Senatsverwaltung für Inneres Senatsverwaltung für Inneres Abteilung Verfassungsschutz Verfassungsschutzbericht 2002 Herausgeber: Senatsverwaltung für Inneres, Abteilung Verfassungsschutz Redaktion: Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit Anschrift: Postfach 62 05 60, 10795 Berlin Tel.: 030 / 90129-0 Internet: www.berlin.de/verfassungsschutz E-Mail: verfassungsschutz@berlin.de Druck: Druckund Verlagsgesellschaft KOMAG GmbH Redaktionsschluss: März 2003 Abdruck gegen Quellenangabe gestattet, Belegexemplar erbeten. Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 1 Vorwort Das Jahr 2002 war gekennzeichnet durch eine angespannte Sicherheitslage. Die Bedrohung für unser Land durch den internationalen Terrorismus ist unverändert. Schon lange können wir nicht mehr davon ausgehen, dass Deutschland "nur" als Ruheraum von Terroristen gesehen, sondern müssen in Betracht ziehen, dass es auch gezielt als Anschlagsraum eingeplant wird. Sicherheitsbehörden auf Bundesund Landesebene arbeiten daher so eng mit ausländischen Behörden zusammen wie selten zuvor. All dies ist kein Grund, in Panik zu verfallen. Wir müssen aber weiterhin wachsam sein. Oberstes Ziel zum Schutze unseres Landes und unserer Freiheit ist die kontinuierliche Aufdeckung der islamistischen Netzwerke, die in Deutschland agieren. Hier haben die Strafverfolgungsbehörden in Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten viele wichtige Spuren aufgedeckt und verfolgt. Inzwischen wurde ein erstes Urteil im Zusammenhang mit dem 11. September 2001 verkündet. Weitere Prozesse gegen mutmaßliche islamistische Terroristen wurden eingeleitet. Auch die vom Bundesminister des Innern ausgesprochenen Verbote gegen den Spendensammelverein der HAMAS, "Al Aqsa e. V.", und die Gruppierung "Hizb ut-Tahrir" sind wichtige Signale: Der Verfolgungsdruck ist hoch, Extremisten werden nicht geduldet. Der Berliner Verfassungsschutz hat im vergangenen Jahr gezeigt, dass die Schwerpunkte der Beobachtung richtig gewählt waren. Ein anhaltendes Sicherheitsrisiko stellt das weiterhin aktive globale Netzwerk "Arabischer Mujahidin" dar, dem auch in Westeuropa eine nicht genau zu beziffernde Zahl islamistischer "Kämpfer" zuzurechnen ist. Der aktionsorientierte Rechtsextremismus und insbesondere die Musikszene waren 2002 einem starken Verfolgungsdruck durch die Sicherheitsbehörden ausgesetzt. So waren keine Konzerte in Berlin zu verzeichnen und die Produktion rechtsextremistischer CDs wurde stark beeinträchtigt. Im Bereich des Linksextremismus hat der Verfassungsschutz weiterhin vor allem die gewaltbereite autonome Szene im Visier. Die personelle Umstrukturierung im Berliner Verfassungsschutz ist nach zwei Jahren nahezu abgeschlossen. Sprachkundige Islamwissenschaftler, Turkologen und Politologen arbeiten nun gemeinsam mit erfahrenen Nachrichtendienstlern 2 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 zusammen. Doch der Schutz unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung kann nicht Sache von Sicherheitsbehörden allein sein. Nur informierte Bürgerinnen und Bürger können helfen, dass unsere Demokratie auch weiterhin so gefestigt bleibt, wie sie es die vergangenen Jahrzehnte war. Dr. Ehrhart Körting Senator für Inneres Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 3 Editorial Nach den guten Erfahrungen mit dem Jahresbericht 2001 hat der Verfassungsschutz Berlin die Gliederung des Berichts in die Kapitel "Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern", "Statistik", "Hintergrundinformationen" sowie Informationen zur Institution Verfassungsschutz Berlin beibehalten, um unterschiedlichen Informationsbedürfnissen praxisnah entgegen zu kommen. Für Leserinnen und Leser ist es so möglich, die Geschehnisse des letzten Jahres auf einen Blick nachzuvollziehen und bei Bedarf Hintergrundinformationen zu einzelnen Organisationen oder Phänomenen nachzuschlagen. (Der verweist auf einen Beitrag zur Partei oder Organisation im Hintergrundteil.) Um den analytischen Zugang zu verbessern, wurde beim Rechtsund Linksextremismus eine Teilung in drei Risikofelder vorgenommen. Durch diese Dreiteilung wird deutlich, dass hier keine homogene Struktur besteht und dass jedes dieser idealtypischen Felder unterschiedliche Risiken für die freiheitliche demokratische Grundordnung beschreibt: Aktionsorientierter Extremistische Intellektueller oder Extremismus Parteien strategieorientierter Extremismus Machtausübung durch Ausnutzung Etablierung Extremisten im demokratischer extremistischer öffentlichen Raum Spielregeln zur Positionen im Abschaffung der öffentlichen Diskurs Demokratien Neben der eindeutigen Darstellung der Beobachtungsfelder ermöglicht das neue Konzept eine präzisere Abbildung des extremistischen Personenpotenzials. Dies gilt insbesondere für die aktionsorientierten Extremisten. Anstatt wie bisher aufgrund subkultureller Hintergründe zu kategorisieren (vgl. "Skinhead", "Autonomer"), bezieht sich die neue Personeneinteilung auf für die Risikoanalyse zentrale Eigenschaften wie Gewaltbereitschaft und ideologische Festigung in den Einstellungen. Wie in den Vorjahren enthält das Kapitel Statistik zum einen die Daten zu den Personenpotenzialen beim Rechts-, Linksund Ausländerextremismus, zum anderen sind Statistiken zur Politisch motivierten Kriminalität des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes einbezogen. 4 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Schließlich soll noch erwähnt werden, dass bei laufenden Prozessen - etwa gegen mutmaßliche islamistische Terroristen - auch aktuelle Informationen in Form von Vermerken bis zum Redaktionsschluss aufgenommen wurden. Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 5 Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................................ 1 Editorial................................................................................................................ 3 I Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern..................... 10 1 Rechtsextremismus ...............................................................................10 1.1 Überblick ..................................................................................................10 1.2 Rechtsextremistische Parteien.................................................................12 Teilnahme an der Bundestagswahl ..........................................................12 NPD-Verbotsverfahren .............................................................................17 1.3 Aktionsorientierter Rechtsextremismus....................................................20 Entwicklung der rechtsextremistischen Musikszene ................................20 Herausbildung von Mischszenen .............................................................23 Entwicklungen in der Kameradschaftsszene............................................25 Regionale Besonderheiten bei Straftaten.................................................28 1.4 Intellektueller Rechtsextremismus............................................................29 Globalisierungsdebatte und Anti-Amerikanismus.....................................29 Internet als Kommunikationsund Propagandamittel...............................32 2 Linksextremismus..................................................................................35 2.1 Überblick ..................................................................................................35 2.2 Linksextremistische Parteien....................................................................37 Teilnahme an der Bundestagswahl ..........................................................37 2.3 Aktionsorientierter Linksextremismus.......................................................38 Demonstrationen und Ausschreitungen am 1. Mai ..................................38 Besuch des Präsidenten der USA............................................................44 Wahlboykott .............................................................................................45 Beeinflussung der Anti-Atom-Kampagne .................................................47 "Antifaschistischer Kampf"........................................................................50 Beeinflussung der Anti-Globalisierungsdebatte .......................................52 2.4 Strategieorientierter Linksextremismus ....................................................54 Israel-Palästina-Debatte...........................................................................54 Militanzdebatte .........................................................................................57 3 Ausländerextremismus..........................................................................61 3.1 Überblick ..................................................................................................61 3.2 "Arabische Mujahidin" in Deutschland......................................................66 Erster Prozess zu den Anschlägen vom 11. September 2001.................67 Weitere Festnahmen im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001.................................................................................68 Exekutivmaßnahmen gegen "Al-Tawhid" .................................................68 Prozess gegen Frankfurter "Mujahidin"-Gruppe.......................................69 3.3 Reaktionen arabischer extremistischer Organisationen auf die Entwicklung des Nahostkonflikts ..............................................................70 3.4 Verbot des "Al-Aqsa e. V."........................................................................73 6 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 3.5 Von der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) zum "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) ............................................. 75 Aufnahme der PKK in die "EU-Terrorliste" ............................................... 78 3.6 Der "Kalifatsstaat": Die Zeit nach dem Verbot.......................................... 79 3.7 Die Neugründung islamistischer Parteien in der Türkei - Auswirkungen auf die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) in Deutschland ... 83 3.8 Aktionen türkischer Linksextremisten....................................................... 88 4 Spionageabwehr .................................................................................... 92 4.1 Überblick .................................................................................................. 92 4.2 Nachrichtendienstliche Mittel und Methoden ........................................... 93 4.3 Politische Spionage.................................................................................. 95 4.4 Wirtschaftsspionage................................................................................. 96 4.5 Proliferation .............................................................................................. 97 4.6 Nachrichtendienste der Russischen Föderation und sonstiger GUSStaaten..................................................................................................... 99 4.7 Nachrichtendienste der Volksrepublik China ......................................... 100 4.8 Nachrichtendienste aus Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas................................................................................... 101 4.9 Spionageabwehr als Gemeinschaftsaufgabe......................................... 102 5 Geheimund Sabotageschutz............................................................. 103 5.1 Personeller und materieller Geheimschutz im öffentlichen Bereich....... 103 5.2 Geheimschutz in der Wirtschaft ............................................................. 105 5.3 Sabotageschutz ..................................................................................... 108 5.4 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen.......................................................... 108 II Statistik........................................................................................ 114 1 Politisch motivierte Straftaten ............................................................ 114 1.1 Kriminalpolizeilicher Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) ......................................................................................... 114 1.2 Gesamtzahlen Politisch motivierte Kriminalität in Berlin ........................ 116 1.3 Politisch motivierte Kriminalität - rechts ................................................. 117 1.4 Politisch motivierte Kriminalität - links ................................................... 121 1.5 Politisch motivierte Ausländerkriminalität............................................... 124 2 Personenpotenziale ............................................................................. 126 2.1 Rechtsextremistisches Personenpotenzial ............................................ 126 2.2 Linksextremistisches Personenpotenzial ............................................... 129 2.3 Ausländerextremistisches Personenpotenzial ....................................... 131 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 7 III Hintergrundinformationen............................................................. 134 1 Ideologien .............................................................................................134 1.1 Definition Extremismus...........................................................................134 1.2 Ideologie des Rechtsextremismus .........................................................135 1.3 Ideologie des Linksextremismus ............................................................136 1.4 Ideologien des Ausländerextremismus ..................................................138 Die Herausbildung islamistischer Bewegungen .....................................139 Ideologische Grundzüge des Islamismus...............................................141 2 Rechtsextremismus .............................................................................144 2.1 Parteien ..................................................................................................144 "Deutsche Volksunion" (DVU) ................................................................144 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) ............................146 "Die Republikaner" (REP).......................................................................148 2.2 Aktionsorientierter Rechtsextremismus..................................................150 "Aktionsbüro Mitteldeutschland - Nationaler Widerstand Berlin / Brandenburg" .............................................................................150 "Anti-Antifa" ............................................................................................150 "Blood & Honour" (B&H).........................................................................151 "Hammerskins" (HS)...............................................................................151 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) ........................................................................152 Kameradschaften ...................................................................................153 Neonazis ................................................................................................154 Rechtsextremistische Musik...................................................................154 Skinheads...............................................................................................156 "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft" ..............................158 2.3 Intellektueller Rechtsextremismus..........................................................159 "Deutsches Kolleg" (DK).........................................................................159 "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte"...........................................160 "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei - Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO) .........................................................161 Revisionismus ........................................................................................161 3 Linksextremismus................................................................................163 3.1 Parteien und parteiinterne Strömungen .................................................163 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) .............................................163 "Kommunistische Plattform der PDS" (KPF) ..........................................164 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) .....................165 3.2 Aktionsorientierter Linksextremismus.....................................................166 "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB) ..................................................166 "Anti-Atom-Plenum" (AAP) .....................................................................168 Autonome ...............................................................................................168 8 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 "Libertad!"............................................................................................... 172 "Linksruck".............................................................................................. 172 "Rote Hilfe e. V" (RH) ............................................................................. 173 "Sozialistische Alternative Voran" (SAV)................................................ 174 3.3 Strategieorientierter Linksextremismus.................................................. 175 "INTERIM" .............................................................................................. 175 Neue Medien (Internet) .......................................................................... 175 4 Ausländerextremismus ....................................................................... 177 4.1 Araber .................................................................................................... 177 "Arabische Mujahidin" ............................................................................ 177 "Hizb Allah" ("Partei Gottes").................................................................. 178 "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) / "Islamischer Bund Palästina" (IBP) ...................................................................................... 180 "Muslimbruderschaft" (MB)..................................................................... 181 "Hizb ut-Tahrir al-Islami" (HuT / "Islamische Befreiungspartei")............. 182 4.2 Iraner...................................................................................................... 185 "Arbeiterkommunistische Partei Irans" (API).......................................... 185 "Volksmojahedin Iran-Organisation" (MEK) / "Nationaler Widerstandsrat" (NWRI) ...................................................... 186 4.3 Kurden.................................................................................................... 187 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) / "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) ................... 187 4.4 Türken .................................................................................................... 188 "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti") ............................................................. 188 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) ............................. 190 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP).................. 193 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) ........................ 194 "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten" (TKP/ML)... 195 5 "Scientology"-Organisation................................................................ 196 IV Verfassungsschutz Berlin ............................................................ 198 1 Aufbau und Ressourcen...................................................................... 198 1.1 Gesetzliche Grundlagen zu den Aufgaben und Befugnissen................. 198 1.2 Arbeitsweisen......................................................................................... 200 1.3 Kontrollinstanzen.................................................................................... 203 1.4 Öffentlichkeitsarbeit: Verfassungsschutz durch Aufklärung ................... 204 V Anhang ........................................................................................ 208 9 10 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 I AKTUELLE ENTWICKLUNGEN IN DEN DEN BEOBACHTUNGSFELDERN 1 Rechtsextremismus 1.1 Überblick Personenpotenzial Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Berlin ist annähernd konstant geblieben (2002: ca. 2 665 Personen gegenüber 2001: ca. 2 695 Personen).1 Die rechtsextremistischen Parteien ("Nationaldemokratische Partei Deutschlands" / NPD, "Deutsche Volksunion" / DVU und "Die Republikaner" / REP) konnten ihre Mitgliederzahlen stabil halten. Im Bereich des aktionsorientierten Rechtsextremismus verringerte sich das Personenpotenzial, eine Entwicklung, der zwei entgegengesetzte Trends zugrunde lagen. Während die Zahl der subkulturell geprägten und gewaltbereiten Rechtsextremisten sank,2 war hingegen bei den Neonazis ein Zuwachs zu verzeichnen. Gesamtpotenzial des Rechtsextremismus 2002: 2 665 Personen 1490 Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten Neonazis 100 Rechtsextremistische Parteien 500 575 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 1 Diese Angaben sind geschätzte Personenpotenziale. Weitere Details siehe auch Kapitel "Statistik", S. 126 ff. 2 Der Rückgang der Zahlen ist auch dadurch bedingt, dass nach Ablauf der Erfassungsfristen eine Vielzahl von Daten gelöscht werden musste. Gleichzeitig haben subkulturelle Konzerte, bei denen Personen in größerer Anzahl festgestellt werden können, in Berlin in den letzten Jahren nicht mehr stattgefunden. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 11 Die Anzahl von Straftaten im Phänomenbereich "Politisch Straftaten motivierte Kriminalität - rechts" nahm stark zu (2002: 948 Straftaten). Diese Steigerung ist im wesentlichen durch eine Änderung bei der Bewertung von Propagandadelikten begründet. Besonderes Augenmerk ist auf den Anstieg der Gewalttaten zu legen (2002: 52 gegenüber 2001: 28). Dieser geht vor allem auf eine Zunahme fremdenfeindlicher Gewalttaten zurück; hier war nach Jahren rückläufiger Tendenzen im Jahr 2002 ein starker Anstieg zu verzeichnen. Vermehrt wurde deutlich, dass im Jahr 2002 ein Teil der antisemitischen Straftaten von ausländischen Tätern begangen wurde. Die rechtsextremistischen Parteien konnten bei der BundesWahlergebnisse tagswahl ihre selbst gesteckten Ziele nicht erreichen. In Berlin blieben sie deutlich unter 1 % (NPD: 0,6 %, REP: 0,7 %). Allerdings konnte die NPD in den Wahlbezirken, in denen sie mit Direktkandidaten antrat (Spandau-Charlottenburg-Nord, Treptow-Köpenick, Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg), höhere Ergebnisse erzielen (jeweils über 1 %). Neben der Bundestagswahl war der NPD-Verbotsprozess und die darin aufgeworfene Frage der Zurechenbarkeit der verfassungsfeindlichen Äußerungen von Vertrauens-Personen ("V-Personen") von besonderer Bedeutung. Das Verfahren war Ende 2002 noch nicht abgeschlossen. Der aktionsorientierte Rechtsextremismus und insbesondere die Musikszene Musikszene waren einem starken Verfolgungsdruck durch die Sicherheitsbehörden ausgesetzt. Gleichzeitig entwickelte die Szene eine neue Dynamik, die zu engen Verbindungen zwischen rechtsextremistischen Skinheads, Neonazis und aktionsorientierten Rechtsextremisten aus dem Hooliganoder Rockermilieu führte.3 Diese äußerten sich in gemeinsamen Veranstaltungen. Im Bereich des intellektuellen Rechtsextremismus spielte der Intellektueller Versuch der Umdeutung der Antiglobalisierungs-Debatte in Rechtsextremismus einen nationalistischen Diskurs eine wichtige Rolle. In der Praxis fand eine Zusammenarbeit zwischen linksund rechts- 3 Nur ein Teil der Rockerund Hooliganszene verfügt über ein rechtsextremistisches Weltbild. Die große Mehrheit der Mitglieder dieser Subkulturen ist als unpolitisch zu bezeichnen. 12 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 extremistischen Kräften allerdings nicht statt. Das Internet wird als Kommunikationsund Propagandamittel zunehmend wichtiger. Insbesondere die rechtsextremistischen Diskussionsforen werden zu Koordinationsund Kontaktzwecken genutzt. 1.2 Rechtsextremistische Parteien Teilnahme an der Bundestagswahl Der Wahlkampf und die Teilnahme an der Bundestagswahl bestimmten entscheidend die Tätigkeit der rechtsextremistischen Parteien. Trotz aller Bemühungen konnten weder REP () noch NPD () größere Wahlerfolge erzielen. DVU Die DVU () trat zur Bundestagswahl 2002 nicht an, eine Entscheidung, die sie bereits auf ihrem Bundesparteitag am 12. Januar 2002 verkündet hatte. Als Begründung führte der Bundesvorsitzende Dr. Gerhard FREY die mangelhafte personelle Ausstattung der Partei an. Tatsächlich dürfte die Entscheidung FREYs in den schlechten Erfolgsaussichten und den finanziellen Risiken eines Wahlkampfes begründet gewesen sein. Dementsprechend ist die DVU im Jahr 2002 in Berlin nicht weiter in Erscheinung getreten. Die REP und die NPD begannen das Wahljahr mit Landesparteitagen, auf denen jeweils neue Landesvorsitzende gewählt wurden. Eine Änderung der politischen Ausrichtung hatten die personellen Wechsel jedoch nicht zur Folge. REP Erklärtes Ziel des neuen REP-Landesvorsitzenden Bernd BERNHARD war es, den Berliner Landesverband durch eine Konzentration auf die Jugendarbeit zu stärken. Außerdem sollte das Bundestagswahlergebnis im Vergleich zum schlechten Abschneiden bei der Abgeordnetenhauswahl 2001 verbessert werden. Die REP bestritten den Wahlkampf vorrangig mit dem Thema Zuwanderung. Mit Slogans wie "Bildung fördern - Zuwanderung stoppen" und "Rückführung statt Zuwanderung" versuchte die Partei, Wählerstimmen zu gewinnen.4 Die Vermittlung fremdenfeindlicher Ressentiments und ausländerfeindlicher Propaganda sollte Ängste in der Bevölkerung hervorrufen: 4 "Der Republikaner", Nr. 7 - 8/2002 Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 13 "Um den Import von Kriminalität zu stoppen: Mehmet-Muhlis soll zuhause, also in der Türkei bleiben. (...) Osama hat hier überall Freunde: In zahllosen Moscheen und Islamvereinen 5 treiben Fundamentalisten ihr Unwesen." Gleichzeitig diffamierten die REP die politischen Gegner pauschal als "Korruptionsparteien" und präsentierten sich als Protestpartei, die von den "Altparteien" verfolgt würde. Auch die NPD setzte unter NPD ihrem neuen Landesvorsitzenden Mario SCHULZ im Wahlkampf auf die Zuwanderungsfrage. Sie verknüpfte die Thematik der ausländischen Wohnbevölkerung mit der sozialen Frage und warb mit Slogans wie "Arbeit zuerst für uns Deutsche" und "Rückführung statt Zuwanderung". In ihrem Wahlprogramm erklärte die NPD, sie sei derzeit die "einzige Alternative zum Kartell der etablierten Parteien".6 Mit dieser Schwerpunktsetzung verfolgte die Partei die im Positionspapier "Strategische Leitlinien zur politischen Arbeit der NPD"7 formulierte Strategie, sich angesichts angeblicher Überfremdungsängste, wachsender Kriminalität und dem Verfall gemeinschaftlicher Werte als nationaldemokratische Alternative zu präsentieren. Als Zielgruppe betrachtete sie dabei das Wählerpotenzial der PDS in "Mitteldeutschland". Gleichzeitig versuchte sie, im Wahlkampf Gewinn aus dem gegen sie laufenden Parteiverbotsverfahren8 zu ziehen, und stellte sich als Opfer der etablierten Parteien dar. In einem Präsidiumsbeschluss des NPD-Bundesvorstandes heißt es, "daß die Feinde Deutschlands alle deutschbewußten Organisationen und Parteien mit Spitzeln, Spaltern und Provokateuren angreifen, 5 ebenda 6 NPD-Bundestagswahlprogramm 2002, S. 4 7 NPD-Schriftenreihe "Profil", Nr. 12/2002 8 siehe auch S. 17 ff. 14 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 um sie von innen zu zersetzen".9 Die NPD befinde sich demnach in einem "Befreiungskampf für unser Volk", dessen Ziel die "Wiederherstellung und Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches" sei.10 Beide Parteien versuchten, im Wahlkampf mit einer Vielzahl von Informationsständen öffentliche Wirkung zu entfalten. Besondere Reaktionen der rechtsextremistischen Parteien im "MöllemannDebatte" Wahlkampf rief die Diskussion um die Äußerungen des FDPPolitikers Jürgen MÖLLEMANN hervor. Die rechtsextremistischen Parteien interpretierten die Aussagen zwar als Wahlkampfmanöver zur Abschöpfung des rechten Wählerpotenzials, begrüßten die Äußerungen aber ausdrücklich, da sie sich durch diese in ihren eigenen Ansichten bestätigt fühlten. Die Debatte bot ihnen Gelegenheit, ihre teils offenen, teils unterschwelligen antisemitischen Positionen öffentlich darzulegen und zu Ausfällen gegen den Zentralrat der Juden zu nutzen: "Der FDP-Politiker Jürgen Möllemann hat mit seinen Äußerungen offenbar zum Ausdruck gebracht, was große Teile des deutschen Volkes denken, doch kaum zu sagen wagen."11 "Die NPD hat mit Interesse die Auseinandersetzung zwischen Repräsentanten des Zentralrates der Juden in Deutschland und der FDP verfolgt und hat die Tabubrüche 12 des Herrn Möllemann begrüßt." "Friedmann hat wieder einmal den Bogen überspannt. Mit seinen unablässigen Hetzreden trägt er zum Aufkommen antisemitischer Tendenzen bei. Friedmann ist weder Praecceptor Germaniae noch als Fernsehmoderator tragbar. Ich fordere Herrn Friedmann auf, sich für seine Verleumdungen gegenüber den Republikanern zu entschuldigen. Und für die FDP gilt: Möllemann, bleibe hart!"13 Ferner habe die Diskussion nach Ansicht der rechtsextremen Szene einer breiten Öffentlichkeit offenbart, dass die Bun- 9 NPD-Parteipräsidiumsbeschluss vom 17. Juli 2002: "Präsidiumsbeschluß zur V-Mann-Hysterie - Jetzt erst recht!" (Bei Zitaten wird die Schreibweise des Verfassers beibehalten, auch wenn sie nicht der neuen Rechtschreibung entspricht.) 10 ebenda 11 DVU-aktuell vom 27. Mai 2002 12 Erklärung des NPD-Parteivorstandes vom 7. Juni 2002 13 Presseerklärung der REP Nr. 29 vom 22. Mai 2002 Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 15 desrepublik Deutschland tatsächlich von "den Juden" regiert werde. Die DVU erklärte hierzu: "Wenn aber im Volk der Eindruck entsteht, dass einige Interessenvertreter von 0,1 % der Bevölkerung wie Oberzensoren und Oberrichter verfahren und sozusagen 'alles auf ihr Kommando hört', ist das Maß des Erträglichen übervoll."14 Gleichermaßen stellte die NPD fest, Freiheit sei in der Bundesrepublik Deutschland erst dann vorhanden, "wenn der Einfluß und die Macht des Zentralrates der Juden gebrochen ist".15 Trotz der Wahlkampfbemühungen ist es den rechtsextremistischen Parteien nicht gelungen, das von der sozialwissenschaftlichen Einstellungsforschung konstatierte rechtsextremistische Wählerpotenzial auszuschöpfen.16 Die REP mussten bei der Bundestagswahl starke Verluste hinnehmen. Der ZweitBundestagswahl 2002 stimmenanteil der REP reduzierte sich gegenüber der Bundestagswahl von 1998 um 1,2 Prozentpunkte auf 0,6 %. Die NPD hingegen konnte leichte Stimmengewinne verzeichnen. Sie erhöhte ihren Zweitstimmenanteil um 0,1 Prozentpunkte auf 0,4 %. Das Gesamtergebnis beider Parteien in Höhe von ca. 1 % im Bundesdurchschnitt kann vor diesem Hintergrund als Niederlage betrachtet werden. In Berlin konnten sowohl NPD (0,6 % der Zweitstimmen) als Wahlergebnisse auch REP (0,7 % der Zweitstimmen) ein höheres Ergebnis als in Berlin im Bundesdurchschnitt erzielen. Bemerkenswert ist die regionale Verteilung der Stimmenergebnisse in Berlin. Während die REP sowohl in Ostals auch in West-Berlin einen gleichen prozentualen Stimmenanteil erhielt, wohnen ca. 70 % der NPDWähler in Ost-Berlin mit Schwerpunkten in den nördlichen Teilen von Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf (über 2 % der Zweitstimmen).17 14 DVU-aktuell vom 27. Mai 2002 15 Erklärung des NPD-Parteivorstandes vom 7. Juni 2002 16 Die sozialwissenschaftliche Umfragenforschung geht von einem rechtsextremistischen Einstellungspotenzial von bis zu 15 % aus. Vgl. Elmar Brähler/ Oskar Niedermayer, Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung im April 2002, Leipzig/Berlin 2002 (Arbeitshefte des Otto-Stammer-Zentrum Nr. 6) 17 Eine tiefer gehende Analyse der Wahlergebnisse findet sich in der Broschüre des Verfassungsschutzes Berlin "Bundestagswahl 2002 - Analyse der Ergebnisse extremistischer Parteien in Berlin". 16 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Anteil Zweitstimmen der NPD in Prozent nach Abgeordnetenhauswahlkreisen bis 0,2 % bis 0,4 % bis 0,6 % bis 0,8 % bis 1,0 % bis 1,5 % bis 2,0 % bis 2,5 % bis 3,0 % REP: Interne Obwohl REP und NPD bundesweit ähnliche Stimmenanteile Streitigkeiten erzielten, wurde das Ergebnis von den Parteien selber unterschiedlich bewertet. Für die REP stellte das Wahlergebnis eine herbe Niederlage dar, obwohl das Minimalziel der Wahlkampfkostenerstattung (ab 0,5 % der Zweitstimmen) erreicht wurde. Offensichtlich kam die Strategie, sich als Protestpartei darzustellen, bei den Wählern nicht an. Es ist möglich, dass dieses Wahlergebnis bereits vorhandene Auflösungserscheinungen der REP weiter verstärken wird. Diese Tendenz könnte durch den Richtungsstreit zwischen dem Bundesvorsitzenden Dr. Rolf SCHLIERER und dem ehemaligen baden-württembergischen Landesvorsitzenden Christian KÄS befördert werden. Während SCHLIERER auch auf dem Bundesparteitag im November 2002 für den Abgrenzungskurs gegenüber anderen Rechtsextremisten plädierte und in seinem Amt bestätigt wurde, spricht sich KÄS für eine Öffnung der REP gegenüber anderen parteigebundenen und aktionsorientierten Rechtsextremisten aus. Es zeichnet sich ab, dass Mitglieder, die dem Kurs SCHLIERERs kritisch gegenüberstehen, die Partei verlassen. Aus Sicht der NPD stellt sowohl das Berliner als auch das Erfolg der NPD Bundesergebnis einen Erfolg dar, der lediglich durch das Verfehlen der Wahlkampfkostenerstattung getrübt wurde. Der Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 17 NPD ist es trotz des Verbotsverfahrens gelungen, weitere Wähler zu gewinnen. Seit der Bundestagswahl 1998 beteiligte sich die NPD an allen Wahlen, die in Berlin stattfanden. Ihr absolutes Stimmenergebnis steigerte sich dabei kontinuierlich.18 Angesichts der geringen Unterschiede zwischen Erstund Zweitstimmen in Berlin ist zu erwarten, dass die NPD bei kommenden Wahlen - sofern sie weitere Direktkandidaten aufstellt - zusätzliche Stimmengewinne erzielen kann. NPD-Verbotsverfahren Neben der Bundestagswahl war im Jahr 2002 das NPDVerbotsverfahren19 mit der im Prozessverlauf aufgetretenen V-Personen-Problematik von besonderer Bedeutung. Am 30. Januar 2001 hatte die Bundesregierung einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und ihrer Teilorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) nach Art. 21 Grundgesetz Artikel 21 II GG beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.20 Art. 21 Abs. 2 GG bestimmt: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig." Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit wird durch das Bundesverfassungsgericht getroffen und bedeutet das Verbot der Partei. Im März folgten dem Antrag der Bundesregierung die Anträge des Deutschen Bundestages und des Bundesrates.21 Das Bundesverfassungsgericht verband die drei Verbotsanträge zu einem einheitlichen Verfahren und beschloss am 1. Oktober 2001, die Verhandlung durchzuführen. Die Richter des Zweiten Senats setzten den ersten Termin der mündlichen Verhandlung 18 Bundestagswahl 1998: 7 897 Zweitstimmen, Bundestagswahl 2002: 11 260 Zweitstimmen 19 vgl. Homepage unter http://www.extremismus.com/npd/npd.html. 20 BVerfG 2 BvB 1/01 21 V-Personen BVerfG 2 BvB 2/01; BVerfG 2 BvB 3/01; Verfassungsschutzbericht 2001, Berlin, S. 34 - 36 18 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 für den 8. Februar 2002 fest. Das Bundesministerium des Innern teilte darauf hin dem Bundesverfassungsgericht mit, dass sich unter den geladenen 14 Auskunftspersonen eine frühere Vertrauens-Person einer Verfassungsschutzbehörde befand.22 Die Problematik, dass in den Antragsbegründungen auch Äußerungen von V-Personen aufgeführt sind, deren Identität aus Geheimhaltungsund Schutzgründen nicht offen gelegt wurde, führte am 22. Januar zur Aufhebung des Termins für die mündliche Verhandlung. Dies nahm die NPD zum Anlass, ihre Prozessstrategie zu verändern. Sie behauptete nunmehr, die ideologische Ausrichtung der Partei sei durch V-Personen im Wesentlichen fremdbestimmt worden. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat stellten dazu am 26. Juli in einer gemeinsamen Erklärung fest, dass die Vertrauens-Personen das Gesamtbild der NPD keineswegs fremdbestimmt haben: "In ihren Antragsschriften haben die Antragsteller die Ziele und das Verhalten der Anhänger der Antragsgegnerin dargestellt, wie sie sich aus dem Parteiprogramm, der Parteipresse und den Reden sowie anderen offiziellen Erklärungen von Funktionären der Antragsgegnerin ergeben. Sie haben ferner beschrieben, auf welche Weise - durch Organisation, politische Äußerungen, Schulung der Mitglieder und Anhänger, Angriffe auf Gegner, Zusammenarbeit mit anderen Kräften, insbesondere Neonazis, Skinheads und Straftätern - die Antragsgegnerin ihre Ziele in aggressiv-kämpferischer Weise umzusetzen versucht."23 Entgegen der Unterstellung seitens der NPD handele es sich bei Vertrauens-Personen nicht um "Provokationsund Tendenzagenten". Die NPD wolle "mit dieser Begriffsbildung darüber hinwegtäuschen, dass V- Leute im Milieu und in der Partei mit ihren präexistenten und parteitypischen Überzeugungen gewonnen werden, dass sie sozusagen Fleisch vom Fleische der NPD sind. Von anderen Parteimitgliedern unterscheidet die V-Leute nur die Bereit22 Dabei handelt es sich um Wolfgang FRENZ, ein langjähriges Mitglied des NPD-Bundesvorstands und des Landesvorstands der NPD in NordrheinWestfalen. FRENZ arbeitete bis 1995 mit dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz zusammen, seine im Verbotsverfahren angeführten Äußerungen stammen jedoch alle aus der Zeit nach seiner V-PersonenTätigkeit. 23 Erklärung von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat im NPD-Prozess, 26. Juli 2002 Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 19 schaft, dem Verfassungsschutz Informationen gegen Geld 24 zu liefern." Zur Klärung der prozessualen und materiellen Rechtsfragen Erörterungstermin 8. Oktober 2002 setzte das Verfassungsgericht für den 8. Oktober einen Erörterungstermin an.25 Auf der Tagesordnung des Erörterungstermins am 8. Oktober stand die Frage des Einflusses von V-Personen auf das Erscheinungsbild der NPD, der Art und des Umfangs ihres Einsatzes sowie der Zurechenbarkeit der Äußerungen von V- Personen. Die Antragsteller erklärten, die Verfassungsschutzbehörden seien in den Vorständen der NPD, verteilt über das gesamte Bundesgebiet, mit bis zu 15 % der Funktionäre vertreten gewesen.26 Diese seien überzeugte Anhänger der Partei, die sich aus finanziellen Gründen zu einer Weitergabe von Informationen aus dem Parteibereich entschlossen hätten. Diese Form der Zusammenarbeit habe keinen prägenden Einfluss auf das Erscheinungsbild der NPD gehabt, die Entwicklung der Partei sei in keiner Weise staatlich fremdgesteuert worden. Im Übrigen habe sich die NPD nie von den Äußerungen der V- Personen distanziert. Deswegen müssten auch Äußerungen von V-Personen der NPD unmittelbar zugerechnet werden. Für die Richter stellt sich nun die Frage, auf welcher Tatsachengrundlage sie entscheiden. Zum einen muss das Verfassungsgericht darüber befinden, ob die Äußerungen der bereits bekannt gewordenen V-Personen der NPD zugerechnet werden können.27 Zum anderen befinden sich in den Verbotsanträgen weitere Aussagen von V-Personen, die wegen des für 24 Erklärung von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat im NPD-Prozess, 26. Juli 2002. Vgl. u. a. Martin Dietzsch/Alfred Schobert, V-Leute bei der NPD - Geführte Führende oder Führende Geführte?, Duisburg 2002; Juliane Wetzel/Christina Herkommer, Zum Antisemitismus der NPD. Eine Analyse der Zeitungen von drei NPD-Landesverbänden 1998 - 2001, Berlin 2002 25 Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts, 7. Mai 2002 (Nr. 51/2002) 26 Behauptungen der NPD, es werde versucht, durch V-Personen die Prozessstrategie der Partei auszuhorchen, wurden von den Antragstellern als haltlos zurückgewiesen. Sie erklärten, es befinde sich weder eine V-Person im Bundesvorstand noch unter den Prozessvertretern der NPD. Eine rechtswidrige Ausforschung der Prozessstrategie der Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln finde somit nicht statt. 27 Der Einsatz von V-Personen dient der Informationsgewinnung und ist ein rechtlich zulässiges nachrichtendienstliches Mittel. (Zu den Befugnissen der Verfassungsschutzbehörden vgl. SS 8 VSG Bln.) 20 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 die Aufgabenerfüllung erforderlichen Geheimhaltungsinteresses sowie der Schutzpflicht gegenüber ehemaligen und aktiven V- Personen nicht als solche kenntlich gemacht wurden. Dessen ungeachtet verfolgt die NPD weiterhin ihre verfasReaktionen auf Verbotsverfahren sungsfeindlichen Ziele in aggressiv-kämpferischer Weise. Zunächst hatte die Verbotsdiskussion des Herbstes 2000 noch das öffentliche Auftreten der NPD mitbestimmt. Sie reagierte auf das drohende Verbot uneinheitlich. Teile der NPD forderten eine gemäßigtere Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit, andere verlangten einen offensiven Umgang mit dem drohenden Verbot.28 Ausdruck der mittlerweile wieder gewonnenen Stabilität der NPD war ihre Beteiligung am Wahlkampf zur Bundestagswahl am 22. September.29 Dabei kam es über die Parteigrenze hinweg erneut zur Zusammenarbeit mit Teilen des aktionsorientierten Rechtsextremismus. 1.3 Aktionsorientierter Rechtsextremismus Entwicklung der rechtsextremistischen Musikszene Die rechtsextremistische Musikszene stand auch im Jahr 2002 unter erheblichem Verfolgungsdruck, daher fanden in Berlin - wie auch im Vorjahr - keine Konzerte statt und die Produktion rechtsextremistischer CDs wurde stark beeinträchtigt. Hier sind vor allem das Vorgehen gegen die Bands "Landser", "D.S.T" 28 vgl. Verfassungsschutzbericht 2001, Berlin, S. 36 - 39 29 siehe auch S. 12 ff. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 21 ("Deutsch, Stolz, Treue") und "WAR" ("White Aryan Rebels") zu nennen ( Rechtsextremistische Musik). Im September erhob der Generalbundesanwalt Anklage gegen Verfahren gegen die Mitglieder der Band wegen Mitgliedschaft in einer krimi"Landser" nellen Vereinigung (SS 129 StGB). Der Vorwurf der Bundesanwaltschaft lautet, "Landser" sei eine Band, "deren Zweck und Tätigkeit darauf gerichtet ist, Volksverhetzungsdelikte zu begehen und zu Straftaten aufzufordern".30 Damit wurde in Deutschland erstmals eine Musikgruppe als kriminelle Vereinigung angeklagt. "Landser" veröffentlichte in der zweiten Jahreshälfte unter dem Pseudonym "Tanzorchester Immervoll" eine Zusammenstellung älterer, strafrechtlich nicht relevanter Lieder sowie eine "Best of"-CD unter dem Titel "Rock gegen ZOG - hepp hepp".31 Diese Veröffentlichungen dienen auch zur Begleichung der erwarteten Prozesskosten. Vorgehen Eine weitere Aktion der Sicherheitsbehörden gegen die egen "D.S.T." rechtsextremistische Musikszene fand im April ihren vorläufigen Abschluss. Nach Hinweisen des Berliner Verfassungsschutzes gelang dem Landeskriminalamt der Zugriff auf die Mitglieder der seit 1997 aktiven Band "D.S.T." und die am CD-Vertrieb beteiligten Personen. Anlass für diese Maßnahme war die Pro30 Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes vom 30. September 2002 (Nr. 31/2002). Gemäß der Berichterstattung des "Tagesspiegels" vom 7. Februar 2002 sieht das Kammergericht Berlin keinen hinreichenden Tatverdacht bezüglich der Anklagepunkte der Bildung einer kriminellen Vereinigung und lehnt die Anklage in diesem Punkt ab. Der Generalbundesanwalt beabsichtigt, dagegen Beschwerde einzulegen. 31 "ZOG" steht für "Zionist Occupied Government" und spiegelt die in der rechtsextremistischen Szene kursierende Verschwörungstheorie wider, die staatlichen Regierungen der westlichen Länder seien vom "internationalen Judentum" fremdbestimmt. 22 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 duktion der neuen CD "Ave et Victoria", deren Texte Straftatbestände nach SSSS 86a, 130 Strafgesetzbuch32 verwirklichen. In den Liedern wird in besonders perfider und aggressiver Weise gegen Fremde und Juden gehetzt und der Nationalsozialismus glorifiziert. Ein Großteil der hergestellten CDs konnte von der Polizei sichergestellt werden. Weitere Exekutivmaßnahmen erfolgten gegen das Bandprojekt "WAR" "WAR" ("White Aryan Rebels"). "WAR" veröffentlichte Anfang des Jahres 2001 in einer ersten Auflage die CD "Noten des Hasses", in deren Texten neonazistisches Gedankengut propagiert und zum Mord an Personen des öffentlichen Lebens aufgerufen wird. Während der Eröffnungsfeier eines von einem Berliner Neonazi betriebenen Musik-Clubs in Marzahn am 20. Juli führte das Berliner Landeskriminalamt eine Durchsuchung im Club durch. Der Betreiber und weitere Personen wurden festgenommen. Anlass für die Durchsuchung war der Verdacht der Polizei, die zweite Auflage der "WAR"-CD "Noten des Hasses" vorzufinden. Die Durchsuchung blieb hinsichtlich der CDs allerdings erfolglos. Der festgenommene Betreiber des Musik-Clubs war Initiator, Texter und Sänger von "WAR" sowie Organisator für die Einspielung und Herstellung der "WAR"-CDs. Für die Einspielungen der Lieder engagierte er wechselnde Musiker aus der neonazistischen Szene Berlins. Das Amtsgericht Berlin verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Eine ehemalige V-Person des Brandenburger Verfassungsschutzes, die im Zusammenhang mit der polizeilichen Exekutivmaßnahme enttarnt wurde, wurde wegen Beteiligung an Produktion und Vertrieb der ersten Auflage der "Noten des Hasses" zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten auf Bewährung verurteilt. Im Jahr 2002 waren in Berlin außerdem die Bands "Legion of "Legion of Tho Thor" und "Spreegeschwader" aktiv. Beide nahmen an rechtsextremistischen Konzertveranstaltungen im Bundesgebiet teil und veröffentlichten neue CDs, die jedoch keine Straftatbestände erfüllen. Gegen die Mitglieder von "Spreegeschwader" "Spreegeschw 32 SS 86a StGB regelt das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen; SS 130 StGB die Volksverhetzung. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 23 wurde durch das Landeseinwohneramt Berlin mit Unterstützung des Verfassungsschutzes im Juli eine Ausreisesperre verhängt. Die Band beabsichtigte, am 27. Juli in Ungarn bei einem von der dortigen "Blood & Honour-Division" veranstalteten Konzert aufzutreten. Dies konnte durch die Ausreisesperre verhindert werden. Das entschlossene Vorgehen der Sicherheitsbehörden führte zu einer Verunsicherung innerhalb der rechtsextremistischen Musikszene in Berlin. Von den Maßnahmen sind neben den Vertrieb Musikern vor allem die im Hintergrund agierenden Produzenten und CD-Händler betroffen. Es ist schwerer geworden, Geld mit der Herstellung und dem Vertrieb rechtsextremistischer Musik zu verdienen. Die Protagonisten scheuen aufgrund des Verfolgungsdruckes momentan davor zurück, weitere strafrechtlich relevante Tonträger zu produzieren, obwohl für diese stärkste Käufernachfrage besteht und mit ihnen die größten Gewinnspannen erzielt werden. Von den sechs im Jahr 2002 in Berlin veröffentlichten CDs rechtsextremistischer Bands war nur die "D.S.T."-CD strafrechtlich relevant. Für nicht strafbare rechtsextremistische CDs ist das Kaufinteresse innerhalb der Szene deutlich geringer. Rechtsextremistische Musik wird zunehmend per Internet verInternet breitet.33 Dies geht vor allem zu Lasten der ortsansässigen Szeneläden. Die Vertreiber rechtsextremistischer Musik nutzen das Internet, um mit geringem Zeitund Kostenaufwand einen hohen Verbreitungsgrad zu erreichen. Durch die weltweite Vernetzung ist es einfacher geworden, auch indizierte CDs über Anbieter in den USA zu erhalten. Darüber hinaus können Informationen über Neuerscheinungen und geplante Veranstaltungen in so genannten Gästebüchern und Foren verbreitet werden. Herausbildung von Mischszenen Trend der Im Jahr 2002 setzte sich der Trend einer Vernetzung innerhalb Vernetzung des aktionsorientierten Rechtsextremismus fort. Angesichts der Stagnation im Musikbereich ( Rechtsextremistische Musik) suchte sich die aktionsorientierte Szene neue Betätigungsfel33 siehe auch S. 32 ff. 24 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 der. Unterschiedliche subkulturelle Hintergründe sind im rechtsextremistischen Spektrum kein Hinderungsgrund für eine gemeinsame Freizeitgestaltung und strategische Allianzen. Gemeinsame Veranstaltungen von rechtsextremistischen Skinheads (), "klassischen" Neonazis (), Angehörigen der neonazistischen Musikszene sowie rechtsextremistischen Rockern und Hooligans häufen sich. Eine klare Abgrenzung zwischen rechtsextremistischen Skinheads und Neonazis ist aufgrund dieser Entwicklung immer weniger möglich. Die Unterschiede zwischen rechtsextremistischen Skinheads und Neonazis beschränken sich fast nur noch auf die äußere Erscheinungsform. Hinsichtlich ideologischer Ausrichtung und politischer Ziele nähern sich diese zunehmend an. Obwohl Hooligans und Rocker zu einem überwiegenden Teil unpolitisch sind, wurden im Jahr 2002 teilweise enge Kontakte zwischen Angehörigen dieser Subkulturen und aktionsorientierten Rechtsextremisten aus dem Bereich der Skinheads und Neonazis festgestellt. Diese Kontakte zwischen Neonazis, rechtsextremistischen Rockern und rechtsextremistischen Hooligans beschränken sich bisher auf vordergründig unpolitische Aktivitäten wie gemeinsame Feiern oder Konzertbesuche. Darüber hinaus bestehen jedoch ähnliche politische Grundeinstellungen und zum Teil geschäftliche Kontakte. Das Risiko einer Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts in den Subkulturen der Hooligans bzw. Rocker ist angesichts der unpolitischen Ausrichtung der Mitglieder gering. Ein größeres Risiko stellt der durch die neuen Kontakte vereinfachte Zugang der militanten Neonazi-Szene zu Waffen und neuen finanziellen Einnahmequellen dar. Die "Vandalen" () übernahmen trotz ihrer geringen MitgliederWortführersch stärke zunehmend die Wortführerschaft innerhalb des aktionsder "Vandalen orientierten Rechtsextremismus in Berlin. Von der Kameradschaftsszene bis zur militanten Neonazi-Szene werden sie allseits als Autorität anerkannt. Das Clubhaus der "Vandalen" in Hohenschönhausen ist inzwischen Zentrum und Treffort der neonazistischen Kader Berlins. Der Anführer der "Vandalen" ist gleichzeitig Initiator und Sänger der rechtsextremistischen Band "Landser" ( Rechtsextremistische Musik) und erlangte Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 25 innerhalb der Szene aufgrund der Exekutivmaßnahmen gegen die Band den Status eines Märtyrers.34 Ein bedeutendes Ereignis für die Szene war die 20-Jahr-Feier 20-Jahr-Feier der der "Vandalen" am 28. September. Den Sicherheitsbehörden "Vandalen" gelang es, die konspirativ vorbereitete Feier zu lokalisieren und die Personen festzustellen. Die Feier bestätigte den Trend der Vernetzung unterschiedlicher Szenen. Neben Personen aus dem Rockermilieu nahmen auch ehemalige "Blood & Honour"Mitglieder (), Protagonisten der rechtsextremistischen Musikszene () und NPD-Mitglieder () teil. Ein Großteil der ehemaligen Berliner "Blood & Honour"-Mitglieder ist weiterhin in der Szene aktiv. Von ihnen gehören einige zum engen Umfeld der "Vandalen". Entwicklungen in der Kameradschaftsszene Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist derzeit eine strukturelle Schwäche der Berliner Kameradschaftsszene () festStrukturelle Schwäche zustellen. Sie entfaltet kaum politische Außenwirkung. Im Gegensatz zu den Vorjahren fanden keine durch die Kameradschaften initiierten und organisierten Demonstrationen oder andere öffentlichkeitswirksame Aktionen statt. So waren die Aktivisten nicht in der Lage, anlässlich des Todestages Horst WESSELs am 23. Februar Propagandamaterial zu verbreiten oder eigene Veranstaltungen zu organisieren. In den vergangenen Jahren wurde dieser Tag von zahlreichen Aktionen (u. a. an dessen Berliner Grabstätte) begleitet. Im Jahr 2002 agierten im Kameradschaftsbereich nur wenige ngsschwäche ideologisch-gefestigte, überwiegend jüngere Neonazis als Führungsaktivisten. Sie scharten eine wechselnde Anzahl ideologisch meist weniger gefestigter Jugendlicher um sich. Diese "Führer" waren zuletzt kaum in der Lage, politische Ziele zu formulieren und entsprechende Aktivitäten zu entfalten, welche die aktionsorientierten Jugendlichen dauerhaft ansprechen und motivieren. Eine feste Einbindung in eine Kameradschaftsstruktur ist für dieses Klientel deshalb eher unattraktiv. Es ist 34 Vgl. das Booklet der CD "Landser - a Tribute": "Warum für Landser ein Tribut? Weil sie die beste völkisch-sozialistische Band der Welt ist und die Jungens uns unsere Hymnen schreiben! Welche Band ist schon bereit, für ihre Weltanschauung ins Gefängnis zu gehen?" 26 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 jedoch erkennbar, dass es vor allem in den östlichen Peripheriebezirken Berlins ein großes Potenzial an Jugendlichen gibt, das für neonazistisches Gedankengut empfänglich ist. Falls sich innerhalb der Berliner Kameradschaftsszene professionell agierende und strategisch denkende Führungsfiguren etablieren sollten, stellt dies für die Zukunft durchaus ein Risiko dar. Vier aktive Zum Ende des Jahres 2002 existierten in Berlin vier KameradKameradschaften schaften mit einem Potenzial von insgesamt ungefähr 40 Personen: * "Kameradschaft Hohenschönhausen" * "Kameradschaft Pankow" * "Kameradschaft Preußen" (Pankow/Weißensee) * "Kameradschaft Tor Berlin" (Lichtenberg). Unter den Berliner Kameradschaften war die in Lichtenberg KS "Tor Berlin" lokalisierte "Kameradschaft Tor Berlin" im Jahr 2002 die aktivste.35 Sie verfügt über eine professionell gestaltete Homepage, auf der neonazistisches Gedankengut propagiert, über rechtsextremistische Veranstaltungen berichtet und gegen die so genannte "Antifa" () agitiert wird. Angehörige der "Kameradschaft Tor Berlin" nehmen regelmäßig an neonazistischen Demonstrationen im Bundesgebiet teil. Am 13. Januar verursachten Mitglieder dieser Kameradschaft Hakenkreuzschmierereien an der Wegstrecke der alljährlich stattfindenden Liebknecht-Luxemburg-Demonstration, um die "Antifa"-Aktivisten unter den Teilnehmern zu provozieren. Die Auflösung der "Kameradschaft Germania", die zuvor zu den Aufgelöste aktivsten Berliner Kameradschaften gehörte, belegt die strukKameradschaf turelle Schwäche der Berliner Kameradschaftsszene. Nachdem bereits die im Verfassungsschutzbericht 2001 erwähnten Kameradschaften "Adlershof" und "1375" nicht mehr in Erscheinung traten, löste sich die "Kameradschaft Germania" nach dem gescheiterten Versuch der Errichtung eines Kameradschaftsbundes und den daraus resultierenden Streitigkeiten der Führungsaktivisten Anfang 2002 auf. Die "Kameradschaft Germania" war zuletzt innerhalb der Szene weitgehend isoliert und 35 Der Name der Kameradschaft bezieht sich nicht auf die germanische Sagengestalt Thor, sondern auf den Gründungsort der Gruppierung. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 27 konnte keinen Nachwuchs mehr rekrutieren. Zum Niedergang der Kameradschaft trug auch die Persönlichkeit des Kameradschaftsführers bei, der aufgrund seines absoluten Führungsanspruchs und selbstherrlichen Führungsstils an Akzeptanz und Autorität verlor. Seit Mitte des Jahres 2002 ist innerhalb der Berliner Kameradschaftsszene das Projekt der "Autonomen Nationalisten" in "Autonome Nationalisten" Erscheinung getreten, bei dem vor allem der Kampf gegen die so genannte "Antifa" thematisiert und zu einem gewaltsamen Vorgehen aufgefordert wird. Auf einer Demonstration wurde beispielsweise ein Transparent mit der Aufschrift "Organisiert den nationalen schwarzen Block - Unterstützt örtliche AntiAntifa-Gruppen - Wehrt euch und schlagt zurück - Autonome Nationalisten Berlin" mitgeführt. Auf der Homepage des "Aktionsbüro Mitteldeutschland - Nationaler Widerstand Berlin-Brandenburg" () wurde mit dem Bild einer vermummten Person und den Worten "Good Night - Left Side, Taten statt Worte" für die "Autonomen Nationalisten Berlin" geworben. Das Projekt hat bisher einen eher appellativen, nach innen gerichteten Charakter und ist ein weiterer Versuch führender Kameradschaftsaktivisten, aktionsorientierte Jugendliche zu mobilisieren und an sich zu binden. Neben den Kameradschaften sind weitere Gruppierungen, so nazi-Cliquen" genannte "Neonazi-Cliquen", aktiv, deren Zusammenhalt durch ihre neonazistische Grundorientierung und gemeinsame Freizeitaktivitäten begründet wird. Der Schwerpunkt ihrer Aktivitäten liegt jedoch nicht - wie bei den Kameradschaften - in der politischen Arbeit. Sie verüben aber teilweise schwere Gewalt- 28 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 straftaten, wie etwa die in Marzahn-Hellersdorf beheimatete Gruppierung "Berlin-Brandenburger Sturmkommando". Zu diesen "Neonazi-Cliquen" zählt auch die "Weiße Arische Bruderschaft" um einen ehemaligen Kader der im Februar 1995 verbotenen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP). Regionale Besonderheiten bei Straftaten FremdenDie fremdenfeindlichen Strafund Gewalttaten haben erheblich feindlichkeit zugenommen (2001: 84 gegenüber 2002: 138). Auch im Berichtsjahr erfolgten wieder Gewalttaten und Angriffe gegen Ausländer, die von besonderer Rücksichtslosigkeit und Menschenverachtung gekennzeichnet waren: - Am 30. Januar griffen Rechtsextremisten in MarzahnHellersdorf drei libanesische Frauen und ein Kind in einer Straßenbahn mit Fußtritten und Schlägen an. - Am 1. Februar erfolgte in Marzahn-Hellersdorf ein Brandanschlag auf einen türkischen Imbiss. Zum Tatzeitpunkt befanden sich Gäste und der Besitzer im Gastraum. Die Täter wurden wegen versuchten Totschlags verurteilt. Eine Analyse der regionalen Verteilung aller Strafund Gewalttaten zeigt Besonderheiten auf. Regionale In den Stadtbezirken Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Pankow Verteilung und Treptow-Köpenick werden ca. 46 % der Straftaten begangen. Zusammen mit den Stadtbezirken FriedrichshainKreuzberg und Mitte ergibt sich ein Anteil von 72 %. Bei einem Bevölkerungsanteil in diesen Bezirken von 32 bzw. 49 %, ist der prozentuale Anteil dieser Straftaten in den angegebenen Bezirken überproportional hoch. Bei den Gewalttaten ist der auf die genannten Stadtbezirke Gewalttaten entfallene Anteil noch höher. Er liegt hier bei 65 bzw. 77 %. Am auffälligsten zeigen sich diese Besonderheiten bei der regionalen Verteilung fremdenfeindlicher Gewalttaten. Allein ca. 41 % von diesen wurden in Marzahn-Hellersdorf begangen. Dies ist insoweit bemerkenswert, als dort der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung deutlich geringer ist als im Berliner Gesamtdurchschnitt. In Hellersdorf-Marzahn beträgt der Ausländeranteil 3,1 %; berlinweit 13,2 %. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 29 Stadtbezirke PMK - Rechts davon insgesamt Gewaltdelikte Charlottenburg-Wilmersdorf 80 7 Friedrichshain-Kreuzberg 50 3 Lichtenberg 116 9 Marzahn-Hellersdorf 103 16 Mitte 194 3 Neukölln 37 1 Pankow 129 5 Reinickendorf 47 2 Spandau 32 0 Steglitz-Zehlendorf 29 1 Tempelhof-Schöneberg 27 1 Treptow-Köpenick 91 4 Internet 5 0 nicht zuzuordnen 8 0 Summe 948 52 Da die regionale Verteilung der Straftaten mit der Verteilung der Wohnorte des aktionsorientierten Rechtsextremismus korrespondiert, liegt die Vermutung nahe, dass die Mehrzahl dieser Taten im Wohnumfeld der Täter begangen werden. Eine Ausnahme dürfte die hohe Zahl der Delikte in Mitte darstellen. Diese ist mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Vielzahl der volksverhetzenden anonymen Schreiben an die Geschäftsstelle des Zentralrats der Juden in Deutschland begründet. Bereits im Jahresbericht 2000 konnte eine ähnliche Verteilung festgestellt werden. 1.4 Intellektueller Rechtsextremismus Globalisierungsdebatte und Anti-Amerikanismus Wie schon im Vorjahr versuchten deutsche Rechtsextremisten auch 2002, sich anlassbezogen an bislang eher von linken Strömungen dominierte öffentliche Debatten anzuschließen. 30 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Strategisches Ziel dieser Versuche ist es, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, eine inhaltliche Übereinstimmung mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräften zu propagieren und die eigenen Zielsetzungen im öffentlichen Diskurs zu etablieren. Ein Beispiel für diese Strategie ist die Globalisierungsdebatte. Im Nachklang des 11. September 2001 machten Rechtsextremisten nicht islamistische Terroristen, sondern die USA und "one world terror" ihren "one world terror" für die Anschläge verantwortlich.36 Zu diesem Zweck wurden die Vorbehalte der Globalisierungsgegner gegen die politische, wirtschaftliche und kulturelle Dominanz der USA aufgenommen und im nationalistischen, amerikafeindlichen Sinne instrumentalisiert. Die Internet-Seite des neonazistischen "Aktionsbüros Mitteldeutschland" () verkündete: "Die selbsternannte 'Weltpolizei' USA hat ganze Völker ausgerottet, verstümmelt, unterdrückt, versklavt und wirtschaftlich ruiniert. Das Attentat in New York und Washington war der 'Lohn' für die US-Außenpolitik der letzten Jahrzehnte." Die Umdeutung in einen nationalistisch-rechtsextremistischen Diskurs versuchte auch das neonazistische "Aktionsbüro Norddeutschland" auf seiner Homepage: "Wir unterstützen den Kampf gegen die 'Neue Weltordnung unter der Führung der USA', besser bekannt als 'Oneworld'. Wir stellen uns gegen die Globalisierungsbestrebungen des kapitalistischen 'Weltfreihandels' genauso wie gegen die Globalisierungsbestrebungen multikultureller Überfremdungsideologien. Wir erkennen in allen Globalisierungsbestrebungen den Versuch, die Freiheit und die Identität der Völker endgültig zu vernichten." Die "Jungen Nationaldemokraten" (JN / NPD) forderten eine verstärkte Zusammenarbeit im rechtsextremistischen Lager. "Nationalisten 36 vgl. Verfassungsschutzbericht 2001, Berlin, S. 14 - 31 gegen Globalisierung Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 31 Unter der Überschrift "Nationalisten gegen Globalisierung" stellten sie eine "Informationsplattform" im Internet bereit, um den Protest auf nationaler wie internationaler Ebene zu koordinieren: "Globalisierung bedeutet das Verschwinden von nationalen Grenzen, um in der nächsten Phase die Identität der Völker auszuwischen. Wir aber wollen nicht entarten zu dem, was man Weltbürger nennt, ohne Identität und ohne Seele. Wir sind Nationalisten und somit stolz auf unser Volk und wünschen dies auch in der Zukunft zu erhalten." Die Resonanz blieb allerdings gering. Ähnlich schwach war die Reaktion auf die Mobilisierungsbemühungen des NPD-Landesverbandes Berlin-Brandenburg zur Friedensdemonstration "Gegen US-Terror - kein Blut für Öl!" am 23. November in Potsdam. Darüber hinaus suchten Rechtsextremisten anlässlich des Besuchs des US-amerikanischen Präsidenten George BUSH-Besuch W. BUSH im Mai den Anschluss an linke Protestbewegungen. Rechtsextremistische Web-Seiten wie die des "Nationalen Widerstandes" riefen zu Demonstrationen auf und verwiesen auf Web-Seiten linker Organisationen. Ein weiteres Beispiel für die Instrumentalisierung des Anti-Amerikanismus ist das Erscheinen von Horst MAHLER und dem Bundesvorsitzenden der NPD, Udo VOIGT, auf der Veranstaltung der inzwischen mit einem Betätigungsverbot belegten islamistischen Gruppierung "Hizb utTahrir" () am 27. Oktober in der alten Mensa der TU Berlin ("Der Irak - ein neuer Krieg und die Folgen"). Veranstaltung Den Diskussionsbeitrag ihres Bundesvorsitzenden dokumenizb ut-Tahrir" tierte die NPD auf ihrer Web-Seite: "Für die Errichtung eines Kalifenstaates wünschte er viel Glück, gab jedoch zu bedenken, dass die imperialistischen USA bereit sein werden, jedes neue wirtschaftspolitische Staatssystem zu zerschlagen. So seien Deutschland und Japan zerschlagen worden, als sie einen neuen oder anderen Weg gehen wollten, heute sei es der Irak und morgen 32 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 könne es dann der Kalifenstaat sein! Doch, wenn es zum Kampfe komme, dann könne er sicher sein, dass die Deutschen, die es noch sein wollen, nicht auf der Seite der USA stehen werden." Zuvor hatte der Referent der "Hizb ut-Tahrir", Shaker ASSEM, dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen. Keine Vernetzung Abgesehen von diesem provokanten Auftritt wurde die propagierte Anbindungsstrategie der Rechtsextremisten jedoch weder dauerhaft realisiert noch führte sie zu einer strategischen Zusammenarbeit mit der Anti-Globalisierungsbewegung oder islamistischen Organisationen. Verweise auf Web-Seiten linker Gruppierungen und das Erscheinen auf islamistisch orientierten Veranstaltungen dienen eher der Provokation und der Erlangung öffentlicher Aufmerksamkeit. Eine tatsächliche Zusammenarbeit zwischen Rechtsund Linksextremisten oder Teilen bürgerlicher Anti-Globalisierungsbewegungen war nicht festzustellen. Internet als Kommunikationsund Propagandamittel Das Internet hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Kommunikationsund Propagandamittel der Rechtsextremisten entwickelt. Es lassen sich zwar weder Aussagen über die Rezeption der Inhalte noch über die Rekrutierungserfolge von Organisationen treffen, doch hält sich die Zahl rechtsextremistischer Web-Seiten bei leichten Schwankungen weiterhin auf Propaganda und hohem Niveau. Mittels Internet lässt sich mit geringem Aufwand Vernetzung ein großes Publikum über regionale Grenzen hinweg in Kontakt mit rechtsextremistischer Propaganda bringen. Gleichzeitig wird ein Wir-Gefühl und der Eindruck einer umfangreichen Vernetzung und Zusammenarbeit der verschiedenen rechtsextremistischen Szenen vermittelt. Im Jahr 2002 verstärkte sich vor allem der Trend zu Diskussionsforen, wie zum Beispiel dem "Nationalen Forum" oder dem "Wikinger-Forum". Auf diesen Plattformen werden nicht nur Debatten mit rechtsextremistischen Inhalten geführt, sondern auch Szene-Kontakte geknüpft und aktuelle Informationen ausgetauscht. Oftmals werden rechtsextremistische Internetseiten über ausländische Provider bereit gestellt, so dass sie sich dem Zugriff der deutschen Strafverfolgungsbehörden entziehen. Da die Foren- Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 33 Teilnehmer weitgehend anonym auftreten, werden rechtsextremistische Positionen offen vertreten. Vor diesem Hintergrund ist die Entstehung der "FUN-Partei" (FUN) im Jahr 2000 und ihre Beteiligung am Politiksimulationsforum "Democracy Online Today" (dol2day) zu verstehen.37 Die Abkürzung FUN steht für "Freiheitlich - Unabhängig - National". Die FUN ist keine politische Partei im Sinne des Parteiengesetzes, sondern eine virtuelle Partei. Auf ihrer Homepage Virtuelle Partei bezeichnet sie sich als "Gemeinschaft deutscher Patrioten, eine freiheitliche und nationale Partei". In ihrem Programm fordert sie "die friedliche Vollendung der Einheit Deutschlands im Einklang mit der Charta der Heimatvertriebenen und das Recht auf Heimat für alle Deutsche". Ihre Web-Seite dient den Mitgliedern als "Kommunikationsund Informationsplattform". Die FUN initiiert im Internet gezielt inhaltliche Kampagnen, im Kampagnen Jahr 2002 zu Gunsten des rechtsextremistischen Musikers Frank RENNICKE. Gemessen an der Zahl ihrer aktiven Mitglieder zählt die FUN innerhalb des Politiksimulationsspiels zu den einflussreicheren Kräften. Ihre Mitglieder sind gehalten, "patriotische Positionen" offensiv zu vertreten, um "zielgruppengerecht Einfluss" auf das politische Meinungsklima zu nehmen. Die FUN erfüllt damit auch eine Rekrutierungsund Netzwerkfunktion. Sie hat sich die Förderung der "kommenden potentiellen Entscheidungsträger der deutschen Patrioten" zur Aufgabe gemacht. Darüber hinaus stellt sie Links zu Ansprechpartnern unter ihren Mitgliedern in rechtsextremistischen Parteien bereit, zum Beispiel in der NPD (), den REP (), der DVU (). Die FUN organisiert Diskussionsforen, gemeinsame Veranstaltungsbesuche und regionale Treffen ihrer Mitglieder im gesamten Bundesgebiet, um persönliche Kontakte zu knüpfen. Neben Diskussionsforen, Hass-Seiten und den Internet-Auftritten der rechtsextremistischen Parteien wird das Internet vor Handel mit allem für den Handel mit rechtsextremistischer Literatur, Devogandamateria l 37 Bei der Internetseite "Democracy Online Today" handelt es sich um ein Politiksimulationsspiel, bei dem sich virtuelle "Internet-Parteien" in einem simulierten politischen Wettstreit befinden. Neben dem virtuellen Wahlkampf um die Besetzung der Posten einer "Internetregierung" bietet "Democracy Online Today" offene Diskussionsforen für reale politische Themen. 34 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 tionalien und Musik genutzt. Darüber hinaus werden Computerspiele mit rechtsextremistischem Inhalt zum kostenlosen Herunterladen bereitgestellt. Dennoch machen rechtsextremistische Homepages nur einen Bruchteil der gesamten Bandbreite des derzeitigen Internetangebots aus. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 35 2 Linksextremismus 2.1 Überblick Das linksextremistische Personenpotenzial in Berlin verringerte Verringerung des sich um knapp 10 % (2002: ca. 2 320 gegenüber 2001: Personenpotenzials ca. 2 520 Personen).38 Das Erscheinungsbild des Linksextremismus hat sich gegenüber den Vorjahren leicht verändert. Gesamtpotenzial des Linksextremismus 2002: 2 320 Personen 1290 Parteien aktionsorientierte gewaltbereite Szene 490 540 aktionsorientierte nicht-gewaltbereite Szene Insgesamt sank die Mitgliederzahl der Parteien von ca. 580 auf ca. 490 Personen. Während die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD), die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) und sonstige Splitterparteien ihre Mitgliederstärke halten konnten sowie die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) nur geringe Einbußen zu verzeichnen hatte, verlor die "Kommunistische Plattform der PDS" (KPF) eine signifikante Zahl ihrer Mitglieder. Im gewaltbereiten Linksextremismus verringerte sich das Personenpotenzial (2002: ca. 1 290 gegenüber 2001: ca. 1 450). Der Rückgang ist vor allem dadurch bedingt, dass die autonome Szene die ihr eigene hohe Fluktuation nicht mehr ausgleichen konnte. Sie stellt aber weiterhin mit ca. 1 040 Personen (2001: ca. 1 200) den größten Anteil des linksextremistischen Potenzials. Zusammen mit den gewaltbereiten Anarchisten (ca. 200) und Antiimperialisten (ca. 50) gehen von diesen Grup38 Diese Angaben sind geschätzte Personenpotenziale. Weitere Details siehe auch Kapitel "Statistik", S. 126 ff. 36 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 pierungen die meisten gewalttätigen Aktionen aus: Sie reichen von Körperverletzungen bis zu Brandanschlägen. Die Zahl der Straftaten im Phänomenbereich "Politisch motiRückgang der Strafvierte Kriminalität - links" sank um etwa ein Drittel von 685 im und Gewalttaten Jahre 2001 auf 458 im Jahre 2002.39 Die Gewalttaten, bei denen es sich überwiegend um Delikte im Zusammenhang mit Demonstrationen handelt (insbesondere Landfriedensbruch und Körperverletzung), sind ebenfalls zurückgegangen (2001: 278 gegenüber 2002: 171). Das herausragende Ereignis für das gewaltbereite linksextremistische Spektrum, insbesondere für militante Autonome aber zunehmend auch für erlebnisorientierte, unpolitische Jugendliche, war wie in der Vergangenheit auch der "Revolutionäre 1. Mai 1. Mai". Wie in den Vorjahren kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen und heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Ein hauptsächlich vom linksliberalen bürgerlichen Spektrum getragenes "Personenbündnis für einen anderen politischen 1. Mai 2002 in Kreuzberg", das im Vorfeld deeskalierend wirken wollte, konnte sich nicht in der gesamten linksextremistischen Szene Gehör verschaffen, sondern polarisierte vielmehr. Während einige Gruppierungen von einer Einmischung in ihre ureigenen Angelegenheiten sprachen, unterstützten andere - insbesondere die "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB) - das Bündnis. Wegen der Zerstrittenheit fanden 2002 erstmals drei statt bisher zwei Demonstrationen statt. Klandestin agierende Kleingruppen verübten wie in verganAnschläge genen Jahren Brandanschläge auf Fahrzeuge, Autohäuser und Behördengebäude. Diese stehen überwiegend in enger Verbindung mit der im vergangenen Jahr begonnenen Debatte über die Steigerung von Militanz40, die auch im Berichtszeitraum in Szenepublikationen fortgesetzt wurde. Eine führende Rolle bei dieser Diskussion nimmt eine "militante gruppe (mg)" aus Berlin ein. 39 siehe auch Kapitel "Statistik", S. 121 ff. 40 siehe auch S. 57 ff. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 37 Die gewaltbereite aktionsorientierte linksextremistische Szene ist erheblich zerstritten. Die daraus resultierende Mobilisierungsschwäche zeigte sich einerseits im signifikanten Rückgang bei politisch motivierter Gewaltkriminalität, andererseits in der zunehmenden Lethargie bei der Organisation von oder der Teilnahme an Demonstrationen sowohl in als auch außerhalb Berlins. Die linksextremistischen Parteien hatten - mit Ausnahme ihrer Parteien Beteiligung an diversen Demonstrationen - kaum eine nennenswerte öffentliche Außenwirkung. Bei der Bundestagswahl 2002 erreichten DKP und KPD nach der Wahlstatistik des Bundes jeweils 0,0 %.41 Anlässlich der Nahost-Kontroverse entwickelte sich die IsraelIsrael-PalästinaPalästina-Diskussion auch innerhalb linksextremistischer Kreise Diskussion zu einem umstrittenen, die Szene spaltenden Thema. 2.2 Linksextremistische Parteien Teilnahme an der Bundestagswahl An der Bundestagswahl 2002 nahmen die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD), die "Deutsche Kommunistische Partei" ( DKP) sowie eine von der "Sozialistischen Alternative Voran" ( SAV) unterstützte Einzelbewerberin teil. Die MLPD ( ) verzichtete auf eine Kandidatur. Die KPD, die erstmals an einer Bundestagswahl teilnahm, stellte sich als einzige linksextremistische Partei in ganz Berlin KPD mit einer eigenen Liste zur Wahl und erhielt insgesamt 1 624 der Zweitstimmen (0,1 %). Etwa drei Viertel dieser Stimmen bekam sie im Ostteil der Stadt.42 DKP Die DKP trat in Berlin nur mit zwei Direktkandidaten in den Wahlkreisen Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg zur Wahl an. 41 Die Ergebnisse der beiden linksextremistischen Parteien liegen bundesweit bei 0,009 % der Erstund 0,003 % der Zweitstimmen. 42 Die KPD stellte sich nur in Berlin zur Wahl. Bundesweit erhielt sie so 0,001 % der Erstund 0,003 % der Zweitstimmen. 38 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Sie errang dort insgesamt 538 der Erststimmen (0,02 % der Berliner Erststimmen).43 SAV Der trotzkistischen SAV kann eine parteilose Einzelbewerberin für ein Direktmandat in Pankow zugeordnet werden. Sie errang 198 der Erststimmen des Wahlkreises (das entspricht 0,1 % der dortigen Gesamtstimmen). Es wurde in vielfältigen Formen zum 'aktiven Wahlboykott' aus linksextremistischen Kreisen aufgerufen. Ein Einfluss auf den Rückgang der Wahlbeteiligung in Berlin von 83,5 % bei der voran gegangenen Bundestagswahl auf 77,6 % bei der Wahl im September ist jedoch nicht nachgewiesen.44 2.3 Aktionsorientierter Linksextremismus Demonstrationen und Ausschreitungen am 1. Mai Traditionell hat der "Revolutionäre 1. Mai" eine herausragende Rolle im Bewusstsein des linksextremistischen Spektrums in Berlin. Wie in den Vorjahren ging den eigentlichen Demonstrationen zum "Revolutionären 1. Mai" ein "Warmlaufen für den "Revolutionärer 1. Mai" 1. Mai" in der so genannten "Walpurgisnacht" voraus, wo es bereits zu ersten Straftaten kam. So wurde am 30. April in Kreuzberg ein Supermarkt aufgebrochen und geplündert. Erstmalig fanden in Berlin am 1. Mai drei Demonstrationen mit dem Thema "Revolutionärer 1. Mai" statt, während in den Vorjahren nur zwei derartige Demonstrationen durchgeführt worden waren. Im Gegensatz zum Vorjahr wurde keine der drei Veranstaltungen von der Versammlungsbehörde verboten. Jedoch wurden Auflagen hinsichtlich der Wegstrecke oder mitgeführter Transparente erlassen. Ursache für die Anmeldung von drei Demonstrationen war die Zerstrittenheit des linksextremistischen Spektrums. Die Demonstrationen wurden dennoch zeitlich weitgehend aufeinander abgestimmt. Erneut wurde am 1. Mai eine Demonstration der rechtsNPD-Demonst extremistischen "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" 43 Die DKP nahm nur mit Direktkandidaten an der Bundestagswahl teil und erreichte bundesweit mit 3 953 Stimmen 0,008 %. (1998: 2 105 Stimmen / 0,004 %). 44 siehe auch Seite 45 ff. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 39 ( NPD) im Bezirk Hohenschönhausen unter strengen Auflagen genehmigt. Eine Gegenkundgebung, zu der auch linksextremistische Gruppen aufgerufen hatten, fand nach Abweisung der eingelegten Beschwerde durch das Oberverwaltungsgericht Berlin unter den von der Versammlungsbehörde erteilten Auflagen statt. Ein Großaufgebot der Polizei sorgte dafür, dass NPD-Angehörige und Gegendemonstranten weitgehend voneinander getrennt blieben, so dass es zu keinen größeren Zwischenfällen kam. Eine zentrale Rolle spielte bei den Vorbereitungen zum 1. Mai das hauptsächlich vom links-liberalen bürgerlichen Spektrum getragene "Personenbündnis für einen anderen politischen "Personenbündnis" 1. Mai 2002 in Kreuzberg". Dieses zog sich im weiteren Verlauf weitgehend aus der Vorbereitung zum 1. Mai zurück. Ziel des Bündnisses war ein krawallfreier und an politischen Inhalten ausgerichteter 1. Mai. Teile des linksextremistischen Spektrums - im Wesentlichen die Anmelderkreise der 13.00 und 16.00Uhr-Demonstrationen - sahen das Bündnis als eine Einmischung in ihre ureigenen Angelegenheiten. Sie lehnten eine Zusammenarbeit mit dem Personenbündnis aus ideologischen Gründen kategorisch ab, da dessen Initiative als Versuch gesehen wurde, den "Revolutionären 1. Mai" aus dem bürgerlichen Spektrum zu beeinflussen. Im Gegensatz hierzu war die "Antifaschistische Aktion Berlin" "Antifaschistische ( AAB) aus pragmatischen Gründen im Personenbündnis Aktion Berlin" vertreten. Diese partielle Zusammenarbeit wurde der AAB von beiden Anmelderkreisen zum Vorwurf gemacht. Die Folge war, dass eine Einzelperson eine dritte Demonstration anmeldete, die maßgeblich von der AAB mitgestaltet wurde. Die Vorbereitungen zum 1. Mai waren von Gewalt und Aufrufen Gewalttätigkeiten zur Gewalt begleitet: Am 18. März setzten unbekannte Täter das Kraftfahrzeug des Initiators des Personenbündnisses in Brand. Innerhalb des autonomen Spektrums wurde dies gleichwohl in Teilen ablehnend aufgenommen. "na super - vorbehaltlich einer noch zu erwartenden kraftstrotzenden selbstbezichtigung selbsternannter hüter der rei- 40 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 nen lehre ist das mit das dümmste, was seit langem in berlin 45 von linker seite passiert ist." In Flugblättern wurde unter der Überschrift "Haut die Bullen platt wie Stullen" neben der Bekanntgabe von Verhaltensmaßregeln ("Tips für den 1. Mai") ausgeführt: Es ist "verdammt wichtig sich bei Tätigkeiten gewisser Art zu vermummen, also dein Gesicht möglichst unkenntlich zu machen (Tuch und Basecap oder so). Die Fahndungsplakate letztes Jahr haben gezeigt dass die Bullen auch oft Kameras laufen haben auch wenn du sie nicht siehst (...) Um solchen Hetzjagden nicht so ausgeliefert zu sein, vemumm dich, alles andere ist dumm." aus "INTERIM" Nr. 549 13.00-Uhr- * "13.00 Uhr"-Demonstration ("Revolutionäre 1. Mai-DemonDemonstration stration") Zu diesem maßgeblich von stalinistisch-maoistisch orientierten Gruppierungen vorbereiteten, friedlich verlaufenen Aufzug durch den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg kamen 850 bis 1 000 Personen. An der Veranstaltung, die von einer Einzelperson angemeldet worden war, nahmen wie im Jahr zuvor auch viele ausländische Linksextremisten teil. 16.00-Uhr- * "16.00 Uhr"-Demonstration ("Global denken - Lokal handeln Demonstration - heraus zum revolutionären 1. Mai") Die von einem Einzelanmelder im Namen eines "Linksradikalen und autonomen 1. Mai-Bündnis" organisierte zweite Demonstration zum "Revolutionären 1. Mai" nahm - entsprechend einer Absprache zwischen den Veranstaltern - die Teilnehmer der "13.00 Uhr"-Demonstration an deren Endplatz auf. Sie führte von dort ausgehend ebenfalls - allerdings auf einer anderen Route - durch den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. An diesem Aufzug nahmen zwischenzeitlich bis zu 4 000 Personen teil, von denen sich gegen Ende der Wegstrecke etwa 45 Posting im Internetportal "Indymedia" Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 41 300 Teilnehmer vermummten. Die Demonstration verlief aufgrund der starken Absicherung durch die Polizei friedlich. * "18.00 Uhr"-Demonstration ("Stop war! gegen die rot-grüne 18.00-UhrKriegstreiberei! Eine andere Welt ist möglich!") Demonstration Diese Demonstration wurde von einer Einzelperson für ein "Bündnis mannigfaltiger und unterschiedlicher, aber allesamt im politischen Spektrum links zu verortender Gruppen" angemeldet. Zur Teilnahme an dieser Veranstaltung hatte vornehmlich die AAB aufgerufen und hierzu auch bundesweit Mobilisierungsversuche unternommen. Die ursprüngliche Absicht der Veranstalter, die Wegstrecke durch den Bereich der Innenstadt im Bezirk Mitte führen zu lassen, wurde von der Versammlungsbehörde verworfen. Stattdessen wurde eine andere Wegstrecke von Mitte nach Friedrichshain-Kreuzberg vorgegeben. Bis zu 5 500 Teilnehmende, darunter 1 000 bis 1 500 als gewaltgeneigt einzuschätzende Personen, bildeten den stark von der Polizei abgesicherten Demonstrationszug. Im Verlauf des Aufzuges nahmen an der Spitze marschierende Teilnehmende Steine auf und vermummten sich. Da es zwischenzeitlich am nicht weit entfernten Oranienplatz zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen war, Gewalttätige leitete die Polizei den Demonstrationszug zum Michaelkirchplatz Ausschreitungen im Bezirk Mitte um und errichtete Absperrungen. Darauf hin kam es auch in diesem Bereich zu Gewaltaktionen wie Steinwürfen gegen Polizeibeamte und Anzünden von Kraftfahrzeugen. Die gewalttätigen Ausschreitungen nahmen in Kreuzberg ihren Ausgang und dehnten sich in angrenzende Straßenzüge des Bezirkes Mitte aus. Es wurden Hindernisse auf Fahrbahnen errichtet, Pkws beschädigt, umgekippt und in Brand gesetzt sowie Fensterscheiben zerstört und Steine auf Polizeibeamte geworfen. Ein Supermarkt, der bereits in der vorhergehenden Supermarkt"Walpurgisnacht" aufgebrochen worden war, wurde erneut gePlünderung plündert. Bis in die Nacht hinein hielten sich in diesem Bereich etwa 1 000 gewaltgeneigte Personen auf. Die Entwicklung der vergangenen Jahre hat sich auch 2002 bestätigt: Die schon fast als traditionell zu bezeichnenden Kra- 42 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 walle gingen sowohl von Kleingruppen erlebnisorientierter Jugendlicher als auch von Personen aus, die dem autonomen Spektrum zuzurechnen sind. Die Jugendlichen nutzen die Situation zu einem "Kräftemessen" mit der Polizei als dem Repräsentanten der "Staatsgewalt". Ihre hohe Militanzbereitschaft trägt maßgeblich zu einer Eskalation der Situation bei. Im Nachgang zum 1. Mai äußerten sich die maßgeblichen Veranstalter der "18.00 Uhr"-Demonstration - hierunter auch die AAB - zu den Ausschreitungen am Michaelkirchplatz. In einem Flugblatt, das an die Anwohner verteilt wurde, entschuldigten sich die Veranstalter für die erlittenen Schäden und Belästigungen und distanzierten sich hiervon. Zugleich gaben sie jeSchuldzuweisung doch der Polizei die Schuld, da diese die ursprünglich voran die Polizei gesehene Route statt zum Oranienplatz hin zum Michaelkirchplatz geändert habe. Auf die zu der Zeit bereits am Oranienplatz im Gange befindlichen Krawalle wird im Flugblatt jedoch nicht eingegangen. Die Haltung zu den Ereignissen um den 1. Mai wird in einem Internetbeitrag vom 2. Mai deutlich. Zur ersten Plünderung des Supermarktes in der "Walpurgisnacht" führte der Autor aus, dass das "anschließende Geplänkel mit der Öffnung eines Supermarktes" nicht nötig, aber auch nicht tragisch gewesen sei. Vielmehr sei es "nicht mehr und nicht weniger als eben eine Supermarktplünderung gewesen, die ja ruhig ab und zu mal Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 43 Verharmlosung der vorkommen" könne. Zum Verlauf der "18.00 Uhr"-Demonstration Gewalttaten schreibt der Autor weiter: "...trotzdem fand ich die demo gut, denn sie war entgegen der ganzen vorfeld-streits innerhalb der linken riesig, mit guter stimmung und einer klaren politischen aussage: gegen kapitalismus und sozialpartnerschaft. ich fand es auch gut, daß die demo geschlossen und friedlich(!) (ja, das sage ich, ein militanter!) nach kreuzberg ging. lediglich bei der bankgesellschaft am alex hätte es ruhig etwas scheppern können...militanz ist schließlich kein selbstzweck, sondern soll ein politischer ziel anvisieren..." (Anm.: Fehler im Original).46 In diesem Zusammenhang können auch die Presseverlautbarungen von Vertretern der AAB sowie von anderen Veranstaltern der "18.00 Uhr"-Demonstration gesehen werden. Ein Sprecher der AAB urteilt in der Tagespresse vom 3. Mai, dass "die Plünderung des Supermarktes im Vergleich zur Sparpolitik des rot-roten Senats das kleinere Verbrechen" sei.47 Der Sprecher einer anderen Gruppe warf der Polizei vor, sie habe gegen Ende ihr Deeskalationskonzept verlassen und die Demonstration am Michaelkirchplatz in einen Kessel geführt. Im Ergebnis habe die Polizei die Auseinandersetzungen selber provoziert. Er bekannte, dass er die Wut gegen die Polizei emotional verstehen könne.48 1. Mai 2002 Bush-Besuch 22./23. Mai Obwohl immer weniger politische Inhalte bei den Krawallen eine Rolle spielen, wird der 1. Mai weiterhin für das linksextre46 Internetportal "Indymedia" vom 2. Mai 2002 47 "Neues Deutschland" vom 3. Mai 2002 48 ebenda 44 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 mistische Spektrum in Berlin eine herausragende Bedeutung haben. Besuch des Präsidenten der USA Mobilisierung Im Vorfeld des Besuchs des US-amerikanischen Präsidenten George W. BUSH vom 22. bis 23. Mai mobilisierten Angehörige des autonomen Spektrums im Internet und in einschlägigen Szenepublikationen zu Protestveranstaltungen. Einem Aufruf im Internetforum "Indymedia" zufolge sollte der BUSH-Besuch "zu einem Spektakel unseres Widerstandes werden, das niemand übersehen kann". Aufrufe wie "Egal, ob kreativ, direkte Aktionen, Blockaden, Sabotagen, pink-silver oder militant - wichtig ist der Widerstand!" ließen Ausschreitungen befürchten. Die Proteste verliefen jedoch insgesamt friedlich. An den von "Achse des den Gruppierungen der Friedensbewegung "Achse des FrieFriedens" dens" organisierten Demonstrationen am 21. und 22. Mai nahmen bis zu 20 000 Personen teil. Durch die starke Polizeipräsenz und deutliche Distanzierungen von Gewalt seitens der überwiegenden Mehrzahl der Demonstranten blieben vereinzelte Provokationen von gewaltbereiten Autonomen aus der Demonstration heraus folgenlos. Im Anschluss an die Demonstration am 22. Mai kam es jedoch zu Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und der Polizei. 59 Personen wurden festgenommen. Am folgenden Tag beteiligten sich einige hundert Personen an "Reclaim the Aktionen mit satirischem Charakter, so genannten "Reclaim the Streets"-Aktionen Streets"-Aktionen. Bei einer S-Bahn-Blockade am Bahnhof Alexanderplatz musste kurzfristig der S-Bahn-Verkehr unterbrochen werden. Im Vorfeld des Besuchs von US-Präsident BUSH gab es mehBrandanschläge rere Brandanschläge von Autonomen. Am 29. April verübte die "militante gruppe (mg)" () einen Anschlag auf ein Autohaus in Großziethen (Brandenburg) und bezog sich in der Selbstbezichtigung auch auf den BUSH-Besuch. Am 16. Mai konnte ein Brandanschlag auf eine WalMart-Filiale verhindert werden.49 Zu 49 siehe auch S. 60 Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 45 dieser Aktion bekannten sich die "Autonomen Gruppen" und bezogen sich ebenfalls auf den Berlin-Besuch des Präsidenten. Wahlboykott Im Vorfeld der Bundestagswahl diskutierte das linksextremistische Spektrum intensiv darüber, wie man die Wahlen am besten nutzen könne, um die eigenen politischen Vorstellungen nachhaltig zu vertreten. Für die Autonomen ist die repräsentative Demokratie Ausdruck Ablehnung der von Unterdrückung. Sie versuchen, ihre Vorstellungen auf dem repräsentativen außerparlamentarischen Weg zu realisieren, da sich ihrer AufDemokratie fassung nach die zur Wahl stehenden Parteien derart ähneln, dass man nur die Wahl zwischen "Pest und Cholera" habe: "Wir können nur wählen, welche Diebe uns bestehlen".50 Als Alternative zum derzeitigen politischen wie auch wirtschaftlichen System strebt das autonome Milieu eine herrschaftsund hierarchiefreie antikapitalistische Selbstverwaltung an. ktionsformen Vor der Bundestagswahl wurde in der Szenezeitschrift "INTERIM" () und im Internet weitgehend anonym diskutiert, 50 Überschrift des Flugblatts des so genannten Wahlboykottbündnisses, einem Zusammenschluss linksextremistischer Kleingruppen aus dem autonomen Milieu 46 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 inwieweit neben Aktionen bei Wahlkampfveranstaltungen ein "Wahlboykott" oder "ungültig wählen" adäquate Aktionsformen des Protestes gegen die parlamentarische Demokratie seien. Dabei wurden zum einen konventionelle Formen des Protestes in Erwägung gezogen: Wahlkampfveranstaltungen stören, Wahlplakate "verändern", so genannte "Fakes" - etwa die als offizielles Schreiben getarnte Aufforderung, Wahlzettel zu unterschreiben und damit ungültig werden zu lassen - oder so genanntes "verstecktes Theater", bei dem zwei oder mehr Beteiligte Situationen, in denen politische Inhalte transportiert werden sollen, in der Öffentlichkeit spielen.51 Zum anderen wurden auch militante Aktionen wie Angriffe auf Wahlveranstaltungen oder das Besetzen von Wahlkabinen/ -lokalen vorgeschlagen. Im Internet wurden auf einschlägigen Seiten Argumente für und gegen eine Wahlbeteiligung ausgetauscht. Dabei war die Argumentation der Gegner von "Wahlboykott" und "ungültig wählen", dass jede Nichtwahl eine Stimme für die Gegenseite, also für das bürgerliche oder rechtsextremistische Parteienlager sei. Die Befürworter hingegen sahen darin eine Möglichkeit, ihre Positionen am Wahltag vermitteln zu können. Sie führten ins Feld, dass eine hohe Wahlabstinenz am anschaulichsten und nachhaltigsten die Ablehnung "des Systems" dokumentiere. Voraussetzung sei aber, dass man viele Wahlberechtigte dazu mobilisieren könne. Wählen, egal wen, bedeute auch eine Legitimierung von Fremdbestimmung, die es zu überwinden gelte. Wahlboykottbündnis Es wurde mehrfach der Versuch unternommen, autonome gescheitert Kleingruppen zu einem Wahlboykottbündnis zu vernetzen. Dies gelang aber kaum, da die Gruppen zum einen zahlenmäßig irrelevant waren, zum anderen aus den unterschiedlichsten ideologischen Zusammenhängen kamen. Letztlich beschränkten sich die Aktionen auf das Stören von einigen Wahlkampfveranstaltungen sowie das Verfremden von Wahlplakaten. 51 Z. B.: Ein Treffen zweier Menschen im Wahllokal, die laut über den Zweck von Wahlen diskutieren und versuchen, Unbeteiligte in diese Diskussion mit einzubeziehen. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 47 Die in der Zeitschrift "INTERIM" () diskutierten Aktionsformen für den Wahltag wurden nicht umgesetzt, weil die Szene derzeit durch Auseinandersetzungen wie die Israel-Palästina-52 oder die Sexismusdebatte stark zerstritten und deswegen nur noch zu wenigen konzertierten Aktionen fähig ist. Bei der Bundestagswahl gab es insgesamt 1,3 % ungültige Stimmen in Berlin.53 Dies entspricht zwar im Vergleich zu 1998 einer Steigerung um 1 906 ungültige Wahlzettel, doch lag Berlin bei den ungültigen Stimmen nur geringfügig über dem Bundesdurchschnitt (1,2 % der Stimmen). In der repräsentativen Wahlstatistik des Landeswahlleiters wurde bei knapp einem Drittel der ungültigen Stimmen54 der Wahlzettel entweder unausgefüllt oder vollkommen durchgestrichen abgegeben und somit willentlich ungültig gemacht. Ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der ungültigen Stimmen und der Kampagne "ungültig wählen" ist allerdings nicht belegbar; auch fehlen Vergleichsdaten für vorherige Bundestagswahlen. Aussagen über den Erfolg oder Misserfolg der "ungültig wählen"-Mobilisierungen im linksextremistischen Spektrum zur Bundestagswahl sind nicht möglich. Beeinflussung der Anti-Atom-Kampagne An Protesten gegen die Atompolitik der Bundesregierung und Vehikel für gegen die Atomindustrie beteiligen sich auch Gruppen und Systemopposition Personen, die die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnen und die Anti-Atom-Kampagnen vor allem als Vehikel ihrer Systemopposition instrumentalisieren. Sie führen den "Kampf gegen die Atommafia" stellvertretend als Kampf gegen die bestehende staatliche Ordnung, da erst sie die Entwicklung und Nutzung einer solch "menschenfeindlichen Technologie" ermögliche: "So wird durch die Castortransporte und die Unterdrückung des Widerstandes der Mythos widerlegt, dass Freiheit in 52 siehe auch S. 55 ff. 53 24 464 der Gesamtstimmen 54 Nach SS 39 Bundeswahlgesetz sind Stimmen dann ungültig, wenn der Stimmzettel den Willen des Wählers nicht zweifelsfrei erkennen lässt, keine Kennzeichnungen [Kreuze an den richtigen Stellen] oder Zusätze bzw. Vorbehalte enthält. 48 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 irgendeinem Staat herrschen könne. [...] Wir verstehen den Kampf gegen den Atomstaat als Teil des Kampfes gegen das bestehende System."55 Das Abkommen zwischen der Bundesregierung und den Versorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000 zum mittelfristigen Ausstieg aus der Atomenergie (Atomkonsens) wird von ihnen abgelehnt ("Atomnonsens"). Die massive Behinderung vor allem von Castor("Cask for Behinderung von Castor-Transporten storage and transport of radioactive material")-Transporten in die Zwischenlager Gorleben56 oder Ahaus sowie die Blockadeaktionen an der Urananreicherungsanlage Gronau sollen medienwirksam zur Auseinandersetzung mit der Staatsmacht umgemünzt werden. Das Thema Anti-Atom wird dabei mit anderen ideologisch begründeten Konfliktfeldern (z. B. Antirassismus, Antiimperialismus) verknüpft, nicht zuletzt, um neue Mitstreiter zu gewinnen. So war auch 2002 im Vorfeld des Castor-Transportes eine propagandistische Intensivierung feststellbar. Allerdings blieb das Medieninteresse an den Aktivitäten sowohl im Wendland als auch in Berlin im Gegensatz zu den vergangenen Jahren hinter den Erwartungen der Szene zurück. Es wird nunmehr intensiver über eine internationale Vernetzung57 bzw. über Aktionen außerhalb des zeitlich und inhaltlich begrenzten Rahmens der Castor-Transporte diskutiert. Angedacht werden verstärkte Proteste angefangen beim Uranabbau bis hin zur Endlagerung (Atomspirale) oder kombinierte Gronau-Ahaus-Aktionen.58 Berlin ist seit vielen Jahren ein regionaler Schwerpunkt der militanten autonomen Anti-Atom-Bewegung. Führender Zusammenschluss ist das "Anti-Atom-Plenum" ( AAP), das dem "Anti-Atom-Pl 55 Homepage der AAP: was losmachen - Atomstaat als Angriffspunkt linksradikaler Praxis 56 Wie in den vergangenen Jahren auch konzentrieren sich Protestaktionen auf den Transport der Castoren von den Aufarbeitungsanlagen nach Gorleben, während die Verbringung von den Atomkraftwerken nach La Hague oder Sellafield zumeist ohne größere Komplikationen verläuft. 57 Eine europaweite Demonstration gegen AKW fand am 20. Oktober 2002 unter Beteiligung deutscher Autonomer in Straßburg statt. 58 vgl. Homepage des AAP: Anne-Liese, Wenn Ahaus, dann Gronau! wie der Widerstand gegen den Castor nach Ahaus hoch angereichert werden könnte Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 49 gewaltbereiten autonomen Spektrum zuzurechnen und in die bundesweiten linksextremistischen Strukturen eingebunden ist. Kontakte bestehen etwa zur Marburger Gruppierung BigAM.59 Wichtigster Termin im Berichtszeitraum war der Castor-Transport im November nach Gorleben. Das AAP richtete in dessen Vorfeld in Lüneburg eine so genannte Widerstandswerkstatt ein, Widerstandsin der unter anderem allein anreisende und neu hinzugewerkstatt kommene Demonstranten eingewiesen werden sollten, die aber auch die Infrastruktur unterstützen und Vorbereitungen zu Demonstrationen treffen sollte: "In erster Linie soll unsere Widerstandswerkstatt ein Ort sein, um kreative und kraftvolle Aktionen für den folgenden Tag zu entwickeln. Sicherlich finden sich in Lüneburg [...] 60 Ansatzpunkte für kreativen Widerstand." Kontroversen zwischen dem AAP und anderen Anti-AtomGruppierungen sowie der mangelnde Bekanntheitsgrad der Einrichtung und die nur geringe Unterstützung seitens des AAP führten allerdings dazu, dass der Erfolg der Widerstandswerkstatt nur mäßig war.61 Das AAP vermochte auch nicht im vergleichbaren Maße wie in den vergangenen Jahren zu mobilisieren. Die Zahl der organisiert mit dem AAP in das Wendland reisenden Personen ging um etwa drei Viertel zurück. In Berlin wurden im Zusammenhang mit dem Castor-Transport Anschläge auf am 18. und 24. September auf zwei Fahrzeuge der Deutschen Fahrzeuge der DB Bahn AG Brandanschläge verübt. Sie sind vermutlich der linksextremistischen Anti-Castor-Bewegung zuzurechnen, da die Tatausführung Ähnlichkeiten zu anderen Brandanschlägen aus der autonomen Szene aufweist. Die Zahl der demonstrativen Aktionen sowohl in Berlin als auch Aktionen und an der Strecke und im Wendland blieb unter dem Niveau verMobilisierung rückläufig gangener Castor-Transporte. Auch das Potenzial der sich für das Thema interessierenden autonomen Gruppierungen ist rückläufig. Ob von einem Wechsel der Aktionsschwerpunkte innerhalb der militant-autonomen Szene gesprochen werden 59 Beiträge dieser Gruppierung befinden sich auf der Homepage des AAP. 60 Entnommen dem Flyer "hau wech den scheiß!" 61 vgl. "indymedia" vom 16. November 2002, Castor-Aktionen: Politisch flach, hierarchisch! (Berichte&Kritik) 50 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 kann, ist gegenwärtig noch nicht abzuschätzen, da zeitnah zum Castor-Transport mit dem "European Social Forum" in Florenz eine weitere für die Szene relevante Veranstaltung stattfand. Auch bleibt abzuwarten, ob die Bereiche "Überwachung öffentlicher Räume" und "Genpatentierung" sich zu geeigneten Nachfolgethemen entwickeln. "Antifaschistischer Kampf" Instrumentalisierung Der "Antifaschistische Kampf" insbesondere von Autonomen gegen Demokratie richtet sich nur vordergründig gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Er zielt letztlich darauf ab, die freiheitlich verfasste Demokratie und damit die angeblichen Wurzeln des Faschismus zu beseitigen. Den Politikern der demokratischen Parteien wird vorgeworfen, sich seit dem "Antifa-Sommer 2000" an die Spitze eines staatlichen "Antifaschismus" gesetzt und diesen für ihre Zwecke instrumentalisiert zu haben. Als Beispiel hierfür kann der von der "Antifaschistischen Aktion Berlin" ( AAB) auf ihrer Internetseite mit Datum vom 20. No"Antifa-Sommer" vember eingestellte Text "Antifa-Sommer - Zwei Jahre Aufstand der Anständigen" herangezogen werden: "Der Staat verfolgte während des "Antifa-Sommers" zwei Strategien: erstens durch Repression existierende Nazistrukturen zerschlagen (...) Und wo Polizei und Justiz nicht gegen Rechts herhalten konnten, wurde zweitens die Wunderwaffe "Zivilgesellschaft" gegen die Nazis gerichtet, in Form von Sozialarbeit und Aussteigerprogrammen. Die repressiven Staatsorgane und die staatlich verordnete Zivilgesellschaft arbeiten sich an den Symptomen des Rechts- Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 51 extremismus ab und betreiben kosmetische Landschaftspflege - auch zur Wahrung des Industriestandortes Deutschland und dem Bild des guten Deutschen im Ausland"... "Der zuweilen erfolgreiche Kampf des Staates gegen die Faschisten bleibt dennoch hilflos. Der staatliche Antifaschismus rennt blind gegen die ständigen Auswüchse der Bedingungen an, die der Staat zu seinem Existieren notwendig braucht. Würde der Staat die Wurzeln des Faschismus konsequent bekämpfen, würde dies ihn in die absurde Situation der eigenen Selbstbekämpfung führen." Auch im Berichtsjahr blieb die direkte Bekämpfung rechtsextremistischer Parteien, Gruppierungen und Unterstützer im Vordergrund "revolutionärer Antifapolitik". Bevorzugte Angriffsziele Angriffsziele waren dabei Fahrzeuge und Versammlungsstätten von Rechtsextremisten. Die Bandbreite der Aktionen reichte von Farbschmierereien über Sachbeschädigungen bis hin zu direkten Angriffen auf tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Verschiedene autonome "Antifa-Gruppen" führten am 20. April im Bezirk Lichtenberg eine "Antifa-Demonstration" durch. Die Wegstrecke wurde bewusst an Wohnadressen bzw. Anlaufstellen von Rechtsextremisten vorbeigeführt, auf die während der Demonstration aufmerksam gemacht wurde. Teilweise kam es zu Rangeleien zwischen Protestierern und der Polizei. Eine bedeutsame Rolle spielen auch Veröffentlichungen mit Namen, Anschriften, Telefonnummern oder anderen Daten in Publikationen des autonomen Spektrums. Sie sind als kaum verhohlene Aufforderung zu verstehen, gegen die genannten Personen, Firmen oder Einrichtungen 'aktiv' zu werden. - Am 8. September brannte ein Lautsprecher-Kraftfahrzeug in einer Kfz-Werkstatt in Lichtenberg vollständig aus. Diese Werkstatt gehört einem Funktionär der NPD (). In der einschlägigen Publikation "INTERIM"62 wurde dann eine Taterklärung abgedruckt, in der sich ein "Autonomes Antifa Team" zur Tatbegehung bekannte. - Am 12. September wurde in Köpenick auf dem Gelände der Bundesgeschäftsstelle der NPD ein PKW in Brand gesetzt. 62 "INTERIM" Nr. 556 vom 12. September 52 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Die von mehreren autonomen "Antifa-Gruppen" am 23. NovemSilvio-MeierDemonstration ber in Friedrichshain und Lichtenberg durchgeführte Demonstration zum Gedenken an den zehnten Todestag des von Rechtsextremisten getöteten Hausbesetzers Silvio MEIER verlief gewaltfrei, hatte aber im Gegensatz zu anderen Demonstrationen im Berichtszeitraum eine deutlich höhere Teilnehmerzahl von bis zu 1 000 Personen aufzuweisen. Beeinflussung der Anti-Globalisierungsdebatte Unter dem Begriff Globalisierung werden unterschiedlich bewertete politische, soziale, gesellschaftliche und kulturelle Folgen einer sich zunehmend verflechtenden Weltwirtschaft thematisiert. Ziele des Protests Die Proteste der Antiglobalisierungsbewegung richten sich gegen die "Herrschaft des Kapitals", die sich in der Profitmaximierung als alleinigem Maßstab politischen Handelns zeige. Sie strebt deshalb eine "Demokratisierung wirtschaftlicher Machtverhältnisse" - insbesondere auf internationaler Ebene - und eine Umverteilung wirtschaftlicher Erlöse an. Je nach politischer Verortung reichen deren Forderungen von einem mehr an demokratischer Mitbestimmung bis hin zu marxistisch oder anarchistisch orientierten Vorstellungen. Die Verfassungsschutzbehörden beobachten Gruppierungen, Instrumentalidie versuchen, die Proteste gegen den Globalisierungsprozess sierung durch Linksextremis für ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu instrumentalisieren. Die DKP (), trotzkistische Gruppen wie "LINKSRUCK" () und Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 53 SAV () erhoffen sich durch ihr Engagement in der Globalisierungsbewegung mehr Akzeptanz und neue Anhänger für ihre eigenen Ideen. Aus dem gewaltbereiten autonomen Spektrum waren es vor allem "Antifa-Gruppen", die sich an den Protestaktionen beteiligten. Ziele verbaler und tätlicher Angriffe sind die als Architekten neoliberaler63 Konzepte bezeichneten Regierungen der führenden Industrienationen (G8), die Europäische Union, supranationale Institutionen wie Internationaler Währungsfonds (IWF), Weltbank, Welthandelsorganisation (WTO) und das Weltwirtschaftsforum (WEF). Aktionsschwerpunkte sind Tagungen und Konferenzen dieser Gremien. Als Geburtsstunde der weltweiten Bewegung gegen GlobaliAusschreitungen sierung und Neoliberalismus gelten die Proteste gegen die dritte bei internationalen Gipfeltreffen Jahrestagung der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle im November 1999 ("Battle of Seattle"). Im Sommer 2001, von Autonomen als "Summer of Resistance" bezeichnet, kam es zu erheblichen Ausschreitungen während des EU-Treffens in Göteborg. Ihren bisherigen Höhepunkt erreichten sie während des G8-Gipfels in Genua im Juli 2001. Hier wurde ein Demonstrant bei den äußerst gewalttätigen Ausschreitungen von einem Polizisten erschossen. Zu Protesten kommt es regelmäßig nicht nur an den jeweiligen Tagungsorten. Nach der Devise "Think global! Act local!" werden zeitgleich so genannte "Global Action Days"64 mit de"Global Action Days" zentralen Protestaktionen durchgeführt. Als zweckorientierte Provokation sollen sie die Medienberichterstattung dominieren und damit letztlich zur Herstellung einer breiteren Öffentlichkeit dienen.65 Begleitende militante Aktionen sind häufig bereits im Vorfeld geplant, gut vorbereitet und eher selten spontan. 63 Der Begriff Neoliberalismus steht für eine Wirtschaftsordnung, die durch die Steuerung aller ökonomischen Prozesse über den Markt (d. h. durch freien Wettbewerb) und die Ablehnung jeglicher staatlicher Intervention gekennzeichnet ist. 64 Weltweite Aktionstage wurden initiiert von der Bewegung "Peoples Global Action" (PGA) und stehen jeweils unter einem bestimmten Motto bzw. sind thematisch gebunden. Ihre Ausrufung - zumeist via Internet - soll gleichzeitiges und inhaltlich konformes Protestverhalten international bündeln. 65 "Grundsatztext zum G8-Gipfel in Genua", in: "INTERIM" Sonderausgabe ("INTERRUPT"), Sondernummer 532 vom 26. Juli 2001, S. 7 ff. 54 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und der darauf folgenden Bekämpfung des Terrorismus auch mit militärischen Mitteln hat sich die Zielrichtung der Anti-Globalisierungsbewegung gewandelt. Während bis zum 11. September 2001 die wirtschaftlichen Aspekte der Globalisierung dominierten, steht seitdem das Thema Frieden im Mittelpunkt. Zudem hat sich der Charakter der Mobilisierung in der Größenordnung gewandelt: Europaweite Mobilisierungen wie 2001 blieben aus. Die Protestaktionen gegen Gipfeltreffen im Jahre 2002 (EU-Gipfel in Sevilla, Barcelona und Kopenhagen, NATOGipfel in Prag) verliefen im Gegensatz zu den Gipfeltreffen von Göteborg und Genua weitgehend friedlich. Eine wichtige Rolle spielte für die Anti-Globalisierungsbewegung auch der BerlinBesuch des US-Präsidenten im Mai,66 der als eine Symbolfigur des kritisierten Neoliberalismus und "Imperialismus" gilt. MobilisierungsVersuche von linksextremistischen Gruppen, Demonstrationen defizite allein auf das extremistische Spektrum gestützt ohne Beteiligung nicht-extremistischer Gruppen zu initiieren, belegen die gegenwärtigen Mobilisierungsdefizite der Berliner Linksextremisten. So beteiligten sich an den "Tagen des sozialen Protests" am 19. und 20. Dezember nur ca. 100 Personen. Mit ihnen sollte an den Zusammenbruch der argentinischen Wirtschaft am 20. Dezember 2001 erinnert werden. 2.4 Strategieorientierter Linksextremismus Israel-Palästina-Debatte Innerhalb der linksextremistischen Szene entzündete sich eine Kontroverse Kontroverse um die Bewertung des Nahostkonflikts seit AusBewertungen bruch der "al-Aqsa-Intifada" im Jahr 2000. 66 siehe auch S. 44 f. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 55 Es lassen sich grob zwei Lager unterscheiden: - Die Israel-Unterstützer (Szenejargon: "Zionisten" oder auch "Anti-Palis") und - die Unterstützer der Palästinenser (Szenejargon: "Pro-Palis" oder "Antizionisten"), die verschiedene Vorstellungen von Art und Umfang der Solidarität mit den Palästinensern haben. Die Auseinandersetzung wird derart emotional geführt, dass sie einer der Gründe für die derzeitige Spaltung der linksextremistischen Szene in Berlin ist. Um eine größtmögliche Wirkung zu erzielen, wird seitens der Israelunterstützer eines der linksextremistischen Dogmen geIsraelunterstützer brochen, nachdem die Anerkennung von ethnisch begründeten Nationalstaaten als Legitimationsgrundlage für die Ausübung staatlicher Herrschaft abgelehnt wird. Auch die vorbehaltlose Unterstützung Israels, das innerhalb der Szene als "kapitalistische Speerspitze des US-Imperialismus" im Nahen Osten gilt,67 ist neu. Zudem wird ein Antisemitismus-Vorwurf an die AntisemitismusAdresse der linksextremistischen Pro-Palästina-Fraktion erhoVorwurf ben, der mit folgendem argumentativen Konstrukt begründet wird: "Wer für ein Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge nach Palästina (definiert als das heutige Israel und die palästinensischen Gebiete) plädiere, negiere das Existenzrecht Israels oder stelle es zumindest in Frage. Da die Gründung des jüdischen Israel in erster Linie auf den Massenmord an den europäischen Juden zurückgehe, verberge sich hinter dieser Art der Unterstützung des palästinensischen Volkes unverhohlener Antisemitismus. Der Begriff Antizionismus wird hierbei synonym für 68 Antisemitismus gebraucht." Es wird kritisiert, dass sich die "Pro-Pali"-Fraktion in den "Dunstkreis" palästinensischer Extremisten begebe. Sie habe sich nicht eindeutig genug von vereinzelten antijüdischen 67 "[Israel] war mit Unterstützung der großen imperialistischen Staaten auf gestohlenem Land entstanden. Bei der Staatsgründung vertrieben israelische Terrormilizen rund 800 000 Araber und verübten dabei Massaker an tausenden Zivilisten. [...] So stand Israel von Anfang an im Konflikt mit den antiimperialistischen Bewegungen, die sich auch gegen die USA richten." Quelle: "Nahost: Warum es keinen Frieden gibt", in: Linksruck Nr. 123 vom 5. Februar 2002. 68 ebenda 56 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Ausfällen palästinensischer Demonstrationsteilnehmer bei der "Solidarität mit Palästina"-Demonstration am 13. April distanziert. Von der "Pro-Pali"-Seite wird der Antisemitismusvorwurf zurückgewiesen. Hinter der Ablehnung der derzeitigen Besatzungsund Militärpolitik Israels verberge sich keine generelle Judenfeindlichkeit und das Existenzrecht Israels werde nicht in Unterstützer der Frage gestellt. In einigen linksextremistischen Gruppierungen Palästinenser wird darauf hingewiesen, dass Israel nicht abgelehnt werde, weil es sich um den "Staat der Juden" handele, sondern weil staatliche Strukturen generell Unterdrückungsinstrumente seien. "Das kapitalistische System Israels ist nicht positiv zu bewerten. Es herrscht ein Gefälle zwischen Arm und Reich, Wehrdienstverweigerung bedeutet rechtliche und soziale Ächtung, die Zustände in den Gefängnissen sind katastrophal u.v.m."69 Eine andere Strömung diskutiert, ob eine Befriedung der Situation im Nahen Osten nur durch eine Zwei-Staaten-Lösung erfolgen könne, weswegen zunächst trotz allgemeiner Bedenken staatliche Strukturen nicht abgelehnt werden dürften. Es gibt jedoch unterschiedliche Auffassungen, wie weit die Unterstützung für die Palästinenser führen soll. Die Frage beispielsweise, ob Selbstmordattentate eine erklärbare und verständliche Reaktion auf die israelische Besatzung oder unentschuldbar seien, wird unterschiedlich beantwortet. 69 "INTERIM" Nr. 551 vom 6. Juni 2002, S. 7 Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 57 Die Auseinandersetzung ist inzwischen stark emotionalisiert und Emotionalisierte spaltet die linksextremistische Szene derart, dass es vereinzelt Auseinandersetzung sogar zu tätlichen Auseinandersetzungen kommt. Militanzdebatte In der Szenepublikation "INTERIM" () vom 1. November 2001 wurde von einer anonymen Gruppe eine Diskussion über "militante Politik" angestoßen: "[W]ir finden auch, dass das ständige abfackeln von autos nicht der gipfel der volxsportbewegung sein kann. ob es von uns auch hier zu einer steigerung der mittel kommt, hängt auch davon ab, ob wir damit völlig isoliert wären oder nicht." Am 29. November 2001 antwortete in der "INTERIM" eine "militante gruppe "militante gruppe (mg)"70 in einem als "DEBATTENVERSUCH" (mg)" titulierten Papier. Die "mg" begründete erneut den Versand von scharfen Patronen und plädierte für eine Personifizierung militanter Aktionen: "Wir können die gesellschaftlichen Zustände, die wir aus ganzem Herzen bekämpfen wollen, nicht allein an anonymen Strukturen festmachen, wir müssen die maßgeblichen AkteurInnen identifizierbar und angreifbar machen. [...] Es ist eine Diskussion, wie wir in Etappen von dem Angriff auf materielle Objekte zum Angriff auf verantwortliche Subjekte kommen." Die "mg" strebt eine Vernetzung der klandestin agierenden militanten Gruppen an. Die Vernetzung soll durch kontinuierliche Diskussionen und gegenseitige Bezugnahme bei Aktionen erfolgen. Seitdem beteiligen sich in der "INTERIM" die "(am)",71 die "revolutionaere aktion carlo giuliani", das "kommando 'freilassung aller politischen gefangenen'", eine "militante miliz" und 70 Eine "militante gruppe (mg)" war erstmals im Sommer 2001 in Aktion getreten, als sie an den damaligen Regierungsbeauftragten für die Entschädigung der Zwangsarbeiter Otto Graf Lambsdorff sowie an zwei Mitglieder der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ein Drohschreiben mit der Überschrift "Auch Kugeln markieren einen Schlußstrich..." mit beigefügten scharfen Kleinkaliberpatronen schickte. Zeitnah hatte die "militante gruppe (mg)" damals einen Brandanschlag auf eine Berliner DaimlerChrysler-Niederlassung verübt und dabei einen PKW zerstört. 71 Unter dem Kürzel (am) dürfte sich die "autonome miliz" verbergen, die in den vergangenen Jahren die Verantwortung für zahlreiche Sachbeschädigungen übernommen hat. So bekannte sich die "autonome miliz" zu einer "Entglasung" eines EXTRA-Supermarktes im Prenzlauer Berg im Februar 2002. 58 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 eine "Militante Antiimperialistische Gruppe 'Aktionszelle Pierre Overney'" sowie die "Autonome Gruppen" und die Verfasser eines so genannten Clandestino-Papiers an der Militanzdebatte. Schwerpunkt Berlin Der Schwerpunkt dieser Debatte liegt in Berlin. Lediglich die "revolutionaere aktion carlo giuliani" und das "kommando 'freilassung aller politischen gefangenen'" sind außerhalb von Berlin - in Sachsen-Anhalt - ansässig. Die "mg" forcierte die Debatte mit ihrem in der "INTERIM" vom 9. Mai veröffentlichten Papier "Für einen revolutionären Aufbauprozess". Sie sprach sich gegen temporäre kampagnenorientierte Ein-Punkt-Themen aus, da dies der Idee eines revolutionären Projekts widerspreche, und betonte den Vernetzungsgedanken. "Für einen umfassenden revolutionären Organisierungsprozeß kann nur ein kontinuierlich themenübergreifendes Agieren auf der Grundlage eines sozialrevolutionären und antiimperialistischen Ansatzes in Frage kommen. [...] Unter einem sozialrevolutionären Ansatz ist unseres Erachtens der metropolitane Kampf gegen die tripleoppression-Widerspruchslinien (Kapitalismus, Rassismus, Patriarchat) zu verstehen. Sozialrevolutionäre Politik heißt also einen organisierten militanten und bewaffneten Kampf gegen die innergesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen zu führen. [...] Antiimperialistische Politik heißt demnach, einen internationalistischen Kampf in den imperialistischen Metropolen und deren Wirtschaftszonen zu führen (BRD/EU, USA/NAFTA, JAPAN/ ASEAN)." militante Mit Blick auf die Aktionsmittel schlägt die "mg" vor, alle AktionsAktionsmittel formen unterhalb der Schwelle von "politischen Exekutionen" einzusetzen, also "sachschadenorientierte militante Praxen (vom wilden Plakatieren bis zu Brandund Sprengsätzen), personenschadenorientierte militante Praxen (direkte körperliche Konfrontation wie Verprügeln und Kübeln) und symbolische Politpraxen (Kommunikationsguerilla und 'diskursive Dissidenz')". Über "Exekutionen" von Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sei nach Auffassung der "mg" "aus logistischen und repressionstechnischen Gründen" erst nach längerer intensiver Diskussion zu entscheiden. Später lancierte eine "militante miliz" einen Artikel in die "INTERIM", in dem sie die Äußerungen der "militanten gruppe (mg)" zu Liquidationen relativierte. Es gehe nicht darum, "eine Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 59 Praxis der 'Liquidierung' wiedereinzuführen, geschweige denn andere Schritte zu unternehmen, die zwangsläufig in die Illegalität führen". Während sowohl die "autonome miliz" als auch die Gruppierungen aus Sachsen-Anhalt eine Debatte sogar über "Exekutionen" befürworten, lehnen die "Autonomen Gruppen" und die Verfasser eines Clandestino-Papiers sie rundweg ab. Die "Autonomen Gruppen" bezogen hierzu klar Position: "Die Diskussion über Liquidierung - allein schon ein strategisches Nachdenken - halten wir in diesen Zeiten für völlig verfehlt. [...] So wie die Verhältnisse sind, tragen Tote nichts aus. [...] Sie bringen uns einer befreiten Gesellschaft nicht einen Zentimeter näher und deshalb denken wir auch nicht ansatzweise darüber nach, unsere Praxis zu erweitern."72 Die Militanzdebatte findet jedoch nicht nur mittels Positionspapieren statt, sondern wird durch Anschläge begleitet. Die "mg" setzte im Februar die Verschickung von Drohschreiben fort: Adressat war nun der Reinickendorfer Sozialstadtrat Frank Drohschreiben und Anschläge der BALZER, dem eine scharfe Patrone und ein Messer zuge"mg" schickt wurden. Zeitgleich verübte die "mg" einen Brandanschlag auf das Reinickendorfer Rathaus. Der Brandanschlag am 29. April auf ein DaimlerChrysler Autohaus in Großziethen (Brandenburg), bei dem ein Auto zerstört wurde, ging ebenfalls auf das Konto der "mg". In ihrer Selbstbezichtigung thematisierte sie vor allem den bevorstehenden Berlin-Besuch des US-Präsidenten, ging aber auch wie bei allen Selbstbezichtigungen zuvor auf die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter ein. Zum Jahreswechsel 2002/2003 verübte die "mg" einen Brandanschlag auf das Finanzamt Neukölln-Süd, bei dem erheblicher Sachschaden entstand. In einer Selbstbezichtigung thematisierte die "mg" den "Sozialabbau". Mit ihren militanten Aktionen hebt sich die "mg" nur unwesentlich von anderen militant agierenden Gruppierungen ab. Der Unterschied zu Brandanschlägen und sonstigen Sachbeschädigungen durch andere autonome Gruppierungen, dem so ge72 "INTERIM" Nr. 549 vom 1. Mai 2002 60 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 nannten "Nobelkarossentod", besteht in der Art der Selbstbezichtigung. Hier verwendet die "mg" einen theoretisch-abgehobenen Duktus, der sich am Stil der "Roten Armee Fraktion" (RAF) orientiert. Auf einem vergleichbaren Militanz-Niveau agieren die "AutoAktionen der nomen Gruppen". Diese deponierten am 16. Mai im WalMart im "Autonomen Bezirk Neukölln zwei Brandsätze, die jedoch rechtzeitig Gruppen" entdeckt wurden. In der Selbstbezichtigung erklärte die Gruppierung, dass sie mit der Aktion "ein Zeichen gegen den entfesselten Kapitalismus" und gegen den Berlin-Besuch des US-Präsidenten setzen wollten. Am 4. September verübten "Autonome Gruppen" einen Anschlag auf einen Strommast bei Großziethen (Brandenburg), mit dem sie sich gegen die deutsche Abschiebepraxis wandten.73 Durch die Terminwahl stellten sie einen Bezug her zur "Karawane 2002 - Für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen", die eine Woche später Berlin erreichte. Am 27. November wurden zwei mutmaßliche Mitglieder des "kommando 'freilassung aller politischen gefangenen'" festgenommen. Damit wurden die ersten Exekutivmaßnahmen gegen eine an der Militanzdebatte beteiligte Gruppierung vorgenommen. Fortsetzung Ende 2002 lagen keine Erkenntnisse über eine Eskalation der militanter Aktionen militanten Aktionen von an der Militanzdebatte beteiligten wahrscheinlich Gruppierungen vor. Allerdings muss nicht nur von einer Fortsetzung der Debatte in der "INTERIM", sondern auch von der Fortsetzung der militanten Aktionen in den bekannten Formen ausgegangen werden. 73 Die Stromversorgung des Flughafen Schönefeld sollte beeinträchtigt werden. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 61 3 Ausländerextremismus 3.1 Überblick Linksextremistische, extrem nationalistische und islamistische Ausländerorganisationen weisen weder eine einheitliche Ideologie noch eine vergleichbare organisatorische Struktur auf. Erhebliche Unterschiede zwischen den Organisationen besteIdeologische hen vor allem in der Frage des Einsatzes von Gewalt zur Unterschiede Durchsetzung politischer Ziele; hier reicht das Spektrum von der Ablehnung jeglicher Gewaltanwendung bis zur religiösen Legitimation von Terrorismus. Unverändert werden extremistische Gruppierungen in Berlin nur von einer kleinen Minderheit der hier lebenden Ausländer unterstützt. Ca. 6 040 Personen lassen sich extremistischen Ausländerorganisationen zurechnen, das sind weniger als 1,5 % der hier lebenden Ausländer. Gesamtpotenzial extremistischer Ausländerorganisationen 2002: 6 040 Personen 3930 Islamisten Linksextremisten 600 1420 Extreme Nationalisten 90 Sonstige Unter den ausländerextremistischen Organisationen in Berlin Extremisten: bilden die Anhänger islamistischer Gruppierungen mit ca. 3 930 Mehrheit islamistisch Personen die Mehrheit; dies entspricht einem Anteil von knapp zwei Dritteln (65,0 %). Linksextremistische Organisationen stellen mit ca. 1 420 Personen dagegen weniger als ein Viertel (23,5 %) und extrem-nationalistische Organisationen mit ca. 600 62 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Personen knapp zehn Prozent (9,9 %) der extremistischen Ausländerorganisationen in Berlin. 74 Mehrheit türkische Innerhalb der islamistischen Gruppierungen in Berlin (ca. 3 930 Islamisten Personen) machen die türkischen Islamisten, die überwiegend in der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) organisiert sind, fast drei Viertel der Anhänger aus (ca. 2 900 Personen / 73,8 %). Die arabischen Islamisten - Anhänger der HAMAS, der "Hizb Allah" oder der in diversen Moscheevereinen organisierten "Muslimbruderschaft" (MB) - haben innerhalb der islamistischen Gruppierungen dagegen nur einen Anteil von 25,4 % (ca. 1 000 Personen). Gesamtpotenzial islamistischer Gruppierungen 2002: 3 930 Personen 2900 Türkische Islamisten Arabische Islamisten Sonstige 1000 30 Im Phänomenbereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" gingen 2002 die politisch motivierten Gewaltdelikte, zu denen Rückgang Strafund Gewalttaten v. a. Widerstandsdelikte, Landfriedensbruch, Körperverletzung zählen, im Vergleich zum Vorjahr um fast die Hälfte von 36 auf 19 Gewalttaten zurück. Bei den anderen Straftaten dieses Phänomenbereichs (v. a. Verstöße gegen das Vereinsund Versammlungsgesetz, Propagandadelikte oder Volksverhetzung) kam es ebenfalls zu einer Reduzierung von 164 Straftaten im Jahr 2001 auf 95 Straftaten im Jahr 2002 (Rückgang um 42,1 %).75 74 Diese Angaben sind geschätzte Personenpotenziale. Weitere Details siehe auch Kapitel "Statistik", S. 126 ff. 75 siehe auch Kapitel "Statistik", S. 124 f. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 63 Das Berichtsjahr war durch zwei internationale Entwicklungen geprägt - den Kampf gegen das "Al-Qaida"-Netzwerk und die Zunahme der Spannungen im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. An dem bereits am 7. Oktober 2001 unter dem Namen "Enduring Freedom" begonnenen Anti-Terror-Kampf der Internationaler USA in Afghanistan beteiligte sich auch die Bundeswehr mit Anti-Terror-Kampf Truppen. Die Militäroperationen der USA und ihrer Verbündeten führten zum Sturz des Taliban-Regimes, zum Einsetzen einer neuen Regierung mit dem Präsidenten Hamid KARZAI und zu einer deutlichen Schwächung der "Al-Qaida" in Afghanistan. Auch außerhalb Afghanistans zeigten verschiedene Maßnahmen im Anti-Terror-Kampf Wirkung: Zu nennen sind die Verhaftungen wichtiger Mitglieder des "Al-Qaida"-Terrornetzwerks, der Nachweis von Finanzströmen und die Vereitelung von Anschlägen. Dennoch erfolgten auch im letzten Jahr Anschläge, die der "Al-Qaida" zugeschrieben werden. So forderten die Anschläge auf die "al-Ghriba"-Synagoge in Djerba am 11. April und auf ein Touristenzentrum in Bali am 12. Oktober erstmals auch Opfer unter deutschen Staatsangehörigen. Eine konkrete Ausweitung des Spektrums der "AlQaida" stellen Drohungen dar, die am 12. November in einer Usama BIN LADIN zugeschriebenen Tonbandbotschaft explizit auch gegen Deutschland gerichtet wurden. Die zweite - regional begrenzte - Entwicklung betrifft die drastische Verschärfung des Nahostkonflikts, die ihren Höhepunkt Verschärfung des in der israelischen "Operation Schutzwall" ab dem 29. März Nahostkonflikts fand. Seit Ausbruch der "al-Aqsa-Intifada" im September 2000 ist der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern durch eine massive Zunahme der Gewalt gekennzeichnet. Besondere Aufmerksamkeit erregten in diesem Zusammenhang palästinensische Selbstmordanschläge gegen israelische Militärs und Zivilisten. Der Kampf gegen das "Al-Qaida"-Terrornetzwerk und die Verschärfung des Nahostkonflikts zeigten zusammen mit internationalen und regionalpolitischen Entwicklungen auch Wirkung auf die ausländerextremistischen Gruppierungen in Deutschland. 64 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 * Arabische islamistische Organisationen: Die "Arabischen Mujahidin" Maßnahmen gegen Die internationalen Verflechtungen "Arabischer Mujahidin" "Arabische ("Kämpfer") stellen die deutschen Sicherheitsbehörden nicht Mujahidin" erst seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vor neue Herausforderungen: So ist dieses globale Netzwerk, dem auch in Westeuropa eine nicht genau zu beziffernde Zahl islamistischer "Kämpfer" zuzurechnen ist, weiter aktiv und stellt ein anhaltendes Sicherheitsrisiko dar. Im Kampf gegen den Terrorismus gab es in Deutschland beachtliche Erfolge: Hierzu zählen der im April eröffnete Prozess gegen die so genannte "Meliani-Gruppe", die einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg geplant hatte, sowie die Festnahme von Mitgliedern der Gruppe "Al-Tawhid" ("die Einheit Gottes")76, der der Aufbau einer terroristischen Zelle, die Schleusung sowie logistische Unterstützung von "Kämpfern" zur Last gelegt werden. Auch in Berlin gibt es Spuren zu einzelnen Angehörigen dieses Netzwerkes. * Reaktionen arabischer extremistischer Organisationen auf den Nahostkonflikt Die Verschärfung des israelisch-palästinensischen Konflikts Proschlug sich auch in Berlin nieder. Hierzu zählen die Großpalästinensische demonstration "Solidarität mit Palästina" vom 13. April mit ca. Demonstrationen 10 000 vorwiegend arabisch-stämmigen Teilnehmern sowie Übergriffe auf Juden durch offensichtlich arabische Jugendliche. * Palästinensische islamistische Organisationen: Der Spendensammelverein "Al-Aqsa e. V." Weitere Maßnahmen gegen islamistische Gruppierungen Spendensammelbetrafen den in Aachen ansässigen "Al-Aqsa e. V.". Dieser gilt verein verboten als Spendensammelverein der in Israel und in den von Israel besetzten Gebieten terroristisch operierenden palästinensi76 Bei der Wiedergabe des arabischen Wortes "Tawhid" handelt es sich um die englische Schreibweise, im Deutschen wird der Begriff "Tau-hid" ausgesprochen. Aus der Sicht der islamischen Theologie bezeichnet "Tauhid" (wörtl. "Einheit" oder "Vereinigung") das Prinzip des Monotheismus, den Glauben an einen einzigen Gott. Bei Islamisten steht "Tauhid" jedoch für das ideologische Konzept eines einheitlichen Weltbildes, das eine typische Forderung islamistischer Gruppierungen darstellt. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 65 schen "Islamischen Widerstandsbewegung" (HAMAS). Der "AlAqsa e. V." wurde im August vom Bundesminister des Innern mit der Begründung verboten, dass die in Deutschland gesammelten Spenden unter anderem der HAMAS nahestehenden Einrichtungen in den palästinensischen Autonomiegebieten sowie Familien von "Märtyrern", darunter auch solchen von Selbstmordattentätern, zugute kommen. Dieses Verbot erfolgte auf Basis des neuen Terrorismusbekämpfungsgesetzes. * Kurdische linksextremistische Organisationen: PKK / KADEK Im April wurde der "Freiheitsund Demokratiekongress KurdiGründung des stan" (KADEK) gegründet, den die in der Türkei früher terroriKADEK stisch aktive "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) als ihren Nachfolger betrachtet. Vermutlich sollte der vor allem aus türkischer Sicht belastete Name "PKK" eine politische Lösung der Kurdenfrage nicht weiter behindern. Auch nach Gründung des KADEK wurde der von der PKK bereits seit längerem verfolgte "Friedenskurs" beibehalten; jedoch ist dieser - aufgrund des Festhaltens an der militärischen Option - nicht unumkehrbar. Der KADEK setzt die Aktivitäten der PKK fort und führte bundesweite Protestaktionen gegen die Aufnahme der PKK in die "EU-Terrorliste" durch. Der Bundesminister des Innern stellte fest, dass sich das gegen die PKK 1993 erlassene vereinsrechtliche Betätigungsverbot auch auf den KADEK erstrecke, da zwischen beiden Organisationen Identität bestehe. * Türkische islamistische Organisationen: "Kalifatsstaat" und IGMG Nachdem die Organisation "Kalifatsstaat" vom Bundesminister Teilorganisationen des Innern bereits 2001 nach einer Änderung des Vereinsverboten gesetzes verboten worden war, erfolgte im Berichtsjahr ein bundesweites Verbot von 16 weiteren Teilorganisationen des "Kalifatsstaats". Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verbot am 27. November bestätigt.77 Die nicht-gewaltorientierte "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) folgt der von 77 BVerwG 6 A 1.02, 6 A 3.02 und 6 A 9.02 66 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Necmettin ERBAKAN entwickelten islamistischen Ideologie der "gerechten Ordnung" (Adil Düzen). Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich die Spaltung seiner Anhängerschaft in der Türkei und der Sieg der die Reformkräfte repräsentierenden "Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei" (AKP) bei den türkischen Parlamentswahlen am 3. November auf die hiesige IGMG auswirken. * Türkische linksextremistische Organisationen: DHKP-C, TKP / ML und MLKP Agitation Bei den türkischen linksextremistischen Organisationen haben die Aktivitäten zugenommen, während man bei der Wahl der Aktionsformen gegenwärtig eher unspektakuläre Aktionen wie zum Beispiel Informationsstände und Demonstrationen bevorzugt. Den Agitationsschwerpunkt bilden weiterhin Solidaritätsaktionen für Gesinnungsgenossen im Hungerstreik, die gegen die Gefängnisreform in der Türkei protestieren. Zu den gemeinsamen Aktionsfeldern der "Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C), der "Türkischen Kommunistischen Partei / Marxisten-Leninisten" (TKP / ML) und der türkischen "Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP) gehört jedoch auch antiamerikanische Propaganda. 3.2 "Arabische Mujahidin" in Deutschland Zum Netzwerk "Arabischer Mujahidin" gehören Kleingruppen und Einzelpersonen aus Organisationen wie der "Al-Qaida" und anderen islamistischen Terrorgruppen sowie den so genannten "non-aligned Mujahidin", die keiner bestimmten Organisation zuzurechnen sind. Diese Netzwerke verfügen über eine entwickelte Infrastruktur zur Versorgung mit Geld und zur Beschaffung von gefälschten Papieren und KommunikationsRekrutierung mitteln. Sie versuchen, vor allem junge Muslime ideologisch zu von Mujahidin schulen und sie für terroristische Aktionen oder deren logistische Unterstützung anzuwerben. Nicht erst im Zuge der Ermittlungen zu den Attentätern des 11. September wurde deutlich, dass die Verbindungen "Arabischer Mujahidin" bis nach Deutschland reichen. Bereits im Festnahme Dezember 2000 waren vier Personen in Frankfurt/Main festge"Meliani-Grupp nommen worden, die derzeit vor dem Oberlandesgericht Frank- Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 67 furt vor Gericht stehen. Ihnen wird vorgeworfen, einen Anschlag in Straßburg vorbereitet zu haben ("Meliani-Gruppe").78 Wurde bis dahin davon ausgegangen, dass Deutschland nur als Rückzugsund Ruheraum genutzt wird, ließen die in der Folgezeit im gesamten Bundesgebiet und in anderen europäischen Ländern durchgeführten Ermittlungen, Durchsuchungen und Festnahmen erkennen, dass aktive Netzwerke der "Mujahidin" weiterhin bestehen und Anschläge auch auf Ziele in Europa vorbereitet wurden. Ermittlungsergebnisse des Bundeskriminalamtes (BKA) zu den Terroranschlägen vom 11. September belegen, dass die "Al-Qaida" und die Netzwerke "Arabischer Mujahidin" auch in der Bundesrepublik Deutschland über ein Anhängerpotenzial verfügen, das für Terroranschläge rekruRekrutierungstiert werden kann. Die Festnahmen haben zwar das Potenzial potenzial in Europa des islamistischen Terrorismus geschwächt, nicht jedoch zu dessen Zerschlagung geführt. Erster Prozess zu den Anschlägen vom 11. September 2001 Zu den frühen Ermittlungserfolgen des BKA zählt die FestProzess gegen nahme des marokkanischen Staatsangehörigen Mounir EL EL MOTASSADEQ MOTASSADEQ am 27. November 2001, gegen den fast ein Jahr später, am 22. Oktober 2002, vor dem 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg der Prozess eröffnet wurde. In dem weltweit ersten Verfahren gegen Attentäter des 11. September wurde EL MOTASSADEQ des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Beihilfe zum Mord in über 3 000 Fällen angeklagt. EL MOTASSADEQ wird beschuldigt, als "Statthalter" der Hamburger Gruppe um Muhammad ATTA an den Planungen der Anschläge des 11. September mitgewirkt und für die Finanzierung der Gruppe gesorgt zu haben. EL MOTASSADEQ gab zu, im Sommer 2000 eine Schießausbildung in einem Lager der "Al-Qaida" bei Kandahar in Afghanistan absolviert zu haben; er bestreitet jedoch eine Beteiligung an der Vorbereitung der Anschläge in den USA.79 78 siehe auch S. 70 79 Nachtrag: Am 19. Februar 2003 wurde El Motassadeq vom OLG Hamburg u. a. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und wegen 68 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Weitere Festnahmen im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 Am ersten Jahrestag der Anschläge vom 11. September wurde in Pakistan der jemenitische Staatsangehörige Ramzi Festnahme BINALSHIBH festgenommen und den amerikanischen BehörBINALSHIBH den überstellt. BINALSHIBH gilt als Organisator und "Bankier" der Hamburger Gruppe um Muhammad ATTA und war vermutlich dessen engster Vertrauter. Die Ermittler vermuten zudem, dass BINALSHIBH als weiterer Pilot der Anschläge des 11. September vorgesehen war, das Vorhaben aber nur daran gescheitert war, dass er kein Visum für die USA erhalten hatte. Am 10. Oktober wurde in Hamburg der marokkanische StaatsFestnahme angehörige Abdelghani MZOUDI wegen des dringenden MZOUDI Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, die Hamburger Zelle um Mohammed ATTA unterstützt zu haben. MZOUDI, der zusammen mit anderen Mitgliedern der Hamburger Gruppe im Sommer 2000 in afghanischen Ausbildungslagern war, unterhielt nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft über lange Jahre enge Beziehungen zu sämtlichen Angehörigen der Hamburger Gruppe, vor allem zu dem mit internationalem Haftbefehl gesuchten "Ersatzpiloten" Zakariya ESSABAR und zu dem vor dem OLG Hamburg angeklagten Mounir EL MOTASSADEQ. Der Beschuldigte soll die Anschlagsvorbereitungen logistisch unterstützt haben. Exekutivmaßnahmen gegen "Al-Tawhid" Im Rahmen der Ermittlungen gegen arabische Islamisten Durchsuchung durchsuchten zwischen dem 23. und 26. April Beamte des BKA und Haftbefeh im Auftrag des Generalbundesanwalts (GBA) 23 Objekte, darunter auch in Berlin, und nahmen 12 Personen vorläufig fest. Gegen zehn der Personen ergingen Haftbefehle; ein Haftbefehl wurde gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Bei den Durchsuchungen wurden mehrere Computer, Disketten, Fälschungsutensilien, Passfalsifikate und schriftliche Unterlagen sichergestellt. Beihilfe zum Mord in mehr als 3 000 Fällen zur Höchststrafe von 15 Jahren Haft verurteilt. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 69 Die Exekutivmaßnahmen richteten sich gegen ein Netz "Arabischer Mujahidin", das unter der Bezeichnung "AL-TAWHID" (wörtlich "die Einheit Gottes") bekannt wurde. Bei der Gruppierung handelt es sich um keine festgefügte Organisation, sondern um eine Bewegung von mehrheitlich palästinensischen "Kämpfern", die auf Basis der islamistischen Ideologie den "Jihad" vor allem gegen jüdische und israelische Ziele führt und deshalb den so genannten "Jihadisten" zugerechnet werden Kampfmotto "Jihad" kann. Anführer von "AL-TAWHID" soll Abu Mosab Al-ZARQAWI sein, der sich vermutlich im Iran aufhält. Nach Erkenntnissen des GBA hatte sich in Deutschland um einen in Essen wohnhaften Palästinenser eine Zelle gebildet, die sich selbst der Bewegung "AL-TAWHID" zuordnete und der überwiegend Palästinenser angehörten. Die in Deutschland agierende Zelle arbeitete nach den von ihren operativen und religiösen Führern vorgegebenen Weisungen weitgehend selbständig. Die in ein internationales konspiratives Netz eingebundene Zelle Anschlagserfüllte in Deutschland bis April überwiegend logistische vorbereitungen Funktionen, z. B. die Beschaffung von Reisedokumenten oder die Schleusung von "Kämpfern". Die bei den Exekutivmaßnahmen vom April gewonnenen Erkenntnisse lieferten allerdings auch Anhaltspunkte dafür, dass sich die Zelle in der Frühphase von Anschlagsplanungen befand. Prozess gegen Frankfurter "Mujahidin"-Gruppe rozess gegen Am 16. April begann vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/M. liani-Gruppe" der Prozess gegen fünf algerische Staatsangehörige ("MelianiGruppe"), denen vorgeworfen wird, als "non-aligned Mujahidin" innerhalb einer spätestens seit Herbst 2000 vor allem im Raum Frankfurt/M. tätigen terroristischen Vereinigung einen Sprengstoffanschlag in Straßburg vorbereitet zu haben. Der für die Jahreswende 2000/2001 geplante Anschlag konnte durch die Festnahme von vier der Angeklagten am 26. Dezember 2000 in Frankfurt/M. verhindert werden. Der fünfte Angeklagte wurde am 4. April 2001 festgenommen. Die Beschuldigten hatten seit 1998 Schulungen in Ausbildungslagern in Afghanistan absolviert. Erkenntnissen der Bundes- 70 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 anwaltschaft zufolge schlossen sie sich nach ihrer Rückkehr nach Europa in einer nach außen abgeschotteten, konspirativ arbeitenden Zelle zusammen. Dabei verwendeten sie Decknamen, Aliaspersonalien und Falschpapiere. Die Zelle stand mit Gruppen gleichgesinnter Islamisten in Großbritannien und Italien in Kontakt. Bei der Durchsuchung der von den Angeklagten genutzten konspirativen Wohnungen in Frankfurt/M. waren große Mengen von zur Herstellung von Sprengstoff geeigneten Chemikalien, zwei Sprengzünder, Anleitungen zur Herstellung von Sprengsätzen, Schusswaffen sowie eine Vielzahl falscher Identitätspapiere sichergestellt worden. Im Prozess hatten drei Angeklagte Teilgeständnisse abgelegt Geplanter und behauptet, dass der Anschlag der Synagoge in Straßburg Anschlag auf gegolten habe. Die Beweisaufnahme des Gerichts hatte jedoch Weihnachtsmarkt ergeben, dass ein Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt mittels eines mit Sprengstoff gefüllten Schnellkochtopfes geplant war.80 3.3 Reaktionen arabischer extremistischer Organisationen auf die Entwicklung des Nahostkonflikts Im Zuge der Auseinandersetzungen der seit September 2000 andauernden "al-Aqsa-Intifada" kam es im Frühjahr zu einer drastischen Verschärfung des Konflikts zwischen Israel und den Verschärfung des Konflikts Palästinensern. Anlass für die Zunahme der Spannungen im Nahen Osten war ein 20 Tote forderndes palästinensisches Selbstmordattentat im israelischen Kernland, das am 29. März 2002 zum Einmarsch israelischer Truppen in die palästinensischen Autonomiegebiete führte. Die "Operation Schutzwall" der israelischen Armee dauerte bis Anfang Mai. Auch danach verübten palästinensische Gruppierungen zahlreiche Selbstmordanschläge, die weitere militärische Auseinandersetzungen zur Folge hatten. 80 Nachtrag: Vier Angeklagte wurden am 10. März 2003 zu Haftstrafen zwischen zehn und zwölf Jahren verurteilt. Das Verfahren gegen den fünften Algerier war vom Gericht abgetrennt worden, nachdem ihm eine Beteilung an dem Attentatsplan nicht nachzuweisen war. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 71 Die arabischen extremistischen Organisationen in Berlin reagierten mit Demonstrationen, Kundgebungen und öffentlichDemonstrationen in Berlin keitswirksamen Veranstaltungen auf die Ereignisse in der Region. Dies war insbesondere nach dem Raketenbeschuss der Stadt Gaza durch die israelische Armee am 22. Juli und während der Belagerung und weitgehenden Zerstörung des Amtssitzes von Yassir ARAFAT im September der Fall. Für eine zunehmende Emotionalisierung sorgte auch die Möglichkeit eines amerikanischen Militärschlags gegen den Irak. Die Reaktionen der arabischen extremistischen Gruppierungen in Berlin - und zwar sowohl der nationalistischen, als auch der linksextremistischen und der islamistischen arabischen Gruppierungen - waren jedoch nicht analog zur Eskalation der Gewalt in der Region. Die Anhänger von Organisationen wie z. B. der FATAH, der "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP), der "Islamischen Widerstandsbewegung" ( HAMAS) oder der "Hizb Allah" (), die im Nahen Osten auch Terroranschläge durchführen, konzentrierten sich in Deutschland vor allem auf öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen, um auf die Situation im Nahen Osten aufmerksam zu machen. Dabei zeigten sich die Organisationen bestrebt, keine Rechtsverstöße zu begehen. In Berlin kam es seit März infolge der sich verschärfenden Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensern zu ersten Demonstrationen und Kundgebungen extremistischer arabischer Gruppierungen. Viele dieser Veranstaltungen hatten jedoch nicht mehr als 50 Teilnehmer. Wesentliche Berliner Ereignisse waren der Ostermarsch, den einige der oben genannten arabischen Gruppierungen als eine neue Präsentationsplattform nutzten, die Großdemonstration am 13. April mit ca. 10 000 Teilnehmern sowie die Demonstration "Solidarität mit Palästina" zum zweiten Jahrestag der "al-Aqsa-Intifada" am 28. September mit etwa 1 000 Teilnehmern. Insbesondere auf der Großsten arabischen islamistidemonstration am 13. April schen Gruppierungen, die waren die zwei bedeutendpalästinensische HAMAS Islamistische rganisationen 72 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 und die libanesische "Hizb Allah", stark vertreten, wie an entsprechenden Fahnen und Porträts des Generalsekretärs der "Hizb Allah", Hassan NASRALLAH, zu erkennen war. Auf den nachfolgenden Veranstaltungen zeigten sie diese massive Präsenz nicht mehr. Der Großteil dieser Veranstaltungen verlief überwiegend friedlich, auch wenn es dabei regelmäßig zu verbalradikalen Äußerungen kam, vereinzelt Straftaten begangen und entEmotionalisierte sprechende Transparente gezeigt wurden, die die emotioStimmung nalisierte Stimmung der Teilnehmer widerspiegelten: Auf der Großdemonstration vom 13. April sorgte ein Palästinenser, der seine sechsjährige Tochter als Selbstmordattentäterin "verkleidet" hatte, für erhebliches Aufsehen in der Öffentlichkeit. Er wurde am 18. November wegen Billigung von Straftaten zu einer fünfmonatigen Bewährungsstrafe und 300 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Zudem zeigte sich auf den Demonstrationen auch ein Potenzial arabisch-stämmiger Jugendlicher, das äußerst verbal-radikal verbal-radikale auftrat und aus den Demonstrationen heraus Straftaten beging. Jugendliche Im Laufe der Demonstration am 13. April wurde die britische Botschaft mit Steinen beworfen, was erheblichen Sachschaden am Gebäude verursachte. Auf anderen Demonstrationen und Kundgebungen wurden israelische Fahnen verbrannt. Es kam dieses Jahr auch zu Übergriffen auf Juden, die nach Übergriffe bisherigem Erkenntnisstand von Jugendlichen arabischer Herkunft begangen wurden. Am 31. März wurden zwei orthodox- Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 73 jüdische US-Bürger auf dem Kurfürstendamm angegriffen. Die Beschreibungen der Täter weisen auf eine vermutlich arabische Abstammung hin. Neben einer Reihe von Beleidigungen und Anfeindungen gegen Juden durch arabische Jugendliche insbesondere im April und Mai dieses Jahres wurde am 14. April eine Jüdin in einer U-Bahn am Bahnhof Neukölln von ebenfalls offensichtlich arabischen Tätern geschlagen und beraubt. Am 28. April wurde ein Brandanschlag auf die Synagoge am Fränkelufer in Kreuzberg verübt, für den als Tathintergrund ebenfalls ein Bezug zum Nahostkonflikt in Frage kommt. Derartige Straftaten sind Ausdruck einer Judenfeindschaft, die unter der arabischen Bevölkerung Berlins bislang nicht zu beobachten war. 3.4 Verbot des "Al-Aqsa e. V." Auf der Grundlage des nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verabschiedeten Terrorismusbekämpfungsgesetzes hat der Bundesminister des Innern am 5. August den Verein "AlAqsa e. V." verboten. Zu den Zielen des "Al-Aqsa e. V." gehören laut Vereinssatzung diverse Hilfeleistungen für Palästinenser in Deutschland, die Durchführung von humanitären Projekten für bedürftige Palästinenser sowie die Unterstützung und Förderung von Bildungsstätten und sozialen Einrichtungen in den palästinensischen Autonomiegebieten. In der Verbotsverfügung wird der 1991 gegründete und in Aachen ansässige "Al-Aqsa e. V." der in Israel und in den von Israel besetzten Gebieten terroristisch aktiven, islamistischen HAMAS81 () zugerechnet und für die Koordinierung von Spendensammlungen in Deutschland verantwortlich gemacht. Dem Verein wird vorgeworfen, entsprechende Gelder der HAMAS nahestehenden Einrichtungen in den palästinensischen Autonomiegebieten und so genannten "Märtyrerfamilien"82 zugeführt zu haben.83 Unterstützung von "Märtyrerfamilien" 81 In der EU-Terrorliste vom 17. Juni 2002 wird der militärische Flügel der HAMAS, die "Izz al-Din al-Qassam-Brigaden", aufgeführt. 82 Die Verwendung des Begriffs "Märtyrer" im Zusammenhang mit dem NahostKonflikt ist von einer islamistischen Auslegung geprägt und wird einhergehend mit der Gewalteskalation der letzten Jahre als Synonym für Palästinenser verwendet, die bei Auseinandersetzungen mit der israelischen Armee oder bei gewalttätigen Angriffen auf israelische Einrichtungen und Israelis ihr Leben verlieren. Darunter fallen auch Selbstmordattentäter. 83 www.bmi.bund.de/dokumente/Pressemitteilung/ix_89624.htm 74 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Mit dem Verbot wurden die neuen Verbotsgründe des VereinsNeues Vereinsrecht angewandt rechts angewandt. Nach der Verbotsbegründung befürwortet und unterstützt der "Al-Aqsa e. V." Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer, religiöser und sonstiger Belange, indem der Verein die Bereitschaft Dritter, Gewalt als politisches, religiöses oder sonstiges Mittel einzusetzen, geweckt oder zumindest gestärkt habe. Zudem unterstütze die Tätigkeit des "Al-Aqsa e. V." mit der HAMAS eine Vereinigung außerhalb des Bundesgebietes, die Anschläge gegen Personen und Sachen Verbotsgrund: befürwortet und veranlasst. Durch die Unterstützung der Befürwortung "Märtyrerfamilien", die potenziellen Attentätern die Sorge um die von Gewalt finanzielle Absicherung ihrer Angehörigen nehme, fördere der Verein nicht nur die Bereitschaft zu Selbstmordattentaten, sondern verletze darüber hinaus den Gedanken der Völkerverständigung.84 Der Vorsitzende des "Al-Aqsa e. V." bestreitet eine Unterstützung der HAMAS sowie jeglichen Kontakt zu deren Gründer und geistlichem Führer Shaikh Ahmad YASSIN. Der Verein reichte beim Bundesverwaltungsgericht Klage gegen das Verbot ein. Eine Entscheidung des Gerichts steht noch aus. Weltweite Die HAMAS finanziert sich hauptsächlich über weltweite SpenSpendensammlung den. Die Gelder, die in der Regel über Jordanien an die Organisation fließen, stammen größtenteils aus den Golfstaaten, von der palästinensischen Diaspora sowie von diversen arabischen Nichtregierungsorganisationen (NGO). Darüber hinaus soll eine enge Verflechtung der HAMAS mit den Al-Aqsa-Zentren in verschiedenen Staaten bestehen. Ein Großteil der Spendengelder fließt in den Unterhalt eines weit verzweigten Netzwerkes von Moscheen, Schulen, Waisenhäusern und Krankenstationen, die die Organisation in der Westbank und im GazaStreifen unterhält.85 Der "Al-Aqsa e. V." sammelte Spendengelder hauptsächlich in Moscheen und Islamischen Zentren, aber auch bei Zusammenkünften in nicht-religiösen Einrichtungen sowie auf öffentlichen Kundgebungen und Demonstrationen zum Nahost-Kon84 ebenda 85 www.bmi.bund.de/dokumente/Pressemitteilung/ix_89624.htm Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 75 flikt.86 Spenden wurden auch in Berliner Moscheen gesammelt. Über die Höhe der Spendengelder liegen allerdings keine genauen Informationen vor. Die Reaktionen auf das Verbot waren in den Islamischen Reaktionen Zentren im Bundesgebiet und in den Berliner Moscheen eher verhalten. Auf dem Breitscheidplatz in Charlottenburg wurde am 10. August eine Kundgebung organisiert, auf der gegen das Verbot protestiert werden sollte. Diese fand jedoch wenig öffentliche Aufmerksamkeit. 3.5 Von der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) zum "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) Die politische Entwicklung der PKK wurde im Wesentlichen durch zwei Ereignisse bestimmt: Zum einen durch den 8. Parteikongress der PKK und zum anderen durch den Beschluss der Europäischen Union, die PKK in die EU-Liste der terroristischen Organisationen aufzunehmen. Auf dem 8. Parteikongress vom 4. bis 10. April, der im Irak Neugründung stattfand, beschloss die PKK, ab sofort alle Tätigkeiten unter KADEK dem Namen "PKK" () einzustellen, da sie "ihre historische Mission" vollendet habe. Gleichzeitig wurde noch während des Parteikongresses der "Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistan" bzw. "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) gegründet. Wie der Abschlusserklärung des Parteikongresses zu entnehmen ist, sieht die PKK den KADEK als ihren "legitimen und einzigen Nachfolger" an.87 Die Organisationsstrukturen, die personelle Zusammensetzung und die Zielstellung von PKK und KADEK sind identisch. Auch die Satzungen beider Organisationen stimmen inhaltlich weitgehend überein. Ferner AN wurde die dominierende Stellung von Abdullah ÖCALAN88 zender 86 ebenda 87 Im Internet eingestellte Presseerklärungen des "Kurdistan InformationsZentrums e. V." (KIZ) vom 16. April. 88 Abdullah ÖCALAN amtierte seit der offiziellen Gründung der PKK am 27. November 1978 als Generalsekretär und unumschränkter Führer des die Partei leitenden Zentralkomitees (ZK). Nach seiner Verhaftung am 15. Februar 1999 führte ein "Präsidialrat", dessen Mitglieder vom ZK gewählt und von ÖCALAN 76 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 dadurch bestätigt, dass er zum Generalvorsitzenden des KADEK mit unverändert hoher Machtbefugnis ernannt wurde. Wie schon die PKK, setzt sich auch der KADEK für Abdullah ÖCALAN ein: Nach der Abschaffung der Todes durch das türkische Parlament89 werden nunmehr die Haftbedingungen des Parteivorsitzenden kritisiert. 90 Politische Lösung Der KADEK "strebt eine Lösung der kurdischen Frage (...) auf angestrebt / der Basis demokratisch-freiheitlicher Prinzipien an". Erklärtes Erklärter Ziel des KADEK ist ferner die - auf ein friedliches ZusamGewaltverzicht menleben zielende - "Einheit des kurdischen Volkes mit den Nachbarvölkern"91. Die Organisation "befindet es für richtig", den bewaffneten Kampf - d. h. "jegliche Art von militärischer Auseinandersetzung" - zu beenden. Zur Fortführung der neuen Demokratieund Friedenslinie sollen "in allen Teilen Kurdistans" bzw. den "dazugehörigen Ländern" Organisationen gegründet werden.92 Allerdings verfügt die Partei weiterhin über militärische Strukturen, die sie offen als Drohpotenzial für den Fall verwendet, dass aus ihrer Sicht eine politische Lösung der Kurdenfrage nicht erreicht wird. Daher kann der Friedenskurs Friedenskurs nicht als unumkehrbar angesehen werden. nicht unumkeh Die Auflösung der PKK und die Gründung des KADEK ist die Fortschreibung eines Wandlungsprozesses von einer auf den bewaffneten Kampf ausgerichteten Organisation zu einer ausschließlich politisch agierenden Partei. Vermutlich sollte der vor allem aus türkischer Sicht belastete Name "PKK" eine politische Lösung der Kurdenfrage nicht weiter behindern und es politischen Verantwortungsträgern erleichtert werden, die bestätigt wurden, die Partei im Sinne der von ÖCALAN aus der Haft heraus abgegebenen Erklärungen. 89 Die "Hürriet" berichtete, dass am 2. August das "Gesetz zur Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten" vom türkischen Parlament verabschiedet wurde. Betätigungsve 90 "Özgür Politika" vom 10., 11., 12. und 13. November 91 Im Internet eingestellte Presseerklärungen des "Kurdistan InformationsZentrums e. V." (KIZ) vom 16. April. 92 ebenda Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 77 Organisation als Ansprechpartner zu akzeptieren. Jedoch stellte der Bundesminister des Innern im August aufgrund bestehender Kontinuitäten zwischen PKK und KADEK fest, dass sich das gegen die PKK 1993 erlassene vereinsrechtliche Betätigungsverbot93 auch auf den KADEK erstrecke, da zwischen beiden Organisationen Identität bestehe. Im Mittelpunkt der Aktivitäten der Berliner KADEK-Anhänger Anerkennung der stehen nach wie vor die Rechte der Kurden in der Türkei. Der kurdischen Identität gefordert KADEK fordert das Recht auf muttersprachliche Bildung, das Recht auf Medien bzw. Publikationen in kurdischer Sprache sowie das Recht auf politische Betätigung, das er mit demokratischen Mitteln erlangen will. Schwerpunkt der Aktivitäten war demzufolge die Unterstützung der prokurdischen "Partei der Demokratie des Volkes" (HADEP) bzw. des Wahlbündnisses "Demokratische Volkspartei" (DEHAP), zu dem sich die HADEP mit mehreren kleinen Parteien vor den Wahlen zum türkischen Parlament am 3. November zusammenschloss. Zur Unterstützung der Forderungen der Partei in der Türkei fand am 9. Februar im Veranstaltungskomplex "ARENA" in Treptow eine Solidaritätsveranstaltung für die HADEP unter dem Motto "Für Frieden, Freiheit und Demokratie" statt, die zeitweise von bis zu 5 000 Personen besucht wurde. Unter den Teilnehmern befanden sich auch PKK-Anhänger aus dem Berliner Umland. Im Rahmen der europaweiten Wahlund MobilisierungskamKurdische pagne für die HADEP bzw. für das Wahlbündnis DEHAP en unterstützt wurden wahlberechtigte Kurden zur Stimmabgabe in der Türkei bzw. an den Grenzübergängen aufgefordert.94 Zudem wurde in den Räumlichkeiten des Treffund Versammlungsorts der Berliner PKK-Anhängerschaft, im Verein MALA KURDA ("Kurdisches Haus Berlin-Brandenburg e. V."), ein "Wahlbüro zur Unterstützung der DEHAP in Berlin" eingerichtet.95 Allerdings scheiterte die DEHAP mit einem Stimmenanteil von 6,21 % an der 10-Prozent-Hürde. 93 siehe auch S. 187 f. 94 "Özgür Politika" vom 4. und 29. September 95 "Özgür Politika" vom 22. September 78 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Die Berliner Gliederung der PKK / des KADEK beteiligte sich an Gewaltfreie Großveranstaltungen bundesund europaweiten Großveranstaltungen der Partei: So wurden Fahrten zum kurdischen Newroz(Neujahrs-) Fest am 23. März nach Düsseldorf sowie zum 10. Internationalen Kurdistan-Festival am 7. September in der "Arena auf Schalke" in Gelsenkirchen organisiert. Die im Berichtszeitraum von der Berliner Gliederung der PKK / des KADEK durchgeführten, öffentlichkeitswirksamen Aktionen verliefen friedlich.96 Auch in Westeuropa agierte die Partei weitgehend gewaltfrei. Aufnahme der PKK in die "EU-Terrorliste" Fast zeitgleich mit der Namensänderung trat am 2. Mai der vom Rat der Europäischen Union (EU) getroffene Beschluss über die Erweiterung der Liste der als terroristisch eingestuften Organisationen und Einzelpersonen97 in Kraft, auf der auch die PKK genannt wird. In Erwartung dieser Entscheidung erklärte das Mitglied des Generalpräsidialrates des KADEK, Osman ÖCALAN, in einer Sendung des KADEK-orientierten Fernsehsenders MEDYA-TV, dass man mit der beabsichtigten Aufnahme der Organisation in die EU-Terror-Liste eine "neue Kriegsphase" einleite, die "dieses Mal das Blut von Hunderttausenden kosten wird". Die Kurden würden von ihrem "rechtMassive Drohu mäßigen Verteidigungsrecht Gebrauch machen" und seien "zu einem Krieg bereit", wenn es zu "Handlungen gegen die PKK" käme: "Auch wir sind für den Frieden, aber wenn man uns unsere Freiheit wegnehmen möchte, dann werden wir einen furchtbaren Widerstand leisten (...). Die Aufnahme in die Liste wird als Kriegserklärung gedeutet und wir werden uns auf der Grundlage der Verteidigung auf den Widerstand vor98 bereiten". 96 Es kam lediglich zu Verstößen gegen das Vereinsgesetz, z. B. aufgrund des Skandierens von PKK/KADEK-Parolen oder des Zeigens von Transparenten mit Bezug zur PKK / zum KADEK. 97 "Beschluss des Rates vom 2. Mai 2002 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2001/927/EG" (2002/334/EG) - veröffentlicht am 3. Mai 2002 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften. 98 "Özgür Politika" vom 30. April Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 79 Da der EU-Beschluss von der Partei als ein herber Rückschlag für ihre Bemühungen angesehen wird, sich vom Image einer terroristischen Organisation zu lösen und zu einer politisch anerkannten Bewegung zu werden, führte der KADEK unmittelbar nach seiner Gründung bundesweite Protestaktionen gegen die EU-Entscheidung durch. Auch in Berlin fanden ab Protestaktionen Mai zahlreiche Aktionen statt, die - trotz der zunächst vom Generalpräsidialrat des KADEK ausgesprochenen Drohungen - friedlich verliefen. Mit dem gewaltfreien Protest in Deutschland zeigt der KADEK, dass er die friedliche Linie der PKK fortzuführen gedenkt. Gleichwohl könnten aktuelle Entwicklungen wie ein Krieg im Irak oder das weitere Schicksal Abdullah ÖCALANs zu einer Änderung der - von Parteianhängern kritisierten - gewaltfreien Strategie des KADEK führen. 3.6 Der "Kalifatsstaat": Die Zeit nach dem Verbot Der Bundesminister des Innern hat am 19. September 16 weiVerbot weiterer tere Teilorganisationen des türkisch-islamistischen "KalifatsTeilorganisationen staats" in Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen verboten. Diese Maßnahmen basieren auf Ermittlungen, die im Anschluss an das am 8. Dezember 2001 gegen den "Kalifatsstaat" verfügte Verbot durchgeführt wurden ( Kalifatsstaat). Am 8. April hatte der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Angehörige des "Kalifatsstaats" Verdacht auf erhandlungen wegen des Verdachts der Zuwiderhandlung gegen das Vereinsverbot eingeleitet. Nach der Vollstreckung des Verbots gab es Hinweise, dass Mitglieder weiterhin aktiv waren und der organisatorische Zusammenhalt der Gruppierung aufrechterhalten wurde. Anlass zu dieser Annahme gaben weitere Veröffentlichungen der Zeitung "Ümmet-i Muhammed" - am 21. Dezember 2001 wurde die 409. Ausgabe herausgebracht - und die Fortsetzung der Sendungen des Fernsehkanals HAKKTV nach dem 8. Dezember 2001. In beiden Fällen handelt es sich um die vormaligen Verlautbarungsorgane des "Kalifatsstaats". 80 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Der Hauptverband sowie fünf weitere Teilorganisationen erhoben Klage gegen das Vereinsverbot. Das BundesverVereinsverbot waltungsgericht bestätigte das Verbot am 27. November.99 bestätigt KAPLAN in Metin KAPLAN, ehemaliges Auslieferungshaft Oberhaupt der Kalifatsstaatsgemeinde, befindet sich nach wie vor in Haft. Am 14. Januar 2003 hat das Oberlandesgericht Düsseldorf einen Auslieferungshaftbefehl gegen ihn erlassen. Grundlage hierfür bilden zwei Haftbefehle, die von der türAnklagepunkte in kischen Justiz vorgelegt wurden. Darin wird KAPLAN vorgeder Türkei worfen, 1998 während der Feierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen der Republik Türkei einen Anschlag auf die am Atatürk-Mausoleum in Ankara versammelte Staatsspitze geplant zu haben. Darüber hinaus wird ihm zur Last gelegt, im Mai 1998 in einer Kölner Sporthalle zum Jihad und zum Umsturz der türkischen Regierung aufgerufen zu haben. Bislang haben deutsche Behörden die Auslieferung KAPLANS in die Türkei mit der Begründung abgelehnt, dass ihm dort Folter oder die Todesstrafe drohe. In einer Änderung der türkischen Verfassung vom 3. August wurde die Todesstrafe in Friedenszeiten abgeschafft. Am 23. März 2003 endet die vierjährige Haftstrafe KAPLANS. Aufgrund des oben genannten Haftbefehls bleibt er bis zur Entscheidung über seine Auslieferung an die Türkei in Haft. 99 BVerwG 6 A 1.02, 6 A 3.02 und 6 A 9.02 Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 81 Das Weltbild und die politischen Ziele dieser islamistischen Keine Änderung Gruppierung haben sich nicht geändert. Aufschluss hierüber der Ideologie geben das deutschsprachige Monatsmagazin "Der Islam als Alternative" (DIA)100 und insbesondere die wöchentlich publizierte "Beklenen Asr-i Saadet"101 ("Das erwartete Zeitalter der Glückseligkeit"). Diese nach dem Vereinsverbot gegründeten Zeitschriften werden in den Niederlanden hergestellt und von dort aus auch nach Deutschland versandt. In der politischen Vorstellungswelt des "Kalifatsstaats" wird die Ablehnung von Demokratie nach wie vor als der ärgste Feind betrachtet und für Demokratie und eine angeblich fehlende Werteorientierung der Menschen Rechtsstaatlichkeit verantwortlich gemacht: "Die Tatsache, dass die Kinder im Westen bereits in jungen Jahren beginnen, Zigaretten zu rauchen und Heroin und Haschisch zu konsumieren, und die Tatsache, dass sie in ihren Schulklassen ihre Lehrer und ihre eigenen Freunde erbarmungslos ermorden, zeigt, wie die demokratischen Werte die Menschen verwandeln ... ."102 Deutschland und die Türkei werden als "Unrechtssysteme" verstanden, in denen die Freiheit der Religionsausübung eingeschränkt sei und Muslime unschuldig verfolgt würden. Institutionen, die auf demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien basieren, werden bereits im Grundsatz abgelehnt: "Die islamische Bewegung [der "Kalifatsstaat"] wird niemals im Namen des internationalen Rechts oder im Namen irgendeines internationalen Instituts getroffene Entscheidungen akzeptieren."103 100 Die DIA gibt sich im Vergleich zu früheren Publikationen des Verbandes gemäßigter, um damit ein breiteres, auch deutsches Publikum zu erreichen. Trotzdem ist die Nähe zum "Kalifatsstaat" unübersehbar. Regelmäßig abgedruckte Beiträge des verstorbenen Cemaleddin Kaplan sowie seines inhaftierten Sohnes Metin Kaplan und die Berichterstattung über den Verband sind deutliche Hinweise darauf. 101 Die oben erwähnte Zeitung "Ümmet-i Muhammed" erscheint seit Beginn des Jahres 2002 nicht mehr. Statt ihrer wird seitdem wöchentlich die Zeitung "Beklenen Asr-i Saadet" publiziert. Sowohl in Anbetracht ihres Inhalts als auch nach ihrem Layout ist davon auszugehen, dass mit der Herausgabe der Zeitung "Beklenen Asr-i Saadet" die Zeitung "Ümmet-i Muhammed" fortgeführt wird. 102 "Asr-i Saadet" 28, 10. Juli 2002, Artikel "Der Westen, der auf moralischideellem Gebiet bereits völlig zusammengebrochen ist, steht jetzt auch auf der Schwelle des materiellen Zusammenbruchs" 103 "Asr-i Saadet" 25, 19. Juni 2002, Artikel "Wie müssen wir sein?" 82 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Als ein Beispiel für die Ungerechtigkeit im Namen der Demokratie wird häufig die Situation im Nahen Osten herangezogen, wobei die Judenfeindschaft der Gruppierung deutlich Ausgeprägte Judenfeindschaft sichtbar wird. In einem Artikel der "Asr-i Saadet" vom 3. Juli mit dem Titel "Gemeinsamkeiten der Tyrannen" heißt es: "Mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten versuchen die Juden zu beweisen, dass Hitler im Recht war. Nach Ansicht von Hitler nämlich unterstützten alle Juden damals den Terror und den Terrorismus. Aus diesem Grund - so meinte Hitler weiterhin - müssten sämtliche Juden getötet werden. Gelingt es Ihnen jetzt zwischen den von Hitler vertretenen Ansichten und dem von dem israelischen Militär gegenwärtig ausgeübten Terror eine Verbindung herzustellen?" VerschwörungsDie Situation im Nahen Osten wird generalisiert und auf die theorien ganze Welt übertragen. Schuld an den ungerechten Verhältnissen in der Welt und insbesondere an dem Leid der Muslime sei der Imperialismus, der von "Juden" und deren Verbündeten, den USA, zur Unterdrückung der Welt geschaffen wurde.104 Aus Sicht des "Kalifatsstaats" kann dieser Zustand der Ungerechtigkeit nur durch Gründung eines - auf Koran und Sunna basierenden - islamischen Staats in der Türkei und durch eine Für Weltherrschaft Weltherrschaft des Islam beendet werden: des Islam "Dass die Türkei und die Menschheit zum Licht des Islams gebracht werden, indem sie vor der Dunkelheit der Periode des Analphabetismus gerettet werden. Dass der Koran Person, Familie, Presse, Politik und Staat beherrscht. Dass der Koran das Grundgesetz und der Islam der Staat ist. Das sind unser Ziel und unser Zweck. Das ist unsere einzige 105 Sache." Gegen Integration der Muslime Die eigenen Anhänger werden massiv unter Druck gesetzt, wenn sie Bereitschaft zur Anpassung an die (deutsche) Aufnahmegesellschaft zeigen. Dies verstößt gegen das Grundrecht auf individuelle Entscheidungsund Meinungsfreiheit: "Abgesehen davon, dass irgendein Muslim die Scharia und die Gesetze Gottes aufhebt oder ein Gesetz verabschiedet, ist es nicht zulässig, diese, die so etwas tun, zu mögen. Es reicht schon aus, aus der Religion entlassen zu werden, 106 wenn man solche Leute mag." 104 "Asr-i Saadet" 17, 24. April 2002, Artikel "Einladung zur Einheit" 105 "Asr-i Saadet" 26, 26. Juni 2002, Artikel "Islamische Religion und Staat" 106 "Asr-i Saadet" 25, 19. Juni 2002, Artikel "Islamische Religion und Staat" Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 83 Die zitierten Äußerungen des "Kalifatsstaats" im Jahr 2002 verdeutlichen, dass die Gruppierung trotz des Verbots keine Mäßigung in ihren politischen Zielen erkennen lässt. Das Gedankengut des "Kalifatsstaates" verstößt gegen maßgebliche Gegen Verfassung und VölkerPrinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der verständigung Bundesrepublik Deutschland sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Dies sind im wesentlichen die Gründe, die zu dem Verbot des Vereins im Dezember 2001 geführt haben. 3.7 Die Neugründung islamistischer Parteien in der Türkei - Auswirkungen auf die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) in Deutschland Auf Grundlage der Milli-Görüs-Ideologie ( IGMG) gründete Erste islamistische Necmettin ERBAKAN 1970 mit der "Nationalen Ordnungspartei" Partei in der Türkei (Milli Nizam Partisi, MNP) seine erste islamistische Partei in der Türkei. Im Gegensatz zu Parteiführern des linken und rechten Spektrums gelang es ihm, trotz mehrmaliger Parteiverbote und anschließender Neugründungen unter jeweils anderem Namen, eine Spaltung seiner Anhängerschaft bis 2001 zu verhindern.107 Nach dem Verbot der damaligen "Tugendpartei" (Fazilet Partisi, FP) im Juni 2001 führten jedoch interne Flügelkämpfe zwischen den so genannten Traditionalisten und den Erneuerern zur Gründung von zwei Nachfolgeparteien. arteispaltung Die Traditionalisten, die sich zu N. ERBAKAN und seiner MilliGörüs-Ideologie bekennen, schlossen sich im Juli 2001 unter dem ehemaligen Vorsitzenden der "Tugendpartei", Recai KUTAN, zur "Glückseligkeitspartei" (Saadet Partisi, SP) zusammen. Die Erneuerer folgten im August 2001 dem ehemaligen Istanbuler Oberbürgermeister und früheren Anhänger der "Tugendpartei", Recep Tayyip ERDOGAN, in die "Gerech107 Bis zum Verbot der "Wohlfahrtspartei" im Januar 1998 blieb ERBAKAN selbst Vorsitzender der Partei, danach führte er die Partei aus dem Hintergrund. Nachfolgend sollen zum besseren Verständnis die Gründungsund Verbotsdaten aller türkisch-islamistischen Parteien genannt werden: 1. "Nationale Ordnungspartei" (MNP), Vorsitz N. ERBAKAN, 1970 - 1971, 2. "Nationale Heilspartei" (MSP), Vorsitz N. ERBAKAN, 1972 - 1980, 3. "Wohlfahrtspartei" (RP), Vorsitz N. ERBAKAN, 1983 -1998, 4. "Tugendpartei" (FP), Vorsitz R. KUTAN, 1998 - 2001; Spaltung des islamistischen Spektrums in 5. "Glückseligkeitspartei" (SP), Vorsitz R. KUTAN, ab 2001 und 6. "Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei" (AKP), Vorsitz R.T. ERDOGAN, ab 2001. Alle türkisch-islamistischen Parteien mit Ausnahme der AKP sind in der Tradition der Milli-Görüs-Ideologie zu sehen, obwohl mit der Zeit eine gewisse Anpassung der Ideologie an demokratische Prinzipien erfolgte. 84 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 tigkeitsund Entwicklungspartei" (Adalet ve Kalkinma Partisi, AKP). Der die Spaltung verursachende Streit zwischen den Erneuerern und den Traditionalisten entzündete sich am autoritären Führungsstil N. ERBAKANs, der die Forderungen von jüngeren Parteimitgliedern nach Partizipation an parteiinternen Entscheidungen ablehnte. Weiter kritisierten die Erneuerer, dass ERBAKAN und seine Gefolgsleute einen rein taktischen Umgang mit demokratischen Begriffen pflegten und das parlamentarische System für ihre Zwecke ausnutzten. Inhaltlich distanzierte sich die Gruppe der Reformer von der Politisierung des Islam. Die Politik der SP orientiert sich inzwischen zwar offiziell an SP: Islamistische Ideologie demokratischen Prinzipien, ihre Ausrichtung ist allerdings noch stark an die Milli-Görüs-Ideologie ihres Führers gebunden. Die Partei verfolgt eine islamistische Ideologie, die alle Lebensbereiche der Gesellschaft durchdringen soll. Das Parteiprogramm der AKP lässt dagegen keine Ziele erAKP: Konservatives Parteiprogramm kennen, die auf eine islamistische Ideologie hindeuten. In dem ersten Kapitel "Politik mit Prinzipien" präsentiert sich die AKP als konservativ, reformfreudig und modern und betont ihr Eintreten für eine demokratische Staatsform: "Die Demokratie ist eine tolerante Staatsform und ein politischer Wettstreit im Dienste der Bevölkerung. In dieser Staatsform verfügt niemand über mehr Rechte als Andere oder über Privilegien. Unsere Partei, die unterschiedliche Glaubenszugehörigkeiten und Kulturen in unserem Land als Reichtum betrachtet, sieht es als notwendig an, dass der Mensch, egal welche Sprache, Religion, Herkunft oder welchen sozialen Status er besitzt, unter dem gleichen Schutz der Gesetze frei leben und am politischen Leben teilnehmen kann. Die Demokratie erhält ihre Legitimation durch den freien Willen des Volkes und durch das Recht."108 Bei den türkischen Parlamentswahlen am 3. November Wahlsieg der A erreichte die AKP 34,2 % der Stimmen und wurde somit zur stärksten politischen Kraft. Auf die AKP folgt die "Republikanische Volkspartei" (CHP) mit 19,4 % der Wählerstimmen. Aufgrund der Wahlhürde von 10 % schafften von den 18 zur Wahl angetretenen Parteien nur diese beiden den Sprung ins 108 AK-Parti, Secim Beyannamesi, Hersey Türkiye Icin (AKP, Wahlprogramm, Alles für die Türkei), S. 11 - 12, ohne Jahr Stimmenverlus der SP Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 85 Parlament. Verlierer der vorgezogenen Wahlen sind die etablierten Parteien, insbesondere die Parteien der letzten Regierungskoalition. Auch N. ERBAKAN und seine SP verloren Wählerstimmen. Da ERBAKAN seine Partei nach wie vor aus dem Hintergrund stark beeinflusst, muss deren deutliche Niederlage auch seiner Person angelastet werden. Zieht man in Betracht, dass der prozentuale Anteil der "Tugendpartei" bei der Parlamentswahl von 1999, die vor der Spaltung des islamistischen Lagers stattfand, bei 15,4 % lag und vergleicht damit das aktuelle Ergebnis von 2,5 % für die SP am 3. November, dann wird klar, dass der Großteil der islamistischen Stammwählerschaft zur AKP überwechselte. Dies kann als eindeutiges Votum gegen die traditionalistische Linie der SP und für den Reformkurs der AKP gewertet werden. Interessant sind die Kommentare, die einen Tag nach der Parlamentswahl in der "Milli Gazete" (Nationale Zeitung), dem Sprachrohr der Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei und dem Ausland, zu den Reformbestrebungen der AKP erschienen. Unter dem Titel "Reformismus-, Erneuerungsanomalie" schreibt Mehmet Sevki EYGI: "Bezüglich des Glaubens kann es keine Reformen, Erneuerungen und Veränderungen geben. Religionsgebote sind universell und unabänderlich. Im Sinne des Glaubens handelt es sich bei allen Religionen um den Islam. Veränderungen, auch theoretischer Art, sind nur in der Scharia begründet. Der Versuch einer Religionsreform ist mit Verrat und Anomalie gleichzusetzen. Die Gebote im Koran sind seit vierzehn Jahrhunderten gültig und können nicht verändert oder reformiert werden. Veränderungen oder Reformen können nur angestrengt werden, wenn diese in der Scharia zuvor unmissverständlich angezeigt wurden. Reformer und Erneuerer können nur anormal und pervers sein."109 Die AKP und ihre reformorientierte Politik wird demnach strikt abgelehnt. Eine Annäherung zwischen Traditionalisten und Erneuerern scheint unmöglich. Die folgende Meldung aus der "Hürriyet" vom 23. November mit einer Stellungnahme Necmettin ERBAKANs zu den Wahlergebnissen deutet hingegen auf eine Kehrtwende der SP im Umgang mit der AKP hin: ERBAKAN lässt hier verlauten, dass 109 "Milli Gazete", 4. November 2002 nnäherung an AKP 86 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 die AKP als ein Teil der Milli-Görüs-Bewegung die Stimmen der Wähler bekommen habe. Um in der Regierungsverantwortung erfolgreich zu sein, müsse die AKP im Sinne der Milli Görüs handeln. Er sei bereit, der AKP seine Erfahrungen zur Verfügung zu stellen. Dabei verschweigt er, dass er selbst in der Rolle des Ministerpräsidenten 1996/97 nach kurzer Zeit zurücktreten musste. Die Frage, weshalb die Wähler die AKP und nicht die SP gewählt haben, lässt er offen. Tatsache bleibt, dass die Niederlage der SP, die Absage an das ideologische Milli-Görüs-Konzept von ERBAKAN, von der sich die AKP ausdrücklich distanziert hat, sehr deutlich ausgefallen ist. Verbindungen Bis heute bestehen enge ideelle und personelle Verbindungen zwischen SP zwischen Necmettin ERBAKAN, seiner Partei - zur Zeit die SP - und IGMG und der IGMG in Deutschland ( IGMG). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit sich die Spaltung der ERBAKAN-Partei und der Wahlsieg der AKP in der Türkei auf die Entwicklung der IGMG auswirken. Nach bisher vorliegenden Erkenntnissen existieren noch keine Auswirkungen auch formellen Organisationsstrukturen von AKP-Anhängern in in Deutschland Deutschland. Zeitungsmeldungen liefern aber erste Hinweise dafür, dass AKP-Anhänger die IGMG verlassen. Die "Hürriyet" meldet am 15. September unter dem Titel "Milli Görüs in Tayyip Panik", dass IGMG-Funktionäre nicht nur befürchten, dass ihre Mitglieder in die Türkei fliegen und die AKP wählen würden; vielmehr hätten sie auch festgestellt, dass sich eine große Anzahl von Mitgliedern von der IGMG getrennt habe und damit beginne, sich der AKP in Deutschland anzuschließen. Abwanderung von In einer weiteren Nachricht der "Hürriyet" vom 22. September IGMG-Mitgliedern mit der Schlagzeile "IGMG löst sich auf" wird ebenfalls auf den Mitgliederrückgang Bezug genommen. Es wird darauf verwiesen, dass die Anzahl der Beitragszahlungen per Lastschrift von 17 500 auf 8 000 Mitglieder gesunken sei. Dies sei auf zwei Tatsachen zurückzuführen: Einerseits wirke sich die in der Türkei vollzogene Spaltung der Islamisten auf die europäischen Organisationen aus; andererseits würden die Ermittlungen Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 87 gegen die IGMG110 in Deutschland ihre Mitglieder beunruhigen und Austritte aus dem Verband provozieren. Die heftige Reaktion der "Milli Gazete" auf derartige Nachrichten, verdeutlicht die Nervosität der IGMG im Hinblick auf dieses Thema: "Je näher der Wahltag, der 3. November 2002, heranrückt, umso heftiger führt die Dogan-Mediengruppe ihre Verleumdungskampagne gegen die Milli Görüs. Die Zeitung Hürriyet wirft bei jeder Gelegenheit mit Schmutz um sich, indem sie behauptet, Milli-Görüs-Anhänger wechselten zur AKP über, die Milli-Görüs-Bewegung sei gespalten und ähnliches. Sie hat sogar behauptet, dass die Milli Görüs, die sich in Europa kontinuierlich und auf demokratischer Basis fortschrittlich entwickelt und keinerlei juristische Mängel aufweist, in Europa verboten werden wird."111 Mit der Forderung nach innerparteilicher Demokratie und Kritik an IGMG Transparenz hatten sich 2001 die Nachwuchspolitiker der Erbakan-Partei abgespalten und in der AKP zusammengeschlossen. Ähnliche Anliegen formulieren derzeit IGMGMitglieder an ihre Führung. In Beiträgen des Diskussionsforums der IGMG im Internet kritisieren Anhänger die Organisationsstruktur des Vereins als hierarchisch und wenig transparent. Die Führungsebenen würden die Bedürfnisse der Basis nicht kennen und sich auch nicht für sie interessieren. Von Bedeutung ist daher die Information, dass die IGMGStarker Führungsspitze eine Umstrukturierung der Organisation plant. Reformdruck Dies kündigte Yavuz Celik KARAHAN, der kommissarische Vorsitzende des IGMG-Hauptverbandes, anlässlich einer Feier zum Fastenbrechen in der Kerpener Zentrale an.112 Die Forderung von IGMG-Mitgliedern nach demokratischen und transparenten Strukturen in Deutschland und das Eingehen der Verbandszentrale auf ihre Wünsche, könnten ein Hinweis auf eine Öffnung sein, um einer Abspaltung entgegen zu wirken. Unklar ist bislang, welche Rolle der Rücktritt Mehmet Sabri ERBAKANs in diesem Zusammenhang spielt. 110 Hier spielt die "Hürriyet" auf Ermittlungen des Verfassungsschutzes gegen die IGMG an. 111 "Milli Gazete", 18. Oktober 2002 112 "Hürriyet", 25. November 2002 88 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Zusammenfassend lässt sich folgendes festhalten: Ob der Aufbau einer deutschen AKP-Auslandsorganisation gelingt und ob sich die Organisation in Deutschland etablieren kann, ist noch nicht sicher. Die genannten Informationen liefern keinen Nachweis dafür, dass es in Kürze zu einer Spaltung der IGMG nach dem Vorbild der ERBAKAN-Partei kommen wird; stattdessen scheint die IGMG-Führung bemüht zu sein, eine Spaltung durch Reformen zu verhindern. Eine wichtige Entscheidung für die Zukunft der Gruppierung liegt in der Wahl des nächsten Vorsitzenden. Übernimmt ein Vertreter der alten Funktionäre die Führung, wie z. B. Osman YUMAKOGULLARI oder Ali YÜKSEL, ist eine Veränderung im Führungsstil kaum zu erwarten. Dies könnte eine Abspaltung von jungen reformorientierten Mitgliedern zur Folge haben. Es spricht jedoch einiges dafür, dass sich die IGMG analog zum Einlenken Necmettin ERBAKANs in der Türkei, um ihres Bestandes willen auf eine Demokratisierung ihrer Strukturen einlassen wird. Eine grundsätzliche Veränderung der islamistischen Ideologie ist damit aber nicht zwingend verbunden. 3.8 Aktionen türkischer Linksextremisten Die gegenwärtigen Aktivitäten der linksextremistischen türkischen Organisationen in Deutschland beschränken sich auf friedliche Aktionen, die allerdings zugenommen haben. Im linksextremistischen Bereich sind vor allem die gewaltorientierten, in der Türkei terroristisch aktiven Organisationen "Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Front" ( DHKP-C), "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten" ( TKP/ML) und die "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" ( MLKP) von Bedeutung.113 Den Agitationsschwerpunkt dieser Organisationen bilden bereits seit Oktober 2000 Solidaritätsaktionen für die - hauptsächlich von der 113 Die DHKP-C steht seit Mai auf der erweiterten Anti-Terror-Liste der EU. Sie setzt sich aus der DHKC als militärischem und der DHKP als politischem Arm zusammen. In der Erklärung Nr. 291 des Pressebüros der DHKC vom 1. Januar 2003 wird über ein Gefecht mit dem türkischen Militär berichtet. Dort heißt es: "Unsere Guerillas haben den Feind rechtzeitig bemerkt und zuerst das Feuer eröffnet". Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 89 Solidaritätsaktionen 114 DHKP-C initiierten und getragenen - Hungerstreiks aus Anlass der Gefängnisreform in der Türkei. Damals waren moderne Gefängnisse ("Typ F") eingeführt worden, die europäischen Standards entsprechen und in denen es keine "Großraumzellen" mehr gibt, sondern "Einzelzellen" für höchstens drei Personen.115 Türkische Linksextremisten warfen der Regierung in diesem Zusammenhang Isolationshaft gegen politische Gefangene vor. Seit Beginn des Hungerstreiks organisiert insbesondere ein Hungerstreiks in "Solidaritätskomitee mit den revolutionären Gefangenen" türkischen Haftanstalten (DETUDAK) europaweit Protestaktionen. Dieses von der MLKP dominierte Komitee stellt ein Zweckbündnis mit der TKP/ML und der DHKP-C anlässlich der Einführung dieser Gefängnisse dar. Auch in Berlin fanden seit Beginn des Hungerstreiks zahlreiche Protestaktionen statt, die bislang alle einen friedlichen Verlauf nahmen. Am 17. Dezember besetzten elf Aktivisten des Komitees die Eingangshalle des Reichstagsgebäudes in Berlin. Die Gewaltbereitschaft der Organisationen kommt jedoch in Gewaltrhetorik ihren Publikationen in Deutschland deutlich zum Ausdruck. Begriffe wie "bewaffneter Krieg des Volkes" und "Guerillakrieg", um den "Staat zu zerstören"116, gebraucht die DHKP in ihrem Parteiprogramm offen, während die MLKP in ihrem Bulletin vom September 2002 im Bezug auf den "Friedenskurs" der PKK deutlich macht, dass Verhandlungen keine Alternative darstellen: "Unser Kongress hat (...) das kurdische Volk dazu aufgerufen, nicht auf die reformistischen Illusionen und so genannten Lösungsvorschläge (...) der imperialistischen Länder zu hören. Er hat betont, dass die nationale Befreiung nur in einem unnachgiebigen Kampf (...) erreicht werden 117 kann." 114 Zu den Einzelheiten des Hungerstreiks siehe auch die Berliner Verfassungsschutzberichte der Jahre 2000 und 2001. 115 In den alten Zellen sollen bis zu 100 Personen gewesen sein, so dass "linke, islamistische und kurdische Bewegungen [...] ihre Mitglieder kontrollieren und neue anwerben" konnten. Dieser "Allmacht der politischen Führung" der Organisationen habe man mit den neuen Zellen ein Ende setzen wollen. Vgl. "Neue Zürcher Zeitung" vom 16. Oktober 2002. 116 Parteiprogramm der DHKP (veröffentlicht bei Halk Kurtulus Yayinlari) 117 Homepage der MLKP 90 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Dabei habe die "Volksdemokratie", die errichtet werden solle, "mit dem System der bürgerlichen Demokratie, bei der eine der bürgerlichen Parteien an die Macht kommt, nichts zu tun", so Gegen bürgerliche die DHKP. Auch im Umgang mit dem politischen Gegner zeigt Demokratie man sich nicht zimperlich: "Jede konterrevolutionäre Organisierung und Aktivität, die sich gegen die Revolution richtet, wird gnadenlos bestraft."118 Dass eine solche "Strafe" sich jenseits jeglichen Rechts bewegt, wird aus folgender "Rechtfertigung" eines Bomben-Attentats119 durch das Pressebüro der DHKC Militante Aktionen deutlich: "Um mit den bewaffneten Streitkräften des Staates in der Türkei abzurechnen, wurde[n] (...) von unserer FIRAT TAVUK TODESFASTENEINHEIT in Form einer bewaffneten Aktion zwei Polizisten bestraft."120 Im Hinblick auf weitere Attentate, bei denen auch Unbeteiligte verletzt wurden121, "erinnert" die DHKC zynisch daran, sich doch von Polizeiund Gendarmerieposten fernzuhalten.122 Ende Mai beendeten Vertreter zahlreicher linksextremistischer Organisationen, die an dem Hungerstreik beteiligt waren (darunter die TKP/ML und die MLKP), das so genannte "Todesfasten": Der Hungerstreik "im Kampf gegen F-Typ-ZellenIsolation" habe seine "revolutionäre Rolle" erfüllt. Nur noch Gefangene der DHKP-C setzten den Hungerstreik fort. Zu den gemeinsamen Aktionsfeldern der türkischen linksextremistischen Organisationen zählt auch antiamerikanische Propaganda. Diese hat vor dem Hintergrund der Terroranschläge Antiamerikanis Propaganda 118 Parteiprogramm der DHKP (veröffentlicht bei Halk Kurtulus Yayinlari) 119 Am 2. April 2001 wurde in Istanbul ein Attentat auf zwei Polizisten in einem Polizeiauto verübt. 120 Pressebüro der DHKC, Erklärung Nr. 167 121 Der Anschlag wurde am 10. September 2001 auf eine Polizeistation in Istanbul verübt. Auch bei einem Selbstmordattentat am 3. Januar 2001 hatte es etliche Tote und Verletzte gegeben. 122 Pressebüros der DHKC, Erklärung Nr. 208 Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 91 des 11. September 2001 in New York und Washington sowie den darauf folgenden Militäroperationen der USA in Afghanistan eine neue Qualität erfahren. So vertauscht die DHKP in ihrem Bulletin Täter und Opfer, indem sie fragt: "Was hat Amerika getan, dass Menschen (...) eine derartige Aktion durchführen?"123, während die TKP/ML die USA als "größten Terroristen auf der Welt" bezeichnet.124 Die Erfahrung hat gezeigt, dass bei den türkischen linksextrePunktuelle mistischen Organisationen gemeinsame Aktionen nur zu beZusammenarbeit stimmten Anlässen wie Demonstrationen durchgeführt werden. Gemeinsame Kampagnen sind so in der Regel nur von kurzer Dauer. Dabei sei das Ziel nach Aussagen der DHKP "nicht nur die Revolution in einem einzelnen Land".125 Vielmehr geht es den Gruppierungen auch um eine weltweite Revolution. Auf dem Weg dorthin, so die MLKP im Oktober, sei auch die Unterstützung von terroristischen Organisationen eine ernsthafte Option: "Im Bewußtsein, daß der wahre Frieden nur verwirklicht werden kann, wenn der Imperialismus weltweit ausradiert ist, wird sie [= die Revolutionäre Volksmacht] den Unabhängigkeitskampf der unterdrückten Völker aktiv unterstützen."126 Insgesamt ist die gegenwärtige Zurückhaltung der türkischen Linksextremisten weder auf Lethargie noch auf einen Gesinnungswandel zurück zu führen; vielmehr dürfte ihr Verhalten taktisch bedingt sein. Innenpolitische Entwicklungen in der Taktische Türkei, wie etwa die Erhöhung des Verfolgungsdrucks auf Zurückhaltung linksextremistische Organisationen, könnten auch Auswirkungen auf die Aktionsformen der Gruppierungen in Deutschland haben. 123 Bulletin Nr. 13 der DHKP mit Stellungnahmen zum 11. September 2001 124 "Verteidiger Professor Jose Maria Sison gegen die terroristischen Angriffe der USA" [Anmerkung: Es sollte wohl eigentlich: "Verteidigt" heißen.], Flugschrift der ATIK ("Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V.", Basisorganisation des Partizan-Flügels der TKP/ML) vom November 2002 125 Parteiprogramm der DHKP (veröffentlicht bei Halk Kurtulus Yayinlari) 126 Homepage der MLKP 92 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 4 Spionageabwehr 4.1 Überblick ND-Präsenz in Deutschland ist unverändert ein bevorzugtes Aufklärungsziel für Berlin fremde Nachrichtendienste. Neben der Leistungskraft der deutschen Wirtschaft und ihrem hohen Standard in Wissenschaft und Forschung ist der insbesondere in den letzten Jahren hinzugewonnene politische Einfluss der Bundesrepublik Deutschland ein Grund dafür. In Berlin als bundespolitischem Entscheidungszentrum mit vielen die Politik beratenden Institutionen und Nichtregierungsorganisationen sowie mittlerweile über 135 diplomatischen Vertretungen ist weiterhin eine hohe Präsenz fremder Nachrichtendienste festzustellen. Wie in den Vorjahren setzten diese auch 2002 ihre Schwerpunkte in den "klassischen Bereichen" der Spionage, allem voran der politischen Spionage. Korrespondierend dazu lag der Arbeitsschwerpunkt der Spionageabwehr in der Abwehr politischer Spionage, gefolgt von Spionage in Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung. Neben den Ausforschungsinteressen der Nachrichtendienste der Russischen Förderation und einiger anderer Republiken der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) werden von der Spionageabwehr auch die Aktivitäten der Nachrichtendienste einiger nah-, mittelund fernöstlicher Staaten beobachtet. Für einige der letztgenannten Dienste stand - wie schon in den Vorjahren - die nachrichtendienstliche Ausforschung der in Berlin vertretenen regimekritischen und oppositionellen Gruppierungen ihres Heimatlandes im Mittelpunkt. Proliferation Ein Jahr nach den Terroranschlägen in den USA ist neben der weltweiten Bekämpfung des internationalen Terrorismus insbesondere das Thema Massenvernichtungswaffen in Krisenländern öffentlich stark in den Vordergrund getreten. Maßgeblich dazu beigetragen hat die Diskussion um die Entsendung von Waffenkontrollinspekteuren der UNO in den Irak. Nach der Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 93 Verabschiedung der Irak-Resolution (1441)127 des UN-Sicherheitsrates vom 8. November 2002 und dem Einlenken des Iraks konnten die Inspekteure ihre Arbeit nach vierjähriger Unterbrechung wieder aufnehmen. Konfrontiert mit von der USA vorgelegten Beweisen hat ferner die Regierung in Pjöngjang im Oktober eingestanden, dass die Volksrepublik Korea - entgegen bestehender Abkommen - ihr Atomwaffenprogramm weiter betrieben hat. Die Beispiele zeigen, dass das Thema Proliferation aktueller denn je ist und veranschaulichen die Dringlichkeit ihrer Bekämpfung möglichst weit im Vorfeld. 4.2 Nachrichtendienstliche Mittel und Methoden Nicht neu, sondern geradezu klassisch ist der modus operandi aufklärender fremder Nachrichtendienste bei ihrem Vorgehen zur Informationsgewinnung. Den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten bilden auch weiterhin die Offene Beschaffung, Auswertung und Analyse von Informationen aus Informationsbeschaffung allgemein zugänglichen Quellen. Dazu zählen z. B. Massenmedien, fachwissenschaftliche Veröffentlichungen, veröffentlichte Geschäftsund Forschungsunterlagen, öffentliche Veranstaltungen sowie das Internet. Um die offen gewonnenen Informationen qualitativ anzuNachrichtenreichern, werden weiterhin Informationen geheim oder verdeckt dienstliche Abschöpfung beschafft. So wird in allen Themenbereichen versucht, mittels gezielter Gesprächsführung scheinbar zufällig erste Kontakte im Zielland (z. B. bei offiziellen Veranstaltungen) zu knüpfen, diese später fortzuführen, zu intensivieren und gegebenenfalls auf die private Ebene zu verlagern. Es entsteht eine "vertrauliche Verbindung", in der das Wissen von Personen erschlossen wird, ohne dass der Betroffene den nachrichtendienstlichen Hintergrund erkennt. Man spricht in diesem Zusammenhang von "nachrichtendienstlicher Abschöpfung". Die gegenseitige Annäherung von Ost und West in vielen Bereichen führte zu mehr Berührungspunkten, Begegnungen und zu größerem 127 Kernaussage der UN-Resolution 1441 ist die Aufforderung an den Irak, Kontrollen durch die UN zuzulassen, die darüber Aufschluss geben, ob auf dem Staatsgebiet des Irak Massenvernichtungswaffen vorhanden sind. 94 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 gegenseitigen Vertrauen. Dies erleichtert fremden Nachrichtendiensten die Anwendung dieses nachrichtendienstlichen Mittels. Bei Personen, die gute Zugangsmöglichkeiten zum Interessenbereich eines fremden Nachrichtendienstes haben, wird versucht, sie perspektivisch als Agenten zu gewinnen. Dafür werden oft Geldoder Sachleistungen angeboten. Aber auch vor Erpressung und Drohungen schrecken einzelne fremde Nachrichtendienste nicht zurück. Agentenführung Die Führung der Agenten erfolgt durch die Zentrale des Nachrichtendienstes oder über dessen getarnte Stützpunkte im Operationsgebiet. Dazu werden persönliche Treffen, so genannte "tote Briefkästen"128 und verschlüsselte Funksprüche, aber auch moderne Kommunikationsmittel wie das Internet genutzt. Getarnte Stützpunkte fremder Nachrichtendienste befinden sich überwiegend in diplomatischen Einrichtungen, z. B. Botschaften, Generalkonsulaten und Handelsvertretungen, und werden als Legalresidenturen bezeichnet. Weiterhin kommen für nachrichtendienstliche Zwecke Niederlassungen staatlicher oder halbstaatlicher Unternehmen, wie z. B. Reisebüros, Presseagenturen, Fluggesellschaften und Import-/Exportfirmen in Betracht. Technische Zunehmend an Gewicht gewinnt die technische Aufklärung. Sie Aufklärung umfasst mittlerweile - je nach Budget des fremden Nachrichtendienstes - neben der klassischen Funküberwachung und Abhörmaßnahmen auch elektronische Aufklärung unter Nutzung von Spionagesatelliten, leistungsfähigen Abhörstationen und des Internets. Deshalb sind alle technischen Datenübermittlungen, insbesondere wenn sie unverschlüsselt sind, besonders gefährdet. Es besteht die Möglichkeit, Fernmeldeverbindungen abzuhören und Abstrahlungen von Datenverarbeitungsanlagen aufzufangen sowie in interne Systeme der elektronischen Datenverarbeitung einzudringen. 128 "Tote Briefkästen": Bezeichnung für den geheimen Lagerplatz für nachrichtendienstliches Material, der nach vereinbarten Modalitäten beschickt und geleert werden kann. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 95 4.3 Politische Spionage Für alle fremden Nachrichtendienste sind die politischen Entscheidungszentren sowie Einschätzungen von politisch einflussreichen Personen von Bedeutung. Der Schwerpunkt von Spionageaktivitäten ist in Berlin weiterhin Klassischer im politischen Bereich festzustellen. Das Hauptinteresse lag in Spionageschwerpunkt der Gewinnung von Vorausinformationen und Einschätzungen zu aktuellen politischen wie Themen der deutsche Bündnisund Sicherheitspolitik oder der EU-Osterweiterung, aber auch an den Entwürfen von Zukunftsszenarien. Um an diese Informationen zu gelangen, entfalteten fremde Nachrichtendienste vielfältige Aktivitäten bis hin zum Versuch, die bereits beschriebenen "vertraulichen Verbindungen" zu Berliner Experten in Politik und Wissenschaft aufzubauen. Auch das Interesse fremder Nachrichtendienste an den hiesigen Behörden ist ungebrochen, um von Entscheidungen vor deren Umsetzung Kenntnis zu erhalten. Ebenfalls von Gewicht ist in Berlin die Ausforschung bzw. Abschöpfung von Mitarbeitern politikwissenschaftlicher Institutionen, so genannten "Denkschmieden". Deren Wert liegt in ihren internationalen Verbindungen sowie in ihrer Nähe zu deutschen politischen Entscheidungsebenen. 96 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 4.4 Wirtschaftsspionage Nachrichtendienstlich gesteuerte Wirtschaftsspionage129 verursacht in Deutschland alljährlich einen geschätzten Schaden in zweistelliger Milliardenhöhe. Sie bedeutet eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft und letztendlich eine Gefährdung von Arbeitsplätzen. Berlin ist insoweit als Wissenschaftsund Hochtechnologiestandort von Interesse für fremde Nachrichtendienste. Ziele der Insbesondere im militärischen und wissenschaftlichen Bereich Wirtschaftskann die Vermeidung von eigenen Forschungsund Entspionage wicklungskosten einen entscheidenden Vorteil bedeuten. Erkenntnisse aus den Feldern der Schlüsselindustrien Rüstungstechnik, Computertechnologie sowie (Bio-)Chemie und Metallurgie sind von großem Interesse für fremde Nachrichtendienste, insbesondere für solche aus Krisenländern wie z. B. Irak oder Nordkorea. Hier unterliegen sie in vielen Fällen auch unter dem Aspekt der Proliferationsverhinderung einer erhöhten Schutzbedürftigkeit. Viele Betriebe schützen sich unzureichend vor Spionage. Der Schwerpunkt der firmeninternen Sicherheitsvorkehrungen liegt oft im Schutz der Informationssysteme vor unbefugten Zugriffen. Die Möglichkeiten der Ausspähung durch Internet, E-MailVerkehr und die übrige Telekommunikation werden nach wie vor unterschätzt ebenso wie die Gefahr durch einfache Weitergabe kopierter Unterlagen und "Kopfwissen". Aufklärungsund Der Verfassungsschutz führt präventiv Aufklärungsund SensibilisierungsSensibilisierungsgespräche durch und leistet bei bereits entgespräche standenem Verdacht Hilfe und Unterstützung. Dabei ist zu betonen, dass die Verfassungsschutzbehörden ihnen zugeleitete Informationen vertraulich behandeln. Im Januar 2002 ist die Broschüre "Wirtschaftsspionage - Information und Prävention" in Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder erschienen. Sie 129 Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder unterstützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen. Die Abwehr von Wirtschaftsspionage ist Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden. Sie ist abzugrenzen vom Begriff der Konkurrenzausspähung / Industriespionage, die ein konkurrierendes Unternehmen gegen ein anderes betreibt. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 97 will die Verantwortlichen in den Unternehmen für die Gefahren der Wirtschaftsspionage sensibilisieren, über Methoden und Ziele informieren sowie Hilfestellung anbieten, um Schäden zu vermeiden. Die Broschüre kann beim Berliner Verfassungsschutz angefordert werden; sie ist auch im Internet auf den Seiten des Bundesamtes für Verfassungsschutz abrufbar (www.verfassungsschutz.de). 4.5 Proliferation Unter dem Begriff Proliferation versteht man die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte, entsprechender Waffenträgertechnologie sowie den dazu notwendigen illegalen Knowhow-Transfer. Sie bedeutet eines der größten Sicherheitsrisiken weltweit. Insbesondere Krisenländer bemühen sich, in den Weltweites Besitz von atomaren, chemischen und biologischen Sicherheitsrisiko MassenMassenvernichtungswaffen zu gelangen. Zu diesem Zweck vernichtungswaffen nutzen Staaten ihre Auslandsnachrichtendienste bzw. verwenden nachrichtendienstliche Mittel und Methoden mit dem Ziel, Exportgenehmigungsund Exportkontrollmechanismen in Deutschland zu umgehen. Rüstungsindustrie existiert in Berlin zwar nicht. Die Beschaffungsaktivitäten richten sich oft aber nicht direkt auf das Endprodukt, sondern zielen auf einzelne Materialien oder das 98 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 erforderliche Wissen, um Massenvernichtungswaffen erforschen, entwickeln oder produzieren zu können. Bei vielen dieser Komponenten handelt es sich um so genannte dual-use-Güter dual-use-Güter, die sowohl im zivilen als auch militärischen und Verschleierung Bereich Verwendung finden können, so dass die Proliferationsrelevanz sich erst mit der Information über den Einsatzzweck ergibt. Zudem führt die Beschaffung selten direkt in das Krisenland, sondern häufig über "neutrale" Drittländer und Tarnfirmen, so dass der Endempfänger schwer ermittelbar ist. Diese Aspekte machen die Proliferationsbekämpfung zu einer schwierigen Aufgabe, die nur in enger Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden und weiteren zuständigen Behörden wie z. B. dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), dem Zollkriminalamt (ZKA) und befreundeten Nachrichtendiensten bewältigt werden kann. Zu diesem Zweck existieren eine Reihe rechtlicher Regelungen und internationaler Abkommen130, für deren Einhaltung die Firmen und wissenschaftlichen Einrichtungen selbst verantwortlich sind. Aus oben genannten Gründen können sie jedoch nicht immer die wahren Absichten ihrer Geschäftspartner erkennen. Hier können bei vermuteten Proliferationsabsichten die Verfassungsschutzbehörden helfen; sie behandeln Hinweise und Fragen auch auf dem Proliferationssektor vertraulich. Erste Information und Hilfestellung für Firmen bietet die Broschüre "Proliferation - das geht uns an!", die ebenfalls in Broschüre zur Proliferation Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder erschienen ist und bei der Verfassungsschutzbehörde des Landes Berlin angefordert werden kann. Sie ist auch auf den Internetseiten des Bundesamtes für Verfassungsschutz unter www.verfassungsschutz.de abrufbar. 130 U. a. Außenwirtschaftsgesetz und Außenwirtschaftsverordnung (AWG, AWV), Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG), Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ), diverse EU-Verordnungen und -Beschlüsse sowie weitere Embargoregelungen, die auf Beschlüssen der Vereinten Nationen (UN) oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) basieren. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 99 4.6 Nachrichtendienste der Russischen Föderation und sonstiger GUS-Staaten Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation und anderer GUS-Staaten sind weiterhin mit hohem Personalstand in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin als Sitz der diplomatischen Vertretungen präsent. Schwerpunktmäßig sind dabei folgende Nachrichtendienste der Russischen Föderation vertreten: - Der zivile Auslandsnachrichtendienst SWR131, dessen AufSWR gabenschwerpunkte die politische, wissenschaftlich-technische und ökonomische Aufklärung sowie die Gegenspionage im Bereich westlicher Nachrichtenund Sicherheitsdienste sind. - Der militärische Auslandsnachrichtendienst GRU132, dessen GRU Aufgaben unter anderem die militärstrategische und -taktische Aufklärung zur Ausforschung der Bundeswehr und der westlichen Verteidigungsbündnisse NATO, WEU und OSZE sowie der geografischen Verhältnisse und der militärischen Infrastruktur in den Zielländern sind. Zusätzlich betreibt die GRU Technologiespionage bei Rüstungstechnik und "dual-use"-Produkten133. - Die Föderale Agentur für Fernmeldewesen FAPSI134, die für FAPSI Fernmeldeund elektronische Aufklärung und damit auch für die Erfassung und Entschlüsselung ausländischer Fernmeldeverkehre zuständig ist. Außerdem erfolgt durch FAPSI die technische Bereitstellung und die Gewährleistung der Abhörsicherheit wichtiger staatlicher Nachrichtenverbindungen, z. B. der russischen Regierung und der Armee. Darüber hinaus ist FAPSI Genehmigungsbehörde für den Einsatz von Verschlüsselungsverfahren bei Banken und Industrieunternehmen sowie für die Vergabe kommer131 "Slushba Wneschnej Raswedki" (Dienst für Auslandsaufklärung) 132 "Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije" (Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab) 133 Produkte mit zivilen und militärischen Anwendungsmöglichkeiten 134 "Federalnoje Agenstwo Prawitelstvennoj Swjasi i Informazij" (Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Information) 100 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 ziell genutzter Funkkanäle und Lizenzen im Bereich der Kommunikationstechnik zuständig. FSB - Der Föderale Sicherheitsdienst FSB135, der als Inlandsabwehrdienst zur Bekämpfung von Spionage, Terrorismus und Organisierter Kriminalität sowie zur Beobachtung des politischen Extremismus konzipiert ist. Auslandsaufklärung ist für ihn nur unter Abwehrgesichtspunkten möglich. Alle russischen Anbieter von INTERNET-Zugängen wurden verpflichtet, dem FSB einen ständigen Zugriff auf den Datenverkehr, der in Russland über das INTERNET abgewickelt wird, zu ermöglichen. Von den sonstigen Nachrichtendiensten der GUS-Staaten mit Aufträgen der Auslandsaufklärung sind z. B. für Weißrussland das Komitee für Staatssicherheit KDB136 und für die Ukraine der Sicherheitsdienst SBU137 zu nennen. Zusammenarbeit Die Nachrichtendienste dieser Staaten arbeiten oft eng mit den der GUS-Staaten russischen Nachrichtendiensten zusammen. Auf der Basis geschlossener Kooperationsabkommen ermöglicht ein gemeinsames Datensystem eine schnelle gegenseitige Information über für sie interessante Personen, die in die GUS einreisen. So können auch deutsche Staatsbürger ins Blickfeld dieser Dienste geraten, wenn sie geschäftlich oder privat in die GUS reisen. 4.7 Nachrichtendienste der Volksrepublik China Die Volksrepublik China bedient sich zur Erhaltung und Stärkung der wirtschaftlichen und politischen Stabilität sowie zur weiteren Annäherung an den westlichen Industriestandard auch ihrer Nachrichtendienste. Deren Aktivitäten fokussieren sich entsprechend auf die Ausspähung in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und insbesondere Militärtechnologie sowie die Ausforschung systemkritischer Auslandschinesen. In Bezug auf die Auslandsaufklärung sind zwei chinesische Dienste hervorzuheben: 135 "Federalnaja Slushba Besopasnosti" (Föderaler Sicherheitsdienst) 136 "Kamitet Dzyazauny Byaspeki" (KDB / Komitee für Staatssicherheit) 137 "Slushba Bezanaspost Ukrainy" (SBU / Sicherheitsdienst der Ukraine) Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 101 - Das Ministerium für Staatssicherheit MSS138 dient der zivilen MSS/MID Aufklärung und Abwehr. Es untersteht direkt dem Staatsrat und besitzt Exekutivbefugnisse. - Der Militärische Informationsdienst MID139 untersteht dem Chef des Generalstabes der Volksbefreiungsarmee und hat die militärische Aufklärung und Abwehr zur Aufgabe. Chinesische Nachrichtendienste arbeiten im Ausland vorwiegend ethnisch orientiert und gewinnen in erster Linie Landsleute zur Mitarbeit, bevorzugt an Universitäten und wissenschaftlichen Forschungsinstituten. Die Phase der Gewinnung der Agenten kann dabei auch mehrere Jahre andauern. So werden chinesische Studenten, Stipendiaten und Wissenschaftler auch gezielt in universitäre sowie Forschungsund Entwicklungsinstitute platziert und vorab zur Informationsbeschaffung verpflichtet. Hier zeigt sich die problematische Differenzierung zwischen legalem und illegalem Wissenstransfer besonders deutlich. 4.8 Nachrichtendienste aus Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas Unter den arabischen Ländern fallen vor allem Syrien, Irak, Iran und Libyen mit geheimdienstlichen Aktivitäten in Deutschland auf. Die Nachrichtendienste dieser Länder richten ihre Aktivitäten in OppositionellenDeutschland in erster Linie auf die Ausforschung von hier ausspähung lebenden und in Opposition zur Politik des Herkunftslandes stehenden Landsleuten, deren Organisationen und Vereine von den Diensten zielgerichtet infiltriert werden. Wiederholt wurde in der Vergangenheit festgestellt, dass Exilanten bei Reisen in ihr Heimatland von dortigen Geheimdiensten mit Erkenntnissen über ihre Tätigkeit oder Äußerungen in Deutschland konfrontiert wurden. Dies führte in Einzelfällen zu schwerwiegenden Nachteilen für die Betroffenen, wie willkürliche Verhaftungen oder Haftstrafen. Auf diese Weise wird auch indirekt das im Grundgesetz garantierte Recht 138 Ministry of State Security, Landesbezeichnung: GOUJIA ANAQUAANBU 139 Military Intelligence Department, Landesbezeichnung: ZHONG CHAN ER BU 102 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 auf freie Meinungsäußerung in der Bundesrepublik Deutschland (Art. 5 GG) beeinträchtigt und ein elementares Interesse Deutschlands verletzt. Die Werbungsversuche können von Fall zu Fall massive Ausmaße annehmen. Anknüpfungspunkt für eine erste nachrichtendienstliche Kontaktaufnahme kann ein Botschaftsbesuch zur Ausstellung eines Visums sein. Der Antragsteller wird dann mit einem Mitarbeiter des Geheimdienstes zusammengebracht, der durch Andeutung von Repressalien z. B. gegenüber der im Heimatland wohnenden Familie versucht, den Betroffenen zu einer Mitarbeit zu bewegen. 4.9 Spionageabwehr als Gemeinschaftsaufgabe Der Verfassungsschutz des Landes Berlin wird auch zukünftig zum Ziel haben, Strukturen, Methoden und Zielsetzungen in Berlin tätiger fremder Nachrichtendienste systematisch aufzuklären und damit seinen Teil dazu beizutragen, dass sich diese Dienste in Berlin nicht ungehindert entfalten können. Die Berliner Verfassungsschutzbehörde arbeitet dabei intensiv mit den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sowie mit anderen Sicherheitsbehörden zusammen. Zur Bewältigung dieser Aufgabe sind Hinweise und Verdachtsmeldungen aus allen Bereichen der Gesellschaft notwendig. Personen, die von einem nachrichtendienstlichen Sachverhalt Kenntnis erlangt haben, werden von kompetenten Ansprechpartnern des Berliner Verfassungsschutzes unter Wahrung der Vertraulichkeit beraten. Der Verfassungsschutz hilft auch in den Fällen, in denen sich eine Person bereits nachrichtendienstlich verstrickt hat. Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 103 5 Geheimund Sabotageschutz Der Schutz von Informationen, deren Kenntnisnahme durch Geheimschutz Unbefugte den Bestand, die Sicherheit oder lebenswichtige Interessen, der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden kann, ist unverzichtbar. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Antrag der zuständigen öffentlichen Stellen daran mit, durch personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen Ausforschungen durch Unbefugte in sicherheitsempfindlichen Bereichen zu verhindern.140 Eine Verordnung legt diese nach dem Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG) eingeführten sicherheitsempfindlichen Bereiche fest. Die Verfassungsschutzbehörde überprüft Mitarbeiter bei öffentSicherheitslichen Stellen und Wirtschaftsunternehmen (so genannte überprüfungen Sicherheitsüberprüfungen) und trifft selbst oder veranlasst Maßnahmen zum materiellen Geheimschutz. Zum Zweck des so genannten personellen Sabotageschutzes sind Sicherheitsüberprüfungen gesetzlich vorgesehen. 5.1 Personeller und materieller Geheimschutz im öffentlichen Bereich Der personelle Geheimschutz soll den Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen (so genannten Verschlusssachen) gewährleisten. Verschlusssachen sind abhängig von ihrer Schutzbedürftigkeit Verschlusssachen nach SS 6 BSÜG in folgende Geheimhaltungsgrade einzustufen: 1. STRENG GEHEIM 2. GEHEIM 3. VS-VERTRAULICH 4. VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH 140 SS 5 Abs. 3 Nr. 1 VSG Bln, Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG) vom 2. März 1998 (GVBl S. 26) in der Fassung vom 25. Juni 2001 (GVBl S. 243) 104 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Um Sicherheitsrisiken auszuschließen, werden Personen, denen Verschlusssachen mit dem Geheimhaltungsgrad VS-VERTRAULICH und höher anvertraut werden sollen, vorher einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Alle Details zur Definition eines Sicherheitsrisikos, zum VerBSÜG fahren und zu den Folgen für den Betroffenen sind im BSÜG geregelt. Dabei berücksichtigt das BSÜG die Mindestanforderungen an Sicherheitsüberprüfungen, zu denen sich die Bundesrepublik Deutschland gegenüber ausländischen Staaten und als Mitglied zwischenstaatlicher Einrichtungen (z. B. NATO, WEU, EU) vertraglich verpflichtet hat, damit die Sicherheitsmaßnahmen einen möglichst einheitlichen Standard haben. Freiwilligkeit Um die Grundrechte der Betroffenen zu gewährleisten, wird im BSÜG kein Zwang zur Sicherheitsüberprüfung festgelegt. Dieser Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht141 wird nur mit Zustimmung des Betroffenen durchgeführt. Auch beim Ehegatten oder Lebenspartner, der bei bestimmten Überprüfungsarten in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen wird, ist die Zustimmung Voraussetzung. Sicherheitsrisiken Der Umfang der Sicherheitsüberprüfung richtet sich nach der Höhe des Verschlusssachengrades, zu dem der Betroffene Zugang erhalten soll oder sich verschaffen kann. Ein Sicherheitsrisiko ist nach SS 7 Abs. 2 BSÜG dann als gegeben anzusehen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel am Bekenntnis des Betroffenen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder an seiner Zuverlässigkeit begründen. Ein weiterer Aspekt ist die Besorgnis der Erpressbarkeit und damit die Anwerbungsmöglichkeit für eine gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete nachrichtendienstliche Tätigkeit. Zuständige Stelle Die Verfassungsschutzbehörde wird nicht von sich aus tätig, sondern nur auf Antrag des Geheimschutzbeauftragten der Behörde, bei der die zu überprüfende Person beschäftigt ist (so genannte zuständige Stelle). Im Jahr 2002 führte die Verfas141 BVerfGE 65, 1 Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 105 sungsschutzbehörde Berlin 482 Überprüfungen durch (2001: 425). Der personelle Geheimschutz wird durch den materiellen Materieller Geheimschutz ergänzt, der technische und organisatorische Geheimschutz Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von Verschlusssachen umfasst. Der Verfassungsschutz berät die öffentlichen Stellen des Landes Berlin: Er informiert z. B. über Verschlusssysteme wie den Einbau von Sicherheitstüren und die Installierung von Alarmsystemen. Er berät über die Datensicherheit bei der Verarbeitung von Verschlusssachen in Datenverarbeitungssystemen und begleitet die Planung und Durchführung der Maßnahmen. Zum materiellen Geheimschutz gehört auch die Information über die Vorgaben der Verschlusssachenanweisung für das Land Berlin vom 1. Dezember 1992, welche die Bearbeitung, Verwahrung und Verwaltung von Verschlusssachen regelt, und die Kontrolle der Einhaltung dieser Anweisung. Diese Aufgabe obliegt den Geheimschutzbeauftragten, die in jeder Behörde, die Verschlusssachen bearbeitet und verwaltet, eingesetzt sind. Der wichtigste Grundsatz der Verschlusssachenanweisung lautet: "Kenntnis nur wenn nötig!" Nur die Personen, die mit einer "Kenntnis nur bestimmten Verschlusssache befasst sind, sollen Kenntnis wenn nötig" erlangen. Deshalb ist es Mitarbeitern, die Verschlusssachen bearbeiten oder sich Zugang verschaffen können, nicht erlaubt, z. B. mit Kollegen oder nach Feierabend mit Familienangehörigen über die zu erledigenden Aufgaben zu sprechen. Jede technische Sicherheitsmaßnahme ist sinnlos, wenn die Verschwiegenheit der Mitarbeiter nicht gegeben ist. 5.2 Geheimschutz in der Wirtschaft Wirtschaftsunternehmen, die geheimschutzbedürftige Aufträge von Bundesund Landesbehörden ausführen, müssen vor Ausspähung gegnerischer Nachrichtendienste geschützt und deshalb in das Geheimschutzverfahren von Bund und Ländern aufgenommen werden. Es sollen Sicherheitsstandards geschaffen und eingehalten werden, um zu verhindern, dass Unbefugte Kenntnis von den im öffentlichen Interesse geheim- 106 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 haltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen (Verschlusssachen) erhalten. GeheimschutzEin Unternehmen kann die Aufnahme in die Geheimschutzbetreuung betreuung grundsätzlich nicht für sich selbst beantragen. Lediglich Firmen, die sich an NATO-Infrastruktur-Ausschreibungen beteiligen wollen, sind zur Antragstellung in eigener Sache befugt. Voraussetzung für die Aufnahme eines Unternehmens in das Geheimschutzverfahren des Bundes ist die öffentliche Ausschreibung eines Auftrages mit Verschlusssachen im Bundesausschreibungsblatt. Öffentliche Auftraggeber können z. B. der Bundesminister für Verteidigung bzw. das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung sein. Bei derartigen Verschlusssachen-Aufträgen beantragt der Auftraggeber die Aufnahme des Unternehmens in das amtliche Geheimschutzverfahren beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen führt die Geheimschutzverfahren für Berliner Firmen durch, wenn diese einen Verschlusssachen-Auftrag von einer Landesbehörde erhalten haben. Berliner Behörden schreiben geheimschutzbedürftige Aufträge Ausschreibung im im Amtsblatt für Berlin aus. Wesentlich für die Ausschreibung Amtsblatt bei vertraulichen Staatsaufträgen ist die Formulierung: "Es können sich geeignete Firmen bewerben, die bereits dem Geheimschutz in der Wirtschaft unterliegen, bzw. die sich dem Geheimschutzverfahren in der Wirtschaft unterziehen wollen." Vor Auftragserteilung sind mindestens ein gesetzlicher Vertreter des Unternehmens, ein Sicherheitsbevollmächtigter und die beteiligten Firmenmitarbeiter einer freiwilligen Sicherheitsüberprüfung nach den Bestimmungen des BSÜG zu unterziehen. Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist nach SS 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln) die Verfassungsschutzbehörde. Im Jahr 2002 wurden 162 Sicherheitsüberprüfungen für Angehörige Berliner Unternehmen durchgeführt (2001: 82). Eine weitere grundlegende Voraussetzung für die Aufnahme in den amtlichen Geheimschutz bei Landesaufträgen ist der Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 107 Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen und der Unternehmensleitung. Dies bedeutet die rechtsverbindliche Anerkennung der Bestimmungen der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit verfassten Sicherheitsanleitung "Handbuch für den Geheimschutz in der Wirtschaft" (GHB). Der Sicherheitsbevollmächtigte des Unternehmens ist in AngeSicherheitslegenheiten des Geheimschutzes für die ordnungsgemäße bevollmächtigte Durchführung der Sicherheitsüberprüfungen verantwortlich. Nach SS 28 Abs. 4 BSÜG wird der Sicherheitsbevollmächtigte für den personellen Geheimschutz von der Verfassungsschutzbehörde in seine Aufgaben eingeführt. Nach Überprüfung der erforderlichen Geheimschutzmaßnahmen erteilt die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen dem staatlichen Auftraggeber einen Sicherheitsbescheid und dem Unternehmen eine abschließende Feststellung. Die Firma kann nunmehr an geheimhaltungsbedürftigen Auftragsverhandlungen beteiligt werden. Fast alle Berliner Firmen, die von staatlichen Auftraggebern einen Verschlusssachen-Auftrag erhalten haben, bearbeiten keine Verschlusssachen. Sie sind vielmehr mit Lieferungen und Leistungen beauftragt worden, bei denen sie Zugang zu Verschlusssachen haben bzw. sich verschaffen können, die VSVERTRAULICH und höher eingestuft sind. Dazu zählen Montageund Wartungsarbeiten sowie Instandsetzungen in sicherheitsempfindlichen Bereichen. Seit Inkrafttreten des Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetzes im Jahr 1998 und der damit verbundenen Regelung des Geheimschutzverfahrens fanden mit den Sicherheitsbevollmächtigten und Vertretern von Unternehmen 206 AufklärungsAufklärungsund und Sensibilisierungsgespräche statt, davon 56 im Jahr 2002. Sensibilisierungsgespräche Durch diese Partnerschaft von Wirtschaft und Sicherheitsbehörden trägt der Verfassungsschutz auch weiterhin zu einem effektiven Wirtschaftsund Informationsschutz bei, um Wirtschaftsspionage zu verhindern. 108 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 5.3 Sabotageschutz Ziel des Sabotageschutzes ist es, die Beschäftigung von Personen, bei denen Sicherheitsrisiken vorliegen, an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensund verteidigungswichtigen öffentlichen Einrichtungen zu verhindern. Auch zu diesem Zweck sind Sicherheitsüberprüfungen gesetzlich vorgesehen.142 Regelungen zum Sabotageschutz sind erforderlich, weil Sabotageakte gegen lebensund verteidigungswichtige Einrichtungen erhebliche Risiken für die Gesundheit oder das Leben zahlreicher Menschen zur Folge haben oder das Funktionieren des Gemeinwesens gefährden können. Die Festlegung der lebensund verteidigungswichtigen öffentlichen Einrichtungen oder Teile solcher Einrichtungen erfolgt in einer noch zu erlassenden Verordnung. 5.4 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen Eine weitere Mitwirkungsangelegenheit des Verfassungsschutzes sind nach SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG Bln Überprüfungen in Einbürgerungsverfahren. Dabei prüft der Verfassungsschutz auf Antrag der Einbürgerungsbehörde, ob über Personen, die einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben, Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden der Länder oder des Bundes vorliegen. AusschließungsSeit dem 1. Januar 2000 ist eine Einbürgerung für Personen gründe zwingend ausgeschlossen143, welche - die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden, - sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligen, - öffentlich zur Gewaltanwendung aufrufen, - mit Gewaltanwendung drohen. 142 SSSS 1 Nr. 2, 2 Nr. 4 BSÜG 143 SS 46 Nr. 1 Ausländergesetz (AuslG) Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 109 Für die Versagung eines Einbürgerungsantrages reicht es aus, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einbürgerungsbewerber verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt oder verfolgt.144 Im Januar 2001 legte die Senatsverwaltung für Inneres fest, Regelanfrage dass bei Einbürgerungsbewerbern aus bestimmten Herkunftsländern stets eine Anfrage beim Verfassungsschutz zu erfolgen hat. Unabhängig von der Herkunft der Einbürgerungsbewerber ist eine Anfrage auch immer dann zu stellen, wenn Anhaltspunkte für eine extremistische Haltung oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten vorliegen. Die Zahl der Anfragen stieg daraufhin im Jahr 2001 auf rund 12 000 an (2000: 7 000), im Jahr 2002 wurden rund 12 300 Anfragen bearbeitet. Auswirkungen auf die Arbeit der Verfassungsschutzbehörde dürften sich aus dem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus145 vom 9. Januar 2002 ergeben. Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes ergeben sich Änderungen im Ausländerrecht: Personen, die gewaltbereit sind, terroristische Aktivitäten begeÄnderungen im hen oder unterstützen, erhalten keine Visa oder AufenthaltsAusländerrecht genehmigungen und unterliegen einem Einreiseund Aufenthaltsverbot in Deutschland. Zur Versagung der Einreise genügt die Feststellung einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Aus rechtsstaatlichen Gründen reichen Vermutungen nicht aus.146 Um terroristischen oder gewaltbereiten Ausländern keinen Ruheraum in Deutschland zu gewähren, wurden ferner die Regelausweisungstatbestände des SS 47 Abs. 2 Ausländergesetz (AuslG) erweitert. Im Regelfall wird ausgewiesen, wer nach dem neuen Versagungsgrund nicht hätte einreisen dürfen.147 Zur Feststellung von Versagungsgründen nach SS 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG können die Ausländerbehörden den Verfassungsschutz144 SS 86 Abs. 2 AuslG 145 Terrorismusbekämpfungsgesetz, BGBl. Teil I, S. 361 146 Art. 11 Nr. 3 TerrorismusbekämpfungsG; SS 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG 147 Art. 11 Nr. 8 TerrorismusbekämpfungsG 110 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 behörden der Länder und weiteren Sicherheitsbehörden die personenbezogenen Daten der betroffenen Personen übermitteln. Die angefragten Behörden teilen der Ausländerbehörde unverzüglich mit, ob Versagungsgründe vorliegen.148 ZuverlässigkeitsZu den Aufgaben des Verfassungsschutzes zählt nach SS 5 überprüfungen Abs. 3 Nr. 4 VSG Bln auch die Mitwirkung bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach SS 29d Luftverkehrsgesetz (LuftVG).149 Die Luftfahrtbehörde Berlin, organisatorisch angesiedelt bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, führt danach Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Personen durch, die Zutritt zu den nicht allgemein zugänglichen Bereichen der Flughäfen Tegel und Tempelhof haben sollen. Zum Zweck der Überprüfung kann sich die Luftfahrtbehörde vorhandene, für die Beurteilung der Zuverlässigkeit bedeutsame Informationen von der Polizei, vom Verfassungsschutz und aus dem Bundeszentralregister übermitteln lassen. Liegen dem Verfassungsschutz Erkenntnisse vor, sind diese der Luftfahrtbehörde mitzuteilen. Über die Verwendung der Erkenntnisse entscheidet die Behörde selbst. Luftverkehr Im Jahr 2002 wurden durch den Verfassungsschutz 6 938 Überprüfungen gemäß SS 29d LuftVG durchgeführt (2001: 2 954), wobei rund die Hälfte auf das letzte Quartal des Jahres entfiel.150 Auch das Atomgesetz (AtomG)151 sieht Zuverlässigkeitsüberprüfungen vor, an denen der Verfassungsschutz gemäß SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG Bln mitwirkt. 148 Art. 11 Nr. 12 TerrorismusbekämpfungsG; SS 64 a AuslG 149 BGBl. Teil I, S. 549 150 Dieser Anstieg zum Jahresende geht auf die Änderung der LuftverkehrsZuverlässigkeitsüberprüfungsverordnung mit Wirkung vom 8. Oktober 2001 (BGBl. Teil I, Nr. 51, S. 2625) zurück. Zuvor wurde auf der Grundlage dieser Verordnung eine Wiederholungsüberprüfung der nach SS 29d LuftVG überprüften Personen alle fünf Jahre durchgeführt. Die Anschläge des 11. September führten dazu, dass die Frist der Wiederholungsüberprüfung auf nunmehr ein Jahr verkürzt wurde. Damit soll sichergestellt werden, dass bedeutsame Erkenntnisse, die bei den angefragten Behörden, also auch beim Verfassungsschutz, zwischenzeitlich über eine Person anfallen, der Luftverkehrsbehörde zeitnah zur Kenntnis gelangen. Die Steigerungen im letzten Quartal 2001 schlagen sich durch die Jahresfrist auch im letzten Quartal 2002 nieder. 151 BGBl. Teil I, S. 1565 mit letzten Änderungen v. 27. Juli 2001 (BGBL. Teil I, S. 1950) Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 111 Da kerntechnische Anlagen im Hinblick auf mögliche unbefugte Kerntechnische Handlungen besonders zu schützende Objekte darstellen, sind Anlagen Sicherungsmaßnahmen auch bei Personen erforderlich, die Zutritt zu den kerntechnischen Anlagen erhalten sollen. Im Land Berlin werden die Personen überprüft, denen der Zutritt zum Forschungsreaktor des Hahn-Meitner-Instituts gewährt werden soll. Weitere kerntechnische Anlagen sind im Land Berlin nicht vorhanden. Die Überprüfung gemäß SS 12 b AtomG wird ebenfalls von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung als zuständige atomrechtliche Behörde durchgeführt. Dazu werden auch hier Auskünfte von der Polizei, Informationen aus dem Bundeszentralregister und der Verfassungsschutzbehörde eingeholt. Eine Bewertung der übermittelten Erkenntnisse hinsichtlich der Zuverlässigkeit der überprüften Person unterbleibt, diese obliegt der zuständigen atomrechtlichen Behörde. Im Jahr 2002 wurden durch den Verfassungsschutz 178 Personen überprüft (2001: 176). 112 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 113 114 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 II STATISTIK 1 Politisch motivierte Straftaten Auszug aus dem Bericht der Senatsverwaltung für Inneres, Abteilung Öffentliche Sicherheit152 1.1 Kriminalpolizeilicher Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) Der "Kriminalpolizeiliche Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität" (KPMDPMK) gewährleistet die bundesweit einheitliche und systematische Erhebung und Darstellung der Politisch motivierten Kriminalität. Er bildet eine verlässliche Datenbasis für polizeiliche Auswertung und präventive wie repressive Maßnahmen, für kriminologische Forschung und kriminalpolitisches Handeln. Der KPMD-PMK ermöglicht die differenzierte Betrachtung der Politisch motivierten Kriminalität durch Angaben zur Deliktsqualität, zu Themenfeldern, Phänomenbereichen, internationalen Bezügen und extremistischen Ausprägungen. Die innerhalb der Phänomenbereiche gesondert abgebildete Politisch motivierte Gewaltkriminalität ist die Teilmenge der Politisch motivierten Kriminalität, die eine besondere Gewaltbereitschaft der Straftäter erkennen lässt. Sie umfasst folgende Deliktsbereiche: Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brandund Sprengstoffdelikte, Landfriedensbruch, gefährliche Eingriffe in den Schiffs-, Luft-, Bahnund Straßenverkehr, Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsund Sexualdelikte. Die verwendete Darstellungsgröße "Fallzahlen" bedeutet, dass jeder Lebenssachverhalt (gewaltsame Aktion bzw. Gesetzesverletzung) unabhängig von der Zahl der Tatverdächtigen jeweils nur als ein "Fall" gewertet wird (Grundsatz: derselbe Tatort, dieselbe Tatzeit, derselbe Tatentschluss = ein Fall). Wurde dabei gegen mehrere Rechtsbestimmungen verstoßen, zählt grundsätzlich nur der schwerer wiegende Straftatbestand. Mehrere Straftaten, die z. B. den Tatbestand des Landfriedensbruchs verwirklichen, sind bei unmittelbarem räumlichen Zusammenhang und unabhängig von der Zahl der Tatverdächtigen somit als ein Fall zu zählen. Dabei kann sich der räumliche Zusammenhang z. B. auf einen Platz oder eine Straße nebst 152 Die Zahlen beruhen auf Angaben des Polizeipräsidenten in Berlin - Landeskriminalamt (LKA) - vom 30. Januar 2003. Statistik 115 benachbarter Nebenstraßen beziehen - obwohl mitunter zehn oder mehr Täter einen Stein warfen. Die Zahlen bilden eine Statistik, die Merkmale einer Eingangsmit denen einer Ausgangsstatistik vereint: Während im Rahmen einer sog. Erstmeldung ein Delikt nach vorläufigem Erkenntnisstand erfasst und bewertet wird, kann sich diese Bewertung im Verlauf der Ermittlungen erheblich verändern. Wird etwa eine Tat zunächst als politisch motivierter Mord angenommen, kann sie nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen - also nach Klärung aller Tatumstände - im Rahmen der sog. Abschlussmeldung als eine gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge ohne politische Motivation bewertet werden. Die ursprünglich enthaltene Mordtat findet sich dann mangels politischer Motivation in den Fallzahlen nicht wieder. Vor diesem Hintergrund kann es im Jahresverlauf 2003 zu geringfügigen Veränderungen der Fallzahlen kommen. 116 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 1.2 Gesamtzahlen Politisch motivierte Kriminalität in Berlin (Stand: 30.01.2003) Gewaltdelikte 2001 2002 Tötungsdelikte SSSS 211 - 221 StGB 0 3 Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 68 90 Brandstiftung SSSS 306 - 306 f StGB 27 21 Sprengstoffexplosion SS 308 StGB 0 1 Bildung terroristischer Vereinigungen SS 129 a StGB 1 0 Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 169 65 gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr SSSS 315 - 316 StGB 7 0 Freiheitsberaubung SSSS 234 - 239 b StGB 1 1 Raub SSSS 249 - 255 StGB 1 4 Erpressung SS 253 StGB 2 0 Widerstandsdelikte SSSS 113 - 121 StGB 68 60 Summe Gewaltdelikte 344 245 Andere Straftaten Volksverhetzung SS 130 StGB 162 251 Propagandadelikte SSSS 86, 86 a StGB 1 417 1 202 Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 222 163 Verunglimpfungen gemäß SSSS 90 - 90 b StGB 4 28 Straftaten gegen ausländische Staaten SSSS 102 - 104 StGB 12 18 Straftaten bei Wahlen und Abstimmungen SSSS 107 - 108 e StGB 1 2 Straftaten gegen die Landesverteidigung SSSS 109 - 109 h StGB 1 0 öffentliche Aufforderung zu Straftaten SS 111 StGB 11 17 Störung des öffentlichen Friedens SS 126 StGB 55 34 Nötigung / Bedrohung SSSS 240, 241 StGB 25 23 Hausfriedensbruch SSSS 123, 124 StGB 7 9 Amtsanmaßung / Missbrauch von Titeln SSSS 132, 132 a StGB 2 0 Belohnung / Billigung von Straftaten SS 140 StGB 7 3 Beleidigung / üble Nachrede / Verleumdung SSSS 185 - 189 StGB 82 105 Diebstahl SS 242 StGB 2 3 Urkundenfälschung SS 267 StGB 2 3 Falschaussage / Meineid SSSS 153 - 163 StGB 0 1 Straftaten gegen Religion SSSS 166 - 168 StGB 0 1 Straftaten gegen Verfassungsorgane SSSS 105 - 108 e StGB 0 2 Vortäuschen einer Straftat SS 145 d StGB 0 1 Vorbereiten einer Sprengstoffexplosion SS 310 StGB 0 1 Versammlungsgesetz 130 110 Waffengesetz 4 0 Vereinsgesetz 43 12 Telekommunikationsgesetz 0 1 Kunsturheberrechtsgesetz 22 0 Sprengstoffgesetz 0 1 Pressegesetz 3 0 Summe andere Straftaten 2 214 1 991 Gesamt 2 558 2 236 Statistik 117 1.3 Politisch motivierte Kriminalität - rechts Fallzahlen KPMD-PMK für Politisch motivierte Kriminalität - rechts (einschließlich antisemitischer und fremdenfeindlicher Straftaten) Gewaltdelikte 2001 2002 Tötungsdelikte SSSS 211 - 221 StGB 0 1 Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 24 44 Brandstiftung SSSS 306 - 306 f StGB 0 0 Sprengstoffexplosion SS 308 StGB 0 1 Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 3 1 Widerstandsdelikte SS 113 StGB 0 5 Raub SSSS 249 - 255 StGB 1 0 Summe Gewaltdelikte 28 52 Andere Straftaten Volksverhetzung SS 130 StGB 124 203 Nötigung/Bedrohung SSSS 240, 241 StGB 7 8 Propagandadelikte SSSS 86, 86 a StGB 238 626 Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 2 4 Verunglimpfungen gemäß SSSS 90 - 90 b StGB 1 2 Straftaten gegen ausländische Staaten SSSS 102 - 104 StGB 1 2 Störung des öffentlichen Friedens SS 126 StGB 1 5 Belohnung / Billigung von Straftaten SS 140 StGB 1 Beleidigung / üble Nachrede / Verleumdung SSSS 185 - 189 StGB 35 44 Versammlungsgesetz 11 1 Waffengesetz 2 0 Vereinsgesetz 3 0 Kunsturheberrechtsgesetz 2 0 Summe andere Straftaten 427 896 Gesamt 455 948 Der Politisch motivierten Kriminalität - rechts werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung (z. B. nach Art der Themenfelder) einer rechten Orientierung zuzurechnen sind, insbesondere wenn Bezüge zu * Völkischem Nationalismus, * Rassismus, * Sozialdarwinismus, * Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. 118 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Langfristige Entwicklung der Fallzahlen Fallzahlen PMK - rechts 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Antisemitisch 96 106 59 56 106 229 Fremdenfeindlich 97 89 68 70 84 138 Antisemitisch und fremdenfeindlich nicht erf. nicht erf. nicht erf. nicht erf. nicht erf. 26 Sonstige PMK - rechts 359 315 111 207 265 555 Gesamt 552 510 238 333 455 948 Hier macht sich die Entwicklung des Definitionssystems KPMD-PMK bemerkbar: In den Vorjahren erfolgte die Bewertung als antisemitisch bzw. fremdenfeindlich alternativ nach der überwiegenden Motivation des Täters. Seit 2002 ist eine kumulative Nennung beider Kriterien möglich. Der deutliche Anstieg politisch motivierter Delikte resultiert im Wesentlichen daraus, dass die Propagandadelikte aufgrund bundesweiter Beschlusslage grundsätzlich als extremistisch zu bewerten sind. Ein weiterer Grund für den Anstieg der festgestellten Straftaten und der Erhellung des Dunkelfeldes liegt im konsequent-restriktiven polizeilichen Vorgehen bei Versammlungen und anderen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen der rechten Szene. 876 der 948 Straftaten sind als extremistisch bewertet worden. Propagandadelikte Bei den sog. Propagandadelikten (Verstöße gegen SSSS 86, 86 a StGB) handelt es sich überwiegend um "Hakenkreuz-Schmierereien" im öffentlichen Raum (Haltestellen, Bahnhöfe, Verkehrsmittel, Verteilerkästen, Plakatund Mauerwände usw.), bei denen vielfach keine Hinweise auf den Täter bzw. dessen mögliche Motivation vorliegen. Des öfteren besteht auch eine örtliche Nähe zu Graffiti oder anderen Verschmutzungen. Anhaltspunkte für eine politische Motivation können sich aus Absichtsäußerungen der Täter bzw. staatschutzrelevanten Erkenntnissen über sie ergeben. Bestätigende Umstände bestehen auch in besonderen Tatörtlichkeiten (z. B. Straftaten zum Nachteil jüdischer Einrichtungen oder Mahnmale), örtlicher oder zeitlicher Nähe zu Treffpunkten der rechten Szene bzw. deren Veranstaltungen oder Aufzügen. Statistik 119 Andererseits können auch Umstände vorliegen, die eine Täterschaft aus entsprechender Motivation als eher unwahrscheinlich vermuten lassen. Vorgänge Propagandadelikte 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Antisemitisch 1 12 9 7 16 63 Fremdenfeindlich 6 2 11 10 12 68 Antisemitisch und fremdenfeindlich nicht erf. nicht erf. nicht erf. nicht erf. nicht erf. 9 Sonstige PMK - rechts 177 178 83 131 210 486 Politisch motiviert gesamt 184 192 103 148 238 626 Straftaten SSSS 86, 86 a gesamt 1 260 1 259 1 144 1 631 1 417 1 202 Angesichts der erheblich gestiegenen Zahl der politisch motivierten Fälle bei einem Rückgang der Propagandadelikte insgesamt ist, wie oben erwähnt, die seit 2002 veränderte Anwendungspraxis der Zuordnungskriterien und die dadurch eingeschränkte Vergleichbarkeit gegenüber den Vorjahren zu beachten. Schwerpunkte und besondere Entwicklungen Die Zunahme von Volksverhetzungen ist u. a. auf den weiteren Anstieg von Internet-Delikten (29 im Jahr 2002) zurückzuführen. Privatpersonen und Institutionen/ Vereine suchen im Netz nach rechten Webseiten und weisen die Polizei darauf hin. Außerdem wirkt sich bei diesem Delikt die Steigerung antisemitischer Straftaten aus, die häufig in Form von Schmähschreiben oder mittels Internet begangen werden. Hasskriminalität - rechts (einschließlich antisemitischer und fremdenfeindlicher Straftaten) Hasskriminalität bezeichnet - in Anlehnung an den international üblichen Begriff Hate-Crime - politisch motivierte Straftaten, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/ oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person wegen ihrer/ ihres politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Herkunft, äußeren Erscheinungsbildes, Behinderung, sexuellen Orientierung oder gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution / Sache oder ein Objekt richtet. 120 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 * Antisemitische Straftaten (alle Straftaten als rechtsextremistische Kriminalität bewertet) Antisemitisch ist der Teil der Hasskriminalität, der aus einer antijüdischen Haltung heraus begangen wird. Antisemitische Straftaten sind nach Art ihrer Begehung insbesondere gekennzeichnet durch - Diffamierung jüdischer Institutionen und ihrer Vertreter durch Telefonanrufe, anonyme Briefsendungen bzw. E-Mails; - Propagieren der sog. Auschwitzlüge; - Schmierereien oder andere Beschädigungen an jüdischen Mahnmalen, Gedenkstätten, Gräbern. Für das Jahr 2002 waren hier drei Gewaltdelikte sowie 229 weitere Fälle (2001: 1 bzw. 106) zu registrieren. Bemerkenswert ist die verstärkte Nutzung des Internets zur Begehung antisemitischer Straftaten. Auf einschlägigen Web-Seiten werden u. a. der Holocaust geleugnet oder ausländische Bevölkerungsgruppen diffamiert. Auch der Konflikt zwischen Israel und Palästinensern sowie die Debatte um den FDP-Politiker Möllemann dürfte zum Anstieg der Fallzahlen in diesem Bereich beigetragen haben. * Fremdenfeindliche Straftaten (alle Straftaten als rechtsextremistische Kriminalität bewertet) Fremdenfeindlich ist der Teil der Hasskriminalität, der aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Herkunft des Opfers verübt wird. Durch einen Anstieg von 84 Fällen (2001) auf 138 Fälle (2002) wurde bei den fremdenfeindlich motivierten Straftaten das Niveau von 1998 erreicht. Gleichfalls zugenommen haben die Gewaltdelikte, die auf 29 - gegenüber 19 in 2001 - gestiegen sind. Die seriöse Benennung konkreter Ursachen wird davon abhängig sein, ob von einer dauerhaften Trendwende ausgegangen werden kann; insoweit bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten. Statistik 121 1.4 Politisch motivierte Kriminalität - links Fallzahlen KPMD-PMK für Politisch motivierte Kriminalität - links Gewaltdelikte 2001 2002 Tötungsdelikte SSSS 211 - 221 StGB 0 0 Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 32 41 Brandstiftung SSSS 306 - 306 f StGB 27 20 Sprengstoffexplosion SS 308 StGB 0 0 Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 155 58 gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr SSSS 315 - 316 StGB 5 0 Widerstandsdelikte SSSS 113 - 121 StGB 59 51 Raub SSSS 249, 250 StGB 0 1 Summe Gewaltdelikte 278 171 Andere Straftaten Volksverhetzung SS 130 StGB 6 0 Propagandadelikte SSSS 86 a StGB 13 10 Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 191 116 Verunglimpfungen gemäß SSSS 90 - 90 b StGB 2 4 Straftaten gegen ausländische Staaten SSSS 102 - 104 StGB 2 5 Straftaten gegen die Landesverteidigung SSSS 109 - 109 h StGB 1 0 öffentliche Aufforderung zu Straftaten SS 111 StGB 9 15 Störung des öffentlichen Friedens SS 126 StGB 1 0 Amtsanmaßung / Missbrauch v. Titeln SSSS 132, 132 a StGB 2 0 Belohnung / Billigung von Straftaten SS 140 StGB 5 0 Beleidigung/üble Nachr./Verleumdung SSSS 185 - 189 StGB 30 31 Diebstahl SS 242 StGB 2 1 Nötigung / Bedrohung SSSS 240, 241 StGB 4 3 Hausfriedensbruch SSSS 123, 124 StGB 6 9 Vortäuschen Straftat SS 145 d StGB 0 1 falsche uneidliche Aussage SS 153 StGB 0 1 Urkundenfälschung SS 267 StGB 0 2 Nötigung des Bundespräsidenten SS 106 StGB 0 1 Versammlungsgesetz 109 87 Waffengesetz 1 0 Kunsturheberrechtsgesetz 20 0 Pressegesetz 3 0 Sprengstoffgesetz 0 0 Telekommunikationsgesetz 0 1 Summe andere Straftaten 407 287 Gesamt 685 458 Straftaten werden der Politisch motivierten Kriminalität - links zugeordnet, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ihre Umstände der Begehung und/ oder die Einstellung des Täters einer linken Orientierung zuzurechnen sind. Hierbei sind vor allem Bezüge zum Anarchismus und Kommunismus (einschließlich Marxismus) als Motiv für die Tatbegehung bedeutsam, wobei nicht zwingend die 122 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Abschaffung oder Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (Extremismus) vorausgesetzt wird. Nach polizeilicher Einschätzung waren 84 der politisch links motivierten Straftaten der extremistischen Kriminalität zuzurechnen. Für das Jahr 2001 waren 403 von 685 Straftaten als extremistisch bewertet worden. War im Jahr 2001 die Verbotsdiskussion der NPD ein zentrales Thema in der linken Szene, konnte im Jahr 2002 eine weitaus geringere Zahl von Demonstrationen im Zusammenhang mit der NPD festgestellt werden. Straftaten gegen Anhänger bzw. Mitglieder der NPD sind als extremistisch einzuordnen, soweit sie darauf gerichtet sind, durch Angriffe gegen die Partei - als Organ politischer Willensbildung - auf strafbare Weise in den politischen Meinungsstreit einzugreifen. Politisch motivierte Brandanschläge Im Jahr 2002 wurden insgesamt 17 politisch motivierte Brandanschläge verübt. (2001: 27 Brandanschläge) Schwerpunkt bildeten dabei Anschläge, die aus unterschiedlichen, politisch links einzuordnenden Motivationen heraus Kraftfahrzeuge zum Ziel hatten, darunter fünf Fälle betreffend sog. "Nobelkarossen" als Symbole für "Bonzentum" und "ungerechtfertigte Bereicherung". Ziel von vier dieser Brandanschläge waren Fahrzeuge der Deutschen Bahn AG und der Firma Siemens. Die Taten dürften den Tatumständen nach mit den durchgeführten Castor-Transporten in Zusammenhang stehen. Zu insgesamt drei Anschlägen wurden Tatbekennungen veröffentlicht. In den übrigen Fällen wird aufgrund der seit Jahren szenetypischen Begehungsweisen und der angegriffenen Ziele von politisch motivierten Brandanschlägen ausgegangen. Statistik 123 "Revolutionärer 1. Mai" (PMK - links) Gewaltdelikte 2001 2002 Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 10 11 Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 114 17 gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr SSSS 315 - 316 StGB 1 0 Widerstandsdelikte SSSS 113 - 121 StGB 23 13 Summe Gewaltdelikte 148 41 Andere Straftaten Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 30 11 Nötigung / Bedrohung SSSS 240, 241 StGB 1 1 Beleidigung / üble Nachrede / Verleumdung SSSS 185 - 189 StGB 7 4 öffentliche Aufforderung zu Straftaten SS 111 StGB 0 3 Versammlungsgesetz 8 10 Waffengesetz 1 0 Summe andere Straftaten 47 29 Gesamt 195 70 Bemerkenswert ist der Rückgang der Landfriedensbrüche von 114 (2001) auf 17 (2002). Dies lässt sich zum einen durch die Abbildung mehrerer Einzeltaten als ein Fall erklären. Zum anderen sind bei den festgestellten Straftätern weniger linksextreme Motive als vielmehr eine gewisse "Erlebnisorientierung" festgestellt worden. Bezeichnend für die Ausschreitungen zu den Veranstaltungen zum 1. Mai 2002 war die größere Brutalität und Rücksichtslosigkeit im Vorgehen der Täter. So richteten sich die Übergriffe der Demonstranten weniger gegen das "Feindbild Polizei", sondern vielmehr gegen willkürlich ausgewählte Personen und Objekte. Dieser Ansatz steht im Widerspruch zu den üblichen "Verhaltensregeln" der linken Szene, wonach vor allem die Polizei und dann erst privates Eigentum Ziel von Angriffen sein sollte. Der Anteil der Taten des 1. Mai an der Zahl der politisch motivierten Landfriedensbrüche nimmt stetig ab. Im unmittelbaren Zusammenhang mit den gewalttätigen Ausschreitungen am 1. Mai wurden insgesamt 207 Straftäter ermittelt (2001: 152 Straftäter). Zur Ermittlung von 53 unbekannten Tätern wurden im Oktober 2002 Öffentlichkeitsfahndungen eingeleitet, die zur Namhaftmachung von bislang 17 Personen geführt haben. (2001: 86 Personen in der Öffentlichkeitsfahndung, 31 Täter identifiziert). 124 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 1.5 Politisch motivierte Ausländerkriminalität Fallzahlen KPMD-PMK für Politisch motivierte Ausländerkriminalität Gewaltdelikte 2001 2002 Tötungsdelikte SSSS 211 - 221 StGB 0 1 Brandstiftung SSSS 306 - 306f StGB 0 1 Körperverletzung SSSS 223 - 231 StGB 11 4 Bildung terroristischer Vereinigungen SS 129 a StGB 1 0 Landfriedensbruch SSSS 125, 125 a StGB 10 6 gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr SSSS 315 - 316 StGB 2 0 Freiheitsberaubung SSSS 234 - 239 b StGB 1 1 Raub SSSS 249 - 255 StGB 0 3 Erpressung SS 253 StGB 2 0 Widerstandsdelikte SSSS 113 - 121 StGB 9 3 Summe Gewaltdelikte 36 19 Andere Straftaten Volksverhetzung SS 130 StGB 28 24 Vorbereiten einer Sprengstoffexplosion SS 310 StGB 0 1 Propagandadelikte SSSS 86, 86 a StGB 13 10 Sachbeschädigung SSSS 303 - 305 a StGB 21 7 Nötigung / Bedrohung SSSS 240, 241 StGB 10 8 Verunglimpfungen gemäß SSSS 90 - 90 b StGB 1 0 Straftaten gegen ausländische Staaten SSSS 102 - 104 StGB 8 4 öffentliche Aufforderung zu Straftaten SS 111 StGB 0 2 Straftaten gegen Religion SSSS 165 - 168 StGB 0 1 Störung des öffentlichen Friedens SS 126 StGB 21 8 Vortäuschen einer Straftat SS 145 d StGB 0 1 Hausfriedensbruch SSSS 123, 124 StGB 1 0 Belohnung / Billigung von Straftaten SS 140 StGB 2 1 Beleidigung / üble Nachrede / Verleumdung SSSS 185 - 189 StGB 10 6 Versammlungsgesetz 8 13 Waffengesetz 1 0 Vereinsgesetz 40 9 Summe andere Straftaten 164 95 Gesamt 200 114 Der Politisch motivierten Ausländerkriminalität werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung - der Umstände der Tat oder - der Erkenntnisse über den Täter Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die durch eine nichtdeutsche Herkunft geprägte Einstellung des Täters entscheidend für die Tatbegehung war, insbesondere wenn sie darauf ausgerichtet sind - Verhältnisse und Entwicklungen im Ausland oder Statistik 125 - aus dem Ausland Verhältnisse und Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland zu beeinflussen. Von den insgesamt 114 Straftaten waren 64, also 56 % (2001: 68 %) als extremistisch zu bewerten. Auswirkungen der Terroranschläge in den USA Die allgemein hohe Emotionalisierung nach den Anschlägen führte im Zusammenhang mit suspekten Substanzen oder entsprechenden Drohungen zu 77 "Anthrax (Milzband)"-Verdachtsfällen, die in 51 Fällen die Einleitung von Ermittlungsverfahren wegen Störung des öffentlichen Friedens zur Folge hatten. (2001: 242 bzw. 128) Keiner der Verdachtsfälle hat sich letztlich bestätigt, so dass die Sachverhalte so genannten Trittbrettfahrern zugerechnet werden. Auch Berlin war im vergangenen Jahr in 20 Fällen betroffen vom so genannten "Hoaxes"-Phänomen (Hoax bezeichnete ursprünglich Warnungen vor Aufenthalten in der Nähe von Friedhöfen anlässlich des keltischen Halloween-Festes). Nach dem 11. September 2001 handelt es sich im Wesentlichen um das Verbreiten von unbestimmten Warnungen vor Aufenthalten an Orten mit größeren Menschenmengen (KaDeWe, Potsdamer Platz, verschiedene Weihnachtsmärkte), welche durch Mund-zu-Mund-Propaganda, SMSoder Internet-Nachricht weiter gegeben werden. Die Urheber dieser Nachrichten konnten nicht namhaft gemacht werden. Selbsterklärungen der KADEK Nach der Änderung des politischen Kurses der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK, jetzt KADEK) wurden aufgrund von so genannten Selbsterklärungen durch die Staatsanwaltschaft beim Landgericht insgesamt 835 Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz eingeleitet. Um den friedlichen Charakter der Nachfolgepartei KADEK öffentlichkeitswirksam hervorzuheben und ihren Protest gegen das PKK-Verbot zum Ausdruck zu bringen, waren ihre Anhänger vor öffentlichen Gebäuden erschienen und hatten Aktenordner mit Mitgliederlisten sowie Spendenbelege von vermeintlichen Anhängern / Mitgliedern überreicht. Gemäß einer Regelung mit dem Bundeskriminalamt bildet der KPMD-PMK lediglich ein Verfahren ab. 126 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 2 Personenpotenziale 2.1 Rechtsextremistisches Personenpotenzial Rechtsextremismus Berlin Bund 2001 2002 2001 2002 Gesamt 2 695 2 665 50 500 45 800 ./. Mehrfachmitgliedschaften 55 285 800 800 Tatsächliches Personenpotenzial 2 640 2 380 49 700 45 000 Subkulturell geprägte und sonstige 640 575 10 400 10 700 gewaltbereite Rechtsextremisten Neonazis 435 500 2 800 2 600 Rechtsextremistische Parteien, davon 1 485 1 490 33 000 28 100 * "Deutsche Volksunion" (DVU) 600 620 15 000 13 000 * "Nationaldemokratische Partei 250 240 6 500 6 100 Deutschlands" (NPD) * "Die Republikaner" (REP) 600 630 11 500 9 000 Sonstige rechtsextremistische 135 100 4 300 4 400 Organisationen Die in Abb. 1 dargestellten geschätzten Personenpotenziale werden bundesweit einheitlich erfasst, um als Grundlage für Vergleiche oder die Analyse regionaler Schwerpunkte zu dienen. Das Personenpotenzial im Rechtsextremismus ist im Jahr 2002 annähernd konstant geblieben. Während sich das Personenpotenzial im Parteienbereich nicht veränderte, sank die Zahl der "Subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten" (von ca. 640 im Jahr 2001 auf ca. 575 im Jahr 2002). Zur Gefährdungseinschätzung hat der Verfassungsschutz Berlin die Kategorien "Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten" sowie "Neonazis" zusammengefasst und anhand des vorliegenden Datenmaterials detaillierter analysiert. Zur ersteren gehören u. a. rechtsextremistische Skinheads, zur letzteren sowohl ideologisch gefestigte, gewaltbereite Rechtsextremisten als auch jugendliche Kameradschaftsmitglieder mit einem diffusen rechtsextremistischen Weltbild. Gemeinsam ist ihnen ein aktionsorientierter Rechtsextremismus, ausgerichtet auf eine Machtausübung im öffentlichen Raum. Unterschiede gibt es - und zwar quer durch beide Kategorien - hinsichtlich der Statistik 127 Gewaltbereitschaft und der ideologischen Festigung. Beides sind zwei zentrale Faktoren für die Einschätzung des Risikopotentials. Ausgehend von diesen beiden Eigenschaften - Gewaltbereitschaft und ideologische Festigung - stehen somit vier Bewertungsstufen zur Klassifizierung des Personenkreises zur Verfügung. Der Verfassungsschutz ordnet die ihm bekannten aktionsorientierten Rechtsextremisten folgendermaßen zu: Aktionsorientierte Gewaltbereit Nicht gewaltbereit Rechtsextremisten Neonazistisch Gruppe 1 Gruppe 2 (Ideologisch gefestigt) 17% 11% Ideologisch weniger Gruppe 3 Gruppe 4 gefestigt 28% 44% Abb. 2: Kategorisierungsschema Aktionsorientierte Rechtsextremisten und Verteilung Abb. 2 zeigt, dass die ideologisch gefestigten Personen der Gruppen 1 und 2 insgesamt gut ein Viertel des aktionsorientierten Rechtsextremismus ausmachen. Weitere Analysen haben gezeigt, dass sich diese ideologisch gefestigten Rechtsextremisten bezüglich des Alters deutlich vom Personenkreis der Gruppen 3 und 4 unterscheiden. Während die Personen der Gruppen 3 und 4 vor allem zwischen 18 und 24 Jahre alt sind, ist der größte Anteil der Personen aus den Gruppen 1 und 2 zwischen 25 und 35 Jahren alt. Offensichtlich setzt die ideologische Verfestigung erst mit dem Alter ein. Aussagen über extremistische Karrieren, d. h. den Wechsel von Gruppe 3 und 4 in die Gruppen 1 und 2, lassen sich erst nach einer mehrjährigen Anwendung des neuen Kategorisierungssystems machen. Des Weiteren sind Unterschiede in der Geschlechterverteilung auszumachen. Lediglich 16 % des untersuchten Personenkreises sind weiblichen Geschlechts. Während bei den Männern insgesamt 45 % als gewaltbereit einzustufen sind, werden nur 9 % der Frauen zur Gruppe 3 und keine zur Gruppe 1 gezählt. Bezüglich der geografischen Verteilung der Wohnorte der Personen fällt auf, dass ein starkes Ost-West-Gefälle besteht. Mehr als 80 % wohnen im Ost-Teil der Stadt. Die Aussagekraft dieses empirischen Befundes ist insofern beschränkt, als dass die untersuchten Rechtsextremisten zum Teil gezielt ihren Wohnort von Westnach Ost-Berlin verlegt haben. Die in der Wissenschaft diskutierte These eines Zusammenhangs zwischen rechtsextremistischen Ein- 128 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 stellungen und einem autoritären Erziehungssystem in der DDR153 kann also anhand der vorliegenden Zahlen weder bestätigt noch falsifiziert werden. Unabhängig davon besteht die Gefahr, dass sich im Ost-Teil vereinzelt Milieus entwickeln, in denen Rechtsextremisten verstärkt tätig werden. 153 Vgl. Christel Hopf / Marlene Silzer / Jörg Wernich, Ethnozentrismus und Sozialisation in der DDR. Überlegungen und Hypothesen zu den Bedingungen der Ausländerfeindlichkeit von Jugendlichen in den neuen Bundesländern, in: Christian Petry / Karin Sitte / Peter Kaler (Hg.), Rechtsextremistische Orientierungen von Jugendlichen in den neuen Bundesländern. Was tun? Basel 1999 Statistik 129 2.2 Linksextremistisches Personenpotenzial Linksextremismus Berlin Bund 2001 2002 2001 2002 Gesamt 2 520 2 320 33 300 31 500 ./. Mehrfachmitgliedschaften 0 0 400 400 Tatsächliches Personenpotenzial 2 520 2 320 32 900 31 100 Personenpotenziale in diversen Organisationen Berlin Bund 2001 2002 2001 2002 Gewaltbereite aktionsorientierte Linksextremisten, davon 1 450 1 290 7 000 5 500 * Autonome154 1 200 1 040 6 000 * Anarchisten 250 200 1 000 155 * Antiimperialisten 50 Nicht-gewaltbereite aktionsorientierte Linksextremisten davon 156 490 540 26 300* 26 000* * "Linksruck" 100 100 * "Sozialistische Alternative Voran" (SAV) 40 40 * "Rote Hilfe e. V." (RH) 300 300 * "Freie ArbeiterInnen Union" (FAU-IAA) 50 50 * Sonstige 50 Linksextremistische Parteien und innerparteiliche Zusammenschlüsse, davon 580 490 s. o. s. o. * "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 140 130 * "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) 40 40 * "Kommunistische Plattform der PDS" (KPF) 300 180 * "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 100 100 * Sonstige 40 Abb. 1: Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. * als Summe für alle nicht-gewaltbereiten Organisationen und Parteien 154 Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere hundert Personen. 155 Erstmaliger Ausweis in Statistik, zuvor mit Anarchisten unter "Sonstige" zusammengefasst. 156 Nachfolgende Mitgliederstärke sowohl der Parteien als auch anderer Gruppierungen wurde bis zum Jahresbericht 2001 unter dem Titel "Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten einschließlich Trotzkisten" zusammengefasst. In der Bundesstatistik wird es weiterhin so gehandhabt. 130 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Im Jahr 2002 hat sich das Erscheinungsbild des organisierten Linksextremismus in Berlin gegenüber den Vorjahren nicht wesentlich verändert. Doch ist das Gesamtpotenzial (2 320) im Vergleich mit dem Vorjahr (2 520) um nahezu 8 % gesunken. Die Autonomen stellen mit 1 040 Personen (2001: 1 200) sowohl innerhalb des gesamten linksextremistischen Spektrums als auch im Bereich der aktionsorientierten Szene weiterhin den größten Anteil. Mit knapp einem Viertel an deren gesamtdeutschen Aufkommen ist Berlin weiterhin das bedeutendste Zentrum dieser Szene. Innerhalb des gewaltbereiten Potenzials - zu dem darüber hinaus rund 200 Angehörige der anarchistischen und 50 der antiimperialistischen Szene zählen - geht die Mehrzahl der Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund auf das Konto der Autonomen, darunter Körperverletzungen und konspirativ vorbereitete Brandanschläge. Während sie in der Vergangenheit die hohe Fluktuation unter ihren Angehörigen durch Rekrutierung neuer Mitglieder ausgleichen konnten, ist im Berichtszeitraum ein signifikanter Abwärtstrend zu verzeichnen. Auf Parteiebene sind lediglich bei der DKP und der KPF Mitgliederverluste zu verzeichnen. Während das Minus bei der DKP unerheblich ist und sich im natürlichen Schwankungsbereich befindet, brachen der KPF über ein Drittel der Mitglieder weg. Selbst die nach dem Parteitag von Gera beobachtbare Zunahme an Eintritten in die PDS, von denen aufgrund der Richtungsentscheidung des Parteitages einige dem KPF-Spektrum zugeordnet werden können, konnte die Verluste nicht ausgleichen. Der nicht-gewaltbereite aktionsorientierte Linksextremismus, der vor allem die trotzkistischen Organisationen umfasst, bleibt stabil. Nach wie vor ist die doch deutlich größere Zahl an "Linksruck"-Mitgliedern gegenüber der SAV offensichtlich. Dieser Unterschied resultiert aus der größeren Anziehungskraft, die "Linksruck" durch das der Öffentlichkeit vermittelte Bild einer aktiven politischen Gruppierung auf junge Menschen ausübt - nicht zuletzt durch die Entrismusarbeit (Unterwanderung anderer Parteien). Dagegen zieht die SAV vor allem den Antifaschismus zur Rekrutierung heran. Gleichwohl sind beide Bewegungen durch eine hohe Fluktuation gekennzeichnet. Statistik 131 2.3 Ausländerextremistisches Personenpotenzial In der Bundesrepublik Deutschland lebten 2002 rund 7,3 Mio. Ausländer, von denen ca. 3 Mio. muslimischen Glaubens sind, die in der Mehrzahl die türkische Staatsbürgerschaft inne haben. Unter diesen 7,3 Mio. Ausländern waren im vergangenen Jahr nach Schätzungen der Verfassungsschutzbehörden ca. 57 350 Personen extremistischen Ausländerorganisationen zuzurechnen; dies entspricht einem Anteil von knapp 0,8 %. In Berlin liegen die Relationen etwas anders. Hier betrug der Anteil der extremistischen oder extremistisch beeinflussten Ausländerorganisationen zuzurechnenden Ausländer 2002 knapp 1,4 % der ausländischen Bevölkerung und war damit höher als der bundesweite Durchschnitt. Sowohl in Berlin als auch bundesweit war im vergangenen Jahr ein Rückgang der ausländerextremistischen Personenpotenziale zu verzeichnen. In Berlin sank die Zahl von ca. 6 500 im Jahr 2001 auf ca. 6 040 Personen im Jahr 2002; auf der Bundesebene ging die Zahl im gleichen Zeitraum von ca. 59 100 auf ca. 57 350 Personen zurück. Von den islamistisch, linksextremistisch und nationalistisch orientierten Ausländerorganisationen bildeten 2002 die islamistischen Gruppierungen mit bundesweit ca. 30 500 Personen das größte extremistische Potenzial (53,2 %). Knapp 90 % von ihnen stellen die türkischen Islamisten157, als deren mitgliederstärkste Organisation die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) gilt. Die restlichen ca. 10 % sind Islamisten aus dem arabischen Raum.158 Zu ihnen zählen u. a. Anhänger der libanesischen "Hizb Allah" (Partei Gottes)159 sowie der Muslimbruderschaft, die in diversen "Islamischen Zentren" aktiv ist.160 Auch unter den ausländerextremistischen Organisationen in Berlin bilden die Anhänger islamistischer Gruppierungen mit ca. 3 930 Personen die Mehrheit; dies entspricht einem Anteil von knapp zwei Dritteln (65,0 %). Linksextremistische Organisationen stellen mit ca. 1 420 Personen dagegen weniger als ein Viertel (23,5 %) und extrem-nationalistische Organisationen mit ca. 600 Personen knapp ein Zehntel (9,9 %) der extremistischen Ausländerorganisationen in Berlin. Ausländerextremismus Berlin Bund 157 89,5 % / 27 300 Personen 158 10,3 % / 3 150 Personen 159 2,6 % / ca. 800 Personen 160 3,9 % / ca. 1 200 Personen 132 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 2001 2002 2001 2002 Gesamt 6 500 6 040 59 100 57 350 Islamistische Türken 3 050 2 900 28 650 27 300 Linksextremistische Türken 270 270 3 950 3 650 Extrem-nationalistische Türken 600 600 8 000 8 000 Islamistische Araber 1 200 1 000164 3 100 3 150 Linksextremistische Araber 170 50161 150 150 Organisierte regimetreue Iraner 30 30 100 50 Organisierte oppositionelle Iraner 20 40 900 1 300 Kurden (PKK und sonstige) 1 110 1 100 12 350 11 850 Sonstige 50 50 1 900 1 900 Abb. 1: Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. Von den 122 744 türkischen Staatsangehörigen (ca. 27,7 % der ausländischen Wohnbevölkerung) werden ca. 3 770 Personen (ca. 3 %) den in Berlin aktiven verschiedenen türkischen linksextremistischen, extrem-nationalistischen und islamistischen Organisationen zugerechnet. Sowohl in Berlin wie bundesweit lässt sich ein leichter Rückgang der Anhängerschaft islamistischer türkischer Organisationen verzeichnen, dessen Ursache in dem bundesweiten Verbot des "Kalifatsstaats" am 12. Dezember 2001 sowie in den ersten Auswirkungen der Spaltung des islamistischen Lagers in der Türkei zu sehen sein dürfte. Der bundesweit festzustellende Rückgang des linksextremistischen türkischen Potenzials ist demgegenüber in Berlin bislang nicht erkennbar. Unter den schätzungsweise 50 000 Personen kurdischer Volkszugehörigkeit in Berlin blieb die Zahl der Kurden, die der PKK-Nachfolgeorganisation KADEK zuzurechnen sind, mit etwa 1 100 stabil. 161 Um die Vergleichbarkeit im Bundesgebiet zu gewährleisten, sind im Jahr 2002 anders als 2001 nur Personen in überregionalen Objekten berücksichtigt. Statistik 133 134 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 III HINTERGRUNDINFORMATIONEN INTERGRUNDINFORMATIONEN 1 Ideologien 1.1 Definition Extremismus Der Begriff Extremismus bezeichnet kein einheitliches Phänomen, sondern ist vielmehr eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Bestrebungen, "die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln einig wissen".162 Die verfassungsmäßige Grenze des politischen Handelns ist in der Bundesrepublik Deutschland jedoch eindeutig festgelegt. Anlässlich des Verbots der "Sozialistischen Reichspartei" (SRP) bestimmte das Bundesverfassungsgericht 1952 den Kern des demokratischen Verfassungsstaates, die freiheitliche demokratische Grundordnung. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind zu rechnen: * die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, vor allem des Rechtes der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, * die Volkssouveränität, * die Gewaltenteilung, * die Verantwortlichkeit der Regierung, * die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, * die Unabhängigkeit der Gerichte, * das Mehrparteienprinzip, * die Chancengleichheit aller politischen Parteien, * das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.163 Die Verfassungsschutzbehörden verwenden den Extremismusbegriff seit Anfang der 70er Jahre in Abgrenzung zu dem oftmals synonym gebrauchten Begriff des Radikalismus. Während extremistische Positionen die Grenze der verfassungsmäßigen Ordnung überschreiten, bezeichnet der Radikalismus Auffassungen, die zwar grundlegende systemoppositionelle Positionen vertreten, die sich aber mit 162 Uwe Backes/Eckhard Jesse, Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. Bonn 1996, S. 45 163 vgl. BVerfGE 2, 1 ff; BVerfGE 5, 85 ff.; VSG Bln, SS 6 Hintergrundinformationen 135 ihrer fundamentalen Kritik innerhalb der Grenzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegen. 1.2 Ideologie des Rechtsextremismus Mit der Sammelbezeichnung Rechtsextremismus verbindet sich keine geschlossene politische Ideologie. Der Begriff umschreibt vielmehr eine vielschichtige politische und soziale Gedankenwelt und ein Handlungssystem, das in der Gesamtheit seiner Einstellungen und Verhaltensweisen auf die Beseitigung oder nachhaltige Beeinträchtigung demokratischer Rechte, Strukturen und Prozesse gerichtet ist. Rechtsextremistischen Strömungen sind in jeweils unterschiedlichen Gewichtungen und Ausprägungen folgende Inhalte gemeinsam:164 * Ablehnung des Gleichheitsprinzips: Die Ideologie der Ungleichheit äußert sich in der gesellschaftlichen Diskriminierung bestimmter Menschen und Gruppen aufgrund ethnischer, körperlicher und geistiger Unterschiede. * Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit: Die eigene "Nation" oder "Rasse" wird zum obersten Kriterium der Identität erhoben. Ihr wird ein höherwertiger Status zugeschrieben, was die Abwertung und Geringschätzung von nicht zur eigenen "Nation" oder "Rasse" gehörenden Menschen und Gruppen zur Folge hat. * Antipluralismus: Der pluralistische Interessenund Meinungsstreit wird als die Homogenität der Gemeinschaft zersetzend angesehen. Rechtsextremisten streben eine geschlossene Gesellschaft an, in der Volk und Führung eine Einheit bilden. * Autoritarismus: In demokratischen Ordnungssystemen ist der Staat ein Instrument der Selbstorganisation der Gesellschaft, das Wechselbeziehungen zwischen Staat und Gesellschaft vorsieht. Im autoritären Staatsverständnis steht der Staat in einem einseitig dominierenden Verhältnis über der Gesellschaft. Im Bereich des Rechtsextremismus treten zahlreiche ideologische Überschneidungen und Mischformen auf. Die Überbewertung der eigenen Nation im Vergleich zu anderen Nationen wird als Nationalismus bezeichnet. Der Rassismus behauptet die Ungleichwertigkeit von "Menschenrassen" aufgrund ihrer unveränderlichen biologischen und sozialen Anlagen. Rassistische Ideologien leiten daraus ein "naturgegebenes" Recht zur Ausgrenzung bestimmter ge164 vgl. Armin Pfahl-Traughber, Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., München 2000, S. 11 - 16 136 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 sellschaftlicher Gruppen ab. Eine besondere Form des Rassismus ist der Antisemitismus. Darunter versteht man die Feindschaft gegenüber den Juden als Gesamtheit aufgrund stereotypischer rassistischer, sozialer, politischer und/oder religiöser Vorurteile. Ein weiteres Element des Rechtsextremismus ist der Neonazismus (), der durch seinen Bezug zum historischen Phänomen des Nationalsozialismus gekennzeichnet ist. Wenn eine rechtsextreme Ideologie an den historischen Nationalsozialismus anknüpft, wird sie als neonazistisch bezeichnet. 1.3 Ideologie des Linksextremismus Die Utopie linksextremistischer Ideologie ist auf ein herrschaftsfreies, mit politischer, sozialer und ökonomischer Freiheit (Befreiung von unterdrückerischen Machtstrukturen) ausgestattetes Gemeinwesen gleicher Menschen ausgerichtet: die herrschaftsfreie Ordnung.165 Sie reicht weit über das in demokratischen Verfassungsstaaten akzeptierte Prinzip der menschlichen Fundamentalgleichheit hinaus und kann direkt oder über Zwischenstufen wie etwa im MarxismusLeninismus (Diktatur des Proletariats / Sozialismus) erreicht werden. Ziel ist, die herrschende, als imperialistisch oder kapitalistisch diffamierte Staatsordnung durch einen revolutionären Akt zu überwinden,166 da ihr unterstellt wird, sie diene ausschließlich der Unterdrückung der Massen bei gleichzeitiger Maskierung der Herrschaftssicherung der gesellschaftlichen Elite.167 Trotz der Gemeinsamkeiten in der Umschreibung eines letzten utopischen Ziels unterscheiden sich die Ansätze bezüglich dessen Umsetzung stark voneinander. Anarchisten etwa erwarten eine spontane Bewusstseinsänderung, die - gegebenenfalls auch unter Anwendung von Gewalt - zur Auflösung sämtlicher staatlicher Institutionen führen werde. Diese seien durch dezentrale Selbstverwaltungseinheiten zu ersetzen. "Es kann auf keinen Fall der Zweck der anarchischen Aktion sein, auf die Eroberung der Macht oder die Verwaltung des Bestehenden auszugehen. [...] Die Arbeiter brauchen keine Vermittler, um an ihrer Stelle ihre Forderungen auszudrücken oder einen Kampf zu führen, sondern sie können und müssen es direkt selbst machen. Die Libertären [Anarchisten] denken, dass die Praxis der 165 vgl. Uwe Backes / Eckard Jesse, Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1996, S. 60 166 vgl. Ernesto Che Guevara, Guerilla - Theorie und Methode, Berlin 1968, S. 7: "Wir diskutieren das Problem des friedlichen Übergangs zum Sozialismus nicht als ein theoretisches Problem [...] Darum sagen wir [...], dass der Weg zur Befreiung der Völker, der nur der Weg des Sozialismus sein kann, in fast allen Ländern durch die Kugel erkämpft werden wird." 167 Der Linksextremismus bildet aktuell vor allem die Gegensatzpaare Neoliberalismus versus Antikapitalismus, Faschismus versus Sozialismus, Herrschaft versus Anarchismus aus und diskreditiert das in Deutschland herrschende System der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hintergrundinformationen 137 direkten Aktion, und des Streiks im besonderen, auch das bestmögliche und wirksamste Kampfmittel in den Händen der Arbeiter ist [...] Die Libertären haben sich immer jedem Versuch der Unterwerfung der revolutionären Bewegung oder der Arbeiterbewegung entgegengesetzt, und sie befürworten die 168 Selbstorganisation, die kollektive und autonome Aktion der Arbeiter." Ebenso wie Anarchisten haben auch Autonome kein zentrales Theoriegebäude ausgebildet und sind ideologisch stark zerstritten. Sie wenden sich vor allem aktionsorientiert gegen einen staatlichen "Repressionsapparat" und richten sich diskontinuierlich an polarisierenden Themen aus. Thematischer Minimalkonsens der autonomen Szene sind neben der Akzeptanz von Gewalt gegen Menschen und Sachen169 die Schlüsselbegriffe Antifaschismus, Antikapitalismus, Antiimperialismus, Antimilitarismus, Antirassismus und Antisexismus. "Zuerst möchte ich sagen, dass ich grundsätzlich gegen Gewalt bin. Aber in manchen Situationen glaube ich nicht, dass ich etwas ohne Gewalt ändern kann. 170 Und dieses System baut ja selbst seit jeher auf Gewalt auf." Versierter umschreibt die Gewaltoption ein Vordenker der autonomen Szene: "Wer die 'Gewaltfreiheit' nicht als taktisch zu bestimmendes Mittel im politischen Kampf einfordert, sondern es zu einem unumgänglichen Prinzip politischer Praxis verankert, ist nicht nur naiv, sondern dient unwillkürlich auch den 171 herrschenden Verhältnissen." Orthodoxer in der Lehre, strategischer bei der Wahl der thematisierten Politikfelder und organisierter in der Betreuung seiner Anhänger ist der Kommunismus. In unterschiedlichen Ausprägungen strebt er eine klassenlose Gesellschaft an. Dabei fordert er zunächst eine völlige Unterordnung des Individuums unter die revolutionären Ziele und die diese anstrebenden Organisationen. Über Revolutionen, in deren Verlauf das Proletariat die herrschende Elite stürzen solle, und interrevolutionäre Zwischenstufen sei die klassenlose Gesellschaft erreichbar. "1. Der Faschismus ist [...] notwendige Tendenz der kapitalistischen Gesellschaft. 2. Daher gibt es keinen Kampf gegen den Faschismus, es sei denn den Kampf für die Vernichtung des Kapitalismus durch die proletarische Revolution und Diktatur. 3. Denn jeder Aufruf, die Demokratie zu verteidigen, jeder Versuch den Faschismus auf Grund der Demokratie zu bekämpfen, jedes Bündnis mit 168 I-AFD [Initiative für eine anarchistische Föderation in Deutschland] - IFA [Internationale der anarchistischen Föderation], Was ist Anarchismus, Krefeld 1993, S. 4f. 169 siehe auch S. 57 ff. 170 Antifaschistische Aktion Berlin, Bravo Antifa, 1. Ausgabe, 12/1996, S. 8 171 Geronimo, Feuer und Flamme, Edition ID-Archiv, Berlin 1990, S. 209 138 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 'demokratischen' Parteien und Klassen führt zur Zerstörung der proleta172 rischen Bewegung und bahnt dem Faschismus den Weg." Von der Ideologie des Kommunismus als klassenloser Gesellschaft ist der real existierende Sozialismus als Übergangsphase vom Kapitalismus zum klassenlosen Gemeinwesen (Kommunismus) zu unterscheiden. Der real existierende Sozialismus beschreibt die gesellschaftlichen Gegebenheiten sozialistischer Staaten und hat vor allem Anhänger in der ehemaligen politischen Elite der DDR, die sich selbst ebenfalls dem Kommunismus zurechnet. "Kommunist zu sein heißt [...] für die Einheit und Reinheit des MarxismusLeninismus zu kämpfen und gemäß der Lehren von Marx, Engels, Lenin und Stalin gegen alle Angriffe der bürgerlichen Ideologie und des Revisionismus und Reformismus innerhalb der Arbeiterklasse mit allen Mitteln zu verteidigen und zu vertreten, sich zur proletarischen Revolution, zur Diktatur des Proletariats und zum proletarischen Internationalismus zu bekennen."173 Gemeinsam ist den unterschiedlichen linksextremistischen Bestrebungen, dass sie eine andere gesellschaftliche Ordnung zu errichten trachten. Ferner stimmen sie trotz aller Differenzen in den Zielrichtungen bei der Wahl ihrer Mittel überein: Sie sehen Militanz gegen den Staat und seine gesellschaftliche Ordnung als probates Mittel der politischen Auseinandersetzung an: "Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt 174 zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" 1.4 Ideologien des Ausländerextremismus Ausländische Organisationen werden als extremistisch bewertet, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten und die Durchsetzung ihrer Weltanschauung in Deutschland anstreben. Als extremistisch werden aber auch ausländische Organisationen eingestuft, die eine gewaltsame Veränderung der politischen Verhältnisse in den Heimatländern anstreben. Sie gefährden durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. In den meisten Fällen werden die Aktivitäten ausländerextremistischer Organisationen von den politischen Verhältnissen in ihren Herkunftsländern bestimmt. Einige der 172 Homepage sinistra.net: Internationale Revolution, Nr. 3, Dezember 1969, S. 1 173 Homepage der KPD 174 Homepage der KPD, Parteiprogramm vom 7. Oktober 1999 Hintergrundinformationen 139 in Deutschland ansässigen Organisationen lassen inzwischen jedoch Tendenzen zu eigenständigem Handeln erkennen. Bei ausländerextremistischen Organisationen lassen sich linksextremistische, nationalistisch orientierte und islamistische Gruppierungen unterscheiden. Linksextremistische Organisationen folgen weitgehend der Ideologie des Marxismus-Leninismus und streben die Etablierung eines sozialistischen bzw. kommunistischen Systems in ihren Heimatländern an. Zur Durchsetzung ihrer Ziele befürworten sie grundsätzlich die Anwendung von Gewalt. In letzter Zeit sind die Gewalttaten stark zurückgegangen. Nationalistische Ausländerorganisationen kennzeichnet ein auf ethnische, kulturelle und politisch-territoriale Unterschiede gegründeter Überlegenheitsanspruch der eigenen Nation sowie die Negierung der Rechte anderer Ethnien. In Deutschland spielen sie derzeit nur eine untergeordnete Rolle. Die größte Gruppe innerhalb der extremistischen Ausländerorganisationen bilden die islamistischen Gruppierungen. Der "Islamismus" ist nicht gleichbedeutend mit der islamischen Religion. Vielmehr stellt der "Islamismus" eine politische Ideologie der Gegenwart dar, die sich primär gegen die Herrschaftsverhältnisse in den Heimatländern wendet und den "Islam" weltweit als ein alternatives Gesellschaftssystem propagiert. Der gesetzliche Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes richtet sich weder auf die islamische Religion als solche noch auf die hier lebenden Muslime, von denen die Mehrheit unsere Rechtsordnung achtet. Dem Verfassungsschutz geht es um Bestrebungen, die auf die Durchsetzung der islamistischen Weltanschauung in Deutschland oder die gewaltsame Veränderung der politischen Verhältnisse in den Heimatländern abzielen. Was charakterisiert nun die Ideologie des Islamismus und wie ist das Phänomen eines transnationalen islamistischen Terrorismus einzuordnen? Die Herausbildung islamistischer Bewegungen Im Gegensatz zur islamischen Religion, die im siebten Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel entstand und der mehr als eine Milliarde Muslime angehören, stellt der Islamismus eine politische Ideologie der Gegenwart dar. Islamismus bezeichnet den Versuch einzelner Gruppen, den "Islam" zu ideologisieren und ein als "islamisch" deklariertes Herrschaftssystem zu errichten. Islamisten verkörpern weder per se eine anti-modernistische, rückwärtsgewandte Bewegung, noch rekrutieren sie sich mehrheitlich aus Modernisierungsverlierern. Vielmehr bilden sie eine breite, bis in die Mitte der Gesellschaft reichende Strömung. Ihnen geht es darum, den Islam zur Grundlage und Richtschnur allen Denkens und Handelns zu machen und Politik und Gesellschaft auf den Islam - 140 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 so wie sie ihn verstehen - zu gründen. Der Islamismus stellt kein einheitliches Konzept dar, sondern umfasst höchst unterschiedliche Vorstellungen, die wiederum von den divergierenden historischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Herkunftsländer bestimmt sind. Insofern gibt es weder einen "Einheits-Islamismus" noch eine "islamistische Internationale". Richtiger ist es, von islamistischen Bewegungen und Grundzügen islamistischer Ideologie zu sprechen. Historisch geht islamistisches Denken auf die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zurück. Angesichts des Bedeutungsverlusts, den die islamische Religion in der muslimischen Welt infolge der Kolonisierung erlitten hatte, hatten sich religiöse Reformer für die Erneuerung von Religion und Gesellschaft durch die "Rückkehr zu den reinen Ursprüngen des Islam" ausgesprochen. Reform und Erneuerung des Islam sowie anti-koloniale - und damit auch anti-westliche - Motive bestimmten in der Folge das Entstehen islamistischer Bewegungen - so etwa der 1928 in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft (). Große Anziehungskraft entfaltete islamistisches Denken nach dem Zweiten Weltkrieg, als in den dann unabhängigen arabischen Nationalstaaten nacheinander die Konzepte des Nationalismus, des Pan-Arabismus und des Sozialismus scheiterten. Ab den späten 70er Jahren gelang es Islamisten, dieses entstandene ideologische Vakuum zu füllen und den "Islam" als ein alternatives politisches und gesellschaftliches Modell zu präsentieren. Gefördert wurde das Erstarken islamistischer Bewegungen durch die iranische Revolution 1979. In der Folge etablierte sich der Iran als ein staatlicher Träger islamistischer Ideologie und suchte diese neue Weltanschauung durch den Export seiner Revolution zu verbreiten. Seit Ende der 70er Jahre wurden islamistische Bewegungen auch von Saudi-Arabien unterstützt, das finanziell und ideologisch die Ausbreitung einer nicht minder fundamentalistischen islamischen Strömung, des Wahhabismus, über seine Landesgrenzen hinaus verfolgte. Eine entscheidende Rolle - insbesondere für die Herausbildung des Phänomens des islamistischen Terrorismus - spielte auch die Tatsache, dass ab 1979 Kämpfer (Mujahidin) in Afghanistan Krieg gegen die sowjetische Besatzung führten, der zehn Jahre später mit dem Rückzug der sowjetischen Truppen endete. Diese regionalpolitischen Entwicklungen erleichterten es Islamisten in den 80er Jahren, die scheinbare Überlegenheit eines "islamischen" Gesellschaftssystems gegenüber dem kapitalistischen und sozialistischen Gesellschaftssystem zu propagieren. Hierzu prägten sie vor allem das Schlagwort "Der Islam ist die Lösung". Hintergrundinformationen 141 Ideologische Grundzüge des Islamismus Wichtigstes gemeinsames Kennzeichen islamistischer Ideologie ist der Anspruch, dass der Islam stets zugleich "Religion" und "Politik" verkörpert habe - ein Anspruch, den die Islamisten als eine für die islamische Geschichte geltende historische Tatsache darstellen. Die Behauptung, dass es sich beim Islam um eine unteilbare Einheit von Religion und Politik handele, ist allerdings ein nicht mehr als 100 Jahre altes Ideologem. Islamisten verstehen Religion nicht als Glaube und Ethik, sondern als vollkommene Lebensform und Weltanschauung. So propagierte etwa der Chefideologe der pakistanischen "Jamaat-i Islami"Partei, Abul Ala AL-MAUDUDI (1903 - 1979), eine "Ordnung des Islam" (nizam al-islam), die alle Lebensbereiche zu regeln imstande sei und die es anzuwenden gelte. Methodisch orientieren sich Islamisten bevorzugt am Wortlaut des Koran, den sie als ein "für alle Orte und Zeiten gültiges Gesetz" betrachten, und an der Sunna, den in "Berichten" (Hadithen) schriftlich festgehaltenen Worten und Taten des Propheten Muhammad. Beide, Koran und Sunna, haben nach islamistischer Auffassung eine Vorbildfunktion für politisches Handeln in einem künftigen "islamischen Staat". Islamisten idealisieren das erste muslimische Staatswesen, die vor 1 400 Jahren gegründete "Gemeinde von Medina" sowie die Periode der "Vier Rechtgeleiteten Kalifen", die als direkte Nachfolger (Kalifen) des Propheten Muhammad eine "gerechte Kalifatsherrschaft" ausgeübt haben. Ein Idealbild haben Islamisten auch von der Scharia, die sie nicht allein als ein Recht betrachten, sondern als ein politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip. Mit dem Schlagwort der "Anwendung der Scharia" ("tatbiq ash-sharia") plädieren sie für eine vollständige Umsetzung der Bestimmungen des islamischen Rechts. Islamisten sind davon überzeugt, dass das islamische Recht lediglich angewandt werden müsse, um sämtliche politischen und sozialen Probleme zu bewältigen. Konkret betrachtet beinhaltet ihre Forderung nach "Anwendung der Scharia" allerdings nur die Anwendung islamischer Strafrechtsbestimmungen und Elemente einer "islamischen Wirtschaftsordnung". Auffällig ist der Versuch von Islamisten, politische Herrschaft mit vermeintlich religiösen Grundlagen zu legitimieren. So ist bei ihnen häufig von der "Gottesherrschaft" (hakimiyat Allah) die Rede, die impliziert, dass politische Herrschaft nicht den Menschen zustehe. Diese Formel steht für das Ziel der Gründung eines religiösen "islamischen Staates", wobei unklar bleibt, wer darin zur politischen Führung befugt und wie dieser Staat zu organisieren sei. Das Konzept der "Gottesherrschaft" geht zurück auf Abul Ala AL-MAUDUDI und Sayyid QUTB (1906 - 1966), den 1966 hingerichteten Chefideologen der ägyptischen Muslim- 142 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 bruderschaft. Beide definierten die gesamte Welt, einschließlich des Westens und der islamischen Hemissphäre, als in einem Zustand der "heidnischen Unwissenheit" befindlich und forderten die Bekämpfung nicht-glaubenskonformer Muslime und so genannter "Ungläubiger" mit Hilfe des Jihad (Kampf). Den "Jihad um Gottes Willen" verstehen Islamisten nicht - wie in der klassischen islamischen Rechtstheorie definiert - als eine ausschließlich zum Zwecke der Verteidigung des Islam zulässige Methode. Der Jihad ist für sie vielmehr eine offensive und militante Aktionsform, die sie zudem zur individuellen Pflicht eines jeden Muslims erheben. Wie weit ein derartiges Verständnis des Jihad gehen kann, zeigte der von Usama BIN LADIN im Februar 1998 verfasste Aufruf der "Islamischen Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzzügler". Hierin hatte er u. a. die Tötung von Amerikanern zur individuellen Pflicht eines jeden Muslims erklärt und zugleich behauptet, sich in einem gerechten Verteidigungskampf gegen einen überlegenen Gegner zu befinden. Gemeinsam ist den islamistischen Bewegungen, dass sie die politischen Verhältnisse ihrer Heimatländer radikal in Frage stellen. Dies betrifft vor allem die Regierungen in Ägypten, Syrien, Jordanien, Algerien, Tunesien, Marokko, im Irak, sowie die Palästinensische Autonomiebehörde. Ziel der islamistischen Bewegungen ist es bis heute, die autokratischen Herrschaftssysteme in den muslimischen Ländern zu beseitigen, der islamischen Religion größeren Einfluss zu verschaffen und dort möglichst einen - wie auch immer gearteten - "islamischen Staat" zu errichten. Die Tatsache, dass die islamistischen Bewegungen eine gegen Monarchien, Militärdiktaturen und Einparteienherrschaften gerichtete Opposition darstellen, hat zur Konsequenz, dass die Regierungen dieser Staaten sie seit Jahrzehnten massiv bekämpfen; hierzu gehören auch langjährige Haftstrafen, die Anwendung von Folter und die Verhängung der Todesstrafe. Zusammen mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit finden sich bei Islamisten ferner heftige Polemiken gegen das Prinzip des Säkularismus, der Trennung von Religion und Staat. Die Polemiken sind vor allem gegen die herrschenden politischen Systeme der Herkunftsländer gerichtet, zielen aber auch gegen westliche Demokratiemodelle, die als vermeintlich "un-islamisch" abgelehnt werden. In dieser Hinsicht haben sich einige der islamistischen Gruppen nicht allein zu einer Bedrohung für die muslimischen Heimatländer, sondern auch für die internationale Staatengemeinschaft entwickelt. Dies gilt seit den Anschlägen vom 11. September 2001 im besonderen für den islamistischen Terrorismus, der sich einer ähnlichen Argumentation bedient. Den Boden für die zunehmende Militanz bereiten vor allem verbale Angriffe, die in der Mehrzahl gegen Israel und die USA gerichtet sind. Da hierbei selten zwischen staatlicher Politik und den Hintergrundinformationen 143 Bewohnern eines Landes differenziert wird, entwerfen einige islamistische Gruppierungen drastische Feindbilder von "Juden" und "Christen". Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Großteil des ideologischen Gemeinguts islamistischer Gruppierungen unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und der Menschenwürde ist. Die Unvereinbarkeit mit der Verfassung betrifft zum einen das Politikverständnis, das in der Forderung nach Schaffung einer "islamischen Ordnung" zum Ausdruck kommt und das die Errichtung eines religiösen Staates, die Anwendung des islamischen Rechts sowie den Anspruch auf Besitz einer absoluten Wahrheit umfasst. Dies gilt zum anderen für die gesellschaftspolitischen Vorstellungen - etwa in der Frage der Gleichberechtigung der Frau -, welche gleichfalls nicht mit unserem pluralistischen System vereinbar sind. 144 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 2 Rechtsextremismus 2.1 Parteien "Deutsche Volksunion" (DVU) Ideologie: rechtsextremistisch Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: 1987 Mitgliederzahl: 13 000 bundesweit (2001: 15 000) 620 in Berlin (2001: 600) Sitz: München Publikationen: "National-Zeitung/Deutsche Wochenzeitung" (NZ) (überregional, wöchentlich, Auflage: 44 000 Herausgeber: Dr. Gerhard FREY) Die "Deutsche Volksunion" (DVU) wurde 1987 auf Initiative des Münchner Geschäftsmannes und Verlegers Dr. Gerhard FREY mit Unterstützung der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" ( NPD) als "Deutsche Volksunion - Liste D" gegründet. 1991 vollzog FREY mit der Streichung des Namensbestandteils "Liste D" die Trennung von der NPD. Das Organisationsgeflecht rund um die DVU umfasst den 1971 gegründeten Verein DVU e. V. sowie die drei so genannten Aktionsgemeinschaften "Initiative für Ausländerbegrenzung" (I.f.A.), "Ehrenbund Rudel" und "Aktion Oder-Neiße" (AKON). Darüber hinaus betreibt FREY den "DSZ Druckschriftenund Zeitungs-Verlag GmbH" (DSZ-Verlag) mit der "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) und den "FZ Freiheitlicher Buchund Zeitschriften-Verlag GmbH" (FZ-Verlag) als Buchund Devotionalienversand. Die DVU ist mit 16 Landesverbänden, darunter der Landesverband Berlin, im gesamten Bundesgebiet vertreten. In ihrem Parteiprogramm bekennt sich die DVU formal zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. In der praktischen Arbeit der Partei spielt das Programm allerdings kaum eine Rolle. Deutlicher wird ihr politisch-ideologischer Standpunkt in der Agitation der NZ. Die NZ ist die auflagenstärkste rechtsextremistische Wochenzeitung in Deutschland. Da FREY der Herausgeber und gleichzeitig Bundesvorsitzender der DVU ist, kann sie als Presseorgan der Partei bezeichnet werden. Hauptthema der NZ ist die revisionistische Kritik an einer angeblich einseitigen Vergangenheitsbewältigung. Die Verbrechen der Nationalsozialisten und insbesondere die Ermordung der Juden werden zwar als historische Tatsachen nicht geleugnet, jedoch wird der Holocaust relativiert, die deutsche Kriegsschuld bestritten und die Berechtigung von Wiedergutmachungsforderungen angezweifelt. Zu diesem Zweck wird zum Beispiel in der NZ Hintergrundinformationen 145 unter dem Titel "Auschwitz: Die Wahrheit" die Frage nach der Anzahl der Holocaust-Opfer gestellt: "Es ist für die Verurteilung der entsetzlichen Untaten, die dort geschahen, egal. Der Unterschied: Bei vielen Millionen Opfern liegt die Annahme, dass es einen gewaltigen Kreis von Mitwissern und Mittätern gegeben hat, sehr viel näher als bei 0,5 Millionen. Es ist also belangreich für die Frage, ob und inwieweit [...] mitschuldig zu sprechen sind."175 Darüber hinaus ist die einseitige und verzerrende Berichterstattung von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, Angriffen auf das Demokratieprinzip und die Repräsentanten des demokratischen Rechtsstaats geprägt. So wird Demokraten ein politisches Vorgehen vergleichbar den Methoden der Staatssicherheit der DDR unterstellt: "Man bedient sich Möllemanns oder Walsers, um beruflich vorwärts zu kommen oder um im Wahlkampf zu punkten. Vor allem aber, um eine vorzutäuschen. Denn längst ist auch in Deutschland eine Holocaust-Industrie entstanden, von der Parteien und unzählige Institutionen, ja selbst Teile der Medien abhängen und ihre Existenzberechtigung beziehen. Man gibt vor, sich um politisch korrekte Ideologie oder gar um die Rettung der Demokratie zu 176 bemühen. In Wirklichkeit stehen aber ökonomische Interessen dahinter." Die DVU ist die mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei in der Bundesrepublik Deutschland und wird von ihrem Vorsitzenden autokratisch geführt. Die Partei ist hochverschuldet und finanziell von dem privat vermögenden FREY abhängig. Die Bemühungen um eine Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Parteien scheitern immer wieder am Führungsanspruch FREYs. Ein Parteileben findet nur in geringem Umfang statt. Die Mitglieder beschränken sich im Wesentlichen auf das Lesen der NZ. Neben der Verbreitung der NZ und den vereinzelten Wahlteilnahmen ist die Partei im öffentlichen Raum kaum präsent. Die einzige öffentlichkeitswirksame Veranstaltung für Mitglieder und Sympathisanten der DVU stellt die jährliche "Großkundgebung der National-Freiheitlichen" in der Passauer Nibelungenhalle dar. Die Veranstaltung dient vor allem der Selbstdarstellung FREYs und der Vermittlung eines sinnstiftenden Gemeinschaftsgefühls. Ein wesentlicher Bestandteil der Kundgebung ist die Werbung für die eigenen Verlagserzeugnisse. Allerdings waren die Besucherzahlen in den letzten Jahren rückläufig. 2001 versammelten sich unter dem Motto "Wir sind stolz, Deutsche zu sein" nur noch ca. 1 200 Teilnehmer (2000: ca. 2 500 Teilnehmer). Im Jahr 2002 fiel die Veranstaltung erstmals seit 20 Jahren ohne Angabe von Gründen aus. 175 National-Zeitung Nr. 30, 19. Juli 2002 176 National-Zeitung Nr. 25, 14. Juni 2002 146 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Auch der Landesverband Berlin ist seit Jahren durch Stagnation der Mitgliederzahlen und Passivität der Parteiangehörigen geprägt. Bei Wahlen auf Landesebene tritt die Partei in loser Folge mit geringem Erfolg in den nordund ostdeutschen Bundesländern an. Politische Gestaltungserfolge konnten ihre Mandatsträger bislang nicht erzielen. Auf Weisung ihres Vorsitzenden nahm die DVU weder an den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin 2001 noch an der Bundestagswahl 2002 teil. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Ideologie: rechtsextremistisch Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: 1964 Mitgliederzahl: 6 100 bundesweit (2001: 6 500) 240 in Berlin (2001: 250), 190 in Brandenburg (2001: 200) Sitz: Berlin Publikationen: "Deutsche Stimme" (überregional, monatlich, Auflage: 10 000); "ZÜNDSTOFF - Deutsche Stimme für Berlin und Brandenburg" (vierteljährlich, Auflage: 200) Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) ging 1964 aus der rechtsextremistischen "Deutschen Reichspartei" (DRP) hervor. Der Vorsitzende der DRP, Adolf von THADDEN, war Initiator der NPD-Gründung und von 1967 bis 1971 deren Vorsitzender. Die NPD verfügt mit den "Jungen Nationaldemokraten" (JN) über eine Jugendorganisation mit einem gemeinsamen Landesverband Berlin-Brandenburg und einem Regionalverband Berlin. Darüber hinaus existiert der "Nationaldemokratische Hochschulbund e. V." (NHB) als Studentenvereinigung. Als Parteizeitung vertreibt die NPD die Monatsschrift "Deutsche Stimme" (DS). Das Mitteilungsblatt des gemeinsamen Landesverbands Berlin-Brandenburg erscheint vierteljährlich unter der Bezeichnung "Zündstoff - Deutsche Stimme für Berlin und Brandenburg". Die NPD ist im gesamten Bundesgebiet mit Landesverbänden vertreten. Die Bundesgeschäftsstelle befindet sich seit dem Jahr 2000 in Berlin. Die NPD vertritt fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Positionen und versteht sich als Fundamentalopposition zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Als "sozialrevolutionäre Erneuerungsbewegung" strebt sie in aggressiver Weise die grundsätzliche Neuordnung des Staatsaufbaus an. Ziel ist die Beseitigung des derzeitigen politischen Systems und die Errichtung eines "neuen deutschen Reichs": "Der NPD ist die ehrenvolle Aufgabe zugefallen, im Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht die Stimme des von den Siegermächten handlungs- Hintergrundinformationen 147 unfähig gemachten Deutschen Reiches zu erheben. [...] Die Botschaft ist: Das Deutsche Reich lebt!".177 Die NPD richtet sich gegen die "Systemparteien" als Träger der rechtsstaatlichen Ordnung und gegen demokratische Prinzipien wie den Pluralismus. Sie agitiert auf der Grundlage eines anti-individualistischen Menschenbildes und eines völkischen Kollektivismus. Freiheitsund Gleichheitsrechte lehnt die NPD mit dem Hinweis auf die Gefahr der "Umvolkung" Deutschlands (gemeint ist die Verdrängung der deutschen Wohnbevölkerung durch den Zuzug ausländischer Mitbürger) ab. Das Ziel der NPD ist die Schaffung einer "ethnisch homogenen Volksgemeinschaft": "Wenn die Politik der Kartellparteien ihr Ziel erreicht hat und die Bevölkerung der BRD ein zusammengestückeltes, wirres Sammelsurium von egoistischen Individuen ist, die kein natürliches Zusammengehörigkeitsgefühl mehr verbindet, [...] können sie folglich keine gemeinsamen Werte entwickeln und keine Gemeinschaft mehr bilden. Dann ist das Endstadium der Gemeinschaftszerstörung und der Entkulturalisierung erreicht."178 Eine Wesensverwandtschaft ihrer Positionen mit der nationalsozialistischen Ideologie und eine Verharmlosung ihrer menschenverachtenden Folgen wird in der Wahl der Begriffe deutlich. Hinzu kommt die Heroisierung führender Repräsentanten und Institutionen des NS-Regimes. So berichtet die DS anlässlich der Demonstration zum 15. Todestag von Rudolf HESS in Wunsiedel über eine Ansprache des stellvertretenden NPD-Vorsitzenden Holger APFEL: "Es sei ein beeindruckendes Signal, wenn alljährlich Tausende junger Nationalisten eines Mannes gedenken, der in unabhängiger Liebe für sein Vaterland sein Leben aufs Spiel setzte, in menschenverachtender Gefangenschaft unermessliches erleiden musste und wie kein anderer für die Standhaftigkeit und Furchtlosigkeit vor dem Feind heute in der Ahnengalerie der Deutschen steht."179 Wenige Jahre nach ihrer Gründung verzeichnete die NPD mit dem Einzug in mehrere Landesparlamente ihre ersten Erfolge. Ihren Höhepunkt erlebte die NPD im Jahr 1969, als sie bei der Bundestagswahl mit 4,3 % der Stimmen nur knapp den Einzug in den Deutschen Bundestag verpasste. Danach kam es aufgrund innerparteilicher Querelen zu einem Bedeutungsverlust der Partei. Der seit 1996 amtierende Parteivorsitzende Udo VOIGT versucht mit einem "Drei-Säulen-Konzept" eine strategische Neuausrichtung und Wiederbelebung der Partei zu erreichen.180 Danach konzentriert sich die Arbeit der Partei auf drei 177 Horst Mahler, Die Partei in der Verantwortung für das Deutsche Reich, 2. August 2002 178 Bundeswahlprogramm 2002 der NPD, S. 7 179 Deutsche Stimme Nr. 9, September 2002 180 vgl. Holger Apfel, 35 Jahre NPD - Alles Große steht im Sturm. Tradition und Zukunft einer großen Partei, Stuttgart 1999 148 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 strategische Ebenen: den "Kampf um die Straße", den "Kampf um die Köpfe" und den "Kampf um die Parlamente". Das Konzept formuliert das Ziel, die NPD nicht nur als Wahlpartei zu etablieren ("Kampf um die Parlamente"), sondern auch Einfluss auf intellektuelle Diskurse zu nehmen ("Kampf um die Köpfe") und durch provokante Aktionen und Demonstrationen die Basis ihrer Anhängerschaft zu verbreitern ("Kampf um die Straße"). Der forcierte "Kampf um die Straße" führte in den letzten Jahren zu einer Öffnung der Partei. Um ihre Präsenz in der Öffentlichkeit zu erhöhen und politischen Druck auszuüben, sucht die NPD den Anschluss an den parteiungebundenen, aktionsorientierten Rechtsextremismus. Während der aktionsorientierte Rechtsextremismus für die NPD ein Mobilisierungspotenzial darstellt, bietet die NPD der Szene unter dem Dach des Parteienprivilegs eine Plattform für ihre politisch-ideologische Arbeit. Zur Rekrutierung neuer Mitglieder griff die NPD in der Vergangenheit auch auf die JN als größte rechtsextremistische Jugendorganisation in der Bundesrepublik Deutschland zurück. Im Zuge des Öffnungsprozesses der Gesamtpartei verloren die JN jedoch an Bedeutung und orientierten sich zunehmend an der Mutterpartei. Eigenständige Aktivitäten der JN sind kaum noch zu verzeichnen. Die JN beschränkten sich vorwiegend auf die unregelmäßige Herausgabe der Publikation "Jugend-wacht - Die Zeitschrift für die nationalistische Jugendbewegung". Mit dem "Drei-Säulen-Konzept" konnte die NPD einerseits insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern kurzfristig neue, überwiegend jüngere Mitglieder gewinnen. Andererseits war mit der konzeptionellen Neuausrichtung auch eine Radikalisierung der Partei verbunden, die im Jahr 2000 zu einem Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht führte. Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im Jahr 2001 erreichte die NPD 0,9 % der gültigen Zweitstimmen (1999: 0,8 %). "Die Republikaner" (REP) Ideologie: rechtsextremistisch Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: 1983; Landesverband Berlin 1987 Mitgliederzahl: 9 000 bundesweit (2001: 11 500) 630 in Berlin (2001: 600) Sitz: Berlin Publikationen: "Der Republikaner" (überregional, monatlich, Auflage: 12 000) Die Partei "Die Republikaner" (REP) wurde 1983 in München von den ehemaligen CSU-Bundestagsabgeordneten Franz HANDLOS und Ekkehard VOIGT sowie dem Fernsehjournalisten Franz SCHÖNHUBER gegründet. SCHÖN- Hintergrundinformationen 149 HUBER hatte den Parteivorsitz bis 1994 inne. Nach innerparteilichen Auseinandersetzungen aufgrund seiner Kontakte zum Vorsitzenden der "Deutschen Volksunion" ( DVU) Dr. Gerhard FREY und der damit verbundenen Aufgabe der Abgrenzungsstrategie zu anderen rechtsextremistischen Parteien trat er 1995 aus der Partei aus. Seit 1994 bekleidet der Rechtsanwalt Dr. Rolf SCHLIERER das Amt des Parteivorsitzenden. Die REP unterhalten mehrere zielgruppenorientierte Unterorganisationen, die 2002 allerdings keine nennenswerten Aktivitäten entfalteten: die "Republikanische Jugend" (RJ), den "Republikanischen Bund der Frauen" (RBF), den "Republikanischen Bund der öffentlich Bediensteten" (RepBB) sowie den "Republikanischen Hochschulverband" (RHV). Bundesweites Presseorgan der Partei ist die monatlich erscheinende Zeitung "Der Republikaner". Die REP sind in allen Bundesländern mit einem Landesverband präsent, so auch in Berlin. Unter ihrem Vorsitzenden SCHLIERER sind die REP bemüht, sich das Profil einer rechtskonservativen, oppositionellen Kraft innerhalb des demokratischen Parteienspektrums zu geben. Trotz des formalen Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung handelt es sich bei den REP um eine rechtsextremistische Partei. Die verfassungsfeindlichen Tendenzen ergeben sich insbesondere aus ihrer fremdenfeindlichen Ausrichtung. Die REP sprechen unter Missachtung zentraler Verfassungsgrundsätze Ausländern und Menschen nicht weißer Hautfarbe das gleichwertige Lebensrecht in der staatlichen Lebensgemeinschaft ab und behandeln sie als minderwertige Wesen.181 Die Partei schürt so Überfremdungsängste und baut Bedrohungsszenarien auf. Für gesellschaftliche und soziale Missstände werden pauschal die ausländischen Mitbürger verantwortlich gemacht und der "Untergang Deutschlands" wird als zwangsläufige Folge der Überfremdung prophezeit.182 Die REP sind nach der DVU die zweitgrößte rechtsextremistische Partei in der Bundesrepublik Deutschland. Der Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit liegt in Süddeutschland, insbesondere in Baden-Württemberg. Dort waren sie von 1992 bis 2001 im Landtag vertreten. Ihre größten Erfolge verzeichneten die REP 1989 bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus (7,5 %) und zum Europaparlament (7,1 %). Seit dem Ausscheiden SCHÖNHUBERs Mitte der 90er Jahre prägen zahlreiche Wahlniederlagen und interne Streitigkeiten das Bild der REP. 181 vgl. VG Bln Beschluss vom 28. Juni 2001 182 vgl. "Der Republikaner", Nr. 7 - 8/2002 150 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Eine wichtige Konfliktlinie ist die Frage der Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Parteien. Die Parteiaustritte der im Machtkampf unterlegenen Gruppierungen lähmen die Fortentwicklung der REP. Neben ihren Veranstaltungen in Wahlkämpfen treten sie kaum öffentlich in Erscheinung. Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im Jahr 2001 erzielte die Partei 1,3 % der Zweitstimmen; bei der Bundestagswahl am 22. September 2002 lediglich 0,6 %. 2.2 Aktionsorientierter Rechtsextremismus "Aktionsbüro Mitteldeutschland - Nationaler Widerstand Berlin / Brandenburg" Das "Aktionsbüro Mitteldeutschland - Nationaler Widerstand Berlin/Brandenburg" versteht sich als Informationsportal und Sprachrohr der neonazistischen Kameradschaftsszene in Berlin und Brandenburg ( Kameradschaften). Auf der Web-Seite des Aktionsbüros werden Termine und Aktionsberichte rechtsextremistischer Veranstaltungen veröffentlicht. Darüber hinaus wird in Pressemitteilungen und Propagandaschriften das neonazistische Weltbild der Betreiber transportiert. Darin wird hauptsächlich zu szene-internen Ereignissen und aktuellen politischen Themen Stellung bezogen. Durch Layout und Wortwahl soll der Eindruck erweckt werden, hinter dem "Aktionsbüro Mitteldeutschland" stehe ein größerer Personenkreis. Mit Ausnahme des Internets tritt diese Gruppierung öffentlich nicht in Erscheinung. "Anti-Antifa" Die als Reaktion auf die linksextremistische "Antifa"183 entstandene Bewegung der "Anti-Antifa" rekrutiert ihre Aktivisten aus dem gewaltbereiten, ideologisch gefestigten Personenkreis des aktionsorientierten Rechtsextremismus. Die "AntiAntifa"-Aktivisten sind bestrebt, Informationen und persönliche Daten über Personen, die sie als politische Gegner ansehen, zu sammeln und im Internet oder in Publikationen zu veröffentlichen. Zu diesem Personenkreis gehören Repräsentanten des Staates (wie Politiker, Polizeibeamte, Richter, Staatsanwälte), Repräsentanten jüdischer Organisationen sowie Personen, die durch ihr Verhalten von den Neonazis als "Linke" wahrgenommen werden. Diese Veröffentlichungen sollen den politischen Gegner verunsichern und eine Drohkulisse aufbauen. 183 siehe auch S. 50 ff. Hintergrundinformationen 151 In Umkehrung der Realität wird die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland als Diktatur und "Unrechtsregime" verunglimpft, in der nationalsozialistische Meinungen und Handlungen unterdrückt würden. Diese Sichtweise dient den Neonazis zur Rechtfertigung von Gewaltanwendung ( Neonazis). "Blood & Honour" (B&H) Die in Deutschland verbotene neonazistische Skinhead-Organisation "Blood & Honour" ist neben den "Hammerskins" () eines der international agierenden rechtsextremistischen Skinhead-Netzwerke ( Skinheads). Gegründet wurde B&H 1986 von Ian Stuart DONALDSON in Großbritannien und etablierte sich im Laufe der 90er Jahre in vielen europäischen Ländern und den USA. Dem B&HNetzwerk gehörten bundesweit rund 200 Personen an, die sich in 15 Sektionen organisierten. Die Sektion Berlin bestand aus ca. 30 fest eingebundenen Mitgliedern, das Aktivierungspotenzial der Organisation lag jedoch deutlich höher. B&H wird in Szenekreisen mit der Zahl "28" abgekürzt (nach dem zweiten und achten Buchstaben des Alphabets). B&H begreift sich ausdrücklich als neonazistische Organisation und ist Kommunikationsplattform ideologisch gefestigter, rechtsextremistischer Skinheads. Ziel der Organisation ist die Verbesserung der szene-internen Kommunikation sowie die Verbreitung der rechtsextremistischen Ideologie über das Medium der Musik. Im Gegensatz zu den Parteien wurde die Organisation von der rechtsextremistischen Skinhead-Szene als authentisch akzeptiert und gewann vor allem durch die Veranstaltung von Konzerten und die Produktion rechtsextremistischer CDs an Bedeutung. Da sich die Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtet, verbot der Bundesminister des Innern die Organisation im September 2000. B&H ist im Ausland weiterhin aktiv. "Hammerskins" (HS) Ideologie: rassistisch, z. T. neonazistisch Organisationsstruktur: Divisionen, Sektionen, Chapter Entstehung/Gründung: in Deutschland seit 1995 Mitgliederzahl: 100 bundesweit (2001: 100) 15 in Berlin (2001: 15) Sitz: bundesweit Die "Hammerskins" (HS) sind neben "Blood & Honour" () die zweite international tätige rechtsextremistische Skinhead-Organisation ( Skinheads). 152 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Die HS wurden Mitte der 80er Jahre als neonazistische "Elite"-Organisation in den USA gegründet. Die Bemühungen um eine länderübergreifende Zusammenarbeit leiten sich aus einem rassistischen Weltbild ab: Ziel der HS ist die Vereinigung aller weißen Skinheads über Ländergrenzen hinweg in einer "Hammerskin-Nation". In Deutschland bildeten sich ab etwa Mitte der 90er Jahre regionale Zusammenschlüsse ("Sektionen"). Aufgrund der mangelnden Organisationsstrukturen und dem Fehlen einer Führungspersönlichkeit in ihren Reihen konnten die HS aber weder in Konkurrenz zu B&H treten noch ihr Selbstbild als Elite der rechtsextremistischen Skinhead-Szene durchsetzen. Die Berliner Sektion gründete sich 1994. Sie umfasste in der Folgezeit bei geringer Fluktuation nie mehr als 30 Mitglieder und entwickelte keine nennenswerte Außenwirkung. Das Symbol der HS sind zwei gekreuzte Zimmermannshämmer, die auf die Wurzeln der Skinhead-Subkultur im Arbeitermilieu hinweisen und dessen Kraft und Stärke symbolisieren sollen. "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) Ideologie: neonazistisch Organisationsstruktur: Eingetragener Verein Entstehung/Gründung: 1979 Mitgliederzahl: 600 bundesweit (2001: 600) 45 in Berlin (2001: 45) Sitz: Frankfurt / Main Publikationen: "Nachrichten der HNG" (monatlich, Auflage: 600) Die HNG ist mit ca. 600 Personen bundesweit der mitgliederstärkste NeonaziZusammenschluss im aktionsorientierten Rechtsextremismus. In Berlin verfügt sie über ein Mitgliederpotenzial von rund 45 Personen. Sie bezeichnet sich als "Sammelbecken und Solidargemeinschaft" für Neonazis () aller politischen Gruppierungen aus Deutschland und dem nahen Ausland.184 Laut ihrer Satzung verfolgt sie "ausschließlich karikative Zwecke, indem sie nationale und politische Gefangene und deren Angehörige im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Mittel unterstützt".185 Ziel ist es tatsächlich aber auch, die Einbindung der Straftäter in die rechtsextremistische Szene während der Haftzeit zu gewährleisten und sie nach der Haftentlassung in dieses Spektrum nahtlos wieder einzufügen. Dafür nutzt die HNG ihre Publikation "Nachrichten der HNG". Darin sind regelmäßig Gefangenenlisten sowie eine Liste der inhaftierten Personen, die Briefkontakt 184 Nachrichten der HNG Nr. 130, S. 5 und Nr. 141, S. 10 185 SS 2 der Satzung der HNG vom 13. März 1999 Hintergrundinformationen 153 wünschen, abgedruckt. Auch Rechtsextremisten in Berliner Gefängnissen werden derzeit von der HNG ideell und materiell betreut. Die HNG ist mit einer eigenen Web-Seite im Internet vertreten. Es werden dort neben aktuellen Meldungen auch Gerichtsurteile und Termine veröffentlicht. Zudem sind die "Nachrichten der HNG" in elektronischer Version abrufbar. Kameradschaften Ideologie: neonazistisch Organisationsstruktur: lose Zusammenschlüsse Entstehung/Gründung: seit 1995 Mitgliederzahl: k. A. bundesweit (2001: 2 800) 40 in Berlin (2001: 60) Sitz: bundesweit 160 Kameradschaften, davon 4 in Berlin Publikationen: Flugblätter Kameradschaften (KS) sind Zusammenschlüsse von Neonazis () mit einer mindestens rudimentären Struktur und Selbstorganisation. Diese Gruppen sind hierarchisch gegliedert und bestehen in der Regel aus einem autoritär agierenden Kameradschaftsführer, einem Stellvertreter und meist jugendlichen Kameradschaftsmitgliedern, die sich regelmäßig zu so genannten Kameradschaftsabenden treffen. Maßgeblich für die Definition einer Gruppe als Kameradschaft ist die Bereitschaft zur gemeinsamen politischen Arbeit und die Verbreitung neonazistischen Gedankenguts. Dies geschieht durch die geschlossene Teilnahme an Demonstrationen, die Erstellung und Verbreitung von Flugblättern, die Pflege einer eigenen Web-Seite im Internet oder der Organisation politischer Schulungen. Einzelne Kameradschaftsmitglieder unterhalten Kontakte zur NPD oder der JN ( NPD). Durch die geschlossene Teilnahme an NPD-Demonstrationen unterstützen Kameradschaften den von der Partei propagierten "Kampf um die Straße". In Berlin gibt es derzeit vier Kameradschaften mit insgesamt ca. 40 Mitgliedern: "KS Hohenschönhausen", "KS Pankow", "KS Preußen" und "KS Tor Berlin". Kameradschaften und Neonazi-Cliquen sind fast ausschließlich in den östlichen Berliner Bezirken lokalisiert.186 Neonazi-Cliquen, die sich mitunter selbst als Kameradschaft bezeichnen, werden vom Verfassungsschutz nicht als Kameradschaften definiert, da bei ihnen der politisch-ideologischen Arbeit sekundäre Bedeutung zukommt. Im Vordergrund 186 siehe auch S. 25 ff. 154 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 stehen ein gemeinschaftliches Auftreten und gemeinsame Freizeitaktivitäten auf Basis einer neonazistischen Grundorientierung. Neonazis Neonationalsozialisten (Neonazis) orientieren sich ideologisch am historischen Phänomen des Nationalsozialismus (NS) der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP). Wie in der NSDAP sind auch in der Neonazi-Szene unterschiedliche ideologische Strömungen festzustellen. So gibt es Bezüge zum sozialrevolutionären Flügel innerhalb des NS und dem damit verbundenen Antikapitalismus Ernst RÖHMs und der Gebrüder STRASSER. Allen Versionen des Neonationalsozialismus gemeinsam ist die Glorifizierung der Führungspersonen des NS-Regimes und die Verharmlosung der NS-Verbrechen. Der Neonationalsozialismus ist wie die rechtsextremistische Skinhead-Szene () dem aktionsorientierten Rechtsextremismus zuzurechnen. Die ursprünglich subkulturell geprägte rechtsextremistische Skinhead-Szene und die "klassische" Neonazi-Szene, die u. a. an dem an NS-Uniformen orientierten Kleidungsstil erkennbar ist (braune oder weiße Hemden, schwarze Krawatten, breite Ledergürtel), vermischten sich in den letzten Jahren zunehmend.187 Nur ein Teil der Neonazi-Szene ist in festen Strukturen organisiert: Neonazistische Organisationen wie die so genannten Freien Kameradschaften () oder die HNG () binden in Berlin etwa ein Drittel der Neonazi-Szene an sich, zwei Drittel hingegen bewegen sich in losen Gruppierungen, die unregelmäßig an politischen Aktionen wie NPD-Demonstrationen ( NPD) teilnehmen. Rund 90 % der in Berlin bekannten Neonazis wohnen in östlichen Bezirken. Örtliche Schwerpunkte sind Marzahn, Hellersdorf, Lichtenberg, Treptow, Weißensee und Hohenschönhausen. Rechtsextremistische Musik Unter rechtsextremistischer Musik versteht man die Kombination rechtsextremistischer Texte mit verschiedenen Musikstilen (u. a. Rock/Hardrock, Liedermacher, Gothic, Dark Wave, Schlager, Rockabilly, Volkslieder).188 Die MusikSzene ist seit Mitte der 90er Jahre einer der dynamischsten Bereiche des 187 siehe auch S. 21 ff. 188 Oft verwendete Schlagwörter wie "Rechtsrock" oder "Skinhead-Musik" sind unpräzise, da sie entweder nur einen kleinen Teil rechtsextremistischer Musik bezeichnen (Rechtsrock) oder aber mit ihr nicht deckungsgleich sind. So spielen in der Skinhead-Subkultur Musikrichtungen wie Ska, 2Tone oder Oi!-Punk eine wichtige Rolle. Diese Musikstile werden in der Regel nicht mit rechtsextremistischen Texten versehen. Hintergrundinformationen 155 Rechtsextremismus.189 Im strukturarmen aktionsorientierten Rechtsextremismus stellt die Musik-Szene - und hier besonders die Konzerte - eine wichtige Kommunikationsplattform dar. Gleichzeitig bietet die Mitgliedschaft in einer Band die Möglichkeit, sich innerhalb der Szene zu profilieren - je menschenverachtender die Texte einer Band, desto größer das Ansehen unter den Szene-Angehörigen. Der Musikbereich erlangte auch finanzielle Bedeutung für den aktionsorientierten Rechtsextremismus. Seit Mitte der 90er Jahre etablierten sich professionelle Händler, welche die Szene mit Tonträgern und sonstigem Szenebedarf (vor allem Kleidung) versorgen. Berlin hat eine äußerst aktive rechtsextremistische Musikszene, die überregionale Bedeutung hat. Zu dieser Szene gehören unter anderem die Bands "Landser", "Deutsch Stolz Treue (D.S.T.)", "Spreegeschwader", "Legion of Thor" und "White Aryan Rebels (WAR)". Ihren Höhepunkt erreichte die Musikszene Mitte der 90er Jahre, bevor sie gegen Ende der 90er Jahre unter erheblichen Druck durch das Vorgehen der Sicherheitsbehörden geriet. Tonträger-Veröffentlichungen Berliner Bands 12 10 10 8 7 6 6 5 5 5 4 2 2 2 2 1 1 1 0 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 189 siehe auch S. 21 ff. 156 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Rechtsextremistische Konzerte in Berlin/Gesamtdeutschland 140 128 120 110 109 100 82 80 80 70 Bund 60 Berlin 40 35 k.A. 20 20 0 0 0 3 1 1 1 0 0 0 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Anmerkung: Die Zahl des Bundes für 2002 lag noch nicht vor. Quelle: Deutscher Bundestag, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS (Drucksache 123/8337, 2002): Rechtsextremistische Skinhead-Musik im Jahr 2001 (Drucksache 14/8474, 2002), S. 1 Eng mit dem Bedeutungszuwachs der Musikszene ist der Aufstieg der "Blood & Honour"-Organisation () verbunden. Strategisch denkende Köpfe wie der B&HGründer Ian Stuart DONALDSON versuchten, die Musik als Mittel der ideologischen Beeinflussung und Rekrutierung Außenstehender einzusetzen. Diese Strategie war nur begrenzt erfolgreich - eine Rekrutierung für die Szene erfolgt selten über das alleinige Hören rechtsextremistischer Musik. Für die Gewinnung Außenstehender ist der persönliche Kontakt mit der Szene, der auch auf Konzerten zustande kommt, wichtiger.190 Die Berliner Konzertszene kam in den letzten Jahren aufgrund des konsequenten Vorgehens der Berliner Sicherheitsbehörden weitgehend zum Erliegen. Skinheads Die Subkultur der Skinheads wird oft mit jugendlichem Rechtsextremismus gleichgesetzt. Dies ist eine unzutreffende Verkürzung, da die Skinheads zunächst eine jugendliche Subkultur wie die der Punks, Hippies oder Raver darstellen. Die Skinhead-Subkultur entstand in den 60er Jahren in Großbritannien und orientierte sich hinsichtlich ihrer Werte und ihres "Outfits" an der Arbeiter190 vgl. Rainer Dollase, Welche Wirkung hat der Rock von Rechts? In: Dieter Baacke / Klaus Farin / Jürgen Lauffer (Hg.), Rock von Rechts. Milieus, Hintergründe und Materialien, Bielefeld 1999, S. 106 - 117 Hintergrundinformationen 157 klasse. In Deutschland gibt es Skinheads seit Anfang der 80er Jahre, die größten Szenen entwickelten sich in Hamburg und Berlin. Erst im Laufe der Zeit driftete ein Teil der Skinhead-Szene in den Rechtsextremismus ab. Zum einen bestanden Abgrenzungsbestrebungen gegenüber den "linken" Punks, zum anderen bekam die Szene Zulauf aus dem neonazistischen Lager, nachdem die Skinheads aufgrund der Provokation mit rechtsextremistischen Zeichen in der Öffentlichkeit zum Symbol des Rechtsextremismus schlechthin wurden.191 Das Thema "Rechtsextremismus" spaltet die Skinhead-Szene. Viele Skinheads - wie zum Beispiel die sich selbst als unpolitisch bezeichnenden "Oi!-Skins" oder politisch links orientierte Skins ("Redskins") - wehren sich gegen die Vereinnahmung der Szene. Wissenschaftler schätzen, dass etwa zwischen 30 und 60 % der Skinhead-Szene rechtsextremistisch eingestellt sind.192 Es handelt sich dabei allerdings nicht ausschließlich um fanatisierte Neonationalsozialisten. Obwohl es auch überzeugte, ideologisch gefestigte rechtsextremistische Skinheads gibt (so genannte Neonazi-Skins), hat ein großer Teil nur ein diffuses rechtsextremistisches Weltbild. Rechtsextremistische Skinheads sind dem aktionsorientierten Rechtsextremismus zuzuordnen. Sie sind zum großen Teil organisationsfeindlich eingestellt und lehnen eine Einbindung in feste (Partei-)Strukturen ab. Versuche rechtsextremistischer Parteien, das Skinhead-Potenzial dauerhaft an sich zu binden (zum Beispiel durch die "Aktionsfront Nationaler Sozialisten" Anfang der 80er Jahre, die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" Mitte der 80er Jahre oder die "Nationale Alternative" Anfang der 90er Jahre), scheiterten. Den jüngsten Versuch machte die NPD mit ihrem "Drei-Säulen-Konzept" ( NPD). Im Gegensatz zu den Parteien, die von den rechtsextremistischen Skinheads überwiegend als szenefremd wahrgenommen werden, konnten sich in Deutschland seit Anfang der 90er Jahre zwei rechtsextremistische Skinhead-Organisationen etablieren: "Blood&Honour" () und die "Hammerskins" (). Die Sozialstruktur der rechtsextremistischen Skinhead-Szene ist von einer starken Dominanz junger Männer geprägt. Der Frauenanteil der Szene in Berlin liegt bei knapp 20 %. Die Berliner Skinheads rekrutieren sich zum überwiegenden Teil 191 vgl. Christian Menhorn, Skinheads: Portrait einer Subkultur, Baden Baden 2001, S. 149 ff. / siehe auch S. 24 192 Farin geht von ca. 30%, Menhorn von einem höheren Anteil aus (über 50%). Weltzer schätzt die Zahl in den alten Bundesländern auf 30 bis 50%, in den neuen Ländern liege der Anteil wesentlich höher. Vgl. Klaus Farin, Interview in: Jungle World 51 (17.12.1997); Jörg Weltzer, Skinheads, Nazi-Skins und rechte Subkultur. in: Jens Mecklenburg (Hg.): Handbuch Deutscher Rechtsextremismus. Berlin 1996, S. 782 - 791, hier S. 785. 158 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 aus den Jahrgängen 1968 bis 1982 (ca. 85 %). Besonders stark vertreten sind die heute 20 bis 28-jährigen - diese Altersgruppe macht mehr als die Hälfte aller rechtsextremistischen Skinheads aus (ca. 55 %). Entgegen einem verbreiteten Vorurteil entspricht das formale Bildungsniveau der (gesamten) Skinhead-Szene dem gesellschaftlichen Durchschnitt. Gleiches gilt für die Arbeitslosenquote - sie liegt in der deutschen Skinhead-Szene etwa bei 9 %.193 Den geografischen Schwerpunkt hat die rechtsextremistische Skinhead-Szene Berlins im Ostteil der Stadt (über 80 %). Besonders stark repräsentiert ist sie in den Stadtteilen Marzahn, Lichtenberg, Pankow, Hellersdorf und Köpenick. "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft" Ideologie: neonazistisch Organisationsstruktur: Gruppe Mitgliederzahl: 10 Entstehung/Gründung: 1982 Sitz: Berlin Die "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft"194 sind eine Gruppe ideologisch-gefestigter Neonazis (), die sich subkulturelle Codes der "Rocker" oder "Skinheads" () zu eigen machen. Die Gruppe wurde 1982 in Ost-Berlin gegründet und zählt derzeit ca. zehn feste Mitglieder. Im Zentrum ihrer Ideologie steht ein Germanenkult, verbunden mit einem sexistischen Frauenbild. Die Mitglieder der "Vandalen" sind äußerst gewaltbereit, stark waffeninteressiert und begehen seit Anfang der 90er Jahre regelmäßig Straftaten (u. a. Körperverletzungen und Propagandadelikte). Ein Mitglied der "Vandalen" wurde im Jahr 2000 wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Der Verurteilte versuchte, ein Präzisionsgewehr inklusive Schalldämpfer und Zielfernrohr mit passender Munition zu verkaufen. Gab es seit der Gründungsphase innerhalb der Gruppierung kaum Fluktuation, so ist aktuell eine Öffnungsund Rekrutierungsphase festzustellen. Vor allem ehemalige "Blood & Honour"-Aktivisten () gehören zum engen Umfeld der "Vandalen". Darüber hinaus unterhält die Gruppe weit reichende Kontakte zu zahlreichen rechtsextremistischen Organisationen, Parteien und Einzelpersonen im Inund Ausland. Die "Vandalen" üben derzeit innerhalb der neonazistischen 193 vgl. Helmut Heitmann, Die Skinhead-Studie, in: Klaus Farin (Hg.), Die Skins. Mythos und Realität, Berlin 1997, S. 69 - 95 194 siehe auch S. 25 Hintergrundinformationen 159 Szene Berlins eine Wortführerschaft aus. Zwei Personen dieser Gruppierung gehören der rechtsextremistischen Band "Landser" ( Rechtsextremistische Musik) an.195 2.3 Intellektueller Rechtsextremismus "Deutsches Kolleg" (DK) Ideologie: rechtsextremistisch Organisationsstruktur: Funktionärsgruppe Mitgliederzahl: Einzelpersonen Entstehung/Gründung: 1994 Sitz: Kontaktadresse Würzburg Das "Deutsche Kolleg" (DK) ist ein 1994 ins Leben gerufener Theoriezirkel mit konzeptionellem, pädagogischem und programmatischem Anspruch. Führende Protagonisten sind Dr. Reinhold OBERLERCHER, Horst MAHLER sowie Uwe MEENEN. Die politischen Werdegänge OBERLERCHERs und MAHLERs weisen einen gemeinsamen Ursprung in der 68er-Bewegung auf. OBERLERCHER begann seine politische Laufbahn im "Sozialistischen Deutschen Studentenbund" (SDS), MAHLER war Mitglied der "Roten Armee Fraktion" (RAF). Beide haben seitdem einen radikalen weltanschaulichen Wandel vollzogen. MAHLER ist einer der Prozessbevollmächtigten im NPD-Verbotsverfahren196. Auf seiner Web-Seite bezeichnet sich das DK als "geistige Verbindung reichstreuer Deutscher und reichstreuer Schutzgenossen des deutschen Volkes" sowie als "Denkorgan des Deutschen Reiches". Es sieht seine Aufgabe darin, einen Beitrag zur "Wiederherstellung der vollen Handlungsfähigkeit des Deutschen Volkes als Deutsches Reich" zu leisten. Durch die gegenwärtigen politischen Machtverhältnisse sieht das DK die Souveränität Deutschlands suspendiert. Es lehnt daher das politische System der Bundesrepublik ab und bekennt sich inhaltlich zur Reichsidee in der Tradition des "Dritten Reichs". Die Ablehnung der fundamentalen Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird durch das Vorlegen eines "Aufstandsplans für das Deutsche Volk", einer "Verfassung des Vierten Reiches" sowie zahlreicher einzelgesetzlicher Entwürfe dokumentiert. Darin kommen verschwörungstheoretische, rassistische und antisemitische Positionen zum Ausdruck. In einer "Terrorwarnung!" vom 10. Juli 2002 beschreiben MAHLER, OBERLERCHER und MEENEN auf ihrer Web-Seite das Ergebnis des "III. Weltkrieges", der mit dem 11. September 2001 begonnen habe: "Zur Absicherung der Kredite wird eine von Bankjuden dominierte 195 siehe auch S. 21 ff. 196 siehe auch S. 17 ff. 160 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Weltregierung eingesetzt. Erst dann wird das eigentliche Ziel erreicht sein: die unangefochtene jüdische Weltherrschaft." Das DK ist bemüht, durch seine Schulungstätigkeit Einfluss auf den öffentlichen politischen Diskurs sowie andere rechtsextremistische Organisationen und Einzelpersonen zu gewinnen. Das Internet ist dabei der wichtigste Kommunikationskanal des DKs. Daneben finden einzelne Vortragsveranstaltungen und Tagungen statt. "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" Ideologie: Neue Rechte Sitz: Nation Europa Verlag GmbH, Coburg Herausgeber: Peter DEHOUST Auflage: überregional, monatlich 14 500 (2001: 14 500) Die Zeitschrift "Nation & Europa" wurde 1951 von dem ehemaligen SS-Sturmbannführer Arthur EHRHARDT gegründet. Sie erschien unter wechselnden Titeln, zuletzt bis 1990 als "Nation Europa - Deutsche Rundschau". Herausgegeben wird die Zeitschrift monatlich (gelegentlich zweimonatlich) von Peter DEHOUST. DEHOUST war Funktionär der NPD (), der "Gesellschaft für freie Publizistik" (GfP) und der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH). Zur Redaktionsgemeinschaft gehört außerdem Harald NEUBAUER. NEUBAUER trat als Funktionär der NPD (), als Redakteur im DSZ-Verlag Gerhard FREYs ( DVU), als Funktionär der Partei "Die Republikaner" ( REP) und der DLVH in Erscheinung. Zeitweilig trat auch Adolf von THADDEN (Vorsitzender der NPD von 1967 - 1971) als Mitherausgeber auf. Der zugehörigen "Nation Europa Verlags GmbH" ist ein Versandbuchhandel mit einem umfangreichen Angebot rechtsextremistischer Literatur angegliedert. "Nation & Europa" versteht sich als überparteiliches Theorieund Strategieorgan. Laut ihrer Web-Seite ergreift die Zeitschrift allerdings Partei "[f]ür ein einiges Deutschland in einem Europa freier Völker und für den Nationalstaat als bewährtes Ordnungsprinzip." Sie agitiert gegen einen "EU-Vielvölkerstaat", den "Ausverkauf nationaler Lebensinteressen" und die "multikulturelle Zerstörung der Volksidentität durch Masseneinwanderung und Asylmissbrauch". Sie besetzt damit klassische rechtsextremistische Themenfelder und verbreitet Überfremdungsängste im Zusammenhang mit der europäischen Einigung und der Globalisierung. Die Zeitschrift bemüht sich um eine intellektuelle Vernetzung europäischer Rechtsextremisten. Dazu stellt sie inund ausländischen Repräsentanten des Rechtsextremismus ein Diskussionsforum und eine Plattform zur Verbreitung Hintergrundinformationen 161 ihres ideologischen Gedankenguts bereit. Die weitreichenden Verbindungen und die organisationsübergreifende Bedeutung der Zeitschrift wird an den Gastbeiträgen inund ausländischer Autoren deutlich. "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei - Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO) Ideologie: neonazistisch Organisationsstruktur: unabhängige Stützpunkte Entstehung/Gründung: 1976 Mitgliederzahl: k. A. bundesweit, Einzelmitglieder in Berlin Sitz: Lincoln, Nebraska (USA) Publikationen: "NS-Kampfruf" (alle zwei Monate) Die "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei - Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO) wurde 1972 vom Deutsch-Amerikaner Gary Rex (Gerhard) LAUCK (wohnhaft in Lincoln/Nebraska) gegründet. Die NSDAP/AO ist keine Parteiorganisation im klassischen Sinne, sondern beschränkt sich hauptsächlich auf den Vertrieb von NS-Propaganda-Material. Eine feste Mitgliedschaft gibt es ebenso wenig wie Parteiorgane. Insbesondere die seit 1973 verbreitete Publikation "NS-Kampfruf" sowie NS-Flugblätter und Hakenkreuz-Aufkleber werden immer wieder nach Deutschland geschleust. Die Herstellung und Verbreitung dieser Propaganda-Materialien ist in den USA - im Gegensatz zu Deutschland - nicht strafbar. Die NSDAP/AO bezeichnet den Einsatz von Gewalt als eine legitime Methode zur Erreichung politischer Ziele.197 Das politische Ziel ist die "Schaffung eines nationalsozialistischen Staates in einem freien, souveränen und neuvereinigten Großdeutschen Reich und die Errichtung einer Neuen Ordnung auf einer rassischen Grundlage in der ganzen arischen Welt."198 Revisionismus Revisionismus ist eine Sammelbezeichnung für "politisch motivierte Umdeutungen durch einseitige, leugnende, relativierende oder verharmlosende Darstellungen der Zeit des Dritten Reiches".199 Revisionisten benutzen pseudowissenschaftliche Argumente, um ihre rechtsextremistischen Positionen zu rechtfertigen und moralisch zu entlasten. Typische Argumente der Revisionisten sind: 197 so auf der Web-Seite der Organisation 198 ebenda 199 Armin Pfahl-Traughber, Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, 2. Aufl. München 2000, S. 47 162 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 * die Leugnung der Kriegsschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg, * die Umdeutung des Angriffskrieges Adolf HITLERs gegen die Sowjetunion als notwendigen Präventivkrieg gegen die "bolschewistische Expansion", * die Leugnung der Existenz oder des Umfangs des Holocausts, * das "Aufrechnen" der NS-Verbrechen mit den alliierten Bombenangriffen gegen deutsche Städte oder den Vertreibungen von "Volksdeutschen" nach Ende des Zweiten Weltkrieges, * die Betonung vermeintlich positiver Leistungen des NS-Regimes ("AutobahnBau", "Arbeitslosigkeit gesenkt") oder die Argumentation, der Nationalsozialismus sei eigentlich eine gute Idee gewesen, die nur schlecht ausgeführt worden sei. Die Veröffentlichung revisionistischer Literatur setzte in den 50er Jahren ein. Bekannt wurden Autoren wie Peter KLEIST ("Auch Du warst dabei"), David HOGGAN ("Der erzwungene Krieg. Die Ursachen und Urheber des Zweiten Weltkriegs") und Udo WALENDY ("Wahrheit für Deutschland. Die Schuldfrage des zweiten Weltkriegs"). Der Revisionismus ist kein Phänomen, das auf Deutschland beschränkt ist, sondern spielt vor allem in den USA200 aber auch im europäischen Ausland eine Rolle.201 Da die Leugnung des Holocausts in Deutschland strafbar ist (SS 130 Abs. 3 StGB), agierten die Propagandisten der "Auschwitz-Lüge" vor allem vom Ausland aus, so bis zu seinem Tod Thies CHRISTOPHERSEN ("Die Auschwitz-Lüge") und Ernst ZÜNDEL. Von besonderer Bedeutung sind der "Leuchter-Report", der im Zusammenhang mit dem Prozess gegen den in Kanada lebenden ZÜNDEL auftauchte, und das "Rudolf-Gutachten" des deutschen Rechtsextremisten Germar RUDOLF. Hier wird mit pseudo-naturwissenschaftlichen Methoden versucht, die Massenermordungen in Auschwitz als technisch unmöglich darzustellen. 200 "Institute for Historical Review" in Kalifornien 201 "Vrij Historisch Onderzoek" in Belgien, Paul Rassinier und Robert Faurisson in Frankreich, David Irving in Großbritannien Hintergrundinformationen 163 3 Linksextremismus 3.1 Parteien und parteiinterne Strömungen "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Ideologie: marxistisch-leninistisch Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: 25. September 1968 Mitgliederzahl: 4 500 bundesweit (2001: 4 500) 130 in Berlin (2001: 140) Sitz: Essen Publikation: "Unsere Zeit" (UZ / wöchentlich) Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) wurde am 25. September 1968 von früheren Funktionären der 1956 verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) gegründet. Der Aufbau einer Parteiorganisation in Berlin begann 1990.202 In einem Leitantrag vom 15. Parteitag (Juni 2000) hält die Partei am MarxismusLeninismus fest und bekennt sich zur revolutionären Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung in Deutschland. "Das Ziel der DKP ist der Sozialismus als erste Stufe auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft. Sie strebt den grundlegenden Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen an, orientiert auf die Arbeiterklasse als entscheidende gesellschaftsverändernde Kraft. Grundlage ihres Handelns ist die wissenschaftliche Theorie von Marx, Engels und Lenin, die sie entsprechend 203 ihrer Möglichkeiten weiterentwickelt." Eine davon abweichende Programmvorlage für den 16. Parteitag vom 30. November bis 1. Dezember wurde nicht beschlossen.204 202 Während der Teilung Deutschlands gab es aufgrund von Chruschtschows "Drei-Staaten-Theorie" (Deutschland zerfalle in drei Staaten: BRD, DDR, Berlin) in Berlin keinen Landesverband der DKP. Statt dessen gründete sich die "Sozialistische Einheitspartei Westberlins" (SEW), die ebenso wie die DKP massiv durch die DDR unterstützt wurde. Nachfolgerin der SEW wurde 1990 die "Sozialistische Initiative" (SI), welche sich 1991 schon wieder auflöste. Sie propagierte einen Erneuerungsprozess hin zu einem "zutiefst demokratischen Sozialismus" (Leitgedanken für Grundsätze und Ziele der SI, in: Verfassungsschutzbericht Berlin 1990, S. 64). Noch im gleichen Jahr haben "SEWund SIMitglieder, die in der Wandlung der SEW zur SI eine Abkehr von der Klassenpartei sahen, einen DKP-Gruppe Berlin gegründet", ebenda, S. 66. 203 Die DKP - Partei der Arbeiterklasse - Ihr politischer Platz heute, in: DKP-Informationen Nr. 3/2000 vom 15. Juni 2000, S. 24 204 Am 3. Dezember 2002 schreibt das "Neue Deutschland": "ein tragfähiger Spagat zwischen 'Erneuern' und 'Bewahren' lasse auf sich warten". Parteivorsitzender Stehr räumt im Interview mit der "jungen Welt" vom selben Tag ein, es habe "Kritik an vielen Details" etwa bei strategischen Fragen oder "über die Ursachen der Niederlage des Sozialismus" gegeben. 164 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 "Kommunistische Plattform der PDS" (KPF) Ideologie: marxistisch-leninistisch Organisationsstruktur: parteiinterner Zusammenschluss Entstehung/Gründung: 30. Dezember 1989 Mitgliederzahl: 1 500 bundesweit (2001: 2000) 180 in Berlin (2001: 300) Sitz: Berlin (innerparteilicher Zusammenschluss) Publikationen: "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS" (monatlich, Auflage: 1 450) Die KPF ist keine Partei, sondern der Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten innerhalb der "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS)205. Gründungsanspruch dieser parteiinternen Gruppe war es, kommunistische Inhalte stärker innerhalb der PDS zur Geltung zu bringen. Ohne Kommunisten würde die PDS nach Auffassung der KPF ihre Identität verlieren. Dann bestünde die Gefahr, dass die Partei bei allen Abwehrund Reformkämpfen das längerfristige Ziel aus den Augen verlöre, nicht nur innerhalb, sondern über diese Gesellschaft hinaus zu wirken.206 Die KPF ist im Parteivorstand der PDS vertreten. Ihr innerparteiliches Wirken ist darauf gerichtet, die PDS als sozialistische Partei weiter zu entwickeln und auf die Rolle einer Systemopposition festzulegen. Zur Durchsetzung ihrer Ziele strebt die KPF ein breites Bündnis mit anderen kommunistischen Parteien und linksextremistischen Gruppierungen an. Besonders eng arbeitet sie mit der "Deutschen Kommunistischen Partei" ( DKP) und der 1990 neu gegründeten "Kommunistischen Partei Deutschlands" zusammen. Im Rahmen der alljährlich im Januar stattfindenden "LUXEMBURGLIEBKNECHT-Demonstration" kooperierte sie bisher auch mit militanten Autonomen. Der Marxismus-Leninismus mit dem zentralen Merkmal uneingeschränkter Herrschaft der "Partei der Arbeiterklasse" ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. Im Geschichtsbild der KPF werden unterschiedliche Interpretationen von Sozialismus offenbar. Während die DDR-Nostalgie überwiegt, stellen sich einige KPF-Repräsentanten inzwischen der Demokratiedebatte. Sie ziehen auch legitimatorische und demokratische Defizite als Teilerklärung für das Scheitern der DDR heran: 205 Satzung der "Kommunistischen Plattform der PDS", Absatz 1 der Präambel 206 Sahra Wagenknecht, in: Wochenpost Nr. 33 vom 11. August 1994 / Michael Benjamin, "Man muss die Vielfalt Ernst nehmen", in: Neues Deutschland vom 9. März 1994, S. 8 Hintergrundinformationen 165 "Echte Wahlen und Volksentscheide wären nötig gewesen [...]. Eine Gewaltenteilung zwischen Parlament, Regierung und Rechtssprechung wäre wünschenswert gewesen [...]. Zu einem sozialistischen Staat hätten Meinungsund Pressefreiheit gehört."207 Zudem bekennen sich führende Vertreter der KPF zu folgenden Passagen zur Vergangenheitsbewältigung im Parteiprogramm der PDS: "Die traditionelle Gewaltenteilung wurde abgelehnt, der Sinn demokratischer Wahlsysteme missachtet."208 Offen bleibt, ob dies Auswirkungen auf die von der KPF angestrebte Zielsetzung der Systemüberwindung hat. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Ideologie: marxistisch-leninistisch-maoistisch Organisationsstruktur: Partei Entstehung/Gründung: Juni 1982 Mitgliederzahl: 2 000 bundesweit (2001: 2 000), 100 in Berlin (2001: 100) Sitz: Gelsenkirchen Publikationen: "Rote Fahne" (wöchentlich); "Lernen und Kämpfen" (mehrmals jährlich); "REBELL" (Magazin des Jugendverbandes "Rebell" / monatlich) Die 1982 in Bochum gegründete "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) bekennt sich zur Theorie des Marxismus-Leninismus in der Interpretation durch Stalin und Mao Zedong. Sie ist hervorgegangen aus dem "Kommunistischen Arbeiterverbund Deutschlands" (KABD)209 und rechtfertigt ihre Existenz aus dem postulierten Versagen der 1956 durch das Bundesverfassungsgericht verbotenen KPD als revolutionäre Vorhut der deutschen Arbeiterklasse. Die kommunistischen Parteien in Deutschland hätten sich der Entwicklung nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 angeschlossen, in dessen Folge sowohl in der UdSSR als auch in der DDR eine "kleinbürgerliche Bürokratie [...] zu einer bürokratischen Kapitalistenklasse neuen Typs"210 entartet sei. Infolge dessen sei der Aufbau einer Partei neuen Typs unausweichlich gewesen, um die Interessen der Arbeiter zu vertreten. 207 Wolff, Friedrich, Warum scheiterte die DDR? in: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform (08/2002), S. 11 208 Brombacher, Ellen et al.: Grundsätze des Parteiprogramms nicht über Bord werfen, in: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform, Dezember 2002 209 Der Zusammenschluss besteht seit 1972 aus der "Kommunistischen Partei Deutschlands/MarxistenLeninisten (Revolutionärer Weg)" und dem "Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands (Marxisten-Leninisten)". 210 Homepage der Partei 166 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Der VI. Parteitag 1999 definierte als Ziel den Übergang zum Sozialismus, der durch Klassenkampf auf unterschiedlichen Ebenen erreicht werde: "Der Übergang zur Arbeiteroffensive, der Übergang zur akut revolutionären Situation, der Übergang zur Partei der Massen und von der Partei der Massen zur revolutionären Massenpartei, der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, vom Sturz der Diktatur der Monopole zur Errichtung der Diktatur des Proletariats."211 Damit steht die Partei abseits der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die Aktivitäten der MLPD beschränkten sich im wesentlichen auf die Teilnahme an Demonstrationen. Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 2001 erhielt die MLPD lediglich 1 191 Stimmen.212 An der Bundestagswahl 2002 nahm die Partei nicht teil. 3.2 Aktionsorientierter Linksextremismus "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB) Ideologie: linksextremistisch; militanter Antifaschismus; Kampf gegen "Faschismus" als Kampf gegen das politische System Organisationsstruktur: Gruppe mit fester Struktur Entstehung/Gründung: 1993 in Berlin Mitgliederzahl: 30 (2001: 30) Sitz: Berlin Publikation: Flugund Faltblätter Die "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB) wurde Mitte 1993 in Berlin von militanten Autonomen aus Passau - zunächst unter der Bezeichnung "Antifa A+P (Agitation und Praxis)" - gegründet. Sie ist eine der führenden autonomen AntifaGruppen in Berlin.213 Die AAB etablierte sich in kürzester Zeit und gilt heute nicht nur als eine der mitgliederstärksten, sondern auch als eine der politisch aktivsten autonomen Antifa-Gruppen.214 Hierfür spricht nicht zuletzt die professionell gestaltete Internet-Homepage mit aktuellen Informationen zu Aktionsschwerpunkten und Kampagnen sowie überregionalen Aktivitäten, mit theoretischen Ausführungen etwa zum praktizierten "Antifaschismus" und Diskussionsforen. Die AAB ist aufgrund ihres überregionalen Bekanntheitsgrades in der Lage, zu Großereig211 Homepage der Partei 212 In der Statistik des Landeswahlleiters wird das Ergebnis mit 0,0 % angegeben. 213 Nachtrag: Die AAB hat sich im Februar 2003 gespalten. Über die weitere Entwicklung dieser Gruppe(n) wird im Jahresbericht 2003 berichtet. 214 siehe auch S. 50 ff. Hintergrundinformationen 167 nissen mehrere hundert Sympathisanten zu mobilisieren. Für Aktivitäten gegen den EU-Gipfel in Kopenhagen im Dezember mobilisierte sie im Internet unter dem Motto: "Join us in action! Beteiligt euch am antikapitalistischen Block auf der Demo am 14.12.2002 - Fight Fortress Europe - Smash Capitalism".215 Ihr vorrangiges Ziel ist der Aufbau verbindlicher Antifa-Strukturen in Berlin und Umgebung. Hierzu zählen beispielsweise formelle Aufnahmekriterien für neue Mitglieder der AAB wie auch funktionierende Kommunikationsformen und -wege. Die Gruppe propagiert einen militanten Antifaschismus, der sich direkt gegen tatsächliche und vermeintliche "Nazis" richtet. Darüber hinaus begreift die AAB den Kampf gegen einen angeblichen Faschismus auch als Kampf gegen die in der Bundesrepublik herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen.216 Sie sieht die tieferliegenden Ursachen dieses "Faschismus" in den postulierten Ausbeutungsund Unterdrückungsstrukturen des herrschenden Gesellschaftssystems: "Die bürgerliche Gesellschaft beruht nicht nur auf einem gewalttätigen Gründungsakt (ursprüngliche Akkumulation, Trennung der Produzenten von ihren Produktionsmitteln, Kolonialismus etc.), sie hat darüber hinaus auch eine gewalttätige und kriegerische Durchsetzungsgeschichte. [...] In dem Maße, wie die Selbstlegitimierung der bürgerlichen Gesellschaft Gewalt ausgrenzt, schafft sie sich einen Gegenstand der Begierde - die faschistische Versuchung."217 Die AAB war der im Jahre 2001 aufgelösten "Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation" (AA/BO) angeschlossen und nahm regelmäßig an deren Treffen teil. Aus dieser Zeit verfügt sie bundesweit über Kontakte zu weiteren autonomen Gruppen.218 215 Homepage vom 2. Dezember 2002: Fight Fortress Europe - Smash Capitalism; siehe auch S. 53 216 Die BRD halte "das gesamte Instrumentarium der psychischen und sozialen Zurichtung bereit [...], dessen sich auch der Faschismus bediente - aber nicht als etwas spezifisch Deutsches, sondern als Basiskonzentrat jeder kapitalistischen Gesellschaft." Aus Lupus-Papie, "Doitschstunde", in "radikal" 144/1991, S. 21 f, zitiert nach: Thomas Schultze / Almut Gross, Die Autonomen, S. 91 217 Homepage der Antifaschistischen Aktion Berlin: Gewalt in der bürgerlichen Gesellschaft, 11. Juni 2002 218 Verfassungsschutz Berlin, Antifa heißt Angriff - Durchblicke Nr. 10, Berlin 1999 168 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 "Anti-Atom-Plenum" (AAP) Ideologie: linksextremistisch-ökologische Versatzstücke Organisationsstruktur: offenes Plenum Entstehung/Gründung: 1996 Mitgliederzahl: keine gesicherten Zahlen Sitz: Berlin Publikationen: Flugund Faltblätter Das "Anti-Atom-Plenum" (AAP) stellt mit der Namensgebung den Bezug zur AntiAtom-Protest-Bewegung her, die in den 80er Jahren ihren Höhepunkt erlebte. Das AAP selbst ging Mitte der 90er Jahre aus der inzwischen aufgelösten Berliner "Gruppe X" hervor. Das offene Forum trifft sich regelmäßig und versteht sich als Anlaufund Koordinierungsstelle des autonomen Berliner Widerstandes gegen den Atomstaat.219 Das AAP instrumentalisiert den Kampf gegen den CASTOR, gegen die "Atommafia" als Vehikel für seine Systemopposition: "Wir verstehen den Kampf gegen den Atomstaat als Teil des Kampfes gegen das bestehende System. Gerade angesichts des dauerhaften Kriegszustandes halten wir es für notwendig, jede Gelegenheit zu nutzen, um das Hinterland unruhig zu machen [...] Direkte Aktionen sind möglich, Widerstand kann praktisch werden. Hau wech den Scheiß!"220 Seit seiner Gründung setzt sich das dem gewaltbereiten linksextremistischen Spektrum innerhalb der Anti-AKW-Bewegung zuzurechnende AAP für einen verstärkten inhaltlichen Austausch der regionalen und überregionalen linksextremistischen Gruppen im AKW-Widerstand ein und verfügt über Kontakte zu Anti-AKW-Gruppen in anderen Bundesländern. Die insgesamt im Anti-AKWSpektrum rückläufige Aktionsbereitschaft lähmt auch das AAP. Autonome Ideologie: linksextremistisch; kommunistische und anarchistische Versatzstücke Entstehung/Gründung: ab 1980 Mitgliederzahl: 5 000 bundesweit (2001: 6 000) 1 040 in Berlin (2001: 1 200) Berlin bildet einen regionalen Schwerpunkt der autonomen Szene in Deutschland. Der Einsatz von "befreiender Gewalt" - sowohl gegen Menschen als auch gegen Objekte - als politisches Mittel gegen die "strukturelle Gewalt" der Gesellschaft 219 siehe auch S. 47 ff. 220 Flugblatt des AAP zum Castor-Transport 2002 Hintergrundinformationen 169 und des Staates,221 stellt für die autonome Szene ein unverzichtbares Element ihrer "revolutionären Politik" dar.222 Während sie ihren unversöhnlichen Hass auf das politische und gesellschaftliche System durch gezielte militante, bisweilen terroristische Aktionen zum Ausdruck bringt, lehnt sie zugleich das staatliche Gewaltmonopol kategorisch ab. Ihre Aktionsfelder beziehen sich auf Themen, die in hohem Maße polarisieren: Faschismus, Imperialismus, Kapitalismus, Militarismus, Rassismus, Sexismus seien wesentliche Bestandteile des herrschenden politischen Systems, das es abzuschaffen gelte. Dem zufolge diffamieren sie den Verfassungsstaat, lehnen das parlamentarische System ab und vertreten Versatzstücke kommunistischen und anarchistischen Gedankenguts. Das Ziel besteht darin, eine "unterdrückungsfreie Gesellschaftsordnung" zu erkämpfen. In Selbstbezichtigungen zu Anschlägen versuchen sie, ihre antifaschistischen, antikapitalistischen, antimilitaristischen, antiimperialistischen, antirassistischen und antisexistischen Aktionen der Öffentlichkeit zu vermitteln. Die Auseinandersetzung mit diesen Themen verläuft dabei nicht in geraden Linien: Zum einen ist eine geschlossene theoretische Fundierung vielen Anhängern verdächtig, da sie ihrem Anspruch, autonom zu leben, widerspricht. Zum anderen suchen sie, Protestbewegungen zu instrumentalisieren, um über sie - mit unterschiedlichem Erfolg - ihre Ideologie zu vermitteln. Letzteres erfordert, diese Protestbewegungen zunächst dort abzuholen, wo sie stehen, um dieses Potenzial in Richtung der autonomen Inhalte zu bewegen. Die Anfänge der autonomen Szene reichen zurück bis zum Beginn der 80er Jahre. Aus Kreisen weder organisationsgebundener noch im traditionellen Sinne ideologisch festgelegter, so genannter undogmatischer Linksextremisten, erschienen damals Thesen und Diskussionspapiere, deren Verfasser sich als "autonom" bezeichneten. Sie sprachen von einer "neuen autonomen Protestbewegung", die den "Koloss Staat" mit dezentralen Aktionen, mit "Phantasie und Flexibilität", mit "vielfältigen Widerstandsformen auf allen Ebenen" angreifen müsse. Es gelte, "den bürgerlichen Staat zu zerschlagen". Als Altautonome werden jene bezeichnet, die sich der autonomen Szene seit deren Entstehung223 bis Mitte der 80er Jahre anschlossen. Sie suchten die 221 vgl. Fridolin, Wo ist Behle? (Es handelt sich um ein unter Pseudonym geschriebenes Papier, das sich mit strategischen Fragen, auch dem Einsatz von Gewalt, auseinandersetzt und im März 1998 im "Interim" Sonderheft "Bewegung - Militanz - Kampagne" veröffentlicht wurde.) 222 Die Bandbreite an Aktionsformen reicht von Demonstrationen, Informationsbzw. Diskussionsveranstaltungen, Vorträgen, Ausstellungen, der Herausgabe von Steckbriefen über politische Gegner, Flugblättern und Broschüren über Störaktionen, Blockaden, Brandanschläge und andere Sachbeschädigungen bis hin zu Überfällen auf tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, wobei im Extremfall der Tod des Opfers billigend in Kauf genommen wird. 223 Die öffentliche Rekrutenvereidigung in Bremen am 6. Mai 1980, die zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten führte, gilt als die Geburtsstunde der autonomen 170 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Vernetzung mit Hausbesetzern und bürgerlichen Protestbewegungen wie AKWKritikern, Startbahn-West-Gegnern und der Friedensbewegung.224 In ihrer Selbstsicht verstehen sie sich als gesellschaftliche Avantgarde.225 "Unser Problem besteht vielmehr darin, es mit einer Bevölkerung zu tun zu haben, die zum überwiegend großen Teil mit den hier herrschenden Verhältnissen identifiziert ist, und zwar unabhängig davon, inwieweit diese ihr zum Vorteil gereichen oder nicht." Sie gehören einem zahlenmäßig kleinen, ideologisch gefestigten und besonders theoretisch fundierten Kreis mit engen persönlichen Verbindungen an, der über szeneinterne Autorität verfügt und vorwiegend klandestin, abseits vom Tagesgeschehen operiert. Von diesen Autonomen der ersten Generation sind jene zu unterscheiden, die ebenfalls stark motiviert sind, allerdings erst ab den späten 80er Jahren zur Szene stießen. Sie bilden gegenwärtig den harten Kern, sind federführend bei der Organisation von Veranstaltungen, Protestaktionen und Anschlägen, sind ideologisch gefestigt, verfügen jedoch nur selten über ein ähnlich theoretisch fundiertes Wissen.226 Aufgrund ihrer aktionistisch ausgerichteten Vorgehensweise binden und rekrutieren sie Autonome der jungen Generation. Deren Mitglieder fluktuieren stark, sind zumeist im Ausbildungsalter und haben meist lediglich vage linksextremistische Vorstellungen.227 Sie haben ein hohes Aggressionspotenzial, das sich ein Ventil im Hass auf das politische und gesellschaftliche System sucht. Verbindendes Element zwischen den Generationen der Autonomen ist die in Teilen hasserfüllte Ablehnung der bestehenden staatlichen Ordnung. Im Unterschied zu den Altautonomen und denen der zweiten Generation verfügen die Jugendlichen jedoch zumeist nicht über konkrete politische Vorstellungen, wie eine Gesellschaftsordnung nach der beabsichtigten Zerschlagung des Szene in Deutschland. Die Gewaltwelle der Jahre 1980/81 blieb bisher der quantitative Höhepunkt dieser Szene. Vgl. Verfassungsschutzbericht Berlin 1995, S. 14 ff. 224 Bürgerinitiativen, die sich in den benannten Bereichen engagiert haben, sind nicht Gegenstand der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Jedoch haben Vertreter des autonomen Spektrums häufig versucht, Protestbewegungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Dies gelang in unterschiedlicher Intensität und mit wechselnder Nachhaltigkeit. 225 Fridolin, Wo ist Behle?:, S. 24 [Internet-Ausgabe] 226 vgl. "Interim", Nr. 475 vom 22. April 1999: Die Ästhetik des Widerstands: "Soziale Bewegungen und als ein Teil davon die Autonomen waren ein ernstzunehmender Faktor der Gesellschaft. Dies hat sich seit Ende der 80er Jahre geändert. Wenn man nur noch eine x-beliebige Subkultur in einer beliebigen Gesellschaft ist, hat das keine Sprengkraft mehr.", S. 26 ff. 227 vgl. Matthias Mletzko, Merkmale politisch motivierter Gewalttaten von militanten autonomen Gruppen: "Die schwammige Vorstellung einer unterdrückungsfreien Gesellschaftsordnung erschöpft sich meistens in Forderungen nach 'grundsätzlicher Gleichheit der Menschen, nach Selbstbestimmung und menschenwürdigen Lebensbedingungen'.", S. 12 Hintergrundinformationen 171 bestehenden demokratischen Verfassungsstaates aussehen soll. Dieses jugendliche Mobilisierungspotenzial instrumentalisiert die in ihrer Weltanschauung gefestigten Autonomen zur Umsetzung ihrer Aktionen.228 Seit Beginn der 90er Jahre verstärkte sich aufgrund einer wachsenden Kritik an der Unverbindlichkeit autonomer Strukturen die Tendenz, auch innerhalb des autonomen Lagers Organisierungsmodelle zu erproben, um zu einer dauerhaften Umsetzung von Theorie in Praxis zu gelangen. Insbesondere im Bereich des Antifaschismus ( AAB) wurden Vorstöße unternommen, die allerdings nur einen Teil der Szene erfassten und sich als nicht beständig erwiesen. Die Autonomen sind zunehmend zerstritten. Individuelle und gruppenegoistische Interessen beeinträchtigten sie in ihrer Handlungsfähigkeit. Die früher feststellbare "Kiezbezogenheit" sowie die hohe Mobilisierungskraft der 80er Jahre ging weitgehend verloren.229 Wenn auch das empirische Wissen zur autonomen Szene gering ist, lassen sich doch einige Feststellungen treffen: Die Angehörigen der autonomen Szene, deren Alter in der Regel zwischen dem 16. und 28. Lebensjahr liegt, wobei ein Anstieg des Eintrittsalters feststellbar ist, sind zumeist deutsche Staatsbürger - in Teilen aus bürgerlichen Elternhäusern.230 Zu einem hohen Prozentsatz befinden sie sich in Ausbildung oder Studium, teils sind sie ohne festes Einkommen. Als Gründe für die hohe Fluktuation innerhalb der autonomen Szene werden von ehemaligen Angehörigen angegeben: die selbstgewählte gesellschaftliche Isolation, die Auseinandersetzungen mit Altautonomen, zwischen Frauen und Männern sowie ständige ergebnislose Diskussionen.231 Gegenwärtig kann der Zulauf zu autonomen Strukturen deren Mitgliederverluste nicht mehr ausgleichen. 228 siehe auch S. 38 ff. 229 vgl. "Interim", Nr. 475 vom 22. April 1999: Die Ästhetik des Widerstands: "[...] daß die bisherigen politischen Konzepte der Autonomen in dieser veränderten Welt seit Jahren nicht mehr greifen, streitet doch heute kaum noch jemand ab.", S. 26 ff. 230 Helmut Willems betont die heterogene sozio-demografische Struktur militant Autonomer. S. ders., Jugendunruhen und Protestbewegungen, Opladen 1997, S. 455 - 459 231 Vgl. Hugo Häberle, Sechs Anmerkungen zum Autonomie-Kongreß, in: Interim 329 vom 27. April 1995, S. 3: "Fertig macht mich, wenn alle paar Jahre das Rad neu erfunden werden muss [wegen Brüchen in der Diskussionskontinuität durch hohe Fluktuation]. Da wird über die Fragen von Internationalismus und nationale Befreiungsbewegungen geredet [...], da wird über die Widersprüche zwischen Mann und Frau diskutiert, als wäre es die neuste Erkenntnis. Wieso sind wir nicht in der Lage, unsere Erfahrungen und erarbeiteten Positionen so weiterzugeben, daß sie eine Grundlage bilden, auf der weiterdiskutiert wird?" 172 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 "Libertad!" Ideologie: linksextremistisch; antiimperialistische Versatzstücke Organisationsstruktur: Gruppe Entstehung: 1992 Mitgliederzahl: k. A. bundesweit (2001: 1 000) 200 in Berlin (2001: 200) Sitz: ohne Publikation: "So oder So" (unregelmäßig) Die zweite Strömung gewaltbereiter Linksextremisten neben den Autonomen umfasst antiimperialistisch und internationalistisch ausgerichtete Gruppen und Einzelpersonen, vornehmlich Aktivisten aus dem Unterstützerspektrum der ehemaligen "Roten Armee Fraktion" (RAF). Aktionsschwerpunkte waren und sind der Einsatz für politische Gefangene weltweit sowie die Solidarität mit Befreiungsbewegungen. In den neunziger Jahren bezog sich die Solidarität vor allem auf terroristisch agierende Gruppen in der Türkei, besonders auf die "Arbeiterpartei Kurdistans" ( PKK / KADEK). Seit deren Gewaltverzicht und dem Ausbruch der 2. Intifada in Israel im Herbst 2000 rückt vermehrt die Solidarität zu den Palästinensern in den Fokus. Der aktivste Zusammenhang in diesem Bereich ist seit Jahren die Initiative "Libertad!". Sie sieht in der Gefangenenfrage und der Solidarität mit Befreiungsbewegungen den Ausgangspunkt zum Aufbau eines internationalen Netzwerks linksextremistischer Organisationen. Konkrete Erfolge dieser Bemühungen sind allerdings nicht erkennbar. Die Redaktion der Publikation "So oder So", des Sprachrohrs der Initiative "Libertad!", besteht im Wesentlichen aus ehemaligen Führungspersonen des RAF-Umfelds aus Frankfurt/M., die maßgeblichen Einfluss auf die politischen Aktivitäten und die Entwicklung der Initiative "Libertad!" haben. "Linksruck" Ideologie: marxistisch-leninistisch-trotzkistisch Organisationsstruktur: Gruppe Entstehung: 1993/94 Mitgliederzahl: k. A. bundesweit (2001: 2 000) 100 in Berlin (2001: 100) Sitz: Berlin Publikation: "Linksruck" (14-tägig) Die 1996 aufgelöste trotzkistische "Sozialistische Arbeitergruppe" (SAG) gründete 1993/1994 das "Linksruck-Netzwerk" (jetzt "Linksruck"). "Linksruck" ist die deutsche Sektion des internationalen trotzkistischen Dachverbands "International Socialists" (IS) und strebt über Betriebsund Gewerkschaftsarbeit den Aufbau Hintergrundinformationen 173 einer revolutionären kommunistischen Partei unter Führung von Arbeiterräten an. Fernziel der Gruppe ist der Aufbau einer Partei Leninschen Typs als offizielle deutsche Sektion der um die britische "Socialist Workers Party" gruppierten "International Socialist Tendency". Seit 1993 setzt eine Bundeskoordination die von London vorgegebenen Aktivitäten um und gibt die Zeitschrift "Linksruck" heraus. "Linksruck" finanziert sich über Mitgliedsbeiträge, Spenden und durch Zeitschriftenund Publikationsverkauf. Im April 2001 verlegte "Linksruck" seine Bundeskoordination von Hamburg nach Berlin. Hier hat "Linksruck" ca. 100 Mitglieder, die von einigen "Altkadern" autoritär geführt werden. Es herrscht eine hohe Fluktuation. Der Schwerpunkt von "Linksruck" ist gegenwärtig die Anti-Globalisierungskampagne. "Linksruck"-Mitglieder engagieren sich offen oder verdeckt im globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC. Verdecktes Engagement fällt unter die von Trotzkisten häufig betriebene Entrismus-Strategie. Nach dieser Strategie versuchen Trotzkisten, größere Organisationen zu unterwandern, für ihre Zwecke zu nutzen und zu radikalisieren. Im Winter 2001/2002 kam es nach ideologischen Unstimmigkeiten innerhalb von "Linksruck" zu einer Abspaltung von Unzufriedenen, die sich als "Antikapitalistas" ebenfalls in der Anti-Globalisierungskampagne engagieren. "Rote Hilfe e. V" (RH) Ideologie: linksextremistisch, antirepressionistisch Organisationsstruktur: Verein Entstehung: 1975; Ortsgruppe Berlin 1995 Mitgliederzahl: 4 000 bundesweit (2001: 4 000) 300 in Berlin (2001: 300) Sitz: Göttingen Publikation: "Die Rote Hilfe" (vierteljährlich) Die "Rote Hilfe" (RH) ist laut Selbstdarstellung ein Verein, der "parteiunabhängig und strömungsübergreifend Solidarität für diejenigen [organisiert], die aufgrund ihrer politischen Betätigung von staatlicher Repression betroffen sind".232 Er wurde in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts als Vorfeldorganisation der KPD gegründet und ist heute, fast zwei Jahrzehnte nach seiner Neugründung, als dem autonomen Milieu zugehörig zu verstehen. Die RH unterstützt gezielt Anhänger vor allem der linksextremistischen Szene, die im Zusammenhang mit politischen Aktivitäten straffällig geworden sind. Diese Unterstützung reicht von allgemeiner Rechtshilfe (z. B. Broschüren) bis hin zu 232 Homepage der "Roten Hilfe e. V." 174 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 individueller finanzieller Unterstützung (z. B. für Rechtsanwaltskosten und bei Geldstrafen). Die RH gibt in ihrer Ratgeberbroschüre "Was tun, wenn es brennt" Rechtsund Agitationshilfen für potenzielle Gewalttäter bei Demonstrationen. Sie setzt sich zudem für die Freilassung von Inhaftierten der ehemaligen RAF und anderer linksextremistischer Organisationen ein. Die Berliner Ortsgruppe der RH ist die größte in Deutschland und finanziert ihre Arbeit in erster Linie durch Mitgliederbeiträge aber auch durch Spenden und Einnahmen aus Solidaritätsveranstaltungen (Konzerte, Partys). Sie beteiligte sich auch 2002 federführend an Aktivitäten zum 18. März, der zum "Tag der politischen Gefangenen weltweit" erklärt wurde. "Sozialistische Alternative Voran" (SAV) Ideologie: linksextremistisch, marxistisch-leninistisch-trotzkistisch Organisationsstruktur: Verein Entstehung: 1994 entstanden aus "VORAN zur sozialistischen Demokratie e. V." Mitgliederzahl: 350 bundesweit (2001: 350) 35 in Berlin (2001: 35) Sitz: London Publikation: "Solidarität - Sozialistische Zeitung" (monatlich) Die "Sozialistische Alternative Voran" (SAV) ist die deutsche Sektion des in London ansässigen trotzkistischen Dachverbands "Committee for a Workers International" (CWI). Wie bei der ebenfalls trotzkistischen Gruppe "Linksruck" bildet die Beeinflussung der Anti-Globalisierungsbewegung den Aktionsschwerpunkt der SAV. Im Sommer 2001 erklärte die SAV ihren kollektiven Beitritt zum Netzwerk ATTAC. Perspektivisches Ziel der SAV ist laut Programm zur Bundestagswahl 2002 der Aufbau einer Arbeiterpartei als einer revolutionären, sozialistischen Massenpartei. Damit solle der Kapitalismus abgeschafft und durch ein sozialistisches System verbunden mit der Aufhebung des Mehrparteienstaates ersetzt werden. Die Haltung zur parlamentarischen Demokratie brachte die Direktkandidatin der SAV für den Wahlkreis Weißensee/Prenzlauer Berg/Pankow, Alexandra ARENSBURG, in einem Interview zum Ausdruck: "Mit der stalinistisch-bürokratischen Cliquenwirtschaft der DDR haben sie nichts gemeinsam, mit dem Parlamentarismus allerdings auch nicht. Parlamente wären schon längst verboten, wenn sie irgend etwas verändern würden." 233 233 "Kandidaten der Sozialistischen Alternative, Zweitstimme für das kleinere Übel PDS?", in: "junge welt" vom 13. September 2002 Hintergrundinformationen 175 3.3 Strategieorientierter Linksextremismus "INTERIM" Ideologie: linksextremistisch, autonom Entstehung/Gründung: April 1988 Mitgliederzahl: verschiedene Redaktionskollektive Sitz: Berlin Publikation: "INTERIM" (14-tägig, Auflage: 1 000) Die "INTERIM" ist eine Publikation der Berliner autonomen Szene mit bundesweiter Bedeutung. Sie wird seit April 1988 konspirativ hergestellt und verbreitet. Derzeit erscheint sie im zweiwöchigen Rhythmus jeweils donnerstags mit einer geschätzten Auflage von 1 000 Stück und wird hauptsächlich über Infoläden vertrieben. Innerhalb der fast fünfzehn Jahre ihres Bestehens entwickelte sich die "INTERIM" zu einer Publikation mit institutionellem Charakter und zum Sprachrohr der militanten linksextremen Szene für Berlin und nahezu das gesamte Bundesgebiet. Veröffentlicht werden Beiträge, die als Diskussionsgrundlage für szenerelevante Themen angesehen werden, z. B. die von der "militanten gruppe (mg)" initiierte Militanzdebatte.234 Darüber hinaus beinhaltet die "INTERIM" Aufrufe zu Demonstrationen und Szeneveranstaltungen, Anleitungen zu Sachbeschädigungen wie zum "Strommastenfällen" oder für "Brandsätze mit Zeitverzögerung". Ebenso werden Selbstbezichtigungen von Gruppen, die Anschläge begangen haben, veröffentlicht und zum Teil kommentiert. Neue Medien (Internet) "Langsam, aber stetig reift die Einsicht heran, dass Computernetze zwar im Kapitalismus entstanden sind, aber vielleicht doch nicht ausschließlich kapitalistischen Interessen dienen müssen. Schließlich sind auch Hammer und Sichel oder, wahlweise, Maschinengewehre vorsozialistische Werkzeuge."235 Seit Mitte der 90er Jahre wird das Internet zunehmend von linksextremistischen Organisationen und Gruppierungen genutzt. Von besonderer Relevanz ist der ortsungebundene aktuelle Austausch von Informationen und die Möglichkeit zur anonymisierten Kommunikation. Das Internet ermöglicht es, Informationen aller Art bereit zu stellen und weltweit abrufen zu können. In der linksextremistischen Szene werden diese Informationen von einschlägigen Foren angeboten, wobei diese ihren Provider häufig im Ausland haben, um einer 234 siehe auch S. 57 ff. 235 Archiv der Kommunikationsguerilla, Ein Asyl für deutsche Linke, S. 1 176 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen. So stellt beispielsweise die in Deutschland verbotene Szenepublikation "radikal" über ausländische Provider ihre Texte im Internet zur Verfügung. Auf zahlreichen extremistischen Homepages befinden sich technische und logistische Tipps für die Produktion und den Einsatz von Sprengstoffen oder die Sabotage an Strommasten und Gleisanlagen. Ein bekanntes linksextremistisches Internetportal ist "nadir". Populäre Internetangebote mit überwiegend linksextremistischen Bezügen sind "indymedia" und "linkeseite". Über die Internetportale werden zumeist einschlägige Termine, Hinweise, Aufrufe, aber auch Links zu Archiven und Datenbanken sowie Adressen von Ansprechpartnern ins Netz gestellt. Dabei gibt es - besonders im Bereich des anonymen Postings - nicht selten Überschneidungen mit Themenbereichen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse, etwa Kampf gegen Umweltzerstörung oder Rechtsextremismus, Kampf für Menschenrechte oder Abrüstung. Eine Instrumentalisierung dieser Themengebiete und ihrer Interessenten wird durch die linksextremistische Szene auch im Internet verfolgt. Von Bedeutung für den Berliner Raum ist "stressfaktor", dessen Betreiber sich als ein "Berliner Terminkalender für linke Subkultur und Politik" versteht. Dort werden Informationen zu Aktivitäten von Linksextremisten zentral gesammelt und zum Abruf bereitgestellt. Es veröffentlicht neben aktuellen Terminen Kurzstatements zu für die Szene relevanten Themen und bietet eine Reihe von Verknüpfungen zu anderen linksextremistischen Internetportalen. Die Kommunikation innerhalb dieser Netzwerke erfolgt häufig über verschlüsselte E-Mails und zugangsbeschränkte Chatrooms. In den offenen Diskussionsforen lassen sich die oft widersprüchlichen Positionen innerhalb der linksextremistischen Szene verfolgen. So werden im Rahmen der AntisemitismusDebatte236 häufig aggressive und verunglimpfende Ansichten thematisiert, die die Zerstrittenheit der Szene widerspiegeln und die mitunter zur Löschung einzelner Beiträge durch die Internet-Redaktion führen. 236 siehe auch S. 55 ff. Hintergrundinformationen 177 4 Ausländerextremismus 4.1 Araber "Arabische Mujahidin" Ideologie: islamistisch Organisationsstruktur: globales Netzwerk Entstehung/Gründung: Anfang der 80er Jahre in Afghanistan/Pakistan Mitgliederzahl: keine gesicherten Zahlen Der Begriff "Arabische Mujahidin" bezeichnet pan-islamisch orientierte Kämpfer meist arabischer Herkunft, die an Kampfeinsätzen in Afghanistan, Bosnien, Tschetschenien oder im Kaschmir teilgenommen haben. Das Entstehen der "Arabischen Mujahidin" geht auf den Afghanistan-Krieg zurück, als sich 1979 freiwillige Kämpfer (Mujahidin) dem - unter dem Motto des Jihad geführten - Krieg gegen die sowjetische Besatzung anschlossen und dafür vor allem in afghanischen und pakistanischen Militärlagern ausgebildet wurden. Die Lage im von Krieg und Bürgerkrieg gezeichneten Afghanistan bot seinerzeit ideale Bedingungen für die ideologische Schulung und terroristische Ausbildung der "Arabischen Mujahidin" Hierzu gehörten ein weitgehend rechtsfreier Raum, Kampfgebiete sowie die Tatsache, dass sich im Bürgerkrieg 1996 die islamistischen "Taliban-Kämpfer" durchsetzten. Die terroristischen Aktivitäten der "Arabischen Mujahidin" richteten sich ab 1992 vor allem gegen Ägypten und Algerien, nachdem sich einzelne kampferprobte "Mujahidin" des AfghanistanKriegs den dortigen militanten islamistischen Gruppierungen angeschlossen hatten. Im Zentrum der "Arabischen Mujahidin" steht die von Usama BIN LADIN Ende der 1980er Jahre gegründete Organisation "Al-Qaida" ("Die Basis"), die sich vermutlich Mitte der 1990er Jahre mit Teilen der militanten ägyptischen Gruppen "al-Jihad al-Islami" ("Der islamische Kampf") und "al-Gamaa al-Islamiya"237 ("Die islamische Gemeinschaft") zu einem transnationalen Terrornetzwerk zusammenschloss. Als zweiter Mann hinter BIN LADIN gilt der Führer der ägyptischen Terrorgruppe "al-Jihad al-Islami", Aiman AL-ZAWAHIRI. 237 Hocharabisch und in einheitlicher Schreibweise heißt es "al-Jihad al-Islami" und "al-Jamaa alIslamiya. Im ägyptischen Dialekt werden die Gruppierungen phonetisch als "al-Gihad al-Islami" und "al-Gamaa al-Islamiya" wiedergegeben. 178 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Programmatische Grundlage der internationalen Anschläge der "Al-Qaida" war der von Usama BIN LADIN 1998 mitunterzeichnete238 Aufruf der "Islamischen Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzzügler"239, den die Verfasser als ein religiöses Rechtsgutachten (fatwa)240 deklarierten. Darin waren die Tötung von Amerikanern zur individuellen Pflicht eines jeden Muslims erhoben, die Stationierung von US-Truppen in Saudi-Arabien für unzulässig erklärt und als Ziel die Verdrängung der USA von der Arabischen Halbinsel genannt worden. Hierzu sollten die USA als Schutzmacht Saudi-Arabiens angegriffen und - wie bereits die Anschläge auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania im August 1998 und auf das Marineschiff USS Cole im Oktober 2000 zeigten - möglichst viele Menschen, vor allem US-Bürger, getötet werden. "Hizb Allah" ("Partei Gottes") Ideologie: islamistisch Organisationsstruktur: informell Entstehung/Gründung: 1982 Mitgliederzahl: 800 bundesweit (2001: 800), 150 in Berlin (2001: 150) Sitz im Ausland: Beirut Publikationen: "al Ahd" ("Die Verpflichtung"), erscheint wöchentlich Die "Hizb Allah" wurde nach dem Einmarsch israelischer Truppen in den Libanon im Sommer 1982 gegründet und agierte im 15-jährigen libanesischen Bürgerkrieg zusammen mit der AMAL-Miliz als eine der beiden schiitischen Milizen. Aus ideologischen und regionalpolitischen Motiven heraus wird die streng hierarchisch strukturierte Bewegung vom Iran und von Syrien, die ihr auch die politische Linie vorgeben, finanziell und militärisch unterstützt. So negiert die 238 Zu den fünf Unterzeichnern gehörten Usama BIN LADIN ("Al-Qaida"), Aiman AL-ZAWAHIRI ("alJihad al-Islami"), Abu Yasir Rifa'i AHMAD TAHA ("al-Gamaa al-Islamiya"), Mir HAMZA (Generalsekretär der "Jam'iyat-ul-Ulama Pakistan") und Fazlur RAHMAN (Chef der "Jihad"-Gruppe, Bangladesch). 239 In der Verlautbarung hieß es: "Das Urteil [besteht darin], die Amerikaner und ihre Alliierten, Zivilisten und Militärs gleichermaßen zu töten, wo immer ihm dies möglich ist, ist eine individuelle Pflicht für jeden Muslim, der hierzu in der Lage ist, bis die Aqsa-Moschee [in Jerusalem] und die Heilige Moschee [in Mekka] von ihnen befreit sind und bis ihre Armeen das gesamte Territorium des Islam verlassen haben, geschlagen und unfähig, irgend einen Muslim noch zu bedrohen." Vgl. "Nass Bayan al-Jabha al-Islamiya al-Alamiya li-Jihad al-Jahud wa'l-Salibiyin" in der arabischsprachigen Zeitung "alQuds al-Arabi", London, 23. Februar 1998. Eine englische Übersetzung findet sich im Internet unter: http://www.fas.org/irp/world/para/docs/980223-fatwa.htm. 240 Diese fatwa ist aus Sicht der islamischen Theologie nicht gültig, da Usama BIN LADIN als Laie weder die theologische Qualifikation noch die religiöse Autorität zur Erstellung von Rechtsgutachten, geschweige denn zur Ausrufung des Jihad im Namen der Muslime besitze. Entsprechend wurden die Anschläge vom 11. September von einem Großteil der islamischen Religionsgelehrten als nicht mit dem Islam vereinbar zurückgewiesen, da die islamische Religion sowohl den Mord an unschuldigen Zivilisten als auch den Selbstmord verbiete. Vgl. Hanspeter Mattes, Ein Jahr danach. Der islamistische Terrorismus und seine Bekämpfung, in: Herder Korrespondenz 56, 9/2002, S. 444 - 448. Hintergrundinformationen 179 "Hizb Allah" seit ihrer Gründung das Existenzrecht Israels und propagiert den auch mit terroristischen Mitteln geführten Kampf gegen Israel, den sie als "legitimen Widerstand" bezeichnet. Im Libanon operierte ihr bewaffneter Arm, die Miliz des "Islamischen Widerstands" (al-Muqawama al-Islamiya), jahrelang mit militärischen und terroristischen Mitteln gegen Armeeeinrichtungen und Soldaten Israels. Hierzu gehörten neben Anschlägen auch Selbstmordattentate gegen israelische Soldaten. Innenpolitisch hat sich die "Hizb Allah" dagegen als eine parteiähnliche politische Bewegung konstituiert. Sie ist seit 1992 im libanesischen Parlament vertreten und findet unter der schiitischen Bevölkerung des Libanon wegen ihrer sozialen Aktivitäten gesellschaftlichen Rückhalt. Den im Mai 2000 erfolgten Rückzug der israelischen Truppen aus der so genannten "Sicherheitszone" im Südlibanon feierte die "Hizb Allah" als einen bedeutenden Sieg. Gleichzeitig sah sich die Organisation der Forderung gegenüber, sich vereinbarungsgemäß aus dem Südlibanon zurückzuziehen, ihre Miliz zu entwaffnen und sich im Libanon - wie von ihr mehrfach angekündigt - ausschließlich als politische Partei zu betätigen. Diese Vereinbarung hielt die "Hizb Allah" nicht ein. Hierbei benutzte sie den Nicht-Rückzug Israels aus den vom Libanon als sein Staatsgebiet betrachteten, von der UNO aber nicht als libanesisches Territorium anerkannten "Shebaa-Farmen" als einen Vorwand, um im Grenzgebiet weiter militärisch und terroristisch gegen Israel vorzugehen. Einen weiteren Vorwand für die Aufrechterhaltung der militärischen Option bezog die "Hizb Allah" aus der am 28. September 2000 ausgebrochenen "al-AqsaIntifada", die sie seitdem mit massiver Propaganda unterstützt. Die in den letzten Jahren verstärkt über ihren Sender "al-Manar" ("Der Leuchtturm") verbreitete Propaganda enthält alle Elemente der "Widerstandsideologie" der "Hizb Allah", die eine Mischung aus politischem Aktivismus und schiitischer Leidensmythologie darstellt. Hierzu gehört vor allem die Praxis der Selbstmordattentate, mit der die Organisation 1993 ins libanesisch-israelische Grenzgebiet abgeschobene palästinensische Islamisten erstmals bekannt machte. In Deutschland agieren die Anhänger der Organisation nicht offen unter der Bezeichnung "Hizb Allah". Andererseits werden auf Großdemonstrationen häufig "Hizb Allah"-Fahnen sowie Porträts ihres Generalsekretärs Hassan NASRALLAH gezeigt. Zu ihren Aktivitäten zählen vor allem die Vorbereitung und Beteiligung an Demonstrationen, interne Propagandaveranstaltungen und das Sammeln von Spendengeldern. In Berlin sorgten im Sommer Presseberichte über die angebliche Gründung eines bundesweiten Schulungszentrums der "Hizb Allah" für öffentliches Aufsehen. Derzeit gibt es für eine Realisierung dieses Projektes keine Anhaltspunkte. 180 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) / "Islamischer Bund Palästina" (IBP) Ideologie: islamistisch-nationalistisch Organisationsstruktur: informelle Gliederung Entstehung/Gründung: 1981 in München (IBP) / 1987 in Gaza (HAMAS) Mitgliederzahl: bundesweit 250 (2001: 250); in Berlin 50 (2001: 50) Die mit der dem Kurzwort HAMAS241 bezeichnete "Bewegung des Islamischen Widerstands" wurde 1987 im Gaza-Streifen von Shaikh Ahmad YASSIN in der Nachfolge eines Zweigs der "Muslimbruderschaft" ( MB) gegründet. Die Aktivitäten der HAMAS konzentrieren sich weitgehend auf die palästinensischen Gebiete, wo sie vor allem terroristisch gegen Israel vorgeht, aber auch sozial aktiv ist. Die Organisation verneint das Existenzrecht Israels und strebt die "Befreiung ganz Palästinas" sowie die Gründung eines "Islamischen Staates Palästina" durch bewaffneten Kampf an. Den 1993 begonnenen Oslo-Friedensprozess lehnt die HAMAS als "Ausverkauf palästinensischer Interessen" ab und bestreitet gleichzeitig den Führungsanspruch der Palästinensischen Autonomiebehörde. Seit dem Ausbruch der "al-Aqsa-Intifada" am 28. September 2000 und der Zuspitzung des Nahost-Konflikts verübte die HAMAS Selbstmordattentate gegen israelische Einrichtungen und Personen. Diese als "Märtyrer-Operationen" deklarierten Selbstmordanschläge ihres militärischen Flügels, der "Izz ad-Din alQassam-Brigaden", begrenzte sie nicht auf die besetzten Gebiete des Westjordanlands und Gaza-Streifens, sondern führte sie auch im israelischen Kernland durch. Die Anschläge der HAMAS zielten zudem nicht allein auf Militärpersonal, sondern auch auf die israelische Zivilbevölkerung. Das terroristische Vorgehen begründet die HAMAS mit einem "Recht auf Selbstverteidigung". Im Juni 2002 erfolgte die Aufnahme der "Izz ad-Din al-QassamBrigaden" in die EU-Liste terroristischer Organisationen. In Deutschland wird die Politik der HAMAS durch den "Islamischen Bund Palästina" (IBP) vertreten. Der IBP wurde 1981 innerhalb des "Islamischen Zentrums München" gegründet, um die Interessen religiös orientierter Palästinenser in Deutschland zu repräsentieren. Erst 1987 mit Ausbruch der ersten Intifada und Gründung der HAMAS entwickelte der IBP sein heutiges Profil als HAMAS-Vertretung in Deutschland. Der IBP organisiert Veranstaltungen und Demonstrationen gegen das Vorgehen Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten, verhält sich aber als Organisation in den letzten Jahren 241 Arabisch "Harakat al-Muqawama al-islamiya". Der Begriff "Hamas" stellt zugleich ein - bereits im Koran enthaltenes - arabisches Wort dar, das "Begeisterung", "Eifer" und "Leidenschaft" bedeutet. Islamisten interpretieren den Begriff als "Tapferkeit". Hintergrundinformationen 181 zunehmend unauffällig, obwohl seine Anhänger nach wie vor aktiv sind. So nahmen am 13. April zahlreiche Islamisten an einer Berliner Großdemonstration teil, auf der eine Vielzahl von HAMAS-Fahnen zu sehen war. Als Spendensammelverein der HAMAS galt der in Aachen ansässige "Al-Aqsa e. V.", der Anfang August vom Bundesminister des Innern verboten wurde.242 Als Berliner Treffpunkt für mutmaßliche Anhänger der HAMAS gilt das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum Berlin e. V.". "Muslimbruderschaft" (MB) Ideologie: islamistisch Organisationsstruktur: informelle Gliederung / Verein in Deutschland Entstehung/Gründung: 1928 in Ägypten / 1960 in Deutschland Mitgliederzahl: 1 200 bundesweit (2001: 1 200); für Berlin keine gesicherten Erkenntnisse Die 1928 in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft (MB) ist die älteste und zugleich bedeutendste arabische islamistische Gruppierung. Die pan-islamisch orientierte Organisation ist heute, teils unter anderem Namen, in fast allen Ländern des Vorderen Orients vertreten und unterhält auch Zweige in westeuropäischen Ländern. In den meisten nahöstlichen Staaten bildet die MB eine illegale Opposition zur Regierung, wobei ihre Aktivitäten von den jeweiligen politischen Verhältnissen abhängen: Während in Syrien der Aufstand gegen die Staatsmacht 1982 gewaltsam beendet wurde, nahm die Bereitschaft der MB zur Anpassung dort zu, wo eine Einbindung in den parlamentarischen Prozess gelang. Dies war in Jordanien und Ägypten in den 80er Jahren der Fall. Die ägyptische MB, größte der MB-Organisationen, durchlief verschiedene historische Phasen: Nach der Anfangsphase, in der die Lehre und Erziehung der Gläubigen Vorrang hatte, waren ihre Aktivitäten in den 40er und 50er Jahren von einer aggressiven Militanz geprägt, die in zahlreichen politischen Attentaten und Anschlägen zum Ausdruck kam. Die Gewaltbereitschaft der MB stand seinerzeit der zunehmenden Repression des ägyptischen Staates gegenüber, die ihren Höhepunkt 1966 in der Hinrichtung ihres Chefideologen Sayyid QUTB fand. Als nicht mehr gewaltorientiert gilt die ägyptische MB erst nach Abspaltung der militanten Kräfte in den späten 70er Jahren (Entstehen der terroristischen Gruppen "Takfir wa'l-Hijra"243 und "al-Jihad al-Islami"), auf die eine Phase der 242 siehe auch S. 73 ff. 243 Wörtl. "Exkommunizierung [des bestehenden Gesellschaftssystems] und [innere] Emigration". Das Wort "Hijra" (wörtl. "Auswanderung") bezieht sich gleichzeitig auf die 622 a. D. erfolgte "Auswan- 182 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Integrationsbereitschaft in das politische System folgte. Den Entschluss der MB, sich im politischen System Ägyptens auch an Wahlen zu beteiligen und im Parlament mitzuarbeiten, wird teils als ein "Marsch durch die Institutionen" gewertet. Ideologisch präsentiert sich die MB mit sehr heterogenen Vorstellungen. Aus den 30er Jahren stammt der Anspruch der MB, dass es eine "Ordnung des Islams" gebe. Dieser relativ unkonkrete Anspruch definiert die islamische Religion als ein "System", das "zu jeder Zeit und an jedem Ort" anwendbar sein soll und das den Koran und die Sunna zur Richtschnur politischen Handelns erhebt. Zeitgenössische Vorstellungen zu Staat und Gesellschaft vertritt die MB mit der Forderung nach "Anwendung der Scharia", des islamischen Rechts, und Schaffung eines "islamischen Staates". Da hierin Legislative, Judikative und Exekutive der Scharia untergeordnet sein sollen, wäre das von der MB favorisierte Staatsmodell zwangsläufig ein Staat, der westlichen Demokratievorstellungen zuwider läuft. In Deutschland werden die Interessen der MB von der 1960 gegründeten "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) vertreten, die unter dem Einfluss der ägyptischen MB steht. Die IGD beeinflusst mehrere Islamische Zentren in ganz Deutschland. Ihre Hauptaktivitäten sind gegenwärtig auf die Ausrichtung der in Deutschland lebenden Muslime im Sinne der Ideologie der MB gerichtet. So wird in Einrichtungen der IGD z.T. offen gegen die Existenz des Staates Israel agitiert. Als Berliner Treffpunkt für mutmaßliche Anhänger der MB gilt das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum Berlin e. V.". "Hizb ut-Tahrir al-Islami" (HuT / "Islamische Befreiungspartei") Ideologie: islamistisch Organisationsstruktur: parteiähnliche Bewegung / die Organisation unterliegt seit Januar 2003 in Deutschland einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot Entstehung/Gründung: 1953 Mitgliederzahl: keine gesicherten Erkenntnisse Sitz im Ausland: London Publikationen: "Explizit" (vierteljährlich, Auflage: 5 000) "Al Waie" und "Kilafah-magazine" Die pan-islamisch orientierte "Hizb ut-Tahrir al-Islami" (Islamische Befreiungspartei) wurde 1953 in Ostjerusalem von dem ehemaligen Mitglied der Muslimbruderschaft Taqi ad-Din AN-NABHANI (1909 - 1977) gegründet, einem Religionsgelehrten an der Kairoer al-Azhar Universität und Richter am derung" des Propheten Muhammad von Mekka nach Medina, wo er die Grundlagen des islamischen Gemeinwesens schuf. Hintergrundinformationen 183 Jerusalemer Scharia-Gericht. Im Gründungsjahr der HuT erschien auch ANNABHANIs Publikation "Die Herrschaftsordnung des Islam" (Nizam al-Hukm fi'lIslam). Darin plädierte er für ein an den Vorschriften der Scharia orientiertes Herrschaftssystem mit einem "Kalifen" an der Spitze. AN-NABHANI zufolge sollte eine "islamische Herrschaftsordnung" nicht allein in der islamischen Hemisphäre errichtet, sondern weltweit durchgesetzt werden. Hierfür befürwortete er auch die Anwendung von Gewalt. Das Buch "Die Herrschaftsordnung des Islam" stellt bis heute die wichtigste Publikation der HuT dar. Erklärte politische Ziele der Organisation sind die Vernichtung des Staates Israel, die "Befreiung" der islamischen Welt von westlichen Einflüssen, die Wiederherstellung des Kalifats sowie die Einführung der Scharia als politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip. Die HuT fand nach ihrer Gründung in vielen Regionen des Vorderen Orients Anhänger. 1968 und 1969 scheiterten Staatsstreiche der Organisation in Jordanien und im Irak, 1974 und 1976 in Ägypten und Syrien. Auch aktuell gibt es, obwohl die HuT in allen arabischen Ländern verboten ist, Meldungen zu Putschversuchen. So erhob am 6. August 2002 die ägyptische Staatsanwaltschaft Anklage gegen 26 Anhänger der HuT, 23 Ägypter und drei Briten, denen versuchter Sturz der ägyptischen Regierung vorgeworfen wird. AN-NABHANI's Nachfolger, dem 1925 in Hebron geborenen Abdul Qadim ZALLUM, der sich zur Zeit in Jordanien aufhalten soll, gelang es Anfang der 90er Jahre, das Aktionsfeld der HuT auf Asien auszudehnen und Organisationsstrukturen sowohl in Pakistan als auch in Indonesien zu schaffen. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR etablierte sich die Organisation auch in Zentralasien und im Kaukasus. Hierzu gehören insbesondere die neugeschaffenen Staaten Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan und Aserbaidschan. Die Zentrale der Organisation befindet sich vermutlich in London, wo der HuTeigene Verlag "Al Khilafah-Publications" die arabischsprachige Zeitung "Al Waie" und die englischsprachige Zeitung "Kilafah-magazine" herausgibt. In Deutschland produziert die HuT das Magazin "Explizit", das seit 1994 vierteljährlich in einer Auflage von derzeit 5 000 Stück erscheint; Internet-Ausgaben des Magazins existieren auch in dänischer und holländischer Sprache. Bei "Explizit" handelt es sich um ein islamistisches Propagandamagazin, das das Existenzrecht Israels negiert und antijüdische bzw. antizionistische Inhalte verbreitet. In der "Explizit" wird offen zum Krieg gegen Israel und zur Tötung von Juden aufgerufen. So heißt es in einer Ausgabe244: "Auf die zionistische Aggression in Palästina kann es nur eine Antwort geben: den Jihad. Allah der Erhabene befiehlt: 'Und tötet sie, 244 Explizit" Nr. 30, 2002, S. 6 184 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 wo immer ihr sie zu fassen bekommt, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben!' (Sure 2, Vers, 191)." In Deutschland ist die Organisation seit 1990 aktiv, wo sie Missionierungsarbeit für den "richtigen Glauben" betreibt und neue Mitglieder anwirbt. Hier verhielt sich die Gruppierung bis in die jüngere Zeit eher unauffällig. Auch unter arabischen Muslimen nahm die HuT eher eine Außenseiterposition ein. Dies ist teils auf ihre nach außen abgeschottete Struktur zurückzuführen, teils auf das verbal aggressive Auftreten ihrer Anhänger gegenüber anderen Muslimen, die sie des "Abfalls vom wahren Glauben" bezichtigt. Zu den Aktivitäten der HuT in Berlin zählen Veranstaltungen, der Verkauf des Magazins "Explizit" und das Verteilen von Flugblättern vor Moscheen. Nach Aufrufen in deutscher, türkischer und arabischer Sprache auf der Internetseite des Magazins "Explizit" kam es am 20. Juli 2002 in Berlin zu einer Demonstration vor der Usbekischen Botschaft, auf der gegen die Inhaftierung von HuTMitgliedern in Usbekistan protestiert wurde. Entsprechende Veranstaltungen fanden auch in Brüssel, Wien und London statt. Große öffentliche Aufmerksamkeit erregte eine Veranstaltung mit dem Titel "Der Irak - Ein neuer Krieg und seine Folgen" am 27. Oktober in der "Alten TUMensa", in der der Mitherausgeber des Magazins "Explizit", Shaker ASSEM, als Referent auftrat. Unter den ca. 300 Gästen befanden sich auch der NPD-Anwalt Horst MAHLER und der NPD-Vorsitzende Udo VOIGT. Die Anwesenheit der beiden NPD-Funktionäre löste bundesweit Diskussionen über Verbindungen zwischen rechtsextremistischen und islamistischen Gruppierungen aus.245 Im Rahmen eines Strafverfahrens durchsuchte die Polizei am 12. November bundesweit insgesamt 23 Objekte, die der Organisation zugerechnet werden. Den Verdächtigen wurden Verbindungen zu den Tätern des 11. September 2001 zur Last gelegt. Zwei der durchsuchten Objekte befanden sich in Berlin.246 245 siehe auch S. 32 246 Nachtrag: Am 10. Januar 2003 erließ der Bundesminister des Innern ein Betätigungsverbot gegen die HuT. Das Verbot wurde damit begründet, dass sich die Tätigkeit der Organisation gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte. Am 15. Januar wurden in Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen Durchsuchungen durchgeführt. In Berlin richteten sich die Maßnahmen gegen sieben Mitglieder bzw. Aktivisten der Organisation. Hintergrundinformationen 185 4.2 Iraner "Arbeiterkommunistische Partei Irans" (API) Ideologie: linksextremistisch Organisationsstruktur: parteiähnliche Bewegung Entstehung/Gründung: 1991 in Deutschland gegründet Mitgliederzahl: 400 bundesweit (2001: k. A.), 20 in Berlin (2001: k. A.) Sitz in Deutschland: Köln Bei der API handelt es sich um eine marxistisch ausgerichtete Partei, die das politische System der Iranischen Republik Iran mit allen Mitteln bekämpft. Ziel der API ist die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung im Iran, die durch die "soziale Revolutionierung der Arbeiterklasse" zustande kommen soll. Zur Bekämpfung der Islamischen Republik Iran bejaht sie ausdrücklich die Anwendung von Gewalt. Die API vertritt eine stark anti-westliche, aber auch anti-islamistische Haltung. Nach den Terroranschlägen in den USA schrieb beispielweise Mansoor HEKMAT, Chefideologe der API, in seiner Analyse "The world after September 11",247 dass sich die Welt in einer neuen und zerstörerischen Phase des "internationalen Krieges der Terroristen" befände. Hierbei spricht HEKMAT von "zwei Formen von Terrorismus": Bei der ersten Form handele es sich um "Staatsterrorismus", der der API zufolge von den USA und westlichen Staaten ausgeübt werde. Die zweite Form stelle der "islamistische Terrorismus" dar, der für die Völkermorde in Iran, Afghanistan und Algerien verantwortlich sei. Die API richtet schwerpunktmäßig Demonstrationen aus, durch die die deutsche Öffentlichkeit auf Menschenrechtsverletzungen der iranischen Regierung aufmerksam gemacht werden soll. Diese Kundgebungen werden meist von einer Nebenorganisation der API, der "Föderation der iranischen Flüchtlingsund Immigrantenräte e. V." (IFIR), organisiert. Hierbei kam es in der Vergangenheit wiederholt zu gewaltsamen Übergriffen der IFIR gegen hochrangige regimetreue Iraner. 247 Homepage der API 186 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 "Volksmojahedin Iran-Organisation" (MEK) / "Nationaler Widerstandsrat" (NWRI) Ideologie: linksextremistisch Organisationsstruktur: seit 1985 die dominierende Gruppierung im "Nationalen Widerstandsrat Iran" (NWRI), dem Exilparlament der iranischen Opposition Entstehung/Gründung: 1965 im Iran (MEK); NWRI seit 1994 in Berlin vertreten Mitgliederzahl: 900 bundesweit (2001: 900), 20 in Berlin (2001: 20) Sitz in Deutschland: Köln Sitz im Ausland: Bagdad / Irak Publikationen: "Modjahed" (erscheint wöchentlich; englischsprachige Homepage) Nachdem die "Volksmojahedin Iran-Organisation" (MEK) seit 1965 bereits das Schah-Regime bekämpft hatten, gehört der Sturz des politischen Systems der Islamischen Republik Iran zu ihren erklärten Zielen. Zu diesem Zweck verübt die MEK über ihren - im iranisch-irakischen Grenzgebiet stationierten - bewaffneten Arm, die "Nationale Befreiungsarmee" (NLA) terroristische Anschläge im Iran. Die NLA genießt die politische und militärische Unterstützung des mit dem Iran verfeindeten Irak und bildet heute eine 5 000 Personen umfassende Armee, in der Soldatinnen als Kämpfer dominieren. In Deutschland wird die MEK durch ihren international agierenden politischen Arm, den "Nationalen Widerstandsrat Iran" (NWRI), vertreten. Dessen Aktivitäten konzentrieren sich vor allem auf die Beschaffung von Spendengeldern, die auch strafbare Methoden einschließt.248 Staatsbesuche iranischer Politiker nutzt der NWRI für Kundgebungen und militante Aktionen, die zum Ziel haben, den politisch-kulturellen Dialog zwischen der Bundesrepublik und dem Iran zu stören.249 Die Organisation bemüht sich ferner, ihre Anhänger in europäischen Staaten für einen zeitlich begrenzten Einsatz in der NLA zu rekrutieren. 248 vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Spezial Nr. 1, Iranischer Extremismus, Dezember 2002, S. 23 - 27 249 vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2001, S. 239 - 240 Hintergrundinformationen 187 4.3 Kurden "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) / "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) Ideologie: linksextremistisch Organisationsstruktur: Selbstverständnis als politische Partei, in Deutschland Vereinsstrukturen (Tarnund Nebenorganisationen) Entstehung/Gründung: 1978 in der Türkei gegründet Mitgliederzahl: 12 000 bundesweit (2001: 12 000), 1 100 in Berlin (2001: 1 100) Sitz in Deutschland: Die Organisation unterliegt seit 1993 in Deutschland einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Publikationen: "Serxwebun" ("Unabhängigkeit"), monatlich Die PKK wurde 1978 im Südosten der Türkei vor dem Hintergrund des seit Jahrzehnten andauernden Konfliktes über die völkerrechtliche Situation der im Ländereck Türkei, Iran, Irak und Syrien lebenden 25 Millionen Kurden gegründet. Erklärtes Ziel der Organisation war die Anerkennung der Kurden als Nation und die Erlangung der politischen Autonomie für die kurdische Minderheit innerhalb des türkischen Staatsgebiets. Von 1984 bis 1999 führte die PKK in der südöstlichen Türkei einen Guerillakrieg für ein unabhängiges "Kurdistan". In den Jahren 1992 und 1993 verübten Anhänger der PKK zahlreiche Brandanschläge auf türkische Einrichtungen in Deutschland. Insbesondere auf Demonstrationen kam es wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Am 24. Juni 1993 wurde das türkische Generalkonsulat in München von 13 Kurden besetzt, wobei 20 Geiseln genommen wurden. Diese gewalttätigen Aktionen führten zum vereinsrechtlichen Betätigungsverbot in Deutschland. Ab Mitte 1996 bis zur Festnahme des PKK-Führers Abdullah ÖCALAN im Jahre 1999 verliefen Demonstrationen und Kundgebungen der Anhänger der PKK in Deutschland in der Regel gewaltfrei. Dagegen führten die Festnahme ÖCALANs und seine Auslieferung an die Türkei zu weltweiten militanten Protesten. In Berlin kam es am 17. Februar 1999 zur Erstürmung des israelischen Generalkonsulats, bei der vier Kurden von israelischen Sicherheitskräften erschossen wurden. 1999 nahm die Partei einen strategischen Kurswechsel vor, der auch die deutschen PKK-nahen Vereine betraf. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Umbenennungen der Teilund Nebenorganisationen der PKK, während die bisherigen Hierarchieund Befehlsstrukturen beibehalten wurden. Auf dem vom 4. bis 10. April 2002 abgehaltenen 8. Parteikongress der PKK wurde der "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) gegründet, 188 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 nachdem zuvor die Einstellung aller Tätigkeiten unter dem Namen "PKK" für den 4. April beschlossen worden war.250 4.4 Türken "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti") Ideologie: islamistisch Organisationsstruktur: Vereine Entstehung/Gründung: 1984 Mitgliederzahl: 1 100 bundesweit (2001: 1 100), 50 in Berlin (2001: 50) Sitz in Deutschland: Köln; die Organisation wurde am 12. Dezember 2001 vom Bundesminister des Innern verboten Publikationen: "Beklenen ASR-I SAADET" ("Das erwartete Zeitalter der Glückseligkeit") Der "Kalifatsstaat" ist eine islamistische Organisation, die sich 1984 unter der Leitung von Cemaleddin KAPLAN zunächst mit der Bezeichnung "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. Köln" (ICCB) von der "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V." (AMGT)251 abgespalten hat.252 Sowohl der damalige ICCB als auch AMGT strebten für die Türkei eine islamistische Staatsordnung auf Grundlage der Scharia an. Grundlegender Unterschied zwischen beiden Organisationen und gleichzeitiger Anlass für die Abspaltung der so genannten "Kaplancilar" (Kaplan-Anhänger) war hierbei die Frage, auf welchem Weg die Gründung eines "islamischen Staates" zu realisieren sei. Während die AMGT den gewaltfreien, parlamentarischen Weg einschlug, sprach sich KAPLAN ausdrücklich für eine "islamische Revolution" nach dem Vorbild des Iran aus. Im Zuge einer "islamischen Revolution" sollte das - 1924 in der neugegründeten türkischen Republik abgeschaffte - Kalifat, das Amt des weltlichen Oberhauptes der Muslime, wieder eingeführt werden. Den legalen Weg zur Macht über demokratische Wahlen lehnte KAPLAN hierbei entschieden ab, da westliche Demokratiemodelle nicht mit der Scharia vereinbar seien. Seinen Vorstellungen zufolge sollte sich der zu gründende islamische Staat zunächst auf das Gebiet der heutigen Türkei beschränken, später aber alle muslimischen Länder unter der Herrschaft eines türkischen Kalifen vereinen. 250 siehe auch S. 65, 75 ff., 172 251 heute IGMG 252 siehe auch S. 79 ff. Hintergrundinformationen 189 Als selbsternannter "Emir der Gläubigen und stellvertretender Kalif" rief Cemaleddin KAPLAN 1992 den "Föderativen Islamstaat Anatolien" aus. 1994 ließ er sich von seinen Anhängern zum Kalifen wählen, worauf die Umbenennung der Organisation in "Hilafet Devleti" ("Kalifatsstaat") erfolgte. Nach dem Tod Cemaleddin KAPLANs im Jahr 1995 trat sein Sohn Metin die Nachfolge im Amt des "Kalifen" an. Kurze Zeit danach wurde die Rechtmäßigkeit des neuen "Kalifen" von einigen Anhängern der Gemeinde in Frage gestellt. 1996 kam es zur Spaltung der Organisation, als der Berliner Arzt und frühere Vertraute von Cemaleddin KAPLAN, Dr. Halil Ibrahim SOFU, von seiner Anhängerschaft zum "Gegenkalifen" ausgerufen wurde. Im Mai 1997 wurde SOFU in seiner Wohnung in Wedding von Unbekannten erschossen. In diesem Zusammenhang wurde Metin KAPLAN am 15. November 2000 vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen zweifacher öffentlicher Aufforderung zur Ermordung SOFUs zu vier Jahren Haft verurteilt. Nach der Verhaftung von Metin KAPLAN übernahm Harun AYDIN die Leitung des Verbandes, wobei das ideologische Konzept Cemaleddin KAPLANs beibehalten und die aggressive, demokratiefeindliche und antisemitische Agitation fortgeführt wurden. Am 12. Dezember 2001 hat der Bundesminister des Innern den "Kalifatsstaat" verboten. Das Verbot wurde durch die Streichung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz möglich.253 Begründet wurde das Verbot damit, dass sich der "Kalifatsstaat" offen gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland sowie den Gedanken der Völkerverständigung richtet und die innere Sicherheit sowie außenpolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.254 Das Verbot betraf den Gesamtverband und seine bundesweit vorhandenen 19 Teilorganisationen sowie die zum Verband gehörende, in den Niederlanden registrierte Stiftung "Diener des Islam". In Berlin war u. a. die Muhacirin-Moschee in Friedrichshain-Kreuzberg von den Maßnahmen betroffen. 253 Erstes Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes, BGBl. I, Nr. 64, 2001, S. 3319 254 siehe dazu Verfassungsschutzbericht 2001, S. 79 ff. 190 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) Ideologie: islamistisch Organisationsstruktur: Vereine Entstehung/Gründung: 1985 in Köln als "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V." (AMGT) Mitgliederzahl: 26 500 bundesweit (2001: 27 000), 2 900 in Berlin (2001:3 000) Sitz in Deutschland: Köln, vereinsrechtlich Bonn Publikationen: "Milli Görüs & Perspektive" (erscheint unregelmäßig) Der Vorläufer dieser islamistischen Organisation wurde 1985 unter der Bezeichnung "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V." ("Avrupa Milli Görüs Teskilatlari" - AMGT) in Köln gegründet. 1995 gingen daraus die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) und die "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V." (EMUG) hervor. Die EMUG ist für die Verwaltung des Immobilienbesitzes der Vereinigung verantwortlich. Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" vertritt eine islamistische Ideologie, die auf das politische Konzept von Necmettin ERBAKAN zurückgeht, das dieser 1973 in dem gleichnamigen Buch "Milli Görüs" (Nationale Sicht) veröffentlichte. ERBAKANs Ziel ist es, die türkischen Bürger unter dem Dach von Nationalismus und Islamismus zu einen und in der Türkei eine "Islamische Republik" zu errichten. Als politisches und gesellschaftliches Ordnungsmodell propagiert er eine 'gerechte Ordnung' ("Adil Düzen"), in welcher die Scharia gilt und politisches Handeln sich an den Prinzipien von Koran und Sunna orientiert. ERBAKAN lehnt wesentliche rechtsstaatliche Prinzipien wie Volkssouveränität oder Parteienpluralismus als unvereinbar mit der 'gerechten Ordnung' ab und fordert einen Systemwechsel nicht allein für die Türkei, sondern auch für die Bundesrepublik Deutschland. So war noch im Juli 2002 ein Videomitschnitt von ERBAKAN im Internet zu sehen: "Du willst dich von diesen Sorgen befreien? Um dich von diesen Sorgen befreien zu können, muss aus der Staatsordnung in Deutschland eine 'gerechte Ordnung' werden. Bevor hier keine 'gerechte Ordnung' herrscht, wirst du nicht zu deinem Recht kommen. Alles hängt letztlich davon ab, ob aus der hiesigen 255 Staatsordnung eine gerechte Ordnung wird." 1970 hatte Necmettin ERBAKAN - auf der Grundlage der Milli-Görüs-Ideologie - seine erste islamistische Partei in der Türkei gegründet. Im Gegensatz zu Parteiführern des linken und rechten Spektrums konnte er trotz mehrmaliger Parteiverbote und anschließender Neugründungen eine Spaltung seiner Anhängerschaft bis 2001 verhindern. Interne Flügelkämpfe zwischen den so 255 Rede von Necmettin Erbakan, "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung", 1990) Hintergrundinformationen 191 genannten Traditionalisten und den Erneuerern in der "Fazilet Partisi" (FP - "Tugendpartei") führten nach ihrem Verbot im Juni 2001 jedoch zur Gründung von zwei Nachfolgeparteien. Hierzu gehört die im Juli 2001 vom ehemaligen Vorsitzenden der "Tugendpartei", Recai KUTAN, gegründete "Saadet Partisi" (SP - "Partei der Glückseligkeit"), in der sich die "Traditionalisten" wiederfinden, die sich zur Milli-Görüs-Ideologie und deren Begründer ERBAKAN bekennen. Die zweite Nachfolgepartei stellt die - im August 2001 vom ehemaligen Istanbuler Oberbürgermeister und früheren Anhänger der FP, Recep Tayyip ERDOGAN gegründete - "Adalet ve Kalkinma Partisi" (AKP - "Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei") dar, die als politisches Lager der "Erneuerer" gilt. Zwischen IGMG, Necmettin ERBAKAN und der SP bestehen, wie bei den anderen, früher von ERBAKAN geführten Parteien, enge inhaltliche und personelle Verbindungen. In einem Interview mit dem damaligen IGMG-Generalsekretär, Mehmet Sabri ERBAKAN, einem Neffen von Necmettin ERBAKAN, erwiderte dieser auf die Bemerkung eines Journalisten, N. ERBAKAN werde regelmäßig in der "Milli Gazete" als "Führer" von Milli Görüs bezeichnet und sei anlässlich der IGMG-Jahreshauptversammlung als solcher gefeiert worden, sein Onkel sei der "Führer dieser geistigen Bewegung".256 Necmettin ERBAKAN sowie Abgeordnete der SP und ihrer Vorgänger nehmen häufig an Veranstaltungen der IGMG in Europa teil. So traten an dem diesjährigen "Tag der Freundschaft und Solidarität", den die IGMG in Arnhem/Holland veranstaltete, nicht nur Necmettin ERBAKAN, sondern auch die ehemalige Istanbuler Abgeordnete der "Tugendpartei", Merve Safa KAVAKCI, und der SPAbgeordnete Temel KARAMOLLAOGLU als Redner auf.257 Darüber hinaus sind Funktionäre der IGMG in Ämter der islamistischen Parteien ERBAKANs in Ankara gewählt worden. 1995 kandidierten 33 Mitglieder der damaligen AMGT für ein Mandat der Wohlfahrtspartei. Drei von ihnen gelang der Einzug ins Parlament: Sevket YILMAZ, ehemaliges Mitglied des Exekutiv-Komitees der AMGT, Abdullah GENCER, früher stellvertretender Vorsitzender der AMGT sowie Osman YUMAKOGULLARI, der bis 1995 langjähriger Vorsitzender der Milli Görüs in Deutschland war und gleichzeitig als Verantwortlicher der Deutschlandausgabe der Milli Gazete fungierte.258 Osman YUMAKOGULLARI kandidierte bei den Wahlen zum türkischen Parlament am 3. November 2002 auf der Liste der SP. 256 "Die Tageszeitung" vom 3. August 2000 257 "Milli Görüs & Perspektive", Juli - August 2002, S. 17 258 siehe dazu Günter Seufert, Die Milli-Görüs-Bewegung (AMGT/IGMG). Zwischen Integration und Isolation, in: Günter Seufert und Jacques Waardenburg, Turkish Islam and Europe - Türkischer Islam und Europa, Stuttgart/Istanbul 1999, S. 296 192 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Die IGMG präsentiert sich in ihren offiziellen Verlautbarungen als eine auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehende Organisation von Muslimen in Deutschland. Allerdings distanziert sie sich in keiner Weise von der islamistischen "Milli Görüs"-Ideologie ERBAKANs. Die IGMG ist die größte islamistische Organisation in Deutschland, die durch Mitgliedsbeiträge und Spenden über erhebliche finanzielle Mittel verfügt. Dies ermöglicht es ihr, eine Vielzahl von Aktivitäten anzubieten. Ein Hauptschwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Erziehungsund Bildungsarbeit für Kinder und Jugendliche, die sie im Sinne des Islamverständnisses der "Milli Görüs" zu beeinflussen sucht. Dies beinhaltet ausdrücklich die Aufforderung an die IGMG-Jugend, sich von türkischen und deutschen "Ungläubigen" fern zu halten, da diese als verdorben und dekadent zu betrachten seien.259 Die zahlreichen Angebote sowie die Mitarbeit in islamischen Dachverbänden nutzt die IGMG auch für ihr Bestreben, hinsichtlich der Interessenvertretung der in Deutschland lebenden türkischen Muslime eine Vorrangstellung einzunehmen. Europaweit betreibt der Verband nach eigenen Angaben mehr als 600 Moscheevereine. In Berlin tritt die IGMG nicht unter dieser Bezeichnung auf. Ihr sind Vereine unterschiedlicher Bezeichnung zuzurechnen, wobei die Zugehörigkeit zur IGMG teilweise bestritten wird. So erhob der Verein "Islam Kolleg e.V." Klage auf Unterlassung einer entsprechenden Behauptung. Das Landgericht Berlin erklärte es hingegen in seinem Urteil vom 25. April für zulässig, dass die beklagte "TAZ Verlagsund Vertriebs GmbH" den "Islam Kolleg e.V." als "Tarnorganisation der IGMG" bezeichnet. Der "Islam Kolleg e.V." betreibt als Trägerverein eine islamische Privatschule in Berlin. Er wurde von führenden Mitgliedern der "Islamischen Föderation in Berlin e.V." gegründet, die im Jahr 2001 als erste Organisation das Recht auf islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Berlin zuerkannt bekommen hatte.260 259 Siehe dazu Emine Senlikoglu "Man hat die Jugendlichen durch Fragen ihres Glaubens beraubt" (Gencligin Imanini Sorularla Caldilar). Ihre Bücher wurden in dem IGMG-Katalog vom März 2001 angeboten. 260 Aktenzeichen 27.O.134/02 Hintergrundinformationen 193 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) MLKP Ideologie: linksextremistisch Organisationsstruktur: Funktionärsgruppe Entstehung/Gründung: 1994 (in der Türkei) Mitgliederzahl: 600 bundesweit (2001: 600), 25 in Berlin (2001: 25) Publikationen: "Yeniden Atilim" ("Neuer Vorstoß"), erscheint wöchentlich "Partinin Sesi" ("Stimme der Partei"), erscheint zweimonatlich Die MLKP ist der Ideologie des Marxismus-Leninismus verbunden und agitiert gegen die staatliche Ordnung in der Türkei. Ihr Ziel ist dabei die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft. Sie versteht sich als die authentische Stimme des Proletariats einer gemeinsamen türkisch-kurdischen Nation sowie als Vertreterin nationaler Minderheiten. In der Türkei versucht die MLKP, ihre politischen Ziele auch mit terroristischen Mitteln durchzusetzen. Hierzu bedient sie sich ihres militärischen Arms, den so genannten Roten Kommandos. Eigenen Angaben zufolge sei man im letzten Jahr in der Türkei an mehreren Anschlägen auf Parteizentralen und an bewaffneten Angriffen auf Polizeikräfte beteiligt gewesen.261 In Deutschland lag der Agitationsschwerpunkt der MLKP auf öffentlichen Veranstaltungen, die sich thematisch hauptsächlich auf aktuelle Ereignisse in der Türkei bezogen. Diese Manifestationen führte die MLKP häufig gemeinsam mit anderen linksextremistischen türkischen und kurdischen Organisationen durch. Auf ihren Spruchbändern und Flugblättern wird dabei anstelle der Bezeichnung MLKP meist der Begriff "Föderation der ArbeitsimmigrantInnen aus der Türkei in Deutschland" (AGIF) verwendet. Bei der AGIF handelt es sich um einen Dachverband MLKP-orientierter Vereine in Deutschland, dessen Programmatik sich gegen "Imperialismus" und "Globalisierung" richtet. Als in der Türkei nach Einführung der Gefängnisse des "Typs F" Häftlinge in den Hungerstreik traten,262 wurden im Berliner Raum zahlreiche Solidaritätsaktionen durchgeführt. Diese wurden mehrheitlich von der hiesigen Gliederung der MLKP getragen. 261 "Özgür Genc" vom 10. März 2002 262 siehe auch S. 88 ff. 194 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Ideologie: linksextremistisch Organisationsstruktur: konspirativ arbeitende Kaderorganisation, in Deutschland seit 1998 verboten Entstehung/Gründung: 1994 Mitgliederzahl: 850 bundesweit (2001: 900), 70 in Berlin (2001: 70) Publikationen: "Ekmek ve Adalet" ("Brot und Gerechtigkeit"), erscheint wöchentlich Die miteinander rivalisierenden Organisationen "Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front" (DHKP-C) und "Türkische Volksbefreiungspartei/-Front - Revolutionäre Linke" (THKP/-C - Devrimci Sol) sind aus der 1978 in der Türkei gegründeten Organisation "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") hervorgegangen, die 1983 in Deutschland verboten wurde. Beide Organisationen sind in der Türkei terroristisch aktiv263 und streben eine revolutionäre Beseitigung des türkischen Staatsgefüges und die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Ideologie an. Die DHKP-C ist auch unter den Namen "Revolutionäre Volksbefreiungspartei" (DHKP) bzw. "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" (DHKC) tätig. Obwohl die DHKC gelegentlich als "bewaffneter Arm" der Organisation bezeichnet wird, ist bislang nicht klar zu erkennen, nach welchem Prinzip die jeweilige Bezeichnung verwendet wird. Laut Parteiprogramm kämpft die DHKP-C für die "Befreiung der türkischen und kurdischen Nation und aller anderen Nationen". Die DHKP-C geht davon aus, dass es in einem vom "Imperialismus" abhängigen und vom "Faschismus" regierten Land wie der Türkei unmöglich sei, die Machtverhältnisse durch eine Teilnahme an Wahlen zu verändern. Daher plädiert sie für einen radikalen Umsturz des dortigen politischen Systems in Form einer "Revolution" und des "bewaffneten Volkskampfes". Personen, deren Aktivitäten gegen die "Revolution" gerichtet seien, droht die DHKP-C eine "gnadelose Bestrafung" an. Seit November 2000 engagiert sich die DHKP-C in Deutschland - wie andere linksextremistische türkische Gruppierungen auch - mit öffentlichen Solidaritätskundgebungen für die Hungerstreikenden in den türkischen Gefängnissen.264 In diesem Zusammenhang führte die Organisation zahlreiche Protestkundgebungen durch. 263 siehe auch S. 90 264 siehe auch S. 88 ff. Hintergrundinformationen 195 "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) Ideologie: linksextremistisch Organisationsstruktur: konspirativ arbeitende Kaderorganisation Entstehung/Gründung: 1972 in der Türkei, in Deutschland seit 1973 / 74 Mitgliederzahl: 1 500 bundesweit (2001: 1 800), 100 in Berlin (2001: 100) Publikationen: "Özgür Gelecek" ("Freie Zukunft"), erscheint zweiwöchentlich "Isci Köylü Kurtulusu" ("Arbeiterund Bauernbefreiung"), erscheint zweimonatlich Die TKP/ML ist seit 1994 in die Flügel "Partizan" und "Ostanatolisches Gebietskomitee" (DABK) gespalten. Beide ideologisch am Marxismus-Leninismus orientierte Flügel wollen die staatliche Ordnung in der Türkei gewaltsam beseitigen und dort eine kommunistische Gesellschaft errichten. In der Türkei verfügen beide Flügel über bewaffnete Einheiten, die die identische Bezeichnung "Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO) tragen. Die Organisationen agitieren dort unabhängig voneinander und verüben Anschläge gegen den türkischen Staat. Nach eigenen Angaben habe man sich zum Beispiel im Mai Feuergefechte mit den türkischen Sicherheitskräften geliefert, bei denen es zu Opfern auf beiden Seiten kam. Die TKP/ML arbeitet verdeckt und unterhält in Deutschland und in anderen europäischen Ländern mehrere Basisorganisationen. Zum Partizan-Flügel gehören die Organisationen "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V." (ATIF) und die "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" (ATIK). Das DABK ist über die Dachorganisationen "Föderation für demokratische Rechte in Deutschland" (ADHF) und "Konföderation für demokratische Rechte in Europa" (ADHK) vertreten. Auch in diesem Jahr waren Anhänger der TKP/ML zusammen mit der "Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP) und der "Revolutionären Volksbefreiungspartei - Front" (DHKP-C) in der deutschen Öffentlichkeit aktiv. Anlass für die gemeinsamen Aktionen bildeten hauptsächlich die - auf die Einführung der Gefängnisse des "Typ F" zurückgehenden - Hungerstreiks in der Türkei.265 265 siehe auch S. 88 ff. 196 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 5 "Scientology"-Organisation Die "Scientology"-Organisation (SO) verfügt bundesweit über ca. 5 000 bis 6 000 Mitglieder, die überwiegend in den insgesamt 10 "Kirchen" und 11 "Missionen" aktiv sind. München ist der zentrale Sitz von "Scientology Deutschland". Die SO selber verwendet unterschiedliche Zahlen bezüglich ihrer Einrichtungen. In Berlin besteht weiterhin eine "Kirche", die im Berichtsjahr keine wesentliche Öffentlichkeitswirksamkeit entfaltet hat. "Scientology" versteht sich als "Erlösungsreligion" in der "Tradition ostasiatischer Religionen, insbesondere des Buddhismus". Sie behauptet, dem Menschen den Zustand vollständiger geistiger Freiheit und Unsterblichkeit zu vermitteln. Die politischen und gesellschaftlichen Zielvorstellungen der Organisation stehen im Gegensatz zu tragenden Prinzipien des Grundgesetzes. Das SO-Modell wird dominiert von einem sämtliche Lebensfelder umfassenden elitären Alleinvertretungsanspruch auf die absolute "Wahrheit" und erweist sich in weiten Teilen als antidemokratisch. Demokratische Mitwirkungsrechte wie das allgemeine Wahlrecht und das Recht des Einzelnen zur Bildung und Ausübung einer Opposition sieht eine scientologische Ordnung nicht vor. Die SO misst Deutschland für ihr Expansionsstreben auf dem europäischen Kontinent höchsten Stellenwert zu. Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) hat am 5. / 6. Juni 1997 festgestellt, dass hinsichtlich der SO tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen und die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden gegeben sind. Hintergrundinformationen 197 198 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 IV VERFASSUNGSSCHUTZ BERLIN 1 Aufbau und Ressourcen Verfassungsschutzbehörde für das Land Berlin ist die Senatsverwaltung für Inneres. Die Aufgaben werden durch die Abteilung Verfassungsschutz wahrgenommen. Diese gliedert sich in vier Referate: Verfassungsschutz Abteilungsleiterin Referat V G Referat V E Referat V A Referat V B Grundsatz, Recht, Rechtsextremismus, AusländerextremisBeschaffung Öffentlichkeitsarbeit, Linksextremismus mus, SpionageabVerwaltung, wehr, Informationstechnik Geheimschutz Für die Aufgaben des Verfassungsschutzes standen im Jahr 2002 Haushaltsmittel in Höhe von 6,5 Mio. EUR zur Verfügung. Der Verfassungsschutzbehörde waren 184 Stellen (2001: 193) zugewiesen. Die im Jahr 2000 begonnene Umstrukturierung des Berliner Verfassungsschutzes ist nahezu abgeschlossen. Den Schwerpunkt bildete die Einstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit wissenschaftlicher Ausbildung, insbesondere aus den Bereichen Islamwissenschaften und Politologie. 1.1 Gesetzliche Grundlagen zu den Aufgaben und Befugnissen Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist hinsichtlich der Aufgabenstellungen, der Befugnisse und der Kontrollverfahren detailliert gesetzlich festgeschrieben. Von Bedeutung sind hier: - das Grundgesetz (GG), Artikel 73 und 87, Verfassungsschutz Berlin 199 - das Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln)266, - das Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz267, - das Terrorismusbekämpfungsgesetz des Bundes268. Gesetzesgrundlagen Im Grundgesetz ist im Artikel 87 Abs. 1 die Schaffung einer "Zentralstelle zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes" festgelegt. Dem Bund wird gleichzeitig die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zugewiesen (Art. 73). Die Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde Berlin sind in SS 5 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln) geregelt. Danach werden Informationen gesammelt und ausgewertet über - Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, - sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, - Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Auf der Basis des Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetzes wirkt die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen der zuständigen öffentlichen Stellen zudem mit bei der Sicherheitsüberprüfung269 - von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können und 266 GVBl. Nr. 28 vom 21. Juli 2001, S. 235. Der vollständige Gesetzestext ist im Anhang abgedruckt. 267 GVBl. Nr. 28 vom 21. Juli 2001, S. 243. Der vollständige Gesetzestext ist im Anhang abgedruckt. 268 BGBl. Teil I, S. 361, Jahrgang 2002 269 siehe auch Kapitel "Geheimund Sabotageschutz", S. 103 - 111 200 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 - von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen. Weiterhin wirkt sie mit - bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. Auf Bundesebene ist am 1. Januar 2002 - als Konsequenz aus dem 11. September 2001 - das Terrorismusbekämpfungsgesetz in Kraft getreten, das dem Bundesamt für Verfassungsschutz erweiterte Befugnisse gibt: - Es darf im Einzelfall bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen unentgeltliche Auskünfte zu Konten, Kontoinhabern sowie zu Geldbewegungen und Geldanlagen einholen. - Es kann technische Mittel zur Standortermittlung eines aktiv geschalteten Mobilfunkgerätes sowie zur Ermittlung der Geräteund Kartennummer einsetzen (Imsy-Catcher). - Es hat erweiterte Auskunftsbefugnisse gegenüber Postdienstleistern, Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsund Teledienstleistern. Diese Befugnisse sind auf fünf Jahre begrenzt und dürfen nur unter beschränkten Voraussetzungen und bei Unterrichtung von Kontrollgremien wie der zuständigen G10-Kommission270 wahrgenommen werden. Die Umsetzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes in die Landesgesetzgebung ist in Vorbereitung. Durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz ist auch die Informationsübermittlung des Bundesamtes für ausländische Flüchtlinge an das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie die Informationsübermittlung der Ausländerbehörden an die Landesämter geregelt worden. Darüber hinaus können sich die Ausländerbehörden (SS 64a AuslG) vor der Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltsgenehmigungen zur Feststellung von Versagungsgründen an die Sicherheitsbehörden wenden. 1.2 Arbeitsweisen Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, den Senat und das Abgeordnetenhaus, andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu unterrichten. Hierfür werden offen 270 Art. 10 Grundgesetz: Unverletzlichkeit des Brief-, Post und Fernmeldegeheimnisses Verfassungsschutz Berlin 201 und verdeckt Informationen über extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen gesammelt. Der Verfassungsschutz erhält ca. 60 % seines Informationsaufkommens aus allgemein zugänglichen Quellen. Hierunter fallen z. B. frei erhältliche Publikationen, Beiträge elektronischer Medien aber auch Erkenntnisse aus öffentlichen Veranstaltungen von beobachteten Gruppierungen. Etwa 20 % der Informationen beruhen auf Angaben anderer Behörden oder auf freiwilligen Auskünften von Personen. Nur die restlichen ca. 20 % des Informationsaufkommens werden durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gewonnen. Nachrichtendienstliche Mittel dürfen nach den Bestimmungen des VSG Bln in Fällen eingesetzt werden, in denen sich verfassungsfeindliche Bestrebungen unter weitgehend konspirativer Abschottung und Geheimhaltung entfalten und sich anderweitig keine Informationen gewinnen lassen. Gemäß den Vorgaben des VSG Bln soll der Einsatz dieser Mittel nur erfolgen, wenn sie erkennbar im Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel kommt deshalb erst dann in Betracht, wenn die anderen Mittel der Nachrichtenbeschaffung erschöpft sind, d. h. wenn die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählen insbesondere der Einsatz von Vertrauenspersonen (so genannten V-Personen, die aus Beobachtungsobjekten berichten), die Observation sowie die Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs, deren besonders enge rechtliche Voraussetzungen im Gesetz zu Artikel 10 GG271 geregelt sind. Die Informationsbeschaffung durch V-Personen ist ein Kernbereich nachrichtendienstlicher Arbeit, der in einem außerordentlichen Spannungsfeld steht: Auf der einen Seite bedarf es des Schutzes unserer freiheitlichen Demokratie, auf der anderen Seite der Beschaffung von Informationen durch Mitglieder extremistischer Organisationen. So sind V-Personen Privatpersonen, die in der Regel der zu beobachtenden verfassungsfeindlichen Organisation angehören oder ihr nahe stehen. Sie berichten über deren Strukturen und Aktivitäten. Ihr Einsatz ermöglicht es dem Verfassungsschutz, auch "hinter die Fassade" zu blicken und fundierte Einschätzungen gegenüber Politik und Öffentlichkeit abzugeben. Der Gesetzgeber hat dieses Mittel der Informationsbeschaffung den Verfassungsschutzbehörden ausdrücklich zugewiesen. Aufgrund der besonderen Sen271 BGBl. Teil I 2001, S. 1254 ff.; BGBl. Teil I, 2002, S. 361, 364 202 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 sibilität der Maßnahme sind dem Einsatz von V-Personen aber enge rechtsstaatliche Grenzen gesetzt, die sich sowohl aus den einschlägigen Gesetzen als auch aus internen Dienstvorschriften ergeben. So dürfen Aufträge an V-Personen nicht weiter gehen als die gesetzlichen Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden. Sie dürfen keinen steuernden Einfluss auf die Organisation, der sie angehören, ausüben. V-Personen sind auch keine "Agents provocateurs" - sie dürfen nicht zu Straftaten anstiften. V-Personen geben die Informationen, die sie erhalten haben, aus freien Stücken weiter. Außer ihren Prämien für Informationen bekommen sie keine weiteren Vergünstigungen. Voraussetzung beim Einsatz von V-Personen ist die Vertraulichkeit. Deshalb wird die Identität einer V-Person und ihre Verbindung zum Verfassungsschutz besonders geschützt. Auch ihre Informationen werden nur dann offen genutzt, wenn ein Rückschluss auf den Informationsgeber nicht möglich ist (so genannter Quellenschutz). Die Verfassungsschutzbehörde ist berechtigt, zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben personenbezogene Daten zu erheben und zu verarbeiten. Als bundesweite Hinweisdatei existiert für die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder das "Nachrichtendienstliche Informationssystem" (NADIS). Hierüber ist es möglich abzufragen, ob und für welchen Aufgabenbereich eine Person bei einer Verfassungsschutzbehörde erfasst ist. Hinweise auf den Hintergrund der Speicherung sowie den Inhalt und Umfang der zugrunde liegenden Informationen lassen sich daraus nicht erkennen. Die Speicherungsgrundlagen sowie die Speicherungsdauer sind im VSG Berlin geregelt.272 Für Berlin waren Ende 2002 insgesamt 15 839 Datensätze im NADIS gespeichert (2001:17 371). 57 % entfallen dabei auf Sicherheitsüberprüfungen, die übrigen verteilen sich auf die Aufgabenbereiche Spionageabwehr, Ausländer-, Rechtsund Linksextremismus. 272 VSG Bln SSSS 11 - 17 Verfassungsschutz Berlin 203 1.3 Kontrollinstanzen Die Verfassungsschutzbehörde unterliegt bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben einer weitgehenden Kontrolle auf mehreren Ebenen: Öffentliche Kontrolle Revision durch Bürger und Kontrollinstanz der Medien Leitung der Senatsverwaltung für Inneres Datenschutz Allgemeine parlamentarische Beauftragter für Kontrolle durch das Datenschutz und Abgeordnetenhaus Informationsfreiheit Debatte, Aktuelle Abteilung Stunden, Kleine und VerfassungsGroße Anfragen, Petitionen schutz Gerichtliche Besondere Kontrolle parlamentarische Kontrolle durch VerwaltungsAusschuss für gerichte Verfassungsschutz/ggf. Untersuchungsausschuss G10-Kommission Vertrauensperson Kontrolle von des Ausschusses Eingriffen in das Postfür Verfassungsschutz und Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG Nach SS 31 VSG Berlin erteilt die Verfassungsschutzbehörde einer Person auf Antrag Auskunft über die zu ihr gespeicherten Informationen. Aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2000273 hat die Verfassungsschutzbehörde Berlin ihre Auskunftserteilung dahingehend geändert, dass ein besonderes Interesse an der Auskunftserteilung nicht mehr dargelegt werden muss. 273 BVerfG, 1 BvR 586/90 204 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Mit der Neufassung des SS 99 Absatz 2 VwGO durch das "Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess" vom 20. Dezember 2001274 wurde das so genannten "in camera"Verfahren in die VwGO eingeführt. Verweigert die Senatsverwaltung für Inneres in einem Verwaltungsprozess die Vorlage von Akten unter Berufung auf deren Geheimhaltungsbedürftigkeit, sind diese Akten auf Antrag eines Prozessbeteiligten nunmehr einem eigens hierfür eingerichteten Fachsenat bei den Oberverwaltungsgerichten bzw. Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob die Vorlageverweigerung rechtmäßig ist. In einem ersten in Berlin in einem Einbürgerungsverfahren durchgeführten "in camera"Verfahren hat das Oberverwaltungsgericht Berlin entschieden, dass die Vorlageverweigerung der Akten durch die Senatsverwaltung für Inneres rechtmäßig ist.275 Der Kläger hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt, über die nun das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden hat. 1.4 Öffentlichkeitsarbeit: Verfassungsschutz durch Aufklärung Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet neben dem Senat, dem Abgeordnetenhaus und Behörden auch die Öffentlichkeit über Gefahren für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung. Sie gibt Einschätzungen zur Entwicklung extremistischer und terroristischer Gruppierungen. Einen umfassenden Überblick über die Entwicklungen in den einzelnen Beobachtungsfeldern gibt der jährliche Verfassungsschutzbericht. Er informiert zudem über die Ideologien im Rechts-, Linksund Ausländerextremismus sowie über die in Berlin vertretenen extremistischen Gruppierungen. Im Jahr 2002 erschien die Broschüre "Verfassungsschutz - nehmen Sie uns unter die Lupe". Sie gibt einen Überblick über Rechtsgrundlagen, Arbeitsfelder und Vorgehensweisen. Stark nachgefragt und nach einer Neuauflage weiterhin erhältlich ist die Broschüre "Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus". Sie informiert über Zeichen, die Rechtsextremisten als Ausdruck gemeinsamen Denkens aber auch zur Provokation gebrauchen. Darüber hinaus bietet die Verfassungsschutzbehörde Vorträge zur Institution und den einzelnen Arbeitsfeldern Ausländerextremismus, Rechtsund Linksextremismus an. Die 21 Veranstaltungen im Berichtsjahr richteten sich insbesondere an schulische und außerschulische Bildungseinrichtungen und 274 BGBl. Teil I, S. 3987, Jahrgang 2001 275 Beschluss OVG 95 A 1.02 vom 10. Juli 2002 Verfassungsschutz Berlin 205 deren Multiplikatoren, Vertreterinnen und Vertreter der Medien, der Polizei, der Ordnungs-, Justizund anderen Verwaltungsbehörden des Landes sowie Parteien und gesellschaftliche Gruppierungen. Der von der Verfassungsschutzbehörde organisierte Workshop "Rechtsextremistische Musik" fand großen Anklang. In der Tagesveranstaltung ging es um die Intention und Wirkung rechtsextremistischer Musik sowie um finanzielle Aspekte wie wirtschaftlichen Gewinn und Vertriebsstrukturen. Ein zentraler Punkt war die Auseinandersetzung mit der These, dass rechtsextremistische Musik als Einstiegsdroge wirke. Hier wurde deutlich, dass zwischen der Wirkung von Konzerten und der Wirkung von Tonträgern differenziert werden muss. Die Gefahren sind unterschiedlich hoch zu bewerten, da bei Konzerten der persönliche Kontakt zur Szene hergestellt werden kann und so der Einstieg in die Szene wahrscheinlicher ist als durch das Hören der Musik.276 In der Abschlussdiskussion wurde vor allem auf die Notwendigkeit der Vorbeugung und Aufklärung hingewiesen. Besonders die Einbeziehung der Schulen sei ein wichtiger Schritt, um die Verbreitung rechtsextremistischer Musik einzudämmen. Zu aktuellen Themen werden Presseinformationen herausgegeben und auf der Homepage des Berliner Verfassungsschutzes finden Interessenten nicht nur allgemeine Informationen, sondern auch aktuelle Nachrichten zum Thema Verfassungsschutz (www.berlin.de/verfassungsschutz). Der Verfassungsschutzbericht und die Broschüren können online gelesen, als PDF-Dokument herunter geladen oder per E-Mail angefordert werden. 276 siehe auch S. 21 ff. 206 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Erreichbarkeit des Berliner Verfassungsschutzes Senatsverwaltung für Inneres Abteilung Verfassungsschutz Potsdamer Str. 186, 10783 Berlin Postfach 62 05 60, 10795 Berlin 030 / 90129 0 Fax: 030 / 90129 844 Internet: http://www.berlin.de/verfassungsschutz E-Mail: verfassungsschutz@berlin.de Bestellung von Informationsmaterial: 030 / 90129 853 oder 538 Öffentlichkeitsarbeit: 030 / 90129 516 oder 870 Fax: 030 / 90129 876 Pressestelle: 030 / 90129 565 Fax: 030 / 90129 533 Vertrauliches Telefon: 030 / 90129 400 Verfassungsschutz Berlin 207 208 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 V ANHANG Gesetz SS3 über den Verfassungsschutz in Berlin Dienstkräfte (Verfassungsschutzgesetz Berlin - VSG Bln) in der Fassung vom 25. Juni 2001 (1) Die Dienstkräfte der Verfassungsschutzabteilung haben neben den allgemeinen Pflichten die sich aus dem Wesen des Verfassungsschutzes und ihrer dienstlichen Stellung ergebenden besonderen ERSTER ABSCHNITT Pflichten. Sie haben sich jederzeit für den Schutz der freiheitlichen demokratischen Aufgaben und Befugnisse Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes der Verfassungsschutzbehörde und der Verfassung von Berlin einzusetzen. Die Funktion des Leiters der für den VerfasSS1 sungsschutz zuständigen Abteilung soll nur Zweck des Verfassungsschutzes einer Person übertragen werden, die die Befähigung zum Richteramt besitzt. Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, (2) Der Senat von Berlin kann jährlich des Bestandes und der Sicherheit der Bundesbestimmen, in welchem Umfang republik Deutschland und ihrer Länder. Dienstkräften der Verfassungsschutzabteilung freie, frei SS2 werdende und neu geschaffene Stellen in der Organisation Hauptverwaltung für Zwecke der Personalentwicklung vorbehalten werden. (1) Verfassungsschutzbehörde ist die Senatsverwaltung für Inneres. Die für den SS4 Verfassungsschutz zuständige Abteilung nimmt Zusammenarbeit ihre Aufgaben gesondert von der für die Polizei zuständigen Abteilung wahr. (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angele(2) Die für den Verfassungsschutz zugenheiten des Verfassungsschutzes zusamständige Abteilung ist datenverarbeitende Stelle menzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht im Sinne des SS 4 Abs. 3 Nr. 1 des Berliner insbesondere in gegenseitiger Unterstützung Datenschutzgesetzes in der Fassung vom 17. und Information sowie in der Unterhaltung Dezember 1990 (GVBl. 1991 S. 16, 54), das gemeinsamer Einrichtungen (wie z. B. das zuletzt durch Artikel IX des Gesetzes vom 30. nachrichtendienstliche Informationssystem November 2000 (GVBl. S. 495) geändert des Bundes und der Länder [NADIS] und die worden ist. Die Übermittlung an andere Schule für Verfassungsschutz). Organisationseinheiten der Senatsverwaltung für Inneres ist ungeachtet der fachund (2) Verfassungsschutzbehörden anderer dienstaufsichtlichen Befugnisse zulässig, wenn Länder dürfen im Geltungsbereich dieses dies für die Aufgabenerfüllung nach SS 5 Abs. 1 Gesetzes nur im Einvernehmen, das Bundeserforderlich ist. amt für Verfassungsschutz nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde tätig (3) Bei der Leitung der Senatsverwaltung für werden. Inneres wird eine Revision eingerichtet. Die Revision ist unbeschadet ihrer Verantwortung SS5 gegenüber dem Senator im Übrigen in der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde Durchführung von Prüfungen und der Beurteilung von Prüfungsvorgängen unab(1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die hängig. Aufgabe, den Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin, andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grund- Anhang 209 ordnung, den Bestand und die Sicherheit des im Benehmen mit dem Berliner Bundes und der Länder zu unterrichten. Beauftragten für den Datenschutz und Dadurch soll es den staatlichen Stellen für das Recht auf Akteneinsicht insbesondere ermöglicht werden, rechtzeitig die bestimmt. erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Die Befugnisse der VerfassungsschutzbehörGefahren zu ergreifen. de bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 sind im Berliner Sicherheitsüberprüfungs(2) Zur Erfüllung dieser Aufgaben sammelt gesetz vom 2. März 1998 (GVBl. S. 26) geund wertet die Verfassungsschutzbehörde Inforregelt. mationen, insbesondere sachund personenbezogene Daten, Auskünfte, Nachrichten und SS6 Unterlagen aus über Begriffsbestimmungen 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand (1) Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2 oder die Sicherheit des Bundes oder eines Nr. 1 und 3 sind politisch motivierte, zielund Landes gerichtet sind oder eine ungezweckgerichtete Verhaltensweisen oder setzliche Beeinträchtigung der Amtsführung Betätigungen von Organisationen, der Verfassungsorgane des Bundes oder Personenzusammenschlüssen ohne feste eines Landes oder ihrer Mitglieder zum hierarchische Organisationsstrukturen Ziele haben, (unorganisierte Gruppen) oder 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstEinzelpersonen gegen die in SS 5 Abs. 2 liche Tätigkeiten im Geltungsbereich des bezeichneten Schutzgüter. Für eine Grundgesetzes für eine fremde Macht, Organisation oder eine unorganisierte 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Gruppe handelt, wer sie in ihren Grundgesetzes, die durch Anwendung von Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Gewalt oder darauf gerichtete VorbereiVerhaltensweisen von Einzelpersonen, die tungshandlungen auswärtige Belange der nicht in einer oder für eine Organisation oder Bundesrepublik Deutschland gefährden. in einer oder für eine unorganisierte Gruppe handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Ersuchen der zuständigen öffentlichen Stellen Gewalt gerichtet sind oder auf Grund ihrer mit Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Persodieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. nen, denen im öffentlichen Interesse ge(2) Bestrebungen im Sinne dieses Geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegensetzes, die gegen die freiheitliche demostände oder Erkenntnisse anvertraut werkratische Grundordnung gerichtet sind, sind den, die Zugang dazu erhalten sollen oder solche, die auf die Beseitigung oder Außerihn sich verschaffen können, kraftsetzung wesentlicher Verfassungsgrund2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Persosätze abzielen. Hierzu gehören: nen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt von lebensoder verteidigungswichtigen in Wahlen und Abstimmungen und durch Einrichtungen beschäftigt sind oder werden besondere Organe der Gesetzgebung, sollen, der vollziehenden Gewalt und der Recht3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen sprechung auszuüben und die Volksverzum Schutz von im öffentlichen Interesse tretung in allgemeiner, unmittelbarer, geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gefreier, gleicher und geheimer Wahl zu genständen oder Erkenntnissen gegen die wählen, Kenntnisnahme durch Unbefugte, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die 4. bei aufenthaltsrechtlichen Verfahren, Einverfassungsmäßige Ordnung und die bürgerungsverfahren sowie bei sonstigen Bindung der vollziehenden Gewalt und gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfunder Rechtsprechung an Gesetz und gen; die Mitwirkung ist nur zulässig, wenn Recht, diese zum Schutz der freiheitlichen 3. das Recht auf Bildung und Ausübung demokratischen Grundordnung oder für einer parlamentarischen Opposition, Zwecke der öffentlichen Sicherheit erfor4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre derlich ist; Näheres wird in einer VerVerantwortlichkeit gegenüber der Volkswaltungsvorschrift des Senators für Inneres vertretung, 210 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, (3) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die 6. der Ausschluss jeder Gewaltund WillkürVerfassungsschutzbehörde nur die dazu herrschaft und erforderlichen Maßnahmen ergreifen; dies gilt 7. die im Grundgesetz konkretisierten Meninsbesondere für die Erhebung und Verarschenrechte. beitung personenbezogener Informationen. Von mehreren möglichen und geeigneten (3) Im Sinne dieses Gesetzes sind Maßnahmen hat sie diejenige auszuwählen, 1. Bestrebungen gegen den Bestand des die den einzelnen, insbesondere in seinen Bundes oder eines Landes solche, die Grundrechten, und die Allgemeinheit vorausdarauf gerichtet sind, die Freiheit des sichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Bundes oder eines Landes von fremder Maßnahme hat zu unterbleiben, wenn sie Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Eineinen Nachteil herbeiführt, der erkennbar heit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörenaußer Verhältnis zu dem beabsichtigten des Gebiet abzutrennen, Erfolg steht. Sie ist nur solange zulässig, bis 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er Bundes oder eines Landes solche, die nicht erreicht werden kann. darauf gerichtet sind, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktions(4) Soweit in diesem Gesetz besondere fähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. Eingriffsbefugnisse das Vorliegen gewalttätiger Bestrebungen oder darauf gerichtete (4) Auswärtige Belange im Sinne des SS 5 Vorbereitungshandlungen voraussetzen, ist Abs. 2 Nr. 3 werden nur gefährdet, wenn Gewalt die Anwendung körperlichen innerhalb des Geltungsbereichs des GrundZwanges gegen Personen oder eine nicht gesetzes Gewalt ausgeübt oder durch Handunerhebliche Einwirkung auf Sachen. lungen vorbereitet wird und diese sich gegen die politische Ordnung oder Einrichtungen anderer SS8 Staaten richten. Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS7 (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit die zur Erfüllung ihrer Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten und (1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bei Behörden, sonstigen öffentlichen Stellen bestimmt, darf die Verfassungsschutzbehörde sowie nicht öffentlichen Stellen, insbesondere bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach SS 5 bei Privatpersonen, erheben, soweit die Abs. 2 nur tätig werden, wenn im Einzelfall Bestimmungen dieses Gesetzes dies tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht der zulassen. dort genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten vorliegen. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur heimlichen Informationsbeschaffung, (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf für insbesondere zur Erhebung die Prüfung, ob die Voraussetzungen des Abpersonenbezogener Daten, nur in satzes 1 vorliegen, die dazu erforderlichen begründeten Fällen folgende nachpersonenbezogenen Daten aus allgemein richtendienstliche Mittel anwenden: zugänglichen Quellen erheben, speichern und 1. Einsatz von Vertrauensleuten, sonstigen nutzen. Eine Speicherung dieser Daten im geheimen Informanten, zum Zweck der nachrichtendienstlichen Informationssystem Spionageabwehr überworbenen (NADIS) oder in anderen Verbunddateien ist Agenten, Gewährspersonen und nicht zulässig. Eine Speicherung der nach Satz verdeckten Ermittlern, 1 erhobenen personenbezogenen Daten in 2. Observation, Akten und Dateien über den Ablauf eines 3. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Jahres seit der Speicherung hinaus ist nur Videografieren und Filmen), zulässig, wenn spätestens von diesem Zeitpunkt 4. verdeckte Ermittlungen und an die Voraussetzungen des Absatzes 1 Befragungen, vorliegen. Dasselbe gilt für das Anlegen 5. Mithören ohne Inanspruchnahme technipersonenbezogener Akten. scher Mittel, Anhang 211 6. Mithören und Aufzeichnen des nicht öffent3. auf diese Weise die zur Erforschung von lich gesprochenen Wortes unter Einsatz Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 technischer Mittel, Abs. 2 erforderlichen Quellen erschlossen werden können oder 7. Beobachtungen des Funkverkehrs auf nicht 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einfür den allgemeinen Empfang bestimmten richtungen, Gegenstände und Quellen Kanälen sowie die Sichtbarmachung, Beobder Verfassungsschutzbehörde gegen achtung, Aufzeichnung und sicherheitsgefährdende oder geheimEntschlüsselung von Signalen in Komdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. munikationssystemen, Datenerhebungen nach Satz 1 Nr. 2 8. Verwendung fingierter biografischer, berufdürfen sich gegen andere als die in SS 6 Abs. licher oder gewerblicher Angaben (Legen- 1 Satz 2 und 3 genannten Personen nur den), richten, soweit dies zur Gewinnung von 9. Beschaffung, Erstellung und Verwendung Erkenntnissen unerlässlich ist. von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, 10. Überwachung des Brief-, Post-, und Fern(4) Die Erhebung nach Absatz 2 ist unmeldeverkehrs nach Maßgabe zulässig, wenn die Erforschung des Sachdes Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz, verhalts auf andere, die betroffene Person vom 13. August 1968 (BGBl. I S.949), zuweniger beeinträchtigende Weise möglich ist; letzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes eine geringere Beeinträchtigung ist in der vom 17. Juni 1999 (BGBl. I S.1334), Regel anzunehmen, wenn die Informationen 11. Einsatz von weiteren vergleichbaren Methoaus allgemein zugänglichen Quellen oder den, Gegenständen und Instrumenten zur durch eine Auskunft nach SS 27 gewonnen heimlichen Informationsbeschaffung, insbewerden können. Die Anwendung eines sondere das sonstige Eindringen in techMittels gemäß Absatz 2 soll erkennbar im nische Kommunikationsbeziehungen durch Verhältnis zur Bedeutung des Bild-, Ton-, und Datenaufzeichnungen; dem aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Die Einsatz derartiger Methoden, Gegenstände Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, und Instrumente hat der Ausschuss für wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Verfassungsschutz des AbgeordnetenhauAnhaltspunkte dafür ergeben, dass er nicht ses von Berlin vorab seine Zustimmung zu oder nicht auf diese Weise erreicht werden erteilen. kann. Daten, die für das Verständnis der zu Personen, die berechtigt sind, in Strafsachen speichernden Informationen nicht erforderlich aus beruflichen Gründen das Zeugnis zu sind, sind unverzüglich zu löschen. Die verweigern (SSSS 53 und 53a der StrafprozessLöschung kann unterbleiben, wenn die ordnung), darf die Verfassungsschutzbehörde Informationen von anderen, die zur Erfüllung nicht von sich aus nach Satz 1 Nr. 1 zur Beder Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur schaffung von Informationen in Anspruch nehmit unvertretbarem Aufwand getrennt werden men, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungskönnen; in diesem Fall dürfen die Daten nicht recht bezieht. Die Behörden des Landes Berlin verwertet werden. sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde (5) Die näheren Voraussetzungen für die technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu Anwendung der Mittel nach Absatz 2 sind in geben. einer Verwaltungsvorschrift des Senators für Inneres zu regeln, die auch die Zuständigkeit (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf für die Anordnung solcher InformationsInformationen einschließlich personenbezobeschaffung regelt. Die Verwaltungsvorschrift gener Daten mit den Mitteln gemäß Absatz 2 ist dem Ausschuss für Verfassungsschutz erheben, wenn des Abgeordnetenhauses von Berlin vorab 1. sich ihr Einsatz gegen Organisationen, zur Kenntnis zu geben. unorganisierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Personen richtet, bei denen tat(6) Für die Speicherung und Löschung der sächliche Anhaltspunkte für den Verdacht durch Maßnahmen nach Absatz 2 erlangten der Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 personenbezogenen Daten gilt Artikel 1 SS 7 Abs. 2 bestehen, Abs. 4 des Gesetzes zu Artikel 10 Grund2. auf diese Weise Erkenntnisse über gewaltgesetz entsprechend. tätige Bestrebungen oder geheimdienstliche Tätigkeiten gewonnen werden können, 212 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 (7) Polizeiliche Befugnisse stehen der VerMaßnahme durch den Senator für Inneres, fassungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die der im Verhinderungsfall durch den Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um zuständigen Staatssekretär vertreten wird, Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht angeordnet werden. Eine anderweitige Verbefugt ist. wertung der hierbei erlangten Erkenntnisse zum Zwecke der Gefahrenabwehr ist nur zu(8) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die lässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden Maßnahme richterlich festgestellt worden ist; (Artikel 20 des Grundgesetzes). bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche SS9 Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Einsatz technischer Mittel zur Überwachung von Wohnungen (4) Zuständig für richterliche Entscheidungen nach den Absätzen 1 und 3 ist das (1) Das in einer Wohnung nicht öffentlich Amtsgericht Tiergarten. Für das Verfahren gesprochene Wort darf mit technischen Mitteln gelten die Vorschriften des Gesetzes über ausschließlich bei der Wahrnehmung der Aufdie Angelegenheiten der freiwilligen gaben auf dem Gebiet der Spionageabwehr und Gerichtsbarkeit entsprechend. des gewaltbereiten politischen Extremismus heimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden. (5) Der Senat unterrichtet die Kommission Eine solche Maßnahme ist nur zulässig, wenn nach SS 2 des Gesetzes zur Ausführung des sie im Einzelfall zur Abwehr einer dringenden Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz in der Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesonFassung vom 25. März 1995 (GVBl. S. 261), dere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensdas durch Artikel III des Gesetzes vom gefahr für einzelne Personen, unerlässlich ist, 30. November 2000 (GVBl. S. 495) geändert ein konkreter Verdacht in Bezug auf eine worden ist, unverzüglich, möglichst vorab, Gefährdung der vorstehenden Rechtsgüter beund umfassend über den Einsatz technischer steht und der Einsatz anderer Methoden und Mittel nach Absatz 1 und, soweit richterlich Mittel zur heimlichen Informationsbeschaffung überprüfungsbedürftig, nach Absatz 3. SS 3 keine Aussicht auf Erfolg bietet. Die Sätze 1 und des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes 2 gelten entsprechend für einen verdeckten zu Artikel 10 Grundgesetz gilt entsprechend. Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen in Woh(6) Eine Maßnahme nach den Absätzen 1 nungen. Maßnahmen nach den Sätzen 1 bis 3 und 3 ist nach ihrer Beendigung der betrofdürfen nur auf Grund richterlicher Anordnung fenen Person mitzuteilen, sobald eine getroffen werden. Bei Gefahr im Verzuge kann Gefährdung des Zwecks der Maßnahme die Maßnahme auch durch den Senator für ausgeschlossen werden kann. Die durch Inneres, der im Verhinderungsfall durch den zuMaßnahmen im Sinne des Satzes 1 ständigen Staatssekretär vertreten wird, angeerhobenen Informationen dürfen nur nach ordnet werden; eine richterliche Entscheidung Maßgabe des Artikels 1 SS 7 Abs. 3 des ist unverzüglich nachzuholen. Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz verwendet werden. (2) Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Verlängerungen um jeweils SS 9a nicht mehr als drei weitere Monate sind auf Eingriffe, die in ihrer Art und Schwere einer Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen Beschränkung des Brief-, Postund der Anordnung fortbestehen. Liegen die VorausFernmeldegeheimnisses gleichkommen setzungen der Anordnung nicht mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur (1) Ein Eingriff, der in seiner Art und Informationsgewinnung nicht mehr erforderlich, Schwere einer Beschränkung des Brief-, ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. Der Postund Fernmeldegeheimnisses gleich Vollzug der Anordnung erfolgt unter Aufsicht kommt und nicht den Regelungen des SS 9 eines Bediensteten der Verfassungsschutzbeunterliegt, wozu insbesondere das Abhören hörde, der die Befähigung zum Richteramt hat. und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz (3) Sind technische Mittel ausschließlich zum technischer Mittel gehört, bedarf der AnSchutze der bei einem Einsatz in Wohnungen ordnung durch den Senator für Inneres, der tätigen Personen vorgesehen, kann die Anhang 213 im Verhinderungsfall durch den zuständigen SS 10 Staatssekretär vertreten wird. Registereinsicht durch die Verfassungsschutzbehörde (2) Die SSSS 2 und 3 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grund(1) Die Verfassungsschutzbehörde darf gesetz gelten entsprechend. zur Aufklärung - von sicherheitsgefährdenden oder (3) SS 9 Abs. 6 gilt entsprechend. geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, von öffentlichen Stellen geführte Register, z. B. Melderegister, Personalausweisregister, Passregister, Führerscheinkarteien, Waffenscheinkarteien, einsehen. (2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, und 2. die betroffene Person durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würde, und 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtnahme nicht entgegensteht. (3) Die Anordnung für die Maßnahme nach Absatz 1 trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung, im Falle der Verhinderung der Vertreter. (4) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. Gespeicherte Informationen sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke nicht mehr benötigt werden. (5) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommene Stelle, die Namen der Betroffenen, deren Daten für eine weitere Verwendung erforderlich sind, 214 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 sowie der Zeitpunkt der Einsichtnahme herDie Speicherung personenbezogener vorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesonInformationen über Minderjährige, die das dert aufzubewahren, durch technische und 14. Lebensjahr nicht vollendet haben, ist organisatorische Maßnahmen zu sichern und, unzulässig. soweit sie für die Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde nach SS 5 Abs. 2 nicht SS 13 mehr benötigt werden, am Ende des KalenSpeicherungsdauer derjahres, das dem Jahr der Erstellung folgt, zu vernichten. (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Speicherungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu ZWEITER ABSCHNITT beschränken. Die in Dateien gespeicherten Informationen sind bei der Datenverarbeitung Einzelfallbearbeitung, spätestens aber fünf Jahre nach Speicherung der letzten SS 11 Information, auf ihre Erforderlichkeit zu Speicherung, Veränderung und Nutzung überprüfen. Sofern die Informationen personenbezogener Informationen Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 betreffen, sind sie spätestens zehn Jahre (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur nach der zuletzt gespeicherten relevanten Erfüllung ihrer Aufgaben rechtmäßig erhobene Information zu löschen. personenbezogene Informationen speichern, verändern und nutzen, wenn (2) Sind Informationen über Minderjährige in Dateien oder in Akten, die zu ihrer Person 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestregeführt werden, gespeichert, ist nach zwei bungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 Jahren die Erforderlichkeit der Speicherung vorliegen oder zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren die Löschung vorzunehmen, es sei 2. dies für die Erforschung oder Bewertung denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit von gewalttätigen Bestrebungen oder weitere Erkenntnisse nach SS 5 Abs. 2 geheimdienstlichen Tätigkeiten nach SS 5 angefallen sind, die zur Erfüllung der Abs. 2 erforderlich ist oder Aufgaben im Sinne dieses Gesetzes eine 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachFortdauer der Speicherung rechtfertigen. richtendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erSS 14 forderlich ist oder Berichtigung, Löschung und Sperrung 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichpersonenbezogener Informationen in Dateien tungen, Gegenstände und Quellen der Verfassungsschutzbehörde gegen sicherheits(1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die gefährdende oder geheimdienstliche Tätigin Dateien gespeicherten keiten erforderlich ist oder personenbezogenen Informationen zu 5. sie auf Ersuchen der zuständigen Stelle berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie sind nach SS 5 Abs. 3 tätig wird. zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzwürdige Interessen der (2) In Dateien gespeicherte Informationen betroffenen Person beeinträchtigt sein müssen durch Aktenrückhalt belegbar sein. können. (3) In Dateien ist die Speicherung von (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Informationen aus der Intimsphäre der betrofin Dateien gespeicherten fenen Person unzulässig. personenbezogenen Informationen zu löschen, wenn ihre Speicherung irrtümlich SS 12 erfolgt war, unzulässig war oder ihre Speicherung, Veränderung und Nutzung Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht personenbezogener Informationen von mehr erforderlich ist und schutzwürdige Minderjährigen Interessen der betroffenen Person nicht beeinträchtigt werden. Anhang 215 (3) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateianordnungen Dateien gespeicherten personenbezogenen Informationen zu sperren, wenn die Löschung (1) Für jede automatisierte Datei der unterbleibt, weil Grund zu der Annahme besteht, Verfassungsschutzbehörde sind in einer dass durch die Löschung schutzwürdige InteresDateianordnung im Benehmen mit dem sen der betroffenen Person beeinträchtigt würBerliner Beauftragten für den Datenschutz den; gesperrte Informationen sind entsprechend und für das Recht auf Akteneinsicht festzu kennzeichnen und dürfen nur mit Einwilligung zulegen: der betroffenen Person verwendet werden. 1. Bezeichnung der Datei, (4) In Dateien gelöschte Informationen sind gesperrt. Unterlagen sind zu vernichten, wenn sie zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 nicht oder nicht mehr erforderlich sind, es sei denn, dass ihre Aufbewahrung zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person notwendig ist. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können. (5) Personenbezogene Informationen, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke und zur Verfolgung der in der jeweiligen Fassung des Berliner Datenschutzgesetzes als Straftaten bezeichneten Handlungen verwendet werden. SS 15 Berichtigung und Sperrung personenbezogener Informationen in Akten (1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde fest, dass in Akten gespeicherte personenbezogene Informationen unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von dem Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken oder auf sonstige Wiese festzuhalten. (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat personenbezogene Informationen in Akten zu sperren, wenn sie im Einzelfall feststellt, dass ohne die Sperrung schutzwürdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt würden und die Daten für ihre Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. Gesperrte Informationen sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt oder übermittelt werden. Eine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. SS 16 216 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 2. Zweck der Datei, SS 20 Informationsübermittlung 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der Speian den Bundesnachrichtendienst cherungen, Übermittlung und Nutzung (beund den Militärischen Abschirmdienst troffener Personenkreis, Arten der Daten), 4. Eingabeberechtigung, Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt 5. Zugangsberechtigung, dem Bundesnachrichtendienst und dem Mili6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, tärischen Abschirmdienst die ihr bekannt 7. Protokollierung, gewordenen Informationen einschließlich per8. Datenverarbeitungsgeräte und Betriebssyssonenbezogener Daten, wenn tatsächliche tem, Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die 9. Inhalt und Umfang von Textzusätzen, die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der Erschließung von Akten dienen. der empfangenden Stellen erforderlich ist. (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat in Handelt die Verfassungsschutzbehörde auf angemessenen Abständen die Notwendigkeit Ersuchen, so ist sie zur Übermittlung nur der Weiterführung oder Änderung ihrer Dateien verpflichtet und berechtigt, wenn sich die zu prüfen. Voraussetzungen aus den Angaben der ersuchenden Behörde ergeben. SS 17 Gemeinsame Dateien SS 21 Informationsübermittlung an Bundesgesetzliche Vorschriften über die Strafverfolgungsbehörden Datenverarbeitung in gemeinsamen Dateien der in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungsschutzbehörden des Bundes und Verfassungsschutzes der Länder bleiben unberührt. Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich DRITTER ABSCHNITT der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeibehörden des Landes die ihr Informationsübermittlung bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn SS 18 tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, Grundsätze bei der Informationsübermittlung dass die Übermittlung zur Verhinderung oder durch die Verfassungsschutzbehörde Verfolgung von Straftaten, die im Zusammenhang mit Bestrebungen oder Tätigkeiten Die Übermittlung von personenbezogenen nach SS 5 Abs. 2 stehen, erforderlich ist. Informationen ist aktenkundig zu machen. In der entsprechenden Datei ist die InformationsüberSS 22 mittlung zu vermerken. Vor der InformationsÜbermittlung von Informationen übermittlung ist der Akteninhalt im Hinblick auf an den öffentlichen Bereich den Übermittlungszweck zu würdigen und der Informationsübermittlung zugrunde zu legen. Er(1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufkennbar unvollständige Informationen sind vor gabenerfüllung gewonnenen, nicht personender Übermittlung im Rahmen der Verhältnisbezogenen Erkenntnisse der Verfassungsmäßigkeit durch Einholung zusätzlicher Ausschutzbehörde können an andere Behörden künfte zu vervollständigen. und Stellen, insbesondere an die Polizei und die Staatsanwaltschaft, übermittelt werden, SS 19 wenn sie für die Aufgabenerfüllung der emInformationsübermittlung pfangenden Stellen erforderlich sein können. zwischen den Verfassungsschutzbehörden (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet personenbezogene Informationen an inländas Bundesamt für Verfassungsschutz und die dische Behörden und juristische Personen Verfassungsschutzbehörden der Länder über des öffentlichen Rechts übermitteln, wenn alle Angelegenheiten, deren Kenntnis zur Erdies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich füllung der Aufgaben der empfangenden Stellen ist oder der Empfänger die Informationen erforderlich ist. zum Schutz vor Bestrebungen oder Anhang 217 Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 oder zur S. 1183) verpflichtet ist. Die Übermittlung ist Strafverfolgung benötigt oder nach SS 5 Abs. 3 aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist tätig wird. darauf hinzuweisen, dass die übermittelten Informationen nur zu dem Zweck verwendet (3) Die empfangende Stelle von Informawerden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt tionen nach Absatz 2 ist darauf hinzuweisen, wurden. dass sie die übermittelten personenbezogenen Informationen nur zu dem Zweck verwenden SS 25 darf, zu dessen Erfüllung sie ihr übermittelt Übermittlung von Informationen wurden. an öffentliche Stellen außerhalb des Geltungsbereichs des SS 23 Grundgesetzes Übermittlung von Informationen an Personen und Stellen Die Verfassungsschutzbehörde darf peraußerhalb des öffentlichen Bereichs sonenbezogene Informationen an ausländische öffentliche Stellen sowie an überoder Personenbezogene Informationen dürfen an zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn Personen oder Stellen außerhalb des öffentdie Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben lichen Bereichs nicht übermittelt werden, es sei oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsdenn, dass dies zum Schutz der freiheitlichen interessen des Empfängers erforderlich ist. demokratischen Grundordnung, des Bestandes Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswäroder der Sicherheit des Bundes oder eines tige Belange der Bundesrepublik Landes erforderlich ist und der Senator für Deutschland oder überwiegende Inneres, der im Verhinderungsfall durch den schutzwürdige Interessen der betroffenen zuständigen Staatssekretär vertreten wird, im Person entgegenstehen. Die Übermittlung ist Einzelfall seine Zustimmung erteilt hat. Die nur im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutzbehörde führt über die Verfassungsschutz zulässig. Sie ist Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist der Zweck der Übermittlung, die Aktenfundstelle darauf hinzuweisen, dass die übermittelten und der Empfänger hervorgehen; die Nachweise personenbezogenen Informationen nur zu sind gesondert aufzubewahren, gegen dem Zweck verwendet werden dürfen, zu unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende dem sie ihm übermittelt wurden, und die Verdes Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstelfassungsschutzbehörde sich vorbehält, um lung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf Auskunft über die vorgenommene die übermittelten personenbezogenen InforVerwendung der Informationen zu bitten. mationen nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist SS 26 auf die Verwendungsbeschränkung und darauf Unterrichtung der Öffentlichkeit hinzuweisen, dass die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, um Auskunft über die Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet vorgenommene Verwendung der Informationen die Öffentlichkeit mindestens einmal jährlich zu bitten. über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2. Dabei ist die Übermittlung von perSS 24 sonenbezogenen Informationen nur zulässig, Übermittlung von Informationen wenn die Bekanntgabe für das Verständnis an die Stationierungsstreitkräfte des Zusammenhanges oder der Darstellung von Organisationen oder unorganisierten Die Verfassungsschutzbehörde darf persoGruppierungen erforderlich ist und die Innenbezogene Informationen an Dienststellen teressen der Allgemeinheit an sachgemäßen der Stationierungsstreitkräfte übermitteln, soweit Informationen das schutzwürdige Interesse die Bundesrepublik Deutschland dazu im des Betroffenen überwiegen. Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des SS 27 Nordatlantikpaktes über die Rechtsstellung ihrer Übermittlung von Informationen Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik an die Verfassungsschutzbehörde Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II 218 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 (1) Die Behörden des Landes und die sonunverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur stigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Erfüllung ihrer in SS 5 genannten Aufgaben erjuristischen Personen des öffentlichen Rechts forderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie übermitteln von sich aus der nicht erforderlich sind, sind die Unterlagen Verfassungsschutzbehörde die ihnen bekannt unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung gewordenen Informationen, insbesondere unterbleibt, wenn die Trennung von anderen personenbezogene Daten, über Bestrebungen Informationen, die zur Erfüllung der nach SS 5 Abs. 2, die durch Anwendung von Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungsunvertretbarem Aufwand erfolgen kann; in handlungen verfolgt werden, und über gediesem Fall sind die Informationen gesperrt heimdienstliche Tätigkeiten. Die Staatsanwaltund entsprechend zu kennzeichnen. schaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei über(7) Soweit andere gesetzliche Vorschriften mitteln darüber hinaus auch andere im Rahmen nicht besondere Regelungen über die Dokuihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Inmentation treffen, haben die Verfassungsformationen über Bestrebungen im Sinne des SS schutzbehörde und die übermittelnde Stelle 5 Abs. 2. die Informationsübermittlung aktenkundig zu machen. (2) Die Verfassungsschutzbehörde kann von jeder der in Absatz 1 genannten öffentlichen SS 28 Stellen verlangen, dass sie ihr die zur Erfüllung Übermittlungsverbote ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten überDie Übermittlung von Informationen nach den mittelt, wenn die Informationen nicht aus allVorschriften dieses Abschnitts unterbleibt, gemein zugänglichen Quellen oder nur mit wenn unverhältnismäßigem Aufwand oder nur durch 1. eine Prüfung durch die übermittelnde eine den Betroffenen stärker belastende MaßStelle ergibt, dass die Informationen zu nahme erhoben werden können. Es dürfen nur löschen oder für die empfangende Stelle die Informationen übermittelt werden, die bei der nicht mehr bedeutsam sind, ersuchten Behörde bereits bekannt sind. 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern, (3) Die Verfassungsschutzbehörde braucht 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem dass unter Berücksichtigung der Art der Schutz der betroffenen Person dient oder eine Informationen und ihrer Erhebung die Begründung den Zweck der Maßnahme gefährschutzwürdigen Interessen der betrofden würde. fenen Personen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen oder (4) Die Übermittlung personenbezogener 4. besondere gesetzliche Informationen, die auf Grund einer Maßnahme Übermittlungsregelungen nach SS 100a der Strafprozessordnung bekannt entgegenstehen; die Verpflichtung zur geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächWahrung gesetzlicher Geheimhaltungsliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass pflichten oder von Berufsoder besonjemand eine der in SS 2 des Gesetzes zu deren Amtsgeheimnissen, die nicht auf Artikel 10 Grundgesetz genannten Straftaten gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt plant, begeht oder begangen hat. Auf die der unberührt. Verfassungsschutzbehörde nach Satz 1 übermittelten Informationen findet der Absatz 3, auf SS 29 die dazugehörenden Unterlagen findet der Minderjährigenschutz Absatz 4 des SS 7 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz entsprechende Anwendung. (1) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über das Verhalten Minder(5) Vorschriften zur Informationsübermittlung jähriger dürfen nach den Vorschriften dieses an die Verfassungsschutzbehörde nach anderen Gesetzes übermittelt werden, solange die Gesetzen bleiben unberührt. Voraussetzungen der Speicherung nach SS 13 Abs. 2 erfüllt sind. (6) Die Verfassungsschutzbehörde hat die übermittelten Informationen nach ihrem Eingang Anhang 219 (2) Informationen einschließlich personen2. durch die Auskunftserteilung Quellen gebezogener Daten über das Verhalten Minderfährdet sein können oder die Ausforjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres schung des Erkenntnisstandes oder der dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes Arbeitsweisen der nicht an ausländische oder überoder zwischenVerfassungsschutzbehörde zu staatliche Stellen übermittelt werden. befürchten ist, SS 30 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit Nachberichtspflicht gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile Erweisen sich Informationen nach ihrer Überbereiten würde oder mittlung nach den Vorschriften dieses Gesetzes 4. die Informationen oder die Tatsache der als unvollständig oder unrichtig, so hat die Speicherung nach einer Rechtsvorschrift übermittelnde Stelle ihre Informationen unoder ihrem Wesen nach, insbesondere verzüglich gegenüber der empfangenden Stelle wegen der überwiegenden berechtigten zu ergänzen oder zu berichtigen, wenn dies zu Interessen Dritter, geheimgehalten wereiner anderen Bewertung der Informationen den müssen. führen könnte oder zur Wahrung schutzwürdiger Die Entscheidung nach den Sätzen 1 und 2 Interessen der betroffenen Person erforderlich trifft der Leiter der Verfassungsschutzabist. Die Ergänzung oder Berichtigung ist aktenteilung oder ein von ihm besonders beaufkundig zu machen und in den entsprechenden tragter Mitarbeiter. Dateien zu vermerken. (3) Die Ablehnung einer Auskunft ist zumindest insoweit zu begründen, dass eine VIERTER ABSCHNITT verwaltungsgerichtliche Nachprüfung der Verweigerungsgründe gewährleistet wird, Auskunftserteilung ohne dabei den Zweck der Auskunftsverweigerung zu gefährden. Die Gründe der SS 31 Ablehnung sind in jedem Fall aktenkundig zu Auskunft an den Betroffenen machen. (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt (4) Wird die Auskunftserteilung ganz oder einer natürlichen Person über die zu ihr geteilweise abgelehnt, ist die betroffene Person speicherten Informationen auf Antrag unentdarauf hinzuweisen, dass sie sich an den geltlich Auskunft, soweit die Person ein Berliner Beauftragten für den Datenschutz besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. und für das Recht auf Akteneinsicht wenden Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht kann. Dem Berliner Beauftragten für den auf Informationen, die nicht der alleinigen Datenschutz und für das Recht auf AkVerfügungsberechtigung der Verfassungsteneinsicht ist auf sein Verlangen Auskunft zu schutzbehörde unterliegen, sowie auf die erteilen, soweit nicht der Senator für Inneres Herkunft der Informationen und die Empfänger im Einzelfall feststellt, dass dadurch die von Übermittlungen. Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Berliner (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf den Beauftragten für den Datenschutz und für Antrag ablehnen, wenn das öffentliche Interesse das Recht auf Akteneinsicht an den Betrofan der Geheimhaltung ihrer Tätigkeit oder ein fenen dürfen keine Rückschlüsse auf den überwiegendes Geheimhaltungsinteresse Dritter Erkenntnisstand der gegenüber dem Interesse der antragstellenden Verfassungsschutzbehörde zulassen, soweit Person an der Auskunftserteilung überwiegt. In sie nicht einer weitergehenden Auskunft einem solchen Fall hat die Verfassungsschutzzustimmt. Der Kontrolle durch den Berliner behörde zu prüfen, ob und inwieweit eine TeilBeauftragten für den Datenschutz und für auskunft möglich ist. Ein Geheimhaltungsindas Recht auf Akteneinsicht unterliegen nicht teresse liegt vor, wenn personenbezogene Informationen, die der 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung Kontrolle durch die Kommission nach SS 2 des durch die Auskunftserteilung zu besorgen Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu ist, Artikel 10 Grundgesetz unterliegen, es sei denn, die Kommission ersucht den Berliner 220 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Beauftragten für den Datenschutz und für das SS 32 Recht auf Akteneinsicht, die Einhaltung der Akteneinsicht Vorschriften über den Datenschutz bei bestimmten Vorgängen oder in bestimmten (1) Sind personenbezogene Daten in Bereichen zu kontrollieren und ausschließlich ihr Akten gespeichert, so kann dem Betroffenen darüber zu berichten. auf Antrag Akteneinsicht gewährt werden, soweit Geheimhaltungsinteressen oder schutzwürdige Belange Dritter nicht entgegenstehen. SS 31 gilt entsprechend. (2) Die Einsichtnahme in Akten oder Aktenteile ist insbesondere dann zu versagen, wenn die Daten des Betroffenen mit Daten Dritter oder geheimhaltungsbedürftigen sonstigen Informationen derart verbunden sind, dass ihre Trennung auch durch Vervielfältigung und Unkenntlichmachung nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich ist. In diesem Fall ist dem Betroffenen zusammenfassende Auskunft über den Akteninhalt zu erteilen. (3) Das Berliner Informationsfreiheitsgesetz vom 15. Oktober 1999 (GVBl. S. 561) findet auf die von der Verfassungsschutzabteilung der Senatsverwaltung für Inneres geführten Akten keine Anwendung. FÜNFTER ABSCHNITT Parlamentarische Kontrolle SS 33 Ausschuss für Verfassungsschutz (1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes unterliegt der Senat von Berlin der Kontrolle durch den Ausschuss für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin. Die Rechte des Abgeordnetenhauses und seiner anderen Ausschüsse bleiben unberührt. (2) Der Ausschuss für Verfassungsschutz besteht in der Regel aus höchstens zehn Mitgliedern. Das Vorschlagsrecht der Fraktionen für die Wahl der Mitglieder richtet sich nach der Stärke der Fraktionen, wobei jede Fraktion mindestens durch ein Mitglied vertreten sein muss. Eine Erhöhung der im Satz 1 bestimmten Mitgliederzahl ist nur zulässig, soweit sie zur Beteiligung aller Fraktionen notwendig ist. (3) Scheidet ein Mitglied aus dem Abgeordnetenhaus oder seiner Fraktion aus, so verliert es die Mitgliedschaft im Ausschuss Anhang 221 für Verfassungsschutz. Für dieses Mitglied ist suchungsausschüsse des Abgeordnetenhauunverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das ses von Berlin vom 22. Juni 1970 (GVBI. gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem S. 925), zuletzt geändert durch Gesetz vom Ausschuss ausscheidet. 24. Juni 1991 (GVBI. S. 154), findet keine Anwendung. SS 34 Geheimhaltung (5) Für den Ausschuss gelten im Übrigen die Bestimmungen der Geschäftsordnung Die Öffentlichkeit wird durch einen Beschluss des Abgeordnetenhauses von Berlin. des Ausschusses ausgeschlossen, wenn das öffentliche Interesse oder berechtigte Interessen SS 36 eines einzelnen dies gebieten. Sofern die ÖfVertrauensperson des Ausschusses fentlichkeit ausgeschlossen ist, sind die Mitfür Verfassungsschutz glieder des Ausschusses zur Verschwiegenheit über Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen Der Ausschuss für Verfassungsschutz kann dabei bekannt geworden sind. Das gleiche gilt zur Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus im Einzelfall nach Anhörung des Senats mit dem Ausschuss. Die Verpflichtung zur Verder Mehrheit seiner Mitglieder eine schwiegenheit kann von dem Ausschuss aufVertrauensperson beauftragen, gehoben werden, soweit nicht berechtigte Untersuchungen durchzuführen und dem Interessen eines Einzelnen entgegenstehen Ausschuss über das Ergebnis in nicht oder der Senat widerspricht; in diesem Fall legt öffentlicher Sitzung zu berichten. Die der Senat dem Ausschuss seine Gründe dar. Vertrauensperson soll die Befähigung zum Richteramt besitzen und wird für die Dauer SS 35 der jeweils laufenden Wahlperiode vom Aufgaben und Befugnisse des Ausschusses Ausschuss für Verfassungsschutz mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder (1) Der Senat hat den Ausschuss umfassend gewählt. über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten; er berichtet SECHSTER ABSCHNITT auch über den Erlass von Verwaltungsvorschriften. Der Ausschuss hat Anspruch auf UnSchlussvorschriften terrichtung. SS 37 (2) Der Ausschuss hat auf Antrag mindestens Einschränkung von Grundrechten eines seiner Mitglieder das Recht auf Erteilung von Auskünften, Einsicht in Akten und andere Aufgrund dieses Gesetzes kann das GrundUnterlagen, Zugang zu Einrichtungen der recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung Verfassungsschutzbehörde sowie auf Anhörung nach Artikel 13 des Grundgesetzes von deren Dienstkräften. Die Befugnisse des eingeschränkt werden. Ausschusses nach Satz 1 erstrecken sich nur auf Gegenstände, die der alleinigen SS 38 Verfügungsberechtigung der VerfassungsAnwendbarkeit des Berliner schutzbehörde unterliegen. Datenschutzgesetzes (3) Der Senat kann die Unterrichtung über Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 einzelne Vorgänge verweigern und bestimmten durch die Verfassungsschutzbehörde finden Kontrollbegehren widersprechen, wenn dies erdie SSSS 10 bis 17 und 19 Abs. 2 bis 4 des forderlich ist, um vom Bund oder einem Berliner Datenschutzgesetzes in der Fassung deutschen Land Nachteile abzuwenden; er hat vom 17. Dezember 1990 (GVBI. 1991 S. 16, dies vor dem Ausschuss zu begründen. 54), zuletzt geändert durch Gesetz vom (4) Das Abgeordnetenhaus kann den 22. Oktober 1992 (GVBI. S. 314), keine Ausschuss für einen bestimmten UntersuAnwendung. chungsgegenstand als Untersuchungsausschuss (Artikel 48 der Verfassung von Berlin) SS 39 einsetzen. SS 3 des Gesetzes über die UnterInkrafttreten, Außerkrafttreten 222 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Gesetz (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach der über die Voraussetzungen und das Verfahren Verkündung im Gesetzund Verordnungsblatt von Sicherheitsüberprüfungen für Berlin in Kraft. im Land Berlin (Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz - (2) Gleichzeitig tritt das Gesetz über das BSÜG) Landesamt für Verfassungsschutz in der in der Fassung vom 25. Juni 2001 Fassung vom 31. Juli 1989 (GVBl. S. 1545) außer Kraft. Erster Abschnitt Allgemeines SS1 Zweck und Anwendungsbereich des Gesetzes Zweck dieses Gesetzes ist es, 1. im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse vor der Kenntnisnahme durch Unbefugte zu schützen und den Zugang von Personen zu verhindern, bei denen ein Sicherheitsrisiko nicht ausgeschlossen werden kann (personeller Geheimschutz), und 2. die Beschäftigung von Personen, bei denen ein Sicherheitsrisiko nicht ausgeschlossen werden kann, an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen zu verhindern (personeller Sabotageschutz). Zweiter Abschnitt Personeller Geheimund Sabotageschutz bei öffentlichen Stellen SS2 Sicherheitsempfindliche Tätigkeiten Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übt aus, wer 1. Zugang zu Verschlusssachen hat oder ihn sich verschaffen kann, die STRENG GEHEIM, GEHEIM oder VS-VERTRAULICH eingestuft sind, 2. Zugang zu Verschlusssachen überstaatlicher Einrichtungen und Stellen hat oder ihn sich verschaffen kann, wenn die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, nur sicherheitsüberprüfte Personen hierzu zuzulassen, 3. in dem Teil einer Behörde oder sonstigen öffentlichen Stelle des Landes tätig ist, Anhang 223 der auf Grund des Umfanges und der Be1. die Mitglieder des Abgeordnetenhauses; deutung dort anfallender Verschlusssachen das Abgeordnetenhaus bestimmt im von der jeweils zuständigen obersten LanRahmen dieses Gesetzes die Voraussetdesbehörde im Einvernehmen mit der Verzungen für den Zugang seiner Mitglieder fassungsschutzbehörde zum Sicherheitszu geheimhaltungsbedürftigen Anbereich mit dem Erfordernis einer Sichergelegenheiten, heitsüberprüfung nach SS 10 erklärt worden 2. Richter, soweit sie Aufgaben der Rechtist, oder sprechung wahrnehmen, 4. an einer sicherheitsempfindlichen Stelle 3. ausländische Staatsangehörige, die in einer lebensoder verteidigungswichtigen der Bundesrepublik Deutschland im öffentlichen Einrichtung beschäftigt ist, bei Interesse zwischenstaatlicher Einrichtunderen Ausfall oder Zerstörung eine erhebgen und Stellen eine sicherheitsemliche Bedrohung für die Gesundheit oder pfindliche Tätigkeit nach SS 2 Satz 1 Nr. 2 das Leben zahlreicher Menschen zu beausüben sollen. fürchten ist oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar ist. (4) Mitglieder der BezirksverordnetenverDer Senat wird ermächtigt, durch Rechtssammlungen sowie Personen, die vom verordnung die zu schützenden Arten von Abgeordnetenhaus oder einer BezirksverordEinrichtungen oder Teile von Einrichtungen abnetenversammlung in ein öffentliches Amtsschließend festzulegen. oder Dienstverhältnis gewählt oder berufen werden, sind Geheimnisträger kraft Amtes. SS3 Sie sind auf eigenen Antrag einer SicherBetroffener Personenkreis heitsüberprüfung zu unterziehen. Dies gilt für Staatssekretäre entsprechend. (1) Eine Person, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll SS4 (Betroffener), ist vorher einer SicherheitsüberZuständigkeit prüfung zu unterziehen. Die beamtenund arbeitsrechtlichen Pflichten bleiben unberührt. (1) Die Aufgaben dieses Gesetzes werden Auf eine Sicherheitsüberprüfung nach diesem von der Behörde oder sonstigen öffentlichen Gesetz kann verzichtet werden, wenn der BeStelle wahrgenommen, die einer Person eine troffene bereits vor weniger als fünf Jahren im sicherheitsempfindliche Tätigkeit übertragen erstrebten Umfang oder höher überprüft worden will (zuständige Stelle). Für die Geheimist und die Unterlagen verfügbar sind. Eine schutzbeauftragten und ihre Vertreter werden sicherheitsempfindliche Tätigkeit darf erst nach die Aufgaben der zuständigen Stelle von dem Vollendung des 16. Lebensjahres übertragen für die Verfassungsschutzbehörde zuständiwerden. gen Geheimschutzbeauftragten wahrgenommen. Zuständige Stelle für Behördenleiter ist (2) Soweit dieses Gesetz vorsieht, können die oberste Landesbehörde. auch Angaben zum volljährigen Ehegatten oder Partner, mit dem die zu überprüfende Person in (2) Die Aufgaben der zuständigen Stelle eheähnlicher Gemeinschaft lebt nach diesem Gesetz sind von einer von der (Lebenspartner), erhoben und sie in die SicherPersonalverwaltung getrennten Organisaheitsüberprüfung einbezogen werden. Geht der tionseinheit wahrzunehmen. Die zuständige Betroffene die Ehe oder die eheähnliche Stelle sollte bei der Ausübung dieser Lebensgemeinschaft während oder erst nach Tätigkeit dem Behördenleiter unmittelbar erfolgter Sicherheitsüberprüfung ein, so hat er unterstellt sein. die zuständige Stelle umgehend zu unterrichten, die über die Erhebung von Angaben zum (3) Mitwirkende Behörde bei der SicherEhegatten oder Lebenspartner und über deren heitsüberprüfung ist nach SS 5 Abs. 3 Satz 1 Einbeziehung in die Sicherheitsüberprüfung Nr. 1 und 2 des Verfassungsschutzgesetzes entscheidet; dies gilt auch bei später Berlin vom 25. März 1995 (GVBl. S. 254, eintretender Volljährigkeit des Ehegatten oder 762), das zuletzt durch Artikel II des Lebenspartners. Gesetzes vom 30. November 2000 (GVBl. S. 495) geändert worden ist, die (3) Dieses Gesetz gilt nicht für Verfassungsschutzbehörde. 224 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 (4) Die sicherheitsempfindlichen Stellen von (2) Eine Verschlusssache ist lebensoder verteidigungswichtigen öffentlichen 1. STRENG GEHEIM, wenn die KenntnisEinrichtungen nach SS 2 Satz 1 Nr. 4 werden auf nahme durch Unbefugte den Bestand deren Antrag von der oder lebenswichtige Interessen der BunVerfassungsschutzbehörde im Einvernehmen desrepublik Deutschland oder eines ihrer mit der zuständigen obersten Landesbehörde Länder gefährden kann, bestimmt. 2. GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme (5) Die Aufgaben der zuständigen Stelle bei durch Unbefugte die Sicherheit der der Überprüfung gemäß SS 3 Abs. 4 Satz 2 Bundesrepublik Deutschland oder eines werden für vom Abgeordnetenhaus Gewählte ihrer Länder gefährden oder ihren vom Präsidenten des Abgeordnetenhauses und Interessen schweren Schaden zufügen für von einer Bezirksverordnetenversammlung kann, Gewählte von dem für die Ver3. VS-VERTRAULICH, wenn die Kenntnisfassungsschutzbehörde zuständigen Geheimnahme durch Unbefugte für die Interschutzbeauftragten wahrgenommen. essen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein (6) Die Verwaltung des Abgeordnetenhauses kann, ist zuständig für die Sicherheitsüberprüfung der 4. VS-NUR FÜR DEN Mitarbeiter der Abgeordneten und der FrakDIENSTGEBRAUCH, wenn die tionen, die Zugang zu Verschlusssachen gemäß Kenntnisnahme durch Unbefugte für die SS 6 erhalten sollen. Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder SS5 nachteilig sein kann. Bestellung von Geheimschutzbeauftragten (3) Eine Person, die Zugang zu Ver(1) Bei Stellen, die mindestens fünf Personen schlusssachen erhalten soll oder sich vereine sicherheitsempfindliche Tätigkeit überschaffen kann, ist nach einer Sicherheitstragen haben, ist ein Geheimschutzbeauftragter überprüfung und dem Ergebnis, dass keine zu bestellen. Er nimmt die Aufgaben der Sicherheitsrisiken vorliegen oder erkennbar zuständigen Stelle (SS 4 Abs. 1) wahr, sorgt sind, von der zuständigen Stelle förmlich zu dafür, dass die erforderlichen belehren und zu ermächtigen. Die Belehrung Geheimschutzmaßnahmen getroffen werden, und die Ermächtigung werden ohne förmliche und führt die Sicherheitsüberprüfungen durch. SS Sicherheitsüberprüfung vorgenommen, wenn 4 Abs. 2 findet Anwendung. Wird weniger als es sich nur um Verschlusssachen des fünf Personen eine sicherheitsempfindliche Geheimhaltungsgrades VS-NUR FÜR DEN Tätigkeit übertragen, so nimmt die Aufgaben DIENSTGEBRAUCH handelt. des Geheimschutzbeauftragten der Leiter der Stelle oder sein Vertreter wahr. SS7 Sicherheitsrisiken (2) Abweichend von Absatz 1 können die obersten Landesbehörden und die Bezirksämter (1) Sicherheitsrisiken sind Umstände, die mit Zustimmung der Verfassungsschutzbehörde es aus Gründen des staatlichen Geheimfür die zu ihrem Geschäftsbereich gehörenden schutzes oder des Sabotageschutzes vernachgeordneten Behörden die Aufgaben gemäß bieten, einem Betroffenen eine Absatz 1 übernehmen. sicherheitsempfindliche Tätigkeit zuzuweisen. Die Beurteilung ist auf den Einzelfall SS6 abzustellen. Verschlusssachen (2) Ein Sicherheitsrisiko liegt vor, wenn (1) Verschlusssachen sind im öffentlichen tatsächliche Anhaltspunkte Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, 1. Zweifel am Bekenntnis des Betroffenen Gegenstände oder Erkenntnisse unabhängig zur freiheitlichen demokratischen Grundvon ihrer Darstellungsform. Sie werden entordnung im Sinne des Grundgesetzes sprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer oder am jederzeitigen Eintreten für deren amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung Erhaltung begründen, eingestuft. 2. Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer Anhang 225 sicherheitsempfindlichen Tätigkeit SS8 begründen oder Rechte und Pflichten des Betroffenen 3. eine besondere Gefährdung durch Anbahund der einbezogenen Person nungsoder Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste, insbesondere die Be(1) Der Betroffene ist über Art und Umfang sorgnis der Erpressbarkeit, begründen. der beabsichtigten Sicherheitsüberprüfung Ein Sicherheitsrisiko kann auch auf Grund tatsowie über die damit verbundene Erhebung sächlicher Anhaltspunkte zur Person des Eheund Speicherung personenbezogener Daten gatten oder Lebenspartners vorliegen. und die weitere Datenverarbeitung zu unterrichten. Wird eine weitergehende Sicherheitsüberprüfung als ursprünglich vorgesehen notwendig (SS 9 Abs. 2), so ist auch für diese eine entsprechende Unterrichtung erforderlich. (2) Die Einwilligung des Betroffenen ist Voraussetzung für die Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung. Sie bezieht sich nur auf die Art der Sicherheitsüberprüfung, die Gegenstand der Unterrichtung war, sowie auf die Befragungen, die nach Art der Sicherheitsüberprüfung vorgeschrieben sind. Willigt der Betroffene in die Sicherheitsüberprüfung nicht ein, so ist die Sicherheitsüberprüfung undurchführbar. Dem Betroffenen darf dann keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übertragen werden. (3) Der Betroffene ist verpflichtet, die zur Sicherheitsüberprüfung erforderlichen Angaben vollständig und wahrheitsgemäß zu machen. (4) Der Betroffene kann Angaben verweigern, die für ihn, einen nahen Angehörigen im Sinne von SS 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung oder den Lebenspartner die Gefahr strafrechtlicher oder disziplinarischer Verfolgung, der Entlassung oder Kündigung begründen könnten. Über das Verweigerungsrecht ist der Betroffene zu belehren. (5) Sollen Angaben zum Ehegatten oder Lebenspartner erhoben oder soll einer von diesen in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden, gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend. (6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch für die Ergänzung der Sicherheitserklärung und Wiederholungsüberprüfungen. SS9 Arten der Sicherheitsüberprüfung 226 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 (1) Entsprechend der vorgesehenen heitsüberprüfung nach SS 10 für ausreichend sicherheitsempfindlichen Tätigkeit wird entweder hält. eine 1. einfache Sicherheitsüberprüfung (SÜ 1), 2. erweiterte Sicherheitsüberprüfung (SÜ 2) oder 3. erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (SÜ 3) durchgeführt. (2) Ergeben sich bei der Sicherheitsüberprüfung tatsächliche Anhaltspunkte, die eine weitergehende Überprüfung notwendig machen, kann die zuständige Stelle die nächsthöhere Art der Sicherheitsüberprüfung mit Zustimmung des Betroffenen und der einzubeziehenden oder einbezogenen Person anordnen. Diese ist jedoch nur soweit durchzuführen, wie es zur Aufklärung des Sicherheitsrisikos erforderlich ist. SS 15 Abs. 4 bleibt unberührt. SS 10 Einfache Sicherheitsüberprüfung (1) Die einfache Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durchzuführen, die 1. Zugang zu VS-VERTRAULICH eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können oder 2. eine Tätigkeit in entsprechend eingestuften Bereichen nach SS 2 Satz 1 Nr. 3 oder 4 wahrnehmen sollen. (2) In den Fällen von Absatz 1 Nr. 2 kann die zuständige Stelle von der Sicherheitsüberprüfung absehen, wenn Art oder Dauer der Tätigkeit dies zulassen. SS 11 Erweiterte Sicherheitsüberprüfung Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durchzuführen, die 1. Zugang zu GEHEIM eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. Zugang zu einer hohen Anzahl von VSVERTRAULICH eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können oder 3. an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen nach SS 2 Satz 1 Nr. 4 beschäftigt sind oder werden sollen, soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall nach Art und Dauer der Tätigkeit eine Sicher- Anhang 227 SS 12 Personen nur in unvermeidbarem Umfang Erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit beeinträchtigt werden. Der Einsatz nachSicherheitsermittlungen richtendienstlicher Mittel ist nicht zulässig. Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit SiSS 14 cherheitsermittlungen ist für Personen durchzuEinleitung der Sicherheitsüberprüfung führen, die 1. Zugang zu STRENG GEHEIM eingestuften (1) Die zuständige Stelle unterrichtet den Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn Betroffenen und die einzubeziehende Person sich verschaffen können, über die Rechte und Pflichten nach SS 8 und 2. Zugang zu einer hohen Anzahl von fordert sie zur Abgabe der SicherheitserGEHEIM eingestuften Verschlusssachen klärung auf. Anzugeben sind frühere Sichererhalten sollen oder ihn sich verschaffen heitsüberprüfungen und können oder 1. Namen, auch frühere, und Vornamen, 3. als Dienstkräfte der Verfassungsschutzbe2. Geburtsdatum und -ort, Bundesland, hörde tätig werden sollen, 3. Staatsangehörigkeit, auch frühere und soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall doppelte Staatsangehörigkeiten, nach Art und Dauer der Tätigkeit eine Sicher4. Familienstand, heitsüberprüfung nach SS 10 oder SS 11 für aus5. Wohnsitze und Aufenthalte von längerer reichend hält. Dauer als zwei Monate, und zwar im Inland in den vergangenen fünf Jahren, SS 13 im Ausland ab dem 18. Lebensjahr, Datenerhebung 6. ausgeübter Beruf, 7. Arbeitgeber und dessen Anschrift, (1) Die zuständige Stelle und die Verfas8. Anzahl der Kinder, sungsschutzbehörde dürfen die zur Erfüllung 9. im Haushalt lebende Personen über 18 ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderJahre (Namen, auch frühere, und Vorlichen Daten erheben. Der Betroffene, die namen, Geburtsdatum und -ort; Verhälteinzubeziehende Person sowie die sonstigen zu nis zu dieser Person), befragenden Personen und nicht-öffentlichen 10. Eltern, gegebenenfalls Stiefoder Stellen sind auf den Zweck der Erhebung, die Pflegeeltern (Namen, auch frühere, und Auskunftspflichten nach diesem Gesetz und auf Vornamen, Geburtsdatum und -ort, eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige Staatsangehörigkeit und Wohnsitz), vertragliche Mitwirkungspflicht, ansonsten auf 11. Ausbildungsund Beschäftigungszeiten, die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. Bei Wehrund Zivildienstzeiten mit Angabe Sicherheitsüberprüfungen gemäß SS 4 Abs. 4 der Ausbildungsstätten, kann die Angabe der erhebenden Stelle Beschäftigungsstellen sowie deren gegenüber den sonstigen zu befragenden Anschriften, Personen oder nicht-öffentlichen Stellen 12. Nummer des Personalausweises oder unterbleiben, wenn dies zum Schutz des Reisepasses, Betroffenen oder der Verfassungsschutz13. Angaben über in den vergangenen fünf behörde erforderlich ist. Jahren durchgeführte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und darüber, ob zur (2) Die zuständige Stelle erhebt die perZeit die finanziellen Verpflichtungen sonenbezogenen Daten grundsätzlich beim erfüllt werden können, Betroffenen und, falls es darüber hinaus er14. Kontakte zu anderen forderlich ist, gesondert bei dem in die SicherNachrichtendiensten einschließlich der heitsüberprüfung einzubeziehenden Ehegatten Nachrichtendienste der ehemaligen oder Lebenspartner. Reicht diese Erhebung Deutschen Demokratischen Republik, nicht aus oder stehen ihr schutzwürdige 15. Beziehungen zu Organisationen, die von Interessen des Betroffenen oder seines Eheihren Anhängern unbedingten Gehorsam gatten oder Lebenspartners entgegen, können verlangen und deshalb den Betroffenen andere geeignete Personen oder Stellen befragt in Konflikt mit seiner werden. Ist zum Zwecke der Sammlung von Verschwiegenheitspflicht bringen Informationen die Weitergabe persokönnen, nenbezogener Daten unerlässlich, so dürfen 16. Beziehungen zu verfassungsfeindlichen schutzwürdige Interessen der betroffenen Organisationen, 228 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 17. anhängige Strafund Disziplinarverfahren, sicherheitserhebliche Erkenntnisse an die 18. Angaben zu Wohnsitzen, Aufenthalten, Verfassungsschutzbehörde weiter, teilt dieser Reisen, nahen Angehörigen und sonstigen mit, in welcher sicherheitsempfindlichen Beziehungen in und zu Staaten, von denen Tätigkeit der Betroffene im Einzelnen die Verfassungsschutzbehörde festgestellt eingesetzt werden soll, und beauftragt diese, hat, dass besondere Sicherheitsrisiken zu die nach SS 15 erforderlichen Maßnahmen besorgen sind, und durchzuführen. Dies entfällt, wenn die 19. drei Referenzpersonen (Namen und Vorzuständige Stelle bereits bei der Prüfung der namen, Berufe, berufliche und private Sicherheitserklärung festgestellt hat, dass ein Anschriften und Rufnummern sowie zeitSicherheitsrisiko vorliegt, das einer licher Beginn der Bekanntschaft). sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegenDer Sicherheitserklärung sind zwei aktuelle steht. Lichtbilder mit der Angabe des Jahres der Aufnahme beizufügen. SS 15 Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörde (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 10 bei den einzelnen Überprüfungsarten entfallen die Angaben zu Absatz 1 Satz 2 Nr. 8, 11, 12 und 19 sowie die Pflicht, Lichtbilder bei(1) Bei einer Sicherheitsüberprüfung nach zubringen; Absatz 1 Satz 2 Nr. 10 entfällt, SS 10 trifft die Verfassungsschutzbehörde zur soweit die dort genannten Personen nicht in Feststellung und Aufklärung eines Sichereinem Haushalt mit dem Betroffenen leben. heitsrisikos folgende Maßnahmen: 1. sicherheitsmäßige Bewertung der An(3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 11 gaben in der Sicherheitserklärung unter entfällt die Angabe zu Absatz 1 Satz 2 Nr. 19. Berücksichtigung der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes (4) In jeder Sicherheitsüberprüfung werden und der Länder, zur Person des Ehegatten oder Lebenspartners 2. Anfragen unter Beteiligung der Landesdie Angaben nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4, kriminalämter an die Polizeidienststellen 14 und 16 erhoben. Bei einer Einbeziehung der Wohnsitze des Betroffenen, in der nach SS 15 Abs. 2 Nr. 3 sind zusätzlich die in Regel beschränkt auf die letzten fünf Absatz 1 Satz 2 Nr. 5 bis 7, 12, 13, 17, und 18 Jahre, und, soweit es im Einzelfall sachgenannten Daten anzugeben. dienlich erscheint, an das (5) Bei Sicherheitsüberprüfungen der in SS 4 Bundeskriminalamt, Abs. 4 genannten Personen sind zusätzlich die 3. Anfragen an die für das Meldewesen zuWohnsitze seit der Geburt, die Geschwister und ständigen Behörden der Wohnsitze des abgeschlossene Strafund Disziplinarverfahren Betroffenen, in der Regel beschränkt auf sowie alle Kontakte zu ausländischen die letzten fünf Jahre, und Nachrichtendiensten oder zu 4. Ersuchen um Datenübermittlung aus Nachrichtendiensten der ehemaligen Deutschen dem zentralen staatsanwaltschaftlichen Demokratischen Republik anzugeben. Verfahrensregister und Einholung einer unbeschränkten Auskunft aus dem (6) Die Sicherheitserklärung ist vom BeBundeszentralregister. troffenen der zuständigen Stelle zuzuleiten. Sie prüft die Angaben des Betroffenen und, soweit (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach möglich, des Ehegatten oder Lebenspartners SS 11 trifft die Verfassungsschutzbehörde anhand der Personalunterlagen des Betroffenen zusätzlich zu Absatz 1 folgende Maßnahmen: auf Vollständigkeit und Richtigkeit. Die 1. Prüfung der Identität des Betroffenen, zuständige Stelle richtet eine Anfrage an den 2. Anfragen an die Grenzschutzdirektion Bundesbeauftragten für die Unterlagen des und die Nachrichtendienste des Bundes Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen und Deutschen Demokratischen Republik, wenn der 3. Überprüfung und, soweit erforderlich, Betroffene oder die einbezogene Person vor Befragung des Ehegatten oder dem 13. Januar 1972 geboren wurde und der Lebenspartners des Betroffenen in dem personalverwaltenden Stelle eine in Absatz 1 genannten Umfang, sofern uneingeschränkte Auskunft nicht vorliegt. SS 13 nicht die zuständige Stelle von der Abs. 2 Satz 1 gilt entsprechend. Die zuständige Einbeziehung abgesehen hat. Von der Stelle leitet die Sicherheitserklärung und Einbeziehung kann in den Fällen des SS Anhang 229 11 Nr. 3, bei dauernd getrennt lebenden (3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 12 Ehegatten sowie in vergleichbaren Fällen befragt die Verfassungsschutzbehörde abgesehen werden. zusätzlich zu den Maßnahmen der Absätze 1 und 2 Referenzpersonen, um zu prüfen, ob die Angaben des Betroffenen zutreffen und ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt. (4) In Fällen, in denen ein Sicherheitsrisiko auf Grund der vorstehenden Maßnahmen nicht ausgeschlossen werden kann und die Befragung des Betroffenen oder seines Lebenspartners nicht ausreicht oder ihr schutzwürdige Belange entgegenstehen, können von anderen geeigneten Stellen, insbesondere Staatsanwaltschaften oder Gerichten, zusätzliche Auskünfte eingeholt oder weitere geeignete Auskunftspersonen befragt werden. SS 16 Abschluss der Sicherheitsüberprüfung (1) Ein Rechtsanspruch auf Verwendung in einem sicherheitsempfindlichen Bereich oder auf Ermächtigung zur Bearbeitung von Verschlusssachen besteht nicht. (2) Kommt die Verfassungsschutzbehörde zu dem Ergebnis, dass kein Sicherheitsrisiko vorliegt, teilt sie dies der zuständigen Stelle mit. Hat die Verfassungsschutzbehörde Erkenntnisse, die kein Sicherheitsrisiko begründen, aber weiterhin sicherheitserheblich sind, übermittelt sie dies der zuständigen Stelle. (3) Sieht die Verfassungsschutzbehörde ein Sicherheitsrisiko als gegeben an, unterrichtet sie schriftlich unter Darlegung der Gründe und ihrer Bewertung die zuständige Stelle. Bei nachgeordneten Stellen erfolgt die Unterrichtung über die zuständige oberste Landesbehörde. (4) Über Umstände, die zur Ablehnung der Zulassung führen können, gibt die zuständige Stelle dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung. Der Betroffene kann zur Anhörung einen Rechtsbeistand hinzuziehen. Bei der Anhörung ist der Quellenschutz zu gewährleisten und den schutzwürdigen Belangen von Personen, die in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen wurden, Rechnung zu tragen. Die Anhörung unterbleibt, wenn sie einen erheblichen Nachteil für die Sicherheit des Bundes oder eines Landes zur Folge hätte, insbesondere bei Sicherheitsüberprüfungen der Bewerber bei der Verfassungsschutzbehörde. 230 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 (5) Liegen in der Person des Ehegatten oder seitig, wenn sicherheitserhebliche Lebenspartners Anhaltspunkte vor, die ein Erkenntnisse über den Betroffenen oder zu Sicherheitsrisiko begründen, ist ihm Gelegenheit der nach SS 15 Abs. 2 Nr. 3 einbezogenen zu geben, sich vor der Ablehnung der Zulassung Person bekannt werden oder sich mitgeteilte des Betroffenen zu einer sicherheitsempfindErkenntnisse als unrichtig erweisen. lichen Tätigkeit zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Absatz 4 (2) Die mitwirkende Behörde prüft die mitSatz 2 bis 4 gilt entsprechend. geteilten Erkenntnisse und stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt. Im Übrigen findet (6) Die zuständige Stelle entscheidet, ob ein SS 16 entsprechend Anwendung. Sicherheitsrisiko vorliegt, das der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit des Betroffenen entSS 19 gegensteht. Kann die Sicherheitsüberprüfung Ergänzung der Sicherheitserklärung nicht mit der Feststellung abgeschlossen werund Wiederholungsüberprüfung den, dass kein Sicherheitsrisiko vorliegt, hat das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Be(1) Die Sicherheitserklärung ist dem langen. Betroffenen, der eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausübt, und der nach SS 15 Abs. 2 (7) Lehnt die zuständige Stelle die VerwenNr. 3 einbezogenen Person in der Regel alle dung in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit ab, ist fünf Jahre erneut zur Aktualisierung zuzuder Betroffene zu unterrichten. leiten. (8) Die Absätze 1 bis 7 sind auch im Falle der Ablehnung einer Weiterbeschäftigung in einer (2) Die zuständige Stelle kann eine Wiesicherheitsempfindlichen Tätigkeit anzuwenden. derholungsüberprüfung einleiten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte gemäß SS 7 Abs. 2 SS 17 bekannt werden, die auf ein Sicherheitsrisiko Vorläufige Zuweisung hindeuten. Auf die einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit Wiederholungsüberprüfung finden die Vorschriften über die Erstüberprüfung Die zuständige Stelle kann in Ausnahmefällen Anwendung. Bei Sicherheitsüberprüfungen abweichend von SS 3 Abs. 1 die sicherheitsemnach den SSSS 11 und 12 sind in der Regel im pfindliche Tätigkeit des Betroffenen vor AbAbstand von zehn Jahren Wieschluss der Sicherheitsüberprüfung erlauben, derholungsüberprüfungen durchzuführen. Sie wenn die Verfassungsschutzbehörde ist bei den Sicherheitsüberprüfungen nach 1. bei der einfachen Sicherheitsüberprüfung SS 11 jedoch nur soweit durchzuführen, wie die Angaben in der Sicherheitserklärung der Überprüfungszweck dies erfordert, und unter Berücksichtigung der eigenen umfasst zumindest die Maßnahmen nach Erkenntnisse bewertet hat und sich hierbei SS 15 Abs. 1 Nr. 1 bis 4. Bei keine Erkenntnisse ergeben haben, die auf Sicherheitsüberprüfungen nach SS 12 umfasst ein Sicherheitsrisiko hindeuten, oder die Wiederholungsüberprüfung alle 2. bei der erweiterten Sicherheitsüberprüfung Maßnahmen nach SS 15; die mitwirkende und bei der erweiterten SicherheitsüberprüBehörde kann von einer erneuten fung mit Sicherheitsermittlungen die MaßIdentitätsprüfung absehen. nahmen der nächstniederen Art der Sicherheitsüberprüfung abgeschlossen hat, auch SS 20 wenn bei dieser eine Antwort auf eine Sicherheitsakte und Anfrage nach SS 14 Abs. 6 Satz 3 noch nicht Sicherheitsüberprüfungsakte vorliegt, und sich keine Erkenntnisse ergeben haben, die auf ein Sicherheitsrisiko (1) Die zuständige Stelle führt über den hindeuten. Betroffenen eine Sicherheitsakte, in die alle die Sicherheitsüberprüfung betreffenden SS 18 Informationen aufzunehmen sind. Erkenntnisse nach Abschluss der Sicherheitsüberprüfung (2) Informationen über die persönlichen, dienstlichen und arbeitsrechtlichen Verhält(1) Die zuständige Stelle und die Verfasnisse der mit sicherheitsempfindlichen Tätigsungsschutzbehörde unterrichten sich gegenkeiten befassten Personen sind zur Sicher- Anhang 231 heitsakte zu nehmen, soweit sie für die sicherwahren und gegen unbefugten Zugriff zu heitsmäßige Beurteilung erheblich sind. Zu schützen. diesen Informationen zählen insbesondere: 1. Betrauen mit einer sicherheitsempfindlichen (2) Die im Rahmen der SicherheitsüberTätigkeit, die dazu erteilte Ermächtigung soprüfung rechtmäßig erhobenen personenbewie deren Änderung und Beendigung, zogenen Daten dürfen zur Durchführung der 2. Umsetzung, Abordnung, Versetzung und Sicherheitsüberprüfung nicht an andere als Ausscheiden, die im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung 3. Änderung des Familienstandes, des zu beteiligenden Behörden und Stellen überNamens, eines Wohnsitzes und der mittelt werden. Sie dürfen von der zustänStaatsangehörigkeit, digen Stelle oder Verfassungsschutzbehörde 4. Anhaltspunkte für Überschuldung, z. B. nur für Pfändungsund Überweisungsbeschlüsse, 1. die mit der Sicherheitsüberprüfung ver5. nicht getilgte Strafund Disziplinarsachen folgten Zwecke, sowie dienstund arbeitsrechtliche Maß2. Zwecke der Verfolgung von Straftaten nahmen. von erheblicher Bedeutung, (3) Die Verfassungsschutzbehörde führt über 3. Zwecke der strafoder disziplinarrechtden Betroffenen eine Sicherheitsüberprüfungslichen Verfolgung sowie von dienstoder akte, in die aufzunehmen sind: arbeitsrechtlicher Maßnahmen, die sich 1. Informationen, die die Sicherheitsüberprüaus der Sicherheitsüberprüfung ergeben, fung, die durchgeführten Maßnahmen und wenn dies zur Gewährleistung des Verdas Ergebnis betreffen, schlusssachenschutzes erforderlich ist, 2. das Ausscheiden aus oder die Nichtauf4. Zwecke parlamentarischer Untersunahme der sicherheitsempfindlichen Tätigchungsausschüsse keit, genutzt und übermittelt werden. Die Nutzung 3. Änderungen des Familienstandes, des Navon Erkenntnissen aus Anfragen nach SS 14 mens, eines Wohnsitzes und der StaatsAbs. 6 Satz 3 ist nur unter den Vorausangehörigkeit, setzungen des SS 29 Stasi-Unterlagen-Ge4. die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 4 und 5 genannsetzes vom 20. Dezember 1991 (BGBl. ten Daten nur, wenn sie sicherheits- I S. 2272), das zuletzt durch vom 20. Dezemerheblich sind. ber 1996 (BGBl. I S. 2026) geändert worden ist, zulässig. Die Strafverfolgungsbehörden (4) Sicherheitsakten und Sicherheitsüberdürfen die Ihnen nach Satz 2 Nr. 2 überprüfungsakten sind keine Personalakten. Sie mittelten Daten für Zwecke eines Strafversind gesondert zu führen und dürfen der perfahrens nur verwenden, wenn die Strafversonalverwaltenden Stelle nicht zugänglich gefolgung auf andere Weise erheblich weniger macht werden. Wechselt der Betroffene zu einer erfolgversprechend oder wesentlich anderen Behörde oder sonstigen öffentlichen erschwert wäre. Stelle, ist die Sicherheitsakte an die nunmehr zuständige Stelle abzugeben, wenn auch dort (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausgeübt die gespeicherten Daten nutzen und anderen werden soll. Auf Anforderung ist die SicherVerfassungsschutzbehörden übermitteln, heitsüberprüfungsakte an die nunmehr mitwirwenn dies für Zwecke der Spionageund kende Verfassungsschutzbehörde abzugeben. Terrorismusabwehr oder zur Abwehr sonstiger extremistischer Bestrebungen von er(5) Die zuständige Stelle ist verpflichtet, die in heblicher Bedeutung erforderlich ist. Die Absatz 3 Nr. 2 bis 4 genannten Daten unvernach SS 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 gespeicherten züglich der mitwirkenden Behörde zu übermitDaten dürfen zur Erfüllung aller Zwecke des teln. Verfassungsschutzes genutzt und übermittelt werden. SS 21 Nutzung, Verarbeitung und Behandlung (4) Die mitwirkende Behörde darf persoder Unterlagen und Daten, Zweckbindung nenbezogene Daten nach den Absätzen 2 und 3 nur an öffentliche Stellen übermitteln. (1) Die Unterlagen und Daten über die Sicherheitsüberprüfung sind gesondert aufzube(5) Die Übermittlung von personenbezogenen Daten ist aktenkundig zu machen. Die 232 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Nutzung oder Übermittlung personenbezogener (1) Die zuständige Stelle darf zur Erfüllung Daten unterbleibt, soweit gesetzliche Verihrer Aufgaben nach diesem Gesetz die in wendungsregelungen entgegenstehen. Der EmSS 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 und 6 pfänger darf die übermittelten Daten nur für den genannten personenbezogenen Daten, ihre Zweck verarbeiten und nutzen, zu dessen Aktenfundstelle und die der mitwirkenden Erfüllung sie ihm übermittelt werden, und zum Behörde sowie die Beschäftigungsstelle, Zweck der Strafverfolgung gemäß Absatz 2 Verfügungen zur Bearbeitung des Vorganges Satz 2 Nr. 2. Eine nicht-öffentliche Stelle ist und beteiligte Behörden in Dateien speichern, darauf hinzuweisen. verändern und nutzen. (2) Die mitwirkende Behörde darf zur Er(6) Unterlagen über die Sicherheitsüberfüllung ihrer Aufgaben prüfung sind zu vernichten, wenn sie nicht mehr 1. die in SS 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 benötigt werden, genannten personenbezogenen Daten 1. von der zuständigen Stelle spätestens des Betroffenen und des in die Sichera) nach Ablauf eines Jahres nach heitsüberprüfung einbezogenen EhegatAbschluss der Sicherheitsüberprüfung, ten oder Lebenspartners und die Aktenwenn der Betroffene keine fundstelle, sicherheitsempfindliche Tätigkeit 2. Verfügungen zur Bearbeitung des Voraufnimmt, es sei denn, der Betroffene ganges und willigt in die weitere Aufbewahrung ein, 3. sicherheitserhebliche Erkenntnisse und b) nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Erkenntnisse, die ein objektives SicherAusscheiden des Betroffenen aus der heitsrisiko begründen, sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, es sei in Dateien speichern, verändern und nutzen. denn, es ist beabsichtigt, dem BetrofDie Daten nach Satz 1 Nr. 1 dürfen auch in fenen erneut eine sicherheitsempfindliche nach SS 6 des BundesverfassungsschutzgeTätigkeit zuzuweisen, und der Betroffene setzes zulässigen Verbunddateien gespeiwilligt in die weitere Aufbewahrung ein, chert werden. 2. von der mitwirkenden Behörde a) bei einfachen Sicherheitsüberprüfungen SS 23 nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Berichtigen, Löschen und Sperren Ausscheiden des Betroffenen aus der personenbezogener Daten sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, b) bei den übrigen Überprüfungsarten nach (1) Die zuständige Stelle und die VerfasAblauf von zehn Jahren nach den in sungsschutzbehörde haben personenbezoNummer 1 genannten Fristen, gene Daten zu berichtigen, wenn sie c) die nach SS 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 geunrichtig sind. Wird die Richtigkeit personenspeicherten Daten, wenn feststeht, dass bezogener Daten vom Betroffenen oder der der Betroffene keine sicherheitsempfindeinbezogenen Person bestritten, so ist dies, liche Tätigkeit aufnimmt oder aus ihr soweit sich die personenbezogenen Daten in ausgeschieden ist. Akten befinden, dort zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. In Dateien ge(7) Im Übrigen sind in Unterlagen über die sperrte Informationen sind entsprechend zu Sicherheitsüberprüfung gespeicherte personenkennzeichnen. Zuständige Stelle und Verfasbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speisungsschutzbehörde unterrichten einander. cherung unzulässig ist. Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme (2) Auf in Dateien gespeicherte persobesteht, dass durch sie schutzwürdige nenbezogene Daten findet SS 21 Abs. 6 und 7 Interessen des Betroffenen beeinträchtigt entsprechend Anwendung. würden. In diesem Fall sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung SS 24 des Betroffenen verarbeitet oder genutzt Auskunft, Akteneinsicht werden. (1) Die zuständige Stelle oder mitwirkende SS 22 Behörde erteilt auf schriftlichen Antrag der Speichern, Verändern und Nutzen anfragenden Person (Antragsteller) unentpersonenbezogener Daten in Dateien geltlich Auskunft über die im Rahmen der Anhang 233 Sicherheitsüberprüfung zu seiner Person gezu seiner Person enthalten. Die Absätze 2 speicherten Daten. bis 4 gelten entsprechend. Die Einsichtnahme in Sicherheitsakten ist (2) Bezieht sich die Auskunft auf persoinsbesondere dann zu versagen, wenn nenbezogene Daten, die von der zuständigen überwiegende öffentliche oder überwiegende Stelle der mitwirkenden Behörde übermittelt Geheimhaltungsinteressen Dritter wurden, so ist die Auskunft nur mit deren Zuentgegenstehen oder die Daten des stimmung zulässig. Entsprechendes gilt für die Betroffenen mit Daten Dritter derart Auskunftserteilung durch die zuständige Stelle verbunden sind, dass ihre Trennung nach hinsichtlich solcher Daten, die ihr von der Vervielfältigung und Unkenntlichmachung mitwirkenden Behörde übermittelt wurden. nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich ist. In diesem Fall ist dem (3) Die Auskunft unterbleibt, soweit Betroffenen zusammenfassende Auskunft 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung der über den Akteninhalt zu erteilen. speichernden Stelle durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist, (6) Das Auskunftsrecht sowie das Ein2. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gesichtsrecht in die Sicherheitsakten nach Abfährden oder sonst dem Wohl des Bundes satz 4 Satz 3 in Verbindung mit Absatz 5 darf oder eines Landes Nachteile bereiten würde nur vom Berliner Beauftragten für den Daoder tenschutz und für das Recht auf Akten3. die Daten oder die Tatsache der Speicheeinsicht persönlich ausgeübt werden, wenn rung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem die Verfassungsschutzbehörde im Einzelfall Wesen nach oder wegen der überwiegenfeststellt, dass dies die Sicherheit des den berechtigten Interessen Dritter geheimBundes oder eines Landes gebietet. gehalten werden müssen Entsprechendes gilt für die und deswegen das Interesse des Antragstellers Sicherheitsüberprüfungsakte. an der Auskunftserteilung zurücktreten muss. (7) SS 24 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 Buchstabe c (4) Die Ablehnung der Auskunft bedarf keiner und Satz 5 des Bundesdatenschutzgesetzes Begründung, soweit dadurch der Zweck der findet Anwendung. Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind aktenSS 25 kundig zu machen. Wird die Auskunft ganz oder Reisebeschränkungen teilweise abgelehnt, ist der Antragsteller auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der (1) Personen, die eine sicherheitsempfindBegründung und darauf hinzuweisen, dass er liche Tätigkeit im Sinne von SS 2 Abs. 1 Satz 1 sich an den Berliner Beauftragten für den Nr. 1 bis 4 ausüben, die eine SicherheitsDatenschutz und für das Recht auf überprüfung nach SSSS 11 und 12 erfordert, Akteneinsicht wenden kann. Diesem ist auf können verpflichtet werden, Dienstund PriVerlangen Auskunft zu erteilen. vatreisen in und durch Staaten, für die Personenbezogene Daten einer Person, der besondere Sicherheitsregelungen gelten, der Vertraulichkeit zugesichert worden ist, dürfen zuständigen Stelle oder der nicht-öffentlichen nur dem Berliner Beauftragten für den Stelle rechtzeitig vorher anzuzeigen. Die VerDatenschutz und für das Recht auf fassungsschutzbehörde wird ermächtigt, die Akteneinsicht persönlich offenbart werden. Personengruppen und die Staaten durch eine Mitteilungen des Berliner Beauftragten für den Dienstanweisung festzulegen. Die VerpflichDatenschutz und für das Recht auf tung kann auch für die Zeit nach dem AusAkteneinsicht dürfen keine Rückschlüsse auf scheiden aus der sicherheitsempfindlichen den Erkenntnisstand der zuständigen Stelle und Tätigkeit angeordnet werden. der mitwirkenden Behörden zulassen, sofern diese nicht einer weitergehenden Auskunft zu(2) Die zuständige Stelle kann die Reise stimmen. untersagen, wenn Anhaltspunkte zur Person oder eine besonders sicherheitsempfindliche (5) Dem Betroffenen haben die zuständige Tätigkeit vorliegen, die eine erhebliche GeStelle und die mitwirkende Behörde auf Antrag fährdung des Betroffenen durch fremde Einsicht in die Teile der Sicherheitsund SicherNachrichtendienste erwarten lassen. heitsüberprüfungsakten zu gewähren, die Daten 234 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 (3) Ergeben sich insbesondere bei einer Dritter Abschnitt Reise in und durch Staaten, für die besondere Sicherheitsregelungen gelten, Anhaltspunkte, Personeller Geheimund Sabotageschutz die auf einen Anbahnungsoder Werbungsbei nicht-öffentlichen Stellen versuch fremder Nachrichtendienste hindeuten können, so hat der Betroffene die zuständige SS 26 Stelle unverzüglich nach seiner Rückkehr zu Weitergabe geheimhaltungsbedürftiger unterrichten. Angelegenheiten, Sabotageschutz (1) An eine nicht-öffentliche Stelle dürfen Verschlusssachen erst weitergegeben und Verträge mit einer nicht-öffentlichen Stelle, bei deren Abwicklung Verschlusssachen entstehen, erst geschlossen werden, nachdem die zuständige Stelle unter Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörde geprüft und bestätigt hat, dass 1. keine Umstände vorliegen, die Zweifel an der Wahrung des Geheimschutzes begründen können, 2. die erforderlichen Geheimschutzmaßnahmen getroffen sind und 3. die Sicherheitsüberprüfungen der betroffenen Personen durchgeführt sind. (2) Auf Antrag einer nicht-öffentlichen lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung kann die zuständige Stelle die Einrichtung oder Teile von ihr zur sicherheitsempfindlichen Stelle erklären, bei deren Ausfall oder Zerstörung eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit oder das Leben zahlreicher Menschen zu befürchten oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar ist. (3) Für den personellen Geheimund Sabotageschutz bei nicht-öffentlichen Stellen gelten die Vorschriften der SSSS 2 bis 25 entsprechend, sofern nicht nachfolgend etwas anderes geregelt ist. (4) Die nicht-öffentliche Stelle darf die nach diesem Gesetz zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen personenbezogenen Daten der betroffenen Person in Dateien speichern, verändern und nutzen. SS 27 Zuständigkeit (1) Für den personellen Geheimschutz und den personellen Sabotageschutz werden die Aufgaben der zuständigen Stelle von der Verfassungsschutzbehörde wahrgenommen, Anhang 235 soweit nicht im Einvernehmen mit ihr die für (1) Abweichend von SS 14 Abs. 6 nimmt der Wirtschaft zuständige oberste Landesbehörde Sicherheitsbevollmächtigte der nicht-öffentdie Aufgabe als zuständige Stelle wahrnimmt. lichen Stelle die Sicherheitserklärung entge(2) Die Entscheidung nach SS 26 Abs. 2 trifft gen. Er prüft die Vollständigkeit und Richtigdie Verfassungsschutzbehörde. keit der Angaben gegebenenfalls unter Beziehung der Personalunterlagen und gibt SS 28 sie an die zuständige Stelle weiter. Er teilt Bestellung eines Sicherheitsbevollmächtigten Erkenntnisse mit, die auf ein Sicherheitsrisiko hindeuten. (1) Liegt ein Vertrag zwischen einer nichtöffentlichen Stelle und der zuständigen Stelle (2) Für die Sicherheitsakte in der nichtzur Durchführung der Sicherheitsüberprüfungen öffentlichen Stelle gelten die Vorschriften oder die Bestimmung zur sicherheitsemdieses Gesetzes über die Sicherheitsakte pfindlichen Stelle im Sinne von SS 4 Abs. 5 vor, entsprechend mit der Maßgabe, dass die benennt die Geschäftsleitung der zuständigen Sicherheitsakte der nicht-öffentlichen Stelle Stelle einen fachlich und persönlich geeigneten bei einem Wechsel des Arbeitgebers nicht leitenden Unternehmensangehörigen als abgegeben wird. Sicherheitsbevollmächtigten, der in Angelegenheiten des Geheimschutzes und des SS 30 personellen Sabotageschutzes für die ordAbschluss der Sicherheitsüberprüfung, nungsgemäße Durchführung der SicherheitsWeitergabe von Erkenntnissen überprüfungen verantwortlich und mit den erforderlichen Befugnissen ausgestattet ist. Der Die zuständige Stelle unterrichtet den Sicherheitsbevollmächtigte muss der GeschäftsSicherheitsbevollmächtigten nach leitung unmittelbar unterstellt sein; die Abstimmung mit der Verantwortung der Geschäftsleitung bleibt hierVerfassungsschutzbehörde nur darüber, ob durch unberührt. oder ob keine Bedenken bestehen, dass dem Betroffenen eine sicherheitsempfindliche (2) Der Sicherheitsbevollmächtigte muss Tätigkeit übertragen wird. Erkenntnisse, auf sicherheitsüberprüft sein nach der höchsten bei denen diese Entscheidung beruht, dürfen der nicht-öffentlichen Stelle vorkommenden nicht mitgeteilt werden. Zur Gewährleistung Verschlusssacheneinstufung. des Verschlusssachenschutzes können sicherheitserhebliche Erkenntnisse an die (3) Die Aufgaben der nicht-öffentlichen Stelle nicht-öffentliche Stelle übermittelt werden nach diesem Gesetz sind grundsätzlich von und dürfen von ihr ausschließlich zu diesem einer der Personalverwaltung getrennten Zweck genutzt werden. Die nicht-öffentliche Organisationseinheit wahrzunehmen. Die zuStelle hat die zuständige Stelle unverzüglich ständige Stelle kann Ausnahmen zulassen, zu unterrichten, wenn Erkenntnisse zum wenn die nicht-öffentliche Stelle sich verpflichtet, Betroffenen oder zur einbezogenen Person Informationen, die ihr im Rahmen der bekannt werden, die auf ein Sicherheitsrisiko Sicherheitsüberprüfung bekannt werden, nur für hindeuten. solche Zwecke zu gebrauchen, die mit der Sicherheitsüberprüfung verfolgt werden. SS 31 Behördliche Aufsicht (4) Der Sicherheitsbevollmächtigte wird für den personellen Geheimschutz und für den (1) Soweit eine nicht-öffentliche Stelle personellen Sabotageschutz von der Verfasüber Verschlusssachen die zuständige Stelle sungsschutzbehörde in seine Aufgaben einunter Mitwirkung der geführt. Die Verfassungsschutzbehörde berät Verfassungsschutzbehörde die Ausführung und informiert in Fragen des personellen dieses Gesetzes und der vertraglich Geheimund des personellen Sabotageübernommenen Pflichten. schutzes. (2) Die mit geheimhaltungsbedürftigen SS 29 Angelegenheiten befasste nicht-öffentliche Sicherheitserklärung, Sicherheitsakte Stelle hat der zuständigen Stelle bei der Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 die erforderliche Unterstützung zu gewähren. 236 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Sie hat insbesondere die (1) Wer unbefugt von diesem Gesetz gegeheimhaltungsbedürftigen Angelegenheiten schützte personenbezogene Daten, die nicht und die zu deren Schutz getroffenen offenkundig sind, Maßnahmen nachzuweisen. Die zuständige 1. speichert, verändert oder übermittelt, Stelle ist befugt, soweit es zur Wahrnehmung 2. zum Abruf mittels automatisierten der Aufgaben nach Absatz 1 erforderlich ist, Verfahrens bereithält oder Grundstücke und Geschäftsräume der mit 3. abruft oder sich oder einem anderen aus geheimhaltungsbedürftigen Angelegenheiten Dateien verschafft, befassten nicht-öffentlichen Stelle zu betreten wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr und dort Prüfungen und Besichtigungen oder mit Geldstrafe bestraft. vorzunehmen. Die nicht-öffentliche Stelle hat diese Maßnahmen zu dulden. Das Grundrecht (2) Ebenso wird bestraft, wer der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 1. die Übermittlung von durch dieses Grundgesetz, Artikel 28 Abs. 2 der Verfassung Gesetz geschützten personenbezogenen von Berlin) wird insoweit eingeschränkt. Daten, die nicht offenkundig sind, durch unrichtige Angaben erschleicht oder SS 32 2. entgegen SS 21 Abs. 2 oder SS 30 Daten Parteien für andere Zwecke nutzt, indem er sie innerhalb der Stelle an einen anderen Politischen Parteien nach Artikel 21 des weitergibt. Grundgesetzes, die über Organisationseinheiten verfügen, die den in SS 2 Satz 1 Nr. 3 (3) Handelt der Täter gegen Entgelt oder beschriebenen Stellen vergleichbar oder die mit in der Absicht, sich oder einen anderen zu geheimhaltungsbedürftigen Angelegenheiten bereichern oder einen anderen zu schädigen, befasst sind, obliegt die Durchführung von so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Sicherheitsüberprüfungen für Mitarbeiter und Jahren oder Geldstrafe. Mitglieder, die Zugang zu Verschlusssachen gemäß SS 6 erhalten sollen, und der Maßnahmen (4) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. nach diesem Gesetz selbst. Die Verfassungsschutzbehörde kann auf Ersuchen SS 35 Maßnahmen nach SS 15 übernehmen, wenn die Übergangsvorschriften Voraussetzungen nachgewiesen sind. (1) Bei Sicherheitsüberprüfungen, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes abgeschlossen Vierter Abschnitt wurden, ist die Wiederholungsüberprüfung gemäß SS 19 zehn Jahre nach Abschluss der Schlussvorschriften Erstoder der letzten Wiederholungsüberprüfung durchzuführen. SS 33 Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften (2) Maßnahmen im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen, die vor Inkrafttreten (1) Die Verfassungsschutzbehörde erlässt dieses Gesetzes eingeleitet wurden, aber die zur Ausführung dieses Gesetzes erfornoch nicht abgeschlossen sind, gelten weiter, derlichen Verwaltungsvorschriften. sofern sie nach den Bestimmungen dieses Gesetzes gleichwertig sind. (2) Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Ausführung dieses Gesetzes im Bereich der (3) Sicherheitsund Sicherheitsüberprünicht-öffentlichen Stellen erlässt die fungsakten sind bis zum Ablauf von zwölf Verfassungsschutzbehörde im Einvernehmen Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes mit der für Wirtschaft zuständigen obersten den Erfordernissen des SS 20 anzupassen. Landesbehörde. SS 36 SS 34 Änderung von Gesetzen Strafvorschriften Das Gesetz über das Landesamt für Verfassungsschutz in der Fassung vom 25. März Anhang 237 1995 (GVBl. S. 254, 762 ) wird wie folgt ge2. SS 11 wird wie folgt geändert: ändert: a) SS 11 Abs. 2 wird aufgehoben. 1. SS 5 Abs. 3 wird wie folgt geändert: b) Die bisherigen Absätze 3 und 4 wer a) Satz 2 wird wie folgt gefasst: den die neuen Absätze 2 und 3. "Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung SS 37 nach Satz 1 Nr. 1 und 2 sind im Berliner Inkrafttreten Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 2. März 1998 (GVBl S. 26) geregelt." Dieses Gesetz tritt am ersten Tage des auf b) Satz 3 wird aufgehoben. die Verkündung im Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin folgenden Kalendermonats in Kraft. 238 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Personenund Sachregister 1. Mai 36, 38, 39, 40, 42, 43, 44, 59, 123 Antifaschistische Aktion/Bundesweite 11. September 1, 30, 54, 64, 67, 68, 73, 91, Organisation 167 110, 125, 160, 178, 184, 200 Anti-Globalisierungsbewegung 32, 54, 174 Antiimperialisten 35, 129 A Antisemitismus 19, 55, 56, 136, 145, 176 APFEL, Holger 147 AA/BO Siehe Antifaschistische API Siehe Arbeiterkommunistische Partei Aktion/Bundesweite Organisation Irans AAB Siehe Antifaschistische Aktion Berlin Arabische Mujahidin 177 AAP Siehe Anti-Atom-Plenum Arbeiterkommunistische Partei Irans 65, 75, Abschöpfung 14, 93, 95 76, 77, 78, 79, 89, 125, 132, 172, 187, ADHF Siehe Föderation für demokratische 185, 188 Rechte in Deutschland Arbeiterpartei Kurdistans 65, 75, 125, 172, ADHK Siehe Konföderation für 187 demokratische Rechte in Europa ASSEM, Shaker 32, 184 Adlershof 27 ATIF Siehe Föderation der Arbeiter aus der Agenten 94, 101, 210 Türkei in Deutschland e. V. AKON Siehe Aktion Oder-Neiße ATIK Siehe Konföderation der Arbeiter aus AKP Siehe Gerechtigkeitsund der Türkei in Europa Entwicklungspartei ATTA, Muhammad 67, 68 Aktion Oder-Neiße 144 Autonome Gruppen 58, 60 Aktionsbüro Mitteldeutschland - Nationaler Autonome Nationalisten 27 Widerstand Berlin-Brandenburg 28 autonome Szene 1, 35, 169 Aktionsbüro Norddeutschland 31 Autonome 27, 28, 44, 45, 50, 53, 59, 60, Aktionsformen 46, 47, 58, 66, 91, 169 130, 164, 166, 167, 170, 171, 172 Aktionsfront Nationaler Sozialisten 157 Autonome Nationalisten 28 Aktionsorientierter Rechtsextremismus 20, Autonomes Antifa Team 51 25, 155 AYDIN, Harun 189 Aktionsorientierter Linksextremismus 38, 166 B Aktionsschwerpunkte 50, 53, 172 Al-Aqsa e. V. 64, 73, 74, 75, 181 B&H Siehe Blood & Honour al-Aqsa-Intifada 55, 63, 71, 72, 179, 180 Beklenen Asr-i Saadet 81 AL-MAUDUDI, Abul Ala 141 Berlin-Brandenburger Sturmkommando 28 al-Muqawama al-Islamiya 179 Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz 103, Al-Qaida 63, 66, 67, 68, 177, 178 104, 106, 107, 108, 199, 209, 221, 234 Altautonome 169 BERNHARD, Bernd 12 AL-TAWHID 64, 69 BIN LADIN, Usama 63, 142, 177, 178 Al-ZARQAWI, Abu Mosab 69 BINALSHIBH, Ramzi 68 AL-ZAWAHIRI, Aiman 177, 178 Blood & Honour 23, 25, 151, 152,156, 158, AMGT Siehe Vereinigung der Neuen Brandanschläge 36, 44, 49, 60, 122, 130, Weltsicht in Europa e. V. 169, 187 Anarchisten 35, 129, 136, 137 BSÜG Siehe Berliner Anti-Amerikanismus 30, 32 Sicherheitsüberprüfungsgesetz Anti-Antifa 27, 150 Bundesgeschäftsstelle der NPD 52 Anti-Atom-Bewegung 49 Bundestagswahl 11, 12, 15, 16, 17, 20, 37, Anti-Atom-Kampagne 47 38, 45, 46, 47, 146, 147, 150, 166, 174 Anti-Atom-Plenum 48, 49, 168 Bundesverfassungsgericht 17, 18, 134, 146, Antifa 26, 27, 50, 51, 52, 53, 137, 150, 166, 148, 165 167 C Antifa A+P (Agitation und Praxis) 166 Castor-Transporte 48, 49 Antifaschismus 50, 51, 130, 137, 166, 167, CHRISTOPHERSEN, Thies 162 171 Committee for a Workers International 174 Antifaschistische Aktion Berlin 36, 39, 41, Computerspiele 34 42, 43, 50, 137, 166, 167, 171 Anhang 239 D European Social Forum 50 Explizit 182, 183, 184 D.S.T Siehe Deutsch, Stolz, Treue DABK Siehe Ostanatolisches F Gebietskomitee DEBATTENVERSUCH 57 FAP Siehe Freiheitliche Deutsche Deeskalationskonzept 43 Arbeiterpartei DEHAP Siehe Demokratische Volkspartei Faschismus 50, 51, 136, 137, 166, 167, 169, DEHOUST, Peter 160 194 Demokratische Volkspartei 77, 78 FATAH 71 Der Islam als Alternative 81 Fazilet Partisi, FP Siehe Tugendpartei Der Republikaner 12, 148, 149 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in DETUDAK Siehe Solidaritätskomitee mit den Deutschland e. V. 195 revolutionären Gefangenen Föderation der iranischen Flüchtlingsund Deutsch, Stolz, Treue 21, 22, 23, 155 Immigrantenräte e. V. 185 Deutsches Kolleg 159, 160 Föderation für demokratische Rechte in Deutsche Kommunistische Partei 35, 37, 38, Deutschland 195 53, 129, 130, 163, 164 Freiheitliche demokratische Grundordnung Deutsche Stimme 146, 147 3, 17, 47, 108, 134, 138, 151, 196, 199, Deutsche Volksunion 10, 12, 14, 15, 34, 201, 204, 209, 213 126, 144, 145, 146, 149, 160 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei 28, 157 Deutsche Liga für Volk und Heimat 160 Freiheitlicher Buchund Zeitschriften-Verlag Devrimci Sol 194 GmbH (FZ) 144 DHKP-C Siehe Revolutionäre Freiheitsund Demokratiekongress Volksbefreiungspartei-Front Kurdistans 65, 75, 76, 77, 78, 79, 125, DIA Siehe Der Islam als Alternative 132, 172, 187, 188 Die Republikaner 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, FREY, Dr. Gerhard 12, 144, 145, 149 34, 126, 148, 149, 150, 160 FUN-Partei 33 Diskussionsforen 12, 33, 34, 166, 176 Djerba 63 G DK Siehe Deutsches Kolleg Geheimschutz 103, 105, 106, 107, 221, 231, DKP Siehe Deutsche Kommunistische Partei 232 DLVH Siehe Deutsche Liga für Volk und Geheimschutzbeauftragter 104, 105, 222 Heimat Generalbundesanwalt 21, 69, 80 DONALDSON, Stuart 151, 156 Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei 66, DS Siehe Deutsche Stimme 83, 84, 85, 86, 87, 88, 191 DSZ Druckschriftenund Zeitungs-Verlag Gesellschaft für freie Publizistik 160 GmbH 144, 160 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin dual-use-Güter 98 20, 103, 106, 108, 110, 111, 134, 199, DVU Siehe Deutsche Volksunion 201, 202, 208 Gesetz über die Voraussetzungen und das E Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen Ehrenbund Rudel 144 im Land Berlin 221 Einbürgerung 108 Gewaltdelikte 29, 62, 116, 117, 120, 121, Einreiseund Aufenthaltsverbot 109 123, 124 EL MOTASSADEQ, Mounir 67, 68 Gewalttaten 11, 28, 29, 36, 62, 130, 139, EMUG Siehe Europäische Moscheebauund 170 Unterstützungsgemeinschaft e. V. GfP Siehe Gesellschaft für freie Publizistik Entrismus 173 GG Siehe Grundgesetz ERBAKAN, Mehmet Sabri 84, 86, 88, 190, Gipfeltreffen 54 191, 192 Global Action Days 53 ERBAKAN, Necmettin 66, 83, 84, 85, 86, 88, Globalisierung 31, 52, 53, 54, 160, 193 190, 191 Globalisierungsdebatte 30, 52 ERDOGAN, Recep Tayyip 83, 84, 191 Globalisierungsgegner 30 ESSABAR, Zakariya 68 Glückseligkeitspartei 83, 84 Europäische Moscheebauund Göteborg 53, 54 Unterstützungsgemeinschaft e. V. 190 GUS-Staaten 99, 100 240 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 H JN Siehe Junge Nationaldemokraten Jugend-wacht - Die Zeitschrift für die HADEP Siehe Partei der Demokratie des nationalistische Jugendbewegung 148 Volkes Junge Nationaldemokraten 17, 31, 146, 148, HAKK-TV 80 153 HAMAS Siehe Islamische Widerstandsbewegung K Hammerskins 151, 152, 157 HEKMAT, Mansoor 185 KABD Siehe Kommunistischer ArbeiterverHESS, Rudolf 147 bund Deutschlands Hilfsorganisation für nationale politische KADEK Siehe Freiheitsund DemokratieGefangene und deren Angehörige e. V. kongress Kurdistans 152, 153, 154 Kalifatsstaat 65, 79, 81, 82, 188, 189 Hizb ut-Tahrir 1, 32, 182 Kameradschaft 1375 27 HNG Siehe Hilfsorganisation für nationale Kameradschaft Germania 27 politische Gefangene und deren Kameradschaft Hohenschönhausen 26 Angehörige e. V. Kameradschaft Pankow 26 HOGGAN, David 162 Kameradschaft Preußen 26 HS Siehe Hammerskins Kameradschaft Tor Berlin 26 Kameradschaften 25, 26, 27, 28, 150, 153, I 154 Kameradschaftsszene 25, 26, 27, 150 I.f.A. Siehe Initiative für KAPLAN, Cemaleddin 188, 189 Ausländerbegrenzung KAPLAN, Metin 80, 189 IBP Siehe Islamischer Bund Palästina KARAHAN, Yavuz Celik 87 ICCB Siehe Verband der islamischen KÄS, Christian 16 Vereine und Gemeinden e.V. Köln Kleingruppen 36, 42, 45, 46, 66 IFIR Siehe Föderation der iranischen KLEIST, Peter 162 Flüchtlingsund Immigrantenräte e. V. kommando 'freilassung aller politischen IGD Siehe Islamische Gemeinschaft in gefangenen' 58, 60 Deutschland e. V. Kommunismus 121, 137, 138 IGMG Siehe Islamische Gemeinschaft Milli Kommunistische Partei Deutschlands 35, 37, Görüs e. V. 129, 138, 163, 165, 173 in camera-/Verfahren 204 Kommunistische Plattform der PDS 35, 129, Indymedia 40, 43, 44, 49, 176 130, 164, 165 Informationsmaterial 206 Kommunistischer Arbeiterverbund Initiative für Ausländerbegrenzung 144 Deutschlands 165 INTERIM 40, 46, 47, 51, 54, 56, 57, 58, 59, Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in 60, 175 Europa 195 International Socialists 172 Konföderation für demokratische Rechte in Islam Kolleg e. V. 192 Europa 195 Islamische Föderation in Berlin e. V. 192 Kontrollverfahren 198 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs 62, 65, Konzerte 1, 10, 21, 155, 174 66, 83, 86, 87, 88, 131, 188, 190, 191, 192 Koran 82, 85, 141, 180, 182, 190 Islamische Widerstandsbewegung 1, 62, 65, Körperverletzungen 36, 114, 130, 158 71, 72, 74, 180 KPD Siehe Kommunistische Partei Islamischer Bund Palästina 180 Deutschlands Islamische Gemeinschaft in Deutschland KPF Siehe Kommunistische Plattform der e. V. 182 PDS Islamisches Kulturund Erziehungszentrum Kriminalpolizeilicher Meldedienst Politisch Berlin e. V. 181, 182 motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) 114, Islamismus 139, 141, 190 117, 118, 121, 124, 125 Islamisten 62, 64, 69, 70, 87, 131, 139, 140, KS Siehe Kameradschaften 141, 142, 179, 180, 181 Kurdisches Haus Berlin-Brandenburg e. V. Israel-Palästina-Debatte 37, 55 78 Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden 180 KUTAN, Recai 83, 84, 191 J Jihad 69, 80, 142, 177, 178, 181, 183 Anhang 241 L NADIS Siehe Nachrichtendienstliches Informationssystem Landfriedensbruch 36, 62, 114, 116, 117, Nahostkonflikt 55, 63, 71 121, 123, 124 NASRALLAH, Hassan 72, 179 Landser 21, 25, 155, 159 Nation & Europa 160 LAUCK, Gary Rex 161 Nationaldemokratischer Hochschulbund e. V. Legalresidenturen 94 146 Legion of Thor 23, 155 Nationaldemokratische Partei Deutschlands Libertad! 172 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, linkeseite 176 25, 31, 32, 34, 39, 51, 122, 126, 144, 146, Linksruck 53, 55, 129, 130, 172, 173, 174 147, 148, 153, 154, 157, 159, 160, 184 Liste D 144 Nationale Alternative 157 Luxemburg-Liebknecht-Demonstration 164 Nationaler Widerstandsrat Iran 186 Nationaler Widerstand 31 M Nationalsozialismus 22, 117, 136, 154, 162 MAHLER, Horst 32, 159, 184 Nationalsozialistische Deutsche MALA KURDA Siehe Kurdisches Haus Arbeiterpartei - Auslandsund Berlin-Brandenburg e.V. Aufbauorganisation 161 Marxismus-Leninismus 136, 138, 139, 163, Nationalsozialistische Deutsche 164, 165, 193, 195 Arbeiterpartei 154 Marxistisch-Leninistische Kommunistische National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung Partei 66, 88, 89, 90, 91, 193, 195 144, 145 Marxistisch-Leninistische Partei Neonazis 10, 11, 18, 24, 26, 126, 150, 151, Deutschlands 35, 37, 129, 165, 166 152, 153, 154, 158 MB Siehe Muslimbruderschaft NEUBAUER, Harald 160 MEDYA-TV 79 NHB Siehe Nationaldemokratischer HochMEENEN, Uwe 159 schulbund e. V. MEK Siehe Volksmojahedin IranNobelkarossentod 60 Organisation non-aligned Mujahidin 66, 70 Meliani-Gruppe 64, 67, 70 NPD Siehe Siehe Nationaldemokratische Militante Antiimperialistische Gruppe 58 Partei Deutschlands militante gruppe (mg) 36, 44, 57 NSDAP Siehe Nationalsozialistische militante miliz 58, 59 Deutsche Arbeiterpartei Militanz 36, 60, 138, 142, 169, 181 NSDAP/AO Siehe Nationalsozialistische Militanzdebatte 45, 57, 58, 59, 60, 137, 175 Deutsche Arbeiterpartei - Auslandsund Milli Gazete 85 Aufbauorganisation Milli-Görüs-Bewegung 85, 86, 87, 191 NS-Kampfruf 161 MLKP Siehe Marxistisch-Leninistische NWRI Siehe Nationaler Widerstandsrat Iran Kommunistische Partei NZ Siehe National-Zeitung/Deutsche MLPD Siehe Marxistisch-Leninistische Partei Wochen-Zeitung Deutschlands Muhacirin-Moschee 189 O Mujahidin 1, 64, 66, 67, 69, 70, 140, 177 OBERLERCHER, Dr. Reinhold 159 Musikszene 1, 11, 21, 22, 23, 24, 25, 155, Ostanatolisches Gebietskomitee 195 156 ÖCALAN, Abdullah 76, 187 Muslimbruderschaft 62, 131, 140, 142, 180, ÖCALAN, Osman 79 181, 182 MZOUDI, Abdelghani 68 P N Partei der Demokratie des Volkes 77, 78 Nachrichten der HNG 152, 153 Parteiverbotsverfahren 13, 148 Nachrichtendienste 92, 93, 94, 95, 96, 99, Partizan-Flügel 91, 195 100, 101, 102, 105, 223, 225, 226, 231 Personenbündnis 36, 39 Nachrichtendienstliches Informationssystem Personenpotenzial 10, 35, 126, 129, 131 202, 208, 210 PFLP Siehe Volksfront zur Befreiung Nachrichtendienstliche Mittel 93, 201 Palästinas nadir 176 PKK Siehe Arbeiterpartei Kurdistans 242 Verfassungsschutzbericht Berlin 2002 Proliferation 93, 97, 98 Selbstmordattentate 57, 179, 180 Propagandadelikte 11, 62, 116, 117, 118, Sicherheitsüberprüfung 104, 106, 199, 209, 119, 121, 124, 158 221, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 228, Provider 33, 176 229, 230, 231, 232 Silvio MEIER-Demonstration 52 Q Skinheads 11, 18, 24, 126, 151, 156, 157, 158 Quellenschutz 202, 227 SO Siehe Scientology-Organisation QUTB, Sayyid 141, 181 SOFU, Dr. Halil Ädegbrahim 189 Solidaritätskomitee mit den revolutionären R Gefangenen 89 RAF Siehe Rote Armee Fraktion Sozialistische Alternative Voran 37, 38, 53, Rassismus 58, 117, 135, 136, 169 129, 130, 174 RBF Siehe Republikanischer Bund der Spionageabwehr 92, 102, 202, 210, 212 Frauen Spreegeschwader 23, 155 Rechtsextremismus 1, 10, 11, 21, 24, 25, Strategieorientierter Linksextremismus 55, 29, 30, 51, 126, 127, 135, 144, 148, 150, 175 152, 154, 155, 156, 157, 159, 161, 176, stressfaktor 176 204 Summer of Resistance 53 Reclaim the Streets-Aktionen 44 Sunna 82, 141, 182, 190 Regelausweisungstatbestände 109 Supermarkt-Plünderung 38 RENNICKE, Frank 34 REP Siehe Die Republikaner T RepBB Siehe Republikanischer Bund der Taliban 63, 177 öffentlich Bediensteten Terroranschläge 67, 71, 91, 125 Republikanische Jugend 149 Terrorismus 1, 54, 61, 64, 67, 78, 82, 92, Republikanischer Bund der Frauen 149 100, 109, 139, 140, 142, 178, 185 Republikanischer Bund der öffentlich Terrorismusbekämpfungsgesetz 65, 73, 109, Bediensteten 149 199, 200 Republikanischer Hochschulverband 149 TIKKO Siehe Türkische Arbeiterund Revisionismus 138, 161, 162 Bauernbefreiungsarmee revolutionaere aktion carlo giuliani 58 TKP/ML Siehe Türkische Kommunistische Revolutionäre Linke Siehe Devrimci Sol Partei / Marxisten-Leninisten Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front Trotzkisten 129, 173 66, 88, 89, 90, 194, 195 Tugendpartei 83, 84, 85, 191 Revolutionärer 1. Mai 36, 38, 40 Türkische Arbeiterund RH Siehe Rote Hilfe Bauernbefreiungsarmee 195 RHV Siehe Republikanischer Türkische Kommunistische Partei / Hochschulverband Marxisten-Leninisten 66, 88, 89, 90, 91, RJ Siehe Republikanische Jugend 195 Rote Armee Fraktion 60, 159, 172, 174 Rote Hilfe e.V. 129, 173, 174 U RUDOLF, Germar 162 Überwachung des Postund S Fernmeldeverkehrs 201 Ümmet-i Muhammed 80, 81 Saadet Partisi, SP Siehe Glückseligkeitspartei V Sabotageschutz 103, 108, 199, 221, 231, 232 Vandalen - Ariogermanische Säkularismus 142 Kampfgemeinschaft 25, 158 SAV Siehe Sozialistische Alternative Voran Verband der islamischen Vereine und Scharia 83, 85, 141, 182, 183, 188, 190 Gemeinden e.V. Köln 188 SCHLIERER, Dr. Rolf 16, 149 Verbotsverfahren 17, 18, 146, 159 SCHÖNHUBER, Franz 148, 149 Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa SCHULZ, Mario 13 e. V. 188 Scientology-Organisation 196 Verschlusssachen 103, 104, 105, 106, 107, Seattle 53 221, 222, 223, 224, 226, 231, 232, 233 Anhang 243 VOIGT, Udo 32, 147, 148, 184 White Aryan Rebels 21, 22, 155 Volksfront zur Befreiung Palästinas 71 Widerstandswerkstatt 49 Volksmojahedin Iran-Organisation 186 Volksverhetzung 21, 22, 62, 116, 117, 121, Y 124 YASSIN, Shaikh 74, 180 Vorträge 204 YÜKSEL, Ali 88 V-Personen 11, 17, 18, 19, 20, 201, 202 YUMAKOGULLARI, Osman 88, 191 VSG Bln Siehe Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin Z W ZALLUM, Qadim 183 ZÜNDEL, Ernst 162 Wahhabismus 140 Zündstoff - Deutsche Stimme für Berlin und WALENDY, Udo 162 Brandenburg 146 Walpurgisnacht 38, 41, 42 Zuverlässigkeitsüberprüfungen 110, 111 WAR Siehe White Aryan Rebels Weiße Arische Bruderschaft 28 Senatsverwaltung für Inneres Abteilung Verfassungsschutz Postfach 62 05 60 10795 Berlin Tel.: 030 / 90129 - 0 Internet: http://www.berlin.de/verfassungsschutz E-Mail: verfassungsschutz@berlin.de