Senatsverwaltung für Inneres 1 Senatsverwaltung für Inneres Abteilung Verfassungsschutz 1 Verfassungsschutzbericht 2003 Erreichbarkeit des Berliner Verfassungsschutzes: Senatsverwaltung für Inneres Abteilung Verfassungsschutz Potsdamer Str. 186, 10783 Berlin oder Postfach 62 05 60, 10795 Berlin 030 / 90129 0 Fax: 030 / 90129 844 Internet: http://www.verfassungsschutz-berlin.de E-Mail: info@verfassungsschutz-berlin.de Öffentlichkeitsarbeit: 030 / 90129 874 oder 516 Fax: 030 / 90129 876 Pressestelle: 030 / 90129 565 Fax: 030 / 90129 533 Vertrauliches Telefon: 030 / 90129 400 Informationsmaterial: 030 / 90129 853 Herausgeber: Senatsverwaltung für Inneres, Abteilung Verfassungsschutz Redaktion: Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit Druck: MercedesDruck, Berlin Redaktionsschluss: März 2004 Abdruck gegen Quellenangabe gestattet, Belegexemplar erbeten. Hinweis: Dieser Verfassungsschutzbericht erwähnt nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes. Der Hintergrundteil enthält Ausführungen zu den Organisationen, die im Berichtsteil Aktuelle Entwicklungen genannt werden. Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 5 VORWORT Ein entscheidender Einschnitt im Jahre 2003 war der Krieg im Irak und damit einhergehend eine stärkere Radikalisierung von Strömungen im Nahen Osten. Fast täglich werden wir über Anschläge im Irak unterrichtet. In Israel werden Unschuldige Opfer von Selbstmordattentätern und die schrecklichen Anschläge in Riad, Casablanca, Jakarta, Istanbul und zuletzt in Madrid zeigen, dass die Bedrohung durch den globalen islamistischen Terrorismus anhält. Deutschland ist von Anschlägen bisher verschont geblieben. Aber es gibt Anzeichen dafür, dass es auch in Deutschland Einzeltäter oder Zellen gegeben hat, die Anschläge auf Einrichtungen in Deutschland geplant haben. Berlin ist insofern im März 2003 in den Blickpunkt geraten, als nach Durchsuchungen mehrerer Wohnungen und einer Moschee sechs Personen festgenommen wurden. Einer der Festgenommenen muss sich wegen der versuchten Bildung einer terroristischen Vereinigung jetzt vor dem Kammergericht verantworten. Die rechtzeitige Abwehr möglicher terroristischer Anschläge gehört nicht nur zu den Aufgaben der Polizei, sondern im Vorfeld der Bildung terroristischer Bestrebungen auch zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes. Der Verfassungsschutz hat deshalb besonders diejenigen extremistischen Bestrebungen im Auge, die unmittelbar gewaltbereit sind. Das ist nicht nur "AlQaida", sondern das sind auch Gruppen wie "Al-Tawhid" oder "non-aligned Mujahidin" wie die so genannte "Meliani-Gruppe", die Terroranschläge geplant und vorbereitet haben. Hierzu gehören aber auch die verbotenen Organisationen "Kalifatsstaat" und "Hizb ut-Tahrir al-islami", die grundsätzlich bereit sind, für ihre islamistischen Ziele Gewalt einzusetzen. Der Verfassungsschutz beobachtet darüber hinaus auch sonstige islamistische Bestrebungen, die nicht terroristisch-gewaltbereit sind, die sich aber für ihre politischen Ziele auf religiöse Quellen berufen und insbesondere den Koran einseitig im Sinne einer extremistischen Einstellung interpretieren. Deren Ziel ist die Verwirklichung einer islamistischen Staatsordnung, die mit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar ist. Die damit verbundene Gefahr ist von anderer Qualität als bei islamistischen Terroristen. Wir dürfen sie für die Zukunft aber nicht unterschätzen: Diese Organisationen lehnen bewusst die Integration in unsere Gesellschaft ab. Sie versuchen, eine Parallelgesellschaft aufzubauen. Die so herbeigeführte Desintegration kann ein Nährboden auch für 6 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 die Rekrutierung gewaltbereiter Islamisten werden. Deshalb müssen auch diejenigen islamistischen Organisationen, die nicht unmittelbar gewaltbereit sind, mit in den Blick genommen werden. Das ist wichtig für die Diskussion in unserer Gesellschaft, auch für die Diskussion innerhalb dieser Organisationen und mit diesen Organisationen. Die Darstellung ist auch deshalb wichtig, weil islamistische Bestrebungen innerhalb der Muslime in Berlin bisher auf wenig Akzeptanz gestoßen sind. Die größte islamistische Organisation in Berlin, die IGMG, eine nicht dem gewaltbereiten Islamismus zuzurechnende Gruppe, wird auf 2 900 Mitglieder geschätzt. Die anderen islamistischen Organisationen haben deutlich weniger Mitglieder. Über 95 Prozent der in Berlin lebenden Muslime lehnen islamistische Bestrebungen ab. Eine der Aufgaben der Politik wird es sein, mit diesen Muslimen in den Dialog zu treten und sie nicht aus unserer Gesellschaft auszugrenzen. 1453, unmittelbar nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken, hat Nicolaus von Kues sein Werk "Vom Frieden zwischen den Religionen" geschrieben, ein spätmittelalterliches Zeugnis der Toleranz. Nicolaus von Kues war zutiefst überzeugt von der Wahrheit des christlichen Evangeliums. Aber weil er so überzeugt davon war, konnte er andere Rituale des Dienstes an einem Gott tolerieren. Gegen Intoleranz, auch gegen islamistische Intoleranz, ist auch heute noch der Dialog eines der besten Gegenmittel. Und zu diesem Dialog brauchen wir die Muslime in der Stadt. Das sind in der großen Mehrzahl die türkischen Bürgerinnen und Bürger Berlins. Neben dem Ausländerextremismus sind gleichgewichtiger Schwerpunkt der Beobachtungen des Verfassungsschutzes die Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremismus. Das Anhängerund Aktivistenpotenzial ist in diesen Bereichen im Vergleich zu den Vorjahren annähernd konstant geblieben. Dennoch zeichnen sich hier ernst zu nehmende Entwicklungen ab. Während rechtsextreme Parteien Mitglieder verlieren, erhalten so genannte Kameradschaften neuen Zulauf. Damit einhergehend ist eine zunehmende Gewaltneigung zu erkennen. Hier sind wir alle als Bürgerinnen und Bürger gefragt, nicht einfach wegzusehen, sondern unsere Mitmenschen gegen Übergriffe zu schützen. Mit Sorge sehen wir auch ein gegenseitiges Aufschaukeln verbunden mit einer zunehmenden Gewalttätigkeit zwischen Jugendlichen aus der linksextremistischen und rechtsextremistischen Szene. Besonders in den Stadtteilen, wo beide Szenen präsent und aktiv sind, geraten sie immer wieder aneinander. Der Verfassungsschutz warnt durch Aufklärung und Information vor bedrohlichen Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 7 Entwicklungen. Dabei ist er auf unser aller Hilfe angewiesen, damit wir auch weiterhin in einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft leben können. Dr. Ehrhart Körting Senator für Inneres 8 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................................. 1 I Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern ..................... 14 1 Der Irak-Krieg aus der Perspektive rechts-, linksund ausländerextremistischer Gruppierungen.......................................... 14 1.1 Einleitung ................................................................................................. 14 1.2 Rechtsextremismus ................................................................................. 14 1.2.1 Ideologische Argumentationsmuster ....................................................... 14 1.2.2 Aktionen rechtsextremistischer Gruppierungen ...................................... 17 1.3 Linksextremismus .................................................................................... 18 1.3.1 Ideologische Argumentationsmuster ....................................................... 18 1.3.2 Aktionen linksextremistischer Gruppierungen ......................................... 21 1.4 Ausländerextremismus ............................................................................ 23 1.4.1 Ideologische Argumentationsmuster ausländerextremistischer Organisationen in Deutschland ............................................................... 23 1.4.2 Standpunkte und Aktionen ausländerextremistischer Gruppen vor dem Krieg .......................................................................................... 24 1.4.3 Die Haltungen arabisch-islamistischer Netzwerke und "Mutterorganisationen" zum Krieg ........................................................... 26 1.4.4 Standpunkte und Reaktionen ausländerextremistischer Gruppen in Deutschland seit Kriegsbeginn ................................................................ 29 1.5 Fazit ......................................................................................................... 30 2 Rechtsextremismus .............................................................................. 32 2.1 Überblick.................................................................................................. 32 2.2 Aktionsorientierter Rechtsextremismus ................................................... 35 2.2.1 Exekutivmaßnahmen der bayerischen Sicherheitsbehörden.................. 35 2.2.2 Neue Dynamik in der Berliner Kameradschaftsszene............................. 37 2.2.3 Herausbildung von Mischszenen setzt sich fort ...................................... 42 2.2.4 Repression und Ausweichstrategien der rechtsextremistischen Musikszene.............................................................................................. 45 2.3 Rechtsextremistische Parteien ................................................................ 53 2.3.1 Abschluss des NPD-Verbotsverfahrens .................................................. 53 2.3.2 Entwicklung der DVU und der REP in Berlin........................................... 62 2.4 Diskursorientierter Rechtsextremismus................................................... 64 2.4.1 Publikationen und Schulungseinrichtungen ............................................ 66 2.4.2 "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bezweifelns des Holocausts Verfolgten" (VRBHV) gegründet .............................................................. 66 2.4.3 Abschiebung des Revisionisten Ernst ZÜNDEL aus den USA und Verhaftung in Kanada.............................................................................. 70 2.4.4 Ausschluss der Internet-Partei "Freiheitlich-Unabhängig-National" (FUN) aus der virtuellen Politik-Simulation "dol2day" ........................................ 73 3 Linksextremismus ................................................................................. 76 3.1 Überblick.................................................................................................. 76 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 9 3.2 Aktionsformen .......................................................................................... 81 3.2.1 Militante Aktionen .................................................................................... 81 3.2.2 Demonstrationen und Ausschreitungen zum "Revolutionären 1. Mai" .... 87 3.3 Aktionsfelder ............................................................................................ 92 3.3.1 "Antifaschistischer Kampf" ....................................................................... 92 3.3.2 Linksextremistisch beeinflusster Antirassismus ...................................... 99 3.3.3 Protest gegen Globalisierung und Sozialabbau .................................... 101 4 Ausländerextremismus ....................................................................... 106 4.1 Überblick ................................................................................................ 106 4.2 Die internationale Lage im Bereich des islamistischen Terrorismus ..... 112 4.3 Exekutivmaßnahmen und Prozesse gegen Islamisten in Deutschland 115 4.3.1 Prozesse im Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September 2001 .............................................................................. 115 4.3.2 Prozess gegen die "Meliani-Gruppe" ..................................................... 117 4.3.3 Prozesse gegen eine Zelle von "Al-Tawhid".......................................... 117 4.3.4 Durchsuchung der "Al-Nur-Moschee" in Berlin...................................... 119 4.3.5 Bundesweite Durchsuchungen gegen Anhänger des "Kalifatsstaats" (ICCB) ........................................................................... 119 4.3.6 Betätigungsverbot für die "Hizb ut-Tahrir al-islami" (HuT) ..................... 120 4.4 Iraner...................................................................................................... 122 4.4.1 Protestaktionen der "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) ........ 122 4.5 Kurden ................................................................................................... 124 4.5.1 Vom "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) zum "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL) ....................................... 124 4.6 Türken.................................................................................................... 127 4.6.1 Politische Entwicklungen in der Türkei und ihre Auswirkungen auf die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) in Deutschland.... 127 4.6.2 Aktionen türkischer Linksextremisten .................................................... 130 5 Spionageabwehr .................................................................................. 136 5.1 Überblick ................................................................................................ 136 5.2 Ausspähung von oppositionellen Landsleuten durch fremde Nachrichtendienste ................................................................................ 140 5.3 Wirtschaftsspionage .............................................................................. 141 5.4 Proliferation............................................................................................ 143 6 Geheimund Sabotageschutz ............................................................ 146 6.1 Personeller und materieller Geheimschutz im öffentlichen Bereich ...... 146 6.2 Geheimschutz in der Wirtschaft............................................................. 148 6.3 Sabotageschutz ..................................................................................... 151 6.4 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen ......................................................... 151 10 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 II Hintergrundinformationen ............................................................. 156 1 Ideologien............................................................................................. 156 1.1 Definition Extremismus.......................................................................... 156 1.2 Ideologie des Rechtsextremismus......................................................... 157 1.3 Ideologie des Linksextremismus ........................................................... 158 1.4 Ausländerextremistische Ideologien...................................................... 161 2 Rechtsextremismus ............................................................................ 167 2.1 Aktionsorientierter Rechtsextremismus ................................................. 167 2.1.1 "Aktionsbüro Mitteldeutschland - Nationaler Widerstand Berlin / Brandenburg" (NWBB) .............................................................. 167 2.1.2 "Anti-Antifa"............................................................................................ 167 2.1.3 "Autonome Nationalisten Berlin" (ANB) ................................................. 168 2.1.4 "Blood & Honour" (B&H) ........................................................................ 168 2.1.5 "Hammerskins" (HS) .............................................................................. 169 2.1.6 Kameradschaften .................................................................................. 170 2.1.7 "Lichtenberg 35"..................................................................................... 171 2.1.8 Neonazis................................................................................................ 172 2.1.9 Rechtsextremistische Musik .................................................................. 173 2.1.10 Skinheads .............................................................................................. 175 2.1.11 "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft" ............................. 176 2.2 Rechtsextremistische Parteien .............................................................. 177 2.2.1 "Deutsche Volksunion" (DVU) ............................................................... 177 2.2.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) ........................... 179 2.2.3 "Die Republikaner" (REP)...................................................................... 182 2.3 Diskursorientierter Rechtsextremismus................................................. 183 2.3.1 "Deutsches Kolleg" (DK)........................................................................ 183 2.3.2 "Freiheitlich-Unabhängig-National" (FUN) ............................................. 187 2.3.3 "Kampfbund Deutscher Sozialisten" (KDS) ........................................... 188 2.3.4 "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte".......................................... 190 2.3.5 Revisionismus........................................................................................ 191 3 Linksextremismus ............................................................................... 193 3.1 Linksextremistische Parteien................................................................. 193 3.1.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) ............................................ 193 3.1.2 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) ..................... 194 3.2 Aktionsund strategieorientierter Linksextremismus............................. 195 3.2.1 "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB).................................................. 195 "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB) ................................................... 196 "Kritik & Praxis B3rlin" (KP) ................................................................... 197 3.2.2 Autonome .............................................................................................. 198 3.2.3 "INTERIM".............................................................................................. 202 3.2.4 Israel-Palästina-Debatte ........................................................................ 202 3.2.5 "Linksruck" ............................................................................................. 204 3.2.6 "militante gruppe (mg)" .......................................................................... 204 3.2.7 Neue Medien (Internet).......................................................................... 205 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 11 3.2.8 "Sozialistische Alternative Voran" (SAV) ............................................... 206 4 Ausländerextremismus ....................................................................... 208 4.1 Araber .................................................................................................... 208 4.1.1 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") ................................................................. 208 4.1.2 "Hizb ut-Tahrir al-islami" (HuT / "Islamische Befreiungspartei).............. 210 4.1.3 "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) / "Islamischer Bund Palästina" (IBP)...................................................................................... 212 4.1.4 "Mujahidin-Netzwerke"........................................................................... 214 4.1.5 "Muslimbruderschaft" (MB) .................................................................... 215 4.2 Iraner...................................................................................................... 217 4.2.1 "Arbeiterkommunistische Partei Irans" (API) ......................................... 217 4.2.2 "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) / "Nationaler Widerstandsrat" (NWRI)...................................................... 218 4.3 Kurden ................................................................................................... 219 4.3.1 "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) / "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL) ....................................... 219 4.4 Türken.................................................................................................... 221 4.4.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V" (IGMG).............................. 221 4.4.2 "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti")............................................................. 224 4.4.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) ................. 227 4.4.4 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C)....................... 228 4.4.5 "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) .. 229 III Verfassungsschutz Berlin ............................................................. 232 1 Grundlagen - Strukturen - Arbeitsweisen........................................ 232 1.1 Aufbau und Ressourcen ........................................................................ 232 1.2 Gesetzliche Grundlagen zu den Aufgaben und Befugnissen................ 232 1.3 Arbeitsweisen......................................................................................... 236 1.4 Kontrollinstanzen ................................................................................... 239 1.5 Öffentlichkeitsarbeit: Verfassungsschutz durch Aufklärung .................. 240 IV Anhang ......................................................................................... 244 1 Entwicklung Politisch motivierter Kriminalität in Berlin 2003......... 244 2 Gesetzestexte....................................................................................... 258 2.1 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin....................................... 258 2.2 Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen im Land Berlin...................................... 272 Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 13 14 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 I AKTUELLE KTUELLE ENTWICKLUNGEN IN DEN BEOBACHTUNGSFELDERN 1 Der Irak-Krieg aus der Perspektive rechts-, linksund ausländerextremistischer Gruppierungen 1.1 Einleitung Im vergangenen Jahr war der Irak-Konflikt ein zentrales Thema. An der Diskussion beteiligten sich in unterschiedlicher Intensität auch Gruppierungen des Rechts-, Linksund Ausländerextremismus. Die überwiegende Mehrheit von ihnen lehnte die Politik der USA und den Krieg gegen den Irak ab. Dabei unterschieden sich die vorgebrachten Argumente vordergründig kaum von denen der allgemeinen gesellschaftlichen Diskussion. Im Detail werden aber die extremistischen Ideologien, die den jeweiligen Positionen zugrunde liegen, deutlich. Bei einem Vergleich der drei Phänomenbereiche muss berücksichtigt werden, dass es strukturelle Unterschiede gibt. Die politischen Haltungen und Aktionen ausländerextremistischer Organisationen in Deutschland werden durch die von ihren Mutterorganisationen in den Heimatregionen vertretenen Positionen beeinflusst. 1.2 Rechtsextremismus 1.2.1 Ideologische Argumentationsmuster Die Irakpolitik der USA wurde von den rechtsextremistischen Gruppierungen ausnahmslos abgelehnt. In den Wochen und Monaten vor und während des Irak-Krieges war dieser Konflikt das beherrschende Thema in ihren Publikationen, auf Flugblättern und Plakaten. Sie versuchten, die Irak-Kriegs-Debatte zur Delegitimierung des demokratischen Gesellschaftssystems zu nutzen. Aktuelle Entwicklungen - Irak-Krieg 15 Die im demokratischen Diskurs hervorgehobenen Fragen von Völkerrecht, Frieden und menschlichem Leid griffen Rechtsextremisten zwar auf, doch verbargen sich hinter gleichen Begriffen inhaltlich abweichende Vorstellungen. Rechtsextremisten verurteilten die US-amerikanische Politik als "Imperialismus". Der "Imperialismus"-Vorwurf ist Ausdruck eines rechtsextre"Imperialismus"mistischen Antiamerikanismus, der die USA als "aggressiven Vorwurf Unterdrücker freier Völker" sieht und häufig mit antisemitischen Denkmustern verknüpft ist: "Erneut haben US-imperialistische Truppen ein Land überfallen. Der Befehl an 300 000 Soldaten lautet: Mordet und brennt euch durch bis nach Bagdad. Jedes Volk hat ein Recht auf Selbstbestimmung, auch wenn dies den Interessen der US-Wirtschaft zuwider läuft!"1 So wurde der Krieg gegen den Irak als Höhepunkt im "Kampf zwischen dem Weltfeind USA-Imperialismus und seinen zionistischen Helfern auf der einen Seite und dem Widerstand der freien Völker gegen dessen Unterdrückungspläne auf der anderen Seite der Barrikade" gedeutet.2 Triebfeder der amerikanischen Politik sei die wirtschaftliche Ausbeutung anderer Staaten, für die sie den Aufbau einer demokratischen Gesellschaftsordnung erzwänge. Verschwörungstheoretisch wird hinter der US-amerikanischen Antisemitismus Regierung ein "Netzwerk jüdischer Großkapitalisten", die so genannte "Ostküste", vermutet: "Die krisengeschüttelten US-Ostküstenkapitalisten fiebern nahezu dem Krieg gegen den Irak entgegen, der ihnen durch 1 Pressemitteilung der NPD vom 20.3.2003. 2 Internetauftritt des "Kampfbunds deutscher Sozialisten" (KDS), datiert Oktober 2003. 16 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Erzielung von Maximalprofiten aus der ökonomischen Bredouille helfen soll."3 Aus rechtsextremistischer Sicht ist auch der Weltsicherheitsrat Instrument zur Durchsetzung imperialistischer Interessen: "Dies alles unter den Augen eines vermeintlichen Weltsicherheitsrates, der in Wahrheit nur eines sichert: Die Machtansprüche der internationalen Hochfinanz!"4 Die Ablehnung des Irak-Krieges in der dargestellten Argumentation basiert auch auf der ideologischen Grundlage des so genannten Ethnopluralismus. Dieser propagiert die Trennung Ethnopluralismus der Ethnien in getrennten Staaten und Ländern mit unterschiedlichen politischen und rechtlichen Standards. Eine Intervention so genannter "raumfremder Mächte" wird abgelehnt. So stand in der Argumentation der rechtsextremistischen Gruppierungen das Selbstbestimmungsrecht der Völker im Vordergrund. "Frieden" soll durch die Schaffung einer Staatenwelt ethnisch homogener, autonomer Völker erreicht werden. Der ehemalige Vorsitzende der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) Berlin-Brandenburg, Jens PAKLEPPA, betonte, dass die Ablehnung des Irak-Krieges nicht als Friedens-, sondern als Freiheitsbewegung zu verstehen sei: "Wir dürfen nicht zur 'Friedensbewegung' werden, sondern zur nationalen Freiheitsbewegung. Davon gilt es unser Volk 5 zu begeistern." Die Betonung der Freiheitsbewegung verdeutlicht die revisioniRevisionismus stischen Züge, die die Auseinandersetzung der Rechtsextremisten mit dem Irak-Krieg hatte. Es wurde eine Parallele zwischen Saddam HUSSEIN und Adolf HITLER gezogen: "Deswegen ist Saddam Hussein für uns groß und bewundernswert, weil er es geschafft hat, wie unser Führer Adolf Hitler, sein Volk hinter sich zu bringen und das Volk steht hinter ihm. Er hat den Irak zu einer der orientalischen Art und Mentalität entsprechenden orientalischen Variante des nationalsozialistischen Volksstaates gemacht."6 3 Internetauftritt des KDS, datiert November 2002. 4 Internetauftritt des "Aktionsbüros Mitteldeutschland", Aufruf am 6.11.2003. 5 Jens Pakleppa: "Friedens"oder Freiheitsbewegung. In: Junge Nationaldemokraten/Landesverband Berlin-Brandenburg. "Jugend-wacht" Nr. 3, 2003, S. 3. 6 Axel Reitz (KDS) im Interview. In: "Brüder im Ungeist", Frontal21 (ZDF) vom 8.10.2002. Aktuelle Entwicklungen - Irak-Krieg 17 Die USA habe eine ähnlich rücksichtslose Machtpolitik wie gegen den Irak seit 1933 und über 1945 hinaus auch gegen Deutschland verfolgt. In beiden Fällen sei ein hinter seinem Führer stehendes, friedliches Volk von den USA und ihren Verbündeten in ihrem Missionierungsdrang angegriffen worden. Die zwangsweise Demokratisierung des Irak entspreche der "Re-education" Westdeutschlands durch die westlichen Alliierten nach 1945: "Das irakische Volk steht heute da, wo wir Deutschen 1945 standen, kurz vor dem totalen Abgrund und der absoluten Kontrolle der Wallstreet."7 1.2.2 Aktionen rechtsextremistischer Gruppierungen Der rechtsextremistischen Szene gelang es in Berlin kaum, ihre rege Publizistik zum Irak-Krieg in eigene, öffentlichkeitswirkKaum öffentlich wirksame Aktionen same Aktionen umzusetzen. Ausnahmen waren eine Mahnwache vor der irakischen Botschaft in Zehlendorf am 19. März sowie eine Demonstration der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (= NPD) in Lichtenberg am 20. März. Die Mahnwache zur Unterstützung der irakischen Botschaft Mahnwache wurde von Aktivisten der Kameradschaftsszene - u. a. Angehörigen der "Kameradschaft Tor Berlin"8 (= Kameradschaften) und des "Aktionsbüros Mitteldeutschland - Nationaler Widerstand Berlin-Brandenburg" (= NWBB) - unter der Führung eines NPD-Funktionärs organisiert. Sie stand unter dem Motto "Internationales Völkerrecht für alle - Waffen für Bagdad - Bush und Blair nach Den Haag" und richtete sich gegen eine zeitgleiche Demonstration von Mitgliedern der "Jungen Union", die vor der Botschaft gegen das irakische Regime Saddam HUSSEINs protestierten. Nachdem am folgenden Morgen der Angriff auf den Irak Demonstration in begonnen hatte, meldete die NPD für den selben Tag eine Lichtenberg Demonstration in Lichtenberg unter dem Motto "Stoppt den USAngriffskrieg - Bush nach Den Haag!" an. Während der Kundgebung rief der NPD-Parteivorsitzende Udo VOIGT zum Boykott amerikanischer Waren und zur Besetzung von US- 7 Internetauftritt des "Aktionsbüros Mitteldeutschland", datiert 15.12.2003. 8 Vgl. S. 39. 18 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Einrichtungen auf. Die mit 125 Personen vergleichsweise hohe Teilnehmerzahl ist auf die gemeinsame Mobilisierung von NPD und "freien Kräften" wie dem "Aktionsbüro Mitteldeutschland" zurückzuführen. Teilnahme an Darüber hinaus nahmen Rechtsextremisten auch an der von Großdemonstration einem breiten Bündnis demokratischer Gruppen organisierten zentralen Friedensdemonstration am 15. Februar in Berlin teil. Die NPD mobilisierte mit dem Flugblatt "Volk steh auf"9 zur Demonstration und stellte die Teilnahme von 400 Parteimitgliedern und -sympathisanten in Aussicht. Die Strategie war, Übereinstimmung mit den bürgerlichen Gruppierungen zu demonstrieren und dafür gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen. Sie schlug fehl, da die Rechtsextremisten unter den 500 000 Demonstranten eine verschwindende Minderheit stellten, die keine Aufmerksamkeit erzielen konnte. Zudem distanzierten sich die Veranstalter von den rechtsextremistischen Mobilisierungsaufrufen. Auch nach dem offiziellen Ende des Irak-Krieges nutzen Rechtsextremisten den andauernden Konflikt, um ihre Ablehnung des demokratischen Ordnungssystems zu demonstrieren: "Ist das die Demokratie, die jetzt auch dem Irak blüht: Fremdbestimmung durch eingesetzte Statthalter, Umerzie10 hung und Ausplünderung durch Siegermächte?" Daneben finden nach wie vor einzelne Aktionen, meist zu Einzelaktionen einem aktuellen Anlass, statt. So hielten anlässlich der Verhaftung Saddam HUSSEINs am 15. Dezember ca. 25 Aktivisten der Berliner Kameradschaftsszene und des "Kampfbundes Deutscher Sozialisten" (= KDS) eine "Protestund Mahnwache" vor dem Bundesaußenministerium ab. 1.3 Linksextremismus 1.3.1 Ideologische Argumentationsmuster Auch für die Mehrzahl der linksextremistischen Gruppierungen war der Irak-Krieg in der ersten Jahreshälfte das dominierende 9 Der Titel des Flugblattes ist z. T. gleichlautend mit einem Ausspruch von Joseph Goebbels: "Volk steh auf und Sturm brich los!" "Unvermeidlic 10 Roland Wuttke: Die USA bringen keine Demokratie. In: "Nation & Europa" imperialistisch Nr. 5, 2003, S. 5 - 10. Kriege" Aktuelle Entwicklungen - Irak-Krieg 19 Thema. Nach linksextremistischen Argumentationsmustern ist er eine zwangsläufige Erscheinung der "unvermeidlichen imperialistischen Kriege und (...) Krisen des kapitalistischen Weltsystems" als Ausdruck der "gesetzmäßige(n) Polarisierung zwischen Imperialismus und Fortschritt".11 Die "Deutsche Kommunistische Partei" (= DKP) führt in ihrer Monatszeitung weiter aus: "Es ist das gemeinsame Interesse der imperialistischen Mächte, die Erde bis in ihrem letzten Zipfel ihrem direkten und ungehinderten Einfluss zu unterwerfen" 12 und "Der Irak muss sich gegen den Hauptfeind der Menschheit, gegen den US-Imperialismus verteidigen."13 Vielfach wird der Krieg in Zusammenhang mit den als SozialVerknüpfung des abbau verstandenen Reformen der sozialen SicherungssysteKrieges mit den me gestellt, die als "kriegerisches Handeln" oder "Militarisierung Sozialreformen nach innen" bezeichnet werden: So war das Motto der diesjährigen "Revolutionären 1. Mai-Demonstration" "Krieg nach Innen - Krieg nach Außen" und die Selbstbezichtigung der "militanten gruppe (mg)" zu einem Brandanschlag auf zwei BundeswehrFahrzeuge am 26. Februar in Petershagen/Strausberg lautete: "Diese Militarisierung nach außen und innen erfaßt mehr und mehr alle Fasern des gesellschaftlichen Lebens. Die kriegsimperialistische Repression nach außen korrespondiert mit der sozialtechnokratischen nach innen. (...) Imperialistische Kriege gegen verarmte Länder dieser Welt sind nicht zu trennen von einer innerstaatlichen Repression gegen SozialhilfeempfängerInnen, MigrantInnen, "SchwarzarbeiterInnen" und die Teile der Linken, die sich bis heute nicht mit den bestehenden Verhältnissen abgefunden haben."14 Die politische Ablehnung des Krieges durch die Bundesregierung wird von antiimperialistisch argumentierenden Linksextremisten ignoriert. Die Gewährung von Überflugrechten wird 11 Vgl. "Berliner Anstoß". Monatszeitung der "Deutschen Kommunistischen Partei" für Berlin, März 2003, S. 1. 12 "Berliner Anstoß", Februar 2003, S. 1. 13 "Berliner Anstoß", März 2003, S. 1. Vgl. auch "Erklärung des Zentralkomitees der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD)" vom 6.2.2003. 14 "militante gruppe (mg)": "Anschlagserklärung". In: "INTERIM" Nr. 567, 6.3.2003. 20 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 als "Beihilfe zum Mord"15 bezeichnet und die Bundesrepublik selbst zum "Kriegstreiber"16 erklärt. Im Gegensatz zur oben dargestellten Position, die vor allem von orthodoxen, trotzkistischen und antiimperialistischen Gruppierungen vertreten wurde und der Bundesregierung de facto Vorwurf: eine Unterstützung des Krieges vorwirft, unterstellen autonome Streben nach Gruppen, dass Deutschland spätestens seit der WiedervereiWeltmachtrolle nigung eine Weltmachtrolle anstrebe und die Ablehnung des Krieges ein erster Versuch sei, sich von den USA zu emanzipieren. Da die Bundesrepublik sich selbst auf absehbare Zeit nicht als Weltmacht etablieren könne, bediene sie sich der Europäischen Union als Vehikel zur Durchsetzung der eigenen imperialistischen Ansprüche: "Damit betreibt die Bundesregierung zum ersten Mal seit 1945 wieder offen formulierte Weltpolitik im Sinne einer eigenständigen, gegen den überlegenen imperialistischen Konkurrenten gerichteten globalen Machtpolitik. (...) Auch wird den Eliten der BRD zumindest zur Zeit noch deutlich vor Augen stehen, dass Deutschland für eine Weltmachtposition auf sich alleine gestellt die ökonomischen, militärischen und politischen Mittel fehlen. Deshalb engagieren sie sich in großer Einigkeit für eine politische und militärische Integration der Europäischen Union. Eine realistische Perspektive für eine Weltmachtposition der BRD oder anderer europäischer Staaten stellt sich nur innerhalb einer europäischen Föderation."17 Der Irak-Krieg wird jedoch nicht im gesamten linksextremistiKriegsbefürworter: Schutz für Israel schen Spektrum abgelehnt. Antideutsch geprägte Gruppen wie die "Autonome Antifa Nord-Ost" haben den Krieg begrüßt. Sie bezogen sich dabei lediglich auf zwei Aspekte: Den Hass auf Deutschland und eine bedingungslose Unterstützung für Israel. Alle anderen Argumente für oder gegen den Irak-Krieg wurden von Anhängern dieser Position - überwiegend jüngeren autonomen "Antifa"-Gruppen - ausgeblendet. Ihren Deutschland-Hass begründen sie damit, dass bei Deutschen Faschismus und Antisemitismus genetisch bedingt seien. 15 Vgl. "Linksruck-Zeitung" Nr. 150, 25.3.2003, S. 2. 16 Vgl. "Linksruck-Zeitung" Nr. 148, 25.2.2003, S. 3. 17 "gruppe demontage": Kein Krieg im Irak - Kein Friede mit Deutschland. Imperialistische Gegensätze im Irakkonflikt. In: "INTERIM" Nr. 569, 3.4.2003, S. 10 f. Aktuelle Entwicklungen - Irak-Krieg 21 Gerade den Staat Israel als einzigen Zufluchtsort aller Juden gelte es für wahre Linke um jeden Preis zu verteidigen. Da der Irak Saddam HUSSEINs eine konkrete Bedrohung für Israel darstelle, begrüßte dieses Spektrum den Irak-Krieg als Schutzmaßnahme für Israel. Die Ablehnung des Irak-Krieges durch große Teile der Bevölkerung wird als ein Ausdruck der faschistischen und antisemitischen Haltung der Deutschen interpretiert.18 1.3.2 Aktionen linksextremistischer Gruppierungen Militante Linksextremisten begründeten mehrere Anschläge mit dem Irak-Krieg und breite Teile des linksextremistischen Spektrums versuchten, auf die Anti-Kriegs-Demonstrationen Einfluss zu nehmen. Neben dem oben erwähnten Brandanschlag der "militanten Militante Anschläge gruppe (mg)"19 verübten "Militante Gegner gegen den Krieg" am 17. März an fünf Stellen in Niedersachsen, Hessen und Brandenburg Hakenkrallenanschläge auf Oberleitungen der Deutschen Bahn. Mit den koordinierten Anschlägen sollten Truppentransporte Großbritanniens und der USA in Deutschland behindert werden, die Selbstbezichtigung stellte die Aktion aber auch in einen Zusammenhang mit der deutschen Außenund Sicherheitspolitik: "Militante Aktionen gegen die Transportund Nachschubwege der britischen und amerikanischen Armee in der BRD halten wir deshalb für einen guten Ansatzpunkt einer praktischen Antikriegsmobilisierung. Diese muss perspektivisch auch die militärischen Projekte des deutschen Imperialismus angreifen."20 Die meisten Protestaktionen gegen den Irak-Krieg verliefen Teilnahme an monstrationen friedlich. Die Höhepunkte der Anti-Kriegs-Proteste waren die 18 Vgl. "Ein Bush für Linke". In: "Die Zeit" Nr. 3, 2003. 19 Vgl. S. 81. 20 "Militante Gruppen gegen den Krieg: Kein Zug - kein Schiff - kein Flug". In: "INTERIM" Nr. 570, 17.4.2003, S. 11. 22 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Berliner Großdemonstration vom 15. Februar21 und die Demonstrationen am 20. März, dem Tag des Kriegsbeginns. Obwohl Linksextremisten bei Organisation und Mobilisierung mitwirkten und das gesamte linksextremistische Spektrum von den Parteien DKP (=) und MLPD (=) über trotzkistische Gruppierungen wie "Linksruck" (=) und "Sozialistische Alternative Voran" (= SAV) bis hin zur autonomen Szene an der Demonstration teilnahm, gingen Linksextremisten in der Masse der bürgerlichen Demonstrationsteilnehmer unter. Im Vorfeld des Krieges Beteiligung an Anti-Kriegsbildeten sich in Berlin einige Komitees Anti-Kriegs-Komitees, in denen sich trotzkistische Gruppen wie "Linksruck" und die SAV um Einfluss bemühten. Die SAV bediente sich laut einem Bericht der "tageszeitung" der von ihr beeinflussten Organisationen ("widerstand international", "Schülerinnen und Schüler gegen den Krieg" und "Jugend gegen Krieg"), um den Protest von zahlreichen Jugendlichen gegen den Irak-Krieg für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren.22 21 Der 15. Februar 2003 war auf dem Europäischen Sozialforum der Anti-Globalisierungsbewegung im November 2002 in Florenz als europaweiter Aktionstag gegen den Irak-Krieg ins Leben gerufen worden. Vgl. Kapitel "Antiglobalisierung", S. 101 ff. 22 Vgl. "Schülerdemos waren vorbereitet". In: "die tageszeitung" vom 26.3.2003, S. 14. Aktuelle Entwicklungen - Irak-Krieg 23 Trotz dieser Bemühungen der trotzkistischen Gruppierungen, konnte hier kein nachhaltiger Erfolg (insbesondere in Form von neuen Mitgliedern) festgestellt werden. Nach dem Krieg ließ das Interesse an der politischen Situation im Irak schnell nach. Bei den meisten linksextremistischen Gruppierungen dominiert spätestens seit dem SPD-Sonderparteitag zur Agenda 2010 am 1. Juni das Thema "Sozialabbau".23 Es bleibt abzuwarten, ob die bei Protestaktionen entstandenen Kontakte zwischen einigen wenigen linksextremistischen Gruppen sowie palästinensischen und arabischen Gruppen verfestigt und ausgebaut werden. 1.4 Ausländerextremismus 1.4.1 Ideologische Argumentationsmuster ausländerextremistischer Organisationen in Deutschland Da die linksextremistischen und islamistischen AusländerorgaUnterschiedliche nisationen keine einheitliche Ideologie oder vergleichbare orgaAusgangslage nisatorische Struktur aufweisen und sie sich zudem national und glaubensgemeinschaftlich24 unterscheiden, bestand in Bezug auf den Irak-Krieg weder eine gemeinsame Interessenlage noch eine einheitliche Reaktion der Organisationen in Deutschland. Übereinstimmung gab es insofern, als der Großteil der ausländerextremistischen Gruppierungen wenig Sympathie für die Übereinstimmung: Ablehnung irakische Regierung hegte und das - sich auf die säkulare HUSSEINs Baath-("Wiedergeburts"-) Ideologie berufende - Militärregime von Saddam HUSSEIN als despotisch ablehnte. Grundsätzlich befürworteten die meisten einen Regimewechsel im Irak, wiesen aber einen durch die USA bewirkten Sturz der irakischen Regierung als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines unabhängigen Staates zurück. 23 Ein Indikator für das stark verminderte Interesse am Irak nach dem Sturz Saddam HUSSEINs war die Demonstration "Frieden statt Besatzung - Besatzer raus aus dem Irak" vom 27. September, an der sich ca. 350 Personen beteiligten. Unter ihnen fanden sich neben Linksextremisten ("Linksruck", SAV, FAU) und Anti-Kriegs-Gruppen auch arabische und palästinensische Gruppen. Zur steigenden Bedeutung des Themas Sozialabbau s. a. Kapitel , S. 101 ff. 24 Z. B. in Sunniten und Schiiten. 24 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Von allen extremistischen Organisationen wurde der Krieg darüber hinaus in gängige Verschwörungstheorien eingeordnet - Verschwörungsz. B. in die eines "imperialistischen Kriegs" und einer "kolotheorien nialen Durchdringung" des Irak. Die Bereitschaft, sich Politik anhand von Verschwörungstheorien zu erklären, ist in den Ländern des Vorderen Orients durch die kollektive Erinnerung an die Kolonisierung der muslimischen Welt durch England und Frankreich bedingt (ca. 1798 - 1962). Diese kollektive Erinnerung bildet den Hintergrund für die Ablehnung der derzeitigen Politik einiger westlicher Staaten. So bestand die Gefahr, dass es unter den ausländerextreSolidarisierung denkbar mistischen Gruppierungen während der Kriegshandlungen zu einer großräumigen Solidarisierung des Widerstandspotenzials kommen würde. Einflussfaktoren, die das Verhalten der Gruppen bestimmten, waren die mögliche Dauer und Intensität des Krieges sowie die Beeinträchtigung der irakischen Zivilbevölkerung. Ein weiterer Faktor war die Reaktion Israels auf das Kriegsgeschehen, welche zu weiträumigen Protesten in der arabischen und in der muslimischen Welt - und in der Folge auch unter Arabern und Muslimen außerhalb der Region - hätte führen können. Die nach dem Ende der Kampfhandlungen vorgebrachte Kritik Kritik an Besetzung konzentriert sich vor allem auf die administrative Besetzung des Irak und wird durch Vorgehensweisen, unter denen auch die Zivilbevölkerung leidet, gefördert. Einige Kritiken in den arabischen Medien stellen daher eine Analogie zwischen dem militärischen Vorgehen der USA im Irak und der israelischen Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten her. Aktuelle Entwicklungen - Irak-Krieg 25 1.4.2 Standpunkte und Aktionen ausländerextremistischer Gruppen vor dem Krieg Vor Kriegsbeginn thematisierten die islamistischen AusländerZurückhaltung bei organisationen in Berlin - die sunnitisch-islamistische "MuslimIslamisten in Berlin bruderschaft" (= MB), die palästinensische "Islamische Widerstandsbewegung" (= HAMAS), die libanesische schiitisch-islamistische "Hizb Allah" (=) und die türkische "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (= IGMG) - die Möglichkeit eines IrakKrieges nur in geringem Maße. Dagegen führten die linksextremistischen AusländerorganiAktivitäten bei sationen in Berlin - insbesondere die türkischen, iranischen linksextremistischen und kurdischen Linksextremisten - eine intensive öffentliche Ausländerorganisationen Diskussion. Die "Arbeiterkommunistische Partei Irans" (= API) sprach in API ihrer Publikation davon, dass das zu erwartende Leid unter dem Irakischen Volk von den "Revolverhelden der Führungsclique der USA und ihren Verbündeten" einkalkuliert sei, um dem Ziel der "Formung einer neuen Weltordnung unter USFührung" näher zu kommen. Die von den USA und Großbritannien vorgebrachten Motive zur Entwaffnung des Iraks und die Bekämpfung des Terrorismus seien "heuchlerische Propaganda", da die USA selbst die "Mutter aller Terroristen" sei.25 Die türkische "Marxistisch-Leninistische Kommunistische ParMLKP tei" (= MLKP) setzte BUSH und BLAIR mit HITLER gleich und prophezeite ihnen eine militärische Niederlage im Irak:26 "Die Banditen aus den USA werden im Irak und im Mittleren Osten im Sumpf versinken. Die kurdischen, arabischen, persischen Völker haben eine historische Kampftradition gegen Kolonialund einfallende Truppen. (...) Die USA wollen unbedingt ein weiteres Vietnamsyndrom erleben. Also müssen die Völker des Mittleren Ostens sie dieses Syndrom erleben lassen."27 Das Spektrum möglicher - und mit einer "anti-imperialistischen" Haltung begründeter - Aktionen reichte von politischen Demonstrationen bis zu Besetzungsaktionen. 25 Vgl. "API-Brief" Nr. 19, März 2003. 26 Vgl. MLKP "Internationales Bulletin" 8.4.2003, S. 2. 27 MLKP "Internationales Bulletin" 5.1.2003, S. 4. 26 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Die islamistischen Ausländerorganisationen in Berlin hielten sich vermutlich aus taktischen Gründen mit Äußerungen zum Irak-Krieg zurück. Es gibt jedoch einschlägige Aussagen arabisch-islamistischer Netzwerke und "Mutterorganisationen", an deren politischen Haltungen sich häufig auch die in Deutschland aktiven ausländerextremistischen Gruppierungen orientieren. 1.4.3 Die Haltungen arabisch-islamistischer Netzwerke und "Mutterorganisationen" zum Krieg "Arabische Mujahidin" / "Al-Qaida" Die Haltung der - dem Umfeld von "Al-Qaida" entstammenden - "Mujahidin-Netzwerke" (=) zum Irak-Krieg belegt eine TonTonbandbotschaft bandbotschaft Usama BIN LADINs vom 11. Februar, in der er BIN LADINs "Muslime" zusammen mit "Irakern" zur Verteidigung des Irak und zum gemeinsamen "Jihad" gegen den von ihm als "ungerecht" bezeichneten Krieg aufforderte. In diesem Kontext befürwortete BIN LADIN Selbstmordanschläge gegen die USA und Israel, weil diese "dem Feind am meisten schadeten". Bemerkenswert ist seine Aussage, dass, obwohl die politischen Führer im Irak - wie andere arabische Führer auch - für ihn als Ungläubige gälten und keine Legitimität besäßen, im Irak-Krieg ein Zusammenschluss bzw. gemeinsamer Kampf von "Muslimen" und "Sozialisten" (Anhängern der "Baath-Partei") rechtmäßig sei.28 "Hizb Allah" Obwohl sie eine islamistische Organisation ist, deren Ideologie keine Affinität zur Ideologie der inzwischen aufgelösten irakischen "Baath-Partei" aufweist, lehnte die "Hizb Allah" den Irak-Krieg als ungerechtfertigten Angriff auf einen souveränen Staat ab. Die Organisation äußerte die Befürchtung, dass ein von den USA besetzter Irak geographisch einen Keil zwischen den Iran und Syrien treiben werde und der Libanon vom Einfluss Syriens abgekoppelt werden könne. Die "Hizb Allah" befürchtete, dass im Zuge der Kampfhandlungen im Irak der israelisch-palästinensische Konflikt in den Hintergrund treten 28 Vgl. Internetseite www.washingtonpost.com/ac2/wp-dyn/A58869-2003Feb11. Aktuelle Entwicklungen - Irak-Krieg 27 könne und die Organisation, die ihre Selbstlegitimation vor Eigene Nachteile allem aus ihrer Frontstellung zu Israel und aus dem Andauern befürchtet der von ihr massiv unterstützten "Al-Aqsa-Intifada" bezieht, an Bedeutung verliere. Der für die "Hizb Allah" als maßgebliche geistliche Instanz geltende Ayatallah Muhammad Hussain FADLALLAH hatte es abgelehnt, den Irak-Krieg in die Auseinandersetzung um einen vermeintlichen "Kampf der Kulturen" einzuordnen.29 Mit Blick auf eine bevorstehende Besetzung des Irak durch Truppen der Allianz wies FADLALLAH allerdings darauf hin, dass die schiitische Bevölkerung des Irak nicht vergessen Dauerhafte Besetzung habe, dass die USA Saddam HUSSEIN jahrelang unterstützt abgelehnt hätten und erklärte, dass Schiiten eine dauerhafte Besatzung des Irak nicht akzeptieren würden. HAMAS Die HAMAS betrachtete den Krieg als Versuch der USA, Hegemonie-Vorwurf "Hegemonie über das irakische Volk und seine Reichtümer" zu gewinnen. Der Krieg wurde als "brutale Kreuzritter-Aggression" bezeichnet, die "nicht an den Grenzen des Irak halt machen" werde. Ziele der USA seien weder die Entwaffnung noch ein Regimewechsel, sondern die Besetzung des Irak und Hegemonie über die Menschen, die Ressourcen und den Boden des Landes. Insofern stelle der Krieg eine neue Form des Kolonialismus dar, der sich zur Zeit noch im Anfangsstadium befinde.30 Bereits zu Beginn der Kriegshandlungen hatte die HAMASFührung zum Boykott amerikanischer und britischer Waren soBoykott-Aufruf wie zur Schließung der Botschaften der USA und Großbritanniens in den arabischen und muslimischen Ländern aufgerufen.31 Am radikalsten hatte sich Abdul Aziz al-RANTISI, Mitglied des Politbüros der Organisation, geäußert. RANTISI hatte 29 Interview Internetseite. In: "Monday Morning", Libanon, 24.3.02. Er steht damit im Widerspruch zu Usama BIN LADIN und dem Führer der "Taliban-Miliz", Mullah Omar, der die Auseinandersetzung erst jüngst wieder als eine zwischen "der islamischen Religion" und der Bush-Administration bezeichnet hatte. Vgl. "al-Hayat" vom 1.4.2003. 30 Vgl. Internetauftritt der HAMAS vom 20.3.2003. 31 Vgl. Internetauftritt der HAMAS vom 22.3.2003. 28 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Aufruf zum die Bevölkerungen in den Golfstaaten zur Bildung von "WiderWiderstand standsbewegungen" aufgerufen, die Öffnung der Grenzen für Kämpfer ("Mujahidin") aus den umliegenden arabischen Ländern gefordert und den Irakern zur Bildung von Selbstmordkommandos (so genannten "Märtyrer-Kommandos") geraten, die eine strategische Waffe gegen die amerikanischen Truppen darstellten.32 "Muslimbruderschaft" (MB) Der - nach nur 13 Monaten Amtszeit am 8. Januar 2004 verstorbene - sechste "Oberste Führer" der ägyptischen MB, Hegemonie-Vorwurf Ma'mun al-HUDAIBI, hatte den Irak-Krieg als "Hegemoniebestreben der USA über die Welt, die Muslime, über die Leiber unserer Völker, unsere Identitäten und unsere Glaubensvorstellungen" abgelehnt.33 HUDAIBI stellte insbesondere die von den USA genannten Kriegsgründe in Frage. Er warnte vor der Installierung einer neuen, den USA genehmen irakischen Regierung, vor der Schaffung einer Demokratie nach westlichem Muster sowie vor der Anwesenheit amerikanischer Besatzungstruppen im Irak. HUDAIBI zufolge ziele die amerikanische Politik vorrangig auf die Erdölvorkommen und andere Ressourcen des Irak sowie auf eine Neuordnung des regionalen Gefüges, die allein der Stärkung Israels dienten.34 Bereits unmittelbar nach Ausbruch des Krieges am 20. März Aufruf zum Befreiungskampf hatte HUDAIBI im Namen des Jihad zum Kampf zur "Befreiung des irakischen Volkes" aufgerufen. Hierbei hatte er insbesondere die stillschweigende Zustimmung arabischer Regierungen zum Krieg kritisiert, die diesen erst ermöglicht habe. HUDAIBI hatte ferner eine Botschaft an die Mitglieder der MB weltweit gerichtet, in der er die jetzt offen zutage tretende "Logik der Macht und Brutalität (der USA)" brandmarkte und von einem "amerikanischen Würgegriff nach den Leben und den Ressourcen der Menschen im Irak" sprach. Dem amerikanischen Präsidenten warf er vor, mit seinem Angriff, der zur "Verwüstung des Landes, zur physischen Vernichtung und zur 32 Vgl. Internetauftritt der HAMAS vom 24.3.2003. 33 Vgl. "al-Hayat" vom 24.3.2003. 34 Ebenda. Aktuelle Entwicklungen - Irak-Krieg 29 Obdachlos-Machung eines muslimischen arabischen Volkes" führen werde, die "Gefühle von Millionen Arabern, Muslimen und Blockfreien zu provozieren".35 1.4.4 Standpunkte und Reaktionen ausländerextremistischer Gruppen in Deutschland seit Kriegsbeginn Die durch die unterschiedliche Interessenlage bedingte uneinKeine organisierte heitliche Reaktion auf den bevorstehenden Krieg führte dazu, Beteiligung an Großdass sich Vertreter ausländerextremistischer Gruppierungen demonstrationen nicht in organisierter Form an den Anti-Kriegs-Protesten der Großdemonstration am 15. Februar in Berlin beteiligten. Zudem nahmen die Aktivitäten der linksextremistischen Ausländerorganisationen nach Kriegsende ab. Da der Krieg nur von begrenzter Dauer war, einige der befürchteten politischen Szenarien nicht eintraten und der Sturz des alten Regimes eine neue Lage geschaffen hatte, wurde ein Großteil der für Deutschland angekündigten Aktionen nicht durchgeführt. In türkischen linksextremistischen Kreisen wurden das Thema Irak und die Möglichkeit eines Engagements der türkischen Armee im Irak auch nach Kriegsende intensiv diskutiert. Es fanden in Berlin mehrere Veranstaltungen statt, an denen sich Teilnahme an türkische linksextremistische Organisationen beteiligten. Da der Veranstaltungen befürchtete Einmarsch der türkischen Armee in den Nordirak jedoch ausblieb, kam es nicht zu militanten Aktionen wie Besetzungen türkischer Einrichtungen. Insgesamt äußern sich die türkischen linksextremistischen Organisationen zum Thema Internet und Irak vor allem im Internet und auf Flugblättern mit einem teils Flugblätter drastischen politischen Vokabular. Die Berliner Anhängerschaft der Nachfolgeorganisation der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (= KADEK / KONGRA-GEL) führte seit Friedliche Proteste Kriegsbeginn einzelne, friedlich verlaufene Protestaktionen des KADEK gegen den Irak-Krieg durch. Diese Zurückhaltung kann damit erklärt werden, dass die vom KADEK befürchteten, größeren Auseinandersetzungen zwischen der kurdischen Verteidi35 Ebenda. 30 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 gungsarmee (HPG-"Volksverteidigungskräfte") und den amerikanischen bzw. türkischen Einheiten ausblieben. In arabischen extremistischen Kreisen fanden über das gesamte Jahr 2003 verschiedene Veranstaltungen zum Thema Irak statt. Ein Grund für die Zurückhaltung bei Protestaktionen lag verZurückhaltung bei Protestaktionen mutlich darin, dass die ausländerextremistischen Gruppierungen in Deutschland das despotische Regime von Saddam HUSSEIN fast ausnahmslos ablehnten. Bisher unterdrückte ethnische und religiösen Gruppe (z. B. Kurden und Schiiten) hofften nach dem Regimewechsel generell auf eine Machtbeteiligung. Entsprechend hielten sich kurdische Gruppierungen wie der KADEK oder schiitische Gruppierungen wie etwa die libanesische "Hizb Allah" mit Aktionen weitgehend zurück. Zum anderen war die Zurückhaltung vermutlich dadurch bedingt, dass die ausländerextremistischen Gruppierungen sich der in Deutschland geltenden politischen Grundsätze bewusst sind und daher aus taktischen Gründen eine negative Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit vermeiden wollten. 1.5 Fazit Während des Irak-Konflikts suchten extremistische GruppieKeine nachhaltigen Erfolge für rungen Anschluss an den gesellschaftlichen Diskurs, doch sie extremistische konnten keine nachhaltigen Erfolge in der Beeinflussung des Gruppen gesellschaftlichen Meinungsklimas oder gar in der Rekrutierung neuer Anhänger erzielen. Exemplarisch kann dies an der Friedensdemonstration vom 15. Februar in Berlin verdeutlicht werden: Linksextremisten gelang es zwar, an der Vorbereitung der Kundgebung nicht unerheblich mitzuwirken, wohingegen Mobilisierungsaufrufe rechtsextremistischer Organisationen und Parteien in der Öffentlichkeit und von den Veranstaltern zurückgewiesen wurden und ausländerextremistische Gruppen sich sehr zurückhielten. Eine Beteiligung extremistischer Gruppen an dieser Demonstration war aber kaum wahrzunehmen. Keine strategische Eine strategische Zusammenarbeit zwischen Gruppierungen Zusammenarbeit aus unterschiedlichen Extremismusbereichen fand nicht statt. Aktuelle Entwicklungen - Irak-Krieg 31 Der Grund hierfür mag zum einen darin liegen, dass es sich um Szenen handelt, die keine strategischen oder gar institutionellen Kontakte zueinander unterhalten. Zum anderen geht die in allen drei Extremismusbereichen überwiegend festgestellte Ablehnung der US-amerikanischen Politik gegenüber dem Irak zwar von einem ideologisch motivierten Antiamerikanismus aus.36 Dieser basiert jedoch auf unterschiedlichen Ideologien und bietet keine gemeinsame Grundlage. 36 Dieser manifestiert die allen Extremisten gemeinsame, fundamentale Ablehnung grundlegender freiheitlicher Wertvorstellungen wie Menschenrechte, Pluralismus, Demokratie und Parlamentarismus. 32 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 2 Rechtsextremismus 2.1 Überblick Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Berlin bewegt Personenpotenzial konstant - sich auf Vorjahresniveau (ca. 2 400).37 Das Erscheinungsbild Erscheinungsbild hat sich jedoch verändert. Zwar sind die meisten Rechtsverändert extremisten noch immer in Parteien organisiert, diese haben aber 2003 starke Mitgliederverluste zu verzeichnen. Die Anzahl der Neonazis in Berlin hingegen hat wie bereits im Vorjahr stark zugenommen. Gründe dafür sind die abnehmende Bindungswirkung der Parteien, insbesondere der NPD, und die bereits 2002 festgestellte zunehmende Vermischung rechtsextremistischer Szenen im aktionsorientierten Rechtsextremismus.38 Die neuen Aktivitäten der Kameradschaftsszene zeigen, dass ein größerer Personenkreis angesprochen wird als in der Vergangenheit. Gesamtpotenzial rechtsextremistischer 2003 Gruppierungen: 2 395 Personen* Rechtsextremistische Parteien 1210 Neonazis 750 Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite 550 Rechtsextremisten Sonstige rechtsextremistische Organisationen 135 0 200 400 600 800 1000 1200 1400 * Aufgrund von Mehrfachmitgliedschaften liegt die Summe der für die einzelnen Gruppen geschätzten Potenziale über dem Gesamtpotenzial der rechtsextremistischen Gruppierungen. 37 Diese Angaben sowie alle folgenden Angaben zu Personenpotenzialen sind geschätzt. 38 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Rechtsextremistische Skinheads. Berlin 2003, S. 71 ff. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 33 Rechtsextremistisches Personenpotenzial Rechtsextremismus Berlin Bund 2002 2003 2002 2003 Gesamt 2 665 2 645 45 800 42 100 ./. Mehrfachmitgliedschaften 285 250 800 600 Tatsächliches Personenpotenzial 2 380 2 395 45 000 41 500 Personenpotenziale einzelner Gruppierungen Berlin Bund 2002 2003 2002 2003 Subkulturell geprägte und sonstige 575 550 10 700 10 000 gewaltbereite Rechtsextremisten Neonazis 500 750 2 600 3 000 Rechtsextremistische Parteien, davon 1 490 1 210 28 100 24 500 * "Deutsche Volksunion" (DVU) 620 480 13 000 11 500 * "Nationaldemokratische Partei 240 180 6 100 5 000 Deutschlands" (NPD) * "Die Republikaner" (REP) 630 550 9 000 8 000 Sonstige rechtsextremistische 100 135 4 400 4 600 Organisationen1 Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. 1 Dazu zählt u. a. die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG), die inhaftierte Gesinnungsgenossen materiell und sozial betreut, um sie nach ihrer Entlassung nahtlos wieder in die Szene zu integrieren. Die Anzahl von Straftaten im Bereich "Politisch motivierte Straftaten Kriminalität - rechts" hat sich gegenüber dem Vorjahr kaum konstant verändert (2003: 944 Straftaten gegenüber 2002: 948 Straftaten)39. Bei ca. 71 Prozent dieser Straftaten handelt es sich um Propagandadelikte (Verstöße gegen SS 86a StGB). Im Gegensatz dazu sind die Gewaltstraftaten gegenüber dem Gewalttaten Vorjahr stark angestiegen. (2003: 70 Straftaten gegenüber angestiegen 2002: 52 Straftaten). Insbesondere haben fremdenfeindliche Gewaltdelikte zugenommen (2003: 43 Straftaten gegenüber 39 Der Polizeipräsident in Berlin: Kriminalität in Berlin 2003 (2004). 34 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 2002: 28 Straftaten). Außerdem häuften sich gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Rechtsund Linksextremisten. Kennzeichnend für die Gewaltstraftaten ist, dass sie überwiegend aus Gruppen heraus situativ begangen werden. Eine Planung der Taten lässt sich in der Regel nicht feststellen. Fallzahlen für Politisch motivierte Kriminalität - Rechts -1 (einschließlich antisemitischer und fremdenfeindlicher Straftaten) 2002 2003 Gesamt 948 944 Gewaltdelikte, davon 52 70 * Tötungsdelikte SSSS 211 - 221 StGB 1 0 * Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 44 55 * Brandstiftung SSSS 306 - 306 f StGB 0 2 * Sprengstoffexplosion SS 308 StGB 1 0 * Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 1 3 * Widerstandsdelikte SS 113 StGB 5 8 * Raub SSSS 249 - 255 StGB 0 2 Andere Straftaten, davon 896 874 * Propagandadelikte SSSS 86, 86 a StGB 626 672 * Volksverhetzung SS 130 StGB 203 126 * Nötigung/Bedrohung SSSS 240, 241 StGB 8 6 * Beleidigung / üble Nachrede / SSSS 185 - 189 StGB 44 38 Verleumdung * Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 4 21 * Sonstiges 11 11 1 Vollständige Angaben im Auszug aus dem Bericht "Kriminalität in Berlin 2003" im Anhang. Der aktionsorientierte Rechtsextremismus weist in Berlin neue Kameradschaftsszene: Entwicklungen auf. Insbesondere die Kameradschaftsszene, Neue Dynamik die in den vergangenen Jahren einen Niedergang erlebt hatte, entwickelte eine neue Dynamik: Es wurden Kameradschaften gegründet und angestrebt, mit provokativen Aktionen die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Dabei wird versucht, Themen und Symbole aus dem Linksextremismus zu kopieren. Der bereits im vergangenen Jahr festgestellte Trend zur Herausbildung einer Mischszene zwischen rechtsextremisti- Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 35 schen Skinheads und Neonazis sowie Personen aus dem Hooliganund Rockermilieu hat sich fortgesetzt und verstärkt. Die rechtsextremistische Musikszene konnte sich in Berlin aufgrund des starken Verfolgungsdrucks der Sicherheitsbehörden nicht entfalten. Konzerte rechtsextremistischer Bands fanden nicht statt. Die rechtsextremistischen Parteien in Berlin erscheinen nach Parteien: den schlechten Ergebnissen bei der Bundestagswahl 2002 Mitgliederverluste strukturell schwach. Nach wie vor binden die drei maßgeblichen rechtsextremistischen Parteien (DVU, NPD und REP) etwa die Hälfte des rechtsextremistischen Personenpotenzials; sie haben aber starke Mitgliederverluste hinzunehmen und zeigen - bis auf die NPD - kaum noch öffentliche Präsenz. Bei der DVU und den REP ist ein Parteileben kaum mehr feststellbar. Die NPD erlangte durch die Veranstaltung von Demonstrationen öffentliche Aufmerksamkeit und stellte ihre Mobilisierungsfähigkeit insbesondere bei der "1. Mai-Demonstration" unter Beweis. An dem Aufzug durch Charlottenburg unter dem Motto "Wir sind das Volk - Soziale und nationale Gerechtigkeit durchsetzen" beteiligten sich etwa 1 300 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet. Die NPD, die sich selbst als Siegerin des vom Bundesverfassungsgericht eingestellten Parteiverbotsverfahrens sah, konnte daraus keine Vorteile ziehen. Die Berliner NPD ist nach der Trennung des gemeinsamen Landesverbandes Berlin-Brandenburg im Mai zerstritten. Auch vom diskursorientierten Rechtsextremismus in Berlin Diskursorientierter gehen keine wesentlichen Impulse aus. Bundesweit ist festRechtsextremismus stellbar, dass die Leugnung des Holocaust das beherrschende Thema war. Die von einer Gruppe um Horst MAHLER geplante Reise nach Auschwitz wurde von den Sicherheitsbehörden verhindert. Es war beabsichtigt, in Auschwitz öffentlichkeitswirksam den Holocaust zu leugnen. 2.2 Aktionsorientierter Rechtsextremismus 2.2.1 Exekutivmaßnahmen der bayerischen Sicherheitsbehörden München: Am 11. September leitete der Generalbundesanwalt ein ErmittVerdacht auf lungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer stoffanschlag 36 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 terroristischen Vereinigung ein. Das Verfahren richtet sich gegen einen Personenkreis innerhalb der in Bayern ansässigen "Kameradschaft Süd - Aktionsbüro Süddeutschland" (AS). Es besteht der Verdacht, dass sie einen Sprengstoffanschlag im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zur Grundsteinlegung für die neue Synagoge am 9. November in München planten. Durch die erfolgreichen Ermittlungen der bayerischen Sicherheitsbehörden konnte die Gruppe bereits im Vorfeld der Tat zerschlagen werden. Das Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts geht auf umfangreiche Ermittlungen der bayerischen Polizei im Zusammenhang mit einem Körperverletzungsdelikt zurück. In diesem Verfahren erlangten die Ermittler einen Hinweis auf SprengDurchsuchungen stoff. Am 9. September durchsuchte die Polizei zunächst weauch in Berlin gen des Verdachts der Vorbereitung eines Explosionsverbrechens mehrere Wohnungen in Bayern, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Bei den Durchsuchungen wurden neben ca. 1,3 kg TNT, eine scharfe Handgranate, mehrere Handfeuerwaffen und Munition sowie schriftliche Unterlagen sichergestellt. Ferner wurden Hinweise auf eine Ausspähung des Spitzenkandidaten der SPD bei der bayerischen Landtagswahl gefunden. Für konkrete Anschlagsplanungen gibt es jedoch keine Belege. Im Verlauf der weiteren Ermittlungen wurde am 11. September auch die Wohnung einer Person in Berlin durchsucht und Teile von Handfeuerwaffen gefunden. Der Berliner ist nicht verdächtig, Mitglied der terroristischen Vereinigung zu sein und eine feste Einbindung in rechtsextremistische Strukturen ist nicht feststellbar. Der Mann hatte persönliche Kontakte zum Hauptbeschuldigten und soll ein Waffenlieferant gewesen sein. Keine bundesDie Ermittlungen ergaben keine Hinweise auf bundesweite weiten terroristischen Strukturen gefestigte rechtsterroristische Strukturen. Bei den Beschuldigten handelt es sich um eine regionale Gruppe, die zwar über bundesweite Kontakte im Rechtsextremismus verfügt, deren Planungen aber nicht in ein Netzwerk eingebunden waren. In öffentlichen Äußerungen hat die rechtsextremistische Szene die Planungen fast ausschließlich abgelehnt. Das "Aktionsbüro Mitteldeutschland - Nationaler Widerstand Berlin / Brandenburg" (= NWBB) führte dazu aus: Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 37 "Die Aktionsbüros Berlin und Brandenburg, das 'Nationale und soziale Aktionsbündnis Mitteldeutschland' (NSAM) und alle Kameradschaften aus Berlin und Brandenburg distanzieren sich jedenfalls hiermit ausdrücklich von der Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele."40 Die distanzierenden Äußerungen der rechtsextremistischen Szene zur Gewalt sind als taktische Stellungnahmen zu bewerten. Bei anderer Gelegenheit wird Gewalt gegen den politischen Gegner ausdrücklich propagiert und angewandt.41 2.2.2 Neue Dynamik in der Berliner Kameradschaftsszene Nach Jahren der Stagnation trat die Berliner Kameradschaftsszene (= Kameradschaften) wieder durch eigenständige und öffentlichkeitswirksame Aktionen in Erscheinung. Die KameradVerstärkte schaftsführer, die in der Vergangenheit eher isoliert voneinZusammenarbeit der ander agiert hatten, arbeiteten nunmehr vermehrt zusammen. Kameradschaften Den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten legten sie dabei auf "AntiAntifa"-Aktionen, also auf die Bekämpfung ihrer politischen Gegner.42 Einige Kameradschaften versuchten, gewaltbereite Jugendliche aus Neonazi-Cliquen an sich zu binden, sowie zunehmend "linke" Themen und Verhaltensweisen zu übernehmen.43 Während die Kameradschaften "Hohenschönhausen", "Pankow" und "Preußen" weiterhin nicht öffentlich in Erscheinung traten, entfalteten insbesondere die "Kameradschaft Tor Berlin" (KS Tor) in Lichtenberg sowie die neu gegründete "Berliner Alternative Süd-Ost" (BA-SO) in TreptowKöpenick Aktivitäten. "Autonome Ein Projekt der Kameradschaftsszene sind die "Autonomen Nationalisten" Nationalisten Berlin" (= ANB). Die ANB bilden keine eigenständige Kameradschaft, bestehen jedoch überwiegend aus Aktivisten der Kameradschaftsszene. Sie thematisierten vor allem den Kampf gegen die "Antifa" und Schwerpunkt propagierten ein gewaltsames Vorgehen gegen politische "Anti-Antifa" Gegner. Nachdem die ANB bereits im Jahr 2002 auf einem 40 Presseerklärung vom 16.9.2003. 41 Vgl. S. 38. 42 Vgl. S. 92 ff. 43 Z. B. Soziale Themen wie die Forderung nach einem Jugendzentrum oder die Aktionsform der Hausbesetzung (vgl. S. 4 v. 1.2.3). 38 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Transparent dazu aufgefordert hatte, örtliche "Anti-Antifa"Gruppen zu bilden und "zurückzuschlagen", ging sie im ersten Halbjahr 2003 dazu über, Drohungen gegen namentlich genannte politische Gegner auszusprechen. Auf diese Weise soll eine Drohkulisse aufgebaut werden, um Personen einzuschüchtern. So wurde im Februar die Hauswand eines Kinos in Marzahn-Hellersdorf mit einem Hakenkreuz und der Parole "[...] wir kriegen dich! ANB" beschmiert.44 Am 13. November schlug die gewaltbejahende Diktion der ANB in physische Gewalt um und es kam zu einer versuchten gefährlichen Körperverletzung. Mutmaßliche Angehörige der ANB bewarfen einen in einer Straßenbahn sitzenden "Antifa"Aktivisten von der Straße aus mit einem Stein. Er wurde nicht verletzt, da die Scheibe nicht zersplitterte. "Nationaler An der "Anti-Antifa"-Arbeit beteiligte sich im vergangenen Jahr Widerstand Berlinauch das Internet-Projekt "Aktionsbüro Mitteldeutschland - Brandenburg" Nationaler Widerstand Berlin / Brandenburg" (= NWBB). Die Homepage wird von zwei langjährigen Führungsaktivisten der Berliner und Brandenburger Kameradschaftsszene gemeinsam betrieben. Bei einem von ihnen, der zugleich Führer des "Märkischen Heimatschutzes" (MHS) in Brandenburg ist, wurde bei einer Wohnungsdurchsuchung am 16. Oktober umfangreiches Datenmaterial beschlagnahmt. Darunter befanden sich auch Anschriften von Polizeibeamten und politischen Gegnern. Daneben initiierte die Website im vergangenen Jahr vor allem anti-amerikanische Hetzkampagnen.45 "Kameradschaft Eher traditionelle neonazistische Aktivitäten entfaltete die Tor Berlin" "Kameradschaft Tor Berlin" (KS Tor). Sie suchte vor allem im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg die Öffentlichkeit. Zwischen März und Mai beteiligten sich Mitglieder der Kameradschaft an verschiedenen pro-irakischen Kundgebungen.46 Am 25. Mai demonstrierten vier Angehörige der KS Tor anlässlich des "Tages der Offenen Tür" der Berliner Polizei unangemeldet auf dem Veranstaltungsgelände. Dabei zeigten sie ein Transparent mit der Aufschrift "Gegen die Diktatur Eurer Demokratie. 44 Die Parole wurde vom Verfasser anonymisiert. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war ein Bezirksverordneter in Marzahn-Hellersdorf gemeint. 45 Vgl. S. 15. 46 Vgl. S. 17. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 39 Kameradschaft Tor Berlin" und dem Abbild einer vermummten Person, die einen "Molotow-Cocktail" wirft. Ein weiterer Agitationsschwerpunkt der "Kameradschaft Tor" war das Gedenken an den Stellvertreter Adolf HITLERs, Rudolf HESS. Mitglieder der Kameradschaft führten am 17. August vor der britischen Botschaft eine unangemeldete und von der Polizei aufgelöste Kurzdemonstration zum 16. Todestag von HESS durch. Im Anschluss zogen sie weiter zum Brandenburger Tor, wo sie Transparente mit dem Slogan "Gebt die Akten frei" präsentierten.47 Am 21. August wurde erneut eine "Mahnwache" vor der britischen Botschaft abgehalten, an der sich etwa 20 Personen beteiligten. Die KS Tor unterstützte auch den überregionalen "Trauermarsch" zum Volkstrauertag im brandenburgischen Halbe. Unter dem Motto "Ruhm und Ehre dem deutschen Frontsoldaten" versammelten sich insgesamt 650 Teilnehmer. Sie beteiligte sich am 22. Dezember an einem "Protestmarsch" anlässlich des an diesem Tag verkündeten Gerichtsurteils gegen die rechtsextremistische Band "Landser".48 25 Personen zogen in einer "Spontankundgebung" vom Kammergericht zum Potsdamer Platz. er Alternative Mit der "Berliner Alternative Süd-Ost" (BA-SO) entstand im Süd-Ost" Sommer eine neue Kameradschaft. Die Aktivitäten der BA-SO unterstreichen ihren Anspruch und ihr Potenzial, zu einem 47 Dieser Satz spiegelt eine in der Neonazi-Szene kursierende Verschwörungstheorie wider, nach der Heß 1987 in Gefangenschaft vom britischen Nachrichtendienst ermordet worden sein soll und dies aus den Aktenbeständen des Nachrichtendienstes hervorgehe. 48 Vgl. S. 48. 40 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 bedeutenden Faktor in der Berliner Kameradschaftsszene zu werden. Sie ist darum bemüht, gewaltbereite, ideologisch weniger gefestigte Rechtsextremisten zu integrieren. So sind Verbindungen zwischen der BA-SO und einer Neonazi-Clique, die durch zahlreiche Gewaltstraftaten in Rudow in Erscheinung getreten ist, festzustellen.49 Treibende Kraft hinter der Neugründung ist ein ehemaliger NPD-Funktionär. Der Aktionsschwerpunkt der BA-SO liegt im Bezirk Treptow-Köpenick. Neben einer umfangreichen Internet-Homepage trat die BA-SO besonders durch provokante öffentliche Aktionen in Erscheinung. Mitglieder der Kameradschaft besuchten gezielt Veranstaltungen der SPD und störten diese durch das Skandieren von Parolen oder provozierende Redebeiträge. Die BA-SO bekannte sich zu Störaktionen bei einer Diskussionsveranstaltung der SPD zum Thema "Agenda 2010" am 16. Juni in Treptow wie auch beim jährlichen "Spinnefest" der SPD in Rudow am 29. Juni. Im ersten Fall wurde die Diskussion vorzeitig beendet, im zweiten Fall erteilte die Polizei den Kameradschaftsmitgliedern einen Platzverweis. AuseinanderParallel zur Gründung der BA-SO waren in Treptow-Köpenick setzungen zunehmende Spannungen zwischen Rechtsextremisten und zwischen Rechtsund "Antifa"-Organisationen zu beobachten. Sowohl BA-SO als Linksextremisten auch "Antifa"-Organisationen berichteten im Internet vermehrt über körperliche Auseinandersetzungen zwischen linksund rechtsextremistischen Jugendlichen im Berliner Südosten. So kam es am 14. August in Treptow-Köpenick zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen beiden Personenkreisen, an denen auch der Gründer der BA-SO beteiligt war. Am 23. Oktober wurde ein Mitglied der BA-SO beim morgendlichen Verlassen seiner Wohnung von mehreren vermummten Personen angegriffen und mit einem Schlaginstrument so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Mitglieder der BA-SO nahmen an rechtsextremistischen DeTeilnahme an monstrationen in Brandenburg (Halbe 15. November, Cottbus Demonstration 13. Dezember) und Sachsen (Hoyerswerda 13. Dezember) teil. Anlässlich der Gefangennahme Saddam HUSSEINs durch die amerikanischen Streitkräfte führten Kameradschaftsaktivisten 49 Vgl. S. 33 f. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 41 am 15. Dezember eine Spontankundgebung vor dem Auswärtigen Amt durch. Unter den etwa 30 Teilnehmern befanden sich auch Mitglieder der KS Tor und der BA-SO. Die verstärkte Zusammenarbeit der Berliner Kameradschaften wurde vor allem bei einer Demonstration am 6. Dezember in Rudow offenkundig. Unter dem Motto "Freiräume schaffen - Jugendzentrum für Deutsche erkämpfen" demonstrierten 170 Rechtsextremisten. Ein Großaufgebot der Polizei verhinderte Auseinandersetzungen mit den knapp 1 000 Teilnehmern diverser Gegendemonstrationen. Zur Teilnahme an dieser von der BA-SO angemeldeten Veranstaltung hatten alle oben genannten Gruppierungen gemeinsam aufgerufen. Die Versammlung war möglicherweise der Auftakt einer längerfristigen Kampagne der Berliner Kameradschaften. Bereits am 19. Oktober hatten Mitglieder der BA-SO und der Besetzung in KS Tor von den Sicherheitsbehörden und der Öffentlichkeit Brandenburg unbemerkt kurzfristig ein leer stehendes Gehöft im brandenburgischen Schönfließ besetzt. In der Selbstbezichtigung auf Ihrer Homepage führt die KS Tor unter dem Titel "Braune Häuser braunes Leben, sollte es viel öfter geben!" aus, dass sie künftig darauf aufmerksam machen werde, "... dass zig tausend Wohnungen und Häuser ungenutzt sind und die Berliner Jugend (egal ob rot oder braun) auf der 42 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Straße sitzt. Unsere Forderung ist ein eigenes nationales und soziales Zentrum."50 Mit der Hinwendung zu sozialen Themen wie der Forderung Strategische Hinwendung zu nach einem Jugendzentrum sowie der Aktionsform der Haussozialen Themen besetzung versuchen die Berliner Kameradschaften anscheinend, an erprobte Strategien der linksextremistischen Szene anzuknüpfen.51 Dahinter steht die Absicht, über Propagierung entsprechender Themen das Rekrutierungspotenzial zu vergrößern und mehr gesellschaftliche Anerkennung zu gewinnen. Begleitet wird diese Strategie von der Übernahme linksextremistischer Parolen ("Kapitalismus zerschlagen! Autonomen Widerstand organisieren!")52 und der Nutzung der englischen Sprache ("Fight reds and Cops")53. Die neue Dynamik in der Kameradschaftsszene birgt zum einen die Gefahr, dass durch die verstärkte "Anti-Antifa"-Arbeit vor allem im Berliner Südosten die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Jugendgruppen mit konträren politischen Ansichten zunehmen. Zum anderen kann die Besetzung sozialer Themen durch einige Kameradschaften gerade auf Jugendliche mit begrenzten Möglichkeiten der Freizeitgestaltung anziehend wirken und dort die Attraktivität der rechtsextremistischen Gruppen erhöhen. Hier ist eine inhaltliche Auseinandersetzung und das Aufzeigen von Alternativen nötig. Entwicklung offen In der Vergangenheit lösten sich in der Kameradschaftsszene Phasen des Aufschwungs und des Niederganges häufig ab. Ob die derzeitige Belebung der Kameradschaftsszene von Dauer sein wird, hängt auch von szene-internen Faktoren wie dem Verbleiben der Führungsaktivisten in der Szene, neuen Initiativen oder dem Aufkommen persönlicher Animositäten ab. 2.2.3 Herausbildung von Mischszenen setzt sich fort Die bereits seit 2001 beobachtete Intensivierung der Kontakte Kontakte zu zwischen aktionsorientierten Rechtsextremisten, Rockern und Rockern und Hooligans 50 Internetauftritt der KS Tor, Aufruf am 22.10.2003. 51 Vgl. S. 92 ff. 52 Transparent der ANB auf der 1.-Mai-Demonstration der NPD in Lichtenberg. 53 Diese und weitere Parolen ("Fuck Jew's ANB", "Race war ANB", "Last war race war" - Schreibfehler im Original) wurden im April 2003 an der Hauswand eines Kaufhauses in Lichtenberg festgestellt. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 43 Hooligans54 setzte sich fort. Hier kann aufgrund der regelmäßigen Kontakte von einer "Mischszene" gesprochen werden. Hauptakteure sind aktionsorientierte Rechtsextremisten aus dem Umfeld der "Vandalen" (=) und der Musikszene (= Rechtsextremistische Musik)55, die Motorrad-Clubs (MCs) "Gremium", "Born To Be Wild", "Bandidos" und "Hells Angels" sowie Hooligans, die vor allem aus dem Umfeld der FußballClubs BFC Dynamo, 1. FC Union Berlin und Hertha BSC stammen. Kristallisationspunkte dieser Mischszene sind gemeinsame Großveranstaltungen wie die Jahresfeier der "Vandalen" und die "Germanenfeier" . Am 20. September fand in einer Gaststätte in Köpenick die "Vandalen"-Feier jährliche "Vandalen"-Feier mit über 150 Gästen statt. Sie ist für die Szene der ideologisch gefestigten, aktionsorientierten Rechtsextremisten ein herausragendes Ereignis. Der Zugang zur Veranstaltung wird von den "Vandalen" bewusst restriktiv gehandhabt, um den eigenen elitären Anspruch zu verdeutlichen. Unter den Teilnehmern aus Berlin und anderen Bundesländern waren Angehörige der rechtsextremistischen Musikszene, ehemalige "Blood & Honour"-Aktivisten, NPDund MCMitglieder. Nach einem Einsatz der Polizei beendete der Pächter der Gaststätte die Veranstaltung frühzeitig. Insgesamt wurden sieben Strafanzeigen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung (SS 224 StGB), Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (SS 115 StGB) und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (SS 86a StGB) erstattet. Die jährlich ausgerichtete "Germanenfeier" fand am 3. Oktober "Germanenfeier" in einer einschlägig bekannten Gaststätte in Lichtenberg mit ca. 40 Personen statt. Die Gaststätte ist Treffpunkt von Hooligans, die dem Fußballverein BFC Dynamo anhängen. An der Feier nahmen neben Hooligans auch Mitglieder der "Vandalen" (=), von "Lichtenberg 35" (=) und aus der rechtsextremistischen Musikszene sowie Mitglieder des Motorradclubs "Hells Angels" teil. Die Veranstaltung wurde ebenfalls nach einem Einsatz der Polizei vorzeitig beendet. Die Polizei stellte 54 Bei Hooligans handelt es sich um Personen, die zwar auch ein Interesse an Fußballspielen haben, aber primär zu solchen Veranstaltungen anreisen, um an gewalttätigen Auseinandersetzungen teilzunehmen oder diese zu initiieren. Hauptinteresse ist die Gewalttätigkeit, nicht der Sport. 55 Vgl. S. 45. 44 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen fest (SS 86a StGB). Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Kontakte zwischen aktionsorientierten Rechtsextremisten und den Rocker-MCs. Die Gründe für die Kontaktaufnahme sind vielseitig. Sowohl auf Seiten der Rechtsextremisten als auch auf Seiten der MCs bestehen finanzielle Interessen an einer Kooperation. Für die Rechtsextremisten ist die Kooperation mit den MCs eine GeFinanzielle legenheit, über die relativ kleine und finanzschwache rechtsInteressen extremistische Szene hinaus Geschäfte zu machen. In anderen Bundesländern zeichnet sich darüber hinaus ein Trend zur Nutzung der Immobilien von MCs für rechtsextremistische Veranstaltungen ab. Die von den MCs betriebenen Clubhäuser sind aufgrund ihrer abgeschotteten Lage attraktiv. Die Kontaktaufnahme von aktionsorientierten Rechtsextremisten zu Rockern wird durch z. T. ähnliche Wertvorstellungen und die Distanzierung von der "spießigen" Mehrheitskultur erleichtert. Tendenzen zu Gewaltverherrlichung, Sexismus, Macho-Gehabe, ausgeprägtem Territorialverhalten und FreundFeind-Denken finden sich bei Rockern ebenso wie im Weltbild der Rechtsextremisten.56 Die rechtsextremistische Ideologie ist allerdings kein tragendes Motiv des gemeinsamen Handelns. Die Frage, wie viel Nähe zu Rechtsextremisten und deren Organisationen opportun ist, ist innerhalb der Rocker-MCs umstritten und die öffentliche Aufmerksamkeit wird von den meisten MCs sogar als "geschäftsschädigend" angesehen. Die dynamische Entwicklung der Kontakte zwischen aktionsorientierten Rechtsextremisten und MCs birgt Gefahren. Während das Risiko einer umfassenden rechtsextremistischen Ideologisierung und Mobilisierung der Rockerszene gering ist, besteht die Möglichkeit, dass aktionsorientierte Rechtsextremisten durch ihre Kontakte zu den MCs auf deren Logistik Rückgriff auf zurückgreifen können. Weltweite Kontakte und die Rolle der Logistik der M genannten Rocker in der organisierten Kriminalität können Aus56 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Rechtsextremistische Skinheads. Berlin 2003, S. 46 ff. Zum Begriff der "inneren Nähe" zwischen maskulinen Subkulturen und Rechtsextremismus vgl. Michael Kohlstruck: Politische Randale? Jugendgewalt und Rechtsradikalismus im Land Brandenburg. In: Richard Faber/Hajo Funke/Gerhard Schoenberner (Hg.): Rechtsextremismus. Ideologie und Gewalt. Berlin 1995, S. 124 - 135, hier S. 130. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 45 wirkungen auf den Handel mit CDs haben und Rückzugsräume für Rechtsextremisten schaffen, wie dies bei den Clubhäusern zu beobachten ist. Darüber hinaus würde eine Einbeziehung von aktionsorientierten Rechtsextremisten in die organisierte Kriminalität deren Finanzmittel erhöhen und den Zugang zu Waffen erleichtern. Obwohl es bislang nur vereinzelte Hinweise gibt, ist eine genaue Beobachtung der Entwicklung weiterhin notwendig. 2.2.4 Repression und Ausweichstrategien der rechtsextremistischen Musikszene Die rechtsextremistische Musikszene steht in Berlin seit einigen Handlungsspielraum Jahren unter erheblichem staatlichen Repressionsdruck. Durch erfolgreich gefahrenabwehrende und strafverfolgende Maßnahmen der Sieingeschränkt cherheitsbehörden wurde der Handlungsspielraum der rechtsextremistischen Musikszene erfolgreich eingeschränkt. Gegen "Landser" und "Deutsch Stolz Treue" (D.S.T.) - zwei der wichtigsten rechtsextremistischen Musikbands aus Berlin - wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Im Berichtsjahr konnte kein rechtsextremistisches Konzert in Berlin veranstaltet werden. Hier zeichnete sich ein Ausweichen in andere Bundesländer Kein Konzert oder ins Ausland ab. Im Musikvertrieb findet nach dem Verbot in Berlin von "Blood & Honour" im Oktober 2000 eine Restrukturierung statt, bei der den "Vandalen" eine bedeutende Rolle zukommt. Bands und CD-Produktionen Von den vier überregional bekannten rechtsextremistischen Berliner Bands traten lediglich "Spreegeschwader" und "Legion of Thor" auf Konzerten auf oder veröffentlichten CDs. "Landser" und "D.S.T." verhielten sich im Hinblick auf das anhängige Ermittlungsverfahren bzw. noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Gerichtsverfahren abwartend. dser"-Prozess Der Prozess gegen "Landser" stand im Blickpunkt der rechtsextremistischen Musikszene. Er hat Präzedenzcharakter, da erstmals Mitglieder einer rechtsextremistischen Musikgruppe wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach SS 129 StGB verurteilt wurden. Das Kammergericht hatte die Anklage zunächst zurückgewiesen, da es keinen hinreichenden Verdacht 46 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 sah. Nach einer Beschwerde des Generalbundesanwalts ließ der Bundesgerichtshof im Mai die Anklage nach SS 129 StGB zu. Der Vorwurf des Generalbundesanwalts lautete, "Landser" sei eine Band, "deren Zweck und Tätigkeit darauf gerichtet ist, Volksverhetzungsdelikte zu begehen".57 In der Anklageschrift führte die Bundesanwaltschaft aus, es sei Ziel der Gruppe gewesen, "... aus dem Verborgenen heraus über CDs als Medium politische Botschaften in der rechtsradikalen Jugendszene zu verbreiten. Hierbei kam es den Beteiligten im Wesentlichen darauf an, den Staat Bundesrepublik Deutschland und seine pluralistische Ordnung als untragbar zu diffamieren, Juden und Ausländer, vor allem solche mit dunkler Hautfarbe, zu minderwertigen Hassobjekten herabzuwürdigen und ihre 'Beseitigung' durch Mord oder Vertreibung zu propagieren."58 Am 22. Dezember verurteilte das Kammergericht die Mitglieder der Band "Landser" u. a. wegen Bildung einer kriminellen VerHaftstrafe verhängt einigung (SS 129 StGB). Gegen den als "Rädelsführer" geltenden Sänger der Band wurde eine Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten verhängt. Der Gitarrist und der Schlagzeuger der Band wurden zu Bewährungsstrafen von 21 und 22 Monaten sowie gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Ferner wurde der Erlös, den die Angeklagten für die von ihnen produzierten CDs "Ran an den Feind" und "Best of Landser" erzielt haben, für verfallen erklärt; d. h. dass der erzielte Erlös dem Staat zufällt. Bei der Strafzumessung fanden folgende Erwägungen Berücksichtigung: "Beweggrund und Ziel aller Angeklagten war es, aus der von ihnen gebildeten kriminellen Vereinigung heraus mittels Musik die von ihnen vertretenen rassistischen, ausländerfeindlichen und antisemitischen Vorstellungen propagandistisch zu verbreiten, um die Hörer zum Angriff gegen den demokratisch verfassten Staat und gegen die ihnen missliebigen Teile der Bevölkerung anzustacheln. Sie begriffen sich als Kämpfer, verwendeten ihre Musik als emotionale Waffe und setzten darauf, dass die rechtsextremen Inhalte ihrer Stücke das Bewusstsein ihrer zumeist jungen Zuhörer beeinflussen. Zu deren Solidarisierung und Mobilisierung gegen den Staat und - vor allem - gegen die unterschiedslos seinem Schutz befohlenen Menschen (Art. 3 Abs. 3 GG) wollten sie mittels der von Intoleranz und 57 Pressemitteilung des Generalbundesanwalts Nr. 31/2002 vom 30.9.2002. 58 Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 9.9.2002. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 47 Menschenverachtung strotzenden Liedtexte beitragen. (...) "Die Hetze hatte auch Erfolg. Die rassistische und gewaltverherrlichende Stimme von "Landser" fand weithin Gehör und führte zu der Verehrung als Kultband. Auch wenn ihnen eine strafrechtlich relevante Beteiligung an rechtsextremen Gewalttaten nicht vorgeworfen werden kann: Frei von Verantwortung sind die Angeklagten dennoch nicht, wenn andere umgesetzt haben, was sie in ihren Texten gefordert und verherrlicht haben."59 Gegen das Urteil wurde von einem Angeklagten Revision eingelegt. Im November wurde im Zusammenhang mit dem "Landser"Verfahren wegen Prozess ein weiteres Gerichtsverfahren eröffnet. In diesem Unterstützung von musste sich ein Mitglied der "Vandalen" wegen der Unter"Landser" stützung einer kriminellen Vereinigung (SS 129 StGB), der gefährlichen Körperverletzung (SS 224 StGB) und der Nötigung (SS 240 StGB) verantworten. Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, "Landser" im Außenverhältnis zu Dritten als Kontaktund Mittelsmann vertreten zu haben. Ferner soll er Zeugen mittels Gewaltanwendung zur Rücknahme ihrer Aussagen genötigt haben. Das Landgericht Berlin verurteilte den Angeklagten am 27. November wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten. Gegen das Urteil wurde vom Angeklagten Revision eingelegt. Hinsichtlich der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung wurde das Verfahren auf den Tatvorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung beschränkt (SS 154a StPO). Der "Landser"-Prozess wurde von der rechtsextremistischen Aufmerksamkeit in Szene mit großem Interesse verfolgt. Während der Verhandder rechtsextremistischen lungen waren regelmäßig Wortführer der rechtsextremistischen Szene Szene anwesend. Neben Neonazi-Aktivisten zählten dazu auch der ehemalige Landesvorsitzende der Berliner NPD und weitere NPD-Funktionäre aus Berlin. Im Internet wurden zudem "Landser"-T-Shirts sowie Buttons mit der Aufschrift "Freiheit für die Helden aus Berlin" angeboten. 59 Kammergericht (2) 3 StE 2/02 - 5(1) (2/02) vom 22.12.2003. 48 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Zu den unterstützenden Maßnahmen in der Szene gehörte auch die Produktion des zweiten Teils der "A Tribute to Landser"-CD. Für diese CD, die strafrechtlich relevant ist, wurden Cover-Lieder von "Landser" durch populäre Bands wie "Intimidation One" (USA), "Max Resist" (USA) sowie auch "D.S.T." und "Spreegeschwader" eingespielt. Die Urteilsverkündung hat zu zahlreichen Solidaritätsaktionen Solidaritätsaktionen geführt. Unmittelbar nach der Verhandlung am 22. Dezember führten 25 Mitglieder der rechtsextremistischen Szene eine Demonstration vom Kammergericht bis zum Potsdamer Platz durch. Sie trugen Transparente der "Kameradschaft Tor Berlin" mit der Aufschrift "Gegen die Diktatur Eurer Demokratie" und des "Nationalen Widerstandes Berlin-Brandenburg" mit der Aufschrift "Radikal-Sozial-National".60 Auch in Dortmund, Marburg und Karlsruhe wurde anlässlich des Urteils im "Landser"-Prozess demonstriert. Seit der Urteilsverkündung wird der Sänger der Band als Märtyrer gefeiert. Im Internet werden T-Shirts und Buttons mit der Aufschrift "Lunikoff, Märtyrer für Deutschland" vertrieben. Der Prozess hat zu einer Zerschlagung der Band geführt. Zerschlagung Zwischen dem Kopf und Sänger von "Landser" und den übrigen "Landser" 60 Vgl. S. 40. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 49 Angeklagten ist es während des Strafverfahrens zu einem Bruch gekommen. Der Sänger wirft seinen ehemaligen Bandmitgliedern vor, umfangreich ausgesagt zu haben. Die Szene folgt dieser Sichtweise und bezieht ihre Solidaritätsaktionen folglich nur auf ihn, den Kopf der Band. Die übrigen Angeklagten werden wegen ihrer Aussagen als Verräter angesehen. Die Band "D.S.T." trat 2003 mit Ausnahme der Beteiligung an "D.S.T." der "A Tribute to Landser"-CD angesichts des bevorstehenden Prozesses nicht in Erscheinung. Die Berliner Staatsanwaltschaft bereitet derzeit eine Anklage gegen die Mitglieder der Band vor. Hintergrund des zu erwartenden Strafverfahrens ist die Beschlagnahmung der CD "Ave et Victoria", deren Texte Straftatbestände nach SSSS 86a (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) und 130 StGB (Volksverhetzung) verwirklichen. In den Texten wird in aggressiver Weise gegen Fremde und Juden gehetzt und der Nationalsozialismus glorifiziert. Die CD wurde nach Hinweisen des Verfassungsschutzes Berlin im April 2002 von der Berliner Polizei beschlagnahmt. Innerhalb der Szene führte die Strafverfolgung zur Solidarisierung mit "D.S.T.". Ähnlich wie bei "Landser" werden im Internet "Support-Artikel" zur finanziellen und moralischen Unterstützung des "Rechtskampfes der politisch verfolgten Kameraden in Berlin" angeboten. Im Gegensatz zu "Landser" und "D.S.T." achteten "Spreege"Spreegeschwader", schwader" und "Legion of Thor" bislang auf die Legalität ihrer "Legion of Thor" veröffentlichten Texte. Bei "Spreegeschwader" zeichnete sich im vergangenen Jahr die Tendenz zu größerer Professionalität und politischer Radikalität ab. Im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen zeugt die im Jahr 2003 veröffentlichte CD "Gefangen im System" von einem höheren Standard hinsichtlich der Aufnahmequalität und der Aufmachung. Die Band betrieb einen für die Szene ungewöhnlichen Aufwand für die Vermarktung. Die CD wurde am 16. August bei einer "ReleaseParty" vor ca. 100 Gästen vorgestellt. Die Texte der aktuellen CD sind im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen deutlicher von einem geschlossenen neonazistischen Weltbild geprägt. Die Vermittlung neonazistischen 50 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Gedankenguts und die Ablehnung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland nehmen auf der neuesten CD einen größeren Raum ein als bisher. So behandelt das Lied "Tag der Rache" die angebliche Unterdrückung "national" Denkender und kündigt gewaltsamen Widerstand an: "Ich scheiße auf euch und euer System Eure 'Neue Weltordnung' wird untergeh'n Es nuetzt euch kein Gejammer und kein Geschrei Eure Worte von Freiheit sind eh nur Heuchelei Der Tag der Rache, der Gerechtigkeit Unsere Feinde vernichtet, bald ist es soweit Der Tag der Rache, ihr werdet schon sehen Eure 'New World Order' wird untergehen" Obwohl "Spreegeschwader" auf die Legalität ihrer Texte achtet, offenbart die CD "Gefangen im System" die enge Einbindung der Band in die ideologisch gefestigte rechtsextremistische Musikszene. Das Lied "Sänger in Ketten" wurde mit dem Sänger der Band "Landser" eingespielt. Der Sänger nimmt darin Bezug auf die strafrechtliche Verfolgung von "Landser" und geriert sich als ein unrechtmäßig "politisch Verfolgter". Konzerte Verfolgungsdruck, Auch im Jahr 2003 konnte in Berlin kein rechtsextremistisches Ausweichstrategien Konzert durchgeführt werden. Aufgrund des Verfolgungsdrucks durch die Sicherheitsbehörden suchte die Szene nach Ausweichstrategien und verlegte ihre Konzerte ins europäische Ausland oder in andere Bundesländer. "Spreegeschwader" nahm an Konzerten in Frankreich und Belgien teil, "Legion of Thor" trat in Belgien auf. Aufgrund der gesunkenen Reisekosten durch Billigflugangebote nahmen auch Konzertbesucher lange Anreisewege in Kauf. Rechtsextremisten aus Berlin besuchten Musikveranstaltungen in der Schweiz, in Frankreich, Ungarn, Belgien, England und den Niederlanden. Der Berliner Verfassungsschutz wirkte daran mit, dass gegen die Mitglieder der Band "Spreegeschwader" eine Ausreisesperre verhängt wurde. So konnte ein Auftritt der Band am 27. Dezember in Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 51 Ungarn bei einem von der dortigen "Blood & Honour"-Division veranstalteten Konzert verhindert werden. Eine weitere, bundesweite Tendenz ist die Verbindung von politischen Veranstaltungen mit musikalischen Beiträgen. WähMusik bei politischen rend sich die Bands so unter Ausnutzung des DemonstrationsVeranstaltungen rechts ungestörte Auftritte erhoffen, versuchen die Veranstalter durch die Musik politisch weniger interessierte Teilnehmer zu erreichen. So traten auf dem jährlichen Pressefest der NPD am 9. August "Sturm und Drang" und "Nordfront" auf. Die Band "Oidoxie" begleitete vom Hamburger Neonazi Christian WORCH organisierte Demonstrationen im gesamten Bundesgebiet. Allerdings geht die erhoffte Strategie nicht immer auf. Im April plante ein führender Berliner Neonazi ein Konzert in Langewahl bei Fürstenwalde (Brandenburg) unter dem Titel "Berlin wachsingen". Bands wie "Spreegeschwader", "Legion of Thor" und "Sleipnir" sollten das Rahmenprogramm für Redebeiträge des NPD-Bundesvorsitzenden Udo VOIGT und anderer bieten. Nachdem die Berliner Sicherheitsbehörden das Ministerium des Inneren Brandenburg über die bevorstehende Veranstaltung informiert hatten, setzte die Polizei den Vermieter der Räumlichkeiten über den rechtsextremistischen Charakter der Veranstaltung in Kenntnis. Dieser kündigte daraufhin den Mietvertrag, wodurch die Veranstaltung verhindert werden konnte. Produktionsund Vertriebswege Der Vertrieb legaler rechtsextremistischer Musik hat sich durch Nutzung des die vermehrte Nutzung des Internets in den letzten Jahren stark Internets diversifiziert. Einschlägige Anbieter versorgen die Szene diversifiziert inzwischen überwiegend per Online-Katalog mit CDs und FanArtikeln. Dabei werden auch Tonträger angeboten, die von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert wurden. In Berlin bestehen zwar zur Zeit keine InternetVersandhäuser, die rechtsextremistische Musik verbreiten, doch spielt für den Vertrieb durch internetgestützte Versandhandelsfirmen deren örtliche Ansiedlung keine Rolle. onkurrenz zu Die Ausweitung des Internet-Handels ging vor allem zu Lasten Szeneläden der Szene-Läden, deren Umsatz in den letzten Jahren stark 52 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 zurückging. Der Konkurrenzkampf ist derart groß, dass sich die Akteure gegenseitig der "Spitzelei" im Dienste des Staates bezichtigten, um so dem jeweiligen Konkurrenten die Kundschaft abspenstig zu machen. Strafrechtlich relevante Musik unterscheidet sich durch konspiKonspirative Produktion und rative Produktion und Vertrieb dagegen grundlegend vom legaVertrieb len Musikgeschäft. Die Produktionsund Vertriebswege im Bereich der illegalen Musik wurden durch das Verbot der international agierenden "Blood & Honour"-Organisation (= B&H) im Oktober 2000 erheblich gestört. Von den 25 ehemaligen Berliner "B&H"-Aktivisten sind zwar noch ca. 75 Prozent in der hiesigen neonazistischen Szene aktiv und ca. 50 Prozent in der rechtsextremistischen Musikszene verankert, ein gemeinsames Handeln war jedoch nicht mehr möglich, da sie sich zunächst organisatorisch zerstreuten. Teilweise haben sich die ehemaligen Aktivisten bereits bestehenden neonazistischen Gruppierungen wie "Lichtenberg 35" (=), den "Hammerskins" (=) oder dem "Vandalen"-Umfeld (=) angeFührende Position der "Vandalen" schlossen. Die führende Position in diesem Bereich scheinen in Berlin sukzessive die "Vandalen" einzunehmen. Sie unterhalten enge Kontakte zu den führenden rechtsextremistischen Musikproduzenten im Inund Ausland. Vor allem ihr Anführer, zugleich der geistige Kopf der rechtsextremistischen Band "Landser", wird von ehemaligen "B&H"-Mitgliedern und Aktivisten der rechtsextremistischen Musikszene als Autorität anerkannt. Allerdings hat ihn das Kammergericht am 22. Dezember zu einer Haftstrafe verurteilt.61 Die Produktion strafrechtlich relevanter rechtsextremistischer Ausweichen ins Ausland Musik erreicht inzwischen internationale Dimensionen. Häufig lassen die deutschen Auftraggeber CD und Cover im Ausland herstellen, da dort meist weniger rigide Strafgesetze gelten. Der Weitervertrieb der CDs in Deutschland erfolgt durch Handverkauf. Kleinere CD-Mengen werden auf der Basis persönlicher Bekanntschaft an langjährige Mitglieder der aktionsorientierten Szene zum Weiterverkauf abgegeben oder am Rande von Konzerten und sonstigen Veranstaltungen verkauft. 61 Vgl. S. 46 ff. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 53 Der zunehmend konspirative Verkauf von CDs und das Ausweichen der Szene bei Konzerten und Musikproduktion ins Ausland sind Folgen der staatlichen Repressionsmaßnahmen. Zugleich stellen sie neue Herausforderungen an die Sicherheitsbehörden, eine Wiederbelebung der rechtsextremistischen Musikszene zu verhindern. 2.3 Rechtsextremistische Parteien 2.3.1 Abschluss des NPD-Verbotsverfahrens Am 18. März stellte das Bundesverfassungsgericht auf Antrag Verbotsverfahren der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (= NPD) eingestellt das Verbotsverfahren ein.62 Im Zweiten Senat fand sich nicht die nach SS 15 Abs. 4 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) für eine Fortsetzung notwendige Zwei-DrittelMehrheit. Drei der sieben Richter vertraten die Auffassung, dass die Minderheitenvotum Beobachtung der NPD durch V-Personen, die unmittelbar vor und während des Verbotsverfahrens als Mitglieder des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands fungieren, in der Regel unvereinbar mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren sei. Ausnahmen könnten nur gemacht werden, wenn von der Partei außergewöhnliche Gefahren ausgingen: "Art. 21 GG stattet die politischen Parteien wegen ihrer Sonderstellung im Verfassungsleben mit einer erhöhten Schutzund Bestandsgarantie (dem so genannten Parteienprivileg) aus. Diese findet ihren Ausdruck vor allem darin, dass die politischen Parteien im Gegensatz zu anderen politischen Vereinigungen nur durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden können und dass es dazu einer qualifizierten Mehrheit bedarf. [...] Das Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts schließt ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin aus [...] Die Partei kann zwar politisch bekämpft werden, sie soll aber in ihrer politischen Aktivität von jeder Behinderung frei sein [...] Das Grundgesetz nimmt die Gefahr, die in der Tätigkeit der Partei bis zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit besteht, um der politischen Freiheit willen in Kauf".63 62 Vgl. BVerfG, 2 BvB 1/01 vom 18.3.2003. Vgl. a. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2001. Berlin 2002, S. 32 - 36; Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2002, Berlin 2003, S. 17 - 20. 63 Ebenda Absatz Nr. 69 f. 54 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 "Staatliche Präsenz auf der Führungsebene einer Partei macht Einflussnahmen auf deren Willensbildung und Tätigkeit unvermeidbar. [...] Zwangsläufigkeit staatlicher Einflussnahme auf Willensbildung und Außenwirkung einer Partei ist auch in all jenen Fällen gegeben, in denen vom Parteiprogramm überzeugte Parteimitglieder erfolgreich als Informanten gewonnen werden können."64 Die Mehrheit von vier Verfassungsrichtern hielt eine FortMehrheitsvotum setzung des Verbotsverfahrens für geboten: "Der Umstand der nachrichtendienstlichen Beobachtung der Antragsgegnerin begründet [...] weder im Hinblick auf den Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien (a) noch wegen Fragen der Zurechnung der vorgelegten Erkenntnismittel (b) noch auf Grund der Pflicht zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens (c) ein Verfahrenshindernis."65 Sie sahen in dem Vorgehen der Verfassungsschutzbehörden keinen schwerwiegenden Mangel, der eine Verfahrenseinstellung rechtfertigen könnte: "Eine staatliche Fremdsteuerung der Antragsgegnerin dieses Ausmaßes ist nicht ansatzweise erkennbar. Insbesondere ergeben sich aus der bekannt gewordenen Zusammenarbeit staatlicher Stellen mit Mitgliedern des Bundesvorstandes und der Landesvorstände der Antragsgegnerin keine Anhaltspunkte dafür, dass das politische Erscheinungsbild der Antragsgegnerin nicht mehr das Ergebnis eines offenen gesellschaftlichen Willensbildungsprozesses ist."66 "Um feststellen zu können, ob öffentliche Erklärungen und Handlungen der Partei und ein etwaiges nach außen abgegebenes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch dem wahren Bild der Partei entsprechen, kann es notwendig sein, Informationen aus dem Führungskreis der Partei zu erlangen. Müsste demgegenüber in jedem Fall bei Beginn des Verbotsverfahrens die nachrichtendienstliche Beobachtung eingestellt werden, könnte im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung eine sachgerechte Beurteilung nicht mehr möglich sein."67 Darüber hinaus habe das Bundesverfassungsgericht die Verpflichtung, ein rechtstaatlich einwandfreies Verfahren zu garantieren und eine umfassende gerichtliche Aufklärung des Sachverhalts zu gewährleisten. Mit der Einstellung des Verfahrens 64 Ebenda Absatz Nr. 81. 65 Ebenda Absatz Nr. 124. 66 Ebenda Absatz Nr. 126. 67 Ebenda Absatz Nr. 151. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 55 sei der Grundsatz des präventiven Schutzes der Verfassung gegen den Missbrauch von Freiheitsrechten durch verfassungswidrige Bestrebungen nicht angemessen berücksichtigt worden. Der Präventionsauftrag erfordere vom Bundesverfassungsgericht die Aufklärung des konkreten Ausmaßes der Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Falle der Fortexistenz der NPD. Reaktionen auf den Verfahrensausgang Die NPD wertete den Ausgang des Prozesses als Erfolg. In seinen ersten Reaktionen bezeichnete der NPD-Vorsitzende Udo VOIGT die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als einen "faulen Kompromiss". Dem System sei es gelungen, die "Notbremse" zu ziehen und sich um eine klare Entscheidung "herumzumogeln". Über Ziele, Inhalte und politischprogrammatische Aussagen sei weder in den Verbotsanträgen selbst noch bei der Einstellung des Verfahrens etwas gesagt worden. Der Parteiführung wäre es lieber gewesen, sich vor dem höchsten deutschen Gericht mit den Verbotsanträgen auseinander zu setzen.68 Für die Zukunft der NPD kündigte er die strukturelle und strategische Reorganisation der Partei und Reorganisation der NPD angekündigt die offensive Wiederaufnahme des politischen Kampfes an: "Der NPD-Parteivorstand hält an dem Strategiekonzept der >Drei Säulen< [...] fest. [...] Das laufende Jahr nutzen wir zu Schulungen und einer Strukturund Verbandsreform, um dann im Jahr 2004 verstärkt den >Kampf um die Parlamente< mit dem Anspruch auf Überwindung der FünfProzent-Sperrklausel auf Länderebene mit Aussicht auf Erfolg angehen zu können."69 Tatsächlich führte das Verbotsverfahren zu einer deutlichen Deutliche Schwächung der NPD. Entgegen ihren Erwartungen hatte sie Schwächung schon während des Prozesses mit einem anhaltenden Mitgliederrückgang sowie dem Verlust ihrer Bindewirkung im rechtsextremistischen Lager zu kämpfen. Den Abschluss des Verfahrens kommentierten die anderen rechtsextremistischen 68 Vgl. 1:0 für Deutschland: Schilys Verbotsträume erledigt. Internetauftritt der NPD, eingestellt am 19.3.2003. 69 Udo Voigt: Bannerträger eines besseren Deutschlands. Udo Voigt über die Notwendigkeit einer personell gestärkten NPD, die das Volk zur Freiheit hinreißt. In: "Deutsche Stimme" Nr. 05/2003. 56 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Parteien sehr viel zurückhaltender als die NPD. Sowohl die "Deutsche Volksunion" (= DVU) als auch "Die Republikaner" (= REP) sahen in der Entscheidung einen weiteren Anlass zur Abgrenzung von der NPD. Sie nutzten den Verfahrensausgang vor allem zu polemischen Angriffen auf die Antragsteller sowie die Verfassungsschutz-Behörden. Auch im Lager der aktionsorientierten Rechtsextremisten wurde der Prozessverlauf überwiegend misstrauisch beobachtet. Der NPD wurde vorgeworfen, eine mit "Spitzeln" durchsetzte "VS-Partei" (Verfassungsschutz-Partei) zu sein, mit der es keine erneute Zusammenarbeit geben könne. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde zudem als ausdrückliche Legitimation der Partei durch die Organe des bekämpften demokratischen Verfassungsstaats gedeutet. Austritt Aus diesem Grund trat in einem spektakulären Schritt unmitHorst MAHLERs telbar nach der Verkündung der Entscheidung sogar der Prozessbevollmächtigte der NPD, Horst MAHLER, aus der Partei aus. Er sei im Jahr 2000 nur deshalb in die NPD eingetreten, um seine Solidarität zu bekunden. Nach Abschluss des Verfahrens sei sein Austritt nunmehr zwingend erforderlich: "Der Angriff der BRD-Lagerleitung galt nicht so sehr der in jeder Hinsicht bedeutungslosen Partei. Er richtete sich vielmehr gegen alle Deutschen, die noch Deutsche sein wollen. [...] Die NPD ist eine am Parlamentarismus ausgerichtete Partei, deshalb unzeitgemäß und - wie das parlamentarische System selbst - zum Untergang verurteilt."70 Reformdiskussion in der NPD Als Reaktion auf den Einstellungsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts kündigte der Bundesvorstand umfassende innerparteiliche Reformen an, die allerdings keine sichtbaren Erfolge brachten. Zwar sollte auch künftig die politische Arbeit am "Drei-Säulen-Konzept"71 ausgerichtet werden. 70 Zitiert nach Holger Apfel / St. Münster: Aufbruchsignal für Deutschland. NPDVerbotsverfahren gescheitert. In: "Deutsche Stimme" Nr. 04/2003. 71 Nach dem "Drei-Säulen-Konzept" konzentriert sich die Arbeit der NPD auf drei strategische Ebenen: den "Kampf um die Straße", den "Kampf um die Köpfe" und den "Kampf um die Parlamente". Das Konzept formuliert das Ziel, die NPD nicht nur als Wahlpartei zu etablieren ("Kampf um die Parlamente"), sondern darüber hinaus Einfluss auf intellektuelle Diskurse zu nehmen Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 57 In Abkehr von der strategischen Ausrichtung auf den intensiven "Kampf um die Straße" während der 90er Jahre sollte allerdings dem "Kampf um die Parlamente" eine besondere Bedeutung zukommen.72 Die NPD kündigte an, im Jahr 2004 an der Europawahl sowie an verschiedenen LandTeilnahme an tagswahlen teilnehmen zu wollen.73 Wahlen Nachdem im Verlauf des Verbotsverfahrens die Mitgliederzahlen stetig gesunken waren, startete die NPD nach dessen Abschluss zunächst eine bundesweite Mitgliederwerbeaktion.74 Die Kampagne stand unter dem Motto "Klasse statt Masse", wodurch ein besonderer Anspruch an die Neumitglieder formuliert werden sollte: "Die NPD ist keine Partei wie die etablierten Parteien, sondern eine Partei gegen sie. Somit bin ich natürlich mit diesem Schritt des Eintritts ein besonderes Parteimitglied. Als Mitglied der NPD werde ich zu einem >Kämpfer für Deutschland< [...]."75 Der fortschreitende Mitgliederschwund ließ sich damit allerdings nicht aufhalten. Darüber hinaus sollten die inhaltlichen Mitgliederschwund Ziele der NPD stärker als bisher in die Öffentlichkeit getragen werden.76 Einfache Mitglieder sollten ebenso wie Führungskader künftig besser auf die politische Auseinandersetzung vorbereitet werden.77 Zu diesem Zweck wird derzeit auf dem Gelände der NPD-Bundesgeschäftsstelle in Köpenick ein Ge("Kampf um die Köpfe") und durch provokante Aktionen und Demonstrationen ihre Anhängerschaft zu vergrößern ("Kampf um die Straße"). 72 Vgl. Udo Voigt: Bannerträger eines besseren Deutschlands. Udo Voigt über die Notwendigkeit einer personell gestärkten NPD, die das Volk zur Freiheit hinreißt. In: "Deutsche Stimme" Nr. 05/2003. 73 Vgl. u. a. Holger Apfel / St. Münster: In: "Deutsche Stimme" Nr. 04/2003. 74 Vgl. Udo Voigt: In: "Deutsche Stimme" Nr. 05/2003. 75 Udo Voigt: Nationaldemokraten - Klasse statt Masse! Parteivorsitzender Udo Voigt über die Rechte und Pflichten eines Mitglieds. In: "Deutsche Stimme" Nr. 07/2003. 76 Vgl. Udo Voigt: In: "Deutsche Stimme" Nr. 05/2003. 77 Ein Mittel im politischen Kampf der NPD ist die so genannte Wortergreifungsstrategie, d. h. die Mitglieder der Partei sind aufgefordert, nicht nur im Zuge der laufenden Parteiarbeit verstärkt das Gespräch mit den Bürgern zu suchen. Sie sollen z. B. auch gezielt Veranstaltungen politischer Gegner besuchen und deren Verlauf durch eigene Diskussionsbeiträge mitbestimmen. Vgl. Udo Voigt: Mit Wortergreifungsstrategie zum Erfolg. Udo Voigt über das geistig offensive Auftreten im öffentlichen Raum. In: "Deutsche Stimme" Nr. 08/2003. 58 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 bäude zu einem "Nationalen Bildungszentrum" (NBZ) ausge"Nationales Bildungszentrum" baut. Dort sollen überregional organisierte Schulungen, Vorin Berlin tragsveranstaltungen und Versammlungen abgehalten werden. In einem "Spendenaufruf für den Bau eines nationaldemokratischen Bildungszentrums in der Reichshauptstadt Berlin" heißt es dazu: "Um den Kampf für die Befreiung unseres Volkes sachgerecht führen zu können, brauchen wir Menschen, die durch Ausbildung in die Lage versetzt werden, strategisch, operativ, taktisch und politisch richtig zu handeln. Zur Verwirklichung dieses Zieles wird in der Reichshauptstadt Berlin ein Bildungszentrum errichtet. Das Gelände ist für den benannten Zweck groß genug und gewährleistet wegen seiner ausgezeichneten Bewachung eine große Sicherheit für Teilnehmer von Veranstaltungen."78 Am 1. September begannen trotz erheblicher Proteste der Anwohner sowie örtlicher Gruppen und Politiker die Bauarbeiten. Bei planmäßigem Verlauf der Baumaßnahmen könnte der Ausbildungsbetrieb 2004 aufgenommen werden. Ein entscheidender Schritt zur innerparteilichen Neuausrichtung Trennung des gemeinsamen der Berliner NPD ist die im April des Jahres auf eine Initiative Landesverbands aus dem Bezirksverband Brandenburg hin vollzogene Trennung des gemeinsamen Landesverbands Berlin-Brandenburg.79 Diese erfolgte mit dem Ziel der Stärkung der jeweiligen organisatorischen und personellen Basis. Eine Erhöhung der nur schwach ausgeprägten Handlungsund Mobilisierungsfähigkeit der NPD ist durch diese Maßnahme allerdings nicht zu beobachten. Mit der Konstituierung zweier eigenständiger Landesverbände ging die überregionale Bedeutung des ehemaligen NPD-Landesverbands verloren; gemeinsame Strukturen und personelle Verschränkungen zwischen Berlin und Brandenburg existieren weitgehend nicht mehr. Der gemeinsame Landesverband der Jugendorganisation JN blieb davon unberührt. Zu den Gründen der Trennung hieß es in dem Parteiorgan "Deutsche Stimme": 78 Spendenaufruf für den Bau eines nationaldemokratischen Bildungszentrums in der Reichshauptstadt Berlin. In: "Deutsche Stimme" Nr. 08/2003. 79 Ein eigenständiger Berliner NPD-Landesverband existierte bereits in den Jahren 1966 bis 1991. Aufgrund des Fehlens tragfähiger Partei-Strukturen in Brandenburg kam es dann jedoch zur Gründung eines gemeinsamen Landesverbands Berlin-Brandenburg. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 59 "Durch die Trennung wird den unterschiedlichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in beiden Bundesländern Rechnung getragen."80 Tatsächlich dürften aber auch persönliche Animositäten zwischen den führenden Funktionären in Berlin und Brandenburg sowie ideologische Differenzen der Grund für die Spaltung gewesen sein. Dem kurz darauf neu gewählten Berliner Landesvorstand gehören überwiegend Vertreter des aktionsorientierten Rechtsextremismus an. Sie sind der Neonaziszene zuRadikalisierung der zurechnen, was zu einer RadikaBerliner NPD lisierung der Berliner NPD nach der Loslösung von Brandenburg führen könnte. Mittlerweile ist es auch innerhalb des neuen Vorstands zu inhaltlichen Streitigkeiten gekommen. Kern der Auseinandersetzungen ist die Frage, ob man sich an der gemäßigten Parteilinie des Bundesvorsitzenden Udo VOIGT orientiert oder einen eigenständigen politisch-ideologischen Kurs verfolgt. Aufgrund dieser Richtungsdiskussion ist ein klares Profil der Berliner NPD augenblicklich nicht zu erkennen. Kooperationsbemühungen der NPD Trotz der intensiven Versuche der innerparteilichen Konsolidierung nach dem überstandenen Verbotsverfahren verlor die NPD im rechtsextremistischen Lager weiter an Einfluss. Sie Einflussverlust scheiterte sowohl mit dem Versuch der Anbindung an den aktionsorientierten Rechtsextremismus als auch an die sonstigen rechtsextremistischen Parteien. Den Schulterschluss mit den aktionsorientierten Rechtsextremisten suchte die Partei bereits kurze Zeit nach dem Abschluss des Verbotsverfahrens mit dem erneuten Gang auf die Straße. 80 Thomas Salomon: Eigene NPD-Landesverbände in Berlin und Brandenburg. Der Doppelverband Berlin-Brandenburg wurde aufgelöst. In: "Deutsche Stimme" Nr. 05/2003. 60 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Jedoch ist das Verhältnis der parteiungebundenen Rechtsextremisten zur NPD von großem Misstrauen geprägt. In weiten Teilen wird sie als "System-Partei" gesehen, die mit "Spitzeln" der Verfassungsschutzbehörden durchsetzt sei. Eine Zusammenarbeit im gleichen Umfang wie vor dem Verbotsverfahren komme daher nicht in Frage. Die NPD agiert deshalb derzeit weitgehend isoliert. "1. MaiEine Ausnahme stellte die diesjährige zentrale "1. Mai-DemonDemonstration" stration" in Berlin dar. An dem Aufzug durch Charlottenburg unter dem Motto "Wir sind das Volk - Soziale und nationale Gerechtigkeit durchsetzen" beteiligten sich etwa 1 300 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet. Sie konnte ihre Teilnehmerzahl im Gegensatz zum Vorjahr, in dem die NPD im gesamten Bundesgebiet Demonstrationen zum 1. Mai durchführte und bei der Berliner Demonstration ca. 1 100 Personen teilnahmen, nur geringfügig steigern. Bei der Abschlusskundgebung war die Öffentlichkeit durch die weiträumigen Absperrungen der Polizei nahezu ausgeschlossen. Es sprachen der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen RIEGER und der NPD-Vorsitzende Udo VOIGT.81 Als weitere Redner waren die Rechtsextremisten Roberto FIORE (Italien) und Nick GRIFFIN (Großbritannien) angekündigt. Sie sollten die länderübergreifende Bedeutung der NPD bestätigen, waren aber nicht erschienen. Auch bei dem erneuten Versuch, mit den anderen rechtsexKooperation mit anderen Parteien tremistischen Parteien anlässlich der bevorstehenden Europagescheitert wahl im Juni 2004 zu kooperieren, scheiterte die NPD. Auf ihrem ersten (außerordentlichen) Bundesparteitag82 nach dem Abschluss des Verbotsverfahrens im Oktober stellte sie eine Initiative zur Bildung einer gemeinsamen Wahlplattform mit dem Ziel der Bündelung der rechtsextremistischen Kräfte vor. Zuvor war u. a. an die DVU und die REP eine schriftliche Aufforderung des NPD-Bundesvorstandes zur Zusammenarbeit - der so genannte Leipziger Appell - ergangen. Dieser wurde jedoch weder von dem DVU-Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard FREY noch von dem REP-Vorsitzenden Dr. Rolf SCHLIERER 81 Vgl. 1. Mai in Berlin: Wir sind das Volk. Internetauftritt der NPD, Aufruf am 2.5.2003. 82 Vgl. Die Redaktion: Ansprache zum Europawahlkongress am 3./4. Oktober 2003 in Saarbrücken. Internetauftritt der NPD, datiert 3.10.2003. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 61 beantwortet. Offensichtlich lehnen DVU und REP eine Zusammenarbeit mit der NPD weiter ab. Udo VOIGT erklärte daraufhin das Projekt eines gemeinsamen Wahlbündnisses für gescheitert. In der Folge beschloss der Parteitag die Aufstellung einer eiKandidatenliste für genen Kandidatenliste sowie eines NPD-Programms für die Europawahl Europawahl. Die Position des Spitzenkandidaten nimmt der NPD-Bundesvorsitzende Udo VOIGT ein. Zu den weiteren Kandidaten gehören die zwei Berliner Rechtsextremisten Jörg HÄHNEL, Liedermacher und Mitglied im NPD-Landesvorstand, sowie Frank SCHWERDT, Mitglied des NPD-Bundesvorstands.83 Das Europawahlprogramm steht unter der vorläufigen Überschrift "Europäische Freiheit statt US-Imperialismus". Darin plädiert die NPD für die Schaffung eines "Europäischen Staatenbunds" zur Verwirklichung ihres Konzepts der "raumorientierten Volkswirtschaft":84 "Die USA versuchen als einzig verbliebene Supermacht ihren Herrschaftsanspruch weltweit, notfalls auch mit militärischen Mitteln, durchzusetzen. Auch Europa bleibt von diesem Ansinnen nicht verschont. [...] Die Gefahren für Europa resultieren aber nicht nur aus der militärischen Dominanz der USA, sondern auch aus dem liberalkapitalistischen Wirtschaftssystem. Unter dem Schlagwort >Globalisierung< wird eine Wirtschaftspolitik betrieben, in deren Mittelpunkt die finanziellen Interessen der Kapitalbesitzer stehen und nicht das Volkswohl."85 "Die EU ist kein Organ, welches die Interessen der Völker Europas vertritt, sondern die Interessen, auch außereuropäischer, Kapitalbesitzer. [...] Es gilt daher ein neues, tragfähiges Modell zur Zusammenarbeit der Völker Europas zu entwerfen."86 83 Vgl. Frank Schwerdt: Europa-Wahlparteitag in Saarbrücken. Internetauftritt der NPD, datiert 4.10.2003. 84 In gleicher Weise agitierte die NPD-Jugendorganisation JN. Auf ihrem Europakongress im Oktober 2003 propagierte sie eine Weiterentwicklung ihres "national-revolutionären Politikansatzes" unter dem Schlagwort des "Befreiungsnationalismus". Vgl. Kampf um Europa durch den Befreiungsnationalismus der Völker. Junge Nationaldemokraten führen diesjährigen Europakongress durch. Internetauftritt der NPD, eingestellt am 29.10.2003. 85 Europäische Freiheit statt US-Imperialismus. Europawahlprogramm 2004 der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), beschlossen am 3. und 4.10.2003, S. 3. 86 Ebenda. 62 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 2.3.2 Entwicklung der DVU und der REP in Berlin Obwohl die DVU und die REP berlinals auch bundesweit die mitgliederstärksten Organisationen im Rechtsextremismus sind, traten sie im Berliner Stadtbild und im politischen Diskurs kaum in Erscheinung und übten keinen Einfluss auf den politischen Ohne politischen Einfluss Willensbildungsund Entscheidungsprozess in Berlin aus. Auch innerhalb der rechtsextremistischen Szene Berlins sind sie weitgehend isoliert. Beide Parteien mussten im Berichtsjahr starke MitgliederverMitgliederverluste luste hinnehmen. Die Anzahl ihrer Mitglieder sank bei der DVU von 620 auf 480 und bei den REP von 630 auf 550. Diese Entwicklungen stellen keine regionale Besonderheit dar, sondern entsprechen dem Bundestrend. Der Landesverband der DVU bestätigte auf seinem Parteitag DVU im Februar weitgehend den alten Vorstand in seinem Amt. Dieser orientiert sich vollständig an den Vorgaben des Vorsitzenden Dr. Gerhard FREY aus der Münchener Parteizentrale und entfaltet keine politische Eigeninitiative. Programmatische bzw. tagespolitische Äußerungen des Landesverbandes existieren nicht. Auf Bundesebene stand die revisionistische Kritik Revisionismus an einer angeblich einseitigen Vergangenheitsbewältigung im Vordergrund. Die Verbrechen der Nationalsozialisten und insbesondere die Ermordung der Juden werden zwar als historische Tatsachen nicht geleugnet, jedoch wird der Holocaust relativiert und die deutsche Kriegsschuld bestritten. In ihrer Darstellung werden die Luftangriffe nicht als Reaktion auf den voraus gegangenen deutschen Bombenkrieg angesehen, sondern in einen alliierten "Luftterror" umgedeutet. So wird die Bombardierung Hamburgs als bislang "ungesühnter Holocaust"87 bezeichnet. Fremdenfeindlichkeit Des Weiteren sind fremdenfeindliche Attacken ein regelmäßiger Bestandteil der politisch-ideologischen Agitation der DVU. Insbesondere der Prozess der Erweiterung der "Europäischen Union" (EU) gerät ins Visier. Mit der Warnung vor 87 Alle Schuld den Deutschen? Wieder Lügen über den Luftterror. In: "NationalZeitung / Deutsche Wochen-Zeitung" Nr. 4, 17.1.2003. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 63 dem Beitritt so genannter raumfremde[r] Staatswesen88 wie der Türkei oder Israel werden Vorurteile verbreitet und Überfremdungsängste geschürt. In einer "Aktuellen Mitteilung" der DVU heißt es dazu: "Die Deutsche Volksunion hält es für unverantwortlich, einen derartigen Massenzustrom weiter zuzulassen. Durch Freizügigkeit für neue EU-Staaten drohen überdies zusätzliche Einwanderungsschübe aus Osteuropa, ja sogar aus Vorderasien (Türkei!). An eine Integration ist nicht zu denken, zumal die Bundesrepublik offenbar schon mit der Eingliederung der bereits vorhandenen Ausländer überfordert ist."89 Die DVU versucht, durch Angriffe auf das Demokratieprinzip Angriffe auf und die Repräsentanten des demokratischen VerfassungsDemokratie und staats das politische System Deutschlands insgesamt zu deleVerfassungsstaat gitimieren. Demokratische Politiker werden mit politischen Extremisten gleichgestellt und des fortwährenden Verfassungsbruchs bezichtigt: "Ohne das Eingreifen vor allem des Bundesverfassungsgerichts hätte es nimmt man alles in allem längst schon einen kalten Staatsstreich von oben unter Ausschaltung von Normen und Geist des Grundgesetzes gegeben. [...] Wenn aber Verfassungsbrecher in Zentren staatlicher Gewalt sitzen, ist es für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ungleich gefährlicher als wenn Kräfte weit außerhalb von Macht und Einfluss angeblich oder tatsächlich Verfassungsbruch im Schilde führen."90 [Fehler im Original, d. Verf.] Die REP hatten mit dem Rücktritt des erst im Jahr 2002 geREP: wählten Berliner Landesvorsitzenden, Bernd BERNHARD, eiRücktritt des Landesvorsitzenden nen erneuten Rückschlag in ihrer politischen Arbeit zu verzeichnen. Als Grund für seinen Amtsverzicht nannte dieser u. a. das Festhalten des Bundesvorstands am Abgrenzungskurs gegenüber anderen rechtsextremistischen Organisationen. In einem Schreiben an die Verantwortungsträger der REP auf Landesund Bundesebene, in dem er seinen Rücktritt erklärt, führte BERNHARD aus: 88 Bruno Wetzel: Warum die Türkei und Israel in die EU wollen. Die schrecklichen Folgen für Deutschland. In: "National-Zeitung / Deutsche Wochen-Zeitung" Nr. 37, 5.9.2003. 89 DVU warnt vor weiteren Nachschüben. Ausländerzustrom: 'Anderthalb Großstädte' mehr. Aktuelle Mitteilung vom 3.3.2003, Internetauftritt der DVU. 90 Die Verfassung muss man schützen gegen die, die oben sitzen! Aktuelle Mitteilung vom 19.12.2002, Internetauftritt der DVU. 64 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 "Es bedarf eines - auch für die Medien - unüberhörbaren Signals, das nur dadurch erreicht werden kann, wenn zunächst die zwei großen Rechtsparteien DVU und Republikaner eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit vereinbaren würden. Darauf muß dann aufgebaut werden. Die Kleinstparteien können später mit ins Boot genommen werden."91 BERNHARD warf dem Bundesvorsitzenden der REP vor, der Differenzen mit "eigentliche Verhinderer" einer Zusammenarbeit mit der DVU Bundesvorstand zu sein. Er verwies darauf, dass eine Landes-Mitgliederversammlung der REP mit 43 Ja-Stimmen bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen gefordert hatte, "alle Abgrenzungsbeschlüsse gegenüber den Rechtsparteien aufzuheben". In Antwort auf den Bundesvorsitzenden SCHLIERER, der betonte, dass die Beschlusslage der Partei bestehen bleibe und wer sich nicht daran halte, sich eine neue politische Heimat suchen könne, erklärte BERNHARD: "Ist man denn wirklich allen Ernstes bereit, nun nach der Zerschlagung des LV Mecklenburg-Vorpommern auch noch die Zerschlagung des LV Berlin in Kauf zu nehmen, denn auf nichts anderes würde es hinauslaufen, wenn sich, von den letzten 45 noch aktiven und für eine Mitgliederversammlung zu gewinnenden Parteifreunden, 42 dem Wunsch entsprechen und sich eine neue politische Heimat suchen."92 Das Schreiben zeigt die desolate Lage des REP-Landesverbandes Berlin auf. Weiterer Ausdruck der strukturellen Schwäche der REP ist die Schließung ihrer Bundesgeschäftsstelle in Berlin. Dennoch verabschiedeten die REP auf ihrem Europaparteitag im November eine Kandidatenliste sowie ein Wahlprogramm für die Europawahl 2004. Zwei der Kandidaten kommen aus Berlin. 2.4 Diskursorientierter Rechtsextremismus Der diskursorientierte Rechtsextremismus bezeichnet Bestrebungen, die versuchen, rechtsextremistische Themen und Positionen in den gesellschaftlichen Diskurs einzuspeisen und diesen im rechtsextremistischen Sinne zu beeinflussen.93 Während eine "nach innen" orientierte Strömung des diskurs91 Schreiben des Landesvorsitzenden der REP vom 26.5.2003. 92 Ebenda. 93 Ein Teilbereich dieses Phänomens wurde in den letzten Jahren in der Wissenschaft unter dem Begriff "Neue Rechte" kontrovers diskutiert. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 65 orientierten Rechtsextremismus auch und vor allem aktionsorientierte jugendliche Rechtsextremisten bis hin zu "klassischen" Neonazis anspricht, richtet sich eine zweite Strömung vornehmlich an Adressaten im demokratischen Spektrum. Ihre Strategie ist es, die Abgrenzung der Demokraten gegenüber Extremisten aufzubrechen. Zum diskursorientierten Rechtsextremismus gehört auch die Revisionistische internationale Szene der Revisionisten (= Revisionismus). EinPublikationen und zelne Intellektuelle treten durch regelmäßige Publikationen oder Vorträge Vorträge in Erscheinung, in denen sie die Zeit des Dritten Reiches einseitig, leugnend, relativierend oder verharmlosend darstellen. Die Mittel reichen von Vorträgen und Diskussionszirkeln bis zu Nutzung des eigenen Publikationen. Seit einigen Jahren wird verstärkt das Internets Internet genutzt. Spezifisch für den diskursorientierten Rechtsextremismus ist, dass er kaum an geographische Grenzen gebunden ist: wo immer eine Publikation geschrieben und veröffentlicht oder ein Vortrag gehalten wird, sie entfalten dort Wirkung, wo sie gelesen und gehört werden. Die beschriebenen Aktivitäten werden von den Organisationen des diskursorientierten Rechtsextremismus kontinuierlich und turnusmäßig durchgeführt. Sie stehen selten im Licht der Öffentlichkeit, aber sie festigen das rechtsextremistische Spektrum und versuchen, den Einflussbereich auszubauen. Über diese kontinuierliche Arbeit hinaus haben einzelne Ereignisse im Jahr 2003 öffentliche Aufmerksamkeit gefunden. Im November gründeten Holocaust-Leugner den in Berlin ansässigen "Verein für die Rehabilitierung der wegen Bezweifelns des Holocausts Verfolgten" (= VRBHV). Bundesweite Aufmerksamkeit erregte die Verhaftung Ernst ZÜNDELs - eines der Gründungsmitglieder des VRBHV - in den USA. ZÜNDEL gilt als eine der führenden Figuren der internationalen Revisionisten-Szene; ihm droht nun eine Auslieferung nach Deutschland. Im Juni wurde die "FUN-Partei" (=) von den Betreibern der Internet-Politiksimulation "Democracy Online Today" ausgeschlossen. Rechtsextremisten hatten versucht, sich als demo- 66 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 kratische Mitspieler in der virtuellen Demokratie von "Democracy Online Today" zu präsentieren.94 2.4.1 Publikationen und Schulungseinrichtungen Zeitungen und Zeitschriften suchen eine breite Öffentlichkeit und daher die "Salonfähigkeit" im demokratischen Lager. Die Autoren nennen sich selbst meist "konservativ" und versuchen, sich einen "bürgerlichen" Anstrich zu geben, indem sie sich um eine Distanzierung von aktionsorientierten Rechtsextremisten bemühen. Nichtsdestotrotz richten sie sich jedoch mit ihren Positionen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Eine der bundesweit bekanntesten Zeitungen ist "Nation & Eu"Nation & Europa" ropa" (=). "Nation & Europa" greift aktuelle politische, gesellschaftliche oder historische Themen auf und interpretiert diese im rechtsextremistischen Sinn. Inhaltliche Schwerpunkte bildeten antiamerikanische Artikel zum Irak-Krieg,95 antisemitische Beiträge zur Möllemann-Friedman-Debatte und der Politik Israels sowie antidemokratische Kommentare zur angeblichen Unfähigkeit des bundesrepublikanischen politischen Systems zur Lösung der Probleme des Landes. Eher nach innen gerichtet arbeiten Theorieund Schulungseinrichtungen der rechtsextremistischen Szene. Diese Organisationen richten sich meist an eine rechtsextremistische Klientel, deren Weltbild durch eine intensivere Ideologisierung und Politisierung verfestigt und radikalisiert werden soll. Eine der bekanntesten Schulungsorganisationen ist zur Zeit das "Deutsche Kolleg" (= DK). Aus dem DK heraus wurde 2003 der "Deutsches Kolleg" "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bezweifelns des Holocausts Verfolgten" (VRBHV) gegründet. 2.4.2 "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bezweifelns des Holocausts Verfolgten" (VRBHV) gegründet Der aus dem "Deutschen Kolleg" hervor gegangene Personenkreis um Horst MAHLER verfolgte umtriebige antisemitische und Holocaust-leugnende Aktivitäten. Ein "Feldzug gegen die 94 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2002. Berlin 2003, S. 33. 95 Vgl. S. 18. Programmatik Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 67 Offenkundigkeit des Holocaust" mündete am 9. November in Vlotho in die Gründung des "Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bezweifelns des Holocausts Verfolgten" (VRBHV). Zweck des in Berlin ansässigen Vereins ist es, "durch organisierte Anstrengungen die bisher vorherrschende Vereinzelung der Verfolgten auf(zu)heben, ihrem Kampf um Gerechtigkeit die notwendige Wahrnehmung in der Öffentlichkeit (zu) gewährleisten und die finanziellen Mittel für einen erfolgreichen Rechtskampf bereit(zu)stellen".96 Ziel ist die "Wiederaufnahme aller Strafverfahren (...), die zur Verurteilung wegen Verstoßes gegen SS 130 StGB mit der Begründung geführt haben, daß der Holocaust in dem beschriebenen Sinne eine 'offenkundige Tatsache' sei, die keines Beweises mehr bedürfe".97 Über die Rehabilitierung der wegen Volksverhetzung Verurteilten hinaus, strebt der Verein an, "endlich den Allgemeinen Volksaufstand zur Wiedererlangung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches durch einen organisierten und geordneten Angriff auf die Auschwitzlüge als dem Fundament der Fremdherrschaft über das Deutsche Volk zu beginnen".98 Der Vereinsgründung waren über das gesamte Jahr hinweg aufeinander aufbauende Aktionen vorausgegangen, die alle Revisionismus den Zweck hatten, die historische Tatsache des Holocaust anzuzweifeln. In diesem Bemühen zog der Initiator der Bestrebung, Horst MAHLER, eine wissenschaftliche Untersuchung des "SPIEGEL"-Redakteurs Fritjof MEYER vom Mai 2002 heran, in der MEYER zu dem Schluss kommt, in Auschwitz seien weniger Juden umgekommen als bislang angenommen. Am grundlegenden Urteil über den Holocaust als einzigartigem Menschheitsverbrechen zweifelt MEYER - im Gegensatz zu MAHLER - ausdrücklich nicht. "Dieses Ergebnis relativiert nicht die Barbarei, sondern verifiziert sie...", schreibt MEYER.99 Für 96 Pressemitteilung. Internetauftritt des VRBHV, Aufruf am 8.12.2003. 97 Gründungserklärung. Internetauftritt des VRBHV, Aufruf am 8.12.2003. 98 Internetauftritt des VRBHV, Aufruf am 8.12.2003. Vgl. zu dieser Argumentation den Artikel zum DK, S. 183 ff. 99 Fritjof Meyer: Die Zahl der Opfer von Auschwitz. Neue Erkenntnisse durch neue Archivfunde. In: "Osteuropa" Nr. 5/52. 2002, S. 631 - 641, hier: S. 641. 68 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 MAHLER war die Untersuchung jedoch der Beweis, dass nicht nur die bislang angenommene Anzahl der ermordeten Juden, sondern die Tatsache des von den Nationalsozialisten verübten, systematischen Judenmordes an sich erfunden sei. Zur Klärung der strafrechtlichen Relevanz dieser Aussage erstattete MAHLER gegen MEYER sowie die verantwortliche Herausgeberin der Zeitschrift, in der MEYERs Artikel erschien, die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita SÜSSMUTH, Anzeige wegen Volksverhetzung nach SS 130 StGB. Zudem zeigten sich MAHLER und weitere Mitglieder des DK in gleicher Sache selbst an. In keinem Fall führten die Selbstanzeigen zu den erhofften Verfahren. MAHLER verfasste daraufhin eine Schrift zum Thema Juden"Verdener Manifest" vernichtung im Dritten Reich. Dieses so genannte "Verdener Manifest" bildete die ideologische Grundlage des Aktivistenkreises um MAHLER. Er bezeichnet hierin das Gedenken der Shoa als "Holocaust-Religion" und als ein von den Juden erfundenes Instrument des "Seelenmordes" am deutschen Volk: "Während das Palästinensische Volk den Tod durch israelische Bomben, israelische Panzer und israelische Mörderbanden erleidet, wird das Deutsche Volk Opfer eines von Jüdischen Institutionen organisierten Seelenmordes, wie es ihn in der Geschichte noch nie gegeben hat. (...) Der Aufstand gegen die Jüdische Weltherrschaft hat in Palästina mit der 2. Intifada begonnen. Der Befreiungskrieg setzt sich jetzt fort in Deutschland mit dem Angriff auf das Dogma von den 6 Millionen im Gas umgekommenen Juden."100 Diese von MAHLER verfolgte Argumentation ist ein typisches Neuer Antisemitismus Beispiel für einen "neuen Antisemitismus".101 Im "neuen Antisemitismus" werden nach der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 auch die in Deutschland lebenden Juden kollektiv für die Politik des Staates Israel haftbar gemacht. Zum anderen thematisiert der so genannte "Antisemitismus nach Auschwitz" den Holocaust. Der von den Nationalsozialisten betriebene Völkermord wird entweder verharmlost, als Notwehr eines angegriffenen deutschen Volkes dargestellt oder gänzlich geleug100 Manifest. Von Bürgern des Deutschen Reiches verabschiedet in Verden an der Aller am 5.2.2003. 101 Vgl. zum folgenden Armin Pfahl-Traughber: Antisemitismus in der deutschen Geschichte. Opladen 2002, S. 12 f. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 69 net.102 Eine Argumentationslinie, die auch von MAHLER vertreten wird, stellt die historische Aufarbeitung und das Gedenken an den Holocaust lediglich als ein Instrument oder gar eine Erfindung der Juden dar. Sie diene dazu, die besiegten Deutschen durch Entschädigungsund Wiedergutmachungszahlungen finanziell auszubeuten und durch Indoktrination eines "Schuldkomplexes" ("Holocaust-Religion") am selbstbewussten Verfolgen ihres nationalen Interesses zu hindern. Die Leugnung des Holocaust wurde 1994 als eigener Straftatbestand in den SS 130 StGB ("Volksverhetzung") aufgenommen. Wenn der zeitgenössische Antisemitismus im Vergleich zu der Zeit vor der nationalsozialistischen Machtübernahme auch neue Wege der Argumentation geht, so erscheint er dennoch durch die Argumentation einer angeblich naturgegebenen Feindschaft des deutschen und des jüdischen Volkes als ein sehr traditioneller völkischer Antisemitismus. Auch sind die Stereotype noch immer die gleichen: "Die Juden" werden kollektiv betrachtet und als "ewiger Feind" des deutschen Volkes dargestellt. Als charakterliche Kennzeichen werden ihnen Geldgier, Verschlagenheit und ein Streben nach Weltherrschaft unterstellt. Für Ende Juli plante MAHLER mit einigen GesinnungsReise genossen eine Reise in die KZ-Gedenkstätte Auschwitz (Polen) nach Auschwitz wo er die historische Existenz des Holocaust öffentlich und vor verhindert Pressevertretern anzweifeln wollte. Dem Innenministerium des Landes Brandenburg gelang es mit Hilfe weiterer Behörden, gegen MAHLER passbeschränkende Maßnahmen zu verhängen und die geplante Reise zu verhindern.103 Der vorbereitete "Aufstand für die Wahrheit" wurde stattdessen auf der Wartburg bei Erfurt nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgerufen und muss als Misserfolg gewertet werden. Da auf einem Plakat behauptet wurde "Den Holocaust gab es nicht", wurde Anzeige wegen Volksverhetzung erstattet. Die ursprünglich beabsichtigte provokative Aktion des Holocaust-Leugnens in Auschwitz hätte durch die historische und symbolische 102 Vgl. Werner Bergmann: Antisemitismus in Deutschland. In: Wilfried Schubarth / Richard Stöss (Hg.): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz. Bonn 2000, S. 131 - 154, hier: S. 131. 103 Passbeschränkende Maßnahmen gemäß SS 7 Abs. 1 und 2 Passgesetz sowie SS 2 Abs. 2 des Gesetzes über Personalausweise. 70 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Bedeutung des Ortes als Synonym für den von den Nationalsozialisten verübten Massenmord eine Beleidigung der jüdischen Opfer der Nationalsozialisten bedeutet. Aufgrund der zu erwartenden internationalen Resonanz wäre zudem ein erheblicher Schaden für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten gewesen. Gründung VRBHV Am 9. November wurde der Verein VRBHV gegründet, dem viele international bekannte Revisionisten und HolocaustLeugner beigetreten sind. Die offensichtlich langfristig angelegte Planung des VRBHV lässt auch für das Jahr 2004 einige Aktivitäten erwarten, zumal MAHLER die Herausgabe einer eigenen Vereins-Publikation ("Reichsbürgerbriefe") angekündigt hat. Aufgrund der Konzentration auf sein neues Aktionsfeld erscheint eine Verringerung des Engagements MAHLERs im DK nicht unwahrscheinlich. 2.4.3 Abschiebung des Revisionisten Ernst ZÜNDEL aus den USA und Verhaftung in Kanada Inhaftierung von Am 5. Februar wurde einer der bekanntesten deutschen ReviZÜNDEL sionisten (= Revisionismus), der Holocaust-Leugner Ernst ZÜNDEL, in den USA aufgrund von Vergehen gegen die Einreisebestimmungen festgenommen. Er ist nun in einem kanadischen Gefängnis inhaftiert. Ihm droht die Auslieferung nach Deutschland, wo ein Haftbefehl des Amtsgerichts Mannheim wegen Volksverhetzung (SS 130 StGB) gegen ihn vorliegt. ZÜNDELs Bedeutung für die internationale RevisionistenWeltweiter Vertrieb antisemitischer Szene gründet zum einen auf seinem langjährigen weltweiten Schriften Vertrieb revisionistischen und antisemitischen Schrifttums. Regelmäßig wurde darin der von den Nationalsozialisten betriebene Massenmord an den Juden geleugnet. Heute nutzt er dazu vor allem das Internet. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 71 Zum anderen unterhielt ZÜNDEL weit reichende Kontakte zu Internationale Revisionisten verschiedener Länder. Dazu gehörten Thies Kontakte CHRISTOPHERSEN und Fred LEUCHTER.104 Für seine zahlreichen revisionistischen und Holocaust-leugnenden Aktivitäten und Schriften wurde ZÜNDEL mehrfach verurteilt. Bereits 1958 war ZÜNDEL von Deutschland nach Kanada ausgewandert, wo er sich vergeblich um Einbürgerung bemühte. 2001 siedelte er stattdessen mit seiner zweiten Frau und Mitarbeiterin in die USA über. Da sein Besuchervisum abgelaufen war, verhaftete ihn am 5. Februar die US-amerikanische Einwanderungsbehörde und schob ihn kurz darauf nach Kanada ab. In Kanada stellte ZÜNDEL erfolglos Antrag auf politisches Asyl. Nachdem er dort zum "nationalen Sicherheitsrisiko" erklärt Politisches Asyl abgelehnt wurde, könnte der 64-Jährige nach Deutschland abgeschoben werden. Stereotyp beschuldigen ZÜNDEL und seine Anhänger eine angebliche jüdische Lobby, seine Verhaftung betrieben zu haben. Die kanadische Regierung habe sich zum Erfüllungsgehilfen bei der Auslieferung nach Deutschland gemacht, wo dem Revisionisten gar die Ermordung drohe: "However, I did not expect the Canadian government agencies to jettison basic common law principles merely to fulfill the hate-driven Zionist campaign to extradite Ernst Zündel to 104 CHRISTOPHERSEN ist der Autor von "Die Auschwitz-Lüge", einem der grundlegenden Werke der Holocaust-Leugner; LEUCHTER behauptete in dem nach ihm benannten "Report", die Vernichtung tausender Menschen in den Gaskammern von Auschwitz durch das Gas Zyklon B sei technisch nicht möglich gewesen. Auch wenn der so genannte Leuchter-Report wissenschaftlich unhaltbar ist und mehrfach widerlegt wurde, wird er bis heute von Rechtsextremisten als "Beweis" für die historische Unmöglichkeit des Holocaust herangezogen. 72 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Germany where he faces certain imprisonment, if not certain assassination."105 Über die Auslieferung ZÜNDELs ist bislang noch nicht entschieden. Sein missionarisches Sendungsbewusstsein lässt jedoch erwarten, dass ZÜNDEL auch in Zukunft aktiv bleiben wird: "Ich weiß, daß ich ein Mann bin, der ein Schicksal zu erfüllen hat. Ich weiß, daß ich vor meinen Millionen 'Zündelisten' nicht versagen darf, und vor allem muß ich mich meinen Helden und Vorbildern würdig erweisen."106 Zwar wurde im Internet ein Unterstützungsaufruf initiiert, der Unterstützungsauch von einigen deutschen Staatsbürgern unterzeichnet wuraufruf im Internet de. Aufgrund seines persönlichen Sendungsbewusstseins und seiner jahrzehntelangen Abwesenheit aus Deutschland ist es jedoch fraglich, ob ZÜNDEL nach einer eventuellen Auslieferung in der rechtsextremistischen Szene Deutschlands eine wesentliche Rolle wird einnehmen können. 105 "Was ich allerdings nicht erwartet hatte war, dass sich die kanadischen Regierungsstellen über die elementaren Grundsätze des Gewohnheitsrechtes hinweg setzen, nur um dem Zweck einer von Hass erfüllten zionistischen Kampagne zu dienen und Ernst Zündel an Deutschland auszuliefern, wo er mit Sicherheit inhaftiert, wenn nicht gar ermordet wird." Internetauftritt Ernst Zündels, Aufruf am 23.10.2003. 106 "Stimme des Gewissens" (LSI) Nr. 5 (2003), S. 15. Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 73 2.4.4 Ausschluss der Internet-Partei "FreiheitlichUnabhängig-National" (FUN) aus der virtuellen Politik-Simulation "dol2day" Nachdem verschiedene Verfassungsschutzbehörden (u. a. der Berliner Verfassungsschutz) über den rechtsextremistischen Charakter der seit dem Jahr 2000 existierenden virtuellen Rechtsextremistische "FUN" "FUN-Partei" (= FUN) berichtet hatten,107 wurde sie von den Betreibern der Internet-Politiksimulation "Democracy Online Today" (dol2day) am 3. Juni ausgeschlossen. Damit endete eine viel beachtete rechtsextremistische Initiative im Internet. Für die rechtsextremistische Szene hatte die FUN eine Rekrutierungsund Netzwerkfunktion. Sie diente dem Ziel, über das Rekrutierungsund Netzwerkfunktion Internet die gesellschaftliche Isolation rechtsextremistischer Positionen aufzubrechen und Verbindungen zu schaffen zwischen Rechtsextremisten und Mitgliedern aus dem demokratischen Spektrum. Diese so genannte "Erosion der Abgrenzung" (PfahlTraughber) konnte die FUN aufgrund ihres virtuellen Charakters einfacher erreichen als reale Projekte. Den (relativen) Erfolg dieser Strategie konstatiert in der "Deutschen Stimme" der Ehrenvorsitzende der FUN und langjährige NPD-Funktionär Winfried KRAUSS: "Es [die FUN, d. Verf.] ist die einzige Organisation, in der von den freien Nationalisten über NPD, Republikaner, DVU, Schill, DP bis hin zu nationalen Exponenten oder 'rechten Flügeln' der FDP, CSU und CDU ein breites Spektrum zusammenwirkt."108 Die Beteiligung von Rechtsextremisten an der virtuellen Politiksimulation offenbart die herausragende Rolle des Internets als Herausragende Rolle des Internets Kommunikationsund Propagandamittel. Über das Internet kann rechtsextremistische Propaganda mit geringem Aufwand über regionale und nationale Grenzen hinweg an ein großes Publikum verbreitet werden. Auch jugendliche Nutzer finden hier leichte Zugänge zu rechtsextremistischem Schriftgut, welches anderweitig nicht ohne weiteres zu erlangen gewesen 107 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2002. Berlin 2003, S. 33. 108 Winfried Krauß: Rechte Internet-Erfolge als Alarmzeichen. In: "Deutsche Stimme" Nr. 07, 2003. 74 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 wäre. Dies betrifft insbesondere indiziertes oder strafrechtlich relevantes Material. Für rechtsextremistische Nutzer wecken die zahlreichen Kontaktmöglichkeiten und Links des Internets den Eindruck einer umfangreichen Vernetzung der verschiedenen Szenen. Die Nutzung des Internets vermittelt das Gefühl, Teil dieser (angeblichen) Vernetzung zu sein, und dient der Selbstvergewisserung. Das Internet gestattet es auch örtlich isolierten Rechtsextremisten, bundesoder weltweit in Kontakt mit organisierten Gruppen oder Einzelpersonen zu treten. Diesen Aspekt der Selbstvergewisserung erfüllte die FUN mit ihrer relativ hohen Mitgliederzahl (die allerdings nicht nur Extremisten umfasste) und einem regelmäßig erfolgreichen Abschneiden bei den "dol2day"-Wahlen zum "Internet-Kanzler". Die FUN diente ihren Mitgliedern auch als Diskussionsforum. Anonymität Rechtsextremisten nutzen Internetforen wegen der Möglichkeit, anonym zu agieren. In den Foren kann mit Gleichgesinnten über politische und unpolitische Themen, Ereignisse und Neuigkeiten diskutiert werden, ohne den eigenen Namen preisgeben und ohne die Gesprächspartner persönlich kennen lernen zu müssen. Mangelnde rhetorische Fähigkeiten, fehlendes Selbstbewusstsein im Auftreten und strafrechtliche Relevanz der Äußerungen spielen in virtuellen Foren eine untergeordnete Rolle. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Bekanntschaften Treffen in der realen Welt im Internet über kurz oder lang meist den Wunsch nach Treffen in der realen Welt nach sich ziehen. Dies war auch bei den Mitgliedern der FUN zu beobachten. Mitglieder verschiedener rechtsextremistischer Organisationen nutzten die Plattform der Internet-Partei, um zu realen öffentlichen Veranstaltungen aufzurufen. So konnten durch Treffen in der realen Welt zahlreiche im Internet geknüpfte Kontakte verfestigt werden. Erneute virtuelle Nach dem Ausschluss der FUN aus "dol2day" versuchen die Organisation Mitglieder die bestehenden Verbindungen aufrecht zu erhalten, erwartet "wobei es neben der intensiveren Vernetzung im 'realen Leben' zunächst vordringliches Ziel ist, die Löschung in "dol2day" Aktuelle Entwicklungen - Rechtsextremismus 75 rückgängig zu machen".109 Nach ihrem Ausschluss können Mitglieder der FUN jedoch die Politiksimulation "dol2day" nicht mehr als Propagandaund Rekrutierungsinstrument für rechtsextremistische Zwecke nutzen. Aufgrund der Bedeutung des Internets ist zu erwarten, dass sich die ehemaligen FUN-Mitglieder auch virtuell neu organisieren werden. 109 Wolfgang Viereth: Aus für rechte Internet-Partei. In: "Nation & Europa" Nr. 7/8, 2003, S. 54 f., hier: S. 55. 76 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 3 Linksextremismus 3.1 Überblick Anders als in den Vorjahren hat das linksextremistische PersoPersonenpotenzial: leichte Zunahme nenpotenzial mit ca. 2 410 Personen im Beobachtungszeitraum leicht zugenommen (2002: ca. 2 320).110 Der überwiegende Anteil der Linksextremisten ist dem Feld des aktionsorientierten Linksextremismus zuzuordnen (2003: ca. 2 010 Personen gegenüber 2002: ca. 1 830 Personen). Hierzu zählen Gruppen, die nicht auf parlamentarischen Einfluss abzielen, da dies letztlich eine Anerkennung des politischen Systems bedeuten würde. Sie artikulieren sich in vielfältigen öffentlichkeitswirksamen Aktionen, die bis hin zu Anschlägen reichen können. Die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten unter ihnen stagZahl gewaltbereiter Linksextremisten nierte bei ca. 1 280 Personen (2002: ca. 1 290). Dabei nahm stagniert der Anteil der Autonomen - entgegen den bundesweiten Zahlen - mit ca. 1 080 Personen leicht zu (2002: 1 040), gleichzeitig ging die Zahl der sonstigen gewaltbereiten Linksextremisten auf ca. 200 Personen zurück (2002: ca. 250). Im Bereich des nicht-gewaltbereiten aktionsorientierten Linksextremismus stieg die Zahl um ca. 190 auf ca. 730 Personen an (2002: ca. 540). Aufgrund der Proteste gegen den Irakkrieg und gegen die Sozialreformen sind diese Personen stärker öffentlich in Erscheinung getreten. Die linksextremistische Szene, insbesondere der Bereich der Hohe Fluktuation Autonomen, hat eine hohe Fluktuation, zumal viele Gruppen keine formalisierte Mitgliedschaft kennen. Ihr Aktionsschwerpunkt liegt zumeist auf einzelnen Themenfeldern wie beispielsweise Antifaschismus oder Antirassismus. Die Zahl der linksextremistischen Parteimitglieder sank weiter Parteien: Mitgliederverluste und ging von ca. 490 auf ca. 400 Personen zurück. Die Parteien spielten bereits im Wahljahr 2002 keine relevante Rolle. Im Jahr 2003 ging die Wahrnehmung innerwie außerhalb der 110 Diese Angaben sowie alle folgenden Angaben zu Personenpotenzialen sind geschätzt. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 77 linksextremistischen Szene nochmals zurück. Die Zusammenarbeit zwischen den extremistischen Parteien und anders organisierten Linksextremisten beschränkte sich auf gemeinsame Aufrufe zu Demonstrationen.111 Im Fall der DKP sind innerparteiliche Auseinandersetzungen über eine programmatische Neuorientierung neben der Überalterung der Partei der Hauptgrund, warum die Partei derzeit kaum Außenwirkung hat. 2003 2003 2003 Gesamtpotenzial linksextremistischer Gruppierungen: 2 410 Personen Aktionsorientierte Parteien nichtgewaltbereite Szene 400 730 1 280 Aktionsorientierte gewaltbereite Szene 111 Vgl. S. 21 ff. Weitere Informationen zu den Parteien finden sich im Hintergrundteil. Über die Aktivitäten zum Irak-Krieg hinaus gab es keine aktuellen Ereignisse. 78 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Linksextremistisches Personenpotenzial Linksextremismus Berlin Bund 2002 2003 2002 2003 Gesamt 2 320 2 410 31 500 31 700 ./. Mehrfachmitgliedschaften 400 400 Tatsächliches Personenpotenzial 2 320 2 410 31 100 31 300 Personenpotenziale einzelner Gruppierungen Berlin Bund 2002 2003 2002 2003 Gewaltbereite aktionsorientierte Linksextremisten, davon 1 290 1 280 5 500 5 400 * Autonome1 1 040 1 080 * Anarchisten 200 150 * Antiimperialisten 50 50 Nicht-gewaltbereite aktionsorientierte Linksextremisten davon 540 730 26 0002 26 3002 * "Linksruck" 100 110 * "Sozialistische Alternative Voran" (SAV) 40 50 * "Rote Hilfe e. V." (RH) 300 300 * Sonstige 100 270 Linksextremistische Parteien und innerparteiliche Zusammenschlüsse 490 400 s. o. s. o. Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. 1 Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere hundert Personen. 2 Als Summe für alle nicht-gewaltbereiten Organisationen und Parteien. Straftaten Die Gesamtzahl der Delikte im Phänomenbereich der "Politisch gestiegen motivierten Kriminalität - links" ist im Jahr 2003 um ca. 16 Prozent gestiegen. (2003: 531 Straftaten gegenüber 2002: 458 Straftaten). Viele Straftaten standen im Zusammenhang mit Ausschreitungen bei Demonstrationen. Zahl der Der Anteil der Gewaltdelikte ist mit 157 Straftaten nach wie vor Gewaltdelikte hoch, sank aber im Vergleich zum Vorjahr (2002: 171 Gewaltgesunken delikte). Im Berichtszeitraum waren Sachbeschädigung (130 Straftaten) und der Verstoß gegen das Versammlungsgesetz (141 Straftaten) die häufigsten Delikte. Es wurden 25 Kraftfahrzeuge in Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 79 Brand gesetzt (so genannter "Nobelkarossentod"). In sechs Fällen leitete die Polizei aufgrund vorliegender Selbstbezichtigungen Ermittlungsverfahren nach SS 129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung) ein. 39 Körperverletzungsdelikte hatten einen linksextremistischen Hintergrund. Fallzahlen für Politisch motivierte Kriminalität - Links -1 2002 2003 Gesamt 458 531 Terrorismus, davon 0 5 * Bildung terroristischer Vereinigungen SS 129 a StGB 0 52 Gewaltdelikte, davon 171 157 * Tötungsdelikte SSSS 211 - 221 StGB 0 0 * Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 41 39 * Brandstiftung SSSS 306 - 306 f StGB 20 25 * Sprengstoffexplosion SS 308 StGB 0 0 * Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 58 37 * Widerstandsdelikte (außer SSSS 113 - 121 StGB 51 54 Gefangenenbefreiung) * Raub SSSS 249, 250 StGB 1 2 Andere Straftaten, davon 287 369 * Propagandadelikte SS 86 a StGB 10 31 * Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 116 130 * Beleidigung/üble Nachr./Verleumdung SSSS 185 - 189 StGB 31 27 * Nötigung / Bedrohung SSSS 240, 241 StGB 3 10 * Versammlungsgesetz 87 141 * Sonstiges 40 30 1 Vollständige Angaben im Auszug aus dem Bericht "Kriminalität in Berlin 2003" im Anhang. 2 Hierbei handelt es sich um Verfahren, die beim BKA auf Grund der Deliktszuweisung geführt, aber dem Land Berlin wegen der Tatörtlichkeit zugeordnet werden. Dieses Verfahren wird erst seit 2003 praktiziert. 80 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Bei der Analyse des Linksextremismus werden Aktionsformen und Aktionsfelder der extremistischen Gruppierungen dargestellt. Festzustellen ist nach wie vor eine hohe Gewaltbereitschaft, Hohe insbesondere im autonomen Milieu. Dabei ist autonome Gewaltbereitschaft Autonomer Agitation selten tiefgründig ideologisch fundiert. So wird bei Selbstbezichtigungen zu Anschlägen - sofern diese überhaupt abgegeben werden - nur knapp auf das Motiv für die Auswahl des Anschlagziels eingegangen. Eine Ausnahme ist die von der "militanten gruppe (mg)" seit 2001 geführte "Militanzdebatte", in deren Kontext im Jahr 2003 fünf Brandanschläge einzuordnen sind. Als neue Aktionsform zeichnete sich ab, dass im öffentlichen Raum begangene Gesetzesüberschreitungen bis hin zu schwerem Landfriedensbruch medial inszeniert werden. Beispiele hierfür sind die Verwüstungen von zwei Autohäusern in Kreuzberg, der Angriff auf die Landesvertretung von NRW sowie Aktionen gegen das IOM (International Organisation for Migration). Ein zentrales Ereignis mit erheblichem Mobilisierungseffekt innerhalb der gesamten linksextremistischen Szene war auch 1. Mai 2003 der "Revolutionäre 1. Mai". Neben militanten Autonomen sind aber zunehmend auch gewaltorientierte unpolitische Jugendliche an den gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt. Aktionsfelder Die zentralen Aktionsfelder waren im vergangenen Jahr die Themen Antifaschismus, Antirassismus, Anti-Globalisierung sowie Proteste gegen den Irak-Krieg und die Sozialagenda. Insbesondere dort, wo Maßnahmen der Politik konkrete Auswirkungen auf die Lebenssituation eines breiten Personenkreises haben, versuchen Linksextremisten, in bürgerliche Protestbewegungen hineinzuwirken. Durch eine Reduktion von komplexen Sachverhalten auf griffige Formeln und Schuldzuweisungen112 finden Extremisten dabei nicht selten Gehör bei einer breiteren Bevölkerungsschicht. 112 Aufruf der ALB zur Demonstration am 1.11.2003, "Gemeinsam gegen Sozialkahlschlag": "Den Unternehmerverbänden und der Regierung geht es nur darum, den Banken und Konzernen auf unsere Kosten höhere Gewinne zuzuschieben. Sie sind es, die für Arbeitslosigkeit, leere Staatskassen und Krisen verantwortlich sind." Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 81 Bei den politischen Aktivitäten ist eine Verschiebung der Schwerpunkte feststellbar: Nach Anti-Globalisierung und IrakVerschiebung der Schwerpunkte Krieg hat das Thema Sozialabbau stark an Bedeutung gewonnen. Die Zahl der bundesweiten Anschläge von Linksextremisten auf symbolhafte Einrichtungen mit thematischem Bezug zur Arbeitsmarktund Sozialpolitik stieg im Verlauf des Jahres 2003 an. Der Umbau der Sozialsysteme birgt für die nächste Zukunft ein hohes Agitationspotenzial für Linksextremisten, weil sich deren sozialrevolutionären Vorstellungen mit diesem Protest inhaltlich verbinden lassen. 3.2 Aktionsformen 3.2.1 Militante Aktionen Die linksextremistische Szene in Berlin ist durch eine hohe GeHohe waltbereitschaft geprägt: Von den 2 480 Linksextremisten werGewaltbereitschaft den 1 280 Personen als gewaltbereit eingestuft; sie entstammen überwiegend dem autonomen Milieu. Von den 531 politisch-motivierten Straftaten waren 157 Gewaltdelikte, die vielfach Ausschreitungen im Zusammenhang mit großen Demonstrationen zuzuordnen sind. Zu den Gewaltdelikten zählten auch 25 Brandstiftungen. Gewalt gegen Sachen und Personen wird als Mittel des politischen Kampfes deklariert, öffentlich diskutiert und ausgeübt. So wurde die von einer "militanten gruppe (mg)"113 (=) im November 2001 initiierte "Militanzdebatte" auch im vergangeMilitanzdebatte fortgesetzt nen Jahr in dem Berliner autonomen Szeneblatt "INTERIM" (=) fortgesetzt. Sie wurde durch Brandanschläge und Sachbeschädigungen begleitet; fünf der im Jahr 2003 auch außerhalb Berlins verübten Brandanschläge stehen in ihrem Kontext. Zu vier Anschlägen bekannte sich die "militante gruppe (mg)", ein 113 Die "militante gruppe (mg)" trat erstmals im Sommer 2001 in Aktion, als sie an den damaligen Regierungsbeauftragten für die Entschädigung der Zwangsarbeiter, Otto Graf Lambsdorff, sowie an zwei Mitglieder der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ein Drohschreiben mit der Überschrift "Auch Kugeln markieren einen Schlussstrich..." mit beigefügten Kleinkaliberpatronen schickte. Zeitnah hatte die "militante gruppe (mg)" einen Brandanschlag auf eine Berliner DaimlerChrysler-Niederlassung verübt und dabei einen PKW zerstört. Vgl.: Senatsverwaltung für Inneres, Verfassungsschutzbericht 2001. Berlin 2002, S. 37. 82 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Anschlag wurde von der "Militanten Antiimperialistischen Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney"114 verübt. Die "militante gruppe (mg)" strebt mit der Militanzdebatte eine Vernetzung Vernetzung und Koordinierung der verdeckt agierenden angestrebt militanten Gruppen bundesweit an. Die Vernetzung soll auch durch gegenseitige Bezugnahme bei militanten Aktionen erfolgen. Neben der "militanten gruppe (mg)" und der "Militanten Antiimperialistischen Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney" beteiligten sich in 2003 keine weiteren militanten Zusammenschlüsse oder sie äußerten sich - z. B. in Form von Vorworten in der "INTERIM" - tendenziell skeptisch. Ursprünglich hatten außer Berliner Gruppen115 auch eine "revolutionäre aktion carlo giuliani" und ein "kommando 'freilassung aller politischen gefangenen'" aus Sachsen-Anhalt die Diskussion aufgegriffen. Eine inhaltliche Weiterentwicklung der Militanzdebatte - wie sie Keine inhaltliche die "militante gruppe (mg)" mit der Herausarbeitung einer Entwicklung "Militanten Plattform" gefordert hatte - hat nicht stattgefunden. Die "Militante Antiimperialistische Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney"116 bezeichnete in der "INTERIM" vom 18. September den "Plattformprozess" als "dahinschleichend"117. Den Aufbau einer militanten Plattform sieht sie nach über zwei Jahren Militanzdebatte weiterhin am Anfang: "Wir befinden uns weiterhin in einem Anfangsstadium der Organisierung militanter Zusammenhänge, da weder eine abschließende Diskussion über die Eckpunkte einer militanten Plattform erfolgt ist noch eine stabile gruppenmäßige Basis existiert, um diese offiziell auszurufen."118 114 Der Maoist Pierre Overney wurde 1972 in Frankreich von einem bewaffneten Renault-Wachmann erschossen, als er vor dem Werkstor Flugblätter verteilte. 115 Neben der "militanten gruppe (mg)" und der "Militanten Antiimperialistischen Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney" beteiligten sich "Autonome Gruppen", die "autonome miliz" (am) sowie eine "militante zelle" aus Berlin an der Militanzdebatte. 116 Die Positionen der "militanten gruppe (mg)" und der "Militanten Antiimperialistischen Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney" waren dabei über weite Strecken deckungsgleich, während einige Gruppierungen, die 2002 an der Militanzdebatte teilnahmen, den Positionen grundsätzlich widersprachen. 117 Militante Antiimperialistische Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney: Für eine inhaltlich konstruktive Militanzdebatte und praktisch erkämpfte militante Plattform. In: "INTERIM" Nr. 579, 18.9.2003, S. 12. 118 Ebenda., S. 10. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 83 Die verübten Brandanschläge standen im zeitlichen Zusammenhang mit dem sich anbahnenden Irak-Krieg, dem 1. Mai Brandanschläge oder der Demonstration "Gegen Sozialabbau der Bundesregierung" am 1. November. Mit der Übernahme der Verantwortung für vier Anschläge durch die "militante gruppe (mg)", hat sie in diesem Jahr mehr Anschläge als in ihrem zweijährigen Bestehen zuvor begangen. Der erste Brandanschlag in der Neujahrsnacht auf das Finanz1. Januar: amt Neukölln-Süd verursachte erheblichen Sachschaden. Die Finanzamt Neukölln-Süd "militante gruppe (mg)" setzte so nach ihrem Bekunden ihre "militante Linie gegen Institutionen der sozialen Verelendung und Deklassierung fort. In dem breit angelegten Angriff auf die untersten Segmente der Bevölkerung ist ein Netzwerk von repressiven und bürokratischen Einrichtungen entstanden, das für die zyklische Wirtschaftskrise des kapitalistischen Systems jene (haupt)verantwortlich machen will, die über die geringsten politischen und ökonomischen Einflußmöglichkeiten verfügen und chronisch am gesellschaftlichen Existenzminimum darben."119 Den sich anbahnenden Irak-Krieg nahm die "militante gruppe 26. Februar: (mg)" zum Anlass für einen Anschlag auf zwei Fahrzeuge der Fahrzeuge der Bundeswehr am 26. Februar in Petershagen/Eggersdorf (BranBundeswehr denburg). Der Sachschaden betrug ca. 100 000 Euro.120 Ein Brandanschlag der "Militanten Antiimperialistischen Grup28. April: pe - Aktionszelle Pierre Overney" in der Nacht zum 28. April Arbeitsamt Berlin Süd-West auf das Arbeitsamt Berlin Süd-West scheiterte, da sich die Brandsätze nicht entzündeten. Wenige Tage vorher hatte die "militante gruppe (mg)" in einer Presseerklärung zur "Revolutionären 1. Mai-Demonstration"121 mobilisiert. Am 18. September verübte die "militante gruppe (mg)" einen 18. September: Brandanschlag in Naumburg / Sachsen-Anhalt auf ein DienstJustiz in Naumburg fahrzeug der dortigen Staatsanwaltschaft sowie auf den Eingang des Gerichtsgebäudes. Grund für den Anschlag sei - so die Selbstbezichtigung - der nahende Beginn eines Gerichtsverfahrens gegen drei Personen aus Magdeburg gewesen, die im November 2002 und April 2003 unter dem Verdacht fest119 "militante gruppe (mg)": Anschlagserklärung. In "INTERIM" Nr. 564, 23.1.2003, S. 21. 120 Vgl. S. 19 f. 121 Vgl. S. 85 f. 84 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 genommen wurden, im Raum Magdeburg unter der Bezeichnung "revolutionäre aktion carlo giuliani" bzw. "kommando 'freilassung aller politischen gefangenen'" Anschläge verübt zu haben:122 "Mit unseren militanten Aktionen gegen einen Sektor des Justizwesens erweitern wir unsere sozialrevolutionäre und antiimperialistische Linie um das Feld der Antirepressionspolitik. Dies ergibt sich aufgrund der vollzogenen und zu erwartenden BAW-Vorstöße. Der umfassende Kampf gegen die Klassenjustiz wird zu einer existenziellen Frage des organisierten Widerstandes gegen den sozialen Krieg nach Innen."123 Mit der Selbsteinschätzung als sozialrevolutionär und antiimpeAnknüpfung an Linksterrorismus rialistisch und der Diskussion um die Wiederaufnahme der Anschlagstätigkeit auch gegen Personen knüpft die "militante gruppe (mg)" an die Traditionen des organisierten Linksterrorismus der 70er Jahre an (RAF, "Bewegung 2. Juni, Revolutionäre Zellen"). So "widmete" sie diesen Brandanschlag einem in den 1970ern umgekommenen lateinamerikanischen Revolutionär.124 1. November: Zwei Tage vor der Demonstration "Gegen Sozialabbau der LKW von ALBA Bundesregierung" am 1. November in Berlin wurde ein LKW der Recyclingfirma ALBA im Bezirk Reinickendorf in Brand gesetzt. Die "militante gruppe (mg)" übernahm die Verantwortung für diese Tat und versuchte mit ihrer Selbstbezichtigung, die Demonstration und das Thema Sozialabbau mit ihren eigenen Aktionen in Beziehung zu setzen: "Um den Widerstand gegen die Angriffe des Kapitals und des Staates wirkungsvoll zu vernetzen, müssen lokale Initiativen mit Basisbewegungen in den Betrieben, in den Gewerkschaften zusammenarbeiten und sich solidarisch122 Diese Gruppe hatte sich 2002 rege an der Militanzdebatte beteiligt. Im Dezember 2003 wurden wegen vollendeten und versuchten Brandanschlägen zwei der drei Personen zu zweieinhalb und zwei Jahren Haft verurteilt. Eine Person wurde freigesprochen. 123 "militante gruppe (mg)": Anschlagserklärung. In: "INTERIM" Nr. 582, 13.11.2003. Mit der Formulierung "BAW-Vorstöße" meint die "militante gruppe (mg)" Ermittlungen des Generalbundesanwaltes gegen militante Gruppierungen. 124 Sie bezog sich auf Miguel Enriquez, den 1974 umgekommenen Generalsekretär einer bewaffneten revolutionären Gruppierung in Chile. Mit der "Anschlagswidmung" griff die "militante gruppe (mg)" einen Vorschlag der "Militanten Antiimperialistischen Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney" auf, die dies kurz vorher in einem Beitrag zur Militanzdebatte vorgeschlagen hatte. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 85 kritisch aufeinanderbeziehen. Diese Organisierung fassen wir als eine Tendenz zur realen Klassenformierung auf, deren Ausdruck die sozialen (Klassen-)Kämpfe gegen die Zerschlagung des Sozialstaates und darüber hinaus gegen den Kapitalismus sind oder sein könnten. Der militante Ausdruck dieses Klassenkampfes ist wichtiger Teil einer solidarischen Politik gegen die Herrschenden. Deshalb ist es notwendig, die militante Plattform aufzubauen und zu diskutieren."125 Auffallend ist, dass die "militante gruppe (mg)" zu wechselnden Wechselnde Themen Anschläge begeht, anstatt in einem BegründungszuBegründungssammenhang dauerhaft tätig zu sein. Eine Erklärung hatte sie zusammenhänge bereits im Jahr 2002 abgegeben: "Wir gehen [...] davon aus, dass wir inhaltlich keine temporäre kampagnenorientierte Ein-Punkt-Thematik aufgreifen wollen. Auch eine thematische Einengung auf einen Teilbereichkampf entspricht nicht einem revolutionärem Projekt, dass sich gesamtgesellschaftlich orientiert. Für einen umfassenden revolutionären Organisierungsprozeß kann nur ein kontinuierliches themenübergreifendes Agieren auf der Grundlage eines sozialrevolutionären und antiimperialistischen Ansatzes in Frage kommen."126 Sowohl der "militanten gruppe (mg)" als auch der "Militanten Antiimperialistischen Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney" geht es nicht nur um die Festigung ihrer Positionen innerhalb des linksextremistischen Spektrums. Vielmehr suchen beide Öffentlichkeit gezielt die Wahrnehmung in der breiten Öffentlichkeit. Mit diegesucht sem Bemühen heben sie sich von anderen militanten Zusammenhängen ab, nicht dagegen in der Qualität der Anschläge. So veröffentlichte die "militante gruppe (mg)" eine PresseerPresseerklärung klärung zum "Revolutionären 1. Mai 2003", die am 21. April bei einer Berliner Tageszeitung einging und später auch im Szeneblatt "INTERIM" abgedruckt wurde. In dieser Presseerklärung zählte sie mehrere "sozialtechnokratische Institutionen"127 auf. Sie wolle "einen Anstoß für andere liefern, selbst zu recher125 "militante gruppe (mg)": Alba in den Müll! Entsorgt Alba! In: "INTERIM" 582, 13.11.2003. 126 "militante gruppe (mg)": Für einen revolutionären Aufbauprozess. Militante Plattform. In: "INTERIM" Nr. 550, 9.5.2002. 127 Arbeitsund Finanzämter sowie Berliner Senatsverwaltungen wurden als potenzielle Angriffsziele genannt. 86 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 chieren und die Initiative zu ergreifen."128 Gleichzeitig verknüpfte die Presseerklärung die kommenden 1. Mai-Demonstrationen mit der Militanzdebatte ("Heraus zum revolutionären 1. Mai - Hinein in die militante Plattform") und rief zu Ausschreitungen auf: "Jedem neuerlichen Befriedungsversuch von Staat und Kapital ist eine klare Absage zu erteilen; die Straße ist zu unserem Ort der Revolte und des militanten Protests zu machen!"129 Diese Pressemitteilung erzielte ein weitaus größeres Medienecho als die bisher verübten Anschläge. In der Folgezeit wurde dies sowohl von der "militanten gruppe (mg)" als auch von der "Militanten Antiimperialistischen Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney" in der "INTERIM" diskutiert. Die "militante gruppe (mg)" hat ihre Anschlagsserie bereits in der Neujahrsnacht 2003/2004 kurz nach dem Jahreswechsel mit einem Brandanschlag auf das "Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung" (DIW) fortgesetzt. Künftige Anschläge auf diesem Niveau sind zu erwarten. Die Militanzdebatte hat wie dargestellt bei militanten Linksextremisten nicht mehr die Beteiligung wie im Jahr 2002 gefunden. Gleichzeitig stieg aber die Anzahl der ihnen zuzurechnenden Brandanschläge in Berlin von 20 auf 25 an. Im Gegensatz zu den Selbstbezichtigungen von an der Militanzdebatte beteiligten Gruppierungen sind die SelbstbeWeitere Anschläge zichtigungen zu sonstigen Anschlägen mit linksextremistischem Hintergrund gewöhnlich sehr kurz gehalten. Insbesondere aus Schutz vor Strafverfolgung werden die meisten der konspirativ vorbereiteten und durchgeführten Anschläge auch nicht unter einer dauerhaften Gruppenbezeichnung, sondern lediglich unter einmaligen Aktionsbezeichnungen oder ohne jede Be5. Juli: zeichnung verübt. Ein Beispiel hierfür ist der fehlgeschlagene Anschlagsversuch Brandanschlag einer bis dahin nicht in Erscheinung getretenen auf Schloss Niederschönhausen Gruppierung "Revolutionärerer Aufbau" in der Nacht zum 5. Juli auf das im Umbau befindliche Schloss Niederschönhausen in 128 Presseerklärung zum "Revolutionären 1. Mai 2003" in Berlin von der "militanten gruppe (mg)". 129 Ebenda. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 87 Pankow. Dorthin zieht im Jahr 2004 die Bundesakademie für Sicherheitspolitik, gegen die sich der Anschlag richtete. Weitere Brandanschläge richteten sich gegen die Atomenergie Anschläge gegen und gegen an der Atomindustrie beteiligte Firmen. So wurden Firmen wie auch in der Vergangenheit Anschläge auf Fahrzeuge der Firma Siemens verübt. 3.2.2 Demonstrationen und Ausschreitungen zum "Revolutionären 1. Mai" Die jährlich am 1. Mai in Kreuzberg stattfindenden Demonstrationen und die gewalttätigen Auseinandersetzungen sind seit nunmehr 17 Jahren ein Ritual für die linksextremistische Szene in Berlin und über die Stadt hinaus. Nachdem 1987 erstmals ein Straßenfest in Kreuzberg eskalierte und in Krawallen und Plünderungen mündete, werden von linksextremistischen Gruppierungen alljährlich so genannte "Revolutionäre "Revolutionärer 1. Mai-Demonstrationen"130 angemeldet. Bis vor wenigen Jah1. Mai" ren kam es regelmäßig zum Abschluss der Aufzüge oder in zeitlicher Nähe nach deren Abbruch zu Ausschreitungen. Im Jahr 2003 begannen die Ausschreitungen räumlich getrennt von den Demonstrationen bereits zu einem Zeitpunkt, als der Aufzug noch an einer anderen Stelle in Bewegung war. 2003 verübten Unbekannte bereits in der Nacht zum 28. April Brandanschlag im einen Brandanschlag auf das Arbeitsamt Süd-West, der eine Vorfeld mobilisierende Wirkung für die militanten Kräfte in der linksextremistischen Szene haben sollte. Zu diesem Anschlag bekannte sich die "Militante Antiimperialistische Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney": "Als Mobilisierungsbeitrag für den revolutionären 1. Mai haben wir am 27. April im Lieferanteneingang des Arbeitsamtes [...] mehrere Liter Benzin [...] zur Explosion gebracht."131 Da der Brandsatz nicht zündete, entstand kein Sachschaden. Wie bereits in den letzten Jahren waren verstärkt deutsche und ausländisch-stämmige Jugendliche an den Ausschreitungen 130 Der Name betont die Abgrenzung zu anderen Veranstaltungen, wie sie beispielsweise von Gewerkschaften organisiert werden. 131 Selbstbezichtigung der "Militanten Antiimperialistischen Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney". In: "INTERIM" Nr. 572, S. 7 f. 88 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Ausschreitungen beteiligt, die wenig bis keine politische Motivation erkennen nicht nur politisch ließen und denen es in erster Linie auf die gewalttätigen Ausmotiviert einandersetzungen mit der Polizei ankam. Angehörige des linksextremistischen Spektrums meldeten die Demonstrationen an, als Teilnehmer an den Ausschreitungen wurden sie selbst jedoch nur in geringer Zahl festgestellt. Mauerpark Schwere Ausschreitungen gab es bereits am 30. April im Walpurgisnacht Bereich Mauerpark (Prenzlauer Berg). Dort hatte eine Einzelperson, die der "Antifaschistischen Linken Berlin" (= ALB) zuzuordnen ist, für ein "breites Aktionsbündnis verschiedener Gruppen der außerparlamentarischen Linken" eine Demonstration mit dem Titel: "Auf in den Mai: Gegen Sozialabbau, für Solidarität! Gegen neoliberale Barbarei, für radikale Umverteilung!" angemeldet. In aggressiven Redebeiträgen wurde die Stimmung aufgeheizt und dazu aufgefordert, gegen die bereitstehenden Polizeikräfte vorzugehen: "Der 1. Mai beginnt heute [...] Das, was heute stattfindet, muss morgen beglichen werden. Die Bullen sind eine Arbeitsgruppe, die bekämpft werden muss." "Wir hoffen, dass ihr heute abend und auch morgen jede Menge Spaß, vor allen Dingen Erfolg habt! [...] Wir sind hier, um [...] gegen die Verhältnisse anzugehen, ich hoffe, ihr auch! Die Verhältnisse haben einen Namen - der heißt Kapitalismus - und der gehört abgeschafft!" Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 89 Zum Abschluss hieß es dann - in Erwartung von Krawallen: "Es geht los! Wir haben hiermit von unserer Seite das ganze offiziell beendet. Passt auf euch auf, lasst euch [...] nichts gefallen!" Schon ab 21.00 Uhr wurden aus der ca. 5 000 Personen starken Menge vereinzelt Feuerwerkskörper auf die Polizei geschossen. Es kam zu einer Gewalteskalation, bei der zumeist Täter aus dem Punkerund Trinkermilieu Polizeibeamte mit Flaschen und Steinen bewarfen. Im Umfeld des Mauerparks wurden einige Fahrzeuge beschädigt sowie Hindernisse auf den Straßen errichtet. Es entstand hoher Sachschaden. 1. Mai in Kreuzberg Im Frühjahr 2002 war erstmals der Versuch unternommen worden, unter dem Namen "Denk Mai neu" ein breites Bündnis für einen gewaltfreien 1. Mai zu bilden. Es wurde weitgehend von bürgerlichen Gruppen getragen, - einzelne Gruppen aus dem linksextremistischen Spektrum, so die "Antifaschistische Aktion Berlin" (= AAB), waren einbezogen. Der Versuch scheiterte damals unter anderem am mangelnden Willen der restlichen linksextremistischen Szene in Kreuzberg. 2003 hieß es dazu: "Es war ein großer Erfolg, dass es letztes Jahr gelungen ist, das Bürgerbündnis um den FU-Professor Grottian mit seinem widerlichen Konzept der Befriedung und Entpolitisierung des 1. Mai einen Strich durch die Rechnung zu machen. Aber auch dieses Jahr gibt es wieder den Versuch einen 'friedlichen 1. Mai 2003' zu erreichen. Das Bezirksamt und die Bullen arbeiten eng zusammen, um dieses Befriedungsprojekt erreichen."132 Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg richtete auf den PlätDeeskalation durch zen, an denen es immer wieder zu Ausschreitungen kam, ein Kulturprogramm groß angelegtes Volksund Familienfest aus. Durch das Kulturprogramm sollte im Bereich SO 36133 für eine entspannte Stimmung gesorgt werden, um den Platz für Gewalttäter zu 132 Presseerklärung der "militanten gruppe (mg)" zum 1. Mai 2003. In: "INTERIM" Nr. 571, S. 18 f. 133 Ehemaliger Zustellbezirk Süd-Ost 36 in Kreuzberg. 90 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 blockieren. Dieses so genannte MyFest wurde von über 20 000 Personen besucht. Parallel zu dieser Festveranstaltung wurden von fast ausMehrere schließlich linksextremistischen Gruppierungen zwei "revolutio"revolutionäre" Demonstrationen näre" Demonstrationen durchgeführt. Wegen der Zerstrittenheit der Szene meldeten unterschiedliche Veranstalter - wie schon im Jahr 2002 - diese beiden Demonstrationen an. Einer der Gründe, warum man sich erneut nicht auf einen zentralen Demonstrationstermin einigen konnte, war die gegensätzliche Positionierung linksextremistischer Gruppen in der IsraelPalästina-Frage (= Israel-Palästina-Debatte). Zur "Revolutionären 1. Mai"-Demonstration um 15.00 Uhr riefen 15.00 UhrDemonstration vorwiegend linksextremistische Gruppen auf, die sich in einem "Linksradikalen und Autonomen 1.-Mai-Bündnis" zusammengeschlossen hatten. Zu ihnen zählten die "Rote Aktion Berlin" (RAB), die "Revolutionären Kommunisten" (RK), die "Berliner Anti-NATO-Gruppe" (B.A.N.G), die "Freie Arbeiter Union" (FAU) sowie die "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB). Diese Demonstration stand unter dem Motto: "Gegen Krieg nach außen und nach innen / Keine Befreiung ohne Revolution". Für 18.00 Uhr riefen die Gruppe "Kritik & Praxis" (=) sowie an18.00 UhrDemonstration dere aus dem "Antifa"-Bereich stammenden Gruppen mit tendenziell "anti-deutscher" und israel-freundlicher Haltung zu einer weiteren "Revolutionären 1. Mai-Demonstration" auf, die am Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 91 Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte begann und in Kreuzberg endete. Diese stand unter dem Titel "Nie wieder Frieden - fight new world order - fuck old europe". Dabei schlugen die Veranstalter immer wieder einen inhaltlichen Bogen von Einzelthemen wie dem Irakkrieg zur Systemfrage: "Ein Krieg zur Durchsetzung von kapitalistischen Verwertungsinteressen ist von der Linken zu bekämpfen. Das linke Gegenkonzept kann aber nicht einfach 'Frieden' heißen. Zumindest nicht, solange Frieden nicht die Abschaffung des Kapitalismus bedeutet. Wer vom Kapitalismus nicht sprechen will, soll vom Frieden schweigen".134 Offiziell wurden von den Veranstaltern zwar keine AusschreiInkaufnahme von tungen propagiert, sie wurden aber von ihnen bereits im Vorfeld Ausschreitungen billigend in Kauf genommen. Auf einen Aufruf zur Militanz135 reagierte ein Vertreter von "Kritik & Praxis" bei einer Pressekonferenz des Veranstalters: "Wir distanzieren uns nicht von Verlautbarungen anderer linker Gruppen. [...] Unsere Aufgabe ist es nicht, für Ruhe und Ordnung zu sorgen oder irgendwelche Fensterscheiben zu schützen."136 Bei den Demonstrationen mit insgesamt ca. 6 500 Teilnehmern gab es keine besonderen Vorkommnisse. Hingegen kam es in den Abendstunden des 1. Mai in KreuzAusschreitungen in berg wiederum zu erheblichen Ausschreitungen. An verschieden Abendstunden denen Orten im so genannten SO 36 wurden Steine auf vorbeifahrende KfZ und eine U-Bahn geschleudert sowie mehrere geparkte Fahrzeuge in Brand gesetzt. Ein Autohaus wurde attackiert, dort ausgestellte Autos sowie die Geschäftsräume selbst schwer beschädigt. Bis nach 23.00 Uhr dauerten die militanten Auseinandersetzungen von ca. 1 300 Personen mit der Polizei an. Neben linksextremistisch orientierten Autonomen fand sich trotz Gewaltbereite zunehmend distanzierter bis ablehnender Haltung der Jugendliche Kreuzberger Bevölkerung auch eine Vielzahl von gewaltbe134 Aufruf der Gruppe "Kritik & Praxis B3rlin" für die Demonstration um 18.00 Uhr. 135 "Befriedungsund Counterstrategien sind in ihrer Wirkung der massivste Akt der staatlichen Gewalt, militante Gegenwehr ist dagegen ein Akt des Selbstschutzes. Berlin - militant am 1. Mai!", Presseerklärung der "militanten gruppe (mg)" vom 17.4.2003. In: "INTERIM" Nr. 571, 1.5.2003, S. 18 f. 136 Krawall mit Ansage. In: "Berliner Morgenpost" vom 23.4.2003, S. 18. 92 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 reiten Jugendlichen zusammen. Die Anwesenden waren teilweise polizeifeindlich eingestellt und krawallorientiert. Hinzu kam die Erwartung von Ausschreitungen an diesem Abend. Nicht wenige der Festgenommenen waren bereits früher wegen unterschiedlicher Gewalttaten polizeilich in Erscheinung getreten und vermutlich auf die Gelegenheit aus, sich an Polizei und Staat "rächen" zu können. Ebenfalls ohne tieferliegende politische Motive haben sich auffällig viele ausländischstämmige Jugendliche an den Krawallen beteiligt. 3.3 Aktionsfelder 3.3.1 "Antifaschistischer Kampf" Hauptagitationsfeld Antifaschismus ist das Hauptagitationsfeld einiger Gruppierungen der autonomen Szene. Sie sehen sich als originäre Bewahrer des antifaschistischen Kampfes und lehnen staatliche Maßnahmen gegen rechtsextremistische Erscheinungsformen ab, da diese nicht das kapitalistische System als wahre Ursache des Rechtsextremismus bekämpften, sondern nur dessen Symptome: "Durch die staatliche Initiative gegen Rechtsextremismus sollte revolutionärer Antifaschismus überflüssig erscheinen. Doch nur eine antifaschistische Bewegung, die Zusammen- Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 93 hänge zwischen Kapitalismus und Faschismus erkennt, kann auch dem Naziterror effektiv begegnen."137 Der "antifaschistische Kampf" kennt viele Aktionsformen, von Viele der Teilnahme am bürgerlichen Protest über die Organisation Aktionsformen und Durchführung von eigenen "Antifa"-Demonstrationen bis hin zu Anschlägen. Bei den Gewalttaten reichte die Bandbreite von Sachbeschädigungen wie beispielsweise Farbschmierereien bis hin zu Angriffen auf Personen, auf deren Kraftfahrzeuge oder Versammlungsstätten. Ein wichtiges Instrument sind unregelmäßig erscheinende Publikationen, die vor allem auf eine linksextremistische Leserschaft abgestimmt sind. Hier werden Ergebnisse der so genannten "Antifa"-Recherche veröffentlicht. In erster Linie han"Antifa"-Recherche delt es sich dabei um Fotos und Namen von tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten. Ausgespähte persönliche Daten wie Anschriften und Telefonnummern werden zumeist anonym im Internet oder in der Szenezeitschrift "INTERIM" veröffentlicht. Diese Veröffentlichungen sind unverhohlene Aufforderungen, gegen die genannten Personen, Firmen oder Einrichtungen "aktiv" zu werden.138 Anschläge mit So setzten am Morgen des 11. Juni unbekannte Täter in Zeh"Antifa"lendorf ein KfZ in Brand. Der Wagen stand vor einem Haus, Hintergrund 137 Dokumentation eines Flugblatts durch die "Antifaschistische Linke Berlin" im Internet vom 10. Dezember. 138 Eine entsprechende Vorgehensweise findet sich im Bereich Rechtsextremismus mit der Informationssammlung der so genannten "Anti-Antifa". Vgl. "Dynamik Kameradschaftsszene", S. 37 f. 94 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 das von einer studentischen Verbindung genutzt wird. In der Nacht vom 12. auf den 13. Juni gab es Farbschmierereien "Gegen Nationalisten!" und "Fuck Nazis" am Gebäude einer anderen studentischen Verbindung in Lichterfelde (Steglitz-Zehlendorf). Beide betroffenen Vereinigungen waren zuvor - gemeinsam mit anderen studentischen Verbindungen - auf einem Flugblatt aufgelistet und als rechtsextremistisch bezeichnet worden. Da einschlägige Sachbeschädigungen an Gebäuden oder Fahrzeugen meist nachts begangen werden, ist eine Zuordnung zu bestimmten Personenzusammenhängen häufig nicht Vereinzelte Selbstmöglich. Bisweilen werden aber nachträglich anonyme Selbstbezichtigungen bezichtigungen veröffentlicht wie im Fall des Brandanschlags auf das Fahrzeug eines bekannten Rechtsextremisten in Wedding (Mitte). In der Szenepublikation "INTERIM" hieß es dazu: "AM 30. JULI BRANNTE NUN SEIN AUTO [...] IN DER NÄHE SEINER WOHNUNG IN DER [...] STRASSE. [...], ALTERNDER NEONAZI MIT FÜHRUNGSANPRUCH; BEEINFLUSSTE SEIT JAHRZEHNTEN DIE NEONAZISZENE IM GANZEN BUNDESGEBIET UND WURDE BIS DATO ZU WENIG ZUR RECHENSCHAFT GEZOGEN! BIS ZUM 139 NÄCHSTEN MAL!" Auch linksextremistisch motivierte Körperverletzungen sind Angriffe auf Personen immer wieder geplant: Am 18. Juli wurde die Angestellte eines Geschäftes, das in "Antifa"-Kreisen als Anlaufpunkt für Rechtsextremisten gilt, von drei Personen niedergeschlagen und als "Nazi" beschimpft. Am 23. Oktober lauerten fünf Personen einem Mitglied der rechtsextremistischen "Berliner Alternative Süd-Ost" (BA-SO) und verletzten ihn schwer. Auseinandersetzungen mit tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten finden zudem ungeplant und spontan statt, wenn Angehörige der jeweiligen Szenen aufeinandertreffen. Teilnahme an Darüber hinaus organisieren "Antifa"-Gruppen zahlreiche DeLuxemburgLiebknechtmonstrationen oder nehmen an ihnen teil. So beteiligten sie Demonstration sich an der von orthodoxen extremistischen Parteien und Organisationen maßgeblich organisierten Luxemburg-LiebknechtDemonstration. Dem Aufruf zu der unter anderem von der DKP 139 "INTERIM" Nr. 578, 4.9.2003, S. 16. Im Zitat aus der Selbstbezichtigung wurden die Personendaten vom Verfasser anonymisiert. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 95 mitgetragenen Demonstration am 15. Januar schloss sich auch die "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB) an. Am 1. Mai kamen neben den bürgerlichen GegendemonstranGegenten mehrere hundert Personen zumeist aus dem autonomen demonstration "Antifa"-Milieu, um gegen den NPD-Aufmarsch in Westend am 1. Mai (Charlottenburg-Wilmersdorf) zu protestieren. Sie hatten sich an verschiedenen Punkten der Demonstrationsroute postiert, agierten in Kleingruppen und versuchten, eine direkte Konfrontation mit den Rechtsextremisten zu provozieren. Es gelang der Polizei, dies zu verhindern. Dazu aufgerufen hatte u. a. ein Bündnis "Gemeinsam gegen Rechts", das nach eigenem Bekunden als "ein Zusammenschluss von "Antifa"-Gruppen, GewerkschaftlerInnen und zahlreichen linken Initiativen aus Berlin"140 auftrat. Die Dominanz linksextremistischer autonomer Gruppierungen in diesem Bündnis wurde durch die Veröffentlichung eines eigenen Mobilisierungstextes auf einer einschlägigen Internetseite deutlich. Unter der Überschrift "Jeden Tag 'ne gute Tat - heute scheiss ich auf den Staat" wandte sich der Aufruf gegen den Aufzug der NPD. Zugleich wurde auch ein Angriff auf staatliche Strukturen gefordert: "Gerade am 1. Mai - dem internationalen Kampftag der Linken - werden wir gemeinsam gegen Nazis auf die Straße gehen, weil sie die krassesten Erscheinungsformen dieser Gesellschaft sind. Allerdings ohne zu vergessen, dass eine radikale Auseinandersetzung mit Nazi-Ideologie, mit Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus auch die kapitalistischen Grundprinzipien dieser Gesellschaft angreifen muss! Egal wo die Stiefelnazis der NPD marschieren: Sie müssen mit offensivem antifaschistischen Widerstand rechnen!" 141 In zeitlichem Zusammenhang stand eine aus brennenden Autoreifen bestehende Blockade in den Morgenstunden des 1. Mai unter einer Autobahnbrücke in Grunewald. Hiermit sollte einer der Anfahrtswege der Teilnehmer der NPD-Demonstration blockiert werden. 140 Internetveröffentlichung des Bündnisses vom 8.4.2003. 141 Ebenda. 96 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Bisweilen verschleiern die aus dem autonomen "Antifa"-Bereich Beteiligung auch an bürgerlichen stammenden Gruppen ihre extremistischen Ziele, um sich am Aktionen bürgerlichen Protest zu beteiligen, die Adressaten ihrer Anliegen nicht von vorneherein abzuschrecken und eine positive Resonanz zu erzeugen. Die Teilnahme an öffentlichen politischen Veranstaltungen wird als Strategie gutgeheißen. So beteiligten sich "Antifa"-Gruppen am 14. September in Mitte an einem "Aktionstag gegen Rassismus, Neonazismus und Krieg". Die linksextremistische "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB) kopierte auf ihrer Internetseite den allgemeinen Aufruf des Unterzeichnerund Unterstützerkreises142 und meldete für den Tag einen eigenen Informationstand an.143 Im Jahr 2003 blieb die Zahl der Aktionen, die dem "Antifa"Bereich zuzuordnen sind, auf dem Niveau der Vorjahre. Allerdings agierten antifaschistische Gruppen nicht nur zu eng umrissenen antifaschistischen Themen, sondern auch zu weiteren Themenfeldern, insbesondere dem "Kampf gegen den Umbau der Sozialsysteme".144 Dies erklärt sich mit ihrem Antifaschismusverständnis, dem zufolge ein immanenter Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus bestehe. 142 Internetveröffentlichung am 8.7.2003. 143 Internetveröffentlichung am 24.7.2003. 144 Vgl. S. 104. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 97 Spaltung der Gruppe "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB) Eine besondere Stellung innerhalb der antifaschistischen SzeBesondere Stellung ne hatte bis zum letzten Jahr die "Antifaschistische Aktion der AAB Berlin" (= AAB) inne, die sich nach eigener Darstellung wegen grundlegender Uneinigkeiten über die weitere inhaltliche AusSpaltung im richtung am 13. Februar aufgelöst und in zwei etwa gleich starFebruar 2003 ke Gruppen gespalten hat. Die ursprünglich ungefähr 70 Personen der AAB teilten sich in die "Antifaschistische Linke Berlin" (= ALB) und "Kritik & Praxis B3rlin" (= KP). Die ALB versteht sich als der aktivere Teil und tritt seit März ALB öffentlich in Erscheinung. Die Gruppe knüpft logistisch, ideologisch und strategisch in stärkerem Maße an die AAB an als die KP. Auf der bisherigen Internetseite der AAB werden die Postfachsowie E-Mail-Adresse der AAB als Kontaktadresse der ALB angegeben. Die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch namenlose Gruppe erklärte sich in einer Stellungnahme im Internet selber zur Nachfolgeorganisation der AAB: "Die Art und Weise unserer Politik wird an den Grundlagen der verflossenen AAB ausgerichtet sein, d. h. wir wollen über die radikale Linke hinaus wirken und unsere Politik entwickeln, als Teil der Bewegungslinken mit eigenen Positionen bestechen, statt uns an der "Beschränktheit" anderer Linker abzuarbeiten."145 Die Veröffentlichungen und Positionserklärungen der ALB unNachfolgeanspruch terstreichen diesen Nachfolgeanspruch, da sie teilweise wörtlich aus Texten der AAB übernommen wurden, die bis in den Herbst des Jahres 2000 zurückreichen. Gleiches gilt für die Verwendung von Parolen und Symbolen. "Kritik & Praxis B3rlin" (KP) forderte eine fundiertere theoreti"Kritik & Praxis sche Basis und eine entsprechende Vertiefung der politischen B3rlin" Arbeit, um so ein Fundament für ihre praktischen Aktionen zu schaffen. 145 Internetveröffentlichung, 18.2.2003, "INTERIM" Nr. 567, 6.3.2003, S. 24 ff. 98 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Auch KP hat sich im Internet und in Szenepublikationen146 über die Gründe der Spaltung der AAB und über die eigenen Vorstellungen zur künftigen politischen Arbeit geäußert. Nach ihrer Ansicht haben die zentralen Strategien - das heißt, eine tendenziell kurzfristige Perspektive und tagespolitische Ausrichtung ihrer Aktionen - die ehemalige AAB in die Krise geführt. KP kritisiert, dass der Entwicklung und zunehmenden Bedeutung der Anti-Globalisierungsbewegung - in die es mehr als bisher hineinzuwirken gegolten habe - zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden sei. Hier sei eine Abkehr vom ursprünglichen Konzept des "revolutionären Antifaschismus" notwendig geworden. Die von jeher bestehende Schwäche dieses Konzepts, erst über den Hebel des Vorgehens gegen Rechtsextremisten zur Kritik am kapitalistischen Staat zu gelangen, sei ein unzeitgemäßer Umweg gewesen. Dementsprechend werde Antifaschismus künftig nicht mehr der Drehund Angelpunkt der Argumentation von KP sein. Ausweitung der Bestandteile der eigenen praktischen Arbeit sollen die PolitikTätigkeiten felder Antikapitalismus (hierzu zählt sie auch Antiglobalisierung) und Antifaschismus sowie die Handlungsansätze "Jugendarbeit, Verankerung an der Universität und 'Kampf um die Köpfe'" sein.147 Getrennte Wie die Ankündigungen der beiden Gruppen ALB und KP beEntwicklung reits erwarten ließen, gingen sie 2003 weitgehend ihre eigenen Wege. Dies zeigte sich besonders bei den Teilnahmen an und der Organisation von eigenen Demonstrationen. Zwei Beispiele hierfür sind die unterschiedlichen Demonstrationszüge am 1. Mai148 und die Gegendemonstrationen zum "Tag der Heimat" (gemeint ist der 'Tag der deutschen Einheit'): Am 3. Oktober beteiligte sich die ALB an einer Pro-Palästina-Demonstration, 146 Internetveröffentlichung, 14.2.2003: "die bessere Hälfte: Erklärung zur Auflösung der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB)". Vgl. "INTERIM" Nr. 566, 20.2.2003, S. 12 ff. 147 Internetauftritt der KP. Auffallend ist hier, dass der strategische Begriff der NPD - "Kampf um die Köpfe" - aufgegriffen wird. 148 Vgl. S. 90 f. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 99 während KP auf einer Demonstration in Erscheinung trat, bei der auch Israel-Fahnen gezeigt wurden.149 Berliner "Antifa"-Szene gab es keine erkennbaren Reaktionen anderer Gruppierungen auf die Spaltung der AAB. 3.3.2 Linksextremistisch beeinflusster Antirassismus Antirassismus war weiterhin einer der Schwerpunkte der linksextremistischen Aktivitäten; das Thema verfügt über ein dauerhaft hohes Mobilisierungspotenzial. Bei weitem nicht alle Berliner antirassistischen Initiativen und Gruppen sind dem linksextremistischen Spektrum zuzuordnen. Jedoch gibt es in Berlin mehrere zumeist informelle Kleingruppen, die maßgebMeist informelle lich von Linksextremisten beeinflusst werden und auch militant Kleingruppen agieren. Zuwanderungsbeschränkungen und Sonderbehandlungen von Asylsuchenden werden als rassistische Politik des Staates gegenüber Migranten gewertet. Beispielhaft für die linksextremistischen Argumentationsmuster ist die Demonstration "Nazis morden, der Staat schiebt ab!" vom 26. April, die an der NPDGeschäftsstelle in Köpenick und der dortigen Abschiebehaftanstalt vorbei führte. Die Abschiebepraxis wurde hier mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt. An der Demonstration beteiligten sich mehrere autonome "Antifa"-Gruppen, darunter auch die ALB.150 149 Vgl. hierzu auch: Mit "Antideutschen" reden wir nicht - mit "Antideutschen" demonstrieren wir nicht. In: "INTERIM" Nr. 582, 13.11.2003, S. 18 f. Vgl. auch Hintergrund "Israel-Palästina-Debatte", S. 202 ff. 150 Die Demonstration wenige Tage vor dem 1. Mai sollte darüber hinaus auch zur "Revolutionären 1. Mai-Demonstration" mobilisieren. 100 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Zusammenwirken Autonome Antirassisten setzten sich auch im Zusammenwirken mit bürgerlichem mit bürgerlichen Protestbewegungen gegen den so genannten Protest Abschiebeknast in Köpenick sowie gegen die Einreiseund Bewegungsbeschränkungen für Asylbewerber und Migranten Militante Aktionen ein. Sie verübten dabei auch immer wieder militante Aktionen gegen Institutionen, die in ihren Augen "staatlichen Rassismus" repräsentieren. Im Januar kam es durch unbekannte Täter zu einem Brandanschlag auf das Dienstgebäude der Senatsverwaltung für Inneres. In einem anonymen Selbstbezichtigungsschreiben erklärten sie sich mit Insassen des Abschiebegewahrsams solidarisch, die sich zu dieser Zeit im Hungerstreik befanden: "Wir solidarisieren uns mit den Häftlingen im Berliner Abschiebeknast Grünau ... Abschiebeknäste sind nur ein Ausdruck der herrschenden mörderischen kapitalistischen Verwertungslogik ... Dieses mörderische System muss mit allen Mitteln bekämpft werden!!!"151 Im August organisierten Personen aus unterschiedlichen, meist "Antirassistisches Grenzcamp" autonomen Zusammenhängen das so genannte bundesweite 6. antirassistische Grenzcamp in Köln. Ziel des Camps sollte es sein, "[rassistischer] Politik samt ihrer ideologischen Wurzeln eine unmissverständliche und offensive Absage zu erteilen". Kernforderung war "das uneingeschränkte Recht auf globale Bewegungsfreiheit". Die Gründe für Rassismus sahen die Veranstalter in den zu bekämpfenden Herrschaftsverhältnissen: "Das Camp spricht sich auch gegen Nation und Nationalstaat aus, gegen rassistische und völkische Haltungen innerhalb der Mehrheitsgesellschaft [und] gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse [...]. Grundsätzlich geht es dem Camp aber um die Demontage von Herrschaftsverhältnissen insgesamt."152 Maßgebliche Das Camp fand maßgeblich unter Beteiligung Berliner AutoBeteiligung Berliner nomer statt. In Köln und Umgebung wurde eine Vielzahl von Autonomer Straftaten registriert, die mit diesem Camp in Zusammenhang standen. Als die Polizei am 9. August alle Teilnehmer erkennungsdienstlich behandelte und das Camp somit faktisch auflöste, kam es in Berlin am selben Abend zu spontanen friedlichen Solidaritätsbekundungen. Wenig später, am 24. August, 151 Selbstbezichtigung, dok. in: "INTERIM" Nr. 565 vom 6.2.2003, S. 17. 152 Aufruf (Flugblatt) zum 6. antirassistischen Grenzcamp. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 101 bewarfen vermummte Demonstranten die Landesvertretung Nordrhein-Westfalens in der Hiroshimastraße (Tiergarten) mit Flaschen, die mit Farbe und Bitumen gefüllt waren. In einem Selbstbezichtigungsschreiben bezog sich eine bis dahin unbekannte Gruppe "autonome campistas" auf die Räumung des Grenzcamps: "Wir reihen uns ein in die Solidaritätsaktionen, die bundesweit seit dem Abend der [...] Räumung [des Grenzcamps] stattfanden." Militanz sei legitime Antwort auf die staatliche Verfolgung: "Innerhalb dieses herrschenden Kriminalbegriffs sind wir gerne kriminell. Wir halten es für nötig, auf vielfältige Weise Gesetze zu brechen. [...] Deswegen kann sich antirassistische Politik nicht auf einen ihr zugewiesenen Platz in der demokratischen Pluralität der Zivilgesellschaft niederlassen."153 3.3.3 Protest gegen Globalisierung und Sozialabbau Extremistische Gruppierungen versuchen, auf die Proteste geVersuchte gen den Globalisierungsprozess Einfluss zu nehmen. Die bisEinflussnahme von Linksextremisten her zumeist in politischer Isolation agierenden Gruppen wollen mit ihrem Engagement in der Anti-Globalisierungsbewegung mehr Akzeptanz und neue Anhänger für ihre eigenen Ideen finden. Dies gilt sowohl für orthodoxe Parteien wie die DKP (=), trotzkistische Gruppen wie "Linksruck" (=) oder "Sozialistische Alternative Voran" (= SAV) als auch für autonome Gruppierungen wie beispielsweise die ALB (=): "Wir verstehen uns als antagonistischer, als radikaler Teil der Bewegung. Unser Ziel ist, unseren grundsätzlichen Widerspruch zum kapitalistischen System zum Ausdruck zu bringen, und diesen zu vermitteln. Das schöne an der Bewegung ist ja, das sie die Kritik am Kapitalismus wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat. Und wir sehen unseren Part darin, dafür zu sorgen das diese Kritik nicht abgehängt wird, das sie Teil der Bewegung bleibt. Um darin erfolgreich zu sein wollen wir mit möglichst vielen aus der Bewegung zusammen den Widerstand bündeln, sichtbarmachen und weiterentwickeln. Das heisst nicht, das wir einfach in der Bewegung aufgehen wollen. Wir wollen als Teil der Bewegung Positionen vermitteln und Aktionseinheiten mit 153 Out of Control (anonyme Verfasser), dok. in: "INTERIM" Nr. 578 vom 4.9.2003, S. 6 - 11, hier S. 7. 102 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 denen bilden, die die gleichen oder ähnlichen Ziele haben."154 [Fehler im Original] Die Aktivitäten der Anti-Globalisierungsbewegung manifestieren Demonstrationen gegen Gipfeltreffen sich insbesondere durch Demonstrationen gegen Gipfeltreffen der G 8, der Europäischen Union oder der Weltbank, also Institutionen, die in den Augen der Globalisierungsgegner die Architekten der Globalisierung sind. Hauptanlässe für Demonstrationen im Jahr 2003 waren der G 8-Gipfel im französischen Evian, der EU-Gipfel in Thessaloniki sowie die Welthandelsrunde (WTO) in Cancun / Mexiko. Diese Anlässe wurden sowohl im Vorfeld als auch zeitlich begleitend in den linksextremistischen Spektren breit erörtert; an den Protesten im Ausland beteiligten sie sich nur in geringerem Umfang. Die Ausschreitungen anlässlich der Proteste gegen Gipfeltreffen erreichten in den Jahren 2002 und 2003 insgesamt nicht das Ausmaß von Göteborg und Genua im Jahr 2001. Anti-KriegsDie Entwicklungen nach den Anschlägen vom 11. September Demonstrationen 2001 haben auch die Anti-Globalisierungsbewegung beeinflusst: Während bis dahin ökonomische Fragen der Globalisierung die Debatte dominierten, hat seitdem die Anti-KriegsThematik an Bedeutung gewonnen. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch den Irak-Krieg. In dessen Vorfeld konzentrierten sich die an der Globalisierungsdiskussion beteiligten Gruppen auf Aktionen und Demonstrationen gegen den Krieg.155 154 Internetveröffentlichung der ALB vom 7.12.2003; Linksextremisten bezeichnen sich üblicherweise als radikal. 155 Vgl. S. 22. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 103 Die Ausrichtung der Antiglobalisierungsbewegung änderte sich erneut, als die Bundesregierung ihre Maßnahmen zur Reform des Sozialstaats als Agenda 2010 bekannt gab. Der durch die Globalisierung bedingte gesellschaftliche Wandel wurde konkret spürbar, die Proteste gegen die Globalisierung verlagerten sich auf die innenpolitische Ebene. Statt gegen die abstrakte "Herrschaft des Kapitals" richteten sich die Proteste spätestens seit Sommer 2003 gegen die Agenda 2010, die als "SozialProteste gegen abbau" bzw. "Sozialkahlschlag" bezeichnet wird. Dass es Links"Sozialabbau" extremisten um mehr als nur den Protest gegen sozialpolitische Maßnahmen geht, belegt die folgende Äußerung der trotzkistischen SAV: "Viertens verbinden wir den Widerstand gegen den Sozialkahlschlag mit dem Kampf gegen den Kapitalismus insgesamt, mit dem Kampf um eine sozialistische Gesellschaft."156 Höhepunkt war die Demonstration "Gegen Sozialabbau der Großdemonstration Bundesregierung" am 1. November in Berlin. An der Vorbereiam 1. November in Berlin tung waren linksextremistische, überwiegend trotzkistisch orientierte Gruppen wie "Linksruck" oder die SAV zwar maßgeblich beteiligt; in der Demonstration selbst, an der ca. 100 000 Personen teilnahmen, waren sie zusammen mit Teilnehmern aus anderen extremistischen Zusammenhängen jedoch eine verschwindende Minderheit. Neben dieser Großdemonstration gab es zahlreiche weitere Aktivitäten, die im Zusammenhang mit Protesten gegen "Sozialabbau" zu sehen sind. Dabei blieben linksextremistische 156 Resolution des SAV-Bundesvorstandes vom 7.12.2003. 104 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Gruppen nicht unter sich, sondern sie agierten in Bündnissen Bündnisfähigkeit und Netzwerken mit, die weit über das extremistische Spektrum als Taktik hinausreichten. Um für bürgerliche Gruppen bündnisfähig zu werden, rücken extremistische Gruppierungen in derartigen Netzwerken kurzfristig von ihren ureigenen Forderungen ab, wie der Mobilisierungsaufruf der ALB zur oben genannten Demonstration am 1. November zeigt: "Ob Arbeiter/innen, Angestellte, Beamte, Erwerbslose, Frauen, Flüchtlinge, Jugendliche oder Rentner/innen - wir dürfen uns nicht spalten lassen und müssen unsere Interessen in die eigenen Hände nehmen. Wir lehnen alle Angriffe auf den Lebensstandart der Masse der bevölkerung ab, ob unter dem Namen Agenda 2010, Rürup, Hartz und Gesundheitsreform. Wir fordern umfassende Heranziehung der Unternehmensgewinne und hohen Vermögen zur Finanzierung menschenwürdiger Lebensverhältnisse!" Mittelfristiges Ziel extremistischer Gruppierungen ist es jedoch, wie eingangs dargestellt, in derartigen Netzwerken neue Anhänger für ihre eigenen verfassungsfeindlichen Ziele zu rekrutieren. Insbesondere trotzkistisch geprägte linksextremistische Gruppierungen versuchen, nicht-extremistische Netzwerke zu unterwandern (so genannte trotzkistische Entrismus-Strategie), um Einfluss und einflussreiche Positionen in den entsprechenden Netzwerken zu gewinnen. Sie blieben bisher weitgehend ohne Erfolg. Aktuelle Entwicklungen - Linksextremismus 105 Extremistische Gruppen haben im Zusammenhang mit den Anschläge in Berlin Themen Antiglobalisierung bzw. "Sozialabbau" auch Anschläge verübt. In der Nacht auf den 20. Juli wurden in Kreuzberg zwei Autohäuser in einer detailliert geplanten Aktion verwüstet und mehrere Verkaufswagen der Autohäuser demoliert. Zu der Aktion bekannte sich eine "Anti-Imperialistische Aktion Carlo". Begründet wurde diese Tat mit dem 2. Todestag von Carlo GIULIANI, jenem Demonstranten, der zwei Jahre zuvor bei den Ausschreitungen in Genua ums Leben gekommen war. Am 14. Oktober wurden Brandanschläge auf die Berliner Arbeitsämter Süd-West und Mitte verübt. Zur gleichen Zeit wurde auf das Wohnhaus von Dr. Peter HARTZ in Wolfsburg ein Farbbeutelanschlag durchgeführt. In Hamburg wurde in der Nacht zuvor ein Brandanschlag auf zwei Fahrzeuge einer Beschäftigungsgesellschaft verübt. Zu den drei Aktionen bekannte sich ein "Projekt Subversive Aktion", das die Anschläge mit den Reformen des Arbeitsmarktes (so genannten HartzGesetze) begründete. Auch die an der so genannten Militanzdebatte beteiligten militanten Gruppen stellten mehrere ihrer Brandanschläge in einen Zusammenhang mit dem Thema "Sozialabbau". Die "militante gruppe (mg)" verübte am 1. Januar einen Anschlag auf das Finanzamt Neukölln-Süd und am 30. Oktober auf einen LKW einer Recyclingfirma in Reinickendorf. Am 28. April kam es zu einem versuchten Brandanschlag auf das Arbeitsamt Süd-West durch die "Militante Antiimperialistische Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney".157 Der so genannte Kampf gegen den Sozialabbau war im SelbstOktober Schwerpunktthema des autonomen Szeneblatts bezichtigungen "INTERIM". Unter der Überschrift "Feier und Flamme für Hartz und alle Arbeitsämter" werden die Selbstbezichtigungen zu verschiedenen Brandanschlägen aufgeführt. Das Themenfeld "Sozialabbau" wird voraussichtlich auch im Jahr 2004 das dominierende Aktionsfeld für Linksextremisten sein. 157 Vgl. S. 81 f. 106 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 4 Ausländerextremismus 4.1 Überblick Linksextremistische, extrem nationalistische und islamistische Ausländerorganisationen weisen weder eine einheitliche IdeoIdeologische Unterschiede logie158 noch eine vergleichbare organisatorische Struktur auf. Erhebliche Unterschiede zwischen den Organisationen bestehen vor allem in der Frage des Einsatzes von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele; hier reicht das Spektrum von der Ablehnung jeglicher Gewaltanwendung bis zur religiösen Legitimation von Terrorismus. Unverändert werden extremistische Gruppierungen in Berlin nur von einer kleinen Minderheit der hier lebenden Ausländer unterstützt. Ca. 5 820 Personen159 lassen sich extremistischen Ausländerorganisationen zurechnen; dies entspricht 1,3 Prozent der ausländischen Bevölkerung Berlins (2003: 440 404 Personen). Berlin liegt damit über dem bundesweiten Durchschnitt von 0,8 Prozent. Sowohl für Berlin als auch bundesweit lässt sich zwischen 2002 Personenpotenziale: Leichter Rückgang und 2003 ein leichter Rückgang der ausländerextremistischen Personenpotenziale verzeichnen. Während in Berlin die Zahl von ca. 6 040 Personen im Jahr 2002 auf ca. 5 820 Personen abnahm, ging die Zahl auf Bundesebene nur geringfügig zurück (2002: 57 350 Personen, 2003: 57 300). 158 Vgl. S. 161 ff. 159 Diese Angaben sowie alle folgenden Angaben zu Personenpotenzialen sind geschätzt. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 107 2003 Gesamtpotenzial extremistischer Ausländerorganisationen: 5 820 Personen Linksextremisten 1 440 Extreme 650 Nationalisten 3 730 Islamisten Unter den ausländerextremistischen Organisationen in Berlin bilden die Anhänger islamistischer Gruppierungen mit ca. 3 730 Personen die Mehrheit; dies entspricht einem Anteil von knapp zwei Dritteln (64,1 Prozent). Linksextremistische OrganisatioExtremisten: Mehrheit nen stellen mit ca. 1 440 Personen dagegen knapp ein Viertel islamistisch (24,7 Prozent) und extrem-nationalistische Organisationen mit ca. 650 Personen etwa ein Zehntel (11,2 Prozent) der extremistischen Ausländerorganisationen in Berlin. Innerhalb der islamistischen Gruppierungen in Berlin (ca. 3 730 Großteil türkische Personen) machen die türkischen Islamisten, die überwiegend Islamisten in der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) organisiert sind, mehr als drei Viertel der Anhänger aus (ca. 2 900 Personen / 77,8 Prozent). Die arabischen Islamisten - Anhänger der HAMAS, der "Hizb Allah" oder der in diversen Moscheevereinen organisierten "Muslimbruderschaft" (MB) - haben innerhalb der islamistischen Gruppierungen dagegen nur einen Anteil von 21,4 Prozent (ca. 800 Personen). 108 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 2003 Potenzial islamistischer Gruppierungen: 3 730 Personen Iraner 30 Araber 800 2 900 Türken 2003 Potenzial ausländischer Linksextremisten: 1 440 Personen Iraner 40 Araber 50 Türken 250 1 100 Kurden Innerhalb des Spektrums der linksextremistischen Ausländerorganisationen (ca. 1 440 Personen) nehmen die kurdischen Linksextremisten: Linksextremisten mit 76,4 Prozent den weitaus größten Anteil Mehrheit kurdisch ein (ca. 1 100 Personen), während die Anhänger türkischer Organisationen einen Anteil von 17,3 Prozent stellen (ca. 250 Personen). Der bundesweit feststellbare Rückgang des linksextremistischen türkischen Potenzials ist in Berlin bislang nicht im gleichen Maß erkennbar. Anhänger arabischer Gruppierungen erreichen innerhalb der ausländischen Linksextremisten nur 3,5 Prozent (ca. 50 Personen); iranische Linksextremisten 2,8 Prozent (ca. 40 Personen). Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 109 Ausländerextremistisches Personenpotenzial Ausländerextremismus Berlin Bund 2002 2003 2002 2003 Gesamt 6 040 5 820 57 350 57 300 Islamistische Türken 2 900 2 900 27 300 27 300 Linksextremistische Türken 270 250 3 650 3 370 Extrem-nationalistische Türken 600 600 8 000 8 000 Islamistische Araber 1 000 800 3 150 3 300 Linksextremistische Araber 50 50 150 150 Islamistische Iraner 30 30 50 50 Linksextremistische Iraner 40 40 1 300 1 200 Kurden (PKK und sonstige) 1 100 1 100 11 850 11 850 Sonstige 50 50 1 900 2 080 Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. Im Phänomenbereich "Politisch motivierte AusländerkriminaliGewalttaten nahezu tät" gingen 2003 die politisch motivierten Gewaltdelikte, zu unverändert denen vor allem Widerstandsdelikte, Landfriedensbruch und Körperverletzung zählen, im Vergleich zum Vorjahr von 19 auf 18 Gewalttaten zurück. Bei den anderen Straftaten dieses Phänomenbereichs (vor Straftaten allem Verstöße gegen das Vereinsund Versammlungsgesetz, insgesamt: Starker Anstieg Propagandadelikte oder Volksverhetzung) kam es dagegen zu einem Anstieg von 95 Straftaten im Jahr 2002 auf 148 Straftaten im Jahr 2003. Die im Vergleich zum Vorjahr erhebliche Zunahme um 55,8 Prozent erklärt sich vor allem aus Verstößen gegen das Vereinsgesetz, nachdem die Organisationen "Kalifatsstaat" und "Hizb ut-Tahrir al-islami" (HuT / "Islamische Befreiungspartei") vom Bundesminister des Innern verboten bzw. mit einem Betätigungsverbot belegt worden waren. Darüber hinaus wurde erstmals gegen zwei Personen wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung (SS 129 a StGB) ermittelt.160 160 Vgl. Kapitel Durchsuchung der "Al-Nur-Moschee" in Berlin, S. 119. 110 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Fallzahlen für Politisch motivierte Kriminalität - Ausländer -1 2002 2003 Gesamt 114 168 Terrorismus, davon 0 2 * Bildung terroristischer Vereinigungen SS 129 a StGB 0 22 Gewaltdelikte, davon 19 18 * Tötungsdelikte SSSS 211 - 221 StGB 1 0 * Brandstiftung SSSS 306 - 306f StGB 1 0 * Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 4 10 * Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 6 5 * Freiheitsberaubung SSSS 234 - 239 b StGB 1 0 * Raub SSSS 249 - 255 StGB 3 1 * Widerstandsdelikte SSSS 113 - 121 StGB 3 2 Andere Straftaten, davon 95 148 * Volksverhetzung SS 130 StGB 24 12 * Propagandadelikte SSSS 86, 86 a StGB 10 10 * Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 7 11 * Versammlungsgesetz 13 8 * Vereinsgesetz 9 88 * Sonstiges 32 19 1 Vollständige Angaben im Auszug aus dem Bericht "Kriminalität in Berlin 2003" im Anhang. 2 Hierbei handelt es sich um Verfahren, die beim BKA auf Grund der Deliktszuweisung geführt, aber dem Land Berlin wegen der Tatörtlichkeit zugeordnet werden. Dieses Verfahren wird erst seit 2003 praktiziert. Bei den ausländerextremistischen Organisationen zeichnete sich hinsichtlich der Ideologie, der politischen Handlungsformen sowie der daraus folgenden Sicherheitsvorkehrungen ein vielschichtiges Bild ab: Internationale * Die weltweiten Ermittlungen der Sicherheitsbehörden zur islamistische Terror-Netzwerke Bekämpfung des internationalen islamistischen Terrorismus zeigten, dass aktive "Mujahidin-Netzwerke" weiterhin bestehen und dass Verbindungen dieser Netzwerke auch nach Deutschland reichen. Wie die in Deutschland geführten Prozesse zeigen, wurden Anschläge auch auf Ziele in Europa geplant; auch für Ziele in Berlin besteht der Verdacht der Vorbereitung von Anschlägen. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 111 * Gegen die extremistische, in Deutschland bislang gewaltfrei operierende HuT erließ der Bundesminister des Innern im HuT Januar ein Betätigungsverbot. Begründet wurde es damit, dass die Tätigkeit dieser Gruppierung gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstößt und antijüdische Hetze in Zeitschriften und Flugblättern veröffentlicht wurde. Zeitgleich mit Wirkung des Verbotes am 15. Januar fanden bundesweit Durchsuchungen bei mutmaßlichen Mitgliedern der HuT zur Beschlagnahmung des Vereinsvermögens und des Vereinsmaterials statt. Wegen des Verdachts bestehender verbotsfähiger Strukturen der Organisation in Deutschland wurden am 10. April in mehreren Bundesländern und Berlin erneute Durchsuchungen durchgeführt. * Die "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) reagierte auf die Exekutivmaßnahmen der französischen Polizei im MEK Juni gegen ihre Einrichtungen und Führungsfunktionäre im Großraum Paris mit Demonstrationen in mehreren Ländern Europas sowie versuchten Selbstverbrennungen vor französischen Botschaften. In Berlin organisierte die MEK in Folge der - durch die Auflösung ihres militärischen Flügels im Irak bedingten - neuen Lage Demonstrationen und Sitzstreiks vor der französischen Botschaft. * Der seit April 2002 bestehende und von der kurdischen KADEK / PKK als Nachfolger betrachtete KADEK wurde im Oktober KONGRA-GEL aufgelöst und der "Volkskongress Kurdistans" (KONGRAGEL) gegründet. Dies ist als Versuch zu werten, ein von der PKK-/KADEK-Vergangenheit unbelastetes Gremium zu schaffen, das von den politischen Verantwortungsträgern als Interessenvertretung aller Kurden akzeptiert wird. * Die Abspaltung einer Partei der Reformer um Recep Tayyip IGMG ERDOGAN (AKP) von der Partei der Traditionalisten um Necmettin ERBAKAN (SP) sowie die Niederlage der "Saadet Partisi" (SP) bei den türkischen Parlamentswahlen im November 2002 haben die IGMG in eine Krise geführt. Auch in der IGMG gibt es Auseinandersetzungen zwischen Traditionalisten und Reformern über die künftigen Zielsetzungen des Verbandes. Solange allerdings die Anhänger Necmettin ERBAKANs als Traditionalisten die IGMG domi- 112 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 nieren, ist eine grundlegende ideologische Neuausrichtung der Organisation unwahrscheinlich. * Während in der Türkei bei der "Revolutionären VolksbeTürkische Linksextremisten freiungspartei-Front" (DHKP-C) und der "Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP) eine Rückkehr zur Gewalt festgestellt werden musste, verliefen die Veranstaltungen türkischer linksextremistischer Organisationen in Deutschland und auch in Berlin überwiegend friedlich. Bei einzelnen rechtswidrigen Aktionen musste dennoch die Polizei einschreiten. Agitationsschwerpunkt der DHKP-C waren wie in den vergangenen Jahren Solidaritätsaktionen für inhaftierte Gesinnungsgenossen im Hungerstreik. Daneben entwickelte sich das Thema Irak-Krieg sowie die Entsendung von türkischen Truppen in den Irak zu einem weiteren Aktionsfeld, auf dem sich auch die "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) engagiert. 4.2 Die internationale Lage im Bereich des islamistischen Terrorismus Nach übereinstimmender Einschätzung der Sicherheitsbehörden hält die Gefährdung durch den globalen islamistischen Terrorismus trotz wichtiger, durch zahlreiche Festnahmen führender "Al-Qaida"-Mitglieder und der Enttarnung von Zellen erzielter Erfolge im internationalen Anti-Terrorkampf an: Grenzüberschreitende Strukturen dieses Terrornetzwerks sind weiterhin funktionsfähig und regional operierende Zellen führen Anschläge weitgehend in eigener Regie durch. Auch in DeutschDeutschland nicht land gibt es mögliche Terroristen, die die Bundesrepublik nicht nur Ruheraum nur als Rückzugsund Ruheraum zu nutzen versuchen, sondern Anschläge planen. Dies zeigen die Prozesse gegen die "Al-Tawhid"-Gruppe. Die weltweit anhaltend hohe Gefährdung zeigten die "Al-Qaida" Weltweite Ans oder den "Mujahidin-Netzwerken" (=) zuzuordnenden Anschläge auf von Ausländern bewohnte Wohneinheiten in Riad am 12. Mai und am 9. November, auf jüdische Einrichtungen und Restaurants in Casablanca am 16. Mai sowie auf ein Hotel in Jakarta am 5. August. Sowohl in Saudi-Arabien als auch in Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 113 Marokko und Indonesien gelang es, Attentäter aus dem lokalen Umfeld zu rekrutieren. Dies gilt auch für die Anschlagserie in Istanbul auf zwei Synagogen am 15. November sowie auf eine britische Bank und das Generalkonsulat Großbritanniens am 20. November. Als deren Urheber wurden türkische militante Islamisten ermittelt, die über enge Kontakte zu "Al-Qaida" verfügt haben sollen. Drohungen von "Al-Qaida" Auch 2003 erhielt die Öffentlichkeit vor allem über die arabischen Fernsehsender "Al-Jazeera" und "Al-Arabiya" AudiobotAudio-Botschaften schaften von "Al-Qaida". Die Usama BIN LADIN und dem "Alvon "Al-Qaida" Qaida"-Führungsmitglied Aiman AL-ZAWAHIRI zugeschriebenen Aufzeichnungen werden als wahrscheinlich authentisch eingeschätzt. Nachdem Deutschland im November 2002 in einer Drohung genannt worden war, rückten nunmehr die im Irak aktiven Staaten in den Vordergrund. So rief BIN LADIN wiederholt zum Widerstand gegen die Besatzungsmacht USA und die Koalitionsstreitkräfte auf. Bereits am 11. Februar hatte BIN LADIN in einer TonbandbotAufrufe zum schaft die Muslime der Welt dazu aufgerufen, mit den Irakern "Jihad" gemeinsam den "Jihad um Gottes Willen" zu führen. Im Gegensatz zur islamischen Orthodoxie, die die Anwendung des Jihad nur unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, versucht BIN LADIN - wie andere militante Islamisten auch - den Jihad zu einer offensiven, militanten Aktionsform umzuinterpretieren und ihn zu einer individuellen Pflicht eines jeden Muslims zu erheben. Mit Blick auf den bevorstehenden Irak-Krieg forderte BIN LADIN Muslime auf, zusammen mit Irakern den Jihad um Gottes Willen auszuüben, weil sich nur so ein Sieg erringen ließe. Bemerkenswert ist die Aussage BIN LADINs, dass, obwohl die irakischen Führer als Ungläubige gälten und keinerlei Legitimität besäßen, ein Zusammenschluss und gemeinsamer Kampf von Muslimen und Sozialisten (Baathisten) im Falle eines Angriffs auf den Irak als rechtmäßig zu betrachten sei. Am 18. Oktober strahlte der Fernsehsender "Al-Jazeera" eine als wahrscheinlich authentisch anzusehende Tonbanderklärung BIN LADINs aus, in der er die irakische Bevölkerung zum 114 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Kampf gegen die Amerikaner aufruft und mit weiteren Anschlägen droht. In diesem Zusammenhang werden die Aktivitäten der kurdischen Islamisten-Gruppe "Ansar al-Islam" ("Helfer des Islam") als vorbildlich erwähnt. Weitere Drohungen spricht er gegen die Länder aus, die die USA im Irak unterstützen. Am Ende der Erklärung fordert er "muslimische Kämpfer" zum "Jihad um Gottes Willen" auch in Kaschmir, Palästina, Afghanistan, Tschetschenien und den Philippinen auf. Der Widerstand im Irak scheint zunehmende Bedeutung für den Strategie unterschiedlicher internationalen islamistischen Jihad zu gewinnen. Hier geht es Gruppen im Irak den - aus Anhängern der Baath-Partei, ehemaligen Angehörigen der irakischen Armee und Milizen sowie Mujahidin aus dem Umfeld von "Al-Qaida" bestehenden - "Widerstandsgruppen" trotz unterschiedlicher politischer, religiöser und ethnischer Motive darum, die alliierten Truppen durch Anschläge auf militärische und zivile Objekte zu zermürben und diese zu einem Abzug aus dem Land zu veranlassen. Als hierdurch motiviert gelten vor allem die Anschläge auf das UN-Hauptquartier in Bagdad am 19. August, auf das Hauptquartier des Anschläge gegen Ausländer "Internationalen Komitees vom Roten Kreuz" (IKRK) am 21. Oktober sowie der Raketenangriff auf das "Rashid"-Hotel am 26. Oktober, in dem sich seinerzeit der amerikanische Vizeverteidigungsminister WOLFOWITZ aufhielt. Gemeinsamer Nenner dieser Gruppen ist - neben der Vertreibung der alliierten Truppen - die Abschreckung der im Irak am Wiederaufbau beteiligten Ausländer sowie die Behinderung jeglicher Maßnahmen zur Wiederherstellung von Sicherheit und Infrastruktur im Lande. Am 19. Dezember sendete "Al-Jazeera" eine Erklärung, die wahrscheinlich von dem "Al-Qaida"-Führungsmitglied Al-ZAWAHIRI stammt. Neben dem Kampf im Irak, in welchem die Amerikaner große Verluste erlitten hätten, erinnert er an den zweiten Jahrestag der "Invasion in Afghanistan" und behauptet, die "Kreuzzügler" hätten dort wie auch in Palästina ihre mörderischen und zionistischen Ziele nicht verwirklichen können. Die veröffentlichten Erklärungen unterstreichen den Anspruch von "Al-Qaida", im Namen des von ihr erklärten umfassenden Kampfes gegen die westliche - in ihren Augen US-amerika- Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 115 nisch geprägte - Welt den islamistischen Terrorismus weltweit zu unterstützen. Ermittlungen in Zusammenhang mit den Netzwerken der Mujahidin und anderen islamistischen Strukturen führten in Deutschland zu exekutiven Maßnahmen und Strafprozessen. 4.3 Exekutivmaßnahmen und Prozesse gegen Islamisten in Deutschland 4.3.1 Prozesse im Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September 2001 Im weltweit ersten Verfahren zu den Terroranschlägen vom Prozess gegen 11. September 2001 verurteilte am 19. Februar das HanseaEL MOTASSADEQ tische Oberlandesgericht Mounir EL MOTASSADEQ wegen Beihilfe zum Mord in 3 066 Fällen sowie zum versuchten Mord und zur gefährlichen Körperverletzung in fünf Fällen in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren.161 Nach der Überzeugung des Gerichts war der Angeklagte mitverantwortlich für den Tod von Menschen, die in Folge der herbeigeführten Flugzeugabstürze in den USA ums Leben kamen. Als "Statthalter" der Hamburger Gruppe um Mohammad ATTA habe er an den Planungen der Anschläge vom 11. September 2001 mitgewirkt und für die Finanzierung der Gruppe gesorgt. EL MOTASSADEQ gab zu, im Sommer 2000 eine Kampfausbildung in einem Lager der "Al-Qaida" in Afghanistan absolviert zu haben. Eine Beteiligung an der Vorbereitung der Anschläge hat er jedoch bestritten. Auf die Revision EL MOTASSADEQs hin verwies am 4. März Revision 2004 der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das Verfahren an das erfolgreich Hanseatische Oberlandesgericht zur Neuverhandlung und Entscheidung zurück.162 Die Entscheidung beruhte im Wesentlichen darauf, dass die Aussagen des mutmaßlichen Mittäters Ramzi BINALSHIB, der sich im US-Gewahrsam befindet, nicht berücksichtigt werden konnten. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes dürften Geheimhaltungsinteressen der Exekutive nicht grundsätzlich zu Lasten des Angeklagten gehen. Der 161 OLG Hamburg 2BJs 88/01-5. 162 BGH 3StR 218/03 vom 4.3.2003. 116 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Nachteil, der dem Angeklagten dadurch entstehe, sei durch eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung und gegebenenfalls durch die Anwendung des Grundsatzes "im Zweifel für den Angeklagten" auszugleichen. Der Generalbundesanwalt erhob am 9. Mai vor dem HanseaProzess gegen MZOUDI tischen Oberlandesgericht Anklage gegen den marokkanischen Staatsangehörigen Abdelghani MZOUDI wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord in mehr als 3 000 Fällen.163 Laut Anklageschrift sei er zusammen mit anderen Mitgliedern der Hamburger Gruppe um Mohammed ATTA im Sommer 2000 in afghanischen Ausbildungslagern gewesen. Er habe über lange Jahre enge Beziehungen zu sämtlichen Angehörigen der Hamburger Gruppe, vor allem zu dem im Zusammenhang mit den Anschlägen am 11. September 2001 mit internationalem Haftbefehl gesuchten Zakariya ESSABAR und zu Mounir EL MOTASSADEQ unterhalten und sei in die Attentatsvorbereitungen eingebunden gewesen. Am 11. Dezember wurde MZOUDI aus der Untersuchungshaft Haftentlassung MZOUDIs entlassen. Die Entscheidung des 3. Strafsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts wurde damit begründet, dass der Angeklagte MZOUDI der Tat nicht mehr dringend verdächtig sei. Aus einem "Behördenzeugnis" des Bundeskriminalamtes hätten sich Zweifel ergeben, die sich nach Überzeugung des Gerichts "an der Tragfähigkeit der bisherigen Indizienkette nach dem Grundsatz 'in dubio pro reo' zugunsten des Angeklagten auswirken" mussten.164 MZOUDI wurde am 5. Februar 2004 freigesprochen, da das Freispruch Hanseatische Oberlandesgericht keine für eine Verurteilung ausreichenden Beweise dafür sah, dass der Marokkaner in die Anschlagsvorbereitungen zum 11. September 2001 eingeweiht oder einbezogen war.165 163 Presseerklärung des GBA 17/2003 vom 9.5.2003. 164 OLG Hamburg 2JBs 85/01-5. 165 Ebenda. In der Urteilsbegründung wurde betont, dass der Angeklagte nicht freikomme, weil das Gericht von seiner Unschuld überzeugt sei, sondern weil die Beweise für seine Schuld nicht ausreichten. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 117 4.3.2 Prozess gegen die "Meliani-Gruppe" Am 10. März endete vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main der Prozess gegen fünf algerische Staatsangehörige (die so genannte "Meliani-Gruppe") mit der zwischenzeitlich rechtskräftigen Verurteilung von vier Angeklagten. Es wurden Haft"Meliani-Gruppe": strafen zwischen zehn und zwölf Jahren verhängt.166 Das VerHohe Haftstrafen fahren gegen den fünften Beschuldigten war vom Gericht abgetrennt worden, weil ihm die Beteiligung am Attentatsplan nicht nachgewiesen werden konnte. Die Verurteilung erfolgte, weil die Algerier als "non-aligned Mujahidin" innerhalb einer spätestens seit Herbst 2000 vor allem im Raum Frankfurt am Main tätigen terroristischen Vereinigung einen Sprengstoffanschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg vorbereitet hatten. Der geplante Anschlag konnte durch die Festnahme von vier Verdächtigen am 26. Dezember 2000 in Frankfurt am Main vereitelt werden. Der fünfte Verdächtige war am 4. April 2001 festgenommen worden. Bei der Durchsuchung der von den Angeklagten genutzten konspirativen Wohnungen in Frankfurt am Main waren große Mengen von zur Herstellung von Sprengstoff geeigneten Chemikalien, Sprengzünder, Anleitungen zur Herstellung von Sprengsätzen sowie eine Vielzahl falscher Identitätspapiere sichergestellt worden.167 4.3.3 Prozesse gegen eine Zelle von "Al-Tawhid" Im vergangenen Jahr gab es zwei Prozesse gegen mutmaßliche Mitglieder einer deutschen Zelle der palästinensischen Bewegung "Al-Tawhid" (wörtlich "die Einheit Gottes").168 Auf der Grundlage militanter islamistischer Ideologie richten sich die Aktivitäten von "Al-Tawhid" gegen die als "unislamisch" abge166 OLG Frankfurt/M. 5-2 StE 9/01-4-6/01. 167 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2002. Berlin 2003, S. 64. 168 Bei der Wiedergabe des arabischsprachigen Wortes "Tawhid" handelt es sich um die englische Schreibweise, im Deutschen wird der Begriff "Tau-hid" ausgesprochen. Aus der Sicht der islamischen Theologie bezeichnet "Tauhid" (wörtl. "Einheit" oder "Vereinigung") das Prinzip des Monotheismus, den Glauben an einen einzigen Gott. Bei Islamisten steht "Tauhid" jedoch für das ideologische Konzept eines einheitlichen Weltbildes, das eine typische Forderung fundamentalistischer Gruppierungen darstellt. 118 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Aktivitäten gegen Jordanien, Israel, lehnte Monarchie in Jordanien, den Staat Israel und die USA USA sowie deren westliche Verbündete. Am 15. Mai erhob der Generalbundesanwalt vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf Anklage gegen ein mutmaßliches Mitglied einer deutschen Zelle von "AlTawhid" wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der bandenmäßigen Begehung von Passfälschungsdelikten.169 Dem Angeklagten, einem jordanischen Staatsangehörigen palästinensischer Herkunft, wurde zur Last gelegt, als Mitglied einer im Inland agierenden Zelle von "Al-Tawhid" Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Deutschland geplant und vorbereitet zu haben. Haftstrafe für Mit dem am 26. November verkündeten Urteil170 des OberlanJordanier desgerichts Düsseldorf wurde der Angeklagte im Sinne der Anklageschrift zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren Haft verurteilt. Als strafmildernd würdigte das Gericht das Aussageverhalten des Angeklagten, der sich äußerst kooperativ gezeigt und umfangreiche Geständnisse abgelegt hatte.171 Weiterer Prozess Am 27. August erhob der Generalbundesanwalt vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf Anklage gegen vier weitere Personen. Ein jordanischer Staatsangehöriger, ein Palästinenser ungeklärter Staatsangehörigkeit sowie ein algerischer Staatsangehöriger stehen im Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der versuchten Anstiftung zum Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und der bandenmäßigen Begehung von Urkundsdelikten. Gegen den vierten Beschuldigten ist Anklage wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz sowie wegen der gewerbsmäßigen Begehung von Urkundsdelikten erhoben.172 Das Urteil wird vermutlich im Sommer 2004 verkündet werden. 169 Presseerklärung des GBA Nr. 18/2003 vom 16.5.2003. 170 OLG Düsseldorf III-VI 7/03 vom 26.11.2003. 171 Presseerklärungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19.11.2003, 26.11.2003 sowie mündliche Urteilsbegründung. 172 Presseerklärung des GBA Nr. 29/2003 vom 11.9.2003. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 119 4.3.4 Durchsuchung der "Al-Nur-Moschee" in Berlin Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des GeneralbundesSechs anwalts gegen fünf namentlich bekannte und weitere bislang Durchsuchungsnicht bekannte Personen wurden am 20. März sechs Objekte in objekte in Berlin Berlin durchsucht. Darunter befanden sich die "Al-Nur-Moschee" im Bezirk Neukölln und mehrere Wohnungen. Die Beschuldigten werden verdächtigt, im Auftrag des internationalen Netzwerks gewaltbereiter Islamisten die Gründung einer terroristischen Vereinigung in Berlin versucht zu haben. Sie hätten geplant, arabische Studenten anzuwerben, sie zu einem Verband unter ihrer Führung zusammenzuschließen und in naher Zukunft Sprengstoffanschläge in der Bundesrepublik Deutschland zu verüben.173 Der anlässlich der Durchsuchung festgenommene Imam der "Al-Nur-Moschee" und vier weitere Personen wurden am Folgetag wieder freigelassen. Ein Verdächtiger, der sich in einem Ausbildungslager der "AlQaida" in Afghanistan aufgehalten haben soll, ist weiterhin in Untersuchungshaft. Bei seiner Festnahme in Berlin wurden eine Faustfeuerwaffe Waffen und mit zwei gefüllten Magazinen und gefälschte Pässe gefunden. gefälschte Pässe In einer weiteren Wohnung von ihm in Gelsenkirchen wurden Chemikalien, Aufzeichnungen und Dokumente sowie ein Flugsimulationsprogramm gefunden. Gegen ihn wurde am 12. Januar 2004 vom Generalbundesanwalt Anklage vor dem Berliner Kammergericht erhoben. 4.3.5 Bundesweite Durchsuchungen gegen Anhänger des "Kalifatsstaats" (ICCB) Am 11. Dezember wurden in 13 Bundesländern 1 183 Objekte Bundesweite Großaktion mutmaßlicher Mitglieder des "Kalifatsstaats" (=) wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot nach SS 85 Strafgesetzbuch und SS 20 Vereinsgesetz durchsucht. Insgesamt werden mehr als 1 000 Personen beschuldigt, trotz des Verbots dieser türkisch-islamistischen Organisation durch 173 Presseerklärung des GBA Nr. 9/2003 vom 20.3.2003. 120 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 den Bundesinnenminister vom 8. Dezember 2001,174 weiterhin für den Verein aktiv gewesen zu sein. Mit der kontinuierlichen Herausgabe der Verbandszeitschrift wurde die Propagierung der verfassungsfeindlichen Ziele des "Kalifatsstaats" fortgesetzt und die Unterweisung, Überzeugungsbildung sowie die Kommunikation innerhalb der Anhängerschaft des Verbandes nach dem Verbot gewährleistet. Bei den Durchsuchungen wurden fünf Schusswaffen, darunter zwei Gewehre, über 500 Schuss Munition sowie mehrere Sportund Schreckschusswaffen aufgefunden. Bei der Durchsuchung der 76 Objekte in Berlin wurden zwei Schusswaffen beschlagnahmt und zwei Personen festgenommen: eine wegen einer vorliegenden Ausweisungsverfügung und eine wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Die Schwerpunkte der Maßnahmen lagen in den Ländern Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Ermittlungen gegen In Köln wurde die Wohnung von Metin KAPLAN, Anführer des KAPLAN "Kalifatsstaats", durchsucht. Der Generalbundesanwalt führt gegen KAPLAN ein Ermittlungsverfahren, da ihm vorgeworfen wird, den organisatorischen und geistigen Zusammenhalt des verbotenen "Kalifatsstaats" als "Rädelsführer" aufrecht erhalten zu haben. Einen Anhaltspunkt hierzu lieferte die Veröffentlichung eines Buches mit Texten von Metin KAPLAN im Frühjahr. Außerdem ermittelt die Generalbundesanwaltschaft gegen vier Männer aus Niedersachsen wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach SS 129a StGB. 4.3.6 Betätigungsverbot für die "Hizb ut-Tahrir al-islami" (HuT) Auf der Grundlage des geänderten Vereinsgesetzes hatte der Bundesminister des Innern mit Verfügung vom 10. Januar der "Hizb ut-Tahrir al-islami" (= HuT) die politische Betätigung in Deutschland verboten. Begründet wurde das Verbot damit, dass sich die Tätigkeit der Organisation gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte und sie Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer Belange befürworte. 174 Vgl. Senatverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2002. Berlin 2003, S. 79 ff. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 121 Nach Bekanntmachung des Betätigungsverbots im Bundesanzeiger am 15. Januar wurden zeitgleich 30 Wohnungen in Durchsuchungen Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen auch in Berlin durchsucht. In Berlin richteten sich die Maßnahmen gegen sieben mutmaßliche Mitglieder der Organisation. Dabei wurde organisationsbezogenes Schriftgut, Propagandamaterial in größeren Mengen, Computer und geringe Mengen Bargeld sichergestellt. Die von den Durchsuchungen betroffenen Personen erhoben Klage gegen das Betätigungsverbot. Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts steht noch aus. Bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main ist ein Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der HuT wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung anhängig. Im Rahmen dieses Verfahrens hatten bereits am 12. November 2002 bundesweit 33 Wohnungsdurchsuchungen stattgefunden, davon zwei in Berlin. Den bei den vereinsrechtlichen Durchsuchungen sichergestellten Unterlagen und Gegenständen sind Hinweise zu entnehmen, dass die HuT in Deutschland über eigene Strukturen verfügt. Am 10. April wurden erneut in nahezu allen Bundesländern 80 Wohnungen mutmaßlicher Anhänger der HuT Verbindungen durchsucht; in Berlin waren 16 Personen betroffen, darunter zwischen AQIDA und HuT auch die Mitglieder der "Hochschulgruppe für Kultur und Wissenschaften" (AQIDA)175 an der TU-Berlin. Vereinigungen von Hochschulstudenten können sich beim Hochschulpräsidenten registrieren lassen, um logistische Unterstützung, beispielsweise in der Bereitstellung von Räumen, zu erhalten. Von dieser Möglichkeit machte die AQIDA seit ihrer Eintragung im April 1997 mehrfach Gebrauch und meldete Räume in der TU für politische Vortragsveranstaltunnstaltungen in der TU Berlin 175 In der Satzung der Vereinigung heißt es unter "SS 1 - Name und Sitz: Die Hochschulgruppe für Kultur und Wissenschaften - AQIDA ( im folgenden kurz Aqida genannt - alt-arabisches Wort bedeutet Knoten, der viele Sachen zusammen verbindet) hat ihren Sitz in Berlin." "Aqida" bedeutet im Arabischen allerdings nicht "Knoten" ("Uqda"), sondern "Glaubensgrundsatz" bzw. "Glaubensüberzeugung". Das Vorhandensein dieser "Glaubensüberzeugung" stellt einen wichtigen Bestandteil islamistischer Ideologie dar. Islamistische Gruppierungen bezichtigen andere Muslime häufig des Abfalls von der wahren "Glaubensüberzeugung" und versuchen sie als nicht glaubenskonforme - das heißt im Sinne des Islamismus als nichtsystemkonforme - Muslime für ungläubig zu erklären. Dies erfolgt vor allem durch die Methode der Exkommunizierung (Arabisch takfir). 122 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 gen an. Veranstalter war bis zum Jahr 2001 das Magazin "explizit", dessen Herausgeber Shaker ASSEM auch der Hauptredner der Veranstaltungen war. Shaker ASSEM ist nach eigenem Bekunden176 ein repräsentatives Mitglied der HuT. Nachdem im November 2001 der externe Veranstalter nicht mehr zugelassen wurde, übernahm die AQIDA diese Rolle ebenfalls. Der Hochschulgruppe AQIDA wurde am 15. Januar 2003 der Status einer an der TU-Berlin registrierten Vereinigung entzogen. Bis dahin verfügte sie über ein eigenes Postfach, das auch für den Vertrieb der HuT-Publikation "al-waie" genutzt wurde. 4.4 Iraner 4.4.1 Protestaktionen der "Volksmodjahedin IranOrganisation" (MEK) Exekutivmaßnahmen Die Exekutivmaßnahmen der französischen Polizei am 17. Juni gegen MEK in gegen Einrichtungen und Führungsfunktionäre der "VolksmodFrankreich jahedin Iran-Organisation" (= MEK) im Großraum Paris führten in mehreren europäischen Ländern zu Demonstrationen und versuchten Selbstverbrennungen vor französischen Botschaften. In Frankreich waren 165 MEK-Mitglieder festgenommen worden, unter ihnen auch Maryam RADJAVI, die 1993 zur "künftigen Präsidentin des Iran" gewählte Ehefrau des Leiters der MEK, Massoud RADJAVI. Reaktionen in Auch in Berlin kam es vom 17. Juni bis zur Freilassung Maryam Berlin RADJAVIs am 2. Juli zu Sitzstreiks vor der französischen Botschaft. Die Aktionen verliefen friedlich und ohne besondere Vorkommnisse. Zusätzlich zur Sitzstreikaktion fanden am 19. Juni und 9. Juli Demonstrationen mit 50 bis 100 MEK-Anhängern statt, die ebenfalls friedlich verliefen. Die versuchten Selbstverbrennungen demonstrierten die Zuspitzung der Lage der MEK seit dem Irak-Krieg. Noch vor den Angriffen der US-Luftwaffe am 15./16. April auf die Stützpunkte der militärischen Lager der MEK im Irak - von wo aus die MEK Anschläge im Iran geplant und ausgeführt hatte - und ihrer anschließenden Entwaffnung durch die Alliierten, kam es zu 176 Internetauftritt der HuT. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 123 Fluchtbewegungen von MEK-Mitgliedern nach Europa, darunter auch von Maryam RADJAVI. Verschärft wurde die Lage zusätzlich durch die darauf folgende Großrazzia und Verhaftung Maryam RADJAVIs am 17. Juni in Frankreich. Die Mitglieder der MEK unterlagen im Irak einem strengen militärischen Drill und waren zu unbedingtem Gehorsam und ständiger Verfügbarkeit verpflichtet. In einem System aus sektenartigem Führungsstil, Gruppenzwang stalinistischem Führerkult um Massoud und Maryam RADJAVI sowie vielfältigen psychischen Repressionen wurden die Aktivisten zur völligen Aufgabe ihrer eigenen Persönlichkeit gezwungen. Hieraus erklären sich die versuchten Selbstverbrennungen in Bern, London, Rom und Paris, die ein Zeichen der absoluten Loyalität zur Führungsspitze der MEK darstellen. Maryam RADJAVI forderte am 19. Juni von ihren Anhängern, auf Selbstverbrennungsaktionen zu verzichten und sich ruhig zu verhalten. Dies steht im Einklang mit der gegenwärtigen Politik der MEK, die sich als "demokratische Opposition zur iranischen Regierung" darzustellen versucht. 124 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 4.5 Kurden 4.5.1 Vom "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) zum "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL) Nach eigenen Angaben beschloss der im April 2002 gegründeAuflösung des te "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (= KADEK) KADEK - Nachfolgeorganisation der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)177 - auf seiner 2. außerordentlichen Tagung am 26. Oktober im Nordirak seine Auflösung, um den Weg für eine Neustrukturierung der Organisation zu ebnen und die Lösung der kurdischen Frage auf friedlicher und demokratischer Basis herbeizuführen. Gründung des Am 15. November gab der "Volkskongress Kurdistans" (KurKONGRA-GEL disch: "Kongra Gel (e) Kurdistan" - KONGRA-GEL) seine Gründung, die auf einem Kongress zwischen dem 27. Oktober und dem 6. November im Nordirak stattgefunden habe, bekannt.178 Der KADEK hatte die Absicht, eine neue Organisation zu gründen, bereits im Vorfeld der geplanten Verabschiedung des so genannten Reuegesetzes179 angekündigt. Mit diesem Gesetz wollte die türkische Regierung die bewaffneten Einheiten des KADEK zu einer Aufgabe bewegen, indem sie Anhängern, die sich von der Organisation abkehren, - nicht jedoch hochgestellten Funktionären - eine Strafmilderung gewährt. Mit einer europaweiten, auch in Berlin durchgeführten Kampagne180 protestierte der KADEK gegen das aus seiner Sicht unzureichende Gesetz. Unter Androhung, den Waffenstillstand zu beenden, stellte der KADEK der türkischen Regierung ein Ultimatum bis zum 1. September.181 Nach Ablauf des Ultimatums kündigte er eine weitere Kampagne182 und Reformen an. Der KADEK erReformpläne klärte, leninistische Parteistrukturen ablegen und sich mit dem "Kurdischen Nationalkongress" (KNK)183 zusammenschließen 177 Vgl. S. 219 f. 178 Türkisch: "Kürdistan Halk Kongresi" (KHK), "Özgür Politika" vom 12., 16., 17. und 18.11.2003. 179 Die vom KADEK befürchtete größere Resonanz auf das "Reuegesetz" blieb aus. 180 "Generalamnestie für gesellschaftlichen Frieden und demokratische Teilnahme" vom 31.5. bis 14.7.2003. 181 "Özgür Politika" vom 20.5., 29.6. und 7.9.2003. 182 "Demokratische Lösung für den Frieden" vom 20.9. bis 27.11.2003. 183 KADEK-dominiert, am 24.5.1999 als "Interessenvertretung aller Kurden" in Amsterdam gegründet. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 125 zu wollen. Zudem verfasste er eine "Roadmap"184, nach der in einer ersten Etappe vom 1. September bis 1. Dezember die vor vier Jahren vom KADEK verkündete einseitige Waffenruhe in einen zweiseitigen - auch von der türkischen Regierung einzuhaltenden - Waffenstillstand umgewandelt werden sollte. Der KADEK drohte der Türkei mit Vergeltungsaktionen, falls sie auf seine Bedingungen nicht eingehe.185 Die Gründung des KONGRA-GEL ist ein erneuter Versuch, eine von der Vergangenheit der PKK / des KADEK unbelastete Strukturen der Organisationen Organisation zu schaffen und diese zusammen mit dem KNK als politischen Gesprächspartner zu etablieren. Die Neugründungen von Parteien in der Türkei und in Syrien deuten darauf hin, dass der KONGRA-GEL eine Dachorganisation (regionaler) kurdischer Parteien und Interessengruppen darstellen soll. Der militärische Arm, die "Volksverteidigungskräfte" (HPG), soll - zumindest nach außen - unabhängig agieren. Allerdings lassen Erklärungen, die HPG hätten sich dem politischen Willen des KONGRA-GEL unterzuordnen, auf einen eher deklaratorischen Charakter der angekündigten Autonomie der HPG schließen.186 Bisherige Bemühungen, sich von dem belasteten PKK-Image zu distanzieren, betrachtete der KADEK als gescheitert. Hierzu zählte die Organisation auch die Feststellung des Bundesministers des Innern, das Betätigungsverbot auf den KADEK zu erstrecken. Sie kritisierte auch die unverminderte strafrechtliche Strafrechtliche Verfolgung ihrer Aktivitäten in Deutschland. So wurde am Verfolgung und 2. April der Treffort der Berliner KADEK-Anhängerschaft durchDurchsuchung in Berlin sucht.187 Das OLG Stuttgart verurteilte den früheren Berliner 184 Maßnahmenkatalog zur Lösung der kurdischen Frage innerhalb eines Jahres, "Özgür Politika" vom 9. und 12.8.2003. 185 "Özgür Politika" vom 21.10.2003. 186 Im September 2003 wurde die Beibehaltung der legitimen Verteidigung, eine Professionalisierung der Armee und Autonomisierung der HPG beschlossen, vgl. "Özgür Politika" vom 11.10.2003. Der Vorsitzende des KONGRA-GEL, Zübeyir AYDAR erklärte, die "autonomen" HPG hätten sich dem politischen Willen des KONGRA-GEL unterzuordnen, vgl. "Özgür Politika" vom 16.11.2003. 187 Der Durchsuchungsbeschluss war auf Grund der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu Personen, die am 9. Januar auf der Straßenkreuzung Hermannplatz/Sonnenallee Autoreifen in Brand setzten, erwirkt worden. 126 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Funktionär "MUNZUR" am 18. Dezember wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Haftstrafe.188 Die Organisation erhofft sich von der Gründung des KONGRAGEL auch eine Verminderung des Drucks, dem sie sich durch die angespannte Situation im Nordirak und ihre wirkungslosen Ultimaten gegenüber der Türkei ausgesetzt sieht. Auswirkung des Sie befürchtet auch nach Beendigung des Krieges im Irak, das Irak-Krieges türkische Militär könnte die kurdische Verteidigungsarmee vernichten. Die Zustimmung des türkischen Parlaments im Oktober zur dann doch nicht erfolgten Stationierung von bis zu 10 000 türkischen Soldaten im Irak bestärkte diese Befürchtungen zunächst. Gegen die Verschlechterung des Gesundheitszustandes und die Haftbedingungen des seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierten Abdullah ÖCALAN189 gerichtete Kampagnen blieben ohne Resonanz. Auch der KONGRA-GEL betont die herausragende Bedeutung der Führungspersönlichkeit des kurdischen Volkes190 und setzt die Linie des KADEK fort. Die Bereitschaft, sich für die Ziele der Organisation einzuUnzufriedenheit der Basis setzen, scheint in der kurdischen Bevölkerung in der Türkei und an der Basis in Deutschland zu sinken. Nach Jahren des aus der Sicht vieler Anhänger erfolglosen Gewaltverzichts zeigen sich zunehmende Legitimationsprobleme der Führungsebene gegenüber einem nicht unwesentlichen Teil der Anhängerschaft, der sich mit dem bisherigen "Friedenskurs" unzufrieden zeigt und daher schwerer zu mobilisieren ist. In Berlin fanden zwar zahlreiche störungsfreie Veranstaltungen statt; frühere Teilnehmerzahlen wurden jedoch nicht erreicht. Veranstaltungen mit größerer Beteiligungszahl wurden am 15. Januar aus Protest gegen die Haftbedingungen ÖCALANs sowie am 3. Juni aus Protest gegen das "Reuegesetz" (jeweils 250 Teilnehmer) und am 27. September zur Kampagne "Demokratische Lösung für den Frieden" (150 Teilnehmer) durchgeführt. Die Berliner Anhängerschaft beteiligte sich auch an europaweiten Großveranstaltungen wie dem kurdischen New188 OLG Stuttgart 5- 2 StE 6/03. 189 "Kampagne zur Unterstützung und Verteidigung des Vorsitzenden APO" vom 10.12.2002 bis 15.2.2003. 190 Vgl. "Özgür Politika" vom 24. und 31.8.2003. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 127 roz-(Neujahrs-) Fest am 22. März in Frankfurt am Main und dem 11. Internationalen Kurdistan-Festival am 13. September in Gelsenkirchen. Aktionen, bei denen Anhänger der JugendorMilitanz der ganisation des KADEK / KONGRA-GEL auf belebten StraßenJugendorganisation kreuzungen zumindest in einem Fall mit Molotowcocktails Feuer entfachten oder Autoreifen anzündeten, nahmen hingegen zu. Zum Teil wurden bei diesen - eine größere öffentliche Aufmerksamkeit versprechenden - Aktionen Flugblätter zurückgelassen, mit denen sich die Jugendorganisation "Bewegung der freien Jugend Kurdistans" (TECAK) zu der Durchführung bekannte.191 Im Berliner Stadtgebiet wurden zudem vermehrt Parolen wie "Biji Serok APO"192 auf Häuserwände gesprüht. Diese Aktionen der TECAK sind allerdings nicht als Abkehr des KADEK / KONGRA-GEL von seiner friedlichen Linie, sondern als Ventil für die Frustration der TECAK-Anhänger wegen der aus ihrer Sicht fruchtlosen friedlichen Strategie zu bewerten. Anfang Dezember erklärte der KONGRA-GEL,193 der vom KADEK mit der "Roadmap" ausgerufene einseitige Waffenstillstand werde bis zu einer neuen Bewertung beibehalten. 4.6 Türken 4.6.1 Politische Entwicklungen in der Türkei und ihre Auswirkungen auf die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) in Deutschland Auch 2003 wirkten sich die politischen Ereignisse in der Türkei auf die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V."(= IGMG)194 aus. Dort hatte sich im Sommer 2001 das islamistische Lager in eine Partei der Traditionalisten um Necmettin ERBAKAN (SP) und eine Partei der Reformer um Recep Tayyip ERDOGAN (AKP) gespalten. Seitdem kämpfen beide Parteien um die Gunst der tendenziell islamistischen Wählerschaft. Dieser Machtkampf Machtkampf spiegelt sich auch in der IGMG wider. Das Ziel in der Türkei Necmettin ERBAKANs, dessen Partei bei der letzten Parlamentswahl große Verluste hinnehmen musste und der den 191 "Özgür Politika" vom 14.9.2003. 192 "Es lebe unser Führer APO" - gemeint ist A. ÖCALAN, vgl. "Özgür Politika" vom 3.1.2004. 193 "Özgür Politika" vom 2.12.2003. 194 Vgl. S. 221 ff. 128 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Großteil seiner Macht in der Türkei einbüßte, ist es, seinen Einfluss auf die IGMG in Europa aufrechtzuerhalten. Deshalb organisierte die IGMG im Laufe des Jahres europaweit Großveranstaltungen, an denen Necmettin ERBAKANs Parteigetreue teilnahmen und für ihn und seine Partei, die SP, warben. So nahmen am 25. Mai diesen Jahres auf einem von der Berliner IGMG veranstalteten Jugendfest nicht nur führende Funktionäre der hiesigen IGMG, sondern auch der Generalsekretär der IGMG sowie einer der politischen Berater von Necmettin ERBAKAN teil.195 Es handelte sich um Mehmet BEKAROGLU, der im Präsidiumsrat der SP für allgemeine politische Fragen zuständig ist.196 In Deutschland wird Necmettin ERBAKAN hauptsächlich von IGMG-Mitgliedern der ersten Generation unterstützt, die ihm die Treue halten. Auf der anderen Seite stehen insbesondere jüngere Mitglieder, die mit der "Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei" (AKP) sympathisieren. ERBAKAN erwartet, dass sich die IGMG-Anhänger in Deutschland weiterhin primär an der Entwicklung in der Türkei orientieren und ihn vor allem finanziell unterstützen. IGMG in der Krise Obwohl die Übernahme des Vorsitzes im IGMG-Hauptverband Kerpen durch Osman DÖRING (genannt Yavuz Celik KARAHAN) nunmehr geklärt ist, befindet sich die Organisation weiter in der Krise. Hinweise darauf geben Berichte über zurückgehende Mitgliederzahlen. Auch die finanzielle Situation des Verbandes hat sich verschlechtert. Viele IGMG-Mitglieder weigern sich inzwischen, Spenden an Necmettin ERBAKAN und die SP in der Türkei zu zahlen. Dieses Thema wurde in einem Artikel einer türkischen Tageszeitung mit dem Titel "Para göndermek zorundasiniz" ("Ihr müsst Geld schicken") angesprochen, in dem berichtet wird, Necmettin ERBAKAN beschwere sich, dass seine an die IGMG gerichteten Erwartungen in Bezug auf das Spendenaufkommen nicht erfüllt worden seien.197 Des Weiteren halten die Diskussionen über eine Reform der Organisationsstrukturen an, um der zunehmenden Kritik der IGMG-Mitglieder zu begegnen. 195 "Milli Gazete", 30.5.2003. 196 Vgl. dazu Internetseite http://www.saadetistanbul/org/genelmerkezbirimler.asp vom 26.9.2003. 197 "Hürriyet", 11.4.2003. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 129 Viele Anhänger sind nicht nur mit der Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei und in Deutschland unzufrieden, sondern auch mit der Arbeit von Necmettin ERBAKAN selbst. Während seiner Amtszeit als Ministerpräsident in den Jahren 1996/97 war es ihm nicht gelungen, die politischen Ziele der Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei zu verwirklichen, obwohl seine Anhänger in Europa die Partei jahrzehntelang ideell und finanziell unterstützt haben. Heute haben viele IGMG-Mitglieder ihre Zukunft mehr und mehr auf ein Leben in Europa ausgerichtet und sehen ihre Interessen durch Necmettin ERBAKAN und die SP nicht (mehr) vertreten. Vor allem junge Anhänger fordern eine stärkere Ausrichtung der Organisation auf die Bedürfnisse der Mitglieder in Europa und setzen sich für eine Beteiligung der Basis an verbandsinternen Entscheidungen ein. Der Ruf nach mehr Mitbestimmung war auch eine wesentliche Forderung der Nachwuchspolitiker um Recep Tayyip ERDOGAN , die sich von ERBAKANs Partei abspalteten und die AKP gründeten. Hinzu kommt, dass Finanzskandale das Ansehen der IGMG Finanzskandale unter ihren Mitgliedern stark beschädigten. In den 1990er Jahren haben IGMG-Anhänger Einlagen bei islamischen Holdings getätigt. Die Werbeveranstaltungen für ihre Produkte fanden auch in IGMG-Moscheen statt. Inzwischen sind zwei der islamischen Holdings in Konkurs gegangen. Dabei haben viele IGMG-Mitglieder hohe Geldsummen verloren. Das Ausmaß der Krise der IGMG zeigte sich in 2003 an dem Jahreskongress Wegfall des traditionellen Jahreskongresses, bei dem in den ausgefallen vorhergehenden Jahren bis zu 20 000 Teilnehmer anwesend waren. Stattdessen wurde am 22. Juni lediglich ein Regionalkongress in Köln abgehalten, an dem nur 3 000 Mitglieder teilgenommen haben sollen.198 Die Zukunft wird zeigen, ob es dem IGMG-Vorstand gelingen kann, Traditionalisten und Reformer zusammenzuhalten oder ob sich die Organisation spalten wird. Anscheinend versucht die IGMG-Führung eine Verärgerung des traditionellen, für ERBAKAN votierenden Flügels sowie eine Konfrontation mit den reformfreudigen, mit der AKP sympathisierenden Mitgliedern zu vermeiden. Solange allerdings Necmettin ERBAKAN 198 "Milli Gazete", 25.6.2003. 130 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 seinen Einfluss geltend machen kann und er durch die Anhänger der ersten Stunde - d. h. die erste Generation von türkischen Migranten in der IGMG - unterstützt wird, ist eine ideologische Neuausrichtung des Verbandes unwahrscheinlich. 4.6.2 Aktionen türkischer Linksextremisten Ereignisse in der Türkei Die Einschätzung im letzten Jahresbericht,199 dass die Zurückhaltung der linksextremistischen türkischen Organisationen taktisch bedingt war, hat sich bestätigt. Sowohl die "MarxistischBombenanschläge in der Türkei Leninistische Kommunistische Partei" (= MLKP) als auch die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (= DHKP-C) verübten zahlreiche Bombenattentate in der Türkei und bewiesen damit, dass die aggressiven Formulierungen der Parteistatute und Internetveröffentlichungen keine leeren Parolen darstellen. Ziele der Anschläge der DHKC200 in Istanbul und Ankara waren dabei vor allem Richter, Anwälte und Offiziere, die mit der Beendigung der Hungerstreiks in türkischen Gefängnissen vom 19. Dezember 2000201 in Zusammenhang gebracht werden: "Wir haben es auf die politischen und militärischen Verantwortlichen der Schikanen (...) abgesehen!"202 Die DHKC zitiert eine Attentäterin: Sie habe zu ihrem "Recht auf Vergeltung" gegriffen und man werde "Gewalt mit Gewalt beantworten".203 199 Vgl. Senatverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2002. Berlin 2003, S. 91. 200 Zu den Bezeichnungen DHKP-C und DHKC, S. 228 f. 201 Vgl. Senatverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzberichte der Jahre 2000 ff. Berlin. 202 Internetauftritt der DHKC, Erklärung Nr. 309, 6.8.2003. 203 Internetauftritt der DHKC, Sengül AKKURT in der Erklärung Nr. 302, 20.5.2003. Die Attentäterin sprengte sich am 20. Mai selbst in die Luft, als ihre Bombe zu früh explodierte. Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 131 Bei zehn Zielen gab es einen Bezug zur USA oder zum IrakFeindbild USA Krieg. Als Reaktion auf die Entscheidung der türkischen Regierung, Truppen in den Irak zu entsenden, verübten sie Anschläge auf zahlreiche Einrichtungen der türkischen Regierung sowie auf amerikanische Firmen und Konsulate. Beachtenswert ist dabei vor allem ein Attentat auf das Generalkonsulat der Republik Polen in Istanbul, das die FESK mit dem Engagement Polens im Irak rechtfertigten. Sie prophezeiten, dass die Politisches Ziel: "amerikanischen Imperialisten und die kollaborierenden SchaGewalttätige kale, die sich an ihrer Seite an der Besatzung des Mittleren Revolution Ostens beteiligen", der Gewalt nicht entkämen.204 Selbstverständnis der Parteien Die programmatischen Äußerungen der linksextremistischen türkischen Parteien definieren die gewalttätige Revolution zur Durchsetzung des Kommunismus als politisches Ziel, für dessen Erreichung auch die absolute Unterordnung des Einzelnen eingefordert wird. So gibt die "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP) ihren Unbedingter Mitgliedern vor, dass der Parteidisziplin unbedingt Folge zu Parteigehorsam leisten sei205 und legt fest: "Die Mitglieder der konterrevolutionären Zellen können generell exekutiert werden."206 204 Internetauftritt von "Yeni Atilim", 2.10.2003. 205 Vgl. Internetauftritt der MKP, Parteistatut, S. 11, Abschnitt 4. 206 Internetauftritt der MKP, Erklärung zum 1. Parteikongress, 11.1.2003. 132 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Der türkische Menschenrechtsverein (IHD) berichtet von verschiedenen Fällen, in denen Rechtsanwälte ihr Mandat niederlegten, nachdem inhaftierte DHKP-C-Mitglieder ihren Hungerstreik gegen den Willen der Partei beendeten,207 und die türkische Presse schildert einen Fall, bei dem sich ein Mitglied der DHKP-C auf Drängen der Partei im Gefängnis selbst angezündet haben soll. Der Mann sei vor die "Wahl" gestellt worden, sich entweder anzuzünden oder durch die Partei getötet zu werden, weil er das neue Amnestiegesetz in Anspruch nehmen wollte.208 Auch zur längerfristigen Zielsetzung äußern sich die Parteien eindeutig. Die MLKP erklärt: "Das endgültige Ziel der MLKP ist der Kommunismus. [...] Die MLKP betrachtet die Beendigung [...] des Imperialismus in unserem Land [...] durch gewalttätige Revolution [...] als den ersten Schritt unserer Revolution."209 Die MKP verdeutlicht das noch einmal: "Wir wollen [...] den Imperialismus und seine Handlanger [...] zerstören und allen imperialistischen Systemen auf dieser Welt ein Ende bereiten. [...] Der Staat wird mit Gewalt zerstört werden."210 Über die Auswirkungen einer solchen Machtübernahme herrschen konkrete Vorstellungen: "Der Rechtsapparat der herrschenden Klassen wird aufgelöst [...] Die Türkei wird die NATO verlassen [...], USund NATO-Stützpunkte und Einrichtungen werden besetzt [...]."211 207 Vgl. "Hürriyet", 23.9.2003, S. 1 und 10. 208 Vgl. "Hürriyet", 27.9.2003, S. 10. 209 Internetauftritt der MLKP: "Was will die MLKP?" Zu ihren internationalen Aufgaben zählt die MLKP - wie aus ihrem "Internationalen Bulletin" Nr. 5 vom Januar 2003 hervorgeht - unter anderem die Solidarität zu dem in Israel in Haft sitzenden Leiter der Al-Aqsa Brigaden der Al Fatah, Marvan BARGOUTI, und dem Generalsekretär der PFLP, Ahmad SAADAT. Sowohl die Al-Aqsa Märtyrerbrigaden als auch die PFLP stehen auf der "EU-Terrorliste". 210 Internetauftritt der MKP, Erklärung zum 1. Parteikongress, 11.1.2003. 211 Internetauftritt der MLKP, Programm, S. 8, Teil IV, Punkt 3 und 6. Besetzungsaktionen sind gerade im linksextremistischen türkischen Bereich eine beliebte Aktionsform. Im April rief das Auslandskomitee der Kommunistischen Jugendorganisation der MLKP (KGÖ) Jugendliche in deutscher Sprache dazu auf, aus Protest gegen den Irakkrieg "die Schulen zu (...) besetzen und Widerstand zu leisten!" (Internetauftritt der MLKP, Internationales Bulletin Nr. 8, April 2003). Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 133 Ereignisse in der Bundesrepublik Deutschland Bundesweit für große Aufmerksamkeit sorgten DurchsuchunDurchsuchungen gen mit DHKP-C-Bezug,212 die in mehr als 50 Objekten in sieund ben Bundesländern stattfanden und zu weiteren ErmittlungsErmittlungsverfahren verfahren wegen Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer terroristischen Vereinigung führten. Obwohl die DHKP-C seit Ende 1998 in Deutschland keine schweren Straftaten mehr verübt hat, zeigt das Verfahren, dass es nach wie vor intakte Strukturen der Organisation nicht nur in der Türkei, Intakte Strukturen sondern auch in Deutschland gibt, obwohl sie hier bereits 1998 trotz Verbot verboten wurde. Ein zweites Ereignis mit überregionaler Bedeutung war das Kulturfestival der "Föderation für demokratische Rechte in Deutschland e. V." (ADHF),213 das am 17. Mai in Frankfurt/M. mit ca. 4 000 Personen aus dem Bundesgebiet und dem Ausland stattfand. Im Verlauf der Veranstaltung kam es zu politischen Meinungsverschiedenheiten, die in einer Messerstecherei und einer anschließenden Massenschlägerei mit 80 bis 100 Beteiligten endeten. In Berlin beschränkten sich die politischen Aktivitäten der türAktionen in Berlin kischen linksextremistischen Gruppen nach der Besetzungsaktion im Berliner Reichstagsgebäude im Dezember 2002 im ersten Halbjahr 2003 auf Infostände und angemeldete Demonstrationen, die durchweg störungsfrei verliefen. Auch ein "Hungerstreik für die Todesfastenden in der Türkei", den der der DHKP-C nahestehende "Verein zur Solidarität mit Familien von Inhaftierten und Verurteilten" (TAYAD-Komitee) vom 12. bis 20. Juli am Alexanderplatz organisierte, verlief ohne besondere Vorkommnisse. 212 Die Durchsuchungen erfolgten in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Koblenz / Rheinland-Pfalz wegen Verdachts der räuberischen Erpressung und des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz aufgrund von Beschlüssen des Amtsgerichts Koblenz am 9. und 15. Juli sowie am 18. November. 213 Bei der ADHF handelt es sich um eine Dachorganisation der MKP, vgl. S. 229 f. 134 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Am 1. September kam es beim Besuch des türkischen MinisterStörung beim präsidenten Recep Tayyip ERDOGAN auf der Internationalen Besuch des türkischen Funkausstellung in Berlin zu einer Störung durch linksexMinisterpräsidenten tremistische Türken, wahrscheinlich Anhänger der DHKP-C. Die Polizei beendete die Aktion vor Eintreffen des Gastes. In einem Internetartikel berichtet das TAYAD-Komitee Hamburg am Folgetag von der Aktion und zitiert Transparenttexte und Parolen wie: "Hebt die Isolationshaft auf", "Isohaft ist Folter" und "Mörder USA".214 Kein Gewaltverzicht in der Türkei Ausländische Der deutliche Gewaltanstieg und die Wahl der Ziele der Einrichtungen DHKP-C und der MLKP in der Türkei zeigen, dass ausländipotenzielle Ziele sche Einrichtungen in der Türkei aufgrund von aktuellen politischen Ereignissen zum Ziel von Aktionen und auch Anschlägen türkischer Linksextremisten werden können. Zwar waren die beiden Flügel der "Türkischen Kommunistischen Partei / Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) - die MKP und der PartizanFlügel - in diesem Jahr nicht terroristisch aktiv. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass sie Gewalt ablehnen, wie folgender Satz aus einer Veröffentlichung der MKP deutlich macht: "Formen des friedlichen Kampfes und der friedlichen Organisation können in Ländern wie dem unsrigen nicht einmal in taktischer Hinsicht als Fundament dienen. Militärische, politische und organisatorische Rückzüge, die wir in manchen Zeiten antreten werden, bedeuten nicht, dass der friedliche Kampf und seine Organisationsformen zur Grundlage geworden sind, und können auch nicht so interpretiert werden."215 Diese Aussagen sind - wie die Aufrufe zum Kampf gegen den "Kapitalismus" - äußerst aggressiv und eindeutig. Je nach Ent214 Internetauftritt des TAYAD-Komitees Hamburg, 2.9.2003. 215 Internetauftritt der MKP, Dokumentation zum 1. Kongress der Maoistischen Kommunistischen Partei: "Von der TKP(ML) zur Maoistischen Kommunistischen Partei". Aktuelle Entwicklungen - Ausländerextremismus 135 wicklung der politischen Situation in der Türkei und den Nachbarländern ist nicht auszuschließen, dass auch Einrichtungen in Deutschland zum Ziel von Aktionen türkischer Linksextremisten werden könnten. Schließlich formuliert selbst die derzeit nicht terroristisch aktive MKP unmissverständlich: "Unsere Partei ist eine Organisation des Krieges."216 216 Internetauftritt der MKP, Erklärung zum 1. Parteikongress, 11.1.2003. 136 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 5 Spionageabwehr 5.1 Überblick Der Beginn des Jahres war für die Spionageabwehr, die auch für die Abwehr von Staatsterrorismus217 zuständig ist, mitgeprägt von dem sich abzeichnenden und im März eingetretenen Krieg der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer Alliierten im Irak.218 Auch wenn aufgrund der deutschen Außenpolitik weIrak-Krieg niger Sorge vor von staatlicher irakischer Seite initiierten oder geförderten Anschlägen gegen Deutschland bestand, war es geboten, jedem Verdachtsmoment nachzugehen. Für Berlin galt dies umso mehr, als sich hier eine Reihe von Einrichtungen der Koalitionsstreitkräfte im Irak-Krieg sowie jüdische und israelische Einrichtungen befinden, für die eine abstrakt erhöhte Gefährdungsstufe bestand. Freigabe der Eine starke Medienresonanz fand die Freigabe der so genannRosenholz-Dateien ten Rosenholz-Dateien durch den amerikanischen Nachrichtendienst "Central Intelligence Agency" (CIA) im Juni. Bei diesen Dateien handelt es sich um mikroverfilmte Karteien der Abteilung für Auslandsaufklärung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR, der so genannten Hauptverwaltung Aufklärung (HVA). In der Wendezeit nach 1989 gelangten diese Unterlagen in den Besitz der USA.219 217 Staatsterrorismus (auch "staatlich geförderter" Terrorismus) stellt auf die Beteiligung eines Staates am Terrorismus ab. Diese kann in der Beauftragung oder der Ermutigung, der aktiven und in der Regel heimlichen Unterstützung einer Terrorgruppe durch eine fremde Regierung bestehen. Neben der logistischen und finanziellen Unterstützung kommt auch die Ausbildung einer Terrorgruppe oder die Gewährung von Unterschlupf als zielgerichtete Vorbereitungshandlung für eine Unterstützung in Frage. 218 Vgl. S. 14 ff. 219 Die amerikanische Administration machte es Anfang der 90er Jahre Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) möglich, einen Teil der Unterlagen einzusehen und Abschriften zu erstellen. Beim Deutschen Verfassungsschutz lief die Aktion unter dem Codewort "Rosenholz". Die deutschen Behörden sollten durch die Einsichtnahme in die Lage versetzt werden, Spione zu enttarnen und gegebenenfalls unter Anklage zu stellen. In zahlreichen Spionageprozessen und -Ermittlungsverfahren, die seitdem stattfanden, wurden vom Generalbundesanwalt und den Gerichten Erkenntnisse aus Rosenholz-Abschriften des BfV verwendet. Ein prominenter Fall der Enttarnung war der Nato-Spion "Topas". Die Abschriften des BfV wurden auch der BStU zur Verfügung gestellt. Über die Rückführung der "eigentlichen" Unterlagen (die ursprünglichen Mikrofilme wurden in den USA auf CD-ROM kopiert) verhandelte die Bundesregierung mehrere Jahre mit den zuständigen Stellen in den USA. Vom Jahr 2000 bis zum Juni 2003 Aktuelle Entwicklungen - Spionageabwehr 137 Die Rosenholz-Dateien können im Zusammenspiel unterschiedlicher in ihr enthaltener Karteikartensysteme und Statistik-Bögen Auskunft über das Agentennetz der HVA in der DDR und in der Bundesrepublik geben.220 Ihre wissenschaftliche Erschließung und Auswertung durch die dafür zuständige Behörde - Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) - wird nicht vor dem ersten Quartal 2004 abgeschlossen sein. Unabhängig davon spielen die Dateien für die Arbeit der Berliner Spionageabwehr zum jetzigen Zeitpunkt eine nur noch untergeordnete Rolle, da es sich bei der HVA des MfS um einen Teil eines nicht mehr existenten Geheimdienstes handelt. Anfragen an die BStU erfolgen jedoch einzelfallbezogen zur Klärung von aktuellen Verdachtsfällen im Hinblick auf existierende und in Deutschland agierende fremde Nachrichtendienste. wurden der für die wissenschaftliche Erschließung und Auswertung der Unterlagen zuständigen BStU insgesamt 381 CD-ROM mit so genannten Rosenholz-Dateien übergeben. Im Juni 2003 einigten sich das Bundeskanzleramt und amerikanische Stellen darauf, dass die BStU die zuvor von den Amerikanern als "VS-geheim" eingestuften Unterlagen wie andere "Stasi"-Unterlagen entsprechend dem "Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik" (StUG) verwenden darf. 220 Nähere Informationen zu diesem Thema finden sich auf den Internetseiten der BStU www.bstu.de. Anzumerken ist, dass die strafrechtliche Verfolgung einer Agententätigkeit nach SS 99 StGB für die HVA zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund von Verjährung nicht mehr möglich ist. 138 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Diese Informationen spielen auch bei Sicherheitsüberprüfungen eine Rolle, da die Auskünfte der BStU in die Bewertung einfließen.221 In den Medien finden sich eher selten Berichte über aktuelle, spektakuläre Spionageoder Spionageverdachtsfälle. Auch die Zahl der Verurteilungen in Deutschland wegen Straftaten im Bereich "Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit" (SSSS 93 - 101 a StGB) ist in den letzten Jahren niedrig.222 Dies Hohe Aktivität fremder sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Einsatz von Nachrichtendienste abgetarnten hauptamtlichen Mitarbeitern fremder Nachrichtendienste und sonstigen nachrichtendienstlich gesteuerten Personen in Deutschland weiterhin hoch ist. Die möglichst frühe und detaillierte Information über außen-, sicherheitsund wirtschaftspolitische Entscheidungen der deutschen Regierung sowie über die fachliche Meinungsbildung im Vorfeld hat nach wie vor für viele Länder einen hohen Stellenwert. Dafür sehen viele dieser Länder den Einsatz ihres oder ihrer Nachrichtendienste als probates Mittel an. Auch die verstärkte Zusammenarbeit ausländischer Dienste mit deutschen Sicherheitsbehörden in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, der Proliferation und der organisierten Kriminalität hält einige der Länder nicht davon ab, unvermindert in Deutschland nachrichtendienstliche Informationsgewinnung zu betreiben. In Berlin ist die Präsenz fremder Nachrichtendienste konstant hoch geblieben. Das liegt zum einen an der Tatsache, dass Berlin als bundespolitisches Entscheidungszentrum eine Vielzahl interessanter Ziele für fremde Nachrichtendienste bietet; zum anderen an der großen Zahl der hier angesiedelten diplomatischen Vertretungen (141).223 Unverändert zählt die Abdeckung hauptamtlicher Mitarbeiter fremder Nachrichtendienste Diplomatenstatus durch den vor Strafverfolgung schützenden Diplomatenstatus schützt zu den typischen Tarnmethoden. Werden bei diesen "Diplomaten" geheimdienstliche oder sonstige statuswidrige Aktivitäten festgestellt, kann das dazu führen, dass die Per221 Vgl. S. 146 ff. 222 2000: 4 Verurteilungen, 2001: 3 Verurteilungen, 2002: 1 Verurteilung, 2003: 1 bestätigte rechtskräftige Verurteilung bei Redaktionsschluss. 223 Stand bei Redaktionsschluss. Aktuelle Entwicklungen - Spionageabwehr 139 sonen nach diplomatischer Intervention von deutscher Seite die Bundesrepublik verlassen müssen. Die offene Abschöpfung interessanter Kontakte durch gezielte Offene Gesprächsführung ist weiterhin eine der wichtigsten BeschafAbschöpfung fungsmethoden aufklärender Nachrichtendienste. Dazu zählt der Aufbau "vertraulicher Verbindungen", in denen das Wissen von Personen erschlossen wird, ohne dass der Betroffene den nachrichtendienstlichen Hintergrund erkennt. Bei Personen, die gute Zugangsmöglichkeiten zum Interessenbereich aufweisen oder über entsprechende berufliche Perspektiven verfügen, wird versucht, sie langfristig enger zu binden. Gelingt dies, ist für den Betroffenen die Gefahr groß, gewollt oder ungewollt den Schritt hin zur geheimdienstlichen Agententätigkeit im Sinne von SS 99 StGB zu vollziehen. Der Verfassungsschutz ist unabhängig davon, wie weit der Verfassungsschutz Kontakt mit einem Mitarbeiter eines fremden Nachrichtenbietet Hilfe dienstes vorangeschritten ist, für den Betroffenen der richtige Ansprechpartner. Verdachtshinweisen auf einen möglicherweise nachrichtendienstlichen Kontaktversuch wird vertraulich und diskret nachgegangen. Im Falle einer bereits vorliegenden nachrichtendienstlichen Verstrickung bietet die Spionageabwehr Hilfe, sich aus ihr zu lösen. Erreichbarkeiten des Berliner Verfassungsschutzes, darunter auch ein "Vertrauliches Telefon", finden Sie vorne im Impressum dieses Jahresberichtes. Alle Mitbürger, die Hinweise auf mögliche Spionagesachverhalte aus ihrem beruflichen oder privaten Umfeld geben, leisten einen wesentlichen Beitrag für den Erhalt der inneren und äußeren Sicherheit. Neben den menschlichen Quellen spielt der Einsatz nachrichNachrichtendienstliche Technik tendienstlicher Technik unvermindert eine große Rolle. Das belegt die zu Beginn des Jahres aufgedeckte Abhöraktion im EUAbhöraktion bei der Ministerratsgebäude "Justus Lipsius" in Brüssel. EU 140 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Das Gebäude beherbergt neben der EU-Ministerialverwaltung auch die Büros des EU-Repräsentanten für die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik. Die Fachminister der 15 EUStaaten treffen sich dort regelmäßig zu gemeinsamen Sitzungen. Auch die Staatsund Regierungschefs kommen dort zusammen. Jedes EU-Mitgliedsland hat in dem Justus-LipsiusGebäude seinen eigenen Trakt. Im Februar wurden in den Räumlichkeiten mehrerer Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, hochmoderne Abhörgeräte entdeckt; auch einige Telefonleitungen waren betroffen. Die eingesetzte Technik und die Art und Weise der Ausführung des "Lauschangriffs" lassen auf einen professionellen Nachrichtendienst schließen. 5.2 Ausspähung von oppositionellen Landsleuten durch fremde Nachrichtendienste Nicht immer geht das Aufklärungsinteresse fremder Nachrichtendienste so klassisch wie im vorgenannten Fall in den politischen Bereich. Die nachrichtendienstlichen Aufklärungsziele einzelner Länder hängen von verschiedenen Faktoren ab: Die politische Ausrichtung und internationale Anbindung an Staatenbündnisse spielen dabei ebenso eine Rolle wie wirtschaftliche und militärische Interessen sowie der wissenschaftlich-technische Entwicklungsstand. In Ländern, in denen rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien nicht existieren, werden Nachrichtendienste häufig dazu eingesetzt, die politische Opposition auszuspähen und gegebenenfalls auch im Zusammenspiel mit anderen staatlichen Aktuelle Entwicklungen - Spionageabwehr 141 Stellen zu unterdrücken. Ihre Ausspähung endet dabei oft nicht an den eigenen Staatsgrenzen. Aus Furcht vor Unterstützung und Beeinflussung der politischen Opposition aus dem Ausland beobachten und infiltrieren eine Reihe von autoritär geführten Staaten auch in Deutschland regimekritische und oppositionelle Gruppierungen ihrer Landsleute. Von der nachrichtendienstlichen Ausforschung betroffen sind nicht nur Ausländer, denen politisches Asyl gewährt wird, sondern auch politisch tätige Migranten, die mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Berlin steht als Anziehungspunkt und Heimat vieler ausländiBerlin besonders scher Gruppierungen besonders im Blickfeld dieser Nachrichim Blickfeld tendienste. Am 29. September wurde vom Berliner Kammergericht ein in Berlin wohnender und 1995 eingebürgerter Deutsch-Iraner rechtskräftig wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gemäß SS 99 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er von 1991 bis zu seiner Verhaftung im Juni 2003 Informationen für den iranischen Nachrichtendienst VEVAK224 über iranische monarchistische Organisationen in Deutschland gesammelt hat. 5.3 Wirtschaftsspionage Auch im Jahr 2003 ist durch nachrichtendienstlich gesteuerte Wirtschaftsspionage225und Konkurrenzausspähung in Deutschland wieder ein geschätzter Schaden in Milliardenhöhe entSchaden in standen. Kleine und mittelständische Unternehmen haben es Milliardenhöhe schwer, sich am Markt zu behaupten, weil ihre Entwicklungen zuweilen anderswo auftauchen und lukrative Aufträge an konkurrierende Unternehmen im Ausland gehen. Dies bedeutet neben einer Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft auch eine Gefährdung von Arbeitsplätzen. Zunehmende Globalisierung und wachsende Geschäftsbeziehungen zu den 224 Vezarat-e Ettela'at va Amniat-e Keshvar (englische Bezeichnung: Ministry of Intelligence and Security). 225 Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder unterstützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen. Sie ist abzugrenzen vom Begriff der Konkurrenzausspähung/Industriespionage, die ein konkurrierendes Unternehmen gegen ein anderes betreibt. 142 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 so genannten emerging markets226 wie zum Beispiel zur "Gemeinschaft unabhängiger Staaten" (GUS) und zur Volksrepublik China gehen einher mit illegalen Beschaffungsbemühungen auch aus diesen Ländern. Der Wunsch deutscher Firmen nach internationalen Geschäftsbeziehungen kann mit dem Risiko verbunden sein, ungewollt und bei eigenem Umsatzverlust die Wirtschaftskraft und die Wettbewerbsfähigkeit anderer ausländischer Konkurrenten zu stärken. Unzureichender Viele Unternehmen schützen sich nur unzureichend vor SpioSpionageschutz nage. Meist liegt der Schwerpunkt ihrer Sicherheitsvorkehrungen im Schutz ihrer Informationssysteme vor unbefugten Zugriffen. Die Möglichkeit der Ausspähung des E-Mail-Verkehrs und der übrigen Telekommunikation werden häufig unterschätzt, ebenso die Gefahr durch Weitergabe kopierter oder fotografierter Unterlagen und von "Kopfwissen". Erleichtert wird dies durch die inzwischen weit verbreiteten Handys mit integrierter Kamera. Bei temporären Mitarbeitern wie zum Beispiel Praktikanten oder Werkstudenten sollte auf die Einhaltung strenger Regeln zum Umgang mit schützenswerten Firmeninterna geachtet werden. Wirksamen Schutz bietet nur ein umSicherheitskonzept fassendes Sicherheitskonzept, dass unter Einbezug technierforderlich scher, organisatorischer und räumlicher Gegebenheiten auch menschliche Schwächen berücksichtigt. Es ist schwierig, gerichtsverwertbare Beweise bei der Bekämpfung von Wirtschaftsspionage zu erlangen, weil die nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung in geschäftsübliches Handeln eingebettet ist und sich oft in einer zum legalen Handeln schwer abzugrenzenden Grauzone bewegt. Zudem werden vermutete Spionagevorfälle von den betroffenen Unternehmen wegen befürchteter Vertrauenseinbußen bei Geschäftspartnern selten dem Verfassungsschutz oder der Polizei mitgeteilt. Kooperation zur Die Bekämpfung von Wirtschaftsspionage kann jedoch nur in Bekämpfung Kooperation mit der Wirtschaft erfolgreich sein und die Verfas226 Als "emerging markets" werden Schwellenländer mit Wachstumspotenzial bezüglich ihrer Volkswirtschaft bezeichnet. Viele von ihnen befinden sich in Osteuropa, Südostasien und Lateinamerika. Aktuelle Entwicklungen - Spionageabwehr 143 sungsschutzbehörden, die nicht dem Legalitätsprinzip227 unterliegen, können in Verdachtsfällen diskret Hilfe und Unterstützung leisten. Hinweise und Fragen werden dabei vertraulich behandelt. Der Berliner Verfassungsschutz steht auch für individuelle Informationsgespräche zur Verfügung, denn Information zur Prävention ist der erste Schritt zur Verhinderung von Spionage. Erste Informationen und Hinweise auf Ansprechpartner bietet Informationsdie Broschüre "Wirtschaftsspionage", die in Zusammenarbeit broschüren der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder erschienen ist. Sie kann bei der Verfassungsschutzbehörde des Landes Berlin angefordert werden und ist auf den Internetseiten unter www.verfassungsschutz-berlin.de abrufbar. 5.4 Proliferation Als eine der führenden Industrienationen ist die Bundesrepublik Deutschland nicht nur der Wirtschaftsspionage ausgesetzt, sondern auch bevorzugtes Ziel von Proliferation228 betreibenden Ländern. Insbesondere Krisenländer229 bemühen sich, in den Besitz von atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen oder der zu ihrer Herstellung verwendeSicherheitsrisiko Massenten Produkte und Vorprodukte sowie entsprechender Waffenvernichtungswaffen trägertechnologie zu gelangen. Auch der illegale Transfer des für die Herstellung erforderlichen Wissens fällt unter den Begriff Proliferation und gewinnt zunehmend an Bedeutung. Berlin zählt wegen der hohen Anzahl der in Wissenschaft und WissenschaftsForschung beschäftigten Personen zu den größten Wissenstandort Berlin schaftsstandorten Deutschlands. 227 Das Legalitätsprinzip verpflichtet Strafverfolgungsbehörden, bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte Straftaten zu verfolgen. Im Gegensatz dazu gilt für Verfassungsschutzbehörden das Opportunitätsprinzip, wonach eine Mitteilung an Strafverfolgungsbehörden, wenn es zweckmäßig erscheint, in Ausnahmefällen unterbleiben kann. 228 Unter Proliferation wird die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte einschließlich des dafür erforderlichen Wissens sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen verstanden. 229 Länder, von denen zu befürchten ist, dass von dort aus ABC-Waffen eingesetzt werden oder ihr Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele angedroht wird. 144 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Vier Universitäten, zwei Universitätskliniken, zehn Fachhochschulen und mehr als 60 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen bieten interessante Ausspähungsziele. Auf dem Sektor der Informationstechnologie sind rund 10 000 Unternehmen mit ca. 115 000 Beschäftigten in Berlin ansässig. Motiv nachrichtendienstlich gesteuerter Beschaffungsaktivitäten ist häufig, Forschungsund Entwicklungskosten zu vermeiden und embargo-belegte Technik und Wissen zu erhalten. Die wünschenswerte Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zwecks Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die wirtschaftliche Praxis kann insoweit ein besonderes Risiko in sich bergen. Ausländische Studenten und Praktikanten sowie Gastwissenschaftler können im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Gewinnung proliferationsrelevanten Wissens oder der Wirtschaftsspionage für fremde Nachrichtendienste interessante Ansatzpunkte darstellen. Dem berechtigten Grundsatz von der Freiheit der Lehre und Forschung und dem Bestreben nach internationalen Geschäftsbeziehungen steht die ebenso berechtigte Forderung nach nationaler und internationaler Sicherheit gegenüber. Proliferation stellt weltweit eines der größten Sicherheitsrisiken Auswirkungen dar und kann, wenn deutsche Firmen oder Personen beteiligt sind, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich schädigen. Auch die Unternehmen und Forschungseinrichtungen selbst, die illegale Beschaffungsbemühungen unterstützt haben, müssen nicht nur mit Strafverfolgung, sondern auch mit Umsatzeinbußen und Reputationsverlust rechnen. Das Mannheimer Landgericht hat im Januar 2003 wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz Haftstrafen in Höhe von fünf Jahren und drei Monaten sowie von zwei Jahren auf Bewährung gegen zwei Deutsche verhängt.230 Die zwei Geschäftsleute hatten trotz UN-Embargos Bohrwerkzeuge und -köpfe über Jordanien in den Irak geliefert, mit denen Artillerie-Geschützrohre hergestellt werden können. Diese sind geeignet, auf mobile Panzerlafetten gesetzt zu werden, mit denen atomare Munition und biologische und chemische Kampfstoffe verschossen werden können. 230 Az: 626 Js 26 390/02. Aktuelle Entwicklungen - Spionageabwehr 145 Die Bekämpfung der Proliferation kann nur in enger Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden und befreundeten Nachrichtendiensten bewältigt werden. Zu diesem Zweck existieren eine Reihe rechtlicher Regelungen und internationaler Abkommen231, für deren Einhaltung die Firmen und wissenschaftlichen Einrichtungen selbst verantwortlich sind. Den Verfassungsschutzbehörden kommen hierbei auch präventive Aufgaben zu. Sie führen Aufklärungsund SensibilisierungsBeratung und gespräche durch und leisten in Verdachtsfällen Hilfe und UnterUnterstützung stützung. Hinweise und Fragen werden dabei vertraulich behandelt. Erste Informationen und Ansprechpartner bietet die Broschüre "Proliferation - das geht uns an!", die in Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder erschienen ist. Sie kann bei der Verfassungsschutzbehörde des Landes Berlin angefordert werden und ist auf den Internetseiten des Berliner Verfassungsschutzes unter www.verfassungsschutz-berlin.de abrufbar. 231 U. a. Außenwirtschaftsgesetz und Außenwirtschaftsverordnung (AWG, AWV), Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG), Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ), diverse EU-Verordnungen und -Beschlüsse sowie weitere Embargoregelungen, die auf Beschlüssen der Vereinten Nationen (UN) oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) basieren. 146 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 6 Geheimund Sabotageschutz Geheimschutz Der Schutz von Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen, die Sicherheit und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden können, ist unverzichtbar. Die Berliner Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Antrag der zuständigen öffentlichen Stelle daran mit, durch personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen Ausforschungen durch Unbefugte in sicherheitsempfindlichen Bereichen zu verhindern.232 Eine Verordnung legt darüber hinaus die nach dem Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG) eingeführten sicherheitsempfindlichen Bereiche fest.233 Die Verfassungsschutzbehörde überprüft bei öffentlichen Stellen und Wirtschaftsunternehmen Mitarbeiter (so genannte Sicherheitsüberprüfungen) und trifft selbst oder veranlasst MaßSicherheitsüberprüfungen nahmen zum materiellen Geheimschutz. Zum Zweck des so genannten personellen Sabotageschutzes sind Sicherheitsüberprüfungen gesetzlich vorgesehen. 6.1 Personeller und materieller Geheimschutz im öffentlichen Bereich Der personelle Geheimschutz soll den Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen (so genannte Verschlusssachen) gewährleisten. Verschlusssachen Verschlusssachen sind je nach Schutzbedarf nach SS 6 BSÜG in folgende Geheimhaltungsgrade einzustufen: 1. STRENG GEHEIM, 2. GEHEIM, 3. VS-VERTRAULICH, 4. VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH 232 SS 5 Abs. 3 Nr. 1 VSG Bln, Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG) vom 2.3.1998 (GVBL S. 26) in der Fassung vom 25.6.2001 (GVBl. S. 243), zuletzt geändert durch Art. 1 SS 3 des Gesetzes vom 15.10.2001 (GVBl. S. 540). Vgl. Anhang. 233 Verordnung zur Festlegung der Arten lebenswichtiger Einrichtungen im Land Berlin vom 2.9.2003 (GVBl., S. 316). Aktuelle Entwicklungen - Geheimund Sabotageschutz 147 Um Sicherheitsrisiken auszuschließen, werden Personen, denen Verschlusssachen mit dem Geheimhaltungsgrad VSVERTRAULICH und höher anvertraut werden sollen, vorher einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Alle Details zur Definition eines Sicherheitsrisikos, zum VerfahBSÜG ren und zu den Folgen für den Betroffenen sind im BSÜG geregelt. Dabei berücksichtigt das BSÜG die Mindestanforderungen an Sicherheitsüberprüfungen, zu denen sich die Bundesrepublik Deutschland gegenüber ausländischen Staaten und als Mitglied zwischenstaatlicher Einrichtungen (z. B. NATO, WEU, EU) vertraglich verpflichtet hat, damit die Sicherheitsmaßnahmen einen möglichst einheitlichen Standard haben. Um die Grundrechte der Betroffenen zu gewährleisten, wird im Freiwilligkeit BSÜG kein Zwang zur Sicherheitsüberprüfung festgelegt. Dieser Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht234 wird nur mit Zustimmung der Betroffenen durchgeführt. Auch bei Ehegatten oder Lebenspartnern/Lebenspartnerinnen, die bei bestimmten Überprüfungsarten in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen wird, ist die Zustimmung Voraussetzung. Der Umfang der Sicherheitsüberprüfung richtet sich nach der Sicherheitsrisiken Höhe des Verschlusssachengrades, zu dem der Betroffene Zugang erhalten soll oder sich verschaffen kann. Ein Sicherheitsrisiko ist nach SS 7 Abs. 2 BSÜG dann als gegeben anzusehen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel am Bekenntnis des Betroffenen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder an seiner Zuverlässigkeit begründen. Ein weiterer Aspekt ist die Besorgnis der Erpressbarkeit und damit die Anwerbungsmöglichkeit für eine gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete nachrichtendienstliche Tätigkeit. Die Verfassungsschutzbehörde wird nicht von sich aus tätig, Zuständige Stelle sondern nur auf Antrag des Geheimschutzbeauftragten der Behörde, bei der die zu überprüfende Person beschäftigt ist (so genannte zuständige Stelle). 234 BVerfGE 65, 1. 148 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Im Jahr 2003 führte die Verfassungsschutzbehörde Berlin 538 Überprüfungen durch (2002: 482). Der personelle Geheimschutz wird durch den materiellen Materieller Geheimschutz Geheimschutz ergänzt, der technische und organisatorische Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von Verschlusssachen umfasst. Der Verfassungsschutz berät die öffentlichen Stellen des Landes Berlin: Er informiert über Verschlusssysteme wie den Einbau von Sicherheitstüren und die Installierung von Alarmsystemen. Er berät über die Datensicherheit bei der Bearbeitung von Verschlusssachen in Datenverarbeitungssystemen und begleitet die Planung und Durchführung der Maßnahmen. Zum materiellen Geheimschutz gehört auch die Information über die Vorgaben der Verschlusssachenanweisung für das Land Berlin vom 1. Dezember 1992, welche die Bearbeitung, Verwahrung und Verwaltung von Verschlusssachen regelt, und die Kontrolle der Einhaltung dieser Anweisung. Diese Aufgabe obliegt den Geheimschutzbeauftragten, die in jeder Behörde, die Verschlusssachen bearbeitet und verwaltet, eingesetzt sind. Der wichtigste Grundsatz der Verschlusssachenanweisung "Kenntnis nur wenn nötig" lautet: "Kenntnis nur, wenn nötig!" Nur die Personen, die mit einer bestimmten Verschlusssache befasst sind, sollen Kenntnis erlangen. Deshalb ist es Mitarbeitern, die Verschlusssachen bearbeiten oder sich Zugang verschaffen können, nicht erlaubt, z. B. mit Kollegen oder nach Feierabend mit Familienangehörigen über die zu erledigenden Aufgaben zu sprechen. Jede technische Sicherheitsmaßnahme ist sinnlos, wenn die Verschwiegenheit der Mitarbeiter nicht gegeben ist. 6.2 Geheimschutz in der Wirtschaft Wirtschaftsunternehmen, die geheimschutzbedürftige Aufträge von Bundesund Landesbehörden ausführen, müssen vor Ausspähung fremder Nachrichtendienste geschützt und deshalb in das Geheimschutzverfahren von Bund und Ländern aufgenommen werden. Es sollen Sicherheitsstandards geschaffen und eingehalten werden, um zu verhindern, dass Unbefugte Kenntnis von den im öffentlichen Interesse geheim- Aktuelle Entwicklungen - Geheimund Sabotageschutz 149 haltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen (Verschlusssachen) erhalten. Ein Unternehmen kann die Aufnahme in die GeheimschutzGeheimschutzbetreuung grundsätzlich nicht für sich selbst beantragen. betreuung Lediglich Firmen, die sich an NATO-Infrastruktur-Ausschreibungen beteiligen wollen, sind zur Antragstellung in eigner Sache befugt. Voraussetzung für die Aufnahme eines Unternehmens in das Geheimschutzverfahren des Bundes ist die öffentliche Ausschreibung eines Auftrages mit Verschlusssachen im Bundesausschreibungsblatt. Öffentliche Auftraggeber können z. B. der Bundesminister für Verteidigung und das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung sein. Bei derartigen Verschlusssachen-Aufträgen beantragt der Auftraggeber die Aufnahme des Unternehmens in das amtliche Geheimschutzverfahren beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen führt die Geheimschutzverfahren für die Berliner Firmen durch, wenn diese einen Verschlusssachen-Auftrag von einer Landesbehörde erhalten haben. Berliner Behörden schreiben geheimschutzbedürftige Aufträge Ausschreibung im Amtsblatt für Berlin aus. Wesentlich für die Ausschreibung im Amtsblatt bei vertraulichen Staatsaufträgen ist die Formulierung: "Es können sich geeignete Firmen bewerben, die bereits dem Geheimschutz in der Wirtschaft unterliegen, bzw. die sich dem Geheimschutzverfahren in der Wirtschaft unterziehen wollen". Vor Auftragserteilung sind mindestens ein gesetzlicher VertreSicherheitster des Unternehmens, ein Sicherheitsbevollmächtigter und überprüfungen auch die Firmenmitarbeiter, die von staatlicher Seite aus mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, einer freiwilligen Sicherheitsüberprüfung nach den Bestimmungen des BSÜG zu unterziehen. Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist nach SS 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 des VSG Bln die Verfassungsschutzbehörde. Im Jahr 2003 wurden 94 Sicherheitsüberprüfungen für Angehörige Berliner Unternehmen durchgeführt (2002: 162). Eine weitere grundlegende Voraussetzung für die Aufnahme in den amtlichen Geheimschutz bei Landesaufträgen ist der Ab- 150 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 schluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen und der Unternehmensleitung. Dies bedeutet die rechtsverbindliche Anerkennung der Bestimmungen der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit verfassten Sicherheitsanleitung "Handbuch für den Geheimschutz in der Wirtschaft" (GHB). SicherheitsDer Sicherheitsbevollmächtigte des Unternehmens ist in Angebevollmächtigte legenheiten des Geheimschutzes für die ordnungsgemäße im Unternehmen Durchführung der Sicherheitsüberprüfungen verantwortlich. Nach SS 28 Abs. 4 BSÜG wird der Sicherheitsbevollmächtigte für den personellen Geheimschutz von der Verfassungsschutzbehörde in seine Aufgaben eingeführt. Nach Überprüfung der erforderlichen Geheimschutzmaßnahmen erteilt die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen dem staatlichen Auftraggeber einen Sicherheitsbescheid und dem Unternehmen eine abschließende Feststellung. Die Firma kann nunmehr an geheimhaltungsbedürftigen Auftragsverhandlungen beteiligt werden. Fast alle Berliner Firmen, die von staatlichen Auftraggebern einen Verschlusssachen-Auftrag erhalten haben, bearbeiten keine Verschlusssachen. Sie sind vielmehr mit Lieferungen und Leistungen beauftragt worden, bei denen sie Zugang zu Verschlusssachen haben oder sich verschaffen können, die VS-VERTRAULICH und höher eingestuft sind. Dazu zählen Montageund Wartungsarbeiten sowie Instandsetzungen in sicherheitsempfindlichen Bereichen. Seit Inkrafttreten des Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetzes Aufklärungsund Sensibilisierungs1998 und der damit verbundenen Regelung des Geheimgespräche schutzverfahrens fanden mit den Sicherheitsbevollmächtigten und Vertretern von Unternehmen 258 Aufklärungsund Sensibilisierungsgespräche statt, davon 52 im Jahr 2003. Durch diese Partnerschaft von Wirtschaft und Sicherheitsbehörden trägt der Verfassungsschutz auch weiterhin zu einem effektiven Wirtschaftsund Informationsschutz bei, um Wirtschaftsspionage zu verhindern. Die Verfassungsschutzbehörde Berlin steht nicht nur geheimschutzbetreuten Unternehmen beratend zur Verfügung. Auch Unternehmen, die nicht mit geheimschutzbedürftigen Aufträgen befasst sind, können sich mit Aktuelle Entwicklungen - Geheimund Sabotageschutz 151 Fragen zur Sicherheit in der Wirtschaft an den Verfassungsschutz wenden. 6.3 Sabotageschutz Ziel des Sabotageschutzes ist es, die Beschäftigung von Personen, bei denen Sicherheitsrisiken vorliegen, an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebenswichtigen öffentlichen Einrichtungen zu verhindern. Auch zu diesem Zweck ist die Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen gesetzlich vorgesehen (SSSS 1 Nr. 2; 2 Nr. 4 BSÜG). Regelungen zum Sabotageschutz sind erforderlich, weil Sabotageakte gegen lebenswichtige Einrichtungen erhebliche Risiken für die Gesundheit oder das Leben zahlreicher Menschen zur Folge haben oder das Funktionieren des Gemeinwesens gefährden können. In der Verordnung vom 2. September wurden die Arten der lebenswichtigen Einrichtungen für das Land Berlin festgelegt.235 6.4 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen Eine weitere Mitwirkungsangelegenheit des Verfassungsschutzes sind nach SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG Bln Überprüfungen in Einbürgerungsverfahren. Dabei prüft der Verfassungsschutz auf Antrag der Einbürgerungsbehörde, ob über Personen, die einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben, Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden der Länder oder des Bundes vorliegen. Seit dem 1. Januar 2000 ist eine Einbürgerung für Personen Ausschließungszwingend ausgeschlossen,236 welche gründe * die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden, * sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligen, 235 Verordnung zur Festlegung der Arten lebenswichtiger Einrichtungen im Land Berlin vom 2.9.2003 (GVBl., S. 316). 236 SS 46 Nr. 1 Ausländergesetz (AuslG). 152 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 * öffentlich zur Gewaltanwendung aufrufen, * mit Gewaltanwendung drohen. Für die Versagung eines Einbürgerungsantrages reicht es aus, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einbürgerungsbewerber verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt oder verfolgt237, wobei die Ausländerbehörde als zuständige Stelle bei der Entscheidung über einen Ermessensspielraum verfügt. Im Januar 2001 legte die Senatsverwaltung für Inneres fest, Regelanfragen dass bei Einbürgerungsbewerbern aus bestimmten Herkunftsländern stets eine Anfrage beim Verfassungsschutz zu erfolgen hat. Unabhängig von der Herkunft der Einbürgerungsbewerber ist eine Anfrage auch immer dann zu stellen, wenn Anhaltspunkte für eine extremistische Haltung oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten vorliegen. Im Jahr 2003 wurden 11 360 Anfragen bearbeitet (2002: 12 300). Auswirkungen auf die Arbeit der Verfassungsschutzbehörde erEinreiseverbote gaben sich aus dem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 9. Januar 2002.238 Seit Inkrafttreten dieses Gesetzes erhalten Personen, die gewaltbereit sind, terroristische Aktivitäten begehen oder unterstützen, keine Visa oder Aufenthaltsgenehmigungen und unterliegen einem Einreiseund Aufenthaltsverbot in Deutschland. Zur Versagung der Einreise genügt die Feststellung einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Aus rechtsstaatlichen Gründen reichen Vermutungen nicht aus.239 Um terroristischen oder gewaltbereiten Ausländern keinen Ausweisung Ruheraum in Deutschland zu gewähren, wurden ferner die Regelausweisungstatbestände des SS 47 Abs. 2 AuslG erweitert. Im Regelfall wird ausgewiesen, wer nach dem neuen Versagungsgrund nicht hätte einreisen dürfen.240 Zur Feststellung von Versagungsgründen nach SS 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG können die Ausländerbehörden den Verfassungsschutzbehörden 237 SS 86 Abs. 2 AuslG. 238 Terrorismusbekämpfungsgesetz, BGBl. Teil I, S. 261. 239 Art. 11 Nr. 3 TerrorismusbekämpfungsG; SS 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG. 240 Art. 11 Nr. 8 TerrorismusbekämpfungsG. Aktuelle Entwicklungen - Geheimund Sabotageschutz 153 der Länder und weiteren Sicherheitsbehörden die personenbezogenen Daten der betroffenen Person übermitteln. Die angefragten Behörden teilen der Ausländerbehörde unverzüglich mit, ob Versagungsgründe vorliegen.241 Im Jahr 2003 gingen 5 667 Anfragen bei der Verfassungsschutzbehörde ein. Zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes zählt nach SS 5 Luftverkehr Abs. 3 Nr. 4 VSG auch die Mitwirkung bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach SS 29 d Luftverkehrsgesetz (LuftVG).242 Die Luftfahrtbehörde Berlin, organisatorisch angesiedelt bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, führt Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Personen durch, die Zutritt zu den nicht allgemein zugänglichen Bereichen der Flughäfen Tegel und Tempelhof haben sollen. Zum Zweck der Überprüfung kann sich die Luftfahrtbehörde vorhandene, für die Beurteilung der Zuverlässigkeit bedeutsame Informationen von der Polizei, aus dem Bundeszentralregister und vom Verfassungsschutz übermitteln lassen. Liegen dem Verfassungsschutz Erkenntnisse vor, sind diese ohne Bewertung der Luftfahrtbehörde mitzuteilen. Über die Verwendung im Bereich der Flughäfen entscheidet die Behörde selbst. Im Jahr 2003 wurden 6 452 Personen gemäß SS 29 d LuftVG durch den Verfassungsschutz überprüft (2002: 6 938). Auch das Atomgesetz (AtomG)243 sieht Zuverlässigkeitsüberprüfungen vor, an denen der Verfassungsschutz gemäß SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG mitwirkt. Da kerntechnische Anlagen im Hinblick auf mögliche unbefugte Kerntechnische Handlungen besonders zu schützende Objekte darstellen, sind Anlagen Sicherungsmaßnahmen auch in Form der Überprüfung von Personen erforderlich, die Zutritt zu den kerntechnischen Anlagen erhalten sollen. Im Land Berlin werden die Personen überprüft, denen der Zutritt zum Forschungsreaktor des HahnMeitner-Instituts gewährt werden soll. Weitere kerntechnische Anlagen sind im Land Berlin nicht vorhanden. 241 Art. 11 Nr. 12 TerrorismusbekämpfungsG; SS 64 a AuslG. 242 BGBl, Teil I, S. 549. 243 BGBl., Teil I, S. 1565 mit letzten Änderungen vom 27.7.2001 (BGBl. Teil I, S. 1950). 154 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Die Überprüfung gemäß SS 12 b AtomG wird ebenfalls von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung als zuständige atomrechtliche Behörde durchgeführt. Für die Prüfung der Zuverlässigkeit werden auch hier Auskünfte von der Polizei, Informationen aus dem Bundeszentralregister und der Verfassungsschutzbehörde eingeholt. Eine Bewertung der übermittelten Erkenntnisse unterbleibt, diese obliegt der zuständigen atomrechtlichen Behörde. Im Jahr 2003 wurden durch den Verfassungsschutz 210 Personen überprüft (2002: 178). Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 155 156 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 II HINTERGRUNDINFORMATIONEN INTERGRUNDINFORMATIONEN 1 Ideologien 1.1 Definition Extremismus Der Begriff Extremismus bezeichnet kein einheitliches Phänomen, sondern ist vielmehr eine "Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Gesinnungen und Bestrebungen [...], die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln einig wissen".244 Die verfassungsmäßige Grenze des politischen Handelns ist in der Bundesrepublik Deutschland jedoch eindeutig festgelegt. Anlässlich des Verbots der "Sozialistischen Reichspartei" (SRP) bestimmte das Bundesverfassungsgericht 1952 den Kern des demokratischen Verfassungsstaates, die freiheitliche demokratische Grundordnung. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind zu rechnen: * die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, vor allem des Rechtes der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, * die Volkssouveränität, * die Gewaltenteilung, * die Verantwortlichkeit der Regierung, * die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, * die Unabhängigkeit der Gerichte, * das Mehrparteienprinzip, * die Chancengleichheit aller politischen Parteien, * das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.245 Die Verfassungsschutzbehörden verwenden den Extremismusbegriff seit Anfang der 70er Jahre in Abgrenzung zu dem oftmals synonym gebrauchten Begriff des Radikalismus. Während extremistische Positionen die Grenze der verfassungsmäßigen Ordnung überschreiten, bezeichnet der Radikalismus Auffassungen, die zwar grundlegende systemoppositionelle Positionen ver244 Uwe Backes/Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. 4. Aufl. Bonn 1996, S. 45. 245 Vgl. BVerfGE 2, 1 ff; BVerfGE 5, 85 ff.; VSG Bln, SS 6. Hintergrundinformationen - Ideologien 157 treten, sich mit ihrer fundamentalen Kritik aber innerhalb der Grenzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegen. 1.2 Ideologie des Rechtsextremismus Mit der Sammelbezeichnung Rechtsextremismus verbindet sich keine geschlossene politische Ideologie. Der Begriff umschreibt vielmehr eine vielschichtige politische und soziale Gedankenwelt und ein Handlungssystem, das in der Gesamtheit seiner Einstellungen und Verhaltensweisen auf die Beseitigung oder nachhaltige Beeinträchtigung demokratischer Rechte, Strukturen und Prozesse gerichtet ist. Rechtsextremistischen Strömungen sind in jeweils unterschiedlichen Gewichtungen und Ausprägungen folgende Inhalte gemeinsam:246 > Ablehnung des Gleichheitsprinzips: Die Ideologie der Ungleichheit äußert sich in der gesellschaftlichen Diskriminierung bestimmter Menschen und Gruppen aufgrund ethnischer, körperlicher und geistiger Unterschiede. > Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit: Die eigene "Nation" oder "Rasse" wird zum obersten Kriterium der Identität erhoben. Ihr wird ein höherwertiger Status zugeschrieben, was die Abwertung und Geringschätzung von nicht zur eigenen "Nation" oder "Rasse" gehörenden Menschen und Gruppen zur Folge hat. > Antipluralismus: Der pluralistische Interessenund Meinungsstreit wird als die Homogenität der Gemeinschaft zersetzend angesehen. Rechtsextremisten streben eine geschlossene Gesellschaft an, in der Volk und Führung eine Einheit bilden. > Autoritarismus: In demokratischen Ordnungssystemen ist der Staat ein Instrument der Selbstorganisation der Gesellschaft, das Wechselbeziehungen zwischen Staat und Gesellschaft vorsieht. Im autoritären Staatsverständnis steht der Staat in einem einseitig dominierenden Verhältnis über der Gesellschaft. Im Bereich des Rechtsextremismus treten zahlreiche ideologische Überschneidungen und Mischformen auf. Die Überbewertung der eigenen Nation im Vergleich zu anderen Nationen wird als Nationalismus bezeichnet. Der 246 Vgl. Armin Pfahl-Traughber: Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. 2. Aufl. München 2000, S. 11 - 16. 158 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Rassismus behauptet die Ungleichwertigkeit von "Menschenrassen" aufgrund ihrer unveränderlichen biologischen und sozialen Anlagen. Rassistische Dieologien leiten daraus ein "naturgegebenes" Recht zur Ausgrenzung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen ab. Eine besondere Form des Rassismus ist der Antisemitismus. Darunter versteht man die Feindschaft gegenüber den Juden als Gesamtheit aufgrund stereotypischer rassistischer, sozialer, politischer und/oder religiöser Vorurteile. Ein weiteres Element des Rechtsextremismus ist der Neonazismus, der durch seinen Bezug zum historischen Phänomen des Nationalsozialismus gekennzeichnet ist. Wenn eine rechtsextreme Ideologie an den historischen Nationalsozialismus anknüpft, wird sie als neonazistisch bezeichnet. 1.3 Ideologie des Linksextremismus Die Utopie linksextremistischer Ideologien ist auf ein herrschaftsfreies, mit politischer, sozialer und ökonomischer Freiheit (Befreiung von unterdrückerischen Machtstrukturen) ausgestattetes Gemeinwesen gleicher Menschen ausgerichtet: die so genannte herrschaftsfreie Ordnung.247 Sie reicht weit über das in demokratischen Verfassungsstaaten akzeptierte Prinzip der menschlichen Fundamentalgleichheit hinaus und kann direkt oder über Zwischenstufen wie etwa im Marxismus-Leninismus (Diktatur des Proletariats / Sozialismus) erreicht werden. Ziel ist, die herrschende, als imperialistisch oder kapitalistisch diffamierte Staatsordnung durch einen revolutionären Akt zu überwinden,248 da ihr unterstellt wird, sie diene ausschließlich der Unterdrückung der Massen bei gleichzeitiger Maskierung der Herrschaftssicherung der gesellschaftlichen Elite.249 Trotz der Gemeinsamkeiten in der Umschreibung eines letzten utopischen Ziels unterscheiden sich die Ansätze bezüglich dessen Umsetzung stark voneinander. > Anarchisten Anarchisten etwa erwarten eine spontane Bewusstseinsänderung, die - gegebenenfalls auch unter Anwendung von Gewalt - zur Auflösung sämtlicher 247 Vgl. etwa Uwe Backes; Eckard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1996, S. 60. 248 Vgl. Ernesto Che Guevara: Guerilla - Theorie und Methode, Berlin 1968, S. 7: "Wir diskutieren das Problem des friedlichen Übergangs zum Sozialismus nicht als ein theoretisches Problem [...] Darum sagen wir [...], dass der Weg zur Befreiung der Völker, der nur der Weg des Sozialismus sein kann, in fast allen Ländern durch die Kugel erkämpft werden wird." 249 Der Linksextremismus bildet aktuell vor allem die Gegensatzpaare Neoliberalismus versus Antikapitalismus, Faschismus versus Sozialismus, Herrschaft versus Anarchismus aus und diskreditiert das in Deutschland herrschende System der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hintergrundinformationen - Ideologien 159 staatlicher Institutionen führen werde. Diese seien durch dezentrale Selbstverwaltungseinheiten zu ersetzen. "Es kann auf keinen Fall der Zweck der anarchischen Aktion sein, auf die Eroberung der Macht oder die Verwaltung des Bestehenden auszugehen. [...] Die Arbeiter brauchen keine Vermittler, um an ihrer Stelle ihre Forderungen auszudrücken oder einen Kampf zu führen, sondern sie können und müssen es direkt selbst machen. Die Libertären [Anarchisten] denken, dass die Praxis der direkten Aktion, und des Streiks im besonderen, auch das bestmögliche und wirksamste Kampfmittel in den Händen der Arbeiter ist [...] Die Libertären haben sich immer jedem Versuch der Unterwerfung der revolutionären Bewegung oder der Arbeiterbewegung entgegengesetzt, und sie befürworten die Selbstorganisation, die kollektive und autonome Aktion der Arbeiter."250 > Autonome Ebenso wie Anarchisten haben auch Autonome kein zentrales Theoriegebäude ausgebildet. Sie wenden sich vor allem aktionsorientiert gegen einen staatlichen "Repressionsapparat", sind ideologisch stark zerstritten, richten sich jedoch diskontinuierlich an polarisierenden Themen aus. Thematischer Minimalkonsens der autonomen Szene sind neben der Akzeptanz von Gewalt gegen Menschen und Sachen die Schlüsselbegriffe Faschismus, Kapitalismus, Imperialismus, Militarismus, Rassismus und Sexismus, die als wesentliche Bestandteile des herrschenden politischen Systems angesehen und jeweils als "Anti-" (faschismus, -kapitalismus etc.) die linksextremistischen Aktionsschwerpunkte bestimmen. "Zuerst möchte ich sagen, dass ich grundsätzlich gegen Gewalt bin. Aber in manchen Situationen glaube ich nicht, dass ich etwas ohne Gewalt ändern kann. Und dieses System baut ja selbst seit jeher auf Gewalt auf."251 Versierter umschreibt die Gewaltoption ein Vordenker der autonomen Szene: "[...] wo Menschen anfangen die politischen, moralischen, technischen Herrschaftsstrukturen zu sabotieren, zu verändern, ist es ein Schritt zum selbstbestimmten Leben."252 > Kommunisten Orthodoxer in der Lehre, strategischer bei der Wahl der thematisierten Politikfelder und organisierter in der Betreuung seiner Anhänger ist der Kommunismus. In unterschiedlichen Ausprägungen strebt er eine klassenlose Gesellschaft an. Dabei fordert er zunächst eine völlige Unterordnung des Individuums unter die revolutionären Ziele und die diese anstrebenden Organisa250 I-AFD [Initiative für eine anarchistische Föderation in Deutschland] - IFA [Internationale der anarchistischen Föderation]: Was ist Anarchismus. Krefeld 1993, S. 4 f. 251 Antifaschistische Aktion Berlin: Bravo Antifa 1. Ausgabe, 12.1996, S. 8. 252 Zitiert nach Geronimo: Feuer und Flamme, Edition ID-Archiv, Berlin 1990, S. 103 f. 160 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 tionen. Über Revolutionen, in deren Verlauf das Proletariat die herrschende Elite stürzen solle, und interrevolutionäre Zwischenstufen sei die klassenlose Gesellschaft erreichbar. "1. Der Faschismus ist [...] notwendige Tendenz der kapitalistischen Gesellschaft. 2. Daher gibt es keinen Kampf gegen den Faschismus, es sei denn den Kampf für die Vernichtung des Kapitalismus durch die proletarische Revolution und Diktatur. 3. Denn jeder Aufruf, die Demokratie zu verteidigen, jeder Versuch den Faschismus auf Grund der Demokratie zu bekämpfen, jedes Bündnis mit 'demokratischen' Parteien und Klassen führt zur Zerstörung der proletarischen Bewegung und bahnt dem Faschismus den Weg."253 Von der Ideologie des Kommunismus als klassenloser Gesellschaft ist der real existierende Sozialismus als Übergangsphase vom Kapitalismus zum klassenlosen Gemeinwesen (Kommunismus) zu unterscheiden. Der Begriff des real existierenden Sozialismus stellt keine eigenständige ideologische Variante dar, er beschreibt vielmehr die gesellschaftlichen Gegebenheiten sozialistischer Staaten. Protagonisten derartiger Regimes finden sich vor allem in der ehemaligen politischen Elite der DDR, die sich selbst ebenfalls dem Kommunismus zurechnet. "Kommunist zu sein heißt [...] für die Einheit und Reinheit des MarxismusLeninismus zu kämpfen und gemäß der Lehren von Marx, Engels, Lenin und Stalin gegen alle Angriffe der bürgerlichen Ideologie und des Revisionismus und Reformismus innerhalb der Arbeiterklasse mit allen Mitteln zu verteidigen und zu vertreten, sich zur proletarischen Revolution, zur Diktatur des Proletariats und zum proletarischen Internationalismus zu bekennen."254 Gemeinsam ist den unterschiedlichen linksextremistischen Bestrebungen, dass sie eine andere gesellschaftliche Ordnung zu errichten trachten. Ferner stimmen sie trotz aller Differenzen in den Zielrichtungen bei der Wahl ihrer Mittel überein: Sie sehen Militanz gegen den Staat und seine gesellschaftliche Ordnung als probates Mittel der politischen Auseinandersetzung an: "Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu 253 Internationale Revolution Nr. 3, 12.1969, S. 1, dok. in: Internetauftritt "sinistra". 254 Internetauftritt der KPD, Stand 10.9.2002. Hintergrundinformationen - Ideologien 161 verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller 255 Länder, vereinigt Euch!" 1.4 Ausländerextremistische Ideologien Ausländische Organisationen werden als extremistisch bewertet, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten und die Durchsetzung ihrer Weltanschauung in Deutschland anstreben. Als extremistisch werden aber auch ausländische Organisationen eingestuft, die eine gewaltsame Veränderung der politischen Verhältnisse in den Heimatländern anstreben. Sie gefährden durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. Ausländische Organisationen werden schließlich als extremistisch bewertet, wenn ihre Tätigkeit gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 21 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet ist. Organisationen, die sich gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten, bedeuten eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit. Sie bilden den Nährboden für die Entstehung extremistischer Auffassungen und schüren Hass, der auch vor Anwendung terroristischer Gewaltanwendung nicht zurück schreckt. In den meisten Fällen werden die Aktivitäten ausländerextremistischer Organisationen von den politischen Verhältnissen in ihren Herkunftsländern bestimmt. Einige der in Deutschland ansässigen Organisationen lassen inzwischen jedoch Tendenzen zu eigenständigem Handeln erkennen. > Linksextremistische Gruppierungen Bei ausländerextremistischen Organisationen lassen sich linksextremistische, nationalistisch orientierte und islamistische Gruppierungen unterscheiden. Linksextremistische Organisationen folgen weitgehend der Ideologie des Marxismus-Leninismus und streben die Etablierung eines sozialistischen bzw. kommunistischen Systems in ihren Heimatländern an. Zur Durchsetzung ihrer Ziele befürworten sie grundsätzlich die Anwendung von Gewalt. In letzter Zeit sind die Gewalttaten stark zurückgegangen. > Nationalistische Gruppen Nationalistische Ausländerorganisationen kennzeichnet ein auf ethnische, kulturelle und politisch-territoriale Unterschiede gegründeter Überlegenheitsanspruch der eigenen Nation sowie die Negierung der Rechte anderer Ethnien. In Deutschland spielen sie derzeit nur eine untergeordnete Rolle. 255 Internetauftritt der KPD, Stand 17.12.2002, Parteiprogramm vom 7.10.1999. 162 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 > Islamistische Gruppierungen Die größte Gruppe innerhalb der extremistischen Ausländerorganisationen bilden die islamistischen Gruppierungen. Der "Islamismus" ist nicht gleichbedeutend mit der islamischen Religion. Vielmehr stellt der "Islamismus" eine politische Ideologie der Gegenwart dar, die sich primär gegen die Herrschaftsverhältnisse in den Heimatländern wendet und den "Islam" weltweit als ein alternatives Gesellschaftssystem propagiert. Der gesetzliche Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes richtet sich weder auf die islamische Religion als solche noch auf die hier lebenden Muslime, von denen die Mehrheit unsere Rechtsordnung achtet. Dem Verfassungsschutz geht es um Bestrebungen, die auf die Durchsetzung der islamistischen Weltanschauung in Deutschland oder die gewaltsame Veränderung der politischen Verhältnisse in den Heimatländern abzielen. Was charakterisiert nun die Ideologie des Islamismus und wie ist das Phänomen eines transnationalen islamistischen Terrorismus einzuordnen? Die Herausbildung islamistischer Bewegungen Im Gegensatz zur islamischen Religion, die im siebten Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel entstand und der mehr als eine Milliarde Muslime angehören, stellt der Islamismus eine politische Ideologie der Gegenwart dar. Islamismus bezeichnet den Versuch einzelner Gruppen, den "Islam" zu ideologisieren und ein als "islamisch" deklariertes Herrschaftssystem zu errichten. Islamisten verkörpern weder per se eine anti-modernistische, rückwärtsgewandte Bewegung, noch rekrutieren sie sich mehrheitlich aus Modernisierungsverlierern. Vielmehr bilden sie eine breite, bis in die Mitte der Gesellschaft reichende Strömung. Ihnen geht es darum, den Islam zur Grundlage und Richtschnur allen Denkens und Handelns zu machen und Politik und Gesellschaft auf den Islam - so wie sie ihn verstehen - zu gründen. Der Islamismus stellt kein einheitliches Konzept dar, sondern umfasst höchst unterschiedliche Vorstellungen, die wiederum von den divergierenden historischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Herkunftsländer bestimmt sind. Insofern gibt es weder einen "Einheits-Islamismus" noch eine "islamistische Internationale". Richtiger ist es, von islamistischen Bewegungen und Grundzügen islamistischer Ideologie zu sprechen. Historisch geht islamistisches Denken auf die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zurück. Angesichts des Bedeutungsverlusts, den die islamische Religion in der muslimischen Welt infolge der Kolonisierung erlitten hatte, hatten sich religiöse Reformer für die Erneuerung von Religion und Gesellschaft durch die "Rückkehr zu den reinen Ursprüngen des Islam" aus- Hintergrundinformationen - Ideologien 163 gesprochen. Reform und Erneuerung des Islam sowie anti-koloniale - und damit auch anti-westliche - Motive bestimmten in der Folge das Entstehen islamistischer Bewegungen - so etwa der 1928 in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft (=).256 Große Anziehungskraft entfaltete islamistisches Denken nach dem Zweiten Weltkrieg, als in den dann unabhängigen arabischen Nationalstaaten nacheinander die Konzepte des Nationalismus, des Pan-Arabismus und des Sozialismus scheiterten. Ab den späten 1970er Jahren gelang es Islamisten, dieses entstandene ideologische Vakuum zu füllen und den "Islam" als ein alternatives politisches und gesellschaftliches Modell zu präsentieren. Gefördert wurde das Erstarken islamistischer Bewegungen durch die iranische Revolution 1979. In der Folge etablierte sich der Iran als ein staatlicher Träger islamistischer Ideologie und suchte diese neue Weltanschauung durch den Export seiner Revolution zu verbreiten. Seit Ende der siebziger Jahre wurden islamistische Bewegungen auch von SaudiArabien unterstützt, das finanziell und ideologisch die Ausbreitung einer nicht minder fundamentalistischen islamischen Strömung, des Wahhabismus, über seine Landesgrenzen hinaus verfolgte. Eine entscheidende Rolle - insbesondere für die Herausbildung des Phänomens des islamistischen Terrorismus - spielte auch die Tatsache, dass ab 1979 Kämpfer (Mujahidin) in Afghanistan Krieg gegen die sowjetische Besatzung führten, der zehn Jahre später mit dem Rückzug der sowjetischen Truppen endete. Diese regionalpolitischen Entwicklungen erleichterten es Islamisten in den 1980er Jahren, die scheinbare Überlegenheit eines "islamischen" Gesellschaftssystems gegenüber dem kapitalistischen und sozialistischen Gesellschaftssystem zu propagieren. Hierzu prägten sie vor allem das Schlagwort "Der Islam ist die Lösung". Ideologische Grundzüge des Islamismus Wichtigstes gemeinsames Kennzeichen islamistischer Ideologie ist der Anspruch, dass der Islam stets zugleich "Religion" und "Politik" verkörpert habe - ein Anspruch, den die Islamisten als eine für die islamische Geschichte geltende historische Tatsache darstellen. Die Behauptung, dass es sich beim Islam um eine unteilbare Einheit von Religion und Politik handele, ist allerdings ein nicht mehr als 100 Jahre altes Ideologem. Islamisten verstehen Religion nicht als Glaube und Ethik, sondern als vollkommene Lebensform und Weltanschauung. So propagierte etwa der Chefideologe der pakistanischen "Jamaat-i Islami"-Partei, Abul Ala AL-MAUDUDI (1903 - 1979), eine "Ordnung des Islam" (nizam al-islam), die alle Lebensbereiche zu regeln im256 Ausführliche Informationen zur Muslimbruderschaft, vgl. S. 215 ff. 164 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 stande sei und die es anzuwenden gelte. Methodisch orientieren sich Islamisten bevorzugt am Wortlaut des Koran, den sie als ein "für alle Orte und Zeiten gültiges Gesetz" betrachten, und an der Sunna, den in "Berichten" (Hadithen) schriftlich festgehaltenen Worten und Taten des Propheten Muhammad. Beide, Koran und Sunna, haben nach islamistischer Auffassung eine Vorbildfunktion für politisches Handeln in einem künftigen "islamischen Staat". Islamisten idealisieren das erste muslimische Staatswesen, die vor 1400 Jahren gegründete "Gemeinde von Medina" sowie die Periode der "Vier Rechtgeleiteten Kalifen", die als direkte Nachfolger (Kalifen) des Propheten Muhammad eine "gerechte Kalifatsherrschaft" ausgeübt haben. Ein Idealbild haben Islamisten auch von der Scharia, die sie nicht allein als ein Recht betrachten, sondern als ein politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip. Mit dem Schlagwort der "Anwendung der Scharia" ("tatbiq ash-sharia") plädieren sie für eine vollständige Umsetzung der Bestimmungen des islamischen Rechts. Islamisten sind davon überzeugt, dass das islamische Recht lediglich angewandt werden müsse, um sämtliche politischen und sozialen Probleme zu bewältigen. Konkret betrachtet beinhaltet ihre Forderung nach "Anwendung der Scharia" allerdings nur die Anwendung islamischer Strafrechtsbestimmungen und Elemente einer "islamischen Wirtschaftsordnung". Auffällig ist der Versuch von Islamisten, politische Herrschaft mit vermeintlich religiösen Grundlagen zu legitimieren. So ist bei ihnen häufig von der "Gottesherrschaft" (hakimiyat Allah) die Rede, die impliziert, dass politische Herrschaft nicht den Menschen zustehe. Diese Formel steht für das Ziel der Gründung eines religiösen "islamischen Staates", wobei unklar bleibt, wer darin zur politischen Führung befugt und wie dieser Staat zu organisieren sei. Das Konzept der "Gottesherrschaft" geht zurück auf Abul Ala AL-MAUDUDI und Sayyid QUTB (1906 - 1966), den 1966 hingerichteten Chefideologen der ägyptischen Muslimbruderschaft. Beide definierten die gesamte Welt, einschließlich des Westens und der islamischen Hemissphäre, als in einem Zustand der "heidnischen Unwissenheit" befindlich und forderten die Bekämpfung nicht-glaubenskonformer Muslime und so genannter "Ungläubiger" mit Hilfe des Jihad (Kampf). Den "Jihad um Gottes Willen" verstehen Islamisten nicht - wie in der klassischen islamischen Rechtstheorie definiert - als eine ausschließlich zum Zwecke der Verteidigung des Islam zulässige Methode. Der Jihad ist für sie vielmehr eine offensive und militante Aktionsform, die sie zudem zur individuellen Pflicht eines jeden Muslims erheben. Wie weit ein derartiges Verständnis des Jihad gehen kann, zeigte der von Usama BIN LADIN im Februar 1998 verfasste Aufruf der "Islamischen Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzzügler". Hierin hatte er u. a. die Tötung von Hintergrundinformationen - Ideologien 165 Amerikanern zur individuellen Pflicht eines jeden Muslims erklärt und zugleich behauptet, sich in einem gerechten Verteidigungskampf gegen einen überlegenen Gegner zu befinden. Gemeinsam ist den islamistischen Bewegungen, dass sie die politischen Verhältnisse ihrer Heimatländer radikal in Frage stellen. Dies betrifft vor allem die Regierungen in Ägypten, Syrien, Jordanien, Algerien, Tunesien, Marokko, im Irak, sowie die Palästinensische Autonomiebehörde. Ziel der islamistischen Bewegungen ist es bis heute, die autokratischen Herrschaftssysteme in den muslimischen Ländern zu beseitigen, der islamischen Religion größeren Einfluss zu verschaffen und dort möglichst einen - wie auch immer gearteten - "islamischen Staat" zu errichten. Die Tatsache, dass die islamistischen Bewegungen eine gegen Monarchien, Militärdiktaturen und Einparteienherrschaften gerichtete Opposition darstellen, hat zur Konsequenz, dass die Regierungen dieser Staaten sie seit Jahrzehnten massiv bekämpfen; hierzu gehören auch langjährige Haftstrafen, die Anwendung von Folter und die Verhängung der Todesstrafe. Zusammen mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit finden sich bei Islamisten ferner heftige Polemiken gegen das Prinzip des Säkularismus, der Trennung von Religion und Politik. Die Polemiken sind vor allem gegen die herrschenden politischen Systeme der Herkunftsländer gerichtet, zielen aber auch gegen westliche Demokratiemodelle, die als vermeintlich "un-islamisch" abgelehnt werden. In dieser Hinsicht haben sich einige der islamistischen Gruppen nicht allein zu einer Bedrohung für die muslimischen Heimatländer, sondern auch für die internationale Staatengemeinschaft entwickelt. Dies gilt seit den Anschlägen vom 11. September 2001 im besonderen für den islamistischen Terrorismus, der sich einer ähnlichen Argumentation bedient. Den Boden für die zunehmende Militanz bereiten vor allem verbale Angriffe, die in der Mehrzahl gegen Israel und die USA gerichtet sind. Da hierbei selten zwischen staatlicher Politik und den Bewohnern eines Landes differenziert wird, entwerfen einige islamistische Gruppierungen drastische Feindbilder von "Juden" und "Christen". Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Großteil des ideologischen Gemeinguts islamistischer Gruppierungen unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und der Menschenwürde ist. Die Unvereinbarkeit mit der Verfassung betrifft zum einen das Politikverständnis, das in der Forderung nach Schaffung einer "islamischen Ordnung" zum Ausdruck kommt und das die Errichtung eines religiösen Staates, die Anwendung des islamischen 166 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Rechts sowie den Anspruch auf Besitz einer absoluten Wahrheit umfasst. Dies gilt zum anderen für die gesellschaftspolitischen Vorstellungen - etwa in der Frage der Gleichberechtigung der Frau -, welche gleichfalls nicht mit unserem pluralistischen System vereinbar sind. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 167 2 Rechtsextremismus 2.1 Aktionsorientierter Rechtsextremismus 2.1.1 "Aktionsbüro Mitteldeutschland - Nationaler Widerstand Berlin / Brandenburg" (NWBB) Beim "Aktionsbüro Mitteldeutschland - Nationaler Widerstand Berlin / Brandenburg" (NWBB) handelt es sich um ein Projekt der neonazistischen Kameradschaftsszene (=), das ausschließlich im Internet auftritt. Hinter dem Projekt stehen zwei bekannte Neonazis aus Berlin und Brandenburg. Das "Aktionsbüro" versteht sich als Informationsportal und Sprachrohr der neonazistischen Kameradschaftsszene in Berlin und Brandenburg. Es veröffentlicht Termine und Berichte rechtsextremistischer Veranstaltungen und wirbt für Demonstrationen. Darüber hinaus wird in "Pressemitteilungen" und Propagandaschriften das neonazistische Weltbild der Betreiber transportiert. Inhaltlich konzentrieren sich die Texte auf die Agitation gegen den "amerikanischen Imperialismus" und auf die Verbreitung von Verschwörungstheorien. So werden Globalisierungsprozesse als "Weltherrschaftspläne einer kleinen Globalisierungsclique, angeführt von den Schurken aus der Wallstreet", dargestellt.257 Durch Verweise zu den Web-Seiten anderer "Aktionsbüros" in ganz Deutschland versuchen die Betreiber zur Mobilisierung und Vernetzung der rechtsextremistischen Szene in Deutschland beizutragen. Die Reichweite des Aktionsbüros ist allerdings gering. Es gelang ihm in der Vergangenheit nicht, den Diskurs innerhalb des aktionsorientierten Rechtsextremismus maßgeblich zu beeinflussen. 2.1.2 "Anti-Antifa" Als Reaktion auf die linksextremistische "Antifa"258 entwickelten gewaltbereite, ideologisch gefestigte aktionsorientierte Rechtsextremisten das Konzept der "Anti-Antifa". Die "Anti-Antifa"-Aktivisten sind bestrebt, Informationen und persönliche Daten über Personen, die sie als politische Gegner ansehen, zu sammeln und im Internet oder in Publikationen zu veröffentlichen. Zu diesem Personenkreis gehören Repräsentanten des Staates (wie Politiker, Polizeibe257 "Aufstehen gegen Oneworldterror aus Amerika - aber wann?" Internetauftritt des NWBB, Aufruf am 26.9.2003. 258 Vgl. S. 92 ff. 168 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 amte, Richter, Staatsanwälte), Repräsentanten jüdischer Organisationen sowie Personen, die durch ihr Verhalten von den Neonazis als "Linke" wahrgenommen werden. Diese Veröffentlichungen sollen den politischen Gegner verunsichern und eine Drohkulisse aufbauen. In Umkehrung der Realität wird die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland als Diktatur und "Unrechtsregime" verunglimpft, in der nationalsozialistische Meinungen und Handlungen unterdrückt würden. Diese Sichtweise dient den Neonazis (=) zur Rechtfertigung von Gewaltanwendung. In Berlin spielt die "Anti-Antifa" als Organisationszusammenhang eine untergeordnete Rolle. Einzig die "Autonomen Nationalisten Berlin" (=), die sich aus der Kameradschaftsszene rekrutieren, beziehen sich als Gruppe auf die "AntiAntifa"-Programmatik.259 Auf der Homepage des "Aktionsbüro Mitteldeutschland - Nationaler Widerstand Berlin / Brandenburg" (=) wird - neben einem Hinweis auf die ANB - regelmäßig Propagandamaterial veröffentlicht, das die "Anti-Antifa"-Thematik aufgreift. 2.1.3 "Autonome Nationalisten Berlin" (ANB) Seit Mitte 2002 existiert in Berlin ein Projekt führender Kameradschaftsaktivisten mit dem Namen "Autonome Nationalisten Berlin" (ANB). Von ihnen wird vor allem der Kampf gegen die "Antifa" thematisiert und zu einem gewaltsamen Vorgehen gegen politische Gegner aufgefordert. Mit den Drohungen gegen namentlich genannte politische Gegner ist beabsichtigt, ein Klima der Einschüchterung und der Angst zu erzeugen. Auch vor konkreter Gewaltanwendung gegen den politischen Gegner schrecken die ANB nicht zurück.260 Trotz zunehmender Propagandatätigkeit der ANB in der ersten Jahreshälfte 2003 ist bisher nicht erkennbar, dass der Versuch, aktionsorientierte Jugendliche zu mobilisieren und an die rechtsextremistische Szene zu binden, zu nachhaltigen Erfolgen geführt hat. Vielmehr speist sich das Projekt weiterhin aus einer kleineren Anzahl Kameradschaftsaktivisten. 2.1.4 "Blood & Honour" (B&H) Die in Deutschland verbotene neonazistische Skinhead-Organisation "Blood & Honour" (B&H) ist neben den "Hammerskins" (=) eines der international agierenden rechtsextremistischen Skinhead-Netzwerke (= Skinheads). Gegründet 259 Vgl. S. 38. 260 Ebenda. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 169 wurde B&H 1986 von Ian Stuart DONALDSON in Großbritannien und etablierte sich im Laufe der 90er Jahre in vielen europäischen Ländern und den USA. Dem B&H-Netzwerk gehörten bundesweit rund 200 Personen an, die sich in 15 Sektionen organisierten. Die Sektion Berlin bestand aus ca. 30 fest eingebundenen Mitgliedern, das Aktivierungspotenzial der Organisation lag jedoch deutlich höher. B&H wird in Szenekreisen mit der Zahl "28" abgekürzt (nach dem zweiten und achten Buchstaben des Alphabets). B&H begreift sich ausdrücklich als neonazistische Organisation und ist Kommunikationsplattform ideologisch gefestigter, rechtsextremistischer Skinheads. Ziel der Organisation ist die Verbesserung der szene-internen Kommunikation sowie die Verbreitung der rechtsextremistischen Ideologie über das Medium der Musik (= Rechtsextremistische Musik). Im Gegensatz zu den Parteien wurde die Organisation von der rechtsextremistischen Skinhead-Szene als authentisch akzeptiert und gewann vor allem durch die Veranstaltung von Konzerten und die Produktion rechtsextremistischer CDs an Bedeutung. Da sich die Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtet, verbot der Bundesminister des Innern die Organisation im September 2000. Im Ausland ist "Blood & Honour" nicht verboten. Dort finden weiterhin von "Blood & Honour" organisierte Konzerte und Treffen statt. Ein Großteil der ehemaligen Berliner Aktivisten ist weiterhin in der rechtsextremistischen Musikszene aktiv und nimmt an Treffen von B&H im Ausland teil. In Berlin gelang es den ehemaligen "Blood & Honour"-Aktivisten nach dem Verbot nicht, den organisatorischen Zusammenhalt aufrecht zu erhalten und Konzerte zu veranstalten.261 2.1.5 "Hammerskins" (HS) Organisationsstruktur: internationale Organisation / regional untergliedert in Divisionen, Sektionen und Chapter Entstehung/Gründung: in Deutschland seit 1995 Mitgliederzahl: 100 bundesweit (2002: 100), ca. 15 in Berlin (2002: 15) Sitz: bundesweit Die "Hammerskins" (HS) sind neben "Blood & Honour" (= B&H) die zweite international tätige rechtsextremistische Skinhead-Organisation (= Skinheads). Die HS wurden Mitte der 80er Jahre als neonazistische "Elite"-Organisation in den USA gegründet. Die Bemühungen um eine länderübergreifende Zusammenarbeit leiten sich aus einem rassistischen Weltbild ab. Ziel der HS ist die 261 Vgl. S. 45 ff. 170 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Vereinigung aller weißen Skinheads über Ländergrenzen hinweg in einer "Hammerskin-Nation". In Deutschland bildeten sich ab etwa Mitte der 90er Jahre regionale Zusammenschlüsse ("Sektionen"). Aufgrund mangelnder Organisationsstrukturen und einer fehlenden Führungspersönlichkeit in ihren Reihen konnten die HS aber weder in Konkurrenz zu B&H treten, noch ihr Selbstbild als Elite der rechtsextremistischen Skinhead-Szene durchsetzen. Angesichts des postulierten Ziels einer "Hammerskin Nation" fällt die Konzeptionslosigkeit der Organisation auf. Eine Strategie zur Umsetzung ihres Ziels ist nicht erkennbar. Überregionale Koordinierungstreffen finden zwar regelmäßig statt, konzeptionelle Impulse gehen von diesen Treffen bislang jedoch nicht aus.262 Die Berliner Sektion gründete sich 1994. Sie umfasste in der Folgezeit bei geringer Fluktuation nie mehr als 30 Mitglieder. Gemessen an dem von den "Hammerskins" formulierten Anspruch, geht von der Berliner Sektion keine nennenswerte Außenwirkung aus. Das Symbol der HS sind zwei gekreuzte Zimmermannshämmer, die auf die Wurzeln der Skinhead-Subkultur im Arbeitermilieu hinweisen und dessen Kraft und Stärke symbolisieren sollen. 2.1.6 Kameradschaften Organisationsstruktur: hierarchisch gegliederte, informelle Gruppen Entstehung/Gründung: seit 1995 Mitgliederzahl: k. A. bundesweit (2002: k. A.), 40 bis 60 in Berlin (2002: 40) Sitz: bundesweit 160 Kameradschaften, davon 5 in Berlin Publikationen: Flugblätter Kameradschaften (KS) sind Zusammenschlüsse von Neonazis (=) mit einer mindestens rudimentären Struktur und Selbstorganisation. Diese Gruppen sind hierarchisch gegliedert und bestehen in der Regel aus einem autoritär agierenden Kameradschaftsführer, einem Stellvertreter und meist jugendlichen Mitgliedern, die sich regelmäßig zu so genannten Kameradschaftsabenden treffen. Maßgeblich für die Definition einer Gruppe als Kameradschaft ist die Bereitschaft zur gemeinsamen politischen Arbeit und die Verbreitung neonazistischen Gedankenguts. Dies geschieht z. B. durch geschlossene Teilnahme an Demonstrationen, Erstellung und Verbreitung von Flugblättern, Internetauftritte oder politische Schulungen. 262 Vgl. S. 52. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 171 Kameradschaften entstanden als Reaktion der rechtsextremistischen Szene auf die zahlreichen Organisationsverbote in den 1990er Jahren. Anstelle der zerschlagenen überregionalen Strukturen sollten kleinere, autonome Einheiten treten, die aufgrund ihres informellen Charakters weniger Angriffspunkte für staatliches Vorgehen bieten sollten. Nach einer Hochphase im Jahr 1997, in dem in Berlin 13 Kameradschaften mit einem Potenzial von ca. 120 Personen existierten, verloren die Berliner Kameradschaften zunehmend an Bindungswirkung. Das Kameradschaftsmodell konnte sich in Berlin nicht als bestimmendes Organisationsprinzip im aktionsorientierten Rechtsextremismus durchsetzen, da Koordinierungsschwächen deutlich wurden. Derzeit existieren in Berlin fünf Kameradschaften, von denen jedoch nur zwei - "Kameradschaft Tor Berlin" und "Berliner Alternative Süd-Ost" - im Jahr 2003 öffentlich in Erscheinung getreten sind. Neonazi-Cliquen, bei denen der politisch-ideologischen Arbeit nur sekundäre Bedeutung zukommt und die sich mitunter selbst als Kameradschaft bezeichnen, werden vom Verfassungsschutz nicht als Kameradschaften definiert. Bei diesen Cliquen stehen ein gemeinschaftliches Auftreten und gemeinsame Freizeitaktivitäten auf Basis einer neonazistischen Grundorientierung im Vordergrund. 2.1.7 "Lichtenberg 35" Organisationsstruktur: informelle Gruppe Entstehung/Gründung: vermutlich 2000 Mitgliederzahl: 10 Sitz: Berlin Die Gruppierung "Lichtenberg 35" wurde vermutlich im Jahr 2000 gegründet und besteht derzeit aus ca. zehn ideologisch gefestigten, gewaltbereiten Neonazis (=). Der Name der Organisation bezieht sich auf den in den 30er Jahren insbesondere im Raum Lichtenberg aktiven SA-Sturm "35". Die Gruppierung demonstriert damit ihre Verbundenheit zur SA und glorifiziert den Nationalsozialismus. Der überwiegende Teil der Mitglieder gehört der rechtsextremistischen Musikszene (=) in Berlin an. Die Gruppierung hat darüber hinaus enge Kontakte zu den "Vandalen" (=).263 Bei den Mitgliedern von "Lichtenberg 35" handelt es sich um langjährige Mitglieder der aktionsorientierten Szene in Berlin, die enge Kontakte untereinander haben. Die Zugehörigkeit zur Gruppe wird nach außen durch das Tragen 263 Vgl. S. 43 ff. 172 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 von T-Shirts mit dem Logo "35" vor dem Hintergrund einer schwarz-weiß-roten Fahne demonstriert. 2.1.8 Neonazis Neonationalsozialisten (Neonazis) orientieren sich ideologisch am historischen Phänomen des Nationalsozialismus (NS) der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP). Wie in der NSDAP sind auch in der NeonaziSzene unterschiedliche ideologische Strömungen festzustellen. So gibt es Bezüge zum sozialrevolutionären Flügel innerhalb des NS und dem damit verbundenen Antikapitalismus Ernst RÖHMs und der Gebrüder STRASSER. Allen Versionen des Neonationalsozialismus gemeinsam ist die Glorifizierung der Führungspersonen des NS-Regimes und die Verharmlosung der NSVerbrechen. Der Neonationalsozialismus ist wie die rechtsextremistische Skinhead-Szene (=) dem aktionsorientierten Rechtsextremismus zuzurechnen. Die ursprünglich subkulturell geprägte rechtsextremistische Skinhead-Szene und die "klassische" Neonazi-Szene, die u. a. an dem an NS-Uniformen orientierten Kleidungsstil erkennbar ist (braune oder weiße Hemden, schwarze Krawatten, breite Ledergürtel), vermischten sich in den letzten Jahren zunehmend.264 Nur ein Teil der Neonazi-Szene ist in festen Strukturen organisiert: Neonazistische Organisationen wie die so genannten Freien Kameradschaften (=) oder die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) binden in Berlin etwa ein Drittel der Neonazi-Szene an sich, zwei Drittel hingegen bewegen sich in losen Gruppierungen, die unregelmäßig an politischen Aktionen wie NPD-Demonstrationen (= NPD) teilnehmen. 80 Prozent der ideologisch gefestigten Berliner Neonazis wohnen in den östlichen Bezirken, bei den ideologisch gefestigten und gewaltbereiten Neonazis ergibt sich sogar ein Anteil von 85 Prozent. Geographisch ersichtliche Schwerpunkte der Neonazi-Szene sind die Bezirke Lichtenberg, MarzahnHellersdorf, Pankow und Treptow-Köpenick. Allein in diesen vier Bezirken leben 75 Prozent der ideologisch gefestigten Neonazis und befinden sich 80 Prozent der von der Neonazi-Szene genutzten Trefforte. Eine besondere "Hochburg" stellt die Gegend um den Bahnhof Lichtenberg dar. In den unmittelbar an dem Bahnhof gelegenen südöstlichen und nordwestlichen Wohngebieten lebt jeder sechste (16 Prozent) ideologisch gefestigte Berliner Neonazi mit steigender Tendenz. Weitere "Hochburgen" sind 264 Vgl. S. 43 ff. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 173 Marzahn-Nord, Hellersdorf-Nord, Weißensee, Prenzlauer Berg-Nord sowie die Treptower Ortsteile Oberschöneweide und Johannisthal. 2.1.9 Rechtsextremistische Musik Unter rechtsextremistischer Musik versteht man die Kombination rechtsextremistischer Texte mit verschiedenen Musikstilen (u. a. Rock/Hardrock, Liedermacher, Gothic, Dark Wave, Schlager, Rockabilly, Volkslieder).265 Die Musik-Szene ist seit Mitte der 90er Jahre einer der dynamischsten Bereiche des Rechtsextremismus.266 Im strukturarmen aktionsorientierten Rechtsextremismus stellt die Musik-Szene - und hier besonders die Konzerte - eine wichtige Kommunikationsplattform dar. Gleichzeitig bietet die Mitgliedschaft in einer Band die Möglichkeit, sich innerhalb der Szene zu profilieren - je menschenverachtender die Texte einer Band, desto größer das Ansehen unter den Szene-Angehörigen. Der Musikbereich erlangte auch finanzielle Bedeutung für den aktionsorientierten Rechtsextremismus. Seit Mitte der 90er Jahre etablierten sich professionelle Händler, welche die Szene mit Tonträgern und sonstigem Szenebedarf (vor allem Kleidung) versorgen. Berlin hat eine äußerst aktive rechtsextremistische Musikszene, die überregionale Bedeutung hat. Die Bands "Landser", "Deutsch Stolz Treue" (D.S.T.), "Legion of Thor" (LOT) und "Spreegeschwader" sind in der rechtsextremistischen Musikszene beliebt; insbesondere "Landser" wird in der Szene verehrt. Durch das konsequente Vorgehen der Sicherheitsbehörden in Berlin konnte die Szene stark verunsichert werden. Die Mitglieder von "Landser" - die sich als "Terroristen mit E-Gitarre" bezeichnen - wurden nach Anklageerhebung durch den Generalbundesanwalt vom Kammergericht im Dezember verurteilt. Erstmals wurde eine rechtsextremistische Band als kriminelle Vereinigung qualifiziert.267 Nach Hinweisen des Verfassungsschutzes gelang der Berliner Polizei im April 2002 der Zugriff auf die aktiven Mitglieder der Band "D.S.T." und die am CD-Vertrieb beteiligten Personen. Anlass für diese Maßnahme war die Produktion der neuen CD "Ave et Victoria", deren Texte die Straftatbestände des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (SS 86a Strafgesetzbuch) und der Volksverhetzung (SS 130 Strafgesetz265 Oft verwendete Schlagwörter wie "Rechtsrock" oder "Skinhead-Musik" sind unpräzise, da sie entweder nur einen kleinen Teil rechtsextremistischer Musik bezeichnen (Rechtsrock) oder aber mit ihr nicht deckungsgleich sind. So spielen in der Skinhead-Subkultur Musikrichtungen wie Ska, 2Tone oder Oi!-Punk eine wichtige Rolle. Diese Musikstile werden in der Regel nicht mit rechtsextremistischen Texten versehen. Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Rechtsextremistische Skinheads. Berlin 2003, S. 56 ff. 266 Vgl. S. 45 ff. 267 KG Berlin (2) 3 StE 2/02-5(1) (2/02) vom 23. Dezember 2003. 174 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 buch) verwirklichen. Ein Großteil der hergestellten CDs konnte von der Polizei sichergestellt werden. Gegen "White Aryan Rebels (WAR)" führte die Berliner Polizei im Juli 2002 wegen der CD "Noten des Hasses" ebenfalls Exekutivmaßnahmen durch: Ein von einem Berliner Neonazi betriebener Musik-Club in Marzahn wurde durchsucht und der Betreiber sowie weitere Personen festgenommen. Aufgrund dieser Maßnahmen sind derzeit nur noch die Bands "LOT" und "Spreegeschwader" aktiv. Sie nehmen an Konzerten im Bundesgebiet und im Ausland teil und geben strafrechtlich nicht relevante Tonträger heraus . Eng mit dem Bedeutungszuwachs der Musikszene ist der Aufstieg der "Blood & Honour"-Organisation (=) verbunden. Strategisch denkende Köpfe wie der B&H-Gründer Ian Stuart DONALDSON versuchten, die Musik als Mittel der ideologischen Beeinflussung und Rekrutierung einzusetzen. Diese Strategie war nur begrenzt erfolgreich - eine Rekrutierung für die Szene erfolgt selten über das alleinige Hören rechtsextremistischer Musik. Für die Gewinnung Außenstehender ist der persönliche Kontakt mit der Szene, der auch auf Konzerten zustande kommt, wichtiger.268 Ihren Höhepunkt erreichte die Musikszene Mitte der 90er Jahre, bevor sie gegen Ende der 90er Jahre unter erheblichen Druck durch das Vorgehen der Sicherheitsbehörden geriet. Die Berliner Konzertszene kam in den letzten Jahren aufgrund des konsequenten Vorgehens der Sicherheitsbehörden weitgehend zum Erliegen. Tonträger-Veröffentlichungen Berliner Bands 12 10 10 8 7 5 5 5 6 6 3 4 2 2 2 2 1 1 1 0 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Quelle: Deutscher Bundestag: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS (Drucksache 123/8337, 2002): Rechtsextremistische Skinhead-Musik im Jahr 2001 (Drucksache 14/8474, 2002), S. 1. 268 Vgl. Rainer Dollase: Welche Wirkung hat der Rock von Rechts? In: Dieter Baacke / Klaus Farin / Jürgen Lauffer (Hg.): Rock von Rechts. Milieus, Hintergründe und Materialien. Bielefeld 1999, S. 106 - 117. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 175 2.1.10 Skinheads Die Subkultur der Skinheads269 wird oft mit jugendlichem Rechtsextremismus gleichgesetzt. Dies ist eine unzutreffende Verkürzung, da die Skinheads zunächst eine jugendliche Subkultur wie die der Punks, Hippies oder Raver darstellen. Die Skinhead-Subkultur entstand in den 60er Jahren in Großbritannien und orientierte sich hinsichtlich ihrer Werte und ihres "Outfits" an der Arbeiterklasse. In Deutschland gibt es Skinheads seit Anfang der 80er Jahre, die größten Szenen entwickelten sich in Hamburg und Berlin. Erst im Laufe der Zeit driftete ein Teil der Skinhead-Szene in den Rechtsextremismus ab. Zum einen bestanden Abgrenzungsbestrebungen gegenüber den "linken" Punks, zum anderen bekam die Szene Zulauf aus dem neonazistischen Lager, nachdem die Skinheads aufgrund der Provokation mit rechtsextremistischen Zeichen in der Öffentlichkeit zum Symbol des Rechtsextremismus schlechthin wurden.270 Das Thema Rechtsextremismus spaltet die Skinhead-Szene. Viele Skinheads - wie zum Beispiel die sich selbst als unpolitisch bezeichnenden "Oi!-Skins" oder politisch links orientierte Skinheads ("Redskins") - wehren sich gegen die Vereinnahmung der Szene. Wissenschaftler schätzen, dass etwa zwischen 30 und 60 Prozent der Skinhead-Szene rechtsextremistisch eingestellt sind.271 Es handelt sich dabei allerdings nicht ausschließlich um fanatisierte Neonationalsozialisten. Obwohl es auch überzeugte, ideologisch gefestigte rechtsextremistische Skinheads gibt (so genannte Neonazi-Skins), hat ein großer Teil nur ein diffuses rechtsextremistisches Weltbild. Rechtsextremistische Skinheads sind dem aktionsorientierten Rechtsextremismus zuzuordnen. Sie sind zum großen Teil organisationsfeindlich eingestellt und lehnen eine Einbindung in feste (Partei-)Strukturen ab. Versuche rechtsextremistischer Parteien, das Skinhead-Potenzial dauerhaft an sich zu binden (zum Beispiel durch die "Aktionsfront Nationaler Sozialisten" Anfang der 80er Jahre, die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" Mitte der 80er Jahre oder die "Nationale Alternative" Anfang der 90er Jahre), scheiterten. Den jüngsten Versuch machte die NPD mit ihrem "Drei-Säulen-Konzept" (= NPD). Im 269 Für eine ausführliche Darstellung vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Rechtsextremistische Skinheads. Berlin 2003. 270 Vgl. Christian Menhorn: Skinheads: Portrait einer Subkultur, Baden-Baden 2001, S. 149 ff. Vgl. a., ebenda, S. 24. 271 Farin geht von ca. 30 %, Menhorn von einem höheren Anteil aus (über 50 %). Weltzer schätzt die Zahl in den alten Bundesländern auf 30 bis 50 %, in den neuen Ländern liege der Anteil wesentlich höher. Vgl. Klaus Farin: Interview. In: "Jungle World" Nr. 51, 17.12.1997; Jörg Weltzer: Skinheads, Nazi-Skins und rechte Subkultur. In: Jens Mecklenburg (Hg.): Handbuch Deutscher Rechtsextremismus. Berlin 1996, S. 782 - 791, hier: S. 785. 176 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Gegensatz zu den Parteien, die von den rechtsextremistischen Skinheads überwiegend als szenefremd wahrgenommen werden, konnten sich in Deutschland seit Anfang der 90er Jahre zwei rechtsextremistische SkinheadOrganisationen etablieren: "Blood & Honour" (=) und die "Hammerskins" (=). Die Sozialstruktur der rechtsextremistischen Skinhead-Szene ist von einer starken Dominanz junger Männer geprägt. Der Frauenanteil der Szene in Berlin liegt bei knapp 20 Prozent. Die Berliner Skinheads rekrutieren sich zum überwiegenden Teil aus den Jahrgängen 1968 bis 1982 (ca. 85 Prozent). Besonders stark vertreten sind die heute 20 bis 28-Jährigen - diese Altersgruppe macht mehr als die Hälfte aller rechtsextremistischen Skinheads aus (ca. 55 Prozent).272 Entgegen einem verbreiteten Vorurteil entspricht das formale Bildungsniveau der (gesamten) Skinhead-Szene dem gesellschaftlichen Durchschnitt. Gleiches gilt für die Arbeitslosenquote - sie liegt in der deutschen SkinheadSzene etwa bei neun Prozent.273 Den geografischen Schwerpunkt hat die rechtsextremistische Skinhead-Szene Berlins im Ostteil der Stadt (über 80 Prozent). Besonders stark repräsentiert ist sie in den Stadtteilen Marzahn, Lichtenberg, Pankow, Hellersdorf und Köpenick. 2.1.11 "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft" Organisationsstruktur: hierarchisch gegliederte Gruppe Mitgliederzahl: 10 Entstehung/Gründung: 1982 Sitz: Berlin Die "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft" sind eine Gruppe ideologisch-gefestigter Neonazis (=), die sich entweder subkulturelle Codes der "Rocker" oder der "Skinheads" (=) zu eigen machen. Durch das uniforme Tragen einer "Kutte" verdeutlichen sie ihren Gruppenzusammenhalt. Die Gruppe wurde 1982 in Ost-Berlin gegründet und zählt derzeit zehn feste Mitglieder. Im Zentrum ihrer Ideologie steht ein neonazistisches Weltbild in Verbindung mit einem völkischen Germanenkult. Die Mitglieder der "Vandalen" sind äußerst gewaltbereit, stark waffeninteressiert und begehen seit Anfang der 90er Jahre regelmäßig Straftaten (u. a. Körperverletzungen und Propagandadelikte). Ein Mitglied der "Vandalen" wurde im Jahr 2000 wegen 272 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Rechtsextremistische Skinheads. Berlin 2003, S. 30 f. 273 Vgl. Helmut Heitmann: Die Skinhead-Studie. In: Klaus Farin (Hg.): Die Skins. Mythos und Realität. Berlin 1997, S. 69 - 95. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 177 eines Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Der Verurteilte versuchte, ein Präzisionsgewehr inklusive Schalldämpfer und Zielfernrohr mit passender Munition zu verkaufen. Die "Vandalen" üben innerhalb der neonazistischen Szene Berlins eine Wortführerschaft aus und genießen szeneinterne Autorität. Das Clubhaus der "Vandalen" in Berlin-Hohenschönhausen ist Zentrum und Treffort der neonazistischen Protagonisten Berlins. Zum engen Umfeld der Vandalen gehören vor allem Angehörige der rechtsextremistischen Musikszene und ehemalige "Blood & Honour"-Aktivisten (=). Die "Vandalen" nehmen verstärkt eine überregional koordinierende Rolle in der rechtsextremistischen Musikszene ein.274 Darüber hinaus unterhält die Gruppe weit reichende Kontakte zu zahlreichen rechtsextremistischen Organisationen, Parteien und Einzelpersonen im Inund Ausland. Die herausgehobene Stellung resultiert auch aus der personellen Überschneidung der "Vandalen" mit der Neonazi-Band "Landser". Der "Vandalen"-Anführer ist Initiator und Sänger der Band "Landser". Er hatte die weiteren Bandmitglieder rekrutiert, darunter Mitglieder der "Vandalen" (= Rechtsextremistische Musik). Die Bandmitglieder wurden inzwischen durch das Kammergericht wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. 275 2.2 Rechtsextremistische Parteien 2.2.1 "Deutsche Volksunion" (DVU) Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: 1987 Mitgliederzahl: 11 500 bundesweit (2002: 13 000) 480 in Berlin (2002: 620) Sitz: München Publikation: "National-Zeitung / Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) (überregional, wöchentlich, Auflage: ca. 41 000 Herausgeber: Dr. Gerhard FREY) Die "Deutsche Volksunion" (DVU) wurde 1987 auf Initiative des Münchner Geschäftsmannes und Verlegers Dr. Gerhard FREY mit Unterstützung der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (= NPD) als "Deutsche Volksunion - Liste D" gegründet. 1991 vollzog FREY mit der Streichung des Namensbestandteils "Liste D" die Trennung von der NPD. Das Organisationsgeflecht rund um die DVU umfasst den 1971 gegründeten Verein DVU e. V. sowie die drei so genannten Aktionsgemeinschaften "Initiative für Ausländer274 Vgl. S. 52. 275 Vgl. S. 46 ff. 178 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 begrenzung" (I.f.A.), "Ehrenbund Rudel" und "Aktion Oder-Neiße" (AKON). Darüber hinaus betreibt FREY den "DSZ Druckschriftenund Zeitungs-Verlag GmbH" (DSZ-Verlag) mit der "National-Zeitung / Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) und den "FZ Freiheitlicher Buchund Zeitschriften-Verlag GmbH" (FZVerlag) als Buchund Devotionalienversand. Die DVU ist mit 16 Landesverbänden im gesamten Bundesgebiet vertreten und die mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei. In ihrem Parteiprogramm bekennt sich die DVU formal zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. In der praktischen Arbeit der Partei spielt die Programmatik allerdings kaum eine Rolle. Deutlicher spiegelt sich ihr politischideologischer Standpunkt in der Agitation der NZ wider. Die NZ ist die auflagenstärkste rechtsextremistische Wochenzeitung in Deutschland. Aufgrund der Rolle FREYs als Herausgeber der NZ und Bundesvorsitzender der DVU kann sie als Presseorgan der Partei bezeichnet werden. Mit Ausnahme der Herausgabe der NZ ist die DVU im öffentlichen Raum allerdings kaum präsent. Bei Wahlen tritt die Partei auf Landesebene in loser Folge mit zumeist geringem Erfolg in den nordund ostdeutschen Bundesländern an. Derzeit ist sie in der Bremischen Bürgerschaft sowie im Brandenburger Landtag vertreten. Politische Gestaltungserfolge konnten ihre Mandatsträger bislang jedoch nicht erzielen. Die einzige öffentlichkeitswirksame Veranstaltung für Mitglieder und Sympathisanten der DVU stellte die jährliche "Großkundgebung der National-Freiheitlichen" in der Passauer Nibelungenhalle dar. Die Veranstaltung diente in der Vergangenheit vor allem der Selbstdarstellung FREYs und der Vermittlung eines sinnstiftenden Gemeinschaftsgefühls. Allerdings waren die Besucherzahlen zuletzt rückläufig. In den Jahren 2002 und 2003 fiel die Veranstaltung ohne Angabe von Gründen aus. Die DVU stagniert seit längerem in ihrer Entwicklung. Die Mitgliederzahlen gehen zurück und die Partei überaltert zunehmend. Obwohl sie nach wie vor die mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei in Deutschland ist, findet ein Parteileben nur in geringem Umfang statt. Die Mitglieder beschränken sich im Wesentlichen auf das Lesen der NZ. Der Grund für die mangelnde inhaltliche und strukturelle Dynamik der DVU liegt in ihrer besonderen Führungsstruktur. Die Partei wird von ihrem Gründer und Vorsitzenden autokratisch geleitet. Sie ist hochverschuldet und finanziell von dem privat vermögenden FREY abhängig. Die Kontrolle über die Parteifinanzen ermöglicht ihm die weitgehende Steuerung der gesamten Parteiarbeit. Gelegentliche Bemühungen um eine Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Parteien scheitern immer wieder an seinem unbedingten Führungsanspruch. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 179 Auch der Landesverband Berlin ist seit Jahren durch die Passivität seiner Mitglieder geprägt. Er verfügt über kein eigenständiges politisches Profil und agiert lediglich in enger Anlehnung an die Bundeszentrale der DVU. Auf einem Landesparteitag im Februar 2003 wurde der Landesvorstand weitgehend in seinem Amt bestätigt. 2.2.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: 1964 Mitgliederzahl: 5 000 bundesweit (2002: 6 100 ), 180 in Berlin (2002: 240) Sitz: Berlin Publikationen: "Deutsche Stimme" (überregional, monatlich, Auflage: 10 000); "ZÜNDSTOFF - Deutsche Stimme für Berlin und Brandenburg" (vierteljährlich, Auflage: 200) Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) ging 1964 aus der rechtsextremistischen "Deutschen Reichspartei" (DRP) hervor. Der Vorsitzende der DRP, Adolf von THADDEN, war Initiator der NPD-Gründung und von 1967 bis 1971 deren Vorsitzender. Die NPD verfügt mit den "Jungen Nationaldemokraten" (JN) über eine Jugendorganisation mit einem gemeinsamen Landesverband Berlin-Brandenburg und einem Regionalverband Berlin. Darüber hinaus existiert der "Nationaldemokratische Hochschulbund e. V." (NHB) als Studentenvereinigung. Als Parteizeitung vertreibt die NPD die Monatsschrift "Deutsche Stimme" (DS). Die NPD, deren Bundesgeschäftsstelle sich seit dem Jahr 2000 in Berlin befindet, ist im gesamten Bundesgebiet mit 16 Landesverbänden vertreten. Nach Trennung des gemeinsamen Landesverbandes Berlin-Brandenburg am 12. April berichtet das nunmehr vom "NPD-Ausschuss für Pressearbeit in Berlin und Brandenburg" vierteljährlich herausgegebene Mitteilungsblatt "Zündstoff - Deutsche Stimme für Berlin und Brandenburg" weiterhin über die politische Arbeit in beiden Bundesländern. Die NPD vertritt fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Positionen und versteht sich als Fundamentalopposition zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Als "sozialrevolutionäre Erneuerungsbewegung" strebt sie in aggressiver Weise die grundsätzliche Neuordnung des Staatsaufbaus an. Ziel ist die Beseitigung des derzeitigen politischen Systems und die Errichtung eines "neuen deutschen Reichs": "Konsequenterweise erheben wir den Anspruch darauf, daß es nach einer nationalen Neuordnung in Deutschland keine Arbeitslosen, Ausgebeuteten und Hoffnungslosen mehr geben wird. Wir erstreben ein Deutschland, das aus dem Wesen unseres Volkstums seine kulturelle und soziale Ordnung schafft. Wir haben die Vision von einem neuen, besseren Deutschland. Wir wissen 180 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 außerdem, daß unsere Ziele im Grunde von fast allen Deutschen geteilt werden [...] Weil wir wissen, daß wir Recht haben, setzen wir den politischen Kampf um die Macht in unserem Lande fort [...]"276 Die NPD richtet sich gegen die "Systemparteien" als Träger der rechtsstaatlichen Ordnung und gegen demokratische Prinzipien wie den Pluralismus. Sie agitiert auf der Grundlage eines anti-individualistischen Menschenbildes und eines völkischen Kollektivismus. Freiheitsund Gleichheitsrechte lehnt die NPD mit dem Hinweis auf die Gefahr der "Umvolkung" Deutschlands (gemeint ist die Verdrängung der originär deutschen Wohnbevölkerung durch den Zuzug von Ausländern) ab. Das Ziel der NPD ist die Schaffung einer "ethnisch homogenen Volksgemeinschaft": "Wenn die Politik der Kartellparteien ihr Ziel erreicht hat und die Bevölkerung der BRD ein zusammengestückeltes, wirres Sammelsurium von egoistischen Individuen ist, die kein natürliches Zusammengehörigkeitsgefühl mehr verbindet, [...] können sie folglich keine gemeinsamen Werte entwickeln und keine Gemeinschaft mehr bilden. Dann ist das Endstadium der Gemeinschaftszerstörung und der Entkulturalisierung erreicht."277 Eine Wesensverwandtschaft ihrer Positionen mit der nationalsozialistischen Ideologie und eine Verharmlosung ihrer menschenverachtenden Folgen wird in der Wahl der Begriffe deutlich. Hinzu kommt die Heroisierung führender Repräsentanten und Institutionen des NS-Regimes. So berichtet die DS über die Demonstration zum 16. Todestag von Rudolf HESS in Wunsiedel. Danach wies der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Holger APFEL in seiner Grußansprache darauf hin, "daß Heß stellvertretend für das seit über 50 Jahren geknechtete deutsche Volk ein Martyrium erlitten habe und heute wie kein anderer die Generation von Deutschen verkörpere, die ihr Vaterland in den europäischen Bruderkriegen des 20. Jahrhunderts mit dem Einsatz ihres Lebens verteidigten." Wenige Jahre nach ihrer Gründung verzeichnete die NPD mit dem Einzug in mehrere Landesparlamente ihre ersten Erfolge. Ihren Höhepunkt erlebte die NPD im Jahr 1969, als sie bei der Bundestagswahl mit 4,3 Prozent der Stimmen nur knapp den Einzug in den Deutschen Bundestag verpasste. Danach kam es aufgrund innerparteilicher Querelen zu einem Bedeutungsverlust der Partei. Der seit 1996 amtierende Parteivorsitzende Udo VOIGT versucht mit einem "Drei-Säulen-Konzept" eine strategische Neuausrichtung und Wiederbelebung 276 Bundeswahlprogramm 2002 der NPD, S. 7. 277 Holger Apfel: Weder Recht noch Menschlichkeit, "Deutsche Stimme" Nr. 9, vom September 2003. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 181 der Partei zu erreichen.278 Danach konzentriert sich die Arbeit der Partei auf drei strategische Ebenen: den "Kampf um die Straße", den "Kampf um die Köpfe" und den "Kampf um die Parlamente". Das Konzept formuliert das Ziel, die NPD nicht nur als Wahlpartei zu etablieren ("Kampf um die Parlamente"), sondern auch Einfluss auf intellektuelle Diskurse zu nehmen ("Kampf um die Köpfe") und durch provokante Aktionen und Demonstrationen die Basis ihrer Anhängerschaft zu verbreitern ("Kampf um die Straße"). Der forcierte "Kampf um die Straße" führte in den letzten Jahren zu einer Öffnung der Partei. Um ihre Präsenz in der Öffentlichkeit zu erhöhen und politischen Druck auszuüben, sucht die NPD den Anschluss an den parteiungebundenen, aktionsorientierten Rechtsextremismus. Während der aktionsorientierte Rechtsextremismus für die NPD ein Mobilisierungspotenzial darstellt, bietet die NPD der Szene unter dem Dach des Parteienprivilegs eine Plattform für ihre politisch-ideologische Arbeit. Zur Rekrutierung neuer Mitglieder griff die NPD in der Vergangenheit auch auf die JN als größte rechtsextremistische Jugendorganisation in der Bundesrepublik Deutschland zurück. Im Zuge des Öffnungsprozesses der Gesamtpartei verloren die JN jedoch an Bedeutung und orientierten sich zunehmend an der Mutterpartei. Eigenständige Aktivitäten der JN sind kaum noch zu verzeichnen. Die JN beschränkten sich vorwiegend auf die unregelmäßige Herausgabe der Publikation "Jugendwacht - Die Zeitschrift für die nationalistische Jugendbewegung". Mit dem "Drei-Säulen-Konzept" konnte die NPD einerseits insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern kurzfristig neue, überwiegend jüngere Mitglieder gewinnen. Andererseits war mit der konzeptionellen Neuausrichtung auch eine Radikalisierung der Partei verbunden, die im Jahr 2000 Anlass für die Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht war. Das beantragte Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD und Auflösung ihrer Parteiorganisation wurde mit Entscheidung des Zweiten Senats vom 18. März 2003 eingestellt.279 Bei der Bundestagswahl im September 2002 errang die NPD in Berlin 0,6 Prozent der gültigen Zweitstimmen. Sie blieb damit auf vergleichbar niedrigem Niveau wie bei der Bundestagswahl 1998 als sie 0,4 Prozent erhielt. 278 Vgl. Holger Apfel: 35 Jahre NPD - Alles Große steht im Sturm. Tradition und Zukunft einer großen Partei. Stuttgart 1999. 279 Vgl. S. 53 ff. 182 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 2.2.3 "Die Republikaner" (REP) Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: 1983; Landesverband Berlin 1987 Mitgliederzahl: 8 000 bundesweit (2002: 9 000) 550 in Berlin (2002: 630) Sitz: Berlin Publikationen: "Der Republikaner" (überregional, zweimonatliche Doppelausgabe, Auflage: 12 000) Die Partei "Die Republikaner" (REP) wurde 1983 in München von den ehemaligen CSU-Bundestagsabgeordneten Franz HANDLOS und Ekkehard VOIGT sowie dem Fernsehjournalisten Franz SCHÖNHUBER gegründet. SCHÖNHUBER hatte den Parteivorsitz bis 1994 inne. Nach innerparteilichen Auseinandersetzungen aufgrund seiner Kontakte zum Vorsitzenden der "Deutschen Volksunion" (= DVU) Dr. Gerhard FREY und der damit verbundenen Aufgabe der Abgrenzungsstrategie zu anderen rechtsextremistischen Parteien trat er 1995 aus der Partei aus. Seit 1994 bekleidet der Rechtsanwalt Dr. Rolf SCHLIERER das Amt des Parteivorsitzenden. Die REP unterhalten mehrere zielgruppenorientierte Unterorganisationen: die "Republikanische Jugend" (RJ), den "Republikanischen Bund der Frauen" (RBF), den "Republikanischen Bund der öffentlich Bediensteten" (RepBB) sowie den "Republikanischen Hochschulverband" (RHV). Bundesweites Presseorgan der Partei ist die zweimonatlich als Doppelausgabe erscheinende Zeitung "Der Republikaner". Die REP sind in allen Bundesländern mit einem Landesverband präsent, so auch in Berlin. Unter ihrem Vorsitzenden SCHLIERER sind die REP bemüht, sich das Profil einer rechtskonservativen, oppositionellen Kraft innerhalb des demokratischen Parteienspektrums zu geben. Trotz des formalen Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung handelt es sich bei den REP um eine rechtsextremistische Partei. Die verfassungsfeindlichen Tendenzen ergeben sich insbesondere aus ihrer fremdenfeindlichen Ausrichtung. Die REP sprechen unter Missachtung zentraler Verfassungsgrundsätze Ausländern und Menschen nicht weißer Hautfarbe das gleichwertige Lebensrecht in der staatlichen Lebensgemeinschaft ab und behandeln sie als minderwertige Wesen.280 Die Partei schürt so Überfremdungsängste und baut Bedrohungsszenarien auf. Für gesellschaftliche und soziale Missstände werden pauschal die auslän280 Vgl. VG Bln Beschluss vom 28.6.2001, VG 2 A 85.01. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 183 dischen Mitbürger verantwortlich gemacht und der "Untergang Deutschlands" wird als zwangsläufige Folge der Überfremdung prophezeit.281 Die REP sind nach der DVU die zweitgrößte rechtsextremistische Partei in der Bundesrepublik Deutschland. Der Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit liegt in Süddeutschland, insbesondere in Baden-Württemberg. Dort waren sie von 1992 bis 2001 im Landtag vertreten. Ihre größten Erfolge verzeichneten die REP 1989 bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus (7,5 Prozent) und zum Europaparlament (7,1 Prozent). Seit dem Ausscheiden SCHÖNHUBERs Mitte der 90er Jahre prägen zahlreiche Wahlniederlagen und interne Streitigkeiten das Bild der REP. Eine wichtige Konfliktlinie ist die Frage der Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Parteien. Die Parteiaustritte der im Machtkampf unterlegenen Gruppierungen lähmen die Fortentwicklung der REP. Der bundesweite Niedergang der REP spiegelt sich in Rücktritten einzelner Landesvorsitzender wieder.282 Im gesamten Bundesverband überwiegt die politische Resignation. Kontinuierliche Mitgliederverluste und ein massiver Wählerschwund lähmen das innerparteiliche Leben. Neben ihren Veranstaltungen in Wahlkämpfen treten sie kaum öffentlich in Erscheinung. Bei der Bundestagswahl am 22. September 2002 erzielten die REP in Berlin lediglich 0,7 Prozent der Zweitstimmen und mussten damit im Vergleich zu den Bundestagswahlen 1998 einen Stimmenverlust von 1,7 Prozentpunkten hinnehmen. Die REP stellten sich mit einer Landesliste sowie zwei Direktmandaten in den Wahlkreisen Mitte und Spandau-Charlottenburg/Nord zur Wahl. Bei den Bundestagswahlen 1998 konnten sie noch in allen Wahlkreisen mit Direktkandidaten antreten. 2.3 Diskursorientierter Rechtsextremismus 2.3.1 "Deutsches Kolleg" (DK) Organisationsstruktur: Schulungsorganisation Mitgliederzahl: Einzelpersonen Entstehung/Gründung: 1994 Sitz: Kontaktadresse Würzburg Das "Deutsche Kolleg" (DK) wurde 1994 als Nachfolgeorganisation des Berliner Leserkreises der Wochenzeitung "Junge Freiheit" gegründet. Das DK versteht sich als "Denkorgan des Deutschen Reiches". Es erarbeitet theoretische Konzepte für ein völkisch geprägtes Deutsches Reich, anhand derer die "nationale Intelligenz" geschult werden soll. Die geistige Führung übernahm 281 Vgl. "Der Republikaner" Nr. 7 - 8, 2002. 282 Vgl. S. 63 f. 184 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 zunächst Dr. Reinhold OBERLERCHER. 1999 stießen Horst MAHLER und Uwe MEENEN zum DK. Seitdem intensivierte das DK die Arbeit an seinen programmatischen Ausarbeitungen und Schulungen. Sowohl MAHLER als auch OBERLERCHER waren bereits in der 68er-Bewegung aktiv. OBERLERCHER hatte nach eigenen Angaben eine führende Position in der "nationalen Fraktion" des "Sozialistischen Studentenbund" (SDS) inne und bezeichnet sich heute als "völkisch-germanischen Nationalmarxisten". Das ehemalige RAF-Mitglied Horst MAHLER war NPD-Mitglied und Prozessbevollmächtigter der Partei im NPD-Verbotsverfahren. Kurz nach der Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts trat er öffentlichkeitswirksam aus der Partei aus. Beide sehen in ihrer nationalrevolutionären Programmatik die konsequente Fortführung der Ideologie der 68er-Bewegung.283 Das DK vertritt eine nationalrevolutionäre Ideologie, die Antiliberalismus, Antikapitalismus, Rassismus und Antisemitismus verbindet. Die Völker bestehen für das DK aus verschiedenen Rassen, die je ein geistiges Prinzip vertreten und sich damit feindlich gegenüber stehen. Während die Westmächte Frankreich und England für Liberalismus und Individualismus stünden, sei dem deutschen Volk die "Aufhebung des Gegensatzes zwischen dem einzelnen und dem Gemeinwesen in der selbstbewussten Volksgemeinschaft" als Prinzip eigen.284 Die Siegermächte des 2. Weltkrieges hätten jedoch versucht, das deutsche Volk durch ein "System von Fremdherrschaft und Kollaboration"285 - gemeint ist die Bundesrepublik Deutschland - systematisch "umzuerziehen": "Die tiefste Mißachtung widerfährt uns darin, daß die Sieger die Seele unseres Volkes mit der Lüge morden und uns ein politisches System aufzwingen, in dem jene über uns bestimmen, die gar nicht mehr wissen, daß wir eine Seele haben."286 Der Kampf gegen diesen "Seelenmord" ist eines der wichtigsten Anliegen dieser rechtsextremistischen Gruppierung. Der innerlichen Reinhaltung des deutschen "Volksgeistes" entspricht im Denken des DK die "rassisch reine" Volksgemeinschaft. Die Orientierung an der Rasse müsse die zentrale Kategorie der Völker und Nationen werden. 283 "In der ersten Hälfte der 90er Jahre brachte der Theorie-SDS in die erwachende Nationalbewegung ein Programm und eine Strategie ein, die auf der vollendeten 68er Theorie gründete. Der Theorie-SDS rekonstruierte sich 1995 als "Deutsches Kolleg" ... Aus: "Die Zukunft der 68er Idee". Internetauftritt des DK, eingestellt am 1.3.2001. 284 Horst Mahler: Zur heilsgeschichtlichen Lage des Deutschen Reiches, Art. 69. Internetauftritt des DK, eingestellt am 15.6.2002. 285 DK-Flugblatt. Internetauftritt des DK, Aufruf am 25.9.2003. 286 Horst Mahler: Zur heilsgeschichtlichen Lage des Deutschen Reiches, Art. 177. Internetauftritt des DK, eingestellt am 15.6.2002. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 185 "Der Neger ist dem Neger schön, das Schlitzauge dem Schlitzauge sympathisch, der Weiße dem Weißen anziehend. Dem Neger aber ist der Weiße ein Greuel, dem Weißen das Schlitzauge unheimlich. Der Itzig hält den Goy für ein Tier. Warum soll es unschicklich sein, darüber zu reden?"287 Gegenwärtig sei das deutsche Volk jedoch in seiner "nihilistischen und atomistischen Zersetzung" durch massenhafte Einwanderung bedroht.288 Das DK hält einen Aufstand gegen diese Zustände für notwendig. "Nur ein Volk, das sich der Fremden erwehrt, bewahrt sein eigenes Leben."289 Das staatspolitische Ziel des DK ist die Wiederherstellung des Deutschen Reiches unter der Führung der deutschen Fürsten. Nach Meinung der Denker des DK sei das Reich nicht untergegangen, sondern lebe fort "im Willen der Deutschen, die es noch sein wollen".290 Für das künftig wiedererstehende Reich entwarf OBERLERCHER bereits eine Verfassung. In typisch nationalrevolutionärer Weise sieht er darin ein nach Gauen, Stämmen und Herzogtümern sowie nach Ständen gegliedertes Reich vor, das monarchische und militaristische mit autoritären und "sozialistischen" Komponenten verbindet. Antisemitismus nimmt in der Ideologie des DK eine zunehmend zentrale Rolle ein. Juden sind für das DK als "Anti-Volk" "unser ewiger Feind".291 In gängiger antisemitischer Weise behaupten die Theoretiker des DK, "die Juden" versuchten, aus Geldund Machtgier die Welt mithilfe der liberalen kapitalistischen Ordnung unter ihre Herrschaft zu bringen. Ihr Ziel sei "die unangefochtene jüdische Welthirtschaft."292 Auch die oben genannte "Umerziehung" sei ein Werk der Juden, um das deutsche Volk niederzuhalten.293 Es existiert für das DK nur eine Lösungsmöglichkeit: "'Die Judenemanzipation in ihrer letzten Bedeutung ist die Emanzipation der Menschheit vom Judentum.' (Marx) Diese Erkenntnis - so fremd sie heute klingen mag - ist das A und O der Deutschen Revolution."294 Diese Überlegungen des DK münden in einen offenen Revisionismus. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung werden geleugnet und antisemitische und volksverhetzende Ansichten verbreitet. In einer Erklärung des DK zum 20. Juli 2003 heißt es: 287 Ebenda, Art. 40. 288 Ebenda, Art. 47. 289 Ebenda, Art. 38. 290 Ebenda, Vorwort. 291 Ebenda, Art. 18. 292 "Terrorwarnung!" Internetauftritt des DK, eingestellt am 10.7.2002. 293 Ebenda, Art. 207. 294 Ebenda, Art. 198 f. 186 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 "HITLER hatte recht, denn in der heroischen Niederlage, im Kampf bis zum bitteren Ende, erwarb das Deutsche Reich den geschichtlichen Anspruch einer ruhmvollen Wiederauferstehung. (...) Als Frevler gegen den Weltgeist haben sie [Anm.: die Verschwörer des 20. Juli 1944] Schande auf sich geladen (...). Verehrungswürdige Helden sind sie nur für die Kollaborateure, die sich mit den Feinden des Reiches gemein gemacht haben. (...) Das absehbare Ende des judäo-amerikanischen Imperiums wird die Wiederauferstehung der Idee der Volksgemeinschaft und des Deutschen Reiches mit sich bringen."295 Die Schuld am Ersten und Zweiten Weltkrieg weist das DK allein den Westmächten zu, die Deutschland angegriffen hätten, da sie dessen geistige Führerschaft befürchteten. Das DK behauptet, "... daß der von dem jüdischen Weltkongreß schon im März 1933 dem Deutschen Reich erklärte Krieg mit den mehr als 60 Millionen Kriegstoten einzig und allein zur Verteidigung der Weltmacht des Geldes, also der Weltherrschaft der Juden, mit dem Ziel der totalen Vernichtung des Deutschen Reiches angezettelt worden" sei.296 Die antidemokratischen Überlegungen des DK lehnen sich weitgehend an die der Nationalrevolutionäre um Ernst Jünger aus der zweiten Hälfte der 1920er Jahre an. Sie übernehmen deren Idee der Völker als Verbindung von "Rasse" und "Geist" und die Konzeption eines militärisch-autoritär gegliederten Staates auf der Basis der Volksgemeinschaft. Diese Theorien entwickeln sie mit der Behauptung des "Seelenmordes" der "Umerziehung" und des daraus folgenden notwendigen historischen Revisionismus fort. Seine eigene Aufgabe sieht das DK darin, durch "Theorien, Schulungen, Programme, Erklärungen und Wortergreifungen" die "nationale Intelligenz" zu schulen. Es möchte damit einen "Beitrag zur Wiederherstellung der vollen Handlungsfähigkeit des Deutschen Volkes als Deutsches Reich" leisten. Bevor es zum tatsächlichen Umsturz des politischen Systems kommen könne, müsse der Zeitgeist vom Liberalismus befreit und im "nationalen" Sinne geprägt werden. Dabei will das DK die Führungsrolle übernehmen. Das DK verbreitet die Texte MAHLERs und OBERLERCHERs hauptsächlich über das Internet. Eine weitere Aktionsform des DK sind die regelmäßig durchgeführten Schulungsseminare zu Themen der Wirtschaft, der Geschichte und der Philosophie. Die Seminare finden hauptsächlich in Thüringen statt. Obwohl mit MAHLER einer der bekanntesten intellektuellen Rechtsextremisten Deutschlands beim DK mitwirkt, ist sowohl die gesamtgesellschaftliche als auch die szene-interne Wirkung des DK beschränkt. Die Konzeptionen des 295 Der 20. Juli als Tag des Gedenkens, Internetauftritt des DK. 296 Ebenda, Art. 113. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 187 DK werden im diskursorientierten Rechtsextremismus zwar stark rezipiert, stoßen allerdings wegen ihres hohen Abstraktionsgrades und schweren Verständlichkeit oft auf Ablehnung. Aufgrund des Artikels "Ausrufung des Aufstandes der Anständigen" erhob die Staatsanwaltschaft Berlin Ende 2002 Anklage gegen die führenden Köpfe des DK wegen des Verdachts der Volksverhetzung. 2.3.2 "Freiheitlich-Unabhängig-National" (FUN) Organisationsstruktur: Internetprojekt Entstehung/Gründung: 2000, Ausschluss 2003 Die "FUN-Partei" (FUN) wurde im Jahr 2000 im Rahmen der Internet-Politiksimulation "Democracy Online Today" (dol2day) gegründet. Die Abkürzung FUN stand für "Freiheitlich-Unabhängig-National". Die FUN war keine politische Partei im Sinne des Parteiengesetzes, sondern eine virtuelle Partei. Sie beschrieb sich als "Gemeinschaft deutscher Patrioten, eine freiheitliche und nationale Partei mit sozialer und ökologischer Gesinnung".297 Sie wurde im Jahr 2003 von den "dol2day"-Betreibern aus der Simulation ausgeschlossen und hörte damit de facto auf zu existieren. Es entsprach verbreiteten Gepflogenheiten der virtuellen Politiksimulation, dass die Funktionäre der FUN-Partei unter Pseudonymen ("Nicknames") agierten. "Dol2day" ist ein Internetforum, in dem sich virtuelle Internet-Parteien in einem simulierten politischen Wettstreit miteinander befinden. Die meisten dieser Parteien sind nicht extremistisch, in einigen Fällen spiegeln sie sogar das reale Parteienspektrum wider. Neben dem virtuellen Wahlkampf um die Besetzung der Posten einer "Internetregierung" bietet "dol2day" offene Diskussionsforen für politische Themen. Jedes Mitglied kann Fragen zu politischen und gesellschaftlichen Themen zur Abstimmung stellen. Die in der FUN organisierten Rechtsextremisten298 nutzten die Offenheit der virtuellen Politiksimulation dazu, ihre gesellschaftliche Isolation in der Anonymität des Internets zu durchbrechen. In ihrem Programm forderte die Partei "die friedliche Vollendung der Einheit Deutschlands im Einklang mit der Charta der Heimatvertriebenen und das Recht auf Heimat für alle Deutschen". Ihre Website diente den Mitgliedern als "Kommunikationsund Informationsplattform", von der aus rechtsextremistisches Gedankengut in Abstimmungen und Kampagnen verbreitet werden sollte. FUN-Mitglieder initiierten in der 297 Parteiprogramm. Internetauftritt der FUN, Aufruf am 21.2.2001. 298 Die FUN bestand nicht ausschließlich aus Extremisten. 188 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Vergangenheit zahlreiche Abstimmungen über suggestive Fragen wie z. B. "Sind die derzeitigen Verfolgungsmaßnahmen gegen Nationale Vorboten einer neuen Gesinnungsdiktatur?" Darüber hinaus suchte die FUN Kontakte zu diversen rechtsextremistischen Organisationen. So traf sich 2001 eine Delegation der FUN mit der Brandenburger Landtagsfraktion der "Deutschen Volksunion" (= DVU), mit der eine weitere Zusammenarbeit verabredet wurde. 2.3.3 "Kampfbund Deutscher Sozialisten" (KDS) Organisationsstruktur: regionale Stützpunkte, koordiniert durch Bundesleitung Mitgliederzahl: 50 bundesweit Entstehung/Gründung: 1999 Sitz: Berlin Publikationen: "Gegenangriff" (unregelmäßiges Erscheinen); "Wetterleuchten" (meist jährlich) Der "Kampfbund Deutscher Sozialisten" (KDS) ist eine der heterogensten Organisationen des deutschen Rechtsextremismus. In ihm vereinen sich aktionsorientierte und diskursorientierte Rechtsextremisten. Während die aktionsorientierten Rechtsextremisten meist eine neonazistische Ideologie vertreten, sind die diskursorientierten eher nationalrevolutionär ausgerichtet. Eine funktionierende hierarchische Gliederung hat der am 1. Mai 1999 gegründete KDS nur in Ansätzen. Er besteht aus einer Vielzahl von Gauen, Sektionen und Bezirken, über denen offiziell eine vierköpfige Führungsgruppe angesiedelt ist. Das offizielle Organ des KDS ist der "Gegenangriff". Als "Theorieorgan" fungiert die Zeitschrift "Wetterleuchten". Beide werden vor allem im Internet verbreitet. Daneben existiert eine Anzahl kleinerer KDSPublikationen. Der KDS in seiner Gesamtheit vertritt weder ein einheitliches Programm noch eine einheitliche Ideologie. Er bezeichnet sich selbst als "parteiund organisationsunabhängige(n) Zusammenschluss auf der Basis des Bekenntnisses zu Volk und Heimat".299 Als programmatische Grundlage dient die "Langener Erklärung". Dieses Gründungsmanifest enthält jedoch weniger eine ausgearbeitete Programmatik als vielmehr einen allgemein gehaltenen Aufruf zur Mitarbeit. Einig sind sich die Mitglieder des KDS in der Betonung des Nationalstaats und der Ablehnung aller "internationalen" Tendenzen. Jedes Volk habe das Recht auf Selbstbestimmung. Diese sei durch "internationalistische" Bestrebungen 299 Internetauftritt des KDS, Aufruf am 4.3.2003. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 189 wie Imperialismus, Kapitalismus, Liberalismus und Globalisierung bedroht ("One-World-Terror"). Dem setzt der KDS die nationalrevolutionäre Idee einer friedlichen Völkergemeinschaft selbstbestimmter, autoritär regierter Nationalstaaten mit je unterschiedlich ausgeprägter "sozialistischer" Wirtschaftsform entgegen. Sozialismus bedeutet hier, den Nationalstaat als "sozialen Schutzraum zu erhalten" vor dem "internationalen Kapital". Als Triebkräfte der Globalisierung und des Imperialismus klagt der KDS vor allem die USA und Israel an. Auf diesem Wege mischen sich auch antisemitische Töne und Parolen in Aussagen des KDS. Seine Ziele fasst der KDS zusammen in dem Aufruf: "Gegen 'One-World-Gesellschaft' und gegen die Diktatur des Kapitals! Für das Selbstbestimmungsrecht der Völker!"300 Dieses knappe Programm ermöglicht es dem KDS, sich zugleich auf Joseph GOEBBELS, Friedrich ENGELS und Ernst THÄLMANN zu berufen und in Jassir ARAFAT, Slobodan MILOSEVIC, KIM Jong Il und Saddam HUSSEIN zeitgenössische Vorbilder im Befreiungskampf gegen "US-Imperialisten" zu sehen. Die Berliner Organisationseinheit des KDS ist nationalrevolutionär bis nationalbolschewistisch geprägt und beinahe ausschließlich diskursorientiert. Sie nimmt im KDS eine gewisse Sonderrolle ein. Während vor allem in westdeutschen Organisationseinheiten des KDS in Anlehnung an die ehemalige ANS/NA des Michael KÜHNEN die NS-Verherrlichung dominiert, vertritt der Berliner KDS mit der Verehrung ehemaliger SED-Größen eine "linke" Position im KDS. Die stärker antikapitalistische Ausrichtung der Berliner KDS-Abteilung wird unter anderem in der von ihr herausgegebenen Publikation "Wetterleuchten" deutlich. Über mehrere Ausgaben hinweg werden hier sieben "Grundsätze eines Sozialistischen Nationalismus" abgehandelt. Diese haben stets einen theoretisch und kulturkritisch begründeten, antisemitisch und antiamerikanisch aufgeladenen Antikapitalismus und Antiliberalismus zum Inhalt. In eher linksextremistischer Diktion lautet der 4. Grundsatz: "Der internationale Kapitalismus ist der Hauptfeind aller schaffenden Völker."301 Der darauf folgende 5. Grundsatz stellt jedoch klar, dass der Marxismus ebenso wie der Kapitalismus zu verurteilen ist. "Der internationale Sozialismus marxistischer Prägung ist der Komplize des internationalen Kapitals."302 Der KDS versteht sich als "Diskussionsund Kampfforum". Sein Ziel, ein politischer Faktor im Land zu werden, möchte der KDS über eine "Annäherung 300 "Langener Erklärung". Internetauftritt des KDS, Aufruf am 4.3.2003. 301 "Wetterleuchten", Nr. 5. Internetauftritt des KDS, Aufruf am 5.3.2003. 302 "Wetterleuchten", Nr. 6. Internetauftritt des KDS, Aufruf am 23.4.2003. 190 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 'rechter' und 'linker' Sozialisten" erreichen. Daher wird die "Zusammenarbeit aller gutwilligen und der deutschen Sache verschriebenen revolutionären Kräfte" angemahnt.303 Bundesweit erzielt der KDS jedoch nur eine geringe Resonanz. Den KDS-Funktionären gelingt es nicht, die umworbenen extremistischen Kräfte unter ihrer Führung zusammen zu fassen. Dies verhindert auch die unorthodoxe Mischung von linksund rechtsextremistischen Ideologieelementen. Der Berliner KDS fällt in der Öffentlichkeit meist nur durch unerwartete symbolische Aktionen wie einer Grußadresse an Saddam HUSSEIN auf. Seine Aktivitäten beschränken sich beinahe ausschließlich auf interne Schulungsveranstaltungen und vereinsähnliche Treffen. Aufsehen erregte der KDS vor allem, als einzelne Mitglieder im Jahr 2002 wiederholt in der irakischen Botschaft empfangen wurden. Von dem Ziel, ein politischer Faktor im Land zu werden, ist der gesamte KDS ebenso wie die Berliner Organisationseinheit weit entfernt. 2.3.4 "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" Organisationsstruktur: Zeitschrift Sitz: Nation Europa Verlag GmbH, Coburg Herausgeber: Peter DEHOUST Entstehung/Gründung: 1951 Auflage: überregional, monatlich 14 500 (2002: 14 500) Die Zeitschrift "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" wurde 1951 von dem ehemaligen SS-Sturmbannführer Arthur EHRHARDT gegründet. Sie erschien unter wechselnden Titeln, zuletzt bis 1990 als "Nation Europa - Deutsche Rundschau". Herausgegeben wird die Zeitschrift monatlich (gelegentlich zweimonatlich) von Peter DEHOUST und Harald NEUBAUER. DEHOUST war Funktionär der NPD, der "Gesellschaft für freie Publizistik" und der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH). NEUBAUER trat als Funktionär der NPD (=), als Redakteur im DSZ-Verlag Gerhard FREYs (= DVU), als Funktionär der Partei "Die Republikaner" (=) und der DLVH in Erscheinung. Zeitweilig trat auch Adolf von THADDEN (Vorsitzender der NPD von 1967 - 1971) als Mitherausgeber auf. Zur Redaktionsgemeinschaft gehört außerdem Karl RICHTER. RICHTER ist ebenfalls Vorstandsmitglied der "Gesellschaft für freie Publizistik" und Mitarbeiter im rechtsextremistischen Grabert-Verlag. Der zugehörigen "Nation Europa Verlags GmbH" ist ein Versandbuchhandel mit einem umfangreichen Angebot rechtsextremistischer Literatur angegliedert. 303 "Langener Erklärung". Internetauftritt des KDS, Aufruf am 4.3.2003. Dieses Konzept wird meist als "Querfront"-Strategie bezeichnet. Hintergrundinformationen - Rechtsextremismus 191 "Nation & Europa" versteht sich als überparteiliches Theorieund Strategieorgan. Laut ihrer Web-Seite ergreift die Zeitschrift allerdings Partei "[f]ür ein einiges Deutschland in einem Europa freier Völker und für den Nationalstaat als bewährtes Ordnungsprinzip." Sie agitiert gegen einen "EU-Vielvölkerstaat", den "Ausverkauf nationaler Lebensinteressen" und die "multikulturelle Zerstörung der Volksidentität durch Masseneinwanderung und Asylmissbrauch".304 Sie besetzt damit traditionelle rechtsextremistische Themenfelder und verbreitet Überfremdungsängste im Zusammenhang mit der europäischen Einigung und der Globalisierung. Die Zeitschrift bemüht sich um eine intellektuelle Vernetzung europäischer Rechtsextremisten. Die organisationsübergreifende Bedeutung und die weitreichenden Verbindungen der Zeitschrift werden an den Gastbeiträgen inund ausländischer Autoren deutlich. Diese finden in "Nation & Europa" ein Diskussionsforum und eine Plattform zur Verbreitung ihres Gedankenguts. 2.3.5 Revisionismus Revisionismus ist eine Sammelbezeichnung für "politisch motivierte Umdeutungen durch einseitige, leugnende, relativierende oder verharmlosende Darstellungen der Zeit des Dritten Reiches".305 Revisionisten benutzen pseudowissenschaftliche Argumente, um ihre rechtsextremistischen Positionen zu rechtfertigen und moralisch zu entlasten. Typische Argumente der Revisionisten sind: * die Leugnung der Kriegsschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg, * die Umdeutung des Angriffskrieges Adolf HITLERs gegen die Sowjetunion als notwendigen Präventivkrieg gegen die "bolschewistische Expansion", * die Leugnung der Existenz oder des Umfangs des Holocaust, * das "Aufrechnen" der NS-Verbrechen mit den alliierten Bombenangriffen gegen deutsche Städte oder den Vertreibungen von "Volksdeutschen" nach Ende des Zweiten Weltkrieges, * die Betonung vermeintlich positiver Leistungen des NS-Regimes ("Autobahn-Bau", "Arbeitslosigkeit gesenkt") oder die Argumentation, der Nationalsozialismus sei eigentlich eine gute Idee gewesen, die nur schlecht ausgeführt worden sei. 304 Internetauftritt von N&E, Aufruf am 25.9.2003. 305 Armin Pfahl-Traughber: Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. 2. Aufl. München 2000, S. 47. 192 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Die Veröffentlichung revisionistischer Literatur setzte in den 50er Jahren ein. Bekannt wurden Autoren wie Peter KLEIST ("Auch Du warst dabei"), David HOGGAN ("Der erzwungene Krieg. Die Ursachen und Urheber des Zweiten Weltkriegs") und Udo WALENDY ("Wahrheit für Deutschland. Die Schuldfrage des zweiten Weltkriegs"). Der Revisionismus ist kein Phänomen, das auf Deutschland beschränkt ist, sondern spielt vor allem in den USA306 aber auch im europäischen Ausland eine Rolle.307 Da die Leugnung des Holocaust in Deutschland strafbar ist (SS 130 Abs. 3 StGB), agierten die Propagandisten der "Auschwitz-Lüge" vor allem vom Ausland aus, so bis zu seinem Tod Thies CHRISTOPHERSEN ("Die AuschwitzLüge") und Ernst ZÜNDEL. Von besonderer Bedeutung sind der "LeuchterReport", der im Zusammenhang mit dem Prozess gegen den in Kanada lebenden ZÜNDEL verfasst wurde, und das "Rudolf-Gutachten" des deutschen Rechtsextremisten Germar RUDOLF. Hier wird mit pseudo-naturwissenschaftlichen Methoden versucht, die Massenermordung in Auschwitz als technisch unmöglich darzustellen.308 306 "Institute for Historical Review" in Kalifornien. 307 "Vrij Historisch Onderzoek" in Belgien, Paul Rassinier und Robert Faurisson in Frankreich, David Irving in Großbritannien. 308 Vgl. S. 70 ff. Hintergrundinformationen - Linksextremismus 193 3 Linksextremismus 3.1 Linksextremistische Parteien 3.1.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: 25. September 1968 Mitgliederzahl: 4 500 bundesweit (2002: 4 500), 130 in Berlin (2002: 140) Sitz: Essen Publikation: "Unsere Zeit" (UZ / wöchentlich) Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) wurde am 25. September 1968 von früheren Funktionären der 1956 verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) gegründet. Der Aufbau einer Parteiorganisation in Berlin begann 1990.309 In einem Leitantrag vom 15. Parteitag (Juni 2000) hält die Partei am Marxismus-Leninismus fest und bekennt sich zur revolutionären Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung in Deutschland. "Das Ziel der DKP ist der Sozialismus als erste Stufe auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft. Sie strebt den grundlegenden Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen an, orientiert auf die Arbeiterklasse als entscheidende gesellschaftsverändernde Kraft. Grundlage ihres Handelns ist die wissenschaftliche Theorie von Marx, Engels und Lenin, die sie entsprechend ihrer Möglichkeiten weiterentwickelt."310 Eine davon abweichende Programmvorlage für den 16. Parteitag vom 30. November bis 1. Dezember 2002 wurde nicht beschlossen. Die DKP ist als Partei weitgehend bedeutungslos: bei der Bundestagswahl 2002 trat sie mit zwei Direktkandidaten an und errang in Berlin mit einem örtlichen Mitgliederpotenzial von ca. 130 Personen 538 Stimmen (0,02 Prozent). Mitglieder der DKP wirkten 2003 in starkem Umfang bei der Organisation der "Anti-Kriegs-Demo" am 15. Februar sowie bei weiteren Anti-Irak-KriegsAktionen unter Beteiligung anderer extremistischer Organisationen mit. Stark 309 Während der Teilung Deutschlands gab es aufgrund von Chruschtschows "Drei-Staaten-Theorie" (Deutschland zerfalle in drei Staaten: BRD, DDR, Berlin) in Berlin keinen Landesverband der DKP. Statt dessen gründete sich die "Sozialistische Einheitspartei Westberlins" (SEW), die ebenso wie die DKP massiv durch die DDR unterstützt wurde. Nachfolgerin der SEW wurde 1990 die "Sozialistische Initiative" (SI), welche sich 1991 schon wieder auflöste. Sie propagierte einen Erneuerungsprozess hin zu einem "zutiefst demokratischen Sozialismus" (Leitgedanken für Grundsätze und Ziele der SI, in: Verfassungsschutzbericht Berlin 1990, S. 64). Noch im gleichen Jahr haben "SEWund SI-Mitglieder, die in der Wandlung der SEW zur SI eine Abkehr von der Klassenpartei sahen, einen DKP-Gruppe Berlin gegründet", ebenda, S. 66. 310 Die DKP - Partei der Arbeiterklasse - Ihr politischer Platz heute, in: DKP-Informationen Nr. 3/2000 vom 15.6.2000, S. 24. 194 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 engagiert und beteiligt war die DKP in Berlin auch bei der Organisation und Durchführung der Luxemburg-Liebknecht (LL)-Demonstration am 11. Januar. 3.1.2 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: Juni 1982 Mitgliederzahl: 2 000 bundesweit (2002: 2 000), 80 in Berlin (2002: 100) Sitz: Gelsenkirchen Publikationen: "Rote Fahne" (wöchentlich); "Lernen und Kämpfen" (mehrmals jährlich); "REBELL" (Magazin des Jugendverbandes "Rebell" / monatlich) Die 1982 in Bochum gegründete "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) bekennt sich zur Theorie des Marxismus-Leninismus in der Interpretation durch Stalin und Mao ZEDONG. Sie ist hervorgegangen aus dem "Kommunistischen Arbeiterverbund Deutschlands" (KABD)311 und rechtfertigt ihre Existenz aus dem ihrer Meinung nach "Versagen" der 1956 durch das Bundesverfassungsgericht verbotenen KPD als revolutionäre Vorhut der deutschen Arbeiterklasse. Die kommunistischen Parteien in Deutschland hätten sich der Entwicklung nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 angeschlossen, in dessen Folge sowohl in der UdSSR als auch in der DDR eine "kleinbürgerliche Bürokratie [...] zu einer bürokratischen Kapitalistenklasse neuen Typs"312 entartet sei. Infolge dessen sei der Aufbau einer Partei neuen Typs unausweichlich gewesen, um die Interessen der Arbeiter zu vertreten. Der VI. Parteitag 1999 definierte als Ziel den Übergang zum Sozialismus, der durch Klassenkampf auf unterschiedlichen Ebenen erreicht werde: "Der Übergang zur Arbeiteroffensive, der Übergang zur akut revolutionären Situation, der Übergang zur Partei der Massen und von der Partei der Massen zur revolutionären Massenpartei, der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, vom Sturz der Diktatur der Monopole zur Errichtung der Diktatur des Proletariats."313 Damit steht die Partei im Gegensatz zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Der politische Einfluss der Partei ist gering. Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 2001 erhielt die MLPD lediglich 1 191 Stimmen. An der Bundestagswahl 2002 nahm die Partei nicht teil. 311 Der Zusammenschluss besteht seit 1972 aus der "Kommunistischen Partei Deutschlands/ Marxisten-Leninisten (Revolutionärer Weg)" und dem "Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands (Marxisten-Leninisten)". 312 Internetauftritt der Partei. 313 Internetauftritt der Partei. Hintergrundinformationen - Linksextremismus 195 Die öffentlichen Aktivitäten der MLPD beschränkten sich 2003 im Wesentlichen auf die Teilnahme und Durchführung von Demonstrationen. Eigene Veranstaltungen waren beispielsweise eine eigene Kundgebung im Rahmen des Stillen Luxemburg-Liebknecht-Gedenkens in Lichtenberg am 12. Januar sowie mehrere Protestaufmärsche in Neukölln gegen den Irakkrieg. 3.2 Aktionsund strategieorientierter Linksextremismus 3.2.1 "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB) Organisationsstruktur: Gruppe mit fester Struktur Entstehung/Gründung: 1993 bis 2003 in Berlin Mitgliederzahl: zuletzt 70 in Berlin (2002: 30) Sitz: Berlin Publikation: Flugund Faltblätter Die "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB) wurde Mitte 1993 in Berlin von militanten Autonomen aus Passau - zunächst unter der Bezeichnung "Antifa A+P (Agitation und Praxis)" - gegründet. Sie war bis zu ihrer Auflösung eine der mitgliederstärksten und politisch aktivsten autonomen "Antifa"-Gruppen in Berlin. Auf ihrer professionell gestalteten Internet-Homepage bot sie neben grundlegenden Ausführungen - etwa zum praktizierten Antifaschismus - Diskussionsforen, aktuelle Informationen zu Aktionsschwerpunkten und Kampagnen sowie überregionalen Aktivitäten. Die AAB war aufgrund ihres bundesweiten Bekanntheitsgrades in der Lage, zu Großereignissen mehrere hundert Sympathisanten zu mobilisieren. Ihr vorrangiges Ziel war der Aufbau verbindlicher "Antifa"-Strukturen in Berlin und Umgebung. Hierzu zählten formelle Aufnahmekriterien für neue Mitglieder sowie funktionierende Kommunikationsformen und -wege. Die Gruppe propagierte einen militanten Antifaschismus, der sich direkt gegen tatsächliche und vermeintliche "Nazis" richtete. Darüber hinaus begriff die AAB den Kampf gegen "faschistische Umtriebe" auch als Kampf gegen die in der Bundesrepublik herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen. Sie sah die tieferliegenden Ursachen dieses "Faschismus" in den postulierten Ausbeutungsund Unterdrückungsstrukturen des herrschenden Gesellschaftssystems: "Die bürgerliche Gesellschaft beruht nicht nur auf einem gewalttätigen Gründungsakt (ursprüngliche Akkumulation, Trennung der Produzenten von ihren Produktionsmitteln, Kolonialismus etc.), sie hat darüber hinaus auch eine gewalttätige und kriegerische Durchsetzungsgeschichte. [...] In dem Maße, wie die Selbstlegitimierung der bürgerlichen Gesellschaft Gewalt ausgrenzt, 196 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 schafft sie sich einen Gegenstand der Begierde - die faschistische Versuchung."314 Die AAB war der im Jahre 2001 aufgelösten "Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation" (AA/BO) angeschlossen und nahm regelmäßig an deren Treffen teil. Aus dieser Zeit verfügte sie bundesweit über Kontakte zu weiteren autonomen Gruppen.315 Nach eigener Darstellung hat sich die AAB am 13. Februar 2003 "aufgelöst" und in zwei etwa gleich starke Gruppen - die "Antifaschistische Linke Berlin" (= ALB) und die Gruppe "Kritik & Praxis B3rlin" (= KP) - gespalten.316 "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB) Organisationsstruktur: Gruppe mit fester Struktur Entstehung/Gründung: 2003 in Berlin Mitgliederzahl: 30 Sitz: Berlin Publikation: Flugund Faltblätter Dieser aktionsbezogenere Teil der ehemaligen AAB trat ab März 2003 als "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB) öffentlich in Erscheinung. Die Veröffentlichungen und Positionserklärungen der ALB machen deutlich, dass sie die Nachfolgeorganisation der AAB ist. Das maßgebliche Personenpotenzial der ehemaligen AAB führt politische Absichten und praktische Aktionsformen als ALB fort. Sie verfolgt Ziele, die gegen den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet sind. So propagierte die ALB mit ihrem Aufruf zu Protesten gegen den Irak-Krieg weitergehende Ziele: "NO NATION - NO WAR - NO CAPITALISM! - WE WILL STOP YOU!" und verwendete Slogans wie "SMASH CAPITALISM!" 314 Internetauftritt der "Antifaschistischen Aktion Berlin": Gewalt in der bürgerlichen Gesellschaft, 11.6.2002. 315 Landesamt für Verfassungsschutz Berlin: Antifa heißt Angriff - Durchblicke Nr. 10, Berlin 1999. 316 Vgl. S. 97 ff. Hintergrundinformationen - Linksextremismus 197 "Kritik & Praxis B3rlin" (KP) Organisationsstruktur: Gruppe mit fester Struktur Entstehung/Gründung: 2003 in Berlin Mitgliederzahl: 30 in Berlin Sitz: Berlin Publikation: Flugund Faltblätter "Kritik & Praxis B3rlin" (KP) versteht sich als den Flügel der ehemaligen "Antifaschistischen Aktion Berlin" (= AAB), der durch fundierte Theoriearbeit eine Langzeitperspektive für die Systemüberwindung entwickeln möchte und weniger aktionsbezogen agiert. Eine verstärkte Erarbeitung inhaltlicher Standpunkte und einer fundierten Kapitalismuskritik sei angesichts der Orientierungslosigkeit der [extremen] Linken erforderlich. Hierzu sei eine einigende, strömungsübergreifende Ausrichtung fehl am Platz, weil gerade die Bereitschaft zur offensiven Auseinandersetzung mit anderen Positionen notwendig sei. Dementsprechend werde künftig Antifaschismus nicht mehr der Drehund Angelpunkt der Argumentation der KP sein. In Ablösung von der dominierenden antifaschistischen Ausrichtung der AAB orientiert sich KP nunmehr stärker auf das Themenfeld 'Antikapitalismus'. In einer Selbstdarstellung bezeichnet sich KP als "ein antikapitalistisches Projekt [...], das versucht theoretisch fundierte Positionen zu erarbeiten und mit praktisch eingreifender Politik zu verbinden."317 Als Ziel verfolgt KP hierbei den Kommunismus als "ein Projekt der Negation des Kapitalismus"318: "Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. [...] Die Bewegung aber ist nicht abstrakt, sondern erscheint in verschiedenen politischen Bewegungen. Es gilt zu sichten, welche Theorie sich selbst als "eingreifende" zur Aufhebung des Bestehenden, sich selbst als Teil der Praxis der Subversion versteht und welche Argumente sie anführt, zentrale Bestimmungen des herrschenden Kapitalismus zu treffen."319 Obgleich die Gruppe KP im Berichtsjahr durch zahlreiche Demonstrationsanmeldungen und Aktionen in Erscheinung getreten ist, betont sie dennoch ihre von der ALB abweichende Position, wonach der Schwerpunkt der politischen Arbeit in einer theoretischen Fundierung liegt: "Marx hat wenig über Kommunismus und viel über Kapitalismus geschrieben, was als Fingerzeig gelesen werden kann, auf welchem Feld die Schlacht um den Kommunismus als Negation des Status Quo geschlagen wird. Die 317 Internetauftritt von KP, Veröffentlichung zum internationalen Kongress "Interdeterminante Kommunismus" vom 7. - 9.11.2003 in Frankfurt. 318 Ebenda. 319 Ebenda. 198 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Aufhebung des jetzigen Zustands ist für keine Bewegung ohne dessen Analyse zu haben."320 KP verdeutlicht mit dieser Äußerung, dass die Gruppe mit ihrer marxistischen Orientierung gegen den Fortbestand einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaftsordnung gerichtet ist: "Kommunismus verstehen wir dabei als ein Projekt der Negation des Kapitalismus: Als Herausforderung an politische Praxis, die im Bestehenden ansetzen, sich aber beständig fragen muss, welche Dimension dieser grundsätzlichen Ablehnung ihre Praxis von der Affirmation unterscheidet"321 3.2.2 Autonome Entstehung/Gründung: ab 1980 Mitgliederzahl: 5 000 bundesweit (2002: 5 000), 1 080 in Berlin (2001: 1 040) Berlin bildet einen regionalen Schwerpunkt der autonomen Szene in Deutschland. Die Anfänge der autonomen Szene reichen zurück bis zum Beginn der 80er Jahre. Aus Kreisen weder organisationsgebundener noch im traditionellen Sinne ideologisch festgelegter, so genannter undogmatischer Linksextremisten erschienen damals Thesen und Diskussionspapiere, deren Verfasser sich als "autonom" bezeichneten. Sie sprachen von einer "neuen autonomen Protestbewegung", die den "Koloss Staat" mit dezentralen Aktionen, mit "Phantasie und Flexibilität", mit "vielfältigen Widerstandsformen auf allen Ebenen" angreifen müsse. Es gelte, "den bürgerlichen Staat zu zerschlagen". Der Einsatz von "befreiender Gewalt" - sowohl gegen Menschen als auch gegen Objekte - als politisches Mittel gegen die "strukturelle Gewalt" der Gesellschaft und des Staates,322 stellt für die autonome Szene ein unverzichtbares Element ihrer "revolutionären Politik" dar.323 Während sie ihren unversöhnlichen Hass auf das politische und gesellschaftliche System durch gezielte 320 Internetauftritt von KP. 321 Internetveröffentlichung vom 15.12.2003. 322 Vgl. Fridolin: Wo ist Behle? (Es handelt sich um ein unter Pseudonym geschriebenes Papier, das sich mit strategischen Fragen, auch dem Einsatz von Gewalt, auseinandersetzt und im März 1998 im "INTERIM"-Sonderheft "Bewegung - Militanz - Kampagne" veröffentlicht wurde.) 323 Die Bandbreite an Aktionsformen reicht von Demonstrationen, Informationsbzw. Diskussionsveranstaltungen, Vorträgen, Ausstellungen, der Herausgabe von Steckbriefen über politische Gegner, Flugblättern und Broschüren über Störaktionen, Blockaden, Brandanschläge und andere Sachbeschädigungen bis hin zu Überfällen auf tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, wobei im Extremfall der Tod des Opfers billigend in Kauf genommen wird. Hintergrundinformationen - Linksextremismus 199 militante, bisweilen terroristische Aktionen zum Ausdruck bringt, lehnt sie zugleich das staatliche Gewaltmonopol kategorisch ab: "Manche werfen ihren ersten Stein als offensiven Akt der Befreiung, andere aus Notwehr gegen die Bullen. Aber allen ist gemeinsam, dass die Militanz zum identitätsstiftenden, prägenden Bestandteil der Bewegungserfahrung wird."324 Ihre Aktionsfelder beziehen sich auf Themen, die in hohem Maße polarisieren: Faschismus, Imperialismus, Kapitalismus, Militarismus, Rassismus, Sexismus werden als wesentliche Bestandteile des herrschenden politischen Systems betrachtet, das es abzuschaffen gilt. Die Autonomen diffamieren den Verfassungsstaat, lehnen das parlamentarische System ab und vertreten Versatzstücke kommunistischen und anarchistischen Gedankenguts. Das Ziel besteht darin, eine "unterdrückungsfreie Gesellschaftsordnung" zu erkämpfen. Ihre Ziele versuchen die Autonomen regelmäßig mittels Anschlägen zumeist gegen Firmen oder staatliche Stellen, die in ihren Augen das System repräsentieren, der Öffentlichkeit zu vermitteln.325 Die Auseinandersetzung mit den Themen Antifaschismus, Antimilitarismus, Antiimperialismus, Antisexismus, Antikapitalismus und Antirassismus verläuft dabei nicht in geraden Linien: Zum einen ist eine geschlossene theoretische Fundierung vielen Anhängern verdächtig, da sie ihrem Anspruch, autonom zu leben, widerspricht. Zum anderen suchen sie, Protestbewegungen zu instrumentalisieren, um über sie - mit unterschiedlichem Erfolg - ihre Ideologie zu vermitteln. Das Verhältnis zur Theorie ist bei den einzelnen Gruppierungen der Autonomen unterschiedlich. Zu nennen sind zum einen die so genannten Altautonomen, die sich der autonomen Szene seit deren Entstehung326 bis Mitte der 80er Jahre anschlossen. Sie suchten die Vernetzung mit Hausbesetzern und bürgerlichen Protestbewegungen wie AKW-Kritikern, StartbahnWest-Gegnern und der Friedensbewegung.327 In ihrer Selbstsicht verstehen sie sich als gesellschaftliche Avantgarde.328 324 Mehr als nur eine kämpferische Haltung: Autonome Militanz: In: Autorenkollektiv AG Grauwacke: Autonome in Bewegung. Berlin 2003, S. 141 - 160, hier S. 142. 325 Vgl. S. 81 ff. 326 Die öffentliche Rekrutenvereidigung in Bremen am 6.5.1980, die zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten führte, gilt als die Geburtsstunde der autonomen Szene in Deutschland. Die Gewaltwelle der Jahre 1980/81 blieb bisher der quantitative Höhepunkt dieser Szene. Vgl. Verfassungsschutzbericht Berlin 1995, S. 14 ff. 327 Bürgerinitiativen, die sich in den benannten Bereichen engagiert haben, sind nicht Gegenstand der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Jedoch haben Vertreter des autonomen Spektrums häufig versucht, Protestbewegungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Dies gelang in unterschiedlicher Intensität und mit wechselnder Nachhaltigkeit. 328 Fridolin: Wo ist Behle? S. 24 (Internet-Ausgabe). 200 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 "Unser Problem besteht vielmehr darin, es mit einer Bevölkerung zu tun zu haben, die zum überwiegend großen Teil mit den hier herrschenden Verhältnissen identifiziert ist, und zwar unabhängig davon, inwieweit diese ihr zum Vorteil gereichen oder nicht." Die Altautonomen gehören einem zahlenmäßig kleinen, ideologisch gefestigten und besonders theoretisch fundierten Kreis mit engen persönlichen Verbindungen an, der über szeneinterne Autorität verfügt und vorwiegend klandestin, abseits vom Tagesgeschehen operiert. Von diesen Autonomen der ersten Generation sind jene zu unterscheiden, die ebenfalls stark motiviert sind, allerdings erst ab den späten 80er Jahren zur Szene stießen. Sie bilden gegenwärtig den harten Kern und sind federführend bei der Organisation von Veranstaltungen, Protestaktionen und Anschlägen. Sie sind ideologisch gefestigt, verfügen jedoch nur selten über ein ähnlich theoretisch fundiertes Wissen wie die Altautonomen.329 Aufgrund ihrer aktionistisch ausgerichteten Vorgehensweise binden und rekrutieren sie Autonome der jungen Generation. Deren Mitglieder fluktuieren stark, sind zumeist im Ausbildungsalter und haben oft lediglich vage linksextremistische Vorstellungen.330 Sie haben ein hohes Aggressionspotenzial, das sich ein Ventil im Hass auf das politische und gesellschaftliche System sucht. Verbindendes Element zwischen den Generationen der Autonomen ist die in Teilen hasserfüllte Ablehnung der bestehenden staatlichen Ordnung. Im Unterschied zu den Altautonomen und denen der zweiten Generation verfügen die Jugendlichen jedoch zumeist nicht über konkrete politische Vorstellungen, wie eine Gesellschaftsordnung nach der beabsichtigten Zerschlagung des bestehenden demokratischen Verfassungsstaates aussehen soll. Dieses jugendliche Mobilisierungspotenzial instrumentalisieren die in ihrer Weltanschauung gefestigten Autonomen zur Umsetzung ihrer Aktionen.331 Mit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus Ende der 80er Jahre begann auch eine Erosion der linksextremistischen autonomen Szene. Die Staaten, die sich als Gegenmodell zur marktwirtschaftlich organisierten Welt verstanden, übernahmen sukzessive das von den Autonomen bekämpfte "kapitali329 Vgl. "INTERIM" Nr. 475, 22.4.1999, S. 26 ff. Die Ästhetik des Widerstands: "Soziale Bewegungen und als ein Teil davon die Autonomen waren ein ernstzunehmender Faktor der Gesellschaft. Dies hat sich seit Ende der 80er Jahre geändert. Wenn man nur noch eine x-beliebige Subkultur in einer beliebigen Gesellschaft ist, hat das keine Sprengkraft mehr." 330 Vgl. Matthias Mletzko: Merkmale politisch motivierter Gewalttaten von militanten autonomen Gruppen, S. 12: "Die schwammige Vorstellung einer unterdrückungsfreien Gesellschaftsordnung erschöpft sich meistens in Forderungen nach 'grundsätzlicher Gleichheit der Menschen, nach Selbstbestimmung und menschenwürdigen Lebensbedingungen'." 331 Vgl. S. 87 ff. Hintergrundinformationen - Linksextremismus 201 stische" System. Nennenswerte Gegengewichte zur "kapitalistischen Verwertungslogik" (Szenejargon) gab es kaum noch. Ideologische Konzeptionslosigkeit und Legitimationsdefizite gegenüber der Bevölkerung im eigenen Land sorgten für einen kontinuierlichen zahlenmäßigen Rückgang der Autonomen. Seit Beginn der 90er Jahre verstärkte sich aufgrund einer wachsenden Kritik an der Unverbindlichkeit autonomer Strukturen die Tendenz, auch innerhalb des autonomen Lagers Organisierungsmodelle zu erproben, um zu einer dauerhaften Umsetzung von Theorie in Praxis zu gelangen. Insbesondere im Bereich des Antifaschismus (= AAB) wurden Vorstöße unternommen, die allerdings nur einen Teil der Szene erfassten und sich als nicht beständig erwiesen. Die Autonomen sind zunehmend zerstritten. Individuelle und gruppenegoistische Interessen beeinträchtigten sie in ihrer Handlungsfähigkeit. Die früher feststellbare "Kiezbezogenheit" sowie die hohe Mobilisierungskraft der 80er Jahre gingen weitgehend verloren.332 Wenn auch das empirische Wissen zur autonomen Szene gering ist, lassen sich doch einige Feststellungen treffen: Die Angehörigen der autonomen Szene, deren Alter in der Regel zwischen dem 16. und 28. Lebensjahr liegt, wobei ein Anstieg des Eintrittsalters feststellbar ist, sind zumeist deutsche Staatsbürger - in Teilen aus bürgerlichen Elternhäusern333. Zu einem hohen Prozentsatz befinden sie sich in Ausbildung oder Studium, teils sind sie ohne festes Einkommen. Der überwiegende Teil der autonomen Szene ist organisatorisch nicht gebunden. Dies drückt sich einerseits in der hohen Fluktuation der Gruppen, andererseits in deren zumeist geringer "Lebensdauer" aus. Gleichwohl existieren Organisationsnetzwerke, die sich in der Regel mit Einzelthemen aktionistisch auseinandersetzen (in Berlin z. B. B.A.N.G., "Rote Aktion Berlin"). Bundesweit organisierte und kontinuierliche Zusammenarbeit gibt es seit dem Auseinanderbrechen der AA/BO jedoch nicht mehr. Als Gründe für die hohe Fluktuation innerhalb der autonomen Szene werden von ehemaligen Angehörigen angegeben: Die selbstgewählte gesellschaftliche Isolation, die Auseinandersetzungen mit Altautonomen oder zwischen Frauen und Männern sowie ständige ergebnislose Diskussionen.334 332 Vgl. "INTERIM", Nr. 475, 22.4.1999, S. 26 ff. Die Ästhetik des Widerstands: "[...] daß die bisherigen politischen Konzepte der Autonomen in dieser veränderten Welt seit Jahren nicht mehr greifen, streitet doch heute kaum noch jemand ab." 333 Helmut Willems betont die heterogene sozio-demografische Struktur militant Autonomer. Vgl. ders.: Jugendunruhen und Protestbewegungen, Opladen 1997, S. 455 - 459. 334 Vgl. Hugo Häberle: Sechs Anmerkungen zum Autonomie-Kongreß. In: "INTERIM" Nr. 329, 27.4.1995, S. 3. "Fertig macht mich, wenn alle paar Jahre das Rad neu erfunden werden muss [wegen Brüchen in der Diskussionskontinuität durch hohe Fluktuation]. Da wird über die Fragen von Internationalismus und nationale Befreiungsbewegungen geredet [...], da wird über die Widersprüche zwischen Mann und Frau diskutiert, als wäre es die neuste Erkenntnis. Wieso sind 202 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 3.2.3 "INTERIM" Entstehung/Gründung: April 1988 Mitgliederzahl: verschiedene Redaktionskollektive Sitz: Berlin Publikation: "INTERIM" (14-tägig, Auflage: 1 000) Die "INTERIM" ist eine Publikation der Berliner autonomen Szene mit bundesweiter Bedeutung. Sie wird seit April 1988 konspirativ hergestellt und verbreitet. Derzeit erscheint sie im zweiwöchigen Rhythmus jeweils donnerstags mit einer geschätzten Auflage von 1 000 Stück und wird hauptsächlich über Infoläden vertrieben. Innerhalb der fast fünfzehn Jahre ihres Bestehens entwickelte sich die "INTERIM" zu einer Publikation mit institutionellem Charakter und zum Sprachrohr der militanten linksextremen Szene für Berlin und nahezu das gesamte Bundesgebiet. Veröffentlicht werden Beiträge, die als Diskussionsgrundlage für szenerelevante Themen angesehen werden, z. B. die von der "militanten gruppe (mg)" initiierte Militanzdebatte.335 Darüber hinaus beinhaltet die "INTERIM" Aufrufe zu Demonstrationen und Szeneveranstaltungen, Anleitungen zu Sachbeschädigungen wie zum "Strommastenfällen" oder für "Brandsätze mit Zeitverzögerung". Ebenso werden Selbstbezichtigungen von Gruppen, die Anschläge begangen haben, veröffentlicht und zum Teil kommentiert. 3.2.4 Israel-Palästina-Debatte Innerhalb der linksextremistischen Szene entzündete sich eine Kontroverse um die Bewertung des Nahostkonflikts seit Ausbruch der "Al-Aqsa-Intifada" im Jahr 2000. Es lassen sich grob zwei Lager unterscheiden: * Die Israel-Unterstützer (Szenejargon: "Zionisten" oder auch "Anti-Palis") und * die Unterstützer der Palästinenser (Szenejargon: "Pro-Palis" oder "Antizionisten"), die verschiedene Vorstellungen von Art und Umfang der Solidarität mit den Palästinensern haben. Die Auseinandersetzung wird derart emotional geführt, dass sie einer der Gründe für die derzeitige Spaltung der linksextremistischen Szene in Berlin ist. wir nicht in der Lage, unsere Erfahrungen und erarbeiteten Positionen so weiterzugeben, daß sie eine Grundlage bilden, auf der weiterdiskutiert wird?" 335 Vgl. S. 81 ff. Hintergrundinformationen - Linksextremismus 203 Um eine größtmögliche Wirkung zu erzielen, wird seitens der in der Minderheit befindlichen Israelunterstützer eines der linksextremistischen Dogmen gebrochen, nach dem die Anerkennung von ethnisch begründeten Nationalstaaten als Legitimationsgrundlage für die Ausübung staatlicher Herrschaft abgelehnt wird. Auch die vorbehaltlose Unterstützung Israels, das innerhalb der Szene als "kapitalistische Speerspitze des US-Imperialismus" im Nahen Osten gilt,336 ist in dieser Form neu und hat seit dem Beginn der Debatte Kontinuität gewonnen. Zudem wird ein Antisemitismus-Vorwurf an die Adresse der linksextremistischen Pro-Palästina-Fraktion erhoben, der mit folgendem argumentativen Konstrukt begründet wird: Wer für ein Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge nach Palästina (definiert als das heutige Israel und die palästinensischen Gebiete) plädiere, negiere das Existenzrecht Israels oder stelle es zumindest in Frage. Da die Gründung des jüdischen Israel in erster Linie auf den Massenmord an den europäischen Juden zurückgehe, verberge sich hinter dieser Art der Unterstützung des palästinensischen Volkes unverhohlener Antisemitismus. Der Begriff Antizionismus wird hierbei synonym für Antisemitismus gebraucht: "Wer schreibt: 'Wir stellen das Existenzrecht Israels nicht in Frage, aber wir lassen uns auch nicht von irgendwem die Solidarität mit antikolonialen Befreiungsbewegungen verbieten', der geht vor der Antisemitismuskeule in Deckung, nur um noch unverfrorener die palästinensischen Judenmörder unterstützen zu können."337 Von der "Pro-Pali"-Seite wird der Antisemitismusvorwurf zurückgewiesen. Hinter der Ablehnung der derzeitigen Besatzungsund Militärpolitik Israels verberge sich keine generelle Judenfeindlichkeit und das Existenzrecht Israels werde nicht in Frage gestellt. In einigen linksextremistischen Gruppierungen wird darauf hingewiesen, dass Israel nicht abgelehnt werde, weil es sich um den "Staat der Juden" handele, sondern weil staatliche Strukturen generell Unterdrückungsinstrumente seien. Eine andere Strömung diskutiert, ob eine Befriedung der Situation im Nahen Osten nur durch eine Zwei-Staaten-Lösung erfolgen könne, weswegen zu336 "[Israel] war mit Unterstützung der großen imperialistischen Staaten auf gestohlenem Land entstanden. Bei der Staatsgründung vertrieben israelische Terrormilizen rund 800 000 Araber und verübten dabei Massaker an Tausenden Zivilisten. [...] So stand Israel von Anfang an im Konflikt mit den antiimperialistischen Bewegungen, die sich auch gegen die USA richten." Quelle: "Nahost: Warum es keinen Frieden gibt". In: Linksruck Nr. 147 vom 11.2.2003. 337 Anonymes Flugblatt, verteilt auf der Demonstration am 9.11.2003: "1938-2003 / 65. Jahrestag der Reichspogromnacht. Gegen Antisemitismus und Rassismus" bzw. "65 Jahre Reichspogromnacht - Kein Vergessen - Kein Vergeben" mit anschließender Demonstration und Kranzniederlegung anlässlich des 65. Jahrestages der so genannten "Reichskristallnacht". 204 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 nächst trotz allgemeiner Bedenken staatliche Strukturen nicht abgelehnt werden dürften. 3.2.5 "Linksruck" Organisationsstruktur: Gruppe Entstehung: 1993/94 Mitgliederzahl: k. A. bundesweit (2002: 2 000), 100 in Berlin (2002: 100) Sitz: Berlin Publikation: "Linksruck" (14-tägig) Die 1996 aufgelöste trotzkistische "Sozialistische Arbeitergruppe" (SAG) gründete 1993/1994 das "Linksruck-Netzwerk" (jetzt "Linksruck"). "Linksruck" ist die deutsche Sektion des internationalen trotzkistischen Dachverbands "International Socialists" (IS) und strebt über Betriebsund Gewerkschaftsarbeit den Aufbau einer revolutionären kommunistischen Partei unter Führung von Arbeiterräten an. Fernziel der Gruppe ist der Aufbau einer Partei Leninschen Typs als offizielle deutsche Sektion der um die britische "Socialist Workers Party" gruppierten "International Socialist Tendency". Seit 1993 setzt eine Bundeskoordination die von London vorgegebenen Aktivitäten um und gibt die Zeitschrift "Linksruck" heraus. "Linksruck" finanziert sich über Mitgliedsbeiträge, Spenden und durch Zeitschriftenund Publikationsverkauf. Im April 2001 verlegte "Linksruck" seine Bundeskoordination von Hamburg nach Berlin. Hier hat "Linksruck" ca. 100 Mitglieder, die von einigen "Altkadern" autoritär geführt werden. Es herrscht eine hohe Fluktuation. Den Schwerpunkt von "Linksruck" bildeten 2003 die Proteste gegen den Irak-Krieg sowie gegen den "Sozialabbau". "Linksruck"-Mitglieder engagieren sich offen oder verdeckt im globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC. Verdecktes Engagement fällt unter die von Trotzkisten häufig betriebene EntrismusStrategie. Nach dieser Strategie versuchen Trotzkisten, größere Organisationen zu unterwandern, für ihre Zwecke zu nutzen und zu radikalisieren. 3.2.6 "militante gruppe (mg)" Die "militante gruppe (mg)" ist erstmals im Sommer 2001 in Aktion getreten, als sie Patronen an den damaligen Regierungsbeauftragten für die Entschädigung der Zwangsarbeiter Otto Graf LAMBSDORFF und an zwei Mitglieder der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft schickte. Ihre militanten Aktionen haben sich seitdem im Wesentlichen gegen Autos und Gebäude von Behörden gerichtet. Begründet hat die "militante gruppe (mg)" ihre Anschläge bisher vor allem mit den Themengebieten Zwangsarbeiterentschädigung, Sozialabbau und Antiimperialismus. Bis zum Jahreswechsel Hintergrundinformationen - Linksextremismus 205 2003/2004 hat die "militante gruppe (mg)" sich zu acht Brandanschlägen selbst bezichtigt. Der Generalbundesanwalt führt gegen die Gruppierung ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Im Zusammenhang mit den Brandanschlägen versucht die "militante gruppe (mg)", mit anderen militanten Gruppierungen eine Diskussion über die Zukunft der Anschlagsaktivitäten zu führen. Ziel dieser so genannten Militanzdebatte, die über das autonome Szeneblatt "INTERIM" geführt wird, ist die Vernetzung der verschiedenen Gruppierungen. Im vergangenen Jahr hat sich neben der "militanten gruppe (mg)" lediglich noch eine "Militante Antiimperialistische Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney" an der Militanzdebatte beteiligt. Andere Gruppierungen wie z. B. die "revolutionäre aktion carlo giuliani" oder die "autonome miliz", die noch 2002 teilnahmen, traten nicht mehr in Erscheinung. 3.2.7 Neue Medien (Internet) Seit Mitte der 90er Jahre wird das Internet zunehmend auch von linksextremistischen Organisationen und Gruppierungen genutzt. Von besonderer Relevanz ist der ortsungebundene aktuelle Austausch von Informationen und die Möglichkeit zur anonymisierten Kommunikation. Das Internet ermöglicht es, Informationen aller Art bereit zu stellen und weltweit abrufen zu können: "Langsam, aber stetig reift die Einsicht heran, dass Computernetze zwar im Kapitalismus entstanden sind, aber vielleicht doch nicht ausschließlich kapitalistischen Interessen dienen müssen. Schließlich sind auch Hammer und Sichel oder, wahlweise, Maschinengewehre vorsozialistische Werkzeuge."338 In der linksextremistischen Szene werden diese Informationen von einschlägigen Foren angeboten, wobei diese ihren Provider häufig im Ausland haben, um einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen. Auf zahlreichen extremistischen Homepages befinden sich technische und logistische Tipps für die Produktion und den Einsatz von Sprengstoffen oder die Sabotage an Strommasten und Gleisanlagen. Ein bekanntes linksextremistisches Internetportal ist "nadir". Populäre Internetangebote mit überwiegend linksextremistischen Bezügen sind "indymedia" und "linkeseite". Über die Internetportale werden zumeist einschlägige Termine, Hinweise, Aufrufe, aber auch Links zu Archiven und Datenbanken sowie Adressen von Ansprechpartnern ins Netz gestellt. Dabei gibt es - besonders im Bereich des anonymen Postings - nicht selten Überschneidungen mit 338 Archiv der Kommunikationsguerilla: Ein Asyl für deutsche Linke, S. 1. 206 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Themenbereichen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse, etwa Kampf gegen Umweltzerstörung oder Rechtsextremismus, Kampf für Menschenrechte oder Abrüstung. Eine Instrumentalisierung dieser Themengebiete und ihrer Interessenten wird durch die linksextremistische Szene auch im Internet verfolgt. Von Bedeutung für den Berliner Raum ist "stressfaktor", dessen Betreiber sich als ein "Berliner Terminkalender für linke Subkultur und Politik" versteht. Dort werden Informationen zu Aktivitäten von Linksextremisten zentral gesammelt und zum Abruf bereitgestellt. Es veröffentlicht neben aktuellen Terminen Kurzstatements zu für die Szene relevanten Themen und bietet eine Reihe von Verknüpfungen zu anderen linksextremistischen Internetportalen. Deutliche Berlinbezüge weist auch "kanalB" auf. Auf dieser Internetseite werden Videosequenzen zum Herunterladen zur Verfügung gestellt, in denen auch linksextremistische Veranstaltungen dargestellt werden und entsprechend motivierte Straftaten dokumentiert sind. Die Betreiber achten hierbei darauf, dass die abgebildeten Personen nicht identifizierbar sind. Die Kommunikation innerhalb dieser Netzwerke erfolgt häufig über verschlüsselte E-Mails und zugangsbeschränkte Chatrooms. In den offenen Diskussionsforen lassen sich die oft widersprüchlichen Positionen innerhalb der linksextremistischen Szene verfolgen. So werden bei der AntisemitismusDebatte häufig aggressive und verunglimpfende Ansichten thematisiert, die die Zerstrittenheit der Szene widerspiegeln und die mitunter zur Löschung einzelner Beiträge durch die Internet-Redaktion führen. Eine Zurechenbarkeit und objektive Bewertung mancher Beiträge ist kaum möglich. Wird zum Beispiel zu Störaktivitäten aufgerufen, kann daraus zwar geschlossen werden, dass ein Anlass in linksextremistischen Kreisen bekannt ist; ob und ggf. in welchem Maße es daraufhin aber tatsächlich zu einer Mobilisierung kommen wird, lässt sich daraus alleine jedoch nicht ableiten. 3.2.8 "Sozialistische Alternative Voran" (SAV) Organisationsstruktur: Verein Entstehung: 1994 entstanden aus "VORAN zur sozialistischen Demokratie e. V." Hintergrundinformationen - Linksextremismus 207 Mitgliederzahl: 350 bundesweit (2002: 350), 35 in Berlin (2002: 35) Sitz: London Publikation: "Solidarität - Sozialistische Zeitung" (monatlich) Die "Sozialistische Alternative Voran" (SAV) ist die deutsche Sektion des in London ansässigen trotzkistischen Dachverbands "Committee for a Workers International" (CWI). Wie bei der ebenfalls trotzkistischen Gruppe "Linksruck" (=) bildete die Beeinflussung der Anti-Globalisierungsund Anti-Kriegsbewegung den Aktionsschwerpunkt der SAV. Perspektivisches Ziel der SAV ist laut Programm zur Bundestagswahl 2002 der Aufbau einer Arbeiterpartei als einer revolutionären, sozialistischen Massenpartei. Damit solle der Kapitalismus abgeschafft und durch ein sozialistisches System verbunden mit der Aufhebung des Mehrparteienstaates ersetzt werden. Die SAV lehnt die parlamentarische Demokratie ab. Dies brachte die SAVDirektkandidatin für den Wahlkreis Weißensee / Prenzlauer Berg / Pankow im Bundestagswahlkampf 2002 zum Ausdruck, als sie sagte, dass die SAV zwar mit der stalinistisch-bürokratischen Cliquenwirtschaft der DDR nichts gemeinsam habe, mit dem Parlamentarismus allerdings auch nicht.339 339 Vgl. Internetseite tagesschau.de "Bundestagswahl-Spezial". 208 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 4 Ausländerextremismus 4.1 Araber 4.1.1 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") Organisationsstruktur: informell Entstehung/Gründung: 1982 Mitgliederzahl: 800 bundesweit (2002: 800), 150 in Berlin (2002: 150) Sitz im Ausland: Beirut Publikationen: "al-Ahd" ("Die Verpflichtung"), "al-Intiqad" ("Die Kritik") erscheinen wöchentlich Die schiitisch-islamistische "Hizb Allah" wurde im Sommer 1982 nach dem Einmarsch israelischer Truppen in den Libanon gegründet und agierte im 15-jährigen libanesischen Bürgerkrieg zusammen mit der AMAL-Miliz als eine der beiden schiitischen Milizen. Aus ideologischen und regionalpolitischen Motiven heraus wird die hierarchisch strukturierte Bewegung vom Iran und von Syrien, die ihr auch die politische Linie vorgeben, finanziell und militärisch unterstützt. So negiert die "Hizb Allah" seit ihrer Gründung das Existenzrecht Israels und propagiert den auch mit terroristischen Mitteln geführten Kampf gegen Israel, den sie als "legitimen Widerstand" bezeichnet. Im Libanon operierte ihr bewaffneter Arm, die Miliz des "Islamischen Widerstands" ("alMuqawama al-Islamiya"), jahrelang mit militärischen und terroristischen Mitteln gegen Armeeeinrichtungen und Soldaten Israels. Hierzu gehörten neben Anschlägen auch Selbstmordattentate gegen israelische Soldaten. Innenpolitisch hat sich die "Hizb Allah" dagegen als eine parteiähnliche politische Bewegung konstituiert. Sie ist seit 1992 im libanesischen Parlament vertreten und findet unter der schiitischen Bevölkerung des Libanon wegen ihrer sozialen Aktivitäten gesellschaftlichen Rückhalt. Den im Mai 2000 erfolgten Rückzug der israelischen Truppen aus der so genannten "Sicherheitszone" im Südlibanon feierte die "Hizb Allah" als einen bedeutenden Sieg, der Vorbildcharakter für die "Lösung" des Palästinakonflikts haben soll. Gleichzeitig sah sich die Organisation der Forderung gegenüber, sich vereinbarungsgemäß aus dem Südlibanon zurückzuziehen, ihre Miliz zu entwaffnen und sich im Libanon - wie von ihr mehrfach angekündigt - ausschließlich als politische Partei zu betätigen. Diese Vereinbarung hielt die "Hizb Allah" nicht ein. Hierbei benutzte sie den Nicht-Rückzug Israels aus den vom Libanon als sein Staatsgebiet betrachteten, von der UNO aber nicht als libanesisches Territorium anerkannten "Shebaa-Farmen" als einen Vorwand, um im Grenzgebiet weiter militärisch und terroristisch gegen Israel vorzu- Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 209 gehen. Einen weiteren Vorwand für die Aufrechterhaltung der militärischen Option bezog die "Hizb Allah" aus der am 28. September 2000 ausgebrochenen "Al-Aqsa-Intifada", die sie seitdem mit massiver Propaganda unterstützt. Die in den letzten Jahren verstärkt über ihren parteieigenen TV-Sender "Al-Manar" ("Der Leuchtturm") verbreitete Propaganda enthält alle Elemente der "Widerstandsideologie" der "Hizb Allah", die eine Mischung aus politischem Aktivismus und schiitischer Leidensmythologie darstellt. Hierzu gehört vor allem die Praxis der Selbstmordattentate, mit der die Organisation 1993 ins libanesisch-israelische Grenzgebiet abgeschobene palästinensische Islamisten erstmals bekannt machte. Seitdem werden Selbstmordanschläge vor allem von der HAMAS (=) und dem "Palästinensischen Islamischen Jihad" (PIJ) verübt. Die Propagierung des bewaffneten Kampfes im Rahmen der "Al-Aqsa-Intifada" und die Popularisierung von als "Märtyrer-Operationen" deklarierten Selbstmordanschlägen sind fester Bestandteil im Programm des - per Satellit auch in Deutschland zu empfangenden - TV-Senders "Al-Manar", der gezielt um die Palästinenser der Westbank und des Gazastreifens wirbt, sich allerdings auch als Stimme "ganz Palästinas" versteht und in Deutschland zur Teilnahme an einschlägigen Demonstrationen aufruft. In Filmen werden Attentäter der militärischen Flügel der HAMAS und des PIJ, der "Izz ad-Din alQassam-Brigaden" und der "Jerusalem-Kompanien" ("Saraya al-Quds") glorifiziert - sei es in Form von Bekennervideos der Selbstmordattentäter oder durch zustimmende Äußerungen ihrer Freunde und Angehörigen. Die - seit Herbst 2002 intensivierte - anti-israelische Hetze und Propaganda des Senders zeigt etwa den Generalsekretär der "Hizb Allah", Hassan NASRALLAH, der seinen Anhängern versichert, dass "Israel in seiner Existenz vergehen wird". Die Propagandafilme beinhalten auch Bilder israelischer Attentatsopfer - unterlegt mit dem Text "Gewiss wird Israel verschwinden". Die USA stuft die "Hizb Allah" seit Jahren aufgrund ihrer zahlreichen, hauptsächlich in den 90er Jahren verübten Anschläge als Terrororganisation ein; dies veranlasste auch die Regierung Kanadas, sie in diesem Jahr auf die kanadische Liste der Terrororganisationen zu setzen. Die britische, französische und seit Juli auch die australische Regierung stufen zwar nicht die Gesamtorganisation der "Hizb Allah" als terroristisch ein, wohl aber den Auslandssicherheitsdienst "External Security Apparatus" (ESA), der als integraler Bestandteil der "Hizb Allah" gilt. Nach dem Ende des Irak-Kriegs hat die internationale Kritik an der "Hizb Allah" aufgrund ihrer gegen Israel gerichteten militärischen und terroristischen 210 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Aktionen erheblich zugenommen. Dies lässt sich vor allem auf den von den USA auf Iran und Syrien ausgeübten Druck zurückführen, ihre Unterstützung für die "Hizb Allah" einzustellen. Auch innerhalb der libanesischen Regierung gibt es eine, wenn auch nicht offiziell geäußerte Tendenz, die "Hizb Allah" zu entwaffnen und an ihrer Stelle libanesische Truppen an der Südgrenze zu stationieren, um nicht wiederholt Anlässe für israelische Vergeltungsmaßnahmen zu schaffen. In Berlin agieren die Anhänger der Organisation nicht offen unter der Bezeichnung "Hizb Allah". Andererseits werden auf Großdemonstrationen häufig "Hizb Allah"-Fahnen sowie Porträts ihres Generalsekretärs Hassan NASRALLAH gezeigt. Zu ihren Aktivitäten zählen vor allem die Vorbereitung und Beteiligung an Demonstrationen, interne Propagandaveranstaltungen und das Sammeln von Spendengeldern. Die von schiitischen Extremisten initiierte alljährliche Demonstration zum so genannten "Al-Quds-Tag", die an die "Befreiung" der auch für Muslime heiligen Stadt "Al-Quds" (Arabisch für Jerusalem) zu appellieren versucht, verlief am 22. November ohne besondere Vorkommnisse als Schweigemarsch mit etwa 1 000 Teilnehmern. Nachdem die Polizei bereits zu Beginn der Veranstaltung einige gewaltverherrlichende Transparente eingezogen hatte, wurden gegen einen Teilnehmer Strafanzeigen wegen Beleidigung und Volksverhetzung gestellt. 4.1.2 "Hizb ut-Tahrir al-islami" (HuT / "Islamische Befreiungspartei) Organisationsstruktur: parteiähnliche Bewegung / die Organisation unterliegt in Deutschland seit dem 10. Januar 2003 einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot Entstehung/Gründung: 1953 Mitgliederzahl: 150 bundesweit (2002: 150), 50 in Berlin (2002: keine gesicherten Angaben) Sitz im Ausland: vermutlich Libanon Publikationen: "Explizit" bis Januar 2003 Die "Hizb ut-Tahrir al-islami" (HuT) ist eine pan-islamistische parteiähnliche Bewegung, die 1953 von Taqi ad-Din AN-NABHANI (1909 - 1977) gegründet wurde. Erklärte Ziele der Bewegung sind die Vernichtung des Staates Israel, die "Befreiung" der islamischen Welt von westlichen Einflüssen, die Wiederherstellung der Kalifatsherrschaft sowie die Einführung der Scharia als politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip. AN-NABHANI veröffentlichte 1953 das Buch "Die Herrschaftsordnung des Islam" (Nizam al-Hukm fi'l-Islam). Diese bis heute wichtigste Publikation der Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 211 HuT beschreibt ein an den Vorschriften der Scharia orientiertes Herrschaftssystem mit einem Kalifen an der Spitze. AN-NABHANI zufolge sollte eine "islamische Herrschaftsordnung" nicht allein auf die muslimischen Länder begrenzt, sondern weltweit errichtet werden. Für dieses Ziel befürwortete er auch die Anwendung von Gewalt. Die Ideologie der HuT kennzeichnet ferner ein ausgeprägter Judenhass sowie die Rechtfertigung von Gewalt durch vermeintlich authentische Bezüge auf die islamische Religion: So werden etwa Koranverse aus ihrem historischen Kontext herausgelöst und Begriffe wie "Jihad" ("Bemühen", "Kampf") fast durchgängig militant interpretiert. Da die HuT zum gewaltsamen Umsturz der Regierungen im Vorderen Orient aufruft, ist sie in allen arabischen Ländern verboten. Meldungen über versuchte Staatstreiche der Organisation gibt es für Jordanien (1968) und Irak (1969) sowie für Ägypten (1974) und Syrien (1976). Der Nachfolger AN-NABHANIs, der 1925 in Hebron geborene und am 29. April 2003 verstorbene Abdul Qadim ZALLUM, weitete Anfang der 1990er Jahre das Aktionsfeld der Bewegung erfolgreich auf Asien aus. So finden sich Organisationsstrukturen der HuT sowohl in Pakistan als auch in Indonesien. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR etablierte sich die Organisation auch in Zentralasien und im Kaukasus. Hierzu gehören insbesondere die neugeschaffenen Staaten Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan und Aserbaidschan. Neuer Vorsitzender der HuT ist der am 15. Dezember 1943 im Libanon geborene Jordanier Ata Abu AL-RASHTA, dessen Aufenthaltsort derzeit im Libanon vermutet wird. Der HuT-eigene Londoner Verlag "Al-Khilafah-Publications" verlegt die arabischsprachige Zeitung "Al Waie" und die englischsprachige Zeitung "Khilafahmagazine". Beide Publikationen werden neben dem bis Januar 2003 in Deutschland produzierten Magazin "Explizit" bundesweit vertrieben. In Deutschland intensivierte die HuT ihre Aktivitäten ab 1990. Die Organisation verhielt sich dabei nach außen weitgehend unauffällig, so dass sie von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Unter den arabischen Muslimen nahm die HuT eher eine Außenseiterposition ein. Dies ist zum einen auf die strenge interne Reglementierung ihrer Anhänger zurückzuführen, zum anderen auf ihr verbal aggressives Auftreten gegenüber anderen Muslimen. Ins Blickfeld der Öffentlichkeit geriet die Gruppierung, als am 27. Oktober 2002 in der Berliner "Alten TU-Mensa" eine Veranstaltung mit dem Herausgeber des Magazins "Explizit", Shaker ASSEM, stattfand. Unter den ca. 300 Gästen befanden sich auch Horst MAHLER und der NPD-Vorsitzende Udo 212 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 VOIGT (= NPD). Die Anwesenheit der beiden NPD-Funktionäre hat seinerzeit bundesweit Diskussionen über Verbindungen zwischen rechtsextremistischen und islamistischen Gruppierungen ausgelöst. Am 10. Januar 2003 erließ der Bundesminister des Innern ein Betätigungsverbot gegen die HuT. Die HuT erhob dagegen Klage beim Bundesverwaltungsgericht.340 4.1.3 "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) / "Islamischer Bund Palästina" (IBP) Organisationsstruktur: informelle Gliederung Entstehung/Gründung: 1981 in München (IBP) / 1987 in Gaza (HAMAS) Mitgliederzahl: bundesweit 250 (2002: 250), in Berlin 50 (2002: 50) Die mit dem Kurzwort HAMAS341 bezeichnete sunnitisch-islamistische "Bewegung des Islamischen Widerstands" wurde 1987 im Gaza-Streifen von Shaikh Ahmad YASSIN in der Nachfolge eines Zweigs der "Muslimbruderschaft" (= MB) gegründet. Die Organisation verneint das Existenzrecht Israels und strebt die "Befreiung ganz Palästinas" sowie die Gründung eines "Islamischen Staates Palästina" durch bewaffneten Kampf an. Den 1993 begonnenen Oslo-Friedensprozess lehnt die HAMAS als "Ausverkauf palästinensischer Interessen" ab und bestreitet gleichzeitig den Führungsanspruch der Palästinensischen Autonomiebehörde. Seit dem Ausbruch der "AlAqsa-Intifada" am 28. September 2000 und der Verschärfung des NahostKonflikts nahmen Selbstmordanschläge der HAMAS gegen israelische Ziele erheblich zu. Diese als "Märtyrer-Operationen" deklarierten Anschläge ihres militärischen Flügels, der "Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden", begrenzte sie dabei nicht auf die palästinensischen Gebiete des Westjordanlands und GazaStreifens, sondern führte sie vor allem im israelischen Kernland durch. Die Anschläge der HAMAS zielten zudem nicht allein auf Militärpersonal, sondern gleichermaßen auch auf die israelische Zivilbevölkerung. Dieses terroristische Vorgehen wird von der HAMAS mit einem "Recht auf Selbstverteidigung" begründet. Theoretische Basis für die Selbstmordanschläge bildet der Begriff des Märtyrers, der von den HAMAS-Ideologen uminterpretiert wird. Galten Märtyrer im Islam bisher hauptsächlich als Menschen, die durch Außeneinwirkung unschuldig zu Tode kommen, steht der Begriff nun vor allem für 340 Vgl. S. 121 f. 341 Arabisch "Harakat al-Muqawama al-islamiya". Der Begriff "Hamas" stellt zugleich ein - bereits im Koran enthaltenes - arabisches Wort dar, das "Begeisterung", "Eifer" und "Leidenschaft" bedeutet. Islamisten interpretieren den Begriff als "Tapferkeit". Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 213 Personen, die Selbstmordanschläge verüben. Islamisten definieren den Märtyrer in erster Linie als jemanden, "der sein Martyrium aktiv herbeiführt" und popularisieren hierfür den Begriff des Istishhadi. Der Istishhadi (wörtlich "derjenige, der zum Märtyrertod bereit ist") ist somit die islamistische Variante des - bei laizistischen Palästinensern früher als Fida'i (wörtlich "derjenige, der sich aufopfert") und bei den Kurden als Peshmerga ("derjenige, der dem Tod nahe ist") - bezeichneten "Guerilla-Kämpfers" - allerdings in seiner extremsten und militantesten Form. Da im Islam sowohl Mord als auch Selbstmord verboten sind, deklarieren Islamisten Selbstmordanschläge als so genannte "Märtyrer-Operationen" (Arabisch "amaliyat istishhadiya"). Im Juli 2003 schloss sich die HAMAS zunächst dem im Rahmen des Friedensplans "Roadmap" ausgehandelten dreimonatigen Waffenstillstand ("Hudna") an. Dieser endete jedoch bereits im August, als ein Selbstmordattentat mit 20 israelischen Toten, zu dem sich sowohl die HAMAS als auch der "Palästinensische Islamische Jihad" bekannt hatte, zu massiven Vergeltungsmaßnahmen Israels führte. Nachdem die "Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden" bereits im Juni 2002 in die EU-Liste terroristischer Organisationen aufgenommen wurden, beschlossen die EU-Außenminister Anfang September 2003 auch die Gesamtorganisation der HAMAS als terroristisch einzustufen. In Deutschland wird die Politik der HAMAS durch den "Islamischen Bund Palästina" (IBP) vertreten. Der IBP wurde 1981 innerhalb des "Islamischen Zentrums München" gegründet, um die Interessen religiös orientierter Palästinenser in Deutschland zu repräsentieren. Erst 1987 mit Ausbruch der ersten Intifada und Gründung der HAMAS entwickelte der IBP sein heutiges Profil als HAMAS-Vertretung in Deutschland. Der IBP organisiert Veranstaltungen und Demonstrationen gegen das Vorgehen Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten, verhält sich aber als Organisation in den letzten Jahren unauffällig, obwohl seine Anhänger nach wie vor aktiv sind. Als Spendensammelverein der HAMAS gilt der vom Bundesinnenminister mit Verfügung vom 31. Juli 2002 verbotene, in Aachen ansässige "Al-Aqsa e. V.". Mit Beschluss vom 16. Juli hat das Bundesverwaltungsgericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Vereins angeordnet. Danach darf "AlAqsa e. V." bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren mit der Maßgabe, die Verwendung der Spendengelder dem BMI nachzuweisen, weiterhin Gelder sammeln. Als Berliner Treffpunkt der Anhänger der HAMAS gilt das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum Berlin e. V.". 214 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 4.1.4 "Mujahidin-Netzwerke" Organisationsstruktur: grenzüberschreitende Netzwerke Entstehung/Gründung: Anfang der 80er Jahre in Afghanistan/Pakistan Mitgliederzahl: keine gesicherten Zahlen Der Begriff "Mujahidin" bezeichnet pan-islamisch orientierte Kämpfer unterschiedlicher ethnischer Herkunft, die an Kampfeinsätzen in Afghanistan, Bosnien, Tschetschenien oder im Kaschmir teilgenommen haben. Das Entstehen der "Mujahidin" geht auf den Afghanistan-Krieg zurück, als sich 1979 freiwillige "Kämpfer" (Arabisch-Persisch "Mujahidin") dem - unter dem Motto des Jihad geführten - Krieg gegen die sowjetische Besatzung anschlossen und dafür vor allem in afghanischen und pakistanischen Militärlagern ausgebildet wurden. Die Lage im von Krieg und Bürgerkrieg gezeichneten Afghanistan bot seinerzeit ideale Bedingungen für die ideologische Schulung und terroristische Ausbildung der "Mujahidin". Hierzu gehörten ein weitgehend rechtsfreier Raum, Kampfgebiete sowie die Tatsache, dass sich im Bürgerkrieg 1996 die islamistischen "Taliban-Kämpfer" durchsetzten. Die terroristischen Aktivitäten der "Mujahidin" richteten sich ab 1992 vor allem gegen Ägypten und Algerien, nachdem sich einzelne kampferprobte "Mujahidin" des Afghanistan-Kriegs den dortigen militanten islamistischen Gruppierungen angeschlossen hatten. Im Zentrum der "Mujahidin" steht die von Usama BIN LADIN Ende der 1980er Jahre gegründete Organisation "Al-Qaida" ("Die Basis"), die sich vermutlich Mitte der 1990er Jahre mit Teilen der militanten ägyptischen Gruppen "alJihad al-Islami" ("Der islamische Kampf") und "al-Gamaa al-Islamiya"342 ("Die islamische Gemeinschaft") zu einem transnationalen Netzwerk zusammenschloss. Als zweiter Mann hinter BIN LADIN gilt der Führer der ägyptischen Gruppe "al-Jihad al-Islami", Aiman AL-ZAWAHIRI. Programmatische Grundlage der internationalen Anschläge der "Al-Qaida" war der von Usama BIN LADIN 1998 mitunterzeichnete343 Aufruf der "Islamischen Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzzügler"344, den die Verfasser 342 Hocharabisch und in einheitlicher Schreibweise heißt es "al-Jihad al-Islami" und "al-Jamaa alIslamiya". Im ägyptischen Dialekt werden die Gruppierungen phonetisch als "al-Gihad al-Islami" und "al-Gamaa al-Islamiya" wiedergegeben. 343 Zu den fünf Unterzeichnern gehörten Usama BIN LADIN ("Al-Qaida"), Aiman AL-ZAWAHIRI ("alJihad al-Islami"), Abu Yasir Rifa'i AHMAD TAHA ("al-Gamaa al-Islamiya"), Mir HAMZA (Generalsekretär der "Jam'iyat-ul-Ulama Pakistan") und Fazlur RAHMAN (Chef der "Jihad"Gruppe, Bangladesch). 344 In der Verlautbarung hieß es: "Das Urteil, die Amerikaner und ihre Alliierten, Zivilisten und Militärs gleichermaßen zu töten, wo immer ihm dies möglich ist, ist eine individuelle Pflicht für jeden Muslim, der hierzu in der Lage ist, bis die Aqsa-Moschee [in Jerusalem] und die Heilige Moschee [in Mekka] von ihnen befreit sind und bis ihre Armeen das gesamte Territorium des Islam Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 215 als ein religiöses Rechtsgutachten (fatwa)345 deklarierten. Darin waren die Tötung von Amerikanern zur individuellen Pflicht eines jeden Muslims erhoben, die Stationierung von US-Truppen in Saudi-Arabien für unzulässig erklärt und als Ziel die Verdrängung der USA von der Arabischen Halbinsel genannt worden. Hierzu sollten die USA als Schutzmacht Saudi-Arabiens angegriffen und - wie bereits die Anschläge auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania im August 1998 und auf das Marineschiff USS Cole im Oktober 2000 zeigten - möglichst viele Menschen, vor allem USBürger, getötet werden. 4.1.5 "Muslimbruderschaft" (MB) Organisationsstruktur: informelle Gliederung / Verein in Deutschland Entstehung/Gründung: 1928 in Ägypten / 1960 in Deutschland Mitgliederzahl: 1 200 bundesweit (2002: 1 200); für Berlin keine gesicherten Erkenntnisse Die 1928 in Ägypten gegründete "Muslimbruderschaft" (MB) ist die älteste und zugleich bedeutendste arabische islamistische Gruppierung. Die pan-islamistisch orientierte Organisation ist heute, teils unter anderem Namen, in fast allen Ländern des Vorderen Orients vertreten und unterhält auch Zweige in westeuropäischen Ländern. In den meisten nahöstlichen Staaten bildet die MB eine illegale Opposition zur Regierung, wobei ihre Aktivitäten von den jeweiligen politischen Verhältnissen abhängen: Während in Syrien der Aufstand gegen die Staatsmacht 1982 gewaltsam beendet wurde, nahm die Bereitschaft der MB zur Anpassung dort zu, wo eine Einbindung in den parlamentarischen Prozess erfolgte. Dies gelang in Ägypten in den 1980er Jahren; in Jordanien ist die MB noch heute im Parlament vertreten. Die ägyptische MB, größte der MB-Organisationen, durchlief verschiedene historische Phasen: Nach der Anfangsphase, in der die Lehre und Erziehung der Gläubigen Vorrang hatte, waren ihre Aktivitäten in den 40er und 50er Jahren von einer aggressiven Militanz geprägt, die in zahlreichen politischen verlassen haben, geschlagen und unfähig, irgend einen Muslim noch zu bedrohen." Vgl. "Nass Bayan al-Jabha al-Islamiya al-Alamiya li-Jihad al-Jahud wa'l-Salibiyin" in der arabischsprachigen Zeitung "al-Quds al-Arabi", London, 23.2.1998. Eine englische Übersetzung findet sich im Internet unter: http://www.fas.org/irp/world/para/docs/980223-fatwa.htm. 345 Diese fatwa ist aus Sicht der islamischen Theologie nicht gültig, da Usama BIN LADIN als Laie weder die theologische Qualifikation noch die religiöse Autorität zur Erstellung von Rechtsgutachten, geschweige denn zur Ausrufung des Jihad im Namen der Muslime besitze. Entsprechend wurden die Anschläge vom 11. September von einem Großteil der islamischen Religionsgelehrten als nicht mit dem Islam vereinbar zurückgewiesen, da die islamische Religion sowohl den Mord an unschuldigen Zivilisten als auch den Selbstmord verbiete. Vgl. Hanspeter Mattes: Ein Jahr danach. Der islamistische Terrorismus und seine Bekämpfung. In: Herder Korrespondenz 56, 9/2002, S. 444 - 448. 216 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Attentaten und Anschlägen zum Ausdruck kam. Die Gewaltbereitschaft der MB stand seinerzeit der zunehmenden Repression des ägyptischen Staates gegenüber, die ihren Höhepunkt 1966 in der Hinrichtung ihres Chefideologen Sayyid QUTB fand. Als nicht mehr gewaltorientiert gilt die ägyptische MB erst nach Abspaltung der militanten Kräfte in den späten 70er Jahren (Entstehen der terroristischen Gruppen "Takfir wa'l-Hijra"346 und "al-Jihad al-Islami"), auf die eine Phase der Integrationsbereitschaft in das politische System folgte. Der Entschluss der MB, sich im politischen System Ägyptens auch an Wahlen zu beteiligen und im Parlament mitzuarbeiten, wird teils als ein "Marsch durch die Institutionen" gewertet. Ideologisch präsentiert sich die MB mit sehr heterogenen Vorstellungen. Aus den 30er Jahren stammt der Anspruch der MB, dass es eine "Ordnung des Islams" gebe. Dieser relativ unkonkrete Anspruch definiert die islamische Religion als ein "System", das "zu jeder Zeit und an jedem Ort" anwendbar sein soll und das den Koran und die Sunna zur Richtschnur politischen Handelns erhebt. Zeitgenössische Vorstellungen zu Staat und Gesellschaft vertritt die MB mit der Forderung nach "Anwendung der Scharia", des islamischen Rechts, und Schaffung eines "islamischen Staates". Da hierin Legislative, Judikative und Exekutive der Scharia untergeordnet sein sollen, wäre das von der MB favorisierte Staatsmodell bereits in dieser Hinsicht ein Staat, der westlichen Demokratievorstellungen zuwider läuft. In der ägyptischen MB kam es während der vergangenen eineinhalb Jahre zu einem mehrfachen Führungswechsel. Nachdem Mitte November 2002 der fünfte so genannte "Oberste Führer" Mustafa MASHHUR (Jahrgang 1919), der zwischen 1981 - 1986 von Deutschland aus die internationalen Aktivitäten der Organisation koordiniert haben soll,347 verstorben war, wurde am 27. November 2002 der Jurist Ma'mun al-HUDAIBI zu seinem Nachfolger und damit zum sechsten "Obersten Führer" der ägyptischen MB ernannt. Ma'mun al-HUDAIBI (Jahrgang 1921), Sohn des zwischen 1951 - 1972 amtierenden zweiten "Obersten Führers" der MB, Hassan al-HUDAIBI, war 1965 unter Präsident NASSER inhaftiert worden. Später fungierte er vor allem als Sprecher und stellvertretender Fraktionsvorsitzender des - 1987 in das ägyptische Parlament eingezogenen - Oppositionsblocks "Islamische Allianz", in welchem die MB 40 von 60 Abgeordneten stellte. Ma'mun al-HUDAIBI verstarb am 8. Januar 2004 nach nur 13 Monaten Amtszeit. Sein Nachfolger wurde der 75346 Wörtlich "Exkommunizierung [des bestehenden Gesellschaftssystems] und [innere] Emigration". Das Wort "Hijra" (wörtlich "Auswanderung") bezieht sich gleichzeitig auf die 622 a. D. erfolgte "Auswanderung" des Propheten Muhammad von Mekka nach Medina, wo er die Grundlagen des islamischen Gemeinwesens schuf. 347 Vgl. "al-Hayat", 31.10.2002. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 217 jährige Mohammad Mahdi AKIF, der der "alten Garde" zugezählt wird. Als dessen Stellvertreter wurde der 65-jährige Professor für Ingenieurwissenschaften Muhammed HABIB bestimmt. In Deutschland werden die Interessen der MB von der 1960 gegründeten "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) vertreten, die unter dem Einfluss der ägyptischen MB steht. Der IGD gehören mehrere Islamische Zentren in Deutschland an. Ihre Hauptaktivitäten sind gegenwärtig auf die Erziehung (tarbiya) und Mission (da'wa) der in Deutschland lebenden Muslime im Sinne der Ideologie der MB gerichtet. In Einrichtungen der IGD wird zum Teil offen dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen. Als Berliner Treffpunkt für Anhänger der MB gilt das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum Berlin e. V.". Vom 19. bis zum 21. September hielt die IGD ihren Jahreskongress ab, der am 21. September auch in Berlin stattfand. Auf der Veranstaltung, an der ca. 4 000 Personen teilnahmen, traten mehrere prominente Redner auf, so auch der ägyptische Prediger Omar Abdel KAFI. KAFI sprach sich gegen eine zu weit gehende Integration von Muslimen in Deutschland aus und bezeichnete es als die wichtigste Aufgabe, die Welt zum Islam zu bekehren. 4.2 Iraner 4.2.1 "Arbeiterkommunistische Partei Irans" (API) Organisationsstruktur: parteiähnliche Bewegung Entstehung/Gründung: 1991 in Deutschland gegründet Mitgliederzahl: 400 bundesweit (2002: 400), 20 in Berlin (2002: 40) Sitz in Deutschland: Köln Bei der "Arbeiterkommunistischen Partei Irans" (API) handelt es sich um eine marxistisch ausgerichtete Partei, die das politische System der Iranischen Republik Iran auch mit terroristischen Mitteln bekämpft. Ziel der API ist die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung im Iran, die durch die "soziale Revolutionierung der Arbeiterklasse" zustande kommen soll. Zur Bekämpfung der Islamischen Republik Iran bejaht sie ausdrücklich die Anwendung von Gewalt. Die API vertritt eine stark anti-westliche, aber auch anti-islamistische Haltung. Nach den Terroranschlägen in den USA schrieb beispielsweise Mansoor HEKMAT, Chefideologe der API, in seiner Analyse "The world after September 11",348 dass sich die Welt in einer neuen und zerstörerischen Phase des 348 Internetauftritt der API. 218 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 "internationalen Krieges der Terroristen" befände. Hierbei spricht HEKMAT von "zwei Formen von Terrorismus": Bei der ersten Form handele es sich um "Staatsterrorismus", der der API zufolge von den USA und westlichen Staaten ausgeübt werde. Die zweite Form stelle der "islamistische Terrorismus" dar, der für die Völkermorde in Iran, Afghanistan und Algerien verantwortlich sei. In Deutschland führt die API schwerpunktmäßig Demonstrationen durch, mit denen die Öffentlichkeit auf Menschenrechtsverletzungen der iranischen Regierung aufmerksam gemacht werden soll. Diese Kundgebungen werden meist von einer Nebenorganisation der API, der "Föderation der iranischen Flüchtlingsund Immigrantenräte e. V." (IFIR), organisiert. Hierbei kam es in der Vergangenheit wiederholt zu gewaltsamen Übergriffen der IFIR auf hochrangige regimetreue Iraner. 4.2.2 "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) / "Nationaler Widerstandsrat" (NWRI) Organisationsstruktur: seit 1985 die dominierende Gruppierung im "Nationalen Widerstandsrat Iran" (NWRI), dem Exilparlament der iranischen Opposition Entstehung/Gründung: 1965 im Iran (MEK); NWRI seit 1994 in Berlin vertreten Mitgliederzahl: 900 bundesweit (2002: 900), 20 in Berlin (2002: 20) Sitz in Deutschland: Köln Sitz im Ausland: Bagdad / Irak Publikationen: "Modjahed" (erscheint wöchentlich; englischsprachige Homepage) Nachdem die linksextremistische "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) seit 1965 bereits für den Sturz des Schah-Regimes gekämpft hatte, gehört die Beseitigung des politischen Systems der Islamischen Republik Iran zu ihren erklärten Zielen. Zu diesem Zweck verübte die MEK über ihren - im iranischirakischen Grenzgebiet stationierten - bewaffneten Arm, die "Nationale Befreiungsarmee" (NLA) bis April 2003 terroristische Anschläge im Iran. Die NLA genoss bis zu diesem Zeitpunkt die politische und militärische Unterstützung des mit dem Iran verfeindeten Irak und bildete eine 5 000 Personen umfassende Armee, in der Soldatinnen als Kämpfer dominierten. Während des Irak-Krieges im März/April 2003 flüchteten Mitglieder der Organisation nach Europa. Dies geschah unmittelbar vor den Angriffen der US-Luftwaffe auf ihre Militärlager im Irak. Im Mai schlossen die Alliierten einen Waffenstillstand mit der MEK und begannen mit der Entwaffnung der NLA. In Deutschland wird die MEK durch ihren international agierenden politischen Arm, den "Nationalen Widerstandsrat Iran" (NWRI), vertreten. Dessen Aktivitäten konzentrieren sich vor allem auf die Beschaffung von Spendengeldern, Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 219 die auch Erpressungen umfassen. Staatsbesuche iranischer Politiker in Deutschland nutzt der NWRI regelmäßig für Kundgebungen und militante Aktionen mit dem Ziel, die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Iran zu stören. Die Organisation bemüht sich ferner, ihre Anhänger in europäischen Staaten für einen zeitlich begrenzten Einsatz in der NLA zu rekrutieren.349 4.3 Kurden 4.3.1 "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) / "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL) Organisationsstruktur: Selbstverständnis als politische Partei, in Deutschland Vereinsstrukturen (Tarnund Nebenorganisationen) Entstehung/Gründung: 1978 in der Türkei gegründet Mitgliederzahl: 11 500 bundesweit (2002: 11 500), 1 050 in Berlin (2002: 1 100) Sitz in Deutschland: Die Organisation unterliegt seit 1993 in Deutschland einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Publikationen: "Serxwebun" ("Unabhängigkeit"), monatlich Die PKK - Vorgängerorganisation von KADEK /KONGRA-GEL - wurde 1978 vor dem Hintergrund des jahrzehntelangen völkerrechtlichen Konflikts der im Ländereck Türkei, Iran, Irak und Syrien lebenden 25 Millionen Kurden im Südosten der Türkei gegründet. Erklärtes Ziel der Organisation war die Anerkennung der Kurden als Nation und die Erlangung der politischen Autonomie für die kurdische Minderheit innerhalb des türkischen Staatsgebiets. Von 1984 bis 1999 führte die PKK in der südöstlichen Türkei einen Guerillakrieg für ein unabhängiges "Kurdistan". 1992 und 1993 verübten Anhänger der PKK zahlreiche Brandanschläge auf türkische Einrichtungen in Deutschland. Auch bei Demonstrationen kam es wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Am 24. Juni 1993 besetzten 13 Kurden das türkische Generalkonsulat in München und nahmen 20 Geiseln. Diese gewalttätigen Aktionen führten 1993 zum vereinsrechtlichen Betätigungsverbot in Deutschland. Ab Mitte 1996 bis zur Festnahme des PKK-Führers Abdullah ÖCALAN im Jahre 1999 verliefen Kundgebungen der Anhänger der PKK in Deutschland in der Regel gewaltfrei. Die Festnahme und Auslieferung ÖCALANs an die Türkei führte dagegen zu weltweiten militanten Protesten. In Berlin erstürmten am 17. Februar 1999 PKK-Anhänger das israelische Generalkonsulat, wobei vier Kurden von israelischen Sicherheitskräften erschossen wurden. 349 Vgl. S. 122 f. 220 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Seit 1999 verfolgt die Organisation einen strategischen Kurswechsel, mit dem Ziel, sich durch die Ankündigung von internen Reformen als politischer Gesprächspartner zu etablieren. Dieser Reformprozess wird nach außen sichtbar gemacht, indem auch die Teilund Nebenorganisationen der deutschen PKK umbenannt werden. Allerdings blieben die bisherigen Hierarchieund Befehlsstrukturen erhalten. Auf dem 8. Parteikongress der PKK vom 4. bis 10. April 2002 wurde der "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) gegründet, nachdem zuvor die Einstellung aller Tätigkeiten unter dem Namen "PKK" ab 4. April 2002 beschlossen worden war. Der Bundesminister des Innern hatte diesbezüglich festgestellt, dass sich das gegen die PKK 1993 erlassene vereinsrechtliche Betätigungsverbot auch auf den KADEK erstrecke, da zwischen beiden Organisationen Identität bestehe. Im August 2003 präsentierte der KADEK einen 3-Phasen-Plan (so genannte Roadmap)350 zur Lösung der kurdischen Frage bis September 2004. Darüber hinaus kündigte der KADEK Schritte zur Demokratisierung der Organisation und eine Abkehr von den bisherigen leninistischen Parteistrukturen an. Im August wurde von jungen Anhängern des KADEK die "Bewegung der freien Jugend Kurdistans" (TECAK) gegründet und die bisherige Jugendorganisation des KADEK, die "Union der Jugendlichen aus Kurdistan" (YCK), aufgelöst. Der KADEK beschloss auf einem Kongress im Oktober ebenfalls seine Auflösung. Es kam zur Gründung des "Volkskongresses Kurdistans" (KONGRA-GEL).351 350 "Fahrplan für eine friedliche und demokratische Lösung der kurdischen Frage in der Türkei". 351 Vgl. S. 124 f. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 221 4.4 Türken 4.4.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V" (IGMG) Organisationsstruktur: Vereine Entstehung/Gründung: 1985 in Köln als "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V." (AMGT) Mitgliederzahl: 26 500 bundesweit (2002: 26 500), 2 900 in Berlin (2002: 2 900) Sitz in Deutschland: Köln, vereinsrechtlich Bonn Publikationen: "Milli Görüs & Perspektive" (erscheint unregelmäßig) Der Vorläufer dieser islamistischen Organisation wurde 1985 unter der Bezeichnung "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V." ("Avrupa Milli Görüs Teskilatlari" - AMGT) in Köln gegründet. 1995 gingen daraus die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) und die "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V." (EMUG) hervor. Die EMUG ist für die Verwaltung des Immobilienbesitzes der Vereinigung verantwortlich. Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." vertritt eine islamistische Ideologie, die auf das politische Konzept von Necmettin ERBAKAN zurückgeht, das dieser 1973 in dem gleichnamigen Buch "Milli Görüs" (Nationale Sicht) veröffentlichte. ERBAKANs Ziel ist es, die türkischen Bürger unter dem Dach von Nationalismus und Islamismus zu einen und in der Türkei eine "Islamische Republik" zu errichten. Als politisches und gesellschaftliches Ordnungsmodell propagiert er eine 'gerechte Ordnung' ("Adil Düzen"), in welcher die Scharia gilt und politisches Handeln sich an den Prinzipien von Koran und Sunna orientiert. ERBAKAN lehnt wesentliche rechtsstaatliche Prinzipien wie Volkssouveränität oder Parteienpluralismus als unvereinbar mit der 'gerechten Ordnung' ab und fordert einen Systemwechsel nicht allein für die Türkei, sondern auch für die Bundesrepublik Deutschland. So war noch im Juli 2002 ein Videomitschnitt von ERBAKAN im Internet zu sehen: "Du willst dich von diesen Sorgen befreien? Um dich von diesen Sorgen befreien zu können, muss aus der Staatsordnung in Deutschland eine 'gerechte Ordnung' werden. Bevor hier keine 'gerechte Ordnung' herrscht, wirst du nicht zu deinem Recht kommen. Alles hängt letztlich davon ab, ob aus der hiesigen Staatsordnung eine gerechte Ordnung wird."352 1970 hatte Necmettin ERBAKAN - auf der Grundlage der Milli-Görüs-Ideologie - seine erste islamistische Partei in der Türkei gegründet. Im Gegensatz zu Parteiführern des linken und rechten Spektrums konnte er trotz mehrmaliger Parteiverbote und anschließender Neugründungen eine Spaltung 352 Rede von Necmettin Erbakan, "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung", 1990). 222 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 seiner Anhängerschaft bis 2001 verhindern. Interne Flügelkämpfe zwischen den so genannten Traditionalisten und den Erneuerern in der "Fazilet Partisi" (FP - "Tugendpartei") führten nach ihrem Verbot im Juni 2001 jedoch zur Gründung von zwei Nachfolgeparteien. Hierzu gehört die im Juli 2001 vom ehemaligen Vorsitzenden der "Tugendpartei", Recai KUTAN, gegründete "Saadet Partisi" (SP - "Partei der Glückseligkeit"), in der sich die "Traditionalisten" wiederfinden, die sich zur Milli-Görüs-Ideologie und deren Begründer ERBAKAN bekennen. Die zweite Nachfolgepartei stellt die - im August 2001 vom ehemaligen Istanbuler Oberbürgermeister und früheren Anhänger der FP, Recep Tayyip ERDOGAN gegründete - "Adalet ve Kalkinma Partisi" (AKP - "Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei") dar, die als politisches Lager der "Erneuerer" gilt. Zwischen IGMG, Necmettin ERBAKAN und der SP bestehen, wie bei den anderen früher von ERBAKAN geführten Parteien, enge inhaltliche und personelle Verbindungen. In einem Interview mit dem damaligen IGMG-Generalsekretär, Mehmet Sabri ERBAKAN, einem Neffen von Necmettin ERBAKAN, erwiderte dieser auf die Bemerkung eines Journalisten, N. ERBAKAN werde regelmäßig in der "Milli Gazete" als "Führer" von Milli Görüs bezeichnet und sei anlässlich der IGMG-Jahreshauptversammlung als solcher gefeiert worden, sein Onkel sei der "Führer dieser geistigen Bewegung".353 Necmettin ERBAKAN sowie Abgeordnete der SP und ihrer Vorgänger nehmen häufig an Veranstaltungen der IGMG in Europa teil. So traten an dem "Tag der Freundschaft und Solidarität", den die IGMG 2002 in Arnheim / Niederlande veranstaltete, nicht nur Necmettin ERBAKAN, sondern auch die ehemalige Istanbuler Abgeordnete der "Tugendpartei", Merve Safa KAVAKCI, und der SP-Abgeordnete Temel KARAMOLLAOGLU als Redner auf.354 Darüber hinaus sind Funktionäre der IGMG in Ämter der islamistischen Parteien ERBAKANs in Ankara gewählt worden. 1995 kandidierten 33 Mitglieder der damaligen AMGT für ein Mandat der Wohlfahrtspartei. Drei von ihnen gelang der Einzug ins Parlament: Sevket YILMAZ, ehemaliges Mitglied des Exekutiv-Komitees der AMGT, Abdullah GENCER, früher stellvertretender Vorsitzender der AMGT sowie Osman YUMAKOGULLARI, der bis 1995 langjähriger Vorsitzender der Milli Görüs in Deutschland war und gleichzeitig als Verantwortlicher der Deutschlandausgabe der Milli Gazete fungierte.355 353 "die tageszeitung", 3.8.2000. 354 "Milli Görüs & Perspektive", 7/8/2002, S. 17. 355 Vgl. dazu Günter Seufert, Die Milli-Görüs-Bewegung (AMGT/IGMG). Zwischen Integration und Isolation, in: Günter Seufert und Jacques Waardenburg, Turkish Islam and Europe - Türkischer Islam und Europa, Stuttgart/Istanbul 1999, S. 296. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 223 Osman YUMAKOGULLARI kandidierte bei den Wahlen zum türkischen Parlament am 3. November 2002 auf der Liste der SP. Die IGMG präsentiert sich - insbesondere seit den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 - in ihren offiziellen Verlautbarungen als eine auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehende Organisation, die sich für den Dialog zwischen türkischen Muslimen und der deutschen Gesellschaft einsetzt. Von der islamistischen "Milli Görüs"-Ideologie ERBAKANs hat sie sich bislang nicht distanziert. Die IGMG ist die größte islamistische Organisation in Deutschland, die durch Mitgliedsbeiträge und Spenden über erhebliche finanzielle Mittel verfügt. Dies ermöglicht es ihr, eine Vielzahl von Aktivitäten anzubieten. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Erziehungsund Bildungsarbeit für Kinder und Jugendliche. Sefer AHMEDOGLU, ein für die IGMG tätiger Imam führte hierzu in der "Milli Gazete" aus: "Einige unserer Brüder erwerben Häuser und Wohnungen, die weit von den Moscheen entfernt sind. Auf diese Weise vernachlässigen sie den Besuch der Gemeinde. [...] Sie selbst verlieren langsam das Interesse an der Gemeinde. Weil sie in weiter Entfernung zu den Moscheen wohnen, müssen ihre Töchter und Söhne muslimische Freunde und das muslimische Umfeld entbehren. [...] Sie sind gezwungen, Freundschaften mit Personen einzugehen, die nicht zu ihrem Glauben und zu ihrer Mentalität passen. Deswegen mache ich eindringlich darauf aufmerksam, dass Muslime unbedingt in der Nähe von Moscheen wohnen sollten. Sie sollten sich in einem islamischen Umfeld aufhalten und sich nicht von den Moscheen und Gemeinden entfernen. Wir haben damit viel Erfahrung. Wenn wir dieser Situation keine besondere Aufmerksamkeit schenken, stehen wir der großen Gefahr gegenüber, unsere [junge] Generation und unseren Glauben zu verlieren. [...]"356 Die zahlreichen Angebote sowie die Mitarbeit in islamischen Dachverbänden nutzt die IGMG auch für ihr Bestreben, hinsichtlich der Interessenvertretung der in Deutschland lebenden türkischen Muslime eine Vorrangstellung einzunehmen. Im Oktober 2002 trat der Vorsitzende des IGMG-Hauptverbandes, Mehmet Sabri ERBAKAN, von seinem Amt zurück. Dieser Schritt, die deutliche Niederlage der SP von Necmettin ERBAKAN bei den türkischen Parlamentswahlen vom 3. November 2002 sowie der Wahlsieg der Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei (AKP) von Recep Tayyip ERDOGAN357 lösten in der IGMG in Deutschland eine Krise aus. Dies wird deutlich an vermehrt auftretenden Berichten über einen Mitgliederrückgang sowie die abnehmende Bereitschaft der IGMG-Mitglieder, weiterhin große Geldbeträge für den Verband bzw. vor 356 "Milli Gazete", 27.12.2002. S. 15. 357 Von ehemals 15,4 % vor der Spaltung der islamistischen Partei sank das Ergebnis der SP auf 2,5 %. Die AKP erhielt dagegen 34,2 % der Wählerstimmen. 224 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 allem für Necmettin ERBAKAN in der Türkei zu spenden.358 In Beiträgen des Diskussionsforums der IGMG im Internet kritisieren Anhänger die Organisationsstruktur des Vereins als hierarchisch und wenig transparent. Die Führungsebenen würden die Bedürfnisse der Basis nicht kennen und sich auch nicht für sie interessieren. Mit Yavuz Celik KARAHAN359 wurde zwar inzwischen ein Nachfolger für das Amt des Vorsitzenden gefunden; die Krise des Verbandes ist damit jedoch nicht beendet. Viele IGMG-Mitglieder zeigen derzeit große Sympathie für die AKP und Recep Tayyip ERDOGAN, zumal sie als Regierungspartei über viele Ressourcen verfügt. Necmettin ERBAKAN ist deshalb bemüht, unter türkischen Islamisten sowohl in der Türkei als auch in Deutschland für sich und die SP wieder Terrain zurückzugewinnen. Dies geschieht in Deutschland über in der "Milli Gazete" angekündigte große Veranstaltungen der IGMG, zu denen hohe Funktionäre der Partei Necmettin ERBAKANs gesandt werden. Die Veranstaltungen nutzen sie als Forum, um über die Erfolge des Führers der "Milli Görüs" und seine SP zu referieren. 4.4.2 "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti") Organisationsstruktur: Vereine Entstehung/Gründung: 1984 Mitgliederzahl: 800 bundesweit (2002: 1 100), Berlin keine gesicherten Zahlen Sitz in Deutschland: Köln; die Organisation wurde am 12. Dezember 2001 vom Bundesminister des Innern verboten Publikationen: "Beklenen ASR-I SAADET" ("Das erwartete Zeitalter der Glückseligkeit"), "Der Islam als Alternative" Der "Kalifatsstaat" ist eine islamistische Organisation, die sich 1984 unter der Leitung von Cemaleddin KAPLAN zunächst mit der Bezeichnung "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln" (ICCB) von der "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V." (AMGT)360 abgespalten hat. Sowohl der damalige ICCB als auch AMGT strebten für die Türkei eine Staatsordnung auf Grundlage der Scharia an. Grundlegender Unterschied zwischen beiden Organisationen und gleichzeitiger Anlass für die Abspaltung der so genannten "Kaplancilar" (Kaplan-Anhänger) war hierbei die Frage, auf welchem Weg die Gründung eines "islamischen Staates" zu realisieren sei. 358 Vgl. dazu z. B. folgende Artikel in der "Hürriyet": "Milli Görüs in Tayyip Panik" vom 15.9.2002, "IGMG löst sich auf" vom 22.9.2002 und "Ihr müsst Geld schicken" vom 11.4.2003. 359 Der Vorsitzende der IGMG firmiert in der Öffentlichkeit unter Yavuz Celik Karahan. Im Vereinsregister ist er unter dem Namen Osman Döring eingetragen. 360 Heute IGMG. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 225 Während die AMGT den gewaltfreien, parlamentarischen Weg einschlug, sprach sich KAPLAN ausdrücklich für eine "islamische Revolution" nach dem Vorbild des Iran aus. Im Zuge einer "islamischen Revolution" sollte das - 1924 in der neu gegründeten türkischen Republik abgeschaffte - Kalifat, das Amt des weltlichen Oberhauptes der Muslime, wieder eingeführt werden. Den legalen Weg zur Macht über demokratische Wahlen lehnte KAPLAN hierbei entschieden ab, da westliche Demokratiemodelle nicht mit der Scharia vereinbar seien. Seinen Vorstellungen zufolge sollte sich der zu gründende islamische Staat zunächst auf das Gebiet der heutigen Türkei beschränken, später aber alle muslimischen Länder unter der Herrschaft eines türkischen Kalifen vereinen. Als selbsternannter "Emir der Gläubigen und stellvertretender Kalif" rief Cemaleddin KAPLAN 1992 den "Föderativen Islamstaat Anatolien" aus. 1994 ließ er sich von seinen Anhängern zum Kalifen wählen, worauf die Umbenennung der Organisation in "Hilafet Devleti" ("Kalifatsstaat") erfolgte. Nach dem Tod Cemaleddin KAPLANs im Jahr 1995 trat sein Sohn Metin die Nachfolge im Amt des "Kalifen" an. Kurze Zeit danach wurde die Rechtmäßigkeit des neuen "Kalifen" von einigen Anhängern der Gemeinde in Frage gestellt. 1996 kam es zur Spaltung der Organisation, als der Berliner Arzt und frühere Vertraute von Cemaleddin KAPLAN, Dr. Halil Ibrahim SOFU, von seiner Anhängerschaft zum "Gegenkalifen" ausgerufen wurde. Im Mai 1997 wurde SOFU in seiner Wohnung in Wedding von Unbekannten erschossen. In diesem Zusammenhang wurde Metin KAPLAN am 15. November 2000 vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen zweifacher öffentlicher Aufforderung zur Ermordung SOFUs zu vier Jahren Haft verurteilt. Nach der Verhaftung von Metin KAPLAN übernahm Harun AYDIN die Leitung des Verbandes, wobei das ideologische Konzept Cemaleddin KAPLANs beibehalten und die aggressive, demokratiefeindliche und antisemitische Agitation fortgeführt wurden. Am 12. Dezember 2001 hat der Bundesminister des Innern den "Kalifatsstaat" verboten. Das Verbot wurde durch die Streichung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz möglich.361 Begründet wurde das Verbot damit, dass sich der "Kalifatsstaat" offen gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland sowie den Gedanken der Völkerverständigung richtet und die innere Sicherheit sowie außenpolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.362 Das Verbot betraf den Gesamtverband und 19 bun361 Erstes Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes, BGBl. I, Nr. 64, 2001, S. 3319. 362 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres: Verfassungsschutzbericht 2001. Berlin 2002, S. 79 ff. 226 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 desweit vorhandene Teilorganisationen sowie die zum Verband gehörende, in den Niederlanden registrierte Stiftung "Diener des Islam". In Berlin war u. a. die Muhacirin-Moschee in Friedrichshain-Kreuzberg von den Maßnahmen betroffen. Nach der Verbotsverfügung gab es Hinweise, dass Mitglieder der Gruppierung weiterhin aktiv seien und ihr organisatorischer Zusammenhalt aufrechterhalten werde. Anlass zu dieser Annahme gaben weitere Veröffentlichungen der Zeitung "Ümmet-i Muhammed" ("Die Gemeinde Muhammads") und die Fortsetzung der Sendungen des Fernsehkanals HAKK-TV nach dem 8. Dezember 2001.363 Aus diesem Grund leitete der Generalbundesanwalt am 8. April 2002 ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Angehörige des "Kalifatsstaats" wegen des Verdachts der Zuwiderhandlung gegen das Vereinsverbot ein. Im Zuge dieses Verfahrens wurden am 19. September 2002 16 weitere Teilorganisationen dieser Gruppierung in Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen verboten. Der Hauptverband sowie fünf Teilorganisationen hatten Klage gegen das Vereinsverbot erhoben, das daraufhin vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt wurde.364 Die Beschwerde des "Kalifatsstaats" gegen dieses Urteil wurde vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen.365 Metin KAPLAN selbst wurde nach Ablauf seiner 4-jährigen Haftstrafe Ende März 2003 in Auslieferungshaft genommen. Grundlage hierfür waren zwei Haftbefehle, die von der türkischen Justiz vorgelegt worden waren. Darin wird KAPLAN vorgeworfen, 1998 während der Feierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen der Republik Türkei einen Anschlag auf die am Atatürk-Mausoleum in Ankara versammelte Staatsspitze geplant zu haben. Darüber hinaus wird ihm zur Last gelegt, im Mai 1998 in einer Kölner Sporthalle zum Jihad und zum Umsturz der türkischen Regierung aufgerufen zu haben. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Auslieferung von KAPLAN für unzulässig erklärt, da die Verwertung polizeilich erpresster Aussagen zu befürchten und ein rechtsstaatliches Verfahren in der Türkei nicht gesichert sei.366 KAPLAN wurde daraufhin am gleichen Tag aus der Auslieferungshaft entlassen. Das Bundesinnenministerium verhandelt seitdem mit der türkischen Regierung über zusätzliche Vereinbarungen, um eine Abschiebung Metin KAPLANs zu ermöglichen. 363 In beiden Fällen handelt es sich um die vormaligen Verlautbarungsorgane des "Kalifatsstaats". 364 BVerwG 6 A 4.02 vom 27.11.2002. 365 BVerfG 1 BvR 536/03 vom 2.10.2003. 366 OLG Düsseldorf 4 Ausl (A) 308/02 - 147, 203-204/03 III vom 27.5.2003. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 227 Trotz der - durch die Ereignisse der letzten Jahre bedingten - Verunsicherung der Mitglieder des "Kalifatsstaats" sind Teile der Anhängerschaft weiterhin aktiv. Am 17. Juli durchsuchte die Polizei auf Beschluss des Amtsgerichts Köln Räumlichkeiten, die von Anhängern des "Kalifatsstaats" genutzt wurden. Das Weltbild und die politischen Ziele dieser islamistischen Gruppierung haben sich nicht geändert. Aufschluss hierüber geben das deutschsprachige Monatsmagazin "Der Islam als Alternative" (DIA)367 und insbesondere die wöchentlich publizierte "Beklenen Asr-i Saadet"368 ("Das erwartete Zeitalter der Glückseligkeit"). Diese nach dem Vereinsverbot gegründeten Zeitschriften werden in den Niederlanden hergestellt und von dort aus auch nach Deutschland versandt.369 4.4.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) Organisationsstruktur: Funktionärsgruppe Entstehung/Gründung: 1994 (in der Türkei) Mitgliederzahl: 600 bundesweit (2002: 600), 25 in Berlin (2002: 25) Publikationen: "Yeniden Atilim" ("Neuer Vorstoß"), erscheint wöchentlich "Partinin Sesi" ("Stimme der Partei"), erscheint zweimonatlich Ziel der "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) ist die Errichtung eines kommunistischen Gesellschaftssystems in der Türkei auf der Basis der Ideologie des Marxismus-Leninismus. Hierbei versteht sich die Organisation als die authentische Stimme des Proletariats einer gemeinsamen türkisch-kurdischen Nation sowie als Vertreterin nationaler Minderheiten. In der Türkei versucht die MLKP, ihre politischen Ziele auch mit terroristischen Mitteln durchzusetzen. Hierzu bedient sie sich ihres militärischen Arms, der so genannten "Bewaffneten Streitkräfte der Armen und Unterdrückten" (FESK). Am 2. August kam es in Ankara beim Entschärfen einer Bombe zu einer Explosion, bei der 17 Polizisten teils schwer verletzt wurden. Nach Angaben der türkischen Presse bekannte die MLKP sich zu diesem Attentat.370 367 Die DIA gibt sich im Vergleich zu früheren Publikationen des Verbandes gemäßigter, um damit ein breiteres, auch deutsches Publikum zu erreichen. Trotzdem ist die Nähe zum "Kalifatsstaat" unübersehbar. Regelmäßig abgedruckte Beiträge des verstorbenen Cemaleddin Kaplan sowie seines Sohnes Metin Kaplan und die Berichterstattung über den Verband sind deutliche Hinweise darauf. 368 Die oben erwähnte Zeitung "Ümmet-i Muhammed" erscheint seit Beginn des Jahres 2002 nicht mehr. Statt ihrer wird seitdem wöchentlich die Zeitung "Beklenen Asr-i Saadet" publiziert. Sowohl in Anbetracht ihres Inhalts als auch nach ihrem Layout ist davon auszugehen, dass mit der Herausgabe der Zeitung "Beklenen Asr-i Saadet" die Zeitung "Ümmet-i Muhammed" fortgeführt wird. 369 Vgl. S. 120. 370 "Hürriyet", 2.8.2003, S. 1 und 8. 228 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 In Deutschland liegt der Agitationsschwerpunkt der MLKP auf öffentlichen Veranstaltungen, die sich thematisch hauptsächlich auf aktuelle Ereignisse in der Türkei beziehen. Auf Spruchbändern und Flugblättern wird dabei anstelle der Bezeichnung MLKP meist der Begriff "Föderation der ArbeitsimmigrantInnen aus der Türkei in Deutschland" (AGIF) verwendet. Bei der AGIF handelt es sich um einen Dachverband MLKP-orientierter Vereine in Deutschland, dessen Programmatik sich gegen "Imperialismus" und "Globalisierung" richtet. Auch in Berlin agierte die MLKP im Jahr 2003 auf zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen, die ohne Störungen verliefen. Hierzu gehört unter anderem die Teilnahme an der "Luxemburg-Liebknecht-Demonstration" am 12. Januar und an einer Demonstration zum "Revolutionären 1. Mai".371 4.4.4 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Organisationsstruktur: konspirativ arbeitende Kaderorganisation, in Deutschland seit 1998 verboten Entstehung/Gründung: 1994 Mitgliederzahl: 850 bundesweit (2002: 850), 70 in Berlin (2002: 70) Publikationen: "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke"), erscheint unregelmäßig "Ekmek ve Adalet" ("Brot und Gerechtigkeit"), erscheint wöchentlich Die miteinander rivalisierenden Organisationen "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) und "Türkische Volksbefreiungspartei / -Front - Revolutionäre Linke" (THKP/-C - Devrimci Sol) sind aus der 1978 in der Türkei gegründeten Organisation "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") hervorgegangen, die 1983 in Deutschland verboten wurde. Beide Organisationen sind in der Türkei terroristisch aktiv und streben die Beseitigung des türkischen Staatsgefüges und die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Ideologie an.372 Die DHKP-C ist auch unter den Namen "Revolutionäre Volksbefreiungspartei" (DHKP) bzw. "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" (DHKC) aktiv. Obwohl die DHKC gelegentlich als "bewaffneter Arm" der Organisation bezeichnet wird, ist oft nicht klar zu erkennen, nach welchem Prinzip die jeweilige Bezeichnung verwendet wird. Laut Parteiprogramm kämpft die DHKP-C für die "Befreiung der türkischen und kurdischen Nation und aller anderen Nationen". Die DHKP-C geht davon 371 Vgl. S. 87 ff. 372 Vgl. S. 130 ff. Hintergrundinformationen - Ausländerextremismus 229 aus, dass es in einem vom "Imperialismus" abhängigen und vom "Faschismus" regierten Land wie der Türkei unmöglich sei, die Machtverhältnisse durch Wahlen zu verändern. Daher plädiert sie für einen radikalen Umsturz des dortigen politischen Systems in Form einer "Revolution" und des "bewaffneten Volkskampfes". Personen, deren Aktivitäten gegen die "Revolution" gerichtet seien, droht die DHKP-C eine "gnadenlose Bestrafung" an. Nachdem 2002 keine terroristischen Aktionen türkischer Linksextremisten zu verzeichnen waren, verübte die DHKC in der Türkei allein zwischen April und August 2003 sechs Bombenattentate. Diesbezügliche Selbstbezichtigungen der Organisation erscheinen jeweils zeitnah im Internet und sind sogar in deutscher Übersetzung verfügbar. In Deutschland engagiert sich die DHKP-C seit November 2000 in Form von öffentlichen Solidaritätskundgebungen für die Hungerstreikenden in den türkischen Gefängnissen.373 In diesem Zusammenhang führte die Organisation 2003 auch in Berlin Protestkundgebungen durch. 4.4.5 "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) Organisationsstruktur: konspirativ arbeitende Kaderorganisation Entstehung/Gründung: 1972 in der Türkei, in Deutschland seit 1973/74 Mitgliederzahl: 1 500 bundesweit (2002: 1 500), 100 in Berlin (2002: 100) Publikationen: "Özgür Gelecek" ("Freie Zukunft"), erscheint zweiwöchentlich "Isci Köylü Kurtulusu" ("Arbeiterund Bauernbefreiung"), erscheint zweimonatlich Die "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) ist seit 1994 in zwei Flügel gespalten. Der "Partizan"-Flügel verfügt über bewaffnete Einheiten, die die Bezeichnung "Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO) tragen. Der zweite Flügel - bis Dezember 2002 unter dem Namen "Ostanatolisches Gebietskomitee" (DABK) aktiv - ist die "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP), deren bewaffnete Einheiten heute als "Volksbefreiungsarmee" (HKO) agieren. Beide Flügel sind marxistisch-leninistisch sowie maoistisch orientiert und streben die gewaltsame Beseitigung der staatlichen Ordnung in der Türkei an, um dort ein kommunistisches Gesellschaftssystem zu errichten. 373 Vgl. auch Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre. Die DHKP-C ist die einzige türkische linksextremistische Organisation, deren Mitglieder weiterhin versuchen, ihre politischen Ziele durch Hungerstreikaktionen durchzusetzen. 230 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Die Organisationen verüben unabhängig voneinander Anschläge gegen den türkischen Staat und führen einen Guerillakampf gegen die als "faschistisch"374 bezeichneten Streitkräfte der Türkei. Bei einem Gefecht am 26. Juni 2003 im türkischen Tokat wurden dabei zwei Mitglieder der HKO getötet. Die TKP/ML arbeitet verdeckt und unterhält in Deutschland und in anderen europäischen Ländern mehrere Basisorganisationen. Zum Partizan-Flügel gehören die Organisationen "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V" (ATIF) und die "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" (ATIK). Die MKP ist über die Dachorganisationen "Föderation für demokratische Rechte in Deutschland" (ADHF) und "Konföderation für demokratische Rechte in Europa" (ADHK) vertreten. Auch in diesem Jahr war die TKP/ML in der deutschen Öffentlichkeit aktiv. Bei einem Kulturfestival der ADHF am 16. / 17. Mai 2003 in Frankfurt / Main kam es zu einer Massenschlägerei mit etwa 100 Beteiligten, bei der die Polizei einschreiten musste. In Berlin beteiligten sich wie schon in früheren Jahren beide Flügel der TKP/ML an einer Demonstration zum "Revolutionären 1. Mai".375 374 Pressemitteilung der MKP Nr. 3, 28.6.2003. 375 Vgl. S. 87 ff. Hintergrundinformationen 231 232 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 III VERFASSUNGSSCHUTZ BERLIN 1 Grundlagen - Strukturen - Arbeitsweisen 1.1 Aufbau und Ressourcen Verfassungsschutzbehörde für das Land Berlin ist die Senatsverwaltung für Inneres. Die Aufgaben werden durch die Abteilung Verfassungsschutz wahrgenommen. Diese gliedert sich in vier Referate: Abteilung II - Verfassungsschutz - Abteilungsleiterin Referat II A Referat II B Referat II C Referat II D Grundsatz, Recht, Rechtsextremismus, AusländerextremisBeschaffung Öffentlichkeitsarbeit, Linksextremismus mus, Verwaltung, Spionageabwehr, Informationstechnik Geheimschutz Für die Aufgaben des Verfassungsschutzes standen im Jahr 2003 Haushaltsmittel in Höhe von 8,2 Mio. EUR zur Verfügung (2002: 6,5 Mio. EUR). Der Abteilung waren 182 Stellen zugewiesen (2002: 184). 1.2 Gesetzliche Grundlagen zu den Aufgaben und Befugnissen Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist hinsichtlich der Aufgabenstellungen, der Befugnisse und der Kontrollverfahren detailliert gesetzlich festgeschrieben. Von Bedeutung sind hier: * das Grundgesetz (GG), Artikel 73 und 87, * das Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln)376, 376 GVBl. Nr. 28 vom 21.7.2001, S. 235. Der vollständige Gesetzestext ist im Anhang abgedruckt. Verfassungsschutz Berlin 233 * das Gesetz zur Beschränkung des Postund Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) 377 sowie * das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz und zur Änderung des Verfassungsschutzes Berlin378, * das Terrorismusbekämpfungsgesetz des Bundes379, * das Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz380. Das Grundgesetz Im Grundgesetz ist im Artikel 87 Abs. 1 die Schaffung einer "Zentralstelle zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes" festgelegt. Dem Bund wird gleichzeitig die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zugewiesen (Art. 73). Das Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln) Die Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde Berlin sind in SS 5 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln) geregelt. Danach werden Informationen gesammelt und ausgewertet über * Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, * sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, * Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. 377 BGBl. I , S. 1254ff. vom 26. Juni 2001, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. August 2002 (BGBl. I, S. 3390, 3391) 378 GVBl. Nr. 44 vom 12.12.2003, S. 571 ff. Der vollständige Gesetzestext ist im Anhang abgedruckt. 379 BGBl. Teil I, S. 361, Jahrgang 2002. 380 GVBl. Nr. 28 vom 21.7.2001, S. 243. Der vollständige Gesetzestext ist im Anhang abgedruckt. 234 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Das Gesetz zur Beschränkung des Postund Fernemeldegeheimnisses Das Gesetz zur Beschränkung des Postund Fernmeldegeheimnisses legt die Voraussetzungen fest, unter denen Telefon und Post überwacht werden dürfen. Demnach darf die Überwachung nur erfolgen, * wenn es erforderlich ist, um drohende Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes abzuwehren, * wenn Anhaltspunkte für bestimmte schwerwiegende Straftaten - z. B. geheimdienstliche Agententätigkeit oder Bildung einer terroristischen Vereinigung - vorliegen, * wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert ist. Die Überwachung unterliegt einem umfassenden Genehmigungsverfahren, in dem der Senator für Inneres die einzelnen Maßnahmen anordnet. Zusätzlich ist die Zustimmung der so genannten G-10-Kommission erforderlich. Die Genehmigung der Maßnahmen ist jeweils auf eine Dauer von drei Monaten befristet, danach ist eine Verlängerung in gleicher Weise wie vorstehend beschrieben erforderlich. Das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz und zur Änderung des Verfassungsschutzgesetzes Berlin Am 13. Dezember 2003 ist das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz und zur Änderung des Verfassungsschutzgesetzes Berlin in Kraft getreten. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 14. Juli 1999381 dem Gesetzgeber Auflagen zur Neuregelung der strategischen Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst und grundlegende Ausführungen zum Grundrecht auf Telekommunikationsfreiheit gemacht. Die Bundesregierung hat daraufhin die Durchführung von Beschränkungsmaßnahmen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses neu geregelt. Mit der Neufassung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) vom 26. Juni 2001 hat sich die Notwendigkeit ergeben, für den Berliner Verfassungsschutz das Gesetz zur Ausführung dieses Artikel 10-Gesetzes zu überarbeiten. Mit der Neufassung des Gesetzes wird die Position der G 10-Kommission des Landes Berlin nachhaltig gestärkt. Es wird klargestellt, dass nicht nur die 381 BVerfGE 100, 313 ff. Verfassungsschutz Berlin 235 ministerielle Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen, sondern der gesamte Prozess der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Daten der Kontrolle der G 10-Kommission unterliegen. Dabei wird der datenschutzrechtliche Standard den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts folgend und in Anlehnung an das Artikel 10-Gesetz des Bundes deutlich erhöht. Die Änderung des Verfassungsschutzgesetzes Berlin setzt die neuen Regelungen des Bundesgesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 1. Januar 2002 in die Landesgesetzgebung um. Das Bundesgesetz sieht in Artikel 1 - zunächst bis zum 10. Januar 2007 befristete - Änderungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes vor. Diese Änderungen haben auch Auswirkungen auf die Tätigkeit der Landesbehörden für Verfassungsschutz. Das Bundesamt für Verfassungsschutz erhält neue Befugnisse im Bereich der Informationserhebung, die den Landesbehörden nur dann zustehen sollen, wenn der Landesgesetzgeber eine ausreichende parlamentarische Kontrolle sicherstellt. Damit der Verfassungsschutz Berlin die neuen Befugnisse in Anspruch nehmen kann, war die Überarbeitung des Berliner Verfassungsschutzgesetzes notwendig. Die im Terrorismusbekämpfungsgesetz des Bundes für das Bundesamt für Verfassungsschutz geregelten Befugnisse - dabei handelt es sich um die Möglichkeit, Ersuchen an Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsanbieter und Kreditinstitute zu richten - sind für die Landesbehörden für Verfassungsschutz erforderlich, um Finanzierungsströme aufzudecken oder Netzwerke von Extremisten erkennen und beobachten zu können. Die vorliegende Landesregelung beschränkt die Auskunftsersuchen auf gewalttätige, insbesondere terroristische Bestrebungen. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit entsprechender Ersuchen an hohe formelle Voraussetzungen geknüpft. Neben diesen neuen Befugnissen wurde die Zuständigkeit des Berliner Verfassungsschutzes auf Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind, erweitert. Das Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz Auf der Basis des Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetzes wirkt die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen der zuständigen öffentlichen Stellen mit bei der Sicherheitsüberprüfung382 382 Vgl. S. 146 ff. 236 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 * von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können und * von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen. Weiterhin wirkt sie mit * bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. Durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz ist auch die Informationsübermittlung des Bundesamtes für ausländische Flüchtlinge an das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie die Informationsübermittlung der Ausländerbehörden an die Landesämter geregelt worden. Darüber hinaus können sich die Ausländerbehörden (SS 64a AuslG) vor der Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltsgenehmigungen zur Feststellung von Versagungsgründen an die Sicherheitsbehörden wenden. 1.3 Arbeitsweisen Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, den Senat und das Abgeordnetenhaus, andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu unterrichten. Hierfür werden offen und verdeckt Informationen über extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen gesammelt. Der Verfassungsschutz erhält einen hohen Anteil seines Informationsaufkommens aus allgemein zugänglichen Quellen. Hierunter fallen z. B. frei erhältliche Publikationen, Beiträge elektronischer Medien aber auch Erkenntnisse aus öffentlichen Veranstaltungen von beobachteten Gruppierungen. Ein weiterer Teil der Informationen beruht auf Angaben anderer Behörden oder auf freiwilligen Auskünften von Personen. Schließlich werden Informationen durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gewonnen. Nachrichtendienstliche Mittel dürfen nach den Bestimmungen des VSG Bln in Fällen eingesetzt werden, in denen sich verfassungsfeindliche Bestrebungen unter weitgehend konspirativer Abschottung und Geheimhaltung entfalten und sich anderweitig keine Informationen gewinnen lassen. Gemäß den Vorgaben des VSG Bln soll der Einsatz dieser Mittel nur erfolgen, wenn sie erkennbar im Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Verfassungsschutz Berlin 237 Sachverhalts stehen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel kommt deshalb erst dann in Betracht, wenn die anderen Mittel der Nachrichtenbeschaffung erschöpft sind, d. h. wenn die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählen insbesondere der Einsatz von Vertrauenspersonen (so genannten V-Personen, die aus Beobachtungsobjekten berichten), die Observation sowie die Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs, deren besonders enge rechtliche Voraussetzungen im Gesetz zu Artikel 10 GG383 geregelt sind. Die Informationsbeschaffung durch V-Personen ist ein Kernbereich nachrichtendienstlicher Arbeit, der in einem außerordentlichen Spannungsfeld steht: Auf der einen Seite bedarf es des Schutzes unserer freiheitlichen Demokratie, auf der anderen Seite der Beschaffung von Informationen durch Mitglieder extremistischer Organisationen. So sind V-Personen Privatpersonen, die in der Regel der zu beobachtenden verfassungsfeindlichen Organisation angehören oder ihr nahe stehen. Sie berichten über deren Strukturen und Aktivitäten. Ihr Einsatz ermöglicht es dem Verfassungsschutz, auch "hinter die Fassade" zu blicken und fundierte Einschätzungen gegenüber Politik und Öffentlichkeit abzugeben. Der Gesetzgeber hat dieses Mittel der Informationsbeschaffung den Verfassungsschutzbehörden ausdrücklich zugewiesen. Aufgrund der besonderen Sensibilität der Maßnahme sind dem Einsatz von V-Personen aber enge rechtsstaatliche Grenzen gesetzt, die sich sowohl aus den einschlägigen Gesetzen als auch aus internen Dienstvorschriften ergeben. So dürfen Aufträge an V-Personen nicht weiter gehen als die gesetzlichen Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden. Sie dürfen keinen steuernden Einfluss auf die Organisation, der sie angehören, ausüben. V-Personen sind auch keine "Agents provocateurs" - sie dürfen nicht zu Straftaten anstiften. V-Personen geben die Informationen, die sie erhalten haben, aus freien Stücken weiter. Außer ihren Prämien für Informationen bekommen sie keine weiteren Vergünstigungen. Voraussetzung beim Einsatz von V-Personen ist die Vertraulichkeit. Deshalb wird die Identität einer V-Person und ihre Verbindung zum Verfassungsschutz besonders geschützt. Auch ihre Informationen werden nur dann offen genutzt, wenn ein Rückschluss auf den Informationsgeber nicht möglich ist (so genannter Quellenschutz). 383 BGBl. Teil I, 2001, S. 1254 ff.; BGBl. Teil I, 2002, S. 361, 364. 238 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Die Verfassungsschutzbehörde ist berechtigt, zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben personenbezogene Daten zu erheben und zu verarbeiten. Als bundesweite Hinweisdatei existiert für die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder das "Nachrichtendienstliche Informationssystem" (NADIS). Hierüber ist es möglich abzufragen, ob und für welchen Aufgabenbereich eine Person bei einer Verfassungsschutzbehörde erfasst ist. Hinweise auf den Hintergrund der Speicherung sowie den Inhalt und Umfang der zugrunde liegenden Informationen lassen sich daraus nicht erkennen. Die Speicherungsgrundlagen sowie die Speicherungsdauer sind im VSG Bln geregelt.384 Für Berlin waren Ende 2003 15 960 Datensätze im NADIS gespeichert (2002: 15 839). Rund 60 Prozent entfallen dabei auf Sicherheitsüberprüfungen, die übrigen verteilen sich auf die Aufgabenbereiche Spionageabwehr, Ausländer-, Rechtsund Linksextremismus. 384 VSG Bln SSSS 11 - 17. Verfassungsschutz Berlin 239 1.4 Kontrollinstanzen Die Verfassungsschutzbehörde unterliegt bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben einer weitgehenden Kontrolle auf mehreren Ebenen: Öffentliche Kontrolle Revision Kontrollinstanz der durch Bürger und Leitung der Medien Senatsverwaltung für Inneres Datenschutz Allgemeine parlamentarische Beauftragter für Kontrolle durch das Datenschutz und Abgeordnetenhaus Informationsfreiheit Debatte, Aktuelle Abteilung Stunden, Kleine und VerfassungsGroße Anfragen, Petitionen schutz Gerichtliche Besondere Kontrolle parlamentarische Kontrolle durch VerwaltungsAusschuss für gerichte Verfassungsschutz/ ggf. Untersuchungsausschuss G10-Kommission Vertrauensperson Kontrolle von des Ausschusses Eingriffen in das Postfür Verfassungsschutz und Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG Nach SS 31 VSG Bln erteilt die Verfassungsschutzbehörde einer natürlichen Person auf Antrag Auskunft über die zu ihr gespeicherten Informationen, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Mit der Neufassung des SS 99 Absatz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch das "Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess" vom 20. Dezember 2001385 wurde das so genannte "in camera"385 BGBl. Teil I, S. 3987, Jahrgang 2001. 240 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Verfahren in die VwGO eingeführt. Verweigert die Senatsverwaltung für Inneres in einem Verwaltungsprozess die Vorlage von Akten unter Berufung auf deren Geheimhaltungsbedürftigkeit, sind diese Akten auf Antrag eines Prozessbeteiligten nunmehr einem eigens hierfür eingerichteten Fachsenat bei den Oberverwaltungsgerichten bzw. beim Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob die Vorlageverweigerung rechtmäßig war. In einem ersten in Berlin in einem Einbürgerungsverfahren durchgeführten "in camera"Verfahren hat das Oberverwaltungsgericht Berlin entschieden, dass die Vorlageverweigerung der Akten durch die Senatsverwaltung für Inneres rechtmäßig war.386 Die Beschwerde des Klägers gegen diese Entscheidung wurde inzwischen vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen.387 1.5 Öffentlichkeitsarbeit: Verfassungsschutz durch Aufklärung Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet neben dem Senat, dem Abgeordnetenhaus und Behörden auch die Öffentlichkeit über Gefahren für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung. Durch Pressearbeit, Publikationen und Veranstaltungen informiert sie über extremistische und terroristische Gruppierungen und analysiert deren Entwicklungen. Den umfassendsten Überblick über die einzelnen Beobachtungsfelder gibt der jährliche Verfassungsschutzbericht. Er informiert zudem über die Ideologien im Rechts-, Linksund Ausländerextremismus sowie über die wichtigsten in Berlin vertretenen extremistischen Gruppierungen. Mit einer Publikation über "Rechtsextremistische Skinheads" wurde 2003 die neue Studienreihe "Im Fokus" eröffnet. Nach einem historischen Abriss zur Entstehung der Szene beschäftigt sich die Broschüre mit der soziologischen Struktur und der Organisation von Skinheadgruppen. Sie beschreibt zudem die Einbindung von Skinheads in das rechtsextremistische Spektrum und zeigt Gegenmaßnahmen auf. Stark nachgefragt sind weiterhin die Broschüren "Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus" sowie "Verfassungsschutz - nehmen Sie uns unter die Lupe". Erstere informiert über Zeichen, die Rechtsextremisten als Ausdruck gemeinsamen Denkens aber auch zur Provokation gebrauchen. Letztere gibt einen Überblick über Rechtsgrundlagen, Arbeitsfelder und Vorgehensweisen des Verfassungsschutzes. 386 Beschluss OVG 95 A 1.2 vom 10.7.2002. 387 Beschluss BVerwG 20 F 5.03 vom 26.09.2003. Verfassungsschutz Berlin 241 Darüber hinaus bietet die Verfassungsschutzbehörde Vorträge zur Institution und zu den einzelnen Arbeitsfeldern Ausländerextremismus, Rechtsund Linksextremismus an. Die 21 Veranstaltungen im Berichtsjahr (2002: 21) richteten sich insbesondere an Vertreterinnen und Vertreter der Polizei, der Ordnungs-, Justizund anderen Verwaltungsbehörden des Landes, der Medien, an schulische und außerschulische Bildungseinrichtungen sowie Parteien und gesellschaftliche Gruppierungen. Die Reihe der Fachkonferenzen, die 2002 mit einem Workshop zur "Rechtsextremistischen Musik" begonnen hatte, wurde mit dem Symposium "Islamismus in Deutschland" im Oktober fortgesetzt. Die Veranstaltung fand mit über 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine große Resonanz und hatte ein breites Medienecho. Inhaltlich wurde zum einen der gewaltorientierte Islamismus beleuchtet, der insbesondere durch terroristisch operierende Gruppen wie das transnationale Netzwerk "al-Qaida" verkörpert wird; zum anderen ging es um gewaltfreie Erscheinungsformen, bei denen subtil auf die Errichtung islamistischer Parallelgesellschaften hingearbeitet wird. Innensenator Dr. Ehrhart KÖRTING führte hierzu aus: "Wir stehen an einer Wegemarke. Bisher haben wir in der Bundesrepublik alles toleriert, haben kulturelle Vielfalt und kulturelle Identität für jeden garantiert und gefordert. Wenn wir das weiterführen wollen - und ich halte das für alternativlos -, dann müssen wir wie bisher deutliche Grenzen zu denen ziehen, die kulturelle Vielfalt und kulturelle Identität verschiedener Bevölkerungsgruppen nicht erhalten, sondern letztlich zerstören wollen." Die Veranstaltung hat einen Beitrag zur differenzierten Auseinandersetzung mit dem Thema Islamismus geleistet, welches einen großen Stellenwert in der öffentlichen Diskussion hat. Der Verfassungsschutz will so zur Versachlichung der Diskussion beitragen. Auf der Homepage des Berliner Verfassungsschutzes (www.verfassungsschutz-berlin.de) finden Interessierte aktuelle Meldungen und allgemeine Informationen. Der Verfassungsschutzbericht und die Broschüren können online gelesen, als PDF-Dokument herunter geladen oder per E-Mail angefordert werden. Verfassungsschutz Berlin 243 244 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 IV ANHANG 1 Entwicklung Politisch motivierter Kriminalität in Berlin 2003 (Auszug aus dem Bericht des Polizeipräsidenten "Kriminalität in Berlin 2003") Kriminalpolizeilicher Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) Der KPMD-PMK gewährleistet die bundesweit einheitliche und systematische Erhebung und Darstellung der Politisch motivierten Kriminalität. Er bildet eine verlässliche Datenbasis für polizeiliche Auswertung und präventive wie repressive Maßnahmen, für kriminologische Forschung und kriminalpolitisches Handeln. Der KPMD-PMK ermöglicht die differenzierte Betrachtung der Politisch motivierten Kriminalität durch Angaben zur Deliktsqualität, zu Themenfeldern, Phänomenbereichen, internationalen Bezügen und extremistischen Ausprägungen. Die innerhalb der Phänomenbereiche gesondert abgebildete Politisch motivierte Gewaltkriminalität ist die Teilmenge der Politisch motivierten Kriminalität, die eine besondere Gewaltbereitschaft der Straftäter erkennen lässt. Sie umfasst folgende Deliktsbereiche: Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brandund Sprengstoffdelikte, Landfriedensbruch, gefährliche Eingriffe in den Schiffs-, Luft-, Bahnund Straßenverkehr, Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsund Sexualdelikte. Die verwendete Darstellungsgröße "Fallzahlen" bedeutet, dass jeder Lebenssachverhalt (gewaltsame Aktion bzw. Gesetzesverletzung) unabhängig von der Zahl der Tatverdächtigen jeweils nur als ein "Fall" gewertet wird (Grundsatz: derselbe Tatort, dieselbe Tatzeit, derselbe Tatentschluss = ein Fall). Wurde dabei gegen mehrere Rechtsbestimmungen verstoßen, zählt grundsätzlich nur der schwerer wiegende Straftatbestand. Mehrere Straftaten, die z. B. den Tatbestand des Landfriedensbruchs verwirklichen, sind bei unmittelbarem räumlichen Zusammenhang und unabhängig von der Zahl der Tatverdächtigen somit als ein Fall zu zählen. Dabei kann sich der räumliche Zusammenhang z. B. auf einen Platz oder eine Straße nebst benachbarter Nebenstraßen beziehen - obwohl mitunter zehn oder mehr Täter einen Stein warfen. Die Zahlen aus dem KPMD-PMK vereinen die Merkmale von Eingangsund Ausgangsdaten. Während im Rahmen einer so genannten Erstmeldung ein Delikt nach vorläufigem Erkenntnisstand erfasst und bewertet wird, kann sich diese Bewertung im Verlauf der Ermittlungen erheblich verändern. Wird etwa eine Tat zunächst als politisch motivierter Mord angenommen, kann sie nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen - also nach Klärung aller Tatumstände - im Rahmen der Anhang 245 so genannte Abschlussmeldung als eine gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge ohne politische Motivation bewertet werden. Die ursprünglich enthaltene Mordtat findet sich dann mangels politischer Motivation in den Fallzahlen nicht wieder. Vor diesem Hintergrund kann es auch im Jahresverlauf 2004 zu weiteren Veränderungen der Fallzahlen kommen. Gesamtzahlen Politisch motivierte Kriminalität in Berlin Terrorismus 2002 2003 Bildung terroristischer Vereinigungen SS 129 a StGB 0 7 Summe Terrorismus 0 7 Gewaltdelikte Tötungsdelikte SSSS 211 - 221 StGB 3 0 Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 90 108 Brandstiftung SSSS 306 - 306 f StGB 21 32 Sprengstoffexplosion SS 308 StGB 1 0 Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 65 52 Freiheitsberaubung SSSS 234 - 239 b StGB 1 0 Raub SSSS 249 - 255 StGB 4 5 Widerstandsdelikte (außer Gefangenbefreiung) SSSS 113 - 121 StGB 60 68 Summe Gewaltdelikte 245 265 Andere Straftaten Volksverhetzung SSSS 130 StGB 251 157 Propagandadelikte SSSS 86, 86 a StGB 1202 985 Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 163 184 Verunglimpfungen gemäß SSSS 90 - 90 b StGB 28 25 Straftaten gegen ausländische Staaten SSSS 102 - 104 StGB 18 10 Landesverrat SS 94ff StGB 0 2 Straftaten bei Wahlen u. Abstimmungen SSSS 107 - 108 e StGB 2 0 öffentliche Aufforderung zu Straftaten SS 111 StGB 17 10 Störung des öffentlichen Friedens SS 126 StGB 34 77 Nötigung / Bedrohung SSSS 240, 241 StGB 23 33 Hausfriedensbruch SSSS 123, 124 StGB 9 11 Belohnung / Billigung von Straftaten SS 140 StGB 3 3 Beleidigung / üble Nachrede / Verleumdung SSSS 185 - 189 StGB 105 106 Diebstahl / Unterschlagung SSSS 242, 246 StGB 3 4 Urkundenfälschung SS 267 StGB 3 0 Falschaussage / Meineid SSSS 153 - 163 StGB 1 0 Straftaten gg. Religion SSSS 166 - 168 StGB 1 0 Straftaten gg. Verfassungsorgane SSSS 105 - 108 e StGB 2 0 Vortäuschen einer Straftat SS 145 d StGB 1 0 Vorbereiten einer Sprengstoffexplosion SS 310 StGB 1 0 Widerstandsdelikte (hier: Gefangenenbefreiung) SSSS 120, 121 StGB 0 3 Missbrauch von Notrufen SS 145 StGB 0 1 Versammlungsgesetz 110 182 Waffengesetz 0 2 Vereinsgesetz 12 88 Telekommunikationsgesetz 1 1 Sprengstoffgesetz 1 0 Pressegesetz 0 1 Summe andere Straftaten 1 991 1 885 Gesamt 2 236 2 1571 1 Die Summe ergibt sich aus den Summen der PMK Links, Rechts, Ausländer und den "nicht zuzuordnenden" Fällen. 246 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Politisch motivierte Kriminalität - Rechts Fallzahlen KPMDPMK für Politisch motivierte Kriminalität - Rechts - (einschließlich antisemitischer und fremdenfeindlicher Straftaten) Gewaltdelikte 2002 2003 Tötungsdelikte SSSS 211 - 221 StGB 1 0 Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 44 55 Brandstiftung SSSS 306 - 306 f StGB 0 2 Sprengstoffexplosion SS 308 StGB 1 0 Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 1 3 Widerstandsdelikte SS 113 StGB 5 8 Raub SSSS 249 - 255 StGB 0 2 Summe Gewaltdelikte 52 70 Andere Straftaten Volksverhetzung SS 130 StGB 203 126 Nötigung/Bedrohung SSSS 240, 241 StGB 8 6 Propagandadelikte SSSS 86, 86 a StGB 626 672 Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 4 21 Verunglimpfungen gemäß SSSS 90 - 90 b StGB 2 0 Straftaten gegen ausländische Staaten SSSS 102 - 104 StGB 2 1 Störung des öffentlichen Friedens SS 126 StGB 5 3 Belohnung / Billigung von Straftaten SS 140 StGB 1 0 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten SS 111 StGB 0 2 Beleidigung / üble Nachrede / Verleumdung SSSS 185 - 189 StGB 44 38 Diebstahl / Unterschlagung SSSS 242ff, 246 StGB 0 1 Hausfriedensbruch SS 303 StGB 0 1 Versammlungsgesetz 1 3 Summe andere Straftaten 896 874 Gesamt 948 944 Der Politisch motivierten Kriminalität - Rechts - werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung (z. B. nach Art der Themenfelder) einer rechten Orientierung zuzurechnen sind, insbesondere wenn Bezüge zu - Völkischem Nationalismus, - Rassismus, - Sozialdarwinismus, - Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. Anhang 247 Langfristige Entwicklung der Fallzahlen Fallzahlen PMK - Rechts - 1998 1999 2000 2001 20021 20031 Antisemitisch 106 59 56 106 229 123 Fremdenfeindlich 89 68 70 84 138 150 Antisemitisch und nicht erf. nicht erf. nicht erf. nicht erf. 26 31 fremdenfeindlich Sonstige PMK -Rechts 315 111 207 265 555 640 Gesamt 510 238 333 455 948 944 1 Veränderte Bewertungskriterien in den Richtlinien des KPMD-PMK Hier macht sich die Fortentwicklung des Definitionssystems KPMD-PMK bemerkbar: In den Vorjahren erfolgte die Bewertung als antisemitisch bzw. fremdenfeindlich alternativ nach der überwiegenden Motivation des Täters. Seit 2002 ist eine kumulative Nennung beider Kriterien möglich. 930 der 944 Straftaten sind im Jahr 2003 als extremistisch bewertet worden (im Jahr 2002 waren es 876 von 948). * Antisemitische Straftaten (alle Straftaten als rechtsextremistische Kriminalität bewertet) Antisemitisch ist der Teil der Hasskriminalität, der aus einer antijüdischen Haltung heraus begangen wird. Antisemitische Straftaten sind nach Art ihrer Begehung insbesondere gekennzeichnet durch - Diffamierung jüdischer Institutionen und ihrer Vertreter durch Telefonanrufe, anonyme Briefsendungen bzw. E-Mails; - Propagieren der so genannte Auschwitzlüge; - Schmierereien oder andere Beschädigungen an jüdischen Mahnmalen, Gedenkstätten, Gräbern. Für das Jahr 2003 waren hier 123 Fälle zu registrieren, von denen zwei als Gewaltdelikte klassifiziert worden sind. Im Jahr 2002 wurden 4 von 229 Fällen als Gewaltdelikte registriert. * Fremdenfeindliche Straftaten (alle Straftaten als rechtsextremistische Kriminalität bewertet) Fremdenfeindlich ist der Teil der Hasskriminalität, der aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Herkunft des Opfers verübt wird. Bei den fremdenfeindlich motivierten Straftaten ist ein Anstieg von 138 Fällen (2002) auf 150 Fälle (2003) zu verzeichnen. Auch die Gewaltdelikte nahmen von 28 (2002) auf 43 Fälle im Jahr 2003 zu. 248 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Propagandadelikte Bei den so genannte Propagandadelikten (Verstöße gegen SSSS 86, 86 a StGB) handelt es sich überwiegend um "Hakenkreuz-Schmierereien" im öffentlichen Raum (Haltestellen, Bahnhöfe, Verkehrsmittel, Verteilerkästen, Plakatund Mauerwände usw.), bei denen vielfach keine Hinweise auf den Täter bzw. dessen mögliche Motivation vorliegen. Anhaltspunkte für eine politische Motivation können sich aus Äußerungen der Täter bzw. staatschutzrelevanten Erkenntnissen über sie ergeben. Bestätigende Umstände bestehen auch in besonderen Tatörtlichkeiten (z. B. Straftaten zum Nachteil jüdischer Einrichtungen oder an Mahnmalen), örtlicher oder zeitlicher Nähe zu Treffpunkten der rechten Szene bzw. deren Veranstaltungen oder Aufzügen. Andererseits können auch Umstände vorliegen, die eine Täterschaft aus entsprechender Motivation eher unwahrscheinlich erscheinen lassen. Straftaten 1998 1999 2000 2001 2002 2003 SSSS 86, 86 a gesamt 1 259 1 144 1 631 1 417 1 202 985 davon politisch motiviert: Antisemitisch 12 9 7 16 63 22 Fremdenfeindlich 2 11 10 12 68 57 Antisemitisch und Fremdenfeindlich nicht erf. nicht erf. nicht erf. nicht erf. 9 6 Sonstige PMK -Rechts 178 83 131 210 486 587 Politisch motiviert gesamt 192 103 148 238 6261 6721 1 Veränderte Bewertungskriterien in den Richtlinien des KPMD-PMK. Angesichts der gegenüber den Jahren 2001 und früher erheblich gestiegenen Zahlen politisch motivierter Fälle bei gleichzeitigem Rückgang der Propagandadelikte insgesamt ist die seit 2002 veränderte Anwendungspraxis der Zuordnungskriterien und die dadurch eingeschränkte Vergleichbarkeit gegenüber den Vorjahren zu beachten. Schwerpunkte Gegenüber dem Jahr 2002 ist eine deutliche Steigerung der Fallzahlen Politisch motivierter Gewaltkriminalität zu verzeichnen. Den Schwerpunkt machten dabei die Körperverletzungsdelikte aus. Eine Fallanalyse erbrachte keine konkreten Hinweise zur Ursache dieses Anstiegs: In der Mehrheit der Fälle handelte es sich um nicht qualifizierte Körperverletzungen; die Tatanlässe waren vorwiegend als situativ zu bezeichnen. Tätergruppen tauchten nur in Einzelfällen auf. Die Tatverdächtigen waren überwiegend Jugendliche und Heranwachsende. Zu einem wesentlichen Teil spielte der Einfluss von Alkohol eine Rolle. Anhang 249 Besondere Entwicklungen und Erfolge Seit Mitte des Jahres ist im Südosten Berlins eine neue Kameradschaftsszene entstanden, die den Trend der Vorjahre mit rückläufigen Kameradschaftszahlen umkehrt. Zu nennen ist hier vor allem die "Berliner Alternative Süd-Ost" (BA-SO) unter der Führung eines einschlägigen Rechtsextremisten und ehemaligen NPDMitglieds. Am 23. Dezember 2003 wurde das Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer Kriminellen Vereinigung gegen drei Mitglieder der Berliner Skinhead-Band "Landser" mit Verurteilungen abgeschlossen. Der Haupttäter erhielt eine Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten, zwei weitere Angeklagte je ein Jahr und neun Monate bzw. ein Jahr und zehn Monate auf vier Jahre Bewährung. Weiterhin wurden sie zu 90 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Die Verurteilung der Mitglieder einer Skinhead-Band als kriminelle Vereinigung im Sinne des Strafgesetzbuches ist ein Novum. Die Verteidigung kündigte einen Antrag auf Revision an. 250 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Politisch motivierte Kriminalität - Links - Fallzahlen KPMD-PMK für Politisch motivierte Kriminalität - Links - Terrorismus 2002 2003 Bildung terroristischer Vereinigungen SS 129 a StGB 0 51 Summe Terrorismus 0 5 Gewaltdelikte Tötungsdelikte SSSS 211 - 221 StGB 0 0 Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 41 39 Brandstiftung SSSS 306 - 306 f StGB 20 25 Sprengstoffexplosion SS 308 StGB 0 0 Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 58 37 Widerstandsdelikte (außer Gefangenbefreiung) SSSS 113 - 121 StGB 51 54 Raub SSSS 249, 250 StGB 1 2 Summe Gewaltdelikte 171 157 Andere Straftaten Propagandadelikte SS 86 a StGB 10 31 Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 116 130 Verunglimpfungen gemäß SSSS 90 - 90 b StGB 4 0 Straftaten gg. ausländische Staaten SSSS 102 - 104 StGB 5 3 öffentliche Aufforderung zu Straftaten SS 111 StGB 15 7 Störung des öffentlichen Friedens SS 126 StGB 0 2 Belohnung / Billigung von StraftatenFehler! SS 140 StGB 0 1 Textmarke nicht definiert. Beleidigung/üble Nachr./Verleumdung SSSS 185 - 189 StGB 31 27 Diebstahl SS 242 StGB 1 2 Nötigung / Bedrohung SSSS 240, 241 StGB 3 10 Missbrauch von Notrufen SS 145 StGB 0 1 Widerstandsdelikte (hier: Gefangenenbefreiung) SSSS 120, 121 StGB 0 3 Hausfriedensbruch SSSS 123, 124 StGB 9 8 Vortäuschen Straftat SS 145 d StGB 1 0 Falsche uneidliche Aussage SS 153 StGB 1 0 Urkundenfälschung SS 267 StGB 2 0 Nötigung des Bundespräsidenten SS 106 StGB 1 0 Versammlungsgesetz 87 141 Waffengesetz 0 1 Pressegesetz 0 1 Telekommunikationsgesetz 1 1 Summe andere StraftatenFehler! Textmarke nicht definiert. 287 369 Gesamt 458 531 1 Hierbei handelt es sich um Verfahren, die beim BKA auf Grund der Deliktszuweisung geführt, aber dem Land Berlin wegen der Tatörtlichkeit zugeordnet werden. Dieses Verfahren wird erst seit 2003 praktiziert. Straftaten werden der Politisch motivierten Kriminalität - Links zugeordnet, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ihre Umstände der Begehung und/ oder die Einstellung des Täters einer linken Orientierung zuzurechnen sind. Hierbei sind vor allem Bezüge zum Anarchismus und Kommunismus (einschließlich Marxismus) als Motiv für die Tatbegehung bedeutsam, wobei nicht zwingend die Abschaffung oder Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (Extremismus) vorausgesetzt wird. Anhang 251 Nach polizeilicher Einschätzung waren 256 der politisch links motivierten Straftaten der extremistischen Kriminalität zuzurechnen. Für das Jahr 2002 waren 86 von 458 Straftaten als extremistisch bewertet worden. Schwerpunkte und besondere Entwicklungen Bis auf die Spaltung der "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB) in die Gruppen "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB) und "Kritik & Praxis" (K&P) waren im Jahr 2003 keine wesentlichen Veränderungen hinsichtlich der polizeilich bekannt gewordenen Struktur und des Mitgliederpotenzials des organisierten Linksextremismus und des nicht organisierten Teils der linksextremistischen Szene festzustellen. Charakteristisch für das vergangene Jahr war die Fortsetzung der Spaltungstendenzen in der linken Szene, hervorgerufen durch Uneinigkeit bzw. Zerstrittenheit bei politischen Themen, wie beispielsweise dem dauerhaft schwelenden IsraelPalästina-Konflikt. Die linke Szene wird im laufenden Jahr vermutlich bemüht sein, den Spaltungstendenzen durch neue Formen des politischen und gesellschaftlichen Protestes entgegenzutreten. Ein Konsens dürfte hierbei in erster Linie durch breiten Widerstand zum Thema Sozialabbau angestrebt werden. Obwohl zur Zeit in der linken Szene eine Verschmelzung einzelner Themenfelder (Globalisierung, Castor, Sozialabbau u. a.) zu beobachten ist, sind auch im kommenden Jahr gerade im Bereich Antifaschismus und Antirassismus friedliche als auch gewalttätige Aktionen zu erwarten. Insgesamt ist zu erwarten, dass die gewalttätigen Proteste mit linksextremistischen Charakter auch 2004 weiter abnehmen werden und der rückläufige Trend der Politisch motivierten Straften im linken Bereich anhalten wird. Politisch motivierte Brandanschläge Im Jahr 2003 wurden insgesamt 31 Politisch motivierte Brandanschläge verübt, die zum Teil als Sachbeschädigung zu erfassen waren. Dazu zählten 25 Anschläge auf Kraftfahrzeuge; zu sechs weiteren Brandanschlägen bekannten sich terroristische Vereinigungen. Den Schwerpunkt bildeten wiederum Angriffe auf so genannte "Nobelkarossen" als Symbole für "Bonzentum" und "ungerechtfertigte Bereicherung". Außerdem diente die "CASTOR-Thematik" der Rechtfertigung für Anschläge vor allem auf Firmenwagen. 252 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Terroristische Vereinigungen Zu vier Brandanschlägen im Jahr 2003 bekannte sich die seit Jahren aktive terroristische Vereinigung "militante gruppe (mg)": * Brandanschlag auf das Finanzamt Neukölln in der Nacht zum 1. Januar 2003 in 12347 Berlin-Neukölln, Buschkrugallee 95. Tatbekennung: "militante gruppe (mg)" * Versuchter Brandanschlag auf das Arbeitsamt Berlin Südwest in der Nacht zum 28. April 2003 in 12105 Berlin-Tempelhof, Wolframstr. 89 - 92. Tatbekennung: "Militante Antiimperialistische Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney" * Brandanschlag auf einen Lkw der Abfallrecyclingfirma ALBA in der Nacht zum 30. Oktober 2003 in 13407 Berlin-Reinickendorf, Montanstr. 8 - 16. Tatbekennung: "militante gruppe (mg)" * Brandanschlag auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in der Nacht Zum 1. Januar 2004 in 12163 Berlin, Königin-Luise-Str. 5. Tatbekennung: "militante gruppe (mg)" Seit 1995 werden der "militanten gruppe" 20 Straftaten zugerechnet. Ein verändertes Täterverhalten war dadurch festzustellen, dass Straftaten der "militanten gruppe" inzwischen auch außerhalb des Großraum Berlin-Brandenburg (SachsenAnhalt) begangen wurden. Zu zwei weiteren Anschlägen bekannten sich jeweils unterschiedliche Gruppierungen: * Sachbeschädigung im Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg, Möckernstr. 130, 10963 Berlin der Nacht zum 7. Mai 2003 Tatbekennung: "AUTONOME GRUPPEN" * Brandanschlag auf einen Kleinbus des Fernsehsenders TV-Berlin am 12. Mai 2003 Panoramastr. 9, 10178 Berlin, Tatbekennung: "autonome gruppe margherita cagols mara" Anhang 253 Delikte um den 1. Mai388 Gewaltdelikte 2002 2003 Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 11 4 Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 17 11 Brandstiftung SSSS 306 - 306f StGB 0 6 Widerstandsdelikte SSSS 113 - 121 StGB 13 17 Summe Gewaltdelikte 41 38 Andere Straftaten Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 11 25 Nötigung / Bedrohung SSSS 240, 241 StGB 1 2 Beleidigung / üble Nachrede / Verleumdung SSSS 185 - 189 StGB 4 5 Öff. Aufforderung zu StraftatenFehler! SS 111 StGB 3 2 Textmarke nicht definiert. Versammlungsgesetz 10 25 Pressegesetz 0 1 Summe andere Straftaten 29 60 Gesamt 70 98 Insgesamt wurden 270 Personen als Straftäter namhaft gemacht, was eine Steigerung von mehr als 22 Prozent zum Vorjahr darstellt. Auch die Zahl erwirkter Haftbefehle stieg von 40 im Jahr 2002 auf 56 im Jahr 2003. Die Entwicklung der Altersstruktur der 2003 festgestellten Straftäter zeigt eine Zunahme jugendlicher und heranwachsender Täter. Wie in den letzten Jahren bereits festgestellt und durch die Ereignisse in diesem Jahr bestätigt, sind die Ausschreitungen am 1. Mai 2003 und in der Walpurgisnacht nicht "linksextremistisch" geprägt gewesen. Vielmehr agierten im wesentlichen Täter, die "spaßund erlebnisorientiert" waren und die Gewalt suchten, ohne erkennbar politisch motiviert zu sein. Die Frage der künftigen Erfassung dieser Straftaten im Rahmen des KPMD-PMK wird deshalb zu überprüfen sein. 388 In der polizeilichen Betrachtung handelt es sich dabei um den Zeitraum vom 30.4. bis 2.5. 254 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 Politisch motivierte Ausländerkriminalität Fallzahlen KPMDPMK für Politisch motivierte Ausländerkriminalität Terrorismus 2002 2003 Bildung terroristischer Vereinigungen SS 129 a StGB 0 21 Summe Terrorismus 0 2 Gewaltdelikte Tötungsdelikte SSSS 211 - 221 StGB 1 0 Brandstiftung SSSS 306 - 306f StGB 1 0 Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 4 10 Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 6 5 Freiheitsberaubung SSSS 234 - 239 b StGB 1 0 Raub SSSS 249 - 255 StGB 3 1 Widerstandsdelikte SSSS 113 - 121 StGB 3 2 Summe Gewaltdelikte 19 18 Andere Straftaten Volksverhetzung SS 130 StGB 24 12 Vorbereiten einer Sprengstoffexplosion SS 310 StGB 1 0 Propagandadelikte SSSS 86, 86 a StGB 10 10 Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 7 11 StraftatenFehler! Textmarke nicht definiert. SSSS 102 - 104 StGB 4 0 gg. ausländische Staaten Öffentliche Aufforderung zu StraftatenFehler! SS 111 StGB 2 0 Textmarke nicht definiert. Straftaten gg. Religion SSSS 165 - 168 StGB 1 0 Nötigung / Bedrohung SSSS 240, 241 StGB 8 7 Störung des öffentlichen Friedens SS 126 StGB 8 6 Vortäuschen einer Straftat SS 145 d StGB 1 0 Hausfriedensbruch SSSS 123, 124 StGB 0 1 Belohnung / Billigung von Straftaten SS 140 StGB 1 1 Beleidigung / üble Nachrede / Verleumdung SSSS 185 - 189 StGB 6 4 Versammlungsgesetz 13 8 Vereinsgesetz 9 88 Summe andere Straftaten 95 148 Gesamt 114 168 1 Hierbei handelt es sich um Verfahren, die beim BKA auf Grund der Deliktszuweisung geführt, aber dem Land Berlin wegen der Tatörtlichkeit zugeordnet werden. Dieses Verfahren wird erst seit 2003 praktiziert. Der Politisch motivierten Ausländerkriminalität werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung - der Umstände der Tat oder - der Erkenntnisse über den Täter Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die durch eine nichtdeutsche Herkunft geprägte Einstellung des Täters entscheidend für die Tatbegehung war, insbesondere wenn sie darauf ausgerichtet sind, - Verhältnisse und Entwicklungen im Ausland oder aus dem Ausland - Verhältnisse und Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland Anhang 255 zu beeinflussen. Von den insgesamt 168 Fällen waren 144 als extremistisch zu bewerten. Vergleicht man die Straftaten des Jahres 2002 mit den Straftaten des Jahres 2003, scheint die Steigerung von 54 Straftaten einen Anstieg anzuzeigen. Diese Steigerung ist vor allem auf Maßnahmen auf der Grundlage des Vereinsgesetzes im Zusammenhang mit dem so genannten Kalifatsstaat und der "Hizb ut Tahrir" als Folge der Verbotsverfügungen des BMI zurückzuführen. Unter Außerachtlassung der Fallzahlen im Zusammenhang mit den Straftaten nach dem Vereinsgesetz, ergibt sich ein Rückgang hinsichtlich der als extremistisch eingestuften Fallzahlen. Schwerpunkte und besondere Entwicklungen "Hizb ut Tahrir" (deutsch: Die Partei der Befreiung) Am 10. Januar 2003 verbot der Bundesminister des Innern die 1953 in Jordanien gegründete "Hizb ut Tahrir" (HuT). Auf der Grundlage ihrer Ideologie der "Lebensordnung des Islam (Nizamu-I-islam)" propagiert sie einen weltweiten islamischen Staat unter Ablehnung nationalstaatlicher Grenzen. Diesen will die "Hizb ut Tahrir" durch einen aktiven Jihad erreichen. Der Heilige Krieg wird hierbei nicht als Verteidigung gegen Ungläubige verstanden, sondern als aktiver Angriffskrieg. Die Organisation wurde nach dem Vereinsgesetz verboten, da sie sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet und die Anwendung von Gewalt als Mittel der Durchsetzung politischer Belange propagiert. Zur Durchsetzung des Verbotes wurden am 15. Januar 2003 bundesweit 30 Objekte (davon sieben in Berlin) durchsucht. Weiterhin wurden am 10. April 2003 nochmals bundesweit 80 Objekte (davon 16 in Berlin) durchsucht. "Kalifatsstaat" In einer gemeinsamen Aktion des Bundes und der Länder wurden am 11. Dezember 2003 Objekte von mutmaßlichen Mitgliedern des verbotenen "Kalifatsstaats" wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot gemäß Strafgesetzbuch und Vereinsgesetz - in Berlin 97 Objekte und Fahrzeuge - durchsucht. 256 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 KONGRA-GEL (vormals PKK ,KADEK) Auch im Jahr 2003 war der offizielle Kurs auf Gewaltfreiheit ausgerichtet und wurde von der großen Mehrzahl der Anhänger mitgetragen. Durch verschiedene Erklärungen, mehrere Kampagnen und die erneute Umbenennung wurde deutlich, dass die Organisation ihren Tätigkeitsschwerpunkt in einer politischen Einflussnahme auf "die kurdische Angelegenheit" in der Türkei sieht. Es zeichnet sich seit längerem ab, dass insbesondere ein Teil der jugendlichen Anhänger diesem Kurs nur widerwillig folgt und - möglicherweise durch die Führung geduldet - Aktionen kleineren Ausmaßes durchführt (Anbrennen von Reifen / verschüttetem Benzin auf Kreuzungen, Sachbeschädigungen durch Farbschmierereien sowie Flugblattverteilungen). Derzeit ist eine Abkehr vom grundsätzlichen Gewaltverzicht nicht erkennbar. Anti - TerrorEinsatz / Intervention im Irak Dieses Themenfeld führte nach anfänglich umfangreichen Demonstrationen (IrakKrieg) nicht zu einer Verschärfung der Sicherheitslage in Berlin. Auch die Festnahme von Saddam HUSSEIN am 14. Dezember 2003 durch amerikanische und kurdische Streitkräfte führte zu keiner Veränderung der Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland. Bezüglich des Phänomens "Islamistischer Terrorismus" ist festzustellen, dass von einer nachhaltigen Schwächung oder gar Zerschlagung der "Al Qaida" und der Netzwerke arabischer Mudjahedin nicht ausgegangen werden kann. Daher ist eine kurzfristige Lageentspannung nicht zu erwarten. Urteilsverkündung wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit für einen iranischen Nachrichtendienst Am 29. September 2003 erfolgte durch das Kammergericht der Urteilsspruch gegen einen 65-jährigen Deutsch-Iraner wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit. Er wurde zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt; der Verfall des nachgewiesenen Agentenlohnes wurde angeordnet. Dem Urteil vorangegangen waren umfangreiche, seit September 2002 in enger Zusammenarbeit durchgeführte Ermittlungen der Bundesanwaltschaft, des Staatsschutzes Potsdam sowie der Staatsschutzabteilung im Landeskriminalamt Berlin. Der Strafsenat ging mit seinem Urteil zwei Monate über die Forderung der Bundesanwaltschaft hinaus. Unter anderem wurde strafverschärfend gewertet, dass die inkriminierte Tätigkeit für den iranischen Nachrichtendienst auch nach den im März Anhang 257 2003 durchgeführten strafprozessualen Maßnahmen und somit nach Bekanntwerden des laufenden Ermittlungsverfahrens weitergeführt worden war. 258 Verfassungsschutzbericht Berlin 2003 2 Gesetzestexte Gesetz SS3 über den Verfassungsschutz in Berlin Dienstkräfte (Verfassungsschutzgesetz Berlin - VSG Bln) in (1) Die Dienstkräfte der Verfassungsder Fassung vom 25. Juni 2001, schutzabteilung haben neben den allgemeigeändert durch Art. V des Gesetzes vom 30. Juli nen Pflichten die sich aus dem Wesen des 2001 (GVBl. S. 305), Verfassungsschutzes und ihrer dienstlichen zuletzt geändert durch Art. II des Gesetzes vom Stellung ergebenden besonderen Pflichten. 5. Dezember 2003 (GVBl. 571) Sie haben sich jederzeit für den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der VerfasERSTER ABSCHNITT sung von Berlin einzusetzen. Die Funktion Aufgaben und Befugnisse des Leiters der für den Verfassungsschutz der Verfassungsschutzbehörde zuständigen Abteilung soll nur einer Person SS1 übertragen werden, die die Befähigung zum Zweck des Verfassungsschutzes Richteramt besitzt. (2) Der Senat von Berlin kann jährlich Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der bestimmen, in welchem Umfang freiheitlichen demokratischen Grundordnung, Dienstkräften der des Bestandes und der Sicherheit der BundesVerfassungsschutzabteilung freie, frei republik Deutschland und ihrer Länder. werdende und neu geschaffene Stellen in der Hauptverwaltung für Zwecke der Personalentwicklung vorbehalten werden. SS2 Organisation SS4 (1) Verfassungsschutzbehörde ist die SeZusammenarbeit natsverwaltung für Inneres. Die für den Verfassungsschutz zuständige Abteilung nimmt ihre (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist Aufgaben gesondert von der für die Polizei zuverpflichtet, mit Bund und Ländern in Angeständigen Abteilung wahr. legenheiten des Verfassungsschutzes (2) Die für den Verfassungsschutz zustänzusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit dige Abteilung ist datenverarbeitende Stelle im besteht insbesondere in gegenseitiger Sinne des SS 4 Abs. 3 Nr. 1 des Berliner DatenUnterstützung und Information sowie in der schutzgesetzes in der Fassung vom 17. DezemUnterhaltung gemeinsamer Einrichtungen ber 1990 (GVBl. 1991 S. 16, 54), das zuletzt (wie z. B. das nachrichtendienstliche durch Artikel IX des Gesetzes vom 30. NovemInformationssystem des Bundes und der ber 2000 (GVBl. S. 495) geändert worden ist. Länder [NADIS] und die Schule für Die Übermittlung an andere OrganisationseinVerfassungsschutz). heiten der Senatsverwaltung für Inneres ist (2) Verfassungsschutzbehörden anderer ungeachtet der fachund dienstaufsichtlichen Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Befugnisse zulässig, wenn dies für die AufGesetzes nur im Einvernehmen, das Bundesgabenerfüllung nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist. amt für Verfassungsschutz nur im Benehmen (3) Bei der Leitung der Senatsverwaltung für mit der Verfassungsschutzbehörde tätig werInneres wird eine Revision eingerichtet. Die Reden. vision ist unbeschadet ihrer Verantwortung gegenüber dem Senator im Übrigen in der Durchführung von Prüfungen und der Beurteilung von SS5 Prüfungsvorgängen unabhängig. Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Aufgabe, den Senat und das Anhang 259 Abgeordnetenhaus von Berlin, andere 4. bei aufenthaltsrechtlichen Verfahren, Einzuständige staatliche Stellen und die bürgerungsverfahren, jagdund waffenÖffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche rechtlichen Verfahren sowie bei sonstidemokratische Grundordnung, den Bestand und gen gesetzlich vorgeschriebenen Überdie Sicherheit des Bundes und der Länder zu prüfungen; die Mitwirkung ist nur zuläsunterrichten. Dadurch soll es den staatlichen sig, wenn diese zum Schutz der freiStellen insbesondere ermöglicht werden, heitlichen demokratischen Grundordnung rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur oder für Zwecke der öffentlichen SicherAbwehr dieser Gefahren zu ergreifen. heit erforderlich ist; Näheres wird in einer (2) Zur Erfüllung dieser Aufgaben sammelt Verwaltungsvorschrift des Senators für und wertet die Verfassungsschutzbehörde InforInneres im Benehmen mit dem Berliner mationen, insbesondere sachund personenBeauftragten für den Datenschutz und für bezogene Daten, Auskünfte, Nachrichten und das Recht auf Akteneinsicht bestimmt. Unterlagen aus über Die Befugnisse der Verfassungsschutzbehör1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche de bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 demokratische Grundordnung, den Bestand sind im Berliner Sicherheitsüberprüfungsgeoder die Sicherheit des Bundes oder eines setz vom 2. März 1998 (GVBl. S. 26) geLandes gerichtet sind oder eine ungesetzregelt. liche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele SS6 haben, Begriffsbestimmungen 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des (1) Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2 Grundgesetzes für eine fremde Macht, Nr. 1 und 3 sind politisch motivierte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen oder 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Betätigungen von Organisationen, Grundgesetzes, die durch Anwendung von Personenzusammenschlüssen ohne feste Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereihierarchische Organisationsstrukturen tungshandlungen auswärtige Belange der (unorganisierte Gruppen) oder Bundesrepublik Deutschland gefährden Einzelpersonen gegen die in SS 5 Abs. 2 oder gegen das friedliche Zusammenleben bezeichneten Schutzgüter. Für eine Organider Völker (Art. 26 Abs. 1 des Grundgesation oder eine unorganisierte Gruppe hansetzes) gerichtet sind. delt, wer sie in ihren Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Einzelpersonen, die nicht in einer oder für Ersuchen der zuständigen öffentlichen Stellen eine Organisation oder in einer oder für eine mit unorganisierte Gruppe handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Persoauf Anwendung von Gewalt gerichtet sind nen, denen im öffentlichen Interesse geoder auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet heimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegensind, ein Schutzgut dieses Gesetzes stände oder Erkenntnisse anvertraut wererheblich zu beschädigen. den, die Zugang dazu erhalten sollen oder (2) Bestrebungen im Sinne dieses Geihn sich verschaffen können, setzes, die gegen die freiheitliche demo2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Persokratische Grundordnung gerichtet sind, sind nen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen solche, die auf die Beseitigung oder Außervon lebensoder verteidigungswichtigen kraftsetzung wesentlicher VerfassungsgrundEinrichtungen beschäftigt sind oder werden sätze abzielen. Hierzu gehören: sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt zum Schutz von im öffentlichen Interesse in Wahlen und Abstimmungen und durch geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gebesondere Organe der Gesetzgebung, genständen oder Erkenntnissen gegen die der vollziehenden Gewalt und der RechtKenntnisnahme durch Unbefugte, sprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, 260 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 freier, gleicher und geheimer Wahl zu personenbezogenen Daten aus allgemein zuwählen, gänglichen Quellen erheben, speichern und 2. die Bindung der Gesetzgebung an die vernutzen. Eine Speicherung dieser Daten im fassungsmäßige Ordnung und die Bindung nachrichtendienstlichen Informationssystem der vollziehenden Gewalt und der Recht(NADIS) oder in anderen Verbunddateien ist sprechung an Gesetz und Recht, nicht zulässig. Eine Speicherung der nach Satz 1 erhobenen personenbezogenen Daten 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer in Akten und Dateien über den Ablauf eines parlamentarischen Opposition, Jahres seit der Speicherung hinaus ist nur 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre zulässig, wenn spätestens von diesem ZeitVerantwortlichkeit gegenüber der Volksverpunkt an die Voraussetzungen des Absattretung, zes 1 vorliegen. Dasselbe gilt für das 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, Anlegen personenbezogener Akten. (3) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die 6. der Ausschluss jeder Gewaltund WillkürVerfassungsschutzbehörde nur die dazu herrschaft und erforderlichen Maßnahmen ergreifen; dies gilt 7. die im Grundgesetz konkretisierten Meninsbesondere für die Erhebung und schenrechte. Verarbeitung personenbezogener Informationen. Von mehreren möglichen und (3) Im Sinne dieses Gesetzes sind geeigneten Maßnahmen hat sie diejenige auszuwählen, die den einzelnen, 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Buninsbesondere in seinen Grundrechten, und des oder eines Landes solche, die darauf die Allgemeinheit voraussichtlich am gerichtet sind, die Freiheit des Bundes oder wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme eines Landes von fremder Herrschaft aufhat zu unterbleiben, wenn sie einen Nachteil zuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitiherbeiführt, der erkennbar außer Verhältnis gen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzu dem beabsichtigten Erfolg steht. Sie ist zutrennen, nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des werden kann. Bundes oder eines Landes solche, die (4) Soweit in diesem Gesetz besondere darauf gerichtet sind, den Bund, die Länder Eingriffsbefugnisse das Vorliegen gewaltoder deren Einrichtungen in ihrer Funktätiger Bestrebungen oder darauf gerichtete tionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. Vorbereitungshandlungen voraussetzen, ist Gewalt die Anwendung körperlichen (4) Auswärtige Belange im Sinne des SS 5 Zwanges gegen Personen oder eine nicht Abs. 2 Nr. 3 werden nur gefährdet, wenn innerunerhebliche Einwirkung auf Sachen. halb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes Gewalt ausgeübt oder durch Handlungen vorbereitet wird und diese sich gegen die politische SS8 Ordnung oder Einrichtungen anderer Staaten Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde richten. (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf die zur Erfüllung ihrer Aufgaben SS7 erforderlichen Informationen einschließlich Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit personenbezogener Daten verarbeiten und der Verfassungsschutzbehörde bei Behörden, sonstigen öffentlichen Stellen sowie nicht öffentlichen Stellen, insbesondere (1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bebei Privatpersonen, erheben, soweit die stimmt, darf die Verfassungsschutzbehörde bei Bestimmungen dieses Gesetzes dies der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach SS 5 zulassen. Ein Ersuchen der Abs. 2 nur tätig werden, wenn im Einzelfall Verfassungsschutzbehörde um Übermittlung tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht der personenbezogener Daten darf nur diejedort genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten nigen personenbezogenen Daten enthalten, vorliegen. die für die Erteilung der Auskunft unerlässlich (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf für sind. Schutzwürdige Interessen des Betrofdie Prüfung, ob die Voraussetzungen des Abfenen dürfen nur im unvermeidbaren Umfang satzes 1 vorliegen, die dazu erforderlichen beeinträchtigt werden. Anhang 261 (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur schaffung von Informationen in Anspruch heimlichen Informationsbeschaffung, insbesonnehmen, auf die sich ihr Zeugnisverweigedere zur Erhebung personenbezogener Daten, rungsrecht bezieht. Die Behörden des nur in begründeten Fällen folgende nachrichtenLandes Berlin sind verpflichtet, der dienstliche Mittel anwenden: Verfassungsschutzbehörde technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu geben. 1. Einsatz von Vertrauensleuten, sonstigen (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf geheimen Informanten, zum Zweck der Informationen einschließlich personenbezoSpionageabwehr überworbenen Agenten, gener Daten mit den Mitteln gemäß Absatz 2 Gewährspersonen und verdeckten Ermitterheben, wenn lern, 2. Observation, 1. sich ihr Einsatz gegen Organisationen, unorganisierte Gruppen, in ihnen oder 3. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Videoeinzeln tätige Personen richtet, bei grafieren und Filmen), denen tatsächliche Anhaltspunkte für den 4. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, Verdacht der Bestrebungen oder Tätig5. Mithören ohne Inanspruchnahme technikeiten nach SS 5 Abs. 2 bestehen, scher Mittel, 2. auf diese Weise Erkenntnisse über ge6. Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentwalttätige Bestrebungen oder geheimlich gesprochenen Wortes unter Einsatz dienstliche Tätigkeiten gewonnen werden technischer Mittel, können, 7. Beobachtungen des Funkverkehrs auf nicht 3. auf diese Weise die zur Erforschung von für den allgemeinen Empfang bestimmten Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Kanälen sowie die Sichtbarmachung, BeobAbs. 2 erforderlichen Quellen erschlosachtung, Aufzeichnung und sen werden können oder Entschlüsselung von Signalen in Kom4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einmunikationssystemen, richtungen, Gegenstände und Quellen 8. Verwendung fingierter biografischer, berufder Verfassungsschutzbehörde gegen silicher oder gewerblicher Angaben (Legencherheitsgefährdende oder geheimden), dienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. 9. Beschaffung, Erstellung und Verwendung Datenerhebungen nach Satz 1 Nr. 2 dürfen von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, sich gegen andere als die in SS 6 Abs. 1 10. Überwachung des Brief-, Post-, und FernSatz 2 und 3 genannten Personen nur meldeverkehrs nach Maßgabe des Artirichten, soweit dies zur Gewinnung von kel 10-Gesetzes, vom 26. Juni 2001 (BGBl. Erkenntnissen unerlässlich ist. I S. 1254, 2298), zuletzt geändert durch (4) Die Erhebung nach Absatz 2 ist unzuArtikel 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 22. lässig, wenn die Erforschung des SachverAugust 2002 (BGBl. I S. 3390), halts auf andere, die betroffene Person 11. Einsatz von weiteren vergleichbaren Meweniger beeinträchtigende Weise möglich ist; thoden, Gegenständen und Instrumenten eine geringere Beeinträchtigung ist in der zur heimlichen Informationsbeschaffung, Regel anzunehmen, wenn die Informationen insbesondere das sonstige Eindringen in aus allgemein zugänglichen Quellen oder technische Kommunikationsbeziehungen durch eine Auskunft nach SS 27 gewonnen durch Bild-, Ton-, und Datenaufzeichwerden können. Die Anwendung eines Mittels nungen; dem Einsatz derartiger Methoden, gemäß Absatz 2 soll erkennbar im Verhältnis Gegenstände und Instrumente hat der zur Bedeutung des aufzuklärenden SachverAusschuss für Verfassungsschutz des halts stehen. Der Einsatz nachrichtendienstAbgeordnetenhauses von Berlin vorab licher Mittel nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 und 7 ist seine Zustimmung zu erteilen. grundsätzlich nur zur Informationsbeschaffung über Bestrebungen Personen, die berechtigt sind, in Strafsachen gegen die freiheitliche demokratische aus beruflichen Gründen das Zeugnis zu verGrundordnung zulässig, wenn diese weigern (SSSS 53 und 53a der StrafprozessBestrebung die Anwendung von Gewalt ordnung), darf die Verfassungsschutzbehörde billigen oder sich in aktiv kämpferischer, nicht von sich aus nach Satz 1 Nr. 1 zur Beaggressiver Weise betätigen. Die Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr Zweck 262 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür dürfen nur auf Grund richterlicher Anordnung ergeben, dass er nicht oder nicht auf diese getroffen werden. Bei Gefahr im Verzuge Weise erreicht werden kann. Daten, die für das kann die Maßnahme auch durch den Senator Verständnis der zu speichernden Informationen für Inneres, der im Verhinderungsfall durch nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu den zuständigen Staatssekretär vertreten löschen. Die Löschung kann unterbleiben, wenn wird, angeordnet werden; eine richterliche die Informationen von anderen, die zur Erfüllung Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur (2) Die Anordnung ist auf höchstens drei mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden Monate zu befristen. Verlängerungen um können; in diesem Fall dürfen die Daten nicht jeweils nicht mehr als drei weitere Monate verwertet werden. sind auf Antrag zulässig, soweit die Voraus(5) Die näheren Voraussetzungen für die setzungen der Anordnung fortbestehen. LieAnwendung der Mittel nach Absatz 2 sind in gen die Voraussetzungen der Anordnung einer Verwaltungsvorschrift des Senators für nicht mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz Inneres zu regeln, die auch die Zuständigkeit für technischer Mittel zur Informationsgewinnung die Anordnung solcher Informationsbeschaffung nicht mehr erforderlich, ist die Maßnahme regelt. Die Verwaltungsvorschrift ist dem Ausunverzüglich zu beenden. Der Vollzug der schuss für Verfassungsschutz des AbgeordneAnordnung erfolgt unter Aufsicht eines Betenhauses von Berlin vorab zur Kenntnis zu diensteten der Verfassungsschutzbehörde, geben. der die Befähigung zum Richteramt hat. (6) Für die Speicherung und Löschung der (3) Sind technische Mittel ausschließlich durch Maßnahmen nach Absatz 2 erlangten zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohpersonenbezogenen Daten gilt SS 4 Abs. 1 des nungen tätigen Personen vorgesehen, kann Artikel 10-Gesetzes entsprechend. die Maßnahme durch den Senator für (7) Polizeiliche Befugnisse stehen der VerInneres, der im Verhinderungsfall durch den fassungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die zuständigen Staatssekretär vertreten wird, Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um angeordnet werden. Eine anderweitige Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht Verwertung der hierbei erlangten befugt ist. Erkenntnisse zum Zwecke der (8) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artidie Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich kel 20 des Grundgesetzes). festgestellt worden ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. SS9 (4) Zuständig für richterliche EntscheiEinsatz technischer Mittel dungen nach den Absätzen 1 und 3 ist das zur Überwachung von Wohnungen Amtsgericht Tiergarten. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über die (1) Das in einer Wohnung nicht öffentlich Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbargesprochene Wort darf mit technischen Mitteln keit entsprechend. ausschließlich bei der Wahrnehmung der Auf(5) Der Senat unterrichtet die gaben auf dem Gebiet der Spionageabwehr und Kommission nach SS 2 des Gesetzes zur des gewaltbereiten politischen Extremismus Ausführung des Artikel 10-Gesetzes in der heimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden. Fassung vom 25. Juni 2001 (GVBl. S. 251), Eine solche Maßnahme ist nur zulässig, wenn das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom sie im Einzelfall zur Abwehr einer dringenden 5. Dezember 2003 (GVBl. S. 571) geändert Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesonworden ist, unverzüglich, möglichst vorab, dere einer gemeinen Gefahr oder einer Leund umfassend über den Einsatz technischer bensgefahr für einzelne Personen, unerlässlich Mittel nach Absatz 1 und, soweit richterlich ist, ein konkreter Verdacht in Bezug auf eine überprüfungsbedürftig, nach Absatz 3. SS 3 Gefährdung der vorstehenden Rechtsgüter des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes besteht und der Einsatz anderer Methoden und zu Artikel 10 Grundgesetz gilt entsprechend. Mittel zur heimlichen Informationsbeschaffung (6) Eine Maßnahme nach den Absätzen 1 keine Aussicht auf Erfolg bietet. Die Sätze 1 und und 3 ist nach ihrer Beendigung der 2 gelten entsprechend für einen verdeckten betroffenen Person mitzuteilen, sobald eine Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Gefährdung des Zwecks der Maßnahme mit Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen in Wohhoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu nungen. Maßnahmen nach den Sätzen 1 bis 3 erwarten ist. Die durch Maßnahmen im Sinne Anhang 263 des Satzes 1 erhobenen Informationen dürfen führende Stelle der Zweck der nur nach Maßgabe des SS 4 Abs. 1 des Artikel Maßnahme gefährdet würde, und 10-Gesetzes verwendet werden. 2. die betroffene Person durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würde, und SS 9a Eingriffe, die in ihrer Art und Schwere einer 3. eine besondere gesetzliche GeheimBeschränkung des Brief-, Postund haltungsvorschrift oder ein BerufsgeFernmeldegeheimnisses gleichkommen heimnis der Einsichtnahme nicht entgegensteht. (1) Ein Eingriff, der in seiner Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund (3) Die Anordnung für die Maßnahme Fernmeldegeheimnisses gleichkommt und nicht nach Absatz 1 trifft der Leiter der Verfasden Regelungen des SS 9 unterliegt, wozu insbesungsschutzabteilung, im Falle der Verhindesondere das Abhören und Aufzeichnen des nicht rung der Vertreter. öffentlich gesprochenen Wortes mit dem ver(4) Die auf diese Weise gewonnenen deckten Einsatz technischer Mittel gehört, Erkenntnisse dürfen nur zu den in Absatz 1 bedarf der Anordnung durch den Senator für genannten Zwecken verwendet werden. GeInneres, der im Verhinderungsfall durch den speicherte Informationen sind zu löschen und zuständigen Staatssekretär vertreten wird. Unterlagen zu vernichten, sobald sie für (2) Die SSSS 2 und 3 des Gesetzes zur Ausdiese Zwecke nicht mehr benötigt werden. führung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz (5) Über die Einsichtnahme ist ein gegelten entsprechend. sonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr (3) SS 9 Abs. 6 gilt entsprechend. Zweck, die in Anspruch genommene Stelle, die Namen der Betroffenen, deren Daten für eine weitere Verwendung erforderlich sind, SS 10 sowie der Zeitpunkt der Einsichtnahme herRegistereinsicht vorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesondurch die Verfassungsschutzbehörde dert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu sichern (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur und, soweit sie für die Aufgabenerfüllung der Aufklärung Verfassungsschutzbehörde nach SS 5 Abs. 2 nicht mehr benötigt werden, am Ende des - von sicherheitsgefährdenden oder geheimKalenderjahres, das dem Jahr der Erstellung dienstlichen Tätigkeiten für eine fremde folgt, zu vernichten. Macht oder - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche ZWEITER ABSCHNITT demokratische Grundordnung, den Bestand Datenverarbeitung oder die Sicherheit des Bundes oder eines SS 11 Landes gerichtet sind oder Speicherung, Veränderung und Nutzung - von Bestrebungen, die durch Anwendung personenbezogener Informationen von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf Bundesrepublik Deutschland gefährden, zur Erfüllung ihrer Aufgaben rechtmäßig erhobene personenbezogene Informationen von öffentlichen Stellen geführte Register, z. B. speichern, verändern und nutzen, wenn Melderegister, Personalausweisregister, Passregister, Führerscheinkarteien, Waffenschein1. tatsächliche Anhaltspunkte für karteien, einsehen. Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 (2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zuAbs. 2 vorliegen oder lässig, wenn 2. dies für die Erforschung oder Bewertung von gewalttätigen Bestrebungen oder ge1. die Aufklärung auf andere Weise nicht heimdienstlichen Tätigkeiten nach SS 5 möglich erscheint, insbesondere durch eine Abs. 2 erforderlich ist oder Übermittlung der Daten durch die register- 264 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachGesetzes eine Fortdauer der Speicherung richtendienstlicher Zugänge über Bestrerechtfertigen. bungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist oder SS 14 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, EinBerichtigung, Löschung und Sperrung richtungen, Gegenstände und Quellen der personenbezogener Informationen in Dateien Verfassungsschutzbehörde gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat Tätigkeiten erforderlich ist oder die in Dateien gespeicherten 5. sie auf Ersuchen der zuständigen Stelle personenbezogenen Informationen zu nach SS 5 Abs. 3 tätig wird. berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie sind zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und In Akten dürfen über Satz 1 Nr. 2 hinaus perdadurch schutzwürdige Interessen der sonenbezogene Daten auch gespeichert, verbetroffenen Person beeinträchtigt sein ändert und genutzt werden, wenn dies sonst zur können. Erforschung und Bewertung von Bestrebungen (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat nach SS 5 Abs. 2 zwingend erforderlich ist. die in Dateien gespeicherten (2) In Dateien gespeicherte Informationen personenbezogenen Informationen zu müssen durch Aktenrückhalt belegbar sein. löschen, wenn ihre Speicherung irrtümlich (3) In Dateien ist die Speicherung von Inforerfolgt war, unzulässig war oder ihre Kenntnis mationen aus der Intimsphäre der betroffenen für die Aufgabenerfüllung nicht mehr Person unzulässig. erforderlich ist und schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nicht beeinträchtigt werden. SS 12 (3) Die Verfassungsschutzbehörde hat Speicherung, Veränderung und Nutzung die in Dateien gespeicherten personenbezogener Informationen von personenbezogenen Informationen zu Minderjährigen sperren, wenn die Löschung unterbleibt, weil Grund zu der Annahme besteht, dass durch Die Speicherung personenbezogener Informadie Löschung schutzwürdige Interessen der tionen über Minderjährige, die das 14. Lebensbetroffenen Person beeinträchtigt würden; jahr nicht vollendet haben, ist unzulässig. gesperrte Informationen sind entsprechend zu kennzeichnen und dürfen nur mit Einwilligung der betroffenen Person verSS 13 wendet werden. Speicherungsdauer (4) In Dateien gelöschte Informationen sind gesperrt. Unterlagen sind zu vernichten, (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die wenn sie zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 Speicherungsdauer auf das für ihre Aufgabennicht oder nicht mehr erforderlich sind, es sei erfüllung erforderliche Maß zu beschränken. Die denn, dass ihre Aufbewahrung zur Wahrung in Dateien gespeicherten Informationen sind bei schutzwürdiger Interessen der betroffenen der Einzelfallbearbeitung, spätestens aber fünf Person notwendig ist. Die Vernichtung unterJahre nach Speicherung der letzten Information, bleibt, wenn die Unterlagen von anderen, die auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen. Sofern zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, die Informationen Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand Nr. 1 oder 3 betreffen, sind sie spätestens zehn getrennt werden können. Jahre nach der zuletzt gespeicherten relevanten (5) Personenbezogene Informationen, die Information zu löschen. ausschließlich zu Zwecken der Datenschutz(2) Sind Informationen über Minderjährige in kontrolle, der Datensicherung oder zur Dateien oder in Akten, die zu ihrer Person geSicherstellung eines ordnungsgemäßen führt werden, gespeichert, ist nach zwei Jahren Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage die Erforderlichkeit der Speicherung zu übergespeichert werden, dürfen nur für diese prüfen und spätestens nach fünf Jahren die Zwecke und zur Verfolgung der in der Löschung vorzunehmen, es sei denn, dass nach jeweiligen Fassung des Berliner Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse Datenschutzgesetzes als Straftaten bezeichnach SS 5 Abs. 2 angefallen sind, die zur neten Handlungen verwendet werden. Erfüllung der Aufgaben im Sinne dieses Anhang 265 SS 15 Berichtigung und Sperrung personenbezogener Informationen in Akten (1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde fest, dass in Akten gespeicherte personenbezogene Informationen unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von dem Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat personenbezogene Informationen in Akten zu sperren, wenn sie im Einzelfall feststellt, dass ohne die Sperrung schutzwürdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt würden und die Daten für ihre Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. Gesperrte Informationen sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt oder übermittelt werden. Eine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. SS 16 Dateianordnungen (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsschutzbehörde sind in einer Dateianordnung im Benehmen mit dem Berliner Beauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der Speicherungen, Übermittlung und Nutzung (betroffener Personenkreis, Arten der Daten), 4. Eingabeberechtigung, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, 7. Protokollierung, 8. Datenverarbeitungsgeräte und Betriebssystem, 9. Inhalt und Umfang von Textzusätzen, die der Erschließung von Akten dienen. (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat in angemessenen Abständen die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung ihrer Dateien zu prüfen. 266 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 SS 17 Gemeinsame Dateien Bundesgesetzliche Vorschriften über die Datenverarbeitung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bleiben unberührt. DRITTER ABSCHNITT Informationsübermittlung SS 18 Grundsätze bei der Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde Die Übermittlung von personenbezogenen Informationen ist aktenkundig zu machen. In der entsprechenden Datei ist die Informationsübermittlung zu vermerken. Vor der Informationsübermittlung ist der Akteninhalt im Hinblick auf den Übermittlungszweck zu würdigen und der Informationsübermittlung zugrunde zu legen. Erkennbar unvollständige Informationen sind vor der Übermittlung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit durch Einholung zusätzlicher Auskünfte zu vervollständigen. SS 19 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden der Länder über alle Angelegenheiten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. SS 20 Informationsübermittlung an den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. Handelt die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen, so ist sie zur Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, wenn sich die Vor- Anhang 267 aussetzungen aus den Angaben der ersuSS 23 chenden Behörde ergeben. Übermittlung von Informationen an Personen und Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs SS 21 Informationsübermittlung an Personenbezogene Informationen dürfen an Strafverfolgungsbehörden in Angelegenheiten Personen oder Stellen außerhalb des öffentlides Staatsund Verfassungsschutzes chen Bereichs nicht übermittelt werden, es Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt den sei denn, dass dies zum Schutz der Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den des Bestandes oder der Sicherheit des Polizeibehörden des Landes die ihr bekannt Bundes oder eines Landes erforderlich ist gewordenen Informationen einschließlich persound der Senator für Inneres, der im nenbezogener Daten, wenn tatsächliche Verhinderungsfall durch den zuständigen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Staatssekretär vertreten wird, im Einzelfall Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung seine Zustimmung erteilt hat. Die Vervon Straftaten, die im Zusammenhang mit fassungsschutzbehörde führt über die Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus stehen, erforderlich ist. dem der Zweck der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen; die Nachweise sind gesondert SS 22 aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff Übermittlung von Informationen zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, an den öffentlichen Bereich das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf die übermit(1) Die im Rahmen der gesetzlichen Auftelten personenbezogenen Informationen nur gabenerfüllung gewonnenen, nicht personenbefür den Zweck verwenden, zu dem sie ihm zogenen Erkenntnisse der Verfassungsschutzübermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die behörde können an andere Behörden und StelVerwendungsbeschränkung und darauf len, insbesondere an die Polizei und die Staatshinzuwiesen, dass die anwaltschaft, übermittelt werden, wenn sie für Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, die Aufgabenerfüllung der empfangenden um Auskunft über die vorgenommene Stellen erforderlich sein können. Verwendung der Informationen zu bitten. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Informationen an inländische Behörden und juristische Personen des SS 24 öffentlichen Rechts übermitteln, wenn dies zur Übermittlung von Informationen Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist oder der an die Stationierungsstreitkräfte Empfänger die Informationen zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 Die Verfassungsschutzbehörde darf persooder zur Strafverfolgung benötigt oder nach SS 5 nenbezogene Informationen an Dienststellen Abs. 3 tätig wird. der Stationierungsstreitkräfte übermitteln, so(3) Die empfangende Stelle von Informaweit die Bundesrepublik Deutschland dazu im tionen nach Absatz 2 ist darauf hinzuweisen, Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens dass sie die übermittelten personenbezogenen zu dem Abkommen zwischen den Parteien Informationen nur zu dem Zweck verwenden des Nordatlantikpaktes über die Rechtsdarf, zu dessen Erfüllung sie ihr übermittelt stellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der wurden. Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183) verpflichtet ist. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass die übermittelten Informationen nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 268 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 SS 25 Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich Übermittlung von Informationen der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, an öffentliche Stellen außerhalb die Polizei übermitteln darüber hinaus auch des Geltungsbereichs des Grundgesetzes andere im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Informationen über Die Verfassungsschutzbehörde darf Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2. personenbezogene Informationen an (2) Die Verfassungsschutzbehörde kann ausländische öffentliche Stellen sowie an übervon jeder der in Absatz 1 genannten öfoder zwischenstaatliche Stellen übermitteln, fentlichen Stellen verlangen, dass sie ihr die wenn die Übermittlung zur Erfüllung ihrer zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Informationen einschließlich personenbeSicherheitsinteressen des Empfängers zogener Daten übermittelt, wenn die erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, Informationen nicht aus allgemein wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik zugänglichen Quellen oder nur mit Deutschland oder überwiegende schutzwürdige unverhältnismäßigem Aufwand oder nur Interessen der betroffenen Person durch eine den Betroffenen stärker entgegenstehen. Die Übermittlung ist nur im Einbelastende Maßnahme erhoben werden vernehmen mit dem Bundesamt für Verfaskönnen. Es dürfen nur die Informationen sungsschutz zulässig. Sie ist aktenkundig zu übermittelt werden, die bei der ersuchten machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, Behörde bereits bekannt sind. dass die übermittelten personenbezogenen In(3) Die Verfassungsschutzbehörde formationen nur zu dem Zweck verwendet werbraucht Ersuchen nicht zu begründen, soweit den dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden, dies dem Schutz der betroffenen Person und die Verfassungsschutzbehörde sich vorbedient oder eine Begründung den Zweck der hält, um Auskunft über die vorgenommene Maßnahme gefährden würde. Verwendung der Informationen zu bitten. (4) Die Übermittlung personenbezogener Informationen, die auf Grund einer Maßnahme nach SS 100 a der Strafprozessordnung SS 26 bekannt geworden sind, ist nur zulässig, Unterrichtung der Öffentlichkeit wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten Öffentlichkeit mindestens einmal jährlich über plant, begeht oder begangen hat. Auf die der Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2. Verfassungsschutzbehörde nach Satz 1 Dabei ist die Übermittlung von personenbeübermittelten Informationen findet SS 4 Abs. 6, zogenen Informationen nur zulässig, wenn die auf die dazugehörenden Unterlagen findet Bekanntgabe für das Verständnis des ZusamSS 4 Abs. 1 Satz 2 des Artikel 10-Gesetzes menhanges oder der Darstellung von Organientsprechende Anwendung. sationen oder unorganisierten Gruppierungen (5) Vorschriften zur Informationsübermitterforderlich ist und die Interessen der Allgemeinlung an die Verfassungsschutzbehörde nach heit an sachgemäßen Informationen das schutzanderen Gesetzen bleiben unberührt. würdige Interesse des Betroffenen überwiegen. (6) Die Verfassungsschutzbehörde hat die übermittelten Informationen nach ihrem Eingang unverzüglich darauf zu überprüfen, SS 27 ob sie zur Erfüllung ihrer in SS 5 genannten Übermittlung von Informationen Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüan die Verfassungsschutzbehörde fung, dass sie nicht erforderlich sind, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. Die (1) Die Behörden des Landes und die sonVernichtung unterbleibt, wenn die Trennung stigen der Aufsicht des Landes unterstehenden von anderen Informationen, die zur Erfüllung juristischen Personen des öffentlichen Rechts der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur übermitteln von sich aus der Verfassungsmit unvertretbarem Aufwand erfolgen kann; in schutzbehörde die ihnen bekannt gewordenen diesem Fall sind die Informationen gesperrt Informationen, insbesondere personenbezogene und entsprechend zu kennzeichnen. Daten, über Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2, die (7) Soweit andere gesetzliche Vorschrifdurch Anwendung von Gewalt oder darauf ten nicht besondere Regelungen über die gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt Dokumentation treffen, haben die Verfaswerden, und über geheimdienstliche Tätigkeiten. sungsschutzbehörde und die übermittelnde Anhang 269 Stelle die Informationsübermittlung aktenkundig 1. Berechtigungskennungen, zu machen. Kartennummern, Standortkennung sowie Rufnummer oder Kennung des anrufenden und angerufenen SS 27a Anschlusses oder der Endeinrichtung, Übermittlung von Informationen durch 2. Beginn und Ende der Verbindung nach nicht öffentliche Datum und Uhrzeit, Stellen an die Verfassungsschutzbehörde 3. Angaben über die Art der vom Kunden in (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Anspruch genommenen TelekommunikaEinzelfall bei Kreditinstituten, Finanzdienstleitionsund Teledienst-Dienstleistungen, stungsinstituten und Finanzunternehmen un4. Endpunkte festgeschalteter Verbindunentgeltlich Auskünfte zu Konten, Kontoinhabern gen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am und Uhrzeit. Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, wenn dies (5) Auskünfte nach den Abs. 1 bis 4 zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Der nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 erforderlich ist und Antrag ist von der Leitung der Verfassungstatsächliche Anhaltspunkte für Gefahren für Leib schutzabteilung, im Falle ihrer Verhinderung und Leben vorliegen. von ihrem Vertreter schriftlich zu stellen und (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im zu begründen. Über den Antrag entscheidet Einzelfall zur Beobachtung gewalttätiger Beder Senator für Inneres, im Fall seiner Verstrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und hinderung der Staatssekretär. Die Senatswenn tatsächliche Anhaltspunkte für Gefahren verwaltung für Inneres unterrichtet die Komfür Leib und Leben vorliegen unter den Vorausmission nach SS 2 des Gesetzes zur Aussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Art. 10-Gesetzes führung des Art. 10-Gesetzes über die bei Personen und Unternehmen, die geschäftsbeschiedenen Anträge vor deren Vollzug. Bei mäßig Postdienstleistungen erbringen, sowie bei Gefahr in Verzug kann der Senator für denjenigen, die an der Erbringung dieser DienstInneres, im Falle seiner Verhinderung der leistungen mitwirken, unentgeltlich Auskünfte zu Staatssekretär den Vollzug der Entscheidung Namen, Anschriften, Postfächern und sonstigen auch bereits vor der Unterrichtung der Umständen des Postverkehrs einholen. Kommission anordnen. Die Kommission prüft (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf im von Amts wegen oder auf Grund von BeEinzelfall bei Luftfahrtunternehmen unentgeltlich schwerden die Zulässigkeit und NotwendigAuskünfte zu Namen, Anschriften und zur keit der Einholung von Auskünften. SS 15 Inanspruchnahme von Transportleistungen und Abs. 5 des Art. 10-Gesetzes ist mit der sonstigen Umständen des Luftverkehrs Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass einholen, wenn dies zur Beobachtung gewaltdie Kontrollbefugnis der Kommission sich auf tätiger Bestrebungen nach SS 5 Abs. Nr. 2 und 3 die gesamte Erhebung, Verarbeitung und erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte Nutzung der nach den Abs. 1 bis 4 erlangten für Gefahren für Leib und Leben vorliegen. personenbezogenen Daten erstreckt. Ent(4) Die Verfassungsschutzbehörde darf im scheidungen über Auskünfte, die die Einzelfall zur Beobachtung gewalttätiger BestreKommission für unzulässig oder nicht notbungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn wendig erklärt, hat die Senatsverwaltung für tatsächliche Anhaltspunkte für Gefahren für Leib Inneres unverzüglich aufzuheben. Für die und Leben vorliegen unter den VorausVerarbeitung der nach den Abs. 1 bis 4 setzungen des SS 3 Abs. 1 des Art. 10-Gesetzes erhobenen Daten ist SS 4 des Art. 10-Gebei denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommusetzes entsprechend anzuwenden. Das Ausnikationsdienste und Teledienste erbringen oder kunftsersuchen und die übermittelten Daten daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte über dürfen dem Betroffenen oder Dritten nicht Telekommunikationsverbindungsdaten und mitgeteilt werden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Art. Teledienstnutzungsdaten einholen. Die Auskunft 10-Gesetzes findet entsprechende kann auch in Bezug auf zukünftige TelekomAnwendung. munikation und zukünftige Nutzung von Tele(6) Die Senatsverwaltung für Inneres diensten verlangt werden. Telekommunikationsunterrichtet im Abstand von höchstens sechs verbindungsdaten und Teledienstnutzungsdaten Monaten den Ausschuss für Verfassungssind: schutz des Abgeordnetenhauses über die Durchführung der Absätze 1 bis 5; dabei ist 270 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen SS 30 nach den Absätzen 1 bis 4 zu geben. Nachberichtspflicht (7) Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium Erweisen sich Informationen nach ihrer Überdes Bundes jährlich über die nach den mittlung nach den Vorschriften dieses Absätzen 1 bis 5 durchgeführten Maßnahmen; Gesetzes als unvollständig oder unrichtig, so Abs. 6 gilt entsprechend. hat die übermittelnde Stelle ihre Informa(8) Das Grundrecht des Brief-, Postund tionen unverzüglich gegenüber der empfanFernmeldegeheimnisses (Art. 10 des Grundgegenden Stelle zu ergänzen oder zu berichsetzes, Art. 16 der Verfassung von Berlin) wird tigen, wenn dies zu einer anderen Bewertung nach Maßgabe der Absätze 2, 4 und 5 der Informationen führen könnte oder zur eingeschränkt. Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person erforderlich ist. Die Ergänzung oder Berichtigung ist aktenkundig zu SS 28 machen und in den entsprechenden Dateien Übermittlungsverbote zu vermerken. Die Übermittlung von Informationen nach den Vorschriften dieses Abschnitts unterbleibt, wenn 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle VIERTER ABSCHNITT ergibt, dass die Informationen zu löschen Auskunftserteilung oder für die empfangende Stelle nicht mehr SS 31 bedeutsam sind, Auskunft an den Betroffenen 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt erfordern, einer natürlichen Person über die zu ihr ge3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, speicherten Informationen auf Antrag undass unter Berücksichtigung der Art der entgeltlich Auskunft. Die AuskunftsverpflichInformationen und ihrer Erhebung die tung erstreckt sich nicht auf Informationen, schutzwürdigen Interessen der betroffenen die nicht der alleinigen Personen das Allgemeininteresse an der Verfügungsberechtigung der VerfassungsÜbermittlung überwiegen oder schutzbehörde unterliegen, sowie auf die 4. besondere gesetzliche ÜbermittlungsreHerkunft der Informationen und die gelungen entgegenstehen; die Verpflichtung Empfänger von Übermittlungen. zur Wahrung gesetzlicher Geheim(2) Die Verfassungsschutzbehörde darf haltungspflichten oder von Berufsoder den Antrag ablehnen, wenn das öffentliche besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht Interesse an der Geheimhaltung ihrer Tätigauf gesetzlichen Vorschriften beruhen, keit oder ein überwiegendes Geheimhalbleibt unberührt. tungsinteresse Dritter gegenüber dem Interesse der antragstellenden Person an der Auskunftserteilung überwiegt. In einem solSS 29 chen Fall hat die Verfassungsschutzbehörde Minderjährigenschutz zu prüfen, ob und inwieweit eine Teilauskunft möglich ist. Ein Geheimhaltungsinteresse (1) Informationen einschließlich personenbeliegt vor, wenn zogener Daten über das Verhalten Minderjähriger dürfen nach den Vorschriften dieses 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung Gesetzes übermittelt werden, solange die Vordurch die Auskunftserteilung zu aussetzungen der Speicherung nach SS 13 besorgen ist, Abs. 2 erfüllt sind. 2. durch die Auskunftserteilung Quellen (2) Informationen einschließlich personenbegefährdet sein können oder die Ausforzogener Daten über das Verhalten Minderjähschung des Erkenntnisstandes oder der riger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürArbeitsweisen der Verfassungsschutzbefen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht hörde zu befürchten ist, an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. Anhang 271 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit geSS 32 fährden oder sonst dem Wohl des Bundes Akteneinsicht oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder (1) Sind personenbezogene Daten in Ak4. die Informationen oder die Tatsache der ten gespeichert, so kann dem Betroffenen auf Speicherung nach einer Rechtsvorschrift Antrag Akteneinsicht gewährt werden, soweit oder ihrem Wesen nach, insbesondere Geheimhaltungsinteressen oder schutzwürwegen der überwiegenden berechtigten dige Belange Dritter nicht entgegenstehen. Interessen Dritter, geheimgehalten werden SS 31 gilt entsprechend. müssen. (2) Die Einsichtnahme in Akten oder Aktenteile ist insbesondere dann zu Die Entscheidung nach den Sätzen 1 und 2 trifft versagen, wenn die Daten des Betroffenen der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder mit Daten Dritter oder ein von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. geheimhaltungsbedürftigen sonstigen (3) Die Ablehnung einer Auskunft ist zuInformationen derart verbunden sind, dass mindest insoweit zu begründen, dass eine ihre Trennung auch durch Vervielfältigung verwaltungsgerichtliche Nachprüfung der Verund Unkenntlichmachung nicht oder nur mit weigerungsgründe gewährleistet wird, ohne unverhältnismäßig großem Aufwand möglich dabei den Zweck der Auskunftsverweigerung zu ist. In diesem Fall ist dem Betroffenen gefährden. Die Gründe der Ablehnung sind in zusammenfassende Auskunft über den jedem Fall aktenkundig zu machen. Akteninhalt zu erteilen. (4) Wird die Auskunftserteilung ganz oder (3) Das Berliner Informationsfreiheitsgeteilweise abgelehnt, ist die betroffene Person setz vom 15. Oktober 1999 (GVBl. S. 561) darauf hinzuweisen, dass sie sich an den Berfindet auf die von der Verfassungsschutzabliner Beauftragten für den Datenschutz und für teilung der Senatsverwaltung für Inneres gedas Recht auf Akteneinsicht wenden kann. Dem führten Akten keine Anwendung. Berliner Beauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht der Senator für Inneres im Einzelfall feststellt, dass FÜNFTER ABSCHNITT dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Parlamentarische Kontrolle Landes gefährdet würde. Mitteilungen des SS 33 Berliner Beauftragten für den Datenschutz und Ausschuss für Verfassungsschutz für das Recht auf Akteneinsicht an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den (1) In Angelegenheiten des VerfassungsErkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde schutzes unterliegt der Senat von Berlin der zulassen, soweit sie nicht einer weitergehenden Kontrolle durch den Ausschuss für VerfasAuskunft zustimmt. Der Kontrolle durch den sungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berliner Beauftragten für den Datenschutz und Berlin. Die Rechte des Abgeordnetenhauses für das Recht auf Akteneinsicht unterliegen nicht und seiner anderen Ausschüsse bleiben unpersonenbezogene Informationen, die der Konberührt. trolle durch die Kommission nach SS 2 des (2) Der Ausschuss für Verfassungsschutz Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu besteht in der Regel aus höchstens zehn Artikel 10 Grundgesetz unterliegen, es sei denn, Mitgliedern. Das Vorschlagsrecht der Frakdie Kommission ersucht den Berliner Beauftionen für die Wahl der Mitglieder richtet sich tragten für den Datenschutz und für das Recht nach der Stärke der Fraktionen, wobei jede auf Akteneinsicht, die Einhaltung der VorschrifFraktion mindestens durch ein Mitglied verten über den Datenschutz bei bestimmten treten sein muss. Eine Erhöhung der im Vorgängen oder in bestimmten Bereichen zu Satz 1 bestimmten Mitgliederzahl ist nur kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu zulässig, soweit sie zur Beteiligung aller berichten. Fraktionen notwendig ist. (3) Scheidet ein Mitglied aus dem Abgeordnetenhaus oder seiner Fraktion aus, so verliert es die Mitgliedschaft im Ausschuss für Verfassungsschutz. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Ausschuss ausscheidet. 272 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 SS 34 Geheimhaltung SS 36 Die Öffentlichkeit wird durch einen Beschluss Vertrauensperson des Ausschusses des Ausschusses ausgeschlossen, wenn das für Verfassungsschutz öffentliche Interesse oder berechtigte Interessen eines einzelnen dies gebieten. Sofern die ÖfDer Ausschuss für Verfassungsschutz kann fentlichkeit ausgeschlossen ist, sind die Mitgliezur Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben der des Ausschusses zur Verschwiegenheit im Einzelfall nach Anhörung des Senats mit über Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen der Mehrheit seiner Mitglieder eine dabei bekannt geworden sind. Das gleiche gilt Vertrauensperson beauftragen, auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus Untersuchungen durchzuführen und dem dem Ausschuss. Die Verpflichtung zur Ausschuss über das Ergebnis in nicht öfVerschwiegenheit kann von dem Ausschuss fentlicher Sitzung zu berichten. Die aufgehoben werden, soweit nicht berechtigte Vertrauensperson soll die Befähigung zum Interessen eines Einzelnen entgegenstehen Richteramt besitzen und wird für die Dauer oder der Senat widerspricht; in diesem Fall legt der jeweils laufenden Wahlperiode vom der Senat dem Ausschuss seine Gründe dar. Ausschuss für Verfassungsschutz mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder gewählt. SS 35 Aufgaben und Befugnisse des Ausschusses (1) Der Senat hat den Ausschuss SECHSTER ABSCHNITT umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Schlussvorschriften Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge SS 37 von besonderer Bedeutung zu unterrichten; er Einschränkung von Grundrechten berichtet auch über den Erlass von Verwaltungsvorschriften. Der Ausschuss hat Anspruch auf Aufgrund dieses Gesetzes kann das GrundUnterrichtung. recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach (2) Der Ausschuss hat auf Antrag minArtikel 13 des Grundgesetzes eingeschränkt destens eines seiner Mitglieder das Recht auf werden. Erteilung von Auskünften, Einsicht in Akten und andere Unterlagen, Zugang zu Einrichtungen der Verfassungsschutzbehörde sowie auf SS 38 Anhörung von deren Dienstkräften. Die Anwendbarkeit des Berliner Befugnisse des Ausschusses nach Satz 1 Datenschutzgesetzes erstrecken sich nur auf Gegenstände, die der alleinigen Verfügungsberechtigung der VerfasBei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 sungsschutzbehörde unterliegen. durch die Verfassungsschutzbehörde finden (3) Der Senat kann die Unterrichtung über die SSSS 6a, 10 bis 17 und 19 Abs. 2 bis 4 des einzelne Vorgänge verweigern und bestimmten Berliner Datenschutzgesetzes in der Fassung Kontrollbegehren widersprechen, wenn dies ervom 17. Dezember 1990 (GVBI. 1991 S. 16, forderlich ist, um vom Bund oder einem deut54), das zuletzt durch Artikel I des Gesetzes schen Land Nachteile abzuwenden; er hat dies vom 30. Juli 2001 (GVBI. S. 305) geändert vor dem Ausschuss zu begründen. worden ist, in der jeweils geltenden Fassung (4) Das Abgeordnetenhaus kann den Auskeine Anwendung. schuss für einen bestimmten Untersuchungsgegenstand als Untersuchungsausschuss (Artikel 48 der Verfassung von Berlin) einsetzen. SS 3 SS 39 des Gesetzes über die UntersuchungsausschüsInkrafttreten, Außerkrafttreten se des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 22. Juni 1970 (GVBI. S. 925), zuletzt geändert (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach der durch Gesetz vom 24. Juni 1991 (GVBI. S. 154), Verkündung im Gesetzund findet keine Anwendung. Verordnungsblatt für Berlin in Kraft. (5) Für den Ausschuss gelten im Übrigen die (2) SS 27a tritt außer Kraft, sobald das Bestimmungen der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsschutzgesetz vom Abgeordnetenhauses von Berlin. 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), Anhang 273 zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom Gesetz 16. August 2002 (BGBl. I S. 3202), gemäß über die Voraussetzungen und das Art. 22 Abs. 2 des TerrorismusbekämpfungsVerfahren von Sicherheitsüberprüfungen gesetzes vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, im Land Berlin 3142) wieder in seiner am 31. Dezember 2001 (Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz - maßgeblichen Fassung gilt. Der Tag des BSÜG) Außerkrafttretens ist im Gesetzund Verin der Fassung vom 25. Juni 2001 ordnungsblatt für Berlin bekannt zu machen. (GVBl. S. 243), zuletzt geändert durch Art. XV des Gesetzes vom 17. Dezember 2003 (GVBl. S. 617) ERSTER ABSCHNITT Allgemeines SS1 Zweck und Anwendungsbereich des Gesetzes Zweck dieses Gesetzes ist es, 1. im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse vor der Kenntnisnahme durch Unbefugte zu schützen und den Zugang von Personen zu verhindern, bei denen ein Sicherheitsrisiko nicht ausgeschlossen werden kann (personeller Geheimschutz), und 2. die Beschäftigung von Personen, bei denen ein Sicherheitsrisiko nicht ausgeschlossen werden kann, an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen zu verhindern (personeller Sabotageschutz). ZWEITER ABSCHNITT Personeller Geheimund Sabotageschutz bei öffentlichen Stellen SS2 Sicherheitsempfindliche Tätigkeiten Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übt aus, wer 1. Zugang zu Verschlusssachen hat oder ihn sich verschaffen kann, die STRENG GEHEIM, GEHEIM oder VS-VERTRAULICH eingestuft sind, 2. Zugang zu Verschlusssachen überstaatlicher Einrichtungen und Stellen hat oder ihn sich verschaffen kann, wenn die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, nur sicherheitsüberprüfte Personen hierzu zuzulassen, 274 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 3. in dem Teil einer Behörde oder sonstigen (3) Dieses Gesetz gilt nicht für öffentlichen Stelle des Landes tätig ist, der 1. die Mitglieder des Abgeordnetenhauses; auf Grund des Umfanges und der Bedeudas Abgeordnetenhaus bestimmt im tung dort anfallender Verschlusssachen von Rahmen dieses Gesetzes die Voraussetder jeweils zuständigen obersten Landeszungen für den Zugang seiner Mitglieder behörde im Einvernehmen mit der Verfaszu geheimhaltungsbedürftigen Ansungsschutzbehörde zum Sicherheitsgelegenheiten, bereich mit dem Erfordernis einer Sicherheitsüberprüfung nach SS 10 erklärt worden 2. Richter, soweit sie Aufgaben der Rechtist, oder sprechung wahrnehmen, 4. an einer sicherheitsempfindlichen Stelle 3. ausländische Staatsangehörige, die in einer lebensoder verteidigungswichtigen der Bundesrepublik Deutschland im Inöffentlichen Einrichtung beschäftigt ist, bei teresse zwischenstaatlicher Einrichtunderen Ausfall oder Zerstörung eine erhebgen und Stellen eine sicherheitsemliche Bedrohung für die Gesundheit oder pfindliche Tätigkeit nach SS 2 Satz 1 Nr. 2 das Leben zahlreicher Menschen zu beausüben sollen. fürchten ist oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar ist. (4) Mitglieder der BezirksverordnetenverDer Senat wird ermächtigt, durch Rechtsversammlungen sowie Personen, die vom ordnung die zu schützenden Arten von EinrichAbgeordnetenhaus oder einer Bezirksverordtungen oder Teile von Einrichtungen abnetenversammlung in ein öffentliches Amtsschließend festzulegen. oder Dienstverhältnis gewählt oder berufen werden, sind Geheimnisträger kraft Amtes. Sie sind auf eigenen Antrag einer SicherSS3 heitsüberprüfung zu unterziehen. Dies gilt für Betroffener Personenkreis Staatssekretäre entsprechend. (1) Eine Person, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll (BeSS4 troffener), ist vorher einer SicherheitsüberprüZuständigkeit fung zu unterziehen. Die beamtenund arbeitsrechtlichen Pflichten bleiben unberührt. Auf eine (1) Die Aufgaben dieses Gesetzes werSicherheitsüberprüfung nach diesem Gesetz den von der Behörde oder sonstigen öffentkann verzichtet werden, wenn der Betroffene lichen Stelle wahrgenommen, die einer Perbereits vor weniger als fünf Jahren im erstrebten son eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit Umfang oder höher überprüft worden ist und die übertragen will (zuständige Stelle). Für die Unterlagen verfügbar sind. Eine sicherheitsGeheimschutzbeauftragten und ihre Vertreter empfindliche Tätigkeit darf erst nach Vollendung werden die Aufgaben der zuständigen Stelle des 16. Lebensjahres übertragen werden. von dem für die Verfassungsschutzbehörde (2) Soweit dieses Gesetz vorsieht, können zuständigen Geheimschutzbeauftragten auch Angaben zum volljährigen Ehegatten, Lewahrgenommen. Zuständige Stelle für benspartner oder Partner, mit dem der BetrofBehördenleiter ist die oberste Landesbefene in einer auf Dauer angelegten Gemeinhörde. schaft lebt (Lebensgefährte), erhoben und sie in (2) Die Aufgaben der zuständigen Stelle die Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden. nach diesem Gesetz sind von einer von der Geht der Betroffene die Ehe ein, begründet er Personalverwaltung getrennten Organisaeine Lebenspartnerschaft oder beginnt er eine tionseinheit wahrzunehmen. Die zuständige auf Dauer angelegte Gemeinschaft während Stelle sollte bei der Ausübung dieser oder erst nach erfolgter Sicherheitsüberprüfung, Tätigkeit dem Behördenleiter unmittelbar so hat er die zuständige Stelle umgehend zu unterstellt sein. unterrichten, die über die Erhebung von (3) Mitwirkende Behörde bei der SicherAngaben zum Ehegatten, Lebenspartner oder heitsüberprüfung ist nach SS 5 Abs. 3 Satz 1 Lebensgefährten und über deren Einbeziehung Nr. 1 und 2 des Verfassungsschutzgesetzes in die Sicherheitsüberprüfung entscheidet; dies Berlin vom 25. März 1995 (GVBl. S. 254, gilt auch bei später eintretender Volljährigkeit 762), das zuletzt durch Artikel II des des Ehegatten, Lebenspartners oder LebensgeGesetzes vom 30. November 2000 (GVBl. fährten. S. 495) geändert worden ist, die Verfassungsschutzbehörde. Anhang 275 (4) Die sicherheitsempfindlichen Stellen von benswichtige Interessen der Bundesrelebensoder verteidigungswichtigen öffentlichen publik Deutschland oder eines ihrer Einrichtungen nach SS 2 Satz 1 Nr. 4 werden auf Länder gefährden kann, deren Antrag von der Verfassungs2. GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme schutzbehörde im Einvernehmen mit der durch Unbefugte die Sicherheit der zuständigen obersten Landesbehörde bestimmt. Bundesrepublik Deutschland oder eines (5) Die Aufgaben der zuständigen Stelle bei ihrer Länder gefährden oder ihren der Überprüfung gemäß SS 3 Abs. 4 Satz 2 werInteressen schweren Schaden zufügen den für vom Abgeordnetenhaus Gewählte vom kann, Präsidenten des Abgeordnetenhauses und für von einer Bezirksverordnetenversammlung Ge3. VS-VERTRAULICH, wenn die Kenntniswählte von dem für die Verfassungsschutzbenahme durch Unbefugte für die Interhörde zuständigen Geheimschutzbeauftragten essen der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen. oder eines ihrer Länder schädlich sein (6) Die Verwaltung des Abgeordnetenhaukann, ses ist zuständig für die Sicherheitsüberprüfung 4. VS-NUR FÜR DEN der Mitarbeiter der Abgeordneten und der FrakDIENSTGEBRAUCH, wenn die tionen, die Zugang zu Verschlusssachen gemäß Kenntnisnahme durch Unbefugte für die SS 6 erhalten sollen. Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann. SS5 Bestellung von Geheimschutzbeauftragten (3) Eine Person, die Zugang zu Verschlusssachen erhalten soll oder sich ver(1) Bei Stellen, die mindestens fünf Persoschaffen kann, ist nach einer Sicherheitsnen eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit überüberprüfung und dem Ergebnis, dass keine tragen haben, ist ein Geheimschutzbeauftragter Sicherheitsrisiken vorliegen oder erkennbar zu bestellen. Er nimmt die Aufgaben der zustänsind, von der zuständigen Stelle förmlich zu digen Stelle (SS 4 Abs. 1) wahr, sorgt dafür, dass belehren und zu ermächtigen. Die Belehrung die erforderlichen Geheimschutzmaßnahmen und die Ermächtigung werden ohne förmliche getroffen werden, und führt die SicherheitsSicherheitsüberprüfung vorgenommen, wenn überprüfungen durch. SS 4 Abs. 2 findet Anwenes sich nur um Verschlusssachen des dung. Wird weniger als fünf Personen eine Geheimhaltungsgrades VS-NUR FÜR DEN sicherheitsempfindliche Tätigkeit übertragen, so DIENSTGEBRAUCH handelt. nimmt die Aufgaben des Geheimschutzbeauftragten der Leiter der Stelle oder sein Vertreter wahr. SS7 (2) Abweichend von Absatz 1 können die Sicherheitsrisiken obersten Landesbehörden und die Bezirksämter mit Zustimmung der Verfassungsschutzbehörde (1) Sicherheitsrisiken sind Umstände, die für die zu ihrem Geschäftsbereich gehörenden es aus Gründen des staatlichen Geheimnachgeordneten Behörden die Aufgaben gemäß schutzes oder des Sabotageschutzes verAbsatz 1 übernehmen. bieten, einem Betroffenen eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit zuzuweisen. Die Beurteilung ist auf den Einzelfall SS6 abzustellen. Verschlusssachen (2) Ein Sicherheitsrisiko liegt vor, wenn (1) Verschlusssachen sind im öffentlichen tatsächliche Anhaltspunkte Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, 1. Zweifel am Bekenntnis des Betroffenen Gegenstände oder Erkenntnisse unabhängig zur freiheitlichen demokratischen Grundvon ihrer Darstellungsform. Sie werden entordnung im Sinne des Grundgesetzes sprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer oder am jederzeitigen Eintreten für deren amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung Erhaltung begründen, eingestuft. (2) Eine Verschlusssache ist 2. Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer 1. STRENG GEHEIM, wenn die Kenntnisnahsicherheitsempfindlichen Tätigkeit me durch Unbefugte den Bestand oder lebegründen oder 276 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 3. eine besondere Gefährdung durch AnbahSS9 nungsoder Werbungsversuche fremder Arten der Sicherheitsüberprüfung Nachrichtendienste, insbesondere die Besorgnis der Erpressbarkeit, begründen. (1) Entsprechend der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit wird entEin Sicherheitsrisiko kann auch auf Grund tatweder eine sächlicher Anhaltspunkte zur Person des Ehe1. einfache Sicherheitsüberprüfung (SÜ 1), gatten oder Lebenspartners oder Lebensge2. erweiterte Sicherheitsüberprüfung (SÜ 2) fährten vorliegen. oder 3. erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (SÜ 3) SS8 Rechte und Pflichten des Betroffenen durchgeführt. und der einbezogenen Person (2) Ergeben sich bei der Sicherheitsüberprüfung tatsächliche Anhaltspunkte, die eine (1) Der Betroffene ist über Art und Umfang weitergehende Überprüfung notwendig mader beabsichtigten Sicherheitsüberprüfung chen, kann die zuständige Stelle die nächstsowie über die damit verbundene Erhebung und höhere Art der Sicherheitsüberprüfung mit Speicherung personenbezogener Daten und die Zustimmung des Betroffenen und der einzuwietere Datenverarbeitung zu unterrichten. Wird beziehenden oder einbezogenen Person eine weitergehende Sicherheitsüberprüfung als anordnen. Diese ist jedoch nur soweit durchursprünglich vorgesehen notwendig (SS 9 Abs. 2), zuführen, wie es zur Aufklärung des Sicherso ist auch für diese eine entsprechende Unterheitsrisikos erforderlich ist. SS 15 Abs. 4 bleibt richtung erforderlich. unberührt. (2) Die Einwilligung des Betroffenen ist Voraussetzung für die Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung. Sie bezieht sich nur auf SS 10 die Art der Sicherheitsüberprüfung, die GegenEinfache Sicherheitsüberprüfung stand der Unterrichtung war, sowie auf die Befragungen, die nach Art der Sicherheitsüber(1) Die einfache Sicherheitsüberprüfung prüfung vorgeschrieben sind. Willigt der ist für Personen durchzuführen, die Betroffene in die Sicherheitsüberprüfung nicht 1. Zugang zu VS-VERTRAULICH eingeein, so ist die Sicherheitsüberprüfung undurchstuften Verschlusssachen erhalten sollen führbar. Dem Betroffenen darf dann keine oder ihn sich verschaffen können oder sicherheitsempfindliche Tätigkeit übertragen 2. eine Tätigkeit in entsprechend eingewerden. stuften Bereichen nach SS 2 Satz 1 Nr. 3 (3) Der Betroffene ist verpflichtet, die zur oder 4 wahrnehmen sollen. Sicherheitsüberprüfung erforderlichen Angaben vollständig und wahrheitsgemäß zu machen. (2) In den Fällen von Absatz 1 Nr. 2 kann (4) Der Betroffene kann Angaben verweidie zuständige Stelle von der Sicherheitsgern, die für ihn, einen nahen Angehörigen im überprüfung absehen, wenn Art oder Dauer Sinne von SS 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung der Tätigkeit dies zulassen. oder den Lebensgefährten die Gefahr strafrechtlicher oder disziplinarischer Verfolgung, der Entlassung oder Kündigung begründen könnten. SS 11 Über das Verweigerungsrecht ist der Betroffene Erweiterte Sicherheitsüberprüfung zu belehren. (5) Sollen Angaben zum Ehegatten oder Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung ist für Lebenspartner oder Lebensgefährten erhoben Personen durchzuführen, die oder soll einer von diesen in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden, gelten die Ab1. Zugang zu GEHEIM eingestuften Versätze 1 bis 4 entsprechend. schlusssachen erhalten sollen oder ihn (6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch für die sich verschaffen können, Ergänzung der Sicherheitserklärung und Wie2. Zugang zu einer hohen Anzahl von VSderholungsüberprüfungen. VERTRAULICH eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können oder Anhang 277 3. an sicherheitsempfindlichen Stellen von schutzwürdige Interessen des Betroffenen lebensoder verteidigungswichtigen Einrichoder seines Ehegatten oder Lebenspartners tungen nach SS 2 Satz 1 Nr. 4 beschäftigt oder Lebensgefährten entgegen, können sind oder werden sollen, andere geeignete Personen oder Stellen soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall befragt werden. Ist zum Zwecke der Sammnach Art und Dauer der Tätigkeit eine Sicherlung von Informationen die Weitergabe persoheitsüberprüfung nach SS 10 für ausreichend hält. nenbezogener Daten unerlässlich, so dürfen schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen nur in unvermeidbarem Umfang SS 12 beeinträchtigt werden. Der Einsatz nachErweiterte Sicherheitsüberprüfung mit richtendienstlicher Mittel ist nicht zulässig. Sicherheitsermittlungen Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit SiSS 14 cherheitsermittlungen ist für Personen durchzuEinleitung der Sicherheitsüberprüfung führen, die 1. Zugang zu STRENG GEHEIM eingestuften (1) Die zuständige Stelle unterrichtet den Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn Betroffenen und die einzubeziehende Person sich verschaffen können, über die Rechte und Pflichten nach SS 8 und fordert sie zur Abgabe der Sicherheitser2. Zugang zu einer hohen Anzahl von klärung auf. Anzugeben sind frühere SicherGEHEIM eingestuften Verschlusssachen heitsüberprüfungen und erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können oder 1. Namen, auch frühere, und Vornamen, 3. als Dienstkräfte der Verfassungsschutzbe2. Geburtsdatum und -ort, Bundesland, hörde tätig werden sollen, 3. Staatsangehörigkeit, auch frühere und soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall doppelte Staatsangehörigkeiten, nach Art und Dauer der Tätigkeit eine Sicher4. Familienstand, heitsüberprüfung nach SS 10 oder SS 11 für ausreichend hält. 5. Wohnsitze und Aufenthalte von längerer Dauer als zwei Monate, und zwar im Inland in den vergangenen fünf Jahren, SS 13 im Ausland ab dem 18. Lebensjahr, Datenerhebung 6. ausgeübter Beruf, (1) Die zuständige Stelle und die Verfas7. Arbeitgeber und dessen Anschrift, sungsschutzbehörde dürfen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforder8. Anzahl der Kinder, lichen Daten erheben. Der Betroffene, die ein9. im Haushalt lebende Personen über 18 zubeziehende Person sowie die sonstigen zu Jahre (Namen, auch frühere, und Vorbefragenden Personen und nicht-öffentlichen namen, Geburtsdatum und -ort; VerhältStellen sind auf den Zweck der Erhebung, die nis zu dieser Person), Auskunftspflichten nach diesem Gesetz und auf 10. Eltern, gegebenenfalls Stiefoder Pflegeeine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige eltern (Namen, auch frühere, und Vornavertragliche Mitwirkungspflicht, ansonsten auf men, Geburtsdatum und -ort, die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. Bei Staatsangehörigkeit und Wohnsitz), Sicherheitsüberprüfungen gemäß SS 4 Abs. 4 kann die Angabe der erhebenden Stelle gegen11. Ausbildungsund Beschäftigungszeiten, über den sonstigen zu befragenden Personen Wehrund Zivildienstzeiten mit Angabe oder nicht-öffentlichen Stellen unterbleiben, der Ausbildungsstätten, Beschäftigungswenn dies zum Schutz des Betroffenen oder der stellen sowie deren Anschriften, Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist. 12. Nummer des Personalausweises oder (2) Die zuständige Stelle erhebt die perReisepasses, sonenbezogenen Daten grundsätzlich beim Be13. Angaben über in den vergangenen fünf troffenen und, falls es darüber hinaus erforJahren durchgeführte Zwangsvollstreckderlich ist, gesondert bei dem in die Sicherheitsungsmaßnahmen und darüber, ob zur überprüfung einzubeziehenden Ehegatten oder Zeit die finanziellen Verpflichtungen erLebenspartner oder Lebensgefährten. Reicht füllt werden können, diese Erhebung nicht aus oder stehen ihr 278 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 14. Kontakte zu anderen Nachrichtendiensten Vollständigkeit und Richtigkeit. Die einschließlich der Nachrichtendienste der zuständige Stelle richtet eine Anfrage an den ehemaligen Deutschen Demokratischen ReBundesbeauftragten für die Unterlagen des publik, Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen 15. Beziehungen zu Organisationen, die von Deutschen Demokratischen Republik, wenn ihren Anhängern unbedingten Gehorsam der Betroffene oder die einbezogene Person verlangen und deshalb den Betroffenen in vor dem 13. Januar 1972 geboren wurde und Konflikt mit seiner Verschwiegenheitspflicht der personalverwaltenden Stelle eine bringen können, uneingeschränkte Auskunft nicht vorliegt. SS 13 Abs. 2 Satz 1 gilt entsprechend. Die 16. Beziehungen zu verfassungsfeindlichen Orzuständige Stelle leitet die Sicherheitsganisationen, erklärung und sicherheitserhebliche Erkennt17. anhängige Strafund Disziplinarverfahren, nisse an die Verfassungsschutzbehörde wei18. Angaben zu Wohnsitzen, Aufenthalten, Reiter, teilt dieser mit, in welcher sicherheitsemsen, nahen Angehörigen und sonstigen pfindlichen Tätigkeit der Betroffene im EinBeziehungen in und zu Staaten, von denen zelnen eingesetzt werden soll, und beauftragt die Verfassungsschutzbehörde festgestellt diese, die nach SS 15 erforderlichen Maßnahhat, dass besondere Sicherheitsrisiken zu men durchzuführen. Dies entfällt, wenn die besorgen sind, und zuständige Stelle bereits bei der Prüfung der Sicherheitserklärung festgestellt hat, dass ein 19. drei Referenzpersonen (Namen und VornaSicherheitsrisiko vorliegt, das einer sichermen, Berufe, berufliche und private heitsempfindlichen Tätigkeit entgegensteht. Anschriften und Rufnummern sowie zeitlicher Beginn der Bekanntschaft). SS 15 Der Sicherheitserklärung sind zwei aktuelle Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörde Lichtbilder mit der Angabe des Jahres der bei den einzelnen Überprüfungsarten Aufnahme beizufügen. (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach (1) Bei einer Sicherheitsüberprüfung nach SS 10 entfallen die Angaben zu Absatz 1 Satz 2 SS 10 trifft die Verfassungsschutzbehörde zur Nr. 8, 11, 12 und 19 sowie die Pflicht, Lichtbilder Feststellung und Aufklärung eines Sicherbeizubringen; Absatz 1 Satz 2 Nr. 10 entfällt, heitsrisikos folgende Maßnahmen: soweit die dort genannten Personen nicht in einem Haushalt mit dem Betroffenen leben. 1. sicherheitsmäßige Bewertung der An(3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach gaben in der Sicherheitserklärung unter SS 11 entfällt die Angabe zu Absatz 1 Satz 2 Berücksichtigung der Erkenntnisse der Nr. 19. Verfassungsschutzbehörden des Bundes (4) In jeder Sicherheitsüberprüfung werden und der Länder, zur Person des Ehegatten oder Lebenspartners 2. Anfragen unter Beteiligung der Landesoder Lebensgefährten die Angaben nach Absatz kriminalämter an die Polizeidienststellen 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4, 14 und 16 erhoben. Bei eider Wohnsitze des Betroffenen, in der ner Einbeziehung nach SS 15 Abs. 2 Nr. 3 sind Regel beschränkt auf die letzten fünf zusätzlich die in Absatz 1 Satz 2 Nr. 5 bis 7, 12, Jahre, und, soweit es im Einzelfall sach13, 17, und 18 genannten Daten anzugeben. dienlich erscheint, an das Bundeskrimi(5) Bei Sicherheitsüberprüfungen der in SS 4 nalamt, Abs. 4 genannten Personen sind zusätzlich die 3. Anfragen an die für das Meldewesen zuWohnsitze seit der Geburt, die Geschwister und ständigen Behörden der Wohnsitze des abgeschlossene Strafund Disziplinarverfahren Betroffenen, in der Regel beschränkt auf sowie alle Kontakte zu ausländischen Nachrichdie letzten fünf Jahre, und tendiensten oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Repu4. Ersuchen um Datenübermittlung aus blik anzugeben. dem zentralen staatsanwaltschaftlichen (6) Die Sicherheitserklärung ist vom BetrofVerfahrensregister und Einholung einer fenen der zuständigen Stelle zuzuleiten. Sie unbeschränkten Auskunft aus dem prüft die Angaben des Betroffenen und, soweit Bundeszentralregister. möglich, des Ehegatten oder Lebenspartners oder Lebensgefährten anhand der (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach Personalunterlagen des Betroffenen auf SS 11 trifft die Verfassungsschutzbehörde zusätzlich zu Absatz 1 folgende Maßnahmen: Anhang 279 1. Prüfung der Identität des Betroffenen, ist der Quellenschutz zu gewährleisten und 2. Anfragen an die Grenzschutzdirektion und den schutzwürdigen Belangen von Personen, die Nachrichtendienste des Bundes und die in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen wurden, Rechnung zu tragen. Die Anhörung 3. Überprüfung und, soweit erforderlich, Beunterbleibt, wenn sie einen erheblichen fragung des Ehegatten oder Lebenspartners Nachteil für die Sicherheit des Bundes oder oder Lebensgefährten des Betroffenen in eines Landes zur Folge hätte, insbesondere dem in Absatz 1 genannten Umfang, sofern bei Sicherheitsüberprüfungen der Bewerber nicht die zuständige Stelle von der bei der Verfassungsschutzbehörde. Einbeziehung abgesehen hat. Von der Ein(5) Liegen in der Person des Ehegatten beziehung kann in den Fällen des SS 11 oder Lebenspartners oder Lebensgefährten Nr. 3, bei dauernd getrennt lebenden EheAnhaltspunkte vor, die ein Sicherheitsrisiko gatten oder Lebenspartnern sowie in verbegründen, ist ihm Gelegenheit zu geben, gleichbaren Fällen abgesehen werden. sich vor der Ablehnung der Zulassung des (3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach Betroffenen zu einer sicherheitsempfindlichen SS 12 befragt die Verfassungsschutzbehörde Tätigkeit zu den für die Entscheidung erhebzusätzlich zu den Maßnahmen der Absätze 1 lichen Tatsachen zu äußern. Absatz 4 Satz 2 und 2 Referenzpersonen, um zu prüfen, ob die bis 4 gilt entsprechend. Angaben des Betroffenen zutreffen und ob ein (6) Die zuständige Stelle entscheidet, ob Sicherheitsrisiko vorliegt. ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das der sicher(4) In Fällen, in denen ein Sicherheitsrisiko auf heitsempfindlichen Tätigkeit des Betroffenen Grund der vorstehenden Maßnahmen nicht ausentgegensteht. Kann die Sicherheitsüberprügeschlossen werden kann und die Befragung fung nicht mit der Feststellung abgedes Betroffenen oder seines Ehegatten, Lebensschlossen werden, dass kein partners oder Lebensgefährten nicht ausreicht Sicherheitsrisiko vorliegt, hat das oder ihr schutzwürdige Belange Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Beentgegenstehen, können von anderen geeiglangen. neten Stellen, insbesondere Staatsanwalt(7) Lehnt die zuständige Stelle die Verschaften oder Gerichten, zusätzliche Auskünfte wendung in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit eingeholt oder weitere geeignete Auskunftsperab, ist der Betroffene zu unterrichten. sonen befragt werden. (8) Die Absätze 1 bis 7 sind auch im Falle der Ablehnung einer Weiterbeschäftigung in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit SS 16 anzuwenden. Abschluss der Sicherheitsüberprüfung (1) Ein Rechtsanspruch auf Verwendung in SS 17 einem sicherheitsempfindlichen Bereich oder auf Vorläufige Zuweisung Ermächtigung zur Bearbeitung von Verschlusseiner sicherheitsempfindlichen Tätigkeit sachen besteht nicht. (2) Kommt die Verfassungsschutzbehörde Die zuständige Stelle kann in zu dem Ergebnis, dass kein Sicherheitsrisiko Ausnahmefällen abweichend von SS 3 Abs. 1 vorliegt, teilt sie dies der zuständigen Stelle mit. die sicherheitsempfindliche Tätigkeit des Hat die Verfassungsschutzbehörde ErkenntnisBetroffenen vor Abschluss der se, die kein Sicherheitsrisiko begründen, aber Sicherheitsüberprüfung erlauben, wenn die weiterhin sicherheitserheblich sind, übermittelt Verfassungsschutzbehörde sie dies der zuständigen Stelle. (3) Sieht die Verfassungsschutzbehörde ein 1. bei der einfachen Sicherheitsüberprüfung Sicherheitsrisiko als gegeben an, unterrichtet sie die Angaben in der Sicherheitserklärung schriftlich unter Darlegung der Gründe und ihrer unter Berücksichtigung der eigenen Bewertung die zuständige Stelle. Bei Erkenntnisse bewertet hat und sich hiernachgeordneten Stellen erfolgt die Unterrichtung bei keine Erkenntnisse ergeben haben, über die zuständige oberste Landesbehörde. die auf ein Sicherheitsrisiko hindeuten, (4) Über Umstände, die zur Ablehnung der oder Zulassung führen können, gibt die zuständige 2. bei der erweiterten SicherheitsüberStelle dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußeprüfung und bei der erweiterten Sicherrung. Der Betroffene kann zur Anhörung einen heitsüberprüfung mit Rechtsbeistand hinzuziehen. Bei der Anhörung Sicherheitsermittlungen die Maßnahmen 280 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 der nächstniederen Art der Sicherheitsüberprüfung abgeschlossen hat, auch (1) Die zuständige Stelle führt über den wenn bei dieser eine Antwort auf eine Betroffenen eine Sicherheitsakte, in die alle Anfrage nach SS 14 Abs. 6 Satz 3 noch nicht die Sicherheitsüberprüfung betreffenden vorliegt, und sich keine Erkenntnisse erInformationen aufzunehmen sind. geben haben, die auf ein Sicherheitsrisiko (2) Informationen über die persönlichen, hindeuten. dienstlichen und arbeitsrechtlichen Verhältnisse der mit sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten befassten Personen sind zur SicherSS 18 heitsakte zu nehmen, soweit sie für die Erkenntnisse nach Abschluss der sicherheitsmäßige Beurteilung erheblich sind. Sicherheitsüberprüfung Zu diesen Informationen zählen insbesondere: (1) Die zuständige Stelle und die Verfas1. Betrauen mit einer sicherheitsempfindsungsschutzbehörde unterrichten sich gegenseilichen Tätigkeit, die dazu erteilte Ertig, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse mächtigung sowie deren Änderung und über den Betroffenen oder zu der nach SS 15 Beendigung, Abs. 2 Nr. 3 einbezogenen Person bekannt wer2. Umsetzung, Abordnung, Versetzung und den oder sich mitgeteilte Erkenntnisse als unAusscheiden, richtig erweisen. (2) Die mitwirkende Behörde prüft die mit3. Änderung des Familienstandes, des Nageteilten Erkenntnisse und stellt fest, ob ein mens, eines Wohnsitzes und der StaatsSicherheitsrisiko vorliegt. Im Übrigen findet SS 16 angehörigkeit, entsprechend Anwendung. 4. Anhaltspunkte für Überschuldung, z. B. Pfändungsund Überweisungsbeschlüsse, SS 19 5. nicht getilgte Strafund Ergänzung der Sicherheitserklärung Disziplinarsachen sowie dienstund und Wiederholungsüberprüfung arbeitsrechtliche Maßnahmen. (3) Die Verfassungsschutzbehörde führt (1) Die Sicherheitserklärung ist dem Betrofüber den Betroffenen eine Sicherheitsüberfenen, der eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit prüfungsakte, in die aufzunehmen sind: ausübt, und der nach SS 15 Abs. 2 Nr. 3 einbezogenen Person in der Regel alle fünf Jahre 1. Informationen, die die Sicherheitsübererneut zur Aktualisierung zuzuleiten. prüfung, die durchgeführten Maßnahmen (2) Die zuständige Stelle kann eine Wieund das Ergebnis betreffen, derholungsüberprüfung einleiten, wenn tatsäch2. das Ausscheiden aus oder die Nichtaufliche Anhaltspunkte gemäß SS 7 Abs. 2 bekannt nahme der sicherheitsempfindlichen Täwerden, die auf ein Sicherheitsrisiko hindeuten. tigkeit, Auf die Wiederholungsüberprüfung finden die 3. Änderungen des Familienstandes, des Vorschriften über die Erstüberprüfung AnwenNamens, eines Wohnsitzes und der dung. Bei Sicherheitsüberprüfungen nach den Staatsangehörigkeit, SSSS 11 und 12 sind in der Regel im Abstand von zehn Jahren Wiederholungsüberprüfungen 4. die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 4 und 5 gedurchzuführen. Sie ist bei den Sicherheitsübernannten Daten nur, wenn sie sicherheitsprüfungen nach SS 11 jedoch nur soweit durcherheblich sind. zuführen, wie der Überprüfungszweck dies erfordert, und umfasst zumindest die Maßnahmen (4) Sicherheitsakten und Sicherheitsübernach SS 15 Abs. 1 Nr. 1 bis 4. Bei Sicherheitsprüfungsakten sind keine Personalakten. Sie überprüfungen nach SS 12 umfasst die Wiedersind gesondert zu führen und dürfen der perholungsüberprüfung alle Maßnahmen nach SS 15; sonalverwaltenden Stelle nicht zugänglich die mitwirkende Behörde kann von einer erneugemacht werden. Wechselt der Betroffene zu ten Identitätsprüfung absehen. einer anderen Behörde oder sonstigen öffentlichen Stelle, ist die Sicherheitsakte an die nunmehr zuständige Stelle abzugeben, wenn SS 20 auch dort eine sicherheitsempfindliche TätigSicherheitsakte und keit ausgeübt werden soll. Auf Anforderung Sicherheitsüberprüfungsakte ist die Sicherheitsüberprüfungsakte an die Anhang 281 nunmehr mitwirkende aller Zwecke des Verfassungsschutzes Verfassungsschutzbehörde abzugeben. genutzt und übermittelt werden. (5) Die zuständige Stelle ist verpflichtet, die (4) Die mitwirkende Behörde darf persoin Absatz 3 Nr. 2 bis 4 genannten Daten unvernenbezogene Daten nach den Absätzen züglich der mitwirkenden Behörde zu übermit- 2 und 3 nur an öffentliche Stellen übermitteln. teln. (5) Die Übermittlung von personenbezogenen Daten ist aktenkundig zu machen. Die Nutzung oder Übermittlung personenbezogeSS 21 ner Daten unterbleibt, soweit gesetzliche VerNutzung, Verarbeitung und Behandlung wendungsregelungen entgegenstehen. Der der Unterlagen und Daten, Zweckbindung Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verarbeiten und nutzen, zu (1) Die Unterlagen und Daten über die Sidessen Erfüllung sie ihm übermittelt werden, cherheitsüberprüfung sind gesondert aufzubeund zum Zweck der Strafverfolgung gemäß wahren und gegen unbefugten Zugriff zu Absatz 2 Satz 2 Nr. 2. Eine nicht-öffentliche schützen. Stelle ist darauf hinzuweisen. (2) Die im Rahmen der Sicherheitsüberprü(6) Unterlagen über die Sicherheitsüberfung rechtmäßig erhobenen personenbeprüfung sind zu vernichten, wenn sie nicht zogenen Daten dürfen zur Durchführung der mehr benötigt werden, Sicherheitsüberprüfung nicht an andere als die 1. von der zuständigen Stelle spätestens im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung zu bea) nach Ablauf eines Jahres nach Abteiligenden Behörden und Stellen übermittelt schluss der Sicherheitsüberprüfung, werden. Sie dürfen von der zuständigen Stelle wenn der Betroffene keine sicherheitsoder Verfassungsschutzbehörde nur für empfindliche Tätigkeit aufnimmt, es sei 1. die mit der Sicherheitsüberprüfung verfolgdenn, der Betroffene willigt in die weiten Zwecke, tere Aufbewahrung ein, b) nach Ablauf von fünf Jahren nach 2. Zwecke der Verfolgung von Straftaten von dem Ausscheiden des Betroffenen aus erheblicher Bedeutung, der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, 3. Zwecke der strafoder disziplinarrechtlichen es sei denn, es ist beabsichtigt, dem Verfolgung sowie von dienstoder arbeitsBetroffenen erneut eine sicherheitsemrechtlicher Maßnahmen, die sich aus der pfindliche Tätigkeit zuzuweisen, und Sicherheitsüberprüfung ergeben, wenn dies der Betroffene willigt in die weitere zur Gewährleistung des VerschlusssachenAufbewahrung ein, schutzes erforderlich ist, 2. von der mitwirkenden Behörde 4. Zwecke parlamentarischer Untersuchungsa) bei einfachen Sicherheitsüberprüfunausschüsse gen nach Ablauf von fünf Jahren nach genutzt und übermittelt werden. Die Nutzung dem Ausscheiden des Betroffenen von Erkenntnissen aus Anfragen nach SS 14 aus der sicherheitsempfindlichen Abs. 6 Satz 3 ist nur unter den Voraussetzungen Tätigkeit, des SS 29 Stasi-Unterlagen-Gesetzes vom b) bei den übrigen Überprüfungsarten 20. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2272), das nach Ablauf von zehn Jahren nach zuletzt durch vom 20. Dezember 1996 (BGBl. I den in Nummer 1 genannten Fristen, S. 2026) geändert worden ist, zulässig. Die c) die nach SS 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 geStrafverfolgungsbehörden dürfen die Ihnen nach speicherten Daten, wenn feststeht, Satz 2 Nr. 2 übermittelten Daten für Zwecke dass der Betroffene keine sicherheitseines Strafverfahrens nur verwenden, wenn die empfindliche Tätigkeit aufnimmt oder Strafverfolgung auf andere Weise erheblich aus ihr ausgeschieden ist. weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre. (7) Im Übrigen sind in Unterlagen über (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf die die Sicherheitsüberprüfung gespeicherte gespeicherten Daten nutzen und anderen Verpersonenbezogene Daten zu löschen, wenn fassungsschutzbehörden übermitteln, wenn dies ihre Speicherung unzulässig ist. Die für Zwecke der Spionageund TerrorismusLöschung unterbleibt, wenn Grund zu der abwehr oder zur Abwehr sonstiger extremistiAnnahme besteht, dass durch sie scher Bestrebungen von erheblicher Bedeutung schutzwürdige Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Die nach SS 22 Abs. 2 Satz 1 beeinträchtigt würden. In diesem Fall sind die Nr. 1 gespeicherten Daten dürfen zur Erfüllung Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit 282 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Einwilligung des Betroffenen verarbeitet oder (1) Die zuständige Stelle oder mitwirkengenutzt werden. de Behörde erteilt auf schriftlichen Antrag der anfragenden Person (Antragsteller) unentSS 22 geltlich Auskunft über die im Rahmen der SiSpeichern, Verändern und Nutzen cherheitsüberprüfung zu seiner Person gepersonenbezogener Daten in Dateien speicherten Daten. (2) Bezieht sich die Auskunft auf perso(1) Die zuständige Stelle darf zur Erfüllung nenbezogene Daten, die von der zuständigen ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz die in SS 14 Stelle der mitwirkenden Behörde übermittelt Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 und 6 genannten perwurden, so ist die Auskunft nur mit deren Zusonenbezogenen Daten, ihre Aktenfundstelle stimmung zulässig. Entsprechendes gilt für und die der mitwirkenden Behörde sowie die Bedie Auskunftserteilung durch die zuständige schäftigungsstelle, Verfügungen zur Bearbeitung Stelle hinsichtlich solcher Daten, die ihr von des Vorganges und beteiligte Behörden in der mitwirkenden Behörde übermittelt wurDateien speichern, verändern und nutzen. den. (2) Die mitwirkende Behörde darf zur Erfül(3) Die Auskunft unterbleibt, soweit lung ihrer Aufgaben 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung 1. die in SS 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 genannder speichernden Stelle durch die Austen personenbezogenen Daten des kunftserteilung zu besorgen ist, Betroffenen und des in die Sicher2. die Auskunft die öffentliche Sicherheit heitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten gefährden oder sonst dem Wohl des oder Lebenspartners oder Lebensgefährten Bundes oder eines Landes Nachteile und die Aktenfundstelle, bereiten würde oder 2. Verfügungen zur Bearbeitung des Vorgan3. die Daten oder die Tatsache der Speiges und cherung nach einer Rechtsvorschrift oder 3. sicherheitserhebliche Erkenntnisse und Erihrem Wesen nach oder wegen der überkenntnisse, die ein objektives Sicherheitswiegenden berechtigten Interessen Dritrisiko begründen, ter geheimgehalten werden müssen in Dateien speichern, verändern und nutzen. Die und deswegen das Interesse des AntragDaten nach Satz 1 Nr. 1 dürfen auch in nach SS 6 stellers an der Auskunftserteilung zurücktredes Bundesverfassungsschutzgesetzes zulässiten muss. gen Verbunddateien gespeichert werden. (4) Die Ablehnung der Auskunft bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der SS 23 Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet Berichtigen, Löschen und Sperren würde. Die Gründe der Auskunftsverweigepersonenbezogener Daten rung sind aktenkundig zu machen. Wird die Auskunft ganz oder teilweise abgelehnt, ist (1) Die zuständige Stelle und die Verfasder Antragsteller auf die Rechtsgrundlage für sungsschutzbehörde haben personenbezogene das Fehlen der Begründung und darauf Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. hinzuweisen, dass er sich an den Berliner Wird die Richtigkeit personenbezogener Daten Beauftragten für den Datenschutz und für das vom Betroffenen oder der einbezogenen Person Recht auf Akteneinsicht wenden kann. bestritten, so ist dies, soweit sich die personenDiesem ist auf Verlangen Auskunft zu erbezogenen Daten in Akten befinden, dort zu verteilen. Personenbezogene Daten einer Permerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. In son, der Vertraulichkeit zugesichert worden Dateien gesperrte Informationen sind entspreist, dürfen nur dem Berliner Beauftragten für chend zu kennzeichnen. Zuständige Stelle und den Datenschutz und für das Recht auf Verfassungsschutzbehörde unterrichten einanAkteneinsicht persönlich offenbart werden. der. Mitteilungen des Berliner Beauftragten für (2) Auf in Dateien gespeicherte personenden Datenschutz und für das Recht auf bezogene Daten findet SS 21 Abs. 6 und 7 entAkteneinsicht dürfen keine Rückschlüsse auf sprechend Anwendung. den Erkenntnisstand der zuständigen Stelle und der mitwirkenden Behörden zulassen, sofern diese nicht einer weitergehenden SS 24 Auskunft zustimmen. Auskunft, Akteneinsicht (5) Dem Betroffenen haben die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde auf Anhang 283 Antrag Einsicht in die Teile der Sicherheitsund können, so hat der Betroffene die zuständige Sicherheitsüberprüfungsakten zu gewähren, die Stelle unverzüglich nach seiner Rückkehr zu Daten zu seiner Person enthalten. Die Abunterrichten. sätze 2 bis 4 gelten entsprechend. Die Einsichtnahme in Sicherheitsakten ist insbesondere dann zu versagen, wenn überwiegende öffentliche oder überwiegende GeheimhaltungsinterDRITTER ABSCHNITT essen Dritter entgegenstehen oder die Daten Personeller Geheimund Sabotageschutz des Betroffenen mit Daten Dritter derart verbei nicht-öffentlichen Stellen bunden sind, dass ihre Trennung nach VervielSS 26 fältigung und Unkenntlichmachung nicht oder Weitergabe geheimhaltungsbedürftiger nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand Angelegenheiten, möglich ist. In diesem Fall ist dem Betroffenen Sabotageschutz zusammenfassende Auskunft über den Akteninhalt zu erteilen. (1) An eine nicht-öffentliche Stelle dürfen (6) Das Auskunftsrecht sowie das EinsichtsVerschlusssachen erst weitergegeben und recht in die Sicherheitsakten nach Absatz 4 Verträge mit einer nicht-öffentlichen Stelle, Satz 3 in Verbindung mit Absatz 5 darf nur vom bei deren Abwicklung Verschlusssachen entBerliner Beauftragten für den Datenschutz und stehen, erst geschlossen werden, nachdem für das Recht auf Akteneinsicht persönlich ausdie zuständige Stelle unter Mitwirkung der geübt werden, wenn die VerfassungsschutzbeVerfassungsschutzbehörde geprüft und hörde im Einzelfall feststellt, dass dies die bestätigt hat, dass Sicherheit des Bundes oder eines Landes gebie1. keine Umstände vorliegen, die Zweifel an tet. Entsprechendes gilt für die Sicherheitsüberder Wahrung des Geheimschutzes prüfungsakte. begründen können, (7) SS 24 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 Buchstabe c und Satz 5 des Bundesdatenschutzgesetzes findet 2. die erforderlichen Anwendung. Geheimschutzmaßnahmen getroffen sind und die Sicherheitsüberprüfungen der betroffenen SS 25 Personen durchgeführt sind. Reisebeschränkungen Die zuständige Stelle kann von einer eigenen Prüfung absehen, wenn sich die nicht öf(1) Personen, die eine sicherheitsempfindfentliche Stelle in der Geheimschutzliche Tätigkeit im Sinne von SS 2 Abs. 1 Satz 1 betreuung des Bundes oder eines anderen Nr. 1 bis 4 ausüben, die eine SicherheitsüberBundeslandes befindet und in diesem prüfung nach SSSS 11 und 12 erfordert, können Zusammenhang bereits Feststellungen zu verpflichtet werden, Dienstund Privatreisen in den in Satz 1 Nr. 1 bis 3 genannten Vorausund durch Staaten, für die besondere Sichersetzungen getroffen worden sind. heitsregelungen gelten, der zuständigen Stelle (2) Auf Antrag einer nicht-öffentlichen leoder der nicht-öffentlichen Stelle rechtzeitig vorbensoder verteidigungswichtigen her anzuzeigen. Die Verfassungsschutzbehörde Einrichtung kann die zuständige Stelle die wird ermächtigt, die Personengruppen und die Einrichtung oder Teile von ihr zur Staaten durch eine Dienstanweisung festzusicherheitsempfindlichen Stelle erklären, bei legen. Die Verpflichtung kann auch für die Zeit deren Ausfall oder Zerstörung eine erhebnach dem Ausscheiden aus der sicherheitsemliche Bedrohung für die Gesundheit oder das pfindlichen Tätigkeit angeordnet werden. Leben zahlreicher Menschen zu befürchten (2) Die zuständige Stelle kann die Reise oder die für das Funktionieren des untersagen, wenn Anhaltspunkte zur Person Gemeinwesens unverzichtbar ist. oder eine besonders sicherheitsempfindliche (3) Für den personellen Geheimund Tätigkeit vorliegen, die eine erhebliche GeSabotageschutz bei nicht-öffentlichen Stellen fährdung des Betroffenen durch fremde Nachgelten die Vorschriften der SSSS 2 bis 25 entrichtendienste erwarten lassen. sprechend, sofern nicht nachfolgend etwas (3) Ergeben sich insbesondere bei einer anderes geregelt ist. Reise in und durch Staaten, für die besondere (4) Die nicht-öffentliche Stelle darf die Sicherheitsregelungen gelten, Anhaltspunkte, nach diesem Gesetz zur Erfüllung ihrer Aufdie auf einen Anbahnungsoder Werbungsgaben erforderlichen personenbezogenen versuch fremder Nachrichtendienste hindeuten 284 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Daten der betroffenen Person in Dateien speichern, verändern und nutzen. SS 27 SS 29 Zuständigkeit Sicherheitserklärung, Sicherheitsakte (1) Für den personellen Geheimschutz und (1) Abweichend von SS 14 Abs. 6 nimmt den personellen Sabotageschutz werden die der Sicherheitsbevollmächtigte der nichtAufgaben der zuständigen Stelle von der Veröffentlichen Stelle die Sicherheitserklärung fassungsschutzbehörde wahrgenommen, soweit entgegen. Er prüft die Vollständigkeit und nicht im Einvernehmen mit ihr die für Wirtschaft Richtigkeit der Angaben gegebenenfalls unter zuständige oberste Landesbehörde die Aufgabe Beziehung der Personalunterlagen und gibt als zuständige Stelle wahrnimmt. sie an die zuständige Stelle weiter. Er teilt (2) Die Entscheidung nach SS 26 Abs. 2 trifft Erkenntnisse mit, die auf ein Sicherheitsrisiko die Verfassungsschutzbehörde. hindeuten. (2) Für die Sicherheitsakte in der nichtöffentlichen Stelle gelten die Vorschriften dieSS 28 ses Gesetzes über die Sicherheitsakte entBestellung eines Sicherheitsbevollmächtigten sprechend mit der Maßgabe, dass die Sicherheitsakte der nicht-öffentlichen Stelle bei (1) Liegt ein Vertrag zwischen einer nichteinem Wechsel des Arbeitgebers nicht abgeöffentlichen Stelle und der zuständigen Stelle geben wird. zur Durchführung der Sicherheitsüberprüfungen oder die Bestimmung zur sicherheitsempfindlichen Stelle im Sinne von SS 4 Abs. 5 vor, SS 30 benennt die Geschäftsleitung der zuständigen Abschluss der Sicherheitsüberprüfung, Stelle einen fachlich und persönlich geeigneten Weitergabe von Erkenntnissen leitenden Unternehmensangehörigen als Sicherheitsbevollmächtigten, der in AngeDie zuständige Stelle unterrichtet den Silegenheiten des Geheimschutzes und des cherheitsbevollmächtigten nach Abstimmung personellen Sabotageschutzes für die ordmit der Verfassungsschutzbehörde nur darünungsgemäße Durchführung der Sicherheitsber, ob oder ob keine Bedenken bestehen, überprüfungen verantwortlich und mit den erdass dem Betroffenen eine sicherheitsemforderlichen Befugnissen ausgestattet ist. Der pfindliche Tätigkeit übertragen wird. ErkenntSicherheitsbevollmächtigte muss der Geschäftsnisse, auf denen diese Entscheidung beruht, leitung unmittelbar unterstellt sein; die Verdürfen nicht mitgeteilt werden. Zur Gewährleiantwortung der Geschäftsleitung bleibt hierdurch stung des Verschlusssachenschutzes können unberührt. sicherheitserhebliche Erkenntnisse an die (2) Der Sicherheitsbevollmächtigte muss sinicht-öffentliche Stelle übermittelt werden und cherheitsüberprüft sein nach der höchsten bei dürfen von ihr ausschließlich zu diesem der nicht-öffentlichen Stelle vorkommenden Zweck genutzt werden. Die nicht-öffentliche Verschlusssacheneinstufung. Stelle hat die zuständige Stelle unverzüglich (3) Die Aufgaben der nicht-öffentlichen Stelzu unterrichten, wenn Erkenntnisse zum Bele nach diesem Gesetz sind grundsätzlich von troffenen oder zur einbezogenen Person beeiner der Personalverwaltung getrennten kannt werden, die auf ein Sicherheitsrisiko Organisationseinheit wahrzunehmen. Die zuhindeuten. ständige Stelle kann Ausnahmen zulassen, wenn die nicht-öffentliche Stelle sich verpflichtet, Informationen, die ihr im Rahmen der SS 31 Sicherheitsüberprüfung bekannt werden, nur für Behördliche Aufsicht solche Zwecke zu gebrauchen, die mit der Sicherheitsüberprüfung verfolgt werden. (1) Soweit eine nicht-öffentliche Stelle (4) Der Sicherheitsbevollmächtigte wird für über Verschlusssachen die zuständige Stelle den personellen Geheimschutz und für den perunter Mitwirkung der Verfassungsschutzbesonellen Sabotageschutz von der Verfassungshörde die Ausführung dieses Gesetzes und schutzbehörde in seine Aufgaben eingeführt. der vertraglich übernommenen Pflichten. Die Verfassungsschutzbehörde berät und (2) Die mit geheimhaltungsbedürftigen informiert in Fragen des personellen GeheimAngelegenheiten befasste nicht-öffentliche und des personellen Sabotageschutzes. Stelle hat der zuständigen Stelle bei der Anhang 285 Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 die SS 34 erforderliche Unterstützung zu gewähren. Sie Strafvorschriften hat insbesondere die geheimhaltungsbedürftigen Angelegenheiten (1) Wer unbefugt von diesem Gesetz geund die zu deren Schutz getroffenen Maßschützte personenbezogene Daten, die nicht nahmen nachzuweisen. Die zuständige Stelle ist offenkundig sind, befugt, soweit es zur Wahrnehmung der Aufga1. speichert, verändert oder übermittelt, ben nach Absatz 1 erforderlich ist, Grundstücke und Geschäftsräume der mit geheimhaltungsbe2. zum Abruf mittels automatisierten dürftigen Angelegenheiten befassten nicht-öfVerfahrens bereithält oder fentlichen Stelle zu betreten und dort Prüfungen 3. abruft oder sich oder einem anderen aus und Besichtigungen vorzunehmen. Die nichtDateien verschafft, öffentliche Stelle hat diese Maßnahmen zu wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr dulden. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit oder mit Geldstrafe bestraft. der Wohnung (Artikel 13 Grundgesetz, Artikel 28 (2) Ebenso wird bestraft, wer Abs. 2 der Verfassung von Berlin) wird insoweit 1. die Übermittlung von durch dieses Geeingeschränkt. setz geschützten personenbezogenen Daten, die nicht offenkundig sind, durch unrichtige Angaben erschleicht oder SS 32 Parteien 2. entgegen SS 21 Abs. 2 oder SS 30 Daten für andere Zwecke nutzt, indem er sie Politischen Parteien nach Artikel 21 des innerhalb der Stelle an einen anderen Grundgesetzes, die über Organisationseinheiten weitergibt. verfügen, die den in SS 2 Satz 1 Nr. 3 beschriebenen Stellen vergleichbar oder die mit geheim(3) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in haltungsbedürftigen Angelegenheiten befasst der Absicht, sich oder einen anderen zu besind, obliegt die Durchführung von Sicherheitsreichern oder einen anderen zu schädigen, überprüfungen für Mitarbeiter und Mitglieder, die so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Zugang zu Verschlusssachen gemäß SS 6 erhalJahren oder Geldstrafe. ten sollen, und der Maßnahmen nach diesem Gesetz selbst. Die Verfassungsschutzbehörde (4) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. kann auf Ersuchen Maßnahmen nach SS 15 übernehmen, wenn die Voraussetzungen nachgewiesen sind. SS 35 Übergangsvorschriften (1) Bei Sicherheitsüberprüfungen, die vor VIERTER ABSCHNITT Inkrafttreten dieses Gesetzes abgeschlossen Schlussvorschriften wurden, ist die Wiederholungsüberprüfung SS 33 gemäß SS 19 zehn Jahre nach Abschluss der Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften Erstoder der letzten Wiederholungsüberprüfung durchzuführen. (1) Die Verfassungsschutzbehörde erlässt (2) Maßnahmen im Rahmen von Sicherdie zur Ausführung dieses Gesetzes erforderheitsüberprüfungen, die vor Inkrafttreten dielichen Verwaltungsvorschriften. ses Gesetzes eingeleitet wurden, aber noch (2) Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften nicht abgeschlossen sind, gelten weiter, sozur Ausführung dieses Gesetzes im Bereich der fern sie nach den Bestimmungen dieses nicht-öffentlichen Stellen erlässt die VerfasGesetzes gleichwertig sind. sungsschutzbehörde im Einvernehmen mit der (3) Sicherheitsund Sicherheitsüberprüfür Wirtschaft zuständigen obersten Landesbefungsakten sind bis zum Ablauf von zwölf hörde. Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes den Erfordernissen des SS 20 anzupassen. 286 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 SS 36 2. SS 11 wird wie folgt geändert: Änderung von Gesetzen a) SS 11 Abs. 2 wird aufgehoben. Das Gesetz über das Landesamt für Verfasb) Die bisherigen Absätze 3 und 4 wer sungsschutz in der Fassung vom 25. März 1995 den die neuen Absätze 2 und 3. (GVBl. S. 254, 762 ) wird wie folgt geändert: 1. SS 5 Abs. 3 wird wie folgt geändert: a) Satz 2 wird wie folgt gefasst: SS 37 "Die Befugnisse des Landesamtes für Inkrafttreten Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 sind im Berliner Dieses Gesetz tritt am ersten Tage des auf Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom die Verkündung im Gesetzund Verord2. März 1998 (GVBl S. 26) geregelt." nungsblatt für Berlin folgenden Kalenderb) Satz 3 wird aufgehoben. monats in Kraft. Anhang 287 Personenund Sachregister 1. Mai 35, 60, 80, 83, 86, 87, 88, 89, 91, 95, 98, AQIDA Siehe Hochschulgruppe für Kultur und 99, 188, 253 Wissenschaften 11. September 36, 102, 115, 116, 117, 165, 215, Arbeiterkommunistische Partei Irans 25, 217, 218 223 Arbeiterpartei Kurdistans 29, 109, 111, 124, 125, 219, 220, 256 A AS Siehe Kameradschaft Süd - Aktionsbüro Süddeutschland AA/BO Siehe Antifaschistische Aktion/BundesASSEM, Shaker 122, 211 weite Organisation ATIF Siehe Föderation der Arbeiter aus der AAB Siehe Antifaschistische Aktion Berlin Türkei in Deutschland e. V ADHF Siehe Föderation für demokratische RechATIK Siehe Konföderation der Arbeiter aus der te in Deutschland e. V. Türkei in Europa ADHK Siehe Konföderation für demokratische ATTA, Mohammad 115, 116 Rechte in Europa Autonome 10, 20, 78, 80, 82, 91, 100, 159, 168, AGIF Siehe Föderation der 195, 198, 199, 200, 201, 252 ArbeitsimmigrantInnen aus der Türkei in Autonome Antifa Nord-Ost 20 Deutschland Autonome Nationalisten Berlin 38, 42, 168 AHMEDOGLU, Sefer 223 Autonome Szene 22, 92, 159, 198, 199, 200, AKIF, Mohammad Mahdi 217 201, 202 AKON Siehe Aktion Oder-Neiße AYDIN, Harun 225 AKP Siehe Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei B Aktion Oder-Neiße 178 Aktionsbüro Mitteldeutschland - Nationaler WiderB&H Siehe Blood & Honour stand Berlin / Brandenburg 17, 18, 37, 38, 167, B.A.N.G Siehe Berliner Anti-NATO-Gruppe 168 BA-SO Siehe Berliner Alternative Süd-Ost Aktionsfront Nationaler Sozialisten 175 Beklenen Asr-i Saadet 224, 227 Aktionsorientierter Rechtsextremismus 173 Berliner Alternative Süd-Ost 37, 40, 41, 94, 171, Al-Aqsa e. V. 213 249 al-Aqsa-Intifada 27, 202, 209, 212 Berliner Anti-NATO-Gruppe 90 ALB Siehe Antifaschistische Linke Berlin Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz 146, 147, Al-Manar Siehe Der Leuchtturm 149, 150, 151, 233, 259, 272, 285 Al-Nur-Moschee 110, 119 BERNHARD, Bernd 64 Al-Qaida 26, 112, 113, 114, 115, 119, 214 Bewaffnete Streitkräfte der Armen und UnterAL-RASHTA, Ata Abu 211 drückten 131, 227 Altautonome 199 Bewegung der freien Jugend Kurdistans 127, 220 Al-Tawhid 117, 118 BIN LADIN, Usama 26, 27, 113, 114, 164, 214, AL-ZAWAHIRI, Aiman 214 215 AMGT Siehe Vereinigung der Neuen Weltsicht in BINALSHIB, Ramzi 116 Europa e. V. Blood & Honour 10, 43, 45, 51, 52, 168, 169, Anarchisten 78, 158, 159 170, 174, 176, 177 ANB Siehe Autonome Nationalisten Berlin Brandanschläge 81, 83, 86, 87, 105, 198, 219, Anti-Antifa 38, 167, 168 251 Antifa 20, 37, 38, 40, 42, 90, 93, 94, 95, 96, 99, BSÜG Siehe Berliner Sicherheitsüberprüfungs159, 167, 168, 195, 196 gesetz Antifa A+P (Agitation und Praxis) 195 Bundesverfassungsgericht 181, 194 Antifaschismus 37, 76, 80, 92, 98, 195, 197, 199, 201, 251 C Antifaschistische Aktion Berlin 89, 97, 98, 99, 159, 195, 196, 197, 201, 251 CHRISTOPHERSEN, Thies 71, 192 Antifaschistische Aktion/Bundesweite Committee for a Workers International 207 Organisation 196 Antifaschistische Linke Berlin 88, 90, 93, 95, 96, D 97, 98, 99, 101, 102, 104, 196, 197, 251 D.S.T. Siehe Deutsch Stolz Treue Anti-Globalisierung 80, 81, 207 Das erwartete Zeitalter der Glückseligkeit Siehe Antiimperialisten 78 Beklenen Asr-i Saadet Antisemitismus 21, 68, 69, 95, 158, 184, 185, DEHOUST, Peter 190 203, 206 Der Islam als Alternative 224, 227 APFEL, Holger 180 Der Leuchtturm 209 API Siehe Arbeiterkommunistische Partei Irans Der Republikaner 183 288 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Deutsch Stolz Treue 45, 48, 49, 173 Freiheitliche demokratische Grundordnung 55, Deutsche Kommunistische Partei 19, 22, 77, 95, 66, 151, 156, 161, 168, 233, 234, 236, 240, 101, 193 259, 261, 263 Deutsche Liga für Volk und Heimat 190 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei 175 Deutsche Stimme 179, 180 Freiheitlich-Unabhängig-National 73, 74, 187, Deutsche Volksunion 33, 35, 56, 60, 62, 63, 64, 188 73, 177, 178, 179, 182, 183, 190 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans Deutsches Kolleg 66, 67, 68, 70, 183, 184,185, 29, 30, 111, 124, 125, 126, 127, 219, 220, 256 186, 187 FREY, Dr. Gerhard 61, 62, 177, 178, 182, 190 DHKP Siehe Revolutionäre Volksbefreiungsfront FUN Siehe Freiheitlich-Unabhängig-National DHKP-C Siehe Revolutionäre VolksbefreiungsFUN-Partei 66, 73 partei-Front FZ Freiheitlicher Buchund Zeitschriften-Verlag DIA Siehe Der Islam als Alternative GmbH 178 Die Gemeinde Muhammads Siehe Ümmet-i Muhammed G Die Republikaner 33, 35, 56, 60, 62, 63, 64, 182, 183, 190 Geheimschutz 146, 148, 149, 150, 272, 283 DK Siehe Deutsches Kolleg Geheimschutzbeauftragter 147, 148, 273, 274 DKP Siehe Deutsche Kommunistische Partei Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei 111, 127, DLVH Siehe Deutsche Liga für Volk und Heimat 128, 129, 130, 222, 223, 224 DONALDSON, Stuart 169, 174 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin DÖRING, Osman 128 146, 149, 151, 156, 232, 233, 236, 238, 239, DS Siehe Deutsche Stimme 258 DSZ Druckschriftenund Zeitungs-Verlag GmbH Gesetz über die Voraussetzungen und das Ver178 fahren von Sicherheitsüberprüfungen im Land DVU Siehe Deutsche Volksunion Berlin 272 Gewaltdelikte 33, 34, 78, 79, 81, 109, 110, 245, 246, 247, 250, 253, 254 E Gewalttaten 47, 93, 109, 161, 200 Ehrenbund Rudel 178 Globalisierung 61, 101, 102, 103, 141, 189, 191, Einbürgerungsverfahren 151, 240, 259 228, 251 EMUG Siehe Europäische Moscheebauund Grundgesetz 63, 161, 232, 233, 235, 258, 259, Unterstützungsgemeinschaft e. V. 260, 262, 267, 269, 271, 284 Entrismus 204 ERBAKAN, Mehmet Sabri 221, 222, 223 H ERBAKAN, Necmettin 111, 127, 128, 129, 130, 221, 222, 223, 224 HABIB, Muhammed 217 ERDOGAN, Recep Tayyip 111, 127, 129, 133, HÄHNEL, Jörg 61 222, 223, 224 HAKK-TV 226 ESA Siehe External Security Apparatus HAMAS Siehe Islamische Widerstandsbewegung Europäische Moscheebauund UnterstützungsHammerskins 168, 169, 170, 176 gemeinschaft e. V. 221 HEKMAT, Mansoor 217, 218 Explizit 210 HESS, Rudolf 39, 180 External Security Apparatus 209 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. 33, 172 Hizb Allah 25, 26, 27, 30, 107, 208, 209, 210 F Hizb ut Tahrir 255 FADLALLAH, Ayatallah Muhammad Hussain 27 Hizb ut-Tahrir al-islami 5, 9, 11, 109, 111, 121, Faschismus 21, 93, 96, 158, 159, 160, 195, 199, 122, 210, 211, 212, 255 229 HKO Siehe Volksbefreiungsarmee FAU Siehe Freie Arbeiter Union HNG Siehe Hilfsorganisation für nationale politiFazilet Partisi 222 sche Gefangene und deren Angehörige e. V. FESK Siehe Bewaffnete Streitkräfte der Armen Hochschulgruppe für Kultur und Wissenschaften und Unterdrückten 121, 122 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in HOGGAN, David 192 Deutschland e. V 230 HPG Siehe Volksverteidigungskräfte Föderation der ArbeitsimmigrantInnen aus der HS Siehe Hammerskins Türkei in Deutschland 228 HUDAIBI, Ma'mun 28, 216 Föderation der iranischen Flüchtlingsund ImmiHUSSEIN, Saddam 16, 17, 18, 21, 23, 27, 30, grantenräte e. V. 218 41, 189, 190, 256 Föderation für demokratische Rechte in DeutschHuT Siehe Hizb ut-Tahrir al-islami land e. V. 133, 230 I FP Siehe Fazilet Partisi I.f.A. Siehe Initiative für Ausländerbegrenzung Freie Arbeiter Union 23, 90 Anhang 289 IBP Siehe Islamischer Bund Palästina Kommunistische Partei Deutschlands 160, 161, ICCB Siehe Verband der islamischen Vereine 193, 194 und Gemeinden e. V. Köln Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in EuIFIR Siehe Föderation der iranischen ropa 230 Flüchtlingsund Immigrantenräte e. V. Konföderation für demokratische Rechte in IGD Siehe Islamische Gemeinschaft in Europa 230 Deutschland e. V. KONGRA-GEL Siehe Volkskongress Kurdistans IGMG Siehe Islamische Gemeinschaft Milli Kontrollverfahren 232 Görüs e. V. Konzerte 35, 50, 169, 173 In cameraVerfahren 240 Koran 216, 221 Indymedia 205 Körperverletzungen 94, 176, 244, 248 Initiative für Ausländerbegrenzung 178 KP Siehe Kritik & Praxis B3rlin INTERIM 20, 22, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 89, KPD Siehe Kommunistische Partei Deutschlands 91, 93, 94, 97, 98, 99, 100, 101, 105, 198, 200, KRAUSS, Winfried 73 201, 202, 205 Kritik & Praxis 90, 197, 251 International Socialists 204 Kritik & Praxis B3rlin 97, 98, 196, 197, 198 Irak-Krieg 14, 16, 17, 19, 20, 21, 22, 23, 26, 27, KS Siehe Kameradschaften 28, 29, 39, 66, 77, 80, 81, 83, 102, 112, 113, KS Tor Siehe Kameradschaft Tor Berlin 123, 131, 196, 204 Kurdischer Nationalkongress 124, 125 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. KUTAN, Recai 222 217 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V 9, 11, L 25, 107, 112, 127, 128, 129, 221, 222, 223, 224 Landfriedensbruch 34, 79, 80, 109, 110, 244, Islamisches Kulturund Erziehungszentrum Berlin 245, 246, 250, 253, 254 e. V. 213, 217 Landser 40, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 52, 173, 177, Islamische Widerstandsbewegung 25, 27, 28, 249 107, 209, 212, 213 Legion of Thor 45, 49, 50, 51, 173 Islamischer Bund Palästina 212 LEUCHTER, Fred 71 Islamismus 122, 162, 163, 221, 241 Lichtenberg 35 44, 52, 171 Israel-Palästina-Debatte 90, 99, 202 linkeseite 206 Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden 209, 212, 213 Linksextremismus 19, 34, 76, 78, 158, 193, 195, 238, 241, 251 Linksruck 20, 22, 23, 78, 101, 203, 204, 207 J Liste D 177 Jihad 26, 28, 113, 114, 164, 211, 213, 214, 215, 216, 226, 255 M JN Siehe Junge Nationaldemokraten Jugend-wacht - Die Zeitschrift für die nationaliMAHLER, Horst 35, 56, 67, 68, 69, 70, 184, 186, stische Jugendbewegung 181 211 Junge Nationaldemokraten 16, 58, 61, 179, 181 Maoistische Kommunistische Partei 131, 132, 133, 134, 135, 229, 230 Märkischer Heimatschutz 38 K Marxismus-Leninismus 158, 160, 161, 193, 194, KADEK Siehe Freiheitsund 227 Demokratiekongress Kurdistans Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei Kalifatsstaat 109, 120, 224, 225, 226, 227, 255 25, 112, 130, 132, 134, 227, 228 Kameradschaft Süd - Aktionsbüro Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands Süddeutschland 36 10, 19, 22, 194, 195 Kameradschaft Tor Berlin 37, 38, 39, 41, 42, 48, MB Siehe Muslimbruderschaft 171 MEENEN, Uwe 184 Kameradschaften 34, 37, 41, 42, 48, 167, 168, MEK Siehe Volksmodjahedin Iran-Organisation 170, 171, 172 Meliani-Gruppe 117 Kameradschaftsszene 17, 18, 32, 34, 37, 38, 40, mg Siehe militante gruppe 42, 93, 167, 168, 249 MHS Siehe Märkischer Heimatschutz Kampfbund Deutscher Sozialisten 15, 16, 17, 18, Militante Antiimperialistische Gruppe - 188, 189, 190 Aktionszelle Pierre Overney 82, 83, 84, 85, 86, KAPLAN, Cemaleddin 224, 225 87, 105, 205 KAPLAN, Metin 120, 225, 226 militante gruppe 10, 19, 20, 21, 80, 81, 82, 83, KARAHAN, Yavuz Celik 128, 224 84, 85, 86, 89, 91, 105, 202, 204, 205, 252 KDS Siehe Kampfbund Deutscher Sozialisten Militanz 91, 101, 160, 165, 198, 199, 215 KLEIST, Peter 192 Militanzdebatte 81, 82, 84, 86, 105, 202 KNK Siehe Kurdischer Nationalkongress Milli-Görüs-Bewegung 222 Kommunismus 131, 132, 159, 160, 197, 198, 250 MKP Siehe Maoistische Kommunistische Partei 290 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 MLKP Siehe Marxistisch-Leninistische KommuPalästinensischer Islamischer Jihad 209 nistische Partei Partizan-Flügel 134, 230 MLPD Siehe Marxistisch-Leninistische Partei PIJ Siehe Palästinensischer Islamischer Jihad Deutschlands PKK Siehe Arbeiterpartei Kurdistans MOTASSADEQ, Mounir 115, 116 Proliferation 138, 143, 144, 145 Muhacirin-Moschee 226 Propagandadelikte 33, 79, 109, 110, 176, 245, Mujahidin 26, 28, 110, 113, 114, 115, 163, 214 246, 248, 250, 254 Musikszene 35, 43, 44, 45, 46, 50, 52, 53, 169, 170, 171, 173, 174, 177 Q Muslimbruderschaft 25, 28, 107, 163, 164, 212, 215, 216, 217 Quellenschutz 237, 278 MZOUDI, Abdelghani 116 QUTB, Sayyid 164, 216 N R Nachrichtendienste 137, 138, 139, 140, 141, 144, RAB Siehe Rote Aktion Berlin 148, 274, 277, 278, 282 RADJAVI, Maryam 122, 123 Nachrichtendienstliche Mittel 236 RANTISI, Abdul Aziz 27 Nachrichtendienstliches Informationssystem Rassismus 95, 96, 100, 158, 159, 184, 199, 203, 238, 258, 260 246 nadir 205 RBF Siehe Republikanischer Bund der Frauen NADIS Siehe Nachrichtendienstliches InformaRechtsextremismus 14, 32, 33, 34, 35, 36, 37, tionssystem 44, 59, 62, 64, 65, 69, 92, 93, 157, 167, 171, NASRALLAH, Hassan 210 172, 173, 175, 181, 183, 187, 188, 191, 206, Nation & Europa - Deutsche Monatshefte 18, 66, 240 191, 190 REINHOLZ, Gordon 38 Nationaldemokratische Partei Deutschlands 17, REP Siehe Die Republikaner 18, 32, 33, 35, 40, 42, 43, 48, 51, 53, 55, 56, RepBB Siehe Republikanischer Bund der 57, 58, 59, 60, 61, 73, 95, 98, 172, 175, 177, öffentlich Bediensteten 179, 180, 181, 184, 190, 249 Republikanischer Bund der Frauen 182 Nationaldemokratischer Hochschulbund e. V. 179 Republikanischer Bund der öffentlich Nationale Alternative 175 Bediensteten 182 Nationale Befreiungsarmee 218 Republikanischer Hochschulverband 182 Nationaler Widerstand Berlin-Brandenburg 48 Revisionismus 65, 70, 160, 185, 186, 191, 192 Nationaler Widerstandsrat Iran 218, 219 Revolutionäre 1. Mai-Demonstration 19, 83, 90 Nationalsozialismus 49, 158, 171, 172, 191, 246 revolutionäre aktion carlo giuliani 82, 84, 205 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Revolutionäre Kommunisten 90 172 Revolutionäre Volksbefreiungsfront 112, 130, National-Zeitung / Deutsche Wochen-Zeitung 62, 132, 133, 134, 228, 229 63, 177, 178 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front 112, Neonazi 32, 33, 35, 37, 39, 40, 47, 51, 65, 167, 130, 132, 133, 134, 228, 229 168, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 177 Revolutionärer 1. Mai 19, 83, 85, 87, 228, 230 Neonazismus 96, 158 Revolutionärer Aufbau 86 NHB Siehe Nationaldemokratischer HochschulRH Siehe Rote Hilfe e. V. bund e. V. RHV Siehe Republikanischer Hochschulverband NLA Siehe Nationale Befreiungsarmee RIEGER, Jürgen 60 NPD Siehe Nationaldemokratische Partei RK Siehe Revolutionäre Kommunisten Deutschlands Rote Aktion Berlin 90 NSDAP Siehe Nationalsozialistische Deutsche Rote Hilfe e. V. 78 Arbeiterpartei RUDOLF, Germar 192 NWBB Siehe Aktionsbüro Mitteldeutschland - Nationaler Widerstand Berlin - Brandenburg S NWRI Siehe Nationaler Widerstandsrat Iran Saadet Partisi 111, 127, 128, 129, 222, 223, 224 NZ Siehe National-Zeitung / Deutsche WochenSabotageschutz 146, 151, 235, 272, 282, 283 Zeitung Sachbeschädigungen 198, 202 O SAV Siehe Sozialistische Alternative Voran OBERLERCHER, Dr. Reinhold 184, 185, 186 Scharia 216, 221, 224, 225 SCHLIERER, Dr. Rolf 61, 64, 182 Ö SCHÖNHUBER, Franz 182, 183 SCHWERDT, Frank 61 ÖCALAN, Abdullah 126, 127, 219 Selbstmordattentate 208, 209 P Sicherheitsüberprüfung 235, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 283 PAKLEPPA, Jens 16 Anhang 291 Skinheads 32, 35, 44, 168, 169, 170, 172, 173, Verband der islamischen Vereine und Gemeinden 174, 175, 176, 240, 249, 293 e. V. Köln 120, 224 SOFU, Dr. Halil Ibrahim 225 Verein für die Rehabilitierung der wegen BezweiSozialistische Alternative Voran 22, 23, 78, 101, felns des Holocausts Verfolgten 65, 66, 67, 70 103, 207 Verein zur Solidarität mit Familien von Inhaftierten SP Siehe Saadet Partisi und Verurteilten 133, 134 Spionageabwehr 136, 238 Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V. Spreegeschwader 45, 48, 49, 50, 51, 173, 174 221, 222, 224, 225 Straftaten 40, 143 Verschlusssachen 146, 147, 148, 149, 150, 272, stressfaktor 206 273, 274, 275, 276, 278, 282, 283, 284 Sunna 216, 221 VOIGT, Udo 18, 51, 55, 59, 60, 61, 180, 212 Volksbefreiungsarmee 229, 230 T Volkskongress Kurdistans 111, 124, 125, 126, 127, 219, 220, 256 Taliban 214 Volksmodjahedin Iran-Organisation 111, 122, TAYAD-Komitee Siehe Verein zur Solidarität mit 123, 218, 219 Familien von Inhaftierten und Verurteilten Volksverhetzung 34, 49, 67, 68, 69, 70, 109, 110, TECAK Siehe Bewegung der freien Jugend 174, 187, 210, 245, 246, 254 Kurdistans Volksverteidigungskräfte 30, 125, Terrorismus 79, 106, 110, 112, 115, 136, 138, V-Personen 237 162, 163, 165, 215, 218, 235, 245, 250, 254, VRBHV Siehe Verein für die Rehabilitierung der 256 wegen Bezweifelns des Holocausts Verfolgten Terrorismusbekämpfungsgesetz 233, 236 VSG Bln Siehe Gesetz über den VerfassungsTIKKO Siehe Türkische Arbeiterund Bauernschutz in Berlin befreiungsarmee TKP/ML Siehe Türkische Kommunistische Partei W / Marxisten-Leninisten Tötungsdelikte 34, 79, 110, 244, 245, 246, 250, WALENDY, Udo 192 254 Wirtschaftsspionage 141, 142, 143, 150 Trotzkisten 204 WORCH, Christian 51 Tugendpartei 222 Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee Y 229 Türkische Kommunistische Partei / MarxistenYASSIN, Shaikh Ahmad 212 Leninisten 112, 134, 229, 230 YUMAKOGULLARI, Osman 222, 223 Ü Z Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs ZALLUM, Abdul Qadim 211 237 ZÜNDEL, Ernst 65, 70, 71, 72, 192 Ümmet-i Muhammed 226, 227 ZÜNDSTOFF - Deutsche Stimme für Berlin und V Brandenburg 179 Vandalen 43, 44, 45, 47, 52, 171, 176, 177 Folgende Broschüren können neben dem Jahresbericht kostenlos angefordert werden: Rechtsextremistische Skinheads (2003) Verfassungsschutz - Nehmen Sie uns unter die Lupe (2002) Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus (2001) Bestellung Informationsmaterial: 030 / 90129 853 Fax: 030 / 90129 876 Weitere Publikationen des Berliner Verfassungsschutzes sind im Internet unter http://www.verfassungsschutz-berlin.de eingestellt. Diese können dort eingesehen oder auch bestellt werden. Der Berliner Verfassungsschutz bietet zudem Vorträge zu den einzelnen Extremismusbereichen an. Nähere Informationen erhalten Sie hierzu über den Bereich Öffentlichkeitsarbeit ( 030 / 90129 874). Senatsverwaltung für Inneres Abteilung Verfassungsschutz Postfach 62 05 60 10795 Berlin Tel.: 030 / 90129 - 0 Internet: http://www.verfassungsschutz-berlin.de E-Mail: info@verfassungsschutz-berlin.de