Landesamt für Verfassungsschutz Berlin Landesamt für Verfassungsschutz, Auf dem Grat 2, D-14195 Berlin VerfassungsschutzBericht Berlin 1995 2 Herausgeber: Landesamt für Verfassungsschutz Berlin Redaktion: LfVAL2 April 1996 Druck: Verwaltungsdruckerei Berlin Abdruck gegen Quellenangabe gestattet, Belegexemplar erbeten 3 - Vorwort - VORWORT Mit dem Verfassungsschutzbericht Berlin 1995 legt das Landesamt für Verfassungsschutz Berlin eine Jahresbilanz seiner Arbeit vor und kommt damit seiner gesetzlichen Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit nach. Der vorliegende Bericht gibt einen umfassenden Überblick über die Aktivitäten und politischen Ziele extremistischer Gruppierungen sowie über die Spionagetätigkeit fremder Nachrichtendienste in Berlin. Die leider auch im vergangenen Jahr zu verzeichnenden, zum Teil auch gewalttätigen Aktionen von linksund rechtsextremistischen Gruppierungen sowie extremistischen Ausländerorganisationen sind ein deutlicher Beleg dafür, daß auf einen rechtsstaatlich arbeitenden sowie parlamentarisch beauftragten und kontrollierten Verfassungsschutz als wirksames Instrument unserer wehrhaften Demokratie nicht verzichtet werden kann. Die stärkste Bedrohung im Bereich des Linksextremismus ging auch im letzten Jahr von den Autonomen aus. Eines der bevorzugten Themen, die als Anlaß ihrer militanten Aktionen dienten, war wiederum die von ihnen angeprangerte "Umstrukturierung" Berlins zur Hauptstadt und zum Regierungssitz, insbesondere die damit verbundenen Bauvorhaben auf dem Potsdamer Platz und im Tiergarten. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die Gruppe "KLASSE GEGEN KLASSE", die ihre Anschlagsserie im Berichtszeitraum fortsetzte. Trotz des zu verzeichnenden Rückganges der Anzahl von Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation sowie der erheblichen Schwächung der Aktionsfähigkeit des neonazistischen Potentials durch zahlreiche Verbotsund Exekutivmaßnahmen kann von einer Entwarnung in diesem Bereich nicht die Rede sein. Im Bereich des Ausländerextremismus spielte im Jahre 1995 die terroristische "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) eine zentrale Rolle. Die gewalttätigen Ausschreitungen im März dieses Jahres haben verdeutlicht, daß die PKK trotz ihres Verbots im November 1993 nach wie vor in der Lage ist, sich als geschlossene und handlungsfähige Organisation zu präsentieren. 4 - Vorwort - In diesem Zusammenhang darf allerdings auch nicht unerwähnt bleiben, daß die Anzahl extremistischer Ausländer, die die innere Sicherheit bedrohen, verhältnismäßig gering ist. Die weitaus überwiegende Mehrzahl unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger verhält sich gesetzestreu. Im vergangenen Jahr hat die nachrichtendienstliche Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland einschließlich ihrer Hauptstadt Berlin durch fremde Nachrichtendienste noch deutlichere Konturen gewonnen. Eines der zentralen Ziele ist die Ausforschung deutscher Wirtschaftsunternehmen. Bereits jetzt zeichnet sich ab, daß mit dem Umzug von Parlament und Regierung die Verlagerung weiterer ausländischer Nachrichtendienstpotentiale einhergehen wird. Angesichts der nach wie vor instabilen Lage im osteuropäischen Raum, der Zunahme der Aktivitäten im Bereich der Wirtschaftsspionage sowie weiterer Bedrohungspotentiale im Zusammenhang mit dem Umund Ausbau Berlins zur Hauptstadt und zum Regierungssitz wird unsere Stadt mehr denn je eine leistungsstarke Verfassungsschutzbehörde brauchen. Berlin, im Juni 1996 Jörg Schönbohm Senator für Inneres 5 - Inhaltsverzeichnis - INHALTSVERZEICHNIS A VERFASSUNGSSCHUTZ BERLIN 9 1 Aufbau und Organisation 11 2 Öffentlichkeitsarbeit (Verfassungsschutz durch Aufklärung) 12 Schaubild: Kontrolle über das Landesamt für Verfassungsschutz Berlin 15 B LINKSEXTREMISMUS 17 1 Allgemeiner Überblick 19 2 Gewaltbereite Linksextremisten 24 2.1 Autonome 24 2.2 "Rote Armee Fraktion" (RAF) 41 2.3 "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) 45 2.4 "Das K.O.M.I.T.E.E." 47 2.5 "KLASSE GEGEN KLASSE" (KGK) 50 2.6 "Revolutionäre Zellen" (RZ) / "Rote Zora" 52 2.7 Anarchistische Personenzusammenhänge 53 3 Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten einschl. Trotzkisten 55 3.1 Marxistisch-leninistische Parteien 57 3.1.1 Linksextremistische Positionen in der "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) 57 3.1.2 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 65 3.1.3 "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD - Sitz Berlin) 67 3.1.4 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 67 3.2 Sonstige revolutionär-marxistische Gruppen einschl. trotzkistischer Vereinigungen 68 3.2.1 "Marxistische Gruppe" (MG) 68 3.2.2 "Revolutionäre Kommunisten (BRD)" (RK) 69 3.2.3 Trotzkistische Vereinigungen 70 C RECHTSEXTREMISMUS .73 1 Allgemeiner Überblick 75 2 Militante Rechtsextremisten 79 2.1 Skinhead-Szene 79 6 Inhaltsverzeichnis * 2.2 Gewalttaten und sonstige Gesetzesverletzungen mit rechtsextremistischem Hintergrund 83 2.3 Strafverfahren 88 3 Neonationalsozialistische Organisationen und Einzelaktivisten... 91 3.1 "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) 92 3.2 "Deutsche Nationalisten" (DN) 93 3.3 "Die Nationalen e. V." 94 3.4 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) 99 3.5 "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei - Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP-AO) 100 3.6 "Organisation durch Desorganisation": Autonome Strukturen ... 102 3.7 Neonazistische Kleingruppen 104 4 Rechtsextremistische Parteien 105 4.1 "Deutsche Volksunion" (DVU) 105 4.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschland" (NPD) 106 4.2.1 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 108 4.3 "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) 108 4.4 "Die Republikaner" (REP) 109 5 Einigungsbestrebungen des rechten Lagers 111 5.1 Informationelle Vernetzung 111 5.2 "Berliner Kulturgemeinschaft Preußen e. V." 114 5.3 "Berliner Runde Tische" und "Hoffmann-von-FallerslebenBildungswerk e. V." 116 5.4 "Deutsches Kolleg" (DK) und "Verlag der Freunde" (VdF) 119 D SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN -AUSLÄNDEREXTREMISMUS123 1 Allgemeiner Überblick 125 2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 128 3 Türken 135 3.1 Linksextremistische türkische Organisationen 137 3.1.1 "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") 137 3.1.2 "Türkische Kommunistische Partei / MarxistenLeninisten" (TKP/M-L) 140 7 - Inhaltsverzeichnis - 3.1.3 Andere 142 3.2 Extrem-nationalistische türkische Organisationen 143 3.3 Islamisch-extremistische türkische Organisationen 145 3.3.1 "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V." (AMGT) 145 3.3.2 "Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln"(ICCB) 146 4 Araber 148 4.1 Arabische Islamisten: "Muslimbruderschaft" (MB) 149 4.2 Palästinenser 149 4.2.1 "Bewegung des islamischen Widerstandes" (HAMAS) 149 4.2.2 Laizistische Palästinenser-Organisationen 153 4.3 "HIZB ALLAH" ("Partei Gottes") 155 5 Algerische Islamisten 156 6 Staatsterroristische Bestrebungen 156 6.1 "Union Islamischer Studentenvereine in Europa" (U.I.S.A.) 158 6.2 Politisch-religiöse Beeinflussungsversuche des Iran 159 6.3 Gegner der iranischen Regierung 159 E SPIONAGEABWEHR 163 1 Allgemeiner Überblick 165 2 Russische Nachrichtendienste 168 2.1 Struktur der Auslandsaufklärung 169 2.2 Arbeitsschwerpunkte 170 2.3 Methoden der Nachrichtengewinnung 171 3 Iranische Nachrichtendienste 175 4 Nordkoreanische Nachrichtendienste 177 5 Frühere, fortwirkende MfS-Strukturen und -Tätigkeiten 178 Anhang: Gesetz über das Landesamt für Verfassungsschutz vom 25. März 1995 (LfVG) 181 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 205 8 Inhaltsverzeichnis * 9 A - Verfassungsschutz Berlin - A Verfassungsschutz Berlin 10 A - Verfassungsschutz Berlin 11 A - Verfassungsschutz Berlin - A VERFASSUNGSSCHUTZ BERLIN 1 Aufbau und Organisation Entsprechend dem föderativen Aufbau der Bundesrepublik VerfassungsDeutschland haben der Bund und jedes Bundesland eine eigeschutz in Bund und ne Verfassungsschutzbehörde (vgl. Anhang, Gesetz über das Ländern Landesamt für Verfassungsschutz). Das LfV wird von dem Direktor des Landesamtes für Verfassungsschutz geleitet. Das Amt gliedert sich in drei Abteilungen: Amtsleiter X Zentrale Politischer Extremismus/ Spionageabwehr/ Aufgaben Terrorismus Geheim schütz Im Berichtszeitraum war das LfV dem Regierenden BürgermeiAufsicht über ster von Berlin - Senatskanzlei - (Aufsichtsbehörde) unterstellt. das LfV Berlin Ihm oblag die Aufsicht über die Rechtund Zweckmäßigkeit der Aufgabenerfüllung (Fachaufsicht). Er übte auch die Dienstaufsicht über das LfV Berlin aus, die sich auf den Aufbau, die innere Ordnung, die allgemeine Geschäftsführung und die Personalangelegenheiten erstreckt. Die Aufsichtsbehörde ist zugleich oberste Landesbehörde nach SS 5 Abs. 1 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz (G 10).* * Seit dem 1. März 1996 untersteht das LfV Berlin wieder der Senatsverwaltung für Inneres (Aufsichtsbehörde). 12 A - Verfassungsschutz Berlin - 2 Öffentlichkeitsarbeit (Verfassungsschutz durch Aufklärung) Im Zeitalter der Medien, d. h. vermehrter Informationen zu allen Weniges ist GEHEIM - Lebensbereichen, gehört selbstverständlich zum gesetzlichen einiges ist Auftrag der Berliner Verfassungsschutzbehörde auch, die ÖfVERTRAULICH - fentlichkeit möglichst umfassend über politische extremistische das meiste ist Bestrebungen und die Spionageabwehr durch Jahresberichte OFFEN zu informieren. Daneben ist die 1994 begründete Informationsreihe "Durchblicke" mit bisher vier Schriften ä 4 000 Exemplaren im Jahre 1995 durch zwei weitere Broschüren zum Linksextremismus in Berlin fortgesetzt worden. Sie soll in erster Linie der interessierten Öffentlichkeit als Hintergrundmaterial zur geistigpolitischen Auseinandersetzung mit dem Extremismus dienen und durch die vertiefte Darstellung der verschiedenen Extremismen einen möglichst umfassenden Überblick verschaffen. FrühwarnVordringlichste Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit ist, so viele system Informationen wie möglich den interessierten Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung zu stellen. In einer wehrhaften Demokratie ist es wichtig, daß gerade der Verfassungsschutz die Öffentlichkeit über die wahren Absichten von Extremisten ins Bild setzt, denn nur aufgeklärte und aktive Demokraten garantieren die freiheitliche demokratische Grundordnung. Auch im Becichtsjahr 1995 haben Mitarbeiter des Referats Öffentlichkeitsarbeit regelmäßig vor Gruppen aus den Bereichen Öffentlicher Dienst (z. B. Referendare, Polizeibeamte, Inspektorenanwärter), Verbände und Kirchen, Parteien und Schulen über Aufgabenstellung und Schwerpunkte des LfV Berlin referiert. Anfragen von Pressevertretern sowie Interviewwünsche nahmen im Jahr 1995 deutlich zu. Dem verstärkten Medieninteresse wird das Amt als Multiplikator von Arbeitsergebnissen auch zukünftig eine besondere Bedeutung beimessen. 13 A - Verfassungsschutz Berlin - Zusätzlich haben Bürgerinnen und Bürger von der Einrichtung unseres Kontakttelefons regen Gebrauch gemacht. Das Interesse der Medien und der übrigen Öffentlichkeit ist Beweis für eine zunehmende Akzeptanz der Arbeit des Verfassungsschutzes in Berlin. Das LfV arbeitet seit 1991 in einer Bund-Länder-ArbeitsFAIRgemeinschaft mit, die das Ziel hat, einen Beitrag zu einer geSTÄNDNISKampagne samtgesellschaftlich getragenen Aufklärungskampagne gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit zu leisten. Diese stand auch 1995 unter dem Motto FAIRSTÄNDNIS Menschenwürde achten - gegen Fremdenhaß. Das LfV Berlin war beratend und mit einigen Mitarbeitern vor Ort an einer von der Deutschen Bahn AG initiierten "Pop-Tour" beteiligt, die in Berlin am Hauptbahnhof mit einem "PopKonzert" beendet wurde. Im Rahmen der gemeinsamen Maßnahmen hat das LfV Berlin ca. 2 000 Disketten eines eigens entwickelten Computer-Spiels und einige hundert T-Shirts mit dem Logo der Kampagne vertrieben. Die Bände 1 - 4 aus der Reihe "Durchblicke" sind vergriffen. Zum gewaltorientierten Linksextremismus in Berlin können die Publikationen folgenden Broschüren beim LfV bestellt werden: des LfV Berlin Durchblicke 2. Jg, (1995) lfd. Nr. 5 "Die militante autonome Bewegung" Durchblicke 2. Jg. (1995) lfd. Nr. 6 "Der deutsche linksextremistisch motivierte Terrorismus" Rechtsextremistisch motivierte Ausländerfeindlichkeit bildet das PC-Spiel Handlungsthema des Spiels, das als PC-Software erhältlich ist: * Computer-Spiel "Dunkle Schatten". 14 A - Verfassungsschutz Berlin LfV. Über die Institution Verfassungsschutz informiert das Faltblatt * Faltblatt "Verfassungsschutz in Berlin - Aufgaben Befugnisse Kontrolle" Sämtliche Materialien werden kostenlos abgegeben. Bestellungen bitte schriftlich unter folgender Adresse: Landesamt für Verfassungsschutz Berlin - Öffentlichkeitsarbeit - Auf dem Grat 2, 14195 Berlin oder über Fax: 030 / 8309-362. Telefonisch ist die Pressestelle des LfV Berlin zu erreichen unter der Nummer 030 / 8309-380. 15 A - Verfassungsschutz Berlin - Kontrolle über das Landesamt für Verfassungsschutz Berlin Allgemeine parlamentaBesondere parlamenta G10-Kontrolle rische Kontrolle rische Kontrolle Debatten im AbgeordnetenAusschuß für Verfassungs- G 10-Kommission: haus von Berlin, schutz: Aktuelle Stunden, 3 Mitglieder, vom AbgeordKleine und Große Anfragen 10 Mitglieder, aus jeder netenhaus von Berlin auf Fraktion des AbgeordneVorschlag der Fraktionen Behandlung von Petitionen tenhauses von Berlin mingewählt im Petitionsausschuß destens 1 Mitglied; nahezu unbeschränkte Vollzug der Anordnung Kontrolle; i. d. R. nicht vor Zustimggf. Untersuchungsausmung durch G 10schuß Kommission 4 4 PS Landesamt für Verfassungsschutz tf fr ff Verwaltungskontrolle Öffentlichkeitskontrolle Gerichtliche Kontrolle Dienstund Fachaufsicht Bürger Klagen gegen Maßnahmen des Regierenden Bürger(Eingaben, Anfragen, Ausdes Verfassungsschutzes meisters - Senatskanzlei - kunftsrecht) vor den Verwaltungsgerichten Landesbeauftragter für den Medien Datenschutz (Berichte, Anfragen) Landesrechnungshof Seit dem 1. März 1996 untersteht das LfV Berlin wieder der Senatsverwaltung für Inneres (Aufsichtsbehörde). 16 A - Verfassungsschutz Berlin - 17 B - Linksextremismus - B Linksextremismus 18 B - Linksextremismus * 19 B - Linksextremismus - B LINKSEXTREMISMUS 1 Allgemeiner Überblick Das breit gefächerte Spektrum linksextremistischer BestrebunMäßig gen in der Bundeshauptstadt wuchs 1995 bezogen auf sein wachsendes Potential personelles Reservoir nur mäßig. Insgesamt sind hier 2 200 (1994: 2 100) Personen linksextremistischen Zusammenhängen zuzurechnen. Tendenziell entsprach diese Zunahme der bundesweiten Entwicklung: Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zählte im Berichtszeitraum 35 500 (1994: 34 100) Linksextremisten. Die stärkste linksextremistische Gefahr für die innere Sicherheit Autonome als stärkste Berlins ging auch 1995 von Autonomen aus. Bedrohung Eines der bevorzugten Themen, die Autonomen als Anlaß ihres militanten Aktionismus dienten, war wiederum die seit Jahren von ihnen angeprangerte "Umstrukturierung" Berlins zu Hauptstadtund Regierungssitz, vor allem die damit verbundenen Bauvorhaben auf dem Potsdamer Platz und im Tiergarten (Tiergarten-Tunnel). Autonome Kreise unternahmen weitere Anstrengungen, die Zersplitterung ihrer Szene zu überwinden. Im Mittelpunkt dabei stand der sog. Autonomie-Kongreß vom 14. bis 17. April 1995 in der Technischen Universität Berlin. Die "Rote Armee Fraktion" (RAF) hat 1995 wie schon in den NeuorienVorjahren auf terroristische Aktionen im Hinblick auf den von ihr tierung der RAF bereits 1992 in Gang gesetzten Neuorientierungsprozeß verzichtet. Tiefgreifende Veränderungen des RAF-Gefüges haben ihre Ursache in der von der RAF-Kommandoebene im April 1992 verkündeten Aussetzung des "bewaffneten Kampfes" zugunsten des Aufbaus einer "sozialen Gegenmacht von unten" und Bildung einer "Fundamentalopposition". Auch im Berichtszeitraum konnte die 1993 vollzogene Spaltung des Unterstützerpotentials und unter den Inhaftierten in zwei - den neuen RAF-Kurs ablehnende bzw. befürwortende - Lager nicht überwunden werden. 20 B - Linksextremismus - Weitere AIZWährend die sog. Neuorientierungsphase des RAF-UmfelAnschläge des/Unterstützerbereiches diesen Teil des linksextremistischen Gewaltpotentials derzeit in seinen Aktivitäten lähmt, war die seit 1992 auftretende "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) durchaus aktiv. Ihr sind 1995 vier Sprengstoffanschläge anzulasten. In allen Fällen entstand glücklicherweise lediglich Sachschaden, größtenteils jedoch keineswegs geringfügiger. Berlin blieb bislang von Anschlägen dieser terroristischen Gruppierung verschont. Nach eigenem Bekunden ist die AIZ entschlossen, ihre "bewaffneten Interventionen" fortzusetzen. Versuchter Vorbereitungen der terroristischen Vereinigung "Das SprengK.O.M.I.T.E.E." für einen Sprengstoffanschlag auf die Justizstoffanschlag vollzugsanstalt Berlin-Grünau wurden am 11. April 1995 durch eine Polizeistreife aufgedeckt. KGK Die Gruppe "KLASSE GEGEN KLASSE" (KGK) setzte 1995 ihweiter re Anschlagserie fort. Ziele waren wiederum das Eigentum von aktiv Einzelpersonen und Firmen, die von den Tätern als Mitverantwortliche der sog. Umstrukturierung Berlins attackiert werden. Rückgang Die Anzahl der Gewalttaten in Berlin, bei denen Linksextremider sten als Täter oder Tatbeteiligte bekanntgeworden sind oder Gewalttaten nach den Tatumständen in Betracht kommen, nahm im Vergleich zu 1994 um etwa 25 % ab: 74 im Berichtszeitraum stehen 94 derartigen Rechtsverstößen im Vorjahr gegenüber. Berlin liegt demnach in der Reihe der Bundesländer auf Platz 2 nach Niedersachsen (139 Gewaltdelikte). Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich für das gesamte Bundesgebiet: Hier beträgt der Rückgang etwa 15 %. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erfaßte 1995 bundesweit 565 Gewalttaten mit erwiesenem oder zu vermutendem linksextremistischen Hintergrund, 1994 waren es 666. Die Statistiken des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Berlin enthalten hier bekanntgewordene Aktivitäten, bei denen ein linksextremistischer Hintergrund vorliegt bzw. zu vermuten ist. Zudem werden beim LfV gewaltsame demonstrative Aktio- 21 B - Linksextremismus - nen, in deren Verlauf es zu einer Häufung einzelner strafbarer Handlungen kommt, jeweils nur als ein Vorkommnis gezählt. Die Zahlen des Verfassungsschutzes weichen daher zwangsläufig von Statistiken des Landeskriminalamtes (LKA) ab, in denen alle Straftaten, auch jede einzelne strafbare Handlung im Rahmen einer gewaltsamen demonstrativen Aktion, erfaßt werden. Das polizeiliche Zahlenmaterial zeigt im Gegensatz zu den Statistiken des LfV einen Anstieg der Straftaten mit tatsächlichem bzw. vermutetem linksextremistischen Hintergrund. So registrierte das LKA für das Jahr 1995 über 810 solcher Straftaten. Im Vergleich zu 1994, als rund 630 Delikte gezählt wurden, bedeutet dies einen Anstieg von etwa 28 %. 22 B - Linksextremismus Gewalttaten mit erwiesenem oder zu vermutendem linksextremistischen Hintergrund in Berlin und Deutschland 1994 * 1995* 1995 1994 Gewalttaten Berlin Bund Berlin Bund gesamt 74 565 94 666 Schußwaffenanschläge - 1 - 2 Sprengstoffanschläge 1 8 2 7 Brandanschläge 24 86 36 110 Landfriedensbruch/Widerstand 12/7 73/23 5170/15 Körperverletzung 1 35 3 60 Raubüberfälle - 5 3 7 Gefährlicher Eingriff in den Bahn-, 1 114 3 90 Luftoder Straßenverkehr Sachbeschädigung mit erheblicher Ge28 220 42 305 waltanwendung RevolutionärDie marxistisch-leninistischen Parteien und andere revolutionärmarxistische marxistische Organisationen entwickelten 1995 kaum nenZusammennenswerte öffentlichkeitswirksame Aktivitäten. Bei den Wahlen schlüsse zum Abgeordnetenhaus von Berlin und zu den Bezirksverordnetenversammlungen (BW) im Oktober 1995 kandidierten Mitglieder der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD - Sitz Berlin) für das Landesparlament ohne Erfolg. Zwei Funktionären der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) gelang über offene Listen der "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) der Einzug in B W . Aus statistischen Gründen wurde jede gewaltsame Aktion nur einmal gezählt, auch wenn sie aus mehreren Einzeltaten bestand oder von mehreren Tätern gemeinsam begangen wurde. So wurde z. B. bei mehreren zusammentreffenden Straftatbeständen der schwerwiegendere gezählt. Die zahlreichen Schmieraktionen mit geringem Sachschaden sind in der Obersicht nicht enthalten. 23 B - Linksextremismus - Linksextremistisches Potential in Berlin und Deutschland 1994-1995 199S 1994 Berlin Bund Berlin Bund gesamt* 2 200 35 500 2100 34100 Gewaltbereite Linksextremisten einschl. Anarchisten ** 1 350 7 000 1 350 6 700 davon Autonome *** 1 200 6 000 1 200 5 000 Marxisten-Leninisten **** und sonstige revolutionäre Marxisten einschl. Trotzki850 28 500 750 27 400 sten davon DKP 130 6 000 150 6 000 davon MLPD 120 2 700 100 2 300 Gesamtzahlen für den Bund einschl. ca. 500 Mehrfachmitgliedschaften. ** Die bundesweit nach eigenen Angaben etwa 500 Mitglieder und rund 1 000 Sympathisanten zahlende "Arbeitsgemeinschaft Junge Genossinnen in und bei der PDS" ist in dieser Übersicht nicht berücksichtigt, weil derzeit keine Erkenntnisse über die Mitgliederaufteilung auf die einzelnen Bundeslander vorliegen. *** Hierunter sind auch die Mitglieder der "Autonomen Gruppen in und bei der PDS" erfaßt. **" Die bundesweit zwischen 1 000 und 5 000 geschätzten Angehörigen der "Kommunistischen Plattform" (KPF) in der PDS sind in den Zahlenangaben für Berlin nicht enthalten, weil z. Z. keine landesspezifische Schätzung möglich ist. 24 B - Linksextremismus - 2 Gewaltbereite Linksextremisten Linksextremistisches Gewaltpotential in Berlin und Deutschland 1994-1995 1995 1994 gesamt Berlin Bund Berlin Bund 1350 7000 1350 6700 hiervon: Autonome 1200 6000 1200 5000 Anarchistische Personenzusammenhänge 100 k. A. 100 600 2.1 Autonome * Grundlagen / Ziele / Potential Definitfon Innerhalb des Spektrums gewaltbereiter Linksextremisten in "Autonome" Berlin dominieren spontan entstandene, lose, nach außen eher abgeschottete Personenzusammenschlüsse, die sich wegen ihrer Grundtendenz zur Ablehnung jeglicher Organisation und Disziplin, zur Dezentralisierung und zum Ideologieverzicht als "Autonome" bezeichnen. Eine genaue Quantifizierung der autonomen Szene ist nicht möglich. Eben noch auffällige aktive "Zusammenhänge" haben sich wenige Wochen später wieder aufgelöst. Zudem führt ein häufiger Wechsel von Aktionsund Politikfeldern zu ständigen Umgruppierungen. Berlin Berlin stellt seit Jahren mit etwa 1 200 Angehörigen der autoHochburg nomen Szene seines insgesamt 1 350 Personen ausmachender autonomen Szene den Gewaltpotentials nach wie vor die Hochburg der autono- 25 B - Linksextremismus - men "Bewegung" in Deutschland dar. Bundesweit erhielten die Autonomen Zulauf. Schätzungsweise agierten 1995 mehr als 6 000 (1994: 5 000) Aktivisten, eine Größe, die den höchsten Anteil am deutschen gewaltbereiten Linksextremismus - 7 000 - beziffert (1994: 6 700). Entwicklung des Potentials der autonomen Szene in Berlin und Deutschland 1985 -1995 Berlin Bund 1985 150 2 000 1986 200 2 000 1987 500 2 000 1988 500 2 000 1989 500 2 100 1990 700 2 300 1991 1 000 2 700 1992 1 200 5 000 1993 1 200 5 000 1994 1 200 5 000 1995 1 200 6 000 Von den Autonomen geht, gemessen an anderen linksextremistischen Bestrebungen, die nachhaltigste Gefahr für die innere Sicherheit der deutschen Hauptstadt aus. Autonome Aktivisten bestätigten diese Einschätzung auch 1995 mit zahlreichen Gewaltaktionen, die auf eine kompromißlose Bekämpfung des demokratischen Rechtsstaates abzielen. Die überwiegende Mehrheit der Autonomen sind deutsche, zum Szenegeringen Teil ausländische Jugendliche bzw. jüngere Erwachzusammensetzung 26 B - Linksextremismus - sene aus den Altersgruppen der 18 bis 28jährigen, zumeist Schüler, Auszubildende und Studenten. Sie bestreiten ihren Lebensunterhalt überwiegend durch Gelegenheitsjobs und den Empfang von öffentlichen Sozialleistungen ("Staatsknete"). Viele Autonome wenden sich schon nach wenigen Jahren ernüchtert von der Szene ab, enttäuscht über das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit autonomer Lebensziele. Als besonders frustrierend werden die selbstgewählte gesellschaftliche Isolation, die Auseinandersetzung zwischen "AltAutonomen" und ihrem "Nachwuchs" sowie die ständigen ergebnislosen Perspektivdiskussionen empfunden. Abgänge durch "Rückzug ins Privatleben" blieben für die personelle Stärke der autonomen Szene letztendlich ohne Bedeutung, da kontinuierlich jüngere Aktivisten hinzustießen. * Aktionsformen / Militanz Zerstörung Ein Leben ohne Ausbeutung und Unterdrückung, so erklären des Autonome, werde es erst geben, wenn die "Macht des imperiaverhaßten listischen Systems" durch "Widerstand von unten" gebrochen "Systems" sei. Dabei müßten politische Bewegungen, militante Aktionen sowie Angriffe auf Eigentum und sogar auf das Leben von Repräsentanten des verhaßten "Systems" zusammenwirken. Vor diesem Hintergrund reichen die Aktionsformen der Autonomen von Versammlungen und Demonstrationen über Störaktionen, Blockaden und Sachbeschädigungen bis zu Überfällen auf politische Gegner und terroristischen Anschlägen, die sich an das Handlungsmuster der "Revolutionären Zellen" (RZ) [vgl. d.] anlehnen. Die durch Autonome ausgeübte Gewalt richtet sich nach eigenen Möglichkeiten und jeweils vorgefundenen Gegebenheiten. In den letzten Jahren ist ein Umdenken hinsichtlich der Aktionsformen feststellbar. Die insbesondere in den 80er Jahren im Rahmen von Demonstrationen ausgeübte Straßenmilitanz ist 27 B - Linksextremismus - der Taktik gewichen, in klandestinen "Kleingruppen" zuzuschlagen und sich sofort zurückzuziehen, um ein neues Ziel "anzugreifen". Aktionen solcher Gruppierungen bildeten deshalb wiederum "Kleinden Schwerpunkt autonomer Umtriebe in Berlin. "Kleingruppengruppentaktik" taktik" gilt unter Autonomen zunehmend als probates Kampfmittel, weil erfahrungsgemäß kaum Täter gefaßt werden und somit nur selten "repressive" staatliche Maßnahmen, gemeint sind strafrechtliche Konsequenzen, greifen. Militante Aktionen von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten in Berlin und Deutschland 1994 -1995 1995 1994 Berlin Bund Berlin Bund Schußwaffenanschläge - - - 1 Sprengstoffanschläge - - - 1 Brandanschläge 3 12 1 25 Landfriedensbrüche 2 9 1 28 Körperverletzungen 2 21 2 42 Raubüberfälle - 4 1 4 Sachbeschädigungen mit erheblicher 6 27 8 98 Gewaltanwendung gesamt 13 73 13 199 * 28 B - Linksextremismus - * Krise der Autonomen und Konsolidierungsbemühungen Zersplitterung Zu Beginn der 90er Jahre setzten in der autonomen Szene Proder Szene zesse ein, die zu Aufsplitterung und Zerstrittenheit führten. Zwar ist das autonome Potential nicht in Auflösung begriffen, wird aber in seiner Handlungsfähigkeit beeinträchtigt von individuellen und gruppenegoistischen Interessen. Folge ist eine deutliche Abschottung der einzelnen autonomen Personenzusammenhänge untereinander, mit der zwangsläufigen Unfähigkeit zu koordiniertem zielgerichteten Handeln. Die Autonomen verloren zunehmend ihre einstige Mobilisierungskraft etwa bei "massenwirksamen" Demonstrationen. Autonome agieren daher spontaner und unberechenbarer als früher. Bezeichnend hierfür waren Zwischenfälle am Vorabend des 1. Mai 1995. Aus exponierten autonomen Zirkeln waren im Vorfeld keine Planungen für "revolutionäre" Aktionen bekanntgeworden. Bereits in den späten Abendstunden des 30. April kam es in Berlin-Prenzlauer Berg unvermittelt zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Autonome "Antifas" und Hausbesetzer, vornehmlich aus dem Ostteil Berlins, bewarfen auf dem Kollwitzplatz Polizeibeamte mit Steinen. Im Gemengegelage eskalierte die Situation: Weitere Autonome und zahlreiche andere, zunächst sich friedlich verhaltende Personen ergriffen jetzt Partei zugunsten der Gewalttäter. Eine weitere Ursache für die Aufsplitterung und Zerstrittenheit ist der seit mehreren Jahren festzustellende Generationswechsel; Die in den 80er Jahren als Aktivisten hervorgetretenen Autonomen werden heute von der nachgewachsenen Generation als sog. Alt-Autonome heruntergespielt. Diese haben sich deshalb überwiegend aus der Szene zurückgezogen. Darüber hinaus hat sich innerhalb des autonomen Lagers inzwischen ein mehrjähriger Differenzierungsprozeß hinsichtlich der Opportunität und Legitimität von Gewalt zu unterschiedlichen Standpunkten verfestigt. Während einerseits einige auto- 29 B - Linksextremismus - nome Gruppen weiterhin "klandestine militante Aktionen", wie Brandund Sprengstoffanschläge oder ähnliches durchführen, zeigen sich andere Autonome durchaus bereit, auf den Einsatz von Gewalt zu verzichten, insbesondere dann, wenn Militanz für die Erreichung des Ziels nicht förderlich erscheint. Autonome, die militantes Vorgehen um jeden Preis durchsetzen wollen, bezeichnen die "Abweichler" als "autonome Reformisten" oder "Reformautonome". Anlaß für weitere Querelen ist der zunehmende Emanzipations"Ost-Westprozeß der Autonomen aus dem Ostteil Berlins, die inzwischen Konflikt" ohne "Anleitung" ihrer West-Berliner Gesinnungsfreunde auskommen, u. U. sogar eigene Absichten gegen den Widerspruch andersdenkender "Wessis" durchsetzen. Diese "Ost-Autonomen" sind wesentlich jünger und stellen personell den weitaus größeren Teil des Gesamtpotentials. Als eine Möglichkeit, Auswege aus der Krise zu finden, wurde "Autonomiedie Idee eines "Autonomie-Kongresses" entwickelt, der sowohl Kongreß" eine Standortbestimmung bringen als auch eine Phase der April 1995 Konsolidierung einleiten sollte. Nach einer langen Vorbereitungsphase, die Anfang 1994 unter dem Leitwort "Autonome auf dem Weg ins 21. Jahrhundert" begonnen hatte, wurde der "Autonomie-Kongreß" vom 14. bis 17. April 1995 in den Räumen des Mathematikgebäudes der Technischen Universität Berlin durchgeführt. Der Kongreß stieß auf großes Interesse. Mehr als 2 000 Autonome aus dem gesamten Bundesgebiet beteiligten sich an den zahlreichen Veranstaltungen. Die große Erwartungshaltung an einen erfolgreichen Verlauf zeigt schon allein die Zahl von ca. 1 200 Autonomen, die an dem Auftaktplenum unter dem Motto "Was verstehen wir heute unter Autonomie?" am 14. April teilnahmen. Beiträge auf diesem Plenum spiegelten das derzeitige Dilemma autonomer Politik und die kontroverse Diskussion um den Autonomiebegriff wider. Satirisch gefärbte Schlagworte wie "Autonomie ist selbstbestimmte Abhängigkeit" ergänzten selbstkritische Feststellungen, die z. B. lauteten: 30 B - Linksextremismus - "Wenn wir uns ständig damit beschäftigen, mit wem wir nichts zu tun haben wollen, dann verlieren wir leicht aus den Augen, was wir denn eigentlich gemeinsam wollen. Wir müssen uns an unseren Zielen und nicht an unseren Gegnern und Gegnerinnen orientieren und uns daran auch organisieren, ...". Arbeitsgruppen beschäftigten sich u. a. mit den Themen "Autonomiebegriff', "Geschichte der Autonomen" und "Autonomie und Militanz". Solidarität mit Der Kongreß wurde mit einer Demonstration am 17. April 1995 terroristischer unter dem Motto "Die Terroristen sind die, die Abschiebeknäste Gruppierung bauen und nicht die, die sie sprengen!" beendet. Die Kongreß"Das K.O.M.I.T.E.E." teilnehmer wollten mit dieser Demonstration ihre Solidarität mit den Verantwortlichen für den vorbereiteten Sprengstoffanschlag auf die Justizvollzugsanstalt Berlin-Grünau (vgl. "Das K.O.M.I.T.E.E.") bekunden. Der Aufzug mit ca. 1 000 Teilnehmern verlief friedlich. Mit Unterstützung eines Lautsprecherwagens wurden Parolen wie "Keine Mauer um Europa", "Bleiberecht für alle und auf Dauer" sowie "Gegen Staatsterrorismus und Faschismus" skandiert. Bei der Abschlußkundgebung wurde eine selbstgebastelte, meterhohe Bombenattrappe in Brand gesetzt. In Ergänzung zum Kongreß fanden "Internationale Spaßtage" statt. Diese waren von Hausbesetzem aus dem Ostteil Berlins organisiert worden, die nach eigenen Angaben "keine Lust hatten, vier Tage lang zu labern". Hierbei sollte freies und selbstbestimmtes, also "autonomes" Leben zelebriert werden mit Straßenund Hoffesten, darunter Aktivitäten in besetzten Häusern. Die "Spaßtage" verliefen friedlich. Unter den Teilnehmern gingen die Meinungen über den Erfolg des Kongresses weit auseinander. Die Organisatoren sahen den Kongreß als "vollen Erfolg". Er hätte gezeigt, daß "wir noch sehr viele sind" und daß die B - Linksextremismus - "Bereitschaft zum gegenseitigen Zuhören, Austauschen und Lernen" wieder gestiegen sei. Im Szeneblatt "INTERIM", Nr. 328 vom 20. April 1995, hieß es dazu: "Es kann weder vom Ende der Autonomen noch vom Anfang einer neuen Bewegung die Rede sein. ... Der Kongreß war stattdessen bunt, kreativ, spontan, widersprüchlich, einseitig, strukturiert und chaotisch - er war einfach ein Spiegel dessen, wozu die noch erstaunlich vielen LinksradikaJen fähig sind...." Unter den Teilnehmern herrschte allerdings die Meinung vor, Etappenziel daß der Kongreß über eine bloße Bestandsaufnahme autonobleibt mer Sichtweisen nicht hinausgekommen sei. Das eigentliche unerreicht Ziel, "neue Strategien" zur "gesellschaftlichen Umwälzung" zu entwickeln, hätte nicht realisiert werden können. * Publikationen Die autonome Szene hat ihren eigenen Jargon und ihre eigenen Autonomes Medien, was in mehreren zum Teil konspirativ verbreiteten Szeneblatt Szeneblättern zum Ausdruck kommt. Besondere Bedeutung für "INTERIM" Berlin hat die seit April 1988 als sog. Wöchentliches Berlin-Info herausgegebene Zeitschrift "INTERIM". Die grundsätzlich donnerstags, in einer geschätzten Auflage von 2 000 Exemplaren zum Preis von 2,50 DM (auswärts 3 DM) erscheinende Publikation veröffentlicht aktuell kursierende Flugblätter und Verlautbarungen, darunter auch Taterklärungen zu Anschlägen Autonomer und linksextremistisch motivierter Terroristen, u. a. der "Revolutionären Zellen" (RZ), der "Roten Armee Fraktion" (RAF) und der "Antiimperialistischen Zelle" (AIZ) (vgl. jew. d.). Innerhalb der sieben Jahre ihres Bestehens entwickelte sich die "INTERIM" in der Szene zu einer Publikation mit einem nahezu institutionellen Charakter. Obwohl "INTERIM" "den festen Kreis der Macherinnen" erweitert und die Erstellung der Zeitung "in einer Art Rotation mit an- 32 B - Linksextremismus - deren" aufgeteilt haben will, wird die Publikation nach wie vor konspirativ hergestellt. Diese verdeckte Arbeitsweise, charakteristisch für das Handeln "geschlossener" autonomer Gruppen, zu denen auch der "INTERIM"-Herausgeberkreis gerechnet werden muß, wird von den Machern des Blattes offenbar konsequent eingehalten. Für die Praxis bedeutet dies, daß weder Treffpunkte noch -termine, geschweige denn Informationen über die eigene Struktur, insbesondere die personellen Hintergründe, öffentlich bekanntgemacht werden. * Einsatz innovativer Kommunikationstechnik: "SpinnenNetz" Das 1991 von Angehörigen des autonomen Spektrums und des PC-gestütztes NachrichtenRAF-Umfeldes entwickelte computergestützte Nachrichtensysystem stem mit dem Namen "SpinnenNetz" wurde 1995 weiter bun"SpinnenNetz" desweit ausgebaut. Das "SpinnenNetz" verfügt derzeit über vier Mailboxen, über die das Informationspotential verwaltet und abrufbar gehalten wird. Darüber hinaus existieren bundesweit verteilt ungefähr ein Dutzend "SpinnenNetz"-Gruppen, die in enger Verbindung mit den Mailboxen stehen. Informationen aus dem "SpinnenNetz" können in Berlin in mehreren Info-Läden abgerufen werden. * Aktionsschwerpunkte "AntiBerliner Autonome widmeten sich auch 1995 vornehmlich zwei faschismus" Themenkomplexen: und "Umstrukturierung" - Dem sog. antifaschistischen Kampf, d. h. die Aktionen Autonomer richteten sich gegen den angeblichen (staatlichen) "Faschismus", darunter Rassismus und Sexismus sowie gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. 33 B - Linksextremismus - - Der "Umstrukturierung" Berlins als Hauptstadt und Regierungssitz; zu diesem Themenbereich gehörten Aktionen Autonomer gegen städtebauliche Großprojekte sowie den Ausbau des Straßennetzes einschließlich der Öffnung zusätzlicher Brücken für den Individualverkehr. "Antifaschismus" Autonome "Antifaschisten" nutzen den "antifaschistischen "ANTIFA" als LegitiKampf seit Jahren als mobilisierungsträchtiges Thema zur Lemationsgitimierung autonomer Positionen über die eigenen Reihen hingrundlage aus. Dabei instrumentalisieren sie den antifaschistischen Konsens, wie er innerhalb eines breiten politischen Spektrums der Bundesrepublik vorherrscht, für eigene Absichten. Autonome Taktik erschließt so Möglichkeiten, die eher losen Szenestrukturen zu festigen, die Militanzbereitschaft und -fähigkeit - beispielsweise über praktizierte "antifaschistische Selbsthilfe" - zu fördern und die Basis für militante Aktionen durch Überwindung grundsätzlicher Vorbehalte, etwa seitens der sog. Alternativbewegung, zu verbreitern. Gleichzeitig dient der "antifaschistische Kampf" als ideologische Brücke zu einem erweiterten Faschismusbegriff, der anderen "Linken" das theoretische und mentale Rüstzeug liefern soll für eine fundamentale, aktiv kämpferische Gegnerschaft zur verfassungsmäßigen Ordnung. Es gelte, so die autonome Agitation, Verständnis zu erzielen für "systemüberwindende" Aktionen und Kämpfe gegen die "faschistischen Strukturen der Staatsmacht mit ihren Unterdrückungsmechanismen". Zielgruppe der Rekrutierung und Mobilisierung sind vor allem jüngere Menschen, die sich spontan "in Militanz gegen Rechts einreihen" lassen. Wie sehr in den letzten Jahren das Themenfeld "Antifaschismus" für die autonome Szene an Bedeutung gewonnen hat, belegen die vielfältigen Szenepublikationen. Sie dokumentieren und rechtfertigen "aktuelle Militanz", inspirieren über ein 34 B - Linksextremismus - hochstilisiertes, "idealisiertes" Gewaltverständnis zu gesteigerter Gewaltbereitschaft. "ANTIFA"In Berlin sind in letzter Zeit u. a. folgende, regelmäßig erscheiPublikationen nende Publikationen von autonomen Antifa-Gruppen herausgegeben worden: "Antifaschistisches Infoblatt", "Fight back", "Tips und Tricks für Antifas" und "Was geht ab?" Straftaten Autonome und autonome "Antifa"-Gruppen sehen die Anwendung von Gewalt gegen rechtsextremistische Ideologie und die, die sie vertreten, als absolute Notwendigkeit an. So verübten auch 1995 autonome "Antifas" sogenannte antifaschistische Gewalthandlungen. 1995 registrierte die Berliner Verfassungsschutzbehörde wie im Vorjahr insgesamt 13 Gewalthandlungen Autonomer zum Thema "Antifaschismus". Dagegen ging die Zahl der im gesamten Bundesgebiet erfaßten militanten Aktionen gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten um ca. 63 % auf 73 zurück (1994: 199). Die Palette der Aktionen gegen tatsächliche und vermeintliche Rechtsextremisten reichte von mit Ausschreitungen verbundenen Demonstrationen über Angriffe auf Informationsstände rechtsextremistischer Parteien bis zu schwersten Sachbeschädigungen (Brandanschläge). Auch 1995 bemühten sich autonome Aktivisten^ "Antifa"-Zusammenhänge zu organisieren. Ziel dieser Bemühungen ist die verbesserte Informationsweitergabe innerhalb der autonomen "Antifa"-Szene zur wirksamen Mobilisierung und für ein einheitliches, zum Teil bundesweit gesteuertes Handeln. Führerschaft Eine herausragende Rolle nimmt innerhalb dieser Bestrebunder "Antifagen die von der gewaltorientierten Göttinger "Autonomen Antischistischen Aktion/Bundesfa (M)" dominierte "Antifaschistische Aktion/Bundesweite Orgaweite Organinisation" (AA/BO) ein. sation" (AA/BO) Dem Zusammenhang haben sich auch vier in Berlin ansässige Gruppen, 35 B - Linksextremismus - die Gruppe "Für eine linke Strömung" (F.e.l.S.), die "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB), die "Rote Antifaschistische Initiative" (RAI) und die "Feministische Antifaschistisch-Revolutionäre Aktion" (FARA), angeschlossen. Diese Gruppen nehmen aufgrund ihres höheren Organisationsgrades, durch eine früher nicht feststellbare Kontinuität in der politischen Arbeit und eine in der AA/BO praktizierte beachtliche Verbindlichkeit von Gremienentscheidungen und Vereinbarungen in der autonomen Szene eine Sonderstellung ein. Der dezentrale Organisationsaufbau der AA/BO ermöglicht, daß die angeschlossenen Gruppen unterschiedliche ideologische Schwerpunkte setzen und unterschiedliche Formen politischer Praxis verfolgen. Die in der AA/BO zusammengeschlossenen Gruppen sehen sich in der Tradition des "Antifaschistischen Kampfes" der KPD in der Weimarer Republik; die Gruppen F.e.l.S. und AAB bedienten sich 1995, wie zuvor schon die RAI, verstärkt ideologischer Anleihen beim Marxismus-Leninismus. Mit Aussagen wie "Angreifen ist gerechtfertigt - ... Kampf dem Faschismus heißt Kampf dem imperialistischen,und patriarchalen System" und "Antifa heißt Angriff!" bekennt sich das AA/BOSpektrum zur Anwendung von Gewalt und setzt die pluralistische Demokratie mit dem "Faschismus" gleich. Im Zuge ihrer Vernetzungsbemühungen arbeiteten diese Gruppen mit fast allen anderen in Berlin wirkenden Antifa-Initiativen zusammen. Die AAB beteiligte sich (unter ihrer damaligen Bezeichnung "Autonome Antifa A + P") maßgeblich an einer Demonstration zum Thema "Ihre 'Innere Sicherheit' erschüttern!" aus Anlaß ei- 36 B - Linksextremismus - ner in Berlin stattfindenden Tagung der Innenministerkonferenz am 18. Mai 1995. Gewalttätige Ausschreitungen am 18. Juni in Berlin-Friedrichshain und ein Buttersäureanschlag auf eine Gaststätte am 12. November 1995 in Berlin-Mitte werden Aktivisten dieser Gruppen zugeordnet. "Umstrukturierung" Das zweite bedeutende Aktionsfeld autonomer Zusammenhänge ist die Gegnerschaft zur "Umstrukturierung" Berlins. Örtlich gemeint sind insbesondere die nach dem Fall der Mauer besonders vom Strukturwandel betroffenen Stadtteile Neukölln, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg. Nach Vereinigung beider Stadthälften und der Entscheidung für Berlin als Regierungsund Parlamentssitz sind diese Bezirke aus der Randlage in die Mitte der Metropole Berlin und ihrer Investitionsräume gerückt. Gegen Berlin Die Bebauung des Potsdamer Platzes, das geplante Ost-Westals europäHandelszentrum am Moritzplatz, die Erneuerung der Friedrichische Dienststadt-Passagen, die Sanierung der Oberbaumbrücke und der leistungsund Verwaltungsgeplante Tiergarten-Tunnel sind einige wichtige Projekte, die im metropole Rahmen des Ausbaues Berlins zur europäischen Dienstleistungsund Verwaltungsmetropole im Blickpunkt autonomer Kritik stehen. Durch diese Entwicklungen, die eine Bedrohung der "Nischen", in denen man bisher mehr oder weniger frei von gesellschaftlichen Zwängen lebte, zur Folge hat, fühlt sich die militante autonome Szene in ihrem Lebensnerv getroffen. Sie führt den Kampf gegen die "Umstrukturierung" inzwischen nicht nur als Kampf gegen Staat und Gesellschaft, sondern auch ums eigene Überleben. Ziel ihrer Aktionen, insbesondere Brandanschläge und Sachbeschädigungen, sind vor allem Firmen, die mit der "Umstruktu- 37 B - Linksextremismus - rierung" in Zusammenhang zu bringen sind, sich in "ihrem Kiez" ansiedelnde "Kapitalkräfte", Großunternehmen sowie Lokale, die sie als "Schicki-Micki-Läden" einstufen. Beispiele für solche Aktionen: Aktionen * Am 10. Februar schütteten unbekannte Personen Kuhmist über ein in Berlin-Mitte ausgestelltes Modell des Architektenwettbewerbs zur Gestaltung des Bundeskanzleramtes. Außerdem warfen sie eine an anderer Stelle entwendete Kranzscherpe mit dem Aufdruck "Der Regierende Bürgermeister von Berlin" auf das Baumuster. Die Scherpe war von den Tätern zusätzlich mit den Worten "Geschissen uff die Oggersheimer-Reichskanzlei" beschriftet worden. * Am frühen Morgen des 17. November brachen unbekannte Personen in eine Gastwirtschaft in der Görlitzer Straße (Berlin-Kreuzberg) ein. Sie verschütteten zwei Eimer mit Fäkalien und schleuderten eine Flasche mit Buttersäure gegen eine Wand. Bereits im Monat zuvor war auf die Hauswand des Gebäudes "Piss off yuppie scum" gesprüht worden. In einer Taterklärung, die von der Szenepublikation "INTERIM", Nr. 353 vom 23. November, veröffentlicht wurde, werden u. a. folgende Motive für den Anschlag genannt: "bei uns ist die toleranzgrenze extrem überschritten, wenn sich die yuppiemeute aktiv gegen uns stellt, was sich z. B. darin äußert, daß einige laden es nicht mehr zulassen, daß wir drinnen und draußen an ihren wänden politische plakate oder parolen hinterlassen." 38 B - Linksextremismus - Als Ziel der Täter wird angeführt: "am liebsten natürlich alle yuppies und bonzen auf den mond schießen und dort endlagern." Daneben prägten 1995 gewalttätige Auseinandersetzungen um ein Baugrundstück im Bereich Boxhagener Straße/Kreutzigerstraße in Berlin-Friedrichshain und die Beteiligung am "Widerstand" gegen den Bau eines Tunnels unter dem Tiergarten das autonome Aktionsfeld "Umstrukturierung". Sonstige Aktivitäten Proteste Sog. Weltklimagipfel vom 31. März bis zum 7. April 1995 gegen WeltAutonome führten aus Protest gegen die Konferenz in klimagipfel Berlin mehrere Protestaktionen durch. Im Mittelpunkt stand eine Demonstration am 1. April zum ICC, an der sich etwa 1 400 Personen, darunter zahlreiche Angehörige der autonomen Szene Berlins, beteiligten. Am Antreteplatz wurden drei Personen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz vorläufig festgenommen. 50. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1995 50. Jahrestag Kriegsende Seit Januar 1995 bereiteten Berliner Autonome und Angehörige des Berliner RAF-Umfeldes Aktionen zum Ende des Zweiten Weltkrieges vor. Hierzu wurden mehrere "Berlin-weite Koordinierungstreffen zur Diskussion und Planung unserer Vorstellung und Aktivitäten rund um den 8. Mai 1995" durchgeführt. Am 6. Mai 1995 führten sog. Antideutsche (linksextremistische Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet, darunter auch Personenzusammenhänge des RAFUmfeldes) unter dem Motto "Kein Friede mit Deutschland - Gegen die Kollaboration mit der Nation" eine Demonstration durch, an der sich bis zu 500 Personen beteiligten. Überwiegend wegen Mitführens bzw. Tragens von Vermummungsgegenständen nahm die Polizei 23 39 B - Linksextremismus - Freiheitsbeschränkungen und 14 Freiheitsentziehungen vor. Am 7. Mai 1995 veranstaltete ein aus weit über 100 Organisationen bestehendes "Berliner Bündnis 8. Mai", darunter auch die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) (vgl. d.) und die "Marxistisch-leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) (vgl. d.), eine Demonstration mit anschließendem "Friedensfest". An dem Aufzug nahmen bis zu 5 000 Personen teil. Angehörige autonomer Gruppen unterstützten Anhänger der verbotenen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) [s. d.] bei Auseinandersetzungen mit Polizeikräften, die gegen Träger von PKKFahnen eingeschritten waren. Bis zu 700 Personen nahmen am 8. Mai 1995 an einer Demonstration autonomer Gruppen unter dem Motto "Kampf den deutschen Zuständen" teil. Nach der Abschlußkundgebung zogen etwa 300 Personen (überwiegend Autonome) geschlossen zum Anhalter Bahnhof, wo es vereinzelt zu Steinwürfen auf Polizeibeamte kam. Insgesamt wurden 16 Freiheitsbeschränkungen sowie 37 Freiheitsentziehungen vorgenommen. Kampagne zur Freilassung des Journalisten Mumia ABUKampagne Mumia JAMAL* von Juni bis August 1995 ABUDie seit Jahren vom linksextremistischen Spektrum auch JAMAL in Deutschland betriebene Kampagne eskalierte vor dem Hintergrund der für den 17. August 1995 festgesetzten Vollstreckung des Todesurteils gegen JAMAL. Neben Demonstrationen und Kundgebungen, vorwiegend in der näheren Umgebung der Berliner Außenstelle der Botschaft der USA in Berlin-Mitte, an denen sich zwischen 20 Der Journalist Mumia ABU-JAMAL, ehemaliger Angehöriger der "Black Panther"-Bewegung, wurde 1982 in den USA wegen Mordes an einem Polizisten zum Tode verurteilt. Am 1. Juni 1995 wurde der Hinrichtungsbefehl durch den Gouverneur unterzeichnet und der Vollstreckungstermin auf den 17. August 1995 festgelegt. Der Vollstreckungstermin wurde zwischenzeitlich aufgehoben. 40 B - Linksextremismus - und 250 Personen u. a. aus dem gesamten linksextremistischen Spektrum beteiligten, wurden im Juni und August auch Sachbeschädigungen und Brandanschläge verübt. Betroffen waren z. B. Filialen der Citibank AG sowie Fahrzeuge des "United Parcel Service". Nach der Aussetzung der Vollstreckung des Todesurteils ebbten sowohl die demonstrativen Aktionen als auch die Anschlagsaktivitäten ab. Proteste Gewalttätige Protestaktionen gegen die französischen gegen franzöunterirdischen Atombombentests auf dem Mururoa-Atoll sische Atomin der Südsee bombentests So beschädigten Unbekannte am 6. September 1995 17 Pkw vor einem Renault-Autohaus in Berlin-Köpenick. Die Täter beschmierten die Autos mit Schriftzügen wie "Non" und Motiven wie "Totenkreuz" und "Atompilz". Zwei Schaufensterscheiben des Autohauses wurden mit der Aufschrift "Krieg" versehen. Am 10. Oktober 1995 deponierten Unbekannte eine Bombenattrappe auf einer Tankstelle der Firma Minol in Berlin-Marzahn. Minol ist ein Unternehmen des französischen Mineralölkonzerns Elf Aquitaine. Vor dem Auffinden der Attrappe waren bei der Polizei telefonisch anonyme Drohungen eingegangen, deren Ernsthaftigkeit die Behörde verneint hatte. Kampagne Kampagne für die Freilassung des mutmaßlichen AngeBenjamin hörigen der terroristischen Vereinigung ETA Benjamin RAMOSRAMOS-VEGA* VEGA Am 3. November 1995 setzten Unbekannte einen Pkw Seat-Toledo auf dem Grundstück eines Seat-Autohauses in Berlin-Wittenau in Brand. Durch übergreifendes Feuer wurden drei weitere Fahrzeuge beschädigt. Nach Poli- * Der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Spanier Benjamin RAMOS-VEGA wurde am 28.'Januar 1995 in Berlin festgenommen. Spanische Behörden werfen ihm die Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung ETA vor. Z. Z. befindet er sich in Auslieferungshaft in BerlinMoabit. Inzwischen hat RAMOS-VEGA einen Asylantrag eingereicht und trat zum Jahreswechsel 1995/1996 in einen unbefristeten Hungerstreik. 41 B - Linksextremismus - zeiangaben entstand ein Gesamtschaden von über 40 000 DM. Zu der Aktion ging bei Berliner Tageszeitungen die Taterklärung eines "Antiimperialistischen Zusammenhanges 'Freiheit für Benjamin'" ein. Die Verfasser stellten ihre Erklärung unter die Forderung "Keine Auslieferung von Benjamin RAMOS-VEGA an den spanischen Staat - Freiheit für Benjamin!!". Spaniens Auslieferungsbegehren basiere auf erzwungenen, später widerrufenen "Geständnissen" eines baskischen Separatisten. 2.2 "Rote Armee Fraktion" (RAF) * RAF-Kommandoebene und RAF-Inhaftierte Seit ihrer Gründung im Jahre 1970 hatte die RAF-KomFortsetzung der neuen mandoebene ("Illegale") die "Zerschlagung des Imperialismus" RAF-Politik als ihr strategisches Ziel definiert und zahlreiche Anschläge durchgeführt. Mit einer Grundsatzerklärung vom 10. April 1992 leitete sie eine tiefgreifende Zäsur ein, in deren Vordergrund die Einstellung des "bewaffneten Kampfes" zugunsten des "politischen" Aufbaus einer "sozialen Gegenmacht von unten" steht. Sie unterstrich aber durch einen Sprengstoffanschlag auf den damals noch nicht bezogenen Neubau der Justizvollzugsanstalt Darmstadt-Weiterstadt am 27. März 1993 ihre Aktionsfähigkeit. Seit diesem Anschlag verübte die RAF keine weiteren Gewalttaten. 1995 gab die RAF-Kommandoebene auch keine Erklärungen) mehr heraus. Die letzte Äußerung einer Vertreterin des neuen RAF-Kurses stammt von Birgit HOGEFELD, die am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen festgenommen worden war. In einer Erklärung zum Beginn ihres Prozesses am 15. November 1994 in Frankfurt/Main setzte sie sich weiter für den Aufbau einer "sozialen Gegenmacht von unten" ein. Allerdings ist die Erklärung in einem aus- i 42 B - Linksextremismus - serst "aggressiven" Wortstil gehalten. Dieser wird augenfällig im folgenden Textteil: "Wir haben eine Entwicklung in eine andere Richtung gewollt. Deshalb kam 92 unser politischer Versuch, der dann gegen diese militärische Linie aufgelaufen ist. Für uns hat sich viel verändert.... ... Wir sehen das ganz nüchtern - aber wir wußten auch von vornherein, daß der Kampf so enden kann. Insoweit haben wir nichts zu verlieren. Wer das weiß, hat auch seine Ruhe vor dem, was kommen kann, und versucht, sich trotzdem dagegen zu stellen.... ... Die, die denken, sie hätten uns in der Sackgasse, sollten sich nicht zu früh freuen. Sie sollten wissen, daß wir um uns selbst kämpfen werden. Es wird keine Rückkehr zur alten Strategie als politisches Konzept geben, aber wir haben unser Recht auf Selbstverteidigung. Ich glaube nicht, daß wir nun widerstandslos unserer Vernichtung zusehen und ich möchte, daß sich alle über unsere Zukunft Gedanken machen." In einer weiteren "Prozeßerklärung" vom 2 1 . Juli 1995 bekräftigte sie erneut die Bedeutung des Konstruktes der "sozialen Gegenmacht von unten" für das linksextremistische Spektrum und führte hierzu aus: "Es wird hier keine relevante Gegenmacht geben, wenn wir - und damit meine ich nicht nur die RAF - uns weiterhin weigern, unsere eigene Geschichte zu begreifen. Wir brauchen für die Bestimmung zukünftiger Kämpfe nicht nur eine genaue Analyse der aktuellen Situation und Entwicklung, wir brauchen dafür auch die Erfahrungen und die Erkenntnisse aus den letzten 25 Jahren." Nachwirkungen Zur derzeitigen personellen Zusammensetzung der K o m m a n - von Bad Kleinen doebene liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Sie dürfte allerdings durch den Zugriff in Bad Kleinen a m 27. Juni 1993 geschwächt worden sein. Inwiefern diese Lücke möglicherweise bereits - wie in der Vergangenheit - relativ schnell geschlossen werden konnte, vermag nicht beurteilt zu werden. 43 B - Linksextremismus - Die Entlassung mehrerer Inhaftierter der RAF in den Jahren 1994 und 1995 wurde von allen Teilen des linksterroristischen Unterstützerspektrums in Berlin begrüßt. Nach der Haftentlassung von Irmgard MÖLLER am 1. Dezember 1994 sind zwischenzeitlich auch die ehemaligen RAF-Angehörigen Christine KUBY am 21. Februar 1995 Manuela HAPPE am 25. April 1995 Lutz TAUFER am 26. April 1995 Karl Heinz DELLWO am 10. Mai 1995 und Knut FOLKERTS am 16. Oktober 1995 aus der Strafhaft entlassen worden. Bislang liegen hierzu keine Reaktionen der RAF-Kommandoebene vor. Nach der Spaltung der RAF als Ganzes im Oktober 1993 ist das Gesamtgefüge der Häftlinge derzeit wie folgt zu unterteilen: Ablehner der von der Kommandoebene konzipierten "neuen Politik" ("hardliner") - acht Inhaftierte unter der "Führung" von Brigitte MOHNHAUPT Befürworter: die ehemaligen "Celler Gefangenen" KarlHeinz DELLWO, Knut FOLKERTS und Lutz TAUFER sowie Birgit HOGEFELD. RAF-Umfeld Die Bezeichnung "RAF-Umfeld" ist ein Begriff der SicherheitsDefinition behörden. Die Personen des RAF-Umfeldes sehen ihre Funkti"RAFUmfeld" on in erster Linie im "offenen politischen Kampf für die Ziele der RAF, so z. B. auch in der publizistischen Unterstützung von Aktionen der "Gefangenen aus der RAF". Das Berliner RAF-Umfeld wurde von der "Kommandoerklärung" im April 1992 überrascht. Es befindet sich seitdem in einer Pha- 44 B - Linksextremismus - se der Desorientierung. Ein - wenn auch geringer - Teil lehnt insbesondere die (zeitweilige) Rücknahme der Eskalation der RAF strikt ab; die meisten Berliner RAF-Anhänger tendieren hingegen eher dazu, die Aussetzung der Tötungsaktionen der RAF-Kommandobene gutzuheißen. Interne AusDie Aktivitäten des Berliner RAF-Umfeldes beschränkten sich einanderdeshalb auch 1995 auf Diskussionen über die Auseinandersetsetzungen zung innerhalb des RAF-Gefüges. Das RAF-Umfeld war bemüht, neue Unterstützergruppen zu bilden bzw. bestehende auszubauen. In diesem Zusammenhang wurden wiederum aktuelle Themen des übrigen linksextremistischen Spektrums aufgegriffen, insbesondere die Kampagne zur Freilassung von Mumia ABU-JAMAL (vgl. Autonome). "AK Ein weiteres Aktionsfeld des Berliner RAF-Umfeldes stellte der Kassiber" 50. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1995 dar. In diesem Zusammenhang wurden mehrere Demonstrationen, in deren Verlauf es auch zu Gewalthandlungen kam, durchgeführt. Besonders engagierte sich dabei eine 1994 gegründete Gruppe des Berliner RAF-Umfeldes namens "AK Kassiber". Die Gruppe wird maßgeblich geprägt durch das Gedankengut der "hardIiner"-Anhängerschaft innerhalb des Berliner RAF-Umfeldes. Seine Ziele formulierte dieser Personenzusammenhang im Juni 1995 in der von ihm herausgegebenen Broschüre "Ein deutscher Frühling" u. a. mit folgenden Worten: "Auch wir halten fest an der Vorstellung, daß eine revolutionäre Umwälzung nur in einem gemeinsamen, weltweiten Kampfprozeß möglich sein wird.... Es geht uns darum, den revolutionären Bruch (der RAF - Anmerkung) zu verteidigen, darauf zu beharren, daß er möglich ist, möglich wird in einem bewußten Verhältnis zu Kontinuitäten und Brüchen der revolutionären Politik. ..." Mit Beginn des Prozesses gegen Birgit HOGEFELD am 15. November 1994 bildete sich innerhalb des RAF-Umfeldes eine "Prozeßgruppe Birgit HOGEFELD". Am 1. Dezember 1994 45 B - Linksextremismus - erschien erstmals ein "Info zum Prozeß gegen Birgit HOGEFELD". Zu ihren Beweggründen stellten die Herausgeber folgendes fest: "Dieses Prozeßinfo soll regelmäßig zum Verlauf des Prozesses informieren und - wo möglich - die Hintergründe beleuchten. Die Prozeßerklärungen von Birgit HOGEFELD werden vollständig dokumentiert." Zwischenzeitlich liegt bereits die 8. Ausgabe vor. Hergestellt in Wiesbaden, wird es dezentral verbreitet - auch für "Berlin/Ex-DDR". Am 14. November 1995 veranstaltete die "Prozeßgruppe" einen Informationsabend zum Verlauf des Prozesses gegen Birgit HOGEFELD im "Roten Salon" der Volksbühne am RosaLuxemburg-Platz (Berlin-Mitte). Daran beteiligten sich rund 100 Autonome und Angehörige des RAF-Umfeldes. 2.3 "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) Die AIZ, die seit 1992 unter wechselnden Bezeichnungen, u. a. AIZ gegen als "Antiimperialistische Widerstandszelle Nadia Shehadah", mit "Reformismus" der Positionspapieren und Selbstbezichtigungen zu Straftaten in RAF Erscheinung getreten ist, will "antiimperialistischen Widerstand" entwickeln und sich dabei - nach eigenen Angaben - an den Zielen und Überlegungen der RAF bis zu deren Mordanschlag auf den Leiter der Treuhandanstalt, Dr. ROHWEDDER, im April 1991 orientieren. Die Abkehr vom "bewaffneten Kampf der RAF-Kommandoebene kritisiert die AIZ als Weg in den Reformismus. In einer bereits Anfang November 1994 mehreren Presseagenturen und Zeitungsredaktionen zugesandten Erklärung hatte die AIZ angekündigt: "unsere politik, wird dahin gehend orientiert sein, dort militant/ bewaffnet anzugreifen, wo die brd-eliten ihre arbeitsplätze bzw. ihre Wohnsitze haben." 46 B - Linksextremismus - Bisher keine Die AlZ hat die Ankündigung wahr gemacht und 1995 ihre AnAnschläge schlagsserie mit vier Sprengstoffattentaten fortgesetzt, wobei in Berlin Berlin davon nicht betroffen war: * Sprengstoffanschlag auf das Wohnhaus des ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Volkmar KÖHLER in Wolfsburg am 22. Februar. Es entstand Sachschaden. * Zündung eines Sprengsatzes an dem Wohnhaus des CDU-Bundestagsabgeordneten und Mitgliedes des Bundestagsinnenausschusses Dr. Josef Theodor BLANK in Düsseldorf-Erkrath am 23. April. Auch hier entstand Sachschaden. * Sprengstoffanschlag mit erheblichem Sachschaden auf das Wohnhaus des Abgeordneten und verteidigungspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Paul BREUER in Siegen am 17. September. V * In den frühen Morgenstunden des 23. Dezember detonierte im Eingangsbereich eines Gebäudekomplexes in Düsseldorf ein mit Sprengmitteln und Stahlkrampen gefüllter Handfeuerlöscher. Die beigemengten Metallteile wurden bis zu 35 m weit geschleudert. Insgesamt entstand ein Sachschaden von ca. 60 000,DM. Ziel des Anschlages war - ausweislich einer 24seitigen Grundsatzerklärung - das in dem Bürohaus u. a. untergebrachte peruanische Honorarkonsulat. In dieser bis dato umfangreichsten Stellungnahme erweitert die AlZ das Spektrum potentieller Anschlagsziele (Anschlagsopfer!) um die "Mehrheit der BRD-Gesellschaft". Da diese "metropolitane Gesellschaft (...) mit der Politik der Eliten grundsätzlich einverstanden ist", trage sie auch Mitverantwortung für die "Mißstände" in Politik und Wirtschaft. Die von der AlZ ausgehende Bedrohung wird hierdurch erneut verschärft. Eine Eingrenzung künftiger Aktionsziele - wegen der ausufernden thematischen Vielfalt oh- 47 B - Linksextremisfinus - nehin schon weitestgehend unmöglich - wird somit noch schwieriger. Die gewünschte positive Resonanz, insbesondere von anderen AIZ verletzt (militanten) linksextremistischen Personenzusammenhängen, Konsens blieb jedoch aus. Statt dessen verstärkte sich die Kritik an der von der AIZ für ihre "Aktionen" hingenommenen "potentiell tödlichen Bedrohung". Die Kritiker wiesen die AIZ mehrfach auf ihre "revolutionäre Verantwortung" hin und forderten sie auf, in letzter Konsequenz ihr Projekt aufzulösen. Auf diese verstärkt vorgebrachten Vorbehalte in der linksextremistischen Szene reagierten die Angesprochenen u. a. in einer Erklärung vom 13. Juli 1995 indirekt mit den Worten: Weil die potentiell tödliche Bedrohung dort, wo die Eliten wohnen/arbeiten, für diese Eliten eine unerträgliche Situation zur Folge hat. Auf diese Weise wird antiimperialistische Politik schwacher Kräfte zur militanten Gegenmacht." 2.4 "Das K.O.M.I.T.E.E." In den frühen Morgenstunden des 27. Oktober 1994 verübten Terroristische unbekannte Täter einen Anschlag auf das Kreiswehrersatzamt Aktivitäten in Bad Freienwalde (Brandenburg), indem sie einen explosionsartigen Brandausbruch herbeiführten. Es entstand Sachschaden in Höhe von rund 200 000 DM. In unmittelbarer Nähe des Tatortes wurde die schriftliche Bekennung einer bis dahin nicht bekannten Gruppe "Das K.O.M.I.T.E.E." gefunden. Sie begründete hierin ihr Handeln im wesentlichen mit der vielfältigen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei zum Nachteile des "kurdischen Befreiungskampfes". Am 11. April 1995, 00.50 Uhr, wurden auf einem Waldparkplatz in Berlin-Grünau durch eine Funkstreife der Polizei ein Ford 48 B - Linksextremismus - Transit und ein VW Passat Variant - beide Fahrzeuge unverschlossen und unbesetzt - festgestellt und überprüft. In dem Ford Transit, der - wie auch die an ihm befestigten amtlichen Kennzeichen - gestohlen war, befanden sich u. a. ein zündfertiger Brandsatz und vier mit insgesamt 120,7 kg hochbrisantem Sprengstoff (Selbstlaborat) gefüllte Propangasflaschen, die gegen 03.30 Uhr mittels Zündzeitverzögerer zur Explosion gebracht werden sollten. In der Fahrerkabine aufgefundene "Warnhinweise" ("Achtung Lebensgefahr Sprengung des Knastgebäudes! Das K.O.M.I.T.E.E") legten die Schlußfolgerung nahe, daß die als Abschiebegewahrsam im Ausbau befindliche Justizvollzugsanstalt Berlin-Grünau (unweit des o. a. Parkplatzes gelegen) Ziel des geplanten Sprengstoffanschlages hatte werden sollen. In dem VW Passat Variant abgelegte Personalund Fahrzeugpapiere begründeten einen dringenden Tatverdacht gegen vier Personen, darunter eine Frau. Letztere stellte sich am 12. April 1995 der Polizei - bestritt aber jegliche Tatbeteiligung. Am 18. Mai 1995 wurde sie wegen neuer Verdachtsmomente festgenommen und nach am 8. Juni erfolgter Haftprüfung wieder auf freien Fuß gesetzt. Die mit Haftbefehl gesuchten männlichen Personen sind seit dem 11. April 1995 flüchtig. Autonome Die vorbereitete Aktion der Gruppe "Das K.O.M.I.T.E.E." stieß in solidarisch der gewaltbereiten Szene größtenteils auf Zustimmung. So gaben die Teilnehmer an dem "Autonomie-Kongreß" in Berlin der Abschlußdemonstration am 17. April 1995 das Leitwort "Die Terroristen sind die, die Abschiebeknäste bauen und nicht die, die sie sprengen". Die solidarische Haltung anderer Linksextremisten zur Gruppe "Das K.O.M.I.T.E.E." fand auch "praktische" Entsprechung in zwei Brandanschlägen auf Firmen, die am Ausbau der Justizvollzugsanstalt Berlin-Grünau zum Abschiebegewahrsam betei- 49 B - Linksextremismus - ligt waren. Hierzu bekannte sich in Erklärungen vom 778. Juni und 17718. Juli 1995 eine bis dahin nicht bekannte Gruppierung "Das K:0:L:L:E:K:T:l:V:". Die Verfasser fordern darin "Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf, formulieren: "viel Spaß, Kraft und Liebe wünschen wir Bernhard, Thomas und Peter auf der Flucht" und senden "solidarische Grüße an Das K.O.M.I.T.E.E.". Am 13. Juni 1995 wurden auf Anordnung der BundesanwaltExekutivmaßnahmen schaft bundesweit Exekutivmaßnahmen gegen mutmaßliche Mitarbeiter des linksterroristischen Untergrundblattes "radikal"* sowie gegen mutmaßliche Angehörige/Unterstützer der terroristischen Vereinigungen AIZ und "Das K.O.M.I.T.E.E." durchgeführt. In Berlin wurden mehrere Privatwohnungen durchsucht. Die Exekutivmaßnahmen führten nicht zu Festnahmen von Verdächtigen der Gruppe "Das K.O.M.I.T.E.E.". Auf die Exekutivmaßnahmen vom 13. Juni 1995 reagierte die linksextremistische Szene mit heftigen Protesten, auch in der Bundeshauptstadt. "Einige radikal-Gruppen" gaben eine Stellungnahme ab, die das autonome Szeneblatt "INTERIM", Nr. 339 vom 6. Juli 1995, veröffentlichte. Unter der Überschrift "Bleibt radikal" werteten die Verfasser die Maßnahmen als Einschüchterungsversuch: "Unter dem Vorwand, sie hätten die radikal verteilt oder gar hergestellt, wurden Menschen aus der linken Szene quer durch die Republik ... terrorisiert. ... Es ist offensichtlich, daß sich dieser Schlag nicht nur gegen uns richten sollte. Wir haben lediglich einen günstigen Vorwand abgegeben ..., der Zusammenhang AIZ, K.O.M.I.T.E.E. und radikal sollte in den Köpfen ... hängen bleiben, und damit Das im Ausland herausgegebene Untergrundblatt "radikal" hat bundesweite Bedeutung. Es erscheint in unregelmäßigen Abstanden unter wechselnden ausländischen Kontaktadressen, "radikal" erschien erstmals im Juni 1976 als Berliner Szeneblatt. Nachdem mehrfach Ermittlungsverfahren nach SS 129a StGB eingeleitet worden waren, stellte das Blatt mit der Doppelnummer 126/127 (März/April 1984) sein Erscheinen ein und tauchte "weitgehend umorganisiert und mit neuen Leuten" mit der Nummer 128 im September 1984 wieder auf. "radikal" wird auf dem Postweg mit falschen Absenderangaben verschickt und konspirativ von Hand zu Hand verbreitet. Die bisher letzte Ausgabe der "radikal" erschien am 29. November 1995. 50 B - Linksextremismus - . eine Gleichstellung dieser Gruppen bewirken, um die Kriminalisierung zu vereinfachen." Mit einem sechsseitigen Schreiben unter der Überschrift "Knapp daneben ist auch vorbei" vom 6. September 1995 meldete sich die Gruppe "Das K.O.M.I.T.E.E." letztmals zu Wort. Danach wollen die Verfasser beispielsweise "es den Gesuchten (überlassen), die tatsächlichen Gründe, warum sie in die Fahndung geraten sind, offen zu machen, wenn sie das wollen". Ansonsten solle die Erklärung u. a. dazu dienen, "den politischen Flurschaden so weit wie möglich zu begrenzen". Darüber hinaus habe die Gesamtheit der von ihnen "verursachten Fehler" die Erklärenden bewogen, "ihre politische Arbeit als Komitee (zu) beenden". Jedoch sei diese Entscheidung "kein Abgesang auf militante Politikformen im allgemeinen, sondern unsere persönliche Konsequenz aus dem Debakel. Wir finden es nach wie vor wichtig und richtig, auch mit militanten Mitteln in die politischen und militärischen Pläne der Herrschenden einzugreifen ...." Die Absichtserklärung, das "Projekt 'Das K.O.M.I.T.E.E.' beenden" zu wollen, kalkuliert demnach die Möglichkeit einer operationellen Kontinuität ausdrücklich mit ein. Daher sind weitere terroristische Aktionen aus diesem eng verzahnten Personenkreis durchaus nicht unwahrscheinlich, wenn auch unter Aussparung der Bezeichnung "Das K.O.M.I.T.E.E.". 2.5 "KLASSE GEGEN KLASSE" (KGK) "StadtteilBei der Gruppe "KLASSE GEGEN KLASSE" (KGK) handelt es kampf" sich um einen Zusammenschluß, der sich seit Mitte 1992 dem "Stadtteilkampf' gegen die "Umstrukturierung" Berlins vorwiegend in Berlin-Kreuzberg verschrieben hat. Terroristische Anschläge aus diesem Kreis gab es aber auch in den Bezirken Neukölln und Zehlendorf. Ihre Revolutionstheorie gründet KGK auf Versatzstücke des marxistisch-leninistischen Vokabulars. 51 B - Linksextremismus - Bis Ende 1994 verübte KGK insgesamt 33 vollendete und 3 versuchte Brandanschläge, 5 Sprengstoffanschläge sowie zahlreiche sonstige Straftaten, darunter Nötigung und Beleidigung. Im Jahr 1995 trat sie erneut mit Attacken, darunter 7 Brandanschlägen, gegen aus ihrer Sicht Verantwortliche der "Umstrukturierung" in Erscheinung. Beispiele für von KGK verübte Straftaten: * Unbekannte beschossen am 13. Februar das Büro und die Wohnung eines Immobilienmaklers in BerlinKreuzberg mit Zwillen. In einem Schreiben an die übrigen Mieter des Hauses wurde gefordert, der Makler solle innerhalb von drei Monaten aus Kreuzberg wegziehen. Zitat: "Die proletarischen Selbstverteidigungsgruppen werden Spekulanten und ihre Handlanger zur Rechenschaft ziehen! Klasse gegen Klasse". * Unbekannte Täter zerstörten am 13. August durch Inbrandsetzen einen am Maybachufer (Berlin-Neukölln) abgestellten Lkw einer Baufirma. Etwa zeitgleich wurdeh ein Pkw dieser Firma in der Gutschmidtstraße im selben Bezirk und ein Holztor auf dem Firmengelände in Charlottenburg in Brand gesetzt. In der autonomen Szenepublikation "INTERIM", Nr. 342 vom 17. August, erschien eine Tatbekennung, die mit "KGK" unterzeichnet ist. * Am 3. Dezember wurden bei insgesamt vier Anschlägen in den Bezirken Charlottenburg und Schöneberg ein Pkw Porsche in der Reichsstraße, ein Pkw Jaguar in der Hessenallee, ein Pkw Chevrolet in der B'adenschen Straße und ein weiterer Pkw Porsche in der Wartburgstraße entzündet. Jeweiliges Tatmittel waren zwei mit Klebeband zusammengebundene Kunststoffflaschen, gefüllt mit Brandbeschleuniger. In einem Schreiben, veröffentlicht von "INTERIM", Nr. 356 vom 14. Dezember, bekennt sich KGK zu diesen 52 B - Linksextremismus - Anschlägen. Die kurze Erklärung listet die Tatorte und die Marken der "angegriffenen" Fahrzeuge auf, versehen mit dem Zusatz "ABGEFACKELT". 2.6 "Revolutionäre Zellen" (RZ) / "Rote Zora" "SystemüberDie "Revolutionären Zellen" (RZ) verfolgen unverändert das windung" auf Ziel, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung in sozialrevolutionärem Weg Deutschland Sozialrevolutionär zu überwinden. Sie bezeichnen die Bundesrepublik Deutschland und andere westliche Industrieländer als imperialistische Staaten, deren Politik auch mit "bewaffneten" Aktionen bekämpft werden müsse. Dazu gehören insbesondere Brandund Sprengstoffanschläge gegen - aus Sicht der RZ - vermittelbare Ziele, um politische Konfliktfelder zuzuspitzen und Protestbewegungen zu erzeugen. "FeierabendAnders als die Kommandoebene der RAF agieren die Kleinterrorismus" gruppen der RZ nicht aus dem Untergrund, sondern verlassen ihren normalen Lebensrhythmus nur zur Durchführung von Aktionen ("Feierabendterrorismus"). Über die terroristischen Aktivitäten hinaus übt die RZ eine Art Vorbildfunktion für ähnliche Aktionen anderer zur Gewaltausübung bereiter Gruppen und Personen aus. Insbesondere militante Autonome orientieren sich offenbar häufig am Handlungsmuster der RZ. Denjenigen, die einen Zusammenschluß nach dem Muster der RZ bilden wollen, bietet der "Feierabendterrorismus" der RZ günstigere Bedingungen als die Ideologie der RAF, die ein Abtauchen in die Illegalität beinhaltet. In Berlin wurden im Zeitraum von 1973 bis einschließlich 1991 durch RZ-Zusammenhänge 35 versuchte bzw. vollendete Anschläge begangen. Seitdem war kein den RZ zuzurechnender Anschlag in Berlin mehr zu verzeichnen. Allerdings wird weiterhin davon ausgegangen, daß es in der Stadt intakte RZ und ein großes Nachahmerpotential, sog. Resonanz-RZ, gibt, das aus aktuellem Anlaß jederzeit aktiv werden kann. 53 B - Linksextremismus - Auch 1995 verübten Gruppen, die das Konzept der RZ umsetzen wollen, Anschläge in der Bundesrepublik Deutschland. In der Nacht zum 12. Juni 1995 begingen - wie zumindest in einer entsprechenden Taterklärung behauptet wird - "Revolutionäre Zellen - Tendenz für die internationale soziale Revolution" einen Bombenanschlag auf die Trasse der Teststrecke des Transrapid im Emsland. Die Verfasser der Taterklärung sehen das Projekt der Magnetschwebebahn "als ein (sie!) Ausdruck einer von allen guten Geistern, von aller moralischen und sozialen Verantwortung verlassener (sie!) Politik". Die "Rote Zora", eine aus RZ-Zusammenhängen entstandene FrauenFrauengruppe, propagiert als Hauptziel, die "patriarchalische gruppe Macht zu zerstören". Dazu seien illegale militante Organisie"Rote Zora" rung, die Bestrafung von "Tätern" und die Zerstörung von Institutionen, die die "Gewaltverhältnisse organisierten und reproduzierten", unabdingbar. In Berlin ist seit 1991 kein Anschlag der "Roten Zora" mehr erfolgt. Die "Rote Zora" bezeichnete sich jedoch als verantwortlich für einen Sprengstoffanschlag am 24. Juli 1995 auf die LürssenWerft in Lemwerder bei Bremen. Sich konkret auf die aktuelle Kurdenproblematik beziehend, wird die Werft in einer Taterklärung "als Rüstungslieferant, der Militärschiffe an die Türkei als Teil der Unterstützung für das türkische Regime in seinem Krieg gegen die kurdische Bevölkerung liefert", bezeichnet. 2.7 Anarchistische Personenzusammenhänge Anarchistisch orientierte Gruppierungen wollen die staatliche Ziel: herrschaftsfreie und gesellschaftliche Ordnung zerschlagen und/oder zersetzen, Gesellschaft um eine nach ihren Vorstellungen herrschaftsfreie Gesellschaft ("Anarchie") zu errichten. In Berlin gibt es seit Jahren etwa 100 Personen, die anarchistischen Bestrebungen zuzurechnen sind, bundesweit sind es etwa 600. 54 B - Linksextremismus - "NationalAls für Berlin bedeutendste aus diesem Spektrum ist das komitee Freie "Nationalkomitee Freie DDR" (NKFDDR) zu nennen. DDR" (NKFDDR) Das NKFDDR trat in Berlin erstmals Anfang Januar 1992 mit der Verbreitung einer Gründungserklärung an die Öffentlichkeit. Das Komitee wolle - so heißt es - den Anschluß der DDR an die BRD, "d. h. die Besetzung der DDR durch den BRD-Imperialismus" nicht hinnehmen, sondern den "Anschluß und seine Folgen bekämpfen". "Gegen die Folgen des Anschlusses" rege sich Widerstand "in der besetzten DDR". "In das Feuer dieser Klassenkämpfe" gelte es seitens des NKFDDR, "Öl zu schütten" und dies "mit dem Kampf um eine unabhängige DDR" zu verbinden, denn ohne diese Zielrichtung blieben "die Kämpfe gegen die Besatzungsmacht unwirksam". Zu den Initiatoren des NKFDDR gehören "Einzelpersonen, Gruppen und Parteien", die im Spektrum anarcho-kommunistischer Splittergruppen zu suchen sind. Die vom NKFDDR durchgeführten Aktionen und Aktivitäten waren bisher im wesentlichen - auch 1995 - auf den 7. Oktober (Gründungstag der DDR) und auf den 13. August ("Jahrestag des antifaschistischen Schutzwalls") ausgerichtet. Bei diesen Gelegenheiten verbreitete das NKFDDR sog. Kommuniques mit Stellungnahmen und Aufrufen zu als Gedenkfeiern und Empfängen bezeichneten Kundgebungen, an denen sich bis zu 100 Personen beteiligten. Vom NKFDDR wird die Publikation "Neue DDR - Organ der fortschrittlichen Kräfte der DDR" (nach eigenen Angaben vierteljährlich) herausgegeben. 55 B - Linksextremismus - 3 Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten einschl. Trotzkisten Neben gewaltorientierten Linksextremisten streben auch mehreBeseitigung der re marxistisch-leninistische Parteien und sonstige revolutionärfreiheitlichen demokratischen marxistische Zusammenschlüsse die Beseitigung der freiheitliGrundordnung chen demokratischen Grundordnung auf revolutionärem Weg auf revoluan. tionärem Weg Zu diesen verfassungsfeindlichen Kräften zählen zum einen die "orthodoxen" Kommunisten, die sich in der Tradition der früheren sowjetideologisch dominierten kommunistischen Weltbewegung sehen. Ihre auch in Berlin aktiven Parteien, "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD - Sitz Berlin), propagieren nach dem Zusammenbruch der "sozialistischen Staatengemeinschaft" in Europa einen "zweiten Anlauf des Sozialismus als Vorstufe zum Kommunismus. Hiervon zu unterscheiden sind Parteien und Gruppen mit einem variierten marxistisch-leninistischen oder einem anderweitigen revolutionär-marxistischen Weltbild. Solche Zusammenschlüsse, z. T. hervorgegangen aus der Studentenbewegung der 60er Jahre, orientieren sich in ihrem ideologischen Selbstverständnis häufig an stalinistischen, maoistischen oder trotzkistischen Interpretationen kommunistischer Ideale. Die Mitgliederschaft marxistisch-leninistischer Parteien und Anstieg der Mitgliedersonstiger revolutionär-marxistischer Zusammenschlüsse erzahl höhte sich in Berlin 1995 auf 850 Personen (1994: 750); die bundesweit ebenfalls verstärkte personelle Basis dieser Beobachtungsobjekte umfaßt 28 500 Personen (1994: 27 400). Wegen der Vielzahl marxistisch-leninistischer und sonstiger revolutionär-marxistischer Zusammenschlüsse beschränkt sich die nachfolgende Darstellung auf eine Auswahl der in Berlin aktivsten Parteien bzw. Gruppen. Des weiteren werden in diesem Abschnitt die linksextremistischen Positionen innerhalb der "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) thematisiert. 56 B - Linksextremismus - Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten einschl. Trotzkisten in Berlin und Deutschland 1994 -1995 1995 1994 gesamt Berlin Bund Berlin Bund 850 28500 750 27400 hiervon: "Deutsche Kommunistische Partei" 130 6000 150 6000 (DKP) "Kommunistische Partei Deutsch40 200 30 80 lands" (KPD - Sitz Berlin) "Marxistisch-Leninistische Partei 120 2700 100 2300 Deutschlands" (MLPD) "Marxistische Gruppe" (MG) 40 10000 FG* 10000 "Revolutionäre Kommunisten (BRD)" 100 150 100 150 (RK) Trotzkistische Vereinigungen 250 1650 250 1500 Funktionärsgruppe 57 B - Linksextremismus - 3.1 Marxistisch-leninistische Parteien 3.1.1 Linksextremistische Positionen in der "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) Die Ende 1989 in "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) umbenannte "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands" (SED) versteht sich als linke "Strömungspartei" für "unterschiedliche sozialistische Kräfte, denen Kritik und Ablehnung der bestehenden politischen und ökonomischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland gemein" sind. Im Parteiprogramm der PDS wird hierzu ausgeführt, die Partei sei ein Zusammenschluß unterschiedlicher linker Kräfte, die - bei allen Meinungsverschiedenheiten - darin übereinstimmten, daß die Dominanz des privatkapitalistischen Eigentums überwunden werden müsse. Die PDS verkörpert heute nicht mehr den Typ einer orthodox-kommunistischen Kaderpartei leninistischer Prägung. Sie bietet ein buntes und widersprüchliches Bild, in dem es viele Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen gibt. Politische Praxis und programmatische Entwicklung der Partei geben deutliche Hinweise darauf, daß sie die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht akzeptieren, sondern überwinden will. Am deutlichsten sichtbar wird dieser Umstand dadurch, daß die Vier extremistische Partei in den eigenen Reihen bewußt linksextremistische Strömungen Strukturen duldet und fördert. Hierzu zählen insbes. die innerhalb "Kommunistische Plattform der PDS" (KPF), die "Arbeitsgeder PDS meinschaft Bund Westdeutscher Kommunisten in und bei der PDS" (AG BWK), die "Arbeitsgemeinschaft Junge Genossinnen in und bei der PDS" (AG JG) und die "Arbeitsgemeinschaft Autonome Gruppen in und bei der PDS" (AG AG). Diese vier Strömungen werden von der Berliner Verfassungsschutzbehörde beobachtet. Aber auch die künftige Entwicklung der PDS als Gesamtpartei wird vom LfV Berlin aufgrund der zahlreichen Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen aufmerksam verfolgt. 58 B - Linksextremismus - Potentiale linksextremistischer Zusammenschlüsse innerhalb der "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) 1994 -1995 1995 1994 Berlin Bund Bertin Bund 1000 1000 "Kommunistische Plattform der PDS" k. A. bis k. A. bis (KPF) 5000 5000 "Arbeitsgemeinschaft Bund Westdeutscher Kommunisten in und bei unter unter unter der PDS" (AG BWK) 20 250 20 300 "Arbeitsgemeinschaft Junge Genossinnen in und bei der PDS" (AG JG) k. A. 500 k. A. 500 "Arbeitsgemeinschaft Autonome Gruppen in und bei der PDS" (AG AG) 200 k. A. 80 k. A. * "Kommunistische Plattform der PDS" (KPF) Die "Kommunistische Plattform" (KPF) wurde am 30. Dezember 1989 von Kommunisten innerhalb der umbenannten SED, der damaligen SED-PDS und späteren PDS, als eigenständiger Zusammenschluß gegründet. Sie verfügt über eine ausgeprägte Organisationsstruktur innerhalb der Gesamtpartei, basierend auf einer eigenen Satzung. Das höchste Gremium der KPF ist die jährlich mindestens einmal tagende, einem Parteitag ähnelnde Bundeskonferenz, die sowohl einen "Sprecherrat" (Präsidium) als auch einen "Bundeskoordinierungsrat" (Vorstand) durch Wahlen bestimmt. Angaben verschiedener KPF-Funktionäre zufolge werden der KPF bundesweit, genau wie 1994, zwischen 1 000 und 5 000 Personen zugerechnet. Vermutlich entfällt das Gros der Mitgliederschaft auf Berlin, dem Sitz des PDS-Bundesvorstandes. 59 B - Linksextremismus - Die "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS", das KPF-Publikationsorgan, erscheinen monatlich und werden sowohl im Abonnement als auch über den Direktverkauf durch "Genossen" vertrieben. Charakteristisch für die KPF ist ihr unbedingtes Festhalten am Festhalten Marxismus-Leninismus, der als wissenschaftliche Weltanam Marxismusschauung ungeachtet des Niedergangs des "Realen SozialisLeninismus mus" weiterhin verabsolutiert wird. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem sowjetisch geprägten Staatssozialismus der DDR findet seitens der KPF nicht statt, allenfalls gesteht sie "nichtsozialistische Tendenzen" dieses Systems ein. Folgerichtig zielt die politische Arbeit der KPF darauf ab, die be"Systemstehende, aus kommunistischer Sicht im "kapitalistischen Profitüberwindung" auf revolutiosystem" begründete Staatsund Gesellschaftsordnung der närem Weg" Bundesrepublik zu überwinden und im Wege revolutionärer Umwandlungen durch eine sozialistisch-kommunistische zu ersetzen. In einem Strategiepapier "Deutschland 5 Jahre vor der Jahrtausendwende", das in den "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS", Heft 10/1995, veröffentlicht wurde, schreibt eine Gruppe führender KPF-Mitglieder: "Grundlegende gesellschaftliche Veränderungen werden durch die nach den Gesetzen der Kapitallogik funktionierenden Strukturen gehemmt und blockiert. Ohne die tetztliche Überwindung dieser im Profitsystem begründeten Strukturen ist eine existentielle Katastrophe unvermeidlich. ... Linke Politik erfordert den Witten zu grundlegenden gesellschaftlichen Eingriffen, zum aktiven Widerstand gegen die immer repressiver werdende Politik im Interesse des Kapitals." Die KPF ist bemüht, ihren Einfluß auf den Kurs der Gesamtpartei zu mehren, um traditionellen kommunistischen Positionen in der PDS Geltung zu verschaffen. Gleichzeitig warnt sie vor der "Gefahr" einer "Sozialdemokratisierung" der PDS. Auf Drän- 60 B - Linksextremismus - gen der KPF beschloß die PDS auf der 1. Tagung ihres 4. Parteitages Ende Januar 1995 eine ergänzende Positionsbestimmung, in der es heißt: "Als sozialistische Partei kann und darf die PDS nicht antikommunistisch sein. Sie ist nicht bereit, auf demokratischkommunistische Positionen in ihren Reihen zu verzichten." * "Arbeitsgemeinschaft Bund Westdeutscher Kommunisten in und bei der PDS" (AG BWK) Zerschlagung Der "Bund Westdeutscher Kommunisten" (BWK), 1980 aus eides "bürgerlichen ner Spaltung des damaligen "Kommunistischen Bundes WestStaatsapparates" deutschland" (KBW) hervorgegangen, propagiert die "proletarische Revolution". Sein erklärtes Ziel ist es, den "bürgerlichen Staatsapparat" zu "zerschlagen" und die "Machtfrage im Sinne der Arbeiterklasse" zu lösen. Wegen der geringen Mitgliederzahl, in Berlin, wie schon 1994, unter 20 Personen, bundesweit nicht mehr als 250 (1994: 300), beschränkt sich der BWK seit Jahren überwiegend auf publizistische Aktivitäten. Dazu dient das zum BWK gehörende Verlagsunternehmen "Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung mbH" (GNN). Seit Anfang der 90er Jahre versuchte der BWK, seine Ziele im Bündnis mit anderen Organisationen zu erreichen. Unter diesem Aspekt entwickelte der BWK vor allem Kontakte zur PDS. Diese Partei, so der BWK später, biete die "Chance, Politik aus der Vielfalt emanzipatorischer Kritik zu bestimmen". BWK-Mitglieder traten in die PDS ein und bildeten ab 1993 auf Landesverbandsebene erstmals eine "Arbeitsgemeinschaft Bund Westdeutscher Kommunisten in der PDS". Zwischenzeitlich sind in fast allen alten Bundesländern und Berlin die BWKLandesverbände in der "Arbeitsgemeinschaft Bund Westdeutscher Kommunisten in und bei der PDS" (AG BWK) aufgegangen. 61 B - Linksextremismus - Auf eine Ausdehnung in die neuen Bundesländer hatte der "WestBWK verzichtet. Der organisatorische Zusammenhalt mit der deutsche" Strömung BWK-"Bundeskonferenz" bleibt gewahrt. Dieses Gremium mit Sitz in Köln besteht auch nach der Auflösung des BWK als politische Partei im März 1995 fort und charakterisiert sich seitdem als "politische Vereinigung". Die Absicht des BWK, trotz Einbindung in die PDS seine eigenen Strukturen zu sichern, dient offensichtlich auch dem Zweck, die Kontrolle über das Verlagsunternehmen GNN zu behalten. Der Verlag GNN Berlin wurde zwar zum 31. Dezember 1994 formal aufgelöst, verbreitet aber nach wie vor seine Publikationen mit der Herausgeberbezeichnung "Arbeitsgemeinschaft Bund Westdeutscher Kommunisten in und bei der PDS" und unterhält weiterhin eine Bürogemeinschaft mit einer PDSBezirksorganisation. Nach einer Phase relativer Zurückhaltung trat in letzter Zeit die Berliner "AG BWK in und bei der PDS" wieder stärker beispielsweise durch öffentliche Diskussionsrunden in der Öffentlichkeit auf. * "Arbeitsgemeinschaft Junge Genossinnen in und bei der PDS" (AG JG) Die "AG Junge Genossinnen in und bei der PDS" (AG JG) wurde Anfang 1990 von rund 20 Parteitagsdelegierten der SEDPDS ins Leben gerufen, um "alternative Wirkungsformen in der SED-PDS" zu suchen. Nach eigenen Angaben will sie nach wie vor über etwa 500 Mitglieder und 1 000 Sympathisanten in sämtlichen Bundesländern, insbesondere aber in Berlin und Nordrhein-Westfalen verfügen. Sog. Basisgruppen sollen mittlerweile in allen neuen und fast allen alten Bundesländern existieren. Ihre Publikation "Rattenpost" erscheint in unregelmäßigen Abständen; 1995 gab es vier Ausgaben. Wie es heißt, soll das 62 B - Linksextremismus - Blatt "die Kommunikation unter den Gruppen der AG fördern und inhaltliche Diskussionen anschieben und austragen". MitgliederVon der AG JG erhofft sich die PDS wichtige Impulse für die rekrutierung, Rekrutierung neuer junger Parteimitglieder. Gleichzeitig bildet Brücke zu gewaltbereiter die AG JG eine Brücke zu anderen Organisationen und GrupSzene pen, auch gewaltbereiten linksextremistischen Kreisen. Auf der 1, Tagung des 4. PDS-Parteitages vom 27. bis 29. Januar 1995 wurde Angela MARQUARDT, führendes AG JGMitglied und deren Sprecherin, zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Neben ihr zog eine weitere Vertreterin der AG in den Parteivorstand ein. Im Vorfeld des Parteitages, in der Tageszeitung "junge Welt" vom 18. Januar 1995, hatte Angela MARQUARDT hervorgehoben, daß die AG JG mit "Autonomen" zusammenarbeite. Sie werde als Mitglied des PDS-Parteivorstandes versuchen, "außerparlamentarische Gruppen wie die Antifa" in eine Diskussion mit der PDS zu bringen. Im August 1995 erklärte sie der Zeitung "Wochenpost", gerade wenn es um den Kampf gegen "Rechtsradikalismus" gehe, arbeite sie "natürlich" mit der "Autonomen Antifa" zusammen. Ihrer Ansicht nach hätten etwa die "Republikaner" kein Recht zu tagen. Die Verhinderung solcher Veranstaltungen sei eine "demokratische Meinungsäußerung". Radikale Führende Mitglieder der AG JG fordern eine radikale Opposition Opposition der PDS zu den "bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen". Ziel ist eine "veränderte Gesellschaft", d. h. andere Konsumtions-, Produktionsund Lebensweisen. Die Grenzen, die einer solchen Veränderung entgegenstünden, müßten in Frage gestellt, öffentlich gemacht und bewußt übertreten werden. Es gehe darum, Bedingungen für die Entwicklung von Reformvarianten herzustellen und eine Gegenmacht aufzubauen, welche die Herrschenden unter Druck setze und so zum Abbau von Machtstrukturen führe. 63 B - Linksextremismus - Im Oktober 1995 fiel die AG JG mit der Kampagne "Wir holen uns die Stadt zurück!" auf. In einem gleichlautenden Flugblatt rief sie unter dem Stichwort "Häuser besetzen schafft Raum und Freiräume" u. a. zu Hausbesetzungen auf. Höhepunkt der Kampagne war eine Veranstaltung am 13. Oktober 1995 zum Thema "Jugend - Kriminalisierung und Widerstand", die von Angela MARQUARDT moderiert wurde. Themabezogen resümierte die AG JG, man müsse sich dem Staat widersetzen und die bewußte Konfrontation suchen, um alternative Lebensformen ausprobieren und die eigenen Interessen vertreten zu können. "Arbeitsgemeinschaft Autonome Gruppen in und bei der PDS" (AG AG) Im Sommer 1994 stellte sich in der Flugschrift "Widerstand", Nr. 1/94, erstmals die "Arbeitsgemeinschaft Autonome Gruppen in und bei der PDS" (AG AG) vor. Die Mitbegründer bezeichneten sich als Jugendliche, vorwieMitglieder gend aus dem autonomen Spektrum, die in und bei der PDS aus autonomer Szene mitarbeiten wollten. Der AG AG sollen nach einem Bericht der PDS-Schrift "Berliner Linke", Nr. 6 vom 10. Februar 1995, inzwischen rund 200 Mitglieder (1994: 80), die meisten in und um Berlin, angehören. Rund 80 seien gleichzeitig Mitglieder der PDS. Der Rest sympathisiere mit der Partei. Die AG AG hat ihren Sitz in Berlin-Kreuzberg. Seit Anfang 1995 gibt die AG AG in unregelmäßigen Abständen die Publikation "Barrikade" heraus. Bisher sind vier Ausgaben erschienen. "Barrikade" bietet militanten Autonomen ein Forum zur Darstellung ihrer Positionen. Im Februar 1995 präsentierte die AG AG ihre politischen Fundamentaler Widerstand Grundlinien in einem Thesenpapier, das in "Barrikade", Nr. 1/95, gegen das "System" 64 B - Linksextremismus - veröffentlicht wurde. Die AG AG habe sich entschlossen, so die Autoren, ihren "Widerstand gegen die vorherrschenden Verhältnisse und Tendenzen" effektiver zu gestalten und voranzutreiben. Die politischen Inhalte (Antifaschismus, Antisexismus, Antimilitarismus, Drogenpolitik und "Knastarbeit") müßten aus der Konspirativität, auch wenn diese punktuell notwendig sei, herausgeholt werden und öffentlichen Raum einnehmen. Die "Grundlagen des Systems" müßten öffentlich angegriffen werden, um den Sozialismus zu erreichen. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit einer außerparlamentarischen Opposition ("APO"), die so weit wie möglich "außerhalb des Systems" operiere. Diese "APO" müsse revolutionär sein und dort ansetzen, wo die "APO" 1968 aufgehört habe. Deren Mittel seien wieder zu nutzen. Beteiligung 1995 hat sich die AG AG an einer Vielzahl von Aktionen autoan Aktionen nomer Personenzusammenhänge beteiligt, u. a. zur UnterstütAutonomer zung des "kurdischen Befreiungskampfes" und zur Asylproblematik. Hierdurch wurde deutlich, daß sie die Zusammenarbeit mit dem militanten linksextremistischen Spektrum in Berlin sucht. Beispielsweise war die AG AG Mitorganisator einer Demonstration am 18. Mai 1995 unter dem Motto "Bleiberecht statt Abschiebung" aus Anlaß einer Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -Senatoren (IMK) im Hotel Esplanade in Berlin-Tiergarten. Zur Teilnahme hatten neben der AG AG mehrere militante autonome Gruppen in Flugschriften aufgerufen. Nach der Demonstration, an der sich ungefähr 2 000 Personen beteiligten, forderten die Organisatoren zur "Unterstützung des kurdischen Befreiungskampfes" auf. In dem autonomen Szeneblatt "INTERIM", Nr. 334 vom 1. Juni 1995, hieß es hierzu: "Dabei gilt unsere Solidarität vorrangig denen, die den Befreiungskampf befürworten und anführen, dem revolutionären Teil, der yon der BRD-Repression am stärksten betroffen ist: nämtich die PKK". Des weiteren gehörte die AG AG zu den Herausgebern eines Flugblattes mit der Überschrift "Wo bleibt das Verfassungs- 65 B - Linksextremismus - recht". Darin wird die Bundesrepublik im Zusammenhang mit einem Hungerstreik von Kurden im August 1995 in Berlin als "Mördersyndikat" bezeichnet. Polizisten ("Bullen") hätten mit "Holzknüppeln gezielt auf Köpfe und Oberkörper der Wehrlosen" geschlagen. Aufgrund dieser Äußerungen wurde ein polizeiliches Ermittlungsverfahren gegen die Urheber des Flugblattes eingeleitet. Als Mitunterzeichner beteiligte sich die AG AG an dem Flugblatt "Rache! Rache!", mit dem zur Teilnahme an einer Demonstration am 12. November 1995 anläßlich des 5. Jahrestages der Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße (BerlinFriedrichshain) mobilisiert wurde. In der Flugschrift, die sich an einen Aufruf aus dem Jahre 1898 zu einer I.Mai-Demonstration anlehnt, heißt es: "Arbeiterinnen zu den Waffen! ... Vernichtung den menschlichen Bestien, die sich Deine Herrscher nennen! Rücksichtslose Vernichtung ihnen, das muß Deine Losung sein!" Nach Abschluß der Kundgebung bewarfen einzelne Demonstranten Polizeibeamte mit Steinen und Flaschen. 3.1.2 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Trotz des Fortbestehens des 1956 vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen Verbots der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) wurde am 25. September 1968 die Neukonstituierung einer legalen kommunistischen Partei, der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) verkündet. Nach eigenen Angaben hatte die DKP bis in die 80er Jahre 50 000 Mitglieder. 1995, wie auch im Vorjahr, gehörten ihr bundesweit noch unter 6 000 Personen an, in Berlin etwa 130 (1994: 150). Bis zum Zerfall des "realsozialistischen" Systems der DDR orientierte sich die DKP engstens an der SED, die ihr westliches 66 B - Linksextremismus - Pendant ideologisch anleitete und finanziell großzügig unterstützte. MarxismusAuch heute noch hält die DKP an den Grundaussagen des von Leninismus als MARX und ENGELS formulierten "Manifests der Kommunistiideologische schen Partei" fest. U. a. strebt sie den Bruch mit den "kapitaBasis listischen Eigentumsund Machtverhältnissen" an. Der Aufbau einer Parteiorganisation in Berlin - die DKP hatte bis zur Vereinigung beider deutscher Staaten gemäß der vom Ostblock vertretenen "Drei-Staaten-Theorie" Berlin (West) ausgespart - begann am 20. November 1991 mit der Bildung der DKP-Bezirksorganisation (BO) "Berlin-Brandenburg". Aufgrund interner Auseinandersetzungen wurde diese bereits im Juni 1993 vom DKP-Parteivorstand formal wieder aufgelöst. Daraufhin richtete der Parteivorstand zwei Bezirke - Ost und West - ein. Am 7. Oktober 1995 erfolgte die Zusammenführung der beiden Bezirksorganisationen zu einem "DKP-Bezirk Berlin". Kandidatur von Anläßlich der Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammzwei DKPlungen (BW) am 22. Oktober 1995 kandidierten zwei DKPFunktionären Funktionäre auf "Offenen Listen" der "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) und wurden in die B W Weißensee bzw. Hellersdorf gewählt. Enge Mitglieder der DKP unterhielten auch 1995 enge Verbindungen Kontakte zu zu Angehörigen der "Kommunistischen Plattform der PDS" KPF (KPF) [s. d.] und der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD - Sitz Berlin) [s. d.]. Im wesentlichen beschränkten sich die Aktivitäten der Berliner DKP 1995 auf parteiinterne Treffen; die Partei fand äußerst wenig öffentliche Resonanz. 67 B - Linksextremismus - 3.1.3 "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD - Sitz Berlin) Die am 31. Januar 1990 noch in der DDR gegründete "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD - Sitz Berlin) knüpft an das Jahr 1946 an, in dem durch den Zusammenschluß von KPD und SPD in der damaligen sowjetischen Besatzungszone die SED entstanden war. Unter der Losung "wir verstehen uns wieder als selbständige KPD" will sie ehemalige SED-Mitglieder, "die treu zu ihren kommunistischen Idealen stehen", in der KPD vereinen, da die PDS "keine politische Kampfheimat für Kommunisten mehr ist und auch nicht mehr sein wird". Ihr Ziel beschreibt die KPD mit den Worten "Revolution des VolZiel: kes und ... Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft". Zukommunistische vor will sie nach eigenem Bekunden eine einheitliche kommuniGesellschaft stische Partei aufbauen. In Berlin gehören ihr ca. 40 (1994: 30) Mitglieder an, bundesweit mit ungefähr 200 (1994: 80) mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Im Berichtszeitraum zählte die KPD zu den Initiatoren eines Kongresses zur Vorbereitung der Gründung einer "Neuen Kommunistischen Internationale", der am 4. und 5. November 1995 in Sofia (Bulgarien) stattfand. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin am 22. Oktober 1995 kandidierte die KPD mit vier Direktkandidaten in den Wahlkreisverbänden Hohenschönhausen und Lichtenberg - jedoch ohne nennenswerten Erfolg. 3.1.4 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Die 1982 gegründete "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) ist bundesweit eine der größten Organisationen innerhalb der revolutionär-marxistischen Bewegung. In Berlin 68 B - Linksextremismus - hat sie ca. 120 (1994: 100) Mitglieder, bundesweit ist von etwa 2 700 (1994: 2 300) auszugehen. Sie fordert den "Aufbau des echten Sozialismus" und beruft sich dabei auf die Lehren von MARX, LENIN und MaoZEDONG. MLPD bleibt Auch 1995 gelang es der MLPD nicht, sich aus ihrer politischen politisch Isolation zu lösen. Die PDS beispielsweise lehnt die MLPD als isoliert "sektiererische Organisation" ab. Mit Aktionsgruppen der Kampagne "Arbeitsplätze für Millionen" sowie der Bildung von Initiativgruppen zum weiteren Aufbau der Partei versuchte die MLPD, neue Organisationsformen für eine "neue Opposition" zu bilden. Im Vorfeld des geplanten V. Parteitages der MLPD Anfang 1996 fand seit September 1995 eine bundesweite Diskussion über das vom MLPD-Zentralkomitee herausgegebene Thesenpapier "Der Kampf um die Denkweise in der Arbeiterbewegung" statt. In Berlin-Neukölln verfügt die MLPD über einen eigenen Veranstaltungsort, der als Anlaufstelle, für Gesprächskreise und sog. Stammtische zur Verfügung steht. Der Jugendverband der MLPD "REBELL" ist 1995 in der Hauptstadt mit seinen Ortsgruppen Berlin-Neukölln und -Treptow aktiv in Erscheinung getreten. 3.2 Sonstige revolutionär-marxistische Gruppen einschließlich trotzkistischer Vereinigungen 3.2.1 "Marxistische Gruppe" (MG) MG aktiv trotz Nachdem die "Marxistische Gruppe" (MG) im Mai 1991 unter "Selbstauflösung" Hinweis auf den staatlichen "Verfolgungswahn" ihren Beschluß zur Selbstauflösung bekanntgegeben hatte, stellte sie vorübergehend alle Aktivitäten ein, wahrte aber intern weiterhin ihren Zusammenhalt. 69 B - Linksextremismus - Der MG gehören in Berlin mit etwa 40 Personen mehr als 1994 an, bundesweit hat sie, wie bereits zum Zeitpunkt ihrer "Auflösung", etwa 10 000 Mitglieder. Als revolutionär-marxistischer Zusammenschluß propagiert die MG bei partieller Anlehnung an die ideologischen Klassiker des Linksextremismus und unter Berufung auf vorgebliche eigene Erkenntnismethoden zur Analyse der Wirklichkeit die gewaltsame Zerschlagung der verfassungsmäßigen Ordnung zugunsten einer kommunistischen Gesellschaftsform. Wichtigste der von ihr vertriebenen Publikationen ist die "Politische Vierteljahresschrift GEGENSTANDPUNKT". Auch 1995 setzte die MG ungeachtet ihrer "Auflösung" mit "GEGENSTANDPUNKTe"-Diskussionsgruppen ihre politische Arbeit fort. 3.2.2 "Revolutionäre Kommunisten (BRD)" (RK) Als "Revolutionäre Kommunisten (BRD)" (RK) bezeichnen sich deutsche Anhänger der "Revolutionär Internationalist Movement" (RIM) (Revolutionäre Internationalistische Bewegung). In Berlin wurden 1995, so auch im Vergleichszeitraum 1994, 100 Aktivisten den RK zugerechnet, bundesweit weiterhin ca. 150 Anhänger. Der in London ansässige internationale Dachverband orientiert STALIN sich ideologisch an stalinistischen und maoistischen Varianten und Mao als Vordes Marxismus-Leninismus. So propagiert die RIM vehement bilder Mao ZEDONGs Konzept des "Revolutionären Volkskrieges" als Handlungsanleitung. Führende Kraft innerhalb des Zusammenschlusses ist die "Kommunistische Partei Perus" (PCP), eine weltweit unter der Bezeichnung "Sendero Luminoso" (Leuchtender Pfad) bekannte Terrororganisation, der in dem Andenstaat neben schwersten Menschenrechtsverletzungen zahlreiche Massaker unter der Bevölkerung angelastet werden. 70 B - Linksextremismus - 1995 wurden kaum Aktivitäten der RK registriert. Dies dürfte mit der scheinbaren Kapitulation des "Sendero Luminoso" zusammenhängen, der nach Verhaftung seiner maßgeblichen Führer möglicherweise nicht mehr in der Lage ist, "den bewaffneten Kampf gegen Staat und Gesellschaft weiterzuführen. Die wenigen RK-Aktivitäten konzentrierten sich im wesentlichen auf den "antifaschistischen Kampf bzw. auf den Themenkomplex "Asyl/Abschiebungen". Am 1. Mai 1995 führten die RK eine "Revolutionäre Mai-Demonstration" mit einer Gesamtteilnehmerzahl von ca. 2 500 Personen durch. Im Anschluß daran kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. 3.2.3 Trotzkistische Vereinigungen Konzept der Der Trotzkismus, dessen Anhänger sich selbst als "revolu"permanenten tionäre Kommunisten" bezeichnen, hat seinen Ursprung in der Revolution" von Leo TROTZKI im Jahre 1938 gegründeten "IV. Internationale" und dem dort von ihm vorgelegten "Übergangsprogramm: Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale". In seinem Statut proklamierte der Zusammenschluß das Ziel einer proletarischen Revolution im Weltmaßstab zur Errichtung einer rätedemokratischen Ordnung. Sowohl das "Übergangsprogramm" als auch die seinerzeit benannten Ziele bilden bis heute für Trotzkisten die ideologische Grundlage. Die im Berichtszeitraum in Berlin aktiven trotzkistischen Parteien und Gruppen umfassen, ebenso wie 1994, zusammen etwa 250 Mitglieder. Bundesweit konnten die Trotzkisten ihr Potential aufstocken, 1995 verfügten sie über etwa 1 650 (1994: 1 500) Aktivisten. Innerhalb des linksextremistischen Potentials sind sie isoliert, untereinander wegen Zugehörigkeit zu ideologisch divergierenden Dachverbänden des internationalen Trotzkismus verfeindet. 71 B - Linksextremismus - Ihre Aktivitäten erstreckten sich 1995 in erster Linie auf den "Antifaschistischen Kampf. Bedeutendste Gruppierung des trotzkistischen Spektrums ist die "Jugend gegen Rassismus in Europa" (JRE), die von der ebenso ausgerichteten Gruppe "Sozialistische Alternative VORAN" (SAV) gesteuert wird. Ihre Entstehung in Deutschland ist eingebunden in eine europaweite antirassistische Kampagne des "Committee for a Worker's International" (CWI) mit Sitz in London. Als einen wichtigen Aspekt ihrer Arbeit nennt die JRE "politische Aufklärung", wobei man mit Gewerkschaften und linken Parteien zusammenarbeiten wolle, um "den gut organisierten rassistischen und faschistischen Gruppen ein europaweites antifaschistisches Netzwerk entgegen zu setzen". In Berlin verfügt die JRE über Stadtteilgruppen mit ca. 100 Personen, bundesweit hat sie etwa 1 000 Mitglieder. An von diesen Zusammenschlüssen 1995 initiierten Aktivitäten, überwiegend "antifaschistische" Demonstrationen, beteiligten sich teilweise bis zu 400 Personen. 72 B - Linksextremismus - 73 C - Rechtsextremismus - c Rechtsextremismus 74 C - Rechtsextremismus * 75 C - Rechtsextremismus - C RECHTSEXTREMISMUS 1 Allgemeiner Überblick Zum typischen Erscheinungsbild des Rechtsextremismus gehöMerkmale ren folgende wesentliche Charakteristika: Rechtsextremismus * übersteigerter Nationalismus, als Richtschnur gelten ausschließlich die deutschen Interessen; * Volksgemeinschaft auf rassischer Grundlage: die Rechte des einzelnen können beliebig eingeschränkt und pluralistische Strukturen beseitigt werden; * aggressive Fremdenfeindlichkeit als Resultat des in der Szene gepflegten Rassismus und Antisemitismus; * mangelnde Distanz zum "Dritten Reich" in der gesamten Spannbreite von Verharmlosung bis Verherrlichung der NS-Herrschaft; * Diffamierung von demokratischen Institutionen und deren Repräsentanten. Neonationalspzialisten bekennen sich darüber hinaus offen zum Merkmale historischen Vorbild des Nationalsozialismus bzw. zu dessen Neonationalsozialismus von den Gebrüdern STRASSER und Ernst RÖHM repräsentierten sog.sozialbzw. nationalrevolutionären Flügel. Die Grenzen zwischen Rechtsextremisten und Neonazis werden jedoch fließender; neonazistisches Gedankengut dringt immer stärker in rechtsextremistische Organisationen ein. Die Berliner rechtsextremistische Szene besteht nicht - wie man Verbindungen auf den ersten Blick glauben könnte - aus einzelnen, nebeneinzwischen einzelnen ander existierenden Vereinen und Parteien. Organisatorisch Gruppierungen zwar getrennt beteiligen sich Mitglieder verschiedenster Gruppierungen jedoch regelmäßig an einschlägigen, alljährlich wiederkehrenden Veranstaltungen der rechtsextremistischen/neonazistischen Szene - sozusagen den "Fixpunkten ihres politischen Daseins" - wie der "Reichsgründungsfeier" im Januar, dem "Führergeburtstag" am 20. April, der Sommerund Wintersonnenwende, Aktivitäten zum Gedenken des HITLER-Stell- 76 C - Rechtsextremismus - Vertreters Rudolf HEß im August und zur "Heldengedenkfeier" am Volkstrauertag im November. Die bei solchen Gelegenheiten bereits öffentlich dokumentierten Gemeinsamkeiten gipfelten 1995 - bei allen Rivalitäten, die zwischen den Organisationen herrschen - in der "Runden-Tisch-Bewegung": Die rechtsextremistische Szene hat nicht nur erkannt, daß sie ohne Schulterschluß untereinander ins politische Abseits gerät. Sie scheint nunmehr auch bereit zu sein, um "der Sache" willen auf eine überorganisatorische Kooperation nicht mehr verzichten zu wollen. Rückgang der Positiv zu vermerken war, daß 1995 - wie auch in den Vorjahren Gewalttaten - die Anzahl der Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation zurückging: In Berlin wurden im Jahre 1995 23 rechtsextremistische Gewalttaten registriert, während es im Vergleichszeitraum 1994 25 waren. Keine Das Feststellen von Handlungsanleitungen zum bewaffneten konkreten Kampf (Bau von Brandbomben und Sprengvorrichtungen) bei Anhaltspunkte Neonazis, die vereinzelte Anwendung von Brandflaschen bei für Rechtsterrorismus rechtsextremistischen Gewalttaten, das Auffinden von Waffen und Sprengstoffdepots sowie die Sammlung von Personendaten über politische Gegner könnten Indizien für mögliche rechtsterroristische Überlegungen sein. Weiterhin besteht die Gefahr, daß einzelne militante Rechtsextremisten ihre Zukunft in terroristischer Gewalt suchen könnten. Zu erwähnen sind hier insbesondere Rechtsextremisten (u. a. auch Berliner), die als Söldner in Bosnien gekämpft haben. Für einen rechtsextremistischen Terrorismus in Berlin gab es jedoch auch 1995 keine weitergehenden konkreten Anhaltspunkte. 77 C - Rechtsextremismus - Die Aktionsfähigkeit der Neonazis ist durch zahlreiche bundesSchwächung weite Verbotsund Exekutivmaßnahmen - auch in Berlin - erder Neonaziszene durch heblich geschwächt worden. Anfang 1995 wurde die bislang staatliche größte neonazistische Organisation, die "Freiheitliche Deutsche Maßnahmen Arbeiterpartei" (FAP), die u. a. auch einen Landesverband Berlin unterhielt, verboten. Damit stieg die Anzahl der nunmehr seit 1992 überregional wie regional verbotenen Vereinigungen auf elf an. Hervorzuheben sind im Jahre 1995 neben weiteren Durchsuchungsaktionen vor allem zahlreiche Verurteilungen von maßgeblichen Berliner Neonazis. Im Jahre 1995 gab es bundesweit 2 480 (1994: 3 740) Neonazis. 1 060 (1994: 1 150) davon waren unorganisiert. Die Zahl der militanten Rechtsextremisten, insbesondere rechtsextremistische Skinheads, lag bei rund 6 200 (1994: 5 400) Personen. Einem deutlichen Rückgang der Neonazis stand somit ein erheblicher Anstieg der militanten Rechtsextremisten gegenüber. 1995 waren 477 Neonazis (ohne sonstige militante RechtsexMitgliedertremisten) mit Berliner Aufenthalt erfaßt (1994: 460). 125 davon anstieg bei Neonazis waren unorganisiert. Die Zahl der rechtsextremistischen Skinund heads stieg weiter auf etwa 530 (1994: ca. 500) an. Skinheads Ehemalige Berliner Angehörige der verbotenen FAP versuchFAPten, über eine Mitarbeit bei der Vereinigung "Die Nationalen Mitglieder suchen neue e. V." ihre politische Arbeit fortzusetzen, zogen sich aber zwipolitische schenzeitlich zurück. Parallel dazu favorisierten ehem. FAPHeimat Anhänger - wie bereits in anderen Bundesländern unmittelbar nach dem Verbot - den Aufbau "autonomer/unabhängiger Kameradschaften" ("Organisation durch Desorganisation"). Bereits vor dem Verbot der FAP hatte sich die "Kameradschaft Treptow" gebildet, die sich zwar als unabhängig verstand, aber eng mit den "Nationalen" kooperierte. Inzwischen wurden noch weitere sog. autonome Kameradschaften in Berlin aufgebaut. Die neonazistische Szene versuchte weiterhin, bundesweit Einigungsdurch Fortentwicklung der informationellen Vernetzung den Zubestrebungen 78 C - Rechtsextremismus - sammenhalt und die anlaßbezogene Bündnisfähigkeit der autonomen Neonazi-Strukturen zu fördern. So wurden auch in Berlin sog. Info-Telefone betrieben und es gab Hinweise auf rechtsextremistische Mailboxen. Die Aktivisten waren zunehmend mit Mobilfunk ausgerüstet. Sinkende Parteien des organisierten Rechtsextremismus in der BundesMitgliederrepublik Deutschland und in Berlin befanden sich weiterhin zahlen bei deutlich im politischen Abwind. "Die Republikaner" (REP) verfürechtsextremistischen gen über 16 000 (1994: 20 000), die "Deutsche Volksunion" Parteien (DVU) über 15 000 (1994: 20 000) und die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) über 4 000 (1994: 4 500) Mitglieder. Der Mitgliederbestand der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH) blieb mit 900 unverändert. Für Berlin läßt sich bei den REP mit 800 (1994: 1 000), der NPD mit 80 (1994: 100) und der DLVH mit 60 (1994: 140) eine ähnliche Entwicklung ersehen. Die Mitgliederzahl bei der DVU blieb mit 700 konstant. Die Berliner Verbände von NPD und DVU verharrten in relativer Bedeutungslosigkeit. Nennenswerte politische Akzente gingen von ihnen nicht aus. Die politischen Auseinandersetzungen mit dem Rechtsextremismus zeitigten Wirkung auch auf den Landesverband Berlin der REP. Interne Querelen, mangelndes Engagement von Funktionären und politischen Mandatsträgern führten bei den "Republikanern" zu einem Mitgliederrückgang um 20 % innerhalb eines Vierteljahres. "RundeUm diesem Abwärtstrend entgegenzuwirken, engagieren sich Tischseit November 1995 rechtsextremistische Parteien beim sog. Bewegung" Berliner Runden Tisch. Diese Bewegung strebt die Vereinigung der Organisationen des "nationalen Lagers" unter Einschluß der neonazistischen "Nationalen" an. Wahlbeteiligung An den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin und zu den Bezirksverordnetenversammlungen am 22. Oktober beteiligten sich aus dem rechtsextremistischen Lager nur "Die Republikaner" (REP) und "Die Nationalen e. V.". 79 C - Rechtsextremismus - Während die REP in allen Bezirken kandidierten, verfehlten die "Nationalen" mangels ausreichender Unterstützungsunterschriften die Zulassung zur Wahlteilnahme mit einer Landesliste und stellten sich lediglich mit zwei (chancenlosen) Direktkandidaten zur Wahl. "Die Republikaner" schafften weder den Einzug ins Abgeordnetenhaus noch in eine der 23 Bezirksverordnetenversammlungen ( B W ) . 2 Militante Rechtsextremisten 2.1 Skinhead-Szene Sowohl auf Bundeswie auch auf Landesebene Berlin stieg die Anstieg Zahl militanter Skinheads im Vergleich zu 1994 an: Bundesweit militanter Skinheads gab es im Berichtszeitraum etwa 6 200 militante Rechtsextremisten, insbes. rechtsextremistische Skinheads (1994: 5 400). Sowohl im Bund wie auch in Berlin ist hierbei der Zuwachs rechtsextremistischer Skinheads besonders auffällig. Berlin verzeichnete 1995 ca. 530 (1994: etwa 500) namentlich bekannte Skins, die seit 1991 militant in Erscheinung getreten bzw. als militant einzuschätzen sind und für die tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht auf rechtsextremistische Bestrebungen vorliegen. "Militant" bedeutet, daß bei ihnen eine ausgeprägte oder zumindest latente Gewaltbereitschaft, die sich insbes. gegen Ausländer, vermeintlich linksorientierte Personen, Homosexuelle und gegen sonstige in ihrer Vorstellungswelt Andersartige richtet, vorhanden ist. Etwa 240 Skinheads sind in diesem Zusammenhang bereits als gewalttätig aufgefallen. 1995 registrierten die Behörden 110 Straftaten mit nachgewiesener oder vermuteter rechtsextremistischer Motivation, an denen Skinheads beteiligt waren. Seit einigen Jahren verändern Skinheads ihr zuvor markantes Äußeres z. B. durch längere Haare und neutrale Bekleidung, um so ihre Zugehörigkeit zur rechtsextremistischen Szene zu verschleiern. 80 C - Rechtsextremismus - Schwächung Neonazis und Skinheads pflegen zwar untereinander Kontakte, der Szene doch haben sich aber die staatlichen "Repressionsmaßnahmen" nachhaltig verunsichernd auf die Szene ausgewirkt. Eine ständige, v. a. organisationsgebundene politische Arbeit für Skinheads nimmt nur einen geringen Stellenwert ein. In den meisten Fällen wirken die hierarchischen Strukturen der rechtsextremistischen Gruppierungen abschreckend. Integration Rechtsextremistische und neonazistische Organisationen sind von Skins in sich jedoch des Potentials, das die Skinhead-Szene darstellt, Neonaziszene angestrebt umgekehrt durchaus bewußt. Anläßlich einer Veranstaltung der "Berliner Kulturgemeinschaft Preußen e. V." im November äusserte der Referent, die Ausgrenzung bestimmter Gruppen innerhalb der Szene habe eher zu deren Schwächung beigetragen. Beispielsweise müßten auch Skinheads als "Teil der rechten Bewegung" akzeptiert werden. Diese könnten durchaus einen Beitrag zur Integration des "nationalen Lagers" leisten. So böten sich Skin-Konzertveranstaltungen als Kontaktplattform für alle "national Gesinnten" an. Die Ausführungen waren im Auditorium auf breite Zustimmung gestoßen. Gewaltbereite Zur Zeit stellt die Berliner Skinheadszene jedoch noch eine eiSubkultur genständige, nach außen abgeschottete, überwiegend rechtsextremistisch motivierte Subkultur dar, die teilweise mit dem organisierten Neonazismus verbunden ist und mit ihrer außerordentlichen Gewaltbereitschaft (ca. 45 % aller Skins) das militante Potential des Neonazismus verstärkt. Organisati-, onsstrukturen innerhalb der Szene sind nicht erkennbar. Vielmehr entstehen lose Personenzusammenschlüsse, die einer starken Fluktuation unterliegen und zumeist sehr kurzlebig sind. Aus diesem Grund werden Gewaltaktionen in den meisten Fällen auch nicht konkret vorbereitet und nach abgesprochenen Plänen durchgeführt, sondern laufen, vielfach nach übermäßigem Alkoholgenuß und aufputschender Skinmusik, spontan ab. Hierbei gehen Skinheads äußerst brutal vor. Sie setzen bei ihren Angriffen hemmungslos Baseballschläger, Messer, Schlagringe, Eisenrohre o. ä. ein und mißhandeln ihre Opfer mit Stiefeltritten und Faustschlägen bis zur Bewußtlosigkeit. 81 C - Rechtsextremismus - In Berlin existiert zumindest seit 1994 eine etwa 30 Personen "Hammerskins" umfassende "Sektion der Hammerskins" (der Hammer steht hierbei als Symbol für handwerkliche Arbeit). Die "Hammerskins" agieren bundesweit als loser Zusammenschluß von Skinheads. Die "Sektion Berlin" hat im Jahre 1995 mehrere Aktivitäten entwickelt. Hervorzuheben ist hierbei die Beteiligung von etwa 20 Berliner Hammerskins an der Demonstration im Zusammenhang mit der "Rudolf-Heß-Gedenkwoche" in Schneverdingen in Niedersachsen am 19. August 1995. Skinheads wurden 1995 für eine nicht geringe Anzahl von Haupttäter rechtsextremistischen Gewalttaten als Täter ermittelt; in zahlreiim Hinblick auf Gewaltchen weiteren werden sie der Tatbeteiligung oder -ausführung delikte verdächtigt. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß eine Unterscheidung von rechtsextremistischen Skins und anderen rechtsextremistischen Straftätern häufig nicht möglich ist. Untersucht man die Altersstruktur der in Berlin als rechtsextremistische Skinheads auffällig gewordenen Personen (vgl. nachfolgende Tabelle), so wird deutlich, daß 18bis 25jährige Jugendliche mit ca. 76 % weiterhin die Haupttätergruppe bilden. Altersstruktur 1995 Haupttätergruppe: unter 18 Jahre 16 18bis 25jährige 18-21 Jahre 176 22 - 25 Jahre 228 26 - 35 Jahre 106 älter als 35 Jahre 5 531 Personen Gesamt (darunter 52 Frauen) 82 C - Rechtsextremismus - Oi-Musik Eines der wichtigsten Kommunikationsmittel für die Ausprägung und und Verbreitung offen rassistischen und neonazistischen GeFanzines dankengutes in der Skinheadszene sind die sog. Oi-Musik und Skinhead-Publikationen, sog. Fanzines. Die Texte der Skin-Musik sind überwiegend von militantem, gewaltverherrlichendem, äußerst menschenverachtendem Rassismus geprägt, der häufig offen zur Gewalt gegen alles Fremde und sonstige "Feinde der weißen Rasse" aufruft. Da die Organisatoren von Skin-Konzerten Exekutivmaßnahmen fürchten, verlegen sie immer mehr Veranstaltungen ins Ausland. Aus konspirativen Gründen werden die Konzertorte selbst nicht mitgeteilt; die Teilnehmer erfahren lediglich die Treffpunkte, von denen es zum eigentlichen Veranstaltungsort weitergeht. Skin-Bands verbreiten ihre Musik jedoch nicht nur bei "LiveKonzerten". Sie wird auch über Tonträger (u. a. "Demo-Tapes") bekannt gemacht und ist zumeist über SpezialVertriebe erhältlich. Als Berliner Skinbands sind "Landser" sowie "Macht & Ehre" zu nennen. In Berlin fanden 1995 - wie bereits 1994 - keine Skinkonzerte statt. Anhänger der Berliner Szene reisten jedoch beispielsweise im Oktober zu einem Skin-Konzert nach Niedersachsen und im November nach Schweden. Fanzines erscheinen unregelmäßig und mit einer Auflage von bis zu 300 Stück. Herausgeber sind einzelne Szene-Mitglieder, die z. T. in rechtsextremistischen Kreisen agieren oder als Teilnehmer an rechtsextremistischen Gewaltoder sonstigen Aktionen auffällig wurden. Die Fanzines verbreiten ebenfalls rechtsextremistisches Gedankengut (z. B. Berichte und Fotodokumentationen über politische Demonstrationen von Rechtsextremisten, Konzerte o. ä.). Häufig finden verbotene Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen Verwendung. Berliner Fanzines sind 1995 nicht herausgegeben worden. 83 C - Rechtsextremismus - 2.2 Gewalttaten und sonstige Gesetzesverletzungen** mit rechtsextremistischem Hintergrund Gesetzesverletzungen mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund nahmen bundesweit insgesamt um weniger als 1 % auf 7 896 ab (1994: 7 952). Der Vergleichswert für Berlin beträgt 450 (1994: 795), ein Rückgang um etwa 43 %. Gewalttaten gingen deutlich zurück. Damit setzte sich eine beRückgang reits im Jahre 1993 begonnene Trendwende kontinuierlich fort. von Gewalttaten 1995 wurden 837 Gewalttaten registriert (1994: 1 489). Dies ist gegenüber 1994 ein Rückgang um fast 4 4 % . Allerdings blieb die Zahl der Tötungsversuche konstant; wie im Vorjahr zielten 10 Taten auf Leib und Leben. Fremdenfeindliche Gewalttaten nahmen um ca. 37 % auf 540 ab (1994: 860). Nach unten - um rund 28 % - entwickelten sich auch Gewalttaten gegen politische Gegner. Im Berichtsjahr wurden 68 gezählt (1994: 95). Die Zahl antisemitischer Vorfälle lag 1995 mit 27 um 34 % unter der Vergleichsziffer des Vorjahres (1994: 41). Berlin nahm auch 1995 in der bundesweiten Statistik rechtsextremistischer Gewalttaten einen hinteren, den 13. Platz ein. Die Polizei erfaßte insgesamt 23 Fälle (1994: 25). Dabei handelte es sich ausschließlich um Körperverletzungen. 16 Gewalttaten hatten einen fremdenfeindlichen Hintergrund (1994: 18). Ebenso wie 1994 richteten sich 5 Vorfälle gegen politische Gegner und waren 2 Taten antisemitisch motiviert. * Gewalttaten sind: Tötungsdelikte, Brandund Sprengstoffanschlage, Landfriedensbrüche, Körperverletzungen sowie Sachbeschädigungen mit erheblicher Gewaltanwendung. ** Sonstige Gesetzesverletzungen sind insbes.: Bedrohungen, Nötigungen, Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen,. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (sog. Propagandadelikte), Volksverhetzungen und Aufstachelungen zum Rassenhaß. 84 C - Rechtsextremismus * Beispiele für Gewalttaten: * Gefährliche Körperverletzung zum Nachteil eines Nigerianers in Berlin-Steglitz am 10. April. Zwei Personen beschimpften und bedrohten den Afrikaner mit einem Messer. Er wurde mit einem Knüppel geschlagen und zog sich Prellungen zu. * Gefährliche Körperverletzung und Volksverhetzung in Berlin-Marzahn am 25. Mai. Vier Beschuldigte beleidigten in einem S-Bahnabteil ausländische Fahrgäste und riefen volksverhetzende Parolen. Einer Zeugin, die sich einmischte, wurde eine brennende Zigarette auf dem Handrücken ausgedrückt. * Gefährliche Körperverletzung, Volksverhetzung und Beleidigung in Berlin-Hohenschönhausen am 2. Juli. Die beiden Beschuldigten bestiegen mit vier weiteren Personen eine Straßenbahn. Ein dunkelhäutiger Fahrgast wurde getreten und dabei mit den Worten "Negersau" und "Scheiß-Ausländer" beschimpft. Der Geschädigte erhielt mehr als 20 Tritte gegen Kopf und Oberkörper. * Gefährliche Körperverletzung und Beleidigung zum Nachteil dreier Türken in Berlin-Treptow am 23. Juli. Die Geschädigten wurden während einer Fahrradfahrt durch riskante Überholmanöver eines Fahrzeugführers massiv gefährdet. Bei einem absichtlichen, abrupt durchgeführten Bremsversuch kam es zur Kollision. In dem hierauf folgenden Wortwechsel machten die Täter fremdenfeindliche Äußerungen. Der Geschädigte wurde leicht verletzt. Anstieg 1995 wurden in der Bundesrepublik Deutschland 7 059 weitere sonstiger Gesetzesverletzungen mit erwiesener oder zu vermutender Gesetzesverletzungen rechtsextremistischer Motivation gezählt (1994: 6 463), was einen Zuwachs von über 9 % bedeutet. 85 C - Rechtsextremismus - Mehrheitlich handelte es sich bei diesen Straftaten um sog. Propagandadelikte (z. B. Plakataktionen). Sie nahmen um knapp 36 % auf 4 343 zu (1994: 3 195). 1 928 Taten lag eine fremdenfeindliche Zielrichtung zugrunde (1994: 2 631); im Vergleich zum Vorjahr beträgt der Rückgang ca. 2 7 % . Antisemitische Beweggründe gaben 1 128mal den Ausschlag (1994: 1 325), ein Minus um etwa 15 %. Noch stärker verminderten sich die sonstigen Gesetzesverletzungen, soweit sie sich gegen politische Gegner der Rechtsextremisten richteten, nämlich um die Hälfte auf 74 (1994: 148). In Berlin sank die Zahl sonstiger rechtsextremistischer Straftaten auf 427 (1994: 770), ein Rückgang um ca. 45 %. Sog. Propagandadelikte machten auch in der Bundeshauptstadt das Gros aus. Sie verringerten sich um ca. 44 % auf 243 (1994: 437). 75 Fälle wiesen einen fremdenfeindlichen Charakter auf (1994: ca. 160), eine Abnahme von ca. 53%. Es gab mit 16 Vorfällen auch 41 % weniger sonstige Straftaten gegen politische Gegner der Rechtsextremisten (1994: 27). Hingegen nahmen solche Handlungen zu, deren Zielrichtung antisemitisch gewertet werden müssen, die erreichte Zahl von 110 bedeutet einen Anstieg um rund 28 % (1994: 86). In 106 Fällen konnten insgesamt 246 Täter bzw. Tatverdächtige festgestellt werden: Altersstruktur Alter Anzahl unter 18 45 18 bis 25 155 26 bis 35 38 36 bis 45 3 über 45 5 Gesamtzahl 246 86 C - Rechtsextremismus - Gewalttaten und sonstige Gesetzesverletzungen mit rechtsextremistischem Hintergrund in Berlin und Deutschland 1994 -1995 1995 1994 Gesetzesverletzungen Berlin Bund Berlin Bund gesamt 450 7896 795 7952 darunter Gewalttaten 23 837 25 1489 fremdenfeindlich 16 540 18 860 politische Gegner 5 68 5 95 antisemitisch 2 27 2 41 darunter sonstige 427 7059 770 6463 Gesetzesverletzungen fremdenfeindlich 75 1928 160 2631 politische Gegner 16 74 27 148 antisemitisch 110 1128 86 1325 Volksverhetzung, rassistische Haßparolen und antisemitische Propaganda am Beispiel "Deutsches Manifest" Im März 1995 ging bei zahlreichen Adressaten u.a. in Berlin eine Broschüre mit dem Titel "Deutsches Manifest" ein. Die etwa 80seitige Schrift war unter verschiedenen Absenderangaben, darunter einer "Gesellschaft für deutsches Volkstum", Oranienburger Straße 31, 10117 Berlin, von Nürnberg oder Fürth aus in das gesamte Bundesgebiet versandt worden. Auf dem Grundstück Oranienburger Straße 28-31 (Berlin-Mitte) befinden sich Einrichtungen der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Das Pamphlet mit volksverhetzenden, antisemitischen und rassistischen Haßparolen enthält u. a. folgende Aufrufe: 87 C - Rechtsextremismus - "Deutsche Männer und Frauen, nehmt jetzt den Kampf um Deutschland auf! Gebt keine Ruhe mehr und schweigt nicht länger. Sprecht mit Bekannten, Freunden, Nachbarn, Passanten über die Ausländer, über das Deutsche Reich, über den Volkskrieg zur Rettung des deutschen Volkes und über das Deutsche Manifest. Sprecht Ausländer an und sagt ihnen, daß sie nach dem 9. Mai 1995 nicht mehr sicher sind ... BHdet Volksgerichte und urteilt Verräter und Feinde des deutschen Volkes ab. Deutsche Männer und Frauen! Der Volkskrieg zur Befreiung unseres Landes beginnt am 9. Mai 1995 ... Nehmt von diesem Tage an den bewaffneten Kampf auf... Die Tötung von Feinden und Verrätern im Kriege ist heilige, patriotische Pflichterfüllung. Seid großmutig und gewährt denen Gnade, die sich ergeben und Deutschland verlassen - sonst niemanden." Weiter heißt es: "Die Hebräer erklärten dem deutschen Volk am 24. März 1933 den Heiligen Krieg. Dieser währt jetzt über 60 Jahre. Wir antworten nach fünfzigjährigem Waffenstillstand, der von den Hebräern niemals eingehalten wurde, mit dem heiligen Volkskrieg zur Befreiung Deutschlands." Und: "Nun müssen Asylantenheime, Aufnahmelager, Ausländerämter, Moscheen, Synagogen etc. brennen ... Die Tötung Nichtdeutscher ist nicht unser eigentliches Ziel, wir nehmen sie jedoch billigend in Kauf..." In bezug auf den Nationalsozialismus wird agitiert: "1933 zeigte Adolf Hitler der Menschheit den Weg zur Rettung aus dieser hebräischen Umklammerung - die Antwort der Juden war der 2. Weltkrieg und die seither im Gang befindliche Ausrottung des Deutschtums. Noch ist es nicht zu spät. 88 C - Rechtsextremismus - Beim Polizeipräsidenten in Berlin gingen über 80 Anzeigen wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß ein. Das Verfahren gegen den mutmaßlichen Urheber wegen Verdachts der Volksverhetzung ist bei der Staatsanwaltschaft Dortmund anhängig. Als Urheber der Hetzschrift gilt ein 69jähriger Mann aus dem Ruhrgebiet, der sich als ehemaliger SS-Offizier bezeichnet. Vermutlich hatte er mindestens vier Helfer, die ihm bei Herstellung und Verbreitung des "Deutschen Manifests" assistiert haben. 2.3 Strafverfahren Verunsicherung Die Inhaftierung zahlreicher maßgeblicher Aktivisten im Jahre der Neonaziszene 1994 hatte sich nachhaltig auf die neonazistische Szene ausgewirkt. Auch 1995 kam es zu Verurteilungen mehrerer Protagonisten. Die größte öffentliche Beachtung fand in diesem Zusammenhang das Verfahren gegen den bundesweit bekannten Berliner Neonazi-Führer Arnulf-Winfried PRIEM. Das Landgericht Berlin verurteilte ihn am 23. Mai 1995 wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Verfassungsorgane, des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, des unbefugten Waffenbesitzes und der Bildung eines bewaffneten Haufens zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren ohne Bewährung. PRIEMs Verurteilung wurde in der Ansage des "Nationalen Info-Telefons Berlin" aufgegriffen: Das Gericht hätte Zeichen setzen wollen und die "anwesenden nationalen Personen im Zuschauerraum beeindrucken" sollen. Das Urteil werde in der Szene jedoch als "Ansporn" aufgefaßt, die von PRIEM "gemachten Fehler bei der politischen Arbeit zu unterlassen". Für 1995 und 1996 gab PRIEM aus der Haft den seit 1979 erscheinenden Kalender "Nordisch-Germanischer Jahrweiser" heraus. 89 C - Rechtsextremismus - Darüber hinaus ergingen im Berichtszeitraum folgende Urteile gegen Berliner Neonazis: * Landgericht Berlin: Verurteilung von Markus B. am 10. März wegen Vorrätighaltens von Propagandamaterial der neonazistischen "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei - Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP-AO) zu einer Haftstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung. * Jugendschöffengericht Tiergarten: Verurteilung von Oliver W. am 20. März wegen Sachbeschädigung in vier Fällen, zweimal in Tateinheit mit Verunglimpfung des Staates, eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz, der Bildung eines bewaffneten Haufens sowie versuchter Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von eineinhalb Jahren auf Bewährung. * Landgericht Berlin: Verurteilung von Mirko T. am 15. Juni wegen Verbreitens von Propagandamaterial einer neonazistischen Organisation sowie der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole zu einer Haftstrafe von sieben Monaten ohne Bewährung. * Landgericht Berlin: Verurteilung von Boris P. am 19. September wegen Verbreitens von Propagandamaterialien verfassungswidriger Organisationen in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie wegen unerlaubten Erwerbs von Sprengstoff und Munition sowie Waffenbesitzes zu eineinhalb Jahren auf Bewährung. * Landgericht Berlin: Verurteilung des ehem. Berliner Leiters der verbotenen "Wiking-Jugend", Sascha St., am 16. Oktober wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und wegen Besitzes rechtsextremistischen Propagan- 90 C - Rechtsextremismus - damaterials zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten ohne Bewährung. * Amtsgericht Tiergarten: Verurteilung von Bendix W. am 17. Oktober wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und illegalen Waffenbesitzes zu einer zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung. * Landgericht Berlin: Verurteilung von Uwe B. am 14. November u. a. wegen der Verbreitung rechtsextremistischen Propagandamaterials und der Verwendung verfassungswidriger Symbole zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Aufgrund bereits eingeleiteter Ermittlungsverfahren dürften auch 1996 weitere Berliner Neonazis vor Gericht stehen. Hierzu gehört auch, daß der ehemalige Vorsitzende des Landesverbandes Berlin der verbotenen FAP, Lars B., der sich am 10. Juni wegen mehrerer gegen ihn anhängiger einschlägiger Ermittlungsverfahren (u. a. Verdacht des Raubes sowie der gemeinschaftlichen schweren Körperverletzung) nach Skandinavien abgesetzt hatte, am 15. August in Norwegen auf Ersuchen der deutschen Behörden mit dem Ziel der Auslieferung festgenommen werden konnte. Die staatlichen Gegenmaßnahmen haben zu einer weiteren erheblichen Verunsicherung der neonazistischen Szene geführt und beispielsweise im Bereich der Anti-Antifa-Bewegung (vgl. Informationelle Vernetzung) eine völlige Inaktivität bewirkt. 91 C - Rechtsextremismus - 3 Neonationalsozialistische Organisationen und Einzelaktivisten 1995 1994 Organisation Berlin Bund Berlin Bund Neonazis und militante Rechtsextremisten 890 8680 850 9140 gesamt hiervon: "Deutsche Nationalisten" (DN) 15 100 15 100 "Die Nationalen e. V." 30 80 80 100 "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP)* 40 300 50 430 "Hilfsorganisation für nationale politische Ge25 300 25 340 fangene und deren Angehörige e. V." (HNG) unabhängige Kameradschaften, darunter als 80 80 - - größte die "Kameradschaft Treptow" "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei - Auslandsund Aufbauorganisation" EM 100 EM 800 (NSDAP-AO) "Neonazikreis um Curt Müller" EM EM EM EM Militante Rechtsextremisten, insbes. Rechtsex530 6200 500 5400 tremistische Skinheads "Vandalen - Ariogermanische KampfgemeinEM EM EM 10 schaft" "Völkischer Freundeskreis" (VFK) EM EM EM EM unorganisierte Neonazis 125 1060 150 1150 EM Einzelmitglieder Im Februar 1-995 verboten. 92 C - Rechtsextremismus - 3.1 "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) Stärkste Die 1979 gegründete "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" Neonazi(FAP) besteht in Berlin mit einem eigenen Landesverband erst organisation seit 1990. 1995 betrug ihre Mitgliederstärke bundesweit etwa 300 (1994: 430), in Berlin zwischen 30 und 40 (1994: 50). Rassistisches, ausländerfeindliches und am Nationalsozialismus orientiertes Gedankengut wurden in den FAP-eigenen Publikationen "Aufbruch", "Standarte" und "Neue Nation" verbreitet - bis zum Verbot des Vereins, der eigentlich eine Partei hatte sein wollen, am 24. Februar 1995. Bis dahin bildete sie die stärkste neonazistische Organisation in der Bundesrepublik Deutschland und verfügte über sechs aktive Landesverbände in Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern. Vereinsverbot Mit Beschluß vom 17. November 1994 sprach das Bundesverdurch den fassungsgericht der FAP die Parteieigenschaft ab. Daraufhin BMI verbot das Bundesministerium des Innern die FAP am 22. Februar 1995 (Vollzug: 24. Februar). Auszugsweise einige Verbotsgründe: "Die FAP verfolgt das Ziel, mit ihrer Tätigkeit die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend zu untergraben und letztendlich zu beseitigen. Dies ergibt sich ohne weiteres aus dem Umstand, daß die FAP nach ihrer Zielsetzung mit der NSDAP wesensverwandt ist. Sie ist schon aus diesem Grunde verfassungswidrig."* Nach Zustellung der Verbotsverfügung durchsuchte die Polizei in neun Bundesländern zeitgleich insgesamt 50 Objekte und beschlagnahmte das Vereinsvermögen. In Berlin wurden die Wohnungen von drei Vorstandsmitgliedern des Landesverbandes überprüft, wobei zahlreiche Materialien sichergestellt werden konnten, z. B. ein Behälter mit einer geringfügigen Menge Sprengstoff sowie neonazistisches und nationalsozialistisches Propagandamaterial, u. a. der verbotenen "Nationalistischen Vgl. "Bundesanzeiger" vom 28. Februar 1995, S. 1981 ff. 93 C - Rechtsextremismus - Front" (NF) bzw. von der "Sturmabteilung" (SA) und der "Schutzstaffel" (SS). Zu Beginn des Jahres 1995 bestanden die Aktivitäten des Berliner Landesverbandes v. a. darin, regelmäßig sogenannte "Kameradschaftsabende" abzuhalten. Seit Ende 1994 befand sich die Berliner FAP bereits in einer Phase zunehmender Verunsicherung: Das Bundesverfassungsgericht hatte den Verbotsantrag der Bundesregierung zurückgewiesen; die FAPMitglieder rechneten mit einem baldigen Vereinsverbot durch den Bundesinnenminister. Angehörige der verbotenen FAP überlegten, ob es sinnvoll wäAnschluß an bereits bestere, in die NPD einzutreten oder sog. autonome/unabhängige hende OrganiKameradschaften aufzubauen. Ein Großteil der Berliner FAPsationen - Anhänger schloß sich schließlich dem Verein "Die Nationalen Gründung unabhängiger e. V." (vgl. d.) an. Bereits vor dem Verbot hatte ein maßgebliKameradcher FAP-Angehöriger die "Kameradschaft Treptow" gegründet schaften (vgl. "Organisation durch Desorganisation"). 3.2 "Deutsche Nationalisten" (DN) Bundesvorsitzender und Gründungsmitglied der 1993 in Mainz Sammelgegründeten und bundesweit zwischen 70 und 100 Mitglieder becken (1994: 100) zählenden DN ist Michael PETRI, ehem. Vorsitzender des Landesverbandes Rheinland-Pfalz der am 10. Dezember 1992 verbotenen neonazistischen "Deutschen Alternative" (DA). Er bezeichnete seinerzeit die DN in einer Presseerklärung als "Sammelbecken aller positiven Kräfte". Formal verfügt die DN derzeit über Landesverbände in Berlin (seit 1994, gleichbleibend ca. 15 Mitglieder), Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen. In ihrer Satzung bezeichnet sie sich als Partei, die sich "an der demokratischen Willensbildung des deutschen Volkes beteiligen will". In ihrem Programm setzt sich die DN u. a. für einen "deutschen Nationalstaat in den völkerrechtlich gültigen Grenzen, Beendi- 94 C - Rechtsextremismus - gung der Wiedergutmachungszahlungen" sowie einen Austritt aus NATO und EU ein. Zum Thema Ausländerpolitik fordert sie z. B. die "Ausländerrückführung, weil Deutschland sonst eine multikulturelle und multikriminelle Gesellschaft droht. In solch einer Gesellschaft stirbt die Seele des deutschen Volkes!" Die DN lehnen die internationalen Verflechtungen der Bundesrepublik Deutschland ab und diskriminieren und diffamieren die hier lebenden Ausländer. Der Landesverband Berlin beschränkte seine Aktivitäten im Jahre 1995 auf interne Zusammenkünfte wie Abhaltung eines Landesparteitages und Diskussionsveranstaltung zum Organisationsstand. 3.3 "Die Nationalen e. V." Niedergang Der im September 1991 gegründeten Organisation "Die Nationach nalen e. V." mit Sitz in Berlin hatten bis zur AbgeordnetenhausWahldebakel wahl am 22. Oktober 1995 "bundesweit" - d. h. in Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen - etwa 80 Mitglieder (1994: 100) angehört, davon 30 (1994: 80) in der Hauptstadt. Nach ihrem gescheiterten Versuch, sich über eine Landesliste an der Wahl vom Oktober zu beteiligen, schrumpften "Die Nationalen" auf die Größe einer Funktionärsgruppe, also unter 10 Mitglieder. AuffangVor dem Verbot der FAP am 22. Februar 1995 hatte der becken für Schwerpunkt der Aktivitäten der "Nationalen e. V." in BrandenFAPIer burg gelegen. Nach Vollzug dieses Verbots am 24. Februar 1995 dienten die "Nationalen" als Auffangbecken für einen Teil der ehemaligen Angehörigen des Landesverbandes Berlin der FAP, ohne daß von einer Unterwanderung im Sinne des Aufbaus einer Nachfolgeorganisation gesprochen werden konnte. Der Vorsitzende Frank SCHWERDT kommentierte im "Nationalen Rundbrief (Mitteilungsheft der Nationalen e. V., Doppelausgabe Jan./Febr./März 1995) die neue Schwerpunktsetzung seiner Organisation: 95 C - Rechtsextremismus - "Bis auf weiteres wurde in der Hauptstadt .. auf stärkere Aktivitäten verzichtet, um den Aufbau im Land Brandenburg voranzutreiben. Das wird sich in den kommenden Monaten, insbesondere mit dem geplanten Wahlantritt im Herbst, ändern." Das "Nationale Info-Telefon Berlin" (vgl. Informationelle Vernetzung) hatte im Juni über die Bemühungen der "Nationalen" hinsichtlich ihrer Kandidatur bei den Abgeordnetenhauswahlen berichtet und interessierte "wahlberechtigte Berliner" aufgerufen, "mit ihrer Unterschrift den Wahlantritt zu unterstützen". Es gelang der Vereinigung jedoch nicht, die erforderlichen 2 200 Unterschriften für eine Teilnahme an der Abgeordnetenhauswahl am 22. Oktober 1995 mit einer Landesliste fristgemäß bis zum 15. August beizubringen. Lediglich für zwei Direktkandidaten in den Wahlkreisen Tiergarten und Treptow konnten die notwendigen 40 Unterstützerunterschriften erreicht werden. Im Wahlprogramm der "Nationalen" - das in seinen SchwerRassistische antisemipunkten im "Nationalen Info-Telefon Berlin" wiedergegeben tische und wurde - klingen Rassismus, Antisemitismus und die neonazistineosche Ausrichtung der Organisation an, die u. a. auf die Mitarbeit nazistische Ausrichtung ehem. FAP-Angehöriger zurückzuführen sein wird: des Wahlprogramms * "Getrennte deutsche und ausländische Schulklassen bis zur Klärung der Ausländerfrage. * Abriß aller 'Holocaust'-Denkmäler sowie aller Denkmäler für die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges. * Sofortige Kündigung des Staatsvertrages zwischen dem Berliner Senat und der Jüdischen Gemeinde. Streichung aller Zuschüsse an die Jüdische Gemeinde und andere jüdische Einrichtungen. Eingehende Oberprüfung aller Entschädigungszahlungen an jüdische Organisationen und Einzelpersonen. * Drastische Verringerung der Anzahl aller Fremden in unserer Stadt. 96 C - Rechtsextremismus - * Abschaffung aller überflüssigen Beauftragten und ihrer Verwaltungsstäbe im Land Berlin und in den Bezirken, so z, B. der 'Ausländerbeauftragten', der 'Gleichstelungs'bzw. 'Frauenbeauftragten', der 'Drogenbeauftragten' etc." Bei den Wahlen erreichten die beiden Direktkandidaten der "Nationalen" und ehem. FAP-Aktivisten Detlev CHOLEWA in Treptow und Mike PENKERT in Tiergarten 98 (0,7 %) bzw. 58 (0,3 %) Stimmen. Die ehemaligen Mitglieder der verbotenen FAP, die sich vor dem Hintergrund der beabsichtigten Wahlteilnahme in den letzten Monaten verstärkt bei den "Nationalen" engagiert hatten, zogen sich wegen des gescheiterten Versuchs, über eine Landesliste an den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin teilzunehmen, zurück und engagieren sich nun in "autonomen" Kameradschaften (vgl. "Organisation durch Desorganisation"). Der über die Wahlteilnahme vorgesehene Motivationsschub und Aufschwung bei den "Nationalen" blieb aus. Zeitung mit unterAuch an der Publikation der "Nationalen e. V.", der "Berlin Branschiedlichen denburger - Zeitung der Nationalen Erneuerung" (BBZ), beteiliRegionalteilen gen sich ehem. Führungskader der verbotenen FAP. Die BBZ wurde in den letzten Monaten durch Ableger in verschiedenen Teilen der Bundesrepublik erweitert. Diese Ausgaben orientieren sich inhaltlich weitgehend an den Vorgaben der "BBZ" und werden durch entsprechende Regionalteile ergänzt. Inzwischen gibt es neben der "BBZ" noch folgende Blätter: * "Neue Thüringer Zeitung" * "Junges Franken" * "Süddeutsche Allgemeine". Mit diesem Zeitungsprojekt soll in der rechtsextremistischen Szene über die "Nationalen" hinaus der Zusammenhalt gefördert und neue Anhänger mobilisiert werden - auch über die Berliner Landesgrenze hinaus. 97 C - Rechtsextremismus - Publikation "Der Schulungsbrief" "Der Schulungsbrief' wird seit 1992 von einem maßgeblichen Mitglied der Vereinigung "Die Nationalen e. V." herausgegeben. Als Pseudonym verwendet der Verfasser dabei die Bezeichnung "Völkischer Freundeskreis Berlin" (VFK) (vgl. Neonazistische Kleingruppen). Allein im Jahre 1995 sind fünf Ausgaben des "Schulungsbriefes" Selbstin der rechtsextremistischen Szene verbreitet worden. Nr. 16 darstellung und 14 werden an dieser Stelle wegen ihres Inhalts und Umfanges kurz dargestellt. Aufgabe der organisationseigenen Publikation "Der Schulungsbrief - Blätter zur nationalen, sozialistischen Weltanschauung" ist nach eigenem Bekunden, "dem nationalsozialistischen Kämpfer von heute ein klares Bild über die Standpunkte, Ziele und Aufgaben der Bewegung zu vermitteln." Als festgeschriebene Grundlage - so heißt es im "Schulungsbrief' Nr. 16/1995 - "wäre deshalb zunächst folgendes festzuhalten: 1.) Die unbedingte Verbundenheit der nationalsozialistischen Bewegung mit dem Führer Adolf Hitler ist mit dessen Tode 1945 nicht aufgehoben. 2.) Das 25-Punkte-Programm der NSDAP sowie die weltanschauliche Gesetzgebung des nationalsozialistischen Deutschland haben ohne Einschränkung Gültigkeit. 3.) Das po- * litische Testament des Führers sowie sein gesamtes politisches Werk sind Verpflichtung für jeden Volksgenossen." Der VFK beklagt, vor dem Hintergrund des Verbotes und der Verfolgung sei es dem nationalsozialistischen Kämpfer nicht möglich gewesen, mit absoluter Konsequenz politisch zu Wirken: "Es müssen also Mittel und Wege des Widerstandes gefunden werden, die der Umsetzung unserer weltanschaulichen Ziele zuarbeiten." Der VFK kritisiert: "Parteiführer .., die für sich beanspruchen .., die Bewegung mit alteinigem Anspruch zu vertreten. Setosternannte 'Gauleiter', 'Bereichsleiter' u. ä. stehen deshalb ohne realen Bezug zur Bewegung. Selbst Parteien, Organisationen und Gruppen, in denen sich mehrheitfich oder 98 C - Rechtsextremismus * ausschließlich Nationalsozialisten organisiert haben, können deshalb maximal als ein Teil der Bewegung verstanden werden, niemals aber als die Bewegung selbst." Als Lösung für die aktuellen politischen Probleme - postuliert der VFK - müßten aktuelle Antworten gefunden werden. Jedoch "entbindet uns das nicht davon, daß diese Antworten originär nationalsozialistische sein müssen." Es folgt eine Abschrift "Mein Politisches Testament", verfaßt von Adolf HITLER. Nr. 14 ist hinsichtlich seiner drei Hauptthemen interessant: * "Teil 1: Kommunisten im national-revolutionären Gewand". Abgrenzung zu Hiermit sollen "jedem Nationalsozialisten Argumentatianderen onshilfen gegeben werden, um Meinungsäußerungen, Gruppierungen welche die Bewegung Adolf Hitlers als 'Sozialrevolutionär' oder 'faschistisch' darzustellen beabsichtigen", entgegenzuwirken. Insbes. die Publikationen "Angriff der bis zum dortigen Verbot am 5. Mai vorwiegend in Brandenburg tätigen neonazistischen "Direkten Aktion/Mitteldeutschland" (JF) sowie "Sleipnir" werden scharf attackiert. * "Teil 2: Entartung und Pervertierung des Nationalsozialismus". Hier sind offenbar alle Gruppen, die von, um oder nach Michael KÜHNEN gegründet worden sind, gemeint. * "Teil 3: Die sogenannte 'Neue Rechte'". Für den Verfasser bildet "einzig der Nationalsozialismus die wirkliche deutsche Freiheitsbewegung". Die "Neue Rechte" sieht er dabei zwar als "Geisteshaltung", nicht jedoch als "eigenständige Bewegung" an. WohnungsdurchAm 2. August erfolgte eine Durchsuchung der Wohnung des suchungen Herausgebers der "Schulungsbriefe" der neonazistischen Kleingruppe "Völkischer Freundeskreis" (VFK), Hans-Christian WENDT, aufgrund eines richterlichen Durchsuchungsund Einziehungsbeschlusses des Amtsgerichts Tiergarten. 99 C - Rechtsextremismus - Im Verlauf der Maßnahme gegen WENDT, der auch Pressesprecher und Beisitzer im Vorstand des rechtsextremistischen Vereins "Die Nationalen e. V." ist, ergaben sich Hinweise auf weitere Beweismittel in der im gleichen Gebäude befindlichen Wohnung des Vorsitzenden dieses Zusammenschlusses, Frank SCHWERDT. Beide Wohnungen wurden mit Erfolg durchsucht. Neben diversen "Schulungsbriefen" in größeren Stückzahlen beschlagnahmten die Einsatzkräfte einen PC mit Zubehör und eine Druckmaschine.* Die zuständigen Stellen leiteten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verbreitung von Propagandamitteln und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie wegen Volksverhetzung ein. 3.4 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) Der 1979 gegründete und seit 1991 von der bundesweit beSammelbecken, kannten Neonazi-Aktivistin Ursula MÜLLER geleitete Verein Solidargemeinversteht sich nach eigener Aussage als "Sammelbecken und schaft und Betreuungsverein Solidargemeinschaft" für Neonazis aller politischer Gruppierungen aus Deutschland und dem nahen Ausland. In Berlin zählte der Verein wie schon im Vorjahr etwa 25 Einzelmitglieder, es besteht jedoch keine feste Struktur. Bundesweit betrug die Mitgliederzahl 1995 rund 300, nachdem sie von 1993 auf 1994 von 220 auf etwa 340 angestiegen war. Die in Frankfurt/Main ansässige HNG beschäftigt sich mit der "Betreuung inhaftierter Gesinnungsgenossen", und zwar vorrangig mittels Herausgabe der "HNG-Nachrichten". Diese Publikation dient als Diskussionsforum und soll den Kontakt zwi- * Am 23. Januar 1996 mußte WENDT sich vor dem Amtsgericht Tiergarten wegen "übler Nachrede zu Lasten des Brandenburger Innenministers Alwin ZIEL" verantworten. In der "Berlin-Brandenburger-Zeitung" (BBZ), dem Organ der "Nationalen e. V.", für das WENDT als Chefredakteur verantwortlich zeichnet, war ZIEL als "Stasi-Mitarbeiter" diffamiert worden. Das Gericht verurteilte WENDT am gleichen Tage aufgrund der gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu sieben Monaten Haft ohne Bewährung. 100 C - Rechtsextremismus - sehen "Kameraden draußen und drinnen" aufrechterhalten. Nach den zahlreichen Vereinsverboten stellt die HNG einen der wenigen verbliebenen überregionalen organisationsmäßigen Anlaufpunkte für Neonazis dar. 3.5 "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP-AO) HauptproDie NSDAP-AO wurde 1976 gegründet, hat ihren Sitz in Linduzent und coln, Nebraska (USA) und gilt als größter internationaler Her-Lieferant von NSsteller und Vertreiber von NS-Propagandamaterial. In DeutschPropaganda land unterhält sie zahlreiche, unabhängig voneinander arbeitende und meist aus Einzelpersonen bestehende Stützpunkte, so auch in Berlin. Bundesweit wird eine Mitgliederzahl von 100 (1994: 800) Personen angenommen, in Berlin sind nur Einzelpersonen für die NSDAP-AO aktiv. Diese beziehen und verbreiten umfangreiches neonazistisches Propagandamaterial von der "Auslandszentrale" der NSDAP-AO in den USA, wo Herstellung und Vertrieb solcher Publikationen nicht strafbar ist. Aufrufe zu Zentrale Rolle spielt die Zeitschrift "NS-Kampfruf", in der gerade militanten in den letzten Jahren mehrere eindeutige Aufrufe zur Militanz Aktionen enthalten waren. So bezeichnete der "NS-Kampfruf in seiner Juli/AugustAusgabe 1995 den Generalbundesanwalt als "Drahtzieher des Terrors" und drohte: "Eines Tages werden diese Politbonzen ihrer absolut notwendigen Beseitigung hinzugeführt (sie!) werden! FÜR DAS SYSTEM KEINEN MILLIMETER BODEN, SONDERN NEUN MM." Die NSDAP-AO besitzt einen auch konkret auf die Gewaltbereitschaft der deutschen Neonazi-Szene gerichteten Einfluß. Bei einer ganzen Reihe von rechtsextremistischen Gewalttätern wurde NSDAP-AO-Propagandamaterial sichergestellt. 101 C - Rechtsextremismus - Am 23. März 1995 fand gegen die NSDAP-AO - im Rahmen der Exekutivmaßbisher größten Aktion gegen die Verbreitung neonazistischen nahmen Propagandamaterials - eine bundesweite Exekutivmaßnahme statt. Mehr als 30 Wohnungen wurden mit dem Ziel durchsucht, die Organisationsstrukturen sowie die Lieferwege der NSDAPAO aufzudecken. In Berlin überprüften die Einsatzkräfte drei Wohnungen und ein Postfach und stellten dabei u. a. diverses Propagandamaterial der NSDAP-AO sicher. Bereits am 20. März 1995 war der Leiter der NSDAP-AO, der Festnahme Amerikaner Gary Rex LAUCK, in Dänemark festgenommen LAUCKs in worden. Er wurde am 5. September 1995 an die BundesrepuDänemark - Auslieferung an blik Deutschland ausgeliefert. Seither sitzt er in Hamburg in Deutschland Untersuchungshaft. Gegen ihn ist ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung, der Verbreitung von Propagandamitteln verbotener Organisationen, der Verwendung von Kennzeichen verbotener Organisationen sowie der Bildung einer kriminellen Vereinigung anhängig. Das "Nationale Info-Telefon Berlin" (vgl. Informationelle Vernetzung) berichtete und kommentierte am 29. August 1995 die bevorstehende Auslieferung LAUCKs: Das oberste dänische Gericht habe nun endgültig entschieden, daß der Amerikaner Gary LAUCK nach Deutschland ausgeliefert werde. In Hamburg drohe LAUCK ein Prozeß wegen der von ihm verschickten Materialien, die u. a. immer ein Hakenkreuz enthielten. Da sämtliche Materialien des Herrn LAUCK in Deutschland verboten seien, hätte er in der Vergangenheit mit seiner Arbeit viele jugendliche Idealisten der Verfolgung der Justiz ausgesetzt. Gegen Berliner Neonazis sind wegen des Bezugs und der Verbreitung von Propagandamaterial der NSDAP-AO im Jahre 1995 mehrere Strafverfahren eingeleitet worden, die z. T. bereits zu Verurteilungen geführt haben (vgl. Strafverfahren gegen Berliner Neonazis). 102 C - Rechtsextremismus - 3.6 "Organisation durch Desorganisation" Autonome Strukturen Autonome Vor allem ehem. Mitglieder der verbotenen FAP haben sich in als Vorbild sog. unabhängigen oder autonomen Kameradschaften organisiert, um eine neue politische Heimat zu finden, Ideologie zu vermitteln und etwaige weitere Verbotserwägungen zu unterlaufen. Die "autonomen" Neonazis streben hierdurch immer stärkere informationelle Vernetzung und anlaßbezogene Bündnisfähigkeit ihrer Szene ("Organisation durch Desorganisation") an. Die Kameradschaften, die sich als "nationaler Widerstand" verstehen, haben in gewisser Weise linksextremistische unstrukturierte Zusammenschlüsse kopiert und wollen von deren stärkerer Konspirativität profitieren. Unabhängige Folgende "unabhängige" Zusammenschlüsse haben sich 1995 Kameradin Berlin gebildet: schaften * "Kameradschaft Treptow" (ungefähr 30 Personen unter Leitung des Direktkandidaten der "Nationalen" bei den Berliner Abgeordnetenhauswahlen 1995 Detlev CHOLEWA, ehem. FAP-Aktivist), * "Kameradschaft Hellersdorf' (ca. 5 bis 10 Personen), * "Kameradschaft Marzahn" (etwa 10 bis 20 Personen unter Leitung des ehem. Bundesvorsitzenden der JN Andreas STORR), * "Kameradschaft Nordland" (interne Bezeichnung eines ungefähr 10 Personen umfassenden Kameradenkreises, der v. a. aus ehemaligen FAP-Angehörigen besteht), * "Kameradschaft Nord" ("Beussel-Kiez") (10 bis 15 Personen unter Leitung des Direktkandidaten der "Nationalen" bei den Berliner Abgeordnetenhauswahlen 1995 Mike PENKERT, ehem. FAP-Aktivist), * "Kameradschaft Mitte" - inzwischen wieder aufgelöst. 103 C - Rechtsextremismus - Eine Kameradschaft wird im folgenden exemplarisch vorgestellt. "Kameradschaft Treptow" Bereits vor dem Verbot der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) am 22. Februar 1995 wurde in Berlin eine unabhängige "Kameradschaft Treptow" mit dem Ziel, praktische politische Arbeit vor Ort zu leisten, und unter dem Motto "Handeln statt Labern!" gegründet. Die Kameradschaft umfaßt etwa 30 Mitglieder. Anfangs setzte sie sich überwiegend aus ehemaligen Angehörigen der FAP zusammen. Später stießen auch unorganisierte Neonazis dazu. Die neonazistische Ausrichtung der "Kameradschaft Treptow" ist eindeutig: "Bereits 1920 erkannte der größte Sohn unseres Volkes die Lage der Nation und führte das deutsche Volk und Reteh mit der von ihm geschaffenen Bewegung in die Freiheit. Wir sind heute, fünfzig Jahre nach dem Heldentod des Führers, seine aufgehende Saat!..." heißt es in einem Flugblatt. Die Treptower "Kameraden" sehen in den "deutschen Teilstaaten 'BRD' und 'Rep. Österreich' .. Besatzungsprotektorate, von Kollaborateuren mit Leben erfüllte und von fremden Mächten geschaffene Gebilde. Ihr Zweck ist die biologische Vernichtung des deutschen Volkes, also die Fortführung des II. Weltkrieges gegen Deutschland mit anderen Mitteln." Deshalb verlangen sie in ihrer Selbstdarstellung "Wer wir sind und was wir wollen ..." unter der Rubrik "Wofür kämpfen wir?" u. a.: "Bestrafung aller Kollaborateure samt Mittäterschaft in Politik, Justiz, Polizei, Verfassungsschutz, Kultur, Medien usw." sowie die "Überwindung der internationalistischen, 104 C - Rechtsextremismus - volkszerstörerischen Irrlehren des Marxismus und Liberalismus zugunsten der naturgesetzlich begründeten Weltund Lebensanschauung des nationalen Sozialismus!". Die "Kameradschaft Treptow" bezeichnet sich zwar als "unabhängig", kooperierte jedoch zumindest bis zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin im Oktober 1995 eng mit dem rechtsextremistischen Verein "Die Nationalen e. V " . Angehörige der Kameradschaft verteilten während des Wahlkampfes Propagandamaterial der "Nationalen". 3.7 Neonazistische Kleingruppen Neben den bereits aufgeführten Organisationen existierten 1995 noch folgende neonazistische Kleinbzw. Funktionärsgruppen: "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft" Die seit ca. 1982 bestehende neonazistische Funktionärsgruppe lebt nach pseudo-germanischen Ordnungsbildern und Riten und verwendet u. a. Parolen, wie * "Wir sind stolz Arier zu sein!" * "Odin statt Jesus" sowie * "Rassenmischung ist Völkermord!" und unterhält Verbindungen zu sonstigen neonationalsozialistischen Organisationen. "Völkischer Freundeskreis Berlin" (VFK) Der 1989 gegründete VFK dient als Tarnorganisation für neonazistische "Schulungsund Aufklärungsarbeit". Diese Funktionärsgruppe und insbes. ein maßgebliches VFK-Mitglied und 105 C - Rechtsextremismus - prominenter Neonazi, das sich gleichzeitig aktiv bei den "Nationalen" betätigt, beschränkt sich dabei auf die Herausgabe der Publikation "Der Schulungsbrief (zuletzt Nr. 16/1995; vgl. "Die Nationalen - Publikation 'Der Schulungsbrief"). 4 Rechtsextremistische Parteien Rechtsextremistische Parteien 1995 1994 Organisation Berlin Bund Berlin Bund Mitglieder rechtsextremistischer Par1650 36050 1950 45400 teien gesamt hiervon: "Deutsche Liga für Volk und Heimat" 60 900 140 900 (DLVH) "Deutsche Volksunion" (DVU)* 700 15000 700 20000 "Die Republikaner" (REP) 800 16000 1000 20000 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 10 150 10 150 "Nationaldemokratische Partei 80 4000 100 4500 Deutschlands" (NPD) 4.1 "Deutsche Volksunion" (DVU) Die "Deutsche Volksunion" (DVU) mit Sitz in München entstand Stärkste in zwei Stufen: 1971 etablierte sie sich als eingetragener Verrechtsextremistische ein, 1987 als politische Partei. 1988 entstand der LandesverPartei band Berlin. 1994 bundesweit noch 20 000 Mitglieder zählend * In den Zahlen enthalten sind die Mitglieder der "Deutschen Volksunion e. V." (DVU e. V.). 106 C - Rechtsextremismus (Berlin: 700) nahm die Zahl ihrer Anhänger um 25 % auf 15 000 ab. Die hohe Zahl von auch 1995 noch knapp 700 (nominellen) Mitgliedern - die tatsächliche Zahl dürfte erheblich niedriger sein - allein im Landesverband Berlin läßt keine Rückschlüsse auf den Umfang der Parteiaktivitäten zu. Von den Mitgliedern werden in der Regel nur die Zahlung monatlicher Beiträge und das Abonnement der Zeitungen des Parteivorsitzenden und Verlegers Dr. FREY erwartet, so daß die DVU im wesentlichen eine Institution zur finanziellen und ideellen Unterstützung der Interessen ihres Vorsitzenden ist. In beiden Publikationen FREYs - "Deutsche National-Zeitung" (DNZ) und "Deutsche Wochen-Zeitung" (DWZ) - polemisiert der Verleger gegen die "Etablierten" und das "System" im allgemeinen, gegen Ausländer ("Die Methoden der Überfremdung") und Juden ("Aus dem Antisemitismus könne nur dann etwas werden, wenn sich Juden seiner annähmen" - "bitterböse jüdische Weisheit") im besonderen und präsentiert seine Blätter als "Das Gewissen der Nation". Die Delegierten des DVU-Landesparteitages im Juli 1995 beschlossen die Zusammenlegung der seit August 1993 getrennten Landesverbände Berlin und Brandenburg, um in Zukunft politisch effektiver zu arbeiten. Die DVU ist 1995 öffentlich jedoch nicht in Erscheinung getreten. 4.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschland" (NPD) Starke Die 1964 von Funktionären der "Deutschen Reichspartei" (DRP) Mitgliederund anderer rechtsextremistischer Parteien gegründete NPD Verluste mit Sitz in Stuttgart unterhält seit 1966 einen Berliner Landesverband. Die Partei verlor bundesweit mehr als 10 % ihrer Mitglieder (1995: 4 000; 1994: 4 500). Der Mitgliederbestand des Landesverbandes Berlin-Brandenburg ist von knapp 100 im Jahre 1994 auf nunmehr etwa 80 zurückgegangen. Im Bund vertreibt die NPD ihre Publikation "Deutsche Stimme", in Berlin "Zündstoff - Deutsche Stimme für Berlin und Branden- 107 C - Rechtsextremismus - bürg". Die Berliner NPD versucht in ihrem Blatt, die Stimmung gegen die "verantwortlichen Politiker" anzuheizen, indem sie ihnen vorwirft, nur lax gegen "antifaschistische Punks" und "fanatische Kurden" vorzugehen, hingegen "(rechte) deutsche Jugendliche zwei Wochen" einzusperren, "weil sie vorhaben könnten, eine Straftat zu begehen, nämlich des Todes von Rudolf Heß zu gedenken." Antisemitismus klingt auf der "satirischen Seite" von "Zündstoff' 3/95 an: Ein Foto des lachenden Ignatz BUBIS ist unterschrieben mit "Unsere Verbraucherfrage: Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen?". Die eigentliche interne Parteiarbeit der NPD in Berlin und Brandenburg erschöpft sich seit Jahren in Vortragsabenden und Mitgliederversammlungen. Diese werden teilweise als geschlossene Veranstaltungen in Gaststätten durchgeführt, wobei es der NPD weiterhin Schwierigkeiten bereitet, geeignete Lokale zu finden. Dies führte auch 1995 zu einem Rückgang der Aktivitäten. Der NPD-Landesverband Berlin-Brandenburg bzw. der hiesige Stadtverband organisierten 1995 nur noch sechs (1994: 11) Veranstaltungen. Die traditionelle "Reichsgründungsfeier" im Januar 1995 mit etwa 110 Teilnehmern und der 5. ordentliche Landesparteitag im Oktober 1995, an dem ca. 35 Personen teilnahmen, waren die "Höhepunkte" des Parteilebens. Auf dem Parteitag wurde der bisherige Landesvorsitzende Thilo KABUS, der nicht mehr kandidiert hatte, vom ehemaligen NPDLandesvorsitzenden Lutz REICHEL abgelöst. Darüber hinaus beteiligen sich NPD-Mitglieder an organisatiBeteiligung onsübergreifenden Veranstaltungen wie beispielsweise einer an "Berliner Sonnwendfeier in Sachsen (gemeinsam mit FAPIern, RepubliRunden Tischen" kanern und Angehörigen der "Nationalen") sowie an den "Berliner Runden Tischen" im Herbst 1995 (zusammen mit Mitgliedern von REP, DLVH und "Die Nationalen", vgl. Einigungsbestrebungen des rechten Lagers). Wegen finanzieller und personeller Schwierigkeiten nahm die NPD nicht an den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 22. Oktober 1995 teil. 108 C - Rechtsextremismus - 4.2.1 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Die 1969 gegründeten "Jungen Nationaldemokraten", die Jugendorganisation der NPD mit Sitz in Stolberg (NRW), stagnieren hinsichtlich ihrer Mitgliederzahl: bundesweit 1995 150 Mitglieder (1994: 150), im gemeinsamen Landesverband BerlinBrandenburg 1995 10 (1994: 10). Überregional verbreiten die JN in unregelmäßigen Abständen die Zeitung "Einheit und Kampf. Sie soll gleichzeitig einer regelmäßigen, über die JN hinausgehenden "Szene-Information" dienen. In Berlin und Brandenburg steht ihr in "ZündstoffDeutsche Stimme für Berlin-Brandenburg" des NPD-Landesverbandes eine Seite, der "Denkzettel" zur Verfügung. Das Erscheinen ihrer eigenen Zeitung "Denkzettel - die seri(b)öse Jugendzeitung aus Mitteldeutschland" war bereits 1994 eingestellt worden. Kontakte zu Zwar stehen die "Jungen Nationaldemokraten" hinter Programm Neonazis und Ideologie ihrer "Mutterpartei" NPD. In der politischen Praxis gebärden sich die JN jedoch aggressiver als die "Nationaldemokraten". Die JN verstehen sich als "nationalistische Gesinnungsund Kampfgemeinschaft" in der Rolle einer fundamentalen Systemopposition: "Das Ziel lautet: Totale Zerstörung des Bundeskonsumsystems; Verweigert Euch diesem System." Aus dieser Position heraus pflegen sie offen Kontakte zu neonazistischen Gruppierungen, beteiligen sich mit ihnen an gemeinsamen Aktionen und unterhalten Beziehungen zu ausländischen Rechtsextremisten. 4.3 "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) Die 1991 gegründete "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) mit ihrem seit 1992 bestehenden Landesverband Ber- 109 C - Rechtsextremismus - lin-Brandenburg hat 1995 keine eigenen Aktivitäten entwickelt. Der bundesweit im Vergleich zum Vorjahr bei 900 stagnierende Mitgliederbestand reduzierte sich in Berlin von 140 (1994) auf weniger als die Hälfte, 60 DLVH-Angehörige. Mitglieder der Berliner DLVH beteiligten sich am "Berliner RunBeteiligung an den Tisch" im November 1995 (vgl. Einigungsbestrebungen des "Berliner Runden Tischen" rechten Lagers). Ihre Organisation hatte im Jahr zuvor als erste rechtsextremistische Gruppierung in Appellen und Rundschreiben auf die Notwendigkeit zur "Einigung und Sammlung der demokratischen Rechten" hingewiesen. Der 1993 wegen Kontakten zu Neonazis aus seinem Amt entfernte Landeschef der DLVH, Frank SCHWERDT, konzentriert sich seither auf seinen Vorsitz bei den "Nationalen". 4.4 "Die Republikaner" (REP) Erst vier Jahre nach Gründung der Partei "Die Republikaner" Bundespartei(REP) auf Bundesebene im Jahr 1983 entstand 1987 der Berlizentrale in Berlin ner Landesverband. Die REP haben 1995 den Sitz ihrer Bundespartei in die Hauptstadt verlegt. Sowohl bundesweit (1994: 20 000; 1995: 16 000) als auch in Berlin (1994: 1 000; 1995: 800) nahmen die Mitgliederzahlen um jeweils 20 % ab. Das Organ der Bundes-REP, "Der Republikaner", konnte 1995 nur unregelmäßig als "Notausgabe" erscheinen. Als wichtigste Aufgabe hatte der auf dem 9. ordentlichen Parteitag des Berliner Landesverbandes der "Republikaner" am 10. Dezember 1994 gewählte Vorsitzende Dr. Werner MÜLLER die Vorbereitung auf die Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin und zu den Bezirksverordnetenversammlungen ( B W ) im Oktober 1995 genannt. Ziel der REP sei der Einzug in alle 23 Bezirksverordnetenversammlungen (BW) und ein Wahlergebnis von 10 % plus x für das Abgeordnetenhaus. Als Wahlkampfauftakt fand am 31. März 1995 eine Landesmitgliederversammlung statt, auf der der REP-Bundesvorsitzende 110 C - Rechtsextremismus - Dr. Rolf SCHLIERER betonte, im bevorstehenden Wahlkampf werde das Thema "Innere Sicherheit" oberste Priorität haben. Einzug ins Zur weiteren Vorbereitung auf die Abgeordnetenhauswahlen Abgeordführten die REP am 27. Mai 1995 einen Landesparteitag durch, netenhaus auf dem sie ihre 23 Kandidaten umfassende Landesliste unter von Berlin verfehlt Führung ihres Vorsitzenden aufstellten. Den REP mißlang jedoch bei den Wahlen am 22. Oktober 1995 mit einem Stimmenanteil von 2,7 % der abgegebenen gültigen Zweitstimmen der Einzug ins Abgeordnetenhaus von Berlin. In den Bezirksverordnetenversammlungen (BW) sind die REP mit Wahlergebnissen, zwischen 1,3% (810 Stimmen in Zehlendorf) und 4,7 % (2 958 in Wedding) ebenfalls nicht vertreten. Der Bundesvorsitzende wertete das Wahlergebnis von 2,7 % jedoch als Erfolg. Er betonte, seine Partei habe mehr Stimmen als zur Bundestagswahl 1994 (damals hatten die REP 1,9 % auf sich vereinigen können) erhalten und besser als die FDP abgeschnitten. InnerparteiDie gegenwärtige Lage des Landesverbandes Berlin der REP liche ist weiterhin durch innerparteiliche Differenzen und UnsicherDifferenzen heiten gekennzeichnet, die auf einer Landesausschußsitzung am 28729. November offen zu Tage traten. Die Zusammenkunft stand unter dem Eindruck der starken Stimmenverluste bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen am 22. Oktober. Landesvorsitzender MÜLLER warf den Kreisverbänden seiner Partei mangelnde Initiative vor und beklagte fehlende Unterstützung im Wahlkampf durch die Basis. Einige Vertreter der Kreisverbände hingegen sahen in der Person des Landesvorsitzenden den Hauptverantwortlichen für das Wahldebakel und artikulierten grundsätzliche Kritik an seiner Amtsführung bis hin zur Forderung nach seinem Rücktritt. Der Rücktrittsantrag wurde jedoch abgelehnt. 111 C - Rechtsextremismus - 5 Einigungsbestrebungen des rechten Lagers Aufgrund der zahlreichen staatlichen, von den RechtsextremiNeue sten als "Repressionsmaßnahmen" bezeichneten Aktionen sah Aktionsformen sich die Szene in den letzten Jahren gezwungen, neue, organisationsunabhängige Aktionsformen zu entwickeln. Neonazis entwickelten den Einsatz moderner Kommunikationsmittel (Stichwort: informationelle Vernetzung) fort und entwarfen Pläne zum Aufbau von lockeren, "autonomen", d. h. nicht greifund damit auch nicht verbietbaren Strukturen. Hauptsächlich über solche autonome Strukturen - Vorbild: "Außerparlamentarische Opposition" (APO) - soll versucht werden, Verbotsmaßnahmen zu unterlaufen. Auch in Berlin haben sich im Jahre 1995 (vgl. Organisation durch Desorganisation) "autonome/unabhängige Kameradschaften" gebildet. Daneben fördern zwei Vereine mit ihren regelmäßigen Zusammenkünften in der rechtsextremistischen Szene vorhandene Einigungsbestrebungen: Die "Berliner Kulturgemeinschaft Preußen e. V." und das "Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungswerk e. V". 5.1 Informationelle Vernetzung Die rechtsextremistische Szene setzte 1995 - nach linksextreModerne mistischem Vorbild - durch den Einsatz moderner KommunikaKommunikationsmittel tionsmittel ihre informationelle Vernetzung fort. Über Mobiltelefone, Faxund Datex-J-Anschlüsse, Mailboxen, Funkgeräte sowie Info-Telefone wird dabei versucht, rechtsextremistische Aktivitäten zu steuern und nunmehr weitgehend fehlende organisationsmäßige Strukturen zu ersetzen. Berliner Neonazis waren dabei 1995 nur bedingt erfolgreich. Mailboxen Seit Frühjahr 1993 besteht das organisationsübergreifende rechtsextremistische "THULE-Netz". Zum Selbstverständnis heißt es im "THULE-Journal 1/94": 112 C - Rechtsextremismus - Zwei Mail"Das Ziel der THULE-Mailboxen ist die Schaffung eines boxen im dezentralen Netzes. Wir nutzen die neuen Medien poliThule-Netz tisch und nationalistisch - deshalb organisieren wir uns mit dem Ziel, die Idee eines eigenen Datennetzes zu verwirklichen .... Die THULE-Mailboxen ... (haben) neben der Schaffung einer Gegenöffentlichkeit noch folgende Aufgaben zu erfüllen: 1. Herstellung und Verfestigung der Kontakte zwischen nationalen Gruppen. 2. Entwicklung einer Datenbank mit Informationen für nationale Aktivisten. Insbesondere soll die Herstellung von national gesinnten Publikationen durch die Bereitstellung von Artikeln gefördert werden. 3. Minderung des Verfolgungsdruckes durch das System, indem Kommunikationsmöglichkeiten bereitgestellt werden, die vom System nicht - oder nur mit erheblichem technischen Aufwand - ausgespäht werden können." In Berlin gibt es zwei Mailboxen: * "SoRevo (steht für "Sozialrevolution") Bulletin Board System" (BBS) * "Bunker Bulletin Board System" (Bunker BBS). Dabei handelt es sich um Mailboxen, die lediglich geschlossenen, d. h. nur bestimmten Benutzergruppen zugänglich sind. "Info-Telefone" Szene"Info-Telefone" dienen dazu, über Anrufbeantworter Interesinformation senten Informationen aus der Szene zu übermitteln. Die Ansaüber Anrufbeantworter getexte enthalten u. a. Hinweise auf rechtsextremistische Veranstaltungen und informieren über aktuelle Themen sowie über Aktionen der "Szene". Die Betreiber der Info-Telefone sind bestrebt, die Ansagetexte so zu formulieren, daß einerseits kein Zweifel an ihrer rechtsextremistischen Grundeinstellung be- 113 C - Rechtsextremismus - steht, sie aber andererseits keine Angriffspunkte für strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen bieten. Bei den über die "Nationalen Info-Telefone" und Mailboxen abrufbaren Informationen handelt es sich ausschließlich um solche, die aus Sicht der Rechtsextremisten nicht geheimhaltungsbedürftig sind. Interna, die Sicherheitsbehörden und politischen Gegnern verborgen bleiben sollen, werden dagegen vorrangig bei persönlichen Begegnungen ausgetauscht. In Berlin existierten im Jahre 1995 zwei derartige Einrichtungen: * "Nationales Info-Telefon Berlin" (NIT Berlin) Vom 6. Juni 1994 bis 29. März 1996 betrieb einer der bekanntesten Berliner Neonazis und Vorsitzender des aktivsten rechtsextremistischen Vereins der Stadt das "Nationale Info-Telefon Berlin" (NIT). Zu Beginn jeder Ansage weist ein Sprecher darauf hin, daß der Anschluß nicht öffentlich und ein Mitschneiden des Textes untersagt sei. Zum Abschluß teilt er mit, die Teilnehmer des Info-Telefons könnten Neuigkeiten in Verbindung mit der Angabe der eigenen Telefonnummer auf das NIT-Band sprechen. Das "Nationale Info-Telefon Berlin" verbreitete und kommentierte bis zu seiner Einstellung Informationen über bevorstehende, geplante bzw. durchgeführte Aktionen sowie Ereignisse, die in Zusammenhang mit Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene stehen, insbes. staatliche "Repressionsmaßnahmen". Am 11. und 13. Juli 1995 durchsuchte die Polizei auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin die Wohnung des NIT-Betreibers in Berlin-Zehlendorf und beschlagnahmte Unterlagen wegen des Verdachts der Verbreitung rechtsextremistischer Propaganda. Das NIT Berlin wird jedoch unverändert weiterbetrieben. Ein gegen den Betreiber eingeleitetes Ermittlungsverfahren (u. a. wegen Verleumdung) ist am 26. Juli 1995 gemäß SS 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. 114 C - Rechtsextremismus - * "Republikanisches Info-Telefon" Von Dezember 1994 bis August 1995 (letzte Ansage) betrieb die Fraktion der REP in der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg ein Info-Telefon, das in nur unregelmäßigen Abständen aktualisiert wurde und eine Zeitlang ruhte. Anfang Dezember 1995 nahmen die REP-Kreisverbände Charlottenburg und Tiergarten das "Republikanische Info-Telefon" wieder in Betrieb. "Anti-Antifa-Kampagne" Ein weiteres Standbein der "informationellen Vernetzung" ist die "Anti-Antifa-Kampagne". Das "Nationale Lager" soll hierdurch in der Abwehr des "antifaschistischen Kampfes" militanter Linksextremisten geeint werden. In Berlin haben die staatlichen "Repressionsmaßnahmen" - hier vor allem die Verurteilungen bzw. noch anstehenden Verurteilungen der maßgeblichen Berliner Protagonisten - dazu geführt, daß im Jahre 1995 keine nennenswerten Aktivitäten der "Anti-Antifa" mehr festzustellen waren. 5.2 "Berliner Kulturgemeinschaft Preußen e. V." SammelDie 1983 von oppositionellen Berliner NPD-Mitgliedern gegrünbecken für dete "Berliner Kulturgemeinschaft Preußen e. V." (früher "DeutRechtsextresche Kulturgemeinschaft Berlin") ist als integrierender Faktor misten und Neonazis innerhalb der rechtsextremistischen Szene Berlins unter Einschluß und besonderer Beteiligung von organisierten Neonazis und Mitgliedern von "unabhängigen" Kameradschaften anzusehen. Zwar ging der Mitgliederbestand der "Kulturgemeinschaft" von 30 (1994) auf 25 (1995) Personen zurück. Dennoch setzte sie auch 1995 ihre gruppenund parteiübergreifenden Aktivitäten fort. An den 13 Veranstaltungen mit in der rechtsextremistischen Szene bekannten und ihr größtenteils angehörenden 115 C - Rechtsextremismus - Referenten beteiligten sich zwischen 60 und 100 Personen, obwohl die Vereinigung selbst nur 25 Mitglieder zählt. Veranstaltungshöhepunkte - zumindest was die Prominenz der Vortragenden anging - waren 1995 * Wolfram NAHRATH, ehem. Führer "Gau Berlin" und in Prominente Personalunion ehem. Bundesvorsitzender der mittlerRedner weile verbotenen "Wiking-Jugend" (WJ), der zum Thema "Houston Stewart Chamberlain und das Deutsche Wesen" referierte; * Friedhelm BUSSE, ehem. Bundesvorsitzender der im Februar 1995 verbotenen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP), der einen Vortrag über seinen politischen Werdegang hielt; * Klaus WEINSCHENK, ehem. Landesvorsitzender der Berliner REP; er wurde als "Fachmann für die psychische Situation der Deutschen" vorgestellt und Gedanken zum Thema "Sind wir Deutschen noch zu retten? - Vergangenheitsbewältigung Umerziehung - ein psychopathologisches Problem?" äußerte. * Udo WALENDY, ehem. Vorsitzender des nordrheinwestfälischen Landesverbandes der NPD, rechtsextremistischer Verleger und Publizist, der über "Bildund Dokumentenfälschung in der Geschichtsdarstellung seit 1945" sprach; * Franz UHLE-WETTLER, Generalleutnant a. D., der einen Vortrag zum Thema "Preußischer Militarismus und bundesdeutsche Geschichtsschreibung" hielt. Wie bereits in den fünf Jahren zuvor, hatte der Verein auch 1995 für den Volkstrauertag am 19. November eine Gedenkfeier auf dem Soldatenfriedhof in Halbe (Kreis Dahme-Spreewald/ Brandenburg) mit etwa 1 000 Teilnehmern angemeldet. Für den Fall eines Verbots der Veranstaltung hatte die "Kulturgemeinschaft" diesmal auf eine Empfehlung verzichtet, ersatzweise an den Veranstaltungen des "Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V." teilzunehmen. Nicht nur die Veranstaltung 116 C - Rechtsextremismus - in Halbe, sondern auch jede "Ersatzveranstaltung" wurde untersagt. 5.3 "Berliner Runde Tische" und "Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungswerk e. V." Zwei Organisationen treten bei der "Runden-Tisch-Bewegung" durch besondere Aktivitäten hervor: Die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) und das "Hoffmann-von-FallerslebenBildungswerk e. V.". Letzteres wurde im November 1990 gegründet, hat seinen Sitz in Berlin und steht unter Leitung von Rudolf KENDZIA, vormals NPD-, REPsowie DLVH-Aktivist. TarnorganiLt. Satzung verfolgt das "Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungssation werk e. V." "die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens in Deutschland und Berlin und des Heimatgedankens". Der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen ergibt sich vorrangig aus der Zusammensetzung seiner etwa zwanzigköpfigen Mitgliedschaft. Ziel des Vereins ist die enge Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Organisationen, wobei das Bildungswerk dabei u. a. als "Tarnorganisation" für Veranstaltungen von Rechtsextremisten und Neonationalsozialisten fungiert. Die Aktivitäten des Vereins beschränkten sich 1995 auf Einzelveranstaltungen, an denen u. a. auch Angehörige der rechtsextremistischen Vereinigungen "Berliner Kulturgemeinschaft Preußen e. V", "Die Nationalen e. V", "Die Republikaner" (REP) und "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) teilnahmen. Die letzten beiden Zusammenkünfte im November und Dezember erfolgten im Rahmen der "Runden-TischBewegung" (s. u.). Initiator der Die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) strebte bereits "Runden-Tisch1994 und somit als erste rechtsextremistische Organisation in Bewegung" 117 C - Rechtsextremismus * Appellen und Rundschreiben die "Einigung und Sammlung der demokratischen Rechten" an. Unter Hinweis auf den Negativtrend bei den Wahlergebnissen der "Rechtsparteien" stellt die DLVH fest, keine dieser Parteien könne aus eigener Kraft die breite Wählermasse ansprechen. Erste Kontaktgespräche und die Ergebnisse im Wahljahr 1994 böten günstige Voraussetzungen für die Verwirklichung der von der DLVH immer schon vertretenen Einigungsforderung. So initiierte sie u. a. im Februar 1995 die "Ingolstädter Erklärung", im Juni 1995 den "Rheinischen Appell" und forderte in diesen Papieren, ab sofort überall lokal, regional und letztlich bundesweit "Runde Tische" zur Vorbereitung der "Einheit aller Patrioten" einzuberufen. Dieses Ansinnen unterstützen mittlerweile auch Teile anderer rechtsextremistischer Organisationen, wie z. B. NPD und "Republikaner". Der Landesverband Thüringen der "Republikaner" gab im Juni 1995 das "Eisenacher Signal" heraus, dessen Inhalt (Bündelung der "nationalen Kräfte") die REPBundesführung jedoch kritisierte. Für den 20. November 1995 hatten das Berliner "Hoffmann-vonErster Fallersleben-Bildungswerk e. V." und der rechtsextremistische "Berliner Förderkreis "Nation Europa-Freunde e. V." mit Sitz in Coburg Runder Tisch" zum ersten "Berliner Runden Tisch" in eine Gaststätte in BerlinSchöneberg eingeladen. Zu diesem ersten Versuch in der Hauptstadt, die Organisationen des "nationalen Lagers" unter Einschluß der neonazistischen "Nationalen" zu vereinen, fanden sich ca. 70 Personen überwiegend aus Berlin, darunter Mitglieder und Anhänger der "Republikaner" (REP), der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH), der "Nationalen e. V." und der NPD, zusammen. Die Veranstaltungsleitung hatte Rudolf KENDZIA, vormals NPD-, REPsowie DLVH-Aktivist und nunmehr Vorsitzender des "Bildungswerkes", inne. Vorläufer der Berliner Veranstaltung war der "1. Runde Tisch", der im Juni 1995 in Thüringen zum Thema Zukunft der deutschen Rechten stattgefunden hatte. Nach Aussagen des Veranstalters sollte das Treffen dazu beitragen, "die Zersplitterung der politischen Rechten in Deutsch- 118 C - Rechtsextremismus - land zu überwinden, das Gespräch unter Gleichgesinnten in Gang zu bringen, alte Parteigräben zu überwinden und einen Weg zum gemeinsamen politischen Vorgehen zu finden...". Die "Runde-Tisch-Bewegung" solle Basis und Forum für die Kooperation aller "nationalen" Organisationen sein und somit überparteilich agieren. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand ein Vortrag des Chefredakteurs der rechtsextremistischen Monatszeitschrift "Nation & Europa", Karl RICHTER, zum Thema "Was will die 'Runde Tische Bewegung?'". RICHTER forderte den Zusammenschluß aller "nationalen" Parteien, erklärte, nur ein solcher sei zukunftsweisend, und bedauerte die Ablehnung führender Vertreter von NPD und DVU gegenüber den Einigungsbestrebungen. RICHTER erklärte, in Berlin werde es innerhalb eines Jahres sechs bis acht Veranstaltungen dieser Art geben. Sobald die Anlaufphase abgeschlossen sei und genügend Sympathisanten "rekrutiert" worden seien, solle die "Bewegung" als Partei mit "deutsch-nationaler Politik" bundesweit etabliert werden. Etwa 30 Angehörige der linksextremistischen Szene versuchten, das Treffen zu verhindern. Zweiter Am 11. Dezember 1995 fand erneut ein "Runder Tisch" auf Ein"Berliner ladung des "Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungswerkes e. V." Runder unter Beteiligung von ca. 50 Personen statt. Zu Störungen kam Tisch" es bei dieser Veranstaltung zum Thema "Strategie der europäischen Wiedergeburt" nicht. Die Berliner "Runden Tische" sind erste Versuche, in der Hauptstadt rechtsextremistische Organisationen aller Schattierungen einschließlich Neonazis zusammenzuführen. Sie setzen eine im Sommer 1995 begonnene bundesweite Initiative rechtsextremistischer Vereinigungen fort mit dem Ziel, das kommende Jahr zu einem "Jahr der Versöhnung, Öffnung und Erneuerung" zu machen und auf kommunaler, Landesund letztlich auch Bundesebene "Runde Tische" einzuberufen, um auf eine Sammlung der "demokratischen Rechten" hinzuwirken. In rechtsextremistischen Gruppierungen scheint sich nunmehr die Einsicht durchzusetzen, daß - um "der Sache" willen - auf eine überorganisatorische Kooperation nicht verzichtet werden kann. 119 C - Rechtsextremismus - 5.4 "Deutsches Kolleg" (DK) und "Verlag der Freunde" (VdF) Das "Deutsche Kolleg" wurde im Dezember 1994 in Berlin gegründet und verfügt nur über Einzelmitglieder. Nach seinem Selbstverständnis soll es den "jungen schöpferischen Kräften das geistige Rüstzeug und ein Forum in der deutschen Hauptstadt" vermitteln. Neben Vorträgen (sog. Berliner Gespräche) veranstaltet das DK Vorträge und Schulungen (zweite Säule des DK). Begonnen wurde der AufSchulungen bau von Schulungsgruppen in mehreren Orten der Bundesrepublik Deutschland. Basis der Schulungen sind die von dem rechtsextremistischen Theoretiker Dr. Reinhold OBERLERCHER - Herausgeber der Monatsschrift "Staatsbriefe" - aus Hamburg verfaßten Texte in den sog. Schulungszyklen. Wesentlicher Bestandteil der Unterlagen ist der 50seitige "Schulungszyklus 'Die Neuordnung Deutschlands'", aus der sich eindeutig antidemokratische, rassistische und ausländerfeindliche Züge ergeben: Akteur sei die "Deutsche Nationalbewegung", die einzige Opposition zu den "herrschenden Verhältnissen". Die DN nehme für sich in Anspruch, nicht einen Teil (= Partei), sondern das Ganze (= Staat, Nation) zu vertreten - womit jeglicher Pluralismus ausgeschaltet wäre. Im Reichsverfassungsentwurf (RVerfE) Reinhold OBERLERCHERs wird die "Volksherrschaft" propagiert, die keinesfalls "Demokratie" genannt werden dürfe. Im "ABC der politischen Begriffe" heißt es gar: "In der späten BRD wurde Demokratie vorwiegend gebraucht als ideologisiertes Schlagwort zur Verbergurtg von Fremd-, Klassenund Pöbelherrschaft...." OBERLERCHER befürwortet zwar nicht den NS-Ariernachweis, will diesen aber durch den Germanenbeweis ersetzen und erwartet von Nichtdeutschen beispielsweise polnischer Herkunft, daß sie sich - bevor sie die Reichsbürgerschaft erhalten können - "entpolonisieren". Mischehen und die "kleinen braunen Misch- 120 C - Rechtsextremismus - lingskinder" seien "zunächst einmal ein rassisch zugespitzter Angriff auf die herkömmliche deutsche Abstammungsgemeinschaft und das hergebrachte deutsche Schönheitsideal". Die Schulung wird vom "Deutschen Kolleg" mit größter Ernsthaftigkeit betrieben. Nach Abschluß eines jeweiligen "Schulungszyklus" stehen Prüfungen an. "Nationale Dozenten" können über das "Deutsche Kolleg" eine "Reichsdozentur" erwerben, die alle zwei Jahre erneuert werden müsse. Das "Deutsche Kolleg" führte während des Jahres 1995 Schulungsveranstaltungen zu Themen wie "Die Neuordnung Deutschlands" im gesamten Bundesgebiet, vorwiegend jedoch im Raum Hamburg, durch. Den Höhepunkt bildete im August eine fünftägige sog. Freie-Sommer-Universität zum Thema "Großraum Europa" auf Burg Hohenburg in Bayern. Die von den Schulungen angesprochene Klientel erstreckt sich von Vertretern der "Neuen Rechten" bis hin zu Neonazis. Der "Verlag der Freunde" (VdF) - 1994 gegründet mit Sitz in Berlin - wurde mit Erscheinen seiner Publikation "Sleipnir" Nr. 1 im Januar 1995 bekannt. Seitdem erschien alle zwei Monate eine neue Ausgabe. Der "VdF-Buchdienst" vertreibt Bücher und Tonträger mit rechtsextremistischen und revisionistischen Inhalten (u. a. "Verschwörung und Verrat um Hitler" von Otto Ernst REMER und Tonträger des Liedermachers Frank RENNICKE). "Sleipnir" Die Verlagsinhaber unterhalten Verbindungen zu Rechtsextremisten und bieten diesen Gelegenheit, ihre insbes. revisionistischen Auffassungen in der Zeitschrift "Sleipnir", von der mittlerweile sechs Ausgaben vorliegen (zuletzt Dezember 1995) und die in ihrer Grundhaltung als antiliberal und antiegalitär zu bezeichnen ist, zu verbreiten. Zu den Autoren zählen u. a. der bekannte französische Revisionist Serge THION oder der bundesweit agierende Neonazi Christian WORCH aus Hamburg. Am 15. November 1995 wurden auf Beschluß der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin im Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren im Sinne der SSSS 86 a - Verwenden von 121 C - Rechtsextremismus - Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen - und 130 StGB - Volksverhetzung - Verlagsräume und Wohnungen der Gesellschafter durchsucht, wobei umfangreiches Beweismaterial sichergestellt werden konnte. 122 C - Rechtsextremismus * 123 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - D Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - Ausländerextremismus - 124 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern 125 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern D SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN - AUSLÄNDEREXTREMISMUS - 1 Allgemeiner Überblick "Ausländerextremismus" dient den Verfassungsschutzbehörden Definition lediglich als Arbeitsbegriff. Sein Aufgabenschwerpunkt liegt in "Ausländerder Beobachtung von gewaltorientierten, terroristischen und extremismus" staatsterroristischen Bestrebungen militanter ausländischer Organisationen, Gruppen oder Einzelpersonen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Hierzu zählen auch bestimmte geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Mächte, die zum Ziel haben, Terroranschläge vorzubereiten bzw. durchzuführen, Oppositionelle und Regimegegner auszuforschen oder zu bedrohen bzw. einzuschüchtern, in Einzelfällen sogar zu liquidieren ("Staatsterrorismus"). Der Anteil der in Berlin melderechtlich erfaßten 435 698 AusQuote länder (Stand: 31. Dezember 1995), die extremistischen oder extremistisch beeinflußten Ausländerorganisationen zuzurechnen sind, betrug 1995 mit 5 395 Personen (1994: 3 640) ca. 1,25% (1994: 0,9%). Dies ist im Vergleich zum Vorjahr eine geringfügige Steigerung, die sich zum einen aus einem leichten realen Zuwachs des extremistischen Potentials, zum anderen aus der Korrektur vorhandener Zahlen infolge genauerer Informationen erklärt. 126 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - Mitgliedschaften in extremistischen Ausländergruppen in Berlin - Gesamtzahl: 5 395 Personen - Verteilung nach ideologischer Ausrichtung: l islamisch-extremistische Organisa- 3 525 Personen (65 %) tionen I I linksextremistische Organisationen 1 270 Personen (24 %) I rechtsextremistische Organisationen 600 Personen (11 %) Verteilung nach Nationalitäten: I türkische Organisationen 4 070 Personen (75 %) Araber-/Palästinenser470 Personen ( 9 %) Organisationen l Kurden (PKK) 800 Personen (15%) I Iraner 55 Personen ( 1 %) 127 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern Mitgliedschaften in extremistischen Ausländergruppen in Berlin - Gesamtzahl: 5 395 Personen - Ideologische Nationalität Ausrichtung Linksextremistische Araber/Palästinenser 3 Islamischextremistische Araber/Palästinenser Regimetreue Iraner Oppositionelle Iraner Islamischextremistische Türken Rechtsextremistische Türken El Linksextremistische Türken Kurden (PKK) 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 128 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - 2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Die Zahl der in Berlin lebenden Kurden wird auf bis zu 50 000 Personen geschätzt (bundesweit etwa 500 000), rund 90 % von ihnen sind türkische Staatsangehörige. Während sich die meisten in der Bundesrepublik Deutschland aktiven Kurden-Organisationen fast ausschließlich auf propagandistische Aktionen beschränken, ist die in der Türkei terroristisch operierende "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) auf deutschem Boden in der Vergangenheit und bis in die jüngste Gegenwart wiederholt gewaltsam gegen türkische Einrichtungen vorgegangen und hat zahlreiche Straftaten verübt. Kurden 1995 1994 Organisation Berlin Bund Berlin Bund "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 800 8900 500 7500 f Die am 27. November 1978 offiziell gegründete PKK wird von einem Zentralkomitee (ZK), dessen Beschlüsse für alle Parteigliederungen verbindlich sind, geleitet. Als deren Generalsekretär und unumschränkter Führer amtiert seit ihrer Gründung Abdullah ÖCALAN. Sitz der PKK ist Damaskus (Syrien). Sie ist straff organisiert, arbeitet konspirativ und rekrutiert sich fast ausschließlich aus türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit. Ziele der Nachdem die PKK lange Zeit für einen unabhängigen kurdiPKK schen Staat innerhalb der Grenzen der Türkei gekämpft hat, strebt sie nach Äußerungen ÖCALANs in jüngster Zeit nur noch einen Autonomiestatus innerhalb der Türkei an. Ob diese Aus- 129 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - sagen lediglich taktisch bedingt sind, werden zukünftige Aktivitäten zeigen. Die PKK verfügt über zwei internationale Teilorganisationen: * Die "Volksbefreiungsarmee Kurdistans" (ARGK), die als Internationale militärischer Arm den bewaffneten Kampf in der Türkei Teilorgaführt und nisationen * die "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK), die auf internationaler Ebene für die Öffentlichkeitsarbeit der PKK zuständig ist. Die PKK selbst ist als Partei "offiziell" nicht in Europa tätig. Ihre Aktivitäten gehen von ihrer internationalen Teilorganisation ERNK aus. Das Europa-ZK der ERNK befindet sich in Brüssel, die Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland werden von der ERNK-Zentrale in Köln gesteuert. Die Zahl der Mitglieder und Anhänger der PKK wird bundesweit auf etwa 8 900 (1994: 7 500), in Berlin auf etwa 800 (1994: 500) geschätzt. Zu Großveranstaltungen aus aktuellen Anlässen ist sie darüber hinaus in der Lage, zusätzlich eine beträchtliche Anzahl von Sympathisanten zu mobilisieren. Trotz des am 26. November 1993 vollzogenen BetätigungsverUnveränderte bots in der Bundesrepublik Deutschland setzten die PKK und Aktivitäten trotz die von ihr beeinflußten Organisationen auch 1995 in Berlin ihre Verbots Aktivitäten unvermindert fort. Das Verbot hat den Handlungsspielraum der Partei bisher nicht erkennbar eingegrenzt. Die ungebrochene Gewaltbereitschaft der PKK stellt nicht nur eine erhebliche Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik dar, sondern belastet auch in besonders starkem Maße das Verhältnis zwischen den hier lebenden Kurden und Türken. Ende Dezember 1993 wurde in der Zossener Str. 41 (BerlinKreuzberg) ein neues Kurdisches Kommunikationszentrum ("Kurdisches Haus") eröffnet, in dessen Räumen der einige Tage vor dem PKK-Verbot gegründete "Verein Deutsch-Kurdisches Kultur Zentrum (NAWCAKURD) in Berlin e. V." sowie sie- 130 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - ben weitere PKK-Nebenorganisationen bzw. PKK-nahe Gruppierungen bis Ende Oktober 1995 ihren Sitz hatten. Der Verein NAWCAKURD ist Berliner Mitgliedsverein der am 27. März 1994 in Bochum von 12 kurdischen Vereinen gegründeten "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland" (YEK-KOM). Nach eigener Darstellung arbeitet YEK-KOM mit weiteren 40 kurdischen Organisationen zusammen und erhebt den Anspruch, die Interessen aller in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kurden zu vertreten. Seit dem Auszug aus dem "Kurdischen-Haus" sind keine Aktivitäten mehr unter der Vereinsbezeichnung NAWCAKURD zu verzeichnen. Anfang November 1995 wurde in Berlin-Kreuzberg ein neuer Treffund Versammlungsort für Mitglieder und Sympathisanten der Berliner PKK-Region eröffnet. Veranstaltungen, Demonstrationen und Protestaktionen werden vorwiegend von deutschen Sympathisanten angemeldet. Häufig wird erst im Verlauf dieser Aktivitäten durch das Zeigen von Fahnen, Emblemen, Bildern oder das Skandieren von Parolen der verbotenen PKK bzw. ERNK deutlich, daß ein PKK-Bezug besteht. Bei Demonstrationen des PKK-Spektrums wurden von der Polizei häufig Personen vorübergehend festgenommen, die verbotene Parteisymbole zeigten. In Einzelfällen verzichtete die Polizei aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf ein Einschreiten. In Kreisen der Berliner Gliederung der PKK wurde dies als Erfolg für die "kurdische Sache" gewertet. Neue AnDie militanten Auseinandersetzungen der PKK mit der türkischlagsserie schen Staatsmacht spiegelten sich auch 1995 in einer Vielzahl gegen von Gewalttaten gegen türkische Einrichtungen in der Bundestürkische Einrichtungen republik Deutschland wider. Nach den offensichtlich zentral gesteuerten Gewaltaktionen des Jahres 1993, die schließlich zum Verbot der PKK geführt hatten, begann am 17. Februar 1995 erneut eine bundesweite Anschlagsserie gegen türkische Einrichtungen mit insges. mehr als 200 Gewalttaten, die überwiegend der PKK zugerechnet werden müssen. Im Zeitraum vom 25. Februar bis 29. März 1995 waren in Berlin zehn Brandanschläge gegen türkische Einrichtungen zu verzeichnen, für die 131 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - mehrheitlich vermutlich ebenfalls die PKK verantwortlich ist. Am 6. Oktober 1995 wurde vor dem Kurdischen KommunikationsFestnahme eines zentrum ein 26jähriger Kurde wegen des Verdachts der MitPKK-Kaders in Berlin gliedschaft in einer terroristischen Vereinigung von Beamten des BKA festgenommen. Ihm wird u. a. vorgeworfen, kurdische Jugendliche zu Brandanschlägen angestiftet zu haben. Die Vorbereitungen der Wahlen zum "Kurdischen ExilparlaGründung des ment" (zunächst SKP, jetzt PKDW) stellten Anfang 1995 einen "Kurdischen Agitationsund Arbeitsschwerpunkt der PKK in der BundesreExilparlaments" publik Deutschland dar. Die verbotene ERNK und einige ihrer nicht verbotenen Nebenorganisationen führten auch in Berlin zahlreiche Wahlveranstaltungen durch. Am 12. April 1995 gaben Vertreter verschiedener kurdischer Organisationen im niederländischen Den Haag die Gründung des PKK-dominierten Exilparlaments bekannt. Die Initiative zur Gründung der zu diesem Zeitpunkt 65 Abgeordnete umfassenden "Exilvertretung" ging von der 1994 in der Türkei verbotenen prokurdischen "Partei der Demokratie" (DEP) aus. Nach Willen der PKK soll das kurdische Exilparlament als einzige Kraft zur politischen Lösung des Kurdenproblems anerkannt werden. Die Abgeordneten wurden durch Wahlen kurdischer Organisationen in Europa, Nordamerika, den GUS-Staaten und Australien bestimmt. Die ERNK ist mit 12 Sitzen die stärkste Fraktion im Exilparlament, gefolgt von sechs Abgeordneten der DEP. Darüber hinaus verfügt die PKK durch etwa 20 Vertreter ihrer Nebenorganisationen über erheblichen Einfluß. Zumindest fünf Abgeordnete des Exilparlaments sind der Berliner Gliederung der PKK bzw. dessen Umfeld zuzurechnen. Am 20. Juli 1995 begann in Berlin ein zunächst als "MahnHungerstreik wache" angemeldeter Hungerstreik zum Thema "Solidarität mit den Hungerstreikenden in Gefängnissen der Türkei und Kurdistan". Bei der überwiegenden Mehrzahl der über 100 Teilnehmer handelte es sich um Mitglieder und Anhänger der PKK, die aus dem norddeutschen Raum angereist waren. Die Leitung der Aktion lag in Händen Berliner PKK-Kader. Die Teilnehmerzahl erhöhte sich in den folgenden Tagen auf bis zu 200 Personen. 132 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - Nachdem am Veranstaltungsort von der Polizei mehrfach verbotenes Propagandamaterial der PKK und ERNK beschlagnahmt und Personen vorübergehend festgenommen worden waren, wurde der Hungerstreik wegen wiederholter Straftaten, insbesondere wegen verschiedener Verstöße gegen das Vereinsgesetz am 26. Juli 1995 von der Polizei aufgelöst. Die Hungerstreikenden setzten ihre Aktion jedoch auf dem Hof bzw. in den Räumen des Kurdischen Kommunikationszentrums in Berlin-Kreuzberg fort. Tod einer Während des Hungerstreiks verstarb die 41jährige Kurdin GülKurdin naz BAGHISTANI an Herzversagen. Das Hungerstreikkomitee gab in einer Erklärung der Polizei die Schuld für den Tod der Kurdin, sie sei "an den Folgen des massiven Angriffs und der Provokation der Polizei" verstorben, wofür es jedoch keinerlei Anhaltspunkte gibt. An dem vom Hungerstreikkomitee aus Anlaß des Todes der Kurdin initiierten Trauermarsch am I.August 1995 beteiligten sich über 10 000 Personen, darunter etwa 150 deutsche Autonome sowie einige Anhänger türkischer linksextremistischer Gruppen. Mehrere tausend Kurden waren aus dem gesamten Bundesgebiet in Reisebussen und privaten Pkw zur Teilnahme angereist. In verschiedenen Berliner Stadtbezirken wurden Plakate mit Bildern von Gülnaz BAGHISTANI und einem weiteren "Märtyrer" mit der Beschriftung "Mörder von Gülnaz und Fesih ist die deutsch-türkische Republik" geklebt. Der Hungerstreik wurde offiziell mit einer Festveranstaltung am 15. August 1995 im Kurdischen Kommunikationszentrum beendet. Ein Berliner PKK-Funktionär erinnerte daran, daß an diesem Tage vor elf Jahren der bewaffnete Kampf der PKK gegen den türkischen Staat begonnen habe. Ein Berliner Abgeordneter des Kurdischen Exilparlaments schloß seinen Redebeitrag mit den Worten: "Wir sind alle PKK und werden es auch bleiben. Deutschland und die ganze Welt können sich darüber ärgern. Es wird uns aber gelingen, die türkische Regierung zu Verhandlungen zu zwingen." 133 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - Das von der PKK für den 16. September 1995 in Rotterdam geVerbot des plante "4. Internationale Kurdistan-Festival" mit erwarteten "Kurdistan100 000 Teilnehmern wurde von den niederländischen BehörFestivals" in Rotterdam den verboten. Bei der vergeblichen Suche nach einem anderen Veranstaltungsort war zeitweise auch Berlin im Gespräch. Ende Oktober 1995 gab die Berliner Gliederung der PKK ihren bisherigen Treffund Versammlungsort in Berlin-Kreuzberg, der auch als "Kurdisches Haus" bezeichnet wurde, auf. Im Laufe des Jahres 1995 hatte die Polizei wegen des Verdachts strafbarer Handlungen mehrmals Räumlichkeiten des "Kurdischen Hauses" durchsucht. Im Zusammenhang mit der Durchsuchung des "Kurdischen Auszug aus dem Hauses" durch die Polizei hatte die türkischsprachige, der PKK "Kurdischen nahestehende Tageszeitung "Yeni Politika" ("Neue Politik") im Haus" Mai 1995 eine Erklärung des "Kurdischen Hauses in Berlin" zitiert, in der unter anderem darauf hingewiesen wurde, daß das Haus seit seiner Gründung "mehrfach aus nichtigen Anlässen von der Polizei überfallen und durchsucht" worden sei. Aus der Erklärung ging ferner hervor, daß im Kurdischen Haus Sympathisanten zahlreicher Organisationen - darunter auch der ERNK - verkehrten. Alle diese Organisationen hätten das Recht, für ihre Ziele Propaganda zu machen. Das Propagandamaterial könne kein Grund sein, daß der Verein "überfallen" werde. Der deutsche Staat verfolge mit diesen "Überfällen" - ähnlich den Willkürmaßnahmen in der Türkei - das Ziel, die kulturelle und politische Tätigkeit des kurdischen Volkes zu unterbinden. Ihren Parteiapparat und die militärischen Aktionen ihrer Spendengeld"Kampforganisation" ARGK in der Türkei finanziert die PKK im erpressung wesentlichen durch Spendensammlungen, Mitgliedsbeiträge, Einnahmen aus dem Verkauf von Publikationen und Überschüssen aus parteieigenen Unternehmen sowie in zunehmendem Maße durch Schutzgelderpressungen. Das "Spendenaufkommen" beläuft sich bundesweit jährlich auf mehrere Millionen DM; in Berlin wurde ein Betrag von mehr als einer Million DM gesammelt. 1995 waren in Berlin rund 100 Ermittlungsverfahren 134 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern wegen "Spendengelderpressung" durch PKK-Sympathisanten anhängig. Verurteilung In folgenden Fällen wurden Aktivisten der Berliner Gliederung von PKKder PKK verurteilt: Aktivisten in Berlin * Am 31. März 1995 wurde ein 32jähriger Kurde von der Staatsschutzkammer des Landgerichts Berlin wegen gefährlicher Körperverletzung und Aktivitäten für die PKK zu 20 Monaten Haft verurteilt. Der Verurteilte gehörte zu einer Gruppe von Kurden, die am 19. August 1994 einem türkischen Gastwirt in BerlinKreuzberg Publikationen der PKK zum Kauf angeboten hatten. Im Verlauf der sich daraus ergebenden Auseinandersetzung verletzte der Angeklagte den Gastwirt durch einen Messerstich. * Am 21. April 1995 verurteilte die 2. Strafkammer des Landgerichts Berlin einen 34jährigen PKK-Aktivisten wegen versuchter räuberischer Erpressung in zwei Fällen u. a. in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung, Nötigung und Unterschlagung zu 45 Monaten Haft. Das Gericht sah als erwiesen an, daß der Kurde im Mai 1994 mit zwei weiteren Männern versucht hatte, von einem Bekannten für die PKK 5 000 DM zu erpressen. * Anfang Juli 1995 verhängte ein Berliner Gericht über zwei Kurden eine Geldbuße von je 600 DM wegen Plakatierens für die verbotene ERNK. * Im Oktober 1995 wurde von der 2. Strafkammer des Landgerichts Berlin ein türkischer Staatsangehöriger -wegen des Tragens einer Fahne mit dem Symbol der ERNK zu einer Bewährungsstrafe von drei Monaten verurteilt. 135 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - 3 Türken Die Zahl der in Berlin lebenden türkischen Staatsangehörigen Quote fiel im Jahr 1995 auf 137 889 (Stand: 31. Dezember 1995). Sie stellen mit 31,7 % nach wie vor den höchsten Anteil ausländischer Mitbürger in der Stadt. Der Anteil der Anhänger extremistischer oder extremistisch beeinflußter Organisationen unter den Türken betrug mit 4 070 Personen im Jahr 1995 etwa 3 %. Die im Vergleich zum Vorjahr (1994: 2 590, entspricht 1,9 %) zu registrierende Steigerung beruht nur zu einem geringen Teil auf einem realen Mitgliederzuwachs, sie stellt im wesentlichen eine Korrektur der Statistik aufgrund genauerer Informationen dar. 136 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - 1995 1994 Organisation Berlin Bund Berlin Bund Türken gesamt 4070 40170 2590 33280 hiervon: Linksextremistische Türken, z. B. 320 4770 290 4280 "Devrimci Sol" 50 1050 50 800 "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/M-L) 130 1950 110 1700 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) 20 250 40 180 "Revolutionäre Kommunistische Partei der Türkei" (TDKP)* 60 840 60 860 "Devrimci Yol" 150. 450 k. A. 530 Rechtsextremistische/nationalistische Türken, z. B. 600 6000 600 4900 "Großer Idealer Kreis türkischer Kulturverein Berlin e. V." (BÜD) 300 300 "Türkische Idealistengemeinschaft in Berlin" (TÜB) 300 6000** 300 4900** Islamisch-extremistische Türken, z. B. 3150 29400 1700 24100 "Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln" (ICCB) 150 2900 200 3850 "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V." (AMGT): seit Anfang 1995 "Islamische Gemeinschaft MMN Görüs" 3000 26200 1500 20000 (IGMG) und "Europäische Moscheebau und -unterstützungs Gemeinschaft e. V." (EMUG) EM Einzelmitglieder Einschließlich ihrer Basisorganisation "Föderation der demokratischen Arbeitervereine aus der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland e. V." (DIDF) Gesamtzahlen für "Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V." (ADÜTDF) 137 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - Für die Sicherheitslage in Berlin waren auch 1995 die Aktivitäten der gewaltorientierten linksextremistischen türkischen Organisationen von besonderer Bedeutung. Die extremnationalistischen und islamistischen türkischen Organisationen haben im Berichtszeitraum keine gewalttätigen Aktivitäten entfaltet. 3.1 Linksextremistische türkische Organisationen Die revolutionär-marxistischen Gruppen der "Türkischen Kommunistischen Partei / Marxisten-Leninisten" (TKP/M-L) und die seit 1983 in der Bundesrepublik Deutschland verbotene "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") traten auch 1995 mit z. T. gewaltsamen Aktionen in Erscheinung. Ziel beider Organisationen ist die Beseitigung des gegenwärtigen Regimes und die Errichtung einer marxistischen Gesellschaftsordnung in der Türkei. In der Bundesrepublik Deutschland bedienen sie sich dabei - wie in ihrer Heimat - terroristischer Mittel. Zahlreiche gewaltsame Aktionen zeigen eindeutig, daß sie ihren "revolutionären Kampf auch außerhalb der Türkei austragen. Eine planmäßige Kooperation türkischer linksextremistischer Organisationen konnte bisher nicht festgestellt werden. Konflikte mit der Staatsmacht in der Türkei sind gelegentlich Anlaß für eine punktuelle Zusammenarbeit z. B. bei gemeinsamen Demonstrationen. 3.1.1 "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") Die seit der Spaltung 1993 (vgl. Graphik) andauernden Machtkämpfe zwischen den beiden Fraktionen der "Devrimci Sol" werden europaweit nach wie vor gewaltsam ausgetragen. Die "Devrimci Sol" verfügt bundesweit insgesamt über ca. 1 050 Mitglieder (1994: 800). In Berlin werden wie im Vorjahr etwa 50 Personen den beiden Flügeln der Organisation zugerechnet. 138 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - Endgültige Der KARATAS-Flügel der "Devrimci Sol" formierte sich Anfang Spaltung der Oktober 1994 zur "Revolutionären Volksbefreiungspartei / - "Devrimci front" (DHKP-C). Der konkurrierende YAGAN-Flügel benutzt Sol" seitdem u. a. die Bezeichnung "Türkische Volksbefreiungspartei / -front Devrimci Sol" (THKP/-C - Devrimci Sol). "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") KARATAS-Flügel YAGAN-Flügel "Revolutionäre Volksbefreiungs"Türkische Volksbefreiungspartei/frorrt Devrimci Sol" (THKP/-Cpartei/-fronf (DHKP-C) Devrimci Sol) Aktivitäten der "Revolutionären Volksbefreiungspartei/front" (DHKP-C): * Im zeitlichen Zusammenhang mit dem kurdischen Neujahrsfest "Newroz" waren in der Nacht zum 22. März bundesweit sechs türkische Einrichtungen von Brandanschlägen betroffen, für die mit hoher Wahrscheinlichkeit Anhänger der "Devrimci Sol" verantwortlich sind. An fünf Tatorten wurden Fahnen der DHKP-C-Frontorganisation "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" (DHKC) aufgefunden. * In Berlin war ein Anzeigenbüro der türkischen Tageszeitung "Hürriyet" ("Freiheit") (Berlin-Neukölln) sowie ein Reisebüro der staatlichen Fluggesellschaft "Turkish Airlines" (Berlin-Wedding) von dieser Anschlagsserie betroffen. An beiden Tatorten wurden Fahnen der DHKC und am Reisebüro zusätzlich eine größere Anzahl gelber und roter Zettel mit dem handschriftlichen türkischsprachigen Text "Steigern wir zum Newroz den 13? D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - Krieg der Völker gegen den Faschismus" und der Organisationsbezeichnung DHKC entdeckt. * Am 24. Mai wurden die Räume des Fernsehsenders SAT 1 in der Budapester Straße 33-35 (BerlinTiergarten) durch Anhänger der DHKC besetzt. Die Besetzer zeigten zwei Transparente der DHKC und verteilten Flugblätter des Informationsbüros der DHKC, die die Vorgehensweise der türkischen Regierung gegen die Organisation verurteilten. * Am 24. September kam es in Berlin zu einer spontanen Angriff auf gewaltsamen Aktion von Berliner Anhängern der türkischen Politiker "Revolutionären Volksbefreiungspartei /-front" (DHKPC) gegen den Vorsitzenden der neuen türkischen Partei "Neue Demokratische Bewegung" (YDH), Cem BOYNER. Im Rahmen seines Berlin-Aufenthalts besuchte er mit Begleitpersonen die Räumlichkeiten der "Türkischen Gemeinde zu Berlin" (Berlin-Kreuzberg). Nach Verlassen des Gebäudes wurde die Gruppe von fünf Personen bedrängt, die eine - vermutlich mit Blut getränkte - Fahne der DHKP-C mitführten und ein Flugblatt übergeben wollten. Aufgrund seiner ablehnenden Haltung wurden BOYNER und zwei Journalisten, die den Vorfall mit Fotoaufnahmen dokumentieren wollten, tätlich angegriffen. Ein Journalist wurde verletzt und ein Aktenkoffer entwendet. * Am 14. Dezember wurde das Generalkonsulat der Republik Türkei in der Johann-Georg-Straße (BerlinWilmersdorf) aus einer Gruppe von etwa 20 Personen heraus mit Eiern und Tomaten beworfen. Die Gruppe hatte zuvor ein Transparent gegen die Haftbedingungen in der Türkei gezeigt und Flugblätter der DHKC verteilt. Auch 1995 war die Spendensammlung der DHKP-C von Straftaten, u. a. Erpressung und Gewalttaten, begleitet. 140 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - Die Anhänger des YAGAN-Flügels der "Devrimci Sol" traten 1995 in Berlin nicht mit öffentlichen Aktivitäten in Erscheinung. 3.1.2 "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten" (TKP/M-L) Weitere AufDie Spaltungstendenzen innerhalb der in der Türkei ebenfalls splitterung terroristisch operierenden "Türkischen Kommunistischen Parder TKP/M-L tei / Marxisten-Leninisten" setzten sich auch 1995 fort. 1994 hatte sich die TKP/M-L in die Flügel "Ostanatolisches Gebietskomitee" (DABK) und "Partizan" gespalten. Der in Berlin die Ziele des Partizan-Flügels vertretende "Verein der Arbeiter aus der Türkei in Berlin e. V." (TID) ist mit etwa 50 Mitgliedern weiterhin aktiv. Die Anhängerschaft des DABK-Flügels umfaßt in Berlin etwa 30 Personen. "Türkische Kommunistische Partei/Marxteten-Leninisten" (TKP/M-L) Türkische Kommunistische "Ostanatolisches GebietsPartei/Marxisten-Leninisten - Partizan-Flügel Bewegung" (TKP/M-L komitee" (DABK) Hareketi - vgl. unten) Die seit 1981 existierende TKP/M-L Hareketi ("Bewegung") schloß sich mit der "Türkischen Kommunistischen Arbeiterbewegung" (TKIH) zur "Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei - Gründung" (MLKP-K) zusammen. 141 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten - "Türkische Kommunistische Bewegung" (TKP/M-L Hareketi) Partei" (TKIH) "Marxistisch-Leninistische Kom"Türkische Kommunistische munistische Partei -Gründung" Partei/Marxisten-Leninisten - (MLKP-K) Auslandsaufbauorganisation" (TKP/M-L - YIÖ) "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) "Kommunistische Partei - Aufbauorganisation" (KP-IÖ) Die MLKP-K fusionierte zunächst mit einer weiteren Strömung Zunächst Fusion, anschließend der TKP/M-L (TKP/M-L - YIÖ) zur "Marxistisch-Leninistischen Abspaltung Kommunistischen Partei" (MLKP). Nach parteiinternen Auseinandersetzungen spaltete sich hiervon eine Gruppe ab, die seit September 1995 unter der Bezeichnung "Kommunistische Partei - Aufbauorganisation" (KP-IÖ) auftritt. Sie setzt die ausgeprägt antiimperialistische Ausrichtung der ehemaligen marxistisch-leninistischen TKP/M-L Hareketi fort. Die andere Gruppe bezeichnet sich weiterhin als "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP). Feindseligkeiten zwischen beiden Gruppen wurden in der Vergangenheit auch gewaltsam ausgetragen. Bundesweit verfügen die verschiedenen Fraktionen bzw. Strömungen der TKP/M-L und die aus ihr hervorgegangenen Gruppierungen wie MLKP und KP-IÖ über mehr als 2 200 Mitglieder. Die Berliner Anhängerschaft umfaßt etwa 180 Personen. Wie im vergangenen Jahren führten die Organisationen auch 1995 in Berlin Spendenkampagnen durch. 142 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - 3.1.3 Andere * "Revolutionäre Kommunistische Partei der Türkei" (TDKP) Auch die Anhängerschaft der "Revolutionären Kommunistischen Partei der Türkei" (TDKP) beteiligte sich sporadisch an Demonstrationen des linksextremistischen Spektrums zu aktuellen Anlässen. Die Organisation verfügt in Berlin einschließlich ihrer Basisorganisation, der "Föderation der demokratischen Arbeitervereine aus der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland e. V." (DIDF), über etwa 60 Anhänger (bundesweit etwa 840, 1994: 860 Personen). * "Devrimci Yol" ("Revolutionärer Weg") Der Kreis der Mitglieder und Sympathisanten der Berliner Gliederung der türkischen linksextremistischen Organisation "Devrimci Yol" umfaßt bis zu 150 Personen (bundesweit etwa 500 Mitglieder). In Berlin wird der Verein ADA e. V. dem Einflußbereich des "Devrimci Yol" zugerechnet. AuseinanderAuf Initiative der Berliner Gliederung der "Devrimci Yol" kam es setzungen mit in Zusammenarbeit mit Gruppen aus dem deutschen linksextürkischen tremistischen Spektrum am 15. November 1995 im ZusammenNationalisten hang mit einem spontanen Autokorso türkischer Fußballfans aus Anlaß der Qualifikation der türkischen Nationalmannschaft für die Endrunde der Europameisterschaft 1996 zu Gewalthandlungen. Einige Korsoteilnehmer schwenkten Fahnen der "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP), machten das Zeichen des "Grauen Wolfes"* und skandierten Parolen wie "Kommunisten raus aus Kreuzberg". Die linksextremistischen Akteure hatten sich bereits im Vorfeld des Qualifikationsspiels für den Fall eines möglichen Autokorsos der Fans am Kottbusser Tor (Berlin-Kreuzberg) versam- * Die Spitzen von Daumen, Mittelund Ringfinger einer Hand werden zusammengelegt und bilden die Schnauze des Wolfes, Zeigeund kleiner Finger werden hochgereckt und symbolisieren die aufgestellten Ohren. 143 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - melt. Etwa 10 Personen schlugen mit Stöcken und Latten auf ein Korsofahrzeug ein. Vereinzelt wurden vorbeifahrende Fahrzeuge mit Steinen beworfen. Weitere Eskalationen konnten durch taktische Maßnahmen der Polizei verhindert werden. 3.2 Extrem-nationalistische türkische Organisationen Die in Berlin aktiven extrem-nationalistischen türkischen Vereine orientieren sich an der "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) unter der Führung von Alparslan TÜRKES bzw. an der 1993 von der MHP abgespalteten "Partei der Großen Einheit" (BBP) unter Führung von Muhsin YAZICIOGLU. Beide Parteien sind nationalistisch, antikommunistisch und antiNationalismus, semitisch ausgerichtet. Die von der MHP begründete Ideologie Antikommunismu der "türkisch-islamischen Synthese" für die Errichtung einer und Antisemitismus "Groß-Türkei" und die "Beherrschung der Welt" findet auch bei der BBP Zustimmung, wobei die BBP der islamischen Komponente größere Bedeutung beimißt. In Berlin verfügen die MHP-orientierten "Idealistenvereine" - "Türkische Idealistengemeinschaft in Berlin" (TÜB) und drei weitere - über mehr als 300 Mitglieder (bundesweit etwa 6 000, 1994:4 900). "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) Abspaltung 1993 "Partei der Großen Einheit" (BBP) "Türkische Idealistengemein"Großer idealer Kreis - Türkischaft in Berlin" (TÜB) scher Kutturverein Berlin e. V." (BÜD) Die 1994 festgestellten, teilweise gewaltsam ausgetragenen Auseinandersetzungen zwischen den Vereinen "Großer Idealer 144 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - Kreis - Türkischer Kulturverein Berlin e. V." (BÜD) und "Türkische Idealistengemeinschaft in Berlin" (TÜB) fanden im Jahr 1995 keine Fortsetzung. Der an der BBP orientierte BÜD ist im Jahr 1995 nicht mit öffentlichen Aktivitäten in Erscheinung getreten. Aktivitäten der "Türkischen Idealistengemeinschaft in Berlin" (TÜB): * Auf Initiative der an der MHP orientierten TÜB fand am 11. Februar 1995 eine kurze Protestkundgebung gegen die (russische) "Invasion in Tschetschenien" auf dem Alexanderplatz (Berlin-Mitte) mit etwa 100 Teilnehmern statt. Bei polizeilichen Personenkontrollen vor Beginn der geplanten Demonstration wurden bei sechs vermutlichen Demonstrationsteilnehmern Gaspistolen, Sprühgeräte für Reizgas und Messer sichergestellt. Weitere öffentliche Aktionen haben die Berliner "Idealistenvereine" im Jahr 1995 nicht entwickelt. * Die bundesweite Anschlagserie auf türkische Einrichtungen Anfang des Jahres 1995 hat die Vereinsführung des TÜB bewogen, ausdrücklich den Verzicht auf Gegenaktionen zu erklären. Man werde sich nicht provozieren lassen und habe Vertrauen zur deutschen Polizei. Bisher ist es der Organisation jedoch nicht gelungen, ihre Anhängerschaft durchgängig von diesem Grundsatz zu überzeugen: Nach dem von der Türkei gewonnenen EM-Qualifikationsspiel in der Schweiz am 26. April 1995 kam es am Kottbusser Tor (Berlin-Kreuzberg) zu spontanen Ansammlungen von Fußballfans. Im Bereich Adalbertstraße/Oranienstraße (Berlin-Kreuzberg) standen sich schließlich eine Gruppe von etwa 30 Fußballfans und eine etwa gleichstarke Gruppe von PKK-Anhängern gegenüber. Es kam zu Auseinandersetzungen und vereinzelten Steinwürfen auf Polizeibeamte. Anlaß der Konfrontation waren die provokativen 145 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländem - Parolen einiger Korsoteilnehmer, die Fahnen der MHP schwenkten und das Zeichen des "Grauen Wolfes" machten (vgl. Fußnote zu "Devrimci Yol"). 3.3 Islamisch-extremistische türkische Organisationen Die Mehrzahl der islamisch-extremistischen türkischen OrganiIslamische sationen in der Bundesrepublik Deutschland orientiert sich an Staatsordnung in der türkischen "Wohlstandspartei" (RP) unter dem Vorsitz von der Türkei Necmettin ERBAKAN. Die RP ist eine nationalistisch ausgerichtete islamisch-fundamentalistische Partei, deren Hauptziel die Errichtung einer islamischen Staatsordnung in der Türkei ist. Die RP stellt nach den Parlamentswahlen in der Türkei am Wahlerfolg 24. Dezember 1995 mit 21,3 % aller Stimmen mit 158 Sitzen die für Islamisten stärkste Fraktion im türkischen Parlament. Nach diesem Wahlerfolg konnte ein teilweises Abrücken von fundamentalistisch geprägten Wahlaussagen seitens der RP festgestellt werden. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Wandel auf Dauer Bestand hat oder nur taktischer Natur ist. 3.3.1 "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V." (AMGT) In der Bundesrepublik Deutschland und Europa vertritt die 1985 gegründete "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V." (AMGT) mit Sitz in Köln das Gedankengut der RP. Sie änderte Anfang 1995 ihre Organisationsstruktur und bildete Veränderte die Vereinigungen "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" Organisationsstruktur (IGMG) und "Europäische Moscheebauund -unterstützungs Gemeinschaft e. V." (EMUG), die die Nachfolge der AMGT antraten. 146 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern "Wohlstandspariei" (RP) RP-gesteuert "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V." (AMGT) .islamische Gemeinschaft Milli "Europäische Moscheebauund Görüs" (IGMG) -unterstützungs Gemeinschaft e. V." (EMUG) Während die IGMG die politische Arbeit der AMGT fortsetzt, ist die EMUG für die Verwaltung des Immobilienbesitzes der bisherigen AMGT zuständig. Die IGMG verfügt bundesweit über etwa 26 200 Mitglieder (1994: 20 000). Der Berliner Gliederung werden etwa 3 000 Personen (1994: 1 500) zugerechnet. 3.3.2 "Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln" (ICCB) Die radikalere Linie unter den türkischen islamisch-extremistischen Organisationen vertritt der bereits 1984 von der AMGT abgespaltene "Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln" (ICCB). Der Verband ist bestrebt, die gegenwärtige laizistische Staatsform in der Türkei abzuschaffen und ein Staatsgefüge einzuführen, das sich am Vorbild des Iran orientiert. Bundesweit verfügt der ICCB über etwa 2 900 Mitglieder (1994: 3 850). Der Berliner Gliederung gehören etwa 150 Personen (1994: 200), nach eigenen Darstellungen der Organisation "500 Familien" an. Tod Im Mai 1995 starb der Vorsitzende des Verbandes, der selbstKAPLANS ernannte Kalif Cemaleddin KAPLAN. Nach seinem Tod zeigten sich Auflösungsbzw. Spaltungstendenzen, die ihren Ursprung in Auseinandersetzungen über das Vermögen des Verbandes, 147 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - aber auch in Meinungsverschiedenheiten über den Nachfolger KAPLANS hatten. Schließlich wurde sein Sohn Metin KAPLAN, der sich in der Öffentlichkeit nach dem Vorbild seines Vaters Metin MÜFTÜOGLU ("Sohn des Mufti") nennt, zu seinem Nachfolger ernannt. Die sich als Berliner Repräsentanten des ICCB bezeichnenden Vereine "Muslimen Treffund Kulturzentrum" (Berlin-Tiergarten) und die "Mehmet Akif Moschee" (Berlin-Wedding) sind im Jahre 1995 nicht durch öffentliche Aktivitäten in Erscheinung getreten. 148 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - 4 Araber Araber/Palästinenser 1995 1994 Organisation Berlin Bund Berlin Bund Araber/Palästinenser gesamt 470 2850 490 1720 hiervon: Linksextremistische Araber/Palästinenser, 150 750 160 880 z.B. "Demokratische Front für die Befreiung Pa30 140 30 200 lästinas" (DFLP) FATAH 100 380 100 400 "Volksfront für die Befreiung Palästinas" 20 180 25 180 (PFLP) "Volksfront für die Befreiung Palästinas - EM 10 EM 10 Generalkommando" (PFLP-GC) "ABU-NIDAL-Organisation" (ANO) EM 10 EM 10 Nationalistische bzw. islamisch-extremi320 2100 330 840 stische Araber/Palästinenser, z. B. "HIZB A L L A H " 50 680 70 600 "Palästinensischer Islamischer J i h a d " (PIJ) EM 10 EM 10 "Bewegung des islamischen Widerstandes" 50 120 50 140 (HAMAS) EM Einzelmitglieder 149 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - 4.1 Arabische Islamisten: "Muslimbruderschaft" (MB) Die 1928 von Hassan AL-BANNA (1906-1949) in IsmailiWeltweites Netz der ja/Ägypten gegründete "Muslimbruderschaft" ist die älteste und "Muslimbrubis heute wichtigste militant-islamische Organisation. In derschaft" Deutschland haben sich die Muslimbrüder u. a. in Aachen, Köln und München organisatorische und spirituelle Zentren geschaffen. In Berlin zählt die Vereinigung 50, bundesweit 920 Mitglieder. Die Bewegung der "Muslimbruderschaft" entstand als Reaktion traditionell-islamischer Kräfte auf die Auswirkungen der Kolonialisierungspolitik westlicher Staaten im arabischen Orient des 19. und 20. Jahrhunderts, die die bestehenden Wirtschaftsund Gesellschaftssysteme der Region völlig neu strukturierte und für weite Bevölkerungsteile eine soziale Verelendung mit sich brachte. Die "Muslimbruderschaft" entwickelte sich von einer regionalen ägyptischen Wohlfahrtsorganisation islamischer Prägung zu einer international weitverzweigt agierenden politischen Kraft, die heute in allen islamischen und den meisten westeuropäischen Staaten Stützpunkte unterhält. In Berlin existiert seit längerer Zeit eine Regionalvertretung, ihre Mitglieder sind in unterschiedlichen Vereinen und Moscheen organisiert. Als Kontaktadresse fungiert die "Islamische Föderation in Berlin", bei der es sich um einen Dachverband hier ansässiger islamischer Vereinigungen und Moscheen handelt. 4.2 Palästinenser 4.2.1 "Bewegung des islamischen Widerstandes" (HAMAS) Unter den in Berlin aktiven islamisch-extremistischen Araberorganisationen nimmt die palästinensische HAMAS ("harakat al muqawama al islamia" - "Bewegung des islamischen Widerstandes") eine hervorgehobene Rolle ein. Sie trat 1995 in Israel und den Autonomiegebieten erneut mit spektakulären Terroranschlägen in Erscheinung und ist derzeit zweifellos die aktivste 150 D Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern palästinensische Terrororganisation, die sich aktiv für eine "Befreiung" des von Israel beanspruchten "heiligen islamischen" Territoriums einsetzt. PalästinenDie HAMAS bezeichnet sich als palästinensischer Zweig der sischer Zweig international tätigen sunnitisch-extremistischen "Muslimbruderder "Muslimschaft" ("al-ikhwan al-muslimun") [s. d.]. Sie ist weltweit mit anbruderschaft" deren islamistischen Organisationen von Algerien bis Pakistan verbunden. Ihre Finanzierung im Inund Ausland erfolgt verdeckt und im wesentlichen über die der "Muslimbruderschaft" zugänglichen Einrichtungen weltweit operierender islamischer Organisationen. Spendensammlungen in den westlichen Ländern und finanzielle Unterstützungen u. a. aus arabischen Staaten gelangen so z. B. über unverdächtig erscheinende islamische Wohlfahrtsorganisationen in die Kasse der HAMAS im Westjordanland und im Gazastreifen. Außerhalb der von Israel besetzten Gebiete sind Gewalttaten der HAMAS bisher nicht bekannt geworden. Allerdings drohte sie im August 1995 den USA für den Fall der Auslieferung des in Amerika inhaftierten Mitgliedes der HAMAS-Exilführung Musa Abu MARZOUQ an Israel die internationalen Ausweitung ihres Kampfes an. Diskussion Unter dem Eindruck des voranschreitenden Friedensprozesses um Wahlbeim Nahen Osten schien sich Ende 1995 im Zuge der Diskussion teiligung um eine Beteiligung der Organisation an den Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten zunächst eine neue Taktik zur Durchsetzung ihrer Ziele abzuzeichnen. Während sich offizielle Vertreter der HAMAS in Israel und den besetzten Gebieten bzw. Autonomiegebieten für einen gemäßigten Kurs und die Teilnahme an den Wahlen in den Autonomiegebieten am 20. Januar 1996 aussprachen, wurde die Struktur des militärischen Armes der HAMAS, der "Ezz al-Din al-KASSEMBrigade", weiter ausgebaut. Letztlich setzte sich allerdings die HAMAS-Führung im Exil mit ihrer ablehnenden Haltung zu einer Kooperation mit ARAFAT durch. Von ihm initiierte Spitzengespräche mit einzelnen Führungsfunktionären der HAMAS ergaben zwar die Zusage einer "Tolerierung des Wahlergebnisses", 151 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - eine Wahlbeteiligung der HAMAS war jedoch nicht geplant. Nach seriösen Schätzungen lagen ihre Erfolgschancen im Januar 1996 bei einem Stimmenanteil von etwa 10%, die HAMAS-Führung entschied sich letztlich jedoch gegen eine Wahlbeteiligung. In Deutschland versteht sich der von Mitgliedern der "Muslim"Islamischer bruderschaft" 1982 in München gegründete "Islamische Bund Bund Palästina" Palästina" (IBP) als Vertreter der HAMAS, die bundesweit 120 Mitgliederzählt (1994: 140). Sie benutzt diese Bezeichnung zur Verschleierung ihrer Aktivitäten auch in Berlin. Die Organisation konnte hier - vorwiegend im studentischen Bereich - neue Mitglieder bzw. Sympathisanten gewinnen. An der TU Berlin stellt die HAMAS unter den Palästinensern die stärkste Studentengruppe. Obwohl einzelne Anhänger nach wie vor beim wöchentlichen Freitagsgebet in der "TU-Ersatzmoschee" anzutreffen sind, hat sich mittlerweile eine Moschee in BerlinNeukölln zur zentralen Anlaufstelle entwickelt. Darüber hinaus dienen noch weitere Moscheen als Trefforte dieses Personenkreises. Die Berliner HAMAS-Anhängerschaft verfügt über eine straffe Straff Organisationsstruktur und hat sich innerhalb der letzten Jahre organisiert zur stärksten Kraft unter den hier lebenden Palästinensern entwickelt. Sie ist mit ihren etwa 50 Aktivisten in der Lage, für ihre Ziele kurzfristig auch eine große Zahl von Mitgliedern und Anhängern anderer islamisch-extremistischer Organisationen zu mobilisieren. Die HAMAS hat auch im übrigen Bundesgebiet erfolgreiche Anstrengungen zum Aufbau handlungsfähiger Strukturen unternommen, die mit Blick auf die Ziele der HAMAS der Betreuung, Schulung und Rekrutierung im Ausland lebender Palästinenser dienen. Aufgrund ihrer konspirativen Arbeitsweise und ihrer Fähigkeit zu zumindest logistischer Unterstützung von Terroroperationen stellen die in Berlin festgestellten Strukturen eine ernstzunehmende Bedrohung für die Sicherheitslage der Stadt dar. 152 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - Aktivitäten der HAMAS: * Am 7. August 1995 fand aus Anlaß der befürchteten Ausweisung des führenden HAMAS-Funktionärs MARZOUQ aus den Vereinigten Staaten nach Israel eine Protestkundgebung vor der Außenstelle der US Botschaft mit etwa 50 Personen statt, an der zahlreiche HAMAS-Mitglieder teilnahmen. * Am 17. Dezember 1995 führte die HAMAS in der Alten Mensa der TU-Berlin wie in den Vorjahren eine Großveranstaltung aus Anlaß des Gründungstages der Organisation und des Beginns der Intifada im Jahr 1987 durch. Unter den etwa 600 Teilnehmern befanden sich als Gäste Staatsangehörige unterschiedlicher Nationalität aus den alten und neuen Bundesländern (z. B. Ägypter, Algerier, Iraner, Marokkaner, Somalis, Sudanesen und Tunesier). Hauptredner war ein aus dem Ausland angereister führender Muslimbruder. Er ging in seiner Rede besonders auf die aktuelle Situation in Gaza ein. Das Gaza-JerichoAbkommen habe die Rechte der Palästinenser völlig vernichtet. Die bevorstehenden Wahlen würden niemals zu einer legitimierten Vertretung für das palästinensische Volk führen. Aus diesem Grunde müsse der Kampf in Palästina weitergehen: "Wir dürfen nicht aufgeben, denn die Wahlen in Algerien und Ägypten haben gezeigt, wie mit den Rechten der Muslime auf der Welt umgegangen wird. Unsere Brüder in Afghanistan haben uns gezeigt, wie man mit den Feinden des Islam umgehen muß. Wir dürfen nicht nachlassen in unserem Kampf für ein befreites Palästina." In seinen weiteren Ausführungen erklärte der Redner, "die Stunde, an der auch wir wieder unsere Waffen herausholen", sei nahe. Der Jihad (in der Bedeutung "Heiliger Krieg") sei die einzige Methode, mit den Fein- 153 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - den des Islam abzurechnen. Die Waffen würden bald wieder sprechen und darauf habe der "Verräter" ARAFAT dann keinen Einfluß mehr. Von den Zuhörern wurden während des Redebeitrages wiederholt Parolen in arabischer Sprache skandiert, so z. B.: "Wir sind an der Spitze Mohammeds Armee, wir werden euch besiegen." "Juden, nehmt eure Sachen und verschwindet." "Juden, wir werden euch vertreiben, das ist unser Land." "Wir sind auf dem Weg dorthin, mit unseren Maschinenpistolen, mit unseren Setbstmordkommandos." Am Schluß seiner Ausführungen bedankte sich der Redner besonders für die großzügige Unterstützung durch den Iran. 4.2.2 Laizistische Palästinenser-Organisationen In Berlin leben derzeit 12 768 Angehörige arabischer Staaten Quote sowie einige Tausend - z. T. illegal aufhältliche - Palästinenser. Die sich seit dem Gaza-Jericho-Abkommen 1993 abzeichnende Spaltung der Palästinenser in Befürworter und Gegner hat sich weiter fortgesetzt. Zu den Organisationen, die einen Kompromiß mit Israel bisher strikt ablehnten, gehören - neben HAMAS, "HIZB ALLAH" und dem "Palästinensischen Islamischen Jihad" (PIJ) - laizistische palästinensische Organisationen wie * "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP), Ablehnungs- * "Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkom front mando" (PFLP-GC), 154 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - * "Demokratische Front für die Befreiung Palästinas" (DFLP) - radikaler HAWATMEH-Flügel, * "ABU-NIDAL-Organisation" (ANO). Inzwischen ist die ablehnende Haltung gegenüber der Politik ARAFATS bei einigen der genannten Organisationen einer eher realpolitischen Sicht der neuen Machtverhältnisse in den Autonomiegebieten gewichen. So einigten sich Vertreter der "Palästinensischen Befreiungsorganisation" (PLO), der HAMAS, der PFLP und der DFLP Ende 1995 trotz fortdauernder Interessengegensätze auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf für die bevorstehenden Wahlen zum palästinensischen Autonomierat. Rückläufige Die noch vor einigen Jahren stärker auftretenden OrganisatioMitgliedernen PFLP und DFLP litten unter starkem Mitgliederschwund zahlen und waren im Berichtszeitraum nicht mehr in der Lage, öffentliche Veranstaltungen zu organisieren. Die PFLP verfügt in Berlin über etwa 20 (1994: 25), bundesweit über 180, die DFLP über etwa 30, bundesweit über 140 (1994: 200) Mitglieder. ANO, PFLP-GC und PIJ sind lediglich mit Einzelmitgliedern vertreten. Die FATAH im Umbruch Die 1959 gegründete FATAH unter der Führung von Yassir ARAFAT ist die zahlenmäßig stärkste Mitgliedsorganisation der PLO. In Berlin hat sie etwa 100 Anhänger, bundesweit 380. Als Ergebnis ihres Erfolgs bei den Friedensverhandlungen mit Israel hat sie auf Gewalt als politisches Mittel verzichtet und versucht trotz interner Spannungen, die mit der israelischen Regierung ausgehandelten Kompromisse in den Autonomiegebieten umzusetzen. Der Zustand der hiesigen FATAH-Gliederung ist desolat. Den über Jahre erworbenen Einfluß auf die in Berlin lebenden Palästinenser hat sie bereits vor längerer Zeit verloren. 1995 waren Führungsfunktionäre der FATAH primär damit befaßt, die Gründung einer palästinensischen Gemeinde voranzutreiben. 155 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - Unterhalb der Funktionärsebene hat sich eine starke UnzufrieWachsende denheit ausgebreitet, die mitunter in massiver Kritik an ARAFAT Kritik an ihren Ausdruck findet. So wird ihm vorgeworfen, die außerhalb ARAFAT der Autonomiegebiete lebenden FATAH-Anhänger zu vernachlässigen und die Gelder, die für den Aufbau in den Autonomiegebieten bestimmt sind, zu verschwenden. Einzelne Bestrebungen, in Berlin eine islamisch geprägte Gegenbewegung innerhalb der FATAH zu errichten, sind bisher über ein Anfangsstadium nicht hinausgekommen. 4.3 "HIZB ALLAH" ("Partei Gottes") Die 1982 auf Initiative und mit maßgeblicher Unterstützung des Iran im Libanon gegründete schiitische Terrororganisation "HIZB ALLAH" gehört weiterhin zu den entschiedensten Gegnern des Friedensabkommens mit Israel. Die Organisation strebt die Errichtung einer islamischen Republik nach iranischem Vorbild an. Ihre terroristischen Angriffe konzentrierten sich 1995 auf die von Israel beanspruchte Sicherheitszone im Libanon sowie auf die nordisraelischen Gebiete. 1995 waren im Libanon ansässige Funktionäre darum bemüht, Fortsetzung ihre Anhänger in Berlin neu zu motivieren und das im wesentlider Reorgani sationschen auf Gewerbebetrieben und festen Personenstrukturen baversuche in sierende gut funktionierende Informationssystem weiter auszuBerlin bauen. Entgegen der Situation in anderen deutschen Städten war die Berliner "HIZB ALLAH"-Anhängerschaft trotz einiger Anstrengungen bisher nicht in der Lage, sich ein eigenes religiöses Zentrum zu schaffen, so daß sie nach wie vor auf türkisch-schiitische Moscheen zurückgreifen muß. Ihre etwa 50 Anhänger (1994: 70) nutzten häufig auch Privatwohnungen oder Wohnheime als Treffpunkte. Öffentliche Veranstaltungen fanden in Berlin nicht statt. Bundesweit verfügt die "HIZB ALLAH" über etwa 680 Mitglieder (1994: 600). 156 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern 5 Algerische Islamisten Deutschland Die Ausweitung der terroristischen Anschläge von Anhängern als der algerischen "Islamischen Heilsfront" (FIS) bzw. der "Ruheraum" "Bewaffneten Islamischen Gruppe" (GIA) in Frankreich wirkt sich auch auf die Sicherheitslage im Nachbarland Bundesrepublik Deutschland aus. Anhänger algerischer Terrororganisationen nutzen Deutschland derzeit als "Ruheraum" bzw. zu Geldund Waffenbeschaffungsaktionen. Durch die weltweiten Verbindungen war es Anhängern dieser Organisationen möglich, über einzelne islamische Zentren in Deutschland Kontakte auch zu anderen islamistischen Gruppierungen aufzunehmen. Auch in Berlin waren 1995 einzelne Mitglieder der FIS bzw. der GIA in unterschiedlichen arabischen Moscheen anzutreffen. Strukturen konnten bisher nicht festgestellt werden. 6 Staatsterroristische Bestrebungen "Staatsterrorismus" ist der systematisch geführte Kampf einer Enge Verzahnung nachrichausländischen Macht zur Aufrechterhaltung ihrer eigenen Herrtendienstlicher schaft mittels Gewaltandrohung und Gewaltmaßnahmen gegen und staatsterroristischer Regimegegner auch außerhalb des jeweiligen Staatsgebietes. Aktivitäten Staatsterroristische Mittel reichen von Drohung und Nötigung über Körperverletzung bis zu Entführung und Mord. Die Aktionen dienen nicht allein der Einschüchterung und Ausschaltung einzelner Regimegegner, sondern auch der Verunsicherung und Disziplinierung aller anderen Oppositionellen. Träger staatsterroristischer Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland waren in der Vergangenheit nach Erkenntnissen der deutschen Sicherheitsbehörden die Nachrichtendienste des Irak, Libyens, Syriens und des Iran. Seit Schließung der Berliner Außenstellen der irakischen, libyschen und syrischen Botschaften und dem Abzug des gesamten Personals - einschließlich der nachrichtendienstlichen Mit- 157 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - arbeiter dieser Außenstellen im Jahre 1992 - wurden keine staatsterroristischen Aktivitäten der Nachrichtendienste dieser Länder in Berlin bekannt. Es gilt jedoch als sicher, daß diese Nachrichtendienste ihre Ausforschungsbemühungen gegen oppositionelle Gruppierungen und Einzelpersonen im Ausland weiterhin fortsetzen. Seit Anfang der 90er Jahre ist verstärkt eine enge Verzahnung nachrichtendienstlicher und staatsterroristischer Aktivitäten seitens der Nachrichtendienste nahund mittelöstlicher Staaten zu beobachten. Hierzu gehören im Fall des Iran auch Versuche, auf nach europäischem Verständnis religiöse Einrichtungen anderer Nationalitäten Einfluß im Sinne eines Exports der iranisch-fundamentalistischen Revolution zu nehmen. Iraner 1995 1994 Organisation Berlin Bund Berlin Bund Iraner gesamt 55 1240 60 1300 hiervon: Regimetreue Iraner: 35 300 25 350 "Union Islamischer Studentenvereine in Euro35 300 25 350 pa" (U.I.S.A.) Oppositionelle Iraner, z. B. 20 940 35 950 "Organisation der Volksmodjahedin Iran" 20 850 25 850 (PMOI) 158 D- Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern * 6.1 "Union Islamischer Studentenvereine in Europa" (U.I.S.A.) RegimeBei den außerhalb des Iran lebenden Anhängern der gegenanhänger wärtigen Regierung der Islamischen Republik Iran handelt es sich mehrheitlich um vom Iran mit staatlichen Stipendien geförderte Studenten, die unter dem Dachverband der islamischextremistischen "Union Islamischer Studentenvereine in Europa" (U.I.S.A.) organisiert sind. In Deutschland waren 1995 in der U.I.S.A. mehr als 300 Mitglieder (1994: 350) in etwa 15 regionalen Mitgliedsvereinen organisiert. In Berlin hat die U.I.S.A. etwa 35 Mitglieder (1994: 25). Insgesamt waren im Jahr 1995 in der Stadt 6 637 Iraner gemeldet. Einbindung Zu den Hauptaufgaben der U.I.S.A. gehören die politisch-reli- n nachrichtengiöse Schulung und Beeinflussung von Studenten sowie die dienstliche Aktivitäten Verbreitung islamischen Gedankenguts im Sinne des iranischen Regimes. Die iranischen Nachrichtendienste rekrutieren aus ihren Reihen auch Teile der personellen Basis für Planung und Durchführung propagandistischer und nachrichtendienstlicher Aktivitäten sowie für die Ausspähung von iranischen Dissidenten und Oppositionellen. Der heutige innere Führungskreis der U.I.S.A. in Deutschland arbeitet eng mit den hiesigen diplomatischen Vertretungen des Iran zusammen. Darüber hinaus pflegen U.I.S.A.-Vereinigungen enge Kontakte zu anderen islamisch-extremistischen Organisationen, insbesondere zur "HIZB ALLAH". Die in früheren Jahren gezeigte Militanz der U.I.S.A.-Mitglieder gegenüber regimekritischen Anhängern der iranischen Oppositionsgruppen ist deutlich zurückgegangen. In der deutschen Öffentlichkeit tritt die U.I.S.A. kaum noch in Erscheinung. Das durch die U.l.S.A.Studenten repräsentierte wissenschaftlich-technische Potential wird vom Iran heute vornehmlich für die (auch illegale) Beschaffung technologisch-relevanter Informationen genutzt, die Lücken der wirtschaftlich-technischen Entwicklung des Iran schließen sollen. 159 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern 6.2 Politisch-religiöse Beeinflussungsversuche des Iran Seit der Machtübernahme durch die Anhänger des Ayatollah SchiitischKHOMEINI bedroht der Iran mit seiner eigenen Interpretation islamistischer Revolutionsdes Islam andere Staaten und versucht, in einer Art religiösem export und letztlich hegemonistischem "Kulturexport" diese Auslegung weltweit, insbesondere aber in den Nachbarländern auch zur Wahrung seiner machtpolitischen Interessen zu verbreiten. Das iranische Regime gewährt einer Vielzahl islamisch-extremistischer Oppositionsgruppen in anderen - auch nichtarabischen Ländern - materielle Unterstützung. Beispielhaft für eine derartige Einflußnahme ist die aktive Rolle des Iran bei der Gründung der terroristischen "HIZB ALLAH" im Libanon. Der Iran bemüht sich, auch in der Bundesrepublik Deutschland Beeinflussungsseinen Einfluß auf die hier lebenden nichtiranischen Muslime versuche in Deutschland kontinuierlich auszubauen. Maßgeblichen Anteil daran hat die im Iran ansässige "Islamische Propaganda-Organisation" (IPO). Die IPO wird zumindest teilweise von der iranischen Regierung und durch Zuschüsse religiöser Gruppen finanziert. Die religiös-ideologische Beeinflussung dieser Zielgruppen wird in teilweise verdeckter Weise von staatlichen iranischen Stellen, z. B. durch finanzielle Beteiligungen an kulturellen Programmen, gefördert. Derartige Aktivitäten konnten auch in Berlin festgestellt werden. 6.3 Gegner der iranischen Regierung Die Opposition gegen die Herrschaft der Mullahs im Iran ist zerWichtigstes splittert und - soweit nicht vernichtet oder mundtot gemacht - Aufklärungsziel iranischer Nachweitgehend ins Exil vertrieben. Bezogen auf Deutschland und richtendienste Berlin haben die meisten bedeutenderen iranischen Oppositionsgruppen in den letzten Jahren an Einfluß und Mitgliedern verloren, sie stellen jedoch nach wie vor ein wesentliches Aufklärungsziel für die iranischen Nachrichtendienste dar. 160 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - Regimegegner Bedeutendste iranische Oppositionsgruppe ist die 1965 in Teheran gegründete "Organisation der Volksmojahedin Iran" (PMOI). Sie versteht sich als entschiedener Gegner des MullahRegimes. Von ihren Stützpunkten im Irak steuert ihr militärischer Flügel, die "Nationale Befreiungsarmee" (NLA), Kommandos für terroristische Anschläge im Iran. Seit ihrer Gründung hat sich die PMOI zu zahlreichen Gewalttaten gegen iranische Regierungsvertreter und den Sicherheitsapparat des Landes bekannt. Während des irakisch-iranischen Krieges kämpfte sie auf seiten des Irak und geriet durch diese Parteinahme und die von ihr durchgeführten Terroranschläge international und auch im Iran zunehmend in politische Isolation. Als straff geführte Kaderorganisation betreibt sie im Ausland einen zentral gesteuerten Propagandapparat. Ihre in Bagdad und Paris im Exil lebenden Führer Masoud und Marjam RADJAVI betreiben Personenkult und lassen sich durch ihre Anhänger verherrlichen. PropaganDer im Sommer 1981 vom PMOI-Generalsekretär Masoud distische RADJAVI mit einigen weiteren Oppositionsführern gegründete Aufwertung "Nationale Widerstandsrat Iran" (NWRI) wird seit 1985 von der PMOI dominiert und seit August 1993 von ihr als "Exilparlament im Widerstand" bezeichnet. Das ideologische Fundament der PMOI ist durch den Islam und Sozialrevolutionär-marxistische Theorien geprägt. Sie wird autokratisch geführt. Der langjährige Vorsitzende der PMOI und jetzige Vorsitzende des NWRI, Masoud RADJAVI, spricht von einer notwendigen "ideologischen Revolution" im Iran. Er nimmt allerdings das Ergebnis dieser Revolution durch seine - ohne Legitimation durch das Volk - im Ausland gebildete "Exilregierung" vorweg und will sie zumindest für eine Übergangszeit im Iran an der Macht sehen. Seit Mitte 1993 versucht die PMOI in einer weltweit angelegten Propagandaaktion, den NWRI bei westlichen Regierungen und Massenmedien als "demokratisch legitimierte Exilregierung" vorzustellen. Dadurch sollen anscheinend Bedenken zerstreut 161 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern - werden, wonach die PMOI das Mullah-Regime lediglich durch ein anderes totalitäres System ersetzen will. Die Ziele der PMOI werden in Deutschland von der "Iranischen StudentenMoslemischen Studenten-Vereinigung Bundesrepublik Deutschvereinigung land e. V." (IMSV) vertreten. Die IMSV verfügt in ganz Deutschland über zahlreiche Stützpunkte, die insbesondere in der näheren Umgebung von iranischen Vertretungen (u. a. Konsulate, Islamische Zentren, Büros der Iran Air) u. a. zu deren Ausspähung eingerichtet wurden. Der IMSV dient in erster Linie der materiellen und finanziellen Unterstützung des "Befreiungskampfes" der PMOI im Iran. Ferner ist sie für die Rekrutierung von PMOI-Kämpfern in Europa für den Einsatz in der NLA zuständig. 1994 übergab die PMOI-Führung offiziell ihre IMSV-Vertretungen in Deutschland dem NWRI, womit sie die bundesweit etwa 850 IMSV-Mitglieder faktisch dem NWRI zuordnete. In Berlin besteht seit etwa Mitte 1983 eine ungefähr 20 MitglieZeitung der starke regionale Gliederung der IMSV. Sie trat 1995 vorwie"Mojahed" gend mit Spendensammlungen, Büchertischen zur Verbreitung ihrer Zeitung "Mojahed" und Propagandasendungen für den NWRI bzw. die PMOI im "Offenen Kanal Berlin" öffentlich in Erscheinung. 162 D - Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern * 163 E - Spionageabwehr - E Spionageabwehr 164 E - Spionageabwehr - 165 E - Spionageabwehr - E SPIONAGEABWEHR 1 Allgemeiner Überblick Seit Beendigung der Ost-West-Konfrontation wird in den MediSpionageaben gelegentlich die Frage aufgeworfen, ob unter den veränderwehr ist unverzichtbar ten weltpolitischen Rahmenbedingungen Spionage ausländischer Staaten in Deutschland überhaupt noch eine aktuelle Bedeutung habe. Bis zur politischen Wende Anfang der 90er Jahre war die Spionageabwehr notwendigerweise auf die Hauptgegner "Ministerium für Staatssicherheit" (MfS) und das sowjetische "Komitee für Staatssicherheit" (KGB) fixiert. Heute sehen sich die Verfassungsschutzbehörden mit einer Vielzahl fremder Nachrichtendienste konfrontiert, die sich in Aufgabenschwerpunkten, Mitteln und Methoden deutlich voneinander unterscheiden. Die aus der Sowjetunion hervorgegangenen Staaten betrachten die Existenz von Aufklärungsund Abwehrdiensten als unverzichtbaren Bestandteil ihrer nationalen Souveränität. Etliche dieser Staaten sehen offensichtlich keinen Widerspruch darin, einerseits mit Deutschland politisch und wirtschaftlich zu kooperieren, andererseits aber durch zielgerichtete illegale Aktivitäten ihrer Nachrichtendienste deutsche Interessen zu verletzen. Im Berichtsjahr 1995 hat die nachrichtendienstliche Bedrohung "Rundumder Bundesrepublik Deutschland einschließlich ihrer Hauptstadt Blick" erforderlich Berlin durch ausländische Nachrichtendienste noch deutlichere Konturen gewonnen. Effektive Spionageabwehr bewahrt Bund und Länder vor beträchtlichen materiellen und immateriellen Schäden und leistet nicht zuletzt auch einen Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Die Abwehr muß nun der veränderten Situation entsprechend in einer Art Rundum-Blick die Aktivitäten aller ausländischen Nachrichtendienste auf deutschem Territorium beobachten, die hier illegal operieren. 166 E - Spionageabwehr - Breites AktiFremde Nachrichtendienste betätigen sich nicht nur in den Zielonsspektrum bereichen Politik und Militär sowie Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Diese Dienste sind auch in der Beschaffung sog. sensitiver Güter - dabei handelt es sich um Produkte, die sowohl zivile als auch militärische Verwendung finden - hochaktiv; ebenso im Proliferationsbereich, d. h. in der Beschaffung und Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln (ABC-Waffen und entsprechender Trägertechnologien). Der immer härter werdende internationale Wettbewerb und das Bestreben aller Nationen, sich Vorteile gegenüber Konkurrenten auf dem Weltmarkt zu verschaffen, hat der Wirtschaftsspionage eine neue Dimension gegeben. SchwerFast alle ausländischen Nachrichtendienste entfalten auf diepunkt Wirtsem Gebiet Aktivitäten. Dabei verwischen häufig die Grenzen schaftsspionage zwischen nachrichtendienstlich gesteuerter Wirtschaftsaufklärung und von inund ausländischen Konkurrenzunternehmen initiierter Industriespionage. Die sog. Krisenländer des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens konzentrieren sich auf den (illegalen) Güterund Technologietransfer. Diese Länder benötigen spezielle Hochtechnologien und Produkte für ihre nationalen Rüstungsprogramme, insbes. für die Entwicklung, Herstellung und Instandhaltung moderner Waffensysteme (einschl. Massenvernichtungsmittel). Sie versuchen darüber hinaus, in Deutschland lebende Landsleute, die in diesbezüglich interessanten Berufsgruppen tätig sind (Studenten, Wissenschaftler oder Geschäftsleute), für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit zu gewinnen. In die Wirtschaftsspionage sind neben den zivilen auch die militärischen Nachrichtendienste der betreffenden Länder involviert. Um ihre Aktivitäten wirkungsvoll abzutarnen, haben einige Staaten spezielle Beschaffungsorganisationen aufgebaut, die weltweit und unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel und Methoden operieren. Zu den genannten Problemkreisen führt die Spionageabwehr des LfV Berlin Beratungsgespräche mit der Wirtschaft, um Unternehmen im Hinblick auf Ansatzmöglichkeiten fremder Nach- 167 E - Spionageabwehr - richtendienste zu sensibilisieren. Sie unterstützt darüber hinaus Zoll und Polizei bei ihren Bemühungen, Embargogeschäfte zu unterbinden. Zudem spielen ausländische Nachrichtendienste in der AusAusforschung spähung und Kontrolle der in Deutschland lebenden Oppositiovon Regimegegnern nellen und Dissidenten ihrer Heimatländer eine maßgebliche Rolle. Insbesondere bei den vom islamischen Fundamentalismus geprägten Staaten sind in diesem Bereich die Grenzen zwischen nachrichtendienstlicher Aufklärung und staatsterroristischen Aktionen, u. a. zur Ausschaltung von Regimegegnern, fließend. Obwohl Berlin noch nicht Regierungssitz ist, zeigen einige Berlin bleibt SpionageStaaten bereits jetzt schon eine ungewöhnlich starke nachrichzentrum tendienstliche Präsenz. Der bevorstehende Umzug von Regierung und Parlament (und damit verbunden der meisten diplomatischen Vertretungen) sowie der weitere Ausbau zur Wirtschaftsund Wissenschaftsmetropole wird zu einer weiteren Konzentration nachrichtendienstlicher Potentiale in unserer Stadt führen. Die Effektivität der Spionageabwehr läßt sich nicht nur und nicht Bedeutung in erster Linie an der Anzahl enttarnter und damit neutralisierter präventiver Abwehrarbeit Agenten messen, obwohl dieser spektakuläre Teil der Abwehrarbeit häufig als einziger in der Öffentlichkeit bekannt wird. Entsprechend der konspirativen Arbeitsweise gegnerischer Nachrichtendienste liegt die Abwehrarbeit größtenteils im geheimen. Spionageabwehr heißt nicht nur Aufklärung konkreter Verdachtsfälle. Die Abwehrarbeit setzt dort an, wo die Präsenz fremder Nachrichtendienste, z. B. an diplomatischen Vertretungen in Deutschland, vorsorgliche Gegenmaßnahmen erfordert. Die Beobachtung und Enttarnung solcher nachrichtendienstlicher Stützpunkte ist unerläßlich, um größere Spionageaktivitäten zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Ohne Abwehrmaßnahmen könnten fremde Nachrichtendienste unbehelligt agieren. Je wachsamer ein Staat einer potentiellen Spiona- 168 E - Spionageabwehr - gebedrohung bereits im Ansatz entgegenwirkt, um so größer ist der Sicherheitsgewinn. InformationsZur präventiven Spionageabwehr zählt ebenso die Sensibilisieschutz durch rung von Personen, die in ihrer Berufsoder Privatsphäre mit BürgerAngehörigen ausländischer Vertretungen in Kontakt kommen, beratung deren nachrichtendienstliche Zugehörigkeit und Auftrag in der Regel nicht erkennbar sind. Die Betroffenen müssen über nachrichtendienstliche Hintergründe und Risiken informiert werden, damit gemeinsam Vorkehrungen für einen wirksamen Schutz sensibler Informationen getroffen werden können. Dem Informationsschutz in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sollte in Zukunft insgesamt eine größere Bedeutung als bisher beigemessen werden. In diesem Zusammenhang empfehlen wir allen, sich in Verdachtsfällen an die Bürgerberatungsstelle des LfV Berlin unter der Telefonnummer 030-867 42 16 zu wenden. 2 Russische Nachrichtendienste Tendenzen Die Neustrukturierung der russischen Nachrichtendienste ist zur noch immer nicht abgeschlossen. Nachdem seit 1991 zunächst Machterim Zuge einer Dezentralisierung sieben eigenständige Aufkläweiterung rungsund Abwehrdienste aus der "Konkursmasse" des KGB entstanden, wurden im vergangenen Jahr teilweise gegenläufige Tendenzen festgestellt. So gibt es deutliche Anzeichen für eine erneute Konzentration der Kräfte. Von Präsident JELZIN erlassene Dekrete statten einzelne Dienste mit zusätzlichen Kompetenzen aus, die an die frühere Machtfülle des KGB erinnern. Starke BerlinDie Anzahl der an den amtlichen Vertretungen abgetarnten Präsenz Nachrichtendienst-Offiziere ist unverändert groß. 1992 war eine Reduzierung des ND-Potentials in Deutschland um die Hälfte angekündigt worden. Dieser Personalabbau wurde im Bereich der Führungsoffiziere nur bedingt realisiert. Die russische Auslandsaufklärung kann und will offensichtlich nicht auf erfahrene und kompetente Führungsoffiziere verzichten. Ein Beleg hierfür mag auch der scharfe Protest sein, mit dem Rußland auf Visa- 169 E - Spionageabwehr - Verweigerungen für erkannte russische Führungsoffiziere reagiert. 2.1 Struktur der Auslandsaufklärung Von den derzeit sieben russischen Nachrichtenund Sicherheitsdiensten sind für die deutsche Spionageabwehr die folgenden vier von Bedeutung: * Ziviler Auslandsnachrichtendienst SWR Der zivile Auslandsnachrichtendienst SWR betreibt in Deutschland Spionage in den traditionellen Bereichen Innen-, Außenund Sicherheitspolitik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Der Übergang Rußlands von der Planzur Marktwirtschaft hat den Informationsbedarf auf diesem Sektor deutlich erhöht. Als Konsequenz wurde im SWR eine diesbezügliche Spezialabteilung geschaffen. * Militärischer Auslandsaufklärungsdienst GRU Der militärische Auslandsaufklärungsdienst GRU setzt seine Schwerpunkte vor allem auf Beschaffung von Informationen über Infrastruktur, Bewaffnung und militärische Einsatzplanung von Bundeswehr und westlichen Verteidigungsbündnissen (NATO und WEU). Darüber hinaus betreibt auch die GRU verstärkt Aufklärung im wissenschaftlich-technischen Bereich; sie begibt sich damit in Konkurrenz zum SWR. Seit Dezember 1993 verfügt der Dienst in diesem Bereich über eine spezielle Organisationseinheit. Durch den Verkauf von Erkenntnissen an die russische Wirtschaft finanziert sich der Dienst teilweise selbst. * "Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen FAPSI und Information beim Präsidenten der Russischen Föderation" FAPSI ist ein eigenständiger Nachrichtendienst für Fernmeldeund elektronische Aufklärung. Teile dieses Dien- 170 E - Spionageabwehr - stes haben die Aufgabe, ausländischen Fernmeldeverkehr zu erfassen und zu entschlüsseln sowie - vorrangig mit technischen Mitteln - in ausländische Sicherheitsbehörden und andere geschützte Objekte einzudringen. FAPSI beweist sehr deutlich das gesteigerte Interesse Rußlands an der Informationsgewinnung durch die Kontrolle nationaler und internationaler Kommunikationsnetze. Es wäre ein folgenschwerer Irrtum, FAPSI als "russische TELEKOM" anzusehen, die sich lediglich um die Modernisierung russischer Fernmeldestrukturen bemüht. Der Dienst hat es allerdings verstanden, sich einigen Gesprächsund Geschäftspartnern - besonders in Deutschland - so zu "verkaufen". FSB "Föderaler Dienst für Spionageabwehr" (FSK), seit Mitte April 1995 "Föderaler Dienst für Sicherheit" Der FSB ist im wesentlichen ein inländischer Abwehrdienst, zuständig für Spionageabwehr im zivilen, militärischen und wirtschaftlichen Bereich, Beobachtung des politischen Extremismus sowie Bekämpfung von Organisierter Kriminalität (OK) und Terrorismus in Rußland. Der FSB hat darüber hinaus die ausdrückliche Befugnis, Wirtschaftsspionage auch im Ausland zu betreiben. Operative Ansatzpunkte dafür sucht der Dienst bei ausländischen Geschäftsreisenden und Firmenrepräsentanten, die in Rußland tätig sind. 2.2 Arbeitsschwerpunkte WirtschaftsArbeitsschwerpunkte werden gezielt aktuellen Ereignissen oder spionage bestimmten Entwicklungen angepaßt. Dabei kommt es bei der genießt höchste Priorität Besetzung von Zielfeldern mehr und mehr zu Überschneidungen zwischen den einzelnen russischen Diensten, was auf eine Konkurrenzbzw. Wettbewerbssituation schließen läßt. So konzentrieren sich z. B. SWR und GRU zur Zeit parallel auf die Beschaffung von Informationen zum Thema NATO-Osterweiterung. 171 E - Spionageabwehr - Grundsätzlich geht es den russischen Auslandsnachrichtendiensten nach wie vor um die Ausforschung politischer und militärischer Planungen und Projekte, doch hat sich in den letzten Jahren der Schwerpunkt eindeutig auf Wirtschaftsspionage in ihrer gesamten Bandbreite verlagert. Die Umwandlung der Wirtschaft bedingt ein stark erhöhtes Informationsaufkommen über die Funktionsweise hochentwickelter und hochtechnologisierter Marktwirtschaften. Den Nachrichtendiensten wurde die Ausforschung dieses Sektors ausdrücklich übertragen. Die Spionagetätigkeit russischer Nachrichtendienste ist nicht nur auf den Zyklus eines Wirtschaftsguts - von der Forschung und Entwicklung über die Herstellung bis zur Vermarktung bestimmter Schlüsselindustrien (wie Mikroelektronik, Computertechnologie, Metallurgie und andere) - gerichtet, um ohne eigenen Kostenaufwand Anschluß an westliche Technologien zu gewinnen. Interesse finden darüber hinaus Analysen und Prognosen von internationalen Wirtschaftsorganisationen, Banken und Wirtschaftsverbänden über künftige wissenschaftlich-technische Entwicklungen, Energieund Rohstoffressourcen sowie über Perspektiven wirtschaftlicher Zusammenarbeit. 2.3 Methoden der Nachrichtengewinnung * Legale Residenturen Als Legale Residenturen bezeichnet man getarnte SpioOperative Stütznagestützpunkte in amtlichen oder halbamtlichen Auspunkte landsvertretungen. Sie befinden sich u. a. in der Botschaft, in Generalkonsulaten und z. T. auch in Handelsvertretungen. In ihrer Organisationsstruktur entspricht eine Legale Residentur der nachrichtendienstlichen Zentrale; sämtliche Elemente sind - selbstverständlich in stark verkleinertem Maßstab - vorhanden. Die Unterbringung eines nachrichtendienstlichen Stützpunktes in einer diplomatischen Vertretung bietet nicht nur eine hervorragende Ausgangsbasis für Kontakte in 172 E - Spionageabwehr - alle Gesellschaftsbereiche, die für die Nachrichtengewinnung von Bedeutung sind, sondern hat auch den Vorteil, daß getarnte ND-Angehörige den Schutz diplomatischer Immunität genießen. Unter diesen Prämissen betreibt Rußland derzeit offensive Aufklärung aus seinen Legalresidenturen in Deutschland, u. a. aus der Außenstelle der Russischen Botschaft in Berlin. * Abtarnung in Wirtschaftsunternehmen Nutzung von Für die Informationsgewinnung bedienen sich die russiTarnfirmen schen Auslandsnachrichtendienste auch getarnter Handelsunternehmen und Firmenbeteiligungen. Zu Beginn der 90er Jahre begann Rußland im Zuge der gravierenden weltpolitischen Veränderungen nach neuen Abtarnungsmethoden für Agenten zu suchen. Da auf dem Sektor Wirtschaft ohnehin ein besonders hohes Informationsbedürfnis besteht, lag es nahe, die immer zahlreicheren deutsch-russischen Joint-Ventures sowie Auslandsvertretungen russischer Firmen in Deutschland für nachrichtendienstliche Zwecke zu nutzen. Wie groß die Tarnungsmöglichkeiten sind, belegt die Zahl von gegenwärtig 2 500 Firmen (zum Vergleich: 1991 gab es erst 19 solcher Unternehmen), die ganz oder anteilig in russischem Besitz sind - wobei selbstverständlich nicht jede Fiona nachrichtendienstlich angebunden ist. Auffällig ist, daß bei russischen Firmengründungen und Kapitalbeteiligungen an Firmen in Deutschland häufig Personen in Erscheinung treten, die in der Vergangenheit bereits als Angehörige russischer Nachrichtendienste identifiziert oder der Mitarbeit in diesen Diensten zumindest verdächtigt wurden. In bezug auf den Standort solcher Firmen sind Ballungsräume nachrichtendienstlich besonders interessant. Dies zeigt sich z. B. daran, daß Berlin und Brandenburg gerade unter diesem Aspekt eine herausragende Stellung einnehmen. Das liegt zum einen an den früheren guten wirtschaftlichen Verbindungen zwischen DDR und Sowjetunion. Zum 173 E - Spionageabwehr - anderen gibt es gerade hier besonders viele Personen mit russischen Sprachkenntnissen, die für eine Tätigkeit in derartigen Unternehmen prädestiniert sind. Für deutsche Geschäftspartner dürfte es äußerst schwierig sein, eine nachrichtendienstliche Ausrichtung solcher Firmen (rechtzeitig) zu erkennen. Abschöpfung Neben der Agentenführung nimmt die sog. Abschöpfung Vorsicht vor von Informationen einen breiten Raum bei der Nach"falschen Freunden"! richtengewinnung ein. In der Praxis sieht das z. B. so aus: Ein russischer Diplomat (dessen nachrichtendienstlicher Auftrag und Zugehörigkeit zu einem "Dienst" nicht erkennbar ist) sucht am Rande einer politischen Veranstaltung das "kollegiale" Gespräch mit Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft. In dieser Phase ist das Geben und Nehmen von Informationen noch relativ ausgeglichen. Bei weiteren Begegnungen wird aus diesem vermeintlich kollegialen Austausch jedoch sehr schnell eine Einbahnstraße, wobei es dem Diplomaten besonders darauf ankommt, ein Vertrauensverhältnis zu seinem Gesprächspartner aufzubauen, um bei diesem meist vorhandene Hemmschwellen, vertrauliche Informationen preiszugeben, abzubauen. Derartige Vertrauensverhältnisse können leicht in nachrichtendienstlichen Verstrickungen enden, aus denen sich der Betroffene am ehesten durch Offenbarung gegenüber einer Verfassungsschutzbehörde befreien kann. Nutzung des MfS-Erbes Aufgrund ihrer früheren Präsenz in der DDR und der Reaktivierung jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit dem MfS verfüfrüherer gen russische Nachrichtendienste über einen enormen Quellen Fundus an personenbezogenen Informationen und damit an potentiellen Agenten. 174 E - Spionageabwehr - Es gibt Erkenntnisse, wonach Personen, die bereits früher auf dem Gebiet der ehemaligen DDR als getarnte Mitarbeiter für das KGB oder die GRU tätig waren, weiterhin in Führungskontakt mit diesen bzw. deren Nachfolgediensten stehen. * Überwachung von Ausländern in Rußland Risiken bei Ausländer, die als Geschäftsleute oder Touristen nach RußlandRußland reisen und als "nachrichtendienstlich interesAufenthalten sant" eingestuft sind, werden bei ihren Aufenthalten in Rußland intensiv vom FSB beobachtet und ggf. auch grenzüberschreitend operativ bearbeitet. Russische Hotels, in denen vorzugsweise westliche Geschäftsreisende übernachten oder in denen Büros westlicher Unternehmen untergebracht sind, unterliegen verstärkter Überwachung. Bei Ferngesprächen ins westliche Ausland, die immer über die Rezeption angemeldet werden müssen, kann von einer konsequenten Telefonüberwachung ausgegangen werden. Ebenso gehört die Observation von Zielpersonen zur gängigen Praxis. Ergeben sich operative Ansatzpunkte, werden die Betroffenen für nachrichtendienstliche Zwecke angebahnt. Dabei bedient sich der FSB zum Teil aggressiver Methoden. Das bedeutet, daß - wie zu KGB-Zeiten - wieder alle Arten von menschlichen Schwächen (z. B. Devisenvergehen, Verstöße gegen Zollbestimmungen, Ordnungswidrigkeiten aller Art, insbes. im Zusammenhang mit Meldevorschriften, schuldhaft verursachte Verkehrsunfälle, besondere sexuelle Neigungen, Alkoholismus) . für nachrichtendienstliche Ansprachen ausgenutzt werden. Auch werden Möglichkeiten zur Anbahnung provoziert oder durch Kompromate geschaffen. So setzt man z. B. Russinnen, die für den FSB arbeiten, gezielt auf westliche Besucher an. Zielpersonen werden in überwachte Räume gelockt und dort in erpresserischer Absicht in kompromittierende Situationen gebracht. 175 E - Spionageabwehr - Eine weitere Methode ist die Vorladung von Ausländern durch staatliche russische Stellen, wo man sie mit dem Vorwurf konfrontiert, gegen gesetzliche Bestimmungen, z. B. auf dem Gebiet des Meldeoder Steuerrechts, verstoßen zu haben. Zur "Klärung der Angelegenheit" werden die Zielpersonen mit Angehörigen russischer Nachrichtendienste in Kontakt gebracht, die "unbürokratische" Hilfe anbieten, sofern sich die betroffenen Ausländer zu einer Zusammenarbeit bereit erklären. Darüber hinaus werden häufiger lukrative Geschäftsabschlüsse für Firmenrepräsentanten in Aussicht gestellt. Gespräche über Produkte, deren Verwendungsmöglichkeiten, Preise, Firmenverbindungen u. ä. erweisen sich jedoch vielfach als "Scheinverhandlungen" zur Abschöpfung wirtschaftlicher und wissenschaftlich-technischer Informationen. 3 Iranische Nachrichtendienste Die nach der Islamischen Revolution im Iran im Jahre 1979 geAufgaben bildeten Nachrichtendienste haben innenpolitisch als Instrument der Herrschaftssicherung vorrangig den Auftrag, jegliche Opposition zu unterbinden. Die Aufgaben und Arbeitsschwerpunkte der iranischen Nachrichtendienste werden vom "Obersten Nationalen Sicherheitsrat" bestimmt und haben auch Gültigkeit für die im Ausland aktiven Dienste, zu denen das "Ministerium für Information und Sicherheit" (MOIS bzw. VEVAK) und der Nachrichtendienst der "Revolutionären Garden" (GHODS-Streitkräfte) gehören. Daneben unternimmt der Iran im Ausland mit Hilfe seiner Nachrichtendienste seit Jahren äußerste Anstrengungen, den wirtschaftlich-technologischen Anschluß an die westlichen Industriestaaten auch durch Umgehung verhängter Embargomaßnahmen zu erreichen. 176 E - Spionageabwehr - Aktivitäten Arbeitsschwerpunkte der in Berlin tätigen iranischen Nachrichtendienste sind: * Propagierung der im Iran praktizierten schiitischislamischen Herrschaftsund Gesellschaftsform mit Zielrichtung auf die hier lebenden Iraner und nichtiranischen, vor allem türkischen und arabischen Muslime ("Revolutionsexport"), * Beobachtung und Ausforschung oppositioneller Iraner, * politische Aufklärung, d. h. Erstellung von Meinungsbildern, Beobachtung von iranbezogenen Veröffentlichungen und Medienberichten, darunter auch die Beobachtung des "Mykonos-Prozesses" in Berlin sowie * Beschaffung von Technologie (legaler und illegaler Technologietransfer). Die 1995 weiter verschlechterte, z. T. durch das Wirtschaftsembargo bedingte ökonomische Situation des Iran hat zu einem verstärkten Einsatz der Nachrichtendienste in der Beschaffung von Wirtschaftsgütern und technologischem Know-how geführt. Diese Entwicklung dürfte anhalten und auch in Zukunft einen Schwerpunkt der Aktivitäten iranischer Nachrichtendienste in Deutschland bilden. ArbeitsDie in Deutschland vertretenen iranischen Nachrichtendienste methoden unterhalten an der Iranischen Botschaft in Bonn und den einzelnen Generalkonsulaten, u. a. in Berlin, Legale Residenturen. Zusätzlich nutzen sie, wie andere Staaten auch, sog. Illegale Residenturen; das sind Einrichtungen, die nicht unbedingt als Träger iranischer Interessen erkennbar und deren Mitarbeiter nicht durch diplomatische Immunität geschützt sind. Für die Mitarbeiter der Nachrichtendienste ergeben sich sowohl aus der konsularischen Betreuung als auch aus der gezielten Ansprache von Exiliranern Möglichkeiten der Anwerbung geheimer Mitarbeiter. Versprechungen über lukrative Geschäftsbeziehungen oder Reisen in den Iran, die repressive Ausnutzung familiärer Bindungen sowie das Druckmittel der Visums- 177 E - Spionageabwehr - Verweigerung sind häufig geeignet, die Betroffenen zu einer Zusammenarbeit zu bewegen. 4 Nordkoreanische Nachrichtendienste Nordkorea vertritt seit der deutschen Vereinigung seine hiesiEinflußnahme gen Interessen nicht mehr unmittelbar über eine eigene diploauf südkoreanische Opposimatische Vertretung, sondern durch das sog. Büro für den tionelle Schutz der Interessen der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik in Berlin, das unter dem Protektorat der chinesischen Botschaft steht. Offiziell beschäftigt sich die Vertretung mit Handel und Tourismus; sie dient jedoch auch nordkoreanischen Nachrichtendiensten als operativer Stützpunkt. So gab es z. B. in den letzten beiden Jahren verstärkt Hinweise auf Aktivitäten dieser Dienste unter hier lebenden, oppositionell eingestellten südkoreanischen Staatsbürgern mit dem Ziel, diese Personen zugunsten Nordkoreas und seiner Ideen und Strategien zur Wiedervereinigung zu beeinflussen. Das Thema Wiedervereinigung Koreas unter "nordkoreanischem Vorzeichen" ist zentrales Propagandathema der nordkoreanischen Regierung. Im Mittelpunkt der nachrichtendienstlichen Aktivitäten in Deutschland steht die "Pankoreanische Allianz für die Wiedervereinigung Koreas", deren deutsche Sektion ihren Sitz in Berlin hat. Laut Satzung bemüht sich dieser eingetragene Verein um die Solidarität von für die Wiedervereinigung eintretenden Nordund Südkoreanern im Inund Ausland. Das Berliner "Büro für den Schutz der Interessen der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik" versucht Einfluß auf die personelle Struktur und die Organisation des Vereins zu nehmen, um ihn so ideologisch auf den gewünschten, d. h. nordkoreanischen "Kurs" bringen zu können. 178 E - Spionageabwehr - 5 Frühere, fortwirkende MfS-Strukturen und -Tätigkeiten Das Kapitel In Berlin leben etwa 35 000 ehemalige hauptamtliche MitarbeiMfS ist noch ter der aufgelösten DDR-Geheimdienste ("Ministerium für nicht abgeschlossen Staatssicherheit" - MfS - und "Verwaltung Aufklärung" beim "Ministerium für Nationale Verteidigung", der militärische Nachrichtendienst). Sie werden zumindest teilweise als Risikopotential angesehen, und zwar im Hinblick auf politisch extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen sowie geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht. Zu den maßgeblichen Unsicherheitsfaktoren zählen: * marxistisch-leninistisches Denken und entsprechende Handlungsweisen dieses Personenkreises (v. a. der früheren hauptamtlichen MfS-Angehörigen, die als besonders erprobte und parteiergebene Kommunisten galten und sich stets ihrer elitären Rolle als "Schild und Schwert der Partei" bewußt waren); * subversive Fähigkeiten einer beträchtlichen Zahl von Mitarbeitern der DDR-Geheimdienste (d. h. Beherrschung von Konspiration und Desinformation sowie der geübte Umgang mit Waffen); * das früher (unrechtmäßig) erlangte Wissen, mit dem insbes. Personen des öffentlichen Lebens kompromittiert oder gefügig gemacht werden könnten; * der "Deklassierungsdruck", der sich bei vielen aus sozialem Abstieg und beruflicher Perspektivlosigkeit sowie aus Angst vor evtl. Strafverfolgung ergibt. Gesetzlicher Der Berliner Gesetzgeber hat der Gefährdungslage Rechnung Auftrag getragen und mit dem am 31. Januar 1993 in Kraft getretenen Landesverfassungsschutzgesetz dem Berliner LfV die Aufgabe zugewiesen, Informationen über frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehem. DDR zu sammeln und auszuwerten (SS 5 Abs. 2 Nr. 4 LfVG). "Stasi-SeilVon allen in Erscheinung getretenen Zusammenschlüssen schaften" ehemaliger MfS-Angehöriger liegen bisher nur beim "Insider- 179 E - Spionageabwehr - komitee zur Aufarbeitung der Geschichte des MfS e. V." (IK) entsprechende Anhaltspunkte vor. Die am 28. Mai 1992 in Berlin-Friedrichshain gegründete Vereinigung hat ihren Sitz in Berlin und verfügt derzeit über mehrere regionale Gliederungen in ostdeutschen Bundesländern. Die Mitgliederzahl stagniert bei etwa 100 ehemaligen MfS-Angehörigen. Ausweislich der Vereinssatzung verfolgt das "Insiderkomitee" das Ziel, durch eine objektive und kritische Erforschung und Darstellung der Tätigkeit des früheren MfS einen Beitrag zur Analyse der deutschen Nachkriegsgeschichte zu leisten. Bisher sind keine Ausarbeitungen erschienen, die dem vom IK proklamierten Neutralitätsund Objektivitätsanspruch genügten. Alle bisherigen Publikationen lassen vielmehr erkennen, daß die Vereinigung eine Aufarbeitung der MfS-Geschichte aus marxistisch-leninistischer Sicht, d. h. im Sinne kommunistischer Legendenbildung betreibt. Darüber hinaus deutet ein Appell des IK an alle ehemaligen MfS-Führungsoffiziere, die Namen von Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) nur mit deren Einverständnis preiszugeben, darauf hin, daß die unverzichtbare Enttarnung von MfS-Agenten durch den Verfassungsschutz und durch die Strafverfolgungsbehörden behindert werden soll. Dieser Aufruf ist auch deshalb von sicherheitspolitischer Relevanz, weil in mehreren Fällen ehemalige MfS-IM von ihren Führungsoffizieren an russische Nachrichtendienste übergeben worden sind. Ferner sind Planungen bekanntgeworden, wonach das MfS in Firmenden Jahren 1989/90 durch Firmengründungen und Legendengründungen mit WlfSbildung seinen Fortbestand in Teilen sichern wollte. Beteiligung 1995 wiesen mehr als 150 Firmen eine zum Teil erhebliche Beteiligung ehemaliger MfS-Angehöriger auf. Für die Verfassungsschutzbehörden geht es hierbei in erster Linie um die Klärung der Frage, ob derartige Aktivitäten von sicherheitspolitischer Relevanz sind oder ehemaligen MfS-Mitarbeitern als blosse Existenzgrundlage dienen. Ferner ist die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung politisch extremistischer Bestrebungen durch derartige Firmen in Betracht zu ziehen. 180 E - Spionageabwehr - 181 -Anhang: LfVG - Anhang: Gesetz über das Landesamt für Verfassungsschutz vom 25. März 1995 (LfVG) 182 Anhang: LfVG 183 - Anhang: LfVG - Gesetzund Verordnungsblatt BERLIN Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin Herausgeber: Senatsverwaltung für Justiz 51. Jahrgang Nr. 20 Berlin, den 25. April 1995 A 3227 A Inhalt 25. 3.1995 Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes über das Landesamt für Verfassungsschutz (LfVG) Gesetz Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes über das Landesamt für Verfassungsschutz (LfVG) Aufgrund des Artikels III des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Landesamt für Verfassungsschutz und des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 22. November 1994 (GVBI. S. 462) wird nachstehend der Wortlaut des Gesetzes über das Landesamt für Verfassungsschutz (LfVG) vom 26. Januar 1993 (GVBI. S. 33) in der vom 2. Dezember 1994 an geltenden Fassung bekanntgemacht. Berlin, den 25. März 1995 Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen 184 -Anhang: LfVGGesetz über das Landesamt für Verfassungsschutz (LfVG) in der Fassung vom 25. März 1995 ERSTER ABSCHNITT Aufgaben und Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz SS1 Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder. SS2 Organisation (1) Die Aufgaben des Verfassungsschutzes werden ausschließlich vom Landesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen. Es wird als obere Landesbehörde geführt. . (2) Aufsichtsbehörde ist der Regierende Bürgermeister von Berlin -Senatskanzlei-. (3) Der Regierende Bürgermeister wird in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes in der Regel durch den Chef der Senatskanzlei vertreten. (4) Auf Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters kann der Senat mit Zustimmung des Abgeordnetenhauses die Aufsicht auf eine andere Senatsverwaltung übertragen. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. SS3 Dienstkräfte Die Dienstkräfte des Landesamtes für Verfassungsschutz haben neben den allgemeinen Beamtenpflichten die sich aus dem Wesen des Verfassungsschutzes und ihrer dienstlichen Stellung ergebenden besonderen Pfichten. Sie haben sich jederzeit für den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Verfassung von Berlin einzusetzen. Die Funktion des Amtsleiters soll nur einer Person übertragen werden, die die Befähigung zum Richteramt besitzt. 185 -Anhang: LfVGSS4 Zusammenarbeit (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht insbesondere in gegenseitiger Unterstützung und Information sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen (wie z. B. das nachrichtendienstliche Informationssystem des Bundes und der Länder (NADIS) und die Schule für Verfassungsschutz). (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen, das Bundesamt für Verfassungsschutz nur im Benehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. SS5 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Aufgabe, den Senat von Berlin und andere zuständige staatliche Stellen über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu unterrichten. Dadurch soll diesen Stellen insbesondere ermöglicht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen. (2) Zur Erfüllung dieser Aufgaben sammelt und wertet das Landesamt für Verfassungsschutz Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Daten, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen aus über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR im Geltungsbereich dieses Gesetzes. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt auf Ersuchen der zuständigen öffentlichen Stellen mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 186 -Anhang: LfVG2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, 4. bei sonstigen Überprüfungen, soweit dies im Einzelfall zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder für Zwecke der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist. Näheres wird in einer durch die Aufsichtsbehörde zu erlassenden Verwaltungsvorschrift bestimmt. Die Mitwirkung des Landesamtes für Verfassungsschutz an der Sicherheitsüberprüfung nach Absatz 3 Nr. 1 und 2 setzt im Einzelfall voraus, daß die zu überprüfende Person zugestimmt hat. In die Sicherheitsüberprüfung dürfen mit ihrer Zustimmung der Ehegatte, Verlobte oder die Person, die mit der betroffenen Person in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, miteinbezogen werden. J SS6 Begriffsbestimmungen (1) Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2 Nr. 1 und 3 sind politisch motivierte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen oder Betätigungen von Organisationen, Personenzusammenschlüssen ohne feste hierarchische Organisationsstrukturen (unorganisierte Gruppen) oder Einzelpersonen gegen die in SS 5 Abs. 2 bezeichneten Schutzgüter. Für eine Organisation oder einen Personenzusammenschluß ohne feste hierarchische Organisationsstruktur (unorganisierte Gruppe) handelt, wer sie in ihren Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einer oder für eine Organisation oder in einem oder für einen Personenzusammenschluß ohne feste hierarchische Organisationsstruktur (unorganisierte Gruppe) handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (2) Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, sind solche, die auf die Beseitigung oder Außerkraftsetzung wesentlicher Verfassungsgrundsätze abzielen. Hierzu gehören: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 187 -Anhang: LfVG - 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtssprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluß jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (3) Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen, 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. (4) Auswärtige Belange im Sinne des SS 5 Abs. 2 Nr. 3 werden nur gefährdet, wenn innerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes Gewalt ausgeübt oder durch Handlungen vorbereitet wird und diese sich gegen die politische Ordnung oder Einrichtungen anderer Staaten richten. SS7 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, darf das Landesamt für Verfassungsschutz bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben nach SS 5 Abs. 2 nur tätig werden, wenn im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht der dort genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten vorliegen. (2) Zur Erfüllung seiner Aufgaben darf das Landesamt für Verfassungsschutz nur die dazu erforderlichen Maßnahmen ergreifen; dies gilt insbesondere für die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Informationen. Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat es diejenige auszuwählen, die den einzelnen, insbesondere in seinen Grundrechten, und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme hat zu unterbleiben, wenn sie einen Nachteil herbeiführt, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Sie ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, daß er nicht erreicht werden kann. 188 -Anhang: LfVG(3) Soweit in diesem Gesetz besondere Eingriffsbefugnisse das Vorliegen gewalttätiger Bestrebungen oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen voraussetzen, ist Gewalt die Anwendung körperlichen Zwanges gegen Personen oder eine nicht unerhebliche Einwirkung auf Sachen. SS8 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, verarbeiten und nutzen, soweit die Bestimmungen dieses Gesetzes dies zulassen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf nach Maßgabe dieses Gesetzes Methoden und Gegenstände einschließlich technischer Mittel zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie insbesondere den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden. Diese sind in einer von der Aufsichtsbehörde zu erlassenden Verwaltungsvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffung regelt. Die Verwaltungsvorschrift ist dem Ausschuß für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin zur Kenntnis zu geben. Die Behörden des Landes sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. (3) Polizeiliche Befugnisse stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes). SS9 Besondere Formen der Datenerhebung (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten mit den Mitteln gemäß SS 8 Abs. 2 erheben, wenn 1. sich ihr Einsatz gegen Organisationen, Personenzusammenschlüsse ohne feste hierarchische Organisationsstrukturen (unorganisierte Gruppen), in ihnen oder einzeln tätige Personen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht der Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 bestehen, 2. auf diese Weise Erkenntnisse über gewalttätige Bestrebungen oder geheimdienstliche Tätigkeiten gewonnen werden können, 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlichen Quellen erschlossen werden können oder 189 -Anhang: LfVG - 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. (2) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort darf mit technischen Mitteln ausschließlich bei der Wahrnehmung der Aufgaben auf dem Gebiet der Spionageabwehr und des gewaltbereiten politischen Extremismus heimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden. Eine solche Maßnahme ist nur zulässig, wenn sie im Einzelfall zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen unerläßlich ist, ein konkreter Verdacht in bezug auf eine Gefährdung der vorstehenden Rechtsgüter besteht und der Einsatz anderer Methoden und Mittel zur heimlichen Informationsbeschaffung keine Aussicht auf Erfolg bietet. Satz 1 und 2 gelten entsprechend für einen verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen in Wohnungen. (3) Die Erhebung nach Absatz 1 und 2 ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die betroffene Person weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch eine Auskunft nach SS 27 gewonnen werden können. Die Anwendung eines Mittels gemäß SS 8 Abs. 2 soll erkennbar im Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Die Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, daß er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. Daten, die für das Verständnis der zu speichernden Informationen nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Die Löschung kann unterbleiben, wenn die Informationen von anderen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall dürfen die Daten nicht verwertet werden. (4) Ein Eingriff, der in seiner Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommt, bedarf der Zustimmung des Regierenden Bürgermeisters, im Falle des SS 2 Abs. 4 des betreffenden Mitglieds des Senats, das im Verhinderungsfall durch den zuständigen Staatssekretär vertreten wird. (5) Bei Erhebungen nach Absatz 1, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, insbesondere durch Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel, sowie nach Absatz 2 ist der Eingriff nach seiner Beendigung der betroffenen Person mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zwecks des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn sich auch nach fünf Jahren noch nicht abschließend beurteilen läßt, ob 190 - Anhang: LfVG - diese Voraussetzung vorliegt. Die durch Maßnahmen im Sinne des Satzes 1 erhobenen Informationen dürfen nur nach Maßgabe des Artikels 1 SS 7 Abs. 3 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 13. August 1968 (BGBl. I S. 949), zuletzt geändert durch Artikel 13 des Gesetzes vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 997), verwendet werden. Die auf Grund der Erhebungen nach Absatz 1 gespeicherten Informationen sind nach Maßgabe des SS 14 Abs. 2 zu löschen. SS10 Registereinsicht durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Aufklärung - von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, oder - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, von öffentlichen Stellen geführte Register, z. B. Melderegister, Personalausweisregister, Paßregister, Führerscheinkarteien, Waffenscheinkarteien, einsehen. (2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, und 2. die betroffene Person durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würde, und 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtnahme nicht entgegensteht. (3) Die Anordnung für die Maßnahme nach Absatz 1 trifft der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, im Falle der Verhinderung der Vertreter. (4) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. Gespeicherte Informationen sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke nicht mehr benötigt werden. (5) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommene Stelle, die Namen der Betroffenen, deren Daten 191 -Anhang: LfVGfür eine weitere Verwendung erforderlich sind, sowie der Zeitpunkt der Einsichtnahme hervorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu sichern und, soweit sie für die Aufgabenerfüllung des Landesamtes für Verfassungsschutz nach SS 5 Abs. 2 nicht mehr benötigt werden, am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Erstellung folgt, zu vernichten. ZWEITER ABSCHNITT Datenverarbeitung SS11 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Informationen (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben rechtmäßig erhobene personenbezogene Informationen speichern, verändern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 vorliegen oder 2. dies für die Erforschung oder Bewertung von gewalttätigen Bestrebungen oder geheimdienstlichen Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist oder 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist oder 4. es auf Ersuchen der zuständigen Stelle nach SS 5 Abs. 3 tätig wird. (2) Zur Aufgabenerfüllung nach SS 5 Abs. 3 dürfen in automatisierten Dateien nur personenbezogene Informationen über die Personen gespeichert werden, die der Sicherheitsüberprüfung unterliegen oder in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden. (3) In Dateien gespeicherte Informationen müssen durch Aktenrückhalt belegbar sein. (4) In Dateien ist die Speicherung von Informationen aus der Intimsphäre der betroffenen Person unzulässig. SS12 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Informationen von Minderjährigen Die Speicherung personenbezogener Informationen über Minderjährige, die das 14. Lebensjahr nicht vollendet haben, ist unzulässig. 192 - Anhang: LfVG - SS13 Speicherungsdauer (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Speicherungsdauer auf das für seine Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. Die in Dateien gespeicherten Informationen sind bei der Einzelfallbearbeitung, spätestens aber fünf Jahre nach Speicherung der letzten Information, auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen. Sofern die Informationen Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 betreffen, sind sie spätestens zehn Jahre nach der zuletzt gespeicherten relevanten Information zu löschen. (2) Sind Informationen über Minderjährige in Dateien oder in Akten, die zu ihrer Person geführt werden, gespeichert, ist nach zwei Jahren die Erforderlichkeit der Speicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren die Löschung vorzunehmen, es sei .denn, daß nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 5 Abs. 2 angefallen sind, die zur Erfüllung der Aufgaben im Sinne dieses Gesetzes eine Fortdauer der Speicherung rechtfertigen. SS14 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Informationen in Dateien (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Informationen zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie sind zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Informationen zu löschen, wenn ihre Speicherung irrtümlich erfolgt war, unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist und schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nicht beeinträchtigt werden. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Informationen zu sperren, wenn die Löschung unterbleibt, weil Grund zu der Annahme besteht, daß durch die Löschung schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt würden; gesperrte Informationen sind entsprechend zu kennzeichnen und dürfen nur mit Einwilligung der betroffenen Person verwendet werden. (4) In Dateien gelöschte Informationen sind gesperrt. Unterlagen sind zu vernichten, wenn sie zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 nicht oder nicht mehr erforderlich sind, es sei denn, daß ihre Aufbewahrung zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person notwendig ist. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterla- 193 - Anhang: LfVG - gen von anderen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können. (5) Personenbezogene Informationen, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke und zur Verfolgung der in der jeweiligen Fassung des Berliner Datenschutzgesetzes als Straftaten bezeichneten Handlungen verwendet werden. SS15 , Berichtigung und Sperrung personenbezogener Informationen in Akten (1) Stellt das Landesamt für Verfassungsschutz fest, daß in Akten gespeicherte personenbezogene Informationen unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von dem Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat personenbezogene Informationen in Akten zu sperren, wenn es im Einzelfall feststellt, daß ohne die Sperrung schutzwürdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt würden und die Daten für seine Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. Gesperrte Informationen sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt oder übermittelt werden. Eine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. SS16 Dateianordnungen (1) Für jede automatisierte Datei beim Landesamt für Verfassungsschutz sind in einer Dateianordnung, die der Zustimmung der Aufsichtsbehörde bedarf, im Benehmen mit dem Berliner Datenschutzbeauftragten festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der Speicherungen, Übermittlung und Nutzung (betroffener Personenkreis, Arten der Daten), 4. Eingabeberechtigung, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, 7. Protokollierung, 8. Datenverarbeitungsgeräte und Betriebssystem, 9. Inhalt und Umfang von Textzusätzen, die der Erschließung von Akten dienen. 194 - Anhang: LfVG - (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in angemessenen Abständen die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung seiner Dateien zu prüfen. SS17 Gemeinsame Dateien Bundesgesetzliche Vorschriften über die Datenverarbeitung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bleiben unberührt. DRITTER ABSCHNITT Informationsübermittlung SS18 Grundsätze bei der Informationsübermittlung durch das Landesamt für Verfassungsschutz Die Übermittlung von personenbezogenen Informationen ist aktenkundig zu machen. In der entsprechenden Datei ist die Informationsübermittlung zu vermerken. Vor der Informationsübermittlung ist der Akteninhalt im Hinblick auf den Übermittlungszweck zu würdigen und der Informationsübermittlung zugrunde zu legen. Erkennbar unvollständige Informationen sind vor der Übermittlung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit durch Einholung zusätzlicher Auskünfte zu vervollständigen. SS19 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden Das Landesamt für Verfassungsschutz unterrichtet das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden der Länder über alle Angelegenheiten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. SS20 Informationsübermittlung an den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst Das Landesamt für Verfassungsschutz übermittelt dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst die ihm bekanntgewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. Handelt das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen, 195 -Anhang: LfVGso ist es zur Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, wenn sich die Voraussetzungen aus den Angaben der ersuchenden Behörde ergeben. SS21 Informationsübermittlung an Strafverfolgungsbehörden in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungsschutzes Das Landesamt für Verfassungsschutz übermittelt den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeibehörden des Landes die ihm bekanntgewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten, die im Zusammenhang mit Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 stehen, erforderlich ist. SS22 Übermittlung von Informationen an den öffentlichen Bereich (1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenerfüllung gewonnenen, nicht personenbezogenen Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz können an andere Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und.die Staatsanwaltschaft, übermittelt werden, wenn sie für die Aufgabenerfüilung der empfangenden Stellen erforderlich sein können. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Informationen an inländische Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts übermitteln, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist oder der Empfänger die Informationen zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 oder zur Strafverfolgung benötigt oder nach SS 5 Abs. 3 tätig wird. (3) Die empfangende Stelle von Informationen nach Absatz 2 ist darauf hinzuweisen, daß sie die übermittelten personenbezogenen Informationen nur zu dem Zweck verwenden darf, zu dessen Erfüllung sie ihr übermittelt wurden. SS23 Übermittlung von Informationen an Personen und Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs Personenbezogene Informationen dürfen an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nicht übermittelt werden, es sei denn, daß dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist und der Regierende Bürgermeister, im Fall des SS 2 Abs. 4 das betreffende Mitglied des Senats, das im Verhinderungsfall durch den zuständigen Staatssekretär vertreten wird, im Einzelfall seine Zustimmung erteilt hat. Das Landesamt für Verfassungsschutz führt über die Auskunft nach Satz 1 196 -Anhang: LfVGeinen Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittiung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen Informationen nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, daß das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Informationen zu bitten. SS24 Übermittlung von Informationen an die Stationierungstreitkräfte Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Informationen an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte übermitteln, soweit die Bundesrepublik Deutschland dazu im Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikpaktes über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183) verpflichtet ist. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, daß die übermittelten Informationen nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden. SS25 Übermittlung von Informationen an öffentliche Stellen außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Informationen an ausländische öffentliche Stellen sowie an überoder zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person entgegenstehen. Die Übermittlung ist nur im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zulässig. Sie ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, daß die übermittelten personenbezogenen Informationen nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden, und das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Informationen zu bitten. 197 -Anhang: LfVGSS26 Unterrichtung der Öffentlichkeit Die Aufsichtsbehörde und das Landesamt für Verfassungsschutz unterrichten die Öffentlichkeit mindestens einmal jährlich über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2. Dabei ist die Übermittlung von personenbezogenen Informationen nur zulässig, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhanges oder der Darstellung von Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen erforderlich ist und die Interessen der Allgemeinheit an sachgemäßen Informationen das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegen. SS 27 Übermittlung von Informationen an das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Die Behörden des Landes und die sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts übermitteln von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz die ihnen bekanntgewordenen Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, über Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, und über geheimdienstliche Tätigkeiten. Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus auch andere im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekanntgewordene Informationen über Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann von jeder der in Absatz 1 genannten öffentlichen Stellen verlangen, daß sie ihm die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten übermittelt, wenn die Informationen nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand oder nur durch eine den Betroffenen stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. Es dürfen nur die Informationen übermittelt werden, die bei der ersuchten Behörde bereits bekannt sind. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz braucht Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. (4) Die Übermittlung personenbezogener Informationen, die auf Grund einer Maßnahme nach SS 1 0 0 a der Strafprozeßordnung bekanntgeworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß jemand eine der in SS 2 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Auf die dem Landesamt für Verfassungsschutz nach Satz 1 übermittelten Informationen findet der Absatz 3, auf die dazugehörenden Unterlagen findet 198 -Anhang: LfVG - der Absatz 4 des SS 7 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz entsprechende Anwendung. (5) Vorschriften zur Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz nach anderen Gesetzen bleiben unberührt. (6) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die übermittelten Informationen nach ihrem Eingang unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erfüllung seiner in SS 5 genannten Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, daß sie nicht erforderlich sind, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand erfolgen kann; in diesem Fall sind die Informationen gesperrt und entsprechend zu kennzeichnen. (7) Soweit andere gesetzliche Vorschriften nicht besondere Regelungen über die Dokumentation treffen, haben das Landesamt für Verfassungsschutz und die übermittelnde Stelle die Informationsübermittlung aktenkundig zu machen. SS28 Übermittlungsverbote Die Übermittlung von Informationen nach den Vorschriften dieses Abschnitts unterbleibt, wenn 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, daß die Informationen zu löschen oder für die empfangende Stelle nicht mehr bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern, 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, daß unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen oder 4. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. SS29 Minderjährigenschutz (1) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über das Verhalten Minderjähriger dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 13 Abs. 2 erfüllt sind. 199 -Anhang: LfVG(2) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über das Verhalten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. SS30 Nachberichtspflicht Erweisen sich Informationen nach ihrer Übermittlung nach den Vorschriften dieses Gesetzes als unvollständig oder unrichtig, so hat die übermittelnde Stelle ihre Informationen unverzüglich gegenüber der empfangenden Stelle zu ergänzen oder zu berichtigen, wenn dies zu einer anderen Bewertung der Informationen führen könnte oder zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person erforderlich ist. Die Ergänzung oder Berichtigung ist aktenkundig zu machen und in den entsprechenden Dateien zu vermerken. VIERTER ABSCHNITT Auskunftserteilung j SS31 Auskunft an den Betroffenen (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt einer natürlichen Person über die zu ihr gespeicherten Informationen auf Antrag unentgeltlich Auskunft, soweit die Person ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf Informationen, die nicht der alleinigen Verfügungsberechtigung des Landesamtes für Verfassungsschutz unterliegen, sowie auf die Herkunft der Informationen und die Empfänger von Übermittlungen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf den Antrag ablehnen, wenn das öffentliche Interesse an der Geheimhaltung seiner Tätigkeit oder ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse Dritter gegenüber dem Interesse der antragstellenden Person an der Auskunftserteilung überwiegt. In einem solchen Fall hat das Landesamt für Verfassungsschutz zu prüfen, ob und inwieweit eine Teilauskunft möglich ist. Ein Geheimhaltungsinteresse liegt vor, wenn 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist, 2. durch die Auskunftserteilung Quellen gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweisen des Landesamtes für Verfassungsschutz zu befürchten ist, 200 -Anhang: LfVG3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 4. die Informationen oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen Dritter, geheimgehalten werden müssen. Die Entscheidung nach Satz 1 und 2 trifft der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ein von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. * (3) Die Ablehnung einer Auskunft ist zumindest insoweit zu begründen, daß eine verwaltungsgerichtliche Nachprüfung der Verweigerungsgründe gewährleistet wird, ohne dabei den Zweck der Auskunftsverweigerung zu gefährden. Die Gründe der Ablehnung sind in jedem Fall aktenkundig zu machen. (4) Wird die Auskunftserteilung ganz oder teilweise abgelehnt, ist die betroffene Person darauf hinzuweisen, daß sie sich an den Berliner Datenschutzbeauftragten wenden kann. Dem Berliner Datenschutzbeauftragten ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht der Regierende Bürgermeister, im Fall des SS 2 Abs. 4 das betreffende Mitglied des Senats, im Einzelfall feststellt, daß dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Berliner Datenschutzbeauftragten an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand des Landesamtes für Verfassungsschutz zulassen, soweit es nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. Der Kontrolle durch den Berliner Datenschutzbeauftragten unterliegen nicht personenbezogene Informationen, die der Kontrolle durch die Kommission nach SS 2 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 16. Juli 1991 (GVBI. S. 172) unterliegen, es sei denn, die Kommission ersucht den Berliner Datenschutzbeauftragten, die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz bei bestimmten Vorgängen oder in bestimmten Bereichen zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu berichten. SS32 Akteneinsicht (1) Sind personenbezogene Daten in Akten gespeichert, so kann dem Betroffenen auf Antrag Akteneinsicht gewährt werden, soweit Geheimhaltungsinteressen oder schutzwürdige Belange Dritter nicht entgegenstehen. SS 31 gilt entsprechend. (2) Die Einsichtnahme in Akten oder Aktenteile ist insbesondere dann zu versagen, wenn die Daten des Betroffenen mit Daten Dritter oder geheimhaltungsbedürftigen sonstigen Informationen derart verbunden sind, daß ihre Trennung auch durch Vervielfältigung und Unkenntlichmachung nicht oder nur mit unverhält- 201 -Anhang: LfVGnismäßig großem Aufwand möglich ist. In diesem Fall ist dem Betroffenen zusammenfassende Auskunft über den Akteninhalt zu erteilen. Fünfter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle SS33 Ausschuß für Verfassungsschutz (1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes unterliegt der Senat von Berlin der Kontrolle durch den Ausschuß für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin. Die Rechte des Abgeordnetenhauses und seiner anderen Ausschüsse bleiben unberührt. (2) Der Ausschuß für Verfassungsschutz besteht in der Regel aus höchstens zehn Mitgliedern. Die Fraktionen wählen die auf sie entfallenden Mitglieder und machen sie dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin namhaft. Die Fraktionen werden nach ihrer Mitgliederzahl beteiligt, wobei jede Fraktion mindestens durch ein Mitglied vertreten sein muß. Eine Erhöhung der im Satz 1 bestimmten Mitgliederzahl ist nur zulässig, soweit sie zur Beteiligung aller Fraktionen notwendig ist. (3) Scheidet ein Mitglied aus dem Abgeordnetenhaus oder seiner Fraktion aus, so verliert es die Mitgliedschaft im Ausschuß für Verfassungsschutz. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu benennen, das gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Ausschuß ausscheidet. SS34 Geheimhaltung Die Öffentlichkeit wird durch einen Beschluß des Ausschusses ausgeschlossen, wenn das öffentliche Interesse oder berechtigte Interessen eines einzelnen dies gebieten. Sofern die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist, sind die Mitglieder des Ausschusses zur Verschwiegenheit über Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen dabei bekanntgeworden sind. Das gleiche gilt auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Ausschuß. Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit kann von dem Ausschuß aufgehoben werden, soweit nicht berechtigte Interessen eines einzelnen entgegenstehen oder der Senat widerspricht; in diesem Fall legt der Senat dem Ausschuß seine Gründe dar. 202 -Anhang: LfVG - SS35 Aufgaben und Befugnisse des Ausschusses (1) Der Senat hat den Ausschuß umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten; er berichtet auch über den Erlaß von Verwaltungsvorschriften. Der Ausschuß hat Anspruch auf Unterrichtung. (2) Der Ausschuß hat auf Antrag mindestens eines seiner Mitglieder das Recht auf Erteilung von Auskünften, Einsicht in Akten und andere Unterlagen, Zugang zu Einrichtungen der Verfassungsschutzbehörde sowie auf Anhörung von deren Dienstkräften. Die Befugnisse des Ausschusses nach Satz 1 erstrecken sich nur auf Gegenstände, die der alleinigen Verfügungsberechtigung des Landesamtes für Verfassungsschutz unterliegen. (3) Der Senat kann die Unterrichtung über einzelne Vorgänge verweigern und bestimmten Kontrollbegehren widersprechen, wenn dies erforderlich ist, um vom Bund oder einem deutschen Land Nachteile abzuwenden; er hat dies vor dem Ausschuß zu begründen. (4) Das Abgeordnetenhaus kann den Ausschuß für einen bestimmten Untersuchungsgegenstand als Untersuchungsausschuß (Artikel 33 der Verfassung von Berlin) einsetzen. SS 3 des Gesetzes über die Untersuchungsausschüsse des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 22. Juni 1970 (GVBI. S. 925), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Juni 1991 (GVBI. S. 154), findet keine Anwendung. (5) Für den Ausschuß gelten im übrigen die Bestimmungen der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Sechster Abschnitt Schlußvorschriften SS36 Einschränkung von Grundrechten Auf Grund dieses Gesetzes kann das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 des Grundgesetzes eingeschränkt werden. SS37 Anwendbarkeit des Berliner Datenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 durch das Landesamt für Verfassungsschutz finden die SSSS 10 bis 17 und 19 Abs. 2 bis 4 des Berliner Datenschutzgesetzes in der Fassung vom 17. Dezember 1990 (GVBI. 1991 S. 16, 54), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Oktober 1992 (GVBI. S. 314), keine Anwendung. 203 -Anhang: LfVG - SS38 Inkrafttreten, Außerkrafttreten (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung im Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin in Kraft. (2) Gleichzeitig tritt das Gesetz über das Landesamt für Verfassungsschutz in der Fassung vom 3 1 . Juli 1989 (GVBI. S. 1545) außer Kraft. 204 Anhang: LfVG 205 Abkürzungsverzeichnis - Abkürzungsverzeichnis 206 - Abkürzungsverzeichnis * 207 - Abkürzungsverzeichnis - ABKURZUNGSVERZEICHNIS A AAB Antifaschistische Aktion Berlin AA/BO Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation ADÜTDF Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa e. V. AG AG Arbeitsgemeinschaft Autonome Gruppen in und bei der PDS AG BWK Arbeitsgemeinschaft Bund Westdeutscher Kommunisten in und bei der PDS AG JG Arbeitsgemeinschaft Junge Genossinnen in und bei der PDS AIW Antiimperialistische Widerstandszelle Nadia SHEHADAH AlZ Antiimperialistische Zelle AMGT Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V. ANO ABU-NIDAL-Organisation ARGK Volksbefreiungsarmee Kurdistans B BBP Partei der Großen Einheit BBS SoRevo Bulletin Board System BBZ Berlin Brandenburger - Zeitung der Nationalen Erneuerung BÜD Großer Idealer Kreis - Türkischer Kulturverein Berlin e. V. Bunker BBS Bunker Bulletin Board System 208 - Abkürzungsverzeichnis - BWK Bund Westdeutscher Kommunisten CWI Committee for a Worker's International DA Deutsche Alternative DABK Ostanatolisches Gebietskomitee DEP Partei der Demokratie DFLP Demokratische Front für die Befreiung Palästinas DHKC Revolutionäre Volksbefreiungsfront DHKP/-C Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front DIDF Föderation der demokratischen Arbeitervereine aus der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland e. V. DK Deutsches Kolleg DKP Deutsche Kommunistische Partei DLVH Deutsche Liga für Volk und Heimat DN Deutsche Nationalisten DNZ Deutsche National-Zeitung DRP Deutsche Reichspartei DVU Deutsche Volksunion DVU e. V. Deutsche Volksunion e. V. DWZ Deutsche Wochen-Zeitung 209 - Abkürzungsverzeichnis - E 1 I EMUG Europäische Moscheebauund -unterstützungs Gemeinschaft e. V. ERNK Nationale Befreiungsfront Kurdistans FAP Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei FAPSI Föderale Agentur für Regierungsverbindung und Information FARA Feministische Antifaschistisch-Revolutionäre Aktion F.e.l.S. Für eine linke Strömung FIS Islamische Heilsfront FSB . Föderaler Dienst für Sicherheit G I I GIA Bewaffnete Islamische Gruppe GNN Gesellschaften für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung mbH GRU Russischer militärischer Auslandsaufklärungsdienst I " I HAMAS Bewegung des islamischen Widerstandes HJ Hitler-Jugend 210 - Abkürzungsverzeichnis - HNG Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. HVA Hauptverwaltung Aufklärung | I ] IBP Islamischer Bund Palästina ICCB Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln IGD Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. IGMG Islamische Gemeinschaft Milli Görüs IK Insiderkomitee zur Aufarbeitung der Geschichte des MfS e.V. IM Inoffizieller Mitarbeiter IMSV Iranische Moslemische Studentenvefeinigung Bundesrepublik Deutschland e. V. IPO Islamische Propaganda-Organisation L i I JN Junge Nationaldemokraten JRE Jugend gegen Rassismus in Europa K KBW Kommunistischer Bund Westdeutschland KGB Komitee für Staatssicherheit KGK KLASSE GEGEN KLASSE 211 - Abkürzungsverzeichnis - KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion KPF Kommunistische Plattform der PDS KP-IÖ Kommunistische Partei - Aufbauorganisation M "Hl MB Muslimbruderschaft MfS Ministerium für Staatssicherheit MG Marxistische Gruppe MHP Partei der Nationalistischen Bewegung MLKP Marxistisch-leninistische Kommunistische Partei MLPD Marxistisch-leninistische Partei Deutschlands MOIS Ministerium für Information und Sicherheit N ] NF Nationalistische Front NIT Berlin Nationales Info-Telefon Berlin NKFDDR Nationalkomitee Freie DDR NLA Nationale Befreiungsarmee NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDAP-AO Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei - Auslandsund Aufbauorganisation 212 - Abkürzungsverzeichnis - NWRI Nationaler Widerstandsrat Iran I " 11 PCP Kommunistische Partei Perus PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PFLP Volksfront für die Befreiung Palästinas PFLP-GC Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkommando PIJ Palästinensischer Islamischer Jihad PKDW Kurdisches Exilparlament PKK Arbeiterpartei Kurdistans PLO Palästinensische Befreiungsorganisation PMOI Organisation der Volksmojahedin Iran R I I RAF Rote Armee Fraktion RAI Rote Antifaschistische Initiative REP Die Republikaner RIM Revolutionary Internationalist Movement RK Revolutionäre Kommunisten (BRD) RP Wohlstandspartei RZ Revolutionäre Zellen 213 - Abkürzungsverzeichnis - SA Sturmabteilung SAV Sozialistische Alternative Voran SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SS Schutzstaffel SWR Russischer ziviler Auslandsaufklärungsdienst T I I TDKP Revolutionäre Kommunistische Partei der Türkei THKP/-CTürkische Volksbefreiungspartei/Tront Devrimci Sol Devrimci Sol TID Verein der Arbeiter aus der Türkei in Berlin e. V. TKIH Türkische Kommunistische Partei TKP/M-L Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten TÜB Türkische Idealistengemeinschaft in Berlin U U.I.S.A. Union Islamischer Studentenvereine in Europa VdF Verlag der Freunde VEVAK Ministerium für Information und Sicherheit VFK Völkischer Freundeskreis Berlin 214 - Abkürzungsverzeichnis W WJ Wiking-Jugend, volkstreue nordländische Jugendbewegung Deutschland e V. Y~ I YDH Neue Demokratische Bewegung YEK-KOM Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland