Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Verfassungsschutzbericht 2020 Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Inhalte aus 2019 Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz - Umbrüche, Silbentrennungen und Tabellen-Linien werden noch überarbeitet - Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 4 Liebe Bürgerinnen und Bürger, Die Corona-Pandemie hält noch immer die ganze Welt in Atem. Alle Staatsund Gesellschaftsformen stehen einem unheimlichen, unsichtbaren Feind gegenüber, dessen Arsenal vom harmlosen Schnupfen über schwerwiegende Langzeitschäden bis hin zum Tod reicht. Auch in Deutschland hat sich die Pandemie zu einem Belastungstest für das Leben jedes Einzelnen, für unsere Demokratie und unsere Gesellschaft entwickelt. Unser aller Alltagsleben wurde völlig aus den gewohnten Bahnen gehoben: Vor allem in der zweiten großen Welle der Pandemie im Herbst und Winter haben viele Familien in Deutschland Angehörige oder Freunde durch das Virus verloren. 2020 ist für sie zum "annus horribilis", zum Jahr des Schreckens, geworden. Und noch nie zuvor seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland musste das gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Leben nahezu auf Null heruntergefahren werden. Die Bayerische Staatsregierung hat daher Verständnis für Diejenigen, die in dieser Situation ganz reale Existenzängste entwickelt haben, Verständnis für die Familien, die mit Unterrichtsausfällen zu kämpfen hatten und für Alle, die lieber heute als morgen ihr normales Leben wiederhaben wollen. Uns ist durchaus bewusst, dass die Einhaltung der Beschränkungsmaßnahmen allen Bürgern erhebliche Opfer abverlangt, und dass die staatlichen Anordnungen nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen. Und es ist kein Geheimnis, dass auch die in Bund und Ländern verantwortlichen Politiker jeden Tag neu hinzulernen, hinzulernen müssen, da sie mit einer sich dynamisch fortentwickelnden Forschungsund Erkenntnislage konfrontiert sind. Das Handeln der Politik war und ist aber immer von der Entschlossenheit getragen, so gut wie irgend möglich Schaden von unserer Gesellschaft und von jedem Einzelnen abzuwenden. Es gilt stets neu abzuwägen zwischen dem Schutz der Gesundheit - gerade der Schwächsten in unserer Gesellschaft - auf der einen Seite und wesentlichen grundgesetzlich verbrieften Freiheitsrechten und wirtschaftlicher Prosperität auf der anderen. Und hier ist ein Punkt, der uns stark umtreibt: Die Pandemie hat neben großartiger Solidarität des Großteils der Bevölkerung leider auch zutage gefördert, dass in einigen Teilen der Gesellschaft ein erschreckendes Unverständnis und eine Distanz zu den grundlegenden Werten und Regeln unserer Demokratie besteht. 5 Natürlich steht es jedem frei, auch an noch so abstruse Verschwörungstheorien zu glauben. In unserer Demokratie ist es nicht verboten, unwissenschaftliche oder auch schlichtweg unsinnige Meinungen zu haben und diese auch öffentlich zu äußern. Wenn diese Äußerungen aber darauf abzielen, den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat und die parlamentarische Demokratie abzuschaffen, wenn antisemitische oder rassistische Vorurteile hinsichtlich der Ursache der Pandemie bedient werden, ist eine Grenze erreicht, die der Rechtsstaat nicht mehr tolerieren kann und auch nicht tolerieren wird. Denn vor allem im Windschatten der Demonstrationen gegen die staatlichen CoronaMaßnahmen segeln auch Personen mit, die mit ihren - häufig rechtsextremistischen - Erklärungsmustern versuchen, Demokratieverdrossenheit zu schüren und damit die Bevölkerung gegen unseren Rechtsstaat und seine Repräsentanten aufzuwiegeln. Das Perfide daran ist, dass sich die Extremisten nach außen hin insbesondere als Bewahrer der demokratischen Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit ausgeben. Das vorgebliche Eintreten für die Grundrechte dient ihnen jedoch nur als Vehikel, um die Akzeptanz der demokratischen Spielregeln aufzubrechen und weitere Anhänger zu generieren. Extremisten wissen: Verunsicherte Menschen, die Angst um ihren Arbeitsplatz oder ihre Gesundheit haben, können manipuliert und gegen eine angeblich korrupte "Politund Wirtschaftselite" und ein behauptetes "totalitäres System" aufgewiegelt werden. Die Hetzer blenden dabei völlig aus, dass gerade das Recht, gegen staatliche Maßnahmen zu demonstrieren, die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie beweist. Wäre unser Staat tatsächlich ein unterdrückerisches System, wie es vielerorts im Rahmen der Pandemie behauptet wird, wären diese Demonstrationen nicht möglich beziehungsweise wären ihre Teilnehmer nicht mehr in Freiheit. Es ist daher wichtiger denn je, sich nicht nur den Wert der demokratischen Spielregeln als Basis unseres täglichen Zusammenlebens vor Augen zu führen, sondern diese auch offensiv gegenüber böswilliger oder extremistischer Meinungsmache zu verteidigen. Der "Sturm auf das Kapitol" von Anfang Januar ist ein Warnsignal, wohin eine Entkoppelung von demokratischen Werten führen kann. Das Eintreten für unsere Demokratie ist daher nicht nur eine Aufgabe unserer Sicherheitsbehörden, sondern jedes Einzelnen. Joachim Herrmann Gerhard Eck Staatsminister Staatssekretär 6 Liebe Bürgerinnen und Bürger, im vergangenen Jahr haben die Auswirkungen der Corona-Pandemie zu dramatischen Veränderungen des Lebensalltags geführt, bei vielen Bürgern existentielle Sorgen erzeugt und unsere Gesellschaft insgesamt vor große Herausforderungen gestellt. Dank der staatlichen Maßnahmen konnte in Deutschland bislang eine extreme Überlastung des Gesundheitssystems zwar verhindert werden, dennoch kostete die Pandemie bereits zehntausende Menschen das Leben. Die staatlichen Beschränkungsmaßnahmen wurden in der Bevölkerung sehr unterschiedlich aufgefasst und akzeptiert. Dabei verschärfte sich die kritische Auseinandersetzung über die Maßnahmen, die mit teils erheblichen Grundrechtseingriffen einhergingen. Während weite Teile der Bevölkerung die ergriffenen Maßnahmen für erforderlich und verhältnismäßig halten, wächst die Frustration eines Teils der Bevölkerung, der für die Infektionsschutzmaßnahmen kein Verständnis aufbringt. Die zunehmend hitzige Diskussion über die Abwägung zwischen Infektionsschutz einerseits und der uneingeschränkten Wahrung einzelner Grundrechte andererseits sowie über die Verhältnismäßigkeit der verabschiedeten Maßnahmen lässt die Zielkonflikte in der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit, hier im Speziellen des Gesundheitsschutzes, deutlich zu Tage treten. Dies stellt Gesellschaft und Politik vor große Herausforderungen, die über die unmittelbare Bekämpfung der Pandemie hinausgehen. Deutschlandweit nehmen regelmäßig zahlreiche Menschen ihr Grundrecht auf Meinungsund Versammlungsfreiheit wahr und bringen ihren Protest gegen die geltenden Infektionsschutzmaßnahmen zum Ausdruck. Trotz ihrer Möglichkeiten, ihre Meinung öffentlich kundzutun, ohne deswegen staatliche Repressalien befürchten zu müssen, kritisieren manche Gegner der staatlichen Corona-Politik das aktuelle Meinungsklima als repressiv. Insbesondere in der Auseinandersetzung über die "Grenzen des Sagbaren" beklagen Akteure in verschiedenen Bereichen des politischen Spektrums eine vermeintliche Verengung öffentlicher Debatten, manch einer sieht sogar die Meinungsfreiheit in Gefahr. Das Recht auf freie Meinungsäußerung garantiert die öffentliche Auseinandersetzung über politische Kontroversen und bildet das Herzstück einer lebendigen Demokratie. In repräsentativen Demokratien ist die Meinungsfreiheit ein wichtiger Stabilitätsgarant, der Positionen, die von der Mehrheitsmeinung abweichen, besonders schützt. Dieses Recht gilt für die offene Rede ebenso wie für die, meist anonymen, 7 Meinungsäußerungen im Internet. In der pluralistischen Gesellschaft gehört es dazu, auch Regierungskritik, Proteste gegen politische Vorhaben oder radikale Ansichten auszuhalten. Auch sie tragen dazu bei, dass Standpunkte hinterfragt und Meinungen mit sachlichen Argumenten begründet werden müssen, um jenseits der eigenen Komfortzone dialogfähig zu bleiben. Dabei fungiert der demokratische Meinungsstreit auch als kommunikatives Protestventil gegen die Verbreitung extremistischer Ideologien, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Zugleich muss klargestellt werden, dass die Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit keine Rechtfertigung für die öffentliche Diffamierung und Verunglimpfung anderer ist. Es macht einen Unterschied, ob eine Äußerung dazu dient, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, oder ob es den Urhebern lediglich um gezielte Stimmungsmache gegen einzelne Personen, staatliche Institutionen, einzelne Bevölkerungsteile oder ein respektvolles Zusammenleben geht. In Krisenzeiten wie diesen suchen viele Menschen nach einfachen Erklärungen. Manche geben sich jedoch zu schnell mit bloßen Vorurteilen zufrieden, Lautstärke übertönt die Vernunft. Verschwörungstheorien, auch solche mit extremistischen Bezügen, gewinnen an Popularität. In den digitalen Empörungsstürmen des Internets ist eine sprachliche Entgleisungsdynamik zu verzeichnen, die das gesellschaftliche Kommunikationsklima vergiftet, Hass und Hetze befeuert und extremistischen Botschaften Vorschub leistet. Insbesondere die beschämenden Szenen vor und auf den Stufen des Berliner Reichstags und die damit zum Ausdruck gebrachte Ablehnung staatlicher Institutionen haben eine komplexe Gemengelage zwischen Empörungslust und Wutrhetorik sichtbar gemacht. Darüber hinaus hat die Pandemie die in unserer Gesellschaft fortschreitende Entwicklung antidemokratischer Strömungen aufgezeigt. Aufgabe des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz ist es hierbei, aufzuklären, wo die Schwelle zum Extremismus überschritten ist. Die im Grundgesetz und in der Bayerischen Verfassung verbriefte Meinungsvielfalt und die Achtung der Menschenwürde sind die Werte, die es auch in Pandemiezeiten zu verteidigen gilt. Unsere Gesellschaft muss sich dieser Herausforderung mit aller Konsequenz stellen. Dies verlangt aber auch ein entschlossenes gesamtgesellschaftliches Engagement gegen die Delegitimierung demokratischer Institutionen und die in manchen Verschwörungstheorien verpackte Diskriminierung von Mitbürgern. Auch bedarf es eines klaren Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, ist sie doch Garant für die vielfach eingeforderte Meinungsfreiheit. München, im April 2021 Dr. Burkhard Körner Präsident des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz 8 9 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Inhalt Informationen zum Verfassungsschutz 16 1. Der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem 17 2. Gesetzlicher Auftrag 17 3. Informationsbeschaffung 21 4. Kontrolle des Verfassungsschutzes 22 5. Zusammenarbeit mit der Polizei 23 6. Information und Prävention 24 Islamismus 30 1. Personenpotenzial in Bayern 32 2. Islamismus in Deutschland 32 3. Strukturen 34 3.1 Legalistischer Islamismus 34 3.1.1 Milli Görüs-Bewegung 35 3.1.2 Furkan-Gemeinschaft 38 3.1.3 Tablighi Jamaat (TJ) 40 3.1.4 Islamische Vereinigung in Bayern e. V. (IVB) 42 3.1.5 Die Muslimbruderschaft (MB) und ihr Einfluss in Deutschland 43 3.1.6 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) (ehemals: Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD)) 46 3.2 Salafismus 48 3.2.1 Ursprung 48 3.2.2 Ideologie 48 3.2.3 Personenpotenzial 50 3.2.4 Reisebewegungen und Rückkehrer 53 3.2.5 Rekrutierung und Propaganda 57 3.2.6 Salafistische Bestrebungen im Strafvollzug 62 3.2.7 Anschlagsgeschehen und Täterprofile 64 3.2.8 Exekutivmaßnahmen 68 3.2.9 Islamischer Staat, al-Qaida und andere terroristische Strukturen 70 3.3 Sonstiger islamistischer Terrorismus 77 3.3.1 HAMAS (Islamische Widerstandsbewegung) 77 3.3.2 Hizb Allah (Partei Gottes) 79 3.4 Sonstige verbotene Organisationen 81 10 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Ausländerextremismus 84 1. Personenpotenzial in Bayern 86 2. Konfliktund Gewaltpotenzial 86 3. Strukturen 87 3.1 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 87 3.2 Türkische Linke 91 3.2.1 DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)/Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 91 3.2.2 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten - Partizan Flügel (TKP/ML - "Partizan-Flügel") 93 3.2.3 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 94 3.3 Türkische Rechtsextremisten: Ülkücü-Bewegung ("Idealisten"-Bewegung) 95 Rechtsextremismus 98 1. Personenpotenzial in Bayern 100 2. Gewaltpotenzial 102 2.1 Gewaltorientierte rechtsextremistische Szene in Bayern 105 2.2 Gewalt gegen Flüchtlinge 107 2.3 Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten 108 3. Rechtsextremistische Themenfelder und Aktionsformen 110 3.1 Rechtsextremistische Themenfelder 110 3.2 Rechtsextremistische Aktionsformen 125 3.2.1 Rechtsextremistische Bürgerwehrund Patrouille-Aktionen 125 3.2.2 Rechtsextremistische Aktivitäten bei Veranstaltungen 128 3.2.3 Freizeitaktivitäten zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und zur Nachwuchsgewinnung 129 3.2.4 Kampfsportveranstaltungen 131 3.2.5 Internationale Kontakte bayerischer Rechtsextremisten 133 4. Internet, Musik, Verlage und Vertriebsstrukturen 134 4.1 Rechtsextremisten im Internet 134 4.1.1 Aktivitäten und Strategien 135 4.1.2 Aufklärungsarbeit des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (BayLfV) im Bereich Internet und Soziale Medien 137 4.1.3 Rechtsextremistische Internetradios und -TV 138 11 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 4.2 Rechtsextremistische Musik 139 4.3 Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen 144 4.4 Rechtsextremistisches Verlagswesen 145 5. Immobiliensuche und -erwerb 147 6. Rechtsextremistische Parteien und parteinahe Strukturen 148 6.1 Junge Alternative für Deutschland Bayern (JA Bayern) 148 6.2 "Der Flügel" 151 6.3 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 154 6.4 Partei Der Dritte Weg (III. Weg) 160 6.5 Partei DIE RECHTE - Partei für Volksabstimmung, Souveränität und Heimatschutz 166 7. Parteiunabhängige rechtsextremistische Organisationen 167 7.1 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 167 7.1.1 Symbolik und Ideologie 168 7.1.2 Strukturen in Bayern 169 7.2 PEGIDA-München - zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e. V. (PEGIDA-München) 172 7.3 Bürgerinitiativen 173 7.4 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 176 8. Neonazismus und Kameradschaften 178 8.1 Neonazistische Gruppen 179 9. Rechtsextremistische Jugend-Szenen und Subkulturen 182 Reichsbürger und Selbstverwalter 188 1. Personenpotenzial 191 2. Ideologie 193 2.1 Ideologische Gemeinsamkeiten 193 2.2 Szeneinterne ideologische Konflikte 193 3. Typische Aktivitäten 195 3.1 Auftreten gegenüber Justiz und Verwaltung 195 3.2 Beantragung von Staatsangehörigkeitsausweisen und Nutzung eigener Dokumente 196 3.3 Kommerzielle Aktivitäten sogenannter "Milieumanager" 197 3.4 Stammtische und Seminare 198 3.5 Überregionale und internationale Kontakte 198 4. Aktuelle Aktivitäten in Bayern 199 5. Gewaltpotenzial 201 12 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 6. Reichsbürgergruppierungen in Bayern 203 6.1 Sicherheitsgefährdende Bestrebungen 203 6.1.1 Volksstaat Bayern (vormals: Bundesstaat Bayern) 203 6.1.2 Verfassunggebende Versammlung 204 6.1.3 Staatenlos.info - Comedian e. V. 205 6.1.4 Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuSt) 206 6.1.5 Vaterländischer Hilfsdienst (VHD) 207 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit 210 1. Bürgerbewegung Pax Europa e. V. - Landesverband Bayern (BPE Bayern) 213 2. Michael Stürzenberger und Umfeld 215 Linksextremismus 220 1. Personenpotenzial in Bayern 222 2. Militanzund Gewaltpotenzial 222 2.1 Linksextremistisch motivierte Straftatenserie 228 2.2 Reaktionen auf die Corona-Pandemie 231 2.3 Strafund Gewalttaten 235 2.4 Präventionsmaßnahmen des Verfassungsschutzes 236 3. Einflussnahme auf Bürgerliche Kampagnen 237 4. Ideologische Wurzeln des Linksextremismus 239 5. Linksextremistische Themenfelder 243 6. Internet, Musik und Medien 248 6.1 Linksextremistische Agitation im Internet 248 6.2 Linksextremistische Szenepublikationen 249 6.3 Linksextremistische Musik 251 7. Linksextremistische Parteien und Vereinigungen 252 7.1 Offen extremistische Strukturen in der Partei DIE LINKE. 252 7.1.1 Linksjugend ['solid] Landesverband Bayern 252 7.1.2 DIE LINKE. Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband (DIE LINKE.SDS) Landesverband Bayern 253 7.1.3 Antikapitalistische Linke (AKL) 253 7.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Umfeld 254 7.2.1 DKP 254 7.2.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 256 7.2.3 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) 258 13 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 7.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 259 7.4 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) 261 7.5 Freie Deutsche Jugend (FDJ) 263 7.6 Marxistische Jugend (mj) 264 7.7 Rote Hilfe e. V. (RH) 265 8. Autonome, Postautonome und Anarchisten 266 8.1 Beschreibung / Hintergrund 266 8.2 Gruppierungen 269 8.2.1 Autonome Gruppierungen 269 8.2.2 Postautonome Gruppierungen 277 8.2.3 Anarchistische Gruppen 282 Scientology-Organisation (SO) 286 1. Personenpotenzial 289 2. Aktionen und Aktivitäten 290 2.1 Scientology und die Corona-Pandemie 290 2.2 Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit durch die "Ehrenamtlichen Geistlichen" in München 291 2.3 Offensive Öffentlichkeitsarbeit der Tarnorganisation "Der Weg zum Glücklichsein" 293 3. Organisationsstruktur 295 3.1 Finanzierung der Scientology-Organisation 297 3.2 Unterorganisationen der Scientology-Organisation 298 3.3. Formen der Kontaktaufnahme 302 4. Aussteiger 303 5. Prävention 304 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Cyber-Allianz-Zentrum (CAZ) 306 1. Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste 309 1.1 Russische Föderation 311 1.2 Volksrepublik China 314 1.3 Sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten 317 2. Wirtschaftsschutz 319 3. Cyber-Allianz-Zentrum Bayern (CAZ) 320 4. Cyberabwehr 323 5. Proliferation 326 14 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Organisierte Kriminalität (OK) 328 1. Rockerkriminalität 331 1.1 Allgemeines 331 1.2 Bayerische OMCGs 333 1.3 Bayerische rockerähnliche Gruppierungen 334 1.4 Auswirkungen des Kuttenverbots 335 1.5 Gefährdungslage Bund/Bayern 336 1.6 Phänomenübergreifende Aspekte 338 1.6.1 Verbindungen von Rockern in die rechtsextremistische Szene 338 1.6.2 Rocker und Waffenerlaubnisse 338 1.6.3 Verbindungen von Rockern in die Rapund Kampfsportszene 339 2. Russisch-eurasische OK (REOK) 340 3. OK-Gruppierungen aus dem Balkan und der Türkei 341 4. Italienische OK 342 5. Nigerianische OK 343 Im Blickpunkt 346 Anhang 358 Stichwortregister 359 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 364 Bildnachweis 372 15 Informationen zum Informationen zum Verfassungsschutz Verfassungsschutz Der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem Gesetzlicher Auftrag Informationsbeschaffung Kontrolle des Verfassungsschutzes Zusammenarbeit mit der Polizei Information und Prävention 16 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 1. DER VERFASSUNGSSCHUTZ ALS FRÜHWARNSYSTEM Die Bundesrepublik Deutschland ist nach ihrer Verfassung eine wertgebundene, wachsame und wehrhafte Demokratie. Der Staat kann gegen Bestrebungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, die in der Verfassung vorgesehenen Abwehrmittel einsetzen, z. B. ein Parteioder Vereinsverbot. Das setzt aber voraus, dass er solche Bestrebungen oder Aktivitäten, die als extremistisch oder als verfassungsfeindlich bezeichnet werden, rechtzeitig erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Verfassungsschutzes als Frühwarnsystem zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie zum Schutz des Bestandes und der Sicherheit von Bund und Ländern ein. 2. GESETZLICHER AUFTRAG Die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sind gesetzlich genau festgelegt. Das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) regelt die von Bund und Ländern im Rahmen des Verfassungsschutzes gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben und ist zugleich Rechtsgrundlage für die Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Daneben gibt es in allen Ländern eigene Verfassungsschutzgesetze. In Bayern regelt das Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) die Aufgaben und Befugnisse des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz, das seinen Sitz in München hat und dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration unmittelbar nachgeordnet ist. Foto: Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz in München 17 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Verfassungsschutz in Bayern Für das Landesamt wurden im Haushaltsplan 2020 insgesamt rund 575 Stellen für Beamte und Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst ausgewiesen. Das Haushaltsvolumen 2020 betrug rund 42,5 Millionen Euro. BeobachtungsDer Verfassungsschutz sammelt Informationen über sicherheitsauftrag gefährdende und verfassungsfeindliche Bestrebungen im Inland und wertet diese aus. Diesem originären Beobachtungsauftrag unterliegen im Wesentlichen - Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, - sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht (Sabotage und Spionage), - Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, - Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind, - Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität. Als "Bestrebung" ist eine politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweise definiert, die darauf gerichtet ist, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes beziehungsweise Verfassungsgrundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Solche Bestrebungen können von Gruppierungen oder Einzelpersonen ausgehen. Arbeitsschwerpunkt des Verfassungsschutzes ist dabei die Beobachtung von extremistischen Personenzusammenschlüssen (Organisationen), d. h. in erster Linie die Analyse ihrer Ziele, Aktivitäten, Stärke, ihres Aufbaus und ihrer finanziellen Verhältnisse. Aber auch die Beobachtung von extremistischen Einzelpersonen ist zulässig. Als extremistische oder staatsgefährdende Bestrebungen werden in Bayern beobachtet: - Islamismus, - Ausländerextremismus, - Rechtsextremismus, - Reichsbürger und Selbstverwalter, - verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit, - Linksextremismus, - Scientology-Organisation. 18 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Der Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes umfasst auch extremistische Aktivitäten im Internet, z. B. in Blogs und Foren. Dabei ist aber eine "automatische" Zurechnung von anonymen Beiträgen in Blogs oder Foren zulasten der Betreiber rechtlich nicht zulässig. Erst wenn eine politisch motivierte, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielrichtung zurechenbar festzustellen ist, ist der Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes eröffnet. Nach einer Grundsatzentscheidung des BundesverfassungsBeobachtung von gerichts aus dem Jahr 2013 zu den Voraussetzungen und GrenAbgeordneten zen der Beobachtung von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz ist die Beobachtung von Parlamentsabgeordneten durch die Verfassungsschutzbehörden wegen des darin liegenden Eingriffs in das freie Mandat des Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen zulässig. An die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist dabei mit Blick auf die Bedeutung, die das Grundgesetz dem freien Mandat zuerkennt, ein strenger Maßstab anzulegen. Ein die Beobachtung rechtfertigendes, überwiegendes Interesse am Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung liegt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere dann vor, wenn ein Abgeordneter sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft. In Bayern ist die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OK) Organisierte seit 1994 nicht nur Aufgabe der Polizei, sondern - zum Schutz der Kriminalität verfassungsmäßigen Ordnung - auch des Verfassungsschutzes. Dies umfasst u. a. die Bereiche illegaler Waffenund Drogenhandel, Schutzgelderpressung und Geldwäsche. Der Bayerische Verfassungsschutz klärt da auf, wo Polizei oder Staatsanwaltschaft rechtlich noch nicht tätig werden können, und liefert so einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung krimineller Strukturen. Personen, die der OK angehören beziehungsweise sich in deren Umfeld aufhalten, agieren sehr konspirativ. Die Aufklärung dieser Strukturen setzt eine systematische und vor allem langfristig angelegte Beobachtung voraus, die auch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erfordert. Liegen dem Verfassungsschutz konkrete Anhaltspunkte für kriminelle Strukturen und Straftaten vor, werden diese zur weiteren Bearbeitung an Polizei und Staatsanwaltschaft abgegeben. 19 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Verfassungsschutz in Bayern Spionageabwehr Eine weitere Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Spionageabwehr, d. h. die Abwehr der Spionage von Nachrichtendiensten fremder Staaten gegen Deutschland. Wesentliche Angriffsziele sind die Bereiche Politik, Militärtechnologie und Wirtschaft. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste, sammelt Informationen und wertet sie aus, um z. B. deutsche Unternehmen zu schützen. Das seit Juli 2013 bestehende Cyber-Allianz-Zentrum im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz unterstützt Unternehmen, Betreiber kritischer Infrastrukturen sowie Wissenschafts-, beziehungsweise Forschungseinrichtungen bei der Prävention und Abwehr gezielter Cyberangriffe. MitwirkungsDaneben hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz aufgaben eine Reihe von Mitwirkungsaufgaben, bei denen es als Fachberater bei Sachentscheidungen einer anderen Behörde hinzugezogen wird. Dabei fließen die bereits vorhandenen oder aus Anlass des Mitwirkungsersuchens gewonnenen Erkenntnisse in den Entscheidungsprozess einer anderen Behörde mit ein. Zu den Mitwirkungsaufgaben gehören der Geheimund Sabotageschutz. Geheimschutz Der Geheimschutz umfasst die Maßnahmen, die verhindern sollen, dass Unbefugte von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Informationen und Unterlagen - sogenannte "Verschlusssachen" - Kenntnis erhalten. Verschlusssachen gibt es in Behörden, aber auch in privatwirtschaftlichen Unternehmen, die im Auftrag des Staates tätig werden. Der materielle Geheimschutz befasst sich mit den organisatorischen und technischen Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, um Verschlusssachen vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Der personelle Geheimschutz beinhaltet die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen. Die Sicherheitsüberprüfung nach dem Bayerischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BaySÜG) soll gewährleisten, dass nur zuverlässige Personen eingesetzt werden, bei denen keine Umstände vorliegen, die ein Sicherheitsrisiko darstellen. 20 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz bringt außerdem seine Erkenntnisse im Rahmen weiterer Beteiligungsaufgaben ein, insbesondere bei einbürgerungsund aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen. Es ist an der behördenübergreifenden Arbeitsgruppe "BIRGiT" (Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus/Extremismus) beteiligt. Zudem hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz die Aufgabe, im Einzelfall amtliche Auskünfte im Rahmen der Verfassungstreueüberprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst zu erteilen. Außerdem übermittelt es relevante Erkenntnisse im Rahmen von Zuverlässigkeitsüberprüfungen z. B. nach dem Luftsicherheitsgesetz und dem Atomgesetz. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ist auch Ansprechpartner für die Waffenbehörden: Nach dem zum 20. Februar in Kraft getretenen Dritten Waffenrechtsänderungsgesetz genügt bereits die bloße Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung, um die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit zu vermuten. Bislang waren hier konkrete Unterstützungsleistungen nachzuweisen. Zudem sind die Waffenbehörden nun verpflichtet, auch im Rahmen der waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsprüfung eine Auskunft des Verfassungsschutzes einzuholen (Regelanfrage). Die Verfassungsschutzbehörden haben unaufgefordert nachzuberichten, wenn ihnen zu einem späteren Zeitpunkt relevante Erkenntnisse vorliegen (Nachberichtspflicht). Die Regelanfrage ist auch vor Erteilung eines Jagdscheins und im Rahmen sprengstoffrechtlicher Erlaubnisverfahren durchzuführen. 3. INFORMATIONSBESCHAFFUNG Zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags darf das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz Informationen sammeln und auswerten und diese Informationen, soweit sie erforderlich sind, speichern. Diese Informationen werden zum weit überwiegenden Teil aus offenen Quellen gewonnen (z. B. aus dem Internet, aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Programmen, Broschüren sowie bei öffentlichen Veranstaltungen extremistischer Organisationen). Einen Teil der Informationen erhält der Verfassungsschutz durch Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel. 21 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Verfassungsschutz in Bayern Dazu gehören insbesondere: - der Einsatz von Vertrauensleuten (Personen, die der Verfassungsschutzbehörde selbst nicht angehören, aber aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Beobachtungsobjekt "Szene-Erkenntnisse" gegen Bezahlung liefern), - das Beobachten verdächtiger Personen (Observation) sowie - verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs) sind besonders strengen rechtsstaatlichen Anforderungen unterworfen. Die Voraussetzungen, unter denen vom Inhalt einer Telekommunikation Kenntnis genommen werden darf, sind in einem eigenen Bundesgesetz geregelt, das nach dem Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses "Artikel 10-Gesetz" (G 10) genannt wird. Ein Verfahren mit mehreren voneinander unabhängigen Kontrollinstanzen stellt sicher, dass in dieses Grundrecht nur eingegriffen wird, wenn die im Gesetz genannten besonderen Gründe vorliegen. Ähnliches gilt für die Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern sowie für die Verwendung technischer Mittel zur Identifizierung von bisher unbekannten Mobilfunkanschlüssen. Besonders strenge rechtsstaatliche Sicherungen gelten auch für den Einsatz von technischen Mitteln in Wohnund Geschäftsräumen sowie für den verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme. Solche Maßnahmen dürfen nur auf Anordnung eines Richters vorgenommen werden. 4. KONTROLLE DES VERFASSUNGSSCHUTZES Die Tätigkeit des bayerischen Verfassungsschutzes unterliegt einer vielfältigen Kontrolle. Dazu gehört die allgemeine parlamentarische Kontrolle, die durch die Berichtspflicht des verantwortlichen Ministers gegenüber dem Landtag im Rahmen von Anfragen von Abgeordneten, Petitionen usw. ausgeübt wird. Eine besondere Kommission des Bayerischen Landtags, das Parlamentarische Kontrollgremium, überwacht die Arbeit des Verfassungsschutzes. Die G 10-Kommission überprüft unter anderem die Maßnahmen zur Überwachung des Postund 22 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Telekommunikationsverkehrs sowie die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern, Luftfahrtunternehmen oder Kreditinstituten. Die Verwaltungskontrolle obliegt dem Innenminister im Rahmen der Dienstund Fachaufsicht, ferner dem Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz und dem Bayerischen Obersten Rechnungshof. Diese Kontrollen werden ergänzt durch die Möglichkeit, gegen belastende Maßnahmen die Verwaltungsgerichte anzurufen. Schließlich findet über die Medienberichterstattung auch eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit statt. 5. ZUSAMMENARBEIT MIT DER POLIZEI Beim Schutz von Staat und Verfassung arbeiten Polizei und Verfassungsschutz eng zusammen. Dabei sind die Polizeiund Verfassungsschutzbehörden jedoch voneinander getrennt, Verfassungsschutzbehörden dürfen keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden (organisatorisches Trennungsgebot). Aufgabe der Polizei sind die Abwehr von Gefahren sowie die Aufklärung von Straftaten. Sie verfügt über Eingriffsrechte und Zwangsbefugnisse (z. B. Festnahmen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen usw.) und muss eingreifen, sobald sie Hinweise auf Straftaten erhält. Der Verfassungsschutz ist dagegen für die Vorfeldaufklärung zuständig und hat keine Zwangsbefugnisse und kein Weisungsrecht gegenüber der Polizei (befugnisrechtliches Trennungsgebot). Hat der Verfassungsschutz ausreichend Erkenntnisse, die ein sicherheitsrechtliches Eingreifen erforderlich machen, unterrichtet er die zuständige Sicherheitsbehörde. Diese entscheidet dann selbstständig, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. Begrenzt wird dieser Informationsaustausch jedoch durch das sogenannte "informationelle Trennungsprinzip". Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen aufgrund der verschiedenen Aufgaben von Polizei und Verfassungsschutzbehörden und deren unterschiedlichen Befugnissen Informationen durch den Verfassungsschutz an die Polizei nur in bedeutsamen Fällen übermittelt werden. Daher enthält das BayVSG genau wie das BVerfSchG sehr ausdifferenzierte Regelungen für die Informationsübermittlung an die Polizei. 23 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Verfassungsschutz in Bayern 6. INFORMATION UND PRÄVENTION Der Verfassungsschutz hat den gesetzlichen Auftrag, Regierung und Parlament sowie die Öffentlichkeit über Aktivitäten und Ziele verfassungsfeindlicher Organisationen zu informieren. Zu diesem Zweck veröffentlicht das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz die jährlich erscheinenden Verfassungsschutzberichte. Eingang in den Verfassungsschutzbericht finden Bestrebungen, bei denen hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für Extremismus vorliegen. Eine Verdachtsberichterstattung findet in Bayern nicht statt. Das Landesamt für Verfassungsschutz informiert und sensibilisiert auf seiner Webseite, in Veranstaltungen und eigenen Publikationen. Zudem trägt es mit einer Informationsfilmreihe dem geänderten Mediennutzungsverhalten Rechnung. Fachvorträge für Im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit klärt das Landesamt für Multiplikatoren Verfassungsschutz zudem durch zielgruppenorientierte Fachvorträge über aktuelle extremistische Entwicklungen auf. Diese Fachvorträge richten sich vor allem an Multiplikatoren (Schulen, Universitäten, Bildungsakademien, Träger politischer Bildungsund Jugendarbeit, Kommunen, demokratische Bürgerinitiativen, politische Parteien). Der Verfassungsschutz leistet einen wichtigen Beitrag zur geistig-politischen Auseinandersetzung mit dem Extremismus und dient der Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Das Landesamt für Verfassungsschutz intensiviert stetig seine Beteiligung an Ausbildungsund Fortbildungsmaßnahmen anderer Behörden, z. B. der Bayerischen Polizei, Ausländerbehörden und Bildungseinrichtungen im Sinne der Extremismusprävention im öffentlichen Dienst. BIGE Im Jahr 2009 wurde die organisatorisch beim Landesamt für Verfassungsschutz angesiedelte "Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus" (BIGE) als zentrale Informationsund Beratungsstelle der Staatsregierung zur Bekämpfung des politischen Extremismus eingerichtet. Das Aufgabenfeld der BIGE umfasst den Rechtsund Linksextremismus, die verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit sowie die Reichsbürger und Selbstverwalter. Die BIGE soll in diesen Phänomenbereichen nicht nur die 24 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Bekämpfung des Extremismus unterstützen, sondern auch die Zusammenarbeit von staatlichen Stellen, Kommunen, Schulen und gesellschaftlichen Einrichtungen stärken. Für Kommunen bietet die BIGE umfangreiche Beratungsleistungen an. Wesentliche Beratungsfelder sind die Unterbindung des Immobilienankaufs für rechtsextremistische Aktivitäten, die Verhinderung von rechtsextremistischen Veranstaltungen wie Konzerten sowie die lokale Agitation von Rechtsextremisten. Fallbezogen arbeitet die BIGE auch mit zivilgesellschaftlichen Initiativen wie der "Landeskoordinierungsstelle Demokratie leben! Bayern gegen Rechtsextremismus" und mit der Projektstelle gegen Rechtsextremismus des "Bayerischen Bündnisses für Toleranz - Demokratie und Menschenwürde schützen" zusammen. Bei Aktivitäten von extremistischen Organisationen im Umfeld von Schulen und bei Problemstellungen mit extremistischem Bezug im Schulalltag steht die BIGE in Zusammenarbeit mit den Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz der Schulfamilie mit einem umfassenden Maßnahmenkonzept zur Seite. Die BIGE beteiligt sich ferner an Ausund Fortbildungsmaßnahmen anderer Behörden, insbesondere der Bayerischen Polizei und im Justizvollzug. Das bereits seit 2001 beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz bestehende "Bayerische Aussteigerprogramm" wurde mit Gründung der BIGE dort integriert. Hier werden Einzelpersonen durch speziell ausgebildete Berater in ihrem Ausstiegsbeziehungsweise Deradikalisierungsprozess und damit ihrer Distanzierung von der extremistischen Szene begleitet. Dabei wird auch proaktiv auf Personen zugegangen, die erstmals oder wiederholt in extremistischen Zusammenhängen auffällig geworden sind. Die BIGE ist ein wichtiger Bestandteil des "Bayerischen Handlungskonzepts gegen Rechtsextremismus", das seit seiner Einführung 2009 kontinuierlich fortentwickelt wird und eine Vielzahl von Maßnahmen gegen Rechtsextremismus enthält. Das Bayerische Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus stellt die staatlichen Strukturen, Vorgehensweisen und Maßnahmen in Bayern, die konzeptionell eingebettet sind in die drei Säulen Vorbeugen - Unterstützen - Eingreifen, umfassend dar. Neben den verschiedenen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus werden die staatlichen Akteure und Anlaufstellen 25 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Verfassungsschutz in Bayern vorgestellt sowie die ressortübergreifende Zusammenarbeit und Vernetzung mit zivilgesellschaftlichen Akteuren aufgezeigt. Das Handlungskonzept wurde im Rahmen der interministeriellen Zusammenarbeit zwischen dem federführenden Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration, dem Staatsministerium der Justiz, dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus, dem Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst und dem Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales fortgeschrieben und zu Jahresbeginn veröffentlicht. Dabei wurden auch neue Entwicklungen im Bereich des Rechtsextremismus (z. B. neue Beobachtungsobjekte des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz wie der zwischenzeitlich formal aufgelöste "Flügel" sowie die "Junge Alternative für Deutschland"), aktuelle Herausforderungen wie Antisemitismus sowie Hass und Hetze im Netz, mit einbezogen. Für die breite Öffentlichkeit wurde begleitend eine kurze Broschüre erstellt. Handlungskonzept und Begleitbroschüre sind für alle Bürgerinnen und Bürger über die Internetpräsenzen der beteiligten Ministerien und staatlichen Akteure abrufbar und können auch in gedruckter Form über das Broschürenportal Bayern unter www.bestellen.bayern.de angefordert werden. Die BIGE betreibt im Rahmen einer breit angelegten Öffentlichkeitsarbeit zusammen mit dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus das Internetportal "Gemeinsam gegen Extremismus" (www.bige.bayern.de). Es stellt detailliertes Fachwissen zu den Bereichen Rechtsund Linksextremismus, verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit sowie Reichsbürger und Selbstverwalter zur Verfügung, informiert mit aktuellen Nachrichten und regionalen Lagebildern über die extremistischen Szenen und hält Beratungssowie Hilfsangebote für betroffene Bürger, Kommunen, Unternehmen, Vereine und Schulen bereit. Die zusammen mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration am 1. Juli 2020 neu aufgelegte Broschüre "Nein zu Nazis und Co." informiert über rechtsextremistische Agitation unter Jugendlichen und Heranwachsenden und klärt über neue Erscheinungsformen sowie Ziele, Taktiken und Strategien der Rechtsextremisten auf. Präventionsstelle In der Präventionsstelle des Bayerischen Landesamts für VerfasSalafismus sungsschutz sind Mitarbeiter tätig, die sich auf den Islamismus spezialisiert haben. An den Standorten München und Nürnberg stehen sie für Anfragen aus ganz Bayern zur Verfügung und bieten Informationsveranstaltungen wie Vorträge und Workshops sowie Beratungsgespräche an. 26 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Um Radikalisierungsund Rekrutierungsmechanismen erkennen zu können, werden Mitarbeiter in der Schulund Jugendarbeit, der Verwaltung, der Polizei, des Justizund Maßregelvollzugs und der Bewährungshilfe sowie der Hochschulen qualifiziert. Das Angebot richtet sich auch an Hauptund Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit, Sicherheitspersonal von größeren Unternehmen und Wirtschaftsverbänden sowie an Personen, die im sozialen und familiären Umfeld mit dem Thema Salafismus in Berührung kommen. Die Präventionsstelle Salafismus unterstützt und berät zudem Landratsämter, Gemeinden und kommunale Einrichtungen, wenn diese Anhaltspunkte für salafistische Bestrebungen vor Ort feststellen. In den Vorträgen und Workshops werden Hintergründe sowie aktuelle Entwicklungen im Bereich Islamismus und Salafismus vermittelt sowie zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als extremistischer Ideologie unterschieden. In Gesprächen vor Ort werden Handlungsoptionen aufgezeigt und gemeinsam ein mögliches Vorgehen erörtert. Mit dem Flyer "Was tun gegen Salafismus?" informiert die Präventionsstelle Salafismus über ihre vielfältigen Sensibilisierungs-, Beratungsund Fortbildungsformate. Im Bereich der Islamismusprävention kooperiert das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz im Rahmen des "Bayerischen Netzwerkes für Prävention und Deradikalisierung gegen Salafismus" mit den verschiedensten staatlichen Stellen in den Bereichen der Bildungsarbeit, der Integrationsund Sozialpolitik sowie der Jugendarbeit oder des Strafvollzuges. Vor fünf Jahren wurde mit dem Bayerischen Netzwerk für Prävention und Deradikalisierung gegen Salafismus unter Federführung des Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration und in Zusammenarbeit mit dem Staatsministerium der Justiz, dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus und dem Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales ein ressortübergreifendes Netzwerk geschaffen, um der Radikalisierung junger Menschen speziell aus dem salafistischen Bereich entgegenzuwirken. Das Netzwerk unterhält ein eigenes Internetportal mit Informationen zur Salafismusprävention in Bayern. Interessierte und Betroffene finden unter www.antworten-auf-salafismus.de Antworten auf Fragen zum Thema Salafismus sowie vielfältige Beratungs-, Unterstützungsund Förderangebote. Die Internetplattform wurde 2019 komplett überarbeitet und in diesem Jahr um neue jugendaffine und interaktive Inhalte erweitert. 27 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Verfassungsschutz in Bayern Die vom Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz herausgegebene Broschüre "Salafismus - Prävention durch Information" enthält neben Informationen zum Salafismus auch Informationen über Beratungsstellen und Ansprechpartner im Bereich der Prävention und Deradikalisierung, an die sich Betroffene wenden können. Die mehrsprachige Broschüre ist im Internet unter www.stmi.bayern.de. abrufbar und kann auch über das Broschürenportal Bayern unter www.bestellen.bayern.de angefordert werden. Seit April 2018 steht zudem eine weitere Informationsbroschüre mit dem Titel "Islamismus erkennen" zur Verfügung. In der vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz herausgegebenen Broschüre liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf Logos, Bildern und Symbolfiguren, die eine hohe Wirkkraft auf Anhänger islamistischer Gruppierungen entfalten. Zweck der Broschüre ist es, dem Leser eine wichtige Grundkompetenz zum möglichst frühzeitigen Erkennen von Radikalisierungsprozessen und extremistischen Gefahren zu vermitteln. Die Broschüre ist im Internet abrufbar unter www.verfassungsschutz.bayern.de. Im Landesamt für Verfassungsschutz gibt es zudem ein Hinweistelefon für Verdachtsfälle und Salafismusprävention Hinweistelefon für Verdachtsfälle und Salafismusprävention Telefon: 089/31201 480 E-Mail: salafismuspraevention@lfv.bayern.de 28 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz und die BIGE sind wie folgt auch telefonisch erreichbar: Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz Postfach 450145, 80901 München Telefon: 089/31201 0 (rund um die Uhr) Telefax: 089/31201 380 E-Mail: poststelle@lfv.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) Knorrstraße 139, 80937 München Bürgertelefon: 089/2192 2192 Aussteigertelefon: 089/2192 2767 Telefax: 089/2192 2377 E-Mail: gegen-extremismus@stmi.bayern.de E-Mail: aussteigerprogramm@stmi.bayern.de www.bige.bayern.de Opfer und Aussteiger der Scientology Organisation (SO) sowie Angehörige von SO-Mitgliedern können sich an ein vertrauliches Telefon des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz wenden. Vertrauliches Telefon Telefon: 089/31201 296 29 Islamismus Islamismus Strategie des inspirierten Einzeltäteranschlags bleibt fester Bestandteil der IS-Propaganda Stärkere Online-Aktivitäten in der CoronaPandemie Grenzen zwischen legalistischem Islamismus und Salafismus verschwimmen Betätigungsverbot für die "Hizb Allah" in Deutschland 30 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Der Islam als Religion und seine Ausübung werden nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag unterliegen jedoch islamisch-extremistische (Kurzform: islamistische), d. h. religiös-politisch motivierte Organisationen und Einzelpersonen mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Islamismus ist ein Überbegriff für eine Vielzahl von unterschiedlichen (Teil-)Strömungen, wie beispielsweise den Salafismus. Als Gemeinsamkeit dieser Strömungen lassen sich folgende Kernelemente des Islamismus herausstellen: - "Der Islam" ist nicht allein Glaube und Ethik, sondern begründet eine alles umfassende Lebensform, die auf Koran und Sunna (Überlieferung der Reden und Taten des Propheten) basiert. - Die Muslime bilden eine religiöse und politische Einheit (panislamische Zielsetzung). - Die Scharia (hier als islamisches Gesetz definiert) stellt ein politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip dar. - Koran und Sunna haben "Verfassungsrang" und verbindliche Vorbildfunktion für politisches Handeln und einen zukünftigen "islamischen Staat". Diese extremistischen Zielsetzungen widersprechen den im Grundgesetz garantierten Freiheitsund Menschenrechten. Die Bestrebungen von Islamisten sind verfassungsund integrationsfeindlich. Gewaltbereite islamistische Terroristen stellen unverändert eine große Gefahr für die Innere Sicherheit Deutschlands dar. Sie verfolgen das Ziel, weltweit eine totalitäre islamistische Gesellschaftsordnung zu errichten. Dabei berufen sie sich auf die vermeintliche Pflicht aller Muslime, sich gegen westliche, d. h. "ungläubige" Einflüsse zu "verteidigen", und rufen zur Teilnahme am gewalttätigen Jihad auf. 31 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus 1. PERSONENPOTENZIAL IN BAYERN Islamistischen Vereinigungen waren in Bayern im Jahr 2020 4.185 Personen zuzurechnen (2019: 4.185). Zu den mitgliederstärksten Gruppierungen beziehungsweise Strömungen zählen nach wie vor, neben der "Milli Görüs"-Bewegung mit 2.900 Anhängern, die Anhänger des Salafismus. Nach einem kontinuierlichen Anstieg ab 2013 von 550 auf 770 Personen zum Jahresende 2019 sank die Zahl der Salafisten in Bayern leicht auf 760 zum Jahresende 2020. Von diesen 760 Salafisten waren circa 15 Prozent dem gewaltorientierten Spektrum zuzuordnen. 2. ISLAMISMUS IN DEUTSCHLAND Politischer und Bei islamistischen Bestrebungen in Deutschland gilt es, grundjihadistischer sätzlich zwischen den verschiedenen Strömungen und deren Salafismus Einstellung zur Gewalt zu unterscheiden. Während islamistische Terroristen eindeutig den Einsatz von Gewalt legitimieren, vertreten politische Salafisten sowie legalistische Organisationen eine weitgehend gewaltfreie Herangehensweise zur Erreichung ihrer Ziele. Auch Strömungen des legalistischen Islamismus wollen die Religion so auslegen und von allen verstanden wissen, dass ein konfliktfreies Zusammenleben mit Andersdenkenden unmöglich erscheint. Sie bestehen auf einer strengen Lesart des Korans, der unabhängig von Zeit und Ort für alle Menschen gültig sei und dessen Inhalte und Weisungen, die im islamischen Recht ihren Niederschlag gefunden haben, nicht relativiert werden könnten. Unter Nutzung der von der deutschen Rechtsordnung garantierten Freiräume verfolgen sie eine Strategie der Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft. Sie stehen allerdings in offenem Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, deren Werte Islamisten in zentralen Punkten nicht teilen und die sie teils verbal, selten auch militant bekämpfen. Islamisten verwahren sich strikt gegen die Abdrängung des Religiösen ins Private. Nach dem Bekenntnis "Der Islam ist Religion und Staat" müssen die Normen der Scharia in allen Lebensbereichen und auf allen Ebenen durchgesetzt werden. Der Islamismus bedient und reaktiviert ein in den Ursprüngen des Islam begründetes Überlegenheitsgefühl der Muslime als Inhaber und Wahrer der letzten und erhabensten Religion. 32 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass die Grenzen zwischen legalistischem Islamismus und Salafismus (beziehungsweise salafistischem Islamismus) verschwimmen. Dabei beeinflussen sich die beiden Strömungen gegenseitig. Eine klare Zuordnung zu den einzelnen islamistischen Strömungen kann somit nicht immer eindeutig getroffen werden. Bundesweit ist eine weit verzweigte, heterogene Infrastruktur des Salafismus festzustellen. Durch die Vermittlung extremistischer Grundhaltungen und Konzepte bereitet weiterhin insbesondere die salafistische Ideologie den Nährboden für weitere Radikalisierungsprozesse, die zu terroristischen Handlungen führen können. Die Grenzen zwischen politischem Salafismus, der auf die Ausübung direkter Gewalt zum Erreichen seiner Ziele verzichtet, und dem jihadistischen Salafismus, der eine unmittelbare und sofortige Gewaltanwendung befürwortet, sind fließend. Die Durchlässigkeit zwischen den Teilströmungen wird durch die hierarchiearmen Strukturen salafistischer Netzwerke begünstigt. Salafistische Propagandaaktivitäten im öffentlichen Raum finden Verlagerung der bundesweit nur noch in Einzelfällen statt. Verstärkt durch die Propaganda ins Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Schließungen Internet der Moscheeräume verlagerten sich die salafistischen Missionierungsbemühungen weitgehend in den nicht-öffentlichen sowie den virtuellen Raum. Viele prominente salafistische Prediger und Organisationen, aber auch verstärkt die Moscheeverantwortlichen, verbreiten ihre Botschaften über das Internet. Diese Entwicklung hält nach der Wiedereröffnung der Moscheeräume an. Auch Aufrufe zu Spendensammlungen werden von Salafisten fast ausschließlich über das Internet und über InstantMessaging-Dienste verbreitet. Vom internationalen islamistischen Terrorismus geht weiterhin eine der größten Gefahren für die internationale Staatengemeinschaft aus, er stellt auch für die Innere Sicherheit Deutschlands - trotz zahlreicher Fahndungserfolge - eine der größten Bedrohungen dar. Der internationale islamistische Terrorismus tritt inzwischen sehr vielfältig in Erscheinung: Netzwerke wurden ebenso festgestellt wie autark operierende Kleinstgruppen bis hin zu Einzeltätern. Die Aktivitäten islamistischer Terrorstrukturen in Deutschland reichen von der Nutzung Deutschlands als Rückzugsund Ruheraum über die Rekrutierung, Radikalisierung und Indoktrinierung neuer Anhänger bis hin zur Planung und Durchführung terroristischer Anschläge. 33 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus 3. STRUKTUREN 3.1 Legalistischer Islamismus Nicht gewaltorientierte, sogenannte legalistische islamistische Gruppen verfolgen ihre extremistischen Ziele mit politischen Mitteln innerhalb der bestehenden Rechtsordnung. Eine unmittelbare Gefährdung im Hinblick auf terroristische Anschläge in Deutschland geht von solchen Gruppierungen nicht aus. Legalistische Islamisten bestehen auf einer strengen Lesart des Korans, der nach ihrer Auffassung unabhängig von Zeit und Ort für alle Menschen gültig sei. Eine nicht relativierbare, moralische und rechtliche Richtschnur sind für sie die Weisungen, die im islamischen Recht, so etwa in der Scharia, enthalten sind. Durch Lobbyarbeit versuchen legalistische Islamisten, Einfluss auf Entscheidungsprozesse in Politik und Gesellschaft zu nehmen. Dabei verfolgen sie eine Doppelstrategie: Während sie sich nach außen offen, tolerant und dialogbereit geben, bestehen innerhalb dieser Organisationen antidemokratische und totalitäre Tendenzen. Langfristige BeeinZiel legalistischer Islamisten ist es, zunächst Teilbereiche der flussungsstrategie Gesellschaft zu manipulieren und zu ideologisieren. Langfristig streben sie die Umformung des demokratischen Rechtsstaats in einen islamistischen Staat an. Um ihre Ziele zu erreichen, betreiben legalistische Islamisten Kulturvereine und Moscheen, die einerseits der Werbung von Mitgliedern, andererseits der Verbreitung der Ideologie dienen. Über ihre Dachverbände versuchen sie, sich dem Staat als Sprachrohr der Muslime anzubieten. Ein Großteil der ideologischen Grundsätze legalistischer islamistischer Organisationen ist unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung, beispielsweise der Gleichberechtigung der Religionen und Geschlechter sowie der Volkssouveränität. Entgrenzung zwiIn der jüngeren Vergangenheit zeichnet sich verstärkt die Tenschen Legalismus denz einer Entgrenzung der Bereiche legalistischer Islamismus und Salafismus und Salafismus ab. Hierbei ist keine einseitige Beeinflussung zu beobachten, vielmehr kann von einer wechselseitigen Diffusion gesprochen werden. Legalistische Islamisten haben dabei erkannt, dass die Übernahme der medienund jugendaffinen 34 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Öffentlichkeitsarbeit salafistischer Prediger und Gruppierungen unerlässlicher Baustein zur Erschließung eines erweiterten und generationenübergreifenden Personenkreises ist. Sie distanzieren sich damit jedoch nicht von ihrem klassischen Betätigungsfeld der Moschee, sondern setzen zusätzlich auf Jugendarbeit, Nachwuchsförderung und die Etablierung vermeintlich unabhängiger Online-Initiativen. Auch bei der Themenwahl orientieren sich legalistische Islamisten zunehmend am klassisch-salafistischen Narrativ der muslimischen Opferrolle. Vornehmlich werden die Kopftuch-Debatte und die Situation der chinesischen Minderheit der Uiguren sowie ganz allgemein die vermeintliche "Verschwörung des Westens" gegen den Islam thematisiert. Organisationen im legalistischen Islamismus sind die türkisch geprägte "Milli Görüs"-Bewegung, die in Deutschland existierenden Strukturen der "Muslimbruderschaft" (MB), die "FurkanGemeinschaft", die "Tablighi Jamaat" (TJ) sowie schiitischislamistische Gruppierungen. 3.1.1 Milli Görüs-Bewegung Mitglieder Bayern: etwa 2.900 Gründer Prof. Dr. Necmettin Erbakan Entstehung ca. 1970 in der Türkei Sprachrohr der Milli Gazete Milli Görüs-Bewegung (Nationale Zeitung) Die islamistische "Milli Görüs"-Bewegung ist ein Sammelbecken von Anhängern des am 27. Februar 2011 verstorbenen türkischen Politikers Prof. Dr. Necmettin Erbakan. Ziel der Bewegung ist es, zunächst die laizistische Staatsordnung (Trennung von Religion und Staat) in der Türkei durch eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung mit dem Koran und der uneingeschränkten Gültigkeit der Scharia als Grundlagen des Staates und des gesellschaftlichen Zusammenlebens abzulösen. Ihr erklärtes Fernziel ist darüber hinaus die weltweite Einführung einer islamistischen Staatsund Gesellschaftsordnung nach dem historischen Vorbild des Osmanischen Reichs unter der Führung der heutigen Türkei. Die Bestrebungen der "Milli Görüs"-Bewegung richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung. 35 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus Adil-Düzen/BatilDie "Milli Görüs"-Bewegung wurde Ende der 1960er Jahre von Düzen-Konzept Necmettin Erbakan gegründet. Zentrale Bedeutung in Erbakans politischem Denken haben die von ihm geprägten Schlüsselbegriffe "Milli Görüs" (nationale Sicht) und "Adil Düzen" (gerechte Ordnung). Nach der von Erbakan entwickelten Ideologie ist die Welt zweigeteilt: Einerseits in die auf dem Wort Gottes fußende religiös-islamische Ordnung ("Adil Düzen"), andererseits in die westliche Ordnung der Morallosigkeit, Gewalt und Unterdrückung ("Batil Düzen" = nichtige Ordnung). Es gelte, die westliche Ordnung durch eine "gerechte Ordnung" zu ersetzen, wofür die Ausrichtung an islamischen Grundsätzen statt an von Menschen geschaffenen und damit "willkürlichen Regeln" erforderlich sei. Zu den klassischen Feindbildern gehören neben der westlichen Welt auch der Staat Israel - meist als "Zionisten" umschrieben - sowie Kommunismus, Imperialismus und Kapitalismus. Antisemitische Insgesamt ist das "Adil Düzen"-Konzept mit den Grundprinzipien Tendenzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar: Die Einführung einer islamistischen Gesellschaftsordnung würde den Grundsatz der Gewaltenteilung, das Rechtsstaatsprinzip, die Unabhängigkeit der Justiz und das Demokratieprinzip beseitigen. Die Ausrichtung der "Milli Görüs"-Bewegung auf eine sultanähnliche türkische Führerfigur zeigt nationalistisch-diktatorische Züge und widerspricht der republikanischen Struktur Deutschlands sowie dem Demokratieprinzip. Zudem vertritt die "Milli Görüs"-Bewegung einen Antisemitismus, der zu einer ausgrenzenden Benachteiligung des jüdischen Volkes und der jüdischen Religion führt und die Menschenrechte sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Der "Milli Görüs"-Bewegung sind insbesondere die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG), die "Saadet Partisi" (SP - Glückseligkeitspartei) als politische Vertreterin der Bewegung, die "Ismael Aga Gemeinschaft" (IAC), die "Erbakan-Stiftung", die türkische Tageszeitung "Milli Gazete" und der türkische Fernsehsender "TV5" zuzurechnen. Saadet Partisi (SP) In der Türkei sind die Anhänger der islamistischen "Milli Görüs"-Bewegung seit 2001 in der SP organisiert, nachdem die Vorgängerparteien "Milli Nizam Partisi" (MNP - Nationale Ordnungspartei), "Milli Selamet Partisi" (MSP - Nationale Heilspartei), "Refah Partisi" (RP - Wohlfahrtspartei) und "Fazilet Partisi" (FP - Tugendpartei) wegen "antilaizistischer Aktivitäten", also wegen Aktivitäten, die die Trennung von Staat und 36 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Religion rückgängig machen sollen, sukzessive verboten wurden. Die seit 2013 bestehende Deutschlandvertretung der SP verfügt auch in Bayern über Strukturen, wie z. B. den Regionalverband Südbayern mit Sitz in München. Seit den Parlamentswahlen 2018 ist die SP durch eine Bündnisliste mit zwei Abgeordneten im türkischen Parlament vertreten. Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) Die Zentrale der IGMG hat ihren Sitz in Köln mit mehreren nachgeordneten "Gebieten". Unterhalb der "Gebietsebene" ist eine Vielzahl von "Ortsvereinen" angesiedelt. In Bayern unterhalten mehrere Vereine Verbindungen zur IGMG. Regionale Schwerpunkte befinden sich in Nürnberg und München. Der Verfassungsschutz beobachtet bei Teilen der IGMG seit einigen Jahren Anzeichen für einen Loslösungsprozess von der "Milli Görüs"-Bewegung in der Türkei. Ein beträchtlicher Teil der Anhänger orientiert sich aber weiterhin an der islamistischen "Milli Görüs"-Ideologie. Durch die Corona-bedingte Schließung der Moscheen erfolgte ein starkes Ausweichen auf Onlineaktivitäten, die über soziale Medien angeboten und durchgeführt wurden. Zu religiösen Feiertagen gab es überdies spezielle Online-Programme. Daneben ließen sich regelmäßig Postings in sozialen Netzwerken feststellen, mit denen Ortsvereine der IGMG ihre Verehrung von ideologischen Größen der Milli Görüs-Bewegung, insbesondere Necmettin Erbakan, zum Ausdruck brachten. Milli-Görüs-Ahde-Vefa-Plattform (MGAV)/Erbakan Vakfi IGMG-Anhänger, die den Kurs der IGMG-Führung als zu zurückhaltend kritisieren, gründeten in der Türkei im Jahr 2012 eine eigene Plattform unter dem Motto "Ahde Vefa" (Treue zum Schwur). Sie halten sich streng an die ursprüngliche "Milli Görüs"-Ideologie und orientieren sich dabei am Sohn Necmettin Erbakans, Fatih Erbakan. Aus der Plattform heraus gründete sich im Juni 2013 die Organisation "Erbakan Vakfi" ("Erbakan Stiftung"). Ismael Aga Gemeinschaft (IAC) Die IAC ist Teil der weitverzweigten mystischen Bruderschaft der "Naqshbandiya", der auch der verstorbene Führer der "Milli Görüs"-Bewegung Necmettin Erbakan angehörte, und gilt als einer der radikaleren Zweige der Bruderschaft. In Deutschland wurde die IAC durch den Prediger Nusret Cayir geprägt, der die 37 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus Einführung der Scharia in Deutschland fordert und die Gleichstellung der Frau ablehnt. Am 23. Oktober 2015 wurde Cayir in die Türkei abgeschoben. Das Verwaltungsgericht Darmstadt erklärte die Abschiebung für rechtswidrig und hob sie auf. Cayir hält den Kontakt zu seinen Anhängern über Videobotschaften im Internet aufrecht und verbreitet dadurch seine demokratiefeindliche, gegen den Rechtsstaat und die Volkssouveränität gerichtete Ideologie auch in Deutschland. Hinsichtlich der Beteiligung von Anhängern aus Bayern an Aktivitäten der Ismael Aga Gemeinschaft ließ sich weiterhin feststellen, dass diese an größeren Vortragsveranstaltungen in der Abu-Hanifa-Moschee des Afghanischen Kulturvereins Frankfurt am Main e. V. teilnahmen. Seit Beginn der Corona-Pandemie fanden die monatlichen Veranstaltungen der IAC-Anhängerschaft ausschließlich online statt. Cayir propagierte als Hauptredner weiterhin islamistische Inhalte. 3.1.2 Furkan-Gemeinschaft Anhänger Deutschland: etwa 350* Bayern: etwa 30 Vorsitzender Alparslan Kuytul Gründung 1994 in der Türkei Publikation Furkan Nesli Dergisi * Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Die islamistische Ideologie der "Furkan-Gemeinschaft" zielt darauf ab, weltweit eine "Vorreiter-Generation" zu schaffen, die nach dem Vorbild des Propheten Muhammad und seiner Gefährten zu einer "islamischen Zivilisation" zurückkehren will. Dabei wird Gott das alleinige Herrschaftsrecht zugesprochen. Die Forderungen der "Furkan-Gemeinschaft" beinhalten die grundsätzliche Ersetzung der Demokratie durch eine islamische Gesetzgebung, die Teilnahme an Wahlen gilt hiernach als verboten. Dieses Islamverständnis ist unvereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere mit der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung. Ideologische Die "Furkan-Gemeinschaft" weist eine ideologische Nähe zum Nähe zur MuslimGedankengut der "Muslimbruderschaft" auf. In einer Publikation bruderschaft bezeichnet die Organisation Hassan al-Banna, den Gründer der "Muslimbruderschaft", als "hochgeehrten Lehrer". 38 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Die "Furkan Stiftung für Bildung und Dienst" ("Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi") wurde 1994 in der türkischen Stadt Adana von Alparslan Kuytul gegründet, der die Gemeinschaft bis heute anführt. Er hat eine starke Vorbildund Autoritätsfunktion bei seinen Anhängern und spricht diese weltweit durch verschiedene Medieninhalte im Internet, vor allem in den sozialen Netzwerken und teils auch mit deutschen Untertiteln, an. Der Fokus der "Furkan-Gemeinschaft" liegt auf muslimischer Bildungsarbeit in Form von Konferenzen, Kundgebungen und Jugend-Programmen, wodurch in der Türkei gegenwärtig mehrere zehntausend Anhänger erreicht werden. In der Türkei sind seit mehreren Jahren immer wieder politische Inhaftierung des Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Regierung Furkan-Gründers in und der "Furkan-Gemeinschaft" festzustellen. Kundgebungen der Türkei und Konferenzen werden seit 2014 fortlaufend gewaltsam von der Polizei aufgelöst. Der Höhepunkt der bisherigen Maßnahmen war die Festnahme Kuytuls am 30. Januar 2018 durch die türkischen Sicherheitsbehörden. Gleichzeitig fanden Durchsuchungen in den Vereinsräumlichkeiten statt. Zwar wurde Kuytul im Dezember 2019 aus der Haft entlassen, dennoch dauerte der zugehörige Prozess insgesamt fast drei Jahre an. Am 3. November wurde Kuytul von den Anklagepunkten Terrorunterstützung, Terrorpropaganda und Terrorfinanzierung freigesprochen. Zwei mitangeklagte Mitarbeiter der "Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi" wurden ebenfalls freigesprochen. Parallel zum obigen Verfahren stand Kuytul bereits seit Mai 2016 vor Gericht, weil er gegen das türkische Versammlungsrecht verstoßen haben soll. Konkret wurde ihm vorgeworfen, trotz der polizeilichen Absage einer Konferenz in Iskenderun anlässlich des Jahrestags der Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 seine Anhänger zu einer spontanen Versammlung in der Stadt aufgefordert zu haben (der auch Folge geleistet wurde). Der zugehörige Prozess dauerte bis zum 17. September und endete mit einer Verurteilung Kuytuls zu 4 Jahren und 9 Monaten Gefängnis. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. In Deutschland hat sich neben größeren Zentren in DortFurkan in Bayern mund und Hamburg auch in München eine Gruppierung der "Furkan-Gemeinschaft" gebildet. Die Gruppe ist in verschiedenen sozialen Netzwerken, z. B. auf Facebook und Instagram aktiv. 39 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus Am 15. Februar veranstaltete die "Furkan-Gemeinschaft München" eine Programmveranstaltung mit dem Thema "Shehid, Hasan el Benna" (deutsch: Der Märtyrer Hassan al-Banna) in München. Darüber hinaus teilte die "Furkan-Gemeinschaft München" auf ihrer Facebook-Seite am 6. April ein Zitat al-Bannas, des Gründers der "Muslimbruderschaft", was dessen Bedeutung für die "Furkan-Gemeinschaft" erneut unterstreicht. In Folge der staatlichen Einschränkungen anlässlich der CoronaPandemie verlagerte die "Furkan-Gemeinschaft München" ihre Aktivitäten weitgehend ins Internet. So konnten beispielsweise im April wöchentliche Livestream-Veranstaltungen festgestellt werden, an denen Personen aus Bayern in aktiver und passiver Form teilnahmen. Der Sprecher der "Furkan-Gemeinschaft Hamburg" äußerte sich in einem am 21. Juli erschienenen Hörfunkbeitrag des SWR/BR zu den Positionen der "Furkan-Gemeinschaft". Seiner Aussage nach sind Islam und Säkularismus "nicht miteinander kompatibel". Die weiteren getroffenen Aussagen beinhalten vielmehr eine Rechtfertigung als eine Distanzierung von verfassungsfeindlichen Scharia-Elementen, wie z. B. drakonischen Körperstrafen. 3.1.3 Tablighi Jamaat (TJ) Anhänger Deutschland: etwa 650* Bayern: etwa 140 Gründung 1926 bei Delhi (Indien) * Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Ziel der TJ ("Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") ist die Islamisierung der Gesellschaft, um dadurch die Etablierung eines islamistischen Staates zu erreichen. Die Bestrebungen der TJ richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die TJ wurde vom Religionsgelehrten Mawlana Muhammad Ilyas als pietistische Missionierungsbewegung gegründet. Seit ihren Ursprüngen ist sie eng mit der Islamischen Hochschule von Deoband/Indien verbunden. Die Gemeinschaft vertritt eine archaische Form des Islam indischer Prägung. Sie hat den Charakter einer internationalen islamistischen Massenbewegung, deren Anhänger sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig fühlen, sondern sich als konsequente Muslime mit missionarischem Auftrag verstehen. 40 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Die TJ-Anhänger vertreten eine wörtliche Auslegung des Korans Ausgrenzung und der Sunna, die politische und gesellschaftliche Ausgrenzung von Frauen und von Frauen und die Abgrenzung zu Nicht-Muslimen. TraditioNicht-Muslimen nelle Gebetskleidung und bis in Details verbindliche Verhaltensregeln im Alltag sollen die absolute Hinwendung zum Propheten Muhammad ausdrücken. Diese Bestrebungen wirken in nicht muslimischen Gesellschaften zwangsläufig desintegrierend, sodass eine dauerhafte und ernsthafte Hinwendung zu westlichen Gesellschaftsordnungen, Wertvorstellungen und Integrationsmodellen nicht möglich ist. Charakteristisch für die Anhänger der TJ ist eine missionarische Reisetätigkeit, bei der sie Moscheen weltweit aufsuchen. Die Missionierung dient der Rekrutierung neuer TJ-Anhänger. Zur TJ-Ausbildung gehört eine vier Monate andauernde Schulung, vornehmlich in Koranschulen in Pakistan und Indien. Die wenigsten Missionare verfügen über eine theologische Ausbildung. Während der Corona-Pandemie fanden die Missionierungsreisen nur eingeschränkt statt. Zur Missionierung nutzen TJ-Anhänger auch Moscheen, die keinen unmittelbaren Bezug zur TJ haben. Dort organisieren sie Veranstaltungen, bei denen die Teilnehmer über Tage oder Wochen hinweg beten, den Koran studieren und indoktriniert werden. Für Kinder und Jugendliche wird in einigen TJ-Moscheen unter anderem regelmäßiger Koranunterricht angeboten. Aufgrund der Corona-bedingten Schließung der Moscheen und anschließenden Begrenzung der Besucherzahlen wird vermehrt auf Online-Seminare und Online-Unterrichte ausgewichen. Durch die gemeinsame ideologische Basis mit militanten Gruppierungen besteht die Gefahr, dass die weltweiten Strukturen der Bewegung von terroristischen Netzwerken genutzt werden. Von Einzelpersonen, die die Schulung der TJ durchlaufen haben, ist bekannt, dass sie sich terroristischen Gruppierungen angeschlossen haben. Die TJ ruft ihre Anhänger in Deutschland weiterhin dazu auf, Missionierung in verstärkt "Da'wa-Arbeit" (Missionierung) unter Muslimen zu bayerischen leisten. Dabei hielten sich auch für mehrere Wochen TJ-GrupMoscheen pen aus dem Ausland unter anderem in Bayern auf und besuchten einzelne TJ-Moscheen. In Bayern sind die drei Moscheen "Kulturverein für deutschsprachige Muslime e. V. - Al Ummah Moschee" in München, "Deutsch Arabischer Kulturverein Pfarrkirchen e. V." und die "Islamische Gemeinde Hof e. V." (IGH) den TJ-Strukturen zuzurechnen. Regelmäßig finden Deutschlandund Europatreffen statt, an denen auch bayerische TJ-Anhänger teilnehmen. 41 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus 3.1.4 Islamische Vereinigung in Bayern e. V. (IVB) Anhänger/Besucher etwa 90 Gründung 1994 in München Neugründung 2009 Als Multiplikator schiitisch-islamistischen Gedankenguts innerhalb der schiitischen Gemeinschaften in Deutschland dient das "Islamische Zentrum Hamburg" (IZH). Islamische Revolution In Bayern beziehungsweise München übernimmt die IVB als Außenstelle des IZH diese Aufgabe. Sie soll im Auftrag der iranischen Führung auf schiitische Muslime einwirken und deren politische und religiöse Einstellung beeinflussen. Da der Iran keine Trennung von Staat und Religion kennt, hat die religiöse Arbeit des Vereins auch eine politische Komponente und richtet sich daher gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die Bewahrung der einst vom iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini propagierten Idee der "Islamischen Revolution" im Iran und deren internationale Verbreitung ist bis heute wesentlicher Bestandteil der iranischen Politik. Der "Export der Revolution" ist in der iranischen Verfassung vorgeschrieben. Der Iran unterstützt eine Vielzahl islamischer und islamistischer Bewegungen und Organisationen, vor allem im Nahen und Mittleren Osten. Auch islamische Zentren und Moscheen in Deutschland dienen im Sinne dieses "Revolutionsexports" als Foren für Versuche der Einflussnahme durch den Iran. IZH in Hamburg Das größte und einflussreichste Zentrum ist das 1962 gegründete "Islamische Zentrum Hamburg" (IZH). Neben der iranischen Botschaft ist das IZH die wichtigste offizielle Vertretung des Iran in Deutschland und gleichzeitig eines seiner bedeutendsten Propagandazentren in Europa. Die enge Anbindung des IZH an die Führung des Iran zeigt sich unter anderem darin, dass der Leiter des IZH ein ausgewiesener islamischer Rechtsgelehrter sein muss, der vom iranischen Außenministerium bestimmt wird und als Vertreter des iranischen "Revolutionsführers" in Zentraleuropa gilt. Der Iran versucht mit dessen Hilfe, Schiiten aller Nationalitäten an sich zu binden und die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Grundwerte der islamischen Revolution in Europa zu verbreiten. Wie bereits im Wintersemester 2019/2020 bietet das IZH an seiner "Hawza" (deutsch: schiitische Universität) der "Islamischen Akademie Deutschland" (IAD) auch für 42 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 das Wintersemester 2020/2021 ein einjähriges, kostenfreies Kurzstudium der Islamischen Theologie für Heranwachsende bis maximal 25 Jahre an. Zwischen IZH und IVB bestehen enge Verflechtungen. In den letzten Jahren konnten, unter anderem zu bestimmten hohen religiösen Anlässen wie z. B. während des Fastenmonats Ramadan, vereinzelt Imame festgestellt werden, die in unregelmäßigen Abständen vom IZH in die IVB entsandt werden. In der Satzung der IVB ist ebenso festgelegt, dass das Vereinsvermögen im Falle einer Auflösung des Vereins an das IZH fallen soll. Wichtige Angelegenheiten der IVB werden mit dem IZH abgestimmt. Die IVB ist Trägerverein der iranisch-schiitischen Moschee in München. Im April 2017 wurde diese nach vorübergehender Schließung wiedereröffnet. Insgesamt ist festzustellen, dass die Moschee der IVB als Anlaufstelle für schiitische Gläubige aller Nationalitäten dient, die so einer schiitisch-islamistischen Indoktrination ausgesetzt sind. Aufgrund der Corona-Pandemie war die IVB, insbesondere während des Fastenmonats Ramadan, in unterschiedlichen sozialen Medien mit Liveansprachen und Übertragungen von religiösen Zeremonien vertreten. 3.1.5 Die Muslimbruderschaft (MB) und ihr Einfluss in Deutschland Anhänger Deutschland: etwa 1350* Bayern: etwa 150 Gründung 1928 in Ägypten * Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Die 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten gegründete "Muslimbruderschaft" (MB) ist die einflussreichste und älteste Bewegung des zeitgenössischen Islamismus. Das von der MB angestrebte politische System weist deutliche Totalitäres Züge eines totalitären Herrschaftssystems auf, das die SouveräHerrschaftssystem nität des Volkes sowie die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit der Menschen nicht garantiert. Das von der MB angestrebte politische System und Staatsmodell eines "Zivilen Staats mit islamischem Referenzrahmen" beschneidet bürgerliche Rechte und grundlegende Menschenrechte, insbesondere von Nicht-Muslimen und von Personen, die islamische Normen nicht als Gesetz 43 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus anerkennen. Im Sinne der gesellschaftlichen Vision der MB ist dieses Modell nicht als nationalstaatliches Konzept zu begreifen, sondern als ein globales islamisches Reich aller sunnitischen Muslime. Zusammen mit der geforderten uneingeschränkten Anwendung der Scharia, was auch Körperstrafen, die Ablehnung von Geschlechtergleichheit, Abgrenzungsmechanismen und antisemitische beziehungsweise antisäkulare Feindbilder miteinschließt, ist die ideologische Ausrichtung der "Muslimbruderschaft" nicht mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung vereinbar. Die MB hat den Charakter einer Bewegung mit internationalem Netzwerk. In zahlreichen Staaten existieren Vereinigungen, die sich ideologisch an der MB in Ägypten orientieren, z. B. die "al-Nahda" in Tunesien. Offiziell haben sich die meisten Zweige der MB von Gewalt abgewandt. Die "Islamische Widerstandsbewegung" ("HAMAS") als palästinensische Sektion der MB nutzt jedoch weiterhin militärische Mittel im Kampf gegen Israel. Den Umbruch in der arabischen Welt versuchte die MB zum Ausbau ihrer Machtposition zu nutzen. In Ägypten wurde sie bei den Parlamentswahlen im Dezember 2011 stärkste politische Kraft, mit Muhammad Mursi stellte sie von 2012 bis 2013 den ägyptischen Präsidenten. Seit den mit dem Sturz Mursis in Zusammenhang stehenden Auseinandersetzungen zwischen MB-Sympathisanten und dem Militär auf dem Rabia-al-Adawiya-Platz in Kairo 2013 ist das Symbol der schwarzen Hand mit vier ausgestreckten Fingern und eingeklapptem Daumen als Sympathiebekundung für die MB zu verstehen und wird auf Arabisch "Rabia" (deutsch: Vierte) genannt. Die Auseinandersetzungen mündeten 2013 in ein Verbot der MB und in die Erklärung zur Terrororganisation. Die ägyptische Regierung geht weiterhin mit aller Härte gegen die MB und deren Anhänger vor. Auch europaweit ist die MB mit verschiedenen Organisationen vertreten. Die wichtigsten sind: - "Council of European Muslims" (CEM) Die "Föderation der Islamischen Organisationen in Europa" (FIOE) wurde im Januar in "Council of European Muslims" (CEM) umbenannt. Die 1989 gegründete FIOE (jetzt CEM) 44 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 mit Sitz in Brüssel fungiert als Dachverband MB-naher Organisationen in Europa. Im Februar 2018 wurde Samir Falah, bis 2017 Vorsitzender der "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD, jetzt DMG), für vier Jahre zum Präsidenten der FIOE, jetzt CEM, gewählt. - "Europäischer Fatwa-Rat" (ECFR) Der 1997 gegründete ECFR mit Sitz in Dublin/Irland erlässt islamische Rechtsgutachten für die in Europa lebenden Muslime. Ziel des Rates ist es, sich als maßgebliche religiöse Instanz für die muslimische Community in Europa zu etablieren. Ihr ehemaliger Vorsitzender Yusuf al-Qaradawi ist als geistiger Führer der MB bekannt. Nach außen gibt sich die MB offen, tolerant und dialogbereit und strebt eine Zusammenarbeit mit politischen Institutionen und Entscheidungsträgern an, um so Einfluss im öffentlichen Leben zu gewinnen. Ihr Ziel bleibt aber die Errichtung einer auf der Scharia basierenden gesellschaftlichen und politischen Ordnung, wobei die MB die Führungsrolle für alle Muslime beansprucht. Sie steht für eine deutliche Abgrenzung gegenüber den USA, Israel, dem jüdischen Volk und Andersgläubigen. Anhänger der MB bekunden in sozialen Netzwerken zum Teil auch Sympathien für terroristische Organisationen. Am 16. Juni strahlte der in der Türkei ansässige und der MB zuHinrichtung von zurechnende ägyptische Fernsehsender "Watan TV", der als Live Homosexuellen als Stream im Internet sowie in Deutschland über Satellit zu emp"religiöse Pflicht" fangen ist, eine Sendung aus, in der sich die ägyptische Moderatorin zum Thema Homosexualität äußert. Sie betont, dass der Prophet Muhammad befohlen habe, Männer zu töten, die bei homosexuellen Handlungen entdeckt werden. Die Moderatorin erklärt weiter, dass die Gefährten des Propheten nur in Bezug auf die Tötungsmethode unterschiedlicher Meinung gewesen seien, jedoch nicht in Bezug auf die von Muhammad geforderte Tötung als Bestrafung an sich. Auch zu lesbischen Handlungen äußert sich die Moderatorin und betont, dass diese ebenfalls verboten seien. Die Moderatorin hebt die Hinrichtung von Homosexuellen in den Status einer absoluten religiösen Pflicht. Aufgrund der Unbedingtheit, des Nachdrucks und der Emotionalität ihrer Aussagen können diese in ihrer Gesamtheit als Handlungsanweisung verstanden werden. Der Inhalt der Fernsehsendung verstößt gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, indem er homosexuelle Menschen diskriminiert und ihnen die grundgesetzlich verbriefte Menschenwürde sowie die Rechte auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und auf 45 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus körperliche Unversehrtheit abspricht. Die Art der Darstellung kann als Aufruf zum Mord verstanden werden. Aufgrund der Ausstrahlung in einem der MB eindeutig zuordenbaren Fernsehsender und der späteren Onlineverbreitung des Videos können der Inhalt der Fernsehsendung und die darin vertretenen Positionen eindeutig der MB zugeschrieben werden. MB in Deutschland Die MB tritt in Deutschland zwar nicht offen in Erscheinung, wird jedoch durch die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG), ehemals "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD), und das "Council of European Muslims" (ehemals FIOE) als Teil einer weltweiten "Islamischen Bewegung" vertreten und ist somit auch in Deutschland aktiv. 3.1.6 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) (ehemals: Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD)) Gründung 1960 in Deutschland Präsident Khallad Swaid (seit 2017) Sitz Köln/Berlin Fortsetzung der Die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG) mit Sitz Strategie der IGD in Köln und Berlin wurde 1962 zunächst als "Islamische Gemeinschaft Süddeutschland" gegründet. Sie firmierte ab 1982 unter dem Namen "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) und wurde 2018 in DMG umbenannt. Die DMG ist die wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der "Muslimbruderschaft" (MB) in Deutschland. Einer Presseveröffentlichung zufolge hat sich Ibrahim El-Zayat, Aufsichtsratsmitglied und ehemaliger Präsident der IGD, zur Umbenennung dahingehend geäußert, dass damit ihre Verbundenheit zu Deutschland stärker zum Ausdruck gebracht werden soll. Inhaltliche Veränderungen seien mit der Umbenennung nicht verbunden. Folglich ist davon auszugehen, dass die DMG die Strategie der IGD unverändert fortsetzen und versuchen wird, durch politisches Engagement in Deutschland ihre von der Ideologie der MB geprägten Ziele zu erreichen. Die Bestrebungen der DMG richten sich damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. DMG-nahe StrukIn Bayern werden das "Islamische Zentrum München" (IZM) turen in Bayern und die "Islamische Gemeinde Nürnberg" (IGN), ehemals "Islamisches Zentrum Nürnberg", der DMG zugerechnet. Sowohl IZM als auch IGN haben Verbindungen zur DMG beziehungsweise zu MB-nahen Organisationen/Personen. So besuchte der 46 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Vorsitzende der DMG Khallad Swaid am 3. Oktober das IZM. Am 17. Dezember hat das Verwaltungsgericht München eine von der IGN 2018 erhobene Klage gegen die Nennung im Verfassungsschutzbericht Bayern abgewiesen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Während der Corona-Pandemie fanden kaum Veranstaltungen in der IGN und im IZM statt und der Moscheebetrieb war zwischenzeitlich auch vollständig eingestellt. Das IZM verlagerte deshalb seine Aktivitäten in die sozialen Medien. So wurden beispielsweise über Facebook und weitere Social-Media-Plattformen Vorträge, Gebete und Videos geteilt. Darüber hinaus existieren bei der DMG Verbindungen zu anderen MB-nahen Einrichtungen. Nennenswert hierbei sind: - "Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland e. V." (RIGD) Der RIGD mit Sitz in Frankfurt am Main wurde auf Initiative der IGD gegründet und erhebt den Anspruch, als wissenschaftliche Autorität in Fragen des Islam für die in Deutschland lebenden Muslime zu fungieren. Organisatorisch und ideologisch steht er der DMG und dem "Europäischen Fatwa-Rat" (ECFR) nahe. - "Europäisches Institut für Humanwissenschaften" (EIHW) Mit dem in Frankfurt am Main ansässigen EIHW soll eine Alternative zum staatlich geförderten Vorhaben angeboten werden, Imame an deutschen Universitäten auszubilden. Das Institut vermittelt Studienabschlüsse in Arabisch als Fremdsprache und Islamwissenschaft. Unterstützt wird das EIHW vom "Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland e. V." (RIGD). Die im Jahr 2016 in Sachsen gegründete "Sächsische Begeg"Sächsische Begegnungsstätte" (SBS), die als extremistische Bestrebung der MB nungsstätte" stellt und der DMG zugerechnet wurde, stellte 2019 ihre Aktivitäten Aktivitäten ein ein. Sie begründete die Beendigung der Aktivitäten damit, ihr Ziel erreicht zu haben. Die SBS versuchte, insbesondere im ländlichen Raum durch den Erwerb und Betrieb von Immobilien sowie deren Nutzung als "Begegnungsstätten", Einfluss auf die islamische Gemeinschaft zu erlangen. Ihr Ziel war es, vor dem Hintergrund der erhöhten Flüchtlingszuwanderung ab 2015 Räumlichkeiten zu organisieren und sie den jeweiligen lokalen muslimischen Gemeinden zur Selbstverwaltung zu übergeben. Ehemalige Objekte der SBS, die an inzwischen gegründete Vereine übergeben worden sind, befinden sich in Sachsen, Brandenburg und Baden-Württemberg. 47 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus 3.2 Salafismus 3.2.1 Ursprung Ende des 18. Jahrhunderts trat auf der arabischen Halbinsel ein Prediger namens Muhammad Ibn Abdalwahhab auf. Er predigte eine Reinigung des Islam von, aus seiner Sicht, unerlaubten Neuerungen sowie von Irrglauben. Vorbildfunktion in Bezug auf den "wahren Islam" böten einzig die frommen Altvorderen (arabisch: "al-salaf al-salih"), also die ersten drei Generationen des Islam. Die sich aus dem Gedankengut von Ibn Abdalwahhab konstituierende Ideologie, der sogenannte Wahhabismus, gilt als maßgebliche Quelle des Salafismus. Der Salafismus ist die in den letzten Jahren am schnellsten gewachsene islamistische Strömung in Deutschland. 3.2.2 Ideologie Heutige Salafisten orientieren sich an der Lehre des Wahhabismus. Sie richten ihren Glauben, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Korans und dem vom Propheten Muhammad und den frommen Altvorderen gesetzten Vorbild aus. Jegliches Abweichen von dieser Norm, die als ursprünglicher und reiner Islam gilt, lehnen Salafisten als unerlaubte Verfälschung des Islam beziehungsweise als "Neuerung" (arabisch: "bid'a") ab. Prinzip des Tauhid Zentraler salafistischer Glaubensinhalt ist die Ein(s)heit und Einzigartigkeit Gottes (arabisch: "tauhid"). Für Salafisten beinhaltet dies auch, dass Gott der einzig legitime Souverän und Gesetzgeber ist. Die Scharia ist für sie als Gesetz Gottes letztgültiger Maßstab. Ablehnung des Salafisten lehnen daher weltliche Gesetze und die Werte westliWestens und der cher Gesellschaftsund Herrschaftssysteme als unislamisch und Demokratie unterlegen kategorisch ab. Sie orientieren sich kompromisslos an der islamischen Frühzeit vor circa 1.400 Jahren und befürworten frühislamische Herrschaftsund Gesellschaftsformen. Dies führt zur Ablehnung der als wesensfremd empfundenen Mehrheitsgesellschaft und ihrer demokratischen Werte. Vor allem die von salafistischen Akteuren in Deutschland propagierte Einheit von Religion und Staat und der ebenfalls erhobene absolute Geltungsanspruch der islamischen Rechtsordnung machen deutlich, dass salafistische Auffassungen Geltung für sämtliche Lebensbereiche beanspruchen. 48 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Als Höherwertigkeitsideologie richtet sich der Salafismus zwar Höherwertigkeitsauch gegen nicht-islamische, z. B. jüdische und christliche Glauideologie bensvorstellungen; besonders in der Kritik stehen jedoch andere islamische Glaubensauffassungen - insbesondere das schiitische und das mystische Islamverständnis. Salafisten diffamieren die Anhänger dieser Glaubensformen als Ungläubige oder werfen ihnen Götzendienst (arabisch: "shirk") vor. Am Dialog mit Andersgläubigen sind die Salafisten nur insoweit interessiert, wie er ihrer Missionierungsarbeit (arabisch: "da'wa") dienlich ist. Die ideologischen Grundsätze des Salafismus sind letztlich unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien, insbesondere denen der Demokratie, des Rechtsstaats und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung. Die Ideologie des Salafismus lässt sich in eine politische und eine jihadistische Strömung unterteilen, die Übergänge sind dabei fließend. Sie unterscheiden sich vor allem in der Wahl der Mittel, mit denen ihre Ziele realisiert werden sollen. Jihadistische wie auch politische Salafisten stützen sich jedoch auf dieselben ideologischen Autoritäten und Vordenker und verfolgen die gleichen Ziele. Der politische Salafismus verzichtet zwar auf die Ausübung Politischer direkter Gewalt zur Erreichung seiner Ziele. Er bietet aber immer Salafismus wieder den ideologischen Nährboden für terroristische Aktionen. So waren fast alle bisher in Deutschland identifizierten islamistischen terroristischen Netzwerkstrukturen und Einzelpersonen salafistisch geprägt beziehungsweise haben sich in salafistischen Milieus entwickelt. Jihadistische Salafisten befürworten eine unmittelbare und soforJihadistischer tige Gewaltanwendung. Sie propagieren den bewaffneten Kampf Salafismus auch gegen Regierungen in Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, denen sie vorwerfen, vom Islam abgefallen und Handlanger des verhassten "Westens" zu sein. Derzeit ist nur ein kleiner Prozentsatz der Salafisten dem jihadistischen Salafismus zuzurechnen, die überwiegende Zahl der Anhänger ist dem politischen Salafismus zugehörig, dessen Anhänger zur Umsetzung ihrer Ziele in der Regel keine Gewalt anwenden. Eine Reihe salafistischer Gruppierungen hat sich dennoch dem weltweiten bewaffneten Kampf gegen die "Ungläubigen" verschrieben (militanter Jihad). Jihadistische Salafisten kämpfen derzeit 49 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus vor allem in Syrien und im Irak. Daneben entfalten aber auch die sogenannten "Jihadregionen" in Mali, Somalia, Jemen, Libyen, Afghanistan und Pakistan nach wie vor eine Anziehungskraft auf jihadistisch orientierte Personen. IS, al-Qaida und HTS In Syrien etablierten sich mit Ausbrechen bürgerkriegsähnlicher an Kämpfen in Syrien Unruhen 2011 neben der säkular orientierten Opposition auch und Irak beteiligt islamistische Gruppierungen, die den Jihad propagieren und hierfür auch ausländische Kämpfer rekrutieren. In den vergangenen Jahren haben sich Zehntausende ausländische Kämpfer jihadistischen Gruppierungen in Syrien und Irak angeschlossen. Neben dem sogenannten "Islamischen Staat" (IS) ist die ehemals im "al-Qaida"-Netzwerk zu verortende "Hai'at Tahrir alSham" (HTS), vormals "Jabhat al-Nusra" beziehungsweise "Jabhat Fath al-Sham", die bedeutendste jihadistische Gruppierung in der Region. HTS profitiert vor allem von ihrer seit 2017 bestehenden Kooperation mit der Türkei in der syrischen Provinz Idlib. Ebenso hat die territoriale Niederlage des IS der HTS in die Hände gespielt. Seit 2018 formierte sich in Syrien "Tanzim Hurras al-Din" (THD), die als syrischer Ableger der Kern al-Qaida gilt und die sukzessive an Bedeutung gewonnen hat. Transformation Initiiert durch seine militärischen Niederlagen der vergangenen des IS Jahre, die mit Gebietsverlusten einhergingen, hat der IS eine Transformation durchlaufen: Er formierte sich im Untergrund neu und fokussierte sich vermehrt auf seine selbst ausgerufenen Provinzen (arabisch: "wilayat") jenseits seines einstigen Kerngebietes. Seither sind die Ausreisen von deutschen Jihadisten nach Syrien signifikant zurückgegangen. Weiterhin rufen jihadistische Gruppierungen dazu auf, den Jihad auch in westliche Staaten zu tragen. Genannt sind hier meist die USA und ihre Verbündeten. Auch zu Anschlägen in Deutschland wurde in den vergangenen Jahren wiederholt aufgerufen. 3.2.3 Personenpotenzial Anhänger/Besucher Deutschland: etwa 12.150* Bayern: etwa 760 Entstehung erste Strukturen in Bayern Mitte der 1990er-Jahre * Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 50 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Bundesweit ist eine weit verzweigte, heterogene "Infrastruktur" des Salafismus festzustellen. Die salafistische Szene ist allerdings meist nur lose organisiert und weist eine hohe Dynamik auf. Feste, formale Organisationsstrukturen sind in der Regel nicht vorhanden. Eine Ausnahme hiervon bilden örtliche salafistische Vereine, die häufig gleichzeitig als Träger salafistisch geprägter Moscheen fungieren. Daneben gibt es zunehmend lose Personennetzwerke oder autonom agierende Einzelpersonen, die salafistische Aktivitäten entfalten. Verschiedene sicherheitsbehördliche Maßnahmen trugen zur Fragmentierung der Szene bei. Die Anhängerzahlen des salafistischen Spektrums bewegen Personenpotenzial sich auf gleichbleibend hohem Niveau. Bundesweit wurden der im Bund und in salafistischen Szene Ende 2020 12.150 Personen (2019: 12.150) Bayern zugerechnet. In Bayern liegt das Potenzial bei 760 Personen (2019: 770). Davon waren circa 15 Prozent dem gewaltorientierten Spektrum zuzurechnen. Bei circa 10 Prozent der 760 Salafisten handelt es sich um Konvertiten. Rund 10 Prozent des Personenpotenzials ist weiblich. Salafistische Familien und Minderjährige Die salafistische Ideologie kann sich auch innerhalb familiärer Präventionsarbeit Strukturen verbreiten. Dabei besteht die Gefahr, dass die sades BayLfV lafistische, gewaltorientierte Ideologie der Eltern oder eines Elternteils negative Auswirkung auf die Persönlichkeitsentwicklung hat. Die Kinder sind dabei als schutzbedürftige Opfer der geschlossenen Weltund Werteordnung ihrer Eltern anzusehen. Um frühzeitig und angemessen diesen Entwicklungen vorzubeugen, die eine Gefährdung des Kindeswohls oder gar eine spätere Radikalisierung dieser Kinder zur Folge haben können, steht das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz im Kontakt mit den jeweils zuständigen Jugendämtern. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat es sich dabei im Rahmen seiner Präventionsarbeit zur Aufgabe gemacht, Mitarbeiter staatlicher und nichtstaatlicher Jugend-, Schul-, Bildungsund Sozialeinrichtungen zu sensibilisieren und zu qualifizieren, damit diese salafistische Radikalisierungsund Rekrutierungsmechanismen besser erkennen können. Unabhängig hiervon bietet der Salafismus aber auch für junge Muslime der dritten Generation auf Identitätssuche eine neue und attraktive Projektionsfläche fernab der Religiosität der Elterngeneration beziehungsweise gesellschaftlicher Regeln. Muslime ohne tiefgründige Kenntnis der islamischen Religion sollen sich 51 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus als fester Bestandteil einer salafistischen Solidargemeinschaft fühlen, die einfache, aber strenge Regeln und ein schlichtes dualistisches Weltbild bietet. Attraktiv ist der Salafismus für manche junge Menschen auch deshalb, weil er ihnen eine vermeintlich klare Orientierung bietet. Der Komplexität und Unübersichtlichkeit der modernen Welt setzt er ein konsequentes Schwarz-Weiß-Denken gegenüber. Von individuellen Entscheidungen und persönlicher Verantwortung wird der junge Mensch durch eine Vielzahl von eindeutigen Geboten und Verboten entbunden. Bei vielen orientierungslosen jungen Anhängern stiftet der Salafismus eine neue und grenzüberschreitende Identität. Die Jugendlichen fühlen sich anerkannt und als fester Bestandteil einer weltweiten Solidargemeinschaft wahrgenommen. Frauen Bildung von salafisIn den letzten Jahren haben sich sowohl in der realen als auch tischen Frauenin der virtuellen Welt salafistische Frauennetzwerke gebildet. netzwerken Durch die ortsunabhängige Nutzung von Internet und MessengerDiensten über Ländergrenzen hinweg sind diese Netzwerke häufig nicht auf Deutschland beziehungsweise auf ein einzelnes Bundesland einzugrenzen. Neben Alltagsthemen, wie z. B. Kindererziehung und Kleidung, spielen in Frauennetzwerken häufig auch Glaubensfragen, Spendensammlungen und Gefangenenhilfe eine große Rolle. In Einzelfällen wurde festgestellt, dass junge Frauen allein über MessengerGruppen und -Kanäle salafistisch indoktriniert wurden und Kontakte in die Szene erlangten. Darüber hinaus werden in WhatsApp-Gruppen zahlreiche Videos salafistischer Prediger wie Abul Baraa und Pierre Vogel verschickt und Religionsvorschriften salafistisch interpretiert. Auch wird gegen "Nichtgläubige" gehetzt. Offenkundig jihadistisches Gedankengut wird nach bisherigen Feststellungen innerhalb der größeren bundesweiten WhatsApp-Gruppen vergleichsweise selten ausgetauscht. Ungeachtet dessen beinhalten die Einladungslinks zu 52 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 diversen Telegram-Kanälen von "Schwesternnetzwerken" mitunter auch jihadistische Kanäle, in denen Sympathien für terroristische Gruppierungen offenkundig werden. Zudem wird heiratswilligen Personen in entsprechenden Gruppen in den sozialen Medien die Vermittlung gleichgesinnter Ehepartner angeboten, um die salafistische Ideologie und Gemeinschaft zu stärken. Frauennetzwerke sind - vor allem im virtuellen Bereich - nicht als isolierte Einheiten, sondern vielmehr als dynamische Vernetzungsstrukturen zu betrachten. Dies machen die zahlreichen Kommunikationswege, häufig variierende Mitglieder sowie die Themenvielfalt deutlich. Auch in der realweltlichen gewaltorientierten Szene sind Frauen aktiv. Insbesondere innerhalb terroristischer Gruppen spielen sie neben ihrer Funktion als Ehefrau und Mutter eine aktive Rolle bei Missionierungsarbeiten, Rekrutierungen, logistischer Unterstützung, Spendensammlungen und bisweilen selbst bei Kampfhandlungen oder Attentaten. 3.2.4 Reisebewegungen und Rückkehrer Die Dynamik der Ausreisen von Salafisten aus Deutschland in Ausreisezahlen Richtung Syrien und Irak hat weiter deutlich abgenommen. Die rückläufig Utopie des "Kalifats" hat mit den territorialen und personellen Verlusten des IS ihre Anziehungskraft nahezu vollständig verloren. Ausreisen aus Deutschland bis Ende 2020 mehr als 1.070 Personen Personen mit Ausreisebezug aus Bayern: 119 Personen davon tatsächlich ausgereist: 77 Personen Bis Ende 2020 lagen Erkenntnisse zu mehr als 1.070 deutschen Ausund WiederIslamisten beziehungsweise Islamistinnen aus Deutschland vor, einreisen nach die in Richtung Syrien und Irak gereist sind. Unverändert werden Deutschland einzelne Ausreisesachverhalte teilweise erst nachträglich bekannt. Neue Ausreisen Richtung Syrien und Irak werden aktuell nur noch sehr vereinzelt registriert. Etwa ein Viertel der gereisten Personen ist weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt gereisten Personen war zum Zeitpunkt der Ausreise jünger als 30 Jahre. 53 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus Zu etwa der Hälfte der gereisten Personen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie auf Seiten des sogenannten "Islamischen Staates" und "al-Qaidas" oder diesen nahestehenden Gruppierungen sowie anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilnehmen beziehungsweise teilgenommen haben oder diese in sonstiger Weise unterstützen beziehungsweise unterstützt haben. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass zu einem Teil der ausgereisten Personen bislang keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungsverfahren durch die zuständigen Justizbehörden vorliegen. Rückkehrer nach Etwa ein Drittel der gereisten Personen befindet sich momentan Deutschland wieder in Deutschland. Zu über 100 der bislang zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Diese Personen stehen unverändert im Fokus polizeilicher und justizieller Ermittlungen. Die Zahl bisheriger Verurteilungen aus Syrien und Irak zurückgekehrter Personen bewegt sich im mittleren zweistelligen Bereich. Zu mehr als 260 Personen liegen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder Irak ums Leben gekommen sind. Rückkehrwillige Nach dem Verlust des Herrschaftsgebietes des IS liegen Erkenntnisse zu aus Deutschland ausgereisten Personen im unteren dreistelligen Bereich vor, die aktuell aus dem Krisengebiet ausreisen möchten und/oder sich aktuell in Syrien oder Irak in Haft beziehungsweise Gewahrsam befinden. Zur Mehrheit dieser Personen liegen Erkenntnisse vor, dass sie beabsichtigen, nach Deutschland zurückzukehren. Ausreisen aus Zudem liegen Erkenntnisse zu 119 Islamisten aus Bayern vor, die Bayern seit 2012 in Richtung Syrien und Irak gereist sind, dies planten, planen oder dort agierende islamistisch terroristische Organisationen in sonstiger Weise unterstützten beziehungsweise unterstützen. Insgesamt sind seitdem 77 Personen tatsächlich aus Bayern in Richtung des Krisengebiets ausgereist, um mutmaßlich auf Seiten jihadistischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder sich für deren Ziele anderweitig einzusetzen. Anteil von Frauen, 80 Prozent der Personen, die tatsächlich ausreisten, sind gebürKindern und Konvertige Muslime, circa 20 Prozent konvertierten zum Islam. Manche titen bei Ausreisen Konvertiten fühlen sich dem Druck ausgesetzt, sich als gute Muslime zu beweisen. Sie entwickeln dadurch einen besonderen Eifer, der sie anfällig für eine Radikalisierung durch Salafisten macht. 54 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Der Anteil der tatsächlich ausgereisten Frauen beträgt circa 20 Prozent. Zusätzlich wird von etwa 20 Minderjährigen ausgegangen, die sich mit mindestens einem Elternteil in der Krisenregion Syrien und Irak aufhalten. Davon sind etwas mehr als die Hälfte Kinder unter fünf Jahren. Zu 14 der aus Bayern ausgereisten Personen liegen Hinweise vor, dass sie in Syrien oder Irak verstorben sind. Bei sieben Personen, die in Richtung Krisengebiet ausgereist sind, liegen Erkenntnisse vor, dass sie sich derzeit in einem Flüchtlingslager aufhalten oder dort in Gewahrsam sind. 30 Personen, die sich im Krisengebiet aufhielten, sind bereits Rückkehrer nach wieder nach Deutschland zurückgekehrt, davon halten sich Bayern aktuell 21 in Bayern auf. Hierzu zählt auch eine Person, deren Ausreise nicht aus Bayern erfolgte, die aber nach der Rückkehr aus dem Krisengebiet aktuell ihren Wohnsitz in Bayern hat. Derzeit gehen die Sicherheitsbehörden davon aus, dass bei einem Fünftel der 21 Rückkehrer nach Bayern weiterhin von einer intensiven jihadistischen Bindung ausgegangen werden muss. Ein Viertel dieser Rückkehrer gehört nach wie vor dem salafistischen Spektrum, jedoch ohne aktuelle Gewaltorientierung an. Bei über der Hälfte der Rückkehrer liegen keine Anhaltspunkte vor, dass sie weiterhin über Kontakte in die salafistische Szene verfügen. Gegen die in Bayern aufhältigen Personen - darunter die genannten Rückkehrer nach Bayern - werden in enger Kooperation mit den zuständigen Sicherheitsbehörden die für den jeweiligen Einzelfall erforderlichen und individuell abgestimmten Maßnahmen durchgeführt, sowohl unter Beachtung präventivpolizeilicher und repressiver Aspekte als auch unter Ausschöpfung der im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten bestehenden verwaltungsund ausländerrechtlichen Maßgaben. Gefahr durch Rückkehrer Rückkehrer aus den ehemals vom IS kontrollierten Gebieten und Fortbestehende Personen, die ein terroristisches Ausbildungslager absolviert bejihadistische ziehungsweise aktiv an paramilitärischen Kampfhandlungen teilOrientierung bei genommen haben, stellen ein besonderes Sicherheitsrisiko dar. Rückkehrern Bei Kampfhandlungen in Syrien haben sie teilweise Erfahrung im Umgang mit Sprengstoff und Waffen gesammelt. Zudem ist ihre Hemmschwelle für die Anwendung von Gewalt gegen Menschen deutlich gesunken. Die Anschläge in Paris (2015) und in 55 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus Brüssel (2016) zeigten, dass auch Syrien-Rückkehrer zu Anschlägen bereit und in der Lage sind. Die Sicherheitsbehörden legen deshalb besonderes Augenmerk auf diesen Personenkreis. In der islamistischen Szene genießen Rückkehrer meist ein hohes Ansehen und können einer weiteren Radikalisierung bislang nicht gewaltorientierter Islamisten Vorschub leisten. Eine verstärkte Ankunft von Rückkehrern ist jedoch - trotz bestehendem Rückkehrwillen - weiterhin nicht feststellbar. Auflösung der Im Zusammenhang mit der im Oktober 2019 gestarteten türkiFlüchtlingslager in schen Offensive in Nordsyrien hat ein Großteil der kurdischen Nordsyrien Sicherheitskräfte die Kontrolle über die Flüchtlingslager in der Sicherheitszone aufgegeben. In der Folge konnten Hunderte inhaftierte IS-Angehörige, zumeist Frauen und Kinder, aus den Lagern fliehen. Seitdem kommt es weiterhin zu vereinzelten Ausbrüchen und Schleusungen aus Gefangenenlagern, auch von Personen aus Deutschland. Eine unkontrollierte Rückkehr von IS-Kämpfern und deren Angehörigen nach Europa und Deutschland gilt es zu verhindern. Bei Personen, die nach Deutschland zurückkehren, greift das gesamte sicherheitsbehördliche Instrumentarium. Personen, die an der Außengrenze festgestellt werden, werden - soweit rechtlich möglich - zurückgewiesen. Handlungskonzept Bayern verfügt mit dem 2009 erarbeiteten "Gemeinsamen zur Verhinderung Handlungskonzept des Bayerischen Landeskriminalamts, des von Ausreisen und Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz und des OperaWiedereinreisen tiven Staatsschutzes der Bayerischen Polizei im Zusammenhang mit Reisebewegungen von Islamisten in terroristische Ausbildungslager oder zur Teilnahme am bewaffneten Jihad" über ein Maßnahmenpaket zur Verhinderung jihadistisch-salafistisch motivierter Ausreisen in Krisengebiete. Das Handlungskonzept wurde 2017 aufgrund der Entwicklung in Syrien und Irak grundlegend überarbeitet. Schwerpunkt des Handlungskonzepts ist ein möglichst frühzeitiger, umfassender und kontinuierlicher Informationsaustausch aller Sicherheitsbehörden. Ziel ist einerseits die Verhinderung von Ausreisen. Andererseits werden bei ausländischen Staatsangehörigen aufenthaltsbeendende Maßnahmen durch die Arbeitsgruppe BIRGiT ("Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Extremismus/Terrorismus") geprüft, wenn z. B. der Anwerbung weiterer Personen für salafistische Zielsetzungen hierdurch 56 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 entgegengewirkt werden kann. Soweit Personen mit ausländischer Nationalität bereits aus Deutschland in Kampfgebiete ausgereist sind, werden alle aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Wiedereinreise nach Deutschland zu verhindern. 3.2.5 Rekrutierung und Propaganda Staatliche Maßnahmen, z. B. Vereinsund Moscheeverbote, klandestine Treffen/ diverse Durchsuchungsaktionen, wie am 10. April 2019 gegen "Home-Da'wa" "Ansaar International e. V." und "WorldWide Resistance - Help e. V.", Ermittlungsund Strafverfahren gegen jihadistische Protagonisten und konsequente Abschiebungen führten zu einer Verhaltensänderung der salafistischen Szene und zum Rückzug aus der Öffentlichkeit ins Private. Szeneangehörige agieren seither vermehrt in geschlossenen Gruppen der sozialen Medien und vernetzen sich durch klandestine Treffen, beispielsweise in Wohnungen ("Home-Da'wa"). Dieser bundesweite Trend setzt sich nicht zuletzt verstärkt durch die Corona-Pandemie fort. Auch die vermehrten "Da'wa"-Aufrufe des Salafistenpredigers Pierre Vogel an die salafistische Szene konnten die Entwicklung bisher nicht aufhalten. Um dem Fokus der Sicherheitsbehörden möglichst zu entgehen, Modernisierung des haben salafistische Organisationen ihr Image zudem gewandelt Erscheinungsbildes beziehungsweise angepasst: Weg vom traditionellen szenetypiIntellektualisierung schen Äußeren hin zu einem modernen Auftreten, welches eine der Inhalte Zuordnung zum salafistischen Spektrum nicht auf den ersten Blick möglich macht. Anstelle der bisherigen Kampagnen werden inzwischen neue Formate propagiert, die in der Regel von den Protagonisten und Teilnehmern ein höheres intellektuelles Niveau fordern. Dabei werden berufliche und wirtschaftliche Kompetenzen mit ideologischen Zielen verbunden. Als Beispiele können dabei die "Muslim Business Academy" beziehungsweise "Islamictutors" genannt werden, welche (Online-)Seminare anbieten, im Rahmen derer sie ihre Ideologie verbreiten. Ergänzt werden die Aktivitäten um Kooperationen mit Akteuren des nicht-salafistisch islamistischen sowie des nicht-extremistischen muslimischen Milieus. Es ist davon auszugehen, dass damit salafistische Strukturen fest in der muslimischen Community und in der Zivilgesellschaft etabliert werden sollen. Seit dem territorialen Niedergang des IS in Syrien und Irak beschleunigt sich der strategische Wandel, da die Anziehungskraft von weiten Teilen des Salafismus an den Erfolg der terroristischen Organisation geknüpft war. 57 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus Verbreitung der IdeoDen Salafisten gelingt es dennoch weiterhin, neue virtuelle logie via Internet Aktionsformen und Angebote in Deutschland zu etablieren. Wurden anfangs salafistische Islam-Infostände in Fußgängerzonen und Großveranstaltungen auf öffentlichen Plätzen bis hin zu mehrtägigen Islamseminaren gefilmt und als Videos ins Internet gestellt, so finden sich inzwischen vermehrt Kurse und Vorträge, die live über diverse Medienkanäle verfolgt werden können. Diese digitale und damit zeitgemäße Verbreitung der salafistischen Ideologie übt eine beträchtliche Anziehungskraft vor allem auf junge, emotional und sozial noch nicht gefestigte Persönlichkeiten aus. Junge Menschen bilden grundsätzlich die Hauptzielgruppe islamistischer Internetpropaganda und Rekrutierungsaktivitäten. Virtuelle SpendenAuch Spendengelder werden mittlerweile fast ausschließlich sammlungen über Aufrufe im Internet oder über Online-Angebote gesammelt. Zur Anregung der Spendenbereitschaft wird die Übergabe von Spenden vor Ort per Video dokumentiert und auf verschiedenen Internetkanälen neben den Spendenaufrufen veröffentlicht. Organisatoren sind unter anderem bundesweit vertretene Hilfsorganisationen mit salafistischen Bezügen, wie z. B. "Ansaar International e. V.", die sich hierbei sehr innovativ zeigen: Mit diversen Shops und kreativen Ideen, wie z. B. der bundesweit verbreiteten Abholung von Bargeldspenden per Spendentaxis, sammeln sie sowohl über das Internet als auch in der Realwelt Spendengelder ein. Auch verabreden sich Frauen vereinzelt an öffentlichen Orten, um Spenden zu sammeln. In Bayern sind weiterhin vereinzelte "Da'wa"-Aktivitäten (Missionierung) einer sich in Netzwerken organisierenden Anhängerschaft der salafistischen Ideologie zu beobachten. Sie finden nur noch selten im öffentlichen Raum statt. Nach dem Verbot der Vereinigung "Die Wahre Religion" (DWR) im November 2016 ist in Bayern auch die Zahl der Islam-Infostände, die regelmäßig nur noch in Nürnberg festgestellt wurden, stark zurückgegangen. Die Aufrufe von Pierre Vogel zur verstärkten "Da'wa"-Arbeit in der Öffentlichkeit werden von der bayerischen Szene zwar wahrgenommen. Eine Umsetzung in Form von Infoständen oder Ähnlichem wurde allerdings nur in einem Einzelfall festgestellt. 58 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Salafistische Prediger spielen in der Szene und im Kontext Salafistische der Propaganda weiterhin eine wichtige Rolle. Während sie Prediger allerdings in der Vergangenheit bei öffentlichen Kundgebungen mehrere hundert (meist junge) Salafisten anzogen, finden solche großen, öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seit Ende 2016 nicht mehr statt. Grund hierfür dürfte die intensivierte Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden sein. Zugenommen hat hingegen die Internetpräsenz der salafistischen Prediger. Neben Vorträgen und Stellungnahmen zu verschiedenen Themen bieten sie inzwischen auch Online-Kurse und Live-Events über eigene Internetauftritte und soziale Netzwerke an, wodurch allein in Deutschland tausende vorrangig junge Menschen erreicht werden. Angepasst an die Bedürfnisse und Interessen ihrer Zielgruppen sprechen die Szeneprediger - teils in deutscher Jugendsprache - über Themen wie Freundschaft, Sexualität oder die Rolle der Frau. Sie verbinden dabei geschickt salafistische Ideologieelemente mit Ratschlägen von alltagspraktischer Relevanz. Bundesweit aktive salafistische Prediger betätigen sich überdies oft mehrmals im Jahr als Reiseleiter bei Pilgerreisen nach Medina beziehungsweise Mekka. Die Prediger übernehmen dabei eine ideologische Betreuung und Einflussnahme, unter anderem durch begleitende Vorträge und persönliche Gespräche mit den Mitreisenden. Bedingt durch die Corona-Pandemie fanden dieses Jahr keine Pilgerreisen statt. Informationen zu salafistischen Predigern, die für die bayerische Szene relevant sind, finden sich in der vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz herausgegebenen Broschüre "Islamismus erkennen". Obwohl sich die Missionierungsarbeit im salafistischen Spektrum zunehmend auf den nicht-öffentlichen Raum verlagert, dienen Moscheen nach wie vor als Plattform für salafistische Vortragsveranstaltungen sowie als Treffund Kontaktpunkte für Teile des salafistischen Personenpotenzials. Nicht zuletzt aufgrund der staatlichen Beschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie werden salafistische Moscheen mittlerweile in einzelnen Fällen auch als Streaming-Orte für Live-Übertragungen von Freitagsgebeten genutzt, um Inhalte zusätzlich online zu verbreiten. Salafistisch geprägte Moscheen in Bayern sind die im Salafistische Regierungsbezirk Schwaben verortete "Salahuddin Moschee" Moscheen in Bayern des Vereins "Islamischer Verein Augsburg e. V." in Augsburg sowie die Moschee des Vereins "Islamisch albanisches Zentrum Ulm e. V." mit Sitz in Neu-Ulm. 59 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus In München sind die "El-Salam"-Moschee des Vereins "Islamische Föderation München e. V." und die "Taufiq"-Moschee des Vereins "Somalische Gemeinde München e. V." zu nennen. Entsprechende Moscheen im Regierungsbezirk Oberpfalz sind die Moschee des Vereins "Islamisches Zentrum Weiden e. V." und die "As-Salam"-Moschee des Vereins "Islamisches Zentrum Schwandorf e. V." in Schwandorf. In Regensburg weist die "Al-Rahman"-Moschee des Vereins "Islamisches Zentrum Regensburg e. V." neben salafistischen Bezügen auch eine Nähe zum legalistischen Islamismus auf. Der letztgenannte Verein hat ebenso die Trägerschaft der Treuhandstiftung "Islamische Stiftung Regensburg" inne. Im Regierungsbezirk Niederbayern sind die Moschee des Vereins "Vereinigung Passauer Muslime e. V." (ehemals "Islamisches Zentrum Passau e. V.") mit Sitz in Passau und die "Al-Rahman"-Moschee des Vereins "Basma für Kultur, Religion und Barrierefreiheit Passau e. V." salafistisch geprägt. Internet Junge Menschen als Salafisten nutzen das Internet als Propaganda-, KommunikaHauptzielgruppe der tions-, Rekrutierungsund Steuerungsmedium. Zahlreiche WebInternetpropaganda seiten sowie eine Vielzahl von Online-Akteuren und Gruppierungen sorgen fortlaufend für eine weltweite Verbreitung und Sichtbarkeit der islamistischen Ideologie im digitalen Raum. Hauptzielgruppe islamistischer Internetpropaganda und Rekrutierungsaktivitäten sind junge Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren. Strategische Salafistische Einzelakteure und Gruppierungen sprechen junge Nutzung von Memes Menschen im Internet gezielt in sozialen Netzwerken und auf Messenger-Diensten an. Salafisten orientieren sich dort weiterhin verstärkt an der Alltagswelt sowie den Rezeptionsgewohnheiten und Kommunikationstrends junger Menschen. Sie verwenden dabei Begriffe, Symbole und App-Funktionen, die gerade auch Heranwachsende kennen und nutzen. Verstärkte Anwendung finden sogenannte Memes, in Bildern oder Videos eingebettete prägnante Texte. Salafisten verwenden Memes strategisch als Kommunikationsmittel, um extremistisches Gedankengut subtil und zielgruppengerecht in Umlauf zu bringen. Memes haben das Potenzial, Botschaften visuell eingängig zu vermitteln und plakativ zu überhöhen. Thematisch wird dabei auf lebensnahe Inhalte wie z. B. Fragen zu muslimischer Identität oder zu Zugehörigkeit sowie auf Diskriminierungserfahrungen zurückgegriffen. Die zugehörigen Hintergrundbilder 60 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 verstärken geschickt die salafistischen Textbotschaften und transportieren das salafistische Narrativ von vermeintlichen gesellschaftlichen Missständen und sozialen Nachteilen. Da hierbei auch popkulturelle Motive verwendet werden, sind salafistisch geprägte Memes meist nur schwer auf den ersten Blick als solche zu erkennen. Das zentrale Betätigungsfeld der jihadistischen Online-Szene und die wichtigste Verbreitungsplattform sowohl für offizielle Propagandastellen als auch für die inoffizielle Propaganda der Unterstützerszene ist weiterhin der für seine starke Verschlüsselung bekannte Instant-Messaging-Dienst Telegram. Er hat die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter in ihrer vormaligen Bedeutung und Funktion für die jihadistische InternetSzene abgelöst. Extremistische und gewaltbefürwortende Inhalte können via Telegram in verschlüsselter Einzelkommunikation, in öffentlichen oder geschlossenen Gruppenchats sowie über sogenannte Telegram-Kanäle weitgehend anonym verbreitet werden. Unter anderem in IS-nahen Telegram-Kanälen werden neben verfassungsfeindlichen Ideologieelementen auch Aufrufe zu Einzeltäteranschlägen und beispielsweise Baupläne zur Herstellung von Sprengstoffen geteilt. Die im Internet verbreitete Propaganda und die daraus entstehenden "virtuellen" Netzwerke tragen dazu bei, dass sich Jihad-Unterstützer weiterhin als Teil einer eingeschworenen, opferbereiten und vermeintlich elitären Bewegung begreifen. In letzter Konsequenz können diese Unterstützer auch als Einzeltäter beziehungsweise "Homegrown-Terroristen" ohne unmittelbare oder notwendige Einbindung in eine terroristische Gruppierung in Erscheinung treten. Die Strategie des inspirierten Einzeltäteranschlags stellt damit Strategie des inspiweiterhin einen festen Bestandteil der IS-Propaganda dar, für rierten Einzeltäters die nach einem starken Rückgang in den vergangenen Jahren zuletzt wieder eine Zunahme in Form von Videound Audiover61 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus öffentlichungen festzustellen ist. Dem IS gelingt es gegenwärtig jedoch nicht mehr, selbstständig neue deutschsprachige Propagandaprodukte auf muttersprachlichem Niveau hervorzubringen. Kompensiert wurde dies bis zuletzt durch die deutschsprachige IS-Unterstützerszene. Diese sicherte die virtuelle Präsenz der Terrororganisation durch die Veröffentlichung aktueller deutschsprachiger IS-Propagandaübersetzungen sowie die Weiterverbreitung von einschlägigen IS-Märtyrerund Drohbildern, unter Verzicht auf strafbewehrte IS-Symbolik. Für die Verbreitung solcher Inhalte wird gegenwärtig verstärkt auch auf die Plattform Instagram zurückgegriffen. Hier konnten in Reaktion auf die Tötung des französischen Lehrers Samuel Paty am 16. Oktober wiederholt sogenannte Instagram-Story-Inhalte, d. h. nach 24 Stunden automatisch gelöschte Bild-, Videooder TextBeiträge, beobachtet werden, in denen die Tat glorifiziert und der Attentäter als Vorbild bezeichnet wurde. Innerhalb der deutschsprachigen IS-nahen Szene sind die Quantität und Qualität der inoffiziellen IS-Propaganda zur Rekrutierung und Mobilisierung sowie zur potenziellen Selbstradikalisierung aktuell stark vom Einzelakteur abhängig. Gezielt für digitale Verbreitungswege konzipiert sind überdies jihadistische Online-Magazine wie "The Voice of Hind" (pro-IS) und das am 11. September 2019 erstmalig in englischer Sprache erschienene "One Ummah" (al-Qaida). In ihnen werden neben Koraninterpretationen jihadistischer Lesart der bewaffnete Jihad verherrlicht und verschiedene Typen von Einzeltäteranschlägen beworben. 3.2.6 Salafistische Bestrebungen im Strafvollzug Beispiele islamistischer Attentäter der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass eine gewaltbereite oder kriminelle Vergangenheit eine zumindest begünstigende Voraussetzung für die Begehung terroristischer Anschläge darstellen kann. Kriminelles Vorleben Ein Beispiel hierfür ist Anis Amri, der Attentäter vom Berliner von Attentätern Breitscheidplatz 2016. Er war seit seiner Jugend mehrfach in verschiedenen Staaten durch kriminelles Verhalten wie Diebstahl, Körperverletzung und Brandstiftung aufgefallen. Auch der Attentäter vom Weihnachtsmarkt in Straßburg im Dezember 2018, Cherif Chekatt, war in verschiedenen Staaten mehrfach kriminell in Erscheinung getreten und beging Straftaten wie Diebstahl und Einbruchdiebstahl. Amri und Chekatt wurden beide mehrfach zu Haftstrafen verurteilt. 62 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Vor diesem Hintergrund kommt Haftanstalten eine wichtige Bedeutung als potenzielle Radikalisierungsund Rekrutierungsorte des Salafismus zu. Ende 2020 befanden sich in bayerischen Justizvollzugsanstalten In Bayern inhaftierte etwa 30 Inhaftierte, bei denen Bezüge zur salafistischen IdeoSalafisten logie und teilweise auch zum islamistischen Terrorismus erkennbar waren. Bei einem Teil dieser Gefangenen handelt es sich um Personen, die den Sicherheitsbehörden schon vor ihrer Inhaftierung als Salafisten bekannt waren, bei anderen wurden Bezüge zum Salafismus erst während des Haftaufenthalts ersichtlich. Die Justizvollzugsanstalten stehen zunehmend vor der Herausforderung, mit Missionierungsaktivitäten und Radikalisierungsprozessen konfrontiert zu werden, und unternehmen umfangreiche Anstrengungen, diesen wirksam zu begegnen. Es besteht insbesondere die Gefahr, dass bisher nicht ideologisierte Mithäftlinge durch die "Da'wa"-Arbeit inhaftierter Salafisten an die salafistische Ideologie herangeführt werden und sich bereits radikalisierte Häftlinge zu Gruppen zusammenschließen. Durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz und Verfassungsschutz wird der Ausbreitung und Verfestigung des Salafismus in Haftanstalten entgegengewirkt und das bayerische Justizvollzugspersonal dabei unterstützt, Fälle von salafistischer Radikalisierung frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Gefangenenhilfe Innerhalb der salafistischen Szene stellen Solidarisierungsbekundungen mit inhaftierten "Glaubensgeschwistern" einen wichtigen Baustein dar, um das Gemeinschaftsgefühl zu festigen. Hierbei wird der westliche Rechtsstaat als ungerechtes System diffamiert. Ziel der salafistischen Gefangenenhilfe ist es, Resozialisierungsprozesse zu verhindern, inhaftierte Szeneangehörige weiterhin an die salafistische Ideologie zu binden und sie dazu zu motivieren, Mithäftlinge an den Salafismus heranzuführen. Vor allem über das Internet wird auch zu (finanziellen) HilfeSolidaritätsaktionen leistungen für inhaftierte Gleichgesinnte aufgerufen. Zudem für inhaftierte finden Solidaritätsaktionen im Rahmen von Gerichtsverfahren Salafisten statt, die ebenso die Präsenz von Salafisten bei Gerichtsverhandlungen beinhalten können. Auch Gerichtsprozesse in Bayern stellen für Betreiber salafistischer Gefangenenhilfe wiederholt eine Plattform dar. So berichtet z. B. der Salafist Bernhard Falk 63 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus regelmäßig über den Verlauf von Prozessen gegen Salafisten. Bei Falk handelt es sich um einen zum Islam konvertierten ehemaligen Linksextremisten, der seit Jahren Kontakt zu inhaftierten Salafisten sucht, mit dem Ziel, diese in der Szene zu halten. Außerdem ist bekannt, dass in Einzelfällen an in Bayern inhaftierte Muslime Briefe von Initiativen salafistischer Gefangenenhilfe verschickt wurden. Mit Beginn der Inhaftierung von islamistischen Kämpfern und deren Angehörigen in Syrien und Irak etablierten sich weitere Projekte zur Gefangenenhilfe, die vor Ort in Flüchtlingslagern durchgeführt werden. Bilder und Videos wurden verbreitet, auf denen verschleierte Frauen mit IS-Verbindung um Spenden und Unterstützung für ihre Befreiung bitten. Ein Teil der dabei verwendeten Schilder ist auf Deutsch verfasst. 3.2.7 Anschlagsgeschehen und Täterprofile Anschlagsgeschehen Europa liegt weiterhin im Zielspektrum des islamistischen Terrorismus. Die anhaltend hohe Gefährdungslage dokumentieren u. a. Anschläge in Frankreich, Großbritannien, Österreich und Deutschland. "Moderner Terrorismus" zeichnet sich zunehmend durch unterschiedlichste Anschlagsorte, eine unspezifische Opferauswahl, lose Kommandostrukturen und eine leichte Realisierbarkeit aus. Von zu Hause aus und ohne lange Indoktrinationsbeziehungsweise Planungsphasen ist es grundsätzlich jedem radikalisierten Sympathisanten möglich, mit einfach verfügbaren Waffen und an jedem beliebigen Ort Attentate im Namen einer terroristischen Organisation zu begehen. Low-Profile-Angriffe Für derartige "Low-Profile"-Anschläge verwenden Attentäter neben Messern auch Kraftfahrzeuge, da diese mit vergleichsweise geringem Aufwand als effiziente Tatwaffe eingesetzt werden können. Anschläge in Islamistische Terroristen nutzen überdies auch Tatmittel, deren Deutschland Einzelbestandteile frei verkäuflich sind. Mithilfe von Bauanleitungen im Internet können sie selbst aus einfachen Zutaten Bomben konstruieren. Neben mehreren Angriffen in Europa, wie in Frankreich und Österreich, kam es 2020 auch in Deutschland zu derartigen "Low-Profile"-Anschlägen. Im April und Mai verübte in 64 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Waldkraiburg ein türkischstämmiger Deutscher kurdischer Volkszugehörigkeit Anschläge auf türkische Geschäfte und eine türkische Moschee. Er bezeichnete sich selbst als Anhänger des Islamischen Staates. Durch die Festnahme des Beschuldigten am 8. Mai konnten weitere Anschläge, unter anderem mittels im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen sichergestellten 23 Rohrbomben, verhindert werden. Bei einem weiteren Anschlag in Berlin am 18. August verursachte ein 30-jähriger Iraker auf der Autobahn A100 bei Berlin drei Unfälle. Danach stieg er auf das Dach seines PKW, rief "Allahu akbar" und drohte mit der Sprengung einer Metallkiste. Es wurden sechs Personen verletzt, drei davon schwer. Am 14. September verletzte ein 21-jähriger Deutsch-Iraker einen 23-jährigen Autofahrer in Stolberg/Nordrhein-Westfalen durch einen Messerangriff. Während der Tat rief der Angreifer ebenfalls "Allahu akbar". Beide Anschläge sind zumindest als von der IS-Propaganda inspirierte Taten zu werten. Am 4. Oktober griff ein Attentäter in der Dresdner Innenstadt zwei Touristen mit einem Messer an. In Folge des Angriffs verstarb ein Opfer, das zweite Opfer wurde schwer verletzt. Beim Angreifer handelt es sich um einen bereits wegen Werbung für den Islamischen Staat (IS) verurteilten und erst kurz vor dem Tatgeschehen aus der Haft entlassenen 20-jährigen Syrer. Drei Messerangriffe in Frankreich verdeutlichten einmal mehr, Anschläge in Europa dass Islamisten das Grundrecht der Meinungsfreiheit missachten und Personen, die von ihnen als Kritiker und Beleidiger des Propheten Muhammad beziehungsweise des Islam diffamiert werden, zu Zielen von tödlichen Angriffen werden können: Am 25. September attackierte und verletzte ein 25-jähriger Pakistani in der Nähe der ehemaligen Redaktionsräume des SatireMagazins "Charlie Hebdo" zwei Personen mit einem Messer. Ein zweiter Messerangriff ereignete sich am 16. Oktober, als der 18-jährige tschetschenische Flüchtling Abdoullakh A. bei Paris einen Lehrer enthauptete. Bei dem Opfer handelte es sich um einen Geschichtslehrer, der vom Täter gezielt für den Anschlag ausgewählt wurde, da er in seinem Unterricht zum Thema Meinungsfreiheit u. a. auch Muhammad-Karikaturen gezeigt hatte. Die dritte Messerattacke ereignete sich am 29. Oktober in der 65 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus Basilika "Notre-Dame" in Nizza. Dabei tötete ein 21-jähriger Tunesier, der erst kurz vor der Tat nach Europa eingereist war, drei Personen und verletzte weitere. Der Täter wurde von der Polizei mit Schusswaffeneinsatz gestellt. Sowohl beim Attentat selbst als auch während der Festnahme rief er "Allahu akbar". Am 2. November kam es in der Wiener Innenstadt an sechs verschiedenen Tatorten zu einem islamistisch motivierten Anschlag mit Schusswaffen. Der Attentäter, der u. a. mit einem Sturmgewehr bewaffnet war, schoss dabei wahllos auf Passanten. Es gab vier Todesopfer und mehr als 20 Verletzte. Der IS hat den Anschlag für sich reklamiert. Der Täter war 2019 wegen der versuchten Ausreise in das Kriegsgebiet Syrien/Irak zu 22 Monaten Haft verurteilt und im Dezember 2019 vorzeitig entlassen worden. Weltweit ereigneten sich zahlreiche Attentate, die v. a. der Terrormiliz "Islamischer Staat" sowie "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS), aber auch anderen Gruppen wie den "Taliban" oder "Boko Haram" zugerechnet werden können. Seitens des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz erfolgt die Bearbeitung von Terrorismussachverhalten und entsprechenden Hinweisen im engen Austausch mit anderen Sicherheitsbehörden beziehungsweise im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) sowie mit europäischen und internationalen Partnern. Täterprofile Radikalisierungsprozesse sind in hohem Maße von komplexen individuellen Faktoren abhängig, was die Erstellung eindeutiger Täterund Prognoseraster erschwert. Es ist eine wichtige Aufgabe der Sicherheitsbehörden, Tätermerkmale zu analysieren und potenzielle Attentäter frühzeitig zu identifizieren. Einen verbreiteten Typus des islamistischen Attentäters stellen junge Männer mit muslimischen Wurzeln dar, die sich in Umbruchsituationen befinden und sich sozial, ökonomisch oder politisch marginalisiert fühlen. Auf der Suche nach Halt, Orientierung und Identität geraten sie in islamistische Peergruppen oder entsprechende Netzwerke im Internet, wo sie auf 66 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Gleichaltrige mit ähnlichen Frustrationserfahrungen treffen. In einem Prozess der zunehmenden Abschottung nach außen und der gegenseitigen Verstärkung innerhalb der Gruppe können so Radikalisierungsverläufe entstehen, die in terroristische Gewalttaten münden können. Weiterhin ist nicht auszuschließen, dass Jihadisten aus KriegsEinschleusung von gebieten wie Syrien und Irak gezielt über die Flüchtlingsrouten in Jihadisten und westliche Staaten entsendet werden, um hier Anschläge zu beSyrien-Rückkehrer gehen. Ebenso können junge Männer, die bereits für den IS oder andere islamistische Gruppen gekämpft haben und in Eigeninitiative über die Flüchtlingsrouten nach Europa gelangt sind, ein Sicherheitsrisiko darstellen, wenn sie aufgrund von Frustration und Perspektivlosigkeit erneut empfänglich für Jihad-Propaganda werden. Wenngleich eine verstärkte Ankunft von Rückkehrern - also von Personen, die in die Kampfgebiete nach Syrien und Irak ausgereist sind und dort möglicherweise für islamistische Gruppierungen gekämpft haben - weiterhin nicht feststellbar ist und an den Anschlägen in Deutschland bislang noch kein Rückkehrer beteiligt war, steht auch diese Gruppe nach wie vor im Fokus der Sicherheitsbehörden. Neben ihren in den Kampfgebieten gesammelten Erfahrungen und einer eventuell gesenkten Hemmschwelle für die Anwendung von Gewalt gegen Menschen weisen sie weitere Charakteristika auf, die sie für einen Einsatz im Sinne des IS prädestinieren: Aus Europa stammende Rekruten sind mit westlichen Gegebenheiten vertraut, unterliegen meist aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit weniger Reisebeschränkungen und können hier unauffälliger operieren. Vor eine große Herausforderung stellen Sicherheitsund Ermittlungsbehörden außerdem Einzeltäter, die spontan, unvermittelt und ohne vorherige Einbindung in jihadistische Netzwerke Anschläge begehen. Teilweise handelt es sich dabei auch um labile Persönlichkeiten, die sich ideologisch, oftmals ausschließlich im Internet, beeinflussen lassen. Einen weiteren Aspekt jihadistischer Täterprofile hat der Fall des Kriminelles Vorleben Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, verdeutbegünstigt Terrolicht: Die Bedeutung einer grundsätzlichen Gewaltund Kriminarismus litäts-"Karriere" als zumindest begünstigende Voraussetzung für die Begehung terroristischer Anschläge. Amri dealte und konsumierte regelmäßig Drogen, war in Gewaltdelikte verwickelt und hatte in Italien bereits eine Haftstrafe wegen Brandstiftung verbüßt. 67 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus 3.2.8 Exekutivmaßnahmen Vereinsrechtliche Verbotsund Ermittlungsverfahren Vereinsverbote sind ein wichtiges Instrument der wehrhaften Demokratie in Deutschland. Ein Verein ist nach Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz verboten, wenn der Zweck der Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderläuft, sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Durchsuchungen Am 27. Februar 2019 hat das Bundesministerium des Innern bei "Ansaar ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Vereine International e. V." "Ansaar International e. V." und "WorldWide Resistance - Help und "WorldWide e. V." eingeleitet. Beide Organisationen sind dringend verdächtig, Resistance - mit ihren Aktivitäten propagandistisch und finanziell die paläsHelp e. V." tinensische Terrororganisation "HAMAS" zu unterstützen und sich damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung zu richten. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens kam es am 10. April 2019 bundesweit zu Durchsuchungsmaßnahmen. Hiervon waren auch Objekte in Bayern betroffen. Exekutivmaßnahmen Wegen des Verdachts des Subventionsbetruges im Zusammengegen salafistische hang mit staatlicher Corona-Soforthilfe fanden bei zwei bekannten Prediger salafistischen Predigern Durchsuchungen statt. Am 15. April wurde die Wohnung eines salafistischen Predigers in Berlin durchsucht. Am 1. Juli erfolgte die Durchsuchung der Geschäftsräume eines angeblichen Bestattungsunternehmens sowie die Privatwohnung eines salafistischen Predigers in Leipzig. In beiden Fällen konnten hohe Bargeldbeträge sichergestellt werden. Bezugnehmend auf die Durchsuchungen nahm Pierre Vogel in einem Video-Statement einen der beiden salafistischen Prediger in Schutz. Ausländerrechtliche Maßnahmen Unter Anwendung ausländerrechtlicher Vorschriften besteht die Möglichkeit der Überwachung ausreisepflichtiger Ausländer aus Gründen der Inneren Sicherheit beziehungsweise der Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland nach den SSSS 56 ff. AufenthG. Ermittlungsund Strafverfahren Neben Vereinsverboten besteht die Möglichkeit, auch gegen Einzelpersonen, beispielsweise aufgrund des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat gemäß SS 89 a StGB oder bezüglich der Bildung einer terroristischen Vereinigung nach SS 129 a StGB, zu ermitteln und diese anzuklagen. 68 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Am 26. September 2017 begann vor dem OLG Celle der Prozess gegen den jihadistischen Prediger Ahmad Abdulaziz Abdullah - alias Abu Walaa - sowie vier weitere Mitangeklagte. Abu Walaa wurde am 8. November 2016 zusammen mit den vier weiteren Personen wegen des Verdachts auf Unterstützung des IS beziehungsweise der Werbung um Mitglieder oder Unterstützer des Terrornetzwerks festgenommen. Die Anklage gegen Abu Walaa lautet auf Unterstützung der Terrororganisation IS sowie Aufruf zum Mord. Im Februar 2021 wurde Abu Walaa zu einer Haftstrafe von zehneinhalb Jahren verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ein Mitangeklagter wurde bereits im April 2020 zu 3 Jahren und 3 Monaten Haft verurteilt. In einem bereits im März 2018 begonnenen Gerichtsverfahren Strafverfahren in vor dem OLG München wegen Unterstützung einer terrorisBayern gegen tischen Vereinigung im Ausland ("Ahrar al-Sham") gemäß SS129 a Terrorunterstützer und SS129 b StGB erging im Juni 2020 ein erstes Urteil gegen fünf Angeklagte. Dabei gab es einen Freispruch und vier Freiheitsstrafen: - 3 Jahre und 9 Monate Freiheitsstrafe wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in sechs Fällen - 2 Jahre und 9 Monate Freiheitsstrafe wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in vier Fällen - 7 Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland - 1 Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland Dieses erste Urteil bezieht sich auf neun der insgesamt 50 verfahrensgegenständlichen Fälle, somit stehen weitere Urteilsverkündungen zu den gleichen und weiteren Beschuldigten aus. Konkret ging es um mehrfache Lieferungen von Kraftfahrzeugen, Drohnen, Nachtsichtgeräten, Waffenzubehör und anderen technischen Gegenständen an die islamistische Terrororganisation. Weitere Tathandlungen der Hauptbeschuldigten sowie von Unterstützern sind gegenwärtig Gegenstand polizeilicher Ermittlungen. Im Januar wurde ein zum Islam konvertierter deutscher Staatsbürger aus Augsburg durch das OLG München zu einer Haftstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Dem Angeklagten wurde die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie die Bereitschaft zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung (SSSS 89a, 129a StGB) zur Last gelegt. Der Mann konvertierte 2010 zum 69 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus Islam. In der Folgezeit radikalisierte er sich im Sinne des jihadistischen Salafismus und schloss sich der salafistischen Szene in Augsburg an. Im April 2017 fasste er den Entschluss zur Ausreise nach Syrien, um sich dort im Umgang mit Schusswaffen ausbilden zu lassen und anschließend auf Seiten der jihadistischen Gruppierung "Hai'at Tahrir al Sham" gegen das Regime des syrischen Machthabers Bashar al-Assad zu kämpfen. Im Juni 2017 reiste er in die Türkei und wurde beim versuchten Grenzübertritt nach Syrien durch die türkischen Behörden festgenommen und letztlich im Januar 2019 nach Deutschland abgeschoben. Er befand sich seitdem in Untersuchungshaft. Am Flughafen Dakar/Senegal wurde am 12. September ein 30-jähriger deutscher Staatsbürger aufgrund eines am 3. Februar international ausgeschriebenen Haftbefehls festgenommen. Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, sich in der Zeit von Oktober 2013 bis März 2014 in Syrien als Mitglied an der terroristischen Vereinigung "Jabhat al-Nusra" (JaN) beteiligt zu haben. Hierfür soll er am 15. Oktober 2013 über die Türkei nach Syrien ausgereist sein. Weiter soll er im Januar 2014 in der türkischen Stadt Reyhanli im syrisch-türkischen Grenzgebiet Geldüberweisungen entgegengenommen haben, um entweder den eigenen Aufenthalt bei der JaN zu finanzieren oder um das Geld an die terroristische Vereinigung zur Finanzierung terroristischer Aktivitäten weiterzuleiten. Der früher im Ostallgäu wohnhafte Beschuldigte reiste nach dem Abitur im Jahr 2010 nach Kenia aus, wo er zum Islam konvertierte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 2012 zog er zum Studium nach Kleve/Nordrhein-Westfalen. Dort radikalisierte er sich innerhalb kürzester Zeit. 3.2.9 Islamischer Staat, al-Qaida und andere terroristische Strukturen 3.2.9.1 Der Islamische Staat (IS) Entstehung und Entwicklung Die salafistisch-jihadistische Organisation "Islamischer Staat" (IS) hat ihre Wurzeln in Irak. Nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003 bildete sich dort unter der Führung des Terroristen Abu Musab al-Zarqawi eine "al-Qaida"-Zelle, die sich zunächst als "al-Qaida im Zweistromland" bezeichnete. Einige Jahre nach dem Tod al-Zarqawis übernahm der Iraker Abu Bakr al-Baghdadi bis zu seinem Tod im Oktober 2019 die Führung der jihadistischen Organisation. Seither ist Amir Mohammed Abdul Rahman al-Mawli der Anführer des IS, der den Kampfnamen Abu Ibrahim al-Hashimi al-Kuraishi verwendet. 70 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Mehrfach änderte die Organisation vor dem Hintergrund weitreichender militärischer Erfolge ihren Namen. Ab 2013 bezeichnete sie sich als "Islamischer Staat in Irak und Großsyrien" (ISIG), Mitte 2014 wurde daraus der "Islamische Staat". Zugleich wurde das "Islamische Kalifat" ausgerufen. Der IS steht somit in direkter Konkurrenz zu "al-Qaida". Das Kalifat (arabisch: "khilafa") bezeichnet sowohl ein Amt als Islamisches Kalifat auch ein Herrschaftsgebiet und bedeutet die Nachfolge des Propheten Muhammad. Der Titel ist gleichbedeutend mit dem rechtmäßigen Führer der sunnitischen Gläubigen. Den letzten Kalifen stellte das Osmanische Reich. Der Titel wurde 1924 durch Mustafa Kemal Atatürk abgeschafft. Das Streben nach der Wiedereinführung des Kalifats ist ein wesentliches Kennzeichen islamistischer Ideologie. Die Anhänger des IS unterscheiden sich in Ideologie und Zielen nicht grundlegend von anderen jihadistisch orientierten Salafisten. Es gibt jedoch Unterschiede in der ideologischen Schwerpunktsetzung und im strategischen Ansatz. Eine besondere Rolle spielt dabei die Rechtfertigung des Kalifats. Das Kalifat ist zwar auch für "al-Qaida" ein Ziel, allerdings kann dies aus ihrer Sichtweise nur am Ende eines mehrstufigen Prozesses stehen: Zunächst sollen Rekruten ideologisiert, westliche Einflüsse in arabischen Staaten bekämpft, Landgewinne erzielt und schließlich prowestliche Regierungen im Nahen Osten gestürzt werden. Erst danach würde die "Entscheidungsschlacht" zwischen den "Rechtgläubigen" und den "Ungläubigen" angestrebt werden, an deren Ende das Kalifat stehen soll. Der IS hingegen sieht diese Entscheidungsschlacht bereits unmittelbar bevorstehen und ruft Muslime weltweit dazu auf, sich daran zu beteiligen. IS-Splittergruppen sind unter anderem in Libyen, auf dem Sinai, "Provinzen" des IS in Pakistan, Afghanistan, Indien und Zentralafrika aktiv und haben dort zum Teil Provinzen ausgerufen. Im März 2015 schloss sich die terroristische Organisation "Boko Haram" aus Nigeria dem IS an. Nachdem die meisten "Emire" (deutsch: Befehlshaber) der Kaukasusprovinzen den Treueeid gegenüber dem IS erklärt hatten, verkündete der IS im Juni 2015 zudem die Gründung der "Provinz Kaukasus". Spätestens seit April 2019 ist ebenso die Existenz der "Provinz Türkei" bekannt. Mit der territorialen Niederlage des IS im Frühjahr 2019 fand eine Transformation des vielschichtige Transformation der jihadistischen Organisation IS nach territorialer statt. Die frühere Strategie, die Festigung und Ausbreitung des Niederlage territorialen Kalifats, wurde zugunsten einer strategischen Symbiose aus Terrorismus und Guerillataktik zurückgestellt, mittels 71 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus derer der IS gegen seine verschiedenen Gegner aus dem Untergrund heraus operieren kann. Hierdurch konnte der IS seit 2019 seine Fähigkeit zur Vollendung von Anschlägen weiter auf hohem Niveau halten. So gelang es ihm, Anschläge in der irakischen Hauptstadt Bagdad sowie in Afghanistan erfolgreich durchzuführen. Zugleich beschleunigte der IS seine Dezentralisierung durch die Etablierung von Provinzen jenseits seines Kerngebietes, um sich einerseits weiterhin als global operierende Organisation propagandistisch darzustellen. Andererseits ermöglichen die Provinzen transnationale Bewegungsräume und den Rückgriff auf neue Anhänger, die sich aufgrund von räumlicher Distanz anderweitig dem IS nicht angeschlossen hätten. Die IS-Propaganda findet aktuell über eine Reihe von OnlinePlattformen, die sowohl als offizielle als auch als inoffizielle Sprachrohre dienen, Verbreitung. Während die Hochglanzmagazine des IS eingestellt wurden, hat die Nutzung sozialer Netzwerke wie Telegram und Instagram an Bedeutung gewonnen. Insbesondere mit dem IS-Nachrichtenkanal "Amaq News Agency" wird jihadistische Propaganda über die sozialen Netzwerke verbreitet. Seit der Corona-Pandemie meldete sich der IS verstärkt zu Wort. Insgesamt strahlt er in seiner Propagandaarbeit ein neues Sendungsbewusstsein aus, mit der potenzielle IS-Sympathisanten weltweit angesprochen werden. Insbesondere sollen Einzeltäter weltweit mobilisiert und dazu motiviert werden, öffentlichkeitswirksame Anschläge durchzuführen - wie beispielsweise am 2. November in Wien. Vor diesem Hintergrund kann weiterhin damit gerechnet werden, dass sich Einzelpersonen und Kleingruppierungen auf Grundlage der IS-Ideologie radikalisieren und infolge dessen beabsichtigen, weitere IS-Provinzen zu etablieren und terroristische Anschläge durchzuführen. Auftreten in Deutschland und Bayern Der IS verfügt innerhalb des salafistischen Spektrums in Deutschland beziehungsweise Bayern weiterhin über Sympathisanten, die sich in sozialen Netzwerken austauschen. Infolge der rechtsextremistischen Anschläge auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch im März 2019 wurde in deutschsprachigen Telegram-Kanälen erneut zur Ausreise (arabisch: "hijra") in das ehemalige Gebiet des IS und zu Vergeltungsanschlägen auf "Ungläubige" aufgerufen. Dies macht die Anschlagsbereitschaft der deutschsprachigen IS-Szene deutlich. 72 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Der Bundesminister des Innern hat am 12. September 2014 die Betätigung der Vereinigung IS sowie die öffentliche Verwendung und Verbreitung von dessen Schriften und Symbolen verboten. 3.2.9.2 Das al-Qaida-Netzwerk Im Unterschied zu vielen anderen jihadistischen Netzwerken folgt "al-Qaida" der transnationalen Zielsetzung, langfristig ein weltweites Kalifat zu errichten. "Al-Qaida" und ihre regionalen Ableger sind für eine Vielzahl von terroristischen Anschlägen weltweit verantwortlich - z. B. für die Anschläge am 11. September 2001 in den USA. Entstehung und Entwicklungstendenzen Die Ursprünge des "al-Qaida"-Netzwerks lassen sich auf den bewaffneten Konflikt um das sowjetisch besetzte Afghanistan der Jahre 1979 - 1989 zurückführen. Eine herausragende Stellung hatten der palästinensische Jihad-Ideologe Abdullah Azzam, der aus verschiedenen Regionen der Welt Jihadisten rekrutierte, und der Saudi Usama Bin Ladin inne. Nach dem Tod Azzams unterstützte Bin Ladin den bewaffneten Jihad auch in weiteren Konfliktgebieten wie Kaschmir, Indonesien, Tschetschenien, Bosnien und Somalia. Mit der Machtübernahme der "Taliban" 1996 kehrte Bin Ladin mit seinem Gefolge nach Afghanistan zurück und agierte von dort aus bis 2001 unter dem Schutz des "Taliban"-Führers Mullah Omar. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 formierte sich "al-Qaida" unter dem verstärkten Verfolgungsdruck neu, hin zu einem flexiblen Netzwerk. Es entstanden regionale Ableger, wie "al-Qaida in Irak" (AQI), "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQIM), "al-Qaida auf der arabischen Halbinsel" (AQAH) und 2014 "al-Qaida im indischen Subkontinent" (AQIS). Die "Kernal-Qaida" unter der Führung von Aiman al-Zawahiri wurde zur Inspirationsquelle für Bündnispartner und jihadistische Gruppierungen weltweit, wie z. B. in Somalia, Syrien, Irak und Mali. Gleichzeitig erhielt "al-Qaida" zusätzlich zu ihrer Netzwerkstruktur den Charakter einer globalen Bewegung. Die Tötung Bin Ladins und weiterer Führungspersonen haben "al-Qaida" zwar geschwächt, das Netzwerk aber keinesfalls handlungsunfähig gemacht. In verschiedenen Regionen, wie Nordund Westafrika sowie in Syrien und Irak, haben sich dynamische "al-Qaida"-Strukturen herausgebildet, die weiterhin bestehen. 73 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus Die Ideologie des al-Qaida-Netzwerks Die von Bin Ladin und Azzam etablierte salafistische Ideologie des "al-Qaida"-Netzwerks ist geprägt von den Schriften Abdullah Azzams und Sayyed Qutbs und deren Rechtfertigung des bewaffneten Jihads und des "Für-ungläubig-Erklärens" (arabisch: "takfir"). Demnach gibt es nur den einen Islam in seiner durch Bin Ladin, al-Zawahiri und Azzam geprägten Orientierung an den frommen Altvorderen (arabisch: "al-salaf al-salih") der islamischen Frühzeit. Dem steht die "Zeit des Unglaubens und der Unwissenheit" (arabisch: "jahiliyya") um den durch den Propheten Muhammad vermittelten "rechten Weg" gegenüber. Folgerichtig war es ein zentrales Anliegen Bin Ladins, den Islam von allen "unislamischen Übergriffen" wie Sozialismus und Demokratie freizuhalten. Die Stationierung US-amerikanischer Truppen in islamischen Staaten war aus seiner Sicht nicht hinzunehmen. Aktuelle Entwicklungen "Al-Qaida" ist in den letzten Jahren zunehmend zu einem symbolischen Markenzeichen und zu einer Inspirationsquelle für diejenigen Jihadisten geworden, die der Vorgehensweise des IS entweder ablehnend gegenüberstehen oder die Schwächung des IS zum Anlass nehmen, "al-Qaida" zu folgen. Die mehr als dreißigjährige Entwicklung "al-Qaidas" bietet für ehemalige IS-Anhänger den Vorteil, die transnational-terroristische Infrastruktur "al-Qaidas" zu nutzen, die insbesondere jihadistische Ausbildungslager sowie grenzüberschreitende Kontaktverhältnisse umfasst. Zum 18. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 veröffentlichte "al-Qaida" eine Botschaft ihres derzeitigen Anführers al-Zawahiri, in der er seine Anhänger zu Anschlägen gegen US-amerikanische, europäische, israelische und russische Einrichtungen aufrief. Entsprechende Übergriffe auf die angekündigten Ziele blieben jedoch aus. Stattdessen musste "al-Qaida" einige Verluste hinnehmen. So wurde im Oktober Abu Muhsin al-Masri, ein hochrangiges Mitglied der "Kern-al-Qaida" um al-Zawahiri, in Afghanistan durch Spezialkräfte getötet. Zum 19. Jahrestag der Anschläge vom 11. September veröffentlichte al-Zawahiri abermals eine Botschaft, die jedoch keine mediale Breitenwirkung entfaltete und sich schwerpunktmäßig gegen den Nachrichtensender "al-Jazeera" richtete. 2020 veröffentlichte "al-Qaida" die dritte Ausgabe ihres neues Online-Magazin "One Ummah", das dazu dient, weltweit neue Jihadisten für "al-Qaida" zu mobilisieren, jedoch ohne erkennbare Mobilisierungseffekte. 74 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Die "Kern-al-Qaida" scheint geschwächt zu sein, während hinSchwächung der gegen neuere Ableger eine erhöhte Kampffähigkeit aufweisen. "Kern-al-Qaida" Hierzu zählt "Tanzim Hurras al-Din" (THD), die im Februar 2018 Aufstieg der "Tanzim als Dachverband verschiedener jihadistischer Gruppen in Syrien Hurras al-Din" gegründet wurde, die sich die Errichtung eines islamischen Kalifats in Syrien zum gemeinsamen Ziel gesetzt haben. In ihrer Gründungserklärung kündigte THD ein kompromissloses Vorgehen gegen die Assad-Regierung an und rief die weltweite Gemeinschaft der Muslime (arabisch: "umma") dazu auf, die Muslime in Syrien zu "schützen". Zugleich fordert sie die Einheit aller jihadistischen Gruppen im Kampf gegen die "Feinde des Islam", wie die Assad-Regierung. 3.2.9.3 Hai'at Tahrir al Sham (HTS) (früher: Jabhat al-Nusra (JaN) Aus den Reihen der zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs als syrischer "al-Qaida"-Ableger gegründeten "Jabhat al-Nusra" (JaN) spaltete sich ab 2013 eine Zelle der "Kern-al-Qaida" unter der Führung von Muhsin al-Fadhli ab. Die nach dem historischen Namen für eine Region in Zentralasien als "Khorasan-Gruppe" bezeichnete Zelle bildet insbesondere aus Europa stammende Kämpfer auch für Anschlagspläne in ihren Herkunftsstaaten aus. Im Juli 2016 versuchte die JaN öffentlichkeitswirksam, den Anschein einer Trennung von "al-Qaida" zu erwecken, und benannte sich in "Jabhat Fath al-Sham" (JFS) um. Im Januar 2017 erfolgte eine erneute Umbenennung in "Hai'at Tahrir al Sham" (HTS) unter der Führung von Abu Muhammad al-Jaulani. Zugleich schlossen sich weitere syrische Jihadisten der HTS an. Mit HTS ist in Syrien eine weitere jihadistische Organisation vertreten, die soziale Netzwerke zur Rekrutierung von neuen Anhängern nutzt und gegenwärtig einen auf Syrien fokussierten Ansatz zum Ausbau des eigenen Einflussgebiets verfolgt. Um den Jahreswechsel 2018/2019 gelang es HTS, das umkämpfte Gebiet im syrischen Nordwesten nahezu vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. HTS profitiert seither von der Unterstützung der Türkei, die durch die HTS-Führungsfigur Abu al-Fateh al-Farghali aus pragmatischen Gründen vorangetrieben wurde. Nachdem die Türkei bereits 2017 in Syrien einmarschierte, ermöglichte es HTS der Türkei, in Idlib zahlreiche Militärposten zu errichten und die türkische Währung als Zahlungsmittel einzuführen. HTS konnte ihrerseits mit Hilfe der Türkei in der Provinz Idlib pseudostaatliche Strukturen aufbauen. Seit 2019 kam 75 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus es zu militärischen Auseinandersetzungen mit Russland und der syrischen Armee, die im Laufe des Jahres 2020 zu einer Schwächung der HTS führten. 3.2.9.4 Islamistische nordkaukasische Szene Nordkaukasische Separatistenbewegung (NKSB) Nach dem Zerfall der UdSSR führte die 1991 in Tschetschenien gegründete "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI) einen Guerillakrieg für die Unabhängigkeit der Teilrepublik von der Russischen Föderation und für die Errichtung eines islamischen Staates auf Grundlage der Scharia. 2007 proklamierte Dokku Umarov, der damalige CRI-Präsident, das islamistisch ausgerichtete "Kaukasische Emirat" (KE), das mit terroristischen Mitteln für einen islamischen Staat auf dem Gebiet des gesamten Nordkaukasus kämpft. Dieser Strategiewechsel führte zur Spaltung. Die Leitung des CRI übernahm Ahmed Zakaev, der sich bis heute auf die politische Durchsetzung des Unabhängigkeitsbestrebens für Tschetschenien beschränkt. Beide Gruppierungen sind der Nordkaukasischen Separatistenbewegung zuzurechnen. Um einen von Moskau unabhängigen tschetschenischen Staat auf der Grundlage der Scharia zu erreichen, verübten tschetschenische und andere kaukasische Islamisten in der Vergangenheit wiederholt Anschläge in Russland. Zum Nachfolger des 2014 verstorbenen Dokku Umarov wurde Alibulatovich Kebekov ernannt, der jedoch im April 2015 durch russische Einsatzkräfte getötet wurde. Dessen Nachfolger Magomed Suleimanov und Zalim Shebzukov wurden 2015/2016 ebenfalls bei russischen Anti-Terror-Operationen getötet. Seitdem ist das KE offiziell führerlos. In der Krisenregion Syrien und Irak kämpfen zahlreiche Angehörige des KE, zum Teil organisiert in eigenen tschetschenischen Brigaden, auf Seiten der Terrororganisation "Islamischer Staat". Mehrere Kommandeure des KE haben den Treueeid auf den IS geschworen. Deutschland wird primär als Rückzugsraum für die finanzielle und logistische Unterstützung der Separatisten im Nordkaukasus genutzt. Strukturen des KE in Bayern sind bisher nicht feststellbar. Aktivitäten gingen allenfalls von Einzelpersonen aus. 76 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Verbindungen zur salafistischen Szene In Deutschland bestätigen sich die Hinweise auf Verbindungen von Personen aus dem Nordkaukasus in salafistische Kreise. Auch in Bayern sind einzelne Personen aus dem Nordkaukasus in der salafistischen Szene aktiv, ohne dabei öffentlich aufzufallen. 2020 kam es zu verschiedenen Tötungsdelikten sowie gewalttätigen Auseinandersetzungen mit tschetschenischer Beteiligung in Deutschland, Frankreich und Österreich. Hierunter fällt auch der Mord am Geschichtslehrer Samuel Paty am 16. Oktober in Paris durch einen tschetschenischen Flüchtling. Es gibt bislang jedoch keine Erkenntnisse, aus denen sich eine Zuordnung einer dieser Gewalttaten zum KE ergäbe. 3.3 Sonstiger islamistischer Terrorismus 3.3.1 HAMAS (Islamische Widerstandsbewegung) Mitglieder Deutschland: etwa 380* Bayern: Einzelpersonen Gründung 1988 * Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Nach Beginn der ersten Intifada ("Aufstand der Palästinenser") im Dezember 1987 schlossen sich Anfang 1988 die palästinensischen Anhänger der "Muslimbruderschaft" (MB) unter Führung von Ahmad Yasin zur "HAMAS" zusammen und nahmen den bewaffneten Kampf gegen Israel auf. Die "HAMAS" übt seit der gewaltsamen Machtübernahme 2007 die alleinige Kontrolle über den Gaza-Streifen aus. Die "HAMAS" verneint das Existenzrecht Israels und will auf HAMAS auf dem gesamten Gebiet Palästinas einen "islamischen" Staat EU-Terrorliste errichten. Sie lehnt deshalb auch den israelisch-palästinensischen Friedensprozess ab. Die "HAMAS" ist für eine Vielzahl terroristischer Aktionen verantwortlich, darunter zahlreiche Selbstmordattentate. Im Juni 2002 wurde deshalb der militärische Arm der "HAMAS" in die EU-Liste terroristischer Organisationen aufgenommen. 2003 stuften die EU-Außenminister auch die Gesamtorganisation als terroristisch ein. Nachdem im Dezember 2014 das Gericht der Europäischen Union (EuG) in erster Instanz einen 77 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus Verfahrensfehler bei der Einstufung der "HAMAS" als Terrororganisation gerügt hatte, hob im Juli 2017 die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) diese Entscheidung auf und verwies sie zur materiellen Prüfung an die Vorinstanz zurück. Am 6. März 2019 bestätigte schließlich das EuG, dass die Mitgliedstaaten in einer Entscheidung aus dem Jahr 2015 ausreichend begründet haben, warum von der Organisation eine Terrorgefahr ausgeht. Damit verbleibt die "HAMAS" weiterhin auf der EU-Liste terroristischer Organisationen. Bereits im Dezember 2018 hatte das EuG eine Klage der "HAMAS" gegen die Beschlüsse der EU zur Terrorliste aus den Jahren 2010 bis 2014 sowie 2017 abgewiesen. Gegen diese Klageabweisung legte die "HAMAS" am 14. Februar 2019 Rechtsmittel beim EuGH ein. Mit Urteil vom 10. September wurde diese Beschwerde durch den EuGH abgewiesen. Von den in Deutschland lebenden "HAMAS"-Anhängern gehen Bestrebungen aus, die auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Deutschland wird von der "HAMAS" zur Sammlung von Spenden und zur Verbreitung ihrer Propaganda genutzt. Mit Beschluss vom 21. August 2018 hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde gegen das Vereinigungsverbot gegen die Organisation "Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e. V." (IHH) zurückgewiesen. Die IHH war vom Bundesministerium des Innern im Jahr 2010 verboten worden. Die IHH hatte in erheblichem Umfang Spenden an Organisationen weitergeleitet, die der "HAMAS" zuzuordnen waren, und dadurch eine völkerverständigungswidrige Organisation gefördert. "Tag des Bodens" Aufgrund der Corona-Pandemie fanden am "Tag des Bodens" am 30. März keine Massenproteste statt, vielmehr wurde dazu aufgerufen, u. a. Palästinenserflaggen zu schwenken und israelische Fahnen zu verbrennen. Der "Nakba-Tag" am 15. Mai fand u. a. mittels Videokonferenzen vorwiegend virtuell statt, in den sozialen Medien wurden Kampagnen zur Thematik veranstaltet. Der "Tag des Bodens" steht im palästinensischen Geschichtsverständnis für Landenteignungen durch Israel; die Staatsgründung Israels 1948 wird im arabischen Sprachgebrauch als "Nakba" (deutsch: Katastrophe) bezeichnet. Im Juni 2019 wurde auf einer Konferenz in Bahrain der wirtschaftliche Teil des Nahost-Friedensplans der USA vorgestellt. Dieser sieht die Förderung des Wirtschaftswachstums in den 78 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 palästinensischen Gebieten vor. Die Konferenz wurde von palästinensischer Seite boykottiert, da nur eine politische Lösung Frieden bringe könne. Auch die Vorstellung des politischen Teils des Nahost-Friedensplans im Januar fand auf palästinensischer Seite keine Zustimmung; die "HAMAS" lehnte den Plan entschieden ab. Nach Verkündung des Plans kam es zu Zusammenstößen zwischen palästinensischen Demonstranten und israelischen Sicherheitskräften. Auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie Bahrain im August beziehungsweise September stieß auf palästinensischer Seite auf Ablehnung, wurde als "Verrat an Jerusalem und an der palästinensischen Sache" bezeichnet und führte zu neuer Gewalt zwischen der "HAMAS" und Israel. In Berlin fand am 18. September eine Kundgebung statt, auf der die diplomatischen Vereinbarungen heftig kritisiert wurden. Es ist immer wieder festzustellen, dass sich Eskalationen zwischen Israel und den Palästinensern auch auf das Demonstrationsgeschehen in Deutschland auswirken. Auch in den sozialen Netzwerken in Deutschland werden die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern äußerst emotional kommentiert. 3.3.2 Hizb Allah (Partei Gottes) Mitglieder Deutschland: etwa 1.050* Bayern: etwa 30 Gründung 1982 im Libanon Publikation al-Intiqad (Die Kritik) Fernsehsender al-Manar (Der Leuchtturm), Sitz in Beirut Betätigungsverbot in Deutschland seit 29.10.2008 * Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Das langfristige Ziel der "Hizb Allah" (deutsch: Partei Gottes) ist die Zerstörung des Staates Israel und die "Herrschaft des Islam" über Jerusalem. Seit Jahren ist die "Hizb Allah" für Terroranschläge in Israel verantwortlich. In Deutschland hat sie bislang keine gewaltsamen Aktionen durchgeführt, nutzt aber das Bundesgebiet als Ruheund Rückzugsraum. Die Bestrebungen der "Hizb Allah" gefährden damit auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. 79 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus Die "Hizb Allah" (auch: "Hisbollah/Hizbollah") ist eine auf Initiative des Irans gegründete schiitische Partei, die seit 1992 im libanesischen Parlament vertreten ist. Sie wird vom Iran finanziell, materiell und ideologisch unterstützt. Sie ist einerseits eine politische Partei, die vor allem aufgrund ihres sozialen Engagements auf die Unterstützung ärmerer Bevölkerungsschichten zählen kann, andererseits verfügt sie über militärische Einheiten, die insbesondere im Süden Libanons unabhängig von der Staatsgewalt agieren. Der Aufforderung zur Entwaffnung dieser Miliz, gemäß der UN-Resolution 1559 aus dem Jahr 2004, kam der politische Flügel der "Hizb Allah" bislang nicht nach. Im Mai 2008 hat das libanesische Kabinett der "Hizb Allah" offiziell "das Recht zum Widerstand gegen Israel" zugestanden. Die schiitische Miliz kann daher ungehindert den Ausbau der Verteidigungsanlagen nördlich der UN-Pufferzone zur Grenze Israels betreiben. Seit Beendigung des Libanonkriegs im Sommer 2006 wird sowohl von der israelischen Seite als auch von der "Hizb Allah" selbst über eine erhebliche Aufrüstung der "Hizb Allah" berichtet. Betätigungsverbot in 2013 haben die EU-Außenminister mit der "Hizb Allah Miliz" nur Deutschland den militärischen Arm der "Hizb Allah" als terroristisch eingestuft und verboten, während das Verbot für den sogenannten politischen Arm nicht galt. Mit Wirkung zum 30. April wurde durch das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat ein Betätigungsverbot der "Hizb Allah" in Deutschland in Gänze erlassen, woraufhin polizeiliche Durchsuchungsmaßnahmen durchgeführt wurden. In einer ersten Reaktion verurteilte der Generalsekretär der "Hizb Allah", Hassan Seyyed Nasrallah, in einer Rede am 4. Mai das Verbot in Deutschland als politisch motiviert und warf der Bundesregierung vor, sich den USA "zu unterwerfen". Die "Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands" (IGS) mit Sitz in Berlin veröffentlichte auf ihrer Webseite eine Pressemitteilung und kritisierte dort die durchgeführten Exekutivmaßnahmen im Monat Ramadan auf das Schärfste. In Bayern konnten keine nennenswerten Reaktionen seitens der schiitisch geprägten Moscheevereine auf das Betätigungsverbot festgestellt werden. Die "Hizb Allah" verbreitet ihre antiisraelische und antijüdische Propaganda unter anderem über den libanesischen TV-Sender "al-Manar", der seinen Sitz in Beirut hat, aber auch in Deutschland zu empfangen ist. Da die Tätigkeit des Senders gegen deutsche Strafgesetze verstößt und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, wurde der Sender im Oktober 80 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 2008 vom Bundesministerium des Innern verboten. Ansprachen und Fernsehinterviews von Hassan Sayyed Nasrallah werden in Deutschland hauptsächlich über die sozialen Medien verbreitet. Am 22. Mai äußerte sich Nasrallah zum jährlich stattfindenden "Al-Quds-Tag" (deutsch: Jerusalem-Tag) in einer Rede des Senders "al-Manar" dahingehend, dass Palästina vom Fluss bis zum Meer Eigentum des palästinensischen Volkes sei und diejenigen, die nach Palästina geströmt seien, das Land wieder verlassen müssten. Wie Corona sei auch der Zionismus ein Virus, der eliminiert werden müsse. Der wahre Feind seien jedoch die USA, Israel sei lediglich ein amerikanischer Frontstaat. Der "Al-Quds-Tag", der seit der "islamischen Revolution" 1979 in Iran begangen wird, findet seit 1996 jährlich auch in Berlin statt. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde der "Al-QudsTag" 2020 in die sozialen Medien verlegt und fand als sogenannter "Live-QudsTag" unter reger Resonanz statt. 3.4 Sonstige verbotene Organisationen Hilafet Devleti (Kalifatsstaat) Anhänger Deutschland: etwa 700* Bayern: etwa 30 früherer Vorsitzender Metin Kaplan Gründung 1984 Sitz Köln Publizistisches Sprachrohr Muhacirun (Auswanderer) * Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Die Vereinigung "Hilafet Devleti" (deutsch: Kalifatsstaat) wurde 2001 vom Bundesminister des Innern in Deutschland nach dem Vereinsgesetz verboten. Am 22. Oktober 2013 verbot das Bayerische Staatsministerium des Innern den 2009 gegründeten Verein "Kulturund Bildungszentrum Ingolstadt e. V." als Ersatzorganisation des "Kalifatsstaats". Mit Urteil vom 27. Januar 2016 hat 81 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamismus der Bayerische Verwaltungsgerichtshof eine gegen das Verbot erhobene Klage des Vereins abgewiesen. Das Urteil ist rechtskräftig. Der "Kalifatsstaat" war eine am Führerprinzip orientierte, streng hierarchisch gegliederte Organisation, deren Ziel die Weltherrschaft des Islam unter dem Kalifat ihres Anführers Cemaleddin Kaplan und später seines Sohnes Metin Kaplan war. Der "Kalifatsstaat" richtete sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung und gefährdete die Innere Sicherheit in Deutschland. Das Verbotsverfahren und die staatlichen Exekutivmaßnahmen haben die Organisationsstruktur geschwächt. Gleichwohl gibt es in Deutschland noch immer Anhänger, die das Gedankengut des "Kalifatsstaats" weiterhin verbreiten. Zudem ist die offizielle Internetseite des "Kalifatsstaats", die über einen Server in den Niederlanden betrieben wird, auch in Deutschland abrufbar. Die 1984 in Köln gegründete Organisation "Kalifatsstaat" (ehemals "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V." - ICCB) verstand sich als Wiederbelebung des durch Mustafa Kemal Atatürk 1924 in der Türkei abgeschafften Kalifats. Der frühere Vorsitzende des "Kalifatsstaats" Metin Kaplan, der wegen Mordaufrufs eine vierjährige Gefängnisstrafe in Deutschland verbüßt hatte, wurde 2004 in die Türkei abgeschoben und dort zu einer Haftstrafe verurteilt. Seit seiner Haftentlassung im November 2016 lebt Kaplan in Istanbul und hält den Kontakt zu seinen Anhängern durch die Veröffentlichung von Freitagsgebeten im Internet aufrecht. 82 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 83 Ausländerextremismus Ausländerextremismus Corona-Pandemie reduziert das Veranstaltungsgeschehen Funktionäre der TKP/ML zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt Anhänger der "Ülkücü-Bewegung" solidarisieren sich mit Aserbaidschan im Konflikt um Bergkarabach 84 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Anhänger nichtislamistischer extremistischer Gruppierungen aus dem Ausland sind auch in Deutschland aktiv, um die politischen Verhältnisse in ihren Heimatländern antidemokratisch zu verändern. Sie wollen z. B. eigene Staaten gründen, kommunistische Systeme errichten oder vertreten eine extreme Variante des Nationalismus. Alle Gruppierungen importieren ihre ideologischen Ziele nach Deutschland, zum Teil tragen sie auch hier ihre blutigen Konflikte aus. Ihre Anhängerschaft setzt sich neben Ausländern auch aus deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund oder aus deutschen Extremisten zusammen. Die Bestrebungen ausländerextremistischer Organisationen richten sich somit gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährden die Innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung sowie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland. 85 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Ausländerextremismus 1. PERSONENPOTENZIAL IN BAYERN Im Jahr 2020 waren dem Spektrum der Ausländerextremisten (ohne Islamisten) 3.390 Personen (2019: 3.390) zuzurechnen: 2018 2019 2020 PKK* 1.900 1.900 1.900 Linksextremistische 190 190 190 Organisationen Rechtsextremistische 1.300 1.300 1.300 Organisationen gesamt 3.420** 3.390 3.390 Die Zahlenangaben sind geschätzt und gerundet. * inkl. Nachfolge-, Teilund Nebenorganisationen ** einschließlich Separatisten 2. KONFLIKTUND GEWALTPOTENZIAL Extremistische Ausländerorganisationen betrachten Deutschland vorwiegend als Rückzugsraum, um hier ihre Ziele durch Agitation, Rekrutierung neuer Anhänger und ideologische Indoktrination zu verfolgen. Zudem spielt die materielle Unterstützung der Mutterorganisationen in den Heimatländern durch die in Deutschland gesammelten Spenden und Mitgliedsbeiträge für sie eine nicht unerhebliche Rolle. Die Aktivitäten extremistischer Ausländerorganisationen in Deutschland werden im Wesentlichen von politischen Ereignissen und Entwicklungen in den jeweiligen Herkunftsländern beeinflusst. So können aktuelle Konflikte im Ausland unmittelbar zu gewaltsamen Aktivitäten in Deutschland führen. Zum Teil tragen extremistische Ausländerorganisationen ihre Konflikte hier auch untereinander gewalttätig aus. Die erneute Eskalation des Kurdenkonflikts in der Türkei seit 2015 sowie die Ereignisse in der Folge des gescheiterten Militärputschs vom 15. Juli 2016 wirken sich erkennbar auf türkische und kurdische ausländerextremistische Organisationen in Deutschland aus. Vor allem zwischen Vertretern des PKK-Lagers und der türkisch-rechtsextremistischen Szene kam es in den vergangenen Jahren immer wieder auch zu Übergriffen und teils gewalttätigen Konfrontationen. 86 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Im Juni führte die Türkei eine großangelegte Militäroperation Militäroperation im Nordirak ("Operation Adlerklaue") gegen Stellungen der PKK "Adlerklaue" und durch. Bereits 2018 und 2019 hatten großangelegte türkische BergkarabachMilitäroperationen in den kurdisch dominierten Gebieten im Konflikt Norden Syriens gegen die YPG ("Volksverteidigungseinheiten"), dem bewaffneten Arm der syrischen PKK-Fraktion PYD ("Partei der demokratischen Union"), stattgefunden. Anhänger der PKK in Deutschland und Bayern reagierten auf die erneute türkische Militäroffensive mit vereinzelten Protestaktionen. Darüber hinaus wirkte sich das militärische Engagement der Türkei im Bergkarabach-Konflikt, in dem das türkische Militär Aserbaidschan unterstützte, auch in Teilen auf hiesige Ülkücü-Anhänger aus, die an entsprechenden proaserbaidschanischen Veranstaltungen teilnahmen und ihre Solidarität mit Aserbaidschan vielfach auch in teils martialischen Social-Media-Beiträgen ausdrückten. Grundsätzlich ist festzustellen, dass das militärische und außenpolitische Wirken der Türkei in internationalen Konfliktregionen für ein gesteigertes Gewaltpotenzial unter türkischen Rechtsextremisten sorgt. 3. STRUKTUREN 3.1 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Anhänger Deutschland: 14.500* Bayern: 1.900 Leitung Abdullah Öcalan Gründung 1978 in der Türkei Publikationen Serxwebun ("Unabhängigkeit"), Yeni Özgür Politika ("Neue Freie Politik") * Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Die PKK ist in Deutschland seit 26. November 1993 verboten. Seit 2. Mai 2002 wird sie in der Liste terroristischer Organisationen der EU aufgeführt. Das deutsche Verbot umfasst die späteren Umbenennungen in "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK), "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL), "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK) und "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK). 87 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Ausländerextremismus Verbot der ÖcalanMit Schreiben vom 2. März 2019 verfügte das BundesministeFahne rium des Innern eine Ausweitung der Verbotsverfügung gegen die PKK und ihre Kennzeichen. Seitdem ist es in Deutschland auch verboten, die Fahne mit dem Abbild Abdullah Öcalans auf gelbem oder gelb-grünem Hintergrund zu zeigen. Die PKK wurde 1978 von Abdullah Öcalan in Ostanatolien als marxistisch-leninistisch orientierte Organisation gegründet. Sie sollte durch einen Guerillakrieg eine Revolution mit dem Ziel eines unabhängigen kurdischen Staates herbeiführen. Über zwei Jahrzehnte lang führte die PKK innerhalb und außerhalb der Türkei terroristische Anschläge durch. Nach der Festnahme des PKK-Führers Abdullah Öcalan im Jahr 1999 kam es zu einem taktisch bedingten Kurswechsel. Zumindest im Ausland wurde auf die Durchführung planmäßiger Gewaltaktionen verzichtet. Das ursprüngliche Ziel der Errichtung eines unabhängigen kurdischen Staates wurde zugunsten eines staatenübergreifenden kurdischen Autonomie-Modells, das bestehende staatliche Grenzen anerkennt, aufgegeben. Bei ihren Aktivitäten verfolgt die PKK weiterhin eine Doppelstrategie. Während sie auf dem Gebiet der Türkei terroristische Anschläge durchführt und Anhänger für den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat mobilisiert, nutzt sie das übrige Europa primär als Rückzugs-, Finanzierungsund Rekrutierungsraum. Die PKK und ihr Unterstützerkreis in Deutschland stellen sich als in der Türkei zu Unrecht verfolgte "Regimegegner" dar und versuchen so, ihr Image in Deutschland aufzubessern. Regionale Strukturen Bei der PKK und ihren deutschen Ablegern handelt es sich um in Bayern/"Eyalets" eine Kaderorganisation mit einem weit verzweigten Funktionärswesen und strikten Befehlsstrukturen. Die PKK hat sich 2016 in Deutschland regional umstrukturiert. Unter Beibehaltung der 31 Gebiete wurden die ehemals vier Sektoren nun in neun Regionen ("Eyalets") aufgeteilt. In Bayern existieren die Gebiete München/ Südbayern und Nürnberg/Nordbayern. An der Spitze dieser hierarchischen Struktur stehen Funktionäre, die in der Regel durch die europäische Leitungsebene der Organisation eingesetzt werden. Die Zuweisung auf die einzelnen Funktionen erfolgt zumeist nur für einen begrenzten Zeitraum. Die hauptamtlichen Kader der PKK sind ideologisch geschult und leben äußerst konspirativ an häufig wechselnden Orten. PKK-Anhänger organisieren sich in Deutschland und Bayern auch unter dem Deckmantel legaler Vereinsund Verbandsstrukturen. Die Organisationen, die diesen Strukturen zuzurechnen 88 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 sind, stellen sich in der Regel nach außen als reine Kulturvereine dar. Ein Nachweis, dass ihre Betätigung unmittelbar der PKK zuzurechnen ist, lässt sich meist nur im Einzelfall führen. Insgesamt kann jedoch angenommen werden, dass der illegal tätige Funktionärsapparat der PKK die Agenda dieser legalen Strukturen in Deutschland und Europa maßgeblich beeinflusst und steuert. Die jeweiligen Vereine und Verbände haben vor diesem Hintergrund vor allem die Aufgabe, unter den Anhängern die Ziele und Politik der PKK zu verbreiten und zu fördern und dienen des Weiteren als regionale Anlaufstellen für PKK-Aktivisten. Der Dachverband dieser PKK-nahen Strukturen in Deutschland Umbenennung erfuhr im Mai 2019 eine Umstrukturierung. Die zuvor unter der NAV-DEM in Bezeichnung NAV-DEM ("Dachverband Demokratisches KurdiKON-MED sches Gesellschaftszentrum Deutschlands e. V.") auftretende Dachorganisation wurde umbenannt und firmiert seither unter der Bezeichnung KON-MED ("Konföderation der Gesellschaften Mesopotamiens in Deutschland"). Organisatorisch unterscheidet sich die KON-MED vom Vorgänger NAV-DEM u. a. darin, dass sie nun über regionale Untergruppierungen verfügt, die sogenannten "Föderationen". Zuständig für Bayern und BadenWürttemberg ist demnach die Föderation FCK ("Föderation der Gemeinschaften Kurdistans"). In Bayern existieren zurzeit drei Vereine, die der KON-MED KON-MED Vereine angehören: "Medya Volkshaus e. V." in Nürnberg, "Kurdisches in Bayern Gesellschaftszentrum München e. V." und "Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum Aschaffenburg e. V.". Alle drei Vereine initiieren regelmäßig Versammlungen zur PKK-Thematik, wie beispielsweise zur Aufhebung des PKK-Verbots. Auch Fahrten zu überregionalen Veranstaltungen mit PKK-Bezug werden organisiert. Der bisher bestehende Verein "Kurdisch-Deutsche Freundschaftsgesellschaft" in Weißenburg wurde im Mai aufgelöst. Die PKK zeigt ein ambivalentes Verhalten zur Gewalt. Einem miliGespaltenes Vertärischen Auftreten im türkisch-irakischen beziehungsweise türhältnis der PKK zu kisch-syrischen Grenzgebiet steht ein grundsätzlich friedliches Gewalt Vorgehen in Deutschland beziehungsweise Europa gegenüber. Dieses Vorgehen wird auch aktuell von der Zielsetzung geleitet, sich europäische Staaten als Ruheund Rückzugsräume zu bewahren. Die PKK ist nach wie vor in der Lage und bereit, zumindest punktuell Gewalt auch in Deutschland einzusetzen beziehungsweise Gewalttaten ihrer jugendlichen Anhänger zu dulden. Als wesentliche Propagandaplattformen dienen in Deutschland 89 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Ausländerextremismus neben Fernsehsendern regelmäßig erscheinende Zeitungen wie die Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" ("Neue Freie Politik"), in der regelmäßig Stellungnahmen von führenden PKK-Funktionären veröffentlicht werden. Auch soziale Netzwerke im Internet nutzt die PKK-Anhängerschaft intensiv zur Verbreitung von Propaganda und zur Mobilisierung für Veranstaltungen und Kundgebungen. Aktivitäten der PKK Für das Aktivitätsund Aggressionsniveau der PKK in Deutschland ist die innenpolitische Lage in der Türkei ein entscheidender Faktor. Die PKK-nahe Szene reagiert mitunter äußerst rasch und unmittelbar auf Ereignisse und Konflikte in der Türkei und der umliegenden Region. Dadurch wollen die PKK-Anhänger in Deutschland Einfluss auf die türkische Innenpolitik und die auswärtigen Beziehungen der Türkei ausüben, den türkisch-kurdischen Konflikt zugleich aber auch auf die Tagesordnung deutscher und internationaler Politik bringen. Nachdem aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie im ersten Halbjahr 2020 keine größeren Veranstaltungen und Kundgebungen durch PKK-nahe Organisationen durchgeführt wurden, fand am 25. Juli in München eine Kundgebung anlässlich der türkischen Militäroperation "Adlerklaue" statt. Unter den circa 300 Teilnehmern befanden sich neben Anhängern des PKK-Spektrums auch zahlreiche Vertreter der deutsch-linksextremistischen Szene. Am 10. Oktober fand in Nürnberg eine Kundgebung mit der Forderung "Freiheit für Abdullah Öcalan - Für ein Ende von Faschismus und Besatzung" statt. An der Veranstaltung beteiligten sich etwa 70 Teilnehmer. Ein Aktivist hielt sich im Rahmen einer "Straßenperformance" zeitweise in einem nachgebildeten Käfig auf, um auf die Haftbedingungen Abdullah Öcalans aufmerksam zu machen. Seit dem 4. September musste sich ein mutmaßlicher ehemaliger PKK-Funktionär wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland vor dem Oberlandesgericht München verantworten. Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, als PKK-Gebietsleiter in München tätig gewesen zu sein. Nach Anrechnung der U-Haft auf die verhängte Haftstrafe befindet er sich wieder auf freiem Fuß. 90 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Zusammenarbeit mit Linksextremisten Zwischen der PKK und deutschen linksextremistischen Gruppen kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu themenbezogener Kooperation und gegenseitiger Unterstützung. Eine Zusammenarbeit erfolgt vorwiegend dann, wenn sich die vom linksextremistischen Spektrum besetzten Aktionsfelder wie z. B. Antiimperialismus oder Antimilitarismus und das von der PKK besetzte Themenpotenzial überschneiden. Die türkischen Militäroffensiven in Nordsyrien seit 2016 lösten ein erneutes Zusammenrücken beider Lager aus. Das u. a. von PKK-nahen Vereinigungen und linksextremistiAktionsbündnis schen Organisationen getragene, nach eigenen Angaben inter"#riseup4rojava" national agierende Aktionsbündnis "#riseup4rojava" besteht weiterhin. Aufgrund der Corona-Pandemie war die Durchführung von Veranstaltungen allerdings nur sehr eingeschränkt möglich. Anlässlich der Aktionswoche zum "Welt Kobane Tag" fanden am 1. November in Nürnberg und am 2. November in München Versammlungen statt, zu der sich jeweils etwa 20 Teilnehmer einfanden. 3.2 Türkische Linke 3.2.1 DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)/ Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) Mitglieder Deutschland: 650* Bayern: 80 Gründung 1994 in Syrien Publikation Yürüyüs * Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Die DHKP-C ist in Deutschland seit 1998 verboten. Die Verbreitung der Publikation "Yürüyüs" ist nach Mitteilung des Bundesministeriums des Innern strafbar. Die revolutionär-marxistische DHKP-C zählt zu den militantesten türkischen Extremistengruppen, die mithilfe einer bewaffneten Revolution auf die Zerschlagung des türkischen Staates zielen. 91 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Ausländerextremismus Ziele ihrer Agitation sind die NATO, die USA sowie die Türkei und ihre Gesellschaftsordnung. Die DHKP-C richtet sich damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährdet die Innere Sicherheit und die öffentliche Ordnung sowie sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland. Die DHKP-C wurde 1994 in Syrien gegründet und ging aus dem "Karatas-Flügel" der "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") hervor. Sie versteht sich, wie die Ursprungsorganisation, als eine an den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus ausgerichtete Volksbewegung. Die DHKP-C erklärte 1999 für Deutschland einen Gewaltverzicht, wobei jedoch am bewaffneten Kampf in der Türkei festgehalten wurde. Das Bundesministerium des Innern verfügte 1998 ein Vereinsverbot. Seit 2002 ist die DHKP-C auf der EU-Terrorliste aufgeführt. "Langer Marsch" in Im September führte die DHKP-C in mehreren süddeutschen Bayern Städten einen "Langen Marsch" unter dem Motto "Wir wollen Gerechtigkeit!" durch. Sogenannte "Lange Märsche" hatte die Gruppierung jeweils anlassbezogen auch schon in den vergangenen Jahren im Bundesgebiet durchgeführt. In diesem Jahr wurde der zeitgleiche Tod einer hungerstreikenden Anwältin in der Türkei thematisiert, die dort im vergangenen Jahr aufgrund ihrer Verbindungen zur DHKP-C zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. In Bayern fanden zwischen dem 9. und 14. September in den Städten Augsburg, München und Nürnberg Veranstaltungen zu dem Thema statt. Die Teilnehmerzahlen bewegten sich im unteren zweistelligen Bereich. In Augsburg mischten sich Angehörige der örtlichen linksextremistischen Szene unter die Versammlungsteilnehmer. "Grup Yorum" Nach wie vor stellen Auftritte der türkischen Musikgruppe "GRUP YORUM", die nach eigenem Bekunden ein dezidiert "revolutionär-sozialistisches Musikverständnis" pflegt, einen wichtigen Bestandteil der Propagandaaktivitäten der DHKP-C dar. Symbolik und Liedtexte der Gruppe weisen regelmäßig Bezüge zur Ideologie und Propaganda der DHKP-C auf. Die deutschen Verfassungsschutzbehörden gehen darüber hinaus von engen organisatorischen Verbindungen zwischen "GRUP YORUM" und der DHKP-C aus. Die DHKP-C nutzt die Popularität der Gruppe, um über ihren Anhängerkreis hinaus Personen anzusprechen und zu mobilisieren. Im Berichtszeitraum konnten keine Auftritte der Gruppe festgestellt werden. 92 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 3.2.2 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten - Partizan Flügel (TKP/ML - "Partizan-Flügel") Mitglieder Deutschland: 800* Bayern: 80 Gründung 1994 in der Türkei Publikation Partizan (Partisan) * Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Die TKP/ML - "Partizan-Flügel" vertritt die Ideologie des Marxismus-Leninismus, ergänzt um die Ideen Mao Tse-tungs. Sie befürwortet den bewaffneten Kampf und propagiert den Bürgerkrieg als Mittel zur Erreichung ihres Ziels, der Errichtung eines kommunistischen Regimes in der Türkei. Die TKP/ML - "Partizan-Flügel" spaltete sich 1994 aus der bereits seit den 1970er Jahren bestehenden Mutterorganisation TKP/ML ab. Die Anhänger der TKP/ML - "Partizan Flügel" sind seit Sommer 1997 in den beiden Basisorganisationen "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V." (ATIF), gegründet 1976, und der Ende 1986 gebildeten "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" (ATIK) organisiert. Beide Vereinigungen präsentieren sich als Massenorganisationen und tarnen ihre Verbindungen zur TKP/ML - "Partizan Flügel". Sie beschränken sich in Deutschland auf Propagandaaktivitäten und auf die Beschaffung finanzieller Mittel. Am 28. Juli verurteilte das Oberlandesgericht München nach Verurteilung von über vier Jahren Verhandlungsdauer zehn Funktionäre der TKP/ TKP/ML Mitgliedern ML wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland und in einem Fall wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß SSSS 129a, b StGB zu mehrjährigen Haftstrafen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten für die TKP/ML unter anderem organisatorisch, personell und finanziell unterstützend tätig waren. Zeitgleich fand vor dem Gerichtsgebäude eine Solidaritätskundgebung statt, an der sich 93 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Ausländerextremismus rund 350 Personen beteiligten. Unter diesen befanden sich unter anderem Vertreter von weiteren türkischen linksextremistischen Organisationen. Auch Vertreter deutscher linksextremistischer Organisationen wie der "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands" (MLPD) beteiligten sich an der Solidaritätsbekundung. 3.2.3 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Mitglieder Deutschland: 600* Bayern: 30 Gründung 1994 in der Türkei Publikation Atilim (Angriff) * Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Die MLKP ist marxistisch-leninistisch geprägt und strebt die gewaltsame Zerschlagung der staatlichen Ordnung der Türkei und die dortige Errichtung einer kommunistischen Diktatur an. Die in der Türkei verbotene terroristische MLKP entstand 1994 aus dem Zusammenschluss zweier türkischer linksextremistischer Organisationen. Ihre Basisorganisation ist die "Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e. V." (AGIF) mit Sitz in Köln. Die örtlichen AGIF-Vereine in Deutschland sind zuständig für die politische Basisarbeit. Ihr europäischer Dachverband trägt den Namen "Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa" (AvEG-KON). Young Struggle Über ihre Jugendorganisation "Young Struggle" (YS) versucht die MLKP auch weiterhin, junge Menschen in Bayern zu mobilisieren. "Young Struggle" wirbt dabei nicht nur um türkische, sondern auch um junge deutsche Linksextremisten. Aktivisten der YS beteiligten sich an der Solidaritätskundgebung vor dem Oberlandesgericht München im Zusammenhang mit dem oben genannten Strafprozess gegen führende Mitglieder der TKP/ML. 94 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 3.3 Türkische Rechtsextremisten: ÜlkücüBewegung ("Idealisten"-Bewegung) Mitglieder Deutschland: 11.000* Bayern: 1.300 Publikationen Türk Federasyon Bülteni und Alperen/Alperen-Genclik * Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Der türkische Rechtsextremismus umfasst ein breites Spektrum ultranationalistischen und rassistischen Gedankenguts. Eine herausragende Rolle nimmt hierbei die "Ülkücü-Bewegung" ein, deren Ursprünge bereits auf die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts zurückgehen. Das Symbol der Bewegung ist der Graue Wolf, der gemäß unterschiedlichen Legenden als Schutztier aller Turkvölker gilt. Darauf aufbauend werden die Anhänger der Bewegung auch als "Graue Wölfe" bezeichnet, Erkennungszeichen unter Anhängern der Szene ist ein mit fünf Fingern stilisierter Wolfskopf, auch "Wolfsgruß" genannt. Die rechtsextremistische Ideologie der "Grauen Wölfe" basiert auf einer Überhöhung der Türkei und des Türkentums bei gleichzeitiger rassistischer Abwertung anderer Ethnien wie Armeniern, Kurden und Juden. Die Ideologie der "Ülkücü-Bewegung" ist maßgeblich beeinflusst durch die Ideen der Turkistenbeziehungsweise Turanistenbewegung, die im Osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts entstanden ist. Deren Anhänger hatten die Gründung eines Großtürkenreichs ("Turan") zum Ziel, welches - je nach spezifischer Auslegung - ein Gebiet vom Pazifik bis nach Europa umfassen sollte. Während der übersteigerte Nationalismus und die Vorstellung Nationalistische eines ethnisch kohärenten, nur von Turkvölkern bewohnten türKomponenten der kischen Großreichs durchgängige Motive der Ülkücü-Ideologie "Ülkücü"-Ideologie darstellen, ist die türkisch-islamische Komponente innerhalb der diversen Strömungen der Bewegung unterschiedlich ausgeprägt. Im Laufe der Zeit haben islamische und teilweise auch islamistische Elemente innerhalb der Bewegung an Bedeutung zugenommen. Vor allem das seit den 1970er Jahren propagierte Konzept der "Türkisch-Islamischen Synthese" ist heute fester 95 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Ausländerextremismus Bestandteil des türkischen Nationalismus. Hiernach werden Islam und Türkentum als unabdingbare Einheit dargestellt, religiöse und nationalistische Motive in teils stark verklärender Weise miteinander vermengt und auf das historische Osmanische Reich als Idealvorstellung projiziert. Kulturund Die zahlenmäßig stärkste Anhängerschaft der "Ülkücü-BeweIdealistenvereine gung" in Deutschland ist in sogenannten "Kulturund Idealisten-Vereinen" der "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V." (ADÜTDF) organisiert. Die ADÜTDF wurde 1978 in Frankfurt am Main durch den Zusammenschluss von zahlreichen türkischen Vereinen gegründet. Die nationalistische ADÜTDF vertritt eine extreme Variante des türkischen Nationalismus und ist damit Teil der weltweit organisierten "Ülkücü-Bewegung". Durch ihr teilweise ultranationalistisches Gedankengut verfolgt die ADÜTDF Bestrebungen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Sie gilt seit ihrer Gründung als Auslandsorganisation der türkischen "Partei der Nationalen Bewegung" (MHP), des politischen Arms der "ÜlkücüBewegung" in der Türkei. Aktivitäten der Die ADÜTDF ist in Bayern vor allem mit kulturellen, religiösen ADÜTDF in Bayern und sportlichen Veranstaltungen aktiv, auch um neue Mitglieder zu werben. Regionale Schwerpunkte sind die Ballungsräume München, Nürnberg und Augsburg. Im Februar veranstaltete die ADÜTDF ein Konzert in Bobingen, an dem zwischen 500 und 600 Besucher aus Bayern teilnahmen. Hierbei trat auch ein in der Ülkücü-Szene bekannter Sänger auf, der in der Vergangenheit u. a. eines seiner Lieder dem Gründer der MHP, Alparslan Türkes, widmete. Die im Rahmen derartiger Veranstaltungen dargebotenen Lieder entsprechen stilistisch meist volkstümlicher türkischer Musik. Inhaltlich sind die Liedbeiträge in der Regel durch pathetische, patriotische und auf Heimatgefühle rekurrierende Motive geprägt. Nationalistische und rechtsextremistische Botschaften werden teils offen, teils aber auch in lediglich subtiler Form über die Musik transportiert. Ziel der ADÜTDF und ihrer Vereine ist es, mit derartigen Events, die in der Regel in einem familienfreundlichen Umfeld stattfinden, das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Szene zu stärken, potenzielle Anhänger, insbesondere Kinder und Jugendliche, möglichst früh an die "Ülkücü"-Ideologie heranzuführen und nicht zuletzt auch Einnahmen für die beteiligten Organisationen zu generieren. 96 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Nach Beginn der Corona-Pandemie verlagerten sich die Aktivitäten der ADÜTDF-Vereine nahezu komplett in den Bereich des Internets, wo beispielsweise virtuelle Gebetsveranstaltungen stattfanden. Mit Beginn der ersten Lockerungen der behördlichen Corona-Maßnahmen im Sommer öffneten einzelne ADÜTDF-Vereine dann auch wieder ihre Räumlichkeiten. Größere Veranstaltungen waren hier jedoch nicht zu verzeichnen. Als weiterer Dachverband ist der "Verband der Türkischen Kulturvereine in Europa e. V." (ATB) der "Ülkücü-Bewegung" zuzuordnen. Der ATB mit Sitz in Frankfurt am Main wurde im Jahr 1992 in Deutschland gegründet. Er verbindet die islamische Komponente mit türkisch-nationalistischem Gedankengut und zielt auf eine bewusste Beeinflussung und Prägung der Mitglieder im türkisch-nationalistischen und islamisch-religiösen Sinne. Im Berichtszeitraum entfaltete die ATB insgesamt nur geringe Aktivitäten, die mit Beginn der Corona-Pandemie nahezu komplett zum Erliegen kamen. Ein nicht unerheblicher Teil der "Ülkücü-Bewegung" - und vor allem jugendliche Anhänger der Ideologie - ist vereinsmäßig ungebunden und agitiert vorwiegend über soziale Netzwerke. In München nahmen Anhänger und Sympathisanten der bayeSolidarität mit rischen "Ülkücü-Bewegung" im Juli und im Oktober an proAserbaidschan aserbaidschanischen Kundgebungen zum Konflikt um die armenisch-aserbaidschanische Grenzregion Bergkarabach teil. Die Solidarität der Ülkücü-Szene mit Aserbaidschan basiert auf der in der weiter oben vorgestellten Idee des großtürkischen Reichs "Turan", welches alle Turkvölker, darunter auch das aserbaidschanische Volk, in einer Nation vereinen soll. Somit zeigte sich erneut, dass internationale Konflikte durchaus Einfluss auf die Aktivitäten der Ülkücü-Szene in Bayern ausüben können. Unmittelbar nach dem Verbot der "Grauen Wölfe" in FrankVerbot der "Grauen reich im November forderten auch unterschiedliche Parteien Wölfe" in Frankreich in Deutschland ein Verbot der in Deutschland tätigen und der "Ülkücü-Bewegung" zuzurechnenden Vereine wie zum Beispiel die ADÜTDF und die ATB. 97 Rechtsextremismus Rechtsextremismus Bundesinnenministerium verbietet Combat 18 Rechtsextremisten versuchen Corona-Krise für ihre Zwecke zu instrumentalisieren Gesamtzahl rechtsextremistischer Straftaten erneut gestiegen Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus hat viele verschiedene Ausprägungen: Parteien kämpfen um Einfluss in Parlamenten. Ideologen versuchen, rassistisches und nationalistisches Gedankengut intellektuell zu verpacken. Antisemiten schreiben der Existenz von Juden die Ursache aller Probleme zu. Neonazis bekennen sich offen zum Nationalsozialismus und treten teilweise aggressiv und kämpferisch auf. Daneben versuchen sie, durch die Gründung von Tarnorganisationen ihre wahren Absichten zu verschleiern. Kennzeichnend für rechtsextremistische Strömungen sind die übersteigerte Betonung der Nation sowie ein autoritäres Denken, das die "Volksgemeinschaft" über das Individuum stellt. Gemeinsames Ziel ist die Abschaffung zentraler Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, beispielsweise des Rechts auf Wahlen. Darüber hinaus richten sich rechtsextremistische Bestrebungen gegen die universelle Geltung der Menschenrechte und die im Grundgesetz verankerte Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz. Das rechtsextremistische Weltbild geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zu einer "Rasse" den Wert eines Menschen bestimmt. Rassistisch motiviert ist neben der rechtsextremistischen Agitation gegen Flüchtlinge und Asylsuchende auch die Überzeugung, durch "Ethnopluralismus", d. h. durch die räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Ethnien, die Identität des Volkes zu schützen. 99 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus 1. PERSONENPOTENZIAL IN BAYERN Parteien 2018 2019 2020 JA - 120 120 Der Flügel - 110 130 NPD 500 500 480 Der Dritte Weg 160 155 160 Die Deutsche Konservative - 5 5 DIE RECHTE 10 5 5 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene 570 560 560 Strukturen* Weitgehend unstrukturiertes rechts1.200 1.200 1.400 extremistisches Personenpotenzial** Summe 2.440 2.655 2.860 Mehrfachzählungen*** 80 85 90 Gesamtzahl 2.360 2.570 2.770 Neonazis von der Gesamtzahl 680 680 700 Gewaltorientierte Personen von der 1.000 1.000 1.035 Gesamtzahl**** Die Zahlen sind geschätzt und gerundet. * Dazu zählen Personen in rechtsextremistischen Zusammenschlüssen und Vereinen, beispielsweise in subkulturell geprägten Gruppen oder in neonazistischen Kameradschaften. Als Kategorie neu eingeführt im Jahr 2017. ** Dazu zählen Rechtsextremisten, die keiner Partei oder Organisation zugeordnet werden können, beispielsweise rechtsextremistische Internetaktivisten oder rechtsextremistische Strafund Gewalttäter. Als Kategorie neu eingeführt im Jahr 2017. *** Mehrfachzählungen werden vom Gesamtpotenzial abgezogen. **** Dazu zählen gewalttätig, gewaltbereit, Gewalt unterstützend und Gewalt befürwortend. Personenpotenzial Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Bayern belief sich in Bayern leicht Ende 2020 auf insgesamt 2.770 Personen. Dies entspricht einem gestiegen Zuwachs von 200 Personen im Vergleich zum Vorjahr (2019: 2.570). Die Zahl der Neonazis erhöhte sich leicht auf 700 Personen (2019: 680). 100 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Das Kategoriensystem zur Erfassung des rechtsextremistischen Personenpotenzials wurde im Jahr 2017 überarbeitet. Unterschieden werden die drei Kategorien - Parteien, - parteiunabhängige beziehungsweise parteiungebundene Strukturen - sowie weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial. Im Jahr 2020 wurden in Bayern insgesamt 900 Mitglieder und Sympathisanten rechtsextremistischer Parteien und parteinaher Gruppen erfasst. Während das Personenpotenzial der NPD weiterhin rückläufig war, erhöhte sich das Personenpotenzial des zwischenzeitlich formal aufgelösten "Flügel" leicht. Die Kategorie der parteiunabhängigen beziehungsweise parteiungebundenen Strukturen umfasst Personen in rechtsextremistischen Zusammenschlüssen und Vereinen, beispielsweise in subkulturell geprägten Gruppen oder in neonazistischen Kameradschaften. 2020 zählten hierzu insgesamt rund 560 Personen. Dem weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen PersoAnstieg des unstruknenpotenzial werden Rechtsextremisten zugeordnet, die keiner turierten PersonenPartei oder Organisation zugerechnet werden können, wie beipotenzials spielsweise rechtsextremistische Strafund Gewalttäter, rechtsextremistische Internetaktivisten oder einzelne subkulturelle Rechtsextremisten. Diesem Personenpotenzial werden in Bayern etwa 1.400 Personen (2019: 1.200) zugerechnet. Dabei geht insbesondere das im Internet aktive unstrukturierte Personenpotenzial weit über das bekannte parteiund organisationsgebundene rechtsextremistische Spektrum hinaus und ist zahlenmäßigen Schwankungen unterworfen. Das Internet wird von rechtsextremistischen Einzelpersonen dazu genutzt, manipulative und extremistische Inhalte zu verbreiten. Sie wollen ein Klima von Misstrauen und Hass gegenüber Flüchtlingen und Andersdenkenden, aber auch gegenüber etablierten Medien, staatlichen Einrichtungen und dem demokratischen Prozess schaffen. Soziale Medien bieten diesen Einzelpersonen niedrigschwellige Möglichkeiten, in virtuellen Räumen verfassungsfeindliche Propaganda zu betreiben, sich zu vernetzen und Aktionen zu planen, die im äußersten Fall zur Begehung von schweren Straftaten in der Realwelt, wie Angriffen gegen Politiker, führen können. 101 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat im Gegensatz zu anderen Bundesländern die Befugnis, Einzelpersonen unter den gleichen Voraussetzungen wie Organisationen zu beobachten. Lagebild RechtsexAm 6. Oktober stellten Bundesinnenminister Horst Seehofer und tremismus in Sicherder Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz ein bunheitsbehörden desweites Lagebild mit dem Titel "Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" der Öffentlichkeit vor. Das Lagebild setzt sich mit Verdachtsfällen von Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern im Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 31. März 2020 auseinander. Im Rahmen der Lagebilderstellung wurden in Bayern die im Untersuchungszeitraum eingeleiteten disziplinarund arbeitsrechtlichen Verfahren in den bayerischen Sicherheitsbehörden auf mögliche Bezüge zum Rechtsextremismus hin überprüft und ausgewertet. Daraus ergaben sich 31 Verdachtsfälle bei etwa 44.000 Beschäftigten in bayerischen Sicherheitsbehörden. Von den 31 Verdachtsfällen, die mit dem Stichtag 31. März für das bundesweite Lagebild zugeliefert wurden, wurden bis zu dem Stichtag 13 Verfahren abgeschlossen: in 6 Fällen erfolgten Entlassungen beziehungsweise Nichternennungen, zweimal wurden Abmahnungen ausgesprochen, einmal eine Geldbuße, 4 Verfahren wurden eingestellt. 18 Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. Neben der quantitativen Auswertung der bekanntgewordenen Verdachtsfälle werden in dem Lagebild auch die Maßnahmen des Bundes und der Länder zur Prävention, Detektion und Sanktionierung derartiger Fälle dargestellt. 2. GEWALTPOTENZIAL Gewaltkult Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, verbunden mit Hass und Ablehnung von Demokratie und pluralistischer Gesellschaft, bilden den Nährboden für rechtsextremistische Gewalttaten. Die Abwertung und die Entmenschlichung von Menschen und Menschengruppen fördern ein Sinken der Hemmschwelle zur Gewaltanwendung. Der in Teilen der Szene gepflegte Gewaltkult, der mit der Verherrlichung von "kriegerisch-soldatischer Tugend" einhergeht, wirkt sich ebenfalls begünstigend auf Gewaltbefürwortung und -anwendung aus. 102 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Seit 2018 wurden bundesweit verschiedene Drohmails an PresseSerie von Drohorgane, Behörden, Organisationen und Personen des öffentlichen briefen Lebens versandt, die u. a. mit "National-Sozialistische Offensive", "Wehrmacht", "NSU 2.0", "Elysium", "Staatsstreichorchester" und "Atomwaffen Division Deutschland" unterzeichnet waren. Im Oktober 2019 fanden in vier Bundesländern Durchsuchungsaktionen wegen Drohmails mit islamfeindlichen Inhalten statt. Hintergrund waren 23 Drohschreiben, die in der Zeit vom 8. bis zum 23. Juli 2019 bundesweit an verschiedene Institutionen verschickt worden waren. Betroffen davon waren u. a. Ankerzentren in Bayern, islamische Zentren, Moscheen, Parteizentralen sowie Presseund Medienagenturen. Im Jahr 2020 wurden unter der Bezeichnung "NSU 2.0" erneut Festnahmen im Drohschreiben u. a. an Politiker und Beamte sowie an weitere Komplex NSU 2.0 Personen des öffentlichen Lebens versandt. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen des Landeskriminalamtes Hessen zum Versand von Drohschreiben mit der Absenderangabe "NSU 2.0" erfolgten am 24. Juli zwei vorläufige Festnahmen und eine Hausdurchsuchung in Landshut. Ein Ehepaar steht unter Verdacht, insgesamt sechs Drohschreiben per E-Mail an Personen des öffentlichen Lebens versandt zu haben. Bei dem Ehemann handelt es sich um einen pensionierten Polizeibeamten, der bereits 2017 und 2018 wegen des Verdachts auf Volksverhetzung in Erscheinung getreten ist. Im Zuge der Durchsuchung des Wohnanwesens konnten neben mehreren Rechnern, Datenträgern und legalen Waffen auch mehrere illegale Waffen festund sichergestellt werden. Am 1. Juni 2019 fiel der Kasseler Regierungspräsident Dr. Walter Urteil im Mordfall Lübcke einem Anschlag zum Opfer. Seit dem 16. Juni musste Dr. Lübcke sich eine als Rechtsextremist bekannte Person vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main wegen Mordes an Dr. Lübcke sowie versuchten Mordes und Körperverletzung an einem Iraker im Januar 2016 verantworten. Eine weitere Person wurde wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Dem Hauptangeklagten wurde zur Last gelegt, Dr. Lübcke aus einer von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit getragenen völkisch-nationalistischen Grundhaltung heraus heimtückisch durch einen Kopfschuss getötet zu haben. Ende Januar 2021 wurde der Hauptangeklagte wegen des Mordes an Dr. Lübcke zu lebenslanger Haft verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Dem Mitangeklagten konnte die unmittelbare Beteiligung an dem Mord an Dr. Lübcke nicht nachgewiesen werden, er wurde jedoch wegen eines Waffendelikts zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 103 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Lebenslange Haft für Der Attentäter von Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt), der am Attentäter von Halle 9. Oktober 2019 versucht hatte, einen Anschlag auf eine Synaan der Saale goge zu begehen und zwei Unbeteiligte tötete, wurde Ende Dezember vom OLG Naumburg wegen zweifachen Mordes und des versuchten Mordes in zahlreichen Fällen zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Der Anschlag von Halle a. d. Saale zeigt erneut, dass auch bislang nicht in der rechtsextremistischen Szene in Erscheinung getretene Personen Radikalisierungsprozesse durchlaufen können, die bis hin zur Begehung schwerer Gewalttaten führen. Das Internet spielt bei solchen Radikalisierungsprozessen, die von einer realweltlichen rechtsextremistischen Szene losgelöst sind, eine zentrale Rolle. Rechtsextremistische Organisationen und Einzelakteure setzen für ihre Propaganda digitale Medien und Formate inzwischen als festen Bestandteil ihrer Kommunikationsstrategien ein. Das Internet ermöglicht ihnen den erleichterten Zugang zu einem heterogenen Empfängerkreis, der über die engere extremistische Anhängerszene hinausreicht. Vor allem im Bereich des sogenannten "Dark Social" - also dem Bereich nicht öffentlich einsehbarer Kommunikation innerhalb von Chat-, Mailund Social-Media-Anwendungen - tragen sie zur Entstehung digitaler Resonanzräume bei, in denen Debatten und Äußerungen die Schwelle zur Strafbarkeit mitunter deutlich überschreiten. Die Beiträge dort umfassen Drohungen, Nötigungen, Verunglimpfungen, extremistische Inhalte sowie unverhohlene Aufrufe zu Strafund Gewalttaten. Diese von Gewalt und Hass geprägte Sprachund Kommunikationsumgebung ist grundsätzlich dazu geeignet, ein Klima zu schaffen, in dem die Hemmschwellen zur Gewaltanwendung sinken. Die Schnelligkeit der Radikalisierungsprozesse und Enthemmungsdynamiken stellt die Sicherheitsbehörden vor besondere Herausforderungen sowohl bei der Identifizierung der häufig nur anonym aktiven Personen als auch bei der Prognostizierung einer möglichen gewalttätigen Entwicklung. Vor allem realweltlich zurückgezogen lebende und unauffällige Einzeltäter, die zugleich unter dem Druck der Gruppendynamik virtueller Gruppen stehen und auch handeln, bleiben eine zentrale Herausforderung für die Sicherheitsbehörden. 104 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 2.1 Gewaltorientierte rechtsextremistische Szene in Bayern Die Mehrzahl der rechtsextremistischen Gewalttaten wird spontan verübt. Häufig erfolgen solche Taten aus einer Situation heraus, in der Rechtsextremisten - einzeln oder in kleinen Gruppen - auf Personen treffen, die den typischen rechtsextremistischen Feindbildern entsprechen. Allerdings gibt es auch immer wieder Zusammenschlüsse von Personen, die auf eine geplante Begehung von Gewalttaten abzielen. Im Fokus der deutschen Verfassungsschutzbehörden stand auch Verbot von Combat die Organisation "Combat 18" (C18), ein sich über mehrere euro18 Deutschland päische Staaten erstreckendes Netzwerk gewaltbereiter neonazistischer Gruppierungen und Einzelpersonen. Seit einigen Jahren lagen den deutschen Sicherheitsbehörden Erkenntnisse über den Ausbau von Organisationsstrukturen der Gruppe vor. C18 galt als eng verbunden mit der in Deutschland seit dem Jahr 2000 verbotenen neonazistischen Skinhead-Organisation "Blood & Honour" (B&H) und als deren gewaltbereiter, bewaffneter Arm. Das Bundesinnenministerium hat am 23. Januar "Combat 18 Deutschland" auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst, das Vereinsvermögen wurde eingezogen. "Combat 18 Deutschland" richtete sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, lief nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider und richtete sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Es ist seither verboten, Kennzeichen von "Combat 18 Deutschland" öffentlich zu verwenden und Ersatzorganisationen zu bilden oder fortzuführen. Die Verbotsverfügung ist bestandskräftig, nachdem eine Klage dagegen zurückgezogen wurde. Auch gegen "Blood & Honour" gingen die Sicherheitsbehörden Exekutivmaßvor. Die Generalstaatsanwaltschaft München, Bayerische Zentralnahmen gegen stelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET), Blood & Honour führt ein Ermittlungsverfahren gegen zwölf Beschuldigte in fünf Bundesländern wegen des Verdachts einer Straftat nach SS 85 StGB (Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot). Den Beschuldigten wird zur Last gelegt, die seit September 2000 verbotene Organisation "BIood & Honour Division Deutschland" mit Sektionen in Bayern, BadenWürttemberg, Thüringen und Mitteldeutschland fortzuführen und eine engmaschige Vertriebsstruktur für Szenezubehör und Rechtsrockmusik aufgebaut zu haben. Dabei sollen vor allem Musik-CDs mit verbotenem Rechtsrockliedgut und Merchandisingartikel mit 105 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus verbotenen rechtsextremistischen Symbolen nach Deutschland eingeführt und hier vertrieben worden sein. Am 12. Dezember 2018 wurden im Rahmen des Verfahrens bundesweit an insgesamt 15 Objekten Durchsuchungsbeschlüsse vollzogen. Acht Durchsuchungsobjekte befanden sich in Bayern, zwei in BadenWürttemberg, drei in Thüringen und je ein Objekt in Hessen und in Sachsen-Anhalt. Ziel der Maßnahmen war das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur der verbotenen Organisation sowie die Aufklärung der Produktion und des Vertriebs des verbotenen Rechtsrockliedguts. Im Rahmen einer Durchsuchung im Februar 2020 in sechs Bundesländern wurden zwölf Personen festgenommen, darunter auch eine Person bei Augsburg. Die Bundesanwaltschaft erhob im November Anklage gegen die Gruppe wegen Unterstützung einer rechtsterroristischen Vereinigung. Ihnen wird vorgeworfen, Anschläge auf Politiker und Muslime geplant zu haben. Feuerkrieg Division/ Gegen einen im Februar festgenommenen 22-jährigen BeschulAtomwaffendivision digten aus dem Landkreis Cham wurde durch die Generalstaatsanwaltschaft München Anklage erhoben. Dem Angeschuldigten wurde vorgeworfen, einen Anschlag auf muslimische oder jüdische "Orte der Andacht" geplant zu haben. Dafür hatte er sich Anleitungen für die Herstellung von Sprengstoff und Bomben aus dem Internet heruntergeladen sowie Waffenteile besorgt. Etwa zeitgleich mit der Bewaffnung trat der Beschuldigte unter Pseudonymen der rechtsextremistischen Chatgruppe "Feuerkrieg Division" (FKD) bei. Der Chatgruppe gehörten zum Zeitpunkt der Festnahme des Beschuldigten etwa 30 bis 40 Mitglieder aus unterschiedlichen, überwiegend europäischen Staaten an. Der Beschuldigte stand in regem Austausch mit anderen Gruppenmitgliedern und nahm dabei insbesondere Anweisungen eines sich in der Chatgruppe als Anführer ausgebenden Mitglieds entgegen. Das Landgericht Nürnberg-Fürth verurteilte den Beschuldigten am 4. Dezember zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe. Der Beschuldigte legte Rechtsmittel ein, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Atomwaffendivision Die FKD ist eine ideologisch an die US-amerikanische Terrorgruppierung "Atomwaffendivision" angelehnte virtuelle Gruppierung, die mutmaßlich 2018 in Estland gegründet wurde. Es handelt sich um eine kleine internationale neonazistische Gruppierung, die ideologisch einer besonders radikalen Interpretation der "White Supremacists"-Bewegung folgt. Ihre zentralen Konzepte stammen aus den im "Siege (engl. Belagerung) -Newsletter" gesammelten Aufsätzen des US-amerikanischen Rechtsextremisten James 106 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Masons. Mitglieder der FKD werden ermuntert, sich in Anschlägen insbesondere gegen Juden und Muslime zu "opfern" und "Heilige" zu werden, mit dem Ziel, das "System" zu stürzen und einen weißen "Ethno-Staat" zu errichten. Als einziges Mittel gegen das vorgeblich von Juden kontrollierte "System" wird Gewalt propagiert und als "Heiliger Krieg" oder "weißer Jihad" überhöht. Nach wie vor liegt ein besonderes Augenmerk der bayerischen Sicherheitsbehörden auf der Waffenaffinität einiger Rechtsextremisten. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Fälle bekannt, in denen bayerische Rechtsextremisten in die Tschechische Republik fuhren, um dort Schießstände oder Gotchaund Paintballveranstaltungen zu besuchen. So suchten bayerische Rechtsextremisten den Schießstand JIMI in der Region Cheb/ Eger (Tschechische Republik) auf, um dort mit scharfen Waffen zu schießen. 2.2 Gewalt gegen Flüchtlinge Die aggressive Hetze gegen Flüchtlinge, die rechtsextremistische Straftaten rückläufig Parteien wie die NPD, "Der Dritte Weg" und andere rechtsextremistische Organisationen insbesondere über das Internet verbreiten, setzte sich auch 2020 fort. Die Zahl der in diesem Zusammenhang begangenen Straftaten entwickelte sich jedoch weiter rückläufig. So wurden bis zum 31. Dezember 2020 (im Jahr 2020) in Bayern insgesamt 7 extremistische Übergriffe auf Liegenschaften zur Unterbringung von Flüchtlingen begangen, die alle rechtsextremistisch motiviert waren (2019: 24 Delikte, davon 23 rechtsextremistisch motiviert ). Die den Sicherheitsbehörden der Bundesländer vorliegenden Erkenntnisse ergaben bislang keine Anhaltspunkte für eine zentrale Steuerung von Gewalttaten oder eine regionale oder überregionale Koordinierung von Straftaten durch Rechtsextremisten. Die Ergebnisse der polizeilichen Auswertung zeigen, dass es sich bei den ermittelten Tatverdächtigen um männliche Personen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren handelt. Die Täter waren nicht nur gewaltorientierte Szeneangehörige, sondern auch Personen, die bislang nicht in rechtsextremistischen Strukturen aktiv waren. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass rechtsextremistische und fremdenfeindliche Propaganda und Agitation in nicht extremistische Milieus hineinwirken kann. Bei der Mehrzahl der Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte handelte es sich um Sachbeschädigungen. 107 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus 2.3 Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" Politisch motivierte Gewaltdelikte 2018 2019 2020 Tötungsdelikte (auch Versuch) 0 1 0 Körperverletzungen 58 55 71 Brandund Sprengstoffdelikte 1 0 3 Landfriedensbruch 0 0 0 Raub* 1 Widerstandsdelikte* 5 Erpressung 1 1 1 Sonstige Gewalttaten 3 4 0 gesamt 63 61 81 Kriminelle Vereinigung/Terrorismus 0 0 3 Sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 106 60 67 Propagandadelikte 1.124 1.324 1.414 Nötigung/Bedrohung 48 56 56 Volksverhetzung 350 442 597 Sonstige Straftaten 143 160 237 gesamt 1.771 2.042 2.371 Straftaten insgesamt 1.834 2.103 2.455 * Bis 2019 unter sonstige Gewalttaten erfasst, separate Ausweisung seit 2020 108 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Gewalttaten Im Jahr 2020 wurden in Bayern 81 rechtsextremistisch motivierte Gewaltdelikte registriert (2019: 61). Dabei handelt es sich überwiegend um Körperverletzungsdelikte. Von den 81 Gewalttaten waren 68 (2019: 48) fremdenfeindlich motiviert. Bei 6 der Gewaltdelikte lag eine antisemitische Motivation zugrunde (2019: 5). Insgesamt konnten 69 Gewalttaten aufgeklärt werden, dabei wurden insgesamt 73 Tatverdächtige ermittelt, darunter 7 Frauen. Wie im Jahr 2019 gehört mit 69 Personen die überwiegende Zahl der Tatverdächtigen der Altersgruppe über 21 Jahre an, 2 der Tatverdächtigen gehören zur Altersgruppe 17 - 21 Jahre, 2 weitere Tatverdächtige waren jünger als 17 Jahre. Sonstige Straftaten In Bayern wurden 2020 insgesamt 2.371 (2019: 2.042) sonstige rechtsextremistische Straftaten (ohne Gewalttaten) sowie 1 Delikt der Bildung einer kriminellen Vereinigung gezählt. Davon waren 938 fremdenfeindlich (2019: 733) und 297 antisemitisch motiviert (2019: 261). In den meisten Fällen handelte es sich um Propagandadelikte (2020: 1.414; 2019: 1.324), aber u. a. auch um Volksverhetzung (2020: 597; 2019: 442) und Sachbeschädigungen (2020: 67; 2019: 60). Volksverhetzungsdelikte richteten sich insbesondere gegen Migranten, vermeintlich "ausländisch" aussehende Bürger sowie gegen Menschen jüdischen Glaubens. Häufig sind diese Straftaten verbunden mit einem gewalttätigen Vorgehen der Täter. Propagandadelikte machen nach wie vor den Großteil rechtsextremistischer Straftaten aus. Beispielsweise wurden Hakenkreuze auf Wände und Fahrzeuge gesprüht beziehungsweise geritzt und Parolen wie "Heil Hitler" und "Sieg Heil" gerufen. Zu den Propagandadelikten zählen auch neonazistische Grafiken, Filme und Lieder, die zu Propagandazwecken über MessengerDienste oder soziale Medien verbreitet werden. 109 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus 3. RECHTSEXTREMISTISCHE THEMENFELDER UND AKTIONSFORMEN 3.1 Rechtsextremistische Themenfelder Klassische Themen Der Rechtsextremismus tritt in verschiedenen Ausprägungen nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Ideologieelemente sowie mit unterschiedlichen, sich daraus herleitenden Zielsetzungen auf. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse entscheide über den Wert eines Menschen. Dieses rechtsextremistische Werteverständnis steht in einem fundamentalen Widerspruch zum Grundgesetz, das die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Rechtsextremisten versuchen, die nationalsozialistische Gewaltherrschaft unter Herausstellung angeblich positiver Leistungen zu rechtfertigen, Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime zu diffamieren und die Verbrechen des Dritten Reichs zu verschweigen, zu verharmlosen oder sogar zu leugnen (Geschichtsrevisionismus). Zusätzlich verunglimpfen sie den demokratischen Verfassungsstaat und seine Repräsentanten, indem sie beispielsweise Deutschland als Marionettenstaat ausländischer, insbesondere US-amerikanischer, Interessen darstellen. Deutsche Politiker diffamieren sie dabei regelmäßig als korrupte Handlanger ausländischer Interessen. Die eigene Organisation und ihre Vertreter sollen als die alleinigen Wahrer der Interessen des deutschen Volkes dargestellt und der politische Gegner als Verräter, der mit krimineller Energie systematisch den Interessen der Bürger schade, diskreditiert werden. Rechtsextremisten lehnen die Kernbereiche der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab. Hinzu kommt die pauschale Überbewertung der Interessen der "Volksgemeinschaft" zu Lasten der Interessen und Rechte des Einzelnen, die zu einer Aushöhlung der Grundrechte führt (völkischer Kollektivismus). Diese Merkmale sind nicht gleichmäßig bei allen Rechtsextremisten zu beobachten. Manchmal sind nur Teilaspekte bestimmend; auch die Intensität und die Strategie des Kampfes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind unterschiedlich. Neue Themenfelder Bestandteil der Propaganda von Rechtsextremisten sind außerdem sozial-, wirtschaftsund umweltpolitische Themen. So wird z. B. Umweltschutz als "Heimatschutz" interpretiert und in den 110 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Kontext der völkischen Bewegung gestellt. Demzufolge ist der Schutz des eigenen Volkes untrennbar mit dem Schutz der Umwelt verbunden. Durch Verknüpfung sozialer Problemfelder mit rechtsextremistischen Theorieelementen wollen Rechtsextremisten aus den Sorgen der Bevölkerung Kapital schlagen. Teile des rechtsextremistischen Spektrums propagieren einen "volksbezogenen Sozialismus" mit dem Ziel, in sozialistisch orientierte Wählerschichten einzudringen. Reaktionen von Rechtsextremisten auf die CoronaPandemie Verschiedene rechtsextremistische Akteure nutzten die CoroVerschwörungsna-Pandemie und deren Folgen aus, um im Duktus ihrer üblichen theorien Agitation Propaganda und Verschwörungstheorien zu verbreiten sowie Regierungen und staatliche Institutionen in Misskredit zu bringen. Durch die Verbreitung von Verschwörungstheorien wollen Rechtsextremisten auch bei Personengruppen Gehör finden, die bislang durch offen rassistische und fremdenfeindliche Agitation nicht ansprechbar waren. Rechtsextremisten verbreiteten im Berichtsjahr insbesondere Verschwörungstheorien, die Schuldzuweisungen an Asylbewerber, Migranten beziehungsweise Juden enthalten. So wurde über soziale Medien die Darstellung verbreitet, dass die Ausgangsbeschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie ein Ablenkungsmanöver seien, um heimlich die Zahl der Immigranten in der EU zu erhöhen. Es würde durch die Regierung ein "neues 2015" herbeigeführt und im Schatten der Corona-Pandemie angeblich eine große Zahl "illegaler Einwanderer" ins Land gebracht. Unter Schlagwörtern wie "Corona-Diktatur" oder "QuarantäneDiktatur" wurde Regierungsverantwortlichen und staatlichen Stellen unterstellt, die Corona-Pandemie zur Entrechtung und Überwachung der Bürger auszunutzen. Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) behauptete beispielsweise am 5. April in einer Twitter-Meldung, dass die im Rahmen der staatlichen Corona-Bekämpfungsmaßnahmen verhängten Freiheitsbeschränkungen auch über die Corona-Krise hinaus aufrechterhalten werden würden. 111 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus In der rechtsextremistischen Szene wird mitunter auch zum Widerstand gegen diese vermeintliche "Corona-Diktatur" aufgerufen. Bezugnehmend auf das aus dem akademischen Diskurs stammende Konzept des "Akzelerationismus" wird dabei das Ziel verfolgt, die Corona-Pandemie und die damit einhergehende Verunsicherung in der Bevölkerung für eine Radikalisierung der Gesellschaft und die Destabilisierung des politischen Systems auszunutzen. Nach diesem Konzept sind in einer Krise neben Desinformationskampagnen und Verschwörungstheorien auch Sabotage-Aktionen bis hin zu rechtsterroristisch motivierten Anschlägen hierfür geeignete Mittel. Die Corona-Pandemie kann somit als Gelegenheitsfenster für gewaltsame Aktionen verstanden werden, die darauf abzielen, die Demokratie in einer Phase der allgemeinen gesellschaftlichen Verunsicherung weiter zu destabilisieren oder gar zu beseitigen. Der "Akzelerationismus" kann auch als Begründung oder Rechtfertigung sogenannter "Tag-X-Aktionen" genutzt werden, die darauf abzielen, einen vermeintlichen Zerfallsprozess des politischen Systems durch eigenes Handeln noch zu beschleunigen. Akzelerationismus Vereinzelt behaupteten Rechtsextremisten, das Corona-Virus sei und "Tag-X-"gezielt in Umlauf gebracht worden. Es diene der Auslöschung Szenarien der indigenen Bevölkerung oder der Einschränkung von Bürgerund Freiheitsrechten und solle zur Begründung der Abschaffung von Bargeld herangezogen werden. Darüber hinaus konnte die Verbreitung von Verschwörungstheorien um den US-amerikanischen Unternehmer und Mäzen Bill Gates auch in rechtsextremistischen Kreisen festgestellt werden. So posteten beispielsweise der Bundesverband der NPD und der NPD-Kreisverband Neumarkt und Amberg Beiträge, die sich gegen die Durchführung von Zwangsimpfungen richteten, die angeblich von Bill Gates beabsichtigt würden. VerschwörungsEine weitere Verschwörungstheorie, die v.a. im Rahmen der theorie "QAnon" Pandemie auch von rechtsextremistischen Kreisen aufgegriffen wird, ist die aus den USA stammende "QAnon" ("Q"). Nach dieser Verschwörungstheorie führte der ehemalige US-amerikanische Präsident einen internen Krieg gegen den sogenannten Deep State (deutsch: "Tiefen Staat"). Anhänger der Theorie berufen sich dabei auf einen Informanten, der die "Q-Clearance", d. h. die höchste Freigabestufe für geheime Informationen des US-Energieministeriums besitze. 112 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 "Q" zufolge würden Kinder im Auftrag einer aus Bankern, Politikern und Prominenten bestehenden korrupten Elite gefoltert und ermordet, um ein Lebenselixier aus ihnen zu gewinnen, das sogenannte "Adrenochrom". "Q" greift dabei antisemitische Verschwörungsmotive wie die angebliche Weltverschwörung einer jüdischen Finanzelite und die aus dem Mittelalter stammende antijüdisch konnotierte Ritualmordlegende auf. Mit ihren antisemitischen Elementen ist "Q" anschlussfähig an die rechtsextremistische Szene. Die hohe Wandlungsund Anpassungsfähigkeit von "Q" ermöglicht es dabei ihren Anhängern, aktuelle gesellschaftsrelevante Ereignisse wie die CoronaPandemie fortlaufend im Sinne "Q"-typischer Verschwörungsnarrative umzudeuten. Ziel der Anhänger von "Q" ist es, unliebsame politische EntscheiNutzung spezifischer dungsträger als Handlanger der "Weltverschwörung" zu diskreCodes ditieren. In digitalen Kommunikationsforen und bei realweltlichen Veranstaltungen bedienen sich "Q"-Anhänger bestimmter Symbole, Abkürzungen und Codes, um ihre Zugehörigkeit zur "Q"-Szene zu zeigen und szeneintern das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Dazu gehört beispielsweise das Kürzel "WWG1WGA", welches für die englische Losung "Where We Go One We Go All" (deutsch: "Dort, wohin einer geht, dorthin gehen alle") steht. Diese Codes waren sowohl auf verschiedenen Internetforen als auch vereinzelt bei realweltlichen Veranstaltungen in Bayern festzustellen. Im gesamten Bundesgebiet fanden im Zusammenhang mit den staatlichen Beschränkungsmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus Protestveranstaltungen statt. Das Teilnehmerfeld erwies sich meist als heterogen und größtenteils nichtextremistisch geprägt. Auch in Bayern beteiligten sich vereinzelt Rechtsextremisten an "Hygiene-", "Corona-" oder "Anti-CoronaDemos", dokumentierten ihre Teilnahmen auf ihren SocialMedia-Kanälen und versuchten, in ihren Online-Beiträgen die Kritik an den staatlichen Beschränkungsmaßnahmen für ihre eigene staatsund verfassungsfeindliche Propaganda zu instrumentalisieren. Sie erhofften sich dadurch, Anschluss an bürgerliche Corona-Debatten herzustellen und so über den eigenen Anhängerkreis hinaus zu wirken. Ein maßgebliches Mitwirken und eine stärkere Präsenz von Teilnahme an CoronaRechtsextremisten bei Corona-Demonstrationen konnte in Demonstrationen in Bayern im Berichtsjahr nur in Einzelfällen festgestellt werden. Bayern Dabei initiierten rechtsextremistische Akteure erfolgreich Kundgebungen und mobilisierten auch Personen, die bislang noch nicht in extremistischen Zusammenhängen aufgefallen waren. In 113 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Niederbayern organisierte das rechtsextremistische "Aktionsbündnis Niederbayern" über einen längeren Zeitraum kontinuierlich Veranstaltungen. Eine solche eindeutige rechtsextremistische Prägung der Proteste stellt in Bayern bislang die Ausnahme dar. Der Nürnberger Kreisverband der NPD (NPD Nürnberg) berichtete am 18. Mai auf Facebook über seine Beteiligung an "diversen Protesten" am 16. Mai in Nürnberg. Ebenfalls am 18. Mai veröffentlichte die NPD Nürnberg auf ihrem YouTube-Kanal ein Video mit dem Titel "Teile & Herrsche in Nürnberg // Corona-Protest am 16.05.2020", welches sich mit dem Demonstrationsgeschehen in Nürnberg vom 16. Mai befasst. Das Video läuft unter dem Label "Nationalisten TV", zeichnet das Bild eines angeblich unverhältnismäßigen Polizeieinsatzes und schließt mit dem Aufruf: Macht mit und unterstützt uns - nieder mit der Corona-Diktatur, nieder mit der Merkel-Regierung! Auch Anhänger der neonazistischen Kleinstpartei "Der Dritte Weg" (III. Weg) nahmen an Anti-Corona-Veranstaltungen teil: So u. a. am 16. Mai in Nürnberg an der Meistersingerhalle, an der Wöhrder Wiese und am Marienpark. Am 16. Mai und am 1. November befanden sich Mitglieder der Partei im Umfeld zweier Großdemonstrationen auf der Münchner Theresienwiese. Dort verteilten sie u. a. Flyer mit der Aufschrift "Das System ist gefährlicher als Corona". Teilnahme an CoronaRechtsextremisten aus Bayern besuchten auch mehrere (Groß-) Demonstrationen im Demonstrationen im Bundesgebiet. Sie warben im Vorfeld für Bundesgebiet diese Veranstaltungen, veröffentlichten während ihrer Teilnahme Bilder beziehungsweise Videos in sozialen Medien und priesen den angeblichen Erfolg der Kundgebungen anschließend ebenfalls über ihre Social-Media-Accounts. So beteiligte sich beispielsweise der rechtsextremistische Rapper Chris Ares am 10. Mai an einer Anti-Corona-Demonstration in Bautzen. Und mehrere bayerische Rechtsextremisten nahmen an der Veranstaltung am 29. August in Berlin teil und inszenierten die Vorkommnisse im Rahmen der Demonstration und ihre eigene Teilnahme in den sozialen Medien in typischer propagandistischer Manier. "Sturm auf den Größere Bedeutung für die bayerische RechtsextremistenReichstag" in Berlin Szene (und gleichermaßen für die Reichsbürger, vgl. dort unter "4. Aktuelle Aktivitäten in Bayern") hatten die außerbayerischen Veranstaltungen am 1. und 29. August in Berlin sowie 114 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 am 7. November in Leipzig. Wenngleich nur eine geringe Zahl bayerischer Extremisten an diesen Großdemonstrationen teilnahm, entwickelten die Veranstaltungen innerhalb der Szene eine Signalwirkung. Die vergleichsweise große Zahl der Teilnehmer - laut Polizei 20.000 am 1. August, 38.000 am 29. August und 20.000 am 7. November - und die am 29. August entstandenen Bilder des "Reichstagssturm" erzeugten vor allem im Nachgang eine breitere Thematisierung und Positionierung seitens verschiedener bayerischer extremistischer Akteure beziehungsweise außerbayerischer extremistischer Akteure mit Bayernrelevanz. Der vermeintliche Schulterschluss von Personen mit unterschiedlichem Milieuhintergrund und die große Anzahl von Teilnehmern wurden in der Szene als "bahnbrechende Kehrtwende" und "wegweisend" gedeutet. So begrüßte beispielsweise Chris Ares die Demonstration vom 1. August und bewertete positiv, dass "Linke und Rechte gemeinsam auf der Straße waren". Antisemitismus Basierend auf der Arbeitsdefinition der "International Holocaust Remembrance Alliance" (IHRA) orientiert sich die bayerische Staatsregierung an folgender Begriffsbestimmung: Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein. Antisemitismus spielt als Ideologieelement im RechtsextremisRassistischer mus eine zentrale Rolle. Dabei kann er in unterschiedlichen ForAntisemitismus men zum Ausdruck kommen. Werden Juden angeblich genetisch bedingte, "unabänderliche" - meist negative - Eigenschaften zugeschrieben, wird von rassistischem Antisemitismus gesprochen. Während dieser vor allem in neonazistischen Kreisen noch immer propagiert wird, hat seine Bedeutung als Agitationsmuster im Rechtsextremismus insgesamt abgenommen. Der soziale und politische Antisemitismus hat dagegen an BeSozialer und deutung gewonnen. Diese Form des Antisemitismus kommt in politischer Antiverschwörungstheoretischen Agitationsmustern zum Ausdruck, semitismus 115 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus die Medien und Politik in den Fängen konspirativer "jüdischer Banker" sehen oder von einer im Geheimen agierenden "jüdischen Weltregierung" ausgehen. Dabei werden "die Juden" als einflussreiche und im Hintergrund agierende Gruppe dargestellt, die Regierungen, Medien und die Finanzindustrie kontrolliere. Durch die künstliche Überhöhung des vermeintlichen Einflusses jüdischer Gruppen und Einzelpersonen wird pauschal "den Juden" in verhetzender Weise die Verursachung komplexer gesellschaftlicher und politischer Probleme zugeschrieben. Durch diese Strategie versuchen Rechtsextremisten, antisemitische Propaganda in einer Form zu nutzen, die ihnen für breitere Gesellschaftsgruppen anschlussfähig erscheint. Sekundärer AntiDie Leugnung des Holocausts wie auch die Unterstellung, die semitismus und Auseinandersetzung mit und die Erinnerung an den MassenAntizionismus mord an den Juden sei nur eine Strategie zur Schwächung der nationalen Identität, stellt eine weitere, als sekundärer Antisemitismus bezeichnete Form von Judenfeindlichkeit dar. Darüber hinaus kann Antisemitismus im Gewand des Antizionismus auftreten. Dabei nutzen Rechtsextremisten die im politischen und gesellschaftlichen Alltag geäußerte Kritik an der Politik Israels, um die Existenzberechtigung des Staates Israel in Frage zu stellen. Die grundsätzliche Ablehnung Israels durch Rechtsextremisten basiert auf der prinzipiellen Ablehnung des Judentums. Antijüdische Antisemitismus kann demnach unterschiedliche AusprägunMetaphern und gen annehmen und beschränkt sich nicht auf offenen Hass und Bildsprache Gewalt gegen Juden. So ist beispielsweise die in rechtsextremistisch geprägten Diskursen häufig vorzufindende Unterstellung, eine jüdische Finanzelite würde Fluchtbewegungen nach Europa finanzieren, um eine gezielte "Überfremdung" der Bevölkerung herbeizuführen, als antisemitisch zu werten. Dasselbe gilt auch, wenn Rechtsextremisten zwar nicht direkt von "den Juden" sprechen, aber Chiffren und Metaphern nutzen, um den antisemitischen Kern ihrer Propaganda zu verschleiern. Beispiele hierfür sind Verweise auf die "amerikanische Ostküste", eine "zionistische Lobby" oder eine "Hochfinanz", die als Verantwortliche für derartige Machenschaften genannt werden. So wird dem amerikanisch-ungarischen Milliardär jüdischen Glaubens, George Soros, der zivilgesellschaftliche Akteure in mehreren Staaten fördert, in antisemitischen Verschwörungstheorien unterstellt, als Kopf einer "jüdischen Finanzelite" u. a. gezielt die Masseneinwanderung nach Europa zu befördern. Auch werden im konkreten Kontext negativ besetzte Bilder, die Juden als "Marionettenspieler" oder Spinnen zeigen, für antisemitische Agitation eingesetzt. Diese bereits aus dem Nationalsozialismus bekannte Bildsprache soll die angebliche Verschwörung der Juden zum Erreichen der Weltherrschaft verdeutlichen. 116 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Ein Beispiel für eine offen antisemitisch agierende Gruppierung Antijüdische auf der Social-Media-Plattform vk.com ist die sogenannte "Goyim"-Partei "Goyim Partei Deutschlands" (GPD). Der Begriff "Goyim" leitet sich von "Goi" ab, eine jüdische Bezeichnung für "Nichtjude". Das Selbstverständnis als "Partei" deutet darauf hin, dass es sich bei der GPD um einen Zusammenschluss von "Nichtjuden" handelt, der das Ziel anstrebt, gemeinsam gegen Juden vorzugehen. Auf der vk.com-Seite der GPD wird massiv antisemitische Hetze betrieben. Insgesamt bieten die zahlreichen einsehbaren Fotos, Videos und Postings Anhaltspunkte für Verstöße gegen SS 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen), SS 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten) und SS 130 StGB (Volksverhetzung). Am 16. Juli hat der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof zwei Beschuldigte als Rädelsführer festnehmen und bei weiteren sechs Mitgliedern Durchsuchungen vornehmen lassen. Ihnen wird die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gemäß SS 129 Abs. 1 StGB vorgeworfen. Ein weiteres Beispiel für eine gewaltbereite antisemitische Gruppierung ist die "Feuerkrieg Division" (FKD). Ideologisch lehnt sich die FKD an die US-amerikanische "Atomwaffen Division" an, die explizit einen nationalsozialistisch begründeten Antisemitismus vertritt. Ein Mitglied der FKD, ein im Februar 2020 festgenommener 22-jähriger Beschuldigter aus dem Landkreis Cham (siehe auch 2.1 Gewaltorientierte rechtsextremistische Szene in Bayern), hatte unter dem Pseudonym "Heydrich" antisemitisches Gedankengut vertreten. Der Aliasname "Heydrich" bezieht sich mutmaßlich auf den ranghohen NS-Funktionär Reinhard Heydrich, der maßgeblich an der Organisation des Holocausts beteiligt war. Der rechtsextremistische Aktivist und Videoblogger Nikolai Nerling ("Der Volkslehrer") wurde vom Amtsgericht Dachau im Dezember 2019 wegen Volksverhetzung verurteilt, weil er im Rahmen eines Besuchs der KZ-Gedenkstätte Dachau im Februar 2019 den Holocaust leugnete. Im Berufungsverfahren vor dem Landgericht München II im November 2020 wurde dieses Urteil, gegen das Nerling laut eigener Aussage in Revision gehen möchte, bestätigt. Agitation gegen die Black-Lives-Matter-Bewegung Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd, der am 25. Mai im Zuge eines Polizeieinsatzes im US-amerikanischen Minneapolis erstickte, kam es weltweit zu vielfältigen 117 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Solidaritätsund Protestbekundungen, bei denen zumeist auf die sogenannte "Black Lives Matter"-Bewegung (BLM) Bezug genommen wurde. Auch in Deutschland fanden zahlreiche Kundgebungen mit BLM-Bezug statt. Akteure aus dem rechtsextremistischen Spektrum griffen die BLM-Proteste in Form von Gegenkampagnen auf. Sie versuchten dabei die BLM-Proteste vor allem im Rahmen von Artikelbeiträgen, Social-MediaKampagnen und Kundgebungsveranstaltungen in Misskredit zu bringen. Sie agitierten hierbei mitunter auch gegen Medien und staatliche Institutionen und verbreiteten klar rassistische Ideologieelemente. Im Vordergrund ihrer Anti-BLM-Agitation stand der Versuch, Opfer-Täter-Verhältnisse in Bezug auf Rassismus und rassistisch-motivierte Gewalt zu relativieren beziehungsweise gänzlich umzudeuten. Der NPD-Kreisverband Nürnberg veröffentlichte am 9. Juni ein knapp 5-minütiges Video mit dem Titel "NPD gegen den #blacklivesmatter Wahn" auf YouTube und verlinkte dieses auch auf seiner Facebook-Seite. Das Video zeigt eine Plakataktion am Rande einer Kundgebung auf der Wöhrder Wiese in Nürnberg, die am 6. Juni im Zusammenhang mit der BML-Protestbewegung stattgefunden hatte. Zu sehen sind drei Aktivisten der NPD, die ein etwa 1,5 Meter mal 4 Meter großes Banner vor der Kaiserburg tragen. Das Banner hat die Aufschrift "WHITE LIVES MATTER too" und zeigt daneben eine junge blonde Frau. Im Juni erschien im NPD-Magazin "Deutsche Stimme" ein Beitrag von Sascha Roßmüller, dem Landesvorsitzenden der bayerischen NPD, zum Thema BLM unter dem Titel "Rassenunruhen greifen auf Europa über!" Roßmüller agitiert in dem Beitrag gegen die BLM-Aktivisten sowie gegen Medien, die angeblich die Gewalt der BLM-Proteste und ihre vermeintliche Unterwanderung durch Linksextremisten verschweigen beziehungsweise verharmlosen würden. Ebenso enthält der Beitrag den von Rechtsextremisten in vielfacher Hinsicht geäußerten und antisemitisch konnotierten Vorwurf, der jüdische US-Milliardär George Soros unterstütze linksextremistische Bewegungen finanziell. Des Weiteren versucht Roßmüller, das RassismusProblem in Bezug auf Gewalt gegen Schwarze zu verharmlosen beziehungsweise gänzlich umzudeuten. Er behauptet u. a., die aktuellen Unruhen in den USA und Europa seien provoziert, um aktiv gegen Weiße vorzugehen und einen Rassismus gegen Weiße zu etablieren: 118 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Festzustellen ist, dass eine legitime Kritik gegen eine unangemessene polizeiliche Maßnahme aufgrund eines schwarzen Opfers missbräuchlich instrumentalisiert wird, um zum Rassenhass gegen Weiße aufzuwiegeln. Auch die Identitäre Bewegung (IB) agitierte wiederholt gegen die BLM-Bewegung. Sie rief u. a. die Kampagne "Niemals auf Knien" ins Leben. Der Name der Kampagne bezieht sich auf die im Zuge der BLM-Bewegung verbreitete Kniefallgeste, die Solidarität mit der Bewegung zeigen soll. Im Rahmen der Kampagne positionierten sich die Aktivisten der IB in einigen deutschen Städten außerhalb Bayerns in unmittelbarer Nähe von BLM-Demonstrationen, um Transparente mit dem Namen der Kampagne und dem dazugehörigen Logo, einem Spartaner-Helm, zu zeigen. In einem Online-Beitrag zur Kampagne behauptet die IB im üblichen Duktus ihres Verschwörungsnarratives des "Großen Austauschs", dass es das Ziel der BLM-Bewegung sei, vor allem "antiweißen Rassismus und linke Selbsthassideologie" zu verbreiten und auch in Europa Schuldgefühle bei der weißen Bevölkerung zu erzeugen, um sie letztlich zu unterwerfen und auszulöschen. Im Zusammenhang mit der Anti-BLM-Agitation der IB führte die IB Bayern am 20. Juni eine Kundgebung zum Thema "Gedenken" am Pasinger Marienplatz durch. An der Kundgebung nahmen rund 20 Aktivisten der IB sowie in der Spitze 50 opponierende Personen teil. Die Versammlungsteilnehmer zeigten sechs Plakate, auf denen die Namen und Portraits von Personen dargestellt wurden, welche angeblich durch Täter mit Migrationshintergrund ermordet wurden. Zwei Aktivisten der IB trugen T-Shirts mit der Aufschrift "European Lives Matter". Agitation gegen Flüchtlinge Das rassistische Weltbild von Rechtsextremisten und ihr Nationalismus machen Asylsuchende zu einem klassischen Feindbild der rechtsextremistischen Szene. Vor dem Hintergrund der gestiegenen Flüchtlingszahlen hatte die Agitation gegen Flüchtlinge ab Sommer 2015 an Schärfe zugenommen. Seit dem Rückgang der Einreisen von Flüchtlingen im Jahr 2016 stagnieren die diesbezüglichen Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene in Bayern. So fanden insbesondere Flugblattverteilungen zu diesem Themenfeld statt. 119 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus RechtsextremisDie NPD, "Der Dritte Weg" sowie die aus der Gruppierung tische Patrouillen"Soldiers of Odin" hervorgegangenen Gruppen "Viking Security und Streifengänge Germania" und "Wodans Erben Germanien" veranstalteten in den letzten Jahren wiederholt Patrouillenund Streifengänge in bayerischen Städten. Im Rahmen dieser Aktionen versuchten die Rechtsextremisten den Eindruck zu vermitteln, die aktuelle Flüchtlingssituation führe zu einer dauerhaft erhöhten Bedrohungsund Gefährdungslage auf deutschen Straßen, über die der Staat die Kontrolle verloren habe. Damit stellten sie das staatliche Gewaltund Ordnungsmonopol grundsätzlich in Frage. Teilweise hatten die Durchführungsorte Bezüge zu Vorfällen oder Straftaten, bei denen Asylsuchende oder Personen mit Migrationshintergrund unter Tatverdacht standen. Im Berichtsjahr waren die Aktivitäten rückläufig. In sozialen Netzwerken wird asylfeindliche und rassistische Hetze auch von Personen verbreitet, die nicht in rechtsextremistischen Strukturen organisiert sind. Thematischer Ausgangspunkt der meisten rechtsextremistischen Beiträge zum Thema Asyl sind dabei Straftaten, die tatsächlich oder mutmaßlich durch Flüchtlinge begangen wurden. Die Beiträge, Kommentare und Diskussionen, die sich hierbei entspinnen, werden häufig aggressiv geführt und sind geprägt durch sogenannte "Hass-postings", bewusst verbreitete Falschmeldungen und -darstellungen sowie Protestund Gewaltaufrufe. In diesem Zusammenhang werden auch der deutsche Staat und seine Exekutivorgane diffamiert. Es wird versucht, das Bild eines permanent versagenden Rechtsstaates zu vermitteln. Kampagnen Rechtsextremistische Hetze und Agitation gegen Flüchtlinge sind "Volkstod", "Großer häufig eng mit der Vorstellung des "Volkstodes" verbunden. Im Austausch" und deutschen Rechtsextremismus ist dieses Konzept seit einigen "Umvolkung" Jahren ein zentrales Agitationselement. Dabei wird angenommen, dass das deutsche Volk aufgrund von niedrigen Geburtenzahlen und stetiger Zuwanderung "volksfremder" Migranten aussterben werde. Diese Entwicklung werde von den demokratischen Politikern gewollt und forciert. Die rechtsextremistische Szene greift die "Volkstod"-These regelmäßig im Rahmen von Aktionen und Kampagnen auf. 120 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Eine weitere Parole, die die rechtsextremistische Anti-Flüchtlingsagitation inzwischen ebenfalls prägt, ist die des "Großen Austauschs". Dieses dem "Volkstod" nahestehende Konzept geht zurück auf den französischen Schriftsteller Renaud Camus, der den Begriff mit seinem Buch "Revolte gegen den Großen Austausch" prägte. Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) benutzt ihn für ihre Kampagnen. Die Grundannahmen des "Großen Austauschs" sind denen des "Volkstodes" ähnlich: Die "ethnokulturelle" Identität der europäischen Völker sei durch eine Masseneinwanderung kulturfremder Einwanderer bedroht. Diese Bedrohung werde ferner durch die schwachen Geburtenjahrgänge der "ethnokulturellen" Europäer verstärkt. Ein maßgeblicher Indikator dieses "Großen Austauschs" sei die, durch die Identitären ebenfalls bekämpfte, angebliche Islamisierung Europas. Diese Entwicklung wird nach der Meinung der IBD durch die sogenannten "Multikultis", also die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Eliten, gesteuert. Das Ziel sei es, die angestammten Völker und Kulturen Europas soweit zu ersetzen, dass am Ende eine steuerund austauschbare "Konsumentenmasse" entstehe. Sowohl der "Volkstod"-Gedanke als auch die Annahmen des "Großen Austausches" decken sich in weiten Teilen mit der ebenfalls im Rahmen extremistischer Anti-Flüchtlingsagitation häufig artikulierten Losung der "Umvolkung". Der Begriff "Umvolkung" entstammt ursprünglich dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch und steht für das Programm, das auf "Germanisierungsmaßnahmen" und die räumliche Trennung von ethnischen Gruppen beziehungsweise deren Auslöschung in den eroberten Ostgebieten abzielte. Er wird von Rechtsextremisten benutzt, um gegen die behauptete Verdrängung von Deutschen durch "Nicht-Deutsche" in Deutschland zu agitieren. Islamfeindlichkeit Rechtsextremistische Islamfeindlichkeit ist eine moderne Form der Fremdenfeindlichkeit. Rechtsextremisten verknüpfen dabei häufig auch die Agitation gegen Asylbewerber mit der Agitation gegen den Islam. Die Ablehnung der Muslime basiert auf dem rassistischen "Volksgemeinschafts"-Gedanken: Demzufolge gehören Muslime einer "raumfremden" Religion an und werden als "undeutsch" abgelehnt. Rechtsextremisten beteiligen sich beispielsweise an Diskussionen um den Bau von Moscheen, versuchen dort, das Wort zu ergreifen und die Veranstaltungen als Plattform für ihre Agitation zu nutzen. Muslime werden dabei pauschal als Bedrohung der Inneren Sicherheit dargestellt. 121 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) beschwört in ihrer politischen Agitation die Gefahr einer Islamisierung Europas, die die Folge von Migrationsbewegungen aus muslimisch geprägten Staaten sei und die "ethnokulturelle Identität" der europäischen Völker bedrohe. Die IBD bemüht in diesem Zusammenhang immer wieder historische Ereignisse und stellt vermeintliche historische Verbindungen her. Wiederkehrende Motive sind dabei u. a. die Kämpfe des christlichen Europa gegen das Osmanische Reich in den Türkenkriegen des 16. und 17. Jahrhunderts sowie die "Reconquista", also die Rückeroberung der Iberischen Halbinsel von den maurischen Herrschern in der Zeit zwischen dem 8. und 15. Jahrhundert. Auf den Facebook-Seiten des bayerischen NPD-Landesverbandes und der NPD-Kreisverbände Bamberg/Forchheim sowie Nürnberg/Fürth erschienen am 22. Oktober Informationen zu einer Banneraktion in Nürnberg. Die durch ein Video dokumentierte und zunächst auf dem YouTube-Kanal der NPD Nürnberg veröffentlichte Aktion fand an einer Nürnberger Moschee statt und richtete sich gegen einen Moscheeneubau und den Islam im Allgemeinen. Nach Sperrung des Videos durch YouTube erfolgte eine Veröffentlichung auf Telegram. Das Video zeigt mehrere Aktivisten, die ein Banner mit der Aufschrift "Islamisierung? Nein Danke! Keine fremden Tempel in unseren Städten!" und den Symbolen der NPD und der "Jungen Nationalisten" (JN) trugen. An einem das Moscheegrundstück begrenzenden Bauzaun waren außerdem NPD-Plakate mit den Aufschriften "Schächten verbieten! Halal-Produkte zum Teufel jagen!", "Nein zur Moschee! Widerstand - jetzt -" sowie "Guten Heimflug!" befestigt worden. Antiziganismus Der Antiziganismus, also die Agitation beziehungsweise Feindschaft gegen Sinti und Roma, ist ein fester Bestandteil rechtsextremistischer und rassistischer Ideologie. Diese Feindschaft äußert sich in der rechtsextremistischen Szene in Bayern in der Regel nur anlassbezogen und führt dabei auch zu konkreten Aktionen. Sie spielt im Verhältnis zur sonstigen verfassungsfeindlichen Agitation jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Antiziganismus war nach dem Anschlag von Hanau feststellbar. Zwei der Opfer zählten zur Volksgruppe der Roma. Durch Meldungen im Internet wurden diese verunglimpft, indem sie als "Zigeuner" beschimpft wurden. Zudem wurde ihnen unterstellt, sie gehörten einem Clan an und gemutmaßt, dass über sie eine "dicke Polizeiakte" existieren würde. 122 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Orientierung an Ideologie, Sprache und Aktionsformen des Nationalsozialismus Neonazistische Akteure versuchen, in ihrer Ideologie, ihren Aktionsformen und in der von ihnen verwendeten Sprache an ihre historischen Vorbilder aus der Zeit des Nationalsozialismus anzuknüpfen. Ideologische und symbolische Bezugnahmen zum Nationalsozialismus können dabei von strafrechtlicher Relevanz sein. Oft umgehen Neonazis aber eindeutig verbotene NSAssoziationen beziehungsweise loten die Grenzen des Erlaubten aus, indem sie die Bezugnahmen auf die NS-Zeit möglichst indirekt halten und sich auf die Verwendung von nicht verbotenen Motiven beschränken. Eines der Ziele, die Neonazis mit dieser Strategie verfolgen, ist, dass Ideologieund Sprachelemente aus der NS-Zeit Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch und die öffentliche Debatte finden. Besonders deutlich ist dies bei der neonazistischen Partei "Der 10-PunkteDritte Weg" (III. Weg). Die Partei hat ihre politischen ZielsetProgramm des zungen in einem 10-Punkte-Programm niedergelegt, das ein"III. Weg" deutige Parallelen zum 25-Punkte-Programm der NSDAP aufKonzept des "Deutweist. Beide Programme propagieren eine auf gemeinsamer schen Sozialismus" Abstammung basierende Volksgemeinschaft und enthalten u. a. gebietsrevisionistische Forderungen, die auf die Vereinigung aller "Volksdeutschen" in einem Staat abzielen. Noch auffälliger werden die Parallelen zum NSDAP-Programm am Thesenpapier des "III. Weg" zum "Deutschen Sozialismus". In diesem Thesenpapier werden viele arbeits-, wirtschaftsund sozialpolitische Punkte des NSDAP-Programms wieder aufgegriffen und an die heutige Zeit angepasst. Der einzelne Mensch wird nur als Teil des Volkskörpers gesehen, in den er sich einzufügen hat. Das Konzept des "Deutschen Sozialismus" spielt eine zentrale Rolle in der Agitation des "III. Weg". Neonazistische Gruppen pflegen eine Erinnerungskultur, die sich "Heldengedenken" stark an Personen und Ereignissen aus der NS-Zeit orientiert und einseitige beziehungsweise revisionistische Geschichtsbilder vermittelt. Hierzu zählt u. a. die Durchführung von sogenannten "Heldengedenken". Bei rechtsextremistischen "Heldengedenk"-Aktionen wird in der Regel ausschließlich der gefallenen deutschen Soldaten in den beiden Weltkriegen gedacht, die als Helden für Volk und Vaterland dargestellt werden. Dabei werden die Angehörigen der Waffen-SS ausdrücklich mit einbezogen. Das Heldengedenken selbst geht dabei ebenfalls auf den Nationalsozialismus zurück. Die Nationalsozialisten interpretierten dabei den zuvor in der Weimarer Republik praktizierten Volks123 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus trauertag um, der ursprünglich den Gefallenen des Ersten Weltkriegs gewidmet war, und stellten die Heldenverehrung anstelle des Totengedenkens in den Mittelpunkt. Am 15. März trafen sich Mitglieder und Unterstützer der bayerischen Stützpunkte des "III. Weg" zum jährlich zu diesem Zeitpunkt stattfindenden "Heldengedenken" an verschiedenen Kriegsgräberstätten. Der "III. Weg" informierte auf seiner Webseite, auf Telegram, vk.com und Twitter über Aktivitäten, wie beispielsweise das Aufstellen von Gedenktafeln und Kerzen. Bisher veranstaltete der "III. Weg" zudem jedes Jahr im November, in zeitlicher Nähe zum Volkstrauertag, ein "Heldengedenken" im oberfränkischen Wunsiedel, das als "Märtyrerstadt" umgedeutet wird. Die Auswahl des Ortes bezieht sich auf den Standort des Grabs des ehemaligen Stellvertreters von Adolf Hitler, Rudolf Heß, das sich bis 2011 in Wunsiedel befand. Im Jahr 2020 wurde die Veranstaltung "Heldengedenken" vom "III. Weg" infolge der coronabedingten versammlungsrechtlichen Einschränkungen abgesagt. Stattdessen erinnerten Aktivisten des "III. Weg" durch das Aufstellen von Kerzen und kleinen Gedenkaktionen an verschiedenen Kriegerdenkmälern in Bayern an die gefallenen deutschen Soldaten. Fußball Der "III. Weg" widmete sich mit Beginn der Fußballsaison 2020/21 auf seiner Webseite verstärkt dem Thema Fußball. Im Mittelpunkt der Kampagne stand dabei der Münchner Fußballverein "Türkgücü München e. V." (deutsch: "türkische Kraft"), der zur Saison 2020/2021 in die 3. Liga und damit in den Profifußball aufgestiegen ist. So schrieb die Partei, dass der Verein als "Immigrantenverein" "in Deutschland allgemein und erst Recht in München nicht willkommen" sei. In der Internetsendung "Revolution auf Sendung" des "III. Weg" wurde als Motivation für die Kampagne angegeben, es fände durch die Zugehörigkeit des "Türkenvereins" in einer Profiliga eine zunehmende "Überfremdung" des Fußballs statt. Über den Materialvertrieb des "III. Weg" sind Aufkleber sowie Flyer mit der Aussage "Unser Stadion - unsere Regeln - Türkgücü München nicht willkommen" erhältlich. Diese tauchten bereits in der Umgebung des Grünwalder Stadions in München auf, wo der Verein einen Teil seiner Heimspiele bestreitet. "Türkgücü München e. V." ist der Nachfolgeverein des "SV Türk Gücü München", welcher 1975 von türkischen Migranten gegründet worden war. Seit dem Einstieg eines türkischen Unternehmers als Mäzen und Vorstand des Vereins hat dieser 124 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 beachtenswerte sportliche Erfolge zu verzeichnen und ist in kurzer Zeit von der Landesliga bis in die 3. Liga aufgestiegen. Der "III. Weg" versucht in seiner rassistisch motivierten Kampagne gegen den Verein "Türkgücü München e.V.", fremdenund migrantenfeindliche Agitation mit der in der Fußball-Fanszene weitverbreiteten Kritik an der Kommerzialisierung des Fußballs zu verbinden. Daher steht der türkische Mäzen des Vereins ebenfalls im Fokus der Kampagne. Im September erregten Trauerbekundungen für einen verstorbenen Fan des 1. FC Nürnberg öffentliches Aufsehen. Dieser wurde mit einem Banner am Außenzaun zur Nordkurve, einem virtuellen Kondolenzbuch und durch die Teilnahme von Fans an seiner Beisetzung geehrt. Bei dem Fan des 1. FC Nürnberg handelte es sich um einen bundesweit vernetzten bayerischen Rechtsextremisten. Dieser war seit langer Zeit ein fester Bestandteil der subkulturellen Musikszene und verfügte über gute Szenekontakte im Inund Ausland. 3.2 Rechtsextremistische Aktionsformen 3.2.1 Rechtsextremistische Bürgerwehrund PatrouilleAktionen Im Rahmen von rassistisch motivierten Bürgerwehrund Leugnung des staatPatrouille-Aktionen und Sicherheitsinitiativen schüren Rechtslichen Gewaltmonoextremisten Ängste vor Migranten und suggerieren, dass der pols Staat und seine Sicherheitsorgane nicht mehr in der Lage seien, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Sie inszenieren sich dabei als Mahner, Kümmerer und vor allem als vermeintliche Gewährleister von Schutz und Ordnung im öffentlichen Raum. Die Aktionen der verschiedenen Gruppen haben das gemeinsame Ziel, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung nachhaltig zu beeinflussen und den Rechtsstaat und das staatliche Gewaltmonopol generell in Frage zu stellen. Im Vordergrund steht meist der virtuelle Effekt der Aktionen. Diese Aktionen werden dokumentiert und über die sozialen Medienkanäle der jeweiligen Organisationen verbreitet. Nach Möglichkeit soll Resonanz in der Berichterstattung klassischer Medien hervorgerufen werden. Ihre Aktionsformate richten sich danach, Präsenz im öffentlichen Raum zu zeigen, um nicht zuletzt auch Nichtdeutsche, Personen mit vermeintlich nichtdeutschem Aussehen sowie politische Gegner einzuschüchtern. 125 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus "Schutzzonen"Die NPD propagiert bereits seit August 2017 die Errichtung sogeAktion der NPD nannter "Schutzzonen" für Deutsche. Ausgehend von der Behauptung, es bestehe eine "Notwehrsituation" in Deutschland, fordert die Partei ihre Mitglieder und Anhänger dazu auf, selbst aktiv zu werden. Auf einer Internetseite der Partei finden sich u. a. konkrete Hinweise, wie eine Schutzzone praktisch umzusetzen sei und welche juristischen Aspekte dabei Berücksichtigung finden müssten. Ferner hat die NPD zur Bewerbung der Aktion einen Internetshop eingerichtet, wo Sympathisanten Westen, Baseballmützen, Flyer und Sticker mit dem Schutzzonen-Logo sowie Reizgas und Taschenalarme bestellen können. Anfang August führten drei Aktivisten des NPD-Kreisverbandes Nürnberg eine "Schutzzonen"-Aktion im Stadtteil Hasenbuck durch. Ein weiterer Aktivist filmte das Geschehen und der NPD-Kreisverband Nürnberg veröffentlichte das Video am 16. August auf YouTube. Mit der Aktion wird Bezug auf das "Volkstod"-Konzept genommen, zunehmende Migration wird mit einem negativen Sicherheitsgefühl sowie mit "importierten Sexualstraftätern" in Beziehung gesetzt. Mit der "Schutzzone"-Kampagne verbunden wird der Appell, Deutsche sollten sich Stadtviertel "zurückerobern". "Nationale Streifen" Die Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) führte "Nationale Streides "III. Weg" in fen" durch. Hierbei handelt es sich um Patrouillengänge von Bayern Parteimitgliedern, die den Eindruck vermitteln sollen, staatliche Strukturen seien nicht in der Lage, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Teilweise weisen die Durchführungsorte einen Bezug zu sicherheitsrelevanten Vorfällen auf, bei denen Asylsuchende oder Personen mit Migrationshintergrund unter Tatverdacht stehen. Dieses Jahr führten Aktivisten der Partei "Nationale Streifen" in Augsburg, Fürth, Kempten, Lohr am Main, München und Unterschleißheim durch. Auch hierbei thematisierten die Aktivisten auf der Parteiwebseite erneut mutmaßlich durch Asylbewerber begangene Straftaten, um ihre Aktionen zu rechtfertigen und gegen Flüchtlinge zu hetzen. Die Streife in Augsburg, bei der auch Flugblätter verteilt wurden, fand am 4. Januar statt. Auf der Parteiwebseite veröffentlichte Fotos zeigen bis zu neun Teilnehmer, teilweise mit Parteibekleidung, die sich u. a. im Stadtzentrum am Tatort eines Tötungsdeliktes vom 6. Dezember 2019 versammelten. Im Münchner Westen führten acht Aktivisten der 126 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Partei am 8. Januar eine "Nationale Streife" mit Flugblattverteilung durch. Nachdem die Gruppe von der Polizei kontrolliert und die Personalien erhoben worden waren, meldete ein Aktivist die Aktion als Eilversammlung an. Über eine "Nationale Streife" in Kempten informierte der "III. Weg" am 12. Januar. Angebliche "Übergriffe von Fremdländern" bildeten laut "III. Weg" auch den Hintergrund für eine "Nationale Streife" in Lohr am Main am 26. September. Im Vorfeld des Streifengangs verteilte der Stützpunkt Mainfranken von Juli bis September bereits themenbezogene Flugblätter in Lohr und kündigte weitere Aktivitäten an. Am selben Wochenende wurden auch Plakate in Marktheidenfeld angebracht, mit Forderungen wie "Kriminelle Ausländer raus! - Unterstützt den III. Weg!" Ein Streifengang des "III.Weg" in München am 5. Februar richtete sich gegen den politischen Gegner von "Links", "um klarzumachen, dass es keine bequemen Rückzugsorte für antideutsche Täter gibt". Streifen in Unterschleißheim am 14. Oktober und in Fürth am 5. Dezember waren Reaktionen auf einen Farbanschlag auf das Elternhaus eines Aktivisten und auf einen angeblichen linksextremistischen Angriff auf Aktivisten des "III. Weg" bei einer Flyerverteilung. Die Aktivitäten der bürgerwehrähnlichen Gruppierungen "Wodans Erben Germanien - Division Bayern" (WEG) und der "Vikings Security Germania Division Bayern" (VSG) waren im Berichtsjahr stark rückläufig. Dies dürfte einerseits mit den Beschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu tun haben, andererseits aber auch mit gruppeninternen Vorgängen. Die WEG trat im Berichtsjahr nur in Form einer Einzelperson öffentlich in Erscheinung. Diese beteiligte sich, mit einer WEGJacke bekleidet, am 9. Mai an einer Demonstration gegen die Beschränkungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der CoronaPandemie auf dem Münchner Marienplatz. "Streifengänge" der Gruppierung wie in den letzten Jahren wurden im Berichtsjahr nicht bekannt. Die VSG löste sich Ende Februar selbst auf. Das bis dahin bestehende Facebook-Profil der Gruppierung ist nicht mehr aufrufbar. Ein nach wie vor existierendes Instagram-Profil ist veraltet. Der letzte Eintrag auf dem Profil stammt aus dem Dezember 2018 und zeigt eine "Patrouille" in Landshut. 2020 trat die VSG in Bayern nicht mehr öffentlich in Erscheinung. 127 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus 3.2.2 Rechtsextremistische Aktivitäten bei Veranstaltungen Rechtsextremisten missbrauchen gesellschaftliche Veranstaltungen und öffentliche Plätze als Plattform und Kulisse, um ihre politischen Botschaften zu verbreiten. WortergreifungsSie knüpfen damit an die unter anderem vom ehemaligen strategie NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt propagierte "Wortergreifungsstrategie" an, nach der sich Rechtsextremisten unauffällig an öffentlichen Veranstaltungen beteiligen und diese als Plattform zur Verbreitung ihrer Propaganda nutzen sollen. "Wortergreifung" meint dabei die gezielte verbale Konfrontation mit Vertretern der demokratischen Zivilgesellschaft in Diskussionsrunden und Informationsveranstaltungen. Dabei machen sie sich zunutze, dass für diese Aktionsformen in der Regel keine behördliche Anzeige oder Anmeldung notwendig ist, und versuchen dadurch, das Risiko eines vorherigen Verbots oder Ausschlusses zu verringern. Dabei geben sich die Rechtsextremisten nicht offen zu erkennen, sondern tarnen sich als "besorgte Bürger". Auch in Internetforen, am Arbeitsplatz oder in Vereinen versuchen Rechtsextremisten, Diskussionsteilnehmer zu verunsichern, inhaltlich zu dominieren und letztlich die Meinungsführerschaft zu übernehmen. In Nürnberg fand am 17. Januar eine Großkundgebung statt, bei der Landwirte gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung protestierten. Die rechtsextremistische Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) versuchte sich die Thematik zunutze zu machen und äußerte sich am 19. Januar auf ihrer Internetseite im Artikel "Nürnberg: Deutsche Bauern radikalisieren sich" zu der Kundgebung. Laut "III. Weg" seien die Teilnehmer am ehemaligen Reichsparteitagsgelände zusammengekommen, "um gegen die volksfeindliche Agrarpolitik der aktuellen Regierung zu demonstrieren". Ihr wurde die Agrarpolitik der Nationalsozialisten als vermeintlich positives Beispiel gegenübergestellt. Am 20. Januar fand in Deggendorf eine stationäre Bauernkundgebung statt. Parteiaktivisten des "III. Weg" versuchten erfolglos daran teilzunehmen und meldeten daraufhin eine eigene Eilversammlung an. Diese fand als Mahnwache des "III. Weg" mit einer Flugblattverteilung statt. Bereits im Oktober 2019 hatte die Partei auf einer bürgerlichen Demonstration zum Thema "Landwirtschaft verbindet - wir bitten zu Tisch" am Münchner Odeonsplatz Flyer mit dem Titel "Der Bauernstand macht stark das Land - volkstreu und grün" verteilt. 128 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 2020 gingen die öffentlichen Veranstaltungen bedingt durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen staatlichen Beschränkungsmaßnahmen allgemein zurück. Dies war auch innerhalb der rechtsextremistischen Szene feststellbar. Allerdings entstand mit den Demonstrationen gegen die Beschränkungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Pandemie ein neues Aktionsfeld, an das Rechtsextremisten anzudocken versuchten (vgl. unter Nr. 3.1 Reaktionen von Rechtsextremisten auf die Corona-Pandemie). Ein steuernder Einfluss von Rechtsextremisten auf diese Demonstrationen beziehungsweise die dahinterstehende Bewegung konnte in Bayern nicht festgestellt werden. 3.2.3 Freizeitaktivitäten zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und zur Nachwuchsgewinnung Gemeinsame Freizeitaktivitäten haben für die rechtsextremistische Szene mehrere Funktionen: Sie stärken die Gruppenidentität und sollen neue Aktivisten anziehen. Neben dem Besuch von rechtsextremistischen Konzerten spielen dabei auch gemeinsame sportliche Aktivitäten, Wanderungen und Reisen sowie Aktivitäten im Umweltschutz, beispielsweise Aufräumaktionen im Frühjahr unter dem Motto "Umweltschutz ist Heimatschutz", eine zunehmende Rolle. Oft richten sich die Freizeitund Festveranstaltungen ausdrücklich auch an die Ehepartner und Kinder der Aktivisten. Durch die Schaffung eines vorgeblich familienfreundlichen Aktivitätsangebots versuchen rechtsextremistische Gruppen das Gemeinschaftsund Zugehörigkeitsgefühl ihrer Mitglieder zu stärken und gleichzeitig deren Familienangehörige frühzeitig an die Szene zu binden und zu indoktrinieren. Stützpunkte der Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) berichteten regelmäßig über parteiinterne "Gemeinschaftsaktivitäten" wie Museumsund Ausstellungsbesuche und Wanderungen. Die Feiern der rechtsextremistischen Szene stehen oftmals in Verbindung mit vermeintlich vorchristlich germanischen Festen. Dabei konnten jedoch im Berichtsjahr aufgrund der Beschränkungsmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zahlreiche Aktivitäten nicht oder nur in eingeschränktem Maße durchgeführt werden. So fanden 2020 im Gegensatz zu den Vorjahren keine größeren Imitation vorchristVeranstaltungen zum sogenannten "Ostarafest" statt. Der licher "Ostara"und Begriff "Ostara" ist angelehnt an die wissenschaftlich nicht "Sonnwend"-Feiern 129 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus belegte Bezeichnung einer germanischen Gottheit und eine vermeintlich nach dieser benannten keltischen Frühlingstradition. Der "III. Weg" versucht mit derartigen Unternehmungen auch, eine vorgeblich vorchristliche Erinnerungskultur zu pflegen. Die hierbei vermittelten historischen Motive sind jedoch größtenteils mystisch verklärt und durch Überhöhung des Germanentums geprägt. Ebenso begehen Rechtsextremisten jedes Jahr Sonnwendfeiern, wenn auch aufgrund der Corona-Pandemie im Jahr 2020 nur in eingeschränktem Maße. Am 20. Juni veranstaltete der Stützpunkt München/Oberbayern des "III. Weg" an einem Weiher eine kleine Sommersonnwendfeier, an der auch Kinder der Aktivisten teilnahmen. Sonnwendfeiern haben einen festen Platz im Terminkalender der rechtsextremistischen Szene. Im historischen Nationalsozialismus wurden die angeblich altgermanischen Sonnenwendfeiern (in Abgrenzung zum christianisierten Johannisfeuer) "wiederbelebt" und als offizielle Feiertage in die Symbolik von "Volk, Blut und Boden" integriert, insbesondere durch die SS. In dieser Tradition führen Rechtsextremisten die Winterund Sonnwendfeiern als szeneverbindende kulturelle Veranstaltungen durch. Neben Feiern führte der "III. Weg" auch gemeinsame Wanderungen durch, um das Gemeinschaftsgefühl der Mitglieder zu stärken. So veranstaltete der Stützpunkt Nürnberg-Fürth 2020 eine Pfingstwanderung in der Fränkischen Schweiz. Der Stützpunkt Oberfranken führte im Landkreis Bamberg zu Jahresbeginn eine Neujahrswanderung und anlässlich des Vatertages einen Ausflug für Parteimitglieder und deren Familien durch. Während eines Zeltlagers des Stützpunktes Mainfranken für die fränkischen Stützpunkte des "III. Weg" im August fanden auch eine Rechtsschulung sowie ein Kampfsporttraining statt. Die Identitäre Bewegung (IB) führte 2020 in Bayern aufgrund der Beschränkungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie anders als in den Vorjahren keine Aktivistenwochenenden durch. Auch entfielen sonstige Aktivitäten, die bisher der Gemeinschaftsbildung dienten, wie z. B. Sonnwendfeiern oder gemeinsame sportliche Wettkämpfe. Auf ihren Profilen in den sozialen Medien berichtete die IB Bayern lediglich von einem Bundeslager im Sommer, das nicht in Bayern stattfand. Im Frühjahr fand unter der Beteiligung bayerischer IB-Angehöriger ein Aktivistenwochenende der IB Schwaben in Baden-Württemberg statt. Auf Ihrem Telegram-Kanal veröffentlichte die IB Schwaben hierzu einen kurzen Bericht und drei Fotos und auf ihrem YouTube-Kanal ein Video. 130 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Die "Junge Alternative Bayern" (JA Bayern) besuchte am 26. Januar das Armeemuseum in Ingolstadt. Danach veranstaltete sie erst ab Juli gemeinschaftsbildende Aktivitäten. So fanden Wanderungen im Altmühltal und in Mainfranken, ein Sommerfest in der Nähe von Nürnberg, "Patriotische Aktionstage" in der Region Berchtesgaden und eine "politische Schnitzeljagd" im Oberallgäu statt. Die Teilnehmerzahlen bewegten sich im niedrigen bis mittleren zweistelligen Bereich. 3.2.4 Kampfsportveranstaltungen Kampfsportaktivitäten und -veranstaltungen erweisen sich als zunehmend bedeutsame Aktionsform innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Sie dienen vorgeblich dazu, die Anhänger einzelner Gruppen für den "politischen Kampf" vorzubereiten sowie eine "gesunde Lebensweise" und "geistige Werte" zu vermitteln. Tatsächlich soll jedoch ein rechtsextremistisches Erlebnismilieu geschaffen werden, das die Attraktivität der Gruppen sowohl für gewaltaffine Szeneangehörige als auch für unpolitische Kampfsportinteressierte gleichermaßen erhöhen soll und Möglichkeiten der überregionalen und internationalen Vernetzung bietet. Propagiert wird im Rahmen der jeweiligen Kampfsportinitiativen Rechtsextremistische oftmals eine vermeintlich mystische Pflicht, die "Volksgesund"Körperkultur" heit" und "Wehrhaftigkeit" hochzuhalten und einen "neuen Menschenschlag" zu schaffen, der stark an das im Nationalsozialismus propagierte Ideal des "Herrenmenschen" angelehnt ist. Die sportliche Betätigung in verschiedenen Disziplinen des Kampfsports wird ideologisch im Sinne einer Wehrhaftigkeit gegen "das System" aufgeladen. Rechtsextremisten überhöhen ihre Sportund Kampfsportinitiativen, indem sie auf vermeintliche Traditionslinien "deutscher und europäischer Körperkultur" rekurrieren. Häufige - mitunter stark konstruierte - Bezugspunkte sind dabei Wehrhaftigkeits-Ideale des antiken Sparta und dessen Erziehungsund militärisches Ausbildungssystem ("Agoge"), vermeintlich nordische und germanische Überlieferungen ("TIWAZ"), das europäische Rittertum oder auch die neuzeitliche Philosophie ("Übermensch"-Konzept von Friedrich Nietzsche). Eine direkte Bezugnahme zu nationalsozialistischer Ideologie und Symbolik wird in der Regel vermieden. Nicht zuletzt werden die Anhänger und Teilnehmer im Rahmen von Wettkämpfen und Trainings auch auf konkrete Kampfsituationen außerhalb des sportlichen Felds vorbereitet. 131 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus "Kampf der NibelunEines der prominentesten Veranstaltungsformate der rechtsexgen" untersagt tremistischen Kampfsportszene in Deutschland ist der "Kampf der Nibelungen" (KdN). Auch für das Jahr 2020 kündigte KdN eine Kampfsportveranstaltung an. Diese sollte am 10. Oktober aufgrund der Corona-Pandemie als Stream angeboten werden. Allerdings wurde eine Veranstaltung am 26. September in Magdeburg, bei der wohl die Kämpfe für den Stream aufgenommen werden sollten, untersagt und durch die Polizei aufgelöst. Am 11. Oktober kündigte die Gruppierung dann an, dass sich das "KdN Team" bis zur Klärung juristischer Fragen zurückziehen werde und sich ausschließlich um den "Ausbau unserer Klamottenmarke" kümmern werde. Eine wichtige Rolle hinsichtlich der Organisation der rechtsextremistischen Kampfsportszene spielen nationale wie internationale Kampfsportlabels, die sowohl im Vertrieb von Kleidung und Sportartikeln als auch in der Ausbildung eigener Kampfkader sowie im Bereich Sponsoring aktiv sind. Zu den Labels mit hohem Szenerenommee zählen etwa "Black Legion", "Greifvogel Wear" aus Brandenburg, die Kleidung des "Kampf der Nibelungen" sowie "White Rex" und "Pride France" aus Russland beziehungsweise Frankreich. KampfsportaktiviIn der bayerischen rechtsextremistischen Szene lässt sich ebentäten in Bayern falls ein gestiegenes Interesse am Thema Kampfsport feststellen. So gründete die neonazistische Partei "Der Dritte Weg" im Jahr 2018 die Arbeitsgruppe "Körper und Geist". Sie soll nach Parteiangaben vor allem der "körperlichen Ertüchtigung" der Parteimitglieder dienen sowie deren Aktivitäten vereinen und koordinieren. Der Fokus der Arbeitsgruppe liegt deutlich auf dem Kampfsportbereich. Es werden Kampfund Selbstverteidigungskurse angeboten, die sich zum Teil auch an Kinder und Jugendliche richten. Kampfsportübungen waren auch Teil des Aktivistenwochenendes der IB Schwaben im Frühjahr in Baden-Württemberg und des sogenannten Bundeslagers der IB Deutschland im August. 132 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 3.2.5 Internationale Kontakte bayerischer Rechtsextremisten Zwischen bayerischen und ausländischen Rechtsextremisten bestehen zahlreiche Kontakte. Verbindungsleute in den Gruppierungen garantieren die gegenseitige Mobilisierung für internationale Szene-Veranstaltungen wie Konzerte, Feiern und Großdemonstrationen. Dabei kommt es in der Regel zu einer vorübergehenden transnationalen Zusammenarbeit, in Einzelfällen auch zu dauerhaften Kooperationen. Die vielfältigen internationalen Kontakte bayerischer Rechtsextremisten wirken - angesichts der von Rechtsextremisten betriebenen Überhöhung der eigenen Nation - auf den ersten Blick verwunderlich. Mit der Überhöhung der eigenen Nation ist jedoch nicht automatisch die pauschale Ablehnung einer Zusammenarbeit mit gleichgesinnten ausländischen Akteuren verbunden. Dort, wo es ideologische Anknüpfungspunkte gibt, findet Zusammenarbeit statt: Ideologisch verbindende Elemente sind beispielsweise der Kampf für einen sozialen Nationalismus nach dem Vorbild des NS-Regimes, der Hass gegen Flüchtlinge und die Ablehnung der Europäischen Union. Staatenübergreifende Kontakte werden innerhalb der rechtsextremistischen Szene als prestigeträchtig wahrgenommen. Führungsakteure oder Personen, die zu Führungsakteuren aufsteigen wollen, versuchen dadurch, ihre Position zu festigen und ihre Bedeutung zu unterstreichen. Dies erklärt auch die prominente Berichterstattung auf den Internetseiten der verschiedenen Akteure. Insbesondere die neonazistische Partei "Der Dritte Weg" Verbindungen des (III. Weg) pflegt zahlreiche Kontakte zu anderen europäischen III. Weg nach GrieRechtsextremisten, vor allem in Griechenland, Ungarn und der chenland, Ukraine Ukraine. und Ungarn So reisten auch im Berichtsjahr Mitglieder der bayerischen Parteistützpunkte Mainfranken, München/Oberbayern und Nürnberg/Fürth zusammen mit Mitgliedern außerbayerischer Stützpunkte wie in den Vorjahren zum sogenannten "Tag der Ehre" am 8. Februar nach Budapest. Mit dieser Veranstaltung wollen ungarische Rechtsextremisten gemeinsam mit internationalen Gesinnungsgenossen an die Schlacht um Budapest im Zweiten Weltkrieg erinnern. 133 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus 4. INTERNET, MUSIK, VERLAGE UND VERTRIEBSSTRUKTUREN 4.1 Rechtsextremisten im Internet Rechtsextremistische Gruppierungen und Akteure nutzen in hohem Maße die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation. Zu ihren Zielen gehört es dabei, Anhänger und Sympathisanten aufzuwiegeln und mit ihren Inhalten möglichst hohe Reichweiten zu erzielen, um Einfluss auf den öffentlichen Diskurs zu nehmen. Sie nutzen klassische Internetseiten, Online-Blogs, Messenger-Dienste (z. B. WhatsApp und Threema) und Soziale Netzwerke (z. B. Facebook, Twitter und Instagram) und verbreiten dort in Form von Postings und Kommentaren ihre verfassungsfeindlichen Botschaften und Parolen. Es werden aber auch Formate bedient, die ein jüngeres Publikum ansprechen sollen. So setzen Rechtsextremisten verstärkt auch auf Podcasts und Videoplattformen wie YouTube oder BitChute. Daneben nutzen sie auch aus der "Gaming-Szene" bekannte Kooperationsund Streaming-Plattformen wie Discord, STEAM oder Twitch. Extremisten machen sich dabei auch die Funktionsweise sozialer Medien zunutze. Durch deren Suchund Empfehlungsalgorithmen können sogenannte "Filterblasen" entstehen, in denen Nutzer in ihrer Meinung bestätigt werden, wodurch die Gefahr einer fortschreitenden Radikalisierung besteht. Gerade bei aufgeladenen und emotionalen Diskussionen werden in den sozialen Medien, Foren oder Blogs neben strafrechtlich relevanten Äußerungen auch verfassungsschutzrechtlich relevante rechtsextremistische Äußerungen durch Einzelpersonen getätigt. Auf den Profilen rechtsextremistischer Einzelpersonen finden sich Verschwörungstheorien, Verherrlichung des Nationalsozialismus und rassistische Äußerungen. Abschottung in geVor dem Hintergrund staatlicher und regulatorischer Maßnahmen schlossenen Foren gegen ihr Wirken im Internet halten Rechtsextremisten stänund Chatrooms dig Ausschau nach alternativen Plattformlösungen und neuen Online-Formaten, um ihre Propaganda und ihre extremistischen Botschaften möglichst effektiv zu streuen. Nachdem einige Anbieter wie Facebook und Twitter Sperrungen von rechtsextremistischen Nutzern und Gruppierungen vorgenommen haben, ist eine Abwanderung zu alternativen Plattformen wie vk. com oder Telegram festzustellen. Neben sozialen Netzwerken spielen für Rechtsextremisten dabei insbesondere auch sogenannte Imageboards (z. B. 8kun und pr0gramm) eine wichtige Rolle. Diese Plattformen sind nicht als extremistisch zu bewerten, werden aber von einzelnen Nutzern beziehungsweise 134 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Nutzergruppen für extremistische Zwecke herangezogen. Dabei ist zu beobachten, dass häufig Formate gewählt werden, die nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne erfordern. So werden Botschaften in Form von sogenannten "Memes" verbreitet. Extremisten nutzen diese Darstellungsform insbesondere dazu, verfassungsfeindliche Inhalte in einen verharmlosenden Kontext zu stellen, um so die Akzeptanz solcher Aussagen zu erhöhen und die Grenze des "Sagbaren" zu erweitern. Besondere Bekanntheit kommt hierbei einem Comic-Frosch mit dem Namen Pepe zu. Über Darstellungen der Figur werden häufig extremistische Inhalte auf eine vermeintlich lustige Art verbreitet, um insbesondere junge Nutzer anzusprechen. Der Einsatz digitaler Medienformate und Verbreitungstechniken dient auch zu Vernetzungszwecken, zum internen Austausch sowie zur Absprache von Aktionen. Gerade hier versuchen Rechtsextremisten durch den Einsatz von Diensten und Kommunikationskanälen mit hohen Verschlüsselungsund Anonymisierungsstandards sich der Beobachtung durch Öffentlichkeit und Sicherheitsbehörden zu entziehen. In sozialen Netzwerken gründen sie geschlossene Foren und Chatrooms zur szeneinternen Kommunikation. Dies ermöglicht etwa die Weitergabe strafrechtlich relevanter Inhalte. Messenger-Dienste spielen eine wichtige Rolle bei der Organisation von Aktionen, Veranstaltungen und Konzerten. 4.1.1 Aktivitäten und Strategien Die "Junge Alternative Bayern" (JA Bayern) verstärkte im ersten Gaming-Abende und Quartal 2020 ihre Aktivitäten im Internet. So bietet sie auf ihvirtuelle Stammrem Facebook-Account seit dem 1. Quartal 2020 regelmäßig tische einen Online-Mitgliederstammtisch auf der Online-Plattform Discord an. Im Verlauf des Jahres wurde dieses Angebot durch Gaming-Abende ergänzt. Die Idee, Stammtische online und nicht in der realen Welt zu veranstalten, dürfte ursprünglich den Schwierigkeiten der JA Bayern geschuldet gewesen sein, geeignete Räume für ihre Veranstaltungen zu finden. Mit Beginn der Corona-Pandemie stand ihr somit bereits ein etabliertes Kommunikationsformat zur Verfügung, das ihr auch unter Pandemiebedingungen weiter den regelmäßigen Kontakt zu ihren Mitgliedern ermöglicht. Aufgrund der Corona-Pandemie ließ sich eine verstärkte Nutzungsaktivität des Internets durch Rechtsextremisten feststellen. Dabei werden u. a. Verschwörungstheorien zum Ursprung des neuartigen Corona-Virus verbreitet, oder es wird gegen Geflüchtete, welche als Schuldige an der Verbreitung des Virus 135 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus dargestellt werden, gehetzt. Gerade über den MessengerDienst Telegram verbreiten Rechtsextremisten unter Bezugnahme auf die Corona-Pandemie verfassungsfeindliche Inhalte. Am 15. September veröffentlichte der Verein "Ein Prozent e. V.", welcher der IB nahesteht, das Computerspiel "Heimat Defender: Rebellion". Das sogenannte "Jump'n'Run-Spiel" ist mit seinem groben Pixeldesign graphisch an die Anfangsjahre der Computerspiele angelehnt. Die Geschichte spielt, Bezug nehmend auf Georg Orwells dystopischen Literaturklassiker "1984", im Jahr 2084. In einer düsteren Welt regiert ein globaler Konzern namens "Globohomo Corporation", welcher die Welt vereinheitlicht und die Menschen zu willenlosen "Konsum-Sklaven" manipuliert. Dabei kann der Spieler zwischen vier Protagonisten wählen, wovon es sich bei einer Figur um den IB-Aktivisten Martin Sellner handelt. Über das Spiel sollen insbesondere Personen aus der stark wachsenden "Gaming"-Szene angesprochen und an rechtsextremistische Gruppierungen und Botschaften herangeführt werden. ExekutivmaßAm 6. Juni und am 3. November fanden in diesem Jahr bundesnahmen gegen weit Aktionstage zur Bekämpfung von Hasspostings im Internet Hasspostings statt. Am 3. November wurden dabei auch in Bayern Exekutivmaßnahmen durchgeführt. Durchsuchungen fanden bei 49 Beschuldigten an 47 Objekten statt, wovon die Mehrzahl in den Regierungsbezirken Niederbayern (18) und Oberpfalz (13) zu verorten war. Die Federführung lag bei der bayerischen Zentralstelle für die Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft in München (ZET). Unter dem Begriff "Hassposting" versteht man verschiedene Formen menschenverachtender oder beleidigender Äußerungen im Internet, die sich meist mit großer Aggressivität gegen Einzelpersonen oder bestimmte Menschengruppen und deren Weltanschauungen, Werte oder Herkunft richten. Politisch motivierten Hasspostings werden solche Straftaten zugerechnet, die in Würdigung der Umstände der Tat oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür geben, dass diese wegen einer zugeschriebenen oder tatsächlichen politischen Haltung, Einstellung und/oder Engagements, Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, sozialen Status, einer physischen und/oder psychischen Behinderung oder Beeinträchtigung, sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität oder des äußeren Erscheinungsbildes kausal gegen eine oder mehrere Person(en), Gruppe(n), oder Institution(en) gerichtet sind. 136 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Um den regulatorischen Druck auf die Betreiber von Plattformen und Netzdiensten zu erhöhen und diese zu einem konsequenteren Vorgehen gegen strafbare und extremistische Inhalte auf ihren Seiten zu bewegen, verabschiedete der Bundestag am 30. Juni 2017 das "Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken" (Netzwerkdurchsetzungsgesetz - NetzDG). Es verpflichtet die Betreiber sozialer Netzwerke unter Androhung von Bußgeldern zur Löschung derartiger Inhalte. Bereits im Vorfeld des Gesetzes hatten rechtsextremistische Gruppierungen unisono gegen das Gesetz mit der Behauptung agitiert, es handle sich um "staatliche Zensur" beziehungsweise um eine willkürliche "Einschränkung der Meinungsfreiheit". Den Rechtsextremisten ging es allerdings mehr um die drohende Sperrung und Löschung ihrer Facebook-Profile aufgrund von Verstößen gegen die Gemeinschaftsstandards der Netzwerke. Die Umsetzung des NetzDG hatte unmittelbare Auswirkung auf die Onlineaktivitäten rechtsextremistischer Gruppen in Bayern und führte u. a. zu Sperrungen von entsprechenden Profilen und Kanälen. So sperrte Twitter am 11. Juli mehrere Konten von Aktivisten und Sperrung von IBGliederungen der "Identitären Bewegung" (IB), darunter auch die Kanälen und Konten Konten der drei bayerischen Gliederungen IB Bayern, IB Franken und IB Schwaben. Am 14. Juli löschte YouTube die Kanäle von Martin Sellner, dem zentralen Aktivisten der IB im deutschsprachigen Raum. Dieser hatte zuletzt auf seinem Hauptkanal "Martin Sellner" über 140.000 Abonnenten. Die YouTube-Kanäle der IB Deutschland und der bayerischen Untergliederungen waren nicht von den Löschungen betroffen. Die Szene nutzt seither verstärkt weniger moderierte Netzwerke wie Discord, Telegram und vk.com oder die Videoplattform BitChute. Extremistische Inhalte werden auch über die Spieleplattform STEAM weiterverbreitet. 4.1.2 Aufklärungsarbeit des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (BayLfV) im Bereich Internet und Soziale Medien Neben der sicherheitsbehördlichen Beobachtung und Auswertung verfassungsfeindlicher Aktivitäten im Internet ist das BayLfV auch im Bereich der Aufklärung und Sensibilisierung bezüglich extremistischer Gefahren im Netz aktiv. Seit 2017 klären Filme des BayLfV unter dem Titel "10 Tipps, wie du dich nicht verarschen lässt" insbesondere Jugendliche über die 137 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Gefahren von Manipulation und Radikalisierung vor allem in sozialen Medien auf. Im Juni erschien der Film "10 Tipps, wie du dich nicht verarschen lässt - diesmal von Rechtsextremisten". Er gibt Jugendlichen zehn Tipps an die Hand, wie sie durch umsichtiges Verhalten vermeiden können, selbst in die Fänge von Rechtsextremisten zu geraten. Der Film ist über den YouTube-Kanal der Bayerischen Staatsregierung abrufbar. 4.1.3 Rechtsextremistische Internetradios und -TV Rechtsextremisten nutzen auch Internetradioprogramme zur Verbreitung ihrer Musik. Gelegentlich werden auch indizierte oder strafbare Titel gespielt. Teilweise können die Hörer das Programm mitgestalten. Als Wortbeiträge werden Interviews mit Rechtsextremisten (z. B. Bandmitgliedern), Kommentare oder Kritiken zu CDs sowie gelegentlich Werbung für Konzerte und Demonstrationen gesendet. Die Sendezeiten variieren von wenigen Stunden wöchentlich bis hin zu einem 24-StundenProgramm. Die Webseiten dieser Internetradios bieten häufig auch anmeldepflichtige Chats und Diskussionsforen an. Internetradios unterliegen einer hohen Fluktuation, manche sind nur vorübergehend in Betrieb. Der Rechtsextremist Patrick Schröder betreibt seit mehreren Jahren das Internetradio "Radio FSN" (Frei-Sozial-National) sowie das Internet-TV "FSN-TV", welches mittlerweile zum Format "FSN - The Revolution" umbenannt wurde. Es werden neben Interviews mit Protagonisten aus der rechtsextremistischen Szene in moderierten Beiträgen auch Aktionshinweise, Konzertund Demonstrationstermine und Informationen über aktuelle und politische Ereignisse innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums verbreitet. Eine für den 18. Januar angekündigte FSN-Veranstaltung mit Podiumsdiskussion, Vorträgen und dem Auftritt eines Liedermachers in Nordbayern musste ausfallen, als ein Gaststättenbetreiber nach Kenntnis des Veranstaltungscharakters keinen Veranstaltungsraum mehr zur Verfügung stellte. Internetradio des Unter der Bezeichnung "Revolution auf Sendung" betreibt die "III. Weg" neonazistische Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) ebenfalls ein Internetradioformat. Dieses Format ist eine Mischung aus Interviews, Nachrichten aus Sicht der Partei, Musikbeiträgen und Besprechungen von Liedern. Die Sendungen werden monatlich auf der Webseite der Partei eingestellt. Bei den Interviewpartnern handelt es sich um rechtsextremistische Aktivisten. Neben Parteimitgliedern kommen dabei auch andere rechtsextremistische Aktivisten und Musiker zu Wort. 138 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 In der Zeit vom 3. Juni bis zum 5. Juni fand die Veranstaltung "Strömfestspiele 2020", ein sogenanntes "Online-Festival", statt. Zur Kommunikation nutzten die Teilnehmer dabei die Plattform "Kohlchan" und spielten von zwei weiteren Webseiten Musik ab. Diverse Nutzerbeiträge auf "Kohlchan" deuteten darauf hin, dass es sich bei dem "Festival" um eine Reaktion auf die Vielzahl der im Rahmen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie abgesagten realweltlichen Veranstaltungen wie Konzerte oder Musikfestivals handelte. Sowohl in den Kommentaren auf "Kohlchan" als auch in den im Verlauf der Veranstaltung abgespielten Liedern konnten rechtsextremistische Inhalte und Symbole festgestellt werden. 4.2 Rechtsextremistische Musik Rechtsextremistische Musik ist ein wesentliches Eintrittstor in die rechtsextremistische Szene. So nutzen Rechtsextremisten Musik, um Jugendliche mit rechtsextremistischem Gedankengut in Kontakt zu bringen. Das Angebot an rechtsextremistischer Musik ist hinsichtlich Qualität, Stil und Zielrichtung größer geworden und reicht von SkinheadMusik und Balladensängern über Vikingrock, Black Metal, Hatecore und Neofolk bis hin zu Rap und Techno. Die Texte enthalten nationalistisches, fremdenfeindliches, antisemitisches und antidemokratisches Gedankengut. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen (Konzerte und Liederabende) im Inund Ausland ermöglichen es Szeneaktivisten zudem, neue Kontakte aufzubauen und sich szeneintern zu vernetzen. Daneben gibt es Auftritte rechtsextremistischer Musiker bei sonstigen Veranstaltungen. Bei diesen Veranstaltungen überwiegt der Versammlungscharakter gegenüber der Musikdarbietung. Sie werden von den Veranstaltern teilweise konspirativ vorbereitet beziehungsweise als private Veranstaltungen durchgeführt. Mit Vortrefforten, SMS-Mobilisierung beziehungsweise Mund-zu-Mund-Propaganda oder der Deklarierung eines Konzerts als private Geburtstagsfeier soll ein Einschreiten der Sicherheitsbehörden verhindert werden. Diese konspirativen Vorbereitungsmaßnahmen üben einen zusätzlichen Reiz aus. Veranstalter - es handelt sich dabei meistens um langjährige Aktivisten - erlangen bei der erfolgreichen Durchführung eines Konzerts innerhalb der Szene viel Anerkennung. 139 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Rechtsextremistische Konzertund Musikveranstaltungen in Bayern Konzerte 0 Liederabende 1 Sonstige Veranstaltungen mit Musikbeitrag 2 Am 10. Januar fand im Rahmen einer Veranstaltung der rechtsextremistischen Skinhead-Vereinigung "Voice of Anger" (VoA) in der "Gartenschänke", dem Clubheim der VoA in Memmingen, eine Musikdarbietung statt. Am 18. Januar planten der Betreiber des Modelabels "Ansgar Aryan", Patrick Schröder, und der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD Bayern, Axel Michaelis, eine rechtsextremistische Veranstaltung in Geiselwind. Diese sollte von Schröders Medienprojekt "FSN" (Frei Sozial National) durchgeführt werden. Dabei war zunächst eine Podiumsdiskussion zwischen Schröder und dem Liedermacher Frank Rennicke geplant. Im Anschluss sollte ein musikalischer Auftritt Rennickes erfolgen. Nachdem der Vermieter der Veranstaltungsörtlichkeit von den Sicherheitsbehörden über die Hintergründe der geplanten Veranstaltung informiert wurde, zog dieser die Nutzungszusage zurück und die Veranstaltung konnte somit verhindert werden. Am 1. Februar fand in den Geschäftsräumen des rechtsextremistischen Versandhandels "Freizeitland Murnau/Versand der Bewegung" im oberbayerischen Murnau ein "Rednerund Liederabend" der NPD statt. Als Redner trat der nordrhein-westfälische NPD-Landesvorsitzende auf. Für den Musikbeitrag sorgte der rechtsextremistische Liedermacher "F.i.e.L." ("Fremd im eigenen Land") aus Mecklenburg-Vorpommern. Am 12. September fand in einem Privatanwesen in Burgkunstadt ein Sommerfest der NPD Lichtenfels/Kronach statt, an dem sich etwa 10 Personen beteiligten. Im Rahmen dieses Festes trat der rechtsextremistische Liedermacher Frank Rennicke auf. Als Redner war der ehemalige NPD-Bundesvorsitzende Günter Deckert vor Ort. Im Hinblick auf rechtsextremistische Musikund Konzertveranstaltungen ist im Bundesgebiet ein allgemeiner Trend zur Verbindung politischer Rednerveranstaltungen mit Musikveranstaltungen festzustellen. Im Berichtsjahr beeinträchtigten die 140 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Corona-Pandemie und die damit verbundenen Beschränkungsmaßnahmen im gesamten Bundesgebiet die Durchführung rechtsextremistischer Konzerte und sonstiger Großveranstaltungen. Rechtsextremistische Bands in Bayern Aktive Bands Bandname Herkunft Aktiv seit Letzte Veröffentlichung Burning Hate Oberfranken 2005 - 2010 Gründung CD "Your Time Is mit ehemaligen Running Out" (2010), Mitgliedern der Beteiligung am Sampler Skinhead-Bands Aryan "Punikoff Vol.1" (2017) Rebels und Division 28, "Warmachine" (2019) Neugründung 2017 Edelweiss Raum Wurde 1993 als CD "Evangelium" (2008), München Sturmflagge gegründet "Leidkultur" (2019) und 1998 in Edelweiss umbenannt. Seit 2008 inaktiv und Neugründung 2019 Eskalation Ober2010 CD "Kein Schritt zurück" franken/ (2015), Beteiligung am UnterSampler "Hessen Skins" franken (2017), "S.F.F.S" (2019), Album "M-E-K" (2020) zusammen mit MPU Kodex Frei Raum 2010 CD "Das Pack" (2016), Kempten Beteiligung an der Compilation "10. Tag der deutschen Zukunft" (2018) MPU Raum Hof 2005 CD "German Skinhead Anthems" (2017), Beteiligung am Sampler "Hessen Skins" (2017), Album "M-E-K" (2020) zusammen mit Eskalation Prolligans Raum Allgäu 2004 CD "Nahrung für den Geist" (2017), Compilation "Skinhead durch und durch" (2017) Schanddiktat Raum 2016 Veröffentlichungen bisher Dillingen nur auf YouTube-Channel a. d. Donau "Schanddiktat" 141 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Siegesfahne Raum 1998 CD "Vorwärts, KameBerchtesraden!" (2008) gaden Urweisse Raum 2019 "Urweisse Musik" (2019) München White Rebel Raum Hof 2007 CD "The Boys are back in Boys/White town" (2012), Beteiligung Rebel Voice am Sampler "Back to the basement" (2016), "Ohne Strom gegen den Strom" (2019) Rechtsextremistische Bands nutzen Konzerte als Möglichkeit, ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen und für Tonträger und Merchandising-Artikel zu werben. Mit der Gage für einen Konzertauftritt können die meisten Bands ihre entstandenen Kosten allerdings nur teilweise decken. Wesentlich einträglicher sind der Verkauf und Vertrieb von Tonträgern über Versandhandel, Verkaufsstände auf rechtsextremistischen Veranstaltungen und über das Internet. Das Internet bietet darüber hinaus zahlreiche Möglichkeiten, rechtsextremistische Musik einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Beispielsweise stehen rechtsextremistische Musikclips und -alben in der Regel auch zum Download zur Verfügung. Die über lange Jahre aktive rechtsextremistische Band "Nordwind" löste sich nach dem Tod ihres zentralen Aktivisten auf. Auch die "Identitäre Bewegung" (IB) setzt im Rahmen ihrer politischen Propaganda auf die Wirkung von Musik. Der führende Aktivist der IB im deutschsprachigen Raum, Martin Sellner, produzierte für seinen YouTube-Kanal zwei Videos, in denen er 142 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 die Musikrichtung "Neofolk" vorstellt. Dabei empfiehlt er seinen Zuschauern "Neofolk" als die richtige Musik für Identitäre, da sie der antimodernen Grundausrichtung der Identitären sehr nahesteht. Darüber hinaus wurden aus dem Kreis der IB heraus verschiedene Projekte im Bereich Rap gestartet. Die Rapper "Komplott" und der in Bayern ansässige "Chris Ares" sind der identitären Rapszene zuzurechnen. Dem bayerischen identitären Rapper Christoph Zloch gelang es 2019 unter seinem Künstlernamen "Chris Ares" kurzfristig, mit seiner Veröffentlichung "2014 - 2018" auf verschiedenen Download-Plattformen wie iTunes die Hip-Hop Charts anzuführen. Damit zeigt sich einerseits die Bedeutung des Vertriebs von extremistischer Musik als Download im Internet und andererseits die gestiegene Reichweite von identitärer Rap-Musik. Im Jahr 2020 veröffentlichte Ares ein weiteres Album. Kurz nach Erscheinen wurden das Album sowie die darauf enthaltenen Songs von mehreren Videound Musikplattformen durch die Betreiber entfernt. Auch der Versandhändler Amazon nahm das Produkt kurz vor Verkaufsstart aus dem Sortiment. Über szeneinterne Vertriebsplattformen ist die Musik von Ares jedoch weiterhin erhältlich. Auf seinem Telegram-Kanal kündigte Christoph Zloch am 25. September das Ende seiner Kunstfigur "Chris Ares" an. Damit einhergehend löschte er die Inhalte seiner Social-Media-Kanäle. Seinen Rücktritt begründet Zloch in einem längeren Statement auf seinem Telegram-Kanal mit tiefgreifenden "persönlichen Veränderungen". Die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) Informationsangebot informiert als zentrale Präventionsstelle der Staatsregierung der BIGE umfassend über rechtsextremistische Bands, Liedermacher, Handlungsleitfaden Stilrichtungen und Verbreitungsstrategien. Im Rahmen ihrer allgegen rechtsextregemeinen Präventionstätigkeit sollen Bürgerinnen und Bürger, mistische Konzerte insbesondere Schülerinnen und Schüler, dazu befähigt werden, rechtsextremistische Inhalte leichter zu erkennen und deren möglicherweise strafrechtliche oder jugendgefährdende Relevanz feststellen zu können. Mit dem "HandIungsIeitfaden zum Umgang mit Rechts(rock)Konzerten und vergleichbaren Veranstaltungen" unterstützt die Staatsregierung insbesondere jene Gemeinden, welche mit solchen Veranstaltungen effektiv und sachgerecht umgehen müssen und vielfach nur eine sehr kurze Vorbereitungszeit für die Prüfung von Untersagungsgründen, Anordnungen oder Auflagen zur Verfügung haben. 143 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Ergänzend zum Leitfaden berät die BIGE Kommunen im konkreten Einzelfall. Ziel ist es, bereits im Vorfeld derartige Veranstaltungen - soweit möglich - zu verhindern und eine Etablierung oder Verfestigung einer rechtsextremistischen Szene vor Ort zu unterbinden. Das strikte Vorgehen der bayerischen Sicherheitsbehörden führte bereits wiederholt dazu, dass Musikveranstaltungen nicht stattfanden beziehungsweise in benachbarten Regionen außerhalb Bayerns durchgeführt wurden. 4.3 Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen Rechtsextremistische Vertriebe und Versandhandel kommerzialisieren die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Das Sortiment ist gezielt auf die Bedürfnisse der Anhänger einzelner Szene-Stilrichtungen wie der Skinhead-, der NS-Hatecoreoder der NS-Black-Metal-Subkultur ausgerichtet. Bei der Produktion und Vervielfältigung von Tonträgern spielen insbesondere die größeren Vertriebe eine wichtige Rolle. Neben Musik umfasst die Angebotspalette auch Textilien, Fahnen, Flugblätter, Plakate und szenetypische Devotionalien wie Bücher und Aufkleber sowie zunehmend Accessoires für den Alltag wie Sonnenbrillen oder Gürteltaschen. Szeneläden sind mittlerweile die Ausnahme. Nahezu alle Händler bieten ihre Waren auf zum Teil professionell gestalteten Verkaufsplattformen im Internet an. Die Betreiber rechtsextremistischer Betriebe verfolgen insbesondere wirtschaftliche Interessen, manche unterstützen mit ihren Einnahmen auch die rechtsextremistische Szene. Vertriebe und Versandhandel Name Sitz/Landkreis Inhaber Ansgar Aryan Mantel/Neustadt a. d. Nemesis Production Waldnaab GmbH, Mantel; Gf: Patrick Schröder Antagonist Mantel/Neustadt a. d. Nemesis Production Waldnaab GmbH, Mantel; Gf: Patrick Schröder DIM Records Coburg Ulrich Großmann FSN-Shop Mantel/Neustadt a. d. Patrick Schröder Waldnaab Oldschool Records Wolfertschwenden/ Benjamin Einsiedler Unterallgäu 144 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Patriotic Store Mantel/Neustadt a. d. Nemesis Production Waldnaab GmbH, Mantel; Gf: Patrick Schröder Versand der Bewegung Murnau/GarmischSarah Janker Partenkirchen Wikingerversand Geiselhöring/ Siegfried Birl Straubing-Bogen Das Zeughaus Presseck/Kulmbach Jens Hessler 4.4 Rechtsextremistisches Verlagswesen Rechtsextremistische Verlage streben die Etablierung einer rechtsextremistischen Gegenkultur an. Daher verbreiten sie revisionistische, antisemitische, antidemokratische sowie fremdenfeindliche Vorstellungen und wollen so rechtsextremistische Überzeugungen in der Leserschaft initiieren oder festigen. Dabei soll das Vertrauen in die demokratische Ordnung untergraben werden, um letztendlich ein undemokratisches, autoritäres politisches System in Deutschland populär zu machen. Die "Verlagsgesellschaft Berg mbH" (VGB) mit Geschäftssitz in Gilching (Landkreis Starnberg) besteht seit 1991. Sie ist mit dem "Druffel & Vowinckel"-Verlag verschmolzen und einer der größten organisationsunabhängigen rechtsextremistischen Verlage in Deutschland. Das Verlagsprogramm umfasst Schriften mit klar rechtsextremistischen und revisionistischen Inhalten. So wurde beispielsweise in der Zeitschrift "Deutsche Geschichte" die rechtsextremistische Verschwörungstheorie des sogenannten "Bevölkerungsaustauschs" verbreitet und das politische System der Bundesrepublik Deutschland als "illegitim" bezeichnet. Die geschichtsverklärende und nazistische Ausrichtung des Verlags wird mitunter auch bereits in den Publikationstiteln und -beschreibungen deutlich. Über Adolf Hitler werde etwa laut Verlag im Buch "In Hitlers Schatten - Erinnerungen und Aufzeichnungen des persönlichen Adjutanten" von einem "engsten Vertrauten" ein "einfühlsames und um Wahrheit bemühtes Bild" gezeichnet. Nach Aussage des Verlags werde im Buch "Die Wahrheit über Oradour - Was geschah am 10. Juni 1944 wirklich? Rekonstruktion und Forschungsbericht eines Franzosen" die "Legende von den Verbrechen der Waffen-SS" in der französischen Ortschaft "widerlegt" beziehungsweise "zerstört". 145 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Der Verlag "Anton A. Schmid" mit Sitz in Durach (Landkreis Oberallgäu) vertreibt neben religiöser und verschwörungstheoretischer Literatur auch Werke mit antisemitischen, geschichtsrevisionistischen und rechtsextremistischen Inhalten. Verbreitung finden die Schriften u. a. über einen Online-Versand. Durch die Publikation der Bücher "Die Protokolle der Weisen von Zion erfüllt" (Band 1 Teil 1 und Teil 2) verbreitet der Verlag nachweislich falsche Behauptungen über eine angebliche jüdische Weltverschwörung, die in dieser Form auch vom NS-Regime propagiert wurden. Im ebenfalls durch den Verlag vertriebenen Buch "Hitler beging keinen Selbstmord" wird außerdem unterstellt, mitunter jüdisch-stämmige amerikanische Familien hätten die Machtergreifung Hitlers aktiv herbeigeführt. Auch dabei wird von im Rechtsextremismus häufig genutzten antisemitischen Codes Gebrauch gemacht. Die Familie Rothschild wird für die Machtergreifung der Nationalsozialisten verantwortlich gemacht, um eine geschichtsrevisionistische Sichtweise auf das NS-Regime und den Zweiten Weltkrieg zu konstruieren, wonach Deutschland als Opfer einer von Juden vorangetriebenen Verschwörung anzusehen sei. Seit 2020 beobachtet der Verfassungsschutz die "CompactMagazin GmbH" mit ihrem "Compact-Magazin" und ihren jährlich durchgeführten "Compact-Konferenzen". Das "Compact-Magazin" bedient sich regelmäßig revisionistischer, verschwörungstheoretischer und fremdenfeindlicher Motive. Den von dem Magazin jährlich verliehenen Preis "Held des Widerstands" erhielt 2019 der identitäre Rapper "Chris Ares" aus dem Raum München. 2018 wurde der Preis an einen führenden Aktivisten der verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Gruppierung PEGIDA-Nürnberg verliehen. Der zentrale Aktivist Beobachtung des im Phänomenbereich der verfassungsschutzrelevanten Islam"Compactfeindlichkeit, Michael Stürzenberger, trat bereits in mehreren Magazins" Videos auf dem YouTube-Kanal des Compact-Magazins in Erscheinung. Auch zur rechtsextremistischen Identitären Bewegung (IB) werden Kontakte gepflegt. Der österreichische IB-Aktivist Martin Sellner sprach mehrfach auf den jährlich stattfindenden "Compact-Konferenzen", so z. B. 2018 in Garmisch-Partenkirchen. 2017 wurde der Preis "Held des Widerstands" an die IB verliehen. Im Berichtsjahr begannen die Behörden für Verfassungsschutz mit der Beobachtung des im sachsen-anhaltinischen Schnellroda ansässigen "Institut für Staatspolitik" (IfS). Hinsichtlich des IfS wurden hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung festgestellt. Das IfS versucht in den politischen Raum 146 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 einzuwirken und seine ideologischen Ziele auf diese Weise durchzusetzen. Damit trägt das IfS zu einer gesamtgesellschaftlichen Spaltung bei und begünstigt Radikalisierungstendenzen bis hin zur Legitimierung von Gewalt. Dazu unterhält es enge Kontakte zu rechtsextremistischen Gruppierungen wie der inzwischen formal aufgelösten Sammlungsbewegung "Der Flügel" innerhalb der AfD und führenden rechtsextremistischen Aktivisten wie Martin Sellner. Das IfS gibt u. a. das Theoriemagazin "Sezession" heraus, für das auch schon Sellner geschrieben hat. Es veranstaltet überdies regelmäßig sogenannte "Winterund Sommerakademien", um den Nachwuchs der Neuen Rechten ideologisch zu formen und die Vernetzung zu fördern. 5. IMMOBILIENSUCHE UND -ERWERB Rechtsextremistisch genutzte Immobilien sind solche, die politisch zielund zweckgerichtet sind sowie wiederkehrend genutzt werden. Erfasst werden dabei Immobilien, bei denen Rechtsextremisten über eine uneingeschränkte grundsätzliche Zugriffsmöglichkeit verfügen, etwa in Form von Eigentum, Miete, Pacht oder durch ein Kennund Vertrauensverhältnis zum Objektverantwortlichen. Davon abzugrenzen sind Objekte, die von Rechtsextremisten nahezu ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt werden. Rechtsextremisten nutzen Immobilien, um regionale Strukturen und Anlaufstellen zu schaffen. Sie sind in Ballungsräumen ebenso wie im ländlichen Raum ständig auf der Suche nach Räumlichkeiten für Feiern, Konzerte, Schulungen, Parteiveranstaltungen oder interne Treffen. Für kleinere Treffen nutzen Rechtsextremisten häufig auch ihre privaten Wohnobjekte. Rechtsextremisten haben in der breiten Öffentlichkeit keine Akzeptanz, und mögliche Vermieter lehnen eine Vermietung an rechtsextremistische Gruppierungen zumeist ab. Die rechtsextremistische Szene hat deshalb regelmäßig erhebliche Schwierigkeiten, dauerhaft Immobilien für ihre Aktivitäten zu finden, die über eine bloße Wohnnutzung hinausgehen. Insbesondere die langfristige Anmietung einer Gaststätte durch Rechtsextremisten stellt in Bayern die Ausnahme dar. Verschiedene rechtsextremistische Gruppierungen halten zwar wiederholt interne Treffen oder kleinere Feiern in Gaststätten ab. Die Räumlichkeiten werden aber nur in Ausnahmefällen explizit für ein Treffen von Rechtsextremisten angemietet. Vielmehr geben sie sich dort meist als "normale" Gäste aus. Wenn Rechtsextremisten eine ernsthafte Kaufabsicht haben, setzen sie meist harmlos erscheinende "Strohmänner" ein, um den rechtsextremistischen Hintergrund des Erwerbs zu verschleiern. 147 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Immobilien in Bayern Derzeit werden in Bayern 18 Objekte als rechtsextremistisch genutzte Immobilien eingestuft, u. a. in Feilitzsch, Geiselhöring, Gilching, Kempten, Mantel, Memmingen, München, Murnau und Wolfertschwenden. Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) Die BIGE berät betroffene Kommunen und Eigentümer. Auf dem Internetportal der BIGE sind zusätzliche Informationen abrufbar: www.bige.bayern.de Seit Einrichtung der BIGE im Frühjahr 2009 wurden in über 75 Fällen Kommunen in Bayern im Hinblick auf Kauf, Pacht, Anmietung oder sonstige längerfristige Nutzung von Immobilien durch Rechtsextremisten beraten. In mehreren Fällen konnte ein Kauf von Gasthöfen mit Unterstützung der BIGE verhindert werden. 6. RECHTSEXTREMISTISCHE PARTEIEN UND PARTEINAHE STRUKTUREN 6.1 Junge Alternative für Deutschland Bayern (JA Bayern) Deutschland Bayern Anhänger etwa 1.600* etwa 120 Gründung 15. Juni 2013 26. Oktober 2013 Sitz Berlin Nürnberg *Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Die "Junge Alternative für Deutschland" (JA) ist gemäß SS 17a der Bundessatzung der "Alternative für Deutschland" (AfD) die offizielle Jugendorganisation der Partei. Die JA ist als eigenständiger Verein mit Sitz in Berlin konstituiert und wurde im Juni 2013 gegründet. Zum Charakter der JA heißt es in SS 17a Abs. 2 Satz 1 der Bundessatzung der AfD: Die JA dient als Innovationsmotor der AfD und hat das Ziel, das Gedankengut der Partei in ihrem Wirkungskreis zu verbreiten sowie die besonderen Anliegen der Jugend innerhalb der AfD zu vertreten. 148 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erklärte am 15. Januar 2019 die AfD-Jugendorganisation JA zum Verdachtsfall, da hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für eine extremistische Bestrebung vorliegen. Die programmatischen Aussagen der JA enthielten eine aggressive Rhetorik, in der eine migrationsund insbesondere islamfeindliche Haltung offen zu Tage trete. Die JA vertrete einen ethnisch homogenen Volksbegriff und mache jene, die dieser ethnisch geschlossenen Gemeinschaft nicht angehören, in eindeutiger Weise verächtlich. So bezeichne die JA die Migrationspolitik der Bundesregierung als "wahnsinniges Bevölkerungsexperiment", für das das "Volk [...] mit seinem Blut" bezahle und das dazu führe, dass das deutsche Volk "abgeschafft" werde. Diese Einschätzung des BfV bestätigte das OberverwaltungsRechtsmittel gegen gericht Berlin-Brandenburg in einer Entscheidung vom 19 Juni. Einstufung als VerAnlass war ein Rechtsmittel der JA gegen ihre Nennung im dachtsfall erfolglos Bundesverfassungsschutzbericht 2019. Nach Auffassung des Gerichts folge das zentrale politische Programm der JA dem Idealbild des "autochthonen Deutschen". Deutsche Staatsangehörige würden nach ihrer ethnischen Herkunft in Bürger erster und zweiter Klasse unterteilt. Diese diskriminierende Ausgrenzung verletze die Menschenwürde. Zudem spräche die JA durch ihre kontinuierliche Agitation gegen Asylbewerber und Migranten diesen ihre Menschenwürde ab. Bestimmte Bevölkerungsgruppen würden bewusst ausgegrenzt und Muslimen der Schutz der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit nicht zugebilligt. Unter Verwendung rechtextremistischer Kampfbegriffe - etwa der "UmvoIkung" - werde der "Austausch des deutschen Volkes" behauptet. Die Bearbeitung einer Gruppierung durch das BfV als "Verdachtsfall" entspricht der Bearbeitung einer Gruppierung als "Beobachtungsobjekt" durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Der bayerische Landesverband der JA für Deutschland (JA Bayern) existiert bereits seit September 2013. Die JA Bayern weist keine flächendeckenden bayerischen Strukturen auf. So existieren gegenwärtig zwar unterhalb des bayerischen JA-Landesverbands vier Bezirksverbände (Franken, Oberbayern, Ostbayern und Schwaben), die Bayern in seiner Gesamtheit abdecken sollen, doch finden sich darunter aktuell nur wenige Kreisverbände. In Bayern werden der JA derzeit etwa 120 Personen zugerechnet. 149 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Im Berichtsjahr waren die Aktivitäten der JA Bayern infolge der Corona-Pandemie starken Einschränkungen unterworfen. Aktivitäten in Bayern Bereits vor Beginn der Corona-Pandemie hatte die JA Bayern begonnen, ihre Online-Aktivitäten auszuweiten. So lud sie auf ihrem Facebook-Account für den 15. Januar zum ersten Mal zu einem Online-Mitgliederstammtisch auf dem Online-Dienst Discord ein. Ein zweiter Online-Stammtisch, der sich diesmal ausdrücklich an Nicht-Mitglieder und Interessenten richtete, fand laut der Bewerbung auf Facebook am 28. Januar statt. Da dieses neue Format anscheinend als erfolgreich bewertet wurde, wurde es insbesondere nach Einführung der Beschränkungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in einem regelmäßigen vierzehntägigen Turnus beibehalten und im Laufe des Jahres um "Gaming-Abende" ergänzt. Ursprünglich dürfte jedoch die Idee, Stammtische online und nicht in der realen Welt zu veranstalten, den Schwierigkeiten der JA Bayern geschuldet gewesen sein, geeignete Räume für ihre Veranstaltungen zu finden. In der Vergangenheit konnten mehrere von der JA in Bayern angekündigte Veranstaltungen nicht stattfinden, weil Wirte ihre Gasträume der JA Bayern nicht zur Verfügung stellen wollten. Zudem ist das Personenpotenzial der JA Bayern über den gesamten Freistaat verteilt, so dass sich eine regelmäßige Zusammenkunft einer größeren Zahl von Mitgliedern in der Realwelt nur schwer verwirklichen lassen dürfte. Aufgrund der Corona-Pandemie fand 2020 nach einem Besuch des Armeemuseums in Ingolstadt am 26. Januar erst am 12. Juli mit einer "Patriotischen Wanderung" durch das Altmühltal die zweite realweltliche Veranstaltung statt. An der Veranstaltung, die sich laut JA Bayern an Mitglieder und Interessenten richtete, nahmen etwa 30 bis 35 Personen teil. Am 8. August veranstaltete die JA Bayern eine Wanderung in der Umgebung von Sommerhausen und Ochsenfurt mit circa 13 Teilnehmern. Weitere realweltliche Veranstaltungen etwa einmal monatlich folgten, so eine Wanderung in Mainfranken, ein Sommerfest in der Nähe von Nürnberg, "Patriotische Aktionstage" in der Region Berchtesgaden und eine "politische Schnitzeljagd" im Oberallgäu. Bei diesen Veranstaltungen handelte es sich um Zusammenkünfte, vornehmlich mit Freizeitcharakter, die daneben auch dem politischen Austausch dienen sollten. Die Teilnehmerzahlen bewegten sich im niedrigen bis mittleren zweistelligen Bereich. Unterstützung des Innerhalb der JA Bayern sind starke Sympathien für die ebenfalls "Flügel" unter Beobachtung stehende und zwischenzeitlich formal aufgelöste Gruppierung "Der Flügel" erkennbar. Dies zeigt sich in der 150 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Positionierung des Landesverbandes in der AfD-internen Auseinandersetzung bezüglich des Ausschlussverfahrens gegen eine Führungsperson des zwischenzeitlich aufgelösten "Flügels", in der die JA Bayern Partei für diese ergriff. Diese Positionierung entspricht auch Aktivitäten der JA Bayern in der Vergangenheit, als prominente Vertreter des "Flügels" aus Thüringen und Brandenburg auf Veranstaltungen der JA Bayern als Redner auftraten und im Gegenzug bayerische JA-Aktivisten diese 2019 in den dortigen Landtagswahlkämpfen unterstützten. Im Januar war zudem ein bayerischer JA-Funktionär als einer der Gastgeber einer geplanten Veranstaltung in Bad Kötzting bekannt geworden, an der Führungspersonen des zwischenzeitlich aufgelösten "Flügels" hätten teilnehmen sollen. Die "Campus Alternative Passau", die zuletzt einzige aktive Hochschulgruppe der JA an einer Universität in Bayern, hat knapp vier Monate nach ihrer Wiedergründung am 28. Januar im Internet ihre Auflösung bekannt gegeben. Seitdem ist die Gruppierung nicht mehr in Erscheinung getreten. 6.2 "Der Flügel" Deutschland Bayern Anhänger etwa 7.000* etwa 130 Gründung 14. März 2015 Sitz Thüringen *Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 "Der Flügel" gründete sich als "Sammlungsbewegung innerhalb Erfurter Resolution der AfD" durch die sogenannte "Erfurter Resolution", die am 14. März 2015 im Rahmen des Landesparteitags der AfD Thüringen vorgestellt wurde. Laut "Erfurter Resolution" verstehen viele Mitglieder die AfD u. a. "als Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands". Ferner wurde in der "Erfurter Resolution" behauptet, das Projekt "Alternative für Deutschland" sei in Gefahr, weil sich dieses "ohne Not mehr und mehr dem etablierten Politikbetrieb" und "dem Verrat an den Interessen unseres Landes" anpasse. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stufte den "Flügel" Gesichert rechtsam 12. März als eine gesichert rechtsextremistische Bestreextremistische bung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung Bestrebung ein. Das BfV nannte als Grund insbesondere fortlaufend neue 151 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Aussagen von Funktionären und Anhängern des "Flügels", die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, vor allem gegen Menschenwürde, Demokratieund Rechtsstaatsprinzip richten. Laut BfV ist zudem die zentrale Bedeutung der rechtsextremistischen Führungspersonen des "Flügels", Björn Höcke und Andreas Kalbitz, gestiegen und der "Flügel" vernetzt sich stärker im rechtsextremistischen Spektrum. In einem Verwaltungsstreitverfahren über die Aufnahme des "Flügels" in den Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2019 kam das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 19. Juni zu dem Ergebnis, dass Äußerungen exponierter Vertreter des "Flügels" erkennen lassen, dass sie ein rassistisches, gegen die Menschenwürde verstoßendes Volksund Menschenbild pflegen. So stellen sie Muslime ausdrücklich rechtlos und grenzten bewusst ganze Bevölkerungsgruppen aus. Zudem wird "dem IsIam" der Schutz der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit nicht zugebilligt. Unter Verwendung rechtsextremistischer Kampfbegriffe - etwa der "UmvoIkung" - wird der "Austausch des deutschen Volkes" behauptet. Formale Auflösung des "Flügels" Im Nachgang der Entscheidung des BfV beschloss der AfD-Bundesvorstand am 21. März mehrheitlich, dass sich der "Flügel" bis zum 30. April auflösen soll. Am 24. März teilte der "Flügel" im sozialen Netzwerk Facebook mit, dass Björn Höcke und Andreas Kalbitz dem Wunsch des AfD-Bundesvorstands nachkämen und alle Personen aufforderten, die sich der "Interessengemeinschaft" zugehörig fühlten, bis zum 30. April ihre Aktivitäten im Rahmen des "FlügeIs" einzustellen. Die Internetseite des "FIügeIs" sowie dessen Facebook-Profil und YouTube-Kanal sind seit Mai nicht mehr aufrufbar. Mit der Abschaltung der offiziellen Internetpräsenzen setzte der "Flügel" seine Auflösung zumindest in formaler Hinsicht um. Inwieweit sich Nachfolgeaktivitäten mit Bezug zum formal aufgelösten "FlügeI" außerhalb beziehungsweise innerhalb der AfD entwickeln, lässt sich gegenwärtig nicht mit Sicherheit sagen. Die Facebook-Seite und die Facebook-Gruppe der "AfD-Flügelfreunde Meitingen u. Umland", die über Schwaben hinaus bundesweit rund 70 Mitglieder umfasst, blieb auch nach der formalen Selbstauflösung des "FIügeIs" weiterhin bestehen. Erkenntnisse deuten darauf hin, dass dem "Flügel" zurechenbare Personen sich bisher nicht von dessen Ausrichtung abwandten. Ihr Fokus liegt aber gegenwärtig auf parteiinternen Aktivitäten mit der Zielsetzung, die treibende Kraft innerhalb der AfD zu werden. Eine wesentliche Rolle wird hierbei Björn Höcke 152 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 beigemessen. Aber auch den finalen Ausgang und die Folgen des AfD-Parteiausschlussverfahrens gegen einen hochrangigen Funktionär im Bundesland Brandenburg sehen Personen, die dem "Flügel" zugerechnet wurden, als bedeutsam an. Situation in Bayern Dem "FIügeI" konnte in Bayern zuletzt ein Potenzial von etwa 130 Anhängern zugerechnet werden. Zusätzlich war von einem nicht bezifferbaren Sympathisantenumfeld innerhalb der AfD und in sozialen Netzwerken auszugehen. Offizielle Strukturen des "FIügeIs" in Bayern waren nicht bekannt. Eine als Funktionär des AfD-Kreisverbands Aichach-Friedberg bekanntgewordene Person war für organisatorische Angelegenheiten des "FIügeIs" bayerischer Ansprechpartner und hatte für den 11. Januar zu einem Neujahrsempfang mit Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Überraschungsgästen eingeladen. Für die Veranstaltung wurde in einer geschlossenen Facebook-Gruppe mit Bezug zum "FIügeI" sowie durch die "AfD-FIügelfreunde Meitingen u. Umland" geworben. Auch Björn Höcke postete die Veranstaltung am 4. Januar auf seinem Facebook-Profil und warb um Teilnehmer. Nachdem der vorgesehene Veranstaltungsraum nicht mehr zur Verfügung stand, musste der Neujahrsempfang abgesagt werden. Am 14. Februar fand in Kulmbach eine öffentlich zugängliche Extremistische Wahlkampfveranstaltung der AfD mit Björn Höcke als HauptChiffren "Selbstredner statt. Die Veranstaltung ist unter erheblichem Einfluss befreundung" und des "FIügeIs" stehend zu bewerten. Björn Höcke trug am Re"Schleusenzeit" vers seines Sakkos einen Anstecker mit einem "FIügeI"-Symbol. Höcke rekurrierte in seiner Rede u. a. auf die innerhalb des neurechten Diskurses bedeutsamen Begriffe "SeIbstbefreundung" und "SchIeusenzeit": Wir Deutschen brauchen Selbstbefreundung, damit in diesem Lande endlich wieder etwas praktiziert wird, was in jedem anderen Land der Welt eine Normalität ist. Nämlich eine Politik, die die Interessen des eigenen Landes und Volkes definiert und sie im Ausgleich mit den Partnern auch durchsetzt. Punkt. Ohne Selbstbefreundung, was für ein schöner Begriff. Ohne Selbstbefreundung, liebe Freunde, haben wir keine Zukunft. Aber genau das ist es, was wir als AfD wollen. Was wir als bürgerlich-patriotische Partei selbstverständlich wollen, wir wollen Deutschland nicht abschaffen, wir wollen Deutschland nicht überwinden, wir wollen die deutsche Kultur nicht schreddern oder in einem Multikultieinheitsbrei aufgehen lassen, wir wollen eine freie und selbstbestimmte und natürlich deutsche Zukunft in der Mitte Europas. [...] 153 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Es bewegt sich was in Deutschland. Ich habe das Gefühl, dass wir in einer Schleusenzeit stehen. Es ist so, liebe Freunde, am Anfang sieht man gar nicht, dass die Sanduhr beziehungsweise der Inhalt der Sanduhr sich merklich in seinem Volumen verändert. Am Anfang scheint gar nichts zu passieren, aber auf einmal, da rutscht es durch. Und ich glaube, wir sind in dieser Schleusenzeit angekommen, liebe Freunde. Und das ist gut für unser Land. Es ist davon auszugehen, dass die Begriffe "SeIbstbefreundung" und "SchIeusenzeit" im neurechten Kontext als Euphemismen beziehungsweise Chiffre für extremistische Ziele und strategische Konzepte dienen. Das Konzept der "SeIbstbefreundung" wird in einschlägigen neurechten Strategiebeiträgen etwa als Freundschaft zu Identität und Volk, als Durchsetzung von Identität und Volk, verbunden mit der Ablehnung von bestehenden Institutionen, umschrieben. In der Gesamtschau ist "SeIbstbefreundung" daher als verharmlosende Umschreibung der Absicht, ein ethnisch homogenes Volk zu schaffen, einzuschätzen. Der Einzelne tritt dabei gegenüber dem Kollektiv - in Höckes Verständnis dem schützenswerten deutschen Volk - in den Hintergrund, die Ausgrenzung von nicht diesem Kollektiv zugehörigen Personen wäre eine der Konsequenzen. Unter "Schleusenzeit" ist im neurechten Kontext der diagnostizierte Niedergang des Staates zu verstehen, verbunden mit dem Aufbruch zu etwas Neuem, das sich gegen die vermeintliche Auflösung des deutschen Volks richtet. Der Begriff "SchIeusenzeit" kann auch als "Umsturzzeit" umschrieben werden. 6.3 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Deutschland Bayern Mitglieder und Förder3.600* 480 mitglieder Vorsitzender Frank Franz Sascha Roßmüller Gründung 1964 1965 Sitz Berlin Bamberg Publikationen Deutsche Stimme *Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 154 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Die NPD will die bestehende Ordnung durch eine "Volksgemeinschaft" ersetzen. Aus Sicht der NPD stellt einzig eine ethnisch homogene "Volksgemeinschaft" eine natürliche, dem wahren Wesen des Menschen entsprechende und damit annehmbare staatliche und gesellschaftliche Ordnung dar. Sie strebt einen Gegenentwurf zur parlamentarischen Demokratie in Deutschland an. Die von der NPD vertretenen völkischen Grundideen bringen im Zusammenhang mit den verschiedensten politischen Themen oft ausländerfeindliche, antisemitische, rassistische - und in Bezug auf den historischen Nationalsozialismus verharmlosende und zustimmende - Positionen zum Ausdruck. Damit wirkt die NPD ideologisch prägend für das gesamte rechtsextremistische Spektrum. Ihr angestrebtes Ziel der "Systemüberwindung" und ihre Grundaussagen stehen inhaltlich im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. Das im Juni 2010 verabschiedete Parteiprogramm der NPD ist von einem ausgeprägten Nationalismus getragen und schreibt den Gedanken der "Volksgemeinschaft" in einer völkisch-kollektivistischen Auslegung fest. So heißt es im Parteiprogramm: Volksherrschaft setzt die Volksgemeinschaft voraus. Der Staat nimmt dabei die Gesamtverantwortung für das Volksganze wahr und steht daher über Gruppeninteressen. und Ein grundlegender politischer Wandel muss die sowohl kostspielige als auch menschenfeindliche Integrationspolitik beenden und auf die Erhaltung der deutschen Volkssubstanz abzielen. Integration ist gleichbedeutend mit Völkermord." Für die NPD resultiert die Würde des Einzelnen nicht aus dem Rassistischer und freien Willen des Individuums, sondern ist von biologisch-genenationalistischer tischer Teilhabe an der "Volksgemeinschaft" abhängig. Da nur Ideologieansatz Deutsche völkischer Abstammung Teil der "Volksgemeinschaft" sein können, ist eine rassistisch und nationalistisch geprägte Fremdenfeindlichkeit elementarer Bestandteil der Parteiideologie vom "lebensrichtigen Menschenbild", das sich insbesondere gegen "Fremdbestimmung" und "Überfremdung" wendet. 155 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Vier-SäulenDie NPD verfolgt nicht nur erkennbare rechtsextremistische Strategie Ziele. Sie versucht auch, über bürgerliche Themen ihre rechtsextremistischen Anschauungen zu verbreiten. So befasst sie sich unter dem Motto "Sozial geht nur national" verstärkt mit sozialpolitischen Themen. Damit will sich die NPD als soziale Protestpartei darstellen und die Ängste der Bevölkerung vor sozialen Reformen, Arbeitslosigkeit und einer "multikulturellen Gesellschaft" schüren. Um dem Ziel der politischen Machtergreifung näherzukommen, verfolgt die Partei ein auf vier "strategische Säulen" gestütztes Konzept. Diese Säulen bezeichnet sie schlagwortartig mit den Begriffen: - "Kampf um die Köpfe", - "Kampf um die Straße", - "Kampf um die Parlamente", - "Kampf um den organisierten Willen". Der "Kampf um die Köpfe" bezeichnet die politisch-theoretische Arbeit. Die "völkisch-nationale Programmatik" soll weiterentwickelt und dem Bürger vermittelt werden. Gerade angesichts der Flüchtlingsthematik zeigt die zunehmende Verrohung mancher Debatten im Internet, dass die Strategie der NPD des "Kampfs um die Köpfe" teilweise erfolgreich ist. Im "Kampf um die Straße" soll einerseits durch zahlreiche öffentliche Veranstaltungen wie Aufmärsche und Demonstrationen Präsenz gezeigt und andererseits die Bevölkerung mobilisiert werden. Bei der dritten Säule, dem "Kampf um die Parlamente", geht es der NPD um Erfolge als politische Wahlpartei. Ziel ist die Gewinnung von Macht und Einfluss sowie die Gewährung finanzieller Zuwendungen. Mit dem "Kampf um den organisierten Willen" strebt die NPD eine Bündelung aller rechtsextremistischen Kräfte unter ihrer Führung an, ohne dabei programmatische Inhalte zu definieren. Im Grunde will die NPD im Rahmen einer Aktionseinheit als die zentrale und entscheidende Kraft des Rechtsextremismus wahrgenommen werden. Innerhalb der NPD gründete sich Anfang 2018 eine neue Gruppierung, die sich als "Völkischer Flügel" bezeichnet. Am 30. Januar 2018 veröffentlichte die Gruppierung im Internet eine Proklamation. Historisch ist der 30. Januar mit dem Tag der Machtergreifung Adolf Hitlers verbunden. 156 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Die Gruppierung beschreibt sich als "ein nationalistisch und völkisch orientiertes Bündnis innerhalb der NPD". Ziel sei es u. a., die NPD als Partei "der ethnischen Deutschen" am "lebensrichtigen Menschenbild" auszurichten. Die Proklamation des "Völkischen Flügels" steht im Zusammenhang mit einem anhaltenden Richtungsstreit innerhalb der NPD. Fraktionen innerhalb der Partei kritisieren u. a. den vermeintlich gemäßigten Kurs des Bundesparteivorsitzenden Frank Franz, der die Partei seit 2014 leitet. Die Namenswahl, das Datum der Veröffentlichung der Proklamation am symbolträchtigen 30. Januar sowie die bislang verlautbarten Zielsetzungen des neuen Parteiflügels weisen auf eine möglicherweise verschärfte ideologische Ausrichtung und Radikalisierung innerhalb der NPD hin. Im Jahr 2020 verhielt sich der "Völkische Flügel" innerhalb der NPD passiv. Am 30. November und 1. Dezember 2019 fand in Riesa (SachZukunftskonzept für sen) der 37. NPD-Bundesparteitag statt. Der Bundesparteitag die Partei beschloss, dass der neu gewählte Vorstand in einem Beschlussvorschlag ein Konzept für die Zukunft der NPD zu erarbeiten hat. U. a. solle auch die Umbenennung der Partei geprüft werden. Im März wurde die zweite Ausgabe einer bundesvorstandsNeue Publikation kritischen Publikation für NPD-Mitglieder mit dem Titel "Stimme "Stimme DeutschDeutschlands" veröffentlicht. Der Publikationsname "Stimme lands" Deutschlands" lehnt sich an den Namen der offiziellen NPD-Parteizeitung "Deutsche Stimme" an, die den Reformkurs der Parteispitze unterstützt. Die "Stimme Deutschlands" berichtete über ein bundesweites Treffen von teils hochrangigen Reformgegnern am 1. Februar in Sachsen-Anhalt. Daran nahmen aus Bayern die Vorsitzenden der NPD-Kreisverbände München und Nürnberg-Fürth teil. Der NPD-Kreisverband München hatte für das Treffen eigens ein Banner "Stoppt die Totengräber unserer Partei! NPD bleibt NPD!" vorbereitet. Die Münchner NPD-Kreisvorsitzende sagte, "Wer sich mit dem Namen NPD nicht identifizieren kann oder will, hat das Recht unsere Partei zu verlassen und sich eine eigene Partei zu gründen!" Anfang April informierte der NPD-Parteivorsitzende Frank Franz in einem Mitgliederrundbrief über ein vorläufiges, neun Punkte umfassendes Konzept des NPD-Parteivorstands zur künftigen Neuausrichtung der Partei. Die jeweiligen Konzeptpunkte befassen sich u. a. mit Fragen der organisatorischen Neuausrichtung der Partei, einer Umbenennung, der Verschlankung von Finanzund Verwaltungsstrukturen sowie der Neugestaltung von Medienund Kommunikationsformaten. 157 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Ausschluss von der Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 17. Januar Parteienfinanzierung 2017 die verfassungsfeindliche Ausrichtung der NPD bestätigt. Ein Verbot der Partei lehnte das Gericht jedoch ab, weil die Bedeutung der Partei für eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu gering sei. Nachdem auf Bundesebene die gesetzlichen Voraussetzungen für den Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung geschaffen wurden, haben Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung 2018 beschlossen, beim Bundesverfassungsgericht den Ausschluss der NPD von der Parteienfinanzierung zu beantragen. Am 20. Juli 2019 reichten die drei Antragsteller eine 150-seitige Antragsschrift zum Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Antragsschrift führt Belege auf, wonach die NPD weiterhin planvoll das Ziel verfolgt, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Strukturen im Bund Die NPD gliedert sich bundesweit in 16 Landesverbände, die und in Bayern wiederum in Bezirksund Kreisverbände unterteilt sind. Der bayerische Landesverband besteht aus sieben Bezirksund 31 Kreisverbänden. Zu den aktivsten NPD-Strukturen in Bayern zählen die NPD-Kreisverbände München und Nürnberg-Fürth. Die NPD-Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) war in Bayern bislang nur sporadisch aktiv, im Jahr 2020 konnten keine Aktivitäten festgestellt werden. Aktivitäten der NPD Der NPD-Kreisverband Nürnberg postete auf Facebook Bilder in Bayern einer "Ein-Mann-Aktion" vom 29. April in Nürnberg, auf denen eine Person mit einem Plakat mit der Aufschrift "Artikel 8 Grundgesetz verteidigen" zu sehen ist. Die Aktion richtete sich gegen die staatlichen Beschränkungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und wurde auch als Video auf YouTube veröffentlicht. Der NPD-Kreisverband Nürnberg teilte am 18. Mai auf Facebook seine Beteiligung an "diversen Protesten" gegen die staatlichen Corona-Beschränkungsmaßnahmen am 16. Mai in Nürnberg mit und veröffentlichte auf YouTube ein Video. Auch der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Lichtenfels/Kronach berichtete am 26. Mai auf der Internetseite des Kreisverbandes, an einer entsprechenden Kundgebung teilgenommen zu haben. 158 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Während einer Kundgebung gegen Corona-Beschränkungsmaßnahmen in Deggendorf wurde am 15. Juni ein Transparent der bundesweiten NPD-Kampagne "Deutschland gegen den CoronaWahnsinn, Zwangsmaßnahmen beenden - Normalität herstellen" gezeigt. Am 31. Mai veröffentlichte der NPD-Kreisverband Nürnberg einen Facebook-Beitrag, wonach es sich bei der "vielfältigste[n] aller Rassen", um die "Weiße" handele, die durch eine "ethnische Mischung" zerstört werde. Am 1. Februar besuchten 7 Personen einen Rednerund Liederabend der NPD in Murnau am Staffelsee. Am 18. Juli beteiligten sich sieben Aktivisten an einer Kundgebung des NPD-Kreisverbandes München unter dem Motto "Migration tötet" in München. Laut der Münchner NPD-Kreisvorsitzenden fand die Kundgebung anlässlich der Aktionsreihe "Nationale Wochen gegen Inländerfeindlichkeit" der Münchner NPD im Juli und August statt. An der zweiten Kundgebung dieser Aktionsreihe nahmen am 8. August ebenfalls sieben Aktivisten teil, diese Kundgebung stand unter dem Motto "Also White lives matter". Anfang August führten drei Aktivisten des NPD-Kreisverbandes Nürnberg eine "Schutzzonen"-Aktion im Stadtteil Hasenbuck durch. Ein weiterer Aktivist filmte das Geschehen und der NPD-Kreisverband Nürnberg veröffentlichte das Video am 16. August auf YouTube. Auf den Facebook-Seiten des bayerischen NPD-Landesverbandes und der NPD-Kreisverbände Bamberg/Forchheim sowie Nürnberg/Fürth erschienen am 22. Oktober Informationen zu einer Banneraktion in Nürnberg. Die durch ein Video dokumentierte und zunächst auf dem YouTube-Kanal der NPD Nürnberg veröffentlichte Aktion fand an einer Nürnberger Moschee statt und richtete sich gegen einen Moscheeneubau und den Islam im Allgemeinen. Nach Sperrung des Videos durch YouTube erfolgte eine Veröffentlichung auf Telegram. Das Video zeigt mehrere Aktivisten, die ein Banner mit der Aufschrift "Islamisierung? Nein Danke! Keine fremden Tempel in unseren Städten!" und den Symbolen der NPD und der "Jungen Nationalisten"(JN) trugen. An einem das Moscheegrundstück begrenzenden Bauzaun 159 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus waren außerdem NPD-Plakate mit den Aufschriften "Schächten verbieten! Halal-Produkte zum Teufel jagen!", "Nein zur Moschee! Widerstand - jetzt -" sowie "Guten Heimflug!" befestigt worden. In Bayern fanden außerdem interne Aktivitäten der NPD wie Stammtische von Kreisverbänden statt. Junge Nationaldemokraten (JN) Deutschland Bayern Mitglieder 280* Einzelpersonen Vorsitzender Paul Rzehaczek Gründung 1969 Sitz Riesa/Sachsen *Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Die JN sind die Jugendorganisation der NPD. Mit der Kampagne "Schülersprecher" trat die JN im Berichtsjahr auch in Bayern öffentlich in Erscheinung. Die Kampagne wendet sich insbesondere gegen die aus Sicht der JN "deutschfeindliche Propaganda an den Schulen" sowie "das Verharmlosen des Völkermords an uns Deutschen durch 'Multi-Kulti'". In Nürnberg zeigten JN-Aktivisten im Mai vor einer Schule ein Transparent mit der Aufschrift "Deutsche Jugend frei von Schuld, Gegen Schuldkult-Unterricht!" 6.4 Partei Der Dritte Weg (III. Weg) Deutschland Bayern Mitglieder und 580* 160 Sympathisanten Vorsitzender Klaus Armstroff Jasmine Eisenhardt Gründung 2013 2014** Sitz Weidenthal/ Rheinland-Pfalz *Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 ** Stützpunkte bestehen seit 2014. 160 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Die Partei "III. Weg" vertritt einen stark neonazistisch geprägten Rechtsextremismus. Zahlreiche Mitglieder, Fördermitglieder und Sympathisanten der Partei stammen aus dem Umfeld des 2014 verbotenen neonazistischen Netzwerks "Freies Netz Süd" (FNS). Die ideologischen Ziele der Partei ergeben sich aus ihrer Satzung sowie aus einem "Zehn-Punkte-Programm", das auf Elemente des 25-Punkte-Programms der NSDAP zurückgreift. Beide Programme basieren auf einem biologischen Volksbegriff. Die NSDAP hatte festgeschrieben, dass nur der ein "Volksgenosse" sein könne, der "deutschen Blutes" sei. Die Partei "III. Weg" fordert die "Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" sowie die "Beibehaltung der nationalen Identität des deutschen Volkes", die es vor Überfremdung zu schützen gelte. Oberstes Parteiziel ist die "nationale Revolution", an deren Ende "Nationale Revoludie Schaffung eines "Deutschen Sozialismus" stehen soll. In der tion" und "DeutGrundsatzschrift der Partei "Der Nationalrevolutionär" von 2019 scher Sozialismus" heißt es hierzu: Die nationale Revolution richtet sich gegen den ausbeuterischen Kapitalismus ebenso wie gegen den volkszerstörenden Liberalismus. An ihrem Ende steht der Deutsche Sozialismus als gerechte soziale und völkische Ordnung. Die Partei vertritt ein geschichtsrevisionistisches Weltbild. Sie Antisemitismus fordert in ihrem Programm die Wiederherstellung "GesamtAufruf zum Israeldeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen". In diesem ZuBoykott sammenhang spricht der "III. Weg" auch von einer "friedlichen Vereinigung des deutschen Volkskörpers im Rahmen der ethnischen Selbstbestimmung und [der] Schaffung eines souveränen deutschen Volksstaates", was als Vereinigung aller deutschsprachigen Gebiete in einem Staat zu interpretieren ist. Auch der Antisemitismus ist prägend für die Ideologie der Partei: In Artikeln auf ihrer Webseite nimmt die Partei "III. Weg" den PalästinaKonflikt zum Anlass für antizionistische Propaganda. Israel wird dabei als "zionistisches Terror-Regime" sowie als "widernatürliche[s] Raubstaat-Gebilde" bezeichnet. Es wird zudem dazu aufgerufen, keine israelischen Produkte zu kaufen. 161 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Die Partei verfolgt ein Drei-Säulen-Konzept: "den politischen Kampf", "den kulturellen Kampf" und "den Kampf um die Gemeinschaft". Der "III. Weg" sieht sich nach dem Drei-Säulen-Konzept nicht bloß als Wahlpartei, sondern als "nationale Bewegung", die insbesondere auch auf der Straße ihre politischen Ansichten vertritt, sich kulturell betätigt und den Gemeinschaftsgeist über die reine Parteiarbeit hinaus durch Sportund Freizeitangebote vertiefen will. Strukturen Gründung des LanBis 2019 gliederte sich die Partei in die Gebietsverbände desverbands Bayern Süd, Mitte und West. Am 28. September 2019 beschloss der "III. Weg" auf seinem Bundesparteitag eine Änderung seiner Satzung. Diese zielte auf eine Umstrukturierung der Gebietsverbände in Landesverbände ab. Grund hierfür war die Nichtzulassung des "III. Weg" zur sächsischen Landtagswahl 2019 durch den Landeswahlausschuss aus formalen Gründen. In der Folge wurde am 1. Februar mit dem Landesverband Sachsen der erste nach einem Bundesland benannte Landesverband gegründet. Die Gründung des Landesverbandes Bayern, der den bisherigen Gebietsverband Süd ersetzt, erfolgte am 25. Juli. Erste Landesvorsitzende wurde Jasmine Eisenhardt. Der bisherige Gebietsverbandsleiter Süd, Walter Strohmeier, hatte zuvor alle Ämter niedergelegt und war von seinem Status als Vollmitglied der Partei zurückgetreten. Grund hierfür war laut Webseite des "III. Weg" eine Verurteilung am 10. Juni wegen der Veruntreuung von Geldern seines Arbeitgebers in 250 Fällen. Kreisverbände sind die kleinsten selbstständigen Einheiten der Partei. Die Satzung ermöglicht es, in Gebieten, in denen keine Untergliederungen bestehen, sogenannte "Stützpunkte" einzurichten. Ende 2020 bestanden bundesweit 20 Stützpunkte, davon fünf in Bayern. Die bayerischen Stützpunkte entsprechen weitgehend den geografischen Schwerpunkten der verbotenen Vereinigung FNS. 162 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 In Bayern bestehen folgende Stützpunkte: Stützpunkt Oberfranken Stützpunkt 01.02.2015 Mainfranken Coburg 13.09.2014 Bamberg Bayreuth Würzburg Nürnberg Stützpunkt Nürnberg/Fürth 29.03.2014 Regensburg Stützpunkt Ostbayern Ingolstadt 21.06.2014 Passau Landshut Neu-Ulm Augsburg Stützpunkt München/ München Oberbayern 23.03.2014 Traunstein Kempten Aktionen Die Aktivitäten der Partei "III. Weg" wurden 2020 in starkem Maße Antisemitische von der Corona-Pandemie beeinflusst. Vor allem in der ersten Hetze im Rahmen Jahreshälfte konnten viele Aktionen und Veranstaltungen nicht der Pandemie wie geplant durchgeführt werden. Zudem spielten die CoronaPandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung eine große Rolle in der Agitation des "III. Weg". Der "III. Weg" versuchte dabei vor allem, im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stehende Debatten und Themen - wie etwa die mit den staatlichen Beschränkungsmaßnahmen verbundenen Grundrechtseinschränkungen oder die wirtschaftlichen Folgen der Krise - mit der für ihn typischen extremistischen Propaganda zu verbinden. Er behauptete u. a., dass Banken und insbesondere die "internationale Hochfinanz" Nutznießer der Krise seien. Hedgefonds-Manager und Finanzinvestoren würden infolge 163 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus der Wirtschaftskrise Milliarden verdienen. Beispielhaft nennt der "III. Weg" hier die Namen mehrerer Finanzunternehmer jüdischen Glaubens und spielt damit eindeutig auf antisemitische Klischees und Verschwörungstheorien, wie die angebliche "Jüdische Weltverschwörung", an. Aktivitäten in der Daneben versuchte der "III. Weg" sich in der Corona-PandePandemie mie auch als Kümmerer zu gerieren. Ab 19. März bot die Partei an verschiedenen Standorten im Bundesgebiet eine Nachbarschaftshilfe an, darunter auch im Raum Bamberg, Nürnberg und Fürth sowie in Unterund Oberschleißheim und Unterhaching. Die Kampagne erfolgte aus "Solidarität für Deutsche", betroffene Personen wurden aufgerufen, sich per Telefon/WhatsApp, E-Post oder Threema zu melden. Die genannte Telefonnummer galt bundesweit und ließ sich dem außerbayerischen "III. Weg"-Stützpunkt Vogtland zuordnen. Zudem berichtete der "III. Weg" am 15. April auf seiner Parteiwebseite über eine "Dankeschön-Aktion" zugunsten von Beschäftigten in Supermärkten und Arztpraxen in München und Umgebung sowie am 1. Mai über die Verteilung von Kleiderspenden an Obdachlose, den Versand von Briefen und Postkarten an ein Altenheim und nicht näher bezeichneten Geschenken an Ärzte, Apotheker sowie Mitarbeiter in Lebensmittelgeschäften. Außerdem seien selbstgenähte Stoffmasken verteilt worden. Die Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wurden vom "III. Weg" begrüßt. In einem Beitrag auf der Parteiwebseite vom 24. Mai mit dem Titel "Der Widerstand wächst: Neuer ziviler Ungehorsam" wird ein wachsender Freiheitsdrang der Deutschen prognostiziert, es liege ein "Hauch von Aufruhr in der Luft". Die realweltlichen Aktivitäten beschränkten sich allerdings auf Flyerverteilungen und die Teilnahme an Veranstaltungen. So besuchten einzelne Aktivisten beispielsweise Anti-Corona-Kundgebungen in Cham, Deggendorf, München und Nürnberg. Flyerverteilungen fanden u. a. in Bamberg, Cham, Gröbenzell, Hirschaid und Puchheim statt. Am 5. Dezember führte der "III. Weg" zur Corona-Pandemie einen Infostand in Schweinfurt durch. Zu Jahresbeginn führte der "III. Weg" eine Reihe von sogenannten "Nationalen Streifen" durch, so in Augsburg, Kempten und München. Anlass waren meist angebliche Straftaten von Personen mit Migrationshintergrund. In der Folge fanden zunächst wegen der Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie keine weiteren "Nationalen Streifen" mehr statt. Erst im Herbst kam es erneut zu "Nationalen Streifen", so in Fürth, Lohr am Main und Unterschleißheim. 164 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Am 15. Februar veranstaltete der "III. Weg" anlässlich des 75. Jahrestags der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg in Bamberg einen öffentlichen "Trauermarsch", bei dem an die "Bombenopfer des alliierten Terrors im Zweiten Weltkrieg" gedacht werden sollte. Unter den etwa 130 rechtsextremistischen Teilnehmern waren viele Angehörige der bayerischen "III. Weg"-Stützpunkte. Zudem reisten auch Aktivisten aus benachbarten Bundesländern an. Nach Parteiangaben sollen sich auch Delegationen aus Griechenland, Kroatien und Österreich zu der Veranstaltung eingefunden haben. An den bayerischen Kommunalwahlen am 15. März nahm der "III. Weg" als Partei nicht teil. Allerdings gelang es einem Aktivisten der Partei, sich im oberfränkischen Scheßlitz unerkannt als Kandidat auf Platz 4 einer unabhängigen Wählerinitiative aufstellen zu lassen. Nachdem die politische Ausrichtung des Kandidaten durch einen Medienbericht bekannt geworden war, distanzierten sich die übrigen Kandidaten deutlich von dem Aktivisten des "III. Weg". Eine Streichung des Rechtsextremisten von der Liste war jedoch aus rechtlichen Gründen nicht mehr möglich. Allerdings wurde er auf den letzten Listenplatz gestellt und von der Wählerinitiative nicht mehr beworben. Bei der Kommunalwahl erhielt der "III. Weg"-Aktivist 133 Stimmen, belegte den letzten Platz auf der Liste und erlangte damit kein Mandat im Stadtrat. Am 11. September nahm der Vorsitzende des bayerischen Landesverbands der Partei "Deutsche Konservative", Ewald Ehrl, als Gastredner an einem politischen "antiimperialistischen" Stammtisch der Partei "Deutsche Partei "III. Weg" im Landkreis Cham teil. Ehrl fällt seit mehreKonservative" ren Jahren durch seine intensiven Beziehungen zu rechtsextremistischen Personenzusammenhängen auf. Veranstaltungen mit Mitgliedern rechtsextremistischer Parteien wie der NPD und dem "III. Weg" wurden offen organisiert, Ehrl weist zudem eine große ideologische Nähe zum Neonationalsozialismus auf. Dies zeigt sich exemplarisch an der zentralen Bedeutung eines in seinen Äußerungen feststellbaren anti-individualistischen, naturrechtlichen Volksbegriffs und der immer wieder zum Ausdruck gebrachten Angst vor dem vermeintlichen "Untergang" des "Deutschen Volks". Der bayerische Landesverband der Partei "Deutsche Konservative" selbst war dagegen im Jahr 2020 inaktiv. Am 3. Oktober führte der "III. Weg" in Berlin eine Demonstration unter dem Motto "Ein Volk will Zukunft! Heimat bewahren - Überfremdung stoppen - Kapitalismus zerschlagen!" als 165 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Ersatzveranstaltung für die ausgefallene 1. Mai-Kundgebung in Erfurt durch. Mehr als 350 Parteimitglieder und Sympathisanten beteiligten sich, darunter auch bayerische Aktivisten des "III. Weg". Die Demonstration wurde durch Gegenproteste und Sitzblockaden behindert. Dabei kam es vereinzelt auch zu gewaltsamen Übergriffen. Neonazistische Gruppen versuchen seit Jahren den Tag der Arbeit umzudeuten und für ihre eigenen Zwecke als "Arbeiterkampftag" zu instrumentalisieren. Mit Forderungen wie "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche!" und "Kein Hartz-4 für ausländische Sozialtouristen!" bewarb der "III. Weg" die Veranstaltung im Vorfeld im Internet. Aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sagte der "III. Weg" sein für den 14. November geplantes jährlich stattfindendes "Heldengedenken" in Wunsiedel ab. In den vergangenen Jahren hatten sich zu der Demonstration unter dem Motto "Tot sind nur jene, die vergessen werden!" rund 200 Rechtsextremisten eingefunden. Bei rechtsextremistischen "Heldengedenk"-Aktionen wird in der Regel ausschließlich der gefallenen deutschen Soldaten in den beiden Weltkriegen gedacht, die als "Helden für Volk und Vaterland" dargestellt werden. Dabei werden die Angehörigen der Waffen-SS ausdrücklich mit einbezogen. Die Partei rief ihre Anhänger stattdessen dazu auf, am Wochenende vom 14. und 15. November "an die Soldatengräber und Denkmäler zu gehen und unseren tapferen Helden zu gedenken". An rund 20 Orten in Bayern fanden Ersatzaktionen statt. 6.5 Partei DIE RECHTE - Partei für Volksabstimmung, Souveränität und Heimatschutz Deutschland Bayern Mitglieder und 550* Einzelpersonen Sympathisanten Vorsitzender Sascha Krolzig, Philipp Hasselbach Sven Skoda Gründung 2012 24. Mai 2015 Sitz Dortmund München *Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Die im Jahr 2012 gegründete Partei "DIE RECHTE" ist neonazistisch ausgerichtet, ein Großteil der Mitglieder - auch in Führungspositionen - stammt aus der Neonaziszene. Ein politisch 166 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 ideologischer Schwerpunkt der Partei "DIE RECHTE" ist die Fremdenfeindlichkeit. Das Parteiprogramm stellt einen Zusammenhang zwischen Migranten und dem Begehen von Straftaten her, um Migranten pauschal zu diskreditieren und Vorurteile gegenüber Flüchtlingen zu schüren. Strukturen Die Partei ist in mehreren Bundesländern vertreten, formal existiert auch ein bayerischer Landesverband. Über Aktivitäten bayerischer Parteistrukturen liegen jedoch keine Erkenntnisse mehr vor. 7. PARTEIUNABHÄNGIGE RECHTSEXTREMISTISCHE ORGANISATIONEN 7.1 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) Die ursprünglich aus Frankreich stammende und inzwischen europaweit agierende "Identitäre Bewegung" (IB) ist ein rechtsextremistischer Personenzusammenschluss, der eine mitunter subtile, auf den gesamtgesellschaftlichen Diskurs abzielende Beeinflussungsstrategie verfolgt. Die IB bezieht sich konzeptionell unmittelbar auf das Ideenarsenal der "Neuen Rechten" und entlehnt ihr strategisches Leitmotiv, die "Metapolitik", den Thesen des neurechten Vordenkers Alain de Benoist. Aus Unterlagen, die im Rahmen der identitären Sommeruniversität im August 2015 in Frankreich an die teilnehmenden IB-Aktivisten verteilt wurden, lässt sich diese Stoßrichtung beispielhaft entnehmen. Dort heißt es: Die IB ist eine metapolitische Kraft, die versucht, Ideen, Parolen und Bilder in das metapolitische Feld zu führen. Mit Aktionen schaffen wir einen medialen Hype und eine Viralität, die unsere Parolen und Bilder so schnell und breit wie möglich streuen. [...] Unsere politische Kommunikation muss die Massen erreichen und gut zugänglich sein. Kennzeichnend für den Aktionismus der IB sind öffentliche StörProvokative und Transparentaktionen, die sie im Rahmen von Social-MeSocial-Mediadia-Kampagnen inszenieren und verbreiten. Sie orientieren sich Kampagnen konsequent an digitalen Trends, um dem Medienkonsumverhalten junger Zielgruppen gerecht zu werden. Seit ihrem erstmaligen Auftritt auf Facebook im Oktober 2012 ist es dem deutschen Ableger 167 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus der Bewegung, der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD), auf diese Weise gelungen, einen Bekanntheitsgrad zu erlangen, der über rechtsextremistische Kreise hinausreicht und mitunter auch massenmediale Beachtung hervorruft. Infolge von diversen Sperrund Löschmaßnahmen großer Plattformbetreiber hat sich die Agitation der IB im Internet vor allem auf die verschiedenen Telegram-Kanäle der einzelnen IB-Ableger und deren führende Aktivisten verlagert. Dort können die Aktivisten Textbeiträge, Videos und Fotos posten. Die Verlagerung der Internetaktivitäten auf Telegram hatte abermals Einbußen in der Reichweite zur Folge. Bereits 2018 hatte Facebook Kanäle der IB gelöscht. Eigene Sprache der Ihre auf ethnisch, völkisch-abstammungsmäßigen Kriterien fuIdentitären ßenden einwanderungskritischen und islamfeindlichen Positionen versucht die IBD unter Anwendung einer politisch möglichst unverfänglichen Sprache zu vermitteln. Ihr Ziel ist es, herkömmliche negative Assoziationen und gesellschaftliche Abwehrreflexe gegenüber rechtsextremistischen Ideen und Parolen zu überwinden. Durch neue Begriffsund Theoriekonstrukte sollen diskursive Hintertüren geöffnet, Sagbarkeitsfelder erweitert und somit eine neue Akzeptanz gegenüber extremistischen Werten und Vorstellungen geschaffen werden. Statt dumpfen Parolen wie "Ausländer raus" fordern die IBD-Aktivisten daher "Remigration" und "klare Umkehrungsmaßnahmen der Migrationsströme". Statt "Deutschland den Deutschen" zu skandieren, skizzieren sie das Ideal einer Staatsund Gesellschaftsordnung unter der Prämisse der ethnischen und kulturellen Homogenität. Anstelle des neonazistisch konnotierten Konzepts des "Volkstods" beschwören sie die Gefahren des "Großen Austauschs". Vorwürfen, sie würden Rassismus, völkisches und antidemokratisches Gedankengut predigen, widersprechen sie scharf und begegnen diesen, indem sie ihre Ideologie und Kampagnen mit euphemistischen Formeln wie "Ethnopluralismus" oder dem Kampf für eine "echte, direkte Demokratie" etikettieren. 7.1.1 Symbolik und Ideologie Erkennungszeichen der IBD ist das Lambda, der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets, in einem Kreis. Das Symbol war im antiken Griechenland das Erkennungsmerkmal der Spartaner, die im 5. Jahrhundert vor Christus gegen die Invasion eines übermächtigen persischen Heeres kämpften. Dieser Opfermythos entspricht der Selbstwahrnehmung der IBD, die sich als die Letzten sehen, die die "ethnokulturelle europäische Identität" vor ihrem Untergang durch Überfremdung und Islamisierung retten könnten. 168 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Ideologisch sieht sich die IBD selbst in der Tradition der "konserKonzept des Ethnovativen Revolution", einer antidemokratischen, antiliberalen und pluralismus und der antiegalitären Strömung der Weimarer Zeit. Im Zentrum ihrer Proethnokulturellen paganda stehen die ideologischen Konzepte "Ethnopluralismus" Identität und "Großer Austausch". Diese gehen von einer vorgeblich "Großer Austausch" vorherrschenden "ethnokulturellen Identität" der europäischen Völker aus, die durch eine Masseneinwanderung kulturfremder Einwanderer bedroht sei. Diese Bedrohung werde ferner durch die schwachen Geburtenjahrgänge der "ethnokulturellen" Europäer verstärkt. Ein maßgeblicher Indikator dieses "Großen Austauschs" sei die, durch die Identitären ebenfalls bekämpfte, angebliche Islamisierung Europas. Diese Entwicklung wird nach der Meinung der IB durch die "Multikultis", also die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Eliten, gesteuert. Das Ziel sei es, die angestammten Völker und Kulturen Europas soweit zu ersetzen, dass am Ende eine steuerund austauschbare "Konsumentenmasse" entstehe. Die IBD propagiert in diesem Zusammenhang die räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Ethnien ("Ethnopluralismus") und die "Remigration", also letztlich die Ausweisung der Bevölkerungsteile in Deutschland und Europa, die ihren "ethnokulturellen" Kriterien nicht entsprechen. Die identitäre Ideologie weist trotz rhetorischer Abgrenzungsversuche Parallelen zu anderen rechtsextremistischen Ideen und Konzepten auf. Das ethnopluralistische Postulat von der räumlichen und geopolitischen Trennung von Menschen nach ethnischen Kriterien findet sich in ähnlicher Form in der "Blut und Boden"-Ideologie des Nationalsozialismus wieder. Der Begriff der "Rasse" wird im identitären Kontext durch eine angebliche "ethnokulturelle Identität" ersetzt. Die Theorie des "Großen Austauschs" deckt sich zudem weitgehend mit den Aussagen rechtsextremistischer "Volkstod"-Parolen, wonach behauptet wird, dass im Rahmen eines verschwörerischen Eliteprojekts das deutsche Volk durch zugewanderte "volksfremde" Migranten verdrängt und aussterben werde. 7.1.2 Strukturen in Bayern Die IBD gliedert sich in Bayern nicht nach Regierungsbezirken, sondern nach vermeintlichen "Volksgrenzen". Es existieren die drei Gruppierungen "Identitäre Bewegung Bayern" (IB Bayern), "Identitäre Bewegung Schwaben" (IB Schwaben) und "Identitäre Bewegung Franken" (IB Franken). Alle drei Ableger der IB wurden auch im Jahr 2020 in Bayern aktiv. Ihnen werden in Bayern rund 80 Personen zugerechnet. 169 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Der Schwerpunkt des Aktionismus lag im Berichtsjahr bei der IB Bayern, wobei bei allen drei bayerischen IB-Ableger ein Rückgang der Aktivitäten zu beobachten war. Dies dürfte auch mit den allgemeinen staatlichen Beschränkungsmaßnahmen aufgrund der Corona-Pandemie in Zusammenhang stehen. Am 12. Januar wurden durch Beamte der Kriminalpolizeiinspektion Amberg bei vier Aktivisten der IB Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Amberg vollzogen. Den Beschuldigten wird zur Last gelegt, in mindesten zehn Fällen gemeinschaftliche Sachbeschädigung begangen zu haben, indem sie Gegenstände mit dem IB-typischen gelben "Lambda"-Zeichen versahen beziehungsweise an Gegenständen Aufkleber und Flugblätter mit diesem Zeichen anbrachten. An einem Pkw und einer Eingangstüre wurden Scheiben eingeschlagen. Die Polizei stellte zahlreiche elektronische Medien sowie Propagandamaterialien der IB sicher. Kampagne gegen Sechs Aktivisten der IB Bayern zeigten vermutlich am Wochenöffentliche Sender ende des 18./19. Januar ein Banner mit der Aufschrift "Heute schon gehetzt? Gegen zwangsfinanzierte Propaganda" vor dem Gebäude des Bayerischen Rundfunks (BR) in München. Am 24. Januar veröffentlichte die IB Stellungnahmen und Bilder zu dieser Aktion auf ihrer Webseite sowie auf ihren damals noch bestehenden Twitterund Instagram-Kanälen. Sie agitierte hierbei vor allem gegen das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem und bezeichnete dessen Einrichtungen u. a. als "staatliche Medien" und Teil einer "Propaganda-Industrie". Die Banneraktion war Teil einer großangelegten Kampagne der IB gegen die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in Deutschland. Am 5. Januar hatten Aktivisten der IB das Kölner WDR-Gebäude bestiegen und ein Banner mit der Aufschrift "WDRliche Medienhetze stoppen! GEZ sabotieren!" entrollt. Aufhänger der Aktion war das viel diskutierte Satire-Lied "Oma ist 'ne Umweltsau", welches am 27. Dezember 2019 im WDR ausgestrahlt wurde. Von Kritik geprägte öffentliche Diskussionen über mutmaßliche 170 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 journalistische Fehlleistungen und Qualitätsstandards oder das Finanzierungssystem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nehmen Extremisten wie die IB immer wieder zum Anlass, um Stimmung gegen die Medienordnung insgesamt zu machen sowie Medienmacher und Journalisten zu diffamieren. Aktivisten der IB Schwaben kandidierten im März bei den bayerischen Kommunalwahlen im Landkreis Dillingen a. d. Donau auf der Kreistagsliste des Kreisverbandes der Partei "Die Republikaner". Der Kreisverband wird dem rechtsextremistischen Netzwerk in Nordschwaben/Bürgerinitiative Wertingen (BIW) zugerechnet. Am 11. Juli sperrte beziehungsweise löschte Twitter mehrere Löschung von Konten von Aktivisten und Gliederungen der IB, darunter auch Konten und Kanälen die Konten der drei bayerischen Gliederungen der IB. Am 14. Juli durch Twitter und löschte zudem YouTube die Kanäle des zentralen Aktivisten der YouTube IB im deutschsprachigen Raum Martin Sellner. Dieser hatte zuletzt auf seinem Hauptkanal "Martin Sellner" über 140.000 Abonnenten. Die YouTube-Kanäle der IB Deutschland und der bayerischen Untergliederungen waren nicht von den Löschungen betroffen. Um möglichen neuen Sperrungen begegnen zu können, propagieren die IB und vor allem Martin Sellner zunehmend den Messaging-Dienst Telegram als Alternative zu Twitter. Am 11. Juli veröffentlichte die IB Deutschland auf ihrem Telegram-Kanal eine Zusammenstellung aller Telegram-Kanäle ihrer Untergruppierungen, um Sympathisanten und Interessenten den Zugang zu erleichtern. In Reaktion auf die Sperrungen führte die IB im Rahmen einer "Sommertour" an verschiedenen Standorten in Bayern ab dem 25. Juli Infostände durch, um den Verlust der virtuellen Reichweite teilweise zu kompensieren. Bayerische Aktivisten der IB beteiligten sich auch an Aktionen außerhalb Bayerns. So nahmen sie am 30. Mai an einer Transparentaktion in Stuttgart teil. Dort entrollten fünf Aktivisten ein Banner mit der Aufschrift "DBG hat mitgeschossen" am DGB-Gewerkschaftsgebäude. Im Anschluss wurde von den Aktivisten Kunstblut an den Fassaden verschüttet. Medial aufbereitet (u. a. mittels Drohnenaufnahmen) wurde die Aktion über die damals noch bestehenden Twitter-Kanäle der IB gestreut. Laut der IB sollte mit der Aktion auf eine mutmaßlich linksextremistische Attacke auf ein Mitglied der IB-nahen Gewerkschaft "Zentrum Automobil" im Zuge einer sogenannten "CoronaDemonstration" in Stuttgart aufmerksam gemacht werden. Die betroffene Person wurde dabei mit einer Gaspistole schwer verletzt. Laut IB sei der DGB von Linksextremisten infiltriert. 171 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Ebenfalls in Stuttgart führte die IB Schwaben, im Nachgang zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei, in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni eine Aktion unter dem Motto "Stuttgart ist unsere Stadt - Die Party ist vorbei" durch und stellte ein Video dazu ins Internet. Bei der Aktion zeigten die Aktivisten ein Transparent mit dem Motto der Aktion und zogen damit durch die Straßen. 7.2 PEGIDA-München - zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e. V. (PEGIDAMünchen) Gründung 29.04.2015 Aktionsraum München "PEGIDA-München" führte in München in den Jahren 2016/2017 regelmäßige sogenannte "Montagskundgebungen" mit Spaziergängen durch. Im Laufe der Zeit nahm die Teilnehmerzahl bei diesen Kundgebungen stark ab, so dass "PEGIDA München" derzeit nur noch mit Einzelaktionen in Erscheinung tritt, an denen sich nur wenige Aktivisten beteiligen. Im Vorfeld der Kommunalwahlen im Jahr 2020 hatte Karl Richter im September 2019 Wahlbündnisse und gemeinsame Wahlantritte von "BIA-München" und "PEGIDA-München" angekündigt. Am 9. Januar gab Richter via Facebook bekannt, dass man für die "BIA-München" bei den Kommunalwahlen mit Heinz Meyer, dem führenden Aktivisten von "PEGIDA-München", als Oberbürgermeisterkandidaten und Karl Richter auf Listenplatz 1 für den Stadtrat antreten wolle. Der Gemeindewahlausschuss der Landeshauptstadt München schloss mit einstimmigem Beschluss vom 4. Februar Heinz Meyer jedoch von der Oberbürgermeisterwahl am 15. März in München aus. Entscheidungserheblich waren dessen verfassungsfeindliche Gesinnung und Strafgerichtsurteile. Gegen die Entscheidung legte die "BIA-München" Beschwerde ein, die vom für die Kommunalwahlen in Oberbayern zuständigen Beschwerdeausschuss am 17. Februar als unbegründet zurückgewiesen wurde. Im Juni zeigte Heinz Meyer jeweils samstags mehrfach auf dem Sankt-Jakobs-Platz in München in unmittelbarer Nähe zur neuen Synagoge, dem Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde und dem jüdischen Museum, ein Plakat, mit dem er 172 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 forderte, Beschneidungen zu verbieten. Für seine Proteste nutzte Meyer jeweils den Samstag, den wöchentlichen religiösen Feiertag des Judentums, um gegen einen religiösen Ritus des Judentums zu agitieren. Die Stadt München bewertete diese Aktion als antisemitisch und belegte Meyer deshalb mit einem Betretungsverbot für den Sankt-Jakobs-Platz, gegen das er gerichtlich vorgeht. Darüber hinaus beteiligten sich Aktivisten von "PEGIDAMünchen" an den Demonstrationen gegen die staatlichen Beschränkungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der CoronaPandemie am 29. August in Berlin. 7.3 Bürgerinitiativen Durch die Bezeichnung als "Bürgerinitiative" wollen sich Rechtsextremisten als bürgernahe und wählbare politische Alternative präsentieren. Bürgerinitiative A (BIA) e. V. (BIA-Nürnberg) Größe etwa 25 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivitäten Juli 2001 Aktionsraum Nürnberg Die "Bürgerinitiative Ausländerstopp Nürnberg" hatte sich im Jahr 2015 in "Bürgerinitiative (BIA) e. V." umbenannt, um die rechtsextremistische Prägung der "BIA-Nürnberg" stärker zu verschleiern. Ihre Aktivitäten konzentrieren sich vorrangig auf das Themenfeld Anti-Asyl. Bei der "BIA-Nürnberg" handelt es sich um eine aktive, rechtsextremistische Tarnorganisation der NPD. Bei der Stadtratswahl am 15. März erhielt die "BIA-Nürnberg" 0,6 % der Stimmen, beide bisherigen Stadträte der BIA-Nürnberg, Ralf Ollert und Fridrich Luft, verloren damit ihre Sitze. Unter den Stadtratskandidaten der BIA befanden sich Personen, die als NPD-Aktivisten beziehungsweise mit NPD-Funktionärseigenschaft bekannt wurden. Seit der verlorenen Stadtratswahl entwickelte die BIA-Nürnberg keine Aktivitäten mehr. 173 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA-München) Größe 5 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität September 2007 Aktionsraum München Die NPD-Tarnliste "BIA-München" war seit 2008 durch Karl Richter im Stadtrat vertreten. Richter ist Vorsitzender der "BIA-München" und war bis zu seinem Rücktritt im Oktober 2014 auch Landesvorsitzender der NPD. Bei der Kommunalwahl 2020 schloss die "BIA-München" ein Wahlbündnis mit "PEGIDA-München - zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e. V." (PEGIDA-München) und deren Vorsitzenden Heinz Meyer. Meyer sollte dabei als Oberbürgermeisterkandidat antreten. Er wurde jedoch am 4. Februar durch einstimmigen Beschluss des Gemeindewahlausschusses der Landeshauptstadt München wegen seiner verfassungsfeindlichen Gesinnung von der Oberbürgermeisterwahl ausgeschlossen. Die Beschwerde der "BIA-München" wegen Nichtzulassung des Wahlvorschlags zur Oberbürgermeisterwahl wies der für Kommunalwahlen in Oberbayern zuständige Beschwerdeausschuss als unbegründet zurück. So trat die "BIA-München" lediglich mit einer Liste, angeführt von Karl Richter, bei der Stadtratswahl an. Bei der Stadtratsarbeit der "BIA-München" stand die Agitation gegen Flüchtlinge im Mittelpunkt. So sprach die BIA auch im Kommunalwahlkampf von einem "Bevölkerungsaustausch". Sie erreichte bei den Wahlen 0,2 % der Stimmen, Richter gelang damit der Wiedereinzug in den Münchener Stadtrat nicht. Nach der Kommunalwahl erklärte Karl Richter am 9. April auf Facebook nach 15 Jahren seinen Austritt aus der NPD und begründete dies auch mit dem schlechten Abschneiden bei den letzten Wahlen: Die NPD ist heute kein ernstzunehmender politischer Faktor mehr. Nichts spricht dafür, dass sie es je wieder sein wird. Wer heute etwas für Deutschland tun will, dem gibt die NPD dafür kein wirksames Instrument mehr an die Hand; nicht erst die letzten Wahlkämpfe machten auch mir das auf ernüchternde, ja bestürzende Weise deutlich. 174 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 In sozialen Medien ist Karl Richter weiterhin mit rechtsextremistischen Äußerungen präsent. Rechtsextremistisches Netzwerk in Nordschwaben/ Bürgerinitiative Wertingen (BIW) Größe 10 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2002 Aktionsraum Wertingen In Nordschwaben hat sich ein rechtsextremistisches Netzwerk gebildet, zu dem die "Bürgerinitiative Wertingen" (BIW), der Blog "Brennpunkt Nordschwaben" und das Projekt "Heimat Nordschwaben" zählen. Die BIW ist aus einer Initiative gegen einen geplanten Bau einer Moschee in Wertingen Anfang der 2000er Jahre entstanden. Die BIW und der Kreisverband der Partei "Die Republikaner" im Raum Dillingen a. d. Donau werden dem rechtsextremistischen Netzwerk in Nordschwaben zugerechnet. Auf der Kreistagsliste des Kreisverbands der Partei "Die Republikaner" im Raum Dillingen a. d. Donau kandidierten bei den bayerischen Kommunalwahlen auch Aktivisten der "Identitären Bewegung Schwaben" (IB Schwaben). Seit 2002 ist die BIW mit einem Mandat im Stadtrat von Wertingen vertreten. Das Stadtratsmitglied der BIW wurde im Jahr 2020 wiedergewählt und konnte als Kandidat des Kreisverbandes Dillingen der Partei "Die Republikaner" auch einen Sitz im Kreistag erringen. Die Person war früher Mitglied in der NPD und trat in der Vergangenheit bei NPD-Veranstaltungen als Redner auf. Darüber hinaus war ein führender Aktivist der IB Schwaben kurzzeitig Vorstand der BIW. Die BIW versucht sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben und kommunalpolitische Arbeit in den Vordergrund zu stellen. So berichtete der Blog "Brennpunkt Nordschwaben", über den die BIW ihre Agitation im Internet verbreitet, z. B. ausführlich über Verkehrsprojekte in Wertingen. Auch über den YouTubeKanal des Projekts "Heimat Nordschwaben", der auf dem Blog "Brennpunkt Nordschwaben" beworben wurde, versuchen Mitglieder der BIW sich mit ökologischen und landwirtschaftlichen Themen ein gemäßigtes Image zu geben. In den Äußerungen der Vertreter der BIW auf dem Blog wurden aber immer wieder rechtsextremistische Bezüge deutlich. 175 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Die BIW kooperiert mit rechtsextremistischen Gruppierungen im nördlichen Schwaben. So hat sie z. B. am 1. Juni 2019 an einem süddeutschen Vernetzungstreffen teilgenommen, das ein Bürgernetzwerk in Süddeutschland ins Leben rufen sollte. Dort präsentierte auch die IB ihr Projekt "Schanze Eins" und die identitäre Kampagne "Alternative Help Association". Weitere rechtsextremistische Bürgerinitiativen Die "Bürgerinitiative Soziale Alternative Oberpfalz" (BiSAO) beschränkte ihre Aktivitäten auf das Erstellen von Facebook-Einträgen. Auf ihrem Facebook-Profil werden aktuelle Nachrichten, vorwiegend zur Ausländerund Kriminalitätsthematik, verlinkt und teilweise kommentiert. 7.4 Sonstige rechtsextremistische Organisationen Gesellschaft für freie Publizistik e. V. (GfP) Die GfP wurde 1960 von ehemaligen SS-Offizieren und NSDAPFunktionären gegründet. Sie ist die mitgliederstärkste rechtsextremistische Kulturvereinigung. Ihr gehören vor allem Verleger, Redakteure, Schriftsteller und Buchhändler an. Die GfP, die ihren Sitz in München hat, stellt drei Themen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten: die Relativierung der Kriegsschuld, die "Ausländerfrage" und die Meinungsfreiheit für die "nationale Publizistik". Sie unterhält Verbindungen zu rechtsextremistischen Organisationen sowie zu organisationsunabhängigen rechtsextremistischen Verlagen und Vertriebsdiensten. Von der GfP veranstaltete Kongresse dienen dazu, Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum zusammenzuführen und den organisationsübergreifenden Zusammenhalt zu stärken. Die GfP strebt eine Vernetzung mit patriotischen Kräften an. Den für 2020 geplanten Jubiläumskongress zum 60-jährigen Bestehen sagte die GfP coronabedingt ab. Schutzbund für das Deutsche Volk e. V. (SDV) Der "Schutzbund für das Deutsche Volk e. V." (SDV) wurde 1981 in Heidelberg gegründet und hat seinen Sitz in München. Der SDV propagiert ein ethnisch-biologisches Volksverständnis. Dieses kommt insbesondere in Vereinsaktivitäten zur Verhinderung eines angeblich stattfindenden "Bevölkerungsaustauschs" und darauf begründeter Forderungen nach einem "Rückführungsprogramm" zum Ausdruck. Durch eine eindeutige Verächtlichmachung von Personen auf der Grundlage von ihrer Herkunft, 176 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Kultur sowie Religion richten sich die Aktivitäten des Vereins dabei gegen die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde. Nachdem der SDV im Jahr 2018 den "Hohe-Meißner-Preis" Ehrung von Rechtsan den Rechtsextremisten Nikolai Nerling vergab, der sich u. a. extremisten für die Freiheit der verurteilten Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck einsetzt, wurde im Jahr 2019 die Rechtsextremistin Edda Schmidt geehrt. Ihr wurde der Preis für ihr Engagement in der Nationaldemokratischen Partei (NPD) sowie für die 1994 u. a. aufgrund einer "Wesensverwandtschaft mit der früheren NSDAP" vom Bundesminister des Innern verbotene rechtsextremistische "Wiking-Jugend" verliehen. Im Jahr 2020 wurde der "Hohe-Meißner-Preis" an Maik Müller, den stellvertretenden Landesvorsitzenden der NPD Sachsen, verliehen. Er erhielt diesen Preis laut Begründung auf der Website des SDV u. a. für sein Engagement bei den Jungen Nationaldemokraten (JN). Damit fördert der SDV gezielt Personen, die Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgen. Aktivitas der Burschenschaft Danubia München Die "Burschenschaft Danubia" hat ihren Sitz in München. In der etwa 10 Personen umfassenden Aktivitas (= studierende Mitglieder) der Burschenschaft engagieren sich einzelne Personen, die Beziehungen zur rechtsextremistischen Szene unterhalten oder in der Vergangenheit unterhalten haben. Bei Veranstaltungen der Aktivitas traten seit Jahren auch Referenten aus dem rechtsextremistischen Bereich auf. Die Münchener "Burschenschaft Danubia" veröffentlichte am 26. Mai auf ihrem Facebook-Profil einen Beitrag im Gedenken an den im Zusammenhang mit der französisch-belgischen Ruhrbesetzung hingerichteten Freikorpskämpfer Albert Leo Schlageter. Dieser war Mitglied der NSDAP-Tarnorganisation "Großdeutsche Arbeiterpartei" und wurde im Nationalsozialismus als Märtyrer verehrt. In der heutigen Zeit findet ein Gedenken an Schlageter ausschließlich in der rechtsextremistischen Szene statt. Am 27. Juli teilte die Burschenschaft einen Beitrag des zum rechtsextremistischen Institut für Staatspolitik gehörenden Mediums "Sezession im Netz". Midgard e. V. Mit dem Thema Umweltund Naturschutz setzen Rechtsextremisten auf gesellschaftspolitische Themen, die vordergründig jenseits ihrer verfassungsfeindlichen Agenda liegen. In Bayern hatte sich im Jahr 2006 innerhalb der Szene der rechtsextremistische 177 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Umweltverein "Midgard e. V." mit Sitz in Landshut etabliert. Vorstandsmitglieder wurden durch Verbindungen zur NPD bekannt. Die von "Midgard e. V." herausgegebene Publikation "Umwelt & Aktiv" befasste sich überwiegend mit den Themen "Umwelt-, Tierund Heimatschutz". Auf der Webseite von "Umwelt & Aktiv" erschien am 17. Februar die Mitteilung über die nach 13 Jahren "endgültig [...] letzte Ausgabe" der gedruckten gleichnamigen Publikation. Als Gründe wurden finanzielle Schwierigkeiten beziehungsweise "Repressalien" gegen das Magazin und die Herausgeber angeführt. Die Internetseite sei von der Einstellung der Druckausgabe dagegen nicht betroffen und werde auch in Zukunft Beiträge veröffentlichen. Abonnenten sollten anstelle der gedruckten Ausgabe von "Umwelt & Aktiv" in den nächsten Wochen eine bis dato nicht näher bezeichnete andere Publikation erhalten. Über die Einstellung der Druckausgabe informierte am 24. Februar auch die rechtsextremistische Partei "Der Dritte Weg" auf ihrer Internetseite. Mittlerweile ist auch die Webseite des Magazins nicht mehr erreichbar. "Umwelt & Aktiv" veröffentlichte regelmäßig Beiträge, die typische Elemente rassischer Überhöhung sowie die Diffamierung der bestehenden politischen Ordnung enthielten sowie mitunter deutlich nationalsozialistisch orientiert waren. 8. NEONAZISMUS UND KAMERADSCHAFTEN Der Neonazismus ist eine besonders menschenverachtende Erscheinungsform des Rechtsextremismus. Er umfasst alle Aktivitäten und Bestrebungen, die sich offen zur Ideologie des Nationalsozialismus bekennen. Ziel der Neonazis ist die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Errichtung eines vom Führerprinzip bestimmten autoritären beziehungsweise totalitären Staates. Neonazis betreiben revisionistische Vergangenheitsverfälschung, indem sie die Geschichtsschreibung über die Zeit des Dritten Reichs ändern wollen und die Gewaltherrschaft des nationalsozialistischen Regimes rechtfertigen oder verharmlosen. "Moderne" Neonazis thematisieren aktuelle sozialoder gesellschaftspolitische Fragen und liefern vermeintlich einfache Antworten. Bei Demonstrationen greifen sie tagespolitische Themen auf und fordern beispielsweise die "Todesstrafe für Kindermörder" oder "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche". Ihre Thesen stützen Neonazis auf rassistische und antisemitische Argumentationsmuster. 178 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Neonazistische Aktivitäten entfalten sich in Bayern in der Partei "Der Dritte Weg" sowie in einzelnen Kameradschaften. Die Organisationsform der neonazistischen Kameradschaft ist aber insgesamt rückläufig. So schließen sich Neonazis überwiegend in informellen Gruppen zusammen, die weitgehend ohne feste Strukturen auskommen, oder sie agieren als Einzelpersonen. Die Kontaktpflege oder Vernetzung erfolgt über das Internet und soziale Netzwerke. In Bayern werden rund 680 Personen dem Neonazismus zugeordnet. 8.1 Neonazistische Gruppen Aktionsbündnis Niederbayern Aktivisten und Sympathisanten etwa 10 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2019 Aktionsraum Deggendorf Das Aktionsbündnis Niederbayern trat im Zusammenhang mit den Demonstrationen gegen die staatlichen Beschränkungsmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Deggendorf öffentlich in Erscheinung. Diese Demonstrationen in Deggendorf sind maßgeblich von Rechtsextremisten initiiert. Das zeitweise bestehende Facebook-Profil des Aktionsbündnisses bewarb diese Demonstrationen, berichtete über sie und brachte die neonazistische Ideologie der Betreiber des Profils zum Ausdruck. Kameradschaft Aryans Aktivisten und Sympathisanten Einzelpersonen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2016 Aktionsraum länderübergreifend Bei der "Kameradschaft Aryans" handelt es sich um einen länderübergreifenden Personenzusammenschluss aus gewaltbereiten Rechtsextremisten, der auch Personenbezüge nach Bayern aufweist. Seit 2016 haben die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden mehrere öffentliche Auftritte der "Kameradschaft Aryans" verzeichnet. Im Herbst 2018 fanden im Rahmen eines 179 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts am Bundesgerichtshof Exekutivmaßnahmen statt, von denen insgesamt vier bayerische Personen betroffen waren. Das Verfahren ist bisher nicht abgeschlossen. Freie Kräfte Berchtesgadener Land Aktivisten und Sympathisanten etwa 20 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2012 Aktionsraum Berchtesgaden, Bad Reichenhall, Freilassing Die neonazistische Kameradschaft "Freie Kräfte Berchtesgadener Land" unterhält Kontakte zu den Parteien "Der Dritte Weg" und NPD. Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. (AG-GGG) Aktivisten und Sympathisanten in Bayern Einzelpersonen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 1951 auf Bundesebene Aktionsraum bundesweit, in Bayern v.a. Oberbayern "Artbekenntnis" Bei der "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinund "Sittengesetz schaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG-GGG) unserer Ahnen" handelt es sich um eine bundesweit aktive neonazistische, neuheidnische und religiös-völkische Organisation. Sie bildet eine wichtige Schnittstelle für die gesamtdeutsche Neonaziszene. Die Ideologie der Organisation - von den Mitgliedern "Artglaube" genannt - geht von der Überlegenheit einer nordisch-germanischen "Menschenart" aus, ist also insofern rassistisch, und beinhaltet völkische, sozialdarwinistische und antisemitische Elemente. Eine Orientierung am Weltbild des historischen Nationalsozialismus ist feststellbar. So heißt es etwa im "Artbekenntnis", einem der grundlegenden Texte des "Artglaubens": Kampf ist Teil des Lebens; er ist naturnotwendig für alles Werden, Sein und Vergehen. Jeder Einzelne von uns wie unsere gesamte Art stehen in diesem Ringen. Wir bekennen uns zu diesem nie endenden Lebenskampf. 180 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Und weiter: Die Menschenarten sind verschieden in Gestalt und Wesen. Diese Verschiedenheit ist sinnvolle Anpassung an die unterschiedlichen Naturräume. Wir bekennen uns zur Erhaltung und Förderung unserer Menschenart als höchstem Lebensziel, denn auch sie ist eine Offenbarung des Göttlichen. Diese beiden Zitate aus dem "Artbekenntnis" spiegeln die Weltsicht des historischen Nationalsozialismus und des in ihr angelegten Überlebenskampfs der "nordisch-germanischen Rasse" mit als minderwertig betrachteten anderen "Rassen" wieder. Ebenso wird in dem zweiten Zitat die Auffassung deutlich, dass Ethnien an bestimmte Naturräume gebunden seien, weshalb eine Mischung dieser Ethnien schädlich wäre. Dieser angebliche Umstand wird darüber hinaus noch als göttlich gegeben verklärt. Daran wird ein Volksbegriff erkennbar, der Volkszugehörigkeit an ethnischen Kriterien festmacht und damit einen Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes darstellt. Allen Personen, die nicht dem so definierten ethnischen Volk angehören, werden in der Konsequenz die Grundrechte aberkannt. Im "Sittengesetz unserer Ahnen", der zweiten programmatischen Schrift der AG-GGG, findet sich folgende Aussage: Das Sittengesetz in uns gebietet gleichgeartete Gattenwahl, die Gewähr für gleichgeartete Kinder. Öffentlich in Erscheinung tritt die AG-GGG nur selten. Die Gruppierung veranstaltet in erster Linie interne germanisch-neuheidnische Feiern sowie Gemeinschaftstage, um ihre Ideologie unter ihren Mitgliedern weiterzugeben und zu festigen. Die Organisation gibt vierteljährlich die Mitgliederzeitschrift "Nordische Zeitung" heraus. Der Schwerpunkt der Gruppierung scheint in Ostdeutschland, insbesondere Thüringen, zu liegen, jedoch sind auch immer wieder einzelne Aktivitäten in Bayern feststellbar. So veröffentlichte die Artgemeinschaft im Februar 2019 auf ihrem Facebook-Profil 181 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus unter dem Schlagwort "Walhalla - Erstarkung durch Vermehrung - Überall Aufbruch zum Artglauben" Bilder eines Besuchs der Walhalla in Regensburg. Im März 2019 wurden auf der Facebook-Seite der AG-GGG Bilder von Besuchen des Keltenund Römermuseum in Manching bei Ingolstadt gepostet. 9. RECHTSEXTREMISTISCHE JUGENDSZENEN UND SUBKULTUREN In rechtsextremistischen Jugend-Szenen verbindet sich eine diffuse Weltanschauung mit Elementen, die an zentrale Merkmale des Nationalsozialismus angelehnt sind. Um junge Aktivisten zu gewinnen, hat sich die rechtsextremistische Szene modisch und ideologisch geöffnet. Die früher typischen Glatzen und Springerstiefel der Skinheads sind weitestgehend verschwunden. Lange Haare, Piercings oder Basecaps und sogar Merkmale aus dem "linken" und linksextremistischen Spektrum wurden übernommen. Eine rechtsextremistische Gesinnung ist somit äußerlich nur noch schwer zu erkennen. Dadurch sollen Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner, Polizeikontrollen oder Probleme mit Eltern, Freunden, in der Schule oder im Beruf vermieden werden. In rechtsextremistischen Jugend-Szenen gibt es in der Regel weder feste Organisationsstrukturen noch formelle Mitgliedschaften. Rechtsextremisten versuchen zudem, ihre Feindbilder und Ideologien in Jugend-Szenen und Subkulturen einfließen zu lassen, um Anhänger zu gewinnen und jugendrelevante Trends und Stile mitzuprägen. Das durch rechtsextreme Vereinnahmung betroffene Stilspektrum reicht dabei von Black Metal, Hatecore und Neofolk bis hin zu Hip-Hop und Techno. Einzelpersonen sind auch in der rechts-orientierten Hooligan-Szene aktiv. Anlehnung an Erscheinungsbild und Strukturen der Rockerszene Subkulturell geprägte Rechtsextremisten nähern sich in ihrem Erscheinungsbild und ihren internen Strukturen vermehrt an die Rockerszene an. So wählen sie beispielsweise englischsprachige Gruppenbezeichnungen, tragen "Kutten" (Motorradjacken, auf deren Rückenteil das Gruppenlogo aufgenäht ist), pflegen rockerähnliche Aufnahmerituale für Neumitglieder und benennen interne Hierarchieebenen mit englischen Begriffen wie "President" oder "Secretary". 182 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Die mit Abstand mitgliederstärkste Skinhead-Gruppierung in Bayern, "Voice of Anger", weist ebenfalls einzelne Ähnlichkeiten mit Rockergruppierungen auf. So gibt es beispielsweise bei ihr ein Aufnahmeverfahren, das sich am sogenannten "Prospect"Status der Rocker orientiert. Es ist aber weder eine strukturierte Zusammenarbeit noch eine ideologische Annäherung zwischen der rechtsextremistischen Szene und der "1-Prozenter"-Rockerszene in Bayern feststellbar. Weite Teile der rechtsextremistischen Szene lehnen Rockerclubs wegen ihres vergleichsweise hohen Anteils an Migranten ab. Es bestehen aber punktuell personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene, die zumeist auf geschäftliche Interessen oder persönliche Beziehungen zurückgehen. Hammerskins (HS) Die 1988 in den USA gegründeten "Hammerskins" (HS) propagieren ein rassistisches und zum Teil nationalsozialistisches Weltbild und sehen sich als Elite der rechtsextremistischen Skinheads. Weltweit in die Schlagzeilen gerieten die HS, als der 40-jährige Wade Michael Page am 5. August 2012 in Oak Creek (Wisconsin) in einem Sikh-Tempel sechs Menschen niederschoss und anschließend selbst von einem Polizisten getötet wurde. Page war Anhänger der US-amerikanischen "Hammerskin-Bewegung". Struktur und Aufnahmeverfahren der "Hammerskins" ähneln dem Rockerclub "Hells Angels MC". So sind die HS in vielen Ländern mit "Divisionen" vertreten. Europaweit bestehen als regionale Untergliederungen rund 25 Chapter, deren Aktivitäten sich größtenteils auf die Organisation von rechtsextremistischen Konzerten und Veranstaltungen sowie die Selbstorganisation der "Hammerskin-Bewegung" beschränken. Der "Hammerskin-Division Deutschland" gehören rund zehn deutsche Chapter mit insgesamt bis zu 100 Skinheads an, darunter das Chapter Bayern und das Chapter Franken. Voice of Anger (VoA) VoA wurde im Jahr 2002 in Memmingen als Skinhead-Vereinigung von überwiegend jüngeren Skinheads gegründet. Sie ist subkulturell-neonazistisch orientiert. VoA gliedert sich derzeit in die Sektionen Memmingen, Schwaben, Unterallgäu und Nomads und umfasst insgesamt etwa 60 Mitglieder und Sympathisanten. Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten steht die Ausrichtung von internen Veranstaltungen, um den Zusammenhalt zu fördern. Zudem organisiert die 183 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus VoA die Teilnahme an Skinhead-Konzerten. Eine der Führungsfiguren, Benjamin Einsiedler, vertreibt daneben mit seinem Szeneversandhandel "Oldschool Records" Szeneartikel und Tonträger. Mitglieder von "Voice of Anger - Nomads" gründeten im Jahr 2010 die Skinhead-Band "Kodex Frei". "Voice of Anger" ist derzeit eine der wenigen noch überregional aktiven Skinhead-Kameradschaften. Entgegen der sonst rückläufigen Entwicklung der subkulturell geprägten Skinheadszene konnte VoA ihren Mitgliederstand konstant halten und stellt somit die größte Skinhead-Gruppierung in Bayern dar. Diese müssen ein abgestuftes Aufnahmeverfahren ähnlich dem einer Rockergruppierung durchlaufen. In der Nacht vom 24./25. April 2017 brannte eine von der Skinheadgruppierung "Voice of Anger" (VoA) genutzte Gaststätte in einer Kleingartenanlage in Memmingen ab und wurde weitgehend zerstört. In der Folgezeit wurde das Gebäude durch VoA wieder aufgebaut und instandgesetzt. Der NPD Kreisverband Memmingen/Unterallgäu unterstützte die Skinheadgruppierung, indem er nach dem Brand auf Facebook um Geldspenden für den Wiederaufbau warb. Seit Januar 2019 wird die ehemalige Gaststätte wieder als Clubhaus der Gruppierung genutzt, auch für rechtsextremistische Veranstaltungen. Der Besitz einer eigenen Immobilie ist für die rechtsextremistische Szene wichtig, da die Anmietung von Veranstaltungsräumen, in denen Feiern und Konzerte durchgeführt werden können, häufig nicht gelingt. Aufgrund der Platzverhältnisse ermöglicht das Clubhaus allerdings keine größeren Veranstaltungen. Am 10. Januar fand in diesem Clubhaus im Rahmen einer Veranstaltung von VoA eine Musikdarbietung statt. Prollcrew Schwandorf (SPC) beziehungsweise Bollwerk Oberpfalz (BWO) BWO beziehungsweise SPC ist eine seit dem Jahr 2016 bestehende Gruppierung. Sie wird als lose organisierte Gruppe mit einem Personenpotenzial von etwa 10 Personen dem subkulturell geprägten Rechtsextremismus zugeordnet. Die Gruppierung artikuliert Versatzstücke einer rechtsextremistischen Ideologie, verfügt aber nicht über eine fundierte ideologische Überzeugung und sieht nach ihrer Selbstdarstellung ihren Hauptzweck in szenetypischen Freizeitaktivitäten. Gruppierungen wie die BWO beziehungsweise SPC entwickeln eine hohe Mobilität, um rechtsextremistische Konzerte und Veranstaltungen zu besuchen. Im Jahr 2020 trat die Gruppe nicht öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. 184 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Blood & Honour (B&H) Die neonazistische Skinhead-Bewegung B&H ist ein ursprünglich aus England stammendes, mittlerweile international agierendes, rechtsextremistisches Netzwerk. Seit seiner Gründung Ende der 1980er Jahre verbreitet es nationalsozialistisches und rassistisches Gedankengut durch die Veranstaltung von SkinheadKonzerten und den Vertrieb von rechtsextremistischer Musik und Szenekleidung. Die Organisationsbezeichnung "Blood & Honour" ist der in die englische Sprache übersetzte Leitspruch 'Blut und Ehre', der von der nationalsozialistischen Jugendorganisation "Hitlerjugend" verwendet wurde. In den 1990er Jahren stellte B&H die bedeutendste und aktivste internationale Organisation innerhalb der Skinheadszene dar. In Deutschland existierte ab 1994 eine eigene "Division". Sie war gegen Ende der 1990er Jahre einer der wichtigsten Veranstalter rechtsextremistischer Skinhead-Konzerte, gab ein gleichnamiges Magazin heraus und betrieb zeitweilig ein eigenes Produktionslabel für rechtsextremistische Tonträger. Im Jahr 2000 bestand die Organisation bundesweit aus 15 regionalen Untergliederungen, sogenannte "Sektionen", und besaß eine Gesamtstärke von rund 200 Mitgliedern. In Bayern unterteilte sich die B&H-Bewegung in die "Sektionen" Franken und Bayern, die ihre jeweiligen Sitze in den Regionen Amberg und Bamberg hatten und zusammen etwa 20 Mitglieder umfassten. Im September 2000 verbot der Bundesminister des Innern B&H Bundesweites mitsamt ihrer Jugendorganisation "White Youth" nach dem Verbot seit 2000 Vereinsgesetz, da die Gruppierung sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtete. Seit dem 16. Juni 2001 ist das Verbot bestandskräftig. In den Jahren nach dem Verbot wurden Nachfolgeaktivitäten früherer Mitglieder der Organisation durch konsequente Strafverfolgungsmaßnahmen unterbunden. Nach 2006 waren zunächst nur vereinzelt Verdachtsmomente bekannt geworden, die auf Nachfolgebestrebungen der Organisation im Bundesgebiet hindeuteten. Die Generalstaatsanwaltschaft München, Bayerische ZentralDurchsuchungen in stelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus mehreren Bundes(ZET), führt ein Ermittlungsverfahren gegen 12 Beschuldigte in ländern 5 Bundesländern wegen des Verdachts einer Straftat nach SS 85 StGB (Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot). Den Beschuldigten wird zur Last gelegt, die seit September 2000 verbotene Organisation "BIood & Honour Division Deutschland" mit Sektionen in 185 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Rechtsextremismus Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Mitteldeutschland fortzuführen und eine engmaschige Vertriebsstruktur für Szenezubehör und Rechtsrockmusik aufgebaut zu haben. Dabei sollen vor allem Musik-CDs mit verbotenem Rechtsrockliedgut und Merchandisingartikel mit verbotenen rechtsradikalen Symbolen nach Deutschland eingeführt und hier vertrieben worden sein. Am 12. Dezember 2018 wurden im Rahmen des Verfahrens an insgesamt 15 Objekten Durchsuchungsbeschlüsse vollzogen. Acht Durchsuchungsobjekte befanden sich in Bayern, zwei in BadenWürttemberg, drei in Thüringen und je ein Objekt in Hessen und in Sachsen-Anhalt. Ziel der Maßnahmen war das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur der verbotenen Organisation sowie die Aufklärung der Produktion und des Vertriebs des verbotenen Rechtsrockliedguts. Es konnten neben zahlreichem rechtsextremistischem Propagandamaterial auch Tonträger mit "Blood & Honour"-Bezug festgestellt werden sowie ein Dolch mit Hakenkreuz, Schlagstöcke und Schlagringe. 186 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 187 Reichsbürger und Reichsbürger und Selbstverwalter Selbstverwalter Bundesinnenminister verbietet Reichsbürgergruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" Verschwörungstheorien von Reichsbürgern finden infolge der Corona-Krise größere Verbreitung Personenpotenzial steigt wieder auf Niveau vor 2019 an Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Die Bezeichnung Reichsbürger umfasst Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit verschiedenen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich u. a. auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Den Vertretern des Staates und dessen Institutionen sprechen sie die Legitimation ab und bestreiten die Gültigkeit der Rechtsordnung. Zur Verwirklichung ihrer Ziele treten sie zum Teil aggressiv gegenüber den Gerichten und Behörden der Bundesrepublik Deutschland auf. Selbstverwalter sind Einzelpersonen, die behaupten, sie könnten durch eine Erklärung aus der Bundesrepublik austreten und seien daher auch nicht mehr deren Gesetzen unterworfen. Die dafür genutzten Argumente sind im Wesentlichen deckungsgleich mit denen der Reichsbürger. Selbstverwalter definieren beispielsweise ihre Wohnung, ihr Haus oder ihr Grundstück als souveränes Staatsgebiet, auf dem ihre eigene "Staatsordnung" gelte. Ihr Grundstück markieren sie mitunter durch eine (Grenz-)Linie und erfinden eigene "Staatswappen". In Teilen sind Reichsbürger und Selbstverwalter dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zuzurechnen, insbesondere dort, wo sich Versatzstücke antisemitischer und nationalsozialistischer Denkmuster wiederfinden. 189 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Reichsbürger und Selbstverwalter Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann zur Grundlage für Radikalisierungsprozesse bis hin zur Gewaltanwendung werden. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Reichsbürger und Selbstverwalter in Bayern als sicherheitsgefährdende Bestrebung. 190 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 1. PERSONENPOTENZIAL Den Sicherheitsbehörden in Bayern ist es durch kontinuierliche Ermittlungsarbeit gelungen, Personenpotenzial, Strukturen und regionale Schwerpunkte weiter aufzuklären. Bis zum Ende des Berichtszeitraums (Stand: 31.12.2020) lagen zu rund 4.130 Personen belastbare Hinweise bezüglich ihrer Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene vor. Damit erreicht das Personenpotenzial nahezu wieder das Niveau vor 2019. Diese Entwicklung dürfte vor allem durch die Diskussionen über die staatlichen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie begünstigt worden sein. Bis zu 400 Anhänger gehören zum "harten Kern", der insbesondere durch zahllose Aktivitäten gegenüber staatlichen Institutionen seine Ideologie zum Ausdruck bringt. Bei den meisten bislang identifizierten Reichsbürgern und Selbstverwaltern ist weiterhin kein "Organisationsbezug" feststellbar. Die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden und die Berichterstattung darüber, u. a. zu Waffenentzugsverfahren bei Reichsbürgern, entfalten auch präventive Wirkung. Sie führen der Szene mögliche Konsequenzen vor Augen, die sich aus einer verfassungsfeindlichen Haltung ergeben können. Zudem werden Straftaten, insbesondere Erpressungsund Nötigungsdelikte, konsequent verfolgt. Im Berichtsjahr gingen - abgesehen von Aktionen in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie (hierzu vgl. 4.) - die Aktivitäten bayerischer Gruppierungen zurück. Die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter in Bayern ist im Zusammensetzung Wesentlichen männlich geprägt: Rund drei Viertel der in Bayern und Aktivitätsals Reichsbürger und Selbstverwalter identifizierten Personen schwerpunkte in sind männlich. Die Altersstruktur der Reichsbürger und SelbstBayern verwalter unterscheidet sich erheblich von der in anderen Phänomenbereichen. Während in anderen Phänomenbereichen häufig jüngere Menschen stark vertreten sind, liegt der Schwerpunkt der Szene im Alterssegment der 40bis 69-Jährigen, wobei hier die Gruppe der Personen zwischen 50 und 59 Jahren dominiert. Personen bis 29 Jahre sind in der Szene hingegen nur unterdurchschnittlich repräsentiert. In Bayern sind Anhänger der Szene im Verhältnis zur Bevölkerungszahl insbesondere in Oberfranken, Mittelfranken und Oberbayern überproportional stark vertreten. Unabhängig davon sind Reichsbürger mit öffentlichkeitswirksamen und internen Szeneaktivitäten in Oberbayern, Niederbayern und Mittelfranken besonders aktiv. 191 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Reichsbürger und Selbstverwalter Eine eindeutige Zuordnung von sogenannten Reichsbürgern oder Selbstverwaltern zur rechtsextremistischen Szene ist bislang nur in wenigen Fällen belegbar. Eine strukturelle Zusammenarbeit ist weiterhin nicht erkennbar, auch wenn im Rahmen einzelner Veranstaltungen Mischszenen aufgetreten sind. So ließ sich beispielsweise bei Veranstaltungen gegen die staatlichen Beschränkungsmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie eine Mischklientel feststellen, zu der sowohl Rechtsextremisten als auch Reichsbürger zählten. Die Ablehnung des Staates und seiner Organe ist ideologischer Bestandteil nahezu aller extremistischen Phänomenbereiche und begründet für sich genommen keine Zugehörigkeit zum Rechtsextremismus. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie zeigt sich, dass aus der Ablehnung des Staates häufig auch der Widerstand gegen erlassene Verordnungen resultiert. In diesem Zusammenhang werden auch inhaltliche Schnittmengen zwischen Reichsbürgern, Rechtsextremisten und nicht-extremistischen Personen, die den staatlichen Beschränkungsmaßnahmen ebenfalls ablehnend gegenüberstehen, offenbar. Steigerung bei Die Zahl der Reichsbürger in Bayern, die auch in rechtsextrePersonen mit rechtsmistischen Zusammenhängen bekannt geworden sind, ist leicht extremistischen gestiegen und beläuft sich nun auf circa 100 Personen. Dabei Bezügen handelt es sich vorwiegend um Einzelpersonen, die keinen Strukturen zugerechnet werden können und durch ihre Aktivitäten im virtuellen Raum Ideologieelemente aus beiden Phänomenbereichen vertreten. Insbesondere bei den Themen Antisemitismus und Gebietsrevisionismus gibt es Überschneidungen zwischen Rechtsextremisten und Reichsbürgern. Einzelne wenige Reichsbürger nahmen auch an Stammtischen rechtsextremistischer Gruppierungen teil. Straftaten von Reichsbürgern und Selbstverwaltern werden seit dem Jahr 2017 gesondert erfasst. Im Berichtszeitraum wurden insgesamt 243 extremistische Straftaten gezählt, darunter 72 Gewaltdelikte. Den Schwerpunkt bei den Gewaltdelikten bildeten mit 64 Taten Erpressungsdelikte. Ferner waren 3 Körperverletzungen zu verzeichnen. Mit 74 Taten stellten Nötigungsund Bedrohungsdelikte den Schwerpunkt der sonstigen 170 Straftaten dar. Einzelne Reichsbürger sind u. a. wegen Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole, Volksverhetzung sowie verfassungsfeindlicher Verunglimpfung von Staatsorganen aufgefallen. 192 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 2. IDEOLOGIE 2.1 Ideologische Gemeinsamkeiten Reichsbürger berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Leugnung der ExisFortbestand des Deutschen Reiches. Dabei wird z. B. auf den tenz Deutschlands Rechtsstand von 1937, 1914 zwei Tage vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges oder auch 1871 Bezug genommen. Reichsbürger behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent, oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung 1990 seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. Die von den Reichsbürgern vorgetragenen Argumente gegen die Existenz Deutschlands als Staat sind falsch. Das Bundesverfassungsgericht beispielsweise lässt in seiner gesamten Rechtsprechung keinen Zweifel daran, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die gültige Verfassung des wiedervereinigten Deutschlands ist. Zu den vermeintlichen Argumenten der Reichsbürger stellte das Amtsgericht Duisburg im Leitsatz einer Entscheidung bereits am 26. Januar 2006 zusammenfassend fest: Das Bonner Grundgesetz ist unverändert in Kraft. Eine deutsche Reichsverfassung, eine kommissarische Reichsregierung oder ein kommissarisches Reichsgericht existiert ebenso wenig, wie die Erde eine Scheibe ist. 2.2 Szeneinterne ideologische Konflikte Die Anhänger der Reichsbürgerszene eint zwar die grundsätzliche Ablehnung des bundesdeutschen Staatswesens, ideologisch und organisatorisch ist die Bewegung jedoch sehr heterogen. In der Szene gibt es Geschäftemacher, Verschwörungstheoretiker, Rechtsextremisten, Querulanten, Esoteriker und verschiedene Personengruppen, die untereinander konkurrieren und persönliche oder ideologische Konflikte austragen. Dies führt häufig zu Abspaltungen und Neugründungen innerhalb der Reichsbürgerszene. 193 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Reichsbürger und Selbstverwalter Regionale und Insbesondere auf regionaler Ebene haben sich zahlreiche ideologische Kleinstgruppen gebildet. Jede dieser verschiedenen GruppierunZersplitterung gen beansprucht für sich, der einzig "legitime Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs" zu sein. Daher wird konkurrierenden Gruppierungen oder Einzelpersonen, die der eigenen Rechtsauffassung nicht folgen, jeweils die behauptete Legitimität abgesprochen. Aufgrund der starken Konkurrenz innerhalb der Reichsbürgerszene ist das Entstehen einzelner mitgliedsstarker Organisationen, die eine Führungsrolle einnehmen könnten, derzeit nicht abzusehen. Durch die Aufspaltung von Gruppierungen vervielfachen sich zudem die Möglichkeiten, einen der Fantasie-Titel und Posten zu erlangen, die Reichsbürgergruppierungen häufig vergeben. Mit diesen erfundenen Titeln wie z. B. "Kommissarischer Reichsminister" befriedigen Reichsbürger ihr persönliches Geltungsbedürfnis. Aber auch die Ideologie bietet Stoff für Konflikte: So führt die für Reichsbürger zentrale Fragestellung, ob Deutschland eine gültige Verfassung habe, innerhalb der Szene regelmäßig zu Streitigkeiten. Teile der Szene vertreten den Standpunkt, dass das Grundgesetz nur für die "juristische Person" beziehungsweise das "Personal" der privatrechtlichen und unter alliierter Kontrolle stehenden Firma "BRD-GmbH" gelte, da es von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg verfasst worden sei. Andere Teile der Szene schließen eine Wirksamkeit des Grundgesetzes gänzlich aus und verweisen vielmehr auf die vermeintliche Fortgeltung früherer "Reichsverfassungen", beispielsweise von 1871 oder 1913. Angeblich impliziere bereits der Name "Grundgesetz", dass es sich dabei nicht um eine Verfassung handeln könne. Wiederum andere argumentieren, dass das Grundgesetz mit dem Beitritt der DDR außer Kraft getreten und die Verabschiedung einer neuen Verfassung bisher nicht erfolgt sei. Solche Überzeugungen sind auch unter Selbstverwaltern verbreitet, die ihre eigene Person als Staat mit Gesetzgebungskompetenz ansehen und sich eine eigene Verfassung für ihr "selbstverwaltetes" Territorium geben. Die verschiedenen Positionen werden unter Zuhilfenahme von pseudojuristischen Formulierungen und Argumenten vertreten. Ein Konsens wird dabei in aller Regel nicht erreicht. 194 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 3. TYPISCHE AKTIVITÄTEN Reichsbürger entfalten gegenüber staatlichen Institutionen eine Vielzahl von Aktivitäten, die zum Teil - wie das Erstellen von Fantasiedokumenten - Ausdruck ihrer Ideologie sind, aber auch auf die Lahmlegung der öffentlichen Verwaltung abzielen. Auch die sogenannte "Reaktivierung von Gemeinden" konnte vereinzelt festgestellt werden. Dabei werden verschiedene Gemeinden fortan zum Hoheitsgebiet bestimmter Reichsbürgergruppierungen erklärt. In Einzelfällen kommt es dabei auch zu Gewaltandrohung beziehungsweise -anwendung gegenüber staatlichen Repräsentanten. 3.1 Auftreten gegenüber Justiz und Verwaltung Regelmäßig überziehen Reichsbürger Behörden und Gerichte mit querulatorischen Schreiben, in denen sie der öffentlichen Verwaltung und der Justiz ihre Autorität oder ihre Existenz absprechen. Zum Teil verfolgen sie damit das Ziel, sich rechtlichen Verpflichtungen, wie z. B. Forderungen des Staates aus Steuer-, Bußgeldoder Verwaltungsverfahren, zu entziehen. In umfangreichen Briefen werden z. B. Beamte und Richter belehrt und beleidigt oder gegen sie haltlose Schadenersatzforderungen erhoben, um diese einzuschüchtern und Maßnahmen der Justiz oder der Polizei zu beeinflussen oder gar zu verhindern. Um die Personalkapazitäten der Verwaltungen gezielt zu belasten, melden sich manche Reichsbürger auch wiederholt bei Einwohnermeldeämtern um oder ab, ohne tatsächlich den Wohnsitz gewechselt zu haben. In der gerichtlichen Auseinandersetzung ist der Aktivismus der Reichsbürger und Selbstverwalter ambivalent: Einerseits schöpfen sie den Rechtsweg weitestgehend aus und überhäufen Gerichte mit Anträgen und Eingaben. Dabei lassen sie sich mitunter auch von selbsternannten Szene-"Anwälten", sogenannten "Recht-Konsulenten" (Schreibweise variiert), vertreten. Andererseits bleiben sie häufig Gerichtsterminen fern, wirken nicht am ordentlichen Verfahren mit und versuchen, Strafbefehle einfach ins Leere laufen zu lassen und nicht zu beachten. 195 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Reichsbürger und Selbstverwalter 3.2 Beantragung von Staatsangehörigkeitsausweisen und Nutzung eigener Dokumente Reichsbürger und Selbstverwalter bestreiten die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat und bezeichnen diese häufig als "Firma BRD". Teile der Bewegung sind zudem der Auffassung, dass sie nicht die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland besitzen beziehungsweise aus dieser "austreten" können. Daraus resultieren neben der Vernichtung oder Rückgabe von Ausweisdokumenten auch die Erstellung und der Vertrieb von Fantasiedokumenten sowie die missbräuchliche Beantragung des Staatsangehörigkeitsausweises ("gelber Schein"). Entsprechende Antragstellungen von Teilen der Bewegung haben zuletzt in einzelnen Landkreisen wieder zugenommen. Beantragung eines Ausgehend von der falschen Annahme, ohne Staatsangehörig"gelben Scheins" keitsausweis staatenlos zu sein, beantragen sie häufig einen Staatsangehörigkeitsausweis (sogenannter "gelber Schein") zur Bestätigung ihrer Reichsund Staatsangehörigkeit nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz. Der Begriff "Personalausweis" ist für sie ein Beleg für die Staatenlosigkeit, da als "Personal" ausschließlich Angehörige einer Firma, hier der "Firma BRD" bezeichnet würden. Vom Staatsangehörigkeitsausweis erhofft sich dieser Personenkreis - rechtlich völlig unzutreffend - u. a. den "Ausstieg aus der Firma BRD". Der "gelbe Schein" wird zudem als Nachweis der "Rechtsstellung" als Staatsangehöriger des vorgeblich fortbestehenden "Deutschen Reichs" angesehen. Andere Reichsbürger wiederum vertreten eine vermeintlich "naturrechtliche" Auffassung und berufen sich auf ihre Eigenschaft als "Mensch", der - im Gegensatz zur "juristischen Person", die von der "BRD-GmbH" beziehungsweise deren "Schein-Regierung" konstruiert werde - die Feststellung einer Staatsangehörigkeit nicht benötige. Sie propagieren deshalb die "Staatenlosigkeit". Wiederum andere suchen nach Alternativen für eine vermeintliche staatliche Beglaubigung der Staatsangehörigkeit, wie etwa die notarielle Beglaubigung von Dokumenten. Die Notwendigkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit mit einem Staatsangehörigkeitsausweis nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) nachzuweisen, besteht nur ausnahmsweise, z. B. wenn beim Erwerb oder Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch persönliche Ereignisse wie Adoption oder beim 196 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit Zweifel entstanden sind. Antragstellungen mit bestimmten typischen Zusätzen (z. B. Bezug auf das RuStAG mit Rechtsstand 1913 und/ oder Geburtsland "Königreich Bayern") begründen zumindest den Verdacht der Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung. Reichsbürger benutzen zudem anstelle amtlicher Ausweise Fantasiepapiere als Fantasiepapiere wie "Heimatscheine", "ReichspersonenausEinnahmequelle weise" oder "Reichsführerscheine". Diese Fantasiepapiere sind rechtlich bedeutungslos und teilweise strafrechtlich relevant. Ihr Vertrieb stellt für Reichsbürgergruppierungen eine wichtige Einnahmequelle dar. In Einzelfällen geben Reichsbürger auch ihre amtlichen Ausweisdokumente bei der Meldebehörde ab. 3.3 Kommerzielle Aktivitäten sogenannter "Milieumanager" Innerhalb der Reichsbürgerbewegung gibt es Einzelpersonen, "Milieumanager" die unter Ausnutzung der Ideologie Geld verdienen wollen und und "Rechtskonsuverschiedene Produkte und Dienstleistungen anbieten. Sie verlenten" kaufen z. B. Fantasiedokumente wie "Reichsstaatsangehörigkeitsurkunden", veranstalten Seminare oder bieten auch Geldanlagen an. Diese als "Milieumanager" bezeichneten Akteure tragen durch entsprechende Veranstaltungen zur Vernetzung der Szene bei und verbreiten die extremistischen Ansichten von Reichsbürgern, sind aber nicht immer selbst Anhänger der Ideologie. Zu diesen Akteuren gehören auch sogenannte "Recht-Konsulenten". Diese geben vor, auf dem Gebiet des "Reichsrechts" bewandert zu sein und bieten "Rechtsberatungen", zum Teil auch im Internet, an. Sie treten meist mit Briefköpfen auf, die denen großer Anwaltskanzleien nachempfunden sind und Internationalität vortäuschen sollen. Ihre mit pseudojuristischer Fachterminologie durchsetzten Schreiben sollen Fachkompetenz suggerieren, stellen sich bei näherem Hinsehen jedoch als völlig widersinnig heraus. In diesem Zusammenhang gibt es z. B. die im "Präsidium des Deutschen Reiches" bestehende Vereinigung "Verband der Deutschen Recht-Konsulenten" (Sitz in Kaarst-Vorst/Nordrhein-Westfalen). Die Vereinigung ist überregional aktiv. Von der Gruppierung sind in Bayern in der Vergangenheit nur Einzelpersonen aufgetreten. 197 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Reichsbürger und Selbstverwalter 3.4 Stammtische und Seminare Bei "Stammtisch-Treffen" oder Seminaren wird versucht, die Anwesenden von verschwörungstheoretischen Denkweisen sowie der Illegitimität der Bundesrepublik Deutschland zu überzeugen. Ebenso finden Personen, die aus verschiedenen Gründen unzufrieden mit dem staatlichen Handeln sind, in der Reichsbürgerideologie vermeintlich einfache Erklärungen und Lösungen für ihre Probleme. Die Teilnahme an Stammtischen und Seminaren stellt für die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter, neben der Kommunikation im virtuellen Raum, die bedeutsamste Gelegenheit zum szeneinternen Austausch dar. Da die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter eine starke Heterogenität und häufiges Einzelgängertum aufweist, entstehen vergleichsweise wenig stabile Strukturen. Stammtische und Seminare bieten für Reichsbürger aber eine adäquate realweltliche Form, um strukturarm und unverbindlich miteinander in Kontakt und Austausch zu treten. Da Zusammenkünfte dieser Art durch die zeitweise geltenden Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie nicht durchführbar waren, verlagerte sich auch in diesem Bereich die Kommunikation verstärkt ins Internet. 3.5 Überregionale und internationale Kontakte Personen und Gruppierungen, deren Gedankengut dem der deutschen Reichsbürgerszene ähnelt, gibt es auch in Österreich und in der Schweiz. In Österreich werden diese Gruppierungen "Souveräne Bewegungen" genannt. Die Republik Österreich ist in ihren Augen ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland lediglich eine GmbH und somit kein rechtmäßiges Staatsgebilde. Im deutschsprachigen Raum existiert somit grenzüberschreitend ein Personenkreis, den die pseudojuristische Basis seines Handelns eint und der sich insbesondere über das Internet rege austauscht. Verschiedene Plattformen im Internet ermöglichen der Reichsbürgerszene eine einfache überregionale Vernetzung. Referenten und "Milieumanager" der Reichsbürgerszene agieren, unabhängig von ihrem Wohnsitz, im gesamten deutschsprachigen Raum. Die Vernetzung stützt sich überwiegend auf persönliche Kennverhältnisse und/oder grenzüberschreitende räumliche Nähe. Eine strukturierte Vernetzung der Gesamtszene ist derzeit nicht erkennbar und mit Blick auf die bestehenden Konflikte innerhalb der Szene wenig wahrscheinlich. 198 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 4. AKTUELLE AKTIVITÄTEN IN BAYERN Aktivitäten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie Die wesentlichen ideologischen Elemente der Reichsbürger und Selbstverwalter sind verschwörungstheoretischer Art. Die im Zuge der Corona-Pandemie zunehmende Verbreitung von Verschwörungstheorien bietet daher auch potenzielle Anknüpfungspunkte für Reichsbürger. Durch die Corona-Pandemie sehen sich diese in ihren Vorstellungen vielfach bestätigt. Zugleich finden die von ihnen verbreiteten und geteilten Verschwörungstheorien eine größere Reichweite und sichtbare Zustimmung. Zu den Ursachen, der Ausbreitung und den Folgewirkungen der VerschwörungstheoCorona-Pandemie verbreiten Reichsbürger und Selbstverwalter rien und Glaube an Fake-News, die mit verschwörungstheoretischen Elementen "geheime Mächte" verwoben werden. Sie behaupten beispielsweise, es handle sich bei Covid-19 um eine absichtlich entwickelte Krankheit mit dem Ziel, die Weltbevölkerung zu dezimieren. Ein Impfstoff dagegen sei bereits frühzeitig patentiert gewesen. In einer anderen Lesart werden der Verbreitungsgrad sowie die Letalität des Virus in Frage gestellt. Zudem werfen Anhänger der Szene den handelnden Politikern vor, Bürgerund Freiheitsrechte ohne rechtliche Grundlage einschränken zu wollen. Ein kriegsähnlicher Zustand werde erzeugt, indem Angst und Schrecken verbreitet würden, um Recht und Gesetz außer Kraft zu setzen. Die Einschränkung der Bürgerrechte wird in diesem Zusammenhang als strategisches Element eines bestehenden Plans, initiiert von "geheimen Mächten", zur Entrechtung der Menschen in Deutschland gedeutet. Die wirtschaftliche Rezession in Folge der Pandemie wird als planmäßig vorgesehenes und notwendiges Element gewertet, damit die Mehrheit der Menschen in Deutschland eine Entmündigung billigend in Kauf nehme. Auch die Verschwörungstheorie "QAnon" ("Q") verfängt in Teilen der Reichsbürger-Szene und wird in verschiedenen Foren diskutiert. Das Thema Impfungen wird bereits seit Längerem innerhalb der Impfskepsis und Reichsbürgerszene kritisch diskutiert und ist im Zusammenhang Ablehnung der mit der Corona-Pandemie verstärkt in den Fokus gerückt. Über 5G-Technologie die thematische Anschlussfähigkeit der Impfkritik kann es Reichsbürgern gelingen, eine Schnittmenge mit milieufremden Teilen innerhalb der Bevölkerung herzustellen, die Impfungen ebenfalls kritisch gegenüberstehen. Manche Szenemitglieder vertreten auch eine Verschwörungstheorie, der zufolge die Hauptmotivation für die geplante Corona-Virusimpfung die Injektion eines Chips zur vollständigen Überwachung der Menschen sei. 199 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Reichsbürger und Selbstverwalter Im Zusammenhang mit der Impfkritik bemühen Reichsbürger ein weiteres verschwörungstheoretisches Element, das die 5G-Mobilfunktechnik betrifft. Die Ablehnung der 5G-Technologie als vermeintlich gesundheitsschädlich wird bereits seit einiger Zeit u. a. auf Webseiten mit Reichsbürgerbezug diskutiert oder als Mobilisierungsthema für szenenahe Veranstaltungen genutzt. Im Zuge der Pandemie stellen Anhänger der Reichsbürgerszene allerdings auch eine Verbindung zwischen 5G-Sendemasten und dem Ausbruch der Corona-Pandemie her. Teile der Szene gehen davon aus, dass die angeblich mit den Schutzimpfungen eingesetzten Überwachungschips erst durch die Verbreitung der 5G-Technologie aktiviert werden. So ist beispielsweise auf dem YouTube-Kanal der deutschlandweit vernetzten Gruppierung "Staatenlos.info - Comedian e. V." der angebliche Zusammenhang zwischen der 5G-Technologie und der Corona-Pandemie Gegenstand von Diskussionen. Auftreten bei CoronaIm Rahmen der Großdemonstration in Berlin am 29. August poDemonstrationen sitionierten sich Anhänger der Reichsbürgerszene medienwirksam, indem sie auf Fahnen und Transparenten u. a. die "BRD GmbH" oder die "Firma Deutschland" anprangerten und sich bei Aktionen inszenierten. In Bayern nahmen bisher lediglich Einzelpersonen aus der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter an Veranstaltungen mit Bezug zur Corona-Pandemie teil. Sie traten nur in wenigen Fällen als Anmelder oder Organisatoren auf. Allerdings wird insbesondere die Teilnahme an Demonstrationen innerhalb der Szene intensiv diskutiert. Wenngleich die Heterogenität des Milieus einem geschlossenen Auftreten von Reichsbürgern oder Selbstverwaltern in größeren Gruppen auf Veranstaltungen entgegensteht, werden bei einigen Corona-Demonstrationen auch zentrale Anliegen der Szene thematisiert. Demonstrationen, die sich gegen die als zu einschneidend und rechtswidrig empfundenen staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie richten, sprechen deshalb auch Reichsbürger an. In den meisten Fällen in Bayern mischen sich Reichsbürger ohne viel Aufheben unter die heterogene Veranstaltungsmenge und treten dabei nicht gezielt in Erscheinung. 200 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Überschneidungen mit anderen Phänomenbereichen Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie wird in Teilen der Phänomenbereiche Reichsbürger und Selbstverwalter sowie Rechtsextremismus eine gegenseitige ideologische Anschlussfähigkeit deutlich. Insbesondere über in Kreisen der Reichsbürgerszene erkennbare antisemitische Denkund Erklärungsmuster lassen sich potenziell ideologische Gemeinsamkeiten generieren. Dabei sind es vorwiegend Einzelpersonen in der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter, die durch rechtsextremistische Äußerungen beziehungsweise (Straf-)Taten in Erscheinung treten. Eine phänomenbereichübergreifende organisatorische Verbindung lässt sich jedoch nur in wenigen Ausnahmefällen feststellen. Neben sicherheitsgefährdenden Bestrebungen treten auch Gruppierungen innerhalb der Reichsbürgerbewegung in Erscheinung, die dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zuzuordnen sind, wie beispielsweise die "Exil-Regierung Deutsches Reich", die in der Vergangenheit auch in Bayern bereits realweltliche Aktivitäten entfaltet hat. 5. GEWALTPOTENZIAL Reichsbürger bewegen sich in einem für sie geschlossenen Weltbild. Der Glaube daran, dass deutsche Gesetze für sie keine Gültigkeit hätten, führt dazu, dass staatliche Maßnahmen als unrechtmäßig empfunden werden. Gewalttaten richten sich daher in aller Regel gegen staatliche Maßnahmen beziehungsweise gegen Vertreter des Staates. Solche Gewalttaten werden innerhalb der Szene in der Regel als Notwehr gegen den Staat gedeutet. Gewalttäter erfahren dementsprechend nach einschlägigen Vorfällen solidarisierenden Zuspruch. Bei Einzelpersonen, die ideologisch besonders gefestigt erscheinen, ist eine Häufung politisch motivierter Straftaten - insbesondere Beleidigungsund Nötigungsdelikte, in Einzelfällen auch Erpressungsdelikte - feststellbar. Im April kam es durch einen Reichsbürger in München im RahWiderstandshandmen einer verkehrsrechtlichen Maßnahme zu Widerstandshandlungen gegen polizeilungen gegen und einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsliche Maßnahmen beamte. 201 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Reichsbürger und Selbstverwalter In Bad Tölz hetzte eine Reichsbürgerin, bei der eine gerichtlich angeordnete Hausdurchsuchung stattfand, Hunde auf Polizeibeamte und stellte deren Handlungsbefugnis in Frage. Gegen die Reichsbürgerin wird u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Im Mai verstieß bei einer sogenannten "Corona-Demonstration" in München ein Reichsbürger wiederholt gegen das Abstandsgebot aufgrund des Infektionsschutzgesetzes. Gegen ihn wurde ein Platzverweis ausgesprochen, dem er nicht nachkam. Gegen den Vollzug des Platzverweises leistete er Widerstand und skandierte dabei "Deutschland-GmbH" und "BRD-GmbH". Entzug von WaffenUm das von ihnen ausgehende Gefahrenpotenzial zu minimieerlaubnissen ren, werden bei Angehörigen der Reichsbürgerszene bestehende waffenrechtliche Erlaubnisse überprüft und wo möglich, entzogen. Jede waffenrechtliche Erlaubnis setzt voraus, dass der Erlaubnisinhaber die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit besitzt. Diese Zuverlässigkeit ist im Fall der Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung aber zu verneinen. Bis zum 31.12.2020 haben die Sicherheitsbehörden in Bayern 372 Personen (Stand 31.12.2019: 345) innerhalb der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter identifiziert, die über eine oder mehrere waffenrechtliche Erlaubnisse verfügten. Gegen alle 372 Personen wurden bereits Widerrufsverfahren durch die Waffenbehörden eingeleitet, in 227 Fällen (Stand 31.12.2019: 221) erging ein Widerrufsbescheid. Insgesamt wurden durch Widerruf oder aufgrund eines vor Widerruf erklärten freiwilligen Verzichts bislang 433 (Stand 31.12.2019: 415) waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen. Dabei wurden 840 Waffen (Stand 31.12.2019: 805) bei der Waffenbehörde oder an einen Berechtigten abgegeben. 202 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 6. REICHSBÜRGERGRUPPIERUNGEN IN BAYERN 6.1 Sicherheitsgefährdende Bestrebungen 6.1.1 Volksstaat Bayern (vormals: Bundesstaat Bayern) Mitglieder 30 Gründung Dezember 2015 Aktionsraum Bayern und Teile von Rheinland-Pfalz Der "Volksstaat Bayern", bis 2018 "Bundesstaat Bayern", sieht sich als souveräner Gliedbeziehungsweise Bundesstaat im sogenannten "Staatenbund Deutsches Reich" mit Sitz in Fürstlich Drehna (Brandenburg), dem auch der "Freistaat Preußen", die "Republik Baden", der "Volksstaat Württemberg" (ehemals "Bundesstaat Württemberg") und der "Bundesstaat Sachsen" angehören. Im Dezember 2015 gründete sich die Gruppierung zunächst unter dem Namen "Bundesstaat Bayern", der sich seitdem nach eigener Darstellung "in Reorganisation" befindet. Beim Aufbau der Organisation, den Führungspersönlichkeiten sowie der Ausrichtung und Zielsetzung der Reichsbürgergruppierung sind im Zuge der späteren Umbenennung keine Änderungen erkennbar geworden. Seit 2017 wurden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der DurchsuchungsStaatsanwaltschaft München II wegen des dringenden Tatvermaßnahmen dachts der bandenund gewerbsmäßigen Urkundenfälschung sowie Amtsanmaßung mehrfach Durchsuchungsbeschlüsse bei Führungspersonen der Gruppierung vollzogen. Dabei konnten Reichsbürgerdokumente, die sogenannte "Staatskasse", Waffen und Munition, falsche TÜV-Plaketten und Ausweispapiere sichergestellt werden. Rund 30 Bezieher von Ausweisen wurden bereits verurteilt. Das Hauptverfahren gegen Funktionäre der Gruppierung wird voraussichtlich in 2021 beginnen. 203 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Reichsbürger und Selbstverwalter Von Teilen der Mitglieder sind weiterhin eingeschränkte Aktivitäten zu verzeichnen. Veranstaltungsankündigungen auf der Webseite des "Volksstaats Bayern" wurden zuletzt nicht mehr festgestellt. 6.1.2 Verfassunggebende Versammlung Mitglieder Einzelpersonen Gründung 2014 Aktionsraum Bundesgebiet Die Gruppierung lehnt die bestehenden Strukturen der Bundesrepublik Deutschland ab und bestreitet ihre Existenzberechtigung. So heißt es z. B. auf der Webseite der Gruppierung: Durch die aktuelle Situation in Deutschland ist die gesamte Menschheit versklavt. 1990 wurden alle Menschen der Erde betrogen. Die Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik am 3. Oktober 1990, ist juristisch niemals erfolgt. Die Bundesrepublik Deutschland heute, ist ein USamerikanisches Unternehmen, was ohne jeden Zweifel nachweisbar ist. [...] Es gibt keinen Staat Bundesrepublik Deutschland [...]. (Fehler aus dem Original übernommen) Die Anhänger der "Verfassunggebenden Versammlung" planen, an einem nicht näher bestimmten "Tag X" eine temporäre "Verfassunggebende Versammlung" einzuberufen und so die Verfassung und die Gesetze als Basis eines neuen, vermeintlich (wieder) handlungsfähigen Deutschlands zu schaffen. Im Berichtszeitraum fiel die Gruppierung in Bayern mit einzelnen öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf. So wurden in Butterwiesen im Landkreis Dillingen a. d. Donau im Oktober in einer Bank Flugblätter ausgelegt. Die Aktivitäten der Gruppierung konzentrieren sich aber hauptsächlich auf das Internet. 204 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 6.1.3 Staatenlos.info - Comedian e. V. Mitglieder Einzelpersonen Gründung 2013 Aktionsraum Bundesgebiet Die Gruppierung mit Schwerpunkt im nordund westdeutschen Raum beziehungsweise in Berlin trat in Bayern zuletzt nur in München öffentlich in Erscheinung. Sie führte hier im Januar und August Kundgebungen durch. Außerdem verteilten Anhänger mehrfach Flugblätter der Gruppierung. "Staatenlos.info - Comedian e. V." geht davon aus, dass die deutsche Staatsangehörigkeit de facto "abgeschafft" sei und sich die Bundesrepublik Deutschland lediglich alter "faschistischer" Staatsstrukturen bediene. Der Verein fordert u. a. "die Befreiung von Deutschland und Europa aus der faschistischen Gesinnungsdiktatur" und stellt in diesem Zusammenhang eine Nähe zu Russland her, das offenbar als Verbündeter betrachtet wird. Nach seiner Auffassung ist das Kernproblem aller Deutschen, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht "entnazifiziert" worden und zudem von "doppelter Staatlosigkeit" betroffen sei. Der Bundesrepublik Deutschland fehle die notwendige Rechtsgrundlage und es existiere somit auch keine "Unionsbürgerschaft", d. h. keine Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Die angestrebte Expansion der Gruppierung nach Bayern hat bislang zu keiner nennenswerten Erhöhung der bayerischen Mitgliederzahlen geführt. So setzt sich die Gruppierung in Bayern weiterhin lediglich aus Einzelpersonen zusammen. Gleichwohl hat "Staatenlos.info - Comedian e. V." durch die von dem Initiator Rüdiger Hoffmann erstellten Videos für die gesamte Szene große Bedeutung. Vor allem im Zusammenhang mit der CoronaPandemie gewann der Verein durch die Fürsprache eines im deutschsprachigen Raum prominenten Sängers zunehmend an Sichtbarkeit. 205 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Reichsbürger und Selbstverwalter 6.1.4 Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuSt) Mitglieder Einzelpersonen Gründung 2016 Aktionsraum Bundesgebiet Die Gruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) wurde 2016 in Berlin gegründet und trat vorwiegend in Berlin sowie im norddeutschen Raum in Erscheinung. Ziel der GdVuSt war es, staatliche Hoheitsgebiete zu "reaktivieren" und sie dadurch unter ihre eigene Verwaltung zu bringen. Aus diesen einzelnen reaktivierten Gemeinden sollte sich dann - als übergeordnetes Ziel der Gruppierung - ein "Naturstaat" bilden. Bei früheren Aktionen versuchten Anhänger der GdVuSt beispielsweise das Rathaus in Berlin-Zehlendorf zu "übernehmen". Verbot durch den Am 19. März hat der Bundesminister des Innern, für Bau Bundesminister des und Heimat (BMI) den Verein "Geeinte deutsche Völker und Innern Stämme" nach Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz in Verbindung mit SS 3 Vereinsgesetz verboten. Es handelt sich um das erste Verbot einer Gruppierung, die dem Spektrum der Reichsbürger und Selbstverwalter zugerechnet wurde. Bei den das Verbot begleitenden Exekutivmaßnahmen in zehn Bundesländern wurden zahlreiche Asservate - darunter Waffen sowie Bargeld - sichergestellt. Hintergrund des Verbots der GdVuSt war, dass Zwecke und Tätigkeiten des Vereins den Strafgesetzen zuwiderliefen und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung richteten. So sind die Vereinsmitglieder wiederholt durch rassistische, antisemitische und geschichtsrevisionistische Äußerungen sowie durch massive Drohungen gegenüber staatlichen Stellen aufgefallen. Auch nach dem Verbot der Gruppierung sind einzelne Mitglieder weiterhin aktiv. Sie haben sich beispielsweise schriftlich an Justizund Verwaltungsbehörden in Berlin und Bayern gewandt. Dabei wurde von verschiedenen Personen ein teilweise identischer Text verwendet, in dem die angeschriebene Behörde als "Firma" bezeichnet wird. In diesen Schreiben wurden die Verbotsdurchsetzungsmaßnahmen vom 19. März als "Raubüberfall" diffamiert. Zudem wurde in den Schreiben behauptet, dass der Verein "GdVuSt" gar nicht existiere. 206 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Aufgrund der festgestellten weiteren Vereinsaktivitäten ist nicht damit zu rechnen, dass die (maßgeblichen) Mitglieder der verbotenen GdVuSt ihre verfassungsfeindlichen Betätigungen einstellen werden. 6.1.5 Vaterländischer Hilfsdienst (VHD) Mitglieder etwa 20 in Bayern Gründung 2019 Aktionsraum Bundesgebiet Bei der Gruppierung "Vaterländischer Hilfsdienst" (VHD) handelt es sich um einen Personenzusammenschluss, der sich in der Tradition der gleichnamigen zivilen Ergänzung zur Wehrpflicht im Deutschen Reich aus dem Jahr 1916 versteht. Organisatorisch unterteilt sich der VHD in insgesamt 24 "Armeekorpsbezirke" und bezieht sich dabei auf die Grenzen des Deutschen Reichs. Wie alle Reichsbürgergruppierungen erkennt auch der VHD weder den Staat noch dessen Exekutivbefugnisse an. Eigenen Angaben zufolge dient der VHD der "Reorganisation des Vaterlandes" beziehungsweise "ausschließlich der Wiederherstellung der staatlichen Handlungsfähigkeit". Dabei geht es dem VHD auch darum, den Gebietszustand von 1914 und den Rechtsstand von 1918 wiederherzustellen. Hierfür benötige man "handlungsfähige staatliche Organe um den Kriegsund Belagerungszustand zu beenden". Der VHD sieht seine Aufgabe darin, "Deutsche mit einer Staatsangehörigkeit" in einem "Bundesstaat" zu "erfassen und [zu] sammeln" und sie dem "Deutschen Kaiser" zu unterstellen, wobei auch Abstammungsnachweise erbracht werden sollen. Die Kampagne des VHD weist Bezüge zu weiteren Gruppierungen, insbesondere zu "Bismarcks Erben" (Lübeck), auf. 207 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Reichsbürger und Selbstverwalter In Bayern wurden im Jahr 2020 eine Broschüre sowie Flugblätter des VHD in verschiedenen Städten festgestellt. Des Weiteren ließen sich auch in sozialen Medien Aktivitäten beobachten. Anhänger des VHD trafen sich am 4. Oktober am Schloss Nymphenburg/München, worüber der VHD auf seiner Webseite berichtet. Der VHD ist im Internet mit einer eigenen Webseite und einem YouTube-Kanal vertreten. Über die Internetseite werden zu Werbezwecken auch Visitenkarten zur Verfügung gestellt. Zudem ist der VHD im Internet mit einem YouTube -Kanal vertreten. Weiterführende Informationen zur Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter Flyer: "Reichsbürger" und "Selbstverwalter": harmlose Spinner oder gefährliche Extremisten? www.verfassungsschutz.bayern.de www.bige.bayern.de Die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) bietet auch Fortbildungsveranstaltungen zur Reichsbürgerszene für Mitarbeiter von Kommunen, staatlichen Behörden und Justiz an: Telefon: 089 / 2192 2192 E-Mail: gegen-extremismus@stmi.bayern.de 208 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 209 Verfassungsschutzrelevante Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Islamfeindlichkeit Stürzenberger erwägt "Umerziehungslager" für Muslime Agitation gegen Muslime als angebliche Treiber der Coronapandemie 210 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamfeindliche Agitation ist nicht auf den Bereich des Rechtsextremismus beschränkt. Auch jenseits der rechtsextremistischen, vornehmlich auf Rassismus begründeten Islamfeindlichkeit gibt es Gruppierungen und Einzelpersonen, die Muslimen die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit nicht zugestehen wollen. Sie setzen den Islam als Weltreligion gleich mit Islamismus und islamistischem Terrorismus und stellen die Religion des Islam als faschistische Ideologie dar, von der eine erhebliche Gefahr für unsere Gesellschaft ausgehe. Führungspersonen des verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Spektrums gehen dabei punktuell und zweckgerichtet Kooperationen mit anderen politischen Akteuren ein, um anschlussfähig für Teilbereiche des bürgerlichen Spektrums zu werden und gesellschaftliche Themen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Bei der verfassungsschutzrelevanten Islamfeindlichkeit fehlen die für den Rechtsextremismus typischen Ideologieelemente wie autoritäres Staatsverständnis, Antisemitismus, Rassismus oder die Ideologie der Volksgemeinschaft. Extremistische Bestrebungen im Zusammenhang mit islamfeindlichen Äußerungen richten sich gegen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte der Menschenwürde (Art. 1 GG), des Diskriminierungsverbots (Art. 3 GG) und der Religionsfreiheit (Art. 4 GG). Als extremistisch sind bestimmte zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen zu beurteilen, die die Geltung der genannten Prinzipien für Muslime und den Islam und seine Glaubensgemeinschaften außer Kraft setzen beziehungsweise beseitigen wollen. Kritik, die im Rahmen einer 211 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit geistig-politischen Auseinandersetzung auf Gefahren eines politischen Islam für unsere Grundwerte hinweist, unterliegt demgegenüber nicht dem Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes. Das Internet wird von verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Gruppierungen intensiv genutzt, um islamfeindliche Inhalte zu verbreiten. Publiziert wird auf Webseiten und Weblogs, auf denen sich auch anonyme Nutzer äußern können, deren Beiträge nicht automatisch den Betreibern zurechenbar sind. Ausschlaggebend für die Bewertung solcher Internetpräsenzen ist dabei, ob und inwieweit die Betreiber selbst extremistische Ziele verfolgen. Auf nicht zurechenbare Einzeläußerungen (z. B. Kommentare in Blogs und Foren) allein lässt sich eine Bewertung als extremistisch nicht stützen. Auch die Nutzung sozialer Netzwerke und die Verbreitung von Videomaterial über Plattformen wie YouTube spielt für diese Szene eine wichtige Rolle. 212 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 1. BÜRGERBEWEGUNG PAX EUROPA E. V. - LANDESVERBAND BAYERN (BPE BAYERN) Bei dem bayerischen Landesverband der "Bürgerbewegung PAX EUROPA e. V." (BPE Bayern) handelt es sich um eine verfassungsschutzrelevante islamfeindliche Bestrebung, die den Islam insgesamt als "vorsteinzeitliche, nazistische und frauenverachtende Ideologie" diffamiert. Die BPE Bayern führte 2020 in Bayern Kundgebungen in NeuBPE-Tour 2020 fahrn bei Freising, München, Penzberg, Augsburg und Regensburg durch. Insgesamt fanden in Bayern im Jahr 2020 weniger Kundgebungen der BPE Bayern statt, als im Vorjahr. Ursächlich hierfür waren insbesondere die Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie, die sich auch auf die Durchführung von Veranstaltungen auswirkten. Die Veranstaltungen wurden vereinzelt auch als Teil einer "BPE-Tour 2020" sowie einer "BPEHerbst-Tour" beworben. Als Hauptredner bei den Veranstaltungen trat in Bayern regelmäßig Michael Stürzenberger auf. Nach eigenen Angaben gehört Stürzenberger, der bis Januar 2014 Vorsitzender der BPE Bayern war, dem Bundesvorstand der BPE an. Der Bundesverband der BPE steht nicht unter Beobachtung. Auch die derzeitige Vorsitzende der BPE Bayern trat bei Kundgebungen in Bayern als Rednerin auf. Zwar gibt die BPE Bayern immer wieder vor, lediglich sachlich über den Islam und die von ihm angeblich ausgehenden Gefahren aufzuklären, worin keine generelle Verunglimpfung, weder der Religion noch von Muslimen, liege. Tatsächlich beinhalten die Reden jedoch Äußerungen, in denen unterstellt wird, dass bei Muslimen islamistische oder gar terroristische Verhaltensweisen nicht der Ausnahme-, sondern der alltägliche Normalzustand seien. Dabei wird der Koran - wie auf einem Plakat, das bei einer Kundgebung in München am 11. September gezeigt wurde - als "Lizenz zum Töten" bezeichnet, Muslime werden pauschal als Bedrohung dargestellt. 213 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit So verunglimpfte Michael Stürzenberger bei einer Kundgebung der BPE Bayern am 14. März in Neufahrn bei Freising Muslime, indem er sie pauschal als gefährlich und gewaltbereit gegenüber Andersgläubigen darstellte: Wenn Sie mit gläubigen Moslems zu tun haben, wird's lebensgefährlich. Gläubige Moslems, die sich mit dem Koran beschäftigen, die die Tötungsbefehle lesen und die Diffamierung von allen Andersgläubigen, da wird's brandgefährlich. (Transkription der wörtlichen Rede) Forderung nach Im Nachgang zu einer Kundgebung in München am 23. Septem"Umerziehungsber äußerte Stürzenberger in einem als Live-Stream übertragelagern" für Muslime nen Video, dass er die Gültigkeit rechtsstaatlicher Prinzipien für Menschen muslimischen Glaubens außer Kraft setzen und diese "als ultima ratio" in Umerziehungslager schicken wolle, falls Muslime sich nicht an einer von ihm propagierten "Entschärfung des politischen Islams" beteiligten: Ultima Ratio sag ich nur China. Das ist zwar jetzt nicht in einem demokratischen Rechtsstaat die Wahl der Mittel, aber als letztes Mittel, als Ultima Ratio, wenn es hier richtig kracht, dann wird man sich anschauen, wie die Chinesen durchgegriffen haben, und dann gibt's halt Umerziehungslager. (Transkription der wörtlichen Rede) 214 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Stürzenberger spielte damit auf Medienberichte über die Inhaftierung von Angehörigen der muslimischen Minderheit der Uiguren in China in den Jahren 2018/2019 an. Bei einer Veranstaltung der BPE Bayern in Augsburg am 24. Oktober bezeichnete Stürzenberger den Islam als eine "gefährliche und totalitäre Ideologie", die sich nach außen als harmlos tarne: Wenn den Kindern gesagt wird, der Islam ist toll [...] und es ist alles so wunderbar, dann wird ihnen eine gefährliche politische Ideologie als etwas Gutes und Friedliches verkauft. (Transkription der wörtlichen Rede) Derartige kollektive Stigmatisierungen von Muslimen und ihres Glaubens überschreiten die Grenzen einer sachlichen und auf eine geistig-kulturelle Auseinandersetzung abzielenden Kritik am Islam. Aufgrund der darin zum Ausdruck kommenden pauschalen Diffamierung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe als aggressiv und gefährlich richten sie sich insbesondere gegen die im Grundgesetz verbriefte Garantie der Menschenwürde (Art. 1 GG) sowie gegen das Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 4 GG). 2. MICHAEL STÜRZENBERGER UND UMFELD Michael Stürzenberger ist weiterhin die zentrale Person der verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Szene in Bayern. Sein Umfeld setzt sich aus ideologisch Gleichgesinnten zusammen, die vorwiegend der "Politically Incorrect-Gruppe München" (PI-München) zugehören oder der Ende 2016 aufgelösten Partei "DIE FREIHEIT" angehörten. Stürzenberger war bis zuletzt Bundesvorsitzender der Partei "DIE FREIHEIT". Es liegen zahlreiche tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass Stürzenberger und sein Umfeld verfassungsschutzrelevante islamfeindliche Bestrebungen verfolgen. Stürzenberger verbreitet seine islamfeindlichen Thesen sowohl im Internet als auch auf Veranstaltungen in Bayern und in anderen Bundesländern. So tritt er immer wieder im Rahmen von 215 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Veranstaltungen der "Bürgerbewegung PAX EUROPA e. V." (BPE) als Redner auf. Im Jahr 2018 nutzte Stürzenberger auch die damals neu gegründete Gruppierung "PEGIDA München - Das Original" für öffentlichkeitswirksame Auftritte. Im Jahr 2019 trat er darüber hinaus bei einer Veranstaltung der Gruppierung "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken" auf. Im Jahr 2020 waren keine öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen dieser Gruppierung mehr festzustellen. Bei einer Kundgebung der BPE am 31. Oktober in Kassel agitierte Stürzenberger gegen Muslime, indem er ihnen kollektiv ein aggressives Verhalten zuschrieb: Wenn Sie kritisiert werden, dann werden Sie zornig, aggressiv und nicht selten auch gewalttätig. (Transkription der wörtlichen Rede) Im weiteren Verlauf der Veranstaltung unterstellte er Muslimen eine faschistische Grundeinstellung und verglich sie mit den Nationalsozialisten: Was kuckst Du? Wisst ihr, was das bedeutet, wenn ein Moslem Dir sagt, was kuckst Du? Du sollst unterwürfig auf den Boden den Blick senken, weil er der Herrenmensch ist. Du darfst ihm nicht in die Augen schauen. Dieses Herrenmenschen-Denken ist zutiefst faschistisch. Wie bei den Nazis die Arier. Die Arier waren auch die Herrenmenschen. [...] Es ist das gleiche Gedankengut. (Transkription der wörtlichen Rede) Zwischen Stürzenbergers realweltlichen Aktivitäten in Form von Kundgebungen und seiner virtuellen Präsenz im Internet ist eine enge Verbindung festzustellen. In der Regel werden die Kundgebungen per Video aufgezeichnet und online verfügbar gemacht. Zentraler Verbreitungsweg ist dabei die Videoplattform YouTube. Strategische Neben Videos, die die mitunter über mehrere Stunden dauernNutzung von Video - den Kundgebungen insgesamt dokumentieren und teilweise als sequenzen Livestream gesendet werden, finden sich dort auch zahlreiche 216 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Clips, die lediglich Veranstaltungsausschnitte zeigen. Hier handelt es sich häufig um gezielt ausgewählte Videosequenzen, die Situationen zeigen, in denen anwesende - insbesondere dem islamischen Glauben angehörende - Personen in Konflikt mit Stürzenberger geraten. Kalkül der Aktivisten um Stürzenberger ist es, unter den Zuhörern der Veranstaltungen aggressive Reaktionen zu provozieren und dadurch spektakuläre Bilder einzufangen, um Aufmerksamkeit im virtuellen Raum zu erzeugen. Personen, die bei Stürzenbergers Veranstaltungen das Wort ergreifen, müssen daher damit rechnen, in online verfügbaren Videoclips zu erscheinen. Durch die gezielte Auswahl der Sequenzen werden insbesondere Kritiker und Muslime als generell aggressiv und konfliktorientiert dargestellt. Im Fall von Personen vermeintlich islamischen Glaubens wird dabei das Verhalten Einzelner häufig in pauschalisierender Form auf ihre Zugehörigkeit zur Religion des Islam und eine vermeintliche unabänderliche Prägung durch den Islam zurückgeführt, was als islamfeindliche Agitation zu werten ist. Im Zuge dieser Strategie sucht Stürzenberger auch das Streitgespräch mit augenscheinlich minderjährigen Personen, deren Redebeiträge ebenfalls in Mitschnitten der Veranstaltungen auf YouTube veröffentlicht werden. In den dazugehörigen Nutzerkommentaren wurden diese Jugendlichen zum Teil rassistisch beschimpft und beleidigt. Aufgrund der Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-PandeNeue Videoreihe mie verlagerte Stürzenberger seine Aktivitäten verstärkt auch "Islam Kompakt" auf auf rein virtuelle Formate. Im Rahmen einer Videoreihe mit dem YouTube Titel "Islam Kompakt" veröffentlichte er regelmäßig Beiträge auf seinem YouTube-Kanal. Unter dem Deckmantel eines vermeintlich seriösen Informationsangebots verbreitete er auch dabei islamfeindliche Inhalte. Im Video "Das Verbot des Politischen Islams" argumentierte Stürzenberger, Deutschland würde "aufgrund der demografischen Entwicklung in einigen Jahrzehnten ein islamischer Scharia-Staat werden". Damit unterstellt er den in Deutschland lebenden Muslimen, die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anzustreben. Stürzenberger zufolge gelte es, dies "in einer Zeit, in der Moslems noch eine Minderheit" seien, zu verhindern. 217 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Forderung nach VerIm selben Video verneinte er in typisch verfassungsschutzrelebot des politischen vanter islamfeindlicher Weise die uneingeschränkte Geltung der Islam Religionsfreiheit (Art. 4 GG) für Muslime, solange der sogenannte politische Islam noch Teil des Islams sei: [Der politische Islam] ist aus dem Gesamtkonstrukt Islam herauszunehmen und zu verbieten [...] Dann können Moslems auch so viele Moscheen bauen, wie sie benötigen und sich vollumfänglich auf Artikel 4 des Grundgesetztes berufen - vorher nicht. (Transkription der wörtlichen Rede) Am 13. April nahm Michael Stürzenberger unter dem Titel "2. Virtueller Pegida-Spaziergang" an einer live auf YouTube übertragenen Videokonferenz teil, die sich inhaltlich insbesondere mit der Corona-Pandemie und deren Bewältigung beschäftigte. Dabei bezichtigte Stürzenberger pauschal alle Muslime, sich aufgrund ihrer Sozialisation und ihres Glaubens nicht an deutsche Gesetze und folglich auch nicht an die jeweils geltenden Ausgangsund Kontaktbeschränkungen zu halten. 218 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 An der Veranstaltung nahm auch Martin Sellner, der führende Kontakte zur "IdentiAktivist der rechtsextremistischen "Identitären Bewegung" (IB) tären Bewegung" im deutschsprachigen Raum, teil. Während sich Stürzenberger in der Vergangenheit von Personen und Organisationen distanziert hatte, die der rechtsextremistischen Szene zugerechnet werden, tätigte er seit 2018 vermehrt positive Äußerungen zur rechtsextremistischen IB und insbesondere zu Martin Sellner. Die gemeinsame Teilnahme an der Videokonferenz ist ein weiterer Beleg für diese anhaltende Nähe und Verbindung zu Martin Sellner. Als propagandistische Plattform für Veröffentlichungen nutzt Stürzenberger außerdem den Internet-Weblog "Politically Incorrect" (PI-News), für den er als Autor tätig ist. Der Weblog, der im November 2004 online ging, ist mit PI-München nicht institutionell verbunden. Die auf PI-News veröffentlichten Beiträge verbreiten überwiegend das Verschwörungsnarrativ einer angeblichen Islamisierung Europas. 219 Linksextremismus Linksextremismus Deutlich steigende Gewaltbereitschaft in Teilen der linksextremistischen Szene Brandanschläge auf digitale Infrastruktur verursachen Schäden in Millionenhöhe Linksextremistische Szene nutzt Corona-Krise zur Agitation gegen "das System" und den "Repressionsstaat" Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremisten wollen die durch das Grundgesetz vorgegebene Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen. Je nach ideologisch-politischer Orientierung zielen Linksextremisten auf eine sozialistische beziehungsweise kommunistische oder eine "herrschaftsfreie" Gesellschaft ab. Die linksextremistischen Vorstellungen richten sich insbesondere gegen durch das Grundgesetz garantierte Grundrechte, die parlamentarische Demokratie, die Gewaltenteilung, die Volkssouveränität, das Rechtsstaatsprinzip und den Pluralismus. Linksextremisten wollen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland abschaffen, die sie als "kapitalistisches System" diffamieren und in der sie die Wurzel des Faschismus sehen. In der linksextremistischen Szene bilden Autonome den weitaus größten Teil des gewaltbereiten Personenpotenzials. Autonome haben zwar keine gemeinsame Ideologie, Ziel aller Autonomen ist es aber, den Staat und seine Einrichtungen zu zerschlagen. Neben Sachbeschädigungen wenden Autonome auch Gewalt gegen Personen - vor allem gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten und Polizisten - an, um ihre Vorstellungen durchzusetzen. Linksextremisten besetzen auch Themen, die an sich nicht extremistisch sind. Ihr Ziel ist es dabei aber in erster Linie, ihre linksextremistischen politischen Positionen zu verbreiten. Hierzu greifen Linksextremisten vor allem aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen wie Umweltschutz, Migration oder Gentrifizierung auf und suchen den Kontakt zu bürgerlich-demokratischen Organisationen. 221 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus 1. PERSONENPOTENZIAL IN BAYERN 2018 2019 2020 Parteien und Vereinigungen Partei DIE LINKE. 900 950 850 offen extremistische Strukturen DKP 340 310 290 MLPD (mit REBELL) 120 120 120 SDAJ 110 110 110 VVN-BdA 700 680 690 Rote Hilfe*** 550 600 700 Sonstige 490 500 530 Gruppierungen Autonome 675 720 720 Summe 3.885 3.990 4.010 Mehrfachzählungen* 385 390 410 Gesamtzahl 3.500 3.600 3.600 Gewaltorientierte Personen 730 785 800 von der Gesamtzahl** Die Zahlenangaben sind geschätzt und gerundet. * Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen Zusammenschlüsse werden vom Gesamtpotenzial abgezogen. ** Dazu zählen gewalttätige, gewaltbereite, Gewalt unterstützende und Gewalt befürwortende Personen. *** Bis 2019 im Personenpotenzial der "sonstigen Gruppierungen" enthalten. 2. MILITANZUND GEWALTPOTENZIAL Gewalt als Innerhalb der linksextremistischen Szene ist der größte Teil des "Lifestyle" gewaltbereiten Personenpotenzials autonomen Gruppierungen zuzurechnen. Sie sind für die meisten linksextremistisch motivierten Gewalttaten verantwortlich. Ziel dieser überwiegend jungen Linksextremisten ist es, den Staat und seine Einrichtun222 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 gen - auch mit Gewalt - zu zerschlagen und eine "herrschaftsfreie" Gesellschaft zu errichten. Mit diffusen anarchistischen, kommunistischen und sozialrevolutionären Ideologiefragmenten schaffen sich die Autonomen einen vermeintlichen Legitimationsrahmen für ihre Militanz. Gewalttaten werden als notwendiges Mittel dargestellt, um sich gegen die angebliche "strukturelle Gewalt" des politischen Systems zu wehren. Viele Autonome erleben die Ausübung von Massenmilitanz als sinnstiftende Erfahrung. Gewalt wird zum Ausdruck eines Lebensgefühls. Formen und Ausmaß der Gewaltanwendung sind regelmäßig Gegenstand von Diskussionen in der autonomen Szene. Aktivitäten gegen staatliche Repräsentanten und Unternehmen Das Aggressionspotenzial der autonomen Szene ist seit Jahren Konfrontative Gewalt hoch. Autonome suchen vor allem bei Demonstrationen, aber Feindbild "Polizei" auch aus anderen Anlässen gewaltsame Auseinandersetzungen (konfrontative Gewalt). Gegner sind hauptsächlich tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten und Polizeibeamte. So betrachten Linksextremisten Polizeikräfte generell als Repräsentanten eines vermeintlichen staatlichen "Repressionsorgans". Sie versuchen zunehmend, die gesellschaftliche Akzeptanz der Polizei als staatliche Institution sowie der einzelnen Polizeibeamten, insbesondere bei der Ausübung polizeilicher Befugnisse, zu untergraben. Jegliche polizeiliche Kontrollen dienen ihnen als Vorwand, ihre "Freiräume" auch gewaltsam zu verteidigen. Die Hemmschwelle, auch schwere Straftaten zu begehen, ist Sinkende Hemmdeutlich gesunken. Dies zeigt sich vor allem in der zunehmenden schwelle für GewaltVerrohung der Sprache. Linksextremistische Publikationen wie anwendung das anarchistische Wochenblatt "ZündIumpen" fordern immer wieder zur Begehung von Straftaten auf. Dabei nehmen sie die Schädigung von Leib und Leben anderer Menschen nicht nur billigend in Kauf, sondern begrüßen diese ausdrücklich. So heißt es in Ausgabe 57 des Magazins zum Thema "Corona" im Artikel "Eine Pandemie endet mit ihrer Zivilisation": Ein kleiner Trost dabei bleibt, dass sich die Bull*innen bei dieser Tätigkeit, die sie einer Infektion stärker aussetzen wird, als viele andere, hoffentlich reihenweise Coronainfektionen einfangen werden; Mit etwas Glück mit schwerem Verlauf. 223 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Im "Zündlumpen" wird auch regelmäßig zu Straftaten gegen Polizisten aufgerufen: Was würde passieren, wenn man stattdessen die Polizei und den Staat als den Feind identifiziert, der einem das Leben immer wieder zur Hölle macht und den man gezielt angreifen kann? Bullen haben Autos, Bullen haben Namen und Adressen. Ein Schal oder eine Maske, ein paar Handschuhe (dank Corona jetzt meist eh bereits massenhaft vorhanden und zur Hand), ein Blick auf potenzielle Kameras oder Denunzianten, ein Stein oder ein Feuerzeug und den Willen sich zu wehren, mehr braucht es eigentlich nicht. (Zündlumpen Nr. 70: "Die Bullen, die Isar und der Tropfen, der alles zum Überlaufen bringt.") Sachschäden an Am 16. April und 26. Juni veröffentlichte der "Zündlumpen" Polizeifahrzeugen jeweils Comics, in denen Personen die Reifen von Polizeifahrzeuund Gebäuden gen zerstechen. In zeitlichen Zusammenhang kam es zwischen dem 18. Mai und dem 12. August zu wenigstens 20 beschädigten Dienstfahrzeugen bei der Münchner Polizei. Des Weiteren wurden drei Mal in München und einmal in Regensburg auch Privatfahrzeuge von Polizisten attackiert. In allen Fällen wurden Schrauben in einen oder mehreren Reifen gedreht beziehungsweise so platziert, dass diese beim Losfahren eingefahren werden. Insgesamt entstand ein erheblicher Sachschaden. In der Nacht zum 19. April warf ein unbekannter Täter einen NebelwurfkörpergegendieFensterscheibeeinesPolizeigebäudes. Der Wurfkörper brannte auf dem Rasen vor dem Gebäude ab, ein Sachschaden entstand nicht. Der zunächst flüchtende Täter, kehrte wenig später zurück und bewarf das Gebäude von einer anderen Seite aus mit mehreren Eiern. Brandstiftungen Am Morgen des 2. Mai wurde vom Sicherheitsdienst der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg an einem Nebeneingang des Gebäudes ein Brandsatz festgestellt, der jedoch nicht zündete. Am 6. August bekannte sich die "MiIItantE ZeIIE (MIEZE) als Teil des Kollektivs der Revolutionären AktionsZeIIen (RAZ)" zu der Tat. Das Bekenner-Schreiben enthielt ein Zitat der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof und einen Gruß an die "Genoss*innen Ernst-Volker, Dani, Burkhard und Frederike". Bei den genannten 224 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Personen handelt es sich um die noch flüchtigen Mitglieder der sogenannten 2. und 3. Generation der RAF, Ernst-Volker Staub, Daniela Klette, Burkhard Garweg und Friederike Krabbe. In der Nacht zum 9. Mai zündeten Unbekannte auf dem Gelände des Ausund Fortbildungszentrums der Bundespolizei in Bamberg drei Dienstfahrzeuge der Bundespolizei an. Die Fahrzeuge wurden schwer beschädigt, es entstand ein Sachschaden von circa 20.000 Euro. Um auf das Gelände zu gelangen, schnitten sich die Täter durch mehrere Schutzzäune. Es wurde bislang kein Selbstbezichtigungsschreiben zu der Tat veröffentlicht. Ziel, Vorgehensweise sowie die Erwähnung auf einer anarchistischen Szenewebseite deuten jedoch auf eine linksextremistisch motivierte Tat hin. In der anarchistischen Wochenzeitung "Fernweh" erschien Mitte Mai ein Beitrag, in dem über aktuelle Brandstiftungen an Glasfaserkabeln und Mobilfunkmasten berichtet wird. Wenige Tage später, in der Nacht von 21. auf den 22. Mai zündeten unbekannte Täter auf dem Gelände des Bayerischen Rundfunks (BR) in MünchenFreimann einen Funkmast an. Als die Feuerwehr eintraf, brannte der lange Kabelschacht am Turm auf einer Länge von 30 Metern. Nach Presseangaben beläuft sich der Sachschaden auf mehr als 1 Million Euro. Linksextremisten sprechen Andersdenkenden die ihnen in gleiInitialisierende chem Maße zustehenden Grundrechte, wie z. B. die MeinungsGewalt oder Versammlungsfreiheit, ab. Als Konsequenz akzeptieren sie nicht, dass Polizeibeamte auch bei Demonstrationen von Rechtsextremisten zur Gewährleistung des grundgesetzlich geschützten Versammlungsrechts eingesetzt werden müssen ("Deutsche Polizisten schützen Nazis und Faschisten."). Den Ablauf ihrer Aktionen machen Linksextremisten vor allem von ihrem Kräfteverhältnis gegenüber der Polizei abhängig. Dabei schließen sich vermummte Aktivisten in einheitlich schwarzer "Kampfausrüstung" häufig zu Schwarzen Blöcken zusammen, um aus diesen Formationen heraus unerkannt Gewalt ausüben zu können. Autonome nutzen aber ebenso Demonstrationen anderer - nichtextremistischer - Veranstalter, um der Veranstaltung eine militante und aggressive Atmosphäre aufzuzwingen und hinter der Deckung friedlicher Demonstranten Gewalttaten zu begehen sowie andere dazu aufzustacheln (initialisierende Gewalt). 225 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus "Ende Gelände" Diese Strategie zeigt sich aktuell bei der Anti-Kohle-Bewegung "Ende Gelände". Die linksextremistisch beeinflusste Bewegung zählt u. a. "zivilen Ungehorsam" und "Massenblockaden" zu ihren Aktionsformen. Am 26. September brachen 3.000 Personen - darunter auch Teilnehmer aus Bayern - zu Blockadeaktionen in einem rheinischen Braunkohlerevier bei Aachen auf. Durch die Blockaden kamen mehrere Kohlebagger zum Stillstand. Das der linksextremistischen "Antikapitalistische Linke München" nahestehende "Offene Antikapitalistische Klimatreffen München" mobilisierte unter dem Hashtag "UnfuckAktionärsversammlung" und "StopAdani" gegen die am 5. Februar in der Münchner Olympiahalle stattfindende Hauptversammlung der Firma "Offenes AntikapitaSiemens. Auf der Hauptversammlung sollte über die Beteiligung listisches Klimades Konzerns an einer Kohlemine der Firma Adani in Australien treffen München" entschieden werden. Das "Offene Antikapitalistische Klimatreffen München" wollte ein Votum gegen diese Beteiligung erzwingen. Hierzu äußerten sich mehrere Angehörige des Klimatreffens in einem über die sozialen Medien verbreiteten Mobilisierungs-Video: Wir sind stark auf der Straße, jetzt gehen wir noch einen Schritt weiter. Wir kommen morgens zur Olympiahalle. Wir stellen uns an. Wir begehren Einlass. Und wenn sie uns wegschicken wollen, bleiben wir stehen. Let's unfuck the Aktionärsversammlung! Neue Ziele und Entgrenzung Iinksextremistischer Gewalt Bereits seit längerer Zeit ist eine Enthemmung bei der Begehung linksextremistischer Straftaten zu beobachten. Sie werden gewalttätiger und persönlicher. Im Gegensatz zu früher findet szeneintern nahezu keine Diskussion über die Vermittelbarkeit von Gewalttaten mehr statt: Dies deutet auf eine größere Gewaltakzeptanz innerhalb der linksextremistischen Szene hin und birgt die Gefahr in sich, dass jegliche Grenzen überschritten werden. So richtet sich Iinksextremistische Agitation längst nicht mehr nur gegen die "klassischen" politischen Gegner wie beispielsweise Rechtsextremisten oder Repräsentanten des 226 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Staates. Immer wieder werden auch Einzelpersonen, z. B. aufgrund von Äußerungen, Berufszugehörigkeit oder der Teilnahme an einer Veranstaltung, gezielt angegriffen. Zuletzt standen auch Presseangehörige im Fokus Iinksextremistischer Gewalttäter. Am 25. Januar fand in Leipzig eine Demonstration gegen das Angriffe auf PresseVerbot der Iinksextremistischen Plattform Iinksunten.indymedia vertreter statt. An der Demonstration nahmen bis zu 1.600 Menschen teil. Die Stimmung war aggressiv. Es wurden bengalische Feuer gezündet und BöIler' Nebeltöpfe, Feuerwerkskörper wie auch Steine geworfen. Insgesamt wurden 13 Polizisten verletzt und sechs Verdächtige festgenommen. Aus dem Demonstrationszug heraus wurden immer wieder Journalisten und Passanten attackiert, die fotografieren oder filmen wollten. Am 1. Mai wurde in Berlin nach einer sogenannten "HygieneDemonstration" ein siebenköpfiges ZDF-Presseteam von einer Gruppe von 15-20 vermummten Personen zusammengeschlagen. Zwar kam es in Bayern bislang nicht zu vergleichbaren Gewalttaten. Jedoch begrüßen insbesondere Angehörige der gewaltbereiten bayerischen Iinksextremistischen Szene solche Aktionen. Im "ZündIumpen" wird der Angriff vom 1. Mai mit den folgenden Worten kommentiert: Schön, dass die bürgerliche Presse mal wieder eins aufs Maul bekommen hat. (Zündlumpen Nr. 64) Neben der situationsabhängigen Massenmilitanz verüben Linksextremisten auch konspirativ geplante Straftaten wie Brandanschläge, zu denen häufig auf einschlägigen Internetportalen anonyme Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht werden. Ziel solcher Anschläge sind vor allem Unternehmen der Immobilienbranche, die im Rahmen von "Antigentrifizierungs"-Kampagnen bereits seit mehreren Jahren im Fokus der gewaltbereiten linksextremistischen Szene stehen. Die Iinksextremistische Szene ist zweifellos auf die AufmerkSchaffung einer samkeit der Medien zur Verbreitung ihrer politischen Ansichten Gegenöffentlichkeit angewiesen. Jedoch bergen Bilder und Videos von Demonstrationen für Iinksextremistische Straftäter auch ein gewisses Entdeckungsrisiko. Zudem werfen Linksextremisten vor allem den 227 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus öffentlich rechtlichen Medien vor, sich in ihrer Berichterstattung zu sehr an Polizeiberichten zu orientieren und so deren "FaIschbehauptungen" perspektivisch zu übernehmen. Vor diesem Hintergrund versuchen Linksextremisten ihre Übergriffe gegen Vertreter der freien Presse zu rechtfertigen. Eine weitere Folge des wachsenden Misstrauens gegenüber den etablierten Medien ist das vermehrte Veröffentlichen eigener Berichte und Publikationen. So versuchen Linksextremisten ihre eigenen Bewertungen und Narrative - insbesondere in Bezug auf den Ablauf von Demonstrationen oder Veranstaltungen - zu platzieren und eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. 2.1 Linksextremistisch motivierte Straftatenserie In 2020 setzte sich in der Landeshauptstadt München die linksextremistisch motivierte Straftatenserie fort. Hierbei entstanden zum Teil hohe Schadenssummen. Die Fortdauer der Straftatenserie sowie die Auswahl der Zielobjekte verdeutlichen, dass die Straftaten nicht spontan verübt werden, sondern wesentlicher Bestandteil einer langfristig angelegten linksextremistischen Strategie sind. Straftaten gegen Vor allem die Diskussion über steigende Mieten und UmstruktuGentrifizierung rierungsprozesse in Großstädten nutzen autonome Linksextremisten als Vorwand, um unter dem Stichwort "Antigentrifizierung" Straftaten zu verüben. Unternehmen der Bauund Immobilienbranche werden von der linksextremistischen Szene als "Profiteure" der Gentrifizierung angesehen und deshalb attackiert. Angriffe auf Neben dem politischen Gegner und der Polizei werden in letzter TelekommunikationsZeit auch Mobilfunkanlagen immer öfter von Linksextremisten anlagen angegriffen. Linksextremisten begreifen die 5G-Technologie als ein weiteres Instrument des "Unterdrückerstaates" zur Kontrolle der Bevölkerung. Am 19. Februar brannten zwei zu einer Mobilfunkanlage gehörende Trafokästen in Unterhaching. In der Nähe des Brandorts wurde zudem ein weiterer, nicht umgesetzter Brandsatz aufgefunden. Der Sachschaden beläuft sich auf circa 12.000 Euro. Trotz des Brands war die Mobilfunkanlage weiter funktionsfähig. 228 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Der Brandanschlag wurde in der 54. Ausgabe des "Zündlumpen" im Artikel "Mobilfunksendemast in Unterhaching in Brand gesetzt" wie folgt kommentiert: Egal ob Kameras, (Mikro-)Mobilitätsangebote, intelligente Straßenlaternen oder eben die vielen smarten Gadgets, die so viele Menschen freiwillig mit sich herumtragen, all diese Geräte tragen dazu bei, uns alle auf subtile Art und Weise kontrollierbar zu machen. Mit der bevorstehenden Einführung des neuen Mobilfunkstandards 5G werden die Maschen dieses Netzes nur noch enger werden: Tausende zusätzliche Antennen werden dafür sorgen, dass jeder Winkel dieser Stadt von den ausgesandten Funkwellen erfasst werden wird. Am 20. März wurde im Nürnberger Szeneviertel Gostenhof ein PKW in Brand gesetzt. Dieser brannte vollständig aus. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von etwa 12.000 Euro. Noch am selben Tag veröffentlichten Unbekannte unter dem Pseudonym "Gostenhofer KiezmiIiz" auf de.indymedia.org ein Bekennerschreiben. Gründe für den Brandanschlag seien demnach Aufkleber des Reservistenverbands der Bundeswehr am Heck sowie eine "BuIIenuniform" im Kofferraum des PKW gewesen. Anfang April setzten Unbekannte in München insgesamt drei E-Scooter in Brand. E-Scooter sind immer wieder Ziel von Sachbeschädigungen. Hintergrund könnte der Artikel "Sabotage gegen E-Scooter" in Ausgabe 37 des "ZündIumpen" sein. Dort heißt es: E-Scooter sind keine Bereicherung für unser Leben, sie sind nichts als Müll und der billige Versuch das Netz der Überwachung in unseren Städten zu verfeinern. Am 29. April wurde über die Iinksextremistische SzeneplattAnleitung zur form de.indymedia.org eine Anleitung zur Zerstörung von MobilZerstörung von funkmasten veröffentlicht. Zum 1. Mai wurde diese auch auf der Mobilfunkmasten Webseite des "ZündIumpen" geteilt. 229 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Damit verbunden war der Aufruf zu einem "gefährlichen Mai 2020", der in der 61. Ausgabe des "Zündlumpen" im Artikel "5-G Brandsabotagen, Verschwörungstheorien und das Vereinigte Königreich" sowie auf de.indymedia.org veröffentlicht wurde. Hier wird dazu aufgerufen, die "komplexe Situation" in der Corona-Pandemie zu nutzen, um z. B. Übertragungsantennen zu zerstören: Ohne 5G können die Regierungen und Unternehmen dieses Planeten ihre Technik-Gefängnis-Welt, die dazu dient uns alle zu kontrollieren nicht aufbauen. Das "Internet der Dinge", "Smart Cities", Datenüberwachung, autonome Roboter, Fahrzeuge und Drohnen, all diese Sachen benötigen die totale Vorherrschaft der 5G-Technologie. Wenn du das nicht willst, dann hast du jeden Grund diese Technologie auf den Grund niedergebrannt zu sehen. In der Nacht zum 22. Mai verschafften sich Unbekannte Zugang zu einem Gelände des Bayerischen Rundfunks (BR) und setzten einen Funkmast in Brand. Es entstand erheblicher Sachschaden. Aufgrund des Brands kam es zeitweise zu Beeinträchtigungen im Mobilfunknetz. Der Sendebetrieb des BR wurde nicht beeinträchtigt. Am 8. Juli setzten Unbekannte einen Mobilfunkmasten in einem Münchener Wohngebiet in Brand. Der 55 Meter hohe Funkmast stand komplett in Flammen. Es entstand ein Sachschaden in Millionenhöhe. Auf den Brand wurde am Folgetag in der anarchistischen Zeitung "Zündlumpen" Bezug genommen. Unter dem Titel "Und wieder brennt ein Mobilfunkmast" ordnen die Autoren den Brandanschlag dem Kampf gegen das Überwachungssystem zu. 230 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Die Angriffe stehen mutmaßlich im Zusammenhang mit einer internationalen Kampagne gegen den 5G-Mobilfunkstandard. Vor allem in Großbritannien, den Niederlanden und auf Zypern wurden seit April immer wieder 5G-Sendemasten in Brand gesetzt. 2.2 Reaktionen auf die Corona-Pandemie Diskussion über die Ursachen der Krise Um die Corona-Pandemie ranken sich diverse Verschwörungstheorien. Grundsätzlich grenzt sich die Szene zwar gegen Aktionen der "Corona-Rebellen" ab, gleichzeitig entwickeln aber Teile der Iinksextremistischen Szene eigene, linksextremistisch ausgerichtete Erklärungsmuster in Zusammenhang mit der Pandemie. Vor allem die autonome und anarchistische Szene geht davon aus, dass insbesondere die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom "Repressionsstaat" nur als Vorwand für weitere "Unterdrückungsmaßnahmen" genutzt werden. So heißt es in einem auf der Szeneplattform de.indymedia.org veröffentlichten Artikel, der Ausnahmezustand [löse] den ausgelutschten Terrorbegriff der Bourgeoisie als normalisiertes Mittel der Politik ab [...], um weiterhin von Oben treten zu können. Im anarchistischen Blatt Zündlumpen wird hierzu folgendermaßen argumentiert: Was nicht bezweifelt werden kann ist, dass andere staatliche und nichtstaatliche Akteure versuchen die Krise zu ihren Vorteil auszunutzen, um ihre eigenen Plänen durch eine unkonventionelle und stille Kriegsführung vorwärts zu bringen. Das ist die "Verschwörungstheorie"dass die Reichen und Mächtigen sich zusammen verschwören um ihre eigenen Ziele zu erreichen, - es war schon immer so, und, solange wir nichts dagegen unternehmen, wird es auch immer so bleiben. (Zündlumpen Nr. 61); (Fehler aus dem Original übernommen) 231 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Die Iinksextremistische Szene ist sich einig, dass die CoronaPandemie nicht der alleinige Auslöser der aktuell von vielen Menschen empfundenen Krisensituation ist. So argumentiert eine Szeneveröffentlichung: Steigende Mieten, Arbeitsüberlastung für die einen - Hartz IV für die anderen, weniger Lohn für Frauen, Kriege um Rohstoffe und eine Umwelt, die langsam aber sicher kollabiert: Der Kapitalismus hat für die meisten von uns auch vor Corona mehr schlecht als recht funktioniert. Demnach wirke die Corona-Pandemie lediglich als BrandbeschIeuniger in einem ohnehin schon angeschlagenen kapitalistischen System. Das "kaputtgesparte" Gesundheitssystem komme nun an seine Grenzen. Es zeige sich, dass der Politik mehr an der Rettung der Wirtschaft, als an den Menschen gelegen sei. Vor diesem Hintergrund begreift die Iinksextremistische Szene die aktuelle Situation nicht bloß als Krise, sondern auch als Chance, weite Teile der Bevölkerung gegen das System zu mobilisieren und einen Systemwechsel herbeizuführen. Akzeptanz der staatlichen Maßnahmen In Bayern, wie auch im gesamten Bundesgebiet, wurden behördliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie ergriffen, die mit Beschränkungen des öffentlichen Lebens einhergingen. Hierzu zählten auch Ausgangsund Kontaktbeschränkungen. Die Resonanz innerhalb der Iinksextremistischen Szene hierauf war unterschiedlich. Vor allem die anarchistische und Teile der autonomen Szene drängten zum Widerstand gegen die behördlichen Maßnahmen. Die Bevölkerung solle selbst Verantwortung übernehmen, Selbsthilfe organisieren und hierfür eigene Strukturen aufbauen. Ein Autor auf der Webseite de.indymedia.org rief gar zu Aufständen, Plünderungen und Sabotage auf. Auch die kommunistische Szene übte Kritik an den staatlichen Maßnahmen. Diese seien primär auf den Schutz der Wirtschaft ausgerichtet. Es seien genügend Geldmittel und Ressourcen vorhanden, um alle Menschen während der Corona-Pandemie vollumfänglich zu versorgen. Ein System, das die Wirtschaft über den Menschen stelle, könne diese Krise nicht bewältigen und gehöre abgeschafft. 232 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Trotz dieser teils scharfen Kritik wurden die behördlichen Vorgaben vordergründig auch von der Iinksextremistischen Szene mitgetragen. Szenetreffs wie das "Kafe Marat" in München, die "Schwarze Katze" in Nürnberg, das "Z" in Rosenheim oder das "LiZe" in Regensburg schlossen vorübergehend in Reaktion auf die behördlichen Corona-Schutzmaßnahmen. Auch öffentliche Veranstaltungen, wie etwa die jährlich stattfindenden Demonstrationen zum Tag der politischen Gefangenen am 18. März oder der 1. Mai wurden abgesagt beziehungsweise verschoben. Auf große Zustimmung innerhalb der autonomen Szene stieß die Maskenpflicht bei öffentlichen Veranstaltungen, bot sie doch auch eine willkommene Gelegenheit das sonst übliche Vermummungsverbot zu unterlaufen. Selbstermächtigung und Selbstorganisation Ausgehend von der These, die staatlichen Maßnahmen seien nur auf die Rettung der Wirtschaft und kapitalistischen Ordnung ausgerichtet, forderten Linksextremisten auf einer einschlägigen Webseite: Auf die Politik der Herrschenden können wir uns nicht verlassen: nicht in Krisenzeiten wie jetzt, und auch nicht an jedem anderen Tag. Wir sind aufeinander und auf unsere gegenseitige Solidarität angewiesen. Deshalb müssen wir unsere eigenen Strukturen schaffen und Gegenmacht zu diesen profitorientierten, mörderischen System aufzubauen. Wir fordern alle auf, dies auch zu tun. (Fehler aus dem Original übernommen) Hierzu gründeten Szeneangehörige neue Projekte, wie z. B. Initiative "Zukunft die Initiative "Zukunft erkämpfen", die ein Solidaritätsnetz mit erkämpfen!" Schwerpunkt München aufbauen will und zur Selbstorganisation aufruft. Die Initiative will tragfähige Strukturen schaffen und auch unter Corona-Beschränkungen nach Möglichkeiten der politischen Betätigung suchen. Das erklärte Ziel von "Zukunft erkämpfen" ist es, "auch über die Pandemie hinaus die Krisenhaftigkeit des kapitalistischen Systems aufzuzeigen". Im Internet und über Plakate im Stadtgebiet München ruft die Initiative zur Teilnahme und Organisation von Nachbarschaftshilfen auf. Über solche Solidaritätsaktionen versucht die lokale Iinksextremistische Szene in der Krise ihren Stand zu festigen und auch über die Krise hinaus weitere Mitglieder 233 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus zu gewinnen. Um neue Strukturen trotz Kontaktbeschränkungen aufbauen zu können, setzt "Zukunft erkämpfen" neben dem Verbreiten von Plakaten und Flugblättern vor allem auf die sozialen Medien und den Einsatz von Chatgruppen in MessengerDiensten. "Zukunft erkämpfen" ist Teil der bundesweiten Kampagne "#nichtaufunseremrücken". Auf der Kampagnenwebseite sind Aktionen in verschiedenen deutschen Städten - in Bayern München und Nürnberg - aufgelistet. Aufgrund der veröffentKampagne #nichtlichten Texte kann eine Nähe zum Bündnis "Perspektive Kommuaufunseremrücken" nismus" (PK) angenommen werden. Diesem 2014 gegründeten, überregionalen Bündnis gehören linksextremistische Gruppierungen aus Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg an, u. a. die in München ansässige "AntikapitaIistische Linke München" (AL-M). Ziel der PK ist es, sich zu einer "bundesweiten, aktionsorientierten und revolutionären, kommunistischen Organisation" weiterzuentwickeln. Neben der PK beteiligten sich aus Bayern noch die linksextremistischen Gruppen "Sozial-Revolutionäre Aktion" aus Regensburg sowie die Nürnberger "Prolos" an der bundesweiten Kampagne "#nichtaufunseremrücken". Hygiene-Demonstrationen und Corona-Rebellen Trotz einiger Skepsis und Kritik gegenüber den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, positioniert sich die bayerische Iinksextremistische Szene gegen "Hygiene-Demonstrationen" und die "Corona-RebeIIen". Insbesondere Veranstaltungen der "Querdenker"-Bewegung werden von der Iinksextremistischen Szene als stark "rechts" beziehungsweise "rechtsextremistisch" beeinflusst wahrgenommen. In diesem Zusammenhang hat insbesondere die selbsterklärte Mitmachkampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) unter dem Titel "Gegen euch und eure Freunde! - Der Verschwörung von Faschisten und Kapital entgegentreten!" zum Widerstand gegen diese neuen Bewegungen aufgerufen. Dabei handele es sich nach Ansicht der Kampagnenverantwortlichen um einen klassenübergreifenden Zusammenschluss von Liberalen bis hin zu Neonazis. Dazwischen tummeln sich Impfgegner*innen, Hippies, Anhänger von wahnsinnigen Influencern und D-Promis. 234 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 2.3 Strafund Gewalttaten Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" Politisch motivierte Gewaltdelikte 2018 2019 2020 Tötungsdelikte (auch Versuch) 0 0 0 Körperverletzung 19 21 13 Brandund Sprengstoffdelikte 14 11 12 Landfriedensbruch 2 0 3 Raub 1 1 1 Widerstandsdelikte 9 12 1 Gef. Eingriff in Bahn-, Schiffs-, 1 2 32 Luftund Straßenverkehr Sonstige Gewalttaten 0 0 0 gesamt 46 47 62 Kriminelle Vereinigung/Terrorismus 0 0 0 Sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 541 492 479 Propagandadelikte* 15 26 Nötigung/Bedrohung 5 5 11 Sonstige Straftaten 160 110 127** gesamt 706 622 643 Straftaten insgesamt 752 669 705 * bis 2018 unter "sonstige Straftaten" erfasst, separate Ausweisung seit 2019 ** darunter 1 Volksverhetzungsdelikt Die Gesamtzahl linksextremistischer Straftaten in Bayern stieg 2020 nach einem Rückgang im Vorjahr wieder an. Während im Jahr 2019 noch 669 Straftaten zu verzeichnen waren, wurden 2020 insgesamt 705 Straftaten gezählt. Nach wie vor stellen Sachbeschädigungen mit 479 Delikten den Großteil der Straftaten dar. 235 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Auch die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten in Bayern stieg 2020 mit nunmehr 62 Delikten gegenüber dem Vorjahr (47 Delikte) deutlich an, darunter waren erneut 12 Brandund Sprengstoffdelikte (Vorjahr 11). Wie in 2019 wurde die Mehrzahl dieser Delikte (7) im Großraum München begangen. Sprunghaft angestiegen sind die gefährlichen Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luftund Straßenverkehr mit nunmehr 32 Delikten (2019: 2). Hierbei handelt es sich vorrangig um Manipulationen an Dienstfahrzeugen der Polizei, z. B. durch in die Reifen eingedrehte Schrauben. 2.4 Präventionsmaßnahmen des Verfassungsschutzes Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz klärt mit einem Informationsfilm und einem Flyer über die Ziele und Vorgehensweisen autonomer Linksextremisten auf und sensibilisiert damit insbesondere junge Menschen für deren Anwerbestrategien. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz will mit dem Informationsfilm "Lass dich nicht verarschen - diesmal von autonomen Linksextremisten" eine differenzierte Sichtweise auf die gewaltbereite autonome Szene vermitteln und Nutzerinnen und Nutzern 10 Tipps an die Hand geben, wie sie Anwerbestrategien von Linksextremisten erkennen und sich vor einer Vereinnahmung schützen können. Mit dem Flyer "Autonome - Linksextremistische Gewalttäter oder selbsternannte Freiheitskämpfer" vermittelt das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz weitergehende Informationen über die Gewaltbereitschaft der linksautonomen Szene. Der Flyer klärt darüber auf, in welchen Bereichen Autonome aktiv sind, wie sie ihren Nachwuchs rekrutieren und welche Hinweise es für eine beginnende Radikalisierung gibt. Der Film des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz kann auf dem YouTube-Kanal der Bayerischen Staatsregierung unter www.youtube.com/user/bayern abgerufen werden. 236 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Der Flyer ist über das Publikationsportal der Bayerischen Staatsregierung unter www.bestellen.bayern.de abrufund bestellbar. 3. EINFLUSSNAHME AUF BÜRGERLICHE KAMPAGNEN Die linksextremistische Szene beteiligt sich seit jeher auch an nichtextremistischen Veranstaltungen oder Initiativen. Diese Taktik ermöglicht es Linksextremisten, den eigenen Protest auf eine größere Bühne zu tragen und mehr Menschen über ihre eigene Kernklientel hinaus zu erreichen. Linksextremisten versuchen, Einfluss auf Veranstaltungen oder Initiativen auszuüben, indem sie ihre verfassungsfeindlichen Ideologien und Ziele in den Protest mit einfließen lassen. Letztendlich sollen ihre extremistischen Überzeugungen und Ziele in der Bevölkerung politisch anschlussfähig werden. Gleichzeitig werben Linksextremisten dabei um neue Mitglieder. Politisch interessierte Menschen werden eingeladen, an eigenen Veranstaltungen oder Treffen teilzunehmen, und so an die linksextremistische Szene herangeführt. Von besonderem Interesse sind für Linksextremisten dabei Themen, die in der Gesellschaft virulent sind, eine Vielzahl von Menschen betreffen und gleichzeitig Ansatzpunkte für das "Andocken" ihrer linksextremistischen Forderungen eröffnen. Aktuell ist zu beobachten, dass sich einige linksextremistische LinksextremistiGruppen verstärkt im Bereich Klimaund Umweltschutz engasches Engagement gieren. In ihrer Rhetorik verbinden sie den Protest gegen den im Klimaund Klimawandel regelmäßig mit dem "Kampf" gegen vermeintlich Umweltschutz "herrschende Klassen" oder gegen die "Umweltpolitik der herrschenden Klassen". Den Klimaprotest verklären sie ebenfalls im kämpferisch aggressiven Duktus zu einem "Klimakampf" und fordern einen "Systemwandel statt Klimawandel". Damit wird deutlich, dass für Linksextremisten der Einsatz für Klimaschutz untrennbar mit der Bekämpfung des freiheitlich-demokratischen Staates verbunden ist. Bei der linksextremistisch beeinflussten Klimaschutzkampagne "Interventionisti"Ende Gelände" nehmen Linksextremisten eine tragende Rolle sche Linke" (IL) als ein. "Ende Gelände" trat erstmals 2014 im Rahmen der Proteste Scharnier zwischen gegen den Braunkohleabbau in Erscheinung. Sie setzt sich aus Linksextremisten verschiedenen Organisationen des demokratischen sowie des und demokratischen linksextremistischen Spektrums zusammen. Ein maßgeblicher Initiativen extremistischer Akteur des Bündnisses ist die Gruppierung "Interventionistische Linke" (IL). Sie übernahm innerhalb der Kampagne eine strategisch führende Position und fungiert als koordinierendes sowie aktionsinitiierendes Bindeglied zwischen 237 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus demokratischen und linksextremistischen Organisationen. Die IL sieht den Kapitalismus und den dahinterstehenden Staat als Ursache des Klimawandels. Sie propagiert, dass es sich hierbei um eine systembedingte Krise handele und eine Lösung innerhalb des Systems daher nicht möglich sei. Daher richtet sich ihr "Kampf für Klimaschutz" vor allem auch gegen Unternehmen, den Staat und das politische System an sich. Neben "Ende Gelände" versuchen Linksextremisten auch, auf die überwiegend von Schülern demokratisch getragene Umweltund Klimabewegung "Fridays for Future" Einfluss zu nehmen. Klimaschutz als TürDie linksextremistische Szene hat dabei schnell das hohe Mobiöffner für linksextrelisierungspotenzial der "Fridays for Future"-Bewegung erkannt. mistische Ideologie Linksextremistische Gruppen wie die "Linksjugend ['solid]", die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD), die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) oder die "Marxistische Jugend" (mj) versuchen gezielt, Einfluss auf die Schülerund Studierendenbewegung auszuüben. Sie nutzen die Sorgen der überwiegend jungen Klimaaktivisten vor den Folgen des Klimawandels als "Türöffner", um dort gegen das "kapitalistische System" als Ursache des Klimawandels zu hetzen. Mit Slogans wie "Capitalism will never be green" oder "Klima retten, Kapitalismus entsorgen" wollen sie die Bewegung politisieren und ihre eigene antikapitalistische und antistaatliche Ideologie einfließen lassen. Hierzu nutzt vor allem die mj auch die sozialen Medien. Über Facebook und YouTube veröffentlicht die Gruppe regelmäßig Bilder und Videos von Veranstaltungen der "Fridays for Future"-Bewegung. Dort sind auch Mitglieder der mj zu sehen, wie sie antikapitalistische Banner tragen, szenetypische Sprechchöre anstimmen oder eine Politisierung der Schülerbewegung einfordern. Trotz des Engagements linksextremistischer Gruppen innerhalb der "Fridays for Future"-Bewegung wurde bisher keine lenkende Einflussnahme durch die linksextremistische Szene festgestellt. "Fridays for Future" äußerte diesbezüglich bereits mehrfach den Anspruch, sich weder extremistisch noch politisch vereinnahmen zu lassen. So schließen beispielsweise einzelne Ortsgruppen auch politische Parteien von ihren Versammlungen gänzlich aus oder platzieren diese ans Ende des Demonstrationszugs. Situation in Bayern Kampagne "Ende In Bayern unterhält die Klimakampagne "Ende Gelände" OrtsGelände" gruppen in Augsburg, Bamberg, Fürth, München, Nürnberg, Passau, Regensburg und Würzburg. Diese organisieren lokale 238 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Informationsveranstaltungen und Aktionstrainings für die bundesweit aktive Kampagne. Bei Großveranstaltungen wie dem Aktionswochenende am Tagebau Garzweiler vom 23. bis 28. September wurden über die Ortsgruppen gemeinsame nreisen von Teilnehmern organisiert. Auch bayerische Linksextremisten sehen in den Klimabewegungen ein immenses Potenzial, das sie in ihrem Sinne zu politisieren versuchen. Am 4. September fand im EineWeltHaus in München unter dem Motto "Extrem Unbrauchbar - Über die Kriminalisierung der Klimabewegung durch den Verfassungsschutz" eine Buchvorstellung mit Podiumsdiskussion statt. Dort trat u. a. auch eine Sprecherin der Klimaschutzkampagne "Ende Gelände" auf. Die Veranstalter unterstellten, der Verfassungsschutz versuche, "Ende Gelände" in der Öffentlichkeit zu diskreditieren, die Bewegung zu schwächen und den Kampf für Klimagerechtigkeit zu kriminalisieren. Ein Redner erklärte, der Staat "versage" beim Kampf gegen den Infragestellung des Rechtsextremismus, weshalb dieser von Antifaschisten geführt staatlichen Gewaltwerden müsse. Das staatliche Gewaltmonopol werde dabei monopols selbst zum Problem. Es sei fatal, Menschen, die eine bessere Welt wollten, mit Rassisten und Faschisten gleichzusetzen. Man könne den NSU nicht mit der RAF vergleichen. Nach Ansicht der Sprecherin von "Ende Gelände" habe die Einstufung ihrer Kampagne als linksextremistisch Gruppenmitglieder ohne "Repressionserfahrung" schockiert. Sie selbst habe von diesem Land nichts anderes erwartet. Eine Vertreterin der Roten Hilfe e. V. (RH), die sich mit einer Hasenmaske unkenntlich gemacht hatte, warnte vor vermeintlichen "Anquatschversuchen" des Verfassungsschutzes und "staatlicher Repression". 4. IDEOLOGISCHE WURZELN DES LINKSEXTREMISMUS Ideologisch greifen die zwei Hauptströmungen des Linksextremismus, der Kommunismus und der Anarchismus, im Wesentlichen auf den französischen Ökonomen und Soziologen PierreJoseph Proudhon (1809-1865) zurück. Proudhon stellte im Kontext der Ausbeutung der Arbeiterschaft während der industriellen Revolution 1840 in seinem gleichnamigen Werk die Frage: "Was ist Eigentum?" Seine Antwort auf die Frage ist noch heute weltbekannt: "Eigentum ist Diebstahl." Proudhons Ziel war eine herrschaftsfreie, dezentral organisierte Gesellschaft, in der jeder nur das besitzt, was er durch eigene oder kollektive Arbeit hergestellt oder durch Tausch erworben hat. Die Lehren von Karl 239 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Marx und Michail Bakunin, den Vordenkern des Marxismus beziehungsweise des Anarchismus, wurden maßgeblich durch die Ideen Proudhons beeinflusst. Marxismus Die Lehren von Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) sind die ideologische Grundlage für das Denken und Handeln der meisten Linksextremisten. Das gesamte politische, geistige und kulturelle Leben einer Gesellschaft wird demnach durch die ökonomischen Strukturen, insbesondere die Produktionsweise, bestimmt. Die marxistische Lehre ist sowohl wissenschaftliche Theorie als auch praktisch-politische Handlungsanleitung für die Revolution. Ihr zufolge vollzieht sich die Menschheitsgeschichte in gesetzmäßigen Entwicklungsstufen. Dem Endziel der geschichtlichen Entwicklung, der kommunistischen klassenlosen Gesellschaft, geht die revolutionäre Überwindung des kapitalistischen Systems voraus. Im Kapitalismus stehen sich die ausbeutende Klasse der bürgerlichen Kapitalisten - die Eigentümer an den Produktionsmitteln - und die ausgebeutete Klasse der Arbeiterschaft - die sogenannten "Proletarier" - gegenüber. Der durch die Arbeiterschaft erzeugte Mehrwert eines erstellten Produktes geht als "Profit" nach der marxistischen Lehre in das Eigentum der Kapitalisten über und führt so zu Lohndruck, Verarmung und schließlich Verelendung des Proletariats. Die Folgen sind Klassenkämpfe, die in eine Revolution und schließlich in die Diktatur des Proletariats münden mit dem Endziel einer kommunistischen Gesellschaft. Das Menschenbild des Marxismus ist ein grundsätzlich anderes als das des Grundgesetzes. Im Mittelpunkt steht nicht das Individuum mit seinen garantierten Rechten, sondern die Arbeiterklasse. Nach dieser Sichtweise ist es zulässig, Grundund Menschenrechte zugunsten des sozialistischen Kollektivs und einer kommunistischen Zielsetzung zu relativieren oder gar außer Kraft zu setzen. Marxismus-Leninismus Der Marxismus-Leninismus war die offizielle Weltanschauung der früheren Sowjetunion. Er basiert auf den Lehren von Marx und Engels (Marxismus), die von Wladimir I. Lenin (1870-1924) zur Staatsdoktrin der Sowjetunion und für den von ihm propagierten internationalen Klassenkampf weiterentwickelt wurden. Auch nach marxistisch-leninistischer Auffassung muss der Kapitalismus bekämpft werden. Das höchste Stadium des Kapitalismus sah Lenin im "Imperialismus". Demnach trachte 240 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 der Kapitalismus in ausbeuterischer Weise danach, seinen Machtund Einflussbereich auf andere Staaten auszudehnen, was zwangsläufig zu Kriegen führt. Dem Kapitalismus müsse also eine neue Gesellschaft folgen: der Sozialismus. Den Sozialismus sah Lenin wiederum als Vorstufe des Kommunismus. Der Marxismus-Leninismus führt zwangsläufig zu einer revolutionären Umwälzung. Allerdings verfügt die Arbeiterklasse nach Lenin nicht über das notwendige politisch-revolutionäre Bewusstsein. Dieses müsse durch eine Kaderpartei aus Berufsrevolutionären (Avantgardeanspruch der kommunistischen Partei) vermittelt werden. In dieser Elitenpartei sind gemäß dem Grundsatz des "demokratischen Zentralismus" keine abweichenden Meinungen zu Parteibeschlüssen durch Fraktionen oder innerparteiliche Strömungen erlaubt. Für marxistisch-leninistische Kaderparteien wie die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) spielt der Marxismus-Leninismus eine große, für offen extremistische Strukturen innerhalb der Partei "DIE LINKE." zumindest eine prägende Rolle. Stalinismus Stalinismus ist Josef W. Stalins (1878-1953) theoretische Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus zum diktatorisch-bürokratischen Herrschaftssystem der Sowjetunion. Entgegen der marxistischen Annahme, dass zum Sieg des Proletariats über das Bürgertum ("Bourgeoisie") eine gemeinsame Revolution der Proletarier aller Länder notwendig sei, ging Stalin davon aus, dass der Sozialismus unter der Führung der Sowjetunion vorbildhaft zuerst dort realisiert werden müsse. Mit dem von Stalin betriebenen Aufund Umbau der Sowjetunion zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung wurden unter anderem die "stalinistischen Säuberungen" legitimiert, denen Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. In Deutschland berufen sich die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) und der "Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD" (AB) auch auf die Ideen Stalins. Trotzkismus Das auf Leo Trotzki (1879-1940) zurückgehende Modell des Sozialismus ist keine in sich geschlossene, eigenständige Lehre, sondern eine Abwandlung des Marxismus-Leninismus. Sie entstand vor allem aus der Opposition von Trotzki zu Stalin. Wesentliche Elemente sind die Theorie der "permanenten Revolution", der Glaube an die Weltrevolution (im Unterschied zu Stalins 241 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus "Sozialismus in einem Land"), das Ziel der Errichtung einer "Diktatur des Proletariats" in Form einer Rätedemokratie und das Festhalten am "proletarischen Internationalismus". Die charakteristische Strategie trotzkistischer Vereinigungen ist der Entrismus, d. h., sie versuchen, gezielt in andere Organisationen einzudringen und Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. So findet ihre eigene Ideologie Verbreitung über die unterwanderte Organisation. Maoismus Unter der Führung von Mao Tse-tung (1893-1976) wurde in China nach dem kommunistischen Sieg 1949 der Marxismus-Leninismus in einer von Sowjetrussland abweichenden Weise interpretiert und als kommunistische Ideologie weiterentwickelt. Der Maoismus sieht in China die ländliche Bevölkerung und nicht die städtische Arbeiterschaft als Träger des politischen Umsturzes. Die Weltrevolution sollte in einem Staat der Dritten Welt durch einen Guerillakrieg bäuerlicher Partisanen ausgelöst werden. In einer Serie politischer Kampagnen ("Kulturrevolution") versuchte Mao Tse-tung, die chinesische Gesellschaft zu den revolutionären Zielen der Partei zu erziehen. Der ideologische Terror und die damit verbundenen "Säuberungsaktionen" forderten Millionen Tote. Die Ideen Maos waren Vorbild für große Teile der 1968er-Bewegung, vor allem der in Westeuropa entstandenen "Neuen Linken" (sogenannten "K-Gruppen"). Heute bekennt sich lediglich die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) öffentlich zu Mao Tse-tung. Anarchismus Zum Anarchismus werden Ordnungsvorstellungen und Bestrebungen gerechnet, die auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von "Menschen über Menschen" abzielen. Das Feindbild aller, im Detail unterschiedlich ausgerichteter, anarchistischer Strömungen ist der Staat. Er gilt im anarchistischen Verständnis als repressive Zwangsinstanz, die zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft aufgelöst und zerschlagen werden müsse. Einer der bekanntesten Vordenker des Anarchismus ist Michail Alexandrowitsch Bakunin (1814-1876), ein russischer Revolutionär und Anarchist, der in Westeuropa lebte und von dort aus 242 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 weltweit wirkte. Bakunin strebte nach einer herrschaftsfreien, dezentral organisierten Gesellschaft. Zur Umsetzung seiner Ideale setzte er auf gewaltsame Revolutionen. Aus den Ideen Bakunins entwickelte sich Ende des 19. Jahrhundert der sogenannte "Anarcho-Syndikalismus", ein System, in dem Gewerkschaften die Arbeiterschaft unabhängig von Staat oder Industriellen dezentral verwalten. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs, der kommunistischen Revolution in Russland, dem Aufstieg des Faschismus in Italien und während des Zweiten Weltkriegs verlor der Anarchismus zunehmend an Bedeutung. Einen zwischenzeitlichen Aufschwung erlebte er im Rahmen der "68er"-Studentenbewegung, die sich in ihrer Forderung nach totaler Freiheit auch auf den Anarchismus berief. 5. LINKSEXTREMISTISCHE THEMENFELDER Um ihre politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen durchzusetzen, engagieren sich Linksextremisten in verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Themenfeldern. Typische Aktionsfelder der Linksextremisten sind: - Antikapitalismus, - Antirepression, - Antifaschismus und Antirassismus, - Antigentrifizierung, - Antiimperialismus, - Antimilitarismus, - Antiglobalisierung. Die Themenfelder sind eng miteinander verbunden. Zentraler Antikapitalismus im Punkt linksextremistischer Agitation ist der Antikapitalismus. Zentrum linksextreVon ihm lässt sich auf die Mehrzahl der anderen Themenfelder mistischer Ideologie schließen, so z. B. auf die Gentrifizierung, die nach Ansicht von Linksextremisten allein aus kapitalistischen Beweggründen hervorgerufen werde. Auch Imperialismus, Militarismus oder Globalisierung hätten, linksextremistischen Argumentationen folgend, ihren Ursprung im Profitund Expansionsdrang des Kapitalismus. Aktionen von Linksextremisten, mit denen der Staat, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder der politische Gegner bekämpft werden sollen, finden situationsangepasst statt. Die einzelnen Themen dienen mitunter der Legitimation von Gewalttaten. 243 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Antikapitalismus Linksextremistischer Antikapitalismus will im Gegensatz zur Kapitalismuskritik nicht nur Defizite am Wirtschaftssystem benennen und Reformvorschläge entwickeln, sondern mit dem Wirtschaftssystem auch Staat und Gesellschaft vollständig umwälzen. "Kapitalismus" und "kapitalistische Systeme" sind nach linksextremistischer Auffassung die wesentlichen Ursachen für Faschismus, Rechtsextremismus, Imperialismus und Krieg. Für Linksextremisten stellt "Kapitalismus" somit nicht nur eine bloße Wirtschaftsordnung dar, vielmehr wird er gleichgesetzt mit der Gesamtheit staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen in einer parlamentarischen Demokratie. Ob anarchistisch oder kommunistisch: Linksextremistischer Antikapitalismus hat aufgrund dieser Grundannahmen immer die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie als sogenannte "bürgerliche Herrschaftsform" zum Ziel. Antikapitalismus ist fundamental für linksextremistische Agitation. Der Kapitalismus wird von Linksextremisten als "Grundübel" angesehen. Folglich finden sich antikapitalistische Argumente auch in anderen, typisch linksextremistischen Themenfeldern. So unterstellen Linksextremisten dem kapitalistischen System, "imperialistisch" zu sein und profitmaximierend zu handeln. Staaten und deren Armeen unterstützten dieses, um "schwächere" Staaten und Völker zu unterdrücken und auszubeuten. Linksextremisten sehen den kapitalistischen "Imperialismus" als Hauptursache für bewaffnete Konflikte. Daher steht linksextremistischer Antiimperialismus auch immer in einem antikapitalistischen Kontext. Linksextremistischer Aus ihrem antiimperialistischen Weltbild entwickelt sich bei Antizionismus Linksextremisten häufig auch ein Antizionismus - die Ablehnung des Staates Israel und dessen Innenund Außenpolitik. Israel stellt in diesem Zusammenhang für Linksextremisten eine Art "Brückenkopf" der USA im Nahen Osten dar, um den Kapitalismus immer weiter auszudehnen. Zudem verurteilen Linksextremisten den Umgang Israels mit den Palästinensern: Israel wird dabei vorgeworfen, sich im Rahmen des Nahost-Konflikts vom Opfer des Nationalsozialismus zum Täter gewandelt zu haben (sog: Täter-Opfer-Umkehr). In ihrer Kritik solidarisieren sich viele Linksextremisten mit den Palästinensern und rufen zum "Kampf" gegen Israel und die USA auf. Linksextremistischer Antikapitalismus stellt für Linksextremisten auch ein Einfallstor in bürgerliche Initiativen dar. Dies zeigt sich aktuell am deutlichsten bei Umweltund Klimakampagnen. Mit 244 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Slogans wie "Capitalism will never be green" oder "System change not climate change" versuchen Linksextremisten, ihre Idee vom Kapitalismus als "Kernproblem" in die Bewegungen einzubringen. Antirepression Mit dem Begriff der "Repression" versuchen Autonome, jegliche Form rechtsstaatlichen Handelns, wie z. B. die Durchsetzung geltender Gesetze, zu diskreditieren. Dies gilt insbesondere für die staatliche Überwachung und Strafverfolgung linksextremistischer Aktionen. So lehnen Autonome polizeiliche Maßnahmen gegen linksextremistische Gewalttäter ab und versuchen, mit Solidaritätskampagnen eine breite Öffentlichkeit in ihrem Sinne gegen rechtsstaatliches Handeln zu beeinflussen. Gleichzeitig mobilisieren sie damit die linksextremistische Szene und rechtfertigen ihr militantes Vorgehen. Antifaschismus und Antirassismus Linksextremisten nutzen den breiten gesellschaftlichen KonAblehnung der sens gegen den Rechtsextremismus für ihre politischen Ziele, parlamentarischen die weit über die Bekämpfung des Rechtsextremismus hinausDemokratie reichen. Antifaschismus im linksextremistischen Sinn beinhaltet auch die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie. Ursprünglich bezog sich der Begriff "Antifaschismus" auf die inneritalienische Opposition gegen die Herrschaft Mussolinis. Die Wurzeln des deutschen Antifaschismus liegen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Neben dem bürgerlich-liberal geprägten Antifaschismus, der für die Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintrat, entwickelte sich ein kommunistisch orientierter, als linksextremistisch einzustufender Antifaschismus. Der linksextremistische Antifaschismus wertet alle nicht marxistischen Systeme als potenziell faschistisch oder als eine Vorstufe zum Faschismus. Linksextremisten sehen also die eigentliche Ursache von Faschismus, Rassismus und Rechtsextremismus in einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung, die auf Kapitalismus, Parlamentarismus und Rechtsstaatsprinzipien aufbaut. Der Antirassismus, der insbesondere im Zusammenhang mit der Asylthematik einen linksextremistischen Agitationsschwerpunkt bildet, steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Antifaschismus und dem Antikapitalismus. Linksextremisten sehen marktwirtschaftlich verfasste Staaten als Systeme, die zwangsläufig Rassismus hervorrufen und legitimieren. Gewaltorientierte linksextremistische Autonome nutzen den Antifaschismus seit Jahren zur Mobilisierung ihrer Anhänger und zur Legitimierung ihrer militanten Aktionen gegen Staat und 245 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Polizei mit der Behauptung, diese schützten Rechtsextremisten. Dabei suchen Autonome auch den Schulterschluss mit demokratischen Bündnissen und Initiativen. Beeinflussung bürLinksextremistische Parteien und Organisationen streben durch gerlicher antifaschiseine gezielte Einflussnahme die Übernahme von Leitungsund tischer initiativen Steuerungsfunktionen in antifaschistischen Initiativen an. Insbesondere aus der kommunistischen Bewegung entstandene Organisationen nutzen den Kampf der Kommunisten gegen Hitler und deren Verfolgung zur Zeit des deutschen Nationalsozialismus, um ihren Führungsanspruch im antifaschistischen Spektrum zu legitimieren. Antifaschismus ist nicht generell linksextremistisch. Es kommt vielmehr darauf an, was die jeweiligen Antifaschisten konkret unter "Faschismus" verstehen und welche Forderungen sich aus ihrem Selbstverständnis als "Antifaschisten" ergeben. Die zentrale Frage dabei lautet: Richtet sich die Ablehnung nur gegen Rechtsextremismus, oder richtet sich die Ablehnung gegen die Normen und Regeln eines demokratischen Verfassungsstaats? Antigentrifizierung Mit dem Thema Antigentrifizierung versuchen Linksextremisten, ihre eigenen Interessen in eine aktuelle stadtund gesellschaftspolitische Diskussion einzubetten und damit für größere Bevölkerungskreise politisch anschlussfähig zu werden. Der Begriff "Gentrifizierung" bezeichnet soziale Umstrukturierungsprozesse in Stadtteilen, die zu steigenden Mieten und somit auch zu einer Verdrängung der bisherigen Bewohner führen. Insbesondere Bewohner von Großstädten beschäftigt dieses Thema in den letzten Jahren zunehmend. Es bilden sich Initiativen, die in aller Regel von demokratischen Kräften getragen werden. Linksextremisten versuchen sich diesen Initiativen anzuschließen beziehungsweise im gleichen Themenfeld eigene Aktionsformen anzubieten. Sie versuchen sich als sozialpolitische Akteure zu profilieren und somit an gesamtgesellschaftlicher Akzeptanz zu gewinnen. Angriffe auf Gewaltbereite Linksextremisten setzen im Zusammenhang Unternehmen der mit dem Themenfeld Antigentrifizierung auch auf gewalttätige Immobilienbranche Aktionen: Insbesondere Immobilienmakler werden von ihnen als Mitverantwortliche für die "Gentrifizierung" und damit als Feindbild wahrgenommen. Büros und Fuhrparks von Immobilienfirmen sind immer wieder Ziel militanter Attacken aus der linksextremistischen Szene. Es werden Scheiben eingeworfen, Fassaden beschmiert, Fahrkartenautomaten zerstört und Fahrzeuge in Brand gesetzt. 246 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Nach linkem Verständnis tragen auch steigende Kosten des öffentlichen Nahverkehrs zur Gentrifizierung bei. So sollen "Sozialschwache" aus den Innenstädten vertrieben werden. Daher sind "Ticketautomaten" ebenfalls ein bevorzugtes Ziel. Die durch gewaltbereite Linksextremisten verursachten Sachschäden gehen in Einzelfällen bis in die Hunderttausende. Beispielsweise beschädigten am 8. März Linksextremisten mehrere Transporter der Immobilienfirma Vonovia in Nürnberg. Die Täter erklärten auf de.indimedia.org, Vonovia habe die kapitalistische Verwertung des menschlichen Grundbedürfnisses nach Wohnraum perfektioniert. Antimilitarismus Antimilitarismus hat in der linksextremistischen Szene, insbesondere durch vermehrte Auslandseinsätze der Bundeswehr, wieder an Bedeutung gewonnen. Nach der Militarismus-Theorie von Karl Liebknecht dient das Militär dazu, kapitalistische Expansionsbestrebungen gegenüber anderen Staaten durchzusetzen und im eigenen Land den Kapitalismus und dessen "Ausbeutungsstrukturen" zu stabilisieren. Dieses Gedankengut lebt in der linksextremistischen Szene weiter. Linksextremisten sind daher immer wieder auch in pazifistischen Initiativen und Bündnissen aktiv, um dort ihre Ideologie zu verbreiten. Im Gegensatz zum Pazifismus geht es Linksextremisten nicht nur um die Abschaffung des Militärs, sondern darüber hinaus um die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie. Prägende Ereignisse der linksextremistischen Aktivitäten zum Thema Antimilitarismus waren auch im Jahr 2020 die Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz. An der Demonstration beteiligten sich insgesamt circa 3.000 Personen, überwiegend aus dem nicht-extremistischen Bereich. Aus dem teilnehmenden "Schwarzen Block" mit etwa 100 Anhängern der linksextremistischen Szene wurden bengalische Feuer und Rauchkörper gezündet. Am 14. Februar versammelte sich die linksextremistische Szene erstmals zu einer "Vorabenddemonstration" zur Sicherheitskonferenz. Unter dem Titel "Für ein Ende der Gewalt! Keine Sicherheit diesen Verhältnissen!" versammelten sich bis zu 500 Personen, darunter auch etwa 250 gewaltbereite Linksextremisten. Während des Aufzugs kam es zu Störungen, weil sich Teilnehmer vermummten, Pyrotechnik zündeten und Böller auf die anwesenden Polizeibeamten warfen. Verletzt wurde niemand. 247 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Antiglobalisierung Linksextremisten lehnen grundsätzlich Nationalstaaten und deren Grenzen ab. Sie sind aber auch Gegner der Globalisierung, da sie in ihr einen rein wirtschaftlichen Prozess sehen, der von den "starken" Industrienationen vorangetrieben werde, um die "schwachen" Schwellenund Entwicklungsländer weiter ausbeuten zu können. Deshalb begrüßten Linksextremisten den Zusammenbruch von Lieferketten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Globalisierung wird in Teilen der Szene zudem als treibender Faktor für die rapide Ausbreitung der CoronaPandemie betrachtet. 6. INTERNET, MUSIK UND MEDIEN 6.1 Linksextremistische Agitation im Internet Für Linksextremisten sind die Möglichkeiten des Internets, insbesondere die Nutzung sozialer Medien wie Facebook, Instagram oder Twitter, von zentraler Bedeutung für ihre Agitation. Sie betreiben dort Kampagnenarbeit, vernetzen sich und diskutieren zentrale Themen in offenen und geschlossenen Foren oder Blogs. Verbot von Bis zu ihrem Verbot im Jahr 2017 war die Internetplattform "linksunten. "linksunten.indymedia" das wichtigste Medium der gewaltbeindymedia" reiten linksextremistischen Szene. Über Jahre bot das Portal eine Plattform zur Darstellung und Propagierung linksextremistischer, verfassungsfeindlicher Inhalte. Die hier angebotenen verschlüsselten Kommunikationswege ermöglichten es den Nutzern, Beiträge mit strafrechtlich relevanten Inhalten auf der Plattform anonym zu veröffentlichen, ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen. Nach Abschaltung der Seite ist die linksextremistische Szene auf andere Plattformen ausgewichen. Der Einsatz von Verschlüsselungs-Software erschwert grundsätzlich die Feststellung des Urhebers von Internetbeiträgen. Viele Internetseiten werden zudem auf anonymen, ausländischen Servern betrieben. Da diese nur schwer zu identifizieren sind und nicht dem deutschen Recht unterliegen, können Straftaten nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen verfolgt werden. Um die Urheber zu ermitteln, sind deutsche Behörden auf die Zusammenarbeit mit den zuständigen ausländischen Stellen angewiesen. Aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verlagerten Linksextremisten ihre Aktivitäten zuletzt vermehrt ins Internet. 248 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Zu Werbezwecken erstellen Linksextremisten auch Mobilisierungsvideos (Mobivideos, Mobis), meist kurze Clips, die Szeneangehörige bei erfolgreichen Aktionen, auf Demonstrationen oder beim Anbringen von Graffiti zeigen. Die Videos sind mit szenetypischer Musik unterlegt. Sie werden auf Videoplattformen wie YouTube oder vimeo veröffentlicht und bei Veranstaltungsaufrufen verlinkt. Das Format soll vor allem junge Menschen ansprechen, politisieren und zum Mitmachen animieren. Über das Internet führen linksextremistische Gruppierungen auch sogenannte "Outings" tatsächlicher oder vermeintlicher Rechtsextremisten durch. Sie machen dazu teilweise umfangreiche Recherchen mit Bildmaterial und persönlichen Daten der Öffentlichkeit zugänglich. Vereinzelt ergänzen sie die Outings mit Aktionen im Arbeitsoder Wohnumfeld des Betroffenen, um diesen gesellschaftlich zu isolieren. Dabei kam es auch zu Sachbeschädigungen, u. a. durch den Einsatz von Graffiti. Von diesen Outings sind zum Teil auch Polizeibeamte betroffen. Im Februar wurde z. B. ein Anhänger der Identitären Bewegung aus Erlangen von Linksextremisten geoutet. Dazu wurden in der Nachbarschaft etwa 200 entsprechende Flyer verteilt und circa 50 Plakate angebracht. Die Plakate waren aufgebaut wie Fahndungsaufrufe und hatten als Überschrift: "VORSICHT! NEONAZI ALS NACHBAR!". Vor allem Instant-Messaging-Dienste wie WhatsApp oder Telegram ermöglichen es Linksextremisten, schnellstmöglich zu informieren, zu mobilisieren und Aktionen zu koordinieren. So halten Linksextremisten auf Demonstrationen mit mobilen Endgeräten untereinander Kontakt und werden teils durch eigens eingesetzte "Moderatoren" gesteuert. Über animierte Landkartendienste bleibt die eigene Demonstrationsroute sowie ggf. auch die des politischen Gegners abrufbar. 6.2 Linksextremistische Szenepublikationen Eigene Publikationen sind integraler Bestandteil der linksextremistischen Szene. Sie werden genutzt, um kritisch zu szeneund gesellschaftsrelevanten Themen zu informieren und einen eigenen Diskurs zu betreiben. Die Bandbreite linksextremistischer Publikationen ist groß. Hierzu zählen Zeitungen, Zeitschriften, Magazine, Bücher, Filme und Videoclips. Neben parteigebundenen Publikationen - wie z. B. dem Magazin "Rote Fahne" der 249 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus MLPD oder "unsere zeit", der sozialistischen Wochenzeitung der DKP - gibt es auch unabhängige linksextremistische Publikationen. Diese werden zum Teil durch die Urheber selbst oder über Spenden finanziert, verlegt oder über szenenahe Verlage - wie den "Verlag 8. Mai GmbH" - vertrieben. Zu den bundesweit bekanntesten, unabhängigen Presseerzeugnissen der linksextremistischen Szene zählen die marxistische Tageszeitung "jW" (junge Welt) und die vierteljährlich erscheinende "Rote Hilfe Zeitung" der gleichnamigen Organisation. Ziel dieser Szenepublikationen ist nicht nur die Information von Szeneangehörigen. Auch andere, politisch interessierte Menschen sollen durch sie erreicht werden. Hierzu werden regelmäßig Druckwerke kostenlos oder gegen Spende auf Veranstaltungen verteilt. Während die Mehrzahl der linksextremistischen Publikationen im kommunistischen Spektrum zu verorten ist, werden in Bayern in den letzten Jahren vermehrt auch regionale anarchistische Zeitschriften veröffentlicht. Zu diesen zählt beispielsweise das anarchistische Wochenblatt "Zündlumpen", dessen Inhalt thematisch gegen jede Form von Herrschaft oder "Repression" gerichtet ist. Die erste Ausgabe erschien am 15. Februar 2019. Seitdem erscheint wöchentlich sowohl digital als auch gedruckt eine neue Ausgabe der Zeitung, die auch in verschiedenen Münchner Szenetreffs ausliegt. Die Leser werden zur aktiven Mitgestaltung an dem Wochenblatt aufgerufen: Wir wollen mit diesem Wochenblatt Geschichten des Widerstandes gegen jede Form der Herrschaft in München erzählen. [...] Wir laden alle Anarchist*innen dazu ein, bei der Gestaltung dieses Blattes mitzuwirken: Schickt uns Berichte von euren Aktionen oder Veranstaltungen, schickt uns eure Termine und Aufrufe, erzählt uns über eure Projekte oder schickt uns Bilder, Zeichnungen und was euch sonst noch so einfällt. Die veröffentlichten Texte sind eindeutig anti-staatlich und befürworten den Einsatz von Gewalt. Auch der gewählte Name "Zündlumpen" verweist auf die gewaltorientierte Motivation der Autoren, da er offenkundig auf die Funktionsweise von MolotowCocktails anspielt. 250 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 6.3 Linksextremistische Musik Auch in der linksextremistischen Szene hat Musik eine identitätsstiftende Funktion. Sie trägt dazu bei, jugendliche Unterstützer zu gewinnen und die eigenen Anhänger weiter zu radikalisieren. Häufig wird Musik im Rahmen der Vorbereitungen beziehungsweise im Verlauf größerer Demonstrationen eingesetzt, um die Atmosphäre der Veranstaltung zu beeinflussen. Musikunterlegte "Mobilisierungsvideos" im Internet transportieren ideologische Positionen und sollen damit vor allem jüngere Menschen ansprechen. Ein Beispiel für linksextremistische Musik liefert die Dachauer Punk-Band "Sabot Noir". Aus dem Französischen übersetzt bedeutet der Bandname "Schwarzer Holzschuh", ein anarchistisches Symbol der "Sabotage". Im Juli 2020 veröffentlichte die Gruppe ihr zweites Album mit dem Titel "Kollaps". "Anarchismus", die Überwindung jeglicher Form von Herrschaft, ist ein zentrales Motiv der Musik von "Sabot Noir". Die Texte sind systemkritisch, wiederholt wird über Symbolik oder offen zur Gewalt gegen den Staat und das System aufgerufen: Hör auf zu warten, dass uns jemand befreit. Es liegt an uns, das Blatt zu wenden. Erhebe deine Stimme, erhebe deine Faust, erhebe dein Kopf für die Anarchie! (Aufbruch, aus Kollaps 2020) (Fehler aus dem Original übernommen) Und irgendwann mein Freund* werden wir in der Sonne liegen, frei von Herrschaft, frei von Zwang! Kapitalismus wird nur ein dunkles Kapital sein - im Geschichtsbuch aufgeräumt! Und irgendwann mein Freund* werden wir in Frieden leben, und legen den Molli aus der Hand! Doch bis es soweit ist, werden wir niemals aufgeben. Wohin mit all der Wut in dir - die schwer im Magen liegt, weil du sie unterdrücken musst - um hier zu funktionieren. Es darf so nicht mehr weiter gehen - es wird Zeit, dass heute was passiert [...] Raff dich auf! (Raff dich auf, aus Kollaps 2020) 251 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Auch als Einnahmequelle ist die Musik für Linksextremisten von erheblicher Bedeutung. So werden z. B. über "Soli-Konzerte" in Szenetreffs Gelder für Veranstaltungen oder Prozesskosten von Szeneangehörigen gesammelt. 7. LINKSEXTREMISTISCHE PARTEIEN UND VEREINIGUNGEN 7.1 Offen extremistische Strukturen in der Partei DIE LINKE. Innerhalb der Partei "DIE LINKE." gibt es mehrere offen extremistische Strukturen, die auf eine Überwindung der freiheitlichen Staatsund Gesellschaftsordnung abzielen. Sie stellen teilweise die parlamentarische Demokratie infrage, sprechen der rechtsstaatlichen Ordnung die Legitimation ab oder unterhalten Kontakte zu gewaltorientierten Autonomen. Diese offen extremistischen Untergliederungen versuchen, auf die Partei "DIE LINKE." Einfluss zu nehmen. In Bayern sind folgende Strukturen präsent und aktiv: 7.1.1 Linksjugend ['solid] Landesverband Bayern Die Mitglieder der 1999 gegründeten "Linksjugend ['solid]" bezeichnen sich in ihrem Programm selbst als "SozialistInnen, KommunistInnen, AnarchistInnen". Sie beziehen sich darin "positiv auf die emanzipatorischen Traditionen des Kommunismus". Das Programm sieht die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln vor und befürwortet jegliche Projekte jenseits des Kapitalismus. Die "Linksjugend ['solid]" ist überregional aktiv und verfügt über mehrere Ortsgruppen in ganz Bayern, die sich an Aktionen zu verschiedenen Themen beteiligen. Im Fokus der bayerischen "Linksjugend ['solid]" stand dieses Jahr aber vor allem die Beteiligung an Aktionen der Klimaund Umweltbewegung "Fridays for Future". Die lokalen Ortsgruppen beteiligen sich unter anderem in Landshut, Mühldorf, Schwandorf und Würzburg regelmäßig an Veranstaltungen der Klimaund Umweltbewegung. Bedingt durch die Corona-Pandemie kam es mittlerweile allerdings zu einem massiven Rückgang der Proteste. 252 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 7.1.2 DIE LINKE. Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband (DIE LINKE.SDS) Landesverband Bayern Der 2007 gegründete Studierendenverband "DIE LINKE.SDS" ist laut Statut eine "Arbeitsgemeinschaft mit Sonderstatus der Linksjugend ['solid] mit eigener Mitgliedschaft und Organisation". "DIE LINKE.SDS" orientiert sich ideologisch an der Lehre von Marx und plädiert in ihrem Selbstverständnis für Außerparlamentarismus, Systemüberwindung und die Zusammenarbeit mit anderen Linksextremisten. Der Landesverband Bayern von "DIE LINKE.SDS" wurde am 30. Januar 2010 in Regensburg gegründet und verfügt über Ortsgruppen in Augsburg, Bamberg, Bayreuth, Coburg, Eichstätt, Erlangen-Nürnberg, München und Würzburg. 7.1.3 Antikapitalistische Linke (AKL) Am 9. November 2013 gab sich die AKL nach ihrer offiziellen Anerkennung durch die Partei "DIE LINKE." einen neuen "Grundlagentext zum politischen Selbstverständnis". Darin wendet sich die AKL gegen einen "regierungsund parlamentsfixierten 'Pragmatismus' in der LINKEN" und setzt dem "ein antikapitalistisches Programm mit sozialistischem Ziel" entgegen. Die AKL bekennt sich dazu, dass auch mit autonomen und selbst organisierten Strukturen [...] eine politische Oppositionskraft erwachsen kann und muss, für die Programm und Partei der LINKEN dann eine Heimat sein könnten. Der Zusammenschluss zieht die Einbindung von autonomen beziehungsweise gewaltorientierten Personen in die Partei in Betracht. Die AKL befürwortet einen "neuen sozialistischen Internationalismus" sowie die Solidarität mit dem kubanischen Regime. Neben der Zusammenarbeit mit anderen offen extremistischen Zusammenschlüssen in der Partei "DIE LINKE." gibt es auch personelle Verflechtungen mit der trotzkistischen "Sozialistischen Alternative" (SAV). Auf der diesjährigen Strategiekonferenz der Partei "DIE LINKE." Strategiekonferenz (29.2.-1.3.2020) sprach sich ein Mitglied des Bundessprecherrates der AKL dafür aus, das Parlament zu schwächen, "Staatsknete 253 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus abzugreifen" sowie staatliche Informationen außerparlamentarischen Gruppen zuzuspielen und Abgeordnetengelder der Antifa zur Verfügung zu stellen. Eine weitere Rednerin erklärte, man werde nach der Revolution das "ein Prozent der Reichen" erschießen. Der Parteivorsitzende trat dieser Entgleisung nicht entgegen, sondern erwiderte: "Wir erschießen sie nicht, wir setzen sie schon für nützliche Arbeit ein", distanzierte sich jedoch später wieder von dieser Aussage. Die AKL Bayern betreibt eine Facebook-Seite. Dort veröffentlichte sie am 5. Juli den Post "Deshalb braucht es eine Antikapitalistische Linke", in dem die Überwindung des kapitalistischen Gesellschaftssystems gefordert wird: Kapitalismus ist Kapitalismus. Herrschaft des Kapitals ist Herrschaft des Kapitals. Punkt. Nicht nur vor, in oder nach Krisenzeiten, die zentraler Bestandteil dieses Systems des Wahnsinns sind [...]. Solange der Wahnsinn nicht als Ganzes begriffen, bekämpft und beseitigt wird, wächst der angerichtete Schaden exponentiell. 7.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Umfeld 7.2.1 DKP Deutschland Bayern Mitglieder 2.850* 290 Vorsitzender Patrik Köbele Gründung 26.09.1968 Sitz Essen Nürnberg und München Publikationen Unsere Zeit (UZ) Rundbrief; Auf Draht Marxistische Blätter *Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Die DKP ist eine kommunistische Partei, die sich in einer Linie mit der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) sieht. Sie 254 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 bekennt sich zum Marxismus-Leninismus und hat laut Parteiprogramm die Einführung des "Sozialismus/Kommunismus" zum Ziel. Die bundesweit organisierte Partei war bis 1989/1990 von der "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) abhängig. Dem Bundesverband sind Bezirksorganisationen nachgeordnet, die weiter in Kreisund Grundorganisationen oder auch Betriebsgruppen untergliedert sind. In Bayern existieren zwei Bezirksorganisationen (Nordund Südbayern). Auf dem 23. Parteitag der DKP wurde der Vorsitzende Patrick Köbele mit 167 Stimmen von 204 Delegierten in seinem Amt bestätigt. Wera Richter wurde mit 182 Stimmen zu seiner Stellvertreterin gewählt. Die Partei verabschiedete einen Leitantrag mit dem Titel "Wut, Entrüstung und Widerstand brauchen eine Perspektive - Die Kampffelder der DKP im Rahmen der antimonopolistischen Strategie". Die DKP sieht in dem Leitantrag die Arbeiterklasse weltweit und in Vorwurf des ImperiaDeutschIand mit einer sich verschärfenden Offensive des Monolismus polkapitals konfrontiert. Fortschritte im Kapitalismus könnten nicht dauerhaft gesichert werden, weshalb der Kampf für die sozialistische Umwälzung weitergeführt werden müsse. Das unüberwindlich scheinende imperialistische Lager zeige Risse. Von den imperialistischen Staaten, zu denen auch die Bundesrepublik Deutschland gezählt wird, gehe Kriegsgefahr aus. Anführer des Imperialismus seien die USA und deren Militärbündnis NATO, welche die Volksrepublik China und Russland aggressiv bedrohten. Die deutsche Regierung unterstütze zudem eine gesellschaftspolitische Kräfteverschiebung zu Gunsten des rechten bis rechtsextremistischen Spektrums: Das gefährliche Erstarken neofaschistischer Kräfte und rassistischer Organisationen, das Erstarken der AfD sind nicht die Ursachen der umfassenden Rechtsentwicklung, sondern Instrumente innerhalb der vom Monopolkapital und seiner Regierung betriebenen Rechtsentwicklung. Diese Strategie müsse durch die Mobilisierung der Arbeiterklasse und der anschließenden Kontrolle der Produktionsmittel durchkreuzt werden: 255 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Diese Veränderung des Kräfteverhältnisses ist notwendig, um den Weg zur revolutionären Überwindung des Kapitalismus, den Weg zum Sozialismus zu öffnen. Das setzt die Erringung der politischen Macht der Arbeiterklasse im Bündnis mit anderen Werktätigen voraus. Diese Macht muss genutzt werden, um die wichtigsten Produktionsmittel, Grund, Boden und Finanzkonzerne zu vergeseIIschaften und planmäßig mit dem Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung und Ökonomie zu beginnen. Die DKP fordert den Austritt aus der NATO und das Verbot von Rüstungsexporten, die Verstaatlichung der Energiekonzerne und die Beschlagnahme von Dividenden der letzten 10 Jahre. Sie unterstellt staatlichen Organen wie Polizei und Verfassungsschutz die Nähe zu rechten Strukturen sowie eine aktive Unterstützung oder Duldung von Rechtsextremisten und ihren Netzwerken in der Bundeswehr. Glorifizierung der Die DKP glorifiziert das politische System in der ehemaligen DDR DDR: Das Leben in einer ausbeutungsfreien Gesellschaft, die sich vom Kapitalismus grundlegend unterschied in Hinblick auf eine friedliche Außenpolitik, soziale Sicherheit, politische Beteiligung, kulturelle Teilhabe oder solidarisches Zusammenleben, ist eine unzerstörbare Erinnerung für jede Bürgerin und jeden Bürger der DDR. 7.2.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Deutschland Bayern Mitglieder 670* 110 Vorsitzende/r Lena Kreymann Tom Talsky Gründung 04./05.05.1968 1999 Sitz Essen Nürnberg und München Publikationen POSITION *Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 256 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Die SDAJ ist nach ihrer Selbstdarstellung eine "bundesweite Organisation von Jugendlichen, die sich mit den Zuständen in Schulen, Betrieben, in dieser Republik und der 'Neuen Weltordnung' nicht abfinden" will. Sie ist marxistisch-leninistisch ausgerichtet: Alle unsere Forderungen richten sich gegen die Herrschenden in dieser Gesellschaft, gegen die Kapitalisten. Verwirklichen können wir sie nur in einer Gesellschaft ohne Kapitalisten - im Sozialismus. Die SDAJ als ehemalige DKP-Jugendorganisation ist eine eigenständige Organisation. Sie ist aber weiterhin eng mit der DKP verbunden. Gewalt in der politischen Auseinandersetzung schließt die SDAJ nicht aus. Das wird in ihrer "Grundlagenschule" deutlich, die die SDAJ München im Internet verbreitet hat: Als Faustregel kann gelten, dass die legalen Kampfformen voll ausgenutzt werden sollten, gleichzeitig aber auch die Vorbereitung auf die Anwendung illegaler Kampfformen stattfinden sollte. In Bayern existieren Ortsgruppen der SDAJ in Augsburg, Bamberg, München, Neumarkt, Nürnberg und Würzburg. Die SDAJ nutzte die "Black Lives Matter"-Kampagne, um den "SystemüberwinKampf gegen Rassismus mit der Forderung nach Überwindung dung" als Ziel des Gesellschaftssystems zu verknüpfen. Bei einer Rede anlässlich einer Kundgebung am 11. Juli in München erklärte eine SDAJ-Aktivistin: Ein effektiver Kampf gegen den Rassismus ist in diesem Gesellschaftssystem, dem Kapitalismus nicht möglich. Denn hier wird der strukturelle Rassismus gefördert und genutzt, um eine vereinte Arbeiterklasse zu verhindern. Deshalb Kampf dem Rassismus heißt Kampf dem Kapital. 257 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus 7.2.3 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Bayern Mitglieder 690 Sitz München (Landesgeschäftsstelle Bayern) Publikationen antifa Weiterhin bestehenDie VVN-BdA ist die bundesweit größte linksextremistisch de Verbindungen beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus. zur DKP Anlassbezogen arbeitet sie auch mit offen linksextremistischen Kräften zusammen. In der VVN-BdA wird nach wie vor ein kommunistisch orientierter Antifaschismus verfolgt. Diese Form des Antifaschismus dient nicht nur dem Kampf gegen den Rechtsextremismus. Vielmehr werden alle nicht marxistischen Systeme - also auch die parlamentarische Demokratie - als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt. Auf dem 23. Parteitag der DKP richtete die VVN-BdA eine Grußbotschaft an die Freundinnen und Freunde der DKP. Rechtsmittel Das Bayerische Verwaltungsgericht München wies die Klage erfolglos der VVN-BdA-Landesvereinigung Bayern gegen ihre Nennung in den Verfassungsschutzberichten 2010 - 2013 im Oktober 2014 ab. Das Gericht sah ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Landesvereinigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolge. Es bestehe ein maßgeblicher Einfluss von Linksextremisten, insbesondere durch die langjährige Kooperation mit der DKP. Diese tatsächlichen Anhaltspunkte seien auch hinreichend gewichtig, um die Berichterstattung zu tragen. Ein von der VVNBdA gestellter Antrag auf Zulassung eines Berufungsverfahrens wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) am 7. Februar 2018 abgelehnt. Es lag nach Auffassung des BayVGH weder ein Verfahrensfehler vor, noch bestanden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. In Folge dieses Entzug der GemeinUrteils entzog das Finanzamt für Körperschaften Berlin auf Basis nützigkeit des SS 51 Absatz 2 Satz 3 der Abgabenordnung der Bundesvereinigung der VVN-BdA mit Bescheid vom 1. November 2019 die Gemeinnützigkeit. In der Zeitschrift "Marxistische Blätter" veröffentlichte der Bundessprecher der VVN-BdA einen Beitrag unter dem Titel "Wohin führt die Rechtsentwicklung". Darin bedauerte er die Ausdehnung der NATO und des kapitalistischen Systems auf das Gebiet der ehemaligen DDR. 258 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 7.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Deutschland Bayern Mitglieder 2.800* 120 (mit REBELL) Vorsitzende/r Gabi Fechtner Emil Bauer (Sprecher) Gründung 1982 2008 Sitz Gelsenkirchen Nürnberg Publikationen Rote Fahne (Zentralorgan); REVOLUTIONÄRER WEG (Theorieorgan); REBELL (Jugendmagazin); Galileo - streitbare Wissenschaft (Zeitung der MLPD-Hochschulgruppen) *Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Die zentralistisch geführte MLPD ist eine kommunistische Kaderpartei, die Sozialismus im Sinne des Stalinismus und des Maoismus anstrebt. Ihr grundlegendes Ziel ist der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft. In einem Interview mit der Tageszeitung DIE WELT erklärte die MLPD-Vorsitzende Gabi Fechtner: Die Monopole werden nach allen geschichtlichen Erfahrungen versuchen, ihre Macht mit brutaler Gewalt aufrechtzuerhalten. Deshalb muss sich die Arbeiterklasse unter Führung ihrer Partei gegebenenfalls zum bewaffneten Aufstand erheben. Mit dem "Frauenverband Courage e. V." sowie mit FreizeitangeAbsage der boten ihrer Jugendorganisation "REBELL" und ihrer KinderorganiSommercamps sation "ROTFÜCHSE" versucht die MLPD, Frauen, Jugendliche infolge der Pandemie und Kinder an sich zu binden. In Truckenthal/Thüringen veranstalteten "REBELL" und die Kinderorganisation "ROTFÜCHSE" 259 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus in den vergangenen Jahren "Sommercamps", für die auch in Bayern geworben wurde. In diesem Jahr wurde die Veranstaltung aus Gründen des Infektionsschutzes abgesagt. In den regelmäßig stattfindenden Sommercamps sollen junge Menschen an ein antidemokratisches, revolutionär-kommunistisches Politikverständnis herangeführt werden. Dabei wird Freizeiterlebnis mit politisch-ideologischer Unterweisung verknüpft. Dies steht in direktem Gegensatz zum demokratischen Erziehungsideal, der Erziehung zu freier Willensbildung und selbstbestimmtem Leben. Um öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen, lancierte die MLPD die bundesweite Kampagne "Gib Antikommunismus keine Chance". Höhepunkt dieser Kampagne war die Errichtung einer Statue des russischen Revolutionärs Wladimir Iljitsch Lenin vor der Parteizentrale in Gelsenkirchen. Dazu erklärte die Parteivorsitzende Gabi Fechtner, dass in 350 Medienberichten Millionen Errichtung einer Menschen in 50 Staaten von der Aufstellung der Statue erfahren Leninstatue hätten. Hierzu sagte Fechtner: Diese Ereignisse dokumentieren eine bundesweite und nachhaltige Durchbrechung der relativen Isolierung der MLPD. Im linksextremistischen Spektrum ist die MLPD aufgrund ihres dogmatischen Kommunismusverständnisses weitgehend isoliert und agitiert daher vor allem im Rahmen eines "Internationalistischen Bündnisses", zu dessen Unterstützern auch Sympathisanten der Terrororganisation "Volksfront zur Befreiung Palästinas" gehören. Angriffe von AutonoWährend einer Demonstration am 7. Dezember 2019 in Stuttgart, men auf MLPDzu der auch die "Antikapitalistische Linke München" (AL-M), Aktivisten "La Resistance" Ingolstadt (LARA), sowie die "Prolos" und die "Revolutionäre Jugendaktion" (ROJA) aus Nürnberg aufgerufen hatten, wurde die MLPD von schwarz gekleideten Autonomen attackiert. Die Täter sprühten einem MLPDler rote Farbe ins Gesicht und verletzten ihn. Der Betroffene wurde von Sanitätern versorgt und ins Krankenhaus gebracht. Eine Fahnenträgerin der MLPD wurde bedrängt und beschimpft, Transparente der MLPD wurden besprüht und heruntergerissen. Die MLPD erklärte dazu: 260 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Wer seine Gewaltexzesse und seine antikommunistischen Phantasien so brutal auslebt, der macht Drecksarbeit für die Reaktionäre. Der wird als Gegner behandelt, weil er sich so verhält. Das war ein bewusst geplanter, vorsätzlicher und vorbereiteter Angriff. Die MLPD in Bayern zeigte ihre internationale Ausrichtung beiSolidarität mit Terrorspielsweise durch die Unterstützung der zehn Angehörigen der organisation extremistischen "Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML), die sich von Juni 2016 bis Juli 2020 vor dem Oberlandesgericht München wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verantworten mussten. Die MLPD versuchte den Prozess als Kommunistenverfolgung darzustellen, bei dem die Angeklagten vermeintlich nur wegen ihrer revolutionären Überzeugung vor Gericht stünden. Die Angeklagten wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Solidarität der MLPD mit terroristischen Organisationen zeigt, dass ihre Aufrufe zur Revolution nicht bloße ideologische Floskeln sind. Personen, die Gewalt für die Durchsetzung des Sozialismus anwenden und dafür inhaftiert werden, werden in der Partei als Vorbilder angesehen. 7.4 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) Bayern Mitglieder 80 Gründung 1973 Sitz München Der aus "Arbeiter-Basisgruppen" in München hervorgegangene AB ist eine revolutionär-marxistische Organisation, die die Gründung einer "revolutionären Partei in der Tradition der verbotenen KPD" anstrebt. Sie beruft sich auf den Marxismus-Leninismus und die Ideen von Stalin und Mao Tse-tung. Ziel des AB ist die Beseitigung der "herrschenden Ausbeuterklasse" und die Errichtung einer "Diktatur des Proletariats". 261 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Über Informationsveranstaltungen und Kundgebungen in unmittelbarer Nähe zu Industriebetrieben versucht die Organisation, mit der Arbeiterschaft in Kontakt zu kommen. So demonstrierten Aktivisten des AB insbesondere vor Fertigungsstätten von Kfz-Herstellern. Am 20. Juli fand eine Kundgebung vor der BMW-Zentrale in München zum Thema "Gegen Entlassungen 6 Stunden - 5 Tage - voller Lohn! - Streik!" mit 20 Teilnehmern statt. Zwei Personen verschafften sich Zutritt zum Dach des BMW-Gebäudes und entrollten ein rotes Banner mit der Aufschrift "DIE oder WIR". Diese Aktion wurde im Internetauftritt des AB als "Belagerung der BMW-Zentrale" bezeichnet. In Ingolstadt, München, Nürnberg und Regensburg fällt der AB in der Öffentlichkeit gelegentlich durch seine Demonstrationen mit historischen Fahrzeugen zu Themen wie "Lob des Kommunismus - Lob der Partei" auf. Charakteristisch ist eine an Stilelemente der Arbeiterbewegung der späten 1920er Jahre anknüpfende, antiquiert wirkende Agitationsund Propagandatätigkeit mit Schalmeienkapellen, kabarettistischen Aktionen und Brecht-Theater. Zudem wird die bayerische Räterepublik glorifiziert. Anlässlich des 30. Jahrestags der Deutschen Wiedervereinigung gab das Zentralkomitee des AB eine Erklärung ab, in der die "Annexion der DDR" bedauert wird und der Bundesrepublik Deutschland kriegerische Absichten unterstellt werden. Der deutsche Friede bereitet den Krieg vor. Er kennt keine Grenzen, nicht die vom Potsdamer Abkommen, noch seine von 1938, er kennt nur Mord und Totschlag -- als den Meister aus Deutschland. Dem deutschen Imperialismus beruht seine Existenz alleine in der Unterwerfung, Knechtung und Ausbeutung der Arbeiterklassen, seiner eigenen und der Arbeiterklassen anderer Völker, darin besteht seine Existenz. [...]Sozialismus oder deutsche Barbarei! Dies sagt uns: 30 Jahre Annexion der DDR - sind wahrlich genug! (Fehler aus dem Original übernommen) 262 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 7.5 Freie Deutsche Jugend (FDJ) Bayern Gründung 1994 Sitz Ingolstadt, München, Nürnberg und Regensburg Bei der FDJ handelt es sich um eine bundesweite Organisation von orthodoxen-Kommunisten, die sich zum Marxismus-Leninismus in seiner Reinform bekennen und sich dabei ganz bewusst in die Tradition der DDR, des Stalinismus und der Sowjetunion stellen. 1951 wurde die "FDJ in Westdeutschland" vom Bundesverwaltungsgericht verboten. Dieses Verbot galt jedoch nicht für die FDJ in der DDR. Die heutige "Freie Deutsche Jugend" sieht sich in der Tradition der "Ostdeutschen"-FDJ und versucht so, das Verbot aus dem Jahr 1951 zu umgehen. Schon seit geraumer Zeit ist eine zunehmende Präsenz der FDJ in der Öffentlichkeit zu beobachten, vorwiegend in den neuen Bundesländern. Häufig treten dabei auch Minderjährige mit provokanten Statements auf, wie zum Beispiel, die DDR sei "das bessere Deutschland gewesen". Im Sommer demonstrierten überwiegend aus Westdeutschland stammende Anhänger der FDJ in mehreren ostdeutschen Städten unter dem Motto: "30 Jahre sind genug! Revolution und Sozialismus!" In den Medien haben diese eher kleinteiligen Demonstrationen eine vergleichsweise hohe Aufmerksamkeit erlangt. In "größeren westdeutschen Städten" sollen laut FDJ seit 1994 Aktivitäten in Bayern Ortsgruppen der FDJ existieren. In Bayern sind Ortsgruppen der FDJ in Ingolstadt, München, Nürnberg und Regensburg bekannt. Ausgehend von diesem orthodox-kommunistischen Personenkreis sind auch vermehrt Aktivitäten in Bayern feststellbar. So verteilten im Juli Angehörige der FDJ vor zwei Münchner Gymnasien Flugblätter mit der Aussage: "Dieser Staat mit seinen rassistischen Gesetzen, rassistischer Polizeigewalt, Abschiebungen steht auf der Seite der Spaltung." Die DDR dagegen wird als antifaschistischer Staat glorifiziert, der vom kapitalistischen Westdeutschland "annektiert" wurde. Insbesondere die Regensburger Ortsgruppe der FDJ ist in und außerhalb Bayerns aktiv. Dies dürfte vor allem damit im Zusammenhang stehen, dass der Pressesprecher der FDJ aus Regensburg stammt. In der Regensburger Ortsgruppe der FDJ 263 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus bestehen personelle und ideologische Überschneidungen zum "Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD". Am 1. September organisierte die Sozial-Revolutionäre Aktion (SRA) in Regensburg einen Anti-Kriegstag. Daran nahmen sowohl FDJ-Mitglieder als auch Unterstützer des "Arbeiterbunds für den Wiederaufbau der KPD" teil. 7.6 Marxistische Jugend (mj) Bayern Gründung 2017 Sitz München Die mj hat sich im November 2017 gegründet. Ihr Hauptwirkkreis liegt im Raum München. Die mj bezeichnet sich selbst als gemeinsames Projekt von unabhängigen Linken, Mitgliedern aus "Waffen der Kritik", klassegegenklasse.org und Aktivist*innen aus anderen linken Gruppen. Wir sind Studierende, Azubis und junge Arbeiter*innen. Wie schon aus dem Gruppennamen hervorgeht, bekennt sich die Gruppierung offen zum Marxismus: Unsere Perspektive ist ein Marxismus, der in Kämpfe interveniert. Wir wollen eine Gruppe aufbauen, die sich mit kapitalistischen Antworten auf die Krise nicht zufrieden gibt. Politisierung der Dem Bekenntnis zu Marx folgend, zielt die mj auf die revolutionäre Umweltbewegung Überwindung des vom Kapitalismus geprägten Systems ab, hin zu einem kommunistischen System. Hierzu setzt die Gruppe auf die Teilnahme an und Beeinflussung von Protestbewegungen. Die mj engagiert sich vor allem im Rahmen der Münchner "Fridays For Future"-Bewegung. Mit Slogans wie "Capitalism will never be Green", "Anticapitalista" oder "One Solution, Revolution" versucht die Gruppe, die Klimaund Umweltbewegung zu politisieren. Die Gruppe nimmt selbst an diesen Veranstaltungen teil und wirbt aktiv über soziale Medien wie Facebook, Instagram oder YouTube zur Teilnahme am "antikapitalistischen Block" innerhalb der "Fridays For Future"-Bewegung. 264 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Angehörige der mj beteiligten sich im Januar an einer Demonstration zum Gedenken an die kommunistischen Revolutionäre Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. 7.7 Rote Hilfe e. V. (RH) Deutschland Bayern Mitglieder 10.500* 700 Sitz Göttingen verschiedene (BundesgeschäftsOrtsgruppen stelle) u. a. Nürnberg und München Publikationen "DIE ROTE HILFE", vierteljährlich *Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Der Arbeitsschwerpunkt der RH ist die finanzielle und politische Unterstützung von linksextremistischen Strafund Gewalttätern, mit deren ideologischer Zielsetzung sie sich identifiziert. Diese Unterstützung wird beispielsweise bei anfallenden Anwaltsund Prozesskosten sowie bei Geldstrafen und Geldbußen gewährt. Dabei geht es ihr nicht um eine Resozialisierung von Straftätern, sondern um die Unterstützung gewaltbereiter Linksextremisten in ihrem Kampf gegen das politische System. Auf Großveranstaltungen ist die RH mit "Ermittlungsausschüssen" (EA) präsent. Diese EA stellen Rechtsanwälte, die im Falle einer Verhaftung von Szeneangehörigen bereits vor Ort Unterstützung leisten. Erkennt die RH eine Person als "Unterstützungsfall" an, so beteiSchweigegebot der ligt sie sich an Prozessund Anwaltskosten mit einem Regelsatz Roten Hilfe von 50 Prozent, der nach Einzelfallprüfung auch höher ausfallen kann. Die Zahlungen und sonstige Unterstützungsmaßnahmen sind in der Regel daran gebunden, dass die Beschuldigten konsequent die Aussage vor Behörden verweigern und sich auch nicht von der politischen Dimension der ihnen zur Last gelegten Straftaten distanzieren. Geständigen Szeneangehörigen droht die RH mit dem Entzug der Unterstützung. Dies belegt, dass das vorrangige Ziel der RH nicht die Hilfe für inhaftierte Szeneangehörige ist, sondern die Abschottung der linksextremistischen Szene vor den Ermittlungen der Sicherheitsbehörden. Innerhalb der linksextremistischen autonomen Szene wird für dieses Schweigegebot unter dem Motto "Anna und Arthur halten's Maul" geworben. Die fiktiven Personen Anna und Arthur stehen stellvertretend für alle linksextremistischen Protagonisten. 265 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Die RH finanziert sich überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Durch ihre vielen Mitglieder verfügt die RH über ausreichende finanzielle Mittel, um Unterstützung bei Strafverfahren zu leisten. Eine Mitgliedschaft in der RH funktioniert für Aktive der linksextremistischen Szene wie eine Art Versicherung. Auch vormalige Aktivisten, die aus beruflichen oder persönlichen Gründen nicht mehr straffällig werden wollen, können der RH beitreten oder spenden, um den "Kampf" zu unterstützen. Die RH ist regelmäßig bei Veranstaltungen mit linksextremistischer Beteiligung präsent. So engagierten sich die jeweiligen Ortsgruppen z. B. am 1. Mai in München und Nürnberg durch die Einrichtung eines "Ermittlungsausschusses" in der Veranstaltungsorganisation. 8. AUTONOME, POSTAUTONOME UND ANARCHISTEN 8.1 Beschreibung / Hintergrund Autonome 720 Autonome in Autonome sind überwiegend junge, gewaltorientierte LinksexBayern tremisten. Sie bilden den weitaus größten Teil des gewaltorientierten linksextremistischen Personenpotenzials. Zur autonomen Szene zählen bundesweit rund 7.400 Personen (Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019), in Bayern etwa 720. Da Autonome feste Strukturen ablehnen, ist eine klare Zuordnung zur autonomen Szene nicht immer möglich. Autonome Gruppen sind eher als lose Zusammenhänge zu verstehen. Sie verfügen über einen kleinen Mitgliederstamm, darüber hinaus hängt die Zahl der zugehörigen Aktivisten stark von aktuellen Themenund Aktionsfeldern ab. So ist es möglich, dass bei Veranstaltungen und Aktionen die Teilnehmerzahl das eigene Mitgliederpotenzial übersteigt. Autonome haben kein einheitliches ideologisches Konzept, sie folgen vielmehr anarchistischen und anarcho-kommunistischen Vorstellungen. Einig sind sich alle Autonomen in dem Ziel, den Staat und seine Einrichtungen - auch mit Gewalt - zu zerschlagen und eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu errichten. Sie rechtfertigen Gewalt als erforderliches Mittel gegen die "strukturelle Gewalt" eines "Systems von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung". Gewalttätige Handlungen verstehen sie als 266 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Akt individueller Selbstbefreiung von den Herrschaftsstrukturen. Dazu gehören Brandstiftungen, Sabotage, Hausbesetzungen und militante Aktionen bei Demonstrationen. Autonome versuchen, auch demokratische Protestbewegungen für ihren Kampf gegen den Staat zu mobilisieren. Postautonome In der autonomen Szene wird seit Längerem eine Organisationsund Militanzdebatte geführt. Seit Beginn der 1990er Jahre wuchs die interne Kritik, die autonome Bewegung sei zu unorganisiert, um nachhaltig politische Veränderungen bewirken zu können. Im Zentrum der Debatte steht dabei die Frage, wie eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz für die eigenen autonomen Positionen erreicht werden kann. Infolgedessen sind mehrere sogenannte "postautonome" GrupInterventionistische pierungen und Netzwerke entstanden, die die gesellschaftliche Linke (IL) Isolation der Autonomen durchbrechen wollen. In der Szene besonders prägend wirkt die "Interventionistische Linke" (IL). Sie war erstmals im Jahr 1999 bei den Protesten gegen die EU-Ratstagung und den Weltwirtschaftsgipfel in Köln aktiv und gründete sich 2005 als informelles bundesweit agierendes Netzwerk. Sie verfolgt den strategischen Ansatz einer spektrenübergreifenden Mobilisierung unter ihrer Führung. Dabei versucht sie, alle linksextremistischen Strömungen - bis hin zu militanten Autonomen - zu integrieren. Postautonome versuchen, ein Scharnier zwischen gewalt"Ziviler Ungehorsam" bereiten Linksextremisten und gemäßigten Kräften - zuletzt auch verstärkt im Umfeld zivilgesellschaftlicher Initiativen - zu bilden. Die Vorsilbe "Post" steht für die Infragestellung einiger grundlegender Merkmale, aber nicht für einen vollständigen Bruch mit dem gewaltorientierten autonomen Politikansatz. Um zwischen linksextremistischen und demokratischen Akteuren zu vermitteln, bedienen sich die Postautonomen u. a. des Begriffs des "zivilen Ungehorsams". Vordergründig beteiligen sich Postautonome nicht an gewalttätigen Ausschreitungen, allerdings distanzieren sie sich auch nicht eindeutig vom Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele. Vereinbarungen über die zulässigen Formen des Protestes sind dabei oft reine Formelkompromisse, die der Auslegung breiten Raum lassen. Gewalttätige Eskalationen sind Teil der eigenen Planung und werden mit kalkuliertem Risiko bewusst eingesetzt. Postautonome engagieren sich z. B. in Mieterund Stadtteilinitiativen, in der Flüchtlingshilfe sowie in der Antiglobalisierungsund Klimaschutzbewegung. Innerhalb dieser breit angelegten 267 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Bündnisse versuchen die Postautonomen ihren ideologischen Schwerpunkt "Antikapitalismus" mit anderen Themen zu verbinden. Langfristig soll dieser so in einem demokratischen Protestmilieu verankert werden und dort Radikalisierungsprozesse in Gang setzen. Anarchisten Anarchismus ist eine Sammelbezeichnung für politische Auffassungen und Bestrebungen, die auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen abzielen. Allen anarchistischen Strömungen ist die Forderung gemein, den Staat als Herrschaftsinstitution abzuschaffen - und zwar unabhängig von einer demokratischen oder diktatorischen Ausrichtung. Häufig schließt eine solche Auffassung einen grundsätzlichen AntiInstitutionalismus ein. Anarchisten sehen Bürokratien, Kirchen, Parteien, Parlamente und Vereine als Einrichtungen, die einem freiwilligen Zusammenschluss von emanzipierten und mündigen Menschen entgegenstehen. Anarchisten lehnen Hierarchien und Unterordnung grundsätzlich ab. Deshalb weisen sie in der Regel einen nur geringen Organisationsgrad auf und bilden lediglich lose strukturierte Gruppierungen. "Direkte Aktionen" Anarchisten bevorzugen stattdessen "Spontis", spontane Aktioder Anarchisten nen kleinerer Gruppen oder Einzelpersonen. Zu diesen zählt auch die "direkte Aktion". Hierunter sind Aktionen zu verstehen, die für sich selbst sprechen und somit eine unmittelbare Wirkung entfalten. Dabei kann es sich um die Blockade von Gleisen oder das Besetzen von leerstehenden Gebäuden handeln. Aber auch gewalttätige Aktionen, wie Brandstiftung an Fahrzeugen, zählen hierzu. Gewalt als Mittel der Revolution ist auch im Anarchismus ein viel diskutiertes Thema. Sie wird jedoch von der Mehrzahl der Aktivisten als legitimes Mittel akzeptiert. Wie eine Gesellschaft "nach" der Revolution aussehen kann, ist auch in der anarchistischen Szene umstritten. Der anarchistische Idealzustand, eine Gesellschaft auf Basis von Selbstverwaltung und freien Übereinkünften, führt in letzter Konsequenz jedoch unweigerlich in ein System von Gewaltund Willkürherrschaft, in dem der Starke sich gegen den Schwachen durchsetzt und sich schlussendlich über diesen erhebt. Anarchistische Ideen sind in der deutschen Gesellschaft nur schwer zu vermitteln. Um im politischen Diskurs wahrgenommen zu werden, haben sich Anarchisten europaweit gesellschaftspolitisch umstrittenen Themenfeldern zugewandt. 268 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 So wird z. B. das Unbehagen vieler Menschen in Bezug auf den Angriffe auf Ausbau der 5G-Infrastruktur instrumentalisiert, um Anschläge 5G-Technologie auf Mobilfunkmasten in ganz Europa beziehungsweise Bayern zu rechtfertigen. Anarchisten sehen in der neuen Technologie primär ein weiteres Mittel, mit dem die "Herrschenden" Menschen überwachen und unterdrücken können. Wir müssen dem technologischen Umbau der Herrschaft nicht tatenlos zusehen. Denn Technologie benötigt eine fragile Infrastruktur, die mithilfe von Benzin und Kreativität leicht sabotiert werden kann. (Unbekannter Autor über de.indymedia.org am 29.04.2020) 8.2 Gruppierungen 8.2.1 Autonome Gruppierungen Organisierte Autonomie (OA) Bayern Gründung ca. 1993 Sitz Nürnberg Publikationen barricada - zeitung für autonome politik und kultur Die OA ist ein Zusammenschluss eigenständiger autonomer Gruppen, der sich als offenes Projekt versteht. Dabei spiegelt der Name den Widerspruch zwischen jeglicher Ablehnung von Strukturen einerseits und dem erforderlichen Mindestmaß an Organisation zur Zielerreichung andererseits wider. In ihrer Selbstdarstellung tritt die OA für eine kommunistische Gesellschaftsordnung ein, die im kontinuierlichen Kampf gegen die herrschende Ordnung erreicht werden soll. Ziel der OA ist es demzufolge, den "Klassenkampf von unten" zu organisieren. Das von der OA verfolgte linksextremistische Antifaschismusverständnis wird in einer von ihr herausgegebenen Broschüre deutlich: 269 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Faschismus ist kein geschichtlicher Betriebsunfall, sondern ein gern genutztes Mittel der herrschenden, kapitalistischen Klasse zur Aufrechterhaltung ihres menschenverachtenden Systems. Die OA nutzt Treffund Veranstaltungsörtlichkeiten im Nürnberger Stadtteil Gostenhof. Zu diesen gehört das "Selbstverwaltete Kommunikationszentrum Nürnberg e. V.", das Anlaufstelle für viele linksextremistische Gruppierungen ist. Wie bereits 2019 war auch im Berichtsjahr die "Antigentrifizierung" der Schwerpunkt der politischen Agitation der OA. Im Fokus stand dabei die von der Stadt Nürnberg avisierte Umgestaltung beziehungsweise Umplanung des Jamnitzerplatzes. Unter dem Motto "Reclaim Gostenhof" organisierte die OA zahlreiche Initiativen, Aktionen und Veranstaltungen mit dem Ziel, die Örtlichkeit als eigenes Betätigungsund Rückzugsgebiet zu beanspruchen. Tumulte in Nürnberg Im Juni 2019 kam es im Rahmen einer Personenkontrolle zu einer Auseinandersetzung zwischen Polizeikräften und Angehörigen der linksextremistischen Szene, bei der sich die Polizei angesichts einer größeren gewaltbereiten Personengruppe taktisch zurückziehen musste. Seit diesem Vorfall sucht die linksextremistische Szene in Nürnberg - unter maßgeblicher Führung der OA - verstärkt die Konfrontation mit der Polizei. So organisierte die OA am 12. September unter der Beteiligung weiterer lokaler linksextremistischer Gruppierungen eine Demonstration mit dem Motto: "Repression in Gostenhof - Jamnitzer für Alle - gegen eine Stadt der Reichen". An der Demonstration nahmen circa 100 Personen teil. Am 18. Juli, dem bundesweiten Aktionstag des Bündnisses "#nichtaufunseremrücken", organisierte die OA in Nürnberg eine Veranstaltung. Thematisiert wurden "schlechte Arbeitsbedingungen, Fallpauschalen und [die] Vergesellschaftung des profitorientierten Gesundheitssystems". Im Rahmen einer Protestaktion wurden "Champagner schlürfende Kapitalisten von der Arbeiterklasse auf einer Luxusyacht durch die Innenstadt" gezogen. Es folgte eine weitere Kundgebung, an der sich etwa 100 Personen beteiligten. 270 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Anlässlich einer Durchsuchung der Polizei am 31. August in HamSolidarität mit dem burg verfasste u. a. die OA am 7. September eine Solidaritäts"Roten Aufbau erklärung für den "Roten Aufbau Hamburg" (RAH). Dabei Hamburg" kritisierte die OA, dass der Hamburger Organisation die Bildung einer terroristischen Organisation im Sinne des Strafgesetzbuchs vorgeworfen werde. Ziel des Verfahrens sei "die Ausspähung, Diffamierung, Einschüchterung und Spaltung linker Zusammenhänge", so die Aktivisten. Daher müssten die Paragraphen 129 a und b StGB zu Fall gebracht werden. "Unsere Solidarität gegen ihre Repression!", hieß es in der Erklärung. Der RAH war 2017 maßgeblich an den gewaltbereiten Protestveranstaltungen gegen den G20-Gipfel in Hamburg beteiligt. Eine Spontan-Demonstration am 6. Oktober sorgte für einen Großeinsatz der Polizei in Nürnberg Gostenhof. Anlass für die Demonstration war die Verurteilung von zwei Linksextremisten im Zusammenhang mit dem oben genannten Vorfall im Juni 2019. Das Amtsgericht verhängte Haftstrafen wegen Bedrohung in Höhe von 15 Monaten gegen einen 51-Jährigen und 18 Monaten gegen einen 32-Jährigen. Rund 150 Personen versammelten sich nach der Urteilsverkündung am Jamnitzerplatz und zogen durch Gostenhof, wobei auch Pyrotechnik gezündet wurde. Ziel des Demonstrationszugs war der Justizpalast in der Fürther Straße. Dies unterband die Polizei, unter anderem durch Anwendung unmittelbaren Zwangs mittels Reizstoffsprühgerät und Einsatzstock. Revolutionär Organisierte Jugendaktion (ROJA) Bayern Gründung 2009 Sitz Nürnberg Die ROJA ist eine autonome Jugendorganisation in Nürnberg. In ihrem Selbstverständnis beruft sie sich auf den Marxismus und fordert neben einem konsequenten Antikapitalismus auch Klassenkampf und Revolution: Bewusst sind wir auch der Tatsache, dass dieses menschenverachtende System, in dem eine kleine Minderheit sich an dem Elend aller anderer bereichert, nicht ohne den Klassenkampf aller Ausgebeuteten und Unterdrückten - und nicht ihrer StellvertreterInnen - gegen die AusbeuterInnen und UnterdrückerInnen abgeschafft werden kann. 271 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus ROJA ist eng mit der OA verbunden und war an der Besetzung des Jamnitzerplatzes in Nürnberg Ende Juni 2019 beteiligt. Auch an den Protestaktionen nahm die ROJA regen Anteil. Dominierte zu Beginn des Jahres noch die Unterstützung der PKK in Syrien die Aktivitäten der ROJA, wurde die Corona-Pandemie ab April für sie zum bestimmenden Thema. Am 22. April organisierte die ROJA eine Plakatund Flyeraktion unter dem Motto: "Corona ist das Virus - Die Krise heißt Kapitalismus". Es wurde die "Ausbeutung der lohnabhängigen Klasse" angeprangert und erklärt, "Solidarität" bedeute, "sich den Gründen der Krise selbst anzunehmen". Hierfür müsse man "Mittel" einsetzen, die "das System noch nie erlaubt hat", z. B. "wilde Streiks, Besetzungen, Enteignungen". Prolos Bayern Gründung 1980 Sitz Nürnberg Die "Prolos" sind eine autonome Gruppierung in Nürnberg. In ihrem Programm verortet sich die Gruppierung im Marxismus und lehnt den demokratisch verfassten Staat ab: Mit diesem Programm wollen wir erklären [...] warum wir der Ansicht sind, dass wir eine freie kommunistische Gesellschaft brauchen, in der die Produktionsmittel vergesellschaftet sind und die politische Planung von Produktion, Reproduktion, Leben, Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft in der Hand aller im Sinne basisdemokratischer Räte und Kommunen organisiert wird. Wir [...] hoffen, dass euch die [...] Texte anregen [...], den Kampf gegen das kapitalistische System aufzunehmen. Die "Prolos" waren im Juni 2019, wie die OA und ROJA, an der Besetzung des Jamnitzerplatzes in Nürnberg beteiligt. Auch an den jüngsten Protesten gegen vermeintliche Polizeigewalt und die Umgestaltung des Jamnitzerplatzes am 12. September beteiligten sich die "Prolos" im Zusammenspiel mit OA und ROJA. Anlässlich der Räumung des anarcha-queer-feministischen Wohnprojekts in der Liebigstraße 34 in Berlin am 9. Oktober, 272 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 riefen die "Prolos" unter dem Motto "United we fight! Städtische Kämpfe verbinden - autonome Räume verteidigen" zur Beteiligung an internationalen Aktionstagen auf. Antifaschistische Linke Fürth (ALF) ALF Gründung 2005 Sitz Fürth Das Antifaschismusverständnis der ALF zielt auf die Überwindung des bestehenden Systems als angebliche Ursache faschistischer Erscheinungsformen. Nach ihrem Verständnis muss Antifaschismus immer auch das Ziel haben, die kapitalistischen Verhältnisse und die bestehende staatliche Ordnung zu überwinden. Die ALF betrachtet die freiheitliche demokratische Gesellschaft als strukturell "rassistisch, antisemitisch und sexistisch" und begreift den Kampf für eine in ihren Augen "befreite und solidarische Gesellschaft" als Bestandteil ihrer antifaschistischen Arbeit. Hierzu arbeitet die ALF mit anderen linksextremistischen Organisationen im Großraum Nürnberg/Fürth zusammen, wie z. B. der Interventionistischen Linken (IL). Über ihren Facebook-Account teilt die ALF regelmäßig Beiträge der Nürnberger Ortsgruppe der IL. Auch bewirbt die Gruppe Veranstaltungen anderer linksextremistischer Gruppen, wie z. B. die Proteste am Jamnitzerplatz vom 12. September. Zu den Protesten unter dem Motto "Jamnitzer für Alle - gegen eine Stadt der Reichen! No Cops! No Stress!" hatten neben der ALF auch die linksextremistischen Gruppen "Auf der Suche" (ADS), OA, ROJA und die "Prolos" aufgerufen. Neben der Zusammenarbeit mit linksextremistischen Organisationen beteiligt sich die ALF auch an regionalen, nicht-extremistischen Bündnissen. Im Sommer veröffentlichte die ALF die Broschüre "FÜRTH RECHTS AUSSEN". Auf 28 Seiten werden rechtsradikale und rechtsextremistische Entwicklungen im Raum Fürth dargestellt. Ferner wird empfohlen, der "Roten Hilfe" beizutreten. Dieser Hinweis steht vermutlich im Zusammenhang mit dem Motto "Antifa in die Offensive", mit dem zur Teilnahme an Gegenkundgebungen, Blockaden und "anderen kreativen Aktionen" bei rechtsextremistischen Veranstaltungen aufgerufen wird. 273 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus La Resistance - antifaschistische Jugendgruppe Ingolstadt (LARA) Bayern Gründung 2011 Sitz Ingolstadt Die Autonome Gruppe LARA hat sich Ende 2011 gegründet. Nach eigenen Angaben wurde der französische Begriff "la resistance" als Selbstbezeichnung gewählt, um den Widerstand gegen Missstände zu organisieren und Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu äußern. So erklärte die Gruppe: Neues schaffen heißt Widerstand leisten, Widerstand leisten heißt Neues schaffen. Unter Bezugnahme auf die marxistische Ideologie greift die Gruppe auf antikapitalistische Argumentationsmuster des Kommunismus zurück: Für uns verlaufen die Grenzen nicht zwischen Menschen, sondern zwischen den Widersprüchen gesellschaftlicher Besitzverhältnisse. Es kann nicht sein, dass Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, und Andere davon leben. Die Gruppe richtet ihre Agitation unter anderem gegen die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD). Im Zusammenhang mit der Asylthematik unterstützte sie im Aktionsfeld Antirassismus das Aktionsbündnis "Fluchtursachen bekämpfen", das überwiegend von linksextremistischen, teils auch autonomen Gruppen getragen wird. Bereits im April bewertete LARA die Pandemie wie folgt: "Coronakrise: Das Problem heißt Kapitalismus." Die kapitalistische Wirtschaft und der sie stützende Staat kreierten unter dem vermeintlichen Deckmantel der Pandemie steuerfinanzierte Maßnahmen zur Subventionierung der Wirtschaft, während 274 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Arbeitnehmerrechte beschnitten würden und Löhne unter Druck gerieten. Zugleich werde die Krise genutzt, um die Befugnisse von Sicherheitsbehörden auszubauen. Frauen in Pflegeund Fürsorgeberufen seien besonders benachteiligt, da ohne ihre unterbezahlte Arbeit der Kapitalismus nicht funktioniere. LARA veranstaltete in Ingolstadt am 1. August eine Kundgebung des bundesweiten Bündnisses "#nichtaufunseremrücken". Bei diesem Bündnis handelt es sich um einen bundesweiten Zusammenschluss von linksextremistischen Antifa-Gruppierungen aus dem autonomen und post-autonomen Spektrum. Außer LARA in Ingolstadt beteiligen sich weitere bayerische Gruppierungen: ein Antifa-Aktionsbündnis aus München, die "Perspektive Kommunismus" (PK), die "Sozial-Revolutionäre Aktion Regensburg" (SRA) sowie die "Prolos" und die "Organisierte Autonomie" Nürnberg. Sozialrevolutionäre Aktion (SRA) Bayern Gründung 2017 Sitz Regensburg In Regensburg gründete sich 2017 die autonome Gruppe SRA. Bei der SRA sind hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu erkennen: Die Gruppierung lehnt das Staatsprinzip mit seinen konstituierenden Merkmalen Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsvolk in seiner Gesamtheit sowie die parlamentarisch-repräsentative Demokratie, die Volkssouveränität, das (Mehr-)Parteienprinzip und das Rechtsstaatsprinzip ab. In ihrem Selbstverständnis bekennt sich die SRA zudem zum Kommunismus: Wir stehen in der Tradition der kämpfenden ArbeiterInnenklasse weltweit. Folgerichtig stehen wir deshalb für einen proletarischen Internationalismus ein. [...] Wir lehnen das kapitalistische Weltwirtschaftssystem in all seinen Ausprägungen entschieden ab. Wir sehen in diesem die Ursächlichkeit der derzeitigen Unterdrückung, Vertreibung, Entfremdung, Ausbeutung, Verelendung, Endmündigung sowie den weltweiten Dauerkriegszustand. [...] Dies gilt es zu erkennen und zu überwinden. (Fehler aus dem Original übernommen) 275 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Die SRA lehnt sämtliche Strukturen und Herrschaftsformen ab und vertritt somit anarchistisches Gedankengut: [R]adikales Denken heißt, den Ursachen auf den Grund zu gehen, deshalb lehnen wir vertikale und hierarchische Strukturen ab. Die SRA befürwortet eine Überwindung der bestehenden Gesellschaftsverhältnisse durch Revolution. Zum Erreichen ihrer Ziele distanziert sich die Gruppe nicht von der Anwendung von Gewalt. Linksextremisten der SRA beteiligten sich zusammen mit anderen linksextremistischen Gruppierungen wie z. B. der OA, der ROJA und den "Prolos" am Aktionstag des Bündnisses "#nichtaufunseremrücken" am 18. Juli in Nürnberg. Obwohl die SRA "vertikale und hierarchische Strukturen" ablehnt, ist sie auch mit dogmatischen Organisationen, wie z. B. der DKP Ortsgruppe Regensburg und der FDJ Ortsgruppe Regensburg, gut vernetzt. Gemeinsam organisierten sie die Proteste zum "Anti-Kriegstag" am 1. September in Regensburg. Autonome Szene Rosenheim In Rosenheim und Umgebung ist eine linksextremistische, autonome Szene entstanden, die unter verschiedenen Bezeichnungen auftritt. Mit dem "Z - linkes Zentrum in Selbstverwaltung" verfügt die Szene über einen Treffpunkt, an dem sie regelmäßig Veranstaltungen durchführen kann. Im Sommer wurden in Rosenheim eine Vielzahl von Farbschmierereien und Sachbeschädigungen an Häusern, Denkmäler und Verkehrseinrichtungen begangen, die einen linksextremistischen Bezug aufwiesen. Themen waren Antikapitalismus, Antirepression, Flüchtlingspolitik und Feminismus, Schmähungen gegen die AfD sowie im aktuellen Kontext Antirassismus mit polizeifeindlichen Inhalten. Aufrufe zur GewaltAutonome aus Rosenheim treten auch unter den Bezeichnungen anwendung "Contre la Tristesse" und "Offenes antifaschistisches Plenum Rosenheim" (OAPR) auf. Das OAPR gebärdet sich besonders aggressiv gegen die AfD. So wurde z. B. am 8. März ein Informationstand der AfD in Rosenheim von circa 15 Angehörigen des 276 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 OAPR umstellt. Mittels Regenschirmen und Bannern wurde er so abgeschirmt, dass keine Personen mehr zum Infostand gelangen konnten. Die Aktion der OAPR mündete in einem tätlichen Angriff gegen einen Polizeibeamten. In sozialen Netzwerken ruft der OAPR zur Gewalt gegen AfD-Politiker auf, denen "aufs Maul zu hauen" sei. 8.2.2 Postautonome Gruppierungen Interventionistische Linke (IL) Bayern Gründung ca. 2005 Sitz Aschaffenburg, München, Nürnberg Die IL wurde 2005 als bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen Organisierung gegründet. Mit der Veröffentlichung des "Zwischenstandpapiers" im Oktober 2014 wurde die IL zu einer bundesweiten Organisation umgeformt. Ideologisch orientiert sich die IL am Marxismus/Kommunismus. Sie versteht das bestehende Gesellschaftssystem als eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der die herrschende Klasse (Kapitalisten) die Arbeiterklasse (Proletariat) ausbeutet und unterdrückt. Ziel der IL ist die Abschaffung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung und die Installation einer klassenlosen Gesellschaft. Dabei fokussiert sie sich nicht ausschließlich auf regionale Protestaktionen, sondern wirkt auch an der Vorbereitung überregionaler Aktionen mit. Die IL arbeitet bundesweit in bürgerlichen Kampagnen und Unterstützung von Bündnissen mit und versucht, dort sukzessive linksextremis"Ende Gelände" tische Themen und Ansichten zu etablieren. Dabei fungiert sie als "Scharnier" zwischen gewaltbereiten und nicht gewaltbereiten linksextremistischen Akteuren sowie nicht-extremistischen Kampagnen und Bündnissen. So ist die IL beispielsweise maßgeblich in viele Aktivitäten der bundesweiten Kampagne "Ende Gelände" involviert: Als Interventionistische Linke sind wir von Anfang an bei Ende Gelände dabei und waren auch dieses Jahr (2018) in den verschiedenen Arbeitsgruppen des Bündnisses und in den Fingern der Aktion beteiligt. 277 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Schon 2016 veröffentlichte die IL-Ortsgruppe Berlin einen Beitrag über "Ende Gelände 2016" in dem zu lesen war: Mit Ende Gelände haben wir ein unglaublich großes Ding geschaffen, das in der Vorbereitung viel Engagement und eine teilweise hohe Taktung abverlangt. Auch wenn der Prozess generell offen ist und wir für Ende Gelände 2016 immer wieder überlegt haben, wie wir neue Leute einbinden können, so ist der Prozess für Neue oder für Leute mit weniger Erfahrung und/oder Zeit teilweise überfordernd oder eine zu große Hürde, um einzusteigen. Eine Lösung könnte sein, mehr kollektive Strukturen zu schaffen, zum Beispiel durch lokale Bündnisse, die einzelne Aufgaben übernehmen. Im Vergleich zu Ende Gelände 2015 haben wir es geschafft, auch in den Vorbereitungsprozess mehr neue Leute zu integrieren, dennoch lagen viele Aufgaben auch wieder auf wenigen Schultern. Die IL hat auf ihrer Webseite die Broschüre "Solidarity will win" zum Herunterladen eingestellt. In dieser "kleinen Ratgeberin für Klimabewegte und solche, die es werden wollen" wird auf 49 Seiten vielfach auf "Ende Gelände" als Ansprechpartner verwiesen. Die IL ist jedoch nicht nur im Umweltschutz aktiv: am 4. Juli fand eine Versammlung unter dem Motto "Alle gegen den Faschismus in Nürnberg" statt. Hierbei bezog man sich jedoch nicht auf den nationalsozialistischen Faschismus, sondern - im Rahmen der internationalen Solidarität - einerseits auf Angriffe der türkischen Streitkräfte gegen die kurdische Bevölkerung sowie andererseits auf kurdische Demonstrationsteilnehmer, die am 24. Juni in Wien von türkischen Rechtsextremisten angegriffen worden waren. Die IL verfügt in Bayern über Ortsgruppen in Aschaffenburg, München und Nürnberg. Antikapitalistische Linke München (AL-M) Bayern Gründung 2011 Sitz München 278 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Die AL-M ist eine revolutionär-kommunistisch ausgerichtete postautonome Gruppierung und folgt marxistisch-leninistischen und trotzkistischen Ideologieelementen. Nach ihrer Selbstdarstellung ist ihr Ziel die Beseitigung des demokratischen Verfassungsstaates und die Errichtung eines kommunistischen Systems: Notwendig ist: die Revolution. [...] Die revolutionäre Theorie, um die Welt zu begreifen und sie zu verändern, ist der Marxismus. Die einzige Alternative zum heutigen Kapitalismus ist eine andere Gesellschaft: Der Kommunismus - dafür kämpfen wir. Zur Durchsetzung ihrer Forderungen rief die AL-M unverhohlen auch dazu auf, Gesetze zu brechen und Gewalt anzuwenden: Wir rufen auf zum Aufbau wirksamer Selbstverteidigung gegen faschistische Gewalt, rassistische Angriffe, Hasspropaganda, Abschiebemaschinerie und Grenzregime - Mit allen Mitteln, die dazu notwendig sind: legal und illegal, friedlich und militant. Nachdem aufgrund der Corona-Pandemie die jährliche Großdemonstration zum 1. Mai abgesagt wurde, organisierten mehrere linksextremistische Organisationen eigene Veranstaltungen zum "Tag der Arbeiterbewegung". Unter anderem organisierte die AL-M mit "Revolutionäre Offensive" eine Initiative zum 1. Mai. Danke an alle Genoss*innen und Kolleg*innen, die heute mit uns auf der Straße waren. Zusammen mit weiteren revolutionären und kommunistischen Organisationen haben wir durch unsere Initiative gezeigt: wenn die DGB-Führung die 1. Mai-Veranstaltungen absagt, können wir sie trotzdem organisieren. Den 1. Mai, an dem alle unsere Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung zusammen kommen, kann man nicht absagen. Wir haben heute deutlich gemacht: Wir zahlen nicht für diese Krise! Und es lohnt sich, die eigenen Aktionsformen nicht von staatlichen Verboten und Erlaubnissen abhängig zu machen. 279 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Insgesamt versammelten sich in München zum 1. Mai etwa 400 Personen. Auch wenn die Teilnehmerzahl im Vergleich zum Vorjahr insgesamt stark zurückgegangen ist (2019: 4.800), bewegte sich die Zahl der teilnehmenden Linksextremisten über Vorjahresniveau. Dies lag einerseits an den geltenden Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Andererseits riefen linksextremistische Gruppen in München mit mehreren Aufrufen und einem "Mobi-Video" zur Teilnahme am 1. Mai auf, um nicht nur ein Zeichen zum "Tag der Arbeiterbewegung", sondern auch gegen die staatlich verordneten Maßnahmen zu setzen. Die AL-M ist ein Bindeglied zwischen dem traditionell kommunistisch ausgerichteten Spektrum des Linksextremismus und der autonomen Szene. So unterhält die Gruppe Kontakte zu autonomen Gruppen wie "AntifaNT" oder "Organisierte Autonomie", aber auch zu linksextremistischen Parteien und Organisationen wie der "Roten Hilfe e. V." oder der "SDAJ München". Darüber hinaus beteiligt sich die AL-M an Aktionsgruppen wie dem "Antifa-Stammtisch München", dem "Offenen antikapitalistischen Klimatreffen München" oder der Initiative "Zukunft erkämpfen". Der "Antifa-Stammtisch" bezeichnet sich selbst als "offenes Treffen, zu dem alle eingeladen sind, die sich antifaschistisch engagieren wollen". Das Treffen ist der "Antifaschistischen Aktion" beziehungsweise der autonomen "Antifa" zuzurechnen. "Offenes AntikapitaDas "Offene Antikapitalistische Klimatreffen München" ist ein listisches Klimalockerer Zusammenschluss, welcher "Klimawandel" und "Kapitreffen München" talismus" miteinander verknüpft. Ziel ist ein Umbruch des herrschenden Wirtschaftssystems: das Klimatreffen strebt eine "Demokratisierung" der Wirtschaft hin zu einem sozialistischen System an. Neben dem Kernthema "Klimagerechtigkeit" ist das Klimatreffen auch in anderen Themenbereichen, wie z. B. Antimilitarismus, Antikapitalismus und Antifaschismus aktiv. AL-M, "Antifa-Stammtisch" und das "Offene Antikapitalistische Klimatreffen" nutzen den linksextremistischen Szenetreff "Barrio Olga Benario" in München zur Planung und Vorbereitung von Aktionen sowie für ihre regelmäßigen Treffen. Bereits seit einigen Jahren ist die AL-M in das Bündnis "Perspektive Kommunismus" (PK) eingebunden. Diesem 2014 gegründeten, überregionalen Bündnis gehören noch weitere Gruppierungen aus Baden-Württemberg und Hamburg an. PK zielt darauf ab, sich zu einer "bundesweiten, aktionsorientierten und revolutionären, kommunistischen Organisation" zu entwickeln. 280 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Nach einer Durchsuchungsaktion am 7. September gegen den "Roten Aufbau Hamburg", welcher ebenfalls der PK angehört, organisierte die AL-M in München noch am selben Abend eine Solidaritätsaktion. Unter dem Motto "Repression im ganzen Land - Unsere Antwort: Widerstand; Solidarität mit dem Roten Aufbau Hamburg!" posierten Mitglieder der AL-M mit einem Banner und besprühten großflächig eine Mauer mit "Roter Aufbau bleibt. Kampf eurer Klassenjustiz". Antifa-NT Bayern Gründung bekannt seit 2006 Sitz München Die Gruppe "Antifa-NT" vertritt einen postautonomen Antifaschismus, der darauf abzielt, die bestehende Gesellschaftsordnung durch eine klassenlose Gesellschaft zu ersetzen. Sie pflegt bundesweite Kontakte zu anderen autonomen und postautonomen Gruppierungen und trat im Herbst 2015 dem linksextremistischen "... ums Ganze!"-Bündnis bei, in dem sich gewaltorientierte linksextremistische Gruppen aus Deutschland und Österreich organisieren. "Antifa-NT" nutzt die Räumlichkeiten des "Kafe Marat" in München, das Teil eines selbstverwalteten Kulturzentrums ist. Das "Kafe Marat" dient Linksextremisten, insbesondere Autonomen, als Treffpunkt, logistisches Zentrum und Informationsbörse. Daneben nutzen auch andere nicht extremistische kulturelle und gesellschaftliche Gruppen das "Kafe Marat" für Treffen und Veranstaltungen. Vermutlich durch die Corona-Pandemie bedingt, beschränkte sich die Mehrzahl der Aktivitäten der "Antifa-NT" zuletzt auf das Veröffentlichen von Aufrufen auf verschiedenen Kanälen im Internet. "Antifa-NT" ist an der bundesweiten Protest-Mitmachkampagne Kampagne "Natio"Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) beteiligt. NIKA ist nalismus ist keine eine linksextremistische Kampagne, die sich gegen einen verAlternative" (NIKA) meintlichen Rechtsruck in der Gesellschaft richtet. Mit ihr will sich die linksextremistische Szene stärker vernetzen und organisieren. Ferner sollen über das eigene Kernspektrum hinaus junge Leute angesprochen und politisiert werden. Die Kampagne 281 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus entstand im Nachgang eines bundesweiten Treffens autonomer Gruppen in Frankfurt am Main im Januar 2016. In der Folgezeit gründeten sich NIKA-Ableger in mehreren Bundesländern. An der Kampagne sind neben der "Antifa-NT" auch andere linksextremistische Gruppierungen beteiligt, darunter "Contre la Tristesse" (Rosenheim) und "Auf der Suche" (ADS, Nürnberg). "Antifa-NT" rief auf ihren Social-Media-Seiten mehrfach im Rahmen der NIKA-Kampagne zu Protesten gegen die AfD auf und zeigte in diesem Zusammenhang einen zerstörten AfD-Stand auf dem Münchener Wettersteinplatz. "Antifa-NT" beteiligt sich auch immer wieder an breiten gesellschaftlichen Bündnissen. Gerade die Flüchtlingskrise wird von "Antifa-NT" genutzt, um sich zu profilieren. So rief "Antifa-NT" ab dem 3. März für die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem zwischenzeitlich aufgelösten griechischen Lager Moria auf und demonstrierte vor dem griechischen Generalkonsulat in München. 8.2.3 Anarchistische Gruppen Anarchistische Gruppe München (Bibliothek Frevel) Bayern Gründung 2016 Sitz München In München besteht eine Gruppe von Anarchisten, die durch publizistische Aktivitäten und das Betreiben einer Bibliothek die anarchistische Ideologie verbreiten wollen. Sie eröffneten im Sommer 2016 in München die "Anarchistische Bibliothek Frevel". Die Bezeichnung Frevel geht vermutlich auf den anarchistischen Autor Walter Borgius (1870-1932) zurück, der in seinem Werk: "Die Schule - ein Frevel" die Schule als Herrschaftsmittel zur Züchtung gehorsamer Untertanen darstellt. Die Bibliothek will den "Zugang zu den Gedanken und Kämpfen anderer Revoltierender" ermöglichen. Die anarchistische Gruppe billigt Strafund Gewalttaten als Mittel zur Zerstörung der bestehenden Ordnung. So lag in ihrer Bibliothek die anarchistische Straßenzeitung "Fernweh" aus, die linksextremistische Straftaten positiv bewertet. Bis Jahresende wurden insgesamt 33 Ausgaben der Publikation veröffentlicht. 282 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 In der Ausgabe Nr. 33 der Zeitung "Fernweh" vom Mai werden Straftaten positiv bewertet. So seien: "Sachbeschädigung und Vandalismus - schon immer treue Begleiter aller Revoltierenden!" Im Zusammenhang mit Brandstiftungen an Mobilfunkmasten berichtet das Blatt, dass "in den letzten Monaten fleißig gezündelt" worden sei. Weiter heißt es zu den Brandstiftungen: da "ein vorbei fahrender Autofahrer den Brand bemerkte, konnte die Feuerwehr das Feuer leider rechtzeitig löschen bevor es auf den Funkmast übergriff." Ursächlich für die europaweit zunehmenden Angriffe auf Funkmasten durch Linksextremisten ist die zunehmende Vernetzung von elektronischen Geräten durch den neuen Mobilfunkstandard 5G. Dies wird als massiver Ausbau der elektronischen Überwachung wahrgenommen. Die Gruppierung veranstaltet regelmäßig Treffen in den Räumlichkeiten des "Frevel". Laut Internetauftritt der Bibliothek fanden lediglich Anfang des Jahres Veranstaltungen in den eigenen Räumlichkeiten statt. Auf der Suche (ADS) Bayern Gründung 2014 Sitz Nürnberg Die Gruppe AdS versteht sich als eine anarchistische Gruppierung. Sie ist Mitglied der "Föderation deutschsprachiger Anarchist_innen". Das Feindbild aller anarchistischen Strömungen ist der Staat. Er gilt im anarchistischen Denken als repressive Zwangsinstanz, die zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft aufgelöst und zerschlagen werden müsse: Wir als AdS (Auf der Suche) sehen uns als antiautoritär und antinational. Da wir es nicht für sinnvoll halten politische Verantwortung nach repräsentativem Prinzip zu delegieren, lehnen wir den Staat als gesellschaftliche Organisationsform grundsätzlich ab, sowie die Nation als legitimationsstiftendes Element für eben diesen. Um diese Verhältnisse zu überwinden sehen wir eine soziale Revolution als notwendiges Mittel an, die auf jeder Ebene geführt werden muss und welche die Reflexion jedes Menschen erfordert. (Fehler aus dem Original übernommen) 283 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus AdS engagiert sich hauptsächlich im Nürnberger Szenetreff "Projekt 31". Hier organisiert die Gruppe regelmäßig Veranstaltungen zu den Themen "Anarchismus" und "Selbstverwaltung". Da der Mietvertrag für den Szenetreff Anfang 2021 ausläuft, fordert AdS den Kauf des Szenetreffs durch die Stadt Nürnberg, die Erfolgsaussichten sind jedoch gering. Ab September 2020 war deswegen ein verstärktes Engagement für die Entwicklung rund um den Jamnitzerplatz in Nürnberg feststellbar. Dadurch sollte die Solidarität innerhalb des linksextremistischen Milieus in Nürnberg gefördert werden, um dann gegebenenfalls Mitstreiter im Kampf für den eigenen Szenetreff zu mobilisieren. 284 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 285 Scientology-Organisation Scientology-Organisation (SO) (SO) Die SO reagiert auf die Corona-Pandemie mit Informationskampagnen und verstärkter OnlinePräsenz Mit den "Ehrenamtlichen Geistlichen" verstärkt die SO ihre Öffentlichkeitsarbeit in München Die Tarnorganisation "Der Weg zum Glücklichsein" intensiviert ihre Werbekampagne Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Die "Scientology-Organisation" (SO) ist eine international agierende Organisation, die auf finanzielles Gewinnstreben ausgerichtet ist und ein weltweites, unumschränktes Herrschaftssystem nach eigenen Vorstellungen errichten möchte. An die Stelle des Demokratieprinzips und der Grundrechte soll ein auf Psycho-Technologien und der bedingungslosen Unterordnung des Einzelnen beruhendes totalitäres Herrschaftssystem unter scientologischer Führung treten. Die SO ist somit nicht nur eine Gefahr für Einzelne, die in die Fänge und den Einflussbereich der Organisation zu geraten drohen. Sie stellt vielmehr auch das demokratische System der Bundesrepublik Deutschland und die staatliche Garantie der Grundrechte in Frage. Schon in seinem Grundlagenwerk "Dianetik" aus dem Jahr 1950 wies der Gründer der SO, Lafayette Ron Hubbard, auf die politische Relevanz seiner Lehre hin. Nach seinen bis heute unveränderten und für alle Scientologen verbindlichen Vorstellungen soll eine ausschließlich nach scientologischen Richtlinien funktionierende Welt geschaffen werden. Mit harten psychound sozialtechnischen Instrumenten will die Organisation nicht nur den einzelnen Menschen steuern, sondern durch Einflussnahme auf Staat, Politik und Wirtschaft in die Gesellschaft eindringen, um sie den scientologischen Zielen zu unterwerfen. Programmatik und Aktivitäten der SO sind mit den Grundprinzipien unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. 287 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Scientology-Organisation Die "Scientology-Organisation" - will ein scientologisches Rechtssystem etablieren, in dem es keine Menschenund Grundrechte gibt, - missachtet die Menschenwürde (Art. 1 GG) und den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG), da sie nur Scientologen Rechte zugesteht, - missachtet das Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG), da sie Kritik mit allen - auch illegalen - Mitteln unterdrücken will, - baut auf ein totalitäres Herrschaftssystem, das Gewalt und Willkürherrschaft einschließt. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat mit Urteil vom 12. Februar 2008 festgestellt, dass - tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die SO Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, - zahlreiche Hinweise ergeben, dass die SO eine Gesellschaftsordnung anstrebt, in der zentrale Verfassungswerte außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden, - der Verfassungsschutz die Organisation daher - auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln - beobachten darf. 288 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 1. PERSONENPOTENZIAL Deutschland Bayern Mitglieder 3.500* etwa 1.200 Vorsitzende/r Helmut Blöbaum Nina Malessa Gründung München 1970 Nürnberg 1982 ("Scientology Kirche ("Scientology Kirche Deutschland e. V.") Bayern e. V.") Sitz München München (in Deutschland unselbstständige Teilorganisationen) Publikationen Freiheit; Impact; Ursprung; Source u. a. *Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019 Die Mitgliederzahl der SO in Bayern bewegt sich bei etwa 1.200 Personen, die sich auf sämtliche Altersgruppen verteilen. Neben langjährigen Anhängern der SO gehören hierzu junge Erwachsene, die in ihren Familien mit der Ideologie der SO aufgewachsen sind, weiterhin der Organisation treu bleiben und diese bewerben sowie auch neu rekrutierte Mitglieder. Konsequente staatliche Aufklärungsarbeit, Prävention und kritische mediale Berichterstattung haben die Strukturen der SO, ihre Methoden und ihre verfassungsfeindlichen Ziele der Öffentlichkeit dargelegt. Die gewonnene Transparenz, beispielsweise über ihre Manipulationsstrategien und die damit verbundene negative gesellschaftliche Wahrnehmung der SO haben es ihr bislang erschwert, neue Mitglieder zu gewinnen. Mit Hilfe von Tarnund Nebenorganisationen, wie z. B. der "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V." (KVPM), der Organisation "Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben", den sogenannten "Ehrenamtlichen Geistlichen" (englisch: Volunteer Ministers) oder der Organisation "Der Weg zum Glücklichsein", versucht die SO weiterhin, sich als attraktive, humanitäre und sozial verantwortliche Organisation darzustellen. Ob es der SO gelungen ist, mit Hilfe ihrer Aktivitäten in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie (s.u.2.) neue Mitglieder dauerhaft an sich zu binden, lässt sich noch nicht belastbar beurteilen. 289 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Scientology-Organisation Im September feierte die SO ihr 50-jähriges Bestehen in Bayern mit einer Online-Veranstaltung. Die "Org München" wird als sogenannte Mutterorganisation angesehen, aus welcher weitere Orgs (Kirchen) und Missionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz hervorgegangen sind. Anlässlich des Jubiläums hat die Scientology Kirche Bayern e. V. mit Sitz in München die Broschüre "50 Jahre Scientology Kirche in Bayern" herausgegeben. 2. AKTIONEN UND AKTIVITÄTEN 2.1 Scientology und die Corona-Pandemie Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens stellen auch die SO vor große Probleme. Die Rekrutierungsstrategien der SO sind auf den unmittelbaren zwischenmenschlichen Kontakt hin ausgerichtet. Die Kontroll-, Manipulationsund Psychotechniken, die sie gegen Rekruten und Mitglieder einsetzt, entfalten ihre größte Wirkung in dafür vorgesehenen direkten Interviewund Verhörsituationen. Für die SO ist es daher essentiell, dass ihre Mitglieder regelmäßig ihre Einrichtungen aufsuchen. Nur so ist gewährleistet, dass die SO die größtmögliche Kontrolle über diese ausüben kann. Insbesondere die im Rahmen der CoronaPandemie erfolgte Schließung ihrer Einrichtungen dürfte die Rekrutierungsbemühungen und Kontrollmaßnahmen der SO erschwert haben. Zudem könnten die vielerorts vorherrschenden wirtschaftlichen Perspektivsorgen auf die für die SO wichtigen Beiträge und Spenden durchschlagen, wenn die Bindungswirkung der Organisation nachlässt. Verlagerung der Die SO und ihre Tarnund Nebenorganisationen reagierten daher Aktivitäten ins Interumgehend auf diese Einschränkungen und verlagerten einen Teil net aufgrund der ihrer Aktivitäten ins Internet. Es ist davon auszugehen, dass der Pandemie ohnehin massive Druck auf Mitglieder und Organisationseinheiten, steigende Absatzund Erlösstatistiken abzuliefern, unvermindert aufrechterhalten und in Teilen intensiviert wurde. Die Organisation produzierte im April einen eigenen Song mit dem Titel "Spread a smile" sowie ein Video, das auf dem SocialMedia-Kanal YouTube inzwischen knapp 11 Millionen Mal aufgerufen wurde. 290 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 2.2 Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit durch die "Ehrenamtlichen Geistlichen" in München Die SO unterhält mit den sogenannten "Ehrenamtlichen Geistlichen" (englisch: Volunteer Ministers) eine nach eigenen Angaben internationale Hilfsorganisation. Die "Ehrenamtlichen Geistlichen" haben während der CoronaGesundheitskamPandemie ihr Aktionslevel deutlich erhöht. Sie nutzten dabei pagne "Stay well" den mit der Pandemie verbundenen Bedeutungszuwachs des Themas Gesundheit, um durch die Lancierung der vorgeblichen Gesundheitskampagne "Stay well" (deutsch: Bleib gesund) potenzielle neue Mitglieder anzusprechen und sich als soziale Organisation mit Beratungskompetenzen darzustellen. So wurden im Zuge der Kampagne diverse Verteilaktionen von eigens produziertem Infomaterial zu Hygieneempfehlungen und zur Gesundheitsprävention durchgeführt. Die "Ehrenamtlichen Geistlichen" sprachen dabei auch Passanten, Gastronomiebetreiber und Ladenbesitzer unmittelbar an. Auch auf einer neu eingerichteten Internetseite geben die "Ehrenamtlichen Geistlichen" allgemein gehaltene Tipps, "wie man sich und andere gesund hält". Es werden zudem Materialien in Form von Broschüren und Plakaten zum kostenlosen Download zur Verfügung gestellt. In SO-eigenen Medien werden verstärkt Berichte und Bilder veröffentlicht, welche die "Ehrenamtlichen Geistlichen" weltweit bei Desinfektionsaktionen und dem Verteilen von Informationsmaterial zeigen. Inwieweit diese Aktionen tatsächlich im Kampf gegen die Pandemie von Nutzen sind, scheint zweitrangig. Die Berichterstattung und Selbstprofilierung als internationale Hilfsorganisation stehen hier klar im Vordergrund. 291 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Scientology-Organisation Die "Ehrenamtlichen Geistlichen" sind an ihrer Uniformierung mit gelben Shirts und Jacken sowie der Dominanz der Farbe Gelb bei der Gestaltung ihrer Informationsstände erkennbar. Nach Angaben der SO ist es die Aufgabe eines "Ehrenamtlichen Geistlichen" seinen "Mitmenschen auf ehrenamtlicher Basis zu helfen, indem er Sinn, Wahrheit und spirituelle Werte in deren Leben wiederherstellt". Dabei wird u. a. mit "Assists" (deutsch: Beistände) gearbeitet. Bei diesen Techniken geht es darum, das "geistige Wesen" bei der vermeintlichen Überwindung körperlicher Schmerzen oder seelischer Traumata zu unterstützen. Die Ausübung der Beistände ist in unterschiedlicher Form möglich, beispielsweise durch das "Auditing" (deutsch: Gesprächssitzungen) oder bloße Berührungen. Vortäuschen eines Bei den "Ehrenamtlichen Geistlichen" handelt es sich in der Rereligiösen Kontextes gel um speziell ausgebildete Mitarbeiter der SO, die mit dem gezielten Einsatz scientologischer Manipulationstechniken vertraut sind. Die SO verwendet die Bezeichnung "Geistliche" bewusst, um Außenstehende in die Irre zu führen und einen religiösen Kontext zu suggerieren. In Deutschland sind religiöse Bezeichnungen wie "Kirche" und "Geistliche" rechtlich nicht geschützt. Lediglich die Zuerkennung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts bleibt den etablierten kirchlichen Institutionen vorbehalten. Darüber hinaus existiert kein Anerkennungsverfahren, mit dem der Status als Religionsgemeinschaft förmlich bestätigt werden würde. Jede Gruppe kann sich also - unabhängig von ihrer tatsächlichen Zielsetzung - offiziell als Religionsgemeinschaft bezeichnen. Die Methoden der "Ehrenamtlichen Geistlichen" entsprechen den üblichen scientologischen Techniken zur Beeinflussung und Steuerung von Menschen. Neben den Beiständen finden beispielsweise die von Scientology-Gründer L. Ron Hubbard entwickelte Studiertechnologie und bestimmte Trainingsübungen Anwendung. Darüber hinaus gibt es Anleitungen zur Überwindung von Drogenproblemen und zu den Themen Integrität sowie Eheführung und Kindererziehung. Das Programm der "Ehrenamtlichen Geistlichen" wurde bereits Anfang der 1970er Jahre ins Leben gerufen. Jedoch erst nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA, als nach SO-Angaben ebenfalls "Ehrenamtliche Geistliche" im Hilfseinsatz waren, hat die SO die Werbewirksamkeit der offenkundigen Beteiligung an Hilfsaktionen erkannt und damit begonnen, das Programm entsprechend zu vermarkten. 292 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Nach Angaben der SO kam es im Rahmen mehrerer Naturkatastrophen zu internationalen Hilfseinsätzen, so beispielsweise im Dezember 2004 nach dem verheerenden Tsunami in Asien, 2005 nach den Hurrikans Katrina und Rita in den USA sowie 2010 nach dem starken Erdbeben auf Haiti. Auch in Deutschland sollen die "Ehrenamtlichen Geistlichen" bei der Hochwasserkatastrophe 2002 in Brandenburg und Sachsen sowie nach dem Amoklauf an einer Schule in Winnenden 2009 tätig gewesen sein. Bilder auf ihrer Webseite zeigen die "Ehrenamtlichen Geistlichen" bei diversen Hilfseinsätzen in Katastrophengebieten. Die SO macht sich insbesondere im Fall von Katastrophen die psychische Ausnahmesituation der Betroffenen zunutze, versucht professionelle psychologische und psychiatrische Hilfe und Beratung zu verdrängen und die Opfer scientologischen Techniken zu unterziehen. Inwieweit die Organisation tatsächlich praktische Hilfe leistet, kann nicht beurteilt werden. Ziel der SO bei allen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten ihrer Teilund Tarnorganisationen ist es stets, sich als global vernetzten Akteur und Ansprechpartner zu präsentieren, um neue Mitglieder zu rekrutieren und Spenden zu sammeln. Themen, die einen breiten gesellschaftlichen Konsens bieten, stehen daher besonders im Fokus. 2.3 Offensive Öffentlichkeitsarbeit der Tarnorganisation "Der Weg zum Glücklichsein" Die SO-Tarnorganisation "Der Weg zum Glücklichsein" ("The Way to Happiness Foundation") betreibt seit Mitte 2016 in Bayern verstärkt Öffentlichkeitsarbeit. Ziel ist es, eine möglichst große Anzahl an Exemplaren der Broschüre "Der Weg zum Glücklichsein" zu 293 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Scientology-Organisation verteilen. Die Publikation wirkt auf den ersten Blick unverfänglich und weist in Aufmachung und Inhalt zunächst keinen expliziten Scientology-Bezug auf. Lediglich im Impressum ist der Scientology-Gründer L. Ron Hubbard erwähnt. Somit besteht die Gefahr, dass durch die Verwendung des Materials auch die Verbreitung der SO-Ideologie unwissentlich unterstützt wird. Die Broschüre vermittelt eher triviale Vorschläge und Anleitungen zum "Glücklichsein", die scientologische Ideologie ist enthalten, aber nur schwer zu erkennen. Nach eigenen Angaben soll allein die Münchner Gruppe der SO-Tarnorganisation "Der Weg zum Glücklichsein" inzwischen mehr als 400.000 Exemplare der gleichnamigen Broschüre verteilt haben. Der Schwerpunkt der Aktionen liegt in Schwaben und im Münchner Umland. Die SO versucht mit der Broschüre Menschen auf vermeintlich problematische Erscheinungen oder Stimmungslagen in ihrem Leben aufmerksam zu machen und Interesse daran zu wecken, etwas zu ändern oder sich Hilfe zu suchen. Ziel ist es, die Adressaten zur Kontaktaufnahme mit der Tarnund Nebenorganisation zu bewegen. Sobald die Kontaktdaten vorliegen, können diese genutzt werden, um die Personen mittelfristig an die SO heranzuführen. In den sozialen Medien versucht die SO, die Kampagne - auch durch das Verbreiten von Fotos ihrer Verteilaktionen - als Erfolg zu präsentieren, um damit die Mitglieder zu zusätzlichem Engagement zu motivieren. Innerhalb der SO existieren statistische Zielvorgaben für die Durchführung öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten und die Werbung neuer Mitglieder, welche die Anhänger erfüllen müssen. Es ist davon auszugehen, dass das erhöhte Aktionsniveau auch dazu dient, diesen Vorgaben gerecht zu werden. Broschüre für Kinder Beiträgen in den sozialen Medien zufolge, soll künftig auch eine in Planung Broschüre speziell für Kinder mit dem Titel "Wie man gute Entscheidungen trifft" ausgegeben werden. Inhaltlich orientiert sich diese an dem bekannten Heft "Der Weg zum Glücklichsein". 294 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 3. ORGANISATIONSSTRUKTUR Die SO ist wie ein internationaler Wirtschaftskonzern organisiert und strukturiert. Alle Einrichtungen unterliegen trotz scheinbarer Selbstständigkeit der strikten Befehlsund Disziplinargewalt des "Religious Technology Center" (RTC) in Los Angeles/USA, geführt von David Miscavige, dem Nachfolger des SO-Gründers L. Ron Hubbard. Der Church-Bereich ist neben den Tarnorganisationen WISE und ABLE eine der wichtigsten organisatorischen Säulen der SO. Er gliedert sich in die Einheiten "Kirchen" (Orgs), "Missionen" und "Celebrity Centres". Dachverband in Deutschland ist die "Scientology Kirche Deutschland e. V." (SKD), in Bayern existiert parallel dazu die "Scientology Kirche Bayern e. V." (SKB). Sowohl die SKD als auch die SKB haben ihren Sitz in München. Org-Einheiten sind insbesondere für den Verkauf und die Durchführung der weiterführenden Scientology-typischen Dienstleistungen zuständig. Hierzu gehören u. a. Dianetik-Kurse, Auditings und Rundowns sowie verschiedene interne Ausund Fortbildungen für Mitglieder. 295 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Scientology-Organisation Kampagne "Ideales Im Rahmen ihrer "Ideale-Org"-Kampagne will die SO weltweit Deutschland" in Städten, die sie zur Erreichung ihrer Ziele als politisch und wirtschaftlich bedeutsam einschätzt, große und repräsentative Niederlassungen (Ideale Orgs) aufbauen beziehungsweise bereits bestehende Einrichtungen vergrößern. Diese Idealen Orgs sollen politischen Einfluss nehmen (u. a. durch Standorte in Regierungs-/Parlamentsnähe) und auch den Erfolg der SO demonstrieren. Die Eröffnung einer Idealen Org ist an bestimmte, von Hubbard festgelegte Kriterien hinsichtlich Größe, Mitarbeiterzahl und Ausstattung gebunden. In einer Idealen Org sollen sämtliche Dienstleistungen der SO unter einem Dach angeboten werden können. Der Aufbau einer Idealen Org wird allein aus Spenden finanziert. Ideale Orgs in In Deutschland existieren bislang drei Ideale Orgs: 2007 wurde Deutschland in Berlin eine Ideale Org eröffnet und im Januar 2012 eine weitere in Hamburg. Am 9. September 2018 folgte die Eröffnung einer dritten deutschen Idealen Org in Stuttgart. Strategisches Ziel der SO ist ein "Ideales Deutschland", in dem alle bestehenden Einrichtungen dem Prädikat "ideal" entsprechen. Daher muss mit der Eröffnung weiterer Idealer Orgs, u. a. auch in München, gerechnet werden. Die "Missionen" sind vor allem als Vorfeldorganisationen tätig und stehen in der SO-Hierarchie unterhalb der Org-Einheiten. Ihre hauptamtlichen Angehörigen sowie nicht-hauptamtliche "Feldmitarbeiter" werben mit Einstiegsangeboten wie Büchern, Infomaterialien und Einstiegskursen um potenzielle Mitglieder. Bereits seit 1980 gibt es in München ein "Celebrity Centre" (CC), das für Prominente und Künstler vorgesehen ist. Grundsätzlich sollen die CC Politiker, Führungskräfte aus der Wirtschaft, Medienleute, Künstler und andere Prominente für Scientology gewinnen, um sie für Propagandazwecke nutzen zu können. Das räumlich von der Org München getrennte CC München ist hinsichtlich seines Stellenwerts für die Propagandaaktivitäten der SO nicht mit den CC in den USA vergleichbar. Permanente Typisch für das Innenleben von SO-Organisationen ist die ständiLeistungskontrolle ge Veröffentlichung interner Leistungsstatistiken und Ranglisten. Diese weisen sowohl Umsatzund Absatzbilanzen einzelner Organisationseinheiten als auch kleinste Aktivitäten, wie z. B. Flyerverteilungen und Anwerbegespräche einzelner Mitglieder aus. Durch die permanente Leistungsdokumentation soll zum einen ein Quotendruck zur Steigerung von Umsatzzahlen, Mitglieder296 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 anwerbungen und Spendenerlösen erzeugt sowie ein Konkurrenzverhältnis zwischen den einzelnen Organisationsteilen und Mitgliedern geschaffen werden. Zum anderen ist die statistische Dauererfassung auch ein Mittel der Mitgliederkontrolle und bildet die vermeintlich objektive Grundlage für das rigide Belohnungsund Bestrafungssystem der SO. Dabei sind beispielsweise Scientologen, die keine zufriedenstellenden Erlöszahlen für die SO liefern, eher Bestrafungsmaßnahmen ausgesetzt, als Mitglieder, die gute Gewinne erzielen. Zu diesen Bestrafungsmaßnahmen zählen z. B. diverse Disziplinarbeziehungsweise Erziehungsmaßnahmen, Degradierungen, die Aberkennung von Zertifikaten, die Erklärung zur unterdrückerischen Person sowie die Verstoßung aus der Organisation. 3.1 Finanzierung der Scientology-Organisation Die SO finanziert sich insbesondere durch die Durchführung von kostenpflichtigen Kursen und den Vertrieb von Kursmaterialien. Wer sich der SO anschließt, muss einen genau vorgezeichneten Trainingsweg beschreiten, um zum scientologischen Übermenschen, dem "Operierenden Thetan" (OT), zu werden. Vom ersten bis zum letzten Kurs ist mit Kosten in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro zu rechnen. Hinzu kommt der steigende Druck auf die Mitglieder, Spenden zu leisten. Je nach finanzieller Leistungsfähigkeit des Einzelnen variiert die Höhe der Einzelspenden zwischen einigen Hundert bis zu mehreren Hunderttausend Euro. Der Spendendruck wird noch dadurch erhöht, dass Mitglieder für die SO leicht erpressbar sind: Teil der Kurse ist das "Auditing", eine Psychotechnik, bei der Anhänger der SO sämtliche Informationen bis hin zu intimsten Details über ihr Leben preisgeben müssen. Dies macht sie für die SO zum gläsernen Menschen und damit letztendlich kompromittierund erpressbar. Weiterhin versucht die SO, die für die Schaffung einer Idealen Org in München notwendigen finanziellen Mittel zu akquirieren, und fordert die Mitglieder deshalb auch vermehrt zu zusätzlichen Spenden auf. Eine besondere Bedeutung bei der Finanzierung der SO kommt der Organisation "International Association of Scientologists" zu. Diese Organisation führt regelmäßig Veranstaltungen zum Sammeln von Spenden durch. Mit diesen Spenden werden SO-Einrichtungen und Kampagnen finanziert. Großspender werden geehrt und in SO-eigenen Medien veröffentlicht. Dabei geht es um Summen von bis zu zweistelligen Millionenbeträgen. 297 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Scientology-Organisation 3.2 Unterorganisationen der ScientologyOrganisation Neben dem Church-Bereich sind die Unterorganisationen "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) und "Association for Better Living and Education" (ABLE) die wichtigsten organisatorischen Säulen der SO. WISE WISE ist ein franchiseähnlicher Zusammenschluss von Unternehmen, die durch Lizenzverträge an die SO gebunden sind und nach deren Methoden arbeiten. WISE hat zum Ziel, die Wirtschaft zu unterwandern und Gewinne durch den Verkauf von SO-Management-Techniken an Unternehmen zu erwirtschaften. WISE-Unternehmen sind in allen Branchen zu finden, wobei vor allem Unternehmensund Personalberatung, Coaching-Angebote und die Immobilienbranche im Fokus der Organisation stehen. Die SO verfügt zudem über Management-Akademien und ein eigenes wirtschaftsorientiertes Kursprogramm mit Seminaren zu Themen wie Motivation, Effizienz, Organisation, Kommunikation und Management nach Statistiken. ABLE Mit Hilfe von ABLE versucht die SO, sich auch als soziale Organisation darzustellen. Unter dem Dach von ABLE agieren u. a. die vermeintliche Hilfsorganisation für Drogenabhängige "NARCONON" (in Deutschland nicht aktiv), die Kampagne "Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben", die Organisation "Der Weg zum Glücklichsein", die "Ehrenamtlichen Geistlichen" und das Ausbildungsprogramm "Applied Scholastics", das im Bereich der Kinderund Erwachsenenbildung aktiv ist. Auch die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V." (KVPM) ist Teil von ABLE. Die KVPM diffamiert mit pauschaler und tendenziöser Kritik die medizinische Psychiatrie und reklamiert für sich, den einzig wahren Weg zur Heilung psychischer Krankheiten zu kennen. KVPM-Initiativen wie "Jugend für Menschenrechte" oder "Gemeinsam für Menschenrechte" sollen junge Menschen für die Themen der SO begeistern. Der Status der KVPM als Teilorganisation der SO wird bei Veranstaltungen nicht offengelegt. Besucher und mögliche Interessenten werden gezielt über die 298 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 eigentliche Zielsetzung und ideologische Ausrichtung getäuscht. Die KVPM arbeitet anlassbezogen auch mit Verbänden außerhalb Deutschlands zusammen. Im Allgemeinen treten SO-Einrichtungen überwiegend offen auf und versuchen nicht, ihre Verbindung zur Organisation zu verschleiern. Daneben bedient sich die SO allerdings auch Nebenund Tarnorganisationen, die auf den ersten Blick keinen Zusammenhang mit der SO erkennen lassen. Unter dem Deckmantel dieser Organisationen versucht die SO sich in unterschiedliche gesellschaftliche und politische Themen einzubringen, um die scientologische Ideologie in die Gesellschaft zu tragen. Diese Themen zeichnen sich meist durch zwei Aspekte aus: Es gibt einen relativ breiten gesellschaftlichen Konsens, in den sich die SO einordnet, z. B. den Kampf gegen Drogenmissbrauch. Die SO versucht auf diese Weise, an Menschen heranzukommen, die Hilfe brauchen, sich in einer Lebenskrise befinden und die damit leichter beeinflussbar sind, z. B. Drogenabhängige, psychisch Kranke, Straftäter oder Schüler mit schlechten Schulleistungen. So bieten beispielsweise von Scientologen betriebene Nachhilfeinstitute zum Teil verdeckt, zum Teil aber auch offen scientologisch geprägte Kurse für Kinder und Erwachsene an. Insbesondere Kinder werden somit schon früh unterschwellig und spielerisch in scientologische Denkweisen eingeführt. In Bayern arbeiten "Die Lernakademie" in München-MilbertsScientologische hofen, die "Nachhilfeund Sprachenschule Grübl und Nachhilfeinstitute Kroggel" in Zirndorf sowie das "Lernstudio Konrad" in Laufen mit der SO-Technik "Applied Scholastics". Auf den Internetseiten dieser Institute wird als Urheber der Lernmethode der 299 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Scientology-Organisation Scientology-Gründer L. Ron Hubbard zwar erwähnt, allerdings wird behauptet, dass "Applied Scholastics" weder Teil einer Scientology Kirche sei noch finanzielle Verbindungen mit einer solchen unterhalte. Dadurch werden Interessenten bewusst getäuscht. "Applied Scholastics" ist eine eingetragene Marke, deren Rechte dem "Religious Technology Center" der Scientology-Organisation gehören. Somit ist "Applied Scholastics" zwar nicht Teil einer Scientology Kirche, aber sehr wohl Teil der Scientology-Organisation. Die SO setzt somit bewusst auf Tarnorganisationen, um auch diejenigen erreichen zu können, die ihr zunächst ablehnend gegenüberstehen. Ziel der SO ist es, dauerhafte Kontakte zu Menschen aufzubauen, die zu einem späteren Zeitpunkt in die Hauptorganisation und das damit verbundene kostspielige Kurssystem eingegliedert werden können. Da Informationsstände von Teilbeziehungsweise Tarnorganisationen nicht immer klar der SO zuzuordnen sind, besteht hier grundsätzlich die Gefahr, dass die Bevölkerung diese Veranstaltungen nicht als Aktivitäten der SO erkennt und unwissentlich auf Kontaktangebote der SO eingeht. OSA Geheimdienst OSA Innerhalb des streng hierarchischen Aufbaus der SO gibt es zahlreiche Überwachungseinrichtungen und einen eigenen Geheimdienst, das "Office of Special Affairs" (OSA). Dieser soll Informationen über Kritiker, Behördenangehörige und andere Gegner sammeln, auswerten und als Druckmittel verwenden. Zu seinen Methoden gehören Verfolgung, Belästigung und Schikane von vermeintlichen Gegnern der SO, um diese zu zermürben, sowie Verleumdungskampagnen zum Zweck der öffentlichen Diskreditierung. Die OSA-Einheit für Deutschland ("Department of Special Affairs - DSA") ist bei der "Scientology Kirche Deutschland e. V." mit Sitz in München angesiedelt. Hubbard sah in der OSA hauptsächlich das Ziel: [...] Behörden und [...] Denkmodelle oder Gesellschaften in einen Zustand völliger Übereinstimmung mit den Zielen der SO zu bringen. [...] Dies geschieht durch die hochrangige Fähigkeit zur Steuerung und - falls sie nicht gegeben ist - durch die weiter unten angesiedelte Fähigkeit zur Überwältigung. (Hubbard-Anweisung vom 15. August 1960) 300 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Tarnorganisationen der Scientology-Organisation Logo Bezeichnung World Institute of Scientology Enterprises (WISE) Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V. (KVPM) Association for Better Living and Education (ABLE) Jugend für Menschenrechte e. V. Applied Scholastics Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben e. V. Der Weg zum Glücklichsein NARCONON Ehrenamtliche Geistliche (Volunteer Ministers) 301 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Scientology-Organisation 3.3. Formen der Kontaktaufnahme Die SO-Einrichtungen versuchen auf verschiedenen Wegen einen ersten Kontakt herzustellen: - Veranstaltungen und Infostände in den Innenstädten, - Ansprechen auf der Straße mit dem Angebot, einen Persönlichkeitstest zu machen, - Zusenden von Werbematerial, - Angebote an Unternehmen zu Betriebsführungstechniken und Kursen zur Persönlichkeitsveränderung, - Angebote auf dem Nachhilfemarkt, - Kontaktaufnahmen in sozialen Netzwerken wie Facebook und YouTube. 302 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Mit jugendaffinen Profilen in sozialen Netzwerken und VideoScientology in Clips auf YouTube versuchen die SO und ihre Tarnorganisationen sozialen Medien insbesondere junge Leute zu erreichen. Die SO thematisiert dazu die für diese Altersgruppe typischen Sorgen und Probleme. Dabei profitiert sie u. a. von jungen Mitgliedern, die in SO-geprägten Elternhäusern aufgewachsen sind. Diese jungen Menschen, für die die SO selbstverständlicher Bestandteil ihres Lebens ist, vermitteln ein Bild der SO, das jung, modern und somit zielgruppenaffin wirkt und geeignet ist, andere junge Menschen zumindest für die Organisation zu interessieren. Jugendliche sollen sich in ihrer Lebenswelt abgeholt fühlen und den Eindruck gewinnen, die SO verstehe ihre Probleme besser als andere. Das Ziel ist letztlich, Jugendliche und junge Erwachsene für die Organisation und ihre Tarnorganisationen dauerhaft als Mitglieder zu werben. Die Organisation hält aber auch an den oben genannten klassischen Methoden der Kontaktaufnahme fest. 4. AUSSTEIGER In der Vergangenheit haben mehrere hochrangige beziehungsweise prominente SO-Mitglieder aus unterschiedlichen Motiven die SO verlassen. Zudem erschienen international mehrere Veröffentlichungen ehemaliger Scientologen über ihre Erfahrungen in der SO. Auch in Fernsehsendungen und Podcasts berichten zum Teil hochrangige Aussteiger über ihre Zeit in der SO, verbunden mit einer Warnung vor der Organisation. Aussteiger, die sich in der Öffentlichkeit aktiv gegen die SO wenden, werden von ihr als "unterdrückerische", "antisoziale" oder "geisteskranke" Personen diffamiert und müssen mit Verfolgung, Bedrohung und Erpressung rechnen. Dabei macht die SO auch nicht vor Angehörigen und dem persönlichen Umfeld der Betroffenen Halt. Im deutschsprachigen Raum wurden beispielsweise Facebook-Seiten bekannt, auf denen Kritiker gezielt diffamiert werden. Aussteigern und Betroffenen stehen bundesweit zahlreiche Institutionen und private Initiativen zur Verfügung, die Ratsuchenden eine erste pädagogisch-psychologische Beratung, Unterstützung und Krisenhilfe anbieten. 303 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Scientology-Organisation 5. PRÄVENTION Mit der Neuauflage der Broschüre "Das System Scientology" klärt das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration über die Ideologie und die Ziele der SO sowie deren Strategien zur Gewinnung neuer Anhänger auf. Die Broschüre bietet zudem Hilfestellung und nennt Ansprechpartner für Ausstiegswillige, Betroffene und deren Angehörige. Seit mehr als 20 Jahren wird die Broschüre erfolgreich in der Präventionsarbeit eingesetzt und zählt mit einer Gesamtauflage von über 70.000 Stück zu den gefragtesten Publikationen des BayLfV. Zeitgleich mit der Broschüre veröffentlichte das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz einen Kurzfilm, mit dem vor allem junge Menschen über die Manipulationsmethoden der SO informiert werden sollen. Der vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz produzierte Kurzfilm ist der fünfte Teil einer seit 2017 laufenden Präventionsinitiative. Thema des ersten Teils war das Phänomen der sogenannten "Fake-News". Danach folgten Filme zu Linksextremismus und Autonomen sowie zu Islamismus und Rechtsextremismus. Der letzte Teil ist für die zweite Jahreshälfte 2021 geplant und soll das Entstehen von Feindbildern und die Dynamik von Hasskollektiven in den Blick nehmen. Informationsfilm "10 Tipps wie du dich nicht verarschen lässt - dieses Mal von Scientologen" Quelle: Spreadfilms 304 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Weitergehende Informationen zur SO, ein Glossar zum scientologischen Sprachgebrauch sowie die Adressen von Beratungsstellen finden sich auf den Internetseiten des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz sowie des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration. Vertrauliches Telefon Für Opfer und Aussteiger der SO sowie für Angehörige von SO-Mitgliedern unterhält das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ein vertrauliches Telefon; dort können Hinweise zur SO gegeben werden: Telefon: 089/31201 296 Weitere Informationen und Beratungsstellen: Broschüre: "Das System Scientology" www.stmi.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de 305 Spionageabwehr, Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Wirtschaftsschutz, Cyber-Allianz-Zentrum (CAZ) Cyberabwehr Bayern und zentrales Cyber-Lagezentrum seit einem Jahr in Betrieb Digital Dialog: Erste länderübergreifende Übung zur Abwehr von Cyberangriffen Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Nachrichtendienste vieler Staaten haben die Aufgabe, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär anderer Staaten auszuforschen. Ihr Ziel ist es, entweder die Erkenntnisse selbst zu nutzen oder die Möglichkeit zu haben, andere Staaten zu sabotieren. Im Rahmen gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteter staatlicher Spionagetätigkeiten werden deutsche Interessen sowohl in Deutschland als auch weltweit ausspioniert. Auch elektronische Angriffe auf die Kommunikation von Regierungseinrichtungen gehören zum allgemeinen Repertoire von ausländischen Nachrichtendiensten. Politische und militärische Spionage ist auf die Außen-, Europaund Bündnispolitik sowie die Wirtschaftsund Energiepolitik Deutschlands ausgerichtet. Wie intensiv ein Staat Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage betreibt, ist abhängig von seiner eigenen wirtschaftlichen Lage. Wirtschaftlich weniger entwickelte Staaten spionieren in erster Linie Produkte und Fertigungsprozesse aus und wollen so mit möglichst geringem Aufwand an benötigtes Know-how gelangen. Wirtschaftlich hochentwickelte Staaten, die selbst über Hochtechnologie verfügen, wollen darüber hinaus an strategische Informationen gelangen, um die eigene Wirtschaft im globalen Wettbewerb besserstellen zu können. Wirtschaftsspionage verursacht in Deutschland jährlich Schäden in Milliardenhöhe und gefährdet Arbeitsplätze. Gerade bayerische Firmen und Hochschuleinrichtungen stehen wegen ihrer Innovationskraft in nahezu allen Branchen und Forschungsbereichen im Blickfeld ausländischer Nachrichtendienste. Besonders gefährdet sind kleine und mittelständische Firmen, die Spitzentechnologie entwickeln oder produzieren, da sich diese oft noch nicht ausreichend vor Spionageangriffen schützen. 307 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Um an Informationen zu gelangen, werden auch Behörden, Hochschulen und Wirtschaftsunternehmen zunehmend elektronisch angegriffen. Derartige Angriffe können vielfältige Urheber und Ziele haben. Es ist deshalb unverzichtbar, präventiv Abwehrmechanismen in den Bereichen Politik und Militär sowie Wirtschaft und Wissenschaft zu implementieren, die unabhängig von der Herkunft des Angriffs Schutzwirkung entfalten. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz stellt Unternehmen daher zielgerichtet Präventionsangebote zur Spionageabwehr im Rahmen seiner Wirtschaftsschutztätigkeit bereit. Einen Schwerpunkt bildet auch hier die Abwehr elektronischer Angriffe, die seit Juli 2013 vom Cyber-Allianz-Zentrum Bayern (CAZ) wahrgenommen wird. Neben Spionageaktivitäten bemühen sich einige Staaten, in den Besitz von Technologien für atomare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen mit den erforderlichen Trägersystemen zu gelangen (Proliferation). Neben diesen verschiedenen Spionagemethoden versuchen einige Staaten aber auch die öffentliche Meinungsbildung in ihrem Sinne zu steuern. Hierbei bieten sich diesen Staaten vielfältige Möglichkeiten, mittels Desinformation und Propaganda auf ihre Darstellung in Deutschland Einfluss zu nehmen. Besonders intensiv werden hier soziale Netzwerke, diskussionsorientierte Internetseiten und aus dem Ausland gesteuerte und finanzierte Think Tanks genutzt. 308 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 1. SPIONAGEAKTIVITÄTEN AUSLÄNDISCHER NACHRICHTENDIENSTE Ausländische Nachrichtendienste arbeiten regelmäßig getarnt Legalresidenturen in Deutschland. Ausgangspunkt für ihre Spionageaktivitäten sind häufig sogenannte "Legalresidenturen", die in den offiziellen (z. B. Botschaft oder Generalkonsulat) oder halboffiziellen (z. B. Presseagentur) Vertretungen ausländischer Staaten in Deutschland untergebracht sind. Dort tarnen ausländische Nachrichtendienste ihre Mitarbeiter, die mit verschiedenen Methoden Informationen selbst beschaffen oder nachrichtendienstliche Operationen aus den Heimatstaaten unterstützen. Zu den Aufgaben der ausländischen Nachrichtendienstmitarbeiter gehört es auch, Internetanalysen durchzuführen und Veranstaltungen zu besuchen, um Kontakte zu zahlreichen Gesprächspartnern zu knüpfen. Gegenstand der Spionageaktivitäten können z. B. auch in Deutschland lebende Oppositionelle sein oder die gezielte Desinformation der deutschen Öffentlichkeit. Beschaffungsmethoden fremder Nachrichtendienste Offene Beschaffung Konspirative Beschaffung - Auswertung offener Quellen - Einsatz menschlicher Quellen - Gesprächsabschöpfung - Einsatz technischer Mittel - Teilnahme am Wirtschaftsleben - Umgehung von Ausfuhrbeschränkungen Spionage gegen die Interessen Deutschlands wird nach wie vor sowohl mit menschlichen Quellen als auch mit technischen Mitteln durchgeführt. Beides geschieht wahlweise offen oder konspirativ. Die Tarnung als Journalist, Wirtschaftsoder Handelsattache bietet vielfältige Möglichkeiten, an Informationen zu gelangen, z. B. auf Messen oder Tagungen. Sogenannte "Illegale", langfristig im Zielland eingesetzte Nachrichtendienstangehörige, werden mit einer falschen Identität ausgestattet. Die Enttarnung dieser "Illegalen" durch die Spionageabwehr gelingt nur mit großem operativem Aufwand. Ein etwaiger Diplomatenstatus schützt Nachrichtendienstangehörige bei Enttarnung vor Strafverfolgung und lässt nur ihre Ausweisung zu. Besonders im Fokus nachrichtendienstlicher Aktivitäten stehen Zielpersonen der Zielpersonen aus Parteien, politischen Institutionen, Behörden, Spionage Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Die meist arglosen 309 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Personen werden oftmals durch geschickte Gesprächsführung Opfer von Ausspähungsaktivitäten. Nicht selten können getarnte Nachrichtendienstangehörige bereits auf diesem Weg sensible Informationen gewinnen. Soziale Netzwerke wie Facebook und LinkedIn spielen für Anwerbeversuche ausländischer Nachrichtendienste eine große Rolle. Diese können unmittelbar aus den jeweiligen Heimatstaaten initiiert und gesteuert werden. Getarnt als Wissenschaftler, Jobvermittler oder Headhunter versuchen ausländische Nachrichtendienste auch über das Internet Kontakte zu für sie interessanten Personen herzustellen. Methoden der Erfolgt dann beispielsweise ein reizvolles Jobangebot mit anKontaktanbahnung schließender Einladung in den jeweiligen Staat, sind Betroffene der Gefahr der nachrichtendienstlichen Anbahnung ausgesetzt. Auch Angehörige diplomatischer Vertretungen, Behördenvertreter, Firmenangehörige oder Studenten, die sich längerfristig im Ausland aufhalten oder auf Reisen befinden, können zur Zielperson ausländischer Nachrichtendienste werden. Der Heimvorteil bietet diesen ein breites Spektrum von Überwachungsund Kontrollmöglichkeiten, um Zielpersonen bei passender Gelegenheit anzusprechen. So werden u. a. kompromittierende Situationen geschaffen oder als Druckmittel verwendet. Möglich ist auch eine Anwerbung auf vorgeblich freundschaftlicher Basis. Spionageaktivitäten erfolgen in zunehmendem Maße auch mit technischen Mitteln. Das Abhören von inländischer Kommunikation kann dabei über Server oder Internetknoten im Ausland erfolgen. Auch hierfür können Legalresidenturen genutzt werden. Fernmeldeaufklärungsmaßnahmen gegen deutsche Interessen werden von diplomatischen Vertretungen in deren Nahbereich durchgeführt. Betroffen sind hier insbesondere Gespräche mit Mobiltelefonen, WLANoder Bluetooth-Verbindungen sowie Laptops oder Tablets. Zielobjekte der Die Zielobjekte und -methoden variieren stark: Sie reichen von Spionage der Sabotage Kritischer Infrastruktur über das Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten, der Übernahme einer fremden elektronischen Identität und dem Missbrauch oder der Sabotage fremder IT-Strukturen bis hin zur Übernahme von Produktionsund Steuereinrichtungen. Angriffe erfolgen beispielsweise von außen durch Computernetzwerke oder manipulierte Hardware wie USB-Sticks. 310 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Auch in Deutschland stehen insbesondere Politik und Verwaltung im Fokus nachrichtendienstlich gesteuerter Cyberangriffe. Dabei sind insbesondere die Bereiche Außenund Sicherheitspolitik, Finanzen sowie Militär und Rüstung für Angreifer von hohem Interesse. Hier ist ein strategisches Vorgehen festzustellen, das sich bei besonderen Anlässen regelmäßig steigert. Hochrangige Entscheidungsträger beziehungsweise deren unmittelbare Mitarbeiter sollen beispielsweise im Vorfeld von Gipfeltreffen durch geschickt gestaltete E-Mails verleitet werden, den mit einer Schadsoftware versehenen Anhang zu öffnen und so eine Infektion der Systeme auszulösen. Der Angreifer erhofft sich dadurch, frühzeitig die geplante strategische Vorgehensweise in den Gipfeltreffen auszuspähen, entsprechend darauf reagieren und sich so selber in eine bessere Verhandlungsposition bringen zu können. Cyberangriffe stellen auch in den Bereichen Wirtschaft und Forschung aus Sicht ausländischer Nachrichtendienste ein geeignetes Spionagemittel dar. Einzelne Nachrichtendienste verfügen über eine gesetzliche Grundlage und somit den staatlichen Auftrag, die eigene Volkswirtschaft mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu stärken. Die damit in Deutschland verursachten volkswirtschaftlichen Schäden sind bedeutend: Schätzungen zufolge führt der illegale Abfluss geistigen Eigentums jährlich zu einem Schaden von mehreren Milliarden Euro. Insbesondere Unternehmen aus den Bereichen Rüstung, Luftund Raumfahrt, die Automobilindustrie sowie Forschungsinstitute sind betroffen. Werden Cyberattacken bekannt, erschwert die Anonymität des Internets die Identifizierung und Verfolgung der Täter. Durch forensische Analysen können jedoch immer wieder wichtige Hinweise auf Herkunft und Verursacher dieser Attacken gewonnen werden. Bei nachrichtendienstlichem Hintergrund sind die Verfassungsschutzbehörden zuständig. 1.1 Russische Föderation Aufgabe russischer Nachrichtendienste ist es, neben den politischen auch die wirtschaftlichen Interessen Russlands weltweit voranzutreiben. Die russische Wirtschaft profitiert in erheblichem Maß davon, dass alle russischen Nachrichtendienste gesetzlich dazu verpflichtet sind, Wirtschaftsspionage zu betreiben. Die Gesamtzahl der Mitarbeiter aller russischen Nachrichtendienste bewegt sich Schätzungen zufolge in einem mittleren sechsstelligen Bereich. 311 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Russland setzt vor allem drei Nachrichtendienste ein: - Ziviler Auslandsnachrichtendienst (SWR), - Inlandsnachrichtendienst (FSB), - Militärischer Auslandsnachrichtendienst (GRU). Ziviler Auslandsnachrichtendienst (SWR) Der SWR ist zuständig für Spionage in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie. Darüber hinaus forscht er Ziele und Arbeitsmethoden westlicher Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden aus und bedient sich dazu auch der elektronischen Fernmeldeaufklärung. Zur Informationsbeschaffung setzt der SWR sogenannte "Illegale" ein, d. h. Nachrichtendienstoffiziere, die unter Verwendung falscher Identitäten langfristig in die Zielstaaten eingeschleust werden und dort möglichst unauffällig am sozialen Leben teilnehmen. Inlandsnachrichtendienst (FSB) Hauptaufgaben des FSB sind die zivile und militärische Spionageabwehr. Hierzu verfügt der FSB über umfangreiche Befugnisse. Auch ausländische Staatsangehörige können in das Blickfeld des FSB geraten und gezielt überwacht werden, wenn sie in Russland Internet oder Telefon nutzen. Der FSB hat Zugriff auf den Datenverkehr, der über russische Provider abgewickelt wird. Zudem verfügt der FSB über den Zugang zu Datenbanken russischer Telefongesellschaften. Gebäude des FSB 312 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Militärischer Auslandsnachrichtendienst (GRU) Der GRU hat die Aufgabe, das gesamte sicherheitspolitische und militärische Spektrum aufzuklären. Dazu spioniert er Bundeswehr, NATO und andere westliche Verteidigungsstrukturen genauso wie militärisch nutzbare Technologien aus. Gebäude des GRU Jenseits seiner Spionageinteressen ist Russland bestrebt, die Versuche politischer politische und öffentliche Meinung in Deutschland zu seinen Einflussnahme Gunsten zu beeinflussen. Bei deutschen Gesprächspartnern vertreten Angehörige der russischen Dienste offensiv Positionen des Kremls, werben um Verständnis für die russische Politik und versuchen, ihr Gegenüber als Multiplikator zur Verbreitung russlandfreundlicher Sichtweisen und Narrative zu gewinnen. Wie bereits in den vergangenen Jahren verbreiten Akteure der Propaganda und Russischen Föderation nach wie vor auf vielfältigen Wegen Desinfomation pro-russische Propaganda und Desinformation. Wichtige Werkzeuge sind dabei - oft unter Nutzung von Social Bots und FakeProfilen - soziale Netzwerke, staatlich geförderte und private Institute (z. B. Think Tanks), einzelne eigenständig agierende Einflussakteure und russische Staatsmedien. Weltweit sendende TV-, Radiound Internetkanäle betreiben gezielt Propaganda und Desinformation. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass derartige "Meinungsäußerungen" durch staatliche russische Stellen initiiert werden. Auch das russische Medienangebot in Deutschland wird durch den russischen Staat gefördert und ausgebaut. Staatliche Unternehmen werden als unabhängige Medien getarnt, um die Zugehörigkeit zum russischen Staat zu verschleiern und die 313 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Öffentlichkeit auf subtile Weise zu beeinflussen. Die wichtigsten Akteure sind dabei der Internet-Sender "RT Deutsch" sowie die Nachrichtenagentur "Sputnik". Gefährdungen in Innerhalb Russlands richten die Nachrichtendienste ihren Blick Russland überwiegend auf Personen, die sich beruflich oder privat für längere Zeit dort aufhalten. Dazu zählen insbesondere Angehörige diplomatischer Vertretungen und Behördenvertreter, Firmenrepräsentanten, Wissenschaftler und Studierende. Persönliche Daten in Visaanträgen, Grenzkontrollen sowie die Telefonund Internetüberwachung bieten den Diensten im eigenen Land zahlreiche Möglichkeiten, geeignete Zielpersonen für eine Ansprache zu ermitteln. Sofern die gewonnenen Informationen die Zielpersonen kompromittieren können, gehen die Dienste auch offensiv vor. 1.2 Volksrepublik China Die "Kommunistische Partei Chinas" (KPCh) setzt zur Stabilisierung ihres Machtanspruchs gezielt den umfangreichen staatlichen Sicherheitsapparat ein. Die Nachrichtendienste sollen einen Beitrag für den Erhalt der sozialen Stabilität leisten und gleichzeitig wirtschaftliche Interessen fördern. China setzt vor allen Dingen folgende vier Nachrichtendienste ein: - Ministerium für Staatssicherheit (MSS), - Ministerium für öffentliche Sicherheit (MÖS), - Militärischer Nachrichtendienst (MID), - Büro 610. Ministerium für Staatssicherheit (MSS) Das chinesische MSS gilt als weltweit größter ziviler Nachrichtendienst und betreibt sowohl Abwehrals auch Spionageaktivitäten im Inund Ausland. In Fragen der nationalen Sicherheit nimmt das MSS eine zentrale Rolle ein. Es ist für die Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Ordnung zuständig und diesbezüglich mit Polizeibefugnissen ausgestattet. In Deutschland bemüht es sich nachhaltig um Informationen aus den Bereichen Politik und Wirtschaft und späht oppositionelle chinesische Gruppierungen aus. 314 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Ministerium für öffentliche Sicherheit (MÖS) Das MÖS ist für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuständig und kann hierzu auf die Ordnungsund Kriminalpolizei zurückgreifen. Ferner verfügt das MÖS über nachrichtendienstliche Spezialeinheiten mit einem ähnlichen Aufgabenspektrum wie das des MSS. Es sammelt auch im Ausland Informationen über Bevölkerungsgruppen, die aus Sicht der KPCh als staatsgefährdend eingestuft sind. Überdies kontrolliert und zensiert das MÖS die Inlandsmedien und den chinesischen Internetverkehr. Militärischer Nachrichtendienst (MID) Die chinesischen Nachrichtendienste unterstützen das langfristig angelegte Programm Chinas zur Steigerung der militärischen Leistungsfähigkeit der Volksbefreiungsarmee. Der MID ist dem Joint Staff Departement Intelligence Bureau der Zentralen Militärkommission unterstellt und agiert weltweit offensiv. Er entsendet Militärattaches und unterhält Verbindungen zu ausländischen Streitkräften. Der MID ist für die Beschaffung von Informationen zuständig, die die äußere Sicherheit Chinas betreffen. Dazu zählen u. a. Struktur, Stärke und Ausrüstung fremder Streitkräfte. Spionageziele sind zudem Politik, Wissenschaft und Technik anderer Staaten. Auch die Bekämpfung regimekritischer Bestrebungen innerhalb und außerhalb Chinas gehört im Rahmen des Generalauftrags der KPCh zu den Aufgaben des Dienstes. Büro 610 Das sogenannte "Büro 610" untersteht dem Zentralkomitee der KPCh und ist im Inund Ausland aktiv. Seine Hauptaufgabe ist die Beobachtung und Verfolgung der regimekritischen Meditationsbewegung "Falun Gong". Obwohl der Dienst ein Parteiorgan ist, arbeiten ihm die staatlichen Verwaltungs-, Justizund Polizeibehörden zu. Zur Beschaffung von Spitzentechnologie aus dem Westen setzt China auf groß angelegte Spionage in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie. Chinesische Nachrichtendienste versuchen, am Hochtechnologiestandort Bayern entsprechendes Know-how insbesondere aus den Bereichen erneuerbare Energien, Elektromobilität, Umwelttechnik sowie Informationsund Militärtechnologie zu beschaffen. Hierfür nutzen sie in erster Linie Kontakte zu Vertretern von Behörden und Unternehmen sowie Wissenschaftlern, um an sensible Informationen zu gelangen. 315 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Methoden der InforNeben Nachrichtendienstmitarbeitern an Legalresidenturen setzt mationsbeschaffung China zur Informationsbeschaffung auch in Deutschland lebende Chinesen ein, die sich hier als Ingenieure, Gastwissenschaftler, Praktikanten oder Studenten aufhalten. Für die Anwerbung und Abschöpfung nutzt China die Kontakte von Visumsantragstellern zu Botschaften und Konsulaten oder deren Aufenthalt im Heimatland, beispielsweise zu Verwandtschaftsbesuchen. Außerdem werden deutsche Geschäftsreisende in China intensiv überwacht, insbesondere bei der Nutzung von Telefon und Internet. Durch diese Arbeit gewinnen die Nachrichtendienste Erkenntnisse, die sie als Druckmittel einsetzen können, um westliche Geschäftsreisende zur Zusammenarbeit zu bewegen. Rekrutierung in Rekrutierungsversuche lassen sich seit über zwei Jahren in sosozialen Medien zialen Netzwerken wie Facebook, LinkedIn und Xing feststellen. Betroffen sind hier bislang mehr als 10.000 deutsche Staatsangehörige mit aus Sicht der chinesischen Nachrichtendienste interessanten Tätigkeiten, z. B. in den Bereichen Außenund Sicherheitspolitik. Mittels Fake-Profilen tarnen sich die chinesischen Nachrichtendienste als Mitarbeiter von "Think Tanks", als Wissenschaftler oder Angehörige chinesischer Behörden. Manchmal treten sie auch als Headhunter oder Manager einer Consulting-Firma auf. In der Kommunikation geben sie vor, sich für das jeweilige Arbeitsgebiet zu interessieren, und zeigen Interesse am Austausch von Informationen. Die weitere nachrichtendienstliche Anbahnung wird dann bei Reisen nach China durchgeführt. Im Vorfeld erfolgt eine geschickt gestaltete Einladung, die unverfänglich, aber sehr attraktiv erscheint. Vor Ort gibt sich der Kontakt schrittweise als Nachrichtendienstmitarbeiter zu erkennen. Der Verfassungsschutz führt daher im Rahmen seiner Präventionsarbeit Sensibilisierungsgespräche, z. B. in den Bereichen Wirtschaft und Staatsverwaltung sowie an Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Ausforschung von Ein weiterer Schwerpunkt chinesischer Nachrichtendienste ist Oppositionellen die nachdrückliche Bekämpfung oppositioneller Kräfte, von denen die Regierung eine Gefährdung der staatlichen Ordnung befürchtet. Die innere Einheit des Staates und seine territoriale Integrität sieht die Staatsführung insbesondere durch die sogenannten "Fünf Gifte" bedroht. Zu diesen gehören die Angehörigen der Meditationsbewegung "Falun Gong", Mitglieder der Demokratiebewegung, die Befürworter einer Eigenstaatlichkeit 316 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Taiwans sowie die nach Unabhängigkeit strebenden Volksgruppen der Tibeter und Uiguren. In München ist mit dem "World Uyghur Congress" die bedeutendste Organisation der Uiguren im Ausland ansässig. Die Ausforschung und Unterwanderung der genannten oppositionellen Gruppierungen und Einzelpersonen ist daher eine der wichtigsten Aufgaben chinesischer Nachrichtendienste im Ausland. 1.3 Sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Türkei Der türkische Inund Auslandsnachrichtendienst "Milli Istihbarat Teskilati" ("Nationaler Nachrichtendienst", MIT) hat in der türkischen Sicherheitsarchitektur eine zentrale und tragende Rolle. Er dient der türkischen Regierung unter dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan der Durchsetzung der Regierungspolitik, der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und nicht zuletzt der Informationsbeschaffung. Gebäude des MIT Der MIT verfügt über 8.000 hauptamtliche Mitarbeiter und wird seit 2010 von Hakan Fidan geleitet. Der Dienst ist in den letzten Jahren mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet worden, darunter auch Exekutivbefugnisse. Aufklärungsschwerpunkt des MIT im Ausland sind vor allem PKK und Gülensolche Organisationen, welche die Türkei als extremistisch oder Bewegung im Fokus terroristisch einstuft. Darüber hinaus besteht ein erhebliches des MIT Aufklärungsinteresse an Vereinigungen und Einzelpersonen, die in tatsächlicher oder mutmaßlicher Opposition zur gegenwärtigen türkischen Regierung stehen. 317 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Gegenwärtig sind die Aufklärung der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die von der türkischen Regierung für den gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich gemacht wird, die Arbeitsschwerpunkte des MIT. In diesem Zusammenhang wurden Rückführungsmaßnahmen des MIT von mutmaßlichen Gülen-Anhängern aus dem Ausland in die Türkei bekannt. Die Rückführungen wurden zumeist in Kooperation mit den zuständigen staatlichen Stellen des jeweiligen Gaststaates durchgeführt. Darüber hinaus richten sich die Aufklärungsaktivitäten des MIT auch auf die Bereiche Politik, Wirtschaft, Militär sowie Wissenschaft und Hochtechnologie. Islamische Republik Iran Das Ministry of Intelligence of the Islamic Republic of Iran (MOIS) ist als ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst der wichtigste Nachrichtendienst des Iran und stellt ein zentrales Instrument der politischen Führung zur Sicherung des eigenen Machtanspruchs dar. Der Leiter des Nachrichtendienstes gehört mit Ministerrang dem iranischen Kabinett an. Dies unterstreicht die herausragende Bedeutung des MOIS. Bekannt sind neben dem MOIS auch die Revolutionary Guards Intelligence Organization (RGIO), der Auslandsaufklärungsund Inlandsabwehrdienst der Iranischen Revolutionsgarde und die Security and Intelligence Organization of the Army. Eine Spezialeinheit der Iranischen Revolutionsgarde bilden die auch in Deutschland aktiven Quds-Brigaden, die für militärische Operationen im Ausland zuständig sind. Ihre umfangreichen Ausspähungsaktivitäten richten sich insbesondere gegen (pro-)israelische beziehungsweise (pro-)jüdische Ziele. Deutschland steht unverändert im Fokus der nachrichtendienstlichen Aufklärungsaktivitäten. Hierzu zählen Informationen aus der Außenund Sicherheitspolitik sowie der Wirtschaft und Wissenschaft. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Beobachtung und Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen im Inund Ausland. 318 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 2. WIRTSCHAFTSSCHUTZ Spionage verursacht in Deutschland jährlich Schäden in Milliardenhöhe und kostet Arbeitsplätze und wertvollen Know-howVorsprung. Unternehmen, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), sind sich dieser Gefahr und der damit verbundenen für sie negativen Auswirkungen oft nicht im Detail bewusst. Prävention und Information können hier Abhilfe schaffen. Im Rahmen der seit 2010 zwischen dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration und dem Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie bestehenden "Initiative Wirtschaftsschutz" bietet das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz kostenfreie Informationen und Serviceleistungen für Firmen und Hochschulen an. Anforderungsorientierte Beratungsleistungen und Fachvorträge bilden die Basis dieser Sensibilisierungsund Präventionsarbeit und gewährleisten den Aufbau und die Pflege vertrauensvoller Sicherheitspartnerschaften. Das Informationsportal www.wirtschaftsschutz.bayern.de des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz richtet sich speziell an Mitarbeiter, Sicherheitsoder IT-Verantwortliche sowie Führungskräfte bayerischer Unternehmen und gibt Hinweise zu firmeninternen Sensibilisierungskonzepten. Neben aktuellen Informationen und Links zu den Themen Know-how-Schutz und elektronische Angriffe sind dort auch hauseigene Fachpublikationen zu finden. Die Durchdringung des beruflichen Alltags mit internetfähigen Geräten und die Digitalisierung von Informationen führen dazu, dass nahezu alle Wirtschaftsbereiche von Gefahren aus dem Cyberraum bedroht sind. Das Thema Cybersicherheit stellt daher branchenübergreifend eine stetig wachsende Herausforderung dar und wird bei Beratungsgesprächen, Sensibilisierungen oder Vorträgen verstärkt nachgefragt. Um dem gesetzlichen Auftrag auch künftig nachzukommen Übung zur Abwehr und somit dem Vertrauen der bayerischen Unternehmen gevon Cyberangriffen recht zu werden, wurde am 19. und 20. August innerhalb des Verfassungsschutzverbundes eine gemeinsame Übung zur Abwehr von Cyberangriffen durchgeführt. Teilnehmer der Übung waren der Wirtschaftsschutz der Länder Bayern und NordrheinWestfalen. Die gemeinsame Einsatzübung ermöglichte es den 319 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Teilnehmern, sich in die Lage eines Unternehmens beziehungsweise einer Geschäftsführung zu versetzen. Die Übungsteilnehmer wurden vor die Herausforderung gestellt, einen simulierten Cyberangriff unter Realbedingungen bewältigen zu müssen. Diese konkreten Erfahrungen gestatteten einen Perspektivwechsel unter der Maßgabe, eigeninitiativ geeignete Maßnahmen und Lösungen zu erarbeiten. Die dabei gewonnenen fachlichen Kompetenzen leisten einen wertvollen Beitrag zur Expertise des Wirtschaftsschutzes. Geheimschutz in der Unternehmen, die im Zusammenhang mit Aufträgen des BunWirtschaft des oder eines Landes Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen Informationen (Verschlusssachen) haben, unterliegen der sogenannten Geheimschutzbetreuung. Diese stellt den einheitlichen Schutz von Verschlusssachen auch in Wirtschaftsunternehmen sicher. Ansprechpartner für alle geheimschutzbetreuten Unternehmen, die ihren Sitz in Bayern haben, ist das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Ziel der Geheimschutzbetreuung ist es, nicht nur nachrichtendienstliche Angriffe zu erkennen und abzuwehren, sondern diesen durch gezielte Maßnahmen präventiv entgegenzuwirken. Die Kontakte zu geheimschutzbetreuten Unternehmen bilden ein wertvolles Netzwerk für die präventive Spionageabwehr. In mehreren Fällen ist es bereits gelungen, durch Hinweise geheimschutzbetreuter Unternehmen auch elektronische Angriffsmuster zu erkennen. Dadurch konnten andere, potenziell betroffene Unternehmen, frühzeitig informiert werden. 3. CYBER-ALLIANZ-ZENTRUM BAYERN (CAZ) Die rasch fortschreitende Entwicklung digitaler Kommunikation und Vernetzung verändert zunehmend unser gesellschaftliches Zusammenleben und -arbeiten. Die Nutzung innovativer Technologien ermöglicht die schnelle Verbreitung aller verfügbaren Informationen, erfordert aber auch neue Sicherheitsstrategien, um die Risiken ihres Missbrauchs zu minimieren. Insbesondere unter den Voraussetzungen der Corona-Pandemie waren alle Unternehmen, Behörden und Regierungen gefordert, ihre Sicherheitsstandards unter schwierigen Bedingungen aufrecht zu erhalten und gegebenenfalls zu optimieren. Insbesondere für fremde Nachrichtendienste bietet die rasante Entwicklung der Informationsund Kommunikationstechnologien vielfältige Möglichkeiten der Datenausspähung zum Zwecke der Spionage und Sabotage. 320 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Elektronische Angriffe umfassen gezielte Maßnahmen mit und Cyberspionage und gegen IT-Infrastrukturen zur Informationsbeschaffung (CyberCybersabotage spionage) oder zur Schädigung des Angriffsziels (Cybersabotage). Sie können sowohl über das Internet als auch über manipulierte Datenträger erfolgen. Den Angriffen geht häufig ein sogenanntes "Social Engineering", auch über soziale Netzwerke, Spear Phising und voraus. Dabei werden zunächst mögliche Opfer ausgeforscht. Social Engeneering Geeignete Personen werden dann gezielt elektronisch, zum Beispiel mittels "Spear Phishing", per Telefon oder über einschlägige Messenger Dienste, angegriffen, um an sensible Informationen oder direkt in das Unternehmensnetzwerk zu gelangen. Der Begriff "Spear Phishing" bezeichnet eine gezielt ausgerichtete E-Mail-Betrugsmethode mit dem Ziel, den Empfänger zur Preisgabe vertraulicher Daten zu bewegen. Social Engineering zählt nach wie vor zu den essenziellen Vorbereitungshandlungen bei nahezu allen Cyberangriffen. Soziale menschliche Eigenschaften, wie Neugierde oder Hilfsbereitschaft, werden gezielt ausgenutzt, um an die relevanten Informationen zu gelangen, mit denen ein Cyberangriff erst ermöglicht wird. Cyberangriffe sind inzwischen ein bewährtes Instrument der Spionage mit dem die Wirtschaft, ebenso wie Regierungen und deren Ministerien, angegriffen werden. Im Fokus stehen jedoch nicht nur weltweit agierende Konzerne, sondern auch kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs), die als Innovationsführer oftmals über wertvolles Fachwissen oder Zugänge zu großen Unternehmen verfügen. Angriffe über das Internet bergen für die Angreifer ein vergleichsweise geringes Risiko enttarnt zu werden - bei gleichzeitig hoher Erfolgswahrscheinlichkeit. Darüber hinaus sind solche Cyberangriffe mit relativ geringem Aufwand zu realisieren. Im Gegensatz dazu bieten potenzielle Opfer eine sich im Zuge der Digitalisierung stetig vergrößernde Angriffsfläche. Der Wirtschaftsstandort Bayern ist Sitz einer großen Zahl an UnCyber-Allianzternehmen und Forschungseinrichtungen. Für fremde NachrichZentrum tendienste ist Spitzentechnologie ein besonders attraktives Ziel, um Informationen zu gewinnen - auch im Cyberraum. Das CAZ im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz ist seit 2013 ein vertrauensvoller und kompetenter Ansprechpartner für Unternehmen, Betreiber kritischer Infrastrukturen (KRITIS) sowie Wissenschaftsbeziehungsweise Forschungseinrichtungen. Das CAZ hat sich im Bereich der Prävention wie auch hinsichtlich 321 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ der Aufklärung elektronischer Angriffe bewährt. Durch den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu zahlreichen Unternehmen und Einrichtungen konnte erreicht werden, dass sich Unternehmen bereits im Vorfeld präventiv an das CAZ wenden, sich aber auch im Nachgang zu Angriffen beraten lassen. Cyberangriffe auf die Wirtschaft oder staatliche Stellen werden im CAZ zunächst einer forensisch-technischen Analyse und Bewertung unterzogen. Die Ergebnisse dieser Analyse werden zudem aus nachrichtendienstlicher Sicht bewertet, um sie am Ende des Analyseprozesses der Wirtschaft in Form von anonymisierten, detailliert aufbereiteten Warnmeldungen zur Verfügung zu stellen. Indem sie laufend über aktuelle Angriffsmuster informiert werden, sind auch andere potenziell betroffene Unternehmen in der Lage, ihre Sicherheitsmechanismen anzupassen und sich somit frühzeitig zu schützen. Cyberspionage stellt auch künftig eine wachsende Herausforderung dar. Dabei scheinen Kreativität und Innovation der Angreifer beinahe grenzenlos. Diese Angriffe dauern regelmäßig über mehrere Monate, manchmal sogar Jahre an. Da die Erstinfektion und der damit installierte Zugang zum Rechnernetzwerk meist unentdeckt bleiben (im Durchschnitt sechs Monate), können Angreifer jederzeit lageorientiert agieren. Das Handeln dieser Akteure basiert nicht selten auf der Unterstützung von Staaten und deren Nachrichtendiensten und hat das Ziel, Daten zu stehlen, Abläufe zu sabotieren oder Infrastrukturen anzugreifen und/oder nachhaltig zu stören. Die Vielzahl der Angreifer-Gruppen, die sogenannte APT-Angriffe (Advanced Persistent Threats) - eine besonders komplexe und hartnäckige Angriffsmethode - einsetzen, und die damit einhergehende Heterogenität der Cyberbedrohungen sind bemerkenswert. Ausländische Nachrichtendienste und Akteure, die im Auftrag anderer Staaten tätig sind, passen ihre Instrumente und Methoden kontinuierlich an aktuelle technische und gesellschaftliche Entwicklungen an. Dabei sind bereits lang bekannte Angreifer-Gruppen nach wie vor aktiv. Sie versuchen verstärkt Schwachstellen, beispielsweise im Bereich der pandemiebedingten Telearbeit, auszunutzen. Zunehmend werden dabei Werkzeuge und Angriffsmethoden eingesetzt, die aus der Cyberkriminalität bekannt sind. 322 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Das CAZ konnte im Verlauf des Jahres erneut Angriffe auf NetzZielobjekte infrastrukturen beobachten. Hierbei machten sich die Angreifer mittelständische wie auch in den vergangenen Jahren Sicherheitslücken, zum Unternehmen Beispiel bei digitalen Endgeräten, zunutze. Die Angreifer versuchten, Konfigurationsdaten von Smartphones, Tablets oder Laptops abzugreifen oder einen direkten Zugang zum Gerät herzustellen. Auffallend ist, dass vor allem der Energiesektor im Augenmerk der Angreifer liegt. Zunehmend geraten aber auch KMUs in den Fokus. Von besonderem Interesse scheinen KMUs als Teil größerer Lieferketten zu sein. Angreifer nutzen das in Teilen schwächere (IT-) Sicherheitsniveau der KMUs aus, um anschließend die größeren Partnerunternehmen - ihre eigentlichen Ziele - zu infizieren. Das CAZ arbeitet zur Erfüllung seiner Aufgaben eng mit Organisationen auf Bundesund Landeebene zusammen. Neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik gibt es auch auf Landesebene wichtige Partner. Zudem gehört das CAZ seit seiner Gründung als "Institution im besonderen staatlichen Interesse" der "Nationalen Allianz für Cyber-Sicherheit" an und ist damit Bestandteil der deutschen Sicherheitsarchitektur. Auf Landesebene ist das CAZ ein wichtiger Baustein der "Initiative Cybersicherheit", die 2013 im Rahmen der Bayerischen Cybersicherheitsstrategie ins Leben gerufen wurde. 4. CYBERABWEHR Mit Jahresbeginn wurden die "Cyberabwehr Bayern" und das beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz angegliederte "Cyber-Lagezentrum" etabliert. Die Einrichtungen sollen mit ihrer Fachkompetenz dazu beitragen, die bestehenden Anforderungen an die Vertraulichkeit - insbesondere in Bezug auf sensible Daten von Betroffenen - zu gewährleisten. Konkret handelt es sich bei der "Cyberabwehr Bayern" um eine behördeninterne Informationsund Kooperationsplattform, deren Dienstbetrieb 323 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ durch das Cyber-Lagezentrum sichergestellt wird. Aufgabe und Ziel ist der Aufbau zielgruppenorientierter Abwehrstrategien gegen mögliche Cyberangriffe, die Entwicklung und Weitergabe von Präventionsmaßnahmen sowie die Abwehr von Cyberbedrohungen. Neben dem CAZ sind die Zentrale Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) des Bayerischen Landeskriminalamtes, die Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB) bei der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg, das Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI), das Landesamt für Datenschutzaufsicht (LDA) sowie der Landesbeauftragte für Datenschutz (LfD) in diesem Gremium vertreten. Das gemeinsame Ziel ist es, die Zusammenarbeit all dieser mit Cyberangriffen befassten Behörden zu optimieren, den Ressourceneinsatz effizienter zu gestalten und Reaktionszeiten zu verkürzen. Regelmäßige gemeinsame Besprechungen sowie aus aktuell gewonnenen Erkenntnissen erstellte Lageberichte bieten für die strategische Sachbearbeitung einen deutlichen Mehrwert. Die "Cyberabwehr Bayern" konzentriert sich auf bedeutende Sicherheitsvorfälle. Das Gremium beschäftigte sich u. a. intensiv mit einem Angriff auf eine Klinik im europäischen Ausland, bei dem ein neuartiger Modus Operandi verwendet wurde. Im konkreten Fall wurde der Schadcode gezielt in Patientenakten versteckt. Nach Abstimmung innerhalb der "Cyberabwehr Bayern" konnte der bayerische Gesundheitssektor frühzeitig und flächendeckend sensibilisiert werden und das Best-Practice-Papier "Cybersicherheit für medizinische Einrichtungen" erarbeitet werden. Auch in der Prävention, Lagebeobachtung und -bewältigung im Rahmen der Corona-Pandemie, hat sich die Cyberabwehr Bayern aktiv eingebracht, beispielsweise im Hinblick auf die IT-Sicherheit der bayerischen Impfstrategie. Zusätzlich wurden Präventionsangebote wie ein gemeinsamer Flyer "Cybersicherheit für bayerische Unternehmen und Behörden" sowie eine gemeinsame Sensibilisierungsaktion für den bayerischen Hochschulbereich realisiert. 324 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Die Cyberabwehr Bayern soll zukünftig auch als zentrale Ansprechstelle für das Nationale Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) dienen, um eine Scharnierfunktion zwischen Bund und Freistaat Bayern bei allen Cybersicherheitsvorfällen vollumfänglich zu erfüllen. Hierzu ist auch die Entsendung eines ständigen Vertreters der Cyber-Abwehr in das NCAZ geplant. Wirtschaftsschutz und Cyber-Allianz-Zentrum Bayern Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz Knorrstraße 139, 80937 München E-Mail: caz@lfv.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de Telefon: 089/31201 222 E-Mail: wirtschaftsschutz@lfv.bayern.de www.wirtschaftsschutz.bayern.de Telefon: 089/31201 500 325 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ 5. PROLIFERATION Proliferation ist die unerlaubte Weiterverbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen beziehungsweise der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows. Die Herstellung von Massenvernichtungswaffen und deren Verbreitung stellen eine ernsthafte Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar. Es ist zu befürchten, dass proliferationsrelevante Staaten Massenvernichtungswaffen im Fall eines bewaffneten Konflikts einsetzen oder dies zumindest zur Durchsetzung politischer Ziele androhen. Proliferationsrelevante Staaten wie Iran, Nordkorea, Syrien und Pakistan sind bemüht, ihr konventionelles Waffenarsenal durch die Herstellung beziehungsweise ständige Modernisierung von Massenvernichtungswaffen zu ergänzen. Um sich das dafür notwendige Know-how und entsprechende Bauteile zu beschaffen, versuchen diese Staaten, Geschäftskontakte zu Unternehmen in Hochtechnologie-Staaten wie Deutschland herzustellen. Die strenge Gesetzgebung und die wirksamen Exportkontrollen in Deutschland setzen der Beschaffung einschlägiger Güter hohe Hürden. Proliferationsrelevante Staaten verändern deshalb fortlaufend ihre Beschaffungsmethoden, um geltende Exportkontrollverfahren zu umgehen und deutsche Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen zu täuschen. Dazu gründen sie häufig Tarnfirmen, versenden die Produkte über Drittstaaten oder machen falsche Angaben gegenüber dem Hersteller oder Händler. So minimieren sie das Risiko, dass die illegale Ausfuhr aufgedeckt wird und versuchen die Verhängung eines Ausfuhrverbots zu umgehen. Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit der Wirtschaft Zielgruppe Bayern zählt europaweit zu den führenden Hochtechnologiemittelständische standorten. Die Beschaffungsbemühungen der proliferationsUnternehmen und relevanten Staaten richten sich insbesondere auf mittelstänWissenschaft dische Unternehmen und Universitäten. Um Proliferation zu verhindern, arbeitet das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz daher eng mit Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Es informiert in Vorträgen und Sensibilisierungsgesprächen proliferationsgefährdete Unternehmen über die Gefahren einer möglichen Weitergabe von kritischen Technologien und unterstützt 326 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 sie bei Verdachtsfällen mit individuellen Maßnahmen. Dadurch konnten bereits verschiedene Beschaffungsbemühungen unterbunden werden. Dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz wurde bekannt, dass ein Produkt eines in Bayern ansässigen Unternehmens in den Fokus einer pakistanischen Beschaffungsorganisation geriet, die zum Ausbau des pakistanischen Nuklearund Trägertechnologieprogramms beiträgt. Eine pakistanische Tarnfirma fragte verdeckt bei dieser bayerischen Firma bezüglich laseroptischer Messgeräte an. Um den tatsächlichen kritischen Endverwender zu verschleiern, wurden weitere Tarnfirmen in das Beschaffungsvorhaben eingebunden. Die Lieferung sollte über Dubai nach Pakistan erfolgen. Im Rahmen eines Sensibilisierungsgesprächs wurde festgestellt, dass die in die Anfrage involvierten proliferationsrelevanten pakistanischen Beschaffungsorganisationen dem bayerischen Unternehmen nicht bekannt waren. Bei dem angefragten Produkt handelte es sich um ein universell einsetzbares Hilfsmittel zur Ausrichtung von Maschinen und Anlagen, das grundsätzlich auch für nicht-zivile Anwendungen verwendbar ist. Ein Geschäftsabschluss kam nicht zustande. Der Verfassungsschutz registriert immer wieder Fälle, in denen proliferationsrelevante Staaten eine internationale Zusammenarbeit im Bereich von Wissenschaft und Forschung zu missbrauchen versuchen, um sich proliferationsrelevantes Know-how zu verschaffen. Dabei stehen vor allem Universitäten, Hochschulen, wissenschaftliche Institute, Forschungsgesellschaften sowie Forschungsabteilungen und Schulungsbereiche der Industrie im Fokus. Um für das Thema Proliferation zu sensibilisieren, stellen die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern die Broschüre "Proliferation - Wir haben Verantwortung" zur Verfügung, die sich insbesondere an Unternehmen richtet, die proliferationsrelevante Produkte herstellen. 327 Organisierte Kriminalität (OK) Organisierte Kriminalität (OK) Wieder leicht rückläufige Mitgliederzahlen bei Outlaw Motorcycle Gangs (OMCGs) in Bayern Vereinzelt regionale Gewalttaten durch Mitglieder klassischer OMCGs in Bayern "Kuttenverbot" durch Bundesverfassungsgericht bestätigt Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Organisierte Kriminalität (OK) liegt vor, wenn mehrere Personen planmäßig erhebliche Straftaten begehen, um Gewinne zu erzielen oder Macht zu erlangen. Dazu wenden sie Gewalt an, nutzen geschäftsähnliche Strukturen oder versuchen, Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft zu manipulieren (vgl. Art. 4 Abs. 2 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz). Durch die OK wird allein in Deutschland seit Jahren ein Schaden in Milliardenhöhe verursacht. Drahtzieher der OK bedrohen die Grundlagen unserer Gesellschaft, indem sie die Macht einer kriminellen Organisation durch Gewalt, Geld und massive Einflussnahme durchsetzen wollen. In Bayern ist der Verfassungsschutz seit 1994 auch für die Beobachtung der OK zuständig, um deren Aktivitäten bereits in einem früheren Stadium aufzuklären, als dies durch Polizei und Staatsanwaltschaft möglich ist. Dadurch wurde eine wichtige Lücke im Kampf gegen die OK geschlossen. Personen, die der OK angehören oder sich in deren Umfeld bewegen, verhalten sich unauffällig und konspirativ. Die Aufklärung dieser Strukturen setzt daher eine systematische und langfristig angelegte Beobachtung voraus. Um möglichst schon im Vorfeld von Straftaten an das entscheidende "Insiderwissen" zu gelangen, können erforderlichenfalls nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Strukturermittlungen schaffen Grundlagen für polizeiliche Verfahren und können laufende Ermittlungen unterstützen. 329 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Organisierte Kriminalität Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz arbeitet eng mit den OK-Dienststellen der Polizei zusammen und kooperiert aufgrund der international vernetzten OK-Strukturen mit Sicherheitsbehörden über Landesund Staatsgrenzen hinweg. Innerhalb einer Arbeitsgruppe europäischer Inlandsnachrichtendienste hat Bayern die Koordinierungsfunktion für Deutschland inne und ist zentraler Ansprechpartner für ausländische Nachrichtendienste. 330 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 1. ROCKERKRIMINALITÄT Rockerkriminalität umfasst alle Straftaten von einzelnen oder mehreren Mitgliedern einer Rockergruppe, deren Tatmotivation im direkten Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und der Solidarität zu ihr zu sehen ist. 1.1 Allgemeines Mit der von den US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden "Outlaw Motorcycle eingeführten Bezeichnung "Outlaw Motorcycle Gang" (OMCG) Gangs" (OMCG) werden weltweit die polizeilich bedeutsamen Rockergruppieund rockerähnliche rungen von der breiten Masse der Motorradclubs (MCs) abgeGruppierungen grenzt, die zwar im Einzelfall auch kriminelle Aktivitäten verfolgen können, diese aber nicht als Hauptmotivation ihrer Existenz verstehen. Neben der Betätigung auf verschiedenen Feldern der OK stellen gemeinsame Motorradausfahrten, sogenannte Rides, nach wie vor einen wichtigen Bestandteil des Clublebens in OMCGs dar. Die "Rides" finden auch im Zusammenhang mit den jährlichen nationalen und internationalen Treffen der Clubs statt. Diese als "Runs" bezeichneten Treffen dienen nicht nur der (internationalen) Vernetzung der Clubs, sondern werden vor allem auch für Planungen von zukünftigen Aktivitäten und Abstimmungen von Regelungen genutzt. Aktuell werden deutschlandweit "Hells Angels MC", "Bandidos MC", "Outlaws MC", "Gremium MC", "Mongols MC" und "Rock Machine MC" den OMCGs zugeordnet. In Bayern tritt zudem der "Trust MC" auf. 331 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Organisierte Kriminalität In den zurückliegenden Jahren drängten bundesweit rockerähnlich organisierte Gruppierungen wie die "United Tribuns" in die Betätigungsfelder der etablierten Clubs. Sie ähneln den klassischen Rockergruppierungen in ihrem martialischen Auftreten, ihrer strengen Hierarchie und ihrem abgeschotteten Gruppenverhalten. Motorräder spielen für sie zumeist keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Auffällig sind bei diesen Gruppen die starken Schwankungen bei den Mitgliederzahlen. Gründungen und Schließungen von Ortsgruppen sind in diesem Bereich ein häufig zu beobachtendes Phänomen. Das instabile Mitgliederpotenzial ist ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu den etablierten Clubs. Derzeit ist in Bayern nur die rockerähnliche Gruppierung "United Tribuns" von Relevanz. "1-Prozenter" Die OMCGs bezeichnen sich selbst als "1-Prozenter". Darunter versteht man Biker (Motorradfahrer), die sich selbst als "Outlaws" (Gesetzlose) sehen und das bestehende Rechtssystem ablehnen. Auch in Bayern begehen Mitglieder dieser OMCGs typische OK-Delikte wie Rauschgifthandel, Bedrohung oder Körperverletzung. "Colour" Unter dem "Colour" wird das von den jeweiligen Gruppierungen getragene Rückenabzeichen verstanden, das sich in drei Teile aufgliedert. Über dem Club-Logo, das mittig angebracht ist, befindet sich der "Top-Rocker", der Name der Gruppierung. Der "Bottom-Rocker", der Ort oder die Region, wo die Gruppierung zu finden ist, befindet sich am unteren Ende. "Chapter/Charter" Die jeweiligen Ortsgruppen werden von OMCGs und rockerähnlichen Gruppierungen in der Regel als "Chapter" bezeichnet, nur die "Hells Angels" sprechen von "Chartern". Personenpotenzial Derzeit werden circa 1.400 Personen in Bayern der als polizeilich rückläufig relevant anzusehenden Rockerszene zugerechnet (2019: 1.600 Personen). 332 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 1.2 Bayerische OMCGs Hells Angels MC In Bayern gibt es derzeit acht "Hells Angels"-Charter. Neben zwei Chartern im Großraum München bestehen Niederlassungen in Hof, Nürnberg, Traunstein, im Raum Chiemsee sowie in Niederbayern und im Allgäu. Ein Charter in München hat sich im Juni für aufgelöst erklärt, ein weiteres in Rosenheim im Dezember. Als Unterstützergruppierungen (sogenannte "Supporter") des "Hells Angels MC" sind in Bayern der "Red Devils MC", der "Blood Red Section MC" und im Raum Lindau die Gruppierungen "Backyard Bloods" und "Red Vikings Lindau" aktiv. Die letztgenannte Gruppierung findet seit Juli 2020 Erwähnung in den sozialen Medien. Charter des "Red Devils MC" bestehen in Ansbach, Traunstein und im Raum Rosenheim. An die Stelle des Charters in Lindau trat die Gruppierung "Backyard Bloods". Der "Hells Angels MC Hof City" kann auf die Unterstützung von nunmehr sechs Chartern des "Blood Red Section MC" zurückgreifen, davon allein vier im Großraum Hof, und jeweils eines in Thüringen und in Sachsen. Im Jahr 2020 haben sich vier Charter für aufgelöst erklärt. In einer derzeit beim Bayerischen Verwaltungsgericht München anhängigen Klage wenden sich diverse Mitglieder des "Blood Red Section MC" gegen dessen Nennung im Verfassungsschutzbericht. Eine Entscheidung in der Sache steht noch aus. Bandidos MC Die "Bandidos" verfügen in Bayern über Chapter in Allersberg, Augsburg, Bad Königshofen, Bamberg, Bogen, Deggendorf, Ingolstadt, Miltenberg, München, Nürnberg, Passau, Starnberg und Wörth a. d. Donau. Das letztgenannte Chapter ging im Jahr 2018 aus einer Abspaltung des Chapters Bogen hervor. Alle Chapter haben eigene Supporter-Gruppierungen, die sich in rascher Folge neu bilden beziehungsweise wieder auflösen. Zu diesen zählen der "Zapata MC", die "Mexican Rebels" und der "Gringos MC". Im Sommer kam es aufgrund clubinterner Unstimmigkeiten zu einem "Patchover" (Clubwechsel) von mehreren Chaptern des "Outlaws MC" zum "Bandidos MC". In Bayern entstanden daraufhin aus den ehemaligen Chaptern des 333 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Organisierte Kriminalität "Outlaws MC" Miltenberg-Riverside, Obernburg und Augsburg die neuen "Bandidos MC" Prospect-Chapter Miltenberg Riverside South und Augsburg. Bei einem Prospect-Chapter handelt es sich um ein Chapter, das z.B. durch Neugründung oder Zusammenschlüsse zunächst für einen individuell festgesetzten Zeitraum einen Anwärterstatus besitzt, in dem es sich bewähren muss, um anschließend in den Status der Vollmitgliedschaft übergehen zu können. Gremium MC In Bayern gibt es derzeit acht Chapter des "Gremium MC" mit diversen Supporter-Gruppierungen. Chapter bestehen u. a. in Amberg, Ansbach, München, Regensburg, Schweinfurt und Straubing. Zudem existieren in Franken die Chapter "Gremium MC Nomads" und "Gremium MC Franconia". Die Sektion Deutschland des "Gremium MC" gründete sich 1972 in Mannheim und ist mit derzeit 80 Chaptern bundesweit die älteste und größte OMCG. Auch weltweit zählt der "Gremium MC" zu den größten OMCGs. Oftmals werden für den "Gremium MC" auch der Begriff "Black Seven" und die Zahl 7 verwendet, da das Wort "Gremium" aus sieben Buchstaben besteht und das "G" der siebte Buchstabe im Alphabet ist. 1.3 Bayerische rockerähnliche Gruppierungen United Tribuns In Bayern existieren derzeit drei Chapter der "United Tribuns" in Augsburg, Ingolstadt und Nürnberg. Nach einer vorübergehenden Neuformierung im Mai 2019 erklärte sich im Januar das Chapter München bereits wieder für aufgelöst. Die Mitgliederzahlen der "United Tribuns" in Bayern sind aus diesem Grund rückläufig. Ermittlungsund Seit Mitte 2019 ermittelt die Polizei in Augsburg in zwei voneinanStrafverfahren der getrennten Verfahren gegen mehrere Mitglieder der lokalen "United Tribuns"-Szene. Diese waren an einer Auseinandersetzung am 7. April 2019 vor einer Diskothek in Augsburg beteiligt, bei der eine Person neben Prellungen und Schürfwunden auch Schnittund Stichverletzungen im Bauchraum erlitt. Gegen den mutmaßlichen Täter der Messerattacken erging im August 2019 Haftbefehl. Prozessbeginn war im September, ein Urteil ist noch nicht ergangen. Am 22. April verurteilte das Landgericht Augsburg den Präsidenten des Chapters United Tribuns MC Augsburg sowie ein weiteres Mitglied der Gruppierung wegen illegalen Drogenhandels rechtskräftig zu Haftstrafen von 3 Jahren und 5 Monaten 334 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 beziehungsweise 5 Jahren und 4 Monaten. Beide Personen waren von der Polizei im Juni 2019 wegen der Herstellung von Amphetamin festgenommen worden. Der Gründer der "United Tribuns", ein Ex-Boxer, führt die Gruppe von seinem Heimatland Bosnien und Herzegowina aus. Die Mitglieder bewegen sich sowohl im Securityund Türsteherbereich als auch im Rotlichtmilieu. Osmanen Germania Nach dem bundesweiten Verbot der rockerähnlichen Gruppierung "Osmanen Germania BC" im Juli 2018 und vereinzelten Auftritten in 2019, waren 2020 keine Aktivitäten feststellbar. 1.4 Auswirkungen des Kuttenverbots Mit Wirkung vom 16. März 2017 ist eine Änderung des Vereinsgesetzes in Kraft getreten, die auch Auswirkungen auf die Bekämpfung der Rockerkriminalität hat. Die Änderung bedeutet in der Praxis, dass bundesweit die Abzeichen von Rockergruppierungen bereits dann nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt werden dürfen, wenn eine lokale Ortsgruppe (sogenannte Chapter oder Charter) dieser Gruppierung nach dem Vereinsgesetz verboten wurde. In diesen Fällen ist das Verwenden von Kennzeichen in im Wesentlichen gleicher Form in der Öffentlichkeit nun strafbewehrt. Jegliche öffentliche Verwendung dieser charakteristischen, wiederzuerkennenden Abzeichen verbotener Rockergruppierungen ist strafbar. "Jegliche Verwendung" umfasst die Nutzung einzelner verbotener Abzeichen auf der Vorderund/oder Rückseite der Kutte. Als "Kutte" wird in der Szene die Weste bezeichnet, auf der die jeweiligen Erkennungszeichen der Gruppierung zur Schau gestellt werden. Neben der Kutte sind aber auch beispielsweise auf T-Shirts oder in Form von Tätowierungen sowie in jeglicher Anbringungsart auf Aufklebern, Motorrädern, Gebrauchsgegenständen, Grabsteinen, Internetseiten oder Clubhäusern Erkennungszeichen abgebildet. Auch diese sind vom Verbot erfasst. Die Größe der Abbildung ist dabei unerheblich. Die gesetzliche Verschärfung hat auch wirtschaftliche Folgen für die Clubs, da sie öffentliche Symbole, beispielsweise an Häuserfassaden, abnehmen und den Verkauf von Kleidungsstücken mit den Symbolen einstellen müssen. 335 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Organisierte Kriminalität BundesverfassungsNach dem "Gremium MC" reichten am 26. Februar 2018 auch gericht bestätigt regionale Vertreter des "Hells Angels MC" und des "Bandidos Kuttenverbot MC" Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe gegen die Novellierung des Vereinsgesetzes ein, das ihnen verbietet, ihre Clubabzeichen öffentlich zu tragen. Mit Beschluss vom 9. Juli entschied das BVerfG, dass das Kennzeichenverbot in der vorliegenden Fallkonstellation mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das BVerfG hat mit diesem Beschluss den Willen des Gesetzgebers bekräftigt, Kennzeichen krimineller Rockergruppierungen effektiv aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Nach den Mitgliedern des "Bandidos MC" sind seit 2019 in Bayern auch Mitglieder des "Hells Angels MC" regional mit einer "Ersatzkutte" und neuen Erkennungszeichen aufgetreten. Die Mitglieder des "Bandidos MC" zeigen sich seit Juli 2017 mit den Großbuchstaben "BMC" in Rot und Gold auf dem Rücken. In München traten Mitglieder des zwischenzeitlich aufgelösten Charters "Hells Angels MC Munich Area" mit dem roten Schriftzug "HAMC Munich Area" in Erscheinung. 1.5 Gefährdungslage Bund/Bayern Öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzungen zwischen den klassischen OMCGs wurden in der Vergangenheit überwiegend vor dem Hintergrund selbst erhobener Machtbeziehungsweise Gebietsansprüche sowie interner Streitigkeiten ausgetragen. Dabei kamen auch Waffen und sonstige gefährliche Gegenstände zum Einsatz. Generell ist die Lage in Bayern und überwiegend auch im Bundesgebiet derzeit eher ruhig. Dies ist auch auf die Einschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zurückzuführen. Dennoch waren regionale Gewalttaten zu verzeichnen. Verurteilungen Ein Mitglied des "Bandidos MC" wurde am 1. Juli 2019 von der wegen Gewalttaten Polizei wegen des Verdachts eines versuchten Tötungsdelikts vorläufig festgenommen. Der Beschuldigte hatte im Landkreis Straubing-Bogen eine Kontrollstelle der Polizei mit seinem Fahrzeug durchbrochen. Zwei Polizeibeamte konnten sich nur durch einen Sprung zur Seite davor retten, überfahren zu werden. Die Ermittlungen ergaben, dass der Beschuldigte nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis war. Am 16. Januar wurde er vom Landgericht Regensburg wegen Widerstandes und tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen sowie 336 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 vorsätzlichen Fahrens ohne gültige Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da die Verteidigung Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt hat. Seit dem 12. November 2019 verhandelte das Landgericht München den Fall eines Mitglieds des Charters Hells Angels MC Munich Area. Dem Angeklagten wurde zweifacher versuchter Mord zur Last gelegt. Er soll in der Nacht zum 2. Mai 2015 im Crowns Club in München zwei Personen einer verfeindeten Gruppe mit einem Messer lebensgefährlich verletzt haben. Beide konnten nur durch Notoperationen gerettet werden. Bereits der Verhandlungsbeginn im November 2019 war von tumultartigen Szenen im Gerichtsgebäude geprägt, nachdem Angehörige der Opferseite die ebenfalls anwesenden Mitglieder des Hells Angels MC provoziert hatten. Letztere wiederum nutzten den Prozess ihrerseits für Machtdemonstrationen, indem sie zu den jeweiligen Verhandlungsterminen häufig in größerer Anzahl erschienen und ihre Solidarität mit dem Angeklagten öffentlichkeitswirksam inszenierten. Die Brisanz des Prozesses zeigte sich auch darin, dass den Opfern von damals in 2020 mehrere Körperverletzungsdelikte an Mitgliedern des Hells Angels MC zur Last gelegt wurden. Eines der damaligen Opfer befand sich deshalb in den Monaten März und April über mehrere Wochen selbst in Untersuchungshaft. Am 21. Dezember verurteilte das Landgericht München den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren und 6 Monaten. Das Urteil ist noch nicht rechtkräftig. Am 10. Juni kam es in München-Freimann zu einer tätlichen Auseinandersetzung im Rockermilieu. Nachdem ein Kleintransporter in eine Menschengruppe gefahren war, stiegen die Insassen des Fahrzeugs aus und prügelten auf mehrere Opfer ein. Dabei wurden drei Personen durch Messerstiche leicht bis mittelschwer verletzt. Die Insassen des Kleintransporters sind eindeutig dem Hells Angels MC zuzuordnen. Seit der Attacke ist der Präsident des Hells Angels MC Munich Area auf der Flucht. Das Charter hat sich daraufhin am 21. Juni selbst aufgelöst. Am 12. Mai wurde der Präsident des Hells Angels MC RosenVerurteilung wegen heim durch das Amtsgericht Rosenheim u. a. wegen ZwangsZwangsprostitution prostitution und Zuhälterei zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig. Anlass der vorangegangenen Ermittlungen war der Verdacht des illegalen Handels mit Kokain in nicht geringer Menge, der sich im Laufe 337 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Organisierte Kriminalität der Ermittlungen nicht erhärtete. Es stellte sich jedoch heraus, dass der Verurteilte eine junge alleinerziehende Frau in die Prostitution getrieben und in massive finanzielle Schwierigkeiten gebracht hatte, um sich damit seinen luxuriösen Lebensstil zu finanzieren. So bewohnte er ein gehoben ausgestattetes Einfamilienhaus und nutzte zuletzt Pkw und Motorräder der Marken Bentley, Maserati und Harley-Davidson. 1.6 Phänomenübergreifende Aspekte 1.6.1 Verbindungen von Rockern in die rechtsextremistische Szene Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet mögliche Verbindungen zwischen Rockern und Rechtsextremisten. Es bestehen punktuell personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene, die zumeist auf geschäftliche Interessen oder persönliche Beziehungen zurückgehen. Teilweise handelt es sich dabei um Personen, die Führungspositionen in rechtsextremistischen Parteien und Gruppierungen einnehmen beziehungsweise im rechtsextremistischen Versandhandel tätig sind. Sascha Roßmüller ist Präsident beim "Bandidos MC Bogen" und gleichzeitig seit Dezember 2018 NPD-Landesvorsitzender in Bayern. Zudem ist der NPD-Funktionär Alfred Steinleitner aus Niederbayern neben seiner Parteizugehörigkeit auch VizePräsident beim "Gringos MC Wörth", einem Supporter-Club des "Bandidos MC". Auch konnten in Bayern bei mehreren Personen innerhalb der Rockerszene Tätowierungen festgestellt werden, die eindeutig rechtsextremistische Bezüge aufweisen. 1.6.2 Rocker und Waffenerlaubnisse Personen aus der Rockerszene und der rechtsextremistischen Szene zu identifizieren, die Sicherheitsunternehmen betreiben oder in diesem Bereich arbeiten, ist ein weiteres wichtiges Ziel des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz. In enger Zusammenarbeit mit der Polizei und weiteren Sicherheitsbehörden wird dadurch dem legalen Waffenbesitz solcher Unternehmen beziehungsweise von deren Mitarbeitern entgegengewirkt. 338 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 In den letzten Jahren gab es mehrere Gerichtsurteile, bei denen Mitglieder von OMCGs die waffenrechtliche Zuverlässigkeit aufgrund ihrer Mitgliedschaft abgesprochen wurde. Mit Beschluss vom 5. Oktober führte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof aus, dass die Zugehörigkeit zu einem SupporterClub (SC) einer OMCG (nur dann) zur waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit führt, wenn auch in Bezug auf den SC belastbar festgestellt wurde, dass dieser selbst in erheblichem Maße auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität tätig ist, seine Mitglieder in der Vergangenheit zahlreiche schwere bis schwerste Straftaten begangen haben und innerhalb des SC eine einer OMCG vergleichbar strikte Hierarchie herrscht. Dem steht es gleich, wenn im SC in Bezug auf die unterstützte OMCG eine strikte Hierarchie herrscht, die dazu führt, dass letztlich zwischen den Mitgliedern des SC und denjenigen der unterstützten OMCG kein Unterschied zu machen ist. Im entschiedenen Fall wurde die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit eines Mitgliedes der Gruppierung "Blood Red Section MC", einem SC des "Hells Angels MC Hof City", verhandelt. Nach den gerichtlichen Feststellungen boten die konkreten Verhältnisse des Einzelfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers. 1.6.3 Verbindungen von Rockern in die Rapund Kampfsportszene Kontakte und Beziehungen zwischen OMCGs und namhaften Vertretern des Gangster-Rap und der Kampfsportszene (Boxen und Mixed Martial Arts/MMA) wurden bislang eher verdeckt gehalten. Mittlerweile werden diese Kontakte über das Internet und die sozialen Medien jedoch offen zur Schau gestellt. Einige Künstler der Rap-Szene verherrlichen in ihren Texten explizit Gewalt, den Konsum und Handel mit Betäubungsmitteln sowie den Umgang mit Schusswaffen. Für ihre Veranstaltungen nutzen einzelne Rapper gerne die Dienste von OMCGs, die im Security-Bereich eingesetzt werden. Ein Rapper aus dem Raum München pflegt regelmäßig Kontakte zur lokalen "Hells Angels"-Szene. Bei Kampfsportveranstaltungen treten auch Kämpfer mit Bezügen zu Rockerclubs sowie in die Rotlichtund Türsteherszene auf. Für OMCGs ist dies ein lohnendes Betätigungsfeld, da sie Einnahmen durch Übertragungsrechte, Werbung und Sponsorings erzielen. 339 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Organisierte Kriminalität Veranstaltungen, an denen Kämpfer mit Bezügen zu Rockerclubs auftreten, sind ein Anziehungspunkt für Zuschauer aus dem OMCG-Milieu. Bedingt durch die Corona-Pandemie und deren allgemeine Auswirkungen sind die Aktivitäten auch in diesem Bereich erheblich eingeschränkt. 2. RUSSISCH-EURASISCHE OK (REOK) Auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion hat sich eine Vielzahl ethnisch geprägter krimineller Gruppierungen etabliert. Sie sind international vernetzt und begehen vor allem Straftaten in den Bereichen Eigentumskriminalität, Rauschgiftund Waffenhandel, Schmuggel, Schutzgelderpressung sowie Geldwäsche. "Diebe im Gesetz" Eine besondere Bedeutung innerhalb dieser kriminellen Gruppierungen kommt den weltweit bis zu 1.000 "Dieben im Gesetz" zu, die sich als Führungspersonen der Russisch-Eurasischen OK durchgesetzt haben. Der Begriff "Dieb im Gesetz" (DiG) stammt aus den 1920er Jahren, als sich in sowjetischen Gefängnissen und Lagern, den sogenannten "Gulags", die Anführer der kriminellen Strafgefangenen gegen die Anführer der politischen Häftlinge durchsetzten und so die Oberhand gewannen. Diese kriminellen Anführer nannten sich fortan "Diebe im Gesetz" und stellten mit den "Diebesgesetzen" einen eigenen Verhaltenskodex auf. Dieser sieht vor, dass Konflikte durch eigene Autoritätspersonen - notfalls auch mit Gewalt - geregelt werden und keine Zusammenarbeit mit der Polizei und Justiz stattfindet. Mit Gemeinschaftskassen ("Obchak") werden vor allem strafrechtlich verfolgte oder inhaftierte Gruppenmitglieder sowie ihre Angehörigen unterstützt. Verdrängung ins Im April 2019 wurde das russische Strafgesetzbuch (StGB RF) Ausland aktualisiert und um den Artikel 210.1 ("Bekleiden der höchsten Position in der kriminellen Hierarchie") ergänzt. Seither ist bereits der Status als kriminelle Führungsfigur innerhalb der russischen OK - als "Dieb im Gesetz" - strafbar und kann mit einer Freiheitsstrafe von 5 bis 15 Jahre belegt werden. Zudem ist auch die Teilnahme an Treffen von kriminellen Anführern (sogenannten S'chodka) strafbar. Es ist zu beobachten, dass Art. 210.1 StGB RF bereits im ersten Jahr seiner Umsetzung zu einem Verdrängungseffekt krimineller Autoritäten aus Russland führte. Ähnliches war seinerzeit infolge der Einführung eines gleichartigen Straftatbestandes in Georgien festzustellen. Zahlreiche "Diebe im Gesetz" 340 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 verlassen aktuell Russland und lassen sich im Ausland nieder - auch in Westeuropa. Ferner werden Treffen von "Dieben im Gesetz" nicht mehr auf russischem Boden veranstaltet, sondern ins Ausland verlagert. Laut russischer Presse verließen bereits über 60 "Diebe im Gesetz" aus Furcht vor Strafverfolgung das russische Staatsgebiet. Vor diesem Hintergrund muss damit gerechnet werden, dass Mitglieder der REOK auch Deutschland und Bayern verstärkt als Rückzugsund Operationsgebiet nutzen werden. Bereits In den letzten Jahren konnten in Bayern immer wieder Aufenthalte von "Dieben im Gesetz" festgestellt werden, die sich zum Teil auch zu medizinischen Behandlungen in Bayern aufhielten. 3. OK-GRUPPIERUNGEN AUS DEM BALKAN UND DER TÜRKEI In Bayern sind mehrere kriminelle Netzwerke aus Südosteuropa und der Türkei aktiv. Albanien hat sich in den letzten Jahren zum größten MarihuanaLieferanten Europas entwickelt. Bereits zu kommunistischer Zeit wurde in Albanien Hanf als Exportware (Arzneimittel) angepflanzt. Das nach dem Zerfall des kommunistischen Regimes entstandene Vakuum haben kriminelle Gruppierungen genutzt, um neue Einnahmequellen zu erschließen. Die albanischen kriminellen Netzwerke haben die Kontrolle über Anbau und Handel des im Land angebauten Cannabis fest in ihrer Hand. Sie haben sich inzwischen europaweit etabliert. Türkische Gruppierungen sind vor allem im Rauschgiftschmuggel und -handel mit Kokain und Cannabis aktiv. Darüber hinaus konnten folgende Delikte festgestellt werden: Eigentumsund Fälschungskriminalität, Steuerund Zolldelikte, Glücksspieldelikte und Wettmanipulationen sowie Kriminalität im Zusammenhang mit illegalen Inkasso-Eintreibungen. Besonders wichtig für die kriminelle Szene sind die Verbindungen in die jeweiligen Heimatstaaten. Strukturermittlungen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz ergaben, dass die Drahtzieher oft im Ausland sitzen und von dort aus ihre kriminellen Aktivitäten in Deutschland steuern. Die erzielten Gewinne investieren sie häufig in Immobilien und Unternehmen außerhalb Deutschlands. 341 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Organisierte Kriminalität 4. ITALIENISCHE OK Die vier einflussreichsten kriminellen Gruppierungen in Italien sind: - "'Ndrangheta" in Kalabrien, - "Camorra" in Kampanien, - "Cosa Nostra" auf Sizilien, - "Sacra Corona Unita" in Apulien. Diese Mafiasyndikate sind zwar nach wie vor verbunden mit ihren jeweiligen süditalienischen Herkunftsregionen, operieren bei ihren kriminellen Aktivitäten jedoch international. So sind auch in Deutschland und Bayern immer wieder Besuche von Autoritäten aus Italien festzustellen, die den Aufbau der Clans und den reibungslosen Ablauf in Deutschland kontrollieren. Der geschätzte weltweite Jahresumsatz der vier Syndikate beläuft sich auf rund 140 Milliarden Euro. Im Rahmen der globalen Ausbreitung sind viele Familienclans seit etlichen Jahren in Deutschland sesshaft. In Bayern können derzeit mehr als 140 Personen den vier großen italienischen MafiaSyndikaten zugeordnet werden. Bayern wird nach wie vor als Investitions-, aber auch als Rückzugsraum genutzt. 'Ndrangheta Die "'Ndrangheta" hat ihren Ursprung in der Region Kalabrien. Dieses Syndikat ist hierarchisch gegliedert, und seine Mitglieder sind oftmals blutsverwandt. Ihre strengen Regeln und ihr Treueschwur lassen wenig Raum für Kronzeugen, die gegen die Organisation aussagen. Die "'Ndrangheta" ist weltweit aktiv. Ihre Betätigungsfelder liegen im Drogenund Waffenhandel, in der Geldwäsche, in der Schutzgelderpressung und in der Müllentsorgung. Die hierbei erwirtschafteten Gelder werden nicht nur in neue Gastronomiebetriebe, sondern auch in Immobilien investiert. Camorra Mit dem Begriff "Camorra" bezeichnet man die italienischen kriminellen Organisationen in der Region Kampanien, in der Provinz und in der Stadt Neapel. Diese Region ist seit Jahrzehnten in zwölf Zonen eingeteilt, die von mehreren Clans beherrscht 342 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 werden. Ihre Deliktsbereiche erstrecken sich u. a. auf Drogenund Waffenhandel ebenso wie auf Schutzgelderpressung, Prostitution, Zigarettenschmuggel und illegale Müllentsorgung. Die kriminellen Aktivitäten der "Camorra" in Bayern liegen hauptsächlich in den Deliktsbereichen Rauschgiftkriminalität, Geldfälschung und Eigentumskriminalität, darüber hinaus im betrügerischen Verkauf von verschiedenen Plagiaten. Cosa Nostra Die "Cosa Nostra" ist eine kriminelle Organisation mit straff hierarchischem Aufbau, ausgelegt auf die Gesamtkontrolle über ihr Territorium und die gezielte Einflussnahme auf wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Dies erreicht sie u. a. durch Schutzgelderpressung und Durchdringung des staatlichen und ökonomischen Systems. Bestehend aus mehreren Mitgliedsfamilien, folgt sie strikten Regeln und Statuten. Sie operiert von Sizilien aus. Sacra Corona Unita Vor den 1980er Jahren gab es in Apulien keine Organisierte Kriminalität nach der Art der Mafia. Durch die aus den Nachbarregionen ausgeübten Einflüsse der anderen drei Syndikate kam es zu starken Veränderungen und letztlich zur Gründung einer Organisationsstruktur nach dem klassischen Muster einer mafiösen kriminellen Vereinigung: der "Sacra Corona Unita". Sie wird auch gerne als "Vierte Mafia" bezeichnet. Ihre Deliktsbereiche sind der Waffen-, Rauschgiftund Menschenhandel sowie die Prostitution und der Zigarettenschmuggel. Bayern wird von der apulischen OK hauptsächlich als Rückzugsraum genutzt. In Bayern liegen die legalen Geschäftszweige der italienischen Mafia vorrangig in der Gastronomie. Zu den illegalen Betätigungsfeldern zählen Rauschgifthandel, Geldwäsche, Erpressung und Zinswucher. 5. NIGERIANISCHE OK In Nigeria sind in den letzten Jahrzehnten aus einigen universitären Bruderschaften, den sogenannten "Confraternities", kriminelle OK-Gruppierungen entstanden. Diese Gruppierungen bedienen sich klassischer hierarchischer OK-Strukturen, sind paramilitärisch aufgestellt und stehen untereinander in einem Konkurrenzverhältnis, das durch gewalttätige Auseinandersetzungen geprägt ist. 343 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Organisierte Kriminalität Ihre Betätigungsfelder liegen sowohl in ihrem Heimatstaat als auch im internationalen Ausland insbesondere in den Bereichen Rauschgiftkriminalität, Internetbetrug, Menschenhandel und Schleusung. In Europa bildet Italien hierbei den geografischen Schwerpunkt. Mittlerweile kann eine Ausweitung und Verlagerung bestehender krimineller Strukturen von nigerianischen mafiaähnlichen Organisationen von Italien aus auch nach Deutschland und insbesondere nach Bayern festgestellt werden. Von den italienischen Sicherheitsbehörden wird die Nigerianische OK mittlerweile neben den vier italienischen Mafia-Organisationen als mafiaähnliche Organisation ("Fünfte Mafia") eingestuft. In Italien kam es in den letzten Jahren vermehrt zu großangelegten Festnahmeaktionen und Verurteilungen von nigerianischen Bruderschaftsmitgliedern. 344 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 345 Im Blickpunkt Im Blickpunkt Verschwörungstheorien sind in sämtlichen Epochen und Kulturkreisen, insbesondere im Kontext von Krisen und der damit verbundenen tiefgreifenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, ein häufiges Begleitphänomen. Auch vor dem Hintergrund der CoronaPandemie ist innerhalb des gesellschaftspolitischen Diskurses eine größere Sichtbarkeit von Verschwörungstheorien zu verzeichnen. 346 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Wenngleich es keine allgemeingültige Definition des Begriffs der Verschwörungstheorie gibt, ist allen Verschwörungstheorien gemein, dass sie Erklärungsansätze beinhalten, die von den mehrheitlich anerkannten, durch nachprüfbare Fakten hinterlegten Wirklichkeitsbeschreibungen zum Teil eklatant abweichen. Einschneidende aktuelle oder historische Ereignisse, kollektive Erfahrungen sowie bedeutsame und folgenschwere Entwicklungsprozesse werden dabei oftmals dem Handeln einer Personengruppe zugeschrieben, die im Verborgenen, in ihrem eigenen Interesse und zum Schaden der Bevölkerungsmehrheit intrigiert. In der wissenschaftlichen Diskussion über das Phänomen besteht Dissens über dessen korrekte Bezeichnung. So finden mit dem Argument, es handele sich mehrheitlich nicht um Theorien im wissenschaftlichen Sinn, in diesem Zusammenhang auch die konkretisierenden Begriffe "Verschwörungsmythos", "Verschwörungserzählung" oder "Verschwörungsideologie" Verwendung. Wirkungsweise von Verschwörungstheorien Losgelöst von diesem Dissens lassen sich bezüglich der Merkmale und Funktionen von Verschwörungstheorien wiederkehrende Muster und Gemeinsamkeiten feststellen: Die Anhänger von Verschwörungstheorien behaupten mit Blick auf tiefgreifende gesellschaftliche Brüche oder Veränderungsprozesse stets, vermeintlich "unbequeme Tatsachen" ans Licht zu bringen beziehungsweise "die absolute Wahrheit" über eine bestimmte Sachlage zu kennen. Verschwörungstheorien reduzieren komplexe Strukturen auf ein überschaubares Erklärungsformat, indem sie sich lediglich auf einzelne Ausschnitte oder Ereignisse konzentrieren. Die Frage "cui bono?" (deutsch: Wem nützt es?) steht dabei häufig im Zentrum verschwörungstheoretischer Erklärungen. Dahinter steckt die Annahme, dass eine Minderheit oder eine verborgene "Elite" aufgrund besonderer Eigenschaften oder Einflussmöglichkeiten 347 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Im Blickpunkt illegitimer Weise in der Lage sei, gesellschaftliche Prozesse zu ihren Gunsten zu manipulieren und die Allgemeinheit zu schädigen. Angesichts einer ahnungslosen Mehrheit stünden die Eingeweihten in der Pflicht, den Plan zum Wohle der Allgemeinheit zu vereiteln. Insbesondere im Hinblick auf Krisensituationen gehen Verschwörungstheorien davon aus, dass vermeintliche Nutznießer eines Ereignisses dieses auch regelmäßig selbst verursacht haben. Diese Grundannahme versetzt Verschwörungstheorien in die Lage, für jedes Ereignis stets einen Urheber beziehungsweise Schuldigen präsentieren zu können. Je nach ideologischer Ausrichtung steht bei vielen Verschwörungstheorien bereits im Vorfeld eines Ereignisses fest, wer als "Täter" in Betracht kommt. Die Beweisführung wird bei Verschwörungstheorien stets im Hinblick auf das gewünschte Ergebnis und zumeist erst in der Retrospektive konstruiert. Ausgesuchte Fakten werden aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen herausgelöst, angereichert mit Mythen und Unterhaltungselementen in passende Kausalzusammenhänge gebracht und im Sinne der Verschwörungstheorie interpretiert. Da Verschwörungstheorien in ihre jeweiligen historischen Kontexte eingebettet sind, verfügen sie auch immer über realweltliche Anknüpfungspunkte, einen "wahren Kern", der sie zunächst plausibel erscheinen lässt. Meistens weisen Verschwörungstheorien bei genauerer Betrachtung mitunter gravierende Widersprüche auf. Ihre Anhänger negieren diese Widersprüche jedoch häufig als Fehloder Falschinformationen oder versuchen diese mit ebenso zweifelhaften Fakten oder weiteren verschwörungstheoretischen Erklärungsansätzen zu widerlegen. Im Gegensatz zur legitimen Kritik an politischen Entscheidungsprozessen sind verschwörungstheoretische Erklärungsansätze häufig in ideologisch geschlossene Argumentationskonzepte eingebettet. Verschwörungstheorien erfüllen das mentale Bedürfnis nach Orientierung und Sinnstiftung. In ihrer Funktion als "Sortierinstanzen" bieten sie ihren Anhängern, insbesondere in Krisenzeiten, vermeintlich plausible Erklärungen und Deutungsperspektiven an. Verschwörungstheorien verkürzen komplexe Ereignisse auf das einfache Prinzip des Kampfes "Gut gegen Böse" und lösen hierdurch scheinbar Widersprüche auf. Zudem vermitteln sie ihren Anhängern die Illusion, als einzige im Besitz 348 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 der absoluten Wahrheit zu sein. Hierdurch wird ein Gefühl der Überlegenheit und der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Eingeweihten erzeugt. Anhänger von Verschwörungstheorien sind daher oftmals auch durch die Konfrontation mit nachweisbaren Fakten oder Tatsachen kaum zu erreichen. Verschwörungstheorien knüpfen dabei an die innerhalb einer Gesellschaft vorhandenen Ressentiments, Narrative und Deutungsmuster an und tragen zu deren Reproduktion bei. So verfängt beispielsweise eine verschwörungstheoretische Spekulation über vermeintlich gesteuerte "Migrantenströme" vor allem in Gesellschaftsgruppen mit entsprechenden Vorurteilen. Kategorien In der wissenschaftlichen Diskussion werden Verschwörungstheorien häufig vereinfacht hinsichtlich ihrer Erzählstränge in drei Kategorien unterteilt: - Manche Verschwörungstheorien leugnen, dass sich ein spezielles Einzelereignis oder eine konkrete Entwicklung, wie beispielsweise die Mondlandung oder der Klimawandel, ereignet hat oder stattfindet. - Im Gegensatz hierzu erkennen andere Verschwörungstheorien zwar an, dass bestimmte Ereignisse stattgefunden haben, ziehen jedoch die dahinterstehenden allgemeinen Erklärungsansätze ganz oder teilweise in Zweifel und berufen sich stattdessen auf alternative Erklärungen. Dieses Schema zeigt sich z. B. bei Verschwörungstheorien über die Ermordung bekannter Persönlichkeiten wie John F. Kennedy oder die Anschläge vom 11. September 2001 besonders deutlich. - Die dritte Gruppe der Verschwörungstheorien hebt sich von den oben genannten dadurch ab, dass sich ihre Erklärungsangebote nicht nur auf einzelne Fakten oder Ereignisse beziehen, sondern diese stets in den Kontext eines weitläufigen, oftmals auch globalen, Ordnungsgefüges oder Weltbildes stellen und in diesem Sinne auslegen. Die wahrscheinlich einflussreichste Verschwörungstheorie ist der Glaube an die "jüdische Weltverschwörung". Sie reicht in ihren Ursprüngen bis ins Mittelalter zurück und war u. a. wesentliche ideologische Grundlage für den Aufstieg und die Verbrechen der Nationalsozialisten. Heute durchzieht der Verschwörungsglaube an das "Weltjudentum" zahlreiche extremistische Phänomenbereiche. 349 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Im Blickpunkt Verfassungsschutzrechtliche Relevanz von Verschwörungstheorien Grundsätzlich weisen Verschwörungstheorien - so bizarr und abwegig sie mitunter anmuten mögen - nicht per se extremistische Bezüge auf. In vielen Fällen dienen sie als Vehikel, um Skepsis gegenüber unübersichtlichen gesellschaftlichen Entwicklungen, Missständen und Autoritäten zum Ausdruck zu bringen. Aus der Perspektive des Verfassungsschutzes lassen sich Verschwörungstheorien mit Blick auf ihre Extremismusbezüge unterscheiden: - Verschwörungstheorien, die weder extremistische Inhalte aufweisen, noch von Extremisten aufgegriffen oder genutzt werden, sind verfassungsschutzrechtlich grundsätzlich nicht relevant. - Daneben bestehen Verschwörungstheorien, die selbst keine extremistischen Inhalte aufweisen, die jedoch von Extremisten für ihre Agitation instrumentalisiert werden. Hierzu zählt z. B. das Stichwort "Covid1984", wonach Regierungen die aktuelle Pandemie nutzen würden, um Bürgerrechte dauerhaft unter dem Deckmantel des Infektionsschutzes einzuschränken. - Zudem existieren Verschwörungstheorien, in denen eine grundsätzlich nicht-extremistische Erzählung mit einzelnen, mehr oder weniger offensichtlich extremistischen IdeologieElementen angereichert wird. So weist beispielsweise die aus den USA stammende Verschwörungstheorie "QAnon" ("Q") in Teilen klar antisemitische Elemente auf. - Darüber hinaus gibt es Verschwörungstheorien, die explizit darauf ausgerichtet sind, wesentliche Grundrechte infrage zu stellen oder außer Kraft zu setzen, den demokratischen Rechtsstaat und seine Organe zu Feindbildern zu erklären oder bestimmte Menschenund Religionsgruppen als nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehörig auszugrenzen und zu stigmatisieren. In diesen Fällen handelt es sich meist um klar extremistische Verschwörungstheorien, deren Verbreitung häufig auf extremistische Akteure zurückgeführt werden kann. Ein Beispiel hierfür ist der, überwiegend in der rechtsextremistischen Szene kursierende, "Große Austausch", wonach meist nicht näher benannte "Globalisten" durch gezielte Migrationsströme nach Europa die weiße, christlich geprägte Bevölkerung durch muslimische Einwanderer ersetzen wollen. 350 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Wechselwirkungen zwischen extremistischen Phänomenen und Verschwörungstheorien Verschwörungstheorien können auf extremistische Dynamiken eine Wirkung entfalten, indem sie sowohl den ideologischen Zusammenhalt, als auch die Gewaltbereitschaft innerhalb extremistischer Gruppierungen massiv befeuern. Die Wissenschaft spricht hier von sogenannten "Radikalisierungsmultiplikatoren", welche auf drei verschiedenen Ebenen wirken: - Auf der Basis einer als existenziell wahrgenommenen Bedrohungslage können innerhalb einer Gruppe Gleichgesinnter Feindbilder kreiert werden, gegen die sich das Denken und Handeln der Gruppe richtet. So werden persönliche Ängste und Unsicherheiten auf ein konkretes Täterbild projiziert und Hass gegen eine als feindlich wahrgenommene Gruppe geschürt. - Extremistische Verschwörungstheorien immunisieren sich besonders effektiv gegen ihre Widerlegung, indem sie Argumente und Personen, welche der Theorie widersprechen, zum Teil der Verschwörung erklären. Sie entziehen ihre (extremistischen) Aussagen und Weltbilder rationalen Prüfund Begründungskategorien und machen sie resistent gegen Aufklärung und Kritik. Zugleich stärken sie das Zusammengehörigkeitsgefühl und Sendungsbewusstsein ihrer Anhänger und tragen entscheidend dazu bei, dass die jeweilige extremistische Ideologie beim einzelnen Anhänger auch emotional verfängt. - Nicht zuletzt können Verschwörungsmotive einen mentalen Ausgangspunkt für schwerste Radikalisierungsverläufe darstellen, die im Extremfall sogar in Strafund Gewalttaten münden können. Verschwörungstheorien in den einzelnen Phänomenbereichen Gegenwärtig nutzen Extremisten die aus der Corona-Pandemie resultierende Ausnahmesituation, um im Duktus ihrer üblichen Agitation Verschwörungstheorien zu reproduzieren und staatliche Institutionen in Misskredit zu bringen. Vereinzelt versuchen Extremisten sich auch sozialpolitisch als vermeintlich verantwortungsvolle Helfer und Kümmerer zu profilieren. In Bayern sind aktuell verschiedene verfassungsschutzrelevante Entwicklungen und Gefährdungssachverhalte mit verschwörungstheoretischen Bezügen festzustellen: 351 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Im Blickpunkt Rechtsextremismus Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie wird die in der rechtsextremistischen Szene bereits weit verbreitete Verschwörungstheorie des "Bevölkerungsaustauschs", auch "Großer Austausch" genannt, als Erklärungsmuster für die aktuelle politische Lage herangezogen. Dabei wird der Regierung unterstellt, im medialen "Windschatten" der Pandemie ihren geheimen Plan, die einheimische Bevölkerung gegen vornehmlich muslimische oder nicht-weiße Einwanderer zu ersetzen, voranzutreiben. Asylbewerbern und Migranten wird an der rasanten Verbreitung des Coronavirus eine maßgebliche (Mit-)Schuld zugeschrieben. Rechtsextremisten greifen auch auf Verschwörungstheorien mit antisemitischen Elementen zurück, die "den Juden" aufgrund seiner angeblichen Affinität zu Finanzgeschäften als maßgeblichen Profiteur der durch die Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Rezession darstellen. Zudem kursiert die Ansicht, dass es sich bei der Corona-Pandemie um eine "natürliche Auslese" handele, verbunden mit der Hoffnung, dass das Virus im Volk "gehörig aufräume". Hinsichtlich der Bekämpfung der Pandemie werfen u. a. Rechtsextremisten Regierungsakteuren und staatlichen Institutionen oftmals ein grundlegendes Versagen vor, wobei die Begründung je nach aktueller Situation beliebig wechselt: So hätten die Verantwortlichen entweder zu spät (z. B. hinsichtlich des Impfstarts) oder übertrieben (Beschränkungsmaßnahmen) auf die CoronaPandemie reagiert. In diesem Zusammenhang rangieren mit Schlagwörtern wie "Corona-Diktatur" oder "QuarantäneDiktatur" Verschwörungsmotive, die Regierungsverantwortlichen unterstellen, unter dem Vorwand der Corona-Pandemie Bürgerrechte gegen die Interessen des "deutschen Volkes" zu Gunsten staatlicher Überwachungsmechanismen zu beschneiden. Reichsbürger und Selbstverwalter Reichsbürger und Selbstverwalter, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland per se leugnen, betrachten die Bestimmungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie als "rechtlich wirkungslos". Sie behaupten, Bundesund Landesregierungen beabsichtigten mit den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie die Herbeiführung eines kriegsähnlichen Zustands, mit dem Recht und Gesetz außer Kraft gesetzt werden sollen. 352 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Linksextremismus Auch innerhalb der linksextremistischen Szene bietet die CoronaPandemie linksextremistischen Erklärungsmustern Vorschub, die auch verschwörungstheoretische Elemente aufweisen. So behaupten etwa kommunistische Gruppen, es handele sich bei den von der Regierung ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie um die "Verschärfung der Monopoloffensive gegen die Arbeiterklasse und das werktätige Volk". Auch hier ist hinsichtlich der getroffenen Maßnahmen von der angeblichen "Einübung des Notstands" die Rede. Verschwörungstheorien jenseits klassischer Phänomenbereiche Vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie gewinnen zunehmend auch Verschwörungstheorien an Bedeutung, die bislang nicht unmittelbar aus extremistischen Zusammenhängen bekannt waren beziehungsweise die nicht klar extremistischen Akteuren oder Gruppen zugeordnet werden konnten. Manche weisen gleichwohl - teils in subtiler Form - Bezüge zu extremistischen Ideologien und somit auch Anschlusspotenzial für Extremisten auf. Im Kontext des aktuellen Protestgeschehens anlässlich der staatlichen Corona-Maßnahmen konnte in Teilen des Protestfeldes eine gesteigerte Bereitschaft festgestellt werden, planvoll und zielgerichtet gegen staatliche Institutionen vorzugehen. Dabei spielen auch Verschwörungstheorien eine zum Teil signifikante Rolle. Im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie stößt insbesondere die Verschwörungstheorie "Q" auf Resonanz. Deren Anhänger diskreditieren ihnen unliebsame politische Entscheidungsträger als Marionetten einer angeblich weltweit operierenden Schattenregierung, auch "Deep State" genannt. Sie nehmen dabei Bezug auf antisemitische Verschwörungsmotive wie die "Weltverschwörung einer jüdischen Finanzelite" und greifen die ebenfalls antijüdisch konnotierte Ritualmordlegende auf. Im Zusammenhang mit Protestaktivitäten gegen die CoronaSchutzmaßnahmen hetzen einzelne Personen und Gruppierungen zudem gegen ein vermeintliches "Corona-", "Quarantäne-" oder "Merkelregime". Mittels verschwörungstheoretischer Narrative sollen demokratische Institutionen delegitimiert werden. So seien beispielsweise die Bundesund Landesregierungen von einem Elitezirkel gesteuert, der gegen die Interessen 353 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Im Blickpunkt der Menschen handle. Diese Eliten werden oftmals vermeintlich als "Kapitalisten", "Juden", "Globalisten" oder "Multikultis" entlarvt. Die "Arbeiterklasse", ethnisch und/oder rassisch definierte "wahre Deutsche" oder schlicht das "manipulierte" Volk und die Mehrheitsgesellschaft werden zum Opfer der Intrigen dieser Elite stilisiert. Verschwörungstheorien wie "Q" können dazu beitragen, dass sich Verschwörungsgläubige von Staat und Gesellschaft in zunehmendem Maße entfremden. Jedoch stellen die bloße Behauptung von Einzelpersonen oder Gruppierungen, in einer Diktatur zu leben oder der Glaube an die "Q"-Verschwörungstheorie für sich noch keine verfassungsschutzrechtliche Relevanz dar. Sollten sich die Aktivitäten jedoch zu Blockadeund Sabotageaktionen, einem gewaltsamen Vorgehen gegen staatliche Einrichtungen und politische Entscheidungsträger oder ernsthaften Aufrufen hierzu verdichten, ist die Schwelle zum Extremismus überschritten. Rolle der sozialen Netzwerke bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien In Zeiten zunehmender virtueller Kommunikation verbreiten sich Verschwörungstheorien schneller als zuvor und dringen dabei auch zu Menschen in nahezu allen Bevölkerungsschichten durch. Die hier greifenden Mechanismen finden sich auch in der Onlineverbreitung und -radikalisierung in den klassischen Extremismusphänomenbereichen. Verschwörungstheorien, die zuvor lediglich in subkulturellen Kontexten kursierten, gewinnen online zunehmend an Sichtbarkeit. Digitale Videoplattformen wie YouTube, aber auch soziale Netzwerke wie Facebook und Telegram oder Imageboards wie 8kun (vormals 8chan), ermöglichen das zeitund kosteneffiziente Verbreiten verschwörungstheoretischer Inhalte. Empfehlungsalgorithmen locken Nutzer in eine Filterblase, in der sich gegenseitig bestätigende und ergänzende Inhalte die Sichtweise auf die eigene, "absolute" Wahrheit kontinuierlich verengen und widersprechende Darstellungen und Argumente zunehmend ausgeblendet werden. Über soziale Onlinenetzwerke und Messenger-Dienste können Anhänger von Verschwörungstheorien in Kontakt miteinander treten, Informationen austauschen und sich global mit Gleichgesinnten vernetzen. Exklusive Kommunikationsund Informationsforen können hierbei zu sogenannten "Echokammern" 354 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 werden, in denen sich Gleichgesinnte de facto in Isolation von Andersdenkenden zunehmend zurückziehen: Sie bestärken sich dort gegenseitig in ihrer Weltsicht, entwickeln, wie etwa bei "Q", gemeinsam verschwörungstheoretische Weltbilder fort und kreieren einen spezifischen "Humor" sowie einen eigenen Wortschatz beziehungsweise Sprachcode. Obendrein sorgt die weitreichende Anonymität des Internets für eine Enthemmung im Hinblick auf Äußerungen provozierender bis hin zu extremistischer und strafrechtlich relevanter Art. Die dadurch entstehende Verschiebung des Sagbaren sorgt für eine zusätzliche Dynamik bei sich wechselseitig beeinflussenden Radikalisierungsprozessen. Einfluss von Fake News In den vergangenen Jahren konnte eine stetige Zunahme von "Fake News" festgestellt werden. Dabei handelt es sich um gezielt gestreute Unwahrheiten und Falschdarstellungen mit dem Ziel der Manipulation, Indoktrination und Aufwiegelung von Menschen. Es ist davon auszugehen, dass zwischen der Zunahme von "Fake News" und der allgemeinen Akzeptanz von Verschwörungstheorien ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Hierzu trägt auch der Wandel der politischen Kultur in einzelnen westlichen Staaten bei, im Rahmen dessen selbst einzelne Spitzenpolitiker und Amtsträger als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele wissenschaftlich belegte Tatsachen leugnen, eklatante Falschinformationen und -behauptungen verbreiten oder gar von massiven Verschwörungen des politischen Gegners sprechen. Wenn selbst in Teilen der Politik gefühlte Wahrheiten und Hörensagen an die Stelle nachweisbarer Tatsachen als Grundlage politischer Entscheidungen rücken, droht aus dem bisherigen Wettstreit um Deutungshoheit und Handlungsmaximen angesichts allgemein akzeptierter Tatsachen ein Diskurs um vermeintlich "alternative Fakten" zu werden. Tatsachen, Wissenschaft und somit die gesamte Realität werden zur Glaubensfrage. Die meisten Verschwörungstheorien rund um die Corona-Pandemie sind durch eine besondere Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Autoritäten und der Wissenschaft im Allgemeinen gekennzeichnet. Allgemein ist in den vergangenen Jahren ein Trend festzustellen, wonach Teile der Bevölkerung, die ihre Informationen überwiegend aus dem Internet beziehen, den Einfluss von wissenschaftlichen Erkenntnissen häufig in Frage stellen. In diesem Zusammenhang ist es nur naheliegend, dass Verschwörungstheorien in Teilen der Gesellschaft an Attraktivität gewinnen. 355 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Im Blickpunkt Gefahr einer antidemokratischen Gegenkultur Vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklungen ist absehbar, dass Verschwörungstheorien mittelfristig weiter an Reichweite gewinnen und gesellschaftliche Diskurs-, Informationsund Meinungsbildungsprozesse nachhaltig beeinflussen werden. Dies kann gerade in Zeiten einer allgemeinen Krise und gesellschaftlicher Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung zu Polarisierung und Ausformung radikaler Einstellungen führen und das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft beschädigen sowie den innergesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. Mit Blick auf eine wahrnehmbar zunehmende Konfliktorientierung und Gewaltbereitschaft von einzelnen Verschwörungstheorieanhängern, erweisen sich die in vielen dieser Verschwörungstheorien propagierten Bedrohungsvisionen als besonders problematisch. Sie tragen dazu bei, dass manche Menschen, die einzelnen Regierungen oder der Politik im Allgemeinen die Lösungskompetenz absprechen, sich selbst als Teil eines vermeintlichen Widerstandszenarios wähnen. Es besteht die Gefahr, dass sich innerhalb digitaler Parallelwelten eine antidemokratische Gegenkultur formiert, die bereit ist, ihren Protest auch durch Gewalt zum Ausdruck zu bringen. Dies stellt insbesondere mit Blick auf die schleichende Radikalisierung irrational handelnder Einzelakteure, die sich keinen sichtbaren extremistischen Strukturen zuordnen lassen, eine besondere Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. Vor diesem Hintergrund setzt sich auch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz im Rahmen seiner Präventionsarbeit intensiv mit Verschwörungstheorien auseinander, die einen Extremismusbezug aufweisen. So wurden z. B. durch die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) Handlungsempfehlungen für den Umgang mit solchen Verschwörungsheorien erarbeitet. Die Informationen sind abrufbar unter www.bige.bayern.de. 356 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 357 Anhang Anhang PERSONENPOTENZIAL UND GEWALTTATEN Anzahl der Extremisten in Bayern 7.000 6.000 5.000 4.185 4.000 4.130 3.600 3.390 3.000 2.770 2.000 1.200 1.000 100 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Islamisten* * Der Rückgang 2014/2015 ist vor allem auf die Sonstige ausländische Extremisten***** Reformbemühungen innerhalb der IGMG zurückzuführen. Rechtsextremisten ** Für das Jahr 2013 wurden erstmals nur die offen extremistischen Linksextremisten** Strukturen der Partei "DIE LINKE." ausgewiesen. Scientology-Organisation *** Aufnahme der Beobachtung im Jahr 2013 Verfassungsschutzrelevante Islamfeinde*** **** Aufnahme der Beobachtung im Jahr 2016 und Reichsbürger/Selbstverwalter**** fortschreitende Aufhellung des Personenpotenzials ***** Ab dem Jahr 2019 werden Separatisten nicht mehr gesondert aufgeführt. Entwicklung extremistisch motivierter Gewalttaten in Bayern 120 113 100 89 81 80 75 72 72 68 63 61 62 60 54 46 47 40 25 20 11 13 12 8 6 6 1 3 0 2016 2017 2018 2019 2020 Rechtsextremismus Linksextremismus Ausländerextremismus* Ausländische Ideologie * Statistik zu Ausländerextremismus enthält bis 2016 auch Straftaten von religiöser Ideologie. Religiöse Ideologie ** Statistik im Phänomenbereich Reichsbürger wurde im Reichsbürger** Laufe des Jahres 2017 neu eingeführt. 358 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 STICHWORTREGISTER A Ausländische Nachrichtendienste Adil-Düzen (gerechte Ordnung) 36 20, 307, 309-314, 322, 330 Advanced Persistent Threat 322 Autonome 221-223, 225, 236, Aktionsbündnis "Fluchtursachen 245-246, 252, 260, 266-282, 304 bekämpfen" 274 Akzelerationismus 112 B Al-Intiqad (Die Kritik) 79 Bakunin, Michail Alexandrowitsch Al-Manar (Der Leuchtturm) 79-81 240, 242-243 Al-Quds-Tag (Jerusalem-Tag) 81 Bandidos MC 331, 333-334, Alperen/Alperen-Genclik, 336, 338 Publikation 95 Batil Düzen (nichtige Odnung) 36 Al-salaf al-salih (die frommen Bayerische Informationsstelle Altvorderen) 48, 74 gegen Extremismus (BIGE) 24-26, Anarchismus 239-240, 242-243, 29, 143-144, 148, 208, 356 251, 268, 284 Bayerisches Aussteigerprogramm Anarchisten 266, 268-269, 282 25, 29 Anarcho-Syndikalismus 243 Bayerisches Handlungskonzept Antifaschismus 243, 245-246, 258, gegen Rechtsextremismus 25-26 269, 273, 280-281 Bayerisches Netzwerk für Prävention Antigentrifizierung 227-228, 243, und Deradikalisierung gegen 246, 270 Salafismus 27-28 Antiglobalisierung 243, 248, 267 Bayerisches Antiimperialismus 91, 243-244 Sicherheitsüberprüfungsgesetz 20 Anti-Institutionalismus 268 Bayerisches Antimilitarismus 91, 243, 247, 280 Verfassungsschutzgesetz 17, 329 Antirassismus 243, 245, 274, 276 Beobachtungsauftrag des Antirepression 243, 245, 276 Verfassungsschutzes 18-19, 31, 212 Antisemitismus 26, 36, 115-117, BIRGiT, Arbeitsgruppe 21, 56 161, 192, 211 Backyard Bloods 333 Antiziganismus 122 Bevölkerungsaustausch 145, 174, Artikel 10-Gesetz 22 176, 352 Assists ("Beistände") 292 Blood Red Section MC 333, 339 Atilim (Angriff) Publikation 94 Bundesamt für Sicherheit in der Auditing 292, 295, 297 Informationstechnik (BSI) 323 359 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Anhang Bürgerinitiativen, G rechtsextremistisch 171, 173-176 G20-Gipfel 271 Bürgerwehr, G 10-Kommission 22 rechtsextremistisch 125-127 Gefangenenhilfe 52, 63-64 Büro 610 314-315 Gefährder 21, 56 Geheimund Sabotageschutz 20 C Geheimschutzbetreuung 320 Camorra 342-343 Geistliche (ehrenamtliche) 289, Chapter/Charter 183, 332-337 291-293, 298, 301 Colour 332 Gelber Schein 196 Corona-Diktatur 111-112, 114, 352 Geschichtsrevisionismus 110 Corona-Krise 98, 111, 188, 220, 274 Graue Wölfe 95, 97 Cosa Nostra 342-343 Gremium MC 331, 334, 336 Cyberangriffe 20, 311, 319-322, 324 Gringos MC 333, 338 Cyber-Allianz-Zentrum Bayern Gülen-Bewegung 317 20, 308, 320-321, 325 H D Heldengedenken 123-124, 166 Da'wa (Missionierung) 49, 57-58, 63 Hells Angels MC 183, 331-333, Deutsche Geschichte 145 336-337, 339 Dianetik 287, 295 Herrschaftsfreie Gesellschaft 221, Dieb im Gesetz 340-341 223, 239, 242-243, 266, 283 Diktatur des Proletariats 240, 242, Homegrown-Terroristen 61 259, 261 Home Da'wa 57 Hubbard, L. Ron 287, 292, 294-296, E 300 Ehrenamtliche Geistliche ("Volunteer Ministers") 289, 291-293, 298, 301 I Ende Gelände 226, 237-239, 277-278 Ideale Org-Kampagne 296-297 Engels, Friedrich 240 Imperialismus 36, 240, 243-244, Entrismus 242 255, 262 Ethnopluralismus 99, 168-169 Initialisierende Gewalt 225 Initiative Wirtschaftsschutz 319 F Inlandsnachrichtendienst FSB Flüchtlinge 99-174, 282 (Russland) 312 FSN-Shop 144 Intifada 77 Fünf Gifte 316 Islam-Infostände 58 Furkan Nesli Dergisi (Publikation) 38 360 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Islamfeindlichkeit, Konfrontative Gewalt 223 rechtsextremistische 121, 211 Konvertiten 51, 54 Islamfeindlichkeit, verfassungsschutzKulturrevolution 242 relevante 18,24, 26, 146, 210-219 Kutte 182, 335-336 Islamismus, legalistischer 32-35, 60 Islamseminare 58 L Italienische Organisierte Kriminalität Landesamt für Sicherheit in der 342-344 Informationstechnik (LSI) 324 Landeskoordinierungsstelle Bayern J gegen Rechtsextremismus 25 Jahiliyya (Unglaube und Legalresidentur 309-310, 316 Unwissenheit) 74 Lenin, Wladimir I. 240-241, 260 Jihad 31, 49-50, 52-57, 61-62, 67, Low-Profile-Anschläge 64 69-75, 107 M K Mafia 342-344 Kalifat (khalifa) 53, 71, 73, 75, 81-82 Maoismus 242, 259 Kapitalismus 36, 161, 165, 232, Marx, Karl 240, 253, 264 238, 240-241, 243-245, 247, 251-252, Marxismus 240, 264, 271-272, 254-257, 264, 272, 274-275, 279-280 277, 279 Kameradschaften 100-101, Marxismus-Leninismus 92-93, 178-180, 184 240-242, 255, 261, 263 Kampf der Nibelungen 132 Massenvernichtungswaffen 308, 326 Kampfsport 130-132, 339 Mexican Rebels 333 Klassenlose Gesellschaft 240, 259, Milieumanager 197-198 277, 281 Milli Istihbarat Teskilati MIT 317 Klima-/Umweltbewegung 226, Milli Gazete (Nationale Zeitung), 237-239, 244, 252, 264, Publikation 35-36 267, 278, 280, 349 Militärischer AuslandsnachrichtenKnow-how-Schutz 319 dienst GRU (Russland) 312-313 Kommunismus 36, 234, 239, 241, Militärischer Nachrichtendienst MID 252, 255, 260, 262, (China) 314-315 274-275, 277, 279-280 Ministerium für öffentliche Kommunistische Partei Chinas Sicherheit MÖS (China) 314-315 (KPCh) 314-315 Ministerium für Staatssicherheit Kommunistische Partei Deutschlands MSS (China) 314-315 (KPD) 241, 254, 261, 264 361 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Anhang Ministry of Intelligence of the P Islamic Republic of Iran MOIS 318 Pandemie 5-8, 30, 33, 38, 40-41, Missionen (Scientology 43, 47, 57, 59, 72, 78, 81, 84, 139, Organisation) 290, 295-296 141, 150, 158, 163-164, 166, 170, Mobivideos 173, 179, 191-192, 198-201, 205, (Mobilisierungsvideos) 249, 251 213, 217-218, 223, 230-234, 248,252, Mongols MC 331 259, 272, 274, 279-281, 289-291, Muhacirun (Auswanderer) 81 320, 324, 336, 340, 350-353, 355 Münchner Sicherheitskonferenz 247 Parlamentarisches Kontrollgremium 22 N Politically Incorrect (PI-News) 215, 219 Nachhilfeinstitute 299 Postautonome266-268, 277, 279, 281 Nachrichtendienstliche Mittel 19, 21, Proliferation 308, 326-327 288, 311, 329 Nationale Allianz für Q Cyber-Sicherheit 323 QAnon ("Q") 112-113, 199, 350 Nationale Streifen 126-127, 164 Quds-Brigaden 318 Nationalsozialismus 99, 116, 123, 130-131, 134, 155, 169, R 177-178, 180-182, 244-246 Rätedemokratie 242 'Ndrangheta 342 Recht(s)konsulent 195, 197 Neonazismus 178-179 Red Devils MC 333 Nigerianische Organisierte Religious Technology Center Kriminalität 343-344 (RTC) 295, 300 Remigration 168-169 O Revolutionary Guards Intelligence 318 Offen extremistische Strukturen 222, Organization RGIO (Iran) 318 241, 252-253 Rock Machine MC 331 Office of Special Affairs (OSA) 300 Rundowns 295 Operierender Thetan 297 Organisierte Kriminalität 18-19, S 328-344 Sacra Corona Unita 342-343 OSA - Office of Special Affairs 300 Salafismus 26-28, 31-34, 48-49, Osmanen Germania BC 335 51-52, 57, 63 Outlaw Motorcycle Gang (OMCG) Salafismus, jihadistischer 32-33, 331-334, 336, 339-340 49, 70 Outlaws MC 331, 333-334 Salafismus, politischer 32-33, 49 Scharia 31-32, 34-35, 38, 40, 44-45, 48, 76, 217 362 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Schwarzer Block 225, 247 Türk Federasyon Bülteni, Security and Intelligence Publikation 95 Organization of the Army (Iran) 318 TV5 (Türkischer Fernsehsender) 36 Serxwebun (Unabhängigkeit) Turan (Großtürkenreich) 95, 97 Publikation 87 Sicherheitsüberprüfung 20 U Skinhead-Bands 141, 184 Umvolkung 120-121 Skinheads 105, 139-141, 144, 182-185 Umwelt & Aktiv 178 Social Bots 313 United Tribuns 332, 334-335 Social Engineering 321 Souveräne Bewegung 198 V Sozialismus 74, 111, 241-242, Verfassungsfeindliche 255-257, 259, 261-263 Bestrebung 18, 31 Spendensammlungen 33, 52-53, 58 Verfassungstreueüberprüfung 21 Spionageabwehr 20, 306-327 Verschlusssachen 20, 320 Stalin, Josef W. 241, 261 Verschwörungstheorie 6, 8, 111-112, Stalinismus 241, 259, 263 116, 134-135, 145, 164, Stay Well Gesundheitskampagne 291 199, 230, 231, 347-356 Strukturelle Gewalt 223, 266 Vertrauensleute 22 Sunna 31, 41 Volksgemeinschaft 99, 110, 121, Supporter 333-334, 338-339 123, 155, 211 Syrien-Rückkehrer 53-56, 67 Vorfeldaufklärung 23 T W Tag der Ehre 133 Wahhabismus 48 Takfir 74 Wirtschaftsschutz 306-327 Tarnorganisationen Wolfsgruß 95 (Rechtsextremismus) 99, 173, 177 World Uyghur Congress (WUC) 317 Tarnorganisationen (Scientology) 293-295, 299-301, 303 Y Tauhid 48 Yeni Özgür Politika (Neue Freie Politik), Terrorismus, islamistischer 21, 33, Publikation 87, 90 56, 63-64, 66-67, 77, 211 Yürüyüs, Publikation 91 TIWAZ 131 Trennungsgebot 23 Z Trotzki, Leo 241-242 Zapata MC 333 Trotzkismus 241-242, 253, 279 Ziviler Auslandsnachrichtendienst Trust MC 331 SWR (Russland) 312 Tse-tung, Mao 93, 242, 261 363 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Anhang EXTREMISTISCHE ORGANISATIONEN UND GRUPPIERUNGEN In dieser Übersicht sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Organisationen und Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Organisation/Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine verfassungsfeindliche Organisation/ Gruppierung handelt. Organisationen/Gruppierungen aus den Phänomenbereichen "Organisierte Kriminalität" und "Spionageabwehr" wurden nicht aufgenommen. Aus dem Bereich "Scientology" erfolgte keine Aufnahme der internationalen Organisationsteile. ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Ahrar al-Sham 69 al-Nahda 44 al-Qaida 50, 54, 62, 70-71, 73-75 al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH) 73 al-Qaida im indischen Subkontinent (AQIS) 73 al-Qaida im Irak (AQI) 73 al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM) 73 Al-Rahman-Moschee (Passau) 60 Al-Rahman-Moschee (Regensburg) 60 Ansaar International e. V. (ehemals Ansaar Düsseldorf e. V.) 57-58, 68 As-Salam-Moschee (Schwandorf) 60 Basma für Kultur, Religion und Barrierefreiheit Passau e. V. 60 Boko Haram 66, 71 Council of European Muslims (CEM) (vormals Föderation der I slamischen Organisationen in Europa (FIOE)) 44-46 Deutsch Arabischer Kulturverein Pfarrkirchen e. V. 41 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG), vormals Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) 45-47 Die Wahre Religion (DWR) 58 El-Salam-Moschee (München) 60 Europäischer Fatwa-Rat (ECFR) 45, 47 Europäisches Institut für Humanwissenschaften (EIHW) 47 364 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Furkan-Gemeinschaft /Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi (Furkan Stiftung für Bildung und Dienst) 35, 38-40 HAMAS (Islamische Widerstandsbewegung) 44, 68, 77-79 Hai'at Tahrir al-Sham (HTS) (vormals Jabhat al-Nusra (JaN) bzw. Jabhat Fath al-Sham (JFS)) 50, 66, 70, 75 Hilafet Devleti (Kalifatsstaat) 81-82 Hizb Allah (Hizbollah/Hisbollah) 79-80 Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e. V. (IHH) 78 Islamictutors 57 Islamisch albanisches Zentrum Ulm - Qendra islamike shqiptare Ulm e. V. (IAZ Neu-Ulm) 59 Islamische Föderation München e. V. 60 Islamische Gemeinde Hof e. V. (IGH) 41 Islamische Gemeinde Nürnberg e. V. (IGN) (vormals Islamisches Zentrum Nürnberg) 46 Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands (IGS) 80 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) (Milli Görüs Bewegung) 32, 35-37 Islamischer Staat (IS) 31, 50, 54, 65-66, 70-71, 76-77 Islamische Stiftung Regensburg 60 Islamischer Verein Augsburg e. V. (IVA) 59 Islamische Vereinigung in Bayern e. V. (IVB) 42-43 Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) 42-43 Islamische Akademie Deutschland e. V. (IAD) 42 Islamisches Zentrum München e. V. (IZM) 46-47 Islamisches Zentrum Regensburg e. V. 60 Islamisches Zentrum Schwandorf e. V. 60 Islamisches Zentrum Weiden e. V. 60 Ismael Aga Gemeinschaft (IAC) (Milli Görüs Bewegung) 36-38 Kaukasisches Emirat (KE) 76 Khorasan-Gruppe 75 Kulturund Bildungszentrum Ingolstadt e. V. 81 Kulturverein für deutschsprachige Muslime e. V. Al Ummah Moschee (München) 41 Milli-Görüs-Ahde-Vefa-Plattform/Erbakan Vakfi (Milli Görüs Bewegung) 37 Milli Görüs-Bewegung (Sammelbeobachtungsobjekt) 35, 37 Muslimbruderschaft (MB) 35, 38, 40, 43-47, 77 Muslim Business Academy 57 365 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Anhang Nordkaukasische Separatistenbewegung (NKSB) 76 Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland e. V. (RIGD) 47 Saadet Partisi (SP) (Milli Görüs Bewegung) 36-37 Sächsische Begegnungsstätte (SBS) 47 Salahuddin Moschee Augsburg 59 Somalische Gemeinde München e. V. 60 Taliban 66, 73 Tablighi Jamaat (TJ) 35, 40-41 Tanzim Hurras al-Din (THD) 50, 75 Taufiq-Moschee (München) 60 Tschetschenische Republik Itschkeria (CRI) 76 Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V., Köln - (ICCB) 82 Vereinigung Passauer Muslime e. V. (vormals Islamisches Zentrum Passau e. V.) 60 WorldWide Resistance - Help e. V. (WWR) 57, 68 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) bzw. Volkskongress Kurdistan (KONGRA GEL), ehemals Freiheits-und Demokratiekongress Kurdistan (KADEK), Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK), Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) 86-91, 272, 317-318 Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum Aschaffenburg e.V 89 Föderation der Arbeiter aus der Türkei e. V. (ATIF) 93 Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e. V. (AGIF) 94 Föderation der Gemeinschaften Kurdistans (FCK) 89 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V. (ADÜTDF) 96-97 GRUP YORUM 92 Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) 93 Konföderation der Gesellschaften Mesopotamiens in Deutschland (KON-MED) (vormals Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum Deutschland e. V. (NAV-DEM)) 89 Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa (AvEG-Kon) 94 Kurdisches Gesellschaftszentrum München 89 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 94 Medya Volkshaus (Nürnberg) 89 366 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Front (DHKP-C) 91-92 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten - Partizan Flügel (TKP/ML - Partizan-Flügel) 93-94, 261 Ülkücü-Bewegung 87, 95-97 Verband der Türkischen Kulturvereine in Europa e. V. (ATB) 97 Young Struggle (YS) 94 RECHTSEXTREMISMUS Aktionsbündnis Niederbayern 114, 179 Aktivitas der Burschenschaft Danubia München 177 Ansgar Aryan 140, 144 Antagonist 144 Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. (AG-GGG) 180-182 Blood & Honour 105, 185-186 Bollwerk Oberpfalz (BWO) 184 Bürgerinitiative A (BIA) e. V. (BIA-Nürnberg) 173 Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA-München) 172, 174 Bürgerinitiative Wertingen (BIW) (Rechtsextremistisches Netzwerk Nordschwaben) 171, 175 Bürgerinitiative Soziale Alternative Oberpfalz e. V. (BiSAO) 176 Burning Hate 141 Combat 18 (C18) 105 Compact Magazin GmbH 146 Das Zeughaus 145 "Der Flügel" 26, 100-101, 147, 150-153 Der Dritte Weg (III. Weg) 100, 107, 114, 120, 123-130, 132-133, 138, 160-166, 178-180 Deutsche Konservative, Landesverband Bayern 100, 165 DIE RECHTE 100, 166-167 DIM Records 144 Edelweiss 141 Ein Prozent e. V. 136 Eskalation 141 Feuerkrieg Division 106, 117 Freie Kräfte Berchtesgadener Land 180 Freies Netz Süd (FNS) 161 FSN-Shop 144 FSN-TV 138 367 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Anhang Gesellschaft für freie Publizistik e. V. (GfP) 176 Goyim Partei Deutschlands 117 Hammerskins 183 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 111, 121-122, 167-169 Institut für Staatspolitik 146, 177 Junge Alternative für Deutschland (JA) 26, 148-151 Junge Nationalisten (JN) 122, 159 Kameradschaft Aryans 179 Kodex Frei 141, 184 Midgard e. V. 177-178 MPU 141 Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) 100-101, 107, 112, 114, 118, 120, 122, 126, 128, 140, 154-160, 165, 173-175, 177-178, 180, 184, 338 Nordwind 142 Oldschool Records 144, 184 Patriotic Store 145 PEGIDA-München - zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e. V. (PEGIDA-München) 172-174 Prollcrew Schwandorf (SPC) 184 Prolligans 141 Radio FSN 138 Rechtsextremistisches Netzwerk in Nordschwaben 171, 175 Revolution auf Sendung 124, 138 Ring Nationaler Frauen (RNF) 158 Schanddiktat 141 Schutzbund für das Deutsche Volk e. V. (SDV) 176-177 Siegesfahne 142 TIWAZ 131 Urweisse 142 Verlag Anton A. Schmid 146 Versand der Bewegung 140, 145 VGB-Verlagsgesellschaft Berg mbh 145 Vikings Security Germania Division Bayern (VSG) 127 Voice of Anger 140, 183-184 White Rebel Boys 142 White Youth 185 Wikingerversand 145 Wodans Erben Germanien - Division Bayern (WEG) 120, 127 368 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Bundesstaat Sachsen 203 Freistaat Preußen 203 Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuSt) 206-207 Kommissarische Reichsregierung 193 Republik Baden (vormals Bundesstaat Baden) 203 Staatenbund Deutsches Reich 203 Staatenlos.info 200, 205 Vaterländischer Hilfsdienst (VHD) 207-208 Verband der Deutschen Recht-Konsulenten (Kaarst-Vorst/Nordrhein-Westfalen) 197 Verfassunggebende Versammlung 204 Volksstaat Bayern (vormals Bundestaat Bayern) 203-204 Volksstaat Württemberg (vormals Bundestaat Württemberg) 203 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE ISLAMFEINDLICHKEIT Bürgerbewegung PAX EUROPA e. V. - Landesverband Bayern (BPE Bayern) 213, 216 PEGIDA München - Das Original 172, 174, 216 PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken 146, 216 Politically Incorrect-Gruppe München (PI-München) 215, 219 LINKSEXTREMISMUS Anarchistische Gruppe München (Bibliothek Frevel) 282-283 Antifa-NT - Autonome Antifa München 281-282 Antifaschistische Linke Fürth (ALF) 273 Antikapitalistische Linke (AKL) 253-254 Antikapitalistische Linke München (AL-M) 226, 260, 278-281 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) 241, 261-262, 264 Auf der Suche (ADS) Anm: im VSB mal "ADS", mal "AdS" 273, 282-284 Contre la Tristesse 276, 282 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 222, 241, 250, 254-258, 276 DIE LINKE. Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband (DIE LINKE.SDS) 253 "Ende Gelände" (linksextremistisch beeinflusst u. a. durch Interventionistische Linke) 226, 237-239, 277-278 369 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Anhang Föderation deutschsprachiger Anarchist_innen 283 Frauenverband Courage e. V. 259 Freie Deutsche Jugend (FDJ) 263-264, 276 Interventionistische Linke (IL) Aschaffenburg/München/Nürnberg 237-238, 267, 273, 277 Jugendverband REBELL 222, 259 Kinderorganisation ROTFÜCHSE 259 La Resistance - antifaschistische Jugendgruppe Ingolstadt (LARA) 260, 274-275 Linksjugend ['solid] 238, 252-253 Linksunten.indymedia. 248 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 94, 222, 238, 241-242, 250, 259-261 Marxistische Jugend (mj) 238, 264-265 Nationalismus ist keine Alternative (NIKA) 234, 281-282 Offenes antifaschistisches Plenum Rosenheim (OAPR) 276-277 Offen antikapitalistisches Klimatreffen München (Teil der Antikapitalistischen Linken München/ALM) 226, 280 Organisierte Autonomie (OA) Nürnberg 269, 275, 280 Perspektive Kommunismus (PK) 234, 275, 280 Prolos 234, 260, 272-273, 275-276 Revolutionär Organisierte Jugendaktion (ROJA) Nürnberg 260, 271-273, 276 Roter Aufbau Hamburg 271, 281 Rote Hilfe e. V. (RH) 222, 250, 265 Sozial-Revolutionäre Aktion (SRA) 234, 264, 275-276 Sozialistische Alternative (SAV) 253 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 222, 238, 256-257, 280 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) 222, 258 370 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 SCIENTOLOGY-ORGANISATION Applied Scholastics 298-301 Association for Better Living and Education (ABLE) 295, 298, 301 Celebrity Centre München e. V. 296 Department of Special Affairs (DSA) 300 Der Weg zum Glücklichsein (The Way to Happiness Foundation) 289, 293-294, 298, 301 Die Lernakademie (München-Milbertshofen) 299 Ehrenamtliche Geistliche (Volunteer Ministers) 289, 291-293, 298, 301 International Association of Scientologists (IAS) 297 Jugend für Menschenrechte e. V. 298, 301 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte in Deutschland e. V. (KVPM) 289, 298-299, 301 Lernstudio Konrad (Laufen) 299 Nachhilfeund Sprachenschule Grübl und Kroggel (Zirndorf) 299 Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben 289, 298 Scientology Kirche Bayern e. V. (SKB) 289-290, 295 Scientology Kirche Deutschland e. V. (SKD) 289, 295, 300 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 295, 298, 301 371 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Anhang BILDNACHWEIS INFORMATIONEN ZUM VERFASSUNGSSCHUTZ Seite 17 Foto: BayLfV Seite 25 Broschüre: Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite 26 Broschüre: Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite 27 Broschüre: BayLfV Seite 27 Broschüre: Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite 28 Broschüre: Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite 28 Broschüre: BayLfV ISLAMISMUS Seite 49 Broschüre: Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite 52 Beide Bilder: BayLfV Seite 58 Bild: BayLfV Seite 59 Broschüre: BayLfV Seite 61 Bild: BayLfV Seite 62 Bild: BayLfV Seite 65 Bild: picture alliance/dpa | Lino Mirgeler Seite 66 Bild: BayLfV Seite 81 Bild: BayLfV AUSLÄNDEREXTREMISMUS Seite 93 Bild: picture alliance/dpa | Matthias Balk 372 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 RECHTSEXTREMISMUS Seite 111 Bild: BayLfV Seite 118 Bild: BayLfV Seite 135 Beide Bilder: BayLfV Seite 137 Bild: BayLfV Seite 142 Bild: BayLfV Seite 146 Screenshot: Abgerufen am 09.07.2020 unter https://www.youtube.com/watch?v=8sh5FnhEg3A&list=PLPY93jZMySl1kuTzjvW9hgz2yFRQ0T8mi&index=3&t=0s Seite 164 Bild: BayLfV Seite 170 Screenshot oben: Abgerufen am 09.07.2020 unter https://twitter.com/ib_bayern/status/1220457797441282049/ photo/1 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Seite 200 Bild: picture alliance/SULUPRESS.de | MV/SULUPRESS.de Seite 207 Beide Bilder: BayLfV Seite 208 Broschüre: BayLfV VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE ISLAMFEINDLICHKEIT Seite 214 Bild: BayLfV Seite 218 Beide Bilder: BayLfV LINKSEXTREMISMUS Seite 225 Bild: BayLfV Seite 226 Bild: BayLfV Seite 232 Bild: BayLfV Seite 236 Beide Bilder: BayLfV Seite 237 Broschüre: BayLfV Seite 249 Bild Mitte: BayLfV Seite 260 Foto: picture alliance/ASSOCIATED PRESS | Martin Meissner Seite 262 Bild: BayLfV Seite 270 Bild: BayLfV 373 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Anhang SCIENTOLOGY-ORGANISATION Seite 290 Bild: BayLfV Seite 291 Bild: https://www.facebook.com/churchofscientology/photos/ gm.2993062600761398/2862375100482648/?type=1&theater, abgerufen am 28.08.2020 Seite 293 Beide Bilder: BayLfV Seite 295 Bild: https://www.scientology-fso.org/inside-our-church/ Seite 299 Bild: BayLfV Seite 300 Foto: Polizei Seite 303 Bild: BayLfV Seite 304 Broschüre: Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite 304 Beide Bilder: BayLfV SPIONAGEABWEHR/CAZ Seite 312 Foto: picture alliance/dpa/TASS | Sergei Karpukhin Seite 313 Foto: picture alliance/REUTERS | STRINGER Seite 317 Foto: picture alliance/AA | Aytac Unal Seite 322 Broschüre: BayLfV Seite 325 Broschüre: BayLfV Seite 327 Broschüre: Verfassungsschutzverbund 374 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 375 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 376 Verfassungsschutzbericht Bayern 2020 Impressum Herausgeber: Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Odeonsplatz 3, 80539 München www.innenministerium.bayern.de Redaktion: Abteilung Verfassungsschutz, Cybersicherheit in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz Gestaltung: IKW team GmbH, München Stand: April 2021 Druck: StMI (Pressefassung); gedruckt auf umweltzertifiziertem Papier Hinweis Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Bayerischen Staatsregierung herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern im Zeitraum von fünf Monaten vor einer Wahl zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags-, Kommunalund Europawahlen. Missbräuchlich ist während dieser Zeit insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken und Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Staatsregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. Wollen Sie mehr über die Arbeit der Bayerischen Staatsregierung erfahren? BAYERN | DIREKT ist Ihr direkter Draht zur Bayerischen Staatsregierung. 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