Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Verfassungsschutzbericht 2019 Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 4 Liebe Bürgerinnen und Bürger, im vergangenen Jahr starben drei Menschen durch die Hand rechtsextremistisch motivierter Attentäter. Im Juni wurde der Regierungspräsident von Kassel vor seinem Haus aus nächster Nähe erschossen. Nach den bisherigen Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden löste das Bekenntnis des Regierungspräsidenten zum Schutz der zu uns geflüchteten Menschen die fremdenfeindlich motivierte Hasstat aus. Nur vier Monate später versuchte ein ebenfalls rechtsextremistisch motivierter Täter in Halle unter jüdischen Gläubigen während des Gottesdienstes ein Massaker anzurichten. Als die Tat an den Sicherheitsvorkehrungen der Synagoge scheiterte, richtete er zwei Menschen, die sich zufällig in der Nähe des Tatortes aufhielten, regelrecht hin und verletzte auf der Flucht weitere Menschen zum Teil schwer. Das zeitgleich im Internet veröffentlichte "Manifest" des Täters ist eine üble Mixtur aus antisemitischen Verschwörungstheorien sowie Frauenund Muslimfeindlichkeit. Ende Februar diesen Jahres eröffnete ein Einzeltäter in Hanau auf offener Straße das Feuer und tötete neun willkürlich ausgewählte Opfer und ein Familienmitglied. Diese Mordanschläge stellen einen zivilisatorischen Bruch dar, wie er seit dem Ende des NSU nicht mehr vorgekommen ist. Die Täter haben ihre hasserfüllte Ideologie über den rechtsstaatlichen Grundkonsens der Unantastbarkeit der Menschenwürde und über das Recht auf Leben gestellt. Der Täter von Halle hatte in Nachahmung US-amerikanischer Attentäter seine Tat live ins Internet übertragen. Diesem Tätertypus geht es nicht nur darum, seiner Ideologie ein mörderisches Fanal zu setzen, er will dabei möglichst weltweit gesehen und zur Inspiration für Nachahmer werden. Die Täter zielen dabei insbesondere auf jene Internetforen, in denen sich Gleichgesinnte mit immer aggressiver werdender Hetze gegenseitig aufstacheln. Für die Sicherheitsbehörden wird es daher immer wichtiger, diese Hassforen stärker aufzuklären und radikalisierte Einzeltäter oder Kleinstgruppen so früh wie möglich zu identifizieren, bevor sie ihre Gewaltphantasien in die Tat umsetzen. Im Bereich der Vorfeldaufklärung kommt dem Verfassungsschutz eine besondere Bedeutung zu. Während die Taten von Rechtsextremisten in der Öffentlichkeit zu Recht Abscheu hervorrufen, herrscht bei Gewaltausbrüchen von Linksextremisten eine eigentümliche Zurückhaltung. Gewalttätige Übergriffe von Linksextremisten werden nicht 5 gleichermaßen als das wahrgenommen, was sie sind, eine Kampfansage an den Staat, jeden Andersdenkenden oder sonst der Szene unliebsame Personen und die Demokratie an sich. In Teilen der Öffentlichkeit gehört es mittlerweile zum guten Ton, linksextremistische Gewaltausbrüche als "zivilen Ungehorsam" gegen einen angeblichen Repressionsstaat zu verharmlosen. Eskalationen im Rahmen von Veranstaltungen werden nicht der Strategie der Linksextremisten, sondern der Einsatzleitung oder schlicht der Polizeipräsenz zugeschrieben. Einige der Relativierer negieren das Gewaltmonopol des Staates und wollen der Polizei die Gewährleistung der Inneren Sicherheit aus den Händen nehmen. Im Klartext bedeutet dies, dass nicht-staatliche Instanzen z.B. nach eigenem Gutdünken entscheiden sollen, wer sich wann gefahrlos in einem Stadtteil bewegen darf und wer nicht. In einer Demokratie ist aber kein Platz für "No-go-Areas", jeder Bürger hat das Recht, sich zu jedem Zeitpunkt an jedem öffentlichen Ort aufhalten zu dürfen, unabhängig von seinem Aussehen, Geschlecht, Alter, Religionszugehörigkeit, politischer Einstellung oder Beruf. Der Staat kann nicht auf der einen Seite konsequent die Präsenz rechtsextremistischer Bürgerwehren unterbinden und auf der anderen Seite tatenlos zusehen, wenn Linksextremisten Räume besetzen, die sich jeder rechtsstaatlichen Regelung entziehen. Unsere Demokratie lebt von Regeln und von dem Vertrauen darauf, dass sich alle gesellschaftlichen Akteure an diese Regeln halten. Deshalb sendet das Messen mit zweierlei Maß ein fatales Signal in unsere Gesellschaft. In einer Demokratie ist weder Platz für eine offene noch für eine stillschweigende Billigung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Das Gebot des Gewaltverzichts ist für unsere Demokratie bestimmend, kein noch so "hehrer Zweck" rechtfertigt ein Abweichen hiervon. Sicher: unsere Demokratie steht vielfältigen Problemstellungen gegenüber, die gesellschaftspolitisch kontrovers diskutiert werden und auch diskutiert werden müssen. An die Stelle eines Austauschs sachlicher Argumente tritt jedoch allzu oft die als absolut gestellte eigene Meinung und die Abwertung anderer Meinungen als minderwertig. Diese Verrohung der Sprache ist insbesondere in den sozialen Medien zu beobachten, wo nahezu jede Form der Beleidung zu finden ist, bis hin zur strafrechtlich relevanten Hetze. Von der verbalen Attacke bis zum tätlichen Angriff ist es dann leider nur noch ein kleiner Schritt. Ein Blick über die Grenzen Deutschlands zeigt, wohin Staaten driften, in denen Gewalt zur Durchsetzung der eigenen Interessen an der Tagesordnung ist. Es ist daher an der Zeit, öffentlich stärker für das einzutreten, was unsere Demokratie wesentlich prägt: Die Achtung der Menschenwürde und der Schutz des Lebens jedes Einzelnen, die freie Rede und der Verzicht auf Gewalt zur Durchsetzung gesellschaftlicher oder politischer Ziele. Joachim Herrmann Staatsminister 6 Liebe Bürgerinnen und Bürger, 2019 war das Jahr eines bedeutungsvollen Doppeljubiläums: Am 23. Mai wurde das Grundgesetz 70 Jahre alt. Ein ehrwürdiger, ein freudiger Anlass, der zu Recht mit zahlreichen Festakten und Veranstaltungen landesweit gewürdigt wurde. Am 31. Juli gedachten wir zudem des 100. Jahrestags der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung und damit der Geburtsstunde der ersten deutschen Demokratie. Wir können heute mit Stolz auf diese wichtigen Marksteine unserer Verfassungsgeschichte zurückblicken und Dankbarkeit empfinden für das Maß an Freiheit und Demokratie, an Sicherheit und Wohlstand, welches den Menschen in unserem Land durch das Grundgesetz schließlich zuteilwurde. Zu unserer aufgeklärten deutschen Erinnerungskultur gehört es jedoch auch, uns in diesen Momenten der Freude und Dankbarkeit stets auch das Grauen der menschenverachtenden NS-Diktatur zu vergegenwärtigen, die wie ein dunkles Band die Schicksale beider deutscher Demokratien miteinander verbindet. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 besiegelte das Ende und damit auch das Scheitern der Weimarer Republik und läutete "die deutsche Katastrophe" ein, jene leidvollen Jahre, die geprägt waren von Diktatur, Krieg und dem Abgrund der Shoa. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten den Zivilisationsbruch der nationalsozialistischen Diktatur als auch die Umstände des Scheiterns der Weimarer Republik klar und schmerzhaft vor Augen, als sie sich im Parlamentarischen Rat anschickten, eine neue staatliche Ordnung ins Leben zu rufen, die dauerhaft Demokratie und Freiheit schaffen und wahren sollte. Zu den vielen bemerkenswerten Merkmalen bundesdeutscher Verfassungsstaatlichkeit gehören seither insbesondere die hervorgehobene Stellung der Menschenwürde sowie das Prinzip der sogenannten "wehrhaften Demokratie", das es dem freiheitlichen-demokratischen Staat nicht nur erlaubt, sondern ihn dazu verpflichtet, sich gegen seine Feinde zu wehren. Wenn heute ein bekannter Rechtsextremist die KZ-Gedenkstätte Dachau als Kulisse für seine menschenverachtende Agitation missbraucht und versucht, diese online zu verbreiten, wenn Rechtsextremisten weiterhin völkische und kollektivistische Ideale propagieren und mit ihrer gegen die Menschenwürde gerichteten Agitation versuchen, in die Stadtund Gemeinderäte sowie in die Parlamente vorzudringen, wenn Linksextremisten unter dem Deckmantel bürgerlich anschlussfähiger Themen versuchen, ihre Gewaltund Feindbildideologien zu legitimieren, wenn Islamisten sich 7 bemühen, gesellschaftliche Konflikte zu schüren und Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen gegeneinander auszuspielen und wenn extremistische Gewalt schließlich auch Menschenleben bedroht oder auslöscht, dann zeigt es dies: Feinde von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit existieren nach wie vor. Ihre Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche-demokratische Grundordnung richten, stellen auch nach über 70 Jahren Grundgesetz eine anhaltende Bedrohung dar. Eine Bedrohung, die heute unter den Bedingungen der Digitalisierung möglicherweise sogar vielseitiger und staatsund demokratiegefährdender denn je ist. Die gültige Verfassung des Freistaates Bayern trat bereits am 8. Dezember 1946 in Kraft. In ihrer Präambel hebt sie das "Trümmerfeld" hervor, zu dem eine "Staatsund Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung der Würde des Menschen" geführt hatte. Mit dieser kraftvollen Formulierung verweist die bayerische Verfassung nicht nur auf den tatsächlichen Zustand der zerstörten deutschen und bayerischen Städte zum Ende des Zweiten Weltkrieges, sondern auch auf das geistig-moralische Trümmerfeld des Nationalsozialismus. Das Bild des "Trümmer feldes" sollte uns nach wie vor Anlass zum demutsvollen Erinnern als auch zum entschlossenen Eintreten für unsere freiheitliche-demokratische Verfassungsordnung sein. München, im April 2020 Dr. Burkhard Körner Präsident des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz 8 9 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Inhalt Informationen zum Verfassungsschutz 16 1. Der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem 17 2. Gesetzlicher Auftrag 17 3. Informationsbeschaffung 21 4. Kontrolle des Verfassungsschutzes 22 5. Zusammenarbeit mit der Polizei 23 6. Information und Prävention 23 Islamismus 30 1. Personenpotenzial in Bayern 32 2. Islamismus in Deutschland 32 3. Strukturen 34 3.1 Legalistischer Islamismus 34 3.1.1 Milli Görüs-Bewegung 35 3.1.2 Furkan-Gemeinschaft 38 3.1.3 Tablighi Jamaat (TJ) 39 3.1.4 Islamische Vereinigung in Bayern e. V. (IVB) 41 3.1.5 Die Muslimbruderschaft (MB) und ihr Einfluss in Deutschland 42 3.1.6 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) (ehemals: Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD)) 44 3.2 Salafismus 46 3.2.1 Ursprung 46 3.2.2 Ideologie 46 3.2.3 Personenpotenzial 49 3.2.4 Reisebewegungen und Rückkehrer 51 3.2.5 Rekrutierung und Propaganda 55 3.2.6 Salafistische Bestrebungen im Strafvollzug 60 3.2.7 Migrationsbewegung im Blickfeld des Islamismus 62 3.2.8 Anschlagsgeschehen und Täterprofile 63 3.2.9 Exekutivmaßnahmen 66 3.2.10 Islamischer Staat, al-Qaida und andere terroristische Strukturen 68 3.3 Sonstiger islamistischer Terrorismus 74 3.3.1 HAMAS (Islamische Widerstandsbewegung) 74 3.3.2 Hizb Allah (Partei Gottes) 76 3.4 Sonstige verbotene Organisationen 77 10 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Ausländerextremismus 80 1. Personenpotenzial in Bayern 82 2. Konfliktund Gewaltpotenzial 82 3. Strukturen 83 3.1 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 83 3.2 Türkische Linke 89 3.2.1 DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)/Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 89 3.2.2 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten - Partizan Flügel (TKP/ML - "Partizan-Flügel") 90 3.2.3 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 91 3.3 Türkische Rechtsextremisten: ÜlkücüBewegung ("Idealisten"-Bewegung) 92 Rechtsextremismus 94 1. Personenpotenzial in Bayern 96 2. Gewaltpotenzial 98 2.1 Gewaltorientierte rechtsextremistische Szene in Bayern 101 2.2 Gewalt gegen Flüchtlinge 102 2.3 Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten 104 3. Rechtsextremistische Themenfelder und Aktionsformen 106 3.1 Rechtsextremistische Themenfelder 106 3.2 Rechtsextremistische Aktionsformen 117 3.2.1 Rechtsextremistische Bürgerwehrund Patrouille-Aktionen 117 3.2.2 Rechtsextremistische Aktivitäten bei Veranstaltungen 121 3.2.3 Freizeitaktivitäten zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und zur Nachwuchsgewinnung 123 3.2.4 Kampfsportveranstaltungen 125 3.2.5 Internationale Kontakte bayerischer Rechtsextremisten 128 4. Internet, Musik, Verlage und Vertriebsstrukturen 130 4.1 Rechtsextremisten im Internet 130 4.1.1 Aktivitäten und Strategien 131 4.1.2 Aufklärungsarbeit des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (BayLfV) im Bereich Internet und Soziale Medien 134 4.2 Rechtsextremistische Musik 134 4.3 Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen 140 4.4 Rechtsextremistische Internetradios und -TV 141 4.5 Rechtsextremistisches Verlagswesen 142 11 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 5. Immobiliensuche und -erwerb 143 6. Rechtsextremistische Parteien und parteinahe Strukturen 144 6.1 Junge Alternative für Deutschland Bayern (JA Bayern) 144 6.2 "Der Flügel" 148 6.3 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 153 6.4 Partei Der Dritte Weg (III. Weg) 160 6.5 Partei Deutsche Konservative, Landesverband Bayern 165 6.6 Partei DIE RECHTE - Partei für Volksabstimmung, Souveränität und Heimatschutz 166 7. Parteiunabhängige rechtsextremistische Organisationen 167 7.1 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 167 7.1.1 Symbolik und Ideologie 169 7.1.2 Vernetzungsstrategien 170 7.1.3 Strukturen in Bayern 170 7.2 PEGIDA-München - zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e. V. (PEGIDA-München) 175 7.3 Bürgerinitiativen 176 7.4 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 180 8. Neonazismus und Kameradschaften 185 8.1 Neonazistische Gruppen 186 9. Rechtsextremistische Jugend-Szenen und Subkulturen 190 Reichsbürger und Selbstverwalter 196 1. Personenpotenzial 199 2. Ideologie 200 2.1 Ideologische Gemeinsamkeiten 200 2.2 Szeneinterne ideologische Konflikte 201 3. Typische Aktivitäten 203 3.1 Auftreten gegenüber Justiz und Verwaltung 203 3.2 Beantragung von Staatsangehörigkeitsausweisen und Nutzung eigener Dokumente 204 3.3 Reaktivierungen von Gemeinden 205 3.4 Kommerzielle Aktivitäten sogenannter "Milieumanager" 206 3.5 Stammtische und Seminare 207 3.6 Überregionale und internationale Kontakte 207 4. Aktuelle Aktivitäten in Bayern 208 4.1 Reichsbürgergruppierung "Geeinte Deutsche Völker und Stämme" beklebt Ortsschilder in Mainburg 208 4.2 Reichsbürgergruppierung "Staatenlos.info - Comedian e V." führt Kundgebungen in Bayern durch 208 4.3 "Verfassunggebende Versammlung" verschickt "Appell an die Polizei" 209 4.4 Reichsbürgerin aus dem Allgäu zu 14 Monaten Haft verurteilt 210 12 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 5. Gewaltpotenzial 210 6. Reichsbürgergruppierungen in Bayern 211 6.1 Sicherheitsgefährdende Bestrebungen 211 6.1.1 Volksstaat Bayern (vormals: Bundesstaat Bayern) 211 6.1.2 Amt Deutscher Heimatbund, Deutscher Heimatbund, Heimatbund der Menschen 213 6.1.3 Heimatgemeinde "Gemeinde Chiemgau" (Heimatgesellschaft Chiemgau) 213 6.1.4 Verfassunggebende Versammlung 214 6.1.5 Staatenlos.info - Comedian e V. 215 6.1.6 Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuSt) 216 6.2 Phänomenbereich Rechtsextremismus 216 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit 218 1. Bürgerbewegung Pax Europa e. V. - Landesverband Bayern (BPE Bayern) 221 2. Michael Stürzenberger und Umfeld 222 3. Pegida Nürnberg/Pegida Mittelfranken 226 Linksextremismus 228 1. Personenpotenzial in Bayern 230 2. Militanzund Gewaltpotenzial 230 2.1 Linksextremistisch motivierte Straftatenserie 233 2.2 Linksextremistische Aktionen gegen politische Gegner 235 2.3 Strafund Gewalttaten 237 2.4 Präventionsmaßnahmen des Verfassungsschutzes 238 3. Einflussnahme auf Bürgerliche Kampagnen 239 4. Ideologische Wurzeln des Linksextremismus 241 5. Linksextremistische Themenfelder 245 6. Internet, Musik und Medien 250 6.1 Linksextremistische Agitation im Internet 250 6.2 Linksextremistische Szenepublikationen 251 6.3 Linksextremistische Musik 253 7. Linksextremistische Parteien und Vereinigungen 254 7.1 Offen extremistische Strukturen in der Partei DIE LINKE. 254 7.1.1 Linksjugend ['solid] Landesverband Bayern 255 7.1.2 DIE LINKE. Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband (DIE LINKE.SDS) Landesverband Bayern 255 7.1.3 Antikapitalistische Linke (AKL) 255 7.1.4 Arbeitsgemeinschaft Cuba Si (Cuba Si) 256 7.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Umfeld 257 13 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 7.2.1 DKP 257 7.2.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 259 7.2.3 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) 260 7.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 262 7.4 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) 264 7.5 Marxistische Jugend (mj) 265 7.6 Rote Hilfe e. V. (RH) 266 8. Autonome, Postautonome und Anarchisten 267 8.1 Beschreibung / Hintergrund 267 8.2 Gruppierungen 270 8.2.1 Autonome Gruppierungen 270 8.2.2 Postautonome Gruppierungen 278 8.2.3 Anarchistische Gruppen 282 Scientology-Organisation (SO) 286 1. Personenpotenzial 289 2. Aktionen und Aktivitäten 289 2.1 Ausstellung der "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte Deutschland e. V." (KVPM) 289 2.2 Offensive Öffentlichkeitsarbeit der Tarnorganisation "Der Weg zum Glücklichsein" 290 2.3 Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit durch die "Volunteer Ministers" in München 292 3. Organisationsstruktur 294 3.1 Finanzierung der Scientology-Organisation 296 3.2 Unterorganisationen der Scientology-Organisation 296 3.3. Formen der Kontaktaufnahme 300 4. Aussteiger 300 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Cyber-Allianz-Zentrum (CAZ) 302 1. Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste 305 1.1 Russische Föderation 307 1.2 Volksrepublik China 309 1.3 Sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten 312 2. Wirtschaftsschutz 313 3. Cyber-Allianz-Zentrum Bayern (CAZ) 315 4. Proliferation 321 14 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Organisierte Kriminalität (OK) 324 1. Rockerkriminalität 327 1.1 Allgemeines 327 1.2 Bayerische OMCGs 328 1.3 Bayerische rockerähnliche Gruppierungen 330 1.4 Auswirkungen des Kuttenverbots 331 1.5 Gefährdungslage Bund/Bayern 332 1.6 Phänomenübergreifende Aspekte 334 1.6.1 Verbindungen von Rockern in die rechtsextremistische Szene 334 1.6.2 Rocker und Waffenerlaubnisse 335 1.6.3 Verbindungen von Rockern in die Rapund Kampfsportszene 335 2. OK aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 336 3. OK-Gruppierungen aus dem Balkan und der Türkei 337 4. Italienische Mafia 338 5. Nigerianische OK 340 Im Blickpunkt 342 Anhang 352 Grafiken: Personenpotenzial und Gewalttaten 352 Stichwortregister 353 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 358 Bildnachweis 366 Impressum 369 15 Informationen zum Informationen zum Verfassungsschutz Verfassungsschutz Der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem Gesetzlicher Auftrag Informationsbeschaffung Kontrolle des Verfassungsschutzes Zusammenarbeit mit der Polizei Information und Prävention 16 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 1. DER VERFASSUNGSSCHUTZ ALS FRÜHWARNSYSTEM Die Bundesrepublik Deutschland ist nach ihrer Verfassung eine wertgebundene, wachsame und wehrhafte Demokratie. Der Staat kann gegen Bestrebungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, die in der Verfassung vorgesehenen Abwehrmittel einsetzen, z. B. ein Parteioder Vereinsverbot. Das setzt aber voraus, dass er solche Bestrebungen oder Aktivitäten, die als extremistisch oder als verfassungsfeindlich bezeichnet werden, rechtzeitig erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Verfassungsschutzes als Frühwarnsystem zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie zum Schutz des Bestandes und der Sicherheit von Bund und Ländern ein. 2. GESETZLICHER AUFTRAG Die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sind gesetzlich genau festgelegt. Das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) regelt die von Bund und Ländern im Rahmen des Verfassungsschutzes gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben und ist zugleich Rechtsgrundlage für die Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Daneben gibt es in allen Ländern eigene Verfassungsschutzgesetze. In Bayern regelt das Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) die Aufgaben und Befugnisse des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz, das seinen Sitz in München hat und dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration unmittelbar nachgeordnet ist. Das zum Foto: Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz in München 17 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Verfassungsschutz in Bayern 1. August 2016 in Kraft getretene Bayerische Verfassungsschutzgesetz wurde mit Wirkung zum 1. Juli 2018 an aktuelle Entwicklungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung angepasst. So wurden u. a. der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung sowie von Berufsgeheimnisträgern neu geregelt und eine detaillierte Rechtsgrundlage für längerfristige Observationen geschaffen. Das Gesetz enthält zudem Regelungen für eine enge Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit Polizeiund Sicherheitsbehörden sowie klare gesetzliche Rahmenbeding ungen für den Einsatz von Vertrauensleuten und eine stärkere Harmonisierung der Vorschriften mit Bundesrecht. Für das Landesamt wurden im Haushaltsplan 2019 insgesamt rund 551 Stellen für Beamte und Tarifbeschäftigte im öffent lichen Dienst ausgewiesen. Das Haushaltsvolumen 2019 betrug rund 40 Millionen Euro. Der Verfassungsschutz sammelt Informationen über sicherheitsgefährdende und verfassungsfeindliche Bestrebungen im Inland und wertet diese aus. Diesem originären Beobachtungsauftrag unterliegen im Wesentlichen -- Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, -- sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht (Sabotage und Spionage), -- Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, -- Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind, -- Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität. Als "Bestrebung" ist eine politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweise definiert, die darauf gerichtet ist, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes beziehungsweise Verfassungsgrundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Solche Bestrebungen können von Gruppierungen oder Einzelpersonen ausgehen. Arbeitsschwerpunkt des Verfassungsschutzes ist dabei die Beobachtung von extremistischen Organisationen, d. h. in erster Linie die Analyse ihrer Ziele, Aktivitäten, Stärke, ihres Aufbaus und ihrer finanziellen Verhältnisse. Dazu müssen zwangsläufig 18 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 auch die Mitglieder und Unterstützer erfasst werden. Aber auch die Beobachtung von extremistischen Einzelpersonen ist zulässig. Als extremistische oder staatsgefährdende Bestrebungen werden in Bayern beobachtet: -- Islamismus, -- Ausländerextremismus, -- Rechtsextremismus, -- Reichsbürger und Selbstverwalter, -- verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit, -- Linksextremismus, -- Scientology-Organisation. Der Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes umfasst auch extremistische Aktivitäten im Internet, z. B. in Blogs und Foren. Dabei ist aber eine "automatische" Zurechnung von anonymen Beiträgen in Blogs oder Foren zulasten der Betreiber rechtlich nicht zulässig. Erst wenn eine politisch motivierte, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielrichtung zurechenbar festzustellen ist, ist der Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes eröffnet. Nach einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungs Beobachtung von gerichts aus dem Jahr 2013 zu den Voraussetzungen und GrenAbgeordneten zen der Beobachtung von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz ist die Beobachtung von Parlamentsabgeordneten durch die Verfassungsschutzbehörden wegen des darin liegenden Eingriffs in das freie Mandat des Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen zulässig. An die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist dabei mit Blick auf die Bedeutung, die das Grundgesetz dem freien Mandat zuerkennt, ein strenger Maßstab anzulegen. Ein die Beobachtung rechtfertigendes, überwiegendes Interesse am Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung liegt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere dann vor, wenn ein Abgeordneter sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft. In Bayern ist die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OK) Organisierte seit 1994 nicht nur Aufgabe der Polizei, sondern - zum Schutz der Kriminalität verfassungsmäßigen Ordnung - auch des Verfassungsschutzes. Dies umfasst u. a. die Bereiche illegaler Waffenund Drogenhandel, Schutzgelderpressung und Geldwäsche. Der Bayerische Verfassungsschutz klärt da auf, wo Polizei oder Staatsanwaltschaft rechtlich noch nicht tätig werden können, und liefert so einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung krimineller Strukturen. 19 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Verfassungsschutz in Bayern Personen, die der OK angehören beziehungsweise sich in deren Umfeld aufhalten, agieren sehr konspirativ. Die Aufklärung dieser Strukturen setzt eine systematische und vor allem langfristig angelegte Beobachtung voraus, die auch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erfordert. Liegen dem Verfassungsschutz konkrete Anhaltspunkte für kriminelle Strukturen und Straftaten vor, werden diese zur weiteren Bearbeitung an Polizei und Staatsanwaltschaft abgegeben. Spionageabwehr Eine weitere Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Spionage abwehr, d. h. die Abwehr der Spionage von Nachrichtendiensten fremder Staaten gegen Deutschland. Wesentliche Angriffsziele sind die Bereiche Politik, Militärtechnologie und Wirtschaft. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste, sammelt Informationen und wertet sie aus, um z. B. deutsche Unternehmen zu schützen. Das seit Juli 2013 bestehende Cyber-Allianz-Zentrum im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz unterstützt Unternehmen, Betreiber kritischer Infrastrukturen sowie Wissenschafts-, beziehungsweise Forschungseinrichtungen bei der Prävention und Abwehr gezielter Cyberangriffe. Mitwirkungs Daneben hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz aufgaben eine Reihe von Mitwirkungsaufgaben, bei denen es als Fachberater bei Sachentscheidungen einer anderen Behörde hinzugezogen wird. Dabei fließen die bereits vorhandenen oder aus Anlass des Mitwirkungsersuchens gewonnenen Erkenntnisse in den Entscheidungsprozess einer anderen Behörde mit ein. Zu den Mitwirkungsaufgaben gehören der Geheimund Sabotageschutz. Der Geheimschutz umfasst die Maßnahmen, die verhindern sollen, dass Unbefugte von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Informationen und Unterlagen - sogenannte Verschlusssachen - Kenntnis erhalten. Verschlusssachen gibt es in Behörden, aber auch in privatwirtschaftlichen Unternehmen, die im Auftrag des Staates tätig werden. Der materielle Geheimschutz befasst sich mit den organisatorischen und technischen Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, um Verschlusssachen vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Der personelle Geheimschutz beinhaltet die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen. Die Sicherheitsüberprüfung nach dem Bayerischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz 20 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 (BaySÜG) soll gewährleisten, dass nur zuverlässige Personen eingesetzt werden, bei denen keine Umstände vorliegen, die ein Sicherheitsrisiko darstellen. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz bringt außerdem seine Erkenntnisse im Rahmen weiterer Beteiligungsauf gaben ein, insbesondere bei einbürgerungsund aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen. Es ist an der behördenübergreifenden Arbeitsgruppe "BIRGiT" (Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamis tischen Terrorismus/Extremismus) beteiligt. Zudem hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz die Aufgabe, im Einzelfall amtliche Auskünfte im Rahmen der Verfassungstreueüberprüfung von Bewerbern für den öffent lichen Dienst zu erteilen. Außerdem übermittelt es relevante Erkenntnisse im Rahmen von Zuverlässigkeitsüberprüfungen z. B. nach dem Luftsicherheitsgesetz und dem Atomgesetz. 3. INFORMATIONSBESCHAFFUNG Zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags darf das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz Informationen sammeln und auswerten und diese Informationen, soweit sie erforderlich sind, speichern. Diese Informationen werden zum weit überwiegenden Teil aus offenen Quellen gewonnen (z. B. aus dem Internet, aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Programmen, Broschüren sowie bei öffentlichen Veranstaltungen extremistischer Organisationen). Einen Teil der Informationen erhält der Verfassungsschutz durch Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel. Dazu gehören insbesondere: -- der Einsatz von Vertrauensleuten (Personen, die der Verfassungsschutzbehörde selbst nicht angehören, aber aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Beobachtungsobjekt "Szene-Erkenntnisse" gegen Bezahlung liefern), -- das Beobachten verdächtiger Personen (Observation) sowie -- verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs) sind besonders strengen rechtsstaatlichen Anforderungen unterworfen. 21 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Verfassungsschutz in Bayern Die Voraussetzungen, unter denen vom Inhalt einer Telekommunikation Kenntnis genommen werden darf, sind in einem eigenen Bundesgesetz geregelt, das nach dem Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses "Artikel 10-Gesetz" (G 10) genannt wird. Ein Verfahren mit mehreren voneinander unabhängigen Kon trollinstanzen stellt sicher, dass in dieses Grundrecht nur eingegriffen wird, wenn die im Gesetz genannten besonderen Gründe vorliegen. Ähnliches gilt für die 2003 eingeführten Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern sowie für die Verwendung technischer Mittel zur Identifizierung von bisher unbekannten Mobilfunkanschlüssen. Besonders strenge rechtsstaatliche Sicherungen gelten auch für den Einsatz von technischen Mitteln in Wohnund Geschäftsräumen sowie für den verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme. Solche Maßnahmen dürfen nur auf Anordnung eines Richters vorgenommen werden. 4. KONTROLLE DES VERFASSUNGS SCHUTZES Die Tätigkeit des bayerischen Verfassungsschutzes unterliegt einer vielfältigen Kontrolle. Dazu gehört die allgemeine parlamentarische Kontrolle, die durch die Berichtspflicht des verantwortlichen Ministers gegenüber dem Landtag im Rahmen von Anfragen von Abgeordneten, Petitionen usw. ausgeübt wird. Eine besondere Kommission des Bayerischen Landtags, das Parlamentarische Kontrollgremium, überwacht die Arbeit des Verfassungsschutzes. Die G 10-Kommission überprüft unter anderem die Maßnahmen zur Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs sowie die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern, Luftfahrtunternehmen oder Kreditinstituten. Die Verwaltungskontrolle obliegt dem Innenminister im Rahmen der Dienstund Fachaufsicht, ferner dem Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz und dem Bayerischen Obersten Rechnungshof. Diese Kontrollen werden ergänzt durch die Möglichkeit, gegen belastende Maßnahmen die Verwaltungsgerichte anzurufen. Schließlich findet über die Medienberichterstattung auch eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit statt. 22 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 5. ZUSAMMENARBEIT MIT DER POLIZEI Beim Schutz von Staat und Verfassung arbeiten Polizei und Verfassungsschutz eng zusammen. Dabei sind die Polizeiund Verfassungsschutzbehörden jedoch voneinander getrennt, Verfassungsschutzbehörden dürfen keiner polizeilichen Dienst stelle angegliedert werden (organisatorisches Trennungsgebot). Aufgabe der Polizei sind die Abwehr von Gefahren sowie die Aufklärung von Straftaten. Sie verfügt über Eingriffsrechte und Zwangsbefugnisse (z. B. Festnahmen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen usw.) und muss eingreifen, sobald sie Hinweise auf Straftaten erhält. Der Verfassungsschutz ist dagegen für die Vorfeldaufklärung zuständig und hat keine Zwangsbefugnisse und kein Weisungsrecht gegenüber der Polizei (befugnisrechtliches Trennungsgebot). Hat der Verfassungsschutz ausreichend Erkenntnisse, die ein sicherheitsrechtliches Eingreifen erforderlich machen, unterrichtet er die zuständige Sicherheitsbehörde. Diese entscheidet dann selbstständig, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. Begrenzt wird dieser Informationsaustausch jedoch durch das sogenannte "informationelle Trennungsprinzip". Dieses beruht auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2013. Das Gericht hat darin ausgeführt, dass aufgrund der verschiedenen Aufgaben von Polizei und Verfassungsschutzbehörden und der unterschiedlichen Befugnisse Informationen durch den Verfassungsschutz an die Polizei nur in bedeutsamen Fällen übermittelt werden dürfen. Daher enthält das BayVSG genau wie das BVerfSchG sehr ausdifferenzierte Regelungen für die Informationsübermittlung an die Polizei. 6. INFORMATION UND PRÄVENTION Der Verfassungsschutz hat den gesetzlichen Auftrag, Regierung und Parlament sowie die Öffentlichkeit über Aktivitäten und Ziele verfassungsfeindlicher Organisationen zu informieren. Zu diesem Zweck veröffentlicht das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz die jährlich erscheinenden Verfassungsschutzberichte. Eingang in den Verfassungsschutzbericht finden Bestrebungen, bei denen hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für Extremismus vorliegen. Eine Verdachtsberichterstattung findet in Bayern nicht statt. 23 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Verfassungsschutz in Bayern Das Landesamt für Verfassungsschutz informiert und sensibilisiert auf seiner Homepage, in Veranstaltungen und eigenen Publikationen. Zudem trägt es mit einer Informationsfilmreihe dem geänderten Mediennutzungsverhalten Rechnung. Fachvorträge für Im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit klärt das Landesamt für Multiplikatoren Verfassungsschutz zudem durch zielgruppenorientierte Fachvorträge über aktuelle extremistische Entwicklungen auf. Diese Fachvorträge richten sich vor allem an Multiplikatoren (Schulen, Universitäten, Bildungsakademien, Träger politischer Bildungsund Jugendarbeit, Kommunen, demokratische Bürgerinitiativen, politische Parteien). Der Verfassungsschutz leistet einen wichtigen Beitrag zur geistig-politischen Auseinandersetzung mit dem Extremismus und dient der Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Im Bereich des Rechtsextremismus arbeitet das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz u. a. mit der "Landeskoordinierungsstelle Demokratie leben! Bayern gegen Rechtsextremismus" und mit der Projektstelle gegen Rechtsextremismus "Bayerisches Bündnis für Toleranz - Demokratie und Menschenwürde schützen" zusammen. Es beteiligt sich auch an Ausbildungsund Fortbildungsmaßnahmen anderer Behörden, insbesondere der Bayerischen Polizei. BIGE Im Jahr 2009 wurde die organisatorisch beim Landesamt für Verfassungsschutz angesiedelte "Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus" (BIGE) als zentrale Informationsund Beratungsstelle der Staatsregierung zur Bekämpfung des politischen Extremismus eingerichtet. Seit Ende 2016 ist die BIGE neben ihrem Hauptsitz in München auch mit einer Außenstelle in Nürnberg vertreten. Das Aufgabenfeld der BIGE umfasst den Rechtsund Linksextremismus, die verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit sowie die Reichsbürger und Selbstverwalter. Die BIGE soll in diesen Phänomenbereichen nicht nur die Bekämpfung des Extremismus unterstützen, sondern auch die Zusammenarbeit von staatlichen Stellen, Kommunen, Schulen und gesellschaftlichen Einrichtungen stärken. Für Kommunen bietet die BIGE umfangreiche Beratungsleistungen an. Wesentliche Beratungsfelder sind die Unterbindung des Immobilienankaufs für rechtsextremistische Aktivitäten, die Verhinderung von rechtsextremistischen Veranstaltungen wie Konzerte sowie die Anti-Asyl-Agitation von Rechtsextremisten. 24 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Fallbezogen arbeitet die BIGE auch mit zivilgesellschaftlichen Ini tiativen wie der "Landeskoordinierungsstelle Demokratie leben! Bayern gegen Rechtsextremismus" und mit der Projektstelle gegen Rechtsextremismus des "Bayerischen Bündnisses für Toleranz - Demokratie und Menschenwürde schützen" zusammen. Bei Aktivitäten von extremistischen Organisationen im Umfeld von Schulen und bei Problemstellungen mit extremistischem Bezug im Schulalltag steht die BIGE in Zusammenarbeit mit den Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz der Schulfamilie mit einem umfassenden Maßnahmenkonzept zur Seite. Die BIGE beteiligt sich ferner an Ausund Fortbildungsmaßnahmen anderer Behörden, insbesondere der Bayerischen Polizei und im Justizvollzug. Das bereits seit 2001 beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz bestehende "Bayerische Aussteigerprogramm" wurde mit Gründung der BIGE dort integriert. Hier werden Einzelpersonen durch speziell ausgebildete Betreuer in ihrem Ausstiegsprozess aus der extremistischen Szene begleitet. Die BIGE ist ein wichtiger Bestandteil des "Bayerischen Handlungskonzepts gegen Rechtsextremismus", das seit seiner Einführung 2009 kontinuierlich fortentwickelt wird und eine Vielzahl von Maßnahmen gegen Rechtsextremismus enthält. In 2017 wurde das "Bayerische Handlungskonzept gegen Rechts extremismus" unter Federführung des Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration und in Zusammenarbeit mit dem Staatsministerium der Justiz, dem vormaligen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und dem Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales inhaltlich neu gefasst und grafisch völlig neu gestaltet. Ziel der Fortschreibung war es, die staatlichen Strukturen, Vorgehensweisen und Maßnahmen in Bayern, die in die drei Säulen "Vorbeugen - Unterstützen - Eingreifen" konzeptionell eingebettet sind, zu einem Gesamtkonzept zu verbinden und umfassend darzustellen. Zudem wurde für die Information einer breiteren Öffentlichkeit begleitend eine Broschüre erstellt. Neben der umfangreichen Öffentlichkeitsarbeit des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz erfolgt eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit auch durch die BIGE. Die BIGE betreibt zusammen mit dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus das Internetportal "Gemeinsam gegen Extremismus" (www.bige.bayern.de), das Anfang 2019 grundlegend überarbeitet wurde. Es stellt für die Nutzer detailliertes Fachwissen zu den 25 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Verfassungsschutz in Bayern Bereichen Rechtsund Linksextremismus, verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit sowie Reichsbürger und Selbstverwalter zur Verfügung und hält Beratungsund Hilfsangebote für betroffene Kommunen, Schulen und Eltern bereit. Die zusammen mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration aufgelegte Broschüre "Nein zu Nazis und Co." informiert über rechtsextremistische Agitation unter Jugendlichen und Heranwachsenden und klärt über neue Erscheinungsformen sowie Ziele, Taktiken und Strategien der Rechtsextremisten auf. Präventionsstelle In der Präventionsstelle Salafismus des Bayerischen LandesSalafismus des amts für Verfassungsschutz sind Mitarbeiter tätig, die sich auf Bayerischen Landesden Islamismus spezialisiert haben. An den Standorten Münamts für Verfaschen und Nürnberg stehen sie für Anfragen aus ganz Bayern zur sungsschutz Verfügung und bieten Informationsveranstaltungen wie Vorträge und Workshops sowie Beratungsgespräche an. Um Radikalisierungsund Rekrutierungsmechanismen erkennen zu können, werden Mitarbeiter in der Schulund Jugendarbeit, der Verwaltung, der Polizei, des Justizvollzugs und der Bewährungshilfe sowie der Hochschulen qualifiziert. Das Angebot richtet sich auch an Hauptund Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit, Sicherheitspersonal von größeren Unternehmen und Wirtschaftsverbänden sowie an Personen, die im sozialen und familiären Umfeld mit dem Thema Salafismus in Berührung kommen. Die Präventionsstelle Salafismus unterstützt und berät zudem Landratsämter, Gemeinden und kommunale Einrichtungen, wenn diese Anhaltspunkte für salafistische Bestrebungen vor Ort feststellen. In den Vorträgen und Workshops werden Hintergründe sowie aktuelle Entwicklungen im Bereich Islamismus und Salafismus vermittelt sowie zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als extremistischer Ideologie unterschieden. In Gesprächen vor Ort werden Handlungsoptionen aufgezeigt und gemeinsam ein mögliches Vorgehen erörtert. 26 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Mit dem Flyer "Was tun gegen Salafismus?" informiert die Präventionsstelle Salafismus über ihre vielfältigen Sensibilisierungs-, Beratungsund Fortbildungsformate. Im Bereich der Islamismusprävention kooperiert das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz im Rahmen des "Bayerischen Netzwerkes für Prävention und Deradikalisierung gegen Salafismus" mit den verschiedensten staatlichen Stellen in den Bereichen der Bildungsarbeit, der Integrationsund Sozialpolitik sowie der Jugendarbeit oder des Strafvollzuges. Das Netzwerk unterhält ein eigenes Internetportal mit Informationen zur Salafismusprävention in Bayern. Interessierte und Betroffene finden unter www.antworten-auf-salafismus.de Antworten auf Fragen zum Thema Salafismus sowie vielfältige Beratungs-, Unterstützungsund Förderangebote. Die vom Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz herausgegebene Broschüre "Salafismus - Prävention durch Information" enthält neben Informationen zum Salafismus auch Informationen über Beratungsstellen und Ansprechpartner im Bereich der Prävention und Deradikalisierung, an die sich Betroffene wenden können. Die Broschüre ist im Internet abrufbar unter www.stmi.bayern.de. Seit April 2018 steht zudem eine weitere Informationsbroschüre mit dem Titel "Islamismus erkennen" zur Verfügung. In der vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz herausgegebenen Broschüre liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf Logos, Bildern und Symbolfiguren, die eine hohe Wirkkraft auf Anhänger islamistischer Gruppierungen entfalten. Zweck der Broschüre ist es, dem Leser eine wichtige Grundkompetenz zum möglichst frühzeitigen Erkennen von Radikalisierungsprozessen und extremistischen Gefahren zu vermitteln. Die Broschüre ist im Internet abrufbar unter www.verfassungsschutz.bayern.de. 27 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Verfassungsschutz in Bayern Im Landesamt für Verfassungsschutz gibt es zudem ein Hinweistelefon für Verdachtsfälle und Salafismusprävention. Hinweistelefon für Verdachtsfälle und Salafismusprävention Telefon: 089/31201 480 E-Mail: salafismuspraevention@lfv.bayern.de Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz und die BIGE sind wie folgt auch telefonisch erreichbar: Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz Postfach 450145, 80901 München Telefon: 089/31201 0 (rund um die Uhr) Telefax: 089/31201 380 E-Mail: poststelle@lfv.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz Knorrstraße 139, 80937 München Telefon: 089/2192 2192 Telefax: 089/2192 2377 E-Mail: gegen-extremismus@stmi.bayern.de www.bige.bayern.de 28 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Opfer und Aussteiger der Scientology Organisation (SO) sowie Angehörige von SO-Mitgliedern können sich an ein vertrauliches Telefon des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz wenden. Vertrauliches Telefon Telefon: 089/31201 296 29 Islamismus Islamismus Salafistische Szene im Wandel - steigende Bedeutung der Frauen für die Stabilisierung der Szene Gefährdungslage für Deutschland bleibt unverändert hoch Rückkehrer aus Kampfgebieten bleiben im Fokus der Sicherheitsbehörden Weiterhin starke Online-Präsenz der IS-Ideologie Auch der legalistische Islamismus fordert die freiheitliche demokratische Grundordnung heraus 30 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Der Islam als Religion und seine Ausübung werden nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag unterliegen jedoch islamisch-extremistische (Kurzform: islamistische), d. h. religiös-politisch motivierte Organisationen und Einzelpersonen mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Islamismus ist ein Überbegriff für eine Vielzahl von unterschiedlichen (Teil-)Strömungen, wie beispielsweise den Salafismus. Als Gemeinsamkeit dieser Strömungen lassen sich folgende Kernelemente des Islamismus herausstellen: -- "Der Islam" ist nicht allein Glaube und Ethik, sondern begründet eine alles umfassende Lebensform, die auf Koran und Sunna (Überlieferung der Reden und Taten des Propheten) basiert. -- Die Muslime bilden eine religiöse und politische Einheit (panislamische Zielsetzung). -- Die Scharia (hier als islamisches Gesetz definiert) stellt ein politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip dar. -- Koran und Sunna haben "Verfassungsrang" und verbindliche Vorbildfunktion für politisches Handeln und einen zukünftigen "islamischen Staat". Diese extremistischen Zielsetzungen widersprechen den in unserem Grundgesetz garantierten Freiheitsund Menschenrechten. Die Bestrebungen von Islamisten sind verfassungsund integrationsfeindlich. Gewaltbereite islamistische Terroristen stellen unverändert eine große Gefahr für die Innere Sicherheit Deutschlands dar. Sie verfolgen das Ziel, weltweit eine totalitäre islamistische Gesellschaftsordnung zu errichten. Sie berufen sich auf die vermeintliche Pflicht aller Muslime, sich gegen westliche, d. h. "ungläubige" Einflüsse zu "verteidigen", und rufen zur Teilnahme am gewalttätigen Jihad auf. 31 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus 1. PERSONENPOTENZIAL IN BAYERN Islamistischen Vereinigungen waren in Bayern im Jahr 2019 4.185 Personen zuzurechnen (2018: 4.155). Zu den mitgliederstärksten Gruppierungen beziehungsweise Strömungen zählen nach wie vor, neben der "Milli Görüs"-Bewegung mit 2.900 Anhängern, die Anhänger des Salafismus. Seit 2013 stieg die Zahl der Salafisten in Bayern von 550 auf 770 zum Jahresende 2019 (2018: 750) an. Von diesen 770 Salafisten waren circa 20 Prozent dem gewaltorientierten Spektrum zuzuordnen. 2. ISLAMISMUS IN DEUTSCHLAND Politischer und Bei islamistischen Bestrebungen in Deutschland gilt es grundjihadistischer sätzlich, zwischen den verschiedenen Strömungen und deren Salafismus Einstellung zur Gewalt zu unterscheiden. Während islamistische Terroristen eindeutig den Einsatz von Gewalt legitimieren, vertreten politische Salafisten sowie legalistische Organisationen eine weitgehend gewaltfreie Herangehensweise zur Erreichung ihrer Ziele. Auch Strömungen des legalistischen Islamismus wollen die Religion so auslegen und von allen verstanden wissen, dass ein konfliktfreies Zusammenleben mit Andersdenkenden unmöglich erscheint. Sie bestehen auf einer strengen Lesart des Korans, der unabhängig von Zeit und Ort für alle Menschen gültig sei und dessen Inhalte und Weisungen, die im islamischen Recht ihren Niederschlag gefunden haben, nicht relativiert werden könnten. Unter Nutzung der von der deutschen Rechtsordnung garantierten Freiräume verfolgen sie eine Strategie der Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft. Sie stehen allerdings in offenem Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, deren Werte Islamisten in zentralen Punkten nicht teilen und die sie teils verbal, selten auch militant bekämpfen. Islamisten verwahren sich strikt gegen die Abdrängung des Religiösen ins Private. Nach dem Bekenntnis "Der Islam ist Religion und Staat" müssen die Normen der Scharia in allen Lebensbereichen und auf allen Ebenen durchgesetzt werden. Der Islamismus bedient und wiederbelebt ein in den Ursprüngen des Islam begründetes Überlegenheitsgefühl der Muslime als Inhaber und Wahrer der letzten und erhabensten Religion. 32 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Bundesweit ist eine weit verzweigte heterogene Infrastruktur des Salafismus festzustellen. Durch die Vermittlung extremis tischer Grundhaltungen und Konzepte bereitet insbesondere die salafistische Ideologie den Nährboden für Radikalisierungsprozesse, die zu terroristischen Handlungen führen können. Die Grenzen zwischen dem politischen Salafismus, der auf die Ausübung direkter Gewalt zur Erreichung seiner Ziele verzichtet, und dem jihadistischen Salafismus, der eine unmittelbare und sofortige Gewaltanwendung befürwortet, sind fließend. Die Durchlässigkeit zwischen den Teilströmungen wird durch die hierarchie armen Strukturen salafistischer Netzwerke begünstigt. Unter dem Vorwand der humanitären Hilfe können auch Flüchtlinge in den Fokus der islamistischen beziehungsweise salafis tischen Szene geraten. Als besonders gefährdet für islamistische Anwerbeversuche gelten unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA), die auf der Suche nach sozialer Unterstützung sind. Ansprachen von Islamisten in oder um Flüchtlingsunterkünfte/n haben seit dem Höhepunkt des Flüchtlingszuzugs 2015/2016 nachgelassen. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Islamisten weiterhin in Einzelfällen versuchen, Flüchtlinge längerfristig für ihre Ideologie zu gewinnen. Salafistische Propagandaaktivitäten sind bundesweit rückläufig Rückzug der salafisund in der Öffentlichkeit kaum noch wahrnehmbar. Das Korantischen Propaganda verteilungsprojekt "LIES!" des salafistischen Netzwerks "Die aus der Öffentlichkeit wahre Religion" (DWR) wurde infolge des Verbots vom 15. November 2016 eingestellt. Öffentlichkeitswirksame Informationsbeziehungsweise Warenverkaufsstände anderer Organisationen mit salafistischen Bezügen wie z. B. "Ansaar International e. V." oder "WorldWide Resistance - Help e. V." (WWR) wurden nicht mehr durchgeführt. Hingegen finden im öffentlichen Raum weiterhin Spendensammlungen und Islamseminare statt. Missionierungsaktivitäten im privaten Raum, die "Home-Da'wa", salafistische Agitationen in Moscheen und Gefangenenhilfe-Aktionen können nach wie vor festgestellt werden. Salafistische Propa ganda und Aufrufe zu Spendensammlungen werden unter anderem über das Internet und Instant-Messaging-Dienste verbreitet. Vom internationalen islamistischen Terrorismus geht weiterhin eine große Bedrohung für die internationale Staatengemeinschaft aus, er stellt auch für die Innere Sicherheit Deutschlands - trotz zahlreicher Fahndungserfolge - eine der größten Gefahren dar. Der internationale islamistische Terrorismus tritt inzwischen sehr vielfältig in Erscheinung: Größere Netzwerke existieren ebenso wie autark operierende Kleinstgruppen bis hin zu Einzeltätern. 33 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Die Aktivitäten islamistischer Terrorstrukturen in Deutschland reichen von der Nutzung Deutschlands als Rückzugsund Ruheraum über die Rekrutierung, Radikalisierung und Indoktrinierung neuer Anhänger bis hin zur Planung terroristischer Anschläge. 3. STRUKTUREN 3.1 Legalistischer Islamismus Nicht gewaltorientierte, sogenannte legalistische islamistische Gruppen verfolgen ihre extremistischen Ziele mit politischen Mitteln innerhalb der bestehenden Rechtsordnung. Eine unmittelbare Gefährdung im Hinblick auf terroristische Anschläge in Deutschland geht von solchen Gruppierungen nicht aus. Legalistische Islamisten bestehen auf einer strengen Lesart des Korans, der nach ihrer Auffassung unabhängig von Zeit und Ort für alle Menschen gültig sei. Eine nicht relativierbare, moralische und rechtliche Richtschnur sind für sie die Weisungen, die im isla mischen Recht, der Scharia, enthalten sind. Durch Lobbyarbeit versuchen legalistische Islamisten, Einfluss auf Entscheidungsprozesse in Politik und Gesellschaft zu nehmen. Dabei verfolgen sie eine Doppelstrategie: Während sie sich nach außen offen, tolerant und dialogbereit geben, bestehen innerhalb dieser Organisationen antidemokratische und totalitäre Tendenzen. Langfristige BeeinZiel legalistischer Islamisten ist es, zunächst Teilbereiche der flussungsstrategie Gesellschaft zu manipulieren und zu ideologisieren. Langfristig streben sie die Umformung des demokratischen Rechtsstaats in einen islamistischen Staat an. Um ihre Ziele zu erreichen, betreiben legalistische Islamisten Kulturvereine und Moscheen, die einerseits der Werbung von Mitgliedern, andererseits der Verbreitung der Ideologie dienen. Über ihre Dachverbände versuchen sie, sich dem Staat als Sprachrohr der Muslime anzubieten. Ein Großteil der ideologischen Grundsätze legalistischer islamistischer Organisationen ist unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung, beispielsweise der Gleichberechtigung der Religionen und Geschlechter sowie der Volkssouveränität. 34 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Organisationen im legalistischen Islamismus sind die türkisch geprägte "Milli Görüs"-Bewegung, die in Deutschland existierenden Strukturen der "Muslimbruderschaft" (MB), die "Furkan-Gemeinschaft", die "Tablighi Jamaat" (TJ) sowie schiitisch-islamistische Gruppierungen. 3.1.1 Milli Görüs-Bewegung Mitglieder Bayern: 2.900 Gründer Prof. Dr. Necmettin Erbakan Entstehung ca. 1970 in der Türkei Sprachrohr der Milli Gazete Milli Görüs-Bewegung (Nationale Zeitung) Die islamistische "Milli Görüs"-Bewegung ist ein Sammel becken von Anhängern des am 27. Februar 2011 verstorbenen türkischen Politikers Prof. Dr. Necmettin Erbakan. Ziel der Bewegung ist es, zunächst die laizistische Staatsordnung (Trennung von Kirche und Staat) in der Türkei durch eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung mit dem Koran und der uneingeschränkten Gültigkeit der Scharia als Grundlagen des Staates und des gesellschaftlichen Zusammenlebens abzulösen. Ihr erklärtes Fernziel ist darüber hinaus die weltweite Einführung einer islamistischen Staatsund Gesellschaftsordnung nach dem Vorbild des alten Osmanischen Reichs unter Führung der Türkei. Die Bestrebungen der "Milli Görüs"-Bewegung richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die "Milli Görüs"-Bewegung wurde Ende der 1960er-Jahre vom Adil-Düzen/Batiltürkischen Politiker Necmettin Erbakan gegründet. Zentrale BeDüzen-Konzept deutung in Erbakans politischem Denken haben die von ihm geprägten Schlüsselbegriffe "Milli Görüs" (nationale Sicht) und "Adil Düzen" (gerechte Ordnung). Nach der von Erbakan entwickelten Ideologie ist die Welt zweigeteilt: einerseits in die auf dem Wort Gottes fußende religiös-islamische Ordnung ("Adil Düzen"), an dererseits in die westliche Ordnung der Gewalt und Unterdrückung ("Batil Düzen" = nichtige Ordnung). Es gelte, die westliche Ordnung durch eine "gerechte Ordnung" zu ersetzen, wofür die Ausrichtung an islamischen Grundsätzen statt an von Menschen geschaffenen und damit "willkürlichen Regeln" erforderlich sei. Zu den klassischen Feindbildern gehören neben der westlichen Welt auch der Staat Israel - meist als "Zionisten" umschrieben - sowie Kommunismus, Imperialismus und Kapitalismus. 35 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Antisemitische Insgesamt ist das "Adil Düzen"-Konzept mit den Grundprinzipien Tendenzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar: Die Einführung einer islamistischen Gesellschaftsordnung würde den Grundsatz der Gewaltenteilung, das Rechtsstaatsprinzip, die Unabhängigkeit der Justiz und das Demokratieprinzip beseitigen. Die Ausrichtung der "Milli Görüs"-Bewegung auf eine sultanähnliche türkische Führerfigur zeigt nationalistisch-diktatorische Züge und widerspricht der republikanischen Struktur Deutschlands sowie dem Demokratieprinzip. Zudem vertritt die "Milli Görüs"-Bewegung einen Antisemitismus, der zu einer ausgrenzenden Benachteiligung des jüdischen Volkes und der jüdischen Religion führt und die Menschenrechte sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Der "Milli Görüs"-Bewegung sind insbesondere die "Saadet Partisi" (SP - Glückseligkeitspartei) als politische Vertreterin der Bewegung, die "Ismael Aga Gemeinschaft" (IAC), die Erbakan-Stiftung, die türkische Tageszeitung Milli Gazete, der türkische Fernsehsender TV5 und die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) zuzurechnen. Saadet Partisi (SP) In der Türkei sind die Anhänger der islamistischen "Milli Görüs"-Bewegung seit 2001 in der SP organisiert, nachdem die Vorgängerparteien "Refah Partisi" (RP - Wohlfahrtspartei) und "Fazilet Partisi" (FP - Tugendpartei) wegen "antilaizistischer Aktivitäten", also wegen Aktivitäten, die die Trennung von Staat und Religion rückgängig machen sollen, verboten wurden. Die seit 2013 bestehende Deutschlandvertretung der SP verfügt auch in Bayern über Strukturen, wie z. B. den Regionalverband Südbayern mit Sitz in München. Seit den Parlamentswahlen in 2018 ist die SP durch eine Bündnisliste mit zwei Abgeordneten im türkischen Parlament vertreten. Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) Die Zentrale der IGMG hat ihren Sitz in Köln mit mehreren, nachgeordneten "Gebieten". Unterhalb der "Gebietsebene" ist eine Vielzahl von "Ortsvereinen" angesiedelt. In Bayern unterhalten mehrere Vereine Verbindungen zur IGMG. Regionale Schwerpunkte befinden sich in Nürnberg und München. Der Verfassungsschutz beobachtet bei Teilen der IGMG seit einigen Jahren Anzeichen für einen Loslösungsprozess von der "Milli Görüs"-Bewegung in der Türkei. Ein beträchtlicher Teil der Anhänger orientiert sich aber weiterhin an der islamistischen "Milli Görüs"-Ideologie. 36 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Im Februar veranstaltete die IGMG eine Kundgebung in München, um auf die Lage der Uiguren in China aufmerksam zu machen. Ähnliche Veranstaltungen fanden auch in anderen deutschen Städten statt. Die Uiguren als turksprachige Volksgruppe stellen für die IGMG ein Element ihres pan-turanischen und pan-islamischen Anspruchs dar. Damit unterstreicht die IGMG ihren Anspruch, als Sprachrohr aller Turkvölker und Muslime wahrgenommen zu werden. Milli-Görüs-Ahde-Vefa-Plattform (MGAV)/Erbakan Vakfi IGMG-Anhänger, die den Kurs der IGMG-Führung als zu zurückhaltend kritisieren, gründeten im Jahr 2012 eine eigene Organisation unter dem Motto "Ahde Vefa" (Treue zum Schwur). Sie halten sich streng an die "Milli Görüs"-Ideologie und orientieren sich dabei am Sohn Necmettin Erbakans, Fatih Erbakan. Inzwischen nennt sich die Gruppierung "Erbakan Vakfi" (Erbakan Stiftung). Ismael Aga Gemeinschaft (IAC) Die IAC ist Teil der weitverzweigten mystischen Bruderschaft der "Naqshbandiya", der auch der verstorbene Führer der "Milli Görüs"-Bewegung Necmettin Erbakan angehörte, und gilt als einer der radikaleren Zweige der Bruderschaft. In Deutschland wurde die IAC durch den Prediger Nusret Cayir geprägt, der die Einführung der Scharia in Deutschland forderte und die Gleichstellung der Frau ablehnt. Am 23. Oktober 2015 wurde Cayir in die Türkei abgeschoben. Das Verwaltungsgericht Darmstadt erklärte die Abschiebung für rechtswidrig und hob sie auf. Cayir hält den Kontakt zu seinen Anhängern über Videobotschaften im Internet aufrecht und verbreitet dabei seine demokratiefeindliche, gegen den Rechtsstaat und die Volkssouveränität gerich tete Ideologie auch in Deutschland. In Deutschland fanden monatliche Treffen der IAC-Anhängerschaft in Frankfurt am Main statt. Auch bayerische Sympathi santen beteiligten sich daran. 37 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus 3.1.2 Furkan-Gemeinschaft Anhänger Deutschland: 350 Bayern: etwa 30 Vorsitzender Alparslan Kuytul Gründung 1994 in der Türkei Publikation Furkan Nesli Dergisi Die islamistische Ideologie der "Furkan-Gemeinschaft" zielt darauf ab, weltweit eine "Vorreiter-Generation" zu schaffen, die nach dem Vorbild des Propheten Muhammad und seiner Gefährten zu einer "islamischen Zivilisation" zurückkehren will. Dabei wird Gott das alleinige Herrschaftsrecht eingeräumt. Die Forderungen der "Furkan-Gemeinschaft" beinhalten die grundsätzliche Ersetzung der Demokratie durch eine islamische Gesetzgebung, die Teilnahme an Wahlen gilt hiernach als verboten. Dieses Islamverständnis ist unvereinbar mit der freiheitlichen demokra tischen Grundordnung, insbesondere mit der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung. Ideologische Die "Furkan-Gemeinschaft" weist eine ideologische Nähe zum Nähe zur Muslim Gedankengut der "Muslimbruderschaft" auf. In einer Publikation bruderschaft bezeichnet die Organisation Hassan al-Banna, den Gründer der "Muslimbruderschaft", als "hochgeehrten Lehrer". Die "Furkan Stiftung für Bildung und Dienstleistungen" (türkisch: "Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi") wurde 1994 von Alparslan Kuytul in Adana/Türkei gegründet, der die Gemeinschaft bis heute anführt. Er hat eine starke Vorbildund Autoritätsfunktion bei seinen Anhängern und spricht diese weltweit durch verschiedene Medieninhalte im Internet, vor allem in den sozialen Netzwerken, teils auch mit deutschen Untertiteln, an. Der Fokus der "Furkan-Gemeinschaft" liegt auf der muslimischen Bildungsarbeit in Form von Konferenzen, Kundgebungen und Jugend-Programmen, wodurch in der Türkei gegenwärtig mehrere zehntausend Anhänger erreicht werden. In der Türkei sind seit mehreren Jahren immer wieder politische Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Regierung und der "Furkan-Gemeinschaft" festzustellen. Kundgebungen und Konferenzen wurden seit 2014 fortlaufend gewaltsam von der Polizei aufgelöst. Der Höhepunkt der bisherigen Maßnahmen ist die Festnahme Kuytuls am 30. Januar 2018 durch die türkischen Sicherheitsbehörden. Gleichzeitig fanden Durchsuchungen in den Vereinsräumlichkeiten statt. 38 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Kuytul befand sich seitdem wegen verschiedener Vorwürfe in Schwebendes Vertürkischer Untersuchungshaft. Er wurde am 5. Dezember aus fahren gegen Kuytul der Haft entlassen, darf sich jedoch nicht ins Ausland begeben. Die Verhandlung gegen Kuytul wurde verschoben. In Deutschland hat sich neben größeren Zentren in Dortmund Furkan in Bayern und Hamburg auch in München eine Gruppierung der "Furkan-Gemeinschaft" gebildet. Die Gruppe ist in verschiedenen sozialen Netzwerken präsent. Kritik an der dauernden Inhaftierung des Furkan-Anführers Kuytul stellt dabei einen wesentlichen Inhalt dar. Für Veranstaltungen wurden z. B. Räumlichkeiten im "Islamischen Zentrum München" (IZM) genutzt, das der islamistischen "Muslimbruderschaft" zugerechnet wird. Vertreter der "Furkan-Gemeinschaft" aus Bayern nahmen an einer Demonstration in Hamburg ("Freiheit für Alparslan Kuytul") am 17. August teil. Bei kleineren Kundgebungen in München wurden Schals mit Solidaritätsbekundungen für Kuytul gezeigt und Fotos in den sozialen Netzwerken veröffentlicht. 3.1.3 Tablighi Jamaat (TJ) Anhänger Deutschland: etwa 650 Bayern: etwa 140 Gründung 1926 bei Delhi (Indien) Ziel der TJ ("Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") ist die Islamisierung der Gesellschaft, um dadurch die Etablierung eines islamistischen Staates zu erreichen. Die Bestrebungen der TJ richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grund ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die TJ wurde vom Religionsgelehrten Mawlana Muhammad Ilyas als pietistische Missionierungsbewegung gegründet. Seit ihren Ursprüngen ist sie eng mit der Islamischen Hochschule von Deoband/Indien verbunden. Die Gemeinschaft vertritt eine archaische Form des Islam indischer Prägung. Sie hat den Charakter einer internationalen islamistischen Massenbewegung, deren Anhänger sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig fühlen, sondern sich als konsequente Muslime mit missionarischem Auftrag verstehen. Die TJ-Anhänger vertreten eine wörtliche Auslegung des Korans Ausgrenzung und der Sunna, die politische und gesellschaftliche Ausgrenzung von Frauen und von Frauen und die Abgrenzung zu Nicht-Muslimen. TraditionelNicht-Muslimen le Gebetskleidung und bis in Details verbindliche Verhaltensregeln im Alltag sollen die absolute Hinwendung zum Propheten 39 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Muhammad ausdrücken. Diese Bestrebungen wirken in nicht muslimischen Gesellschaften zwangsläufig desintegrierend, sodass eine dauerhafte und ernsthafte Hinwendung zu westlichen Gesellschaftsordnungen, Wertvorstellungen und Integrations modellen nicht möglich ist. Charakteristisch für die Anhänger der TJ ist eine missionarische Reisetätigkeit, bei der sie Moscheen weltweit aufsuchen. Die Missionierung dient der Rekrutierung neuer TJ-Mitglieder. Zur Ausbildung der Anhänger gehört eine vier Monate dauernde Schulung, vornehmlich in Koranschulen in Pakistan und Indien. Die wenigsten Missionare verfügen über eine theologische Ausbildung. Zur Missionierung nutzen TJ-Anhänger auch Moscheen, die keinen unmittelbaren Bezug zur TJ haben. Dort organisieren sie Veranstaltungen, bei denen die Anhänger über Tage oder Wochen hinweg beten, den Koran studieren und indoktriniert werden. Für Kinder und Jugendliche wird in einigen TJ-Moscheen unter anderem regelmäßiger Koranunterricht angeboten. Durch die gemeinsame ideologische Basis mit militanten Gruppierungen besteht die Gefahr, dass die weltweiten Strukturen der Bewegung von terroristischen Netzwerken genutzt werden. Von Einzelpersonen, die die Schulung der TJ durchlaufen haben, ist bekannt, dass sie sich terroristischen Gruppierungen angeschlossen haben. Missionierung in Die TJ ruft ihre Anhänger in Deutschland weiterhin dazu auf, bayerischen verstärkt "Da'wa-Arbeit" (Missionierung) unter Muslimen zu Moscheen leisten. Dabei hielten sich auch für mehrere Wochen TJ-Gruppen aus dem internationalen Ausland unter anderem in Bayern auf und besuchten einzelne TJ-Moscheen. In Bayern sind die drei Moscheen "Kulturverein für deutschsprachige Muslime e. V. - Al Ummah Moschee" in München, "Deutsch Arabischer Kulturverein Pfarrkirchen e. V." und die "Islamische Gemeinde Hof e. V." (IGH) den TJ-Strukturen zuzurechnen. Bei diesjährigen Deutschlandtreffen der TJ waren auch Teilnehmer aus Bayern anwesend. 40 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 3.1.4 Islamische Vereinigung in Bayern e. V. (IVB) Anhänger/Besucher etwa 90 Gründung 1994 in München Neugründung 2009 Als Multiplikator schiitisch-islamistischen Gedankenguts innerhalb der schiitischen Gemeinschaften in Deutschland dient das "Islamische Zentrum Hamburg" (IZH). In Bayern übernimmt die IVB als Außenstelle des IZH diese AufIslamische Revolution gabe. Sie soll im Auftrag der iranischen Führung auf schiitische Muslime einwirken und deren politische und religiöse Einstellung beeinflussen. Da der Iran keine Trennung von Staat und Religion kennt, hat die religiöse Arbeit des Vereins auch eine politische Komponente und richtet sich daher gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die Bewahrung der einst vom iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini propagierten Idee der "Islamischen Revolution" im Iran und deren internationale Verbreitung ist bis heute wesent licher Bestandteil der iranischen Politik. Der "Export der Revolution" ist in der iranischen Verfassung vorgeschrieben. Der Iran unterstützt eine Vielzahl islamischer und islamistischer Bewegungen und Organisationen, vor allem im Nahen und Mittleren Osten. Auch islamische Zentren und Moscheen in Deutschland dienen im Sinne dieses "Revolutionsexports" als Foren für Versuche der Einflussnahme durch den Iran. Das größte und einflussreichste Zentrum ist das 1962 gegrün IZH in Hamburg dete "Islamische Zentrum Hamburg" (IZH). Neben der iranischen Botschaft ist das IZH die wichtigste offizielle Vertretung des Iran in Deutschland und gleichzeitig eines seiner bedeutendsten Propagandazentren in Europa. Die enge Anbindung des IZH an die Führung des Iran zeigt sich unter anderem darin, dass der Leiter des IZH ein ausgewiesener islamischer Rechtsgelehrter sein muss, der vom iranischen Außenministerium bestimmt wird und als Vertreter des iranischen "Revolutionsführers" in Mitteleuropa gilt. Der Iran versucht mit dessen Hilfe, Schiiten aller Nationali täten an sich zu binden sowie die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Grundwerte der islamischen Revolution in Europa zu verbreiten. Ab dem Wintersemester 2019/2020 bietet das IZH an seiner "Hawza" (deutsch: schiitische Universität), der "Islamischen Akademie Deutschland e. V.", für Heranwachsende ein einjähriges Kurzstudium "Islamische Theologie" an. 41 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Zwischen IZH und IVB bestehen enge Verflechtungen. In den letzten Jahren konnten, unter anderem zu bestimmten hohen religiösen Anlässen wie z. B. im heiligen Fastenmonat Ramadan, vereinzelt Imame festgestellt werden, die in unregelmäßigen Abständen vom IZH in die IVB entsandt werden. In der Satzung der IVB ist ebenso festgelegt, dass das Vereinsvermögen im Falle einer Auflösung des Vereins an das IZH fallen soll. Wichtige Angelegenheiten der IVB werden mit dem IZH abgestimmt. Die IVB ist Trägerverein der iranisch-schiitischen Moschee München. Im April 2017 wurde diese nach vorübergehender Schließung wiedereröffnet. Insgesamt ist festzustellen, dass die Moschee der IVB als Anlaufstelle für schiitische Gläubige aller Nationalitäten dient, die so einer schiitisch-islamistischen Indoktrination ausgesetzt sind. 3.1.5 Die Muslimbruderschaft (MB) und ihr Einfluss in Deutschland Anhänger Deutschland: etwa 1200 Bayern: etwa 150 Gründung 1928 in Ägypten Die 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten gegründete MB ist die einflussreichste und älteste Bewegung des zeitgenössischen Islamismus. Totalitäres Das von der MB angestrebte politische System weist deutliche Herrschaftssystem Züge eines totalitären Herrschaftssystems auf, das die Sou veränität des Volkes sowie die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit der Menschen nicht garantiert. Die Ideologie der MB ist auf die Errichtung islamistischer Herrschaftsordnungen auf der Grundlage von Koran und Sunna ausgerichtet. Ein Großteil der ideologischen Grundsätze der MB ist somit unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung. Das Wesentliche der verfassungsfeindlichen Ideologie der MB ist in der - für die Organisation bis heute maßgeblichen - Schrift "Allgemeine Ordnung der Muslimbruderschaft", die auf die Gründergeneration um Hassan al-Banna zurückgeht, festgehalten: -- Islamisierung der Gesellschaft durch "Da'wa"-Aktivitäten (deutsch: Missionierung) und soziale Maßnahmen, -- Beendigung der "kulturellen Verwestlichung" (arabisch: "taghrib"), 42 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 -- Umwandlung des Bildungswesens und der Bildungsinstitutionen nach islamischen Kriterien, -- Errichtung eines islamistischen Staates auf der Grundlage islamischer Prinzipien und Werte, -- Anwendung des islamischen Rechts ("Scharia"). Die MB ist eine internationale Organisation. In zahlreichen Ländern existieren Vereinigungen, die sich ideologisch an der MB in Ägypten orientieren, z. B. die "al-Nahda" in Tunesien. Offiziell haben sich die meisten Zweige der MB von Gewalt abgewandt. Die "Islamische Widerstandsbewegung" ("HAMAS") als palästinensische Sektion der MB nutzt jedoch weiterhin militärische Mittel im Kampf gegen Israel. Den Umbruch in der arabischen Welt versuchte die MB zum Ausbau ihrer Machtposition zu nutzen. In Ägypten wurde sie bei den Parlamentswahlen im Dezember 2011 stärkste politische Kraft, mit Muhammad Mursi stellte sie von 2012 bis 2013 den ägyptischen Präsidenten. Seit den mit dem Sturz Mursis in Zusammenhang stehenden Auseinandersetzungen zwischen MB-Sympathisanten und dem Militär auf dem Rabia-al-Adawiya-Platz in Kairo 2013 ist das Symbol der schwarzen Hand mit vier ausgestreckten Fingern und eingeklapptem Daumen als Sympathiebekundung für die MB zu verstehen und wird auf Arabisch "Rabia" (deutsch: "Vierte") genannt. Die Auseinandersetzungen mündeten 2013 in ein Verbot der MB und in die Erklärung zur Terrororganisation. Die ägyptische Regierung geht weiterhin mit aller Härte gegen die MB und deren Anhänger vor. Der Tod des am 17. Juni verstorbenen Muhammad Mursi Tod des Muhammad sorgte in der islamistischen Szene für Betroffenheit. In DeutschMursi am 17.06.2019 land veröffentlichte die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) eine Pressemitteilung zu Mursis Tod, in der sie ihre Trauer ausdrückte. Auch die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG) äußerte auf Facebook ihre Bestürzung über den Tod Mursis. Die DMG forderte die muslimischen Gemeinden in Deutschland dazu auf, die Geschehnisse zu thematisieren und das Totengebet für Mursi abzuhalten. 43 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Auch europaweit ist die MB mit verschiedenen Organisationen vertreten. Die wichtigsten sind: -- "Föderation der Islamischen Organisationen in Europa" (FIOE) Als Dachverband MB-naher Organisationen in Europa fungiert die 1989 gegründete FIOE mit Sitz in Brüssel. Im Februar 2018 wurde Samir Falah, bis 2017 Vorsitzender der "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD), für vier Jahre zum Präsidenten der FIOE gewählt. -- "Europäischer Fatwa-Rat" (ECFR) Der 1997 gegründete ECFR mit Sitz in Dublin/Irland erlässt islamische Rechtsgutachten für die in Europa lebenden Muslime. Ziel des Rates ist es, sich als maßgebliche religiöse In stanz für die Muslime in Europa zu etablieren. Dessen ehemaliger Vorsitzender Yusuf al-Qaradawi ist als geistiger Führer der MB bekannt. MB in Deutschland Die MB tritt zwar in Deutschland nicht offen in Erscheinung, wird jedoch durch die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG), ehemals "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD), und die FIOE als Teil einer weltweiten "Islamischen Bewegung" vertreten und ist somit auch in Deutschland aktiv. Nach außen gibt sich die MB offen, tolerant und dialogbereit und strebt eine Zusammenarbeit mit politischen Institutionen und Entscheidungsträgern an, um so Einfluss im öffentlichen Leben zu gewinnen. Ihr Ziel bleibt aber die Errichtung einer auf der Scharia basierenden gesellschaftlichen und politischen Ordnung, wobei die MB die Führungsrolle für alle Muslime beansprucht. Sie steht für eine deutliche Abgrenzung gegenüber den USA, Israel, dem jüdischen Volk und Andersgläubigen. Anhänger der MB bekunden in sozialen Netzwerken zum Teil auch Sympathien für terroristische Organisationen. 3.1.6 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) (ehemals: Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD)) Gründung 1960 in Deutschland Präsident Khallad Swaid (seit 2017) Sitz Köln/Berlin Fortsetzung der Die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) als Strategie der IGD wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der "Muslimbruderschaft" (MB) in Deutschland, hat sich auf ihrer Jahreskonferenz im September 2018 in "Deutsche Muslimische 44 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Gemeinschaft e. V." (DMG) umbenannt. Einer Presseveröffentlichung zufolge hat sich Ibrahim El-Zayat, Aufsichtsratsmitglied und ehemaliger Präsident der IGD, zur Umbenennung dahin gehend geäußert, dass damit ihre Verbundenheit zu Deutschland stärker zum Ausdruck gebracht werden soll. Inhaltliche Veränderungen seien mit der Umbenennung nicht verbunden. Damit ist davon auszugehen, dass die DMG die Strategie der IGD unverändert fortsetzen und versuchen wird, durch politisches Engagement in Deutschland ihre von der Ideologie der MB geprägten Ziele zu erreichen. Die Bestrebungen der DMG richten sich damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. In Bayern werden das "Islamische Zentrum München" (IZM) DMG-nahe Struk und die "Islamische Gemeinde Nürnberg" (IGN), ehemals "Isturen in Bayern lamisches Zentrum Nürnberg", der DMG zugerechnet. Sowohl IZM als auch IGN haben Verbindungen zur DMG beziehungsweise zu MB-nahen Organisationen/Personen. Verbindungen zur DMG zeigten sich auch im Zusammenhang Billigung von Gewalt mit dem Internetauftritt des IZM. Im August musste das IZM gegen Frauen auch auf Veranlassung der DMG aufgrund kritischer medialer Berichterstattung seine Internetseite in Teilen vom Netz nehmen, da sich in der Rubrik "Frau und Familie im Islam" unter anderem Aussagen zum Schlagen von Frauen fanden, die in Widerspruch zu grundrechtlichen Normen stehen. Zum Beispiel steht die Billigung und Aufforderung zur Anwendung von Gewalt gegen Frauen im klaren Widerspruch zum Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG). Der Text wies auch nicht auf die kollidierende rechtliche Lage in der Bundesrepublik Deutschland hin, sondern suggeriert, dass Gottes Gesetz die einzige Rechtsquelle darstelle. Darüber hinaus existieren bei der DMG Verbindungen zu anderen MB-nahen Einrichtungen. Nennenswert hierbei sind: -- "Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland e. V." (RIGD) Der RIGD mit Sitz in Frankfurt am Main wurde auf Initiative der IGD gegründet und erhebt den Anspruch, als wissenschaftliche Autorität in Fragen des Islam für die in Deutschland lebenden Muslime zu fungieren. Organisatorisch und ideologisch steht er der DMG und dem "Europäischen Fatwa-Rat" (ECFR) nahe. -- "Europäisches Institut für Humanwissenschaften" (EIHW) Mit dem in Frankfurt am Main ansässigen EIHW soll eine Alternative zum staatlich geförderten Vorhaben angeboten werden, Imame an deutschen Universitäten auszubilden. Das 45 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Institut vermittelt Studienabschlüsse in der arabischen Sprache und in der Islamwissenschaft. Unterstützt wird das EIHW vom "Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland e. V." (RIGD). "Sächsische BegegDie im Jahr 2016 in Sachsen gegründete "Sächsische Begegnungsstätte" stellt nungsstätte" (SBS), die als extremistische Bestrebung der MB Aktivitäten ein und der DMG zugerechnet wurde, stellte 2019 ihre Aktivitäten ein. Sie begründete die Einstellung der Aktivitäten damit, das gesteckte Ziel erreicht zu haben. Die SBS versuchte, insbesondere im ländlichen Raum, durch den Erwerb und Betrieb von Immobilien sowie deren Nutzung als "Begegnungsstätte", Einfluss auf die islamische Gemeinschaft zu erlangen. Ihr Ziel war es, vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise Räumlichkeiten zu organisieren und sie den jeweiligen lokalen muslimischen Gemeinden zur Selbstverwaltung zu übergeben. Ehemalige Objekte der SBS, die inzwischen an gegründete Vereine übergeben worden sind, befinden sich in Sachsen, Brandenburg und Baden-Württemberg. 3.2 Salafismus 3.2.1 Ursprung Ende des 18. Jahrhunderts trat auf der arabischen Halbinsel ein Prediger namens Muhammad Ibn Abd al-Wahhab auf. Er predigte eine Reinigung des Islam von, aus seiner Sicht, unerlaubten Neuerungen sowie von Irrglauben. Vorbildfunktion in Bezug auf den "wahren Islam" böten einzig die frommen Altvorderen (arabisch: "al-salaf al-salih"), also die Repräsentanten der Frühzeit des Islam. Der Salafismus ist die in den letzten Jahren am schnellsten gewachsene islamistische Strömung in Deutschland. 3.2.2 Ideologie Heutige Salafisten orientieren sich an der Lehre des Wahhabismus. Sie richten ihren Glauben, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Korans und dem vom Propheten Muhammad und den frommen Altvorderen gesetzten Vorbild aus. Jegliches Abweichen von dieser Norm, die als ursprünglicher und reiner Islam gilt, lehnen Salafisten als unerlaubte Verfälschung des Islam beziehungsweise als "Neuerung" (arabisch: "bid'a") ab. 46 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Zentraler salafistischer Glaubensinhalt ist die Ein(s)heit und EinPrinzip des Tauhid zigartigkeit Gottes (arabisch: "tauhid"). Für Salafisten beinhaltet dies auch, dass Gott der einzig legitime Souverän und Gesetzgeber ist. Die Scharia ist für sie als Gesetz Gottes letztgültiger Maßstab. Salafisten lehnen daher weltliche Gesetze und die Werte westliAblehnung des cher Gesellschaftsund Herrschaftssysteme als unislamisch und Westens und der unterlegen kategorisch ab. Sie orientieren sich kompromisslos Demokratie an der islamischen Frühzeit vor circa 1.400 Jahren und befürworten frühislamische Herrschaftsund Gesellschaftsformen. Dies führt zur Ablehnung der als wesensfremd empfundenen Mehrheitsgesellschaft und ihrer demokratischen Werte. Vor allem die von salafistischen Akteuren in Deutschland propagierte Einheit von Religion und Staat und der ebenfalls erhobene absolute Geltungsanspruch der islamischen Rechtsordnung machen deutlich, dass salafistische Auffassungen Geltung für sämtliche Lebensbereiche beanspruchen. Als Höherwertigkeitsideologie richtet sich der Salafismus zwar Höherwertigkeits auch gegen nicht islamische, z. B. jüdische und christliche, Glauideologie bensvorstellungen; besonders in der Kritik stehen jedoch andere islamische Glaubensauffassungen - insbesondere das schiitische und mystische Islamverständnis. Salafisten diffamieren die Anhänger dieser Glaubensformen als Ungläubige oder werfen ihnen Götzendienst (arabisch: "shirk") vor. Am Dialog mit Andersgläubigen sind die Salafisten nur insoweit interessiert, wie er ihrer Missionierungsarbeit (arabisch: "da'wa") dienlich ist. Die ideologischen Grundsätze des Salafismus sind letztlich unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien, insbesondere denen der Demokratie, des Rechtsstaats und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung. Die Ideologie des Salafismus lässt sich in eine politische und eine jihadistische Strömung unterteilen, die Übergänge sind dabei fließend. Sie unterscheiden sich vor allem in der Wahl der Mittel, mit denen ihre Ziele realisiert werden sollen. Jihadistische wie auch politische Salafisten stützen sich jedoch auf dieselben ideologischen Autoritäten und Vordenker und verfolgen die gleichen Ziele. Der politische Salafismus verzichtet zwar auf die Ausübung diPolitischer rekter Gewalt zur Erreichung seiner Ziele. Er bietet aber immer Salafismus wieder den ideologischen Nährboden für terroristische Aktionen. So waren fast alle bisher in Deutschland identifizierten 47 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus islamistischen terroristischen Netzwerkstrukturen und Einzelpersonen salafistisch geprägt beziehungsweise haben sich in salafistischen Milieus entwickelt. Jihadistischer Jihadistische Salafisten befürworten eine unmittelbare und soforSalafismus tige Gewaltanwendung. Sie propagieren den bewaffneten Kampf auch gegen Regierungen in Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, denen sie vorwerfen, vom Islam abgefallen und Handlanger des verhassten "Westens" zu sein. Derzeit ist nur ein kleiner Prozentsatz der Salafisten dem jihadistischen Salafismus zuzurechnen, die überwiegende Zahl der Anhänger spricht sich gegen Gewalt aus. Eine Reihe salafistischer Gruppierungen hat sich dennoch dem weltweiten bewaffneten Kampf (militanter Jihad) gegen die "Ungläubigen" verschrieben. Jihadistische Salafisten kämpfen derzeit vor allem in Syrien und im Irak. Daneben entfalten aber auch die sogenannten Jihadregionen in Mali, Somalia, Jemen, Libyen, Afghanistan und Pakistan nach wie vor eine Anziehungskraft auf jihadistisch orientierte Personen. IS, al-Qaida und HTS In Syrien etablierten sich nach Ausbruch bürgerkriegsähnlicher an Kämpfen in Syrien Unruhen 2011 neben der säkular orientierten Opposition auch und Irak beteiligt islamistische Gruppierungen, die den Jihad propagieren, um ausländische Kämpfer zu rekrutieren. In den vergangenen Jahren haben sich Zehntausende ausländische Kämpfer jihadistischen Gruppierungen in Syrien und im Irak angeschlossen. Neben dem "Islamischen Staat" (IS) ist die im "al-Qaida"-Netzwerk zu verortende "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS), vormals "Jabhat al-Nusra" beziehungsweise "Jabhat Fath al-Sham", die bedeutendste jihadistische Gruppierung in der Region. Durch die militärischen Niederlagen des IS der vergangenen Jahre, die mit Gebietsverlusten einhergingen und die IS-Anhänger in den Untergrund drängten, hat der IS an Anziehungskraft verloren. Seither sind die Ausreisen von deutschen Jihadisten signifikant zurückgegangen. Inwieweit das "al-Qaida"-Netzwerk von diesem Trend profitiert, bleibt abzuwarten. Weiterhin rufen jihadistische Gruppierungen dazu auf, den Jihad auch in westliche Staaten zu tragen. Genannt sind hier meist die USA und ihre Verbündeten. Auch zu Anschlägen in Deutschland wurde in den vergangenen Jahren wiederholt aufgerufen. 48 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 3.2.3 Personenpotenzial Anhänger/Besucher Deutschland: etwa 12.150 Bayern: etwa 770 Entstehung erste Strukturen in Bayern Mitte der 1990er-Jahre Bundesweit ist eine weit verzweigte, heterogene "Infrastruktur" des Salafismus festzustellen. Die salafistische Szene ist allerdings meist nur lose organisiert und weist eine hohe Dynamik auf. Feste, formale Organisationsstrukturen sind in der Regel nicht vorhanden. Eine Ausnahme hiervon bilden örtliche salafistische Vereine, die häufig gleichzeitig als Träger salafistisch geprägter Moscheen fungieren. Daneben gibt es zunehmend lose Personennetzwerke oder autonom agierende Einzelpersonen, die salafistische Aktivitäten entfalten. Verschiedene sicherheitsbehördliche Maßnahmen trugen zur Fragmentierung der Szene bei. Das salafistische Spektrum verzeichnet nach wie vor steigende Personenpotenzial Anhängerzahlen. Bundesweit wurden der salafistischen Szeim Bund und in ne Ende 2019 12.150 Personen (2018: 11.300) zugerechnet. In Bayern Bayern liegt das Potenzial bei 770 Personen (2018: 750). Davon waren circa 20 Prozent dem gewaltorientierten Spektrum zuzurechnen. Bei circa 10 Prozent der 770 Salafisten handelt es sich um Konvertiten. Rund 10 Prozent des Personenpotenzials sind weiblich. Salafistische Familien und Minderjährige Die salafistische Ideologie kann sich auch innerhalb familiärer Präventionsarbeit Strukturen verbreiten. Dabei besteht die Gefahr, dass die salades BayLfV fistische, gewaltorientierte Ideologie der Eltern oder eines Elternteils negative Auswirkung auf die Entwicklung ihrer Kinder haben könnte. Die Kinder sind dabei als schutzbedürftige Opfer der geschlossenen Weltund Werteordnung ihrer Eltern anzusehen. Um frühzeitig und angemessen diesen Entwicklungen vorzubeugen, die eine Gefährdung des Kindeswohls oder gar eine spätere Radikalisierung dieser Kinder zur Folge haben können, steht das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz im Kontakt mit den jeweils zuständigen Jugendämtern. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat es sich dabei im Rahmen seiner Präventionsarbeit zur Aufgabe gemacht, Mitarbeiter staatlicher und nichtstaatlicher Jugend-, Schul-, Bildungsund Sozialeinrichtungen zu sensibilisieren und zu qualifizieren, damit diese salafistische Radikalisierungsund Rekrutierungsmechanismen besser erkennen können. 49 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Unabhängig hiervon bietet der Salafismus aber auch für junge Muslime der dritten Generation auf Identitätssuche eine neue Projektionsfläche fernab der Religiosität der Elterngeneration beziehungsweise der Regeln der eigenen Gesellschaft. Muslime ohne tiefgründige Kenntnis der islamischen Religion sollen sich als fester Bestandteil einer salafistischen Solidargemeinschaft fühlen, die einfache, aber strenge Regeln und ein schlichtes dualistisches Weltbild bietet. Attraktiv ist der Salafismus für manche junge Menschen auch deshalb, weil er ihnen eine vermeintlich klare Orientierung bietet. Der Komplexität und Unübersichtlichkeit der modernen Welt setzt er ein konsequentes Schwarz-Weiß-Denken gegenüber. Von individuellen Entscheidungen und persönlicher Verantwortung wird der junge Mensch durch eine Vielzahl von eindeutigen Geboten und Verboten entlastet. Bei vielen orientierungslosen jungen Anhängern stiftet der Salafismus eine neue und grenz überschreitende Identität. Die Jugendlichen fühlen sich anerkannt und als fester Bestandteil einer weltweiten Solidar gemeinschaft wahrgenommen. Frauen Bildung von salafisIn den letzten Jahren haben sich sowohl in der realen als auch in der tischen Frauen virtuellen Welt salafistische Frauennetzwerke gebildet. Durch die netzwerken ortsunabhängige Nutzung von Internet und Messenger-Diensten über Ländergrenzen hinweg sind diese Netzwerke häufig nicht klar auf Deutschland beziehungsweise auf ein einzelnes Bundesland einzugrenzen. Neben Alltagsthemen, wie z. B. Kindererziehung und Kleidung, spielen häufig auch Glaubensfragen, Spendensammlungen und Gefangenenhilfe in Frauennetzwerken eine große Rolle. In Einzelfällen wurde festgestellt, dass junge Frauen allein über Messenger-Gruppen und -kanäle salafistisch indoktriniert wurden und Kontakte in die Szene erlangten. Darüber hinaus werden in WhatsApp-Gruppen zahlreiche Videos salafistischer Prediger wie Abul Baraa und Pierre Vogel verschickt und Religionsvorschriften salafistisch interpretiert. Auch wird gegen "Nichtgläubige" gehetzt. Offenkundig jihadistisches Gedankengut wird nach bisherigen Feststellungen innerhalb der 50 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 größeren bundesweiten WhatsApp-Gruppen vergleichsweise selten ausgetauscht. Jedoch existieren unter den Einladungslinks zu diversen Telegram-Kanälen von "Schwesternnetzwerken" mitunter auch jihadistische Kanäle, in denen Sympathien für terroristische Gruppierungen offenkundig werden. Zudem liegt der Fokus auf der Vermittlung gleichgesinnter Ehepartner, um einen entscheidenden Beitrag zur Festigung der salafistischen Ideologie und Gemeinschaft zu legen. In einem Fall wurde einem jungen Mädchen aus Bayern über eine einschlägige Online-Heiratsvermittlung ein Ehemann vermittelt, der von den Sicherheitsbehörden als Gefährder eingestuft ist. Frauennetzwerke sind - vor allem im virtuellen Bereich - nicht als isolierte Einheiten, sondern vielmehr als dynamische Vernetzungsstrukturen zu betrachten. Dies machen die zahlreichen Kommunikationswege, häufig variierende Mitglieder sowie die Themenvielfalt deutlich. Auch in der realweltlichen gewaltorientierten Szene sind Frauen aktiv. Insbesondere innerhalb terroristischer Gruppen spielen sie neben ihrer Funktion als Ehefrau und Mutter eine aktive Rolle bei Missionierungsarbeiten, Rekrutierungen, logistischer Unterstützung, Spendensammlungen und bisweilen bei Kampfhandlungen oder Attentaten. Ein Beispiel hierfür ist das Selbstmordattentat in Idlib im Januar. Eine Frau zündete vor einem Regierungsgebäude einen Sprengstoffgürtel, tötete neben sich selbst eine weitere Person und verletzte mehrere weitere. Der IS hat sich zu dem Anschlag bekannt. Inwieweit die Frauen diese Rolle freiwillig und aus ideologischer Überzeugung wahrnehmen, ist nicht immer eindeutig feststellbar. 3.2.4 Reisebewegungen und Rückkehrer Die Dynamik der Ausreisen von Salafisten aus Deutschland in Ausreisezahlen Richtung Syrien und Irak hat weiter deutlich abgenommen. Die rückläufig Utopie des "Kalifats" hat mit den territorialen und personellen Verlusten des IS ihre Anziehungskraft nahezu vollständig verloren. Von türkischen Sicherheitsbehörden aufgegriffene Ausreisewillige aus westlichen Staaten werden inhaftiert und konsequent zurückgeführt. 51 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Ausreisen aus Deutschland bis Ende 2019 mehr als 1.050 Personen Personen mit Ausreisebezug aus Bayern: 114 Personen davon tatsächlich ausgereist: 73 Personen Ausund WiederBis Ende 2019 lagen Erkenntnisse zu mehr als 1.050 deutschen einreisen nach Islamisten beziehungsweise Islamistinnen aus Deutschland vor, Deutschland die in Richtung Syrien/Irak gereist sind. Zu etwa der Hälfte der gereisten Personen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie auf Seiten des "Islamischen Staates" und "al-Qaidas" oder diesen nahestehenden Gruppierungen sowie anderer terroris tischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilnehmen beziehungsweise teilgenommen haben oder diese in sonstiger Weise unterstützen beziehungsweise unterstützt haben. Dies bedeutet, dass zu einem Teil der ausgereisten Personen bislang keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungsverfahren durch die zuständigen Justizbehörden vorliegen. Derzeit werden Ausreisesachverhalte nur noch vereinzelt nachträglich bekannt. Neue Ausreisen in Richtung Syrien/Irak sind aktuell nicht bekannt und nur noch in Einzelfällen zu erwarten. Etwa ein Viertel der gereisten Personen ist weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt gereisten Personen war zum Zeitpunkt der Ausreise jünger als 30 Jahre. Rückkehrer nach Etwa ein Drittel dieser gereisten Personen befindet sich moDeutschland mentan wieder in Deutschland. Zu über 110 der bislang zurück gekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Diese Personen stehen unverändert im Fokus polizeilicher und justizieller Ermittlungen. Die Zahl bisheriger Verurteilungen aus Syrien/Irak zurückgekehrter Personen bewegt sich im mittleren zweistelligen Bereich. Zu mehr als 230 Personen liegen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Ausreisen aus Es liegen Erkenntnisse zu 114 Islamisten aus Bayern vor, die seit Bayern 2012 in Richtung Syrien beziehungsweise Irak gereist sind, dies planten, planen oder dort agierende islamistisch terroristische Organisationen in sonstiger Weise unterstützen. Insgesamt sind 52 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 seitdem 73 Personen tatsächlich aus Bayern in Richtung Krisengebiet ausgereist, um mutmaßlich auf Seiten jihadistischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder sich für deren Ziele anderweitig einzusetzen. 80 Prozent der Personen, die tatsächlich ausreisten, sind geAnteil von Frauen, bürtige Muslime, 20 Prozent konvertierten zum Islam. Manche Kindern und KonverKonvertiten fühlen sich dem Druck ausgesetzt, sich als gute titen bei Ausreisen Muslime zu beweisen. Sie entwickeln dadurch einen besonderen Eifer, der sie anfällig für eine Radikalisierung durch Salafisten macht. Der Anteil der tatsächlich ausgereisten Frauen beträgt circa 20 Prozent. Zusätzlich wird von mindestens 20 Minderjährigen ausgegangen, die sich mit mindestens einem Elternteil in der Krisenregion Syrien und Irak aufhalten. Davon sind etwas mehr als die Hälfte Kinder unter fünf Jahren. Zu 13 der ausgereisten Personen liegen Hinweise vor, dass sie in Syrien oder im Irak verstorben sind. 28 Personen, die sich im Krisengebiet aufhielten, sind bereits wieder nach Deutschland zurückgekehrt, davon halten sich aktuell 21 in Bayern auf. Hierzu zählt auch eine Person, deren Ausreise nicht aus Bayern erfolgte, die aber nach der Rückkehr aus dem Krisengebiet aktuell ihren Wohnsitz in Bayern hat. Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass bei circa 25 Fortbestehende Prozent der 21 Rückkehrer nach Bayern weiterhin eine intensive jihadistische jihadistische Bindung vorliegt. Knapp 20 Prozent der Rückkehrer Orientierung bei gehören nach wie vor dem salafistischen Spektrum jedoch ohne Rückkehrern aktuelle Gewaltorientierung an. Bei über der Hälfte der Rückkehrer nach Bayern liegen keine Anhaltspunkte vor, dass sie weiterhin über Kontakte in die salafistischen Szene verfügen. Gegen die in Bayern aufhältigen Personen - darunter die genannten Rückkehrer nach Bayern - werden in enger Kooperation mit den zuständigen Sicherheitsbehörden die für den jeweiligen Einzelfall erforderlichen und individuell abgestimmten Maßnahmen sowohl unter Beachtung präventivpolizeilicher wie auch repressiver Aspekte als auch unter Ausschöpfung der im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten bestehenden verwaltungsund ausländerrechtlichen Maßnahmen durchgeführt. 53 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Gefahr durch Rückkehrer Rückkehrer aus den ehemals vom IS kontrollierten Gebieten und Personen, die ein terroristisches Ausbildungslager absolviert beziehungsweise aktiv an paramilitärischen Kampfhandlungen teilgenommen haben, stellen ein besonderes Sicherheitsrisiko dar. Bei Kampfhandlungen in Syrien haben sie teilweise Erfahrung im Umgang mit Sprengstoff und Waffen gesammelt. Zudem ist ihre Hemmschwelle für die Anwendung von Gewalt gegen Menschen deutlich gesunken. Die Anschläge in Paris (2015) und in Brüssel (2016) zeigten, dass auch Syrien-Rückkehrer zu Anschlägen bereit und in der Lage sind. Die Sicherheitsbehörden legen deshalb besonderes Augenmerk auf diesen Personenkreis. In der islamistischen Szene haben Rückkehrer meist ein hohes Ansehen und können einer weiteren Radikalisierung bislang nicht gewaltorientierter Islamisten Vorschub leisten. Dabei üben sie insbesondere auf junge Menschen eine große Anziehungskraft aus. Auflösung der Eine verstärkte Ankunft von Rückkehrern ist bislang nicht festFlüchtlingslager in stellbar. Im Zusammenhang mit der im Oktober gestarteten Nordsyrien türkischen Offensive in Nordsyrien hat jedoch ein Großteil der kurdischen Sicherheitskräfte die Kontrolle über die Flüchtlingslager in der Sicherheitszone aufgegeben. Folglich konnten Hunderte inhaftierte IS-Angehörige, zumeist Frauen und Kinder, aus den Lagern fliehen. Unter den Geflüchteten befinden sich auch Personen aus Deutschland. Eine unkontrollierte Rückkehr von IS-Kämpfern und deren Angehörigen nach Europa und Deutschland gilt es zu verhindern. Bei Personen, die nach Deutschland zurückkehren, greift das gesamte sicherheitsbehördliche Instrumentarium. Personen, die an der Außengrenze festgestellt werden, werden soweit rechtlich möglich zurückgewiesen. Handlungskonzept Bayern verfügt mit dem 2009 erarbeiteten "Gemeinsamen zur Verhinderung Handlungskonzept des Bayerischen Landeskriminalamts, des von Ausreisen und Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz und des OpeWiedereinreisen rativen Staatsschutzes der Bayerischen Polizei im Zusammenhang mit Reisebewegungen von Islamisten in terroristische Ausbildungslager oder zur Teilnahme am bewaffneten Jihad" über ein Maßnahmenpaket zur Verhinderung jihadistisch-salafistisch motivierter Ausreisen in Krisengebiete. Das Handlungskonzept wurde 2017 aufgrund der Entwicklung in Syrien und dem Irak grundlegend überarbeitet. Schwerpunkt des Handlungskonzepts ist ein möglichst frühzeitiger, umfassender und kontinuierlicher Informationsaustausch aller Sicherheitsbehörden. Ziel ist einerseits die Verhinderung 54 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 von Ausreisen. Bei ausländischen Staatsangehörigen werden aufenthaltsbeendende Maßnahmen durch die Arbeitsgruppe BIRGiT ("Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Extremismus/ Terrorismus") geprüft, wenn z. B. der Anwerbung weiterer Personen für salafistische Zielsetzungen hierdurch entgegengewirkt werden kann. Soweit Personen mit ausländischer Nationalität bereits in Kampfgebiete ausgereist sind, werden die aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Wiedereinreise nach Deutschland zu verhindern. 3.2.5 Rekrutierung und Propaganda Staatliche Maßnahmen, z. B. Vereinsund Moscheeverbote, diRückzug der salafisverse Durchsuchungsaktionen, wie am 10. April gegen "Ansaar tischen Propaganda International e. V." und "WorldWide Resistance - Help e. V.", Eraus der Öffentlichkeit mittlungsund Strafverfahren gegen jihadistische Protagonisten und konsequente Abschiebungen führten zu einer Verhaltensänderung der salafistischen Szene. Der bundesweite Trend zum Rückzug aus der Öffentlichkeit ins Private setzt sich fort. Regio nenübergreifende Islamseminare oder Auftritte salafistischer Prediger konnten nur noch in Einzelfällen festgestellt werden. Szeneangehörige agieren vermehrt in geschlossenen Gruppen der sozialen Medien und vernetzen sich durch klandestine Treffen, beispielsweise in Wohnungen ("Home-Da'wa"). Den Salafisten gelingt es weiterhin, neue virtuelle AktionsforVerbreitung der Ideomen in Deutschland zu etablieren. Wurden anfangs salafistische logie via Internet Islam-Infostände in Fußgängerzonen und Großveranstaltungen auf öffentlichen Plätzen bis hin zu mehrtägigen Islamseminaren gefilmt und als Videos ins Internet gestellt, so finden sich inzwischen vermehrt Kurse oder Vorträge, die teilweise live über diverse Medienkanäle verfolgt werden können. Diese zeitgemäße Verbreitung der salafistischen Ideologie übt eine beträchtliche Anziehungskraft vor allem auf junge, emotional und sozial noch nicht gefestigte Menschen aus. Junge Menschen bilden die Hauptzielgruppe islamistischer Internetpropaganda und Rekrutierungsaktivitäten. Während in der Vergangenheit viele Spenden im Rahmen von salafistischen Islamseminaren und Benefizveranstaltungen eingenommen wurden, werden Spenden mittlerweile zunehmend über Aufrufe im Internet gesammelt. Zur Anregung der Spendenbereitschaft wird die Übergabe von Spendengütern vor Ort per Video dokumentiert und auf den verschiedenen Internetkanälen neben den Spendenaufrufen veröffentlicht. Organisatoren sind unter anderem bundesweit vertretene Hilfsorganisationen 55 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus mit salafistischen Bezügen, wie z. B. "Ansaar International e. V.". Auch verabreden sich Frauen vereinzelt an öffentlichen Orten, um Spenden zu sammeln. Für Bargeldspenden richtete "Ansaar International e. V." im November ein telefonisch zu bestellendes Spendentaxi ein, das auch die Stadt München ansteuerte. Da'wa-Aktivitäten In Bayern sind weiterhin vereinzelte "Da'wa"-Aktivitäten ("Da'wa" = Missionierung) einer sich in Netzwerken organisierenden Anhängerschaft der salafistischen Ideologie zu beobachten. Sie finden mittlerweile selten im öffentlichen Raum statt. Nach dem Verbot der Vereinigung "Die Wahre Religion" (DWR) im November 2016 ist in Bayern auch die Anzahl der Islam-Infostände stark zurückgegangen. Bayernweit wurden diese nur in Nürnberg festgestellt. Im Oktober führte die österreichische Organisation "Iman" (deutsch: Glaube) erneut eine Schulung im Raum München durch. Erstmals hatte die Gruppierung im Februar 2018 Aktivitäten in Form eines Seminars in Bayern entfaltet. Bei "Iman" handelt es sich um ein "Da'wa"-Projekt aus Österreich, das nach eigenen Angaben seit 2014 besteht und dem salafistischen Spektrum zugeordnet wird. "Iman" zielt darauf ab, Interessenten Techniken der Missionierung näherzubringen und grenzüberschreitend tätig zu werden. Auch in anderen Städten im Bundesgebiet fanden bereits derartige Veranstaltungen statt. Salafistische Prediger Verstärkte InternetSalafistische Prediger spielen in der Szene und im Kontext der präsenz salafistiPropaganda eine wichtige Rolle. Während sie allerdings in der scher Prediger Vergangenheit bei öffentlichen Kundgebungen mehrere Hundert (meist junge) Salafisten anzogen, finden solche großen, öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seit Ende 2016 nicht mehr statt. Grund hierfür dürfte die intensivierte Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden sein. Zugenommen hat hingegen die Internetpräsenz der salafistischen Prediger. Neben Vorträgen und Stellungnahmen zu verschiedenen Themen bieten viele Prediger inzwischen auch Online-Kurse oder Live-Events an. Vor allem über ihre Internetauftritte erreichen salafistische Prediger allein in Deutschland Tausende vorrangig junge Menschen. Angepasst an die Bedürfnisse und Interessen ihrer Zielgruppen, sprechen sie - teils in deutscher Jugendsprache - über Themen wie Freundschaft, Sexualität oder die Rolle der Frau. Sie verbinden dabei geschickt salafistische Ideologieelemente mit Ratschlägen von alltagspraktischer Relevanz. 56 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Bundesweit aktive salafistische Prediger betätigen sich oft mehrmals im Jahr als Reiseleiter bei Pilgerreisen nach Medina beziehungsweise Mekka. Die Prediger übernehmen dabei eine ideologische Betreuung und Einflussnahme, unter anderem durch begleitende Vorträge und persönliche Gespräche mit den Mitreisenden. Drei bekannten salafistischen Predigern, die eine solche Reise begleiten sollten, untersagte die Bundespolizei am Flughafen München die Ausreise. Die restlichen Reiseteilnehmer konnten den Flug antreten. Informationen zu salafistischen Predigern, die für die bayerische Szene relevant sind, finden sich in der vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz herausgegebenen Broschüre "Islamismus erkennen". Moscheen Obwohl sich die Missionierungsarbeit im salafistischen Spektrum zunehmend auf den nicht öffentlichen Raum verlagert, dienen Moscheen nach wie vor als Plattform für salafistische Vortragsveranstaltungen sowie als Treffund Kontaktpunkte für Teile des salafistischen Personenpotenzials. Salafistisch geprägte Moscheen in Bayern sind die im RegieSalafistische rungsbezirk Schwaben verortete "Salahuddin Moschee" des Moscheen in Bayern Vereins "Islamischer Verein Augsburg e. V." in Augsburg sowie die Moschee des Vereins "Islamisch albanisches Zentrum Ulm e. V." mit Sitz in Neu-Ulm. In München sind die "El-Salam"-Moschee des Vereins "Islamische Föderation München e. V." und die "Taufiq"-Moschee des Vereins "Somalischer Verein für Kultur, Familien, Jugendliche und Integration in Bayern e. V." zu nennen. Entsprechende Moscheen im Regierungsbezirk Oberpfalz sind die Moschee des Vereins "Islamisches Zentrum Weiden e. V.", die "As-Salam"-Moschee des Vereins "Islamisches Zentrum Schwandorf e. V." in Schwandorf sowie die "Al-Rahman"-Moschee des Vereins "Islamisches Zentrum Regensburg e. V." Der letztgenannte Verein hat zudem die Trägerschaft der Treuhandstiftung "Islamische Stiftung Regensburg" inne. Im Regierungsbezirk Niederbayern ist die Moschee des Vereins "Vereinigung Passauer Muslime e. V." (ehemals "Islamisches Zentrum Passau e. V.") mit Sitz in Passau salafistisch geprägt. 57 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Internet Junge Menschen als Salafisten nutzen das Internet als Propaganda-, KommunikaHauptzielgruppe der tions-, Rekrutierungsund Steuerungsmedium. Zahlreiche WebInternetpropaganda sites sowie eine stetig steigende Anzahl von Accounts in sozialen Netzwerken und Instant-Messaging-Diensten (Sofort-Nachrichten-Versand) sorgen für eine weltweite Verbreitung der islam istischen Ideologie. Hauptzielgruppe islamistischer Internet propaganda und Rekrutierungsaktivitäten sind junge Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren. Strategische Salafistische Gruppierungen sprechen die jungen Menschen im Nutzung von Memes Internet gezielt dort an, wo sie sich am häufigsten aufhalten: in sozialen Netzwerken und auf Messenger-Diensten. Salafisten passen sich dort weiterhin den Rezeptionsgewohnheiten und der Alltagskommunikation junger Menschen im Internet an und verwenden Begriffe, Symbole und App-Funktionen, die gerade auch Heranwachsende kennen und nutzen. Zahlreiche Verwendung finden sogenannte Memes, in Bildern oder Videos eingebettete prägnante Texte. Sie haben das Potenzial, Inhalte visuell eingängig zu transportieren und plakativ zu überhöhen. Thematisch wird auf lebensnahe und tagespolitische Motive, wie z. B. Fragen zu muslimischer Identität, Zugehörigkeit und Diskriminierungserfahrungen, zurückgegriffen. Salafistische Gruppierungen nutzen Memes strategisch als Kommunikationsmittel, um ihr extremistisches Gedankengut subtil in Umlauf zu bringen. Die Bilder sowohl aus dem islamistischen als auch aus dem weltlichen Bereich verstärken geschickt die salafistischen Textbotschaften und transportieren die Darstellung der Salafisten von vermeintlichen gesellschaftlichen Missständen und sozialen Nachteilen. Auf den ersten Blick sind ideologisch aufgeladene Memes meist nur schwer erkennbar. Der für seine starke Verschlüsselung bekannte Instant-Messaging-Dienst Telegram ist gegenwärtig das zentrale Betätigungsfeld für jihadistische Online-Aktivisten und wichtigste Verbreitungsplattform sowohl für offizielle Propagandastellen als auch für die inoffizielle Propaganda der Unterstützerszene. Er hat damit die sozialen Netzwerke, wie z. B. Facebook und Twitter, in ihrer vormaligen Bedeutung und Funktion für die jihadistische Szene abgelöst. Sowohl für deutschsprachige Internetseiten als auch offen extremistische Accounts, Gruppen und Kanäle in sozialen Netzwerken und Instant-Messaging-Diensten ist aktuell ein quantitativer und qualitativer Rückgang zu beobachten. Die deutschsprachige 58 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 jihadistische Unterstützerund Sympathisantenszene agiert insgesamt in den sozialen Netzwerken nur mehr mit gesteigerter Vorsicht. Accounts, Gruppen und Kanäle geben sich nur noch selten als offen extremistisch zu erkennen. Die Ideologie beziehungsweise Ideologieelemente werden vornehmlich abgestuft und unter Auslassung einschlägiger Symbole, Kennzeichen, Schlüsselbegriffe und "Szenevorbilder" weiterverbreitet. Beiträge mit offenem Bekenntnis zum IS sowie Aufrufe zu Vergeltungsanschlägen konnten gleichwohl unter anderem in Reaktion auf die Anschläge auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch am 15. März beobachtet werden. Die im Internet verbreitete Propaganda und entstehenden "virtuIS-Propagandaserie ellen" Netzwerke tragen dazu bei, dass sich Jihad-Unterstützer "Harvest of the und -Sympathisanten weiterhin als Teil einer eingeschworenen, Soldiers" opferbereiten und vermeintlich elitären Bewegung begreifen. Von nahezu jedem Punkt der Welt aus können sich Sympathisanten mithilfe günstiger internetfähiger Mobilgeräte mit digitalem Lehrmaterial (z. B. Bauplänen zur Herstellung von Sprengstoffen) versorgen, um Teil dieses globalen Kampfs zu werden (sog. Open Source Jihad). Diese "Homegrown-Terroristen" können sich somit in ihren Heimatländern jihadistisch als Einzeltäter betätigen, ohne unmittelbar oder notwendigerweise in eine terroristische Gruppierung eingebunden zu sein. In der Gesamtschau ist seit 2017 ein Rückgang der offiziellen Rückgang der offiIS-Medienproduktion in Umfang und Qualität zu verzeichnen ziellen IS-Medien - gleichwohl stellt die Strategie des inspirierten Einzeltäteranproduktion schlags weiterhin einen festen Bestandteil der IS-Propaganda dar. Dem IS gelingt es jedoch gegenwärtig nicht mehr, selbstständig neue deutschsprachige Propagandaprodukte auf muttersprachlichem Niveau hervorzubringen. Kompensiert wurde dies zuletzt durch eine Zunahme inoffizieller Web-Propaganda. Die IS-Unterstützerszene sicherte trotz der verbesserten Löschpraxis der sozialen Netzwerk-Betreiber und zeitweisen Bemühungen des Instant-Messaging-Dienstes Telegram, eingerichtete Kanäle und Gruppen mit jihadistischen Inhalten automatisiert zu löschen, die virtuelle Präsenz der IS-Ideologie: Einzelpersonen verbreiteten selbständig Meldungen über Kampfhandlungen, Tötungsaufrufe, Drohbilder und Tipps zur Verschlüsselung beziehungsweise Verschleierung digitaler Kommunikation. Innerhalb der deutschsprachigen IS-nahen Szene sind Quantität und Qualität der Online-Propaganda zur Rekrutierung und Mobilisierung sowie zur potenziellen Selbstradikalisierung aktuell stark vom Einzelakteur abhängig. 59 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Online-Magazine Das englischsprachige IS-Magazin "From Dabiq to Rome" ist From Dabiq to Nachfolger der mittlerweile eingestellten Online-Magazine "DARome, Inspire, BIQ" und "RUMIYAH". "From Dabiq to Rome" enthält weitResurgence, Al gehend aktuelle Meldungen aus den Kampfgebieten und dient Risalah, Al-Haqiqa, der ideologischen Rechtfertigung der terroristischen Aktivitäten Kybernetiq des IS. Die Anhänger werden dazu aufgerufen, Anschläge in allen Staaten zu begehen, die Teil der Allianz gegen den IS sind. Veröffentlicht und verbreitet wird "From Dabiq to Rome" über Blogs, soziale Netzwerke und insbesondere Telegram. Die bis dato letzte Ausgabe erschien im August 2019. In Umfang sowie in visueller und inhaltlicher Qualität bleibt es jedoch bei weitem hinter den Vorgängermagazinen zurück. Die mit dem IS in Konkurrenz stehende Terrororganisation "al-Qaida" veröffentlicht seit 2010 das Online-Magazin "INSPIRE" und seit 2014 beziehungsweise 2015 auch die englischsprachigen Magazine "RESURGENCE" und "AL RISALAH". Alle drei "al-Qaida"-nahen Publikationen erscheinen nur noch in sehr langen und unregelmäßigen Abständen. In einem halbjährlichen Rhythmus wurde zudem das Online-Magazin "Al-Haqiqa" veröffentlicht. Exklusiv in deutscher Sprache erschien zuletzt 2017 das jihadistische Propaganda-Magazin "KYBERNETIQ", dessen aus Bayern stammender Verfasser sich hauptsächlich mit Verschlüsselungstechnologien und der "sicheren" Kommunikation im Internet beschäftigte. Von "INSPIRE", "Al-Haqiqa" und "KYBERNETIQ", die im deutschsprachigen Raum einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt haben, wurden im Jahr 2019 keine neuen Ausgaben bekannt. 3.2.6 Salafistische Bestrebungen im Strafvollzug Beispiele islamistischer Attentäter der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass eine gewaltbereite oder kriminelle Vergangenheit eine zumindest begünstigende Voraussetzung für die Begehung terroristischer Anschläge darstellen kann. Kriminelles Vorleben Ein Beispiel hierfür ist Anis Amri, der Attentäter des Breitscheidvon Attentätern platzes in Berlin 2016. Er war seit seiner Jugend mehrfach in verschiedenen Ländern durch kriminelles Verhalten wie Diebstahl, Körperverletzung und Brandstiftung aufgefallen. Auch der Attentäter des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg 60 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 im Dezember 2018, Cherif Chekatt, war in verschiedenen Ländern mehrfach kriminell und beging Straftaten wie Diebstahl und Einbruchdiebstahl. Amri und Chekatt wurden beide mehrfach zu Haftstrafen verurteilt. Vor diesem Hintergrund kommt Haftanstalten eine wichtige Bedeutung als potenzielle Radikalisierungsund Rekrutierungsorte des Salafismus zu. Ende des Jahres befanden sich in bayerischen Justizvollzugs anstalten circa 35 Gefangene, bei denen Bezüge zur salafis tischen Ideologie und teilweise auch zum islamistischen Terrorismus erkennbar waren. Bei einem Teil dieser Gefangenen handelt es sich um Personen, die den Sicherheitsbehörden schon vor ihrer Inhaftierung als Salafisten bekannt waren, bei anderen wurden Bezüge zum Salafismus erst während des Haftaufenthalts ersichtlich. Die Justizvollzugsanstalten stehen zunehmend vor der Herausforderung, mit Missionierungsaktivitäten und Radikalisierungsprozessen konfrontiert zu werden, und unternehmen umfan greiche Anstrengungen, diesen wirksam zu begegnen. Es besteht insbesondere die Gefahr, dass bisher nicht ideologisierte Mithäftlinge durch die "Da'wa"-Arbeit an den Salafismus herangeführt werden und sich bereits radikalisierte Häftlinge zu Gruppen zusammenschließen. Durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz und Verfassungsschutz wird der Ausbreitung und Verfestigung des Salafismus in Haftanstalten entgegengewirkt und das bayerische Justizvollzugspersonal dabei unterstützt, Fälle von salafis tischer Radikalisierung zu erkennen und zu verhindern. Gefangenenhilfe Innerhalb der salafistischen Szene stellen Solidarisierungs bekundungen mit inhaftierten "Glaubensgeschwistern" einen wichtigen Baustein dar, um das Gemeinschaftsgefühl zu festigen. Dabei wird der westliche Rechtsstaat als ungerechtes System diffamiert. Ziel der salafistischen Gefangenenhilfe ist es, Resozialisierungsprozesse zu verhindern, inhaftierte Szeneangehörige weiterhin an die salafistische Ideologie zu binden und sie dazu zu motivieren, Mithäftlinge an den Salafismus heranzuführen. 61 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Solidaritätsaktionen Vor allem über das Internet wird auch zu (finanziellen) Hilfeleisfür inhaftierte tungen für inhaftierte Gleichgesinnte aufgerufen. Zudem finden Salafisten Solidaritätsaktionen im Rahmen von Gerichtsverfahren statt, die auch die Präsenz von Salafisten bei Gerichtsverhandlungen beinhalten können. Auch Gerichtsprozesse in Bayern stellen für Betreiber salafistischer Gefangenenhilfe wiederholt eine Plattform dar. So berichtet z. B. der Salafist Bernhard Falk regelmäßig über den Verlauf der Prozesse. Bei Falk handelt es sich um einen zum Islam konvertierten ehemaligen Linksextremisten, der seit Jahren Kontakt zu inhaftierten Salafisten sucht, mit dem Ziel, diese in der Szene zu halten. Außerdem ist bekannt, dass auch in Einzelfällen an in Bayern inhaftierte Muslime Briefe von Initiativen salafistischer Gefangenenhilfe verschickt wurden. Mit Beginn der Inhaftierungen in Syrien und im Irak etablierten sich weitere Projekte zur Gefangenenhilfe, die vor Ort in Flüchtlingslagern agieren. Bilder und Videos wurden verbreitet, auf denen verschleierte Frauen mit IS-Verbindung um Spenden und Unterstützung für ihre Befreiung bitten. Ein Teil der dabei verwendeten Schilder ist auf Deutsch verfasst. 3.2.7 Migrationsbewegung im Blickfeld des Islamismus Der Verfassungsschutz hat die gesetzliche Aufgabe, Informationen über sicherheitsgefährdende und verfassungsfeindliche Bestrebungen im Inland zu sammeln und auszuwerten. Das Aufgabenfeld des Verfassungsschutzes ist daher auch dann eröffnet, wenn ein extremistischer Phänomenbereich wie der Islamismus die Migrationsbewegung in den Blick nimmt. Der Fokus des nachrichtendienstlichen Aufklärungsinteresses liegt dabei auf folgenden verfassungsschutzrelevanten Aspekten: Unter den Flüchtlingen in Bayern befinden sich in Einzelfällen auch aktive und ehemalige Mitglieder, Unterstützer und Sympathisanten terroristischer Organisationen gem. SSSS 129 a, b StGB (wie des sogenannten "Islamischen Staates", IS) sowie Einzelpersonen mit extremistischer Gesinnung und/oder islamistisch motivierte Kriegsverbrecher. Gegen Flüchtlinge, bei denen ein derartiger Tatverdacht wahrscheinlich ist oder belegt werden kann, werden strafprozessuale Ermittlungen eingeleitet. Die Bearbeitung der Hinweise erfolgt im engen Austausch mit anderen Sicherheitsbehörden beziehungsweise im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) sowie mit europäischen und internationalen Partnern. Im Zusammenhang mit dem weiterhin schwelenden Bürgerkrieg in Syrien und der vielfach instabilen Sicherheitslage in anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens ist nicht auszuschließen, dass auch künftig mit ehemaligen 62 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 jihadistischen Kämpfern unter Flüchtlingen zu rechnen ist. Insgesamt ist die Zahl auffälliger Flüchtlinge mit Extremismusbezügen gering im Vergleich zur Gesamtzahl der Flüchtlinge in Bayern. Stark rückläufig war 2019 die Zahl der Flüchtlinge, die sich in ihrer Selbstbezichtigungen Anhörung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von Flüchtlingen im im Rahmen ihres Asylverfahrens selbst bezichtigten, Mitglied eiAsylverfahren ner ausländischen terroristischen Organisation oder Gruppierung zu sein. Die Zahl sank von mehreren hundert Fällen im Jahr 2018 auf eine niedrige dreistellige Zahl in 2019. Die Selbstbezichtigungen führen beim Generalbundesanwalt beziehungsweise den zuständigen Staatsanwaltschaften in Bayern entweder zur Einleitung eines Verfahrens wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (SSSS 129 a, b StGB) oder auch zu einem möglichen Verfahren wegen Erschleichung eines Asylaufenthalts (SS 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). In Bayern wurden im September 2017 erstmalig zwei Flüchtlinge wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verurteilt. Die beiden Angeklagten hatten in Syrien die als terroristisch eingestufte Gruppierung "Ahrar al-Sham" unterstützt. Seitdem wurden mehrere Strafverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland und wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz eingeleitet. Diese Hauptverfahren sind noch nicht abgeschlossen. 3.2.8 Anschlagsgeschehen und Täterprofile Anschlagsgeschehen Europa liegt weiterhin im Zielspektrum des islamistischen Terrorismus. Die anhaltend hohe Gefährdungslage dokumentieren u. a. Anschläge in Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden. "Moderner Terrorismus" zeichnet sich zunehmend durch unterschiedlichste Anschlagsorte, eine unspezifische Opferauswahl, lose Kommandostrukturen und eine leichte Realisierbarkeit aus. Von zu Hause aus und ohne lange Indoktrinationsbeziehungsweise Planungsphasen ist es jedem radikalisierten Sympathi santen möglich, mit einfach verfügbaren Waffen und an jedem beliebigen Ort Attentate im Namen einer terroristischen Organisation zu begehen. 63 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Low-Profile-Angriffe Für derartige "Low-Profile"-Anschläge verwenden Attentäter neben Messern auch Kraftfahrzeuge, da diese mit vergleichsweise geringem Aufwand als effiziente Tatwaffe eingesetzt werden können. Islamistische Terroristen nutzen auch vermehrt Tatmittel, deren Einzelbestandteile frei verkäuflich sind. Mithilfe von Bauanleitungen im Internet können sie selbst aus einfachen Zutaten Bomben konstruieren. So verübte ein Attentäter am 24. Mai in Lyon/ Frankreich einen Sprengstoffanschlag vor einer Bäckerei, bei dem 13 Menschen verletzt wurden. Am 29. November griff in London/Großbritannien ein Attentäter mehrere Personen mit einem Messer auf der London Bridge an. Dabei tötete er zwei Menschen und verletzte drei weitere zum Teil lebensgefährlich. Bei dem Attentäter handelt es sich um einen wegen Anschlagsvorbereitungen auf die Londoner Börse im Jahr 2010 verurteilten Islamisten, der 2018 unter Auflagen auf Bewährung freigelassen wurde. Anschläge in Europa Neben diesen "Low-Profile"-Anschlägen ereignete sich in Euromit Schusswaffen pa darüber hinaus ein Anschlag mit Schusswaffen. So kam es am 18. März in Utrecht/Niederlande zu einer Schießerei in einer Straßenbahn, bei der drei Menschen getötet und fünf weitere schwer verletzt wurden. Der "Islamische Staat" hat das Attentat für sich reklamiert. Weltweit ereigneten sich zahlreiche Attentate, die v. a. der Terrormiliz "Islamischer Staat" oder "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS) - aber auch anderen Gruppen wie den "Taliban" oder der "Boko Haram" - zugerechnet werden können. Täterprofile Radikalisierungsprozesse sind in hohem Maße von komplexen individuellen Faktoren abhängig, was die Erstellung eindeutiger Täterund Prognoseraster erschwert. Es ist eine wichtige Aufgabe der Sicherheitsbehörden, Tätermerkmale zu analy sieren und potenzielle Attentäter frühzeitig zu identifizieren. Einen verbreiteten Typus des islamistischen Attentäters stellen junge Männer mit muslimischen Wurzeln dar, die sich in Umbruchsituationen befinden und sich sozial, ökonomisch oder politisch marginalisiert fühlen. Auf der Suche nach Halt, Orientierung und Identität geraten sie in islamistische Peergruppen oder in 64 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 entsprechende Kreise im Internet, wo sie auf Gleichaltrige mit ähnlichen Frustrationserfahrungen treffen. In einem Prozess der zunehmenden Abschottung nach außen und der gegenseitigen Verstärkung innerhalb der Gruppe können so Radikalisierungsverläufe entstehen, die in terroristische Gewalttaten münden können. Weiterhin ist nicht auszuschließen, dass Jihadisten aus KriegsEinschleusung gebieten wie Syrien/Irak gezielt über die Flüchtlingsrouten in von Jihadisten und westliche Länder entsendet werden, um hier Anschläge zu beSyrienrückkehrer gehen. Ebenso können junge Männer, die für den IS oder andere islamistische Gruppen bereits gekämpft haben und in Eigeninitiative über die Flüchtlingsrouten nach Europa gelangt sind, ein Sicherheitsrisiko darstellen, wenn sie aufgrund von Frustration und Perspektivlosigkeit erneut zugänglich für den Jihad werden. Wenngleich eine verstärkte Ankunft von Rückkehrern - also von Personen, die in die Kampfgebiete nach Syrien/Irak ausgereist sind und dort möglicherweise für den IS gekämpft haben - derzeit nicht feststellbar ist und an den Anschlägen in Deutschland bislang noch kein Rückkehrer beteiligt war, steht auch diese Gruppe nach wie vor im Fokus der Sicherheitsbehörden. Neben ihren in Kampfgebieten gesammelten Erfahrungen und einer eventuell gesenkten Hemmschwelle für die Anwendung von Gewalt gegen Menschen weisen sie weitere Eigenschaften auf, die sie für einen Einsatz im Sinne des IS prädestinieren: Aus Europa stammende Rekruten sind mit westlichen Gegebenheiten vertraut, unterliegen meist aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit weniger Reisebeschränkungen und können hier unauffälliger operieren. Vor eine große Herausforderung stellen Sicherheitsund Ermittlungsbehörden außerdem Einzeltäter, die spontan, unvermittelt und ohne vorherige Kommunikation mit jihadistischen Netzwerken Anschläge begehen. Teilweise handelt es sich auch um labile Persönlichkeiten, die sich ideologisch beeinflussen lassen. Einen weiteren Aspekt jihadistischer Täterprofile hat der Fall des Kriminelles Vorleben Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, verdeutlicht: begünstigt Terrodie Bedeutung einer grundsätzlichen Gewaltund Kriminalitäts"rismus karriere" als zumindest begünstigende Voraussetzung für die Begehung terroristischer Anschläge. Amri dealte und konsumierte regelmäßig Drogen, war in Gewaltdelikte verwickelt und hatte in Italien bereits eine Haftstrafe wegen Brandstiftung verbüßt. 65 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus 3.2.9 Exekutivmaßnahmen Vereinsrechtliche Verbotsund Ermittlungsverfahren Vereinsverbote sind ein wichtiges Instrument der wehrhaften Demokratie in Deutschland. Ein Verein ist nach Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verboten, wenn der Zweck der Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderläuft oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Im Bereich Islamismus wurden in den letzten Jahren mehrere Vereinsverbote ausgesprochen. Beispiele hierfür sind das Verbot des "Multi-Kultur-Hauses Ulm e. V." (MKH) in Neu-Ulm im Jahr 2005, das Verbot der salafistischen Vereinigung "Millatu Ibrahim" im Jahr 2012, das Verbot der salafistischen Vereine "Dawa FFM" und "Islamische Audios" 2013, das Betätigungsverbot der Terrororganisation "Islamischer Staat" in Deutschland vom September 2014 sowie das Verbot der salafistischen Vereinigung "Die Wahre Religion" (DWR) alias "LIES! Stiftung/Stiftung LIES!" am 15. November 2016. Darüber hinaus wurden 2017 mehrere Moscheen mit überregionaler Bedeutung außerhalb Bayerns wegen jihadistischer Bezüge verboten. Durchsuchungen Am 27. Februar hat das Bundesministerium des Innern ein verbei "Ansaar einsrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Vereinigungen International e. V." "Ansaar International e. V." und "WorldWide Resistance - Help und "WorldWide e. V." eingeleitet. Beide Organisationen sind dringend verdächtig, Resistance - mit ihren Aktivitäten propagandistisch und finanziell die palästiHelp e. V." nische Terrororganisation "HAMAS" zu unterstützen und sich damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung zu richten. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens kam es am 10. April bundesweit zu Durchsuchungsmaßnahmen. Hiervon betroffen waren auch Objekte in Bayern. Ausländerrechtliche Maßnahmen Unter Anwendung ausländerrechtlicher Vorschriften besteht darüber hinaus die Möglichkeit der Überwachung ausreisepflichtiger Ausländer aus Gründen der Inneren Sicherheit beziehungsweise der Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland nach den SSSS 56 ff. AufenthG. Abschiebungen aus Im Mai wurde ein in München wohnhafter marokkanischer Bayern Staatsangehöriger in seine Heimat abgeschoben. Auf seinem Facebook-Account hatte er salafistische und jihadistische Beiträge veröffentlicht und die Teilnahme am militanten Jihad befürwortet. 66 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Ermittlungsund Strafverfahren Neben Vereinsverboten besteht die Möglichkeit, auch gegen Einzelpersonen, beispielsweise aufgrund des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat gemäß SS 89 a StGB oder bezüglich der Bildung einer terroristischen Vereinigung nach SS 129 a StGB, zu ermitteln und anzuklagen. Am 26. September 2017 begann vor dem OLG Celle der Prozess gegen den jihadistischen Prediger Ahmad Abdulaziz Abdullah - alias Abu Walaa - sowie vier weitere Mitangeklagte. Abu Walaa wurde am 8. November 2016 zusammen mit den vier weiteren Personen wegen des Verdachts auf Unterstützung des Terrornetzwerks beziehungsweise der Werbung um Mitglieder oder Unterstützer des "Islamischen Staates" festgenommen. Die Anklage gegen Abu Walaa lautet auf Unterstützung und Kontakte zum Terrornetzwerk "Islamischer Staat" sowie Aufruf zum Mord. Der Prozess dauert noch an. Bereits seit März 2018 läuft ein Gerichtsverfahren vor dem OLG Strafverfahren in München wegen Unterstützung einer terroristischen VereiniBayern gegen gung im Ausland ("Ahrar al-Sham") gem. SSSS 129 a, b StGB. Das Terrorunterstützer Ermittlungsverfahren wurde bereits im Oktober 2015 durch den Generalbundesanwalt eingeleitet. Es besteht der Verdacht, dass mehrere Personen gemeinschaftlich und mehrfach seit 2012 diverse Lieferungen an die islamistische Terrororganisation "Ahrar al-Sham" durchgeführt haben. Diese beinhalteten unter anderem Kraftfahrzeuge, Zubehör für Waffen (z. B. Zieleinrichtungen), Drohnen, Nachtsichtgeräte und viele weitere technische Gegenstände. Von den 13 Beschuldigten befinden sich drei Personen in Bayern. Im März fällte das Oberlandesgericht (OLG) München das Urteil gegen einen bereits im April 2017 festgenommenen syrischen Staatsbürger, gegen den ein Verfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung nach SS 129a, 129b StGB eingeleitet wurde. Der Angeklagte wurde beschuldigt, Mitbe gründer und für den Bereich Aleppo/Syrien zuständiger Emir der Kampfgruppe (arabisch: "katiba") "Mohammad Ibn Abdallah" gewesen zu sein, die der "Jabhat al-Nusra" zugerechnet wird. Nach Auflösung dieser Kampfgruppe schloss sich der Angeklagte dem "Islamischen Staat" (IS) an und war für diesen als Mitarbeiter des Geheimdienstes tätig. Der Angeklagte wurde zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 67 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Am 16. Mai wurde der am 27. Juli 2017 wegen Unterstützung der islamistischen Gruppierung JAMWA ("Jaish al-Muhajirin wal-Ansar") in vier Fällen vom Düsseldorfer OLG zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilte Salafist Sven Lau unter strengen Bewährungsauflagen vorzeitig entlassen. Bei seiner Freilassung verkündete Lau, dass er sich von der salafistischen Szene gelöst habe. Im September verurteilte das OLG München einen in München wohnhaften Gefährder wegen Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gem. SS 91 StGB zu einem Jahr Freiheitsstrafe, die drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Angeklagte war beschuldigt, sich eine Anleitung zur Herstellung des Sprengstoffs Triacetonperoxid (TATP) beschafft und Vorbereitungen getroffen zu haben, in absehbarer Zeit in Deutschland einen Sprengstoffanschlag zu verüben. Bezüglich des Vorwurfs der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat gem. SS 89 a StGB erfolgte ein Freispruch. Das OLG München verurteilte im Oktober einen irakischen Staatsangehörigen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in zwei tatmehrheitlichen Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gem. SSSS 129a, 129b StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Nach der Ausreise in den Irak im Jahr 2015 und der Mitgliedschaft beim "Islamischen Staat" erfolgte die Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland im Mai 2018. Ebenfalls im Oktober verurteilte das OLG München einen Syrer wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung "Liwa Owais al-Qorani" zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. 3.2.10 Islamischer Staat, al-Qaida und andere terroristische Strukturen 3.2.10.1 Der Islamische Staat (IS) Entstehung und Entwicklung Die salafistisch-jihadistische Organisation "Islamischer Staat" hat ihre Wurzeln im Irak. Nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003 bildete sich dort unter der Führung des Terroristen Abu Musab al-Zarqawi eine "al-Qaida"-Zelle, die sich zunächst als "al-Qaida im Zweistromland" bezeichnete. Einige Jahre nach dem Tod al-Zarqawis übernahm der Iraker Abu Bakr al-Baghdadi bis zu seinem Tod im Oktober 2019 die Führung. 68 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Mehrfach änderte die Organisation vor dem Hintergrund weitreichender militärischer Erfolge ihren Namen. Ab 2013 bezeichnete sie sich als "Islamischer Staat im Irak und Großsyrien" (ISIG), ab Mitte 2014 als "Islamischer Staat" (IS). Zugleich wurde das "Islamische Kalifat" ausgerufen. Der IS steht somit in direkter Konkurrenz zu "al-Qaida". Das Kalifat (arabisch: "khilafa") bezeichnet sowohl ein Amt als Islamisches Kalifat auch ein Herrschaftsgebiet und bedeutet die Nachfolge des Propheten Muhammad. Der Titel ist gleichbedeutend mit dem rechtmäßigen Führer der sunnitischen Gläubigen. Den letzten Kalifen stellte das Osmanische Reich. Der Titel wurde 1924 durch Kemal Atatürk abgeschafft. Das Streben nach der Wiedereinführung des Kalifats ist ein wesentliches Kennzeichen islamistischer Ideologie. Die Anhänger des IS unterscheiden sich in Ideologie und Zielen nicht grundlegend von anderen jihadistisch orientierten Salafisten. Es gibt jedoch Unterschiede in der ideologischen Schwerpunktsetzung und im strategischen Ansatz. Eine besondere Rolle spielt dabei die Rechtfertigung des Kalifats. Das Kalifat ist zwar auch für "al-Qaida" ein Ziel, allerdings kann dies nur am Ende eines mehrstufigen Prozesses stehen: Zunächst sollen Rekruten ideologisiert, westliche Einflüsse in arabischen Ländern bekämpft, Landgewinne erzielt und schließlich prowestliche Regierungen im Nahen Osten gestürzt werden. Erst danach wird die "Entscheidungsschlacht" zwischen den "Rechtgläubigen" und den "Ungläubigen" angestrebt, an deren Ende das Kalifat steht. Der IS hingegen sieht diese Entscheidungsschlacht unmittelbar bevorstehen und ruft Muslime weltweit auf, sich da ran zu beteiligen. IS-Splittergruppen sind unter anderem in Libyen, auf dem Sinai, "Provinzen" des IS in Pakistan, in Afghanistan, Indien und Zentralafrika aktiv und haben dort zum Teil Provinzen ausgerufen. Im März 2015 schloss sich die terroristische Organisation "Boko Haram" aus Nigeria dem IS an. Nachdem die meisten Emire der Kaukasusprovinzen den Treueeid gegenüber dem IS erklärt haben, verkündete der IS im Juni 2015 zudem die Gründung der "Provinz Kaukasus". Spätestens seit April 2019 ist ebenso die Existenz der "Provinz Türkei" bekannt. In Syrien und im Irak ist der IS mittlerweile infolge militärischer Niederlagen territorial stark geschwächt. Die IS-Propaganda findet jedoch weiterhin über eine Reihe von Online-Plattformen, 69 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus die als offizielle Sprachrohre fungieren, Verbreitung. Deren Propagandaprodukte erschienen 2019 seltener und erreichten nicht mehr dieselbe Qualität wie zur Blütezeit des IS. Zunahme der Die Veröffentlichung inoffizieller IS-Propaganda, einschließlich Anschlagsdrohungen Anschlagsdrohungen und -aufforderungen, nahm hingegen zu. Vor diesem Hintergrund kann weiterhin damit gerechnet werden, dass sich Einzelpersonen und Kleingruppierungen auf Grundlage der IS-Ideologie radikalisieren und infolge dessen beabsichtigen, weitere IS-Provinzen zu etablieren und terroristische Anschläge durchzuführen. Inwieweit der Tod von al-Baghdadi im Oktober 2019 die Organisationstruktur und das Expansionsstreben des IS insgesamt schwächen könnte, ist derzeit nicht voraussehbar. Auftreten in Deutschland und Bayern Der IS verfügt innerhalb des salafistischen Spektrums in Deutschland beziehungsweise Bayern weiterhin über Sympathisanten, die sich zum Teil in sozialen Netzwerken austauschen. Beispielsweise verbreiteten sie das im April veröffentlichte Video von al-Baghdadi mit glorifizierenden Kommentaren wohlwollend weiter. Infolge der Anschläge auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch im März wurde in deutschsprachigen Telegram-Kanälen zur Ausreise (arabisch: "hijra") und zu Vergeltungsanschlägen auf "Ungläubige" aufgerufen. Dies macht die Anschlagsbereitschaft der deutschsprachigen IS-Szene deutlich. Der Bundesminister des Innern hat am 12. September 2014 die Betätigung der Vereinigung IS sowie die öffentliche Verwendung und Verbreitung von dessen Schriften und Symbolen verboten. 3.2.10.2 Das al-Qaida-Netzwerk Im Unterschied zu vielen anderen jihadistischen Netzwerken folgt "al-Qaida" der transnationalen Zielsetzung, langfristig ein weltweites Kalifat zu errichten. "Al-Qaida" und ihre regionalen Ableger sind für eine Vielzahl von terroristischen Anschlägen weltweit verantwortlich - z. B. für die Anschläge am 11. September 2001 in den USA. Entstehung und Entwicklungstendenzen Die Ursprünge des "al-Qaida"-Netzwerks lassen sich auf den bewaffneten Konflikt um das sowjetisch besetzte Afghanistan der Jahre 1979 - 1989 zurückführen. Eine herausragende Stellung hatten der palästinensische Jihad-Ideologe Abdullah Azzam, der aus verschiedenen Regionen der Welt Jihadisten rekrutierte, und der Saudi Usama Bin Ladin inne. 70 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Nach dem Tod Azzams unterstützte Bin Ladin fortan den bewaffneten Jihad in weiteren Konfliktgebieten wie Kaschmir, Indonesien, Tschetschenien, Bosnien und Somalia. Mit der Machtübernahme der "Taliban" 1996 kehrte Bin Ladin mit seinem Gefolge nach Afghanistan zurück und agierte von dort aus bis 2001 unter dem Schutz des "Taliban"-Führers Mullah Omar. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 formierte sich "al-Qaida" unter dem verstärkten Verfolgungsdruck neu hin zu einem flexiblen Netzwerk. Es entstanden regionale Ableger, wie "al-Qaida im Irak" (AQI), "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQIM), "al-Qaida auf der arabischen Halbinsel" (AQAH) und 2014 "al-Qaida im indischen Subkontinent" (AQIS). Die "Kernal-Qaida" unter der Führung von Aiman al-Zawahiri wurde zur Inspirationsquelle für Bündnispartner und jihadistische Gruppierungen weltweit, wie z. B. in Somalia, Syrien, Irak und Mali, die sich mit der Ideologie "al-Qaidas" identifizierten. Gleichzeitig erhielt "al-Qaida" zusätzlich zu ihrer Netzwerkstruktur den Charakter einer globalen Bewegung. Die Tötung Bin Ladins und weiterer Führungspersonen haben "al-Qaida" zwar geschwächt, das Netzwerk aber keinesfalls handlungsunfähig gemacht. In verschiedenen Regionen, wie Nordund Westafrika sowie in Syrien und im Irak, haben sich dynamische "al-Qaida"-Struk turen herausgebildet, die weiterhin bestehen. Die Ideologie des al-Qaida-Netzwerks Die von Bin Ladin und Azzam etablierte salafistische Ideologie des "al-Qaida"-Netzwerks ist geprägt von den Schriften Sayyed Qutbs und dessen Jihad-Gedanken sowie dem "Takfir"(deutsch: für ungläubig erklären). Danach gibt es nur den einen Islam in seiner durch Bin Ladin, al-Zawahiri und Azzam geprägten Orientierung an den frommen Altvorderen (arabisch: "al-salaf al-salih") der islamischen Frühzeit. Dem steht die "Jahiliyya", der Unglaube und die Unwissenheit um den durch den Propheten Muhammad vermittelten "rechten Weg", gegenüber. Folgerichtig war es ein zentrales Anliegen Bin Ladins, den Islam von allen "unislamischen Übergriffen" wie Sozialismus und Demokratie freizuhalten. Die Stationierung US-amerikanischer Truppen in islamischen Staaten war aus seiner Sicht nicht hinzunehmen. Aktuelle Entwicklungen "Al-Qaida" ist in den letzten Jahren immer mehr zum symbolischen Markenzeichen und zur Inspirationsquelle für diejenigen Jihadisten geworden, die der Vorgehensweise des IS entweder ablehnend gegenüberstehen oder die Schwächung des 71 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus IS zum Anlass nehmen, "al-Qaida" zu folgen. Die mehr als dreißigjährige Entwicklung "al-Qaidas" bietet für ehemalige IS-Anhänger den Vorteil, die transnationale terroristische Infrastruktur "al-Qaidas" zu nutzen, die insbesondere jihadistische Ausbildungslager umfasst. Zum 18. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 veröffentlichte "al-Qaida" eine Botschaft ihres derzeitigen Anführers al-Zawahiri, in der er seine Anhänger zu Anschlägen gegen US-amerikanische, europäische, israelische und russische Einrichtungen aufrief. Damit knüpfte er an die Drohungen von Hamza bin Ladin, einem Sohn von Usama bin Ladin, an, der im Juli 2019 bei einer US-Militäraktion getötet wurde. 3.2.10.3 Hai'at Tahrir al Sham (HTS) (früher: Jabhat al-Nusra (JaN) In den Reihen der "Jabhat al-Nusra" (JaN) etablierte sich ab 2013 eine Zelle der Kern-"al-Qaida" unter der Führung von Muhsin al-Fadhli. Die nach dem historischen Namen für eine Region in Zentralasien als "Khorasan-Gruppe" bezeichnete Zelle bildet insbesondere aus Europa stammende Kämpfer auch für Anschlagspläne in ihren Herkunftsländern aus. Im Juli 2016 versuchte die JaN öffentlichkeitswirksam, den Anschein einer Trennung von "al-Qaida" zu erwecken, und benannte sich in "Jabhat Fath al-Sham" (JFS; "Front zur Eroberung Syriens") um. Im Januar 2017 erfolgte eine erneute Umbenennung in "Hai'at Tahrir al Sham" (HTS) unter der Führung von Abu Muhammad al-Jaulani. Zugleich schlossen sich weitere syrische Jihadisten der HTS an. Mit HTS ist in Syrien eine weitere jihadistische Organisation vertreten, die soziale Netzwerke zur Rekrutierung von neuen Anhängern nutzt und gegenwärtig einen auf Syrien fokussierten Ansatz zum Ausbau des eigenen Einflussgebiets verfolgt. Um den Jahreswechsel 2018/2019 gelang es HTS, das umkämpfte Gebiet im syrischen Nordwesten, bestehend aus der Provinz Idlib sowie Teilen der Provinzen Aleppo, Hama und Latakia, nahezu vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. 2019 kam es in der Provinz Idlib zu schweren militärischen Auseinandersetzungen, die bislang nicht zur Zerschlagung der HTS führten. 72 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 3.2.10.4 Islamistische nordkaukasische Szene Nordkaukasische Separatistenbewegung (NKSB) Nach dem Zerfall der UdSSR führte die 1991 in Tschetschenien gegründete "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI) einen Guerillakrieg für die Unabhängigkeit der Teilrepublik von der Russischen Föderation und für die Errichtung eines islamischen Staates auf Grundlage der Scharia. 2007 proklamierte Dokku Umarov, der damalige CRI-Präsident, das islamistisch ausgerichtete "Kaukasische Emirat" (KE), das mit terroristischen Mitteln für einen islamischen Staat auf dem Gebiet des gesamten Nordkaukasus kämpft. Dieser Strategiewechsel führte zur Spaltung. Die Leitung des CRI übernahm Ahmed Zakaev, der sich auf die politische Durchsetzung des Unabhängigkeitsbestrebens für Tschetschenien beschränkt. Beide Gruppierungen sind der Nordkaukasischen Separatistenbewegung zuzurechnen. Um einen von Moskau unabhängigen tschetschenischen Staat auf der Grundlage der Scharia zu erreichen, verübten tschetschenische und andere kaukasische Islamisten in der Vergangenheit wiederholt Anschläge in Russland. Zum Nachfolger des 2014 verstorbenen Dokku Umarov wurde Alibulatovich Kebekov ernannt, der jedoch im April 2015 durch russische Einsatzkräfte getötet wurde. Dessen Nachfolger Magomed Suleimanov und Zalim Shebzukov wurden 2015/2016 ebenfalls bei einer russischen Anti-Terror-Operation getötet. Seitdem ist das KE offiziell führerlos. Im Syrien-Irak-Konflikt kämpfen zahlreiche Angehörige des KE, zum Teil organisiert in eigenen tschetschenischen Brigaden, auf Seiten der Terrororganisation "Islamischer Staat". Mehrere Kommandeure des KE haben den Treueeid auf den IS geschworen. Deutschland wird primär als Rückzugsraum für die finanzielle und logistische Unterstützung der Separatisten im Nordkaukasus genutzt. Strukturen des KE in Bayern sind bisher nicht feststellbar. Aktivitäten gingen allenfalls von Einzelpersonen aus. Verbindungen zur salafistischen Szene In Deutschland bestätigen sich die Hinweise auf Verbindungen von Personen aus dem Nordkaukasus in salafistische Kreise. Auch in Bayern sind einzelne Personen aus dem Nordkaukasus in der salafistischen Szene aktiv, ohne dabei öffentlich aufzufallen. 73 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus 3.3 Sonstiger islamistischer Terrorismus 3.3.1 HAMAS (Islamische Widerstandsbewegung) Mitglieder Deutschland: etwa 320 Bayern: Einzelpersonen Gründung 1988 Nach Beginn der ersten Intifada ("Aufstand der Palästinenser") im Dezember 1987 schlossen sich Anfang 1988 die palästinensischen Anhänger der "Muslimbruderschaft" (MB) unter Führung von Ahmad Yasin zur "HAMAS" zusammen und nahmen den bewaffneten Kampf gegen Israel auf. Die "HAMAS" übt seit der gewaltsamen Machtübernahme 2007 die alleinige Kontrolle über den Gaza-Streifen aus. HAMAS auf Die "HAMAS" verneint ein Existenzrecht Israels und will auf EU-Terrorliste dem gesamten Gebiet Palästinas einen "islamischen" Staat errichten. Sie lehnt deshalb auch den israelisch-palästinensischen Friedensprozess ab. Die "HAMAS" ist für eine Vielzahl terroristischer Aktionen verantwortlich, darunter zahlreiche Selbstmord attentate. Im Juni 2002 wurde deshalb der militärische Arm der "HAMAS" in die EU-Liste terroristischer Organisationen aufgenommen. 2003 haben die EU-Außenminister auch die Gesamt organisation als terroristisch eingestuft. Im Dezember 2014 entschied das Gericht der Europäischen Union (EuG) in erster Instanz, dass die EU bei der Einstufung der "HAMAS" als Terror organisation einen Verfahrensfehler begangen habe. Im Juli 2017 hob die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) diese Entscheidung auf und verwies sie zur materiellen Prüfung an die Vorinstanz zurück. Am 6. März entschied das EuG, dass die Mitgliedstaaten in einer Entscheidung aus dem Jahr 2015 ausreichend begründet haben, warum von der Organisation eine Terrorgefahr ausgehe. Damit verbleibt die "HAMAS" weiterhin auf der EU-Liste terroristischer Organisationen. Bereits im Dezember 2018 hatte das EuG eine Klage der "HAMAS" gegen die Beschlüsse der EU zur Terrorliste aus den Jahren 2010 bis 2014 sowie 2017 abgewiesen. Gegen dieses Urteil legte die "HAMAS" am 14. Februar 2019 Rechtsmittel beim EuGH ein. Von den in Deutschland lebenden "HAMAS"-Anhängern gehen Bestrebungen aus, die auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Deutschland wird von der "HAMAS" zur Sammlung von Spenden und zur Verbreitung ihrer Propaganda genutzt. Mit Beschluss vom 21. August 2018 74 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde gegen das Vereinigungsverbot des "Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e. V." (IHH) zurückgewiesen. Die IHH wurde vom Bundesministerium des Innern im Jahr 2010 verboten. Die IHH hat in erheblichem Umfang Spenden an Organisationen weitergeleitet, die der "HAMAS" zuzuordnen waren, und dadurch eine völkerverständigungswidrige Organisation gefördert. Vom 30. März 2018 ("Tag des Bodens") bis 15. Mai 2018 ("Nak"Tag des Bodens" ba-Tag") fand der "Marsch der Rückkehr" statt. Diese ursprüngund "Tag der Rücklich gewaltlose Bewegung junger palästinensischer Aktivisten kehr" wurde von der "HAMAS" vereinnahmt. Der "Tag des Bodens" steht im palästinensischen Geschichtsverständnis für Landenteignungen durch Israel; der "Marsch der Rückkehr" bezieht sich auf die Flucht oder Vertreibung von Palästinensern. Die Staatsgründung Israels 1948 wird im arabischen Sprachgebrauch als "Nakba" (deutsch: Katastrophe) bezeichnet. Auch nach dem 15. Mai 2018 finden seit über einem Jahr regelmäßig "Märsche der Rückkehr" statt. Begleitet werden diese Märsche weiterhin von Gewaltausbrüchen und Todesopfern. Zum Jahrestag am 30. März wurde zum "Eine-Million-Marsch" aufgerufen. Dieser Marsch war mit mehr als einer Million erwarteten Teilnehmern als bisher größte Demonstration geplant, tatsächlich beteiligten sich circa 30.000 Palästinenser. Den Protest konnte die "HAMAS" nutzen, um sich an die Spitze der palästinensischen Sache zu stellen. Mit der Aktion entlang des Grenzzauns im Gazastreifen pocht die "HAMAS" auf das Recht auf Rückkehr für palästinensische Flüchtlinge und ihre Nachkommen in das heutige Gebiet Israels. Im Juni 2019 wurde auf einer Konferenz in Bahrain der wirtschaftliche Teil des Nahost-Friedensplans der USA vorgestellt. Dieser sieht die Förderung des Wirtschaftswachstums in den palästinensischen Gebieten vor. Die Konferenz wurde von palästinensischer Seite boykottiert, da nur ein politische Lösung Frieden bringe könne. Der politische Teil des Plans wurde im Berichtszeitraum nicht vorgestellt. Es ist immer wieder festzustellen, dass sich Eskalationen zwischen Israel und den Palästinensern auch im Rahmen des Demonstrationsgeschehens in Deutschland auswirken. Auch in den sozialen Netzwerken in Deutschland werden die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern äußerst emotional kommentiert. 75 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus 3.3.2 Hizb Allah (Partei Gottes) Mitglieder Deutschland: etwa 1.050 Bayern: etwa 30 Gründung 1982 im Libanon Publikation al-Intiqad (Die Kritik) Fernsehsender al-Manar (Der Leuchtturm), Sitz in Beirut Betätigungsverbot in Deutschland seit 29.10.2008 Das langfristige Ziel der "Hizb Allah" (deutsch: Partei Gottes) ist die Zerstörung des Staates Israel und die "Herrschaft des Islam" über Jerusalem. Seit Jahren ist die "Hizb Allah" für Terror anschläge in Israel verantwortlich. In Deutschland hat sie bislang keine gewaltsamen Aktionen durchgeführt, nutzt aber das Bundesgebiet als Ruheund Rückzugsraum. Die Bestrebungen der "Hizb Allah" gefährden damit auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die "Hizb Allah" (auch: "Hisbollah/Hizbollah") ist eine auf Ini tiative des Irans gegründete schiitische Partei, die seit 1992 im libanesischen Parlament vertreten ist. Sie wird vom Iran finan ziell, materiell und ideologisch unterstützt. Sie ist einerseits eine politische Partei, die vor allem aufgrund ihres sozialen Engagements auf die Unterstützung ärmerer Bevölkerungsschichten zählen kann, andererseits verfügt sie aber nach wie vor über militärische Einheiten, die insbesondere im Süden des Landes unabhängig von der libanesischen Staatsgewalt agieren. Der Aufforderung zur Entwaffnung dieser Miliz, gemäß der UN-Resolution 1559 aus dem Jahr 2004, kam der politische Flügel der "Hizb Allah" bislang nicht nach. Im Mai 2008 hat das libanesische Kabinett der "Hizb Allah" offiziell "das Recht zum Widerstand gegen Israel" zugestanden. Die schiitische Miliz kann daher ungehindert den Ausbau der Verteidigungsanlagen nördlich der UN-Pufferzone zur Grenze Israels betreiben. Seit Beendigung des Libanonkriegs im Sommer 2006 wird sowohl von der israelischen Seite als auch von der "Hizb Allah" selbst über eine enorme Aufrüstung der "Hizb Allah" berichtet. Mehrere Indizien deuten darauf hin, dass die "Hizb Allah" im Verlauf des Jahres 2012 in Thailand, Georgien, Bulgarien und Indien an Anschlägen/Anschlagsversuchen auf Ziele mit Israelbezügen 76 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 beteiligt war. Im Juli 2013 beschlossen die EU-Außenminister, den militärischen Arm der libanesischen "Hizb Allah" in die EU-Terrorliste aufzunehmen. Die "Hizb Allah" verbreitet ihre antiisraelische und antijüdische Propaganda unter anderem über den libanesischen TV-Sender "al-Manar", der seinen Sitz in Beirut hat, aber auch in Deutschland zu empfangen ist. Da die Tätigkeit des Senders gegen deutsche Strafgesetze verstößt und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, wurde der Sender im Oktober 2008 vom Bundesministerium des Innern verboten. Ansprachen und Fernsehinterviews des "Hizb Allah"-Generalsekretärs Hassan Sayyed Nasrallah werden in Deutschland hauptsächlich über die sozialen Medien verbreitet. Beispielsweise äußerte sich der Generalsekretär der "Hizb Allah", Hassan Sayyed Nasrallah, 2018 zum jährlich stattfindenden "Al-Quds-Tag" (deutsch: Jerusalem-Tag) in einer Rede des Senders "al-Manar TV" zum Syrienkrieg und der dortigen Unterstützung des Assad-Regimes durch den militärischen Arm der "Hizb Allah". Nasrallah betonte, dass "die Hizb Allah nur auf Ersuchen der syrischen Regierung ihre Truppen aus Syrien ab ziehen" werde. Seit 1996 findet der "Al-Quds-Tag" jährlich auch in Berlin statt. 3.4 Sonstige verbotene Organisationen Hilafet Devleti (Kalifatsstaat) Anhänger Deutschland: etwa 700 Bayern: etwa 30 früherer Vorsitzender Metin Kaplan Gründung 1984 Sitz Köln Publizistisches Sprachrohr Muhacirun (Auswanderer) Die Vereinigung "Hilafet Devleti" (deutsch: Kalifatsstaat) wurde 2001 vom Bundesministerium des Innern in Deutschland nach dem Vereinsgesetz verboten. Am 22. Oktober 2013 verbot das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration den 2009 gegründeten Verein "Kulturund Bildungszentrum Ingolstadt e. V." als Ersatzorganisation des "Kalifatsstaats". 77 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamismus Mit Urteil vom 27. Januar 2016 hat der Bayerische Verwaltungs gerichtshof eine gegen das Verbot erhobene Klage des Vereins abgewiesen. Das Urteil ist rechtskräftig. Der "Kalifatsstaat" war eine am Führerprinzip orientierte, streng hierarchisch gegliederte Organisation, deren Endziel die Weltherrschaft des Islam unter dem Kalifat ihres Anführers Cemaleddin Kaplan und später seines Sohnes Metin Kaplan war. Der "Kalifatsstaat" richtete sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung und gefährdete die Innere Sicherheit in Deutschland. Das Verbotsverfahren und die staatlichen Exekutivmaßnahmen haben die Organisationsstruktur geschwächt. Gleichwohl gibt es in Deutschland noch immer Anhänger, die das Gedankengut des "Kalifatsstaats" weiterhin verbreiten. Zudem ist die offizielle Internetseite des "Kalifatsstaats", die über einen Server in den Niederlanden betrieben wird, abrufbar. Die 1984 in Köln gegründete Organisation "Kalifatsstaat" (ehemals "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V., Köln" - ICCB) verstand sich als Wiederbelebung des durch Kemal Atatürk 1924 in der Türkei abgeschafften Kalifats. Der frühere Vorsitzende des "Kalifatsstaats" Metin Kaplan, der wegen Mordaufrufs eine vierjährige Gefängnisstrafe in Deutschland verbüßt hatte, wurde 2004 in die Türkei abgeschoben und dort zu einer Haftstrafe verurteilt. Seit seiner Haftentlassung im November 2016 lebt Kaplan in Istanbul und hält den Kontakt zu seinen Anhängern durch die Veröffentlichung des Freitags gebets im Internet aufrecht. 78 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 79 Ausländerextremismus Ausländerextremismus Dachverband PKK-naher Vereine in Deutschland NAV-DEM umstrukturiert und in KON-MED umbenannt Türkische Militäroffensive "Friedensquelle" in Nordsyrien führt zu zahlreichen Protesten durch PKK-Anhänger und Linksextremisten Absetzung von pro-kurdischen Bürgermeistern führt zu Demonstrationen der PKK-Szene 80 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Anhänger extremistischer Gruppierungen aus dem Ausland sind auch in Deutschland aktiv, um die politischen Verhältnisse in ihren Heimatländern anti demokratisch zu verändern. Sie wollen z. B. eigene Staaten gründen, kommunistische Systeme errichten oder vertreten eine extreme Variante des Natio nalismus. Neben linksund rechtsextremistischen Gruppierungen gehen Gefahren auch von separatistischen Organisationen aus. Alle Gruppierungen importieren ihre ideologischen Ziele nach Deutschland, zum Teil tragen sie auch hier ihre blutigen Konflikte aus. Ihre Anhängerschaft setzt sich neben Ausländern auch aus deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund oder aus deutschen Extremisten zusammen. Die Bestrebungen ausländerextremistischer Organisationen richten sich somit gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährden die Innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung sowie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland. 81 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Ausländerextremismus 1. PERSONENPOTENZIAL IN BAYERN Im Jahr 2019 waren dem Spektrum der Ausländerextremisten (ohne Islamisten und Separatisten) 3.390 Personen (2018: 3.390) zuzurechnen: 2017 2018 2019 PKK* 1.800 1.900 1.900 Linksextremistische 190 190 190 Organisationen Rechtsextremistische 1.350 1.300 1.300 Organisationen gesamt 3.370** 3.420** 3.390 * inkl. Nachfolge-, Teilund Nebenorganisationen. Die Zahlenangaben sind geschätzt und gerundet. ** jeweils einschließlich Separatisten 2. KONFLIKTUND GEWALTPOTENZIAL Extremistische Ausländerorganisationen betrachten Deutschland vorwiegend als Rückzugsraum, um hier ihre Ziele durch Agitation, Rekrutierung neuer Anhänger und ideologische Indoktrination zu verfolgen. Zudem spielt die materielle Unterstützung der Mutterorganisationen in den Heimatländern durch die in Deutschland gesammelten Spenden und Mitgliedsbeiträge für sie eine nicht unerhebliche Rolle. Die Aktivitäten extremistischer Ausländerorganisationen in Deutschland werden im Wesentlichen von politischen Ereignissen und Entwicklungen in den jeweiligen Herkunftsländern beeinflusst. So können aktuelle Konflikte im Ausland unmittelbar zu gewaltsamen Aktivitäten in Deutschland führen. Zum Teil tragen extremistische Ausländerorganisationen ihre Konflikte hier auch gewalttätig untereinander aus. Die erneute Eskalation des Kurdenkonflikts in der Türkei seit 2015 sowie die Ereignisse in der Folge des gescheiterten Militärputschs vom 15. Juli 2016 wirken sich erkennbar auf türkische und kurdische ausländerextremistische Organisationen in Deutschland aus. Vor allem zwischen Vertretern des PKK-Lagers und der türkisch-rechtsextremistischen Szene kam es auch zu Übergriffen und teils gewalttätigen Konfrontationen. 82 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Nach der Militäroffensive im kurdisch dominierten Gebiet Afrin Türkische Militär in Nordsyrien Anfang 2018 führte die Türkei ab dem 9. Oktober offensiven eine weitere, lange angekündigte und großangelegte Militär offensive im kurdisch dominierten Nordosten Syriens durch. Unter dem Namen "Operation Friedensquelle" sollte die türkische Armee an der türkisch-syrischen Grenze eine Sicherheitszone errichten und dabei die kurdischen Milizen der YPG ins syrische Landesinnere zurückdrängen. Nach gewaltsamen Auseinandersetzungen einigten sich die Türkei und die USA am 17. Oktober auf eine Waffenruhe, um den kurdischen Kräften einen gewaltfreien Abund Rückzug zu ermöglichen. Gemeinsame Patrouillen türkischer und russischer Militärs kontrollierten den Abzug der kurdischen Truppen. Anhänger der PKK in Deutschland und Bayern reagierten auf die erneute türkische Militäroffensive wiederum mit zahlreichen Protestaktionen. Die Veranstaltungen fanden u. a. auch auf Initiative deutscher linksextremistischer Organisationen statt. 3. STRUKTUREN 3.1 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Anhänger Deutschland: 14.500 Bayern: 1.900 Leitung Abdullah Öcalan Gründung 1978 in der Türkei Publikationen Serxwebun ("Unabhängigkeit"), Yeni Özgür Politika ("Neue Freie Politik") Die PKK ist in Deutschland seit 26. November 1993 verboten. Seit 2. Mai 2002 wird sie in der Liste terroristischer Organisa tionen der EU aufgeführt. Das deutsche Verbot umfasst die späteren Umbenennungen in "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK), "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL), "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK) und "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK). 83 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Ausländerextremismus Verbot der ÖcalanMit Schreiben vom 2. März verfügte das Bundesministerium des Fahne Innern eine Ausweitung der Verbotsverfügung gegen die PKK und ihre Kennzeichen. Seitdem ist es in Deutschland auch verboten, die Fahne mit dem Abbild Abdullah Öcalans auf gelbem oder gelb-grünem Hintergrund zu zeigen. Die PKK wurde 1978 von Abdullah Öcalan in Ostanatolien als marxistisch-leninistisch orientierte Organisation gegründet. Sie sollte durch einen Guerillakrieg eine Revolution mit dem Ziel eines unabhängigen kurdischen Staates herbeiführen. Über zwei Jahrzehnte lang führte die PKK innerhalb und außerhalb der Türkei terroristische Anschläge durch. Nach der Festnahme des PKK-Führers Abdullah Öcalan im Jahr 1999 kam es zu einem taktisch bedingten Kurswechsel. Zumindest im Ausland wurde auf die Durchführung planmäßiger Gewaltaktionen verzichtet. Das ursprüngliche Ziel der Errichtung eines unabhängigen kur dischen Staates wurde zugunsten eines länderübergreifenden kurdischen Autonomie-Modells, das bestehende staatliche Grenzen anerkennt, aufgegeben. Bei ihren Aktivitäten verfolgt die PKK weiterhin eine Doppelstrategie. Während sie auf dem Gebiet der Türkei terroristische Anschläge durchführt und Anhänger für den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat mobilisiert, nutzt sie das übrige Europa primär als Rückzugs-, Finanzierungsund Rekrutierungsraum. Die PKK und ihr Unterstützerkreis in Deutschland stellen sich als in der Türkei zu Unrecht verfolgte "Regimegegner" dar und versuchen so, ihr Image in Deutschland aufzubessern. Regionale Strukturen Bei der PKK und ihren deutschen Ablegern handelt es sich um in Bayern/"Eyalets" eine Kaderorganisation mit einem weit verzweigten Funktionärswesen und strikten Befehlsstrukturen. Die PKK hat sich 2016 in Deutschland regional umstrukturiert. Unter Beibehaltung der 31 Gebiete wurden die ehemals vier Sektoren nun in neun Regionen ("Eyalets") aufgeteilt. In Bayern existieren die Gebiete München/ Südbayern und Nürnberg/Nordbayern. An der Spitze dieser hier archischen Struktur stehen Funktionäre, die in der Regel durch die europäische Leitungsebene der Organisation eingesetzt werden. Die Zuweisung auf die einzelnen Funktionen erfolgt zumeist nur für einen begrenzten Zeitraum. Die hauptamtlichen Kader der PKK sind ideologisch geschult und leben äußerst konspirativ an häufig wechselnden Orten. PKK-Anhänger organisieren sich in Deutschland und Bayern auch unter dem Deckmantel legaler Vereinsund Verbandsstrukturen. Die Organisationen, die diesen Strukturen zuzurechnen 84 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 sind, stellen sich in der Regel nach außen als reine Kulturvereine dar. Ein Nachweis, dass ihre Betätigung unmittelbar der PKK zuzurechnen ist, lässt sich meist nur im Einzelfall führen. Insgesamt kann jedoch angenommen werden, dass der illegal tätige Funktionärsapparat der PKK die Agenda dieser legalen Strukturen in Deutschland und Europa maßgeblich beeinflusst und steuert. Die jeweiligen Vereine und Verbände haben vor diesem Hintergrund vor allem die Aufgabe, unter den Anhängern die Ziele und Politik der PKK zu verbreiten und zu fördern und dienen des Weiteren als regionale Anlaufstellen für PKK-Aktivisten. Der Dachverband dieser PKK-nahen Strukturen in Deutschland Umbenennung erfuhr im Mai eine Umstrukturierung. Die zuvor unter der BeNAV-DEM in zeichnung NAV-DEM ("Dachverband Demokratisches KurdiKON-MED sches Gesellschaftszentrum Deutschlands e. V.") auftretende Dachorganisation wurde umbenannt und firmiert seither unter der Bezeichnung KON-MED ("Konföderation der Gesellschaften Mesopotamiens in Deutschland"). Organisatorisch unterscheidet sich die KON-MED vom Vorgänger NAV-DEM u. a. darin, dass sie nun über regionale Untergruppierungen verfügt, den sogenannten "Föderationen". Zuständig für Bayern und Baden-Württemberg ist demnach die Föderation FCK ("Föderation der Gemeinschaften Kurdistans"). In Bayern existieren zurzeit drei Vereine, die der KON-MED anKON-MED Vereine gehören: das "Medya Volkshaus" in Nürnberg, das "Kurdische in Bayern Gesellschaftszentrum München" und die "Kurdisch-Deutsche Freundschaftsgesellschaft" in Weißenburg. In den Räumlichkeiten dieser Vereine finden regelmäßig neben kulturellen Veranstaltungen auch solche mit PKK-Bezug statt. Zudem initiieren die Vereine regelmäßig Versammlungen zur PKK-Thematik, wie beispielsweise zur Aufhebung des PKK-Verbots. Auch Fahrten zu überregionalen Veranstaltungen mit PKK-Bezug werden organisiert. Die PKK zeigt ein ambivalentes Verhalten zur Gewalt. Einem Gespaltenes Vermilitärischen Auftreten im türkisch-irakischen beziehungsweise hältnis der PKK zu türkisch-syrischen Grenzgebiet steht ein grundsätzlich friedliches Gewalt Vorgehen in Deutschland beziehungsweise Europa gegenüber. Dieses Vorgehen wird auch aktuell von der Überzeugung geleitet, sich europäische Staaten als Ruheund Rückzugsräume zu bewahren. Die PKK ist nach wie vor in der Lage und bereit, zumindest punktuell Gewalt auch in Deutschland einzusetzen beziehungsweise Gewalttaten ihrer jugendlichen Anhänger zu dulden. 85 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Ausländerextremismus Als wesentliche Propagandaplattformen dienen in Deutschland neben Fernsehsendern regelmäßig erscheinende Zeitungen wie die Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" ("Neue Freie Politik"), in der regelmäßig Stellungnahmen von führenden PKK-Funktionären veröffentlicht werden. Auch soziale Netzwerke im Internet nutzt die PKK-Anhängerschaft intensiv zur Verbreitung von Propaganda und zur Mobilisierung für Veranstaltungen und Kundgebungen. Aktivitäten der PKK Für das Aktivitätsund Aggressionsniveau der PKK in Deutschland ist die innenpolitische Lage in der Türkei ein entscheidender Faktor. Die PKK-nahe Szene reagiert mitunter äußerst rasch und unmittelbar auf Ereignisse und Konflikte in der Türkei und der umliegenden Region. Dadurch wollen die PKK-Anhänger in Deutschland Einfluss auf die türkische Innenpolitik und die auswärtigen Beziehungen der Türkei ausüben, den türkisch-kurdischen Konflikt zugleich aber auch auf die Tagesordnung deutscher und internationaler Politik bringen. Hungerstreik von Am 7. November 2018 hatte die türkische Abgeordnete der Aktivisten pro-kurdischen Partei HDP ("Halklarin Demokratik Partisi", dt. "Demokratische Partei der Völker") Leyla Güven einen unbefristeten Hungerstreik begonnen. Als Ziel des Hungerstreiks gab sie an, die Beendigung der "Isolationshaft" Öcalans herbeiführen zu wollen. Dem Hungerstreik schlossen sich weltweit mehrere tausend Personen des PKK-nahen Spektrums an. Unter den Hungerstreikenden war auch ein PKK-Aktivist aus Bayern. Der Hungerstreik wurde am 26. Mai nach einem Aufruf Öcalans beendet. Das Ende der "Isolationshaft" Öcalans wurde nicht erreicht. Jedoch schrieben die Initiatoren und Unterstützer des Hungerstreiks es ihrem Wirken zu, dass die türkische Regierung eine jahrelang bestehende Kontaktsperre zwischen Öcalan und seinen Anwälten vorerst wieder aufhob. Amtsenthebungen in Am 19. August enthob das türkische Innenministerium mehrere der Türkei Bürgermeister der HDP aufgrund von Terrorermittlungen des Amtes. Unter anderem waren die Oberbürgermeister der osttürkischen Städte Diyarbakir, Mardin und Van von der Maßnahme betroffen. Im Anschluss kam es sowohl in der Türkei als auch in Europa zu spontanen Protestkundgebungen, die sich gegen die Maßnahme der türkischen Regierung richteten. In Bayern fanden ebenfalls Protestveranstaltungen statt, die maßgeblich von PKK-nahen Organisationen initiiert wurden. Am Abend des 19. August wurden unter anderem in Nürnberg und München 86 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Versammlungen durchgeführt. Das Demonstrationsgeschehen hielt die darauffolgenden Tage an. Im August und September fanden mehrere Kundgebungen in München und Nürnberg statt, die ohne nennenswerte Störungen verliefen. Veranstaltungen Bis zu 25.000 Teilnehmer - darunter mehrheitlich Anhänger der PKK - nahmen am 23. März in Frankfurt am Main an der zentralen Großveranstaltung anlässlich des kurdischen Neujahrs festes "Newroz" teil. Im gesamten Bundesgebiet fanden zudem weitere lokale "Newroz"-Feierlichkeiten und Aktionen statt, die weitestgehend störungsfrei verliefen. Zentrales Thema war die Forderung der PKK nach Aufhebung der "Isolationshaft" von Abdullah Öcalan. An der zentralen Feier in Frankfurt nahmen auch PKK-Anhänger aus Bayern teil. Hierfür wurden Bustransfers aus Ingolstadt, München und Nürnberg organisiert. Darüber hinaus fuhren einzelne Anhänger mit PKWs zur Veranstaltung. Am 21. September fand das "27. Kurdistanfestival" in Maastricht, Niederlande und damit erstmals außerhalb von Deutschland statt. Obwohl in den sozialen Medien verbreitet wurde, dass "zehntausende Teilnehmer" teilgenommen hätten, wurde seitens der Behörden die tatsächliche Teilnehmerzahl im Nach hinein auf lediglich ca. 7.000 Personen geschätzt. Die Veranstaltung mit Teilnehmern aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Deutschland verlief ohne nennenswerte Ereignisse. Aus Bayern fuhren ebenfalls Busse zum Festival. Es wurden in großer Zahl Fahnen der PKK und andere PKK-Symbolik gezeigt. Diese sind jedoch in den Niederlanden nicht verboten. Im Zusammenhang mit der Erweiterung der Verbotsverfügung gegen die PKK und ihre Kennzeichen im März 2017 und der konsequenten Durchsetzung des Verbots durch die deutschen Sicherheitsbehörden ist auch weiterhin mit darauf bezogenen Protest-, Umgehungsund Provokationsaktionen seitens der PKK und ihrer Anhänger in Deutschland zu rechnen. So kam es im Jahr 2019 weiterhin zu Verstößen gegen das Vereinsgesetz, beispielsweise das Zeigen der Flagge der YPG. Zusammenarbeit mit Linksextremisten Zwischen der PKK und deutschen linksextremistischen Gruppen kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu themenbezogener Kooperation und gegenseitiger Unterstützung. Eine Zusammenarbeit erfolgt vorwiegend dann, wenn sich die vom linksextremistischen Spektrum besetzten Aktionsfelder wie z. B. Antiimperialismus oder Antimilitarismus und das von der PKK 87 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Ausländerextremismus besetzte Themenpotenzial überschneiden. Die türkischen Militäroffensiven in Nordsyrien seit 2016 lösten ein erneutes Zusammenrücken beider Lager aus. "Tag X" anlässlich Am 9. Oktober begann die türkische Militäroperation "Operader türkischen tion Friedensquelle" in Nordsyrien. PKK-Sympathisanten und Militäroffensive Anhänger des linksextremistischen Spektrums hatten bereits im Vorfeld der türkischen Offensive in Nordsyrien dazu aufgerufen, sich auf den sogenannten "Tag X" vorzubereiten. Im Anschluss kam es bundesweit zu erhöhtem Demonstrationsgeschehen. Auch deutsche Linksextremisten beteiligten sich an den Aktionen. In Bayern fanden ab dem 9. Oktober in nahezu allen größeren Städten eine Vielzahl angemeldeter Versammlungen und Spontandemonstrationen statt. Die Demonstrationen blieben bis auf einzelne kleinere Vorfälle überwiegend friedlich. Aktionsbündnis Das u. a. von PKK-nahen Vereinigungen und linksextremistischen "#riseup4rojava" Organisationen getragene, nach eigenen Angaben international agierende Aktionsbündnis "#riseup4rojava" initiierte auch in Bayern Kundgebungen. Mit einer Beteiligung von bis zu 850 Personen war die Demonstration vom 12. Oktober in München die bislang größte Veranstaltung des Bündnisses in Bayern. Am 26. Oktober versammelten sich Anhänger der Kampagne erneut in München. An der Auftaktkundgebung am Odeonsplatz beteiligten sich etwa 300 Personen, an der anschließenden Demonstration bis zu 600. Am 14. Dezember fand anlässlich des "globalen Aktionstags für Rojava", zu dem u. a. vom Aktionsbündnis "riseup4rojava" aufgerufen wurde, eine sich fortbewegende Kundgebung in der Münchner Innenstadt statt. An der Kund gebung nahmen etwa 80 Personen teil. Bei einem Großteil der Protestveranstaltungen, die in Bayern seit Beginn der türkischen Militäroffensive stattfanden, konnten PKK-Aktivisten und Linksextremisten festgestellt werden. 88 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 3.2 Türkische Linke 3.2.1 DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)/ Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) Mitglieder Deutschland: 650 Bayern: 80 Gründung 1994 in Syrien Publikation Yürüyüs Die DHKP-C ist in Deutschland seit 1998 verboten. Die Verbreitung der Publikation "Yürüyüs" ist nach Mitteilung des Bundesministeriums des Innern strafbar. Die revolutionär-marxistische DHKP-C zählt zu den militantesten türkischen Extremistengruppen, die mithilfe einer bewaffneten Revolution auf die Zerschlagung des türkischen Staates zielen. Ziele ihrer Agitation sind die NATO, die USA sowie die Türkei und ihre Gesellschaftsordnung. Die DHKP-C richtet sich damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährdet die Innere Sicherheit und die öffentliche Ordnung sowie sonstige erheb liche Belange der Bundesrepublik Deutschland. Die DHKP-C wurde 1994 in Syrien gegründet und ging aus dem "Karatas-Flügel" der "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") hervor. Sie versteht sich, wie die Ursprungsorganisation, als eine an den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus ausgerichtete Volksbewegung. Die DHKP-C erklärte 1999 für Deutschland einen Gewaltverzicht, wobei jedoch am bewaffneten Kampf in der Türkei festgehalten wurde. Das Bundesministerium des Innern verfügte 1998 ein Vereinsverbot. Seit 2002 ist die DHKP-C auf der EU-Terrorliste aufgeführt. Nach wie vor stellen Auftritte der türkischen Musikgruppe Auftritt von Grup "GRUP YORUM", die nach eigenem Bekunden ein dezidiert "reYorum bei MLPD volutionär-sozialistisches Musikverständnis" pflegt, einen wichtigen Bestandteil der Propagandaaktivitäten der DHKP-C dar. Symbolik und Liedtexte der Gruppe weisen regelmäßig Bezüge zur Ideologie und Propaganda der DHKP-C auf. Die deutschen Verfassungsschutzbehörden gehen darüber hinaus von engen organisatorischen Verbindungen zwischen "GRUP YORUM" und der DHKP-C aus. Die DHKP-C nutzt die Popularität der Gruppe, um über ihren Anhängerkreis hinaus Personen anzusprechen und zu mobilisieren. 89 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Ausländerextremismus Jährlich findet in der Regel im Bundesgebiet mindestens ein Großkonzert der "GRUP YORUM" etwa zur Jahresmitte im Rahmen einer von Personen aus dem DHKP-C-Umfeld oder auch aus dem Umfeld anderer linksextremistischer deutscher Gruppierungen (z. B. DKP, MLPD) organisierten Musikveranstaltung statt. Am 10. Dezember fand in Nürnberg sowie am 11. Dezember jeweils in Augsburg und München eine Kundgebung zur Unterstützung von "GRUP YORUM" statt. Organisatorisch zeichneten für die Kundgebungen u.a. das "Internationalistische Bündnis" sowie das "Inter-Bündnis München" verantwortlich, die der MLPD zugerechnet werden. Die Veranstaltungen erzeugten insgesamt nur wenig öffentliches Interesse. Die Teilnehmerzahlen lagen jeweils zwischen fünf und fünfzehn Personen. 3.2.2 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten - Partizan Flügel (TKP/ML - "Partizan-Flügel") Mitglieder Deutschland: 800 Bayern: 80 Gründung 1994 in der Türkei Die TKP/ML - "Partizan-Flügel" vertritt die Ideologie des Marxismus-Leninismus, ergänzt um die Ideen Mao Tse-tungs. Sie befürwortet den bewaffneten Kampf und propagiert den Bürgerkrieg. Ziel ist die Errichtung eines kommunistischen Regimes. Die TKP/ML - "Partizan-Flügel" spaltete sich 1994 aus der bereits seit den 1970er-Jahren bestehenden Mutterorganisation TKP/ML ab. Die Anhänger der TKP/ML - "Partizan Flügel" sind seit Sommer 1997 in den beiden Basisorganisationen "Föderation der Arbeiter aus der Türkei e. V." (ATIF) und der Ende 1986 gebildeten "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" (ATIK) organisiert. Beide Vereinigungen präsentieren sich als Massenorganisa tionen und tarnen ihre Verbindungen zur TKP/ML - "Partizan Flügel". Sie beschränken sich in Deutschland auf Propaganda aktivitäten und auf die Beschaffung finanzieller Mittel. Strafverfahren Im Jahr 2015 hatte der Generalbundesanwalt Exekutivmaß vor dem OLG nahmen gegen mutmaßliche Mitglieder der TKP/ML eingeleitet, München darunter auch gegen zwei Aktivisten aus dem Raum Nürnberg. Die Beschuldigten sind dringend verdächtig, sich als Mitglieder 90 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 beziehungsweise Rädelsführer an der ausländischen terroristischen Vereinigung TKP/ML beteiligt zu haben. Gegen zehn Personen wurde deshalb Anklage wegen Verstoßes gegen SSSS 129 a, 129 b StGB erhoben. Am 17. Juni 2016 begann der Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Ein Teil der Beschuldigten stammt ursprünglich nicht aus Bayern, sondern aus anderen Bundesländern, der Schweiz und Frankreich. Ihre Verfahren werden aber seit 2015 zentral vor dem OLG München geführt. Die bayerischen Aktivisten waren im Frühjahr 2018 nach fast dreijähriger Untersuchungshaft zunächst auf freien Fuß gesetzt worden. Seit Juli 2019 befinden sich beide erneut in Haft, nachdem die Außervollzugsetzung des Haftbefehls wegen Verstoßes gegen ihre Aufenthaltsauflagen rückgängig gemacht worden war. Das Verfahren dauert an. 3.2.3 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Mitglieder Deutschland: 600 Bayern: 30 Gründung 1994 in der Türkei Publikation Atilim (Angriff) Die MLKP ist marxistisch-leninistisch geprägt und strebt die gewaltsame Zerschlagung der staatlichen Ordnung der Türkei und die dortige Errichtung einer kommunistischen Diktatur an. Die in der Türkei verbotene terroristische MLKP entstand 1994 aus dem Zusammenschluss zweier türkischer linksextremis tischer Organisationen. Ihre Basisorganisation ist die "Födera tion der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e. V." (AGIF) mit Sitz in Köln. Die örtlichen AGIF-Vereine in Deutschland sind zuständig für die politische Basisarbeit. Ihr europäischer Dachverband trägt den Namen "Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa" (AvEG-KON). Über ihre Jugendorganisation "Young Struggle" (YS) versucht Young Struggle die MLKP auch weiterhin, junge Menschen in Bayern zu mobilisieren. "Young Struggle" wirbt dabei nicht nur um türkische, sondern auch um junge deutsche Linksextremisten. Die Ortsgruppe Nürnberg agitiert auf ihrem Blog gegen die Bürgerkriege in der Ukraine und in Syrien. Des Weiteren agitierte sie zugunsten des militärischen Arms der verbotenen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und dessen militärischen Aktionen in der nordsyrischen Rojava-Region. 91 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Ausländerextremismus 3.3 Türkische Rechtsextremisten: ÜlkücüBewegung ("Idealisten"-Bewegung) Mitglieder Deutschland: 11.000 Bayern: 1.300 Publikationen Türk Federasyon Bülteni und Alperen/Alperen-Genclik Die "Ülkücü-Bewegung" umfasst ein breites Spektrum ultra nationalistischen und rassistischen Gedankenguts, teils werden auch einzelne Elemente islamistischer Ideologie aufgegriffen. Symbol der Bewegung ist ein mit fünf Fingern stilisierter Wolfskopf, weshalb die Anhänger der Bewegung auch als "Graue Wölfe" bezeichnet werden. Kulturund IdeDie zahlenmäßig stärkste Anhängerschaft der "Ülkücü-Bewealistenvereine in gung" in Deutschland ist in sogenannten Kulturund IdealisDeutschland ten-Vereinen der "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V." (ADÜTDF) organisiert. Die ADÜTDF wurde 1978 in Frankfurt am Main durch den Zusammenschluss von zahlreichen türkischen Vereinen gegründet. Die nationalistische ADÜTDF vertritt eine extreme Variante des türkischen Nationalismus und ist damit Teil der weltweit organisierten "Ülkücü-Bewegung". Durch ihr teilweise extrem nationalistisches Gedankengut verfolgt die ADÜTDF Bestrebungen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Sie gilt seit ihrer Gründung als Auslandsorganisation der türkischen "Partei der Nationalen Bewegung" (MHP), dem politischen Arm der "Ülkücü-Bewegung" in der Türkei. Die MHP feierte im Februar ihr 50-jähriges Bestehen. An den Feierlichkeiten in der türkischen Stadt Adana nahmen auch einige Personen aus Bayern teil. Die ADÜTDF ist in Bayern vor allem mit kulturellen, religiösen und sportlichen Veranstaltungen aktiv, auch um neue Mitglieder zu werben. Regionale Schwerpunkte sind die Ballungsräume München, Nürnberg und Augsburg. ADÜTDF und ATB Im Juni veranstaltete die ADÜTDF ein Sommerfest mit einem Konzert in Nürnberg. Ziel der ADÜTDF und ihrer Vereine ist es, mit derartigen Events, die in der Regel in einem familienfreundlichen Umfeld stattfinden, das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Szene zu stärken, potenzielle Anhänger, insbesondere Kinder 92 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 und Jugendliche, möglichst früh an die "Ülkücü"-Ideologie heranzuführen und nicht zuletzt auch Einnahmen für die beteiligten Organisationen zu generieren. Als weiterer Dachverband ist der "Verband der Türkischen Kulturvereine in Europa e. V." (ATB) der "Ülkücü-Bewegung" zuzuordnen. Der ATB mit Sitz in Frankfurt am Main wurde im Jahr 1992 in Deutschland gegründet. Er verbindet die islamische Komponente mit türkisch-nationalistischem Gedankengut und zielt auf eine bewusste Beeinflussung und Prägung der Mitglieder im türkisch-nationalistischen und islamisch-religiösen Sinne. Ein nicht unerheblicher Teil der "Ülkücü-Bewegung" ist vereinsmäßig ungebunden und agitiert vorwiegend über soziale Netzwerke. Diese vor allem jugendlichen Anhänger der "Ülkücü"-Ideologie propagieren rassisch, kulturell und teilweise auch religiös geprägte Überlegenheitsideale. Ihre Zugehörigkeit zur türkisch-rechtsextremistischen Szene demonstrieren die Anhänger vor allem durch die Verwendung typischer Symbole und Kennzeichen wie dem "Wolfsgruß". Nach der Auflösung des "Turan e. V." Anfang Februar 2018 sowie Auflösung der der Auflösung des "Turkos MC" Ende 2018 ist die Bedeutung rockerähnlichen rockerähnlicher Gruppierungen mit türkisch-national istischer Gruppierung Ausprägung in Bayern stark rückläufig. "Turan e.V." 93 Rechtsextremismus Rechtsextremismus BayLfV nimmt Beobachtung von "Der Flügel" und "Junge Alternative Bayern" auf Kampfsportaktivitäten und -veranstaltungen erweisen sich zunehmend als bedeutsame Aktionsformen innerhalb der rechtsextremistischen Szene Gesamtzahl rechtsextremistischer Straftaten deutlich gestiegen - erneute Zunahme bei fremdenfeindlichen und antisemitischen Straftaten Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus hat viele verschiedene Ausprägungen: Parteien kämpfen um Einfluss in Parlamenten. Ideologen versuchen, rassistisches und nationalistisches Gedankengut intellektuell zu verpacken. Antisemiten schreiben der Existenz von Juden die Ursache aller Probleme zu. Neonazis bekennen sich offen zum Nationalsozialismus und treten teilweise aggressiv und kämpferisch auf. Daneben versuchen sie durch die Gründung von Tarnorganisationen, ihre wahren Absichten zu verschleiern. Kennzeichnend für rechtsextremistische Strömungen sind die übersteigerte Betonung der Nation sowie ein autoritäres Denken, das die "Volksgemeinschaft" über das Individuum stellt. Gemeinsames Ziel ist die Abschaffung zentraler Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, beispielsweise das Recht auf Wahlen. Darüber hinaus richten sich rechtsextremistische Bestrebungen gegen die universelle Geltung der Menschenrechte und die im Grundgesetz verankerte Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz. Das rechtsextremistische Weltbild geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zu einer "Rasse" den Wert eines Menschen bestimmt. Rassistisch motiviert ist neben der rechtsextremistischen Agitation gegen Flüchtlinge und Asylsuchende auch die Überzeugung, durch "Ethnopluralismus", d. h. durch die räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Ethnien, die Identität des Volkes zu schützen. 95 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus 1. PERSONENPOTENZIAL IN BAYERN Parteien 2018 2019 JA - 120 Der Flügel - 110 NPD 500 500 Der Dritte Weg 160 155 Die Deutsche Konservative - 5 DIE RECHTE 10 5 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene 570 560 Strukturen* Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches 1.200 1.200 Personenpotenzial** Summe 2.440 2.655 Mehrfachzählungen*** 80 85 Gesamtzahl 2.360 2.570 Neonazis von der Gesamtzahl 680 680 Gewaltorientierte Personen von der Gesamtzahl**** 1.000 1.000 Die Zahlen sind geschätzt und gerundet. * Dazu zählen Personen in rechtsextremistischen Zusammenschlüssen und Vereinen, beispielsweise in subkulturell geprägten Gruppen oder in neonazistischen Kameradschaften. Als Kategorie neu eingeführt im Jahr 2017. ** Dazu zählen Rechtsextremisten, die keiner Partei oder Organisation zugeordnet werden können, beispielsweise rechtsextremistische Internetaktivisten oder rechtsextremistische Strafund Gewalttäter. Als Kategorie neu eingeführt im Jahr 2017. *** Mehrfachzählungen werden vom Gesamtpotenzial abgezogen. **** Dazu zählen gewalttätig, gewaltbereit, gewaltunterstützend und gewaltbefürwortend. Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Bayern belief sich Ende 2019 auf insgesamt 2.570 Personen. Dies entspricht einem Zuwachs von 210 Personen im Vergleich zum Vorjahr (2018: 2.360). Die Zahl der Neonazis blieb mit 680 Personen konstant. 96 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Das Kategoriensystem zur Erfassung des rechtsextremistischen Personenpotenzials wurde im Jahr 2017 überarbeitet. Unterschieden werden die drei Kategorien -- Parteien, -- parteiunabhängige beziehungsweise parteiungebundene Strukturen -- sowie weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial. Im Jahr 2019 wurden in Bayern insgesamt 895 Mitglieder und Personenpotenzial in Sympathisanten rechtsextremistischer Parteien und parteinaher Bayern Gruppen erfasst. Während das Personenpotenzial der NPD (2018: 500) stagnierte und der Partei "DIE RECHTE" (2018: 10) weiterhin rückläufig war, sank das Personenpotenzial der Partei "Der Dritte Weg" im Vergleich zum Vorjahr um 5 auf nunmehr 155 Personen leicht ab (2018: 160). Das Bundesamt für Verfassungsschutz erklärte am 15. Januar die Aufnahme der AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) und die GrupBeobachtung von pierung "Der Flügel" (Flügel) zum Verdachtsfall. Ferner teilte das "Der Flügel" und Bundesamt für Verfassungsschutz mit, dass im Rahmen der Ver"Junge Alternative" dachtsfallbearbeitung der Verfassungsschutzverbund unter Federführung des Bundesamtes für Verfassungsschutz die JA und den "Flügel" systematisch beobachten wird. Die Bearbeitung einer Gruppierung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als "Verdachtsfall" entspricht der Bearbeitung einer Gruppierung als "Beobachtungsobjekt" durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. In Bayern werden der JA derzeit etwa 120 Personen und der parteiinternen Sammlungsbewegung "Der Flügel" etwa 110 Personen zugerechnet. Die Kategorie der parteiunabhängigen beziehungsweise parteiungebundenen Strukturen umfasst Personen in rechtsextremistischen Zusammenschlüssen und Vereinen, beispielsweise in subkulturell geprägten Gruppen oder in neonazistischen Kameradschaften. In 2019 zählten hierzu insgesamt rund 560 Personen. Dem weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial werden Rechtsextremisten zugeordnet, die keiner Partei oder Organisation zugerechnet werden können, wie beispielsweise rechtsextremistische Strafund Gewalttäter, rechtsextremistische Internetaktivisten oder einzelne subkulturelle Rechtsextremisten. Diesem Personenpotenzial werden in Bayern etwa 1.200 Personen (2018: 1.200) zugerechnet. 97 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Dabei geht insbesondere das im Internet aktive unstrukturierte Personenpotenzial weit über das bekannte parteiund organisationsgebundene rechtsextremistische Spektrum hinaus und ist zahlenmäßigen Schwankungen unterworfen. Das Internet wird von rechtsextremistischen Einzelpersonen dazu genutzt, manipulative und extremistische Inhalte zu verbreiten. Sie wollen ein Klima von Misstrauen und Hass gegenüber Flüchtlingen und Andersdenkenden, aber auch gegenüber etablierten Medien, staatlichen Einrichtungen und dem demokratischen Prozess schaffen. Soziale Medien bieten diesen Einzelpersonen niedrigschwellige Möglichkeiten, in virtuellen Räumen verfassungsfeindliche Propaganda zu betreiben, sich zu vernetzen und Aktionen zu planen, die im äußersten Fall zur Begehung von schweren Straftaten in der Realwelt, wie Angriffe gegen Kommunalpolitiker, führen können. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat im Gegensatz zu anderen Bundesländern die Befugnis, Einzelpersonen unter den gleichen Voraussetzungen wie Organisationen zu beobachten. 2. GEWALTPOTENZIAL Gewaltkult Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, verbunden mit Hass und Ablehnung von Demokratie und pluralistischer Gesellschaft, bilden den Nährboden für rechtsextremistische Gewalttaten. Die Abwertung und die Entmenschlichung von Menschen und Menschengruppen fördern ein Sinken der Hemmschwelle zur Gewaltanwendung. Der in Teilen der Szene gepflegte Gewaltkult, der mit der Verherrlichung von "kriegerisch-soldatischer Tugend" einhergeht, wirkt sich ebenfalls auf Gewaltbefürwortung und -anwendung aus. In der Vergangenheit fielen innerhalb der rechtsextremistischen Szene in erster Linie Neonazis und Skinheads durch ihre Gewaltbereitschaft auf. Beispiele hierfür waren bereits in den 1990erJahren die rassistischen Übergriffe in Mölln, Solingen und Rostock-Lichtenhagen. Zu dieser Zeit wurde die rechtsextremistische Szene jünger, aktionistischer und militanter. Innerhalb der Szene kursierten Texte, die zum bewaffneten Kampf aufriefen, wie beispielsweise "The Turner Diaries" des US-amerikanischen Rechtsextremisten und Verlegers William Pierce, in denen er den Rassenkrieg propagierte. 98 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Im Zusammenhang mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 bekam die rechtsextremistische Szene ideologischen und propagandistischen Auftrieb, wodurch ein Resonanzboden für rechtsextremistische Ideologiefragmente entstand. Die Folge war ein Ausfransen der rechtsextremistischen Szene in ein Umfeld hinein, das bislang nicht in rechtsextremistischen Strukturen verankert war, diesen aber offenkundig ideologisch nahesteht. Dies hatte Auswirkungen auf Radikalisierungsprozesse und rechtsextremistisch motivierte politische Gewalt: Viele Strafund Gewalttaten gegenüber Flüchtlingen und deren Unterkünfte wurden in der Folge von radikalisierten Personen und Kleingruppen begangen, die bislang keine Bindung an rechtsextremistische Strukturen aufwiesen. Befeuert wird dies insbesondere durch unzählige Hasskommentare im Internet und in sozialen Netzwerken, die geprägt sind von der rassistischen Abwertung von Migranten und teilweise offen kommunizierten Gewaltfantasien. Der Personenkreis, von dem rechtsextremistisch motivierte Gewalt ausgehen kann, hat sich dadurch vergrößert. Seit 2018 wurden bundesweit verschiedene Drohmails an Drohmails mit Presseorgane, Behörden, Organisationen und Personen des rechtsextremistiöffentlichen Lebens versandt, die unter anderem mit "Nationalschen Inhalten SozialistischeOffensive", "Wehrmacht", "NSU 2.0", "Elysium", "Staatsstreichorchester" und "Atomwaffen Division Deutschland" unterzeichnet waren. Am 9. Oktober fanden in vier Bundesländern Durchsuchungsaktionen wegen Drohmails mit islamfeindlichen Inhalten statt. Hintergrund waren 23 Drohschreiben, die in der Zeit vom 8. bis zum 23. Juli bundesweit an verschiedene Institutionen verschickt wurden. Betroffen davon waren unter anderem Ankerzentren in Bayern, islamische Zentren, Moscheen, Parteizentralen sowie Presseund Medienagenturen. Gedroht wurde beispielsweise mit Sprengstoffanschlägen. Unterzeichnet waren die Drohschreiben mit "Volksfront", "Combat 18" oder "Blood & Honour ("Trotz Verbot sind wir nicht tot")". In der Nacht vom 1./2. Juni wurde der Präsident des RegierungsMordanschlag auf präsidiums Kassel, Dr. Walter Siegfried Dr. Lübcke, auf seinem RegierungspräsidenWohngrundstück in Wolfhagen (Hessen) aus nächster Nähe erten von Kassel schossen. Ein tatauslösendes Motiv soll eine Äußerung des späteren Opfers auf einer öffentlichen Informationsveranstaltung in Lohfelden (Hessen) vom 14. Oktober 2015 zum Thema Flüchtlinge gewesen sein. Dr. Lübcke hatte sich zu der humanitären Verpflichtung, Schutzsuchenden zu helfen, bekannt und in Reaktion auf wiederholte, migrantenfeindliche Zwischenrufe geäußert "Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen". In der Folge erhielt er bedrohende oder beleidigende Zuschriften. 99 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Die Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) hatte am 17. Oktober 2015 gegen Dr. Lübcke agitiert und seine Aussage als Beleg für einen angeblichen gegen Einheimische gerichteten "Bevölkerungsaustausch" dargestellt. Den Tod Dr. Lübckes griff der "III. Weg" am 6. Juni erneut agitatorisch auf ("Überfremdungspolitiker Walter Lübcke tot aufgefunden") und mutmaßte zynisch: "Aber am Ende wird sicherlich auch für diesen Mord der NSU verantwortlich gemacht werden." Den Tod Dr. Lübckes thematisierte am 2. Juni auch der Versammlungsleiter von PEGIDA Nürnberg/ PEGIDA Mittelfranken auf seinem Facebook-Profil. Dies nutzten andere Facebooknutzer für verunglimpfende Kommentare, beispielsweise "Das schlechte Carma trifft irgendwann jeden" oder "Diese Regierung schürt den Hass [...] wer Wind säht wird Sturm ernten". (Fehler jeweils vom Original übernommen). Am 15. Juni wurde ein dringend Tatverdächtiger festgenommen. Er soll Dr. Lübcke heimtückisch durch einen Kopfschuss getötet haben. Nach Ansicht des Generalbundesanwalts liegen zureichende Anhaltspunkte für einen rechtsextremistischen Hintergrund der Straftat vor: Sie ergeben sich insbesondere aus dem Vorleben des Tatverdächtigen und seinen öffentlich geäußerten politischen Ansichten. Die Ermittlungen bezüglich weiterer Tatbeteiligter und Hintermänner dauern noch an. Laut Generalbundesanwalt wird gegen den Tatverdächtigen zudem wegen des Verdachts ermittelt, bereits am 6. Januar 2016 in Lohfelden versucht zu haben, einen irakischen Asylbewerber heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen zu töten. Anschlag auf eine Am 9. Oktober erschoss ein noch am gleichen Tag festgenomSynagoge in Halle mener Tatverdächtiger in Halle a. d. Saale vor einer Synagoge und in einem Döner-Imbiss zwei zufällig anwesende Personen und verletzte während seiner Flucht mehrere Personen. Der Tatverdächtige hattte zunächst erfolglos versucht, mithilfe von Waffen und Sprengmitteln in eine Synagoge einzudringen. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft plante der Tatverdächtige aus seiner rechtsextremistischen und antisemitischen Gesinnung heraus am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur einen Mordanschlag auf Mitbürger jüdischen Glaubens. Der Tatverdächtige filmte das Tatgeschehen und stellte die Aufnahmen als Live-Stream ins Internet. Dies deutet darauf hin, dass das Internet und die dort zu erwartende Resonanz auf die Tat in seiner Gedankenwelt eine zentrale Rolle spielten. In den Aufnahmen inszenierte sich der Tatverdächtige wie ein Computerspieler in der realen Welt. So setzte er sich "Ziele" 100 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 wie die Tötung von Juden, die er dann im Rahmen der Tatausführung zu erreichen versuchte. Die daraus ersichtliche Übertragung der Handlungslogik von Computerspielen auf die Realwelt deutet auf Entmenschlichungseffekte hin, die im Zusammenhang mit einer in der virtuellen Welt stattgefundenen Radikalisierung stehen können. 2.1 Gewaltorientierte rechtsextremistische Szene in Bayern Die Mehrzahl der rechtsextremistischen Gewalttaten wird spontan verübt. Häufig erfolgen solche Taten aus einer Situation heraus, in der Rechtsextremisten - einzeln oder in kleinen Gruppen - auf Personen treffen, die den typischen rechtsextremistischen Feindbildern entsprechen. Allerdings gibt es auch immer wieder Zusammenschlüsse von Personen, die auf eine geplante Begehung von Gewalttaten abzielen. Seit Sommer 2016 stand eine Gruppe von Hooligans und RechtsHaftstrafen für Mitextremisten, darunter mehrere frühere Aktivisten der Partei glieder der "Weisse "DIE RECHTE" und Mitglieder der seit März 2016 verbotenen Wölfe Terrorcrew" rechtsextremistischen Gruppierung "Weisse Wölfe Terrorcrew" (WWT), wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Vorbereitung eines Explosionsverbrechens (SSSS 129, 310 StGB) vor dem Landgericht Bamberg. Ihnen wurde vorgeworfen, mehrere Straftaten, unter anderem Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte in Bamberg, geplant zu haben. Die Angeklagten wurden am 14. Dezember 2018 wegen Sachbeschädigungen, Körperverletzungen, der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz und das Versammlungsgesetz zu Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren beziehungsweise zu Bewährungsund Geldstrafen verurteilt. Die Bildung einer kriminellen Vereinigung konnte nicht nachgewiesen werden. Die Urteile sind teilweise noch nicht rechtskräftig. Im Fokus der deutschen Verfassungsschutzbehörden steht auch Combat 18 die Organisation "Combat 18" (C18). Seit einigen Jahren liegen den deutschen Sicherheitsbehörden Erkenntnisse über den Ausbau von Organisationsstrukturen der Gruppe vor. Bei C18 handelt es sich um ein sich über mehrere europäische Länder erstreckendes Netzwerk gewaltbereiter neonazistischer Gruppierungen und Einzelpersonen. Die Organisation gilt als eng verbunden mit der in Deutschland seit dem Jahr 2000 verbotenen neonazis tischen Skinhead-Organisation "Blood & Honour" (B&H). Die 101 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Bedeutung von C18 innerhalb der rechtsextremistischen Szene gründet sich vor allem auf ihrem Ruf als gewaltbereiter, bewaffneter Arm von B&H. Ermittlungen gegen Die Generalstaatsanwaltschaft München, Bayerische Zent"Blood & Honour" ralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET), führt ein Ermittlungsverfahren gegen zwölf Beschuldigte in fünf Bundesländern wegen des Verdachts einer Straftat nach SS 85 StGB, (Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot). Den Beschuldigten wird zur Last gelegt, die seit September 2000 verbotene Organisation "BIood & Honour Division Deutschland" mit Sektionen in Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Mitteldeutschland fortzuführen und eine engmaschige Vertriebsstruktur für Szenezubehör und Rechtsrockmusik aufgebaut zu haben. Dabei sollen vor allem Musik-CDs mit verbotenem Rechtsrockliedgut und Merchandisingartikel mit verbotenen rechtsextremistischen Symbolen nach Deutschland eingeführt und hier vertrieben worden sein. Am 12. Dezember 2018 wurden im Rahmen des Verfahrens bundesweit an insgesamt 15 Objekten Durchsuchungsbeschlüsse vollzogen. Acht Durchsuchungsobjekte befanden sich in Bayern, zwei in Baden-Württemberg, drei in Thüringen und je ein Objekt in Hessen und in Sachsen-Anhalt. Ziel der Maßnahmen war das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur der verbotenen Organisation sowie die Aufklärung der Produktion und des Vertriebs des verbotenen Rechtsrockliedguts. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Fälle bekannt, in denen bayerische Rechtsextremisten in die Tschechische Republik fuhren, um dort Schießstände oder Gotchaund Paintballveranstaltungen zu besuchen. So suchen bayerische Rechtsextremisten den Schießstand JIMI in der Region Cheb/ Eger (Tschechische Republik) auf, um dort mit scharfen Waffen zu schießen. 2.2 Gewalt gegen Flüchtlinge Straftaten rückläufig Die aggressive Hetze gegen Flüchtlinge, die rechtsextremis tische Parteien wie die NPD, "Der Dritte Weg", "DIE RECHTE" und andere rechtsextremistische Organisationen insbesondere über das Internet verbreiten, setzte sich auch 2019 fort. Die Zahl der in diesem Zusammenhang begangenen Straftaten entwickelte sich jedoch weiter rückläufig. So wurden bis zum 31. Dezember 102 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 2019 in Bayern insgesamt 24 extremistische Übergriffe auf Liegenschaften zur Unterbringung von Flüchtlingen begangen, die bis auf ein Delikt alle rechtsextremistisch motiviert waren (2018: 18 Delikte). Die den Sicherheitsbehörden der Bundesländer vorliegenden Erkenntnisse ergaben bislang keine Anhaltspunkte für eine zentrale Steuerung von Gewalttaten oder eine regionale oder überregionale Koordinierung von Straftaten durch Rechtsextremisten. Die Ergebnisse der polizeilichen Auswertung zeigen, dass es sich bei den ermittelten Tatverdächtigen um männliche Personen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren handelt. Die Täter waren nicht nur gewaltorientierte Szeneangehörige, sondern auch Personen, die bislang nicht in rechtsextremistischen Strukturen aktiv waren. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass rechtsextremis tische und fremdenfeindliche Propaganda und Agitation in nicht extremistische Milieus hineinwirken kann. Häufig stammten die Tatverdächtigen sogar aus der unmittelbaren Nachbarschaft des angegriffenen Objekts. Einige Tatverdächtige hatten einen allgemeinkriminellen Vorlauf beziehungsweise Bezüge zur Hooligan-Szene. Bei der Mehrzahl der Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte handelte es sich um Sachbeschädigungen. Es wurden jedoch auch drei Gewalttaten begangen. So wurden z. B. am 7. Juli in Neumarkt i. d. Oberpfalz zwei Pflastersteine in das Erdgeschoss eines von einer syrischen Asylbewerberfamilie bewohnten Hauses geworfen. Durch einen der Steine wurde dabei ein zu diesem Zeitpunkt im Haus schlafender Jugendlicher verletzt. 103 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus 2.3 Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" Politisch motivierte Gewaltdelikte 2017 2018 2019 Tötungsdelikte (auch Versuch) 0 0 1 Körperverletzungen 59 58 55 Brandund Sprengstoffdelikte 1 1 0 Landfriedensbruch 0 0 0 Erpressung 6 1 1 sonstige 2 3 4 Gewalttaten gesamt 68 63 61 Kriminelle Vereinigung/Terrorismus 1 0 0 sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 154 106 60 Propagandadelikte 1.085 1.124 1.324 Nötigung/Bedrohung 48 48 56 Volksverhetzung 345 350 442 sonstige Straftaten 196 143 160 gesamt 1.828 1.771 2.042 Straftaten insgesamt 1.897 1.834 2.103 Gewalttaten Im Jahr 2019 wurden in Bayern 61 rechtsextremistisch motivierte Gewaltdelikte registriert (2018: 63). Dabei handelt es sich überwiegend um Körperverletzungsdelikte. Beispielsweise wurde am 3. Juni in Bad Aibling einem eritreischen Asylbewerber mit einer 104 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Bierflasche mehrmals gegen den Kopf geschlagen, wovon dieser eine Platzwunde davontrug und im Krankhaus behandelt werden musste. Der mutmaßliche Angreifer beschimpfte in seiner Aussage gegenüber der Polizei das Opfer und dessen ebenfalls aus Eritrea stammenden Begleiter als "Bimbos" und "Nigger". Von den 61 Gewalttaten waren 48 (2018: 49) fremdenfeindlich motiviert. Bei 5 der Gewaltdelikte lag eine antisemitische Motivation zugrunde (2018: 4). Insgesamt konnten 49 Gewalttaten aufgeklärt werden, dabei wurden insgesamt 58 Tatverdächtige ermittelt, darunter 6 Frauen. Wie im Jahr 2018 gehört mit 49 Personen die überwiegende Zahl der Tatverdächtigen der Altersgruppe über 21 Jahre an, 5 der Tatverdächtigen gehören zur Altersgruppe 17 - 21 Jahre. Sonstige Straftaten In Bayern wurden 2019 insgesamt 2.042 (2018: 1.771) sonstige rechtsextremistische Straftaten (ohne Gewalttaten) gezählt. Davon waren 733 fremdenfeindlich (2018: 603) und 261 antisemitisch motiviert (2018: 187). In den meisten Fällen handelte es sich um Propagandadelikte (2019: 1.324; 2018: 1.124), aber unter anderem auch um Volksverhetzung (2019: 442; 2018: 350) und Sachbeschädigungen (2019: 60; 2018: 106). Volksverhetzungsdelikte richteten sich insbesondere gegen Migranten, vermeintlich "ausländisch" aussehende Bürger sowie gegen Menschen jüdischen Glaubens. Häufig sind diese Straftaten verbunden mit einem gewalttätigen Vorgehen der Täter. Der als "Volkslehrer" bekannte rechtsextremistische Aktivist Nikolai Nerling wurde wegen der Leugnung des Holocausts im Zuge eines Besuchs der KZ-Gedenkstätte Dachau vom Amtsgericht Dachau am 9. Dezember wegen Volksverhetzung verurteilt. Propagandadelikte machen nach wie vor den Großteil rechtsex tremistischer Straftaten aus. Beispielsweise wurden Hakenkreuze auf Wände und Fahrzeuge gesprüht beziehungsweise geritzt und Parolen wie "Heil Hitler" und "Sieg Heil" gerufen. Zu den Propagandadelikten zählen auch neonazistische Grafiken, Filme und Lieder, die zu Propagandazwecken über Messenger Dienste oder soziale Medien verbreitet werden. 105 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus 3. RECHTSEXTREMISTISCHE THEMENFELDER UND AKTIONSFORMEN 3.1 Rechtsextremistische Themenfelder Klassische Themen Der Rechtsextremismus tritt in verschiedenen Ausprägungen nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Ideologie elemente sowie mit unterschiedlichen, sich daraus herleitenden Zielsetzungen auf. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse entscheide über den Wert eines Menschen. Dieses rechtsextremistische Werteverständnis steht in einem fundamentalen Widerspruch zum Grundgesetz, das die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Rechtsextremisten versuchen, die nationalsozialistische Gewaltherrschaft unter Herausstellung angeblich positiver Leistungen zu rechtfertigen, Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime zu diffamieren und die Verbrechen des Dritten Reichs zu verschweigen, zu verharmlosen oder sogar zu leugnen (Geschichtsrevisionismus). Zusätzlich verunglimpfen sie den demokratischen Verfassungsstaat und seine Repräsentanten, indem sie beispielsweise Deutschland als Marionettenstaat ausländischer, insbesondere US-amerikanischer, Interessen darstellen. Deutsche Politiker diffamieren sie dabei regelmäßig als korrupte Handlanger ausländischer Interessen. Die eigene Organisation und ihre Vertreter sollen als die alleinigen Wahrer der Interessen des deutschen Volkes dargestellt und der politische Gegner als Verräter, der mit krimineller Energie systematisch den Interessen der Bürger schade, diskreditiert werden. Rechtsextremisten lehnen die Kern bereiche der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab. Hinzu kommt die pauschale Überbewertung der Interessen der "Volksgemeinschaft" zu Lasten der Interessen und Rechte des Einzelnen, die zu einer Aushöhlung der Grundrechte führt (völkischer Kollektivismus). Diese Merkmale sind nicht gleichmäßig bei allen Rechtsextremisten zu beobachten. Manchmal sind nur Teilaspekte bestimmend; auch die Intensität und die Strategie des Kampfes gegen die freiheitliche demokratische Grund ordnung sind unterschiedlich. Neue Themenfelder Bestandteil der Propaganda von Rechtsextremisten sind außerdem sozial-, wirtschaftsund umweltpolitische Themen. So wird z. B. Umweltschutz als "Heimatschutz" interpretiert und in den Kontext der völkischen Bewegung gestellt. Demzufolge ist der 106 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Schutz des eigenen Volkes untrennbar mit dem Schutz der Umwelt verbunden. Durch Verknüpfung sozialer Problemfelder mit rechtsextremistischen Theorieelementen wollen Rechtsextremisten aus den Sorgen der Bevölkerung Kapital schlagen. Teile des rechtsextremistischen Spektrums propagieren einen "volksbezogenen Sozialismus" mit dem Ziel, in sozialistisch orientierte Wählerschichten einzudringen. Agitation gegen Flüchtlinge Das rassistische Weltbild von Rechtsextremisten und ihr Nationalismus machen Asylsuchende zu einem klassischen Feindbild der rechtsextremistischen Szene. Vor dem Hintergrund der gestiegenen Flüchtlingszahlen hatte die Agitation gegen Flüchtlinge ab Sommer 2015 an Schärfe zugenommen. Seit dem Rückgang der Einreisen von Flüchtlingen im Jahr 2016 stagnieren die diesbezüglichen Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene in Bayern. So fanden insbesondere Flugblattverteilungen zum Themenfeld statt. Die NPD, "Der Dritte Weg" sowie die aus der Gruppierung Rechtsextremis "Soldiers of Odin" hervorgegangenen Gruppen "Viking Securitische Patrouillenty Germania" und "Wodans Erben Germanien" veranstalteten und Streifengänge wiederholt Patrouillenund Streifengänge in bayerischen Städten. Im Rahmen der Aktionen versuchten die Rechtsextremisten den Eindruck zu vermitteln, die aktuelle Flüchtlingssituation führe zu einer dauerhaft erhöhten Bedrohungsund Gefährdungslage auf deutschen Straßen, über die der Staat die Kontrolle verloren habe. Damit stellten sie das staatliche Gewaltund Ordnungsmonopol grundsätzlich in Frage. Teilweise hatten die Durchführungsorte Bezüge zu Vorfällen oder Straftaten, bei denen Asylsuchende oder Personen mit Migrationshintergrund unter Tatverdacht standen. In sozialen Netzwerken wird permanent asylfeindliche und rassistische Hetze auch von Personen verbreitet, die nicht in rechtsextremistischen Strukturen organisiert sind. Thematischer Ausgangspunkt der meisten rechtsextremistischen Beiträge zum Thema Asyl sind dabei Straftaten, die tatsächlich oder mutmaßlich durch Flüchtlinge begangen wurden. Die Beiträge, Kommentare und Diskussionen, die sich hierbei entspinnen, werden häufig aggressiv geführt und sind geprägt durch sogenannte "Hass-Postings", bewusst verbreitete Falschmeldungen und -darstellungen sowie Protestund Gewaltaufrufe. In diesem Zusammenhang werden auch der deutsche Staat und seine Exekutivorgane diffamiert. Es wird versucht, das Bild eines vermeintlich permanent versagenden Rechtsstaates zu vermitteln. 107 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Instrumentalisierung Am 3. August führten zwei Aktivisten des NPD-Kreisverbands von Straftaten Nürnberg/Fürth am Nürnberger Hauptbahnhof eine "Gedenkaktion" für einen am 29. Juli am Frankfurter Hauptbahnhof getöteten achtjährigen Jungen durch. Ein NPD-Aktivist stellte sich in die Bahnhofshalle und zeigte dort ein Plakat "Migration Tötet! - NPD" und ein weiteres Plakat "Wir schaffen Schutzzonen - NPD". Ein anderer NPD-Aktivist dokumentierte diese Aktion für die Internetseite des NPD-Kreisverbands Nürnberg/ Fürth. Die von dem Aktivisten getragenen Schilder fanden schon im Vorfeld der Wahl zum Europäischen Parlament Verwendung. Wahlplakate mit der Aufschrift "Migration tötet" wurden im Europawahlkampf teilweise durch die kommunalen Ordnungsbehörden aufgrund ihres volksverhetzenden Charakters entfernt. Das Bundesverfassungsgericht lehnte am 27. April einen Antrag auf einstweilige Anordnung der NPD gegen das Zweite Deutsche Fernsehen ab. Die NPD begehrte die Ausstrahlung eines Wahlwerbespots zur Europawahl. Darin verwendete die NPD den Slogan "Migration tötet" und behauptete, dass seit dem Jahr 2015 Deutsche fast täglich zu Opfern "ausländischer Messermänner" würden. Kampagnen Rechtsextremistische Hetze und Agitation gegen Flüchtlinge "Volkstod", "Großer sind häufig eng verbunden mit der Vorstellung des "Volkstodes". Austausch" und Im deutschen Rechtsextremismus ist dieses Konzept seit eini"Umvolkung" gen Jahren zentrales Agitationselement. Dabei wird angenommen, dass das deutsche Volk aufgrund von niedrigen Geburten zahlen und stetiger Zuwanderung "volksfremder" Migranten aussterben wird. Diese Entwicklung werde von den demokratischen Politikern gewollt und forciert. Die rechtsextremistische Szene greift regelmäßig im Rahmen von Aktionen und Kampagnen die "Volkstod"-These auf. So agitierte die Führungsperson des "Flügel", Björn Höcke, bei einer Veranstaltung des "Flügel" am 4. Mai in Greding mit Aussagen, wonach das "deutsche Volk" durch zugewanderte "volksfremde" Migranten verdrängt werden solle. Am 5. Mai sagte Höcke bei einer Veranstaltung der "Jungen Alternative" in München, dass das Geburtenverhalten des deutschen Volks, angesichts der Einwanderung und des Geburtenverhaltens von Migranten, zur "Minderheit im eigenen Land" führe. Eine weitere Parole, die die rechtsextremistische Anti-Flüchtlingsagitation inzwischen ebenfalls prägt, ist der sogenannte "Große Austausch". Dieses dem "Volkstod" nahestehende Konzept geht zurück auf den französischen Schriftsteller Renaud Camus, der den Begriff mit seinem Buch "Revolte gegen den Großen Austausch" prägte. Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) benutzt ihn für ihre Kampagnen. Die Grundannahmen des 108 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 "Großen Austauschs" sind denen des "Volkstodes" ähnlich: Die "ethnokulturelle" Identität der europäischen Völker sei durch eine Masseneinwanderung kulturfremder Einwanderer bedroht. Diese Bedrohung werde ferner durch die schwachen Geburtenjahrgänge der "ethnokulturellen" Europäer verstärkt. Ein maßgeblicher Indikator dieses "Großen Austauschs" sei die, durch die Identitären ebenfalls bekämpfte, angebliche Islamisierung Europas. Diese Entwicklung wird nach der Meinung der IBD durch die so genannten "Multikultis", also die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Eliten, gesteuert. Das Ziel sei es, die angestammten Völker und Kulturen Europas soweit zu ersetzen, dass am Ende eine steuerund austauschbare "Konsumentenmasse" entstehe. In diesem Zusammenhang entwickelte die "Identitäre Bewegung Agitation gegen Schwaben" (IB Schwaben) einen gesteigerten Aktivismus rund Ankerzentren um das ehemalige Ankerzentrum in Donauwörth und die Außenstelle in Mering. So führte sie unter dem Label "Identitäre Zone" Infostände in Donauwörth und Mering durch. Ebenso nutzte die IB Schwaben eine Bürgerversammlung der Gemeinde Mering am 27. März, bei der über die seinerzeit noch in Planung befindliche Außenstelle des Ankerzentrums informiert wurde, als Plattform für eine Transparentaktion. So zeigten die Aktivisten ein Transparent, auf dem "Perspektiven in den Heimatländern schaffen "#Ausreisezentrum"" zu lesen war, und verteilten Flyer an die anwesenden Bürger. Am 17. April überhängten Aktivisten eine Bautafel in unmittelbarer Nähe der geplanten Außenstelle. Auf der fingierten Tafel war eine Falschankündigung zu lesen, wonach an Stelle der Unterkunft für Flüchtlinge ein neuer Kindergarten gebaut werden sollte. Sowohl der "Volkstod"-Gedanke als auch die Annahmen des "Großen Austausches" decken sich in weiten Teilen mit der ebenfalls im Rahmen extremistischer Anti-Flüchtlingsagitation häufig artikulierten Losung der "Umvolkung". Die Führungsperson des "Flügel", Björn Höcke, äußerte in einem Interview in der Juni-Ausgabe des Magazins "Compact" zum Begriff der "Umvolkung", dass ihm für die "offenkundig systematisch beschriebene Zerstörung der gewachsenen Völker auch kein treffenderer Begriff" einfalle. Der Begriff "Umvolkung" entstammt ursprünglich dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch und steht für das Programm, das auf "Germanisierungsmaßnahmen" und die räumliche Trennung von ethnischen Gruppen beziehungsweise deren Auslöschung in den eroberten Ostgebieten abzielte. Er wird durch Rechtsextremisten benutzt, um gegen die behauptete Verdrängung von Deutschen durch "Nicht-Deutsche" in Deutschland zu agitieren. 109 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Islamfeindlichkeit Rechtsextremistische Islamfeindlichkeit ist eine moderne Form der Fremdenfeindlichkeit. Rechtsextremisten verknüpfen dabei häufig auch die Agitation gegen Asylbewerber mit der Agitation gegen den Islam. Die Ablehnung der Muslime basiert auf dem rassistischen "Volksgemeinschafts"-Gedanken: Demzufolge gehören Muslime einer "raumfremden" Religion an und werden als "undeutsch" abgelehnt. Rechtsextremisten beteiligen sich beispielsweise an Diskussionen um den Bau von Moscheen, versuchen dort, das Wort zu ergreifen und die Veranstaltungen als Plattform für ihre Agitation zu nutzen. Muslime werden dabei pauschal als Bedrohung der Inneren Sicherheit dargestellt. Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) beschwört in ihrer politischen Agitation die Gefahr einer Islamisierung Europas, die die Folge von Migrationsbewegungen aus muslimisch geprägten Ländern sei und die "ethnokulturelle Identität" der europäischen Völker bedrohe. Die IBD bemüht in diesem Zusammenhang immer wieder historische Ereignisse und stellt vermeintliche historische Verbindungen her. Wiederkehrende Motive sind dabei unter anderem die Kämpfe des christlichen Europa gegen das Osmanische Reich in den Türkenkriegen des 16. und 17. Jahrhunderts sowie die "Reconquista", also die Rückeroberung der Iberischen Halbinsel von den maurischen Herrschern in der Zeit zwischen dem 8. und 15. Jahrhundert. Antisemitismus Basierend auf der Arbeitsdefinition der "International Holocaust Remembrance Alliance" (IHRA) orientiert sich die bayerische Staatsregierung an folgender Begriffsbestimmung: Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein. Rassistischer Antisemitismus spielt als Ideologieelement im RechtsextreAntisemitismus mismus eine zentrale Rolle. Dabei kann er in unterschiedlichen Formen zum Ausdruck kommen. Werden Juden angeblich genetisch bedingte, "unabänderliche" - meist negative - Eigenschaften 110 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 zugeschrieben, wird von rassistischem Antisemitismus gesprochen. Während dieser vor allem in neonazistischen Kreisen noch immer propagiert wird, hat seine Bedeutung als Agitationsmuster im Rechtsextremismus insgesamt abgenommen. Der soziale und politische Antisemitismus hat dagegen an BeSozialer und deutung gewonnen. Diese Form des Antisemitismus kommt in politischer Anti verschwörungstheoretischen Agitationsmustern zum Ausdruck, semitismus die Medien und Politik in den Fängen konspirativer "jüdischer Banker" sehen oder von einer im Geheimen agierenden "jüdischen Weltregierung" ausgehen. Dabei werden "die Juden" als einflussreiche und im Hintergrund agierende Gruppe dargestellt, die Regierungen, Medien und die Finanzindustrie kontrolliere. Durch die künstliche Überhöhung des vermeintlichen Einflusses jüdischer Gruppen und Einzelpersonen wird pauschal "den Juden" in verhetzender Weise die Verursachung komplexer gesellschaftlicher und politischer Probleme zugeschrieben. Durch diese Strategie versuchen Rechtsextremisten antisemitische Propaganda in einer Form zu nutzen, die ihnen für breitere Gesellschaftsgruppen anschlussfähig erscheint. Die Leugnung des Holocausts wie auch die Unterstellung, die Sekundärer Anti Auseinandersetzung mit und die Erinnerung an den Massensemitismus und mord an den Juden sei nur eine Strategie zur Schwächung der Antizionismus nationalen Identität, stellt eine weitere, als sekundärer Antisemitismus bezeichnete Form von Judenfeindlichkeit dar. Darüber hinaus kann Antisemitismus im Gewand des Antizionismus auftreten. Dabei nutzen Rechtsextremisten die im politischen und gesellschaftlichen Alltag geäußerte Kritik an der Politik Israels, um die Existenzberechtigung des Staates Israel in Frage zu stellen. Die grundsätzliche Ablehnung Israels basiert auf der prinzipiellen Ablehnung des Judentums. Antisemitismus kann demnach unterschiedliche Ausprägungen Antijüdische annehmen und beschränkt sich nicht auf offenen Hass und GeMetaphern und walt gegen Juden. So ist beispielsweise die in rechtsextremisBildsprache tisch geprägten Diskursen häufig vorzufindende Unterstellung, eine jüdische Finanzelite würde Fluchtbewegungen nach Europa finanzieren, um eine gezielte "Überfremdung" der Bevölkerung herbeizuführen, als antisemitisch zu werten. Dasselbe gilt auch, wenn Rechtsextremisten zwar nicht direkt von "den Juden" sprechen, aber Chiffren und Metaphern nutzen, um den antisemitischen Kern ihrer Propaganda zu verschleiern. Beispiele hierfür sind Verweise auf die "amerikanische Ostküste", eine "zionistische Lobby" oder eine "Hochfinanz", die als Verantwortliche für derartige Machenschaften genannt werden. So wird dem amerikanisch-ungarischen Milliardär jüdischen Glaubens, 111 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus George Soros, der zivilgesellschaftliche Akteure in mehreren Ländern fördert, in antisemitischen Verschwörungstheorien unterstellt, als Kopf einer "jüdischen Finanzelite" unter anderem gezielt die Masseneinwanderung nach Europa zu befördern. Auch werden im konkreten Kontext negativ besetzte Bilder, die Juden als "Marionettenspieler" oder Spinnen zeigen für antisemitische Agitation eingesetzt. Diese bereits aus dem Dritten Reich bekannte Bildsprache soll die angebliche Verschwörung der Juden zum Erreichen der Weltherrschaft verdeutlichen. Ein Facebook-Eintrag des NPD-Kreisverbands Nürnberg-Fürth vom 19. September über eine Banneraktion der Partei steht beispielhaft für diese Form der antisemitischen Propaganda. Unter dem Motto "Gesicht zeigen gegen die gezielte Überfremdung" wird dort ein Banner, auf dem ein Bild von George Soros und der Slogan "MIGRATION TÖTET!" zu sehen ist, präsentiert. In einem mit diesem Eintrag verlinkten Artikel des NPD-Kreisverbands Nürnberg-Fürth ist auf dessen Homepage Folgendes zu lesen: Es reicht nicht, immer nur gegen den Islam, die Lügenpresse, oder die Marionetten im Kanzleramt zu schimpfen. Man muss auch die, die diese Marionetten steuern, mit offenem Visier bekämpfen und die Menschen über diese bösartigen Eliten aufklären. Mit dieser Aktion unterstellt der NPD-Kreisverband Nürnberg-Fürth, die Mitglieder der deutschen Bundesregierung seien in ihrem Handeln durch eine fremde und bösartige Macht gesteuert. Sie diffamieren George Soros als zentrale Person hinter dieser angeblichen Verschwörung und rufen zum Kampf gegen ihn auf. Auch Björn Höcke verwendete in seiner Rede anlässlich des "süddeutschen Flügeltreffens" am 4. Mai in Greding, die sich insbesondere mit dem Thema Migration befasste, Versatzstücke antisemitischer Rhetorik. So beschreibt er die Europäische Union (EU) unter Bezugnahme auf George Soros als in ihrer heutigen Form nichts anderes als eine neoliberalistische Globalisierungsagentur, die den volkszerstörenden und als pervers zu bezeichnenden Ungeist eines George Soros exekutiert. 112 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 In diesen Ausführungen wird die EU als ein fremdgesteuertes Diffamierung der EU und in ihrem Tun gegen die Bevölkerung gerichtetes Gebilde dargestellt. Höcke zufolge sind demnach die Entscheidungen, die auf EU-Ebene getroffen werden, als Ausführung des Willens George Soros' zu sehen. Damit wird einer Einzelperson unterstellt, sie würde im Geheimen die Geschicke ganzer Staaten lenken und dabei bewusst Unheil anrichten. Die in dieser verschwörungstheoretischen Sichtweise zum Ausdruck kommende Imagination jüdischer Macht als vereinfachte Erklärung für komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge ist kennzeichnend für antisemitische Propaganda. Ein Facebook-Eintrag des NPD-Kreisverbands Ansbach vom Unterstützung von 24. März offenbart dagegen antisemitische Agitation durch die Holocaust-Leugnern Relativierung des Holocaust. Als "beispielgebend" für PersoNarrativ des nen, die "nur weil sie ihre Meinung frei äußerten", in Deutsch"Schuldkultes" land Haftstrafen zu verbüßen haben, werden von der Partei dort Ursula Haverbeck und Horst Mahler genannt. Da es sich sowohl bei Haverbeck als auch bei Mahler um rechtskräftig verurteilte Holocaustleugner handelt, liegt hier der als antisemitisch zu wertende Versuch vor, den Massenmord an den Juden durch eine Instrumentalisierung des Rechts auf Meinungsfreiheit zu verharmlosen. Der rechtsextremistische Aktivist und Videoblogger Nikolai Nerling ("Der Volkslehrer") zeigte in ähnlicher Weise antisemitisches Verhalten. Zusammen mit einer weiteren Person fertigte er zunächst im Rahmen eines Besuchs der KZ-Gedenkstätte Dachau Videoaufnahmen. Nachdem er der Gedenkstätte verwiesen wurde, nahm er vor dem Gelände ein Video auf, in dem er sich gegen einen sogenannten "Schuldkult" ausspricht und sich mehrmals selbst als "nicht schuldig" bezeichnet. Die Unterstellung, ein solcher "Schuldkult" würde in Deutschland existieren, ist auch als sekundärer Antisemitismus zu bezeichnen. Durch die Verwendung dieses im Rechtsextremismus häufig genutzten Begriffs wird suggeriert, es würde auf Deutschland eine Kollektivschuld lasten, die von "den Juden" zum eigenen Vorteil ausgenutzt werde, um sich selbst als Opfer zu stilisieren. Antisemitische Überzeugungen als Motiv hinter gewaltorientierten rechtsextremistischen Bestrebungen kommen auch bei den bundesweit versendeten Drohmails an Justizeinrichtungen, Organisationen und Personen des öffentlichen Lebens zum Ausdruck, in denen auch bayerische Politiker namentlich genannt und bedroht werden. So wird in einer E-Mail des sogenannten 113 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus "Staatsstreichorchesters" vom 28. Juni unter anderem das als rassistischer Antisemitismus zu wertende Aktionsziel ausgegeben, dass sich "kein jüdischer Untermensch mehr sicher auf dieser Welt fühlen kann". Antiziganismus Der Antiziganismus, also die Agitation beziehungsweise Feindschaft gegen Sinti und Roma, ist ein fester Bestandteil rechtsextremistischer und rassistischer Ideologie. Diese Feindschaft äußert sich in der rechtsextremistischen Szene in Bayern in der Regel nur anlassbezogen und führt dabei auch zu konkreten Aktionen. Sie spielt im Verhältnis zur sonstigen verfassungsfeind lichen Agitation jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Orientierung an Ideologie, Sprache und Aktionsformen des Nationalsozialismus Neonazistische Akteure versuchen, in ihrer Ideologie, ihren Aktionsformen und in der von ihnen verwendeten Sprache an ihre historischen Vorbilder aus der Zeit des Nationalsozialismus anzuknüpfen. Ideologische und symbolische Bezugnahmen zum Nationalsozialismus können dabei von strafrechtlicher Relevanz sein. Oft umgehen Neonazis aber eindeutig verbotene NS-Assoziationen beziehungsweise loten die Grenzen des Erlaubten aus, indem sie die Bezugnahmen auf die NS-Zeit möglichst indirekt halten und sich auf die Verwendung von nicht verbotenen Motiven beschränken. Eines der Ziele, die Neonazis mit dieser Strategie verfolgen, ist, dass Ideologieund Sprachelemente aus der NS-Zeit Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch und die öffentliche Debatte finden. 10-PunkteBesonders deutlich ist dies bei der neonazistischen Partei Programm des "III. Weg". Die Partei hat ihre politischen Zielsetzungen in einem "III. Weg" 10-Punkte-Programm niedergelegt, das deutliche Parallelen zum Konzept des "Deut25-Punkte-Programm der NSDAP aufweist. Beide Programme schen Sozialismus" propagieren eine auf gemeinsamer Abstammung basierende und "Deutsche Volksgemeinschaft und enthalten unter anderem gebietsrevisioWinterhilfe" nistische Forderungen, die auf die Vereinigung aller "Volksdeutschen" in einem Staat abzielen. Noch auffälliger werden die Parallelen zum NSDAP-Programm am Thesenpapier des "III. Weg" zum "Deutschen Sozialismus". In diesem Thesenpapier werden viele arbeits-, wirtschaftsund sozialpolitische Punkte des NSDAP-Programms wieder aufgegriffen und an die heutige Zeit angepasst. Der einzelne Mensch wird nur als Teil des Volkskörpers gesehen, in den er sich einzufügen hat. Das Konzept des "Deutschen Sozialismus" spielt eine zentrale Rolle in der Agitation des "III. Weg". 114 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 In direkter Anlehnung an das "Winterhilfswerk des Deutschen Volkes" der Nationalsozialisten organisiert der "III. Weg" seit einigen Jahren in den Wintermonaten die "Deutsche Winterhilfe". Ziel dieser Aktion ist es, durch das Sammeln von Sachspenden für hilfsbedürftige Deutsche Sympathien für die Partei zu wecken. Mit der Kampagne will man sich als einzige politische Kraft darstellen, die soziale Notlagen der deutschen Bevölkerung im Blick habe, während sich alle anderen politischen Kräfte angeblich ausschließlich auf Flüchtlinge konzentrierten. Flüchtlinge sind als Hilfeempfänger explizit ausgeschlossen. Um die propagandistische Wirkung zu vergrößern, wurde die Kampagne mit Flugblattaktionen und umfangreicher Berichterstattung auf den Internetseiten der Partei begleitet. Auch Sonnwendfeiern, die einen festen Platz im Terminkalender Neonazistische der rechtsextremistischen Szene haben, sind dem historischen "Erinnerungskultur" Nationalsozialismus entlehnt. Damals wurden die angeblich altgermanischen Sonnwendfeiern "wiederbelebt" und als offizielle Feiertage in die Symbolik von "Volk, Blut und Boden" integriert, insbesondere durch die SS. In dieser Tradition führen Rechtsex tremisten die Winterund Sonnwendfeiern als szeneverbindende kulturelle Veranstaltungen durch. Neonazistische Gruppen pflegen eine Erinnerungskultur, die sich stark an Personen und Ereignissen aus der NS-Zeit orientiert und einseitige beziehungsweise revisionistische Geschichtsbilder vermittelt. Am 10. März führte der "III. Weg" mehrere "Heldengedenken" an Kriegsgräberstätten durch. Das "Heldengedenken" im März geht auf den Nationalsozialismus zurück. Die Nationalsozialisten interpretierten dabei den zuvor in der Weimarer Republik praktizierten Volkstrauertag um, der ursprünglich den Gefallenen des Ersten Weltkriegs gewidmet war, und stellten die Heldenverehrung anstatt des Totengedenkens in den Mittelpunkt. Ebenso veranstaltet der "III. Weg" jedes Jahr im November, in zeitlicher Nähe zum Volkstrauertag, ein "Heldengedenken" im oberfränkischen Wunsiedel, die als "Märtyrerstadt" umgedeutet wird. Die Auswahl des Ortes bezieht sich auf das Grab des ehemaligen Stellvertreters von Adolf Hitler, Rudolf Heß, das sich bis 2011 in Wunsiedel befand. 115 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Am 8. Mai, dem Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, gedachten Aktivisten des "III. Weg" unter dem Motto "8. Mai - wir feiern nicht!" an Kriegsgräberstätten der deutschen Kriegsopfer. Das Kriegsende wird vom "III. Weg" und auch von der NPD nicht als Befreiung, sondern als Ende der deutschen Souveränität angesehen. Der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD Axel Michaelis postete am 20. Mai auf Facebook einen Beitrag zum "Kretatag", mit dem an die Landung deutscher Fallschirmjäger auf Kreta im Zweiten Weltkrieg erinnert werden soll. Dabei glorifiziert er in seinem Beitrag den aus seiner Sicht heldenhaften Kampf dreier Brüder bei der Landung. Verklärung des Die rechtsextremistische Szene führte auch im Jahr 2019 wieNS-Regimes durch der Vortragsveranstaltungen mit Personen durch, die als letzte "Zeitzeugen" noch lebende Zeitzeugen zu der Generation gehören ("Erlebnisgeneration"), die aus eigenem Erleben über die Zeit des Nationalsozialismus sprechen kann. Die zumeist positive Bewertung der Zeit des Nationalsozialismus, wie sie die vom Veranstalter eingeladenen Zeitzeugen wiedergeben, dient der Verklärung der NS-Vergangenheit und der Legitimierung der Kriegshandlungen der deutschen Wehrmacht als "Abwehrkampf" des deutschen Volkes. Zudem stellen die Vortragsorganisatoren den militärischen Kampf der Vergangenheit in einen Kontext mit dem politischen Kampf von Rechtsextremisten in der Gegenwart. Der NPD-Kreisverband Lichtenfels/Kronach berichtete auf seiner Homepage über den Zeitzeugenvortrag eines 99-Jährigen, der als Soldat der Luftwaffe am Zweiten Weltkrieg teilgenommen hatte und unter anderem auf dem Balkan und auf Kreta eingesetzt war. Anfang März war ein Zeitzeuge beim Stützpunkt München/ Oberbayern des "III. Weg" zu Gast und berichtete über seine Erfahrungen im "Volkssturm" bei Kriegsende und seine Gefangenschaft in der Sowjetunion. Dies belegt abermals die Faszination, die das Dritte Reich noch heute auf neonazistisch orientierte Rechtsextremisten ausübt. Zeitzeugenvorträge dienen vor diesem Hintergrund als wichtige Vernetzungsveranstaltungen der Szene, in denen die ideologische Prägung der Szeneangehörigen gefestigt wird. Da die sogenannte "Erlebnisgeneration", die über das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg aus erster Hand berichten kann, fast vollständig verstorben ist, werden mittlerweile auch Zeitzeugenvorträge zu anderen Themen aus der jüngeren Vergangenheit gehalten. 116 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 3.2 Rechtsextremistische Aktionsformen 3.2.1 Rechtsextremistische Bürgerwehrund PatrouilleAktionen Im Rahmen von rassistisch motivierten Bürgerwehrund PatLeugnung des staatrouille-Aktionen und Sicherheitsinitiativen schüren Rechtsextrelichen Gewaltmomisten Ängste vor Migranten und suggerieren, dass der Staat nopols und seine Sicherheitsorgane nicht mehr in der Lage seien, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Sie inszenieren sich dabei als Mahner, Kümmerer und vor allem als vermeintliche Gewährleister von Schutz und Ordnung im öffentlichen Raum. Die Aktionen der verschiedenen Gruppen haben das gemein same Ziel, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung nachhaltig zu beeinflussen und den Rechtsstaat und das staatliche Gewaltmonopol generell in Frage zu stellen. Im Vordergrund steht meist der virtuelle Effekt der Aktionen. Diese Aktionen werden dokumentiert und über die sozialen Medienkanäle der jeweiligen Organisationen verbreitet. Nach Möglichkeit soll Resonanz in der Berichterstattung klassischer Medien hervorgerufen werden. Ihre Aktionsformate richten sich danach, Präsenz im öffentlichen Raum zu zeigen, um nicht zuletzt auch Nichtdeutsche, Personen mit vermeintlich nichtdeutschem Aussehen sowie politische Gegner einzuschüchtern. Die NPD propagiert bereits seit August 2017 die Errichtung so"Schutzzonen"genannter "Schutzzonen" für Deutsche. Ausgehend von der Aktion der NPD Behauptung, es bestehe eine "Notwehrsituation" in Deutschland, fordert die Partei ihre Mitglieder und Anhänger dazu auf, selbst aktiv zu werden. Auf der Partei-Website finden sich u. a. konkrete Hinweise, wie eine Schutzzone praktisch umzusetzen sei und welche juristischen Aspekte dabei Berücksichtigung finden müssten. Ferner hat die NPD zur Bewerbung der Aktion einen Internetshop eingerichtet, wo Sympathisanten Westen, Baseballmützen, Flyer und Sticker mit dem Schutzzonen-Logo sowie Reizgas und Taschenalarme bestellen können. Am 1. Januar fand eine "Schutzzonenstreife" der NPD in Amberg statt, die Bezug nahm auf die mutmaßlich von vier auslän dischen Jugendlichen begangenen Körperverletzungs delikte gegen zwölf Passanten in Amberg. An der NPD-Patrouille nahmen fünf Personen teil. Im Nachgang veröffentlichte die NPD Nürnberg auf Facebook und YouTube ein Video über den 117 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Rundgang in Amberg, den sie als "erste Schutzzonen-Streife in Amberg" bezeichnete. Die gezeigten Personen hielten sich im Bereich des Bahnhofs, der Innenstadt sowie einer Flüchtlingsunterkunft auf. Am 24. März führten vier Aktivisten des Nürnberger Kreisverbands der NPD vor Ort eine "Schutzzonenstreife" durch. Für die Öffentlichkeit erkennbar waren sie anhand der roten Warnwesten mit der Aufschrift "Wir schaffen Schutzzonen". Als sich die Aktivisten einer Asylbewerberunterkunft in der Galgenhofstraße näherten, erfolgte eine Kontrolle durch die Polizei. Danach wurde der "Streifengang" beendet. Diese "Schutzzonen"-Aktionen der NPD wurden - neben Bayern - auch in anderen Bundesländern durchgeführt. Auf Face book berichtete die Partei über Aktivitäten in den Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen. "Nationale Streifen" Die Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) führte sogenannte "Nades "III. Weg" in tionale Streifen" durch. Hierbei handelt es sich um PatrouillenBayern gänge von Parteimitgliedern, die den Eindruck vermitteln sollen, staatliche Strukturen seien nicht in der Lage, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Teilweise weisen die Durchführungsorte einen Bezug zu sicherheitsrelevanten Vorfällen auf, bei denen Asylsuchende oder Personen mit Migrationshintergrund unter Tatverdacht stehen. Dieses Jahr führten Aktivisten der Partei "Nationale Streifen" in Petershausen bei München, in München und in Augsburg durch. Auch hierbei thematisierten die Aktivisten auf der Partei webseite erneut mutmaßlich durch Asylbewerber begangene Straftaten, um ihre Aktionen zu rechtfertigen und gegen Flüchtlinge zu hetzen. Anlass für die "Nationale Streife" in Augsburg war die Verurteilung von zwei Asylbewerbern wegen einer Vergewaltigung. Die Aktion habe stattgefunden, "um unser Volk und unsere Frauen und Kinder mit allen gebotenen Mitteln zu schützen". Man wolle so den angeblichen "No-Go-Areas" entgegenwirken, die durch die Migrationspolitik der Bundesregierung entstanden seien. Die "Nationale Streife" im September in Petershausen stellt laut Webseite des "III. Weg" ebenfalls eine Reaktion auf ein Sexualdelikt eines Flüchtlings dar, der im Sinne der rassistischen Ideologie der Partei dabei als "perverser Neger" bezeichnet wird. 118 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Die Streife in München wurde aufgrund eines Sexualdelikts an einem minderjährigen Mädchen durch einen bereits vorbestrafen Sexualstraftäter durchgeführt. Mit dieser Aktion knüpft die Partei an die seit Langem in der rechtsextremistischen Szene verbreitete Agitation gegen Sexualstraftäter an. Bereits seit Jahren finden in der rechtsextremistischen Szene in Deutschland immer wieder Aktionen unter dem Motto "Todesstrafe für Kinderschänder" statt. Die Partei veröffentlichte im Nachgang Fotos zu derartigen Aktionen auf der Parteiwebseite und unterlegte diese mit Textbeiträgen zu den vermeintlichen beziehungsweise tatsächlichen Straftaten von Migranten. Hierbei propagierte sie unter anderem die "Einführung eines Ausländerrückführungsprogramms für arbeitslose und straffällig gewordene Ausländer". Die seit 2017 in Bayern aktive rechtsextremistische Gruppierung Streifengänge der "Soldiers of Odin Germany Division Bayern" (SOO), benannte "Wodans Erben sich im Juni 2018 in "Wodans Erben Germanien - Division BayGermanien" ern" (WEG) um. Sie versuchte im Internet, Kontakte zu anderen Bürgerwehrgruppierungen aufzubauen und führte Anfang des Jahres mehrere Aktionen gemeinsam mit ehemaligen Aktivisten der Schutzzonenkampagne der NPD durch. Am 2. Februar führte die WEG einen "Streifengang" in Nürnberg durch, an dem sich circa ein Dutzend Rechtsextremisten beteiligten. Darunter waren auch Personen, die bisher keinen Bezug zur Gruppe WEG aufwiesen, sondern durch ihre Teilnahme an regionalen "Streifengängen" im Rahmen der sogenannten NPD-Schutzzonen-Kampagne an die Öffentlichkeit getreten waren. In vergleichbarer Zusammensetzung unternahm die Gruppierung eine Woche später einen Streifengang in München, bei dem sie auch das Gelände einer Unterkunft für Asylbewerber betrat. Ein selbstgedrehtes Video von den Aktionen wurde auf den YouTubeund Facebook-Präsenzen "Patrioten TV Nürnberg" verbreitet. Am 23. Februar fanden sich erneut Aktivisten der WEG und Aktion auf dem eheNPD-Anhänger in Nürnberg zusammen. Die 18-köpfige Gruppe maligen "Reichspartraf sich in der Nähe der Grundig-Türme mit dem Ziel, die dortige teitagsgelände" Asylbewerberunterkunft aufzusuchen. Die Polizei in Nürnberg verhinderte das Betreten des Geländes, stellte die Identität der Rechtsextremisten fest und unterband weitere Aktionen vor Ort. Kurze Zeit später versammelte sich die Gruppe auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände. Sie entzündeten mitgebrachte Fackeln, betraten die Steintribüne und formierten sich zu einer 119 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Reihe. Ein Video der Aktion wurde später ebenfalls auf dem YouTube-Kanal "Patrioten TV Nürnberg" veröffentlicht, wobei die Sequenz an der Steintribüne musikalisch mit allen drei Strophen des "Liedes der Deutschen" hinterlegt wurde. Eine weitere dieser gemeinsamen Aktionen von WEGund NPD-Aktivisten fand am 9. März in München statt. Etwa ein Dutzend Aktivisten trafen sich in der Münchner Odinstraße mit dem Ziel, die nahegelegene Wotan-Statue aufzusuchen. Die Aktion wurde von einem Filmteam des YouTube-Kanals "Patrioten TV Nürnberg" begleitet und dokumentiert. Im Zusammenhang mit diesen gemeinsamen Aktivitäten kam es zu Zerwürfnissen einiger hauptbeteiligter NPD-Aktivisten mit der eigenen Parteiführung. Vor allem die Aktion vom 23. Februar auf dem ehemaligen Nürnberger Reichsparteitagsgelände, die auch eine hohe Medienresonanz hervorgerufen hatte, wurde aufgrund der zu eindeutigen Bezugnahmen auf den historischen Nationalsozialismus von Parteistrategen vor dem Hintergrund der anstehenden Europawahlen kritisiert. Vikings Security Seit März 2018 agiert unter der Bezeichnung "Vikings Security Germania Division Bayern" (VSG) eine von den SOO abgespaltene Gruppierung. Mit einer Strukturierung in Chapter und der Aufnahme von "Anwärtern" orientiert sich die Gruppierung in ihrer Organisationsstruktur an Rockerclubs. In Bayern "patrouillierte" die Gruppierung in diesem Jahr nur in Landshut. Im Juli gab die Gruppierung auf ihrem Facebook-Profil bekannt, vorerst keine Streifengänge mehr durchführen zu wollen, da man bei derartigen Aktionen nicht mehr für die Rechtssicherheit der Teilnehmer garantieren könne. Wenngleich bislang weder durch die SOO/WEG noch durch die VSG gewalttätige Aktionen begangen wurden, lassen das teils martialische Auftreten sowie der kämpferisch-aggressive Duktus ihrer Beiträge in den sozialen Medien eine grundsätzliche Affinität der Gruppierungen zu Gewalt erkennen. Die Gruppe VSG postete einen Facebook-Beitrag mit der Überschrift Worte zeigen, was jemand gerne wäre. Taten zeigen, was jemand wirklich ist. 120 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Auf dem dazugehörigen Foto ist eine Person mit VSG-typischer Weste und einer im Hintergrund deutlich erkennbaren Axt abgebildet. Die Gruppe WEG postete mehrere Beiträge, die unter anderem folgende Aussagen enthielten: Freiheit wird nicht erbettelt, sondern erkämpft. 3.2.2 Rechtsextremistische Aktivitäten bei Veranstaltungen Rechtsextremisten missbrauchen gesellschaftliche Veranstaltungen und öffentliche Plätze als Plattform und Kulisse, um ihre politischen Botschaften zu verbreiten. Sie knüpfen damit an die unter anderem vom ehemaligen Wortergreifungs NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt propagierte "Wortergreistrategie fungsstrategie" an, nach der sich Rechtsextremisten unauffällig an öffentlichen Veranstaltungen beteiligen und diese als Plattform zur Verbreitung ihrer Propaganda nutzen sollen. "Wortergreifung" meint dabei die gezielte verbale Konfrontation mit Vertretern der demokratischen Zivilgesellschaft in Diskussionsrunden und Informationsveranstaltungen. Dabei machen sie sich zunutze, dass für diese Aktionsformen in der Regel keine behördliche Anzeige oder Anmeldung notwendig ist, und versuchen dadurch, das Risiko eines vorherigen Verbots oder Ausschlusses zu verringern. Dabei geben sich die Rechtsextremisten nicht offen zu erkennen, sondern tarnen sich als "besorgte Bürger". Auch in Internetforen, am Arbeitsplatz oder in Vereinen versuchen Rechtsextremisten, Diskussionsteilnehmer zu verunsichern, inhaltlich zu dominieren und letztlich die Meinungsführerschaft zu übernehmen. Seit mehreren Jahren versuchen Rechtsextremisten in Bayern, Rechtsextremis teils erfolgreich, sich unter Faschingsumzüge zu mischen, um tische Aktionen bei diese dann für ihre Agitation zu nutzen. So verkleiden sich die Faschingsumzügen Rechtsextremisten themenbezogen, zeigen Transparente und verteilen Flyer an die Zuschauer. Auch in diesem Jahr nutzte die "Identitäre Bewegung Schwaben" (IB Schwaben) einen Faschingsumzug in Gablingen in der Region Augsburg und agitierte, verkleidet als Seeleute, gegen NGOs, die im Mittelmeer Flüchtlinge retten. Diese NGOs sind in der Sichtweise der "Identitären Bewegung" Schlepper, die aus ideologischen Gründen handeln und dazu beitragen, das deutsche Volk "auszutauschen". 121 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Am 24. September verurteilte das Amtsgericht Würzburg vier Aktivisten aus dem Umfeld der Partei "III. Weg" wegen Volksver hetzung jeweils zu Geldstrafen von mehr als 100 Tagessätzen. Am 24. Februar 2017 hatte sich eine Gruppe von "III. Weg"-Aktivisten zunächst unbemerkt in den Würzburger Faschingsumzug eingereiht, um öffentlichkeitswirksam gezielt mit fremdenfeindlichen und rassistischen Parolen zu provozieren. Auf einem mitgeführten Transparent wurde mit der Aussage "Wir wissen genau ABSCHIEBEN wird uns keine Sau!" gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung agitiert. Zudem skandierte man unter anderem diskriminierende Parolen wie "Ficki, ficki, alle reinkommen, Helau, Germany, Syria, Syria". Mehrere "III. Weg"-Aktivisten befanden sich bei der Verhandlung im Zuschauerraum. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. False flag Aktionen Aktivisten der "Identitären Bewegung Bayern" (IB Bayern) nahmen an der "SaveYourInternet"-Demonstration am 23. März in München teil, um dort gegen die "mittelbare Zensur der freien Meinungsäußerung im Internet" zu protestieren. Während der Demonstration gaben sich die Aktivsten durch einheitliche T-Shirts als Mitglieder der IB Bayern zu erkennen. Nach eigener Darstellung kam es zu mehreren Wortgefechten mit anderen Demonstrationsteilnehmern, die gegen die Anwesenheit der Rechtsextremisten protestierten. Im Vorfeld der Kundgebung hatten rund zehn IB-Aktivisten ein Banner mit der Aufschrift "Eure Politik braucht Zensur" vor dem Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments in München entrollt. Am 19. Mai mischten sich Aktivisten der IB Bayern inkognito, ohne die Verwendung IB-typischer Erkennungszeichen, unter die Teilnehmer der Kundgebung "Ein Europa für alle - Deine Stimme gegen Nationalismus" und zeigten ein Banner mit der Aufschrift "Ein Europa für alle - 1,3 Milliarden Afrikaner". Darüber hinaus führten einzelne Aktivisten Schilder mit, auf denen etwa "Weltstaat jetzt" oder "Völker? Nein Danke!" zu lesen war. Die IB Bayern spricht in diesem Zusammenhang auf ihrer Homepage von sogenannten "False flag"-Aktionen, also Aktionen, bei denen die Urheberschaft zunächst verschleiert wird. Unter "falscher Flagge" soll gezielt eine Desinformation gestreut werden, um politische Gegner oder staatliche Akteure zu diskreditieren. 122 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 3.2.3 Freizeitaktivitäten zur Stärkung des Gemeinschafts gefühls und zur Nachwuchsgewinnung Gemeinsame Freizeitaktivitäten haben für die rechtsextremis tische Szene mehrere Funktionen: Sie stärken die Gruppenidentität und sollen neue Aktivisten anziehen. Neben dem Besuch von rechtsextremistischen Konzerten spielen dabei auch gemeinsame sportliche Aktivitäten, Wanderungen und Reisen sowie Aktivitäten im Umweltschutz, beispielsweise Säuberungsaktionen im Frühjahr unter dem Motto "Umweltschutz ist Heimatschutz", eine zunehmende Rolle. Oft richten sich die Freizeitund Festveranstaltungen ausdrücklich auch an die Ehepartner und Kinder der Aktivisten. Durch die Schaffung eines vorgeblich familienfreundlichen Aktivitätsangebots versuchen rechtsextremistische Gruppen das Gemeinschaftsund Zugehörigkeitsgefühl ihrer Mitglieder zu stärken und gleichzeitig deren Familienangehörige frühzeitig an die Szene zu binden und zu indoktrinieren. Stützpunkte der Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) berichteten regelmäßig über parteiinterne "Gemeinschaftsaktivitäten" wie Museumsund Ausstellungsbesuche und Wanderungen. Die Feiern der rechtsextremistischen Szene stehen oftmals in Imitation vorchrist Verbindung mit vermeintlichen vorchristlich germanischen Feslicher "Ostara"und ten. So führten Mitglieder des "III. Weg" auch in diesem Jahr "Sonnwend" Feiern wieder sogenannte "Ostara-Feiern" durch. Dazu begaben sich die Aktivisten der Stützpunkte Ostbayern und Oberfranken in die freie Natur, um ein Feierritual durchzuführen. Der Begriff "Ostara" ist angelehnt an die wissenschaftlich nicht belegte Bezeichnung einer germanischen Gottheit und eine vermeintlich nach dieser benannten keltischen Frühlingstradition. Der "III. Weg" versucht mit derartigen Unternehmungen auch, eine vorgeblich vorchristliche Erinnerungskultur zu pflegen. Die hierbei vermittelten historischen Motive sind jedoch größtenteils mystisch verklärt und durch Überhöhung des Germanentums geprägt. Ebenso begehen Rechtsextremisten jedes Jahr wieder Sonnwendfeiern. So veranstaltete der Stützpunkt Ostbayern der Partei am 22. Juni in der Nähe von Furth im Wald eine derartige Sonnwendfeier mit einem entsprechenden Feuerritual. Auch Erntedankfeiern werden von den Aktivisten der Partei begangen. Auf ihrer Homepage berichtet die Partei über eine derartige Feier, die neben einem Ritual auch verschiedene Spiele enthalten habe. 123 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Neben Feiern führte der "III. Weg" auch gemeinsame Wanderungen durch, um das Gemeinschaftsgefühl der Mitglieder zu stärken. So begaben sich Aktivisten der Partei auf einer Wanderung im August nach eigener Darstellung "auf die Spuren der Spessarträuber". Der Stützpunkt München/Oberbayern veranstaltete am letzten Juli-Wochenende eine gemeinsame Wanderung, die als "Leistungsmarsch" tituliert wurde. Ziel war es, für den rechtsextremistischen Gedenkmarsch anlässlich des "Tages der Ehre" in Budapest zu trainieren. Im Juni fuhren Aktivisten des gleichen Stützpunkts mit Schlauchboten auf der Altmühl. Die Stützpunkte Oberund Mainfranken veranstalteten im August ein gemeinsames Sommerfest, bei dem neben verschiedenen Spielen die Arbeitsgruppe "Körper & Geist" Kampfsport vorführte. Neben der Partei "III. Weg" veranstaltete auch die "Identitäre Bewegung Bayern" (IB Bayern) eine Sonnwendfeier, an der laut eigenem Bekunden auch Aktivisten aus Schwaben, Franken und Thüringen teilnahmen. Für die IB Bayern waren neben dem Entzünden des Feuers anlässlich der Sonnenwende auch Spiele und der persönliche Austausch zwischen den Aktivisten Teil der Feier. Darüber hinaus führten die drei in Bayern vertretenen Ableger der "Identitären Bewegung" (IB) sogenannte Aktivistenwochenenden durch. Derartige Aktivistenwochenenden veranstaltet die IB Schwaben schon seit längerer Zeit zweimal im Jahr. Die IB Bayern und IB Franken führten gemeinsam eine derartige Wochenendveranstaltung Anfang September durch. Diese Wochenenden sind eine Mischung aus politischer, aktionistischer Fortbildung sowie Sportund Kampfsportübungen. Die als "Sommeruniversitäten" bezeichneten Treffen der französischen "Generation Identitaire" dienen den bayerischen IB-Ablegern dabei als Vorbild. Die "Junge Alternative Bayern" (JA Bayern), die Jugendorganisation der AfD, lud für den 1. Mai zu ihrer alljährlichen Maiwanderung in die Fränkische Schweiz ein. Ein auf Facebook veröffentlichtes Bild zeigt etwa 20 Teilnehmer, die mit einer fränkischen und mehreren Deutschlandfahnen posieren. Für den 10. Mai rief die JA Ostbayern zur Besichtigung der Walhalla in Donaustauf bei Regensburg auf. Auch dieser Ausflug wurde im Nachhinein mit der Veröffentlichung von Bildern im Internet dokumentiert. Die Befreiungshalle in Kelheim war das Ziel einer Wanderung im Rahmen eines sogenannten "Kulturwochenendes", zu dem die JA Ostbayern für das Wochenende vom 31. Mai bis 2. Juni auf Facebook einlud. Auf dem Programm standen unter anderem 124 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 "[ein] abenteuerliches Übernachten in Zelten und ein Programm, das den geschichtlichen Hintergrund der Stadt Kelheim näherbringen soll". Auf Facebook wurden im Anschluss Bilder des Ausflugs veröffentlicht. 3.2.4 Kampfsportveranstaltungen Kampfsportaktivitäten und -veranstaltungen erweisen sich als zunehmend bedeutsame Aktionsform innerhalb der rechts extremistischen Szene. Sie dienen vorgeblich dazu, die Anhänger einzelner Gruppen für den "politischen Kampf" vorzubereiten sowie eine "gesunde Lebensweise" und "geistige Werte" zu vermitteln. Tatsächlich soll jedoch ein rechtsextremistisches Erlebnismilieu geschaffen werden, das die Attraktivität der Gruppen sowohl für gewaltaffine Szeneangehörige als auch für unpolitische Kampfsportinteressierte gleichermaßen erhöhen soll und Möglichkeiten der überregionalen und internationalen Vernetzung bietet. Propagiert wird im Rahmen der jeweiligen Kampfsportinitiativen Rechtsextremistische oftmals eine vermeintlich mystische Pflicht, die "Volksgesund"Körperkultur" heit" und "Wehrhaftigkeit" hochzuhalten und einen "neuen Menschenschlag" zu schaffen, der stark an das im Nationalsozialismus propagierte Ideal des "Herrenmenschen" angelehnt ist. Die sportliche Betätigung in verschiedenen Disziplinen des Kampfsports wird ideologisch im Sinne einer Wehrhaftigkeit gegen "das System" aufgeladen. Rechtsextremisten überhöhen ihre Sportund Kampfsportinitiativen, indem sie auf vermeintliche Traditionslinien "deutscher und europäischer Körperkultur" rekurrieren. Häufige - mitunter stark konstruierte - Bezugspunkte sind dabei Wehrhaftigkeits-Ideale des antiken Sparta und dessen Erziehungsund militärisches Ausbildungssystem ("Agoge"), vermeintlich nordische und germanische Überlieferungen ("TIWAZ"), das europäische Rittertum oder auch die neuzeitliche Philosophie ("Übermensch"-Konzept von Friedrich Nietzsche). Eine direkte Bezugnahme zu nationalsozialistischer Ideologie und Symbolik wird in der Regel vermieden. Nicht zuletzt werden die Anhänger und Teilnehmer im Rahmen von Wettkämpfen und Trainings auch auf konkrete Kampfsituationen außerhalb des sportlichen Felds vorbereitet. In einem Beitrag der Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) aus dem Jahr 2018 heißt es zum Nutzen einer Kampfsportart: 125 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Für mich als nationalen Aktivisten, der seine Weltanschauung selbst im Alltag mehr oder weniger offen zum Ausdruck bringt und sich deshalb stets einer feindlich gesinnten Umwelt und einer steigenden Zahl von Feinden gegenüber ausgesetzt sehen muss, ist diese Kampsportart somit das ideale Betätigungsfeld, um in etwaigen kritischen Situationen für eine handfeste Auseinandersetzung gewappnet zu sein! Zu den prominentesten Veranstaltungsformaten der rechtsex tremistischen Kampfsportszene in Deutschland gehören der "Kampf der Nibelungen" (KdN) und das "TIWAZ". 2018 fanden zwei Veranstaltungen des KdN eingebettet als Programmpunkte im Rahmen von rechtsextremistischen "Schild und Schwert"-Festivals statt. Für 2019 war für das "Schild und Schwert"-Festival im sächsischen Ostritz am 21. und 22. Juni abermals eine Kampfsportveranstaltung der KdN-Gruppe angekündigt worden, die allerdings kurzfristig abgesagt wurde. Anfang Juni führte die Gruppierung "TIWAZ" eine reine Kampfsportveranstaltung mit rechtsextremen Kämpfern in Zwickau (Sachsen) durch. Eine wichtige Rolle hinsichtlich der Organisation der rechtsex tremistischen Kampfsportszene spielen nationale wie internationale Kampfsportlabels, die sowohl im Vertrieb von Kleidung und Sportartikeln als auch in der Ausbildung eigener Kampfkader sowie im Bereich Sponsoring aktiv sind. Zu den Labels mit hohem Szenerenommee zählen etwa "Black Legion" und "Greifvogel Wear" aus Brandenburg sowie "White Rex" und "Pride France" aus Russland beziehungsweise Frankreich. Kampfsportaktivi In der bayerischen rechtsextremistischen Szene lässt sich ebentäten in Bayern falls ein gestiegenes Interesse am Thema Kampfsport feststellen. So gründete der neonazistische "III. Weg" vergangenes Jahr die Arbeitsgruppe "Körper und Geist". Sie soll nach Parteiangaben vor allem der "körperlichen Ertüchtigung" der Parteimitglieder dienen sowie deren Aktivitäten vereinen und koordinieren. 126 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Der Fokus der Arbeitsgruppe liegt deutlich auf dem Kampfsportbereich. Es werden Kampfund Selbstverteidigungskurse angeboten, die sich zum Teil auch an Kinder und Jugendliche richten. Als prominenter Vertreter der Partei und der Arbeitsgruppe tritt immer wieder der Nürnberger Aktivist und frühere Vorsitzende des Gebietsverbands Süd Kai Zimmermann in Erscheinung. Er nahm bereits mehrfach an rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltungen teil, unter anderem im April in Athen. Darüber hinaus trat Zimmermann, auch über Bayern hinaus, bereits mehrfach als Trainer bei Selbstverteidigungstrainings der Partei auf. Im Februar trafen sich die Leiter der Ortsgruppen der "Identitären Bewegung Schwaben" (IB Schwaben) zu einem mehrtägigen Strategietreffen. Teil der Veranstaltung war neben der Aktionsplanung für das Jahr 2019 auch ein Sportprogramm, das aus Kickboxund Boxtraining bestand. Wenngleich die "Identitäre Bewegung" (IB) sich vornehmlich als intellektuelle und avantgardistische Speerspitze einer neurechten Widerstandsbewegung sieht und darauf bedacht ist, nach außen ein streng gewaltfreies und -verneinendes Image abzugeben, hatte sie bereits in der Vergangenheit wiederholt eine Affinität für Kampfsport gezeigt. So ist Sport und auch Kampfsport regelmäßiger Teil der "Sommeruniversitäten" der französischen IB ("Generation Identitaire"), zu der auch Aktivisten aus Deutschland anreisen. Bereits vor zwei Jahren stellte die "Generation Identitaire" ein Video auf YouTube ein, das ein Kampfsporttraining in ihrem Zentrum in Lyon zeigt. Auch bei den Aktivistenwochenenden der IB Schwaben gehören Selbstverteidigung und Kampfsport schon seit Längerem zum Programm. Bis zum jetzigen Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass die Kampfsporttrainings im Zusammenhang mit dem martialischen Gründungsnarrativ der IB zu sehen sind und einer entsprechenden Außendarstellung dienen. Die IB nimmt unter anderem mit der Verwendung des sogenannten "Lambda-Symbols" Bezug auf die Spartaner, die im 5. Jahrhundert vor Christus gegen die Invasion eines übermächtigen persischen Heeres kämpften. Diese Form der Sparta-Verehrung entspricht der Selbstwahrnehmung der IB, die sich als die letzten sehen, die die "ethnokulturelle europäische Identität" vor ihrem Untergang durch Überfremdung und Islamisierung noch retten könnten. 127 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus 3.2.5 Internationale Kontakte bayerischer Rechts extremisten Zwischen bayerischen und ausländischen Rechtsextremisten bestehen zahlreiche Kontakte. Verbindungsleute in den Gruppierungen garantieren die gegenseitige Mobilisierung für internationale Szene-Veranstaltungen wie Konzerte, Feiern und Großdemonstrationen. Dabei kommt es in der Regel zu einer vorübergehenden länderübergreifenden Zusammenarbeit, in Einzelfällen auch zu dauerhaften Kooperationen. Die vielfältigen internationalen Kontakte bayerischer Rechtsextremisten wirken - angesichts der von Rechtsextremisten betriebenen Überhöhung der eigenen Nation - auf den ersten Blick verwunderlich. Mit der Überhöhung der eigenen Nation ist jedoch nicht automatisch die pauschale Ablehnung einer Zusammenarbeit mit gleichgesinnten ausländischen Akteuren verbunden. Dort, wo es ideologische Anknüpfungspunkte gibt, findet Zusammenarbeit statt: Ideologisch verbindende Elemente sind beispielsweise der Kampf für einen sozialen Nationalismus nach dem Vorbild des NS-Regimes, der Hass gegen Flüchtlinge und die Ablehnung der Europäischen Union. Länderübergreifende Kontakte werden innerhalb der rechtsextremistischen Szene als prestigeträchtig wahrgenommen. Führungsakteure oder Personen, die zu Führungsakteuren aufsteigen wollen, versuchen dadurch, ihre Position zu festigen und ihre Bedeutung zu unterstreichen. Dies erklärt auch die prominente Berichterstattung auf den Internetseiten der verschiedenen Akteure. Verbindungen des Insbesondere die neonazistische Partei "Der Dritte Weg" III. Weg nach Grie(III. Weg) pflegt zahlreiche Kontakte zu anderen europäischen chenland, Ukraine Rechtsextremisten, vor allem in Griechenland, Ungarn und der und Ungarn Ukraine. So reisten Aktivisten des "III. Weg" zum Beispiel erneut zum sogenannten "Tag der Ehre" am 9. Februar nach Budapest. Mit dieser Veranstaltung wollen ungarische Rechtsex tremisten gemeinsam mit internationalen Gesinnungsgenossen an die Schlacht um Budapest im Zweiten Weltkrieg erinnern. 128 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 An der Veranstaltung im Februar sollen etwa 3.000 europäische Rechtsextremisten teilgenommen haben. Es wurden Reden in ungarischer und deutscher Sprache gehalten. Am anschließenden Geländemarsch, der über 60 Kilometer grob der Strecke des Ausbruchs von ungarischen und deutschen Soldaten aus dem von der Roten Armee belagerten Budapest folgte, beteiligte sich wie in den vergangenen Jahren eine Gruppe von Aktivisten des "III. Weg", darunter auch Angehörige der Parteistützpunkte Nürnberg-Fürth und München/Oberbayern. Am 30. September berichtete die Partei auf ihrer Homepage, dass Aktivisten der Partei an einer Solidaritätsveranstaltung einer ukrainischen Gemeinde in Bamberg teilgenommen haben. Dort sei man auch mit Mitgliedern des ukrainischen "Azov-Regiments" in Kontakt gekommen und habe viele Gemeinsamkeiten festgestellt. Das "Azov-Regiment" gilt als Milizgruppe mit rechtsextremistischen Bezügen und ist kein Teil der regulären ukrainischen Streitkräfte. Daneben existiert mit dem "Nationalen Korps" ein politischer Arm. Aktivisten der "Identitären Bewegung" (IB) unterhalten ebenfalls Kontakte ins europäische Ausland. So beteiligten sich Aktivisten der bayerischen Ableger der IB immer wieder an Demonstra tionen der österreichischen IB wie etwa dem Gedenken an die Schlacht am Kahlenberg im Jahr 1683. Auch nahmen bayerische Aktivisten der IB wiederholt an den jährlichen "Sommeruniversitäten" der französischen IB teil. Diese Treffen dienen vor allem der Schulung europäischer Aktivisten der IB und der Vernetzung zwischen diesen. So stehen neben theoretischen Schulungen auch Sport und Aktionstraining auf dem Programm dieser Veranstaltungen. 129 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus 4. INTERNET, MUSIK, VERLAGE UND VERTRIEBSSTRUKTUREN 4.1 Rechtsextremisten im Internet Rechtsextremistische Gruppierungen und Akteure nutzen in hohem Maße die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation zur "virtuellen Erweiterung" ihrer herkömmlichen Anspracheund Propagandastrategien. Sie betreiben Internetseiten, Online-Blogs und Video-Kanäle und verbreiten in Form von Postings, Hashtags und Kommentaren ihre verfassungsfeindlichen Botschaften und Parolen in sozialen Netzwerken. Sie halten - insbesondere vor dem Hintergrund staatlicher und regulatorischer Maßnahmen gegen ihr Wirken im Internet - ständig Ausschau nach alternativen Plattformlösungen und neuen Online-Formaten, um ihre Propaganda und ihre extremistischen Botschaften möglichst effektiv zu streuen. Zu ihren Zielen gehört es, Anhänger und Sympathisanten aufzuwiegeln sowie möglichst hohe Reichweiten zu erzielen, um Einfluss auf den öffentlichen Diskurs zu nehmen. Extremisten machen sich dabei auch die Funktionsweise sozialer Medien zunutze. Durch deren Suchund Empfehlungsalgorithmen können sogenannte Filterblasen entstehen, in denen Nutzer in ihrer Meinung bestätigt werden und so die Gefahr einer fortschreitenden Radikalisierung besteht. Abschottung in geDer Einsatz digitaler Medienformate und Verbreitungstechniken schlossenen Foren dient aber auch zu Vernetzungszwecken, zum internen Ausund Chatrooms tausch und zur Absprache von Aktionen. Gerade hier versuchen Rechtsextremisten durch den Einsatz von Diensten und Kommunikationskanälen mit hohen Verschlüsselungsund Anonymisierungsstandards, sich der Beobachtung durch Öffentlichkeit und Sicherheitsbehörden zu entziehen. In sozialen Netzwerken gründen sie geschlossene Foren und Chatrooms zur szeneinternen Kommunikation. Dies ermöglicht etwa die Weitergabe strafrechtlich relevanter Inhalte. Messengerdienste spielen eine wichtige Rolle bei der Organisation von Aktionen, Veranstaltungen und Konzerten. Zudem bietet sich in den sozialen Netzwerken die Gelegenheit, anonym unter falschen Identitäten beziehungsweise sogenannten Nicknames zu agieren, was die Identifizierung erschwert. Dies betrifft insbesondere Gaming-Plattformen, da es in der Gamer-Szene allgemein üblich ist, unter Pseudonym aufzutreten. Beeinflussung des Rechtsextremistische Internetaktivisten verbreiten ferner intenInternet-Diskurses siv Artikel und Kommentare sowie Videos und versuchen so, die Meinung in sozialen Netzwerken zu beeinflussen. Sie handeln 130 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 als Einzelperson unabhängig von rechtsextremistischen Organisationsstrukturen. Da in der Anonymität des Internets die persönliche soziale Ächtung in der Regel ausbleibt, äußern sie sich dort häufig extremer und ungehemmter als möglicherweise im realen sozialen Umfeld. So wurde beispielsweise nach der Tötung des Regierungspräsidenten Dr. Lübcke in Hessen die Tat von rechtsextremistischen Einzelpersonen in Kommentaren im Internet begrüßt und eine Verbindung zu den Äußerungen Dr. Lübckes zur Aufnahme von Flüchtlingen gezogen. Gerade bei aufgeladenen und emotionalen Diskussionen werden in den sozialen Medien, Foren oder Blogs neben strafrechtlich sanktionierten Äußerungen auch verfassungsschutzrechtlich relevante rechtsextremistische Äußerungen durch Einzelpersonen getätigt. Auf den Profilen rechtsextremistischer Einzelpersonen finden sich Verschwörungstheorien, Verherrlichung des Nationalsozialismus, rassistische Äußerungen. So kommentierte beispielsweise ein Nutzer einen Bericht des "III. Weg" über einen Ausflug von Aktivisten des Stützpunkts München/Oberbayern nach Prag und den Besuch mehrerer Orte mit Bezug zu Reinhard Heydrich mit den Worten: Ich freue mich sehr, dass Ihr des stv. Reichprotektors Reinhard Heydrich gedacht habt, der für Böhmen und Mähren viel Gutes getan hat und von Volksfeinden brutal ermordet wurde! Er war einer der Besten und wird in unserer Erinnerung stets weiterleben! Heydrich war während der Zeit des Nationalsozialismus Leiter des Reichssicherheitshauptamtes und einer der zentralen Planer der Ermordung der europäischen Juden. 4.1.1 Aktivitäten und Strategien Am 6. Juni fand ein weiterer bundesweiter Aktionstag zur BeDurchsuchungen kämpfung von Hasspostings im Internet statt. Die in 13 Bunim Rahmen des desländern unter Koordinierung des Bundeskriminalamtes und Aktionstags gegen der Landeskriminalämter durchgeführten Durchsuchungsmaß Hasspostings nahmen erfolgten überwiegend anlässlich politisch rechts motivierter Kriminalität. Die Ermittlungen richteten sich gegen Mitglieder und Verantwortliche der Facebook-Gruppen "Unser Deutschland patriotisch & frei" und "Die Patrioten" wegen des Verdachts der Volksverhetzung, der öffentlichen Aufforderung zu 131 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Straftaten und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. In Bayern fand eine Durchsuchungsmaßnahme in Bad Abbach statt. Unter dem Begriff "Hassposting" versteht man verschiedene Formen menschenverachtender oder beleidigender Äußerungen im Internet, die sich meist mit großer Aggressivität gegen Einzelpersonen oder bestimmte Menschengruppen und deren Weltanschauungen, Werte oder Herkunft richten. Politisch motivierten Hasspostings werden solche Straftaten zugerechnet, die in Würdigung der Umstände der Tat oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür geben, dass diese wegen einer zugeschriebenen oder tatsächlichen politischen Haltung, Einstellung und/oder Engagements, Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, sozialen Status, einer physischen und/oder psychischen Behinderung oder Beeinträchtigung, sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität oder des äußeren Erscheinungsbildes kausal gegen eine oder mehrere Person(en), Gruppe(n), oder Institution(en) gerichtet sind. Agitation gegen das Um den regulatorischen Druck auf die Betreiber von Plattformen NetzDG und Netzdiensten zu erhöhen und diese zu einem konsequenSperrung von rechtsteren Vorgehen gegen strafbare und extremistische Inhalte auf extremistischen ihren Seiten zu bewegen, verabschiedete der Bundestag am Profilen 30. Juni 2017 das "Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken" (Netzwerkdurchsetzungsgesetz - NetzDG). Es verpflichtet die Betreiber sozialer Netzwerke unter Androhung von Bußgeldern zur Löschung derartiger Inhalte. Bereits im Vorfeld des Gesetzes hatten rechtsextremistische Gruppierungen unisono gegen das Gesetz mit der Behauptung agitiert, es handle sich um "staatliche Zensur" beziehungsweise um eine willkürliche "Einschränkung der Meinungsfreiheit". Den Rechtsextremisten ging es allerdings mehr um die drohende Sperrung und Löschung ihrer Facebook-Profile aufgrund von Verstößen gegen die Gemeinschaftsstandards der Netzwerke. Die Umsetzung des NetzDG hatte unmittelbare Auswirkung auf die Onlineaktivitäten rechtsextremistischer Gruppen in Bayern und führte unter anderem zu Sperrungen von entsprechenden Profilen und Kanälen. Die Szene nutzt seither verstärkt weniger moderierte Netzwerke wie Discord, Telegram und VK oder die Videoplattform BitChute. Extremistische Inhalte werden auch über die Spieleplattform STEAM weiterverbreitet. 132 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Darüber hinaus kommunizieren Rechtsextremisten in geschlossenen Gruppen, bei denen der Zugang kontrolliert werden kann und man sich unter Gleichgesinnten bewegt. Mit Messengerdiensten (z. B. WhatsApp) und Discord-Servern stehen Rechtsextremisten für die Kommunikation zudem technische Möglichkeiten zur Verfügung, die unabhängig von sozialen Netzwerken betrieben werden können. Die Geschwindigkeit und Zielgenauigkeit bei der Informationsverbreitung machen geschlossene Kommunikationsformen besonders attraktiv. Im Übrigen fühlen sich Nutzer in der Anonymität geschlossener Kommunikationsgruppen sicherer. Weil die Öffentlichkeit in der geschlossenen Kommunikation keine für die Teilnehmer hemmende Beobachterund Mahnerfunktion einnehmen kann, dürfte sich eine Radikalisierung der Beteiligten dort schneller vollziehen. Die Partei "III. Weg" veröffentlicht auf ihrer Internetseite fast täglich aktualisierte Propagandabeiträge. Darüber hinaus hat sie eine App entwickelt, die sie ihren Sympathisanten auf der Parteiwebseite zum Download anbietet. Diese spiegelt im Wesentlichen die Inhalte der Parteiwebseite wider. Daneben nutzt der "III. Weg" auch das russische Netzwerk "vk.com" für seine Propagandazwecke. Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) kündigte im Jahr 2018 als Reaktion auf das NetzDG an, alternative Kommunika tionswege zu suchen und eine "eigene soziale Plattform" gründen zu wollen. Mittlerweile hat sich die Agitation der "Identitären Bewegung" (IB) im Internet vor allem auf die verschiedenen Twitter-Kanäle der einzelnen IB-Ableger und deren führenden Aktivisten verlagert. Diese Verlagerung hatte allerdings Einbußen in der Reichweite zur Folge. Um drohenden Sperrungen der Twitteroder YouTube-Kanäle, wie bereits auf Facebook und Instagram geschehen, zu begegnen, bewerben verschiedene IB-Aktivisten und IB-Ableger den Instant-Messaging-Dienst Telegram. Dort können die Aktivisten wie bei Twitter auch Textbeiträge verfassen, Videos und Fotos posten. Dadurch entsteht eine Timeline, die verfolgt werden kann. Darüber hinaus versucht die IB mit dem Projekt "Okzident MeKommunikationsdia" eine eigene Kommunikationsagentur zu etablieren. Diese agentur der IB stellt sich in ihrer Selbstdarstellung auf Twitter als "alternative "Okzident Media" Medienagentur für Nonkonformisten, Querdenker und Macher der Gegenöffentlichkeit" dar. Geschäftsführer sind zwei führende Aktivisten der IBD. Die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit abseits der etablierten Medien, mit deren Hilfe der politische Diskurs beeinflusst sowie Themen und Begriffe gesetzt werden soll, ist ein Teil der Strategie der IB. 133 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus 4.1.2 Aufklärungsarbeit des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (BayLfV) im Bereich Internet und Soziale Medien Neben der sicherheitsbehördlichen Beobachtung und Auswertung verfassungsfeindlicher Aktivitäten im Internet ist das BayLfV auch im Bereich der Aufklärung und Sensibilisierung bezüglich extremistischer Gefahren im Netz aktiv. Seit 2017 klärt der Film des BayLfV unter dem Titel "10 Tipps, wie du dich nicht verarschen lässt" insbesondere Jugendliche über die Gefahren von Manipulation und Radikalisierung in sozialen Medien auf. Nutzerinnen und Nutzern sozialer Medien werden zehn Tipps an die Hand gegeben, wie sie durch umsichtiges Verhalten vermeiden können, selbst in die Fänge von Extremisten zu geraten. Der Film ist über den YouTube-Kanal der Bayerischen Staatsregierung abrufbar. 4.2 Rechtsextremistische Musik Rechtsextremistische Musik ist ein wesentliches Eintrittstor in die rechtsextremistische Szene. So nutzen Rechtsextremisten Musik, um Jugendliche mit rechtsextremistischem Gedankengut in Kontakt zu bringen. Das Angebot an rechtsextremistischer Musik ist hinsichtlich Qualität, Stil und Zielrichtung größer geworden und reicht von Skinhead-Musik und Balladensängern über Vikingrock, Black Metal, Hatecore und Neofolk bis hin zu Rap und Techno. Die Texte enthalten nationalistisches, fremdenfeindliches, antisemitisches und antidemokratisches Gedankengut. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen (Konzerte und Liederabende) im Inund Ausland ermöglichen es Szeneaktivisten zudem, neue Kontakte aufzubauen und sich szeneintern zu vernetzen. Daneben gibt es Auftritte rechtsextremistischer Musiker bei sonstigen Veranstaltungen. Bei diesen Veranstaltungen überwiegt der Versammlungscharakter gegenüber der Musikdarbietung. Sie werden von den Veranstaltern teilweise konspirativ vorbereitet beziehungsweise als private Veranstaltungen durchgeführt. Mit Vortrefforten, SMS-Mobilisierung beziehungsweise Mund-zu-Mund-Propaganda oder der Deklarierung eines Konzerts als private Geburtstagsfeier soll ein Einschreiten 134 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 der Sicherheitsbehörden verhindert werden. Diese konspirativen Vorbereitungsmaßnahmen üben einen zusätzlichen Reiz aus. Veranstalter - es handelt sich dabei meistens um langjährige Aktivisten - erlangen bei der erfolgreichen Durchführung eines Konzerts innerhalb der Szene viel Anerkennung. Rechtsextremistische Konzertund Musikveranstaltungen in Bayern Konzerte 2 Liederabende 1 Sonstige Veranstaltungen mit Musikbeitrag 8 Im Rahmen des Dreikönigstreffens des NPD Kreisverbands MusikveranstaltunLichtenfels-Kronach in Schwürbitz trat der rechtsextremistische gen in Bayern Liedermacher Frank Rennicke auf. Am 11. Februar veranstaltete derselbe Kreisverband ebenfalls in Schwürbitz einen Liederabend mit dem rechtsextremistischen Sänger Lunikoff und etwa 50 Teilnehmern. Am 2. März trat der Liedermacher "Reichstrunkenbold" in Geiselwind vor etwa 30 Zuhörern auf. Dieser Auftritt fand im Rahmen einer Informationsveranstaltung der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationalisten" in Bayern statt. Ebenfalls am 2. März veranstaltete die Gruppierung "Voice of Anger" in Memmingen ein Konzert mit etwa 50 Teilnehmern. Bei dem Konzert trat in der ehemaligen Gaststätte "Gartenschänke" neben der Band "Unbeliebte Jungs" auch der Musiker "Der Metzger" auf. "Voice of Anger" führte in Memmingen außerdem am 30. März und am 20. April zwei Feiern durch, bei denen jeweils Liedermacher auftraten. Während am 30. März etwa 60 Personen an der Feier teilnahmen, verfolgten am 20. April etwa 40 Personen den Auftritt des Liedermachers "Griffin". Der 20. April, der Geburtstag Adolf Hitlers, wird in der rechtsextremistischen Szene bis heute immer wieder mit entsprechenden Feierlichkeiten begangen. Anfang August führten die Stützpunkte Mainfranken und Oberfranken des "III. Weg" ein gemeinsames Sommerfest durch. Teil dieses Festes, das etwa 50 Personen besuchten, waren die Auftritte der Liedermacher "Flygien" und "Varghona". 135 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Teilnehmerzahlen bei Im Hinblick auf rechtsextremistische Musikund KonzertveranstalKonzerten rückläufig tungen ist im Bundesgebiet ein allgemeiner Trend zur Verbindung politischer Rednerveranstaltungen mit Musikveranstaltungen festzustellen. Allerdings gingen die hohen Teilnehmerzahlen der letzten Jahre an solchen Veranstaltungen, die teilweise mehrere tausend Personen betrugen, im Jahr 2019 zurück. Dies ist auch dem gestiegenen Druck durch die Behörden in den betroffenen Bundesländern geschuldet. So untersagten etwa die Behörden im sächsischen Ostritz und im thüringischen Themar den Ausschank von alkoholhaltigen Getränken während der Veranstaltungen. Aktivisten des "III. Weg" aus Bayern nahmen am 28. September am Gesamtparteitag der Partei in Thüringen teil. Bei der Veranstaltung traten neben mehreren Rednern auch die "Parteimusiker" "Studio Drei" und der rechtsextremistische Rapper "Makss Damage" auf. Mit dem neuen Lied "Löwen" führte "Makss Damage" nach Aussage der Partei auf ihrer Homepage eine "kämpferisch wirkende Hymne" der Partei vor. Den Besuchern wurden Informationsstände und Sportwettkämpfe, einschließlich Kampfsportvorführungen angeboten, an denen der Leiter des Stützpunkts Nürnberg/Fürth als Ringrichter und Kämpfer teilnahm. Auch die "Identitäre Bewegung" (IB) setzt im Rahmen ihrer politischen Propaganda auf die Wirkung von Musik. Der führende Aktivist der IB im deutschsprachigen Raum, Martin Sellner, produzierte für seinen YouTube-Kanal zwei Videos, in denen er die Musikrichtung "Neofolk" vorstellt. Dabei empfiehlt er seinen Zuschauern Neofolk als die richtige Musik für Identitäre, da sie der antimodernen Grundausrichtung der Identitären sehr nahesteht. Darüber hinaus wurden aus dem Kreis der IB heraus verschiedene Projekte im Bereich Rap gestartet. Die Rapper "Komplott" und der in Bayern ansässige "Chris Ares" sind der identitären Rapszene zuzurechnen. 136 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremistische Bands in Bayern Aktive Bands Bandname Herkunft Aktiv seit Letzte Veröffentlichung Burning Hate Oberfranken 2005 - 2010 Gründung CD "Your Time Is mit ehemaligen Running Out" (2010), Mitgliedern der Beteiligung am Sampler Skinhead-Bands Aryan "Punikoff Vol.1" (2017) Rebels und Division 28, "Warmachine" (2019) Neugründung 2017 Edelweiss Raum Wurde 1993 als CD "Evangelium" (2008), München Sturmflagge gegründet "Leidkultur" (2019) und 1998 in Edelweiss umbenannt. Seit 2008 inaktiv und Neugründung 2019 Eskalation Raum Hof 2010 CD "Kein Schritt zurück" (2015), Beteiligung am Sampler "Hessen Skins" (2017), "S.F.F.S" (2019) Kodex Frei Raum 2010 CD "Das Pack" (2016), Kempten Beteiligung an der Compilation "10. Tag der deutschen Zukunft" (2018) MPU Raum Hof 2005 CD "German Skinhead Anthems" (2017), Beteiligung am Sampler "Hessen Skins" (2017) Nordwind Raum 1995 - 2004 LP "Stolz & Stark" - Forchheim Neugründung 2014 limitierte Sammler-Edition (2014) Prolligans Raum Allgäu 2004 CD "Nahrung für den Geist" (2017), Compila tion "Skinhead durch und durch" (2017) Schanddiktat Raum 2016 Veröffentlichungen bisher Dillingen nur auf YouTube-Channel a. d. Donau "Schanddiktat" Urweisse Raum 2019 "Urweisse Musik" (2019) München White Rebel Raum Hof 2007 CD "The Boys are back in Boys/White town" (2012), Beteiligung Rebel Voice am Sampler "Back to the basement" (2016), "Ohne Strom gegen den Strom" (2019) 137 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Derzeit inaktive Bands Bandname Herkunft Aktiv seit Letzte Veröffentlichung Sturmtrupp Neuburg 2008 (Neugründung CD "Unter feindlicher a. d. Donau nach Auflösung 2002) Attacke" (2011) Rechtsextremistische Bands nutzen Konzerte als Möglichkeit, ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen und für Tonträger und Merchandising-Artikel zu werben. Mit der Gage für einen Konzertauftritt können die meisten Bands ihre entstandenen Kosten allerdings nur teilweise decken. Wesentlich einträglicher sind der Verkauf und Vertrieb von Tonträgern über Versandhandel, Verkaufsstände auf rechtsextremistischen Veranstaltungen und über das Internet. Das Internet bietet darüber hinaus zahlreiche Möglichkeiten, rechtsextremistische Musik einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Beispielsweise stehen rechtsextremistische Musikclips und -alben in der Regel auch zum Download zur Verfügung. Dem bayerischen identitären Rapper Christoph Zloch gelang es unter seinem Künstlernamen "Chris Ares" kurzfristig, mit seiner Veröffentlichung "2014 - 2018" auf verschiedenen Download-Plattformen wie iTunes die Hip-Hop Charts anzuführen. Damit zeigt sich einerseits die Bedeutung des Vertriebs von extremistischer Musik als Download im Internet und andererseits die gestiegene Reichweite von identitärer Rap-Musik. Bis zur Veröffentlichung von "2014-2018" verbreitete Ares seine Musik überwiegend auf seinem YouTube-Kanal, auf dem manche seiner Musikvideos Klickzahlen von mehreren hunderttausend Aufrufen erreichen. Nach seiner anfänglichen Aktivität im Umfeld der Münchner PEGIDA-Veranstaltungen wandte sich Chris Ares in den Folgejahren ideologisch der "Identitären Bewegung" zu. Dies belegt auch seine Kooperation mit identitären Musikern wie "Komplott" und "Prototyp". So trat Ares im Jahr 2018 mit "Komplott" auf dem Festival der "Identitären Bewegung" "Europa Nostra (deutsch: Unser Europa) - Identität verteidigen - Heimat bewahren" in Dresden auf. Im August kündigte Ares in einem seiner YouTube-Videos die Gründung seines eigenen Labels unter dem Namen "Neuer Deutscher Standard" (NDS) an. Als ersten Künstler, den er mit diesem Label fördern wolle, stellte er unter dem Künstlernamen "Prototyp" einen identitären Aktivisten 138 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 aus NRW vor. Das erste gemeinsame Lied "Neuer Deutscher Standard" wurde am 13. September auf YouTube veröffentlicht und erreichte kurzfristig TOP 10 Platzierungen bei iTunes und Amazon. Darüber hinaus verfügt Ares, der mit mehreren Gleichgesinnten in einem Haus bei München lebt, über ein eigenes Tonstudio im Keller des Hauses. In seinen Liedern bedient Ares identitäre Ideologieelemente, unterlegt diese aber mit populärer Musik. Mit seinen Musikveröffentlichungen, dem Label und dem Tonstudio entwickelt sich Ares zunehmend zu einem bedeutenden Akteur in der bundesdeutschen identitären Musikszene. Die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) Informationsangebot informiert als zentrale Präventionsstelle der Staatsregierung der BIGE umfassend über rechtsextremistische Bands, Liedermacher, Handlungsleitfaden Stilrichtungen und Verbreitungsstrategien. Im Rahmen ihrer allgegen rechtsextregemeinen Präventionstätigkeit sollen Bürgerinnen und Bürger, mistische Konzerte insbesondere Schülerinnen und Schüler, dazu befähigt werden, rechtsextremistische Inhalte leichter zu erkennen und deren möglicherweise strafrechtliche oder jugendgefährdende Relevanz feststellen zu können. Mit dem "HandIungsIeitfaden zum Umgang mit Rechts(rock) konzerten und vergleichbaren Veranstaltungen" unterstützt die Staatsregierung insbesondere jene Gemeinden, welche mit solchen Veranstaltungen effektiv und sachgerecht umgehen müssen und vielfach nur eine sehr kurze Vorbereitungszeit für die Prüfung von Untersagungsgründen, Anordnungen oder Auflagen zur Verfügung haben. Ergänzend zum Leitfaden berät die BIGE Kommunen im konkreten Einzelfall. Ziel ist es, bereits im Vorfeld derartige Veranstaltungen - soweit möglich - zu verhindern und eine Etablierung oder Verfestigung einer rechtsextremistischen Szene vor Ort zu unterbinden. Das strikte Vorgehen der bayerischen Sicherheitsbehörden führte bereits wiederholt dazu, dass Musikveranstaltungen nicht stattfanden beziehungsweise in benachbarten Regionen außerhalb Bayerns durchgeführt wurden. 139 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus 4.3 Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen Rechtsextremistische Vertriebe und Versandhandel kommerzialisieren die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Das Sortiment ist gezielt auf die Bedürfnisse der Anhänger einzelner Szene-Stilrichtungen wie der Skinhead-, der NS-Hatecoreoder der NS-Black-Metal-Subkultur ausgerichtet. Bei der Produktion und Vervielfältigung von Tonträgern spielen insbesondere die größeren Vertriebe eine wichtige Rolle. Neben Musik umfasst die Angebotspalette auch Textilien, Fahnen, Flugblätter, Plakate und szenetypische Devotionalien wie Bücher und Aufkleber sowie zunehmend Accessoires für den Alltag wie Sonnenbrillen oder Gürteltaschen. Szeneläden sind mittlerweile die Ausnahme. Nahezu alle Händler bieten ihre Waren auf zum Teil professionell gestalteten Verkaufsplattformen im Internet an. Die Betreiber rechtsextremistischer Betriebe verfolgen insbesondere wirtschaftliche Interessen, manche unterstützen mit ihren Einnahmen auch die rechtsextremistische Szene. Vertriebe und Versandhandel Name Sitz/Landkreis Inhaber Ansgar Aryan Mantel/Neustadt a. d. Nemesis Production Waldnaab GmbH, Mantel; Gf: Patrick Schröder DIM Records Coburg Ulrich Großmann FSN-Shop Mantel/Neustadt a. d. Patrick Schröder Waldnaab Oldschool Records Wolfertschwenden/ Benjamin Einsiedler Unterallgäu Patriotic Store Mantel/Neustadt a. d. Patrick Schröder Waldnaab Schwarze-SonneRain am Lech/ Alexander Feyen Versand Donau-Ries Versand der Bewegung Murnau/GarmischSarah Janker Partenkirchen Wikingerversand Geiselhöring/ Siegfried Birl Straubing-Bogen Das Zeughaus Presseck/Kulmbach Jens Hessler 140 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 4.4 Rechtsextremistische Internetradios und -TV Rechtsextremisten nutzen auch Internetradios zur Verbreitung "ihrer" Musik. Gelegentlich werden auch indizierte oder strafbare Titel gespielt. Teilweise können die Hörer das Programm mitgestalten. Als Wortbeiträge werden Interviews mit Rechtsextremisten (z. B. Bandmitgliedern), Kommentare oder Kritiken zu CDs sowie gelegentlich Werbung für Konzerte und Demonstra tionen gesendet. Die Sendezeiten variieren von wenigen Stunden wöchentlich bis hin zu einem 24-Stunden-Programm. Die Homepages dieser Internetradios bieten häufig auch anmeldepflichtige Chats und Diskussionsforen an. Internetradios unterliegen einer hohen Fluktuation, manche sind nur vorübergehend in Betrieb. Der Rechtsextremist Patrick Schröder, betreibt seit 2007 - mit Unterbrechungen - von Weiden i. d. OPf. aus das rechtsextremistische Internetradio "Radio FSN" (Frei-Sozial-National) sowie seit August 2012 auch das Internet-TV "FSN-TV". "FSN-TV" wurde mittlerweile zum Format "FSN - The Revolution" umbenannt. Es werden neben Interviews mit Protagonisten aus der rechtsextremistischen Szene in moderierten Beiträgen Aktionshinweise, Konzertund Demonstrationstermine und Informationen über aktuelle und politische Ereignisse innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums verbreitet. Seit 13. November 2017 betreibt die Partei "Der Dritte Weg" Internetradio des unter der Bezeichnung "Revolution auf Sendung" ein Internet "III. Weg" radioformat. Dieses Format ist eine Mischung aus Interviews, Nachrichten aus Sicht der Partei, Musikbeiträgen und Besprechungen von Liedern. Die Sendungen werden monatlich auf der Homepage der Partei eingestellt. Bei den Interviewpartnern handelt es sich um rechtsextremistische Aktivisten. Neben Parteimitgliedern kommen dabei auch andere rechtsextremistische Aktivisten oder Musiker zu Wort. So wurden durch die Moderatoren der Sendung in 2019 beispielsweise neben dem Parteiaktivisten Tony Gentsch und dem Vorsitzenden Klaus Armstroff auch der als "Volkslehrer" bekannte rechtsextremistische Videoblogger Nikolai Nerling, der Musiker der rechtsextremistischen Band "Stahlgewitter" Frank Krämer und ein Vertreter der rechtsextremistischen Kampfsportgruppierung "TIWAZ" interviewt. Darüber hinaus kamen in den Sendungen ausländische Rechtsextremisten wie der Österreicher Gottfried Küssel oder der Vertreter der neofaschistischen italienischen Gruppierung "CasaPound", Alberto Palladino, zu Wort. 141 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus 4.5 Rechtsextremistisches Verlagswesen Rechtsextremistische Verlage streben die Etablierung einer rechtsextremistischen Gegenkultur an. Daher verbreiten sie revisionistische, antisemitische, antidemokratische beziehungsweise fremdenfeindliche Vorstellungen und wollen so rechtsextremistische Überzeugungen in der Leserschaft initiieren oder festigen. Dabei soll das Vertrauen in die demokratische Ordnung untergraben werden, um letztendlich ein undemokratisches, autoritäres politisches System in Deutschland populär zu machen. Die "Verlagsgesellschaft Berg mbH" (VGB) mit Geschäftssitz in Gilching (Landkreis Starnberg), besteht seit 1991. Sie ist mit dem "Druffel & Vowinckel"-Verlag verschmolzen und einer der größten organisationsunabhängigen rechtsextremistischen Verlage in Deutschland. Das Verlagsprogramm umfasst Schriften mit klar rechtsextremistischen und revisionistischen Inhalten. So wurde beispielsweise in der Zeitschrift "Deutsche Geschichte" die rechtsextremistische Verschwörungstheorie des sogenannten "Bevölkerungsaustauschs" verbreitet und das politische System der Bundesrepublik Deutschland als "illegitim" bezeichnet. Die geschichtsverklärende und nazistische Ausrichtung des Verlags wird mitunter auch bereits in den Publikationstiteln und -beschreibungen deutlich. Über Adolf Hitler werde etwa laut Verlag im Buch "In Hitlers Schatten - Erinnerungen und Aufzeichnungen des persönlichen Adjutanten" von einem "engsten Vertrauten" ein "einfühlsames und um Wahrheit bemühtes Bild" gezeichnet. Nach Aussage des Verlags werde im Buch "Die Wahrheit über Oradour - Was geschah am 10. Juni 1944 wirklich? Rekonstruktion und Forschungsbericht eines Franzosen" die "Legende von den Verbrechen der Waffen-SS" in der französischen Ortschaft "widerlegt" beziehungsweise "zerstört". Unter dem Motto "WAHRHEIT macht FREI! Deutsche Stimme-Lesertreffen ... gegen die Lügenpresse" bewarb das NPD-Parteiorgan "Deutsche Stimme" ein Lesertreffen am 4. Mai in Mittelfranken. Für die Veranstaltung warben auch der NPD-Bezirksverband Mittelfranken und der NPD-Kreisverband Nürnberg. Der Verlag Anton A. Schmid mit Sitz in Durach (Landkreis Oberallgäu) vertreibt neben religiöser und verschwörungstheoretischer Literatur auch Werke mit antisemitischen, geschichtsrevisionistischen und rechtsextremistischen Inhalten. Verbreitung finden die Schriften u. a. über einen Online-Versand. Durch die Publikation der Bücher "Die Protokolle der Weisen von Zion erfüllt" (Band 1 Teil 1 und Teil 2) verbreitet der Verlag nachweislich 142 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 falsche Behauptungen über eine angebliche jüdische Weltverschwörung, die in dieser Form auch vom NS-Regime propagiert wurden. Im ebenfalls durch den Verlag vertriebenen Buch "Hitler beging keinen Selbstmord" wird außerdem unterstellt, mitunter jüdisch-stämmige amerikanische Familien hätten die Machtergreifung Hitlers aktiv herbeigeführt. Auch dabei wird von im Rechtsextremismus häufig genutzten antisemitischen Codes Gebrauch gemacht. Die Familie Rothschild wird für die Machtergreifung der Nationalsozialisten verantwortlich gemacht, um eine geschichtsrevisionistische Sichtweise auf das NS-Regime und den Zweiten Weltkrieg zu konstruieren, wonach Deutschland als Opfer einer von Juden vorangetriebenen Verschwörung anzusehen sei. 5. IMMOBILIENSUCHE UND -ERWERB Rechtsextremistisch genutzte Immobilien sind solche, die politisch zielund zweckgerichtet sowie wiederkehrend genutzt werden. Erfasst werden dabei Immobilien, bei denen Rechtsextremisten über eine uneingeschränkte grundsätzliche Zugriffsmöglichkeit verfügen, etwa in Form von Eigentum, Miete, Pacht oder durch ein Kennund Vertrauensverhältnis zum Objektverantwortlichen. Davon abzugrenzen sind Objekte, die von Rechtsextremisten nahezu ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt werden. Rechtsextremisten nutzen Immobilien, um regionale Strukturen und Anlaufstellen zu schaffen. Sie sind in Ballungsräumen ebenso wie im ländlichen Raum ständig auf der Suche nach Räumlichkeiten für Feiern, Konzerte, Schulungen, Parteiveranstaltungen oder interne Treffen. Für kleinere Treffen nutzen Rechtsextremisten häufig auch ihre privaten Wohnobjekte. Sie haben in der breiten Öffentlichkeit keine Akzeptanz, und mögliche Vermieter lehnen eine Vermietung an rechtsextremistische Gruppierungen zumeist ab. Die rechtsextremistische Szene hat deshalb regelmäßig erhebliche Schwierigkeiten, dauerhaft Immobilien für ihre Aktivitäten zu finden, die über eine bloße Wohnnutzung hinausgehen. Insbesondere die langfristige Anmietung einer Gaststätte durch Rechtsextremisten stellt in Bayern die Ausnahme dar. Verschiedene rechtsextremistische Gruppierungen halten zwar wiederholt interne Treffen oder kleinere Feiern in Gaststätten ab. Die Räumlichkeiten werden aber nur in Ausnahmefällen explizit für ein Treffen von Rechtsextremisten angemietet. Vielmehr geben sie sich dort meist als "normale" Gäste aus. Wenn Rechtsextremisten eine ernsthafte Kaufabsicht haben, setzen sie meist harmlos erscheinende "Strohmänner" ein, um den rechtsextremistischen Hintergrund des Erwerbs zu verschleiern. 143 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Immobilien in Bayern Derzeit werden in Bayern 22 Objekte als rechtsextremistisch genutzte Immobilien eingestuft, unter anderem in München, Gilching, Murnau, Münster (Schwaben), Kempten, Memmingen, Wolfertschwenden, Mantel, Geiselhöring und Feilitzsch. Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) Die BIGE berät betroffene Kommunen und Eigentümer. Auf dem Internetportal der BIGE sind zusätzliche Informationen abrufbar: www.bige.bayern.de Seit Einrichtung der BIGE im Frühjahr 2009 wurden in über 70 Fällen Kommunen in Bayern im Hinblick auf Kauf, Pacht, Anmietung oder sonstige längerfristige Nutzung von Immobilien durch Rechtsextremisten beraten. In mehreren Fällen konnte ein Kauf von Gasthöfen mit Unterstützung der BIGE verhindert werden. 6. RECHTSEXTREMISTISCHE PARTEIEN UND PARTEINAHE STRUKTUREN 6.1 Junge Alternative für Deutschland Bayern (JA Bayern) Deutschland Bayern Anhänger etwa 120 Gründung 15. Juni 2013 26. Oktober 2013 Sitz Berlin Nürnberg Die "Junge Alternative für Deutschland" (JA) ist gemäß SS 17a der Bundessatzung der "Alternative für Deutschland" (AfD) die offizielle Jugendorganisation der Partei. Die JA ist als eigenständiger Verein mit Sitz in Berlin konstituiert und wurde im Juni 2013 gegründet. Zum Charakter der JA heißt es in SS 17a Abs. 2 Satz 1 der Bundessatzung der AfD: Die JA dient als Innovationsmotor der AfD und hat das Ziel, das Gedankengut der Partei in ihrem Wirkungskreis zu verbreiten sowie die besonderen Anliegen der Jugend innerhalb der AfD zu vertreten. 144 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Zur Beobachtung der bundesweit aktiven JA führten hinreichend Ideologie und Volksgewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für eine extremistische begriff der JA Bestrebung, die sich unter anderem aus programmatischen Aussagen der JA ergeben, in denen eine migrationsund insbesondere islamfeindliche Haltung offen zutage tritt. Unter Verwendung teils aggressiver Rhetorik warnt die JA immer wieder vor einem "BevöIkerungsaustausch" durch Muslime und stellt diese als angebliches Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung dar. Diese Aussagen der JA machen deutlich, dass die Würde des Menschen als oberster Wert der Verfassung nicht respektiert wird. Die JA vertritt einen ethnisch homogenen Volksbegriff und macht jene, die dieser ethnisch geschlossenen Gemeinschaft nicht angehören, in eindeutiger Weise verächtlich. So bezeichnet die JA die Migrationspolitik der Bundesregierung als "wahnsinniges Bevölkerungsexperiment", für das das "Volk [...] mit seinem Blut" bezahle und das dazu führe, dass das deutsche Volk "abgeschafft" werde. Verfassungsschutzrechtlich relevant ist ein Volksbegriff, der von einer ethnisch homogenen Gemeinschaft ausgeht. Danach wird denjenigen Personen, die nicht dem "ethnisch definierten Volk" angehören, der sich aus der Menschenwürde ergebende Achtungsanspruch abgesprochen und die elementare Rechtsgleichheit verweigert. Dies widerspricht dem in der Verfassung verankerten Volksverständnis. Danach gehören alle Personen -- unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft -- dem deutschen Volk an, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Der bereits im September 2013 in Nürnberg gegründete bayerische Landesverband (JA Bayern) teilt diesen ethnisch homogenen Volksbegriff: So formuliert dieser beispielsweise am 5. Februar in einem Post zum Thema Familienpolitik auf Facebook, [...] dass bei den großen demographischen Problemen nur Kinder unsere Zukunft als Volk sicherstellen und damit unseren Staat erhalten [...]. Kulturelle Diversität und eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen identitätsstiftenden Geschichte werden abgelehnt. 145 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus In einem Facebook-Post vom 26. März propagierte die JA Bayern das Ideal eines kulturell-homogenen deutschen Volkes, das "über Jahrhunderte hinweg" vermeintlich unverändert bestünde. In dem Post werden die für das ethno-kulturelle Volksverständnis typischen Aspekte der kulturellen Einheitlichkeit und Herkunft des Volkes wiederholt hervorgehoben. Des Weiteren skizziert sie in dem Beitrag ein Szenario, in dem suggeriert wird, dass das deutsche Volk aufgrund des angeblichen Wirkens von u. a. "linken Ideologen" und "Masseneinwanderung" in seiner Existenz bedroht sei. Die Liebe zum eigenen Volk ist der stärkste und natürlichste Gedanke, nach dem es sich zu leben lohnt...... Und dennoch ist es linken Ideologen nach jahrzehntelanger Beeinflussung und Diffamierung gelungen, viele Deutsche gegen ihr eigenes Volk aufzustacheln, sie regelrecht zum Hass gegen sich selbst und ihre Vorfahren zu bringen .... Doch der Gedanke das eigene Volk zu lieben kann auf Dauer nicht niedergelogen werden, die negativen Auswirkungen einer von Selbstverleugnung zerfressenen und devoten Gesellschaft sind allgegenwärtig. Die dadurch ermöglichte Masseneinwanderung verursacht Milliardenkosten und lässt die Ausländerkriminalität ins schier Unendliche explodieren, sodass nicht einmal mehr die GEZ-Medien dies zu vertuschen wissen. Aktivitäten der JA In München veranstaltete die JA Bayern am 5. Mai einen politiBayern schen Frühschoppen mit mehreren Rednern und etwa 200 Teilnehmern. Prominentester Redner war Björn Höcke, Vorsitzender des AfD-Landesverbands und der AfD-Landtagsfraktion in Thüringen sowie Führungsperson der SammIungsbewegung "Der Flügel". Ort der JA-Veranstaltung war eine Gaststätte auf dem Gelände einer städtischen Bezirkssportanlage, nachdem das von der Landeshauptstadt München am 3. Mai gegenüber den von der JA Bayern angekündigten Rednern erteilte Hausverbot durch das Bayerische Verwaltungsgericht München am 4. Mai aufgehoben wurde. Höcke diffamierte in seiner Rede die Bundesrepublik Deutschland als einen "perversen" und "dekadenten" Staat und forderte dazu auf, eine "geistig-moralische Wende" zu "erzwingen": 146 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Und es ist jetzt allerhöchste Eisenbahn, das Land ist in größter Not. Jetzt, liebe Freunde, muss die AfD nicht nur über diese geistig-moralische Wende reden, sondern wir müssen sie erzwingen. Die Rede Höckes offenbarte erneut ein auf einem ethnisch-homogen definierten Volksbegriff beruhendes Gesellschaftsideal. Migration aus dem vorderasiatischen Raum führe laut Höcke etwa zu einem "KuIturund ZiviIisationsbruch", den er als abzuwendende historisch-kulturelle "KernschmeIze" bezeichnete. Ebenso fand sich in der Rede das in rechtsextremistischen Kreisen weit verbreitete Untergangsnarrativ von einem sich im "Existenzkampf" befindenden deutschen Volk, dessen kollektives Überleben bedroht sei: Unser eigenes Geburtenverhalten als deutsches Volk, parallel gelegt zum Geburtenverhalten der Migranten in Deutschland, zusätzlich die Einwanderung, die nach Deutschland kommt, die wird uns schon bald zur Minderheit im eigenen Land machen. Schon bald. In den großen Städten im Westen ist das bereits der Fall. Diese Städte haben wir bevölkerungsmäßig leider schon verloren [...] Wir kämpfen einen Kampf um alles oder nix, wir kämpfen den Kampf als Deutsche und als Europäer um Sein oder Nichtsein. [...] Deutschland ist kein Siedlungsgebiet. Deutschland ist nicht verhandelbar. Im Rahmen des Europawahlkampfs veranstaltete die JA Bayern am 18. Mai unter dem Titel "Mehr Europa, weniger EU" eine Kundgebung in Nürnberg. Als Redner trat - neben mehreren prominenten Rednern aus den Reihen der bayerischen AfD - auch der damalige Landesvorsitzende der JA Bayern auf. Bis zu 60 Personen nahmen an der Veranstaltung teil. Am 30. Juni veranstaltete die JA Bayern mit fünf Rednern einen "Konservatismus-Kongress" in Hirschaid/Oberfranken. Das jährlich stattfindende Treffen fand zum zweiten Mal statt und zog etwa 100 Teilnehmer an. Kongressziel sei die "Bildung und Festigung des politisch-weltanschaulichen Wertefundaments" der Organisation. 147 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Keine flächendeDie JA Bayern weist bislang keine flächendeckenden bayerickenden Strukturen schen Strukturen auf. So existieren gegenwärtig zwar unterin Bayern halb des bayerischen JA-Landesverbands vier Bezirksverbände (Franken, Oberbayern, Ostbayern und Schwaben), die Bayern in seiner Gesamtheit abdecken sollen, doch finden sich darunter aktuell nur rund zehn Kreisverbände. Die JA Bayern versucht, sich gegenüber anderen JA-Landesverbänden als Organisator von Veranstaltungen mit einer über die Landesgrenzen hinausgehenden Anziehungskraft hervorzutun. Dies könnte die Bedeutung des bayerischen Landesverbands innerhalb der Bundes-JA stärken. Gleichzeitig etabliert sich die JA Bayern damit als aktivistische Kraft. Innerhalb der JA Bayern sind starke Sympathien für die ebenfalls unter Beobachtung stehende Gruppierung "Der Flügel" erkennbar. Dies zeigt sich nicht nur darin, dass prominente Vertreter dieser Gruppierung aus Thüringen und Brandenburg auf Veranstaltungen der JA Bayern sprachen, sondern auch in der Unterstützung dieser bei den dortigen Landtagswahlkämpfen 2019. 6.2 "Der Flügel" Deutschland Bayern Anhänger etwa 110 Gründung 14. März 2015 26. Oktober 2013 Sitz Thüringen Erfurter Resolution "Der Flügel" gründete sich als "Sammlungsbewegung innerhalb der AfD" durch die sogenannte "Erfurter Resolution", die am 14. März 2015 im Rahmen des Landesparteitags der AfD Thüringen vorgestellt wurde. Laut "Erfurter Resolution" verstehen viele Mitglieder die AfD unter anderem "als Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands". Ferner wird in der "Erfurter Resolution" behauptet, das Projekt "Alternative für Deutschland" sei in Gefahr, weil diese sich "ohne Not mehr und mehr dem etablierten Politikbetrieb" und "dem Verrat an den Interessen unseres Landes" anpasse. "Der Flügel" ist keine Vereinigung im Sinne der AfD-Bundessatzung. Gleichwohl behauptet die Gruppierung von sich selbst, sie sei "als Rückversicherung innerhalb der AfD [...] ein Garant für Zusammenhalt". Wer sich zum "Flügel" bekenne, könne die "Erfurter Resolution" unterzeichnen. Beim AfD-Kreisverband Nordhausen-Eichsfeld-Mühlhausen/Nordthüringen ist 148 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 die organisatorische Arbeit des "Flügels" konzentriert. Nach der Auffassung des Schiedsgerichts des bayerischen AfD-Landesverbands vom 30. Juni handelt es sich beim "Flügel" um eine in Konkurrenz zur AfD stehende politische Organisation. Hinsichtlich der Gruppierung "Der Flügel" liegen dem BfV hinAuf Ausgrenzung reichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für eine extregerichtetes Politikmistische Bestrebung vor. Das propagierte Politikkonzept des konzept "FIügels" ist auf Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, insbesondere Muslimen und politisch Andersdenkenden gerichtet. Der Fortbestand eines vermeintlich existenten organisch-einheitlichen Volkes wird als höchster Wert angesehen und zum poli tischen Ziel erklärt. Der einzelne Deutsche wird nur als Träger des Deutschtums wertgeschätzt. Als "Kulturfremde" bezeichnete Nicht-Deutsche gelten als nicht integrierbar und als potenzielle Gefahr für den Fortbestand des deutschen Volkes. Ihnen soll eine Bleibeperspektive konsequent verwehrt werden. Ziel des "Flügels" ist ein ethnisch homogenes Volk, das keiner "Vermischung" ausgesetzt sein soll. "Flügel"-Vertreter wenden sich gegen das Demokratieund das Rechtstaatsprinzip. Demokratische Entscheidungen werden nur akzeptiert, wenn diese zu einer Regierungsübernahme durch die AfD führen. Im Falle des Scheiterns der AfD gelte: "Danach kommt nur noch: Helm auf." In einem Interview, das in der Juni-Ausgabe des Magazins Compact veröffentlicht wurde, hatte sich Björn Höcke, Führungsperson des "Flügels", zum Begriff "Umvolkung" bekannt: Mir fällt für die offenkundig systematisch betriebene Zerstörung der gewachsenen Völker auch kein treffenderer Begriff ein. Der Begriff "Umvolkung" ist der nationalsozialistischen Volkstumspolitik entlehnt. Die Relativierung des historischen Nationalsozialismus ist prägend für die Aussagen von "FIügeI"-Vertretern. Offizielle Strukturen des "Flügels" in Bayern sind bislang nicht Personenpotenzial in bekannt. Eine als Funktionär des AfD-Kreisverbands AichachBayern Friedberg bekanntgewordene Person ist für organisatorische Angelegenheiten des "Flügels" bayerischer Ansprechpartner. In Bayern fanden einzelne interne "Flügel"-Veranstaltungen oder öffentliche AfD-Veranstaltungen mit Bezug zum "Flügel" statt. 149 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Gegenwärtig wird dem "Flügel" in Bayern ein Personenpotenzial von etwa 110 Anhängern zugerechnet. Zusätzlich zum Teilnehmerpotenzial bayerischer "Flügel"-Veranstaltungen ist von einem gegenwärtig nicht bezifferbaren Sympathisantenumfeld innerhalb der AfD und in sozialen Netzwerken auszugehen. Aktionen Das sogenannte "Kyffhäusertreffen" ist die zentrale bundes weite "Flügel"-Veranstaltung. Sie findet seit 2015 jährlich statt und versammelt regelmäßig mehrere hundert Teilnehmer. Am 6. Juli fand mit etwa 800 Teilnehmern in Leinefelde-Worbis (Landkreis Eichsfeld/Thüringen) das fünfte Kyffhäusertreffen des "Flügel" statt. Das Motto der Veranstaltung "Der Osten steht auf!" stand im Zeichen der Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Aus Bayern nahmen nur einzelne Personen teil. "Süddeutsches Am 4. Mai fand in einer Veranstaltungshalle in Greding das "SüdFlügeltreffen" in deutsche Flügeltreffen" statt. Hauptredner war Björn Höcke. Greding Weitere Redner kamen aus Bayern und Baden-Württemberg, darunter auch Vorstandsmitglieder des bayerischen AfD-Landesverbands. Unter den etwa 450 Veranstaltungsbesuchern aus Bayern, Baden-Württemberg und in Teilen auch aus anderen Bundesländern waren auch einzelne Personen, die den extremistischen Gruppierungen "Identitäre Bewegung Schwaben" und "PEGIDA Nürnberg" zugeordnet werden können. Zum Ende der Veranstaltung wurde das Deutschlandlied, beginnend mit dem Text der ersten Strophe, über die Lautsprecheranlage eingespielt. Einzelne Personen sangen die erste Strophe mit.1 Björn Höcke befasste sich in seiner Rede insbesondere mit dem Thema Migration, traf in diesem Zusammenhang als völkisch zu bewertende Aussagen und rekurrierte auf das im Rechtsextremismus weit verbreitete Verschwörungsmotiv, wonach das "deutsche Volk" durch zugewanderte "volksfremde" Migranten verdrängt werden solle: 1 Die deutsche Nationalhymne besteht aus der dritten Strophe des Deutschlandliedes von August Heinrich Hoffman von Fallersleben (1798-1874). Das Singen der ersten Strophe des Deutschlandliedes unterliegt keinem gesetzlichen Verbot. Während des nationalsozialistischen Regimes wurde die erste Strophe des Deutschlandliedes mit dem sogenannten Horst-Wessel-Lied, dem Kampflied der NSDAP, zu einem Lied verschmolzen und avancierte so zu einem Symbol der NS-Diktatur. Heute wird die erste Strophe des Deutschlandliedes insbesondere von Rechtsextremisten als Kampflied und zu Provokationszwecken genutzt. 150 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 [...] weil die EU-Apparatschiks und ihre willigen Vollstrecker in den deutschen Altparteien Europa nur noch als ein wirtschaftstechnokratisches Siedlungsund Ausbeutungsgebiet für alle Menschen dieser Welt träumen, geräumt von den lästigen Autochthonen, also einheimischen Völkern und ihren nationalen Kulturen, also von uns, den schon länger hier Lebenden. [...] Denn wir wissen, Heimat verliert man nicht nur durch Flucht und Vertreibung, wie schrecklich das auch ist, sondern man verliert sie auch dadurch, dass man zur Minderheit im eigenen Land wird. Höcke bediente unterschwellig auch antisemitisches Gedankengut. So sprach er von George Soros, einem amerikanisch-ungarischen Milliardär jüdischen Glaubens, der zivilgesellschaftliche Akteure in mehreren Ländern fördert, mit den Worten [...] die EU ist in ihrer heutigen Form nichts anderes als eine neoliberalistische Globalisierungsagentur, die den volkszerstörenden und als pervers zu bezeichnenden Ungeist eines George Soros exekutiert. Die deutsche Bundeskanzlerin bezeichnete Höcke ferner als "Soros-Kundin". Unter der Chiffre "George Soros" wird unter anderem von Rechtsextremisten seit einigen Jahren unterschwellig antisemitisches Gedankengut transportiert. In einschlägigen Verschwörungstheorien wird ihm unter anderem unterstellt, gezielt die Masseneinwanderung nach Europa zu befördern. Es wird ein Bild von ihm gezeichnet, das den typischen antisemitischen Stereotypen von der vermeintlichen Weltverschwörung einer jüdischen Finanzelite entspricht. 151 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Ein Redner äußerte sich fremdenfeindlich, indem er Flüchtlinge unter anderem pauschal der Begehung von schwersten Straftaten bezichtigte: [W]as da [...] über unser Land hereingebrochen ist. Hereingebrochen im Gefolge meist muslimischer junger Männer - von links/grün gerne Goldstücke genannt - die jedoch nichts anderes sind als eine Bande von Tunichtguten [...] - die ihre martialischen [...] Vorstellungen von Staat, Religion, Frauen, Familie und Eigentum in unser Land tragen. Getrieben von der Vorstellung, sich in Deutschland alles aneignen zu dürfen, was uns so wertvoll ist. Und dabei messern, morden, vergewaltigen, rauben und stehlen. Ein weiterer Redner postulierte das Ideal einer geschlossen ethnokulturellen Gesellschaft und warnte vor dem angeblich bevorstehenden "Untergang" des deutschen Volkes: Wir sind nicht angetreten, um mit dem Establishment am Tisch zu sitzen und mitzufeiern. Denn eines muss uns klar sein, auf dieser Party, die dort gefeiert wird, wird auf den Ruinen unserer Kultur und auf den Gräbern der Opfer der Masseneinwanderung getanzt. Diese Party, die dort stattfindet, ist ein Totentanz, dort wird unser eigener Untergang gefeiert. Derselbe Redner forderte auch die Aufhebung der sogenannten "Unvereinbarkeitsliste" der AfD, mit der die AfD signalisieren wollte, dass sie sich vor dem Beitritt und dem Einfluss von Personen schützt, die sich zuvor in extremistischen Organisationen engagierten. Bei den beiden letztgenannten Rednern in Greding handelte es sich um Vorstandsmitglieder des bayerischen AfD-Landesverbands, die zu einem späteren Zeitpunkt aus dem Landesvorstand ausgeschlossen und beim bayerischen AfD-Landesparteitag am 15./16. September nicht wiedergewählt wurden. 152 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 6.3 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Deutschland Bayern Mitglieder und Förder3.600 500 mitglieder Vorsitzender Frank Franz Sascha Roßmüller Gründung 1964 1965 Sitz Berlin Bamberg Publikationen Deutsche Stimme Die NPD will die bestehende Ordnung durch eine "Volksgemeinschaft" ersetzen. Aus Sicht der NPD stellt einzig eine ethnisch homogene "Volksgemeinschaft" eine natürliche, dem wahren Wesen des Menschen entsprechende und damit annehmbare staatliche und gesellschaftliche Ordnung dar. Sie strebt einen Gegenentwurf zur parlamentarischen Demokratie in Deutschland an. Die von der NPD vertretenen völkischen Grundideen bringen im Zusammenhang mit den verschiedensten politischen Themen oft ausländerfeindliche, antisemitische, rassistische - und in Bezug auf den historischen Nationalsozialismus verharmlosende und zustimmende - Positionen zum Ausdruck. Damit wirkt die NPD ideologisch prägend für das gesamte rechtsextremistische Spektrum. Ihr angestrebtes Ziel der "Systemüberwindung" und ihre Grundaussagen stehen inhaltlich im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. Das im Juni 2010 verabschiedete Parteiprogramm der NPD ist von einem ausgeprägten Nationalismus getragen und schreibt den Gedanken der "Volksgemeinschaft" in einer völkisch-kollektivistischen Auslegung fest. So heißt es im Parteiprogramm: Volksherrschaft setzt die Volksgemeinschaft voraus. Der Staat nimmt dabei die Gesamtverantwortung für das Volksganze wahr und steht daher über Gruppeninteressen. 153 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus und Ein grundlegender politischer Wandel muss die sowohl kostspielige als auch menschenfeindliche Integrationspolitik beenden und auf die Erhaltung der deutschen Volkssubstanz abzielen. Integration ist gleichbedeutend mit Völkermord. Rassistischer und Für die NPD resultiert die Würde des Einzelnen nicht aus dem nationalistischer freien Willen des Individuums, sondern ist von biologisch-geneIdeologieansatz tischer Teilhabe an der "Volksgemeinschaft" abhängig. Da nur Deutsche völkischer Abstammung Teil der "Volksgemeinschaft" sein können, ist eine rassistisch und nationalistisch geprägte Fremdenfeindlichkeit elementarer Bestandteil der Parteiideologie vom "lebensrichtigen Menschenbild", das sich insbesondere gegen "Fremdbestimmung" und "Überfremdung" wendet. Vier-Säulen-Strategie Die NPD verfolgt nicht nur erkennbare rechtsextremistische Ziele. Sie versucht auch, über bürgerliche Themen ihre rechtsextremistischen Anschauungen zu verbreiten. So befasst sie sich unter dem Motto "Sozial geht nur national" verstärkt mit sozialpolitischen Themen. Damit will sich die NPD als soziale Protestpartei darstellen und die Ängste der Bevölkerung vor sozialen Reformen, Arbeitslosigkeit und einer "multikulturellen Gesellschaft" schüren. Um dem Ziel der politischen Machtergreifung näherzukommen, verfolgt die Partei ein auf vier "strategische Säulen" gestütztes Konzept. Diese Säulen bezeichnet sie schlagwortartig mit den Begriffen: -- "Kampf um die Köpfe", -- "Kampf um die Straße", -- "Kampf um die Parlamente", -- "Kampf um den organisierten Willen". Der "Kampf um die Köpfe" bezeichnet die politisch-theoretische Arbeit. Die "völkisch-nationale Programmatik" soll weiterentwickelt und dem Bürger vermittelt werden. Gerade angesichts der Flüchtlingsthematik zeigt die zunehmende Verrohung mancher Debatten im Internet, dass die Strategie der NPD des "Kampfs um die Köpfe" teilweise erfolgreich ist. Im "Kampf um die Straße" soll einerseits durch zahlreiche öffentliche Veranstaltungen wie Aufmärsche und Demonstrationen Präsenz gezeigt und andererseits die Bevölkerung mobilisiert werden. Bei der dritten Säule, dem "Kampf um die Parlamente", geht es der NPD um Erfolge als politische Wahlpartei. Ziel ist die Gewinnung von Macht und Einfluss sowie die Gewährung finanzieller Zuwendungen. 154 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Mit dem "Kampf um den organisierten Willen" strebt die NPD eine Bündelung aller rechtsextremistischen Kräfte unter ihrer Führung an, ohne dabei programmatische Inhalte zu definieren. Im Grunde will die NPD im Rahmen einer Aktionseinheit als die zentrale und entscheidende Kraft des Rechtsextremismus wahrgenommen werden. Innerhalb der NPD gründete sich Anfang 2018 eine neue Gruppierung, die sich als "Völkischer Flügel" bezeichnet. Am 30. Januar 2018 veröffentlichte die Gruppierung im Internet eine Proklamation. Historisch ist der 30. Januar mit dem Tag der Machtergreifung Adolf Hitlers verbunden. Die Gruppierung beschreibt sich als "ein nationalistisch und völkisch orientiertes Bündnis innerhalb der NPD". Ziel sei es unter anderem, die NPD als Partei "der ethnischen Deutschen" am "lebensrichtigen Menschenbild" auszurichten. Die Proklamation des "Völkischen Flügels" steht im Zusammenhang mit einem anhaltenden Richtungsstreit innerhalb der NPD. Fraktionen innerhalb der Partei kritisieren u. a. den vermeintlich gemäßigten Kurs des Bundesparteivorsitzenden Frank Franz, der die Partei seit 2014 leitet. Die Namenswahl, das Datum der Veröffentlichung der Proklamation am symbolträchtigen 30. Januar sowie die bislang verlautbarten Zielsetzungen des neuen Parteiflügels weisen auf eine möglicherweise verschärfte ideologische Ausrichtung und Radikalisierung innerhalb der NPD hin. Die NPD und ihre Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) unterhalten Verbindungen zu verschiedenen Rechtsextremisten im europäischen Ausland. Die NPD ist Mitglied der "Europäischen Nationalen Front", eines europaweiten rechtsextremistischen Parteienbündnisses, dem auch die griechische neonazistische Partei "Chrysi Avgi" ("Goldene Morgenröte") angehört. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 17. Januar Ausschluss von der 2017 die verfassungsfeindliche Ausrichtung der NPD bestäParteienfinanzierung tigt. Ein Verbot der Partei lehnte das Gericht jedoch ab, weil die Bedeutung der Partei für eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu gering sei. Nachdem auf Bundesebene die gesetzlichen Voraussetzungen für den Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung geschaffen wurden, haben Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung 2018 beschlossen, beim Bundesver fassungsgericht den Ausschluss der NPD von der Parteienfinanzierung zu beantragen. Am 20. Juli reichten die drei Antragsteller eine 150-seitige Antragsschrift zum Ausschluss 155 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Antragsschrift führt Belege auf, wonach die NPD weiterhin planvoll das Ziel verfolgt, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Die NPD gliedert sich bundesweit in 16 Landesverbände, die wiederum in Bezirksund Kreisverbände unterteilt sind. Der bayerische Landesverband besteht aus sieben Bezirksund 31 Kreisverbänden. Aktivitäten der NPD In Bayern fanden insbesondere interne Aktivitäten der NPD in Bayern statt, beispielsweise monatliche Stammtische von Kreisverbänden. Der Kreisverband Lichtenfels Kronach führte im Januar wieder sein Dreikönigstreffen in Schwürbitz durch. Bei diesem trat der rechtsextremistische Liedermacher Frank Rennicke auf. Ebenfalls in Schwürbitz veranstaltete der Kreisverband am 11. Februar einen Liederabend mit dem ehemaligen Sänger der Band "Landser", Michael Regener alias Lunikoff, an dem etwa 50 Personen teilnahmen. Als Reaktion auf von vier ausländischen Jugendlichen begangene Körperverletzungsdelikte an Passanten führten Nürnberger Aktivisten der NPD am 1. Januar eine "Schutzzonenstreife" in Amberg durch. Am 24. März führten vier Aktivisten des Nürnberger Kreisverbands der NPD eine weitere "Schutzzonenstreife" durch. Für die Öffentlichkeit erkennbar waren sie anhand der roten Warnwesten mit der Aufschrift: "Wir schaffen Schutzzonen". Als sich die Aktivisten einer Asylbewerberunterkunft näherten, erfolgte eine Kontrolle durch die Polizei. Danach wurde der "Streifengang" beendet. Bayerische Aktivisten der NPD nahmen an einer Demonstration zum 1. Mai teil, die der sächsische Landesverband der Partei gemeinsam mit der JN unter dem Motto "Sozial geht nur national" in Dresden organisiert hatte. Die NPD veranstaltete am 17. Mai in Geiselwind (Landkreis Kitzingen) einen Zeitzeugenvortrag mit einem 99-jährigen ehemaligen Wehrmachtssoldaten, der vor allem über seine Erlebnisse im Deutschen Afrikakorps berichtete. An der Veranstaltung nahmen etwa 50 Personen teil. Die Teilnehmer kamen sowohl aus dem Umfeld der NPD als auch aus der Neonaziszene. 156 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Am 3. August führten zwei Aktivisten des NPD-Kreisverbands Nürnberg/Fürth am Nürnberger Hauptbahnhof eine "Gedenkaktion" für einen am 29. Juli am Frankfurter Hauptbahnhof getöteten achtjährigen Jungen durch. Ein NPD-Aktivist stellte sich in die Bahnhofshalle und zeigte dort ein Plakat "Migration Tötet! - NPD" und ein weiteres Plakat "Wir schaffen Schutzzonen - NPD". Ein anderer NPD-Aktivist dokumentierte diese Aktion für die Internetseite des NPD-Kreisverbands Nürnberg/Fürth. Zwei Aktivisten des Kreisverbands Nürnberg der NPD zeigten am 20. September vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Transparent mit der Aufschrift "Migration tötet!" und einem Bild des US-amerikanischen Finanzinvestors George Soros. Der zu der Aktion auf der Homepage des Kreisverbands eingestellte Text beinhaltet verschwörungstheoretische antisemitische Elemente. Soros wird als Person dargestellt, die im Verborgenen die Geschicke in Europa lenke, um diesem zu schaden. So sei etwa die "Überfremdung Europas" sein Plan. Um dies zu erreichen, bediene er sich seines Geldes und verschiedener NGOs. Mitglieder der Kreisverbände München und Nürnberg der NPD nahmen am 28. September an einer Demonstration der "Bürger für Gerechtigkeit" in Nürnberg unter dem Motto "Für soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Heimat und Identität!" teil. Am 19. Oktober fand eine stationäre Kundgebung der NPD zum Thema "Schluss mit Hass und Hetze gegen Rechts!" am Karlsplatz/Stachus in München statt, bei der die Münchner NPD-Kreisvorsitzende Renate Werlberger Versammlungsleiterin war. Seitens der NPD nahmen in der Spitze insgesamt elf Personen, darunter auch der Vorsitzende der "Bürgerinitiative Ausländerstopp München", Karl Richter, teil. Während der Versammlung wurden jeweils zwei Redebeiträge von Werlberger und Richter vorgetragen. Die NPD nahm an der Wahl zum Europäischen Parlament am Verlust des letzten 26. Mai teil. Ihr Ziel war es, ihr letztes Parlamentsmandat zu verMandats im Euro teidigen, das Udo Voigt innehatte. Die Beibehaltung des Manpäischen Parlament dats war sowohl für die Repräsentation, als auch aus finanziellen Gründen für die Partei von Bedeutung, da mit dem Mandat auch ein Stab von Mitarbeitern verbunden war. Obwohl die 5-Prozenthürde bei den Wahlen zum Europäischen Parlament nicht gilt, konnte die Partei nur 0,3 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen. Das Ergebnis bedeutet für die NPD nicht nur einen Rückgang von 0,7 Prozentpunkten, sondern auch den Verlust 157 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus des bisherigen Mandats. Infolgedessen verlor auch der Münchner Stadtrat der "Bürgerinitiative Ausländerstopp München", Karl Richter, seine Stelle als Mitarbeiter Voigts im Europäischen Parlament. Zudem verfehlte die NPD die wichtige Hürde von 0,5 Prozent der Stimmen als Voraussetzung für die Teilnahme an der staatlichen Parteienfinanzierung. Dies dürfte die finanziell ohnehin angeschlagene Partei weiter schwächen. Die Wahlkampfaktivitäten der NPD blieben in Bayern auf einem insgesamt niedrigen Niveau. NPD-Flugblattverteilungen mittels Briefkasteneinwürfen fanden sporadisch vor allem in Nürnberg statt. Dabei wurden insbesondere Flugblätter mit dem Slogan "Abschiebung statt Integration" sowie Abbildungen des Spitzenkandidaten Udo Voigt verteilt. An mehreren Stellen in Bayern wurden zudem NPD-Wahlplakate mit den Parolen "Migration tötet" und "Wir sind nicht das Sozialamt der Welt" aufgestellt. Eine flächendeckende Plakatierung der NPD sowie größere Wahlkampfveranstaltungen fanden in Bayern nicht statt. Die NPD erzielte mit 8.835 Stimmen insgesamt 0,2 Prozent der abgegebenen Stimmen. Junge Nationaldemokraten (JN) Deutschland Bayern Mitglieder Einzelpersonen Vorsitzender Christian Häger derzeit keine Führungsstruktur auf Landesebene Gründung 1969 Sitz Riesa/Sachsen Die Jugendorganisation der NPD benannte sich im Januar 2018 von "Junge Nationaldemokraten" in "Junge Nationalisten" um. In einem Interview mit der Parteizeitung "Deutsche Stimme" im September erklärte der neue Bundesvorsitzende Christian Häger, dass der bisherige Name nicht mehr dem "heutigen Zeitgeist" entspreche. Konkret habe man von "neu gebildeten Gruppen", insbesondere der "Identitären Bewegung" (IB), gelernt. Der neue Name "Junge Nationalisten" solle den Begriff "Nationalismus" wieder positiv in die Öffentlichkeit tragen. Die Aussagen Hägers belegen die Vorbildrolle, welche die IB inzwischen innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums einzunehmen scheint. 158 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Die NPD und die JN führten am 2. März in Geiselwind eine gemeinsame Informationsveranstaltung mit 30 Teilnehmern durch. Bei dem Treffen handelte es sich nach Parteiangaben um Kooperationsgespräche zwischen den Funktionären und Aktivisten der Partei, um eine Ausweitung der JN in Bayern zu ermöglichen. Als Redner traten der NPD-Funktionär Sascha Roßmüller und der stellvertretende Bundesvorsitzende der JN auf. Zum Rahmenprogramm der Veranstaltung gehörte auch der mehrstündige Auftritt eines rechtsextremistischen Liedermachers. Ring Nationaler Frauen (RNF) Deutschland Bayern Mitglieder Einzelpersonen Vorsitzender Antje Mentzel derzeit keine Führungsstruktur auf Landesebene Gründung 2006 2013 Sitz Pirmasens/ Rheinland-Pfalz Der RNF ist eine Unterorganisation der NPD und versteht sich als Sprachrohr und Ansprechpartner für "nationale" Frauen. In Bayern ist der RNF nur sporadisch aktiv. Im August wies der RNF auf die Durchführung der Spendenaktion "Deutsche helfen Deutschen" in Bayern hin. Im Februar kündigte der RNF eine Neustrukturierung des bayerischen Landesverbands an. Am 23. August postete die Vorsitzende des Münchner NPD-Kreisverbands auf der Facebookseite des RNF ihre Forderung "Festung Europa jetzt"! und verlangte zum Schutz "unserer Frauen und Kinder" die Sicherung der Grenzen. Ein Facebook-Profil des RNF Bayern wurde im Februar online gestellt, allerdings nicht gepflegt. 159 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus 6.4 Partei Der Dritte Weg (III. Weg) Deutschland Bayern Mitglieder und 155 Sympathisanten Vorsitzender Klaus Armstroff Walter Strohmeier Gründung 2013 20141 Sitz Weidenthal/ Rheinland-Pfalz 1 Stützpunkte bestehen seit 2014. Die Partei "III. Weg" vertritt einen stark neonazistisch geprägten Rechtsextremismus. Zahlreiche Mitglieder, Fördermitglieder und Sympathisanten der Partei stammen aus dem Umfeld des 2014 verbotenen neonazistischen Netzwerks "Freies Netz Süd" (FNS). Die ideologischen Ziele der Partei ergeben sich aus ihrer Satzung sowie aus einem "Zehn-Punkte-Programm", das auf Elemente des 25-Punkte-Programms der NSDAP zurückgreift. Beide Programme basieren auf einem biologischen Volksbegriff. Die NSDAP hatte festgeschrieben, dass nur der ein "Volksgenosse" sein könne, der "deutschen Blutes" sei. Die Partei "III. Weg" fordert die "Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" sowie die "Beibehaltung der nationalen Identität des deutschen Volkes", die es vor Überfremdung zu schützen gelte. Antisemitismus Die Partei vertritt ein geschichtsrevisionistisches Weltbild. Sie forund Aufruf zum dert die Wiederherstellung "Gesamtdeutschlands in seinen völIsrael-Boykott kerrechtlichen Grenzen". In diesem Zusammenhang spricht der "III. Weg" auch von einer "friedlichen Vereinigung des deutschen Volkskörpers im Rahmen der ethnischen Selbstbestimmung und [der] Schaffung eines souveränen deutschen Volksstaates", was als Vereinigung aller deutschsprachigen Gebiete in einem Staat zu interpretieren wäre. Auch der Antisemitismus ist prägend für die Ideologie der Partei: In Artikeln auf ihrer Homepage nimmt die Partei "III. Weg" den Palästina-Konflikt zum Anlass für antizionistische Propaganda. Auf der Startseite wird zudem dazu aufgerufen, keine israelischen Produkte zu kaufen. Die Partei verfolgt ein Drei-Säulen-Konzept: "den politischen Kampf", "den kulturellen Kampf" und "den Kampf um die Gemeinschaft". 160 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Der "III. Weg" sieht sich nach dem Drei-Säulen-Konzept nicht bloß als Wahlpartei, sondern als "nationale Bewegung", die insbesondere auch auf der Straße ihre politischen Ansichten vertritt, sich kulturell betätigt und den Gemeinschaftsgeist über die reine Parteiarbeit hinaus durch Sportund Freizeitangebote vertiefen will. Strukturen Die Partei gliedert sich laut ihrer Satzung in die Gebietsverbände Süd, West und Mitte. Der Gebietsverband Süd besteht aus den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg. Ein Kreisverband ist die kleinste selbstständige Einheit der Partei. Die Satzung ermöglicht in Gebieten, in denen keine Untergliederungen bestehen, sogenannte "Stützpunkte" einzurichten. Ende 2019 bestanden bundesweit 18 Stützpunkte, davon fünf in Bayern. Die bayerischen Stützpunkte entsprechen weitgehend den bisherigen geografischen Schwerpunkten der verbotenen Vereinigung FNS. In Bayern bestehen folgende Stützpunkte: Stützpunkt Oberfranken Stützpunkt 01.02.2015 Mainfranken Coburg 13.09.2014 Bamberg Bayreuth Würzburg Nürnberg Stützpunkt Nürnberg/Fürth 29.03.2014 Regensburg Stützpunkt Ostbayern Ingolstadt 21.06.2014 Passau Landshut Neu-Ulm Augsburg Stützpunkt München/ München Oberbayern 23.03.2014 Traunstein Kempten 161 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament am 26. Mai konnte der "III. Weg" in Bayern 1.886 Stimmen auf sich vereinen. Dies entspricht einem Stimmenanteil von unter 0,1 Prozent. Ab April 2018 sammelte die Partei bundesweit die für den Wahlantritt notwendigen Unterstützerunterschriften. In Bayern fanden Unterschriftensammlungen an mehreren Orten, beispielsweise in Deggendorf, Hirschaid, Lindau, Sonthofen und Straubing, im Rahmen von Infoständen oder Flugblattverteilungen. statt. Der Partei gelang es allerdings bei den ebenfalls am 26. Mai durchgeführten Kommunalwahlen in Sachsen, in den Stadtrat von Plauen und in den Kreistag des Vogtlandkreises einzuziehen. Der früher in Bayern aktive Rechtsextremist Tony Gentsch nimmt für die Partei die beiden Mandate wahr. Aktionen Die erste Hälfte des Jahres war für die Partei "III. Weg" aus aktionistischer Sicht vor allem durch den Wahlkampf zum Europäischen Parlament geprägt. Die Stützpunkte der Partei führten dazu verschiedene Aktionen durch, verteilten Flyer und hängten Plakate auf. Medial erregten die Plakate der Partei auf dem Münchner Platz der Opfer des Nationalsozialismus Aufsehen. Auf Grund einer Verfügung der Stadt München mussten diese daraufhin von diesem Gedenkort entfernt werden. Die Staatsanwaltschaft München entschied, dass diese Wahlplakate strafrechtlich nicht zu beanstanden waren. Unter den beanstandeten Motiven fanden sich Text-Bild-Kombinationen wie "Reserviert für Volksverräter" mit abgebildeten Gefängnisgittern, "Europa verteidigen! Grenzen dicht!" mit abgebildeter Waffe, "national, revolutionär, sozialistisch" sowie "Multikulti tötet" mit einem blutigen Handabdruck. Auch wurden die in den letzten Jahren durchgeführten traditionellen Mobilisierungsveranstaltungen in Bayern für die Demonstration der Partei zum 1. Mai dieses Jahr in Form von Wahlkampfveranstaltungen abgehalten. So führte der Stützpunkt Ostbayern am 20. April, dem Geburtstag Adolf Hitlers, zwei Veranstaltungen in Cham und Furth im Wald durch, die von Fahrten mit einem Lausprecherfahrzeug begleitet wurden. Eine Woche zuvor, am 13. April, startete der Stützpunkt München/Oberbayern seinen Wahlkampf mit einem Infostand in Oberschleißheim. Die traditionelle Kundgebung der Partei zum 1. Mai fand dieses Jahr im sächsischen Plauen statt und stand ebenfalls im Zeichen des Europawahlkampfs. Wie jedes Jahr beteiligten sich auch die bayerischen Stützpunkte an der Veranstaltung. So trug unter anderem die Kandidatin für die Europawahl Jasmine Eisenhardt 162 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 auf der Demonstration das Fronttransparent. Am Anfang der Demonstration liefen die Teilnehmer über eine Europaflagge, um ihre Verachtung für die EU zu demonstrieren. Als Redner trat der Leiter des Gebietsverbands Süd, Walter Strohmeier, auf. Aktivisten des "III. Weg" führten in diesem Jahr unter dem MotAktivitäten zum to "Umweltschutz ist Heimatschutz" wiederholt Aktionen zum Umweltschutz Themenfeld Umweltschutz durch. So berichtete die Partei zu Anfang des Jahres über eine Aktion des Stützpunkts Nürnberg/ Fürth, bei der die Überreste von Silvesterraketen und Böllern eingesammelt wurden. Der Artikel verband diese Aktion mit der Kampagne "Tierfutter statt Böller", mit der die Partei seit einigen Jahren dazu aufruft, kein Geld für Feuerwerk auszugeben, sondern dieses stattdessen an Tierheime für Futter zu spenden. Aktivisten der Partei aus Ingolstadt übergaben laut eigener Berichterstattung Anfang des Jahres eine Futterspende an ein lokales Tierheim und stellten im Juni ein "Insektenhotel" auf. Auf ihrer Webseite berichtete die Partei auch immer wieder über Flyerverteilungen zum Thema Umweltschutz, wie etwa in Bad Grönenbach, Unterschleißheim oder in Haberskirch. Auch in diesem Jahr führten Aktivisten der Partei wieder soge"Nationale Streifen" nannte "nationale Streifen" in Bayern durch. Anlass für eine "Naaus Anlass von tionale Streife" und Flyerverteilung in Augsburg im Juni war die Sexualdelikten Verurteilung von zwei Asylbewerbern wegen einer Vergewaltigung. Eine weitere Streife in München im Juli wurde in einen Zusammenhang gestellt mit einem Sexualdelikt, das mutmaßlich durch einen bereits vorbestrafen Sexualstraftäter an einem minderjährigen Mädchen begangen wurde. Eine "Nationale Streife" im September in Petershausen sei laut Homepage ebenfalls als Reaktion auf ein Sexualdelikt eines Flüchtlings erfolgt. Die bayerischen Stützpunkte beteiligten sich wieder an bundesweiten Kampagnen der Partei. So führten Aktivisten der Partei Anfang September an mehreren Orten in Bayern anlässlich einer Kampagnenwoche unter dem Motto "Deutschland ist größer als die BRD" mehrere Aktionen durch. Diese Kampagne ist ein Beispiel für die revisionistische Ideologie der Partei. Ausweislich Punkt 10 ihres Parteiprogramms geht der "III. Weg" immer noch von einem Deutschland aus, das über das Gebiet der Bundesrepublik hinausgeht und Teile heutiger osteuropäischer Staaten, vor allem Polens, umfasst. Die Aktionen wurden daher an Denkmälern für die vertriebenen Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten durchgeführt, um dort der Vertreibungen zu gedenken. Im Rahmen der Aktionen wurden Kerzen abgestellt, Flyer angebracht und themenbezogene Vorträge gehalten. Darüber hinaus wurden an verschiedenen Orten in Bayern Flyer zur Kampagne verteilt. 163 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Verunglimpfung Anfang Oktober startete die Partei eine Aktionswoche unter der EU und ihrer dem Motto "Unser Europa ist nicht eure Union!". Im Rahmen Symbole dieser Aktionswoche wurden vor allem Symbole der EU verunglimpft. So zeigt ein Beitrag zu der Aktionswoche auf der Parteiwebseite eine EU-Fahne, die in einem Kuhstall liegt und mit Tierkot verschmutzt wurde. In anderen Beiträgen wurde die EU-Fahne als Fußabstreifer benutzt, verbrannt oder in der Mülltonne entsorgt. Hintergrund der Aktionswoche ist die Forderung der Partei, die EU zu "zerschlagen" und durch eine "europäische Eidgenossenschaft" zu ersetzen. Im Rahmen der Aktion wurde deutlich, dass andere rechtsextremistische Gruppierungen Losungen und Schlagworte der "Identitären Bewegung" (IB) übernehmen. So wurde die Losung "Unser Europa ist nicht eure Union" in ähnlicher Form bereits in einem Video der IB Anfang 2016 verwendet. Im Mai führten Aktivisten der IB Schwaben unter dem Motto "Wir wollen unser Europa und nicht eure Union" einen Infostand in Ulm durch. Im Oktober führte die Partei Aktionen im Zusammenhang mit dem Thema Landwirtschaft beziehungsweise Bauernstand durch. So organisierte am 19. Oktober der Gebietsverband Süd einen Informationsstand und eine parallel dazu stattfindende Demonstration in Kempten unter dem Motto "VoIkstreu und grün: Der Bauernstand macht stark das Land". Für diese Aktion gelang es der Partei, circa 35 Personen zu mobilisieren, obwohl die Veranstaltung im Vorfeld nicht offen beworben worden war. Darüber hinaus verteilten Aktivisten der Partei auf einer bürgerlichen Demonstration zum Thema "Landwirtschaft verbindet - wir bitten zu Tisch" am 22. Oktober am Münchner Odeonsplatz Flyer "Der Bauernstand macht stark das Land - volkstreu und grün". "Heldengedenken" Am 16. November fand die alljährliche "Heldengedenken"-Demonstration des "III. Weg" in Wunsiedel statt. Zu der Veranstaltung unter dem Motto "Tot sind nur jene, die vergessen werden!" trafen sich knapp 200 Rechtsextremisten. Bei rechtsextremistischen "Heldengedenk"-Aktionen wird in der Regel ausschließlich der gefallenen deutschen Soldaten in den beiden Weltkriegen gedacht, die als Helden für Volk und Vaterland dargestellt werden. Dabei werden die Angehörigen der Waffen-SS ausdrücklich mit einbezogen Aktivisten des "III. Weg" beteiligten sich auch an Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure. So nahmen sie an dem jährlich stattfindenden Gedenken an den Rechtsextremisten Reinhold Elstner teil. Der frühere Wehrmachtsangehörige war im April 1995 verstorben, wenige Tage nachdem er sich auf den Stufen der Münchner Feldherrenhalle selbst angezündet 164 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 hatte. Die Selbstverbrennung war politisch motiviert. In seinem Abschiedsbrief stellte Elstner, der revisionistische Ansichten vertrat, seinen Freitod in einen Zusammenhang mit der von ihm strikt abgelehnten Münchner Wehrmachtsaustellung, die über die Kriegsverbrechen der Wehrmacht informierte. Bayerische Rechtsextremisten veranstalten seit 2003 jährlich am 25. April in München eine Gedenkwache für den aus ihrer Sicht als Märtyrer gestorbenen Elstner. Auf der Veranstaltung zeigten die Aktivisten der Partei neben Parteifahnen auch ein Transparent der Partei. 6.5 Partei Deutsche Konservative, Landesverband Bayern Bayern Mitglieder und Einzelpersonen Sympathisanten Vorsitzender Ewald Ehrl Gründung 25. August 2012 Der Vorsitzende des bayerischen Landesverbands der Partei "Deutsche Konservative", Ewald Ehrl, fällt seit mehreren Jahren durch seine intensiven Beziehungen zu rechtsextremis tischen Personenzusammenhängen auf. Veranstaltungen mit Mitgliedern rechtsextremistischer Parteien wie der NPD und dem "III. Weg" wurden offen organisiert, Ehrl weist zudem eine große ideologische Nähe zum Neonationalsozialismus auf. Dies zeigt sich exemplarisch an der zentralen Bedeutung eines in seinen Äußerungen feststellbaren anti-individualistischen, naturrechtlichen Volksbegriffs und der immer wieder zum Ausdruck gebrachten Angst vor dem vermeintlichen "Untergang" des "Deutschen Volks". Die extremistischen Aktivitäten des Vorsitzenden werden von ihm persönlich, aber im Namen der Partei "Deutsche Konservative" betrieben. Auch die Homepage des Landesverbandes nutzt er als Plattform für seine Bestrebungen. Ideologisch decken sich seine Äußerungen mit der Ideologie/Propaganda der neonazistischen Partei "III. Weg". Einwanderung beklagt er als Invasion, der jetzige gesellschaftliche Zustand wird auf der Internetseite des bayerischen Landesverbands zum Kriegszustand umgedeutet. Zu einer Veranstaltung, auf der Ehrl auch vor Rechtsextremisten auftrat, wird auf der Seite berichtet: 165 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Der Dritte Weltkrieg ist schon lange im Gange, nur keiner bemerkt es. Nicht mit Panzern oder Kampfjets, sondern durch kulturfremde Eindringlinge. Straffällige Migranten bezeichnete Ehrl als "Verbrechergesindel'" und forderte den Vollzug des Bibelspruches "'Wer mit den Schwert lebt, wird durch das Schwert umkommen.' Hier sollte kein Pardon gegeben werden, so weiland Friedrich II." (Fehler aus dem Original übernommen) Auch geschichtsrevisionistische Ansätze verbindet der Vorsitzende mit zynischen, menschenverachtenden Empfehlungen: Kein Land der Erde kultiviert einen so erbärmlichen Schuldkult wie Deutschland. Selbstgeißler wie Göring-Eckhard, Claudia Roth, Isabell Vandre, die kreischenden WaIpurgis-Herren-Antifantinnen und allen anderen Deutschenhassern sollte man geschlossen zur Fortbildung nach Nordkorea abschieben. Die zahlreichen verfassungsfeindliche Aussagen seines Vorsitzenden, die auf der Internetseite des bayerischen Landesverbands veröffentlicht werden, sind diesem zuzurechnen. 6.6 Partei DIE RECHTE - Partei für Volksabstimmung, Souveränität und Heimatschutz Deutschland Bayern Mitglieder und Einzelpersonen Sympathisanten Vorsitzender Sascha Krolzig, Philipp Hasselbach Sven Skoda Gründung 2012 24. Mai 2015 Sitz Dortmund München Die im Jahr 2012 gegründete Partei "DIE RECHTE" ist neonazistisch ausgerichtet, ein Großteil der Mitglieder - auch in Führungspositionen - stammt aus der Neonaziszene. Ein politisch ideologischer Schwerpunkt der Partei "DIE RECHTE" ist die 166 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Fremdenfeindlichkeit. Das Parteiprogramm stellt einen Zusammenhang zwischen Migranten und dem Begehen von Straftaten her, um Migranten pauschal zu diskreditieren und Vorurteile gegenüber Flüchtlingen zu schüren. Am 1. April 2018 hatte die Partei auf ihrem Bundesparteitag Holocaustleugnerin die Teilnahme an der Europawahl beschlossen. Als Spitzenkanals Spitzenkandidatin didatin stellte sie die verurteilte und inzwischen inhaftierte für Europawahl 2019 Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck auf. Als bayerischer Kandidat trat der bayerische Landesvorsitzende Philipp Hasselbach zur Europawahl an. Bei der Wahl erreichte die Partei bundesweit 0,1 Prozent der Wählerstimmen, in Bayern blieb sie sogar unter diesem Ergebnis. Strukturen Die Partei ist in zehn Bundesländern vertreten. Landesverbände gibt es in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Die meisten Mitglieder wohnen in Nordrhein-Westfalen. Die Strukturen der Partei "DIE RECHTE" in Bayern haben sich inzwischen weitgehend aufgelöst. Im Europawahlkampf ist nach Parteiangaben in Aschaffenburg eine Flugblattverteilung durchgeführt worden. 7. PARTEIUNABHÄNGIGE RECHTS EXTREMISTISCHE ORGANISATIONEN 7.1 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) Die ursprünglich aus Frankreich stammende und inzwischen europaweit agierende "Identitäre Bewegung" (IB) ist ein rechtsextremistischer Personenzusammenschluss, der eine mitunter subtile, auf den gesamtgesellschaftlichen Diskurs abzielende Beeinflussungsstrategie verfolgt. Die IB bezieht sich konzeptionell unmittelbar auf das Ideenarsenal der sogenannten "Neuen Rechten" und entlehnt ihr strategisches Leitmotiv, die sogenannte "Metapolitik", den Thesen des neurechten Vordenkers Alain de Benoist. Aus Unterlagen, die im Rahmen der identitären Sommeruniversität im August 2015 in Frankreich an die teilnehmenden IB-Aktivisten verteilt wurden, lässt sich diese Stoßrichtung beispielhaft entnehmen. Dort heißt es unter anderem: 167 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Die IB ist eine metapolitische Kraft, die versucht, Ideen, Parolen und Bilder in das metapolitische Feld zu führen. Mit Aktionen schaffen wir einen medialen Hype und eine Viralität, die unsere Parolen und Bilder so schnell und breit wie möglich streuen. [...] Unsere politische Kommunikation muss die Massen erreichen und gut zugänglich sein. Provokative Kennzeichnend für den Aktionismus der IB sind öffentliche StörSocial-Media-Kamund Transparentaktionen, die sie im Rahmen von Social-Mediapagnen Kampagnen inszenieren und verbreiten. Sie orientieren sich konsequent an digitalen Trends, um dem Medienkonsumverhalten junger Zielgruppen gerecht zu werden. Seit ihrem erstmaligen Auftritt auf Facebook im Oktober 2012 ist es dem deutschen Ableger der Bewegung, der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD), auf diese Weise gelungen, einen Bekanntheitsgrad zu erlangen, der über rechtsextremistische Kreise hinausreicht und mitunter auch massenmediale Beachtung hervorruft. Mittlerweile hat sich die Agitation der IB im Internet vor allem auf die verschiedenen Twitter-Kanäle der einzelnen IB-Ableger und deren führenden Aktivisten verlagert. Diese Verlagerung hatte allerdings Einbußen in der Reichweite zur Folge. Um weiteren drohenden Sperrungen der Twitteroder YouTube-Kanäle zu begegnen, bewerben verschiedene IB-Aktivisten und IB-Ableger den Instant-Messaging-Dienst Telegram. Dort können die Aktivisten Textbeiträge verfassen, Videos und Fotos posten. Dadurch entsteht dann eine Timeline, die verfolgt werden kann. Eigene Sprache der Ihre auf ethnisch, völkisch-abstammungsmäßigen Kriterien fuIdentitären ßenden einwanderungskritischen und islamfeindlichen Positionen versucht die IBD unter Anwendung einer politisch möglichst unverfänglichen Sprache zu vermitteln. Ihr Ziel ist es, herkömmliche negative Assoziationen und gesellschaftliche Abwehrreflexe gegenüber rechtsextremistischen Ideen und Parolen zu überwinden. Durch neue Begriffsund Theoriekonstrukte sollen diskursive Hintertüren geöffnet, Sagbarkeitsfelder erweitert und somit eine neue Akzeptanz gegenüber extremistischen Werten und Vorstellungen geschaffen werden. Statt dumpfen Parolen wie "Ausländer raus" fordern die IBD-Aktivisten daher "Remigration" und "klare Umkehrungsmaßnahmen der Migrationsströme". Statt "Deutschland den Deutschen" zu skandieren, skizzieren sie das Ideal einer Staatsund Gesellschaftsordnung unter der Prämisse der ethnischen und kulturellen Homogenität. Anstelle des neonazistisch konnotierten Konzepts des "Volkstods" beschwören sie die Gefahren des "Großen Austauschs". 168 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Vorwürfen, sie würden Rassismus, völkisches und antidemokratisches Gedankengut predigen, widersprechen sie scharf und begegnen diesen, indem sie ihre Ideologie und Kampagnen mit euphemistischen Formeln wie "Ethnopluralismus" oder dem Kampf für eine "echte, direkte Demokratie" etikettieren. 7.1.1 Symbolik und Ideologie Erkennungszeichen der IBD ist das Lambda, der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets, in einem Kreis. Das Symbol war im antiken Griechenland das Erkennungsmerkmal der Spartaner, die im 5. Jahrhundert vor Christus gegen die Invasion eines übermächtigen persischen Heeres kämpften. Dieser Opfermythos entspricht der Selbstwahrnehmung der IBD, die sich als die Letzten sehen, die die "ethnokulturelle europäische Identität" vor ihrem Untergang durch Überfremdung und Islamisierung retten könnten. Ideologisch sieht sich die IBD selbst in der Tradition der sogeKonzept des Ethno nannten "konservativen Revolution", einer antidemokratischen, pluralismus und der antiliberalen und antiegalitären Strömung der Weimarer Zeit. Im ethnokulturellen Zentrum ihrer Propaganda stehen die ideologischen Konzepte Identität "Ethnopluralismus" und "Großer Austausch". Diese gehen von "Großer Austausch" einer vorgeblich vorherrschenden "ethnokulturellen Identität" der europäischen Völker aus, die durch eine Masseneinwanderung kulturfremder Einwanderer bedroht sei. Diese Bedrohung werde ferner durch die schwachen Geburtenjahrgänge der "ethnokulturellen" Europäer verstärkt. Ein maßgeblicher Indikator dieses "Großen Austauschs" sei die, durch die Identitären ebenfalls bekämpfte, angebliche Islamisierung Europas. Diese Entwicklung wird nach der Meinung der IB durch die sogenannten "Multikultis", also die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Eliten, gesteuert. Das Ziel sei es, die angestammten Völker und Kulturen Europas soweit zu ersetzen, dass am Ende eine steuerund austauschbare "Konsumentenmasse" entstehe. Die IBD propagiert in diesem Zusammenhang die räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Ethnien ("Ethnopluralismus") und die "Remigration", also letztlich die Ausweisung der Bevölkerungsteile in Deutschland und Europa, die ihren "ethnokulturellen" Kriterien nicht entsprechen. Die identitäre Ideologie weist trotz rhetorischer Abgrenzungsversuche Parallelen zu anderen rechtsextremistischen Ideen und Konzepten auf. Das ethnopluralistische Postulat von der räumlichen und geopolitischen Trennung von Menschen nach 169 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus ethnischen Kriterien findet sich in ähnlicher Form in der "Blut und Boden"-Ideologie des Nationalsozialismus wieder. Der Begriff der "Rasse" wird im identitären Kontext durch eine angebliche "ethnokulturelle Identität" ersetzt. Die Theorie des "Großen Austauschs" deckt sich zudem weitgehend mit den Aussagen rechtsextremistischer "Volkstod"-Parolen, wonach behauptet wird, dass im Rahmen eines verschwörerischen Eliteprojekts das deutsche Volk durch zugewanderte "volksfremde" Migranten verdrängt und aussterben werde. 7.1.2 Vernetzungsstrategien Wie sich die IB strategisch und ideologisch aufstellt, zeigten im Jahr 2017 festgestellte Schulungsunterlagen der IB Schwaben sowie der Sommeruniversität der französischen IB. Hinsichtlich der schwäbischen Unterlagen sind vor allem die angestrebten Vernetzungsstrategien der IB auffällig. So wird in den Zielsetzungen für die schwäbischen Ortsgruppen gefordert, sich mit der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD), deren Jugendorganisationen, Burschenschaften, patriotischen Gruppen, der Initiative "Ein Prozent" und anderen IB-Gruppen zu vernetzen. Die französischen Unterlagen stammen von der Sommeruniversität 2015 und beinhalten Schulungen zur Öffentlichkeitsarbeit, Aktivismus, Rhetorik, Umgang mit Behörden und Metapolitik. Insgesamt ist erkennbar, dass die IB primär darauf abzielt, den öffentlichen politischen und gesellschaftlichen Diskurs zu beeinflussen. Dabei will sie den "Kampf um die Deutung der Tatsachen" für sich entscheiden. 7.1.3 Strukturen in Bayern Die IBD gliedert sich in Bayern nicht nach Regierungsbezirken, sondern nach "Volksgrenzen". Es existieren die drei Gruppierungen "Identitäre Bewegung Bayern" (IB Bayern), "Identitäre Bewegung Schwaben" (IB Schwaben) und "Identitäre Bewegung Franken" (IB Franken). Alle drei Ableger der IB wurden auch im Jahr 2019 in Bayern aktiv. Ihnen werden in Bayern rund 80 Personen zugerechnet. Aktionen gegen Der Schwerpunkt dieses Aktionismus lag in diesem Jahr bei Ankerzentren in der IB Schwaben. Sie führte vor allem im Norden des RegieSchwaben rungsbezirks mehrere Aktionen durch. Diese standen meist im Zusammenhang mit dem Ankerzentrum für Asylbewerber in Donauwörth und den geplanten oder bereits bestehenden Außenstellen der Einrichtung im nördlichen Teil des Bezirks Schwaben. So führte die IB unter dem Label "Identitäre Zone" Infostände am 20. April in Donauwörth und am 16. März in Mering durch. 170 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 An dem Infostand in Mering konnten auch Vertreter der AfD-internen Sammlungsbewegung "Der Flügel" festgestellt werden. Auf verteilten Flyern und Transparenten forderten die Aktivisten der IB die "Remigration" von Flüchtlingen und die Schaffung von Ausreisezentren. Ebenso nutzte die IB Schwaben eine Bürgerversammlung der Gemeinde Mering am 27. März, bei der über die zu diesem Zeitpunkt noch in Planung befindliche Außenstelle des Ankerzentrums informiert wurde, als Plattform für eine Transparentaktion. So zeigten die Aktivisten ein Transparent, auf dem "Perspektiven in den Heimatländern schaffen #Ausreisezentrum" zu lesen war, und verteilten Flyer an die anwesenden Bürger. Am 17. April überhängten Aktivsten der IB eine Bautafel in unmittelbarer Nähe der geplanten Außenstelle. Auf der fingierten Tafel war eine Falschankündigung zu lesen, wonach an Stelle der Unterkunft für Flüchtlinge ein neuer Kindergarten gebaut werden sollte. Zusätzlich verteilten die Aktivisten Flyer in der Nähe des entstehenden Ankerzentrums, auf denen ebenfalls die fingierte Meldung über die Errichtung eines Kindergartens aufgedruckt war. Mit dieser Aktion versuchte sich die IB Schwaben als Vertreter der Interessen der Bürger zu inszenieren. Auf der Homepage der IB Schwaben wurde über ein "Vernetzungstreffen" am 1. Juni in Süddeutschland berichtet. Unter dem Motto "Die Rückeroberung des politischen Vorfelds" nahmen nach Angaben der IB rund 60 Personen an der Veranstaltung teil. Neben der IB selbst und der der IB nahstehenden Initiative "Ein Prozent" wurden das Immobilienprojekt "Schanze Eins", das ebenfalls Bezüge zur IB aufweist, sowie die patriotische Gewerkschaft "Zentrum Automobil" vorgestellt. Zudem präsentierte sich die lokale "Bürgerinitiative Wertingen". Auf der Homepage der IB Schwaben heißt es, dass mit diesem Treffen ein "wichtiger Grundstein für die Organisation eines süddeutschen Widerstandnetzwerkes" gelegt wurde. Im Rahmen einer bundesweiten Kampagne brachte die IB SchwaBundesweite ben auch in Augsburg mehrmals an öffentlichen Plakatständern Kampagne zur Plakate mit der Aufschrift "Go Home, Der Krieg ist vorbei, Syrien Remigration braucht dich" an. Die Plakate waren mit einem Lambda-Symbol der IB und der Internetadresse www.remigration.net versehen. Aufgrund der professionellen Aufmachung der Plakate fiel deren tatsächliche Urheberschaft bei flüchtiger Betrachtung nicht direkt ins Auge, sodass durch die Plakate suggeriert wurde, es würde sich hier um eine offizielle Werbung für eine Rückkehr von Flüchtlingen handeln. 171 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Eine ähnliche Aktion führten Aktivisten der IB Schwaben in Augsburg im Nachgang zu einem Angriff eines Flüchtlings durch, der in Frankfurt eine Frau und deren Sohn vor einen einfahrenden ICE gestoßen hatte. Die Aktivisten brachten im Verlaufe der Woche 5. bis 11. August wiederholt Plakate mit der Aufschrift "Achtung! Merkels Gefahrenzone - Bitte halten Sie 1 Armlänge Abstand. Oder besser: wählen Sie die AfD" an Bahnhöfen und Haltestellen in Augsburg an. Veröffentlicht wurden die Plakatierungen auf den Twitter-Kanälen der IB Augsburg und der IB Schwaben. Zu der Aktion "Gefahrenzone" hatte der führende österreichische IB-Aktivist Martin Sellner mittels eines YouTube-Videos aufgerufen. In diesem Video verwies Sellner unter anderem auf seine Homepage, auf der man das von ihm gestaltete Plakat herunterladen könne. Der Aufruf Sellners dokumentiert seine zentrale Position in der Szene. Kampagnen gegen Im Januar beteiligte sich die IB Schwaben zusammen mit der politische Parteien IB Bayern an einer bundesweiten Kampagne der IB unter dem Motto "Schreibtischtäter benennen - Gegen linke Gewalt". Diese richtete sich gegen Medien und Parteien, die aus Sicht der IB "linke" Gewalt verharmlosen. Am Morgen des 14. Januar wurden mehrere Medienund Verlagshäuser sowie Parteibüros plakatiert. In Augsburg beispielsweise wurden Plakate unter anderem an das Büro einer Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen geheftet und Pflastersteine sowie die Attrappe eines Molotowcocktails vor der Eingangstür drapiert. Aufsehen erregte die IB Schwaben mit zwei gefälschten Wahlplakaten, welche Aktivisten am 10. April an das Schaufenster des Parteibüros der Partei Bündnis 90/Die Grünen in Donauwörth klebten. Darauf war zu lesen: "Tod dem weißen, deutschen Mann" beziehungsweise "Nazis bekämpfen mit allen Mitteln". Die Plakate waren angelehnt an die Optik der Wahlplakate der Partei Bündnis 90/Die Grünen im Bundestagswahlkampf 2017. Zehn Tage später, am 20. April, veranstaltete die IB Schwaben eine sogenannte "IB-Zone" im Zentrum von Donauwörth. Thematischer Anlass für den Informationsstand war - laut Aussage der IB auf ihrer Homepage - die Plakataktion am Büro der Partei Bündnis 90/Die Grünen in Donauwörth. Aktivisten der IB zeigten am Informationsstand Banner, auf denen sie eine aus ihrer Sicht fehlende "inhaltliche Distanzierung" der Partei Bündnis 90/ Die Grünen von den Aussagen der gefälschten Wahlplakate kritisierten. Damit warfen sie der Partei indirekt vor, Gewalt gegen Andersdenkende zu befürworten. 172 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Am 13. Juni vollzogen Beamte des Polizeipräsidiums Schwaben Exekutivmaßnahmen Nord und der Kriminalpolizeiinspektion Dillingen bei zwei Aktiwegen Volksver visten der IB Schwaben Durchsuchungsbeschlüsse des Landhetzung gerichts Augsburg aufgrund des Verdachts der Volksverhetzung. Hintergrund war eine Aktion der IB in Augsburg im Dezember 2018. Als Reaktion auf die Durchsuchungsmaßnahmen veröffentlichte die IB auf ihrer Homepage einen Solidaritätsund Spendenaufruf. Auch auf den Twitterkanälen der IB-Ortsgruppe Augsburg und IB Schwaben wurde zur Solidarität aufgerufen und auf den Artikel verlinkt. Martin Sellner lud am 14. Juni ein YouTube-Video hoch, in dem er eine von der Durchsuchungsmaßnahme betroffene Person interviewte. Das Video wurde über 200.000 Mal aufgerufen. Am 18. Juni führte die IB zudem eine Solidaritätsaktion vor dem Augsburger Landgericht durch. Dabei zeigten die Aktivisten Bilder der beiden von den Durchsuchungsmaßnahmen Betroffenen mit der Aufschrift "Staatsfeind Nr. 1". Wie die IB Schwaben führte auch die IB Bayern mehrere "IB Zonen" durch. Am 16. März nahmen Aktivisten die Unterkunft für Asylbewerber in Fürstenfeldbruck zum Anlass, um dort einen Informationsstand zu errichten. Am "Europatag" veranstalteten Aktivisten der IB Bayern eine "IB Zone" in München. Dort positionierten sie sich gegen das "zentralistische Konstrukt" der Europäischen Union (EU). Die EU negiere - so die IB Bayern auf ihrer Homepage - "die Daseinsberechtigung der Völker als exklusive ethnokulturelle Gruppe". Am Ende stünde "die Auflösung der Völker und Nationen zugunsten einer "'OneWorld'". Den ideologischen Hintergrund derartiger IB-Parolen bildet die verschwörungstheoretische Annahme eines "großen Austausches". Die IB Bayern beteiligte sich auch an zwei Demonstrationen, False flag Aktionen die nicht dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen bei bürgerlichen sind. Am 23. März fand in München eine Demonstration unter Veranstaltungen dem Motto "SaveYourInternet" gegen die EU-Urheberrechtsreform statt, an der auch Aktivisten der IB Bayern teilnahmen. Diese waren anhand der einheitlichen T-Shirts der IB Bayern zu erkennen und trugen Schilder, auf denen etwa "ZensUrheberrecht" oder "Don't touch the Internet" zu lesen waren. Die IB nutzt immer wieder Themen wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder Sperrungen von Profilen in den sozialen Netzwerken, um gegen eine vermeintliche Beschränkung der Meinungsfreiheit zu agitieren. Die Teilnahme an einer nichtextremistischen Demonstration ist dabei allerdings neu. Die Demonstration "Ein Europa für alle - 173 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Deine Stimme gegen Nationalismus" am 19. Mai in München nutzte die IB Bayern für eine sogenannte False flag Aktion. Die Aktivisten der IB beteiligten sich anonym an der Demonstration und zeigten ein großes Banner mit der Aufschrift "Ein Europa für alle - 1,3 Milliarden Afrikaner" sowie verschiedene thematisch ähnliche Schilder. Damit wollten sie nach eigener Aussage auf die drohende "Auflösung der Völker und Nationen" aufmerksam machen und den restlichen Teilnehmern der Demonstration einen Spiegel vorhalten. An einer von der IB Bayern organisierten Sonnwendfeier haben laut eigenem Bekunden auch Aktivisten der IB Schwaben, IB Franken und IB Thüringen teilgenommen. Die Aktivisten der IB Franken traten 2019 nur mit relativ wenigen Aktionen an die Öffentlichkeit. So befestigten sie etwa am 23. Februar in der Nähe des Nürnberger Hauptbahnhofs ein Transparent mit der Aufschrift "heimatverliebt". Am 17. März brachten die Aktivisten ein Stoffbanner mit der Aufschrift "Remigration - Illegale Einwanderung darf nicht Normalität werden" vor dem Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an. Da das BAMF für die Anerkennung von Flüchtlingen als Asylbewerber zuständig ist, war es für die IB von besonderem symbolischen Wert, dort eine Aktion durchzuführen. Diese Banneraktion stand im Zusammenhang mit einer Aktionswoche "Remigration" der IB Deutschland. Darüber hinaus führten die drei in Bayern vertretenen Ableger der IB sogenannte Aktivistenwochenenden durch. Derartige Aktivistenwochenenden veranstaltet die IB Schwaben schon seit längerer Zeit zweimal im Jahr. Die IB Bayern und IB Franken führten erstmals gemeinsam eine derartige Wochenendveranstaltung Anfang September durch. Diese Wochenenden sind eine Mischung aus politischer, aktionistischer Fortbildung und Sportund Kampfsportübungen. Die als "Sommeruniversitäten" bezeichneten Treffen der französischen "Generation Identitaire" dienen den bayerischen IB Ablegern dabei als Vorbild. 174 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 7.2 PEGIDA-München - zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e. V. (PEGIDAMünchen) Gründung 29.04.2015 Aktionsraum München "PEGIDA-München e. V." führte in München in den Jahren 2016/2017 regelmäßige sogenannte "Montagskundgebungen" mit Spaziergängen durch. Nachdem die Teilnehmerzahl von circa 400 auf durchschnittlich 50 Personen gesunken war, fand 2018 lediglich eine Kundgebung mit Spaziergang unter Beteiligung von acht Personen statt. In 2019 führte "PEGIDA-München" unter ihrem Vorsitzenden Rückgang der Heinz Meyer in Bayern drei Aktionen durch. Eine DauerkundAktivitäten gebung am 8. und 9. November in München fand als Gegenkundgebung zu einem "Antifa-Kongress" im DGB-Haus in der Schwanthalerstraße statt. An dieser Veranstaltung nahmen in der Spitze sieben Personen teil, darunter auch der Stadtrat der NPD-Tarnorganisation "Bürgerinitiative Ausländerstopp München" (BIA-München), Karl Richter. Anlässlich des Besuchs des Bundespräsidenten in einer Moschee in Penzberg führte "PEGIDA-München" am 2. Dezember eine Kundgebung in Penzberg durch, an der sich in der Spitze sechs Personen beteiligten. Unter den Veranstaltungsteilnehmern befand sich abermals der Münchner Stadtrat Karl Richter. Im Rahmen der Veranstaltung wurde durch die Polizei ein Transparent von PEGIDA-München sichergestellt und eine Strafanzeige nach SS 166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religions gemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen) erstellt. Das Tötungsdelikt an einem Feuerwehrmann auf dem Königsplatz in Augsburg am 6. Dezember nahm "PEGIDA München" zum Anlass für eine Kundgebung am 16. Dezember in der Nähe des Tatorts. Bei der Veranstaltung mit 15 Teilnehmern trat als Redner neben Karl Richter auch der bekannte rechtsextremis tische Aktivist Roland Wuttke auf. Am 4. und 5. Oktober führte "PEGIDA-München" zwei Kund gebungen unter Beteiligung von bis zu fünf Personen im Görlitzer Park und in der Rigaer Straße in Berlin durch. 175 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Strafverfahren gegen Am 30. September fand vor dem Amtsgericht München eine Heinz Meyer wegen Verhandlung gegen Heinz Meyer wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung Volksverhetzung in zwei Fällen sowie eines Vergehens nach dem Sprengstoffgesetz statt. Dabei wurde Meyer durch das AG München zu einer Gesamtstrafe von 300 Tagessätzen a 15 Euro verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Im Vorfeld der Kommunalwahlen im Jahr 2020 kündigte Karl Richter im September Wahlbündnisse und gemeinsame Wahlantritte von "BIA-München" und "PEGIDA-München" an. Am 9. Januar 2020 gab Richter via Facebook bekannt, dass man für die BIA-München bei den Kommunalwahlen 2020 mit Heinz Meyer als Oberbürgermeisterkandidat und Karl Richter auf Listenplatz 1 für den Stadtrat antreten wolle. 7.3 Bürgerinitiativen Durch die Bezeichnung als "Bürgerinitiative" wollen sich Rechtsextremisten als bürgernahe beziehungsweise wählbare politische Alternative präsentieren. Bürgerinitiative A (BIA) e. V. (BIA-Nürnberg) Größe etwa 35 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivitäten Juli 2001 Aktionsraum Nürnberg Die 2001 gegründete "Bürgerinitiative Ausländerstopp Nürnberg" hatte sich im Jahr 2015 in "Bürgerinitiative A (BIA) e. V." umbenannt, um die rechtsextremistische Prägung der "BIA-Nürnberg" stärker zu verschleiern. Die "BIA-Nürnberg" ist im Nürnberger Stadtrat mit den beiden ehrenamtlichen Stadträten Fridrich Luft und Ralf Ollert vertreten. Deren Aktivitäten konzentrieren sich vorrangig auf das Themenfeld Anti-Asyl. Bei der "BIA-Nürnberg" handelt es sich in erster Linie um eine aktive, rechtsextremistische Tarnorganisation der NPD. Am 26. September empfahl der Nürnberger NPD-Kreisverband bei der Kommunalwahl 2020, die "Nürnberger Heimatliste" der 176 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 BIA zu wählen. Unter den Stadtratskandidaten der BIA befinden sich Personen, die als NPD-Aktivisten beziehungsweise mit NPD-Funktionärseigenschaft bekannt wurden. Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA-München) Größe 10 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität September 2007 Aktionsraum München Die NPD-Tarnliste "BIA-München" ist seit 2008 durch Karl Richter im Stadtrat vertreten. Er ist Vorsitzender der "BIA-München" und war bis zu seinem Rücktritt im Oktober 2014 auch Landesvorsitzender der NPD. In der Wahlperiode des 8. Europäischen Parlaments von 2014 - 2019 war Richter Parlamentarischer Referent des NPD-Abgeordneten Udo Voigt. Über die Stadtratsarbeit der "BIA-München" wird regelmäßig in Presseerklärungen und auf der Website berichtet; hier steht die Agitation gegen Flüchtlinge im Mittelpunkt. So spricht die BIA von einem "Bevölkerungsaustausch" und nutzte den von der NPD verwendeten Slogan "Migration tötet!". Zum Jahrestag des Stauffenberg-Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli veröffentlichte Karl Richter zudem einen Beitrag auf Facebook, in dem seine verfassungsfeindliche Haltung offen zu Tage tritt und in dem er Umsturzphantasien artikuliert: Ein Regime, das sich auf einen so schier unfassbaren Berg von Lügen, vergangenem und täglich neu begangenem Unrecht gründet wie die Staatsattrappe Bundesrepublik Deutschland - ein solches Regime KANN nur zur Hölle fahren. Und wenn es demnächst so weit ist und meine Hand gebraucht wird, um ihm beim hochverdienten Sturz in den Abgrund zu helfen, dann reiche ich sie liebend gerne. Im Vorfeld der Kommunalwahlen im Jahr 2020 kündigte Karl Richter im September Wahlbündnisse und gemeinsame Wahlantritte von "BIA-München" und "PEGIDA-München" an. Richter hatte am 12. September einen Facebook-Beitrag zu einem Treffen mit Heinz Meyer unter der Überschrift "Kampf ums Münchner Rathaus: Einigkeit macht stark" veröffentlicht, in welchem er mitteilte, "dass zeitig genug mögliche Allianzen, Wahlbündnisse, gemeinsame Wahlantritte etc. ausgelotet werden" 177 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus müssten. Am 9. Januar 2020 gab Richter wieder via Facebook bekannt, dass man für die BIA-München bei den Kommunalwahlen 2020 mit Heinz Meyer von "PEGIDA-München", als Oberbürgermeisterkandidat und Karl Richter auf Listenplatz 1 für den Stadtrat antreten wolle. Rechtsextremistisches Netzwerk in Nordschwaben/ Bürgerinitiative Wertingen (BIW) Größe 10 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2002 Aktionsraum Wertingen In Nordschwaben hat sich ein rechtsextremistisches Netzwerk gebildet, zu dem die "Bürgerinitiative Wertingen" (BIW), der Blog "Brennpunkt Nordschwaben" und das Projekt "Heimat Nordschwaben" zählen. Die BIW ist aus einer Initiative gegen einen geplanten Bau einer Moschee in Wertingen Anfang der 2000er Jahre entstanden. Seit 2002 ist sie mit einem Mandat im Stadtrat von Wertingen vertreten. Das Stadtratsmitglied der BIW war Mitglied in der NPD und trat in der Vergangenheit bei NPD-Veranstaltungen als Redner auf. Darüber hinaus war ein führender Aktivist der "Identitären Bewegung Schwaben" (IB Schwaben) kurzzeitig Vorstand der BIW. Die BIW versucht, sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben und kommunalpoli tische Arbeit in den Vordergrund zu stellen. So berichtet der Blog "Brennpunkt Nordschwaben", über den die BIW ihre Agitation im Internet verbreitet, z. B. ausführlich über Verkehrsprojekte in Wertingen. Auch über den YouTube-Kanal des Projekts "Heimat Nordschwaben", der auf dem Blog "Brennpunkt Nordschwaben" beworben wird, versuchen Mitglieder der BIW, sich über das Aufgreifen insbesondere ökologischer und landwirtschaft licher Themen ein gemäßigtes Image zu geben. Kooperation mit In den Äußerungen der Vertreter der BIW auf dem Blog werrechtsextremis den allerdings auch immer wieder rechtsextremistische Bezüge tischen Gruppiedeutlich. Die BIW kooperiert mit rechtsextremistischen Gruppierungen rungen im nördlichen Schwaben. So hat die BIW am 1. Juni an einem süddeutschen Vernetzungstreffen teilgenommen, das ein Bürgernetzwerk in Süddeutschland ins Leben rufen sollte. Dort präsentierte auch die IB ihr Projekt "Schanze Eins" und die identitäre Kampagne "Alternative Help Association". Bereits seit Dezember 2017 gab es Verbindungen des Blogs "Brennpunkt Nordschwaben" zur IB. Im Januar 2018 führten Aktivisten des Blogs zusammen mit der IB einen Infostand in 178 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Wertingen durch. Im weiteren Verlauf erschienen auf dem Blog immer wieder positive Beiträge über die IB. Im Januar 2019 wurde anlässlich des einjährigen Bestehens der IB Schwaben ein Bericht unter der Überschrift "Ein Jahr Identitäre Bewegung in Nordschwaben - Heimatliebe ist kein Verbrechen!" veröffentlicht, in dem die E-Mail und die Internetadresse der IB Schwaben angegeben sind, um mit ihr in Kontakt treten zu können. In öffentlichen Äußerungen von Protagonisten des rechtsextremistischen Netzwerks "Nordschwaben" sind zudem Versatzstücke rechtsextremistischer Ideologie erkennbar. So ergeben sich aus der Wortwahl in einzelnen Berichten auf dem Blog "Brennpunkt Nordschwaben" Anhaltspunkte für ein kollektivistisches Volksverständnis der Autoren. Ein Beitrag, der sich mit dem Ankerzentrum in Donauwörth und der Kriminalitätsstatik in der Region befasst, enthält den Satz Bei überfallartigen Vergewaltigungen sind 50 % der Tatverdächtigen Zuwanderer (BRD-Staatsbürger mit Migrationshintergrund nicht eingerechnet). Die in Klammern gesetzte Formulierung lässt darauf schließen, dass hier nicht nur zwischen Personen mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit unterschieden wird, sondern dass auch innerhalb der Gruppe deutscher Staatangehöriger zwischen 'Volkszugehörigen' und Deutschen mit Migrationshintergrund unterschieden wird. Deutscher könne daher nach dieser Lesart nur sein, wer dem über Herkunft, Kultur oder Geschichte definierten deutschen Volk angehöre. Die mit einem ethnisch-homogenen Volksverständnis verbundene Ausgrenzung einzelner Bevölkerungsgruppen stellt eine Diskriminierung dar, die gegen die Menschenwürdegarantie des Art. 1 des Grundgesetzes verstößt. Weitere rechtsextremistische Bürgerinitiativen Die "Bürgerinitiative Ausländerstopp Augsburg" (BIA-Augsburg) und die "Bürgerinitiative Soziales Fürth e. V." (BiSF) waren 2019 inaktiv. Die "Bürgerinitiative Soziale Alternative Oberpfalz" (BiSAO) beschränkte ihre Aktivitäten auf das Erstellen von Facebook-Einträgen. Im Facebook-Profil werden aktuelle Nachrichten, vorwiegend zur Ausländerund Kriminalitätsthematik, verlinkt und teilweise kommentiert. 179 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus 7.4 Sonstige rechtsextremistische Organisa tionen Zeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt e. V. (ZFI) Die ZFI wurde am 1. Juli 1981 gegründet und dient nach eigenen Angaben der "Förderung der Erziehung, Volksund Berufsbildung einschließlich der Studentenhilfe [...] und der Förderung wissenschaftlicher Arbeiten zur Zeitgeschichte". Der Verein veranstaltet in Ingolstadt regelmäßig Tagungen. Von der ZFI publizierte Reden enthielten antisemitische beziehungsweise die NS-Zeit verherrlichende Inhalte. An Veranstaltungen der ZFI nahmen einzelne Redner teil, die sich rechtsextremistisch äußerten oder bereits bei Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Organisationen, wie beispielsweise der "Gesellschaft für freie Publizistik e. V.", auftraten. Bei der ZFI-Frühjahrstagung trat als Redner ein als Geschichtsrevisionist bekannter Buchautor auf. Ein anderer Redner äußerte sich antisemitisch, kritisierte darüber hinaus die "Auflösung der Volksgemeinschaft" und bestritt die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland. Damit stellte er die verfassungsmäßige Ordnung und das Grundgesetz in Frage: "Vielmehr kommt dadurch auch die ganze Legitimationsbasis der BRD ins Rutschen, die letztlich eine US-amerikanische Erfindung unter Beihilfe von Engländern und Franzosen gewesen ist." Offenkundig hegte der Redner Zweifel am Holocaust, vor dem Hintergrund einer strafrechtlich relevanten Volksverhetzung sagte er insoweit taktisch motiviert: Denn das von ihr [gemeint ist "alliierte Propaganda"] produzierte Geschichtsbild hält einer seriösen, das heißt an Fakten orientierten Betrachtungsweise in vielen Fällen gar nicht stand. Zwar werde ich hier nicht den Holocaust mit seinen sechs Millionen Toten in Zweifel ziehen - keine Angst. Leider Gottes hat dieses schreckliche Ereignis sicher in der einen oder anderen Form stattgefunden und wohl auch schätzungsweise so viele Opfer gefordert. Anstatt daran lange herum zu deuteln und darüber vielleicht auch noch eine Anklage wegen Volksverhetzung zu riskieren, kommt es mir auf den Nexus von Holocaust, Hitler und Zweiter Weltkrieg an, der aus dem roosevelteischen Zeitalter stammt und sich in den letzten siebzig, achtzig Jahren wie ein Fluch über uns Deutsche gelegt hat. 180 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Einer der Vorstände des ZFI schrieb im Dezember 2014 in einer Zeitschrift über den rechtsextremistischen Verein "Gedächtnisstätte e. V." aus Guthmannshausen in Thüringen: Mit dieser Gedenkstätte hatten sich die Initiatoren das Ziel gesetzt, einen längst überfälligen Ort der Erinnerung für die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs durch den alliierten Bombenkrieg, die Vertreibung, die Deportation deutscher Zivilisten und die in den Gefangenenlagern der ehemaligen Kriegsgegner umgekommenen Soldaten der Wehrmacht zu schaffen. Auf der Herbsttagung 2017 des ZFI wurde das unter Rechtsex tremisten verbreitete Narrativ der "Umerziehung der Deutschen seit 1945" propagiert. So heißt es in einer durch das ZFI veröffentlichten Rede: "Dies nachzuvollziehen ist uns Deutschen heute nahezu unmöglich, weil ein Nationalstolz, der sich auf siegreiche Kriege gründet, seit 1945 im besiegten, umerzogenen Deutschland auf völliges Unverständnis trifft." Darüber hinaus wurde der Bundesrepublik die Souveränität abgesprochen: Das Deutsche Reich war 1915 politisch und militärisch souverän. Die Bundesrepublik Deutschland dagegen ist weder politisch noch militärisch souverän, sie hat kein eigenes Sicherheitskonzept und kennt keine genuin deutschen außenpolitischen Interessen. Folglich waren wir Deutsche 1915/16 selbstbewusste Vertreter einer in Europa kriegführenden, souveränen Nation. Wir verfügen dagegen heute nur über international definierte, durch jahrzehntelange Umerziehung entnationalisierte Politiker und Soldaten. Der Redner verherrlichte zudem die Waffen-SS und bedauerte die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Auch auf der Frühjahrstagung im Jahr 2017 sprach ein Redner Verwendung von von der "Umerziehung des Deutschen", die durch die ehemaliantisemitischen gen Sieger des Zweiten Weltkriegs initiiert worden sei. Als VerStereotypen antwortliche machte er "Journalisten, die aus Kreisen von Industrie und Hochfinanz ... stammten" aus, die "die Aversion gegen alles Deutsche" eine. Mit dem Begriff "Hochfinanz" nutzt der Redner einen Kampfbegriff der Nationalsozialisten, der eng mit 181 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus antisemitischen Stereotypen und Verschwörungstheorien verbunden ist. Damit bedient der Redner antisemitische Verschwörungstheorien. Ziel dieser "Umerziehung" sei die: Zerstörung der deutschen geistigen Tradition; Vernichtung des Volksund Vaterlandsbewußtseins; Auflösung der Volksgemeinschaft; Einführung des Marxismus; Angriff auf jede Art von Autorität; Herabwürdigung der Familie als 'Keimzelle des Faschismus'; wachsende Sexualisierung des Lebens; Aufhebung des abendländischen Schönheitsund Kunstbegriffs. Überdies wurden pseudohumanitäre Begriffe als Forderungen propagiert: Demokratisierung aller Bereiche; auf sämtlichen Ebenen durchzuführende Emanzipierung; Transparenz aller Vorgänge; emanzipatorische und antiautoritäre Erziehung. Neuerdings gehören dazu auch Ausländerintegration und multikulturelle Gesellschaft, deren Ablehnung sogleich den Vorwurf des Faschismus und Rassismus nach sich zieht. In diesem Zitat werden verschiedene rechtsextremistische Ideologieelemente sichtbar, so war z. B. die Etablierung der rassischen Volksgemeinschaft einer der zentralen Punkte der nationalsozialistischen Diktatur. Gesellschaft für freie Publizistik e. V. (GfP) Die GfP wurde 1960 von ehemaligen SS-Offizieren und NSDAPFunktionären gegründet. Sie ist die mitgliederstärkste rechtsextremistische Kulturvereinigung. Ihr gehören vor allem Verleger, Redakteure, Schriftsteller und Buchhändler an. Die GfP, die ihren Sitz in München hat, stellt drei Themen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten: die Relativierung der Kriegsschuld, die "Ausländerfrage" und die Meinungsfreiheit für die "nationale Publizistik". Sie unterhält Verbindungen zu rechtsextremistischen Organisationen sowie zu organisationsunabhängigen rechtsextremistischen Verlagen und Vertriebsdiensten. Von der GfP veranstaltete Kongresse dienen dazu, Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum zusammenzuführen und den organisationsübergreifenden Zusammenhalt zu stärken. Die GfP strebt eine Vernetzung mit patriotischen Kräften an. Vom 30. August bis 1. September sollte in Eschenlohe die Mitgliederversammlung und Jahreskonferenz 2019 der GfP statt finden. Als Redner waren der Herausgeber einer Publikation des "Druffel & Vowinckel"-Verlags und ein Mitbegründer der rechtsextremistischen "Bürgerbewegung Chemnitz" angekündigt. Die GfP sagte die Veranstaltung kurzfristig ab. 182 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Schutzbund für das Deutsche Volk (SDV) e. V. Der "Schutzbund für das Deutsche Volk e. V." (SDV) wurde 1981 in Heidelberg gegründet und hat seinen Sitz in München. Der SDV propagiert ein ethnisch-biologisches Volksverständnis. Dieses kommt insbesondere in Vereinsaktivitäten zur Verhinderung eines angeblich stattfindenden "Bevölkerungsaustauschs" und darauf begründeter Forderungen nach einem "Rückführungsprogramm" zum Ausdruck. Durch eine eindeutige Verächtlichmachung von Personen auf der Grundlage von deren Herkunft, Kultur sowie Religion richten sich die Aktivitäten des Vereins dabei gegen die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde. Nachdem der SDV im Jahr 2018 den "Hohe-Meißner-Preis" an den Rechtsextremisten Nikolai Nerling vergab, der sich u. a. für die Freiheit der verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck einsetzt, wurde im Jahr 2019 die Rechtsextremistin Edda Schmidt geehrt. Ihr wurde der Preis unter anderem für ihr Engagement in der Nationaldemokratischen Partei (NPD) sowie für die 1994 u. a. aufgrund einer "Wesensverwandtschaft mit der früheren NSDAP" vom Bundesminister des Innern verbotene rechtsextremistische "Wiking-Jugend" verliehen. Damit fördert der SDV gezielt Personen, die Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgen. Aktivitas der Burschenschaft Danubia München Die Burschenschaft Danubia hat ihren Sitz in München. In der etwa zehn Personen umfassenden Aktivitas (= studierende Mitglieder) der Burschenschaft engagieren sich einzelne Personen, die Beziehungen zur rechtsextremistischen Szene unterhalten oder in der Vergangenheit unterhalten haben. Bei Veranstaltungen der Aktivitas traten seit Jahren auch Referenten aus dem rechtsextremistischen Bereich auf. Im Semesterprogramm 2019 der Münchner Burschenschaft Danubia erschien für den 5. Juli der Termin "Burschenschaftlicher Abend: "AHA! - alternative Entwicklungshilfe von rechts in Syrien". Die Veranstaltung wurde auch im Facebook-Profil der Danubia beworben. Als Redner von AHA! trat ein ehemaliger Vorsitzender der "Identitären Bewegung" in Bayern und zugleich ehemaliger stellvertretender Vorsitzender der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD) auf. AHA! bezeichnet sich selbst als ein "identitäres Projekt" und ist personell mit der IBD verflochten. 183 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Aktivitas der Burschenschaft Markomannia Wien zu Deggendorf Bei der akademischen Burschenschaft Markomannia Wien zu Deggendorf handelt es sich um eine studentische Burschenschaft, mit Sitz in Deggendorf. Darüber hinaus gibt die Markomannia auf ihrer Homepage an, neben dem Haus in Deggendorf noch über einen Keller in Passau zu verfügen, in dem man sich treffen könne. Bei studierenden Mitgliedern der Markomannia Wien zu Deggendorf konnten Verbindungen beziehungsweise Überschneidungen zur rechtsextremistischen Szene festgestellt werden. So sind führende Personen aus dem Bezirksverband Ostbayern der "Jungen Alternative" (JA) bei der Markomannia in führender Funktion aktiv. Auch bestanden zumindest in der Vergangenheit von Seiten der Markomannia Verbindungen zur "Identitären Bewegung" (IB). So fand die Gründungsveranstaltung der Ortsgruppen Passau und Deggendorf der IB Ende 2016 in den Räumlichkeiten der Markomannia in Deggendorf statt. Dies belegt ein seinerzeit auf dem Facebook-Profil der "Identitären Bewegung" Bayern eingestelltes Foto von der Veranstaltung. Darüber hinaus ist auf dem Foto zu der Veranstaltung auch mindestens ein Mitglied der Aktivitas zu erkennen. Mitglieder der Münchner Burschenschaft Danubia und der Markomannia Wien zu Deggendorf führten Ende 2018 eine gemeinsame Mensur, also das akademische Fechten, durch. Midgard e. V. Mit dem Thema Umweltund Naturschutz setzen Rechtsextremisten auf gesellschaftspolitische Themen, die vordergründig jenseits ihrer verfassungsfeindlichen Agenda liegen. In Bayern hat sich im Jahr 2006 innerhalb der Szene der rechtsextremistische Umweltverein "Midgard e. V." mit Sitz in Landshut etabliert. Vorstandsmitglieder wurden durch Verbindungen zur NPD bekannt. Die von "Midgard e. V." herausgegebene Publikation "Umwelt & Aktiv" befasst sich überwiegend mit den Themen "Umwelt-, Tierund Heimatschutz". Die Macher des Hefts sind darum bemüht, die rechtsextremistische Ausrichtung der Publikation zu kaschieren und sie lediglich als "Ergänzung zu den bereits bestehenden Umweltschutzund Tierschutzmagazinen in Deutschland" - so der Tenor im Grußwort der Magazin-Webseite - erscheinen zu lassen. Gleichwohl wird bei näherer Betrachtung schnell deutlich, dass die ökologischen Themen meist in Verbindung mit typischen rechtsextremistischen Argumentationsmustern dargestellt werden und sie daher lediglich als Aufhänger für die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideologie fungieren. Die 184 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 besondere Betonung des "Heimatschutzes" zielt etwa darauf ab, eine lebenswerte Umwelt in Deutschland nur für die der Abstammung nach Deutschen, nicht jedoch für zugewanderte Menschen zu bewahren. Im Grußwort der Webseite findet sich die Verquickung von Umweltanliegen und typisch rechtsextremistischer Verschwörungspropaganda: Wir wollen Ihnen aufzeigen, wie Tierschutz und Umweltschutz für fremde Interessen, die im Verborgenen agieren, zum Nachteil unserer Heimat und unseres Volkes instrumentalisiert werden. "Umwelt & Aktiv" veröffentlicht regelmäßig Beiträge, die typische Elemente rassischer Überhöhung sowie die Diffamierung der bestehenden politischen Ordnung enthalten sowie mitunter deutlich nationalsozialistisch orientiert sind. In der Ausgabe 2/2019 werden in der Rubrik "Heimatschutz" die Themen demographische Entwicklung und Migration aufgegriffen: [...] und wenn die östlichen Metropolen in absehbarer Zeit ähnlich teuer wie die westlichen - und ebenso 'ethnisch gekippt' - sind, werden nicht mehr nur die in der Mainstreampresse regelmäßig beschimpften 'völkischen Siedler' die Vorzüge eines ländlichen Lebens unter ethnisch-kulturell verwandten Menschen zu schätzen wissen. Die in den Ausgaben von "Umwelt & Aktiv" behandelten Themen Umwelt, Naturund Tierschutz stoßen in der rechtsextremistischen Szene auf Interesse. 8. NEONAZISMUS UND KAMERADSCHAFTEN Der Neonazismus ist eine besonders menschenverachtende Erscheinungsform des Rechtsextremismus. Er umfasst alle Aktivitäten und Bestrebungen, die sich offen zur Ideologie des Nationalsozialismus bekennen. Ziel der Neonazis ist die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Errichtung eines vom Führerprinzip bestimmten autoritären beziehungsweise totalitären Staates. Neonazis betreiben revisionistische Vergangenheitsverfälschung, indem sie die Geschichtsschreibung über die Zeit des Dritten Reichs ändern wollen und 185 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus die Gewaltherrschaft des nationalsozialistischen Regimes rechtfertigen oder verharmlosen. "Moderne" Neonazis thematisieren aktuelle sozialoder gesellschaftspolitische Fragen und liefern vermeintlich einfache Antworten. Bei Demonstrationen greifen sie tagespolitische Themen auf und fordern beispielsweise die "Todesstrafe für Kindermörder" oder "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche". Ihre Thesen stützen Neonazis auf rassistische und antisemitische Argumentationsmuster. Neonazistische Aktivitäten entfalten sich in Bayern in der Partei "Der Dritte Weg" sowie in einzelnen Kameradschaften. Die Organisationsform der neonazistischen Kameradschaft ist aber insgesamt rückläufig. So schließen sich Neonazis überwiegend in informellen Gruppen zusammen, die weitgehend ohne feste Strukturen auskommen, oder sie agieren als Einzelpersonen. Die Kontaktpflege oder Vernetzung erfolgt über das Internet und soziale Netzwerke. In Bayern werden rund 680 Personen dem Neonazismus zugeordnet. 8.1 Neonazistische Gruppen Kameradschaft Aryans Aktivisten und Sympathisanten Einzelpersonen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2016 Aktionsraum länderübergreifend Bei der Kameradschaft Aryans handelt es sich um einen länderübergreifenden Personenzusammenschluss aus gewaltbereiten Rechtsextremisten, der unter anderem auch Personenbezüge nach Bayern aufweist. Seit 2016 haben die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden mehrere öffentliche Auftritte der Kameradschaft Aryans verzeichnet. Im Herbst 2018 fanden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts am Bundesgerichtshof Exekutivmaßnahmen statt, von denen insgesamt vier bayerische Personen betroffen waren. Das Verfahren ist bisher nicht abgeschlossen. 186 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Kameradschaft Altmühltal (KSA) Aktivisten und Sympathisanten etwa 20 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2004 Aktionsraum Neumarkt i. d. OPf., Dietfurt a. d. Altmühl Die neonazistische "Kameradschaft Altmühltal" (KSA) unterhält Kontakte zur Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg). Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten waren in 2019 nicht festzustellen. Freie Kräfte Berchtesgadener Land Aktivisten und Sympathisanten etwa 20 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2012 Aktionsraum Berchtesgaden, Bad Reichenhall, Freilassing Die neonazistische Kameradschaft "Freie Kräfte Berchtesgadener Land" unterhält Kontakte zur "Kameradschaft Gau Wendl stoa" und zu den Parteien "III. Weg" und NPD. Am 12. Mai wurden auf der Facebook-Seite des bayerischen NPD-Landesverbands Bilder einer Saalveranstaltung mit Udo Voigt aus dem Europawahlkampf der Partei veröffentlicht. Auf einem Bild ist eine Person auf der Bühne mit Voigt zu sehen, die einen Pullover mit dem Logo der neonazistischen "Kameradschaft Freie Kräfte Berchtesgadener Land" trägt. Daneben ist auf dem Bild mindestens eine weitere der Kameradschaft zuordenbare Person zu sehen. Eine Einbindung in die Organisation der Veranstaltung erscheint damit wahrscheinlich. Kameradschaft Gau Wendlstoa Aktivisten und Sympathisanten etwa 10 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2016 Aktionsraum Rosenheim, Kiefersfelden Die neonazistische "Kameradschaft Gau Wendlstoa" unterhält Kontakte zur Partei "III. Weg". Die Kameradschaft ist in 2019 nicht öffentlichkeitswirksam in Erscheinung getreten. 187 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Kameradschaft Unterfranken (KSU) Aktivisten und Sympathisanten etwa 5 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2013 Aktionsraum Würzburg Die KSU war weitgehend inaktiv. Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. (AG-GGG) Aktivisten und Sympathisanten In Bayern Einzelpersonen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 1951 auf Bundesebene Aktionsraum Bundesweit, in Bayern v.a. Oberbayern "Artbekenntnis" Bei der "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinund "Sittengesetz schaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG-GGG) unserer Ahnen" handelt es sich um eine bundesweit aktive neonazistische, neuheidnische und religiös-völkische Organisation. Sie bildet eine wichtige Schnittstelle für die gesamtdeutsche Neonaziszene. Die Ideologie der Organisation - von den Mitgliedern "Artglaube" genannt - geht von der Überlegenheit einer nordisch-germanischen "Menschenart" aus, ist also insofern rassistisch, und beinhaltet völkische, sozialdarwinistische und antisemitische Elemente. Eine Orientierung am Weltbild des historischen Nationalsozialismus ist feststellbar. So heißt es etwa im "Artbekenntnis", einem der grundlegenden Texte des "Artglaubens": Kampf ist Teil des Lebens; er ist naturnotwendig für alles Werden, Sein und Vergehen. Jeder Einzelne von uns wie unsere gesamte Art stehen in diesem Ringen. Wir bekennen uns zu diesem nie endenden Lebenskampf. Und weiter: Die Menschenarten sind verschieden in Gestalt und Wesen. Diese Verschiedenheit ist sinnvolle Anpassung an die unterschiedlichen Naturräume. Wir bekennen uns zur Erhaltung und Förderung unserer Menschenart als höchstem Lebensziel, denn auch sie ist eine Offenbarung des Göttlichen. 188 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Diese beiden Zitate aus dem "Artbekenntnis" spiegeln die Weltsicht des historischen Nationalsozialismus und des in ihr angelegten Überlebenskampfs der "nordisch-germanischen Rasse" mit als minderwertig betrachteten anderen "Rassen" wieder. Ebenso wird in dem zweiten Zitat die Auffassung deutlich, dass Ethnien an bestimmte Naturräume gebunden seien, weshalb eine Mischung dieser Ethnien schädlich wäre. Dieser angebliche Umstand wird darüber hinaus noch als göttlich gegeben verklärt. Daran wird ein Volksbegriff erkennbar, der Volkszugehörigkeit an ethnischen Kriterien festmacht und damit einen Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes darstellt. In der Konsequenz werden Alle, die nicht dem so definierten ethnischen Volk angehören, von den Grundrechten ausgeschlossen. Im "Sittengesetz unserer Ahnen", der zweiten programmatischen Schrift der AG-GGG, findet sich folgende Aussage: Das Sittengesetz in uns gebietet gleichgeartete Gattenwahl, die Gewähr für gleichgeartete Kinder. Öffentlich in Erscheinung tritt die AG-GGG nur selten. Die Gruppierung veranstaltet in erster Linie interne germanisch-neuheidnische Feiern sowie Gemeinschaftstage, um ihre Ideologie unter ihren Mitgliedern weiterzugeben und zu festigen. Die Organisation gibt vierteljährlich die Mitgliederzeitschrift "Nordische Zeitung" heraus. Allerdings finden sich auf der Facebook-Seite der AG-GGG auch Bilder und Berichte von Besuchen von Wikinger-Festen und ähnlichen Veranstaltungen im Inund Ausland. Hierbei besteht die Gefahr, dass die Gruppierung diese Veranstaltungen als Deckmantel nutzt, um ihre extremistischen Vorstellungen in einem weiteren, an germanischer Geschichte und germanisch-(neu-) heidnischer Kultur interessierten Personenkreis zu verbreiten. Der Schwerpunkt der Gruppierung scheint in Ostdeutschland, insbesondere Thüringen, zu liegen, jedoch sind auch Aktivitäten in Bayern feststellbar. So veröffentlichte die Artgemeinschaft im Februar auf ihrem Facebook-Profil unter dem Schlagwort "Walhalla - Erstarkung durch Vermehrung - Überall Aufbruch zum Artglauben" Bilder eines Besuchs an der Walhalla in Regensburg. Im März wurden auf der Facebook-Seite der AG-GGG Bilder von Besuchen des Keltenund Römermuseum in Manching bei Ingolstadt gepostet. Für 2018 finden sich auch mehrere Posts von 189 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Bildern vom Königssee. Im September 2018 hat die AG-GGG in Bayern zudem eine Volkstanzveranstaltung durchgeführt, von der auf Facebook ein Video veröffentlicht wurde. 9. RECHTSEXTREMISTISCHE JUGENDSZENEN UND SUBKULTUREN In rechtsextremistischen Jugend-Szenen verbindet sich eine diffuse Weltanschauung mit Elementen, die an zentrale Merkmale des Nationalsozialismus angelehnt sind. Um junge Aktivisten zu gewinnen, hat sich die rechtsextremistische Szene modisch und ideologisch geöffnet. Die früher typischen Glatzen und Springerstiefel der Skinheads sind weitestgehend verschwunden. Lange Haare, Piercings oder Basecaps und sogar Merkmale aus dem "linken" und linksextremistischen Spektrum wurden übernommen. Eine rechtsextremistische Gesinnung ist somit äußerlich nur noch schwer zu erkennen. Dadurch sollen Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner, Polizeikontrollen oder Probleme mit Eltern, Freunden, in der Schule oder im Beruf vermieden werden. In rechtsextremistischen Jugend-Szenen gibt es in der Regel weder feste Organisationsstrukturen noch formelle Mitgliedschaften. Rechtsextremisten versuchen zudem, ihre Feindbilder und Ideologien in Jugend-Szenen und Subkulturen einfließen zu lassen, um Anhänger zu gewinnen und jugendrelevante Trends und Stile mitzuprägen. Das durch rechtsextreme Vereinnahmung betroffene Stilspektrum reicht dabei von Black Metal, Hatecore und Neofolk bis hin zu Hip-Hop und Techno. Einzelpersonen sind auch in der rechts-orientierten Hooligan-Szene aktiv. Anlehnung an Erscheinungsbild und Strukturen der Rockerszene Subkulturell geprägte Rechtsextremisten nähern sich in ihrem Erscheinungsbild und ihren internen Strukturen vermehrt an die Rockerszene an. So wählen sie beispielsweise englischsprachige Gruppenbezeichnungen, tragen "Kutten" (Motorradjacken, auf deren Rückenteil das Gruppenlogo aufgenäht ist), pflegen rockerähnliche Aufnahmerituale für Neumitglieder und benennen interne Hierarchieebenen mit englischen Begriffen wie "President" oder "Secretary". 190 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 So fielen im Rahmen von rassistisch motivierten Bürgerwehrund Patrouille-Aktionen und Sicherheitsinitiativen die durch einheitliche Kleidung und Gruppenstärke auftretenden rockerähnlich strukturierten Gruppen "Wodans Erben Germanien" (WEG) und "Vikings Security Germania Division Bayern" (VSG) auf. Die Gruppe WEG ging im Juni 2018 aus der ehemals in Bayern aktiven Bürgerwehrgruppe "SoIdiers of Odin" (SOO) hervor. Wie bereits die Mitglieder der SOO treten auch die Aktivisten der WEG einheitlich gekleidet (schwarze Jacken, Westen und Mützen mit weißen Abzeichen und Schriftzügen) auf. Ihr Logo ist ein nordischer Helm mit dahinter befindlichen, gekreuzten Wikinger-Äxten. Auch bei der Bürgerwehrgruppe VSG handelt es sich um eine Abspaltung der SOO. Die Gruppe ist seit März 2018 aktiv und verwendet das nordisch-wikingische Raben-Symbol (Odins Raben) als Gruppenemblem. Die mit Abstand mitgliederstärkste Skinhead-Gruppierung in Bayern, "Voice of Anger", weist ebenfalls einzelne Ähnlichkeiten mit Rockergruppierungen auf. So gibt es beispielsweise bei ihr ein Aufnahmeverfahren, das sich am sogenannten "Prospect"-Status der Rocker orientiert. Es ist aber weder eine strukturierte Zusammenarbeit noch eine ideologische Annäherung zwischen der rechtsextremistischen Szene und der "1-Prozenter"-Rockerszene in Bayern feststellbar. Weite Teile der rechtsextremistischen Szene lehnen Rockerclubs wegen ihres vergleichsweise hohen Anteils von Migranten ab. Es bestehen aber punktuell personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene, die zumeist auf geschäftliche Interessen oder persönliche Beziehungen zurückgehen. Hammerskins (HS) Die 1988 in den USA gegründeten "Hammerskins" (HS) propagieren ein rassistisches und zum Teil nationalsozialistisches Weltbild und sehen sich als Elite der rechtsextremistischen Skinheads. Weltweit in die Schlagzeilen gerieten die HS, als der 40-jährige Wade Michael Page am 5. August 2012 in Oak Creek (Wisconsin) in einem Sikh-Tempel sechs Menschen niederschoss und anschließend selbst von einem Polizisten getötet wurde. Wade Michael Page war Anhänger der US-amerikanischen "Hammerskin-Bewegung". Struktur und Aufnahmeverfahren der "Hammerskins" ähneln dem Rockerclub "Hells Angels MC". 191 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus So sind die HS in vielen Ländern mit "Divisionen" vertreten. Europaweit bestehen als regionale Untergliederungen rund 25 Chapter, deren Aktivitäten sich größtenteils auf die Organisa tion von rechtsextremistischen Konzerten und Veranstaltungen sowie die Selbstorganisation der "Hammerskin-Bewegung" beschränken. Der "Hammerskin-Division Deutschland" gehören rund zehn deutsche Chapter mit insgesamt bis zu 100 Skinheads an, darunter das Chapter Bayern und das Chapter Franken. Voice of Anger (VoA) VoA wurde im Jahr 2002 in Memmingen als Skinhead-Vereinigung von überwiegend jüngeren Skinheads gegründet. Sie ist subkulturell-neonazistisch orientiert. VoA gliedert sich derzeit in die Sektionen Memmingen, Schwaben, Unterallgäu und Nomads und umfasst insgesamt etwa 60 Mitglieder und Sympathisanten. Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten steht die Ausrichtung von internen Veranstaltungen, um den Zusammenhalt zu fördern. Zudem organisiert die VoA die Teilnahme an Skinhead-Konzerten. Eine der Führungs figuren, Benjamin Einsiedler, vertreibt daneben mit seinem Szeneversandhandel "Oldschool Records" Szeneartikel und Ton träger. Mitglieder von "Voice of Anger - Nomads" gründeten im Jahr 2010 die Skinhead-Band "Kodex Frei". "Voice of Anger" ist derzeit eine der wenigen noch überregional aktiven Skinhead Kameradschaften. Entgegen der sonst rückläufigen Entwicklung der subkulturell geprägten Skinheadszene konnte VoA ihren Mitgliederstand konstant halten und stellt somit die größte Skinhead-Gruppierung in Bayern dar. Gleichwohl verzeichnete die VoA einen nur sehr geringen Zuwachs an neuen Mitgliedern. Diese müssen ein abgestuftes Aufnahmeverfahren ähnlich dem einer Rockergruppierung durchlaufen. In der Nacht vom 24./25. April 2017 brannte eine von der Skinheadgruppierung "Voice of Anger" (VoA) genutzte Gaststätte in einer Kleingartenanlage in Memmingen ab und wurde weitgehend zerstört. In der Folgezeit wurde das Gebäude durch VoA wieder aufgebaut und instandgesetzt Der NPD Kreisverband Memmingen/Unterallgäu unterstützte die Skinheadgruppierung, dem er nach dem Brand im sozialen Netzwerk Facebook um Geldspenden für den Wiederaufbau warb. Seit Januar wird die ehemalige Gaststätte wieder als Clubhaus der Gruppierung genutzt, auch für rechtsextremistische Veranstaltungen. 192 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Bei einem Konzert am 2. März traten dort die Band "Unbeliebte Jungs" und der rechtsextremistische Sänger "Der Metzger" vor etwa 50 Personen auf. Bei rechtsextremistischen Feiern spielte am 26. Januar vor etwa 60 Teilnehmern die rechtsextremistische Band "Kommando Skin" und am 30. März trat ein Liedermacher vor etwa 60 Besuchern auf. An dem für die rechtsextremistische Szene bedeutsamen Datum 20. April, dem Geburtstag Adolf Hitlers, spielte der rechtsextremistische Liedermacher Griffin vor etwa 40 Zuhörern. Die Veranstaltungen der VoA belegen die Relevanz, die eigene Immobilien für die rechtsextremistische Szene haben, da die Anmietung von Gaststätten häufig misslingt. Solche Veranstaltungsräume werden dazu genutzt, um relativ ungestört Feiern und Konzerte veranstalten zu können. Aufgrund der Platzverhältnisse ermöglicht das Clubhaus in Memmingen allerdings keine größeren Veranstaltungen, die über die bislang erreichten Teilnehmerzahlen hinausgehen. Am 17. November, dem Volkstrauertag, legten Mitglieder der VoA, wie schon in den vorherigen Jahren, Devotionalien an einigen Kriegerdenkmälern ab. Es handelte sich dabei um bedruckte Holztafeln aus Fichtenholz, die ein Deutsches Kreuz aufgedruckt hatten sowie Bilder und den Text des Lieds "Der gute Kamerad" mit der Aufschrift "Heldengedenken 2019". Am Waldfriedhof Memmingen legten Aktivisten eine der beschriebenen Holztafeln am Ehrengrab von Max von Mulzer, einem Jagdflieger des Ersten Weltkriegs, ab. Weiter wurden Holztafeln in Memmingen (Ortsteil Steinheim), Ottobeuren, Thannhausen und Waltenhausen abgelegt. Dass VoA jeweils am Volkstrauertag Aktionen zum "Heldengedenken" durchführt, belegt ihre subkulturell-nationalsozialistische Ausrichtung. Prollcrew Schwandorf (SPC) bzw. Bollwerk Oberpfalz (BWO) Die SPC ist eine seit dem Jahr 2016 bestehende Gruppierung. Sie wird als lose organisierte Gruppe mit einem Personenpotenzial von etwa 20 Personen dem subkulturell geprägten Rechtsextremismus zugeordnet. Die Gruppierung artikuliert Versatzstücke einer rechtsextremistischen Ideologie, verfügt aber nicht über eine fundierte ideologische Überzeugung und sieht nach ihrer Selbstdarstellung ihren Hauptzweck in szenetypischen Freizeitaktivitäten. Gruppierungen wie die SPC entwickeln eine hohe Mobilität, um rechtsextremistische Konzerte und Veranstaltungen zu besuchen. 193 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Rechtsextremismus Im Jahr 2018 organisierte die SPC ein als private Geburtstagsfeier mit Live-Musik getarntes rechtsextremistisches Konzert unter Beteiligung der rechtsextremistischen Bands "Schanddiktat" und "Germanium" mit circa 60 Personen. Mitglieder der SPC besuchten 2018 die Veranstaltung "Heldengedenken" des "III. Weg" in Wunsiedel. Am 9. Februar nahmen sechs Mitglieder der SPC am "Tag der Ehre" in Budapest teil. Der "Tag der Ehre" erinnert an das Ende der Schlacht um Budapest am 13. April 1945, Rechtsextremisten organisieren alljährlich einen Gedenkmarsch. Am 14. September fand in Kloster Veßra (Thüringen) eine rechtsextremistische Veranstaltung statt. Daran nahm erstmals eine sich als BWO bezeichnende Personengruppe teil. Diese Personen sind weitgehend identisch mit der Gruppe SPC. Blood & Honour (B&H) Die neonazistische Skinhead-Bewegung B&H ist ein ursprünglich aus England stammendes, mittlerweile international agierendes, rechtsextremistisches Netzwerk. Seit seiner Gründung Ende der 1980er Jahre verbreitet es nationalsozialistisches und rassistisches Gedankengut durch die Veranstaltung von Skinhead-Konzerten und den Vertrieb unter anderem von rechtsextremistischer Musik und Szenekleidung. Die Organisationsbezeichnung "Blood & Honour" ist der in die englische Sprache übersetzte Leitspruch 'Blut und Ehre', der von der nationalsozialistischen Jugendorganisation "Hitlerjugend" verwendet wurde. In den 1990er Jahren stellte B&H die bedeutendste und aktivste internationale Organisation innerhalb der Skinheadszene dar. In Deutschland existierte ab 1994 eine eigene "Division". Sie war gegen Ende der 1990er-Jahre einer der wichtigsten Veranstalter rechtsextremistischer Skinhead-Konzerte, gab ein gleichnamiges Magazin heraus und betrieb zeitweilig ein eigenes Produktionslabel für rechtsextremistische Tonträger. Im Jahr 2000 bestand die Organisation bundesweit aus 15 regionalen Untergliederungen, sogenannte "Sektionen", und besaß eine Gesamtstärke von rund 200 Mitgliedern. In Bayern unterteilte sich die B&H-Bewegung in die "Sektionen" Franken und Bayern, die ihre jeweiligen Sitze in den Regionen Amberg und Bamberg hatten und zusammen etwa 20 Mitglieder umfassten. 194 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Im September 2000 verbot der Bundesminister des Innern B&H Bundesweites mitsamt ihrer Jugendorganisation "White Youth" nach dem Verbot seit 2000 Vereinsgesetz, da die Gruppierung sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtete. Seit dem 16. Juni 2001 ist das Verbot bestandskräftig. In den Jahren nach dem Verbot wurden Nachfolgeaktivitäten früherer Mitglieder der Organisation durch konsequente Strafverfolgungsmaßnahmen unterbunden. Nach 2006 waren zunächst nur vereinzelt Verdachtsmomente bekannt geworden, die auf Nachfolgebestrebungen der Organisation im Bundesgebiet hindeuteten. Die Generalstaatsanwaltschaft München, Bayerische ZentralDurchsuchungen in stelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET), mehreren Bundesführt ein Ermittlungsverfahren gegen zwölf Beschuldigte in fünf ländern Bundesländern wegen des Verdachts einer Straftat nach SS 85 StGB (Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot). Den Beschuldigten wird zur Last gelegt, die seit September 2000 verbotene Organisation "BIood & Honour Division Deutschland" mit Sektionen in Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Mitteldeutschland fortzuführen und eine engmaschige Vertriebsstruktur für Szenezubehör und Rechtsrockmusik aufgebaut zu haben. Dabei sollen vor allem Musik-CDs mit verbotenem Rechtsrockliedgut und Merchandisingartikel mit verbotenen rechtsradikalen Symbolen nach Deutschland eingeführt und hier vertrieben worden sein. Am 12. Dezember 2018 wurden im Rahmen des Verfahrens an insgesamt 15 Objekten Durchsuchungsbeschlüsse vollzogen. Acht Durchsuchungsobjekte befanden sich in Bayern, zwei in Baden-Württemberg, drei in Thüringen und je ein Objekt in Hessen und in Sachsen-Anhalt. Ziel der Maßnahmen war das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur der verbotenen Organisation sowie die Aufklärung der Produktion und des Vertriebs des verbotenen Rechtsrockliedguts. Es konnten neben zahlreichem rechtsextremistischem Propagandamaterial auch Tonträger mit "Blood & Honour"-Bezug festgestellt werden sowie ein Dolch mit Hakenkreuz, Schlagstöcke und Schlagringe. 195 Reichsbürger und Reichsbürger und Selbstverwalter Selbstverwalter Konsequente Maßnahmen der Sicherheitsbehörden zeigen Wirkung: Zahl der identifizierten Reichsbürger erstmals leicht rückläufig. Reichsbürgergruppierung "Staatenlos.info" führt Kundgebungen in Bayern durch Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Reichsbürger sind Gruppierungen und Einzel personen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich u. a. auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Zur Verwirklichung ihrer Ziele treten sie zum Teil aggressiv gegenüber den Gerichten und Behörden der Bundesrepublik Deutschland auf. Selbstverwalter sind Einzelpersonen, die behaupten, sie könnten durch eine Erklärung aus der Bundes republik austreten und seien so nicht mehr deren Gesetzen unterworfen. Die dafür genutzten Argumente sind im Wesentlichen deckungsgleich mit denen der sogenannten Reichsbürger. Selbstverwalter definieren beispielsweise ihre Wohnung, ihr Haus oder ihr Grundstück als souveränes Staatsgebiet. Ihr Grundstück markieren sie mitunter durch eine (Grenz-)Linie und zeigen als "Staats wappen" Symbole, die sie selbst entwerfen. In Teilen sind Reichsbürger und Selbstverwalter dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zuzurechnen; insbesondere dort, wo sich Versatzstücke antisemitischer und nationalsozialistischer Denkmuster wiederfinden. 197 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Reichsbürger und Selbstverwalter Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann die Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein bis hin zur Gewaltanwendung. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Reichsbürger und Selbstverwalter in Bayern als sicherheitsgefährdende Bestrebung. 198 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 1. PERSONENPOTENZIAL Den Sicherheitsbehörden in Bayern ist es durch kontinuierliche Personenpotenzial Ermittlungsarbeit gelungen, Personenpotenzial, Strukturen und und Aktionismus regionale Schwerpunkte weiter aufzuklären. Bis zum Ende des leicht rückläufig Berichtszeitraums (Stand: 31.12.2019) lagen zu rund 3.920 Personen belastbare Hinweise bezüglich ihrer Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene vor. Das Personenpotenzial umfasst bis zu 400 Personen als "harten Kern", der insbesondere durch zahllose Aktivitäten gegenüber staatlichen Institutionen seine Ideologie zum Ausdruck bringt. Die Zahl der identifizierten Reichsbürger ist aufgrund der konsequenten Maßnahmen der Sicherheitsbehörden leicht rückläufig. Bei den meisten bislang identifizierten Reichsbürgern und Selbstverwaltern ist weiterhin kein "Organisationsbezug" feststellbar. Im Berichtszeitraum haben bayerische Gruppierungen weniger Aktivitäten entwickelt beziehungsweise waren zum Teil inaktiv. Die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden und die Bericht erstattung darüber, u. a. zu Waffenentzugsverfahren bei Reichsbürgern, entfalten auch präventive Wirkung. Sie führen der Szene mögliche Konsequenzen vor Augen, die sich aus einer staatsablehnenden Haltung ergeben können. Zudem werden Straftaten, insbesondere Erpressungsund Nötigungsdelikte, konsequent verfolgt. Die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter in Bayern ist Zusammensetzung im Wesentlichen männlich geprägt: Rund drei Viertel der identiund Aktivitätsfizierten Personen sind männlich. Die Altersstruktur der Reichsschwerpunkte in bürger und Selbstverwalter unterscheidet sich erheblich von der Bayern in anderen Phänomenbereichen. Während dort häufig Jüngere dominieren, sind Reichsbürger und Selbstverwalter im Schnitt lebensälter. Mehr als die Hälfte des Personenpotenzials ist 50 Jahre alt oder älter. Der Schwerpunkt der Szene liegt im Alterssegment der 40bis 69-Jährigen, wobei hier die Gruppe der Personen zwischen 50 und 59 Jahren dominiert. Personen bis 29 Jahren sind hingegen unterdurchschnittlich vertreten. In Bayern sind Anhänger der Szene im Verhältnis zur Bevöl kerungszahl insbesondere in Oberfranken, Mittelfranken und Oberbayern überproportional stark vertreten. Unabhängig davon sind Reichsbürger mit öffentlichkeitswirksamen und internen Szeneaktivitäten in Oberbayern, Niederbayern und Mittelfranken besonders aktiv. 199 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Reichsbürger und Selbstverwalter Eine eindeutige Zuordnung von sogenannten Reichsbürgern oder Selbstverwaltern zur rechtsextremistischen Szene ist bislang nur in wenigen Fällen belegbar. Eine strukturelle Zusammenarbeit ist weiterhin nicht erkennbar, auch wenn im Rahmen einzelner Veranstaltungen Mischszenen aufgetreten sind. So demonstrierte beispielsweise am 28. September in der Nürnberger Innenstadt eine Mischklientel aus Rechtsextremisten, Reichsbürgern, anderen Verschwörungstheoretikern sowie vereinzelt islamfeindlichen und GIDA-nahen Demonstranten "Für soziale Gerechtigkeit, Heimat und Identität". Die Ablehnung des Staates und seiner Organe ist ideologischer Bestandteil nahezu aller extremistischen Phänomenbereiche und begründet für sich genommen keine Zugehörigkeit zum Rechtsextremismus. Die Zahl der Reichsbürger in Bayern, die auch in rechtsextremistischen Zusammenhängen bekannt geworden sind, ist leicht gestiegen und beläuft sich nun auf circa 75 Personen. Einzelne Reichsbürger sind u. a. wegen Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole, Volksverhetzung sowie verfassungsfeindlicher Verunglimpfung von Staatsorganen aufgefallen. Insbesondere Antisemitismus und Gebietsrevisionismus sind die gemeinsamen Themen des Überschneidungssegments von Rechtsextremisten und Reichsbürgern. Einzelne wenige Reichsbürger nahmen auch an Stammtischen rechtsextremistischer Gruppierungen teil. Straftaten von Straftaten von Reichsbürgern und Selbstverwaltern werden seit Reichsbürgern dem Jahr 2017 gesondert erfasst. Im Berichtszeitraum wurden insgesamt 219 extremistische Straftaten gezählt, darunter 75 Gewaltdelikte.Den Schwerpunkt bei den Gewaltdelikten bildeten mit 61 Taten die Erpressungsdelikte. Ferner waren 2 Körperverletzungen zu verzeichnen. Mit 71 Taten stellten Nötigungsund Bedrohungsdelikte den Schwerpunkt der sonstigen 144 Straftaten. 2. IDEOLOGIE 2.1 Ideologische Gemeinsamkeiten Leugnung der ExisReichsbürger berufen sich in unterschiedlichster Form auf den tenz Deutschlands Fortbestand des Deutschen Reiches. Dabei werden z. B. der Rechtsstand von 1937, 1914 zwei Tage vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges oder auch 1871 genannt. Reichsbürger behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent, oder das Grundgesetz habe mit der 200 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Wiedervereinigung 1990 seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundes republik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. Die von den Reichsbürgern vorgetragenen Argumente gegen die Existenz Deutschlands als Staat sind falsch. Das Bundesverfassungsgericht lässt in seiner gesamten Rechtsprechung keinen Zweifel daran, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die gültige Verfassung des wiedervereinigten Deutschlands ist. Zu den vermeintlichen Argumenten der Reichsbürger stellte das Amtsgericht Duisburg im Leitsatz einer Entscheidung bereits am 26. Januar 2006 zusammenfassend fest: Das Bonner Grundgesetz ist unverändert in Kraft. Eine deutsche Reichsverfassung, eine kommissarische Reichsregierung oder ein kommissarisches Reichsgericht existiert ebenso wenig, wie die Erde eine Scheibe ist. 2.2 Szeneinterne ideologische Konflikte Die Anhänger der Reichsbürgerszene eint zwar die grundsätzliche Ablehnung des bundesdeutschen Staatswesens, ideologisch und organisatorisch ist die Bewegung jedoch heterogen. In der Szene gibt es Geschäftemacher, Verschwörungstheoretiker, Rechtsextremisten, Querulanten, Esoteriker und verschiedene Personengruppen, die untereinander konkurrieren und persönliche oder ideologische Konflikte austragen. Dies führt häufig zu Abspaltungen und Neugründungen in der Reichsbürgerszene. Die verschiedenen Gruppierungen nehmen jeweils für sich in Anspruch, die einzig "legitimen Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs" zu sein, und versuchen, andere Gruppierungen oder Einzelpersonen, die der eigenen Rechtsauffassung nicht folgen, aus einem in der jeweiligen Vereinigung bekleideten "Amt" mit Hilfe sogenannter "Entstallungsurkunden" o. ä. Schreiben zu entfernen. Aufgrund interner Streitigkeiten kommt es neben Neugründungen auch immer wieder zur Gründung von "Gegen-Reichsregierungen". Auf regionaler Ebene haben sich zahlreiche Kleinstgruppen gebildet, die weit überwiegend als sicherheitsgefährdende Bestrebungen einzustufen sind. Durch 201 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Reichsbürger und Selbstverwalter das Konkurrenzverhalten innerhalb der Reichsbürgerszene ist das Entstehen einzelner mitgliedsstarker Organisationen, die eine Führungsrolle einnehmen könnten, derzeit nicht abzusehen. Durch die Aufspaltung von Gruppierungen vervielfachen sich zudem die Möglichkeiten, einen der Fantasie-Titel und Posten zu erlangen, die Reichsbürgergruppierungen häufig vergeben. Mit diesen erfundenen Titeln wie z. B. "Kommissarischer Reichsminister" befriedigen Reichsbürger ihr persönliches Geltungs bedürfnis. Aber auch die Ideologie bietet Stoff für Konflikte: Diskussionen innerhalb der Szene finden sich z. B. bei der für Reichsbürger zentralen Fragestellung, ob Deutschland eine gültige Verfassung habe. Hier wird zum Teil auf Argumentationsmuster zurück gegriffen, wonach das Grundgesetz nur für die juristische Person beziehungsweise das Personal der privatrechtlichen und unter Kontrolle der Alliierten stehenden Firma "BRD-GmbH" gültig sei, da es von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg verfasst worden sei. Andere Teile der Szene schließen eine Wirksamkeit gänzlich aus und verweisen vielmehr auf die Fortgeltung einer "Reichsverfassung", beispielsweise von 1871 oder 1913. Begründet wird dies u. a. damit, dass der Name "Grundgesetz" impliziere, es handle sich nicht um eine Verfassung. Wiederum andere argumentieren, dass das Grundgesetz mit dem Beitritt der DDR außer Kraft getreten und eine neue Verfassung ausge blieben sei. Solche Auffassungen sind auch unter Selbstverwaltern verbreitet, die ihre eigene Person als Staat mit Gesetz gebungskompetenz ansehen und sich eine eigene Verfassung für ihr "selbstverwaltetes" Territorium geben. Die verschiedenen Positionen werden unter Zuhilfenahme von pseudojuristischen Formulierungen und Argumenten vertreten, ein Konsens wird dabei in aller Regel nicht erreicht. Diese unterschiedlichen Auffassungen, die häufig auch mit Alleinvertretungsansprüchen verbunden werden, führen teilweise zur Aufspaltung von (real existierenden oder virtuellen) Gruppen beziehungsweise zur Gründung neuer Gruppierungen. 202 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 3. TYPISCHE AKTIVITÄTEN Reichsbürger entfalten gegenüber staatlichen Institutionen eine Vielzahl von Aktivitäten, die zum Teil - wie die Beantragung von Staatsangehörigkeitsausweisen - Ausdruck ihrer Ideologie sind, aber auch auf die gezielte Lahmlegung der öffentlichen Verwaltung abzielen. In Einzelfällen kommt es dabei auch zu Gewaltandrohung beziehungsweise -anwendung gegenüber staatlichen Repräsentanten. 3.1 Auftreten gegenüber Justiz und Verwaltung Regelmäßig überziehen Reichsbürger Behörden und Gerichte mit querulatorischen Schreiben, in denen sie der öffentlichen Verwaltung und der Justiz ihre Autorität oder ihre Existenz absprechen. Zum Teil verfolgen sie damit das Ziel, sich rechtlichen Verpflichtungen, wie z. B. Forderungen des Staates aus Steuer-, Bußgeldoder Verwaltungsverfahren, zu entziehen. In umfangreichen Briefen werden z. B. Beamte und Richter belehrt und beleidigt oder gegen sie haltlose Schadenersatzforderungen erhoben, um diese einzuschüchtern und Maßnahmen der Justiz oder der Polizei zu beeinflussen oder gar zu verhindern. In der gerichtlichen Auseinandersetzung ist der Aktivismus der Reichsbürger und Selbstverwalter ambivalent: Einerseits schöpfen sie den juristischen Klageweg weitestgehend aus und überhäufen Gerichte mit Anträgen und Eingaben. Dabei lassen sie sich mitunter auch von selbsternannten Szene-"Anwälten", sogenannten Recht-Konsulenten (Schreibweise variiert), vertreten. Andererseits bleiben sie Gerichtsterminen fern, wirken nicht am ordentlichen Verfahren mit und versuchen, Strafbefehle einfach ins Leere laufen zu lassen und nicht zu beachten. Die sozialen Medien ermöglichen es zudem, innerhalb kurzer Zeit Unterstützer aus der Szene zu mobilisieren, um mit deren Hilfe behördliche Handlungen wie z. B. Zwangsräumungen zu blockieren: So musste bei seiner Verhandlung vor dem Amtsgericht IngolMissachtung der stadt ein 52-jähriger Mann von Polizisten in den Sitzungssaal Gerichtsbarkeit getragen werden, da er sich weigerte, diesen selbstständig zu betreten. Wegen Missachtung des Gerichts ordnete der Richter gegen den Mann eine Woche Ordnungshaft an. Die Verhandlung lief in seiner Abwesenheit weiter. 203 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Reichsbürger und Selbstverwalter Bei einer Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Landshut musste sich ein 57-jähriger Mann wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes in Tatmehrheit mit versuchter Nötigung verantworten. Der Angeklagte nahm nicht auf der Anklagebank Platz, sondern gab sich als vermeintlicher Zuhörer aus. Wegen Missachtung des Gerichts wurde er durch Justizwachtmeister aus dem Saal geleitet, ohne sich als Angeklagter zu erkennen zu geben. Die Verhandlung fand ohne ihn statt. 3.2 Beantragung von Staatsangehörigkeitsausweisen und Nutzung eigener Dokumente Reichsbürger und Selbstverwalter bestreiten die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat und bezeichnen diesen zum Teil als "Firma BRD". Sie sind der Auffassung, dass sie nicht die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland besitzen beziehungsweise aus dieser "austreten" können. Beantragung eines Ausgehend von der falschen Annahme, ohne Staatsangehörig"gelben Scheins" keitsausweis staatenlos zu sein, beantragen sie häufig einen Staatsangehörigkeitsausweis (sog. "gelber Schein") zur Bestätigung ihrer Reichsund Staatsangehörigkeit nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz. Der Begriff "Personalausweis" ist für sie ein Beleg für die Staatenlosigkeit, da als "Personal" ausschließlich Angehörige einer Firma, hier der "Firma BRD" bezeichnet würden. Vom Staatsangehörigkeitsausweis erhofft sich dieser Personenkreis - rechtlich völlig unzutreffend - u. a. den "Ausstieg aus der Firma BRD". Der "gelbe Schein" wird zudem als Nachweis der "Rechtsstellung" als Staatsangehöriger des vorgeblich fortbestehenden "Deutschen Reichs" angesehen. Nach wie vor sind diese Annahmen für Teile der Szene relevant. Zunehmend entwickeln sich jedoch auch kontrovers geführte Diskussionen um den "gelben Schein", in denen sich die Heterogenität der Szene widerspiegelt. So vertreten immer mehr Reichsbürger die Auffassung, es handle sich lediglich um ein Papier, das von der Firma "BRD-GmbH" beziehungsweise deren "Bediensteten" ausgestellt werde, weshalb der "gelbe Schein" keine rechtliche Wirkung entfalten könne. In Einzelfällen wird mit Blick auf die vermeintliche Firma "BRD-GmbH" die Auffassung vertreten, der "gelbe Schein" dokumentiere lediglich eine "handelsrechtliche" Staatsangehörigkeit und führe somit zu einer Art doppelter Staatsangehörigkeit ("handelsrechtliche" und "echte"), was ebenfalls abgelehnt wird. 204 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Andere Reichsbürger wiederum vertreten eine vermeintlich "naturrechtliche" Auffassung und berufen sich auf ihre Eigenschaft als "Mensch", der - im Gegensatz zur "juristischen Person", die von der "BRD-GmbH" beziehungsweise deren "Schein-Regierung" konstruiert werde - die Feststellung einer Staatsangehörigkeit nicht benötige. Sie propagieren deshalb die "Staaten losigkeit". Die Notwendigkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit mit einem Staatsangehörigkeitsausweis nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) nachzuweisen, besteht nur ausnahmsweise, z. B. wenn beim Erwerb oder Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch persönliche Ereignisse wie Adoption oder beim Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit Zweifel entstanden sind. Antragstellungen mit bestimmten typischen Zusätzen (z. B. Bezug auf das RuStAG mit Rechtsstand 1913 und/oder Geburtsland "Königreich Bayern") begründen zumindest den Verdacht der Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung. Im Rahmen der öffentlichen Berichterstattung wird auch in der Nachfrage nach Reichsbürgerszene zunehmend wahrgenommen, dass der Er"gelbem Schein" werb eines "gelben Scheins" mit entsprechendem zusätzlichen rückläufig reichsbürgertypischen Verweis von den Behörden als Beleg für die Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene aufgefasst wird. Es wird deshalb nach Alternativen für eine angebliche staatliche Beglaubigung der Staatsangehörigkeit gesucht, wie etwa notarielle Beglaubigungen anderer Unterlagen. Anträge auf den "gelben Schein" sind deshalb nur noch selten zu verzeichnen. Reichsbürger benutzen zudem anstelle amtlicher Ausweise Fantasiepapiere wie "Reichspersonenausweise" oder "Reichsführerscheine". In Einzelfällen geben sie dafür amtliche Ausweisdokumente bei der Meldebehörde ab. Diese Fantasiepapiere sind völlig wertlos und teilweise strafrechtlich relevant. Ihr Verkauf ist eine wichtige Einnahmequelle von Reichsbürgergruppierungen. 3.3 Reaktivierungen von Gemeinden Im Berichtszeitraum wurden mehrfach Schreiben von Reichsbürgern festgestellt, in denen verschiedene Gemeinden fortan zum Hoheitsgebiet ihrer jeweiligen Reichsbürgergruppierung erklärt wurden. Um die eigenen Ziele zu legitimieren und die Bundesrepublik Deutschland als illegitimes Konstrukt darzustellen, führen die Verfasser in den Schreiben pseudojuristische Argumente an. Adressaten waren verschiedene öffentliche Personen in Bayern aus dem Justizund Polizeibereich sowie der Verwaltung. 205 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Reichsbürger und Selbstverwalter In einem Schreiben bezieht sich ein Verfasser, der bereits mehrfach als Absender solcher Schreiben in Erscheinung getreten ist, beispielsweise auf "das tatsächliche und höherrangige Eigentumsrecht der Erstbesiedlung durch unsere germanischen Ahnen im hiesigen Raum". 3.4 Kommerzielle Aktivitäten sogenannter "Milieumanager" "Milieumanager" Innerhalb der Reichsbürgerbewegung gibt es Einzelpersonen, und "Rechtskonsuldie unter Ausnutzung der Ideologie Geld verdienen wollen und enten" verschiedene Produkte und Dienstleistungen anbieten. Sie verkaufen z. B. Fantasiedokumente wie "Reichsstaatsangehörigkeitsurkunden", veranstalten Seminare und Schulungen oder bieten in Einzelfällen auch Geldanlagen an. Diese als "Milieu manager" bezeichneten Akteure tragen durch entsprechende Veranstaltungen zur Vernetzung der Szene bei und verbreiten und verfestigen die extremistischen Ansichten von Reichs bürgern, sind aber nicht immer selbst Anhänger der Ideologie. Unter den "Milieumanagern" finden sich auch sogenannte "Recht-Konsulenten". Sie geben vor, auf dem Gebiet des "Reichsrechts" bewandert zu sein und bieten "Rechtsberatungen", zum Teil auch im Internet, an. Sie treten meist mit Briefköpfen auf, die denen großer Anwaltskanzleien nachempfunden sind und Internationalität vortäuschen sollen. Ihre mit pseudo juristischer Fachterminologie durchsetzten Schreiben sind darauf angelegt, Fachkompetenz zu suggerieren, stellen sich bei näherem Hinsehen jedoch als völlig widersinnig heraus. In diesem Zusammenhang gibt es zwei größere Zusammenschlüsse, die überregional aktiv sind: Überregional aktive Im "Präsidium des Deutschen Reiches" besteht die VereiniVerbände gung "Verband der Deutschen Recht-Konsulenten" (Sitz in Kaarst-Vorst/Nordrhein-Westfalen). Daneben existiert seit den 1990er-Jahren ein "Verband Deutscher Rechtssachverständiger und Rechtskonsulenten 1871" (Sitz in Belm/Niedersachsen), der seine Betätigung in den Kontext der rechtsextremistischen "Kommissarischen Reichsregierung" stellt. Von beiden Gruppierungen sind in Bayern in der Vergangenheit nur Einzelpersonen aufgetreten. 206 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 3.5 Stammtische und Seminare Bei sogenannten Stammtisch-Treffen oder Seminaren wird versucht, die Anwesenden von verschwörungstheoretischen Denkweisen sowie der vermeintlichen Illegitimität der Bundesrepublik Deutschland zu überzeugen. Ebenso finden Personen, die aus verschiedenen Gründen unzufrieden mit dem staatlichen Handeln sind, in der Reichsbürgerideologie vermeintlich einfache Erklärungen und Lösungen für ihre Probleme. Rekrutierungsbecken für die Reichsbürgerszene ist nicht zuletzt auch die Esoterikszene. Personen, die sich der Esoterik zuwenden, suchen dort in der Regel nach Lebenshilfe und Unterstützung bei der "Selbstfindung". Reichsbürger legen ihnen nahe, dass sie so lange nicht zu sich selbst als "Mensch" zurückfinden können, wie sie noch Teil der vermeintlichen "BRD GmbH" und somit lediglich "Personal" eines Wirtschaftsunternehmens sind. Um sich davon befreien zu können, sei der "Austritt" aus der Bundesrepublik Deutschland notwendig. Auch in Bayern fanden im Berichtszeitraum Seminare von Reichsbürgergruppierungen wie dem sogenannten "Königreich Deutschland" statt, die darauf abzielten, Personen an die Szene heranzuführen. 3.6 Überregionale und internationale Kontakte Personen und Gruppierungen, deren Gedankengut dem der deutschen Reichsbürgerszene ähnelt, gibt es auch in Österreich und in der Schweiz. In Österreich werden diese Gruppierungen "Souveräne Bewegungen" genannt. Die Republik Österreich ist in ihren Augen ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland lediglich eine GmbH und somit kein rechtmäßiges Staatsgebilde. Im deutschsprachigen Raum existiert somit grenzüberschreitend ein Personenkreis, den die pseudojuristische Basis seines Handelns eint und der insbesondere über das Internet auch im Austausch miteinander steht. Auch wenn es zwischen vielen Gruppierungen und Akteuren Konkurrenzverhältnisse gibt, ist auch eine überregionale und grenzüberschreitende Unterstützung feststellbar, die sich insbesondere dann zeigt, wenn Reichsbürger sich vor Gericht verantworten müssen. Immer wieder sind dann auch Unterstützer aus anderen Staaten im Zuschauerraum 207 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Reichsbürger und Selbstverwalter anwesend. Insbesondere im virtuellen Raum ist von einem länderübergreifenden Austausch auszugehen. Verschiedene Plattformen im Internet ermöglichen der Reichsbürgerszene eine einfache überregionale Vernetzung. Referenten und sogenannte "Milieumanager" der Reichsbürgerszene agieren darüber hinaus, unabhängig von ihrem Wohnsitz, im gesamten deutschsprachigen Raum. Die Vernetzung stützt sich überwiegend auf persönliche Kennverhältnisse und/ oder grenzüberschreitende räumliche Nähe. Eine strukturierte Vernetzung der Gesamtszene ist derzeit nicht erkennbar und mit Blick auf die bestehenden Konflikte innerhalb der Szene wenig wahrscheinlich. 4. AKTUELLE AKTIVITÄTEN IN BAYERN 4.1 Reichsbürgergruppierung "Geeinte Deutsche Völker und Stämme" beklebt Ortsschilder in Mainburg Die im Jahr 2016 in Berlin gegründete Reichsbürgergruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) hielt Anfang August im niederbayerischen Mainburg ein Wochenendseminar ab. Dabei ging es unter anderem um die "Grundlagen der Selbstbestimmung" und die "Reaktivierung von Gemeinden". Zudem versandten angebliche Hoheitsträger mit Fantasie-Amtsbezeichnungen, z. B. als "Gemeindevorsteher", meist aggressive Schreiben an staatliche und private Stellen, um die vermeintliche künftige "Gebietsverwaltung durch die Geeinten deutschen Völker und Stämme" bekanntzugeben. Im Rahmen des durchgeführten Seminars brachte die Gruppierung an mehreren Ortsschildern von Mainburg großflächige grüne Aufkleber mit der Aufschrift "Amt Mainburg - Aktiviertes Hoheitsgebiet" an. Die "Generalbevollmächtigte der geeinten deutschen Völker und Stämme" bekannte sich auch per E-Mail zu dieser Aktion. 4.2 Reichsbürgergruppierung "Staatenlos.info - Comedian e V." führt Kundgebungen in Bayern durch Die überregional aktive Reichsbürgergruppierung "Staatenlos. info" führte ab Februar 2019 im wöchentlichen Turnus angemeldete Versammlungen in Bayern durch. Regelmäßige Kundgebungen waren bislang untypisch für die bayerische 208 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Reichsbürgerszene. Veranstaltungsorte waren München, Nürnberg, Traunreut und Traunstein. In Redebeiträgen machen die mit gelben Westen bekleideten Aktivisten mit reichsbürgertypischen Argumentationsmustern auf die vermeintliche rechtliche Situation in Deutschland, die angebliche Staatenlosigkeit der Bewohner Deutschlands sowie die allgemeine Situation des politischen Systems aufmerksam. Bei ihren Veranstaltungen spielen die Anhänger der Gruppierung Sinnentstellende verschiedene Audiooder Video-Beiträge von Politikern und Wiedergabe von Journalisten ab, deren Inhalte sie dann im Sinne ihrer Ideologie Zitaten auslegen. Weiterhin werden Flyer an Passanten verteilt. Ein Interesse der Bevölkerung an den Kundgebungen und Inhalten von "Staatenlos.info" ist allerdings bislang kaum erkennbar. Die hauptverantwortlichen Anmelder und Organisatoren dieser Versammlungen fungieren im Rahmen der Kundgebungen überwiegend auch als einzige Redner und Moderatoren. Vereinzelt beteiligen sich weitere Personen an den Kundgebungen. Im Anschluss daran werden selbstgefertigte Videoaufzeichnungen der Wortbeiträge auf den YouTube-Kanälen der lokalen Gruppierungen hochgeladen. 4.3 "Verfassunggebende Versammlung" verschickt "Appell an die Polizei" Die Reichsbürgergruppierung "Verfassunggebende Versammlung" (VV) hat in einem Schreiben an verschiedene Polizeidienststellen in Bayern die adressierten Beamten mit Verweis auf deren abgeleisteten Diensteid aufgefordert, das bestehende System der Bundesrepublik Deutschland zu hinterfragen. Das Schreiben trägt die Überschrift "Appell der Polizei an die Polizei" und zeigt u. a. zwei Karikaturen, die Polizisten darstellen. Der Unterzeichner bezeichnet sich als "Der Souverän". Das Schreiben nimmt inhaltlich Bezug auf die VV und deren Internetplattform "dbb-Radio" und unterscheidet sich von typischen Schreiben aus der Reichsbürgerszene, in denen Reichsbürger ihre Adressaten verunglimpfen und unter Anwendung pseudojuristischer Formulierungen belehren beziehungsweise bedrohen. In diesem Fall wird die Polizei nicht als Gegner, sondern als möglicher Verbündeter angesehen und entsprechend adressiert. In dem Appell, der laut VV angeblich aus den eigenen Reihen der Polizei stammen soll, wird behauptet, die Polizei folge nicht ihrem Eid. Sie solle sich an das Völkerrecht halten, künftig im Sinne der VV handeln und diese anerkennen. 209 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Reichsbürger und Selbstverwalter 4.4 Reichsbürgerin aus dem Allgäu zu 14 Monaten Haft verurteilt Eine amtsbekannte Reichsbürgerin aus dem Allgäu, die einen esoterischen Verlag betreibt, wurde vom Amtsgericht Kaufbeuren zu einer Haftstrafe von 14 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Sie hatte wiederholt gegenüber Justizpersonal versucht, Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe zu erpressen. Das Urteil ist rechtskräftig. 5. GEWALTPOTENZIAL Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann die Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein. Verschiedene Vorfälle belegen, dass sich in der Szene auch gewaltbereite Personen bewegen. Reichsbürger bewegen sich in einem für sie geschlossenen Weltbild. Der Glaube daran, dass deutsche Gesetze für sie keine Gültigkeit hätten, führt dazu, dass staatliche Maßnahmen aus ihrer Sicht als unrechtmäßig empfunden werden. Gewalttaten richten sich daher in aller Regel gegen staatliche Maßnahmen beziehungsweise gegen Vertreter des Staates. Solche Gewalttaten werden innerhalb der Szene in der Regel als Notwehr gegen den Staat gedeutet. Gewalttäter erfahren dementsprechend nach einschlägigen Vorfällen solidarisierenden Zuspruch. Bei Einzelpersonen, die ideologisch besonders gefestigt erscheinen, ist eine Häufung politisch motivierter Straftaten - insbesondere Beleidigungsund Nötigungsdelikte, in Einzelfällen auch Erpressungsdelikte - feststellbar. Angriffe auf Im Januar kam es aufgrund eines Vollstreckungshaftbefehls Polizisten wegen einer Ordnungswidrigkeit von lediglich 15 Euro zu einem Angriff auf Polizisten. Hierbei wurden drei Polizisten verletzt. Die Täter wurden zu Haftstrafen verurteilt. Im Mai rammte ein amtsbekannter Reichsbürger auf der Flucht vor der Polizei einen Streifenwagen, nachdem er bereits zur Umgehung einer Straßensperre über den Gehweg ausgewichen war. Er konnte festgenommen werden. 210 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Ein 53-jähriger Mann bedrohte im Februar Polizisten in Maierhöfen (Landkreis Lindau), als diese einen Haftbefehl gegen ihn vollziehen wollten. Er weigerte sich, seine Eingangstür zu öffnen, und drohte den Beamten massive Gewalt an. Um das von ihnen ausgehende Gefahrenpotenzial zu minimieEntzug von Waffen ren, werden bei Angehörigen der Reichsbürgerszene bestehenerlaubnissen de waffenrechtliche Erlaubnisse überprüft und, wo möglich, entzogen. Jede waffenrechtliche Erlaubnis setzt voraus, dass der Erlaubnisinhaber die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit besitzt. Diese Zuverlässigkeit ist im Fall der Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung aber zu verneinen. Bis zum 31.12.2019 haben die Sicherheitsbehörden in Bayern 345 Personen (Stand 31.12.2018: 325) innerhalb der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter identifiziert, die über eine oder mehrere waffenrechtliche Erlaubnisse verfügten. Gegen alle 345 Personen wurden bereits Widerrufsverfahren durch die Waffenbe hörden eingeleitet, in 221 Fällen (Stand 31.12.2018: 209) erging ein Widerrufsbescheid. Insgesamt wurden durch Widerruf oder aufgrund eines vor Widerruf erklärten freiwilligen Verzichts bislang 415 (Stand 31.12.2018: 379) waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen. Dabei wurden 805 Waffen (Stand 31.12.2018: 670) bei der Waffenbehörde oder an einen Berechtigten abgegeben. 6. REICHSBÜRGERGRUPPIERUNGEN IN BAYERN 6.1 Sicherheitsgefährdende Bestrebungen 6.1.1 Volksstaat Bayern (vormals: Bundesstaat Bayern) Mitglieder 30 Gründung Dezember 2015 Aktionsraum Bayern und Teile von Rheinland-Pfalz Im September 2018 hat die bis dahin unter dem Namen "Bundesstaat Bayern" agierende Reichsbürgergruppierung mit Sitz in Landsham bei München ihre Umbenennung zum "Volksstaat Bayern" bekannt gegeben. Ziel sei es, mit dem so bezeichneten "Ende der Nachkriegsordnung am 27. April 2018" den "Volksstaat Bayern" wiederherzustellen und so den "letzten, 211 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Reichsbürger und Selbstverwalter völkerrechtskonform geäußerten Willen des deutschen Volkes der Bayern umzusetzen". Für die Übergangszeit gebe man sich hilfsweise die Verfassung des Freistaats Bayern mit Stand vom 14. August 1919. Bayern wird als Republik und als Glied dem Deutschen Reich zugeordnet, die früher zu Bayern gehörende Pfalz wird als Bestandteil des "Volksstaats Bayern" gesehen. Der "Volksstaat Bayern" sieht sich weiterhin als souveräner Gliedbeziehungsweise Bundesstaat im sogenannten "Staatenbund Deutsches Reich" mit Sitz in Fürstlich Drehna (Brandenburg), dem auch der "Freistaat Preußen", die "Republik Baden", der "Volksstaat Württemberg" (ehemals "Bundesstaat Württemberg") und der "Bundesstaat Sachsen" angehören. Im Dezember 2015 gründete sich der damalige "Bundesstaat Bayern", der sich seitdem nach eigener Darstellung "in Reorganisation" befindet. Beim Aufbau der Organisation, den Führungspersönlichkeiten, der Ausrichtung und Zielsetzung der Reichsbürgergruppierung sind im Zuge der Umbenennung keine Änderungen erkennbar geworden. Durchsuchungs Mehrfach wurden seit 2017 im Rahmen eines Ermittlungs maßnahmen verfahrens der Staatsanwaltschaft München II wegen des dringenden Tatverdachts der bandenund gewerbsmäßigen Urkundenfälschung sowie Amtsanmaßung Durchsuchungs beschlüsse bei Führungspersonen der Gruppierung vollzogen. Dabei konnten Reichsbürgerdokumente, die sogenannte "Staatskasse", Waffen und Munition, falsche TÜV-Plaketten und Ausweispapiere sichergestellt werden. Im März konnten bei einer erneuten Durchsuchung u. a. falsche Urkunden, Daten träger und Bargeld sichergestellt werden. Nach den Exekutivmaßnahmen konnte insbesondere beim Versand von Faxen an kommunale Behörden, Polizeidienststellen oder bayerische Ministerien eine kurzfristig deutlich geringere Aktivität festgestellt werden. Veranstaltungsankündigungen auf der Webseite des "Volksstaats Bayern" sind zurückgegangen beziehungsweise nicht mehr festzustellen. Regelmäßig wendet sich die Gruppierung u. a. an Sicherheitsbehörden und versucht mit einer Vielzahl an Fax-Schreiben, den Adressaten Anordnungen zu geben beziehungsweise auf sie einzuwirken und davon zu überzeugen, dass sie gegenüber dem "Volksstaat Bayern" weisungsgebunden seien. 212 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 6.1.2 Amt Deutscher Heimatbund, Deutscher Heimatbund, Heimatbund der Menschen Mitglieder Einzelpersonen Gründung 2015 Aktionsraum Bundesgebiet, Schweiz, Österreich Das "Amt Deutscher Heimatbund" kann als Dachorganisation für zahlreiche "Heimatgemeinden" beziehungsweise ähnlich benannte Gruppierungen angesehen werden. Nach Eigenangaben bestehen Strukturen in der Schweiz, Österreich und Deutschland. Der Sitz wurde nach eigenen Angaben im Jahr 2017 von Oberkulm (Schweiz) nach Traunstein/Bayern verlagert. Die Gruppe produziert verschiedene Ausweisdokumente ("Heimatverifikation", "Authentizität Veritas Karte" (= Personalausweis) und "Fahreignungsnachweis") und weist auf das Kraftfahrzeugkennzeichen "MENS:CH(en)" hin. Diese Bezeichnung leiten die Mitglieder über das Naturrecht aus den Begriffen "mens" (der Geist) und dem Diminutiv ":ch(en)" ab. Die Verwendung des Kennzeichens soll auch nach außen hin auf die Gruppenzugehörigkeit hinweisen. Teile der Anhängerschaft in Deutschland haben bereits in der Vergangenheit bei behördlichen Kontrollmaßnahmen eine nicht unerhebliche Gewaltbereitschaft gezeigt. Die bundesweite Struktur umfasst nach eigener Darstellung in Bayern diverse regionale "Heimatgemeinden", die im Berichtszeitraum jedoch keine Aktivitäten mehr entfalteten. 6.1.3 Heimatgemeinde "Gemeinde Chiemgau" (Heimatgesellschaft Chiemgau) Mitglieder ca. 30 Gründung 2015 Aktionsraum Oberbayern Die Gruppe lehnt die Bundesrepublik Deutschland als Staat ab. Nach ihrer Auffassung handelt es sich bei vielen Regierungsorganisationen um Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die in einem internationalen Firmenregister eingetragen seien und damit dem Handelsrecht und nicht dem Völkerrecht unterlägen. Die Gruppe sieht sich ausschließlich den bayerischen Gesetzen vor 1914 verpflichtet, die Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland ignoriert sie. Anhänger der Gruppe fielen in der 213 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Reichsbürger und Selbstverwalter Vergangenheit durch Verwendung nicht amtlicher Kraftfahrzeugkennzeichen auf und nutzten ausschließlich selbst ausgestellte Ausweisdokumente. Die "Heimatgemeinde Chiemgau" konnte dem "Amt Deutscher Heimatbund" als Unterorganisation zugerechnet werden. Im Berichtszeitraum wurden keine Aktivitäten von Angehörigen der Heimatgemeinde Chiemgau mehr bekannt. 6.1.4 Verfassunggebende Versammlung Mitglieder Einzelpersonen Gründung 2014 Aktionsraum Bundesgebiet Die Gruppierung lehnt die bestehenden Strukturen der Bundesrepublik Deutschland ab und spricht ihr die Existenzberechtigung ab. So wird z. B. auf der Homepage der Gruppierung ausgeführt: Durch die aktuelle Situation in Deutschland ist die gesamte Menschheit versklavt. 1990 wurden alle Menschen der Erde betrogen. Die Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik am 3. Oktober 1990, ist juristisch niemals erfolgt. Die Bundesrepublik Deutschland heute, ist ein USamerikanisches Unternehmen, was ohne jeden Zweifel nachweisbar ist. [...] Es gibt keinen Staat Bundesrepublik Deutschland [...]. Die Anhänger der "Verfassunggebenden Versammlung" planen, an einem nicht näher bestimmten "Tag X" eine temporäre "Verfassunggebende Versammlung" einzuberufen und so die Verfassung und die Gesetze als Basis eines neuen, vermeintlich (wieder) handlungsfähigen Deutschlands zu schaffen. Im Berichtszeitraum fiel die Gruppierung in Bayern mit vereinzelten öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf. So kam es im Juli in Bogen zu einer Flugblattverteilaktion. In den Flugblättern wurden die Adressaten zur Teilnahme an "Volkswahlen" aufgefordert. Die nach außen gerichteten Aktivitäten dieser Gruppierung finden hauptsächlich im Internet statt. 214 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 6.1.5 Staatenlos.info - Comedian e V. Mitglieder Einzelpersonen Gründung 2013 Aktionsraum Bundesgebiet Die Gruppierung, die bislang eher im nordund westdeutschen Raum beziehungsweise in Berlin in Erscheinung getreten ist, führte in Bayern ab Februar 2019 im wöchentlichen Turnus Versammlungen in München, Nürnberg, Traunreut und Traunstein durch. Anhänger der Gruppierung gehen davon aus, dass die deutsche Staatsangehörigkeit de facto "abgeschafft" sei und sich die Bundesrepublik Deutschland lediglich alter "faschistischer" Staatsstrukturen bedienen würde. "Staatenlos.info" fordert u. a. "die Befreiung von Deutschland und Europa aus der faschistischen Gesinnungsdiktatur" und stellt in diesem Zusammenhang eine Nähe zu Russland her, das offenbar als Verbündeter betrachtet wird. Das Kernproblem aller Deutschen sei - so die Gruppierung - dass die Bundesrepublik Deutschland nicht "entnazifiziert" worden und von "doppelter Staatlosigkeit" betroffen sei: Da aus Sicht der Reichsbürgergruppierung eine Rechtsgrundlage der Bundesrepublik Deutschland fehle, existiere somit auch keine "Unionsbürgerschaft", d. h. keine Mitgliedschaft in der Europäischen Union. In Traunreut und Traunstein konnte ab Juli 2019, in Nürnberg ab September 2019 keine Aktivität der Gruppierung mehr festgestellt werden. Lediglich in München-Pasing wurden auch im 3. Quartal 2019 in unregelmäßigen Abständen noch Kundgebungen durchgeführt. Die angestrebte Expansion der Gruppierung nach Bayern hat bislang nicht zu einer nennenswerten Erhöhung der bayerischen Mitgliederzahlen geführt. So setzt sich die Gruppierung in Bayern weiterhin lediglich aus Einzelpersonen zusammen. 215 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Reichsbürger und Selbstverwalter 6.1.6 Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuSt) Mitglieder Einzelpersonen Gründung 2016 Aktionsraum Bundesgebiet Die Gruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) wurde 2016 in Berlin gegründet und trat bisher vorwiegend in Berlin sowie im norddeutschen Raum in Erscheinung. Bei früheren Aktionen versuchten Anhänger der GdVuSt, das Rathaus in Berlin-Zehlendorf zu "übernehmen". Das Ziel der GdVuSt ist es, staatliche Hoheitsgebiete zu "reaktivieren" und dadurch unter ihre eigene Verwaltung zu bringen. Aus diesen einzelnen reaktivierten Gemeinden soll sich dann - als übergeordnetes Ziel der Gruppierung - ein "Naturstaat" bilden. Die bisherige bundesweite Struktur umfasst in Bayern, nach eigener Darstellung, mehrere "reaktivierte" Gemeinden. Auch im Jahr 2019 traten die angeblichen Hoheitsträger mit Fantasie-Amtsbezeichnungen dieser Gemeinden durch den Versand weiterer "Reaktivierungsschreiben" an Behörden in Erscheinung. Die GdVuSt versucht aktuell, über ihr bisheriges Betätigungsfeld in Norddeutschland hinaus ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Diese Aktionen zeigten allerdings bislang keine Auswirkungen auf das Personenpotenzial der Gruppierung in Bayern, das im Berichtszeitraum nur aus Einzelpersonen bestand. 6.2 Phänomenbereich Rechtsextremismus "Exilregierungen" und "Kommissarische Reichsregierung" Neben sicherheitsgefährdenden Bestrebungen treten auch Gruppierungen innerhalb der Reichsbürgerbewegung in Erscheinung, die dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zuzurechnen sind, insbesondere dort, wo sich Versatzstücke antisemitischer und nationalsozialistischer Denkmuster wiederfinden. Die Gruppierungen "Exil-Regierung Deutsches Reich" und die daraus abgespaltene "Exilregierung Deutsches Reich" werden als rechtsextremistisch bewertet. So versuchte z. B. die "Exil-Regierung Deutsches Reich" in der Vergangenheit, Überfremdungsängste zu stärken und Untergangsvisionen zu schüren. Sie kündigte eine bevorstehende Weltherrschaft des "politischen Zionismus" an und sprach im 216 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Hinblick auf die Flüchtlingswelle davon, dass der "Holocaust gegen die deutschen Völker" inzwischen eine neue Qualität erreicht habe. Dies zeigt die völkische und antisemitische Ideologie der Gruppierung. Die "Kommissarische Reichsregierung" ist ideologisch den "Exilregierungen" gleichzustellen. Ein "Reichskanzler" vertritt ihre ideologischen Grundsätze, ihr Sitz ist in Krölpa (Thüringen). Sie wird ebenfalls dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet. Wie bereits im Vorjahr konnten 2019 keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der o. g. Gruppierungen in Bayern festgestellt werden. Weiterführende Informationen zur Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter Flyer: "Reichsbürger" und "Selbstverwalter": harmlose Spinner oder gefährliche Extremisten? www.verfassungsschutz.bayern.de www.bige.bayern.de Die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) bietet auch Fortbildungsveranstaltungen zur Reichsbürgerszene für Mitarbeiter von Kommunen, staatlichen Behörden und Justiz an: Telefon: 089 / 2192 2192 E-Mail: gegen-extremismus@stmi.bayern.de 217 Verfassungsschutzrelevante Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Islamfeindlichkeit Stürzenberger zeigt sich mit einem Hauptaktivisten der rechtsextremistischen Identitären Bewegung solidarisch Durch die virtuelle Verbreitung von speziell aufbereiteten Videosequenzen erweitert Stürzenberger den medialen Wirkungsgrad seiner islamfeindlichen Agitation 218 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Islamfeindliche Agitation ist nicht auf den Bereich des Rechtsextremismus beschränkt. Auch jenseits der rechtsextremistischen, vornehmlich auf Rassismus begründeten Islamfeindlichkeit gibt es Gruppierungen und Einzelpersonen, die Muslimen die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit nicht zugestehen wollen. Sie setzen den Islam als Weltreligion gleich mit Islamismus und islamistischem Terrorismus und stellen die Religion des Islam als faschistische Ideologie dar, von der eine erhebliche Gefahr für unsere Gesellschaft ausgehe. Führungspersonen des verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Spektrums gehen dabei punktuell und zweckgerichtet Kooperationen mit anderen polit ischen Akteuren ein, um anschlussfähig für Teilbereiche des bürgerlichen Spektrums zu werden und gesellschaftliche Themen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Bei der verfassungsschutzrelevanten Islamfeindlichkeit fehlen die für Rechtsextremismus typischen Ideologieelemente wie autoritäres Staatsverständnis, Antisemitismus, Rassismus oder die Ideologie der Volksgemeinschaft. Extremistische Bestrebungen im Zusammenhang mit islamfeindlichen Äußerungen richten sich gegen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (Art. 1 GG), das Diskriminierungsverbot (Art. 3 GG) und die Religionsfreiheit (Art. 4 GG). Als extremistisch sind bestimmte zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen zu beurteilen, die die Geltung der genannten Prinzipien für Muslime und den Islam und seine Glaubensgemeinschaften außer Kraft setzen beziehungsweise beseitigen wollen. Kritik, die im Rahmen einer geistig-politischen 219 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Auseinandersetzung auf Gefahren eines politischen Islam für unsere Grundwerte hinweist, unterliegt demgegenüber nicht dem Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes. Das Internet wird von verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Gruppierungen intensiv genutzt, um islamfeindliche Inhalte zu verbreiten. Publiziert wird auf Homepages und Weblogs, auf denen sich auch anonyme Nutzer äußern können, deren Beiträge nicht automatisch den Betreibern zurechenbar sind. Ausschlaggebend für die Bewertung solcher Internetpräsenzen ist dabei, ob und inwieweit die Betreiber selbst extremistische Ziele verfolgen. Auf nicht zurechenbare Einzeläußerungen (z. B. Kommentare in Blogs und Foren) allein lässt sich eine Bewertung als extremistisch nicht stützen. Auch die Nutzung sozialer Netzwerke und die Verbreitung von Videomaterial über Plattformen wie YouTube spielt für diese Szene eine wichtige Rolle. 220 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 1. BÜRGERBEWEGUNG PAX EUROPA E. V. - LANDESVERBAND BAYERN (BPE BAYERN) Bei dem bayerischen Landesverband der "Bürgerbewegung PAX EUROPA e. V." (BPE Bayern) handelt es sich um eine verfassungsschutzrelevante islamfeindliche Bestrebung, die den Islam insgesamt als "vorsteinzeitliche, nazistische und frauenverachtende Ideologie" diffamiert. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 30. Juli 2015 die Beobachtung der BPE Bayern durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz für zulässig erklärt. Diese Entscheidung ist rechtskräftig. Die "Bürgerbewegung PAX Europa e.V." (BPE) führte 2019 in BPE-DeutschlandBayern - unter anderem in München, Nürnberg und Rosentour heim - deutlich mehr Veranstaltungen durch als in den Vorjahren. Die Veranstaltungen wurden vereinzelt auch als Teil einer "BPE-Deutschlandtour" propagiert. Dabei trat Michael Stürzenberger regelmäßig als Hauptredner auf. Nach eigenen Angaben gehört Stürzenberger, der bis Januar 2014 Vorsitzender der BPE Bayern war, dem Bundesvorstand der BPE an. Die Vorsitzende der BPE Bayern nahm regelmäßig an den Veranstaltungen teil und meldete auch einzelne Veranstaltungen an. Stürzenberger setzte bei einer Kundgebung mit Spaziergang am 17. Juni in München die Religion des Islam in die Nähe des islamistischen Terrorismus und verunglimpfte alle Muslime als potenzielle Extremisten und Terroristen: Denn ein Moslem, der sich mit seinem Koran beschäftigt, der das alles einsaugt, was da an gefährlichen Sachen drin steht, der kann nie ein guter Mensch werden. Der ist brandgefährlich, eine tickende Zeitbombe. (Transkription der wörtlichen Rede) 221 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Zudem rückte er die Religion des Islam in die Nähe des Faschismus: In unserem Land dulden wir keine totalitären Faschisten, die im Namen einer Religion kämpfen, töten, Frauen unterdrücken und Messerstechereien machen, oder noch vergewaltigen. Alles islamisch legitimiert. (Transkription der wörtlichen Rede) Forderung nach Bei einer Kundgebung am 20. Juli in München agitierte StürzenVerbot des Islam berger erneut in der für ihn typischen verfassungsschutzrelevant islamfeindlichen Weise, indem er die Religion des Islam pauschal als Gewalt und Terror legitimierend darstellte und erneut forderte, Muslimen die Ausübung ihrer Religion in Deutschland zu untersagen: Der Islam kann niemals zu Deutschland gehören. [...] Solange der Islam diesen politischen Anteil hat. Solange der Islam den Anspruch hat auf die alleinige Wahrheit, solange der Islam die weltliche Herrschaft fordert und dies auch mit Gewalt und Terror und Töten durchzusetzen legitimiert, solange darf der Islam nicht zu Deutschland gehören. Und ich hab's vorhin schon mal gesagt. Solange der politische Islam nicht verboten ist, müsste eigentlich jede Moschee geschlossen werden in Deutschland. Und jede Koranschule und jede islamische Organisation, die nicht mitmacht beim Verbot des politischen Islams, müsste ebenfalls wegen Verfassungsfeindlichkeit verboten werden. (Transkription der wörtlichen Rede) 2. MICHAEL STÜRZENBERGER UND UMFELD Zentrale Rolle in Michael Stürzenberger ist weiterhin die zentrale Person der islamfeindlicher verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Szene in Bayern. Szene Sein Umfeld setzt sich aus ideologisch Gleichgesinnten zusammen, die vorwiegend der "Politically Incorrect-Gruppe München" (PI-München) zugehören oder der Ende 2016 aufgelösten Partei "DIE FREIHEIT" angehörten. Stürzenberger war bis zuletzt Bundesvorsitzender der Partei "DIE FREIHEIT". 222 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Es liegen zahlreiche tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass Stürzenberger und sein Umfeld verfassungsschutzrelevante islamfeindliche Bestrebungen verfolgen. Stürzenberger verbreitet seine islamfeindlichen Thesen sowohl im Internet als auch auf Veranstaltungen in Bayern und anderen Bundesländern. So tritt er immer wieder im Rahmen von Veranstaltungen der "Bürgerbewegung PAX EUROPA e. V." (BPE) als Redner auf. Im Jahr 2018 nutzte Stürzenberger auch die neu gegründete Gruppierung "PEGIDA München - Das Original" für öffentlichkeitswirksame Auftritte. Im Jahr 2019 waren allerdings keine öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen dieser Gruppierung festzustellen. Zwischen Stürzenbergers realweltlichen Aktivitäten in Form von Kundgebungen und seiner virtuellen Präsenz im Internet ist eine enge Verbindung festzustellen. In der Regel werden die Kundgebungen per Video aufgezeichnet und online verfügbar gemacht. Zentraler Verbreitungsweg ist dabei die Videoplattform YouTube. Neben Videos, die die mitunter über mehrere Stunden dauernStrategische den Kundgebungen insgesamt dokumentieren und teilweise als Nutzung von Livestream gesendet werden, finden sich dort auch zahlreiche Videosequenzen Clips, die lediglich Veranstaltungsausschnitte zeigen. Hier handelt es sich häufig um gezielt ausgewählte Videosequenzen, die Situationen zeigen, in denen anwesende - insbesondere dem islamischen Glauben angehörende - Personen in Konflikt mit Stürzenberger geraten. Kalkül der Aktivisten um Stürzenberger ist es, unter den Zuhörern der Veranstaltungen aggressive Reaktionen zu provozieren und dadurch spektakuläre Bilder einzufangen, um Aufmerksamkeit im virtuellen Raum zu erzeugen. Durch die gezielte Auswahl der Sequenzen werden insbesondere Kritiker und Muslime als generell aggressiv und konfliktorientiert dargestellt. Im Fall von Personen vermeintlich islamischen Glaubens wird dabei das Verhalten Einzelner häufig in pauschalisierender Form auf ihre Zugehörigkeit zur Religion des Islam und eine vermeintliche unabänderliche Prägung durch den Islam zurückgeführt, was als islamfeindliche Agitation zu werten ist. Vor dem Hintergrund des oftmals niedrigen öffentlichen Interesses an den Kundgebungen stellt das Veröffentlichen von Videos im Internet insgesamt ein wichtiges strategisches Mittel dar, mit dem Stürzenberger die Reichweite seiner islamfeindlichen Agitation deutlich erhöht. Durch das Erstellen von islamfeindliche Vorurteile bedienenden Kundgebungsausschnitten instrumentalisiert Stürzenberger die Empörung von bei Kundgebungen anwesenden Personen, um weitere Aufmerksamkeit im virtuel223 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit len Raum zu erzeugen. Personen, die bei Stürzenbergers Veranstaltungen das Wort ergreifen, müssen damit rechnen, im Zuge dieser Verbreitungsstrategie in online verfügbaren Videoclips zu erscheinen, in denen sie in negativer und verzerrter Weise dargestellt werden. Als propagandistische Plattform für Veröffentlichungen nutzt Stürzenberger außerdem den Internet-Weblog "Politically Incorrect" (PI-News), für den er als Autor tätig ist. Der Weblog, der im November 2004 online ging, ist mit PI-München nicht institutionell verbunden und kein Beobachtungsobjekt des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz. Die auf PI-News veröffentlichten Beiträge verbreiten überwiegend das Verschwörungs narrativ einer angeblichen Islamisierung Europas. Stürzenberger tritt, begleitet von einem Kameramann, auch als Video-Journalist auf. Im Rahmen von Interviews versucht er seine Gesprächspartner teils gezielt zu provozieren. So gewonnenes Videomaterial wird, häufig versehen mit dem Label "PI-News", unter anderem auf YouTube-Kanälen veröffentlicht. Letztlich dienen diese vordergründig journalistischen Aktivitäten somit Stürzenbergers politischem Aktivismus. Pauschale Diffa Zwar gibt Stürzenberger in verschiedenen Verlautbarungen mierung von Islam immer wieder vor, lediglich sachlich über die angebliche Verund Muslimen fassungsfeindlichkeit des Islam und die von ihm ausgehenden Gefahren für die Demokratie aufklären zu wollen, worin keine generelle Verunglimpfung, weder der Religion noch von Muslimen, liege. Aus der Gesamtschau der Vielzahl an Äußerungen aber, in denen den Muslimen unterstellt wird, islamistische oder gar terroristische Verhaltensweisen seien nicht der Ausnahme-, sondern der alltägliche Normalzustand, lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass die Äußerungen darauf abzielen, Muslime aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit auszugrenzen und abzuwerten. So unterstellt er bei einem Redeauftritt am 11. September in München dem Islam erneut eine Nähe zum Nationalsozialismus und diskreditiert ihn als faschistisch: Leute, Islam und Nationalsozialismus, zwei antidemokratische faschistische politische Systeme, die damals zusammengearbeitet haben und auch jetzt heute wieder zusammenarbeiten. [...] [Der Islam] ist eine faschistische Ideologie, die nur ihre eigene Wahrheit anerkennt und nur ihre eigene Ideologie. Und wenn sie in der Lage ist, die anderen zu unterwerfen, unterwirft sie. (Transkription der wörtlichen Rede) 224 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 In der Vergangenheit hatte sich Stürzenberger von Personen Solidarität mit und Organisationen distanziert, die von den Verfassungsschutz Aktivisten der Identibehörden der rechtsextremistischen Szene zugerechnet werden. tären Bewegung Seit Oktober 2018 verzeichnete das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz jedoch vermehrt positive Äußerungen Stürzenbergers zur rechtsextremistischen "Identitären Bewegung" (IB) und zu ihrem führenden Aktivisten im deutschsprachigen Raum, Martin Sellner. Im Zusammenhang mit der öffentlichen Diskussion über eine Geldspende des Täters der Anschläge auf zwei Moscheen in Christchurch/Neuseeland an Martin Sellner rief Stürzenberger wiederholt zur Solidarität mit Sellner auf. Wegen dieser Geldspende und etwaigen sonstigen Kontakten des Täters von Christchurch zur IB ermitteln die österreichischen Behörden gegen Martin Sellner und die IB. In einem am 4. April auf dem Internetblog "Politically Incorrect" (PI-News) veröffentlichten Artikel unter der Überschrift "Solidarität mit Martin Sellner gegen linke Diffamierungs-Kampagne" schrieb Stürzenberger unter anderem: Die mediale und politische Hetzjagd gegen Martin Sellner, dem Sprecher der Identitären Bewegung Österreichs, ist völlig ungerechtfertigt. [...] Wenn einem hochaktiven Patrioten wie Martin Sellner solch massiv Unrecht zugefügt wird, dann sollte es für jeden rechtskonservativ denkenden Bürger selbstverständlich sein, sich solidarisch zu diesem vorbildlichen Aktivisten zu bekennen, der sich für den Erhalt unserer Werte und unserer Zivilisation einsetzt. In Blogund Video-Beiträgen sowie bei einer Rede in Dresden am 1. April im Rahmen einer Veranstaltung von PEGIDA Dresden lobte er Sellner als "intelligenten und absolut friedliebenden Patrioten" und die IB unter anderem für die aus seiner Sicht "kreativen und geistreichen und strikt gewaltfreien Aktionen". Auch aus weiteren Aussagen Stürzenbergers lässt sich dessen zustimmende Haltung gegenüber der IB-Ideologie und den Aussagen Sellners erkennen. So äußerte er bei einer Veranstaltung am 31. März in Apolda/Thüringen unter anderem: "Und mit allem, was er [Sellner] sagt, hat er Recht in Bezug auf die demographische Veränderung." (Transkription der wörtlichen Rede) Ende Mai nahmen sowohl Stürzenberger als auch Martin Sell"Patriotenreise" ner an einer auf Pl-News als "Patriotenreise #1" angekündigten Veranstaltung auf Mallorca/Spanien teil. In der Ankündigung 225 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit wurde damit geworben, auf der Reise "Jungs wie Sellner und Stürzi" privat kennenzulernen und ihre Vorträge anzuhören. Ziel der "Patriotenreise #1" sei es unter anderem, eine "bessere Vernetzung" zu erreichen und die "klügsten Strategien für den Widerstandskampf" zu erörtern. 3. PEGIDA NÜRNBERG/PEGIDA MITTEL FRANKEN Aktivitäten seit Februar 2015 Aktionsraum Nürnberg und Fürth Zu "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken" liegen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen vor, die dem Phänomenbereich der verfassungsschutzrelevanten Islamfeindlichkeit zuzuordnen sind. Der Versammlungsleiter von "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken", Gernot Tegetmeyer, ist langjähriger Aktivist der verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Szene in Bayern. Als Redner trat bei "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken" in der Vergangenheit wiederholt auch Michael Stürzenberger auf. Bei einer Kundgebung am 1. Februar unter dem Motto "World No-Hijab Day" wurde immer wieder die Forderung "Kopftuch ab! - Schluss mit der Unterdrückung!" geäußert. Jedoch ging es den Aktivisten weniger um die Rechte von Musliminnen. Vielmehr wurden unter dem Deckmantel, sich für Frauenrechte einzusetzen, islamfeindliche Bedrohungsszenarien für westliche Gesellschaften propagiert: Im Umkehrschluss, all die Frauen, die eben ohne Kopftuch rumlaufen, sind Freiwild für Belästigungen und Vergewaltigungen und das ist das Problem, das wir in Deutschland haben. [...] Es geht heute bei diesem Tag heute, zu zeigen, dass wir es nicht zulassen werden, dass diese Ideologie, die die Unterwerfung im Programm hat - Islam bedeutet Unterwerfung -, also die islamischen Männer unterwerfen die Frau unter ihr Diktat, gemeinsam unterwerfen sie die Nichtmoslems und wollen die weltliche totalitäre Herrschaft. (Transkription der wörtlichen Rede, Auszüge Stürzenberger) 226 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Auch Tegetmeyer polemisierte im Rahmen der Veranstaltung in Redebeiträgen gegen den Islam. So propagierte er beispielsweise als Maßstab für die Religionsfreiheit von Muslimen in Deutschland die Religionspolitik des Staates Saudi-Arabien: Das ist für mich der Maßstab für Islam, wie er da anderen Religionen entgegen bringt. Genau so viel Toleranz sollten wir auch übrig haben, nicht mehr, nicht weniger. (Transkription der wörtlichen Rede, Auszüge Tegetmeyer) Veranstaltete "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken" 2018 noch etwa einmal pro Monat Kundgebungen und Demonstrationen in Nürnberg oder Fürth mit durchschnittlich jeweils zwischen 30 und 50 Personen, gingen die Aktivitäten 2019 deutlich zurück. An der einzigen öffentlichen Veranstaltung am 1. Februar nahmen etwas mehr als 30 Personen teil. Seitdem sind keinerlei öffentliche Kundgebungen mehr feststellbar. 227 Linksextremismus Linksextremismus Beeinflussungsversuche von Linksextremisten auf bürgerliche Kampagnen Initiativen für Klimaschutz, gegen steigende Mieten und gegen Rechtsextremismus dabei im Zentrum Linksextremistische Medienarbeit nimmt in Quantität und Qualität zu Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremisten wollen die durch das Grundgesetz vorgegebene Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen. Je nach ideologisch-politischer Orientierung zielen Linksextremisten auf eine sozialistische beziehungsweise kommunistische oder eine "herrschaftsfreie" Gesellschaft ab. Die linksextremistischen Vorstellungen richten sich insbesondere gegen durch das Grundgesetz garantierte Grundrechte, die parlamentarische Demokratie, die Gewaltenteilung, die Volkssouveränität, das Rechtsstaatsprinzip und den Pluralismus. Linksextremisten wollen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland abschaffen, die sie als "kapitalistisches System" diffamieren und in der sie die Wurzel des Faschismus sehen. In der linksextremistischen Szene bilden Autonome den weitaus größten Teil des gewaltbereiten Personenpotenzials. Autonome haben zwar keine gemeinsame Ideologie, Ziel aller Autonomen ist es aber, den Staat und seine Einrichtungen zu zerschlagen. Neben Sachbeschädigungen wenden Autonome auch Gewalt gegen Personen - vor allem gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten und Polizisten - an, um ihre Vorstellungen durchzusetzen. Linksextremisten besetzen auch Themen, die an sich nicht extremistisch sind. Ihr Ziel ist es dabei aber in erster Linie, ihre linksextremistischen politischen Vorstellungen zu verbreiten. Hierzu greifen Linksextremisten vor allem aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen, wie Umweltschutz oder Gentrifizierung, auf und suchen den Kontakt zu bürgerlich-demokratischen Organisationen. 229 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus 1. PERSONENPOTENZIAL IN BAYERN 2017 2018 2019 Parteien und Vereinigungen Partei DIE LINKE. 900 900 950 offen extremistische Strukturen DKP 340 340 310 MLPD (mit REBELL) 120 120 120 SDAJ 110 110 110 VVN-BdA 700 700 680 Sonstige 1.000 1.040 1.100 Gruppierungen Autonome 690 675 720 Summe 3.860 3.885 3.990 Mehrfachzählungen* 390 385 390 Gesamtzahl 3.470 3.500 3.600 Gewaltorientierte Personen 730 730 785 von der Gesamtzahl** Die Zahlenangaben sind geschätzt und gerundet. * Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen Zusammenschlüsse werden vom Gesamtpotenzial abgezogen. ** Dazu zählen gewalttätige, gewaltbereite, Gewalt unterstützende und Gewalt befürwortende Personen. 2. MILITANZUND GEWALTPOTENZIAL In der linksextremistischen Szene bilden Autonome den weitaus größten Teil des gewaltbereiten Personenpotenzials. Sie sind für die meisten linksextremistisch motivierten Gewalttaten verantwortlich. Ziel dieser überwiegend jungen Linksextremisten ist es, den Staat und seine Einrichtungen - auch mit Gewalt - zu zerschlagen und eine "herrschaftsfreie" Gesellschaft zu errichten. Mit diffusen anarchistischen, kommunistischen und sozialrevolutionären Ideologiefragmenten schaffen sich die Autonomen einen vermeintlichen Legitimationsrahmen für ihre Militanz. Gewalttaten werden als notwendiges Mittel dargestellt, um sich gegen die angebliche "strukturelle Gewalt" des politischen Systems zu wehren. Viele Autonome erleben die Ausübung von 230 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Massenmilitanz als sinnstiftende Erfahrung. Gewalt wird zum Ausdruck eines Lebensgefühls. Formen und Ausmaß der Gewaltanwendung sind regelmäßig Gegenstand von Diskussionen in der autonomen Szene. Das Aggressionspotenzial der autonomen Szene ist seit Jahren Konfrontative Gewalt hoch. Autonome suchen vor allem bei Demonstrationen, aber Feindbild "Polizei" auch aus anderen Anlässen gewaltsame Auseinandersetzungen (konfrontative Gewalt). Gegner sind hauptsächlich tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten und Polizeibeamte. So betrachten Linksextremisten Polizeikräfte generell als Repräsentanten eines vermeintlichen staatlichen "Repressionsorgans". Sie versuchen zunehmend, die gesellschaftliche Akzeptanz der Polizei als staatliche Institution sowie der einzelnen Polizeibeamten, insbesondere bei der Ausübung polizeilicher Befugnisse, zu untergraben. Niederschwellige polizeiliche Kon trollen dienen ihnen als Vorwand, ihre "Freiräume" auch gewaltsam zu verteidigen. Am 4. Juni veröffentlichten Unbekannte über die Szeneplattform "de.indymedia.org" ein Plakat, das mutmaßliche Zivilbeamte der Münchner Polizei zeigt. Das Plakat wurde unter dem Titel "Know your Enemy" veröffentlicht und mit den Worten kommentiert: Wir haben einige Zivibullen, die in München auf Demos und bei anderen Veranstaltungen unterwegs sind, auf einem Plakat zusammengestellt. Druckt das Plakat aus und hängt es an linken Orten aus. Holt den Staatsschutz aus der Deckung! Niemand muss Bulle sein! In der Nacht zum 13. Juni wurde die Polizei zur Corneliusbrücke in München gerufen, da dort Personen Gegenstände auf die Fahrbahn werfen würden. Beim Eintreffen stellte die Polizei zehn Personen aus dem linksextremistischen Spektrum fest. Bei der Aufnahme der Personalien wurden die Beamten unvermittelt von vier Personen aus der Gruppe angegriffen, so dass die Polizisten Pfefferspray gegen die Angreifer einsetzen mussten. Zwei Polizeibeamte wurden leicht verletzt, die Personen festgenommen. Noch in derselben Nacht wurde eine weitere, der linksextremis tischen Szene zuzuordnende Person festgenommen, da diese mit erhobenen Fäusten zum Angriff auf Polizisten ansetzte. 231 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Initialisierende Linksextremisten sprechen Andersdenkenden die gleichmä Gewalt ßige Geltung der Grundrechte, wie z. B. die Meinungsoder Versammlungsfreiheit, ab. Als Konsequenz akzeptieren sie nicht, dass Polizeibeamte auch bei Demonstrationen von Rechtsex tremisten zur Gewährleistung des grundgesetzlich geschützten Versammlungsrechts eingesetzt werden müssen ("Deutsche Polizisten schützen Nazis und Faschisten"). Den Ablauf ihrer Aktionen machen Linksextremisten vor allem von ihrem Kräfteverhältnis gegenüber der Polizei abhängig. Dabei schließen sich vermummte Aktivisten in einheitlich schwarzer "Kampfausrüstung" häufig zu Schwarzen Blöcken zusammen, um aus diesen heraus unerkannt Gewalt ausüben zu können. Autonome nutzen aber ebenso Demonstrationen anderer - nichtextremistischer - Veranstalter, um der Veranstaltung einen militanten und aggressiven Charakter aufzuzwingen und hinter der Deckung friedlicher Demonstranten Gewalttaten zu begehen sowie andere dazu aufzustacheln (initialisierende Gewalt). "Ende Gelände" Diese Strategie zeigt sich aktuell bei der Anti-Kohle-Bewegung "Ende Gelände". Die linksextremistisch beeinflusste Bewegung zählt "zivilen Ungehorsam" und "Massenblockaden" zu ihren Aktionsformen: Wir werden uns ruhig und besonnen verhalten, von uns wird keine Eskalation ausgehen, wir gefährden keine Menschen. Massenmilitanz Auch wenn der überwiegende Teil der "Ende Gelände"-Demonstranten diesem Grundsatz Folge leistet, sind bei Aktionen der Bewegung immer wieder Strafund Gewalttaten festzustellen. So drangen während des "Ende Gelände"-Klimacamps, das vom 19. bis 24. Juni in Viersen/NRW stattfand, circa 2.000 Personen in den Tagebau Garzweiler ein und blockierten den Betrieb. Mehrere Personengruppen durchbrachen dabei gewaltsam Polizeiketten. Während der Protestaktionen wurden zwei Pumpstationen der Firma RWE in der Nähe des Tagesbaus in Brand gesetzt. Über die Dauer des Klimacamps wurden 16 Polizisten sowie mehrere Demonstranten zum Teil schwer verletzt. Es kam zu mehreren Festnahmen, unter anderem wegen Hausfriedensbruchs, Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Zudem versuchten mehrere Demons tranten, festgenommene Personen gewaltsam zu befreien. 232 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Neben dieser situationsabhängigen Massenmilitanz verüben Linksextremisten auch konspirativ geplante Straftaten wie Brand anschläge, zu denen häufig auf einschlägigen Internetportalen anonyme Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht werden. Ziel solcher Anschläge sind vor allem Unternehmen der Immobilienbranche, die im Rahmen von "Antigentrifizierungs"-Kampagnen bereits seit mehreren Jahren im Fokus der gewaltbereiten linksextremistischen Szene stehen. 2.1 Linksextremistisch motivierte Straftaten serie 2019 setzte sich die linksextremistisch motivierte Straftaten serie, in deren Fokus die Stadt München steht, fort. Hierbei entstanden zum Teil hohe Schadenssummen. Die Dauer der Serie sowie die Auswahl der Ziele verdeutlichen, dass es sich nicht um spontan verübte Straftaten handelt, sondern dass sie Bestandteil einer langfristig angelegten linksextremistischen Strategie sind. Hintergrund ist vor allem die Diskussion über steigende Mieten Straftaten gegen und Umstrukturierungsprozesse in Großstädten. Diese sogeGentrifizierung nannte "Gentrifizierung" nutzen autonome Linksextremisten als Vorwand, um unter dem Stichwort "Antigentrifizierung" Straftaten zu verüben. Unternehmen der Bauund Immobilienbranche werden von der linksextremistischen Szene als "Profiteure" der Gentrifizierung angesehen und deshalb attackiert. So wurden in den letzten Jahren im Rahmen einer "Antigentrifizierungs-Kampagne" zahlreiche Straftaten gegen die Münchner Verkehrsgesellschaft sowie Immobilienund Baufirmen begangen. Es wurden Scheiben eingeworfen, Fassaden beschmiert, Fahrkartenautomaten zerstört und Fahrzeuge in Brand gesetzt. Die Sachschäden gehen dabei in Einzelfällen bis in die Hundertausende: -- Am Morgen des 23. April stellte eine Zeugin einen Brand am Pkw einer Gebäudeund Anlagentechnik-Firma fest. Das auf der Straße abgestellte Fahrzeug brannte vollständig aus. Zwei in der Nähe abgestellte Fahrräder und ein Pkw wurden ebenfalls durch den Brand beschädigt. Der verursachte Sachschaden liegt bei circa 30.000 Euro. 233 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus -- In der Nacht zum 24. April wurde das Büro einer Münchner Immobiliengesellschaft beschädigt. Ein Zeuge beobachtete, wie drei schwarz gekleidete, vermummte Personen einen Gullideckel, Steine, eine schwarze Flüssigkeit und eine Dose Fisch gegen die Bürofenster warfen. Die Täter konnten unerkannt auf Fahrrädern fliehen. Der entstandene Sachschaden wird auf über 5.000 Euro geschätzt. -- Auch in der Nacht zum 25. April wurde ein Transporter einer Münchner Immobiliengesellschaft in Brand gesetzt. Der Pkw brannte vollständig aus. Ein weiteres, in der Nähe abgestelltes Fahrzeug wurde dadurch stark beschädigt. Der verursachte Schaden liegt bei etwa 20.000 Euro. -- Am 28. Juni wurden eine Hubarbeitsbühne und mehrere Paletten auf einer Baustelle in München in Brand gesetzt. Unbekannte drangen über Nacht auf die Baustelle ein und legten das Feuer. Der Sachschaden beläuft sich auf circa 15.000 Euro. -- Am 22. Juli bemerkten Passanten in München einen brennenden Pkw mit der Aufschrift einer Gebäudemanagementfirma. Die Flammen hatten im Inneren bereits den Fahrgastund Laderaum erreicht. Durch die massive Hitzeentwicklung wurde ein vor dem brennenden Fahrzeug geparkter Pkw eines Anwohners im Heckbereich beschädigt. Es entstand ein Schaden von 20.000 Euro. -- Am 14. November setzten unbekannte Täter Fahrkartenautomaten an zwei U-Bahnhaltestellen in München mittels Grillanzünder in Brand. Beide Automaten wurden erheblich beschädigt, der Schaden beläuft sich auf über 6.500 Euro. Die Brandanschläge stehen mutmaßlich in Zusammenhang mit der anarchistischen Kampagne "Fahr'Scheinfrei". Die Kampagne fordert eine kostenlose Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, da einkommensschwächere Personen durch die steigenden Preise aus den Städten und vom öffentlichen Leben ausgeschlossen würden. Bereits seit mehreren Jahren werden im Namen der Kampagne immer wieder Straftaten gegen die Münchner Verkehrsgesellschaft begangen. -- Am 19. November steckten Unbekannte einen Sendemast auf dem Gelände der Deutschen Bahn in München in Brand. Das Feuer erreichte eine Höhe von 30 bis 40 Metern, ehe es von der Feuerwehr gelöscht werden konnte. Der Sachschaden beträgt mehrere hunderttausend Euro. 234 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 2.2 Linksextremistische Aktionen gegen politische Gegner Auch im Jahr 2019 bewegte sich die Zahl linksextremistisch motivierter Aktionen gegen den "politischen Gegner" auf hohem Niveau. Der Begriff des "politischen Gegners" wird von Linksextremisten dabei vielseitig und in Abhängigkeit vom jeweiligen Aktionsfeld verwendet. So werden unter anderem Firmen der Bauund Immobilienbranche im Aktionsfeld "Antigentrifizierung", Polizei und Justiz im Aktionsfeld "Antirepression" oder Bundeswehr und Rüstungsunternehmen im Bereich "Antimilitarismus" zum Gegner beziehungsweise Feind erklärt, der auch mit Gewalt bekämpft werden muss. Linksextremistisch motivierte Aktionen orientieren sich dabei oft an aktuellen, gesellschaftlich relevanten Themen, die als Legitimation für Strafund Gewalttaten gegen Andersdenkende beziehungsweise "Gegner" genutzt werden. Im Kontext der Flüchtlingsdebatte dient Linksextremisten z. B. der Einsatz für Asylsuchende als Vorwand und Rechtfertigung für ihre mitunter gewalttätigen Aktionen, die sie als legitime Gegenmaßnahmen darzustellen versuchen. Im Bereich des "Antifaschismus" bilden Aktionen gegen die "Antifaschistische" Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) den Schwerpunkt Aktionen linksextremistischer Agitation. So beteiligen sich auch Linksextremisten regelmäßig an Demonstrationen gegen Veranstaltungen der AfD, in deren Rahmen es dann auch zu zum Teil gewalttätigen Auseinandersetzungen mit AfD-Anhängern kommt: Am 1. Mai wurde eine Kundgebung der AfD vor der Münchner Paulskirche massiv durch Gegendemonstranten gestört. Eine große Zahl von Personen, die mehrheitlich dem linksextremis tischen Spektrum zuzuordnen sind, bedrängte den Stand der AfD. Um die Gegendemonstranten von den Absperrungen zurückzudrängen, musste die Polizei unmittelbaren Zwang einsetzen. Eine Person wurde festgenommen. Über den Begriff "Antirepression" versuchen Linksextremisten, Staatliche Institutijegliche Form des rechtsstaatlichen Handelns zu diskreditieren. onen als AngrifssDaher stehen staatliche Stellen, allen voran Polizei und Justiz, objekte aber auch Unternehmen, die mit Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten, im Fokus linksextremistischer Agitation: 235 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Am 15. Februar wurde ein Kleintransporter der rheinland-pfälz ischen Bereitschaftspolizei, der anlässlich der 55. Münchner Sicherheitskonferenz in München eingesetzt wurde, von unbekannten Tätern mit Brandbeschleuniger in Brand gesetzt. Der Schaden beläuft sich auf circa 70.000 Euro. In der Nacht zum 12. Mai kam es auf dem Gelände einer Firma in Strullendorf zu einem Brand von vier Lastkraftwagen und eines Transporters. Die Firma beliefert mehr als 120 Justizvollzugsanstalten im Bundesgebiet mit Lebensmitteln. Am 16. Mai wurde auf dem linksextremistischen Szeneportal "de.indymedia.org" ein Bekennerschreiben zur Brandstiftung veröffentlicht. Unter dem Pseudonym "Kuchen und Feile" schrieben die Täter, dass der Anschlag gegen das "menschenverachtende System" und die "profitierende" Firma gerichtet gewesen sei. Es entstand ein Sachschaden von 800.000 Euro. Am 12. Februar riefen Linksextremisten auf der Szeneplattform "de.indymedia.org" bundesweit zu Sabotageaktionen gegen die Deutsche Bahn auf. Damit reagierten sie auf die Vollstreckung einer Räumungsklage des Unternehmens in Leipzig gegen ein dortiges Wohnprojekt. Auch in Bayern kam es zu Sabotageaktionen: Sabotageaktion Am 21. Februar ging bei der Deutschen Bahn eine Störungsmelgegen die Deutsche dung an einem Achsenzähler auf der Strecke zwischen Mühldorf Bahn und Neumarkt St. Veit ein. Unbekannte hatten den Achsenzähler aufgebrochen und die Kabelverteiler gewaltsam herausgerissen. Bei der Überprüfung der Störung wurde außerdem festgestellt, dass auf einer Länge von 3,5 Metern Schottersteine auf die Schienenköpfe gelegt worden waren. Am 30. März wurden ein Regionalzug in Richtung München und eine S-Bahn der Linie S1 in Richtung Oberschleißheim durch ein aus dem Gleisbett herausgerissenes und danach quer über beide Gleisstrecken gelegtes Erdungskabel und einer dazugehörigen Metallschiene beschädigt. Auf das stadteinwärts führende Gleis hatten Unbekannte einen großen Betonbrocken gelegt, der beim Zusammenstoß eine massive Erschütterung in der 90 Tonnen schweren Lok erzeugte und eine Zwangsbremsung auslöste. An der S-Bahn wurde durch Kabelfetzen eine hydraulische Bremsleitung beschädigt. Unabhängig von derartigen "Solidaritätsaktionen" ist die Deutsche Bahn auch immer wieder Ziel von "Antimilitarismus"-Aktionen. Linksextremisten werfen dem Konzern vor, am Transport von Waffen, unter anderem in die Türkei, beteiligt zu sein. 236 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 2.3 Strafund Gewalttaten Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" Politisch motivierte Gewaltdelikte 2017 2018 2019 Tötungsdelikte (auch Versuch) 0 0 0 Körperverletzung 33 19 21 Brandund Sprengstoffdelikte 8 14 11 Landfriedensbruch 4 2 0 Widerstandsdelikte 9 9 12 Gef. Eingriff in Bahn-, Schiffsund 0 1 2 Luftverkehr Raub 0 1 1 Sonstige Gewalttaten 0 0 0 gesamt 54 46 47 Kriminelle Vereinigung/Terrorismus 0 0 0 Sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 439 541 492 Nötigung/Bedrohung 5 5 5 Propagandadelikte* 15 Sonstige Straftaten 116 160 110** gesamt 560 706 622 Straftaten insgesamt 614 752 669 * Bis 2018 unter "sonstige Straftaten" erfasst, separate Ausweisung seit 2019 ** Davon 2 Volksverhetzungsdelikte Die Gesamtzahl linksextremistischer Straftaten in Bayern war in 2019 nach einem Höchststand im Vorjahr wieder rückläufig. Während im Jahr 2018 noch 752 Straftaten zu verzeichnen waren, wurden in 2019 insgesamt 669 Straftaten gezählt. Nach wie vor stellen Sachbeschädigungen mit 492 Delikten den Großteil der Straftaten dar. 237 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten in Bayern blieb in 2019 mit nunmehr 47 Delikten gegenüber dem Vorjahr (46 Delikte) nahezu konstant. Darunter waren erneut 11 Brandund Sprengstoffdelikte. Im Vergleich zum Vorjahr mit 14 Brandund Sprengstoffdelikten ist somit nur eine leichte Entspannung eingetreten. Die Mehrzahl dieser Delikte wurde im Großraum München begangen. 2.4 Präventionsmaßnahmen des Verfassungsschutzes Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz klärt mit einem Informationsfilm und einem Flyer über die Ziele und Vorgehensweisen autonomer Linksextremisten auf und sensibilisiert damit insbesondere junge Menschen für deren Anwerbestrategien. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz will mit dem Informationsfilm "Lass dich nicht verarschen - diesmal von autonomen Linksextremisten" eine differenzierte Sichtweise über die gewaltbereite autonome Szene vermitteln und Nutzerinnen und Nutzern 10 Tipps an die Hand geben, wie sie durch umsichtiges Verhalten vermeiden können, selbst in die Fänge von Linksextremisten zu geraten. Mit dem Flyer "Autonome - Linksextremistische Gewalttäter oder selbsternannte Freiheitskämpfer" vermittelt das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz weitergehende Informationen über die Gewaltbereitschaft der linksautonomen Szene. Insbesondere klärt der Flyer darüber auf, in welchen Bereichen Autonome aktiv sind, wie sie ihren Nachwuchs rekrutieren und welche Hinweise es für eine beginnende Radikalisierung gibt. Der Film des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz kann auf dem YouTube-Kanal der Bayerischen Staatsregierung unter www.youtube.com/user/bayern abgerufen werden. Der Flyer ist abrufund bestellbar über das Publikationsportal der Bayerischen Staatsregierung unter www.bestellen.bayern.de. 238 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 3. EINFLUSSNAHME AUF BÜRGERLICHE KAMPAGNEN Die linksextremistische Szene beteiligt sich seit jeher auch an nichtextremistischen Veranstaltungen oder Initiativen. Diese Taktik ermöglicht es Linksextremisten, den eigenen Protest auf eine größere Bühne zu tragen und mehr Menschen über ihre eigene Kernklientel hinaus zu erreichen. Linksextremisten versuchen, Einfluss auf Veranstaltungen oder Initiativen auszuüben, indem sie ihre verfassungsfeindlichen Ideologien und Ziele in den Protest mit einfließen lassen. Letztendlich sollen ihre extremistischen Überzeugungen und Ziele in der Bevölkerung politisch anschlussfähig werden. Gleichzeitig werben Linksextremisten dabei um Nachwuchs. Politisch interessierte Menschen werden eingeladen, an eigenen Veranstaltungen oder Treffen teilzunehmen, und so an die linksextremistische Szene herangeführt. Von besonderem Interesse sind für Linksextremisten dabei Themen, die in der Gesellschaft virulent sind, eine Vielzahl von Menschen betreffen und gleichzeitig Ansatzpunkte für das "Andocken" ihrer linksextremistischen Forderungen eröffnen. Aktuell ist zu beobachten, dass sich einige linksextremistische LinksextremistiGruppen verstärkt im Bereich Klimaund Umweltschutz engasches Engagement gieren. In ihrer Rhetorik verbinden sie den Protest gegen den im Klimaund Klimawandel regelmäßig mit dem "Kampf" gegen vermeintlich Umweltschutz "herrschende Klassen" oder gegen die "Umweltpolitik der herrschenden Klassen". Den Klimaprotest verklären sie ebenfalls im kämpferisch aggressiven Duktus zu einem "Klimakampf" und fordern einen "Systemwandel statt Klimawandel". Damit wird deutlich, dass für Linksextremisten der Einsatz für Klimaschutz untrennbar mit der Bekämpfung des freiheitlich-demokratischen Staates verbunden ist. Bei der linksextremistisch beeinflussten Anti-Kohle-Bewegung "Interventionisti"Ende Gelände" nehmen Linksextremisten eine tragende Rolle sche Linke" (IL) als ein. Die Kampagne "Ende Gelände" trat erstmals 2014 im RahScharnier zwischen men der Proteste gegen den Braunkohleabbau in Erscheinung. Linksextremisten Sie setzt sich aus verschiedenen Organisationen des demokraund demokratischen tischen sowie des linksextremistischen Spektrums zusammen. Initiativen Ein maßgeblicher extremistischer Akteur des Bündnisses ist die Gruppierung "Interventionistische Linke" (IL). Sie übernahm bei der Kampagne eine strategisch führende Position und fungiert als koordinierendes sowie aktionsinitiierendes Bindeglied zwischen demokratischen und linksextremistischen Organisationen. Die IL sieht den Kapitalismus und den dahinterstehenden 239 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Staat als Ursache des Klimawandels. Sie propagiert, dass die Krise systembedingt und daher eine Lösung innerhalb des Systems nicht möglich sei. Daher richtet sich ihr "Kampf für Klimaschutz" vor allem auch gegen Unternehmen, den Staat und das politische System an sich. Neben "Ende Gelände" versuchen Linksextremisten auch, auf die von Schülern demokratisch getragene Umweltund Klimabewegung "Fridays for Future" Einfluss zu nehmen. Klimaschutz als TürDie linksextremistische Szene hat dabei schnell das hohe Moöffner für linksextrebilisierungspotenzial der "Fridays for Future"-Bewegung ermistische Ideologie kannt. Linksextremistische Gruppen wie die "Linksjugend ['solid]", "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD), die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) oder die "Marxistische Jugend" (mj) versuchen gezielt, Einfluss auf die Schülerbewegung auszuüben. Sie nutzen die Sorgen der überwiegend jungen Klimaaktivisten vor den Folgen des Klimawandels als "Türöffner", um dort gegen das "kapitalistische System" als Ursache des Klimawandels zu hetzen. Mit Slogans wie "Capitalism will never be green" oder "Klima retten, Kapitalismus entsorgen" wollen sie die Bewegung politisieren und ihre eigene antikapitalistische und antistaatliche Ideologie einfließen lassen. Hierzu nutzt vor allem die mj auch die sozialen Medien: Über Facebook und YouTube veröffentlicht die Gruppe regelmäßig Bilder und Videos von Veranstaltungen der "Fridays for Future". Dort sind Mitglieder der mj zu sehen, wie sie antikapitalistische Banner tragen, szenetypische Sprechchöre beginnen oder eine Politisierung der Schülerbewegung einfordern. Trotz des Engagements linksextremistischer Gruppen innerhalb der "Fridays for Future"-Bewegung wurde bisher keine lenkende Einflussnahme durch die linksextremistische Szene festgestellt. "Fridays for Future" versucht im Ganzen unpolitisch zu bleiben. So schließen einzelne Ortsgruppen politische Parteien von ihren Versammlungen gänzlich aus oder platzieren diese ans Ende des Demonstrationszugs. Situation in Bayern Kampagne "Ende Die Kampagne "Ende Gelände" unterhält in Bayern OrtsgrupGelände" pen in Augsburg, Bamberg, Fürth, München, Nürnberg, Passau, Regensburg und Würzburg. Diese organisieren lokale Informationsveranstaltungen und Aktionstrainings für die bundesweite Kampagne. Bei Großveranstaltungen wie dem Aktionswochenende am Tagebau Garzweiler vom 19. bis 24. Juni wurden über die Ortsgruppen gemeinsame Anreisen organisiert. 240 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 In Würzburg wurde im Mai für die Großveranstaltung am Tagebau ein Aktionstraining durchgeführt. Dort wurden Themen wie Rechtshilfe, Konsensfindung, Bezugsgruppen und ziviler Ungehorsam erörtert und trainiert. Auch bayerische Linksextremisten sehen in den Klimabewegungen ein immenses Potenzial, das sie in ihrem Sinne politisieren wollen. Dies zeigt sich z. B. bei der von der linksextremistischen "Revolutionär organisierten Jugendaktion" (ROJA) veranstalteten "Woche der internationalen Solidarität". Im Rahmen der Aktionswoche wurde am 16. Juli eine Podiumsdiskussion im Nürnberger Szenetreff "Desi" mit dem Thema "Klimakämpfe und Perspektiven" abgehalten. Eingeladen waren unter anderem Vertreter der Kampagne "Ende Gelände" aus Nürnberg, die von ihren Protestaktionen gegen den Klimawandel und ihren Erfahrungen berichteten. ROJA griff damit eine aktuelle politische Debatte auf und integrierte diese in ihre Aktionswoche. So hieß es in den sozialen Medien zur Veranstaltung: "Der größte Jugendprotest unserer Zeit widmet sich dem Klimakampf." Bereits am 31. Mai hatte ROJA im Rahmen der "La Noche Roja" zu einem Treffen in der "Schwarzen Katze" in Nürnberg eingeladen, das sich vorrangig mit dem Thema "Klimaschutz" beschäftigen sollte. Auch die Rosenheimer autonome Gruppe "Contre la Tristesse" thematisiert in ihren Vortragsabenden den Klimaschutz. So fand am 7. Juni ein Vortrag zum Thema nachhaltige Klimapolitik statt. 4. IDEOLOGISCHE WURZELN DES LINKS EXTREMISMUS Ideologisch greifen die zwei Hauptströmungen des Linksextremismus, der Kommunismus und der Anarchismus, im Wesentlichen auf den französischen Ökonomen und Soziologen Pierre-Joseph Proudhon (1809 - 1865) zurück. Proudhon stellte im Kontext der Ausbeutung der Arbeiterschaft während der industriellen Revolution 1840 in seinem gleichnamigen Werk die Frage: "Was ist Eigentum?". Seine Antwort auf die Frage ist noch heute weltbekannt: "Eigentum ist Diebstahl." Proudhons Ziel war eine herrschaftsfreie, dezentral organisierte Gesellschaft, in der jeder nur das besitzt, was er durch eigene oder kollektive Arbeit hergestellt oder durch Tausch erworben hat. Die Lehren von Karl Marx und Michail Bakunin, den Vordenkern des Marxismus beziehungsweise des Anarchismus, wurden maßgeblich durch die Ideen Proudhons beeinflusst. 241 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Marxismus Die Lehren von Karl Marx (1818 - 1883) und Friedrich Engels (1820 - 1895) sind die ideologische Grundlage für das Denken und Handeln der meisten Linksextremisten. Das gesamte politische, geistige und kulturelle Leben einer Gesellschaft wird demnach durch die ökonomischen Strukturen und Verhältnisse bestimmt. Die marxistische Lehre ist sowohl wissenschaftliche Theorie als auch praktisch-politische Handlungsanleitung für die Revolution. Ihr zufolge vollzieht sich die Menschheitsgeschichte in gesetzmäßigen Entwicklungsstufen. Dem Endziel der geschichtlichen Entwicklung, der kommunistischen klassenlosen Gesellschaft, geht die revolutionäre Überwindung des kapitalistischen Systems voraus. Im Kapitalismus stehen sich die ausbeutende Klasse der bürgerlichen Kapitalisten - die Eigentümer an den Produktionsmitteln - und die ausgebeutete Klasse der Arbeiterschaft - die sogenannten Proletarier - gegenüber. Der durch die Arbeiterschaft geschaffene Mehrwert eines erstellten Produktes geht nach der marxistischen Lehre in den Besitz der Kapitalisten über und führt so zu Lohndruck, Verarmung und schließlich Verelendung des Proletariats. Die Folgen sind Klassenkämpfe, die in eine Revolution und schließlich in die Diktatur des Proletariats münden mit dem Endziel einer kommunistischen Gesellschaft. Das Menschenbild des Marxismus ist ein grundsätzlich anderes als das freiheitlicher Demokratien. Im Mittelpunkt steht nicht das Individuum mit seinen garantierten Rechten, sondern die Arbeiterklasse. Nach dieser Sichtweise ist es zulässig, Grundund Menschenrechte zugunsten des sozialistischen Kollektivs und einer kommunistischen Zielsetzung zu relativieren oder gar außer Kraft zu setzen. Marxismus-Leninismus Der Marxismus-Leninismus war die offizielle Weltanschauung der früheren Sowjetunion. Er basiert auf den Lehren von Marx und Engels (Marxismus), die von Wladimir I. Lenin (1870-1924) zur Staatsdoktrin der Sowjetunion und für den von ihm propagierten internationalen Klassenkampf weiterentwickelt wurden. Auch nach marxistisch-leninistischer Auffassung muss der Kapitalismus bekämpft werden. Das höchste Stadium des Kapitalismus sah Lenin im sogenannten Imperialismus. Demnach trachte der Kapitalismus in ausbeuterischer Weise danach, seinen Machtund Einflussbereich auf andere Staaten auszudehnen, was zwangsläufig zu Kriegen führt. Dem Kapitalismus müsse 242 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 also eine neue Gesellschaft folgen: der Sozialismus. Den Sozialismus sah Lenin wiederum als Vorstufe des Kommunismus. Der Marxismus-Leninismus führt zwangsläufig zu einer revolutionären Umwälzung. Allerdings verfügt die Arbeiterklasse nach Lenin nicht über das notwendige politisch-revolutionäre Bewusstsein. Dieses müsse durch eine Kaderpartei aus Berufsrevolutionären (Avantgardeanspruch der kommunistischen Partei) vermittelt werden. In dieser Partei sind gemäß dem Grundsatz des "demokratischen Zentralismus" keine abweichenden Meinungen zu Parteibeschlüssen durch Fraktionen oder innerparteiliche Strömungen erlaubt. Für marxistisch-leninistische Kaderparteien wie die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) spielt der Marxismus-Leninismus eine große, für offen extremistische Strukturen innerhalb der Partei "DIE LINKE." zumindest eine prägende Rolle. Stalinismus Stalinismus ist Josef W. Stalins (1878-1953) theoretische Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus zum dikta torischbürokratischen Herrschaftssystem der Sowjetunion. Entgegen der marxistischen Annahme, dass zum Sieg des Proletariats über das Bürgertum ("Bourgeoisie") eine gemeinsame Revolution der Proletarier aller Länder notwendig sei, ging Stalin davon aus, dass der Sozialismus unter der Führung der Sowjetunion vorbildhaft zuerst dort realisiert werden müsse. Mit dem von Stalin betriebenen Aufund Umbau der Sowjetunion zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung wurden unter anderem die "stalinistischen Säuberungen" legitimiert, denen Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. In Deutschland berufen sich die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) und der "Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD" (AB) auch auf die Ideen Stalins. Trotzkismus Das auf Leo Trotzki (1879-1940) zurückgehende Modell des Sozialismus ist keine in sich geschlossene, eigenständige Lehre, sondern eine Abwandlung des Marxismus-Leninismus. Sie entstand vor allem aus der Opposition von Trotzki zu Stalin. Wesentliche Elemente sind die Theorie der "permanenten Revolution", der Glaube an die Weltrevolution (im Unterschied zu Stalins "Sozialismus in einem Land"), das Ziel der Errichtung einer "Diktatur des Proletariats" in Form einer Rätedemokratie und das Festhalten am "proletarischen Internationalismus". 243 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Die charakteristische Strategie trotzkistischer Vereinigungen ist der Entrismus, d. h., sie versuchen, gezielt in andere Organisationen einzudringen und Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. So findet ihre eigene Ideologie Verbreitung über die unterwanderte Organisation. Maoismus Unter der Führung von Mao Tse-tung (1893-1976) wurde in China nach dem kommunistischen Sieg 1949 der Marxismus-Leninismus in einer von Sowjetrussland abweichenden Weise interpretiert und als kommunistische Ideologie weiterentwickelt. Der Maoismus sieht in China die ländliche Bevölkerung und nicht die städtische Arbeiterschaft als Träger des politischen Umsturzes. Die Weltrevolution sollte in einem Land der Dritten Welt durch einen Guerillakrieg bäuerlicher Partisanen ausgelöst werden. In einer Serie politischer Kampagnen ("Kulturrevolution") versuchte Mao Tse-tung, die chinesische Gesellschaft zu den revolutionären Zielen der Partei zu erziehen. Der ideologische Terror und die damit verbundenen "Säuberungsaktionen" forderten Millionen Tote. Die Ideen Maos waren Vorbild für große Teile der 1968er-Bewegung, vor allem der in Westeuropa entstandenen "Neuen Linken" (sogenannten K-Gruppen). Heute bekennt sich lediglich die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) öffentlich zu Mao Tse-tung. Anarchismus Zum Anarchismus werden Ordnungsvorstellungen und Bestrebungen gerechnet, die auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen abzielen. Das Feindbild aller, im Detail unterschiedlich ausgerichteter, anarchistischer Strömungen ist der Staat. Er gilt im anarchistischen Verständnis als repressive Zwangsinstanz, die zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft aufgelöst und zerschlagen werden müsse. Einer der bekanntesten Vordenker des Anarchismus ist Michail Alexandrowitsch Bakunin (1814 - 1876), ein russischer Revolutionär und Anarchist, der in Westeuropa lebte und von dort aus weltweit wirkte. Bakunin strebte nach einer herrschaftsfreien, dezentral organisierten Gesellschaft. Zur Umsetzung seiner Ideale setzte er auf gewaltsame Revolutionen. Aus den Ideen Bakunins entwickelte sich Ende des 19. Jahrhundert der sogenannte "Anarcho-Syndikalismus", ein System, in dem Gewerkschaften die Arbeiterschaft unabhängig von Staat 244 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 oder Industriellen dezentral verwalten. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs, der kommunistischen Revolution in Russland, dem Aufstieg des Faschismus in Italien und während des Zweiten Weltkriegs verlor der Anarchismus zunehmend an Bedeutung. Einen zwischenzeitlichen Aufschwung erlebte er im Rahmen der "68er"-Studentenbewegung, die sich in ihrer Forderung nach totaler Freiheit auch auf den Anarchismus berief. Gegenwärtig bestehen nur wenige anarchistische Kleinorganisationen in Bayern wie die "Anarchistische Gruppe München" oder "Auf der Suche". 5. LINKSEXTREMISTISCHE THEMENFELDER Um ihre politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen durchzusetzen, engagieren sich Linksextremisten in verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Themenfeldern. Typische Aktionsfelder der Linksextremisten sind: -- Antikapitalismus, -- Antifaschismus und Antirassismus, -- Antirepression, -- Antigentrifizierung, -- Antiimperialismus, -- Antimilitarismus, -- Antiglobalisierung. Die Themenfelder sind eng miteinander verbunden. Zentraler Antikapitalismus im Punkt linksextremistischer Agitation ist der Antikapitalismus. Zentrum linksextreVon ihm lässt sich auf die Mehrzahl der anderen Themenfelder mistischer Ideologie schließen, so z .B. auf die Gentrifizierung, die nach Ansicht von Linksextremisten allein aus kapitalistischen Beweggründen hervorgerufen werde. Auch Imperialismus, Militarismus oder Globalisierung hätten, linksextremistischen Argumentationen folgend, ihren Ursprung im Profitund Expansionsdrang des Kapitalismus. Aktionen von Linksextremisten, mit denen der Staat, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder der politische Gegner bekämpft werden sollen, finden situationsangepasst statt. Die einzelnen Themen dienen mitunter der Legitimation von Gewalttaten. Antikapitalismus Linksextremistischer Antikapitalismus will im Gegensatz zur Kapitalismuskritik nicht nur Defizite am Wirtschaftssystem benennen und Reformvorschläge entwickeln, sondern mit dem 245 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Wirtschaftssystem auch Staat und Gesellschaft vollständig umwälzen. "Kapitalismus" und "kapitalistische Systeme" sind nach linksextremistischer Auffassung die wesentlichen Ursachen für Faschismus, Rechtsextremismus, Imperialismus und Krieg. Für Linksextremisten stellt "Kapitalismus" somit nicht nur eine bloße Wirtschaftsordnung dar, vielmehr wird er gleichgesetzt mit der Gesamtheit staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen in einer parlamentarischen Demokratie. Ob anarchistisch oder kommunistisch: Linksextremistischer Antikapitalismus hat aufgrund dieser Grundannahmen immer die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie als sogenannte "bürgerliche Herrschaftsform" zum Ziel. Antikapitalismus ist fundamental für linksextremistische Agita tion. Der Kapitalismus wird von Linksextremisten als "Grund übel" angesehen. Folglich finden sich antikapitalistische Argumente auch in anderen, typisch linksextremistischen Themenfeldern. So unterstellen Linksextremisten dem kapitalistischen System, "imperialistisch" zu sein und profitmaximierend zu handeln. Staaten und deren Armeen unterstützten dieses, um "schwächere" Staaten und Völker zu unterdrücken und auszubeuten. Linksextremisten sehen den kapitalistischen "Imperialismus" als Hauptursache für bewaffnete Konflikte. Daher steht linksex tremistischer Antiimperialismus auch immer in einem antikapitalistischen Kontext. Linksextremistischer Aus ihrem antiimperialistischen Weltbild entwickelt sich bei Antizionismus Linksextremisten häufig auch ein Antizionismus - die Ablehnung des Staates Israel und dessen Innenund Außenpolitik. Israel stellt in diesem Zusammenhang für Linksextremisten eine Art "Brückenkopf" der USA im Nahen Osten dar, um den Kapitalismus immer weiter auszudehnen. Hinzu kommt für Linksex tremisten der Umgang Israels mit den Palästinensern, der von ihnen häufig mit dem Verhalten der Nationalsozialisten im Dritten Reich verglichen wird. In ihrer Kritik solidarisieren sich viele Linksextremisten mit den Palästinensern und rufen zum "Kampf" gegen Israel und die USA auf. Linksextremistischer Antikapitalismus stellt für Linksextremisten auch ein Einfallstor in bürgerlichen Protest dar. Dies zeigt sich aktuell am deutlichsten bei Umweltund Klimakampagnen. Mit Slogans wie "Capitalism will never be green" oder "System change not climate change" versuchen Linksextremisten, ihre Idee vom Kapitalismus als "Kernproblem" in die Bewegungen einzubringen. 246 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Antifaschismus und Antirassismus Linksextremisten nutzen den breiten gesellschaftlichen KonAblehnung der sens gegen den Rechtsextremismus für ihre politischen Ziele, parlamentarischen die weit über die Bekämpfung des Rechtsextremismus hinausDemokratie reichen. Antifaschismus im linksextremistischen Sinn beinhaltet auch die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie. Ursprünglich bezog sich der Begriff Antifaschismus auf die inneritalienische Opposition gegen die Herrschaft Mussolinis. Die Wurzeln des deutschen Antifaschismus liegen im Widerstand gegen die Diktatur des Dritten Reichs. Neben dem bürgerlich-liberal geprägten Antifaschismus, der für die Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintrat, entwickelte sich ein kommunistisch orientierter, als linksextremistisch einzustufender Antifaschismus. Der linksextremistische Antifaschismus wertet alle nicht marxistischen Systeme als potenziell faschistisch oder als eine Vorstufe zum Faschismus. Linksextremisten sehen also die eigentliche Ursache von Faschismus, Rassismus und Rechtsextremismus in einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung, die auf Kapitalismus, Parlamentarismus und Rechtsstaatsprinzipien aufbaut. Der Antirassismus, der insbesondere im Zusammenhang mit der Asylthematik einen linksextremistischen Agitationsschwerpunkt bildet, steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Antifaschismus und dem Antikapitalismus. Linksextremisten sehen marktwirtschaftlich verfasste Staaten als Systeme, die zwangsläufig Rassismus hervorrufen und legitimieren. Gewaltorientierte linksextremistische Autonome nutzen den Antifaschismus seit Jahren zur Mobilisierung ihrer Anhänger und zur Legitimierung ihrer militanten Aktionen gegen Staat und Polizei mit dem Argument, diese schützten Rechtsextremisten. Dabei suchen Autonome auch den Schulterschluss mit demokratischen Bündnissen und Initiativen. Linksextremistische Parteien und Organisationen streben über Beeinflussung büreine gezielte Einflussnahme die Übernahme von Leitungsund gerlicher antifaschisSteuerungsfunktionen in antifaschistischen Initiativen an. Der tischer initiativen Kampf gegen Hitler und die Verfolgung von Kommunisten zur Zeit des deutschen Nationalsozialismus dienen aus der kommunistischen Bewegung entstandenen Organisationen als Legitimation für ihren Führungsanspruch im antifaschistischen Spektrum. Antifaschismus ist nicht generell linksextremistisch. Es kommt vielmehr darauf an, was die jeweiligen Antifaschisten konkret unter "Faschismus" verstehen und welche Forderungen sich 247 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus aus ihrem Selbstverständnis als "Antifaschisten" ergeben. Die zentrale Frage dabei lautet: Richtet sich die Ablehnung nur gegen Rechtsextremismus, oder richtet sich die Ablehnung gegen die Normen und Regeln eines demokratischen Verfassungsstaats? Antirepression Mit dem Begriff der "Repression" versuchen Autonome, jeg liche Form rechtsstaatlichen Handelns, wie z. B. die Durchsetzung geltender Gesetze, zu diskreditieren. Dies gilt insbesondere für die staatliche Überwachung und Strafverfolgung linksextremistischer Aktionen. So lehnen Autonome polizeiliche Maßnahmen gegen linksextremistische Gewalttäter ab und versuchen, mit Solidaritätskampagnen eine breite Öffentlichkeit in ihrem Sinne gegen rechtsstaatliches Handeln zu beeinflussen. Gleichzeitig mobilisieren sie damit die linksextremistische Szene und rechtfertigen ihr militantes Vorgehen. Antigentrifizierung Mit dem Thema Antigentrifizierung versuchen Linksextremisten, ihre eigenen Interessen in eine aktuelle stadtund gesellschaftspolitische Diskussion einzubetten und damit in größere Bevölkerungskreise hinein politisch anschlussfähig zu werden. Der Begriff "Gentrifizierung" kommt ursprünglich aus der Stadtsoziologie und bezeichnet soziale Umstrukturierungsprozesse in Stadtteilen, die zu steigenden Mieten und einer Verdrängung der bisherigen Bewohner führen. Viele Bewohner von Großstädten beschäftigt dieses Thema. Es bilden sich Initiativen, die in aller Regel von demokratischen Kräften getragen werden. Linksex tremisten versuchen, sich diesen Initiativen anzuschließen beziehungsweise im gleichen Themenfeld eigene Aktionen zu entwickeln, um damit ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu steigern und sich als sozialpolitische Akteure zu profilieren. Angriffe auf Gewaltbereite Linksextremisten setzen im Zusammenhang mit Unternehmen der dem Themenfeld Antigentrifizierung auch auf gewalttätige AkImmobilienbranche tivitäten: Insbesondere Immobilienmakler werden von ihnen als Mitverantwortliche für die "Gentrifizierung" und damit als Feindbild wahrgenommen. Büros und Fuhrparks von Immobilienfirmen sind immer wieder Ziel militanter Attacken aus der linksextremistischen Szene. Es werden Scheiben eingeworfen, Fassaden beschmiert, Fahrkartenautomaten zerstört und Fahrzeuge in Brand gesetzt. Die Sachschäden gehen dabei in Einzelfällen bis in die Hunderttausende. 248 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Antimilitarismus Antimilitarismus hat in der linksextremistischen Szene, insbesondere durch vermehrte Auslandseinsätze der Bundeswehr, wieder an Bedeutung gewonnen. Nach der Militarismus-Theorie von Karl Liebknecht dient das Militär dazu, kapitalistische Expansionsbestrebungen gegenüber anderen Staaten durchzusetzen und im eigenen Land den Kapitalismus und dessen "Ausbeutungsstrukturen" zu stabilisieren. Dieses Gedankengut lebt in der linksextremistischen Szene weiter. Linksextremisten sind daher immer wieder auch in pazi fistischen Initiativen und Bündnissen aktiv, um dort ihre Ideologie zu verbreiten. Im Gegensatz zum Pazifismus geht es Linksextremisten nicht nur um die Abschaffung des Militärs, sondern darüber hinaus um die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie. Prägende Ereignisse der linksextremistischen Aktivitäten zum Thema Antimilitarismus waren auch im Jahr 2019 die Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz. An der Demonstration beteiligten sich insgesamt circa 3.500 Personen, überwiegend aus dem nicht-extremistischen Bereich. Aus dem teilnehmenden "Schwarzen Block" mit etwa 200 Anhängern der linksextremistischen Szene wurden bengalische Feuer und Rauchkörper gezündet. Darüber hinaus verlief der Protest friedlich. Antiglobalisierung Linksextremisten lehnen grundsätzlich Nationalstaaten und Grenzen ab. Sie sind aber auch Gegner der Globalisierung, da sie in ihr einen rein wirtschaftlichen Prozess sehen, der von den "starken" Industrienationen vorangetrieben werde, um die "schwachen" Schwellenund Entwicklungsländer weiter ausbeuten zu können. Linksextremistischer Protest gegen die Globalisierung äußert sich vor allem bei Gipfeltreffen wie dem G7-Gipfel, der vom 25. bis 27. August im französischen Biarritz stattfand. Da sich bei derartigen Großveranstaltungen nur die "führenden" Industrienationen treffen, sehen Linksextremisten diese als Symbol der globalen kapitalistischen Ausbeutung. Der Gipfel in Biarritz wurde von massivem Protest begleitet. WähAusschreitungen rend die größte Gegendemonstration am 24. August mit 9.000 beim G7-Gipfel in Teilnehmern friedlich verlief, kam es bei mehreren unangemelBiarritz deten Demonstrationen zu gewalttätigen Ausschreitungen. Am 249 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus 23. August wurden vier Polizisten verletzt. Mehrere Demons tranten hatten die Polizei bei einer unangemeldeten Demonstration mit Feuerwerkskörpern und Gegenständen beworfen. Am 24. August wurden aus einer unangemeldeten Demonstration mit mehreren hundert Teilnehmern heraus Steine auf die Polizisten geworfen. Drei Nürnberger Linksextremisten, die in Frankreich festgenommen worden waren, wurden zu Haftstrafen verurteilt. Bei ihrer Festnahme führten sie unter anderem mehrere Schienbeinschoner, Sturmhauben, eine Farbkartusche, Tränengas und ein Funkgerät mit sich. Das französische Gericht sah sie als gewalttätige Gruppe an, deren Ziel die Begehung von Straftaten anlässlich des G7-Gipfels gewesen sei. 6. INTERNET, MUSIK UND MEDIEN 6.1 Linksextremistische Agitation im Internet Für Linksextremisten sind die Möglichkeiten des Internets und insbesondere die Nutzung sozialer Medien wie Facebook, Insta gram oder Twitter von zentraler Bedeutung für ihre Agitation. Sie betreiben dort Kampagnenarbeit, vernetzen sich und diskutieren zentrale Themen in offenen und geschlossenen Foren oder Blogs. Verbot von Bis zu ihrem Verbot 2017 war die Internetplattform "linksunten. "linksunten. indymedia" das wichtigste Medium der gewaltbereiten linksextindymedia" remistischen Szene. Über Jahre bot das Portal eine Plattform zur Darstellung und Propagierung linksextremistischer, verfassungsfeindlicher Inhalte. Durch das Angebot eines verschlüsselten und anonymisierten Kommunikationswegs war es für die Nutzer möglich, Beiträge mit strafrechtlich relevanten Inhalten auf der Plattform zu veröffentlichen, ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen. Seit der Abschaltung der Seite ist die linksextremistische Szene auf andere Plattformen ausgewichen. Der Einsatz von Verschlüsselungs-Software erschwert grundsätzlich die Rückverfolgung auf den Urheber. Viele Internetseiten werden zudem auf anonymen, ausländischen Servern betrieben. Da diese nur schwer zu ermitteln sind und nicht dem deutschen Recht unterliegen, können Straftaten nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen verfolgt werden. Um die Urheber zu ermitteln, sind deutsche Behörden auf die Zusammenarbeit mit den zuständigen ausländischen Stellen angewiesen. 250 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Zu Werbezwecken erstellen Linksextremisten auch Mobilisierungsvideos (Mobivideos, Mobis), meist kurze Clips, die Szeneangehörige bei erfolgreichen Aktionen, auf Demonstrationen oder beim Anbringen von Graffiti zeigen. Die Videos sind mit szenetypischer Musik hinterlegt und werden auf Videoplatt formen wie YouTube oder vimeo veröffentlicht und bei Veranstaltungsaufrufen verlinkt. Sie richten sich vor allem an jüngere Menschen, sollen politisieren und zum Mitmachen animieren. Über das Internet führen linksextremistische Gruppierungen auch sogenannte Outings tatsächlicher oder vermeintlicher Rechtsextremisten durch. Sie machen dazu teilweise umfangreiche Recherchen mit Bildmaterial und persönlichen Daten zugänglich. Vereinzelt ergänzen sie die Outings mit Aktionen im Arbeitsoder Wohnumfeld des Betroffenen, um diesen gesellschaftlich zu isolieren oder szenetypische Aktionen wie Graffiti oder Sachbeschädigungen beim Betroffenen durchzuführen. Von diesem Phänomen sind zum Teil auch Polizeibeamte betroffen. Vor allem Instant-Messaging-Dienste wie WhatsApp oder Tele gram ermöglichen es Linksextremisten, schnellstmöglich zu informieren, zu mobilisieren und Aktionen zu koordinieren. So halten Linksextremisten auf Demonstrationen mit mobilen Endgeräten untereinander Kontakt und werden teils durch eigens eingesetzte "Moderatoren" gesteuert. Über animierte Landkartendienste bleibt die eigene Demonstrationsroute sowie ggf. auch die des politischen Gegners abrufbar. 6.2 Linksextremistische Szenepublikationen Eigene Publikationen sind integraler Bestandteil der linksextremistischen Szene und werden genutzt, um kritisch zu szeneund gesellschaftsrelevanten Themen zu informieren und einen eigenen Diskurs zu betreiben. Die Bandbreite linksextremistischer Publikationen ist groß. Hierzu zählen Zeitungen, Zeitschriften, Magazine, Bücher, Filme und Videoclips. Neben parteigebundenen Publikationen - wie z. B. dem Magazin "Rote Fahne" der MLPD oder "unsere zeit", der sozialistischen Wochenzeitung der DKP - gibt es auch unabhängige linksextremistische Publikationen, die zum Teil durch die Urheber selbst oder über Spenden finanziert, verlegt oder über szenenahe Verlage wie den "Verlag 8. Mai GmbH" vertrieben werden. 251 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Zu den bundesweit bekanntesten, unabhängigen Presseerzeugnissen der linksextremistischen Szene zählen die marxistische Tageszeitung "jW" (Junge Welt) und die vierteljährlich erscheinende "Rote Hilfe Zeitung" der gleichnamigen Organisation. Ziel dieser Szenepublikationen ist nicht nur die Information von Szeneangehörigen. Auch andere, politisch interessierte Menschen sollen durch sie erreicht werden. Hierzu werden regelmäßig Druckwerke kostenlos oder gegen Spende auf Veranstaltungen verteilt. Während die Mehrzahl der linksextremistischen Publikationen im kommunistischen Spektrum zu verordnen ist, werden in Bayern in den letzten Jahren vermehrt regionale, anarchistische Zeitschriften veröffentlicht. Zu diesen zählt unter anderem das anarchistische Wochenblatt "Zündlumpen", dessen Inhalt thematisch gegen jede Form von Herrschaft oder "Repression" gerichtet ist. Die erste Ausgabe erschien am 15. Februar. Seitdem erscheint wöchentlich sowohl digital als auch gedruckt eine neue Ausgabe der Zeitung, die auch in verschiedenen Münchner Szenetreffs ausliegt. Die Leser werden zur aktiven Mitgestaltung an dem Wochenblatt aufgerufen: Wir wollen mit diesem Wochenblatt Geschichten des Widerstandes gegen jede Form der Herrschaft in München erzählen. [...] Wir laden alle Anarchist"innen dazu ein, bei der Gestaltung dieses Blattes mitzuwirken: Schickt uns Berichte von euren Aktionen oder Veranstaltungen, schickt uns eure Termine und Aufrufe, erzählt uns über eure Projekte oder schickt uns Bilder, Zeichnungen und was euch sonst noch so einfällt. Die veröffentlichten Texte sind eindeutig anti-staatlich und befürworten den Einsatz von Gewalt: Was ist schließlich schöner als ein brennendes Bullenauto? (Zündlumpen Nr. 002) 252 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Die Bull*innen haben mal wieder eine ihrer belanglosen Statistiken präsentiert. Dieses Mal ging es um "Angriffe" - damit sind auch Beleidigungen gemeint - auf Bull*innen. Erfreulich dabei: Nachdem die Bull*innenschweine im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr deutlich seltener angegriffen wurden, bekamen sie 2018 in München und Bayern wieder vermehrt auf die Fresse. (Zündlumpen Nr. 023) Statt sich so einfach festnehmen zu lassen, entschied sich die Person, die Bull*innenschweine abschieben wollten, dazu sich zur Wehr zu setzen. Sie griff zu einem Messer und bahnte sich damit den Weg nach draußen. Dabei zog sich eines der Bull*innenschweine eine wohlverdiente Verletzung an der Nasenwurzel zu. (Zündlumpen Nr. 037) Auch der gewählte Name "Zündlumpen" verweist auf die gewaltorientierte Motivation der Autoren, da er offenkundig auf die Funktionsweise von Molotow-Cocktails anspielt. 6.3 Linksextremistische Musik Auch für die linksextremistische Szene hat Musik eine identitätsstiftende Funktion. Sie trägt dazu bei, jugendliche Unterstützer zu gewinnen und die Anhänger weiter zu radikalisieren. Häufig wird Musik im Rahmen der Vorbereitungen beziehungsweise im Verlauf größerer Demonstrationen eingesetzt. Musikunterlegte "Mobilisierungsvideos" im Internet transportieren ideologische Positionen und sollen damit vor allem jüngere Menschen ansprechen. Ein Beispiel für linksextremistische Musik liefert die Nürnberger Hip-Hop-Band "Absoluth". Die Band heroisiert in einer aggressiven Sprache den gewaltsamen Widerstand gegen den Staat und seine Organe und ruft in ihren Texten zur Begehung von Straftaten auf: 253 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Jeden Tag nutzen für die gute Tat, gegen Patriachat und Staatsapparat. [...] euer Scheiß System und eure Anklagebänke, Absoluth - Brandsätze als Geschenke! [...] Ihr seid kein Volk, nur ein Rudel voller Affen, wer Deutschland nicht liebt, muss Deutschland abschaffen! (Song "Brandsätze") In ihren über YouTube veröffentlichten Musikvideos zeigen sich die Interpreten ausschließlich vermummt. Immer wieder werden Symbole der linksextremistischen Szene wie "161" (Code für "AfA" - Antifaschistische Aktion) oder das Symbol der linksextremistischen Hausbesetzerszene (Blitzförmiges "N" im Kreis) verwendet. "Absoluth" tritt fast ausnahmslos in linksextremistischen Szeneörtlichkeiten auf. Schwerpunkt ihrer Aktivitäten ist Nürnberg. Auch als Einnahmequelle ist die Musik für Linksextremisten von erheblicher Bedeutung. So werden z. B. über "Soli-Konzerte" in Szenetreffs Gelder für Veranstaltungen oder Prozesskosten von Szeneangehörigen gesammelt. 7. LINKSEXTREMISTISCHE PARTEIEN UND VEREINIGUNGEN 7.1 Offen extremistische Strukturen in der Partei DIE LINKE. Innerhalb der Partei "DIE LINKE." gibt es mehrere offen ex tremistische Strukturen, die auf eine Überwindung der freiheitlichen Staatsund Gesellschaftsordnung abzielen. Sie stellen teilweise die parlamentarische Demokratie infrage, sprechen der rechtsstaatlichen Ordnung die Legitimation ab oder unterhalten Kontakte zu gewaltorientierten Autonomen. Diese offen extremistischen Untergliederungen versuchen, auf die Partei "DIE LINKE." Einfluss zu nehmen. In Bayern sind folgende Strukturen präsent und aktiv: 254 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 7.1.1 Linksjugend ['solid] Landesverband Bayern Die Mitglieder der 1999 gegründeten "Linksjugend ['solid]" bezeichnen sich in ihrem Programm selbst als "SozialistInnen, KommunistInnen, AnarchistInnen". Sie beziehen sich darin unter anderem "positiv auf die emanzipatorischen Traditionen des Kommunismus". Das Programm sieht die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln vor, befürwortet werden jegliche Projekte jenseits des Kapitalismus. Die "Linksjugend ['solid]" ist überregional aktiv und verfügt über mehrere Ortsgruppen in ganz Bayern, die sich an Aktionen zu verschiedenen Themen beteiligen. So nahm die Ortsgruppe München z. B. am 26. Oktober an der "Rise up for Rojava"-Demonstration in München teil. Im Fokus der bayerischen "Linksjugend ['solid]" stand dieses Jahr aber vor allem die Beteiligung an der Klimaund Umweltbewegung "Fridays for Future". Die lokalen Ortsgruppen beteiligen sich unter anderem in Landshut, Mühldorf, Schwandorf oder Würzburg regelmäßig an Veranstaltungen der Klimaund Umweltbewegung. 7.1.2 DIE LINKE. Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband (DIE LINKE.SDS) Landes verband Bayern Der 2007 gegründete Studierendenverband "DIE LINKE.SDS" ist laut Statut eine "Arbeitsgemeinschaft mit Sonderstatus der Linksjugend ['solid] mit eigener Mitgliedschaft und Organisa tion". "DIE LINKE.SDS" orientiert sich ideologisch an der Lehre von Marx und plädiert in ihrem Selbstverständnis für Außerparlamentarismus, Systemüberwindung und die Zusammenarbeit mit anderen Linksextremisten. Der Landesverband Bayern von "DIE LINKE.SDS" wurde am 30. Januar 2010 in Regensburg gegründet und verfügt über Ortsgruppen in Augsburg, Bamberg, Bayreuth, Coburg, Eichstätt, Erlangen-Nürnberg, München und Würzburg. 7.1.3 Antikapitalistische Linke (AKL) Am 9. November 2013 gab sich die AKL nach ihrer offiziellen Anerkennung durch die Partei "DIE LINKE." einen neuen "Grundlagentext zum politischen Selbstverständnis". Darin wendet sich die AKL gegen einen "regierungsund parlamentsfixierten 'Pragmatismus' in der LINKEN" und setzt dem "ein antikapitalistisches Programm mit sozialistischem Ziel" entgegen. 255 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Die AKL glaubt, dass auch mit autonomen und selbst organisierten Strukturen [...] eine politische Oppositionskraft erwachsen kann und muss, für die Programm und Partei der LINKEN dann eine Heimat sein könnten. Der Zusammenschluss sieht die Möglichkeit der Einbindung von autonomen beziehungsweise gewaltorientierten Personen in die Partei. Die AKL befürwortet einen "neuen sozialistischen Internationalismus" sowie die Solidarität mit dem kubanischen Regime. Neben der Zusammenarbeit mit anderen offen extremistischen Zusammenschlüssen in der Partei "DIE LINKE." gibt es auch personelle Verflechtungen mit der trotzkistischen "Sozialistische Alternative" (SAV). Die AKL Bayern ist mit einer Facebook-Seite aktiv. Dort veröffentlichte sie am 5. Juli den Post "Deshalb braucht es eine Anti kapitalistische Linke", in dem die Überwindung des kapitalistischen Gesellschaftssystems gefordert wird: Kapitalismus ist Kapitalismus. Herrschaft des Kapitals ist Herrschaft des Kapitals. Punkt. Nicht nur vor, in oder nach Krisenzeiten, die zentraler Bestandteil dieses Systems des Wahnsinns sind, [...] Solange der Wahnsinn nicht als Ganzes begriffen, bekämpft und beseitigt wird, wächst der angerichtete Schaden exponentiell. 7.1.4 Arbeitsgemeinschaft Cuba Si (Cuba Si) Die 1991 gegründete, bundesweit tätige "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si" gliedert sich in Regionalgruppen in 13 Bundesländern. Politische und materielle Solidarität mit dem sozialistischen Kuba sind Grundanliegen und wesentlicher Inhalt der Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft (AG). Die AG in der Partei "DIE LINKE." pflegt in besonderer Weise den kommunistischen Internationalismus und unterhält Kontakte zu zahlreichen kubanischen Organisationen und Einrichtungen, unter anderem zur "Kommunistischen Partei Kubas" (PCC) sowie zum "Kommunistischen Jugendverband Kubas" (UJC). 256 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Die im März 2017 in München gegründete bayerische Regionalgruppe von "Cuba Si" veröffentlicht auf ihrer Facebook-Seite regelmäßig Beiträge, in denen sie das sozialistische Kuba glorifiziert und gegen den "US-amerikanischen Imperialismus" agitiert. "Cuba Si" fordert zur Unterstützung Kubas durch Spendenprojekte auf und wirbt für Reisen nach Kuba als Urlaubsland, um den ideologischen Zusammenhalt zu festigen. "Cuba Si" hat sich in Bayern neu formiert: Im November 2018 gab "Cuba Si Bayern" die Gründung einer Regionalgruppe "Cuba Si - Nürnberg" bekannt. Nach der Umwandlung von "Cuba Si Bayern" von einer Landesregionalgruppe in eine Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Partei "Die LINKE." folgte am 28. März die Gründung einer Regionalgruppe in München. 7.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Umfeld 7.2.1 DKP Deutschland Bayern Mitglieder 2.850 310 Vorsitzender Patrik Köbele Gründung 26.09.1968 Sitz Essen Nürnberg und München Publikationen Unsere Zeit (UZ) Rundbrief; Auf Draht Marxistische Blätter Die DKP ist eine kommunistische Partei, die sich in einer Linie mit der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) sieht. Sie bekennt sich zum Marxismus-Leninismus und hat laut Parteiprogramm die Einführung des "Sozialismus/Kommunismus" zum Ziel. Die bundesweit organisierte Partei war bis 1989/1990 von der "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) abhängig. Dem Bundesverband sind Bezirksorganisationen nachgeordnet, die weiter in Kreisund Grundorganisationen oder auch Betriebsgruppen untergliedert sind. In Bayern existieren zwei Bezirksorganisationen (Nordund Südbayern). 257 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Richtungsstreit Seit 2009 gibt es in der DKP einen Richtungsstreit darüber, wie die Partei mehr politischen Einfluss gewinnen kann. Ein Flügel der Partei spricht sich für eine Öffnung hin zu anderen gesellschaftlichen Gruppierungen aus. Der andere Flügel votiert für die Rückkehr zur unverfälschten Lehre des Marxismus-Leninismus mit der DKP als alleiniger Avantgarde der Arbeiterklasse. Der bis 2017 amtierende Bezirksvorstand Südbayern plädierte für eine stärkere Öffnung der Partei und für eine Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen des linken Spektrums. Er hatte beschlossen, die Kandidatur der DKP zur Bundestagswahl 2017 nicht zu unterstützen, und rief stattdessen zur Wahl der Partei "Die LINKE." auf. Der Vorstand der Bundespartei forderte immer wieder den Bezirksvorstand Südbayern auf, zur Beschlussverbindlichkeit zurückzukehren. Nach traditionell-kommunistischen Vorstellungen ist eine innerparteiliche Opposition undenkbar, da die Parteiführung durch die konsequente Anwendung des Marxismus-Leninismus die höchste Stufe des wissenschaftlichen Sozialismus repräsentiere. Die Auseinandersetzung führte schließlich zum Beschluss des Parteivorstandes auf seiner Sitzung am 17./18. Juni 2017, die Bezirksorganisation Südbayern aufzulösen. Diesem Auflösungsbeschluss widersetzte sich der Bezirksvorstand Südbayern erfolglos. In der Folge traten einige langjährige und aktive Funktionäre und Mitglieder aus der DKP aus, so dass sich die Partei in Südbayern strukturell und personell neu aufbauen musste. Im November 2018 gründeten die verbliebenen Mitglieder eine neue Bezirksorganisation Südbayern. Auch in München hat sich die DKP Anfang 2019 neu aufgestellt und sich in die zwei Ortsgruppen Südwest und Nordwest geteilt. Die Parteiaustritte haben zu einem Rückgang der Aktionsfähigkeit der DKP in Südbayern geführt. Auf Bundesund Landesebene bestimmen damit weiterhin die Kräfte, die für ein Festhalten an der unverfälschten Lehre des Marxismus-Leninismus plädieren, die Ausrichtung der Partei. Zur Europawahl 2019 kandidierte die DKP, "um den Widerstand gegen Krieg, Sozialund Demokratieabbau in diesem Land zu stärken und dem Widerstand gegen die EU eine fortschrittliche Stimme zu geben". Für ihre Forderung "Kapitalismus abschaffen! Für den Sozialismus kämpfen" erhielt die DKP bundesweit nur 20.419 Stimmen (0,1 Prozent). 258 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Den 100. Jahrestag der Räterepublik nutzte die DKP zur Erinnerung an die kurzfristige Machtübernahme durch Kommunisten in Bayern. Die Gedenkveranstaltung "Die baierische Räterepublik und die KPD" am 13. April in München wurde unter anderem von der DKP und der SDAJ mitveranstaltet. Zudem führte die DKP am 3. Mai eine Kundgebung in Gedenken an die Niederschlagung der Münchner Räterepublik in München-Giesing durch. Die DKP hat Kontakte zu autonomem Gruppen und unterstützt Kontakte zu autonoanlassbezogen deren Veranstaltungen. Am 28. August beteiligmen Gruppierungen te sich die DKP in Nürnberg an einer Solidaritätskundgebung für drei Nürnberger Aktivisten der autonomen Szene, die in der Nähe von Biarritz anlässlich des G7-Gipfels festgenommen worden waren. An der Veranstaltung nahmen bis zu 100 Personen des linksextremistischen und autonomen Spektrums teil. 7.2.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Deutschland Bayern Mitglieder 670 110 Vorsitzender Lena Kreymann Tom Talsky Gründung 04./05.05.1968 1999 Sitz Essen Nürnberg und München Publikationen POSITION Die SDAJ ist nach ihrer Selbstdarstellung eine "bundesweite Organisation von Jugendlichen, die sich mit den Zuständen in Schulen, Betrieben, in dieser Republik und der 'Neuen Weltordnung' nicht abfinden" will. Sie ist marxistisch-leninistisch ausgerichtet: Alle unsere Forderungen richten sich gegen die Herrschenden in dieser Gesellschaft, gegen die Kapitalisten. Verwirklichen können wir sie nur in einer Gesellschaft ohne Kapitalisten - im Sozialismus. Die SDAJ als ehemalige DKP-Jugendorganisation ist eine eigenständige Organisation. Sie ist aber weiterhin eng mit der DKP verbunden. Gewalt in der politischen Auseinandersetzung schließt die SDAJ nicht aus. Das wird in ihrer "Grundlagenschule" deutlich, die die SDAJ München im Internet verbreitet hat: 259 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Als Faustregel kann gelten, dass die legalen Kampfformen voll ausgenutzt werden sollten, gleichzeitig aber auch die Vorbereitung auf die Anwendung illegaler Kampfformen stattfinden sollte. In Bayern existieren Ortsgruppen der SDAJ in Augsburg, Bamberg, München, Neumarkt, Nürnberg und Würzburg. "SystemüberwinDie SDAJ beteiligt sich in Bayern regelmäßig an den Demons dung" als Ziel trationen der demokratisch getragenen Umweltbewegung "Fridays for Future", wie z. B. am 24. Mai in München. Hierzu veröffentlichte die SDAJ München ein Foto der Demonstration über den eigenen Facebook-Account und betonte, wie unerlässlich eine Systemüberwindung für die Rettung des Klimas sei: Dabei (Anm: bei der Demonstration) haben wir klar gemacht, dass eine wirkliche Rettung des Klimas nicht im derzeitigen System erreichbar ist. [...] Insofern ist die Verhinderung der Zerstörung unseres Planeten nur mit der Überwindung des Kapitalismus und dessen Profitlogik möglich. Dazu müssen wir weiter auf die Straße gehen, und nicht hoffen, dass durch die Veränderung des eigenen privaten Konsums der Klimawandel gestoppt wird. [...] Die Zeit drängt... Klima retten, Kapitalismus entsorgen! 7.2.3 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Bayern Mitglieder 680 Sitz München (Landesgeschäftsstelle Bayern) Publikationen antifa Die VVN-BdA ist die bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus. Anlassbezogen arbeitet sie auch mit offen linksextremistischen Kräften zusammen. In der VVN-BdA wird nach wie vor ein kommunistisch orientierter Antifaschismus verfolgt. Diese Form des 260 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Antifaschismus dient nicht nur dem Kampf gegen den Rechtsextremismus. Vielmehr werden alle nicht marxistischen Systeme - also auch die parlamentarische Demokratie - als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt. Auf dem 22. Parteitag der DKP bezeichnete der DKP-ParteivorWeiterhin bestehensitzende Patrik Köbele in seiner Rede die VVN-BdA als wichtigsde Verbindungen ten Bündnispartner der DKP. Es sei gut und richtig, dass viele zur DKP Genossinnen und Genossen Mitglied der VVN-BdA seien. Dem entsprechend wurde der Bundessprecher der VVN-BdA als Ehrengast des Parteitags begrüßt. Er erklärte in seinem Grußwort, er sehe viele Möglichkeiten der aktionsmäßigen Zusammenarbeit mit der DKP und ihren Mitgliedern. Das Bayerische Verwaltungsgericht München wies die Klage Rechtsmittel wegen der Nennung in den Verfassungsschutzberichten 2010erfolglos 2013 der VVN-BdA-Landesvereinigung Bayern im Oktober 2014 ab. Das Gericht sah ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Landesvereinigung gegen die freiheit liche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolge. Es bestehe ein maßgeblicher Einfluss von Linksextremisten, insbesondere durch die langjährige Kooperation mit der DKP. Ein von der VVN-BdA gestellter Antrag auf Zulassung eines Berufungsverfahrens wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) abgelehnt. Es lag nach Auffassung des BayVGH weder ein Verfahrensfehler vor, noch bestanden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Die Augsburger Ortsgruppe der VVN-BdA organisierte am 8. Mai in Augsburg eine Veranstaltung gegen "Die Militarisierung der EU" mit, an der auch andere Linksextremisten, unter anderem von der DKP Augsburg, beteiligt waren. In München beteiligte sich die Ortsgruppe der VVN-BdA an den vom linksextremistisch beeinflussten "Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus" organisierten Protesten gegen die Münchner Sicherheitskonferenz. An der Demonstration nahmen circa 3.500 Personen teil, darunter auch zahlreiche Linksextremisten. 200 Personen des linksextremistischen Spektrums schlossen sich zu einem schwarzen Block zusammen und zündeten bengalische Feuer und andere Rauchkörper. 261 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus 7.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Deutschland Bayern Mitglieder 2.800 120 (mit REBELL) Vorsitzende Gabi Fechtner Emil Bauer (Sprecher) Gründung 1982 2008 Sitz Gelsenkirchen Nürnberg Publikationen Rote Fahne (Zentralorgan); REVOLUTIONÄRER WEG (Theorieorgan); REBELL (Jugendmagazin); Galileo - streitbare Wissenschaft (Zeitung der MLPD-Hochschulgruppen) Die zentralistisch geführte MLPD ist eine kommunistische Kaderpartei, die Sozialismus im Sinne des Stalinismus und des Maoismus anstrebt. Ihr grundlegendes Ziel ist der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft. Sommercamp in Mit dem "Frauenverband Courage e. V." sowie mit FreizeitangeThüringen boten ihrer Jugendorganisation "REBELL" und ihrer Kinderorganisation "ROTFÜCHSE" versucht die MLPD, Frauen, Jugendliche und Kinder an sich zu binden. In Truckenthal/Thüringen veranstalteten "REBELL" und die Kinderorganisation "ROTFÜCHSE" vom 20. Juli bis 10. August erneut ein sogenanntes Sommercamp, für das auch in Bayern geworben wurde. In den regelmäßig stattfindenden Sommercamps sollen junge Menschen an ein antidemokratisches, revolutionär-kommunistisches Politikverständnis herangeführt werden. Dabei wird Freizeiterlebnis mit politisch-ideologischer Unterweisung verknüpft. Dies steht in direktem Gegensatz zum demokratischen Erziehungs ideal, der Erziehung zu freier Willensbildung und selbstbestimmtem Leben. 262 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Die MLPD und deren Jugendorganisation REBELL wollen auch Jugendorganisation in Bayern die "Fridays for Future"-Demonstrationen nutzen, um REBELL mit dem Umweltthema neue Mitglieder zu gewinnen und ihre Forderung nach einer sozialistischen Gesellschaft in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Veranstalter dieser Demonstrationen hingegen versuchen immer wieder, die Parteiwerbung der MLPD, das Mitführen von MLPD-Fahnen und das Verteilen von Flugblättern der MLPD zu unterbinden. In einem Flugblatt der MLPD München vom August wird zur Rettung des Klimas zum Kampf gegen das politische System aufgerufen: [...] das geht nur, wenn man die Profitinteressen angreift, wenn man letztendlich das kapitalistische System angreift, das ja gesetzmäßig auf der Zerstörung der Umwelt beruht. Im linksextremistischen Spektrum ist die MLPD aufgrund ihres Solidarität mit dogmatischen Kommunismusverständnisses weitgehend isoterroristischen Orgaliert und agitiert daher vor allem im Rahmen eines "Internationisationen nalistischen Bündnisses", zu dessen Unterstützern auch Sympathisanten der Terrororganisation "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP) gehören. Die MLPD in Bayern zeigt ihre internationale Ausrichtung unter anderem durch die Unterstützung der zehn Angehörigen der extremistischen "Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML), die sich seit dem 17. Juni 2016 vor dem Oberlandesgericht München wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verantworten müssen. Dabei versucht die MLPD, den Prozess als Kommunistenverfolgung darzustellen, bei dem die Personen nur wegen ihrer revolutionären Überzeugung angeklagt seien. Die Solidarität der MLPD mit terroristischen Organisationen zeigt, dass ihre Aufrufe zur Revolution nicht bloße rhetorische Floskeln sind. Personen, die Gewalt für die Durchsetzung des Sozialismus anwenden und dafür ins Gefängnis kommen, werden in der Partei als Vorbilder angesehen. Zur Europawahl 2019 trat die MLPD als "Internationalistische Liste/MLPD" mit dem Slogan "Rebellion gegen die imperialis tische EU! Hoch die internationale Solidarität!" an und erhielt nur 18.340 Stimmen (0,0 Prozent). Auf Platz drei der Liste kandidierte einer der zehn Angeklagten im TKP/ML-Verfahren in München. 263 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus 7.4 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) Bayern Mitglieder 80 Gründung 1973 Sitz München Der aus "Arbeiter-Basisgruppen" in München hervorgegangene AB ist eine revolutionär-marxistische Organisation, die die Gründung einer "revolutionären Partei in der Tradition der verbotenen KPD" anstrebt. Sie beruft sich auf den Marxismus-Leninismus und die Ideen von Stalin und Mao Tse-tung. Ziel des AB ist die Beseitigung der "herrschenden Ausbeuterklasse" und die Errichtung einer "Diktatur des Proletariats". Über Informationsveranstaltungen und Kundgebungen in unmittelbarer Nähe zu Industriebetrieben versucht die Organisation, mit der Arbeiterschaft in Kontakt zu kommen. So demonstrierten Aktivisten des AB insbesondere vor Fertigungsstätten von Kfz-Herstellern. Im Jahr 2018 wurden mehrfach Schmierschriften mit roter Fahne und dem schwarzen Text "KPD, Bau sie auf" und der konkrete Aufruf "Werde Mitglied im Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD" an Mauern von Kfz-Fertigungsstätten in München und Nürnberg festgestellt. In Nürnberg konnten zwei Mitglieder des AB in unmittelbarer Nähe eines Tatorts als Tatverdächtige festgenommen werden. Wegen Sachbeschädigung durch Graffiti wurden beide Täter mittlerweile zu jeweils 50 Tagessätzen (a 40 Euro/a 10 Euro) rechtskräftig verurteilt. In Ingolstadt, München, Nürnberg und Regensburg fällt der AB in der Öffentlichkeit gelegentlich durch seine Demonstrationen mit historischen Fahrzeugen zu Themen wie "Lob des Kommunismus" - "Lob der Partei" auf. Charakteristisch ist eine an Stilelemente der Arbeiterbewegung der späten 1920er Jahre anknüpfende Agitationsund Propagandatätigkeit mit Schalmeienkapellen, kabarettistischen Aktionen und Brecht-Theater. Durch seine Glorifizierung der bayerischen Räterepublik wirkt der AB damit antiquiert. 264 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 7.5 Marxistische Jugend (mj) Bayern Gründung 2017 Sitz München Die Marxistische Jugend hat sich im November 2017 gegründet. Ihr Hauptwirkkreis liegt im Raum München. Die mj bezeichnet sich selbst als [...] gemeinsames Projekt von unabhängigen Linken, Mitgliedern aus 'Waffen der Kritik', klassegegenklasse.org und Aktivist*innen aus anderen linken Gruppen. Wir sind Studierende, Azubis und junge Arbeiter*innen [...]. Wie schon aus dem Gruppennamen hervorgeht, bekennt sich die Gruppe offen zum Marxismus: Unsere Perspektive ist ein Marxismus, der in Kämpfe interveniert. Wir wollen eine Gruppe aufbauen, die sich mit kapitalistischen Antworten auf die Krise nicht zufrieden gibt. Dem Bekenntnis zu Marx folgend, zielt die mj auf die revolutio näre Überwindung des vom Kapitalismus geprägten Systems, hin zu einem kommunistischen System, ab. Hierzu setzt die Gruppe auf die Teilnahme an und Beeinflussung von Protestbewegungen. Die mj engagiert sich vor allem im Rahmen der Münchner "Fridays For Future"-Bewegung. Mit Slogans wie "Capitalism will never Green", "Anticapitalista" oder "One Solution, Revolution" versucht die Gruppe, die Klimaund Umweltbewegung zu politisieren. Die Gruppe nimmt selbst an diesen Veranstaltungen teil und wirbt aktiv über soziale Medien wie Facebook, Instagram oder YouTube zur Teilnahme am "antikapitalistischen Block" innerhalb der Bewegung. 265 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus 7.6 Rote Hilfe e. V. (RH) Deutschland Bayern Mitglieder 10.500 600 Sitz Göttingen verschiedene (BundesgeschäftsOrtsgruppen stelle) u. a. Nürnberg und München Publikationen "DIE ROTE HILFE", vierteljährlich Der Arbeitsschwerpunkt der RH ist die finanzielle und politische Unterstützung von linksextremistischen Strafund Gewalttätern, mit deren ideologischer Zielsetzung sie sich identifiziert. Diese Unterstützung wird dann beispielsweise bei anfallenden Anwaltsund Prozesskosten sowie bei Geldstrafen und Geldbußen gewährt. Dabei geht es ihr nicht um eine Resozialisierung von Straftätern, sondern um die Unterstützung gewaltbereiter Linksextremisten in ihrem Kampf gegen das politische System. Auf Großveranstaltungen ist die RH mit "Ermittlungsausschüssen" (EA) präsent. Diese EA stellen Rechtsanwälte, die im Falle einer Verhaftung von Szeneangehörigen schon vor Ort Unterstützung leisten. Schweigegebot der Erkennt die RH eine Person als "Unterstützungsfall" an, so beteiRoten Hilfe ligt sie sich an Prozessund Anwaltskosten mit einem Regelsatz von 50 Prozent, der nach Einzelfallprüfung auch höher ausfallen kann. Die Zahlungen und sonstige Unterstützungsmaßnahmen sind in der Regel daran gebunden, dass der Straftäter konsequent die Aussage verweigert. Geständigen Szeneangehörigen droht die RH mit dem Entzug der Unterstützung. Dies belegt, dass das vorrangige Ziel der RH nicht die Hilfe für inhaftierte Szeneangehörige ist, sondern die Abschottung der linksextremistischen Szene vor den Ermittlungen der Sicherheitsbehörden. Die Rote Hilfe finanziert sich überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen sowie Spendenaufrufen. Innerhalb der linksextremistischen autonomen Szene wird für dieses Schweigegebot unter dem Motto "Anna und Arthur halten's Maul" geworben. Die fiktiven Personen Anna und Arthur stehen für alle linksextremistischen Protagonisten. Solidarität mit "Den Unter dem Motto "Die 3 von der Autobahn" engagierte sich die 3 von der Autobahn" "Rote Hilfe" für drei Nürnberger Linksextremisten, die im Rahmen der Vorfeldfahndung zum G7-Gipfel in Biarritz von der französischen Polizei festgenommen wurden. Bei der Kontrolle auf 266 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 einer französischen Autobahn am 21. August nahe Biarritz fanden die Beamten unter anderem mehrere Schienbeinschoner, Sturmhauben, eine Farbkartusche, Tränengas und ein Funkgerät. Zudem lag gegen einen der Fahrzeuginsassen aufgrund der Beteiligung an den gewaltsamen Ausschreitungen gegen den G20-Gipfel in Hamburg 2017 ein Einreiseverbot für Frankreich vor. Die drei Nürnberger Linksextremisten wurden von einem französischen Gericht zu Haftstrafen in Höhe von zwei beziehungsweise drei Monaten wegen der Vorbereitung gewaltsamer Ausschreitungen verurteilt. Außerdem wurden sie mit einer Wiedereinreisesperre von fünf Jahren belegt. Die "Rote Hilfe" Nürnberg-Fürth-Erlangen richtete umgehend ein "Soli-Konto" zur Unterstützung der drei festgenommenen Nürnberger Linksextremisten ein und rief dazu auf, die "Genossen" durch Spenden und Briefe ins Gefängnis zu unterstützen. Darüber hinaus wurden zahlreiche Solidaritätsveranstaltungen und Demonstrationen, an denen sich die gesamte linksextremistische Szene Nürnbergs beteiligte, organisiert. Die RH nimmt regelmäßig an linksextremistischen Veranstaltungen teil, unter anderem an der "Revolutionären 1.-Mai-Demonstration" in Nürnberg. 8. AUTONOME, POSTAUTONOME UND ANARCHISTEN 8.1 Beschreibung / Hintergrund Autonome Autonome sind - überwiegend junge - gewaltorientierte 720 Autonome in Linksextremisten. Sie bilden den weitaus größten Teil des geBayern waltorientierten linksextremistischen Personenpotenzials. Zur autonomen Szene zählen bundesweit rund 7.400 Personen, in Bayern etwa 720. Da Autonome feste Strukturen ablehnen, ist eine klare Zuordnung zur autonomen Szene nicht immer möglich. Autonome Gruppen sind eher als lose Zusammenhänge zu verstehen. Sie verfügen über einen kleinen Mitgliederstamm, darüber hinaus hängt die Zahl der zugehörigen Aktivisten stark von aktuellen Themenund Aktionsfeldern ab. So ist es möglich, dass bei Veranstaltungen und Aktionen die Teilnehmerzahl das eigene Mitgliederpotenzial übersteigt. 267 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Autonome haben kein einheitliches ideologisches Konzept, sie folgen vielmehr anarchistischen und anarcho-kommunistischen Vorstellungen. Einig sind sich alle Autonomen in dem Ziel, den Staat und seine Einrichtungen - auch mit Gewalt - zu zerschlagen und eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu errichten. Sie rechtfertigen Gewalt als erforderliches Mittel gegen die "strukturelle Gewalt" eines "Systems von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung". Gewalttätige Handlungen verstehen sie als Akt individueller Selbstbefreiung von den Herrschaftsstrukturen. Dazu gehören Brandstiftungen, Sabotage, Hausbesetzungen und militante Aktionen bei Demonstrationen. Autonome versuchen, auch demokratische Protestbewegungen für ihren Kampf gegen den Staat zu mobilisieren. Postautonome In der autonomen Szene wird seit Längerem eine Organisationsund Militanzdebatte geführt. Seit Beginn der 1990er-Jahre wuchs die interne Kritik, die autonome Bewegung sei zu unorganisiert, um nachhaltig politische Veränderungen bewirken zu können. Im Zentrum der Debatte steht dabei die Frage, wie eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz für die eigenen autonomen Positionen erreicht werden kann. Interventionistische Infolgedessen sind mehrere sogenannte postautonome GrupLinke (IL) pierungen und Netzwerke entstanden, die die gesellschaftliche Isolation der Autonomen durchbrechen wollen. In der Szene besonders prägend wirkt die "Interventionistische Linke" (IL). Sie war erstmals im Jahr 1999 bei den Protesten gegen die EU-Ratstagung und den Weltwirtschaftsgipfel in Köln aktiv und gründete sich 2005 als informelles bundesweit agierendes Netzwerk. Die IL verfolgt den strategischen Ansatz einer spektrenübergreifenden Mobilisierung unter ihrer Führung. Dabei versucht sie, alle linksextremistischen Strömungen - bis hin zu militanten Autonomen - zu integrieren. "ziviler Ungehorsam" Postautonome versuchen, ein Scharnier zwischen gewaltbereiten Linksextremisten und gemäßigten Kräften zu bilden. Die Vorsilbe "Post" steht für die Infragestellung einiger grundlegender Merkmale, aber nicht für einen vollständigen Bruch mit dem gewaltorientierten autonomen Politikansatz. Um zwischen linksextremistischen und demokratischen Akteuren zu vermitteln, bedienen sich die Postautonomen des Begriffs des "zivilen Ungehorsams". Vordergründig beteiligen sich Postautonome nicht an gewalttätigen Ausschreitungen, allerdings distanzieren sie sich auch nicht eindeutig vom Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele. Vereinbarungen über die zulässigen Formen des Protestes sind dabei oft reine Formelkompromisse, 268 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 die der Auslegung breiten Raum lassen. Gewalttätige Eskalationen sind Teil der eigenen Planung und werden nach einer Risikoabwägung bewusst eingesetzt. Postautonome engagieren sich z. B. in Mieterund Stadtteil initiativen, in der Flüchtlingshilfe, in antifaschistischen Gruppierungen und in der Antiglobalisierungsbewegung. Im Rahmen dieser Bündnisse wird verstärkt auf die Vermittlung theoretisch-marxistischer Inhalte nach außen geachtet. Der "Antikapitalismus" bildet einen ideologischen Schwerpunkt der IL. Anarchisten Anarchismus ist eine Sammelbezeichnung für politische Auffassungen und Bestrebungen, die auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen abzielen. Allen anarchistischen Strömungen ist die Forderung gemein, den Staat als Herrschaftsinstitution abschaffen zu wollen - und zwar unabhängig von einer demokratischen oder diktatorischen Ausrichtung. Häufig schließt eine solche Auffassung einen grundsätzlichen Antiinstitutionalismus ein. Anarchisten sehen Bürokratien, Kirchen, Parteien, Parlamente und Vereine als Einrichtungen, die einem freiwilligen Zusammenschluss von emanzipierten und mündigen Menschen entgegenstehen. Anarchisten lehnen Hier archien und Unterordnung grundsätzlich ab. Deshalb können sie sich auch selbst in der Regel nur schlecht organisieren und bilden lediglich lose strukturierte Gruppierungen. Anarchisten bevorzugen stattdessen "Spontis", spontane Ak"direkte Aktionen" tionen kleinerer Gruppen oder Einzelpersonen. Zu diesen zählt der Anarchisten auch die "direkte Aktion". Hierunter sind Aktionen zu verstehen, die für sich selbst sprechen und eine unmittelbare Wirkung entfalten. Dabei kann es sich um die Blockade von Gleisen oder das Besetzen von leerstehenden Gebäuden handeln. Aber auch gewalttätige Aktionen, wie Brandstiftung an Fahrzeugen, zählen zu den direkten Aktionen. Gewalt als Mittel der Revolution ist auch im Anarchismus ein viel diskutiertes Thema, wird jedoch von der Mehrzahl der Aktivisten zumindest als legitimes Mittel akzeptiert. Wie eine Gesellschaft "nach" der Revolution aussehen kann, ist auch in der anarchistischen Szene umstritten. Der anarchistische Idealzustand, eine Gesellschaft auf Basis von Selbstverwaltung und freien Übereinkünften, führt in letzter Konsequenz jedoch unweigerlich in ein System von Gewaltund Willkürherrschaft, in dem der Starke sich gegen den Schwachen durchsetzt und sich schlussendlich über diesen erhebt. 269 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus 8.2 Gruppierungen 8.2.1 Autonome Gruppierungen Organisierte Autonomie (OA) Bayern Gründung ca. 1993 Sitz Nürnberg Publikationen barricada - zeitung für autonome politik und kultur Die OA ist ein Zusammenschluss eigenständiger autonomer Gruppen, der sich als offenes Projekt versteht. Dabei spiegelt der Name den Widerspruch zwischen jeglicher Ablehnung von Strukturen einerseits und dem erforderlichen Mindestmaß an Organisation zur Zielerreichung andererseits wider. In ihrer Selbstdarstellung tritt die OA für eine kommunistische Gesellschaftsordnung ein, die im kontinuierlichen Kampf gegen die herrschende Ordnung erreicht werden soll. Ziel der OA ist es demzufolge, den "Klassenkampf von unten" zu organisieren. Das von der OA verfolgte linksextremistische Antifaschismusverständnis wird in einer von ihr herausgegebenen Broschüre deutlich: Faschismus ist kein geschichtlicher Betriebsunfall, sondern ein gern genutztes Mittel der herrschenden, kapitalistischen Klasse zur Aufrechterhaltung ihres menschenverachtenden Systems. Die OA nutzt Treffund Veranstaltungsörtlichkeiten im Nürnberger Stadtteil Gostenhof. Zu diesen gehört das "Selbstverwaltete Kommunikationszentrum Nürnberg e. V." (KOMM e. V.), das Anlaufstelle für viele linksextremistische Gruppierungen ist. In Gostenhof veranstaltet die OA auch ihre jährliche "revolutionäre 1.-Mai-Demonstration" und das im Anschluss daran stattfindende "Internationalistische Straßenfest". An dieser Veranstaltung nehmen regelmäßig mehrere hundert Personen der linksextremistischen Szene teil. 270 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Schwerpunkt der politischen Agitation der OA war 2019 die "Antigentrifizierung". Im Fokus stand dabei die von der Stadt Nürnberg anvisierte Umgestaltung beziehungsweise Umplanung des Jamnitzerplatzes. Unter dem Motto "Reclaim Gostenhof" organisierte die OA zahlreiche Initiativen, Aktionen und Veranstaltungen mit dem Ziel, die Örtlichkeit als eigenes Betätigungsund Rückzugsgebiet zu beanspruchen. Am 28. Juni versammelten sich rund um den Jamnitzerplatz cirTumulte in Nürnberg ca 25 bis 30 Personen, die lautstark Musik hörten. Als die wegen Ruhestörung gerufene Polizei eintraf und die Personalien der Musikbox-Besitzerin feststellen wollte, kam es zu tumultartigen Szenen. Aus der angrenzenden "Untere Seitenstraße", in der auch der linksextremistische Szenetreff "Schwarze Katze" liegt, näherten sich circa 60 Personen, die dem linksextremistischen Spektrum zuzuordnen waren. Sie skandierten lautstark Parolen wie "Bullen raus aus Gostenhof" und "Scheiß Bullen". Um weitere Eskalationen zu vermeiden, entschied die Polizei den Abzug aller uniformierten Kräfte. Den Vorfall wertete die linksextremistische Szene in Nürnberg als großen Erfolg ihres militanten Handelns: Über linksextremis tische Szeneplattformen kommentierte die Szene den Vorfall: Abende wie diese sind Momente, die uns Kraft geben. Was gibt es schöneres, als gemeinsam einen Freiraum zu schaffen, in dem wir mit Freund*innen und solidarischen Menschen der alltäglichen Ohnmacht trotzen und keine Angst vor Bullenoder Naziübergriffen haben müssen. Diese Momente sind ansteckend - das nächste Mal sind wir noch mehr! (Fehler aus dem Original übernommen) Revolutionär Organisierte Jugendaktion (ROJA) Bayern Gründung 2009 Sitz Nürnberg Die ROJA ist eine autonome Jugendorganisation in Nürnberg. In ihrem Selbstverständnis beruft sie sich auf den Marxismus und fordert neben einem konsequenten Antikapitalismus auch Klassenkampf und Revolution: 271 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Bewusst sind wir auch der Tatsache, dass dieses menschenverachtende System, in dem eine kleine Minderheit sich an dem Elend aller anderer bereichert, nicht ohne den Klassenkampf aller Ausgebeuteten und Unterdrückten - und nicht ihrer StellvertreterInnen - gegen die AusbeuterInnen und UnterdrückerInnen abgeschafft werden kann. ROJA hält engen Kontakt zur "Organisierten Autonomie" und war an der Besetzung des Jamnitzerplatzes in Nürnberg Ende Juni beteiligt. Darüber hinaus organisiert die Gruppe die jährlich stattfindende "Woche der internationalen Solidarität". Diese fand vom 13. bis 20. Juli statt. Es wurden Themen wie "Cornern & Sprayen", "Kriegspropaganda und Kulturindustrie", "Klimakämpfe und Perspektiven" und "Antifakämpfe europaweit" vorgestellt und diskutiert. ROJA begreift sich selbst als "Teil des Mosaiks weltweit geführter fortschrittlicher sozialer Kämpfe" und möchte durch die Aktionswoche auf internationale Kämpfe aufmerksam machen und Solidarität zeigen. Am 23. März nahmen Aktivisten der ROJA an der Veranstaltung "Solidarität ist eine Waffe! Rote Hilfe lässt sich nicht verbieten! Gemeinsam gegen die reaktionäre Offensive!" zum "Tag der politischen Gefangenen" teil. Prolos Bayern Gründung 1980 Sitz Nürnberg Die "Prolos" sind eine autonome Gruppierung in Nürnberg. In ihrem Programm verortet sich die Gruppierung im Marxismus und lehnt den demokratisch verfassten Staat ab: 272 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Mit diesem Programm wollen wir erklären [...] warum wir der Ansicht sind, dass wir eine freie kommunistische Gesellschaft brauchen, in der die Produktionsmittel vergesellschaftet sind und die politische Planung von Produktion, Reproduktion, Leben, Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft in der Hand aller im Sinne basisdemokratischer Räte und Kommunen organisiert wird. Wir [...] hoffen, dass euch die [...] Texte anregen [...], den Kampf gegen das kapitalistische System aufzunehmen. Am 19. März nahm die Gruppe an einer Demonstration gegen Ausschreitungen bei Abschiebung am Jamnitzerplatz unter dem Motto "Hände weg Demonstration von unseren NachbarInnen - Abschiebungen stoppen hier und überall - Gostenhof ist solidarisch" teil. Im Verlauf der Demonstration kam es zu Ausschreitungen. Die "Prolos" waren zudem im Juni wie die OA und ROJA an der Besetzung des Jamnitzerplatzes in Nürnberg beteiligt. Am 27. Juli beteiligten sich die "Prolos" an der von der "Sozial revolutionären Aktion" (SRA) Regensburg organisierten Veranstaltung "Oberpfalz entnazifizieren - Antifaschismus in die Offensive" in Schwandorf, an der circa 250 Personen der gewaltbereiten linksextremistischen Szene teilnahmen. Antifaschistische Linke Fürth (ALF) und Jugendantifa Fürth (JAF) ALF JAF Gründung 2005 2009 Sitz Fürth Fürth Das Antifaschismusverständnis der ALF zielt auf die Überwindung des bestehenden Systems als angebliche Ursache faschistischer Erscheinungsformen ab. Anlassbezogen wirkt die ALF auch in regionalen, nicht extremistischen Bündnissen mit. Auf eine Initiative der ALF geht die Gründung der JAF zurück. Durch die JAF werden junge Menschen an die autonome Szene in Fürth herangeführt. Auch die JAF versteht unter Antifaschismus weit mehr als nur einen Kampf gegen Rechtsextremismus. Nach ihrem Verständnis muss Antifaschismus immer auch das Ziel haben, die kapitalistischen Verhältnisse und die bestehende staatliche Ordnung zu überwinden. 273 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Aktivisten der ALF nehmen regelmäßig an der revolutionären 1. Mai-Demonstration in Nürnberg sowie an der Vorabend demonstration am 30. April in Fürth teil. Im Zusammenhang mit der Europawahl am 26. Mai beteiligten sich Aktivisten der ALF an der Beseitigung von Wahlplakaten der Partei "Der Dritte Weg". Am 12. Oktober trat in Nürnberg ein Aktivist der ALF als Redner auf der Demonstration "Gegen rechte Netzwerke im Staat und auf der Straße" auf. La Resistance - antifaschistische Jugendgruppe Ingolstadt (LARA) Bayern Gründung 2011 Sitz Ingolstadt Die Autonome Gruppe LARA hat sich Ende 2011 gegründet. Nach eigenen Angaben wurde der französische Begriff "la resistance" als Selbstbezeichnung gewählt, um den Widerstand gegen Missstände zu organisieren und Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu äußern. So erklärte die Gruppe: Neues schaffen heißt Widerstand leisten, Widerstand leisten heißt Neues schaffen. Unter Bezugnahme auf die marxistische Ideologie greift die Gruppe auf antikapitalistische Argumentationsmuster des Kommunismus zurück: Für uns verlaufen die Grenzen nicht zwischen Menschen, sondern zwischen den Widersprüchen gesellschaftlicher Besitzverhältnisse. Es kann nicht sein, dass Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, und Andere davon leben. Die Gruppe richtet ihre Agitation unter anderem gegen die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD). Im Zusammenhang mit der Asylthematik unterstützte sie im Aktionsfeld Antirassismus das 274 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Aktionsbündnis "Fluchtursachen bekämpfen", das überwiegend von linksextremistischen, teils auch autonomen Gruppen getragen wird. LARA nahm an der Kundgebung zum 1. Mai in Ingolstadt teil. An dem Aufzug beteiligten sich insgesamt circa 1.300 Personen, darunter auch Anhänger der MLPD. Während der Kundgebung am Paradeplatz in Ingolstadt zündeten LARA-Aktivisten Pyrotechnik. Mit den Worten "Auf nach München, merkt euch den Termin vor!" teilte LARA eine Demonstrationsaufruf für den 8. November. Die Demonstration fand unter dem Motto "Widerstand heißt Handeln!" zum Gedenken an Georg Elser statt. Sozialrevolutionäre Aktion (SRA) Bayern Gründung 2017 Sitz Regensburg In Regensburg gründete sich 2017 die autonome Gruppe "Sozialrevolutionäre Aktion" (SRA). Bei der SRA sind hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu erkennen: Die Gruppierung lehnt Staat, Staatsgewalt und Staatsvolk in ihrer Gesamtheit sowie die parlamentarisch-repräsentative Demokratie, die Volkssouveränität, das (Mehr-)Parteienprinzip und das Rechtsstaatsprinzip ab. In ihrem Selbstverständnis bekennt sich die SRA zudem zum Kommunismus: Wir stehen in der Tradition der kämpfenden ArbeiterInnenklasse weltweit. Folgerichtig stehen wir deshalb für einen proletarischen Internationalismus ein. [...] Wir lehnen das kapitalistische Weltwirtschaftssystem in all seinen Ausprägungen entschieden ab. Wir sehen in diesem die Ursächlichkeit der derzeitigen Unterdrückung, Vertreibung, Entfremdung, Ausbeutung, Verelendung, Endmündigung sowie den weltweiten Dauerkriegszustand. [...] Dies gilt es zu erkennen und zu überwinden. (Fehler aus dem Original übernommen) 275 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Die SRA lehnt sämtliche Strukturen und die Herrschaft von Menschen über Menschen ab und vertritt somit anarchistisches Gedankengut: [...] radikales Denken heißt, den Ursachen auf den Grund zu gehen, deshalb lehnen wir vertikale und hierarchische Strukturen ab. Die SRA befürwortet eine Überwindung der bestehenden Gesellschaftsverhältnisse durch Revolution. Zum Erreichen ihrer Ziele distanziert sich die Gruppe nicht von der Anwendung von Gewalt. Linksextremisten der SRA bildeten zusammen mit anderen linksextremistischen Gruppierungen wie der "Linksjugend ['solid]" einen "revolutionären Block" bei der 1. Mai-Kund gebung in Regensburg. Am 27. Juli initiierte die SRA mit Unterstützung anderer autonomer Gruppierungen eine überregionale antifaschistische Demonstration unter dem Motto "Oberpfalz entnazifizieren - Antifaschismus in die Offensive" in Schwandorf. Es kam zu Rangeleien, in deren Verlauf auch ein Polizeibeamter verletzt wurde. Autonome Szene Rosenheim In Rosenheim und Umgebung ist eine linksextremistische, autonome Szene entstanden, die unter verschiedenen Bezeichnungen auftritt und mit dem "Z - linkes Zentrum in Selbstverwaltung" über einen Treffpunkt verfügt, an dem sie regelmäßig Veranstaltungen durchführen kann. Die besonders gut vernetzte Gruppe dieser Szene ist die "Infogruppe Rosenheim". Sie bezeichnet sich selbst als "autonom, antifaschistisch, emanzipatorisch". Die Infogruppe pflegt überregionale Bündnisse zu anderen linksextremistischen Gruppen in Südbayern und Österreich. Eine weitere Gruppe nennt sich "AGIR - Demokratische Jugend". Der Gruppenname dürfte sich von dem kurdischen Wort für Feuer und Flamme, "agir", ableiten. Die regional und überregional agierende Gruppe ist seit Ende 2015 bekannt. Bei Aktionen von "AGIR" konnten bisher 30 Personen mit Bezug zur Gruppe festgestellt werden. Dabei handelt es sich größtenteils um Jugendliche, zum Teil noch Schüler. Die Mitglieder pflegen Kontakte zur autonomen Szene und zu PKK-nahen Organisationen. 276 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Zentrale Themenfelder von "AGIR" sind darüber hinaus der Kampf gegen Kapitalismus, Militarismus und Imperialismus. In einem Internetaufruf von "AGIR" heißt es: Lasst uns die Kriegsmaschinerie auch in Deutschland aufhalten. Die Rüstungsproduktion angreifen. Lasst uns den deutschen Imperialismus bekämpfen, wo wir nur können, mit allen Mitteln, die notwendig sind. Neben der Solidarisierung mit Aktivisten weltweit unterstützt "AGIR" insbesondere den Kampf kurdischer Aktivisten in Syrien. Darüber hinaus treten Autonome aus Rosenheim unter den Bezeichnungen "Contre la Tristesse", und "Offenes antifaschis tisches Plenum Rosenheim" auf. Die linksextremistische Szene in Rosenheim, darunter "Contre la Tristesse" und die "Infogruppe Rosenheim", nahm an mehreren Veranstaltungen gegen Auftritte von Michael Stürzenberger, der zentralen Person der verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Szene in Bayern, in Rosenheim teil, darunter am 14. Juli und 21. September. Diese wurden von einem bürgerlichen Bündnis, in dem auch die "Infogruppe Rosenheim" vertreten ist, organisiert. Am 11. Mai organisierten "Contre la Tristesse" und die "Infogruppe Rosenheim" eine Zugfahrt nach München, um dort gegen den "1.000-Kreuze-Marsch" zu demonstrieren. Die Gegendemonstration unter dem Motto "Für die (Religions)befreite Gesellschaft - Fundis zur Hölle jagen!" wurde unter anderem vom linksextremistischen Bündnis "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA-Bündnis) organisiert. 277 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus 8.2.2 Postautonome Gruppierungen Interventionistische Linke (IL) Bayern Gründung ca. 2005 Sitz Aschaffenburg, München, Nürnberg Die IL wurde 2005 als bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen Organisierung gegründet. Mit der Veröffentlichung des "Zwischenstandpapiers" im Oktober 2014 wurde die IL zu einer bundesweiten Organisation umgeformt. Ideologisch orientiert sich die IL am Marxismus/Kommunismus. Sie versteht das bestehende Gesellschaftssystem als eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der die herrschende Klasse (Kapitalisten) die Arbeiterklasse (Proletariat) ausbeutet und unterdrückt. Ziel der IL ist die Abschaffung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung und die Installation einer klassenlosen Gesellschaft. Dabei fokussiert sie sich nicht ausschließlich auf regionale Protestaktionen, sondern wirkt an der Vorbereitung überregionaler Aktionen mit. Die IL arbeitet bundesweit in bürgerlichen Kampagnen und Bündnissen mit und versucht, linksextremistische Themen und Ansichten in diese zu integrieren. Dabei fungiert sie als "Scharnier" zwischen gewaltbereiten und nicht gewaltbereiten linksextremistischen Akteuren sowie nicht-extremistischen Kampa gnen und Bündnissen. So ist die IL beispielsweise maßgeblich in viele Aktivitäten der bundesweiten Kampagne "Ende Gelände" involviert: Als Interventionistische Linke sind wir von Anfang an bei Ende Gelände dabei und waren auch dieses Jahr (2018) in den verschiedenen Arbeitsgruppen des Bündnisses und in den Fingern der Aktion beteiligt. Auch in Bayern beteiligt sich die IL an Veranstaltungen von "Ende Gelände", wie z. B. an der "Critical Mass"-Demonstration zum "Global Strike Day" am 20. September. 278 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Darüber hinaus ist die IL Mitorganisatorin des jährlich stattfindenden "Fight Back"-Festivals im Nürnberger Szenetreff "Desi", einer Antifa-Veranstaltung, bei der Szene-Musiker, wie z. B. die linksextremistische Musikgruppe "Absoluth", auftreten. Die IL verfügt in Bayern über Ortsgruppen in Aschaffenburg, München und Nürnberg. Antikapitalistische Linke München (AL-M) Bayern Gründung 2011 Sitz München Die AL-M ist eine revolutionär-kommunistisch ausgerichtete postautonome Gruppierung und folgt marxistisch-leninistischen und trotzkistischen Ideologieelementen. Nach ihrer Selbstdarstellung ist ihr Ziel die Beseitigung des demokratischen Verfassungsstaates und die Errichtung eines kommunistischen Systems: Notwendig ist: die Revolution. [...] Die revolutionäre Theorie, um die Welt zu begreifen und sie zu verändern, ist der Marxismus. Die einzige Alternative zum heutigen Kapitalismus ist eine andere Gesellschaft: Der Kommunismus - dafür kämpfen wir. Die AL-M ist ein Bindeglied zwischen dem traditionell kommunistisch ausgerichteten Spektrum des Linksextremismus und der autonomen Szene. Die Internetseite der AL-M dient als Mobilisierungsplattform für das gesamte linksextremistische Spektrum in München. Dort wird nicht nur zu autonomen Gruppen wie "Antifa-NT" verlinkt, sondern auch zu linksextremistischen Parteien und Organisationen wie der "Roten Hilfe" und der "SDAJ München". Die Gruppierung ist bei mehreren Themen, die von Linksextremisten besetzt werden, aktiv, z. B. bei Aktionen zum Antimilitarismus. 279 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Zur Durchsetzung ihrer Ziele rief die AL-M unverhohlen auch dazu auf, Gesetze zu brechen und Gewalt anzuwenden: Wir rufen auf zum Aufbau wirksamer Selbstverteidigung gegen faschistische Gewalt, rassistische Angriffe, Hasspropaganda, Abschiebemaschinerie und Grenzregime - Mit allen Mitteln, die dazu notwendig sind: legal und illegal, friedlich und militant. AuseinandersetDie AL-M beteiligte sich an der Demonstration zum 1. Mai in zungen am 1.Mai in München und lief im "revolutionären Block" mit. Auch an der München anschließenden spontanen Gegendemonstration gegen einen AfD-Stand an der Paulskirche in München nahmen Linksextremisten der AL-M teil. Hier kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Über ihren Internetauftritt veröffentlichte die AL-M ein Interview zur "Ein Europa für Alle - Stimme gegen Nationalismus"-Demonstration am 19. Mai in München. Unter dem Motto "Gegen die EU der Banken und Konzerne" rief die AL-M zur Teilnahme am "Internationalistischen Block" auf: Trotzdem wollen wir nicht in erster Linie die EU abschaffen. Wir wollen uns gegen die Angriffe der herrschenden Klasse auf die Lohnabhängigen wehren. Und dieses System stürzen, bevor es zu spät ist und der Klimawandel uns allen den Garaus gemacht hat. Die Europäische Union ist Teil dieses Systems und ein Mittel der Herrschenden zur effektiveren Gestaltung ihrer imperialistischen und ausbeuterischen Politik. Bereits seit einigen Jahren ist die AL-M in das Bündnis "Perspektive Kommunismus" (PK) eingebunden. Diesem 2014 gegründeten, überregionalen Bündnis gehören noch weitere Gruppierungen aus Baden-Württemberg und Hamburg an. "Perspektive Kommunismus" zielt darauf ab, zu einer "bundesweiten, aktionsorientierten und revolutionären, kommunistischen Organisation" zu werden. Da dem Bündnis jedoch nur noch vier Gruppen (2017: 5) angehören, wird die PK diesem Anspruch derzeit nicht gerecht. 280 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Antifa-NT Bayern Gründung bekannt seit 2006 Sitz München Die Gruppe "Antifa-NT" vertritt einen postautonomen Antifaschismus, der darauf abzielt, die bestehende Gesellschaftsordnung durch eine klassenlose Gesellschaft zu ersetzen. Sie pflegt bundesweite Kontakte zu anderen autonomen und postautonomen Gruppierungen und trat im Herbst 2015 dem linksextremistischen "... ums Ganze!"-Bündnis bei, in dem sich Gewalt orientierte linksextremistische Gruppen aus Deutschland und Österreich organisieren. "Antifa-NT" nutzt die Räumlichkeiten des "Kafe Marat", das Teil eines selbstverwalteten Kulturzentrums ist. Das "Kafe Marat" dient Linksextremisten, insbesondere Autonomen, als Treffpunkt, logistisches Zentrum und Informationsbörse. Daneben nutzen auch andere nicht extremistische kulturelle und gesellschaftliche Gruppen das "Kafe Marat" für Treffen und Veranstaltungen. "Antifa-NT" ist an der bundesweiten Protest-Mitmachkam Kampagne "Natiopagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) beteiligt. nalismus ist keine NIKA ist eine linksextremistische Kampagne gegen einen anAlternative" (NIKA) geblichen Rechtsruck in der Gesellschaft. Mit ihr will sich die linksextremistische Szene stärker vernetzen und organisieren. Ferner sollen über das eigene Kernspektrum hinaus junge Leute angesprochen und politisiert werden. Die Kampagne entstand im Nachgang eines bundesweiten Treffens autonomer Gruppen in Frankfurt am Main im Januar 2016. In der Folgezeit gründeten sich NIKA-Ableger in mehreren Bundesländern. In Bayern wurde die Kampagne am 26. Mai in Nürnberg ausgerufen. An der Kampagne sind neben der "Antifa-NT" auch andere linksextremistische Gruppierungen beteiligt, darunter die "Infogruppe Rosenheim", "Contre la Tristesse" und "Auf der Suche" (ADS). Antifa-NT beteiligt sich auch immer wieder an breiten gesellschaftlichen Bündnissen. So nahm Antifa-NT am 11. Oktober an der "Gegen jeden Antisemitismus. Solidarität gegen rechten 281 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Terror"-Demonstration am Münchner Gärtnerplatz teil. Am 24. August beteiligte sich die Gruppe zusammen mit dem "...ums Ganze"-Bündnis und "NIKA" an der "#unteilbar"-Demonstration in Dresden. Am 21. September nahmen Linksextremisten von Antifa-NT an der Klimastreik-Demonstration in München teil. Auch an der anschließenden "Besetzung" des Königsplatzes durch ein "antikapitalistisches Klimacamp" war Antifa-NT beteiligt. Darüber hinaus solidarisiert sich die Antifa-NT mit den kurdischen Widerstandskämpfern in Rojava. Über die sozialen Medien rief die Gruppe zur Teilnahme an Demonstrationen gegen die türkische Offensive am 9. und 26. Oktober in München auf. 8.2.3 Anarchistische Gruppen Anarchistische Gruppe München (Bibliothek Frevel) Bayern Gründung 2016 Sitz München In München besteht eine Gruppe von Anarchisten, die durch publizistische Aktivitäten und das Betreiben einer Bibliothek die anarchistische Ideologie verbreiten wollen. Sie eröffneten im Sommer 2016 in München die "Anarchistische Bibliothek Frevel". Die Bezeichnung Frevel geht vermutlich auf den anarchistischen Autor Walter Borgius (1870-1932) zurück, der in seinem Werk: "Die Schule - ein Frevel" die Schule als Herrschaftsmittel zur Züchtung gehorsamer Untertanen darstellt. Die Bibliothek will den "Zugang zu den Gedanken und Kämpfen anderer Revoltierender" ermöglichen. Die anarchistische Gruppe billigt Strafund Gewalttaten als Mittel zur Zerstörung der bestehenden Ordnung. So lag in ihrer Bibliothek die anarchistische Straßenzeitung "Fernweh" aus, die linksextremistische Straftaten positiv bewertet. Bis Ende 2019 wurden 31 Ausgaben der Publikation veröffentlicht. Im Zusammenhang mit ihrer Kritik an der Politik der Türkei und an Deutschland als Waffenexporteur sprechen die Autoren davon, dass nur ein "eigener Wille und eine zündende Idee" nötig seien, um "das Töten zu beenden und den Militarismus zu attackieren". Dies weist implizit auf die Brandanschlagsserie in München hin, 282 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 die auch gegen die Rüstungsindustrie gerichtet war. Die Autoren begrüßen die Taten und fordern indirekt jene auf, die sich gegen Militarismus engagieren wollen, es den Brandstiftern gleich zu tun. 2019 hat sich das anarchistische Verlagskollektiv "V.Lenzer" gegründet, um eigenen Angaben zufolge [...] anarchistische Literatur und Kultur möglichst allen zugänglich zu machen. Regelmäßig finden Treffen in den Räumlichkeiten des "Frevel" statt. Neben den Verlagstreffen ist das "Frevel" auch regelmäßig Veranstaltungsort für Vorträge, Diskussionsabende und Filmvorführungen. Im Zentrum stehen hier aktuelle Ereignisse, wie die "Gelbwestenbewegung" oder "politische Gefangene", die aus anarchistischer Perspektive aufbereitet und diskutiert werden. Kommunistische Anarchisten - offene Struktur (kAoS) Bayern Gründung 2016 Sitz München Wie bereits aus dem Gruppennamen ersichtlich, versteht sich kAoS als Gruppe von "kommunistischen Anarchisten". Wie alle Anarchisten lehnt auch kAoS jede Form von Herrschaft ab. Sie kombinieren diesen Grundsatz jedoch mit den kommunistischen Lehren von Karl Marx. "Anarchokommunisten" streben ein dezentrales System an, das auf der Selbstverwaltung der Arbeiter in den Betrieben beruht. Produktionsmittel sollen der Allgemeinheit gehören, die Produktion soll freiwillig, solidarisch und bedürfnisorientiert angelegt sein. Betriebliche Entscheidungen sollen von der gesamten Arbeiterschaft basisdemokratisch getroffen werden, die Gewinne gerecht geteilt. Anarchokommunisten zielen darauf ab, eine herrschaftsfreie, egalitäre und selbstverwaltete Gesellschaft zu etablieren. 283 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Linksextremismus Aktionen gegen kAoS ist vor allem im Raum München aktiv. Die Gruppe beteiAbtreibungsgegner ligt sich regelmäßig an Aktionen gegen christliche Abtreibungsgegner, so z. B. am 11. Mai beim "1.000-Kreuze-Marsch" gegen Abtreibung in München. Gegendemonstranten versuchten an mehreren Stellen, Polizeisperren zu durchbrechen. Nur durch den Einsatz von unmittelbarem Zwang konnte dies durch die Polizei verhindert werden. Dennoch schafften es 30 Personen, auf die Demonstrationsroute zu gelangen und eine Sitzblockade zu bilden. Diese musste zum Teil von der Polizei geräumt werden. Auf der Luitpoldbrücke versuchte eine Aktivistin, den von den Abtreibungsgegnern symbolisch mitgeführten Kinderwagen mit Rosen an sich zu bringen und in die Isar zu werfen. Sie wurde von der Polizei in Gewahrsam genommen. Der "1.000-Kreuze-Marsch" in München wird regelmäßig von massivem Gegenprotest begleitet. Dabei geraten die Gegen demonstranten auch immer wieder in Konflikt mit der Polizei. kAoS veröffentlichte hierzu einen Beitrag der "kritischen Prozessbegleitung München" auf ihrem Internetauftritt: Sich innerhalb staatlicher Strukturen, also bei Gericht gegen Repression desselben Staates zur Wehr zu setzen ist ohnehin äußerst paradox, auch wenn dadurch zuweilen die Repressionskosten etwas verringert werden können. Dennoch darf dies nicht unsere einzige Antwort auf die Repression von Bull*innen und Staat bleiben. Als radikale Feind*innen des Staates stehen uns in jedem Fall viele andere Möglichkeiten zur Verfügung. Wir hassen den Staat, seine Knäste, seine Scherg*innen und seine Repres sion und wir werden sie ihm in jedem Fall vergelten. (Fehler aus dem Original übernommen) 284 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Auf der Suche (ADS) Bayern Gründung 2014 Sitz Nürnberg Die Gruppe AdS versteht sich als eine anarchis tische Gruppierung. Sie ist Mitglied der "Föderation deutschsprachiger Anarchist_innen". Das Feindbild aller anarchistischen Strömungen ist der Staat. Er gilt im anarchistischen Denken als repressive Zwangsinstanz, die zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft aufgelöst und zerschlagen werden müsse: Wir als AdS (Auf der Suche) sehen uns als antiautoritär und antinational. Da wir es nicht für sinnvoll halten politische Verantwortung nach repräsentativem Prinzip zu delegieren, lehnen wir den Staat als gesellschaftliche Organisationsform grundsätzlich ab, sowie die Nation als legitimationsstiftendes Element für eben diesen. Um diese Verhältnisse zu überwinden sehen wir eine soziale Revolution als notwendiges Mittel an, die auf jeder Ebene geführt werden muss und welche die Reflexion jedes Menschen erfordert. (Fehler aus dem Original übernommen) AdS engagiert sich hauptsächlich im Nürnberger Szenetreff "Projekt 31" (p31). Hier organisiert die Gruppe regelmäßig Veranstaltungen zu den Themen "Anarchismus" und "Selbstverwaltung". So lud AdS am 28. Mai zu einem Vortrag der anarchistischen Gruppe "Die Plattform" zum Thema "Warum wir eine dritte anarchistische Föderation für den deutschsprachigen Raum brauchen" im p31 ein. Am 12. Oktober beteiligte sich AdS an der Demonstration "Gegen rechte Netzwerke im Staat und auf der Straße" in Nürnberg. 285 Scientology-Organisation Scientology-Organisation (SO) (SO) Die "Kommission für Verstöße der Psychia trie gegen Menschenrechte Deutschland e. V." (KVPM) setzt ihre Diffamierungskampagne gegen die etablierte Psychiatrie unter neuem Titel fort Mit den "Ehrenamtlichen Geistlichen" verstärkt SO ihre Öffentlichkeitsarbeit in München Groß angelegte Werbekampagne der SO Tarnorganisation "Der Weg zum Glücklichsein" in Schwaben Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Die "Scientology-Organisation" (SO) ist eine internationale Organisation, die zum einen auf finanzielles Gewinnstreben ausgerichtet ist und zum anderen ein weltweites, unumschränktes Herrschafts system nach eigenen Vorstellungen errichten möchte. An die Stelle des Demokratieprinzips und der Grundrechte soll ein auf Psycho-Technologien und der bedingungslosen Unterordnung des Einzelnen beruhendes totalitäres Herrschaftssystem unter scientologischer Führung treten. Die SO ist somit nicht nur eine Gefahr für Einzelne, die in die Fänge und den Einflussbereich der Organisation zu geraten drohen, sondern stellt auch das demokratische System der Bundesrepublik Deutschland und die staatliche Garantie der Grundrechte in Frage. Schon in seinem Grundlagenwerk "Dianetik" aus dem Jahr 1950 wies der Gründer der SO, Lafayette Ron Hubbard, auf die politische Relevanz seiner Lehre hin. Nach seinen bis heute unveränderten und für alle Scientologen verbindlichen Vorstellungen soll eine ausschließlich nach scientologischen Richtlinien funktionierende Welt geschaffen werden. Mit harten psychound sozialtechnischen Instrumenten will die Organisation nicht nur den einzelnen Menschen steuern, sondern durch Einflussnahme auf Staat, Politik und Wirtschaft in die Gesellschaft eindringen, um sie den scientologischen Zielen zu unterwerfen. Programmatik und Aktivitäten der SO sind mit den Grundprinzipien unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. 287 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Scientology-Organisation Die "Scientology-Organisation" -- will ein scientologisches Rechtssystem etablieren, in dem es keine Menschenund Grundrechte gibt, -- missachtet die Menschenwürde (Art. 1 GG) und den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG), da sie nur Scientologen Rechte zugesteht, -- missachtet das Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG), da sie Kritik mit allen - auch illegalen - Mitteln unterdrücken will, -- baut auf ein totalitäres Herrschaftssystem, das Gewalt und Willkürherrschaft einschließt. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat mit Urteil vom 12. Februar 2008 festgestellt, dass -- tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die SO Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, -- zahlreiche Hinweise ergeben, dass die SO eine Gesellschaftsordnung anstrebt, in der zentrale Verfassungswerte außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden, -- der Verfassungsschutz die Organisation daher - auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln - beobachten darf. 288 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 1. PERSONENPOTENZIAL Deutschland Bayern Mitglieder 3.500 ca. 1.200 Vorsitzender Helmut Blöbaum Nina Malessa Gründung München 1970 Nürnberg 1982 ("Scientology Kirche ("Scientology Kirche Deutschland e. V.") Bayern e. V.") Sitz München München (in Deutschland unselbstständige Teilorganisationen) Publikationen Freiheit; Impact; Ursprung; Source u. a. Die Mitgliederzahl der SO in Bayern bewegt sich bei etwa 1.200 Personen. Neben langjährigen Anhängern der SO sind darunter auch junge Erwachsene, die in ihren Familien mit der Ideologie der SO aufgewachsen sind, weiterhin der Organisation treu bleiben und diese auch bewerben, sowie neu gewonnene Mitglieder. Konsequente staatliche Aufklärungsarbeit, Prävention und kritische Darstellungen in den Medien haben die SO und deren Ziele für die Öffentlichkeit transparent gemacht und erschweren es ihr, neue Mitglieder zu gewinnen. Mithilfe von Tarnorganisationen, wie z. B. der "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V." (KVPM), der Organisation "Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben", den "Ehrenamt lichen Geistlichen" ("Volunteer Ministers") oder der Organisation "Der Weg zum Glücklichsein", versucht die SO weiterhin, sich als humanitäre und sozial verantwortliche Organisation darzustellen und neue Mitglieder zu gewinnen. 2. AKTIONEN UND AKTIVITÄTEN 2.1 Ausstellung der "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte Deutschland e. V." (KVPM) Vom 17. bis 30. Juli fand in München die Ausstellung "Psychiatrie: Nebenwirkung Tod" der KVPM statt. Mittels Schautafeln, Filmen und Diskussionsveranstaltungen informierte die Organisation über die ihrer Ansicht nach kritikwürdigen Zustände in der Psychiatrie mit der Absicht, diese als barbarische Pseudowissenschaft zu verunglimpfen. 289 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Scientology-Organisation In der Ausstellung wird keine sachliche Kritik geäußert, sondern versucht, die Besucher mit einer tendenziösen und manipula tiven Darstellung der Psychiatrie emotional zu erreichen. Die aktuelle Ausstellung verfolgt damit dieselbe Diffamierungsstrategie wie die aus der Vergangenheit bekannten Veranstaltungen unter dem Titel "Psychiatrie: Tod statt Hilfe", die zuletzt in München 2016 und 2018 gezeigt wurden. In der Darstellung der KVPM wird der Berufsstand der Psychiater allgemein für moralische Verfehlungen einzelner Berufsangehöriger verantwortlich gemacht. Es wird der Eindruck vermittelt, als sei es das Ziel des gesamten Berufstandes, Menschen mit psychischen Problemen absichtlich zu schaden. Die Einnahme von Psychopharmaka würde Gewalttaten, wie beispielsweise Amokläufe, begünstigen. Instrumentalisierung Die KVPM versucht schon seit mehreren Jahren, Gewalttaten von Gewalttaten mit vielen Opfern für ihre Zwecke propagandistisch zu nutzen. durch KVPM Schon der Hinweis, der Täter könnte unter psychischen Problemen gelitten haben, genügt, um das tragische Ereignis in ihre Argumentationsmuster gegen die Psychiatrie einzubinden. Ziel der KVPM ist es dabei, ihren Anspruch zu unterstreichen, die einzig richtige Methode zur Lösung psychischer Probleme - die Hinwendung zur Lehre der SO - zu kennen. Der Organisation geht es auch um eine Marktverdrängung: Sie betrachtet Psychiatrie und Psychologie und somit auch die meisten Psychotherapieangebote als Konkurrenz. Die KVPM-Kampagnen beabsichtigen, die Bevölkerung zu verunsichern, um den Boden für scientolo gische Lösungsansätze in Medizin und Justiz zu bereiten und damit die Grundlage für eine Expansion der SO in der Gesellschaft zu schaffen. 2.2 Offensive Öffentlichkeitsarbeit der Tarn organisation "Der Weg zum Glücklichsein" Die SO-Tarnorganisation "Der Weg zum Glücklichsein" ("The Way to Happiness Foundation") betreibt seit Mitte 2016 in Bayern verstärkt Öffentlichkeitsarbeit. Ziel ist es, eine möglichst große Anzahl an Exemplaren der Broschüre "Der Weg zum Glücklichsein" zu verteilen. Aufmachung und Inhalt des Hefts sind auf den ersten Blick unverfänglich, lediglich im Impressum ist der Scientology-Gründer L. Ron Hubbard erwähnt. Transportiert werden mit der Broschüre eher triviale Vorschläge und Anleitungen zum "Glücklichsein", die scientologische Ideologie ist enthalten, aber nur schwer zu erkennen. 290 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Im Jahr 2019 hat die Tarnorganisation über mehrere Wochen eine Vielzahl von Broschüren in Günzburg verteilt. In einer Presse mitteilung informierte die Stadt Günzburg ihre Bürger über den Hintergrund der Aktion. Die SO versucht mit der Broschüre, Menschen auf vermeintlich problematische Erscheinungen oder Stimmungslagen in ihrem Leben aufmerksam zu machen und Interesse daran zu wecken, etwas zu ändern oder Hilfe zu suchen. Ziel ist, die Adressaten zur Kontaktaufnahme mit der Tarnorganisation zu motivieren. Sobald die Kontaktdaten vorhanden sind, können diese genutzt werden, um die Personen mittelfristig an die SO heranzuführen. In den sozialen Medien versucht die SO, die Kampagne - auch durch das Verbreiten von Fotos ihrer Aktionen - als erfolgreich darzustellen, um damit die Mitglieder zu zusätzlichem Engagement zu motivieren. Innerhalb der SO existieren statistische Vorgaben für die Durchführung öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten und die Werbung neuer Mitglieder. Es ist davon auszugehen, dass das erhöhte Aktionsniveau auch dazu dient, diesen Vorgaben gerecht zu werden. 291 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Scientology-Organisation 2.3 Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit durch die "Volunteer Ministers" in München Die SO unterhält mit den "Ehrenamtlichen Geistlichen" ("Volunteer Ministers") eine nach eigenen Angaben internationale Hilfsorganisation. Diese "Ehrenamtlichen Geistlichen" zeigten 2019 in München eine stärkere Präsenz. Unter dem Motto "Man kann immer etwas tun, sagen die ehrenamtlichen Geistlichen. Für mehr Engagement, sich gegenseitig zu helfen und Aufklärung darüber, wie man helfen kann und wie schon geholfen wurde" wurden mehrfach Informationsstände an zentralen Orten in der Innenstadt durchgeführt. Die "Ehrenamtlichen Geistlichen" sind an ihrer Uniformierung mit gelben Shirts und Jacken und der Verwendung der Farbe Gelb bei ihren Informationsständen in Form von gelben Zelten beziehungsweise Tischen erkennbar. Die Scientologen versuchen mit Redebeiträgen und vereinzelt auch mit Musikdarbietungen Aufmerksamkeit zu erzeugen und über das Verteilen von Informationsmaterial mit Passanten ins Gespräch zu kommen. Nach Angaben der SO ist es die Aufgabe eines "Ehrenamt lichen Geistlichen" "seinen Mitmenschen auf ehrenamtlicher Basis zu helfen, indem er Sinn, Wahrheit und spirituelle Werte in deren Leben wiederherstellt". Dabei wird beispielsweise mit sogenannten "Assists" ("Beiständen") gearbeitet. Dem "geistigen Wesen" soll geholfen werden, körperliche Schmerzen oder auch seelische Traumata zu überwinden. Beistände sind in unterschiedlicher Form möglich, unter anderem durch das sogenannte Auditing oder Berührungen. Bezeichnung als Bei den "Ehrenamtlichen Geistlichen" handelt es sich in der Re"Geistliche" täuscht gel um speziell ausgebildete Mitarbeiter der SO. Die Bezeichnung religiösen Kontext vor "Geistliche" wird durch die SO bewusst verwendet, um Außenstehende in die Irre zu führen und einen religiösen Kontext vorzutäuschen. In Deutschland sind religiöse Bezeichnungen wie "Kirche" und "Geistliche" rechtlich nicht geschützt. Mit Ausnahme der Zuerkennung als Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gibt es auch kein Anerkennungsverfahren, mit dem der Status als Religionsgemeinschaft förmlich zuerkannt wird. Jede Gruppe kann sich also - unabhängig von ihrer tatsächlichen Zielsetzung - zunächst Religionsgemeinschaft nennen. 292 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Die Methoden der sogenannten "Geistlichen" entsprechen den üblichen scientologischen Techniken zur Beeinflussung und Steuerung von Menschen. Neben Beiständen finden beispielsweise die von Scientology-Gründer L. Ron Hubbard entwickelte Studiertechnologie und bestimmte Trainingsübungen Anwendung. Darüber hinaus gibt es Anleitungen zur Überwindung von Drogenproblemen und zu den Themen Integrität sowie Ehe und Kinder. Da Informationsstände von Teilbeziehungsweise Tarnorganisationen nicht immer klar der SO zuzuordnen sind, besteht hier grundsätzlich die Gefahr, dass die Bevölkerung diese Veranstaltungen nicht als Aktivitäten der SO wahrnimmt. Das Programm der "Volunteer Ministers" wurde bereits Anfang der 70er Jahre ins Leben gerufen. Jedoch erst nach den Terror anschlägen vom 11. September 2001 in den USA, bei denen nach SO-Angaben ebenfalls "Ehrenamtliche Geistliche" im Hilfs einsatz waren, hat die SO deren Werbewirksamkeit erkannt und damit begonnen, das Programm entsprechend zu vermarkten. Nach Angaben der SO kam es zu internationalen Hilfseinsätzen bei mehreren Katastrophen, so beispielsweise im Dezember 2004 bei dem verheerenden Tsunami in Asien, bei den Hurrikans Katrina und Rita 2005 in den USA sowie bei dem starken Erdbeben auf Haiti im Jahr 2010. Auch in Deutschland sollen die "Ehrenamtlichen Geistlichen" bei der Hochwasserkatastrophe 2002 in Brandenburg und Sachsen sowie nach dem Amoklauf an einer Schule in Winnenden 2009 tätig gewesen sein. So zeigen Bilder auf ihrer Homepage die "Volunteers" bei Hilfseinsätzen in Katastrophengebieten. Inwieweit die Organisation tatsächlich praktische Hilfe leistet, kann nicht beurteilt werden. Ziel der SO bei allen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten ihrer Teilund Tarnorganisationen ist es stets, sich als global vernetzten Akteur und Ansprechpartner zu präsentieren, um neue Mitglieder zu rekrutieren und Spenden zu sammeln. Themen, die einen breiten gesellschaftlichen Konsens bieten, stehen daher besonders im Fokus. Die SO macht sich insbesondere im Fall von Katastrophen die psychische Ausnahmesituation der Betroffenen zunutze, um professionelle psychologische und psychiatrische Hilfe und Beratung zu verdrängen und die Opfer scientologischen Techniken zu unterziehen. 293 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Scientology-Organisation 3. ORGANISATIONSSTRUKTUR Die SO ist wie ein internationaler Wirtschaftskonzern organisiert und strukturiert. Alle Einrichtungen unterliegen trotz scheinbarer Selbstständigkeit der strikten Befehlsund Disziplinargewalt des "Religious Technology Center" (RTC) in Los Angeles/USA unter der Leitung von David Miscavige, dem Nachfolger des Gründers der "Scientology Organisation", L. Ron Hubbard. Der Church-Bereich ist neben den Tarnorganisationen WISE und ABLE eine der wichtigsten organisatorischen Säulen der SO. Er gliedert sich in die Einheiten "Kirchen" (Orgs), "Missionen" und "Celebrity Centres". Dachverband in Deutschland ist die "Scientology Kirche Deutschland e. V." (SKD), in Bayern existiert parallel dazu die "Scientology Kirche Bayern e. V." (SKB). Sowohl die SKD als auch die SKB haben ihren Sitz in München. Org-Einheiten sind insbesondere für den Verkauf und die Durchführung der weiterführenden Scientology-typischen Dienst leistungen zuständig. Hierzu gehören u. a. Dianetik-Kurse, Auditings und Rundowns sowie verschiedene interne Ausund Fortbildungen für Mitglieder. Kampagne "Ideales Im Rahmen ihrer "Ideale-Org-Kampagne" will die SO weltweit Deutschland" in Städten, die sie für sich als politisch und wirtschaftlich bedeutsam einschätzt, große und repräsentative Niederlassungen 294 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 (Ideale Orgs) aufbauen beziehungsweise bereits bestehende vergrößern. Diese Idealen Orgs sollen politischen Einfluss nehmen (u. a. durch Standorte in Regierungs-/Parlamentsnähe). Die Eröffnung einer Idealen Org ist an bestimmte, von Hubbard festgelegte Kriterien hinsichtlich Größe, Mitarbeiteranzahl und Ausstattung gebunden. In einer Idealen Org sollen sämtliche Dienstleistungen der SO unter einem Dach angeboten werden können. Zur Finanzierung dieser Projekte fordert die Organisa tion regelmäßig Spenden von ihren Mitgliedern ein. In Deutschland existieren bislang drei Ideale Orgs. Die SO-NieIdeale Orgs in derlassung in Berlin wurde 2007 eröffnet, seit Januar 2012 gibt Berlin, Hamburg und es auch in Hamburg eine Ideale Org. Am 9. September 2018 Stuttgart folgte die Eröffnung einer dritten deutschen Idealen Org in Stuttgart. Strategisches Ziel der SO ist ein "Ideales Deutschland". Daher muss mit der Eröffnung weiterer Idealer Orgs, u. a. auch in München, gerechnet werden. Die Missionen sind vor allem als Vorfeldorganisationen tätig und stehen in der SO-Hierarchie unterhalb der Org-Einheiten. Ihre Angehörigen sowie nicht hauptamtlich tätige sogenannte "Feldmitarbeiter" werben mit Einstiegsangeboten wie Büchern, Infomaterialien und Einstiegskursen um potenzielle Mitglieder. Bereits seit 1980 gibt es in München ein "Celebrity Centre" (CC), das für Prominente und Künstler vorgesehen ist. Grundsätzlich sollen die "Celebrity Centres" Politiker, Führungskräfte aus der Wirtschaft, Medienleute, Künstler und andere Prominente für Scientology gewinnen, um sie für Propagandazwecke nutzen zu können. Das räumlich von der Org München getrennte CC München ist hinsichtlich seines Stellenwerts für die Propa gandaaktivitäten der SO nicht mit den "Celebrity Centres" in den USA vergleichbar. Typisch für das Innenleben von SO-Organisationen ist die ständiPermanente ge Veröffentlichung interner Leistungsstatistiken und Ranglisten. Leistungskontrolle Diese weisen sowohl Umsatzund Absatzbilanzen einzelner Organisationseinheiten als auch kleinste Aktivitäten, wie z. B. Flyerverteilungen und Anwerbegespräche einzelner Mitglieder aus. Durch die permanente Leistungsdokumentation soll zum einen ein Quotendruck zur Steigerung von Umsatzzahlen, Mitgliederanwerbungen und Spendenerlösen erzeugt sowie ein Konkurrenzverhältnis zwischen den einzelnen Organisationsteilen und Mitgliedern geschaffen werden. Zum anderen ist die statistische Dauererfassung auch ein Mittel der Kontrolle über die Mitglieder und bildet die vermeintlich objektive Grundlage für das rigide Belohnungsund Bestrafungssystem der SO. 295 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Scientology-Organisation 3.1 Finanzierung der Scientology-Organisation Die SO finanziert sich insbesondere durch die Durchführung von kostenpflichtigen Kursen und den Vertrieb von Kursmaterialien. Wer sich der SO anschließt, muss einen genau vorgezeichneten Trainingsweg beschreiten, um zum scientologischen Übermenschen, dem "Operierenden Thetan" (OT) zu werden. Vom ersten bis zum letzten Kurs ist mit Kosten in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro zu rechnen. Hinzu kommt der steigende Druck auf die Mitglieder, Spenden zu leisten. Je nach finanzieller Leistungsfähigkeit des Einzelnen variiert die Höhe der Einzelspenden zwischen einigen Hundert bis zu mehreren Hunderttausend Euro. Der Spendendruck wird noch dadurch erhöht, dass die Mitglieder für die SO leicht erpressbar sind: Teil der Kurse ist das sogenannte Auditing, eine Psychotechnik, bei der Anhänger der SO sämtliche Informationen bis hin zu intimsten Details über ihr Leben preisgeben müssen. Dies macht sie für die SO zum gläsernen Menschen und damit letztendlich kompromittierbar. Derzeit versucht die SO, die für die Schaffung einer Idealen Org in München notwendigen finanziellen Mittel zu akquirieren, und fordert die Mitglieder deshalb auch zu zusätzlichen Spenden auf. Eine besondere Bedeutung bei der Finanzierung der SO kommt der Organisation "International Association of Scientologists" (IAS) zu. Diese Organisation führt regelmäßig Veranstaltungen zum Sammeln von Spenden durch. Durch diese Spenden werden SO-Einrichtungen und Kampagnen finanziert. Großspender werden geehrt und in SO-eigenen Medien veröffentlicht. Dabei geht es um Summen von bis zu zweistelligen Millionenbeträgen. 3.2 Unterorganisationen der ScientologyOrganisation Neben dem Church-Bereich sind die Unterorganisationen "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) und "Association for Better Living and Education" (ABLE) die wichtigsten organisatorischen Säulen der SO. WISE Das "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) ist ein franchiseähnlicher Zusammenschluss von Unternehmen, die durch Lizenzverträge an die SO gebunden sind und nach deren Methoden arbeiten. WISE hat zum Ziel, die Wirtschaft zu unterwandern und Gewinne durch den Verkauf von SO-Management-Techniken an Unternehmen zu erwirtschaften. 296 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 WISE-Unternehmen sind in allen Branchen zu finden. Vor allem Unternehmensund Personalberatung, Coaching-Angebote und die Immobilienbranche stehen im Fokus der Organisation. Die SO verfügt über Management-Akademien und ein eigenes Kursprogramm für die Wirtschaft mit Seminaren zu Themen wie Motivation, Effizienz, Organisation, Kommunikation und Management nach Statistiken. ABLE Mithilfe der "Associaton for Better Living and Education" (ABLE) versucht die SO, sich auch als soziale Organisation darzustellen. Unter dem Dach von ABLE agieren u. a. die vermeintliche Hilfs organisation für Drogenabhängige "NARCONON", die Kampagne "Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben", die Organisation "Der Weg zum Glücklichsein", die "Ehrenamtlichen Geistlichen" und das Ausbildungsprogramm "Applied Scholastics", das im Bereich der Kinderund Erwachsenenbildung aktiv ist. Auch die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V." (KVPM) ist Teil von ABLE. Die KVPM diffamiert mit pauschaler und tendenziöser Kritik die medizinische Psychiatrie und reklamiert für sich, den einzig wahren Weg zur Heilung psychischer Krankheiten zu kennen. KVPM-Initiativen wie "Jugend für Menschenrechte" oder "Gemeinsam für Menschenrechte" sollen junge Menschen für die Themen der SO begeistern und sinkenden Mitgliederzahlen entgegenwirken. Dass die KVPM eine Teilorganisation der SO ist, wird bei ihren Veranstaltungen nicht offengelegt. Besucher und mögliche Interessenten werden gezielt über die eigentliche Zielsetzung und ideologische Ausrichtung getäuscht. Die KVPM arbeitet anlassbezogen auch mit Verbänden außerhalb Deutschlands zusammen. So konnten 2019 Demonstrationsaufrufe in England, Frankreich und Österreich festgestellt werden. Im Allgemeinen treten SO-Einrichtungen überwiegend offen auf beziehungsweise versuchen nicht, ihre Verbindung zur SO zu verschleiern. Daneben bedient sich die SO allerdings auch Nebenund Tarnorganisationen, die auf den ersten Blick keinen Zusammenhang mit der SO erkennen lassen, mit denen aber Botschaften zu unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Themen transportiert werden sollen. Die SO ist in mehreren Themenfeldern mit Tarnorganisationen aktiv. Diese Felder zeichnen sich meist durch zwei Aspekte aus: Es gibt einen relativ breiten gesellschaftlichen Konsens, in den sich die SO einordnet, z. B. den Kampf gegen Drogenmissbrauch. 297 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Scientology-Organisation Die SO versucht auf diese Weise, an Menschen heranzukommen, die Hilfe brauchen, sich in einer Lebenskrise befinden und die damit leichter beeinflussbar sind, z. B. Drogenabhängige, psychisch Kranke, Straftäter oder Schüler mit schlechten Schulleistungen. Nachhilfeinstitute bieten zum Teil verdeckt, zum Teil aber auch offen nach scientologischen Regeln ablaufende Kurse für Kinder und Erwachsene an. Kinder werden somit schon früh unterschwellig und spielerisch in scientologische Denkweisen eingeführt. Scientologische In Bayern arbeiten "Die Lernakademie" in München-MilbertsNachhilfeinstitute hofen, die "Nachhilfeund Sprachenschule in Zirndorf" sowie das "Lernstudio Konrad" in Laufen mit der SO-Technik "Applied Scholastics". Auf den Internetseiten dieser Institute wird als Urheber der Lernmethode der Scientology-Gründer L. Ron Hubbard zwar erwähnt, allerdings wird behauptet, dass "Applied Scholastics" weder Teil einer Scientology Kirche sei noch finanzielle Verbindungen mit einer solchen unterhalte. Dadurch werden Interessenten bewusst getäuscht. "Applied Scholastics" ist eine Marke, deren Rechte dem "Religious Technology Center" der Scientology-Organisation gehören. Somit ist "Applied Scholastics" zwar nicht Teil einer Scientology Kirche, aber sehr wohl Teil der Scientology-Organisation. Die SO setzt somit bewusst auf Tarnorganisationen, um auch diejenigen erreichen zu können, die der SO zunächst ablehnend gegenüberstehen. Ziel der SO ist es, dadurch dauerhafte Kontakte zu Menschen aufzubauen, die zu einem späteren Zeitpunkt in die SO selbst und in das damit verbundene kostspielige Kurs system eingegliedert werden können. Geheimdienst OSA OSA Innerhalb des streng hierarchischen Aufbaus der SO gibt es zahlreiche Überwachungseinrichtungen und einen eigenen Geheimdienst, das "Office of Special Affairs" (OSA). Dieser soll Informationen über Kritiker, Behördenangehörige und andere Gegner sammeln, auswerten und als Druckmittel verwenden. Dazu gehören Verfolgung, Belästigung und Schikane mit dem Ziel der Zermürbung sowie Verleumdungskampagnen zum Zweck der öffentlichen Diskreditierung. Die OSA-Einheit für Deutschland ("Department of Special Affairs - DSA") ist bei der "Scientology Kirche Deutschland e. V." mit Sitz in München angesiedelt. Hubbard sah in der OSA hauptsächlich das Ziel: 298 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 [...] Behörden und [...] Denkmodelle oder Gesellschaften in einen Zustand völliger Übereinstimmung mit den Zielen der SO zu bringen. [...] Dies geschieht durch die hochrangige Fähigkeit zur Steuerung und - falls sie nicht gegeben ist - durch die weiter unten angesiedelte Fähigkeit zur Überwältigung. (Hubbard-Anweisung vom 15. August 1960) Tarnorganisationen der Scientology-Organisation Logo Bezeichnung World Institute of Scientology Enterprises (WISE) Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V. (KVPM) Association for Better Living and Education (ABLE) Jugend für Menschenrechte e. V. Applied Scholastics Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben e. V. Der Weg zum Glücklichsein NARCONON 299 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Scientology-Organisation 3.3. Formen der Kontaktaufnahme Die SO-Einrichtungen versuchen, auf verschiedenen Wegen einen ersten Kontakt herzustellen: -- Veranstaltungen und Infostände in den Innenstädten, -- Ansprechen auf der Straße mit dem Angebot, einen Persönlichkeitstest zu machen, -- Zusenden von Werbematerial, -- Angebote an Unternehmen zu Betriebsführungstechniken und Kursen zur Persönlichkeitsveränderung, -- Angebote auf dem Nachhilfemarkt, -- Kontaktaufnahmen in sozialen Netzwerken wie Facebook und YouTube. Scientology in Mit modern aufgemachten Profilen in sozialen Netzwerken und sozialen Medien mit Video-Clips auf YouTube versuchen die SO und ihre Tarnorganisationen, insbesondere junge Leute zu erreichen. Die SO thematisiert dazu die für diese Altersgruppe typischen Sorgen und Probleme. Dabei profitiert sie insbesondere von jungen Mitgliedern, die in SO-geprägten Elternhäusern aufgewachsen sind. Diese jungen Menschen, für die die SO selbstverständlicher Bestandteil ihres Lebens ist, vermitteln ein Bild der SO, das jung, modern und somit zielgruppenaffin wirkt und geeignet ist, andere junge Menschen zumindest für die Organisation zu interessieren. Jugendliche sollen sich in ihrer Lebenswelt abgeholt fühlen und das Gefühl gewinnen, die SO verstehe ihre Probleme besser als andere. Das Ziel ist letztlich, Jugendliche und junge Erwachsene für die Organisation und ihre Tarnorganisationen dauerhaft als Mitglieder zu werben. Die Organisation hält aber auch an den klassischen Methoden der Kontaktaufnahme fest. 4. AUSSTEIGER In der Vergangenheit haben mehrere hochrangige beziehungsweise prominente SO-Mitglieder aus unterschiedlichen Motiven die SO verlassen. Zudem erschienen international mehrere Veröffentlichungen ehemaliger Scientologen über ihre Erfahrungen in der SO. Aussteiger, die sich in der Öffentlichkeit aktiv gegen 300 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 die SO wenden, werden von ihr als "unterdrückerische", "antisoziale" oder "geisteskranke" Personen diffamiert und müssen mit Verfolgung, Bedrohung und Erpressung rechnen. Dabei macht die SO auch nicht vor den Angehörigen und dem persönlichen Umfeld der Betroffenen Halt. Aussteigern und Betroffenen stehen bundesweit zahlreiche Institutionen und private Initiativen zur Verfügung, die Ratsuchenden eine erste pädagogisch-psycho logische Beratung, Unterstützung und Krisenhilfe anbieten. Weitergehende Informationen zur SO, ein Glossar zum sciento logischen Sprachgebrauch sowie die Adressen von Beratungsstellen finden sich auf den Internetseiten des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz sowie des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration. Vertrauliches Telefon Für Opfer und Aussteiger der SO sowie für Angehörige von SO-Mitgliedern unterhält das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ein vertrauliches Telefon; dort können Hinweise zur SO gegeben werden: Telefon: 089/31201 296 Weitere Informationen und Beratungsstellen: Broschüre Das System Scientology Die Broschüre wird aktuell überarbeitet. www.stmi.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de 301 Spionageabwehr, Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Wirtschaftsschutz, Cyber-Allianz-Zentrum (CAZ) Bayern richtet eine zentrale Informationsund Kooperationsstelle zur Abwehr von Cyberbedrohungen ein und baut ein zentrales Cyber-Lagezentrum auf Erneute Zunahme von APT-Angriffen und Angriffen auf Netzinfrastrukturen mit Hilfe bekannter Sicherheitslücken digitaler Endgeräte Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Nachrichtendienste vieler Staaten haben die Aufgabe, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär anderer Länder auszuforschen. Ihr Ziel ist es, entweder die Erkenntnisse selbst zu nutzen oder die Möglichkeit zu haben, andere Staaten zu sabotieren. Dabei werden deutsche Interessen sowohl in Deutschland als auch weltweit ausspioniert. Auch elektronische Angriffe auf die Kommunikation von Regierungseinrichtungen gehören zum allgemeinen Repertoire von ausländischen Nachrichtendiensten. Politische und militärische Spionage ist auf die Außen-, Europaund Bündnispolitik sowie die Wirtschaftsund Energiepolitik Deutschlands ausgerichtet. Wie intensiv ein Staat Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage betreibt, ist abhängig von seiner eigenen wirtschaftlichen Lage. Wirtschaftlich weniger entwickelte Staaten spionieren in erster Linie Produkte und Fertigungsprozesse aus und wollen so mit möglichst geringem Aufwand an benötigtes Know-how gelangen. Wirtschaftlich hochentwickelte Staaten, die selbst über Hochtechnologie verfügen, wollen darüber hinaus an strategische Informationen gelangen, um die eigene Wirtschaft im globalen Wett bewerb besserstellen zu können. Wirtschaftsspionage verursacht in Deutschland jährlich Schäden in Milliardenhöhe und gefährdet Arbeitsplätze. Gerade bayerische Firmen und Hochschuleinrichtungen stehen wegen ihrer Innovationskraft in nahezu allen Branchen und Forschungsbereichen im Blickfeld ausländischer Nachrichtendienste. Besonders gefährdet sind kleine und mittelständische Firmen, die Spitzentechnologie entwickeln oder produzieren, da sich diese oft noch nicht ausreichend vor Spionageangriffen schützen. 303 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Um an Informationen zu gelangen, werden auch Behörden, Hochschulen und Wirtschaftsunternehmen zunehmend elektronisch angegriffen. Derartige Angriffe können vielfältige Urheber und Ziele haben. Es ist deshalb unverzichtbar, präventiv Abwehrmechanismen in den Bereichen Politik und Militär sowie Wirtschaft und Wissenschaft zu implementieren, die unabhängig von der Herkunft des Angriffs Schutzwirkung entfalten. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz stellt Unternehmen daher zielgerichtet Präventionsangebote zur Spionageabwehr im Rahmen seiner Wirtschaftsschutztätigkeit bereit. Einen Schwerpunkt bildet auch hier die Abwehr elektronischer Angriffe, die seit Juli 2013 vom Cyber-Allianz-Zentrum Bayern (CAZ) wahrgenommen wird. Neben Spionageaktivitäten bemühen sich einige Länder, in den Besitz von Technologien für atomare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen mit den erforderlichen Trägersystemen zu gelangen (Proliferation). 304 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 1. SPIONAGEAKTIVITÄTEN AUSLÄNDISCHER NACHRICHTENDIENSTE Ausländische Nachrichtendienste arbeiten regelmäßig getarnt Legalresidenturen in Deutschland. Ausgangspunkt für deren Spionageaktivitäten sind häufig sogenannte Legalresidenturen, die in den offiziellen (z. B. Botschaft oder Generalkonsulat) oder halboffiziellen (z. B. Presseagentur) Vertretungen ausländischer Staaten in Deutschland untergebracht sind. Dort tarnen ausländische Nachrichtendienste ihre Mitarbeiter, die mit verschiedenen Methoden Informationen selbst beschaffen oder nachrichtendienstliche Operationen aus den Heimatländern unterstützen. Zu den Aufgaben der ausländischen Nachrichtendienstmitarbeiter gehört es auch, das Internet auszuwerten und Veranstaltungen zu besuchen, um Kontakte zu zahlreichen Gesprächspartnern zu knüpfen. Gegenstand der Spionageaktivitäten können z. B. auch in Deutschland lebende Oppositionelle sein oder die gezielte Desinformation der deutschen Öffentlichkeit. Beschaffungsmethoden fremder Nachrichtendienste Offene Beschaffung Konspirative Beschaffung -- Auswertung offener Quellen -- Einsatz menschlicher Quellen -- Gesprächsabschöpfung -- Einsatz technischer Mittel -- Teilnahme am Wirtschaftsleben -- Umgehung von Ausfuhrbeschränkungen Spionage gegen Deutschland wird nach wie vor sowohl mit menschlichen Quellen als auch mit technischen Mitteln durchgeführt. Beides geschieht wahlweise offen oder konspirativ. Die Tarnung als Journalist, Wirtschaftsoder Handelsattache bietet vielfältige Möglichkeiten, an Informationen zu gelangen, z. B. auf Messen oder Tagungen. Sogenannte "Illegale", langfristig im Zielland eingesetzte Nachrichtendienstangehörige, werden mit einer falschen Identität ausgestattet. Die Enttarnung dieser "Illegalen" durch die Spionageabwehr gelingt nur mit großem operativen Aufwand. Ein etwaiger Diplomatenstatus schützt Nachrichtendienstangehörige bei Enttarnung vor Strafverfolgung und lässt nur die Ausweisung zu. Besonders im Fokus nachrichtendienstlicher Aktivitäten stehen Zielpersonen der Zielpersonen aus Parteien, politischen Institutionen, Behörden, Spionage Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Die meist arglosen Personen werden oftmals durch geschickte Gesprächsführung 305 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Opfer von Ausspähungsaktivitäten. Nicht selten können getarnte Nachrichtendienstangehörige bereits auf diesem Weg sensible Informationen gewinnen. Soziale Netzwerke wie Facebook und LinkedIn spielen für Anwerbeversuche ausländischer Nachrichtendienste eine große Rolle. Diese können unmittelbar aus den jeweiligen Heimatländern initiiert und gesteuert werden. Vermeintliche Wissenschaftler, Jobvermittler oder Headhunter knüpfen Kontakte zu ausweislich ihres Personenprofils interessanten Personen. Methoden der Erfolgt dann beispielsweise ein reizvolles Jobangebot mit anKontaktanbahnung schließender Einladung in das jeweilige Land, sind Betroffene der Gefahr der nachrichtendienstlichen Anbahnung ausgesetzt. Auch Angehörige diplomatischer Vertretungen, Behördenvertreter, Firmenangehörige oder Studenten, die sich längerfristig im Ausland aufhalten oder auf Reisen befinden, können zur Zielperson ausländischer Nachrichtendienste werden. Der Heimvorteil bietet ein breites Spektrum von Überwachungsund Kontrollmöglichkeiten, um Zielpersonen bei passender Gelegenheit anzusprechen. So werden u. a. kompromittierende Situationen geschaffen oder als Druckmittel verwendet. Möglich ist auch eine Anwerbung auf vorgeblich freundschaftlicher Basis. Spionageaktivitäten erfolgen in weiter zunehmendem Maße auch mit technischen Mitteln. Das Abhören von inländischer Kommunikation kann dabei ebenso über Server oder Internetknoten im Ausland erfolgen. Auch hierfür können Legalresidenturen genutzt werden. Fernmeldeaufklärungsmaßnahmen gegen deutsche Interessen werden von diplomatischen Vertretungen in deren Nahbereich durchgeführt. Betroffen sind hier insbesondere Gespräche mit Mobiltelefonen, WLANoder Bluetooth-Verbindungen, Laptops oder Tablets. Zielobjekte der Die Zielobjekte können vielfältig sein: Sie reichen von der SaboSpionage tage Kritischer Infrastruktur über das Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten, die Übernahme einer fremden elektro nischen Identität und den Missbrauch oder die Sabotage fremder IT-Strukturen bis hin zur Übernahme von Produktionsund Steuereinrichtungen. Angriffe erfolgen beispielsweise von außen durch Computernetzwerke oder manipulierte Hardware wie USB-Sticks. 306 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Auch in Deutschland stehen insbesondere Politik und Verwaltung im Fokus nachrichtendienstlich gesteuerter Cyberangriffe. Dabei sind die Bereiche Außenund Sicherheitspolitik, Finanzen sowie Militär und Rüstung für Angreifer von hohem Interesse. Es ist ein strategisches Vorgehen festzustellen, das sich regelmäßig bei besonderen Anlässen steigert. Hochrangige Entscheidungsträger beziehungsweise deren unmittelbare Mitarbeiter sollen beispielsweise im Vorfeld von Gipfeltreffen durch geschickt gestaltete E-Mails verleitet werden, den mit einer Schadsoftware versehenen Anhang zu öffnen und so eine Infektion der Systeme auszulösen. Der Angreifer erhofft sich dadurch, frühzeitig die geplante strategische Vorgehensweise in den Gipfeltreffen auszuspähen, entsprechend darauf reagieren und sich so selber in eine bessere Verhandlungsposition bringen zu können. Cyberangriffe stellen auch in den Bereichen Wirtschaft und Forschung aus Sicht ausländischer Nachrichtendienste ein geeignetes Spionagemittel dar. Einzelne Nachrichtendienste verfügen über eine gesetzliche Grundlage und somit den staatlichen Auftrag, die eigene Volkswirtschaft mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu stärken. Die damit in Deutschland verursachten volkswirtschaftlichen Schäden sind bedeutend: Schätzungen zufolge führt der illegale Abfluss geistigen Eigentums zu einem Schaden von mehreren Milliarden Euro. Insbesondere Unternehmen aus den Bereichen Rüstung, Luftund Raumfahrt, die Automobilindustrie sowie Forschungsinstitute sind betroffen. Werden Cyberattacken bekannt, erschwert die Anonymität des Internets die Identifizierung und Verfolgung der Täter. Durch forensische Analysen können jedoch immer wieder wichtige Hinweise auf Herkunft und Verursacher dieser Attacken gewonnen werden. Bei nachrichtendienstlichem Hintergrund sind die Verfassungsschutzbehörden zuständig. 1.1 Russische Föderation Aufgabe russischer Nachrichtendienste ist es, neben den politischen auch die wirtschaftlichen Interessen Russlands weltweit voranzutreiben. Die russische Wirtschaft profitiert in erheblichem Maß davon, dass alle russischen Nachrichtendienste gesetzlich dazu verpflichtet sind, Wirtschaftsspionage zu betreiben. Die Gesamtzahl der Mitarbeiter aller russischen Nachrichtendienste bewegt sich Schätzungen zufolge in einem mittleren sechsstelligen Bereich. 307 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Russland setzt vor allem drei Nachrichtendienste ein: -- Ziviler Auslandsnachrichtendienst (SWR), -- Inlandsnachrichtendienst (FSB), -- Militärischer Auslandsnachrichtendienst (GRU). Ziviler Auslandsnachrichtendienst (SWR) Der SWR ist zuständig für Spionage in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie. Darüber hinaus forscht er Ziele und Arbeitsmethoden westlicher Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden aus und bedient sich dazu auch der elektronischen Fernmeldeaufklärung. Zur Informationsbeschaffung setzt der SWR sogenannte Illegale ein, d. h. Nachrichtendienstoffiziere, die unter Verwendung falscher Identitäten langfristig in die Zielländer eingeschleust werden und dort möglichst unauffällig am sozialen Leben teilnehmen. Inlandsnachrichtendienst (FSB) Hauptaufgaben des FSB sind die zivile und militärische Spionageabwehr. Hierzu verfügt der FSB über umfangreiche Befugnisse. Auch ausländische Staatsangehörige können in das Blickfeld des FSB geraten und gezielt überwacht werden, wenn sie in Russland Internet oder Telefon nutzen. Der FSB hat Zugriff auf den Datenverkehr, der über russische Provider abgewickelt wird, und Zugang zu Datenbanken russischer Telefongesellschaften. Militärischer Auslandsnachrichtendienst (GRU) Der GRU hat die Aufgabe, das gesamte sicherheitspolitische und militärische Spektrum aufzuklären. Dazu spioniert er Bundeswehr, NATO und andere westliche Verteidigungsstrukturen genauso wie militärisch nutzbare Technologien aus. Versuche politischer Jenseits seiner Spionageinteressen ist Russland bestrebt, die Einflussnahme politische und öffentliche Meinung in Deutschland zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Bei deutschen Gesprächspartnern vertreten Angehörige der russischen Dienste offensiv Positionen des Kremls, werben um Verständnis für die russische Politik und versuchen, ihr Gegenüber als Multiplikator zur Verbreitung russlandfreundlicher Sichtweisen und Narrative zu gewinnen. Propaganda und Daneben verbreiten Akteure der Russischen Föderation wie Desinfomation auch in den vergangenen Jahren auf vielfältigen Wegen pro-russische Propaganda und Desinformation. Wichtige Werkzeuge 308 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 sind dabei - oft unter Nutzung von Social Bots und Fake-Profilen - soziale Netzwerke, staatlich geförderte und private Institute (z. B. Think Tanks), einzelne eigenständig agierende Einflussakteure und russische Staatsmedien. Weltweit sendende TV-, Radiound Internetkanäle betreiben gezielt Propaganda und Desinformation. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass derartige "Meinungsäußerungen" durch staatliche russische Stellen initiiert werden. Auch das russische Medienangebot in Deutschland wird durch den russischen Staat gefördert und ausgebaut. Staatliche Unternehmen werden als scheinbar unabhängige Medien getarnt, um die Zugehörigkeit zum russischen Staat zu verschleiern und die Öffentlichkeit auf subtile Weise zu beeinflussen. Die wichtigsten Akteure sind dabei der Internet-Sender "RT Deutsch" sowie die Nachrichtenagentur "Sputnik". In Russland selbst richten die Nachrichtendienste ihren Blick Gefährdungen in überwiegend auf Personen, die sich beruflich oder privat für länRussland gere Zeit dort aufhalten. Dazu zählen insbesondere Angehörige diplomatischer Vertretungen und Behördenvertreter, Firmenrepräsentanten, Wissenschaftler oder Studierende. Persönliche Daten in Visaanträgen, Grenzkontrollen sowie die Telefonund Internetüberwachung bieten den Diensten im eigenen Land zahlreiche Möglichkeiten, geeignete Zielpersonen für eine Ansprache zu ermitteln. Sofern die gewonnenen Informationen die Zielpersonen kompromittieren können, gehen die Dienste auch offensiv vor. 1.2 Volksrepublik China Die "Kommunistische Partei Chinas" (KPCh) setzt zur Stabilisierung ihres Machtanspruchs gezielt den umfangreichen Sicherheitsapparat ein. Die Nachrichtendienste sollen einen Beitrag für den Erhalt der sozialen Stabilität leisten und gleichzeitig wirtschaftliche Interessen fördern. China setzt vor allen Dingen folgende vier Nachrichten dienste ein: -- Ministerium für Staatssicherheit (MSS), -- Ministerium für öffentliche Sicherheit (MÖS), -- Militärischer Nachrichtendienst (MID), -- Büro 610. 309 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Ministerium für Staatssicherheit (MSS) Das chinesische MSS ist als weltweit größter ziviler Nachrichtendienst sowohl mit Abwehrals auch mit Spionageaktivitäten im Inund Ausland aktiv. In Fragen der nationalen Sicherheit nimmt das MSS eine zentrale Rolle ein. Es ist für die Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Ordnung zuständig und in diesem Bereich mit Polizeibefugnissen ausgestattet. In Deutschland bemüht es sich nachhaltig um Informationen aus den Bereichen Politik und Wirtschaft und späht oppositionelle chinesische Gruppierungen aus. Ministerium für öffentliche Sicherheit (MÖS) Das MÖS ist für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuständig und kann hierzu auf die Ordnungsund Kriminalpolizei zurückgreifen. Ferner verfügt das MÖS über nachrichtendienstliche Spezialeinheiten mit einem ähnlichen Aufgabenspektrum wie das MSS. Es sammelt auch im Ausland Informationen über Bevölkerungsgruppen, die aus Sicht der KPCh als staatsgefährdend eingestuft werden. Überdies kontrolliert und zensiert das MÖS die Medien und den Internetverkehr. Militärischer Nachrichtendienst (MID) Die chinesischen Nachrichtendienste unterstützen das langfristig angelegte Programm Chinas zur Steigerung der militärischen Leistungsfähigkeit der Volksbefreiungsarmee. Der MID ist dem Joint Staff Departement Intelligence Bureau der Zentralen Militärkommission unterstellt und agiert weltweit offensiv. Er entsendet Militärattaches und unterhält Verbindungen zu ausländischen Streitkräften. Der MID ist für die Beschaffung von Informationen zuständig, die die äußere Sicherheit Chinas betreffen. Dazu zählen u. a. Struktur, Stärke und Ausrüstung fremder Streitkräfte. Spionageziele sind aber auch Politik, Wissenschaft und Technik anderer Staaten. Auch die Bekämpfung regimekritischer Bestrebungen innerhalb und außerhalb Chinas gehört im Rahmen des Generalauftrags der KPCh zu den Aufgaben des Dienstes. Büro 610 Das sogenannte Büro 610 untersteht dem Zentralkomitee der KPCh und ist im Inund Ausland aktiv. Hauptaufgabe ist die Beobachtung und Verfolgung der regimekritischen Meditationsbewegung "Falun Gong". Obwohl der Dienst ein Parteiorgan ist, arbeiten ihm die staatlichen Verwaltungs-, Justizund Polizeibehörden zu. Zur Beschaffung von Spitzentechnologie aus dem Westen setzt China auf groß angelegte Spionage in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie. Chinesische Nachrichtendienste versuchen, am Hochtechnologiestandort 310 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Bayern entsprechendes Know-how insbesondere aus den Bereichen erneuerbare Energien, Elektromobilität, Umwelttechnik sowie Informationsund Militärtechnologie zu beschaffen. Hierfür nutzen sie in erster Linie Kontakte zu Vertretern von Behörden und Unternehmen oder Wissenschaftlern, um an sensible Informationen zu gelangen. Neben Nachrichtendienstmitarbeitern an Legalresidenturen setzt Methoden der InforChina zur Informationsbeschaffung auch in Deutschland lebende mationsbeschaffung Chinesen ein, die sich hier als Ingenieure, Gastwissenschaftler, Praktikanten oder Studenten aufhalten. Für die Anwerbung und Abschöpfung nutzt China die Kontakte von Visumsantragstellern zu Botschaften und Konsulaten oder deren Aufenthalt im Heimatland, beispielsweise zu Verwandtschaftsbesuchen. Außerdem werden deutsche Geschäftsreisende in China intensiv überwacht, insbesondere bei der Nutzung von Telefon und Internet. Dabei werden mitgeführte elektronische Datenträger offen oder verdeckt ausgespäht. Durch die Auswertung der elektronischen Datenträger gewinnen die Nachrichtendienste Erkenntnisse, die sie als Druckmittel einsetzen können, um westliche Geschäftsreisende zur Zusammenarbeit zu bewegen. Chinesische Nachrichtendienste entwickeln Spionageaktivitäten Anwerbeversuche nicht nur aus diplomatischen Einrichtungen heraus oder durch reisende Nachrichtendienstoffiziere, die in Deutschland oder im benachbarten Ausland Treffen mit ihren Agenten durchführen. Ansprachen und Anwerbeversuchen sind deutsche Staatsangehörige in verstärktem Maße auch in China selbst ausgesetzt. Über die Gefahren für Geschäftsreisende klärt der Flyer "Geschäftsreisen ins Ausland" des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz auf. Zur Verschleierung des nachrichtendienstlichen Hintergrunds der Ansprache werden gelegentlich auch wissenschaftliche Einrichtungen oder sogenannte Think-tanks als Abdeckung genutzt. Nachrichtendienstlichen Anwerbeversuchen sehen sich dabei sowohl Mitarbeiter bayerischer Hochtechnologieunternehmen wie auch Mitarbeiter internationaler Einrichtungen ausgesetzt. Der Aufstieg Chinas zu einem selbstbewussten Akteur in der internationalen Politik geht Hand in Hand mit intensivierten Aufklärungsbemühungen gegenüber interund supranationalen Organisationen, die in China vor Ort sind. Rekrutierungsversuche lassen sich seit mehr als zwei Jahren in Rekrutierung in sozialen Netzwerken wie Facebook, LinkedIn und Xing feststelsozialen Medien len. Betroffen sind hier bislang mehr als 10.000 deutsche Staatsangehörige mit aus Sicht der chinesischen Nachrichtendienste interessanten Tätigkeiten, z. B. in den Bereichen Außenund 311 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Sicherheitspolitik. Mittels Fake-Profilen tarnen sich die chinesischen Nachrichtendienste als Mitarbeiter von "Thinktanks", als Wissenschaftler oder Angehörige chinesischer Behörden. Manchmal treten sie auch als Headhunter oder Manager einer Consulting-Firma auf. In der Kommunikation geben sie vor, sich für das jeweilige Arbeitsgebiet zu interessieren, und zeigen Interesse am Austausch von Informationen. Die weitere nachrichtendienstliche Anbahnung wird dann bei Reisen nach China durchgeführt. Im Vorfeld erfolgt eine geschickt gestaltete Einladung, die unverfänglich, aber sehr attraktiv erscheint. Vor Ort gibt sich der Kontakt schrittweise als Nachrichtendienst zu erkennen. Werden in Bayern solche Fälle bekannt, erfolgen durch die Verfassungsschutzbehörden im Rahmen ihrer Präventionsarbeit Sensibilisierungsgespräche, z. B. in den Bereichen Wirtschaft und Staatsverwaltung sowie an Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Ausforschung von Ein weiterer Schwerpunkt chinesischer Nachrichtendienste ist Oppositionellen die nachdrückliche Bekämpfung oppositioneller Kräfte, von denen die Regierung eine Gefährdung der staatlichen Ordnung befürchtet. Die innere Einheit des Staates und seine territoriale Integrität sieht die Staatsführung insbesondere durch die sogenannten "Fünf Gifte" bedroht. Zu diesen gehören die Angehörigen der Meditationsbewegung "Falun Gong" und Mitglieder der Demokratiebewegung. Auch die Befürworter einer Eigenstaatlichkeit Taiwans sowie die nach Unabhängigkeit strebenden Volksgruppen der Tibeter und Uiguren werden hierzu gezählt. In München ist mit dem "World Uyghur Congress" (WUC) die bedeutendste Organisation der Uiguren im Ausland ansässig. Derzeit sind auch nach Presseberichten bis zu eine Million Uiguren in chinesischen Umerziehungslagern inhaftiert. Diese Festsetzungen werden als konkretes Druckmittel gegen im Ausland lebende Uiguren eingesetzt, um diese zu einer Zusammenarbeit mit dem chinesischen Nachrichtendienst zu bewegen. 1.3 Sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Türkei Der "Milli Istihbarat Teskilati" (MIT) spielt in der türkischen Sicherheitsarchitektur eine zentrale Rolle. Er ist mit Exekutivbefugnissen ausgestattet. Seine Befugnisse wurden in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet. Zudem erfolgte eine Personalmehrung von rund 1.500 Mitarbeitern auf circa 6.000 - 7.000 hauptamtliche Angehörige. Auch das Unterstellungsverhältnis 312 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 wurde neu geordnet. Der bislang dem türkischen Ministerpräsidenten zugeordnete Dienst ist nun direkt dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan unterstellt. Das Amt des Ministerpräsidenten wurde im Zuge des Verfassungsreferendums in der Türkei 2017 abgeschafft. Der MIT agiert somit an einer Kontrolle durch das Parlament oder sonstigen Instanzen vorbei. In Deutschland steht die Ausspähung und Verfolgung von exilpolitischen Betätigungen, die nach türkischem Recht strafbar sind, im Mittelpunkt der Spionageaktivitäten. Seit dem gescheiterten Putschversuch steht auch die "Gülen"-Bewegung im besonderen Fokus des MIT. Islamische Republik Iran Das Ministry of Intelligence of the Islamic Republic of Iran (MOIS) ist als ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst der wichtigste Nachrichtendienst des Iran und stellt ein zentrales Instrument der politischen Führung zur Sicherung des Machtanspruchs dar. Der Leiter des Nachrichtendienstes gehört mit Ministerrang dem iranischen Kabinett an. Dies unterstreicht die herausragende Bedeutung des MOIS. Bekannt sind neben dem MOIS auch die Revolutionary Guards Intelligence Organization (RGIO), der Auslandsaufklärungsund Inlandsabwehrdienst des Islamic Revolutionary Guards Corps (IRGC) und die Security and Intelligence Organization of the Army. Eine Spezialeinheit des IRGC bilden die auch in Deutschland aktiven Quds-Brigaden (Quds Force), die für militärische Operationen im Ausland zuständig sind. Ihre umfangreichen Ausspähungsaktivitäten richten sich insbesondere gegen (pro-) israelische beziehungsweise (pro-)jüdische Ziele. Deutschland steht unverändert im Fokus der nachrichtendienstlichen Aufklärungsaktivitäten. Hierzu zählen Informationen aus der Außenund Sicherheitspolitik sowie Wirtschaft und Wissenschaft. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Beobachtung und Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen im Inund Ausland. 2. WIRTSCHAFTSSCHUTZ Spionage verursacht in Deutschland jährlich Schäden in Milliardenhöhe und kostet Arbeitsplätze und wertvollen Know-howVorsprung. Unternehmen, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), sind sich dieser Gefahr und der damit verbundenen negativen Auswirkungen oft nicht im Detail bewusst. 313 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Prävention und Awareness können hier Abhilfe schaffen. Im Rahmen der Spionageabwehr ist es dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz daher besonders wichtig, bayerische Unternehmen sowie Hochschulen zu informieren, zu sensibilisieren und zu beraten. Es bietet rund um die Themen Proliferation, Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage kostenfreie Informationen und Serviceleistungen - von vertraulichen Gesprächen in Firmen und Hochschulen bis hin zu Vorträgen anlässlich fachspezifischer Informationsveranstaltungen. Basis dieser Präven tionsarbeit sind der Aufbau und die Pflege einer vertrauensvollen Sicherheitspartnerschaft, die einen Austausch sensibler Informationen zwischen Unternehmen oder Hochschulen und dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz im Krisenfall ermöglichen. Seit 2010 besteht die "Initiative Wirtschaftsschutz" des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration sowie dem Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. Im Rahmen des gemeinsamen Engagements unter dem Motto "Wirtschaftsschutz ist Wirtschaftsförderung" wurden auch 2019 Informationsveranstaltungen zu den Themen Wirtschaftsschutz und elektronische Angriffe durchgeführt. Auf der weltweit größten IT-Sicherheitsmesse it-sa in Nürnberg war das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz wieder mit seinen Fachbereichen Wirtschaftsschutz, Geheimschutz in der Wirtschaft und Cyber-Allianz-Zentrum Bayern (CAZ) zusammen mit dem Landeskriminalamt, dem Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und dem Landesamt für Datenschutzaufsicht mit einem Gemeinschaftsstand vertreten. Im März 2019 fand in Sonthofen zum fünften Mal die Sicherheitstagung "Sicherheit in der Wirtschaft" der Landesämter für Verfassungsschutz aus Baden-Württemberg und Bayern statt. An der Tagung, die dieses Jahr vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz ausgerichtet wurde, nahmen 170 Sicherheitsverantwortliche und Vertreter von Firmen, Verbänden und Behörden teil. Unter www.wirtschaftsschutz.bayern.de betreibt das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz im Rahmen dieser Ini tiative ein Informationsportal zum Thema Wirtschaftsschutz. Der Besucher betritt dort ein virtuelles Unternehmen, in dem er das gesamte Beratungsangebot, Ansprechpartner sowie Publikationen und Links rund um das Thema Know-how-Schutz und elektronische Angriffe findet. Das Informationsportal richtet sich insbesondere an Mitarbeiter, Sicherheitsoder IT-Verantwortliche sowie Führungskräfte bayerischer Unternehmen und eignet sich gleichermaßen zur firmeninternen Sensibilisierung. 314 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Unternehmen, die im Zusammenhang mit Aufträgen des BunGeheimschutz des oder eines Landes Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen Informationen (Verschlusssachen) haben, unterliegen der sogenannten Geheimschutzbetreuung. Diese stellt den einheitlichen Schutz von Verschlusssachen auch in Wirtschaftsunternehmen sicher. Ansprechpartner für alle geheimschutzbetreuten Unternehmen, die ihren Sitz in Bayern haben, ist das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Ziel der Geheimschutzbetreuung ist es, nicht nur nachrichtendienstliche Angriffe zu erkennen und abzuwehren, sondern ihnen durch gezielte Maßnahmen präventiv entgegenzuwirken. Die Kontakte zu geheimschutzbetreuten Unternehmen sind ein wertvolles Netzwerk für die präventive Spionageabwehr. In mehreren Fällen ist es bereits gelungen, durch Hinweise geheimschutzbetreuter Unternehmen elektronische Angriffsmuster zu erkennen. Dadurch konnten andere, möglicherweise ebenfalls betroffene Unternehmen frühzeitig informiert werden. 3. CYBER-ALLIANZ-ZENTRUM BAYERN (CAZ) Die enorme Zunahme digitaler Vernetzung sowie der unaufhaltsame Vormarsch neuer Technologien wie Autonomes Fahren, Künstliche Intelligenz (KI) oder "smarter" Geräte im Internet (IoT) führen im Hinblick auf Cybersicherheit zu einer massiven Potenzierung elektronischer Angriffsmöglichkeiten. Das Risiko, Opfer eines elektronischen Angriffs zu werden, ist deutlich gestiegen und wird im Allianz Risk Barometer 2019 erstmals von den befragten Firmen selbst als eines der beiden Hauptrisiken für Unternehmenssicherheit eingestuft. Nicht nur für Kriminelle, sondern auch für fremde Nachrichtendienste werden elektronische Angriffe immer attraktiver: Sie sind zum einem relativ einfach und kostengünstig zu realisieren und teilweise auf geringem technischen Niveau umsetzbar, zum anderen bergen sie ein geringes Entdeckungsrisiko und haben eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit. Elektronische Angriffe sind gezielte Maßnahmen mit und gegen Cyberspionage und IT-Infrastrukturen zur Informationsbeschaffung (Cyberspionage) Cybersabotage oder Schädigung (Cybersabotage). Sie können sowohl über das Internet als auch über manipulierte Datenträger erfolgen. Den Angriffen geht häufig ein sogenanntes Social Engineering, auch über soziale Netzwerke, voraus. Dabei werden mögliche Opfer ausgeforscht. Sind geeignete Personen ausgewählt, werden diese gezielt elektronisch, z. B. mit Spear Phishing oder auch per 315 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Telefon und einschlägigen Messengern, angegriffen, um auf diesem Weg an sensible Informationen oder direkt in das Unternehmensnetzwerk zu gelangen. Nach wie vor scheuen sich viele Unternehmen, bei Cybersicherheitsvorfällen auf die Unterstützung von Behörden zurückzugreifen. Zu hoch ist die Sorge vor Reputationsverlust bei Bekanntwerden. Aus diesem Grund wurde 2013 das CAZ im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz gegründet. Seither hat es sich als vertrauenswürdiger und kompetenter Ansprechpartner für Unternehmen, Betreiber kritischer Infrastruktur (KRITIS) sowie Wissenschaftsbeziehungsweise Forschungseinrichtungen bei der Prävention und Aufklärung elektronischer Angriffe mit Spionageoder Sabotagehintergrund etabliert. Durch den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu zahlreichen Unternehmen und Einrichtungen ("Sicherheitspartnerschaft") konnte erreicht werden, dass immer mehr Betroffene Cybervorfälle an das CAZ melden und sich dort präventiv oder im Nachgang zu Vorfällen beraten lassen. Das CAZ gliedert sich in die drei Säulen: -- forensisch-technische Analyse, -- nachrichtendienstliche Bewertung, -- Kommunikation und Netzwerkbildung. Von der Wirtschaft gemeldete Vorfälle, bei denen es Anhaltspunkte für einen gezielten Angriff gibt, werden zunächst aus forensisch-technischer Sicht bewertet. Gleiches gilt für gezielte Angriffe auf staatliche Stellen, die analysiert werden. Die technischen Ergebnisse der Analysen fließen weiter in die zweite Säule des CAZ, in der eine nachrichtendienstliche Bewertung stattfindet. Die Ergebnisse dieser Bewertungen fließen in Warnmeldungen ein, die wiederum der Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Vertrauliche BeraZuvor entscheidet das CAZ gemeinsam mit den betroffenen tung durch das CAZ Wirtschaftsunternehmen vertraulich über das weitere Vorgehen, denn von einem ähnlichen Angriff können auch weitere Unternehmen betroffen sein. Potenziell betroffene Unternehmen erhalten dann Informationen in anonymisierter Form zu den erkannten Angriffsmustern. Dadurch können Schutzmechanismen 316 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 optimiert und Angriffe wirksam abgewehrt werden. Diese Warnmeldungen werden sowohl von bayerischen Unternehmen als auch zunehmend von Unternehmen außerhalb Bayerns verstärkt nachgefragt. Erneut konnte eine Zunahme von APT-Angriffen (Advanced Zunahme von Persistent Threat, deutsch: herausgehobene andauernde BeAPT (Advanced drohung) beobachtet werden. APTs sind hochkomplexe und Persistant Threat) hartnäckige Cyberbedrohungen durch Angreifergruppen, die -Angriffen höchsten Aufwand betreiben, um ihre Ziele zu erreichen. Dabei scheinen Kreativität und Innovation beinahe grenzenlos. Diese Angriffe dauern regelmäßig über mehrere Monate, manchmal sogar Jahre an. Da die Erstinfektion und der damit installierte Zugang zum Rechnernetzwerk meist unentdeckt bleibt (im Durchschnitt mindestens sechs Monate), können Angreifer jederzeit lageangepasst agieren - oft sogar erst nach Monaten und auf Befehl ihrer Auftraggeber. Das Handeln von APT-Gruppen basiert zumeist auf der Unterstützung von Staaten und deren Nachrichtendiensten und hat das Ziel, Daten zu stehlen, Abläufe zu sabotieren oder Infrastrukturen anzugreifen und/oder nachhaltig zu stören. Eine der bekanntesten APT-Kampagnen, deren Beginn minAngriffe aus destens bis 2004 zurückreicht, ist die Operation "Fancy Bear" Russland und Iran (auch bekannt als "APT28"). Neben dem Cyberangriff auf das interne Netzwerk des Bundestags im Mai 2015 werden dieser Gruppierung gemäß verschiedener Veröffentlichungen auch die Angriffe auf das Democratic National Committee (DNC) im Zuge der US-Präsidentschaftswahlen 2016 und auf die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) im Jahr 2017 zugerechnet. Dabei sind die Angriffsaktivitäten der Gruppierung nicht ausschließlich im digitalen Bereich zu verorten: Im Jahr 2018 konnten mehrere Offiziere des russischen militärischen Nachrichtendienstes bei dem Versuch enttarnt werden, einen Cyberangriff auf die Liegenschaften der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Den Haag/Niederlande aus einem Mietwagen am Parkplatz der Institution heraus durchzuführen. Die russischen Akteure verwendeten Spezialequipment, das sie im Kofferraum des Fahrzeugs verbracht hatten und konnten auf frischer Tat bei ihren Aktivitäten festgenommen werden. Die Dynamik der letzten Jahre, mit der die Islamische Repu blik Iran ihr Angriffspotenzial im Cyberraum ausgebaut hat, ließ sich auch 2019 erkennen. Dabei richteten sich Kampagnen, wie der Mitte des Jahres entdeckte, globale Phishing-Angriff der APT-Gruppe "Cobalt Dickens", fortgesetzt auch gegen deutsche 317 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Universitätseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen. Das damit einhergehende Bedrohungspotenzial iranischer Cyber-Akteure dürfte sich unter dem Eindruck der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und Iran auch in Zukunft auf einem signifikant hohen Niveau bewegen. "False flag" Bekanntermaßen bedienten sich iranische APT-Gruppen in der Operationen Vergangenheit auch offen verfügbarer (Schad-)Software. Ende 2019 wurde eine Angriffskampagne bekannt, bei der mutmaßlich russische Hacker iranische Hacking-Tools "kaperten" und zum Einsatz brachten. Die Übernahme und Verwendung fremder Cyber-Infrastruktur dient oftmals dazu, sogenannte "False flag"-Operationen durchzuführen. Dies erschwert die anschließende Zurechnung von Angriffskampagnen. Innovative kleine und Das CAZ konnte im Verlauf des Jahres 2019 weitere Angriffe mittlere Unternehauf Netzinfrastrukturen beobachten. Als Einfallstore dienten zum men im Zielspektrum Teil bekannte Sicherheitslücken von digitalen Endgeräten. Die Angreifer versuchten, Konfigurationsdaten der Geräte abzugreifen oder einen direkten Zugang zum Gerät herzustellen. Die Auswahl der Opfer führt zu der Annahme, dass vor allem der Energiesektor im Interesse der Angreifer liegt. Zunehmend geraten bei diesem Vorgehen auch kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) in den Fokus der Angreifer. Von besonderem Interesse scheinen KMU-Betriebe als Teil größerer Lieferketten zu sein, um auf diesem Weg das in Teilen schwächere IT-Sicherheitsniveau von KMU-Betrieben auszunutzen und anschließend die eigentlichen (größeren) Opfer zu infizieren. Ausländische Nachrichtendienste und Gruppen, die im staatlichen Auftrag tätig sind, passen ihre Instrumente und Methoden immer wieder an aktuelle technische und gesellschaftliche Entwicklungen an. Zunehmend setzen sie Werkzeuge und Angriffsmethoden ein, die aus der Cyberkriminalität bekannt sind, und nutzen diese zur Verschleierung nachrichtendienstlicher Aktivitäten. Nach wie vor gehört Social-Engineering zu den essenziellen Vorbereitungshandlungen bei nahezu allen Cyberangriffen. Das Ausnutzen sozialer menschlicher Eigenschaften, wie z. B. Neugierde oder Hilfsbereitschaft, wird gezielt eingesetzt, um an die relevanten Informationen zu gelangen, mit denen ein Cyber angriff erst möglich gemacht wird. 318 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Kooperationspartner des CAZ Zur Erfüllung seiner Aufgaben arbeitet das CAZ eng mit weiteren Einrichtungen zusammen. Auf Bundesebene sind das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wichtige Partner. Das CAZ gehört seit seiner Gründung als "Institution im besonderen staatlichen Interesse" (INSI) der "Nationalen Allianz für Cyber-Sicherheit" an und ist damit Bestandteil der deutschen Sicherheitsarchitektur. Auf Landesebene ist das CAZ ein wichtiger Baustein der "Initiative Cybersicherheit", die 2013 im Rahmen der Bayerischen Cybersicherheitsstrategie ins Leben gerufen wurde. Die Zusammenarbeit mit weiteren institutionellen Säulen der "Initiative Cybersicherheit" wurde in den vergangenen Jahren aufund ausgebaut, unter anderem mit der Zentralen Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) im Bayerischen Landeskriminalamt, der Zentralstelle Cybercrime der Staatsanwaltschaft Bamberg (ZCB) sowie weiteren bayerischen Behörden mit Cybersicherheitsaufgaben wie dem Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI), dem Landesamt für Datenschutzaufsicht (LDA) sowie dem Landesbeauftragten für den Datenschutz (LfD). Die Erfahrungen aus dieser Zusammenarbeit - gerade im Hinblick auf Cybersicherheitsvorfälle mit überregionalem beziehungsweise interdisziplinärem Ausmaß - führten zu der Entscheidung, eine "Cyberabwehr Bayern" ins Leben zu rufen. Die "Cyberabwehr Bayern" stellt keine zusätzliche Behörde dar, Cyberabwehr Bayern sondern ist eine zentrale Informationsund Kooperationsstelle, um die Abwehr von Cyberbedrohungen durch die Zusammen arbeit all dieser, in cyberrelevante Sicherheitsvorfälle involvierten Behörden zu optimieren. Darüber hinaus werden Ressourcen effizienter eingesetzt und Reaktionszeiten verkürzt. Für den Betrieb der Cyberabwehr Bayern wird ein Lagezentrum eingerichtet (sog. Cyber-Lagezentrum), das beim CAZ im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz verortet ist. So können die bestehenden Anforderungen an die Vertraulichkeit insbesondere sensibler Daten von Betroffenen garantiert werden. Es ist geplant, dass die Cyberabwehr Bayern zukünftig auch als zentrale Ansprechstelle für das Nationale Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) dient. Sie soll zudem das Scharnier zwischen Bund und Freistaat Bayern bei allen Cybersicherheitsvorfällen darstellen. Darüber hinaus ist beabsichtigt, dass die Cyberabwehr Bayern einen ständigen Vertreter in das NCAZ entsendet, sobald der Bund die Rahmenbedingungen hierfür geschaffen hat. 319 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Eine langjährige Zusammenarbeit verbindet das CAZ mit den Industrieund Handelskammern (IHK) sowie mit den Wirtschaftsund Sicherheitsverbänden. Auch in den Hochschulund Forschungsbereich bestehen vielfältige sicherheitsrelevante Kontakte, die nachhaltig gepflegt und ausgebaut werden. Wirtschaftsschutz und Cyber-Allianz-Zentrum Bayern Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz Knorrstraße 139, 80937 München E-Mail: caz@lfv.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de Telefon: 089/31201 222 E-Mail: wirtschaftsschutz@lfv.bayern.de www.wirtschaftsschutz.bayern.de Telefon: 089/31201 500 In der Broschüre "Bayern im Netz - aber sicher!" des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration finden interessierte Bürger und Unternehmen einen Überblick über Risiken im Cyberraum, Informationen zu Maßnahmen zum Selbstschutz sowie Zuständigkeiten und Erreichbarkeiten der wichtigsten behördlichen Ansprechpartner in Bayern. 320 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 4. PROLIFERATION Proliferation ist die unerlaubte Weiterverbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen beziehungsweise der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows. Die Herstellung von Massenvernichtungswaffen und deren Verbreitung stellen eine ernsthafte Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar. Es ist zu befürchten, dass proliferationsrelevante Staaten Massenvernichtungswaffen im Fall eines bewaffneten Konflikts einsetzen oder dies zumindest zur Durchsetzung politischer Ziele androhen. Proliferationsrelevante Staaten wie Iran, Nordkorea, Syrien und Pakistan sind bemüht, ihr konventionelles Waffenarsenal durch die Herstellung von Massenvernichtungswaffen zu ergänzen. Um sich das dafür notwendige Know-how und entsprechende Bauteile zu beschaffen, versuchen diese Staaten, Geschäftskontakte zu Unternehmen in Ländern der Hochtechnologie wie Deutschland herzustellen. Die strenge Gesetzgebung und die wirksamen Exportkontrollen in Deutschland setzen der Beschaffung einschlägiger Güter hohe Hürden. Proliferationsrelevante Länder verändern deshalb fortlaufend ihre Beschaffungsmethoden, um geltende Exportkontrollverfahren zu umgehen und deutsche Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen zu täuschen. Dazu gründen sie in Deutschland häufig Tarnfirmen, versenden die Produkte über unkritische Drittländer oder machen falsche Angaben gegenüber dem Hersteller oder Händler. So minimieren sie das Risiko, dass die illegale Ausfuhr aufgedeckt wird, und umgehen die Verhängung eines Ausfuhrverbots. Zwischen der internationalen Staatengemeinschaft und dem Iran wurden die Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm am 14. Juli 2015 mit der Verabschiedung des "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPoA) abgeschlossen. Der Iran stimmte darin erheblichen Beschränkungen und Kontrollen seines Nuklearprogramms zu. Im Gegenzug wurde vereinbart, die wegen des Nuklearprogramms verhängten Sanktionen schrittweise aufzuheben. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachten weiterhin, ob der Iran die im Juli 2015 geschlossene Vereinbarung konsequent und nachhaltig einhält. 321 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Im Bereich Trägertechnologie/Raketenprogramm, der nicht von den Regelungen des JCPoA umfasst wird, sind nach wie vor proliferationsrelevante Beschaffungsbemühungen des Irans festzustellen. Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit der Wirtschaft Zielgruppe Bayern ist als Hochtechnologiestandort weltweit führend. Die mittelständische Beschaffungsbemühungen der proliferationsrelevanten Staaten Unternehmen und richten sich insbesondere auf mittelständische Unternehmen Wissenschaft und Universitäten. Um Proliferation zu verhindern, arbeitet das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz daher eng mit Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Es informiert in Vorträgen und Sensibilisierungsgesprächen proliferationsgefährdete Unternehmen über die Gefahren einer möglichen Weitergabe von kritischen Technologien und unterstützt mit individuellen Maßnahmen bei Verdachtsfällen. Dadurch konnten bereits verschiedene Beschaffungsbemühungen unterbunden werden. Nach einem Hinweis der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen, die dem Zoll angegliedert ist, prüfte das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz die Geschäftsverbindungen einer in Bayern ansässigen Firma. Es bestand der Verdacht, dass proliferationsrelevante Güter über ein arabisches Drittland nach Pakistan exportiert worden waren. Dies bestätigte sich im Rahmen eines Sensibilisierungsgesprächs mit der bayerischen Firma, die Geschäftsbeziehungen zu der hier als mittelbar proliferationsrelevant bekannten arabischen Firma unterhielt. Die Firma wirkte bereitwillig an der Klärung des Ausgangssachverhalts mit. Der Verfassungsschutz registriert immer wieder Fälle, in denen proliferationsrelevante Staaten eine internationale Zusammen arbeit im Bereich von Wissenschaft und Forschung zu miss brauchen versuchen, um sich proliferationsrelevantes Knowhow zu verschaffen. Dabei stehen vor allem Universitäten, Hochschulen, wissenschaftliche Institute, Forschungsgesellschaften sowie Forschungsabteilungen und Schulungsbereiche der Industrie im Fokus. Um für das Thema Proliferation zu sensibilisieren, stellen die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern die Broschüre "Proliferation - Wir haben Verantwortung" zur Verfügung, die sich insbesondere an Unternehmen richtet, die proliferations relevante Produkte herstellen. 322 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 323 Organisierte Kriminalität (OK) Organisierte Kriminalität (OK) Mitgliederzahlen bei Outlaw Motorcycle Gangs (OMCGs) in Bayern steigen wieder leicht an Mitglieder klassischer OMCGs begehen in verschiedenen bayerischen Regionen Gewalttaten Ermittlungsverfahren gegen mehrere Mitglieder der "United Tribuns" eingeleitet Verbindungen von Rockern in die Rapund Kampfsportszene werden offen zur Schau gestellt Nigerianische Organisierte Kriminalität auch in Bayern feststellbar Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Organisierte Kriminalität (OK) liegt vor, wenn mehrere Personen planmäßig erhebliche Straftaten begehen, um Gewinne zu erzielen oder Macht zu erlangen. Dazu wenden sie Gewalt an, nutzen geschäftsähnliche Strukturen oder versuchen, Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft zu manipulieren (vgl. Art. 4 Abs. 2 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz). Durch die OK wird allein in Deutschland seit Jahren ein Schaden in Milliardenhöhe verursacht. Drahtzieher der OK bedrohen die Grundlagen unserer Gesellschaft, indem sie die Macht einer kriminellen Organisation durch Gewalt, Geld und massive Einflussnahme durchsetzen wollen. In Bayern ist seit 1994 der Verfassungsschutz für die Beobachtung der OK zuständig, um deren Aktivitäten bereits in einem früheren Stadium aufzuklären, als dies durch Polizei und Staatsanwaltschaft möglich ist. Dadurch wurde eine wichtige Lücke im Kampf gegen die OK geschlossen. Personen, die der OK angehören oder sich in deren Umfeld bewegen, verhalten sich unauffällig und konspirativ. Die Aufklärung dieser Strukturen setzt daher eine systematische und langfristig angelegte Beobachtung voraus. Um möglichst schon im Vorfeld von Straftaten an das entscheidende "Insiderwissen" zu gelangen, können erforderlichenfalls nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Strukturermittlungen schaffen Grundlagen für polizeiliche Verfahren und können laufende Ermitt lungen unterstützen. 325 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Organisierte Kriminalität Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz arbeitet eng mit den OK-Dienststellen der Polizei zusammen und kooperiert aufgrund der international vernetzten OK-Strukturen mit Sicherheitsbehörden über Landesbeziehungsweise Staatsgrenzen hinweg. Innerhalb einer Arbeitsgruppe europäischer Inlandsnachrichtendienste hat Bayern die Koordinierungsfunktion für Deutschland und ist zentraler Ansprechpartner für ausländische Nachrichtendienste. 326 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 1. ROCKERKRIMINALITÄT Rockerkriminalität umfasst alle Straftaten von einzelnen oder mehreren Mitgliedern einer Rockergruppe, deren Tatmotiva tion im direkten Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und der Solidarität zu ihr zu sehen ist. 1.1 Allgemeines Mit der von den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden ein"Outlaw Motorcycle geführten Bezeichnung "Outlaw Motorcycle Gang" (OMCG) Gangs" (OMCG) werden weltweit die polizeilich bedeutsamen Rockergruppieund rockerähnliche rungen von der breiten Masse der Motorradclubs (MCs) abgeGruppierungen grenzt, die zwar im Einzelfall auch kriminelle Aktivitäten verfolgen können, diese aber nicht als Hauptmotivation ihrer Existenz verstehen. Neben der Betätigung auf verschiedenen Feldern der OK stellen gemeinsame Motorradausfahrten nach wie vor einen wichtigen Bestandteil des Clublebens in OMCGs dar. Diese Ausfahrten - sogenannte "Rides" - führen teils über Landesgrenzen hinweg und dienen somit auch der internationalen Vernetzung der Clubs. Aktuell werden deutschlandweit der "Hells Angels MC", "Bandidos MC", "Outlaws MC", "Gremium MC", "Mongols MC" und der "Rock Machine MC" den OMCGs zugeordnet. In Bayern tritt zudem der "Trust MC" auf. In den zurückliegenden Jahren drängten bundesweit rockerähnlich organisierte Gruppierungen wie die "United Tribuns" in die Betätigungsfelder der etablierten Clubs. Sie ähneln den klassischen Rockergruppierungen in ihrem martialischen Auftreten, der strengen Hierarchie und dem abgeschotteten Gruppenverhalten. Motorräder spielen für sie zumeist keine oder nur eine untergeordnete Rolle. 327 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Organisierte Kriminalität Auffällig sind bei diesen Gruppen die starken Schwankungen bei den Mitgliederzahlen. Gründungen und Schließungen von Ortsgruppen sind in diesem Bereich ein häufig zu beobachtendes Phänomen. Das instabile Mitgliederpotenzial ist ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu den etablierten Clubs. Derzeit ist in Bayern nur die rockerähnliche Gruppierung "United Tribuns" von Relevanz. "1-Prozenter" Die OMCGs bezeichnen sich selbst als "1-Prozenter". Darunter versteht man Biker (Motorradfahrer), die sich selbst als "Outlaws" (Gesetzlose) sehen und das bestehende Rechtssystem ablehnen. Auch in Bayern begehen Mitglieder dieser OMCGs typische OK-Delikte wie Rauschgifthandel, Bedrohung oder Körperverletzung. "Colour" Unter dem "Colour" wird das von den jeweiligen Gruppierungen getragene Rückenabzeichen verstanden, das sich in drei Teile aufgliedert. Über dem Club-Logo, das mittig angebracht ist, befindet sich der "Top-Rocker", der Name der Gruppierung. Der "Bottom-Rocker", der Ort oder die Region, wo die Gruppierung zu finden ist, befindet sich am unteren Ende. "Chapter/Charter" Die jeweiligen Ortsgruppen werden von OMCGs und rockerähnlichen Gruppierungen in der Regel als "Chapter" bezeichnet, nur die "Hells Angels" sprechen von "Chartern". Personenpotenzial Derzeit werden circa 1.600 Personen in Bayern der als polizeilich leicht gestiegen relevant anzusehenden Rockerszene zugerechnet (2018: 1.500 Personen). 1.2 Bayerische OMCGs Hells Angels MC In Bayern gibt es derzeit zehn "Hells Angels"-Charter. Neben drei Chartern im Großraum München bestehen Niederlassungen in Hof, Nürnberg, Traunstein, im Raum Chiemsee und Rosenheim sowie in Niederbayern und im Allgäu. Am 1. Mai wurde im Raum Rosenheim das Charter "Hells Angels MC Rosenheim" neu gegründet. Das Charter Rosenheim ist aus der Spaltung des Charters "Hells Angels MC Munich Area" hervorgegangen. 328 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Das 2018 gegründete Charter Lindau hatte noch im gleichen Jahr seine Clubräumlichkeiten nach Friedrichshafen/Baden-Württemberg verlegt, diese Örtlichkeit aber zwischenzeitlich wieder aufgegeben und sich im Allgäu angesiedelt. Als Unterstützergruppierungen (sog. "Supporter") des "Hells Angels MC" sind in Bayern der "Red Devils MC", der "Blood Red Section MC" und im Raum Lindau die Gruppierung "Backyard Bloods" aktiv. Neben den bereits bestehenden Chartern des "Red Devils MC" in Ansbach, München und Traunstein bildete sich in 2019 im Raum Rosenheim ein weiteres Charter. Das Charter Lindau des "Red Devils MC" löste sich im Februar 2018 auf, an seine Stelle trat die Gruppierung "Backyard Bloods". Der "Hells Angels MC Hof City" kann inzwischen auf die Unterstützung von zehn Chartern des "Blood Red Section MC" zurückgreifen, davon allein sieben im Großraum Hof, zwei in Thüringen und eines in Sachsen. In einer derzeit beim Bayerischen Verwaltungsgericht München anhängigen Klage wenden sich diverse Mitglieder des "Blood Red Section MC" gegen dessen Nennung im Verfassungsschutzbericht 2016. Eine Entscheidung in der Sache steht noch aus. Bandidos MC Die "Bandidos" verfügen in Bayern über Chapter in Allersberg, Bad Königshofen, Bamberg, Bogen, Deggendorf, Ingolstadt, München, Nürnberg, Passau, Starnberg und Wörth a. d. Donau. Das letztgenannte ging im Jahr 2018 aus einer Abspaltung des Chapter Bogen hervor. Alle Chapter haben eigene Supporter-Gruppierungen. Die Chapter Allersberg und Nürnberg werden vom "Zapata MC" unterstützt. Die "Mexican Rebels" sind in Starnberg und Weiden aktiv. Alle anderen Chapter werden vom "Gringos MC" unterstützt. Dessen Chapter befinden sich in Bad Königshofen, Bamberg, Bogen, München, Pfaffenhofen und Starnberg. 329 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Organisierte Kriminalität Gremium MC In Bayern gibt es zehn Chapter des "Gremium MC" mit diversen Supporter-Gruppierungen. Chapter bestehen u. a. in Amberg, Ansbach, München, Nürnberg, Regensburg, Schweinfurt, Straubing und Würzburg. Die Sektion Deutschland des "Gremium MC" gründete sich 1972 in Mannheim und ist mit derzeit 80 Chaptern bundesweit der älteste und größte OMCG. Auch weltweit zählt der "Gremium MC" zu den größten OMCGs. Oftmals werden für den "Gremium MC" auch der Begriff "Black Seven" und die Zahl 7 verwendet, da das Wort "Gremium" aus sieben Buchstaben besteht und das "G" der siebte Buchstabe im Alphabet ist. 1.3 Bayerische rockerähnliche Gruppierungen United Tribuns In Bayern existieren derzeit vier Chapter der "United Tribuns" in Augsburg, Ingolstadt, München und Nürnberg. Die Ortsgruppe Ulm/Neu-Ulm ist bislang nur im Internet feststellbar. Dies war auch bei der Ortsgruppe Landsberg am Lech der Fall, die ihre Internetpräsenz jedoch beendet hat. Die Mitgliederzahlen der "United Tribuns" in Bayern sind in 2019 entgegen dem letztjährigen Trend, bedingt durch die Neugründung eines Chapters in München, wieder angestiegen. Nach seiner Auflösung im März 2018 hat sich Meldungen in den sozialen Medien zufolge im Mai 2019 das Chapter München wieder neu formiert. Die vorübergehende Auflösung des Chapters München war auf Streitigkeiten mit dem "Hells Angels MC Munich Area" zurückzuführen, der für den Raum München alleinige Gebietsansprüche reklamierte. Ermittlungsund Seit Mitte 2019 ermittelt die Polizei in Augsburg in zwei voneiStrafverfahren nander getrennten Verfahren gegen mehrere Mitglieder der lokalen "United Tribuns"-Szene. Diese waren an einer Auseinandersetzung am 7. April vor einer Diskothek in Augsburg beteiligt, bei der eine Person neben Prellungen und Schürfwunden auch Schnittund Stichverletzungen im Bauchraum erlitt. Zwei weitere Personen wurden durch Faustschläge und Fußtritte verletzt. Gegen den mutmaßlichen Täter der Messerattacken erging im August Haftbefehl. Bereits im Juni konnten in Folge der Ermittlungen der Präsident sowie der Road Captain der "United Tribuns" Augsburg wegen der Herstellung von Amphetamin festgenommen werden. 330 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 In einem Verfahren gegen die Führung des "United Tribuns"-Chapters Ingolstadt wegen Handels mit Betäubungs mitteln, Anabolika und unerlaubten Waffenbesitzes wurden Haftstrafen, teils auf Bewährung, verhängt. Resultierend aus diesem Verfahren wurde der Präsident des Ulmer Chapters im April 2018 in Haft genommen. Der Prozess wegen Rauschgifthandels, Betrugs und Geldfälschung begann im Oktober 2018 vor dem Landgericht Ellwangen und endete bereits im November desselben Jahres mit einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten für den Präsidenten des Chapters. Der Gründer der "United Tribuns", ein Ex-Boxer, führt die Gruppe von seinem Heimatland Bosnien aus. Die Mitglieder sind sowohl im Securityund Türsteherbereich als auch im Rotlichtmilieu zu finden. Osmanen Germania Nach dem bundesweiten Verbot der rockerähnlichen Gruppierung "Osmanen Germania BC" im Juli 2018 zeigten sich vereinzelt Mitglieder des verbotenen Chapters "Osmanen Germania BC Nomads" in der Öffentlichkeit mit Kapuzenpullovern mit der Aufschrift "LOYALITY 312 Günzburg". Die Zahl 312 steht vermutlich für die Postleitzahl der Stadt Günzburg (89312). Es liegt bislang kein Nachweis vor, dass es sich bei der genannten Gruppierung um eine Art Nachfolgeorganisation des verbotenen "Osmanen Germania BC" handelt. 1.4 Auswirkungen des Kuttenverbots Als "Kutte" wird in der Szene die Weste bezeichnet, auf der sich die jeweiligen Erkennungszeichen der Gruppierung befinden. Mit Wirkung vom 16. März 2017 ist eine Änderung des Vereinsgesetzes in Kraft getreten, die auch Auswirkungen auf die Bekämpfung der Rockerkriminalität hat. Die Änderung bedeutet in der Praxis, dass bundesweit die Abzeichen von Rockergruppierungen bereits dann nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt werden dürfen, wenn eine lokale Ortsgruppe (sog. Chapter oder Charter) dieser Gruppierung nach dem Vereinsgesetz verboten wurde. In diesen Fällen ist das Verwenden von Kennzeichen in im Wesentlichen gleicher Form in der Öffentlichkeit nun strafbewehrt. Jegliche öffentliche Verwendung dieser charakteristischen, wiederzuerkennenden Abzeichen verbotener Rockergruppierungen ist strafbar. "Jegliche Verwendung" umfasst die Nutzung einzelner verbotener Abzeichen auf der Vorderund/oder Rückseite 331 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Organisierte Kriminalität der Kutte, aber auch beispielsweise auf T-Shirts oder in Form von Tätowierungen sowie in jeglicher Anbringungsart auf Aufklebern, Motorrädern, Gebrauchsgegenständen, Grabsteinen, Internetseiten oder Clubhäusern. Die Größe der Abbildung ist dabei unerheblich. Klage gegen Nach dem "Gremium MC" reichten am 26. Februar 2018 auch Kuttenverbot vor regionale Vertreter des "Hells Angels MC" und "Bandidos MC" BundesverfassungsVerfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in gericht Karlsruhe gegen die Novellierung des Vereinsgesetzes ein, das ihnen verbietet, ihre Clubabzeichen öffentlich zu tragen. Bis zu einer Entscheidung versuchen sich die betroffenen Rockergruppierungen weitestgehend an das Verbot zu halten. Nur vereinzelt gab es in Bayern Beanstandungen durch die Polizei. Nach den Mitgliedern des "Bandidos MC" sind 2019 in Bayern auch Mitglieder des "Hells Angels MC" regional mit einer "Ersatzkutte" und neuen Erkennungszeichen aufgetreten. Die Mitglieder des "Bandidos MC" zeigen sich seit Juli 2017 mit den Großbuchstaben "BMC" in Rot und Gold auf dem Rücken. In München traten Mitglieder des Charters "Hells Angels MC Munich Area" mit dem roten Schriftzug "HAMC Munich Area" in Erscheinung. 1.5 Gefährdungslage Bund/Bayern Öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzungen zwischen den klassischen OMCGs wurden in der Vergangenheit überwiegend vor dem Hintergrund selbst erhobener Machtbeziehungsweise Gebietsansprüche sowie interner Streitigkeiten ausgetragen. Dabei kamen auch Waffen und sonstige gefährliche Gegenstände zum Einsatz. Generell ist die Lage in Bayern und überwiegend auch im Bundesgebiet derzeit eher ruhig. Vor dem Hintergrund der beim Bundesverfassungsgericht eingereichten Verfassungsbeschwerde gegen die Novellierung des Vereinsgesetzes verhalten sie sich taktisch motiviert eher zurückhaltend. Mehrere GewalttaDennoch waren regional Gewalttaten zu verzeichnen. In Bayten in Bayern durch ern wurden am 23. Januar zwei Mitglieder des Charters "Hells Mitglieder von Angels MC Munich Area" durch das Landgericht München u. a. OMCGs wegen gefährlicher Körperverletzung zu sieben Jahren und neun Monaten beziehungsweise sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Ein drittes Mitglied dieses Charters erhielt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten. Die Angeklagten 332 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 wurden für schuldig befunden, am 31. Oktober 2017 mehrere Personen im Innenund Außenbereich einer Diskothek in München nach zunächst verbalen Streitigkeiten tätlich angegriffen und durch Schläge, Tritte und den Einsatz eines Sperrgitters als Waffe erheblich verletzt zu haben. Die Haupttäter standen bei der Tatausführung unter Alkoholund Drogeneinfluss. Die Urteile sind rechtskräftig. Am 3. Februar attackierten Mitglieder des Chapters "Gremium MC Straubing" nach einem Eishockeyspiel in Nürnberg mehrere Polizeibeamte und verletzten diese zum Teil schwer. Nachdem die Polizeibeamten einen der Täter beobachtet hatten, wie er während des Spiels im Gästeblock ein Blocknummern-Schild beschädigte, wollten sie nach Spielende abseits der Arena die Personalien des Mannes feststellen. Alle Beschuldigten leisteten massiv Widerstand durch körperliche Gewalt (Schläge und Tritte). Einem Polizeibeamten wurde der Schlagstock entrissen und als Tatmittel eingesetzt. Am 26. September begann der Prozess gegen drei Angeklagte u. a. wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs. Das Landgericht Nürnberg-Fürth verurteilte den Hauptangeklagten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Die beiden anderen Täter wurden zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe beziehungsweise einer Geldstrafe verurteilt. Ein Mitglied des "Bandidos MC" wurde am 1. Juli von der Polizei wegen des Verdachts eines versuchten Tötungsdelikts vorläufig festgenommen. Der Beschuldigte hatte im Raum Kirchroth/ Landkreis Straubing-Bogen eine Kontrollstelle der Polizei mit seinem Fahrzeug durchbrochen. Zwei Polizeibeamte konnten sich nur durch einen Sprung zur Seite retten, um nicht überfahren zu werden. Die Ermittlungen ergaben, dass der Beschuldigte nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis war. In der Revisionsverhandlung am 8. August vor dem Landgericht München wurde ein Mitglied des Charters "Hells Angels MC Munich Area" wegen versuchten Totschlags erneut zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Revision hatte der Bundesgerichtshof stattgegeben, da der bedingte Vorsatz im Ersturteil vom 12. Juni 2018 nicht ausreichend dargelegt war. Der Angeklagte war für schuldig befunden worden, im Februar 2017 einen Geschädigten in einem Münchner Tabledance-Lokal nach zunächst verbalen Streitigkeiten mit einem mitgeführten Messer mehrere Stichund Schnittverletzungen an einem Arm und im Bauchbereich zugefügt zu haben. 333 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Organisierte Kriminalität Festnahmen wegen Der Präsident des neu gegründeten Charters "Hells Angels MC Drogenhandels und Rosenheim" wurde am 3. September nach seiner Einreise aus Zwangsprostitution Rumänien in Bayern wegen des Verdachts des illegalen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und der Zwangsprostitution festgenommen. Die Ermittlungen richten sich auch gegen ein weiteres Mitglied des Charters. Bei Durchsuchungsmaßnahmen in mehreren Objekten im Raum Rosenheim wurden u. a. Kleinmengen an Betäubungsmitteln, Testosteron, elektronische Datenträger, Bargeld im vierstelligen Bereich, umfangreiche schriftliche Unterlagen als Beweismittel sowie hochwertiger Goldschmuck beschlagnahmt. Die polizeilichen Ermittlungen dauern noch an. 1.6 Phänomenübergreifende Aspekte 1.6.1 Verbindungen von Rockern in die rechtsextremistische Szene Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz verfolgt mögliche Verbindungen zwischen Rockern und Rechtsextremisten. Eine darauf spezialisierte Arbeitsgruppe, die an der Schnitt stelle zwischen den Fachbereichen Organisierte Kriminalität und Rechtsextremismus angesiedelt ist, konnte bislang keine strukturierte Zusammenarbeit und ideologische Annäherung beider Szenen in Bayern feststellen. Ungeachtet dessen bestehen aber punktuell personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene, die zumeist auf geschäftliche Interessen oder persönliche Beziehungen zurückgehen. Teilweise handelt es sich dabei um Personen, die Führungspositionen in rechtsextremistischen Parteien und Gruppierungen einnehmen beziehungsweise im rechtsextremistischen Versandhandel tätig sind. Sascha Roßmüller ist Präsident beim "Bandidos MC Bogen" und gleichzeitig seit Dezember 2018 NPD-Landesvorsitzender in Bayern. Zudem ist ein weiterer NPD-Funktionär aus Niederbayern neben seiner Parteizugehörigkeit auch Mitglied beim "Gringos MC Bogen", einem Supporter-Club des "Bandidos MC". Auch konnten in Bayern bei mehreren Personen innerhalb der Rockerszene Tätowierungen festgestellt werden, die eindeutig rechtsextremistische Bezüge aufweisen. 334 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 1.6.2 Rocker und Waffenerlaubnisse Personen aus der Rockerszene und der rechtsextremistischen Szene zu identifizieren, die Sicherheitsunternehmen betreiben oder in diesem Bereich arbeiten, ist ein weiteres wichtiges Ziel der im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz bestehenden Arbeitsgruppe an der Schnittstelle zwischen den Fachbereichen OK und Rechtsextremismus. In enger Zusammenarbeit mit der Polizei und weiteren Sicherheitsbehörden wird dadurch dem legalen Waffenbesitz solcher Unternehmen beziehungsweise von deren Mitarbeitern entgegengewirkt. Im Rahmen der Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit Klagen gegen eines "Prospects", eines Anwärters auf eine feste MitgliedWaffenentzug schaft beim "Hells Angels MC" in Nürnberg, erging von Seiten gescheitert der Stadt Fürth als zuständige Waffenbehörde im August 2018 ein Widerrufsbescheid für sämtliche waffenrechtliche Erlaubnisse. Gegen den Widerrufsbescheid wurde Klage erhoben, die das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach am 13. August abwies. Das Urteil ist damit rechtskräftig. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat mit Urteil vom 27. Februar die Klage des Präsidenten des Charters "Hells Angels MC Munich City" wegen eines Waffenverbots und des Widerrufs einer Waffenbesitzkarte abgewiesen. Mit Bescheid vom 7. April 2016 untersagte das zuständige Landratsamt Karlsruhe dem Kläger den Erwerb und Besitz von Waffen und Munition. Die Funktion des Präsidenten im Charter "Hells Angels MC Munich City" übt der Kläger seit 2008 aus. 1.6.3 Verbindungen von Rockern in die Rapund Kampfsportszene Kontakte und Beziehungen zwischen OMCGs und namhaften Vertretern des Gangster-Rap und der Kampfsportszene (Boxen und Mixed Martial Arts/MMA) wurden bislang eher verdeckt gehalten. Mittlerweile werden diese Kontakte über das Internet und die sozialen Medien offen zur Schau gestellt. Einige Künstler der Rap-Szene verherrlichen in ihren Texten explizit Gewalt, den Konsum und Handel mit Betäubungsmitteln sowie den Umgang mit Schusswaffen. Für ihre Veranstaltungen nutzen einzelne Rapper gerne die Dienste von OMCGs, die im Security-Bereich eingesetzt werden. Ein Rapper aus dem Raum München pflegt regelmäßig Kontakte zur lokalen "Hells Angels"-Szene. 335 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Organisierte Kriminalität Bei Kampfsportveranstaltungen treten auch Kämpfer mit Bezügen zu Rockerclubs sowie in die Rotlichtund Türsteherszene auf. Für OMCGs ist dies ein lohnendes Betätigungsfeld, da sie Einnahmen durch Übertragungsrechte, Werbung und Sponsorings erzielen. Veranstaltungen, an denen Kämpfer mit Bezügen zu Rocker clubs auftreten, sind ein Anziehungspunkt für Zuschauer aus dem OMCG-Milieu. Im Mai 2018 nutzte eine Abordnung des Charters "Hells Angels MC Munich Area" den Sieg eines Kämpfers bei einer Kampfsportveranstaltung in Stuttgart für eine Machtdemonstration direkt am Ring. 2. OK AUS DER GEMEINSCHAFT UNABHÄNGIGER STAATEN (GUS) In der GUS hat sich eine Vielzahl ethnisch geprägter krimineller Gruppierungen etabliert. Sie sind international vernetzt und begehen vor allem Straftaten in den Bereichen Eigentumskriminalität, Rauschgiftund Waffenhandel, Schmuggel, Schutzgelderpressung sowie Geldwäsche. "Diebe im Gesetz" Eine besondere Bedeutung innerhalb dieser kriminellen Gruppierungen kommt den weltweit bis zu 1.000 "Dieben im Gesetz" zu, die sich als Führungspersonen der OK-Szene der GUS durchgesetzt haben. Der Begriff "Dieb im Gesetz" stammt aus den 1920er-Jahren, als sich in sowjetischen Gefängnissen und Lagern, den sogenannten Gulags, die Anführer der kriminellen Strafgefangenen gegen die Anführer der politischen Häftlinge durchsetzten und so die Oberhand gewannen. Diese kriminellen Anführer nannten sich nun "Diebe im Gesetz" und stellten mit den "Diebesgesetzen" einen eigenen Verhaltenskodex auf. Dieser sieht vor, dass Konflikte durch eigene Autoritätspersonen - notfalls auch mit Gewalt - geregelt werden und keine Zusammenarbeit mit der Polizei und Justiz stattfindet. Mit Gemeinschaftskassen ("Obschtschjak") werden vor allem strafrechtlich verfolgte oder inhaftierte Gruppenmitglieder sowie ihre Angehörigen unterstützt. In Bayern konnten in den letzten Jahren Aufenthalte von "Dieben im Gesetz" festgestellt werden. 336 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Einer dieser "Diebe im Gesetz", der sich mehrfach in Bayern Verurteilung in den aufgehalten hat, reiste in die USA aus, um dort seinen krimiUSA zu 45 Jahren nellen Aktivitäten nachzugehen. Im Juni 2017 wurde er in den Haft USA zusammen mit 33 weiteren Mitgliedern eines kriminellen russischen Syndikats verhaftet. Der Federal District Court des Districts of New York verurteilte ihn im November 2018 zu einer 45-jährigen Haftstrafe sowie zu einer Entschädigungszahlung von mehr als 2,5 Millionen US-Dollar. Ein weiterer hochrangiger "Dieb im Gesetz" aus Georgien hielt sich Ende 2018 für mehrere Wochen in München zur Behandlung auf. Er verstarb im Februar 2019 in Rom an einer schweren Erkrankung. Es können immer wieder Autoritäten aus der GUS festgestellt werden, die sich für medizinische Behandlungen in Bayern aufhalten. 3. OK-GRUPPIERUNGEN AUS DEM BALKAN UND DER TÜRKEI In Bayern sind mehrere kriminelle Netzwerke aus Südosteuropa und der Türkei aktiv. Albanien hat sich in den letzten Jahren zum größten Marihuana-Lieferanten Europas entwickelt. Bereits zu kommunistischer Zeit wurde in Albanien Hanf als Exportware (Arzneimittel) angepflanzt. Das nach dem Zerfall des kommunistischen Regimes entstandene Vakuum haben kriminelle Gruppierungen genutzt, um neue Gewinnquellen zu erschließen. Die albanischen kriminellen Netzwerke haben die Kontrolle über Anbau und Handel des im Land angebauten Cannabis fest in ihrer Hand. Sie haben sich inzwischen europaweit etabliert. Türkische Gruppierungen sind vor allem im Rauschgiftschmuggel und -handel mit Kokain und Cannabis aktiv. Darüber hinaus konnten folgende Delikte festgestellt werden: Eigentumsund Fälschungskriminalität, Steuerund Zolldelikte, Glücksspieldelikte und Wettmanipulationen sowie Kriminalität im Zusammenhang mit illegalen Inkasso-Eintreibungen. Besonders wichtig für die kriminelle Szene sind die Verbindungen in die jeweiligen Heimatländer. Strukturermittlungen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz ergaben, dass die Drahtzieher oft im Ausland sitzen und von dort aus ihre kriminellen Aktivitäten in Deutschland steuern. Die erzielten Gewinne investieren sie häufig in Immobilien und Unternehmen außerhalb von Deutschland. 337 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Organisierte Kriminalität 4. ITALIENISCHE MAFIA Die vier einflussreichsten kriminellen Gruppierungen in Italien sind: -- "'Ndrangheta" in Kalabrien, -- "Camorra" in Kampanien, -- "Cosa Nostra" auf Sizilien, -- "Sacra Corona Unita" in Apulien Diese Mafiasyndikate sind zwar nach wie vor verbunden mit ihren jeweiligen süditalienischen Herkunftsregionen, operieren bei ihren kriminellen Aktivitäten jedoch international. So sind auch in Deutschland und Bayern immer wieder Besuche von Autoritäten aus Italien festzustellen, die den Aufbau der Clans und den reibungslosen Ablauf in Deutschland kontrollieren. Der geschätzte Jahresumsatz der vier Syndikate beläuft sich auf rund 140 Milliarden Euro. Im Rahmen der globalen Ausbreitung sind viele Familienclans seit etlichen Jahren in Deutschland sesshaft. In Bayern können derzeit mehr als 130 Personen den vier großen italienischen Mafia-Syndikaten zugeordnet werden. Bayern wird nach wie vor als Investitions-, aber auch als Rückzugsraum genutzt. 'Ndrangheta Die "'Ndrangheta" hat ihren Ursprung in der Region Kalabrien. Dieses Syndikat ist hierarchisch gegliedert, und seine Mitglieder sind oftmals blutsverwandt. Ihre strengen Regeln und ihr Treueschwur lassen wenig Raum für Kronzeugen, die gegen die Organisation aussagen. Die "'Ndrangheta" ist weltweit aktiv. Die Betätigungsfelder der "'Ndrangheta" liegen im Drogenund Waffenhandel, der Geldwäsche, in der Schutzgelderpressung und in der Müllentsorgung. Die hierbei erwirtschafteten Gelder werden nicht nur in neue Gastronomiebetriebe, sondern auch generell in Immobilien investiert. Im Dezember 2018 fanden im Rahmen eines internationalen polizeilichen Großeinsatzes in mehreren europäischen Ländern Festnahmen und Durchsuchungsmaßnahmen gegen mutmaßliche Angehörige der "'Ndrangheta" statt. Dabei wurden auch in Bayern mehrere Objekte durchsucht. In Bayern ergaben sich keine weiteren Ansatzpunkte für strafrechtliche Ermittlungen. 338 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Camorra Mit dem Begriff "Camorra" bezeichnet man die italienischen kriminellen Organisationen in der Region Kampanien, in der Provinz und der Stadt Neapel. Diese Region ist seit Jahrzehnten in zwölf Zonen eingeteilt, die von mehreren Clans beherrscht werden. Ihre Deliktsbereiche erstrecken sich u. a. auf Drogenund Waffenhandel ebenso wie auf Schutzgelderpressung, Prostitution, Zigarettenschmuggel und illegale Müllentsorgung. Die kriminellen Aktivitäten der "Camorra" in Bayern liegen hauptsächlich in den Deliktsbereichen Rauschgiftkriminalität, Geldfälschung und Eigentumskriminalität, darüber hinaus im betrügerischen Verkauf von verschiedenen Plagiaten. In Bayern konnte ein in Italien mit Haftbefehl gesuchter Clan angehöriger der Camorra identifiziert werden, der in Verbindung mit einer Anschlagsserie im Frühjahr/Sommer 2017 in Neapel gebracht wird. Die Person wurde im Mai 2018 von der Polizei festgenommen und nach Italien überführt. Am 16. April wurde der Angeklagte durch das Gericht in Neapel zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und vier Monaten verurteilt. Gegen 16 weitere Beschuldigte wurden langjährige Haftstrafen im unteren zweistelligen Bereich ausgesprochen. Cosa Nostra Die "Cosa Nostra" ist eine kriminelle Organisation mit straff hierarchischem Aufbau, ausgelegt auf die Gesamtkontrolle ihres Territoriums und gezielte Einflussnahme auf wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Dies erreicht sie u. a. durch Schutzgelderpressung und Durchdringung des staatlichen und ökonomischen Systems. Bestehend aus mehreren Mitgliedsfamilien, folgt sie strikten Regeln und Statuten. Sie operiert von Sizilien aus. Sacra Corona Unita Vor den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts gab es keine Organisierte Kriminalität nach der Art der Mafia in Apulien. Durch die aus den Nachbarregionen ausgeübten Einflüsse der anderen drei Syndikate kam es zu starken Veränderungen und letztlich zur Gründung einer Organisationsstruktur nach dem klassischen Muster einer mafiösen kriminellen Vereinigung: die "Sacra Corona Unita". Sie wird auch gerne als "Vierte Mafia" bezeichnet. Ihre Deliktsbereiche sind der Waffen-, Rauschgiftund Menschenhandel sowie Prostitution und Zigarettenschmuggel. 339 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Organisierte Kriminalität Bayern wird durch die apulische OK hauptsächlich als Rückzugsraum genutzt. In Bayern liegen die legalen Geschäftszweige der italienischen Mafia vorrangig in der Gastronomie. Zu den illegalen Betätigungsfeldern zählen Rauschgifthandel, Geldwäsche, Erpressung und Zinswucher. 5. NIGERIANISCHE OK In Nigeria sind in den letzten Jahrzehnten aus einigen universitären Bruderschaften, den sogenannten "Confraternities", kriminelle OK-Gruppierungen entstanden. Diese Gruppierungen bedienen sich klassischer hierarchischer OK-Strukturen, sind paramilitärisch aufgestellt und stehen untereinander in einem Konkurrenzverhältnis, das durch gewalttätige Auseinander setzungen geprägt ist. Ihre Betätigungsfelder liegen sowohl in ihrem Heimatland als auch im internationalen Ausland, insbesondere in den Bereichen Rauschgiftkriminalität, Internetbetrug, Menschenhandel und Schleusung. In Europa bildet Italien hierbei den geografischen Schwerpunkt. Mittlerweile kann eine Ausweitung und Verlagerung bestehender krimineller Strukturen von nigerianischen mafiaähnlichen Organisationen von Italien auch nach Deutschland und insbesondere nach Bayern festgestellt werden. Von den italienischen Sicherheitsbehörden wird die Nigerianische OK mittlerweile neben den vier italienischen Mafia-Organisationen als mafiaähnliche Organisation ("Fünfte Mafia") eingestuft. In Italien kam es in den letzten Jahren vermehrt zu großangelegten Festnahmeaktionen und Verurteilungen von nigerianischen Bruderschaftsmitgliedern. 340 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 341 Im Blickpunkt Im Blickpunkt Extremisten bedienen sich bei der Verbreitung ihrer Ideologie einer propagandistischen Doppelstrategie: einerseits versuchen sie, ihre verfassungsfeindliche Propaganda bei Diskussionen in und für die breite Öffentlichkeit möglichst diskurskompatibel zu gestalten. Ihre extremistischen Botschaften speisen sie dabei nicht offen, sondern nur unterschwellig in den Meinungsaustausch ein. Nach dem Motto "steter Tropfen höhlt den Stein" versuchen sie, ihre Positionen langfristig gesamtgesellschaftlich anschlussfähig zu machen. Gleichzeitig sind sie darauf aus, gezielt bestimmte Milieus und Einzelne zu manipulieren, aufzustacheln und für ihre Zwecke zu missbrauchen. Beides ist an sich kein neues Phänomen. Neu ist, dass die veränderte mediale Umwelt sowohl die Wirksamkeit der extremistischen Ansprache als auch das Einsickern extremistischen Denkens in den gesellschaftlichen Diskurs befördert. Unter den Vorzeichen der digitalen Netzwerkkommunikation verfügen Extremisten heute über weitreichendere Möglichkeiten sowohl zur diskursiven Einflussnahme als auch zur Emotionalisierung des Einzelnen als je zuvor. Sie rütteln dabei an Grundfesten unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Strategisch zielen sie dabei auf die Erzeugung gesellschaftlicher Schwachpunkte und Sollbruchstellen ab. Es geht um die Herbeiführung von gesellschaftlicher Spannung, von Spaltung und gegenseitigem Misstrauen, von all umgreifender Verunsicherung, von Angst und Konfusion. 342 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Wenngleich die Erscheinungsformen und Effekte extremistischer Online-Aktivitäten vielfältig sind, ist das Gefährdungspotenzial, welches von ihnen ausgeht, stets enorm. Denn unabhängig davon, wie rhetorisch versiert, wie erfolgreich Strafbares umgehend, wie gewaltverneinend sich Extremisten im Netz geben und ihre Propaganda betreiben, die Gedankensaat, die sie streuen, kann immer auch Ausgangspunkt für Radikalisierungsund Eskalationseffekte sein, die in Hassund Gewalttaten münden. Die wichtige Rolle, die soziale Medien und Internetdienste mit ihren Sortier-, Filterund Verstärkermechanismen hierbei spielen, wird sowohl durch die Beobachtungen der Sicherheitsbehörden als auch zunehmend durch wissenschaftliche Studien untermauert. 343 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Im Blickpunkt Gerade im Bereich des Rechtsextremismus lässt sich beobachten, wie extremistische Onlinepropaganda die Grundlage bildet für das Entstehen digitaler Resonanzräume, in denen Hassund Gewaltsemantiken kultiviert werden und aus denen heraus Gewalttaten ideologisch und logistisch entscheidend initiiert werden können. Auf der einen Seite versuchen Protagonisten der rechtsextremistischen Szene, wie beispielweise die Identitäre Bewegung (IB) oder Parteien beziehungsweise parteinahe Akteure wie die Junge Alternative (JA) oder der Flügel, möglichst weitgehend Einfluss auf den öffentlichen Diskurs und politische Entscheidungsfindungsprozesse zu nehmen, in dem sie die Grenzen des Sagbaren bewusst überdehnen. Derartige "Dammbrüche" erlauben es ihnen, ihre antidemokratischen und antiliberalen Denkund Begriffsfiguren weit hinein auch in nicht-extremistische und bürgerliche Diskurse zu tragen und dort zu etablieren. Auf der anderen Seite entstehen neuartige digitale Kommunikationsmilieus: Dies können zum einen durch die Filterund Sortierfunktionen der sozialen Medien bedingte Informationsund Meinungsblasen sein, in denen auch extremistische Botschaften und Einstellungen verbreitet und verstärkt werden können. Zum anderen handelt es sich um digitale Subkulturen in Form geschlossener und organisierter Gruppen in verschiedenen digitalen Kommunikationsforen, in denen teils eigene Sprachund Erkennungscodes kultiviert werden. Die Propaganda, die Terminologien und die Narrative, die von organisierten Extremisten ursprünglich mit dem Ziel im Netz verbreitet werden, gesellschaftliche Anschlussfähigkeit herzustellen und Verschiebungen im diskursiven Wertebewusstsein der Gesellschaft hervorzurufen, erlangen innerhalb und über diese Kommunikationsräume teils eine die Realwelt bei weitem übersteigende Relevanz und Reichweite. Die Botschaften und Themen verbreiten sich hier teilweise widerspruchsfrei und oft algorithmisch unterstützt, erreichen Personen und Gruppen, die bislang nicht als extremistische Szeneangehörige auffällig geworden sind und erwecken bei den jeweiligen Zielgruppen und Adressaten den Eindruck, Teil eines zumindest teilgesellschaftlichen Konsenses, Teil einer "Bewegung" zu sein. Hier können sie verfangen, emotionalisieren und schließlich derart ermutigen, dass Einzelne oder Gruppen sich sogar zu Straftaten hinreißen lassen. Welche sicherheitsgefährdende und destruktive Strahlkraft die Propaganda von organisierten Rechtsextremisten entfalten kann und wie global inzwischen extremistisch geprägte Kommunikationsstrukturen und Räume vernetzt sind, zeigt u. a. der Fall 344 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 des Attentäters von Christchurch/Neuseeland, Brenton Tarrant. Der 28-jährige australische Staatsangehörige Tarrant hatte am 15. März in der neuseeländischen Stadt Christchurch 51 Menschen mit mehreren Schusswaffen getötet und Dutzende weitere Personen zum Teil schwer verletzt. Bei den Opfern handelte es sich um muslimische Gläubige vom Kleinkindbis ins hohe Erwachsenenalter, die zum Zeitpunkt der Tat das Freitagsgebet zweier Moscheen in Christchurch besuchten. Tarrant hatte den Begriff "Großer Austausch" (englisch: "The Great Replacement") als Titel für sein auf einem sozialen Medienkanal veröffentlichtes Bekennerschreiben verwendet und damit eine zentrale Kampfparole u. a. der IB zitiert. Hinter dem Schlagwort des "Großen Austauschs" verbirgt sich eine im Rechtsextremismus weit verbreitete und propagandistisch genutzte Verschwörungserzählung, nach der die "einheimische" Bevölkerung vor allem in Deutschland und Europa systematisch und von den politischen Eliten gewollt durch "Fremde" und Migranten ersetzt werden solle. Die Tat von Christchurch führt die suggestiv-gewaltmäßige Wirkkraft derartiger extremistischer Narrative vor Augen. Auch in Bayern betreiben Rechtsextremisten in virtuellen Räumen verfassungsfeindliche Propaganda. Dabei handelt es sich nicht nur um Personen, die dem üblichen parteiund organisationsgebundenen rechtsextremistischen Spektrum angehören. Dieser Personenkreis äußert und verbreitet im Internet verschiedenste Formen menschenverachtender oder beleidigender Äußerungen, die sich meist mit großer Aggressivität gegen exponierte Einzelpersonen oder bestimmte Menschengruppen und deren Weltanschauungen, Werte oder Herkunft richten. Nicht selten überschreiten diese Aktivitäten die Schwelle zur strafrechtlichen Relevanz. Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der extremistischen Inhalte spielen die Darstellungsformate. Sehr verbreitet sind sogenannte Memes, also mit Videos oder Bildern verbundene prägnante Texte, die Inhalte besonders plakativ verbreiten können. Auch die rechtsextremistische Szene produziert und verbreitet längst eigene Memes, um insbesondere junge internetaffine Menschen zu erreichen. Die Bilder sollen auf den ersten Blick humoristisch, satirisch oder provokant wirken und vor allem Aufmerksamkeit erzeugen. Tatsächlich erweisen sich die Memes oftmals als rassistisch, fremdenfeindlich, antisemitisch oder antidemokratisch. Die vermeintlich humoristischen Motive enthalten in der Regel stark entmenschlichende und menschenverachtende Darstellungen. Insbesondere in WhatsApp-Gruppen werden solche Memes verbreitet. Beispielsweise wurde in einer 345 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Im Blickpunkt Gruppe das Bild von einer Maschinenpistole und der Bildunterschrift: "Rennt der Neger frei herum: Schalt auf Automatik um" versendet. In einer anderen Gruppe wurde ein antisemitisches Meme verbreitet, auf dem Adolf Hitler vor einem Schornstein dargestellt ist. Darunter befindet sich der Schriftzug "Je größer der Jude, desto wärmer die Bude". Ziel dieser Darstellungen ist es oftmals, eine "Normalisierung" extremistischer Einstellungen und Botschaften in der Wahrnehmung des jeweiligen Betrachters herbeizuführen. Ihm soll u. a. suggeriert werden, dass die Inhalte und Formate "harmlos" beziehungsweise lediglich "unangepasst-frech" seien und von Vielen geteilt würden. Tatsächlich aber können solche auf Hass und Entmenschlichung abzielenden Darstellungen - insbesondere, wenn sie regelmäßig konsumiert werden - auf Einzelne und Gruppen einen gravierenden psychologischen Effekt haben, da antisemitische und rassistische Stereotype oder Parolen sukzessive verfestigt und verinnerlicht werden. Im Extremfall können durch die Form der Propaganda Ressentiments und Vorurteile sich gegenüber Menschengruppen derart verfestigen, dass die Hemmschwelle für die Begehung von Hassund Gewalttaten entscheidend sinkt. Auch islamistische Gruppierungen setzen im Rahmen ihrer Internetpropaganda auf "Trigger-Strategien", also auf Anspracheund Propagandaformate, die sowohl Anhänger als auch nicht-extremistische Adressaten erreichen, emotionalisieren und schließlich radikalisieren sollen. Sie setzen nicht ausschließlich auf klar erkennbare extremistische Inhalte und explizite Gewaltdarstellungen, sondern mitunter auch auf vermeintlich gemäßigtere, subtilere Darstellungsformen und Aussagen, um vornehmlich junge, muslimische Zielgruppen zu erreichen. Das Endziel eines idealen "islamischen Staates" auf Grundlage der Scharia ist den unterschiedlichen islamistischen Propagandastrategien jedoch stets inhärent. Unterscheiden lassen sich vor diesem Hintergrund vor allem zwei Varianten islamistischer Internetpropaganda: Die klar gewaltorientierte Onlinepropaganda sowie die auf eine subtile Radikalisierung abzielende Propagandastrategie. Auch die jihadistische Propaganda im Netz zeichnet sich durch die geschickte Nutzung der technischen Möglichkeiten des Internets aus. Vor allem dem "Islamischen Staat" (IS) ist es in der Vergangenheit erfolgreich gelungen, seine Botschaften zielgruppengerecht, oft multilingual, weiterzuverbreiten, eine weltweite 346 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Sympathisantenszene aufzubauen und so virtuelle Gegenkulturen im Netz zu kultivieren. Zu den Grundmotiven jihadistischer Internetpropaganda gehören die Behauptung eines von westlichen Staaten ("Kreuzzügler und Juden") geführten "Kriegs gegen den Islam und die Muslime" und die vermeintliche Bedrohung der globalen "Umma" durch den westlichen Imperialismus. Während der Online-Jihadismus klar zur Anwendung von Gewalt auffordert und somit einen Straftatbestand darstellt, ist dies bei anderen Islamismusnarrativen nicht der Fall. Im Gegensatz zum jihadistischen Narrativ versuchen nicht gewaltorientierte Islamisten im Netz u. a. mit den Themen Identität und Identitätspolitik eine angeblich gesellschaftlich weit verbreitete Islamfeindlichkeit und "Wertediktatur" durch die nicht-muslimische Mehrheitsgesellschaft in Deutschland zu postulieren. Verbunden wird dies mit dem Aufruf, islamistische Prinzipien und die eigene kulturelle Identität konsequent zu leben und sich gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft und ihren Werten abzuschotten. Das Bemühen um Integration und das Anerkennen oder gar Verinnerlichen von Werten der deutschen Gesellschaft werden in dieser Islamismusstrategie als Verrat dargestellt. Gerade bei Muslimen mit eigenen Diskriminierungserfahrungen soll dieses Narrativ verfangen. Es soll der Eindruck erweckt werden, dass die deutsche Gesellschaft den Islam ohnehin als Ganzes ablehnen würde. Unter Bezugnahme auf die vermeintliche Ächtung des Islam durch staatliche Instanzen oder auf ein vermeintlich islamfeindliches gesellschaftliches Klima kann auch jegliche (kritische) Diskussion über religiöse Aspekte grundsätzlich abgelehnt werden. Bleiben soll das subjektive Gefühl von Ohnmacht gegenüber einer vermeintlich "islamfeindlichen" Öffentlichkeit. Neben den unverfänglich wirkenden Twitterkampagnen #NichtOhneMeinKopftuch und #KopftuchUnserePflicht vom April 2018 sowie Mai 2019, die von den beiden islamistischen Initiativen "Realität Islam" (RI) und "Generation Islam" (GI) initiiert wurden, werden immer wieder neue Kampagnen gestartet. So instrumentalisieren RI und GI mit dem harmlos wirkenden Hashtag #MadeInChina den Uiguren-Konflikt in China, um zum einen die Opferrolle der Muslime weltweit hervorzuheben und zum anderen die (inner-)muslimische Solidarität und Identität in Abgrenzung zur nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft zu stärken. Daneben gibt es einschlägige Twitterkampagnen, die unabhängig von organisatorischen Strukturen virale Verbreitung finden. Initiatoren der Hashtags lassen sich kaum rückverfolgen und die virtuelle Diskussion darüber entwickelt eine weitgehend unkontrollierte Eigendynamik. So wurden mit #DerBartStehtMir 347 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Im Blickpunkt männliche Muslime dazu aufgerufen, stolz zu ihrem muslimischen Bart zu stehen oder sich einen solchen wachsen zu lassen und sich der Anpassung an "weltliche" Standards zu verweigern. Hier wurde erneut mit der Wahrung der islamischen Identität argumentiert. In der Gesamtwirkung werden mit derartigen Strategien und Kampagnen Ängste vor Übergriffen und Unrechtserfahrungen beziehungsweise einer tatsächlichen "Auslöschung" der eigenen Gruppe, Identität und Tradition geschürt. Es wird eine Verteidigungsposition konstruiert, die letztlich dazu führen kann, selbsterlittene, beobachtete oder auch nur gefühlte Ausgrenzungsund Gewalterfahrungen als Rechtfertigung für eigenes extremistisches Handeln "aus Notwehr" zu legitimieren. Potenzielle Täter finden im Internet Bestätigung und Unterstützung in ihrer ideologischen Gesinnung. Gleichgesinnte bestätigen die Täter in ihren Ideen und Taten. Islamistische Gruppierungen unterschiedlichster Ausrichtung und Prägung treten dann lediglich als Impulsund Stichwortgeber in Erscheinung und suggerieren "eine eigentlich notwendige Lösung". In den sozialen Medien fungieren schließlich auch Personen ohne organisatorische Anbindung an islamistische Gruppierungen als Verstärker und Vermittler der extremistischen Propa ganda, indem sie die entsprechenden Inhalte und Formate teilen, kommentieren, verbreiten und so dem Entstehen digitaler Radikalisierungsräume Vorschub leisten. Das Kalkül wie auch die bedienten Motive und Narrative von Islamisten weisen somit sehr deutliche Parallelen zu Beeinflussungsund Radikalisierungsstrategien von Rechtsextremisten auf: Die Akteure beider extremistischen Lager setzen auf Verschwörungserzählungen, wonach die Existenz der eigenen religiös, ethnisch oder rassisch definierten Gemeinschaft bedroht sei. Beide Lager wollen mit derartigen Motiven auch Personen ohne extremistischen Hintergrund emotional manipulieren und beide setzen auf die Effekte und Mechanismen der digitalen Kommunikation. Linksextremisten nutzen den digitalen Raum ebenfalls gezielt zur Verbreitung ihrer Botschaften, zur Vernetzung und zur Mobilisierung. Sie verbreiten ihre extremistischen Ideologien über eigene Webseiten, Plattformen, Foren, Blogs, Online-Zeitschriften oder in den sozialen Medien. Als zentrales Propagandamedium der linksextremistischen Szene dient - nach dem Verbot von linksunten.indymedia. - die Internetplattform de.indymedia.org. Wie ihre Vorgängerplattform will Indymedia als "ein dezentrales organisiertes Netzwerk sozialer Bewegungen die Möglichkeit 348 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 bieten, frei von staatlichen Kontrollen und kapitalistischen Interessen Berichte, Erfahrungen, Analysen, Träume und Meinungen verbreiten, um eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen". Dort erscheinen anonym Nachrichten, Termine, Aufrufe, Statements und Bekennerschreiben zu Straftaten. Das Besondere an der Strategie von Linksextremisten ist es, dass sie bei gesellschaftlichen Streitfragen von vornherein an Positionen anknüpfen können, die grundsätzlich durch gesellschaftliche, demokratische Konsensund Wertvorstellungen getragen werden. So protestieren sie gegen tatsächliche oder vermeintliche gesellschaftliche und institutionelle Zwänge, gegen Gentrifizierung, gegen zu hohe Mieten, für mehr Klimaschutz oder für eine in ihren Augen gerechtere Welt. Durch die Anknüpfung an diese gesellschaftlich virulenten und akzeptierten Themen tritt in der öffentlichen Wahrnehmung oft in den Hintergrund, dass diese Übereinstimmung mit mehrheitsgesellschaftlich geteilten Werten meist nur vordergründig ist: Während demokratische Akteure derartige Problemstellungen auf dem Boden und mit den Mitteln des Rechtsstaates lösen wollen, zielen Linksextremisten auf eine Beseitigung der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung ab. Linksextremisten besetzen unverfängliche Themen, um unter dem Deckmantel des "guten Zwecks" Anschluss in der Mitte der Gesellschaft zu finden und neue Anhänger zu rekrutieren. Unterschwellig vermitteln sie dabei ihre eigentliche extremistische Programmatik, in der sie den demokratischen Rechtsstaat als Krisenverursacher identifizieren und die Lösung der Krise an die Überwindung des selbigen knüpfen. Der vorgebliche Einsatz in derartigen "Konsensthemen" wird von Linksextremisten genutzt, um die öffentliche Wahrnehmung zu verzerren und sich als vermeintliche Meinungsführer innerhalb bürgerlicher beziehungsweise mehrheitsgesellschaftlicher Lager zu präsentieren. Nicht zuletzt eignen sich auch für Linksextremisten gesellschaftlich anschlussfähige Themen und Parolen vor allem als Aufhänger für die Stilisierung von Feindbildern und die Verklärung des eigenen extremistischen Wirkens als ein Kampf von Gut gegen Böse. Ähnlich wie Rechtsextremisten oder Islamisten, versuchen sie auch durch den Einsatz verschwörungsähnlicher Opfernarrative und extremer Freund-Feind-Rhetorik, Anhänger zu emotionalisieren und nicht selten zu Gewaltund Straftaten anzustiften. Im Zentrum steht dabei die Agitation gegen den Rechtsstaat, seine Gesetze und Verfahrensweisen, seine Institutionen und Repräsentanten. 349 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Im Blickpunkt Ein Beispiel hierfür findet sich z. B. auf der Internetseite des anarchistischen Wochenblatts "Zündlumpen". Dort wurde eine Selbstbezichtigung im Zusammenhang mit einer Serie von durch mutmaßliche Szeneangehörige begangenen Brandstiftungen und Sachbeschädigungen in München veröffentlicht und am 23. Juli auch über de.indymedia.org geteilt: "Wir haben eine riesen Wut im Bauch! In dieser Welt der Herrschaft werden immer mehr Menschen und Gefährt_innen mit Repression überzogen und eingesperrt. Wir fühlen uns denen nahe, die versuchen die Feinde der Freiheit anzugreifen. Denen, die sich selbst-organisieren und die Macht angreifen ohne sich auf Verhandlungen einzulassen." (Fehler im Original übernommen) Am 14. Dezember fand in dem anarchistischen Szenetreff "Bibliothek Frevel" unter dem Titel "Revolte in Chile: Gespräch, Reflexion und Diskussion" eine Veranstaltung statt. Im Begleittext zur Veranstaltung hieß es unter anderem: "Wie kann ein Bruch mit der alltäglichen Normalität ausgedehnt und intensiviert werden?" - Ein als Fragestellung formulierter programmatischer Leitsatz, der gewissermaßen die Ziele und Bestrebungen sämtlicher online wie offline aktiver extremistischer Akteure zusammenfasst: Es geht um die Beseitigung öffentlicher Ordnung und gesellschaftlichen Friedens, um die Herbeiführung von Ausnahmeund Konfliktzuständen, durch Propaganda und - in letzter Konsequenz - auch durch Taten. 350 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 351 Anhang Anhang PERSONENPOTENZIAL UND GEWALTTATEN Anzahl der Extremisten in Bayern 7.000 6.000 5.000 4.185 4.000 3.920 3.600 3.390 3.000 2.570 2.000 1.200 1.000 0 100 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Islamisten* * Der Rückgang 2014/2015 ist vor allem auf die Sonstige ausländische Extremisten***** Reformbemühungen innerhalb der IGMG zurückzuführen. Rechtsextremisten ** Für das Jahr 2013 wurden erstmals nur die offen extremistischen Linksextremisten** Strukturen der Partei "DIE LINKE" ausgewiesen. Scientology-Organisation *** Aufnahme der Beobachtung im Jahr 2013 Verfassungsschutzrelevante Islamfeinde*** **** Aufnahme der Beobachtung im Jahr 2016 und Reichsbürger/Selbstverwalter**** fortschreitende Aufhellung des Personenpotenzials ***** Ab dem Jahr 2019 werden Separatisten nicht mehr gesondert aufgeführt. Entwicklung extremistisch motivierter Gewalttaten in Bayern 140 122 120 113 100 91 89 80 75 72 68 63 61 60 54 46 47 40 25 20 13 12 11 11 8 1 3 0 2015 2016 2017 2018 2019 Rechtsextremismus Linksextremismus Ausländerextremismus* Ausländische Ideologie * Statistik zu Ausländerextremismus enthält bis 2016 auch Straftaten von religiöser Ideologie. Religiöse Ideologie ** Statistik im Phänomenbereich Reichsbürger wurde im Reichsbürger** Laufe des Jahres 2017 neu eingeführt. 352 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 STICHWORTREGISTER A Atilim, Publikation 91 Adil-Düzen (gerechte Ordnung) 35-36 Auditing 292, 294, 296 Advanced Persistent Threat 317 Ausländische Nachrichtendienste Aktionsbündnis "Fluchtursachen 20, 303, 305-318 bekämpfen" 275 Autonome 229-233, 238, 241, Al-Haqiqa, Publikation 60 247-248, 254, 256, 259, 266-279, 281 Al-Intiqad (Die Kritik) 76 Al-Manar (Der Leuchtturm) 76-77 B Al-Quds-Tag (Jerusalem-Tag) 77 Bakunin, Michail Alexandrowitsch Alperen/Alperen-Genclik, Publikation 241, 244 92 Bandidos MC 327, 329, 332-334 AL RISALAH,Online-Magazin Bayerische Informationsstelle von AQ 60 gegen Extremismus (BIGE) 24, 28, Al-salaf al-salih 139, 144, 217 (die frommen Altvorderen) 46, 71 Bayerisches Aussteigerprogramm 25 Anarchismus 241, 244-245, 269, 285 Bayerisches Handlungskonzept gegen Anarchisten 244, 252, 255, 267, Rechtsextremismus 25 269, 282-283, 285 Bayerisches Netzwerk für Prävention Anarcho-Syndikalismus 244 und Deradikalisierung gegen Sala Antifaschismus 235, 245, 247, fismus 27 260-261, 270, 273, 276, 281 Bayerisches SicherheitsAntigentrifizierung 233, 235, Überprüfungsgesetz 20 245, 248, 271 Bayerisches Verfassungs Antiglobalisierung 245, 249, 269 schutzgesetz 17-18, 325 Antiimperialismus 87, 245-246 Benefizveranstaltungen 55 Antiinstitutionalismus 269 Beobachtungsauftrag des Antimilitarismus 87, 235-236, 245, Verfassungsschutzes 18-19, 31, 220 249, 279 BIRGiT, Arbeitsgruppe 21, 55 Antirassismus 245, 247, 274 Backyard Bloods 329 Antirepression 235, 245, 248 Bevölkerungsaustausch 100, 142, Antisemitismus 36, 110-111, 177, 183 113-114,160, 200, 219, 281 Blood Red Section MC 329 Antiziganismus 114 Bundesamt für Sicherheit in der Artikel 10-Gesetz 22 Informationstechnik (BSI) 319 Assists ("Beistände") 292 353 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Anhang Bürgerinitiativen, rechtsextremistisch Fünf Gifte 312 157-158, 171, 175-179 Furkan Nesli Dergisi 38 Bürgerwehr, rechtsextremistisch 117, 119, 191 G Büro 610 309-310 G7-Gipfel 249-250, 259, 266 G20-Gipfel 267 C G 10-Kommission 22 Camorra 338-339 Gefangenenhilfe 33, 50, 61-62 Chapter/Charter 120, 192, 328-336 Gefährder 21, 51, 55, 68 Colour 328 Geheimund Sabotageschutz 20 Cosa Nostra 338-339 Geheimschutzbetreuung 315 Cyberangriffe 20, 307, 317-318 Geistliche (ehrenamtliche) 286, 289, Cyber-Allianz-Zentrum Bayern 292-293, 297 20, 302, 304, 314-316, 318-320 Gelber Schein 204 Geschichtsrevisionismus 106 D Graue Wölfe 92 Da'wa (Missionierung) 33, 42, 47, Gremium MC 327, 330, 332-333 55-56, 61 Gringos MC 329, 334 DABIQ (Online-Magazin) 60 Gülen-Bewegung 313 Deutsche Geschichte 142 Dianetik 287, 294 H Dieb im Gesetz 336-337 Harvest of the Soldiers 59 Diktatur des Proletariats 242-243, Heldengedenken 115, 164, 193-194 262, 264 Hells Angels MC 191, 327-330, 332-336 E Herrschaftsfreie Gesellschaft Ehrenamtliche Geistliche ("Volunteer 229-230, 241, 244, 268, 283, 285 Ministers") 286, 289, 292-293, 297 Homegrown-Terroristen 59 Ende Gelände 232, 239-241, 278 Home Da'wa 33, 55 Engels, Friedrich 242 Hubbard, L. Ron 287, 290, Entrismus 244 293-295, 299 Ethnopluralismus 95, 169 I F Ideale Org-Kampagne 294-296 False flag-Aktionen 122, 173-174, 318 Imperialismus 35, 242, 245-246, Flüchtlinge (Islamismus) 33, 62-63, 75 257, 277, 347 FSN Shop 140 Initialisierende Gewalt 232 From Dabiq to Rome, Initiative Wirtschaftsschutz 314 Online Magazin 60 354 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Inlandsnachrichtendienst FSB Kommunismus 35, 241, 243, (Russland) 308 255, 257, 264, 274-275, 278-280 INSPIRE (Online-Magazin) 60 Kommunistische Partei Chinas Intifada 74 (KPCh) 309 Islamic Revolutionary Guards Corps Kommunistische Partei IRGC (Iran) 313 Deutschlands (KPD) 257 Islam-Infostände 55-56 Konfrontative Gewalt 231 Islamfeindlichkeit, Konvertiten 49, 53 rechtsextremistische 110 Kulturrevolution 244 Islamfeindlichkeit, verfassungs Kutte 190, 331-332 schutzrelevante 19, 24, 26, 218-227 KYBERNETIQ 60 Islamismus, legalistischer 30, 32, 34-35 L Islamseminare 33, 55 Landesamt für Sicherheit in der Italienische Organisierte Kriminalität Informationstechnik (LSI) 314, 319 338-340 Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus 24-25 J Legalresidentur 305-306, 311 Jahiliyya (Unglaube und Un Lenin, Wladimir I. 242-243 wissenheit) 71 Low-Profile-Anschläge 64 Jihad 31, 48, 54, 59, 65-66, 70-71 M K Mafia 338-340 Kalifat (khalifa) 51, 69-70, 77-78 Maoismus 244, 262 Kapitalismus 35, 239-240, 242, Marx, Karl 241-242, 255, 265, 283 245-247, 249, 255-256, Marxismus 182, 241-242, 265, 258, 260, 265, 277, 279 271-272, 278-279 Kameradschaften 97, 185-188, 192 Marxismus-Leninismus 89-90, Kampf der Nibelungen 126 242-244, 257-258, 264 Kampfsport 124-127, 136, Massenvernichtungswaffen 304, 321 141, 174, 335-336 Mexican Rebels 329 Katiba (Kampfgruppe) 67 Milieumanager 206, 208 Klassenlose Gesellschaft 242, 262, Milli Istihbarat Teskilati MIT 312 278, 281 Milli Gazete, Publikation 35-36 Klima-/Umweltbewegung 232, Militärischer Auslandsnachrichten239-241, 246, 255, 260, dienst GRU (Russland) 308 263, 265, 272, 280, 282, 349 Militärischer Nachrichtendienst Know-how-Schutz 314 MID (China) 309-310 355 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Anhang Ministerium für öffentliche Organisierte Kriminalität 18-19, Sicherheit MÖS (China) 309-310 324-340 Ministerium für Staatssicherheit OSA - Office of Special Affairs 298 MSS (China) 309-310 Osmanen Germania BC 331 Ministry of Intelligence of the Outlaw Motorcycle Gang (OMCG) Islamic Republic of Iran MOIS 313 327-328, 330, 332, 335-336 Missionen (Scientology Organisation) Outlaws MC 327-328 294-295 Mobivideos (Mobilisierungsvideos) P 251, 253 Parlamentarisches Kontrollgremium Mongols MC 327 22 Muhacirun (Auswanderer) 77 Politically Incorrect (PI-News) 222, Münchner Sicherheitskonferenz 236, 224-225 249, 261 Postautonome 267-269, 278-279, 281 N Proliferation 304, 314, 321-322 Nachhilfeinstitute 298 Nachrichtendienstliche Mittel 20-21, Q 288, 307, 325 Quds-Brigaden 313 Nationale Allianz für Cyber-Sicherheit 319 R Nationale Streifen 118, 163 Rätedemokratie 243 Nationalismus ist keine Recht(s)konsulent 206 Alternative (NIKA) 277, 281-282 Red Devils MC 329 Nationalsozialismus 8, 95, 114-116, Religious Technology Center (RTC) 120, 125, 131, 149, 153, 162, 294, 298 165, 170, 185, 188-190, 224, 247 Remigration 168-169, 171, 174 'Ndrangheta 338 RESURGENCE, Online-Magazin Neonazismus 185-186 von AQ 60 Nigerianische Organisierte Revolutionary Guards Intelligence Kriminalität 324, 340 Organization RGIO (Iran) 313 Rock Machine MC 327 O Rundowns 294 Obschtschjak 336 RUMIYAH (Online-Magazin) 60 Offen extremistische Strukturen 230, 243, 254 S Office of Special Affairs (OSA) 298 Sacra Corona Unita 338-339 Open Source Jihad 59 Salafismus 31-33, 46-47, 49-50, 61 Operierender Thetan 296 Salafismus, jihadistischer 32-33, 48 356 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Salafismus, politischer 33, 47 Tse-tung, Mao 90, 244, 264 Scharia 31-32, 34-35, 37, Türk Federasyon Bülteni, Publikation 43-44, 47, 73, 346 92 Schwarzer Block 232, 249, 261 Turner Diaries 98 Security and Intelligence TV5 (Türkischer Fernsehsender) 36 Organization of the Army (Iran) 313 Serxwebun (Unabhängigkeit) 83 U Sicherheitsüberprüfung 20 Umvolkung 108-109, 149 Skinhead-Bands 137, 192 Umwelt & Aktiv 184-185 Skinheads 98, 101, 134, 137, United Tribuns 327-328, 330-331 140, 190-192, 194 Social Bots 309 V Social Engineering 315, 318 Verfassungsfeindliche Bestrebung Souveräne Bewegung 207 18, 31, 62 Sozialismus 71, 107, 243, Verfassungstreueüberprüfung 21 257-259, 262-263 Verschlusssachen 20, 315 Spendensammlungen 33, 50-51 Vertrauensleute 18, 21 Spionageabwehr 20, 302-322 Volksgemeinschaft 95, 106, 110, Stalin, Josef W. 243, 264 114, 153-154, 180, 182, 219 Stalinismus 243, 262 Vorfeldaufklärung 5, 23 Strukturelle Gewalt 230, 268 Sunna 31, 39, 42 W Supporter 329-330, 334 Wahhabismus 46 Syrienrückkehrer 54, 65 Warenverkaufsstände (Salafismus) 33 Wirtschaftsschutz 302-322 T Wolfsgruß 93 Tag der Ehre 128, 194 World Uyghur Congress (WUC) 312 Taghrib (kulturelle Verwestlichung) 42 Takfir 71 Y Tarnorganisationen 95, 175-176, Yeni Özgür Politika (Neue Freie Politik) 289-291, 293-294, 297-300 83, 86 Tauhid 47 Yürüyüs, Publikation 89 Terrorismus, islamistischer 21, 33, 55, 61, 63, 74, 219, 221 Z TIWAZ 125-126, 141 Zapata MC 329 Trennungsgebot 23 Ziviler Auslandsnachrichtendienst Trotzki, Leo 243 SWR (Russland) 308 Trotzkismus 243 Trust MC 327 357 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Anhang EXTREMISTISCHE ORGANISATIONEN UND GRUPPIERUNGEN In dieser Übersicht sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Organisationen und Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Organisation/Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine verfassungsfeindliche Organisation/ Gruppierung handelt. Organisationen/Gruppierungen aus den Phänomenbereichen "Organisierte Kriminalität" und "Spionageabwehr" wurden nicht aufgenommen. Aus dem Bereich "Scientology" erfolgte keine Aufnahme der internationalen Organisationsteile. ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Ahrar al-Sham 63, 67 al-Nahda 43 al-Qaida 48, 52, 60, 68-72 al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH) 71 al-Qaida im indischen Subkontinent (AQIS) 71 al-Qaida im Irak (AQI) 71 al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM) 71 Al-Rahman-Moschee (Regensburg) 57 Al Ummah Moschee (München) 40 Ansaar International e. V. (ehemals Ansaar Düsseldorf e. V.) 33, 55-56, 66 As-Salam-Moschee (Schwandorf) 57 Boko Haram 64, 69 Dawa FFM 66 Deutsch Arabischer Kulturverein Pfarrkirchen e. V. 40 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG), vormals Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) 43-46 Die Wahre Religion (DWR) 33, 56, 66 El-Salam-Moschee (München) 57 Europäischer Fatwa-Rat (ECFR) 44-45 Europäisches Institut für Humanwissenschaften (EIHW) 45-46 Föderation der Islamischen Organisationen in Europa (FIOE) 44 Furkan-Gemeinschaft/Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi (Furkan Stiftung für Bildung und Dienstleistungen) 35, 38-39 358 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 HAMAS (Islamische Widerstandsbewegung) 43, 66 Hai'at Tahrir al-Sham (HTS) 74-75 Hilafet Devleti (Kalifatsstaat) 77-78 Hizb Allah (Hizbollah/Hisbollah) 76-77 Iman 56 Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e. V. (IHH) 75 Islamisch albanisches Zentrum Ulm - Qendra islamike shqiptare Ulm e. V. (IAZ Neu-Ulm) 57 Islamische Akademie Deutschland e. V. 41 Islamische Audios 66 Islamische Föderation München e. V. 57 Islamische Gemeinde Hof e. V. (IGH) 40 Islamische Gemeinde Nürnberg e. V. (IGN) 45 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) 44-45 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) 32, 35-37, 43 Islamischer Staat (IS) 48, 52, 62, 64, 66-69, 71, 73-74, 346 Islamische Stiftung Regensburg 57 Islamischer Verein Augsburg e. V. (IVA) 57 Islamische Vereinigung in Bayern e. V. (IVB) 41-42 Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) 41 Islamisches Zentrum München e. V. (IZM) 39, 45 Islamisches Zentrum Nürnberg 45 Islamisches Zentrum Passau e. V. 57 Islamisches Zentrum Regensburg e. V. 57 Islamisches Zentrum Schwandorf e. V. 57 Islamisches Zentrum Weiden e. V. 57 Ismael Aga Gemeinschaft (IAC) 36-37 Jabhat al-Nusra (JaN) 48, 67, 72 Jabhat Fath al-Sham (JFS) 48, 72 Jaish al-Muhajirin wal-Ansar (JAMWA) 68 Kaukasisches Emirat (KE) 73 Khorasan-Gruppe 72 Kulturund Bildungszentrum Ingolstadt e. V. 77 Kulturverein für deutschsprachige Muslime e. V. 40 LIES! Stiftung 33, 66 Liwa Owais al-Qorani 68 Millatu Ibrahim 66 Milli-Görüs-Ahde-Vefa-Plattform/Erbakan Vakfi 37 Milli Görüs-Bewegung 35 359 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Anhang Multi-Kultur-Haus Ulm e. V. 66 Muslimbruderschaft (MB) 35, 39, 42, 44, 74 Nordkaukasische Separatistenbewegung (NKSB) 73 Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland e. V. (RIGD) 45-46 Saadet Partisi (SP) 36 Sächsische Begegnungsstätte (SBS) 46 Salahuddin Moschee Augsburg 57 Somalischer Verein für Kultur, Familien, Jugendliche und Integration in Bayern e. V. 57 Tablighi Jamaat (TJ) 35, 39 Taufiq-Moschee (München) 57 Tschetschenische Republik Itschkeria (CRI) 73 Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V., Köln - (ICCB) 78 Vereinigung Passauer Muslime e. V. 57 WorldWide Resistance - Help e. V. (WWR) 33, 55, 66 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) bzw. Volkskongress Kurdistan (KONGRA GEL), ehemals Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistan (KADEK), Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) 82-88, 91 Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum Deutschland e. V. (NAV-DEM) 85 Föderation der Arbeiter aus der Türkei e. V. (ATIF) 90 Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e. V. (AGIF) 91 Föderation der Gemeinschaften Kurdistans (FCK) 85 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V. (ADÜTDF) 92 GRUP YORUM 89-90 Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) 90 Konföderation der Gesellschaften Mesopotamiens in Deutschland (KON-MED) 85 Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa (AvEG-Kon) 91 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 91 Revolutionäre Volksbefreiungspartei (DHKP-C) 89-90 Türkisch Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten - Partizan Flügel (TKP/ML-Partizan Flügel) 90-91, 263 360 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Turan e. V. 93 Turkos MC 93 Ülkücü-Bewegung 92-93 Verband der Türkischen Kulturvereine in Europa e. V. (ATB) 92-93 Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) 83 Young Struggle (YS) 91 RECHTSEXTREMISMUS Aktivitas der Burschenschaft Danubia München 183 Aktivitas der Burschenschaft Markomannia Wien zu Deggendorf 184 Ansgar Aryan 140 Artgemeinschaft-Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. (AGGGG) 188-190 Blood & Honour 99, 101-102, 194-195 Bollwerk Oberpfalz (BWO) 193-194 Bürgerinitiative A (BIA) e. V. (BIA-Nürnberg) 176 Bürgerinitiative Ausländerstopp Augsburg (BIA-Augsburg) 179 Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA-München) 175-178 Bürgerinitiative Wertingen und Stadtteile (BIW) 171, 178 Bürgerinitiative Soziale Alternative Oberpfalz e. V. (BiSAO) 179 Bürgerinitiative Soziales Fürth e. V. (BiSF) 179 Burning Hate 137 Combat 18 (C18) 99, 101-102 Das Zeughaus 140 "Der Flügel" 96-97, 108-109, 112, 146, 148-150, 171, 344 Der Dritte Weg (III. Weg) 96-97, 100, 102, 107, 114-116, 118, 122-126, 128-129, 131, 133, 135-136, 141, 160-165, 186-187, 194, 274 Deutsche Konservative, Landesverband Bayern 96, 165 DIE RECHTE 96-97, 101-102, 166-167 DIM Records 140 Edelweiss 137 Eskalation 137 Freie Kräfte Berchtesgadener Land 187 Freies Netz Süd (FNS) 160-161 FSN-Shop 140 FSN-TV 141 Gesellschaft für freie Publizistik e. V. (GfP) 180, 182 Hammerskins 191-192 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 108-110, 133, 167-170, 183 361 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Anhang Junge Alternative für Deutschland (JA) 97, 124, 144, 344 Junge Nationalisten (JN) 135, 155, 158 Kameradschaft Aryans 186 Kameradschaft Altmühltal 187 Kameradschaft Gau Wendlstoa 187 Kameradschaft Unterfranken (KSU) 188 Kodex Frei 137, 192 Lunikoff 135, 156 Midgard e. V. 184 MPU 137 Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) 96-97, 102, 107-108, 113, 116-121, 135, 142, 153-159, 165, 175-178, 183-184, 187, 192, 334 Nordwind 137 Oldschool Records 140, 192 Patriotic Store 140 PEGIDA-München - zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e. V. (PEGIDA-München) 175-178 Prollcrew Schwandorf (SPC) 193-194 Prolligans 137 Radio FSN 141 Revolution auf Sendung 141 Ring Nationaler Frauen (RNF) 159 Schanddiktat 137, 194 Schutzbund für das Deutsche Volk e. V. (SDV) 183 Schwarze Sonne Versand 140 Soldiers of Odin Germany Division Bayern (SOO) 119-120, 191 Stützpunkt Mainfranken (III. Weg) 124, 135, 161 Stützpunkt München/Oberbayern (III. Weg) 116, 124, 129, 131, 161-162 Stützpunkt Nürnberg/Fürth (III. Weg) 136, 161, 163 Stützpunkt Oberfranken (III. Weg) 123, 135, 161 Stützpunkt Ostbayern (III. Weg) 123, 161-162 Sturmtrupp 138 TIWAZ 125-126, 141 Urweisse 137 Verlag Anton A. Schmid 142 Versand der Bewegung 140 VGB-Verlagsgesellschaft Berg mbh 142 Vikings Security Germania Division Bayern 120, 191 362 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Voice of Anger 135, 191-192 Weisse Wölfe Terrorcrew (WWT) 101 White Rebel Boys 137 White Youth 195 Wikingerversand 140 Wodans Erben Germanien - Division Bayern (WEG) 107, 119, 191 Zeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt e. V. (ZFI) 180-181 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Amt Deutscher Heimatbund 213-214 Bundesstaat Sachsen 212 Deutscher Heimatbund 213-214 Exil-Regierung Deutsches Reich (Exilregierung) 216 Exilregierung Deutsches Reich 216 Freistaat Preußen 212 Geeinte Deutsche Völker und Stämme (GdVuSt) 208, 216 Heimatbund der Menschen 213 Heimatgemeinde "Gemeinde Chiemgau" 213-214 Heimatgesellschaft Chiemgau 213 Kommissarische Reichsregierung 201, 206, 216-217 Republik Baden (vormals Bundesstaat Baden) 212 Staatenbund Deutsches Reich 212 Staatenlos.info - Comedian e. V. 208-209, 215 Verband der Deutschen Recht-Konsulenten (Kaarst-Vorst/Nordrhein-Westfalen) 203, 206 Verband Deutscher Rechtssachverständiger und Rechtskonsulenten 1871 (Belm/Niedersachsen) 206 Verfassunggebende Versammlung 209, 214 Volksstaat Bayern (vormals Bundestaat Bayern) 211-212 Volksstaat Württemberg (vormals Bundestaat Württemberg) 212 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE ISLAMFEINDLICHKEIT Bürgerbewegung PAX EUROPA e. V. - Landesverband Bayern (BPE Bayern) 221, 223 PEGIDA München - Das Original 223 PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken 100, 150, 226-227 Michael Stürzenberger 221-226, 277 363 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Anhang LINKSEXTREMISMUS AGIR - Demokratische Jugend 276-277 Anarchistische Gruppe München (Bibliothek Frevel) 245, 282-283, 350 Antifa-NT - Autonome Antifa München 279, 281-282 Antifaschistische Linke Fürth (ALF) 273 Antikapitalistische Linke (AKL) 255-256 Antikapitalistische Linke München (AL-M) 279 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) 243, 264 Arbeitsgemeinschaft Cuba Si 256-257 Auf der Suche (ADS) 245, 281, 285 Contre la Tristesse 241, 277, 281 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 90, 230, 243, 251, 257-259, 261 DIE LINKE.SDS 255-256 Föderation deutschsprachiger Anarchist_innen 285 Frauenverband Courage e. V. 262 Infogruppe Rosenheim 276-277, 281 Interventionistische Linke (IL) Aschaffenburg/München/Nürnberg 239, 268, 278 Jugendantifa Fürth (JAF) 273 Jugendverband REBELL 230, 262-263 Kinderorganisation ROTFÜCHSE 262 Kommunistische Anarchisten - offene Struktur (kAoS) 283-284 La Resistance - antifaschistische Jugendgruppe Ingolstadt (LARA) 274-275 Linksjugend ['solid] 240, 255, 276 Linksunten.indymedia. 250, 348 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 89-90, 230, 240, 243-244, 251, 262-263, 275 Marxistische Jugend (mj) 240, 265 Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus 261 Nationalismus ist keine Alternative (NIKA) 277, 281-282 364 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Offenes antifaschistisches Plenum Rosenheim 277 Organisierte Autonomie (OA) Nürnberg 270 Perspektive Kommunismus (PK) 280 Prolos 272-273 Revolutionär Organisierte Jugendaktion (ROJA) Nürnberg 241, 271-273 Rote Hilfe e. V. (RH) 252, 266-267, 272 Sozialrevolutionäre Aktion (SRA) 273, 275 Sozialistische Alternative (SAV) 256 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 230, 240, 259-260, 279 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) 230, 260-261 SCIENTOLOGY-ORGANISATION Applied Scholastics 297-299 Association for Better Living and Education (ABLE) 294, 296-297, 299 Celebrity Centre München e. V. 294-295 Department of Special Affairs (DSA) 298 Der Weg zum Glücklichsein 289-290, 297, 299 Die Lernakademie (München-Milbertshofen) 298 Ehrenamtliche Geistliche (Volunteer Ministers) 289, 292-293, 297 Jugend für Menschenrechte e. V. 297, 299 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte in Deutschland e. V. (KVPM) 289-290, 297, 299 Lernstudio Konrad (Laufen) 298 Nachhilfeund Sprachenschule in Zirndorf 298 NARCONON Bayern e. V. 297, 299 Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben 289, 297, 299 Scientology Kirche Bayern e. V. (SKB) 289, 294 Scientology Kirche Deutschland e. V. (SKD) 289, 294, 298 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 294, 296-297, 299 365 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Anhang BILDNACHWEIS Seite 17 Foto BayLfV Seite 25 Broschüre Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite 26 Broschüre Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite 27 Broschüre BayLfV Seite 27 Broschüre Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite 27 Broschüre BayLfV Seite 33 Broschüre BayLfV Seite 50 Beide Fotos BayLfV Seite 57 Broschüre BayLfV Seite 103 Bildausschnitt: picture alliance/ZUMA Press, Fotograf: Sachelle Babbar Seite 109 Foto Polizei Seite 121 BayLfV Seite 122 Bild: https://www.identitaere-bewegung.de/blog/europa-fuer-allekreativer-protest-gegen-linke-demo/, abgerufen am 24.01.2020, 8.20 Uhr Seite 134 BayLfV Seite 171 Polizei Seite 173 Bild: https://www.identitaere-bewegung.de/blog/europa-fuer-allekreativer-protest-gegen-linke-demo/, abgerufen am 24.01.2020, 8.20 Uhr Seite 192 Polizei Seite 217 Broschüre BayLfV Seite 238 Beide Fotos BayLfV Seite 238 Broschüre BayLfV Seite 254 Beide Fotos BayLfV Seite 294 Bild: https://www.scientology-fso.org/inside-our-church/ Seite 300 BayLfV 366 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Seite 301 Broschüre Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite 311 Broschüre BayLfV Seite 316 Broschüre BayLfV Seite 320 links Broschüre Verfassungsschutzverbund; Mitte und rechts: Broschüren BayLfV Seite 322 Broschüre Verfassungsschutzverbund 367 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 368 Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 Das Bayerische Innenministerium auf Twitter, Instagram und Facebook: www.twitter.com/BayStMI www.instagram.com/BayStMI www.facebook.com/BayStMI Impressum Herausgeber: Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Odeonsplatz 3, 80539 München www.innenministerium.bayern.de Redaktion: Abteilung Verfassungsschutz, Cybersicherheit in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz Gestaltung: IKW team GmbH, München Stand: März 2020 Druck: StMI (Pressefassung); gedruckt auf umweltzertifiziertem Papier Hinweis Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Bayerischen Staatsregierung herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern im Zeitraum von fünf Monaten vor einer Wahl zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags-, Kommunalund Europawahlen. Missbräuchlich ist während dieser Zeit insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken und Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Staatsregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. Wollen Sie mehr über die Arbeit der Bayerischen Staatsregierung erfahren? BAYERN | DIREKT ist Ihr direkter Draht zur Bayerischen Staatsregierung. 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