verfassungsstaats das politische System Deutschlands insgesamt zu delegitimieren. Die DVU tritt bei Wahlen überwiegend auf Landesebene in loser Folge mit zumeist geringem Erfolg in den nordund ostdeutschen Bundesländern an. An der Europawahl im Juni 2004 nahm die Partei nicht teil. Derzeit ist sie in der Bremischen Bürgerschaft sowie nach einer Wahlabsprache anlässlich der Landtagswahlen im September 2004 in Brandenburg und Sachsen mit der NPD erneut im Brandenburger Landtag vertreten.357 Ihr bestes Wahlergebnis erzielte die DVU 1998 mit 12,8 Prozent bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Politische Gestaltungserfolge konnten ihre Mandatsträger bislang jedoch nicht vorweisen. Im Zuge der Annäherung von DVU und 357 Vgl. S. 46 ff. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 207 NPD anlässlich der Landtagswahlen und den Bemühungen um die Bildung einer "Volksfront" seitens der NPD kam es zu einer gemeinsamen Unterschriftenaktion gegen einen möglichen EU-Beitritt der Türkei.358 In den letzten drei Jahren verzichtete die DVU auf ihre traditionelle "Großkundgebung der National-Freiheitlichen" in der Passauer Nibelungenhalle. Dies ist ein deutliches Zeichen für die schon seit längerem anhaltende Stagnation in der Entwicklung der DVU. Die Mitgliederzahlen gehen zurück und die Partei überaltert zunehmend. Ein Parteileben findet nur in geringem Umfang statt. Die Mitglieder beschränken sich im Wesentlichen auf das Lesen der NZ. Der Grund für die mangelnde inhaltliche und strukturelle Dynamik der DVU liegt in ihrer besonderen Führungsstruktur. Die Partei wird von ihrem Gründer und Vorsitzenden autokratisch geleitet. Sie ist hochverschuldet und finanziell von dem privat vermögenden Frey abhängig. Die Kontrolle über die Parteifinanzen ermöglicht ihm die weitgehende Steuerung der gesamten Parteiarbeit. Auf dem Bundesparteitag im März 2004 wurde Gerhard Frey dementsprechend ohne Gegenkandidaten in seinem Amt bestätigt. Auch der Landesverband Berlin ist seit Jahren durch die Passivität seiner Mitglieder geprägt. Er verfügt über kein eigenständiges politisches Profil und agiert lediglich in enger Anlehnung an die Bundeszentrale der DVU. 2.2.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: 1964, Landesverband Berlin 1966 Mitgliederzahl: ca. 5 300 bundesweit (2003: ca. 5 000 ), ca. 150 in Berlin (2003: ca. 180) Sitz: Berlin Publikationen: "Deutsche Stimme" (überregional, monatlich, Auflage: ca. 21 000); "ZÜNDSTOFF - Deutsche Stimme für Berlin und Brandenburg" (vierteljährlich, Auflage: unbekannt) Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) ging 1964 aus der rechtsextremistischen "Deutschen Reichspartei" (DRP) hervor. Der Vorsitzende der DRP, Adolf von Thadden, war Initiator der NPD-Gründung und von 1967 bis 1971 deren Vorsitzender. Die NPD verfügt mit den "Jungen Nationaldemokraten" (JN) über eine Jugendorganisation. Darüber hinaus existiert der "Nationaldemokratische Hochschulbund e. V." (NHB) als Studentenvereinigung. Als Parteizeitung vertreibt die NPD die Monatsschrift 358 Vgl. S. 59. 208 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 "Deutsche Stimme" (DS). Die NPD, deren Bundesgeschäftsstelle sich seit dem Jahr 2000 in Berlin befindet, ist im gesamten Bundesgebiet mit 16 Landesverbänden vertreten. Im April 2003 kam es zur Trennung des gemeinsamen Landesverbands Berlin-Brandenburg. Der gemeinsame Landesverband der Jugendorganisation blieb davon unberührt. Im vergangenen Jahr löste sich jedoch der JN-Landesverband Berlin-Brandenburg nahezu selbst auf. Aus ihm ging im Februar 2004 die "Bewegung Neue Ordnung" (BNO) hervor.359 Die NPD vertritt fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Positionen und versteht sich als Fundamentalopposition zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Als "sozialrevolutionäre Erneuerungsbewegung" strebt sie in aggressiver Weise die grundsätzliche Neuordnung des Staatsaufbaus an. Ziel ist die Beseitigung des derzeitigen politischen Systems und die Errichtung eines "neuen deutschen Reichs": "Konsequenterweise erheben wir den Anspruch darauf, daß es nach einer nationalen Neuordnung in Deutschland keine Arbeitslosen, Ausgebeuteten und Hoffnungslosen mehr geben wird. Wir erstreben ein Deutschland, das aus dem Wesen unseres Volkstums seine kulturelle und soziale Ordnung schafft. Wir haben die Vision von einem neuen, besseren Deutschland. Wir wissen außerdem, daß unsere Ziele im Grunde von fast allen Deutschen geteilt werden [...] Weil wir wissen, daß wir Recht haben, setzen wir den politischen Kampf um die Macht in unserem Lande fort [...]"360 Zu diesem Zweck agitiert sie gegen die "Systemparteien" als Träger der rechtsstaatlichen Ordnung und gegen demokratische Prinzipien wie den Pluralismus. Ideologische Grundlage ist ein anti-individualistisches Menschenbild und der völkische Kollektivismus. Freiheitsund Gleichheitsrechte lehnt die NPD mit dem Hinweis auf die Gefahr der "Umvolkung" Deutschlands (gemeint ist eine Verdrängung durch den Zuzug von Ausländern) ab. Das Ziel der NPD ist die Schaffung einer "ethnisch homogenen Volksgemeinschaft"361. Eine Wesensverwandtschaft ihrer Positionen mit der nationalsozialistischen Ideologie und eine Verharmlosung ihrer menschenverachtenden Folgen wird in der Wahl der Begriffe in ihrer Agitation deutlich. Hinzu kommt die Heroisierung führender Repräsentanten und Institutionen des NS-Regimes. Die NPD tritt regelmäßig mit ihrer aggressiven Propaganda öffentlich in Erscheinung. Wenige Jahre nach ihrer Gründung verzeichnete sie mit dem 359 Vgl. S. 64 ff. 360 Bundeswahlprogramm der NPD 2002, S. 7. 361 Holger Apfel: Weder Recht noch Menschlichkeit. In: "Deutsche Stimme" Nr. 9/2003, September 2003. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 209 Einzug in mehrere Landesparlamente ihre ersten Erfolge. Ihren Höhepunkt erlebte die NPD im Jahr 1969, als sie bei der Bundestagswahl mit 4,3 Prozent der Stimmen nur knapp den Einzug in den Deutschen Bundestag verpasste. Danach kam es aufgrund innerparteilicher Querelen zu einem Bedeutungsverlust der Partei. Der seit 1996 amtierende Parteivorsitzende Udo Voigt versucht mit einem "Drei-Säulen-Konzept" eine strategische Neuausrichtung und Wiederbelebung der Partei zu erreichen.362 Demnach konzentriert sich die Arbeit der Partei auf drei strategische Ebenen: den "Kampf um die Straße", den "Kampf um die Köpfe" und den "Kampf um die Parlamente". Das Konzept formuliert das Ziel, die NPD nicht nur als Wahlpartei zu etablieren ("Kampf um die Parlamente"), sondern auch Einfluss auf intellektuelle Diskurse zu nehmen ("Kampf um die Köpfe") und durch provokante Aktionen und Demonstrationen die Basis ihrer Anhängerschaft zu verbreitern ("Kampf um die Straße"). Mit dem "Drei-Säulen-Konzept" und der Öffnung der Partei konnte die NPD einerseits insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern kurzfristig neue, überwiegend jüngere Mitglieder gewinnen. Andererseits war mit der konzeptionellen Neuausrichtung auch eine Radikalisierung der Partei verbunden, die im Jahr 2000 Anlass für die Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht war.363 Das Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD und Auflösung ihrer Parteiorganisation wurde allerdings mit Entscheidung des Zweiten Senats vom 18. März 2003 eingestellt.364 Seitdem bemüht sich die NPD um die Überwindung der Isolation im rechtsextremistischen Lager. Dieser Versuch zeigte erste Erfolge bei der Mobilisierung zur 1. Mai-Demonstration 2004 in Berlin, die mit ca. 2 300 Teilnehmern durchgeführt wurde.365 Bei der Europawahl im Juni 362 Vgl. Holger Apfel: 35 Jahre NPD - Alles Große steht im Sturm. Tradition und Zukunft einer großen Partei. Stuttgart 1999. 363 Vgl. Beschluss des BVerfG vom 18.3.2003, 2 BvB 1/01. Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2001. Berlin 2002, S. 32 - 36; Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2002, Berlin 2003, S. 17 - 20; Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003, Berlin 2004, S. 53 - 56. 364 Im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts fand sich nicht die nach SS 15 Abs. 4 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) für eine Fortsetzung notwendige Zwei-DrittelMehrheit. Eine Minderheit der Richter vertrat die Auffassung, dass die Beobachtung der NPD durch V-Personen, die unmittelbar vor und während des Verbotsverfahrens als Mitglieder des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands fungieren, in der Regel unvereinbar mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren sei. Die Mehrheit hielt eine Fortsetzung des Verbotsverfahrens für geboten. Sie sah in dem Vorgehen der Verfassungsschutzbehörden keinen schwerwiegenden Mangel, der eine Verfahrenseinstellung rechtfertigen könnte. 365 Vgl. Aktuelle Entwicklungen, S. 52 ff. 210 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 scheiterte die NPD dann zwar noch mit ihren Einigungsbemühungen und erreichte lediglich 0,9 Prozent der Stimmen (auch in Berlin 0,9 Prozent). Bei der Landtagswahl in Sachsen im September konnte die Partei jedoch u. a. aufgrund einer Wahlabsprache mit der DVU mit 9,2 Prozent der Stimmen in den Landtag einziehen.366 Im Anschluss daran rief sie mit Erfolg zur Bildung einer "Volksfront" auf. Dieser politische Kurs wurde auf dem Bundesparteitag der NPD im Oktober mit der Wiederwahl Udo Voigts zum Bundesvorsitzenden bestätigt.367 2.2.3 "Die Republikaner" (REP) Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: 1983, Landesverband Berlin 1987 Mitgliederzahl: ca. 7 500 bundesweit (2003: ca. 8 000), ca. 400 in Berlin (2003: ca. 550) Sitz: Berlin Publikationen: "Zeit für Protest"368 (überregional, zweimonatliche Doppelausgabe, Auflage: ca. 10 000) Die Partei "Die Republikaner" (REP) wurde 1983 in München von den ehemaligen CSU-Bundestagsabgeordneten Franz Handlos und Ekkehard Voigt sowie dem Fernsehjournalisten Franz Schönhuber gegründet. Schönhuber hatte den Parteivorsitz bis 1994 inne. Nach innerparteilichen Auseinandersetzungen aufgrund seiner Kontakte zum Vorsitzenden der "Deutschen Volksunion" (= DVU) Gerhard Frey - vor dem Hintergrund der mit dem Parteivorsitz verbundenen Aufgabe der Abgrenzung zu anderen rechtsextremistischen Parteien - trat er 1995 aus der Partei aus. Seit 1994 bekleidet der Rechtsanwalt Dr. Rolf Schlierer das Amt des Parteivorsitzenden. Die REP unterhalten mehrere zielgruppenorientierte Unterorganisationen: die "Republikanische Jugend" (RJ), den "Republikanischen Bund der Frauen" (RBF), den "Republikanischen Bund der öffentlich Bediensteten" (RepBB) sowie den "Republikanischen Hochschulverband" (RHV). Bundesweites Presseorgan der Partei ist die zweimonatlich als Doppelausgabe erscheinende Zeitung "Zeit für Protest". Die REP sind in allen Bundesländern mit einem Landesverband präsent, so auch in Berlin. Unter ihrem Vorsitzenden Rolf Schlierer sind die REP bemüht, sich das Profil einer rechtskonservativen, oppositionellen Kraft innerhalb des demo366 Vgl. S. 46 ff. 367 Vgl. S. 56 ff. 368 Bis Januar 2004 erschienen als "Der Republikaner". Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 211 kratischen Parteienspektrums zu geben. Trotz des formalen Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung handelt es sich bei den REP um eine rechtsextremistische Partei, auch wenn nicht jedes Mitglied verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.369 In der Gesamtschau ergeben sich die verfassungsfeindlichen Tendenzen insbesondere aus der fremdenfeindlichen Ausrichtung der Partei. Die REP sprechen unter Missachtung zentraler Verfassungsgrundsätze Ausländern und Menschen nicht weißer Hautfarbe das gleichwertige Lebensrecht in der staatlichen Lebensgemeinschaft ab und behandeln sie als minderwertige Wesen. Die Partei schürt so Überfremdungsängste und baut Bedrohungsszenarien auf. Für gesellschaftliche und soziale Missstände werden pauschal die ausländischen Mitbürger verantwortlich gemacht und der "Untergang Deutschlands" wird als zwangsläufige Folge der Überfremdung prophezeit. So wird Dr. Rolf Schlierer in der Pressemitteilung "Zuwanderung zerstört unser Land" mit den Worten zitiert: "Am Ende steht ein Kampf der Kulturen als latenter Bürgerkrieg, der dann als sozialer Konflikt schöngeredet wird. Wir bekommen eine Multi-KultiGesellschaft, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zerstört. Wer sich so wie Schwarz-Rot-Grün-Gelb verhält, ist entweder ein politischer Hasardeur oder ein Verfassungsfeind [...]."370 Die REP sind nach der DVU die zweitgrößte rechtsextremistische Partei in der Bundesrepublik Deutschland. Der Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit liegt in Süddeutschland, insbesondere in Baden-Württemberg. Dort waren sie 1992 (10,9 Prozent) und 1996 (9,1 Prozent) in den Landtag gewählt worden. In Berlin erzielten die REP bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 1989 7,5 Prozent. Einen großen Erfolg verzeichneten die REP bei der bundesweiten Wahl zum Europaparlament im Jahr 1989 (7,1 Prozent). Bei der Europawahl im Juni 2004 erzielten die REP jedoch lediglich 1,9 Prozent der Zweitstimmen (in Berlin 1,4 Prozent).371 Mit Ausnahme ihrer Veranstaltungen in Wahlkämpfen treten sie kaum öffentlich in Erscheinung. Seit dem Ausscheiden Schönhubers Mitte der 90er Jahre prägen Wahlniederlagen und interne Streitigkeiten das Bild der Partei. In Folge dessen lähmen die zahlreichen Parteiaustritte der im Machtkampf unterlegenen Gruppierungen die Fortentwicklung der REP. Die wichtigste Konfliktlinie ist die Frage der Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Parteien. Unter der Führung Rolf Schlierers geraten die REP immer weiter in die parteipolitische Isolation. Der Bundesvorstand lehnt eine Zusammenarbeit 369 Vgl. Beschluss des VG Berlin vom 28.6.2001, Az VG 2 A 85.01. 370 Pressemitteilung 22/04 der REP-Bundesgeschäftsstelle vom 26. Mai 2004. 371 Vgl. S. 43 ff. 212 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 insbesondere mit DVU und NPD im Rahmen der Bildung einer "Volksfront" ab.372 Dennoch wurde Schlierer 2004 erneut zum Bundesvorsitzenden gewählt. Der ansonsten öffentlich kaum wahrnehmbare Berliner Landesverband der REP vertritt dagegen in offener Konfrontation mit der Bundesführung einen Kurs der pragmatischen Kooperation und befürwortet zumindest Wahlabsprachen mit anderen rechtsextremistischen Parteien. Auch der Berliner Landesverband wählte 2004 einen neuen Landesvorstand. 2.3 Diskursorientierter Rechtsextremismus 2.3.1 "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (Artgemeinschaft) Organisationsstruktur: eingetragener Verein Mitgliederzahl: ca. 150 bundesweit (2003: ca. 150), 20 in Berlin (2003: ca. 20) Entstehung/Gründung: 1951 Sitz: Berlin Publikation: "Nordische Zeitung" (vierteljährlich, Auflage ca. 300) Die "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (Artgemeinschaft) ist eine heidnisch-germanische Weltanschauungsgemeinschaft. Seit ihrer Gründung im Jahre 1951 sind in ihr verschiedene heidnische und germanische Kleingruppen aufgegangen. Vorsitzender ist seit 1988 der Neonazi Jürgen Rieger (Hamburg). Der rechtsextremistische Multi-Funktionär war auch Funktionär der NPD und der inzwischen verbotenen "Wiking-Jugend e. V.". Mitteilungsorgan der "Artgemeinschaft" ist die "Nordische Zeitung", deren Schriftleiter ebenfalls Rieger ist. Daneben publiziert die "Artgemeinschaft" zwei Schriftenreihen, eine Buchreihe und Einzelschriften in geringerer Auflage. Die "Artgemeinschaft" versteht sich als religiöse Gemeinschaft, die sich "zum germanischen Kulturerbe und dessen Weiterentwicklung"373 bekennt. Statt der angeblich leibund lebensfeindlichen universalistischen Religionen des Christenund des Judentums bekennt sich die "Artgemeinschaft" zu einem "Leben im Einklang mit den Naturgesetzen"374. Dahinter verbirgt sich eine völkisch-rassistische Weltanschauung, in deren Mittelpunkt die Über372 Vgl. S. 49 f. 373 Das Artbekenntnis. Art. 7. Internetauftritt der "Artgemeinschaft", Aufruf am 12.9.2003. 374 Ebenda, Art. 1. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 213 betonung der eigenen "Rasse" steht. In ihren programmatischen Schriften "Das Artbekenntnis" und "Das Sittengesetz unserer Art" formuliert die "Artgemeinschaft" eine pervertierte Lebensphilosophie, in deren Zentrum nicht das Leben, sondern Kampf, Opfer und Tod stehen. Gesellschaftspolitisches Vorbild ist für die "Artgemeinschaft" eine behauptete germanische Wertund Stammesordnung. Dieses Weltbild basiert auf der biologistisch-rassistischen Annahme von verschiedenen "Menschenarten" mit unterschiedlichen Wertigkeiten. Die Bewahrung und Förderung der eigenen Art ist für die "Artgemeinschaft" das höchste Ziel. Erreicht werden soll dieses Ziel durch "gleichgeartete Gattenwahl, die Gewähr für gleichgeartete Kinder"375. Zwischen den Menschenarten nimmt die "Artgemeinschaft" eine klare Unterscheidung in "Eigene" und "Fremde" vor, wobei erstere als "Freunde", letztere als "Feinde" wahrgenommen werden: "Das Sittengesetz in uns gebietet Treue und Vertrauen, Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit und Freimut, Rücksichtnahme, Zuneigung und Liebe gegenüber Verwandten, Freunden und Gefährten, Wachsamkeit und Vorsicht gegenüber Fremden, Härte und Hass gegen Feinde."376 Die Aktivitäten der "Artgemeinschaft" beschränkten sich in den vergangenen Jahren fast ausschließlich auf die Ausrichtung von bundesweiten und regionalen Festen wie Sommerund Wintersonnenwendfeiern ("Julfeiern"). Die Feste sollen Gemeinschaftserlebnisse sein und tragen meist den Charakter von Familienfeiern; sie haben selten größere Außenwirkung. Gefahr geht von Personenzusammenschlüssen wie der "Artgemeinschaft" dadurch aus, dass sie ihren meist aktionsorientierten Teilnehmern einen lebensweltlichen Gegenentwurf auf heidnischer und völkisch-rassistischer Grundlage bieten. Allerdings schränkt der antimoderne Habitus der "Artgemeinschaft" ihre Anziehungskraft ein. Im Frühjahr 2004 erwarb Rieger im Namen einer "Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisationsforschung" ein "Heisenhof" genanntes Gut in Niedersachsen. Wie bei einem mangels Interessenten gescheiterten Wohnprojekt in Schweden dürfte er die Absicht verfolgen, auf diesem parkähnlichen Gelände Wohnund Veranstaltungsraum für Familien mit rechtsextremistischer Gesinnung zu schaffen. Bisher fanden aufgrund des Renovierungsbedarfes offenbar noch keine Veranstaltungen auf dem Gelände statt. 375 Das Sittenbekenntnis unserer Art. Art. 19. Internetauftritt der "Artgemeinschaft", Aufruf am 12.9.2003. 376 Ebenda, Art. 21. 214 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 In der "Artgemeinschaft" sind auch Berliner Rechtsextremisten vertreten. Besondere Aktivitäten entfaltet der Personenzusammenschluss in Berlin jedoch nicht, da die Mitglieder für ihre Veranstaltungen ländliche Räume bevorzugen. 2.3.2 "Deutsches Kolleg" (DK) Organisationsstruktur: Schulungsorganisation Mitgliederzahl: Einzelpersonen Entstehung/Gründung: 1994 Sitz: Kontaktadresse Würzburg Das "Deutsche Kolleg" (DK) wurde 1994 als Nachfolgeorganisation des Berliner Leserkreises der Wochenzeitung "Junge Freiheit" gegründet. Das DK versteht sich als "Denkorgan des Deutschen Reiches". Es erarbeitet theoretische Konzepte für ein völkisch geprägtes Deutsches Reich, anhand derer die "nationale Intelligenz" geschult werden soll. Die geistige Führung übernahm zunächst Reinhold Oberlercher. 1999 stießen Horst Mahler und Uwe Meenen zum DK. Seitdem intensivierte das DK die programmatischen Ausarbeitungen und Schulungen. Sowohl Mahler als auch Oberlercher waren bereits in der 68er-Bewegung aktiv. Oberlercher hatte nach eigenen Angaben eine führende Position in der "nationalen Fraktion" des "Sozialistischen Studentenbundes" (SDS) inne und bezeichnet sich heute als "völkisch-germanischen Nationalmarxisten". Das ehemalige RAF-Mitglied Horst Mahler war in seiner Funktion als Prozessvertreter im NPD-Verbotsverfahren in die NPD eingetreten und trat kurz nach der Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts öffentlichkeitswirksam wieder aus der Partei aus. Beide sehen in ihrer nationalrevolutionären Programmatik die konsequente Fortführung der Ideologie der 68er-Bewegung. Nach einem Streit zwischen Mahler und Oberlercher ist keine Mitarbeit Mahlers mehr zu verzeichnen. Es steht zu erwarten, dass das DK aufgrund dieser Streitigkeiten an Bedeutung im rechtsextremistischen Lager verlieren wird.377 Auch wenn Mahler mittlerweile aus dem DK ausgeschieden ist, bilden von ihm verfasste Texte noch immer einen wesentlichen Teil der ideologischen Grundlage. Das DK vertritt eine nationalrevolutionäre Ideologie, die Antiliberalismus, Antikapitalismus, Rassismus und Antisemitismus verbindet. Die Völker bestehen für das DK aus verschiedenen Rassen, die je ein geistiges Prinzip vertreten und sich damit feindlich gegenüber stehen. Während die 377 Vgl. S. 67 ff. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 215 Westmächte Frankreich und England für Liberalismus und Individualismus stünden, sei dem deutschen Volk die "Aufhebung des Gegensatzes zwischen dem einzelnen und dem Gemeinwesen in der selbstbewußten Volksgemeinschaft" als Prinzip eigen.378 Die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges hätten jedoch versucht, das deutsche Volk durch ein "System von Fremdherrschaft und Kollaboration"379 - gemeint ist die Bundesrepublik Deutschland - systematisch "umzuerziehen". Der Kampf gegen diesen "Seelenmord" ist das wichtigste Anliegen des rechtsextremistischen Personenzusammenschlusses. Im Denken des DK entspricht der "innerlichen Reinhaltung" des deutschen "Volksgeistes" die "rassisch reine" Volksgemeinschaft. Die Orientierung an der Rasse müsse die zentrale Kategorie der Völker und Nationen werden: "Der Neger ist dem Neger schön, das Schlitzauge dem Schlitzauge sympathisch, der Weiße dem Weißen anziehend. Dem Neger aber ist der Weiße ein Greuel, dem Weißen das Schlitzauge unheimlich. Der Itzig hält den Goy für ein Tier. Warum soll es unschicklich sein, darüber zu reden?"380 Gegenwärtig sei das deutsche Volk jedoch in seiner "nihilistischen und atomistischen Zersetzung"381 durch massenhafte Einwanderung bedroht. Das DK hält einen Aufstand gegen diese Zustände für notwendig: "Nur ein Volk, das sich der Fremden erwehrt, bewahrt sein eigenes Leben."382 Das staatspolitische Ziel des DK ist die Wiederherstellung des Deutschen Reiches unter der Führung der deutschen Fürsten. Antisemitismus nimmt in der Ideologie des DK eine zunehmend zentrale Rolle ein. Juden sind für das DK als "Anti-Volk" der "ewige Feind".383 In gängiger antisemitischer Weise behaupten die Theoretiker des DK, "die Juden" versuchten, aus Geldund Machtgier die Welt mithilfe der liberalen kapitalistischen Ordnung unter ihre Herrschaft zu bringen. Ihr Ziel sei "die unangefochtene jüdische Welthirtschaft".384 Auch die "Umerziehung" sei ein Werk der Juden, um das deutsche Volk niederzuhalten.385 Diese Überlegun378 Horst Mahler: Zur heilsgeschichtlichen Lage des Deutschen Reiches, Art. 69. Internetauftritt des DK, eingestellt am 15.6.2002. 379 Flugblatt des DK. Internetauftritt des DK, Aufruf am 25.9.2003. 380 Ebenda, Art. 40. 381 Ebenda, Art. 47. 382 Ebenda, Art. 38. 383 Ebenda, Art. 18. 384 Terrorwarnung! Internetauftritt des DK, eingestellt am 10.7.2002. 385 Horst Mahler: Zur heilsgeschichtlichen Lage des Deutschen Reiches, Art. 207. Internetauftritt des DK, eingestellt am 15.6.2002. 216 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 gen des DK münden in einen offenen Revisionismus. Die Schuld am Ersten und Zweiten Weltkrieg weist das DK allein den Westmächten zu, die Deutschland angegriffen hätten, da sie dessen geistige Führerschaft befürchteten. Das DK behauptet, "daß der von dem jüdischen Weltkongreß schon im März 1933 dem Deutschen Reich erklärte Krieg mit den mehr als 60 Millionen Kriegstoten einzig und allein zur Verteidigung der Weltmacht des Geldes, also der Weltherrschaft der Juden, mit dem Ziel der totalen Vernichtung des Deutschen Reiches angezettelt worden" sei.386 Seine eigene Aufgabe sieht das DK darin, durch "Theorien, Schulungen, Programme, Erklärungen und Wortergreifungen" die "nationale Intelligenz" zu schulen. Es möchte damit einen "Beitrag zur Wiederherstellung der vollen Handlungsfähigkeit des Deutschen Volkes als Deutsches Reich" leisten. Bevor es zum tatsächlichen Umsturz des politischen Systems kommen könne, müsse der Zeitgeist vom Liberalismus befreit und im "nationalen" Sinne geprägt werden. Dabei will das DK die Führungsrolle übernehmen. Das DK verbreitet die Texte Mahlers und Oberlerchers hauptsächlich über das Internet. Eine weitere Aktionsform des DK sind die regelmäßig durchgeführten Seminare zu Themen der Wirtschaft, der Geschichte und der Philosophie. Diese finden hauptsächlich in Thüringen statt. Auch wenn das DK zur Zeit eine der bekanntesten Schulungsorganisationen ist, ist sowohl die gesamtgesellschaftliche als auch die szene-interne Wirkung des DK beschränkt. Die Konzeptionen des DK werden im diskursorientierten Rechtsextremismus zwar stark rezipiert, stoßen allerdings wegen ihres hohen Abstraktionsgrades und schweren Verständlichkeit oft auf Ablehnung. Aufgrund ihres Artikels "Ausrufung des Aufstandes der Anständigen" wurden die Funktionäre des DK, Horst Mahler, Reinhold Oberlercher und Uwe Meenen, wegen Volksverhetzung gemäß SS 130 StGB angeklagt. Oberlercher und Meenen wurden am 7. Dezember 2004 zu geringfügigen Geldstrafen verurteilt. Mahler, der zusätzlich wegen volksverhetzender Aussagen in einem Schriftsatz aus dem NPD-Verbotsverfahren angeklagt war und im Prozessverlauf anhaltend antisemitische Texte vorgetragen hatte, wurde dagegen am 12. Januar 2005 zu einer Haftstrafe von neun Monaten ohne Bewährung verurteilt. Er hat dagegen Rechtsmittel eingelegt. Das DK stellte am 15. November 2004 unter dem Titel "Letztes Wort zum 386 Horst Mahler: Zur heilsgeschichtlichen Lage des Deutschen Reiches, Art. 113. Internetauftritt des DK, eingestellt am 15.6.2002. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 217 politischen Schauprozess gegen das Deutsche Kolleg" eine antisemitische Erklärung auf seiner Homepage ein: "Aus einem Vermerk in den Ermittlungsakten geht hervor, daß die politische Abteilung der Berliner Staatsanwaltschaft von Vertretern der jüdischen Gemeinde unter Druck gesetzt wurde, gegen das Deutsche Kolleg wegen der Forderung des Verbots der jüdischen Gemeinden einen Strafprozeß anzustrengen. Da diese Forderung aber nun selbst unter den 130er Gesinnungsgummiparagraphen des BRD-StGB nicht subsumiert werden kann, wurden Scheinargumente aus dem 100-Tage-Programm vorgeschoben."387 2.3.3 "Heimattreue Deutsche Jugend e. V." (HDJ) Organisationsstruktur: eingetragener Verein Entstehung/Gründung: 1990 Mitgliederzahl: ca. 100 bundesweit (2003: ca. 100), ca. 15 in Berlin (2003: ca. 15) Sitz: Berlin Publikationen: "Funkenflug" (vierteljährlich) Die "Heimattreue Deutsche Jugend e. V." (HDJ) ist ein neonazistischer Jugendverband mit Sitz in Berlin. Sie entstand im Jahre 1990 als Abspaltung des rechtsextremistischen "Bundes Heimattreuer Jugend" nach einem Richtungsstreit. Zunächst firmierte sie unter "Die Heimattreue Jugend - Bund für Umwelt, Mitwelt und Heimat e. V." (DHJ). Den heutigen Namen gab sie sich im Jahr 2001. Die HDJ gibt die Zeitschrift "Funkenflug" heraus. Die HDJ beschreibt sich selbst als "die aktive volksund heimattreue Jugendbewegung für alle deutschen Mädel und Jungen im Alter von 7 bis 25 Jahren".388 Ihre rechtsextremistische, nationalistische Ideologie versucht sie hinter einer Selbstcharakterisierung als traditionsbewusst und wertorientiert ("volksund heimattreu") zu verbergen. Die HDJ behauptet, einzutreten für "eine Lebensführung, die sich ganzheitlich in einem gesunden Körper, Geist und Charakter wiederspiegelt. Für ein Leben mit Tradition und Werten wie Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, Hilfsbereitschaft, Kameradschaft, Treue. Gegen die Abwertung des Lebens durch Oberflächlichkeit, Beliebigkeit, Kulturlosigkeit und Verrohung".389 387 Letztes Wort zum politischen Schauprozess gegen das Deutsche Kolleg. Internetauftritt des DK, datiert 15.11.2004. 388 Internetseite der HDJ, Aufruf am 18.9.2003. 389 Internetseite der HDJ, Aufruf am 18.9.2003 (Fehler im Original). 218 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Die HDJ reklamiert in gebietsrevisionistischer Art sowohl Österreich und Südtirol als auch Schlesien und Ostpreußen als deutsches "Kernland".390 So wird in dem auf der Homepage eingestellten Gedicht "Deutsche Oder" Anspruch auf ehemalige Ostgebiete erhoben, der auch kriegerisch umgesetzt werden könne: "Denn ein Fluß mit deutschem Klange / ist zu deutschem Land bestimmt / Und der Strom wird zum Begleiter, / wenn ein Volk einst Rache nimmt."391 Kampf gegen "Feinde" im Inneren und von außen, Opfer und "Pflichtbesessenheit" bis in den Tod werden in einem weiteren Gedicht als "Deutsche Tugend" gefeiert: "Opfermut, das 'Ich' vergessen / Vor dem 'Wir', das alles birgt / Und wenn der müde Körper stirbt / Dann, selbst dann noch pflichtbesessen / Tapferkeit, in allen Lagen / Auch wenn der Feind im Lande tobt / Wenn's eigne Volk den Feind noch lobt / Dann, selbst dann nicht zu verzagen."392 Ähnlich wie bei der seit 1994 verbotenen "Wiking Jugend" (WJ) zielt das Lebensbund-Konzept der HDJ darauf ab, ein rechtsextremistisches lebensweltliches Freizeitangebot für die ganze Familie zu bieten. Kinder und Jugendliche sollen bereits in jungen Jahren durch vorgeblich unpolitische Aktivitäten (Fahrten, Zeltlager, völkisches Brauchtum, Singen und körperliche Ertüchtigung) für die rechtsextremistische Szene gewonnen werden. So wurden 2004 eine Osterwanderung, eine Segelfahrt oder auch der überregional ausgerichtete "4. Märkische Kulturtag" angeboten. Bei diesen Aktivitäten wird systematisch eine rechtsextremistische, am Ideal der "Volksgemeinschaft" orientierte politische Kultur vermittelt. Das Lebensbundkonzept soll darüber hinaus verhindern, dass ältere Mitglieder nach Familiengründung aus der rechtsextremistischen Szene ausscheiden. 390 Das "Fahrtenjahr 2003" stand unter dem Motto "Wir erleben das Reich" und man reiste "durch uraltes Kernland an die südliche Grenze des Reiches nach Südtirol". Zit. nach: Großfahrt 2003. In: "Funkenflug" Nr. 3/2003, S. 11 f. 391 Jörg Hähnel: Deutsche Oder. Internetauftritt der HDJ, Aufruf am 4.9.2003. 392 Lars Hellmich: Deutsche Tugend. Internetauftritt der HDJ, Aufruf am 4.9.2003. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 219 2.3.4 "Kampfbund Deutscher Sozialisten" (KDS) Organisationsstruktur: Vereinigung; regionale Stützpunkte, koordiniert durch Bundesleitung Mitgliederzahl: ca. 50 bundesweit (2003: ca. 50) Entstehung/Gründung: 1999 Sitz: Berlin Publikationen: "Gegenangriff" (unregelmäßiges Erscheinen); "Wetterleuchten" (meist jährlich) Der "Kampfbund Deutscher Sozialisten" (KDS) ist eine der heterogensten Organisationen des deutschen Rechtsextremismus. In ihm vereinen sich aktionsorientierte und diskursorientierte Rechtsextremisten. Eine funktionierende hierarchische Gliederung hat der am 1. Mai 1999 gegründete KDS nur in Ansätzen. Er gliedert sich in eine Vielzahl von Gauen, Sektionen und Bezirken, über denen formal eine vierköpfige Führungsgruppe steht. Das offizielle Organ des KDS ist der "Gegenangriff". Als "Theorieorgan" fungiert die Zeitschrift "Wetterleuchten". Beide werden vor allem im Internet verbreitet. Daneben existiert eine Anzahl kleinerer KDS-Publikationen. Der KDS in seiner Gesamtheit vertritt weder ein einheitliches Programm noch eine einheitliche Ideologie. Er bezeichnet sich selbst als "parteiund organisationsunabhängige(n) Zusammenschluß auf der Basis des Bekenntnisses zu Volk und Heimat"393. Als programmatische Grundlage dient die "Langener Erklärung"394. Dieses Gründungsmanifest enthält jedoch keine ausgearbeitete Programmatik. Einig sind sich die Mitglieder des KDS in der Betonung des Nationalstaats und der Ablehnung aller "internationaler" Tendenzen. Jedes Volk habe das Recht auf Selbstbestimmung. Diese sei durch "internationalistische" Bestrebungen wie Imperialismus, Kapitalismus, Liberalismus und Globalisierung ("One-World-Terror") bedroht. Als Triebkräfte der Globalisierung und des Imperialismus klagt der KDS vor allem die USA und Israel an. Auf diesem Wege mischen sich auch antisemitische Töne und Parolen in Aussagen des KDS. Seine Ziele fasst der KDS zusammen in dem Aufruf: "Gegen 'One-World-Gesellschaft' und gegen die Diktatur des Kapitals! Für das Selbstbestimmungsrecht der Völker!"395 Dieses knappe Programm erlaubt es dem KDS, sich zugleich auf Joseph Goebbels, Friedrich Engels und Ernst Thälmann zu berufen und in Jassir Arafat, Slobodan Milosevic, Kim Jong Il und Saddam Hussain zeitgenössische Vorbilder im "Befreiungskampf" gegen "US-Imperialisten" zu sehen. 393 Internetauftritt des KDS, Aufruf am 4.3.2003. 394 Langener Erklärung. Internetauftritt des KDS, Aufruf am 4.3.2003. 220 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Die Berliner Organisationseinheit des KDS ist nationalrevolutionär bis nationalbolschewistisch geprägt und beinahe ausschließlich diskursorientiert. Sie nimmt im KDS eine gewisse Sonderrolle ein. Während vor allem in westdeutschen Organisationseinheiten des KDS in Anlehnung an die ehemalige "Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Aktivisten" (ANS/NA) des Michael Kühnen die NS-Verherrlichung dominiert, vertritt der Berliner KDS mit der Verehrung ehemaliger SED-Größen eine "linke" Position im KDS. Die stärker antikapitalistische Ausrichtung der Berliner KDS-Abteilung wird unter anderem in der von ihr herausgegebenen Publikation "Wetterleuchten" deutlich. Sie erscheint in geringer Auflage und enthält jeweils nur eine sehr ausführliche Abhandlung. In sieben Kapiteln sollen die "Grundsätze eines Sozialistischen Nationalismus" abgehandelt werden. Einen ausformulierten Gegenentwurf einer Gesellschaftsordnung legte der KDS unter dem Titel "Die 'Sozialistische Nation' ist die nachkapitalistische Alternativ-Ordnung der Zukunft" mit dem 6. Grundsatz vor. Darin wird nicht nur der Kapitalismus als Wirtschaftsordnung abgelehnt, sondern auch die sich daraus ergebende pluralistische Gesellschaftsund demokratische Staatsform.396 Der KDS versteht sich als "Diskussionsund Kampfforum". Sein Ziel, ein politischer Faktor im Land zu werden, möchte der KDS über eine "Annäherung 'rechter' und 'linker' Sozialisten" erreichen. Bundesweit erzielt der KDS jedoch nur eine geringe Resonanz. Den KDS-Funktionären gelingt es nicht, die umworbenen extremistischen Kräfte unter ihrer Führung zusammen zu fassen. Dies verhindert auch die unorthodoxe Mischung von linksund rechtsextremistischen Ideologieelementen. Der Berliner KDS fällt in der Öffentlichkeit meist nur durch unerwartete symbolische Aktionen wie eine Grußadresse an Saddam Hussain auf. Seine Aktivitäten beschränken sich beinahe ausschließlich auf interne Schulungsveranstaltungen und vereinsähnliche Treffen. Im Jahr 2004 gab es darüber hinaus zwei Reisen von KDS-Delegationen nach Moskau. Im August besuchten KDS-Angehörige dort den international bekannten Revisionisten Jürgen Graf, eine Reise, über die auch auf der Webseite des KDS berichtet wird. Der Artikel schließt mit dem Wunsch: "Mögen wir mit diesem Besuch den Grundstein für einen zweiten 396 Die "Sozialistische Nation" ist die nachkapitalistische Alternativ-Ordnung der Zukunft. In: "Wetterleuchten" Nr. 7/2003, Dezember 2003. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 221 23. August 1939 gelegt haben."397 In einer "Sonderausgabe" der Publikation "Gegenangriff" vom November berichten KDS-Funktionäre begeistert von ihrer Teilnahme an dem Parteitag einer rechtsextremistischen Partei im Oktober in Moskau. Eine Abbildung zeigt einen KDS-Vertreter eingerahmt von drei Personen, die den Hitlergruß zeigen. Die Bildunterschrift lautet: "In Moskau nicht verboten: Russische Jungrevolutionäre grüßen mit dem Deutschen Gruß!"398 2.3.5 "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" (N&E) Organisationsstruktur: Zeitschrift Sitz: Nation Europa Verlags GmbH, Coburg Herausgeber: Peter Dehoust Entstehung/Gründung: 1951 Auflage: überregional, monatlich ca. 18 000 Die Zeitschrift "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" (N&E) wurde 1951 von dem ehemaligen SS-Sturmbannführer Arthur Erhardt gegründet. Sie erschien unter wechselnden Titeln, zuletzt bis 1990 als "Nation Europa - Deutsche Rundschau". Herausgegeben wird die Zeitschrift monatlich (gelegentlich zweimonatlich) von Peter Dehoust und Harald Neubauer. Dehoust war Funktionär der NPD (=), der "Gesellschaft für freie Publizistik" (GfP) und der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH). Neubauer trat ebenso als Funktionär der NPD, als Redakteur im DSZ-Verlag Gerhard Freys (= DVU), als Funktionär der Partei "Die Republikaner" (= REP) und der DLVH in Erscheinung. Zeitweilig trat auch Adolf von Thadden (Vorsitzender der NPD von 1967 - 1971) als Mitherausgeber auf. Zur Redaktionsgemeinschaft gehört außerdem Karl Richter. Er ist ebenfalls Vorstandsmitglied der GfP und Mitarbeiter im rechtsextremistischen Grabert-Verlag. Der zugehörigen "Nation Europa Verlags GmbH" ist ein Versandbuchhandel mit einem umfangreichen Angebot rechtsextremistischer Literatur angegliedert. "Nation & Europa" versteht sich als überparteiliches Theorieund Strategieorgan. Laut ihrer Web-Seite ergreift die Zeitschrift Partei für "ein einiges Deutschland in einem Europa freier Völker und für den Nationalstaat als be397 In: "Der rot-braune Kanal". 47. Auflage, August 2004. Internetauftritt des KDS, Aufruf am 24.9.2004. Am 23.8.1939 wurde der unter dem Namen "Hitler-Stalin-Pakt" bekannt gewordene deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt in Moskau unterzeichnet. 398 In: "Der Gegenangriff". Sonderausgabe. Berlin, November 2004, S. 4. 222 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 währtes Ordnungsprinzip".399 Sie agitiert gegen einen "EU-Vielvölkerstaat", den "Ausverkauf nationaler Lebensinteressen" und die "multikulturelle Zerstörung der Volksidentität durch Masseneinwanderung und Asylmissbrauch".400 Sie besetzt damit traditionelle rechtsextremistische Themenfelder und verbreitet Überfremdungsängste im Zusammenhang mit der europäischen Einigung und der Globalisierung. Inhaltliche Schwerpunkte der Berichterstattung bildeten 2004 die EU-Osterweiterung, Beiträge zur Politik Israels sowie Artikel über die angebliche Unfähigkeit des politischen Systems zur Lösung insbesondere sozialer Probleme. Die Zeitschrift bemüht sich um eine intellektuelle Vernetzung europäischer Rechtsextremisten. Die organisationsübergreifende Bedeutung und die weitreichenden Verbindungen der Zeitschrift werden an den Gastbeiträgen inund ausländischer Autoren deutlich. Diese finden in N&E ein Diskussionsforum und eine Plattform zur Verbreitung ihres Gedankenguts. 2.3.6 Revisionismus Revisionismus ist eine Sammelbezeichnung für "politisch motivierte Umdeutungen durch einseitige, leugnende, relativierende oder verharmlosende Darstellungen der Zeit des Dritten Reiches".401 Revisionisten benutzen pseudowissenschaftliche Argumente, um ihre rechtsextremistischen Positionen zu rechtfertigen und moralisch zu entlasten. Typische Argumentationsmuster der Revisionisten sind: * die Leugnung der Kriegsschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg, * die Umdeutung des Angriffskrieges Adolf Hitlers gegen die Sowjetunion als notwendigen Präventivkrieg gegen die "bolschewistische Expansion", * die Leugnung der Existenz oder des Umfangs des Holocaust, * das "Aufrechnen" der NS-Verbrechen mit den alliierten Bombenangriffen gegen deutsche Städte oder den Vertreibungen von "Volksdeutschen" nach Ende des Zweiten Weltkrieges, * die Betonung vermeintlich positiver Leistungen des NS-Regimes ("Autobahn-Bau", "Arbeitslosigkeit gesenkt") oder die Argumentation, der 399 Internetauftritt von N&E, Aufruf am 25.9.2003. 400 Ebenda. 401 Armin Pfahl-Traughber: Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. 2. Auflage. München 2000, S. 47. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 223 Nationalsozialismus sei eigentlich eine gute Idee gewesen, die nur schlecht ausgeführt worden sei. Die Veröffentlichung revisionistischer Literatur setzte in den 50er Jahren ein. Bekannt wurden Autoren wie Peter Kleist ("Auch Du warst dabei"), David Hoggan ("Der erzwungene Krieg. Die Ursachen und Urheber des Zweiten Weltkriegs") und Udo Walendy ("Wahrheit für Deutschland. Die Schuldfrage des zweiten Weltkriegs"). Der Revisionismus ist kein Phänomen, das auf Deutschland beschränkt ist, sondern spielt vor allem in den USA aber auch im europäischen Ausland eine Rolle. Da die Leugnung des Holocaust in Deutschland strafbar ist (SS 130 Abs. 3 StGB), agieren die Propagandisten der "Auschwitz-Lüge" vor allem vom Ausland aus, so bis zu seinem Tod Thies Christophersen ("Die AuschwitzLüge") und Ernst Zündel. Von besonderer Bedeutung sind der "LeuchterReport", der im Zusammenhang mit dem Prozess gegen den in Kanada lebenden Zündel verfasst wurde, und das "Rudolf-Gutachten" des deutschen Rechtsextremisten Germar Rudolf. Hier wird mit pseudonaturwissenschaftlichen Methoden versucht, die Massenermordung in Auschwitz als technisch unmöglich darzustellen. 2.3.7 "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) Organisationsstruktur: Verein Entstehung/Gründung: 2003 Mitgliederzahl: ca. 120 bundesweit, ca. 10 in Berlin Sitz: Berlin Publikationen: "Reichsbürgerbrief" (überregional, unregelmäßig) Der "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) wurde am 9. November 2003 in Vlotho (NordrheinWestfalen) gegründet. Der Verein hat seinen Sitz in Berlin. Vorsitzender ist der Schweizer Revisionist Bernhard Schaub, der seit Jahren regelmäßig bei Vortragsveranstaltungen und Demonstrationen von Rechtsextremisten als Redner auftritt und mehrere Artikel und Bücher verfasste, in denen der Holocaust geleugnet wird (= Revisionismus).402 Geschäftsführer ist ein Berliner Rechtsextremist. 402 Auch die weiteren im Internet genannten Gründungsmitglieder sind durchweg bekannte Holocaust-Leugner (u. a. Ernst Zündel, Robert Faurisson, Germar Rudolf, Frederick Toben). 224 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Obwohl Horst Mahler selbst keine offizielle Funktion übernommen hat, gibt es Hinweise darauf, dass er der führende Kopf und Initiator des Vereins ist. Das Konzept trägt Mahlers Handschrift und er verfasst nahezu alle Texte des VRBHV.403 Der Zweck des VRBHV ist in der Gründungserklärung niedergelegt. Darin heißt es: "Der von den Unterzeichnern hiermit gegründete "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Verfolgten" soll durch organisierte Anstrengungen die bisher vorherrschende Vereinzelung der Verfolgten aufheben, ihrem Kampf um Gerechtigkeit die notwendige Wahrnehmung in der Öffentlichkeit gewährleisten und die finanziellen Mittel für einen erfolgreichen Rechtskampf bereitstellen."404 Weiterhin beschließen die Unterzeichner, "die Wiederaufnahme aller Strafverfahren zu fordern, die zur Verurteilung wegen Verstoßes gegen SS 130 StGB mit der Begründung geführt haben, daß der Holocaust in dem beschriebenen Sinne eine 'offenkundige Tatsache' sei, die keines weiteren Beweises mehr bedürfe."405 Allerdings zielt der Initiator des Vereins, Horst Mahler, vielmehr darauf ab, die historische Tatsache des Holocaust zu widerlegen. Mittel zu diesem Zweck soll ein neuer "Auschwitzprozess" werden, der als Revision des Frankfurter Auschwitzprozesses (1963 - 1965) konzipiert werden soll.406 Laut Mahler stehe die internationale Gemeinde der revisionistischen "Wissenschaftler" bereit, sich in einem solchen Prozess zu engagieren.407 Das "Dogma" des Holocaust sei das ideelle Fundament der Bundesrepublik Deutschland, die von den Siegermächten nach dem Zweiten Weltkrieg völkerrechtswidrig als "Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschaft" (OMF) installiert worden sei. Dieses "Dogma" verhindere die freie und selbstbestimmte Entfaltung des deutschen Volkes und führe zum "Seelenmord" an den Deutschen. Als tatsächlicher Zweck des VRBHV wird daher in der Gründungserklärung angegeben: "Reichsbürger treten dem VRBHV bei, um endlich den Allgemeinen Volksaufstand zur Wiedererlangung der Handlungsfähigkeit des deutschen Reiches durch einen organisierten und geordneten Angriff auf die 403 Vgl. S. 67 ff. 404 Gründungserklärung, Internetauftritt des VRBHV, datiert 9.11.2003. 405 Ebenda. 406 Vgl. S. 67 ff. 407 Horst Mahler: Offener Brief an den Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten, datiert 16.3.2004. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 225 Auschwitzlüge als dem Fundament der Fremdherrschaft über das Deutsche Reich zu beginnen."408 Die Ausrufung dieses "Allgemeinen Volksaufstandes"409 kann als Kern der Mahlerschen Ideologie angesehen werden. Insofern steht die Vereinsgründung im Kontext einer langfristigen Kampagne Horst Mahlers. Er instrumentalisiert dabei eine Untersuchung des SPIEGEL-Redakteurs Fritjof Meyer vom Mai 2002, in der dieser zu dem Schluss kommt, in Auschwitz seien weniger Juden umgekommen als bislang angenommen. Meyers kritische Betrachtung aktueller Forschungsergebnisse griff Mahler bereits 2003 auf, um sie als Rechtfertigung für seine politischen Aktionen von der Selbstanzeigen-Kampagne wegen Bezweifelns des Holocaust über das "Verdener Manifest" bis hin zur geplanten Auschwitzreise zu missbrauchen.410 Die Agitation des VRBHV gegen die Holocaust-Geschichtsschreibung führte in der Zwischenzeit zu mehreren Gerichtsverfahren wegen Verstoßes gegen SS 130 StGB (Volksverhetzung). 408 Gründungserklärung. Internetauftritt des VRBHV, datiert 9.11.2003. 409 Internetauftritt des VRBHV, Aufruf am 8.12.2003. 410 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003. Berlin 2004, S. 67 - 70. 226 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 3 Linksextremismus 3.1 Aktionsorientierter Linksextremismus 3.1.1 "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB) Organisationsstruktur: Gruppe Entstehung/Gründung: 2003 in Berlin Mitgliederzahl: ca. 60 (2003: ca. 30) Sitz: Berlin Publikation: Flugund Faltblätter Die Vorgängerorganisation der "Antifaschistischen Linken Berlin" (ALB) wurde Mitte 1993 in Berlin von militanten Autonomen aus Passau - zunächst unter der Bezeichnung "Antifa A+P (Agitation und Praxis)", danach "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB) - gegründet. Diese war eine der mitgliederstärksten und politisch aktivsten autonomen "Antifa"-Gruppen in Berlin. Nach eigener Darstellung hat sich die AAB am 13. Februar 2003 "aufgelöst" und in zwei etwa gleich starke Gruppen - die "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB) und die Gruppe "Kritik & Praxis B3rlin" (= KP) - gespalten.411 Auf ihrer Internet-Homepage bietet die ALB neben grundlegenden Ausführungen - etwa zum praktizierten Antifaschismus - Diskussionsforen und aktuelle Informationen zu Aktionsschwerpunkten, Kampagnen sowie überregionalen Aktivitäten an. Die ALB propagiert einen militanten Antifaschismus, der sich gegen tatsächliche und vermeintliche "Nazis" richtet. Sowohl die Veröffentlichungen und Positionserklärungen der ALB als auch die personellen Kontinuitäten machen deutlich, dass sie die Nachfolgeorganisation der AAB ist. Das maßgebliche Personenpotenzial der ehemaligen AAB führt politische Absichten und praktische Aktionsformen als ALB fort.412 Sie verfolgt Ziele, die gegen den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet sind. Das kommt z. B. in dem Aufruf der ALB zu Protesten gegen den Irak-Krieg zum Ausdruck: "NO NATION - NO WAR - NO CAPITALISM! - WE WILL STOP YOU!" und in Slogans wie "SMASH CAPITALISM!". Noch deutlicher wird die Organisation in einem Aufruf zur Liebknecht-Luxemburg-Demonstration: 411 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2003, Berlin 2004, S. 97 f. 412 Vgl. S. 76, 93 und 102. Hintergrundinformationen - Linksextremismus 227 "Der Kapitalismus ist nicht das Ende vom Lied. Die Revolution war, ist und bleibt großartig. Freiheit ist auch die Freiheit, den Staat zu zerstören und im Übrigen sind wir der Meinung, dass alles andere Quark mit Soße ist!"413 3.1.2 Autonome Entstehung/Gründung: ab 1980 Mitgliederzahl: ca. 5 000 bundesweit (2003: ca. 5 000), ca. 1 040 in Berlin (2003: ca. 1 080) Berlin bildet einen regionalen Schwerpunkt der autonomen Szene in Deutschland. Die Anfänge der autonomen Szene reichen zurück bis zum Beginn der 80er Jahre. Aus Kreisen weder organisationsgebundener noch im traditionellen Sinne ideologisch festgelegter, so genannter undogmatischer Linksextremisten erschienen damals Thesen und Diskussionspapiere, deren Verfasser sich als "autonom" bezeichneten. Sie sprachen von einer "neuen autonomen Protestbewegung", die den "Koloss Staat" mit dezentralen Aktionen, mit "Phantasie und Flexibilität", mit "vielfältigen Widerstandsformen auf allen Ebenen" angreifen müsse. Es gelte, "den bürgerlichen Staat zu zerschlagen". Der Einsatz von "befreiender Gewalt" - sowohl gegen Menschen als auch gegen Objekte - als politisches Mittel gegen die "strukturelle Gewalt" der Gesellschaft und des Staates,414 stellt für die autonome Szene ein unverzichtbares Element ihrer "revolutionären Politik" dar.415 Während sie ihren unversöhnlichen Hass auf das politische und gesellschaftliche System durch gezielte militante, bisweilen terroristische Aktionen zum Ausdruck bringt, lehnt sie zugleich das staatliche Gewaltmonopol kategorisch ab: "Manche werfen ihren ersten Stein als offensiven Akt der Befreiung, andere aus Notwehr gegen die Bullen. Aber allen ist gemeinsam, dass die Militanz zum identitätsstiftenden, prägenden Bestandteil der Bewegungserfahrung wird."416 413 Internetauftritt der ALB, Aufruf am 19.1.2005. 414 Vgl. Fridolin: Wo ist Behle? (Es handelt sich um ein unter Pseudonym geschriebenes Papier, das sich mit strategischen Fragen, auch dem Einsatz von Gewalt, auseinandersetzt und im März 1998 im "INTERIM"-Sonderheft "Bewegung - Militanz - Kampagne" veröffentlicht wurde.) 415 Die Bandbreite an Aktionsformen reicht von Demonstrationen, Informationsbzw. Diskussionsveranstaltungen, Vorträgen, Ausstellungen, der Herausgabe von Steckbriefen über politische Gegner, Flugblättern und Broschüren über Störaktionen, Blockaden, Brandanschläge und andere Sachbeschädigungen bis hin zu Überfällen auf tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, wobei im Extremfall der Tod des Opfers billigend in Kauf genommen wird. 416 Mehr als nur eine kämpferische Haltung: Autonome Militanz: In: Autorenkollektiv AG Grauwacke: Autonome in Bewegung. Berlin 2003, S. 141 - 160, hier S. 142. 228 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Ihre Aktionsfelder beziehen sich auf Themen, die in hohem Maße polarisieren: Faschismus, Imperialismus, Kapitalismus, Militarismus, Rassismus, Sexismus werden als wesentliche Bestandteile des herrschenden politischen Systems betrachtet, das es abzuschaffen gilt. Die Autonomen diffamieren den Verfassungsstaat, lehnen das parlamentarische System ab und vertreten Versatzstücke kommunistischen und anarchistischen Gedankenguts. Das Ziel besteht darin, eine "unterdrückungsfreie Gesellschaftsordnung" zu erkämpfen. Ihre Ziele versuchen die Autonomen regelmäßig mittels Anschlägen zumeist gegen Firmen oder staatliche Stellen, die in ihren Augen das System repräsentieren, der Öffentlichkeit zu vermitteln.417 Die Auseinandersetzung mit den Themen Antifaschismus, Antimilitarismus, Antiimperialismus, Antisexismus, Antikapitalismus und Antirassismus verläuft dabei nicht in geraden Linien: Zum einen ist eine geschlossene theoretische Fundierung vielen Anhängern verdächtig, da sie ihrem Anspruch, autonom zu leben, widerspricht. Zum anderen versuchen sie, Protestbewegungen zu instrumentalisieren, um über sie - mit unterschiedlichem Erfolg - ihre Ideologie zu vermitteln. Das Verhältnis zur Theorie ist bei den einzelnen Gruppierungen der Autonomen unterschiedlich. Zu nennen sind zum einen die so genannten Altautonomen, die sich der autonomen Szene seit deren Entstehung418 bis Mitte der 80er Jahre anschlossen. Sie suchten die Vernetzung mit Hausbesetzern und bürgerlichen Protestbewegungen wie AKW-Kritikern, Startbahn-West-Gegnern und der Friedensbewegung.419 In ihrer Selbstsicht verstehen sie sich als gesellschaftliche Avantgarde.420 "Unser Problem besteht vielmehr darin, es mit einer Bevölkerung zu tun zu haben, die zum überwiegend großen Teil mit den hier herrschenden Verhältnissen identifiziert ist, und zwar unabhängig davon, inwieweit diese ihr zum Vorteil gereichen oder nicht." Die Altautonomen gehören einem zahlenmäßig kleinen, ideologisch gefestigten und besonders theoretisch fundierten Kreis mit engen persönlichen 417 Vgl. S. 79 ff. 418 Die öffentliche Rekrutenvereidigung in Bremen am 6.5.1980, die zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten führte, gilt als die Geburtsstunde der autonomen Szene in Deutschland. Die Gewaltwelle der Jahre 1980/81 blieb bisher der quantitative Höhepunkt dieser Szene. Vgl. Verfassungsschutzbericht Berlin 1995, S. 14 ff. 419 Bürgerinitiativen, die sich in den benannten Bereichen engagiert haben, sind nicht Gegenstand der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Jedoch haben Vertreter des autonomen Spektrums häufig versucht, Protestbewegungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Dies gelang in unterschiedlicher Intensität und mit wechselnder Nachhaltigkeit. 420 Internetveröffentlichung "Fridolin: Wo ist Behle?" S. 24. Hintergrundinformationen - Linksextremismus 229 Verbindungen an, der über szeneinterne Autorität verfügt und vorwiegend klandestin, abseits vom Tagesgeschehen operiert. Von diesen Autonomen der ersten Generation sind jene zu unterscheiden, die ebenfalls stark motiviert sind, allerdings erst ab den späten 80er Jahren zur Szene stießen. Sie bilden gegenwärtig den harten Kern und sind federführend bei der Organisation von Veranstaltungen, Protestaktionen und Anschlägen. Sie sind ideologisch gefestigt, verfügen jedoch nur selten über ein ähnlich theoretisch fundiertes Wissen wie die Altautonomen.421 Aufgrund ihrer aktionistisch ausgerichteten Vorgehensweise binden und rekrutieren sie Autonome der jungen Generation. Deren Mitglieder fluktuieren stark, sind zumeist im Ausbildungsalter und haben oft lediglich vage linksextremistische Vorstellungen.422 Sie haben ein hohes Aggressionspotenzial, das sich ein Ventil im Hass auf das politische und gesellschaftliche System sucht. Verbindendes Element zwischen den Generationen der Autonomen ist die in Teilen hasserfüllte Ablehnung der bestehenden staatlichen Ordnung. Im Unterschied zu den Altautonomen und denen der zweiten Generation verfügen die Jugendlichen jedoch zumeist nicht über konkrete politische Vorstellungen, wie eine Gesellschaftsordnung nach der beabsichtigten Zerschlagung des bestehenden demokratischen Verfassungsstaates aussehen soll. Dieses jugendliche Mobilisierungspotenzial instrumentalisieren die in ihrer Weltanschauung gefestigten Autonomen zur Umsetzung ihrer Aktionen. Mit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus Ende der 80er Jahre begann auch eine Erosion der linksextremistischen autonomen Szene. Die Staaten, die sich als Gegenmodell zur marktwirtschaftlich organisierten Welt verstanden, übernahmen sukzessive das von den Autonomen bekämpfte "kapitalistische" System. Nennenswerte Gegengewichte zur "kapitalistischen Verwertungslogik" (Szenejargon) gab es kaum noch. Ideologische Konzeptionslosigkeit und Legitimationsdefizite gegenüber der Bevölkerung im 421 Vgl. "INTERIM" Nr. 475, 22.4.1999, S. 26 ff. Die Ästhetik des Widerstands: "Soziale Bewegungen und als ein Teil davon die Autonomen waren ein ernstzunehmender Faktor der Gesellschaft. Dies hat sich seit Ende der 80er Jahre geändert. Wenn man nur noch eine x- beliebige Subkultur in einer beliebigen Gesellschaft ist, hat das keine Sprengkraft mehr." 422 Vgl. Matthias Mletzko: Merkmale politisch motivierter Gewalttaten von militanten autonomen Gruppen, S. 12: "Die schwammige Vorstellung einer unterdrückungsfreien Gesellschaftsordnung erschöpft sich meistens in Forderungen nach 'grundsätzlicher Gleichheit der Menschen, nach Selbstbestimmung und menschenwürdigen Lebensbedingungen'." 230 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 eigenen Land sorgten für einen kontinuierlichen zahlenmäßigen Rückgang der Autonomen. Seit Beginn der 90er Jahre verstärkte sich aufgrund einer wachsenden Kritik an der Unverbindlichkeit autonomer Strukturen die Tendenz, auch innerhalb des autonomen Lagers Organisierungsmodelle zu erproben, um zu einer dauerhaften Umsetzung von Theorie in Praxis zu gelangen. Insbesondere im Bereich des Antifaschismus wurden Vorstöße unternommen (z. B. AAB423), die allerdings nur einen Teil der Szene erfassten und sich als nicht beständig erwiesen. Die Autonomen sind zunehmend zerstritten. Individuelle und gruppenegoistische Interessen beeinträchtigten sie in ihrer Handlungsfähigkeit. Die früher feststellbare "Kiezbezogenheit" sowie die hohe Mobilisierungskraft der 80er Jahre gingen weitgehend verloren.424 Wenn auch das empirische Wissen zur autonomen Szene gering ist, lassen sich doch einige Feststellungen treffen: Die Angehörigen der autonomen Szene, deren Alter in der Regel zwischen dem 16. und 28. Lebensjahr liegt, wobei ein Anstieg des Eintrittsalters feststellbar ist, sind zumeist deutsche Staatsbürger - in Teilen aus bürgerlichen Elternhäusern.425 Zu einem hohen Prozentsatz befinden sie sich in Ausbildung oder Studium, teils sind sie ohne festes Einkommen. Der überwiegende Teil der autonomen Szene ist organisatorisch nicht gebunden. Dies drückt sich einerseits in der hohen Fluktuation der Gruppen, andererseits in deren zumeist geringer "Lebensdauer" aus. Gleichwohl existieren Organisationsnetzwerke, die sich in der Regel mit Einzelthemen aktionistisch auseinandersetzen (in Berlin z. B. "B.A.N.G.", "Rote Aktion Berlin"). Bundesweit organisierte und kontinuierliche Zusammenarbeit gibt es seit dem Auseinanderbrechen der AA/BO jedoch nicht mehr. Als Gründe für die hohe Fluktuation innerhalb der autonomen Szene werden von ehemaligen Angehörigen angegeben: Die selbstgewählte gesellschaftliche Isolation, die Auseinandersetzungen mit Altautonomen oder zwischen Frauen und Männern sowie ständige ergebnislose Diskussionen.426 423 "Antifaschistische Aktion Berlin", Auflösung im Jahr 2003. Vorläuferorganisation der "Antifaschistischen Linken Berlin" (= ALB) sowie "Kritik & Praxis" (= KP). 424 Vgl. "INTERIM", Nr. 475, 22.4.1999, S. 26 ff. Die Ästhetik des Widerstands: "[...] daß die bisherigen politischen Konzepte der Autonomen in dieser veränderten Welt seit Jahren nicht mehr greifen, streitet doch heute kaum noch jemand ab." 425 Helmut Willems betont die heterogene sozio-demografische Struktur militant Autonomer. Vgl. ders.: Jugendunruhen und Protestbewegungen, Opladen 1997, S. 455 - 459. 426 Vgl. Hugo Häberle: Sechs Anmerkungen zum Autonomie-Kongreß. In: "INTERIM" Nr. 329, 27.4.1995, S. 3. "Fertig macht mich, wenn alle paar Jahre das Rad neu erfunden werden muss [wegen Brüchen in der Diskussionskontinuität durch hohe Fluktuation]. Da wird über die Hintergrundinformationen - Linksextremismus 231 3.1.3 "Autonome Antifa Nordost" (AANO) Organisationsstruktur: Gruppe Entstehung: wahrscheinlich 2001 Mitgliederzahl: ca. 20 (2003: ca. 20) Sitz: Berlin Publikation: Flugblätter, Flyer, Homepage Die "Autonome Antifa Nordost" (AANO) ist die größte antideutsche "Antifa"Gruppe427 in Berlin. Sie trat erstmals 2001 durch ein Interview der "jungen Welt"428 mit einer Sprecherin öffentlich in Erscheinung. Das ideologische Weltbild der AANO setzt sich aus kommunistischen, anarchistischen und insbesondere antideutschen Versatzstücken zusammen. Im Kern fordert sie den Kommunismus: "Solidarität mit den kriminalisierten Antifas! Delete Germany: Solidarität mit Israel! Für den Kommunismus!" (Erklärung der AANO zu den Ereignissen rund um den 31.1.2004 in Hamburg)429 "Neue Ordnung? Ne, wir wollen Kommunismus! ... Deutschland in den Rücken fallen! Kosmopolitischen Kommunismus erkämpfen!" (Mobilisierungsaufruf der AANO zu einer Demonstration am 24.4.2004 in Belzig)430 "Solidarität mit Israel! Für den Kommunismus!" (Transparent der AANO anlässlich einer Kundgebung unter dem Titel "Reclaim the Street" am 28.8.2003 in Berlin)431 Als Gesellschaftssystem strebt die AANO eine "Assoziation freier Individuen, keine wie auch immer nationale, ethnische oder religiöse Zwangsgemeinschaft"432 an. Dazu sei es erforderlich, "alle Verhältnisse, vor allem die deutschen, schonungslos umzuwerfen".433 "In Deutschland für die Zivilisation, Menschlichkeit sowie die Vernunft zu kämpfen, bedeutet für die komplette Umwälzung der herrschenden Ordnung zu streiten, alles andere wäre Quark."434 Fragen von Internationalismus und nationale Befreiungsbewegungen geredet [...], da wird über die Widersprüche zwischen Mann und Frau diskutiert, als wäre es die neuste Erkenntnis. Wieso sind wir nicht in der Lage, unsere Erfahrungen und erarbeiteten Positionen so weiterzugeben, daß sie eine Grundlage bilden, auf der weiterdiskutiert wird?" 427 Zu dem Begriff "antideutsch" vgl. S. 84 ff. 428 "junge Welt", Ausgabe vom 2.2.2001. 429 Die Antifa ist tot, es lebe die Antifa. Erklärung der Autonomen "Antifa Nordost Berlin" (AANO), Internetportal "indymedia", Aufruf am 4.2.2004. 430 Internetveröffentlichung, Aufruf am 23.8.2004. 431 Ebenda. 432 Ebenda. 433 Ebenda. 434 Presseerklärung der AANO zum Aktionsplan Pankow, Oktober 2003. 232 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Sie erklärt ausdrücklich, dass sie "nicht Teil der deutschen Zivilgesellschaft"435 sein wolle. Eine zentrale Rolle spielt bei der antideutschen AANO der Kampf gegen Antisemitismus als unabdingbare Voraussetzung antifaschistischer Politik: "Ohne eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung um die Themen Antisemitismus, Antizionismus und der praktischen Solidarität mit Israel kann es eine aktive Antifa in diesem Land nicht mehr geben."436 Daraus leitet sie die Notwendigkeit der uneingeschränkten Solidarität mit dem Staat Israel ab. Kritik an der aktuellen Politik Israels sowie antizionistische Positionen seien nichts anderes als Ausdruck einer antisemitischen Haltung. Für die AANO steht damit fest, dass nicht mehr Rechtsextremisten die Hauptgegner im antifaschistischen Kampf sind: "Man erschöpft sich im Kampf gegen - von einigen eher ruralen Gegenden Deutschlands abgesehen - völlig marginalisierten Neonazis, anstatt zu erkennen, dass es gerade das Bündnis zwischen dem gesellschaftlich akzeptierten Ressentiment gegen Israel und der islamischen Bewegung ist, dass die Gefahr einer erneuten Vernichtung birgt."437 3.1.4 "Kritik & Praxis B3rlin" (KP) Organisationsstruktur: Gruppe Entstehung/Gründung: 2003 in Berlin Mitgliederzahl: ca. 30 (2003: ca. 30) Sitz: Berlin Publikation: Flugblätter, Flyer "Kritik & Praxis B3rlin" (KP) versteht sich als den Flügel der ehemaligen "Antifaschistischen Aktion Berlin" (AAB), der durch Theoriearbeit eine Langzeitperspektive für die Systemüberwindung entwickeln möchte und weniger aktionsbezogen agiert. Dementsprechend soll der Antifaschismus nicht mehr ausschließlicher Drehund Angelpunkt der Argumentation der KP sein, sondern die Gruppe orientiert sich - in Ablösung von der dominierenden antifaschistischen Ausrichtung der AAB - nunmehr stärker auf das Themenfeld 'Antikapitalismus'. In einer Selbstdarstellung438 bezeichnet sich KP als "ein antikapitalistisches Projekt [...], das versucht theoretisch fundierte Positionen zu erarbeiten und 435 Ebenda. 436 "Die Antifa ist tot, Es lebe die Antifa...", AANO, Februar 2004. 437 AANO, 60 jahre d-day 1944 - 2004, Mai 2004, S. 4 (Fehler im Original). 438 Internetauftritt von KP, Veröffentlichung zum internationalen Kongress "Interdeterminante Kommunismus" vom 7. - 9.11.2003 in Frankfurt. Hintergrundinformationen - Linksextremismus 233 mit praktisch eingreifender Politik zu verbinden". Als Ziel verfolgt KP hierbei den Kommunismus als "ein Projekt der Negation des Kapitalismus": "Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. [...] Die Bewegung aber ist nicht abstrakt, sondern erscheint in verschiedenen politischen Bewegungen. Es gilt zu sichten, welche Theorie sich selbst als "eingreifende" zur Aufhebung des Bestehenden, sich selbst als Teil der Praxis der Subversion versteht und welche Argumente sie anführt, zentrale Bestimmungen des herrschenden Kapitalismus zu treffen."439 "Gegen ein Europa der Nationen - Gegen eine Nation Europa !!! Let's push things forward !!! Für den Kommunismus!!!"440 Schriften der KP verdeutlichen, dass die Gruppe mit ihrer marxistischen Orientierung gegen den Fortbestand einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaftsordnung gerichtet ist: "Volk, Staat und Nation sind willkürliche konstruierte Zwangskollektive, die als solche abgeschafft gehören. Wir treten ein für eine Überwindung dieser Kollektive und für eine Gesellschaft auf der Grundlage der 'Assoziation der Freien und Gleichen' (Marx). [...] Gegen ein Europa der HERRschenden - smash the system!"441 3.1.5 "militante gruppe (mg)" Die "militante gruppe (mg)" ist die einzige den Sicherheitsbehörden bekannte klandestine Gruppe, die - ähnlich den "Revolutionären Zellen" (RZ) in den 80er Jahren - in Berlin und Umgebung Anschläge verübt. Erstmals trat die mg im Sommer 2001 in Aktion, als sie Patronen an den damaligen Regierungsbeauftragten für die Entschädigung der Zwangsarbeiter Otto Graf Lambsdorff und an zwei Mitglieder der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft schickte. Ihre militanten Aktionen richteten sich seitdem im Wesentlichen gegen Autos und Gebäude von Behörden. Begründet hat die "militante gruppe (mg)" ihre Anschläge bisher vor allem mit den Themengebieten Zwangsarbeiterentschädigung, Sozialabbau und Antiimperialismus. Bis zum Jahreswechsel 2004/2005 hat sie sich zu zwölf Brandanschlägen bekannt. Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen die Gruppierung wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung. 439 Ebenda. 440 Weiterer Aufruf zur Demonstration "Kommunismus statt Europa". Internetveröffentlichung von KP. Aufruf am 2.3.2005 441 Aufruf zur Demonstration "Kommunismus statt Europa" am 30.4.2004. In: "INTERIM" Nr. 593 vom 22.4.2004, S. 8 - 10. 234 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Im Zusammenhang mit den Brandanschlägen versucht die "militante gruppe (mg)", mit anderen militanten Gruppierungen eine Diskussion über die Zukunft der Anschlagsaktivitäten zu führen. Ziel dieser so genannten "Militanzdebatte"442, die über das autonome Szeneblatt "INTERIM" geführt wird, ist die Vernetzung der verschiedenen Gruppierungen. 3.2 Parlamentsorientierter Linksextremismus 3.2.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: 25. September 1968 Mitgliederzahl: ca. 4 500 bundesweit (2003: ca. 4 500), ca. 120 in Berlin (2003: ca. 130) Sitz: Essen Publikation: "Unsere Zeit" (UZ / wöchentlich) Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) wurde am 25. September 1968 von früheren Funktionären der 1956 verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) gegründet. Der Aufbau einer Parteiorganisation in Berlin begann 1990.443 In einem Leitantrag vom 15. Parteitag (Juni 2000) hält die Partei am Marxismus-Leninismus fest und bekennt sich zur revolutionären Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung in Deutschland. "Das Ziel der DKP ist der Sozialismus als erste Stufe auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft. Sie strebt den grundlegenden Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen an, orientiert auf die Arbeiterklasse als entscheidende gesellschaftsverändernde Kraft. Grundlage ihres Handelns ist die wissenschaftliche Theorie von Marx, Engels und Lenin, die sie entsprechend ihrer Möglichkeiten weiterentwickelt."444 Die DKP ist als Partei weitgehend bedeutungslos: Bei der Europawahl 2004 errang sie in Berlin mit einem örtlichen Mitgliederpotenzial von 442 Vgl. S. 78 ff. 443 Während der Teilung Deutschlands gab es aufgrund von Chruschtschows "Drei-StaatenTheorie" (Deutschland zerfalle in drei Staaten: BRD, DDR, Berlin) in Berlin keinen Landesverband der DKP. Statt dessen gründete sich die "Sozialistische Einheitspartei Westberlins" (SEW), die ebenso wie die DKP massiv durch die DDR unterstützt wurde. Nachfolgerin der SEW wurde 1990 die "Sozialistische Initiative" (SI), welche sich 1991 schon wieder auflöste. Sie propagierte einen Erneuerungsprozess hin zu einem "zutiefst demokratischen Sozialismus" (Leitgedanken für Grundsätze und Ziele der SI. In: Verfassungsschutzbericht Berlin 1990, S. 64). Noch im gleichen Jahr haben "SEWund SI-Mitglieder, die in der Wandlung der SEW zur SI eine Abkehr von der Klassenpartei sahen, eine DKP-Gruppe Berlin gegründet", ebenda, S. 66. 444 Die DKP - Partei der Arbeiterklasse - Ihr politischer Platz heute. In: DKP-Informationen Nr. 3/2000 vom 15.6.2000, S. 24. Hintergrundinformationen - Linksextremismus 235 ca. 120 Personen 2 903 Stimmen (0,3 Prozent). Mitglieder der DKP wirkten 2004 bei den Protesten gegen die Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung mit.445 Stark engagiert und beteiligt war die DKP in Berlin auch bei der Organisation und Durchführung der Luxemburg-Liebknecht (LL)-Demonstration am 12. Januar. 3.2.2 "Linksruck" Organisationsstruktur: Gruppe Entstehung: 1993/94 Mitgliederzahl: ca. 500 bundesweit (2003: k. A.), ca. 110 in Berlin (2003: ca. 100) Sitz: Berlin Publikation: "Linksruck" (14-tägig) Die 1996 aufgelöste trotzkistische "Sozialistische Arbeitergruppe" (SAG) gründete 1993/1994 das "Linksruck-Netzwerk" (jetzt "Linksruck"). "Linksruck" ist die deutsche Sektion des internationalen trotzkistischen Dachverbands "International Socialists" (IS) und strebt über Betriebsund Gewerkschaftsarbeit den Aufbau einer revolutionären kommunistischen Partei unter Führung von Arbeiterräten an. Fernziel der Gruppe ist der Aufbau einer Partei Leninschen Typs als offizielle deutsche Sektion der um die britische "Socialist Workers Party" gruppierten "International Socialist Tendency". "Linksruck" strebt eine Revolution an: "Veränderung kommt nicht durch das Parlament - die wirkliche Macht liegt bei ungewählten Managern, Bankern und Richtern, nicht bei Politikern. Wir denken, dass der Kapitalismus nicht reformiert werden kann, sondern gestürzt werden muß."446 Seit 1993 setzt eine Bundeskoordination die von London vorgegebenen Aktivitäten um und gibt die Zeitschrift "Linksruck" heraus. "Linksruck" finanziert sich über Mitgliedsbeiträge, Spenden und durch Zeitschriftenund Publikationsverkauf. Im April 2001 verlegte "Linksruck" seine Bundeskoordination von Hamburg nach Berlin. Hier hat "Linksruck" ca. 100 Mitglieder, die von einigen "Altkadern" autoritär geführt werden. Es herrscht eine hohe Fluktuation. Den Schwerpunkt von "Linksruck" bildeten 2004 die Proteste gegen die Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung447 sowie gegen den "Sozial445 Vgl. S. 88 ff. 446 Internetauftritt von "Linksruck", Aufruf am 2.3.2005. 447 Vgl. S. 88 ff. 236 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 abbau". "Linksruck"-Mitglieder engagieren sich offen oder verdeckt in der im Jahr 2004 gegründeten "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WasG). Dieses, zum Teil verdeckte Engagement, ist Teil der bei Trotzkisten betriebenen Entrismus-Strategie. Danach versuchen diese, größere Organisationen zu unterwandern und für ihre Zwecke zu nutzen und zu radikalisieren. 3.2.3 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: Juni 1982 Mitgliederzahl: ca. 2 000 bundesweit (2003: ca. 2 000), ca. 90 in Berlin (2003: ca. 80) Sitz: Gelsenkirchen Publikationen: "Rote Fahne" (wöchentlich); "Lernen und Kämpfen" (mehrmals jährlich); "REBELL" (Magazin des Jugendverbandes "Rebell" / monatlich) Die 1982 in Bochum gegründete "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) bekennt sich zur Theorie des Marxismus-Leninismus in der Interpretation durch Stalin und Mao Zedong. Sie ist hervorgegangen aus dem "Kommunistischen Arbeiterverbund Deutschlands" (KABD)448 und rechtfertigt ihre Existenz aus dem von ihr konstatierten "Versagen" der 1956 durch das Bundesverfassungsgericht verbotenen KPD als "revolutionäre Vorhut der deutschen Arbeiterklasse". Die kommunistischen Parteien in Deutschland hätten sich der Entwicklung nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 angeschlossen, in dessen Folge sowohl in der UdSSR als auch in der DDR eine "kleinbürgerliche Bürokratie [...] zu einer bürokratischen Kapitalistenklasse neuen Typs"449 entartet sei. Infolge dessen sei der Aufbau einer Partei neuen Typs unausweichlich gewesen, um die Interessen der Arbeiter zu vertreten. Der VI. Parteitag 1999 definierte als Ziel den Übergang zum Sozialismus, der durch Klassenkampf auf unterschiedlichen Ebenen erreicht werde: "Der Übergang zur Arbeiteroffensive, der Übergang zur akut revolutionären Situation, der Übergang zur Partei der Massen und von der Partei der Massen zur revolutionären Massenpartei, der Übergang vom Kapitalismus 448 Der Zusammenschluss besteht seit 1972 aus der "Kommunistischen Partei Deutschlands / Marxisten-Leninisten (Revolutionärer Weg)" und dem "Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands (Marxisten-Leninisten)". 449 Internetauftritt der Partei. Hintergrundinformationen - Linksextremismus 237 zum Sozialismus, vom Sturz der Diktatur der Monopole zur Errichtung der Diktatur des Proletariats."450 Damit steht die Partei in Opposition zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Der politische Einfluss der Partei ist gering. Zu den Europawahlen trat sie nicht an, ebenso beteiligte sie sich nicht an der Bundestagswahl im Jahr 2002. Das von der MLPD ins Leben gerufene "Berliner Bündnis Montagsdemo" organisierte einen der beiden Montags-Protestzüge gegen die Hartz IVReformen.451 Die MLPD beteiligte sich zudem mit einer eigenen Kundgebung am Stillen Luxemburg-Liebknecht-Gedenken in Lichtenberg am 12. Januar. 3.2.4 "Sozialistische Alternative Voran" (SAV) Organisationsstruktur: Verein Entstehung: 1994 entstanden aus "VORAN zur sozialistischen Demokratie e. V." Mitgliederzahl: ca. 350 bundesweit (2003: 350), 45 in Berlin (2003: ca. 50) Sitz: London Publikation: "Solidarität - Sozialistische Zeitung" (monatlich) Die "Sozialistische Alternative Voran" (SAV) ist die deutsche Sektion des in London ansässigen trotzkistischen Dachverbands "Committee for a Workers International" (CWI). Wie bei der ebenfalls trotzkistischen Gruppe "Linksruck" (=) bildete die Beeinflussung der Anti-Globalisierungsund AntiKriegsbewegung den Aktionsschwerpunkt der SAV. Perspektivisches Ziel der SAV ist laut Programm zur Bundestagswahl 2002 der Aufbau einer Arbeiterpartei als einer revolutionären, sozialistischen Massenpartei. Damit solle der Kapitalismus abgeschafft und durch ein sozialistisches System verbunden mit der Aufhebung des Mehrparteienstaates ersetzt werden. "Sozialismus bedeutet für sie (Anm: SAV) im Sinne von Marx, Engels, Lenin, Luxemburg und Trotzki: weltweit Gemeineigentum an Produktionsmitteln, demokratische Planung und Kontrolle von Wirtschaft und Gesellschaft durch die arbeitende Bevölkerung. Das setzt eine sozialistische Revolution voraus. Die Aufgabe der sozialistischen Revolution ist es, die Produktionsmittel in Gemeineigentum zu überführen und demokratische 450 Internetauftritt der Partei. 451 Vgl. S. 88 ff. 238 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Verwaltungsorgane der Arbeiterklasse an Stelle des bürgerlichen Staatsapparats aufzubauen."452 Im Jahr 2004 beteiligte sich die SAV vor allem mit anderen Linksextremisten an den Protesten gegen die Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung453 und organisierte unter anderem die Sozialismus-Tage im April. 452 Grundsatzprogramm der SAV, Internetauftritt der SAV, Aufruf am 23.2.2005. 453 Vgl. S. 88 ff. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 239 4 Ausländerextremismus 4.1 Araber 4.1.1 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") Organisationsstruktur: informell Entstehung/Gründung: 1982 Mitgliederzahl: ca. 850 bundesweit (2003: ca. 800), ca. 160 in Berlin (2003: ca. 150) Sitz im Ausland: Beirut Publikation: "Al-Ahd - Al-Intiqad" ("Die Verpflichtung - Die Kritik"), erscheint wöchentlich Die schiitisch-islamistische "Hizb Allah" wurde im Sommer 1982 nach dem Einmarsch israelischer Truppen in den Libanon gegründet und agierte im 15-jährigen libanesischen Bürgerkrieg zusammen mit der AMAL-Miliz als eine der beiden schiitischen Milizen. Aus ideologischen und regionalpolitischen Motiven heraus wird die hierarchisch strukturierte Bewegung vom Iran und von Syrien, die ihr auch die politische Linie vorgeben, finanziell und militärisch unterstützt. So negiert die "Hizb Allah" seit ihrer Gründung das Existenzrecht Israels und propagiert den auch mit terroristischen Mitteln geführten Kampf gegen Israel, den sie als "legitimen Widerstand" bezeichnet. Im Libanon operierte ihr bewaffneter Arm, die Miliz des "Islamischen Widerstands" ("al-Muqawama al-Islamiya"), jahrelang mit militärischen und terroristischen Mitteln gegen Armeeeinrichtungen und Soldaten Israels. Hierzu gehörten neben Anschlägen auch Selbstmordattentate gegen israelische Soldaten. Innenpolitisch hat sich die "Hizb Allah" dagegen als eine parteiähnliche politische Bewegung konstituiert. Sie ist seit 1992 im libanesischen Parlament vertreten und findet unter der schiitischen Bevölkerung des Libanon wegen ihrer sozialen Aktivitäten gesellschaftlichen Rückhalt. Den im Mai 2000 erfolgten Rückzug der israelischen Truppen aus der so genannten "Sicherheitszone" im Südlibanon feierte die "Hizb Allah" als einen bedeutenden Sieg, der Vorbildcharakter für die "Lösung" des Palästinakonflikts haben solle. Gleichzeitig sah sich die Organisation der Forderung gegenüber, sich vereinbarungsgemäß aus dem Südlibanon zurückzuziehen, ihre Miliz zu entwaffnen und sich im Libanon - wie von ihr mehrfach angekündigt - ausschließlich als politische Partei zu betätigen. Diese Vereinbarung hielt die "Hizb Allah" nicht ein. Hierbei benutzte sie den Nicht-Rückzug Israels aus den vom Libanon als sein Staatsgebiet betrachteten, von der UNO aber nicht als libanesisches Territorium aner- 240 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 kannten "Shebaa-Farmen" als einen Vorwand, um im Grenzgebiet weiter militärisch und terroristisch gegen Israel vorzugehen. Einen weiteren Vorwand für die Aufrechterhaltung der militärischen Option bezog die "Hizb Allah" aus der am 28. September 2000 ausgebrochenen "Al-Aqsa-Intifada", die sie seitdem mit massiver Propaganda unterstützt. Die in den letzten Jahren verstärkt über ihren parteieigenen TV-Sender "Al-Manar" ("Der Leuchtturm") verbreitete Propaganda enthält alle Elemente der "Widerstandsideologie" der "Hizb Allah", die eine Mischung aus politischem Aktivismus und schiitischer Leidensmythologie darstellt. Hierzu gehört vor allem die Praxis der Selbstmordattentate, mit der die Organisation 1993 ins libanesisch-israelische Grenzgebiet abgeschobene palästinensische Islamisten erstmals bekannt machte. Seitdem werden Selbstmordanschläge vor allem von der HAMAS (=) und dem "Palästinensischen Islamischen Jihad" (PIJ) verübt. Die Propagierung des bewaffneten Kampfes im Rahmen der "Al-AqsaIntifada" und die Popularisierung von als "Märtyrer-Operationen" deklarierten Selbstmordanschlägen sind fester Bestandteil im Programm des - per Satellit auch in Deutschland zu empfangenden - TV-Senders "Al-Manar", der gezielt um die Palästinenser der Westbank und des Gazastreifens wirbt, sich allerdings auch als Stimme "ganz Palästinas" versteht und in Deutschland zur Teilnahme an einschlägigen Demonstrationen aufruft. In Filmen werden Attentäter der militärischen Flügel der HAMAS und des PIJ, der "Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden" und der "Jerusalem-Kompanien" ("Saraya alQuds") glorifiziert - sei es in Form von Bekennervideos der Selbstmordattentäter oder durch zustimmende Äußerungen ihrer Freunde und Angehörigen. Die - seit Herbst 2002 intensivierte - anti-israelische Hetze und Propaganda des Senders zeigt etwa den Generalsekretär der "Hizb Allah", Hassan Nasrallah, der seinen Anhängern versichert, dass "Israel in seiner Existenz vergehen wird". Die Propagandafilme beinhalten auch Bilder israelischer Attentatsopfer - unterlegt mit dem Text "Gewiss wird Israel verschwinden". Nach Frankreich haben auch die USA dem TV-Sender "Al-Manar" am 16. Dezember die Sendelizenz entzogen, da "Al-Manar" zu Hass und Gewalt gegen Israel aufrufe. Zudem setzte das amerikanische Außenministerium "Al-Manar" am 17. Dezember auf die Liste derjenigen terroristischen Organisationen, deren Unterstützung zur Einreiseverweigerung oder Ausweisung führen kann ("Terrorist Exclusion List"). Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 241 Die "Hizb Allah" als Träger des Senders wird von den USA seit Jahren aufgrund ihrer zahlreichen, hauptsächlich in den 90er Jahren verübten Anschläge als Terrororganisation eingestuft; dies veranlasste auch die Regierung Kanadas, sie 2003 auf die kanadische Liste der Terrororganisationen zu setzen. Die britische, französische und seit Juli 2003 auch die australische Regierung beurteilen zwar nicht die Gesamtorganisation der "Hizb Allah" als terroristisch, wohl aber den Auslandssicherheitsdienst "External Security Apparatus" (ESA), der als integraler Bestandteil der "Hizb Allah" gilt. Nach jahrelanger deutscher Vermittlung haben sich Israel und die "Hizb Allah" am 24. Januar 2004 auf einen Gefangenenaustausch verständigt. Dies wurde auch von den in Berlin lebenden Schiiten, insbesondere von den Sympathisanten der "Hizb Allah" begeistert aufgenommen. Die "Hizb Allah" wertet den Gefangenenaustausch nach der Befreiung des Südlibanon als einen weiteren wichtigen Sieg gegen Israel und die Wertschätzung des "Hizb Allah"Generalsekretärs Nasrallah ist gestiegen . In Berlin agieren die Anhänger der Organisation nicht offen unter der Bezeichnung "Hizb Allah". Andererseits werden auf Großdemonstrationen häufig "Hizb Allah"-Fahnen sowie Porträts ihres Generalsekretärs Hassan Nasrallah gezeigt. Zu ihren Aktivitäten zählen vor allem die Vorbereitung und Beteiligung an Demonstrationen, interne Propagandaveranstaltungen und das Sammeln von Spendengeldern. Die von den schiitischen Extremisten initiierte alljährliche Demonstration zum so genannten "Al-Quds-Tag", mit der an das Ziel der "Befreiung" der auch für Muslime heiligen Stadt "Al-Quds" (Arabisch für "Jerusalem") erinnert werden soll, verlief am 13. November ohne besondere Vorkommnisse als Schweigemarsch mit etwa 800 Teilnehmern. 242 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 4.1.2 "Hizb ut-Tahrir al-islami" (HuT / "Islamische Befreiungspartei") Organisationsstruktur: parteiähnliche Bewegung / die Organisation unterliegt in Deutschland seit dem 10. Januar 2003 einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot Entstehung/Gründung: 1953 Mitgliederzahl: ca. 200 bundesweit (2003: ca. 200), ca. 60 in Berlin (2003: ca. 50) Sitz im Ausland: vermutlich Libanon Publikationen: "Explizit" bis Januar 2003 Die "Hizb ut-Tahrir al-islami" (HuT) ist eine parteiähnliche Bewegung, die 1953 in Jordanien von Taqi ad-Din an-Nabhani (1909 - 1977) gegründet wurde. Erklärte Ziele der pan-islamischen Bewegung sind die Vernichtung des Staates Israel, die Wiederherstellung der Kalifatsherrschaft und die Befreiung der islamischen Welt von westlichen Einflüssen. Die HuT richtet sich an die Gesamtheit der Muslime (Umma) und lehnt den Fortbestand muslimischer Nationalstaaten ab. Stützpunkte der Bewegung befinden sich nach Darstellung der Organisation vor allem in den Ländern Jordanien, Ägypten, Kuweit, Syrien und in den zentralasiatischen Ländern Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan. Der Status einer politischen Partei wurde der HuT in keinem Land zuerkannt. Nachfolger an-Nabhanis war der 1925 in Hebron geborene und im April 2003 verstorbene Abdul Qadim Zalloum, der ebenfalls Mitbegründer der HuT gewesen war. Der derzeit amtierende Vorsitzende der HuT ist der am 15. Dezember 1943 im Libanon geborene Jordanier Ata Abu al-Rashta, dessen Aufenthaltsort im Libanon vermutet wird. In Deutschland trat die HuT vorwiegend in Universitätsstädten durch die Verbreitung von Flugblättern und Zeitschriften in Erscheinung. Diese enthielten regelmäßig antiisraelische und antiwestliche Positionen. In Berlin geriet die Organisation ins Blickfeld der Öffentlichkeit als am 27. Oktober 2002 in der "Alten TU-Mensa" eine Vortragsveranstaltung zum Thema "Der Irak - ein neuer Krieg und die Folgen" mit dem Herausgeber der der HuT zuzurechnenden Zeitschrift "Explizit", Shaker Assem, als Referent abgehalten wurde. Für ein breites Medieninteresse sorgte seinerzeit die Anwesenheit des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt und des prominenten NPDMitglieds Horst Mahler. Am 10. Januar 2003 erließ der Bundesminister des Innern ein Betätigungsverbot gegen die HuT. Die HuT legte dagegen Klage beim Bundesver- Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 243 waltungsgericht ein. In einem Zwischenurteil am 21. Januar 2004 wurde die Klage der HuT vor dem Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz wurden in Berlin, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern am 8. Dezember bei insgesamt 14 Personen die privaten Wohnungen durchsucht. Das Berliner Verwaltungsgericht hat am 2. Dezember 2003 auf die Klage eines Palästinensers und HuT-Anhängers entschieden, dass er als führender Funktionär der islamistischen Organisation HuT keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung in Deutschland habe.454 Seit dem Verbot im Januar 2003 treten die Mitglieder der HuT kaum noch öffentlich in Erscheinung. Um sich Verhör zu verschaffen, versammeln sich HuT-Mitglieder auf öffentlichen muslimischen Veranstaltungen, um diese mit Forderungen nach der Etablierung eines Kalifatsstaates und verbalen Angriffen auf Andersdenkende gezielt zu stören. 4.1.3 "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) / "Islamischer Bund Palästina" (IBP) Organisationsstruktur: informelle Gliederung Entstehung/Gründung: 1981 in München (IBP) / 1987 in Gaza (HAMAS) Mitgliederzahl: ca. 300 bundesweit (2003: ca. 300) ca. 50 in Berlin (2003: ca. 50) Die mit dem Kurzwort HAMAS bezeichnete "Bewegung des Islamischen Widerstands" wurde 1987 im Gaza-Streifen von Ahmad Yassin in der Nachfolge eines Zweigs der "Muslimbruderschaft" (= MB) gegründet. Die Organisation verneint das Existenzrecht Israels und strebt die "Befreiung ganz Palästinas" sowie die Gründung eines "Islamischen Staates Palästina" durch bewaffneten Kampf an. Den 1993 begonnenen Oslo-Friedensprozess lehnt die HAMAS als "Ausverkauf palästinensischer Interessen" ab und bestreitet gleichzeitig den Führungsanspruch der Palästinensischen Autonomiebehörde. Seit dem Ausbruch der "al-Aqsa-Intifada" am 28. September 2000 und der Verschärfung des Nahost-Konflikts nahmen Selbstmordanschläge der HAMAS gegen israelische Ziele erheblich zu. Diese als "Märtyrer-Operationen" deklarierten Anschläge ihres militärischen Flügels, der "Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden", begrenzte sie dabei nicht auf die palästinensischen Gebiete des Westjordanlands und Gaza-Streifens, sondern führte sie vor allem im israelischen Kernland durch. Die Anschläge 454 AZ: VG 11 A 976.03. 244 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 der HAMAS zielten zudem nicht allein auf Militärpersonal, sondern gleichermaßen auch auf die israelische Zivilbevölkerung. Dieses terroristische Vorgehen wird von der HAMAS mit einem "Recht auf Selbstverteidigung" begründet. Theoretische Basis für die Selbstmordanschläge bildet der Begriff des Märtyrers, der von den HAMAS-Ideologen uminterpretiert wird. Galten Märtyrer im Islam bisher hauptsächlich als Menschen, die durch Außeneinwirkung unschuldig zu Tode kommen, steht der Begriff nun vor allem für Personen, die Selbstmordanschläge verüben. Islamisten definieren den Märtyrer in erster Linie als jemanden, "der sein Martyrium aktiv herbeiführt" und popularisieren hierfür den Begriff des Istishhadi. Der Istishhadi (wörtlich "derjenige, der zum Märtyrertod bereit ist") ist somit die islamistische Variante des - bei laizistischen Palästinensern früher als Fida'i (wörtlich "derjenige, der sich aufopfert") und bei den Kurden als Peshmerga ("derjenige, der dem Tod nahe ist") - bezeichneten "Guerilla-Kämpfers", allerdings in seiner extremsten und militantesten Form. Da im Islam sowohl Mord als auch Selbstmord verboten sind, deklarieren Islamisten Selbstmordanschläge als so genannte "Märtyrer-Operationen" (Arabisch "amaliyat istishhadiya"). Im Juli 2003 schloss sich die HAMAS zunächst dem im Rahmen des Friedensplans "Roadmap" ausgehandelten dreimonatigen Waffenstillstand ("Hudna") an. Dieser endete jedoch bereits im August, als ein Selbstmordattentat mit 20 israelischen Toten, zu dem sich sowohl die HAMAS als auch der "Palästinensische Islamische Jihad" bekannt hatte, zu massiven Vergeltungsmaßnahmen Israels führte. Die Konfrontationen bestimmten auch weitgehend das Jahr 2004.455 Nachdem die "Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden" bereits im Juni 2002 in die EU-Liste terroristischer Organisationen aufgenommen wurden, beschlossen die EU-Außenminister Anfang September 2003 auch die Gesamtorganisation der HAMAS als terroristisch einzustufen. In Deutschland wird die Politik der HAMAS durch den "Islamischen Bund Palästina" (IBP) vertreten. Der IBP wurde 1981 innerhalb des "Islamischen Zentrums München" gegründet, um die Interessen religiös orientierter Palästinenser in Deutschland zu repräsentieren. Erst 1987 mit Ausbruch der ersten Intifada und Gründung der HAMAS entwickelte der IBP sein heutiges Profil als HAMAS-Vertretung in Deutschland. Der IBP organisiert Veran455 Vgl. S. 134 ff. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 245 staltungen und Demonstrationen gegen das Vorgehen Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten, verhält sich aber als Organisation in den letzten Jahren unauffällig, obwohl seine Anhänger nach wie vor aktiv sind. Als Spendensammelverein der HAMAS galt der in Aachen ansässige "Al-Aqsa e. V.". Mit Verfügung vom Juli 2002 stellte das Bundesministerium des Innern fest, dass die Tätigkeit des Vereins Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer, religiöser und sonstiger Belange unterstütze, befürworte und hervorrufe. Die Tätigkeit richte sich außerdem gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Der Verein wurde verboten und aufgelöst. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verbot am 3. Dezember 2004 bestätigt.456 Auf Grundlage dieser Entscheidung wurden am gleichen Tag die Vereinsräume des "Al Aqsa e. V." in Aachen, des "YATIM-Kinderhilfe e. V." in Essen und des "Bremer Hilfswerk e. V." in Bremen durchsucht. Der "YATIM-Kinderhilfe e. V." und der "Bremer Hilfswerk e. V." gelten als weitere Spendensammelvereine. Darüber hinaus wurden Wohnungen führender Funktionäre der genannten Vereine durchsucht. In Berlin waren zwei Personen von den Maßnahmen betroffen. Als Berliner Treffpunkt der Anhänger der HAMAS gilt das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum Berlin e. V.". 4.1.4 "Mujahidin-Netzwerke" Organisationsstruktur: grenzüberschreitende Netzwerke Entstehung/Gründung: Anfang der 80er Jahre in Afghanistan / Pakistan Mitgliederzahl: keine gesicherten Zahlen Der Begriff "Mujahidin" bezeichnet pan-islamisch orientierte Kämpfer unterschiedlicher ethnischer Herkunft, die an Kampfeinsätzen in Afghanistan, Bosnien, Tschetschenien oder im Kaschmir teilgenommen haben. Das Entstehen der "Mujahidin" geht auf den Afghanistan-Krieg zurück, als sich 1979 freiwillige "Kämpfer" (Arabisch-Persisch "Mujahidin") dem - unter dem Motto des Jihad geführten - Krieg gegen die sowjetische Besatzung anschlossen und dafür vor allem in afghanischen und pakistanischen Militärlagern ausgebildet wurden. Die Lage im von Krieg und Bürgerkrieg gezeichneten Afghanistan bot seinerzeit ideale Bedingungen für die ideologische Schulung und terroristische Ausbildung der "Mujahidin". Hierzu gehörten ein weitgehend rechtsfreier Raum, Kampfgebiete sowie die Tatsache, dass sich im Bürgerkrieg 456 Az.: BVerwG 6 A 10.02. 246 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 1996 die islamistischen "Taliban-Kämpfer" durchsetzten. Die terroristischen Aktivitäten der "Mujahidin" richteten sich ab 1992 vor allem gegen Ägypten und Algerien, nachdem sich einzelne kampferprobte "Mujahidin" des Afghanistan-Kriegs den dortigen militanten islamistischen Gruppierungen angeschlossen hatten. Im Zentrum der "Mujahidin" steht die von Usama Bin Ladin Ende der 80er Jahre gegründete Organisation "al-Qa'ida" ("Die Basis"), die sich vermutlich Mitte der 90er Jahre mit Teilen der militanten ägyptischen Gruppen "al-Jihad al-islami" ("Der islamische Kampf") und "al-Jama'a al-islamiya"457 ("Die islamische Gemeinschaft") zu einem transnationalen Netzwerk zusammenschloss. Als zweiter Mann hinter Bin Ladin gilt der Führer der ägyptischen Gruppe "al-Jihad al-islami", Aiman al-Zawahiri.458 Programmatische Grundlage der internationalen Anschläge von "al-Qa'ida" war der von Usama Bin Ladin 1998 mitunterzeichnete459 Aufruf der "Islamischen Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzzügler"460, den die Verfasser als ein religiöses Rechtsgutachten (fatwa)461 deklarierten. Darin waren die Tötung von Amerikanern zur vermeintlichen individuellen Pflicht eines jeden Muslims erhoben, die Stationierung von US-Truppen in SaudiArabien für unzulässig erklärt und als Ziel die Verdrängung der USA von der Arabischen Halbinsel genannt worden. Hierzu sollten die USA als Schutzmacht Saudi-Arabiens angegriffen und - wie bereits die Anschläge 457 Hierbei handelt es sich um die hocharabische Schreibweise. Im ägyptischen Dialekt werden die Gruppierungen phonetisch als "al-Gihad al-islami" und "al-Gama'a al-islamiya" wiedergegeben. 458 Vgl. S. 115 ff. 459 Zu den fünf Unterzeichnern gehörten Usama Bin Ladin ("al-Qa'ida"), Aiman al-Zawahiri ("alJihad al-islami"), Abu Yasir Rifa'i Ahmad Taha ("al-Jama'a al-islamiya"), Mir Hamza (Generalsekretär der "Jam'iyat-ul-Ulama Pakistan") und Fazlur Rahman (Chef der "Jihad"Gruppe, Bangladesch). 460 In der Verlautbarung hieß es: "Das Urteil, die Amerikaner und ihre Alliierten, Zivilisten und Militärs gleichermaßen zu töten, wo immer ihm dies möglich ist, ist eine individuelle Pflicht für jeden Muslim, der hierzu in der Lage ist, bis die Aqsa-Moschee [in Jerusalem] und die Heilige Moschee [in Mekka] von ihnen befreit sind und bis ihre Armeen das gesamte Territorium des Islam verlassen haben, geschlagen und unfähig, irgend einen Muslim noch zu bedrohen." Vgl. "Nass Bayan al-Jabha al-islamiya al-alamiya li-Jihad al-Jahud wa'l-Salibiyin" in der arabischsprachigen Zeitung "al-Quds al-arabi", London, 23.2.1998. Eine englische Übersetzung findet sich im Internet unter: http://www.fas.org/irp/world/para/docs/980223-fatwa.htm. 461 Diese fatwa ist aus Sicht der islamischen Theologie nicht gültig, da Usama Bin Ladin als Laie weder die theologische Qualifikation noch die religiöse Autorität zur Erstellung von Rechtsgutachten, geschweige denn zur Ausrufung des Jihad im Namen der Muslime besitze. Entsprechend wurden die Anschläge vom 11. September von einem Großteil der islamischen Religionsgelehrten als nicht mit dem Islam vereinbar zurückgewiesen, da die islamische Religion sowohl den Mord an unschuldigen Zivilisten als auch den Selbstmord verbiete. Vgl. Hanspeter Mattes: Ein Jahr danach. Der islamistische Terrorismus und seine Bekämpfung. In: Herder Korrespondenz 56, 9/2002, S. 444 - 448. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 247 auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania im August 1998 und auf das Marineschiff USS Cole im Oktober 2000 zeigten - möglichst viele Menschen, vor allem US-Bürger, getötet werden. Statt Anschlägen der Basis-Organisation "al-Qa'ida" standen 2004 die Aktivitäten der so genannten "non-aligned Mujahidin" im Vordergrund.462 Das Terrornetzwerk "al-Qa'ida" scheint mit seinen zahlreichen - auch auf die Binnenkommunikation innerhalb und im Umfeld der Netzwerke zielenden - Audio-, Videound Internetbotschaften eher die ideologische Begründung für die Anschläge zu liefern, als diese zentral zu planen und selbst durchzuführen. Dies mag durch den erhöhten Verfolgungsdruck bedingt sein, dem sich Usama Bin Ladin und Aiman al-Zawahiri durch die USA und die alliierten Truppen ausgesetzt sehen. Die "non-aligned Mujahidin" stehen für Kleingruppen oder einzelne Personen, die keiner bestimmten Organisation zuzurechnen sind. Sie finanzieren sich selbst - in der Regel durch Allgemein-Kriminalität, wie zum Beispiel durch den Handel mit Betäubungsmitteln, Kreditkartenbetrug oder Raubüberfälle. 4.1.5 "Muslimbruderschaft" (MB) Organisationsstruktur: informelle Gliederung / Verein in Deutschland Entstehung/Gründung: 1928 in Ägypten / 1960 in Deutschland Mitgliederzahl: ca. 1 300 bundesweit (2003: ca. 1 300); für Berlin keine gesicherten Erkenntnisse Die 1928 in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft ist die älteste und zugleich bedeutendste arabische islamistische Gruppierung. Die panislamistisch orientierte Organisation ist heute, teils unter anderem Namen, in fast allen Ländern des Vorderen Orients vertreten und unterhält auch Zweige in westeuropäischen Ländern. In den meisten nahöstlichen Staaten bildet die MB eine illegale Opposition zur Regierung, wobei ihre Aktivitäten von den jeweiligen politischen Verhältnissen abhängen: Während in Syrien der Aufstand gegen die Staatsmacht 1982 gewaltsam beendet wurde, nahm die Bereitschaft der MB zur Anpassung dort zu, wo eine Einbindung in den parlamentarischen Prozess erfolgte. Dies gelang in Ägypten in den 80er Jahren; in Jordanien ist die MB noch heute im Parlament vertreten. Die ägyptische, die größte der MB-Organisationen, durchlief verschiedene historische Phasen: Nach der Anfangsphase, in der die Lehre und Erziehung der Gläubigen Vorrang hatte, waren ihre Aktivitäten in den 40er 462 Vgl. S. 115 ff. 248 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 und 50er Jahren von einer aggressiven Militanz geprägt, die zu zahlreichen politischen Attentaten und Anschlägen führte. Die Gewaltbereitschaft der MB stand seinerzeit der zunehmenden Repression des ägyptischen Staates gegenüber, die ihren Höhepunkt 1966 in der Hinrichtung ihres Chefideologen Sayyid Qutb fand. Als nicht mehr gewaltorientiert gilt die ägyptische MB erst nach Abspaltung der militanten Kräfte in den späten 70er Jahren (Entstehen der terroristischen Gruppen "Takfir wa'l-Hijra"463 und "al-Jihad alIslami"), auf die eine Phase der Integrationsbereitschaft in das politische System folgte. Der Entschluss der MB, sich im politischen System Ägyptens auch an Wahlen zu beteiligen und im Parlament mitzuarbeiten, wird teils als ein "Marsch durch die Institutionen" gewertet. Ideologisch präsentiert sich die MB mit sehr heterogenen Vorstellungen. Aus den 30er Jahren stammt der Anspruch der MB, dass es eine "Ordnung des Islams" gebe. Dieser relativ unkonkrete Anspruch definiert die islamische Religion als ein "System", das "zu jeder Zeit und an jedem Ort" anwendbar sein soll und das den Koran und die Sunna zur Richtschnur politischen Handelns erhebt. Zeitgenössische Vorstellungen zu Staat und Gesellschaft vertritt die MB mit der Forderung nach "Anwendung der Scharia", des islamischen Rechts und Schaffung eines "islamischen Staates". Da hierin Legislative, Judikative und Exekutive der Scharia untergeordnet sein sollen, wäre das von der MB favorisierte Staatsmodell bereits in dieser Hinsicht ein Staat, der westlichen Demokratievorstellungen zuwider läuft. In der ägyptischen MB kam es während der vergangenen zweieinhalb Jahre zu einem mehrfachen Führungswechsel. Nachdem Mitte November 2002 der fünfte so genannte "Oberste Führer" Mustafa Mashhur (Jahrgang 1919), der zwischen 1981 -1986 von Deutschland aus die internationalen Aktivitäten der Organisation koordiniert haben soll, verstorben war, war am 27. November 2002 der Jurist Ma'mun al-Hudaibi zu seinem Nachfolger und damit zum sechsten "Obersten Führer" der ägyptischen MB ernannt worden. Ma'mun al-Hudaibi (Jahrgang 1921), Sohn des zwischen 1951 - 1972 amtierenden zweiten "Obersten Führers" der MB, Hassan al-Hudaibi, war 1965 unter Präsident Nasser inhaftiert worden. Später fungierte er vor allem als Sprecher und stellvertretender Fraktionsvorsitzender des 1987 in das ägyptische Parlament eingezogenen Oppositionsblocks "Islamische Allianz", 463 Wörtlich: "Exkommunizierung [des bestehenden Gesellschaftssystems] und [innere] Emigration". Das Wort "Hijra" (wörtlich "Auswanderung") bezieht sich gleichzeitig auf die 622 a. D. erfolgte "Auswanderung" des Propheten Muhammad von Mekka nach Medina, wo er die Grundlagen des islamischen Gemeinwesens schuf. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 249 in welchem die MB 40 von 60 Abgeordneten stellte. Ma'mun al-Hudaibi verstarb am 8. Januar 2004 nach nur 13 Monaten Amtszeit. Sein Nachfolger wurde der 75-jährige Mohammad Mahdi Akif, der der "alten Garde" zugezählt wird. Als dessen Stellvertreter wurde der 65-jährige Professor für Ingenieurwissenschaften Muhammed Habib bestimmt. In Deutschland werden die Interessen der MB von der 1960 gegründeten "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) vertreten, die unter dem Einfluss der ägyptischen MB steht. Der IGD gehören mehrere Islamische Zentren in Deutschland an. Ihre Hauptaktivitäten sind gegenwärtig auf die Organisierung und die Ausrichtung der in Deutschland lebenden Muslime im Sinne der Ideologie der MB gerichtet. So wird in Einrichtungen der IGD zum Teil offen gegen die Existenz des Staates Israel agitiert. Als Berliner Treffpunkt für Anhänger der MB gilt das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum Berlin e. V.". Eine Berliner Zweigstelle der IGD befindet sich in der Drontheimer Straße im Wedding. Im vergangenen Jahr hat die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) am 18. September in Essen und am 19. September in Berlin unter dem Motto "Muslime in Deutschland - Bereicherung statt Bedrohung" ihr 26. Jahrestreffen abgehalten. Für das Treffen wurde bundesweit mit Flugblättern in den Moscheen und im Internet geworben. An der Veranstaltung in der Essener Grugahalle haben etwa 5 000, an der in der Sporthalle Schöneberg etwa 2 000 Personen teilgenommen. Auf ihrer Homepage spricht die IGD selbst von zusammen mehr als 13 000 Teilnehmern. Während der Veranstaltungen wurde Werbung mit Spendenaufrufen für den Spendensammelverein "Bremer Hilfswerk e. V." und den Berliner Moscheebauverein "inssan für kulturelle Interaktion e.V." an die Besucher verteilt. 250 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 4.2 Iraner 4.2.1 "Arbeiterkommunistische Partei Irans" (API) Organisationsstruktur: parteiähnliche Bewegung Entstehung/Gründung: 1991 in Deutschland gegründet Mitgliederzahl: ca. 250 bundesweit (2003: ca. 300), ca. 10 in Berlin (2003: ca. 20) Sitz in Deutschland: Köln Bei der "Arbeiterkommunistischen Partei Irans" (API) handelt es sich um eine marxistisch ausgerichtete Partei, die das politische System der Islamischen Republik Iran auch mit terroristischen Mitteln bekämpft. Ziel der API ist die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung im Iran, die durch die "soziale Revolutionierung der Arbeiterklasse" zustande kommen soll. Zur Bekämpfung der Islamischen Republik Iran bejaht sie ausdrücklich die Anwendung von Gewalt. Die API vertritt eine stark anti-westliche aber auch anti-islamistische Haltung. Nach den Terroranschlägen in den USA schrieb beispielsweise Mansoor Hekmat, der am 4. Juli 2002 verstorbene Chefideologe der API, in seiner Analyse "The world after September 11",464 dass sich die Welt in einer neuen und zerstörerischen Phase des "internationalen Krieges der Terroristen" befände. Hierbei spricht Hekmat von "zwei Formen von Terrorismus": Bei der ersten Form handele es sich um "Staatsterrorismus", der der API zufolge von den USA und westlichen Staaten ausgeübt werde. Die zweite Form stelle der "islamistische Terrorismus" dar, der für die Völkermorde in Iran, Afghanistan und Algerien verantwortlich sei. Das mit dem Tod der Leitfigur Mansour Hekmat am 4. Juli 2002 in der Parteispitze entstandene Vakuum förderte einen schwelenden Machtkampf, der schließlich in der Spaltung der Partei kulminierte. Unter Führung des ehemaligen Parteivorsitzenden Koroush Modaresi fassten 24 Mitglieder des bisherigen Zentralkomitees der API, darunter auch Berliner Funktionäre, am 24. August 2004 den Beschluss, die Partei "API-Hekmatist" zu gründen. Diese Abspaltung des rechten Parteiflügels sieht sich in der Tradition der API und der Ideologie von Hekmat465, ist aber eher pragmatisch-realpolitisch ausgerichtet, während die API unter ihrem jetzigen Vorsitzenden Hamid Taghwai eine konservativ-orthodoxe Linie vertritt. 464 Internetauftritt der API. 465 Internetauftritt der API-Hekmatist. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 251 In Deutschland führt die API schwerpunktmäßig Demonstrationen durch, mit denen die Öffentlichkeit auf Menschenrechtsverletzungen der iranischen Regierung aufmerksam gemacht werden soll. Diese Kundgebungen werden meist von einer Nebenorganisation der API, der "Föderation der iranischen Flüchtlingsund Immigrantenräte e. V." (IFIR), organisiert. Hierbei kam es in der Vergangenheit wiederholt zu gewaltsamen Übergriffen der IFIR auf hochrangige regimetreue Iraner. Die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten haben 2004 weiter nachgelassen, die API entfaltet kaum noch Außenwirkung. 4.2.2 "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) / "Nationaler Widerstandsrat Iran" (NWRI) Organisationsstruktur: seit 1985 die dominierende Gruppierung im "Nationalen Widerstandsrat Iran" (NWRI), dem Exilparlament der iranischen Opposition Entstehung/Gründung: 1965 im Iran (MEK); NWRI seit 1994 in Berlin vertreten Mitgliederzahl: ca. 900 bundesweit (2003: ca. 900), ca. 25 in Berlin (2003: ca. 20) Sitz in Deutschland: Köln Sitz im Ausland: bei Paris / Frankreich Publikationen: "Modjahed" (erscheint wöchentlich); englischsprachige Homepage) Nachdem die - ursprünglich linksextremistisch ausgerichtete - "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) seit 1965 bereits für den Sturz des SchahRegimes gekämpft hatte, gehört die Beseitigung des politischen Systems der Islamischen Republik Iran zu ihren erklärten Zielen. Zu diesem Zweck verübte die MEK über ihren im iranisch-irakischen Grenzgebiet stationierten bewaffneten Arm, die "Nationale Befreiungsarmee" (NLA) bis zum Sturz Saddam Hussains terroristische Anschläge im Iran. Die NLA genoss bis dahin die politische und militärische Unterstützung des mit dem Iran verfeindeten Irak und bildete eine 5 000 Personen umfassende Armee, in der Soldatinnen dominierten. Anhänger der Organisation in den europäischen Staaten wurden für zeitlich begrenzte Einsätze in der NLA rekrutiert. Während des Irak-Krieges im März/April 2003 flüchteten Mitglieder der Organisation nach Europa. Dies geschah unmittelbar vor den Angriffen der US-Luftwaffe auf ihre Militärlager im Irak. Im Mai 2003 schlossen die Alliierten einen Waffenstillstand mit der MEK und begannen mit der Entwaffnung der NLA, die seitdem faktisch nicht mehr existiert. Den noch ca. 3 800 Kämpfern der NLA, die im Hauptstützpunkt "Camp Ashraf" bei Bagdad unter US-Aufsicht gestellt sind, drohte nach einem am 9. Dezem- 252 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 ber 2003 ergangenen Beschluss des provisorischen irakischen Regierungsrates die Ausweisung in den Iran. Mit dem am 21. Juli 2004 vom Stellvertretenden Generalkommandeur der Multinationalen Truppen im Irak unterzeichneten Memorandum wurde den NLA-Angehörigen der Status von "geschützten Personen" nach den Bestimmungen der Vierten Genfer Konvention zuerkannt. In Deutschland wird die MEK durch ihren international agierenden politischen Arm, den "Nationalen Widerstandsrat Iran" (NWRI), vertreten. Dessen Aktivitäten konzentrieren sich vor allem auf massive Propaganda gegen den Iran und die Beschaffung von Spendengeldern, die zum Teil auch auf illegalem Wege mittels eigens dafür gegründeter Tarnvereine unter Vortäuschung humanitärer Ziele erfolgt. Staatsbesuche iranischer Politiker in Deutschland nutzt der NWRI regelmäßig für Kundgebungen - und in der Vergangenheit auch militante Aktionen - mit dem Ziel, die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Iran zu stören. Die Organisation geriert sich im Widerspruch zu ihrer inneren Struktur, die durch strenge Hierarchien und einen autoritären Führungsstil gekennzeichnet ist, verstärkt als friedliche und demokratische Exil-Oppositionsbewegung, um so die angestrebte Streichung von den Listen terroristischer Organisationen der EU und der USA zu erreichen. Dafür bedient sie sich einer geschickten Lobbyarbeit unter Einbindung von gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsträgern - insbesondere Parlamentariern und Menschenrechtsorganisationen - in Verbindung mit Kundgebungen, Unterschriftenaktionen und Informationsständen. In Berlin wurden 2004 zahlreiche Kundgebungen angemeldet, die zumeist nur geringe Teilnehmerzahlen erreichten oder ganz abgesagt wurden. Thematisiert wurden dabei überwiegend das weitere Schicksal der NLAAngehörigen im Irak und die gesellschaftlichen Verhältnisse im Iran. An einer zentralen Kundgebung am 2. Januar in Nähe der US-Botschaft nahmen etwa 500 Personen teil. Obwohl organisationsintern bundesweit für die Veranstaltung mobilisiert worden war, erschienen deutlich weniger Teilnehmer als erwartet. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 253 4.3 Türken 4.3.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) Organisationsstruktur: Vereine Entstehung/Gründung: 1985 in Köln als "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V." (AMGT) Mitgliederzahl: ca. 26 500 bundesweit (2003: ca. 26 500), ca. 2 900 in Berlin (2003: ca. 2 900) Sitz in Deutschland: Köln, vereinsrechtlich Bonn Publikationen: "Milli Görüs & Perspektive" (erscheint unregelmäßig) Der Vorläufer dieser islamistischen Organisation wurde 1985 unter der Bezeichnung "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V." ("Avrupa Milli Görüs Teskilatlari" - AMGT) in Köln gegründet. 1995 gingen daraus die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) und die "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V." (EMUG) hervor. Die EMUG ist für die Verwaltung des Immobilienbesitzes der Vereinigung verantwortlich. Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." vertritt eine islamistische Ideologie, die auf das politische Konzept von Necmettin Erbakan zurückgeht, das dieser 1973 in dem gleichnamigen Buch "Milli Görüs" (Nationale Sicht) veröffentlichte. Erbakans Ziel ist es, die türkischen Bürger unter dem Dach von Nationalismus und Islamismus zu einen und in der Türkei eine "Islamische Republik" zu errichten. Als politisches und gesellschaftliches Ordnungsmodell propagiert er eine 'gerechte Ordnung' ("Adil Düzen"), in welcher die Scharia gilt und politisches Handeln sich an den Prinzipien von Koran und Sunna orientiert. Erbakan lehnt wesentliche rechtsstaatliche Prinzipien wie Volkssouveränität oder Parteienpluralismus als unvereinbar mit der 'gerechten Ordnung' ab und fordert einen Systemwechsel nicht allein für die Türkei, sondern auch für die Bundesrepublik Deutschland. So war noch im Juli 2002 ein Videomitschnitt von Erbakan im Internet zu sehen: "Du willst dich von diesen Sorgen befreien? Um dich von diesen Sorgen befreien zu können, muss aus der Staatsordnung in Deutschland eine 'gerechte Ordnung' werden. Bevor hier keine 'gerechte Ordnung' herrscht, wirst du nicht zu deinem Recht kommen. Alles hängt letztlich davon ab, ob aus der hiesigen Staatsordnung eine gerechte Ordnung wird."466 1970 hatte Necmettin Erbakan - auf der Grundlage der Milli-Görüs-Ideologie - seine erste islamistische Partei in der Türkei gegründet. Im Gegensatz zu Parteiführern des linken und rechten Spektrums konnte er trotz 466 Rede von Necmettin Erbakan, "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung", 1990). 254 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 mehrmaliger Parteiverbote und anschließender Neugründungen eine Spaltung seiner Anhängerschaft bis 2001 verhindern. Interne Flügelkämpfe zwischen den so genannten Traditionalisten und den Erneuerern in der "Fazilet Partisi" (FP - "Tugendpartei") führten nach ihrem Verbot im Juni 2001 jedoch zur Gründung von zwei Nachfolgeparteien. Hierzu gehört die im Juli 2001 vom ehemaligen Vorsitzenden der "Tugendpartei", Recai Kutan, gegründete "Saadet Partisi" (SP - "Partei der Glückseligkeit"), in der sich die "Traditionalisten" wiederfinden, die sich zur Milli-Görüs-Ideologie und deren Begründer Erbakan bekennen. Die zweite Nachfolgepartei stellt die - im August 2001 vom ehemaligen Istanbuler Oberbürgermeister und früheren Anhänger der FP, Recep Tayyip Erdogan gegründete - "Adalet ve Kalkinma Partisi" (AKP - "Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei") dar, die als politisches Lager der "Erneuerer" gilt. Zwischen IGMG, Necmettin Erbakan und der SP bestehen, wie bei den anderen früher von Erbakan geführten Parteien, enge inhaltliche und personelle Verbindungen. In einem Interview mit dem damaligen IGMG-Generalsekretär, Mehmet Sabri Erbakan, einem Neffen von Necmettin Erbakan, erwiderte dieser auf die Bemerkung eines Journalisten, N. Erbakan werde regelmäßig in der "Milli Gazete" als "Führer" von Milli Görüs bezeichnet und sei anlässlich der IGMG-Jahreshauptversammlung als solcher gefeiert worden, sein Onkel sei der "Führer dieser geistigen Bewegung".467 Necmettin Erbakan sowie Abgeordnete der SP und ihrer Vorgänger nehmen häufig an Veranstaltungen der IGMG in Europa teil. So traten an dem "Tag der Freundschaft und Solidarität", den die IGMG 2002 in Arnheim / Niederlande veranstaltete, nicht nur Necmettin Erbakan, sondern auch die ehemalige Istanbuler Abgeordnete der "Tugendpartei", Merve Safa Kavakci, und der SP-Abgeordnete Temel Karamollaoglu als Redner auf.468 Darüber hinaus sind Funktionäre der IGMG in Ämter der islamistischen Parteien Erbakans in Ankara gewählt worden. 1995 kandidierten 33 Mitglieder der damaligen AMGT für ein Mandat der Wohlfahrtspartei. Drei von ihnen gelang der Einzug ins Parlament: Sevket Yilmaz, ehemaliges Mitglied des Exekutiv-Komitees der AMGT, Abdullah Gencer, früher stellvertretender Vorsitzender der AMGT sowie Osman Yumakogullari, der bis 1995 langjähriger Vorsitzender der Milli Görüs in Deutschland war und gleichzeitig als 467 "die tageszeitung", 3.8.2000. 468 "Milli Görüs & Perspektive", 7/8/2002, S. 17. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 255 Verantwortlicher der Deutschlandausgabe der "Milli Gazete" fungierte.469 Osman Yumakogullari kandidierte bei den Wahlen zum türkischen Parlament am 3. November 2002 auf der Liste der SP. Die IGMG präsentiert sich - insbesondere seit den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 - in ihren offiziellen Verlautbarungen als eine auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehende Organisation, die sich für den Dialog zwischen türkischen Muslimen und der deutschen Gesellschaft einsetzt. Von der islamistischen "Milli Görüs"-Ideologie Erbakans hat sie sich bislang nicht distanziert. Die IGMG ist die größte islamistische Organisation in Deutschland, die durch Mitgliedsbeiträge und Spenden über erhebliche finanzielle Mittel verfügt. Dies ermöglicht es ihr, eine Vielzahl von Aktivitäten anzubieten. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Erziehungsund Bildungsarbeit für Kinder und Jugendliche. Sefer Ahmedoglu, ein für die IGMG tätiger Imam führte hierzu in der "Milli Gazete" aus: "Einige unserer Brüder erwerben Häuser und Wohnungen, die weit von den Moscheen entfernt sind. Auf diese Weise vernachlässigen sie den Besuch der Gemeinde. [...] Sie selbst verlieren langsam das Interesse an der Gemeinde. Weil sie in weiter Entfernung zu den Moscheen wohnen, müssen ihre Töchter und Söhne muslimische Freunde und das muslimische Umfeld entbehren. [...] Sie sind gezwungen, Freundschaften mit Personen einzugehen, die nicht zu ihrem Glauben und zu ihrer Mentalität passen. Deswegen mache ich eindringlich darauf aufmerksam, dass Muslime unbedingt in der Nähe von Moscheen wohnen sollten. Sie sollten sich in einem islamischen Umfeld aufhalten und sich nicht von den Moscheen und Gemeinden entfernen. Wir haben damit viel Erfahrung. Wenn wir dieser Situation keine besondere Aufmerksamkeit schenken, stehen wir der großen Gefahr gegenüber, unsere [junge] Generation und unseren Glauben zu verlieren. [...]"470 Die zahlreichen Angebote sowie die Mitarbeit in islamischen Dachverbänden nutzt die IGMG auch für ihr Bestreben, hinsichtlich der Interessenvertretung der in Deutschland lebenden türkischen Muslime eine Vorrangstellung einzunehmen. Im Oktober 2002 trat der Vorsitzende des IGMG-Hauptverbandes, Mehmet Sabri Erbakan, von seinem Amt zurück. Dieser Schritt, die deutliche Niederlage der SP von Necmettin Erbakan bei den türkischen Parlamentswahlen 469 Vgl. dazu Günter Seufert: Die Milli-Görüs-Bewegung (AMGT/IGMG). Zwischen Integration und Isolation, in: Günter Seufert und Jacques Waardenburg: Turkish Islam and Europe - Türkischer Islam und Europa. Stuttgart/Istanbul 1999, S. 296. 470 "Milli Gazete", 27.12.2002. S. 15. 256 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 vom 3. November 2002 sowie der Wahlsieg der "Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei" (AKP) von Recep Tayyip Erdogan471 lösten in der IGMG in Deutschland eine Krise aus. Dies wird deutlich an vermehrt auftretenden Berichten über einen Mitgliederrückgang sowie die abnehmende Bereitschaft der IGMG-Mitglieder, weiterhin große Geldbeträge für den Verband bzw. vor allem für Necmettin Erbakan in der Türkei zu spenden.472 In Beiträgen des Diskussionsforums der IGMG im Internet kritisieren Anhänger die Organisationsstruktur des Vereins als hierarchisch und wenig transparent. Die Führungsebenen würden die Bedürfnisse der Basis nicht kennen und sich auch nicht für sie interessieren. Viele IGMG-Mitglieder zeigen derzeit große Sympathie für die AKP und Recep Tayyip Erdogan, zumal sie als Regierungspartei über viele Ressourcen verfügt. Necmettin Erbakan ist deshalb bemüht, unter türkischen Islamisten sowohl in der Türkei als auch in Deutschland für sich und die SP wieder Terrain zurückzugewinnen. Dies geschieht in Deutschland über in der "Milli Gazete" angekündigte Veranstaltungen der IGMG, zu denen hohe Funktionäre der Partei Necmettin Erbakans gesandt werden. Die Veranstaltungen nutzen sie als Forum, um über die Erfolge des Führers der "Milli Görüs" und seine SP zu referieren. 4.3.2 "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti") Organisationsstruktur: Vereine Entstehung/Gründung: 1984 Mitgliederzahl: ca. 750 bundesweit (2003: ca. 800), Berlin keine gesicherten Zahlen Sitz in Deutschland: Köln; die Organisation wurde am 12. Dezember 2001 vom Bundesminister des Innern verboten Publikationen: "Barika-i Hakikat" ("Das Aufleuchten der Wahrheit"), "Der Islam als Alternative" (beide erscheinen unregelmäßig) Der "Kalifatsstaat" ist eine islamistische Organisation, die sich 1984 unter der Leitung von Cemaleddin Kaplan zunächst mit der Bezeichnung "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln" (ICCB) von 471 Von ehemals 15,4 % vor der Spaltung der islamistischen Partei sank das Ergebnis der SP auf 2,5 %. Die AKP erhielt dagegen 34,2 % der Wählerstimmen. 472 Vgl. dazu z. B. folgende Artikel in der "Hürriyet": "Milli Görüs in Tayyip Panik" vom 15.9.2002, "IGMG löst sich auf" vom 22.9.2002 und "Ihr müsst Geld schicken" vom 11.4.2003. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 257 der "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V." (AMGT)473 abgespalten hat. Sowohl der damalige ICCB als auch die AMGT strebten für die Türkei eine an der Scharia ausgerichtete Staatsordnung an. Grundlegender Unterschied zwischen beiden Organisationen und gleichzeitiger Anlass für die Abspaltung der so genannten "Kaplancilar" (Kaplan-Anhänger) war hierbei die Frage, auf welchem Weg die Gründung eines "islamischen Staates" zu realisieren sei. Während die AMGT den gewaltfreien parlamentarischen Weg einschlug, sprach sich Kaplan ausdrücklich für eine "islamische Revolution" nach dem Vorbild des Iran aus. Im Zuge einer solchen "islamischen Revolution" sollte das - 1924 in der neu gegründeten türkischen Republik abgeschaffte - Kalifat, das Amt des weltlichen Oberhauptes der Muslime, wieder eingeführt werden. Den legalen Weg zur Macht über demokratische Wahlen lehnte Kaplan entschieden ab, da westliche Demokratiemodelle nicht mit der Scharia vereinbar seien. Seinen Vorstellungen zufolge sollte sich der zu gründende islamische Staat zunächst auf das Gebiet der heutigen Türkei beschränken, später aber alle muslimischen Länder unter der Herrschaft eines türkischen Kalifen vereinen. Als selbsternannter "Emir der Gläubigen und stellvertretender Kalif" rief Cemaleddin Kaplan 1992 den "Föderativen Islamstaat Anatolien" aus. 1994 ließ er sich von seinen Anhängern zum Kalifen wählen, worauf die Umbenennung der Organisation in "Hilafet Devleti" ("Kalifatsstaat") erfolgte. Nach dem Tod Cemaleddin Kaplans im Jahr 1995 trat sein Sohn Metin die Nachfolge im Amt des "Kalifen" an. Kurze Zeit danach wurde die Rechtmäßigkeit des neuen "Kalifen" von einigen Anhängern der Gemeinde in Frage gestellt. 1996 kam es zur Spaltung der Organisation, als der Berliner Arzt und frühere Vertraute von Cemaleddin Kaplan, Dr. Halil Ibrahim Sofu, von seiner Anhängerschaft zum "Gegenkalifen" ausgerufen wurde. Im Mai 1997 wurde Sofu in seiner Wohnung in Wedding von Unbekannten erschossen. In diesem Zusammenhang wurde Metin Kaplan am 15. November 2000 vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen zweifacher öffentlicher Aufforderung zur Ermordung Sofus zu vier Jahren Haft verurteilt.474 Nach der Verhaftung von Metin Kaplan übernahm Harun Aydin die Leitung des Verbandes, wobei das 473 Heute IGMG. 474 Vgl. S. 138 f. 258 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 ideologische Konzept Cemaleddin Kaplans beibehalten und die aggressive, demokratiefeindliche und antisemitische Agitation fortgeführt wurden. Am 12. Dezember 2001 hat der Bundesminister des Innern den "Kalifatsstaat" verboten. Das nach Entscheidungen des Bundesverwaltungsund Bundesverfassungsgerichts475 rechtskräftige Verbot wurde durch die Streichung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz möglich.476 Begründet wurde das Verbot damit, dass sich der "Kalifatsstaat" offen gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland sowie den Gedanken der Völkerverständigung richtet und die innere Sicherheit sowie außenpolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.477 Das Verbot betraf den Gesamtverband und 19 bundesweit vorhandene Teilorganisationen sowie die zum Verband gehörende, in den Niederlanden registrierte Stiftung "Diener des Islam". In Berlin war u. a. die MuhacirinMoschee in Friedrichshain-Kreuzberg von den Maßnahmen betroffen. Nach der Verbotsverfügung gab es Hinweise, dass Mitglieder der Gruppierung weiterhin aktiv seien und ihr organisatorischer Zusammenhalt aufrechterhalten werde. Anlass zu dieser Annahme gaben weitere Veröffentlichungen der Zeitung "Ümmet-i Muhammed" ("Die Gemeinde Muhammads") und die Fortsetzung der Sendungen des Fernsehkanals HAKK-TV nach dem 8. Dezember 2001.478 Aus diesem Grund leitete der Generalbundesanwalt am 8. April 2002 ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Angehörige des "Kalifatsstaats" wegen des Verdachts der Zuwiderhandlung gegen das Vereinsverbot ein. Im Zuge dieses Verfahrens wurden am 19. September 2002 16 weitere Teilorganisationen dieser Gruppierung in Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz und Niedersachsen verboten. Die verbotene Organisation verfügt noch über ca. 800 Anhänger im Bundesgebiet. Regionale Schwerpunkte sind Köln, Braunschweig, Augsburg sowie das Bundesland Baden-Württemberg. 475 BVerwG 6 A 4.02 vom 27.11.2002 und BVerfG 1 BvR 536/03 vom 2.10.2003. 476 Erstes Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes, BGBl. I, Nr. 64, 2001, S. 3319. 477 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2001. Berlin 2002, S. 79 ff. 478 In beiden Fällen handelt es sich um die vormaligen Verlautbarungsorgane des "Kalifatsstaats". Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 259 4.3.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) Organisationsstruktur: Funktionärsgruppe Entstehung/Gründung: 1994 (in der Türkei) Mitgliederzahl: ca. 600 bundesweit (2003: ca. 600), ca. 25 in Berlin (2003: ca. 25) Publikationen: u. a. "Atilim" ("Vorstoß") "Partinin Sesi" ("Stimme der Partei") Ziel der "Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP) ist die Errichtung eines kommunistischen Gesellschaftssystems in der Türkei auf der Basis der Ideologie des Marxismus-Leninismus. Hierbei versteht sich die Organisation als die authentische Stimme des Proletariats einer gemeinsamen türkisch-kurdischen Nation sowie als Vertreterin nationaler Minderheiten. In der Türkei versucht die MLKP, ihre politischen Ziele auch mit terroristischen Mitteln durchzusetzen. Hierzu bedient sie sich ihres militärischen Arms, der so genannten "Bewaffneten Streitkräfte der Armen und Unterdrückten" (FESK). Anschläge der FESK auf englische oder amerikanische Ziele in der Türkei wurden in diesem Jahr weltweit wahrgenommen, da sie im Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel vom 28. - 29. Juni in Istanbul die internationale Sicherheitslage betrafen. In Deutschland liegt der Agitationsschwerpunkt der MLKP auf öffentlichen Veranstaltungen, die sich thematisch hauptsächlich auf aktuelle Ereignisse in der Türkei beziehen. Auf Spruchbändern und Flugblättern wird dabei anstelle der Bezeichnung MLKP meist der Begriff "Föderation der Arbeitsimmigranten aus der Türkei in Deutschland e. V." (AGIF) verwendet. Bei der AGÄdegF handelt es sich um einen Dachverband MLKP-orientierter Vereine in Deutschland, dessen Programmatik sich gegen "Imperialismus" und "Globalisierung" richtet. Auch in Berlin agierte die MLKP im Jahr 2004 auf zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen, die ohne Störungen verliefen. Neben einer großen AntiNATO-Demonstration am 26. Juni gehörte wie jedes Jahr die Teilnahme an der "Luxemburg-Liebknecht-Demonstration" und an der Demonstration zum 1. Mai zum Programm. 260 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 4.3.4 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Organisationsstruktur: konspirativ arbeitende Kaderorganisation, in Deutschland seit 1998 verboten Entstehung/Gründung: 1994 Mitgliederzahl: ca. 650 bundesweit (2003: ca. 700), ca. 70 in Berlin (2003: ca. 70) Publikationen: u. a. "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") "Ekmek ve Adalet" ("Brot und Gerechtigkeit") Die miteinander rivalisierenden Organisationen "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) und "Türkische Volksbefreiungspartei / -Front - Revolutionäre Linke" (THKP/-C - Devrimci Sol) sind aus der 1978 in der Türkei gegründeten Organisation "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") hervorgegangen, die 1983 in Deutschland verboten wurde. Beide Organisationen sind in der Türkei terroristisch aktiv und streben die Beseitigung des türkischen Staatsgefüges und die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Ideologie an. Die DHKP-C ist auch unter den Namen "Revolutionäre Volksbefreiungspartei" (DHKP) bzw. "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" (DHKC) aktiv. Zumeist wird die DHKC als "bewaffneter Arm" der Organisation bezeichnet. Laut Parteiprogramm kämpft die DHKP-C für die "Befreiung der türkischen und kurdischen Nation und aller anderen Nationen". Die DHKP-C geht davon aus, dass es in einem vom "Imperialismus" abhängigen und vom "Faschismus" regierten Land wie der Türkei unmöglich sei, die Machtverhältnisse durch Wahlen zu verändern. Daher plädiert sie für einen radikalen Umsturz des dortigen politischen Systems in Form einer "Revolution" und des "bewaffneten Volkskampfes". Personen, deren Aktivitäten gegen die "Revolution" gerichtet seien, droht die DHKP-C eine "gnadenlose Bestrafung" an. Bereits 2003 nahm die DHKC in der Türkei ihre terroristischen Aktivitäten wieder auf. Selbstbezichtigungen der Organisation erscheinen dabei jeweils zeitnah im Internet und sind sogar in deutscher Übersetzung verfügbar. Für besondere Aufregung sorgte kurz vor dem NATO-Gipfel in Istanbul eine Bombe der DHKP-C, die in einem öffentlichen Bus explodierte und fünf Tote und 18 Verletzte zur Folge hatte. In Deutschland engagieren sich DHKP-C-nahe Organisationen wie zum Beispiel das "Tayad-Komitee" ("Verein zur Solidarität mit Familien von Inhaftierten und Verurteilten") seit November 2000 in Form von öffentlichen Solidaritätskundgebungen für die Hungerstreikenden in den türkischen Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 261 Gefängnissen479 und führten in dem Zusammenhang in Berlin auch in diesem Jahr Protestkundgebungen durch. Außerdem beteiligten sich Organisationen aus dem Umfeld der DHKP-C an verschiedenen Demonstrationen wie der "Luxemburg-Liebknecht-Demonstration" am 11. Januar und der Anti-NATO-Demonstration am 26. Juni. 4.3.5 "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) Organisationsstruktur: konspirativ arbeitende MKP Partisan Kaderorganisation Entstehung/Gründung: 1972 in der Türkei, in Deutschland seit 1973/74 Mitgliederzahl: ca. 1 300 bundesweit (2003: ca. 1 400), ca. 100 in Berlin (2003: ca. 100) Publikationen: u. a. "Özgür Gelecek Yolunda Isci Köylü" ("Arbeiter und Bauer auf dem Weg der freien Zukunft") "Halk icin Devrimci Demokrasi" ("Revolutionäre Demokratie für das Volk") Die "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) ist seit 1994 in zwei Flügel gespalten. Der "Partizan-Flügel" verfügt über bewaffnete Einheiten, die die Bezeichnung "Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO) tragen. Der zweite Flügel - bis Dezember 2002 unter dem Namen "Ostanatolisches Gebietskomitee" (DABK) aktiv - ist die "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP), deren bewaffnete Einheiten heute als "Volksbefreiungsarmee" (HKO) agieren. Beide Flügel sind marxistisch-leninistisch und sozialrevolutionär beziehungsweise maoistisch orientiert und streben die gewaltsame Beseitigung der staatlichen Ordnung in der Türkei an, um dort ein kommunistisches Gesellschaftssystem zu errichten. Die Organisationen verüben unabhängig voneinander Anschläge gegen den türkischen Staat und führen einen Guerillakampf gegen die als "faschistisch" bezeichneten Streitkräfte der Türkei. Aber auch Personen, die keine Vertreter des Staats sind, können in der Türkei zum Opfer der Selbstjustiz dieser Organisationen werden. So bekannte die MKP sich im August zum Mord an einem Mann, den sie für eine Anzeige und den späteren Tod von zehn Personen verantwortlich machte. Die TKP/ML verübte in der Türkei nach mehreren ruhigen Jahren im Dezember drei Anschläge, wobei auch eine Filiale der britischen HSBC-Bank betroffen war. 479 Vgl. auch Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre. Die DHKP-C ist die einzige türkische linksextremistische Organisation, deren Mitglieder weiterhin versuchen, ihre politischen Ziele durch Hungerstreikaktionen durchzusetzen. 262 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Zum Umfeld der TKP/ML gehören in Deutschland und in anderen europäischen Ländern verschiedene Dachorganisationen. Dem PartizanFlügel nahe stehen die Organisationen "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V." (ATIF) und die "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" (ATIK). Bezüge zur MKP weisen die Dachorganisationen "Föderation für demokratische Rechte in Deutschland e. V." (ADHF) und "Konföderation für demokratische Rechte in Europa" (ADHK) auf. Auch in diesem Jahr war die TKP/ML in der deutschen Öffentlichkeit aktiv. In Berlin beteiligte sie sich wie schon in früheren Jahren an der "LuxemburgLiebknecht-Demonstration" am 11. Januar sowie an der Demonstration zum 1. Mai. Außerdem nahmen beide Flügel der TKP/ML zusammen mit anderen türkischen linksextremistischen Gruppen an den Protesten gegen den NATO-Gipfel und der Anti-NATO-Demonstration am 26. Juni in Berlin teil. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 263 4.4 Kurden 4.4.1 "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL) / "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Ideologie: linksextremistisch Organisationsstruktur: Selbstverständnis als politische Partei, in Deutschland Vereinsstrukturen (Tarnund Nebenorganisationen) Entstehung/Gründung: 1978 in der Türkei gegründet Mitgliederzahl: ca. 11 500 bundesweit (2003: ca. 11 500), ca. 1 050 in Berlin (2003: ca. 1 050) Sitz in Deutschland: Die Organisation unterliegt seit 1993 in Deutschland einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Publikationen: "Serxwebun" ("Unabhängigkeit"), monatlich Die PKK - Vorgängerorganisation von KADEK / KONGRA-GEL - wurde 1978 vor dem Hintergrund des jahrzehntelangen völkerrechtlichen Konflikts der im Ländereck Türkei, Iran, Irak und Syrien lebenden 25 Millionen Kurden im Südosten der Türkei gegründet. Erklärtes Ziel der Organisation war die Anerkennung der Kurden als Nation und die Erlangung der politischen Autonomie für die kurdische Minderheit innerhalb des türkischen Staatsgebiets. Von 1984 bis 1999 führte die PKK in der südöstlichen Türkei einen Guerillakrieg für ein unabhängiges Kurdistan. 1992 und 1993 verübten Anhänger der PKK zahlreiche Brandanschläge auf türkische Einrichtungen in Deutschland; bei Demonstrationen kam es wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Am 24. Juni 1993 besetzten 13 Kurden das türkische Generalkonsulat in München und nahmen 20 Geiseln. Diese gewalttätigen Aktionen führten 1993 zum vereinsrechtlichen Betätigungsverbot in Deutschland. Ab Mitte 1996 bis zur Festnahme des PKK-Führers Abdullah Öcalan im Jahre 1999 verliefen Demonstrationen und Kundgebungen der Anhänger der PKK in Deutschland in der Regel gewaltfrei. Die Festnahme und Auslieferung Öcalans an die Türkei führten dagegen zu weltweiten militanten Protesten. In Berlin erstürmten am 17. Februar 1999 PKK-Anhänger das israelische Generalkonsulat, wobei vier Kurden von israelischen Sicherheitskräften erschossen wurden. Seit 1999 verfolgt die Organisation einen strategischen Kurswechsel mit dem Ziel, sich durch die Ankündigung von internen Reformen als politischer Gesprächpartner zu etablieren. Dieser Reformprozess wird nach außen sichtbar gemacht, indem auch die Teilund Nebenorganisationen der deut- 264 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 schen PKK umbenannt werden. Allerdings blieben die bisherigen Hierarchieund Befehlsstrukturen erhalten. Auf dem vom 4. bis 10. April 2002 abgehaltenen 8. Parteikongress der PKK wurde der "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) gegründet, nachdem zuvor die Einstellung aller Tätigkeiten unter dem Namen "PKK" ab dem 4. April 2002 beschlossen worden war. Im September 2003 wurde bekannt, dass die kurdische Jugend eine neue Organisation, die "Bewegung der freien Jugend Kurdistans" (TECAK), gegründet hat. Die bisherige Jugendorganisation des KADEK, die "Union der Jugendlichen aus Kurdistan" (YCK), sei aufgelöst worden. Die bereits am 12. August 2003 gegründete TECAK betrachte es als ihre Aufgabe, alle bisher von der YCK geschaffenen Werte zu verteidigen und weiterzuentwickeln. Der KADEK beschloss nach eigenen Angaben auf seinem 2. außerordentlichen Kongress am 26. Oktober 2003 im Nordirak seine Auflösung, um den Weg für eine Neustrukturierung der Organisation zu ebnen und die Lösung der kurdischen Frage auf friedlicher und demokratischer Basis herbeizuführen. Am 15. November 2003 gab der "Volkskongress Kurdistans" (Kurdisch: "Kongra Gel (e) Kurdistan" - KONGRA-GEL) seine Gründung, die auf einem Kongress zwischen dem 27. Oktober und dem 6. November 2003 im Nordirak stattgefunden habe, bekannt. Auf ihrem 5. ordentlichen Kongress, der vom 12. bis 21. Juni 2004 im Süden Frankreichs stattfand, beschloss die "Kurdische Demokratische Volksunion" (YDK) ihre Selbstauflösung und Reorganisation unter der Bezeichnung "Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa". Diese neue Organisation werde über so genannte Volksräte basisdemokratisch aufgebaut sein, um den Vorgaben Abdullah Öcalans zum "Ausbau der Volksdemokratie" gerecht zu werden.480 Die YDK wurde Anfang Mai 2000 als Ersatzorganisation für die im Januar 2000 aufgelöste und 1993 durch den Bundesminister des Innern verbotene "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK / war auf internationaler Ebene für die politische Arbeit der PKK zuständig) gegründet. In einer Mitte August 2004 veröffentlichten Erklärung wurde die Gründung einer neuen Kurdenorganisation mit dem Namen "Partiya Welatperez'e Demokratik" (PWD)481 unter der Führung Osman Öcalans, Bruder von 480 "Özgür Politika" vom 26.6.2004. 481 Vgl. S. 154 ff. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 265 Abdullah Öcalan, angekündigt. Ziel der Partei sei die friedliche Unterstützung der "kurdischen Befreiungsbewegung". Die PWD strebe keine Zerstörung des KONGRA-GEL an. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 267 268 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 III VERFASSUNGSSCHUTZ BERLIN 1 Grundlagen - Strukturen - Arbeitsweisen 1.1 Aufbau und Ressourcen Verfassungsschutzbehörde für das Land Berlin ist die Senatsverwaltung für Inneres. Die Aufgaben werden durch die Abteilung Verfassungsschutz wahrgenommen. Diese gliedert sich in vier Referate: Abteilung II -VerfassungsschutzAbteilungsleiterin Referat II A Referat II B Referat II C Referat II D Grundsatz, Recht, Rechtsextremismus, AusländerextremisBeschaffung Öffentlichkeitsarbeit, Linksextremismus, mus, Verwaltung, Spionageabwehr Geheimschutz Informationstechnik Für die Aufgaben des Verfassungsschutzes standen im Jahr 2004 Haushaltsmittel in Höhe von 8,2 Mio. EUR zur Verfügung (2003: 6,5 Mio. EUR). Der Abteilung waren 192 Stellen zugewiesen (2003: 182). 1.2 Gesetzliche Grundlagen zu den Aufgaben und Befugnissen Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist hinsichtlich der Aufgabenstellungen, der Befugnisse und der Kontrollverfahren detailliert gesetzlich festgeschrieben. Verfassungsschutz Berlin 269 Von Bedeutung sind hier: * das Grundgesetz (GG), Artikel 73 und 87, * das Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln)482, * das Gesetz zur Beschränkung des Postund Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) 483 sowie das Gesetz zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz484, * das Bundesverfassungsschutzgesetz 485, * das Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz486. Im Grundgesetz ist im Artikel 87 Abs. 1 die Schaffung einer "Zentralstelle zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes" festgelegt. Dem Bund wird gleichzeitig die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zugewiesen (Art. 73). Die Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde Berlin sind in SS 5 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln) geregelt. Danach dürfen Informationen gesammelt und ausgewertet werden über - Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, - sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, 482 GVBl. Nr. 28 vom 21.7.2001, S. 235, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.12.2003 (GVBl 571). Der vollständige Gesetzestext ist im Anhang abgedruckt. 483 BGBl. I, S. 1254 ff. vom 26.6.2001, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.8.2002 (BGBl. I, S. 3390, 3391). 484 Gesetz vom 25.6.2001 (GVBl. S. 251) zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.12.2003. Der vollständige Gesetzestext ist im Anhang abgedruckt. 485 Gesetz vom 20.12.1990 (BGBl. Teil I, S. 2954) zuletzt geändert durch Art. 9 G zur Neuregelung des Zollfahndungsdienstes (ZFnrG) vom 16.8.2002 (BGBl. I, S. 3202). 486 GVBl. Nr. 28 vom 21.7.2001, S. 243. Der vollständige Gesetzestext ist im Anhang abgedruckt. 270 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 - Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder gegen das friedliche Zusammenlegen der Völker (Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. Das Gesetz zur Beschränkung des Postund Fernmeldegeheimnisses legt die Voraussetzungen fest, unter denen Telefon und Post überwacht werden dürfen. Demnach darf die Überwachung nur erfolgen, * wenn es erforderlich ist, um drohende Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes abzuwehren, * wenn Anhaltspunkte für bestimmte schwerwiegende Straftaten - z. B. geheimdienstliche Agententätigkeit oder Bildung einer terroristischen Vereinigung - vorliegen, * wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert ist. Die Überwachung unterliegt einem umfassenden Genehmigungsverfahren, in dem der Senator für Inneres die einzelnen Maßnahmen anordnet. Zusätzlich ist die Zustimmung der so genannten G-10-Kommission erforderlich. Die Genehmigung der Maßnahmen ist jeweils auf eine Dauer von drei Monaten befristet, danach ist eine Verlängerung in gleicher Weise wie vorstehend beschrieben erforderlich. Nicht nur die ministerielle Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen, sondern der gesamte Prozess der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Daten unterliegen der Kontrolle der G 10-Kommission. Dabei wird der datenschutzrechtliche Standard den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts487 folgend und in Anlehnung an das Artikel 10-Gesetz des Bundes deutlich erhöht. Das Bundesverfassungsgericht hat am 3. März 2004488 SS 100 c Abs. 1 Nr. 3 StPO und weitere damit verbundene Normen, die die Wohnraumüberwachung zu Strafverfolgungszwecken regeln, in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, einen grundgesetzkonformen Zustand bis spätestens zum 30. Juni 2005 herzustellen. 487 BVerfGE 100, 313 ff. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung grundlegende Maßstäbe zur Telekommunikationsfreiheit und den Bedingungen für Eingriffe in dieses Grundrecht aufgestellt. 488 BVerfGE 109, 279. Verfassungsschutz Berlin 271 Die neue Ermächtigung soll konkrete Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung vor staatlichem Zugriff, zum Anwendungsbereich und zum Datenerhebungsund Verarbeitungsverfahren treffen. Die Entscheidung enthält wesentliche Kernaussagen zu Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) und zu Art. 1 Abs.1 GG (Würde des Menschen). Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass Art. 13 Abs. 3 GG (Wohnraumüberwachung) verfassungsgemäß ist, auch wenn durch diese Regelung in die Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen wird.489 Eine akustische Wohnraumüberwachung zu Strafverfolgungszwecken ist mit dem Verfassungsgrundsatz der Menschenwürde (Art. 1 Abs.1 GG) vereinbar. Allerdings können Art und Weise der Durchführung der akustischen Wohnraumüberwachung zu einer Situation führen, in der die Menschenwürde verletzt ist. Entscheidend ist, dass die einschlägigen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen die Eingriffsvoraussetzungen des Art. 13 Abs.3 GG nicht nur wiederholen, sondern der Gesetzgeber die Voraussetzungen im Einzelnen konkretisiert. Ungeeignet ist insoweit ein allgemeiner Verweis auf Straftatenkataloge in Strafprozessordnung. Wichtig ist, dass die einzelnen Vorschriften umfassende Schutzvorkehrungen insbesondere verfahrensrechtlicher Art enthalten, die das Risiko einer Verletzung des Kernbereichs der Menschenwürde reduzieren. Dazu gehört eine Verpflichtung zum sofortigen Abbruch einer Überwachungsmaßnahme, sobald ein derartiger Eingriff erkennbar wird, die Konstituierung eines absoluten Verwertungsverbotes hinsichtlich der unter Verletzung des Kernbereichs erhobenen Daten wie auch eine unbedingte Löschungspflicht.490 Schließlich hat der Gesetzgeber eine Kennzeichnung der aus einer (rechtmäßigen) Wohnraumüberwachungsmaßnahme stammenden Daten zur Sicherung der Zweckbindung jedenfalls im Fall einer Übermittlung der Daten an eine andere Behörde vorzuschreiben.491 Die in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Maßstäbe für die Wohnraumüberwachung zur Strafverfolgung entfalten keine unmittelbare Bindungswirkung für die Verfassungsschutzbehörden. In Berlin ist der Einsatz technischer Mittel zur Überwachung von Wohnungen durch den Verfassungsschutz in SS 9 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln) geregelt. Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäbe enthalten aber auch Kriterien für die rechtliche 489 BVerfGE 109, 279, 311. 490 BVerfGE 109, 279, 327 f. 491 BVerfGE 109, 279, 374 ff. 272 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Ausgestaltung der Wohnraumüberwachung zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes. Insbesondere die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Schutzvorkehrungen - wie Kennzeichnungspflicht, Prüfpflicht und Übermittlung -, ebenso wie die rechtliche Sicherung des "Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung" werden auch bei den neu zu schaffenden Regelungen für den Verfassungsschutz Berücksichtigung finden. Auf der Basis des Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetzes wirkt die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen der zuständigen öffentlichen Stellen mit bei der Sicherheitsüberprüfung492 * von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können und * von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen. Weiterhin wirkt sie mit * bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. Durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz ist auch die Informationsübermittlung des Bundesamtes für ausländische Flüchtlinge an das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie die Informationsübermittlung der Ausländerbehörden an die Landesämter geregelt worden. Darüber hinaus können sich die Ausländerbehörden (SS 64a AuslG) vor der Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltsgenehmigungen zur Feststellung von Versagungsgründen an die Sicherheitsbehörden wenden. 1.3 Arbeitsweisen Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, den Senat und das Abgeordnetenhaus, andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu unterrichten. Hierfür werden offen und verdeckt Informationen über extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen gesammelt. 492 Vgl. S. 172 ff. Verfassungsschutz Berlin 273 Der Verfassungsschutz erhält einen hohen Anteil seines Informationsaufkommens aus allgemein zugänglichen Quellen. Hierunter fallen z. B. frei erhältliche Publikationen, Beiträge elektronischer Medien aber auch Erkenntnisse aus öffentlichen Veranstaltungen von beobachteten Gruppierungen. Ein weiterer Teil der Informationen beruht auf Angaben anderer Behörden oder auf freiwilligen Auskünften von Personen. Schließlich werden Informationen durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gewonnen. Nachrichtendienstliche Mittel dürfen nach den Bestimmungen des VSG Bln in Fällen eingesetzt werden, in denen sich verfassungsfeindliche Bestrebungen unter weitgehend konspirativer Abschottung und Geheimhaltung entfalten und sich anderweitig keine Informationen gewinnen lassen. Gemäß den Vorgaben des VSG Bln soll der Einsatz dieser Mittel nur erfolgen, wenn sie erkennbar im Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel kommt deshalb erst dann in Betracht, wenn die anderen Mittel der Nachrichtenbeschaffung erschöpft sind, d. h. wenn die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählen insbesondere der Einsatz von Vertrauenspersonen (so genannten V- Personen, die aus Beobachtungsobjekten berichten), die Observation sowie die Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs, deren besonders enge rechtliche Voraussetzungen im Gesetz zu Artikel 10 GG493 geregelt sind. Die Informationsbeschaffung durch V-Personen ist ein Kernbereich nachrichtendienstlicher Arbeit, der in einem außerordentlichen Spannungsfeld steht: Auf der einen Seite bedarf es des Schutzes unserer freiheitlichen Demokratie, auf der anderen Seite der Beschaffung von Informationen durch Mitglieder extremistischer Organisationen. So sind V-Personen Privatpersonen, die in der Regel der zu beobachtenden verfassungsfeindlichen Organisation angehören oder ihr nahe stehen. Sie berichten über deren Strukturen und Aktivitäten. Ihr Einsatz ermöglicht es dem Verfassungsschutz, auch "hinter die Fassade" zu blicken und fundierte Einschätzungen gegenüber Politik und Öffentlichkeit abzugeben. Der Gesetzgeber hat dieses Mittel der Informationsbeschaffung den Verfassungsschutzbehörden ausdrücklich zugewiesen. Aufgrund der besonderen Sensibilität der Maßnahme sind dem Einsatz von V-Personen aber enge 493 BGBl. Teil I, 2001, S. 1254 ff.; BGBl. Teil I, 2002, S. 361, 364. 274 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 rechtsstaatliche Grenzen gesetzt, die sich sowohl aus den einschlägigen Gesetzen als auch aus internen Dienstvorschriften ergeben. So dürfen Aufträge an V-Personen nicht weiter gehen als die gesetzlichen Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden. Sie dürfen keinen steuernden Einfluss auf die Organisation, der sie angehören, ausüben. V-Personen sind auch keine "Agents provocateurs" - sie dürfen nicht zu Straftaten anstiften. V-Personen geben die Informationen, die sie erhalten haben, aus freien Stücken weiter. Außer ihren Prämien für Informationen bekommen sie keine weiteren Vergünstigungen. Voraussetzung beim Einsatz von V-Personen ist die Vertraulichkeit. Deshalb wird die Identität einer V-Person und ihre Verbindung zum Verfassungsschutz besonders geschützt. Auch ihre Informationen werden nur dann offen genutzt, wenn ein Rückschluss auf den Informationsgeber nicht möglich ist (so genannter Quellenschutz). Zur Bekämpfung gewalttätiger, insbesondere terroristischer Bestrebungen dürfen Anfragen an Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsanbieter und Kreditinstitute gestellt werden. Gerade zur Aufklärung islamistischer terroristischer Netzwerke kann es erforderlich sein, Flüge ins europäische oder außereuropäische Ausland festzustellen, Finanzierungsströme aufzuklären und Telefonverbindungsdaten zur Feststellung von Kontakten zu erlangen. Wegen der Eingriffstiefe dieser Befugnisse sind sie vom Gesetzgeber nur befristet bis Januar 2007 vorgesehen worden. Dann ist zu prüfen, ob diese Maßnahmen sich bewährt haben und weiterhin erforderlich sind. Zu diesem Zwecke müssen halbjährliche bzw. jährliche Berichte an den Ausschuss für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses sowie das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes erfolgen. Die Verfassungsschutzbehörde ist berechtigt, zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben personenbezogene Daten zu erheben und zu verarbeiten. Als bundesweite Hinweisdatei existiert für die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder das "Nachrichtendienstliche Informationssystem" (NADIS). Hierüber ist es möglich abzufragen, ob und für welchen Aufgabenbereich eine Person bei einer Verfassungsschutzbehörde erfasst ist. Hinweise auf den Hintergrund der Speicherung sowie den Inhalt und Umfang der zugrunde liegenden Informationen lassen sich daraus nicht erkennen. Die Speicherungsgrundlagen sowie die Speicherungsdauer sind im VSG Bln geregelt.494 494 VSG Bln SSSS 11 - 17. Verfassungsschutz Berlin 275 Für Berlin waren Ende 2004 15 561 Datensätze im NADIS gespeichert (2003: 15 960). Rund 62 Prozent entfallen dabei auf Sicherheitsüberprüfungen, die übrigen verteilen sich auf die Aufgabenbereiche Spionageabwehr, Ausländer-, Rechtsund Linksextremismus. Verbesserung der Zusammenarbeit Die Gefahr des islamistischen Terrorismus erfordert ein effektives, alle Kräfte bündelndes Vorgehen. Im Berichtsjahr wurden deshalb Maßnahmen zur Verbesserung des Informationsaustausches der Sicherheitsbehörden in diesem Bereich ergriffen. Auf Initiative Berlins wurde die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern intensiviert und der Ressourceneinsatz effektiver gestaltet. Die Funktion des Bundesamtes für Verfassungsschutzes als Zentralstelle für Informationsauswertung und -steuerung sowie Koordination vor Maßnahmen wurde gestärkt. Am 1. Juni 2004 wurde die Koordinierungsrichtlinie geändert.495 Zur Verbesserung des Informationsaustauschs und der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden hat am 1. Dezember 2004 ein Aufbaustab im Analysezentrum seine Arbeit aufgenommen. Der Berliner Verfassungsschutz und das Landeskriminalamt sind seit Dezember dort vertreten. Die Innenministerkonferenz hat im November 2004 darüber hinaus beschlossen, dass eine gemeinsame Datei von Polizei und Nachrichtendiensten eingerichtet werden soll. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung ist derzeit in Vorbereitung. Zu klärende Punkte sind, welche Behörden neben Polizei und Nachrichtendiensten Zugriff auf den sensiblen Datenbestand erhalten sollen, ob auch Daten nicht gewaltbereiter Islamisten aufgenommen werden sollen und ob sich die Daten auf Grunddaten und die speichernde Stelle beschränken soll oder auch Texte eingestellt werden sollen. Bei Klärung diesen Fragen werden die unterschiedlichen Aufgaben von Nachrichtendienst und Polizei zu berücksichtigen sein, die auch zu einer Begrenzung der Übermittlung - z. B. bei Personen, die nicht für die Strafverfolgung oder Verhütung von Straftaten relevant sind - führen. Das Legalitätsprinzip, das die Polizei bei Vorliegen 495 In der Richtlinie für die Zusammenarbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Landesbehörden für Verfassungsschutz gemäß der Innenministerkonferenz vom 26.11.1993 wird Art und Verfahren der Zusammenarbeit geregelt. Ausdrücklich geregelt ist nunmehr, dass die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sich unter Federführung des Bundesamtes für Verfassungsschutz kontinuierlich über die Schwerpunkte der Beobachtung des islamistischen Terrorismus abstimmen und die arbeitsteilige Durchführung der erforderlich Maßnahmen vereinbaren. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wertet alle Erkenntnisse aus und unterrichtet die Landesbehörden für Verfassungsschutz unverzüglich über alle relevanten Erkenntnisse. 276 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 entsprechender Anhaltspunkte zur Verfolgung von Straftaten verpflichtet, also ein Zuwarten nicht ermöglicht, ist bei der Frage der Einstellung von Texten durch die Nachrichtendienste zu berücksichtigen. Bei Einstellung von Texten ist auch zu beachten, dass hier die Gefahr der Informationsverkürzung und Fehlinterpretation besteht und möglicherweise vor der Nutzung der Information von Anfragen bei der einspeichernden Stelle abgesehen wird. Dies kann bei polizeilichen Maßnahmen wie Durchsuchungen oder Verhaftungen erhebliche Auswirkungen haben. 1.4 Kontrollinstanzen Die Verfassungsschutzbehörde unterliegt bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben einer weitgehenden Kontrolle auf mehreren Ebenen: Öffentliche Kontrolle Revision durch Bürger und Kontrollinstanz der Medien Leitung der Senatsverwaltung für Inneres Datenschutz Allgemeine parlamentarische Beauftragter für Kontrolle durch das Datenschutz und Abgeordnetenhaus Informationsfreiheit Debatte, Aktuelle Abteilung Stunden, Kleine und VerfassungsGroße Anfragen, Petitionen schutz Gerichtliche Besondere Kontrolle parlamentarische Kontrolle durch VerwaltungsAusschuss für gerichte Verfassungsschutz/ ggf. Untersuchungsausschuss G10-Kommission Vertrauensperson Kontrolle von des Ausschusses Eingriffen in das Postfür Verfassungsschutz und Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG Verfassungsschutz Berlin 277 Das "in camera"-Verfahren Das "in camera"-Verfahren wurde durch Gesetz vom 20. Dezember 2001496 nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts497 eingeführt. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass SS 99 Abs. 1 Satz 2 i.V. mit Abs. 2 Satz 1 VwGO mit Artikel 19 Abs. 4 GG unvereinbar ist, soweit die Aktenvorlage auch für die Fälle ausgeschlossen wird, in denen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes von der Kenntnis der Verwaltungsvorgänge abhängt. Somit bestand die Notwendigkeit für die Einführung eines so genannten "in camera"-Verfahrens. In diesem "in camera"Verfahren werden geheimhaltungsbedürftige Vorgänge auf Antrag eines Prozessbeteiligten einem eigens hierfür eingerichteten Fachsenat beim Oberverwaltungsgericht zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob die Vorlageverweigerung rechtmäßig war. Das Gericht prüft diese geheimhaltungsbedürftigen Vorgänge und entscheidet, ob die Voraussetzungen für die Vorlageverweigerung durch die Aufsichtsbehörde berechtigt war. Das "in camera"-Verfahren spielt insbesondere bei Auskunftsverfahren eine Rolle. Es kann aber z. B. auch bei Einbürgerungsverfahren oder ausländerrechtlichen Verfahren von Bedeutung sein, wenn Unterlagen des Verfassungsschutzes, die für die Entscheidung wichtig sind, aus Geheimhaltungsgründen nicht vorgelegt werden können. Auch im Jahr 2004 sind in Berlin zwei "in camera"-Verfahren rechtskräftig entschieden worden, in beiden Verfahren hat das Oberverwaltungsgericht Berlin entschieden, dass die Nichtvorlage der Unterlagen durch die Senatsverwaltung für Inneres rechtmäßig war.498 1.5 Öffentlichkeitsarbeit: Verfassungsschutz durch Aufklärung Die Öffentlichkeitsarbeit hat für den Berliner Verfassungsschutz eine große Bedeutung, denn die öffentliche Auseinandersetzung mit extremistischen Ideologien dient ebenso dem Schutz der Demokratie wie repressive Maßnahmen gegen extremistische Bestrebungen. So ist die Unterrichtung der Öffentlichkeit auch als Aufgabe im Verfassungsschutzgesetz Berlin festgeschrieben. Den umfassendsten Überblick über die einzelnen Beobachtungsfelder gibt der jährliche Verfassungsschutzbericht. Er informiert über das Geschehen 496 BGBl. I S. 3987. 497 BVerfG Beschluss vom 27.10.1999 - 1 BvR 385/90. 498 Beschluss OVG 95 A 1.04 vom 4.5.2004 und Beschluss OVG 95 A 4.04 vom 9.8. 2004. 278 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 im extremistischen Spektrum, über die Ideologien im Rechts-, Linksund Ausländerextremismus sowie über die wichtigsten in Berlin vertretenen extremistischen Gruppierungen. Im vergangenen Jahr wurden die Teile des Verfassungsschutzberichtes zum Ausländerextremismus erstmals in die türkische Sprache übersetzt, um eine Information über islamistische und andere extremistische Bestrebungen auch denjenigen zu ermöglichen, die nicht deutsch als Muttersprache gelernt haben und bei den juristischen Fachausdrücken möglicherweise Probleme haben. Die laufenden Ereignisse sind im Internet zu finden: Auf der Homepage des Verfassungsschutzes (www.verfassungsschutz-berlin.de) werden aktuelle Meldungen und kurzfristige analytische Beiträge eingestellt - wie etwa eine Auswertung der Europawahl 2004. Hier können der Verfassungsschutzbericht und die Broschüren online gelesen, als PDF-Dokument herunter geladen oder per E-Mail angefordert werden. Seit 2004 sind Informationen des Verfassungsschutzes auch über das Intranet der Berliner Verwaltung abrufbar. Die Studienreihe "Im Fokus" ist mit einer Publikation zum "Antisemitismus im extremistischen Spektrum Berlins" fortgesetzt worden. Senator Dr. Ehrhart Körting betonte bei der Veröffentlichung, dass bei der Studie bewusst ein vergleichender Ansatz gewählt wurde, um die unterschiedlichen Strömungen des Antisemitismus zu berücksichtigen: "Zunächst denkt man zwangsläufig an den Rechtsextremismus, bei dem Antisemitismus eine Art 'Kitt' im diffusen Gefüge der ideologischen Verworrenheit bildet. Aber auch im Islamismus spielt das Feindbild 'des Juden' eine zentrale Rolle. Hier mischen sich Versatzstücke des Antisemitismus mit zionistischen Elementen, wobei dem Staat Israel prinzipiell das Existenzrecht abgesprochen wird. Selbst im Linksextremismus, der sich besonders über den Antifaschismus definiert, finden sich Ansätze von Antizionismus. Dies äußert sich vorwiegend über eine verkürzte Kapitalismuskritik, bei der Israel als 'imperialistischer' Staat im Nahen Osten abgelehnt wird."499 Stark nachgefragt werden weiterhin die Broschüren "Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus" sowie "Verfassungsschutz - Nehmen Sie uns unter die Lupe". Erstere bietet eine Übersicht zu den historischen und aktuellen Erkennungszeichen, Parolen oder Grußformen von Rechtsextremisten unter Berücksichtigung der SSSS 86, 86a StGB. Sie ist als Kurzinformation für Praktiker konzipiert und enthält bewusst keine ausführlichen 499 Senatsverwaltung für Inneres, Im Fokus "Antisemitismus". Berlin 2004. Verfassungsschutz Berlin 279 juristischen Kommentare. Aufgrund der starken Nachfrage war sie Ende des Jahres vergriffen und wird Anfang 2005 in einer überarbeiteten Neuauflage erscheinen. Die Broschüre "Verfassungsschutz - nehmen Sie uns unter die Lupe" gibt Basisinformationen über Aufgaben und Befugnisse, Arbeitsfelder und Vorgehensweisen des Verfassungsschutzes. Wir bieten Vorträge zur Institution und zu den einzelnen Arbeitsfeldern an. Die 35 Veranstaltungen im Berichtsjahr (2003: 21) richteten sich insbesondere an Vertreterinnen und Vertreter der Polizei, der Ordnungs-, Justizund anderen Verwaltungsbehörden des Landes, der Medien, an schulische und außerschulische Bildungseinrichtungen sowie Parteien und gesellschaftliche Gruppierungen. Hervorzuheben ist unsere Initiative zur Zusammenarbeit mit den Berliner Justizvollzugsanstalten. In diesem Zusammenhang haben wir im Jahr 2004 insgesamt acht Seminare zur Fortbildung der Beschäftigten angeboten, weitere Vorträge sind vereinbart. Im Berichtsjahr gab es auch ein Veranstaltungsangebot für Lehrerinnen und Lehrer zum rechtsextremistischen "Projekt Schulhof". Das "Projekt Schulhof" war ein Versuch rechtsextremistischer Kreise, eine Musik-CD mit extremistischen Texten im Umfeld von Schulen und Jugendeinrichtungen kostenlos zu verteilen.500 In Zusammenarbeit mit dem Lisum (Landesinstitut für Schule und Medien) wurde im Rahmen des "Standpunkte-Projektes" über Hintergründe und Intentionen dieser rechtsextremistischen Aktion informiert. Das Bürgertelefon als Teil der Öffentlichkeitsarbeit nimmt Ihre Hinweise oder Fragen gerne entgegen. Zu erreichen sind wir unter der Telefonnummer (030) 90 129-0 oder unter der E-Mail-Adresse info@verfassungsschutz-berlin.de (weitere Details siehe Impressum). 500 Vgl. S. 39 ff. Verfassungsschutz Berlin 281 282 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 IV ANHANG 1 Entwicklung Politisch motivierter Kriminalität in Berlin 2004 (Auszug aus dem Bericht des Polizeipräsidenten "Kriminalität in Berlin 2004") Kriminalpolizeilicher Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) Der KPMD - PMK gewährleistet die bundesweit einheitliche und systematische Erhebung und Darstellung der Politisch motivierten Kriminalität. Er bildet eine verlässliche Datenbasis für polizeiliche Auswertung und präventive wie repressive Maßnahmen, für kriminologische Forschung und kriminalpolitisches Handeln. Der KPMD - PMK ermöglicht die differenzierte Betrachtung der Politisch motivierten Kriminalität durch Angaben zur Deliktsqualität, zu Themenfeldern, Phänomenbereichen, internationalen Bezügen und extremistischen Ausprägungen. Die innerhalb der Phänomenbereiche gesondert abgebildete Politisch motivierte Gewaltkriminalität ist die Teilmenge der Politisch motivierten Kriminalität, die eine besondere Gewaltbereitschaft der Straftäter erkennen lässt. Sie umfasst folgende Deliktsbereiche: Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brandund Sprengstoffdelikte, Landfriedensbruch, gefährliche Eingriffe in den Schiffs-, Luft-, Bahnund Straßenverkehr, Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsund Sexualdelikte. Die verwendete Darstellungsgröße "Fallzahlen" bedeutet, dass jeder Lebenssachverhalt (gewaltsame Aktion bzw. Gesetzesverletzung) unabhängig von der Zahl der Tatverdächtigen jeweils nur als ein "Fall" gewertet wird (Grundsatz: derselbe Tatort, dieselbe Tatzeit, derselbe Tatentschluss = ein Fall). Wurde dabei gegen mehrere Rechtsbestimmungen verstoßen, zählt grundsätzlich nur der schwerer wiegende Straftatbestand. Mehrere Straftaten, die z. B. den Tatbestand des Landfriedensbruchs verwirklichen, sind bei unmittelbarem räumlichen Zusammenhang und unabhängig von der Zahl der Tatverdächtigen somit als ein Fall zu zählen. Dabei kann sich der räumliche Zusammenhang z. B. auf einen Platz oder eine Straße nebst benachbarter Nebenstraßen beziehen - obwohl mitunter zehn oder mehr Täter einen Stein warfen. Anhang 283 Die Zahlen aus dem KPMD - PMK vereinen die Merkmale von Eingangsund Ausgangsdaten. Während im Rahmen einer so genannten Erstmeldung ein Delikt nach vorläufigem Erkenntnisstand erfasst und bewertet wird, kann sich diese Bewertung im Verlauf der Ermittlungen erheblich verändern. Wird etwa eine Tat zunächst als politisch motivierter Mord angenommen, kann sie nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen - also nach Klärung aller Tatumstände - im Rahmen der so genannten Abschlussmeldung als eine gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge ohne politische Motivation bewertet werden. Die ursprünglich enthaltene Mordtat findet sich dann mangels politischer Motivation in den Fallzahlen nicht wieder. 284 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Gesamtzahlen Politisch motivierte Kriminalität in Berlin Terrorismus 2003 2004 Bildung terroristischer Vereinigung 7 4 Summe Terrorismus 7 4501 Gewaltdelikte Brandstiftung 32 13 Erpressung 4 Freiheitsberaubung 1 Körperverletzung 107 129 Landfriedensbruch 52 73 Raub 5 6 Tötungsdelikte 1 Verkehrsgefährdungen 2 Widerstandsdelikte 67 58 Summe Gewaltdelikte 263 287 Andere Straftaten Amtsanmaßung / Missbrauch von Titeln 1 Anleitung zu Straftaten 1 Begünstigung / Hehlerei 1 Beleidigung / üble Nachrede / Verleumdung 106 96 Belohnung / Billigung v. Straftaten 3 5 Betrug / Untreue 2 Bildung krimineller Vereinigungen 1 Diebstahl / Unterschlagung 4 6 Falschaussage / Meineid 1 Hausfriedensbruch 11 26 Landesverrat 2 3 Missbrauch von Notrufen 1 1 Nötigung / Bedrohung 33 36 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 10 31 Pressegesetz 1 2 Propagandadelikte 985 1021 Sachbeschädigung 185 185 Sprengstoffgesetz 2 Störung d. öffentlichen Friedens 77 30 Störung öffentlicher Betriebe 1 Straftaten gg. ausländische Staaten 10 10 Straftaten gg. Religion / Weltanschauung 2 Straftaten gg. Verfassungsorgane 1 Andere Straftaten 2003 2004 Telekommunikationsgesetz 1 1 UrheberrechtsG 2 Vereinsgesetz 88 23 Verletzung amtlicher Bekanntmachungen 1 Versammlungsgesetz 182 256 Verunglimpfung d. Staates u. seiner Symbole 26 7 Verunglimpfung v. Verfassungsorganen 3 Volksverhetzung 157 185 Vortäuschen einer Straftat 1 Waffengesetz 2 4 Widerstandsdelikte 3 4 Summe Andere Straftaten 1 887 1 952 Gesamt 2 157502 2 243503 501 Hierbei handelt es sich um Verfahren, die beim BKA auf Grund der Deliktszuweisung geführt, aber dem Land Berlin wegen der Tatörtlichkeit zugeordnet werden. Dieses Verfahren wird erst seit 2003 praktiziert. Anhang 285 Politisch motivierte Kriminalität - Rechts Fallzahlen KPMDPMK für Politisch motivierte Kriminalität - Rechts - (einschließlich antisemitischer und fremdenfeindlicher Straftaten) Gewaltdelikte 2003 2004 Brandstiftung 2 Erpressung 1 Körperverletzung 55 51 Landfriedensbruch 3 4 Raub 2 Tötungsdelikte 1 Widerstandsdelikte 8 3 Summe Gewaltdelikte 70 60 Andere Straftaten Amtsanmaßung / Missbrauch von Titeln 1 Beleidigung / üble Nachrede / Verleumdung 38 35 Bildung krimineller Vereinigungen 1 Diebstahl / Unterschlagung 1 1 Hausfriedensbruch 1 Nötigung / Bedrohung 6 11 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 2 2 Propagandadelikte 672 655 Sachbeschädigung 21 20 Störung d. öffentlichen Friedens 3 1 Straftaten gg. ausländische Staaten 1 Straftaten gg. Religion / Weltanschauung 1 UrheberrechtsG 1 Vereinsgesetz 2 Versammlungsgesetz 3 28 Verunglimpfung v. Verfassungsorganen 1 Volksverhetzung 126 154 Waffengesetz 1 Widerstandsdelikte 1 Summe Andere Straftaten 874 916 Gesamt 944504 976 502 Die Zahlen für das Jahr 2003 beziehen sich auf den Erfassungsstand vom 09.02.2004. Da der bundesweite Fallzahlenabgleich erst nach diesem Datum erfolgte, können in späteren Veröffentlichungen andere, hiervon abweichende Zahlen für 2003 genannt sein. Zur Gewährleistung der Vergleichbarkeit sind in dem vorliegenden Jahresbericht die Vergleichszahlen für 2003 aus dem letzten Jahresbericht heran gezogen worden; das bezieht sich auf alle Phänomenbereiche. 503 Die Summe ergibt sich aus den Summen der PMK Links, Rechts, Ausländer und den "nicht zuzuordnenden" Fällen. 504 Vgl. Fußnote 2. 286 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Der Politisch motivierten Kriminalität - Rechts - werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung (z. B. nach Art der Themenfelder) einer rechten Orientierung zuzurechnen sind, insbesondere wenn Bezüge zu - Völkischem Nationalismus, - Rassismus, - Sozialdarwinismus, - Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. Langfristige Entwicklung der Fallzahlen Fallzahlen PMKrechts 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 antisemitisch 106 59 56 106 229 123 146 fremdenfeindlich 89 68 70 84 138 150 146 anitsemitisch und nicht nicht nicht nicht 26 31 32 fremdenfeindlich erf. erf. erf. erf. sonstige PMK - rechts 315 111 207 265 555 640 652 PMK - rechts gesamt 510 238 333 455 948 944 976 Hier muss berücksichtigt werden, dass mit der Einführung des KPMD - PMK sich die Fallzahlenerhebung seit 2001 grundlegend verändert hat. Darüber hinaus ist die Fortentwicklung des Definitionssystems KPMD - PMK bei der langfristigen Betrachtung der Fallzahlen zu berücksichtigen: In den Vorjahren erfolgte die Bewertung als antisemitisch bzw. fremdenfeindlich alternativ nach der überwiegenden Motivation des Täters. Seit 2002 ist eine kumulative Nennung beider Kriterien möglich. 922 der 976 Straftaten sind im Jahr 2004 als extremistisch bewertet worden (im Jahr 2003 waren es 930 von 944). Anhang 287 * Antisemitische Straftaten (alle Straftaten als rechtsextremistische Kriminalität bewertet) Antisemitisch ist der Teil der Hasskriminalität, der aus einer antijüdischen Haltung heraus begangen wird. Antisemitische Straftaten sind nach Art ihrer Begehung insbesondere gekennzeichnet durch: - Diffamierung jüdischer Institutionen und ihrer Vertreter durch Telefonanrufe, anonyme Briefsendungen bzw. E-Mails; - Propagieren der so genannten Auschwitzlüge; - Schmierereien oder andere Beschädigungen an jüdischen Mahnmalen, Gedenkstätten, Gräbern. Für das Jahr 2004 waren hier 146 Fälle zu registrieren, von denen 4 als Gewaltdelikte klassifiziert worden sind. Im Jahr 2003 wurden 2 von 123 Fällen als Gewaltdelikte registriert. * Fremdenfeindliche Straftaten (alle Straftaten als rechtsextremistische Kriminalität bewertet) Fremdenfeindlich ist der Teil der Hasskriminalität, der aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Herkunft des Opfers verübt wird. Bei den fremdenfeindlich motivierten Straftaten ist ein leichter Rückgang von 150 Fällen (2003) auf 146 Fälle (2004) zu verzeichnen. Die Gewaltdelikte nahmen dagegen überproportional von 43 (2003) auf 28 (2004) Fälle ab und entsprechen damit dem Fallaufkommen des Jahres 2002. * Propagandadelikte Bei den so genannten Propagandadelikten (Verstöße gegen SSSS 86, 86 a StGB) handelt es sich überwiegend um "Hakenkreuz-Schmierereien" im öffentlichen Raum (Haltestellen, Bahnhöfe, Verkehrsmittel, Verteilerkästen, Plakatund Mauerwände usw.), bei denen vielfach keine Hinweise auf den Täter bzw. dessen mögliche Motivation vorliegen. Anhaltspunkte für eine politische Motivation können sich aus Äußerungen der Täter bzw. staatschutzrelevanten Erkenntnissen über sie ergeben. Bestätigende Umstände bestehen auch in besonderen Tatörtlichkeiten (z. B. 288 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Straftaten zum Nachteil jüdischer Einrichtungen oder an Mahnmalen), örtlicher oder zeitlicher Nähe zu Treffpunkten der rechten Szene bzw. deren Veranstaltungen oder Aufzügen. Andererseits können auch Umstände vorliegen, die eine Täterschaft aus entsprechender Motivation eher unwahrscheinlich erscheinen lassen. Vorgänge 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Propagandadelikte Propagandadelikte 1 259 1 144 1 631 1 417 1 202 985 1 021 gesamt Antisemitisch 12 9 7 16 63 23 36 Fremdenfeindlich 2 11 10 12 68 57 64 anitsemitisch und nicht erf. nicht erf. nicht erf. nicht erf. 9 6 7 fremdenfeindlich sonstige PMK - rechts 178 83 131 210 486 587 548 PMK - rechts gesamt 192 103 148 238 626 673 655 Insgesamt ist durch die seit 2002 veränderte Anwendungspraxis der Zuordnungskriterien nur eine eingeschränkte Vergleichbarkeit der Jahre 2003 und 2004 mit den vorherigen Jahren möglich. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts-Links-Auseinandersetzungen Gewaltdelikte 2003 2004 Körperverletzung 11 12 Landfriedensbruch 1 Raub 2 Summe Gewaltdelikte 13 13 Andere Straftaten Beleidigung / Üble Nachrede / Verleumdung 2 Nötigung / Bedrohung 2 1 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 1 Propagandadelikte 10 12 Sachbeschädigung 2 2 Urheberrechtsgesetz 1 Versammlungsgesetz 3 Volksverhetzung 3 3 Summe Andere Straftaten 17 25 Gesamt 30 38 Anhang 289 Im Unterschied zu Angriffen von Personen der linken Szene auf rechtes Klientel spielen Angriffe von Rechtsextremisten auf Linke eine zahlenmäßig geringere Rolle. Im Jahr 2004 gab es eine leichte Steigerung der Fallzahlen von 30 (2003) auf 38 (2004). Dabei bewegen sich die Körperverletzungsdelikte annähernd auf dem Niveau des Vorjahres. Besonders im Rahmen der Anti-Antifa als Gegenbewegung zur linken Antifa wird der "politische Gegner" ausspioniert, d. h., es werden Daten gesammelt, die in der Regel aus Personalien und/oder Fotos bestehen. Diese Unterlagen werden im Internet, Flugblättern oder anderen Druckwerken veröffentlicht, um den "Gegner" einzuschüchtern und eine Drohkulisse aufzubauen. Schwerpunkte Gegenüber dem Jahr 2003 ist ein moderater Rückgang der Fallzahlen Politisch motivierter Gewaltkriminalität - Rechts - zu verzeichnen. Den Schwerpunkt machten Körperverletzungssowie Widerstandsdelikte aus. Eine Fallanalyse ergab keine spezifische Erklärung dieses Trends: Wie bereits in den vergangenen Jahren handelt es sich bei der Mehrzahl der Taten um nicht qualifizierte Körperverletzungen; die Tatanlässe waren vorwiegend als situativ / spontan zu bezeichnen. Tätergruppen agierten nur in Einzelfällen. Bei den Tatverdächtigen handelt es sich überwiegend um Jugendliche und Heranwachsende, die zur Tatzeit zu einem wesentlichen Teil unter dem Einfluss alkoholischer Getränke standen. Besondere Entwicklungen * Kameradschaften Die seit 2003 existierende Kameradschaft "Berliner Alternative Süd-Ost" (BASO) unter der Führung eines einschlägigen Rechtsextremisten und ehemaligen NPD-Mitglieds hat sich neben der schon seit dem Jahr 2000 bestehenden "Kameradschaft Tor Berlin" zur aktivsten Berliner Kameradschaft entwickelt. 290 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Der Anführer meldete zahlreiche Demonstrationen mit der Kernthese "Jugendzentren erkämpfen" an. Die teilweise öffentlichkeitswirksamen und strafrechtlich relevanten Aktionen der Kameradschaftsmitglieder wurden häufig in enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit der o. g. "Kameradschaft Tor Berlin" sowie der Gruppierung "Märkischer Heimatschutz" aus Brandenburg durchgeführt. Die auch gegenüber Polizeibeamten zunehmende Aggressivität der rechten Szene dokumentierte sich unter anderem durch eine Demonstrationsanmeldung am Wohnort des Leiters der Polizeidirektion 6, der in der Vergangenheit verschiedene Veranstaltungen der rechten Szene durch polizeiliche Maßnahmen überprüfen und auflösen ließ. Diese Veranstaltung wurde vom Ordnungsbehördlichen Staatsschutz verboten. Nach Beschreitung des Rechtsweges durch den Anmelder bestätigte das Bundesverfassungsgericht letztinstanzlich das ergangene Demonstrationsverbot. * Projekt Schulhof Der von der deutschen rechten Szene im Frühjahr/Sommer unternommene Versuch, eine Musik-CD mit rechtsextremistischen Textinhalten und Propaganda bundesweit kostenlos vor Schulen zu verteilen, blieb ohne Erfolg. Die Sicherheitsbehörden konnten im Vorfeld der geplanten Verteilaktion mehrere tausend CD's der bereits erfolgten Pressung sicherstellen. Weitere Versuche, das Ziel mittels Neupressungen bzw. "Entschärfung" der Texte doch noch zu erreichen, scheiterten ebenfalls. Ermittlungsverfahren Ermittlungsverfahren gegen drei Beschuldigte wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil eines Vietnamesen Der 40-jährige vietnamesische Inhaber eines Asia-Imbisses wurde am 5.4.2004 in seinem Imbiss in Berlin-Rudow von einem 16-Jährigen mit einer Holzlatte mehrfach gegen den Kopf geschlagen, so dass er u. a. einen Jochbeinbruch erlitt und in stationärer Behandlung verbleiben musste. Ein 21-Jähriger sowie ein 17-Jähriger leisteten Beihilfe. Hintergrund für die Tat war die Weigerung des Vietnamesen, Alkohol an die drei Beschuldigten abzugeben, welcher nicht bezahlt, sondern "angeschrieben" werden sollte. Anhang 291 Gegen zwei bereits polizeilich bekannte Tatverdächtige wurde Haftbefehl erlassen. Der jugendliche Schläger erhielt eine zweijährige Jugendstrafe, die drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde; der zweite Jugendliche hat 90 Stunden Sozialarbeit zu leisten. Von den Verurteilten wird ein Berufungsverfahren angestrebt. Ermittlungsverfahren gegen einen Beschuldigten wegen gefährlicher Körperverletzung in einer Diskothek Am 27.3.2004 schlug und trat ein in der rechten Szene aktiver Heranwachsender auf eine andere, ihm bekannte erwachsene Person ein, auch noch, als diese bereits bewusstlos am Boden lag. Der Geschädigte erlitt dabei ein Schädel-Hirn-Trauma sowie Frakturen im Gesicht. Der Tatverdächtige, der zur Tatzeit eine offene Bewährungsstrafe wegen eines anderen Körperverletzungsdeliktes hatte, erhielt Haftbefehl. Die ursprünglich wegen versuchten Totschlages geführten Ermittlungen wurden von der Staatsanwaltschaft als gefährliche Körperverletzung zur Anklage gebracht. Verfahren gegen die Kameradschaft "Nordland" mit sieben erwachsenen Beschuldigten wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung Am 18.4.2004 konnten bei einer Wehrsportübung in einem Waldgebiet in Brandenburg fünf Beschuldigte festgenommen werden. Zeitgleich fanden in 15 Objekten in Berlin und Brandenburg Durchsuchungen statt, die überwiegend erfolgreich verliefen. Dabei kam es zur Festnahme von zwei weiteren Beschuldigten. Unter anderem konnten bei der Durchsuchung 13 Explosionssimulatoren (der Bundeswehr) beschlagnahmt werden. Gegen einen der Beschuldigten, der zuvor eine gefährliche Körperverletzung begangen hatte, erfolgte der Erlass eines Haftbefehles. Insgesamt ergaben sich daraus weitere 18 Strafverfahren, insbesondere wegen Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz/Waffengesetz/BtmG/KunstUrhG, Betrug z. N. des Arbeitsamtes/Sozialamtes, Volksverhetzung u. a.. Zusammenarbeit mit dem Land Brandenburg/ Länderübergreifende Kriminalitätsphänomene Aufgrund der in Berlin ansässigen rechten Gruppierungen oder Einzelpersonen, die häufig über die Ländergrenzen hinweg agieren, wird mit dem 292 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 LKA Brandenburg ein intensiver Erkenntnisund Erfahrungsaustausch gepflegt. Insbesondere die Berliner Kameradschaften "Berliner Alternative Süd-Ost" (BASO) und die "Kameradschaft Tor Berlin" beteiligen sich an teilweise auch strafrechtlich relevanten Veranstaltungen/Demonstrationen oder Aktionen der rechten Szene des Landes Brandenburg und pflegen einen engen Kontakt zum brandenburgischen "Märkischer Heimatschutz" (MHS). Prognose 2005 Der im Jahr 2004 beim Demonstrationsgeschehen beobachtete Trend, wonach zunehmend Themenfelder wie "Hartz IV" oder "soziale Missstände" aufgegriffen werden, ist auch für das Jahr 2005 zu prognostizieren. Sowohl die Besetzung dieser Themenfelder als auch die Anpassung des Auftretens in der Öffentlichkeit sind langfristig angelegte Strategien, um die Mitglieder der rechten Szene mit einem bürgernahen Image zu versehen. So wird die eigentliche Zielsetzung, die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankengutes, weiter verfolgt. Anhang 293 Politisch motivierte Kriminalität - Links - Fallzahlen KPMD-PMK für Politisch motivierte Kriminalität - Links - Terrorismus 2003 2004 Bildung terroristischer Vereinigung 5 2 Summe Terrorismus 5 2505 Gewaltdelikte Brandstiftung 26 13 Körperverletzung 38 71 Landfriedensbruch 37 65 Raub 2 5 Verkehrsgefährdungen 2 Widerstandsdelikte 53 50 Summe Gewaltdelikte 156 206 Andere Straftaten Beleidigung / üble Nachrede / Verleumdung 27 30 Belohnung / Billigung v. Straftaten 1 4 Betrug / Untreue 2 Diebstahl / Unterschlagung 2 1 Hausfriedensbruch 8 25 Missbrauch von Notrufen 1 1 Nötigung / Bedrohung 10 11 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 7 27 Pressegesetz 1 2 Propagandadelikte 31 12 Sachbeschädigung 131 116 Sprengstoffgesetz 2 Störung d. öffentlichen Friedens 2 2 Störung öffentlicher Betriebe 1 Straftaten gg. ausländische Staaten 3 3 Straftaten gg. Verfassungsorgane 1 Telekommunikationsgesetz 1 1 Verletzung amtlicher Bekanntmachungen 1 Versammlungsgesetz 141 203 Verunglimpfung d. Staates u. seiner Symbole 3 Verunglimpfung v. Verfassungsorganen 1 Volksverhetzung 4 Waffengesetz 1 2 Widerstandsdelikte 3 3 Summe Andere Straftaten 370 458 Gesamt 531506 666 Straftaten werden der Politisch motivierten Kriminalität - Links - zugeordnet, wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass die Umstände zur Begehung der Tat und/oder die Einstellung des Täters auf ein "linkes" Weltbild zurück zu führen sind. Dabei bezieht sich die politische Motivation vorwiegend auf 505 Hierbei handelt es sich um Verfahren, die beim BKA auf Grund der Deliktszuweisung geführt, aber dem Land Berlin wegen der Tatörtlichkeit zugeordnet werden. Dieses Verfahren wird erst seit 2003 praktiziert. 506 vgl. Fußnote 2. 294 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Theorien des Anarchismus, Kommunismus und Sozialismus bzw. auf strömungsübergreifende Weltanschauungen dieser klassischen Dogmen. Dabei wird durch die Täter nicht zwingend die Umwälzung des bestehenden Systems bzw. eine Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung angestrebt. Offensichtlicher sind Motivationen, die auf die Abschaffung eines bestimmten kritisierten Umstandes abzielen und so nicht in jedem Fall an einer tiefgreifenden Gesellschaftsveränderung orientiert sind. Vor diesem Hintergrund waren nach polizeilicher Einschätzung 236 der 666 Politisch links motivierten Straftaten der extremistischen Kriminalität zuzurechnen. Für das Jahr 2003 waren 256 von 531 Straftaten als extremistisch bewertet worden. Delikte um den 1. Mai Gewaltdelikte 2003 2004 Brandstiftung 6 Körperverletzung 4 13 Landfriedensbruch 11 25 Verkehrsgefährdungen 1 Widerstandsdelikte 17 24 Summe Gewaltdelikte 38 63 Andere Straftaten Beleidigung / Üble Nachrede / Verleumdung 5 6 Nötigung / Bedrohung 2 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 2 3 Pressegesetz 1 Sachbeschädigungen 25 14 Sprengstoffgesetz 1 Versammlungsgesetz 25 35 Waffengesetz 1 Widerstandsdelikte 1 Summe Andere Straftaten 60 61 Gesamt 98 124 Auffällig war der Versuch der linken Szene, eine Repolitisierung der traditionellen Demonstrationen am 1. Mai zu erreichen. Die Abkehr von "inhaltslosen" Gewalttätigkeiten sollte u. a. ihren Ausdruck in der "Mai-SteineKampagne" finden, ein mediales Interesse hervorrufen und politische Akzente setzen. Zahlreiche Einzelveranstaltungen zeugten von dem hohen Organisationsgrad der Initiatoren und ließen eine neue Motivation der linken Szene erkennen, der es offensichtlich darauf ankam, über ihr eigenes Mobilisie- Anhang 295 rungspotenzial neue Interessengruppen zu erreichen. Dabei stand der Versuch im Vordergrund, aktuelle politische Themen zu besetzen, um so den Unmut der Bevölkerung bezüglich der Reformvorhaben auf Bundund Länderebene anzusprechen. Die Wirkung der "Mai-Steine-Kampagne" wurde im Nachgang kontrovers diskutiert. Die gewünschte Mobilisierung über das eigene Klientel hinaus konnte nicht festgestellt werden. Dies wurde als negativer Aspekt gewertet. Allerdings gelangte die "Mai-Steine-Kampagne" mit ihren zahlreichen Einzelveranstaltungen (Demonstrationen/Aktionen) zumindest in den Fokus der Medien und wurde deshalb innerhalb der "linken Szene" als doch erfolgreich bewertet. Entgegen den oben dargelegten Zahlen sind die Ausschreitungen im Rahmen der Walpurgisnacht und zum 1. Mai in Kreuzberg in ihren zeitlichen Ausmaßen und vor allem im Hinblick auf die festgestellten Schäden zurückgegangen. Die polizeitaktischen Maßnahmen und die zum Teil auf Bezirksebene organisierten Konzepte dürften dazu beigetragen haben. Dies könnte auch den Anstieg der Gewaltdelikte von 38 (2003) auf 63 (2004) erklären, die sich vor allem gegen die Polizei richteten (bei 63 % der verübten Straftaten erfolgte ein Angriff auf Polizeibeamte). Lediglich die Mobilisierung gegen den Aufmarsch der NPD führte zu einer Steigerung der Gegenaktionen im Vergleich zu den Vorjahren und wurde seitens der "linke Szene" als großer Erfolg gewertet. Trotz der Repolitisierungsversuche können die Ausschreitungen nur zu einem geringfügigen Teil der "linken militanten Szene" zugerechnet werden. Nur über 7,7 % der festgestellten Straftäter liegen Erkenntnisse aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität - links - vor. Sehr hoch ist die Zahl der zum Teil stark alkoholisierten Straftäter. Da sich jedoch nur wenige Straftäter zu ihrer Tat und den Umständen im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung einließen, kann nicht belegt werden, inwieweit Alkohol den jeweiligen Tatentschluss maßgeblich beeinflusste. Weiterhin war der Anteil auswärtiger Straftäter auffällig. Während im Jahr 2003 noch 158 von 179 Gewalttätern aus Berlin und Brandenburg stammten (88,3 %), waren dies im Jahr 2004 nur noch 137 von 195 Gewalttätern (70,3 %). Offenkundig fruchteten die im Vorfeld durchgeführten Maßnahmen bei Berlinern, konnten aber die traditionelle "Anziehungskraft" der Ereignisse 296 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 auf Straftäter aus anderen Bundesländern offenbar nicht wirksam beeinträchtigen. Wie im letzten Jahr wurden die Ausschreitungen in der Walpurgisacht und in Kreuzberg nicht durch die "linke Szene" dominiert, sondern zogen vielmehr gewaltgeneigte Personen an, die als unpolitisch anzusehen waren oder die gar konträren Szenen angehörten. Politisch motivierte Kriminalität -Links-Rechts-Auseinandersetzungen Gewaltdelikte 2003 2004 Brandstiftung 3 4 Körperverletzung 12 21 Landfriedensbruch 4 18 Raub 1 4 Verkehrsgefährdungen 1 Widerstandsdelikte 1 5 Summe Gewaltdelikte 21 53 Andere Straftaten Beleidigung / Üble Nachrede / Verleumdung 7 13 Belohnung / Billigung von Straftaten 2 Diebstahl / Unterschlagung 1 1 Hausfriedensbruch 3 Nötigung / Bedrohung 2 7 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 5 Pressegesetz 1 2 Propagandadelikte 7 7 Sachbeschädigung 44 50 Sprengstoffgesetz 1 Störung d. öffentlichen Friedens 1 Verletzung amtlicher Bekanntmachungen 1 Versammlungsgesetz 10 59 Waffengesetz 1 Widerstandsdelikte 2 Summe Andere Straftaten 74 153 Gesamt 95 206 Die linke Szene zeichnet sich in erster Linie durch ihre heterogene Struktur aus. Unter dem Stichwort "Antifaschismus" gelingt es der linken Szene jedoch, zu Demonstrationen umfassend zu mobilisieren und rechte Demonstrationszüge regelmäßig erheblich zu stören. Anhang 297 In der zweiten Hälfte des Jahres 2004 konnte in diesem Bereich eine erhebliche Zunahme der Aktivitäten verzeichnet werden, so dass auch der Zuwachs von 95 Straftaten (2003) auf 206 Straftaten (2004) zu erklären ist. Als identitätsstiftendes Merkmal ist die "antifaschistische" Arbeit in der linken Szene unverzichtbar. Die Konfrontation mit dem politischen Gegner war zentraler Bestandteil linker Aktivitäten und dürfte auch in Zukunft eine tragende Rolle spielen. Schwerpunkte * Das Reformprojekt "Hartz IV" - Proteste gegen den "Sozialabbau" Während in der Vergangenheit festzustellen war, dass bei anderen Themen eine gemeinsame, gruppenübergreifende Form des Protestes in Berlin gar nicht bzw. nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich war, konnte nun festgestellt werden, dass verschiedene Strömungen - von der gemäßigten Linken bis hin zu linksextremistischen Kreisen - versuchten, eine Widerstandsform zum Thema "Sozialabbau" gemeinsam und dauerhaft zu organisieren und somit auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene zu bringen. Das Berliner Sozialforum gründete sich bereits im Jahr 2003 und setzte seine Bestrebungen auch im Jahr 2004 fort, ein arbeitsfähiges Bündnis aus globalisierungskritischen Gruppen, basisdemokratischen Gewerkschaften und autonomen "Antifa-Gruppen" zu bilden. Aber auch in anderen Teilen der linken Szene führten die Reformbemühungen zu neuen Konzepten, wie z. B. bei der Gruppierung "Die Überflüssigen". Das Thema "Sozialabbau" fand in den Publikationen der linken Szene im Jahr 2004 durchgängig Beachtung und wurde auch von linksextremistischen bzw. -terroristischen Kreisen angenommen. In diesem Zusammenhang wurden Anschläge gegen Sozialämter und Arbeitsagenturen, aber auch gegen Büros/Liegenschaften von politischen Entscheidungsträgern verzeichnet. Die linke Szene zielte über das Thema "Sozialabbau" offensichtlich auf zunehmende Akzeptanz in breiten Teilen der Bevölkerung. Letztendlich konnte die beabsichtigte umfassende Mobilisierung von "Betroffenen" jedoch nicht festgestellt werden. 298 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Besondere Entwicklungen * Die "Militante Gruppe (mg)" Die "Militante Gruppe (mg)" setzte im Jahr 2004 auf die Fortführung der von ihr betriebenen militanten Taktik. Zu folgenden Anschlägen hat sich die "mg" bekannt: - Brandanschlag auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in der Nacht zum 1.1.2004 in 12163 Berlin, Königin-Luise-Str. 5. - Brandanschlag auf die Gemeinsame Anlaufstelle des Bezirksamtes Pankow von Berlin und des Arbeitsamtes Berlin-Nord (Akademie für Gesundheitsund Sozialberufe) in der Nacht zum 30.3.2004 in 10405 Berlin, Straßburger Str. 56. - Brandanschlag auf drei Fahrzeuge der TELEKOM in der Nacht zum 7.5.2004 in 13347 Berlin, Gerichtstr. 50. - Brandanschlag auf das Bezirksamt Reinickendorf in der Nacht zum 23.9.2004 in 13437 Berlin, Eichborndamm 238. - Brandanschlag auf das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg in der Nacht zum 23.9.2004 in 12105 Berlin, Machonstr. 7. Begleitet wurden die Anschläge durch eine umfangreiche Debatte in der inkriminierten Druckschrift "INTERIM". Die Debatte stellte die militante Praxis zur Diskussion und wollte einen Gedankenaustausch initiieren. Insbesondere mit der Zielsetzung, die militante Vorgehensweise auf eine breite Plattform innerhalb der linken Szene zu stellen, wurden die Anschläge dem allgemeinen Stimmungsbild in der linken Szene angepasst. Der Versuch der "Militanten Gruppe (mg)", einen größeren Adressatenbzw. Unterstützerkreis zu erreichen, scheint sich im Jahr 2005 fortzusetzen (Anschlag auf eine "Lidl"-Filiale am 10.1.05 mit entsprechender Anschlagserklärung). Neue Gruppierungen Im Laufe des Jahres 2004 konnten folgende Zusammenschlüsse von Gruppierungen und Bündnissen verzeichnet werden: * "ACT!" Im Januar 2004 schlossen sich die Gruppierungen: - Antifaschistische Linke Berlin - Autopool - Für eine linke Strömung (FelS) - Subversion International (iSI!) Anhang 299 zu einem neuen Bündnis zusammen. Grundlage dieser gemeinsamen Arbeitet bildete die Publikation "Kommunique No. 1", in dem sich die Gruppierung vorstellte und ihre politische Ausrichtung bekannt gab. "ACT!" versteht sich demnach als Netzwerk bereits bestehender Gruppierungen und möchte mit einer gemeinsamen politischen Zielvorstellung zukünftige Aktionen koordinieren und eine politische Entwicklung vorantreiben. Insbesondere werden gesellschaftliche Fragen in den Mittelpunkt der politischen Arbeit gerückt. Auch die "Mai-Steine-Kampagne" im April 2004 zeugte von dieser Auffassung. Hier fanden aktuelle politische Themen Beachtung und die Öffentlichkeit sollte für linke Standpunkte sensibilisiert werden. Gegen Ende des Jahres 2004 trat eine neue Gruppierung in Erscheinung, die sich als ein noch größeres Bündnis darstellt. * "Die Überflüssigen" Nach eigener Darstellung gründete sich die Gruppierung bereits am 30.8.04. Das Bündnis setzt sich gemäß einer Selbstdarstellung aus den Gruppierungen "ALB", "ACT", "ATTAC AG Prekarisierung", "Für eine linke Strömung (F.e.l.S.)", "Internationale Kommunisten (Interkomms)", "Kritik & Praxis (KP)", "Offener ziviler Ungehorsam" und "PostpessimistInnen" zusammen. Am 11.10.04 traten "Die Überflüssigen" erstmalig öffentlich in Erscheinung. Mit der Besetzung der Geschäftsstelle des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt in 10963 Berlin, Hallesches Ufer 32 - 68, gelang es ihnen, eine medienwirksame Aktion durchzuführen. "Die Überflüssigen" traten dabei mit weißen Masken und roten Kapuzenpullovern auf, die als Erkennungsmerkmal zusätzlich mit dem Gruppennamen beschriftet waren. Dem Thema "Sozialabbau" folgend, führten "Die Überflüssigen" am 18.12.04 eine erneute Aktion durch. Betroffen war das Restaurant "Borchardts". Hier "kehrten sie ein", verteilten Handzettel und aßen zum Teil von den Tellern der Gäste. Auch hier stand deutlich das Thema Reformpolitik im Mittelpunkt der Aktionen. "Die Überflüssigen" erklärten auf ihrer Internetseite: "Die Überflüssigen sind Menschen in den Industriestaaten, die vom gesellschaftlichen 300 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Reichtum ausgeschlossen werden. Sie sind das Ziel des Klassenkampfes von oben und der aktuellen Armutskampagne in Deutschland.". * Antikapitalistische Aktion Berlin (AKAB) Die "AKAB" wurde nach eigenen Angaben Anfang 2004 gegründet und benennt als inhaltliche Schwerpunkte die Antifa-Arbeit sowie den "Sozialabbau". In diesem Sinne beteiligte sich die "AKAB" am 2.10.2004 am Aufzug gegen "Hartz IV" und ist mittlerweile bei nahezu allen "Antifa"Demonstrationen präsent. In ihrer Selbstdarstellung findet sich die Erklärung wieder, in Bündnissen mit anderen Gruppen zusammen zu arbeiten, um sich an der Entwicklung der linken Szene zu beteiligen. * Linke Bande Es handelt sich hierbei um einen im Jahr 2004 erfolgten Zusammenschluss der bis dahin nicht bekannten Gruppierungen "Antifa Spandau" und "Antifa Südwest". Bei den bisherigen Aktivitäten dieser Gruppierung handelt es sich nach eigenen Angaben um die Beteiligung am "Antirassistischen Einkauf" der "Initiative gegen das Chipkartensystem" im Juni 2004 sowie die Beteiligung an einer Kundgebung vor der ehemaligen Haftanstalt des HitlerStellvertreters Hess im August 2004. * Antifaschistischer Widerstand Karlshorst (AWK) Vermutlich im April 2004 gegründet, besteht diese Gruppierung nach eigener Darstellung aus Schülern, die sich am 30.4.2004 an dem Aufzug der Gruppe "Kritik & Praxis (KP)" und am 1.5.2004 an der Verhinderung des rechten Aufzuges beteiligten. * Antifa Jugend Ost-Berlin (AJOB) Die "Antifa Jugend Ost-Berlin" (AJOB) wurde bereits 2003 als Gegenpol zu den im Bereich Friedrichshain/Lichtenberg immer stärker werdenden rechten Strukturen gegründet, wurde aber erst anlässlich des 1. Mai 2004 tatsächlich wahrnehmbar. Anhang 301 Ermittlungsverfahren * Brandanschlag auf NPD - Bundesgeschäftsstelle Am 20.4.04 gegen 02.00 Uhr fuhren zwei unbekannte Täter einen mit Reifen und Brandbeschleunigern beladenen Pkw direkt an die Eingangstür der NPD-Bundesgeschäftsstelle in 12555 Berlin - Köpenick, Seelenbinderstr. 42, und entzündeten das Fahrzeug. Der Pkw brannte vollständig aus, die Fassade wurde bis zum Dach beschädigt. Ein Vordringen des Feuers in das Hausinnere, in welchem eine NPD-Mitarbeiterin schlief, wurde durch schnelle Brandentdeckung und - bekämpfung verhindert. Der zunächst durch eine Tatzeugin begründete Tatverdacht gegenüber drei Männern, die bei der Nacheile im nahegelegenen Park festgenommen wurden, bestätigte sich nicht. Der eingesetzte Pkw war einen Monat vor der Tat durch eine unbekannte weibliche Person mit Hilfe eines als verloren gemeldeten Ausweises angekauft worden. In der "INTERIM" Nr. 598 vom 1.7.04 bezichtigte sich eine unbenannte Gruppe der Tat. Die abgeschlossenen Ermittlungen einschließlich der kriminaltechnischen Untersuchungen führten nicht zur Namhaftmachung von Tatverdächtigen. * Anschläge auf Discounterketten aufgrund von Arbeitsmarkt-Maßnahmen In der Nacht vom 20.6. zum 21.6.2004 wurden durch unbekannte Täter insgesamt fünf Filialen der Firma Schlecker in den Stadtbezirken Treptow und Kreuzberg angegriffen. Die Täter bewarfen die Filialen mit Kleinpflastersteinen und Farbeiern. In einem in der "INTERIM" veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben bekannte sich die "AG Perspektiven" zu den Taten. Als Hintergrund wurden die schlechten Arbeitsbedingungen bei Schlecker als Repräsentant für Handelsketten, die preisgünstige Artikel führen, benannt. In der Nacht vom 9.12. zum 10.12.2004 und in der Nacht vom 20.12. - 21.12.2004 wurden bei insgesamt sechs Filialen der Firma LIDL in den Stadtbezirken Neukölln, Kreuzberg, Mitte und Charlottenburg Fassaden 302 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 mit Farbe beschmiert und / oder Schlösser verklebt. Weiterhin wurden Schriftzüge, welche die Arbeitsbedingungen thematisieren, angebracht. Ein Selbstbezichtigungsschreiben hierzu, welches sich auf das durch verdi veröffentlichte "Schwarzbuch" bezieht, ging bei Presseagenturen ein. Zusammenarbeit mit dem Land Brandenburg/ Länderübergreifende Kriminalitätsphänomene Im Verlauf des Jahres 2004 konnte festgestellt werden, dass die linke Szene Berlins auch Demonstrationen in Brandenburg unterstützt hat und Reisebewegungen von Aktivisten in das benachbarte Bundesland stattgefunden haben. Die Demonstrationen in Potsdam am 30.10.04 und in Halbe am 13.11.04 fanden auf den einschlägigen Internetseiten umfangreiche Erwähnung. Auch hier standen "antifaschistische" Bemühungen im Vordergrund, so dass zum Teil eine breite Unterstützung von Brandenburger Demonstrationen durch linke Aktivisten aus Berlin erfolgte. Die Zusammenarbeit mit den Brandenburger Sicherheitsbehörden erfolgte anlassbezogen. Zum "1. Mai" wurde bezüglich so genannten Gefährderansprachen und festgenommener Personen aus dem Bundesland Brandenburg ein stetiger Informationsaustausch durchgeführt. Prognose 2005 Die linke Szene Berlins engagierte sich im Jahr 2004 vorwiegend in den Bereichen "Sozialabbau" und "Antifaschismus". Diese Themenschwerpunkte bestimmten die politische Arbeit und dienten in Teilbereichen als Bindeglied der zahlreichen Strömungen in der linken Szene. Diese Bemühungen dürften sich im Jahr 2005 fortsetzen. Daneben besetzt die linke Szene unterschiedlichste Themenfelder. Im Rahmen aktueller politischer Entwicklungen könnten Bereiche wie Kernenergie, Gentechnik, Rüstungspolitik, Kriege, Globalisierung etc. an Bedeutung gewinnen. Anhang 303 Politisch motivierte Ausländerkriminalität Fallzahlen KPMDPMK für Politisch motivierte Ausländerkriminalität Terrorismus 2003 2004 Bildung terroristischer Vereinigung 2 2 Summe Terrorismus 2 2507 Gewaltdelikte Erpressung 2 Freiheitsberaubung 1 Körperverletzung 10 3 Landfriedensbruch 5 2 Raub 1 1 Widerstandsdelikte 2 1 Summe Gewaltdelikte 18 10 Andere Straftaten Begünstigung / Hehlerei 1 Beleidigung / üble Nachrede / Verleumdung 4 7 Belohung / Billigung v. Straftaten 1 Falschaussage / Meineid 1 Hausfriedensbruch 1 Nötigung / Bedrohung 7 5 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 1 Propagandadelikte 10 6 Sachbeschädigung 11 28 Störung d. öffentlichen Friedens 6 5 Straftaten gg. ausländische Staaten 3 Vereinsgesetz 88 21 Versammlungsgesetz 8 9 Volksverhetzung 12 12 Waffengesetz 1 Summe Andere Straftaten 148 100 Gesamt 168508 112 507 Hierbei handelt es sich um Verfahren, die beim BKA auf Grund der Deliktszuweisung geführt, aber dem Land Berlin wegen der Tatörtlichkeit zugeordnet werden. Dieses Verfahren wird erst seit 2003 praktiziert. 508 Vgl. Fußnote 2. 304 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Der Politisch motivierten Ausländerkriminalität werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung - der Umstände der Tat oder - der Erkenntnisse über den Täter Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die durch eine nichtdeutsche Herkunft geprägte Einstellung des Täters entscheidend für die Tatbegehung war, insbesondere wenn sie darauf ausgerichtet sind - Verhältnisse und Entwicklungen im Ausland oder - aus dem Ausland Verhältnisse und Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland zu beeinflussen. Vergleicht man die Gesamtzahl der Straftaten des Jahres 2003 mit der Gesamtzahl der Straftaten des Jahres 2004, scheint die Reduzierung um 56 Straftaten (ca. 30 %) einen starken Rückgang anzuzeigen. Dabei ist zu beachten, dass die Vorjahreszahlen durch Exekutivmaßnahmen auf der Grundlage des Vereinsgesetzes im Zusammenhang mit dem so genannten Kalifatstaat und der Hizb Ut Tahrir um etwa diese Größenordnung erhöht waren und damit lediglich eine Annäherung an den Mittelwert stattgefunden hat. Insoweit ist eine statistisch unauffällige prozentuale Schwankungsbreite anzunehmen. Der erkennbare Anstieg der Sachbeschädigungen ist auf eine in den ersten Monaten des Jahres durchgeführte Kampagne der Kongra Gel (vormals PKK) zurückzuführen, die überwiegend von der Jugendorganisation Tecak getragen wurde. Aus Anlass des 5. Jahrestages der Festnahme Öcalans sollte auf das Schicksal und den Gesundheitszustand Öcalans aufmerksam gemacht werden. Dies geschah hauptsächlich durch Sachbeschädigungen (Farbschmierereien) und friedliche Kundgebungen mit relativ geringer Teilnehmerzahl bis zum Ende der Kampagne im März/ April 2004. Seitdem sind diese Aktionen nach und nach zurückgegangen. Nach polizeilicher Einschätzung waren 85 der 112 Straftaten der extremistischen Kriminalität zuzurechnen. Für das Jahr 2003 waren 144 von 168 Straftaten als extremistisch bewertet worden. Anhang 305 Schwerpunkte und besondere Entwicklungen Der extremistische Islamkonvertit und bekennende Märtyrer Steven S. hielt sich 2004 mehrfach in Berlin auf. Zuletzt hatte er die Absicht geäußert, sich dauerhaft in Berlin niederzulassen, verzog dann aber doch nach Hessen. Seine Aufenthalte wurden jeweils mit polizeilichen Maßnahmen begleitet. Gegen den ehemaligen Imam Yakup T. wurde aufgrund islamistisch geprägter Äußerungen während eines Gebets in der Berliner MevlanaMoschee in Berlin-Kreuzberg im November ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet. Am 16.12.04 verfügte das Landeseinwohneramt seine Ausweisung. In seinen Reden hatte T. öffentlich gegen Deutsche polemisiert. Zusammenarbeit mit dem Land Brandenburg/ Länderübergreifende Kriminalitätsphänomene Wie bereits 2003 beispielhaft anhand damaliger Kadek-Aktivitäten festgestellt wurde, bilden der Raum Berlin - Brandenburg und teilweise auch die angrenzenden Bundesländer einen einheitlichen Aktionsraum. Dies dürfte auch darin begründet sein, dass in den angrenzenden Flächenländern nach wie vor nur ein relativ geringer Anteil an Ausländern wohnhaft ist und somit eigene Strukturen nicht erfolgversprechend erscheinen. Insofern spielen staatliche Verwaltungsgrenzen keine Rolle. Prognose 2005 Bezüglich des Phänomens "Islamistischer Terrorismus" ist festzustellen, dass weltweit nicht von einer nachhaltigen Schwächung oder gar Zerschlagung der Al Qaida und der Netzwerke arabischer Mudjahedin ausgegangen werden kann. Daher ist eine kurzfristige Lageentspannung nicht zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass extremistisch islamistische Gruppierungen und Einzelpersonen auch in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlins präsent sind und versuchen, ihre eigenen netzwerkartigen Strukturen aufzubauen und zu erhalten. Mitte 2004 wurde eine deutliche personelle und logistische Verstärkung des zuständigen Ermittlungsund Auswertungsbereiches mit dem Ziel insbesondere der präventiven Aufhellung islamistischer Strukturen vorgenommen, die sich mit Hilfe statistischer Erfassung jedoch nur unzureichend abbilden lassen. 306 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Die Aktivitäten türkischer Organisationen (incl. Kongra-Gel) in Berlin dürften auf niedrigem Niveau fortgeführt werden. Dies ist - neben dem erkennbaren Kurswechsel der Türkei - gewiss auch dem propagierten Ziel der Organisationen geschuldet, ihre politischen Anliegen mit legalen Mitteln zu befördern. Nachrichtendienstliche Aktivitäten Im Jahr 2004 konnten Aktivitäten von Nachrichtendiensten aus der NahostRegion festgestellt werden. Die Aktivitäten zielten vor allem auf die Ausspähung hier lebender Oppositioneller des jeweiligen Regimes ab. Anhang 307 2 Gesetzestexte Gesetz SS3 über den Verfassungsschutz in Berlin Dienstkräfte (Verfassungsschutzgesetz Berlin - VSG Bln) in (1) Die Dienstkräfte der Verfassungsder Fassung vom 25. Juni 2001, schutzabteilung haben neben den allgemeigeändert durch Art. V des Gesetzes vom 30. Juli nen Pflichten die sich aus dem Wesen des 2001 (GVBl. S. 305), Verfassungsschutzes und ihrer dienstlichen zuletzt geändert durch Art. II des Gesetzes vom Stellung ergebenden besonderen Pflichten. 5. Dezember 2003 (GVBl. 571) Sie haben sich jederzeit für den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der VerfasERSTER ABSCHNITT sung von Berlin einzusetzen. Die Funktion Aufgaben und Befugnisse des Leiters der für den Verfassungsschutz der Verfassungsschutzbehörde zuständigen Abteilung soll nur einer Person SS1 übertragen werden, die die Befähigung zum Zweck des Verfassungsschutzes Richteramt besitzt. (2) Der Senat von Berlin kann jährlich Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der bestimmen, in welchem Umfang Dienstkräffreiheitlichen demokratischen Grundordnung, ten der Verfassungsschutzabteilung freie, frei des Bestandes und der Sicherheit der Bundeswerdende und neu geschaffene Stellen in der republik Deutschland und ihrer Länder. Hauptverwaltung für Zwecke der Personalentwicklung vorbehalten werden. SS2 Organisation SS4 Zusammenarbeit (1) Verfassungsschutzbehörde ist die Senatsverwaltung für Inneres. Die für den Verfas(1) Die Verfassungsschutzbehörde ist sungsschutz zuständige Abteilung nimmt ihre verpflichtet, mit Bund und Ländern in AngeAufgaben gesondert von der für die Polizei zulegenheiten des Verfassungsschutzes zuständigen Abteilung wahr. sammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit be(2) Die für den Verfassungsschutz zustänsteht insbesondere in gegenseitiger Unterdige Abteilung ist datenverarbeitende Stelle im stützung und Information sowie in der UnterSinne des SS 4 Abs. 3 Nr. 1 des Berliner Datenhaltung gemeinsamer Einrichtungen (wie schutzgesetzes in der Fassung vom 17. Dezemz. B. das nachrichtendienstliche Informationsber 1990 (GVBl. 1991 S. 16, 54), das zuletzt system des Bundes und der Länder [NADIS] durch Artikel IX des Gesetzes vom 30. Novemund die Schule für Verfassungsschutz). ber 2000 (GVBl. S. 495) geändert worden ist. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Die Übermittlung an andere OrganisationseinLänder dürfen im Geltungsbereich dieses heiten der Senatsverwaltung für Inneres ist Gesetzes nur im Einvernehmen, das Bundesungeachtet der fachund dienstaufsichtlichen amt für Verfassungsschutz nur im Benehmen Befugnisse zulässig, wenn dies für die Aufmit der Verfassungsschutzbehörde tätig wergabenerfüllung nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist. den. (3) Bei der Leitung der Senatsverwaltung für Inneres wird eine Revision eingerichtet. Die Revision ist unbeschadet ihrer Verantwortung geSS5 genüber dem Senator im Übrigen in der DurchAufgaben der Verfassungsschutzbehörde führung von Prüfungen und der Beurteilung von Prüfungsvorgängen unabhängig. (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Aufgabe, den Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin, andere zuständige 308 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über 4. bei aufenthaltsrechtlichen Verfahren, EinGefahren für die freiheitliche demokratische bürgerungsverfahren, jagdund waffenGrundordnung, den Bestand und die Sicherheit rechtlichen Verfahren sowie bei sonstides Bundes und der Länder zu unterrichten. gen gesetzlich vorgeschriebenen ÜberDadurch soll es den staatlichen Stellen insprüfungen; die Mitwirkung ist nur zuläsbesondere ermöglicht werden, rechtzeitig die sig, wenn diese zum Schutz der freierforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser heitlichen demokratischen Grundordnung Gefahren zu ergreifen. oder für Zwecke der öffentlichen Sicher(2) Zur Erfüllung dieser Aufgaben sammelt heit erforderlich ist; Näheres wird in einer und wertet die Verfassungsschutzbehörde InforVerwaltungsvorschrift des Senators für mationen, insbesondere sachund personenInneres im Benehmen mit dem Berliner bezogene Daten, Auskünfte, Nachrichten und Beauftragten für den Datenschutz und für Unterlagen aus über das Recht auf Akteneinsicht bestimmt. 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche Die Befugnisse der Verfassungsschutzbehördemokratische Grundordnung, den Bestand de bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 oder die Sicherheit des Bundes oder eines sind im Berliner SicherheitsüberprüfungsgeLandes gerichtet sind oder eine ungesetzsetz vom 2. März 1998 (GVBl. S. 26) geliche Beeinträchtigung der Amtsführung der regelt. Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, SS6 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstBegriffsbestimmungen liche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, (1) Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2 Nr. 1 und 3 sind politisch motivierte, zielund 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des zweckgerichtete Verhaltensweisen oder BetäGrundgesetzes, die durch Anwendung von tigungen von Organisationen, PersonenzuGewalt oder darauf gerichtete Vorbereisammenschlüssen ohne feste hierarchische tungshandlungen auswärtige Belange der Organisationsstrukturen (unorganisierte Bundesrepublik Deutschland gefährden Gruppen) oder Einzelpersonen gegen die in oder gegen das friedliche Zusammenleben SS 5 Abs. 2 bezeichneten Schutzgüter. Für der Völker (Art. 26 Abs. 1 des Grundgeeine Organisation oder eine unorganisierte setzes) gerichtet sind. Gruppe handelt, wer sie in ihren Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhal(3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf tensweisen von Einzelpersonen, die nicht in Ersuchen der zuständigen öffentlichen Stellen einer oder für eine Organisation oder in einer mit oder für eine unorganisierte Gruppe handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Ge1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Persosetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt nen, denen im öffentlichen Interesse gegerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses stände oder Erkenntnisse anvertraut werGesetzes erheblich zu beschädigen. den, die Zugang dazu erhalten sollen oder (2) Bestrebungen im Sinne dieses Geihn sich verschaffen können, setzes, die gegen die freiheitliche demo2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Persokratische Grundordnung gerichtet sind, sind nen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen solche, die auf die Beseitigung oder Außervon lebensoder verteidigungswichtigen kraftsetzung wesentlicher VerfassungsgrundEinrichtungen beschäftigt sind oder werden sätze abzielen. Hierzu gehören: sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt zum Schutz von im öffentlichen Interesse in Wahlen und Abstimmungen und durch geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gebesondere Organe der Gesetzgebung, genständen oder Erkenntnissen gegen die der vollziehenden Gewalt und der RechtKenntnisnahme durch Unbefugte, sprechung auszuüben und die Volks- Anhang 309 vertretung in allgemeiner, unmittelbarer, (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf freier, gleicher und geheimer Wahl zu für die Prüfung, ob die Voraussetzungen des wählen, Absatzes 1 vorliegen, die dazu erforderlichen 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verpersonenbezogenen Daten aus allgemein zufassungsmäßige Ordnung und die Bindung gänglichen Quellen erheben, speichern und der vollziehenden Gewalt und der Rechtnutzen. Eine Speicherung dieser Daten im sprechung an Gesetz und Recht, nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) oder in anderen Verbunddateien ist 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer nicht zulässig. Eine Speicherung der nach parlamentarischen Opposition, Satz 1 erhobenen personenbezogenen Daten 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre in Akten und Dateien über den Ablauf eines Verantwortlichkeit gegenüber der VolksverJahres seit der Speicherung hinaus ist nur tretung, zulässig, wenn spätestens von diesem Zeit5. die Unabhängigkeit der Gerichte, punkt an die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen. Dasselbe gilt für das Anlegen 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürpersonenbezogener Akten. herrschaft und (3) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die 7. die im Grundgesetz konkretisierten MenVerfassungsschutzbehörde nur die dazu schenrechte. erforderlichen Maßnahmen ergreifen; dies gilt insbesondere für die Erhebung und Verarbei(3) Im Sinne dieses Gesetzes sind tung personenbezogener Informationen. Von mehreren möglichen und geeigneten Maß1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bunnahmen hat sie diejenige auszuwählen, die des oder eines Landes solche, die darauf den einzelnen, insbesondere in seinen gerichtet sind, die Freiheit des Bundes oder Grundrechten, und die Allgemeinheit vorauseines Landes von fremder Herrschaft aufsichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine zuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitiMaßnahme hat zu unterbleiben, wenn sie gen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abeinen Nachteil herbeiführt, der erkennbar zutrennen, außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Er2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des folg steht. Sie ist nur solange zulässig, bis ihr Bundes oder eines Landes solche, die Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er darauf gerichtet sind, den Bund, die Länder nicht erreicht werden kann. oder deren Einrichtungen in ihrer Funk(4) Soweit in diesem Gesetz besondere tionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. Eingriffsbefugnisse das Vorliegen gewalttätiger Bestrebungen oder darauf gerichtete (4) Auswärtige Belange im Sinne des SS 5 Vorbereitungshandlungen voraussetzen, ist Abs. 2 Nr. 3 werden nur gefährdet, wenn innerGewalt die Anwendung körperlichen Zwanhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes ges gegen Personen oder eine nicht unerGewalt ausgeübt oder durch Handlungen vorhebliche Einwirkung auf Sachen. bereitet wird und diese sich gegen die politische Ordnung oder Einrichtungen anderer Staaten richten. SS8 Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS7 (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit die zur Erfüllung ihrer Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten und (1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bebei Behörden, sonstigen öffentlichen Stellen stimmt, darf die Verfassungsschutzbehörde bei sowie nicht öffentlichen Stellen, insbesondere der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach SS 5 bei Privatpersonen, erheben, soweit die Abs. 2 nur tätig werden, wenn im Einzelfall Bestimmungen dieses Gesetzes dies tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht der zulassen. Ein Ersuchen der Verfassungsdort genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten schutzbehörde um Übermittlung personenbevorliegen. zogener Daten darf nur diejenigen personenbezogenen Daten enthalten, die für die 310 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Erteilung der Auskunft unerlässlich sind. SchutzPersonen, die berechtigt sind, in Strafsachen würdige Interessen des Betroffenen dürfen nur aus beruflichen Gründen das Zeugnis zu verim unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt weigern (SSSS 53 und 53a der Strafprozesswerden. ordnung), darf die Verfassungsschutzbehörde (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur nicht von sich aus nach Satz 1 Nr. 1 zur Beheimlichen Informationsbeschaffung, insbesonschaffung von Informationen in Anspruch dere zur Erhebung personenbezogener Daten, nehmen, auf die sich ihr Zeugnisverweigenur in begründeten Fällen folgende nachrichtenrungsrecht bezieht. Die Behörden des Landienstliche Mittel anwenden: des Berlin sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde technische Hilfe für Tarnungs1. Einsatz von Vertrauensleuten, sonstigen maßnahmen zu geben. geheimen Informanten, zum Zweck der (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf Spionageabwehr überworbenen Agenten, Informationen einschließlich personenbezoGewährspersonen und verdeckten Ermittgener Daten mit den Mitteln gemäß Absatz 2 lern, erheben, wenn 2. Observation, 1. sich ihr Einsatz gegen Organisationen, 3. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Videounorganisierte Gruppen, in ihnen oder grafieren und Filmen), einzeln tätige Personen richtet, bei 4. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, denen tatsächliche Anhaltspunkte für den 5. Mithören ohne Inanspruchnahme techniVerdacht der Bestrebungen oder Tätigscher Mittel, keiten nach SS 5 Abs. 2 bestehen, 6. Mithören und Aufzeichnen des nicht öffent2. auf diese Weise Erkenntnisse über gelich gesprochenen Wortes unter Einsatz walttätige Bestrebungen oder geheimtechnischer Mittel, dienstliche Tätigkeiten gewonnen werden können, 7. Beobachtungen des Funkverkehrs auf nicht für den allgemeinen Empfang bestimmten 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Kanälen sowie die Sichtbarmachung, BeobBestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 achtung, Aufzeichnung und EntschlüsAbs. 2 erforderlichen Quellen erschlosselung von Signalen in Kommunikationssen werden können oder systemen, 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Ein8. Verwendung fingierter biografischer, berufrichtungen, Gegenstände und Quellen licher oder gewerblicher Angaben (Legender Verfassungsschutzbehörde gegen siden), cherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. 9. Beschaffung, Erstellung und Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, Datenerhebungen nach Satz 1 Nr. 2 dürfen 10. Überwachung des Brief-, Post-, und Fernsich gegen andere als die in SS 6 Abs. 1 meldeverkehrs nach Maßgabe des ArtiSatz 2 und 3 genannten Personen nur kel 10-Gesetzes, vom 26. Juni 2001 (BGBl. richten, soweit dies zur Gewinnung von I S. 1254, 2298), zuletzt geändert durch Erkenntnissen unerlässlich ist. Artikel 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 22. (4) Die Erhebung nach Absatz 2 ist unzuAugust 2002 (BGBl. I S. 3390), lässig, wenn die Erforschung des Sachver11. Einsatz von weiteren vergleichbaren Mehalts auf andere, die betroffene Person thoden, Gegenständen und Instrumenten weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; zur heimlichen Informationsbeschaffung, eine geringere Beeinträchtigung ist in der insbesondere das sonstige Eindringen in Regel anzunehmen, wenn die Informationen technische Kommunikationsbeziehungen aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch Bild-, Ton-, und Datenaufzeichdurch eine Auskunft nach SS 27 gewonnen nungen; dem Einsatz derartiger Methoden, werden können. Die Anwendung eines Mittels Gegenstände und Instrumente hat der gemäß Absatz 2 soll erkennbar im Verhältnis Ausschuss für Verfassungsschutz des zur Bedeutung des aufzuklärenden SachverAbgeordnetenhauses von Berlin vorab seihalts stehen. Der Einsatz nachrichtendienstne Zustimmung zu erteilen. licher Mittel nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 und 7 ist Anhang 311 grundsätzlich nur zur Informationsbeschaffung ist, ein konkreter Verdacht in Bezug auf eine über Bestrebungen gegen die freiheitliche Gefährdung der vorstehenden Rechtsgüter demokratische Grundordnung zulässig, wenn besteht und der Einsatz anderer Methoden diese Bestrebung die Anwendung von Gewalt und Mittel zur heimlichen Informationsbebilligen oder sich in aktiv kämpferischer, schaffung keine Aussicht auf Erfolg bietet. aggressiver Weise betätigen. Die Maßnahme ist Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für unverzüglich zu beenden, wenn ihr Zweck einen verdeckten Einsatz technischer Mittel erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür zur Anfertigung von Bildaufnahmen und ergeben, dass er nicht oder nicht auf diese Bildaufzeichnungen in Wohnungen. MaßnahWeise erreicht werden kann. Daten, die für das men nach den Sätzen 1 bis 3 dürfen nur Verständnis der zu speichernden Informationen aufgrund richterlicher Anordnung getroffen nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die löschen. Die Löschung kann unterbleiben, wenn Maßnahme auch durch den Senator für die Informationen von anderen, die zur Erfüllung Inneres, der im Verhinderungsfall durch den der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur zuständigen Staatssekretär vertreten wird, mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden angeordnet werden; eine richterliche Entkönnen; in diesem Fall dürfen die Daten nicht scheidung ist unverzüglich nachzuholen. verwertet werden. (2) Die Anordnung ist auf höchstens drei (5) Die näheren Voraussetzungen für die Monate zu befristen. Verlängerungen um Anwendung der Mittel nach Absatz 2 sind in jeweils nicht mehr als drei weitere Monate einer Verwaltungsvorschrift des Senators für sind auf Antrag zulässig, soweit die VorausInneres zu regeln, die auch die Zuständigkeit für setzungen der Anordnung fortbestehen. Liedie Anordnung solcher Informationsbeschaffung gen die Voraussetzungen der Anordnung regelt. Die Verwaltungsvorschrift ist dem Ausnicht mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz schuss für Verfassungsschutz des Abgeordnetechnischer Mittel zur Informationsgewinnung tenhauses von Berlin vorab zur Kenntnis zu nicht mehr erforderlich, ist die Maßnahme geben. unverzüglich zu beenden. Der Vollzug der (6) Für die Speicherung und Löschung der Anordnung erfolgt unter Aufsicht eines Bedurch Maßnahmen nach Absatz 2 erlangten diensteten der Verfassungsschutzbehörde, personenbezogenen Daten gilt SS 4 Abs. 1 des der die Befähigung zum Richteramt hat. Artikel 10-Gesetzes entsprechend. (3) Sind technische Mittel ausschließlich (7) Polizeiliche Befugnisse stehen der Verzum Schutze der bei einem Einsatz in Wohfassungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die nungen tätigen Personen vorgesehen, kann Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um die Maßnahme durch den Senator für Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht Inneres, der im Verhinderungsfall durch den befugt ist. zuständigen Staatssekretär vertreten wird, (8) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die angeordnet werden. Eine anderweitige Verallgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artiwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse kel 20 des Grundgesetzes). zum Zwecke der Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt worden ist; SS9 bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Einsatz technischer Mittel Entscheidung unverzüglich nachzuholen. zur Überwachung von Wohnungen (4) Zuständig für richterliche Entscheidungen nach den Absätzen 1 und 3 ist das Amts(1) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gericht Tiergarten. Für das Verfahren gelten gesprochene Wort darf mit technischen Mitteln die Vorschriften des Gesetzes über die Angeausschließlich bei der Wahrnehmung der Auflegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gaben auf dem Gebiet der Spionageabwehr und entsprechend. des gewaltbereiten politischen Extremismus (5) Der Senat unterrichtet die Kommisheimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden. sion nach SS 2 des Gesetzes zur Ausführung Eine solche Maßnahme ist nur zulässig, wenn des Artikel 10-Gesetzes in der Fassung vom sie im Einzelfall zur Abwehr einer dringenden 25. Juni 2001 (GVBl. S. 251), das zuletzt Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondurch Art. 1 des Gesetzes vom 5. Dezemdere einer gemeinen Gefahr oder einer Leber 2003 (GVBl. S. 571) geändert worden ist, bensgefahr für einzelne Personen, unerlässlich unverzüglich, möglichst vorab, und umfas- 312 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 send über den Einsatz technischer Mittel nach tungshandlungen auswärtige Belange Absatz 1 und, soweit richterlich überprüfungsder Bundesrepublik Deutschland gefährbedürftig, nach Absatz 3. SS 3 des Gesetzes zur den, Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz gilt entsprechend. von öffentlichen Stellen geführte Register, (6) Eine Maßnahme nach den Absätzen 1 z. B. Melderegister, Personalausweisregister, und 3 ist nach ihrer Beendigung der betroffenen Passregister, Führerscheinkarteien, WaffenPerson mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des scheinkarteien, einsehen. Zwecks der Maßnahme mit hoher Wahrschein(2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulichkeit nicht mehr zu erwarten ist. Die durch lässig, wenn Maßnahmen im Sinne des Satzes 1 erhobenen Informationen dürfen nur nach Maßgabe des SS 4 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes verwendet möglich erscheint, insbesondere durch werden. eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, und SS 9a 2. die betroffene Person durch eine anEingriffe, die in ihrer Art und Schwere einer derweitige Aufklärung unverhältnismäßig Beschränkung des Brief-, Postund beeinträchtigt würde, und Fernmeldegeheimnisses gleichkommen 3. eine besondere gesetzliche Geheim(1) Ein Eingriff, der in seiner Art und Schwehaltungsvorschrift oder ein Berufsgere einer Beschränkung des Brief-, Postund heimnis der Einsichtnahme nicht entgeFernmeldegeheimnisses gleichkommt und nicht gensteht. den Regelungen des SS 9 unterliegt, wozu insbesondere das Abhören und Aufzeichnen des nicht (3) Die Anordnung für die Maßnahme öffentlich gesprochenen Wortes mit dem vernach Absatz 1 trifft der Leiter der Verfasdeckten Einsatz technischer Mittel gehört, sungsschutzabteilung, im Falle der Verhindebedarf der Anordnung durch den Senator für rung der Vertreter. Inneres, der im Verhinderungsfall durch den (4) Die auf diese Weise gewonnenen zuständigen Staatssekretär vertreten wird. Erkenntnisse dürfen nur zu den in Absatz 1 (2) Die SSSS 2 und 3 des Gesetzes zur Ausgenannten Zwecken verwendet werden. Geführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz speicherte Informationen sind zu löschen und gelten entsprechend. Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese (3) SS 9 Abs. 6 gilt entsprechend. Zwecke nicht mehr benötigt werden. (5) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr SS 10 Zweck, die in Anspruch genommene Stelle, Registereinsicht die Namen der Betroffenen, deren Daten für durch die Verfassungsschutzbehörde eine weitere Verwendung erforderlich sind, sowie der Zeitpunkt der Einsichtnahme her(1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur vorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesonAufklärung dert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu sichern und, - von sicherheitsgefährdenden oder geheimsoweit sie für die Aufgabenerfüllung der dienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Verfassungsschutzbehörde nach SS 5 Abs. 2 Macht oder nicht mehr benötigt werden, am Ende des - von Bestrebungen, die durch Anwendung Kalenderjahres, das dem Jahr der Erstellung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbefolgt, zu vernichten. reitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorberei- Anhang 313 ZWEITER ABSCHNITT SS 13 Datenverarbeitung Speicherungsdauer SS 11 Speicherung, Veränderung und Nutzung (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat personenbezogener Informationen die Speicherungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur beschränken. Die in Dateien gespeicherten Erfüllung ihrer Aufgaben rechtmäßig erhobene Informationen sind bei der Einzelfallbearpersonenbezogene Informationen speichern, beitung, spätestens aber fünf Jahre nach verändern und nutzen, wenn Speicherung der letzten Information, auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen. Sofern die 1. tatsächliche Anhaltspunkte für BestrebunInformationen Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 gen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 betreffen, sind sie spätestens vorliegen oder zehn Jahre nach der zuletzt gespeicherten relevanten Information zu löschen. 2. dies für die Erforschung oder Bewertung (2) Sind Informationen über Minderjährige von gewalttätigen Bestrebungen oder gein Dateien oder in Akten, die zu ihrer Person heimdienstlichen Tätigkeiten nach SS 5 geführt werden, gespeichert, ist nach zwei Abs. 2 erforderlich ist oder Jahren die Erforderlichkeit der Speicherung 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachzu überprüfen und spätestens nach fünf richtendienstlicher Zugänge über BestreJahren die Löschung vorzunehmen, es sei bungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erdenn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit forderlich ist oder weitere Erkenntnisse nach SS 5 Abs. 2 ange4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einfallen sind, die zur Erfüllung der Aufgaben im richtungen, Gegenstände und Quellen der Sinne dieses Gesetzes eine Fortdauer der Verfassungsschutzbehörde gegen sicherSpeicherung rechtfertigen. heitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist oder SS 14 5. sie auf Ersuchen der zuständigen Stelle Berichtigung, Löschung und Sperrung nach SS 5 Abs. 3 tätig wird. personenbezogener Informationen in Dateien In Akten dürfen über Satz 1 Nr. 2 hinaus per(1) Die Verfassungsschutzbehörde hat sonenbezogene Daten auch gespeichert, verdie in Dateien gespeicherten personenbezoändert und genutzt werden, wenn dies sonst zur genen Informationen zu berichtigen, wenn sie Erforschung und Bewertung von Bestrebungen unrichtig sind; sie sind zu ergänzen, wenn sie nach SS 5 Abs. 2 zwingend erforderlich ist. unvollständig sind und dadurch schutzwür(2) In Dateien gespeicherte Informationen dige Interessen der betroffenen Person müssen durch Aktenrückhalt belegbar sein. beeinträchtigt sein können. (3) In Dateien ist die Speicherung von Infor(2) Die Verfassungsschutzbehörde hat mationen aus der Intimsphäre der betroffenen die in Dateien gespeicherten personenbezoPerson unzulässig. genen Informationen zu löschen, wenn ihre Speicherung irrtümlich erfolgt war, unzulässig war oder ihre Kenntnis für die AufgabenerSS 12 füllung nicht mehr erforderlich ist und Speicherung, Veränderung und Nutzung schutzwürdige Interessen der betroffenen personenbezogener Informationen von Person nicht beeinträchtigt werden. Minderjährigen (3) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien gespeicherten personenbezoDie Speicherung personenbezogener Informagenen Informationen zu sperren, wenn die tionen über Minderjährige, die das 14. LebensLöschung unterbleibt, weil Grund zu der jahr nicht vollendet haben, ist unzulässig. Annahme besteht, dass durch die Löschung schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt würden; gesperrte Informationen sind entsprechend zu kenn- 314 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 zeichnen und dürfen nur mit Einwilligung der 1. Bezeichnung der Datei, betroffenen Person verwendet werden. 2. Zweck der Datei, (4) In Dateien gelöschte Informationen sind gesperrt. Unterlagen sind zu vernichten, wenn 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der sie zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 nicht Speicherungen, Übermittlung und Nutoder nicht mehr erforderlich sind, es sei denn, zung (betroffener Personenkreis, Arten dass ihre Aufbewahrung zur Wahrung schutzder Daten), würdiger Interessen der betroffenen Person not4. Eingabeberechtigung, wendig ist. Die Vernichtung unterbleibt, wenn 5. Zugangsberechtigung, die Unterlagen von anderen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden 7. Protokollierung, können. 8. Datenverarbeitungsgeräte und Betriebs(5) Personenbezogene Informationen, die system, ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkon9. Inhalt und Umfang von Textzusätzen, die trolle, der Datensicherung oder zur Sicherstelder Erschließung von Akten dienen. lung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat in dürfen nur für diese Zwecke und zur Verfolgung angemessenen Abständen die Notwendigkeit der in der jeweiligen Fassung des Berliner der Weiterführung oder Änderung ihrer DaDatenschutzgesetzes als Straftaten bezeichneteien zu prüfen. ten Handlungen verwendet werden. SS 17 Gemeinsame Dateien SS 15 Berichtigung und Sperrung Bundesgesetzliche Vorschriften über die Dapersonenbezogener Informationen in Akten tenverarbeitung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und (1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde der Länder bleiben unberührt. fest, dass in Akten gespeicherte personenbezogene Informationen unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von dem Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken oder auf DRITTER ABSCHNITT sonstige Weise festzuhalten. Informationsübermittlung (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat perSS 18 sonenbezogene Informationen in Akten zu sperGrundsätze bei der Informationsübermittlung ren, wenn sie im Einzelfall feststellt, dass ohne durch die Verfassungsschutzbehörde die Sperrung schutzwürdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt würden und die Daten Die Übermittlung von personenbezogenen für ihre Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderInformationen ist aktenkundig zu machen. In lich sind. Gesperrte Informationen sind mit der entsprechenden Datei ist die Informaeinem entsprechenden Vermerk zu versehen; tionsübermittlung zu vermerken. Vor der sie dürfen nicht mehr genutzt oder übermittelt Informationsübermittlung ist der Akteninhalt werden. Eine Aufhebung der Sperrung ist mögim Hinblick auf den Übermittlungszweck zu lich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich würdigen und der Informationsübermittlung entfallen. zugrunde zu legen. Erkennbar unvollständige Informationen sind vor der Übermittlung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit durch EinSS 16 holung zusätzlicher Auskünfte zu vervollstänDateianordnungen digen. (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsschutzbehörde sind in einer Dateianordnung im Benehmen mit dem Berliner Beauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht festzulegen: Anhang 315 SS 19 len, insbesondere an die Polizei und die Informationsübermittlung Staatsanwaltschaft, übermittelt werden, wenn zwischen den Verfassungsschutzbehörden sie für die Aufgabenerfüllung der empfangenden Stellen erforderlich sein können. Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verpersonenbezogene Informationen an inländifassungsschutzbehörden der Länder über alle sche Behörden und juristische Personen des Angelegenheiten, deren Kenntnis zur Erfüllung öffentlichen Rechts übermitteln, wenn dies der Aufgaben der empfangenden Stellen erforzur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist derlich ist. oder der Empfänger die Informationen zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 oder zur Strafverfolgung SS 20 benötigt oder nach SS 5 Abs. 3 tätig wird. Informationsübermittlung (3) Die empfangende Stelle von Informaan den Bundesnachrichtendienst tionen nach Absatz 2 ist darauf hinzuweisen, und den Militärischen Abschirmdienst dass sie die übermittelten personenbezogenen Informationen nur zu dem Zweck verDie Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem wenden darf, zu dessen Erfüllung sie ihr Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen übermittelt wurden. Abschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür SS 23 bestehen, dass die Übermittlung für die ErÜbermittlung von Informationen füllung der Aufgaben der empfangenden Stellen an Personen und Stellen außerhalb erforderlich ist. Handelt die Verfassungsschutzdes öffentlichen Bereichs behörde auf Ersuchen, so ist sie zur Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, wenn Personenbezogene Informationen dürfen an sich die Voraussetzungen aus den Angaben der Personen oder Stellen außerhalb des öffentliersuchenden Behörde ergeben. chen Bereichs nicht übermittelt werden, es sei denn, dass dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, SS 21 des Bestandes oder der Sicherheit des Informationsübermittlung an Bundes oder eines Landes erforderlich ist Strafverfolgungsbehörden in Angelegenheiten und der Senator für Inneres, der im des Staatsund Verfassungsschutzes Verhinderungsfall durch den zuständigen Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt den Staatssekretär vertreten wird, im Einzelfall Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der seine Zustimmung erteilt hat. Die Verstaatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den fassungsschutzbehörde führt über die Polizeibehörden des Landes die ihr bekannt Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus gewordenen Informationen einschließlich persodem der Zweck der Übermittlung, die nenbezogener Daten, wenn tatsächliche AnAktenfundstelle und der Empfänger hervorhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übergehen; die Nachweise sind gesondert mittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff Straftaten, die im Zusammenhang mit Bestrezu sichern und am Ende des Kalenderjahres, bungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 stehen, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu erforderlich ist. vernichten. Der Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen Informationen nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm SS 22 übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die Übermittlung von Informationen Verwendungsbeschränkung und darauf an den öffentlichen Bereich hinzuwiesen, dass die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, um Auskunft über die (1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufvorgenommene Verwendung der Informatiogabenerfüllung gewonnenen, nicht personenbenen zu bitten. zogenen Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde können an andere Behörden und Stel- 316 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 SS 24 Bekanntgabe für das Verständnis des ZuÜbermittlung von Informationen sammenhanges oder der Darstellung von an die Stationierungsstreitkräfte Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen erforderlich ist und die Interessen Die Verfassungsschutzbehörde darf personender Allgemeinheit an sachgemäßen Inforbezogene Informationen an Dienststellen der mationen das schutzwürdige Interesse des Stationierungsstreitkräfte übermitteln, soweit die Betroffenen überwiegen. Bundesrepublik Deutschland dazu im Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des NordSS 27 atlantikpaktes über die Rechtsstellung ihrer Übermittlung von Informationen Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik an die Verfassungsschutzbehörde Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II (1) Die Behörden des Landes und die S. 1183) verpflichtet ist. Die Übermittlung ist aksonstigen der Aufsicht des Landes unterstetenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf henden juristischen Personen des öffenthinzuweisen, dass die übermittelten Informatiolichen Rechts übermitteln von sich aus der nen nur zu dem Zweck verwendet werden dürVerfassungsschutzbehörde die ihnen bekannt fen, zu dem sie ihm übermittelt wurden. gewordenen Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, über Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2, die durch Anwendung SS 25 von Gewalt oder darauf gerichtete VorbeÜbermittlung von Informationen reitungshandlungen verfolgt werden, und an öffentliche Stellen außerhalb über geheimdienstliche Tätigkeiten. Die des Geltungsbereichs des Grundgesetzes Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, die Die Verfassungsschutzbehörde darf personenPolizei übermitteln darüber hinaus auch bezogene Informationen an ausländische öffentandere im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung liche Stellen sowie an überoder zwischenbekannt gewordene Informationen über staatliche Stellen übermitteln, wenn die ÜberBestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2. mittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben oder zur (2) Die Verfassungsschutzbehörde kann Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des von jeder der in Absatz 1 genannten öfEmpfängers erforderlich ist. Die Übermittlung fentlichen Stellen verlangen, dass sie ihr die unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bunzur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen desrepublik Deutschland oder überwiegende Informationen einschließlich personenbezoschutzwürdige Interessen der betroffenen Pergener Daten übermittelt, wenn die Informason entgegenstehen. Die Übermittlung ist nur im tionen nicht aus allgemein zugänglichen Einvernehmen mit dem Bundesamt für VerfasQuellen oder nur mit unverhältnismäßigem sungsschutz zulässig. Sie ist aktenkundig zu Aufwand oder nur durch eine den Betroffenen machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, stärker belastende Maßnahme erhoben dass die übermittelten personenbezogenen Inwerden können. Es dürfen nur die Inforformationen nur zu dem Zweck verwendet wermationen übermittelt werden, die bei der erden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden, suchten Behörde bereits bekannt sind. und die Verfassungsschutzbehörde sich vorbe(3) Die Verfassungsschutzbehörde hält, um Auskunft über die vorgenommene braucht Ersuchen nicht zu begründen, soweit Verwendung der Informationen zu bitten. dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. SS 26 (4) Die Übermittlung personenbezogener Unterrichtung der Öffentlichkeit Informationen, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100 a der Strafprozessordnung beDie Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die kannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn Öffentlichkeit mindestens einmal jährlich über tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2. dass jemand eine der in SS 3 des Artikel 10Dabei ist die Übermittlung von personenbeGesetzes genannten Straftaten plant, begeht zogenen Informationen nur zulässig, wenn die oder begangen hat. Auf die der Verfassungs- Anhang 317 schutzbehörde nach Satz 1 übermittelten Infor(3) Die Verfassungsschutzbehörde darf mationen findet SS 4 Abs. 6, auf die dazuim Einzelfall bei Luftfahrtunternehmen unentgehörenden Unterlagen findet SS 4 Abs. 1 Satz 2 geltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften und des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwenzur Inanspruchnahme von Transportleistundung. gen und sonstigen Umständen des Luft(5) Vorschriften zur Informationsübermittlung verkehrs einholen, wenn dies zur Beoban die Verfassungsschutzbehörde nach anderen achtung gewalttätiger Bestrebungen nach SS 5 Gesetzen bleiben unberührt. Abs. Nr. 2 und 3 erforderlich ist und tats(6) Die Verfassungsschutzbehörde hat die ächliche Anhaltspunkte für Gefahren für Leib übermittelten Informationen nach ihrem Eingang und Leben vorliegen. unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur (4) Die Verfassungsschutzbehörde darf Erfüllung ihrer in SS 5 genannten Aufgaben erim Einzelfall zur Beobachtung gewalttätiger forderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 erforderlich sind, sind die Unterlagen unverund wenn tatsächliche Anhaltspunkte für züglich zu vernichten. Die Vernichtung unterGefahren für Leib und Leben vorliegen unter bleibt, wenn die Trennung von anderen Inforden Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des mationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforArt. 10-Gesetzes bei denjenigen, die gederlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem schäftsmäßig Telekommunikationsdienste Aufwand erfolgen kann; in diesem Fall sind die und Teledienste erbringen oder daran mitInformationen gesperrt und entsprechend zu wirken, unentgeltlich Auskünfte über Telekennzeichnen. kommunikationsverbindungsdaten und Tele(7) Soweit andere gesetzliche Vorschriften dienstnutzungsdaten einholen. Die Auskunft nicht besondere Regelungen über die Dokumenkann auch in Bezug auf zukünftige Telekomtation treffen, haben die Verfassungsschutzbemunikation und zukünftige Nutzung von Telehörde und die übermittelnde Stelle die Informadiensten verlangt werden. Telekommunikationsübermittlung aktenkundig zu machen. tionsverbindungsdaten und Teledienstnutzungsdaten sind: SS 27a 1. Berechtigungskennungen, Übermittlung von Informationen durch Kartennummern, Standortkennung sowie nicht öffentliche Rufnummer oder Kennung des Stellen an die Verfassungsschutzbehörde anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der Endeinrichtung, (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Einzelfall bei Kreditinstituten, FinanzdienstleiDatum und Uhrzeit, stungsinstituten und Finanzunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Konten, Kontoinhabern 3. Angaben über die Art der vom Kunden in und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Anspruch genommenen TelekommunikaZahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewetionsund Teledienst-Dienstleistungen, gungen und Geldanlagen einholen, wenn dies 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindunzur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen gen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 erforderlich ist und und Uhrzeit. tatsächliche Anhaltspunkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen. (5) Auskünfte nach den Abs. 1 bis 4 (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Der Einzelfall zur Beobachtung gewalttätiger BeAntrag ist von der Leitung der Verfassungsstrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und schutzabteilung, im Falle ihrer Verhinderung wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Gefahren von ihrem Vertreter schriftlich zu stellen und für Leib und Leben vorliegen unter den Vorauszu begründen. Über den Antrag entscheidet setzungen des SS 3 Abs. 1 des Art. 10-Gesetzes der Senator für Inneres, im Fall seiner Verbei Personen und Unternehmen, die geschäftshinderung der Staatssekretär. Die Senatsmäßig Postdienstleistungen erbringen, sowie bei verwaltung für Inneres unterrichtet die Komdenjenigen, die an der Erbringung dieser Dienstmission nach SS 2 des Gesetzes zur Ausleistungen mitwirken, unentgeltlich Auskünfte zu führung des Art. 10-Gesetzes über die beNamen, Anschriften, Postfächern und sonstigen schiedenen Anträge vor deren Vollzug. Bei Umständen des Postverkehrs einholen. Gefahr in Verzug kann der Senator für 318 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Inneres, im Falle seiner Verhinderung der 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, Staatssekretär den Vollzug der Entscheidung dass unter Berücksichtigung der Art der auch bereits vor der Unterrichtung der Informationen und ihrer Erhebung die Kommission anordnen. Die Kommission prüft schutzwürdigen Interessen der betroffevon Amts wegen oder aufgrund von Benen Personen das Allgemeininteresse an schwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Übermittlung überwiegen oder der Einholung von Auskünften. SS 15 Abs. 5 des 4. besondere gesetzliche ÜbermittlungsreArt. 10-Gesetzes ist mit der Maßgabe entgelungen entgegenstehen; die Verpflichsprechend anzuwenden, dass die Kontrolltung zur Wahrung gesetzlicher Geheimbefugnis der Kommission sich auf die gesamte haltungspflichten oder von Berufsoder Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht den Abs. 1 bis 4 erlangten personenbezogenen auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, Daten erstreckt. Entscheidungen über bleibt unberührt. Auskünfte, die die Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat die Senatsverwaltung für Inneres unverzüglich aufzuSS 29 heben. Für die Verarbeitung der nach den Minderjährigenschutz Abs. 1 bis 4 erhobenen Daten ist SS 4 des Art. 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. (1) Informationen einschließlich persoDas Auskunftsersuchen und die übermittelten nenbezogener Daten über das Verhalten Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten nicht Minderjähriger dürfen nach den Vorschriften mitgeteilt werden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Art. 10dieses Gesetzes übermittelt werden, solange Gesetzes findet entsprechende Anwendung. die Voraussetzungen der Speicherung nach (6) Die Senatsverwaltung für Inneres unterSS 13 Abs. 2 erfüllt sind. richtet im Abstand von höchstens sechs (2) Informationen einschließlich personMonaten den Ausschuss für Verfassungsschutz enbezogener Daten über das Verhalten Mindes Abgeordnetenhauses über die Durchderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensführung der Absätze 1 bis 5; dabei ist insjahres dürfen nach den Vorschriften dieses besondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Gesetzes nicht an ausländische oder überDauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt raum durchgeführten Maßnahmen nach den Abwerden. sätzen 1 bis 4 zu geben. (7) Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium SS 30 des Bundes jährlich über die nach den AbNachberichtspflicht sätzen 1 bis 5 durchgeführten Maßnahmen; Abs. 6 gilt entsprechend. Erweisen sich Informationen nach ihrer Über(8) Das Grundrecht des Brief-, Postund mittlung nach den Vorschriften dieses Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 des GrundgeGesetzes als unvollständig oder unrichtig, so setzes, Art. 16 der Verfassung von Berlin) wird hat die übermittelnde Stelle ihre Informanach Maßgabe der Absätze 2, 4 und 5 tionen unverzüglich gegenüber der empfaneingeschränkt. genden Stelle zu ergänzen oder zu berichtigen, wenn dies zu einer anderen Bewertung der Informationen führen könnte oder zur SS 28 Wahrung schutzwürdiger Interessen der Übermittlungsverbote betroffenen Person erforderlich ist. Die Ergänzung oder Berichtigung ist aktenkundig zu Die Übermittlung von Informationen nach den machen und in den entsprechenden Dateien Vorschriften dieses Abschnitts unterbleibt, wenn zu vermerken. 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, dass die Informationen zu löschen oder für die empfangende Stelle nicht mehr bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern, Anhang 319 VIERTER ABSCHNITT (4) Wird die Auskunftserteilung ganz oder Auskunftserteilung teilweise abgelehnt, ist die betroffene Person SS 31 darauf hinzuweisen, dass sie sich an den Auskunft an den Betroffenen Berliner Beauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht wenden (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt eikann. Dem Berliner Beauftragten für den ner natürlichen Person über die zu ihr gespeiDatenschutz und für das Recht auf Aktencherten Informationen auf Antrag unentgeltlich einsicht ist auf sein Verlangen Auskunft zu Auskunft. Die Auskunftsverpflichtung erstreckt erteilen, soweit nicht der Senator für Inneres sich nicht auf Informationen, die nicht der im Einzelfall feststellt, dass dadurch die alleinigen Verfügungsberechtigung der VerfasSicherheit des Bundes oder eines Landes sungsschutzbehörde unterliegen, sowie auf die gefährdet würde. Mitteilungen des Berliner Herkunft der Informationen und die Empfänger Beauftragten für den Datenschutz und für das von Übermittlungen. Recht auf Akteneinsicht an den Betroffenen (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf den dürfen keine Rückschlüsse auf den ErkenntAntrag ablehnen, wenn das öffentliche Interesse nisstand der Verfassungsschutzbehörde zuan der Geheimhaltung ihrer Tätigkeit oder ein lassen, soweit sie nicht einer weitergehenden überwiegendes Geheimhaltungsinteresse Dritter Auskunft zustimmt. Der Kontrolle durch den gegenüber dem Interesse der antragstellenden Berliner Beauftragten für den Datenschutz Person an der Auskunftserteilung überwiegt. In und für das Recht auf Akteneinsicht einem solchen Fall hat die Verfassungsschutzunterliegen nicht personenbezogene Informabehörde zu prüfen, ob und inwieweit eine Teiltionen, die der Kontrolle durch die Komauskunft möglich ist. Ein Geheimhaltungsintermission nach SS 2 des Gesetzes zur Ausesse liegt vor, wenn führung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz unterliegen, es sei denn, die Kommis1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung sion ersucht den Berliner Beauftragten für durch die Auskunftserteilung zu besorgen den Datenschutz und für das Recht auf ist, Akteneinsicht, die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz bei bestimmten Vor2. durch die Auskunftserteilung Quellen gegängen oder in bestimmten Bereichen zu fährdet sein können oder die Ausforschung kontrollieren und ausschließlich ihr darüber des Erkenntnisstandes oder der Arbeitszu berichten. weisen der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist, 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit geSS 32 fährden oder sonst dem Wohl des Bundes Akteneinsicht oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder (1) Sind personenbezogene Daten in Ak4. die Informationen oder die Tatsache der ten gespeichert, so kann dem Betroffenen auf Speicherung nach einer Rechtsvorschrift Antrag Akteneinsicht gewährt werden, soweit oder ihrem Wesen nach, insbesondere Geheimhaltungsinteressen oder schutzwürwegen der überwiegenden berechtigten dige Belange Dritter nicht entgegenstehen. Interessen Dritter, geheimgehalten werden SS 31 gilt entsprechend. müssen. (2) Die Einsichtnahme in Akten oder Aktenteile ist insbesondere dann zu verDie Entscheidung nach den Sätzen 1 und 2 trifft sagen, wenn die Daten des Betroffenen mit der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder Daten Dritter oder geheimhaltungsbedürftigen ein von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. sonstigen Informationen derart verbunden (3) Die Ablehnung einer Auskunft ist zusind, dass ihre Trennung auch durch Vervielmindest insoweit zu begründen, dass eine fältigung und Unkenntlichmachung nicht oder verwaltungsgerichtliche Nachprüfung der Vernur mit unverhältnismäßig großem Aufwand weigerungsgründe gewährleistet wird, ohne möglich ist. In diesem Fall ist dem Betrofdabei den Zweck der Auskunftsverweigerung zu fenen zusammenfassende Auskunft über den gefährden. Die Gründe der Ablehnung sind in Akteninhalt zu erteilen. jedem Fall aktenkundig zu machen. (3) Das Berliner Informationsfreiheitsgesetz vom 15. Oktober 1999 (GVBl. S. 561) 320 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 findet auf die von der VerfassungsschutzabSS 35 teilung der Senatsverwaltung für Inneres geAufgaben und Befugnisse des Ausschusses führten Akten keine Anwendung. (1) Der Senat hat den Ausschuss umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über VorFÜNFTER ABSCHNITT gänge von besonderer Bedeutung zu Parlamentarische Kontrolle unterrichten; er berichtet auch über den SS 33 Erlass von Verwaltungsvorschriften. Der Ausschuss für Verfassungsschutz Ausschuss hat Anspruch auf Unterrichtung. (2) Der Ausschuss hat auf Antrag min(1) In Angelegenheiten des Verfassungsdestens eines seiner Mitglieder das Recht auf schutzes unterliegt der Senat von Berlin der Erteilung von Auskünften, Einsicht in Akten Kontrolle durch den Ausschuss für Verfassungsund andere Unterlagen, Zugang zu Einschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin. Die richtungen der Verfassungsschutzbehörde Rechte des Abgeordnetenhauses und seiner sowie auf Anhörung von deren Dienstkräften. anderen Ausschüsse bleiben unberührt. Die Befugnisse des Ausschusses nach (2) Der Ausschuss für Verfassungsschutz Satz 1 erstrecken sich nur auf Gegenstände, besteht in der Regel aus höchstens zehn Mitdie der alleinigen Verfügungsberechtigung gliedern. Das Vorschlagsrecht der Fraktionen für der Verfassungsschutzbehörde unterliegen. die Wahl der Mitglieder richtet sich nach der (3) Der Senat kann die Unterrichtung Stärke der Fraktionen, wobei jede Fraktion über einzelne Vorgänge verweigern und bemindestens durch ein Mitglied vertreten sein stimmten Kontrollbegehren widersprechen, muss. Eine Erhöhung der im Satz 1 bestimmten wenn dies erforderlich ist, um vom Bund oder Mitgliederzahl ist nur zulässig, soweit sie zur einem deutschen Land Nachteile abzuBeteiligung aller Fraktionen notwendig ist. wenden; er hat dies vor dem Ausschuss zu (3) Scheidet ein Mitglied aus dem Abgebegründen. ordnetenhaus oder seiner Fraktion aus, so (4) Das Abgeordnetenhaus kann den verliert es die Mitgliedschaft im Ausschuss für Ausschuss für einen bestimmten UntersuVerfassungsschutz. Für dieses Mitglied ist chungsgegenstand als Untersuchungsausunverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das schuss (Artikel 48 der Verfassung von Berlin) gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem einsetzen. SS 3 des Gesetzes über die UnterAusschuss ausscheidet. suchungsausschüsse des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 22. Juni 1970 (GVBI. S. 925), zuletzt geändert durch Gesetz vom SS 34 24. Juni 1991 (GVBI. S. 154), findet keine Geheimhaltung Anwendung. (5) Für den Ausschuss gelten im Übrigen Die Öffentlichkeit wird durch einen Beschluss die Bestimmungen der Geschäftsordnung des Ausschusses ausgeschlossen, wenn das des Abgeordnetenhauses von Berlin. öffentliche Interesse oder berechtigte Interessen eines einzelnen dies gebieten. Sofern die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist, sind die MitglieSS 36 der des Ausschusses zur Verschwiegenheit Vertrauensperson des Ausschusses über Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen für Verfassungsschutz dabei bekannt geworden sind. Das gleiche gilt auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus Der Ausschuss für Verfassungsschutz kann dem Ausschuss. Die Verpflichtung zur Verzur Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben schwiegenheit kann von dem Ausschuss aufim Einzelfall nach Anhörung des Senats mit gehoben werden, soweit nicht berechtigte der Mehrheit seiner Mitglieder eine VerInteressen eines Einzelnen entgegenstehen trauensperson beauftragen, Untersuchungen oder der Senat widerspricht; in diesem Fall legt durchzuführen und dem Ausschuss über das der Senat dem Ausschuss seine Gründe dar. Ergebnis in nicht öffentlicher Sitzung zu berichten. Die Vertrauensperson soll die Befähigung zum Richteramt besitzen und wird für die Dauer der jeweils laufenden Wahl- Anhang 321 periode vom Ausschuss für Verfassungsschutz Gesetz mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner über die Voraussetzungen und das Mitglieder gewählt. Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen im Land Berlin (Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz - BSÜG) SECHSTER ABSCHNITT in der Fassung vom 25. Juni 2001 Schlussvorschriften (GVBl. S. 243), zuletzt geändert durch Art. SS 37 XV des Gesetzes vom 17. Dezember 2003 Einschränkung von Grundrechten (GVBl. S. 617) Aufgrund dieses Gesetzes kann das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 des Grundgesetzes eingeschränkt ERSTER ABSCHNITT werden. Allgemeines SS1 Zweck und Anwendungsbereich SS 38 des Gesetzes Anwendbarkeit des Berliner Datenschutzgesetzes Zweck dieses Gesetzes ist es, 1. im öffentlichen Interesse geheimhalBei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 durch tungsbedürftige Tatsachen, Gegenständie Verfassungsschutzbehörde finden die SSSS 6a, de oder Erkenntnisse vor der Kennt10 bis 17 und 19 Abs. 2 bis 4 des Berliner nisnahme durch Unbefugte zu schützen Datenschutzgesetzes in der Fassung vom 17. und den Zugang von Personen zu verDezember 1990 (GVBI. 1991 S. 16, 54), das hindern, bei denen ein Sicherheitsrisiko zuletzt durch Artikel I des Gesetzes vom 30. Juli nicht ausgeschlossen werden kann 2001 (GVBI. S. 305) geändert worden ist, in der (personeller Geheimschutz), und jeweils geltenden Fassung keine Anwendung. 2. die Beschäftigung von Personen, bei denen ein Sicherheitsrisiko nicht ausgeSS 39 schlossen werden kann, an sicherheitsInkrafttreten, Außerkrafttreten empfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen zu (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach der verhindern (personeller Sabotageschutz). Verkündung im Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin in Kraft. (2) SS 27a tritt außer Kraft, sobald das Bundesverfassungsschutzgesetz vom 20. DeZWEITER ABSCHNITT zember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt Personeller Geheimund Sabotageschutz geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom bei öffentlichen Stellen 16. August 2002 (BGBl. I S. 3202), gemäß SS2 Art. 22 Abs. 2 des TerrorismusbekämpfungsSicherheitsempfindliche Tätigkeiten gesetzes vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) wieder in seiner am 31. Dezember 2001 Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übt maßgeblichen Fassung gilt. Der Tag des aus, wer Außerkrafttretens ist im Gesetzund Ver1. Zugang zu Verschlusssachen hat oder ordnungsblatt für Berlin bekannt zu machen. ihn sich verschaffen kann, die STRENG GEHEIM, GEHEIM oder VS-VERTRAULICH eingestuft sind, 2. Zugang zu Verschlusssachen überstaatlicher Einrichtungen und Stellen hat oder ihn sich verschaffen kann, wenn die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, nur sicherheitsüberprüfte Personen hierzu zuzulassen, 322 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 3. in dem Teil einer Behörde oder sonstigen des Ehegatten, Lebenspartners oder Leöffentlichen Stelle des Landes tätig ist, der bensgefährten. aufgrund des Umfanges und der Bedeutung (3) Dieses Gesetz gilt nicht für dort anfallender Verschlusssachen von der 1. die Mitglieder des Abgeordnetenhauses; jeweils zuständigen obersten Landesdas Abgeordnetenhaus bestimmt im behörde im Einvernehmen mit der VerfasRahmen dieses Gesetzes die Voraussetsungsschutzbehörde zum Sicherheitsbezungen für den Zugang seiner Mitglieder reich mit dem Erfordernis einer Sicherheitszu geheimhaltungsbedürftigen Angeleüberprüfung nach SS 10 erklärt worden ist, genheiten, oder 2. Richter, soweit sie Aufgaben der Recht4. an einer sicherheitsempfindlichen Stelle sprechung wahrnehmen, einer lebensoder verteidigungswichtigen öffentlichen Einrichtung beschäftigt ist, bei 3. ausländische Staatsangehörige, die in deren Ausfall oder Zerstörung eine erhebder Bundesrepublik Deutschland im Inliche Bedrohung für die Gesundheit oder teresse zwischenstaatlicher Einrichtundas Leben zahlreicher Menschen zu begen und Stellen eine sicherheitsemfürchten ist oder die für das Funktionieren pfindliche Tätigkeit nach SS 2 Satz 1 Nr. 2 des Gemeinwesens unverzichtbar ist. ausüben sollen. Der Senat wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung die zu schützenden Arten von Einrich(4) Mitglieder der Bezirksverordnetenvertungen oder Teile von Einrichtungen absammlungen sowie Personen, die vom Abschließend festzulegen. geordnetenhaus oder einer Bezirksverordnetenversammlung in ein öffentliches Amtsoder Dienstverhältnis gewählt oder berufen SS3 werden, sind Geheimnisträger kraft Amtes. Betroffener Personenkreis Sie sind auf eigenen Antrag einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Dies gilt für (1) Eine Person, die mit einer sicherheitsemStaatssekretäre entsprechend. pfindlichen Tätigkeit betraut werden soll (Betroffener), ist vorher einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Die beamtenund arbeitsSS4 rechtlichen Pflichten bleiben unberührt. Auf eine Zuständigkeit Sicherheitsüberprüfung nach diesem Gesetz kann verzichtet werden, wenn der Betroffene (1) Die Aufgaben dieses Gesetzes werbereits vor weniger als fünf Jahren im erstrebten den von der Behörde oder sonstigen öffentUmfang oder höher überprüft worden ist und die lichen Stelle wahrgenommen, die einer PerUnterlagen verfügbar sind. Eine sicherheitsson eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit empfindliche Tätigkeit darf erst nach Vollendung übertragen will (zuständige Stelle). Für die des 16. Lebensjahres übertragen werden. Geheimschutzbeauftragten und ihre Vertreter (2) Soweit dieses Gesetz vorsieht, können werden die Aufgaben der zuständigen Stelle auch Angaben zum volljährigen Ehegatten, Levon dem für die Verfassungsschutzbehörde benspartner oder Partner, mit dem der Betrofzuständigen Geheimschutzbeauftragten fene in einer auf Dauer angelegten Gemeinwahrgenommen. Zuständige Stelle für schaft lebt (Lebensgefährte), erhoben und sie in Behördenleiter ist die oberste Landesbedie Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden. hörde. Geht der Betroffene die Ehe ein, begründet er (2) Die Aufgaben der zuständigen Stelle eine Lebenspartnerschaft oder beginnt er eine nach diesem Gesetz sind von einer von der auf Dauer angelegte Gemeinschaft während Personalverwaltung getrennten Organisaoder erst nach erfolgter Sicherheitsüberprüfung, tionseinheit wahrzunehmen. Die zuständige so hat er die zuständige Stelle umgehend zu Stelle sollte bei der Ausübung dieser Tätigkeit unterrichten, die über die Erhebung von dem Behördenleiter unmittelbar unterstellt Angaben zum Ehegatten, Lebenspartner oder sein. Lebensgefährten und über deren Einbeziehung (3) Mitwirkende Behörde bei der Sicherin die Sicherheitsüberprüfung entscheidet; dies heitsüberprüfung ist nach SS 5 Abs. 3 Satz 1 gilt auch bei später eintretender Volljährigkeit Nr. 1 und 2 des Verfassungsschutzgesetzes Berlin vom 25. März 1995 (GVBl. S. 254, Anhang 323 762), das zuletzt durch Artikel II des Gesetzes amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung vom 30. November 2000 (GVBl. S. 495) eingestuft. geändert worden ist, die Verfassungsschutz(2) Eine Verschlusssache ist behörde. 1. STRENG GEHEIM, wenn die Kenntnis(4) Die sicherheitsempfindlichen Stellen von nahme durch Unbefugte den Bestand lebensoder verteidigungswichtigen öffentlichen oder lebenswichtige Interessen der BunEinrichtungen nach SS 2 Satz 1 Nr. 4 werden auf desrepublik Deutschland oder eines ihrer deren Antrag von der VerfassungsschutzLänder gefährden kann, behörde im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Landesbehörde bestimmt. 2. GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme (5) Die Aufgaben der zuständigen Stelle bei durch Unbefugte die Sicherheit der Bunder Überprüfung gemäß SS 3 Abs. 4 Satz 2 werdesrepublik Deutschland oder eines ihrer den für vom Abgeordnetenhaus Gewählte vom Länder gefährden oder ihren Interessen Präsidenten des Abgeordnetenhauses und für schweren Schaden zufügen kann, von einer Bezirksverordnetenversammlung Ge3. VS-VERTRAULICH, wenn die Kenntniswählte von dem für die Verfassungsschutzbenahme durch Unbefugte für die Interhörde zuständigen Geheimschutzbeauftragten essen der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen. oder eines ihrer Länder schädlich sein (6) Die Verwaltung des Abgeordnetenhaukann, ses ist zuständig für die Sicherheitsüberprüfung 4. VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEder Mitarbeiter der Abgeordneten und der FrakBRAUCH, wenn die Kenntnisnahme tionen, die Zugang zu Verschlusssachen gemäß durch Unbefugte für die Interessen der SS 6 erhalten sollen. Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann. SS5 (3) Eine Person, die Zugang zu VerBestellung von Geheimschutzbeauftragten schlusssachen erhalten soll oder sich verschaffen kann, ist nach einer Sicherheitsüber(1) Bei Stellen, die mindestens fünf Persoprüfung und dem Ergebnis, dass keine Sinen eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übercherheitsrisiken vorliegen oder erkennbar tragen haben, ist ein Geheimschutzbeauftragter sind, von der zuständigen Stelle förmlich zu zu bestellen. Er nimmt die Aufgaben der zustänbelehren und zu ermächtigen. Die Belehrung digen Stelle (SS 4 Abs. 1) wahr, sorgt dafür, dass und die Ermächtigung werden ohne förmliche die erforderlichen Geheimschutzmaßnahmen Sicherheitsüberprüfung vorgenommen, wenn getroffen werden, und führt die Sicherheitses sich nur um Verschlusssachen des überprüfungen durch. SS 4 Abs. 2 findet AnwenGeheimhaltungsgrades VS-NUR FÜR DEN dung. Wird weniger als fünf Personen eine DIENSTGEBRAUCH handelt. sicherheitsempfindliche Tätigkeit übertragen, so nimmt die Aufgaben des Geheimschutzbeauftragten der Leiter der Stelle oder sein VerSS7 treter wahr. Sicherheitsrisiken (2) Abweichend von Absatz 1 können die obersten Landesbehörden und die Bezirksämter (1) Sicherheitsrisiken sind Umstände, die mit Zustimmung der Verfassungsschutzbehörde es aus Gründen des staatlichen Geheimfür die zu ihrem Geschäftsbereich gehörenden schutzes oder des Sabotageschutzes vernachgeordneten Behörden die Aufgaben gemäß bieten, einem Betroffenen eine sicherheitsAbsatz 1 übernehmen. empfindliche Tätigkeit zuzuweisen. Die Beurteilung ist auf den Einzelfall abzustellen. (2) Ein Sicherheitsrisiko liegt vor, wenn SS6 tatsächliche Anhaltspunkte Verschlusssachen (1) Verschlusssachen sind im öffentlichen 1. Zweifel am Bekenntnis des Betroffenen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, zur freiheitlichen demokratischen GrundGegenstände oder Erkenntnisse unabhängig ordnung im Sinne des Grundgesetzes von ihrer Darstellungsform. Sie werden entoder am jederzeitigen Eintreten für deren sprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer Erhaltung begründen, 324 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 2. Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betrofüberprüfung einbezogen werden, gelten die fenen bei der Wahrnehmung einer sicherAbsätze 1 bis 4 entsprechend. heitsempfindlichen Tätigkeit begründen (6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch für oder die Ergänzung der Sicherheitserklärung und 3. eine besondere Gefährdung durch AnbahWiederholungsüberprüfungen. nungsoder Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste, insbesondere die Besorgnis der Erpressbarkeit, begründen. SS9 Arten der Sicherheitsüberprüfung Ein Sicherheitsrisiko kann auch aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zur Person des Ehe(1) Entsprechend der vorgesehenen sigatten oder Lebenspartners oder Lebensgecherheitsempfindlichen Tätigkeit wird entfährten vorliegen. weder eine 1. einfache Sicherheitsüberprüfung (SÜ 1), 2. erweiterte Sicherheitsüberprüfung (SÜ 2) SS8 oder Rechte und Pflichten des Betroffenen 3. erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit und der einbezogenen Person Sicherheitsermittlungen (SÜ 3) (1) Der Betroffene ist über Art und Umfang durchgeführt. der beabsichtigten Sicherheitsüberprüfung (2) Ergeben sich bei der Sicherheitsübersowie über die damit verbundene Erhebung und prüfung tatsächliche Anhaltspunkte, die eine Speicherung personenbezogener Daten und die weitergehende Überprüfung notwendig maweitere Datenverarbeitung zu unterrichten. Wird chen, kann die zuständige Stelle die nächsteine weitergehende Sicherheitsüberprüfung als höhere Art der Sicherheitsüberprüfung mit ursprünglich vorgesehen notwendig (SS 9 Abs. 2), Zustimmung des Betroffenen und der einzuso ist auch für diese eine entsprechende Unterbeziehenden oder einbezogenen Person anrichtung erforderlich. ordnen. Diese ist jedoch nur soweit durch(2) Die Einwilligung des Betroffenen ist zuführen, wie es zur Aufklärung des SicherVoraussetzung für die Durchführung einer Siheitsrisikos erforderlich ist. SS 15 Abs. 4 bleibt cherheitsüberprüfung. Sie bezieht sich nur auf unberührt. die Art der Sicherheitsüberprüfung, die Gegenstand der Unterrichtung war, sowie auf die Befragungen, die nach Art der SicherheitsüberSS 10 prüfung vorgeschrieben sind. Willigt der Einfache Sicherheitsüberprüfung Betroffene in die Sicherheitsüberprüfung nicht ein, so ist die Sicherheitsüberprüfung undurch(1) Die einfache Sicherheitsüberprüfung führbar. Dem Betroffenen darf dann keine ist für Personen durchzuführen, die sicherheitsempfindliche Tätigkeit übertragen 1. Zugang zu VS-VERTRAULICH eingewerden. stuften Verschlusssachen erhalten sollen (3) Der Betroffene ist verpflichtet, die zur oder ihn sich verschaffen können oder Sicherheitsüberprüfung erforderlichen Angaben 2. eine Tätigkeit in entsprechend eingevollständig und wahrheitsgemäß zu machen. stuften Bereichen nach SS 2 Satz 1 Nr. 3 (4) Der Betroffene kann Angaben verweioder 4 wahrnehmen sollen. gern, die für ihn, einen nahen Angehörigen im Sinne von SS 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung (2) In den Fällen von Absatz 1 Nr. 2 kann oder den Lebensgefährten die Gefahr strafrechtdie zuständige Stelle von der Sicherheitslicher oder disziplinarischer Verfolgung, der Entüberprüfung absehen, wenn Art oder Dauer lassung oder Kündigung begründen könnten. der Tätigkeit dies zulassen. Über das Verweigerungsrecht ist der Betroffene zu belehren. (5) Sollen Angaben zum Ehegatten oder Lebenspartner oder Lebensgefährten erhoben oder soll einer von diesen in die Sicherheits- Anhang 325 SS 11 vertragliche Mitwirkungspflicht, ansonsten auf Erweiterte Sicherheitsüberprüfung die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. Bei Sicherheitsüberprüfungen gemäß SS 4 Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung ist für Abs. 4 kann die Angabe der erhebenden Personen durchzuführen, die Stelle gegenüber den sonstigen zu befra1. Zugang zu GEHEIM eingestuften Vergenden Personen oder nicht-öffentlichen schlusssachen erhalten sollen oder ihn sich Stellen unterbleiben, wenn dies zum Schutz verschaffen können, des Betroffenen oder der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist. 2. Zugang zu einer hohen Anzahl von VS(2) Die zuständige Stelle erhebt die perVERTRAULICH eingestuften Verschlusssonenbezogenen Daten grundsätzlich beim sachen erhalten sollen oder ihn sich verBetroffenen und, falls es darüber hinaus erschaffen können oder forderlich ist, gesondert bei dem in die 3. an sicherheitsempfindlichen Stellen von Sicherheitsüberprüfung einzubeziehenden lebensoder verteidigungswichtigen EinrichEhegatten oder Lebenspartner oder tungen nach SS 2 Satz 1 Nr. 4 beschäftigt Lebensgefährten. Reicht diese Erhebung sind oder werden sollen, nicht aus oder stehen ihr schutzwürdige soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall Interessen des Betroffenen oder seines Ehenach Art und Dauer der Tätigkeit eine Sichergatten oder Lebenspartners oder Leheitsüberprüfung nach SS 10 für ausreichend hält. bensgefährten entgegen, können andere geeignete Personen oder Stellen befragt werden. Ist zum Zwecke der Sammlung von SS 12 Informationen die Weitergabe personenbeErweiterte Sicherheitsüberprüfung mit zogener Daten unerlässlich, so dürfen Sicherheitsermittlungen schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen nur in unvermeidbarem Umfang Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sibeeinträchtigt werden. Der Einsatz nachcherheitsermittlungen ist für Personen durchzurichtendienstlicher Mittel ist nicht zulässig. führen, die 1. Zugang zu STRENG GEHEIM eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn SS 14 sich verschaffen können, Einleitung der Sicherheitsüberprüfung 2. Zugang zu einer hohen Anzahl von GEHEIM eingestuften Verschlusssachen (1) Die zuständige Stelle unterrichtet den erhalten sollen oder ihn sich verschaffen Betroffenen und die einzubeziehende Person können oder über die Rechte und Pflichten nach SS 8 und fordert sie zur Abgabe der Sicherheitser3. als Dienstkräfte der Verfassungsschutzbeklärung auf. Anzugeben sind frühere Sicherhörde tätig werden sollen, heitsüberprüfungen und soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall nach Art und Dauer der Tätigkeit eine Sicher1. Namen, auch frühere, und Vornamen, heitsüberprüfung nach SS 10 oder SS 11 für aus2. Geburtsdatum und -ort, Bundesland, reichend hält. 3. Staatsangehörigkeit, auch frühere und doppelte Staatsangehörigkeiten, SS 13 4. Familienstand, Datenerhebung 5. Wohnsitze und Aufenthalte von längerer (1) Die zuständige Stelle und die VerfasDauer als zwei Monate, und zwar im sungsschutzbehörde dürfen die zur Erfüllung Inland in den vergangenen fünf Jahren, ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderim Ausland ab dem 18. Lebensjahr, lichen Daten erheben. Der Betroffene, die ein6. ausgeübter Beruf, zubeziehende Person sowie die sonstigen zu befragenden Personen und nicht-öffentlichen 7. Arbeitgeber und dessen Anschrift, Stellen sind auf den Zweck der Erhebung, die 8. Anzahl der Kinder, Auskunftspflichten nach diesem Gesetz und auf 9. im Haushalt lebende Personen über 18 eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige Jahre (Namen, auch frühere, und Vor- 326 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 namen, Geburtsdatum und -ort; Verhältnis (4) In jeder Sicherheitsüberprüfung zu dieser Person), werden zur Person des Ehegatten oder 10. Eltern, gegebenenfalls Stiefoder PflegeLebenspartners oder Lebensgefährten die eltern (Namen, auch frühere, und VornaAngaben nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4, 14 men, Geburtsdatum und -ort, Staatsangeund 16 erhoben. Bei einer Einbeziehung nach hörigkeit und Wohnsitz), SS 15 Abs. 2 Nr. 3 sind zusätzlich die in Absatz 1 Satz 2 Nr. 5 bis 7, 12, 13, 17, und 11. Ausbildungsund Beschäftigungszeiten, 18 genannten Daten anzugeben. Wehrund Zivildienstzeiten mit Angabe der (5) Bei Sicherheitsüberprüfungen der in SS 4 Ausbildungsstätten, Beschäftigungsstellen Abs. 4 genannten Personen sind zusätzlich sowie deren Anschriften, die Wohnsitze seit der Geburt, die Ge12. Nummer des Personalausweises oder Reischwister und abgeschlossene Strafund sepasses, Disziplinarverfahren sowie alle Kontakte zu 13. Angaben über in den vergangenen fünf ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Jahren durchgeführte ZwangsvollstreckNachrichtendiensten der ehemaligen Deutungsmaßnahmen und darüber, ob zur Zeit schen Demokratischen Republik anzugeben. die finanziellen Verpflichtungen erfüllt wer(6) Die Sicherheitserklärung ist vom Beden können, troffenen der zuständigen Stelle zuzuleiten. 14. Kontakte zu anderen Nachrichtendiensten Sie prüft die Angaben des Betroffenen und, einschließlich der Nachrichtendienste der soweit möglich, des Ehegatten oder Lebensehemaligen Deutschen Demokratischen Repartners oder Lebensgefährten anhand der publik, Personalunterlagen des Betroffenen auf Vollständigkeit und Richtigkeit. Die zustän15. Beziehungen zu Organisationen, die von dige Stelle richtet eine Anfrage an den ihren Anhängern unbedingten Gehorsam Bundesbeauftragten für die Unterlagen des verlangen und deshalb den Betroffenen in Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Konflikt mit seiner Verschwiegenheitspflicht Deutschen Demokratischen Republik, wenn bringen können, der Betroffene oder die einbezogene Person 16. Beziehungen zu verfassungsfeindlichen Orvor dem 13. Januar 1972 geboren wurde und ganisationen, der personalverwaltenden Stelle eine 17. anhängige Strafund Disziplinarverfahren, uneingeschränkte Auskunft nicht vorliegt. SS 13 Abs. 2 Satz 1 gilt entsprechend. Die 18. Angaben zu Wohnsitzen, Aufenthalten, Reizuständige Stelle leitet die Sicherheitssen, nahen Angehörigen und sonstigen erklärung und sicherheitserhebliche ErkenntBeziehungen in und zu Staaten, von denen nisse an die Verfassungsschutzbehörde weidie Verfassungsschutzbehörde festgestellt ter, teilt dieser mit, in welcher sicherheitsemhat, dass besondere Sicherheitsrisiken zu pfindlichen Tätigkeit der Betroffene im Einbesorgen sind, und zelnen eingesetzt werden soll, und beauftragt 19. drei Referenzpersonen (Namen und Vornadiese, die nach SS 15 erforderlichen Maßnahmen, Berufe, berufliche und private men durchzuführen. Dies entfällt, wenn die Anschriften und Rufnummern sowie zeitzuständige Stelle bereits bei der Prüfung der licher Beginn der Bekanntschaft). Sicherheitserklärung festgestellt hat, dass ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegensteht. Der Sicherheitserklärung sind zwei aktuelle Lichtbilder mit der Angabe des Jahres der Aufnahme beizufügen. SS 15 (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörde SS 10 entfallen die Angaben zu Absatz 1 Satz 2 bei den einzelnen Überprüfungsarten Nr. 8, 11, 12 und 19 sowie die Pflicht, Lichtbilder beizubringen; Absatz 1 Satz 2 Nr. 10 entfällt, (1) Bei einer Sicherheitsüberprüfung nach soweit die dort genannten Personen nicht in SS 10 trifft die Verfassungsschutzbehörde zur einem Haushalt mit dem Betroffenen leben. Feststellung und Aufklärung eines Sicher(3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach heitsrisikos folgende Maßnahmen: SS 11 entfällt die Angabe zu Absatz 1 Satz 2 Nr. 19. Anhang 327 1. sicherheitsmäßige Bewertung der Angaben SS 16 in der Sicherheitserklärung unter BerückAbschluss der Sicherheitsüberprüfung sichtigung der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der (1) Ein Rechtsanspruch auf Verwendung Länder, in einem sicherheitsempfindlichen Bereich 2. Anfragen unter Beteiligung der Landesoder auf Ermächtigung zur Bearbeitung von kriminalämter an die Polizeidienststellen der Verschlusssachen besteht nicht. Wohnsitze des Betroffenen, in der Regel (2) Kommt die beschränkt auf die letzten fünf Jahre, und, Verfassungsschutzbehörde zu dem Ergebnis, soweit es im Einzelfall sachdienlich erdass kein Sicherheitsrisiko vorliegt, teilt sie scheint, an das Bundeskriminalamt, dies der zuständigen Stelle mit. Hat die Verfassungsschutzbehörde Erkenntnisse, die 3. Anfragen an die für das Meldewesen zukein Sicherheitsrisiko begründen, aber weiterständigen Behörden der Wohnsitze des hin sicherheitserheblich sind, übermittelt sie Betroffenen, in der Regel beschränkt auf die dies der zuständigen Stelle. letzten fünf Jahre, und (3) Sieht die Verfassungsschutzbehörde 4. Ersuchen um Datenübermittlung aus dem ein Sicherheitsrisiko als gegeben an, unterzentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrichtet sie schriftlich unter Darlegung der rensregister und Einholung einer unbeGründe und ihrer Bewertung die zuständige schränkten Auskunft aus dem BundeszenStelle. Bei nachgeordneten Stellen erfolgt die tralregister. Unterrichtung über die zuständige oberste Landesbehörde. (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach (4) Über Umstände, die zur Ablehnung SS 11 trifft die Verfassungsschutzbehörde zuder Zulassung führen können, gibt die sätzlich zu Absatz 1 folgende Maßnahmen: zuständige Stelle dem Betroffenen Gele1. Prüfung der Identität des Betroffenen, genheit zur Äußerung. Der Betroffene kann 2. Anfragen an die Grenzschutzdirektion und zur Anhörung einen Rechtsbeistand hinzudie Nachrichtendienste des Bundes und ziehen. Bei der Anhörung ist der Quellenschutz zu gewährleisten und den schutzwür3. Überprüfung und, soweit erforderlich, Bedigen Belangen von Personen, die in die fragung des Ehegatten oder Lebenspartners Sicherheitsüberprüfung einbezogen wurden, oder Lebensgefährten des Betroffenen in Rechnung zu tragen. Die Anhörung unterdem in Absatz 1 genannten Umfang, sofern bleibt, wenn sie einen erheblichen Nachteil nicht die zuständige Stelle von der für die Sicherheit des Bundes oder eines Einbeziehung abgesehen hat. Von der EinLandes zur Folge hätte, insbesondere bei beziehung kann in den Fällen des SS 11 Sicherheitsüberprüfungen der Bewerber bei Nr. 3, bei dauernd getrennt lebenden Eheder Verfassungsschutzbehörde. gatten oder Lebenspartnern sowie in ver(5) Liegen in der Person des Ehegatten gleichbaren Fällen abgesehen werden. oder Lebenspartners oder Lebensgefährten (3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach Anhaltspunkte vor, die ein Sicherheitsrisiko SS 12 befragt die Verfassungsschutzbehörde begründen, ist ihm Gelegenheit zu geben, zusätzlich zu den Maßnahmen der Absätze 1 sich vor der Ablehnung der Zulassung des und 2 Referenzpersonen, um zu prüfen, ob die Betroffenen zu einer sicherheitsempfindlichen Angaben des Betroffenen zutreffen und ob ein Tätigkeit zu den für die Entscheidung erhebSicherheitsrisiko vorliegt. lichen Tatsachen zu äußern. Absatz 4 Satz 2 (4) In Fällen, in denen ein Sicherheitsrisiko bis 4 gilt entsprechend. aufgrund der vorstehenden Maßnahmen nicht (6) Die zuständige Stelle entscheidet, ob ausgeschlossen werden kann und die Befraein Sicherheitsrisiko vorliegt, das der sichergung des Betroffenen oder seines Ehegatten, heitsempfindlichen Tätigkeit des Betroffenen Lebenspartners oder Lebensgefährten nicht entgegensteht. Kann die Sicherheitsüberprüausreicht oder ihr schutzwürdige Belange entfung nicht mit der Feststellung abgeschlossen gegenstehen, können von anderen geeigneten werden, dass kein Sicherheitsrisiko vorliegt, Stellen, insbesondere Staatsanwaltschaften hat das Sicherheitsinteresse Vorrang vor oder Gerichten, zusätzliche Auskünfte eingeholt anderen Belangen. oder weitere geeignete Auskunftspersonen befragt werden. 328 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 (7) Lehnt die zuständige Stelle die VerwenSS 19 dung in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit ab, ist Ergänzung der Sicherheitserklärung der Betroffene zu unterrichten. und Wiederholungsüberprüfung (8) Die Absätze 1 bis 7 sind auch im Falle der Ablehnung einer Weiterbeschäftigung in (1) Die Sicherheitserklärung ist dem einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit anzuBetroffenen, der eine sicherheitsempfindliche wenden. Tätigkeit ausübt, und der nach SS 15 Abs. 2 Nr. 3 einbezogenen Person in der Regel alle fünf Jahre erneut zur Aktualisierung zuzuSS 17 leiten. Vorläufige Zuweisung (2) Die zuständige Stelle kann eine Wieeiner sicherheitsempfindlichen Tätigkeit derholungsüberprüfung einleiten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte gemäß SS 7 Abs. 2 Die zuständige Stelle kann in Ausnahmefällen bekannt werden, die auf ein Sicherheitsrisiko abweichend von SS 3 Abs. 1 die sicherheitsemhindeuten. Auf die pfindliche Tätigkeit des Betroffenen vor AbWiederholungsüberprüfung finden die Vorschluss der Sicherheitsüberprüfung erlauben, schriften über die Erstüberprüfung Anwenwenn die Verfassungsschutzbehörde dung. Bei Sicherheitsüberprüfungen nach 1. bei der einfachen Sicherheitsüberprüfung den SSSS 11 und 12 sind in der Regel im die Angaben in der Sicherheitserklärung Abstand von zehn Jahren Wiederholungsunter Berücksichtigung der eigenen überprüfungen durchzuführen. Sie ist bei den Erkenntnisse bewertet hat und sich hierbei Sicherheitsüberprüfungen nach SS 11 jedoch keine Erkenntnisse ergeben haben, die auf nur soweit durchzuführen, wie der Überein Sicherheitsrisiko hindeuten, oder prüfungszweck dies erfordert, und umfasst zumindest die Maßnahmen nach SS 15 Abs. 1 2. bei der erweiterten Sicherheitsüberprüfung Nr. 1 bis 4. Bei Sicherheitsüberprüfungen und bei der erweiterten Sicherheitsüberprünach SS 12 umfasst die Wiederholungsüberfung mit Sicherheitsermittlungen die Maßprüfung alle Maßnahmen nach SS 15; die nahmen der nächstniederen Art der Sichermitwirkende Behörde kann von einer erneuheitsüberprüfung abgeschlossen hat, auch ten Identitätsprüfung absehen. wenn bei dieser eine Antwort auf eine Anfrage nach SS 14 Abs. 6 Satz 3 noch nicht vorliegt, und sich keine Erkenntnisse erSS 20 geben haben, die auf ein Sicherheitsrisiko Sicherheitsakte und hindeuten. Sicherheitsüberprüfungsakte (1) Die zuständige Stelle führt über den SS 18 Betroffenen eine Sicherheitsakte, in die alle Erkenntnisse nach Abschluss der die Sicherheitsüberprüfung betreffenden Sicherheitsüberprüfung Informationen aufzunehmen sind. (2) Informationen über die persönlichen, (1) Die zuständige Stelle und die Verfasdienstlichen und arbeitsrechtlichen Verhältsungsschutzbehörde unterrichten sich gegenseinisse der mit sicherheitsempfindlichen Tätigtig, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse keiten befassten Personen sind zur Sicherüber den Betroffenen oder zu der nach SS 15 heitsakte zu nehmen, soweit sie für die Abs. 2 Nr. 3 einbezogenen Person bekannt wersicherheitsmäßige Beurteilung erheblich sind. den oder sich mitgeteilte Erkenntnisse als unZu diesen Informationen zählen insbesonrichtig erweisen. dere: (2) Die mitwirkende Behörde prüft die mit1. Betrauen mit einer sicherheitsempfindgeteilten Erkenntnisse und stellt fest, ob ein lichen Tätigkeit, die dazu erteilte ErSicherheitsrisiko vorliegt. Im Übrigen findet SS 16 mächtigung sowie deren Änderung und entsprechend Anwendung. Beendigung, 2. Umsetzung, Abordnung, Versetzung und Ausscheiden, Anhang 329 3. Änderung des Familienstandes, des Naim Rahmen der Sicherheitsüberprüfung zu mens, eines Wohnsitzes und der Staatsbeteiligenden Behörden und Stellen überangehörigkeit, mittelt werden. Sie dürfen von der zustän4. Anhaltspunkte für Überschuldung, z. B. digen Stelle oder Verfassungsschutzbehörde Pfändungsund Überweisungsbeschlüsse, nur für 5. nicht getilgte Strafund Disziplinarsachen 1. die mit der Sicherheitsüberprüfung versowie dienstund arbeitsrechtliche Maßfolgten Zwecke, nahmen. 2. Zwecke der Verfolgung von Straftaten (3) Die Verfassungsschutzbehörde führt von erheblicher Bedeutung, über den Betroffenen eine Sicherheitsüber3. Zwecke der strafoder disziplinarrechtprüfungsakte, in die aufzunehmen sind: lichen Verfolgung sowie von dienstoder 1. Informationen, die die Sicherheitsüberprüarbeitsrechtlicher Maßnahmen, die sich fung, die durchgeführten Maßnahmen und aus der Sicherheitsüberprüfung ergeben, das Ergebnis betreffen, wenn dies zur Gewährleistung des Ver2. das Ausscheiden aus oder die Nichtaufschlusssachenschutzes erforderlich ist, nahme der sicherheitsempfindlichen Tätig4. Zwecke parlamentarischer Untersukeit, chungsausschüsse 3. Änderungen des Familienstandes, des Nagenutzt und übermittelt werden. Die Nutzung mens, eines Wohnsitzes und der Staatsvon Erkenntnissen aus Anfragen nach SS 14 angehörigkeit, Abs. 6 Satz 3 ist nur unter den Voraus4. die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 4 und 5 genannsetzungen des SS 29 Stasi-Unterlagen-Geten Daten nur, wenn sie sicherheitssetzes vom 20. Dezember 1991 (BGBl. erheblich sind. I S. 2272), das zuletzt durch vom 20. Dezember 1996 (BGBl. I S. 2026) geändert worden (4) Sicherheitsakten und Sicherheitsüberist, zulässig. Die Strafverfolgungsbehörden prüfungsakten sind keine Personalakten. Sie dürfen die Ihnen nach Satz 2 Nr. 2 übersind gesondert zu führen und dürfen der permittelten Daten für Zwecke eines Strafversonalverwaltenden Stelle nicht zugänglich gefahrens nur verwenden, wenn die Strafvermacht werden. Wechselt der Betroffene zu einer folgung auf andere Weise erheblich weniger anderen Behörde oder sonstigen öffentlichen erfolgversprechend oder wesentlich erStelle, ist die Sicherheitsakte an die nunmehr schwert wäre. zuständige Stelle abzugeben, wenn auch dort (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausgeübt die gespeicherten Daten nutzen und anderen werden soll. Auf Anforderung ist die SicherVerfassungsschutzbehörden übermitteln, heitsüberprüfungsakte an die nunmehr mitwirwenn dies für Zwecke der Spionageund Terkende Verfassungsschutzbehörde abzugeben. rorismusabwehr oder zur Abwehr sonstiger (5) Die zuständige Stelle ist verpflichtet, die extremistischer Bestrebungen von erhebin Absatz 3 Nr. 2 bis 4 genannten Daten unverlicher Bedeutung erforderlich ist. Die nach züglich der mitwirkenden Behörde zu übermitSS 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 gespeicherten Daten teln. dürfen zur Erfüllung aller Zwecke des Verfassungsschutzes genutzt und übermittelt werden. SS 21 (4) Die mitwirkende Behörde darf persoNutzung, Verarbeitung und Behandlung nenbezogene Daten nach den Absätzen der Unterlagen und Daten, Zweckbindung 2 und 3 nur an öffentliche Stellen übermitteln. (5) Die Übermittlung von personenbezo(1) Die Unterlagen und Daten über die Sigenen Daten ist aktenkundig zu machen. Die cherheitsüberprüfung sind gesondert aufzubeNutzung oder Übermittlung personenbezogewahren und gegen unbefugten Zugriff zu ner Daten unterbleibt, soweit gesetzliche Verschützen. wendungsregelungen entgegenstehen. Der (2) Die im Rahmen der SicherheitsüberprüEmpfänger darf die übermittelten Daten nur fung rechtmäßig erhobenen personenbezogefür den Zweck verarbeiten und nutzen, zu nen Daten dürfen zur Durchführung der dessen Erfüllung sie ihm übermittelt werden, Sicherheitsüberprüfung nicht an andere als die und zum Zweck der Strafverfolgung gemäß 330 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Absatz 2 Satz 2 Nr. 2. Eine nicht-öffentliche des Vorganges und beteiligte Behörden in Stelle ist darauf hinzuweisen. Dateien speichern, verändern und nutzen. (6) Unterlagen über die Sicherheitsüber(2) Die mitwirkende Behörde darf zur Erprüfung sind zu vernichten, wenn sie nicht mehr füllung ihrer Aufgaben benötigt werden, 1. die in SS 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 1. von der zuständigen Stelle spätestens genannten personenbezogenen Daten a) nach Ablauf eines Jahres nach Abschluss des Betroffenen und des in die Sicherder Sicherheitsüberprüfung, wenn der heitsüberprüfung einbezogenen EhegatBetroffene keine sicherheitsempfindliche ten oder Lebenspartners oder LebensTätigkeit aufnimmt, es sei denn, der gefährten und die Aktenfundstelle, Betroffene willigt in die weitere Aufbewahrung ein, 2. Verfügungen zur Bearbeitung des Vorb) nach Ablauf von fünf Jahren nach dem ganges und Ausscheiden des Betroffenen aus der 3. sicherheitserhebliche Erkenntnisse und sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, es sei Erkenntnisse, die ein objektives Sicherdenn, es ist beabsichtigt, dem Betrofheitsrisiko begründen, fenen erneut eine sicherheitsempfindliche in Dateien speichern, verändern und nutzen. Tätigkeit zuzuweisen, und der Betroffene Die Daten nach Satz 1 Nr. 1 dürfen auch in willigt in die weitere Aufbewahrung ein, nach SS 6 des Bundesverfassungsschutzge2. von der mitwirkenden Behörde setzes zulässigen Verbunddateien gespeia) bei einfachen Sicherheitsüberprüfungen chert werden. nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Ausscheiden des Betroffenen aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, SS 23 b) bei den übrigen Überprüfungsarten nach Berichtigen, Löschen und Sperren Ablauf von zehn Jahren nach den in personenbezogener Daten Nummer 1 genannten Fristen, c) die nach SS 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ge(1) Die zuständige Stelle und die Verfasspeicherten Daten, wenn feststeht, dass sungsschutzbehörde haben personenbezoder Betroffene keine sicherheitsempfindgene Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig liche Tätigkeit aufnimmt oder aus ihr sind. Wird die Richtigkeit personenbezogener ausgeschieden ist. Daten vom Betroffenen oder der einbezogenen Person bestritten, so ist dies, soweit (7) Im Übrigen sind in Unterlagen über die sich die personenbezogenen Daten in Akten Sicherheitsüberprüfung gespeicherte personenbefinden, dort zu vermerken oder auf bezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speisonstige Weise festzuhalten. In Dateien gecherung unzulässig ist. Die Löschung untersperrte Informationen sind entsprechend zu bleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, kennzeichnen. Zuständige Stelle und Verfasdass durch sie schutzwürdige Interessen des sungsschutzbehörde unterrichten einander. Betroffenen beeinträchtigt würden. In diesem (2) Auf in Dateien gespeicherte personenFall sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur bezogene Daten findet SS 21 Abs. 6 und 7 entnoch mit Einwilligung des Betroffenen verarsprechend Anwendung. beitet oder genutzt werden. SS 24 SS 22 Auskunft, Akteneinsicht Speichern, Verändern und Nutzen personenbezogener Daten in Dateien (1) Die zuständige Stelle oder mitwirkende Behörde erteilt auf schriftlichen Antrag der (1) Die zuständige Stelle darf zur Erfüllung anfragenden Person (Antragsteller) unentihrer Aufgaben nach diesem Gesetz die in SS 14 geltlich Auskunft über die im Rahmen der SiAbs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 und 6 genannten percherheitsüberprüfung zu seiner Person gesonenbezogenen Daten, ihre Aktenfundstelle speicherten Daten. und die der mitwirkenden Behörde sowie die Be(2) Bezieht sich die Auskunft auf persoschäftigungsstelle, Verfügungen zur Bearbeitung nenbezogene Daten, die von der zuständigen Stelle der mitwirkenden Behörde übermittelt Anhang 331 wurden, so ist die Auskunft nur mit deren Zuhältnismäßig großem Aufwand möglich ist. In stimmung zulässig. Entsprechendes gilt für die diesem Fall ist dem Betroffenen zusammenAuskunftserteilung durch die zuständige Stelle fassende Auskunft über den Akteninhalt zu hinsichtlich solcher Daten, die ihr von der miterteilen. wirkenden Behörde übermittelt wurden. (6) Das Auskunftsrecht sowie das Ein(3) Die Auskunft unterbleibt, soweit sichtsrecht in die Sicherheitsakten nach Ab1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung der satz 4 Satz 3 in Verbindung mit Absatz 5 darf speichernden Stelle durch die Auskunftsernur vom Berliner Beauftragten für den Dateilung zu besorgen ist, tenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht persönlich ausgeübt werden, wenn 2. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gedie Verfassungsschutzbehörde im Einzelfall fährden oder sonst dem Wohl des Bundes feststellt, dass dies die Sicherheit des Bunoder eines Landes Nachteile bereiten würde des oder eines Landes gebietet. Entspreoder chendes gilt für die Sicherheitsüberprüfungs3. die Daten oder die Tatsache der Speicheakte. rung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem (7) SS 24 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 Buchstabe c Wesen nach oder wegen der überwiegenund Satz 5 des Bundesdatenschutzgesetzes den berechtigten Interessen Dritter geheimfindet Anwendung. gehalten werden müssen und deswegen das Interesse des Antragstellers an der Auskunftserteilung zurücktreten muss. SS 25 (4) Die Ablehnung der Auskunft bedarf Reisebeschränkungen keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. (1) Personen, die eine sicherheitsemDie Gründe der Auskunftsverweigerung sind pfindliche Tätigkeit im Sinne von SS 2 Abs. 1 aktenkundig zu machen. Wird die Auskunft ganz Satz 1 Nr. 1 bis 4 ausüben, die eine Sicheroder teilweise abgelehnt, ist der Antragsteller heitsüberprüfung nach SSSS 11 und 12 erforauf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der dert, können verpflichtet werden, Dienstund Begründung und darauf hinzuweisen, dass er Privatreisen in und durch Staaten, für die sich an den Berliner Beauftragten für den besondere Sicherheitsregelungen gelten, der Datenschutz und für das Recht auf Aktenzuständigen Stelle oder der nicht-öffentlichen einsicht wenden kann. Diesem ist auf Verlangen Stelle rechtzeitig vorher anzuzeigen. Die VerAuskunft zu erteilen. Personenbezogene Daten fassungsschutzbehörde wird ermächtigt, die einer Person, der Vertraulichkeit zugesichert Personengruppen und die Staaten durch eine worden ist, dürfen nur dem Berliner BeaufDienstanweisung festzulegen. Die Verpflichtragten für den Datenschutz und für das Recht tung kann auch für die Zeit nach dem Ausauf Akteneinsicht persönlich offenbart werden. scheiden aus der sicherheitsempfindlichen Mitteilungen des Berliner Beauftragten für den Tätigkeit angeordnet werden. Datenschutz und für das Recht auf Akten(2) Die zuständige Stelle kann die Reise einsicht dürfen keine Rückschlüsse auf den untersagen, wenn Anhaltspunkte zur Person Erkenntnisstand der zuständigen Stelle und der oder eine besonders sicherheitsempfindliche mitwirkenden Behörden zulassen, sofern diese Tätigkeit vorliegen, die eine erhebliche Genicht einer weitergehenden Auskunft zustimmen. fährdung des Betroffenen durch fremde (5) Dem Betroffenen haben die zuständige Nachrichtendienste erwarten lassen. Stelle und die mitwirkende Behörde auf Antrag (3) Ergeben sich insbesondere bei einer Einsicht in die Teile der Sicherheitsund SicherReise in und durch Staaten, für die besonheitsüberprüfungsakten zu gewähren, die Daten dere Sicherheitsregelungen gelten, Anhaltszu seiner Person enthalten. Die Absätze 2 bis 4 punkte, die auf einen Anbahnungsoder gelten entsprechend. Die Einsichtnahme in Werbungsversuch fremder NachrichtendienSicherheitsakten ist insbesondere dann zu verste hindeuten können, so hat der Betroffene sagen, wenn überwiegende öffentliche oder die zuständige Stelle unverzüglich nach überwiegende Geheimhaltungsinteressen Dritter seiner Rückkehr zu unterrichten. entgegenstehen oder die Daten des Betroffenen mit Daten Dritter derart verbunden sind, dass ihre Trennung nach Vervielfältigung und Unkenntlichmachung nicht oder nur mit unver- 332 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 DRITTER ABSCHNITT SS 27 Personeller Geheimund Sabotageschutz Zuständigkeit bei nicht-öffentlichen Stellen SS 26 (1) Für den personellen Geheimschutz Weitergabe geheimhaltungsbedürftiger und den personellen Sabotageschutz werden Angelegenheiten, die Aufgaben der zuständigen Stelle von der Sabotageschutz Verfassungsschutzbehörde wahrgenommen, soweit nicht im Einvernehmen mit ihr die für (1) An eine nicht-öffentliche Stelle dürfen Wirtschaft zuständige oberste LandesbeVerschlusssachen erst weitergegeben und Verhörde die Aufgabe als zuständige Stelle träge mit einer nicht-öffentlichen Stelle, bei wahrnimmt. deren Abwicklung Verschlusssachen entstehen, (2) Die Entscheidung nach SS 26 Abs. 2 erst geschlossen werden, nachdem die zustäntrifft die Verfassungsschutzbehörde. dige Stelle unter Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörde geprüft und bestätigt hat, dass 1. keine Umstände vorliegen, die Zweifel an SS 28 der Wahrung des Geheimschutzes begrünBestellung eines Sicherheitsbevollmächtigten den können, (1) Liegt ein Vertrag zwischen einer nicht2. die erforderlichen Geheimschutzmaßnahöffentlichen Stelle und der zuständigen Stelle men getroffen sind und zur Durchführung der Sicherheitsüberprüfundie Sicherheitsüberprüfungen der betroffenen gen oder die Bestimmung zur sicherheitsemPersonen durchgeführt sind. pfindlichen Stelle im Sinne von SS 4 Abs. 5 Die zuständige Stelle kann von einer eigenen vor, benennt die Geschäftsleitung der zuPrüfung absehen, wenn sich die nicht öffentliche ständigen Stelle einen fachlich und persönlich Stelle in der Geheimschutzbetreuung des Bungeeigneten leitenden Unternehmensangehödes oder eines anderen Bundeslandes befindet rigen als Sicherheitsbevollmächtigten, der in und in diesem Zusammenhang bereits FestAngelegenheiten des Geheimschutzes und stellungen zu den in Satz 1 Nr. 1 bis 3 gedes personellen Sabotageschutzes für die nannten Voraussetzungen getroffen worden ordnungsgemäße Durchführung der Sichersind. heitsüberprüfungen verantwortlich und mit (2) Auf Antrag einer nicht-öffentlichen leden erforderlichen Befugnissen ausgestattet bensoder verteidigungswichtigen Einrichtung ist. Der Sicherheitsbevollmächtigte muss der kann die zuständige Stelle die Einrichtung oder Geschäftsleitung unmittelbar unterstellt sein; Teile von ihr zur sicherheitsempfindlichen Stelle die Verantwortung der Geschäftsleitung bleibt erklären, bei deren Ausfall oder Zerstörung eine hierdurch unberührt. erhebliche Bedrohung für die Gesundheit oder (2) Der Sicherheitsbevollmächtigte muss das Leben zahlreicher Menschen zu befürchten sicherheitsüberprüft sein nach der höchsten oder die für das Funktionieren des Gemeinbei der nicht-öffentlichen Stelle vorkommenwesens unverzichtbar ist. den Verschlusssacheneinstufung. (3) Für den personellen Geheimund Sabo(3) Die Aufgaben der nicht-öffentlichen tageschutz bei nicht-öffentlichen Stellen gelten Stelle nach diesem Gesetz sind grundsätzlich die Vorschriften der SSSS 2 bis 25 entsprechend, von einer der Personalverwaltung getrennten sofern nicht nachfolgend etwas anderes geregelt Organisationseinheit wahrzunehmen. Die zuist. ständige Stelle kann Ausnahmen zulassen, (4) Die nicht-öffentliche Stelle darf die nach wenn die nicht-öffentliche Stelle sich verdiesem Gesetz zur Erfüllung ihrer Aufgaben pflichtet, Informationen, die ihr im Rahmen erforderlichen personenbezogenen Daten der der Sicherheitsüberprüfung bekannt werden, betroffenen Person in Dateien speichern, vernur für solche Zwecke zu gebrauchen, die mit ändern und nutzen. der Sicherheitsüberprüfung verfolgt werden. (4) Der Sicherheitsbevollmächtigte wird für den personellen Geheimschutz und für den personellen Sabotageschutz von der Verfassungsschutzbehörde in seine Aufgaben eingeführt. Die Verfassungsschutzbehörde berät und informiert in Fragen des Anhang 333 personellen Geheimund des personellen (2) Die mit geheimhaltungsbedürftigen Sabotageschutzes. Angelegenheiten befasste nicht-öffentliche Stelle hat der zuständigen Stelle bei der Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 SS 29 die erforderliche Unterstützung zu gewähren. Sicherheitserklärung, Sicherheitsakte Sie hat insbesondere die geheimhaltungsbedürftigen Angelegenheiten und die zu de(1) Abweichend von SS 14 Abs. 6 nimmt der ren Schutz getroffenen Maßnahmen nachSicherheitsbevollmächtigte der nicht-öffentlichen zuweisen. Die zuständige Stelle ist befugt, Stelle die Sicherheitserklärung entgegen. Er soweit es zur Wahrnehmung der Aufgaben prüft die Vollständigkeit und Richtigkeit der nach Absatz 1 erforderlich ist, Grundstücke Angaben gegebenenfalls unter Beziehung der und Geschäftsräume der mit geheimhaltungsPersonalunterlagen und gibt sie an die zustänbedürftigen Angelegenheiten befassten nichtdige Stelle weiter. Er teilt Erkenntnisse mit, die öffentlichen Stelle zu betreten und dort Prüauf ein Sicherheitsrisiko hindeuten. fungen und Besichtigungen vorzunehmen. (2) Für die Sicherheitsakte in der nichtDie nicht-öffentliche Stelle hat diese Maßöffentlichen Stelle gelten die Vorschriften dieses nahmen zu dulden. Das Grundrecht der UnGesetzes über die Sicherheitsakte entsprechend verletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 mit der Maßgabe, dass die Sicherheitsakte der Grundgesetz, Artikel 28 Abs. 2 der Verfasnicht-öffentlichen Stelle bei einem Wechsel des sung von Berlin) wird insoweit eingeschränkt. Arbeitgebers nicht abgegeben wird. SS 32 SS 30 Parteien Abschluss der Sicherheitsüberprüfung, Weitergabe von Erkenntnissen Politischen Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes, die über OrganisationseinDie zuständige Stelle unterrichtet den Sicherheiten verfügen, die den in SS 2 Satz 1 Nr. 3 heitsbevollmächtigten nach Abstimmung mit der beschriebenen Stellen vergleichbar oder die Verfassungsschutzbehörde nur darüber, ob oder mit geheimhaltungsbedürftigen Angelegenob keine Bedenken bestehen, dass dem Beheiten befasst sind, obliegt die Durchführung troffenen eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit von Sicherheitsüberprüfungen für Mitarbeiter übertragen wird. Erkenntnisse, auf denen diese und Mitglieder, die Zugang zu VerschlussEntscheidung beruht, dürfen nicht mitgeteilt sachen gemäß SS 6 erhalten sollen, und der werden. Zur Gewährleistung des VerschlussMaßnahmen nach diesem Gesetz selbst. Die sachenschutzes können sicherheitserhebliche Verfassungsschutzbehörde kann auf ErsuErkenntnisse an die nicht-öffentliche Stelle überchen Maßnahmen nach SS 15 übernehmen, mittelt werden und dürfen von ihr ausschließlich wenn die Voraussetzungen nachgewiesen zu diesem Zweck genutzt werden. Die nichtsind. öffentliche Stelle hat die zuständige Stelle unverzüglich zu unterrichten, wenn Erkenntnisse zum Betroffenen oder zur einbezogenen Person bekannt werden, die auf ein Sicherheitsrisiko VIERTER ABSCHNITT hindeuten. Schlussvorschriften SS 33 Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften SS 31 Behördliche Aufsicht (1) Die Verfassungsschutzbehörde erlässt die zur Ausführung dieses Gesetzes (1) Soweit eine nicht-öffentliche Stelle über erforderlichen Verwaltungsvorschriften. Verschlusssachen verfügt, überprüft die zu(2) Die allgemeinen Verwaltungsvorschrifständige Stelle unter Mitwirkung der Verfasten zur Ausführung dieses Gesetzes im Besungsschutzbehörde die Ausführung dieses reich der nicht-öffentlichen Stellen erlässt die Gesetzes und der vertraglich übernommenen Verfassungsschutzbehörde im Einvernehmen Pflichten. mit der für Wirtschaft zuständigen obersten Landesbehörde. 334 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 SS 34 SS 36 Strafvorschriften Änderung von Gesetzen Das Gesetz über das Landesamt für Verfas(1) Wer unbefugt von diesem Gesetz gesungsschutz in der Fassung vom 25. März schützte personenbezogene Daten, die nicht 1995 (GVBl. S. 254, 762 ) wird wie folgt geoffenkundig sind, ändert: 1. speichert, verändert oder übermittelt, 1. SS 5 Abs. 3 wird wie folgt geändert: 2. zum Abruf mittels automatisierten Verfaha) Satz 2 wird wie folgt gefasst: rens bereithält oder "Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung 3. abruft oder sich oder einem anderen aus nach Satz 1 Nr. 1 und 2 sind im Dateien verschafft, Berliner Sicherheitsüberprüfungsgewird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder setz vom 2. März 1998 (GVBl S. 26) mit Geldstrafe bestraft. geregelt." (2) Ebenso wird bestraft, wer b) Satz 3 wird aufgehoben. 1. die Übermittlung von durch dieses Gesetz geschützten personenbezogenen Daten, die 2. SS 11 wird wie folgt geändert: nicht offenkundig sind, durch unrichtige a) SS 11 Abs. 2 wird aufgehoben. Angaben erschleicht oder b) Die bisherigen Absätze 3 und 4 wer den die neuen Absätze 2 und 3. 2. entgegen SS 21 Abs. 2 oder SS 30 Daten für andere Zwecke nutzt, indem er sie innerhalb der Stelle an einen anderen weitergibt. SS 37 Inkrafttreten (3) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern Dieses Gesetz tritt am ersten Tage des auf oder einen anderen zu schädigen, so ist die die Verkündung im Gesetzund VerordStrafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder nungsblatt für Berlin folgenden KalenderGeldstrafe. monats in Kraft. (4) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. SS 35 Übergangsvorschriften (1) Bei Sicherheitsüberprüfungen, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes abgeschlossen wurden, ist die Wiederholungsüberprüfung gemäß SS 19 zehn Jahre nach Abschluss der Erstoder der letzten Wiederholungsüberprüfung durchzuführen. (2) Maßnahmen im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleitet wurden, aber noch nicht abgeschlossen sind, gelten weiter, sofern sie nach den Bestimmungen dieses Gesetzes gleichwertig sind. (3) Sicherheitsund Sicherheitsüberprüfungsakten sind bis zum Ablauf von zwölf Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes den Erfordernissen des SS 20 anzupassen. Anhang 335 PersonenPersonenund Sachregister 1. Mai 23, 49, 52, 53, 54, 66, 73, 75, 77, 78, 80, Anti-Atom-Plenum 94 84, 87, 92, 93, 95, 96, 104, 106, 209, 219, 259, Anti-Atom-Proteste 74 295 Antideutsche 84, 85, 87, 88, 101 11. September 246 Antifa 185, 193, 194, 226 Antifa A+P (Agitation und Praxis) 226 A Antifa Hohenschönhausen 101, 103 Antifa Jugend Aktion Kreuzberg 101 AAB Siehe Antifaschistische Aktion Berlin Antifa U7 101, 102 AAN Siehe Anti-Antifa-Network Antifa Weissensee 89 AANO Siehe Autonome Antifa Nordost Antifa-Gruppen 74, 75, 84, 102, 103, 106, 107, 226 AAP Siehe Anti-Atom-Plenum Antifaschismus 74, 75, 100, 101, 102, 105, 106, ACT! 71, 73, 76, 77, 78, 84, 89, 90, 91, 92, 94, 95, 226, 228, 230, 232, 278, 296, 302 96, 97, 99, 298, 299 Antifaschistische Aktion Berlin 102, 185, 226, 230, Adelaide-Institute 69 232 ADHF Siehe Föderation für demokratische Rechte Antifaschistische Initiative Reinickendorf 101 in Deutschland e. V. Antifaschistische Linke Berlin 76, 89, 93, 102, 106, ADHK Siehe Konföderation für demokratische 226, 227, 230, 299 Rechte in Europa Antifaschistischer Süd-Ost Bote 103 AGIF Siehe Föderation der ArbeitsimmigrantInnen Antiglobalisierung 74 aus der Türkei in Deutschland Anti-Globalisierungsbewegung 237 Ahmedoglu, Sefer 255 Antiimperialisten 72 AIR Siehe Antifaschistische Initiative Reinickendorf Antikapitalistische Aktion Berlin 89 AJAK Siehe Antifa Jugend Aktion Kreuzberg Antirassismus 74, 105, 106, 228 Akif, Mohammad Mahdi 249 Antisemitische Straftaten 14, 287 AKON Siehe Aktion Oder-Neiße Antisemitismus 184 AKP Siehe Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei Antizionismus 85, 232, 278 Aktion Oder-Neiße 206 Apfel, Holger 51, 53, 57, 208, 209 Aktionsbüro Mitteldeutschland / Nationaler API Siehe Arbeiterkommunistische Partei Irans Widerstand Berlin-Brandenburg 22, 25 API-Hekmatist 250 Aktionsfront Nationaler Sozialisten 203 Arafat, Yassir 154, 220 Aktionsorientierter Rechtsextremismus 18, 193, Arbeiterkommunistische Partei Irans 250 200 Arbeiterpartei Kurdistans 115, 154, 155, 156, 160, Al-Aqsa e. V. 245 161, 263, 264, 304 Al-Aqsa-Intifada 240 Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-GeAl-Arabiya 121 meinschaft wesensgemäßer LebensgeALB Siehe Antifaschistische Linke Berlin staltung e. V. 212 Al-Jama'a al-islamiya 246 ATIF Siehe Föderation der Arbeiter aus der Türkei Al-Jazeera 121, 122, 123 in Deutschland e. V Al-Jihad al-islami 246 ATIK Siehe Konföderation der Arbeiter aus der Al-Manar Siehe Der Leuchtturm Türkei in Europa Al-Nur-Moschee 129 Atomgesetz 180 Al-Qa'ida 113, 116, 117, 119, 120, 122, 123, 125, Aufenthaltsgesetz 179 126, 127, 129, 131, 159, 246, 247 Autonome 72, 185, 194, 226, 227, 228, 229, 230 Al-Quds-Tag 241 Autonome Antifa Nordost 84, 86, 87, 231, 232 Altautonome 228, 229, 230 Autonome Antifa Prenzlauer Berg 93 Al-Tawhid-Bewegung 129 Autonome Nationalisten Berlin 28, 193, 194 Al-Zarqawi, Abu Mus'ab 118, 119, 120, 123 Autonome Szene 185, 227, 228, 229, 230 Al-Zawahiri, Aiman 119, 122, 123, 246, 247 Aydar, Zübeyir 155, 156 AMD/NWBB Siehe Aktionsbüro Mitteldeutschland / Aydin, Harun 257 Nationaler Widerstand Berlin-Brandenburg AMGT Siehe Vereinigung der Neuen Weltsicht in B Europa e. V. Anarchisten 72, 185 B&H Siehe Blood & Honour ANB Siehe Autonome Nationalisten Berlin B.A.N.G. 94, 230 Ansar al-Islam 116, 121, 128, 132, 133, 134 BAFA Siehe Bundesamt für Wirtschaft und Anti-Antifa 18, 28, 193, 194, 289 Ausfuhrkontrolle Anti-Antifa-Network 28, 193, 194 BASO Siehe Berliner Alternative Süd-Ost 336 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 Bassajew, Shamil 126, 127 Die Lunikoff-Verschwörung 32, 36, 38, 201 BDVG Siehe Bewegung Deutsche Die Republikaner 13, 17, 43, 44, 45, 46, 47, 50, 61, Volksgemeinschaft 62, 63, 64, 210, 211, 221 Bensakhria, Mohamed 128, 132 DK Siehe Deutsches Kolleg Berliner Alternative Süd-Ost 15, 18, 19, 24, 25, 26, DKP Siehe Deutsche Kommunistische Partei 29, 103, 198, 289, 292 DLVH Siehe Deutsche Liga für Volk und Heimat Berliner Bote - Unabhängiges Mitteilungsblatt für Donaldson, Stuart 195, 200 Berlin 21, 22 DP Siehe Deutsche Partei - Die Freiheitlichen Berliner Bündnis Montagsdemo 97, 237 Drei-Säulen-Konzept 58, 203, 209 Berliner Nationale Jugend 19 DS Siehe Deutsche Stimme Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz 172, 173, DS-Pressefest 32, 52, 54 176, 269, 272, 308, 321, 334 DSZ Druckschriftenund Zeitungs-Verlag GmbH Bewaffnete Streitkräfte der Armen und 206 Unterdrückten 148, 149, 259 Dual-Use 169 Bewegung der freien Jugend Kurdistans 159, 162, DVU Siehe Deutsche Volksunion 264 Bewegung Deutsche Volksgemeinschaft 66 E Bin Ladin, Usama 119, 121, 122, 123, 129, 191, 246, 247 Ehrenbund Rudel 206 Blood & Honour 31, 195, 196, 200, 203, 205 Einbürgerungsverfahren 308 El-Motassadeq, Mounir 128, 130 BNJ Siehe Berliner Nationale Jugend BPjM Siehe Bundesprüfstelle für jugendgeEMUG Siehe Europäische Moscheebauund fährdende Medien Unterstützungsgemeinschaft e. V. Entrismus 236 Brandanschläge 227 Bremer Hilfswerk e. V. 245, 249 Erbakan, Mehmet Sabri 253, 254, 255 BSÜG Siehe Berliner Erbakan, Necmettin 114, 141, 142, 143, 145, 147, 253, 254, 255, 256 Sicherheitsüberprüfungsgesetz Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle 169 Erdogan, Recep Tayyip 141, 151, 254, 256 Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ERNK Siehe Nationale Befreiungsfront Kurdistans 16, 32, 34, 37 ESA Siehe External Security Apparatus Bundesverfassungsgericht 182, 209, 236 Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V. 253 Bürgertelefon 279 EU-Terrorliste 115 Explizit 242 C External Security Apparatus 241 Christophersen, Thies 223 Committee for a Workers International 237 F Faschismus 184, 185, 186, 228, 260 D FAU Siehe Freie Arbeiterunion D.S.T. Siehe Deutsch Stolz Treue Fazilet Partisi 254 DABK Siehe Ostanatolisches Gebietskomitee FESK Siehe Bewaffnete Streitkräfte der Armen Darkazanli, Mamoun 128, 131, 132 und Unterdrückten Dehoust, Peter 221 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Der Islam als Alternative 256 Deutschland e. V 262 Der Leuchtturm 240 Föderation der ArbeitsimmigrantInnen aus der Deutsch Stolz Treue 34, 38, 201 Türkei in Deutschland 259 Deutsche Kommunistische Partei 71, 89, 97, 98, Föderation der iranischen Flüchtlingsund 104, 234 Immigrantenräte e. V. 251 Deutsche Partei - Die Freiheitlichen 43, 44, 61 Föderation für demokratische Rechte in Deutsche Stimme 207, 208 Deutschland e. V. 262 Deutsche Volksunion 13, 17, 43, 45, 46, 47, 48, FP Siehe Fazilet Partisi 49, 50, 52, 59, 60, 61, 62, 63, 104, 205, 206, Frankfurter Erklärung 61 207, 210, 211, 212, 221 Freie Arbeiterunion 89, 94, 98 Deutsche Liga für Volk und Heimat 221 Freie Nationalisten 16, 26, 49, 50, 51, 52, 53, 54, Deutsches Kolleg 17, 67, 68, 69, 70, 214, 215, 55, 57, 58, 60, 66 216, 217 Freie Jugendbewegung Kurdistans 159 Deutschland-Pakt 59, 60 Freiheitliche demokratische Grundordnung 182, DHKP-C Siehe Revolutionäre Volksbefreiungs187, 193, 269, 272, 308, 311, 312 partei-Front Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei 203 Die Gemeinde Muhammads Siehe Ümmet-i Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans Muhammed 115, 154, 155, 156, 263, 264 Anhang 337 Freiheitsfalken Kurdistans 159 Indymedia 95, 107, 231 Frey, Dr. Gerhard 45, 47, 48, 59, 60, 205, 206, Initiative für Ausländerbegrenzung 206 207, 210 Inssan für kulturelle Interaktion e.V. 249 Friends of Interim 81, 82, 83 INTERIM 75, 79, 81, 82, 85, 92, 95, 96, 97, 104, FZ Freiheitlicher Buchund Zeitschriften-Verlag 106, 227, 229, 230, 233, 234, 298, 301 GmbH 206 International Socialists 235 Irak-Krieg 226, 235 G Islamische Föderation in Berlin e. V. 147 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V 110, 114, G-10-Kommission 270 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 253, Geheimschutz 321, 332 254, 255, 256, 257 Geheimschutzbeauftragter 174, 322, 323 Islamisches Kulturund Erziehungszentrum Berlin Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei 254, 256 e. V. 249 Gesellschaft für freie Publizistik 221 Islamische Widerstandsbewegung 243 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 269 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. 249 Gesetz über die Voraussetzungen und das Islamische Widerstandsbewegung 110, 121, 134, Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen im 135, 240, 243, 244 Land Berlin 321 Islamischer Bund Palästina 243 Gewaltdelikte 14, 15, 73, 112, 113, 287, 295 Islamisches Kulturund Erziehungszentrum Berlin Gewalttaten 188, 229 e. V. 245 GfP Siehe Gesellschaft für freie Publizistik Islamismus 188, 190, 253 GG Siehe Grundgesetz Islamisten-Kongress 114, 136 Globalisierung 259 Israel-Palästina-Konflikt 74 Grabert-Verlag 221 Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden 240 Grundgesetz 182, 187, 269, 273, 307, 308, 309, 311, 316, 318, 321, 333 J H Jihad 191, 245, 246 JN Siehe Junge Nationaldemokraten Habib, Muhammed 249 Joe-Hawkins-Versand 40 HAKK-TV 258 Junge Nationaldemokraten 64, 65, 66, 207 HAMAS Siehe Islamische Widerstandsbewegung Hammerskins 16, 30, 31, 195, 196, 203 K HDJ Siehe Heimattreue Deutsche Jugend e. V. Heimattreue Deutsche Jugend e. V. 217, 218 KABD Siehe Kommunistischer Arbeiterverbund Heise, Thorsten 51, 57 Deutschlands Heisenhof 213 KADEK Siehe Freiheitsund Demokratiekongress Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene Kurdistans und deren Angehörige e. V. 13, 197 Kadyrow, Achmed 126 Hizb Allah 110, 239, 240, 241 Kalifatsstaat 112, 114, 138, 139, 256, 257, 258 Hizb ut-Tahrir al-islami 112, 242 Kameradschaft Nordland 31, 34, 35, 205 HKO Siehe Volksbefreiungsarmee Kameradschaft Tor Berlin 15, 19, 23, 198 HNG Siehe Hilfsorganisation für nationale Kameradschaften 15, 18, 19, 21, 22, 23, 26, 28, politische Gefangene und deren Angehörige 29, 51, 193, 194, 198, 199, 289, 292 e. V. Kampfbund Deutscher Sozialisten 219, 220, 221 Hoggan, David 223 Kaplan, Cemaleddin 256, 257 HS Siehe Hammerskins Kaplan, Metin 114, 138, 139, 140, 257 HuT Siehe Hizb ut-Tahrir al-islami KDS Siehe Kampfbund Deutscher Sozialisten Kleist, Peter 223 I Kommunismus 186, 232, 233 Kommunistische Partei Deutschlands 94, 97, 98, I.f.A. Siehe Initiative für Ausländerbegrenzung 186, 187, 234, 236 IBP Siehe Islamischer Bund Palästina Kommunistischer Arbeiterverbund Deutschlands ICCB Siehe Verband der islamischen Vereine und 236 Gemeinden e. V. Köln Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in IFB Siehe Islamische Föderation in Berlin e. V. Deutschland 150 IFIR Siehe Föderation der iranischen FlüchtlingsKonföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa und Immigrantenräte e. V. 262 IGD Siehe Islamische Gemeinschaft in Konföderation für demokratische Rechte in Deutschland e. V. Deutschland 262 IGMG Siehe Islamische Gemeinschaft Milli Görüs Konföderation für demokratische Rechte in Europa e. V. 150, 152, 262 In camera-Verfahren 277 338 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 KONGRA-GEL 115, 154, 155, 156, 157, 158, 159, MLKP Siehe Marxistisch-Leninistische 160, 161, 162, 263, 264, 265 Kommunistische Partei Kontrollinstanzen 276 MLPD Siehe Marxistisch-Leninistische Partei Kontrollverfahren 268 Deutschlands Konzerte 16, 195, 200 Modaresi, Koroush Siehe Körperverletzungen 204, 282, 289 Muhacirin-Moschee 258 KP Siehe Kritik & Praxis Mujahidin 189, 245, 246 KPD Siehe Kommunistische Partei Deutschlands Mujahidin-Netzwerke 117, 119, 124, 127 Kraftschlag 32 Musikszene 195, 200, 201 Kritik & Praxis B3rlin 84, 86, 87, 93, 226, 230, 232, Muslimbruderschaft 110, 189, 243, 191, 243, 247, 233, 299, 300 248, 249 KS Tor Siehe Kameradschaft Tor Berlin Mzoudi, Abdelghani 128, 131 Kurdische Demokratische Volksunion 264 Kurdisches Haus Berlin-Brandenburg e. V. 162 N Kurtulmus, Numan 143 Kutan, Recai 254 N&E Siehe Nation & Europa - Deutsche Monatshefte Nachrichtendienstliches Informationssystem 274, L 275, 307, 309 Landfriedensbruch 15, 73 Nachrichtendienstliche Mittel 273 Landser 23, 30, 31, 35, 36, 37, 52, 56, 201, 204, NADIS Siehe Nachrichtendienstliches 205 Informationssystem Langener Erklärung 219 NAPB Siehe Nationale Aktivisten Prenzlauer Berg Legalresidenturen 164 Nasrallah, Hassan 241 Legion of Thor 33, 201 Nation & Europa - Deutsche Monatshefte 221, 222 Lichtenberg 35 31, 199 Nationaldemokratische Partei Deutschlands 13, Linksruck 72, 89, 94, 97, 98, 100, 235, 237 16, 20, 26, 31, 32, 39, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, Luftsicherheitsgesetz 180 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, Luftverkehrsgesetz 179 64, 65, 66, 68, 69, 93, 95, 96, 104, 105, 106, Luxemburg-Liebknecht (LL)-Demonstration 235 203, 205, 206, 207, 208, 209, 212, 214, 216, 221, 242, 289, 295, 301 M Nationaldemokratischer Hochschulbund e. V. 207 Nationaldemokratisches Bildungszentrum 105 Macht & Ehre 34 Nationale Alternative 203 Mahler, Horst 17, 67, 68, 69, 214, 215, 216, 224, Nationale Befreiungsarmee 251, 252 225, 242 Nationale Befreiungsfront Kurdistans 264 Mai-Steine-Aktionen 73 Nationale Aktivisten Prenzlauer Berg 19, 20 Mai-Steine-Kampagne 91, 92, 96, 294, 295, 299 Nationaler Widerstandsrat Iran 251, 252 MALA KURDA 162 Nationales und soziales Aktionsbündnis Maoistische Kommunistische Partei 261, 262 Mitteldeutschland 21 Märkischer Heimatschutz 19, 22, 26, 292 Nationalsozialismus 184, 199, 223 Marxismus-Leninismus 184, 186, 187, 234, 236, Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei 199 259 National-Zeitung / Deutsche Wochen-Zeitung 205, Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei 206, 207 148, 153, 259 NBZ Siehe Nationaldemokratisches Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands 71, Bildungszentrum 89, 94, 97, 98, 99, 236, 237 Neonazi 13, 193, 199, 200, 203, 204, 205 Massenvernichtungswaffen 167 Neubauer, Harald 221 MB Siehe Muslimbruderschaft NHB Siehe Nationaldemokratischer Meenen, Uwe 17, 67, 69, 214, 216 Hochschulbund e. V. MEK Siehe Volksmodjahedin Iran-Organisation NLA Siehe Nationale Befreiungsarmee Meliani-Gruppe 128, 132 Non-aligned-mujahidin 124 Mg Siehe militante gruppe (mg) NPD Siehe Nationaldemokratische Partei MHS Siehe Märkischer Heimatschutz Deutschlands Militante gruppe (mg) 79, 80, 81, 83, 233, 234 NPD-Bundeszentrale 103, 104 Militanz 186, 192, 227 NSAM Siehe Nationales und soziales Militanzdebatte 74, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 234 Aktionsbündnis Mitteldeutschland Milli Gazete 143, 144, 145, 146, 147, 254, 255, NSDAP Siehe Nationalsozialistische Deutsche 256 Arbeiterpartei Milli-Görüs-Bewegung 255 NWRI Siehe Nationaler Widerstandsrat Iran MKP Siehe Maoistische Kommunistische Partei NZ Siehe National-Zeitung / Deutsche WochenZeitung Anhang 339 O Rudolf-Heß-Aktionswoche 18, 49, 54, 55 Oberlercher, Reinhold 17, 67, 68, 69, 214, 216 S Observation 273 Ostanatolisches Gebietskomitee 261 Saadet Partisi 254, 255, 256 Sabotageschutz 172, 177, 321, 332 Sachbeschädigungen 227 Ö SAG Siehe Sozialistische Arbeitergruppe SAV Siehe Sozialistische Alternative Voran Öcalan, Abdullah 155 Scharia 253, 257 Öcalan, Osman 155 Schaub, Bernhard 223 Schlierer, Dr. Rolf 45, 61, 62, 210, 211, 212 P Schönhuber, Franz 210, 211 Palästinensischer Islamischer Jihad 240 Schwab, Jürgen 58 Panzerfaust Records 37, 42 Schwarze Witwen 126 Partiya Welatperez'e Demokratik 115, 157, 158, Selbstmordattentate 239, 240 264 Senatsverwaltung für Inneres 268 Partizan-Flügel 262 Sicherheitsüberprüfung 173, 175, 272, 308, 322, Patriotisch-Demokratische Partei 115, 157 323, 324, 325, 326, 327, 328, 329, 330, 331, PDP Siehe Patriotisch-Demokratische Partei 332, 333 PIJ Siehe Palästinensischer Islamischer Jihad Silvio-Meier-Demonstration 103, 107 PKK Siehe Arbeiterpartei Kurdistans Skinheads 195, 196, 199, 200, 202, 203, 204, 343 Plattform Neue Ordnung 66 Sofu, Dr. Halil Ädegbrahim 257 PNO Siehe Plattform Neue Ordnung Sozialistische Alternative Voran 72, 97, 98, 104, Proliferation 167, 169, 170, 171 237, 238 Propagandadelikte 14, 15, 73, 112, 113, 204, 287 Sozialistische Arbeitergruppe 235 PWD Siehe Partiya Welatperez'e Demokratik SP Siehe Saadet Partisi Spionageabwehr 163, 164, 275, 310, 311 Q Spirit of 88 40, 201 Spreegeschwader 31, 32, 33, 34, 36, 38, 201, 205 Quellenschutz 274, 327 Qutb, Sayyid 191 T R Taghwai, Hamid 250 TAK Siehe Freiheitsfalken Kurdistans Radikahl 32 Taliban 246 Rantissi, Abd al-Aziz 134, 135 TAYAD-Komitee 151 Rassismus 183, 184, 185, 228 TECAK Siehe Bewegung der freien Jugend RBF Siehe Republikanischer Bund der Frauen Kurdistans Rechtsextremistische Musik 15, 16, 30, 31, 35, 55, Tegethoff, Ralph 51, 53, 57 195, 204 Terrorismus 73, 188, 189, 192, 246 Regener, Michael 35, 36, 37, 52, 55, 56 Terrorismusbekämpfungsgesetz 272 Reichsbürgerbrief 70, 223 TIKKO Siehe Türkische Arbeiterund Rennicke, Frank 53 Bauernbefreiungsarmee REP Siehe Die Republikaner TKP/ML Siehe Türkische Kommunistische Partei / RepBB Siehe Republikanischer Bund der öffentlich Marxisten-Leninisten Bediensteten Tötungsdelikte 15, 73 Republikanischer Bund der Frauen 210 Trotzkisten 236 Republikanischer Bund der öffentlich Bediensteten Tschetschenien-Konflikt 126 210 Tugendpartei 254 Republikanischer Hochschulverband 210 Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee Revisionismus 186, 222, 223 261 Revolutionäre Kommunisten 87, 93 Türkische Kommunistische Partei / MarxistenRevolutionäre Volksbefreiungspartei-Front 149, Leninisten 153, 261, 262 150, 153, 260, 261 Revolutionärer 1. Mai 259, 262 Ü RH Siehe Rote Hilfe e. V. RHV Siehe Republikanischer Hochschulverband Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs Richter, Karl 193, 209, 221, 322 273 Rieger, Jürgen 212, 213 Ücüncü, Oguz 141, 142, 143, 146 RK Siehe Revolutionäre Kommunisten Ümmet-i Muhammed 258 Rote Hilfe e. V. 72, 88 Rudolf, Germar 223 340 Verfassungsschutzbericht Berlin 2004 V V-Personen 273, 274 VRBHV Siehe Verein zur Rehabilitierung der Vandalen 204 wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten Vandalen-Feier 16 VSG Bln Siehe Verfassungsschutzgesetz Berlin Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln 256, 257 W Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten 17, 67, 68, 69, 70, Walendy, Udo 223 223, 224, 225 Wessel, Horst 26 Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V. Worch, Christian 37, 53, 66 253, 254, 255, 257 Wortergreifungsstrategie 19, 67, 68, 69 Vereinte Nationalisten Nordost 19, 20 Wulff, Thomas 51, 53, 57, 58, 60, 61 Verfassungsschutzgesetz Berlin 176, 182, 269, 273, 274, 277, 307 Y Verschlusssachen 321, 322, 323, 324, 325, 327, 332, 333 Yassin, Ahmad 121, 134, 135, 243 Verschlusssachenanweisung 174 YATIM-Kinderhilfe e. V. 245 Videobotschaften 119, 120, 122, 123 YDK Siehe Kurdische Demokratische Volksunion Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung 69 Yumakogullari, Osman 254, 255 VNNO Siehe Vereinte Nationalisten Nordost Voigt, Udo 47, 48, 51, 53, 55, 56, 57, 58, 59, 63, Z 209, 210, 242 Zündel, Ernst 223 Volksbefreiungsarmee 261 ZÜNDSTOFF - Deutsche Stimme für Berlin und Volksmodjahedin Iran-Organisation 251, 252 Brandenburg 207 Volksverhetzung 15 Zuverlässigkeitsüberprüfungen 179, 180 Volksverteidigungskräfte 156 Publikationen des Verfassungsschutzes Berlin: Islamismus Diskussion eines vielschichtigen Phänomens (2005) Rechte Gewalt in Berlin (2004) (derzeit nur im Internet abrufbar) Antisemitismus im extremistischen Spektrum Berlins (2004) (derzeit nur im Internet abrufbar) Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus (2001, Neuauflage 2005) Verfassungsschutz - Nehmen Sie uns unter die Lupe (2002) Anfrage Informationsmaterial: (030) 90 129-853 Fax: (030) 90 129-876 Die umseitig aufgeführten Publikationen und weitere Veröffentlichungen des Berliner Verfassungsschutzes sind im Internet unter http://www.verfassungsschutzberlin.de eingestellt. Der Berliner Verfassungsschutz bietet zudem Vorträge zu den einzelnen Extremismusbereichen an. Nähere Informationen erhalten Sie hierzu über den Bereich Öffentlichkeitsarbeit ( (030) 90 129-874). Senatsverwaltung für Inneres Abteilung Verfassungsschutz Postfach 62 05 60 10795 Berlin Tel.: (030) 90 129-0 Internet: http://www.verfassungsschutz-berlin.de E-Mail: info@verfassungsschutz-berlin.de