Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Verfassungsschutzbericht 2018 Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 4 Liebe Bürgerinnen und Bürger, in unserem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat nimmt der Schutz der Bürgerund Menschenrechte einen hohen Stellenwert ein. Die Würde des einzelnen Menschen und die garantierten Freiheitsrechte stehen im Mittelpunkt unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, auf ihren Schutz ist der Staat mit seinen Institutio - nen verpflichtet. Es ist kein Zufall, dass das Grundgesetz die in Art. 1 verankerte Unantastbarkeit der Menschenwürde als Basis unseres Rechtsstaats allen anderen grundrechtlichen Garantien voranstellt. Mit Art. 1 macht das Grundgesetz unmissverständlich die grundlegende Abkehr von jeder Form der Willkürherrschaft oder des Totalitarismus deutlich. Das uneingeschränkte Bekenntnis zur Menschenwürde ist die unverrückbare Basis der im Grundgesetz gewährten Grundund Freiheitsrechte. Die Grundund Freiheitsrechte können ihre volle Wirkung als Kernbestandteile unserer Demokratie jedoch nur entfalten, wenn sie von den Bürgern und Bürgerinnen auch selbstbewusst gelebt werden. Mit der Freiheit des Einzelnen ist daher untrennbar auch die Übernahme der Verantwortung für das eigene Leben verbunden. Dabei schützt und unterstützt der Staat, wo Hilfe notwendig ist, respektiert aber im Übrigen die verschiedenen Lebensentwürfe seiner Bürger. Das Weltund Menschenbild von Extremisten ist demgegenüber ein völlig anderes. In den von ihnen angestrebten, "Führer"oder Gottesstaaten, kommunistischen Kollektiven oder anarchistischen Gesellschaften ist weder Platz für die Anerkennung der individuellen Freiheitsrechte noch für die Demokratie an sich. Der Großteil der Bevölkerung ist sich der Gefahren, die von extremistischen Gruppierungen ausgehen, durchaus bewusst und weist diese, soweit sie offen im gesellschaftlichen Diskurs ihre Ideologien verbreiten, selbstbewusst zurück. Dies ist nicht zuletzt ein Verdienst der jahrelangen Aufklärungsund Informationsarbeit der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass stellenweise eine Entfremdung von den Grundwerten der Demokratie bzw. vom demokratischen System an sich stattfindet, die Extremisten für sich zu nutzen suchen. Diese Entwicklung muss von der Politik als Warnzeichen ernst genommen werden. 5 Die Komplexität und die vielfältigen Verflechtungen in einer globalisierten Welt stellen an das verantwortliche Handeln des Einzelnen viel höhere Anforderungen, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Dies kann zu einem Gefühl der Orientierungsund Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins an ein undurchschaubares "System" führen. Gleichzeitig sieht sich ein Teil der Bevölkerung mit seinen Sorgen und Bedürfnissen von der "großen Politik" nicht mehr verstanden oder hat den Eindruck, dass sich die Politik nur noch um die Belange der "Eliten" kümmere und die Mechanismen der Demokratie - scheinbar - zur konkreten Problemlösung vor Ort nichts beitragen können. Eine solche Entwicklung birgt die Gefahr in sich, dass die Demokratie insgesamt und die Freiheit, die sie dem Einzelnen bietet, gering geschätzt werden und sich Menschen, die sich vom demokratischen Staat abgehängt fühlen, ihrerseits hinsichtlich ihrer Einstellung der Demokratie gegenüber "entkoppeln". Diese Sprachlosigkeit zwischen den vielzitierten "Eliten" und dem "kleinen Mann" machen sich verschiedenste Gruppierungen und Parteien zunutze. In einer vereinfachten Weltsicht suggerieren sie, dass nur sie in der Lage bzw. bereit sind, die Sorgen der Bevölkerung zu erkennen und zu lösen, passen sich also punktgenau an die Erwartungen der von der Demokratie Enttäuschten an. Das Versprechen, den Menschen mit vermeintlich einfachen Lösungen wieder die Handlungshoheit über ihr Leben zu geben, ist für Extremisten ein Vehikel, um ihre Ideologie Stück für Stück, schleichend in die Meinungsbildung einsickern zu lassen und die Demokratie in Misskredit zu bringen. Dabei setzen sie oftmals bei Themen an, die auf den ersten Blick nicht unmittelbar mit Extremismus in Verbindung gebracht und zugleich in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden. Sie verschieben dabei die Grenze des Denkund Sagbaren mit dem Ziel, die Akzeptanz für ihre extremistischen Forderungen zu erhöhen. Sie verschleiern dabei natürlich die Tatsache, dass in einem Staat nach ihren Vorstellungen kein Platz ist für individuelle Entfaltung, eigene Meinungen oder die Rechte von Minderheiten. Die Bedeutung der modernen Medien und der sozialen Netzwerke für diese Entwicklung darf dabei nicht unterschätzt werden, treffen doch in ihnen Nichtextremisten und Extremisten - letztere nicht ohne weiteres erkennbar - aufeinander. Die sozialen Netzwerke begünstigen dabei die Herausbildung von Echokammern, in denen sich Gleichgesinnte, auch solche mit verfassungsfeindlicher Gesinnung, zusammenfinden. Der stetige Austausch mit Gleichgesinnten kann den Eindruck erzeugen, die (schweigende) Mehrheit der Bevölkerung teile die eigenen Ansichten. 6 Im Extremfall kann dies z. B. dazu führen, dass Täter aus der rechtsextremistischen oder dieser nahestehenden Szene glauben, einen vermeintlichen Mehrheitswillen zu vollstrecken, indem sie grundlos Menschen aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Sprache oder Religion diffamieren oder angreifen. Die zunehmend offensiver werdende Agitation von Linksextremisten gegen den Rechtsstaat, seine Gesetze und Organe verleitet Manche zu Gewaltanwendung gegen staatliche Repräsentanten, wenn diese rechtmäßige Handlungen, wie z. B. Abschiebungen oder Personenkontrollen vollziehen. Aufgabe des Verfassungsschutzes als echtes Frühwarnsystem der Demokratie ist es, Politik und Öffentlichkeit über die Versuche von Extremisten, auf die Meinungsbildung Einfluss zu nehmen, zu informieren und auf Gefahren hinzuweisen, die sich daraus ergeben können. Den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz und ihrem Präsidenten gebührt für ihren engagierten Einsatz für die Grundwerte unserer Demokratie unser Respekt und unsere Anerkennung. Joachim Herrmann Gerhard Eck Staatsminister Staatssekretär 7 8 Liebe Bürgerinnen und Bürger, soziale Medien verbinden weltweit Millionen Menschen miteinander. Sie eröffnen aber auch Extremisten neue Chancen, ihre extremistischen Angebote auf dem Markt der Meinungen anschlussfähiger zu machen, Anhänger und Sympathisanten zu rekrutieren und sich untereinander zu vernetzen. Die Anonymität im Internet führt teilweise dazu, dass eine Entgrenzung der Sprache Einzug hält und Hetze und Hass zunehmen. Genau diese Anschlussfähigkeit ist es, worauf neuere rechtsextremistische Gruppierungen wie die "Identitäre Bewegung" (IB) abzielen: Während es beispielsweise der neonazistischen Partei "Der Dritte Weg" vor allem um eine Art "Reinheit der Lehre" geht - also darum, das völkisch-nationalsozialistische Gedankengut zu pflegen und konsequent zu vertreten - verpacken die Identitären ihre verfassungsfeindliche Ideologie in eine neue Sprache und vermitteln sie mit ungewöhnlichen, modernen Aktionen. Dadurch wollen sie unter der gegen Rechtsextremismus errichteten gesellschaftlichen Schwelle durchschlüpfen. Ihre Wirkmacht entsteht dabei nicht vorrangig durch die Aktionen selbst, sondern durch deren mediale Vermarktung. Anschlussfähigkeit ist auch ein zentraler Aspekt bei der Nutzung sozialer Medien durch Linksextremisten. Sie begleiten demokratische Initiativen und Kampagnen gegen Rechtsextremismus, Militarismus und Gentrifizierung und zielen darauf ab, diese Begrifflichkeiten umzudefinieren und sich als sozialpolitische Akteure zu profilieren. Im Zusammenhang mit dem Themenfeld Anti-Gentrifizierung gehen Linksextremisten gewaltsam gegen die von ihnen definierten "Mitverantwortlichen" der Gentrifizierung vor, z. B. gegen Immobilienfirmen. Jihadistische Propaganda ist auf die - meist jungen - Zielgruppen zugeschnitten und nutzt die niedrigschwelligen Zugangsmöglichkeiten sozialer Medien. 2018 war dabei zu beobachten, dass die "Öffentlichkeitsarbeit" jihadistischer Organisationen, z.B. des "Islamischen Staates" (IS) dezentraler wurde und zunehmend auf inoffizielle Medienkanäle zur Verbreitung ihrer Propaganda setzte. Über Messengerdienste können längerfristige Kommunikationsstrukturen aufgebaut werden, um Anhänger zu rekrutieren, zu radikalisieren und sie bei Anschlägen anzuleiten. 9 Über alle geschilderten Phänomene hinweg gilt jedoch: In geschlossenen virtuellen Zirkeln können Feindbilder entstehen und sich verfestigen. Diese können Radikalisierungsverläufe auslösen oder gar beschleunigen. In der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter wird besonders deutlich, wie wichtig der Austausch in der digitalen Welt für die Anhänger dieser Ideologie ist. Hier können sie sich gegenseitig darin bestätigen, dass ein vermeintliches Unternehmen "BRD-GmbH" existiere oder eine angebliche "Reichsverfassung", beispielsweise von 1871 oder 1913, fortgelte. Gefährlich wird es vor allem dann, wenn die Hemmschwelle sinkt, Gewalt gegen Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland einzusetzen. Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, Extremisten und ihre Ideologien zu identifizieren, zu demaskieren und sie als das darzustellen, was sie sind: Verfassungsfeinde, die unseren Staat in Gefahr bringen und darauf abzielen, die Fundamente unserer Demokratie und unserer Gesellschaft zu untergraben und damit anzugreifen. Im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz haben wir auf die neuen Herausforderungen reagiert, indem wir die Ermittlungsarbeit im Internet weiter verstärkt sowie unsere Aufklärungsund Präventionsarbeit im Rahmen von Filmen, Vorträgen und Berichten kontinuierlich ausgebaut und an ein verändertes Mediennutzungsverhalten angepasst haben. Die große Aufgabe, in den sozialen Medien auf Hassreden, Aggression und Diffamierungskampagnen zu reagieren, kann der Verfassungsschutz freilich nicht alleine leisten. Neben den Sicherheitsbehörden und den Plattformbetreibern ist jeder Einzelne gefragt, genau hinzuschauen, sich damit auseinanderzusetzen und gegen Hass, Hetze und Verleumdung klar Stellung zu nehmen. Wir dürfen die Debatten im Netz nicht den Extremisten überlassen. München, im Mai 2019 Dr. Burkhard Körner Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz 10 11 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Inhalt Informationen zum Verfassungsschutz 18 1. Der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem 19 2. Gesetzlicher Auftrag 19 3. Informationsbeschaffung 23 4. Kontrolle des Verfassungsschutzes 24 5. Zusammenarbeit mit der Polizei 25 6. Information und Prävention 25 Islamismus 32 1. Personenpotenzial in Bayern 34 2. Islamismus in Deutschland 34 3. Strukturen 36 3.1 Legalistischer Islamismus 36 3.1.1 Milli Görüs-Bewegung 37 3.1.2 Furkan-Gemeinschaft 40 3.1.3 Tablighi Jamaat (TJ) 41 3.1.4 Islamische Vereinigung in Bayern e. V. (IVB) 42 3.1.5 Die Muslimbruderschaft (MB) und ihr Einfluss in Deutschland 44 3.1.6 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) (ehemals: Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD)) 46 3.2 Salafismus 47 3.2.1 Ursprung 47 3.2.2 Ideologie 48 3.2.3 Personenpotenzial 50 3.2.4 Reisebewegungen und Rückkehrer 52 3.2.5 Rekrutierung und Propaganda 55 3.2.6 Salafistische Bestrebungen im Strafvollzug 60 3.2.7 Migrationsbewegung im Blickfeld des Salafismus 62 3.2.8 Anschlagsgeschehen und Täterprofile 63 3.2.9 Exekutivmaßnahmen 66 3.2.10 Islamischer Staat, al-Qaida und andere terroristische Strukturen 69 3.3 Sonstiger islamistischer Terrorismus 75 3.3.1 HAMAS (Islamische Widerstandsbewegung) 75 3.3.2 Hizb Allah (Partei Gottes) 77 3.4 Sonstige verbotene Organisationen 78 12 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Ausländerextremismus 80 1. Personenpotenzial in Bayern 82 2. Konfliktund Gewaltpotenzial 82 3. Strukturen 84 3.1 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 84 3.2 Türkische Linke 89 3.2.1 DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)/Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 89 3.2.2 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten - Partizan Flügel (TKP/ML - Partizan Flügel) 90 3.2.3 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 91 3.3 Türkische Rechtsextremisten: Ülkücü-Bewegung ("Idealisten"-Bewegung) 92 Rechtsextremismus 94 1. Personenpotenzial in Bayern 96 2. Gewaltpotenzial 98 2.1 Gewaltorientierte rechtsextremistische Szene in Bayern 99 2.2 Gewalt gegen Flüchtlinge 100 2.3 NSU-Prozess 102 2.4 Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten 104 3. Rechtsextremistische Themenfelder und Aktionsformen 106 3.1 Rechtsextremistische Themenfelder 106 3.2 Rechtsextremistische Aktionsformen 115 3.2.1 Parteiübergreifende Aktivitäten 115 3.2.2 Rechtsextremistische Bürgerwehrund Patrouille-Aktionen 116 3.2.3 Rechtsextremistische Aktivitäten bei Veranstaltungen 119 3.2.4 Freizeitaktivitäten zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und zur Nachwuchsgewinnung 120 3.2.5 Kampfsportveranstaltungen 122 3.2.6 Internationale Kontakte bayerischer Rechtsextremisten 123 4. Internet, Musik, Verlage und Vertriebsstrukturen 126 4.1 Rechtsextremisten im Internet 126 4.1.1 Aktivitäten und Strategien 127 4.1.2 Aufklärungsarbeit des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (BayLfV) im Bereich Internet und Soziale Medien 129 13 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 4.2 Rechtsextremistische Musik 130 4.3 Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen 135 4.4 Rechtsextremistische Internetradios und -TV 136 4.5 Rechtsextremistisches Verlagswesen 137 5. Immobiliensuche und -erwerb 138 6. Rechtsextremistische Parteien 140 6.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 140 6.2 Partei Der Dritte Weg (III. Weg) 146 6.3 Partei DIE RECHTE - Partei für Volksabstimmung, Souveränität und Heimatschutz 154 7. Parteiunabhängige rechtsextremistische Organisationen 156 7.1 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 156 7.1.1 Symbolik und Ideologie 158 7.1.2 Vernetzungsstrategien 159 7.1.3 Strukturen in Bayern 159 7.2 PEGIDA-München - zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e. V. (PEGIDA-München) 162 7.3 Bürgerinitiativen 163 7.4 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 165 8. Neonazismus und Kameradschaften 167 8.1 Neonazistische Gruppen 168 9. Rechtsextremistische Jugend-Szenen und Subkulturen 170 Reichsbürger und Selbstverwalter 174 1. Personenpotenzial 177 2. Ideologie 178 2.1 Ideologische Gemeinsamkeiten 178 2.2 Szeneinterne ideologische Konflikte 178 3. Typische Aktivitäten 179 3.1 Beantragung von Staatsangehörigkeitsausweisen und Nutzung eigener Dokumente 179 3.2 Auftreten gegenüber Justiz und Verwaltung 181 3.3 Kommerzielle Aktivitäten sog. "Milieumanager" 182 3.4 Stammtische und Seminare 182 3.5 Überregionale und internationale Kontakte 183 4. Aktuelle Aktivitäten in Bayern 184 4.1 Fiktives Reichsbürger-Gericht "Global Common Law Court" verschickt Schreiben an bayerische Polizeipräsidien 184 4.2 Aktivitäten eines amtsbekannten Reichsbürgers in Unterfranken 185 5. Gewaltpotenzial 185 14 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 6. Reichsbürgergruppierungen in Bayern 187 6.1 Sicherheitsgefährdende Bestrebungen 187 6.1.1 Volksstaat Bayern (vormals: Bundesstaat Bayern) 187 6.1.2 Amt Deutscher Heimatbund, Deutscher Heimatbund, Heimatbund der Menschen 188 6.1.3 Heimatgemeinde "Gemeinde Chiemgau" (Heimatgesellschaft Chiemgau) 189 6.1.4 Verfassunggebende Versammlung 190 6.2 Phänomenbereich Rechtsextremismus 191 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit 192 1. PEGIDA München - Das Original 195 2. Pegida Nürnberg/Pegida Mittelfranken 199 3. Bürgerbewegung Pax Europa e. V. - Landesverband Bayern (BPE Bayern) 200 Linksextremismus 204 1. Personenpotenzial in Bayern 206 2. Militanzund Gewaltpotenzial 206 2.1 Linksextremistisch motivierte Brandstiftungsserie in München 208 2.2 Linksextremistische Aktionen gegen Parteien 210 2.3 Aufarbeitung G20-Gipfel 2017 214 2.4 Strafund Gewalttaten 216 2.5 Präventionsmaßnahmen des Verfassungsschutzes 218 3. Ideologische Wurzeln des Linksextremismus 219 4. Linksextremistische Themenfelder 222 5. Internet und Musik 228 5.1 Linksextremistische Agitation im Internet 228 5.2 Linksextremistische Musik 229 6. Linksextremistische Parteien und Vereinigungen 230 6.1 Offen extremistische Strukturen in der Partei DIE LINKE. 230 6.1.1 Antikapitalistische Linke (AKL) 230 6.1.2 Linksjugend ['solid] Landesverband Bayern 231 6.1.3 DIE LINKE. Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband (DIE LINKE.SDS) Landesverband Bayern 232 6.1.4 Arbeitsgemeinschaft Cuba Si (Cuba Si) 232 6.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Umfeld 233 6.2.1 DKP 233 6.2.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 234 6.2.3 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) 235 15 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 6.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 237 6.4 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) 238 6.5 Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus 239 6.6 Rote Hilfe e. V. (RH) 240 7. Autonome, Postautonome und Anarchisten 243 7.1 Beschreibung / Hintergrund 243 7.2 Gruppierungen 245 7.2.1 Autonome Gruppierungen 245 7.2.2 Postautonome Gruppierungen 252 7.2.3 Anarchistische Gruppen 256 Scientology-Organisation (SO) 260 1. Personenpotenzial 263 2. Aktionen und Aktivitäten 263 2.1 Ausstellung der "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte Deutschland e. V." (KVPM) 263 2.2 Offensive Öffentlichkeitsarbeit der Tarnorganisation "Der Weg zum Glücklichsein" 264 2.3 SO-eigener TV-Sender "Scientology TV" 266 3. Organisationsstruktur 267 3.1 Finanzierung der Scientology-Organisation 268 3.2 Unterorganisationen der Scientology-Organisation 269 3.3. Formen der Kontaktaufnahme 272 4. Aussteiger 273 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Cyber-Allianz-Zentrum (CAZ) 274 1. Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste 277 1.1 Russische Föderation 279 1.2 Volksrepublik China 280 1.3 Sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten 283 2. Wirtschaftsschutz 284 3. Cyber-Allianz-Zentrum Bayern (CAZ) 286 4. Proliferation 291 16 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Organisierte Kriminalität (OK) 294 1. Rockerkriminalität 297 1.1 Allgemeines 297 1.2 Bayerische OMCGs 299 1.3 Bayerische rockerähnliche Gruppierungen 300 1.4 Auswirkungen des Kuttenverbots 301 1.5 Gefährdungslage Bund/Bayern 302 1.6 Phänomenübergreifende Aspekte 303 1.6.1 Verbindungen von Rockern in die rechtsextremistische Szene 303 1.6.2 Rocker und Waffenerlaubnisse 304 2. OK aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 305 3. OK-Gruppierungen aus dem Balkan und der Türkei 306 4. Italienische Mafia 307 Im Blickpunkt 310 Anhang 320 Grafiken: Personenpotenzial und Gewalttaten 320 Stichwortregister 321 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 326 Bildnachweis 334 Impressum 337 17 Informationen zum Informationen zum Verfassungsschutz Verfassungsschutz Der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem Gesetzlicher Auftrag Informationsbeschaffung Kontrolle des Verfassungsschutzes Zusammenarbeit mit der Polizei Information und Prävention 18 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 1. DER VERFASSUNGSSCHUTZ ALS FRÜHWARNSYSTEM Die Bundesrepublik Deutschland ist nach ihrer Verfassung eine wertgebundene, wachsame und wehrhafte Demokratie. Der Staat kann gegen Bestrebungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, die in der Verfassung vorgesehenen Abwehrmittel einsetzen, z. B. ein Parteioder Vereinsverbot. Das setzt aber voraus, dass er solche Bestrebungen oder Aktivitäten, die als extremistisch oder als verfassungsfeindlich bezeichnet werden, rechtzeitig erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Verfassungsschutzes als Frühwarnsystem zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie zum Schutz des Bestandes und der Sicherheit von Bund und Ländern ein. 2. GESETZLICHER AUFTRAG Die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sind gesetzlich genau festgelegt. Das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) regelt die von Bund und Ländern im Rahmen des Verfassungsschutzes gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben und ist zugleich Rechtsgrundlage für die Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Daneben gibt es in allen Ländern eigene Verfassungsschutzgesetze. In Bayern regelt das Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) die Aufgaben und Befugnisse des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, das seinen Sitz in München hat und dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration unmittelbar nachgeordnet ist. Das zum Foto: Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz in München 19 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Verfassungsschutz in Bayern 1. August 2016 in Kraft getretene Bayerische Verfassungsschutzgesetz wurde mit Wirkung zum 1. Juli 2018 an aktuelle Entwicklungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung angepasst. So wurde u.a. der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung sowie von Berufsgeheimnisträgern neu geregelt und eine detaillierte Rechtsgrundlage für längerfristige Observationen geschaffen. Das Gesetz enthält zudem Regelungen für eine enge Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit Polizeiund Sicherheitsbehörden sowie klare gesetzliche Rahmenbedingungen für den Einsatz von Vertrauensleuten und eine stärkere Harmonisierung der Vorschriften mit Bundesrecht. Für das Landesamt wurden im Haushaltsplan 2018 insgesamt rd. 552 Stellen für Beamte und Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst ausgewiesen. Das Haushaltsvolumen 2018 betrug rund 39 Millionen Euro. Der Verfassungsschutz sammelt Informationen über sicherheitsgefährdende und verfassungsfeindliche Bestrebungen im Inland und wertet diese aus. Diesem originären Beobachtungsauftrag unterliegen im Wesentlichen - Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, - sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht (Sabotage und Spionage), - Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, - Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind, - Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität. Als "Bestrebung" ist eine politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweise definiert, die darauf gerichtet ist, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes bzw. Verfassungsgrundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Solche Bestrebungen können von Gruppierungen oder Einzelpersonen ausgehen. Arbeitsschwerpunkt des Verfassungsschutzes ist dabei die Beobachtung von extremistischen Organisationen, d. h. in erster Linie die Analyse ihrer Ziele, Aktivitäten, Stärke, Aufbau und 20 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 finanziellen Verhältnisse. Dazu müssen zwangsläufig auch die Mitglieder und Unterstützer erfasst werden. Aber auch die Beobachtung von extremistischen Einzelpersonen ist zulässig. Als extremistische oder staatsgefährdende Bestrebungen werden in Bayern beobachtet: - Islamismus - Ausländerextremismus - Rechtsextremismus - Reichsbürger und Selbstverwalter - Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit - Linksextremismus - Scientology-Organisation. Der Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes umfasst auch extremistische Aktivitäten im Internet, z. B. in Blogs und Foren. Dabei ist aber eine "automatische" Zurechnung von anonymen Beiträgen in Blogs oder Foren zulasten der Betreiber rechtlich nicht zulässig. Erst wenn eine politisch motivierte, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielrichtung zurechenbar festzustellen ist, ist der Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes eröffnet. Nach einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2013 zu den Voraussetzungen und Grenzen der Beobachtung von Abgeordneten durch den VerfassungsBeobachtung von schutz ist die Beobachtung von Parlamentsabgeordneten durch Abgeordneten die Verfassungsschutzbehörden wegen des darin liegenden Eingriffs in das freie Mandat des Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen zulässig. An die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist dabei mit Blick auf die Bedeutung, die das Grundgesetz dem freien Mandat zuerkennt, ein strenger Maßstab anzulegen. Ein die Beobachtung rechtfertigendes, überwiegendes Interesse am Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung liegt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere dann vor, wenn ein Abgeordneter sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft. In Umsetzung dieser Rechtsprechung wurde die Beobachtung von drei Mitgliedern der AfD nach deren Wahl in den Bayerischen Landtag zum Jahreswechsel 2018/2019 beendet. In Bayern ist die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OK) Organisierte seit 1994 nicht nur Aufgabe der Polizei, sondern - zum Schutz der Kriminalität verfassungsmäßigen Ordnung - auch des Verfassungsschutzes. 21 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Verfassungsschutz in Bayern Dies umfasst u. a. die Bereiche illegaler Waffenund Drogenhandel, Schutzgelderpressung und Geldwäsche. Der Bayerische Verfassungsschutz klärt da auf, wo Polizei oder Staatsanwaltschaft rechtlich noch nicht tätig werden können, und liefert so einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung krimineller Strukturen. Personen, die der OK angehören bzw. sich in deren Umfeld aufhalten, agieren sehr konspirativ. Die Aufklärung dieser Strukturen setzt eine systematische und vor allem langfristig angelegte Beobachtung voraus, die auch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erfordert. Liegen dem Verfassungsschutz konkrete Anhaltspunkte für kriminelle Strukturen und Straftaten vor, werden diese zur weiteren Bearbeitung an Polizei und Staatsanwaltschaft abgegeben. Spionageabwehr Eine weitere Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Spionageabwehr, d. h. die Abwehr der Spionage von Nachrichtendiensten fremder Staaten gegen Deutschland. Wesentliche Angriffsziele sind die Bereiche Politik, Militärtechnologie und Wirtschaft. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste, sammelt Informationen und wertet sie aus, um z. B. deutsche Unternehmen zu schützen. Das seit Juli 2013 bestehende Cyber-Allianz-Zentrum im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz unterstützt Unternehmen sowie Betreiber kritischer Infrastrukturen bei der Prävention und Abwehr gezielter Cyberangriffe. Daneben hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz Mitwirkungseine Reihe von Mitwirkungsaufgaben, bei denen es als Fachbeaufgaben rater bei Sachentscheidungen einer anderen Behörde hinzugezogen wird. Dabei fließen die bereits vorhandenen oder aus Anlass des Mitwirkungsersuchens gewonnenen Erkenntnisse in den Entscheidungsprozess einer anderen Behörde mit ein. Zu den Mitwirkungsaufgaben gehören der Geheimund Sabotageschutz. Der Geheimschutz umfasst die Maßnahmen, die verhindern sollen, dass Unbefugte von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Informationen und Unterlagen - sog. Verschlusssachen - Kenntnis erhalten. Verschlusssachen gibt es in Behörden, aber auch in privatwirtschaftlichen Unternehmen, die im Auftrag des Staates tätig werden. Der materielle Geheimschutz befasst sich mit den organisatorischen und technischen Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, um Verschlusssachen vor unbefugtem Zugriff zu 22 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 schützen. Der personelle Geheimschutz beinhaltet die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen. Die Sicherheitsüberprüfung nach dem Bayerischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BaySÜG) soll gewährleisten, dass nur zuverlässige Personen eingesetzt werden, bei denen keine Umstände vorliegen, die ein Sicherheitsrisiko darstellen. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz bringt außerdem seine Erkenntnisse im Rahmen weiterer Beteiligungsaufgaben ein, insbesondere bei einbürgerungsund aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen. Es ist an der behördenübergreifenden Arbeitsgruppe "BIRGiT" (Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus/Extremismus) beteiligt. Zudem hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz die Aufgabe, im Einzelfall amtliche Auskünfte im Rahmen der Verfassungstreueüberprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst zu erteilen. Außerdem übermittelt es relevante Erkenntnisse im Rahmen von Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Luftsicherheitsgesetz und dem Atomgesetz. 3. INFORMATIONSBESCHAFFUNG Zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags darf das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz Informationen sammeln und auswerten und diese Informationen, soweit sie erforderlich sind, speichern. Diese Informationen werden zum weit überwiegenden Teil aus offenen Quellen gewonnen (z. B. aus dem Internet, aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Programmen, Broschüren sowie bei öffentlichen Veranstaltungen extremistischer Organisationen). Einen Teil der Informationen erhält der Verfassungsschutz durch Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel. Dazu gehören insbesondere: - der Einsatz von Vertrauensleuten (Personen, die der Verfassungsschutzbehörde selbst nicht angehören, aber aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Beobachtungsobjekt "Szene-Erkenntnisse" gegen Bezahlung liefern), - das Beobachten verdächtiger Personen (Observation) sowie - verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs) sind besonders strengen rechtsstaatlichen Anforderungen unterworfen. 23 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Verfassungsschutz in Bayern Die Voraussetzungen, unter denen vom Inhalt einer Telekommunikation Kenntnis genommen werden darf, sind in einem eigenen Bundesgesetz geregelt, das nach dem Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses "Artikel 10-Gesetz" (G 10) genannt wird. Ein Verfahren mit mehreren voneinander unabhängigen Kontrollinstanzen stellt sicher, dass in dieses Grundrecht nur eingegriffen wird, wenn die im Gesetz genannten besonderen Gründe vorliegen. Ähnliches gilt für die 2003 eingeführten Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern sowie für die Verwendung technischer Mittel zur Identifizierung von bisher unbekannten Mobilfunkanschlüssen. Besonders strenge rechtsstaatliche Sicherungen gelten auch für den Einsatz von technischen Mitteln in Wohnund Geschäftsräumen sowie für den verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme. Solche Maßnahmen dürfen nur auf Anordnung eines Richters vorgenommen werden. 4. KONTROLLE DES VERFASSUNGSSCHUTZES Die Tätigkeit des bayerischen Verfassungsschutzes unterliegt einer vielfältigen Kontrolle. Dazu gehört die allgemeine parlamentarische Kontrolle, die durch die Berichtspflicht des verantwortlichen Ministers gegenüber dem Landtag im Rahmen von Anfragen von Abgeordneten, Petitionen usw. ausgeübt wird. Eine besondere Kommission des Bayerischen Landtags, das Parlamentarische Kontrollgremium, überwacht die Arbeit des Verfassungsschutzes. Die G 10-Kommission überprüft die Maßnahmen zur Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs sowie die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern. Die Verwaltungskontrolle obliegt dem Innenminister im Rahmen der Dienstund Fachaufsicht, ferner dem Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz und dem Bayerischen Obersten Rechnungshof. Diese Kontrollen werden ergänzt durch die Möglichkeit, gegen belastende Maßnahmen die Verwaltungsgerichte anzurufen. Schließlich findet über die Medienberichterstattung auch eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit statt. 24 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 5. ZUSAMMENARBEIT MIT DER POLIZEI Beim Schutz von Staat und Verfassung arbeiten Polizei und Verfassungsschutz eng zusammen. Dabei sind die Polizeiund Verfassungsschutzbehörden jedoch voneinander getrennt, Verfassungsschutzbehörden dürfen keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden (organisatorisches Trennungsgebot). Aufgabe der Polizei sind die Abwehr von Gefahren sowie die Aufklärung von Straftaten. Sie verfügt über Eingriffsrechte und Zwangsbefugnisse (z. B. Festnahmen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen usw.) und muss eingreifen, sobald sie Hinweise auf Straftaten erhält. Der Verfassungsschutz ist dagegen für die Vorfeldaufklärung zuständig und hat keine Zwangsbefugnisse und kein Weisungsrecht gegenüber der Polizei (befugnisrechtliches Trennungsgebot). Hat der Verfassungsschutz ausreichend Erkenntnisse, die ein sicherheitsrechtliches Eingreifen erforderlich machen, unterrichtet er die zuständige Sicherheitsbehörde. Diese entscheidet dann selbstständig, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. Begrenzt wird dieser Informationsaustausch jedoch durch das sog. "informationelle Trennungsprinzip". Dieses beruht auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2013. Das Gericht hat darin ausgeführt, dass aufgrund der verschiedenen Aufgaben von Polizei und Verfassungsschutzbehörden und der unterschiedlichen Befugnisse Informationen durch den Verfassungsschutz an die Polizei nur in bedeutsamen Fällen übermittelt werden dürfen. Daher enthält das BayVSG genau wie das BVerfSchG sehr ausdifferenzierte Regelungen für die Informationsübermittlung an die Polizei. 6. INFORMATION UND PRÄVENTION Der Verfassungsschutz hat den gesetzlichen Auftrag, Regierung und Parlament sowie die Öffentlichkeit über Aktivitäten und Ziele verfassungsfeindlicher Organisationen zu informieren. Zu diesem Zweck veröffentlicht das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz die jährlich erscheinenden Verfassungsschutzberichte. Eingang in den Verfassungsschutzbericht finden Bestrebungen, bei denen hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für Extremismus vorliegen. Eine Verdachtsberichterstattung findet in Bayern nicht statt. 25 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Verfassungsschutz in Bayern Das Landesamt für Verfassungsschutz informiert und sensibilisiert auf seiner Homepage, in Veranstaltungen und eigenen Publikationen. Zudem trägt es mit einer Informationsfilmreihe dem geänderten Mediennutzungsverhalten Rechnung. Fachvorträge für Im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit klärt das Landesamt für Multiplikatoren Verfassungsschutz zudem durch zielgruppenorientierte Fachvorträge über aktuelle extremistische Entwicklungen auf. Diese Fachvorträge richten sich vor allem an Multiplikatoren (Schulen, Universitäten, Bildungsakademien, Träger politischer Bildungsund Jugendarbeit, Kommunen, demokratische Bürgerinitiativen, politische Parteien). Der Verfassungsschutz leistet einen wichtigen Beitrag zur geistig-politischen Auseinandersetzung mit dem Extremismus und dient der Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Im Bereich des Rechtsextremismus arbeitet das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz u. a. mit der "Landeskoordinierungsstelle Demokratie leben! Bayern gegen Rechtsextremismus" und mit der Projektstelle gegen Rechtsextremismus "Bayerisches Bündnis für Toleranz - Demokratie und Menschenwürde schützen" zusammen. Es beteiligt sich auch an Ausbildungsund Fortbildungsmaßnahmen anderer Behörden, insbesondere der Bayerischen Polizei. Im Jahr 2009 wurde die organisatorisch beim Landesamt für BIGE Verfassungsschutz angesiedelte "Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus" (BIGE) als zentrale Informationsund Beratungsstelle der Staatsregierung zur Bekämpfung des politischen Extremismus eingerichtet. Das Aufgabenfeld der BIGE umfasst den Rechtsund Linksextremismus, die verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit sowie die Reichsbürger und Selbstverwalter. Die BIGE soll in diesen Phänomenbereichen nicht nur die Bekämpfung des Extremismus unterstützen, sondern auch die Zusammenarbeit von staatlichen Stellen, Kommunen, Schulen und gesellschaftlichen Einrichtungen stärken. Für Kommunen bietet die BIGE umfangreiche Beratungsleistungen an. Hauptberatungsfeld war in der Vergangenheit die Verhinderung des Ankaufs bzw. der Nutzung von Immobilien für rechtsextremistische Aktivitäten sowie die Agitation von Rechtsextremisten gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte. Fallbezogen arbeitet die BIGE hier auch mit der "Landeskoordinierungsstelle Demokratie leben! Bayern gegen Rechtsextremismus" und mit der Projektstelle gegen Rechtsextremismus 26 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 des "Bayerischen Bündnisses für Toleranz - Demokratie und Menschenwürde schützen" zusammen. Anfang Dezember 2016 wurde eine Dienststelle der BIGE in Nürnberg eröffnet, um das Beratungsangebot für die Kommunen in der Region zu verbessern. Bei Aktivitäten von extremistischen Organisationen im Umfeld von Schulen und bei Problemstellungen mit extremistischem Bezug im Schulalltag steht die BIGE in Zusammenarbeit mit den Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz der Schulfamilie mit einem umfassenden Maßnahmenkonzept zur Seite. Die BIGE beteiligt sich ferner an Ausund Fortbildungsmaßnahmen anderer Behörden, insbesondere der Bayerischen Polizei und im Justizvollzug. Das bereits seit 2001 beim BayLfV bestehende "Bayerische Aussteigerprogramm" wurde mit Gründung der BIGE dort integriert. Hier werden Einzelpersonen durch speziell ausgebildete Betreuer in ihrem Ausstiegsprozess aus der extremistischen Szene begleitet. Die BIGE ist ein wichtiger Bestandteil des "Bayerischen Handlungskonzepts gegen Rechtsextremismus", das seit seiner Einführung 2009 kontinuierlich fortentwickelt wird und eine Vielzahl von Maßnahmen gegen Rechtsextremismus enthält. In 2017 wurde das "Bayerische Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus" unter Federführung des Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration und in Zusammenarbeit mit dem Staatsministerium der Justiz, dem vormaligen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und dem Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales inhaltlich neu gefasst und grafisch völlig neu gestaltet. Ziel der Fortschreibung war es, die staatlichen Strukturen, Vorgehensweisen und Maßnahmen in Bayern, die in den drei Säulen "Vorbeugen - Unterstützen - Eingreifen" konzeptionell eingebettet sind, zu einem Gesamtkonzept zu verbinden und umfassend darzustellen. Zudem wurde für die Information einer breiteren Öffentlichkeit begleitend eine Broschüre erstellt. Neben der umfangreichen Öffentlichkeitsarbeit des BayLfV erfolgt auch eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit durch die BIGE. Die BIGE betreibt zusammen mit dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus das Internetportal "Gemeinsam gegen Extremismus" (www.bige.bayern.de), das Anfang 2019 grundlegend überarbeitet wurde. Es stellt für die Nutzer detailliertes Fachwissen zu den Bereichen Rechtsund 27 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Verfassungsschutz in Bayern Linksextremismus, verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit, Reichsbürger und Selbstverwalter zur Verfügung und hält Beratungsund Hilfsangebote für betroffene Kommunen, Schulen und Eltern bereit. In Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration wurde die erfolgreiche Broschüre "Nein zu Nazis und Co." neu aufgelegt. Die Broschüre informiert über rechtsextremistische Agitation unter Jugendlichen und Heranwachsenden und klärt über neue Erscheinungsformen sowie Ziele, Taktiken und Strategien der Rechtsextremisten auf. In der Präventionsstelle Salafismus des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz sind Mitarbeiter tätig, die sich auf den Islamismus spezialisiert haben. An den Standorten München und Nürnberg stehen sie für Anfragen aus ganz Bayern zur Verfügung und bieten Informationsveranstaltungen wie Vorträge und Workshops sowie Beratungsgespräche an. Um Radikalisierungsund Rekrutierungsmechanismen erkennen zu können, werden Mitarbeiter in der Schulund Jugendarbeit, der Verwaltung, der Polizei, des Justizvollzugs und der Bewährungshilfe sowie der Hochschulen qualifiziert. Das Angebot richtet sich auch an Hauptund Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit, Sicherheitspersonal von größeren Unternehmen und Wirtschaftsverbänden sowie an Personen, die im sozialen und familiären Umfeld mit dem Thema Salafismus in Berührung kommen. Die Präventionsstelle Salafismus unterstützt und berät zudem Landratsämter, Gemeinden und kommunale Einrichtungen, wenn diese Anhaltspunkte für salafistische Bestrebungen vor Ort feststellen. In den Vorträgen und Workshops werden Hintergründe sowie aktuelle Entwicklungen im Bereich Islamismus und Salafismus vermittelt sowie zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als extremistischer Ideologie unterschieden. In Gesprächen vor Ort werden Handlungsoptionen aufgezeigt und gemeinsam ein mögliches Vorgehen erörtert. 28 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Im neuen Flyer "Was tun gegen Salafismus?" informiert die Präventionsstelle Salafismus über ihre vielfältigen Sensibilisierungs-, Beratungsund Fortbildungsformate. Im Bereich der Islamismusprävention kooperiert das Bayerische Landesamt WAS TUN GEGEN SALAFISMUS? für Verfassungsschutz im Rahmen des "Bayerischen NetzwerDas Angebot der Präventionsstelle Salafismus kes für Prävention und Deradikalisierung gegen Salafismus" mit den verschiedensten staatlichen Stellen in den Bereichen der Bildungsarbeit, der Integrationsund Sozialpolitik sowie der Jugendarbeit oder des Strafvollzuges. Das Netzwerk unterhält ein eigenes Internetportal mit Informationen zur Salafismusprävention in Bayern. Unter www. antworten-auf-salafismus.de finden Interessierte und Betroffewww.verfassungsschutz.bayern.de ne Antworten auf Fragen zum Thema Salafismus sowie vielfältige Beratungs-, Unterstützungsund Förderangebote. Bis Anfang 2018 wurden drei Kurzfilme mit den Titeln "Du glaubst", "Du bist nicht allein" und "Entfremdung" in ausgewählten bayerischen Kinos als Kinowerbung gezeigt. Sie sind u. a. auf der Website www.antworten-auf-salafismus.de abrufbar. Insgesamt konnten dabei über 1,7 Millionen Personen erreicht und für das Thema sensibilisiert werden. Die vom Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr Sport und Integration in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz herausgegebene BroschüSalafismus Prävention durch Information re "Salafismus - Prävention durch Information" enthält neFragen und Antworten ben Informationen zum Salafismus auch Informationen über Taghut Beratungsstellen und Ansprechpartner im Bereich der Prävention und Deradikalisierung, an die sich Betroffene wenden können. Die Broschüre ist im Internet abrufbar unter Salaf Schahid ?Tauhid ?? Kuffar Shirk ? ? www.stmi.bayern.de. Seit April 2018 steht zudem eine weitere Informationsbroschü- 1 re mit dem Titel "Islamismus erkennen" zur Verfügung. In der Islamismus vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz herausgeerkennen gebenen Broschüre liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf Logos Symbole Medienorganisationen Publikationen Logos, Bildern und Symbolfiguren, die eine hohe Wirkkraft auf Ideologen Anhänger islamistischer Gruppierungen entfalten. Zweck der Broschüre ist es, dem Leser eine wichtige Grundkompetenz zum www.verfassungsschutz.bayern.de 29 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Verfassungsschutz in Bayern möglichst frühzeitigen Erkennen von Radikalisierungsprozessen und extremistischen Gefahren zu vermitteln. Die Broschüre ist im Internet abrufbar unter www.verfassungsschutz.bayern.de. Im Landesamt für Verfassungsschutz gibt es zudem ein Hinweistelefon für Verdachtsfälle und Salafismusprävention. Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz Postfach 450145, 80901 München Telefon: 089/31201 0 (rund um die Uhr) Telefax: 089/31201 380 E-Mail: poststelle@lfv.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de Hinweistelefon für Verdachtsfälle und Salafismusprävention Telefon: 089/31201 480 E-Mail: salafismuspraevention@lfv.bayern.de Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz Knorrstraße 139, 80937 München Telefon: 089/2192 2192 Telefax: 089/2192 2377 E-Mail: gegen-extremismus@stmi.bayern.de www.bayern-gegen-rechtsextremismus.bayern.de www.bayern-gegen-linksextremismus.bayern.de 30 Verfassungsschutz in Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 31 Islamismus Islamismus Unverändert hohe Gefährdungslage für Deutschland Sicherheitsbehörden verzeichnen eine zunehmend dezentrale Verbreitung und Veröffentlichung inoffizieller IS-Propaganda Neue Herausforderungen für Behörden durch mögliche Rückkehrer aus den Kampfgebieten Strategischer Rückzug der salafistischen Da'wa (Missionierungs)-arbeit aus der Öffentlichkeit ins Private Türkisch-islamistische Furkan-Gemeinschaft auch in Bayern aktiv 32 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Der Islam als Religion und seine Ausübung werden nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag unterliegen jedoch islamisch-extremistische (Kurzform: islamistische), d. h. religiös-politisch motivierte Organisationen und Einzelpersonen mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Islamismus ist ein Überbegriff für eine Vielzahl von unterschiedlichen (Teil-)Strömungen, wie beispielsweise den Salafismus. Als Gemeinsamkeit dieser Strömungen lassen sich folgende Kernelemente des Islamismus herausstellen: - "Der Islam" ist nicht allein Glaube und Ethik, sondern begründet eine alles umfassende Lebensform, die auf Koran und Sunna (Überlieferung der Reden und Taten des Propheten) basiert. - Die Muslime bilden eine religiöse und politische Einheit (panislamische Zielsetzung). - Die Scharia (islamisches Gesetz) stellt ein politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip dar. - Koran und Sunna haben "Verfassungsrang" und verbindliche Vorbildfunktion für politisches Handeln und einen zukünftigen "islamischen Staat". Diese extremistischen Zielsetzungen widersprechen den in unserem Grundgesetz garantierten Freiheitsund Menschenrechten. Die Bestrebungen von Islamisten sind verfassungsund integrationsfeindlich. Gewaltbereite islamistische Terroristen sind unverändert eine große Gefahr für die Innere Sicherheit Deutschlands. Sie verfolgen ihr Ziel, weltweit eine totalitäre islamistische Gesellschaftsordnung zu errichten. Sie berufen sich auf die vermeintliche Pflicht aller Muslime, sich gegen westliche, d. h. "ungläubige" Einflüsse zu "verteidigen", und rufen zur Teilnahme am gewalttätigen Jihad auf. 33 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus 1. PERSONENPOTENZIAL IN BAYERN Islamistischen Vereinigungen waren in Bayern im Jahr 2018 4.155 Personen zuzurechnen (2017: 4.070). Zu den mitgliederstärksten Gruppierungen bzw. Strömungen zählen nach wie vor, neben der "Milli Görüs"-Bewegung mit 2.900 Anhängern, die Anhänger des Salafismus. Seit 2013 stieg die Zahl der Salafisten in Bayern von 550 auf 750 zum Jahresende 2018 (2017: 730) an. Von diesen 750 Salafisten waren ca. 25 Prozent dem gewaltorientierten Spektrum zuzuordnen. 2. ISLAMISMUS IN DEUTSCHLAND Bei islamistischen Bestrebungen in Deutschland gilt es grundsätzlich, zwischen den verschiedenen Strömungen und deren Politischer und Einstellung zur Gewalt zu unterscheiden. Während islamistische jihadistischer Terroristen eindeutig den Einsatz von Gewalt legitimieren, verSalafismus treten politische Salafisten sowie legalistische Organisationen eine weitgehend gewaltfreie Herangehensweise zur Erreichung ihrer Ziele. Auch Strömungen des legalistischen Islamismus wollen die Religion so auslegen und von allen verstanden wissen, dass ein konfliktfreies Zusammenleben mit Andersdenkenden unmöglich erscheint. Sie bestehen auf einer strengen Lesart des Korans, der unabhängig von Zeit und Ort für alle Menschen gültig ist und dessen Inhalte und Weisungen, die im islamischen Recht ihren Niederschlag gefunden haben, nicht relativiert werden können. Unter Nutzung der von der deutschen Rechtsordnung garantierten Freiräume verfolgen sie eine Strategie der Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft. Sie stehen allerdings in offenem Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, deren Werte Islamisten in zentralen Punkten nicht teilen und die sie teils verbal, selten auch militant bekämpfen. Islamisten verwahren sich strikt gegen die Abdrängung des Religiösen ins Private. Nach dem Bekenntnis "Der Islam ist Glaube und Staat" müssen die Normen der Scharia in allen Lebensbereichen und auf allen Ebenen durchgesetzt werden. Der Islamismus bedient und wiederbelebt ein in den Ursprüngen des Islam begründetes Überlegenheitsgefühl der Muslime als Inhaber und Wahrer der letzten und erhabensten Religion. Bundesweit ist eine weit verzweigte heterogene Infrastruktur des Salafismus festzustellen. Durch die Vermittlung extremistischer Grundhaltungen und Konzepte bereitet insbesondere die 34 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 salafistische Ideologie den Nährboden für Radikalisierungsprozesse, die zu terroristischen Handlungen führen können. Die Grenzen zwischen dem politischen Salafismus, der auf die Ausübung direkter Gewalt zur Erreichung seiner Ziele verzichtet, und dem jihadistischen Salafismus, der eine unmittelbare und sofortige Gewaltanwendung befürwortet, sind fließend. Die Durchlässigkeit zwischen den Teilströmungen wird durch die hierarchiearmen Strukturen salafistischer Netzwerke begünstigt. Auch Flüchtlinge können in den Fokus der salafistischen Szene geraten. Generell bieten Flüchtlinge in Deutschland nicht zuletzt der salafistischen Szene eine Gelegenheit, um unter dem Vorwand der humanitären Hilfe die eigene Ideologie zu verbreiten. Als besonders gefährdet für islamistische Anwerbeversuche gelten unbegleitete Minderjährige Ausländer (UMA), die auf der Suche nach sozialer Unterstützung sind. Ansprachen von Islamisten in oder um FlüchtlingsunterExtremistische künfte/n haben seit dem Höhepunkt des Flüchtlingszuzugs Anwerbung von 2015/2016 nachgelassen. Ein organisiertes Vorgehen der islaFlüchtlingen rückmistischen Szene in Bayern ist dabei nicht feststellbar. Es kann läufig jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Islamisten weiterhin in Einzelfällen versuchen, Flüchtlinge längerfristig für ihre Ideologie zu gewinnen. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz informiert u. a. mit einem Faltblatt über mögliche Anwerbeversuche von Islamisten unter Flüchtlingen. Salafistische Propagandaaktivitäten sind bundesweit feststellbar. Bis zum Verbot am 15. November 2016 spielte dabei das Koranverteilungsprojekt "LIES!" des salafistischen Netzwerks "Die wahre Religion" (DWR) eine besondere Rolle. Weitere Propagandaaktivitäten sind u. a. Infobzw. WarenverkaufsstänSalafistische de anderer salafistischer Gruppierungen, Spendensammlungen, Propaganda Islamseminare, "Home Da'wa" (Missionierung), Propaganda in Moscheen oder die sogenannte Gefangenenhilfe. Zentrale Verbreitungswege salafistischer Propaganda sind das Internet und Instant-Messaging-Dienste. Vom internationalen islamistischen Terrorismus geht weiterhin eine große Bedrohung für die internationale Staatengemeinschaft aus, er stellt auch für die Innere Sicherheit Deutschlands - trotz zahlreicher Fahndungserfolge - eine der größten Gefahren dar. Der internationale islamistische Terrorismus tritt inzwischen sehr vielfältig in Erscheinung: Größere Netzwerke existieren ebenso wie autark operierende Kleinstgruppen bis hin zu Einzeltätern. 35 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus Die Aktivitäten islamistischer Terrorstrukturen in Deutschland reichen von der Nutzung Deutschlands als Rückzugsund Ruheraum über die Rekrutierung, Radikalisierung und Indoktrinierung neuer Anhänger bis hin zur Planung und Durchführung terroristischer Anschläge. 3. STRUKTUREN 3.1 Legalistischer Islamismus Nicht gewaltorientierte, sog. legalistische islamistische Gruppen verfolgen ihre extremistischen Ziele mit politischen Mitteln innerhalb der bestehenden Rechtsordnung. Eine unmittelbare Gefährdung im Hinblick auf terroristische Anschläge in Deutschland geht von solchen Gruppierungen nicht aus. Legalistische Islamisten bestehen auf einer strengen Lesart des Korans, der nach ihrer Auffassung unabhängig von Zeit und Ort für alle Menschen gültig ist. Eine nicht relativierbare, moralische und rechtliche Richtschnur sind für sie die Weisungen, die im islamischen Recht, der Scharia, enthalten sind. Durch Lobbyarbeit versuchen legalistische Islamisten, Einfluss auf Entscheidungsprozesse in Politik und Gesellschaft zu nehmen. Dabei verfolgen sie eine Doppelstrategie: Während sie sich nach außen offen, tolerant und dialogbereit geben, bestehen innerhalb dieser Organisationen antidemokratische und totalitäre Tendenzen. Ziel legalistischer Islamisten ist es, zunächst Teilbereiche der Langfristige BeeinGesellschaft zu islamisieren. Langfristig streben sie die Umforflussungsstrategie mung des demokratischen Rechtsstaats in einen islamischen Staat an. Um ihre Ziele zu erreichen, betreiben legalistische Islamisten Kulturvereine und Moscheen, da diese einerseits der Werbung von Mitgliedern, andererseits der Verbreitung der Ideologie dienen. Über ihre Dachverbände versuchen sie, sich dem Staat als Sprachrohr der Muslime anzubieten. Ein Großteil der ideologischen Grundsätze legalistischer islamistischer Organisationen ist unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung, beispielsweise die Gleichberechtigung der Religionen und Geschlechter sowie die Volkssouveränität. 36 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Organisationen im legalistischen Islamismus sind die türkisch geprägte "Milli Görüs"-Bewegung, die in Deutschland existierenden Strukturen der "Muslimbruderschaft" (MB), die "Furkan-Gemeinschaft", die "Tablighi Jamaat" (TJ) sowie schiitisch-islamistische Gruppierungen. 3.1.1 Milli Görüs-Bewegung Mitglieder Bayern: 2.900 Gründer Prof. Dr. Necmettin Erbakan Entstanden ca. 1970 in der Türkei Sprachrohr der Milli Gazete Milli Görüs-Bewegung (Nationale Zeitung) Die islamistische "Milli Görüs"-Bewegung ist ein Sammelbecken von Anhängern des am 27. Februar 2011 verstorbenen türkischen Politikers Prof. Dr. Necmettin Erbakan. Ziel der Bewegung ist es, zunächst die laizistische Staatsordnung (Trennung von Kirche und Staat) in der Türkei durch eine islamische Staatsund Gesellschaftsordnung mit dem Koran und der uneingeschränkten Gültigkeit der Scharia als Grundlagen des Staates und des gesellschaftlichen Zusammenlebens abzulösen. Ihr erklärtes Fernziel ist darüber hinaus die weltweite Einführung einer islamischen Staatsund Gesellschaftsordnung nach dem Vorbild des alten Osmanischen Reichs unter Führung der Türkei. Die Bestrebungen der "Milli Görüs"-Bewegung richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die "Milli Görüs"-Bewegung wurde Ende der 1960er-Jahre von dem türkischen Politiker Necmettin Erbakan gegründet. Zentrale Bedeutung in Erbakans politischem Denken haben die von ihm geprägten Schlüsselbegriffe "Milli Görüs" (nationale Sicht) und "Adil Düzen" (gerechte Ordnung). Nach der von Erbakan entwickelten Ideologie ist die Welt zweigeteilt: einerseits in die auf dem Wort Gottes fußende religiös-islamische Ordnung ("Adil Düzen"), Adil-Düzen/Batilandererseits in die westliche Ordnung der Gewalt und UnterdrüDüzen-Konzept ckung ("Batil Düzen" = nichtige Ordnung). Es gelte, die westliche Ordnung durch eine "gerechte Ordnung" zu ersetzen, wofür die Ausrichtung an islamischen Grundsätzen statt an von Menschen geschaffenen und damit "willkürlichen Regeln" erforderlich sei. Zu den klassischen Feindbildern gehören neben der westlichen Welt auch der Staat Israel - meist als "Zionisten" umschrieben - sowie Kommunismus, Imperialismus und Kapitalismus. 37 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus Insgesamt ist das "Adil Düzen"-Konzept mit den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar: Die Einführung einer islamischen Gesellschaftsordnung würde den Grundsatz der Gewaltenteilung, das Rechtsstaatsprinzip, die Unabhängigkeit der Justiz und das Demokratieprinzip beseitigen. Die Ausrichtung der "Milli Görüs"-Bewegung auf eine sultanähnliche türkische Führerfigur zeigt nationalistisch-diktatorische Züge und widerspricht der republikanischen Struktur Deutschlands sowie dem Demokratieprinzip. Zudem vertritt Antisemitische die "Milli Görüs"-Bewegung einen Antisemitismus, der zu eiTendenzen ner ausgrenzenden Benachteiligung des jüdischen Volkes und der jüdischen Religion führt und die Menschenrechte sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Der "Milli Görüs"-Bewegung sind insbesondere die "Saadet Partisi" (SP - Glückseligkeitspartei) als politische Vertreterin der Bewegung, die "Ismael Aga Gemeinschaft" (IAC), die Erbakan-Stiftung, die türkische Tageszeitung Milli Gazete, der türkische Fernsehsender TV5 und die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) zuzurechnen. Saadet-Partisi (SP) In der Türkei sind die Anhänger der islamistischen "Milli Görüs"-Bewegung seit 2001 in der SP organisiert, nachdem die Vorgängerparteien "Refah Partisi" (RP - Wohlfahrtspartei) und "Fazilet Partisi" (FP - Tugendpartei) wegen "antilaizistischer Aktivitäten", also wegen Aktivitäten, die die Trennung von Staat und Religion rückgängig machen sollen, verboten wurden. Die seit 2013 bestehende Deutschlandvertretung der SP verfügt auch in Bayern über Strukturen wie z. B. den Regionalverband Südbayern mit Sitz in München. Für die Parlamentswahlen im Juni in der Türkei schloss sich die SP mit den Parteien CHP und Iyi-Parti zum Bündnis "Nationale Allianz" zusammen, um die 10-Prozent-Hürde überwinden zu können. Die SP erhielt 1,3 Prozent der Stimmen und konnte mit zwei Abgeordneten über die Bündnisliste in das Parlament einziehen. 38 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) Die Zentrale der IGMG hat ihren Sitz in Köln mit mehreren, nachgeordneten "Gebieten". Unterhalb der "Gebietsebene" sind eine Vielzahl von "Ortsvereinen" angesiedelt. In Bayern unterhalten mehrere Vereine Verbindungen zur IGMG. Regionale Schwerpunkte befinden sich in Nürnberg und München. Der Verfassungsschutz beobachtet bei Teilen der IGMG seit einigen Jahren Anzeichen für einen Loslösungsprozess von der "Milli Görüs"-Bewegung in der Türkei. Ein beträchtlicher Teil der Anhänger orientiert sich aber weiterhin an der islamistischen "Milli Görüs"-Ideologie. Milli-Görüs-Ahde-Vefa-Plattform (MGAV)/Erbakan Vakfi IGMG-Anhänger, die den Kurs der IGMG-Führung als zu zurückhaltend kritisieren, gründeten im Jahr 2012 eine eigene Organisation unter dem Motto "Ahde Vefa" (Treue zum Schwur). Sie halten sich streng an die "Milli Görüs"-Ideologie und orientieren sich dabei am Sohn Necmettin Erbakans, Fatih Erbakan. Inzwischen nennt sich die Gruppierung "Erbakan Vakfi" (Erbakan Stiftung). Ismael Aga Gemeinschaft (IAC) Die IAC ist Teil der weitverzweigten mystischen Bruderschaft der "Naqshbandiya", der auch der verstorbene Führer der "Milli Görüs"-Bewegung Necmettin Erbakan angehörte, und gilt als einer der radikaleren Zweige der Bruderschaft. In Deutschland wurde die IAC durch den Prediger Nusret Cayir geprägt, der die Einführung der Scharia in Deutschland forderte und die Gleichstellung der Frau ablehnt. Am 23. Oktober 2015 wurde Cayir in die Türkei abgeschoben. Das Verwaltungsgericht Darmstadt erklärte die Abschiebung für rechtswidrig und hob sie auf. Bis zu einer möglichen Wiedereinreise aus der Türkei hält Cayir den Kontakt zu seinen Anhängern über Videobotschaften im Internet aufrecht und verbreitet dabei seine demokratiefeindliche, gegen den Rechtsstaat und die Volkssouveränität gerichtete Ideologie auch in Deutschland. 39 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus In Deutschland fanden monatliche Treffen der IAC-Anhängerschaft in Frankfurt am Main statt. Auch bayerische Sympathisanten beteiligten sich daran. 3.1.2 Furkan-Gemeinschaft Anhänger Deutschland: 290 Bayern: etwa 20 Vorsitzender Alparslan Kuytul Gründung 1994 in der Türkei Publikation Furkan Nesli Dergisi Die islamistische Ideologie der "Furkan-Gemeinschaft" zielt darauf ab, weltweit eine "Vorreiter-Generation" zu schaffen, die nach dem Vorbild des Propheten Muhammad und seiner Gefährten zu einer "islamischen Zivilisation" zurückkehren will. Dabei wird Gott das alleinige Herrschaftsrecht eingeräumt. Die Forderungen der "Furkan-Gemeinschaft" beinhalten die grundsätzliche Ersetzung der Demokratie durch eine islamische Gesetzgebung, die Teilnahme an Wahlen ist verboten. Dieses Islamverständnis ist unvereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere mit der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung. Die "Furkan-Gemeinschaft" weist eine ideologische Nähe zum Ideologische Gedankengut der "Muslimbruderschaft" auf. In einer Publikation Nähe zur Muslimbezeichnet die Organisation Hassan al-Banna, den Gründer der bruderschaft "Muslimbruderschaft", als "hochgeehrten Lehrer". Die "Furkan Stiftung für Bildung und Dienstleistungen" (türkisch: "Furkan E itim ve Hizmet Vakf ") wurde 1994 von Alparslan Kuytul in Adana (Türkei) gegründet, der die Gemeinschaft bis heute anführt. Er hat eine starke Vorbildund Autoritätsfunktion bei seinen Anhängern und spricht diese weltweit durch verschiedene Medieninhalte im Internet, vor allem in den sozialen Netzwerken, teils auch mit deutschen Untertiteln, an. Der Fokus der "Furkan-Gemeinschaft" liegt auf der muslimischen Bildungsarbeit in Form von Konferenzen, Kundgebungen und Jugend-Programmen, wodurch in der Türkei gegenwärtig mehrere zehntausend Anhänger erreicht werden. In der Türkei sind seit mehreren Jahren immer wieder politische Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Regierung und der "Furkan-Gemeinschaft" festzustellen. Kundgebungen und Konferenzen wurden seit 2014 fortlaufend gewaltsam von der Polizei aufgelöst. Der Höhepunkt der bisherigen Maßnahmen ist 40 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 die Festnahme von Alparslan Kuytul am 30. Januar durch die türFestnahme des kischen Sicherheitsbehörden. Gleichzeitig fanden DurchsuchunGründers in der gen in den Vereinsräumlichkeiten statt. Türkei Bei einer Gerichtsverhandlung am 8. November in Adana wurde Kuytul zunächst vom Vorwurf der Gründung und Mitgliedschaft einer Terrororganisation freigesprochen. Aufgrund weiterer Vorwürfe, die noch verhandelt werden sollen, blieb Kuytul jedoch weiterhin inhaftiert. In Deutschland hat sich neben größeren Zentren in Dortmund und Hamburg auch in München eine Gruppierung der "Furkan-Gemeinschaft" gebildet. Die hier aktiven Anhänger bekundeten u. a. durch im Internet veröffentlichte Videobotschaften sowie die Teilnahme an Demonstrationen ihre Solidarität mit ihrem in der Türkei inhaftierten Anführer Kuytul. 3.1.3 Tablighi Jamaat (TJ) Anhänger Deutschland: etwa 650 Bayern: etwa 140 Gründung 1926 bei Delhi (Indien) Ziel der TJ ("Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") ist die Islamisierung der Gesellschaft, um dadurch die Etablierung eines islamischen Staates zu erreichen. Die Bestrebungen der TJ richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die TJ wurde vom Religionsgelehrten Mawlana Muhammad Ilyas als pietistische Missionierungsbewegung gegründet. Seit ihren Ursprüngen ist sie eng mit der Islamischen Hochschule von Deoband/Indien verbunden. Die Gemeinschaft vertritt eine archaische Form des Islam indischer Prägung. Sie hat den Charakter einer internationalen islamistischen Massenbewegung, deren Anhänger sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig fühlen, sondern sich als konsequente Muslime mit missionarischem Auftrag verstehen. Die TJ-Anhänger vertreten eine wörtliche Auslegung des Korans und der Sunna, die politische und gesellschaftliche Ausgrenzung Ausgrenzung von Frauen und die Abgrenzung zu Nicht-Muslimen. Traditionelle von Frauen und Gebetskleidung und bis in Details verbindliche VerhaltensreNicht-Muslimen geln im Alltag sollen die absolute Hinwendung zum Propheten Muhammad ausdrücken. Diese Bestrebungen wirken in nicht muslimischen Gesellschaften zwangsläufig desintegrierend, sodass eine dauerhafte und ernsthafte Hinwendung zu westlichen 41 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus Gesellschaftsordnungen, Wertvorstellungen und Integrationsmodellen nicht möglich ist. Charakteristisch für die Anhänger der TJ ist eine missionarische Reisetätigkeit, bei der sie Moscheen weltweit aufsuchen. Die Missionierung dient der Rekrutierung neuer TJ-Mitglieder. Zur Ausbildung der Anhänger gehört eine vier Monate dauernde Schulung, vornehmlich in Koranschulen in Pakistan. Die wenigsten Missionare verfügen über eine theologische Ausbildung. Zur Missionierung nutzen TJ-Anhänger auch Moscheen, die keinen unmittelbaren Bezug zur TJ haben. Dort organisieren sie Veranstaltungen, bei denen die Anhänger über Tage oder Wochen hinweg beten, den Koran studieren und indoktriniert werden. Für Kinder und Jugendliche werden auch Koranschulungen durchgeführt. Durch die gemeinsame ideologische Basis mit militanten Gruppierungen besteht die Gefahr, dass die weltweiten Strukturen der Bewegung von terroristischen Netzwerken genutzt werden. Von Einzelpersonen, die die Schulung der TJ durchlaufen haben, ist bekannt, dass sie sich terroristischen Gruppierungen angeschlossen haben. Die TJ ruft ihre Anhänger in Deutschland weiterhin dazu auf, insMissionierung in besondere Flüchtlinge zu missionieren. In Bayern sind drei Mobayerischen scheen ("Kulturverein für deutschsprachige Muslime e. V. - Al Moscheen Ummah Moschee" in München, "Islamischer Verein für Kultur und Bildung" in Schweinfurt und die "Islamische Gemeinde Hof e. V." (IGH)) den TJ-Strukturen zuzurechnen. Bei diesjährigen Deutschlandtreffen der TJ waren auch Teilnehmer aus Bayern anwesend. 3.1.4 Islamische Vereinigung in Bayern e. V. (IVB) Anhänger/Besucher etwa 90 Gründung 1994 in München Neugründung 2009 Als Multiplikator schiitisch-islamistischen Gedankenguts innerhalb der schiitischen Gemeinschaften in Deutschland dient das "Islamische Zentrum Hamburg" (IZH). In Bayern übernimmt die IVB als Außenstelle des IZH diese Aufgabe. Sie soll im Auftrag der iranischen Führung auf schiitische Muslime einwirken und deren politische und religiöse Einstellung beeinflussen. Da der Iran keine Trennung von Staat und Religion 42 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 kennt, hat die religiöse Arbeit des Vereins auch eine politische Komponente und richtet sich daher gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die Bewahrung der einst vom iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini propagierten Idee der "Islamischen Revolution" im Iran und deren internationale Verbreitung ist bis heute wesentlicher Bestandteil der iranischen Politik. Der "Export der Revolution" ist in der iranischen Verfassung vorgeschrieben. Das beinhaltet auch "Todesfatwas", wie das Beispiel eines in Deutschland lebenden iranischen Musikers zeigt, dessen Texte 2012 als Gotteslästerung interpretiert wurden und der daraufhin Morddrohungen erhielt. Der Iran unterstützt eine Vielzahl islamischer und islamistischer Bewegungen und Organisationen, vor allem im Nahen und Mittleren Osten. Auch islamische Zentren und Moscheen in Deutschland dienen im Sinn dieses "Revolutionsexports" als Foren für Versuche der Einflussnahme durch den Iran. Das größte und einflussreichste Zentrum ist das 1962 gegründete "Islamische Zentrum Hamburg" (IZH). Neben der iranischen IZH in Hamburg Botschaft ist das IZH die wichtigste offizielle Vertretung des Iran in Deutschland und gleichzeitig eines seiner bedeutendsten Propagandazentren in Europa. Die enge Anbindung des IZH an die Führung des Iran zeigt sich u. a. darin, dass der Leiter des IZH ein ausgewiesener islamischer Rechtsgelehrter sein muss, der vom iranischen Außenministerium bestimmt wird und als Vertreter des iranischen "Revolutionsführers" in Mitteleuropa gilt. Der Iran versucht mit dessen Hilfe, Schiiten aller Nationalitäten an sich zu binden sowie die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Grundwerte der islamischen Revolution in Europa zu verbreiten. Zwischen IZH und IVB bestehen enge Verflechtungen. In der Satzung der IVB ist beispielsweise festgelegt, dass das Vereinsvermögen im Falle einer Auflösung des Vereins an das IZH fallen soll. Wichtige Angelegenheiten der IVB werden mit dem IZH abgestimmt. Die IVB ist Trägerverein der iranisch-schiitischen Moschee München. Im April 2017 wurde diese nach vorübergehender Schließung wiedereröffnet. Die Bedeutung der Moschee zeigt sich u. a. darin, dass der Leiter des IZH Veranstaltungen der Moschee besucht. Insgesamt ist festzustellen, dass die Moschee der IVB nicht nur bei Iranern regen Zulauf hat, sondern als Anlaufstelle für schiitische Gläubige aller Nationalitäten dient, die so einer schiitisch-islamistischen Indoktrination ausgesetzt sind. 43 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus 3.1.5 Die Muslimbruderschaft (MB) und ihr Einfluss in Deutschland Anhänger Deutschland: etwa 1040 Bayern: etwa 150 Gründung 1928 in Ägypten Die 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten gegründete MB ist die einflussreichste und älteste islamistische Bewegung des zeitgenössischen politischen Islam. Das von der MB angestrebte politische System weist deutliche Totalitäres Züge eines totalitären Herrschaftssystems auf, das die SouveHerrschaftssystem ränität des Volkes sowie die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit der Menschen nicht garantiert. Die Ideologie der MB ist auf die Errichtung islamistischer Herrschaftsordnungen auf der Grundlage von Koran und Sunna ausgerichtet. Ein Großteil der ideologischen Grundsätze der MB ist somit unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung. Das Wesentliche der verfassungsfeindlichen Ideologie der MB ist in der - für die Organisation bis heute maßgeblichen - Schrift "Allgemeine Ordnung der Muslimbruderschaft", die auf die Gründergeneration um Hassan al-Banna zurückgeht, festgehalten: - Islamisierung der Gesellschaft durch "Da'wa"-Aktivitäten (deutsch: Missionierung) und soziale Maßnahmen, - Beendigung der "kulturellen Verwestlichung" (arabisch: "Taghrib"), - Umwandlung des Bildungswesens und der Bildungsinstitutionen nach islamischen Kriterien, - Errichtung eines islamischen Staates auf der Grundlage islamischer Prinzipien und Werte, - Anwendung des islamischen Rechts (arabisch: "Scharia"). Die MB ist eine internationale Organisation. In zahlreichen Ländern existieren Vereinigungen, die sich ideologisch an der MB in Ägypten orientieren, z. B. die "Ennahdha" in Tunesien. Offiziell haben sich die meisten Zweige der MB von Gewalt abgewandt. Die "Islamische Widerstandsbewegung" ("HAMAS") als palästinensische Sektion der MB nutzt jedoch weiterhin militärische Mittel im Kampf gegen Israel. 44 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Den Umbruch in der arabischen Welt versuchte die MB zum Ausbau ihrer Machtposition zu nutzen. In Ägypten wurde sie bei den Parlamentswahlen im Dezember 2011 stärkste politische Kraft, mit Muhammad Mursi stellte sie von 2012 bis 2013 den ägyptischen Präsidenten. Nach Massendemonstrationen im Juni 2013 wurde er vom Militär unter der Führung von Abdel Fattah al-Sisi abgesetzt und 2017 zu einer 40-jährigen Haftstrafe verurteilt. Im Zusammenhang mit dem Sturz des Präsidenten kam es zu massiven Protesten der MB, die zum Teil gewaltsam ausgetragen wurden. So wurden hunderte Sympathisanten der MB am 14. August 2013 bei der Zwangsräumung eines Protestlagers durch das ägyptische Militär auf dem Rabia-al-Adawiya-Platz in Kairo getötet. Seitdem ist das Symbol der schwarzen Hand mit vier ausgestreckten Fingern und eingeklapptem Daumen als Sympathiebekundung für die MB zu verstehen und wird "Rabia" (arabisch: "Vierte") genannt. Die Auseinandersetzungen mündeten 2013 in ein Verbot der MB und die Erklärung zur Terrororganisation. Die ägyptische Regierung geht weiterhin mit aller Härte gegen die MB und deren Anhänger vor. Bei den Präsidentschaftswahlen im März wurde Präsident al-Sisi im Amt bestätigt. Auch europaweit ist die MB mit verschiedenen Organisationen vertreten. Die wichtigsten sind: - "Föderation der Islamischen Organisationen in Europa" (FIOE) Als Dachverband MB-naher Organisationen in Europa fungiert die 1989 gegründete FIOE mit Sitz in Brüssel. Im Februar wurde Samir Falah, bis 2017 Vorsitzender der "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD), für vier Jahre zum Präsidenten der FIOE gewählt. - "Europäischer Fatwa-Rat" (ECFR) Der 1997 gegründete ECFR mit Sitz in Dublin/Irland erlässt islamische Rechtsgutachten für die in Europa lebenden Muslime. Ziel des Rates ist es, sich als maßgebliche religiöse Instanz für die Muslime in Europa zu etablieren. Dessen ehemaliger Vorsitzender Yusuf al-Qaradawi ist als geistiger Führer der MB bekannt. Die MB tritt zwar in Deutschland nicht offen in Erscheinung, wird jedoch durch die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG), ehemals "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD), und die FIOE als Teil einer weltweiten "Islamischen MB in Deutschland Bewegung" vertreten und ist somit auch in Deutschland aktiv. 45 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus Nach außen gibt sich die MB offen, tolerant und dialogbereit und strebt eine Zusammenarbeit mit politischen Institutionen und Entscheidungsträgern an, um so Einfluss im öffentlichen Leben zu gewinnen. Ihr Ziel bleibt aber die Errichtung einer auf der Scharia basierenden gesellschaftlichen und politischen Ordnung, wobei die MB für sich die Führungsrolle für alle Muslime beansprucht. Sie steht für eine deutliche Abgrenzung gegenüber den USA, Israel, dem jüdischen Volk und Andersgläubigen. Anhänger der MB bekunden in sozialen Netzwerken zum Teil auch Sympathien für terroristische Organisationen. 3.1.6 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) (ehemals: Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD)) Mitglieder Deutschland: etwa 1040 Bayern: etwa 150 Gründung 1960 in Deutschland Präsident Khallad Swaid (seit 2017) Sitz Köln/Berlin Die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) als wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der "Muslimbruderschaft" (MB) in Deutschland, hat sich auf ihrer Jahreskonferenz im September in "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG) umbenannt. Einer Presseveröffentlichung zufolge hat sich Ibrahim El-Zayat, Aufsichtsratsmitglied und ehemaliger Präsident der IGD, zur Umbenennung dahin gehend geäußert, dass damit ihre Verbundenheit zu Deutschland stärker zum Ausdruck gebracht werden soll. Inhaltliche Veränderungen seien mit der Umbenennung nicht verbunden. Damit ist davon auszugehen, dass die DMG die Strategie der IGD unverändert fortsetzen und versuchen wird, durch politisches Engagement in Deutschland, ihre von der Ideologie der MB geprägten Ziele zu erreichen. Die Bestrebungen der DMG richten sich damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. In Bayern werden das "Islamische Zentrum München" (IZM) und die "Islamische Gemeinde Nürnberg" (IGN), ehemals "Islamisches Zentrum Nürnberg" der DMG/IGD zugerechnet. Sowohl IZM als auch IGN haben Verbindungen zur DMG/IGD bzw. MB-nahen Organisationen/Personen. 46 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Darüber hinaus existieren Verbindungen zu anderen MB-nahen Einrichtungen. Nennenswert hierbei sind: - "Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland e. V." (RIGD) Der RIGD mit Sitz in Frankfurt am Main wurde auf Initiative der IGD gegründet und erhebt den Anspruch, als wissenschaftliche Autorität in Fragen des Islam für die in Deutschland lebenden Muslime zu fungieren. Organisatorisch und ideologisch steht er der DMG/IGD und dem "Europäischen Fatwa-Rat" (ECFR) nahe. - "Europäisches Institut für Humanwissenschaften" (EIHW) Mit dem in Frankfurt am Main ansässigen EIHW soll eine Alternative zum staatlich geförderten Vorhaben angeboten werden, Imame an deutschen Universitäten auszubilden. Das Institut vermittelt Studienabschlüsse in der arabischen Sprache und in der Islamwissenschaft. Unterstützt wird das EIHW vom "Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland e. V." (RIGD). Im Jahr 2016 wurde in Sachsen die "Sächsische Begegnungsstätte" (SBS) gegründet, die als extremistische Bestrebung der MB und der DMG/IGD zugerechnet wird. Die SBS versucht insbesondere im ländlichen Raum durch den Erwerb und Betrieb von Immobilien sowie deren Nutzung als "Begegnungsstätte", Einfluss auf die islamische Gemeinschaft zu erlangen. Objekte der SBS befinden sich in Sachsen, Brandenburg und Baden-Württemberg. Anhänger der DMG/IGD bieten somit auch anderen Muslimen Unterstützung bei der Eröffnung von Moscheen an. Es ist davon auszugehen, dass vordergründig die praktische Hilfestellung im Umgang mit Behörden geleistet werden soll, das eigentliche Ziel der DMG/IGD aber ist, in der Moschee Fuß zu fassen und die ideologische Richtung vorzugeben. 3.2 Salafismus 3.2.1 Ursprung Ende des 18. Jahrhunderts trat auf der arabischen Halbinsel ein Prediger namens Muhammad Ibn Abd al-Wahhab auf. Er predigte eine Reinigung des Islam von, aus seiner Sicht, unerlaubten Neuerungen sowie von Irrglauben. Vorbildfunktion in Bezug auf den "wahren Islam" böten einzig die frommen Altvorderen (arabisch: "al-salaf al-salih"), also die Repräsentanten der Frühzeit des Islam. Der Salafismus ist die in den letzten Jahren am schnellsten gewachsene islamistische Strömung in Deutschland. 47 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus 3.2.2 Ideologie Heutige Salafisten orientieren sich an der Lehre des Wahhabismus. Sie richten ihren Glauben, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Korans und dem vom Propheten Muhammad und den frommen Altvorderen gesetzten Vorbild aus. Jegliches Abweichen von dieser Norm, die als ursprünglicher und reiner Islam gilt, lehnen Salafisten als unerlaubte Verfälschung des Islam bzw. "Neuerung" (arabisch: "bid'a") ab. Prinzip des Tauhid Zentraler salafistischer Glaubensinhalt ist die Ein(s)heit und Einzigartigkeit Gottes (arabisch: "tauhid"). Für Salafisten beinhaltet dies auch, dass Gott der einzig legitime Souverän und Gesetzgeber ist. Die Scharia ist für sie als Gesetz Gottes letztgültiger Maßstab. Salafisten lehnen daher weltliche Gesetze und die Werte westlicher Gesellschaftsund Herrschaftssysteme als unislamisch und unterlegen kategorisch ab. Sie orientieren sich kompromisslos an der islamischen Frühzeit vor 1.400 Jahren und befürworten frühislamische Herrschaftsund Gesellschaftsformen. Dies führt zur Ablehnung der als wesensfremd empfundenen Mehrheitsgesellschaft und ihrer demokratischen Werte. Vor allem die von salafistischen Akteuren in Deutschland propagierte Einheit von Religion und Staat und der ebenfalls erhobene absolute Geltungsanspruch der islamischen Rechtsordnung ("Scharia") machen deutlich, dass salafistische Auffassungen Geltung für sämtliche Lebensbereiche beanspruchen. HöherwertigkeitsAls Höherwertigkeitsideologie richtet sich der Salafismus zwar ideologie auch gegen nicht islamische, z. B. jüdische und christliche, Glaubensvorstellungen; besonders in der Kritik stehen jedoch andere islamische Glaubensauffassungen - insbesondere das schiitische und mystische Islamverständnis. Salafisten diffamieren die Anhänger dieser Glaubensformen als Ungläubige oder werfen ihnen Götzendienste (arabisch: "shirk") vor. Am Dialog mit Andersgläubigen sind die Salafisten nur insoweit interessiert, wie er ihrer Missionierungsarbeit (arabisch: "da'wa") dienlich ist. Die ideologischen Grundsätze des Salafismus sind letztlich unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien, insbesondere der Demokratie, des Rechtsstaats und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung. 48 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Die Ideologie des Salafismus lässt sich in eine politische und eine jihadistische Strömung unterteilen, die Übergänge sind dabei fließend. Sie unterscheiden sich vor allem in der Wahl der Mittel, mit denen ihre Ziele realisiert werden sollen. Jihadistische wie auch politische Salafisten stützen sich jedoch auf dieselben ideologischen Autoritäten und Vordenker und verfolgen die gleichen Ziele. Der politische Salafismus verzichtet zwar auf die Ausübung direkPolitischer ter Gewalt zur Erreichung seiner Ziele. Er bietet aber immer wieSalafismus der den ideologischen Nährboden für terroristische Aktionen. So waren fast alle bisher in Deutschland identifizierten islamistischen terroristischen Netzwerkstrukturen und Einzelpersonen salafistisch geprägt bzw. haben sich in salafistischen Milieus entwickelt. Jihadistische Salafisten befürworten eine unmittelbare und soJihadistischer fortige Gewaltanwendung. Sie propagieren den bewaffneten Salafismus Kampf auch gegen Regierungen in Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, denen sie vorwerfen, vom Islam abgefallen und Handlanger des verhassten "Westens" zu sein. Derzeit ist nur ein kleiner Prozentsatz der Salafisten dem jihadistischen Salafismus zuzurechnen, die überwiegende Zahl der Anhänger spricht sich gegen Gewalt aus. Eine Reihe salafistischer Gruppierungen hat sich dennoch dem weltweiten bewaffneten Kampf (militanter Jihad) gegen die "Ungläubigen" verschrieben. Jihadistische Salafisten kämpfen derzeit vor allem in Syrien und im Irak. Daneben entfalten aber auch die sog. Jihadregionen in Mali, Somalia, Jemen, Libyen, Afghanistan und Pakistan nach wie vor eine Anziehungskraft auf jihadistisch orientierte Personen. In Syrien etablierten sich nach Ausbruch bürgerkriegsähnlicher Unruhen 2011 neben der säkular orientierten Opposition auch islamistische Gruppierungen, die den Jihad propagieren, um ausländische Kämpfer zu rekrutieren. In den vergangenen Jahren haben sich Zehntausende ausländische Kämpfer jihadistischen Gruppierungen in Syrien und im Irak angeschlossen. Neben dem "Islamischen Staat" (IS) ist die im al-Qaida-Netzwerk zu verortende "Hayat Tahrir al-Sham" (HTS), vormals "Jabhat al-Nusra" bzw. "Jabhat Fatah al-Sham", die bedeutendste jihadistische Gruppierung im syrischen Bürgerkrieg. Weiterhin rufen jihadistische Gruppierungen dazu auf, den Jihad auch in westliche Staaten zu tragen. Genannt sind hier meist die USA und ihre Verbündeten. Auch zu Anschlägen in Deutschland wurde in den vergangenen Jahren wiederholt aufgerufen. 49 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus 3.2.3 Personenpotenzial Anhänger/Besucher Deutschland: etwa 11.300 Bayern: etwa 750 Entstehung erste Strukturen in Bayern Mitte der 1990er-Jahre Bundesweit ist eine weit verzweigte, heterogene "Infrastruktur" des Salafismus festzustellen. Die salafistische Szene ist allerdings meist nur lose organisiert und weist eine hohe Dynamik auf. Feste, formale Organisationsstrukturen sind in der Regel nicht vorhanden. Eine Ausnahme hiervon bilden örtliche salafistische Vereine, die häufig gleichzeitig als Träger salafistisch geprägter Moscheen fungieren. Daneben gibt es zunehmend lose Personennetzwerke oder autonom agierende Einzelpersonen, die salafistische Aktivitäten entfalten. Verschiedene sicherheitsbehördliche Maßnahmen trugen zur Fragmentierung der Szene bei. Das salafistische Spektrum verzeichnet nach wie vor steigende Anhängerzahlen. Bundesweit wurden der salafistischen Szene Ende 2018 11.300 Personen zugerechnet. In Bayern liegt das Potenzial bei 750 Personen. Davon waren ca. 25 Prozent dem gewaltorientierten Spektrum zuzurechnen. Bei circa 15 Prozent der 750 Salafisten handelt es sich um Konvertiten. Rund 10 Prozent des Personenpotenzials sind weiblich. Minderjährige und Konvertiten Auch für junge Muslime der dritten Generation und deutsche Konvertiten auf Identitätssuche bietet der Salafismus eine neue Projektionsfläche fernab der Religiosität der Elterngeneration bzw. der Regeln der eigenen Gesellschaft. Muslime ohne tiefgründige Kenntnis der islamischen Religion sollen sich als fester Bestandteil einer salafistischen Solidargemeinschaft fühlen, die einfache, aber strenge Regeln und ein schlichtes dualistisches Weltbild bietet. Attraktiv ist der Salafismus für manche junge Menschen auch deshalb, weil er ihnen eine vermeintlich klare Orientierung bietet. Der Komplexität und Unübersichtlichkeit der modernen Welt setzt er ein konsequentes Schwarz-Weiß-Denken gegenüber. Von individuellen Entscheidungen und persönlicher Verantwortung wird der junge Mensch durch eine Vielzahl von eindeutigen Geboten und Verboten entlastet. Bei vielen orientierungslosen jungen Anhängern stiftet der Salafismus eine neue und grenzüberschreitende Identität. Die Jugendlichen fühlen sich anerkannt und als fester Bestandteil einer weltweiten Solidargemeinschaft wahrgenommen. 50 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Frauen Die Rolle der Frau in der salafistischen Szene hat sich in den letzten Jahren gewandelt. In salafistisch ausgerichteten Moscheen agieren Frauen zwar nach wie vor getrennt von den Männern, für sie werden spezielle Frauenunterrichte und Frauenseminare angeboten. Während jedoch früher ausschließlich die Rolle der Frau als Mutter, Ehefrau und Unterstützerin des Ehemanns betont wurde, treten Frauen mit organisatorischen Tätigkeiten hervor und leisten logistische Unterstützung. Auch in der gewaltorientierten Szene sind Frauen - im unteren zweistelligen Bereich - aktiv. Insbesondere innerhalb des IS spielen sie neben ihrer Funktion als Ehefrau und Mutter eine aktive Rolle bei Missionierungsarbeiten, Rekrutierungen, logistischer Unterstützung oder Spendensammlungen. Jihadistische Angebote in sozialen Medien richten sich gezielt an Mädchen und junge Frauen. Sie vermitteln die Botschaft, dass das weibliche Geschlecht für den Jihad genauso wichtig ist wie das männliche. Die Zielgruppe wird dort angesprochen, wo sie sich im Netz am häufigsten aufhält: in sozialen Medien wie Facebook und Instagram sowie über Messengerdienste. Die Erstansprache verläuft in der Regel niedrigschwellig, der Jihad-Bezug ist meist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Durch Teilen und Liken können sich solche Inhalte im Netz verbreiten und damit auch in der Alltagskommunikation junger Internetnutzerinnen ankommen. Zwar werden Frauen in der jihadistischen Propaganda nur in Einzelfällen direkt dazu aufgefordert, Attentate zu begehen, jedoch werden sie von den Aufrufen zur Tatbegehung auch nicht explizit ausgeschlossen. In den letzten Jahren wurden einzelne Frauen festgestellt, die selbst durch jihadistische Aktivitäten auffällig wurden. Im Zuge der weitestgehenden Zerschlagung des Verurteilung von IS im Irak und in Syrien wurden hunderte inund ausländische Frauen zu langen IS-Angehörige, darunter viele Frauen und Kinder, durch die dorHaftstrafen tigen Sicherheitskräfte verhaftet, vereinzelt auch Personen aus Deutschland bzw. Bayern. Die irakische Justiz verurteilte im Zusammenhang mit der Unterstützung des IS bereits sechs deutsche Frauen. Die Haftstrafen betragen zwischen einem Jahr und lebenslänglich, was im Irak rund 20 Jahre bedeutet. 51 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus 3.2.4 Reisebewegungen und Rückkehrer Ausreisezahlen Die Dynamik der Ausreisen von Salafisten aus Deutschland in rückläufig Richtung Syrien und Irak hat deutlich abgenommen. Die Utopie des "Kalifats" hat mit den territorialen und personellen Verlusten des IS ihre Anziehungskraft nahezu vollständig verloren. Ausreisen in die Krisenregionen lassen sich aufgrund zahlreicher nationaler und internationaler Reisebeschränkungen sowie sukzessiv verstärkter Grenzkontrollen durch die Türkei kaum noch realisieren. Von türkischen Sicherheitsbehörden aufgegriffene Ausreisewillige aus westlichen Staaten werden inhaftiert und konsequent zurückgeführt. Ausreisen aus Deutschland bis Ende 2018 mehr als 1.050 Personen Personen mit Ausreisebezug aus Bayern: 112 Personen davon tatsächlich ausgereist: 72 Personen Ausund WiederBis Ende 2018 lagen bundesweit Erkenntnisse zu mehr als 1.050 einreisen nach Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien bzw. Irak Deutschland ausgereist sind, um dort beispielsweise an Kampfhandlungen teilzunehmen oder den Widerstand gegen das Assad-Regime in sonstiger Weise zu unterstützen. Es konnte jedoch nicht in allen Fällen bestätigt werden, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien bzw. Irak aufhalten bzw. aufgehalten haben. Von den mehr als 1.050 Personen ist etwa ein Drittel zumindest zeitweise wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Ferner sind den deutschen Sicherheitsbehörden bis Jahresende etwa 200 Todesfälle mit Bezug zu Deutschland bekannt geworden. Ausreisen aus Ende 2018 lagen Erkenntnisse zu 112 Islamisten aus Bayern vor, Bayern die in Richtung Syrien bzw. Irak gereist sind, dies planten, planen oder dort agierende islamistisch terroristische Organisationen in sonstiger Weise unterstützen. Insgesamt sind seit 2012 72 Personen aus diesem Kreis in Richtung Krisengebiet ausgereist, um mutmaßlich auf Seiten jihadistischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder sich für deren Ziele anderweitig einzusetzen. Zu zehn dieser Personen liegen Hinweise vor, dass sie in Syrien oder im Irak verstorben sind. 28 Personen, die sich im Krisengebiet aufhielten, sind bereits wieder nach Deutschland zurückgekehrt, 22 davon nach Bayern. Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass bei ca. 40 Prozent der 22 Rückkehrer 52 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 nach Bayern weiterhin eine anhaltende jihadistische Bindung Fortbestehende besteht. Über 25 Prozent der Rückkehrer gehören nach wie vor jihadistische dem salafistischen Spektrum an, jedoch ohne aktuelle GewaltoOrientierung bei rientierung, bei knapp einem Drittel der Rückkehrer liegen keine Rückkehrern Anhaltspunkte vor, dass sie weiterhin über Kontakte in die salafistischen Szene verfügen. Gegen die in Bayern aufhältigen Personen - darunter die genannten Rückkehrer nach Bayern - werden in enger Kooperation mit den zuständigen Sicherheitsbehörden die für den jeweiligen Einzelfall erforderlichen und individuell abgestimmten Maßnahmen sowohl unter Beachtung präventivpolizeilicher wie auch repressiver Aspekte, als auch unter Ausschöpfung der im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten bestehenden verwaltungsund ausländerrechtlichen Maßnahmen durchgeführt. Die bayerischen Sicherheitsbehörden sind bestrebt, möglichst viele dieser Ausreiseplanungen frühzeitig wahrzunehmen, um deren Verwirklichung zu unterbinden. Die Anzahl der behördlich verhinderten Ausreisen bewegt sich im niedrigen zweistelligen Bereich. Bei ausreisewilligen Personen gilt der Grundsatz der Ausreiseverhinderung. 85 Prozent der Personen, die tatsächlich ausreisten, sind geAnteil von Frauen, bürtige Muslime, 15 Prozent konvertierten zum Islam. Manche Kindern und KonverKonvertiten fühlen sich dem Druck ausgesetzt, sich als gute titen an Ausreisen Muslime zu beweisen. Sie entwickeln dadurch einen besonderen Eifer, der sie anfällig für eine Radikalisierung durch Salafisten macht. Salafistische Prediger versuchen, junge Menschen, die bislang keiner bzw. anderen Religionen angehörten, unmittelbar von der Konversion in einen salafistisch orientierten Islam zu überzeugen. Der Anteil der tatsächlich ausgereisten Frauen beträgt ca. 20 Prozent. Zusätzlich wird von mindestens 20 Minderjährigen ausgegangen, die sich mit mindestens einem Elternteil in der Krisenregion Syrien und Irak aufhalten. Davon sind etwas mehr als die Hälfte Kinder unter fünf Jahren. Gefahr durch Rückkehrer Rückkehrer aus den ehemals vom IS kontrollierten Gebieten und Personen, die ein terroristisches Ausbildungslager absolviert bzw. aktiv an paramilitärischen Kampfhandlungen teilgenommen haben, stellen ein besonderes Sicherheitsrisiko dar. Bei Kampfhandlungen in Syrien haben sie teilweise Erfahrung im Umgang 53 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus mit Sprengstoff und Waffen gesammelt. Zudem ist ihre Hemmschwelle für die Anwendung von Gewalt gegen Menschen deutlich gesunken. Die Anschläge in Paris (2015) und in Brüssel (2016) zeigten, dass auch Syrien-Rückkehrer zu Anschlägen bereit und in der Lage sind. Die Sicherheitsbehörden legen deshalb besonderes Augenmerk auf diesen Personenkreis. In der islamistischen Szene haben Rückkehrer meist ein hohes Ansehen und können einer weiteren Radikalisierung bislang nicht gewaltorientierter Islamisten Vorschub leisten. Dabei üben sie insbesondere auf junge Menschen eine große Anziehungskraft aus. Eine verstärkte Ankunft von Rückkehrern ist bislang nicht feststellbar. Nahezu alle syrischen und irakischen Anrainerstaaten haben ihre Grenzen geschlossen. Die Gebietsverluste des IS gehen mit Todesfällen unter den Anhängern und Gefangennahmen durch verschiedene Konfliktparteien einher. Teilweise verlagern ausgereiste Personen ihre Aktivitäten in andere Jihadgebiete, wie z. B. Afghanistan. Eine große Herausforderung nicht nur für die Sicherheitsbehörden, sondern für die gesamte Gesellschaft ist auch der Umgang mit traumatisierten und möglicherweise bereits gePräventionsgen "die Ungläubigen" aufgehetzten Minderjährigen. Das Baymaßnahmen erische Landesamt für Verfassungsschutz hat es sich daher Handlungskonzept im Rahmen seiner Präventionsarbeit zur Aufgabe gemacht, Bayern Mitarbeiter staatlicher und nichtstaatlicher Jugend-, Schul-, Bildungsund Sozialeinrichtungen sowie von Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber zu sensibilisieren und zu qualifizieren, damit diese islamistische Radikalisierungsund Rekrutierungsmechanismen besser erkennen können. In der Broschüre "Islamismus erkennen" des Bayerischen Landesamtes für Ver- 1 Islamismus fassungsschutz werden die wichtigsten Organisationen, Symerkennen bole, Publikationen und Akteure des islamistischen Spektrums dargestellt und erläutert. Logos Symbole Medienorganisationen Publikationen Ideologen Bayern verfügt mit dem 2009 erarbeiteten "Gemeinsamen Handlungskonzept des Bayerischen Landeskriminalamts, des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz und des Operativen Staatsschutzes der Bayerischen Polizei im Zusammenwww.verfassungsschutz.bayern.de hang mit Reisebewegungen von Islamisten in terroristische Ausbildungslager oder zur Teilnahme am bewaffneten Jihad" über ein Maßnahmenpaket zur Verhinderung jihadistisch-salafistisch motivierter Ausreisen in Krisengebiete. Das Handlungskonzept wurde 2017 aufgrund der Entwicklung in Syrien und dem Irak grundlegend überarbeitet. 54 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Schwerpunkt des Handlungskonzepts ist ein möglichst frühzeitiger, umfassender und kontinuierlicher Informationsaustausch aller Sicherheitsbehörden. Ziel ist die Verhinderung der Ausreise. Bei ausländischen Staatsangehörigen werden aufenthaltsbeendende Maßnahmen durch die Arbeitsgruppe BIRGiT ("Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Extremismus/Terrorismus") geprüft, wenn z. B. der Anwerbung weiterer Personen für salafistische Zielsetzungen hierdurch entgegengewirkt werden kann. Soweit Personen mit ausländischer Nationalität bereits in Kampfgebiete ausgereist sind, werden die aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Wiedereinreise nach Deutschland zu verhindern. 3.2.5 Rekrutierung und Propaganda Angefangen von salafistischen Islam-Infoständen in Fußgängerzonen über Großveranstaltungen auf öffentlichen Plätzen bis hin zu teils mehrtägigen Islamseminaren, die häufig gefilmt und als Videos ins Internet gestellt werden, gelang es Salafisten zeitweise, zahlreiche reale und virtuelle Aktionsformen in Deutschland zu etablieren. Diese zunehmende professionelle Verbreitung der salafistischen Ideologie übt eine beträchtliche Anziehungskraft vor allem auf junge, emotional und sozial noch nicht gefestigte Menschen aus. Junge Menschen sind die Hauptzielgruppe islamistischer Internetpropaganda und Rekrutierungsaktivitäten. Staatliche Maßnahmen, z. B. Vereinsund Moscheeverbote, diverse Durchsuchungsaktionen, Ermittlungsund Strafverfahren gegen jihadistische Protagonisten und konsequente Abschiebungen führten zu einer Verhaltensänderung der salafistischen Rückzug der salafisSzene: Es ist ein Trend zum Rückzug aus der Öffentlichkeit ins tischen Propaganda Private feststellbar. Szeneangehörige agieren vermehrt in geaus der Öffentlichkeit schlossenen Internetgruppen und vernetzen sich durch klandestine Treffen, beispielsweise in Wohnungen (Home-Da'wa). Regional übergreifende Islamseminare oder Auftritte salafistischer Prediger konnten nur noch in Einzelfällen festgestellt werden. Während in der Vergangenheit viele Spenden im Rahmen von salafistischen Islamseminaren und Benefizveranstaltungen eingenommen wurden, werden Spenden mittlerweile zunehmend über Aufrufe im Internet und Flyerverteilungen gesammelt. Organisatoren sind u. a. bundesweit vertretene Hilfsorganisationen wie z. B. "Ansaar International e. V.". 55 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus Da'wa-Aktivitäten In Bayern sind weiterhin vereinzelte "Da'wa"-Aktivitäten ("Da'wa" = Missionierung) einer sich in Netzwerken organisierenden Anhängerschaft der salafistischen Ideologie zu beobachten. Diese Aktivitäten finden immer seltener im öffentlichen Raum statt und konzentrieren sich auf größere Städte und Ballungszentren. Nach dem Verbot der Vereinigung "Die Wahre Religion" (DWR) im November 2016 ist in Bayern die Anzahl der Islam-Infostände stark zurückgegangen. Bayernweit wurden diese nur in München, Nürnberg und Regensburg festgestellt. Vereinzelt sind folgende salafistische "Da'wa"-Projekte in Bayern in Erscheinung getreten, die auf eine breitere Öffentlichkeit abzielen: Bei dem "Da'wa"-Projekt "We love Muhammad", das 2016 von den Salafisten Bilal Gümus und Pierre Vogel iniitiert wurde, verteilen Street-"Da'wa"-Teams die Biografie des Propheten Muhammad ("Sira") in mehreren Städten in Deutschland und der Schweiz, seit Februar auch wieder in unregelmäßigen Abständen in der Münchner Fußgängerzone, wobei hier nur eine geringe Resonanz festzustellen ist. We love Muhammad Im Februar entfaltete die österreichische Organisation "Iman" Iman (deutsch: Glaube) erstmals Aktivitäten in Bayern. Bei "Iman" World Wide Rehandelt es sich um ein "Da'wa"-Projekt aus Österreich, das sistance - Help e. V. nach eigenen Angaben seit 2014 besteht und dem salafistischen Spektrum zugeordnet wird. "Iman" zielt darauf ab, Interessenten Techniken der Missionierung näherzubringen und grenzüberschreitend tätig zu werden. Auch an anderen Orten im Bundesgebiet fanden bereits derartige Veranstaltungen statt. Darüber hinaus betreiben Personen aus dem salafistischen Spektrum in München Verkaufsstände mit Lebensmitteln und Naturprodukten. Die Aktivisten werben mit der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation von Menschen in Schwellenund Entwicklungsländern, mit dem Verkauf von nachhaltigen Produkten und einer Reinvestierung der Gewinne in Entwicklungsprojekte, beispielsweise in Marokko oder Palästina. Die Anmeldung der in diesem Zusammenhang in München festgestellten Stände erfolgt teilweise über die salafistische Organisation "World Wide Resistance - Help e. V.", die wiederum in Kontakt zu der salafistischen Hilfsorganisation "Ansaar International e. V." steht. Salafistische Prediger Verstärkte InternetSalafistische Prediger spielen in der Szene und im Kontext der präsenz salafistiPropaganda eine wichtige Rolle. Während sie allerdings in der scher Prediger Vergangenheit bei öffentlichen Kundgebungen mehrere hundert 56 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 (meist junge) Salafisten anzogen, finden solche großen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seit Ende 2016 nicht mehr statt. Grund hierfür dürfte die intensivierte Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden sein. Zugenommen hat hingegen die Internetpräsenz der salafistischen Prediger. Neben Vorträgen und Stellungnahmen zu verschiedenen Themen bieten viele Prediger inzwischen auch Online-Kurse an. Salafistische Prediger spielen in der Szene und im Kontext der Propaganda nach wie vor eine wichtige Rolle. Vor allem über Internetauftritte erreichen sie allein in Deutschland Tausende vorrangig junge Menschen. Angepasst an die Bedürfnisse und Interessen ihrer Zielgruppen, sprechen sie - teils in deutscher Jugendsprache - über Themen wie Freundschaft, Sexualität oder die Rolle der Frau. Sie verbinden dabei geschickt salafistische Ideologieelemente mit Ratschlägen von alltagspraktischer Relevanz. Bayernweit fanden in einer Münchner Moschee wie im Vorjahr mehrere Auftritte des salafistischen Predigers Hassan Dabbagh aus Leipzig statt. Informationen zu salafistischen Predigern, die für die bayerische 1 Szene relevant sind, finden sich in der vom Bayerischen LandesIslamismus amt für Verfassungsschutz herausgegebenen Broschüre "Islaerkennen mismus erkennen". Logos Symbole Medienorganisationen Publikationen Ideologen Moscheen Obwohl sich die Missionierungsarbeit im salafistischen Spektrum zunehmend auf den nicht öffentlichen Raum verlagert, dienen Moscheen nach wie vor als Plattform für salafistische www.verfassungsschutz.bayern.de Vortragsveranstaltungen sowie als Treffund Kontaktpunkte für Teile des salafistischen Personenpotenzials. Salafistisch geprägte Moscheen in Bayern sind die im Regierungsbezirk Schwaben verortete "Salahuddin Moschee" des Vereins "Islamischer Verein Augsburg e. V." in Augsburg sowie die Moschee des Vereins "Islamisch albanisches Zentrum Ulm e. V." mit Sitz in Neu-Ulm. In München sind die "El-Salam" Moschee des Vereins "Islamische Föderation München e. V." und die "Taufiq"-Moschee des Vereins "Somalischer Verein für Kultur, Familien, Jugendliche und Integration in Bayern e. V." zu nennen. Entsprechende Moscheen im Regierungsbezirk Oberpfalz sind die Moschee des Vereins "Islamisches Zentrum Weiden e. V.", die "As-Salam"-Moschee des Vereins "Islamisches Zentrum Schwandorfe.V."inSchwandorfsowiedie"Al-Rahman"-Moschee 57 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus des Vereins "Islamisches Zentrum Regensburg e. V." Der letztgenannte Verein hat zudem die Trägerschaft der Treuhandstiftung "Islamische Stiftung Regensburg" inne. Internet Junge Menschen als Salafisten nutzen das Internet als Propaganda-, KommunikaHauptzielgruppe der tions-, Rekrutierungsund Steuerungsmedium. Zahlreiche WebInternetpropaganda sites sowie eine stetig steigende Anzahl von Accounts in sozialen Netzwerken und Instant-Messaging-Diensten (Sofort-Nachrichten-Versand) sorgen für eine weltweite Verbreitung der islamistischen Ideologie. Hauptzielgruppe islamistischer Internetpropaganda und Rekrutierungsaktivitäten sind junge Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren. Salafistische Gruppierungen sprechen die jungen Menschen im Internet gezielt dort an, wo sie sich am häufigsten aufhalten: in sozialen Netzwerken und auf Messenger-Diensten. Während die Anzahl deutschsprachiger Internetseiten stagniert, stieg der Anteil von Accounts, Gruppen und Kanälen in sozialen Netzwerken und auf Instant-Messaging-Diensten in den vergangenen Jahren stark an. Salafisten passen sich dort der Lebenswelt junger Menschen in westlichen Ländern an und verwenden Begriffe und Symbole, die die Jugendlichen aus der Alltagskommunikation im Internet kennen, beispielsweise sog. "Emoticons" (kleine Piktogramme, die in E-Mails oder im Chat genutzt werden, um Emotionen auszudrücken). Zahlreiche Verwendung finden sog. Meme, in Bildern oder Videos eingebettete prägnante Texte. Sie haben das Potenzial, Inhalte zu überhöhen und plakativ zu verbreiten. Dabei wird auf popkulturelle Elemente zurückgegriffen. Salafistische Gruppierungen nutzen Meme als subtile Strategie, um ihr extremistisches Gedankengut in Umlauf zu bringen. Die Bilder sowohl aus dem islamistischen als auch aus dem weltlichen Bereich verstärken geschickt die salafistischen Textbotschaften und transportieren die Darstellung der Salafisten von vermeintlichen gesellschaftlichen Missständen und sozialen Nachteilen. Auf den ersten Blick sind ideologisch aufgeladene Meme meist nur schwer erkennbar. IS-Propagandaserie Die im Internet verbreitete Propaganda sowie "virtuelle" NetzHarvest of the werke tragen dazu bei, dass sich Aktivisten und SympathisanSoldiers ten des globalen Jihad als Teil einer einzigen, vermeintlich elitären Bewegung begreifen. In jedem Land der Welt können sich Sympathisanten mit Lehrmaterial aus dem Internet versorgen, um Teil des weltweiten Kampfes zu werden (sog. Open Source Jihad). Diese sogenannten Homegrown-Terroristen können sich somit in ihren Heimatländern jihadistisch betätigen, ohne unmittelbar in eine terroristische Gruppierung eingebunden zu sein. 58 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Mittlerweile nutzen nahezu alle jihadistischen Organisationen Telegram-Kanäle für die Verbreitung ihrer Propaganda. Telegram ermöglicht eine anonyme Kommunikation im Internet. Botschaften können im Einzeloder Gruppenchat an beliebig viele Personen gesendet werden. Auf den zahlreichen IS-nahen TelegramKanälen werden präzise Anleitungen für "Lone Actor"(Einzeltäter)-Anschläge sowie auch für Laien verständliche Baupläne zur Herstellung von Sprengstoffen veröffentlicht. Das englischsprachige IS-Magazin "From Dabiq to Rome" folgt Online-Magazine seit März auf die mittlerweile eingestellten Online-Magazine From Dabiq to "DABIQ" und "RUMIYAH". "From Dabiq to Rome" enthält aktuRome, Inspire, elle Meldungen aus den Kampfgebieten in Syrien und im Irak und Resurgence, Al dient der ideologischen Rechtfertigung der terroristischen AktiviRisalah, Al-Haqiqa, täten des IS. Die Anhänger werden dazu aufgerufen, Anschläge Kybernetiq in allen Staaten zu begehen, die Teil der Allianz gegen den IS sind. In Umfang sowie visueller und inhaltlicher Qualität bleibt es jedoch bei weitem hinter den Vorgängermagazinen zurück. Die mit dem IS in Konkurrenz stehende Terrororganisation "al-Qaida" veröffentlicht seit 2010 das Online-Magazin "INSPIRE" und seit 2014 bzw. 2015 auch die englischsprachigen Magazine "RESURGENCE" und "AL RISALAH". Alle drei al-QaidaPublikationen erscheinen mittlerweile in sehr langen und unregelmäßigen Abständen. In einem halbjährlichen Rhythmus wird zudem das Online-Magazin "Al-Haqiqa" veröffentlicht. Ausschließlich in deutscher Sprache erscheint das jihadistische Propaganda-Magazin "KYBERNETIQ", das "al-Qaida" nahesteht. Der aus Bayern stammende Verfasser beschäftigt sich in dem unregelmäßig erscheinenden Magazin hauptsächlich mit Verschlüsselungstechnologien und der "sicheren" Kommunikation im Internet. Die Medienarbeit des IS hat sich nach einem kurzzeitigen Rückgang der Propaganda, bedingt durch eine Reihe militärischer Niederlagen, in der zweiten Jahreshälfte organisatorisch wieder konsolidiert. So wird seit August die wöchentlich erscheinende Videoreihe "Harvest of the Soldiers" veröffentlicht. In Animationsvideos, die an moderne digitale Videospiele erinnern, präsentiert der IS seine vermeintlichen Erfolge im syrisch-irakischen Kriegsgebiet in Form von Statistiken, Zahlen und Diagrammen. Der konsequenten Verbreitung von militärischen "Erfolgsmeldungen" stellt er ein Opfernarrativ zur Seite, demzufolge die ungläubigen Feinde den Islam vernichten wollen. 59 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus In weiteren Videoproduktionen werden die im Ausland durchgeführten Attentate gewürdigt und dem IS zugerechnet. Stetig appelliert der IS in diesen Videos an seine Unterstützer und Sympathisanten, Terroraktionen in ihren Gastoder Heimatländern durchzuführen. Auch 2018 konnte auf den Instant-Messenger-Diensten des IS bzw. auf von IS-Sympathisanten gepflegten Kanälen eine Zunahme des Einsatzes von Social Bots und sogenannten Twitter-Bomben festgestellt werden. Social Bots sind Computerprogramme, die automatisiert Inhalte und Nachrichten erzeugen und in Umlauf bringen und dadurch Debatten in sozialen Netzwerken beeinflussen können. Bei sogenannten Twitter-Bomben werden Postings auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit ereignisfremden Hashtags begleitet. Als Hashtag bezeichnet man mit dem Zeichen # versehene Schlagwörter in sozialen Netzwerken, die Nachrichten zu bestimmten Themen besser auffindbar machen sollen. So wurden beispielsweise auf einigen Telegram-Kanälen Meldungen zu Terroranschlägen mit Hashtags zu anderen, nicht in Zusammenhang stehenden kulturellen und sportlichen Großereignissen versehen. Indem ein Anschlag so mit weiteren potenziellen Angriffszielen in Verbindung gebracht wird, sollen Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung verbreitet werden. Islamisten nutzen das Internet auch, um durch elektronische Angriffe auf bestehende Internetseiten und Computernetzwerke diese in ihrem Sinne zu übernehmen oder zu zerstören. In mehreren Verlautbarungen von dem IS zuzurechnenden Gruppierungen wurden Cyberangriffe als probates Mittel im Kampf gegen den Westen propagiert. Der IS arbeitete am Aufbau einer jihadistischen "Cyberarmee" und versuchte, Personen mit entsprechenden IT-Kenntnissen dafür zu gewinnen. Den Sicherheitsbehörden sind einzelne Personen mit Deutschlandbezügen bekannt, die über einschlägige technische und/oder organisatorische Fähigkeiten verfügen. 3.2.6 Salafistische Bestrebungen im Strafvollzug Beispiele islamistischer Attentäter der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass eine gewaltbereite oder kriminelle Vergangenheit eine zumindest begünstigende Voraussetzung für die Begehung terroristischer Anschläge darstellen kann. Kriminelles Vorleben Ein Beispiel hierfür ist Anis Amri, der Attentäter des Breitscheidvon Attentätern platzes in Berlin 2016. Er war seit seiner Jugend mehrfach in verschiedenen Ländern durch kriminelles Verhalten wie Diebstahl, Körperverletzung und Brandstiftung aufgefallen. Auch der 60 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Attentäter des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg im Dezember 2018, Cherif Chekatt, war in verschiedenen Ländern mehrfach kriminell und beging Straftaten wie Diebstahl und Einbruchdiebstahl. Amri und Chekatt wurden beide mehrfach zu Haftstrafen verurteilt. Vor diesem Hintergrund kommt Haftanstalten eine wichtige Bedeutung als potenzielle Radikalisierungsund Rekrutierungsorte des Salafismus zu. Ende des Jahres befanden sich in bayerischen Justizvollzugsanstalten knapp 35 Gefangene, bei denen Bezüge zur salafistischen Ideologie und teilweise auch zum islamistischen Terrorismus erkennbar waren. Bei einem Teil dieser Gefangenen handelt es sich um Personen, die den Sicherheitsbehörden schon vor ihrer Inhaftierung als Salafisten bekannt waren, bei anderen wurden Bezüge zum Salafismus erst während des Haftaufenthalts ersichtlich. Die Justizvollzugsanstalten stehen zunehmend vor der Herausforderung, mit Missionierungsaktivitäten und Radikalisierungsprozessen konfrontiert zu werden, und unternehmen umfangreiche Anstrengungen, diesen wirksam zu begegnen. Es besteht insbesondere die Gefahr, dass bisher nicht ideologisierte Mithäftlinge durch die "Da'wa"-Arbeit an den Salafismus herangeführt werden und sich bereits radikalisierte Häftlinge zu Gruppen bilden. Durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz und Verfassungsschutz wird der Ausbreitung und Verfestigung des Salafismus in Haftanstalten entgegengewirkt und das bayerische Justizvollzugspersonal dabei unterstützt, Fälle von salafistischer Radikalisierung zu erkennen und zu verhindern. Gefangenenhilfe Innerhalb der salafistischen Szene stellen Solidarisierungsbekundungen mit inhaftierten "Glaubensgeschwistern" einen wichtigen Baustein dar, um das Gemeinschaftsgefühl zu festigen. Dabei wird der westliche Rechtsstaat als ungerechtes System diffamiert. Ziel der salafistischen Gefangenenhilfe ist es, Resozialisierungsprozesse zu verhindern, inhaftierte Szeneangehörige weiterhin an die salafistische Ideologie zu binden und sie dazu zu motivieren, Mithäftlinge an den Salafismus heranzuführen. Vor allem über das Internet wird auch zu (finanziellen) Hilfeleistungen für inhaftierte Gleichgesinnte aufgerufen. Zudem finden Solidaritätsaktionen im Rahmen von Gerichtsverfahren statt, die auch die Präsenz von Salafisten bei Gerichtsverhandlungen beinhalten können. Auch Gerichtsprozesse in Bayern stellen für 61 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus Betreiber salafistischer Gefangenenhilfe wiederholt eine Plattform dar. So berichtet z. B. der Salafist Bernhard Falk regelmäßig über den Verlauf der Prozesse. Bei Falk handelt es sich um einen zum Islam konvertierten ehemaligen Linksextremisten, der seit Jahren Kontakt zu inhaftierten Salafisten sucht, mit dem Ziel, diese in der Szene zu halten. Immer wieder reist der Salafist dafür auch persönlich zu Verhandlungen. Außerdem ist bekannt, dass auch in Einzelfällen an in Bayern inhaftierte Muslime Briefe von Initiativen salafistischer Gefangenenhilfe verschickt wurden u. a. auch von der mittlerweile nicht mehr existenten "Free our Sisters"-Gruppe. 3.2.7 Migrationsbewegung im Blickfeld des Salafismus Der Verfassungsschutz hat die gesetzliche Aufgabe, Informationen über sicherheitsgefährdende und verfassungsfeindliche Bestrebungen im Inland zu sammeln und auszuwerten. Das Aufgabenfeld des Verfassungsschutzes ist daher auch dann eröffnet, wenn ein extremistischer Phänomenbereich wie der Salafismus die Migrationsbewegung in den Blick nimmt. Der Fokus des nachrichtendienstlichen Aufklärungsinteresses liegt dabei auf folgenden verfassungsschutzrelevanten Aspekten: Unter den Flüchtlingen in Bayern befinden sich in Einzelfällen auch aktive und ehemalige Mitglieder, Unterstützer und Sympathisanten terroristischer Organisationen gem. SSSS 129a, b StGB (wie dem sogenannten Islamischen Staat, IS) sowie Einzelpersonen mit extremistischer Gesinnung und/oder islamistisch motivierte Kriegsverbrecher. Gegen Flüchtlinge, bei denen ein derartiger Tatverdacht wahrscheinlich ist oder belegt werden kann, werden strafprozessuale Ermittlungen eingeleitet. Aktuell befindet sich eine niedrige zweistellige Anzahl dieser Personen in Bayern in Haft oder Untersuchungshaft. Die Bearbeitung der Hinweise erfolgt im engen Austausch mit anderen Sicherheitsbehörden bzw. im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) sowie mit europäischen und internationalen Partnern. Im Zusammenhang mit den fortschreitenden Gebietsverlusten des IS ist nicht auszuschließen, dass mit einer steigenden Zahl ehemaliger IS-Kämpfer unter Flüchtlingen zu rechnen ist. Insgesamt ist die Zahl auffälliger Flüchtlinge mit Extremismusbezügen gering im Vergleich zur Gesamtzahl der Flüchtlinge im Landesgebiet. SelbstbezichtigunWeiterhin bezichtigt sich eine signifikante Anzahl an Flüchtlingen gen von Flüchtlingen in ihrer Anhörung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Asylverfahren (BAMF) im Rahmen ihres Asylverfahrens selbst, Mitglied einer ausländischen terroristischen Organisation oder Gruppierung zu sein. In der überwiegenden Mehrheit geschieht dies mit dem 62 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Ziel, einen gefestigten Aufenthaltsstatus in Deutschland zu erlangen, und beruht nur in einer geringen Zahl von Fällen auf einer tatsächlichen Mitgliedschaft bei einer Terrororganisation. Die Selbstbezichtigungen führen beim Generalbundesanwalt bzw. den zuständigen Staatsanwaltschaften in Bayern daher entweder zur Einleitung eines Verfahrens wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (SSSS 129a, b StGB) oder auch zu einem möglichen Verfahren wegen Erschleichung eines Asylaufenthalts (SS 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). In Bayern wurden im September 2017 erstmalig zwei Flüchtlinge wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verurteilt. Die beiden Angeklagten hatten in Syrien die als terroristisch eingestufte Gruppierung "Ahrar al-Sham" unterstützt.Seitdem wurden mehrere Strafverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland und wegen des Kriegswaffenkontrollgesetz eingeleitet. Diese Hauptverfahren sind noch nicht abgeschlossen. Neben komplexen Anschlägen wie in Paris 2015 und Brüssel 2016, bei denen der IS die Migrationsbewegung nach Europa gezielt genutzt hat, um Attentäter nach Europa zu schleusen, ist davon auszugehen, dass eine Selbstradikalisierung in diesem Bereich auch über das Internet stattfinden kann. Dies verdeutlichten die Attentate in Würzburg und Ansbach 2016. Beide Täter waren salafistisch motiviert und standen mit Operateuren des IS über Messenger-Dienste in Kontakt. 3.2.8 Anschlagsgeschehen und Täterprofile Anschlagsgeschehen Europa liegt weiterhin im Zielspektrum des islamistischen Terrorismus. Die anhaltend hohe Gefährdungslage dokumentieren u. a. Anschläge in Frankreich, Belgien und den Niederlanden. In Deutschland/Köln konnte ein Anschlag mit einem selbsthergeAnschlag mit Rizin stellten Sprengsatz unter Verwendung des Giftstoffs Rizin ververeitelt hindert werden. "Moderner Terrorismus" zeichnet sich zunehmend durch unterschiedlichste Anschlagsorte, eine unspezifische Opferauswahl, lose Kommandostrukturen und eine leichte Realisierbarkeit aus. Von zu Hause aus und ohne lange Indoktrinationsbzw. Planungsphasen ist es jedem radikalisierten Sympathisanten möglich, mit einfach verfügbaren Waffen und an jedem beliebigen Ort Attentate im Namen einer Terrororganisation zu begehen. Beispiele 63 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus hierfür sind die Messerattacken am 12. Mai in der Pariser Innenstadt und am 31. August am Hauptbahnhof in Amsterdam, bei denen mehrere Menschen verletzt und getötet wurden. Low-Profile-Angriffe Für derartige "Low-Profile"-Anschläge verwenden Attentäter auch Kraftfahrzeuge, da diese mit vergleichsweise geringem Aufwand als effiziente Tatwaffe eingesetzt werden können. So nutzten jugendliche Attentäter am 20. August in Grozny/Tschetschenien mehrere PKW, um u. a. in einen Checkpoint der Polizei zu rasen. Islamistische Terroristen nutzen auch vermehrt Tatmittel, deren Einzelbestandteile frei verkäuflich sind. Mithilfe von Bauanleitungen im Internet können sie selbst aus einfachen Zutaten Bomben konstruieren. Hilfestellungen dieser Art bediente sich auch der Verdächtige im Kölner Rizin-Fall. Anschläge in Europa Neben diesen "Low-Profile"-Anschlägen ereigneten sich in Eumit Schusswaffen ropa darüber hinaus mehrere Anschläge mit Schusswaffen. So kam es am 23. März in Trebes/Frankreich und am 29. Mai in Lüttich/Belgien zu Schießereien mit anschließender Geiselnahme, bei denen mehrere Personen starben. Außerdem forderte ein Anschlag auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt am 11. Dezember fünf Tote und mehrere Verletzte. Weltweit ereigneten sich zahlreiche Attentate, die v .a. der Terrormiliz IS oder Hayat Tahrir al-Sham (HTS) - aber auch anderen Gruppen wie den Taliban oder der Boko Haram - zugerechnet werden können. Täterprofile Angesichts des Anstiegs des islamistisch-terroristischen Personenpotenzials in Deutschland ist es eine wichtige Aufgabe der Sicherheitsbehörden, Tätermerkmale zu analysieren und potenzielle Attentäter frühzeitig zu identifizieren. Radikalisierungsprozesse sind in hohem Maße von komplexen individuellen Faktoren abhängig, was die Erstellung eindeutiger Täterund Prognoseraster erschwert. Einen verbreiteten Typus des islamistischen Attentäters stellen junge Männer mit muslimischen Wurzeln dar, die sich in Umbruchsituationen befinden und sich sozial, ökonomisch oder politisch marginalisiert fühlen. Auf der Suche nach Halt, Orientierung und Identität geraten sie in islamistische Peergruppen oder in entsprechende Kreise im Internet, wo sie auf Gleichaltrige mit ähnlichen Frustrationserfahrungen treffen. In einem Prozess der 64 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 zunehmenden Abschottung nach außen und der gegenseitigen Verstärkung innerhalb der Gruppe können so Radikalisierungsverläufe entstehen, die in terroristische Gewalttaten münden. Weiterhin ist nicht auszuschließen, dass Jihadisten aus KriegsEinschleusung von gebieten wie Syrien/Irak gezielt über die Flüchtlingsrouten in Jihadisten und westliche Länder entsendet werden, um hier Anschläge zu beSyrienrückkehrer gehen. Einige der Attentäter von Paris vom 13. November 2015 entsprachen diesem Tätertypus. Ebenso können junge Männer, die für den IS oder andere islamistische Gruppen bereits gekämpft haben und auf Eigeninitiative über die Flüchtlingsrouten nach Europa gelangt sind, ein Sicherheitsrisiko darstellen, wenn sie aufgrund von Frustration und Perspektivlosigkeit erneut zugänglich für den Jihad werden. Wenngleich eine verstärkte Ankunft von Rückkehrern - also von Personen, die in die Kampfgebiete nach Syrien und Irak ausgereist sind und dort möglicherweise für den IS gekämpft haben - derzeit nicht feststellbar ist und an den Anschlägen in Deutschland bislang noch kein Rückkehrer beteiligt war, steht auch diese Gruppe nach wie vor im Fokus der Sicherheitsbehörden. Neben ihren in Kampfgebieten gesammelten Erfahrungen und einer eventuell gesenkten Hemmschwelle für die Anwendung von Gewalt gegen Menschen weisen sie weitere Eigenschaften auf, die sie für einen Einsatz im Sinne des IS prädestinieren: Aus Europa stammende Rekruten sind mit westlichen Gegebenheiten vertraut, unterliegen meist aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit weniger Reisebeschränkungen und können hier unauffälliger operieren. Vor eine große Herausforderung stellen Sicherheitsund Ermittlungsbehörden außerdem Einzeltäter, die spontan, unvermittelt und ohne vorherige Kommunikation mit jihadistischen Netzwerken Anschläge begehen. Teilweise handelt es sich auch um labile Persönlichkeiten, die sich ideologisch beeinflussen lassen. Einen weiteren Aspekt jihadistischer Täterprofile hat der Fall des Kriminelles Vorleben Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, verdeutlicht: begünstigt Terrodie Bedeutung einer grundsätzlichen Gewaltund Kriminalitätsrismus "karriere" als zumindest begünstigende Voraussetzung für die Begehung terroristischer Anschläge. Amri dealte und konsumierte regelmäßig Drogen, war in Gewaltdelikte verwickelt und hatte in Italien bereits eine Haftstrafe wegen Brandstiftung verbüßt. 65 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus 3.2.9 Exekutivmaßnahmen Vereinsrechtliche Verbotsverfahren Vereinsverbote sind ein wichtiges Instrument der wehrhaften Demokratie in Deutschland. Ein Verein ist nach Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verboten, wenn der Zweck der Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderläuft oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Im Bereich Islamismus wurden in den letzten Jahren mehrere Vereinsverbote ausgesprochen. Beispiele hierfür sind das Verbot des "Multi-Kultur-Hauses Ulm e. V." (MKH) in Neu-Ulm im Jahr 2005, das Verbot der salafistischen Vereinigung "Millatu Ibrahim" im Jahr 2012, das Verbot der salafistischen Vereine "Dawa FFM" und "Islamische Audios" 2013, das Betätigungsverbot der Terrororganisation "Islamischer Staat" in Deutschland vom September 2014 sowie das Verbot der salafistischen Vereinigung "Die Wahre Religion" (DWR) alias "LIES! Stiftung/Stiftung LIES!" am 15. November 2016. Darüber hinaus wurden 2017 mehrere Moscheen mit überregionaler Bedeutung außerhalb Bayerns wegen jihadistischer Bezüge verboten. Ausländerrechtliche Maßnahmen Unter Anwendung ausländerrechtlicher Vorschriften besteht darüber hinaus die Möglichkeit der Überwachung ausreisepflichtiger Ausländer aus Gründen der Inneren Sicherheit bzw. der Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland nach den SSSS 56 ff. AufenthG. Abschiebungen aus Im März wurde ein in München wohnhafter tunesischer StaatsbürBayern ger und Gefährder1 abgeschoben. Er galt als Logistiker und Unterstützer sowie als Kontaktund Begleitperson der salafistisch-jihadistischen Szene in Deutschland. Durch einen Umzug nach Berlin hatte er versucht, sich seiner Abschiebung zu entziehen. Ebenfalls im März wurde ein ehemals in München, später in Hessen wohnhafter Tunesier gem. SS 58a AufenthG in seine Heimat abgeschoben. In München hatte er enge Kontakte zu einer Gruppe von Personen gepflegt, die später nach Syrien ausreiste. 1 Ein "Gefährder" ist eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des SS 100a der Strafprozessordnung, begehen wird. 66 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Nach seinem Umzug nach Wiesbaden avancierte er schnell zu einer Führungsperson der salafistischen Szene im Rhein-MainGebiet. Der Gefährder stand im Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gem. SS 89a StGB. Im Oktober wurde ein kosovarischer Staatsbürger im Rahmen einer Sammelabschiebung in den Kosovo überstellt. Der bis zu seiner Ausweisung von der Bayerischen Polizei als relevante Person2 eingestufte Kosovare wurde zuvor in einem Verfahren am Oberlandesgericht München u. a. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland gem. SS 129 a, b StGB zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Aufgrund der Verurteilung wurden aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet, die zur Ausweisung führten. Ermittlungsund Strafverfahren Neben Vereinsverboten besteht die Möglichkeit, auch gegen Einzelpersonen, beispielsweise aufgrund des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat gemäß SS 89 a StGB oder bezüglich der Bildung einer terroristischen Vereinigung nach SS 129 a StGB, zu ermitteln und anzuklagen. Im Februar verurteilte das Jugendschöffengericht des Landgerichts Bayreuth einen 20-jährigen syrischen Flüchtling zu Aberkennung der einem Jahr und sechs Monaten Haft wegen Verstoßes gegen Flüchtlingseigendas Vereinsgesetz, Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Kinderporschaft bei Syrer nographie. Der 20-Jährige war bereits Mitte 2016 wegen islamistischer Bezüge auffällig geworden, so dass von einer ISUnterstützung ausgegangen werden musste. Diese Erkenntnislage führte im Dezember 2017 zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie zur Verweigerung des subsidiären Schutzstatus durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Diese Entscheidung bestätigte das BAMF im Februar nach Durchführung eines Widerrufsverfahrens und erließ eine Ausweisungsverfügung. Am 21. September wurde der Gefährder aus der Haft entlassen. Ein Vollzug der Ausweisungsverfügung war aufgrund des bestehenden Abschiebungsstopps nach 2 Eine Person ist als relevant anzusehen, wenn sie innerhalb des extremistischen/terroristischen Spektrums die Rolle einer Führungsperson, eines Unterstützers/Logistikers oder eines Akteurs einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt. Bei einer relevanten Person kann es sich auch um eine Kontaktoder Begleitperson, z. B. eines Gefährders handeln. 67 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus Syrien nicht möglich. Ein umfangreiches polizeiliches und aufenthaltsrechtliches Maßnahmenpaket soll deshalb die Sicherheit auch nach der Haftentlassung gewährleisten. Dabei wurde auch eine elektronische Aufenthaltsüberwachung angeordnet. Verurteilungen weIm April fällte das Oberlandesgericht (OLG) München das Urteil gen Unterstützung in dem seit November 2017 andauernden Prozess gegen drei einer TerrororganiAngehörige der salafistischen Szene Nürnberg u. a. wegen Unsation terstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland gem. SS 129 a, b StGB. Der Hauptangeklagte wurde zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Seine beiden Mitangeklagten erhielten eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren bzw. einem Jahr und 10 Monaten. Die Straftatbestände der Unterstützung einer terroristischen Organisation und des unerlaubten Besitzes von Kriegswaffen sah das Gericht als erwiesen an. Die Abschiebung erfolgte am 28. Januar 2019. Im Mai fällte das OLG München das Urteil in dem erst im März begonnenen Prozess gegen zwei türkische Staatsbürger, die wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gem. SSSS 129 a, b StGB angeklagt waren. Beide Angeklagten hielten sich 2013 zeitweise bei der terroristischen Vereinigung "Junud al-Sham" in der Krisenregion Syrien auf. Bei einem der Angeklagten führte das Verfahren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, da aufgrund eines Teilgeständnisses die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland und das Werben um Mitglieder als erwiesen angesehen werden konnten. Der Mitangeklagte wurde von den Vorwürfen freigesprochen, weil im Rahmen der Beweisaufnahme letztlich nicht geklärt werden konnte, welche Aktivitäten er während eines Syrienaufenthalts im Jahr 2013 tatsächlich entfaltet hat. Das Urteil ist rechtskräftig. Bereits am 27. Juli 2017 wurde der Salafist Sven Lau wegen Unterstützung der islamistischen Gruppierung JAMWA ("Jaish al-Muhajirin wal-Ansar") in vier Fällen vom Düsseldorfer OLG zu 5 1/2 Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Lau unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe nicht nur Geld für die Gruppierung gesammelt, sondern als deren "verlängerter Arm" auch Kampfwillige rekrutiert hat. Zudem habe er in Deutschland ein salafistisches Netzwerk etabliert. Das Urteil wurde am 4. April vom Bundesgerichtshof bestätigt. Am 26. September 2017 begann vor dem OLG Celle der Prozess gegen den jihadistischen Prediger Ahmad Abdulaziz Abdullah - alias Abu Walaa - sowie vier weitere Mitangeklagte. Abu Walaa wurde am 8. November 2016 zusammen mit den vier weiteren 68 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Personen wegen des Verdachts auf Unterstützung des Terrornetzwerks bzw. der Werbung um Mitglieder oder Unterstützer des "Islamischen Staates" (IS) festgenommen. Die Anklage gegen Abu Walaa lautet auf Unterstützung und Kontakte zum Terrornetzwerk "Islamischer Staat" sowie Aufruf zum Mord. Der Prozess dauert noch an. 3.2.10 Islamischer Staat, al-Qaida und andere terroristische Strukturen 3.2.10.1 Der Islamische Staat (IS) Entstehung und Entwicklung Die salafistisch-jihadistische Terrororganisation IS hat ihre Wurzeln im Irak. Nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003 bildete sich dort unter der Führung des Terroristen Abu Musab al-Zarqawi eine "al-Qaida"-Zelle, die sich zunächst als "al-Qaida im Zweistromland" bezeichnete. Einige Jahre nach dem Tod al-Zarqawis übernahm der Iraker Abu Bakr al-Baghdadi die Führung. Seit 2012 ist die Organisation auch in Syrien aktiv. Mehrfach änderte die Organisation vor dem Hintergrund weitreichender militärischer Erfolge ihren Namen. Ab 2013 bezeichnete sie sich als "Islamischer Staat im Irak und Großsyrien" (ISIG), ab Mitte 2014 als "Islamischer Staat" (IS). Zugleich wurde das "Islamische Kalifat" ausgerufen. Der IS steht somit in direkter Konkurrenz zu "al-Qaida". Das Kalifat (arabisch: "khilafa") bezeichnet sowohl ein Amt als Islamisches Kalifat auch ein Herrschaftsgebiet und bedeutet die Nachfolge des Propheten Muhammad. Der Titel ist gleichbedeutend mit dem rechtmäßigen Führer der sunnitischen Gläubigen. Den letzten Kalifen stellte das Osmanische Reich. Der Titel wurde 1924 durch Kemal Atatürk abgeschafft. Das Streben nach der Wiedereinführung des Kalifats ist ein wesentliches Kennzeichen islamistischer Ideologie. Der IS unterscheidet sich in Ideologie und Zielen nicht grundlegend von anderen jihad-salafistischen Gruppen. Es gibt jedoch Unterschiede in der ideologischen Schwerpunktsetzung und im strategischen Ansatz. Eine besondere Rolle spielt dabei die Rechtfertigung des Kalifats. Das Kalifat ist auch für "al-Qaida" ein Ziel, allerdings kann es für "al-Qaida" nur am Ende eines mehrstufigen Prozesses stehen: Zunächst sollen Rekruten ideologisiert, westliche Einflüsse in arabischen Ländern bekämpft, Landgewinne erzielt und schließlich prowestliche Regierungen im Nahen Osten gestürzt werden. Erst danach wird die 69 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus "Entscheidungsschlacht" zwischen den "Rechtgläubigen" und den "Ungläubigen" angestrebt, an deren Ende das Kalifat steht. Der IS hingegen sieht diese Entscheidungsschlacht unmittelbar bevorstehen und ruft Muslime weltweit auf, sich daran zu beteiligen. IS-Splittergruppen sind u. a. in Libyen, auf dem Sinai, in Pakistan und in Afghanistan aktiv und haben dort Provinzen ausgerufen. Im März 2015 schloss sich die nigerianische Terrororganisation "Boko Haram" dem IS an. Nachdem die meisten Emire der Kaukasusprovinzen den Treueeid gegenüber dem IS erklärt haben, verkündete der IS im Juni 2015 zudem die Gründung der "Provinz Kaukasus". Mit der Rückeroberung der irakischen Großstadt Mossul durch irakische Sicherheitskräfte im Juli 2017 und der Einnahme der syrischen IS-Hochburg Raqqa durch kurdisch-arabische Milizen im Oktober 2017 verlor der IS seine beiden wichtigsten organiAsymmetrische satorischen Zentren. Mittlerweile ist der IS infolge militärischer Kriegsführung des IS Niederlagen personell und organisatorisch stark geschwächt und konzentriert sich nun wieder auf seine vormalige Strategie der asymmetrischen Kriegsführung, auf Angriffe aus dem Untergrund. Auch nach dem territorialen Niedergang in seinem syrisch-irakischen Kerngebiet verbreitet der IS weiterhin seine Propaganda über eine Reihe von Online-Plattformen, die als offizielle Sprachrohre fungieren. Deren Propagandaprodukte erschienen 2018 seltener und erreichten auch nicht mehr dieselbe Qualität wie zur Hochzeit des IS. Parallel zeichnet sich die Tendenz zu einer Dezentralisierung der Zunahme der Verbreitung jihadistischer Inhalte ab. Die Veröffentlichung inofAnschlagsdrohungen fizieller IS-Propaganda, einschließlich Anschlagsdrohungen und -aufforderungen, nahm zu. Hier besetzen Online-Agitatoren eine Schlüsselrolle bei der Streuung und Weiterentwicklung des Materials. Insbesondere Anschlagsdrohungen sind häufiger, vielfältiger und detaillierter. Vor diesem Hintergrund muss auch weiterhin damit gerechnet werden, dass sich Einzelpersonen oder Kleingruppierungen auf Grundlage der IS-Ideologie radikalisieren und infolge dessen beabsichtigen, Anschläge durchzuführen. Auftreten in Deutschland und Bayern Der IS verfügt innerhalb des salafistischen Spektrums in Deutschland bzw. Bayern weiterhin über Sympathisanten. Deutschsprachige Propaganda ist mittlerweile seltener zu finden. Der ehemalige Anführer der in Deutschland verbotenen Vereinigung "Millatu Ibrahim", Mohamed Mahmoud, war 70 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 maßgeblich in die deutschsprachige Propagandaarbeit des IS in Syrien/Irak eingebunden und rief vielfach zu Anschlägen in Deutschland und anderen westlichen Ländern auf. Er trat seit längerem kaum mehr öffentlich in Erscheinung. Ende November verbreitete sich zum wiederholten Mal die Nachricht vom Tod Mahmouds, die aber unbestätigt blieb. Der Bundesminister des Innern hat am 12. September 2014 die Betätigung der Vereinigung IS sowie die öffentliche Verwendung und Verbreitung von dessen Schriften und Symbolen verboten. 3.2.10.2 Das al-Qaida-Netzwerk Im Unterschied zu vielen anderen jihadistischen Netzwerken verfolgt "al-Qaida" nach wie vor länderübergreifend das Ziel, langfristig ein weltweites Kalifat zu errichten. "Al-Qaida" und die ihr zuzurechnenden Unterorganisationen sind für Planung und Durchführung einer Vielzahl von terroristischen Anschlägen weltweit verantwortlich - z. B. für die Anschläge am 11. September 2001 in den USA. Entstehung und Entwicklung Die Ursprünge des "al-Qaida"-Netzwerks lassen sich zurückführen auf den Konflikt um das sowjetisch besetzte Afghanistan der Jahre 1979 bis 1989. Eine herausragende Stellung hatten seit 1984 der palästinensische Jihad-Ideologe Abdullah Azzam, der aus verschiedenen Regionen der Welt Jihadisten rekrutierte, und der Saudi Usama Bin Ladin inne. Nach dem Tod Azzams war es das Ziel Bin Ladins, den Jihad auch in anderen Konfliktgebieten wie Kaschmir, Indonesien, Tschetschenien, Bosnien und Somalia zu unterstützen. Mit der Machtübernahme der Taliban 1996 kehrte Bin Ladin mit seinem Gefolge nach Afghanistan zurück und agierte von dort aus bis 2001 unter dem Schutz des Taliban-Führers Mullah Omar. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist ein Netzwerk aus Afghanistanveteranen entstanden, die in ihren Heimatländern ihrerseits Organisationen gründeten bzw. unterstützten, wie z. B. "Abu Sayyaf" auf den Philippinen, "al-Qaida im Irak", die somalischen "al-Shabab-Milizen" oder "al-Qaida auf der arabischen Halbinsel" (AQAH). Anschläge werden häufig von autonomen Zellen oder Einzeltätern geplant und durchgeführt. Während in Ländern wie Irak, Saudi-Arabien und Jemen die Entwicklung des "al-Qaida"71 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus Netzes dynamisch ist, hat sich - neben dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet - in Nordafrika eine relativ stabile Struktur herausgebildet. Die Ideologie des al-Qaida-Netzwerks Die hauptsächlich von Bin Ladin und Azzam etablierte salafistische Ideologie des "al-Qaida"-Netzwerks ist stark geprägt von den Schriften Sayyed Qutbs und dessen Jihad-Gedanken und dem "Takfir"(arabisch: "für ungläubig erklären"). Danach gibt es nur den Islam in seiner durch die Chefideologen Bin Ladin, al-Zawahiri und Azzam geprägten Orientierung an den frommen Altvorderen (arabisch "al-salaf al-salih"), einer konstruierten idyllischen islamischen Frühzeit. Dem steht die "Jahiliyya", der Unglaube und die Unwissenheit um den durch den Propheten Muhammad vermittelten "rechten Weg", gegenüber. Folgerichtig war es ein zentrales Anliegen Bin Ladins, den Islam von allen unislamischen "Übergriffen" wie Sozialismus und Demokratie freizuhalten. Die Stationierung amerikanischer Truppen in islamischen Staaten war aus seiner Sicht nicht hinzunehmen. Entwicklungstendenzen Die Tötung Usama bin Ladins im Mai 2011 und die Verhaftung oder Tötung zahlreicher Mitglieder aus der alten Führungsriege haben zwar den Kern "al-Qaidas" geschwächt, das flexible Netzwerk jedoch keinesfalls handlungsunfähig gemacht. Zunehmend versucht "al-Qaida" unter der Führung von Aiman al-Zawahiri, den Charakter einer globalen Bewegung anzunehmen, die zugleich als Inspirationsquelle für Einzeltäter und neue Bündnispartner dienen soll. "Al-Qaida" ist in den letzten Jahren zur symbolischen Marke für diejenigen Jihadisten aufgestiegen, die der Vorgehensweise des IS entweder ablehnend gegenüberstehen oder die Schwächung des IS zum Anlass nehmen, "al-Qaida" zu folgen. Durch die knapp dreißigjährige Entwicklung "al-Qaidas" besteht für ehemalige IS-Anhänger der Vorteil, die transnationale terroristische Infrastruktur "al-Qaidas" zu nutzen, die auch Ausbildungslager umfasst: Hier wird der Umgang mit Sprengstoff, das Einüben verschiedener Kampftaktiken und das Erlernen konspirativer Verhaltensweisen ermöglicht. Letztlich dienen solche Ausbildungsangebote dem Zweck, auch in westlichen Staaten Anschläge erfolgreich verwirklichen zu können. Internetverlautbarungen und jihadistische Online-Magazine wenden sich gezielt an Personen auch außerhalb der bestehenden "al-Qaida"-Strukturen und -Netzwerke mit dem Ziel, diesen 72 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Personenkreis für den jihadistischen Leitgedanken zu aktivieren und für Anschläge zu gewinnen. "Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel" (AQAH) kommt dabei nach wie vor eine maßgebliche Rolle innerhalb des Netzwerks zu. Von ihr gingen zahlreiche Anschlagspläne aus. Sowohl "al-Qaida" als auch der IS versuchten in den letzten Jahren, sich der Öffentlichkeit als führende jihadistische Organisation zu präsentieren, nicht zuletzt, indem sie terroristische Anschläge verüben. Sie stehen somit in einem Konkurrenzverhältnis zueinander. Zum 17. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 veröffentlichte "al-Qaida" eine Botschaft ihres derzeitigen Anführers al-Zawahiri. Darin rief er zu einem weltweiten Jihad gegen die USA auf und bezog sich dabei auch auf die Verlegung der US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem. Bereits 2017 drohte Usama bin Ladins Sohn Hamza den USA in einer Audiobotschaft künftig mit Racheakten. Hamza bin Ladin ist von "al-Qaida" in den letzten Jahren mehrfach für Propagandavideos und Audiobotschaften eingesetzt worden, die den Eindruck erwecken, dass er zukünftig die Rolle des "al-Qaida"-Anführers übernehmen wird. Seit Februar 2018 formierte sich mit der "TanNeue jihadistische zim Huras al-Din" ("Wächter der Religion" - THD) eine neue jihaUntergruppierung distische Gruppierung, die "al-Qaida" folgt und die zunehmende Tanzim Huras al-Din Schwächung des IS nutzt, um das syrische Regime zu bekämpin Syrien fen. Die Anhänger der THD rekrutierten sich aus verschiedenen jihadistischen Gruppen, deren Gemeinsamkeit in der ideologischen Verbundenheit zu "al-Qaida" besteht. 3.2.10.3 Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) (früher: Jabhat al-Nusra (JaN) In den Reihen der "Jabhat al-Nusra" (JaN) etablierte sich ab 2013 eine Zelle der Kern-"al-Qaida" unter der Führung von Muhsin al-Fadhli. Die nach dem historischen Namen für eine Region in Zentralasien als "Khorasan-Gruppe" bezeichnete Zelle bildet insbesondere aus Europa stammende Kämpfer auch für Anschlagspläne in ihren Herkunftsländern aus. Im Juli 2016 versuchte die JaN öffentlichkeitswirksam, den Anschein einer Trennung von "al-Qaida" zu erwecken, und benannte sich in "Jabhat Fath al-Sham" (JFS; "Front zur Eroberung Syriens") um. Im Januar 2017 erfolgte eine erneute Umbenennung in "Hay'at Tahrir al-Sham" (HTS). Zugleich schloss sich eine Reihe weiterer syrischer Rebellen der HTS an. 73 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus Mit HTS ist in Syrien eine weitere mitgliedsstarke jihadistische Organisation entstanden, die Terroristen rekrutiert und ausbildet. Auf strategischer Ebene verfolgt die Organisation gegenwärtig primär einen national auf Syrien fokussierten Ansatz zum Ausbau des eigenen Einflussgebiets. HTS nutzt soziale Netzwerke wie Facebook, YouTube und Telegram, um neue Anhänger zu gewinnen. Aufgrund militärischen Drucks der von russischen und iranischen Truppen unterstützten syrischen Streitkräfte sah sich die HTS im Laufe des Jahres 2018 gezwungen, zuvor kontrollierte Gebiete um Damaskus, in der Provinz Homs sowie im Süden Syriens aufzugeben und ihre Kräfte im Norden des Landes zusammenzuziehen. Um den Jahreswechsel 2018/19 gelang es HTS, das letzte verbliebene Rebellengebiet in Syriens Nordwesten, bestehend aus einem Großteil der Provinz Idlib sowie Teilen der angrenzenden Provinzen Aleppo, Hama und Latakia, nahezu vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. 3.2.10.4 Islamistische nordkaukasische Szene Nordkaukasische Separatistenbewegung (NKSB) Nach dem Zerfall der UdSSR führte die 1991 in Tschetschenien gegründete "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI) einen Guerillakrieg für die Unabhängigkeit der Teilrepublik von der Russischen Föderation und für die Errichtung eines islamischen Staates auf Grundlage der Scharia. 2007 proklamierte Dokku Umarov, der damalige CRI-Präsident, das islamistisch ausgerichtete "Kaukasische Emirat" (KE), das mit terroristischen Mitteln für einen islamischen Staat auf dem Gebiet des gesamten Nordkaukasus kämpft. Dieser Strategiewechsel führte zur Spaltung. Die Leitung des CRI übernahm Ahmed Zakaev, der sich auf die politische Durchsetzung des Unabhängigkeitsbestrebens für Tschetschenien beschränkt. Beide Gruppierungen sind der Nordkaukasischen Separatistenbewegung zuzurechnen. Um einen von Moskau unabhängigen tschetschenischen Staat auf der Grundlage der Scharia zu erreichen, verübten tschetschenische und andere kaukasische Islamisten in der Vergangenheit wiederholt Anschläge in Russland. Zum Nachfolger des 2014 verstorbenen Dokku Umarov wurde Alibulatovich Kebekov ernannt, der jedoch im April 2015 durch russische Einsatzkräfte getötet wurde. Dessen Nachfolger Magomed Suleimanov wurde im August 2015 ebenfalls bei einer russischen Anti-Terror-Operation getötet. Seitdem ist das KE offiziell führerlos. 74 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Im Syrien-Irak-Konflikt kämpfen zahlreiche Angehörige des KE, zum Teil organisiert in eigenen tschetschenischen Brigaden, auf Seiten der Terrororganisation "Islamischer Staat". Mehrere Kommandeure des KE haben den Treueeid auf den IS geschworen. Deutschland wird primär als Rückzugsraum für die finanzielle und logistische Unterstützung der Separatisten im Nordkaukasus genutzt. Strukturen des KE in Bayern sind bisher nicht feststellbar. Aktivitäten gingen allenfalls von Einzelpersonen aus. Verbindungen zur salafistischen Szene In Deutschland bestätigen sich die Hinweise auf Verbindungen von Personen aus dem Nordkaukasus in salafistische Kreise. Auch in Bayern sind einzelne Personen aus dem Nordkaukasus in der salafistischen Szene aktiv, ohne dabei öffentlich aufzufallen. 3.3 Sonstiger islamistischer Terrorismus 3.3.1 HAMAS (Islamische Widerstandsbewegung) Mitglieder Deutschland: etwa 320 Bayern: Einzelpersonen Gründung 1988 Die "HAMAS" verneint ein Existenzrecht Israels und will auf dem gesamten Gebiet Palästinas einen "islamischen" Staat errichten. Sie lehnt deshalb auch den israelisch-palästinensischen Friedensprozess ab. Die "HAMAS" ist für eine Vielzahl terroristischer Aktionen verantwortlich, darunter zahlreiche Selbstmordattentate. Im Juni 2002 wurde deshalb der militärische Arm der HAMAS auf "HAMAS" in die EU-Liste terroristischer Organisationen aufgeEU-Terrorliste nommen. 2003 haben die EU-Außenminister auch die Gesamtorganisation als terroristisch eingestuft. Im Dezember 2014 entschied der Europäische Gerichtshof in erster Instanz, dass die EU bei der Einstufung der "HAMAS" als Terrororganisation einen Verfahrensfehler begangen habe. Im Juli 2017 hob die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes diese Entscheidung auf und verwies sie zur materiellen Prüfung an die Vorinstanz zurück. Mit dem Urteil verbleibt die "HAMAS" zunächst auf der EU-Liste terroristischer Organisationen. Von den in Deutschland lebenden "HAMAS"-Anhängern gehen Bestrebungen aus, die auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Deutschland wird von der "HAMAS" 75 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus zur Sammlung von Spenden und zur Verbreitung ihrer Propaganda genutzt. Mit Beschluss vom 21. August hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde gegen das Vereinigungsverbot des "Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e. V." (IHH) zurückgewiesen. Die IHH wurde vom Bundesministerium des Innern im Jahr 2010 verboten. Die IHH hat in erheblichem Umfang Spenden an Organisationen weitergeleitet, die der "HAMAS" zuzuordnen waren, und dadurch eine völkerverständigungswidrige Organisation gefördert. Nach Beginn der ersten Intifada ("Aufstand der Palästinenser") im Dezember 1987 schlossen sich Anfang 1988 die palästinensischen Anhänger der "Muslimbruderschaft" (MB) unter Führung von Ahmad Yasin zur "HAMAS" zusammen und nahmen den bewaffneten Kampf gegen Israel auf. Die "HAMAS" übt seit der gewaltsamen Machtübernahme 2007 die alleinige Kontrolle über den Gaza-Streifen aus. Vom 30. März ("Tag des Bodens") bis 15. Mai ("Nakba-Tag") fand der "Marsch der Rückkehr" statt. Diese ursprünglich gewaltlose Bewegung junger palästinensischer Aktivisten wurde von der "HAMAS" vereinnahmt. Der "Tag des Bodens" steht im palästinensischen Geschichtsverständnis für Landenteignungen durch Israel; der "Marsch der Rückkehr" bezieht sich auf die Flucht oder Vertreibung von Palästinensern. Die Staatsgründung Israels 1948 wird im arabischen Sprachgebrauch als "Nakba" (deutsch: Katastrophe) bezeichnet. Den Protest konnte die "HAMAS" nutzen, um sich an die Spitze der palästinensischen Sache zu stellen. Mit der Aktion entlang des Grenzzauns im Gazastreifen pocht die "HAMAS" auf das Recht auf Rückkehr für palästinensische Flüchtlinge und ihre Nachkommen in das heutige Gebiet Israels. Während der Demonstrationen, die auch nach dem 15. Mai anhielten, wurden Angriffe der HAMAS von palästinensischer Seite brennende Reifen, Drachen und auf Israel Ballons Richtung Israel geschickt, des Weiteren versuchten Demonstranten, den Zaun zu überqueren. Gegen diese Aktionen ging Israel u. a. mit Waffengewalt vor. Es gab Tote und Verletzte auf beiden Seiten. Es ist immer wieder festzustellen, dass sich Eskalationen zwischen Israel und den Palästinensern auch auf Deutschland auswirken. So fanden in München im Zusammenhang mit dem "Nakba-Tag" mehrere Infostände und eine Kundgebung statt, die jedoch friedlich verlief. 76 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Auch in den sozialen Netzwerken in Deutschland werden die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern äußerst emotional kommentiert. 3.3.2 Hizb Allah (Partei Gottes) Mitglieder Deutschland: etwa 1.050 Bayern: etwa 30 Gründung 1982 im Libanon Publikation al-Intiqad (Die Kritik) Fernsehsender al-Manar (Der Leuchtturm), Sitz in Beirut Betätigungsverbot in Deutschland seit 29.10.2008 Das langfristige Ziel der "Hizb Allah" ("Partei Gottes") ist die Zerstörung des Staates Israel und die "Herrschaft des Islam" über Jerusalem. Seit Jahren ist die "Hizb Allah" für Terroranschläge in Israel verantwortlich. In Deutschland hat sie bislang keine gewaltsamen Aktionen durchgeführt, nutzt aber das Bundesgebiet als Ruheund Rückzugsraum. Die Bestrebungen der "Hizb Allah" gefährden damit auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die "Hizb Allah" (auch: "Hisbollah/Hizbollah") ist eine auf Initiative des Irans gegründete schiitische Partei, die seit 1992 im libanesischen Parlament vertreten ist. Sie wird vom Iran finanziell, materiell und ideologisch unterstützt. Sie ist einerseits eine politische Partei, die vor allem aufgrund ihres sozialen Engagements auf die Unterstützung ärmerer Bevölkerungsschichten zählen kann. Andererseits verfügt sie aber nach wie vor über militärische Einheiten, die insbesondere im Süden des Landes unabhängig von der libanesischen Staatsgewalt agieren. Der Aufforderung zur Entwaffnung dieser Miliz, gemäß der UN-Resolution 1559 aus dem Jahr 2004, kam der politische Flügel der "Hizb Allah" bislang nicht nach. Im Mai 2008 hat das libanesische Kabinett der "Hizb Allah" offiziell "das Recht zum Widerstand gegen Israel" zugestanden. Die schiitische Miliz kann daher ungehindert den Ausbau der Verteidigungsanlagen nördlich der UN-Pufferzone zur Grenze Israels betreiben. Seit Beendigung des Libanonkriegs im Sommer 2006 wird sowohl von der israelischen Seite als auch von der "Hizb Allah" selbst über eine enorme Aufrüstung der "Hizb Allah" berichtet. 77 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamismus Mehrere Indizien deuten darauf hin, dass die "Hizb Allah" im Verlauf des Jahres 2012 in Thailand, Georgien, Bulgarien und Indien an Anschlägen/Anschlagsversuchen auf Ziele mit Israelbezügen beteiligt war. Im Juli 2013 beschlossen die EU-Außenminister, den militärischen Arm der libanesischen "Hizb Allah" in die EU-Terrorliste aufzunehmen. Die "Hizb Allah" verbreitet ihre antiisraelische und antijüdische Propaganda u. a. über den libanesischen TV-Sender "al-Manar", der seinen Sitz in Beirut hat, aber auch in Deutschland zu empfangen ist. Da die Tätigkeit des Senders gegen deutsche Strafgesetze verstößt und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, wurde der Sender im Oktober 2008 vom Bundesministerium des Innern verboten. Anlässlich des jährlich stattfindenden "Al-Quds-Tages" (deutsch: Jerusalem-Tag) am 9. Juni äußerte sich der Generalsekretär der "Hizb Allah", Hassan Sayyed Nasrallah, in einer Rede des Senders "al-Manar TV" zum Syrienkrieg und der dortigen Unterstützung des Assad-Regimes durch den militärischen Arm der "Hizb Allah". Nasrallah betonte, dass "die Hizb Allah nur auf Ersuchen der syrischen Regierung ihre Truppen aus Syrien abziehen" werde. Seit 1996 finden auch in Berlin jährlich Veranstaltungen statt. Beim diesjährigen Al-Quds-Tag nahmen auch Anhänger der "Hizb Allah" teil. Aus den Parlamentswahlen im Libanon im Mai ging die "Hizb Allah" als Gewinner hervor. Damit wird der Einfluss des Iran im Libanon weiter gestärkt. 3.4 Sonstige verbotene Organisationen Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) Anhänger Deutschland: etwa 700 Bayern: etwa 30 früherer Vorsitzender Metin Kaplan Gründung 1984 Sitz Köln Publizistisches Sprachrohr Muhacirun (Auswanderer) Die Vereinigung "Hilafet Devleti" ("Der Kalifatsstaat") wurde 2001 vom Bundesministerium des Innern in Deutschland nach dem Vereinsgesetz verboten. Am 22. Oktober 2013 verbot das 78 Islamismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration den 2009 gegründeten Verein "Kulturund Bildungszentrum Ingolstadt e. V." als Ersatzorganisation des "Kalifatsstaats". Mit Urteil vom 27. Januar 2016 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof eine gegen das Verbot erhobene Klage des Vereins abgewiesen. Das Urteil ist rechtskräftig. Der "Kalifatsstaat" war eine am Führerprinzip orientierte, streng hierarchisch gegliederte Organisation, deren Endziel die Weltherrschaft des Islam unter dem Kalifat seines Anführers Metin Kaplan war. Der "Kalifatsstaat" richtete sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung und gefährdete die Innere Sicherheit in Deutschland. Das Verbotsverfahren und die staatlichen Exekutivmaßnahmen haben die Organisationsstruktur geschwächt. Gleichwohl gibt es in Deutschland noch immer Anhänger, die das Gedankengut des "Kalifatsstaats" weiterhin verbreiten. Zudem ist die offizielle Internetseite des "Kalifatsstaats", die über einen Server in den Niederlanden betrieben wird, abrufbar. Die 1984 in Köln gegründete Organisation "Kalifatsstaat" (ehemals "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V., Köln" - ICCB) verstand sich als Wiederbelebung des durch Kemal Atatürk 1924 in der Türkei abgeschafften Kalifats. Der frühere Vorsitzende des "Kalifatsstaats" Metin Kaplan, der wegen Mordaufrufs eine vierjährige Gefängnisstrafe in Deutschland verbüßt hatte, wurde 2004 in die Türkei abgeschoben und dort zu einer Haftstrafe verurteilt. Seit seiner Haftentlassung im November 2016 lebt Kaplan in Istanbul und hält den Kontakt zu seinen Anhängern durch die Veröffentlichung des Freitagsgebets im Internet aufrecht. 79 Ausländerextremismus Ausländerextremismus Türkische Militäroffensive im syrischen Afrin löst bundesweite Protestwelle in PKK-nahen Kreisen sowie Aktionen gegen türkische und deutsche Einrichtungen aus Lage in der Türkei verstärkt das Zusammenrücken zwischen der PKK und deutschen linksextremistischen Gruppen Gewaltneigung junger PKK Anhänger steigt an Türkische Parlamentsund Präsidentschaftswahlen am 24. Juni ein zentrales Thema für die hiesige "Ülkücü"-Szene 80 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Anhänger extremistischer Gruppierungen aus dem Ausland sind auch in Deutschland aktiv, um die politischen Verhältnisse in ihren Heimatländern antidemokratisch zu verändern. Sie wollen z. B. eigene Staaten gründen, kommunistische Systeme errichten oder vertreten eine extreme Variante des Nationalismus. Neben linksund rechtsextremistischen Gruppierungen gehen Gefahren auch von separatistischen Organisationen aus. Ihre ideologischen Ziele und Motive importieren sie nach Deutschland, zum Teil tragen sie auch hier ihre blutigen Konflikte aus. Die Anhängerschaft dieser Gruppierungen setzt sich neben Ausländern auch aus deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund oder aus deutschen Extremisten zusammen. Die Bestrebungen ausländerextremistischer Organisationen richten sich somit gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährden die Innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung sowie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland. 81 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Ausländerextremismus 1. PERSONENPOTENZIAL IN BAYERN Im Jahr 2018 waren dem Spektrum der Ausländerextremisten (ohne Islamisten) 3.420 Personen (2017: 3.370) zuzurechnen: 2016 2017 2018 PKK* 1.800 1.800 1.900 Linksextremistische 190 190 190 Organisationen Rechtsextremistische 1.350 1.350 1.300 Organisationen Separatisten 30 30 30 gesamt 3.370 3.370 3.420 * inkl. Nachfolge-, Teilund Nebenorganisationen. Die Zahlenangaben sind geschätzt und gerundet. 2. KONFLIKTUND GEWALTPOTENZIAL Extremistische Ausländerorganisationen betrachten Deutschland vorwiegend als Rückzugsraum, um hier ihre Ziele durch Agitation, Rekrutierung neuer Anhänger und ideologische Indoktrination zu verfolgen. Zudem spielt die materielle Unterstützung der Mutterorganisationen in den Heimatländern durch die in Deutschland gesammelten Spenden und Mitgliedsbeiträge für sie eine nicht unerhebliche Rolle. Die Aktivitäten extremistischer Ausländerorganisationen in Deutschland werden im Wesentlichen von politischen Ereignissen und Entwicklungen in den jeweiligen Herkunftsländern beeinflusst. So können aktuelle Konflikte im Ausland unmittelbar zu gewaltsamen Aktivitäten in Deutschland führen. Zum Teil tragen extremistische Ausländerorganisationen ihre Konflikte hier auch gewalttätig untereinander aus. Die erneute Eskalation des Kurdenkonflikts in der Türkei seit 2015 sowie die Ereignisse in der Folge des gescheiterten Militärputschs vom 15. Juli 2016 wirkten sich erkennbar auf türkische und kurdische ausländerextremistische Organisationen in Deutschland aus. Vor allem zwischen Vertretern des PKK-Lagers und der türkisch-rechtsextremistischen Szene kam es auch zu Übergriffen und teils gewalttätigen Konfrontationen. 82 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Vom 20. Januar bis 18. März führte die Türkei eine großangeOffensive in Afrin legte Militäroffensive im kurdisch dominierten Gebiet Afrin in strahlt auf DeutschNordsyrien durch. Die Militäroperation mündete in der Einnahme land und Bayern aus der Stadt Afrin durch die türkischen Streitkräfte. Nach offizieller Darstellung staatlicher türkischer Stellen richtete sich die Militäroperation gegen die PKK-nahen syrisch-kurdischen "Volksbefreiungseinheiten". Anhänger der PKK in Deutschland und Bayern reagierten auf die türkische Militäroffensive mit zahlreichen Protestaktionen. Die Veranstaltungen fanden unter anderem auch auf Initiative deutscher linksextremistischer Organisationen statt. In mehreren Bundesländern wurden parallel zu den Protestaktivitäten Sachbeschädigungen und Brandanschläge gegen türkische und deutsche Einrichtungen durch mutmaßliche Mitglieder PKK-naher Jugendorganisationen verübt. Auch in Bayern kam es im Rahmen von Afrin-bezogenen Kundgebungen vereinzelt zu Provokationen und Auseinandersetzungen zwischen türkischen und kurdischen Personen und Gruppen. In Nürnberg etwa störten mutmaßlich rechtsextremistische Türken Versammlungen des PKK-nahen Spektrums durch Zwischenrufe und Zeigen der türkischen Nationalflagge sowie des sog. "Wolfsgrußes", dem Erkennungszeichen der rechtsextremistischen "Ülkücü-Bewegung". Ebenfalls in Nürnberg kam es im Verlauf einer Versammlung am 3. Februar infolge einer Provokation durch zwei türkische Frauen zu Auseinandersetzungen mit Versammlungsteilnehmern. Auch in München provozierten während einer Demonstration am 3. Februar vermutlich türkische Passanten immer wieder durch Zeigen des "Wolfsgrußes". Dies führte zu Gegenreaktionen seitens der pro-kurdischen Demonstrationsteilnehmer und mehreren kleinen Rangeleien. Im Rahmen einer pro-kurdischen Versammlung am 5. Februar in Augsburg musste die Polizei die kurdischen Versammlungsteilnehmer von einer Gruppe von ca. 50 Personen mit türkischem Hintergrund trennen. 83 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Ausländerextremismus 3. STRUKTUREN 3.1 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Anhänger Deutschland: 14.000 Bayern: 1.900 Leitung Abdullah Öcalan Gründung 1978 in der Türkei Publikationen Serxwebun ("Unabhängigkeit"), Yeni Özgür Politika ("Neue Freie Politik") Die PKK ist in Deutschland seit 26. November 1993 verboten. Seit 2. Mai 2002 wird sie in der Liste terroristischer Organisationen der EU aufgeführt. Das deutsche Verbot umfasst die späteren Umbenennungen in "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK), "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL), "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK) und "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK). Verbot der ÖcalanMit Schreiben vom 2. März verfügte das Bundesministerium des Fahne Innern eine Ausweitung der Verbotsverfügung gegen die PKK und ihre Kennzeichen. Seitdem ist es in Deutschland auch verboten, die Fahne mit dem Abbild Abdullah Öcalans auf gelbem oder gelb-grünem Hintergrund zu zeigen. Die PKK wurde 1978 von Abdullah Öcalan in Ostanatolien als marxistisch-leninistisch orientierte Organisation gegründet. Sie sollte durch einen Guerillakrieg eine Revolution mit dem Ziel eines unabhängigen kurdischen Staates herbeiführen. Über zwei Jahrzehnte lang führte die PKK innerhalb und außerhalb der Türkei terroristische Anschläge durch. Nach der Festnahme des PKK-Führers Abdullah Öcalan im Jahr 1999 kam es zu einem taktisch bedingten Kurswechsel. Zumindest im Ausland wurde auf die Durchführung planmäßiger Gewaltaktionen verzichtet. Das ursprüngliche Ziel der Errichtung eines unabhängigen kurdischen Staates wurde zugunsten eines länderübergreifenden kurdischen Autonomie-Modells, das bestehende staatliche Grenzen anerkennt, aufgegeben. Bei ihren Aktivitäten verfolgt die PKK weiterhin eine Doppelstrategie. Während sie auf dem Gebiet der Türkei terroristische Anschläge durchführt und Anhänger für den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat mobilisiert, nutzt sie das übrige 84 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Europa primär als Rückzugs-, Finanzierungsund Rekrutierungsraum. Die PKK und ihr Unterstützerkreis in Deutschland stellen sich als in der Türkei zu Unrecht verfolgte Regimegegner dar und versuchen so, ihr Image in Deutschland aufzubessern. Bei der PKK und ihren deutschen Ablegern handelt es sich um eine Kaderorganisation mit einem weit verzweigten Funktionärswesen und strikten Befehlsstrukturen. Inzwischen hat sich die PKK in Deutschland regional umstrukturiert. Unter BeibehalRegionale Strukturen tung der 31 Gebiete wurden die ehemals vier Sektoren nun in in Bayern/"Eyalets" neun Regionen ("Eyalets") aufgeteilt. In Bayern existieren die Gebiete München/Südbayern und Nürnberg/Nordbayern. An der Spitze dieser hierarchischen Struktur stehen Funktionäre, die in der Regel durch die europäische Leitungsebene der Organisation eingesetzt werden. Die Zuweisung auf die einzelnen Funktionen erfolgt zumeist nur für einen begrenzten Zeitraum. Die hauptamtlichen Kader der PKK sind ideologisch geschult und leben äußerst konspirativ an häufig wechselnden Orten. In den meisten größeren deutschen Städten gibt es Zusammenschlüsse von PKK-Anhängern. Ihnen dienen die örtlichen Vereine des "Dachverbandes Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum Deutschland e. V." (NAV-DEM) als Anlaufstelle. Im Juni 2014 hatte sich die Vorläuferorganisation "Föderation NAV-DEM kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM) auf ihrem YEK-KOM 20. Kongress in Dortmund in "NAV-DEM" umbenannt. Die an das "NAV-DEM" angegliederten Vereine, die sich nach außen als reine Kulturvereine darstellen, haben die Aufgabe, unter den Anhängern die Ziele und Politik der PKK zu verbreiten und zu fördern. In Bayern sind das "Kurdische Gesellschaftszentrum München" und das "MEDYA Volkshaus e. V." in Nürnberg aktiv. In den Räumlichkeiten dieser Vereine finden regelmäßig neben kulturellen Veranstaltungen auch solche mit PKK-Bezug statt. Zudem initiieren die Vereine regelmäßig Versammlungen zur PKK-Thematik (beispielsweise zur Aufhebung des PKK-Verbotes). Auch Fahrten zu überregionalen Veranstaltungen mit PKK-Bezug, beispielsweise zum "Mazlum Dogan-Festival" in Belgien oder dem regelmäßig in Nordrhein-Westfalen (Köln) stattfindenden "Internationalen Kurdischen Kulturfestival", werden organisiert. Trotz des vereinsrechtlichen Betätigungsverbots gibt es somit weiterhin Aktivitäten von PKK-Anhängern in Deutschland und Bayern. Ein Nachweis, dass ihre Betätigung der Organisation zuzurechnen ist, lässt sich jedoch oft nur im Einzelfall führen. 85 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Ausländerextremismus Gespaltenes VerDie PKK zeigt ein ambivalentes Verhalten zur Gewalt. Einem hältnis der PKK zu militärischen Auftreten im türkisch-irakischen bzw. türkischGewalt syrischen Grenzgebiet steht ein grundsätzlich friedliches Vorgehen in Deutschland bzw. Europa gegenüber. Dieses Vorgehen wird auch aktuell von der Überzeugung geleitet, sich europäische Staaten als Ruheund Rückzugsräume zu bewahren. Die PKK ist nach wie vor in der Lage und bereit, zumindest punktuell Gewalt auch in Deutschland einzusetzen bzw. Gewalttaten ihrer jugendlichen Anhänger zu dulden. Als wesentliche Propagandaplattformen dienen in Deutschland neben Fernsehsendern regelmäßig erscheinende Zeitungen wie beispielsweise die Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" ("Neue Freie Politik"), in der regelmäßig Stellungnahmen von führenden PKK-Funktionären veröffentlicht werden. Auch soziale Netzwerke im Internet nutzt die PKK-Anhängerschaft intensiv zur Verbreitung von Propaganda und zur Mobilisierung für Veranstaltungen und Kundgebungen. Reaktionen der PKK auf die Entwicklungen in der Türkei Für das Aktivitätsund Aggressionsniveau der PKK in Deutschland ist die innenpolitische Lage in der Türkei ein entscheidender Faktor. Die PKK-nahe Szene reagiert mitunter äußerst rasch und unmittelbar auf Ereignisse und Konflikte in der Türkei und der umliegenden Region. Dadurch wollen die PKK-Anhänger in Deutschland Einfluss auf die türkische Innenpolitik und die auswärtigen Beziehungen der Türkei ausüben, den türkisch-kurdischen Konflikt zugleich aber auch auf die Tagesordnung deutscher und internationaler Politik bringen. Anlässlich der türkischen Militäroffensive im kurdisch dominierten Gebiet Afrin in Nordsyrien zu Beginn des Jahres fanden über mehrere Monate zahlreiche Protestkundgebungen im gesamten Bundesgebiet unter maßgeblicher Initiative des PKK-nahen sowie deutschen linksextremistischen Spektrums statt. In Bayern waren vor allem die Städte München und Nürnberg Schauplatz zahlreicher Versammlungen mit jeweils bis zu 1.000 Teilnehmern. In München besetzten am 20. März ca. 20 kurdische und linksextremistische Aktivisten die SPD-Zentrale. Nach dem Eintreffen der Polizei wurde die Aktion beendet. Im Vorfeld der türkischen Parlamentsund Präsidentschaftswahlen am 24. Juni mobilisierte die PKK im Rahmen von zahlreichen internen wie öffentlichen Veranstaltungen ihre Anhänger 86 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 bundesweit, um den Wahlkampf der prokurdischen "Demokratischen Partei der Völker" (HDP) zu unterstützen. Die Partei erzielte einen Stimmanteil von 11,5 Prozent und zog mit 67 Sitzen ins türkische Parlament ein. Ihr Anteil unter den in Deutschland abgegebenen Stimmen betrug 14,8 Prozent. Der Deutschlandbesuch des türkischen Staatspräsidenten Erdogan vom 27. bis 29. September mit Stationen in Berlin und Köln war Anlass für mehrere Protestaktionen unter Beteiligung Proteste gegen türdes PKK-nahen sowie des deutschen linksextremistischen kischen Präsidenten Spektrums im gesamten Bundesgebiet. Unter dem Motto "Erim Bundesgebiet dogan Not Welcome" wurden am 27. September in Berlin sowie und in Bayern am 29. September in Köln Großdemonstrationen durchgeführt. Aus Bayern reisten hierzu ein Reisebus aus Regensburg sowie einzelne Pkw aus Nürnberg an. Auch in Bayern fanden zwei Kundgebungen mit dem Titel "Erdogan Not Welcome" statt. Am 26. September versammelten sich in München bis zu 20 sowie in Nürnberg bis zu 60 Personen, um gegen die Deutschlandvisite des türkischen Staatsoberhaupts zu protestieren. Aufgerufen hatten hierzu vor allem Organisationen aus dem PKK-nahen Spektrum. Beide Versammlungen verliefen störungsfrei. Am 27. September setzte sich ein PKK-Aktivist im Landkreis Eichstätt selbst in Brand. Unmittelbar vor seiner Selbsttötung hatte er ein Video aufgenommen, in dem er in kurdischer Sprache u. a. gegen den Deutschlandbesuch des türkischen Staatspräsidenten agitiert. Selbstverbrennungen von PKK-Anhängern als öffentlichkeitswirksame Formen des Protests hatte es in Deutschland zuletzt in den 1990er Jahren gegeben. Die Selbstverbrennung des bayerischen PKK-Aktivisten steht im Gegensatz zu den aktuellen Leitlinien der PKK-Führung, die eine gemäßigte Form des Protests in Deutschland vorgeben. Die Ausrichtung des jährlich stattfindenden kurdischen Kulturfestivals, das in den vergangenen Jahren regelmäßig über 10.000 Besucher anzog, wurde auf Grund des mangelhaften Sicherheitsund Verkehrskonzepts zunächst untersagt und konnte nicht, wie von den Veranstaltern geplant, in Dinslaken (NRW) stattfinden. Die dem PKK-nahen Spektrum angehörigen Organisatoren führten als Ersatzveranstaltung eine Protestkundgebung am 8. September in Düsseldorf (NRW) durch. Die Teilnehmerzahl blieb mit 3.500 Personen weit hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück. Auch aus Bayern reisten Teilnehmer an. 87 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Ausländerextremismus Im Zusammenhang mit der Erweiterung der Verbotsverfügung gegen die PKK und ihre Kennzeichen im März 2017 und der konsequenten Durchsetzung des Verbots durch die deutschen Sicherheitsbehörden ist auch weiterhin mit darauf bezogenen Protest-, Umgehungsund Provokationsaktionen seitens der PKK und ihrer Anhänger in Deutschland zu rechnen. Vor allem das Verbot des öffentlichen Zurschaustellens des Konterfeis des PKK-Gründers Abdullah Öcalan birgt ein hohes Emotionalisierungsund Mobilisierungspotenzial unter PKK-Anhängern. Rolle der Jugendorganisation Die offizielle Leitlinie der PKK für ihre Anhänger in Europa lautet, friedlich zu bleiben und sich auf die legalen Möglichkeiten des Protests zu beschränken. In den letzten Monaten zeichnete sich jedoch eine steigende Gewaltneigung vor allem bei jüngeren PKK-Anhängern ab, was insbesondere im Zusammenhang mit den bundesweiten Anschlägen gegen vornehmlich türkische Einrichtungen deutlich wurde. Vor allem auf Webseiten von Jugendorganisationen, die der PKK nahestehen, wurden Tatbekenntnisse veröffentlicht. So hatte im März die "Apoistische Jugendinitiative" im Vorfeld einer Brandanschlagsserie eine schriftliche Erklärung veröffentlicht, in der sie bekannt gab, den "Krieg auf Europas Straßen" tragen zu wollen. Weiter heißt es in der Erklärung: Unsere linken Freundinnen und Freunde haben für viele Länder und Städte Europas radikale Aktionen angekündigt [...]. Als apoistische Jugend schließen wir uns diesen Aktionen an. [...] Wenn uns niemand zuhören will werden wir jede Innenstadt Europas in Schutt und Asche legen. Zusammenarbeit mit Linksextremisten Zwischen der PKK und deutschen linksextremistischen Gruppen kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu themenbezogener Kooperation und gegenseitiger Unterstützung. Eine Zusammenarbeit erfolgt vorwiegend dann, wenn sich die vom linksextremistischen Spektrum besetzten Aktionsfelder wie z. B. Antiimperialismus oder Antimilitarismus und das von der 88 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 PKK besetzte Themenpotenzial überschneiden. Die türkische Militäroffensive in Afrin löste ein erneutes Zusammenrücken beider Lager aus. Im Zusammenhang mit der bundesweiten Anschlagsserie gegen vorwiegend türkische Einrichtungen gab es auch Bezüge zu deutschen Linksextremisten. Auf linksextremistischen Foren und Internetseiten wurden unter dem Schlagwort "fight4afrin" entsprechende Straftaten bejubelt sowie Gewaltaufrufe der PKK nahestehender Organisationen veröffentlicht. 3.2 Türkische Linke 3.2.1 DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)/ Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) Mitglieder Deutschland: 650 Bayern: 80 Gründung 1994 in Syrien Publikation Yürüyüs Die DHKP-C ist in Deutschland seit 1998 verboten. Die Verbreitung der Publikation "Yürüyüs" ist nach Mitteilung des Bundesministeriums des Innern strafbar. Die revolutionär-marxistische DHKP-C zählt zu den militantesten türkischen Extremistengruppen, die mithilfe einer bewaffneten Revolution auf die Zerschlagung des türkischen Staates zielen. Ziele ihrer Agitation sind die NATO, die USA sowie die Türkei und ihre Gesellschaftsordnung. Die DHKP-C richtet sich damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährdet die Innere Sicherheit und die öffentliche Ordnung sowie sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland. Die DHKP-C wurde 1994 in Syrien gegründet und ging aus dem "Karatas-Flügel" der "Devrimci Sol" (Revolutionäre Linke) hervor. Sie versteht sich, wie die Ursprungsorganisation, als eine an den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus ausgerichtete Volksbewegung. Die DHKP-C erklärte 1999 für Deutschland einen Gewaltverzicht, wobei jedoch am bewaffneten Kampf in der Türkei festgehalten wurde. Das Bundesministerium des Innern verfügte 1998 ein Vereinsverbot. Seit 2002 ist die DHKP-C auf der EU-Terrorliste aufgeführt. 89 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Ausländerextremismus Grup Yorum Nach wie vor stellen Auftritte der türkischen Musikgruppe "GRUP YORUM", die nach eigenem Bekunden ein dezidiert "revolutionär-sozialistisches Musikverständnis" pflegt, einen wichtigen Bestandteil der Propagandaaktivitäten der DHKP-C dar. Die DHKP-C nutzt die Popularität der Gruppe, um über ihren Anhängerkreis hinaus Personen anzusprechen und zu mobilisieren. "GRUP YORUM" tritt in Deutschland vorrangig bei Veranstaltungen auf, die durch Verantwortliche der DHKP-C oder deren Tarnvereine organisiert werden. Am 29. September fand u. a. ein Konzert in Frankfurt am Main statt, an dem sich auch einige Aktivisten aus Bayern beteiligten. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hatte zuvor das zunächst von der Stadt Frankfurt am Main verhängte Auftrittsverbot der Gruppe aufgehoben und den Auftritt unter Auflagen gestattet. So waren etwa jegliche Propaganda oder Werbeaktivtäten im Rahmen der Veranstaltung für die DHKP-C sowie die Darbietung bestimmter auf die DHKP-C bezogener Lieder verboten. 3.2.2 Türkische Kommunistische Partei/MarxistenLeninisten - Partizan Flügel (TKP/ML - Partizan Flügel) Mitglieder Deutschland: 800 Bayern: 80 Gründung 1994 in der Türkei Die TKP/ML - "Partizan Flügel" vertritt die Ideologie des Marxismus-Leninismus, ergänzt um die Ideen Mao Tse-tungs. Sie befürwortet den bewaffneten Kampf und propagiert den Bürgerkrieg. Ziel ist die Errichtung eines kommunistischen Regimes. Die TKP/ML - "Partizan Flügel" spaltete sich 1994 aus der bereits seit den 1970er-Jahren bestehenden Mutterorganisation "TKP/ML" ab. Die Anhänger der TKP/ML - "Partizan Flügel" sind seit Sommer 1997 in den beiden Basisorganisationen "Föderation der Arbeiter aus der Türkei e. V." (ATIF) und der Ende 1986 gebildeten "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" (ATIK) organisiert. Beide Vereinigungen präsentieren sich als Massenorganisationen und tarnen ihre Verbindungen zur TKP/ML - "Partizan Flügel". Sie beschränken sich in Deutschland auf Propagandaaktivitäten und auf die Beschaffung finanzieller Mittel. 90 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Im Jahr 2015 hat der Generalbundesanwalt ExekutivmaßnahStrafverfahren men gegen mutmaßliche Mitglieder der TKP/ML eingeleitet, davor dem OLG runter auch gegen zwei Aktivisten aus dem Raum Nürnberg. Die München Beschuldigten sind dringend verdächtig, sich als Mitglieder bzw. Rädelsführer an der ausländischen terroristischen Vereinigung "TKP/ML" beteiligt zu haben. Gegen zehn Personen wurde deshalb Anklage wegen Verstoßes gegen SSSS 129 a, 129 b StGB erhoben. Am 17. Juni 2016 hat der Prozess vor dem Oberlandesgericht München begonnen. Seitdem finden regelmäßig Kundgebungen von Anhängern der "TKP/ML" vor dem Gerichtsgebäude statt. Das Verfahren dauert noch an. 3.2.3 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Mitglieder Deutschland: 600 Bayern: 30 Gründung 1994 in der Türkei Publikation Atilim (Angriff) Die MLKP ist marxistisch-leninistisch geprägt und strebt die gewaltsame Zerschlagung der staatlichen Ordnung der Türkei und die dortige Errichtung einer kommunistischen Diktatur an. Die in der Türkei verbotene terroristische MLKP entstand 1994 aus dem Zusammenschluss zweier türkischer linksextremistischer Organisationen. Ihre Basisorganisation ist die "Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e. V." (AGIF) mit Sitz in Köln. Die örtlichen AGIF-Vereine in Deutschland sind zuständig für die politische Basisarbeit. Ihr europäischer Dachverband trägt den Namen "Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa" (AvEG-KON). Mit ihrer Jugendorganisation "Young Struggle" gelingt es der MLKP weiterhin, auch junge Menschen in Bayern zu mobilisieren. "Young Struggle" beteiligte sich gemeinsam mit anderen extremistischen Gruppen an den bundesweit unter dem Motto "Erdogan Not Welcome" koordinierten Aufrufen zu Protestkundgebungen gegen den Deutschlandbesuch des türkischen Staatspräsidenten im September. 91 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Ausländerextremismus 3.3 Türkische Rechtsextremisten: ÜlkücüBewegung ("Idealisten"-Bewegung) Mitglieder Deutschland: 10.000 Bayern: 1.300 Publikationen Türk Federasyon Bülteni und Alperen/Alperen-Genclik Die "Ülkücü-Bewegung" umfasst ein breites Spektrum ultranationalistischen und rassistischen Gedankenguts, teils werden auch einzelne Elemente islamistischer Ideologie aufgegriffen. Symbol der Bewegung ist ein mit fünf Fingern stilisierter Wolfskopf, weshalb die Anhänger der Bewegung auch als "Graue Wölfe" bezeichnet werden. Die zahlenmäßig stärkste Anhängerschaft der "Ülkücü-Bewegung" in Deutschland ist in sog. Kulturund Idealisten-Vereinen der "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V." (ADÜTDF) organisiert. Die ADÜTDF wurde 1978 in Frankfurt am Main durch den Zusammenschluss von zahlreichen türkischen Vereinen gegründet. Die nationalistische ADÜTDF vertritt eine extreme Variante des türkischen Nationalismus und ist damit Teil der weltweit organisierten "Ülkücü-Bewegung". Durch ihr teilweise extrem nationalistisches Gedankengut verfolgt die ADÜTDF Bestrebungen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Sie gilt seit ihrer Gründung als Auslandsorganisation der türkischen "Partei der Nationalen Bewegung" (MHP), dem politischen Arm der "ÜlkücüBewegung" in der Türkei. Die ADÜTDF ist in Bayern vor allem mit kulturellen, religiösen und sportlichen Veranstaltungen aktiv, auch um neue Mitglieder zu werben. Regionale Schwerpunkte sind die Ballungsräume München, Nürnberg und Augsburg. Am 30. Dezember veranstaltete die ADÜTDF ein Konzert in München. Die Veranstaltung war Teil einer Konzertreihe, die in mehreren deutschen Städten stattfand. Ziel der ADÜTDF und ihrer Vereine ist es, mit derartigen Musikevents, die in der Regel in einem familienfreundlichen Umfeld stattfinden, das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Szene zu stärken, potenzielle Anhänger, insbesondere Kinder und Jugendliche, möglichst früh an die "Ülkücü"-Ideologie heranzuführen und nicht zuletzt auch Einnahmen für die beteiligten Organisationen zu generieren. 92 Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Als weiterer Dachverband ist der "Verband der Türkischen Kulturvereine in Europa e. V." (ATB) der "Ülkücü-Bewegung" zuzuordnen. Der ATB mit Sitz in Frankfurt am Main wurde im Jahr 1992 in Deutschland gegründet. Er verbindet die islamische Komponente mit türkisch-nationalistischem Gedankengut und zielt auf eine bewusste Beeinflussung und Prägung der Mitglieder im türkisch-nationalistischen und islamisch-religiösen Sinne. Als rockerähnliche Gruppierungen mit türkisch-nationalistischer Ausprägung sind insbesondere die Organisationen "Turkos MC" und "Turan e. V" zu nennen. Nach der Auflösung des "Turan e. V." Anfang Februar ist die Bedeutung dieser Gruppierungen allerdings stark rückläufig. In Bayern sind lediglich noch einzelne Mitglieder des MC Turkos vertreten. Ein nicht unerheblicher Teil der "Ülkücü-Bewegung" ist vereinsmäßig ungebunden und agitiert vorwiegend über die sozialen Netzwerke. Diese vor allem jugendlichen Anhänger der "Ülkücü"-Ideologie propagieren rassisch, kulturell und teilweise auch religiös geprägte Überlegenheitsideale. Ihre Zugehörigkeit zur türkisch-rechtsextremistischen Szene demonstrieren die Anhänger vor allem durch die Verwendung typischer Symbole und Kennzeichen wie dem "Wolfsgruß". Wiederholt konnten einzelnen "Ülkücü"-Anhängern in Deutschland und Bayern Straftaten wie Volksverhetzung (SS 130 StGB) nachgewiesen werden. Seit Mai 2017 musste sich der Vorsitzende eines Augsburger "Ülkücü"-Vereins wegen Volksverhetzung und Beleidigung vor dem Amtsgericht Augsburg verantworten. Im März wurde der Angeklagte zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Türkei und die dortigen politischen Entwicklungen stellen für die "Ülkücü"-Anhänger in der Bundesrepublik Deutschland eine wesentliche Bezugsgröße dar. Die türkischen Parlamentsund Präsidentschaftswahlen vom 24. Juni waren auch innerhalb der hiesigen "Ülkücü"-Szene ein zentrales Thema. In Deutschland und Bayern waren es in erster Linie vereinsmäßig organisierte "Ülkücü"-Anhänger, die sich vor allem in den sozialen Medien und an Infoständen für die MHP engagierten. Im Vorfeld der Wahl war die MHP ein Wahlbündnis mit der Regierungspartei AKP eingegangen. Die MHP erzielte bei der Wahl ein Ergebnis von 11,2 Prozent. Der Stimmanteil der MHP unter den in Deutschland lebenden wahlberechtigten türkischen Staatsbürgern lag bei 8,4 Prozent. 93 Rechtsextremismus Rechtsextremismus Rechtsextremisten setzen ihre Sicherheitsund Schutzkampagnen und ihre Agitation gegen das staatliche Gewaltmonopol fort Zunahme bei antisemitischen und fremdenfeindlichen Straftaten - Gesamtzahl der rechtsextremistischen Straftaten aber weiter rückläufig Ermittlungen gegen Hintermänner und Rädelsführer der verbotenen Organisation "Blood & Honour" wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus hat viele verschiedene Ausprägungen: Parteien kämpfen um Einfluss in Parlamenten. Ideologen versuchen, rassistisches und nationalistisches Gedankengut intellektuell zu verpacken. Antisemiten schreiben der Existenz von Juden die Ursache aller Probleme zu. Neonazis bekennen sich offen zum Nationalsozialismus und treten teilweise aggressiv und kämpferisch auf. Daneben versuchen sie durch die Gründung von Tarnorganisationen, ihre wahren Absichten zu verschleiern. Kennzeichnend für rechtsextremistische Strömungen sind die übersteigerte Betonung der Nation sowie ein autoritäres Denken, das die "Volksgemeinschaft" über das Individuum stellt. Gemeinsames Ziel ist die Abschaffung zentraler Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, beispielsweise das Recht auf Wahlen. Darüber hinaus richten sich rechtsextremistische Bestrebungen gegen die universelle Geltung der Menschenrechte und die im Grundgesetz verankerte Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz. Das rechtsextremistische Weltbild geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zu einer "Rasse" den Wert eines Menschen bestimmt. Rassistisch motiviert ist neben der rechtsextremistischen Agitation gegen Flüchtlinge und Asylsuchende auch die Überzeugung, durch "Ethnopluralismus", d. h. durch die räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Ethnien, die Identität des Volkes zu schützen. 95 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus 1. PERSONENPOTENZIAL IN BAYERN Parteien 2017 2018 NPD 600 500 Der Dritte Weg 140 160 DIE RECHTE 20 10 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene 580 570 Strukturen* Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches 1.060 1.200 Personenpotenzial** Summe 2.400 2.440 Mehrfachzählungen*** 80 80 Gesamtzahl 2.320 2.360 Neonazis von der Gesamtzahl 670 680 Gewaltorientierte Personen von der Gesamtzahl**** 1.000 1.000 Die Zahlen sind geschätzt und gerundet. * Dazu zählen Personen in rechtsextremistischen Zusammenschlüssen und Vereinen, beispielsweise in subkulturell geprägten Gruppen oder in neonazistischen Kameradschaften. Als Kategorie neu eingeführt im Jahr 2017. ** Dazu zählen Rechtsextremisten, die keiner Partei oder Organisation zugeordnet werden können, beispielsweise rechtsextremistische Internetaktivisten oder rechtsextremistische Strafund Gewalttäter. Als Kategorie neu eingeführt im Jahr 2017. *** Mehrfachzählungen werden vom Gesamtpotenzial abgezogen. **** Dazu zählen gewalttätig, gewaltbereit, Gewalt unterstützend und Gewalt befürwortend. Personenpotenzial Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Bayern belief in Bayern sich Ende 2018 auf insgesamt 2.360 Personen. Dies entspricht einem Zuwachs von 40 Personen im Vergleich zum Vorjahr (2017: 2.320). Die Zahl der Neonazis stieg leicht auf 680 Personen. Das Kategoriensystem zur Erfassung des rechtsextremistischen Personenpotenzials wurde im Jahr 2017 überarbeitet. Unterschieden werden die drei Kategorien - Parteien, - parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen - sowie weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial. 96 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Im Jahr 2018 wurden in Bayern insgesamt 670 Mitglieder und Sympathisanten rechtsextremistischer Parteien erfasst. Während das Personenpotenzial der Parteien NPD (2017: 600) und "DIE RECHTE" (2017: 20) weiterhin rückläufig war, stieg das Personenpotenzial der Partei "Der Dritte Weg" im Vergleich zum Vorjahr um 20 auf nunmehr 160 Personen an (2017: 140). Der anhaltende Rückgang der Anhängerzahlen der NPD zeigt, dass es für rechtsextremistische Parteien zunehmend schwieriger wird, für sich zu mobilisieren. Ferner ist in Teilen der rechtsextremistischen Szene eine tendenzielle Hinwendung zu moderneren, dezentraleren Formen des extremistischen Aktionismus zu beobachten. Diese Entwicklung lässt sich u. a. auch am hohen Anteil des weitgehend unstrukturierten Personenpotenzials innerhalb des rechtsextremistischen Gesamtpersonenpotenzials ablesen. Die Kategorie der parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen umfasst Personen in rechtsextremistischen Zusammenschlüssen und Vereinen, beispielsweise in subkulturell geprägten Gruppen oder in neonazistischen Kameradschaften. In 2018 zählten hierzu insgesamt rund 570 Personen. Dem weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial werden Rechtsextremisten zugeordnet, die keiner Partei oder Organisation zugerechnet werden können, wie beispielsweise rechtsextremistische Strafund Gewalttäter, rechtsextremistische Internetaktivisten oder einzelne subkulturelle Rechtsextremisten. Diesem Personenpotenzial werden in Bayern etwa 1.200 Personen (2017: 1.060) zugerechnet. Dabei geht insbesondere das im Internet aktive unstrukturierte Personenpotenzial weit über das bekannte parteiund organisationsgebundene rechtsextremistische Spektrum hinaus und ist zahlenmäßigen Schwankungen unterworfen. Das Internet wird von rechtsextremistischen Einzelpersonen dazu genutzt, manipulative und extremistische Inhalte zu verbreiten. Sie wollen ein Klima von Misstrauen und Hass gegenüber Flüchtlingen und Andersdenkenden, aber auch gegenüber etablierten Medien, staatlichen Einrichtungen und dem demokratischen Prozess schaffen. Soziale Medien bieten diesen Einzelpersonen niedrigschwellige Möglichkeiten, im virtuellen Räumen verfassungsfeindliche Propaganda zu betreiben, sich zu vernetzen und Aktionen zu planen, die im äußersten Fall zur Begehung von schweren Straftaten in der Realwelt führen können. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat im Gegensatz zu anderen Bundesländern die Befugnis, Einzelpersonen unter den gleichen Voraussetzungen wie Organisationen zu be97 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus obachten. Es ist eine niedrige zweistellige Zahl von Mitgliedern der AfD in Bayern bekannt, die Verbindungen in die rechtsextremistische bzw. verfassungsschutzrelevante islamfeindliche Szene bzw. in die Reichsbürgerszene aufweisen. 2. GEWALTPOTENZIAL Gewaltkult Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, verbunden mit Hass und Ablehnung von Demokratie und pluralistischer Gesellschaft, bilden den Nährboden für rechtsextremistische Gewalttaten. Die Abwertung und die Entmenschlichung von Menschen und Menschengruppen fördern ein Sinken der Hemmschwelle zur Gewaltanwendung. Der in Teilen der Szene gepflegte Gewaltkult, der mit der Verherrlichung von "kriegerisch-soldatischer Tugend" einhergeht, wirkt sich ebenfalls auf Gewaltbefürwortung und -anwendung aus. In der Vergangenheit fielen innerhalb der rechtsextremistischen Szene in erster Linie Neonazis und Skinheads durch ihre Gewaltbereitschaft auf. Beispiele hierfür waren bereits in den 1990erJahren die rassistischen Übergriffe in Mölln, Solingen und Rostock-Lichtenhagen. Zu dieser Zeit wurde die rechtsextremistische Szene jünger, aktionistischer und militanter. Innerhalb der Szene kursierten Texte, die zum bewaffneten Kampf aufriefen wie beispielsweise "The Turner Diaries" des US-amerikanischen Rechtsextremisten und Verlegers William Pierce, in denen er den Rassenkrieg propagierte. Im Zusammenhang mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 bekam die rechtsextremistische Szene ideologischen und propagandistischen Auftrieb, wodurch ein Resonanzboden für rechtsextremistische Ideologiefragmente entstand. Die Folge war ein Ausfransen der rechtsextremistischen Szene in ein Umfeld hinein, das bislang nicht in rechtsextremistischen Strukturen verankert war, diesen aber offenkundig ideologisch nahesteht. Dies hatte Auswirkungen auf Radikalisierungsprozesse und rechtsextremistisch motivierte politische Gewalt: Viele Strafund Gewalttaten gegenüber Flüchtlingen und deren Unterkünften wurden in der Folge von radikalisierten Personen und Kleingruppen begangen, die bislang keine Bindung an rechtsextremistische Strukturen aufwiesen. Befeuert wird dies insbesondere durch unzählige Hasskommentare im Internet und in sozialen Netzwerken, die geprägt sind von der rassistischen Abwertung von Migranten und teilweise offen kommunizierten Gewaltfantasien. Der Personenkreis, von dem rechtsextremistisch motivierte Gewalt ausgehen kann, hat sich dadurch vergrößert. 98 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 2.1 Gewaltorientierte rechtsextremistische Szene in Bayern Die Mehrzahl der rechtsextremistischen Gewalttaten wird spontan verübt. Häufig erfolgen solche Taten aus einer Situation heraus, in der Rechtsextremisten - einzeln oder in kleinen Gruppen - auf Personen treffen, die den typischen rechtsextremistischen Feindbildern entsprechen. Allerdings gibt es auch immer wieder Zusammenschlüsse von Personen, die auf eine geplante Begehung von Gewalttaten abzielen. Nach elfmonatiger Beweisaufnahme verurteilte das OberlanHaftstrafen gegen desgericht München am 15. März 2017 vier Mitglieder der "OIdMitglieder der schooI Society" (OSS) zu Haftstrafen zwischen drei und fünf "Oldschool Society" Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten eine terroristische Vereinigung mit dem Ziel gebildet hatten, Anschläge auf Flüchtlinge bzw. deren Wohnumgebung durchzuführen. Das Urteil ist rechtskräftig. Die rechtsextremistische OSS hatte sich im August 2014 als zunächst virtuelle Gruppe bei einem Instant-Messenger-Dienst gegründet. Es entstanden mehrere Chatgruppen, die hauptsächlich zur Kontaktpflege und zum Austausch rechtsextremistischer Ansichten genutzt wurden. Oberflächliche völkisch-rassistische Ideologieelemente vermischten sich mit der Ablehnung von Menschen mit Migrationshintergrund und Muslimen. In der Hauptchatgruppe waren bis zu 20 Personen aktiv. Die Gruppe radikalisierte sich so weit, dass Mitglieder sich zum Ziel setzten, in kleinen Gruppen Anschläge zu begehen. Für derartige Aktionen waren bereits pyrotechnische Gegenstände beschafft worden. Seit Sommer 2016 stand eine Gruppe von Hooligans und Rechtsextremisten, darunter mehrere frühere Aktivisten der Partei "DIE RECHTE" und Mitglieder der seit März 2016 verbotenen rechtsextremistischen Gruppierung "Weisse Wölfe Terrorcrew" (WWT), wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Vorbereitung eines Explosionsverbrechens (SSSS 129, 310 StGB) vor dem Landgericht Bamberg. Ihnen wurde vorgeworfen, mehrere Straftaten, u. a. Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte in Bamberg, geplant zu haben. Die Angeklagten wurden am 14. Dezember wegen Sachbeschädigungen, Körperverletzungen, der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz und das Versammlungsgesetz zu Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren beziehungsweise zu Bewährungsund Geldstrafen verurteilt. Die Bildung einer kriminellen Vereinigung konnte nicht nachgewiesen werden. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. 99 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Im Fokus der deutschen Verfassungsschutzbehörden steht auch die Organisation "Combat 18" (C18). Bei C18 handelt es sich um ein sich über mehrere europäische Länder erstreckendes Netzwerk gewaltbereiter neonazistischer Gruppierungen und Einzelpersonen. Die Organisation gilt als eng verbunden mit der in Deutschland seit dem Jahr 2000 verbotenen neonazistischen Skinhead-Organisation "Blood & Honour". Seit einigen Jahren liegen den deutschen Sicherheitsbehörden Erkenntnisse über den Ausbau von Organisationsstrukturen der Gruppe C18 vor. Am 24. September 2017 kontrollierte die Bundespolizei zwölf Angehörige der Organisation "Combat 18 Deutschland" (C18 Deutschland) nach deren Rückreise aus der Tschechischen Republik am Grenzübergang Schirnding, wo die Betroffenen zuvor in der Grenzstadt Cheb einen Schießstand besucht haben sollen. Im Rahmen der Grenzkontrolle wurden Patronen, Gewehrmunitionen und Flintenlaufgeschosse beschlagnahmt. Gegen zwei hessische Gruppenmitglieder wurde vor dem Amtsgericht Hof Anklage wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz erhoben. Das Amtsgericht verurteilte einen der beiden Angeklagten am 13. März zu einer Geldstrafe i. H. v. 3.000 Euro. Der zweite Angeklagte wurde am 24. April zu einer Freiheitstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Urteile sind rechtskräftig. 2.2 Gewalt gegen Flüchtlinge Die aggressive Hetze gegen Flüchtlinge, die rechtsextremistische Parteien wie NPD, "Der Dritte Weg", "DIE RECHTE" und andere rechtsextremistische Organisationen insbesondere über das Internet verbreiten, dauerte auch 2018 an. Die Zahl der in diesem Zusammenhang begangenen Straftaten entwickelte sich jedoch weiter rückläufig. So wurden bis zum 31. Dezember 2018 in Bayern insgesamt 18 Übergriffe auf Liegenschaften zur Unterbringung von Flüchtlingen registriert, die alle rechtsextremistisch motiviert waren (2017: insgesamt 32 Delikte, davon 29 rechtsextremistisch motiviert, 2016: 94/84). Die den Sicherheitsbehörden der Bundesländer vorliegenden Erkenntnisse ergaben bislang keine Anhaltspunkte für eine zentrale Steuerung von Gewalttaten oder eine regionale oder überregionale Koordinierung von Straftaten durch Rechtsextremisten. Täter waren nicht nur gewaltorientierte Szeneangehörige, sondern auch Personen, die bislang nicht in rechtsextremistischen 100 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Strukturen aktiv waren. Die Ergebnisse der polizeilichen Auswertung zeigen, dass es sich bei den ermittelten Tatverdächtigen um männliche Personen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren handelt. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass rechtsextremistische und fremdenfeindliche Propaganda und Agitation in nichtextremistische Milieus hineinwirken kann. Häufig stammten die Tatverdächtigen sogar aus der unmittelbaren Nachbarschaft des angegriffenen Objekts. Einige Tatverdächtige hatten einen allgemeinkriminellen Vorlauf bzw. Bezüge zur Hooligan-Szene. Bei der Mehrzahl der Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte Gewalttaten gegen handelte es sich um Sachbeschädigungen. Es wurde jedoch Asylunterkünfte auch eine Gewalttat begangen. Am 17. März warfen mutmaßlich zwei Täter zwei selbstgebaute Brandsätze auf das Gelände der Asylbewerberunterkunft in Nußdorf am Inn. Einer der Brandsätze brannte auf dem Gehweg vor der Asylbewerberunterkunft ab, der zweite in unmittelbarer Nähe des Wohnhauses. Zu einem Übergreifen der Flammen auf das Gebäude kam es nicht. Menschen kamen nicht zu Schaden. In der Nacht auf den 2. April zündeten dieselben Täter einen pyrotechnischen Gegenstand vor derselben Unterkunft. Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen wurden drei Wohnungen durchsucht und mehrere illegale Waffen, Munition und Propagandamaterial sichergestellt. Tatverdächtig waren zwei Männer im Alter von 20 und 23 Jahren. Einer von ihnen räumte bei seiner Vernehmung sowohl seine als auch die Täterschaft des anderen an den Anschlägen vom 17. März und 2. April vollumfänglich ein. Die beiden Täter wurden rechtskräftig zu Freiheitsstrafen von 3 Jahren und 9 Monaten verurteilt. In 13 Fällen wurden auch rechtsextremistisch motivierte GewaltGewalttaten gegen taten begangen, die sich unmittelbar gegen einzelne AsylbewerAsylbewerber ber richteten. Mehrere Personen stellten sich am 30. Juli in den Weg einer Gruppe afghanischer Asylbewerber, die gerade das Chamer Volksfest verlassen wollten. Sie attackierten sie zunächst verbal. Ein Täter schlug im weiteren Verlauf einem Asylbewerber mit der Faust ins Gesicht, so dass dieser zu Boden ging. Er und ein weiterer Täter traten auf ihn ein. Währenddessen riefen sie "Ausländer raus", "Scheiß Ausländer" und "Heil Hitler" und zeigten den Hitlergruß. Der Asylbewerber wurde mittelschwer verletzt und verblieb zwei Tage stationär im Krankenhaus. 101 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus 2.3 NSU-Prozess Die rechtsterroristische Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) hat zwischen September 2000 und April 2007 bundesweit insgesamt zehn Personen ermordet. Drei dieser Taten wurden in Nürnberg (2000, 2001 und 2005) und zwei in München (2001 und 2005) begangen. Der Gruppierung werden weitere rechtsextremistisch motivierte Sprengstoffanschläge und eine Vielzahl von Banküberfällen zugerechnet. Die als Haupttäter erkannten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden am 4. November 2011 erschossen in einem von der Polizei umstellten Wohnmobil aufgefunden. Die als Mittäterin verdächtige Beate Zschäpe stellte sich nach mehrtägiger Flucht am 8. November 2011 der Polizei. Am 6. Mai 2013 begann vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München der Prozess gegen Zschäpe und weitere Beschuldigte u. a. wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung im Zusammenhang mit dem NSU. Lebenslange HaftAm 11. Juli verkündete das Oberlandesgericht München die strafe gegen Beate Urteile in den Strafverfahren gegen Beate Zschäpe und weiteZschäpe re Beschuldigte. Zschäpe erhielt wegen zehnfachen Mordes, mehrfachen versuchten Mordes, mehrerer Raubüberfälle, eines versuchten Mordes durch eine schwere Brandstiftung sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eine lebenslange Haftstrafe. Die besondere Schwere der Schuld wurde festgestellt. Die weiteren vier Angeklagten erhielten unter anderem wegen Beihilfe zum Mord und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung mehrjährige Jugendbeziehungsweise Freiheitstrafen zwischen zweieinhalb und zehn Jahren. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Reaktionen der Vor allem in der parteiund organisationsgebundenen rechtsexrechtsextremistitremistischen Szene sorgte das Urteil nur für wenig öffentliche schen Szene auf Resonanz. Die Reaktionen beschränkten sich in der Regel auf Verurteilungen kurze Kommentare in sozialen Medien und den Online-Auftritten einzelner Parteien und Gruppen. Gemeinsamer Tenor der meisten Reaktionen war die Festlegung darauf, dass es sich beim NSU um ein staatlich gesteuertes Konstrukt gehandelt habe, welches das Ziel hatte, die rechtsextremistische Szene zu diskreditieren. Entsprechend wurden der Prozess und das Urteil meist als "politisch motiviert und gesteuert" deklariert. 102 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Die Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) diffamierte auf ihrer Homepage den NSU-Prozess als "Schauprozess". In ihrer Reaktion auf das Urteil behauptete sie, das Gericht habe "trotz fehlender Beweise, unzählige[r] Ungereimtheiten, dubiose[r] Verstrickungen mit dem Verfassungsschutz, toter Zeugen und einer unschlüssigen Indizienkette unter dem Druck der Öffentlichkeit" geurteilt. Auch der ehemalige NPD-Funktionär Karl Richter, der die rechtsextremistische Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA-München) im Münchner Stadtrat vertritt, veröffentlichte mehrere Facebook-Posts zum Thema, in denen er u. a. behauptete, Beate Zschäpe habe "nachweislich keine der ihr zu Last gelegten Morde begangen". Richter agitierte ferner gegen die Justiz und diskreditierte deutsche Rechtsprechungsorgane als "Willkürjustiz". Gleichzeitig nahmen Teile der rechtsextremistischen und neonazistischen Szene bisweilen auch positiven Bezug auf den NSU, auf dessen Protagonisten und Symbole und benutzten Provokationen mit diese als provokative Chiffre. Beispielsweise wurde im Herbst Symbolen des NSU 2017 im Rahmen einer Kundgebung des rechtsextremistischen PEGIDA-München e. V., die als Gegenveranstaltung zu einem zeitgleich stattfindenden Antifa-Kongress organisiert wurde, auf eine Leinwand ein Bild des PEGIDA-München-Vorsitzenden Heinz Meyer mit der Figur des "Paulchen Panther" projiziert. Begleitend wurde eine abgewandelte Version des Liedtextes zur Abspannmelodie der TV-Zeichentrick-Serie "Der rosarote Panther" abgebildet. Der dargestellte Text enthielt unter anderem die Zeilen: Von jetzt ab, da ist eines klar: Das Paulchen jagt bald Antifa! sowie Von Wies'n bis DGB Haus ist's nicht weit, da nimmt sich Paulchen gerne Zeit. Der NSU hatte die Figur sowie die Melodie der Serie Paulchen Panther in ihrem Bekennervideo eingesetzt. 103 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Heinz Meyer wurde im August vor dem Amtsgericht München zu einer Bewährungsstrafe von fünf Monaten und einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen verurteilt. Das Urteil, welches die Straftatbestände der Billigung von Straftaten sowie des Verstoßes gegen Versammlungsauflagen umfasst, bezieht sich u. a. auf die Projektionsinstallation der PEGIDA-München e. V. vom Herbst 2017. Die Richter erkannten darin einen direkten Bezug zum NSU sowie Anspielungen auf das Oktoberfest-Attentat des Jahres 1980. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. 2.4 Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" Politisch motivierte Gewaltdelikte 2016 2017 2018 Tötungsdelikte (auch Versuch) 5 0 0 Körperverletzungen 91 59 58 Brandund Sprengstoffdelikte 5 1 1 Landfriedensbruch 0 0 0 Erpressung 8 6 1 sonstige 4 2 3 Gewalttaten gesamt 113 68 63 Kriminelle Vereinigung/Terrorismus 1 1 0 sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 133 154 106 Propagandadelikte 1.298 1.085 1.124 Nötigung/Bedrohung 49 48 48 Volksverhetzung 558 345 350 sonstige Straftaten 227 196 143 gesamt 2.265 1.828 1.771 Straftaten insgesamt 2.379 1.897 1.834 104 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Gewalttaten Im Jahr 2018 wurden in Bayern 63 rechtsextremistisch motivierte Gewaltdelikte registriert (2017: 68). Dabei handelt es sich überwiegend um Körperverletzungsdelikte. Von den Gewalttaten waren 10 (2017: 20) allgemein neonazistisch motiviert; 9 dieser Delikte waren gegen den politischen Gegner gerichtet (2017: 14). 49 Gewalttaten (2017: 48) waren fremdenfeindlich motiviert. Bei 4 der Gewaltdelikte lag eine antisemitische Motivation zugrunde (2017: 0). Insgesamt konnten 42 Gewalttaten aufgeklärt werden, dabei wurden insgesamt 54 Tatverdächtige ermittelt, darunter 6 Frauen. Wie im Jahr 2017 gehört mit 47 Personen die überwiegende Zahl der Tatverdächtigen der Altersgruppe über 21 Jahre an, 6 der Tatverdächtigen gehören zur Altersgruppe 17 bis 21 Jahre. Am 22. Februar beleidigte ein Fahrgast in München einen Taxifahrer mehrfach als "Nigger". Anschließend wurde er gegenüber dem Taxifahrer gewalttätig und schlug u. a. mit einem aus dem Fahrzeug entfernten Navigationsgerät auf ihn ein. Der Taxifahrer erlitt dabei eine Platzwunde an der Stirn. Am 26. März trat ein Täter von hinten gegen die Krücke einer Person, die ihr dadurch aus der Hand fiel. Der Täter schlug der Person daraufhin vor ihrem Wohnhaus mit der Faust in den Rücken, wodurch sie zu Boden stürzte. Dabei verletzte sie sich am Fuß. Anschließend beschimpfte sie der Täter mit den Worten "Du scheiß Jude, schreibst niemals mehr was. Das nächste Mal kriegst du ein Messer in den Bauch!". Danach flüchtete er. Die Geschädigte schreibt Blogeinträge gegen Rassismus. Sonstige Straftaten In Bayern wurden 2018 insgesamt 1.771 (2017: 1.828) sonstige rechtsextremistische Straftaten (ohne Gewalttaten) gezählt. Davon waren 980 neonazistisch (2017: 1.248), 603 fremdenfeindlich (2017: 440) und 187 antisemitisch motiviert (2017: 141). In den meisten Fällen handelte es sich um Propagandadelikte (2018: 1.124; 2017: 1.085), aber u. a. auch um Volksverhetzung (2018: 350; 2017: 345) und Sachbeschädigungen (2018: 106; 2017: 154). Volksverhetzungsdelikte richteten sich insbesondere gegen Migranten, vermeintlich ausländisch aussehende Bürger sowie gegen Menschen jüdischen Glaubens. Häufig sind diese Straftaten verbunden mit einem gewalttätigen Vorgehen der Täter. 105 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Während eines verbalen Streits in einer U-Bahn in Nürnberg beleidigte ein Fahrgast seinen Sitznachbarn und bedrohte ihn u. a. mit den Worten "Ich bringe dich um, du Jude!". Der Geschädigte fragte ihn, was er von Juden wolle. Der Täter schubste daraufhin seinen Sitznachbarn von der Bank, so dass dieser zu Boden fiel und sich am Ellenbogen verletzte. Propagandadelikte machen nach wie vor den Großteil rechtsextremistischer Straftaten aus. Beispielsweise wurden Hakenkreuze auf Wände und Fahrzeuge gesprüht bzw. geritzt und Parolen wie "Heil Hitler" und "Sieg Heil" gerufen. Zu den Propagandadelikten zählen auch neonazistische Grafiken, Filme und Lieder, die zu Propagandazwecken über Messenger Dienste oder soziale Medien verbreitet werden. 3. RECHTSEXTREMISTISCHE THEMENFELDER UND AKTIONSFORMEN 3.1 Rechtsextremistische Themenfelder Der Rechtsextremismus tritt in verschiedenen Ausprägungen nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Ideologieelemente sowie mit unterschiedlichen, sich daraus herleitenden Zielsetzungen auf. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse entscheide über den Wert eines Menschen. Dieses rechtsextremistische Werteverständnis steht in einem fundamentalen Widerspruch zum Grundgesetz, das die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Klassische Themen Rechtsextremisten versuchen, die nationalsozialistische Gewaltherrschaft unter Herausstellung angeblich positiver Leistungen zu rechtfertigen, Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime zu diffamieren und die Verbrechen des Dritten Reichs zu verschweigen, zu verharmlosen oder sogar zu leugnen (Geschichtsrevisionismus). Zusätzlich verunglimpfen sie den demokratischen Verfassungsstaat und seine Repräsentanten, indem sie beispielsweise Deutschland als Marionettenstaat ausländischer, insbesondere US-amerikanischer, Interessen darstellen. Deutsche Politiker diffamieren sie dabei regelmäßig als korrupte Handlanger ausländischer Interessen. Die eigene Organisation und ihre Vertreter sollen als die alleinigen Wahrer der Interessen des deutschen Volkes dargestellt und der politische Gegner als Verräter, der mit 106 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 krimineller Energie systematisch den Interessen der Bürger schadet, diskreditiert werden. Rechtsextremisten lehnen die Kernbereiche der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab. Hinzu kommt die pauschale Überbewertung der Interessen der "Volksgemeinschaft" zu Lasten der Interessen und Rechte des Einzelnen, die zu einer Aushöhlung der Grundrechte führt (völkischer Kollektivismus). Diese Merkmale sind nicht gleichmäßig bei allen Rechtsextremisten zu beobachten. Manchmal sind nur Teilaspekte bestimmend; auch die Intensität und die Strategie des Kampfs gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind unterschiedlich. Bestandteil der Propaganda von Rechtsextremisten sind außerNeue Themenfelder dem sozial-, wirtschaftsund umweltpolitische Themen. So wird z. B. Umweltschutz als "Heimatschutz" interpretiert und in den Kontext der völkischen Bewegung gestellt. Demzufolge ist der Schutz des eigenen Volkes untrennbar mit dem Schutz der Umwelt verbunden. Durch Verknüpfung sozialer Problemfelder mit rechtsextremistischen Theorieelementen wollen Rechtsextremisten aus den Sorgen der Bevölkerung Kapital schlagen. Teile des rechtsextremistischen Spektrums propagieren einen "volksbezogenen Sozialismus" mit dem Ziel, in sozialistisch orientierte Wählerschichten einzudringen. Agitation gegen Flüchtlinge Das rassistische Weltbild von Rechtsextremisten und ihr Nationalismus machen Asylsuchende zu einem klassischen Feindbild der rechtsextremistischen Szene. Vor dem Hintergrund der gestiegenen Flüchtlingszahlen hatte die Agitation gegen Flüchtlinge ab Sommer 2015 an Schärfe zugenommen. Seit dem Rückgang der Einreisen von Flüchtlingen im Jahr 2016 stagnieren die diesbezüglichen Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene in Bayern. Nach wie vor fanden Kundgebungen, Flugblattverteilungen und Infostände zum Themenfeld statt. Gegen Ende des Jahres schlossen sich Teile der rechtsextremistischen Szene in Bayern der Agitation gegen den "Global Agitation gegen den Compact of Migration" der Vereinten Nationen (UN) an. Die "Global Compact of "Identitäre Bewegung" (IB) agitierte auf ihren Social-Media-ProMigration" der UN filen gegen die Unterzeichnung des Pakts und führte in Bayern einzelne Aktionen zum Thema durch. So verteilten Aktivisten an zwei Infoständen in München und Augsburg am 27. Oktober Flyer gegen den Pakt. Darüber hinaus agitierten die rechtsextremistischen Parteien NPD und "Der Dritte Weg" im Internet gegen den Pakt, führten in Bayern aber keine themenbezogenen Aktionen dazu durch. 107 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Leitfaden gegen Die Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) verbreitet über ihre WebAsylbewerbersite einen Leitfaden gegen Asylbewerberunterkünfte mit dem Tiunterkünfte tel "Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft! Wie bebzw. verhindere ich die Errichtung eines Asylantenheimes in meiner Nachbarschaft". Der "III. Weg" beschreibt darin die vermeintlichen "Folgen eines Asylantenheims in der Nachbarschaft für die heimische Bevölkerung". Er gibt detaillierte Hinweise zur Organisation des Protests sowie zu juristischen Fragestellungen. Insgesamt fügt sich der Leitfaden in die fremdenfeindlichen Beiträge auf der Website des "III. Weg" ein und leitet sich ideologisch aus dem 10-Punkte-Programm der Partei ab. Darin ist u. a. von einer angeblichen Überfremdung Deutschlands und Gefahren durch steigende Asylbewerberzahlen die Rede. Die NPD, der "III. Weg" sowie die "Soldiers of Odin" und deren Nachfolgeund Splitterorganisationen, veranstalteten wiederPatrouillen und Streiholt Patrouillenund Streifengänge in bayerischen Städten. Im fengänge rechtsRahmen der Aktionen versuchten die Rechtsextremisten den extremistischer Eindruck zu vermitteln, die aktuelle Flüchtlingssituation führe Gruppierungen zu einer dauerhaft erhöhten Bedrohungsund Gefährdungslage auf deutschen Straßen, über die der Staat die Kontrolle verloren habe. Damit stellten sie das staatliche Gewaltund Ordnungsmonopol grundsätzlich in Frage. Teilweise hatten die Durchführungsorte Bezüge zu Vorfällen oder Straftaten, bei denen Asylsuchende oder Personen mit Migrationshintergrund unter Tatverdacht standen. In sozialen Netzwerken wird permanent asylfeindliche und rassistische Hetze auch von Personen verbreitet, die nicht in rechtsextremistischen Strukturen organisiert sind. Thematischer Ausgangspunkt der meisten rechtsextremistischen Beiträge zum Thema Asyl sind dabei Straftaten, die tatsächlich oder mutmaßlich durch Flüchtlinge begangen wurden. Die Beiträge, Kommentare und Diskussionen, die sich hierbei entspinnen, werden häufig aggressiv geführt und sind geprägt durch sog. "Hass-Postings", bewusst verbreitete Falschmeldungen und -darstellungen sowie Protestund Gewaltaufrufe. In diesem Zusammenhang werden auch der deutsche Staat und seine Exekutivorgane diffamiert. Es wird versucht, das Bild eines vermeintlich permanent versagenden Rechtsstaates zu vermitteln. Kundgebung der In Zusammenhang mit den Ereignissen in Chemnitz, wo es nach NPD in München einem mutmaßlich durch Migranten begangenen Tötungsdelikts mit geringer vom 26. August zu fremdenund asylfeindlichen DemonstratiResonanz onen mit bundesweiter Resonanz gekommen war, fand am 2. September in München die NPD-Kundgebung "Chemnitz ist überall - ganz Deutschland muss zur Schutzzone werden" statt. 108 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Obwohl die vom Münchner NPD-Kreisverband organisierte Veranstaltung auch vom NPD-Landesverband Bayern auf Facebook beworben wurde, nahmen lediglich etwa 10 Personen der NPD-Kreisverbände München und Nürnberg teil. Zwei Teilnehmer zeigten laut Polizei den Hitlergruß. Der stellvertretende NPD-Parteivorsitzende Ronny Zasowk rief bezugnehmend auf die Ereignisse in Chemnitz in einem Beitrag zu "politischer Notwehr" auf der Straße, an Arbeitsplätzen, Bildungseinrichtungen und in den sozialen Netzwerken auf. Rechtsextremistische Hetze und Agitation gegen Flüchtlinge sind Kampagnen "Volkshäufig eng verbunden mit der Vorstellung des "Volkstodes". Im tod" und "Großer deutschen Rechtsextremismus ist dieses Konzept seit einigen Austausch" Jahren zentrales Agitationselement. Dabei wird angenommen, dass das deutsche Volk aufgrund von niedrigen Geburtenzahlen und stetiger Zuwanderung "volksfremder" Migranten aussterben wird. Diese Entwicklung werde von den demokratischen Politikern gewollt und forciert. Die rechtsextremistische Szene greift regelmäßig im Rahmen von Aktionen und Kampagnen die "Volkstod"-These auf. Eine weitere Parole, die die rechtsextremistische Anti-Flüchtlingsagitation inzwischen ebenfalls prägt, ist der sog. "Große Austausch". Dieses dem "Volkstod" nahestehende Konzept geht zurück auf den französischen Schriftsteller Renaud Camus, der ihn mit seinem Buch "Revolte gegen den Großen Austausch" prägte. Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) benutzt diesen Begriff für ihre Kampagnen. Die Grundannahmen des "Großen Austauschs" sind denen des "Volkstodes" ähnlich: Die ethnokulturelle Identität der europäischen Völker sei durch eine Masseneinwanderung kulturfremder Einwanderer bedroht. Diese Bedrohung werde ferner durch die schwachen Geburtenjahrgänge der "ethnokulturellen" Europäer verstärkt. Ein maßgeblicher Indikator dieses "Großen Austauschs" sei die, durch die Identitären ebenfalls bekämpfte, angebliche Islamisierung Europas. Diese Entwicklung wird nach der Meinung der IBD durch die so genannten "Multikultis", also die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Eliten, gesteuert. Das Ziel sei es, die angestammten Völker und Kulturen Europas soweit zu ersetzen, dass am Ende eine steuerund austauschbare "Konsumentenmasse" entstehe. Sowohl der "Volkstod"-Gedanke als auch die Annahmen des "Großen Austausches" decken sich in weiten Teilen mit der ebenfalls im Rahmen extremistischer Anti-Flüchtlingsagitation häufig artikulierten Losung der "Umvolkung". Der Begriff "Umvolkung" entstammt ursprünglich dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch und steht für das Programm, das auf 109 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Germanisierungsmaßnahmen und die räumliche Trennung von ethnischen Gruppen bzw. deren Auslöschung in den eroberten Ostgebieten abzielte. Er wird durch Rechtsextremisten benutzt, um gegen die behauptete Verdrängung von Deutschen durch "Nicht-Deutsche" in Deutschland zu agitieren. Islamfeindlichkeit Rechtsextremistische Islamfeindlichkeit ist eine moderne Form der Fremdenfeindlichkeit. Rechtsextremisten verknüpfen dabei häufig auch die Agitation gegen Asylbewerber mit der Agitation gegen den Islam. Die Ablehnung der Muslime basiert auf dem rassistischen "Volksgemeinschafts"-Gedanken: Demzufolge gehören Muslime einer "raumfremden" Religion an und werden als "undeutsch" abgelehnt. Rechtsextremisten beteiligen sich beispielsweise an Diskussionen um den Bau von Moscheen, versuchen dort, das Wort zu ergreifen und die Veranstaltungen als Plattform für ihre Agitation zu nutzen. Muslime werden dabei pauschal als Bedrohung der Inneren Sicherheit dargestellt. Die Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) nahm das Ergebnis des Bürgerentscheides vom 22. Juli in Kaufbeuren im Regierungsbezirk Schwaben, bei dem die Vergabe eines städtischen Grundstücks an einen türkischen Verein zum Zweck der Errichtung einer Moschee von den Bürgern mehrheitlich abgelehnt wurde, zum Anlass, eine monoethnische Bevölkerung und den Zuzugstopp "artund kulturfremder Ausländer" in Deutschland zu fordern. Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) beschwört in ihrer politischen Agitation die Gefahr einer Islamisierung Europas, die die Folge von Migrationsbewegungen aus muslimisch geprägten Ländern sei und die sog. "ethnokulturelle Identität" der europäischen Völker bedrohe. Die IBD bemüht in diesem Zusammenhang immer wieder historische Ereignisse und stellt vermeintliche historische Zusammenhänge her. Wiederkehrende Motive sind dabei die Kämpfe des christlichen Europa gegen das Osmanische Reich in den Türkenkriegen des 16. und 17. Jahrhunderts sowie die "Reconquista", also die Rückeroberung der Iberischen Halbinsel von den maurischen Herrschern in der Zeit zwischen dem 8. und 15. Jahrhundert. Im Juni und Juli führte die "Identitäre Bewegung Bayern" (IB Bayern) in Ingolstadt, Memmingen, München und Rosenheim mehrere Transparentaktionen im Zusammenhang mit ihrer Kampagne "#StopFatih" durch, welche sich gegen eine angebliche Islamisierung bzw. "Eroberung" - so die deutsche Bedeutung des türkischen Wortes "Fatih" - Europas durch Muslime 110 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 und deren Kultur richtet. Die Kampagne wurde von der IB Bayern auf ihrer Homepage dokumentiert und entsprechend inszeniert. Im Rahmen der Kampagne beschwor die IB die angebliche Gefahr einer "islamischen Unterwerfung Ungläubiger" in Deutschland und Europa und propagierte ihr identitäres Gesellschaftsideal, das auf die Inkompatibilität unterschiedlicher Kulturen abzielt. Antisemitismus Rechtsextremistischer Antisemitismus ist eine rassistische Form der Judenfeindlichkeit und ein wesentlicher Bestandteil rechtsextremistischer Ideologie. Antisemitismus ist inzwischen häufig auch im Gewand des Antizionismus anzutreffen. Der antizionistische Antisemitismus gibt vor, Israel zu kritisieren, lehnt aber tatsächlich das Existenzrecht Israels ab. Er diffamiert den jüdischen Staat, indem er ihm einen "Vernichtungskrieg" und eine Politik der "Ausrottung" vorwirft. Die Feindschaft gegen den Staat Israel wird mit klassischen Stereotypen der Judenfeindschaft verbunden: von der jüdischen Finanzmacht bis hin zur jüdischen Weltverschwörung. Der NPD-Bundesverband kommenNPD-Bundesverband tierte das 70-jährige Bestehen des Staates Israel auf Twitter am diffamiert Israel als 14. Mai mit der Aussage "Feind aller Völker" Israel ist und bleibt der Feind aller Völker, die um nationale und soziale Befreiung ringen. Antisemitische Aktionen richten sich in Wort oder Tat in der Regel gegen jüdische Personen und Einrichtungen. Sie können aber auch Nichtjuden, Unternehmen und Institutionen zum Ziel haben, denen eine "Komplizenschaft" mit Juden oder dem Staat Israel unterstellt wird. Die Partei "III. Weg" verbreitet auf ihrer Website Handlungshinweise zum "Israel-Boykott". So empfiehlt die Partei, Waren zu boykottieren und an Kundgebungen gegen die "verbrecherischen Völkermordmaßnahmen der Zionisten im Nahen Osten" teilzunehmen. Außerdem sollten keine "prozionistischen Parteien" gewählt werden. Rechtsextremisten unterstützen auch Holocaust-Leugner, verherrlichen sie oder wenden sich gegen deren Bestrafung. Die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck wurde am 7. Mai zur Festnahme der Durchsetzung einer zweijährigen Haftstrafe wegen VolksverhetHolocaust-Leugnerin zung festgenommen. Mehrere bayerische NPD-Kreisverbände Haverbeck teilten auf Facebook Solidaritätsbekundungen für Haverbeck. Der 111 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus NPD-Kreisverband Neumarkt-Amberg agitierte gegen die Haftmaßnahme und behauptete, bei den von Haverbeck begangenen Straftaten habe es sich um bloße Meinungsäußerung gehandelt. Am 30. Juni nahmen in Nürnberg 250 Personen an einer rechtsextremistischen Kundgebung unter dem Motto "Freiheit für alle politischen Gefangenen, für die Abschaffung des Paragrafen 130 StGB" teil. Auf der vom NPD-Kreisverband Nürnberg beworbenen Veranstaltung trat auch ein Redner der NPD aus Mittelfranken auf. Auf der Veranstaltung sprachen mehrere Redner aus dem Inund Ausland, die sich u. a. zum Demonstrationsmotto, teilweise mit antisemitischen und verschwörungstheoretischen Beiträgen, äußerten. Während der Veranstaltung zeigten Teilnehmer Transparente, Schilder und Flaggen mit Parolen wie "politische Gefangene freilassen JETZT!", "Freiheit für Ursula Haverbeck und alle Gefangenen der BRD". Ein Redner zeigte am Ende seines Redebeitrags deutlich sichtbar den Hitlergruß. Hierbei handelte es sich um einen bekennenden Reichsbürger und Revisionisten, der am 29. Oktober vom Landgericht München wegen Volksverhetzung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in früheren Fällen zu drei Jahren und zwei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Am 3. Juli erreichte die Verwaltung einer bayerischen Gemeinde postalisch ein Schreiben mit antisemitischem, fremdenfeindlichem und volksverhetzendem Inhalt. Das mit Hakenkreuzen versehene Schreiben fordert die Verhaftung und Einweisung verschiedener, namentlich genannter Personen. Sollte die Gemeindeverwaltung nicht tätig werden, "[...] werden volksdeutsche Kameraden die Dinge selbst in die Hand nehmen, um alle oben aufgeführten Kreaturen infolge Hochverrats am deutschen Volke der Vernichtung zuführen. [...]", heißt es in dem Schreiben. Darüber hinaus wird die Inhaftierung von Juden, Muslimen und sonstigen "fremdgenetischen Kreaturen" gefordert. Im gesamten Schriftgut wird wiederholt gegen Juden gehetzt und deren Tod gefordert bzw. angekündigt. Am 26. November beteiligten sich etwa 15 Personen an einer von Roland Wuttke angemeldeten Kundgebung in München. Kundgebungsthema war die Forderung, den inhaftierten Holocaustleugner Horst Mahler freizulassen. Roland Wuttke gilt als langjährig bekannter Multifunktionär der rechtsextremistischen Szene und tritt bei zahlreichen Demonstrationen, Aktionen und Infotischen als Organisator auf. Er verfasst rechtsextremistische Schriften und gilt als Akteur, Logistiker und Führungsperson innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums. Aktuell unterhält er Verbindungen zu den Reichsbürgern. 112 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Antiziganismus Der Antiziganismus, also die Agitation bzw. Feindschaft gegen Sinti und Roma, ist ein fester Bestandteil rechtsextremistischer und rassistischer Ideologie. Diese Feindschaft äußert sich in der rechtsextremistischen Szene in Bayern in der Regel nur anlassbezogen und führt dabei auch zu konkreten Aktionen. Sie spielt im Verhältnis zur sonstigen verfassungsfeindlichen Agitation jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Orientierung an Ideologie, Sprache und Aktionsformen des Nationalsozialismus Neonazistische Akteure versuchen, in ihrer Ideologie, ihren Aktionsformen und in der von ihnen verwendeten Sprache an ihre historischen Vorbilder aus der Zeit des Nationalsozialismus anzuknüpfen. Ideologische und symbolische Bezugnahmen zum Nationalsozialismus können dabei von strafrechtlicher Relevanz sein. Oft umgehen Neonazis aber eindeutig verbotene NS-Assoziationen bzw. loten die Grenzen des Erlaubten aus, indem sie die Bezugnahmen auf die NS-Zeit möglichst indirekt halten und sich auf die Verwendung von nicht verbotenen Motiven beschränken. Eines der Ziele, die Neonazis mit dieser Strategie verfolgen, ist, dass Ideologieund Sprachelemente aus der NS-Zeit Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch und die öffentliche Debatte finden. Besonders deutlich ist dies bei der neonazistischen Partei Konzept des "Deut"III. Weg". Die Partei hat ihre politischen Zielsetzungen in eischen Sozialismus" nem 10-Punkte-Programm niedergelegt, das deutliche Paralleund "Deutsche len zum 25-Punkte-Programm der NSDAP aufweist. Beide Winterhilfe" Programme propagieren eine auf gemeinsamer Abstammung basierende Volksgemeinschaft und enthalten u. a. gebietsrevisionistische Forderungen, die auf die Vereinigung aller "Volksdeutschen" in einem Staat abzielen. Noch auffälliger werden die Parallelen zum NSDAP-Programm am Thesenpapier des "III. Weg" zum "Deutschen Sozialismus". In diesem Thesenpapier werden viele arbeits-, wirtschaftsund sozialpolitische Punkte des NSDAP-Programms wieder aufgegriffen und an die heutige Zeit angepasst. Der einzelne Mensch wird nur als Teil des Volkskörpers gesehen, in den er sich einzufügen hat. Das Konzept des "Deutschen Sozialismus" spielt eine zentrale Rolle in der Agitation des "III. Weg". In direkter Anlehnung an das "Winterhilfswerk des Deutschen Volkes" der Nationalsozialisten organisiert der "III. Weg" seit einigen Jahren in den Wintermonaten die "Deutsche Winterhilfe". Ziel dieser Aktion ist es, durch das Sammeln von Sachspenden für hilfsbedürftige Deutsche Sympathien für die Partei zu 113 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus wecken. Mit der Kampagne will man sich als einzige politische Kraft darstellen, die soziale Notlagen der deutschen Bevölkerung im Blick habe, während sich alle anderen politischen Kräfte angeblich ausschließlich auf Flüchtlinge konzentrierten. Flüchtlinge sind als Hilfeempfänger explizit ausgeschlossen. Um die propagandistische Wirkung zu vergrößern, wurde die Kampagne mit Flugblattaktionen und umfangreicher Berichterstattung auf den Internetseiten der Partei begleitet. Auch Sonnwendfeiern, die einen festen Platz im Terminkalender der rechtsextremistischen Szene haben, sind dem historischen Nationalsozialismus entlehnt. Damals wurden die angeblich altgermanischen Sonnenwendfeiern "wiederbelebt" und als offizielle Feiertage in die Symbolik von "Volk, Blut und Boden" integriert, insbesondere durch die SS. In dieser Tradition führen Rechtsextremisten die Winterund Sonnwendfeiern als szeneverbindende kulturelle Veranstaltungen durch. Neonazistische Neonazistische Gruppen pflegen eine Erinnerungskultur, die sich Erinnerungskultur stark an Personen und Ereignissen aus der NS-Zeit orientiert und einseitige bzw. revisionistische Geschichtsbilder vermittelt. Am 11. März führte der "III. Weg" mehrere "Heldengedenken" an Kriegsgräberstätten durch. Das "Heldengedenken" im März geht auf den Nationalsozialismus zurück. Die Nationalsozialisten interpretierten dabei den zuvor in der Weimarer Republik praktizierten Volkstrauertag, der ursprünglich den Gefallenen des Ersten Weltkrieges gewidmet war, um und stellten die Heldenverehrung anstatt des Totengedenkens in den Mittelpunkt. Am 8. Mai, dem Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, gedachten Aktivisten des "III. Weg" unter dem Motto "8. Mai - wir feiern nicht!" an Kriegsgräberstätten der deutschen Kriegsopfer. Das Kriegsende wird vom "III. Weg" und auch von der NPD nicht als Befreiung, sondern als Ende der deutschen Souveränität angesehen. Aktivisten des Stützpunkts München/Oberbayern des "III. Weg" besuchten im Mai die Wewelsburg in Büren (NRW). In einem Artikel auf der Parteiwebseite des "III. Weg" wurde der Besuch der Burganlage als ein "Muss für jeden Nationalisten" bezeichnet. Dabei wies der "III. Weg" auf das Bodenmosaik der "Schwarzen Sonne" in der Wewelsburg hin. Die Burg wurde 1933 bis 1945 von der SS genutzt. Die "Schwarze Sonne" wurde in der NSZeit durch die SS u. a. als Symbol zur Verbildlichung geheimen Wissens genutzt. Das Symbol enthält Elemente, in denen man Hakenkreuze oder Sigrunen erkennen kann. 114 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Karl Richter, Münchner Stadtrat und Vorsitzender der "Bürgerinitiative Ausländerstopp München" (BIA-München), bezeichnete die Attentäter des 20. Juli 1944 als "Verbrecher" und "Verräter in unvorstellbarem Maße". Am 20. Juli 1944 führten Angehörige des deutschen Offizierskorps einen Anschlag auf Adolf Hitler durch, der zum Auftakt zur Beendigung des NS-Regimes werden sollte. Hitler überlebte den Anschlag. 3.2 Rechtsextremistische Aktionsformen 3.2.1 Parteiübergreifende Aktivitäten Trotz des Konkurrenzverhältnisses zwischen den einzelnen Parteien und Gruppierungen in der rechtsextremistischen Szene kam es zu vereinzelten parteiübergreifenden Kooperationen. Ein Rechtsextremist aus Bayern war Anmelder der Kundgebung "Gedenkmarsch zur Erinnerung an die Zerstörung Dresdens im Februar 1945" am 17. Februar in Dresden, an der etwa 220 Teilnehmer mit unterschiedlichstem rechtsextremistischen Hintergrund teilnahmen. An der regelmäßigen Gedenkveranstaltung "Reinhold Elstner - Dein Tod ist uns Fanal" nahmen am 25. April in München 15 Personen des parteigebundenen und parteiungebundenen Spektrums teil, darunter Angehörige der Partei "Der Dritte Weg". Der frühere Wehrmachtsangehörige Reinhold Elstner war im April 1995 verstorben, wenige Tage nachdem er sich auf den Stufen der Münchner Feldherrnhalle selbst angezündet hatte. Die Selbstverbrennung war politisch motiviert. In seinem Abschiedsbrief stellte Elstner, der revisionistisches Gedankengut vertrat, seinen Freitod in einen Zusammenhang mit der von ihm strikt abgelehnten Münchner Wehrmachtsausstellung, die über die Kriegsverbrechen der Wehrmacht informierte. Zum Jahrestag der Hinrichtung von Angehörigen der französischen Waffen-SS-Division Charlemagne am 8. Mai 1945 fand am 5. Mai in Bad Reichenhall eine Gedenkveranstaltung mit rund 30 Teilnehmern aus unterschiedlichen rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen statt. Karl Richter, Münchner Stadtrat und Vorsitzender der rechtsextremistischen "Bürgerinitiative Ausländerstopp München" (BIA-München), unterstützte in München durch wiederholte Redebeiträge Kundgebungen von PEGIDA-München e. V. 115 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus 3.2.2 Rechtsextremistische Bürgerwehrund PatrouilleAktionen Leugnung des Im Rahmen von rassistisch motivierten Bürgerwehrund Patstaatlichen Gewaltrouille-Aktionen und Sicherheitsinitiativen schüren Rechtsextremonopols misten Ängste vor Migranten und suggerieren, dass der Staat und seine Sicherheitsorgane nicht mehr in der Lage seien, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Sie inszenieren sich dabei als Mahner, Kümmerer und vor allem als vermeintliche Gewährleister von Schutz und Ordnung im öffentlichen Raum. Die Aktionen der verschiedenen Gruppen haben das gemeinsame Ziel, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung nachhaltig zu beeinflussen und den Rechtsstaat und das staatliche Gewaltmonopol generell in Frage zu stellen. Im Vordergrund steht meist der virtuelle Effekt der Aktionen. Diese Aktionen werden dokumentiert und über die sozialen Medienkanäle der jeweiligen Organisationen verbreitet. Nach Möglichkeit soll Resonanz in der Berichterstattung klassischer Medien hervorgerufen werden. Ihre Aktionsformate richten sich danach, Präsenz im öffentlichen Raum zu zeigen, um nicht zuletzt auch Nichtdeutsche, Personen mit vermeintlich nichtdeutschem Aussehen sowie politische Gegner einzuschüchtern. "Defend Europe Unter dem Slogan "Defend Europe Mission Alpes" beteiligten Mission Alpes" und sich im April etwa 100 Aktivisten der "Identitären Bewegung" "Grenzschutz(IB) aus ganz Europa an der vorgeblichen Sicherung des AlpenAktion" der Identitäpasses Col de l'Echelle an der französisch-italienischen Grenze ren Bewegung gegen mutmaßlich illegale Immigranten. Die mit einheitlichen blauen Jacken bekleideten Aktivisten, darunter auch Mitglieder der in Bayern aktiven IB Schwaben, errichteten einen provisorischen Zaun und platzierten ein englischsprachiges Transparent sowie mehrere Schilder, die jeweils mit Parolen gegen Flüchtlinge und Einwanderer beschriftet waren. Im Rahmen der inszenierten Grenzsicherungsaktion setzten die Aktivisten auch zwei Hubschrauber sowie mehrere Fahrzeuge ein. In Stellungnahmen zur Aktion agitierten die IB-Aktivisten gegen die europäischen Regierungen und warfen ihnen Untätigkeit im Zusammenhang mit der Bekämpfung illegaler Einwanderung vor. Vom 28. bis 30. September führte die IB etwa 500 Meter vor dem deutsch-österreichischen Grenzübergang Melleck-Steinpass in Schneizlreuth/Berchtesgadener Land die Aktion "Grenzcamp" mit dem Zusatztitel "Grenzschützer - Pro Border - Pro Nation" durch. Etwa 20 Personen nahmen daran teil, darunter auch der Bundesvorsitzende der "Identitären Bewegung Deutschland" 116 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 (IBD), Daniel Fiß aus Mecklenburg-Vorpommern. Die Aktivisten hielten Banner und Plakate hoch und errichteten einen etwa drei Meter hohen symbolischen Grenzturm. Im Rahmen der Aktion wurde mindestens einmal der "Hitlergruß" gezeigt. Die NPD führte in den Monaten September bis Dezember in Nürnberg sog. "Schutzzonen"-Streifen durch. An einer Streife Mitte November beteiligte sich auch der Stadtrat der rechtsextremistischen "Bürgerinitiative A", Ralf Ollert. Die Aktivisten waren mit einheitlichen Westen, auf denen das Logo der "Schutzzonen""Schutzzonen"Aktion abgebildet war, gekleidet. Sie brachten Klebezettel an MasAktion der NPD ten an und versuchten, Passanten im Bereich der Innenstadt anzusprechen und Informationsmaterial der Partei zu verteilen. Die NPD propagiert bereits seit August 2017 die Errichtung sogenannter "Schutzzonen" für Deutsche. Ausgehend von der Behauptung, es bestehe eine "Notwehrsituation" in Deutschland, fordert die Partei ihre Mitglieder und Anhänger dazu auf, selbst aktiv zu werden. Auf der Partei-Website finden sich u. a. konkrete Hinweise, wie eine Schutzzone praktisch umzusetzen sei und welche juristischen Aspekte dabei Berücksichtigung finden müssten. Ferner hat die NPD zur Bewerbung der Aktion einen Internetshop eingerichtet, wo Sympathisanten Westen, Baseballmützen, Flyer und Sticker mit dem Schutzzonen-Logo sowie Reizgas und Taschenalarme bestellen können. Die Kampagne weist im Hinblick auf die verwendete Rhetorik und Terminologie teilweise Parallelen zum rechtsextremistischen Konzept der "Nationalbefreiten Zone" auf. Letzteres zielt darauf ab, öffentliche "Freiräume" zu schaffen, die dem Zugriff des demokratischen Rechtsstaates entzogen sind und in denen Rechtsextremisten originär staatliche Ordnungsund Schutzfunktionen für sich beanspruchen können. "Schutzzonen"-Aktionen der NPD wurden in mehreren Bundesländern durchgeführt. Auf Facebook berichtete die Partei über Aktivitäten in den Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen. In Bayern fanden "Schutzzonen"-Aktionen 2018 in Bamberg und Nürnberg statt. Die Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) führte sog. Nationale Nationale Streifen Streifen durch. Hierbei handelt es sich um Patrouillengänge von des III. Weg Parteimitgliedern, die den Eindruck vermitteln sollen, staatliche Strukturen seien nicht in der Lage, die öffentliche Sicherheit zu 117 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus gewährleisten. Teilweise weisen die Durchführungsorte einen Bezug zu sicherheitsrelevanten Vorfällen auf, bei denen Asylsuchende oder Personen mit Migrationshintergrund unter Tatverdacht stehen. Nationale Streifen des "III. Weg" fanden in München, Kitzingen und Würzburg statt. Im Januar führten Aktivisten des Stützpunktes Mainfranken einen sogenannten Streifengang in Kitzingen durch und verteilten dabei Flyer in Briefkästen. Die Flugblätter enthielten extremistische Propaganda gegen die Errichtung von Asylbewerberunterkünften und gegen eine angebliche Überfremdung durch Asylbewerber. Auf seiner Internetseite bewarb der "III. Weg" die Aktion und verwies auf eine mutmaßliche Gewalttat, die sich in der Nähe einer Asylbewerberunterkunft in Kitzingen ereignet haben soll. Eine weitere Nationale Streife des "III. Weg" fand im September in Würzburg statt. Auch hierbei thematisierten die Aktivisten auf der Parteiwebseite mutmaßlich durch Asylbewerber begangene Straftaten, um ihre Aktionen zu rechtfertigen und gegen Flüchtlinge zu hetzen. Der "III. Weg"-Stützpunkt Mainfranken führte am 15. September ebenfalls in Würzburg eine Nationale Streife durch. Die Partei veröffentlichte im Nachgang Fotos der Aktion auf der Parteiwebsite und unterlegte diese mit Textbeiträgen zu vermeintlichen Straftaten von Migranten. Hierbei propagierte sie u. a. die "Einführung eines Ausländerrückführungsprogramms für arbeitslose und straffällig gewordene Ausländer". Die seit 2017 in Bayern aktive rechtsextremistische Gruppierung "Soldiers of Odin Germany Division Bayern" (SOO), führte bis einschließlich März verstärkt sog. Spaziergänge in Augsburg, Donauwörth, Kempten im Allgäu, München und Würzburg durch. Die SOO gebärdete sich bei diesen Streifen faktisch als Bürgerwehr und stellte das staatliche Gewaltmonopol in Frage. Die Mitglieder waren in Bayern während der Streifen in der Regel "Spaziergänge" der einheitlich schwarz gekleidet, auf ihren Jacken war das Logo der Soldiers of Odin Gruppierung aufgedruckt - ein Wikingerkopf, der mit einer deutschen Fahne vermummt ist. Der Ursprung der SOO geht auf eine gleichnamige internationale Gruppierung zurück, die im Oktober 2015 in Finnland gegründet wurde. Im Juni benannte sich die Gruppe in "Wodans Erben Germanien - Division Bayern" (WEG) um. Sie versuchte im Internet, Kontakte zu anderen Bürgerwehrgruppierungen aufzubauen. 118 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Seit März agiert unter der Bezeichnung "Vikings Security Germa"Patrouillen" der nia Division Bayern" eine von den SOO abgespaltene Gruppie"Vikings Security rung. Mit einer Strukturierung in Chapter und der Aufnahme von Germania Division "Anwärtern" orientiert sich die Gruppierung in ihrer OrganisaBayern" tionsstruktur an Rockerclubs. In Bayern "patrouillierte" die Gruppierung 2018 in Augsburg, Donauwörth, Landshut, Nürnberg, Regensburg und Straubing. Wenngleich bislang weder durch die SOO/WEG noch durch die "Vikings Security Germania Division Bayern" gewalttätige Aktionen begangen wurden, lassen das teils martialische Auftreten sowie der kämpferisch-aggressive Duktus ihrer Beiträge in den sozialen Medien eine grundsätzliche Affinität der Gruppierungen zu Gewalt erkennen. In einem Facebook-Beitrag der Gruppe SOO/WEG vom 11. März heißt es u. a.: Familie ist nicht immer mit wem man sein Blut teilt ... sondern für wen man bereit ist, welches zu vergießen! Der Leiter der "Vikings Security Germania Division Bayern" besuchte in Serbien einen Personenschützerlehrgang und präsentierte sich in seinem Facebook-Profil u. a. mit einem Foto, auf dem er eine Kalaschnikow und eine Axt hält. 3.2.3 Rechtsextremistische Aktivitäten bei Veranstaltungen Rechtsextremisten missbrauchen gesellschaftliche Veranstaltungen und öffentliche Plätze als Plattform und Kulisse, um ihre politischen Botschaften zu verbreiten. Sie knüpfen damit an die u. a. vom ehemaligen NPD-BundesvorWortergreifungssitzenden Udo Voigt propagierte "Wortergreifungsstrategie" an, strategie nach der sich Rechtsextremisten unauffällig an öffentlichen Veranstaltungen beteiligen und diese als Plattform zur Verbreitung ihrer Propaganda nutzen sollen. "Wortergreifung" meint dabei die gezielte verbale Konfrontation mit Vertretern der demokratischen Zivilgesellschaft in Diskussionsrunden und Informationsveranstaltungen. Dabei machen sie sich zunutze, dass für diese Aktionsformen in der Regel keine behördliche Anzeige oder Anmeldung notwendig ist, und versuchen dadurch, das Risiko eines vorherigen Verbots oder Ausschlusses zu verringern. Dabei geben sich die Rechtsextremisten nicht offen zu erkennen, sondern tarnen sich als "besorgte Bürger". Auch in Internetforen, 119 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus am Arbeitsplatz oder in Vereinen versuchen Rechtsextremisten, Diskussionsteilnehmer zu verunsichern, inhaltlich zu dominieren und letztlich die Meinungsführerschaft zu übernehmen. Im Zusammenhang mit Faschingsumzügen gab es im Januar und Februar in Bayern zwei rechtsextremistische Störaktionen. Acht Aktivisten der Augsburger Ortsgruppe der "Identitären Bewegung" unterwanderten am 28. Januar den Faschingsumzug in Donauwörth, zeigten ein Transparent u. a. mit der Aufschrift "Frauenrechtsbewegung Burkaria 2022" und verteilten Flugblätter mit dem Titel "Der große Austausch". Sieben Aktivisten trugen zudem "Niqab"-ähnliche Schleier, während einer der Aktivisten als "Sultan" verkleidet war. Vor dem Faschingsumzug in Baar-Ebenhausen am 11. Februar hatten Unbekannte mehrere Plakate der Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) entlang der Umzugsstrecke aufgehängt. Die Plakate enthielten Slogans wie "Gesunde Familien - Statt Homo-Propaganda!" und "Kriminelle Ausländer Raus! Unterstützt den III. Weg". Eine Genehmigung der Gemeindeverwaltung lag für die Plakataktion nicht vor. Vor Beginn des Faschingsumzuges wurden die Plakate von der Polizei und der Feuerwehr entfernt. Anlässlich einer Kirchweihveranstaltung verteilten Aktivisten des "III. Weg" am 7. September in Hirschaid Flugblätter mit vorgeblichen Sicherheitshinweisen. Sie behaupteten, dass es im Vorjahr während des Volksfestes zu "schweren Ausschreitungen und versuchten Vergewaltigungen" gekommen sei und agitierten in diesem Zusammenhang gegen Asylsuchende. Hintergrund der Aktion waren strafrelevante Vorfälle mit mutmaßlicher Tatbeteiligung von Flüchtlingen während des Hirschaider Kirchweihfestes im vorausgegangen Jahr. Auf Weihnachtsmärkten in München und Würzburg verteilten Aktivisten des "III. Weg" Flugblätter und kleine Weihnachtsgeschenke an Passanten. 3.2.4 Freizeitaktivitäten zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und zur Nachwuchsgewinnung Gemeinsame Freizeitaktivitäten haben für die rechtsextremistische Szene mehrere Funktionen: Sie stärken die Gruppenidentität und sollen neue Aktivisten anziehen. Neben dem Besuch von rechtsextremistischen Konzerten spielen dabei auch gemeinsame sportliche Aktivitäten, Wanderungen und Reisen sowie Aktivitäten im Umweltschutz, beispielsweise Säuberungsaktionen im Frühjahr unter dem Motto "Umweltschutz ist Heimatschutz", 120 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 eine zunehmende Rolle. Oft richten sich die Freizeitund Festveranstaltungen ausdrücklich auch an die Ehepartner und Kinder der Aktivisten. Durch die Schaffung eines vorgeblich familienfreundlichen Aktivitätsangebots versuchen rechtsextremistische Gruppen das Gemeinschaftsund Zugehörigkeitsgefühl ihrer Mitglieder zu stärken und gleichzeitig deren Familienangehörige frühzeitig an die Szene zu binden und zu indoktrinieren. Stützpunkte der Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) berichteten regelmäßig über parteiinterne "Gemeinschaftsaktivitäten" wie Museumsund Ausstellungsbesuche und Wanderungen. Mitglieder des Stützpunktes Ostbayern des "III. Weg" unternahmen am 25. März im Landkreis Cham eine sog. "Ostara-Wanderung". Der Begriff "Ostara" ist angelehnt an die wissenschaftlich nicht belegte Bezeichnung einer germanischen Gottheit und eine vermeintlich nach dieser benannten keltischen Frühlingstradition. Der "III. Weg" versucht mit derartigen Unternehmungen auch, eine vorgeblich vorchristliche Erinnerungskultur zu pflegen. Die hierbei vermittelten historischen Motive sind jedoch größtenteils mystisch verklärt und durch Überhöhung des Germanentums geprägt. Am 13. Mai fand eine Wanderung am Lamberg im Bayerischen Wald statt. Am 23. Juni veranstaltete der Stützpunkt Ostbayern seine Sommersonnwendfeier unter dem Motto "Kein Volk ohne Kultur" auf einem Privatgrundstück im niederbayerischen Pfarrkirchen. An dieser internen Veranstaltung nahmen zwischen 60 und 80 Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum teil, darunter auch Familien mit Kindern. Am 14. Oktober organsierten Angehörige des Stützpunktes eine Wanderung zum Kaitersberg. Die "Identitäre Bewegung Bayern" organisierte für ihre Anhänger mehrere Bergwanderungen. Die "Identitäre Bewegung Schwaben" führte zwei sog. Aktivistenwochenenden in Baden-Württemberg durch, an denen auch zahlreiche bayerische Mitglieder teilnahmen. Diese halbjährlich stattfindenden Treffen dienen zur Kontaktpflege, zur ideologischen Indoktrinierung sowie zur kampfsportlichen Betätigung. Neben verschiedenen Workshops und ideologischen Vorträgen über den "metapolitischen Aktivismus" wurden u. a. auch Selbstverteidigungskurse für den "Straßen-Aktivismus" angeboten. Im Juli führte die IB Franken sog. Frankenspiele durch. An der Veranstaltung nahmen ca. 25 Personen teil. Im Mittelpunkt der Feier standen sportliche Wettkämpfe wie Axtwerfen und Tau121 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus ziehen, die mutmaßlich besonders volkstümlich anmuten sollten. Die IB Franken kündigte an, die Veranstaltung jährlich durchführen zu wollen. 3.2.5 Kampfsportveranstaltungen In jüngerer Vergangenheit machen in Deutschland Rechtsextremisten durch eigene Kampfsportveranstaltungen auf sich aufmerksam. So wurde im April im Rahmen des "Schild und Schwert"-Festivals im sächsischen Ostritz eine Kampfsportveranstaltung der rechtsextremistischen Gruppierung "Kampf der Nibelungen" durchgeführt. Anfang Juni führte die Gruppierung TIWAZ eine Veranstaltung mit rechtsextremistischen Kämpfern in der Nähe von Chemnitz durch. Die Popularität von Kampfsportarten und des damit verbundenen Lebensstils nimmt in der rechtsextremistischen Szene zu. So werden Fotos und Statements veröffentlicht, die Disziplin, Sportlichkeit und eine gesunde Lebensführung preisen. Außerdem sollen Werte wie Kampfgeist, Ehrhaftigkeit, Mut, Loyalität und Treue vermittelt werden. In einem Beitrag der Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) heißt es zum Nutzen einer Kampfsportart: Für mich als nationalen Aktivisten, der seine Weltanschauung selbst im Alltag mehr oder weniger offen zum Ausdruck bringt und sich deshalb stets einer feindlich gesinnten Umwelt und einer steigenden Zahl von Feinden gegenüber ausgesetzt sehen muss, ist diese Kampsportart somit das ideale Betätigungsfeld, um in etwaigen kritischen Situationen für eine handfeste Auseinandersetzung gewappnet zu sein! Der "III. Weg" gründete die Arbeitsgruppe "Körper und Geist". Sie soll vor allem der körperlichen Ertüchtigung der Parteimitglieder dienen sowie deren Aktivitäten vereinen und koordinieren. Der Fokus der Arbeitsgruppe liegt deutlich auf dem Kampfsportbereich. Es wurden mehrere Kampfund Selbstverteidigungskurse angeboten. Im Juli fand ein Selbstverteidigungskurs in Oberfranken statt. Ein weiteres Training wurde im Rahmen eines Schulungswochenendes des Gebietsverbandes Süd am 8. und 9. September durchgeführt. Drei Parteimitglieder nahmen an der rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltung "Kampf der freien Männer" am 9. Juni in der Nähe von Chemnitz teil. Der Leiter des Stützpunktes Nürnberg-Fürth und frühere Vorsitzende des Gebietsverbandes Süd des "III. Weg", Kai Zimmer122 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 mann, nahm am 13. Oktober an einem rechtsextremistischen Kampfsportturnier im sächsischen Ostritz teil, an dem sich Kampfsportler aus mehreren europäischen Ländern beteiligten. 3.2.6 Internationale Kontakte bayerischer Rechtsextremisten Zwischen bayerischen und ausländischen Rechtsextremisten bestehen zahlreiche Kontakte. Verbindungsleute in den Gruppierungen garantieren die gegenseitige Mobilisierung für internationale Szene-Veranstaltungen wie Konzerte, Feiern und Großdemonstrationen. Dabei kommt es in der Regel zu einer vorübergehenden länderübergreifenden Zusammenarbeit, in Einzelfällen auch zu dauerhaften Kooperationen. Die vielfältigen internationalen Kontakte bayerischer Rechtsextremisten wirken - angesichts der von Rechtsextremisten betriebenen Überhöhung der eigenen Nation - auf den ersten Blick verwunderlich. Mit der Überhöhung der eigenen Nation ist jedoch nicht automatisch die pauschale Ablehnung einer Zusammenarbeit mit gleichgesinnten ausländischen Akteuren verbunden. Dort, wo es ideologische Anknüpfungspunkte gibt, findet Zusammenarbeit statt: Ideologisch verbindende Elemente sind beispielsweise der Kampf für einen sozialen Nationalismus nach dem Vorbild des NS-Regimes, der Hass gegen Flüchtlinge und die Ablehnung der Europäischen Union. Länderübergreifende Kontakte werden innerhalb der rechtsextremistischen Szene als prestigeträchtig wahrgenommen. Führungsakteure oder Personen, die zu Führungsakteuren aufsteigen wollen, versuchen dadurch, ihre Position zu festigen und ihre Bedeutung zu unterstreichen. Dies erklärt auch die prominente Berichterstattung auf den Internetseiten der verschiedenen Akteure. Insbesondere die neonazistische Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg) pflegt zahlreiche Kontakte zu anderen europäischen Rechtsextremisten, vor allem in Griechenland, Ungarn und der Ukraine. Verbindungen des Aktivisten des "III. Weg" reisten erneut zum sog. "Tag der Ehre" III. Weg nach Grieam 10. Februar nach Budapest. Mit dieser Veranstaltung wollen chenland, Ukraine ungarische Rechtsextremisten gemeinsam mit internationalen und Ungarn Gesinnungsgenossen an die Schlacht um Budapest im Zweiten Weltkrieg erinnern. An der Veranstaltung im Februar sollen etwa 1.000 europäische Rechtsextremisten teilgenommen haben. Es wurden Reden in ungarischer und deutscher Sprache gehalten. Am anschließenden Geländemarsch, der über 60 Kilometer grob der Strecke des Ausbruchs von ungarischen und deutschen Soldaten aus dem von der Roten Armee belagerten Budapest folgte, beteiligte sich wie in den vergangenen beiden Jahren eine 123 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Gruppe von Aktivisten des "III. Weg", darunter auch Angehörige der Parteistützpunkte Nürnberg-Fürth und Oberfranken. Zum Abschluss besuchte eine Abordnung der Partei einen deutschen Soldatenfriedhof im Westen von Budapest. Der "III. Weg" unterhält weiterhin Kontakte zur griechischen neonazistischen Partei "Chrysi Avgi" (Goldene Morgenröte). So beteiligte sich am 17. Januar eine Person, die eine Jacke mit der Aufschrift "Chrysi Avgi" trug, an einer sog. Nationalen Streife des "III. Weg" in München. Ein Mitglied der "Chrysi Avgi" war im August Gast einer Mitgliederveranstaltung des Stützpunkts München/Oberbayern des "III. Weg" und stellte dort seine Organisation vor. Daneben pflegt der "III. Weg" auch Verbindungen zur rechtsextremistischen "Azov-Bewegung" in der Ukraine. Das "Batallion Azov" gilt als Milizgruppe mit rechtsextremistischen Bezügen und ist kein Teil der regulären ukrainischen Streitkräfte. Daneben existiert mit dem "Nationalen Korps" ein politischer Arm. Am 7. Juli sprach bei der Parteiveranstaltung "Jugend im Sturm" im thüringischen Kirchheim eine Aktivistin des "Nationalen Korps" zu den Teilnehmern, unter denen sich auch Aktivisten des "III. Weg" aus Bayern befanden. Zudem berichtet der "III. Weg" auf seiner Homepage regelmäßig über Aktivitäten der Gruppierung, so am 31. Januar über die Vereidigung neuer Mitglieder auf ihren "Führer", am 28. März über die Stürmung des Hauptquartiers der "Azov-Bewegung" durch die ukrainische Polizei und am 9. Mai über die Feier zum Jahrestag der Gründung des "Batallion Azov". Am 14. Oktober nahm zudem eine Delegation des "III. Weg" mit bayerischer Beteiligung am "Marsch der Nation" in Kiew teil, der u. a. von einer zur "Azov-Bewegung" gehörenden Organisation veranstaltet wurde. Kontakte der AktiMitglieder der Burschenschaft "Danubia München", deren Akvitas der Danubia tivitas als rechtsextremistisch bewertet wird, unternahmen am München nach Wochenende des 21./22. Juli eine Reise nach Straßburg und Frankreich Colmar und besuchten dort den Treffpunkt "L'Arcadia" der Gruppierung "Bastion Social Strasbourg". "Bastion Social" ist Bestandteil der im Jahr 1968 gegründeten und im Jahr 2011 wiederbelebten französischen "Group Union Defense" (GUD). Die GUD ist nach eigenen Angaben bemüht, eine "nationalrevolutionäre Gegengesellschaft" zu schaffen. Sie sucht "kameradschaftliche Verbindungen" zu anderen europäischen Organisationen und orientiert sich an der italienischen neofaschistischen Gruppierung "CasaPound". 124 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Aktivisten der in Bayern und Baden-Württemberg aktiven "IdenEU-weite Kontakte titären Bewegung Schwaben" unterhalten Kontakte im europäder IB Schwaben ischen Ausland. So beteiligten sie sich im April zusammen mit rund 100 IB-Aktivisten aus ganz Europa unter dem Slogan "Defend Europe Mission Alpes" an der vorgeblichen Sicherung des Alpenpasses Col de l'Echelle an der französisch-italienischen Grenze gegen mutmaßlich illegale Immigranten. Im Rahmen der inszenierten Grenzsicherungsaktion errichteten die Aktivisten u. a. einen provisorischen Zaun und platzierten mehrere Schilder, die mit Parolen gegen Flüchtlinge und Einwanderer beschriftet waren. Im August nahmen bayerische Aktivisten der IB an der so genannten Sommeruniversität der "Identitären Bewegung" in Frankreich teil. Sebastian Zeilinger, Mitglied der IB-Bayern, ist zusammen mit anderen führenden Mitgliedern der IBD Gesicht der Kampagne AHA! ("Alternative Help Association"), die seit Mai betrieben wird. Es handelt sich - nach eigenen Angaben - um ein Hilfsprojekt, das durch Hilfe vor Ort Fluchtursachen in Krisenregionen bekämpfen soll, um Menschen vor einer Flucht nach Europa und Deutschland abzuhalten. Der ideologische Rahmen dieser Aktion bildet der von der IB vertretene Ethnopluralismus, der die Grundprämisse verfolgt, dass jede Ethnie in ihrem vermeintlichen Kulturraum verbleiben solle. Am 10. Juni berichtete der Münchner Stadtrat Karl Richter von der NPD-Tarnliste "Bürgerinitiative Ausländerstopp München" auf seinem Facebook-Account über die Teilnahme an einem internationalen Kongress der rechtsextremistischen "Liberaldemokratische Partei Russlands" in Moskau. Am 23. Juni veröffentlichte Richter auf Facebook den Text seiner Kongressrede. Diese zeichnete sich durch einen für Teile des rechtsextremistischen Spektrums typischen strikt antiwestlichen und prorussischen Standpunkt aus. Richter bezeichnet in der Rede die Bundesrepublik als "bis heute fremdbesetztes Territorium". Zudem würden "anglo-amerikanische Machteliten" ein politisches und ökonomisches Zusammenwachsen Eurasiens verhindern. Erst "wenn das undemokratische und zunehmend unfriedliche EU-Monster an seinen wachsenden inneren Widersprüchen" scheitere, könne sich Deutschland, so Richter, in freier Selbstbestimmung in die eurasische "Wirtschaftsund Völkergemeinschaft" einbringen. Deutsche Rechtsextremisten bewundern vor allem den russischen Staatspräsidenten Vladimir Putin als starken Führer, der nach 125 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus außen strikt das nationale Interesse verfolge und nach innen nationalistische und kollektivistische Gesellschaftsideale statt liberaler Werte hochhalte. 4. INTERNET, MUSIK, VERLAGE UND VERTRIEBSSTRUKTUREN 4.1 Rechtsextremisten im Internet Rechtsextremistische Gruppierungen und Akteure nutzen in hohem Maße die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation zur "virtuellen Erweiterung" ihrer herkömmlichen Anspracheund Propagandastrategien. Sie betreiben Internetseiten, Online-Blogs und Video-Kanäle und verbreiten in Form von Postings, Hashtags und Kommentaren ihre verfassungsfeindlichen Botschaften und Parolen in sozialen Netzwerken. Sie halten - insbesondere vor dem Hintergrund staatlicher und regulatorischer Maßnahmen gegen ihr Wirken im Internet - ständig Ausschau nach alternativen Plattformlösungen und neuen Online-Formaten, um ihre Propaganda und ihre extremistischen Botschaften möglichst effektiv zu streuen. Zu ihren Zielen gehört es, Anhänger und Sympathisanten aufzuwiegeln sowie möglichst hohe Reichweiten zu erzielen, um Einfluss auf den öffentlichen Diskurs zu nehmen. Der Einsatz digitaler Medienformate und Verbreitungstechniken dient aber auch zu Vernetzungszwecken, zum internen Austausch und zur Absprache von Aktionen. Gerade hier versuchen Rechtsextremisten durch den Einsatz von Diensten und Kommunikationskanälen mit hohen Verschlüsselungsund Anonymisierungsstandards, sich der Beobachtung durch Öffentlichkeit und Sicherheitsbehörden zu entziehen. In sozialen Netzwerken gründen sie geschlossene Foren und Chatrooms zur szeneinternen Kommunikation. Messengerdienste wie WhatsApp und Threema spielen eine wichtige Rolle bei der Organisation von Aktionen, Veranstaltungen und Konzerten. Rechtsextremistische Internetaktivisten verbreiten ferner intensiv Artikel und Kommentare sowie Videos und versuchen so, die Meinung in sozialen Netzwerken zu beeinflussen. Sie handeln als Einzelperson unabhängig von rechtsextremistischen Organisationsstrukturen. Da in der Anonymität des Internets die persönliche soziale Ächtung in der Regel ausbleibt, äußern sie sich dort häufig extremer und ungehemmter als möglicherweise im realen sozialen Umfeld. Gerade bei aufgeladenen und emotio126 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 nalen Diskussionen werden in den sozialen Medien, Foren oder Blogs neben strafrechtlich sanktionierten Äußerungen auch verfassungsschutzrechtlich relevante rechtsextremistische Äußerungen durch Einzelpersonen getätigt. 4.1.1 Aktivitäten und Strategien Am 8. Februar verurteilte das Oberlandesgericht Stuttgart den Betreiber des rechtsextremistischen Internetportals "Altermedia Deutschland", welches vom Bundesinnenminister bereits am 27. Januar 2016 verboten worden war, wegen Volksverhetzung und Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Bei dem Portal handelte es sich um eine der meistfrequentierten Internetpräsenzen der rechtsextremistischen Szene in Deutschland. Zwischen Ende der 1990er Jahre und dem Verbotsjahr 2016 konnte es mitunter mehrere Millionen Aufrufe pro Jahr verzeichnen. Wegen zwei Fällen von Volksverhetzung und des Besitzes einer verbotenen Waffe verurteilte das Amtsgericht München einen 55-jährigen Münchner im März rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 30 Euro. Der alleinhandelnde Täter hatte in einem sozialen Netzwerk den Holocaust geleugnet. Eine 58-Jährige aus Hallbergmoos wurde wegen Volksverhetzung in acht Fällen und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen auf ihrer Internetseite vom Amtsgericht Landshut im Februar zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu 12 Euro rechtskräftig verurteilt. Am 14. Juni fand erneut ein bundesweiter Aktionstag zur BeBundesweiter kämpfung von Hasspostings im Internet statt. Die bundesweit Aktionstag gegen unter Koordinierung des Bundeskriminalamtes und der LandesHasspostings und kriminalämter durchgeführten Durchsuchungsmaßnahmen Netzwerkdurcherfolgten überwiegend anlässlich politisch rechts motivierter setzungsgesetz Kriminalität. Um den regulatorischen Druck auf die Betreiber von Plattformen und Netzdiensten zu erhöhen und diese zu einem konsequenteren Vorgehen gegen strafbare und extremistische Inhalte auf ihren Seiten zu bewegen, verabschiedete der Bundestag am 30. Juni 2017 das "Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken" (Netzwerkdurchsetzungsgesetz, NetzDG). Es verpflichtet die Betreiber sozialer Netzwerke unter Androhung von Bußgeldern zur Löschung derartiger Inhalte. 127 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Das NetzDG hatte unmittelbare Auswirkung auf die Onlineaktivitäten rechtsextremistischer Gruppen in Bayern. Die meisten Rechtsextremistivon ihnen agitierten unisono gegen das Gesetz mit der Behaupsche Agitation gegen tung, dass es sich bei dem Gesetz angeblich um "staatliche des NetzDG Zensur" bzw. um eine willkürliche "Einschränkung der Meinungsfreiheit" handele. Die NPD diskreditierte das NetzDG als "Anschlag auf die Meinungsfreiheit". Gleichzeitig verbreiteten die Partei bzw. mit ihr assoziierte Personen auf Facebook wiederholt extremistische und strafrechtsrelevante Aussagen. Am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, verhöhnte beispielsweise der NPD-Kreisverband Ingolstadt in einem Beitrag auf Facebook den Gedenktag und insbesondere die Opfer des Holocaust. Im betreffenden Beitrag fragte er nach Gedenkstätten für Opfer der "Alliierten-Besetzer-Besatzer-Kriege" und zeigte dazu ein Bild des Eingangstores des Konzentrationslagers Auschwitz. Ein Follower der Seite kommentierte den Beitrag mit den Worten: Ich bin ja ein wenig Begriffsstutzig. Da sollen jetzt Asylanten rein? (Fehler vom Original übernommen) Ein Nürnberger NPD-Funktionär veröffentlichte im Zeitraum März bis Juli 2017 in seinem Facebook-Profil mehrere volksverhetzende Beiträge. Er bezeichnete u. a. Muslime als "Kinderschänder" und verlangte: ... An die Grenze jeder eine Waffe und unendlich viel Munition jeden Illegalen Übertritt sofort abhacken ... (Fehler vom Original übernommen) Am 16. April wurde er wegen Volksverhetzung zu fünf Monaten mit einer Bewährungszeit von zwei Jahren verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig. Auch der "III. Weg" protestierte im Rahmen seiner Online-Propaganda gegen das NetzDG. Am 6. April teilte die Partei auf ihrem Facebook-Profil mit, künftig keine aktuellen Meinungsbeiträge mehr auf Facebook veröffentlichen zu wollen. Ab sofort würden dort nur noch Veranstaltungen beworben. Als Grund gab der "III. Weg" Sperrmaßnahmen seitens Facebook an. Zwischenzeit128 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 lich ist die Facebook-Seite des "III. Weg" nicht mehr aufrufbar. Auf ihrer Internetseite veröffentlicht die Partei weiterhin fast täglich aktualisierte Propagandabeiträge. Darüber hinaus hat sie eine APP entwickelt, die sie ihren Sympathisanten auf der Parteiwebseite zum Download anbietet. Diese spiegelt im Wesentlichen die Inhalte der Parteiwebseite wider. Daneben nutzt der "III. Weg" auch die Social Media-Formate Instagram und das russische Netzwerk "vk.com" für seine Propagandazwecke. Am 18. Januar verlinkte die Partei auf "vk.com" auf den Bericht "Gedenktag: Reichsgründungstag" zur Kaiserproklamation im Jahr 1871. Eine vk-Nutzerin postete zu diesem vk-Beitrag ein Bild von Adolf Hitler. Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) agitierte ebenfalls gegen das NetzDG und beklagte eine angebliche "Repressionskultur innerhalb der sozialen Netzwerke". Anfang Juni löschte der Plattformbetreiber Facebook die Profile von mehreren Gruppen und einzelnen Aktivisten der "Identitären Bewegung" (IB). Betroffen waren u. a. die Facebookund Instagram-Kanäle, der Hauptkanal der "Identitären Bewegung Deutschland" mit zuletzt 65.000 Followern sowie die Auftritte zahlreicher Regionalgruppen, darunter auch die bayerischen IB-Seiten Franken, Altmühltal, Schwaben und Bayern. Die IBD kündigte an, alternative Kommunikationswege zu suchen und eine "eigene soziale Plattform" gründen zu wollen. Aktionen und Kampagnen der IBD konnten derweil weiterhin über einen auf der IBD-Internetseite eingebundenen Push-Nachrichtendienst abgerufen werden. Außerdem betreibt die IBD einen Online-Blog und bietet einen Newsletter-Service an. Sie ist auf zahlreichen weiteren Netzwerken wie Twitter, YouTube und "vk.com" vertreten. Daneben arbeitet die Gruppe an der Entwicklung einer App mit dem Namen "Okzident News". Die IB Bayern sowie die IB Schwaben veröffentlichten in Folge der Sperrmaßnahmen jeweils eigene Webseiten, auf denen vornehmlich Artikel zu regionalen Aktionen der IB erscheinen, die von den Lesern auch kommentiert oder geliked werden können. Zudem kann ein Newsletter abonniert werden. Die Seite der IB Franken befindet sich im Aufbau. 4.1.2 Aufklärungsarbeit des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (BayLfV) im Bereich Internet und Soziale Medien Mehr noch als bei offensichtlich rechtsextremistischen Homepages besteht in sozialen Netzwerken und auf Videoportalen die Gefahr, dass die Nutzer, ohne es zu bemerken, rechtsextremistischer Propaganda ausgesetzt sind. Durch die Verbreitung von Falschmeldungen, sogenannten Fake News, zu Themen wie etwa 129 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Asyl und Migration, versuchen Akteure aus dem rechtsextremistischen Spektrum, die Meinung der Nutzer zu manipulieren. Neben der sicherheitsbehördlichen Beobachtung und Auswertung verfassungsfeindlicher Aktivitäten im Internet ist das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) auch im Bereich der Aufklärung und Sensibilisierung bezüglich extremistischer Gefahren im Netz aktiv. Bereits 2017 stellte das BayLfV mit "10 Tipps, wie du dich nicht verarschen lässt" einen Erklärfilm vor, der insbesondere Jugendliche über die Gefahren von Manipulation und Radikalisierung in sozialen Medien aufklärt. Nutzerinnen und Film des BayLfV zu Nutzern sozialer Medien sollen 10 Tipps an die Hand gegeben "Fake News" werden, wie sie durch umsichtiges Verhalten vermeiden können, selbst in die Fänge von Extremisten zu geraten. Der Film ist über den YouTube-Kanal der Bayerischen Staatsregierung abrufbar. 4.2 Rechtsextremistische Musik Rechtsextremistische Musik ist ein wesentliches Eintrittstor in die rechtsextremistische Szene. So nutzen Rechtsextremisten Musik, um Jugendliche mit rechtsextremistischem Gedankengut in Kontakt zu bringen. Das Angebot an rechtsextremistischer Musik ist hinsichtlich Qualität, Stil und Zielrichtung größer geworden und reicht von Skinhead-Musik und Balladensängern über Vikingrock, Black Metal, Hatecore und Neofolk bis hin zu Rap und Techno. Die Texte enthalten nationalistisches, fremdenfeindliches, antisemitisches und antidemokratisches Gedankengut. Konspirative Rechtsextremistische Musikveranstaltungen (Konzerte und LieVorbereitung von derabende) im Inund Ausland ermöglichen es Szeneaktivisten Konzerten zudem, neue Kontakte aufzubauen und sich szeneintern zu vernetzen. Daneben gibt es Auftritte rechtsextremistischer Musiker bei sonstigen Veranstaltungen. Bei diesen Veranstaltungen überwiegt der Versammlungscharakter gegenüber der Musikdarbietung. Sie werden von den Veranstaltern teilweise konspirativ vorbereitet bzw. als private Veranstaltungen durchgeführt. Mit Vortrefforten, SMS-Mobilisierung bzw. Mund-zu-Mund-Propaganda oder der Deklarierung eines Konzerts als private Geburtstagsfeier soll ein Einschreiten der Sicherheitsbehörden verhindert werden. Diese 130 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 konspirativen Vorbereitungsmaßnahmen üben einen zusätzlichen Reiz aus. Veranstalter - es handelt sich dabei meistens um langjährige Aktivisten - erlangen bei der erfolgreichen Durchführung eines Konzerts innerhalb der Szene viel Anerkennung. Rechtsextremistische Konzertund Musikveranstaltungen in Bayern Konzerte 2 Liederabende 3 Sonstige Veranstaltungen mit Musikbeitrag 5 Am 13. Januar fand in Wachenroth (Lkr. Erlangen-Höchstadt) ein Musikveranstalals Geburtstagsfeier deklariertes Skinhead-Konzert statt. Etwa tungen in Bayern 80 Personen nahmen daran teil. Viele Besucher des Konzerts reisten von außerhalb Bayerns an. Am 14. April wurde in Steinberg am See/Oberpfalz ein weiteres rechtsextremistisches Konzert durchgeführt, welches ebenfalls als private Geburtstagsfeier getarnt war. Bei der Veranstaltung, die ca. 60 Zuschauer verfolgten, trat auch die bayerische Band "Schanddiktat" auf. Am 19. Mai fand in Rauhenebrach (Lkr. Haßberge/Unterfranken) ein rechtsextremistischer Liederabend statt, an dem nach Angaben der Polizei etwa 60 Besucher teilnahmen. Die Veranstaltung wurde auf einem Privatgrundstück in einem abgeschotteten Innenbereich durchgeführt. Der "III. Weg"-Stützpunkt Ostbayern veranstaltete im November einen "völkischen Liederabend" im Bayerischen Wald. Bei einem NPD-Rednerund Liederabend trat am 19. November der rechtsextremistische Sänger Lunikoff vor ca. 40 Teilnehmern in Murnau auf. Im Hinblick auf rechtsextremistische Musikund Konzertveranstaltungen ist im Bundesgebiet ein allgemeiner Trend zur Verbindung politischer Rednerveranstaltungen mit Musikveranstaltungen festzustellen. Im thüringischen Themar fand am 8. und 9. Juni die von der NPD Musikveranstaltunorganisierte Veranstaltung "Tage der nationalen Bewegung - Mugen in Thüringen und sikund Redebeiträge für Deutschland" statt. Die Veranstaltung Sachsen 131 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus wurde auch von bayerischen NPD-Kreisverbänden auf Facebook beworben. In der Spitze nahmen über 2.200 Personen aus dem Inund Ausland teil. Redner waren Funktionäre der NPD und der Partei "DIE RECHTE". Aus Bayern trat der rechtsextremistische Liedermacher Frank Rennicke auf. Im April und November fanden außerdem Rednerund Musikveranstaltungen der NPD in Ostritz (Sachsen) statt. Beim zweitägigen Festival "Schwert & Schild" in Ostritz traten am 2. November die rechtsextremistische Skinhead-Band "Burning Hate" aus Oberfranken und am 3. November ebenfalls Frank Rennicke auf. Das Festivalprogramm setzte sich zusammen aus Veranstaltungen zu Politik, Musik, Kampfsport sowie verschiedenen rechtsextremistischen Lifestyle-Angeboten, darunter eine Ausstellung für Tätowierer und Tätowierte ("Tattoo-Convention"). Aktivisten des "III. Weg" aus Bayern besuchten am 7. Juli die Veranstaltung "Jugend im Sturm" des "III. Weg" in Kirchheim (Thüringen). Bei der Veranstaltung traten mehrere Redner und Musikbands auf. Den etwa 220 Besuchern wurden Informationsstände und Sportwettkämpfe, einschließlich Kampfsportvorführungen, angeboten. Letztere wurden durch die parteiinterne Arbeitsgruppe "Körper & Geist" organisiert. Insgesamt gab es fünf Kämpfe, an denen u. a. auch der Leiter des Stützpunkts Nürnberg/Fürth Kai Zimmermann teilnahm. Auch die "Identitäre Bewegung" (IB) setzt im Rahmen ihrer politischen Propaganda auf die Wirkung von Musik. Der führende Aktivist der IB im deutschsprachigen Raum, Martin Sellner, produzierte für seinen YouTube-Kanal zwei Videos, in denen er die Musikrichtung "Neofolk" vorstellt. Dabei empfiehlt er seinen Zuschauern Neofolk als die richtige Musik für Identitäre, da sie der antimodernen Grundausrichtung der Identitären sehr nahesteht. Am 25. August veranstaltete die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) in Dresden ihr Festival "Europa Nostra (deutsch: Unser Europa) - Identität verteidigen - Heimat bewahren". An der Veranstaltung nahmen rund 350 Personen teil, darunter auch Aktivisten aus Bayern. Zudem trat der bayerische Rap-Musiker Christoph Zloch unter seinem Künstlernamen "Chris Ares" auf. Bereits am 6. August hatte Zloch auf seinem Facebookprofil "CHRIS ARES" die Veröffentlichung seines neuen YouTube-Musikvideos "DEFEND EUROPE" mitgeteilt. Das Video zeigt Bildsequenzen der IB-Aktionen "Defend Europe" 2017 im Mittelmeer und 2018 an der französisch-italienischen Grenze sowie von Kundgebungen der IB im Inund Ausland. 132 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremistische Bands in Bayern Aktive Bands Bandname Herkunft Aktiv seit Letzte Veröffentlichung Eskalation Raum Hof 2010 CD "Kein Schritt zurück" (2015), Beteiligung am Sampler "Hessen Skins" (2017) Faustrecht Raum 1994 - 2002 CD "European Pride" Mindelheim Neugründung 2004 (2016), Beteiligung am Auflösung im Lauf des Sampler "The Skinheads Jahres 2018 come back" (2017) Kodex Frei Raum 2010 CD "Das Pack" (2016), Kempten Beteiligung an der Compilation "10. Tag der deutschen Zukunft" (2018) MPU Raum Hof 2005 CD "German Skinhead Anthems" (2017), Beteiligung am Sampler "Hessen Skins" (2017) Nordwind Raum 1995-2004 LP "Stolz & Stark" - Forchheim Neugründung 2014 limitierte Sammler-Edition (2014) Prolligans Raum Allgäu 2004 CD "Nahrung für den Geist" (2017), Compilation "Skinhead durch und durch" (2017) Schanddiktat Raum 2016 Veröffentlichungen bisher Dillingen nur auf YouTube-Channel a. d. Donau "Schanddiktat" Sturmtrupp Neuburg 2008 (Neugründung CD "Unter feindlicher a. d. Donau nach Auflösung 2002) Attacke" (2011) White Rebel Raum Hof 2007 CD "The Boys are back in Boys town" (2012), Beteiligung am Sampler "Back to the basement" (2016) Burning Hate Oberfranken 2005 - 2010 Gründung CD "Your Time Is mit ehemaligen Running Out" (2010), Mitgliedern der Beteiligung am Sampler Skinhead-Bands Aryan "Punikoff Vol.1" (2017) Rebels und Division 28, Neugründung 2017 133 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Derzeit inaktive Bands Bandname Herkunft Aktiv seit Letzte Veröffentlichung Hard as nails Raum Allgäu 2013 Demo-CD (2015) National Neu-Ulm 2001 CD "gehirngefickt" Born Haters (2010) UntergrundWürzburg 2008 (Neugründung) CD "Für Dich" (2011) wehr Rechtsextremistische Bands nutzen Konzerte als Möglichkeit, ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen und für Tonträger und Merchandising-Artikel zu werben. Mit der Gage für einen Konzertauftritt können die meisten Bands ihre entstandenen Kosten allerdings nur teilweise decken. Wesentlich einträglicher sind der Verkauf und Vertrieb von Tonträgern über Versandhandel, Verkaufsstände auf rechtsextremistischen Veranstaltungen und über das Internet. Das Internet bietet darüber hinaus zahlreiche Möglichkeiten, rechtsextremistische Musik einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Beispielsweise stehen rechtsextremistische Musikclips und -alben in der Regel auch zum Download zur Verfügung. In Hessen bewarben die NPD und ihre Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) im Vorfeld der diesjährigen Landtagswahl Schulhof CD 2.0 eine "Schulhof-CD 2.0". Auf einer Webseite wird die Musik-CD mit dem Titel "[Re]generation Europa" zum digitalen Download zur Verfügung gestellt. Auf dem Musik-Sampler finden sich Titel von vornehmlich rechtsextremistischen Musikern und Bands, u. a. von "Uwocaust", "Paranoid" und "Lunikoff Verschwörung". Bereits seit 2004 versucht die NPD in unregelmäßigen Abständen, mit ihrem Format "Schulhof-CD" ihr extremistisches Weltbild jugendaffin Schülerinnen und Schülern zu vermitteln. InformationsangeDie Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) bote der BIGE informiert als zentrale Präventionsstelle der Staatsregierung umfassend über rechtsextremistische Bands, Liedermacher, 134 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Stilrichtungen und Verbreitungsstrategien. Im Rahmen ihrer allgemeinen Präventionstätigkeit sollen Bürgerinnen und Bürger, insbesondere Schülerinnen und Schüler, dazu befähigt werden, rechtsextremistische Inhalte leichter zu erkennen und deren möglicherweise strafrechtliche oder jugendgefährdende Relevanz feststellen zu können. Mit dem "HandIungsIeitfaden zum Umgang mit Rechts(rock) Handlungsleitfaden konzerten und vergleichbaren Veranstaltungen" unterstützt die gegen rechtsextreStaatsregierung insbesondere jene Gemeinden, welche mit mistische Konzerte solchen Veranstaltungen effektiv und sachgerecht umgehen müssen und vielfach nur eine sehr kurze Vorbereitungszeit für die Prüfung von Untersagungsgründen, Anordnungen oder Auflagen zur Verfügung haben. Ergänzend zum Leitfaden berät die BIGE Kommunen im konkreten Einzelfall. Ziel ist es, bereits im Vorfeld derartige Veranstaltungen - soweit möglich - zu verhindern und eine Etablierung oder Verfestigung einer rechtsextremistischen Szene vor Ort zu unterbinden. Das strikte Vorgehen der bayerischen Sicherheitsbehörden führte bereits wiederholt dazu, dass Musikveranstaltungen nicht stattfanden bzw. in benachbarten Regionen außerhalb Bayerns durchgeführt wurden. 4.3 Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen Rechtsextremistische Vertriebe und Versandhandel kommerzialisieren die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Das Sortiment ist gezielt auf die Bedürfnisse der Anhänger einzelner Szene-Stilrichtungen wie der Skinhead-, der NS-Hatecoreoder der NS-Black-Metal-Subkultur ausgerichtet. Bei der Produktion und Vervielfältigung von Tonträgern spielen insbesondere die größeren Vertriebe eine wichtige Rolle. Neben Musik umfasst die Angebotspalette auch Textilien, Fahnen, Flugblätter, Plakate und szenetypische Devotionalien wie Bücher und Aufkleber sowie zunehmend Accessoires für den Alltag wie Sonnenbrillen oder Gürteltaschen. Szeneläden sind mittlerweile die Ausnahme. Nahezu alle Händler bieten ihre Waren auf zum Teil professionell gestalteten Verkaufsplattformen im Internet an. Die Betreiber rechtsextremistischer Betriebe verfolgen insbesondere wirtschaftliche Interessen, manche unterstützen mit ihren Einnahmen auch die rechtsextremistische Szene. 135 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Vertriebe und Versandhandel Name Sitz/Landkreis Inhaber Ansgar Aryan Mantel/Neustadt a. d. Nemesis Production Waldnaab GmbH, Mantel; Gf: Patrick Schröder DIM Records Coburg Ulrich Großmann FSN-Shop Mantel/Neustadt a. d. Patrick Schröder Waldnaab Oldschool Records Wolfertschwenden/ Benjamin Einsiedler Unterallgäu Patriotic Store Mantel/Neustadt a. d. Patrick Schröder Waldnaab Schwarze-SonneRain am Lech/ Alexander Feyen Versand Donau-Ries Versand der Bewegung Murnau/GarmischSarah Janker Partenkirchen Wikingerversand Geiselhöring/ Siegfried Birl Straubing-Bogen Das Zeughaus Presseck/Kulmbach Jens Hessler Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration hat am 23. Juli 2014 das neonazistische Netzwerk "Freies Netz Süd" (FNS) verboten, da es die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der verbotenen "Fränkischen Aktionsfront" weiterführte. Darüber hinaus wurden Gegenstände des SzeKlage des "Final Rene-Versandhandels "Final Resistance" Versand beschlagnahmt sistance" Versands und eingezogen. Der "Final Resistance" Versand unterstützte gegen Beschlagnahdie Aktivitäten des FNS, indem er Agitationsund Propagandame erfolglos material zur Verfügung stellte. Er hatte sich in den letzten Jahren zu einem der bedeutendsten Szene-Versandhandel in Bayern entwickelt. Mit Urteil vom 7. Juni wies das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth die Klage gegen die Einziehung des "Final Resistance" Versandes ab. 4.4 Rechtsextremistische Internetradios und -TV Rechtsextremisten nutzen auch Internetradios zur Verbreitung "ihrer" Musik. Gelegentlich werden auch indizierte oder strafbare Titel gespielt. Teilweise können die Hörer das Programm mitgestalten. Als Wortbeiträge werden Interviews mit Rechts136 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 extremisten (z. B. Bandmitgliedern), Kommentare oder Kritiken zu CDs sowie gelegentlich Werbung für Konzerte und Demonstrationen gesendet. Die Sendezeiten variieren von wenigen Stunden wöchentlich bis hin zu einem 24-Stunden-Programm. Die Homepages dieser Internetradios bieten häufig auch anmeldepflichtige Chats und Diskussionsforen an. Internetradios unterliegen einer hohen Fluktuation, manche sind nur vorübergehend in Betrieb. Der Vorsitzende des NPD-Kreisverbands Weiden i. d. OPf., Patrick Schröder, betreibt seit 2007 - mit Unterbrechungen - von Weiden i. d. OPf. aus das rechtsextremistische Internetradio "Radio FSN" (Frei-Sozial-National) sowie seit August 2012 auch das Internet-TV "FSN-TV". "FSN-TV" wurde mittlerweile zum Format "FSN - The Revolution" umbenannt. Es werden neben Interviews mit Protagonisten aus der rechtsextremistischen Szene in moderierten Beiträgen Aktionshinweise, Konzertund Demonstrationstermine und Informationen über aktuelle und politische Ereignisse innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums verbreitet. Patrick Schröder, der mit einem Co-Moderator auftritt, erreicht mit seinen Sendungen ein überregionales Szenepublikum. Die aufgezeichneten Sendungen werden als Podcasts angeboten und u. a. auf dem Videoportal YouTube bereitgestellt. Auch in den sozialen Medien, beispielsweise auf Facebook, ist "FSN - The Revolution" mit eigenen Accounts aktiv. Seit 13. November 2017 betreibt die Partei "Der Dritte Weg" unter der Bezeichnung "Revolution auf Sendung" ein Internetradioformat. Neben Nachrichten, Interviews sowie Musikund Liedbesprechungen werden im Rahmen der Sendungen auch Aktionen der Partei präsentiert und propagiert. 4.5 Rechtsextremistisches Verlagswesen Die 1958 gegründete "Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH" (DSZ-Verlag) mit Sitz in München war über einen langen Zeitraum das bedeutendste rechtsextremistische Propagandainstrument in Deutschland. Aktuell veröffentlicht der Verlag wöchentlich die "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ). Im Artikel "Wir können unsere Kultur und unsere Nationen bewahren. Eindrücke vom Kongress 'Verteidiger Europas'" berichtete die "National Zeitung" ausführlich und werbend über eine Veranstaltung am 3. März in Aistersheim (Oberösterreich). Dabei handelte es sich um ein Vernetzungstreffen von rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Aktivisten, darunter die "Identitäre Bewegung". 137 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Rechtsextremistische Verlage streben die Etablierung einer rechtsextremistischen Gegenkultur an. Daher verbreiten sie revisionistische, antisemitische, antidemokratische bzw. fremdenfeindliche Vorstellungen und wollen so rechtsextremistische Überzeugungen in der Leserschaft initiieren oder festigen. Dabei soll das Vertrauen in die demokratische Ordnung untergraben werden, um letztendlich ein undemokratisches, autoritäres politisches System in Deutschland populär zu machen. Die "Verlagsgesellschaft Berg mbH" (VGB) mit Geschäftssitz in Gilching (Landkreis Starnberg), besteht seit 1991. Sie ist mit dem "Druffel & Vowinckel"-Verlag verschmolzen und einer der größten organisationsunabhängigen rechtsextremistischen Verlage in Deutschland. Das Verlagsprogramm umfasst Schriften mit revisionistischen sowie militärhistorischen Inhalten, beispielsweise die Zeitschrift "Deutsche Geschichte" oder das Jahrbuch "Deutsche Annalen". Die geschichtsverklärende und nazistische Ausrichtung des Verlags wird mitunter auch bereits in den Publikationstiteln und -beschreibungen deutlich. Über Adolf Hitler werde etwa laut Verlag im Buch "In Hitlers Schatten - Erinnerungen und Aufzeichnungen des persönlichen Adjutanten" von einem "engsten Vertrauten" ein "einfühlsames und um Wahrheit bemühtes Bild" gezeichnet. Nach Aussage des Verlags werde im Buch "Die Wahrheit über Oradour - Was geschah am 10. Juni 1944 wirklich? Rekonstruktion und Forschungsbericht eines Franzosen" die "Legende von den Verbrechen der Waffen-SS" in der französischen Ortschaft "widerlegt" bzw. "zerstört". 5. IMMOBILIENSUCHE UND -ERWERB Rechtsextremistisch genutzte Immobilien sind solche, die politisch zielund zweckgerichtet sowie wiederkehrend genutzt werden. Erfasst werden dabei Immobilien, bei denen Rechtsextremisten über eine uneingeschränkte grundsätzliche Zugriffsmöglichkeit verfügen, etwa in Form von Eigentum, Miete, Pacht oder durch ein Kennund Vertrauensverhältnis zum Objektverantwortlichen. Davon abzugrenzen sind Objekte, die von Rechtsextremisten nahezu ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt werden. Rechtsextremisten nutzen Immobilien, um regionale Strukturen und Anlaufstellen zu schaffen. Sie sind in Ballungsräumen ebenso wie im ländlichen Raum ständig auf der Suche nach Räumlichkeiten für Feiern, Konzerte, Schulungen, Parteiveranstaltungen oder interne Treffen. Für kleinere Treffen nutzen Rechtsextremisten häufig auch ihre privaten Wohnobjekte. Sie haben in der breiten Öffentlichkeit keine Akzeptanz, und mögliche Vermieter lehnen eine Vermietung an rechtsextremistische Gruppie138 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 rungen zumeist ab. Die rechtsextremistische Szene hat deshalb regelmäßig erhebliche Schwierigkeiten, dauerhaft Immobilien für ihre Aktivitäten zu finden, die über eine bloße Wohnnutzung hinausgehen. Insbesondere die langfristige Anmietung einer Gaststätte durch Rechtsextremisten stellt in Bayern die Ausnahme dar. Verschiedene rechtsextremistische Gruppierungen halten zwar wiederholt interne Treffen oder kleinere Feiern in Gaststätten ab. Die Räumlichkeiten werden aber nur in Ausnahmefällen explizit für ein Treffen von Rechtsextremisten angemietet. Vielmehr geben sie sich dort meist als "normale" Gäste aus. Wenn Rechtsextremisten eine ernsthafte Kaufabsicht haben, setzen sie meist harmlos erscheinende "Strohmänner" ein, um den rechtsextremistischen Hintergrund des Erwerbs zu verschleiern. Derzeit werden in Bayern 22 Objekte als rechtsextremistisch ge22 Immobilien in nutzte Immobilien eingestuft, u. a. in München, Gilching, Pähl, Bayern Weilheim, Murnau, Münster (Schwaben), Kempten, Memmingen, Wolfertschwenden, Mantel, Geiselhöring und Feilitzsch. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration hat am 23. Juli 2014 das neonazistische Netzwerk "Freies Netz Süd" (FNS) verboten, da es die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der verbotenen "Fränkischen Aktionsfront" weiterführte und sich zum größten kameradschaftsübergreifenden neonazistischen Netzwerk in Bayern entwickelt hatte. Das Verbot ist seit 14. Dezember 2015 bestandskräftig. Im Zuge des Verbots beschlagnahmte das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration das Grundstück Oberprex 47. Seit dem Jahr 2010 wurde die beschlagnahmte Liegenschaft in Oberprex kontinuierlich als Treffpunkt und Veranstaltungsort für die rechtsextremistische Szene im Umfeld des FNS genutzt. Mit Urteil vom 7. Juni wies das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth die Klage gegen die Einziehung der Liegenschaft Oberprex 47 ab. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) Die BIGE berät betroffene Kommunen und Eigentümer. Auf dem Internetportal der BIGE sind zusätzliche Informationen abrufbar: www.bige.bayern.de Seit Einrichtung der BIGE im Frühjahr 2009 wurden in 71 Fällen Kommunen in Bayern im Hinblick auf Kauf, Pacht, Anmietung oder sonstige längerfristige Nutzung von Immobilien durch Rechtsextremisten beraten. In mehreren Fällen konnte ein Kauf von Gasthöfen mit Unterstützung der BIGE verhindert werden. 139 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus 6. RECHTSEXTREMISTISCHE PARTEIEN 6.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Deutschland Bayern Mitglieder 4.500 500 Vorsitzender Frank Franz Sascha Roßmüller Gründung 1964 1965 Sitz Berlin Bamberg Publikationen Deutsche Stimme Die NPD will die bestehende Ordnung durch eine "Volksgemeinschaft" ersetzen. Aus Sicht der NPD stellt einzig eine ethnisch homogene "Volksgemeinschaft" eine natürliche, dem wahren Wesen des Menschen entsprechende und damit annehmbare staatliche und gesellschaftliche Ordnung dar. Sie strebt einen Gegenentwurf zur parlamentarischen Demokratie in Deutschland an. Die von der NPD vertretenen völkischen Grundideen bringen im Zusammenhang mit den verschiedensten politischen Themen oft ausländerfeindliche, antisemitische, rassistische - und in Bezug auf den historischen Nationalsozialismus verharmlosende und zustimmende - Positionen zum Ausdruck. Damit wirkt die NPD ideologisch prägend für das gesamte rechtsextremistische Spektrum. Ihr angestrebtes Ziel der "Systemüberwindung" und ihre Grundaussagen stehen inhaltlich im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. Das im Juni 2010 verabschiedete Parteiprogramm der NPD ist von einem ausgeprägten Nationalismus getragen und schreibt den Gedanken der "Volksgemeinschaft" in einer völkisch-kollektivistischen Auslegung fest. So heißt es im Parteiprogramm: Volksherrschaft setzt die Volksgemeinschaft voraus. Der Staat nimmt dabei die Gesamtverantwortung für das Volksganze wahr und steht daher über Gruppeninteressen. und 140 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Ein grundlegender politischer Wandel muss die sowohl kostspielige als auch menschenfeindliche Integrationspolitik beenden und auf die Erhaltung der deutschen Volkssubstanz abzielen. Integration ist gleichbedeutend mit Völkermord. Für die NPD resultiert die Würde des Einzelnen nicht aus dem Rassistischer und freien Willen des Individuums, sondern ist von biologisch-genenationalistischer tischer Teilhabe an der "Volksgemeinschaft" abhängig. Da nur Ideologieansatz Deutsche völkischer Abstammung Teil der "Volksgemeinschaft" sein können, ist eine rassistisch und nationalistisch geprägte Fremdenfeindlichkeit elementarer Bestandteil der Parteiideologie vom "lebensrichtigen Menschenbild", das sich insbesondere gegen "Fremdbestimmung" und "Überfremdung" wendet. Die NPD verfolgt nicht nur erkennbare rechtsextremistische Ziele. Sie versucht auch, über bürgerliche Themen ihre rechtsextremistischen Anschauungen zu verbreiten. So befasst sie sich unter dem Motto "Sozial geht nur national" verstärkt mit sozialpolitischen Themen. Damit will sich die NPD als soziale Protestpartei darstellen und die Ängste der Bevölkerung vor sozialen Reformen, Arbeitslosigkeit und einer "multikulturellen Gesellschaft" schüren. Um dem Ziel der politischen Machtergreifung näherzukommen, verfolgt die Partei ein auf vier "strateVier-Säulen-Strategie gische Säulen" gestütztes Konzept. Diese Säulen bezeichnet sie schlagwortartig mit den Begriffen: - "Kampf um die Köpfe", - "Kampf um die Straße", - "Kampf um die Parlamente", - "Kampf um den organisierten Willen". Der "Kampf um die Köpfe" bezeichnet die politisch-theoretische Arbeit. Die "völkisch-nationale Programmatik" soll weiterentwickelt und dem Bürger vermittelt werden. Gerade angesichts der Flüchtlingsthematik zeigt die zunehmende Verrohung mancher Debatten im Internet, dass die Strategie der NPD des "Kampfs um die Köpfe" teilweise erfolgreich ist. Im "Kampf um die Straße" soll einerseits durch zahlreiche öffentliche Veranstaltungen wie Aufmärsche und Demonstrationen Präsenz gezeigt und andererseits die Bevölkerung mobilisiert werden. Bei der dritten Säule, dem "Kampf um die Parlamente", geht es der NPD um Erfolge als politische Wahlpartei. Ziel ist die Gewinnung von Macht und Einfluss sowie die Gewährung finanzieller Zuwendungen. 141 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Mit dem "Kampf um den organisierten Willen" strebt die NPD eine Bündelung aller rechtsextremistischen Kräfte unter ihrer Führung an, ohne dabei programmatische Inhalte zu definieren. Im Grunde will die NPD im Rahmen einer Aktionseinheit als die zentrale und entscheidende Kraft des Rechtsextremismus wahrgenommen werden. Völkischer Flügel Innerhalb der NPD gründete sich Anfang 2018 eine neue Gruppierung, die sich als "Völkischer Flügel" bezeichnet. Am 30. Januar veröffentlichte die Gruppierung im Internet eine Proklamation. Historisch ist der 30. Januar mit dem Tag der Machtergreifung Adolf Hitlers verbunden. Zu den etwa 40 Erstunterzeichnern der Proklamation "Völkischer Flügel" gehören NPD-Funktionäre auf Bundesund Landesebene, darunter sechs NPD-Landesvorsitzende. Unter den Unterzeichnern befinden sich auch drei Personen mit aktuellen oder früheren Bezügen nach Bayern. Die Gruppierung beschreibt sich als "ein nationalistisch und völkisch orientiertes Bündnis innerhalb der NPD". Ziel sei es u. a., die NPD als Partei "der ethnischen Deutschen" am "lebensrichtigen Menschenbild" auszurichten. Die Proklamation des "Völkischen Flügels" steht im Zusammenhang mit einem anhaltenden Richtungsstreit innerhalb der NPD. Fraktionen innerhalb der Partei kritisieren u. a. den vermeintlich gemäßigten Kurs des Bundesparteivorsitzenden Frank Franz, der die Partei seit 2014 leitet. Die Namenswahl, das Datum der Veröffentlichung der Proklamation am symbolträchtigen 30. Januar sowie die bislang verlautbarten Zielsetzungen des neuen Parteiflügels weisen auf eine möglicherweise verschärfte ideologische Ausrichtung und Radikalisierung innerhalb der NPD hin. Der Erstunterzeichnerkreis, bestehend aus hochrangigen NPD-Funktionären um Thorsten Heise, spricht dafür, dass dieser Kurs parteiintern mehr Geltung bekommen wird. Die NPD und ihre Jugendorganisation "Junge Nationalisten" unterhalten Verbindungen zu verschiedenen Rechtsextremisten im europäischen Ausland. Die NPD ist Mitglied der "Europäischen Nationalen Front", einem europaweiten rechtsextremistischen Parteienbündnis, dem auch die griechische neonazistische Partei "Chrysi Avgi" ("Goldene Morgenröte") angehört. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 17. Januar 2017 die verfassungsfeindliche Ausrichtung der NPD bestätigt. Ein Verbot der Partei lehnte das Gericht jedoch ab, weil die Bedeutung der Partei für eine Gefährdung der freiheitlichen de142 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 mokratischen Grundordnung zu gering sei. Nachdem auf Bundesebene die gesetzlichen Voraussetzungen für den Ausschluss Ausschluss von der verfassungsfeindlicher Parteien von der staatlichen ParteienfiParteienfinanzierung nanzierung geschaffen wurden, haben Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung im Februar und April beschlossen, beim Bundesverfassungsgericht den Ausschluss der NPD von der Parteienfinanzierung zu beantragen. Die NPD verfügt nur im Europaparlament über ein Abgeordnetenmandat für die Legislaturperiode 2014-2019. Die NPD gliedert sich bundesweit in 16 Landesverbände, die wiederum in Bezirksund Kreisverbände unterteilt sind. Der bayerische Landesverband besteht aus sieben Bezirksund 31 Kreisverbänden. In Bayern fanden insbesondere interne Aktivitäten der NPD, beiAktivitäten der NPD spielsweise monatliche Stammtische von Kreisverbänden, statt. in Bayern Am 6. Januar nahmen etwa 20 Mitglieder an einem Drei-Königs-Treffen in Schwürbitz teil. Aktivisten der NPD-Kreisverbände Bamberg, Coburg, Erlangen-Neustadt/Aisch, Ingolstadt und Nürnberg besuchten die NPD-Kundgebung zum Tag der Arbeit am 1. Mai in Erfurt. Im Vorfeld des 1. Mai waren Exemplare der NPD-Zeitung "Deutsche Stimme" mittels Briefkasteneinwurf in Mittelfranken verteilt worden. Am 5. Mai nahmen der NPD-Parteivorsitzende Frank Franz und sein Stellvertreter Ronny Zasowk an der NPD-Regionalkonferenz des bayerischen NPD-Landesverbands in Mittelfranken teil. Gegenstand der Konferenz waren das "Schutzzonen"-Projekt und die Spendenaktion "Deutsche helfen Deutschen". In den Monaten September bis Dezember führte die NPD in Bamberg und in Nürnberg "Schutzzonen"-Streifen durch. Am 12. Mai berichtete der NPD-Kreisverband Nürnberg auf seiner Internetseite über eine Spendenverteilung an Obdachlose. Zu den Spenden zählten Bekleidung, Lebensmittel sowie Werbematerial der "Bürgerinitiative A (BIA) e. V." (BIA-Nürnberg) und der NPD, beispielsweise Kugelschreiber und Flaschenöffner. Am 26. Mai führte die NPD in München unter dem Motto "Schafft endlich Sicherheit, Recht und Ordnung in Deutschland" eine Kundgebung durch. Daran nahmen rund zehn Aktivisten der NPD-Kreisverbände München und Nürnberg teil. Ein Teilnehmer zeigte den "Kühnengruß", eine Abwandlung des Hitlergrußes, 143 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus bei der Daumen, Zeigeund Mittelfinger abgespreizt, die übrigen Finger jedoch angewinkelt werden, so dass ein "W" für Widerstand entsteht. Am 5. August wurde in Günzburg und am 26. August in Dillingen a. d. Donau nach eigenen Angaben im Rahmen der Spendenaktion "Deutsche helfen Deutschen" Bekleidung verteilt. In Murnau fand am 7. September eine Flugblattverteilung statt. An der NPD-Kundgebung "Chemnitz ist überall - ganz Deutschland muss zur Schutzzone werden" nahmen am 2. September in München etwa 10 Personen der NPD-Kreisverbände München und Nürnberg teil. Zwei Teilnehmer zeigten laut Polizei den Hitlergruß. Die Kundgebung vom 2. September wurde auch vom NPD-Landesverband Bayern auf Facebook beworben. NPD-Aktivisten aus München und Oberbayern unterstützten im Oktober und November "Schutzzonen"-Streifen der NPD in Nürnberg. Zu den bayerischen Landtagsund Bezirkstagswahlen im Oktober stellte die NPD keine eigenen Kandidaten auf. Der bayerische Landesverband der Partei veröffentlichte am 27. September einen Facebookbeitrag, in dem er die Gründe für die Nichtteilnahme an den Wahlen nannte sowie eine indirekte Wahlempfehlung in Richtung der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) aussprach. Demnach beteiligte sich die NPD nicht an den Landtagswahlen, um die größeren Erfolgschancen der AfD nicht zu gefährden und damit zu gewährleisten, dass "zumindest eine patriotische Kraft" zur "größtmöglichen Schwächung der Landtagsparteien" beitragen könne. Sie rief ihre Anhänger dazu auf, gegen die "etablierten Altparteien" zu stimmen und für die eigene Wahlentscheidung den jeweiligen AfD-Kandidaten in Betracht zu ziehen. Bundesund Am 17. November fand im hessischen Büdingen der BundesparLandesparteitag teitag der NPD mit 106 Delegierten unter dem Motto "Festung Europa - Schutzzone Deutschland" statt. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Abstimmung über die Kandidatenliste für die Europawahl im Mai 2019. Unter den für die Europawahl aufgestellten 10 NPD-Listenkandidaten befindet sich auf Listenplatz 5 Sascha Roßmüller aus Bayern. Ab dem 19. November sammelte die NPD auch in Bayern die für den Wahlantritt benötigten Unterstützerunterschriften. Am 2. Dezember hielt der NPD-Landesverband Bayern erstmals seit dem 5. November 2016 einen Landesparteitag in Schwaben ab. Bei der Vorstandswahl wurde Sascha Roßmüller, bisher stellv. Landesvorsitzender, zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. 144 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Junge Nationaldemokraten (JN) Deutschland Bayern Mitglieder Einzelpersonen Vorsitzender Christian Häger derzeit keine Führungsstruktur auf Landesebene Gründung 1969 Sitz Riesa/Sachsen Die Jugendorganisation der NPD benannte sich im Januar von "Junge Nationaldemokraten" in "Junge Nationalisten" um. In einem Interview mit der Parteizeitung "Deutsche Stimme" im September erklärte der neue Bundesvorsitzende Christian Häger, dass der bisherige Name nicht mehr dem "heutigen Zeitgeist" entspreche. Konkret habe man von "neu gebildeten Gruppen", insbesondere der "Identitären Bewegung" (IB), gelernt. Der neue Name "Junge Nationalisten" solle den Begriff "Nationalismus" wieder positiv in die Öffentlichkeit tragen. Die Aussagen Hägers belegen zum einen die Vorbildrolle, welche die IB inzwischen innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums einzunehmen scheint. Zum anderen ist die Umbenennung der JN ebenfalls als Ausdruck einer radikaleren Linie innerhalb der Partei zu werten. Am 11. und 12. Mai fand in Riesa (Sachsen) der dritte Europakongress der JN unter dem Motto "[RE]generation.Europa" statt. An der Veranstaltung nahmen Personen aus dem Inund Ausland, darunter auch aus Bayern, teil. In Bayern entwickelte die JN keine Aktivitäten. Ring Nationaler Frauen (RNF) Deutschland Bayern Mitglieder Einzelpersonen Vorsitzender Antje Mentzel derzeit keine Führungsstruktur auf Landesebene Gründung 2006 2013 Sitz Pirmasens/ Rheinland-Pfalz 145 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Der RNF ist eine Unterorganisation der NPD und versteht sich als Sprachrohr und Ansprechpartner für "nationale" Frauen. In Bayern ist der RNF nur sporadisch aktiv. Im August wies der RNF auf die Durchführung der Spendenaktion "Deutsche helfen Deutschen" in Bayern hin. 6.2 Partei Der Dritte Weg (III. Weg) Deutschland Bayern Mitglieder und etwa 160 Sympathisanten Vorsitzender Klaus Armstroff Walter Strohmeier Gründung 2013 20141 Sitz Weidenthal/ - Rheinland-Pfalz 1 Stützpunkte bestehen seit 2014. Die Partei "III. Weg" vertritt einen stark neonazistisch geprägten Rechtsextremismus. Zahlreiche Mitglieder, Fördermitglieder und Sympathisanten der Partei stammen aus dem Umfeld des 2014 verbotenen neonazistischen Netzwerks "Freies Netz Süd" (FNS). Die ideologischen Ziele der Partei ergeben sich aus ihrer Satzung sowie aus einem "Zehn-Punkte-Programm", das auf Elemente des 25-Punkte-Programms der NSDAP zurückgreift. Beide Programme basieren auf einem biologischen Volksbegriff. Die NSDAP hatte festgeschrieben, dass nur der ein "Volksgenosse" sein könne, der "deutschen Blutes" sei. Die Partei "III. Weg" fordert die "Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" sowie die "Beibehaltung der nationalen Identität des deutschen Volkes", die es vor Überfremdung zu schützen gelte. Antisemitismus Die Partei vertritt ein geschichtsrevisionistisches Weltbild. Sie und Aufruf zum fordert die Wiederherstellung "Gesamtdeutschlands in seinen Israel-Boykott völkerrechtlichen Grenzen". In diesem Zusammenhang spricht der "III. Weg" auch von einer "friedlichen Vereinigung des deutschen Volkskörpers im Rahmen der ethnischen Selbstbestimmung und [der] Schaffung eines souveränen deutschen Volksstaates", was als Vereinigung aller deutschsprachigen Gebiete in einem Staat zu interpretieren wäre. Auch der Antisemitismus ist 146 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 prägend für die Ideologie der Partei: In Artikeln auf ihrer Homepage nimmt die Partei "III. Weg" den Palästina-Konflikt zum Anlass für antizionistische Propaganda. Auf der Startseite wird zudem dazu aufgerufen, keine israelischen Produkte zu kaufen. Die Partei verfolgt ein Drei-Säulen-Konzept: "den politischen Kampf", "den kulturellen Kampf" und "den Kampf um die Gemeinschaft". Der "III. Weg" sieht sich nach dem Drei-Säulen-Konzept nicht bloß als Wahlpartei, sondern als "nationale Bewegung", die insbesondere auch auf der Straße ihre politischen Ansichten vertritt, sich kulturell betätigt und den Gemeinschaftsgeist über die reine Parteiarbeit hinaus durch Sportund Freizeitangebote vertiefen will. Strukturen Die Partei gliedert sich laut ihrer Satzung in die Gebietsverbände Süd, West und Mitte. Der Gebietsverband Süd besteht aus den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg. Ein Kreisverband ist die kleinste selbstständige Einheit der Partei. Die Satzung ermöglicht in Gebieten, in denen keine Untergliederungen bestehen, sog. "Stützpunkte" einzurichten. Ende 2018 bestanden bundesweit 18 Stützpunkte, davon fünf in Bayern. Die bayerischen Stützpunkte entsprechen weitgehend den bisherigen Fünf Stützpunkte in geografischen Schwerpunkten der verbotenen Vereinigung FNS. Bayern Der Parteitag des Gebietsverbands Süd fand am 4. August im Bayerischen Wald statt. Zum neuen Vorsitzenden wählten die Teilnehmer den Leiter des Stützpunkts Ostbayern Walter Strohmeier und bestätigten Matthias Bauerfeind in seinem Amt als stellvertretender Vorsitzender. Bei beiden handelt es sich um langjährige führende Akteure der rechtsextremistischen Szene in Bayern, die schon im FNS aktiv waren. Bei der bayerischen Landtagswahl im Oktober trat der "III. Weg" nicht an und gab auch keine Wahlempfehlung ab. Am 7. April beschloss die Partei die Teilnahme an der Europawahl 2019. Unter den 10 Kandidaten befinden sich auf den hinteren Plätzen drei Aktivisten aus Bayern. Ab April sammelte die Partei bundesweit die für einen Wahlantritt Unterschriftennotwendigen Unterstützerunterschriften. In Bayern fanden Unsammlung für terschriftensammlungen an mehreren Orten, beispielsweise in Europawahl 2019 147 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Deggendorf, Hirschaid, Lindau, Sonthofen und Straubing, im Rahmen von Infoständen oder Flugblattverteilungen sowie während einer Kundgebung am 4. August in Regen statt. Der Stützpunkt Ostbayern des "III. Weg" hielt am 28. Juli in Cham eine "Infoveranstaltung zur Europawahl 2019" ab. Außerdem wurde am 30. Juni im Landkreis Cham eine Veranstaltung durchgeführt, um die Partei "III. Weg" vorzustellen und neue Mitglieder zu gewinnen. Bei der Wahl zum Europaparlament gelten keine Sperrklauseln. Im Dezember reichte die Partei die für den Wahlantritt erforderlichen Unterstützerunterschriften beim Bundeswahlleiter ein. Aktionen Veranstaltungen in In Nordhausen (Thüringen) veranstaltete die Partei "III. Weg" am Zusammenhang mit 17. Februar die Kundgebung "Ein Licht für Dresden". Anlass war den Weltkriegen der Jahrestag der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten im Februar 1945. Rechtsextremisten missbrauchen Jahrestage und Gedenkanlässe regelmäßig für propagandistische Zwecke. Etwa 200 Personen aus dem Bundesgebiet nahmen teil. Unter den Rednern befand sich auch der Leiter des Stützpunktes Ostbayern des "III. Weg", Walter Strohmeier. Unter dem Motto "Kapitalismus zerschlagen - Für Familie, Heimat und Tradition" veranstaltete der "III. Weg" am 7. April einen Mobilisierungstag für die 1. Mai-Kundgebung in Chemnitz. In Bayreuth fand dabei die einzige Kundgebung in Bayern mit mehreren Rednern statt. Mit etwa 30 Teilnehmern waren Aktivisten aller fünf bayerischen Stützpunkte des "III. Weg" vertreten. Sie trugen mehrheitlich rote Kampagnen-T-Shirts mit dem Aufdruck "Kämpfe!". Im Anschluss reisten die Teilnehmer zu einer weiteren Kundgebung des "III. Weg" nach Zwickau. Die 1. Mai-Kundgebung des "III. Weg" fand mit etwa 600 Teilnehmern in Chemnitz statt. Aktivisten des "III. Weg" aus Bayern besuchten am 7. Juli die Veranstaltung "Jugend im Sturm" des "III. Weg" in Kirchheim (Thüringen). Am 17. November fand die alljährliche "Heldengedenken"-Demonstration des "III. Weg" in Wunsiedel statt. Zu der Veranstaltung unter dem Motto "Tot sind nur jene, die vergessen werden!" trafen sich 200 Rechtsextremisten aus dem Inund Ausland. Neben Vertretern der rechtsextremistischen "Nordischen Widerstandsbewegung" aus Skandinavien kamen auch einzelne Rechtsextremisten aus Österreich und der Schweiz nach Wunsiedel. Bei rechtsextremistischen "Heldengedenk"-Aktionen wird in der Regel ausschließlich der gefallenen deutschen 148 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Soldaten in den beiden Weltkriegen gedacht, die als Helden für Volk und Vaterland dargestellt werden. Dabei werden die Angehörigen der Waffen-SS ausdrücklich mit einbezogen. In Bayern bestehen folgende Stützpunkte: Stützpunkt Oberfranken Stützpunkt 01.02.2015 Mainfranken Coburg 13.09.2014 Bamberg Bayreuth Würzburg Nürnberg Stützpunkt Nürnberg/Fürth 29.03.2014 Regensburg Stützpunkt Ostbayern Ingolstadt 21.06.2014 Passau Landshut Neu-Ulm Augsburg Stützpunkt München/ München Oberbayern 23.03.2014 Traunstein Kempten Stützpunkt Oberfranken Mitglieder und etwa 20 Personen Sympathisanten Gründung 1. Februar 2015 Aktionsraum Oberfranken Als erster Stützpunkt der Partei "III. Weg" in Bayern wurde am 25. Januar 2014 der Stützpunkt Hof gegründet, der später zum Stützpunkt Hochfranken/Vogtland umbenannt wurde. Am 1. Feb - ruar 2015 teilte sich dieser in die beiden Stützpunkte Vogtland und Oberfranken. 149 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Die Mitglieder des Stützpunkts verteilten Flugblätter gegen die Asylund Flüchtlingspolitik der Bundesregierung u. a. in Hirschaid, Scheßlitz, Pettstadt, Bamberg und Lauter. Die Auswahl der Örtlichkeiten wurde vom Stützpunkt im Internet vereinzelt mit ortsbezogenen Pressemeldungen über angebliche Ausländerkriminalität begründet. Weitere Flugblattverteilungen zu den Themenfeldern "Kindesmissbrauch", "Deutsche Winterhilfe", "Umweltschutz ist Heimatschutz" sowie "Sicherheitstipps" fanden in Bischberg, Scheßlitz, Hirschaid und Bamberg statt. Am 20. Januar veranstalteten 13 Aktivisten des "III. Weg" einen Infostand zur Verbreitung parteitypischer extremistischer Propaganda in der Bamberger Innenstadt. Am 11. März führten Aktivisten in Eltmann (Unterfranken) ein sog. Heldengedenken durch. Weitere rechtsextremistische Gedenkveranstaltungen fanden am 13. Februar in Bamberg, Bayreuth und Hof unter der Thematik "Dresdner Bombenopfer" sowie am 8. Mai in Forchheim, Bamberg und Bayreuth statt. Im Juni veranstaltete der Stützpunkt einen Selbstverteidigungskurs. Die Teilnehmer wurden bei der Schulung vom Leiter des Stützpunkts Nürnberg/Fürth Kai Zimmermann angeleitet. Zu den Freizeitaktivitäten, die durch den Stützpunkt organisiert wurden, zählten u. a. eine Neujahrswanderung in Coburg sowie ein Sommerfest im Raum Bamberg. Stützpunkt Mainfranken Mitglieder und etwa 15 Personen Sympathisanten Gründung 13. September 2014 Aktionsraum Unterfranken Im Januar führten Aktivisten des Stützpunktes in Kitzingen eine "Nationale Streife" durch und verteilten dabei Flyer in Briefkästen. Die Flugblätter enthielten extremistische Propaganda gegen die Errichtung von Asylbewerberunterkünften und gegen eine angebliche Überfremdung durch Asylbewerber. Auf seiner Internetseite bewarb der "III. Weg" die Aktion und verwies auf eine mutmaßliche Gewalttat, die sich in der Nähe einer Asylbewerberunterkunft in Kitzingen ereignet haben soll. Eine weitere "Nationale Streife" wurde im September in Würzburg durchgeführt. Auch hierbei thematisierten die Aktivisten auf der Parteiwebseite mutmaßlich durch Asylbewerber begangene Straftaten, um ihre Aktionen zu rechtfertigen und gegen Flüchtlinge zu hetzen. 150 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Weitere Flugblatt-Verteilaktionen fanden in Schweinfurt und Würzburg statt. In Schweinfurt verteilten Aktivisten in der Nähe einer Asylbewerberunterkunft Flugblätter mit den Überschriften "Asylflut stoppen - auch in unserer Region" und "Kinderlosigkeit führt zum Volkstod". Bei dieser Aktion warben die Aktivisten auch für Unterstützungsunterschriften für die Partei für die 2019 anstehende Wahl zum Europäischen Parlament. Im Mai hielt der Stützpunkt einen Infostand in der Schweinfurter Innenstadt zum Thema "Kapitalismus zerschlagen - für Familie, Heimat, Tradition" ab. Die Aktivisten verteilten anlässlich des anstehenden Muttertags Blumen an Passantinnen. Stützpunkt München/Oberbayern Mitglieder und etwa 30 Personen Sympathisanten Gründung 23. März 2014 Aktionsraum München und Oberbayern Neben Kranzniederlegungen, wie im März an einem Kriegerdenkmal in Feldmoching zum "Heldengedenken", führten Aktivisten der Partei in München eine "Nationale Streife" im Januar im Bereich des Olympiaparks durch. Am 8. Februar verteilten Mitglieder des Stützpunkts mehrere hundert Flugblätter, in denen behauptet wurde, dass der gewalttätige Linksextremismus in München angeblich "überhandnehme". Im Zusammenhang mit der 1. Mai-Kundgebung der Partei in Chemnitz wurde eine bekleidete Strohpuppe im Münchner Hofgarten abgelegt. An der Puppe war ein Schild mit der Aufschrift "Deutsche Arbeiter - Opfer des Kapitals - Arbeiterkampftag 1. Mai 2018 Chemnitz - Kapitalismus zerschlagen" angebracht. Daneben verteilten die Aktivisten des Stützpunktes im Dezember laut eigenen Angaben in München Kleiderspenden an Bedürftige als Teil der Partei-Aktion "Deutsche Winterhilfe". Die Aktivisten des Stützpunkts München/Oberbayern unterhielten auch nach der Auflösung des Stützpunkts Schwaben im Jahr 2017 Kontakte zu Einzelpersonen im Allgäu, die mit der Partei sympathisieren. Hierbei kam es bereits mehrmals zu gemeinsamen Flugblattverteilaktionen in der dortigen Region. 151 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Stützpunkt Nürnberg/Fürth Mitglieder und etwa 30 Personen Sympathisanten Gründung 29. März 2014 Aktionsraum Metropolregion Nürnberg/Fürth Am 21. Januar verteilten Aktivisten des Stützpunkts Nürnberg/ Fürth in Seukendorf im Landkreis Fürth Flugblätter zu den Themen Asyl, dem "Zehn-Punkte-Programm" der Partei und zum Thema Umweltschutz. Im Anschluss an die Flugblattverteilung führten die Aktivisten noch eine Müllsammelaktion durch, mit der sie versuchten, sich als vermeintlich gemeinnützige Umwelthelfer in Szene zu setzen. Am 10. Februar nahmen Angehörige des Stützpunkts in Budapest an einer extremistischen Gedenkveranstaltung teil. Der Stützpunkt Nürnberg/Fürth beteiligte sich am nationalistisch geprägten "Heldengedenken" am 11. März. Aktivisten des Stützpunkts besuchten in Weißenburg das örtliche Denkmal und in Nürnberg einen Gedenkstein für einen in den letzten Kriegstagen gefallenen Soldaten im Osten der Stadt. Am 13. und 19. April fanden in Langenzenn im Landkreis Fürth Flugblattverteilungen statt. Die Flugblätter beinhalteten geschichtsrevisionistische Darstellungen. Sie thematisierten das Kriegsgefangenenlager, das sich zum Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem Gelände des heutigen Gymnasiums Langenzenn befunden hatte, und schilderten angebliche "Gräueltaten" der alliierten Streitkräfte. Am 13. April wurden die Flugblätter in Briefkästen eingeworfen und am 19. April direkt an die Schüler des Gymnasiums verteilt mit der Aufforderung, die "Gräueltaten" im Schulunterricht zu thematisieren. In Veitsbronn im Landkreis Fürth errichteten am 9. Mai Aktivisten des Stützpunkts Nürnberg/Fürth zwei Kreuze, die an zwei verstorbene Soldaten der Wehrmacht erinnern sollten. Das Gedenken und Glorifizieren von Mitgliedern der Wehrmacht ist eine wichtige Aktionsform innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Im sächsischen Ostritz fand am 13. Oktober die Kampfsportveranstaltung "Kampf der Nibelungen" statt. Der Leiter des Stützpunkts Nürnberg/Fürth Kai Zimmermann nahm aktiv als Kämpfer an der Veranstaltung teil. 152 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Stützpunkt Ostbayern Mitglieder und etwa 55 Personen Sympathisanten Gründung 21. Juni 2014 Aktionsraum Niederbayern, Oberpfalz Der Schwerpunkt der Aktivitäten des Stützpunkts Ostbayern lag auf der Sammlung von Unterstützungsunterschriften für den angestrebten Wahlantritt der Partei bei der Europawahl 2019. In diesem Zusammenhang wurden Infostände sowie Flugblattaktionen u. a. in Straubing, Deggendorf und Cham durchgeführt. Am 28. April veranstaltete der Stützpunkt eine Rhetorik-Schulung im Bayerischen Wald. Die Teilnehmer wurden u. a. im Verhalten gegenüber Bürgern, dem persönlichen Auftreten sowie in der Gesprächsführung geschult, um die benötigten Unterstützerunterschriften zu sammeln. Am 30. Juni fand im Bayerischen Wald eine weitere Vortragsveranstaltung u. a. zur programmatischen Ausrichtung der Partei sowie zum geplanten Antritt bei der Europawahl 2019 statt. Bei einer Informationsveranstaltung am 28. Juli wurde u. a. die Initiative zur Programminitiative "Neuordnung in Form der Europäischen EidNeuordnung der EU genossenschaft" vorgestellt. Im Rahmen der Initiative propagiert als "Eidgenossender "III. Weg" u. a. eine Neuordnung Europas unter kulturellen, schaft" biologistischen und geschichtlichen Kriterien. Die Kandidatin zur Europawahl des Stützpunktes Ostbayern, Jasmine Eisenhardt, hielt eine Vorstellungsrede. Zum Thema "Europäische Eidgenossenschaft statt EU-Diktatur!" fand am 11. August eine weitere Kundgebung mit Infostand in Vilshofen statt. Die 13 Teilnehmer versuchten, Unterstützungsunterschriften für die Zulassung zur Europawahl 2019 zu erhalten. Im Rahmen der Agitation gegen Asylsuchende wurden Flugblätter u. a. in Eggenfelden und Deggendorf verteilt. Bei einer Kundgebung am 4. August in Regen zum Thema "Scheiß Deutscher ... wache endlich auf - Festung Europa statt Multikultiterror!" nahmen ca. 35 Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum teil. Anlass für die Kundgebung war ein mutmaßlicher Angriff auf einen deutschen Staatsangehörigen im Kurpark in Regen. Darüber hinaus unterstützten Mitglieder des Stützpunkts überregionale Veranstaltungen der Partei wie die 1. Mai-Demonstration in Chemnitz (Sachsen) und die Demonstration zum Thema "IS-Unterstützer - sexuelle Belästigungen - Gewalt und Terror 153 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Tag für Tag" bzw. "Bürger schützen! Zuzugsstopp - Jetzt!" am 1. September in Plauen (Sachsen). Am Wochenende vom 8. und 9. September richtete der Stützpunkt die Veranstaltung "Körper und Geist" des Gebietsverbands Süd aus. Auf dem Gebietverbands-Parteitag am 4. August wurde der Stützpunktleiter Ostbayern Walter Strohmeier zum neuen Gebietsverbandsvorsitzenden gewählt. Neben politischen Aktionen organisierten die Mitglieder des Stützpunktes Ostbayern auch Freizeitaktivitäten. U. a. fand am 23. Juni erneut die diesjährige Sommersonnwendfeier unter dem Motto "Kein Volk ohne Kultur" auf einem Privatgrundstück im niederbayerischen Pfarrkirchen statt. An dieser internen Veranstaltung nahmen zwischen 60 und 80 Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum teil, darunter auch Familien mit Kindern. 6.3 Partei DIE RECHTE - Partei für Volksabstimmung, Souveränität und Heimatschutz Deutschland Bayern Mitglieder und 10 Sympathisanten Vorsitzender Christoph Drewer Philipp Hasselbach Gründung 2012 24. Mai 2015 Sitz Parchim/MecklenburgMünchen Vorpommern Die im Jahr 2012 gegründete Partei "DIE RECHTE" ist neonazistisch ausgerichtet, ein Großteil der Mitglieder - auch in Führungspositionen - stammt aus der Neonaziszene. Ein politisch ideologischer Schwerpunkt der Partei "DIE RECHTE" ist die Fremdenfeindlichkeit. Das Parteiprogramm stellt einen Zusammenhang zwischen Migranten und dem Begehen von Straftaten her, um Migranten pauschal zu diskreditieren und Vorurteile gegenüber Flüchtlingen zu schüren. Am 1. April fand im Rheinland ein Bundesparteitag der Partei "DIE RECHTE" statt. Die Delegierten beschlossen die Teilnahme an den Europawahlen im Jahr 2019 mit einer sog. "Liste des nationalen Widerstands" sowie eine Erweiterung des Parteinamens um den Zusatz "Partei für Volksabstimmung, Souveränität und Heimatschutz". Die Kurzbezeichnung "DIE RECHTE" 154 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 bleibt bestehen. Spitzenkandidatin für die Europawahl 2019 ist Holocaustleugnerin die als Holocaustleugnerin bekanntgewordene, inzwischen inals Spitzenkandidatin haftierte Rechtsextremistin Ursula Haverbeck. Als bayerischen für Europawahl 2019 Kandidaten stellte der Parteitag den bayerischen Landesvorsitzenden Philipp Hasselbach auf. Voraussetzung für eine Beteiligung an der Europawahl ist, dass die Partei 4.000 Unterstützerunterschriften vorlegen kann. Strukturen Die Partei ist in zehn Bundesländern vertreten. LandesverbänAuflösung der Strukde gibt es in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, turen in Bayern Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, und Sachsen-Anhalt. Die meisten Mitglieder wohnen in Nordrhein-Westfalen. Die Strukturen der Partei "DIE RECHTE" in Bayern haben sich inzwischen weitgehend aufgelöst. Der Vorsitzende des bayerischen Landesverbands Philipp Hasselbach kandidierte am 6. Mai erfolglos bei der Bürgermeisterwahl in Ubstadt-Weiher (Baden-Württemberg). Die Mitglieder und Sympathisanten des früheren Kreisverbands Bamberg stammten aus der regionalen Neonaziund Hooligan-Szene. Die Gruppierung wies ein erhöhtes Aggressionspotenzial auf. Gegen Personen aus diesem Umfeld leitete die Staatsanwaltschaft Bamberg 2016 ein Verfahren wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung und der Vorbereitung eines Explosionsund Strahlungsverbrechens ein. Die Polizei hatte bei Durchsuchungen bei den Beschuldigten im Jahr 2015 u. a. illegale Pyrotechnik beschlagnahmt, darunter 15 Kilogramm Sprengstoffprodukte und zwei sog. Kugelbomben mit jeweils etwa einem Kilogramm hochexplosiver Treibladung. Die Angeklagten wurden mit Urteil vom 14. Dezember des Landgerichts Bamberg wegen Sachbeschädigungen, Körperverletzungen, der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz und das Versammlungsgesetz zu Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren beziehungsweise zu Bewährungsund Geldstrafen verurteilt. Die Bildung einer kriminellen Vereinigung konnte nicht nachgewiesen werden. Ein Funktionär der Partei "DIE RECHTE" meldete das jährlich stattfindende rechtsextremistische "Charlemagne-Gedenken" für den 5. Mai in Bad Reichenhall an. Unter dem Motto "Mord am Kugelbach, Kein Vergeben - kein Vergessen" erinnerten die teilnehmenden Rechtsextremisten an die kurz vor dem Kriegsende 1945 hingerichteten Soldaten der SS-Division Charlemagne. Die Veranstaltung wurde im Vorfeld auf Facebook sowie 155 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus mittels Flyern beworben. Während der Veranstaltung traten zwei Funktionäre der Parteien NPD und "DIE RECHTE" als Redner vor rund 30 Teilnehmern auf. Die Glorifizierung der Waffen-SS ist eine wichtige Aktionsform innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Beim "Charlemagne-Gedenken" handelt es sich um einen festen Termin der örtlichen rechtsextremistischen Szene in und um Bad Reichenhall. Im Rahmen der Veranstaltung werden üblicherweise einseitige bzw. revisionistische Geschichtsbilder vermittelt und die Verbrechen des NS-Regimes relativiert bzw. umgedeutet. 7. PARTEIUNABHÄNGIGE RECHTSEXTREMISTISCHE ORGANISATIONEN 7.1 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) Die ursprünglich aus Frankreich stammende und inzwischen europaweit agierende "Identitäre Bewegung" (IB) ist ein rechtsextremistischer Personenzusammenschluss, der eine mitunter subtile, auf den gesamtgesellschaftlichen Diskurs abzielende Beeinflussungsstrategie verfolgt. Die IB bezieht sich konzeptionell unmittelbar auf das Ideenarsenal der sog. "Neuen Rechten" und entlehnt ihr strategisches Leitmotiv, die sogenannte "Metapolitik", den Thesen des neurechten Vordenkers Alain de Benoist. Aus Unterlagen, die im Rahmen der identitären Sommeruniversität im August 2015 in Frankreich an die teilnehmenden IB-Aktivisten verteilt wurden, lässt sich diese Stoßrichtung beispielhaft entnehmen. Dort heißt es u. a.: Die IB ist eine metapolitische Kraft, die versucht, Ideen, Parolen und Bilder in das metapolitische Feld zu führen. Mit Aktionen schaffen wir einen medialen Hype und eine Viralität, die unsere Parolen und Bilder so schnell und breit wie möglich streuen. [...] Unsere politische Kommunikation muss die Massen erreichen und gut zugänglich sein. Kennzeichnend für den Aktionismus der IB sind öffentliche Provokative Störund Transparentaktionen, die sie im Rahmen von SocialSocial-MediaMedia-Kampagnen inszenieren und verbreiten. Sie orientieren Kampagnen 156 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 sich konsequent an digitalen Trends, um dem Medienkonsumverhalten junger Zielgruppen gerecht zu werden. Seit ihrem erstmaligen Auftritt auf Facebook im Oktober 2012, ist es dem deutschen Ableger der Bewegung, der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD), auf diese Weise gelungen, einen Bekanntheitsgrad zu erlangen, der über rechtsextremistische Kreise hinaus reicht und mitunter auch massenmediale Beachtung hervorruft. Ihre auf ethnisch, völkisch-abstammungsmäßigen Kriterien fußenden einwanderungskritischen und islamfeindlichen Positionen versucht die IBD unter Anwendung einer politisch möglichst unverfänglichen Sprache zu vermitteln. Ihr Ziel ist es, herkömmEigene Sprache der liche negative Assoziationen und gesellschaftliche AbwehrreIdentitären flexe gegenüber rechtsextremistischen Ideen und Parolen zu überwinden. Durch neue Begriffsund Theoriekonstrukte sollen diskursive Hintertüren geöffnet, Sagbarkeitsfelder erweitert und somit eine neue Akzeptanz gegenüber extremistischen Werten und Vorstellungen geschaffen werden. Statt dumpfen Parolen wie "Ausländer raus" fordern die IBD-Aktivisten daher "Remigration" und "klare Umkehrungsmaßnahmen der Migrationsströme". Statt "Deutschland den Deutschen" zu skandieren, skizzieren sie das Ideal einer Staatsund Gesellschaftsordnung unter der Prämisse der ethnischen und kulturellen Homogenität. Anstelle des neonazistisch konnotierten Konzepts des "Volkstods" beschwören sie die Gefahren des "Großen Austauschs". Vorwürfen, sie würden Rassismus, völkisches und anti-demokratisches Gedankengut predigen, widersprechen sie scharf und begegnen diesen, indem sie ihre Ideologie und Kampagnen mit euphemistischen Formeln wie "Ethnopluralismus" oder dem Kampf für eine "echte, direkte Demokratie" etikettieren. Am 29. April 2017 kündigte die IBD an, gegen die BeobachKlage gegen tung durch den Verfassungsschutz in Deutschland klagen zu Beobachtung wollen. Dazu richtete sie eine eigene Kampagnenseite und ein Facebook-Profil ein. Am 27. September 2017 gab die IBD bekannt, dem Bundesministerium des Innern eine Unterlassungserklärung zugestellt zu haben. In dieser werde gefordert, die Beobachtung einzustellen und die IBD nicht mehr im Verfassungsschutzbericht zu nennen. Mit Beschluss vom 29. Mai verpflichtete das Verwaltungsgericht Berlin das Bundesministerium des Innern, vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung, im Verfassungsschutzbericht 2016 und bei jeder weiteren Veröffentlichung bei der Berichterstattung über die IBD den Hinweis "Verdachtsfall" aufzunehmen. Im Übrigen wurde der Antrag der IBD abgelehnt. Der Rechtsstreit ist noch nicht abgeschlossen. 157 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus 7.1.1 Symbolik und Ideologie Erkennungszeichen der IBD ist das Lambda, der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets, in einem Kreis. Das Symbol war im antiken Griechenland das Erkennungsmerkmal der Spartaner, die im 5. Jahrhundert vor Christus gegen die Invasion eines übermächtigen persischen Heeres kämpften. Dieser Opfermythos entspricht der Selbstwahrnehmung der IBD, die sich als die Letzten sehen, die die "ethnokulturelle europäische Identität" vor ihrem Untergang durch Überfremdung und Islamisierung retten könnten. Ideologisch sieht sich die IBD selbst in der Tradition der sog. "konservativen Revolution", einer antidemokratischen, antiliberalen und antiegalitären Strömung der Weimarer Zeit. Im Zentrum ihrer Propaganda stehen die ideologischen Konzepte Konzept des Ethno"Ethnopluralismus" und "Großer Austausch". Diese gehen von pluralismus und der einer vorgeblich vorherrschenden "ethnokulturellen Identität" ethnokulturellen der europäischen Völker aus, die durch eine MasseneinwandeIdentität rung kulturfremder Einwanderer bedroht sei. Diese Bedrohung "Großer Austausch" werde ferner durch die schwachen Geburtenjahrgänge der "ethnokulturellen" Europäer verstärkt. Ein maßgeblicher Indikator dieses "Großen Austauschs" sei die, durch die Identitären ebenfalls bekämpfte, angebliche Islamisierung Europas. Diese Entwicklung wird nach der Meinung der IB durch die so genannten "Multikultis", also die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Eliten, gesteuert. Das Ziel sei es, die angestammten Völker und Kulturen Europas soweit zu ersetzen, dass am Ende eine steuerund austauschbare "Konsumentenmasse" entstehe. Die IBD propagiert in diesem Zusammenhang die räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Ethnien ("Ethnopluralismus") und die "Remigration", also letztlich die Ausweisung der Bevölkerungsteile in Deutschland und Europa, die ihren "ethnokulturellen" Kriterien nicht entsprechen. Nähe zur "Blutund Die identitäre Ideologie weist trotz rhetorischer AbgrenzungsverBoden"-Ideologie suche Parallelen zu anderen rechtsextremistischen Ideen und der NationalsoziaKonzepten auf. Das ethnopluralistische Postulat von der räumlisten lichen und geopolitischen Trennung von Menschen nach ethnischen Kriterien findet sich in ähnlicher Form in der "Blut und Boden"-Ideologie des Nationalsozialismus wieder. Der Begriff der "Rasse" wird im identitären Kontext durch eine angebliche "ethnokulturelle Identität" ersetzt. Die Theorie des "Großen Austauschs" deckt sich zudem weitgehend mit den Aussagen rechtsextremistischer "Volkstod"-Parolen, wonach behauptet 158 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 wird, dass im Rahmen eines verschwörerischen Eliteprojekts das deutsche Volk durch zugewanderte "volksfremde" Migranten verdrängt und aussterben werde. 7.1.2 Vernetzungsstrategien Wie sich die IB strategisch und ideologisch aufstellt, zeigten im Jahr 2017 festgestellte Schulungsunterlagen der IB Schwaben sowie der Sommeruniversität der französischen IB. Hinsichtlich der schwäbischen Unterlagen sind vor allem die angestrebten Vernetzungsstrategien der IB auffällig. So wird in den Zielsetzungen für die schwäbischen Ortsgruppen gefordert, sich mit der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD), deren Jugendorganisationen, Burschenschaften, patriotischen Gruppen, der Initiative "Ein Prozent" und anderen IB-Gruppen zu vernetzen. Die französischen Unterlagen stammen von der Sommeruniversität 2015 und beinhalten Schulungen zur Öffentlichkeitsarbeit, Aktivismus, Rhetorik, Umgang mit Behörden und Metapolitik. Insgesamt ist erkennbar, dass die IB primär darauf abzielt, den öffentlichen politischen und gesellschaftlichen Diskurs zu beeinflussen. Dabei will sie den "Kampf um die Deutung der Tatsachen" für sich entscheiden. 7.1.3 Strukturen in Bayern Die IBD gliedert sich in Bayern nicht nach Regierungsbezirken, sondern nach "Volksgrenzen". Es existieren die drei Gruppierungen IB Bayern, IB Schwaben und IB Franken. IB Bayern Mitglieder und Sympathisanten etwa 50 Personen Aktionsraum Oberbayern, Oberpfalz, Niederbayern Die IB Bayern umfasst das gesamte Gebiet Altbayerns. Neben mehreren politischen Aktionen organisierte die IB Bayern auch Freizeitaktivitäten für ihre Anhänger. Am 10. Februar protestierten Aktivisten der IB Bayern gegen den Bau einer türkischen Moschee in Regensburg und stellten auf dem Baugrundstück 30 Holzkreuze auf. Mit dem Aufstellen von Holzkreuzen und ähnlichen Aktionen gibt die IB vor, an Opfer von mutmaßlich islamistischen Terroranschlägen zu erinnern. Es sollen dabei jedoch vor allem Menschen muslimischen Glaubens diffamiert und unter Generalverdacht gestellt werden. 159 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Am 4. März brachten Aktivisten der IB an einem Kirchturm in Türkheim (Schwaben) ein Banner mit dem Schriftzug "Wenn die Guten nicht kämpfen, werden die Schlechten siegen" an. Der Ausspruch stammt ursprünglich vom griechischen Philosophen Platon und wurde in der Vergangenheit auch schon von der NPD bemüht. Nach Darstellung der IB Bayern richtete sich die Aktion gegen Drohungen von Antifaschisten gegenüber Andersdenkenden. Aktivisten der im Januar gegründeten Ortsgruppe in Fürstenfeldbruck spannten am 22. April ein Banner mit der Aufschrift "Hilfe vor Ort statt Asylwahn!" vor dem Eingang des Fürstenfeldbrucker Rathauses. In Markt Schwaben platzierten Aktivisten im April Osterdekoration und Süßigkeiten vor einem Kindergarten. Die Propagandaaktion richtete sich gegen die dortige Kindergartenleitung und deren bekanntgewordene Pläne, auch Feiertagsbräuche anderer Kulturen zu thematisieren. Die IB Bayern setzte am 30. Juni ihre gegen die angebliche Islamisierung Europas gerichtete Kampagne "Stop Fatih" in München fort. Aktivisten brachten an der Mariensäule auf dem Münchner Marienplatz mehrere Plakate, unter anderem mit dem Symbol der IB, an. Zudem wurden an den vier Engelsfiguren am Fuß der Säule Schilder befestigt, auf denen Begriffe wie "Geburten-Dschihad" und "Schandmord" standen. Die IB Bayern verfolgt auch geschäftliche Interessen und betrieb im ersten Halbjahr mit dem "Schmied von Kochel Shop" einen Handel mit Aufklebern, Plakaten und Bekleidung. Zu diesem Zweck trug sich die IB Bayern als "Identitäre Bewegung BY UG" im Handelsregister ein. Am 25. August fielen in München in Zusammenhang mit der IB bekanntgewordene Personen durch eine Ruhestörung auf. Dabei wurde "Sieg Heil" und "Bomben auf Israel" gerufen. Einige Personen trugen der Hitlerjugend ähnliche Bekleidung. Die IB Bayern distanzierte sich von dem Vorfall, die Personen seien nicht mehr Teil der IB. 160 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 IB Franken Mitglieder und Sympathisanten etwa 15 Personen Aktionsraum Mittelfranken und Unterfranken Die IB Franken umfasst in Bayern die drei fränkischen Regierungsbezirke, wobei sich die Aktivitäten hauptsächlich auf die Metropolregion Nürnberg und den Würzburger Raum beschränken. Am 10. März warfen Aktivisten der IB Franken in Nürnberg von einem Haus aus Flugblätter in eine Kundgebung zum Internationalen Frauentag. Darin wurde eine vermeintliche Gefährdungslage für europäische Frauen angeprangert, welche eine direkte Folge der "Massenmigrationswelle" im Jahr 2015 sei. So schweige das "linke politische Establishment", wenn es "um die Fakten in Bezug auf den Verlust der Sicherheit" von Frauen gehe, denn sexuelle Belästigungen und Vergewaltigungen durch Migranten seien längst zum Alltagsproblem geworden. Am 21. April stellte die IB Franken am Eingang der Königstorpassage in Nürnberg ein als Baustellenschild dargestelltes Plakat auf. Die Aktivisten thematisierten eine vermeintliche No-GoArea in der Nürnberger Innenstadt. Im Juli führte die IB Franken sog. Frankenspiele durch. An der IB-Veranstaltung nahmen ca. 25 Personen teil. Im Mittelpunkt der Feier standen sportliche Wettkämpfe wie Axtwerfen und Tauziehen, die mutmaßlich besonders volkstümlich anmuten sollten. Die IB Franken kündigte an, die Veranstaltung jährlich durchführen zu wollen. IB Schwaben Mitglieder und Sympathisanten etwa 25 Personen in Bayern Aktionsraum Schwaben, Baden-Württemberg Aktivitäten der IB Schwaben gehen vorrangig von Personen aus Baden-Württemberg aus. In Bayerisch-Schwaben trat die IB insbesondere mit Infotischen in Augsburg und Donauwörth auf. Flugblattverteilungen fanden ferner in Augsburg, Bobingen, Donauwörth und in Neu-Ulm 161 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus statt. Am 28. Januar reihten sich etwa acht mit "Niqab"-ähnlichen Schleiern verkleidete Aktivisten in den Donauwörther Faschingsumzug ein. Sie zeigten ein Transparent u. a. mit der Aufschrift "Frauenrechtsbewegung Burkaria 2022" und verteilten Flugblätter. In Augsburg warben Aktivisten am 3. Juni für die IB mit einem Transparent "Komm in (die) Bewegung". Am 9. Juni veranstalteten Aktivisten der IB Schwaben in der Augsburger Innenstadt einen Informationsstand. Weitere Infostände fanden am 15. September in Donauwörth und in Wertingen statt. 7.2 PEGIDA-München - zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e. V. (PEGIDAMünchen) Gründung 29.04.2015 Aktionsraum München PEGIDA-München e. V. führte in München regelmäßige sogenannte "Montagskundgebungen" mit Spaziergängen durch. Nachdem in den Jahren 2016 und 2017 die Teilnehmerzahl von ca. 400 auf durchschnittlich 50 bis 100 Personen gesunken war, fand 2018 lediglich eine Kundgebung mit Spaziergang am 4. Juni unter Beteiligung von 8 Personen statt. Darüber hinaus veranstaltete "PEGIDA-München" überwiegend in München stationäre Kundgebungen, für die jeweils weniger als 15 Personen mobilisiert werden konnten. Einzelne Aktivisten von "PEGIDA-München" nahmen an Kundgebungen in Berlin, Duisburg und Wien teil. Verurteilung des Der Vorsitzende von "PEGIDA-München", Heinz Meyer, wurde Vorsitzenden wegen im August vor dem Amtsgericht München zu einer BewährungsBilligung von Strafstrafe von fünf Monaten und einer Geldstrafe von 140 Tagessättaten zen verurteilt. Das Urteil, welches die Straftatbestände der Billigung von Straftaten sowie des Verstoßes gegen Versammlungsauflagen umfasst, bezieht sich unter anderem auf eine Rede Meyers während einer PEGIDA-München-Kundgebung vom 24. Juli 2017. Er hatte darin u. a. gefordert, München müsse "wieder Hauptstadt der Bewegung" werden. Diese Bezeichnung hatten die Nationalsozialisten während der NS-Diktatur für München benutzt. Das Gericht erkannte in der Formulierung 162 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Meyers einen Verstoß gegen die Versammlungsauflagen, wonach den Nationalsozialismus glorifizierende, verharmlosende oder sonst wiederbelebende Äußerungen auf Veranstaltungen von "PEGIDA-München" untersagt sind. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Karl Richter, Vorsitzender der rechtsextremistischen "Bürgerinitiative Ausländerstopp München" und Mitglied des Münchner Stadtrats, hielt wiederholt Reden bei den Kundgebungen von "PEGIDA-München". Dabei lobte er auf seinem Facebook-Profil die Zusammenarbeit zwischen "PEGIDA-München" und der rechtsextremistischen Szene. Zwischen "PEGIDA-München" und den Mitgliedern des SchütDurchsuchungen zenvereins "Die Bayerische Schießsportgruppe München e. V." bei Bayerischer (DBSSG), dessen Vorsitzender Heinz Meyer ist, bestehen enge Schießsportgruppe personelle Überschneidungen. Ende April 2017 wurden aufMünchen e. V. grund richterlicher Anordnung Durchsuchungsmaßnahmen bei zehn Personen an elf Objekten, schwerpunktmäßig im Raum München, durchgeführt. Bei den Durchsuchungen wurden diverse Speichermedien und Dokumente sichergestellt. Es besteht der Anfangsverdacht, dass der DBSSG e. V. das Ziel verfolgt, die extremistischen Ziele der "PEGIDA München" mittels Waffengewalt umzusetzen und gegen Minderheiten oder politische Repräsentanten des Staates vorzugehen. 7.3 Bürgerinitiativen Durch die Bezeichnung als "Bürgerinitiative" wollen sich Rechtsextremisten als bürgernahe und wählbare politische Alternative präsentieren. Bürgerinitiative A (BIA) e. V. (BIA-Nürnberg) Größe etwa 30 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivitäten Juli 2001 Aktionsraum Nürnberg 163 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Die 2001 gegründete "Bürgerinitiative Ausländerstopp Nürnberg" hatte sich im Jahr 2015 in "Bürgerinitiative A (BIA) e. V." umbenannt, um die rechtsextremistische Prägung der "BIA-Nürnberg" stärker zu verschleiern. Die "BIA-Nürnberg" ist im Nürnberger Stadtrat mit den beiden ehrenamtlichen Stadträten Fridrich Luft und Ralf Ollert vertreten. Deren Aktivitäten konzentrieren sich vor dem Hintergrund der Flüchtlingsthematik vorrangig auf das Themenfeld Anti-Asyl. Dass es sich bei der "BIA-Nürnberg" in erster Linie um eine aktive, rechtsextremistische Tarnorganisation der NPD handelt, belegten u. a. erneut die Aussagen und Aktivitäten ihres Vorsitzenden Ralf Ollert. Am 14. Januar erschien auf der Internetseite des Nürnberger NPD-Kreisverbandes ein Interview mit Ollert. Darin sieht er die NPD als Partei der Einheit und Freiheit sowie der "nationalen Identität". Im November beteiligte sich Ollert an einer "Schutzzonen"-Streife der NPD Nürnberg. Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA-München) Größe etwa 20 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität September 2007 Aktionsraum München Die NPD-Tarnliste "BIA-München" ist seit 2008 durch Karl Richter im Stadtrat vertreten. Er ist Vorsitzender der "BIA-München" und war bis zu seinem Rücktritt im Oktober 2014 auch Landesvorsitzender der NPD. In der Wahlperiode des 8. Europäischen Parlaments von 2014-2019 war Richter Parlamentarischer Referent des NPD-Abgeordneten Udo Voigt. Über die Stadtratsarbeit der "BIA-München" wird regelmäßig in Presseerklärungen und auf der Website berichtet; hier steht die Agitation gegen Flüchtlinge im Mittelpunkt. Karl Richter trat wiederholt als Redner bei "PEGIDA-München" auf. Er nahm zudem an der NPD-Gedenkveranstaltung anlässlich der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 am 10. Februar sowie an der 1. Mai-Kundgebung der NPD in Erfurt teil. Bürgerinitiative Ausländerstopp Augsburg (BIA-Augsburg) Größe Funktionärsgruppe Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2009 Aktionsraum Augsburg 164 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Die Website und das Facebook-Profil der "BIA-Augsburg" werden unregelmäßig gepflegt. Das Impressum der Website verweist auf den Rechtsextremisten Roland Wuttke, erreichbar unter der Anschrift des NPD-Bundesverbands in Berlin. Dies belegt die Nähe der "BIA-Augsburg" zur NPD. 2018 war die "BIA-Augsburg" weitgehend inaktiv. Bürgerinitiative Soziales Fürth e. V. (BiSF) Größe Einzelpersonen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2009 Aktionsraum Fürth Die BiSF agitiert ausländerfeindlich und wendet sich gegen die Unterbringung von Asylbewerbern in Fürth. Der Verein unterhält Kontakte zur Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg). Öffentlichkeitswirksame Aktionen der BiSF, z. B. Veranstaltungen oder Flugblattaktionen, konnten 2018 nicht festgestellt werden. Bürgerinitiative Soziale Alternative Oberpfalz e. V. (BiSAO) Größe Einzelpersonen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2012 Aktionsraum Oberpfalz Die BiSAO beschränkte ihre Aktivitäten auf das Erstellen von Facebook-Einträgen. Im Facebook-Profil werden aktuelle Nachrichten, vorwiegend zur Ausländerund Kriminalitätsthematik, verlinkt und teilweise kommentiert. Ein Vorstandsmitglied der BiSAO steht in Kontakt zur Partei "III. Weg". Andere Aktionen der BiSAO wie Veranstaltungen oder Flugblattaktionen waren im Jahr 2018 nicht feststellbar. 7.4 Sonstige rechtsextremistische Organisationen Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. (GfP) Die GfP wurde 1960 von ehemaligen SS-Offizieren und NSDAPFunktionären gegründet. Sie ist die mitgliederstärkste rechtsextremistische Kulturvereinigung. Ihr gehören vor allem Verleger, Redakteure, Schriftsteller und Buchhändler an. Die GfP, die ihren Sitz in München hat, stellt drei Themen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten: die Relativierung der Kriegsschuld, die "Ausländer165 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus frage" und die Meinungsfreiheit für die "nationale Publizistik". Sie unterhält Verbindungen zu rechtsextremistischen Organisationen sowie zu organisationsunabhängigen rechtsextremistischen Verlagen und Vertriebsdiensten. Von der GfP veranstaltete Kongresse dienen dazu, Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum zusammenzuführen und den organisationsübergreifenden Zusammenhalt zu stärken. Der Jahreskongress fand von 24. bis 26. August in Kirchheim (Thüringen) statt. Die GfP strebt eine Vernetzung mit patriotischen Kräften an. So trat laut eigenen Angaben beispielsweise der YouTube-Blogger Nikolai Nerling, auch bekannt als "Volkslehrer", beim Jahreskongress 2018 der GfP auf. Aktivitas der Burschenschaft Danubia München Die Burschenschaft Danubia hat ihren Sitz in München. In der etwa zehn Personen umfassenden Aktivitas (= studierende Mitglieder) der Burschenschaft engagieren sich einzelne Personen, die Beziehungen zur rechtsextremistischen Szene unterhalten oder in der Vergangenheit unterhalten haben. Bei Veranstaltungen der Aktivitas traten seit Jahren auch Referenten aus dem rechtsextremistischen Bereich auf. Mitglieder der Burschenschaft unternahmen im Juli eine "Jungburschenfahrt ins Elsass". Die Reise der Aktivisten führte nach eigenen Angaben nach Straßburg und Colmar. Sie diente den Burschenschaftsmitgliedern u. a. zum Knüpfen neuer Kontakte mit Politikern und Aktivisten aus Frankreich. U. a. fand im Rahmen der Reise ein Treffen mit der Gruppierung "Bastion Social Strasbourg" in Straßburg statt. "Bastion Social" ist Bestandteil der im Jahr 1968 gegründeten und im Jahr 2011 wiederbelebten französischen "Group Union Defense" (GUD). Die GUD ist nach eigenen Angaben bemüht, eine "nationalrevolutionäre Gegengesellschaft" zu schaffen. Sie sucht "kameradschaftliche Verbindungen" zu anderen europäischen Organisationen und orientiert sich an der italienischen neofaschistischen Gruppierung "CasaPound". Midgard e. V. Rechtsextremisten setzen auch auf gesellschaftspolitische Themen, die vordergründig jenseits ihrer verfassungsfeindlichen Agenda liegen. Hierzu zählen seit einiger Zeit insbesondere der Umweltund Naturschutz. In Bayern hat sich im Jahr 2006 innerhalb der Szene der rechtsextremistische Umweltverein "Midgard e. V." mit Sitz in Landshut etabliert. 166 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Dem Vorstand des Vereins gehören überwiegend Rechtsextremisten an, die zum Teil in der NPD aktiv waren oder sind. Der Vorsitzende führte in der Vergangenheit den NPD-Bezirksverband Niederbayern. Die von "Midgard e.V." herausgegebene Publikation "Umwelt & Aktiv" verbindet ökologische Themen mit typischen rechtsextremistischen Argumentationsmustern. Die besondere Betonung des "Heimatschutzes" zielt u. a. darauf ab, ein lebenswertes Deutschland nur für die ihrer Abstammung nach Deutschen, nicht jedoch für zugewanderte Menschen zu bewahren. Regelmäßig werden hier auch nationalsozialistisch orientierte Gastbeiträge veröffentlicht. Die für die Publikation typischen Elemente rassischer Überhöhung sowie Diffamierung der bestehenden politischen Ordnung wurden auch in einem Online-Beitrag vom Februar 2017 deutlich. Dort hieß es etwa, dass eine "nicht germanische Minderheit" die Gegenwart zum Zwecke des Machterhalts umgestalte, während dagegen der "germanische Mensch" bis zur Vollendung einer "germanischen Hochkultur" im Abendland nach Größe und Vollendung strebe. Die in den Ausgaben von "Umwelt & Aktiv" behandelten Themen Umwelt, Naturund Tierschutz stoßen in der rechtsextremistischen Szene auf Interesse. Der bayerische NPD-Landesverband warb auf Facebook für die Publikation "Umwelt & Aktiv". Die neonazistische Partei "Der Dritte Weg" informierte im Internet mehrmals über die Publikation und verlinkte auf deren Website. Eine Klage von "Midgard e. V." gegen die Erwähnung des BundesverwaltungsVereins und der Zeitschrift "Umwelt & Aktiv" im Verfassungsgericht bestätigt schutzbericht Bayern 2012 wies der Bayerische VerwaltungsgeBeobachtung richtshof mit Urteil vom 6. Juli 2017 ab. Ausgaben von "Umwelt & Aktiv" enthielten ausreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen. Der Verein werbe in seiner Zeitschrift in wiederkehrender Weise nachhaltig für eine rechtsextremistische Ideologie. Das Rechtsmittelverfahren ist durch Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. April rechtskräftig abgeschlossen. 8. NEONAZISMUS UND KAMERADSCHAFTEN Der Neonazismus ist eine besonders menschenverachtende Erscheinungsform des Rechtsextremismus. Er umfasst alle Aktivitäten und Bestrebungen, die sich offen zur Ideologie des Nationalsozialismus bekennen. Ziel der Neonazis ist die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die 167 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Errichtung eines vom Führerprinzip bestimmten autoritären bzw. totalitären Staates. Neonazis betreiben revisionistische Vergangenheitsverfälschung, indem sie die Geschichtsschreibung über die Zeit des Dritten Reichs ändern wollen und die Gewaltherrschaft des nationalsozialistischen Regimes rechtfertigen oder verharmlosen. "Moderne" Neonazis thematisieren aktuelle sozialoder gesellschaftspolitische Fragen und liefern vermeintlich einfache Antworten. Bei Demonstrationen greifen sie tagespolitische Themen auf und fordern beispielsweise die "Todesstrafe für Kindermörder" oder "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche". Ihre Thesen stützen Neonazis auf rassistische und antisemitische Argumentationsmuster. Neonazistische Aktivitäten entfalten sich in Bayern in der Partei "Der Dritte Weg" sowie in einzelnen Kameradschaften. Die Organisationsform der neonazistischen Kameradschaft ist aber insgesamt rückläufig. So schließen sich Neonazis überwiegend in informellen Gruppen zusammen, die weitgehend ohne feste Strukturen auskommen oder sie agieren als Einzelpersonen. Die Kontaktpflege oder Vernetzung erfolgt über das Internet und soziale Netzwerke. In Bayern werden rund 680 Personen dem Neonazismus zugeordnet. 8.1 Neonazistische Gruppen Kameradschaft Aryans Aktivisten und Sympathisanten Einzelpersonen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2016 Aktionsraum länderübergreifend Bei der Kameradschaft Aryans handelt es sich um einen länderübergreifenden Personenzusammenschluss aus gewaltbereiten Rechtsextremisten, der u. a. auch Personenbezüge nach Bayern aufweist. Öffentlichkeitswirksamkeit erzielte die Gruppierung seit etwa Ende 2016 zunächst mit ihrer Facebook-Seite "Deutschland, unsere Zukunft", die als erste offizielle Seite der Aryans galt. Im Profilbild war der Schriftzug Aryans auf einer schwarz-weiß-roten Fahne, flankiert von Reichsadler-Abbildungen, zu sehen. 168 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Seit 2016 haben die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden mehrere öffentliche Auftritte der Kameradschaft Aryans verzeichnet. Im Herbst 2018 fanden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts am Bundesgerichtshof Exekutivmaßnahmen statt, von denen insgesamt vier bayerische Personen betroffen waren. Kameradschaft Altmühltal Weitere Bezeichnungen KS Altmühltal (KSA) Aktivisten und Sympathisanten etwa 20 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2004 Aktionsraum Neumarkt i. d. OPf., Dietfurt a. d. Altmühl Die neonazistische "Kameradschaft Altmühltal" (KSA) unterhält Kontakte zur Partei "Der Dritte Weg" (III. Weg). Während der Kundgebung "Kapitalismus zerschlagen - Für Familie, Heimat und Tradition" des "III. Weg" am 1. Mai in Chemnitz wurden Fahnen gezeigt, die der Kameradschaft Altmühltal zugeordnet werden können. Freie Kräfte Berchtesgadener Land Aktivisten und Sympathisanten etwa 20 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2012 Aktionsraum Berchtesgaden, Bad Reichenhall, Freilassing Die neonazistische Kameradschaft "Freie Kräfte Berchtesgadener Land" unterhält Kontakte zur Partei "III. Weg" sowie zur "Kameradschaft Gau Wendlstoa". Kameradschaft Gau Wendlstoa Aktivisten und Sympathisanten etwa 10 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2016 Aktionsraum Rosenheim, Kiefersfelden Die neonazistische "Kameradschaft Gau Wendlstoa" unterhält Kontakte zur Partei "III. Weg" und verteilte im August Flugblätter des "III. Weg". 169 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Kameradschaft Unterfranken (KSU) Aktivisten und Sympathisanten etwa 5 Personen Gründung bzw. erstmalige Aktivität 2013 Aktionsraum Würzburg Die KSU war weitgehend inaktiv. 9. RECHTSEXTREMISTISCHE JUGENDSZENEN UND SUBKULTUREN In rechtsextremistischen Jugend-Szenen verbindet sich eine diffuse Weltanschauung mit Elementen, die an zentrale Merkmale des Nationalsozialismus angelehnt sind. Um junge Aktivisten zu gewinnen, hat sich die rechtsextremistische Szene modisch und ideologisch geöffnet. Die früher typischen Glatzen und Springerstiefel der Skinheads sind weitestgehend verschwunden. Lange Haare, Piercings oder Basecaps und sogar Merkmale aus dem "linken" und linksextremistischen Spektrum wurden übernommen. Eine rechtsextremistische Gesinnung ist somit äußerlich nur noch schwer zu erkennen. Dadurch sollen Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner, Polizeikontrollen oder Probleme mit Eltern, Freunden, in der Schule oder im Beruf vermieden werden. In rechtsextremistischen Jugend-Szenen gibt es in der Regel weder feste Organisationsstrukturen noch formelle Mitgliedschaften. Rechtsextremisten versuchen zudem, ihre Feindbilder und Ideologien in Jugend-Szenen und Subkulturen einfließen zu lassen, um Anhänger zu gewinnen und jugendrelevante Trends und Stile mitzuprägen. Das durch rechtsextreme Vereinnahmung betroffene Stilspektrum reicht dabei von Black Metal, Hatecore und Neofolk bis hin zu Hip-Hop und Techno. Einzelpersonen sind auch in der rechts-orientierten Hooligan-Szene aktiv. Teilweise entwickeln sich aus erlebnisorientierten Skinhead-Gruppierungen auch gewaltbereite Aktionsgruppen mit klarer politischer Zielsetzung. Anlehnung an Erscheinungsbild und Strukturen der Rockerszene Subkulturell geprägte Rechtsextremisten nähern sich in ihrem Erscheinungsbild und ihren internen Strukturen vermehrt an die Rockerszene an. So wählen sie beispielsweise englischsprachige Gruppenbezeichnungen, tragen "Kutten" (Motorradjacken, 170 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 auf deren Rückenteil das Gruppenlogo aufgenäht ist), pflegen rockerähnliche Aufnahmerituale für Neumitglieder und benennen interne Hierarchieebenen mit englischen Begriffen wie "President" oder "Secretary". Ein Beispiel ist das Erscheinungsbild der rechtsextremistischen Gruppierung "Oldschool Society" (OSS). Ihre Struktur lehnte sich an die von Rockergruppen an. So bestand die Führungsebene u. a. aus "President", "Vice-President", "Secretary" und "Sergeant at Arms". Gegen die ehemaligen Mitglieder der OSS fand beim Oberlandesgericht München ein Strafverfahren u. a. wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung statt. Die vier Beschuldigten wurden am 15. März 2017 zu Haftstrafen zwischen drei und fünf Jahren verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig. Auch die mit Abstand mitgliederstärkste Skinhead-Gruppierung in Bayern, "Voice of Anger", weist einzelne Ähnlichkeiten mit Rockergruppierungen auf. So gibt es beispielsweise bei ihr ein Aufnahmeverfahren, das sich am sog. "Prospect"-Status der Rocker orientiert. Es ist aber weder eine strukturierte Zusammenarbeit noch eine ideologische Annäherung zwischen der rechtsextremistischen Szene und der "1-Prozenter"-Rockerszene in Bayern feststellbar. Weite Teile der rechtsextremistischen Szene lehnen Rockerclubs wegen ihres vergleichsweise hohen Anteils von Migranten ab. Es bestehen aber punktuell personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene, die zumeist auf geschäftliche Interessen oder persönliche Beziehungen zurückgehen. Hammerskins (HS) Die 1988 in den USA gegründeten "Hammerskins" (HS) propagieren ein rassistisches und zum Teil nationalsozialistisches Weltbild und sehen sich als Elite der rechtsextremistischen Skinheads. Weltweit in die Schlagzeilen gerieten die HS, als der 40-jährige Wade Michael Page am 5. August 2012 in Oak Creek (Wisconsin) in einem Sikh-Tempel sechs Menschen niederschoss und anschließend selbst von einem Polizisten getötet wurde. Wade Michael Page war Anhänger der US-amerikanischen "Hammerskin-Bewegung". Struktur und Aufnahmeverfahren der "Hammerskins" ähneln dem Rockerclub "Hells Angels MC". So sind die HS in vielen Ländern mit "Divisionen" vertreten. Europaweit bestehen als regionale Untergliederungen rund 25 Chapter, deren Aktivitäten sich größtenteils auf die Organisation von rechtsextremistischen Konzerten und Veranstaltungen sowie die 171 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremismus Selbstorganisation der "Hammerskin-Bewegung" beschränken. Der "Hammerskin-Division Deutschland" gehören rund zehn deutsche Chapter mit insgesamt bis zu 100 Skinheads an, darunter das Chapter Bayern und das Chapter Franken. Voice of Anger (VoA) Die 2002 im Großraum Memmingen/Kempten gegründete Skinhead-Gruppierung "Voice of Anger" (VoA) ist eine überregional aktive Skinhead-Gruppierung in Bayern. Die etwa 60 Mitglieder und Sympathisanten gehören mehreren Sektionen an. Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stehen die gemeinsame Freizeitgestaltung, interne Veranstaltungen und Feiern sowie die Veranstaltung bzw. der Besuch von Skinhead-Konzerten. Mitglieder von VoA gründeten 2010 die Skinhead-Band "Kodex Frei" (Kempten). Am 14. Juli führte die VoA ein als Geburtstagsfeier getarntes Konzert mit vier Bands und bis zu 150 Teilnehmern durch. Ursprünglich war die Veranstaltung als Konzert im Raum Memmingen geplant. Die Verwaltungsgemeinschaft Memmingerberg erließ eine sicherheitsrechtliche Allgemeinverfügung, die alle nicht angezeigten Musikveranstaltungen an diesem Tag untersagte. Daraufhin verlegte die VoA die Veranstaltung kurzfristig nach Aichstetten (Baden-Württemberg). Am Abend des 3. November fand das alljährliche Oktoberfest ("Braunes Oktoberfest") der VoA in Krumbach mit etwa 50 Teilnehmern statt. Am 17. November veranstaltete VoA an zahlreichen Kriegerdenkmälern im Allgäu ein "Heldengedenken". Blood & Honour (B&H) Die neonazistische Skinhead-Bewegung B&H ist ein ursprünglich aus England stammendes, mittlerweile international agierendes, rechtsextremistisches Netzwerk. Seit seiner Gründung Ende der 1980er Jahre verbreitet es nationalsozialistisches und rassistisches Gedankengut durch die Veranstaltung von Skinhead-Konzerten und den Vertrieb u. a. von rechtsextremistischer Musik und Szenekleidung. Die Organisationsbezeichnung "Blood and Honour" ist der in die englische Sprache übersetzte Leitspruch 'Blut und Ehre', der von der nationalsozialistischen Jugendorganisation "Hitlerjugend" verwandt wurde. In den 1990er Jahren stellte B&H die bedeutendste und aktivste internationale Organisation innerhalb der Skinheadszene dar. In Deutschland existierte ab 1994 eine eigene "Division". Sie war gegen Ende der 1990er-Jahre einer der wichtigsten Veranstalter rechtsextremistischer Skinhead-Konzerte, gab ein gleichnamiges 172 Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Magazin heraus und betrieb zeitweilig ein eigenes Produktionslabel für rechtsextremistische Tonträger. Im Jahr 2000 bestand die Organisation bundesweit aus 15 regionalen Untergliederungen, sog. "Sektionen", und besaß eine Gesamtstärke von rund 200 Mitgliedern. In Bayern unterteilte sich die B&H-Bewegung in die "Sektionen" Franken und Bayern, die ihre jeweiligen Sitze in den Regionen Amberg und Bamberg hatten und zusammen etwa 20 Mitglieder umfassten. Im September 2000 verbot der Bundesminister des Innern B&H Bundesweites mitsamt ihrer Jugendorganisation "White Youth" nach dem VerVerbot seit 2000 einsgesetz, da die Gruppierung sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtete. Seit dem 16. Juni 2001 ist das Verbot bestandskräftig. In den Jahren nach dem Verbot wurden Nachfolgeaktivitäten früherer Mitglieder der Organisation durch konsequente Strafverfolgungsmaßnahmen unterbunden. Nach 2006 waren zunächst nur vereinzelt Verdachtsmomente bekannt geworden, die auf Nachfolgebestrebungen der Organisation im Bundesgebiet hindeuteten. Am 12. Dezember führte die Polizei in mehreren Bundesländern Durchsuchungen in zeitgleich Durchsuchungsmaßnahmen an 15 Objekten gegen mehreren BundesHintermänner und Rädelsführer von B&H durch. Den Beschulländern digten wird vorgeworfen, sich als Mitglieder oder Unterstützer der verbotenen Vereinigung zu betätigen bzw. dazu beizutragen, deren organisatorischen Zusammenhalt aufrecht zu erhalten. Im Rahmen der Maßnahmen wurden gegen vier Personen vorliegende Haftbefehle vollzogen. Es konnten neben zahlreichem rechtsextremistischem Propagandamaterial auch Tonträger mit "Blood & Honour"-Bezug festgestellt werden, sowie ein Dolch mit Hakenkreuz, Schlagstöcke und Schlagringe. 173 Reichsbürger und Reichsbürger und Selbstverwalter Selbstverwalter Reichsbürgerund Selbstverwalterszene zählt rund 4.200 Anhänger Reichsbürgerszene nach wie vor sehr heterogen - Szeneinterne Konflikte verhindern das Entstehen mitgliederstarker Gruppierungen Global Common Law Court versucht Polizeibehörden durch Eintragung in ein Scheinregister einzuschüchtern Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Reichsbürger sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich unter anderem auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Zur Verwirklichung ihrer Ziele treten sie zum Teil aggressiv gegenüber den Gerichten und Behörden der Bundesrepublik Deutschland auf. Selbstverwalter sind Einzelpersonen, die behaupten, sie könnten durch eine Erklärung aus der Bundesrepublik austreten und seien so nicht mehr deren Gesetzen unterworfen. Die dafür genutzten Argumente sind im Wesentlichen deckungsgleich mit denen der sogenannten Reichsbürger. Selbstverwalter definieren beispielsweise ihre Wohnung, ihr Haus oder ihr Grundstück als souveränes Staatsgebiet. Ihr Grundstück markieren sie mitunter durch eine (Grenz-)Linie und zeigen als "Staatswappen" Symbole, die sie selbst entwerfen. In Teilen sind Reichsbürger und Selbstverwalter dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zuzurechnen; insbesondere dort, wo sich Versatzstücke antisemitischer und nationalsozialistischer Denkmuster wiederfinden. 175 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Reichsbürger und Selbstverwalter Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann die Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein bis hin zur Gewaltanwendung. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Reichsbürger und Selbstverwalter in Bayern als sicherheitsgefährdende Bestrebung. 176 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 1. PERSONENPOTENZIAL Den Sicherheitsbehörden in Bayern ist es durch kontinuierliche Ermittlungsarbeit gelungen, Personenpotenzial, Strukturen und regionale Schwerpunkte weiter aufzuklären. Bis zum Ende des Berichtszeitraums (Stand: 31.12.2018) lagen zu rund 4.200 Personen belastbare Hinweise bezüglich ihrer Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene vor. Das Personenpotenzial umfasst bis zu 400 Personen als "harten Kern", der insbesondere durch zahllose Aktivitäten gegenüber staatlichen Institutionen seine Ideologie zum Ausdruck bringt.Bei den meisten bislang identifizierten Reichsbürgern und Selbstverwaltern ist derzeit kein "Organisationsbezug" erkennbar. Die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter in Bayern ist im Wesentlichen männlich geprägt: Rund drei Viertel der identifizierten Personen sind männlich. Die Altersstruktur der Reichsbürger und Selbstverwalter unterscheidet sich erheblich von der in anderen Phänomenbereichen. Während dort häufig Jüngere dominieren, sind Reichsbürger und Selbstverwalter im Schnitt lebensälter. Mehr als die Hälfte des Personenpotenzials ist 50 Jahre oder älter. Der Schwerpunkt der Szene liegt mit rund 70 Prozent im Alterssegment der 40bis 69-Jährigen, wobei hier die Gruppe der Personen zwischen 50 und 59 Jahren mit allein 33 Prozent dominiert. Personen bis 29 Jahren sind hingegen unterdurchschnittlich vertreten (ca. 10 Prozent). In Bayern sind Anhänger der Szene in den Regionen München, Szeneschwerpunkte Nürnberg, Ostallgäu, Würzburg und Schweinfurt besonders aktiv. in Bayern Eine eindeutige Zuordnung von sogenannten Reichsbürgern oder Selbstverwaltern zur rechtsextremistischen Szene ist bislang nur in wenigen Fällen belegbar. Die Ablehnung des Staates und seiner Organe ist ideologischer Bestandteil nahezu aller extremistischer Phänomenbereiche und begründet für sich genommen keine Zugehörigkeit zum Rechtsextremismus. Die Zahl der Reichsbürger in Bayern, die auch in rechtsextremistischen Zusammenhängen bekannt geworden sind, beläuft sich derzeit auf ca. 60 Personen. Straftaten von Reichsbürgern und Selbstverwaltern werden seit dem Jahr 2017 gesondert erfasst. Im Berichtszeitraum wurden insgesamt 325 Straftaten gezählt, darunter 89 Gewaltdelikte. Den Schwerpunkt bei den Gewaltdelikten bildeten mit 78 Taten die Erpressungsdelikte. Ferner waren 5 Körperverletzungen zu verzeichnen. Mit 86 Taten stellten Nötigungsund Bedrohungsdelikte den Schwerpunkt der sonstigen 236 Straftaten. 177 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Reichsbürger und Selbstverwalter 2. IDEOLOGIE 2.1 Ideologische Gemeinsamkeiten Reichsbürger berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches. Dabei werden z. B. der Rechtsstand von 1937, 1914 zwei Tage vor dem Ausbruch des Leugnung der ExisErsten Weltkrieges oder auch 1871 genannt. Reichsbürger betenz Deutschlands haupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent, oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung 1990 seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. Die von den Reichsbürgern vorgetragenen Argumente gegen die Existenz Deutschlands als Staat sind falsch. Das Bundesverfassungsgericht lässt in seiner gesamten Rechtsprechung keinen Zweifel daran, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die gültige Verfassung des wiedervereinigten Deutschlands ist. Zu den vermeintlichen Argumenten der Reichsbürger stellte das Amtsgericht Duisburg im Leitsatz einer Entscheidung bereits am 26. Januar 2006 zusammenfassend fest: Das Bonner Grundgesetz ist unverändert in Kraft. Eine deutsche Reichsverfassung, eine kommissarische Reichsregierung oder ein kommissarisches Reichsgericht existiert ebenso wenig, wie die Erde eine Scheibe ist. 2.2 Szeneinterne ideologische Konflikte Die Anhänger der Reichsbürgerszene eint zwar die grundsätzliche Ablehnung des bundesdeutschen Staatswesens, ideologisch und organisatorisch ist die Bewegung jedoch heterogen. In der Szene gibt es Geschäftemacher, Verschwörungstheoretiker, Rechtsextremisten, Querulanten und Esoteriker und verschiedene Personengruppen, die untereinander konkurrieren und persönliche oder ideologische Konflikte austragen. Dies führt häufig zu Abspaltungen und Neugründungen in der Reichsbürgerszene. 178 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Diskussionen innerhalb der Szene finden sich z. B. bei der für Reichsbürger zentralen Fragestellung, ob Deutschland eine gültige Verfassung habe. Hier wird z. T. auf Argumentationsmuster zurückgegriffen, wonach das Grundgesetz nur für die juristische Person bzw. das Personal der privatrechtlichen und unter Kontrolle der Alliierten stehenden Firma "BRD-GmbH" gültig sei, da es von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg verfasst worden sei. Andere Teile der Szene schließen eine Wirksamkeit gänzlich aus und verweisen vielmehr auf die Fortgeltung einer "Reichsverfassung", beispielsweise von 1871 oder 1913. Begründet wird dies u. a. damit, dass der Name "Grundgesetz" impliziere, es handle sich nicht um eine Verfassung. Wiederum andere argumentieren, dass das Grundgesetz mit dem Beitritt der DDR außer Kraft getreten und eine neue Verfassung ausgeblieben sei. Solche Auffassungen sind auch unter Selbstverwaltern verbreitet, die ihre eigene Person als Staat mit Gesetzgebungskompetenz ansehen und sich eine eigene Verfassung für ihr "selbstverwaltetes" Territorium geben. Die verschiedenen Positionen werden unter Zuhilfenahme von pseudojuristischen Formulierungen und Argumenten vertreten, ein Konsens wird dabei in aller Regel nicht erreicht. Diese unterschiedlichen Auffassungen, die häufig auch mit Alleinvertretungsansprüchen verbunden werden, führen teilweise zur Aufspaltung von (real existierenden oder virtuellen) Gruppen bzw. zur Gründung neuer Gruppierungen, die zueinander in Konkurrenz stehen und jeweils für sich in Anspruch nehmen, die einzig legitimen (Rechts-)Nachfolger des "Deutschen Reichs" zu sein. 3. TYPISCHE AKTIVITÄTEN Reichsbürger entfalten gegenüber staatlichen Institutionen eine Vielzahl von Aktivitäten, die z. T. - wie die Beantragung von Staatsangehörigkeitsausweisen - Ausdruck ihrer Ideologie sind, aber auch auf die gezielte Lahmlegung der öffentlichen Verwaltung abzielen. In Einzelfällen kommt es dabei auch zu Gewaltandrohung bzw. -anwendung gegenüber staatlichen Repräsentanten. 3.1 Beantragung von Staatsangehörigkeitsausweisen und Nutzung eigener Dokumente Reichsbürger und Selbstverwalter bestreiten die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat und bezeichnen diesen z. T. als "Firma BRD". Sie sind der Auffassung, dass 179 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Reichsbürger und Selbstverwalter sie nicht die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland besitzen bzw. aus dieser "austreten" können. Aus ihrer Sicht bestimmt sich ihre Staatsangehörigkeit nach dem Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz in der im Jahr 1913 geltenden Fassung, wonach die Reichsangehörigkeit zum Deutschen Reich gegeben war, wenn eine Staatsangehörigkeit eines Landes des Deutschen Reichs bestand. Ausgehend von der falschen Annahme, ohne Staatsangehörigkeitsausweis staatenlos zu sein, beantragen sie häufig einen Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweis (sog. "gelber Schein") zur Bestäti"gelben Scheins" gung ihrer Reichsund Staatsangehörigkeit nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz. Der Begriff "Personalausweis" ist für sie ein Beleg für die Staatenlosigkeit, da als "Personal" ausschließlich Angehörige einer Firma, hier der "Firma BRD" bezeichnet würden. Vom Staatsangehörigkeitsausweis erhofft sich dieser Personenkreis - rechtlich völlig unzutreffend - u. a. den "Ausstieg aus der Firma BRD". Der "gelbe Schein" wird zudem als Nachweis der "Rechtsstellung" als Staatsangehöriger des vorgeblich fortbestehenden "Deutschen Reichs" angesehen. Nach wie vor sind diese Annahmen für Teile der Szene relevant. Zunehmend entwickeln sich jedoch auch kontrovers geführte Diskussionen um den "gelben Schein", in denen sich die Heterogenität der Szene widerspiegelt. So vertreten immer mehr Reichsbürger die Auffassung, es handle sich lediglich um ein Papier, das von der Firma "BRD-GmbH" bzw. deren "Bediensteten" ausgestellt werde, weshalb der "gelbe Schein" keine rechtliche Wirkung entfalten könne. In Einzelfällen wird mit Blick auf die vermeintliche Firma "BRD-GmbH" die Auffassung vertreten, der "gelbe Schein" dokumentiere lediglich eine "handelsrechtliche" Staatsangehörigkeit und führe somit zu einer Art doppelter Staatsangehörigkeit ("handelsrechtliche" und "echte"), was ebenfalls abgelehnt wird. Andere Reichsbürger wiederum vertreten eine vermeintlich "naturrechtliche" Auffassung und berufen sich auf ihre Eigenschaft als "Mensch", der - im Gegensatz zur "juristischen Person", die von der "BRD-GmbH" bzw. deren "Schein-Regierung" konstruiert werde - die Feststellung einer Staatsangehörigkeit nicht benötige. Sie propagieren deshalb die "Staatenlosigkeit". Die Notwendigkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit mit einem Staatsangehörigkeitsausweis nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) nachzuweisen, besteht nur ausnahmsweise, z. B. 180 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 wenn beim Erwerb oder Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch persönliche Ereignisse wie Adoption oder beim Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit Zweifel entstanden sind. Antragstellungen mit bestimmten typischen Zusätzen (z. B. Bezug auf das RuStAG mit Rechtsstand 1913 und/oder Geburtsland "Königreich Bayern") begründen zumindest den Verdacht der Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung. Reichsbürger benutzen zudem anstelle amtlicher Ausweise Fantasiepapiere wie "Reichspersonenausweise" oder "Reichsführerscheine". In Einzelfällen geben sie dafür amtliche AusweisNutzung von dokumente bei der Meldebehörde ab. Diese Fantasiepapiere sind Fantasiepapieren völlig wertlos und teilweise strafrechtlich relevant. Ihr Verkauf ist eine wichtige Einnahmequelle von Reichsbürgergruppierungen. 3.2 Auftreten gegenüber Justiz und Verwaltung Regelmäßig überziehen Reichsbürger Behörden und Gerichte mit querulatorischen Schreiben, in denen sie der öffentlichen Verwaltung und der Justiz ihre Autorität oder ihre Existenz absprechen. Z. T. verfolgen sie damit das Ziel, sich rechtlichen Verpflichtungen, wie z. B. Forderungen des Staates aus Steuer-, Bußgeldoder Verwaltungsverfahren zu entziehen. In umfangreichen Briefen werden z. B. Beamte und Richter belehrt und beleidigt oder gegen sie haltlose Schadenersatzforderungen erhoben, um diese einzuschüchtern und Maßnahmen der Justiz oder der Polizei zu beeinflussen oder gar zu verhindern. Beispielhaft ist in diesem Zusammenhang ein Reichsbürgerehepaar aus Unterfranken zu nennen, das im Berichtszeitraum als "Vielschreiber" in Erscheinung getreten ist und in verschiedenen Schreiben die örtlich zuständigen Polizeibeamten als "NSDAP-Sklaven" und "NSDAP-Deutsche" diffamierte. In der gerichtlichen Auseinandersetzung ist der Aktivismus der Reichsbürger und Selbstverwalter ambivalent: Einerseits schöpfen sie den juristischen Klageweg weitestgehend aus und überhäufen Gerichte mit Anträgen und Eingaben. Dabei lassen sie sich mitunter auch von selbst ernannten Szene-"Anwälten", sogenannten Recht-Konsulenten (Schreibweise variiert), vertreten. Andererseits bleiben sie Gerichtsterminen fern, wirken nicht am ordentlichen Verfahren mit und versuchen, Strafbefehle einfach ins Leere laufen zu lassen und nicht zu beachten. Die sozialen Medien ermöglichen es zudem, innerhalb kurzer Zeit Unterstützer aus der Szene zu mobilisieren, um mit deren Hilfe behördliche Handlungen wie z. B. Zwangsräumungen zu blockieren. 181 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Reichsbürger und Selbstverwalter 3.3 Kommerzielle Aktivitäten sog. "Milieumanager" Innerhalb der Reichsbürgerbewegung gibt es Einzelpersonen, die unter Ausnutzung der Ideologie Geld verdienen wollen und verschiedene Produkte und Dienstleistungen anbieten. Sie verkaufen z. B. Bücher und Fantasiedokumente wie "Reichsstaatsangehörigkeitsurkunden", veranstalten Seminare und Schulungen oder bieten in Einzelfällen auch Geldanlagen an. Diese als "Milieumanager" bezeichneten Akteure tragen durch entsprechende Veranstaltungen zur Vernetzung der Szene bei und verbreiten und verfestigen die extremistischen Ansichten von Reichsbürgern, sind aber nicht immer selbst Anhänger der Ideologie. Unter den "Milieumanagern" finden sich auch sog. "Recht-Konsulenten". Sie geben vor, auf dem Gebiet des "Reichsrechts" bewandert zu sein und bieten ""Rechtsberatungen", z. T. auch im Internet, an. Sie treten meist mit Briefköpfen auf, die denen großer Anwaltskanzleien nachempfunden sind und Internationalität vortäuschen sollen. Ihre mit juristischer Fachterminologie durchsetzten Schreiben sind darauf angelegt, Fachkompetenz zu suggerieren, stellen sich bei näherem Hinsehen jedoch als völlig widersinnig heraus. In diesem Zusammenhang gibt es zwei größere Zusammenschlüsse, die überregional aktiv sind: Im "Präsidium des Deutschen Reiches" besteht die Vereinigung Überregional aktive "Verband der Deutschen Recht-Konsulenten" (Sitz in Kaarst-Vorst/ Verbände Nordrhein-Westfalen). Daneben existiert seit den 1990er-Jahren ein "Verband Deutscher Rechtssachverständiger und Rechtskonsulenten 1871" (Sitz in Belm/Niedersachsen), der seine Betätigung in den Kontext der rechtsextremistischen "Kommissarischen Reichsregierung" stellt. Von beiden Gruppierungen sind in Bayern in der Vergangenheit nur Einzelpersonen aufgetreten. 3.4 Stammtische und Seminare Bei sogenannten Stammtisch-Treffen oder Seminaren wird versucht, die Anwesenden von verschwörungstheoretischen Denkweisen sowie der vermeintlichen Illegitimität der Bundesrepublik Deutschland zu überzeugen. Ebenso finden Personen, die aus verschiedenen Gründen unzufrieden mit dem staatlichen Handeln sind, in der Reichsbürgerideologie vermeintlich einfache Erklärungen und Lösungen für ihre Probleme. 182 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rekrutierungsbecken für die Reichsbürgerszene ist nicht zuletzt auch die Esoterikszene. Personen, die sich der Esoterik zuwenden, suchen dort in der Regel nach Lebenshilfe und Unterstützung bei der "Selbstfindung". Reichsbürger legen ihnen nahe, dass sie so lange nicht zu sich selbst als "Mensch" zurückfinden können, wie sie noch Teil der vermeintlichen "BRD GmbH" und somit lediglich "Personal" eines Wirtschaftsunternehmens sind. Um sich davon befreien zu können, sei der "Austritt" aus der Bundesrepublik Deutschland notwendig. 3.5 Überregionale und internationale Kontakte Personen und Gruppierungen, deren Gedankengut dem der deutschen Reichsbürgerszene ähnelt, gibt es auch in Österreich und in der Schweiz. In Österreich werden diese Gruppierungen "Souveräne Bewegungen" genannt. Die Republik Österreich ist in ihren Augen ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland lediglich eine GmbH und somit kein rechtmäßiges Staatsgebilde. Die Reichsbürgergruppierung "Amt Deutscher Heimatbund, Deutscher Heimatbund, Heimatbund der Menschen" verfügt über Strukturen in Deutschland, u. a. in Bayern sowie in Österreich und in der Schweiz. Im deutschsprachigen Raum existiert somit grenzüberschreitend ein Personenkreis, den die pseudojuristische Basis seines Handelns eint und der insbesondere über das Internet auch im Austausch miteinander steht. Auch wenn es zwischen vielen Gruppierungen und Akteuren Konkurrenzverhältnisse gibt, ist auch eine überregionale und grenzüberschreitende Unterstützung feststellbar, die sich insbesondere dann zeigt, wenn Reichsbürger sich vor Gericht verantworten müssen. Immer wieder sind dann auch Unterstützer aus anderen Staaten im Zuschauerraum anwesend. Referenten und sog. "Milieumanager" der Reichsbürgerszene agieren darüber hinaus, unabhängig von ihrem Wohnsitz, im gesamten deutschsprachigen Raum. Die Vernetzung stützt sich überwiegend auf persönliche Kennverhältnisse und/oder grenzüberschreitende räumliche Nähe. Eine strukturierte Vernetzung der Gesamtszene ist derzeit nicht erkennbar und mit Blick auf die bestehenden Konflikte innerhalb der Szene wenig wahrscheinlich. 183 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Reichsbürger und Selbstverwalter 4. AKTUELLE AKTIVITÄTEN IN BAYERN 4.1 Fiktives Reichsbürger-Gericht "Global Common Law Court" verschickt Schreiben an bayerische Polizeipräsidien Im Juli und August versandte eine Person unter einem Pseudonym ein Schreiben an zahlreiche Polizeidienststellen in Bayern, das an die jeweiligen Präsidenten bzw. Vizepräsidenten adressiert war. Im Namen des "Global Common Law Court" (GCLC), eines fiktiven Gerichts mit Reichsbürgerbezug, fordert der Verfasser zur Kooperation mit dem GCLC auf. Den Empfängern wird nahegelegt, "rechtswidrige Handlungen der Richter und Staatsanwälte zu stoppen und zu korrigieren". Diese verstießen gegen verschiedene Gesetze und Prinzipien. Alle Mitarbeiter und Bediensteten der Polizei, die ein solches vermeintlich rechtswidriges Vorgehen von Richtern und Staatsanwälten unterstützten, hafteten für diese Taten. Der Verfasser bezeichnet sie als "Erfüllungsgehilfen und Mitttäter der gesetzeswidrigen Handlungen". Hinter dem GCLC steht ein als "Vielschreiber" bekannter Reichsbürger, der zuletzt in Baden-Württemberg lebte und sich selbst als Ermittler und Chefankläger des GCLC bezeichnet. Den GCLC stellt er in diesem Zusammenhang als höchstes Gericht der Welt dar. Den staatlichen Gerichten spricht er ihre Legitimation ab. Eintragung in fiktives In dem Schreiben an die Polizeipräsidien wird weiter angeRegister "Global führt, dass alle Mitarbeiter der Polizei der Gerichtsbarkeit des Public Register GCLC und des "Global Public Register Offenders and Rapists" Offenders and (deutsch: Globales öffentliches Verzeichnis - Straftäter und VerRapists" gewaltiger (GPORD)) unterstellt seien. In diesem sog. GPORD-Verzeichnis sind bislang über 18.000 Personen mit Vorund Nachnamen veröffentlicht worden. Bei den Personen handelt es sich insbesondere um Vertreter von Justiz und Polizei aus Deutschland und der Schweiz. Die Angeprangerten wird "Vergewaltigung" unterstellt. Die "Täter" sollen sich laut Angaben auf der Internetseite "weigern, Schaden und Verlust zu heilen". 184 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 4.2 Aktivitäten eines amtsbekannten Reichsbürgers in Unterfranken Ein amtsbekannter niedersächsischer Reichsbürger hat im Juni Aktivitäten in Bayern entfaltet. Der als notorischer Querulant geltende Reichsbürger bezeichnet sich als "Hochkommissar für Menschenrechte" und leitet die sog. "Akademie für Menschenrechte" in Stade (Niedersachsen). Einem YouTube-Video von "MenschenrechtTV" zufolge, wandte sich eine Reichsbürgerin aus Unterfranken an den selbsternannten "Hochkommissar für Menschenrechte" und bat um Unterstützung in persönlichen Angelegenheiten. Daraufhin überzogen dieser und weitere "Kommissare für Menschenrechte" Behördenmitarbeiter, die örtliche Bürgermeisterin sowie die örtlich zuständige Polizeiinspektion mit teils aggressiven Anrufen. Mit einem ähnlichen Vorgehen ist der "Hochkommissar" in den letzten Jahren bereits in mehreren anderen Bundesländern in Erscheinung getreten und beschäftigt neben Verwaltungsauch Polizeiund Justizbehörden. 5. GEWALTPOTENZIAL Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann die Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein. Verschiedene Vorfälle belegen, dass sich in der Szene auch gewaltbereite Personen bewegen. Gewalttaten richteten sich in aller Regel gegen staatliche Maßnahmen bzw. gegen Vertreter des Staates. Solche Gewalttaten werden innerhalb der Szene in der Regel als Notwehr gegen den Staat gedeutet. Gewalttäter erfahren dementsprechend nach einschlägigen Vorfällen solidarisierenden Zuspruch. Bei Einzelpersonen, die ideologisch besonders gefestigt erscheinen, ist eine Häufung politisch motivierter Straftaten - insbesondere Beleidigungsund Nötigungsdelikte, in Einzelfällen auch Erpressungsdelikte - feststellbar. Ermittlungen anlässlich der Brandstiftung an einem Kraftfahrzeug in Hof a. d Saale im Oktober 2017 führten auf die Spur einer in Hof als Reichsbürger bekannten Person. Der Tatverdächtige wurde am 25. Februar festgenommen. Bei der Festnahme führte er eine scharfe Schusswaffe mit sich. Gegen die Person wird auch wegen Verstößen gegen das Waffengesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz ermittelt. 185 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Reichsbürger und Selbstverwalter In Schweinfurt wurden im Rahmen der polizeilichen Durchsetzung eines Vollstreckungs-Haftbefehls bei einem Reichsbürger zahlreiche illegale Waffen entdeckt. In der Wohnung konnte zudem eine Vielzahl erlaubnisfreier Waffen (Messer, Beil, Pfefferspray) aufgefunden und sichergestellt werden. Die sichergestellten Waffen hatte der Beschuldigte allesamt zugriffsbereit an seiner mit mehreren Riegeln abgesicherten Tür angebracht. Nach einer rechtskräftigen Verurteilung, u. a. wegen Urkundenfälschung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis, kam ein Reichsbürger im Rahmen einer Fahrzeugkontrolle in Ebersberg den Aufforderungen der Polizeibeamten nicht nach und floh mit seinem Wagen. Dabei verletzte er einen Polizisten leicht. Wenig später wurde der Fahrer gestoppt und das Fahrzeug sichergestellt. Exekutivmaßnahmen Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen die Gruppiegegen Volksstaat rung "Volksstaat Bayern" (vormals: "Bundesstaat Bayern"), u. a. Bayern wegen bandenund gewerbsmäßiger Urkundenfälschung und Amtsanmaßung, fand am 11. April erneut eine Durchsuchung bei zwei Führungspersonen des "Volksstaats Bayern" in Bayern statt. Beschlagnahmt wurden EDV-Geräte. Bereits im Jahr 2017 konnten im Rahmen mehrerer Durchsuchungen in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz u. a. Reichsbürgerdokumente, Finanzmittel, Waffen, Munition und nach dem Waffengesetz verbotene Gegenstände (Totschläger, Schlagring, Wurfstern, Elektroschocker, Butterflymesser) sichergestellt werden. Um das von ihnen ausgehende Gefahrenpotenzial zu minimieren, werden bei Angehörigen der Reichsbürgerszene bestehenEntzug von Waffende waffenrechtliche Erlaubnisse überprüft und wo möglich enterlaubnissen zogen. Jede waffenrechtliche Erlaubnis setzt voraus, dass der Erlaubnisinhaber die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit besitzt. Diese Zuverlässigkeit ist im Fall der Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung aber zu verneinen. Bis zum 31.12.2018 haben die Sicherheitsbehörden in Bayern 325 Personen (Stand 31.12.2017: 269) innerhalb der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter identifiziert, die über eine oder mehrere waffenrechtliche Erlaubnisse verfügten. Gegen alle 325 Personen wurden bereits Widerrufsverfahren durch die Waffenbehörden eingeleitet, in 209 Fällen (Stand 31.12.2017: 169) erging ein Widerrufsbescheid. Insgesamt wurden durch Widerruf oder aufgrund eines vor Widerruf erklärten freiwilligen Verzichts bislang 379 (Stand 31.12.2017: 321) waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen. Dabei wurden 670 Waffen (Stand 31.12.2017: 607) bei der Waffenbehörde oder an einen Berechtigten abgegeben. 186 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 6. REICHSBÜRGERGRUPPIERUNGEN IN BAYERN Die Reichsbürgerbewegung hat in den letzten Jahren eine zunehmende Dynamik entwickelt. Die mitunter sektenartigen Gruppierungen stehen bisweilen auch in Konkurrenz zueinander. Sie nehmen jeweils für sich in Anspruch, die einzig "legitimen Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs" zu sein, und versuchen, andere Gruppierungen oder Einzelpersonen, die der eigenen Rechtsauffassung nicht folgen, aus einem in der jeweiligen Vereinigung bekleideten "Amt" mit Hilfe sog. "Entstallungsurkunden" o. ä. Schreiben zu entfernen. Aufgrund interner Streitigkeiten kommt es auch immer wieder zur Gründung neuer Gruppierungen bzw. "Gegen-Reichsregierungen". Auf regionaler Ebene haben sich zahlreiche Kleinstgruppen gebildet, die weit überwiegend als sicherheitsgefährdende Bestrebungen einzustufen sind. Durch das Konkurrenzverhalten innerhalb der Reichsbürgerszene ist das Entstehen einzelner mitgliedsstarker Organisationen, die eine Führungsrolle einnehmen könnten, derzeit nicht abzusehen. 6.1 Sicherheitsgefährdende Bestrebungen 6.1.1 Volksstaat Bayern (vormals: Bundesstaat Bayern) Mitglieder 30 Gründung Dezember 2015 Aktionsraum Bayern und Teile von Rheinland-Pfalz Am 25. September hat die bis dahin unter dem Namen "Bundesstaat Bayern" agierende Reichsbürgergruppierung mit Sitz in Landsham bei München ihre Umbenennung zum "Volksstaat Bayern" bekannt gegeben. Ziel sei es, mit dem so bezeichneten "Ende der Nachkriegsordnung am 27. April" den "Volksstaat Bayern" wiederherzustellen und so den "letzten, völkerrechtskonform geäußerten Willen des deutschen Volkes der Bayern umzusetzen". Für die Übergangszeit gebe man sich hilfsweise die Verfassung des Freistaats Bayern mit Stand vom 14. August 1919. Bayern wird als Republik und als Glied dem Deutschen Reich zugeordnet, die früher zu Bayern gehörende Pfalz wird als Bestandteil des "Volksstaats Bayern" gesehen. 187 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Reichsbürger und Selbstverwalter Der "Volksstaat Bayern" sieht sich weiterhin als souveräner Gliedbzw. Bundesstaat im sog. "Staatenbund Deutsches Reich" mit Sitz in Fürstlich Drehna (Brandenburg), dem auch der "Freistaat Preußen", die "Republik Baden", der "Volksstaat Württemberg" (ehemals "Bundesstaat Württemberg") und der "Bundesstaat Sachsen" angehören. Im Dezember 2015 gründete sich der damalige "Bundesstaat Bayern", der sich seitdem nach eigener Darstellung "in Reorganisation" befindet. Beim Aufbau der Organisation, den Führungspersönlichkeiten, der Ausrichtung und Zielsetzung der Reichsbürgergruppierung sind im Zuge der Umbenennung keine Änderungen erkennbar geworden. Mehrfach wurden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft München II wegen des dringenden Tatverdachts der bandenund gewerbsmäßigen Urkundenfälschung sowie Amtsanmaßung in diesem und im letzten Jahr Durchsuchungsbeschlüsse bei Führungspersonen der Gruppierung vollzogen. Dabei konnten Reichsbürgerdokumente, die sog. "Staatskasse", Waffen und Munition, falsche TÜV-Plaketten und Ausweispapiere sichergestellt werden. Nach den Exekutivmaßnahmen konnte insbesondere beim Versand von Faxen an kommunale Behörden, Polizeidienststellen oder bayerische Ministerien eine kurzfristig deutlich geringere Aktivität festgestellt werden. In letzter Zeit nehmen diese Aktivitäten jedoch wieder zu. Veranstaltungsankündigungen auf der Website des "Volksstaats Bayern" sind zurückgegangen bzw. nicht mehr festzustellen. Regelmäßig wendet sich die Gruppierung u. a. an Sicherheitsbehörden und versucht mit einer Vielzahl an Fax-Schreiben, den Adressaten Anordnungen zu geben bzw. auf sie einzuwirken und davon zu überzeugen, dass sie gegenüber dem "Volksstaat Bayern" weisungsgebunden sind. 6.1.2 Amt Deutscher Heimatbund, Deutscher Heimatbund, Heimatbund der Menschen Mitglieder 120 Gründung 2015 Aktionsraum Bundesgebiet, Schweiz, Österreich 188 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Das "Amt Deutscher Heimatbund" kann als Dachorganisation für zahlreiche "Heimatgemeinden" bzw. ähnlich benannte Gruppierungen angesehen werden. Nach Eigenangaben bestehen Strukturen in der Schweiz, Österreich und Deutschland. Der Sitz wurde nach eigenen Angaben im Jahr 2017 von Oberkulm (Schweiz) nach Traunstein/Bayern verlagert. Die Gruppe produziert verschiedene Ausweisdokumente ("Heimatverifikation", Personalausweis und Führerschein) und weist auf das Kraftfahrzeugkennzeichen "MENS:CH(en)" hin. Diese Bezeichnung leiten die Mitglieder über das Naturrecht aus den Begriffen "mens" (der Geist) und der Verniedlichungsform ":ch(en)" ab. Die Verwendung des Kennzeichens soll auch nach außen hin auf die Gruppenzugehörigkeit hinweisen. Teile der Anhängerschaft in Deutschland haben bereits in der Vergangenheit bei behördlichen Kontrollmaßnahmen eine nicht unerhebliche Gewaltbereitschaft gezeigt. Die bundesweite Struktur umfasst nach eigener Darstellung in Bayern diverse regionale "Heimatgemeinden", die 2018 jedoch keine Aktivitäten mehr entfalteten. 6.1.3 Heimatgemeinde "Gemeinde Chiemgau" (Heimatgesellschaft Chiemgau) Mitglieder ca. 70 Gründung 2015 Aktionsraum Oberbayern Die Gruppe lehnt die Bundesrepublik Deutschland als Staat ab. Nach ihrer Auffassung handelt es sich bei vielen Regierungsorganisationen um Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die in einem internationalen Firmenregister eingetragen seien und damit dem Handelsrecht und nicht dem Völkerrecht unterlägen. Die Gruppe sieht sich ausschließlich den bayerischen Gesetzen vor 1914 verpflichtet, die Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland ignoriert sie. Anhänger der Gruppe fielen in der Vergangenheit durch Verwendung nicht amtlicher Kraftfahrzeugkennzeichen auf und nutzten ausschließlich selbst ausgestellte Ausweisdokumente. Die "Heimatgemeinde Chiemgau" konnte dem "Amt Deutscher Heimatbund" als Unterorganisation zugerechnet werden. Im Berichtszeitraum wurden keine Aktivitäten von Angehörigen der Heimatgemeinde Chiemgau mehr bekannt. 189 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Reichsbürger und Selbstverwalter 6.1.4 Verfassunggebende Versammlung Mitglieder Einzelpersonen Gründung 2014 Aktionsraum Bundesgebiet Die Gruppierung lehnt die bestehenden Strukturen der Bundesrepublik Deutschland ab und spricht ihr die Existenzberechtigung ab. So wird z. B. auf der Homepage der Gruppierung ausgeführt: Durch die aktuelle Situation in Deutschland ist die gesamte Menschheit versklavt. 1990 wurden alle Menschen der Erde betrogen. Die Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik am 3. Oktober 1990, ist juristisch niemals erfolgt. Die Bundesrepublik Deutschland heute, ist ein USamerikanisches Unternehmen, was ohne jeden Zweifel nachweisbar ist. [...] Es gibt keinen Staat Bundesrepublik Deutschland (...). Die Anhänger der "Verfassunggebenden Versammlung" planen, an einem nicht näher bestimmten "Tag X" eine temporäre "Verfassunggebende Versammlung" einzuberufen und so die Verfassung und die Gesetze als Basis eines neuen, vermeintlich (wieder) handlungsfähigen Deutschlands zu schaffen. Im Berichtszeitraum fiel die Gruppierung in Bayern mit wenigen öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf. So kam es im Juni in München zu einer Flugblattverteilaktion. In diesen Flugblättern wurde der Internetauftritt der Gruppierung beworben und die Adressaten zur Durchführung und Teilnahme an einer "Verfassunggebenden Versammlung" aufgerufen. Im November konnten an der öffentlichen Bekanntmachungstafel einer Gemeinde im Landkreis Kelheim zwei Flugblätter der Gruppierung, in denen ebenso zur Teilnahme an "Volkswahlen" aufgefordert wurde, festgestellt werden. Eine unbekannte Person hatte die "amtliche Bekanntmachung" offenbar von der Internetseite der "Verfassunggebenden Versammlung" heruntergeladen und diese dann ausgedruckt an der Gemeindetafel angebracht. 190 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 6.2 Phänomenbereich Rechtsextremismus "Exilregierungen" und "Kommissarische Reichsregierung" Neben sicherheitsgefährdenden Bestrebungen treten auch Gruppierungen innerhalb der Reichsbürgerbewegung in Erscheinung, die dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zuzurechnen sind, insbesondere dort, wo sich Versatzstücke antisemitischer und nationalsozialistischer Denkmuster wiederfinden. Die Gruppierungen "Exil-Regierung Deutsches Reich" und die daraus abgespaltene "Exilregierung Deutsches Reich" werden als rechtsextremistisch bewertet. So versuchte z. B. die "Exil-Regierung Deutsches Reich", Überfremdungsängste zu stärken und Untergangsvisionen zu schüren. Sie kündigte eine bevorstehende Weltherrschaft des "politischen Zionismus" an und sprach im Hinblick auf die Flüchtlingswelle davon, dass der "Holocaust gegen die deutschen Völker" inzwischen eine neue Qualität erreicht habe. Dies zeigt die völkische und antisemitische Ideologie der Gruppierung. Die "Kommissarische Reichsregierung" ist ideologisch den "Exilregierungen" gleichzustellen. Ein "Reichskanzler" vertritt ihre ideologischen Grundsätze, ihr Sitz ist in Krölpa (Thüringen). Sie wird ebenfalls dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet. 2018 traten die o. g. Gruppierungen in Bayern nicht öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. Weiterführende Informationen zur Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter Flyer: "Reichsbürger" und "Selbstverwalter": harmlose Spinner oder gefährliche Extremisten? www.verfassungsschutz.bayern.de www.bayern-gegen-rechtsextremismus.bayern.de Die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) bietet auch Fortbildungsveranstaltungen zur Reichsbürgerszene für Mitarbeiter von Kommunen, staatlichen Behörden und Justiz an: Telefon: 089 / 2192 2192 E-Mail: gegen-extremismus@stmi.bayern.de 191 Verfassungsschutzrelevante Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Islamfeindlichkeit In München gründet sich mit "PEGIDA München - Das Original" eine neue verfassungsschutzrelevante islamfeindliche Gruppierung Der bayerische Landesverband der Bürgerbewegung PAX EUROPA e. V. agitiert gegen Moscheebau in Kaufbeuren 192 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Islamfeindliche Agitation ist nicht auf den Bereich des Rechtsextremismus beschränkt. Auch jenseits der rechtsextremistischen, vornehmlich auf Rassismus begründeten Islamfeindlichkeit gibt es Gruppierungen und Einzelpersonen, die Muslimen die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit nicht zugestehen wollen. Sie setzen den Islam als Weltreligion gleich mit Islamismus und islamistischem Terrorismus und stellen die Religion des Islam als faschistische Ideologie dar, von der eine erhebliche Gefahr für unsere Gesellschaft ausgehe. Diese extremistische Argumentation wird zunehmend auch in Diskursen in sozialen Netzwerken aufgegriffen. Führungspersonen des verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Spektrums gehen punktuell und zweckgerichtet Kooperationen mit anderen politischen Akteuren ein, um anschlussfähig für Teilbereiche des bürgerlichen Spektrums zu werden und gesellschaftliche Themen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Bei der verfassungsschutzrelevanten Islamfeindlichkeit fehlen die für Rechtsextremismus typischen Ideologieelemente wie autoritäres Staatsverständnis, Antisemitismus, Rassismus oder die Ideologie der Volksgemeinschaft. Extremistische Bestrebungen im Zusammenhang mit islamfeindlichen Äußerungen richten sich gegen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (Art. 1 GG), das Diskriminierungsverbot (Art. 3 GG) und die Religionsfreiheit (Art. 4 GG). Als extremistisch sind bestimmte zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen zu beurteilen, die die Geltung der genannten Prinzipien für Muslime und den Islam und seine Glaubensgemeinschaften außer Kraft setzen bzw. beseitigen wollen. 193 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Kritik, die im Rahmen einer geistig-politischen Auseinandersetzung auf Gefahren eines politischen Islam für unsere Grundwerte hinweist, unterliegt demgegenüber nicht dem Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes. Das Internet wird von verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Gruppierungen intensiv genutzt, um islamfeindliche Inhalte zu verbreiten. Publiziert wird auf Homepages und zunehmend auf Weblogs, auf denen sich auch anonyme Nutzer äußern können, deren Beiträge nicht automatisch den Betreibern zurechenbar sind. Ausschlaggebend für die Bewertung solcher Internetpräsenzen ist dabei, ob und inwieweit die Betreiber selbst extremistische Ziele verfolgen. Auf nicht zurechenbare Einzeläußerungen (z. B. Kommentare in Blogs und Foren) allein lässt sich eine Bewertung als extremistisch nicht stützen. 194 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 1. PEGIDA MÜNCHEN - DAS ORIGINAL Über die Gruppierung "PEGIDA München - Das Original" liegen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vor, die dem Phänomenbereich der verfassungsschutzrelevanten Islamfeindlichkeit zuzuordnen sind. "PEGIDA München - Das Original" trat erstmals öffentlich am 17. März mit einer Demonstration in München in Erscheinung. Nach eigenen Angaben handelt es sich bei der Gruppierung um einen offiziellen Ableger von PEGIDA in Dresden. "PEGIDA München - Das Original" ist nicht identisch mit der rechtsextremistisch geprägten "PEGIDA-München - zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e. V." (PEGIDA-München e. V.) und grenzt sich von dieser konkurrierenden Gruppierung ab, bei der Rechtsextremisten wie der Vorsitzende der NPD-Tarnliste "Bürgerinitiative Ausländerstopp München" Karl Richter regelmäßig als Redner auftreten. In Versammlungsanmeldungen von "PEGIDA München - Das Zentrale Rolle von Original" war mit Michael Stürzenberger weiterhin die zentrale Stürzenberger in Person der verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Szene islamfeindlicher in Bayern eingebunden. Er übernahm außerdem mehrfach die Szene Versammlungsleitung und trat als Redner auf. Die zentrale Rolle Stürzenbergers in der Szene zeigt sich neben seinen neuen PEGIDA-Aktivitäten in München an wiederholten Rednerauftritten bei "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken". Er unterstützt zudem den bayerischen Landesverband der "Bürgerbewegung PAX EUROPA e. V." (BPE Bayern), dessen Vorsitzender er bis Januar 2014 war. Auf einer Kundgebung von "PEGIDA München - Das Original" am 28. April in München setzte Michael Stürzenberger den Islam als Religion gleich mit Islamismus und islamistischem Terrorismus: Islam bedeutet nicht Frieden, sondern ist eine Religion der Unterdrückung, der Frauendiskriminierung, der Schwulenhetze, des Judenhasses, eines menschenverachtenden Rechtes, der Scharia und der Gewalt, des Tötens und des Terrors, und das rufen wir auf dem Marienplatz und über sämtliche Plätze Deutschlands, bis es wirklich der Letzte verstanden hat. (Transkription der wörtlichen Rede) 195 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Zwar relativierte er zu einem späteren Zeitpunkt seine Aussage zunächst mit den Worten Es geht um den Islam als Ideologie, es geht nicht gegen Muslime als Menschen, rief aber zugleich dazu auf, an unserer Seite den Islam entweder zu entschärfen oder zu eliminieren, die zwei Möglichkeiten gibt's. (Transkription der wörtlichen Rede) Stürzenberger verbreitet seine islamfeindlichen Thesen sowohl im Internet als auch auf Veranstaltungen in Bayern und anderen Bundesländern. So tritt er immer wieder im Rahmen von Veranstaltungen von "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken" oder der "Bürgerbewegung PAX EUROPA e. V." (BPE) als Redner auf. Als propagandistische Plattform für Veröffentlichungen nutzt Stürzenberger insbesondere den Internet-Weblog "Politically Incorrect" (PI-News), für den er als Autor tätig ist. Der Weblog, der im November 2004 online ging, ist kein Beobachtungsobjekt des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Die auf PI-News veröffentlichten Beiträge befassen sich überwiegend mit dem Thema einer angeblichen Islamisierung Europas. Stürzenberger rückt auf PI-News - wie auch in vielen anderen Äußerungen - die Religion des Islam in die Nähe des Faschismus. So schrieb er z. B. in einem Artikel auf PI-News am 10. August: In der öffentlichen Auseinandersetzung um diese faschistische Ideologie im Deckmantel einer 'Religion' ist erkennbar die Anwendung des Verstandes ausgeschaltet und die Idiotie kennt keine Grenzen mehr. Ideologie Zwar gibt Stürzenberger in verschiedenen Verlautbarungen immer wieder an, lediglich sachlich über die angebliche Verfassungsfeindlichkeit des Islam und die von ihm ausgehenden 196 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Gefahren für die Demokratie aufzuklären, worin keine generelle Verunglimpfung, weder der Religion noch von Muslimen, liege. Aus der Gesamtschau der zahlreichen Äußerungen aber, in denen den Muslimen unterstellt wird, islamistische oder gar terroristische Verhaltensweisen seien nicht die Ausnahme, sondern der alltägliche Normalzustand, lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass die Äußerungen darauf abzielen, Muslime aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit auszugrenzen und abzuwerten. Stürzenberger trat auch außerhalb Bayerns wiederholt als Redner auf, insbesondere bei islamkritischen Veranstaltungen. Auch dort hetzte er pauschal gegen den Islam und die Muslime und sprach ihnen im Ergebnis wesentliche im Grundgesetz konkretisierte Menschenrechte, wie insbesondere das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG) und die Religionsfreiheit (Art. 4 GG), ab. So äußerte er sich bei einem Auftritt bei einer Kundgebung der "Bürgerbewegung PAX EUROPA e. V." am 2. November in Krefeld: In zeitlos gültiger Befehlsform. Schaut es nach, werdet kritisch, tragt dazu bei, dass der Islam sich hier entschärft und ein Bestandteil dieses Landes werden kann. Sonst ist für den Islam keine Zukunft in diesem Land. Und wahrscheinlich auch nicht für euch. (Transkription der wörtlichen Rede) Bei einer Kundgebung der "Bürgerbewegung PAX EUROPA e. V." am 13. November in Erfurt führte er aus: Lasst uns mit dieser brutalen Gewaltideologie in Frieden. Und träumt ja nicht davon, ihr könnt die Herrschaft über dieses schöne Land erringen. Ihr wisst nicht, mit was ihr es zu tun habt. Hier ist eine Nation die seit Jahrhunderten glorreiche Leistungen erbracht hat. In einer Nation wo Erfinder, wo technische Erfindungen und Leistungen vollbracht wurden. Wo fleißige fähige Menschen sind, die sich, wenn sie erst mal Bescheid wissen, kein X mehr für ein U vormachen lassen. Und dann heißt es für euch schnell die Beine in die Hand nehmen. Da wird es für euch keine Zukunft mit diesem Islam geben. Wenn ihr ihn nicht entschärft, wenn ihr nicht die Tötungsbefehle herausnehmt und all die verfassungsfeindlichen Bestandteile, fliegt der Islam hochkant aus Deutschland und aus Europa hinaus. (Transkription der wörtlichen Rede) 197 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Neben Stürzenberger dominieren weitere Aktivisten aus dem Phänomenbereich der verfassungsschutzrelevanten Islamfeindlichkeit die Veranstaltungen von "PEGIDA München - Das Original". Bei einer Veranstaltung am 28. April äußerte sich ein Redner, der bereits mehrfach bei "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken" (s. u.) aufgetreten war und sich vier Monate später als Angehöriger der Reichsbürgerszene zu erkennen gab, islamfeindlich; so sprach er u. a. Muslimen das im Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Religionsfreiheit ab: Koraner sein und deutscher Staatsbürger sein schließt sich aus! Koraner können niemals die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben und auf der Grundlage des geltenden Grundgesetzes verliehen bekommen! (...) Koraner passen weder in die Armee noch in die Polizei eines demokratischen Staates. Ein koranischer Eid auf das Grundgesetz ist ja in jedem Fall wertlos, Ungläubige, das wissen wir, dürfen bekanntlich zum Wohl des Koranertums jederzeit getäuscht und belogen werden. Koraner sind deshalb wegen Unzuverlässigkeit aus öffentlichen und systemrelevanten Bereichen unserer Gesellschaft fern zu halten oder zu entfernen! (Transkription der wörtlichen Rede) Außerdem setzte der Redner den Islam einem Krebsgeschwür gleich und schlussfolgerte: Und diese Wahrheiten bedeuten, der Islam hat keinen Platz in Deutschland und in Europa! 198 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 2. PEGIDA NÜRNBERG/PEGIDA MITTELFRANKEN Aktivitäten seit Februar 2015 Aktionsraum Nürnberg und Fürth Zu "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken" liegen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen vor, die dem Phänomenbereich der verfassungsschutzrelevanten Islamfeindlichkeit zuzuordnen sind. "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken" veranstaltete etwa einmal pro Monat Kundgebungen und Demonstrationen in Nürnberg oder Fürth. Die Teilnehmerzahlen lagen zumeist auf niedrigem Niveau und pendelten sich zwischen 30 und 50 Personen ein. Lediglich am 11. März nahmen anlässlich des dreijährigen Bestehens 110 Personen an einer Kundgebung in Nürnberg teil. Der Versammlungsleiter von "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken", Gernot Tegetmeyer, ist langjähriger Aktivist der verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Szene in Bayern. Als Redner trat bei "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken" wiederholt Michael Stürzenberger auf. Sowohl Stürzenberger als auch Tegetmeyer diskreditierten in ihren Redebeiträgen den Islam als unvereinbar mit dem demokratischen Rechtsstaat. So setzte Stürzenberger bei der Kundgebung von "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken" am 11. März in Nürnberg die Religion des Islam mit dem Islamismus als politischem Extremismus und dem jihadistisch motivierten Terrorismus gleich: Der Islam ist wie ein Krebsgeschwür, das die noch freien Völker dieses Planeten mit dem Gift dieser frauenfeindlichen, intoleranten, gewaltbereiten und tötungsfordernden Ideologie infiziert. Und damit muss Schluss sein. Und da fangen wir in Deutschland an, machen mit Europa weiter, dann geht's nach Afrika, nach Asien. Überall, wo die Völker tyrannisiert werden. Die Christen, die Monisten, die Juden, alle Atheisten. Der Islam muss von diesem Planeten verschwinden, wenn er sich nicht von seinen gewalttätigen Bestandteilen befreit. Dafür kämpfen wir, dafür stehen wir und wir werden nicht aufhören, bis wir es geschafft haben, Freunde. (Transkription der wörtlichen Rede) 199 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Bei einer Demonstration von "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken" in Nürnberg am 20. Januar setzte Tegetmeyer den Islam mit dem Salafismus gleich und negierte die Möglichkeit moderater Auslegungen: Denn wir schaffen ein Vakuum, da ist auf einmal nix mehr da und da hinein stößt dann mit voller Wucht, stößt da eine ganz böse Macht, eine Ideologie, die ebenso gefährlich ist wie die Nazis, die ebenso gefährlich ist wie Faschismus und Sozialismus. Und diese Ideologie zieht seit 1400 Jahren eine blutige Spur über unseren Planeten. Und diese Ideologie ist jetzt dabei, Europa zu erobern. Im Moment noch ohne Waffen, weil sie es gar nicht brauchen. (...) Mir ist ein echter Salafist immer noch lieber, der sagt was Sache ist, als diese Lügner, die uns etwas vorlügen über einen angeblichen Euroislam, den es nicht gibt. (Transkription der wörtlichen Rede) 3. BÜRGERBEWEGUNG PAX EUROPA E. V. - LANDESVERBAND BAYERN (BPE BAYERN) Bei dem bayerischen Landesverband der "Bürgerbewegung PAX EUROPA e. V." (BPE Bayern) handelt es sich um eine verfassungsschutzrelevante islamfeindliche Bestrebung, die den Islam insgesamt als "vorsteinzeitliche, nazistische und frauenverachtende Ideologie" sieht. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 30. Juli 2015 die Beobachtung des bayerischen Landesverbands durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz für zulässig erklärt. Diese Entscheidung ist rechtskräftig. Im Jahr 2018 gab es in Bayern mehrere durch den Bundesverband der BPE angemeldete Veranstaltungen in Kaufbeuren, München und Regensburg. Bei BPE-Veranstaltungen traten Michael Stürzenberger und der Versammlungsleiter von "PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken", Gernot Tegetmeyer, wiederholt als Redner auf. 200 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Am 12. Mai unterstellte Stürzenberger in Regensburg bei einer BPE-Kundgebung unter dem Motto "Islamaufklärung" in seiner Rede der Religion des Islam eine verfassungsfeindliche Grundhaltung: Der Islam verletzt unser Grundgesetz, unsere Verfassung mit all seinen Bestimmungen. Und solang der Islam sich nicht davon verabschiedet, von diesen ganzen gefährlichen Bestandteilen, die elementar sind im Islam, dürfte in Deutschland keine einzige Moschee gebaut werden. Das wäre eigentlich im Sinne unseres Grundgesetzes. (Transkription der wörtlichen Rede, Fehler übernommen) BPE Bayern war auch am 19. Mai maßgeblich an einer weiteren Veranstaltung des BPE im nordrheinwestfälischen Monheim beteiligt. Dort agierte Michael Stürzenberger als Hauptredner und bezichtigte den Islam, die deutsche Gesellschaft zu bedrohen: Religionsfreiheit, wissen Sie, was das in Artikel 4 bedeutet: Jeder Mensch darf sich bekennen zu was er will. Aber die Religionsfreiheit hat dort ihre Grenzen, wo die Ausübung der Religion das Leben und die Freiheit und die Gesundheit von Anderen bedroht, und das ist im Islam der Fall. Der Islam bedroht das Leben und die Freiheit und die Gesundheit der Nicht-Moslems. (Transkription der wörtlichen Rede) Einen Bürgerentscheid am 22. Juli in Kaufbeuren über den Bau einer Moschee nutzte die BPE, um zwei Veranstaltungen vor Agitation gegen Ort durchzuführen und gegen den Bau zu agitieren. Michael Moscheebau in Stürzenberger verunglimpfte in einer Rede am 23. Juni die ReKaufbeuren ligion des Islam: Der Islam ist hauptsächlich eine politische Ideologie mit dem absoluten Wahrheitsanspruch, mit dem Anspruch nach weltlicher Herrschaft und mit einem eigenen Rechtssystem, der Scharia, die über den von Menschen gemachten Gesetzen stehen muss. (Transkription der wörtlichen Rede) 201 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Am 19. Juli setzte er im Rahmen seiner Rede den Koran in einen vermeintlich zwingenden Zusammenhang mit dem islamistischen Terrorismus: Merken Sie, liebe Kaufbeurer, in welcher Gefahr Sie sich befinden. Der Koran ist das Befehlsbuch für Terroristen. (Transkription der wörtlichen Rede) 202 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 203 Linksextremismus Linksextremismus Gesamtzahl der linksextremistischen Straftaten insgesamt auf 752 angestiegen Erneut liegt der Schwerpunkt der Taten bei Sachbeschädigungen mit Schäden von mehreren Hunderttausend Euro Linksextremistische Straftaten richten sich auch gegen einzelne Beamte in deren privatem Umfeld Landesamt für Verfassungsschutz stellt Informationsfilm und Infoflyer zum gewaltbereiten Linksextremismus vor Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremisten wollen die durch das Grundgesetz vorgegebene Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen. Je nach ideologisch-politischer Orientierung zielen Linksextremisten auf eine sozialistische bzw. kommunistische oder eine "herrschaftsfreie" Gesellschaft ab. Die linksextremistischen Vorstellungen richten sich insbesondere gegen durch das Grundgesetz garantierte Grundrechte, die parlamentarische Demokratie, die Gewaltenteilung, die Volkssouveränität, das Rechtsstaatsprinzip und den Pluralismus. Linksextremisten wollen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland abschaffen, die sie als "kapitalistisches System" diffamieren und in der sie die Wurzel des Faschismus sehen. In der linksextremistischen Szene bilden Autonome den weitaus größten Teil des gewaltbereiten Personenpotenzials. Autonome haben zwar keine gemeinsame Ideologie. Ziel aller Autonomen ist es aber, den Staat und seine Einrichtungen zu zerschlagen. Neben Sachbeschädigungen wenden Autonome auch Gewalt gegen Personen - vor allem gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten und Polizisten - an, um ihre Vorstellungen durchzusetzen. Linksextremisten besetzen auch Themen, die an sich nicht extremistisch sind. Ihr Ziel ist es dabei aber in erster Linie, ihre linksextremistischen politischen Vorstellungen zu verbreiten. Dazu arbeiten sie auch mit bürgerlich-demokratischen Organisationen zusammen. 205 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus 1. PERSONENPOTENZIAL IN BAYERN 2016 2017 2018 Parteien und Vereinigungen Partei DIE LINKE. 900 900 900 offen extremistische Strukturen DKP 340 340 340 MLPD (mit REBELL) 120 120 120 SDAJ 110 110 110 VVN-BdA 700 700 700 Sonstige 1.000 1.000 1.040 Gruppierungen Autonome 650 690 675 Summe 3.820 3.860 3.885 Mehrfachzählungen* 390 390 385 Gesamtzahl 3.430 3.470 3.500 Gewaltorientierte Personen 690 730 730 von der Gesamtzahl** Die Zahlenangaben sind geschätzt und gerundet. * Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen Zusammenschlüsse werden vom Gesamtpotenzial abgezogen. ** Dazu zählen gewalttätige, gewaltbereite, Gewalt unterstützende und Gewalt befürwortende Personen. 2. MILITANZUND GEWALTPOTENZIAL In der linksextremistischen Szene bilden Autonome den weitaus größten Teil des gewaltbereiten Personenpotenzials. Sie sind für die meisten linksextremistisch motivierten Gewalttaten verantwortlich. Ziel dieser überwiegend jungen Linksextremisten ist es, den Staat und seine Einrichtungen - auch mit Gewalt - zu zerschlagen und eine herrschaftsfreie" Gesellschaft zu errichten. Mit diffusen anarchistischen, kommunistischen und sozialrevolutionären Ideologiefragmenten schaffen sich die Autonomen einen vermeintlichen Legitimationsrahmen für ihre Militanz. Gewalttaten werden als notwendiges Mittel dargestellt, um 206 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 sich gegen die angebliche "strukturelle Gewalt" des politischen Systems zu wehren. Viele Autonome erleben die Ausübung von Massenmilitanz als sinnstiftende Erfahrung. Gewalt wird zum Ausdruck eines Lebensgefühls. Formen und Ausmaß der Gewaltanwendung sind regelmäßig Gegenstand von Diskussionen in der autonomen Szene. Das Aggressionspotenzial der autonomen Szene ist seit Jahren Konfrontative und hoch. Autonome suchen vor allem bei Demonstrationen gewaltinitialisierende same Auseinandersetzungen (konfrontative Gewalt). Gegner Gewalt, Massensind hauptsächlich tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremilitanz misten und Polizeibeamte. Linksextremisten sehen die Polizeikräfte als Repräsentanten eines vermeintlichen staatlichen "Repressionsorgans". Sie akzeptieren nicht, dass die Polizeibeamten z. B. auch bei Demonstrationen von Rechtsextremisten zur Gewährleistung des grundgesetzlich geschützten Versammlungsrechts eingesetzt werden müssen ("Deutsche Polizisten schützen Nazis und Faschisten"). Den Ablauf ihrer Aktionen machen Linksextremisten vor allem von ihrem Kräfteverhältnis gegenüber der Polizei abhängig. Dabei schließen sich vermummte Aktivisten in einheitlich schwarzer "Kampfausrüstung" häufig zu Schwarzen Blöcken zusammen, um aus diesen heraus unerkannt Gewalt ausüben zu können. Autonome nutzen aber auch Demonstrationen anderer - auch nichtextremistischer - Veranstalter, um der Veranstaltung einen militanten und aggressiven Charakter aufzuzwingen und hinter der Deckung friedlicher Demonstranten Gewalttaten zu begehen sowie andere dazu aufzustacheln (initialisierende Gewalt). Neben dieser situationsabhängigen Massenmilitanz verüben Autonome auch konspirativ geplante Straftaten wie Brandanschläge, zu denen häufig auf einschlägigen Internetportalen anonyme Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht werden. Bauanleitungen für Sprengund Brandsätze stellt die autonome Szene im Internet und in Szene-Zeitschriften wie "radikal" und "INTERIM" zur Verfügung. 2018 war in Bayern eine neue Qualität linksextremistischer Straftaten festzustellen. Straftaten richteten sich nicht mehr nur gegen die Polizei als Staatsorgan, sondern auch gegen einzelne BeÜbergriffe auf amte persönlich. So brachten im Februar Unbekannte an einem Polizeibeamte im Gebäude in München ein 25 x 1,5 m großes Graffiti an, in dem Privatleben dazu aufgerufen wurde, einen namentlich genannten Polizeibeamten "abzuknallen". Weiter hieß es: "Massakriert alle Richter und Bullen". 207 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus In Nürnberg besprühten Unbekannte im März das Wohnhaus eines Polizeibeamten mit Graffiti, mit denen sie ihm den Tod wünschten. Dieser Polizeibeamte war bereits in der Vergangenheit Opfer von linksextremistischer Gewalt geworden, als unbekannte Szeneangehörige sein privates Wohnhaus aufsuchten und beschädigten. 2.1 Linksextremistisch motivierte Brandstiftungsserie in München 2018 kam es in Bayern, insbesondere in München, zu einer Serie linksextremistisch motivierter Straftaten mit zum Teil hohen Schadenssummen. Die Straftaten richteten sich vornehmlich gegen Firmen der Bau-, Immobilienund Telekommunikationsbranche, die Deutsche Bahn, die Stadt München und staatliche Bauprojekte. Die Auswahl der Ziele verdeutlicht, dass es sich nicht um spontan verübte Straftaten handelte, sondern dass sie Bestandteil einer langfristig angelegten linksextremistischen Strategie sind. Hintergrund ist zum einen die Diskussion über steigende Mieten und Umstrukturierungsprozesse in Großstädten. Diese soStraftaten gegen genannte Gentrifizierung nutzen autonome Linksextremisten als Gentrifizierung Vorwand, um unter dem Stichwort "Antigentrifizierung" Straftaten zu verüben. Unternehmen der Bauund Immobilienbranche werden von der linksextremistischen Szene als "Profiteure" der Gentrifizierung angesehen und deshalb attackiert: Am 7. Januar wurde in München nachts ein Fahrzeug einer auf dem Wohnungsmarkt tätigen Firma vorsätzlich in Brand gesetzt. Das Feuer griff auf ein davor geparktes Fahrzeug über. Der Sachschaden betrug insgesamt über 10.000 Euro. Unbekannte Täter zündeten am 28. Januar in München ein Fahrzeug einer Immobilienfirma an. Der Sachschaden belief sich hier auf 25.000 Euro. Am 1. Februar setzten unbekannte Täter einen Kettenbagger auf einer Baustelle in München in Brand und verursachten dadurch einen Sachschaden von rund 280.000 Euro. Am 15. März wurde ein Pkw einer Immobilienfirma mittels eines Grillanzünders in München in Brand gesetzt. Der Sachschaden belief sich auf 10.000 Euro. 208 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Zum anderen versuchen Autonome, jegliche Form des rechtsstaatlichen Handelns unter dem Begriff "Antirepression" zu diskreditieren. Seit dem Baubeginn 2015 richteten sich viele StrafStraftaten gegen taten sowohl unmittelbar als auch mittelbar gegen den Bau des staatliche Strafjustizzentrums in München. Der dadurch entstandene Sach"Repression" schaden liegt mittlerweile bei über 350.000 Euro. Am 2. Januar wurde in München ein Firmenfahrzeug eines am Bau beteiligten Bauunternehmens in Brand gesetzt. Der Pkw brannte völlig aus, durch die Hitzeentwicklung wurden auch umliegende Fahrzeuge beschädigt. In einer Veröffentlichung auf der linksextremistischen Internetplattform Indymedia vom 12. Januar wurde die Brandstiftung begrüßt und mit der Beteiligung des betroffenen Unternehmens an "Knastbauprojekten" gerechtfertigt. Der Lagerraum eines Münchner Kulturzentrums wurde am 23. Mai von unbekannten Tätern in Brand gesetzt. Ein durch die Hitzeentwicklung gebrochenes Wasserrohr verhinderte ein Ausbreiten der Flammen und somit größeren Schaden. Am 2. und am 18. Juli wurden in München zwei Fahrzeuge einer Telekommunikationsfirma mittels Brandbeschleuniger angezündet. Auf der linksextremistischen Internetplattform "Indymedia. org" wurde dem Unternehmen vorgeworfen, dieses würde durch das Entwickeln und Bereitstellen von Informations-, Kommunikationsund Überwachungstechnologie die Polizei, Militär und Sicherheitsbehörden unterstützen. Den Einsatz moderner Telekommunikationsmittel u. a. zur Aufklärung von linksextremistischen Straftaten, z. B. anlässlich der G20 Krawalle, nimmt die Szene als Rechtfertigung, um gegen die Unternehmen der Kommunikationsmittelbranche vorzugehen. Am 24. April wurde in München ein Brand an einer E-Lok gelegt. In einem Bekennerschreiben warfen die Täter der Herstellerfirma vor, die E-Lok für Panzertransporte der türkischen Armee in Syrien produziert zu haben. Am 1. Juni wurden Brände an einem Kleintransporter und einem Mini-Radlader der Deutschen Bahn gelegt. An beiden Fahrzeugen entstand Totalschaden. Wegen ihres Einsatzes als Logistikpartner der NATO war die Deutsche Bahn bereits mehrfach Ziel linksextremistisch motivierter Straftaten. Am 24. Mai warfen Unbekannte vier Molotow-Cocktails auf Fahrzeuge der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), die im Innenhof eines Umspannwerks abgestellt waren. Die Täter verfehlten ihr Ziel, so dass es nur zu Rußschäden an dem angrenzenden Gebäude des Umspannwerks kam. Sie hinterließen ein Graffito "Fuck SWM! NO smart city!" an der Wand einer angrenzenden 209 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Moschee. "Smart City" ist ein Projekt der Stadt München, der Stadtwerke (SWM) und der MVG, München umweltfreundlicher und vor allem den öffentlichen Nahverkehr intelligenter zu gestalten. Linksextremisten sehen in der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung vor allem eines: ein Instrument zur angeblichen totalen Kontrolle durch die sog. Herrschenden. 2.2 Linksextremistische Aktionen gegen Parteien Im Jahr 2018 bewegte sich die Zahl linksextremistisch motivierter Aktionen gegen politische Parteien weiterhin auf hohem Niveau. Linksextremisten verstehen diese als Teil des "antifaschistischen Kampfs", der sich gegen jeden Gegner richtet, dem Linksextremisten Rassismus bzw. Faschismus attestieren. Im Kontext der Flüchtlingsdebatte dient ihnen der Einsatz für Asylsuchende als Vorwand und Rechtfertigung für ihre mitunter gewalttätigen Aktionen, die sie als legitime Gegenmaßnahmen darzustellen versuchen. Mit ihren Aktionen versuchen sie, Aktivitäten und Veranstaltungen der von ihnen als rassistisch diffamierten Parteien zu behindern bzw. zu verhindern. Besonders im Fokus linksextremistischer Aktivitäten steht dabei die AfD, die von der linksextremistischen Szene als politisches Hauptfeindbild wahrgenommen wird. Mit dem AfD-Landesparteitag am 9. Juni in Nürnberg und dem AfD-Bundesparteitag am 30. Juni und 1. Juli in Augsburg gab es Kampagnen "Natio2018 zwei zentrale Veranstaltungen der AfD in Bayern, die von nalismus ist keine Linksextremisten zum Anlass genommen wurden, um zum Teil Alternative" und gewalttätige Aktionen durchzuführen. Vor Beginn der AfD-Partei"Widerständiges tage gab es zum Teil martialische Aufrufe der autonomen Szene, Bayern" die Veranstaltungen "zum Desaster zu machen". Die in diesem Zusammenhang von autonomen Linksextremisten gegründeten Kampagnen "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) und "Widerständiges Bayern" zielten darauf ab, über das eigene Kernspektrum hinaus junge Leute anzusprechen und zu politisieren. Bei den Kampagnen handelt es sich nicht um eigenständige Gruppierungen, sondern um linksextremistische "Mitmachinitiativen", bei der sich Personen unabhängig von einer Organisationszugehörigkeit unter einem einheitlichen Identifikationsbegriff beteiligen können. 210 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Gegen den Landesparteitag der AfD in der Nürnberger MeisterÜbergriffe und singerhalle demonstrierten bis zu 450 Personen, darunter über Festnahmen bei 200 Autonome. Landesparteitag der AfD Demonstranten versuchten immer wieder, mit Transparenten auf das Gelände zu gelangen und so den Protest in Sichtund Hörweite der AfD zu tragen. Einer Demonstrantin gelang es, in die Meistersingerhalle einzudringen und im Saal aus einer mitgebrachten Flasche Buttersäure unter den Parteitagsteilnehmern zu versprühen. Der Gestank sollte die Fortsetzung des Parteitags verhindern. Zum Buttersäure-Anschlag auf dem AfD-Landesparteitag wurde auf der linksextremistischen Internetseite Indymedia ein Bekennerschreiben eines "spontanen Aktionskollektivs partycrashen" veröffentlicht. Bei Demonstrationen gegen den Landesparteitag, die von linksextremistischen Organisationen wie der "Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend" (SDAJ) und dem "Antifaschistischen Aktionsbündnis Nürnberg" (AAB) veranstaltet wurden, kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen gewaltorientierter autonomer Linksextremisten mit der Polizei. Zwei Personen wurden wegen versuchter und vollendeter gefährlicher Körperverletzung (Flaschenwurf und Fahnenstich) festgenommen. Im Vorfeld des Bundesparteitags der AfD in Augsburg veröffentlichten Linksextremisten unter dem Titel "Augsburg für Krawalltouristen" eine Anleitung für Sabotageaktionen, die in ihrer Agitation gegen AfD Aufmachung einem Reiseführer gleicht. Auf einer Karte haben die Bundesparteitag in Autoren Wohnorte von 900 Teilnehmern vergangener AfD-ParteiAugsburg tage markiert, um auf dieser Basis die Planung von Angriffen und sonstigen Aktionen bei der Anreise zu ermöglichen. Des Weiteren wurden die Anschriften wichtiger Hotels aufgelistet. Als "Sehenswürdigkeiten" dezentralen Protests in Augsburg Reiseführer mit wurden die örtlichen Büroadressen von CSU und SPD sowie die Anschlagszielen Anschrift des Kreisvorsitzenden der Bayernpartei genannt. Als weitere Angriffsziele waren Polizeiwachen, Verwaltungsund Justizbehörden, Bundeswehreinrichtungen, Burschenschaften sowie Kriegerdenkmäler und die Anschriften angeblicher Kollaborateure (Veranstaltungsorte von CSUund AfD-Treffen) aufgeführt. Auf einer Übersichtskarte des Augsburger Messegeländes war eigens der Stromverteilerkasten hervorgehoben. 211 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Der "Reiseführer" enthielt auch Vorschläge für konkrete Aktionsformen. Empfohlen wurden u. a. Wurfgeschosse, gefüllt mit Dispersionsfarbe, Lacken oder Bitumen, Farbballons, Farbbeutel und Farbflaschen. Für die Zerstörung von Glasscheiben empfahlen die Autoren Pflastersteine oder spitze Zimmermannshämmer. Straßenblockaden seien sehr geeignet, um z. B. die Anreise zum AfD-Parteitag zu blockieren oder auch als Schutz für andere Aktionen. Dafür könnten brennende Autoreifen und Nagelbretter nützlich sein. Die Vorschläge endeten mit Tipps zum richtigen Anzünden von Kraftfahrzeugen mittels Grillanzünder. Abschließend folgt eine Auflistung wichtiger bundesweiter Adressen der AfD. Die Anleitung, deren Urheber vermutlich aus Augsburg stammen, wurde auf der linksextremistischen Internetseite Indymedia bereits Ende April thematisiert und in der gewaltbereiten linksextremistischen Szene verbreitet. Im Rahmen der Kampagne "Augsburg für Krawalltouristen" wurde auch ein siebeneinhalbminütiges Mobilisierungsvideo für die "Proteste gegen das Kollektiv der Deutschen" veröffentlicht. Darin wurde unter anderem gezeigt, wie Farbanschläge durchgeführt, Barrikaden errichtet und Polizeifahrzeuge mit Grillanzündern angezündet werden. Die angedrohten Straftaten blieben weitgehend aus. Eine Sachbeschädigung an einem Augsburger Kriegerdenkmal wurde jedoch von unbekannten Tätern in einem "Bekennerschreiben" in einen Zusammenhang mit der Kampagne gestellt: Am 23. Juni wurde das Kriegerdenkmal auf dem protestantischen Friedhof in Augsburg, wo der Gefallenen und Opfer des Zweiten Weltkriegs gedacht wird, mit dem Schriftzug "FCK NZS" beschmiert. In dem Bekennerschreiben wurden weitere Kriegerdenkmäler als geeignete "Angriffsziele" genannt. Unter dem Motto "Wir sind Friedensstadt - für ein weltoffenes und friedliches Augsburg" demonstrierten rund 2.000 Teilnehmer gegen den Bundesparteitag der AfD. Unter den Demonstranten befanden sich etwa 300 autonome Linksextremisten und weitere 300 Angehörige des linksextremistischen orthodoxen Spektrums, die mit Fahnen und Transparenten in eigenen Marschblöcken auftraten. Gegenüber Polizeibeamten skandierten Linksextremisten während der Demonstration die Parole "Alle Bullen sind Schweine". 212 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Unmittelbar vor Beginn der Protestveranstaltungen gegen den AfD-Bundesparteitag in Augsburg konnte die Polizei etwa 800 Meter vor dem Messeareal, auf dem der AfD-Parteitag stattfand, zwei Rauchbomben in einem Streukasten sicherstellen. Um den AfD-Delegierten den Zugang zur Messehalle zu ermöglichen, musste die Polizei zum Teil unmittelbaren Zwang anwenden. Etwa 50 Demonstranten versuchten, Absperrungen zu übersteigen. Dies konnte von der Polizei verhindert werden. Ebenso wurde der Versuch von etwa 200 Personen des linksextremistischen Spektrums, eine Kreuzung in der Nähe der Messe zu blockieren, frühzeitig unterbunden. Vor dem Privathaus eines AfD-Mitglieds hielt sich kurzfristig eine Gruppe von etwa 20 schwarz gekleideten, autonomen Linksextremisten auf, die den Schriftzug "Keine Ruhe den rechten Hetzern" hinterließen. Auf der Abschlusskundgebung am Rathausplatz wurde der Augsburger Oberbürgermeister mit Eiern, Tomaten und einer Wasserflasche beworfen, aber nicht getroffen. Die Wurfgeschosse kamen aus einer Gruppe von 50 Antifa-Aktivisten. Anschließend wurden die vor der Tribüne postierten Polizeibeamten mit Pyrotechnik attackiert. Zur Strategie von Linksextremisten gegen Veranstaltungen der Strategie der AfD gehört es auch, gegen Gaststätten und Hotels, die der AfD Einschüchterung Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, Straftaten zu verüben: Am 30. Januar wurde eine Augsburger Gaststätte an der Vorderwand mit der Aufschrift "Hier feiern Nazis" beschmiert. In den Räumen des Lokals hatte im Oktober 2017 eine Wahlparty der AfD stattgefunden. Am 24. März besprühten Unbekannte dieselbe Gaststätte ein weiteres Mal mit den Parolen "Sexisten" und "Fuck Nazis". In Altötting wurde am 28. Februar die Außenfassade einer Gaststätte, in der kurz zuvor eine AfD-Veranstaltung stattgefunden hatte, von Linksextremisten mit Farbbehältern beworfen. Die Täter besprühten die Wand mit "FCK AfD" und dem Anarchozeichen. 213 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Am 10. Juni wurden die Außenwände und der Gehweg vor einem Münchner Lokal, in dem sich regelmäßig AfD-Mitglieder trafen, mit den Parolen "Rassisten angreifen", "FCK AFD" und "NAZIS RAUS" beschmiert. Zusätzlich wurde die Scheibe eines Schaukastens vor dem Lokal eingeschlagen. In der Nacht zum 23. Juni brachten Unbekannte mehrere Graffiti "FCK AFD", "No Nazis" an der Stadthalle in Maxhütte-Haidhof an. Dort fand am Folgetag eine Wahlkampfveranstaltung der AfD statt. Übergriffe auf andere Neben der AfD waren auch Personen, Objekte und VeranstaltunParteien gen anderer Parteien Ziel linksextremistischer Aktionen: Am 7. Februar beschimpfte ein Mann aus dem linksextremistischen Spektrum die Teilnehmer an einem CSU-Infostand in Nürnberg und überschüttete diese mit einem Eimer weißer Farbe. In der Nacht zum 22. April wurde die Fassade der Nürnberger CSU-Geschäftsstelle mit weißer Farbe beschmiert. Am 17. März beschmierten unbekannte Personen aus der linksextremistischen Szene ein Bürgerbüro der SPD in München mit Parolen und warfen dann am 25. Mai dort die Scheiben ein. Auf einer der linksextremistischen Szene zurechenbaren Internetseite wurde ein Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht, in dem sich die Täter als "radikale Linke" bezeichneten und die Verantwortung für die Tat übernahmen. Am 17. Mai beschädigten Unbekannte einen Kleintransporter der CSU in Neuried und beschmierten ihn mit Parolen wie "CSU Sucks" oder "FCK CSU". 2.3 Aufarbeitung G20-Gipfel 2017 Die polizeiliche Aufarbeitung des G20-Gipfels 2017 in Hamburg wurde 2018 federführend durch die Sonderkommission "Schwarzer Block" fortgeführt. Die Sonderkommission wurde zum 30.09.2018 aufgelöst und die Ermittlungen werden von einer Ermittlungsgruppe des LKA Hamburg zu Ende geführt. Nach intensiven Ermittlungen und Auswertung von umfangreichem Bildmaterial konnte die Polizei u. a. mit Hilfe einer europaweiten Öffentlichkeitsfahndung viele verdächtige Straftäter identifizieren. 214 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Bis August 2018 leitete die Soko "Schwarzer Block" über 3.400 Ermittlungsverfahren ein, 726 davon gegen 841 namentlich bekannte Beschuldigte. 18 Beschuldigte stammen aus Bayern. Diese müssen sich u.a. wegen besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung, Nötigung, gefährlichen Eingriffs in den Schiffsverkehr oder Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz verantworten. In 248 Fällen wurde Anklage erhoben, 71 Strafbefehle wurden beantragt, 118 Urteile wurden gesprochen. In 9 Fällen wurden die Täter zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung verurteilt. So wurde ein zur Tatzeit 29 Jahre alter Hamburger, der in mehreren Fällen mit Steinwürfen Polizeibeamte verletzte, zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten rechtskräftig verurteilt. Zudem gab es 51 Bewährungsstrafen. Am 7. und 8. Juli 2017 fand in Hamburg das jährliche Treffen der Staatsund Regierungschefs der "Gruppe der 20 wichtigsten Industrieund Schwellenländer der Welt" (G20) statt. Die linksextremistische Szene hatte monatelang mit großer Intensität für Aktionen gegen den Gipfel mobilisiert. An den Protesten gegen den Gipfel nahmen dann mehrere zehntausend Personen teil, darunter Linksextremisten aus Deutschland, Griechenland, Italien, Spanien und skandinavischen Ländern. Es kam zu massiven Angriffen auf Polizeibeamte, zudem wurden in mehreren Stadtvierteln Hamburgs Brandstiftungen und Sachbeschädigungen begangen sowie brennende Barrikaden errichtet. Im Schanzenviertel wurden Geschäfte geplündert. Gegen Polizeibeamte gingen autonome Gewalttäter mit Molotowcocktails und Wurfgeschossen vor. Vom 22. Juni bis 10 Juli 2017 wurden insgesamt mehrere Hundert Polizisten verletzt. 76 von ihnen waren aus Bayern. Die Polizei nahm eine Vielzahl von Personen vorläufig fest oder in Gewahrsam. Das Ausmaß der durch die gewalttätigen Linksextremisten verursachten Schäden beläuft sich Schätzungen zufolge auf mehrere Millionen Euro. 215 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus 2.4 Strafund Gewalttaten Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" Politisch motivierte Gewaltdelikte 2016 2017 2018 Körperverletzung 50 33 19 Widerstandsdelikte 16 9 9 Landfriedensbruch 0 4 2 Brandund Sprengstoffdelikte 4 8 14 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 0 Raub 1 0 1 Gef. Eingriff in Bahn-, Schiffsund 1 0 1 Luftverkehr gesamt 72 54 46 Terrorismus 0 0 0 Sonstige Straftaten Nötigung/Bedrohung 22 5 5 Sachbeschädigungen 380 439 541 Sonstige Straftaten 101 116 160* gesamt 503 560 706 Straftaten insgesamt 575 614 752 * davon 34 Propagandadelikte und 1 Volksverhetzungsdelikt Die Gesamtzahl linksextremistischer Straftaten in Bayern hat in 2018 erneut einen Höchststand erreicht. Während im Jahr 2017 noch 614 Straftaten zu verzeichnen waren, wurden in 2018 insgesamt 752 Straftaten gezählt. Hauptursächlich für den Anstieg ist die deutliche Steigerung bei den Sachbeschädigungsdelikten um rd. 100 Fälle. Ursachlich hierfür dürften vor allem die Wahlen in Bayern gewesen sein. 216 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Demgegenüber war die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten in Bayern in 2018 mit nunmehr 46 Delikten gegenüber dem Vorjahr mit 54 Fällen erneut rückläufig. Darunter waren allerdings 14 Brandund Sprengstoffdelikte. Im Vergleich zum Vorjahr mit 8 Brandund Sprengstoffdelikten ist somit nahezu eine Verdoppelung eingetreten. Die Mehrzahl dieser Delikte wurde im Großraum München begangen. Am 9. Juni fand in Nürnberg der AfD-Landesparteitag statt. Hierzu gab es mehrere Gegenveranstaltungen in räumlicher Nähe. Bei einer dieser Demonstrationen schlug ein Angehöriger der dem autonomen Spektrum angehörenden "Revolutionär organisierten Jugendaktion" (ROJA) mit einer mitgeführten Fahnenstange auf einen Polizeibeamten ein und hantierte anschließend Gewalt gegen mehrmals drohend mit der Fahne in dessen Richtung. Polizeibeamte Im Rahmen der Schlusskundgebung zum Thema "NoPAG" am 3. Oktober auf dem Odeonsplatz in München kam es zu einer versuchten gefährlichen Körperverletzung und Beleidigung zum Nachteil zweier Polizeibeamter. Der Täter stieg während der Schlusskundgebung auf ein Bushaltestellenhäuschen und entrollte eine an einem Holzstock befestigte "Antifa-Fahne". Der Mann wurde daraufhin von den eingesetzten Beamten angesprochen und zum Verlassen der Bushaltestelle aufgefordert. Der Tatverdächtige schlug mit dem Fahnenstock in Richtung Kopf eines der Beamten. Anschließend beleidigte er diesen und einen weiteren Beamten. Am 21. Dezember bemerkten Mitarbeiter aus einem nahegeBrandstiftungsserie legenen Motel in München-Giesing einen brennenden Kleinin München transporter. Beim Eintreffen von Feuerwehr und Polizei stand das Fahrzeug einer Immobilienfirma in Flammen. Der Transporter sowie ein daneben geparkter Pkw wurden trotz sofortiger Brandbekämpfung total zerstört und ein weiterer Pkw, der auf der anderen Seite stand, erheblich beschädigt. Der Gesamtschaden beläuft sich nach Schätzungen der Feuerwehr auf ca. 35.000 Euro. 217 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus 2.5 Präventionsmaßnahmen des Verfassungsschutzes Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat einen Informationsfilm und einen Flyer herausgegeben, die über die Ziele und Vorgehensweisen autonomer Linksextremisten aufklären und insbesondere junge Menschen für deren Anwerbestrategien sensibilisieren sollen. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz will mit dem Informationsfilm "Lass dich nicht verarschen - diesmal von autonomen Linksextremisten" eine differenzierte Sichtweise über die gewaltbereite autonome Szene vermitteln und Nutzerinnen und Nutzern 10 Tipps an die Hand geben, wie sie durch umsichtiges Verhalten vermeiden können, selbst in die Fänge von Linksextremisten zu geraten. Der Film ist zugleich der zweite Teil einer auf insgesamt sechs Teile anAUTONOME - gelegten Filmreihe des BayLfV unter dem Titel "10 Tipps wie du LINKSEXTREMISTISCHE GEWALTTÄTER ODER dich nicht verarschen lässt". Thema des ersten Films war: "Von SELBSTERNANNTE FREIHEITSKÄMPFER? Extremisten, Spionen und Trollen in Social Media". Informationen zu autonomen Linksextremisten Mit dem Flyer "Autonome - Linksextremistische Gewalttäter oder selbsternannte Freiheitskämpfer" vermittelt das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz weitergehende Informationen über die Gewaltbereitschaft der linksautonomen Szene. Insbesondere klärt der Flyer darüber auf, in welchen Bereichen www.verfassungsschutz.bayern.de Autonome aktiv sind, wie sie ihren Nachwuchs rekrutieren und welche Hinweise es für eine beginnende Radikalisierung gibt. Der Film des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz kann auf dem YouTube-Kanal der Bayerischen Staatsregierung unter www.youtube.com/user/bayern abgerufen werden. Der Flyer ist abrufund bestellbar über das Publikationsportal der Bayerischen Staatsregierung unter www.bestellen.bayern.de. 218 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 3. IDEOLOGISCHE WURZELN DES LINKSEXTREMISMUS Ideologisch greifen die zwei Hauptströmungen des Linksextremismus, der Kommunismus und der Anarchismus, im Wesentlichen auf den französischen Ökonomen und Soziologen Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865) zurück. Proudhon stellte im Kontext der Ausbeutung der Arbeiterschaft während der industriellen Revolution 1840 in seinem gleichnamigen Werk die Frage: "Was ist Eigentum?". Seine Antwort auf die Frage ist noch heute weltbekannt: "Eigentum ist Diebstahl." Proudhons Ziel war eine herrschaftsfreie, dezentral organisierte Gesellschaft, in der jeder nur das besitzt, was er durch eigene oder kollektive Arbeit hergestellt oder durch Tausch erworben hat. Die Lehren von Karl Marx und Michail Bakunin, den Vordenkern des Marxismus bzw. des Anarchismus, wurden maßgeblich durch die Ideen Proudhons beeinflusst. Marxismus Die Lehren von Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) sind die ideologische Grundlage für das Denken und Handeln der meisten Linksextremisten. Das gesamte politische, geistige und kulturelle Leben einer Gesellschaft wird demnach durch die ökonomischen Strukturen und Verhältnisse bestimmt. Die marxistische Lehre ist sowohl wissenschaftliche Theorie als auch praktisch-politische Handlungsanleitung für die Revolution. Ihr zufolge vollzieht sich die Menschheitsgeschichte in gesetzmäßigen Entwicklungsstufen. Dem Endziel der geschichtlichen Entwicklung, der kommunistischen klassenlosen Gesellschaft, geht die revolutionäre Überwindung des kapitalistischen Systems voraus. Im Kapitalismus stehen sich die ausbeutende Klasse der bürgerlichen Kapitalisten - die Eigentümer an den Produktionsmitteln - und die ausgebeutete Klasse der Arbeiterschaft - die sog. Proletarier - gegenüber. Der durch die Arbeiterschaft geschaffene Mehrwert eines erstellten Produktes geht nach der marxistischen Lehre in den Besitz der Kapitalisten über und führt so zu Lohndruck, einer Verarmung und schließlich Verelendung des Proletariats. Die Folgen sind Klassenkämpfe, die in eine Revolution und schließlich in die Diktatur des Proletariats münden mit dem Endziel einer kommunistischen Gesellschaft. Das Menschenbild des Marxismus ist ein grundsätzlich anderes als das freiheitlicher Demokratien. Im Mittelpunkt steht nicht das Individuum mit seinen garantierten Rechten, sondern die Arbeiterklasse. Nach dieser Sichtweise ist es zulässig, Grundund 219 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Menschenrechte zugunsten des sozialistischen Kollektivs und einer kommunistischen Zielsetzung zu relativieren oder gar außer Kraft zu setzen. Marxismus-Leninismus Der Marxismus-Leninismus war die offizielle Weltanschauung der früheren Sowjetunion. Er basiert auf den Lehren von Marx und Engels (Marxismus), die von Wladimir I. Lenin (1870-1924) zur Staatsdoktrin der Sowjetunion und für den von ihm propagierten internationalen Klassenkampf weiterentwickelt wurden. Auch nach marxistisch-leninistischer Auffassung muss der Kapitalismus bekämpft werden. Das höchste Stadium des Kapitalismus sah Lenin im sog. Imperialismus. Demnach trachte der Kapitalismus in ausbeuterischer Weise danach, seinen Machtund Einflussbereich auf andere Staaten auszudehnen, was zwangsläufig zu Kriegen führt. Dem Kapitalismus müsse also eine neue Gesellschaft folgen: der Sozialismus. Den Sozialismus sah Lenin wiederum als Vorstufe des Kommunismus. Der Marxismus-Leninismus führt zwangsläufig zu einer revolutionären Umwälzung. Allerdings verfügt die Arbeiterklasse nach Lenin nicht über das notwendige politisch-revolutionäre Bewusstsein. Dieses müsse durch eine Kaderpartei aus Berufsrevolutionären (Avantgardeanspruch der kommunistischen Partei) vermittelt werden. In dieser Partei sind gemäß dem Grundsatz des "demokratischen Zentralismus" keine abweichenden Meinungen zu Parteibeschlüssen durch Fraktionen oder innerparteiliche Strömungen erlaubt. Für marxistisch-leninistische Kaderparteien wie die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) spielt der Marxismus-Leninismus eine große, für offen extremistische Strukturen innerhalb der Partei "DIE LINKE." zumindest eine prägende Rolle. Stalinismus Stalinismus ist Josef W. Stalins (1878-1953) theoretische Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus zum diktatorischbürokratischen Herrschaftssystem der Sowjetunion. Entgegen der marxistischen Annahme, dass zum Sieg des Proletariats über das Bürgertum ("Bourgeoisie") eine gemeinsame Revolution der Proletarier aller Länder notwendig sei, ging Stalin davon aus, dass der Sozialismus unter der Führung der Sowjetunion vorbildhaft zuerst dort realisiert werden müsse. Mit dem von Stalin betriebenen Aufund Umbau der Sowjetunion zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung wurden u. a. die "stalinistischen Säuberungen" legitimiert, denen Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. 220 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 In Deutschland berufen sich die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) und der "Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD" (AB) auch auf die Ideen Stalins. Trotzkismus Das auf Leo Trotzki (1879-1940) zurückgehende Modell des Sozialismus ist keine in sich geschlossene eigenständige Lehre, sondern eine Abwandlung des Marxismus-Leninismus. Sie entstand vor allem aus der Opposition von Trotzki zu Stalin. Wesentliche Elemente sind die Theorie der "permanenten Revolution", der Glaube an die Weltrevolution (im Unterschied zu Stalins "Sozialismus in einem Land"), das Ziel der Errichtung einer "Diktatur des Proletariats" in Form einer Rätedemokratie und das Festhalten am "proletarischen Internationalismus". Die charakteristische Strategie trotzkistischer Vereinigungen ist der Entrismus, d. h., sie versuchen, gezielt in andere Organisationen einzudringen und Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. So findet ihre eigene Ideologie Verbreitung über die unterwanderte Organisation. Maoismus Unter der Führung von Mao Tse-tung (1893-1976) wurde in China nach dem kommunistischen Sieg 1949 der Marxismus-Leninismus in einer von Sowjetrussland abweichenden Weise interpretiert und als kommunistische Ideologie weiterentwickelt. Der Maoismus sieht in China die ländliche Bevölkerung und nicht die städtische Arbeiterschaft als Träger des politischen Umsturzes. Die Weltrevolution sollte in einem Land der Dritten Welt durch einen Guerillakrieg bäuerlicher Partisanen ausgelöst werden. In einer Serie politischer Kampagnen ("Kulturrevolution") versuchte Mao Tse-tung, die chinesische Gesellschaft zu den revolutionären Zielen der Partei zu erziehen. Der ideologische Terror und die damit verbundenen "Säuberungsaktionen" forderten Millionen Tote. Die Ideen Maos waren Vorbild für große Teile der 1968erBewegung, vor allem der in Westeuropa entstandenen "Neuen Linken" (sog. K-Gruppen). Heute bekennt sich lediglich die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) öffentlich zu Mao Tse-tung. 221 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Anarchismus Rechtsstaat als Zum Anarchismus werden Ordnungsvorstellungen und BestreFeindbild bungen gerechnet, die auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen abzielen. Das Feindbild aller, im Detail unterschiedlich ausgerichteter, anarchistischer Strömungen ist der Staat. Er gilt im anarchistischen Verständnis als repressive Zwangsinstanz, die zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft aufgelöst und zerschlagen werden müsse. Einer der bekanntesten Vordenker des Anarchismus ist Michail Alexandrowitsch Bakunin (1814-1876), ein russischer Revolutionär und Anarchist, der in Westeuropa lebte und von dort aus weltweit wirkte. Bakunin strebte nach einer herrschaftsfreien, dezentral organisierten Gesellschaft. Zur Umsetzung seiner Ideale setzte er auf gewaltsame Revolutionen. Aus den Ideen Bakunins entwickelte sich Ende des 19. Jahrhundert der sog. "Anarcho-Syndikalismus", ein System, in dem Gewerkschaften die Arbeiterschaft unabhängig von Staat oder Industriellen dezentral verwalten. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs, der kommunistischen Revolution in Russland, dem Aufstieg des Faschismus in Italien und während des Zweiten Weltkriegs verlor der Anarchismus zunehmend an Bedeutung. Einen zwischenzeitlichen Aufschwung erlebte er im Rahmen der "68er"-Studentenbewegung, die sich in ihrer Forderung nach totaler Freiheit auch auf den Anarchismus berief. Gegenwärtig bestehen nur wenige anarchistische Kleinorganisationen in Bayern wie die "Anarchistische Gruppe München" oder "Auf der Suche". 4. LINKSEXTREMISTISCHE THEMENFELDER Um ihre politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen durchzusetzen, engagieren sich Linksextremisten in verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Themenfeldern. Im Linksextremismus stehen antifaschistische Aktivitäten im Vordergrund. Neben der Bekämpfung des Rechtsextremismus nutzen Linksextremisten auch andere gesellschaftliche Reizthemen, um innerhalb bürgerlich-demokratischer Protestbewegungen neue Anhänger zu finden. Dabei greifen sie häufig sozialpolitische Themen auf und deuten diese im Sinne ihres eigenen linksextremistischen Verständnisses um. 222 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Typische Aktionsfelder der Linksextremisten sind: - Antifaschismus und Antirassismus - Antirepression - Antigentrifizierung - Antikapitalismus - Antimilitarismus - Antiimperialismus - Antiglobalisierung - Antiatomkraft Die wichtigsten waren im Jahr 2018 Antifaschismus/Antirassismus, Antirepression, Antigentrifizierung, Antikapitalismus und Antimilitarismus. Antifaschismus und Antirassismus Linksextremisten nutzen den breiten gesellschaftlichen Konsens gegen den Rechtsextremismus für ihre politischen Ziele, die weit über die Bekämpfung des Rechtsextremismus hinausAblehnung der reichen. Antifaschismus im linksextremistischen Sinn beinhaltet parlamentarischen auch die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie. Demokratie Ursprünglich bezog sich der Begriff Antifaschismus auf die inneritalienische Opposition gegen die Herrschaft Mussolinis. Die Wurzeln des deutschen Antifaschismus liegen im Widerstand gegen die Diktatur des Dritten Reichs. Neben dem bürgerlichliberal geprägten Antifaschismus, der für die Erhaltung bzw. Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintrat, entwickelte sich ein kommunistisch orientierter, als linksextremistisch einzustufender Antifaschismus. Der linksextremistische Antifaschismus wertet alle nicht marxistischen Systeme als potenziell faschistisch oder als eine Vorstufe zum Faschismus. Linksextremisten sehen also die eigentliche Ursache von Faschismus, Rassismus und Rechtsextremismus in einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung, die auf Kapitalismus, Parlamentarismus und Rechtsstaatsprinzipien aufbaut. Der Antirassismus, der insbesondere im Zusammenhang mit der Asylthematik einen linksextremistischen Agitationsschwerpunkt bildet, steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Antifaschismus und dem Antikapitalismus. Linksextremisten sehen marktwirtschaftlich verfasste Staaten als Systeme, die zwangsläufig Rassismus hervorrufen und legitimieren. Gewaltorientierte linksextremistische Autonome nutzen den Antifaschismus seit Jahren zur Mobilisierung ihrer Anhänger und zur Legitimierung ihrer militanten Aktionen gegen Staat und 223 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Polizei mit dem Argument, diese schützten Rechtsextremisten. Dabei suchen Autonome auch den Schulterschluss mit demokratischen Bündnissen und Initiativen. Linksextremistische Parteien und Organisationen streben über eine gezielte Einflussnahme die Übernahme von Leitungsund Steuerungsfunktionen in antifaschistischen Initiativen an. Der Kampf gegen Hitler und die Verfolgung von Kommunisten zur Zeit des deutschen Nationalsozialismus dienen aus der kommunistischen Bewegung entstandenen Organisationen als Legitimation für ihren Führungsanspruch im antifaschistischen Spektrum. Antifaschismus ist nicht generell linksextremistisch. Es kommt vielmehr darauf an, was die jeweiligen Antifaschisten konkret unter "Faschismus" verstehen und welche Forderungen sich aus ihrem Selbstverständnis als "Antifaschisten" ergeben. Die zentrale Frage dabei lautet: Richtet sich die Ablehnung nur gegen Rechtsextremismus, oder richtet sich die Ablehnung gegen die Normen und Regeln eines demokratischen Verfassungsstaats? Linksextremistische Antifaschisten verschickten am 17. September eine E-Mail an mehrere mit Flüchtlingsangelegenheiten betraute Organisationen und Medienvertreter. Darin schreiben sie, dass sie gegen alle, die sich am Aufbau und Betrieb KZ-ähnlicher Bedrohung von Strukturen, sog. ANKER-ZENTREN beteiligen, vorgehen werden: Ankerzentren Wir werden mit allen Mitteln, die wir haben, gegen verantwortliche Personen, Gebäude, Fahrzeuge usw. vorgehen. Wir werden Ihre Privatund Firmenautos abfackeln, Ihre Standorte entglasen, wir werden Sie öffentlich bloßstellen. Wir werden Ihre Unternehmen oder Ihre Organisation in den Ruin treiben und Verantwortliche in die soziale Isolation. Antirepression Mit dem Begriff der "Repression" versuchen Autonome, jegliche Form rechtsstaatlichen Handelns, wie z. B. die Durchsetzung geltender Gesetze, zu diskreditieren. Dies gilt insbesondere für die staatliche Überwachung und Strafverfolgung linksextremistischer Aktionen. So lehnen Autonome polizeiliche Maßnahmen gegen linksextremistische Gewalttäter ab und versuchen, mit Solidaritätskampagnen eine breite Öffentlichkeit in ihrem Sinne gegen rechtsstaatliches Handeln zu beeinflussen. Gleichzeitig mobilisieren sie damit die linksextremistische Szene und rechtfertigen ihr militantes Vorgehen. 224 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Prägendes Ereignis der linksextremistischen Aktivitäten zum Thema Antirepression waren im Jahr 2018 die Proteste gegen die Novellierung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG). Dem am 20. April in München gegründeten "#noPAG-Bündnis" traten - neben vielen Gruppierungen des bürgerlichen Spektrums - auch zahlreiche linksextremistische Organisationen bei. Linksextremisten beteiligten sich intensiv an Kundgebungen in mehreren bayerischen Städten. Unter den bis zu 30.000 Teilnehmern einer "noPAG"-GroßdeAutonome beteiligen monstration am 10. Mai in München waren auch Personen des sich noPAGlinksextremistischen autonomen Spektrums aus Nürnberg soDemonstration wie einzelne Autonome aus Österreich. Ein Teil der Autonomen bildete einen Schwarzen Block mit 200 bis 300 Personen. Aus dem Block wurden vereinzelt Böller und andere Pyrotechnik geworfen. Einige Teilnehmer führten sog. Knüppelfahnen mit sich. An der Kundgebung nahmen auch mehrere hundert nicht dem autonomen Spektrum zuzurechnende Linksextremisten unterschiedlicher Gruppen teil. Vereinzelt wurden verbotene Fahnen mit PKK-Bezug und Embleme der verbotenen "Freien Deutschen Jugend" (FDJ) gezeigt. Antigentrifizierung Mit dem Thema Antigentrifizierung versuchen Linksextremisten, ihre eigenen Interessen in eine aktuelle stadtund gesellschaftspolitische Diskussion einzubetten und damit in größere Bevölkerungskreise hinein politisch anschlussfähig zu werden. Der Begriff "Gentrifizierung" kommt ursprünglich aus der Stadtsoziologie und bezeichnet soziale Umstrukturierungsprozesse in Stadtteilen, die zu steigenden Mieten und einer Verdrängung der bisherigen Bewohner führen. Viele Bewohner von Großstädten beschäftigt dieses Thema. Es bilden sich Initiativen, die in aller Regel von demokratischen Kräften getragen werden. Linksextremisten versuchen, sich diesen Initiativen anzuschließen beziehungsweise im gleichen Themenfeld eigene Aktionen zu entwickeln, um damit ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu steigern und sich als sozialpolitische Akteure zu profilieren. Autonome Linksextremisten setzen im Zusammenhang mit dem Themenfeld Antigentrifizierung auch auf gewalttätige Aktivitäten: Insbesondere Immobilienmakler werden von ihnen als Mitverantwortliche für die "Gentrifizierung" und damit als Feindbild wahrgenommen. Büros und Fuhrpark von Immobilienfirmen sind immer wieder Ziel militanter Attacken aus der linksextremistischen Szene. 225 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Die anarchistisch-linksextremistische Mitmach-Kampagne "Fahr'Scheinfrei" in München richtet sich gegen die Gentrifizierung in den Großstädten. Die Urheber kritisieren am Beispiel München zunehmende Kosten für den öffentlichen Nahverkehr. Menschen, die sich keinen Fahrschein mehr leisten könnten, würden dadurch aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen und aus den Metropolregionen verdrängt. In der Nacht zum 4. Mai zerstörten Unbekannte an einer U-Bahnhaltestelle in München mehrere Fahrkartenautomaten der MVG mit Bauschaum. Der hierdurch entstandene Schaden beläuft sich auf mehrere zehntausend Euro. Antikapitalismus Linksextremistischer Antikapitalismus will im Gegensatz zur Kapitalismuskritik nicht nur Defizite am Wirtschaftssystem benennen und Reformvorschläge entwickeln, sondern mit dem Wirtschaftssystem auch Staat und Gesellschaft vollständig umwälzen. "Kapitalismus" und "kapitalistische Systeme" sind nach linksextremistischer Auffassung die wesentlichen Ursachen für Faschismus, Rechtsextremismus, Imperialismus und Krieg. Für Linksextremisten stellt "Kapitalismus" somit nicht nur eine bloße Wirtschaftsordnung dar, vielmehr wird er gleichgesetzt mit der Gesamtheit staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen in einer parlamentarischen Demokratie. Ob anarchistisch oder kommunistisch: Linksextremistischer Antikapitalismus hat aufgrund dieser Grundannahmen immer die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie als sogenannte "bürgerliche Herrschaftsform" zum Ziel. Aus ihrem antiimperialistischen Weltbild entwickelt sich bei Linksextremistischer Linksextremisten häufig auch ein Antizionismus - die Ablehnung Antizionismus des Staates Israel und dessen Innenund Außenpolitik. Israel stellt in diesem Zusammenhang für Linksextremisten eine Art "Brückenkopf" der USA im Nahen Osten dar, um den Kapitalismus immer weiter auszudehnen. Hinzu kommt für Linksextremisten der Umgang Israels mit den Palästinensern, der von ihnen häufig mit dem Verhalten der Nationalsozialisten im Dritten Reich verglichen wird. In ihrer Kritik solidarisieren sich viele Linksextremisten mit den Palästinensern und rufen zum "Kampf" gegen Israel und die USA auf. 226 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Für die Agitation der linksextremistischen Szene gegen den Kapitalismus werden aber auch andere Themen herangezogen wie z. B. Anliegen des Umweltschutzes. Gegen eine weitere Rodung des Hambacher Forsts in Nordrhein-Westfalen gab es 2018 vor Ort zahlreiche Demonstrationen. Während für viele bürgerliche Demonstranten der Klimaund Umweltschutz im Vordergrund stand, waren die Aktivitäten der Linksextremisten von Antikapitalismus geprägt. Dabei richtete sich ihre Agitation nicht ausschließlich gegen die Konzerne, sondern auch gegen den deutschen Staat, der die Rodung aus kapitalistischen Gründen nicht nur billigen würde, sondern durch den Einsatz von Polizeikräften gegen die Demonstranten sogar unterstütze. Im Verlauf der Räumung von Baumhäusern kam es dabei auch zu gewalttätigen Angriffen auf die eingesetzten Polizeibeamten. Antimilitarismus Antimilitarismus hat in der linksextremistischen Szene insbesondere durch vermehrte Auslandseinsätze der Bundeswehr wieder an Bedeutung gewonnen. Nach der Militarismus-Theorie von Karl Liebknecht dient das Militär dazu, kapitalistische Expansionsbestrebungen gegenüber anderen Staaten durchzusetzen und im eigenen Land den Kapitalismus und dessen "Ausbeutungsstrukturen" zu stabilisieren. Dieses Gedankengut lebt in der linksextremistischen Szene weiter. Linksextremisten sind daher immer wieder auch in pazifistischen Initiativen und Bündnissen aktiv, um dort ihre Ideologie zu verbreiten. Im Gegensatz zum Pazifismus geht es Linksextremisten nicht nur um die Abschaffung des Militärs, sondern darüber hinaus um die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie. Prägende Ereignisse der linksextremistischen Aktivitäten zum Thema Antimilitarismus waren auch im Jahr 2018 die Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz im Februar sowie eine Demonstration zum Antikriegstag in Ingolstadt, die von der linksextremistischen Mitmach-Kampagne "Widerständiges Bayern" organisiert wurde. 227 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus 5. INTERNET UND MUSIK 5.1 Linksextremistische Agitation im Internet Für Linksextremisten sind die Möglichkeiten des Internets und insbesondere die Nutzung sozialer Medien wie Facebook, Instagram oder Twitter von zentraler Bedeutung für ihre Agitation. Sie betreiben dort Kampagnenarbeit, vernetzen sich und diskutieren zentrale Themen in offenen und geschlossenen Foren oder Blogs. Verbot von Bis zu ihrem Verbot 2017 war die Internetplattform "linksunten. "linksunten. indymedia" das wichtigste Medium der gewaltbereiten linksextindymedia" remistischen Szene. Über Jahre bot das Portal eine Plattform zur Darstellung und Propagierung linksextremistischer, verfassungsfeindlicher Inhalte. Durch das Angebot eines verschlüsselten und anonymisierten Kommunikationswegs war es für die Nutzer möglich, Beiträge mit strafrechtlich relevanten Inhalten auf der Plattform zu veröffentlichen, ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen. Seit der Abschaltung der Seite ist die linksextremistische Szene auf andere Plattformen ausgewichen. Der Einsatz von Verschlüsselungs-Software erschwert grundsätzlich die Rückverfolgung auf den Urheber. Viele Internetseiten werden zudem auf anonymen, ausländischen Servern betrieben. Da diese nur schwer zu ermitteln sind und nicht dem deutschen Recht unterliegen, können Straftaten nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen verfolgt werden. Um die Urheber zu ermitteln, sind deutsche Behörden auf die Zusammenarbeit mit den zuständigen ausländischen Stellen angewiesen. Zu Werbezwecken erstellen Linksextremisten auch Mobilisierungsvideos (Mobivideos, Mobis), meist kurze Clips, die Szeneangehörige bei erfolgreichen Aktionen, auf Demonstrationen oder beim Anbringen von Graffiti zeigen. Die Videos sind mit szenetypischer Musik hinterlegt und werden auf Videoplattformen wie YouTube oder vimeo veröffentlicht und bei Veranstaltungsaufrufen verlinkt. Sie richten sich vor allem an jüngere Menschen und sollen politisieren und zum Mitmachen animieren. Um dieses Mittel der Veranstaltungswerbung weiter zu fördern, rief die linksextremistische Kampagne "Widerständiges Bayern" im September einen Mobivideo-Contest aus. Über das Internet führen linksextremistische Gruppierungen auch sog. Outings tatsächlicher oder vermeintlicher Rechtsextremisten durch. Sie machen dazu teilweise umfangreiche Recherchen mit Bildmaterial und persönlichen Daten zugänglich. 228 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Vereinzelt ergänzen sie die Outings mit Aktionen im Arbeitsoder Wohnumfeld des Betroffenen, um diesen gesellschaftlich zu isolieren oder szenetypische Aktionen wie Graffiti oder Sachbeschädigungen beim Betroffenen durchzuführen. Von diesem Phänomen sind zum Teil auch Polizeibeamte betroffen. Vor allem Instant-Messaging-Dienste wie WhatsApp oder Telegram ermöglichen es Linksextremisten, schnellstmöglich zu informieren, zu mobilisieren und Aktionen zu koordinieren. So halten Linksextremisten auf Demonstrationen mit mobilen Endgeräten untereinander Kontakt und werden teils durch eigens eingesetzte "Moderatoren" gesteuert. Über animierte Landkartendienste bleibt die eigene Demonstrationsroute sowie ggf. auch die des politischen Gegners abrufbar. 5.2 Linksextremistische Musik Auch für die linksextremistische Szene hat Musik eine identitätsstiftende Funktion. Sie trägt dazu bei, jugendliche Unterstützer zu gewinnen und die Anhänger weiter zu radikalisieren. Häufig wird Musik im Rahmen der Vorbereitungen bzw. im Verlauf größerer Demonstrationen eingesetzt. Musikunterlegte "Mobilisierungsvideos" im Internet transportieren ideologische Positionen und und sollen damit vor allem jüngere Menschen ansprechen. Mit solch einem "Mobilisierungsvideo" riefen Linksextremisten für eine Teilnahme zur Demonstration gegen den BundesparteiAufrufe zu Gewalt tag der AfD am 30. Juni und 1. Juli in Augsburg auf. Darin wurde gegen den Staat u. a. gezeigt, wie Farbanschläge durchgeführt, Barrikaden errichtet und Polizeifahrzeuge mit Grillanzündern angezündet werden. Das Video ist teilweise mit Hass-Musik hinterlegt. In einer Szene des Videos, in der brennende Spielzeugautos und im Anschluss daran ein brennender Kartenausschnitt Deutschlands zu sehen sind, sind folgende Textzeilen zu hören, in denen offen dazu aufgerufen wird, den deutschen Staat mit Gewalt zu vernichten: (...) Atombombe auf Deutschland, dann ist Ruhe im Karton Komm wir bomben einen Krater und dann fluten wir das Loch Atombombe auf Deutschland, dann ist Ruhe im Karton Atombombe auf Deutschland, alles Gute kommt von oben 229 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Auch als Einnahmequelle ist die Musik für Linksextremisten von erheblicher Bedeutung. So werden z. B. über "Soli-Konzerte" in Szenetreffs Gelder für Veranstaltungen oder Prozesskosten von Szeneangehörigen gesammelt. 6. LINKSEXTREMISTISCHE PARTEIEN UND VEREINIGUNGEN 6.1 Offen extremistische Strukturen in der Partei DIE LINKE. Innerhalb der Partei "DIE LINKE." gibt es mehrere offen extremistische Strukturen, die auf eine Überwindung der freiheitlichen Staatsund Gesellschaftsordnung abzielen. Sie stellen teilweise die parlamentarische Demokratie infrage, sprechen der rechtsstaatlichen Ordnung die Legitimation ab oder unterhalten Kontakte zu gewaltorientierten Autonomen. Diese offen extremistischen Untergliederungen versuchen, auf die Partei "DIE LINKE." Einfluss zu nehmen. In Bayern sind folgende Strukturen präsent und aktiv: 6.1.1 Antikapitalistische Linke (AKL) Am 9. November 2013 gab sich die AKL nach ihrer offiziellen Anerkennung durch die Partei "DIE LINKE." einen neuen "Grundlagentext zum politischen Selbstverständnis". Darin wendet sich die AKL gegen einen "regierungsund parlamentsfixierten 'Pragmatismus' in der LINKEN" und setzt dem "ein antikapitalistisches Programm mit sozialistischem Ziel" entgegen. Die AKL glaubt, dass auch mit autonomen und selbst organisierten Strukturen (...) eine politische Oppositionskraft erwachsen kann und muss, für die Programm und Partei der LINKEN dann eine Heimat sein könnten. Der Zusammenschluss sieht die Möglichkeit der Einbindung von autonomen bzw. gewaltorientierten Personen in die Partei. Die AKL befürwortet einen "neuen sozialistischen Internationalismus" sowie die Solidarität mit dem kubanischen Regime. 230 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Neben der Zusammenarbeit mit anderen offen extremistischen Zusammenschlüssen in der Partei "DIE LINKE." gibt es auch personelle Verflechtungen mit der trotzkistischen "Sozialistische Alternative" (SAV). Die AKL Bayern ist mit einer Facebook-Seite aktiv. Dort rief sie zur Teilnahme an der Veranstaltung "100 Jahre November-Revolution - Revolution statt Reaktion" des "Arbeiterbundes für den Wiederaufbau der KPD" (AB) am 7. November in München auf. Von der Veranstaltung hat die AKL Bayern Fotos gepostet, auf denen auch ein Transparent der "Freien Deutschen Jugend" (FDJ) zu sehen ist, die in Westdeutschland seit 1951 verboten ist. 6.1.2 Linksjugend ['solid] Landesverband Bayern Die Mitglieder der 1999 gegründeten "Linksjugend ['solid]" bezeichnen sich in ihrem Programm selbst als "SozialistInnen, KommunistInnen, AnarchistInnen". Sie beziehen sich darin unter anderem "positiv auf die emanzipatorischen Traditionen des Kommunismus". Das Programm sieht die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln vor, befürwortet werden jegliche Projekte jenseits des Kapitalismus. Die "Linksjugend ['solid]" ist überregional aktiv und verfügt über mehrere Ortsgruppen in ganz Bayern. Im Zusammenhang mit Protesten gegen die Abschiebung von Flüchtlingen verbreitete die "Linksjugend ['solid]" ein Feuerzeug mit dem Aufdruck "Feuer und Flamme den Abschiebebehörden! #nodeportation!" und signalisierte damit unverhohlen ihre Sympathie für gewalttätige Aktionen, insbesondere gegen staatliche Behörden. Am 17. Juni veröffentlichte der Bundesverband "Linksjugend ['solid]" auf seiner Internetseite eine Broschüre zum "Fahnen knicken". Darin wird, als Kritik an einem zur Schau gestellten "Nationalismus" während der Fußballweltmeisterschaft, zum Beschädigen oder Stehlen von Fußball-Fanartikeln aufgerufen. Die Ortsgruppe Nürnberg beteiligte sich an der Ausrichtung von sog. Aktionstrainings in Nürnberg. Die "Linksjugend" war Mitveranstalterin eines Workshops zum Thema "Kleingruppenaktionen - wie geht's?", bei dem Informationen zu Themen wie direkte Aktionen vermittelt werden sollten. Darunter verstanden die Veranstalter unmittelbar gegen den politischen Gegner gerichtete Aktionen, die auch die Begehung von Straftaten, z. B. Besetzungen und Sachbeschädigungen, einschließen können. 231 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus 6.1.3 DIE LINKE. Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband (DIE LINKE.SDS) Landesverband Bayern Der 2007 gegründete Studierendenverband "DIE LINKE. SDS" ist laut Statut eine "Arbeitsgemeinschaft mit Sonderstatus der Linksjugend ['solid] mit eigener Mitgliedschaft und Organisation". "DIE LINKE.SDS" orientiert sich ideologisch an der Lehre von Marx und plädiert in ihrem Selbstverständnis für Außerparlamentarismus, Systemüberwindung und die Zusammenarbeit mit anderen Linksextremisten. Der Landesverband Bayern von "DIE LINKE.SDS" wurde am 30. Januar 2010 in Regensburg gegründet und verfügt über Ortsgruppen in Augsburg, Bamberg, Coburg, Eichstätt, Erlangen-Nürnberg, München, Regensburg und Würzburg. 6.1.4 Arbeitsgemeinschaft Cuba Si (Cuba Si) Die 1991 gegründete, bundesweit tätige "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si" gliedert sich in Regionalgruppen in 13 Bundesländern. Politische und materielle Solidarität mit dem sozialistischen Kuba sind Grundanliegen und wesentlicher Inhalt der Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft (AG). Die AG in der Partei "DIE LINKE." pflegt in besonderer Weise den kommunistischen Internationalismus und unterhält Kontakte zu zahlreichen kubanischen Organisationen und Einrichtungen, u. a. zur "Kommunistischen Partei Kubas" (PCC) sowie zum "Kommunistischen Jugendverband Kubas" (UJC). Die im März 2017 in München gegründete bayerische Regionalgruppe von "Cuba Si" veröffentlicht auf ihrer Facebook-Seite regelmäßig Beiträge, in denen sie das sozialistische Kuba glorifiziert und gegen den "US-amerikanischen Imperialismus" agitiert. "Cuba Si" fordert zur Unterstützung Kubas durch Spendenprojekte auf und wirbt für Reisen nach Kuba als Urlaubsland, um den ideologischen Zusammenhalt zu festigen. Am 19. November gab "Cuba Si Bayern" die Gründung einer Regionalgruppe "Cuba Si - Nürnberg" bekannt. 232 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 6.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Umfeld 6.2.1 DKP Deutschland Bayern Mitglieder 3.000 340 Vorsitzender Patrik Köbele Gründung 26.09.1968 Sitz Essen Nürnberg und München Publikationen Unsere Zeit (UZ) Rundbrief; Auf Draht Marxistische Blätter Die DKP ist eine kommunistische Partei, die sich in einer Linie mit der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) sieht. Sie bekennt sich zum Marxismus-Leninismus und hat laut Parteiprogramm die Einführung des "Sozialismus/Kommunismus" zum Ziel. Die bundesweit organisierte Partei war bis 1989/90 von der "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) abhängig. Dem Bundesverband sind Bezirksorganisationen nachgeordnet, die weiter in Kreisund Grundorganisationen oder auch Betriebsgruppen untergliedert sind. In Bayern existieren zwei Bezirksorganisationen (Nordund Südbayern). Seit 2009 gibt es in der DKP einen Richtungsstreit darüber, wie die Partei mehr politischen Einfluss gewinnen kann. Ein Flügel der Partei spricht sich für eine Öffnung hin zu anderen gesellschaftlichen Gruppierungen aus. Der andere Flügel votiert für die Rückkehr zur unverfälschten Lehre des Marxismus-Leninismus mit der DKP als alleiniger Avantgarde der Arbeiterklasse. Der bis Richtungsstreit 2017 amtierende Bezirksvorstand Südbayern plädierte für eine stärkere Öffnung der Partei und für eine Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen des linken Spektrums. Er hatte beschlossen, die Kandidatur der DKP zur Bundestagswahl 2017 nicht zu unterstützen und rief stattdessen zur Wahl der Partei "Die LINKE." auf. Der Vorstand der Bundespartei forderte immer wieder den Bezirksvorstand Südbayern auf, zur Beschlussverbindlichkeit zurückzukehren. Nach traditionell-kommunistischen Vorstellungen ist eine innerparteiliche Opposition undenkbar, da die Parteiführung durch die konsequente Anwendung des Marxismus-Leninismus die 233 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus höchste Stufe des wissenschaftlichen Sozialismus repräsentiere. Die Auseinandersetzung führte schließlich zum Beschluss des Parteivorstandes auf seiner Sitzung am 17./18. Juni 2017, die Bezirksorganisation Südbayern aufzulösen. Diesem Auflösungsbeschluss widersetzte sich der Bezirksvorstand Südbayern erfolglos. In der Folge traten einige Funktionäre und Mitglieder des Bezirks Südbayern aus der DKP aus. Am 24. November wurde die Bezirksorganisation Südbayern von Mitgliedern der früheren Bezirksorganisation neu gegründet. Auf dem 22. Parteitag der DKP, der vom 2. bis 4. März in Frankfurt am Main stattfand, wurde die alte Führungsspitze der DKP größtenteils wiedergewählt. Damit bestimmten weiterhin die Kräfte, die für ein Festhalten an der unverfälschten Lehre des Marxismus-Leninismus plädieren, die Ausrichtung der Partei. Zur bayerischen Landtagswahl trat die DKP nicht an. Die DKP arbeitet immer wieder aktionsbezogen mit autonomen Zusammenarbeit mit Gruppen zusammen. Für den 14. Juli meldete sie eine Veranautonomen Gruppiestaltung in Nürnberg unter dem Motto "Auf die Strasse gegen rungen Sozialraub und Mietenwahnsinn! Einkommen rauf - Mieten runter" an. Die gleichnamige Kampagne gegen Gentrifizierung in Nürnberg wird maßgeblich durch die autonome Szene, unter anderem durch die Gruppe "Organisierte Autonomie" (OA), geführt. An der Veranstaltung der DKP nahmen bis zu 180 Personen teil, davon auch ca. 50 aus dem linksextremistischen autonomen Spektrum. 6.2.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Deutschland Bayern Mitglieder 750 110 Vorsitzender Kollektiver Bundesvorstand Gründung 04./05.05.1968 Sitz Essen Nürnberg und München Publikationen POSITION KONTRA! StrikeBack! Die SDAJ ist nach ihrer Selbstdarstellung eine "bundesweite Organisation von Jugendlichen, die sich mit den Zuständen in Schulen, Betrieben, in dieser Republik und der 'Neuen Weltordnung' nicht abfinden" will. Sie ist marxistisch-leninistisch ausgerichtet: 234 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Alle unsere Forderungen richten sich gegen die Herrschenden in dieser Gesellschaft, gegen die Kapitalisten. Verwirklichen können wir sie nur in einer Gesellschaft ohne Kapitalisten - im Sozialismus. Die SDAJ als ehemalige DKP-Jugendorganisation ist eine eigenständige Organisation. Sie ist aber weiterhin eng mit der DKP verbunden. Gewalt in der politischen Auseinandersetzung schließt die SDAJ nicht aus. Das wird in ihrer "Grundlagenschule" deutlich, die die SDAJ München im Internet verbreitet hat: Als Faustregel kann gelten, dass die legalen Kampfformen voll ausgenutzt werden sollten, gleichzeitig aber auch die Vorbereitung auf die Anwendung illegaler Kampfformen stattfinden sollte. In Bayern existieren Ortsgruppen der SDAJ in Augsburg, Bamberg, München, Neumarkt, Nürnberg und Würzburg. Die SDAJ beteiligte sich intensiv an den Protesten gegen die Novellierung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG). 6.2.3 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Bayern Mitglieder 700 Vorsitzende Dr. Axel Holz Cornelia Kerth Gründung 15.-17.03.1947 Sitz Berlin (Bundesgeschäftsstelle) Publikationen antifa Die VVN-BdA ist die bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus. Sie arbeitet mit offen linksextremistischen Kräften zusammen. In der VVN-BdA wird nach wie vor ein kommunistisch orientierter Antifaschismus verfolgt. Diese Form des Antifaschismus dient 235 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus nicht nur dem Kampf gegen den Rechtsextremismus. Vielmehr werden alle nicht marxistischen Systeme - also auch die parlamentarische Demokratie - als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt. Verbindungen zur Auf dem 22. Parteitag der DKP bezeichnete der DKP-ParteivorDKP sitzende Patrik Köbele in seiner Rede die VVN-BdA als wichtigsten Bündnispartner der DKP. Es sei gut und richtig, dass viele Genossinnen und Genossen Mitglied der VVN-BdA seien. Dem entsprechend wurde der Bundessprecher der VVN-BdA als Ehrengast des Parteitags begrüßt. Er erklärte in seinem Grußwort, er sehe viele Möglichkeiten der aktionsmäßigen Zusammenarbeit mit der DKP und ihren Mitgliedern. Die bayerische Landesvereinigung der VVN-BdA hat gegen ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht 2010 den Rechtsweg beschritten. Die Klage wurde auf die Jahre 2011, 2012 und 2013 erweitert. Das Bayerische Verwaltungsgericht München wies die Klage der VVN-BdA-Landesvereinigung Bayern im Oktober 2014 ab. Das Gericht sah ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte, die die Annahme, dass die Landesvereinigung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolge, zuließen. Es bestehe ein maßgeblicher Einfluss von Linksextremisten. Der von der VVN-BdA gestellte Antrag auf Zulassung der BeRechtsmittel rufung gegen ihre Nennung in den Verfassungsschutzberichten erfolglos 2010-2013 wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) am 7. Februar abgelehnt. Die Verfahrenskosten wurden der VVN-BdA auferlegt. Es lag nach Auffassung des BayVGH weder ein Verfahrensfehler vor, noch bestanden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Der Landesverband verfolge vor einem identischen historischen und ideologischen Hintergrund die gleichen politischen Ziele wie die Bundesvereinigung. Die von der 1. Instanz vorgenommene Zurechnung von Äußerungen auf die Landesebene sei folgerichtig. Der BayVGH wertete die historisch bedingte Kooperation mit der DKP als entscheidend. Auch die Einschätzung des BayLfV, die VVN-BdA habe einen Schulterschluss mit gewaltorientierten autonomen Gruppierungen vollzogen, wurde nicht beanstandet. 236 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 6.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Deutschland Bayern Mitglieder 1.800 120 (mit REBELL) Vorsitzende Gabi Fechtner Gründung 1982 Sitz Gelsenkirchen Nürnberg Publikationen Rote Fahne (Zentralorgan); REVOLUTIONÄRER WEG (Theorieorgan); REBELL (Jugendmagazin); Galileo - streitbare Wissenschaft (Zeitung der MLPD-Hochschulgruppen) Die zentralistisch geführte MLPD ist eine kommunistische Kaderpartei, die Sozialismus im Sinn des Stalinismus und des Maoismus anstrebt. Ihr grundlegendes Ziel ist der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft. Im linksextremistischen Spektrum ist die MLPD aufgrund ihres dogmatischen Kommunismusverständnisses weitgehend isoliert. Mit dem "Frauenverband Courage e. V." sowie mit Freizeitangeboten ihrer Jugendorganisation "REBELL" und ihrer Kinderorganisation "ROTFÜCHSE" versucht die MLPD, Frauen, Jugendliche und Kinder an sich zu binden. In Truckenthal/ThüSommercamp in ringen veranstalteten "REBELL" und die Kinderorganisation Thüringen "ROTFÜCHSE" vom 21. Juli bis 11. August erneut ein sog. Sommercamp, für das auch in Bayern geworben wurde. In den regelmäßig stattfindenden Sommercamps sollen junge Menschen an ein antidemokratisches, revolutionär-kommunistisches Politikverständnis herangeführt werden. Dabei wird Freizeiterlebnis mit politisch-ideologischer Unterweisung verknüpft. Dies steht in direktem Gegensatz zum demokratischen Erziehungsideal, der Erziehung zu freier Willensbildung und selbstbestimmtem Leben. 237 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Zur Landtagswahl in Bayern trat die MLPD nicht an. Die MLPD agiert nach wie vor im Rahmen eines "InternationaSolidarität mit listischen Bündnisses", zu dessen Unterstützern auch Sympathiterroristischen Orgasanten der Terrororganisation "Volksfront zur Befreiung Palästinnisationen as" (PFLP) gehören. Die MLPD in Bayern zeigt ihre internationale Ausrichtung u. a. durch die Unterstützung der zehn Angehörigen der extremistischen "Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML), die sich seit dem 17. Juni 2016 vor dem Oberlandesgericht München wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verantworten müssen. Dabei versucht die MLPD, den Prozess als Kommunistenverfolgung darzustellen, bei dem die Personen nur wegen ihrer revolutionären Überzeugung angeklagt seien. Die Solidarität der MLPD mit terroristischen Organisationen zeigt, dass ihre Aufrufe zur Revolution nicht bloße rhetorische Floskeln sind. Personen, die Gewalt für die Durchsetzung des Sozialismus anwenden und dafür ins Gefängnis kommen, werden in der Partei als Vorbilder angesehen. Die MLPD führte in München am 18. November eine "Veranstaltung 100 Jahre Novemberrevolution - 50 Jahre Parteiaufbau neuen Typs" durch, an der 100 Personen teilnahmen. 6.4 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) Bayern Mitglieder 80 Gründung 1973 Sitz München Der aus "Arbeiter-Basisgruppen" in München hervorgegangene AB ist eine revolutionär-marxistische Organisation, die die Gründung einer "revolutionären Partei in der Tradition der verbotenen KPD" anstrebt. Sie beruft sich auf den Marxismus-Leninismus und die Ideen von Stalin und Mao Tse-tung. Ziel des AB ist die Beseitigung der "herrschenden Ausbeuterklasse" und die Errichtung einer "Diktatur des Proletariats". 238 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Der AB beteiligte sich am 10. Mai an einer Demonstration gegen die Novellierung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) und rief dabei auf einem Transparent zum Sturz der Regierung auf: Sturz der Regierung oder Faschismus und Krieg - Organisiere Dich! Werd' Kommunist! Über Informationsveranstaltungen und Kundgebungen in unmittelbarer Nähe zu Industriebetrieben versucht die Organisation, eine Verbindung zur Arbeiterschaft herzustellen. So demonstrierten Aktivisten des AB insbesondere vor Fertigungsstätten von Kfz-Herstellern. Im Jahr 2018 wurden mehrfach Schmierschriften mit roter Fahne und dem schwarzen Text "KPD, Bau sie auf" an Mauern von Kfz-Fertigungsstätten in München und Nürnberg festgestellt. Mit hinzu wurde der konkrete Aufruf "Werde Mitglied im Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD" gesprüht. In Nürnberg konnten zwei Mitglieder des AB in unmittelbarer Nähe eines Tatorts als Tatverdächtige festgenommen werden. 6.5 Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus Das linksextremistisch beeinflusste "Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus" ist ein loser Zusammenschluss von Personen und Organisationen ohne feste Mitgliederstruktur. In ihm sind u. a. Personen aus linksextremistischen Parteien und Gruppierungen wie DKP, SDAJ, MLPD sowie "Antikapitalistische Linke München" (AL-M) aktiv. Maßgebliche Aktivisten des Bündnisses sind Claus Schreer und Walter Listl, die bislang in der Münchner DKP aktiv waren. Im Bündnis beteiligte Linksextremisten beeinflussen die Proteste gegen die Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik und versuchen, über das Thema Antimilitarismus demokratische Organisationen und Personen einzubinden. Die Proteste gegen die Münchner Konferenz für SicherheitspoProteste gegen litik sind in Bayern seit Jahren für die linksextremistische und Münchner Sicherlinksextremistisch beeinflusste Szene die größte Aktion mit dem heitskonferenz höchsten Mobilisierungsund Teilnehmerpotenzial. Wie in den Vorjahren waren auch 2018 die Kundgebungen in der Münchner 239 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Innenstadt durch linksextremistische Parteien und Vereinigungen wie die DKP, die SDAJ und die MLPD sowie Autonome geprägt. An der Großdemonstration am 17. Februar nahmen bis zu 2.200 Personen (2017: etwa 1.900) teil. Wie im Vorjahr bildeten rund 200 Personen in der Demonstration einen "Schwarzen Block", der von der autonomen Gruppe AL-M organisiert wurde. An der Demonstration beteiligten sich auch Personen aus dem PKK-nahen Spektrum. Sie protestierten gegen den Einmarsch türkischer Truppen in die kurdisch dominierte Region Afrin in Nordsyrien und zeigten Fahnen mit Symbolen der YPG (bewaffnete kurdische Miliz in Syrien) und der YPJ (Frauenverteidigungseinheiten der kurdischen Miliz in Syrien). Die Polizei leitete deshalb Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts einer Straftat nach dem Vereinsgesetz ein, da solche Fahnen im Zusammenhang mit dem Verbot der "Kurdischen Arbeiterpartei" (PKK) verboten sind. Zeitgleich mit dem Demonstrationszug veranstaltete das Aktionsbündnis eine "Protestkette" durch die Münchner Fußgängerzone, mit der das Tagungshotel symbolisch "umzingelt" wurde. 6.6 Rote Hilfe e. V. (RH) Deutschland Bayern Mitglieder 9.000 550 Sitz Göttingen verschiedene (BundesgeschäftsOrtsgruppen stelle) u. a. Nürnberg und München Publikationen "DIE ROTE HILFE", vierteljährlich Der Arbeitsschwerpunkt der RH ist die finanzielle und politische Unterstützung von linksextremistischen Strafund Gewalttätern, mit deren ideologischer Zielsetzung sie sich identifiziert. Diese Unterstützung wird dann beispielsweise bei anfallenden Anwaltsund Prozesskosten sowie bei Geldstrafen und Geldbußen gewährt. Dabei geht es ihr nicht um eine Resozialisierung von Straftätern, sondern um die Unterstützung gewaltbereiter Linksextremisten in ihrem Kampf gegen das politische System. Rechtshilfe und Auf Großveranstaltungen ist die RH mit sog. "ErmittlungsausLeitfaden für Geschüssen" (EA) präsent. Diese EA stellen Rechtsanwälte, die walttäter im Falle einer Verhaftung von Szeneangehörigen schon vor Ort Unterstützung leisten. 240 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Als zentrale Publikation veröffentlichte die RH den Leitfaden "Was tun wenn's brennt!?", Ausgabe 2015/2016, mit "Rechtshilfetipps" in mehreren Sprachen. Darin spiegelt sich ihre enge Verbundenheit mit linksextremistischen Gewalttätern wider: Alle, die sich am Kampf beteiligen, sollen das in dem Bewusstsein tun können, dass sie auch hinterher, wenn sie Strafverfahren bekommen, nicht alleine dastehen. Ist es der wichtigste Zweck der staatlichen Verfolgung, diejenigen, die gemeinsam auf die Straße gegangen sind, durch Herausgreifen Einzelner voneinander zu isolieren und durch exemplarische Strafen Abschreckung zu bewirken, so stellt die Rote Hilfe dem das Prinzip der Solidarität entgegen und ermutigt damit zum Weiterkämpfen. Die RH verbreitete Anfang des Jahres über ihre Ortsgruppe München eine an Gesinnungsgenossen gerichtete "Entschuldigung" eines linksextremistischen jugendlichen Straftäters, der nach seiner Festnahme seine Taten gestanden und seinen Komplizen identifiziert hatte. Beide Täter hatten im Herbst 2017 durch Sachbeschädigungen an Fahrzeugen und Gebäuden einen Gesamtschaden in Höhe von über 700.000 Euro verursacht. In der Entschuldigung bereute der Straftäter nicht seine Taten, sondern seine Aussage gegenüber den Ermittlungsbehörden. Ziel dieser Aktion war es, "den Genossen" und potentielle "Abweichler" wieder "auf Linie zu bringen", die linksextremistische Szene zu beruhigen und vor weiterer Strafverfolgung abzusichern. So enthielt die Erklärung auch Tipps zur unerkannten Begehung von Straftaten. Erst nach seiner Entschuldigung gewährte die RH dem Straftäter Prozesshilfe. Erkennt die RH eine Person als "Unterstützungsfall" an, so beteiligt sie sich an Prozessund Anwaltskosten mit einem Regelsatz Schweigegebot der von 50 Prozent, der nach Einzelfallprüfung auch höher ausfallen Roten Hilfe kann. Die Zahlungen und sonstige Unterstützungsmaßnahmen sind in der Regel daran gebunden, dass der Straftäter konsequent die Aussage verweigert. Geständigen Szeneangehörigen droht die RH mit dem Entzug der Unterstützung. Dies belegt, dass das vorrangige Ziel der RH nicht die Hilfe für inhaftierte Szeneangehörige ist, sondern die Abschottung der linksextremistischen Szene vor den Ermittlungen der Sicherheitsbehörden. Die Rote Hilfe finanziert sich überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen sowie Spendenaufrufen. 241 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Innerhalb der linksextremistischen autonomen Szene wird für dieses Schweigegebot unter dem Motto "Anna und Arthur halten's Maul" geworben. Die fiktiven Personen Anna und Arthur stehen für alle linksextremistischen Protagonisten. Die RH schreckt auch nicht davor zurück, sich mit Terroristen zu Solidarität mit solidarisieren. In einer Ausgabe ihrer Zeitschrift richtete die RH RAF-Terroristen 2016 ein Solidaritätsschreiben an die flüchtigen RAF-Terroristen Daniela Klette, Burkhard Garweg und Volker Staub, nach denen wegen Mordes und schweren Raubes gefahndet wird. In dem Schreiben heißt es: Daniela, Burkhard und Volker: Wir wünschen Euch viel Kraft und Lebensfreude. Lasst es Euch gutgehen ... und lasst Euch nicht erwischen! U. a. durch die Veröffentlichung einer Broschüre mit dem Titel "Dieser Prozess wird nicht im Gerichtssaal, sondern auf der Straße entschieden" unterstützte die RH Mitglieder der "Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML), die sich seit dem 17. Juni 2016 vor dem Oberlandesgericht München wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verantworten müssen. Die RH beteiligt sich regelmäßig an linksextremistischen Veranstaltungen, u. a. an der "Revolutionären 1.-Mai-Demonstration" in Nürnberg. 242 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 7. AUTONOME, POSTAUTONOME UND ANARCHISTEN 7.1 Beschreibung / Hintergrund Autonome Autonome sind - überwiegend junge - gewaltorientierte Linksextremisten. Sie bilden den weitaus größten Teil des gewaltorientierten linksextremistischen Personenpotenzials. Zur autonomen Szene zählen bundesweit rund 7.000 Personen, in Bayern etwa 675. Autonome haben kein einheitliches ideologisches Konzept, 675 Autonome in sie folgen vielmehr anarchistischen und anarcho-kommunisBayern tischen Vorstellungen. Einig sind sich alle Autonomen in dem Ziel, den Staat und seine Einrichtungen - auch mit Gewalt - zu zerschlagen und eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu errichten. Sie rechtfertigen Gewalt als erforderliches Mittel gegen die "strukturelle Gewalt" eines "Systems von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung". Gewalttätige Handlungen verstehen sie als Akt individueller Selbstbefreiung von den Herrschaftsstrukturen. Dazu gehören Brandstiftungen, Sabotage, Hausbesetzungen und militante Aktionen bei Demonstrationen. Autonome versuchen, auch demokratische Protestbewegungen für ihren Kampf gegen den Staat zu mobilisieren. Postautonome In der autonomen Szene wird seit Längerem eine Organisationsund Militanzdebatte geführt. Seit Beginn der 1990er-Jahre wuchs die interne Kritik, die autonome Bewegung sei zu unorganisiert, um nachhaltig politische Veränderungen bewirken zu können. Im Zentrum der Debatte steht dabei die Frage, wie eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz für die eigenen autonomen Positionen erreicht werden kann. Infolgedessen sind mehrere sog. postautonome Gruppierungen und Netzwerke entstanden, die die gesellschaftliche Isolation Interventionistische der Autonomen durchbrechen wollen. In der Szene besonders Linke prägend wirkt die "Interventionistische Linke" (IL). Sie war erstmals im Jahr 1999 bei den Protesten gegen die EU-Ratstagung und den Weltwirtschaftsgipfel in Köln aktiv und gründete sich 2005 als informelles bundesweit agierendes Netzwerk. Die IL verfolgt den strategischen Ansatz einer spektrenübergreifenden Mobilisierung unter ihrer Führung. Dabei versucht sie, alle linksextremistischen Strömungen - bis hin zu militanten Autonomen - zu integrieren. 243 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Postautonome versuchen, ein Scharnier zwischen gewaltbereiten Linksextremisten und gemäßigten Kräften zu bilden. Die Vorsilbe "Post" steht für die Infragestellung einiger grundlegender Merkmale, aber nicht für einen vollständigen Bruch mit dem gewaltorientierten autonomen Politikansatz. Um zwischen linksextremistischen und demokratischen Akteuren zu vermitteln, bedienen sich die Postautonomen des Begriffs des "zivilen Ungehorsams". Vordergründig beteiligen sich Postautonome nicht an gewalttätigen Ausschreitungen, allerdings distanzieren sie sich auch nicht eindeutig vom Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele. Vereinbarungen über die zulässigen Formen des Protestes sind dabei oft reine Formelkompromisse, die der Auslegung breiten Raum lassen. Gewalttätige Eskalationen sind Teil der eigenen Planung und werden nach einer Risikoabwägung bewusst eingesetzt. Postautonome engagieren sich z. B. in Mieterund Stadtteilinitiativen, in der Flüchtlingshilfe, in antifaschistischen Gruppierungen und in der Antiglobalisierungsbewegung. Im Rahmen dieser Bündnisse wird verstärkt auf die Vermittlung theoretisch-marxistischer Inhalte nach außen geachtet. Der "Antikapitalismus" bildet einen ideologischen Schwerpunkt der IL. Anarchisten Anarchismus ist eine Sammelbezeichnung für politische Auffassungen und Bestrebungen, die auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen abzielen. Allen anarchistischen Strömungen ist die Forderung gemein, den Staat als Herrschaftsinstitution abschaffen zu wollen - und zwar unabhängig von einer demokratischen oder diktatorischen Ausrichtung. Häufig schließt eine solche Auffassung einen grundsätzlichen Antiinstitutionalismus ein. Anarchisten sehen Bürokratien, Kirchen, Parteien, Parlamente und Vereine als Einrichtungen, die einem freiwilligen Zusammenschluss von emanzipierten und mündigen Menschen entgegenstehen. Anarchisten lehnen Hierarchien und Unterordnung grundsätzlich ab. Deshalb können sie sich auch selbst in der Regel nur schlecht organisieren und bilden lediglich lose strukturierte Gruppierungen. Anarchisten bevorzugen stattdessen "Spontis", spontane Aktionen kleinerer Gruppen oder Einzelpersonen, die aus Streiks, Besetzungen, aber auch aus gezielten Anschlägen auf den politischen Gegner bestehen können. Gewalt als Mittel der Revolution ist auch im Anarchismus ein viel diskutiertes Thema, wird jedoch von der Mehrzahl der Aktivisten zumindest als legitimes Mittel akzeptiert. 244 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Wie eine Gesellschaft "nach" der Revolution aussehen kann, ist auch in der anarchistischen Szene umstritten. Der anarchistische Idealzustand, eine Gesellschaft auf Basis von Selbstverwaltung und freien Übereinkünften, führt in letzter Konsequenz jedoch unweigerlich in ein System von Gewaltund Willkürherrschaft, in dem der Starke sich gegen den Schwachen durchsetzt und sich schlussendlich über diesen erhebt. 7.2 Gruppierungen 7.2.1 Autonome Gruppierungen Organisierte Autonomie (OA) Bayern Gründung ca. 1993 Sitz Nürnberg Publikationen barricada - zeitung für autonome politik und kultur Die OA ist ein Zusammenschluss eigenständiger autonomer Gruppen, der sich als offenes Projekt versteht. Dabei spiegelt der Name den Widerspruch zwischen jeglicher Ablehnung von Strukturen einerseits und dem erforderlichen Mindestmaß an Organisation zur Zielerreichung andererseits wider. In ihrer Selbstdarstellung tritt die OA für eine kommunistische Gesellschaftsordnung ein, die im kontinuierlichen Kampf gegen die herrschende Ordnung erreicht werden soll. Ziel der OA ist es demzufolge, den "Klassenkampf von unten" zu organisieren. Das von der OA verfolgte linksextremistische Antifaschismusverständnis wird in einer von ihr herausgegebenen Broschüre deutlich: Faschismus ist kein geschichtlicher Betriebsunfall, sondern ein gern genutztes Mittel der herrschenden, kapitalistischen Klasse zur Aufrechterhaltung ihres menschenverachtenden Systems. 245 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Die OA nutzt Treffund Veranstaltungsörtlichkeiten im Nürnberger Stadtteil Gostenhof. Zu diesen gehört das "Selbstverwaltete Kommunikationszentrum Nürnberg e. V." (KOMM e. V.), das Anlaufstelle für viele linksextremistische Gruppierungen ist. In Gostenhof veranstaltet die OA auch ihre jährliche "revolutionäre 1.-Mai-Demonstration" und das im Anschluss daran stattfindende "Internationalistische Straßenfest". An dieser Veranstaltung nahmen bis zu 2.500 Personen teil, darunter etwa 400 aus der linksextremistischen autonomen Szene. Neben der OA beteiligten sich u. a. auch Aktivisten der "IL-Nürnberg", der "Revolutionär Organisierten Jugendaktion" (ROJA), der "Prolos", der MLPD, der ALF, der SDAJ und von "Linksjugend ['solid]". Die OA beteiligte sich im Rahmen der Kampagne "Widerständiges Bayern" an einer Demonstration unter dem Motto "Die Herrschaft des Unrechts beenden!" am 6. Oktober in Nürnberg. An der Veranstaltung, die im Zeichen der Themenfelder Antifaschismus und Antirassismus stand, nahmen auch Aktivisten anderer autonomer und postautonomer Gruppen wie "Auf der Suche" (ADS), " IL Nürnberg", "La Resistance Ingolstadt", "Prolos", ROJA, und "Sozialrevolutionäre Aktion" teil. Revolutionär Organisierte Jugendaktion (ROJA) Bayern Gründung 2009 Sitz Nürnberg Die ROJA ist eine autonome Jugendorganisation in Nürnberg. In ihrem Selbstverständnis beruft sie sich auf den Marxismus und fordert neben einem konsequenten Antikapitalismus auch Klassenkampf und Revolution: Bewusst sind wir auch der Tatsache, dass dieses menschenverachtende System, in dem eine kleine Minderheit sich an dem Elend aller anderer bereichert, nicht ohne den Klassenkampf aller Ausgebeuteten und Unterdrückten - und nicht ihrer StellvertreterInnen - gegen die AusbeuterInnen und UnterdrückerInnen abgeschafft werden kann. 246 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Ein zentrales Betätigungsfeld der ROJA ist der Antimilitarismus. Unter Slogans wie "Bundeswehr raus aus den Schulen!" oder "Für die soziale Revolution weltweit!" agitiert die ROJA gegen Informationsveranstaltungen der Bundeswehr. Am 18. März beteiligte sich die Gruppierung an einer Veranstaltung "Unsere Solidarität gegen ihre Repression - Gemeinsam als Klasse kämpfen" in Nürnberg gegen die Novellierung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG). Prolos Bayern Gründung 1980 Sitz Nürnberg Die "Prolos" sind eine autonome Gruppierung in Nürnberg. In ihrem Programm verortet sich die Gruppierung im Marxismus und lehnt den demokratisch verfassten Staat ab: Mit diesem Programm wollen wir erklären (...) warum wir der Ansicht sind, dass wir eine freie kommunistische Gesellschaft brauchen, in der die Produktionsmittel vergesellschaftet sind und die politische Planung von Produktion, Reproduktion, Leben, Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft in der Hand aller im Sinne basisdemokratischer Räte und Kommunen organisiert wird. Wir (...) hoffen, dass euch die (...) Texte anregen (...), den Kampf gegen das kapitalistische System aufzunehmen. Am 25. Mai riefen die "Prolos" mit anderen Gruppierungen in Prolos gründen KamNürnberg die Protest-Mitmachkampagne "Widerständiges Baypagne "Widerständiern" ins Leben. Das "Widerständige Bayern" ist eine nordbayeriges Bayern" sche, linksextremistisch beeinflusste Kampagne, die gegen eine von ihr als rassistisch diskreditierte Politik vorgeht und gegen vermeintliche Repression durch Sicherheitsbehörden und das kapitalistische Wirtschaftssystem kämpft. Mit der Gründung von "Widerständiges Bayern" zielen die beteiligten linksextremistischen Gruppen darauf ab, über das eigene Kernspektrum hinaus junge Leute anzusprechen und zu politisieren. Am 21. Juli rief die Kampagne zu einem Aktionstag in Nürnberg auf. Unterstützt wurde sie dabei von verschiedenen Gruppierungen aus dem linksextremistischen Spektrum, darunter "La 247 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Resistance" (LARA) Ingolstadt, "Revolutionär organisierte Jugendaktion" (ROJA), und die "Sozialrevolutionäre Aktion" (SRA) Regensburg. Am 6. Oktober, eine Woche vor den bayerischen Landtagswahlen, rief "Widerständiges Bayern" zu einer Demonstration vor dem Heimatministerium in Nürnberg auf. An der Demonstration beteiligten sich u. a. autonome Aktivisten von OA und ROJA. Antifaschistische Linke Fürth (ALF) und Jugendantifa Fürth (JAF) ALF JAF Gründung 2005 2009 Sitz Fürth Das Antifaschismusverständnis der ALF zielt auf die Überwindung des bestehenden Systems als angebliche Ursache faschistischer Erscheinungsformen ab. Anlassbezogen wirkt die ALF auch in regionalen nicht extremistischen Bündnissen mit. Auf eine Initiative der ALF geht die Gründung der JAF zurück. Durch die JAF werden junge Menschen an die autonome Szene in Fürth herangeführt. Auch die JAF versteht unter Antifaschismus weit mehr als nur einen Kampf gegen Rechtsextremismus. Nach ihrem Verständnis muss Antifaschismus immer auch das Ziel haben, die kapitalistischen Verhältnisse und die bestehende staatliche Ordnung zu überwinden. Unter dem Motto "Frau Maier und Herr Özdemir geben Asyl" war die ALF am 28. Februar maßgeblich an einer Informationsveranstaltung in Nürnberg beteiligt, die die private Unterbringung von vollziehbar ausreisepflichtigen Flüchtlingen aus Afghanistan zum Gegenstand hatte. Ziel der Aktion war es, den Vollzug der rechtskräftigen Abschiebebescheide zu verhindern. An der Veranstaltung nahmen weitere autonome Gruppierungen, wie z. B. die "Interventionistische Linke" (IL) teil. Am 20. April beteiligte sich die Gruppierung an einer Demonstration gegen die Novellierung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) in Nürnberg, der sich rund 150 Linksextremisten anschlossen, darunter auch Angehörige der IL Nürnberg und von "Linksjugend ['solid]". Aktivisten der ALF nahmen an der revolutionären 1. Mai-Demonstration in Nürnberg teil sowie an der Vorabenddemonstration am 30. April in Fürth. 248 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 La Resistance - antifaschistische Jugendgruppe Ingolstadt (LARA) Bayern Gründung 2011 Sitz Ingolstadt Die Autonome Gruppe LARA hat sich Ende 2011 gegründet. Nach eigenen Angaben wurde der französische Begriff "la resistance" als Selbstbezeichnung gewählt, um den Widerstand gegen Missstände zu organisieren und Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu äußern. So erklärte die Gruppe: Neues schaffen heißt Widerstand leisten, Widerstand leisten heißt Neues schaffen. Unter Bezugnahme auf die marxistische Ideologie greift die Gruppe auf antikapitalistische Argumentationsmuster des Kommunismus zurück: Für uns verlaufen die Grenzen nicht zwischen Menschen, sondern zwischen den Widersprüchen gesellschaftlicher Besitzverhältnisse. Es kann nicht sein, dass Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, und Andere davon leben. Die Gruppe richtet ihre Agitation u. a. gegen die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD). Im Zusammenhang mit der Asylthematik unterstützte sie im Aktionsfeld Antirassismus das Aktionsbündnis "Fluchtursachen bekämpfen", das überwiegend von linksextremistischen, teils auch autonomen Gruppen getragen wird. "La Resistance" führte zum Antikriegstag am 1. September in Ingolstadt eine Demonstration durch, an der sich rund 80 Personen beteiligten, darunter auch autonome Linksextremisten. LARA ist auch an der bayerischen Protest-Mitmachkampagne "Widerständiges Bayern" beteiligt. 249 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Sozialrevolutionäre Aktion (SRA) Bayern Gründung 2017 Sitz Regensburg In Regensburg gründete sich 2017 die autonome Gruppe "Sozialrevolutionäre Aktion" (SRA). Bei der SRA sind hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu erkennen: Die Gruppierung lehnt Staat, Staatsgewalt und Staatsvolk in ihrer Gesamtheit sowie die parlamentarisch-repräsentative Demokratie, die Volkssouveränität, das (Mehr-)Parteienprinzip und das Rechtsstaatsprinzip ab. In ihrem Selbstverständnis bekennt sich die SRA zudem zum Kommunismus: (...) Wir stehen in der Tradition der kämpfenden ArbeiterInnenklasse weltweit. Folgerichtig stehen wir deshalb für einen proletarischen Internationalismus ein. (...) Wir lehnen das kapitalistische Weltwirtschaftssystem in all seinen Ausprägungen entschieden ab. Wir sehen in diesem die Ursächlichkeit der derzeitigen Unterdrückung, Vertreibung, Entfremdung, Ausbeutung, Verelendung, Endmündigung sowie den weltweiten Dauerkriegszustand. (...) Dies gilt es zu erkennen und zu überwinden. (...) (Fehler aus dem Original übernommen) Die SRA lehnt sämtliche Strukturen und die Herrschaft von Menschen über Menschen ab und vertritt somit anarchistisches Gedankengut: (...) radikales Denken heißt, den Ursachen auf den Grund zu gehen, deshalb lehnen wir vertikale und hierarchische Strukturen ab. (...) Die SRA befürwortet eine Überwindung der bestehenden Gesellschaftsverhältnisse durch Revolution. Zum Erreichen ihrer Ziele distanziert sich die Gruppe nicht von der Anwendung von Gewalt. 250 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Im Anschluss an eine Demonstration gegen die Novellierung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) nahmen Aktivisten der SRA im März an einer nicht angezeigten Demonstration in Regensburg teil, bei der Polizeibeamte mit Parolen beleidigt und mit Gegenständen, darunter einem großen Pflasterstein, beworfen wurden. Die SRA ist auch Mitglied der bayerischen Protest-Mitmachkampagne "Widerständiges Bayern", deren Ziel die Abschaffung bestehender staatlicher Strukturen ist. Für eine Demonstration vor dem Heimatministerium am 6. Oktober in Nürnberg gestaltete die SRA ein Mobilisierungsvideo Mobilisierungsvideo mit. Das Video spielt im Jahr 2028 nach dem Zusammenbruch imitiert Attentate der Weltwirtschaft und zeigt den bewaffneten Kampf sozialreder RAF volutionärer Zellen gegen den Staat. In einer Szene ist zu sehen, wie vermummte Aktivisten einen PKW überfallen, den Fahrer erschießen und eine Person mit einer Maske des Bayerischen Ministerpräsidenten entführen. Diese Art der Darstellung knüpft offenkundig an die Attentate der RAF auf Politiker und Wirtschaftsvertreter an. Autonome Szene Rosenheim In Rosenheim und Umgebung ist eine linksextremistische autonome Szene entstanden, die unter verschiedenen Bezeichnungen auftritt und mit dem "Z - linkes Zentrum in Selbstverwaltung" über einen Treffpunkt verfügt, an dem sie regelmäßig Veranstaltungen durchführen kann. Die besonders gut vernetzte Gruppe dieser Szene ist die "Infogruppe Rosenheim". Sie bezeichnet sich selbst als "autonom, antifaschistisch, emanzipatorisch". Die Infogruppe pflegt überregionale Bündnisse zu anderen linksextremistischen Gruppen in Südbayern und Österreich. Eine weitere Gruppe nennt sich "AGIR - Demokratische Jugend". Der Gruppenname dürfte sich von dem kurdischen Wort für Feuer und Flamme, "agir", ableiten. Die regional und überregional agierende Gruppe ist seit Ende 2015 bekannt. Bei Aktionen von "AGIR" konnten bisher 30 Personen mit Bezug zur Gruppe festgestellt werden. Dabei handelt es sich größtenteils um Jugendliche, zum Teil noch Schüler. Die Mitglieder pflegen Kontakte zur autonomen Szene und zu PKK-nahen Organisationen. "AGIR" betätigt sich insbesondere im "Kampf" gegen die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (PEGIDA). 251 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Zentrale Themenfelder von "AGIR" sind darüber hinaus der Kampf gegen Kapitalismus, Militarismus und Imperialismus. In einem Internetaufruf von "AGIR" heißt es: Lasst uns die Kriegsmaschinerie auch in Deutschland aufhalten. Die Rüstungsproduktion angreifen. Lasst uns den deutschen Imperialismus bekämpfen, wo wir nur können, mit allen Mitteln, die notwendig sind. Neben der Solidarisierung mit Aktivisten weltweit unterstützt "AGIR" insbesondere den Kampf kurdischer Aktivisten in Syrien. Darüber hinaus treten Autonome aus Rosenheim unter den Bezeichnungen "Contre la Tristesse", und "Offenes antifaschistisches Plenum Rosenheim" auf. Die Rosenheimer Szene beteiligte sich an den Protesten gegen die Novellierung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) am 10. Mai in München. Auch zu den Protesten gegen den S20-Gipfel in Salzburg am 20. September reisten Rosenheimer Autonome an. An einer Demonstration am 15. Dezember gegen die Eröffnung eines AfD-Bürgerbüros in Rosenheim beteiligten sich ca. 200 Demonstranten, darunter auch 50 autonome Linksextremisten. 40 Autonome versuchten, von der vorgegebenen Marschroute abzuweichen und durch die Polizeikette zum Bürgerbüro zu gelangen. Polizisten wurden z. T. mit Fahnenstöcken angegriffen, ein Durchbrechen der Demonstranten konnte die Polizei jedoch verhindern. 7.2.2 Postautonome Gruppierungen Interventionistische Linke (IL) Bayern Gründung ca. 2005 Sitz Aschaffenburg, München, Nürnberg Die IL wurde 2005 als bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen Organisierung gegründet. Mit der Veröffentlichung des "Zwischenstandpapiers" im Oktober 2014 wurde die IL zu einer bundesweiten Organisation umgeformt. Ideologisch 252 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 orientiert sich die IL am Marxismus/Kommunismus. Sie versteht das bestehende Gesellschaftssystem als eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der die herrschende Klasse (Kapitalisten) die Arbeiterklasse (Proletariat) ausbeutet und unterdrückt. Ziel der IL ist die Abschaffung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung und die Installation einer klassenlosen Gesellschaft. Dabei fokussiert sie sich nicht ausschließlich auf regionale Protestaktionen, sondern wirkt an der Vorbereitung überregionaler Aktionen mit. Die IL spielte bei der Organisation der Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg eine führende Rolle. Dabei arbeitete sie auch mit gewaltbereiten Gruppen zusammen. So verweiKeine Distanzierung gerte Emily Laquer, die Sprecherin der IL für die G20-Proteste, von Gewalt im Vorfeld des Gipfels ausdrücklich eine Distanzierung von politischer Gewalt: Und deshalb muss ich immer wieder auf die Gewaltfrage antworten: Nein, ich unterwerfe mich nicht. Nein, ich distanziere mich nicht. Ich weigere mich, harmlos zu sein. [...] Für den Augenblick ist der massenhafte Ungehorsam, für den die Interventionistische Linke bekannt ist, eine gute Antwort. Unter dem Motto "NSU Tag X - Kein Schlussstrich" initiierte die IL eine bundesweite Kampagne, die darauf ausgerichtet war, Behörden und Träger der Staatsgewalt, die mit der Aufklärung der NSU-Taten betraut waren, zu diskreditieren und zu delegitimieren. Am 11. Juli, dem Tag der Urteilsverkündung, demonstrierten Aktivisten der IL vor dem Oberlandesgericht in München. Dabei kam es zu Rangeleien mit Justizbeamten. An der nachfolgenden Demonstration durch die Innenstadt beteiligten sich zahlreiche Linksextremisten. Die IL verfügt in Bayern über Ortsgruppen in Aschaffenburg, München und Nürnberg. Die IL Nürnberg führte am 24. Februar in Nürnberg eine Veranstaltung zum Thema "Solidarität mit Afrin" durch. Im ideologischen Themenfeld des Antiimperialismus forderten sie ein Ende der Kämpfe in Afrin und den Stopp von Waffenlieferungen an die Türkei. Dabei prangerten sie eine lokale Rüstungsfirma als weltweiten Waffenexporteur an. Unter dem Motto "Frau Maier und Herr Özdemir geben Asyl" beteiligte sich die IL am 28. Februar an einer Informationsveranstaltung in Nürnberg, die die private Unterbringung von Flüchtlingen aus Afghanistan zum Gegenstand hatte. Ziel der Aktion 253 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus war es, den Vollzug der rechtskräftigen Abschiebebescheide zu verhindern. An der Veranstaltung nahmen weitere autonome Gruppierungen, wie z. B. die "Antifaschistische Linke Fürth" (ALF) teil. Antikapitalistische Linke München (AL-M) Bayern Gründung 2011 Sitz München Die AL-M ist eine revolutionär-kommunistisch ausgerichtete postautonome Gruppierung und folgt marxistisch-leninistischen und trotzkistischen Ideologieelementen. Nach ihrer Selbstdarstellung ist ihr Ziel die Beseitigung des demokratischen Verfassungsstaates und die Errichtung eines kommunistischen Systems: (...) Notwendig ist: die Revolution. (...) Die revolutionäre Theorie, um die Welt zu begreifen und sie zu verändern, ist der Marxismus. Die einzige Alternative zum heutigen Kapitalismus ist eine andere Gesellschaft: Der Kommunismus - dafür kämpfen wir. Die AL-M ist ein Bindeglied zwischen dem traditionell kommunistisch ausgerichteten Spektrum des Linksextremismus und der autonomen Szene. Die Internetseite der AL-M dient als Mobilisierungsplattform für das gesamte linksextremistische Spektrum in München. Dort wird nicht nur zu autonomen Gruppen wie "Antifa-NT" verlinkt, sondern auch zu linksextremistischen Parteien und Organisationen wie der "Roten Hilfe" und der "SDAJ München". Die Gruppierung ist bei mehreren Themen, die von Linksextremisten besetzt werden, aktiv, z. B. bei Aktionen zum Antimilitarismus. Bereits seit einigen Jahren ist die AL-M in das Bündnis "Perspektive Kommunismus" eingebunden. Zum sog. "Tag X", der Verkündung des Urteils im NSU-Prozess am 11. Juli, mobilisierte die AL-M über ihren Internetauftritt für Protestaktionen. 254 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Zur Durchsetzung ihrer Ziele rief die AL-M unverhohlen auch dazu auf, Gesetze zu brechen und Gewalt anzuwenden: Wir rufen auf zum Aufbau wirksamer Selbstverteidigung gegen faschistische Gewalt, rassistische Angriffe, Hasspropaganda, Abschiebemaschinerie und Grenzregime - Mit allen Mitteln, die dazu notwendig sind: legal und illegal, friedlich und militant. Antifa-NT Bayern Gründung bekannt seit 2006 Sitz München Die Gruppe "Antifa-NT" vertritt einen postautonomen Antifaschismus, der darauf abzielt, die bestehende Gesellschaftsordnung durch eine klassenlose Gesellschaft zu ersetzen. Sie pflegt bundesweite Kontakte zu anderen autonomen und postautonomen Gruppierungen und trat im Herbst 2015 dem linksextremistischen "... ums Ganze!"-Bündnis bei, in dem sich gewaltorientierte linksextremistische Gruppen aus Deutschland und Österreich organisieren. "Antifa-NT" nutzt die Räumlichkeiten des "Kafe Marat", das Teil eines selbstverwalteten Kulturzentrums ist. Das "Kafe Marat" dient Linksextremisten, insbesondere Autonomen, als Treffpunkt, logistisches Zentrum und Informationsbörse. Daneben nutzen auch andere nicht extremistische kulturelle und gesellschaftliche Gruppen das "Kafe Marat" für Treffen und Veranstaltungen. "Antifa-NT" ist an der bundesweiten Protest-Mitmachkampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) beteiligt. Die KamKampagne Natiopagne entstand im Nachgang eines bundesweiten Treffens autonalismus ist keine nomer Gruppen in Frankfurt am Main im Januar 2016. In der FolAlternative (NIKA) gezeit gründeten sich NIKA-Ableger in mehreren Bundesländern. In Bayern wurde die Kampagne am 26. Mai in Nürnberg ausgerufen. NIKA ist eine linksextremistische Kampagne gegen einen angeblichen Rechtsruck in der Gesellschaft. Mit NIKA will sich die linksextremistische Szene stärker vernetzen und organisieren. Ferner sollen über das eigene Kernspektrum hinaus junge Leute angesprochen und politisiert werden. 255 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus An der Kampagne sind neben der "Antifa-NT" auch andere linksextremistische Gruppierungen beteiligt, darunter die "Infogruppe Rosenheim", "Contre la Tristesse" und "Auf der Suche" (ADS). NIKA nahm u. a. an den Protesten gegen den AfD-Bundesparteitag in Augsburg und den AfD-Landesparteitag in Nürnberg sowie an den Münchner Großveranstaltungen zu "#noPAG" und dem sog. "Tag X" zur NSU-Urteilsverkündung teil. Darüber hinaus fuhren Angehörige der Kampagne zu Protesten gegen den S20-Gipfel nach Salzburg. 7.2.3 Anarchistische Gruppen Anarchistische Gruppe München (Bibliothek Frevel) Bayern Gründung 2016 Sitz München In München besteht eine Gruppe von Anarchisten, die durch publizistische Aktivitäten und das Betreiben einer Bibliothek die anarchistische Ideologie verbreiten wollen. Sie eröffneten im Sommer 2016 in München die "Anarchistische Bibliothek Frevel". Die Bezeichnung Frevel geht vermutlich auf den anarchistischen Autor Walter Borgius (1870-1932) zurück, der in seinem Werk: "Die Schule - ein Frevel" die Schule als Herrschaftsmittel zur Züchtung gehorsamer Untertanen darstellt. Die Bibliothek will den "Zugang zu den Gedanken und Kämpfen anderer Revoltierender" ermöglichen. Die anarchistische Gruppe billigt Strafund Gewalttaten als Mittel zur Zerstörung der bestehenden Ordnung. So lag in ihrer Bibliothek die anarchistische Straßenzeitung "Fernweh" aus, die linksextremistische Straftaten positiv bewertet. Bis Ende 2018 wurden 30 Ausgaben der Publikation veröffentlicht. In einem Artikel in der Ausgabe 29 nehmen die Autoren die tödlichen Schüsse eines Polizeibeamten in Frankreich auf einen 22-Jährigen gesuchten Straftäter, der versucht hatte, sich einer Polizeikontrolle zu entziehen zum Anlass, um grundsätzlich gewalttätigen Widerstand gegen die bestehende Ordnung zu rechtfertigen: 256 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Wenn ein Polizist in "unser" Viertel kommt und glaubt mit seiner Uniform, Dienstmarke, Pistole und des ihn schützenden Zwangsapparates in dessen Namen er handelt, einen Menschen kontrollieren und belästigen zu dürfen und dieser Mensch am Ende Rechtfertigung von tot ist, dann ist unsere Antwort Gewalt - dann muss die Antwort Gewalt und Aufforaller Jugendlichen, Kontrollierten und Unterdrückten Gewalt sein. derung zu Straftaten Gewalt gegen die Gewalt, die uns tagtäglich klein macht. Gewalt gegen Gewalt der Chefs und Lehrer, der Beamten in den Ämtern, der Soldaten und Waffenproduzenten, der Politiker, die Gesetze gegen uns erlassen und Kameras aufstellen, Gefängnisse und Psychiatrien bauen lassen, in die wir eingesperrt werden sollen. (Fehler aus dem Original übernommen) Im Zusammenhang mit ihrer Kritik an der Politik der Türkei und an Deutschland als Waffenexporteur sprechen die Autoren davon, dass nur ein "eigener Wille und eine zündende Idee" nötig seien, um "das Töten zu beenden und den Militarismus zu attackieren". Dies weist implizit auf die Brandanschlagsserie in München hin, die auch gegen die Rüstungsindustrie gerichtet war. Die Autoren begrüßen die Taten und fordern indirekt jene auf, die sich gegen Militarismus engagieren wollen, es den Brandstiftern gleich zu tun. Auf der Suche (ADS) Bayern Gründung 2014 Sitz Nürnberg Die Gruppe ADS versteht sich als eine anarchistische Gruppierung. Sie ist Mitglied der "Föderation deutschsprachiger Anarchist_innen". Das Feindbild aller anarchistischen Strömungen ist der Staat. Er gilt im anarchistischen Denken als repressive Zwangsinstanz, die zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft aufgelöst und zerschlagen werden müsse. ADS lehnt aus dieser Ideologie heraus fundamentale Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere Parlamentarismus und Volkssouveränität sowie das Mehrparteienprinzip ab: 257 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Linksextremismus Stellvertreter*innenmodelle und die Bildung von Parteien - wie in ausbeuterischen Wirtschaftssystemen und im Parlamentarismus üblich - lehnen wir ab, da diese im Widerspruch zu unseren Vorstellungen einer herrschaftsfreien Gesellschaft stehen. (...) Wir streben keine Übernahme, sondern die Abschaffung der politischen Herrschaft an. Die Gruppe war 2018 insbesondere in den Aktionsfeldern AntiGentrifizierung und Anti-Faschismus tätig. Am 14. Juli beteiligte sie sich zusammen mit Aktivisten der MLPD und SDAJ an einer Demonstration der DKP zum Thema "Miete runter - Löhne rauf" in Nürnberg. ADS ist an der Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) beteiligt, eine linksextremistische Mitmach-Kampagne gegen einen angeblichen Rechtsruck in der Gesellschaft. 258 Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 259 Scientology-Organisation Scientology-Organisation (SO) (SO) Aktivitäten mit SO-Bezug im Nachhilfebereich SO Tarnorganisation Der Weg zum Glücklichsein kontaktiert Polizeistellen und Schule in Bayern SO eigener TV-Kanal "Scientology-TV" ging auf Sendung Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Die "Scientology-Organisation" (SO) ist eine internationale Organisation, die zum einen auf finanzielles Gewinnstreben ausgerichtet ist und zum anderen ein weltweites, unumschränktes Herrschaftssystem nach eigenen Vorstellungen errichten möchte. An die Stelle des Demokratieprinzips und der Grundrechte soll ein auf Psycho-Technologien und der bedingungslosen Unterordnung des Einzelnen beruhendes totalitäres Herrschaftssystem unter scientologischer Führung treten. Die SO ist somit nicht nur eine Gefahr für Einzelne, die in die Fänge und den Einflussbereich der Organisation zu geraten drohen, sondern stellt auch das demokratische System der Bundesrepublik Deutschland und die staatliche Garantie der Grundrechte in Frage. Schon in seinem Grundlagenwerk "Dianetik" aus dem Jahr 1950 wies der Gründer der SO, Lafayette Ron Hubbard, auf die politische Relevanz seiner Lehre hin. Nach seinen bis heute unveränderten und für alle Scientologen verbindlichen Vorstellungen soll eine ausschließlich nach scientologischen Richtlinien funktionierende Welt geschaffen werden. Mit harten psychound sozialtechnischen Instrumenten will die Organisation nicht nur den einzelnen Menschen steuern, sondern durch Einflussnahme auf Staat, Politik und Wirtschaft in die Gesellschaft eindringen, um sie den scientologischen Zielen zu unterwerfen. Programmatik und Aktivitäten der SO sind mit den Grundprinzipien unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. 261 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Scientology-Organisation Die "Scientology-Organisation" - will ein scientologisches Rechtssystem etablieren, in dem es keine Menschenund Grundrechte gibt, - missachtet die Menschenwürde (Art. 1 GG) und den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG), da sie nur Scientologen Rechte zugesteht, - missachtet das Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG), da sie Kritik mit allen - auch illegalen - Mitteln unterdrücken will, - baut auf ein totalitäres Herrschaftssystem, das Gewalt und Willkürherrschaft einschließt. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat mit Urteil vom 12. Februar 2008 festgestellt, dass - tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die SO Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, - zahlreiche Hinweise ergeben, dass die SO eine Gesellschaftsordnung anstrebt, in der zentrale Verfassungswerte außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden, - der Verfassungsschutz die Organisation daher - auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln - beobachten darf. 262 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 1. PERSONENPOTENZIAL Deutschland Bayern Mitglieder 3.400 etwa 1.200 Vorsitzender Helmut Blöbaum Nina Malessa Gründung München 1970 Nürnberg 1982 ("Scientology Kirche ("Scientology Kirche Deutschland e. V.") Bayern e. V.") Sitz München München (in Deutschland unselbstständige Teilorganisationen) Publikationen Freiheit; Impact; Ursprung; Source u. a. Die Mitgliederzahl der SO in Bayern bewegt sich bei etwa 1.200 Personen. Neben langjährigen Anhängern der SO sind darunter auch junge Erwachsene, die in ihren Familien mit der Ideologie der SO aufgewachsen sind, weiterhin der Organisation treu bleiben und diese auch bewerben, sowie neu gewonnene Mitglieder. Konsequente staatliche Aufklärungsarbeit, Prävention und kritische Darstellungen in den Medien haben die SO und deren Ziele für die Öffentlichkeit transparent gemacht und erschweren es ihr, neue Mitglieder zu gewinnen. Mithilfe von Tarnorganisationen, wie z. B. der "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V." (KVPM), der Organisation "Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben" oder der Organisation "Der Weg zum Glücklichsein", versucht die SO weiterhin, sich als humanitäre und sozial verantwortliche Organisation darzustellen und neue Mitglieder zu gewinnen. 2. AKTIONEN UND AKTIVITÄTEN 2.1 Ausstellung der "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte Deutschland e. V." (KVPM) In München fand von 5. bis 18. April erneut eine Ausstellung mit dem Titel "Psychiatrie: Tod statt Hilfe" der SO-Tarnorganisation KVPM statt. In der Ausstellung wurde versucht, die Besucher mit einer tendenziösen und manipulativen Darstellung der Psychiatrie emotional zu erreichen. Mittels Schautafeln, Filmen 263 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Scientology-Organisation und Diskussionsveranstaltungen vermittelt die Ausstellung den Eindruck, Ziel der Psychiatrie sei es, Menschen mit psychischen Problemen generell zu schaden. Zehntägige MahnDie Ausstellung wurde von einer zehntägigen Mahnwache unter wache dem Titel "Protest gegen Menschenrechtsverletzungen in der Psychiatrie - Mahnwache anlässlich des Amoklaufs in Münster, Amoklauf nach Psychopillen mit gefährlichen Nebenwirkungen?" in unmittelbarer Nähe zu den Ausstellungsräumlichkeiten begleitet. Damit versuchte die KVPM, die Amokfahrt vom 7. April in Münster für ihre Agitation gegen die Psychiatrie zu instrumentalisieren. Bei der Amokfahrt hatte ein 48-Jähriger, der unter psychischen Problemen litt, mit einem Transporter insgesamt vier Passanten getötet und sich anschließend selbst erschossen. Instrumentalisierung Die KVPM versucht schon seit mehreren Jahren, Gewalttaten von Gewalttaten mit vielen Opfern für ihre Zwecke propagandistisch zu nutzen. durch KVPM Schon der Hinweis, der Täter könnte unter psychischen Problemen gelitten haben, genügt, um das tragische Ereignis in ihre Argumentationsmuster gegen die Psychiatrie einzubinden. Ziel der KVPM ist es dabei, ihren Anspruch zu unterstreichen, die einzig richtige Methode zur Lösung psychischer Probleme - die Hinwendung zur Lehre der SO - zu kennen. Der Organisation geht es auch um eine Marktverdrängung: Sie betrachtet Psychiatrie und Psychologie und somit auch die meisten Psychotherapieangebote als Konkurrenz. Die KVPM-Kampagnen beabsichtigen, die Bevölkerung zu verunsichern, um den Boden für scientologische Lösungsansätze in Medizin und Justiz zu bereiten und damit die Grundlage für eine Expansion der SO in der Gesellschaft zu schaffen. 2.2 Offensive Öffentlichkeitsarbeit der Tarnorganisation "Der Weg zum Glücklichsein" Die SO-Tarnorganisation "Der Weg zum Glücklichsein" ("The Way to Happiness Foundation") betreibt seit Mitte 2016 in Bayern verstärkt Öffentlichkeitsarbeit. Ziel ist es, eine möglichst große Anzahl an Exemplaren der Broschüre "Der Weg zum Glücklichsein" zu verteilen. Aufmachung und Inhalt des Hefts sind auf den ersten Blick unverfänglich, lediglich im Impressum ist der "Scientology"-Gründer L. Ron Hubbard erwähnt. Transportiert werden mit der Broschüre eher triviale Vorschläge und Anleitungen zum "Glücklichsein", die scientologische Ideologie ist enthalten, aber nur schwer zu erkennen. 264 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Die SO versucht mit der Broschüre, Menschen auf vermeintlich problematische Erscheinungen oder Stimmungslagen in ihrem Leben aufmerksam zu machen und Interesse daran zu wecken, etwas zu ändern oder Hilfe zu suchen. Ziel ist, die Adressaten zur Kontaktaufnahme mit der Tarnorganisation zu motivieren. Sobald die Kontaktdaten vorhanden sind, können diese genutzt werden, um die Personen mittelfristig an die SO heranzuführen. Die Organisation übermittelte die Broschüre an verschiedene Polizeidienststellen in Bayern unter dem Vorwand, Hilfe bei der Resozialisierung von Straftätern zu bieten. Diese Aktion blieb ohne jegliche Resonanz. Ende des Jahres wurde zudem bekannt, dass eine Schule in Bayern angeschrieben und die Vermittlung eines Versuche der KonSO-Referenten für eine "neutrale" Information über die Inhalte taktanbahnung mit der SO-Ideologie angeboten wurde. Das Kultusministerium wurPolizei und Schule de über die versuchte Kontaktaufnahme informiert. In einer eigenen Facebook-Gruppe versucht die SO, die Kampagne - auch durch das Verbreiten von Fotos ihrer Aktionen - als erfolgreich darzustellen, um damit die Mitglieder zu zusätzlichem Engagement zu motivieren. Innerhalb der SO existieren statistische Vorgaben für die Durchführung öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten und die Werbung neuer Mitglieder. Es ist davon auszugehen, dass das erhöhte Aktionsniveau auch dazu dient, diesen Vorgaben gerecht zu werden. 265 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Scientology-Organisation 2.3 SO-eigener TV-Sender "Scientology TV" Am 12. März ging der von Scientology betriebene Fernsehsender "Scientology TV" beim Satellitenbetreiber DirecTV zum ersten Mal auf Sendung. "Scientology TV" ist als Kabelkanal und Streamingdienst verfügbar. Gesendet werden mehrere Formate, die sich mit dem Gründer L. Ron Hubbard und dem Leben als Scientologe beschäftigen, z. B. die Serie "Meet a Scientologist". Die Sendungen werden in einem Filmstudio in Hollywood/Los Angeles produziert, das die SO bereits 2011 erworben hat. 2016 gründete sie dort die "Scientology Media Productions" (SMP). Die SO ist in den letzten Jahren medial und politisch auch in den USA erheblich unter Druck geraten. Der Start von "Scientology TV" ist als Gegenreaktion der SO auf staatliche Aufklärungsmaßnahmen und auf Kritik prominenter SO-Aussteiger zu verstehen. Der TV-Sender ermöglicht es der SO, die eigenen Ansichten und vermeintliche "Wahrheiten" zu verbreiten, ohne sich kritischen Fragen stellen zu müssen. So wurde "Scientology TV" auf einem Twitterkanal der SO unter dem Motto "Es ist an der Zeit, unsere Geschichte zu erzählen" beworben. Der TV-Sender stellt zugleich auch ein Werkzeug dar, um neue Interessenten anlocken und letztendlich als Mitglieder rekrutieren zu können. Um die Zuschauerzahlen zu steigern, erließ die Organisation im Mai eine "Executive Directive", in der die einzelnen "Kirchen" (sog. Orgs, s.u.3.) weltweit aufgefordert werden, zu bestimmten Zeiten dem Programm auf "Scientology TV" zu folgen. Am 8. Oktober starteten neue Staffeln von Serien wie "Inside Scientology" und "Voices for Humanity" mit insgesamt 60 neuen Episoden. Den Zuschauern wird hier u. a. ein "Blick hinter die Kulissen" einzelner Einrichtungen der Organisation gewährt, darunter zum Schulungsschiff Freewinds und zum britischen Zentrum Saint Hill Manor in East Grinstead. Des Weiteren werden Dokumentarfilme über angebliche humanitäre Projekte der SO gezeigt. Der Sender wird auch in Bayern durch die Verteilung von Flyern und in den sozialen Netzwerken Twitter, Facebook, Instagram und YouTube beworben. Über das Zuschauerinteresse an "Scientology TV" liegen zwar keine gesicherten Informationen vor, doch lassen niedrige Follower-Zahlen des zugehörigen TwitterKanals auf einen eher geringen Erfolg schließen. 266 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 3. ORGANISATIONSSTRUKTUR Die SO ist wie ein internationaler Wirtschaftskonzern organisiert und strukturiert. Alle Einrichtungen unterliegen trotz scheinbarer Selbstständigkeit der strikten Befehlsund Disziplinargewalt des "Religious Technology Center" (RTC) in Los Angeles/USA unter der Leitung von David Miscavige, dem Nachfolger des Gründers der "Scientology Organisation", L. Ron Hubbard. Flag Service Organization in Clearwater, Florida Kern ist der Church-Bereich, der in "Kirchen" (Org), Missionen und "Celebrity Centres" gegliedert ist. Dachverband in Deutschland ist die "Scientology Kirche Deutschland e. V." (SKD), in Bayern existiert parallel dazu die "Scientology Kirche Bayern e. V." (SKB). Sowohl die SKD als auch die SKB haben ihren Sitz in München. In der SO-Hierarchie stehen Missionen unterhalb der Org, sie können nur grundlegende Dienstleistungen anbieten. Alle weltweiten Missionen stehen unter der Führung der "Scientology Missions International" (SMI) mit Sitz in Los Angeles/USA. Die Veröffentlichung interner Missionsranglisten soll gegenseitige Konkurrenz zwischen den Missionen erzeugen. Den besten Listenplatz erhält die Mission mit dem größten Umsatz, den meisten Neuanwerbungen oder dem höchsten Spendenaufkommen. Im Rahmen ihrer "Ideale-Org-Kampagne" will die SO weltweit Kampagne "Ideales in Städten, die sie für sich als politisch und wirtschaftlich beDeutschland" deutsam einschätzt, große und repräsentative Niederlassungen (Ideale Orgs) aufbauen bzw. bereits bestehende vergrößern. Diese Idealen Orgs sollen politischen Einfluss nehmen (u. a. durch Standorte in Regierungs-/Parlamentsnähe). Die Eröffnung einer 267 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Scientology-Organisation Idealen Org ist an bestimmte, von Hubbard festgelegte Kriterien hinsichtlich Größe, Mitarbeiteranzahl und Ausstattung gebunden. In einer Idealen Org sollen sämtliche Dienstleistungen der SO unter einem Dach angeboten werden können. Zur Finanzierung dieser Projekte fordert die Organisation regelmäßig Spenden von ihren Mitgliedern ein. Ideale Orgs in Berlin, In Deutschland existieren bislang drei Ideale Orgs. Die SO-NieHamburg und derlassung in Berlin wurde 2007 eröffnet, seit Januar 2012 gibt Stuttgart es auch in Hamburg eine Ideale Org. Am 9. September folgte die Eröffnung einer dritten deutschen Idealen Org in Stuttgart. Damit wurden die Vorgaben des internationalen Managements der SO erfüllt, das dieses Projekt nach wie vor als wichtigen Bestandteil seiner weltweiten Expansionsbestrebungen betrachtet. Strategisches Ziel der SO ist ein "Ideales Deutschland". Daher muss mit der Eröffnung weiterer Idealer Orgs, u. a. auch in München, gerechnet werden. Bereits seit 1980 gibt es in München ein "Celebrity Centre", das für Prominente und Künstler vorgesehen ist. Die "Celebrity Centres" sollen Politiker, Führungskräfte aus der Wirtschaft, Medienleute, Künstler und andere Prominente für Scientology gewinnen, um sie für Propagandazwecke nutzen zu können. 3.1 Finanzierung der Scientology-Organisation Die SO finanziert sich insbesondere durch die Durchführung von kostenpflichtigen Kursen und den Vertrieb von Kursmaterialien. Wer sich der SO anschließt, muss einen genau vorgezeichneten Trainingsweg beschreiten, um zum scientologischen Übermenschen, dem "Operierenden Thetan" (OT) zu werden. Vom ersten bis zum letzten Kurs ist mit Kosten in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro zu rechnen. Hinzu kommt der steigende Druck auf die Mitglieder, Spenden zu leisten. Je nach finanzieller Leistungsfähigkeit des Einzelnen variiert die Höhe der Einzelspenden zwischen einigen hundert bis zu mehreren Hunderttausend Euro. Der Spendendruck wird noch dadurch erhöht, dass die Mitglieder für die SO leicht erpressbar sind: Teil der Kurse ist das sogenannte Auditing, eine Psychotechnik, bei der Anhänger der SO sämtliche Informationen bis hin zu intimsten Details über ihr Leben preisgeben müssen. Dies macht sie für die SO zum gläsernen Menschen und damit letztendlich kompromittierbar. Derzeit versucht die SO, die für die Schaffung einer Idealen Org in München notwendigen finanziellen Mittel zu akquirieren, und fordert die Mitglieder deshalb auch zu zusätzlichen Spenden auf. 268 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 3.2 Unterorganisationen der ScientologyOrganisation Das "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) ist ein franchiseähnlicher Zusammenschluss von Unternehmen, die durch Lizenzverträge an die SO gebunden sind und nach deren Methoden arbeiten. WISE hat zum Ziel, die Wirtschaft zu unterwandern und Gewinne durch den Verkauf von SOManagement-Techniken an Unternehmen zu erwirtschaften. WISE-Unternehmen sind in allen Branchen zu finden. Vor allem Unternehmensund Personalberatung, Coaching-Angebote und die Immobilienbranche stehen im Fokus der Organisation. Die SO verfügt über Management-Akademien und ein eigenes Kursprogramm für die Wirtschaft mit Seminaren zu Themen wie Motivation, Effizienz, Organisation, Kommunikation und Management nach Statistiken. Mithilfe der "Associaton for Better Living and Education" (ABLE) versucht die SO, sich auch als soziale Organisation darzustellen. Zu ABLE gehören u. a. die vermeintliche Hilfsorganisation für Drogenabhängige "NARCONON", die Kampagne "Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben" und das Ausbildungsprogramm "Applied Scholastics", das im Bereich der Kinderund Erwachsenenbildung aktiv ist. Die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V." (KVPM) diffamiert mit pauschaler und tendenziöser Kritik die medizinische Psychiatrie und reklamiert für sich, den einzig wahren Weg zur Heilung psychischer Krankheiten zu kennen. Die KVPM-Initiative "Jugend für Menschenrechte" soll junge Menschen für die Themen der SO begeistern und sinkenden Mitgliederzahlen entgegenwirken. Dass die KVPM eine Teilorganisation der SO ist, wird bei ihren Veranstaltungen nicht offen gelegt. Besucher und mögliche Interessenten werden gezielt über die eigentliche Zielsetzung und ideologische Ausrichtung getäuscht. Innerhalb des streng hierarchischen Aufbaus der SO gibt es zahlreiche Überwachungseinrichtungen und einen eigenen Geheimdienst, das "Office of Special Affairs" (OSA). Diese sollen Informationen über Kritiker, Behördenangehörige und andere Gegner sammeln, auswerten und als Druckmittel verwenden. Die OSA-Einheit für Deutschland ("Department of Geheimdienst OSA Special Affairs - DSA") ist zwar strukturell bei der "Scientology 269 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Scientology-Organisation Kirche Deutschland e. V." angesiedelt, aber im Herbst 2012 an den Sitz der "Scientology Kirche Bayern e. V." umgezogen. Hubbard sah in der OSA hauptsächlich das Ziel: ... Behörden und ... Denkmodelle oder Gesellschaften in einen Zustand völliger Übereinstimmung mit den Zielen der SO zu bringen. ... Dies geschieht durch die hochrangige Fähigkeit zur Steuerung und - falls sie nicht gegeben ist - durch die weiter unten angesiedelte Fähigkeit zur Überwältigung. (Hubbard-Anweisung vom 15. August 1960) Im Allgemeinen treten SO-Einrichtungen überwiegend offen auf bzw. versuchen nicht, ihre Verbindung zur SO zu verschleiern. Daneben bedient sich die SO allerdings auch Nebenund Tarnorganisationen, die auf den ersten Blick keinen Zusammenhang mit der SO erkennen lassen, mit denen aber Botschaften zu unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Themen transportiert werden sollen. Die SO ist in mehreren Themenfeldern mit Tarnorganisationen aktiv. Diese Felder zeichnen sich meist durch zwei Aspekte aus: Es gibt einen relativ breiten gesellschaftlichen Konsens, in den sich die SO einordnet, z. B. der Kampf gegen Drogenmissbrauch. Die SO versucht auf diese Weise, an Menschen heranzukommen, die Hilfe brauchen, sich in einer Lebenskrise befinden und die damit leichter beeinflussbar sind, z. B. Drogenabhängige, psychisch Kranke, Straftäter oder Schüler mit schlechten Schulleistungen. Nachhilfeinstitute bieten zum Teil verdeckt, zum Teil aber auch offen nach scientologischen Regeln ablaufende Kurse für Kinder und Erwachsene an. Kinder werden somit schon früh unterschwellig und spielerisch in scientologische Denkweisen eingeführt. In Bayern arbeiten "Die Lernakademie" in München-MilbertshoScientologische fen sowie die "Nachhilfeund Sprachenschule in Zirndorf" mit Nachhilfeinstitute der SO-Technik "Applied Scholastics". Auf den Internetseiten beider Institute wird als Urheber der Lernmethode der Scientology-Gründer L. Ron Hubbard zwar erwähnt, allerdings wird behauptet, dass "Applied Scholastics" weder Teil einer Scientology Kirche sei noch finanzielle Verbindungen mit einer solchen unterhalte. Dadurch werden Interessenten bewusst getäuscht. "Applied Scholastics" ist eine Marke, deren Rechte dem "Religious Technology Center" der Scientology-Organisation gehören. Somit ist "Applied Scholastics" zwar nicht Teil einer Scientology Kirche, aber sehr wohl Teil der Scientology-Organisation. 270 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Die SO setzt somit bewusst auf Tarnorganisationen, um auch diejenigen erreichen zu können, die der SO zunächst ablehnend gegenüberstehen. Ziel der SO ist es, dadurch dauerhafte Kontakte zu Menschen aufzubauen, die zu einem späteren Zeitpunkt in die SO selbst und in das damit verbundene kostspielige Kurssystem eingegliedert werden können. Tarnorganisationen der Scientology-Organisation Logo Bezeichnung World Institute of Scientology Enterprises (WISE) Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V. (KVPM) Association for Better Living and Education (ABLE) Jugend für Menschenrechte e. V. Applied Scholastics Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben e. V. Der Weg zum Glücklichsein NARCONON 271 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Scientology-Organisation 3.3. Formen der Kontaktaufnahme Die SO-Einrichtungen versuchen, auf verschiedenen Wegen einen ersten Kontakt herzustellen. - Veranstaltungen und Infostände in den Innenstädten - Ansprechen auf der Straße mit dem Angebot, einen Persönlichkeitstest zu machen - Zusenden von Werbematerial - Angebote an Unternehmen zu Betriebsführungstechniken und Kursen zur Persönlichkeitsveränderung - Angebote auf dem Nachhilfemarkt - Kontaktaufnahmen in sozialen Netzwerken wie Facebook und YouTube Scientology in Mit modern aufgemachten Profilen in sozialen Netzwerken und sozialen Medien mit Video-Clips auf YouTube versuchen die SO und ihre Tarnorganisationen, insbesondere junge Leute zu erreichen. Die SO thematisiert dazu die für diese Altersgruppe typischen Sorgen und Probleme. Dabei profitiert sie insbesondere von jungen Mitgliedern, die in SO-geprägten Elternhäusern aufgewachsen sind. Diese jungen Menschen, für die die SO selbstverständlicher Bestandteil ihres Lebens ist, vermitteln ein Bild der SO, das jung, modern und somit zielgruppenaffin wirkt und geeignet ist, andere junge Menschen zumindest für die Organisation zu interessieren. Jugendliche sollen sich in ihrer Lebenswelt abgeholt fühlen und das Gefühl gewinnen, die SO verstehe ihre Probleme besser als andere. Das Ziel ist letztlich, Jugendliche und junge Erwachsene für die Organisation und ihre Tarnorganisationen dauerhaft als Mitglieder zu werben. Die Organisation hält aber auch an den klassischen Methoden der Kontaktaufnahme fest. Dabei bedient sie sich gesellschaftlich relevanter, aktueller Themen. So versuchte die Scientology Kirche Bayern e. V. im Rahmen eines "Tags der offenen Tür", die Geschehnisse in Chemnitz im August für sich zu nutzen. Nach einem Tötungsdelikt, das mutmaßlich von einem Asylbewerber verübt wurde, kam es in Chemnitz zu Übergriffen durch Rechtsextremisten. Die SO suggerierte, auch für Überfremdungsängste und Rassismus ein Lösungsmodell anbieten zu können. 272 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 4. AUSSTEIGER In der Vergangenheit haben mehrere hochrangige beziehungsweise prominente SO-Mitglieder aus unterschiedlichen Motiven die SO verlassen. Zudem erschienen international mehrere Veröffentlichungen ehemaliger Scientologen über ihre Erfahrungen in der SO. Aussteiger, die sich in der Öffentlichkeit aktiv gegen die SO wenden, werden von ihr als "unterdrückerische", "antisoziale" oder "geisteskranke" Personen diffamiert und müssen mit Verfolgung, Bedrohung und Erpressung rechnen. Dabei macht die SO auch nicht vor den Angehörigen und dem persönlichen Umfeld der Betroffenen Halt. Allen Aussteigern und Betroffenen stehen bundesweit zahlreiche Institutionen und private Initiativen zur Verfügung, die Ratsuchenden eine erste pädagogisch-psychologische Beratung, Unterstützung und Krisenhilfe anbieten. Weitergehende Informationen zur SO, ein Glossar zum scientologischen Sprachgebrauch sowie die Adressen von Beratungsstellen finden sich auf den Internetseiten des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz sowie des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration. Vertrauliches Telefon Für Opfer und Aussteiger der SO sowie für Angehörige von SO-Mitgliedern unterhält das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ein vertrauliches Telefon; dort können Hinweise zur SO gegeben werden: Telefon: 089/31201 296 Weitere Informationen und Beratungsstellen: Bayerisches Staatsministerium des Innern Broschüre Das System Scientology Das System Scientology Die Broschüre wird aktuell überarbeitet und 2019 neu erFragen und Antworten scheinen. www.stmi.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de 273 Spionageabwehr, Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Wirtschaftsschutz, Cyber-Allianz-Zentrum (CAZ) Technische Mittel gewinnen als Instrument der Spionage an Bedeutung Angriffe auf Informationsinfrastrukturen nehmen an Zahl und Komplexität zu Verstärktes Auftreten von APT-Kampagnen und Angriffen auf Netzinfrastrukturen in 2018 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Nachrichtendienste vieler Staaten haben die Aufgabe, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär anderer Länder auszuforschen. Ihr Ziel ist es, entweder die Erkenntnisse selbst zu nutzen oder die Möglichkeit zu haben, andere Staaten zu sabotieren. Dabei werden deutsche Interessen sowohl in Deutschland als auch weltweit ausspioniert. Auch elektronische Angriffe auf die Kommunikation von Regierungseinrichtungen gehören zum allgemeinen Repertoire von ausländischen Nachrichtendiensten. Politische und militärische Spionage ist auf die Außen-, Europaund Bündnispolitik sowie die Wirtschaftsund Energiepolitik Deutschlands ausgerichtet. Wie intensiv ein Staat Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage betreibt, ist abhängig von seiner eigenen wirtschaftlichen Lage. Wirtschaftlich weniger entwickelte Staaten spionieren in erster Linie Produkte und Fertigungsprozesse aus und wollen so mit möglichst geringem Aufwand an benötigtes Know-how gelangen. Wirtschaftlich hochentwickelte Staaten, die selbst über Hochtechnologie verfügen, wollen darüber hinaus an strategische Informationen gelangen, um die eigene Wirtschaft im globalen Wettbewerb besserstellen zu können. Wirtschaftsspionage verursacht in Deutschland jährlich Schäden in Milliardenhöhe und gefährdet Arbeitsplätze. Gerade bayerische Firmen und Hochschuleinrichtungen stehen wegen ihrer Innovationskraft in nahezu allen Branchen und Forschungsbereichen im Blickfeld ausländischer Nachrichtendienste. Besonders gefährdet sind kleine und mittelständische Firmen, die Spitzentechnologie entwickeln oder produzieren, da sich diese oft noch nicht ausreichend vor Spionageangriffen schützen. 275 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Um an Informationen zu gelangen, werden auch Behörden, Hochschulen und Wirtschaftsunternehmen zunehmend elektronisch angegriffen. Derartige Angriffe können vielfältige Urheber und Ziele haben. Es ist deshalb unverzichtbar, präventiv Abwehrmechanismen in den Bereichen Politik und Militär sowie Wirtschaft und Wissenschaft zu implementieren, die unabhängig von der Herkunft des Angriffs Schutzwirkung entfalten. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz stellt Unternehmen daher zielgerichtet Präventionsangebote zur Spionageabwehr im Rahmen seiner Wirtschaftsschutztätigkeit bereit. Einen Schwerpunkt bildet auch hier die Abwehr elektronischer Angriffe, der seit Juli 2013 vom Cyber-Allianz-Zentrum Bayern (CAZ) wahrgenommen wird. Neben Spionageaktivitäten bemühen sich einige Länder, in den Besitz von Technologien für atomare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen mit den erforderlichen Trägersystemen zu gelangen (Proliferation). 276 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 1. SPIONAGEAKTIVITÄTEN AUSLÄNDISCHER NACHRICHTENDIENSTE Ausländische Nachrichtendienste arbeiten regelmäßig getarnt in Deutschland. Ausgangspunkt für deren Spionageaktivitäten sind häufig sog. Legalresidenturen, die in den offiziellen (z. B. BotLegalresidenturen schaft oder Generalkonsulat) oder halboffiziellen (z. B. Presseagentur) Vertretungen ausländischer Staaten in Deutschland untergebracht sind. Dort tarnen ausländische Nachrichtendienste ihre Mitarbeiter, die mit verschiedenen Methoden Informationen selbst beschaffen oder nachrichtendienstliche Operationen aus den Heimatländern unterstützen. Zu den Aufgaben der ausländischen Nachrichtendienstmitarbeiter gehört es auch, das Internet auszuwerten und Veranstaltungen zu besuchen, um Kontakte zu zahlreichen Gesprächspartnern zu knüpfen. Gegenstand der Spionageaktivitäten können z. B. auch in Deutschland lebende Oppositionelle sein oder die gezielte Desinformation der deutschen Öffentlichkeit. Beschaffungsmethoden fremder Nachrichtendienste Offene Beschaffung Konspirative Beschaffung - Auswertung offener Quellen - Einsatz menschlicher Quellen - Gesprächsabschöpfung - Einsatz technischer Mittel - Teilnahme am Wirtschaftsleben - Umgehung von Ausfuhrbeschränkungen Spionage gegen Deutschland wird nach wie vor sowohl mit menschlichen Quellen als auch mit technischen Mitteln durchgeführt. Beides geschieht wahlweise offen oder konspirativ. Die Tarnung als Journalist, Wirtschaftsoder Handelsattache bietet vielfältige Möglichkeiten, um an Informationen zu gelangen, z. B. auf Messen oder Tagungen. Sog. "Illegale", langfristig im Zielland eingesetzte Nachrichtendienstangehörige, werden mit einer falschen Identität ausgestattet. Die Enttarnung dieser "Illegalen" durch die Spionageabwehr gelingt nur mit großem operativem Aufwand. Ein etwaiger Diplomatenstatus schützt Nachrichtendienstangehörige bei Enttarnung vor Strafverfolgung und lässt nur die Ausweisung zu. Besonders im Fokus nachrichtendienstlicher Aktivitäten stehen Zielpersonen aus Parteien, politischen Institutionen, Behörden, Zielpersonen der Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Die meist arglosen Spionage Personen werden oftmals durch geschickte Gesprächsführung 277 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Opfer von Ausspähungsaktivitäten. Nicht selten können getarnte Nachrichtendienstangehörige bereits auf diesem Weg sensible Informationen gewinnen. Soziale Netzwerke wie Facebook und LinkedIn spielen mittlerweile für Anwerbeversuche ausländischer Nachrichtendienste eine große Rolle. Diese können unmittelbar aus den jeweiligen Heimatländern initiiert und gesteuert werden. Vermeintliche Wissenschaftler, Jobvermittler oder Headhunter knüpfen Kontakte zu ausweislich ihres Personenprofils interessanten Personen. Erfolgt dann beispielsweise ein reizvolles Jobangebot mit anschließender Einladung in das jeweilige Land, sind Betroffene der Gefahr der nachrichtendienstlichen Anbahnung ausgesetzt. Auch Angehörige diplomatischer Vertretungen, Behördenvertreter, Firmenangehörige oder Studenten, die sich längerfristig im Ausland aufhalten oder auf Reisen befinden, können zur Zielperson ausländischer Nachrichtendienste werden. Der Heimvorteil bietet ein breites Spektrum von Überwachungsund Kontrollmöglichkeiten, um Zielpersonen bei passender Gelegenheit anzusprechen. So werden u. a. kompromittierende Situationen geschaffen oder als Druckmittel verwendet. Möglich ist auch eine Anwerbung auf vorgeblich freundschaftlicher Basis. Spionageaktivitäten erfolgen in weiter zunehmendem Maße auch mit technischen Mitteln. Das Abhören von inländischer Kommunikation kann dabei ebenso über Server oder Internetknoten im Ausland erfolgen. Auch hierfür können Legalresidenturen genutzt werden. Fernmeldeaufklärungsmaßnahmen gegen deutsche Interessen werden von diplomatischen Vertretungen in deren Nahbereich durchgeführt. Betroffen sind hier insbesondere Gespräche mit Mobiltelefonen, WLANoder Bluetooth-Verbindungen, Laptops oder Tablets. Die Zielobjekte können vielfältig sein: Sie reichen von der SaZielobjekte der botage Kritischer Infrastruktur über das Ausspähen, Kopieren Spionage oder Verändern von Daten, die Übernahme einer fremden elektronischen Identität und den Missbrauch oder die Sabotage fremder IT-Strukturen bis hin zur Übernahme von Produktionsund Steuereinrichtungen. Angriffe erfolgen beispielsweise von außen durch Computernetzwerke oder manipulierte Hardware wie USB-Sticks. 278 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Auch in Deutschland stehen insbesondere Politik, Verwaltung und Wirtschaft im Fokus nachrichtendienstlich gesteuerter Cyberangriffe. Dabei sind die Bereiche Außenund Sicherheitspolitik, Finanzen sowie Militär und Rüstung für Angreifer von hohem Interesse. Es ist ein strategisches Vorgehen festzustellen, das sich regelmäßig bei besonderen Anlässen steigert. Hochrangige Entscheidungsträger bzw. deren unmittelbare Mitarbeiter sollen beispielsweise im Vorfeld von Gipfeltreffen durch geschickt gestaltete E-Mails verleitet werden, den mit einer Schadsoftware versehenen Anhang zu öffnen und so eine Infektion der Systeme auszulösen. Der Angreifer erhofft sich so, frühzeitig die geplante strategische Vorgehensweise in den Gipfeltreffen auszuspähen, entsprechend darauf reagieren und sich so selber in eine bessere Verhandlungsposition bringen zu können. Cyberangriffe stellen auch in den Bereichen Wirtschaft und Forschung aus Sicht ausländischer Nachrichtendienste ein geeignetes Spionagemittel dar. Einzelne Nachrichtendienste verfügen über eine gesetzliche Grundlage und somit den staatlichen Auftrag, die eigene Volkswirtschaft mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu stärken. Die damit in Deutschland verursachten volkswirtschaftlichen Schäden sind bedeutend: Schätzungen zufolge führt der illegale Abfluss geistigen Eigentums zu einem Schaden von mehreren Milliarden Euro. Insbesondere Unternehmen aus den Bereichen Rüstung, Luftund Raumfahrt, die Automobilindustrie sowie Forschungsinstitute sind betroffen. Werden Cyberattacken bekannt, erschwert die Anonymität des Internets die Identifizierung und Verfolgung der Täter. Durch forensische Analysen können jedoch immer wieder wichtige Hinweise auf Herkunft und Verursacher dieser Attacken gewonnen werden. Bei Hinweisen auf einen nachrichtendienstlichen Hintergrund sind die Verfassungsschutzbehörden zuständig. 1.1 Russische Föderation Aufgabe russischer Nachrichtendienste ist es, neben den politischen auch die wirtschaftlichen Interessen Russlands weltweit voranzutreiben. Die russische Wirtschaft profitiert in erheblichem Maß davon, dass alle russischen Nachrichtendienste gesetzlich dazu verpflichtet sind, Wirtschaftsspionage zu betreiben. Russland setzt vor allem drei Nachrichtendienste ein. Die Gesamtzahl der Mitarbeiter aller russischen Nachrichtendienste bewegt sich Schätzungen zufolge in einem mittleren sechsstelligen Bereich. 279 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Ziviler Auslandsnachrichtendienst (SWR) Der SWR ist zuständig für Spionage in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie. Darüber hinaus forscht er Ziele und Arbeitsmethoden westlicher Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden aus und bedient sich dazu auch der elektronischen Fernmeldeaufklärung. Zur Informationsbeschaffung setzt der SWR sog. Illegale ein, d. h. Nachrichtendienstoffiziere, die unter Verwendung falscher Identitäten langfristig in die Zielländer eingeschleust werden und dort möglichst unauffällig am sozialen Leben teilnehmen. Inlandsnachrichtendienst (FSB) Hauptaufgaben des FSB sind die zivile und militärische Spionageabwehr. Hierzu verfügt der FSB über umfangreiche Befugnisse. Auch ausländische Staatsangehörige können in das Blickfeld des FSB geraten und gezielt überwacht werden, wenn sie in Russland Internet oder Telefon nutzen. Der FSB hat Zugriff auf den Datenverkehr, der über russische Provider abgewickelt wird, und Zugang zu Datenbanken russischer Telefongesellschaften. Militärischer Auslandsnachrichtendienst (GRU) Der GRU hat die Aufgabe, das gesamte sicherheitspolitische und militärische Spektrum aufzuklären. Dazu spioniert er Bundeswehr, NATO und andere westliche Verteidigungsstrukturen genauso wie militärisch nutzbare Technologien aus. 1.2 Volksrepublik China Die "Kommunistische Partei Chinas" (KPCh) setzt zur Stabilisierung ihres Machtanspruchs gezielt den umfangreichen Sicherheitsapparat ein. Die Nachrichtendienste sollen einen Beitrag für den Erhalt der sozialen Stabilität leisten und gleichzeitig wirtschaftliche Interessen fördern. Zur Beschaffung von Spitzentechnologie aus dem Westen setzt China auf groß angelegte Spionage in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie. Chinesische Nachrichtendienste versuchen, am Hochtechnologiestandort Bayern entsprechendes Know-how insbesondere aus den Bereichen erneuerbare Energien, Elektromobilität, Umwelttechnik sowie Informationsund Militärtechnologie zu beschaffen. Hierfür nutzen sie in erster Linie Kontakte zu Vertretern von Behörden und Unternehmen oder Wissenschaftlern, um an sensible Informationen zu gelangen. 280 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Neben Nachrichtendienstmitarbeitern an Legalresidenturen setzt China zur Informationsbeschaffung auch in Deutschland lebende Chinesen ein, die sich hier als Ingenieure, Gastwissenschaftler, Praktikanten oder Studenten aufhalten. Für die Anwerbung und Abschöpfung nutzt China die Kontakte von Visumsantragstellern zu Botschaften und Konsulaten oder deren Aufenthalt im Heimatland, beispielsweise zu Verwandtschaftsbesuchen. Außerdem werden deutsche Geschäftsreisende in China intensiv überwacht, insbesondere bei der Nutzung von Telefon und Internet. Dabei werden mitgeführte elektronische Datenträger offen oder verdeckt ausgespäht. Durch die Auswertung der elektronischen Datenträger gewinnen die Nachrichtendienste Erkenntnisse, die sie als Druckmittel einsetzen können, um westliche Geschäftsreisende zur Zusammenarbeit zu bewegen. Chinesische Nachrichtendienste entwickeln Spionageaktivitäten nicht nur aus diplomatischen Einrichtungen heraus oder durch reisende Nachrichtendienstoffiziere, die in Deutschland oder im benachbarten Ausland Treffen mit ihren Agenten durchführen. Ansprachen und Anwerbeversuchen sind deutsche StaatsanAnwerbeversuche gehörige in verstärktem Maße auch in China selbst ausgesetzt. Bayerisches Landesamt Über die Gefahren für Geschäftsreisende klärt der Flyer "Gefür Verfassungsschutz Geschäftsreisen schäftsreisen ins Ausland" des Bayerischen Landesamts für Verins Ausland fassungsschutz auf. Zur Verschleierung des nachrichtendienstlichen Hintergrunds der Ansprache werden gelegentlich auch wissenschaftliche Einrichtungen oder sogenannte Think-tanks als Abdeckung genutzt. Nachrichtendienstlichen Anwerbeversuchen sehen sich dabei sowohl Mitarbeiter bayerischer Hochtechnologieunternehmen wie auch Mitarbeiter internationaler Einrichtungen ausgesetzt. Der Aufstieg Chinas zu einem selbstbewussten Akteur in der internationalen Politik geht Hand in Hand mit intensivierten Aufklärungsbemühungen gegenüber interund supranaSicherheitsrisiko für Unternehmen tionalen Organisationen, die in China vor Ort sind. Rekrutierungsversuche lassen sich seit mehr als zwei Jahren in Rekrutierungssozialen Netzwerken wie Facebook, LinkedIn und Xing feststelversuche in sozialen len. Betroffen sind hier bislang mehr als 10.000 deutsche StaatsMedien angehörige mit aus Sicht der chinesischen Nachrichtendienste interessanten Tätigkeiten, z. B. in den Bereichen Außenund Sicherheitspolitik. Mittels Fake-Profilen tarnen sich die chinesischen Nachrichtendienste als Mitarbeiter von "Thinktanks", als Wissenschaftler oder Angehörige chinesischer Behörden. Manchmal treten sie auch als Headhunter oder Manager einer Consulting-Firma auf. In der Kommunikation geben sie vor, sich 281 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ für das jeweilige Arbeitsgebiet zu interessieren, und zeigen Interesse am Austausch von Informationen. Die weitere nachrichtendienstliche Anbahnung wird dann bei Reisen nach China durchgeführt. Im Vorfeld erfolgt eine geschickt gestaltete Einladung, die unverfänglich, aber sehr attraktiv erscheint. Vor Ort gibt sich der Kontakt schrittweise als Nachrichtendienst zu erkennen. Werden in Bayern solche Fälle bekannt, erfolgen durch die Verfassungsschutzbehörden im Rahmen ihrer Präventionsarbeit Sensibilisierungsgespräche, z. B. in den Bereichen Wirtschaft und Staatsverwaltung. Ausforschung von Ein weiterer Schwerpunkt chinesischer Nachrichtendienste ist Oppositionellen die nachdrückliche Bekämpfung oppositioneller Kräfte, von denen die Regierung eine Gefährdung der staatlichen Ordnung befürchtet. Die innere Einheit des Staates und seine territoriale Integrität sieht die Staatsführung insbesondere durch die sog. "Fünf Gifte" bedroht. Zu diesen gehören die Angehörigen der Meditationsbewegung "Falun Gong" und Mitglieder der Demokratiebewegung. Auch die Befürworter einer Eigenstaatlichkeit Taiwans sowie die nach Unabhängigkeit strebenden Volksgruppen der Tibeter und Uiguren werden hierzu gezählt. In München ist mit dem "World Uyghur Congress" (WUC) die bedeutendste Organisation der Uiguren im Ausland ansässig. Derzeit sind auch nach Presseberichten bis zu eine Million Uiguren in chinesischen Umerziehungslagern inhaftiert. Diese Festsetzungen werden als konkretes Druckmittel gegen im Ausland lebende Uiguren eingesetzt, um diese zu einer Zusammenarbeit mit dem chinesischen Nachrichtendienst zu bewegen. Ministerium für Staatssicherheit (MSS) Das chinesische MSS ist als weltweit größter ziviler Nachrichtendienst sowohl mit Abwehrals auch mit Spionageaktivitäten im Inund Ausland aktiv. In Fragen der nationalen Sicherheit nimmt das MSS eine zentrale Rolle ein. Es ist für die Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Ordnung zuständig und in diesem Bereich mit Polizeibefugnissen ausgestattet. In Deutschland bemüht es sich nachhaltig um Informationen aus den Bereichen Politik und Wirtschaft und späht oppositionelle chinesische Gruppierungen aus. Ministerium für öffentliche Sicherheit (MÖS) Das MÖS ist für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuständig und kann hierzu auf die Ordnungsund Kriminalpolizei zurückgreifen. Ferner verfügt das MÖS über 282 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 nachrichtendienstliche Spezialeinheiten mit einem ähnlichen Aufgabenspektrum wie das MSS. Es sammelt auch im Ausland Informationen über Bevölkerungsgruppen, die aus Sicht der "Kommunistischen Partei Chinas" (KPCh) als staatsgefährdend eingestuft werden. Überdies kontrolliert und zensiert das MÖS die Medien und den Internetverkehr. Militärischer Nachrichtendienst (MID) Die chinesischen Nachrichtendienste unterstützen das langfristig angelegte Programm Chinas zur Steigerung der militärischen Leistungsfähigkeit der Volksbefreiungsarmee. Der MID ist dem Joint Staff Departement Intelligence Bureau der Zentralen Militärkommission unterstellt und agiert weltweit offensiv. Er entsendet Militärattaches und unterhält Verbindungen zu ausländischen Streitkräften. Der MID ist für die Beschaffung von Informationen zuständig, die die äußere Sicherheit Chinas betreffen. Dazu zählen u. a. Struktur, Stärke und Ausrüstung fremder Streitkräfte. Spionageziele sind aber auch Politik, Wissenschaft und Technik anderer Staaten. Auch die Bekämpfung regimekritischer Bestrebungen innerhalb und außerhalb Chinas gehört im Rahmen des Generalauftrags der KPCh zu den Aufgaben des Dienstes. Büro 610 Das sog. Büro 610 untersteht dem Zentralkomitee der KPCh und ist im Inund Ausland aktiv. Hauptaufgabe ist die Beobachtung und Verfolgung der regimekritischen Meditationsbewegung "Falun Gong". Obwohl der Dienst ein Parteiorgan ist, arbeiten ihm die staatlichen Verwaltungs-, Justizund Polizeibehörden zu. 1.3 Sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Türkei Der "Milli Istihbarat Teskilati" (MIT) spielt in der türkischen Sicherheitsarchitektur eine zentrale Rolle. Er ist mit Exekutivbefugnissen ausgestattet. Seine Befugnisse wurden in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet. Zudem erfolgte eine Personalmehrung von rund 1.500 Mitarbeitern auf ca. 6.000 bis 7.000 hauptamtliche Angehörige. Auch das Unterstellungsverhältnis wurde neu geordnet. Der bislang dem türkischen Ministerpräsidenten zugeordnete Dienst ist nun direkt dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan unterstellt. Das Amt des Ministerpräsidenten wurde im Zuge des Verfassungsreferendums in der Türkei 2017 abgeschafft. Der MIT agiert somit an einer Kontrolle durch das Parlament oder sonstigen Instanzen vorbei. 283 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ In Deutschland steht die Ausspähung und Verfolgung von exilpolitischen Betätigungen, die nach türkischem Recht strafbar sind, im Mittelpunkt der Spionageaktivitäten. Seit dem gescheiterten Putschversuch steht auch die "Gülen"-Bewegung im besonderen Fokus des MIT. Islamische Republik Iran Das Ministry of Intelligence of the Islamic Republic of Iran (MOIS) ist als ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst der wichtigste Nachrichtendienst des Iran und stellt ein zentrales Instrument der politischen Führung zur Sicherung des Machtanspruchs dar. Dass der Leiter des Nachrichtendienstes mit Ministerrang dem iranischen Kabinett angehört, unterstreicht die herausragende Bedeutung des MOIS. Bekannt sind neben dem MOIS auch die Revolutionary Guards Intelligence Organization (RGIO), der Auslandsaufklärungsund Inlandsabwehrdienst des Islamic Revolutionary Guards Corps (IRGC), und die Security and Intelligence Organization of the Army. Eine Spezialeinheit des IGRC bilden die Quds-Brigaden, die für militärische Operationen im Ausland zuständig sind. Deutschland steht unverändert im Fokus der nachrichtendienstlichen Aufklärungsaktivitäten. Hierzu zählen Informationen aus der Außenund Sicherheitspolitik sowie Wirtschaft und Wissenschaft. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Beobachtung und Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen im Inund Ausland. 2. WIRTSCHAFTSSCHUTZ Spionage verursacht in Deutschland jährlich Schäden in Milliardenhöhe, kostet Arbeitsplätze und wertvollen Know-how-Vorsprung. Unternehmen sind sich dieser Gefahr und den damit verbundenen negativen Auswirkungen oft nicht im Detail bewusst. Prävention und Awareness können hier Abhilfe schaffen. Im Rahmen der Spionageabwehr ist es dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz daher besonders wichtig, bayerische Unternehmen sowie Hochschulen zu informieren, zu sensibilisieren und zu beraten. Es bietet rund um die Themen Proliferation, Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage kostenfreie Informationen und Serviceleistungen - von vertraulichen Gesprächen in Firmen und Hochschulen bis hin zu Vorträgen anlässlich fachspezifischer Informationsveranstaltungen. Basis dieser Präventionsarbeit sind der Aufbau und die Pflege einer 284 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 vertraulichen Sicherheitspartnerschaft, die einen Austausch sensibler Informationen zwischen Unternehmen oder Hochschulen und dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz im Krisenfall ermöglichen. Bezüglich der Betrugsmasche "CEO-Fraud" (auch unter Abnahme der "Chef-Betrug" bzw. "Fake-President" bekannt) suchten soCEO-Fraud-Angriffe wohl betroffene als auch interessierte Unternehmen Rat bzw. im Inland Unterstützung beim Wirtschaftsschutz. Aktuell scheint es, als Zunahme der Anob erfolgreich durchgeführte Angriffe im Inland abnehmen, griffe im Ausland während die Unternehmen gleichzeitig vermehrt Angriffe auf Unternehmensteile, Dependancen oder Geschäftspartner im Ausland feststellen. Das BayLfV steht aufgrund seiner vertraulichen Sicherheitspartnerschaft mit den Unternehmen auch als Ansprechpartner für Themen zur Verfügung, bei denen nicht sofort erkennbar ist, ob es sich um nachrichtendienstliche oder um kriminelle Aktivitäten handelt. Soweit ein Sachverhalt als kriminelle Aktivität identifizierbar ist, wird auf die Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden verwiesen. Seit 2010 besteht die "Initiative Wirtschaftsschutz" des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration mit dem Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. Im Rahmen des gemeinsamen Engagements unter dem Motto "Wirtschaftsschutz ist Wirtschaftsförderung" wurden auch 2018 mehrere Informationsveranstaltungen zu den Themen Wirtschaftsschutz und elektronische Angriffe durchgeführt. Auf der größten europäischen IT-Sicherheitsmesse it-sa in Nürnberg war das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mit seinen Fachbereichen Wirtschaftsschutz und Cyber-Allianz-Zentrum Bayern (CAZ) zusammen mit dem Landeskriminalamt sowie dem Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik wie in den Vorjahren mit einem Gemeinschaftsstand vertreten. Auf dem erstmals von der Messe München veranstalteten internationalen Cyber-Security-Summit "CommandControl" präsentierte sich das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mit einem Fachbeitrag des CAZ. Das Informationsportal www.wirtschaftsschutz.bayern.de wird vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz ebenfalls im Rahmen dieser Initiative betrieben. Der Besucher betritt dort ein virtuelles Unternehmen, in dem er das gesamte Beratungsangebot, Ansprechpartner sowie Publikationen und Links rund um das Thema Know-how-Schutz und elektronische Angriffe findet. Das Informationsportal wurde auf HTML5 umgestellt und bietet nun neben technischen Anpassungen auch optische und 285 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ inhaltliche Verbesserungen. Es richtet sich insbesondere an Mitarbeiter, Sicherheitsoder IT-Verantwortliche sowie Führungskräfte bayerischer Unternehmen und eignet sich gleichermaßen zur firmeninternen Sensibilisierung. Unternehmen, die im Zusammenhang mit Aufträgen des Bundes oder eines Landes Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen Informationen (Verschlusssachen) haben, unterliegen der sog. Geheimschutz "Geheimschutzbetreuung". Diese stellt den einheitlichen Schutz von Verschlusssachen auch in Wirtschaftsunternehmen sicher. Ansprechpartner für alle geheimschutzbetreuten Unternehmen, die ihren Sitz in Bayern haben, ist das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Ziel der Geheimschutzbetreuung ist es, nicht nur nachrichtendienstliche Angriffe zu erkennen und abzuwehren, sondern ihnen durch gezielte Maßnahmen präventiv entgegenzuwirken. Die Kontakte zu geheimschutzbetreuten Unternehmen sind ein wertvolles Netzwerk für die präventive Spionageabwehr. In mehreren Fällen ist es bereits gelungen, durch Hinweise geheimschutzbetreuter Unternehmen elektronische Angriffsmuster zu erkennen. Dadurch konnten andere möglicherweise ebenfalls betroffene Unternehmen frühzeitig informiert werden. 3. CYBER-ALLIANZ-ZENTRUM BAYERN (CAZ) Die digitale Vernetzung der Gesellschaft nimmt stetig zu. Alleine die Anzahl der vernetzten Geräte und somit auch die potenziellen Angriffsflächen stiegen laut dem Marktforschungsinstitut Gartner im Jahr 2017 um 31% auf rund 8,4 Mrd. Elektronische Angriffe werden für fremde Nachrichtendienste dadurch immer attraktiver: Sie sind relativ einfach und kostengünstig zu realisieren, bergen ein geringes Entdeckungsrisiko und haben eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit. Elektronische Angriffe sind gezielte Maßnahmen mit und gegen IT-Infrastrukturen zur Informationsbeschaffung (Cyberspionage) oder Schädigung (Cybersabotage). Sie können sowohl über das Internet als auch über manipulierte Datenträger erfolgen. Den Angriffen geht häufig ein sog. "Social Engineering", beispielsweise über soziale Netzwerke, voraus. Dabei werden mögliche Opfer ausgeforscht. Sind geeignete Personen ausgewählt, werden diese gezielt angegriffen, um auf diesem Weg an sensible Informationen oder direkt in das Unternehmensnetzwerk zu gelangen. 286 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Das CAZ im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz hat Cyber-Allianz-Zentrum Bayern Hotline: 089 31201-222 Mail: caz@lfv.bayern.de sich seit seiner Gründung im Juli 2013 als vertrauenswürdiger www. verfassungsschutz.bayern.de und kompetenter Ansprechpartner für Unternehmen, Betreiber kritischer Infrastruktur (KRITIS) sowie Wissenschaftsbzw. Forschungseinrichtungen bei der Prävention und Aufklärung elektronischer Angriffe mit Spionageoder Sabotagehintergrund Herausgeber: Bayer. Landesamt für Verfassungsschutz, Knorrstr. 139, 80937 München Fotos: Titel (c) mindscanner - Fotolia.com_57398129_X, Seite 1 (c) Balint Radu - Fotolia.com_59611864_XV, etabliert. Durch den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu Seite 2 (c) BayLfV, Seite 4 (c) Minerva Studio - Fotolia.com_56924288_X, Seite 5 (c) psdesign1 - Fotolia.com_67193192_X zahlreichen Unternehmen und Einrichtungen ("Sicherheitspartnerschaft") konnte erreicht werden, dass immer mehr Betroffene Cybervorfälle freiwillig an das CAZ melden und sich dort präventiv oder im Nachgang zu Vorfällen beraten lassen. Das CAZ gliedert sich in die drei Säulen: - forensisch-technische Analyse - nachrichtendienstliche Bewertung - Kommunikation und Netzwerkbildung. Von der Wirtschaft gemeldete Vorfälle, bei denen es Anhaltspunkte für einen gezielten Angriff gibt, werden zunächst aus forensisch-technischer Sicht bewertet. Gleiches gilt für gezielte Angriffe auf staatliche Stellen, die analysiert werden. Die technischen Ergebnisse der Analysen fließen weiter in die zweite Säule des CAZ, in der eine nachrichtendienstliche Bewertung stattfindet. Bei Vorfällen mit nachrichtendienstlichem Hintergrund berät das CAZ gemeinsam mit den betroffenen Wirtschaftsunternehmen vertraulich über das weitere Vorgehen. Die Ergebnisse werden im CAZ gesammelt und intern weiterverarbeitet. Neben dem betroffenen Unternehmen erhalten auch andere, möglicherweise von einem ähnlichen Angriff betroffene Unternehmen, Informationen in anonymisierter Form zu den erkannten Angriffsmustern. Dadurch können Schutzmechanismen optimiert und Angriffe wirksam abgewehrt werden. Diese Warnmeldungen werden sowohl von bayerischen Unternehmen als auch zunehmend von Unternehmen außerhalb Bayerns verstärkt nachgefragt. Während das Jahr 2017 durch zahlreiche Ransomware-Kampagnen wie NotPetya und WannaCry geprägt war, verzeichnete das CAZ 2018 eine Zunahme von APT-Angriffen (Advanced Persistent Threat, deutsch: herausgehobene andauernde Bedrohung). 287 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Zunahme von Die Besonderheit von APTs liegt neben der hohen ProfessioAdvanced Persistent nalität und der breiten Palette an Tools und Angriffsmethoden Threat(APT) auch darin, dass solche Angriffe über einen längeren Zeitraum, Angriffen manchmal sogar über Jahre, andauern. Ziel ist es, sich möglichst lange unentdeckt im Opfersystem bewegen zu können, um über den gesamten Zeitraum sensible Informationen auszuspähen oder Schaden anzurichten. APT-Gruppen handeln meist im Auftrag und/oder mit Unterstützung von Staaten und deren Nachrichtendiensten mit dem Ziel, Daten zu stehlen, Abläufe zu sabotieren oder Infrastrukturen anzugreifen und zu zerstören. Eine der bekanntesten APT-Kampagnen, deren Beginn mindesAngriffe aus Russtens bis 2004 zurückreicht und die bis heute andauert, ist die als land, China und Iran "Fancy Bear" (oder APT28) betitelte Operation. Dieser wird auch u. a. der Angriff auf das interne Netzwerk des Bundestags im Mai 2015 zugerechnet. Vermutlich wird APT28 durch staatliche russische Stellen gesteuert. Hierfür spricht insbesondere die bisherige Opferauswahl bzw. das dahinterstehende Aufklärungsinteresse sowie eine Reihe weiterer technischer Merkmale und Parameter. Das CAZ konnte im Verlauf des Jahres 2018 zudem vermehrt Angriffe auf Netzinfrastrukturen, vor allem aus Russland, beobachten. Die Auswahl der Opfer führt zu der Annahme, dass vor allem der Energiesektor derzeit im Interesse der Angreifer liegt. Auch die Qualität der Angriffe hat deutlich zugenommen. Gerade aus der Volksrepublik China werden aktuell zwar weniger, aber umso zielgerichtetere Angriffe festgestellt. So werden beispielsweise nicht mehr die Opfer direkt angegriffen, sondern deren Service-Provider. Diese Attacken sind für die eigentlichen Opfer nicht wahrzunehmen, da der Datenverkehr zum Service-Provider weiterhin vermeintlich problemlos funktioniert. Die Angreifer können also viel länger und mit höherem Schadenspotenzial agieren. Angriffe des Iran, die beim CAZ seit 2014 unter der Bezeichnung "OILRIG/Cleaver" bearbeitet werden und 2017 zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens der Generalbundesanwaltschaft geführt haben, nehmen ebenfalls weiter zu und richten sich neben der Wirtschaft in erster Linie gegen den Wissenschaftsund Forschungsbereich. 288 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Ausländische Nachrichtendienste und Gruppen, die in deren Auftrag tätig werden, passen ihre Instrumente und Methoden immer wieder an aktuelle technische und gesellschaftliche Entwicklungen an. Zunehmend setzen sie Werkzeuge und Angriffsmethoden ein, die aus der Cyberkriminalität bekannt sind, und nutzen diese zur Verschleierung nachrichtendienstlicher Aktivitäten. Kooperationspartner des CAZ Zur Erfüllung seiner Aufgaben arbeitet das CAZ eng mit weiteren Einrichtungen zusammen. Auf Bundesebene sind das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wichtige Partner. Das CAZ gehört seit seiner Gründung als "Institution im besonderen staatlichen Interesse" (INSI) der "Nationalen Allianz für CyberSicherheit" an und ist damit Bestandteil der deutschen Sicherheitsarchitektur. Auf Landesebene ist das CAZ ein wichtiger Baustein der "Initiative Cybersicherheit", die 2013 im Rahmen der Bayerischen Cybersicherheitsstrategie ins Leben gerufen wurde. Weitere institutionelle Säulen der "Initiative Cybersicherheit" sind das Sachgebiet Cybersicherheit beim Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration sowie das Dezernat 54 - Cybercrime im Bayerischen Landeskriminalamt. Das CAZ unterhält Kontakte zu den Cybercrime-Schwerpunktdienststellen München und Nürnberg. Außerdem findet ein Austausch mit dem zum 1. Dezember 2017 neu gegründeten Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI) statt, das für den Schutz staatlicher IT-Systeme sowie die Beratung von Kommunen, öffentlichen Unternehmen im KRITIS-Bereich und Bürgern zuständig ist. Eine langjährige Zusammenarbeit verbindet das CAZ mit den Industrieund Handelskammern (IHK) sowie mit den Wirtschaftsund Sicherheitsverbänden. Auch in den Hochschulund Forschungsbereich bestehen vielfältige sicherheitsrelevante Kontakte. 289 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ In der 2018 neu aufgelegten Broschüre "Bayern im Netz - aber sicher!" des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration finden interessierte Bürger und Unternehmen einen Überblick über Risiken im Cyberraum, Informationen zu Maßnahmen zum Selbstschutz sowie Zuständigkeiten und Erreichbarkeiten der wichtigsten behördlichen Ansprechpartner in Bayern. Wirtschaftsschutz und Cyber-Allianz-Zentrum Bayern Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz Knorrstraße 139, 80937 München E-Mail: caz@lfv.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de Telefon: 089/31201 222 E-Mail: wirtschaftsschutz@lfv.bayern.de www.wirtschaftsschutz.bayern.de Telefon: 089/31201 500 290 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 4. PROLIFERATION Proliferation ist die unerlaubte Weiterverbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows. Die Herstellung von Massenvernichtungswaffen und deren Verbreitung stellt eine ernsthafte Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar. Es ist zu befürchten, dass proliferationsrelevante Staaten Massenvernichtungswaffen im Fall eines bewaffneten Konflikts einsetzen oder deren Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele androhen. Sog. Risikostaaten wie Iran, Nordkorea, Syrien und Pakistan sind bemüht, ihr konventionelles Waffenarsenal durch die Herstellung von Massenvernichtungswaffen zu ergänzen. Um sich das dafür notwendige Know-how und entsprechende Bauteile zu beschaffen, versuchen diese Staaten, Geschäftskontakte zu Unternehmen in den hochtechnologisierten Ländern wie Deutschland herzustellen. Die strenge Gesetzgebung und die wirksamen Exportkontrollen in Deutschland setzen der Beschaffung einschlägiger Güter hohe Hürden. Risikostaaten verändern deshalb fortlaufend ihre Beschaffungsmethoden, um geltende Exportkontrollverfahren zu umgehen und deutsche Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen zu täuschen. Dazu gründen sie in Deutschland häufig Tarnfirmen, versenden die Produkte über unkritische Drittländer oder machen falsche Angaben gegenüber dem Hersteller oder Händler. So minimieren sie das Risiko, dass die illegale Ausfuhr aufgedeckt wird, und umgehen die Verhängung eines Ausfuhrverbots. Zwischen der internationalen Staatengemeinschaft und dem Iran wurden die Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm am 14. Juli 2015 mit der Verabschiedung des "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPoA) abgeschlossen. Der Iran stimmte darin erheblichen Beschränkungen und Kontrollen seines Nuklearprogramms zu. Im Gegenzug wurde vereinbart, die wegen des Nuklearprogramms verhängten Sanktionen schrittweise aufzuheben. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachten weiterhin, ob der Iran die im Juli 2015 geschlossene Vereinbarung konsequent und nachhaltig einhält. Im Bereich Trägertechnologie/Raketenprogramm, der nicht von den Regelungen des JCPoA umfasst wird, sind nach wie vor proliferationsrelevante Beschaffungsbemühungen festzustellen. 291 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit der Wirtschaft Bayern ist als Hochtechnologiestandort weltweit führend. Die Zielgruppe Beschaffungsbemühungen der Proliferationsstaaten richten sich mittelständische insbesondere auf mittelständische Unternehmen und UniversiUnternehmen und täten. Um Proliferation zu verhindern, arbeitet das Bayerische Wissenschaft Landesamt für Verfassungsschutz daher eng mit Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Es informiert in Vorträgen und Sensibilisierungsgesprächen proliferationsgefährdete Unternehmen über die Gefahren einer möglichen Weitergabe von kritischen Technologien und unterstützt mit individuellen Maßnahmen bei Verdachtsfällen. Dadurch konnten bereits verschiedene Beschaffungsbemühungen unterbunden werden. Ende 2017 hat das Oberlandesgericht München (OLG) einen Verurteilung österreichischen und einen deutschen Staatsangehörigen wewegen Verstoßes gen gewerbsmäßigen Zuwiderhandelns gegen das Außenwirtgegen das Außenschaftsgesetz (AWG) u. a. zu Haftstrafen von einem Jahr und wirtschaftsgesetz zehn Monaten bzw. einem Jahr und sieben Monaten verurteilt. Die Freiheitsstrafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Die Einziehung der Taterträge von rund 1,8 Millionen Euro wurde vom OLG angeordnet. Im Vorfeld der gegenständlichen Straftaten sensibilisierte das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz den - später verurteilten - Geschäftsführer bzw. Vertriebsleiter einer in Bayern ansässigen Firma umfangreich zu etwaigen Verstößen gegen das AWG und deren Strafbarkeit. Ungeachtet dessen verfolgten beide Verantwortlichen ihre Bemühungen für den Export einer Elektronenstrahlschweißmaschine (ESSM) in den Iran. Das Zollkriminalamt hat die Maschine sichergestellt und weitere Ermittlungen eingeleitet. Es zeigten sich umfangreiche Versuche, den tatsächlichen Abnehmer im Iran zu verschleiern, u. a. wurde vorgetäuscht, dass der Endabnehmer eine Firma in Malaysia sei. Die fragliche ESSM ist zur Herstellung von Trägerraketen geeignet. Die durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz durchgeführte Sensibilisierungsmaßnahme hat im Ergebnis maßgeblich zur Verurteilung der beiden Verantwortlichen beigetragen. 292 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, CAZ Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Der Verfassungsschutz registriert immer wieder Fälle, in denen Risikostaaten eine internationale Zusammenarbeit im Bereich von Wissenschaft und Forschung zu missbrauchen versuchen, um sich proliferationsrelevantes Know-how zu verschaffen. Dabei stehen vor allem Universitäten, Hochschulen, wissenschaftliDie Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern che Institute, Forschungsgesellschaften sowie ForschungsabteiProliferation lungen und Schulungsbereiche der Industrie im Fokus. Um für das Thema Proliferation zu sensibilisieren, stellen die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern die Broschüre "Proliferation - Wir haben Verantwortung" zur Verfügung, die Wir haben sich insbesondere an Unternehmen richtet, die proliferationsVerantwortung relevante Produkte herstellen. Proliferation 1 293 Organisierte Kriminalität (OK) Organisierte Kriminalität (OK) Mitgliederzahlen bei OMCGs in Bayern zeigen leicht rückläufige Tendenz Rockerähnliche Gruppierung "Osmanen Germania BC" bundesweit verboten - in Bayern nur ein Chapter in Schwaben betroffen Festnahme eines Mafiaangehörigen in Bayern in Zusammenhang mit einer Anschlagsserie in Neapel und Auslieferung an Italien Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Organisierte Kriminalität (OK) liegt vor, wenn mehrere Personen planmäßig erhebliche Straftaten begehen, um Gewinne zu erzielen oder Macht zu erlangen. Dazu wenden sie Gewalt an, nutzen geschäftsähnliche Strukturen oder versuchen, Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft zu manipulieren (vgl. Art. 4 Abs. 2 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz). Durch die OK wird allein in Deutschland seit Jahren ein Schaden in Milliardenhöhe verursacht. Drahtzieher der OK bedrohen die Grundlagen unserer Gesellschaft, indem sie die Macht einer kriminellen Organisation durch Gewalt, Geld und massive Einflussnahme durchsetzen wollen. In Bayern ist seit 1994 der Verfassungsschutz für die Beobachtung der OK zuständig, um deren Aktivitäten bereits in einem früheren Stadium aufzuklären, als dies durch Polizei und Staatsanwaltschaft möglich ist. Dadurch wurde eine wichtige Lücke im Kampf gegen die OK geschlossen. Personen, die der OK angehören oder sich in deren Umfeld bewegen, verhalten sich unauffällig und konspirativ. Die Aufklärung dieser Strukturen setzt daher eine systematische und langfristig angelegte Beobachtung voraus. Um möglichst schon im Vorfeld von Straftaten an das entscheidende "Insiderwissen" zu gelangen, können erforderlichenfalls nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Strukturermittlungen schaffen Grundlagen für polizeiliche Verfahren und können laufende Ermittlungen unterstützen. 295 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Organisierte Kriminalität Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz arbeitet eng mit den OK-Dienststellen der Polizei zusammen und kooperiert aufgrund der international vernetzten OK-Strukturen mit Sicherheitsbehörden über Landesbzw. Staatsgrenzen hinweg. Innerhalb einer Arbeitsgruppe der europäischen Inlandsnachrichtendienste hat Bayern die Koordinierungsfunktion für Deutschland und ist zentraler Ansprechpartner für ausländische Nachrichtendienste. 296 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 1. ROCKERKRIMINALITÄT Rockerkriminalität umfasst alle Straftaten von einzelnen oder mehreren Mitgliedern einer Rockergruppe, deren Tatmotivation im direkten Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und der Solidarität zu ihr zu sehen ist. 1.1 Allgemeines Mit der von den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden eingeführten Bezeichnung "Outlaw Motorcycle Gang" (OMCG) "Outlaw Motorcycle werden weltweit die polizeilich bedeutsamen RockergruppieGangs" (OMCG) rungen von der breiten Masse der Motorradclubs (MCs) abgeund rockerähnliche grenzt, die zwar im Einzelfall auch kriminelle Aktivitäten verfolGruppierungen gen können, diese aber nicht als Hauptmotivation ihrer Existenz verstehen. Neben der Betätigung auf verschiedenen Feldern der OK stellen gemeinsame Motorradausfahrten nach wie vor einen wichtigen Bestandteil des Clublebens in OMCGs dar. Diese Ausfahrten - sogenannte "Rides" - führen teils über Landesgrenzen hinweg und dienen somit auch der internationalen Vernetzung der Clubs. Aktuell werden deutschlandweit der "Hells Angels MC", "Bandidos MC", "Outlaws MC", "Gremium MC", "Mongols MC" und der "Rock Machine MC" den OMCGs zugeordnet. In Bayern tritt zudem der "Trust MC" auf. In den zurückliegenden Jahren drängten bundesweit Gruppierungen wie die "United Tribuns" und der "Osmanen Germania BC" in die Betätigungsfelder der etablierten Clubs. Sie ähneln den klassischen Rockergruppierungen in ihrem martialischen Auftreten, der strengen Hierarchie und dem abgeschotteten Gruppenverhalten. 297 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Organisierte Kriminalität Motorräder spielen für rockerähnliche Gruppierungen zumeist keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Auffällig sind bei diesen Gruppen die starken Schwankungen bei den Mitgliederzahlen. Einzelne Gruppen wachsen schnell an, verlieren ihre Mitglieder aber teils auch sehr rasch wieder. Das instabile Mitgliederpotenzial ist ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu den etablierten Clubs. "1-Prozenter" Die OMCGs bezeichnen sich selbst als "1-Prozenter". Darunter versteht man Biker (Motorradfahrer), die sich selbst als "Outlaws" (Gesetzlose) sehen und das bestehende Rechtssystem ablehnen. Auch in Bayern begehen Mitglieder dieser OMCGs typische OK-Delikte wie Rauschgifthandel, Bedrohung oder Körperverletzung. "Colour" Unter dem "Colour" wird das von den jeweiligen Gruppierungen getragene Rückenabzeichen verstanden, das sich in drei Teile aufgliedert. Über dem Club-Logo, das mittig angebracht ist, befindet sich der "Top-Rocker", der Name der Gruppierung. Der "Bottom-Rocker", der Ort oder die Region, wo die Gruppierung zu finden ist, befindet sich am unteren Ende. "Chapter/Charter" Die jeweiligen Ortsgruppen werden von OMCGs und rockerähnlichen Gruppierungen in der Regel als "Chapter" bezeichnet, nur die "Hells Angels" sprechen von "Chartern". Derzeit werden ca. 1.500 Personen in Bayern der als polizeilich Personenpotenzial relevant anzusehenden Rockerszene zugerechnet (2017: 1.600 leicht rückläufig Personen). Im Vergleich zu den Vorjahren ist in Bayern aktuell eine leicht rückläufige Tendenz festzustellen. Weiterhin ist in rockerähnlichen Gruppierungen ein hoher Anteil an jungen Männern mit Migrationshintergrund aus der Freefight-, Boxsportund Bodybuildingszene zu verzeichnen. 298 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 1.2 Bayerische OMCGs Hells Angels MC In Bayern gibt es derzeit neun "Hells Angels"-Charter. Neben drei Chartern im Großraum München bestehen Niederlassungen in Hof, Nürnberg, Traunstein, im Raum Chiemsee, in Niederbayern und seit 2018 auch in Lindau. Als Unterstützergruppierungen (sog. "Supporter") des "Hells Angels MC" sind in Bayern der "Red Devils MC", der "Blood Red Section MC" und im Raum Lindau die Gruppierung "Backyard Bloods" aktiv. Charter des "Red Devils MC" bestehen aktuell in Ansbach, München und Traunstein. Das Charter Lindau des "Red Devils MC" löste sich im Februar auf, an seine Stelle trat die Gruppierung "Backyard Bloods". Der "Hells Angels MC Hof City" kann nach wie vor auf die Unterstützung von neun Chartern des "Blood Red Section MC" zurückgreifen, davon allein sieben im Großraum Hof, eines in Thüringen und eines in Sachsen. In einer derzeit beim Bayerischen Klage gegen VerfasVerwaltungsgericht München anhängigen Klage wenden sich sungsschutzbericht diverse Mitglieder des "Blood Red Section MC" gegen dessen 2016 erhoben Nennung im Verfassungsschutzbericht 2016. Eine Entscheidung in der Sache steht noch aus. Bandidos MC Die "Bandidos" verfügen in Bayern über Chapter in Allersberg, Bad Königshofen, Bamberg, Bogen, Deggendorf, Ingolstadt, München, Nürnberg, Passau, Starnberg und Wörth a. d. Donau. Das letztgenannte ging im Jahr 2018 aus einer Abspaltung vom Chapter Bogen hervor. Alle Chapter haben eigene Supporter-Gruppierungen. Die Chapter Allersberg und Nürnberg werden vom "Zapata MC" unterstützt. Die "Mexican Rebels" sind in Starnberg und Weiden aktiv. Alle anderen Chapter werden vom "Gringos MC" unterstützt. Dessen Chapter befinden sich in Bad Königshofen, Bamberg, Bogen, München, Pfaffenhofen und Starnberg. 299 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Organisierte Kriminalität Gremium MC In Bayern gibt es zehn Chapter des "Gremium MC" mit diversen Supporter-Gruppierungen. Chapter bestehen u. a. in Amberg, Ansbach, München, Nürnberg, Regensburg, Schweinfurt, Straubing und Würzburg. Die Sektion Deutschland des "Gremium MC" gründete sich 1972 in Mannheim und ist mit derzeit 80 Chaptern bundesweit der älteste und größte OMCG. Auch weltweit zählt der "Gremium MC" zu den größten OMCGs. Oftmals werden für den "Gremium MC" auch der Begriff "Black Seven" und die Zahl 7 verwendet, da das Wort "Gremium" aus sieben Buchstaben besteht und das "G" der siebte Buchstabe im Alphabet ist. 1.3 Bayerische rockerähnliche Gruppierungen United Tribuns In Bayern existieren derzeit fünf Chapter der "United Tribuns" in den Regionen Augsburg, Ingolstadt, Landsberg a. Lech, Nürnberg und Ulm/Neu-Ulm. Das Chapter Landsberg wurde im August neu gegründet. Die Chapter in München und Rosenheim wurden aufgelöst. Die Auflösung des Chapters München ist auf Streitigkeiten mit dem "Hells Angels MC Munich Area" zurückzuführen, der für den Raum München alleinige GebietsansprüNeugründung und che reklamiert. Ein Übernahmeangebot der Supporter-GruppieAuflösung von rung "Red Devils MC Munich Area" wurde seitens der "United Chaptern Tribuns" nicht wahrgenommen. Es kam jedoch zu vereinzelten Überläufen von "United-Tribuns"-Mitgliedern verschiedener Chapter zum "Hells Angels MC Munich Area". Ende 2017 mündeten interne Streitigkeiten der "United Tribuns" in ein schweres Körperverletzungsdelikt im Raum Nürnberg. Im Rahmen der Ermittlungen kam es im Laufe des Jahres zu Verhaftungen einzelner Mitglieder in Italien und Österreich. In einem Verfahren gegen die Führung des "United Tribuns"-Chapters Ingolstadt wegen Handels mit Betäubungsmitteln, Anabolika und unerlaubten Waffenbesitzes wurden Haftstrafen, teils auf Bewährung, verhängt. Resultierend aus diesem Verfahren wurde der Präsident des Ulmer Chapters im April in Haft genommen. Der Prozess wegen Rauschgifthandels, Betrugs und Geldfälschung begann im Oktober vor dem Landgericht Ellwangen. Das Urteil steht noch aus. 300 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Der Gründer der "United Tribuns", ein Ex-Boxer, führt die Gruppe von seinem Heimatland Bosnien aus. Die Mitglieder sind sowohl im Securityund Türsteherbereich als auch im Rotlichtmilieu zu finden. Osmanen Germania Der Bundesinnenminister hat am 10. Juli die rockerähnliche Gruppierung "Osmanen Germania BC" einschließlich ihrer Teilorganisationen verboten und ihnen jede Tätigkeit untersagt. Das Verbot stützt sich auf SS 3 Absatz 1 des Vereinsgesetzes, da Zweck und Tätigkeit des Vereins "Osmanen Germania BC" den Strafgesetzen zuwiderlaufen. Von dem Verein ging eine schwerwiegende Gefährdung für individuelle Rechtsgüter und Verbot der Osmanen die Allgemeinheit aus. Der Verein hat innerhalb der gesetzlichen Germania BC Klagefrist nicht gegen die Verbotsverfügung geklagt. Das Verbot ist damit rechtskräftig. Zum Zeitpunkt des Verbots hatte der "Osmanen Germania BC" im Bundesgebiet 16 Chapter, verteilt auf die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz. In Bayern war von dem Verbotsverfahren ausschließlich das Chapter "Osmanen Germania BC Nomads" betroffen. Es verfügte zu diesem Zeitpunkt über 13 namentlich bekannte Mitglieder, die überwiegend im Raum Günzburg und in Baden-Württemberg wohnhaft waren. 1.4 Auswirkungen des Kuttenverbots Als "Kutte" wird in der Szene die Weste bezeichnet, auf der sich die jeweiligen Erkennungszeichen der Gruppierung befinden. Mit Wirkung vom 16. März 2017 ist eine Änderung des Vereinsgesetzes in Kraft getreten, die auch Auswirkungen auf die Bekämpfung der Rockerkriminalität hat. Die Änderung bedeutet in der Praxis, dass bundesweit die Abzeichen von Rockergruppierungen bereits dann nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt werden dürfen, wenn eine lokale Ortsgruppe (sog. Chapter oder Charter) dieser Gruppierung nach dem Vereinsgesetz verboten wurde. In diesen Fällen ist das Verwenden von Kennzeichen in im Wesentlichen gleicher Form in der Öffentlichkeit nun strafbewehrt. Jegliche öffentliche Verwendung dieser charakteristischen wiederzuerkennenden Abzeichen verbotener Rockergruppierungen ist strafbar. "Jegliche Verwendung" umfasst die Nutzung einzelner verbotener Abzeichen auf der Vorderund/oder Rückseite der Kutte, aber auch beispielsweise auf T-Shirts oder in Form 301 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Organisierte Kriminalität von Tätowierungen sowie in jeglicher Anbringungsart auf Aufklebern, Motorrädern, Gebrauchsgegenständen, Grabsteinen, Internetseiten oder Clubhäusern. Die Größe der Abbildung ist dabei unerheblich. Nach dem "Gremium MC" reichten am 26. Februar auch regionale Vertreter des "Hells Angels MC" und "Bandidos MC" VerKlage gegen das fassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in KarlsKuttenverbot vor ruhe gegen die Novellierung des Vereinsgesetzes ein, das ihnen dem Bundesververbietet, ihre Clubabzeichen öffentlich zu tragen. Bis zu einer fassungsgericht Entscheidung versuchen sich die betroffenen Rockergruppierunerhoben gen weitestgehend an das Verbot zu halten. Nur vereinzelt gab es in Bayern Beanstandungen durch die Polizei. Nach den Mitgliedern des "Bandidos MC" sind 2018 in Bayern auch Mitglieder des "Hells Angels MC" regional mit einer "Ersatzkutte" und neuen Erkennungszeichen aufgetreten. Die Mitglieder des "Bandidos MC" zeigen sich seit Juli 2017 mit den Großbuchstaben "BMC" in Rot und Gold auf dem Rücken. In München traten Mitglieder des Charters "Hells Angels MC Munich Area" mit dem roten Schriftzug "HAMC Munich Area" in Erscheinung. 1.5 Gefährdungslage Bund/Bayern Öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzungen zwischen den klassischen OMCGs wurden in der Vergangenheit überwiegend vor dem Hintergrund selbst erhobener Machtbzw. Gebietsansprüche sowie interner Streitigkeiten ausgetragen. Dabei kamen auch Waffen und sonstige gefährliche Gegenstände zum Einsatz. Generell ist die Lage im Bundesgebiet derzeit eher ruhig. Vor dem Hintergrund der beim Bundesverfassungsgericht eingereichten Verfassungsbeschwerde gegen die Novellierung des Vereinsgesetzes, verhalten sie sich taktisch motiviert eher zurückhaltend. Gewalttätige AusDennoch kommt es regional zu Gewalttaten. So ereignete sich einandersetzungen am 24. April in Köln eine gewalttätige Auseinandersetzung unter im Bundesgebiet Einsatz von Schusswaffen zwischen Mitgliedern des "Hells Angels MC" und "Bandidos MC". Zwei Mitglieder des "Bandidos MC" - darunter der "Präsident" des Chapters Cologne - wurden dabei schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt. In Bayern gab es 2018 keine vergleichbaren Vorkommnisse. 302 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Infolge einer gewalttätigen Auseinandersetzung im Mai 2016 Strafurteile gegen in Hof wurde am 28. Februar der "President" des "Hells AnPresident des Hell gels MC Hof City" durch das Landgericht Hof wegen gefährliAngels MC Hof City cher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und gegen Mitglieauf Bewährung verurteilt. Zudem muss er 6.000 Euro an eine der des Hells Angels gemeinnützige Organisation zahlen. Der Angeklagte räumte in MC Munich Area der Verhandlung ein, ein Mitglied des rivalisierenden "Gremium MC" mit einem Schlagstock geschlagen zu haben. Ein weiteres Mitglied des "Hells Angels MC" erhielt wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung eine Bewährungsstrafe von sieben Monaten. Gegen weitere Mitglieder des "Hells Angels MC" wurde das Verfahren gegen Geldauflagen eingestellt. Am 12. Juni wurde durch das Landgericht München ein Mitglied des "Hells Angels MC Munich Area" wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen zwei weitere Mitglieder dieser Gruppierung ergingen Freiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten bzw. einem Jahr wegen gefährlicher Körperverletzung. Die Urteile sind rechtskräftig. Die Angeklagten wurden für schuldig befunden, am 12. Februar 2017 einen Geschädigten in einem Tabledance-Lokal in der Münchner Schillerstraße nach zunächst verbalen Streitigkeiten tätlich angegriffen zu haben. Der Geschädigte erlitt Verletzungen durch Schläge und Tritte. Ein Täter fügte ihm zudem mit einem mitgeführten Messer mehrere Stichund Schnittverletzungen an einem Arm und im Bauchbereich zu. 1.6 Phänomenübergreifende Aspekte 1.6.1 Verbindungen von Rockern in die rechtsextremistische Szene Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz verfolgt auch weiterhin mögliche Verbindungen zwischen Rockern und Rechtsextremisten. Eine dafür im Mai 2012 eingerichtete Arbeitsgruppe, die an der Schnittstelle zwischen den Fachbereichen Organisierte Kriminalität und Rechtsextremismus angesiedelt ist, stellte bis jetzt keine strukturierte Zusammenarbeit und ideologische Annäherung beider Szenen in Bayern fest. Ungeachtet dessen bestehen aber punktuell personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene, die zumeist auf geschäftliche Interessen oder persönliche Beziehungen zurückgehen. 303 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Organisierte Kriminalität Teilweise handelt es sich dabei um Personen, die Führungspositionen in rechtsextremistischen Parteien und Gruppierungen einnehmen bzw. im rechtsextremistischen Versandhandel tätig sind. Sascha Roßmüller ist Mitglied beim "Bandidos MC Bogen" und gleichzeitig seit Dezember NPD-Landesvorsitzender in Bayern. Zudem ist ein weiterer NPD-Funktionär aus Niederbayern neben seiner Parteizugehörigkeit auch Mitglied beim "Gringos MC Bogen", einem Supporter-Club des "Bandidos MC". Auch konnten in Bayern bei mehreren Personen innerhalb der Rockerszene Tätowierungen festgestellt werden, die eindeutig rechtsextremistische Bezüge aufweisen. 1.6.2 Rocker und Waffenerlaubnisse Personen aus der Rockerszene und der rechtsextremistischen Szene zu identifizieren, die Sicherheitsunternehmen betreiben oder in diesem Bereich arbeiten, ist ein weiteres wichtiges Ziel der im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz bestehenden Arbeitsgruppe an der Schnittstelle zwischen den Fachbereichen OK und Rechtsextremismus. In enger Zusammenarbeit mit der Polizei und weiteren Sicherheitsbehörden wird dadurch dem legalen Waffenbesitz solcher Unternehmen bzw. von deren Mitarbeitern entgegengewirkt. Im Rahmen der Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit eines sog. "Prospects", eines Anwärters auf eine feste Mitgliedschaft beim "Hells Angels MC" in Nürnberg, erging von Seiten der Stadt Fürth als zuständige Waffenbehörde im August ein Widerrufsbescheid für sämtliche waffenrechtliche Erlaubnisse. Neben der Abgabe der Waffenbesitzkarten und des "Kleinen Waffenscheins" wurde der Betroffene aufgefordert, alle eingetragenen Schusswaffen und die zugehörige Munition einem Berechtigten zu überlassen oder diese so unbrauchbar zu machen, dass sie nicht mehr als erlaubnispflichtig einzustufen sind, und dieses nachzuweisen. Gegen den Widerrufsbescheid wurde Klage erhoben, über die noch nicht abschließend entschieden wurde. 304 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 2. OK AUS DER GEMEINSCHAFT UNABHÄNGIGER STAATEN (GUS) In der GUS hat sich eine Vielzahl ethnisch geprägter krimineller Gruppierungen etabliert. Sie sind international vernetzt und begehen vor allem Straftaten in den Bereichen Eigentumskriminalität, Rauschgiftund Waffenhandel, Schmuggel, Schutzgelderpressung sowie Geldwäsche. Eine besondere Bedeutung innerhalb dieser kriminellen Gruppierungen kommt den weltweit bis zu 1.000 "Dieben im Gesetz" zu, die sich als Führungspersonen der OK-Szene der GUS durchgesetzt haben. Der Begriff "Dieb im Gesetz" stammt aus den 1920er-Jahren, als sich in sowjetischen Gefängnissen und Lagern, den sog. Gulags, die Anführer der kriminellen Strafgefangenen gegen die Anführer der politischen Häftlinge durchsetzten und so die Oberhand gewannen. Diese kriminellen Anführer nannten sich nun "Diebe im Gesetz" und stellten mit den "Diebesgesetzen" einen eigenen Verhaltenskodex auf. Dieser sieht vor, dass Konflikte durch eigene Autoritätspersonen - notfalls auch mit Gewalt - geregelt werden und keine Zusammenarbeit mit der Polizei und Justiz stattfindet. Mit Gemeinschaftskassen ("Obschtschjak") werden vor allem strafrechtlich verfolgte oder inhaftierte Gruppenmitglieder sowie ihre Angehörigen unterstützt. In Bayern konnten in den letzten Jahren Aufenthalte von "Dieben im Gesetz" festgestellt werden. Einer dieser "Diebe im Gesetz", der sich mehrfach in Bayern Dieb im Gesetz in aufgehalten hat, reiste in die USA aus, um dort seinen kriminelUSA zu 45 Jahren len Aktivitäten nachzugehen. Im Juni 2017 wurde er in den USA Haft verurteilt zusammen mit 33 weiteren Mitgliedern eines kriminellen russischen Syndikats verhaftet. Der Federal District Court des Districts of New York verurteilte ihn im November zu einer 45-jährigen Haftstrafe sowie zu einer Entschädigungszahlung von mehr als 2,5 Millionen US-Dollar. Ein weiterer Dieb im Gesetz, der sich im Raum Neu-Ulm aufhielt, konnte im März aufgrund ausländerrechtlicher Verstöße in sein Heimatland Moldawien abgeschoben werden. Außerdem besteht für ca. ein Jahr ein Einreiseverbot in den Schengenraum. 305 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Organisierte Kriminalität 3. OK-GRUPPIERUNGEN AUS DEM BALKAN UND DER TÜRKEI In Bayern sind mehrere kriminelle Netzwerke aus Südosteuropa und der Türkei aktiv. Diese sind in ihren Strukturen meist ethnisch homogen, d. h., Personen anderer Nationalitäten werden in der Regel nicht aufgenommen. Die Angehörigen der Netzwerke haben häufig den gleichen Geburtsort oder eine gemeinsame militärische Ausbildung. Albanien hat sich in den letzten Jahren zum größten MarihuanaLieferanten Europas entwickelt. Bereits zu kommunistischer Zeit wurde in Albanien Hanf als Exportware (Arzneimittel) angepflanzt. Das nach dem Zerfall des kommunistischen Regimes entstandene Vakuum haben kriminelle Gruppierungen genutzt, um neue Gewinnquellen zu erschließen. Die albanischen kriminellen Netzwerke haben die Kontrolle über Anbau und Handel des im Land angebauten Cannabis fest in ihrer Hand. Sie haben sich inzwischen europaweit etabliert. Türkische Gruppierungen sind vor allem im Rauschgiftschmuggel und -handel mit Kokain und Cannabis aktiv. Darüber hinaus konnten folgende Delikte festgestellt werden: Eigentumsund Fälschungskriminalität, Steuerund Zolldelikte, Glücksspieldelikte und Wettmanipulationen sowie Kriminalität im Zusammenhang mit illegalen Inkasso-Eintreibungen. Besonders wichtig für die kriminelle Szene sind die Verbindungen in die jeweiligen Heimatländer. Strukturermittlungen des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz ergaben, dass die Drahtzieher oft im Ausland sitzen und von dort aus ihre kriminellen Aktivitäten in Deutschland steuern. Die erzielten Gewinne investieren sie oft in Immobilien und Unternehmen außerhalb von Deutschland. Den Kauf wickeln sie über Strohmänner - meist Verwandte - ab. 306 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 4. ITALIENISCHE MAFIA Die vier einflussreichsten kriminellen Gruppierungen in Italien sind - "'Ndrangheta" in Kalabrien - "Camorra" in Kampanien - "Cosa Nostra" auf Sizilien - "Sacra Corona Unita" in Apulien. Diese Mafiasyndikate sind zwar nach wie vor verbunden mit ihren jeweiligen süditalienischen Herkunftsregionen, operieren bei ihren kriminellen Aktivitäten jedoch international. So sind auch in Deutschland und Bayern immer wieder Besuche von Autoritäten aus Italien festzustellen, die den Aufbau der Clans und den reibungslosen Ablauf in Deutschland kontrollieren. Der geschätzte Jahresumsatz der vier Syndikate beläuft sich auf rund 140 Milliarden Euro. Im Rahmen der globalen Ausbreitung sind viele Familienclans seit etlichen Jahren in Deutschland sesshaft. In Bayern können derzeit mehr als 130 Personen den vier großen italienischen Mafia-Syndikaten zugeordnet werden. 'Ndrangheta Die "'Ndrangheta" hat ihren Ursprung in der Region Kalabrien. Dieses Syndikat ist hierarchisch gegliedert, und seine Mitglieder sind oftmals blutsverwandt. Ihre strengen Regeln und ihr Treueschwur lassen wenig Raum für Kronzeugen, die gegen die Organisation aussagen. Die Betätigungsfelder der "'Ndrangheta" liegen im Drogenund Waffenhandel, der Geldwäsche, in der Schutzgelderpressung und in der Müllentsorgung. Die "'Ndrangheta" ist weltweit aktiv. Dies belegt auch die von den italienischen Strafverfolgungsbehörden über mehrere Jahre hinweg durchgeführte "Operation Aemilia". Im Januar 2015 führten diese Ermittlungen in Italien und anderen europäischen Ländern zur Festnahme von 160 Personen, die Mitglieder des der "'Ndrangheta" zugehörigen Grande Aracri Clans sind. Ihnen wird u. a. Organisierte Kriminalität nach Art der Mafia, Geldwäsche, Drogenhandel, Erpressung und Infiltration der öffentlichen Verwaltung vorgeworfen. Während der Ermittlungen wurden auch Bezüge nach Bayern bekannt. 307 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Organisierte Kriminalität Eine in Augsburg ansässige Person wurde festgenommen. Mittlerweile werden in Italien acht Anschlussverfahren geführt, die auch die Verhaftung des Clanchefs Nicolino Grande-Aracri und dessen Brüdern zur Folge hatten. Im Dezember fanden im Rahmen eines internationalen polizeilichen Großeinsatzes in mehreren europäischen Ländern Festnahmen und Durchsuchungsmaßnahmen gegen mutmaßliche Angehörige der "'Ndrangheta" statt. Dabei wurden auch in Bayern mehrere Objekte durchsucht. Camorra Mit dem Begriff "Camorra" bezeichnet man die italienischen kriminellen Organisationen in der Region Kampanien, in der Provinz und der Stadt Neapel. Diese Region ist seit Jahrzehnten in zwölf Zonen eingeteilt, die von mehreren Clans beherrscht werden. Ihre Deliktsbereiche erstrecken sich unter anderem auf Drogenund Waffenhandel ebenso wie auf Schutzgelderpressung, Prostitution, Zigarettenschmuggel und illegale Müllentsorgung. Die kriminellen Aktivitäten der "Camorra" in Bayern liegen hauptsächlich in den Deliktsbereichen Rauschgiftkriminalität, Geldfälschung und Eigentumskriminalität, darüber hinaus im betrügerischen Verkauf von verschiedenen Plagiaten. In Bayern konnte ein in Italien mit Haftbefehl gesuchter Clanangehöriger der Camorra identifiziert werden, der in Verbindung mit einer Anschlagsserie im Frühjahr/Sommer 2017 in Neapel gebracht wird. Die Person wurde im Mai von der Polizei festgenommen und nach Italien überführt. Cosa Nostra Die "Cosa Nostra" ist eine kriminelle Organisation mit straff hierarchischem Aufbau, ausgelegt auf die Gesamtkontrolle ihres Territoriums und gezielte Einflussnahme auf wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Dies erreicht sie unter anderem durch Schutzgelderpressung und Durchdringung des staatlichen und ökonomischen Systems. Bestehend aus mehreren Mitgliedsfamilien, folgt sie strikten Regeln und Statuten. Sie operiert von Sizilien aus. Sacra Corona Unita Vor den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts gab es keine Organisierte Kriminalität nach der Art der Mafia in Apulien. Durch die aus den Nachbarregionen ausgeübten Einflüsse der anderen drei Syndikate kam es zu starken Veränderungen und letztlich zur Gründung einer Organisationsstruktur nach dem klassischen 308 Organisierte Kriminalität Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Muster einer mafiösen kriminellen Vereinigung: die "Sacra Corona Unita" ("Heilige Vereinte Krone"). Sie wird auch gerne als "Vierte Mafia" bezeichnet. Ihre Deliktsbereiche sind der Waffen-, Rauschgiftund Menschenhandel sowie Prostitution und Zigarettenschmuggel. Bayern wird durch die apulische OK hauptsächlich als Rückzugsraum genutzt. In Bayern liegen die legalen Geschäftszweige der italienischen Mafia vorrangig in der Gastronomie. Zu den illegalen Betätigungsfeldern zählen Rauschgifthandel, Geldwäsche, Erpressung und Zinswucher. 309 Im Blickpunkt Im Blickpunkt Für Extremisten sind der Auftritt in sozialen Medien und der Einsatz unterschiedlicher digitaler Kommunikationsformate fester Bestandteil ihrer Propagandaund Beeinflussungsstrategien. Angesichts der niedrigschwelligen Verfügbarkeit und enormen Reichweitenpotenziale digitaler Medien verfügen Extremisten heute damit über zuvor nicht geahnte Möglichkeiten zur Streuung ihrer Agitation und zur Rekrutierung neuer Anhängerschaften. Sie versuchen auch, sich die Funktionslogik sozialer Medien zunutze zu machen, beispielsweise die Entstehung sog. "Echokammern". In abgeschotteten Diskursstrukturen teilen und bestätigen hier politisch Gleichgesinnte die eigene Meinung, die sich dadurch immer weiter verfestigt. So können Meinungen und Debatten in einzelnen "Diskursblasen" durch systematische Verbreitung von Hetzbeiträgen und Falschmeldungen angeheizt werden. Diese extremistisch beeinflussten digitalen Teilöffentlichkeiten können schließlich Ausgangspunkt für sehr unterschiedliche Radikalisierungsverläufe und Extremistenprofile sein: von organisationsunabhängigen Einzelpersonen, die strafund verfassungsschutzrelevante Inhalte aktiv im Internet verbreiten, über Personen, die ohne vorangegangenen realweltlichen Kontakt zu einer extremistischen Szene quasi ad hoc schwere Straftaten begehen, bis hin zu Kleingruppen mit terroristischer Agenda. 310 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Extremistische Akteure sind daher bestrebt, gesellschaftliche Diskurs-, Informationsund Meinungsbildungsprozesse zu stören, zu manipulieren und für ihre Zwecke zu missbrauchen. Ihre Beeinflussungsstrategien sind in Bezug auf technologische Rahmenbedingungen anpassungsfähig. Extremisten sind ununterbrochen auf der Suche nach alternativen Formaten und Trends, die es ihnen ermöglichen, neue Zielgruppen zu erschließen und Restriktionsmaßnahmen von Plattformbetreibern und staatlichen Stellen zu umgehen. 311 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Im Blickpunkt Rechtsextremisten nutzen das Netz und seine Möglichkeiten zur "virtuellen Erweiterung" ihres herkömmlichen Anspracheund Propagandarepertoires. Sie pflegen Onlineauftritte, um neue Mitglieder und Anhänger zu werben, sie mobilisieren online für Aktionen und Kundgebungen, sie verbreiten in Form von Postings und Kommentaren ihre verfassungsfeindlichen Botschaften und Parolen in sozialen Netzwerken und sie nutzen Messengerund Chatdienste mit möglichst hohen Verschlüsselungsund Anonymisierungsstandards zur szeneinternen und überregionalen Vernetzung und Verständigung. Während rechtsextremistische Strategien im Netz einerseits auf die Beeinflussung von Teilen der Gesellschaft abzielen, existieren andererseits auch extremistische Strategieansätze, die unmittelbar den gesamtgesellschaftlichen Diskurs und den ihm zugrundeliegenden freiheitlich-demokratischen Wertekanon als Ganzes im Visier haben. Bei diesem Ansatz handelt es sich um eine weitaus subtilere und gleichzeitig weitreichendere Vorgehensweise. Im Vordergrund steht hierbei die Maxime, gesellschaftlich zustimmungsfähige rechtsextremistische Sprachund Ideenkonstrukte zu produzieren und zu verbreiten. Ziel rechtsextremistischer Öffentlichkeitsstrategien ist es vor allem, Verschiebungen im gesellschaftlich akzeptierten Sagbaren hervorzurufen. Gerade gesellschaftliche Debatten um Einwanderungsund Flüchtlingsthemen eignen sich aufgrund ihrer emotionalen Aufladung besonders, rassistische Deutungsmuster und extremistische Narrative wie "Umvolkung" oder "Volkstod" in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs einzuspeisen. Im Rahmen von Begriffsumdeutungen und -besetzungen, sprachlichen Verschleierungstaktiken oder Verschiebungen sog. Sagbarkeitsfelder soll das bürgerliche Begriffsrepertoire mit extremistischem Sprachund Gedankengut infiltriert werden. Zentral ist zudem das Bemühen um eine Erosion der Abgrenzung und klaren Unterscheidbarkeit zwischen demokratischen und rechtsextremistischen Positionen, um letzteren mehr Akzeptanz in gesellschaftlichen Debatten zu verschaffen. Rechtsextremisten sind hierbei auch bestrebt, die demokratischen Aushandlungsprozesse und rechtsstaatlichen Verfahren, die hinter der Identifizierung und ggf. staatlichen Sanktionierung rechtsextremistischer Inhalte und Sachverhalte stehen, insgesamt in Frage zu stellen und deren gesellschaftliche Akzeptanz zu schwächen. 312 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Rechtsextremistische Akteure, die mit ihren Onlinekampagnen auf die gesellschaftliche Mitte abzielen, versuchen, ihre verfassungsfeindlichen Inhalte und Botschaften meist im Rahmen von seriös anmutenden Formaten zu verschleiern. Dabei passen sie die Aufmachung ihrer Formate - von hip und jugendaffin bis hin zu intellektuell oder gar journalistisch anmutend - an die jeweiligen Zielgruppen und Adressatenkreise an. Ein Beispiel dafür ist die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD): Sie versucht, ihre auf ethnisch, völkisch-abstammungsmäßigen Kriterien fußenden einwanderungskritischen und islamfeindlichen Positionen unter Anwendung einer politisch möglichst unverfänglichen Sprache zu vermitteln. Ihr Ziel ist es, herkömmliche negative Assoziationen und gesellschaftliche Abwehrreflexe gegenüber rechtsextremistischen Ideen und Parolen zu überwinden. Durch neue, vermeintlich elaboriertere Begriffsund Theoriekonstrukte sollen diskursive Hintertüren geöffnet und Sagbarkeitsfelder erweitert werden. Statt dumpfen Parolen wie "Ausländer raus" fordern die IBD-Aktivisten daher "Remigration" und "klare Umkehrungsmaßnahmen der Migrationsströme", statt "Deutschland den Deutschen" zu skandieren, skizzieren sie das Ideal einer Staatsund Gesellschaftsordnung unter der Prämisse der ethnischen und kulturellen Homogenität, statt des neonazistisch konnotierten Konzepts der "Umvolkung" beschwören sie die Gefahren des "Großen Austauschs". Vorwürfen, sie würden Rassismus, völkisches und antidemokratisches Gedankengut predigen, widersprechen sie scharf und entgegnen diesen, indem sie ihre Ideologie und Kampagnen mit euphemistischen Formeln wie "Ethnopluralismus" oder dem Kampf für eine "echte, direkte Demokratie" etikettieren. Die visuelle Gestaltung der jeweiligen Social-Media-Formate der IBD spricht dafür, dass ihre Kommunikationsstrategie besonders auf junge Menschen (vornehmlich mit hohem Bildungsniveau) ausgerichtet ist. Rechtsextremisten wollen erreichen, dass Themen, die Anknüpfungspunkte für ihre extremistische Propaganda sowie gesellschaftliches Polarisierungspotenzial bieten (z. B. Migration, Ausländerkriminalität, Islam), die öffentliche Agenda bestimmen. So produzieren sie Beiträge zu einschlägigen Themen, bringen diese in sozialen Netzwerken unter Verwendung verschiedener Medienformate wie #Hashtags und Memes in Umlauf und erhöhen deren Sichtbarkeit durch koordinierte Verfahren (Mobilisierung von Trollen, Einsatz automatisierter Reichweiteprogramme etc.), 313 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Im Blickpunkt was die Reichweite von bestimmten Themen und diesbezügliche Meinungsbilder simulieren soll. Dabei werden die eigenen Botschaften in den politischen Informationskreislauf eingespeist und sich dessen Multiplikatoreneffekte zunutze gemacht. Im Islamismus können hauptsächlich zwei Spielarten von Diskursstrategien identifiziert werden: Während Salafisten vermehrt darauf abzielen, sich konsequent gegenüber den Werten der demokratischen Gesellschaft abzugrenzen, verfolgen legalistische Islamisten und deren Organisationen die Strategie der zivilgesellschaftlichen Einflussnahme und Täuschung, um ihre extremistischen Ziele durchzusetzen. Legalistische Islamisten präsentieren sich im öffentlichen Diskurs als vermeintlich weltoffene und gemäßigte Religionsvertreter mit zivilgesellschaftlichen Anliegen. Sie umschreiben ihr Handeln und Wirken nach außen hin mit demokratisch anschlussfähigen und unverfänglichen Werten und Begrifflichkeiten, um gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen. Zum einen wollen sie sich so Zugang zum öffentlichen Diskurs verschaffen, um im Rahmen gesellschaftlicher Debatten und Entscheidungsprozesse ihre Positionen und Botschaften platzieren zu können. Zum anderen soll sich die damit einhergehende öffentliche Aufwertung und Anerkennung in letzter Konsequenz auch auf die staatliche und rechtliche Bewertung ihrer Aktivitäten auswirken. Im Zentrum der Strategie steht die Bezugnahme auf Werte wie Religionsfreiheit oder Menschenrechte, die jeweils als Bestandteile eines weitaus größeren Ethikkatalogs präsentiert werden. Dass es sich hierbei in der Regel um reine Schutzbezeichnungen und -behauptungen handelt, wird oftmals erst deutlich, wenn man sich mit den Inhalten und Botschaften beschäftigt, die vor allem innerhalb der jeweiligen Gruppierungen und Bewegungen kommuniziert werden. Hierbei wird erkennbar, dass die jeweiligen Gruppen und Akteure eine strikt islamistische Agenda verfolgen und eine Ideologie propagieren, die universellen Werten wie der Gleichheit aller Menschen oder dem Gedanken der Völkerverständigung grundsätzlich widerspricht und als Ziel die Gründung und Förderung von islamistischen Gesellschaftsund Staatsordnungen verfolgt. Ein Beispiel für öffentliche Täuschungsstrategien legalistischer Islamisten ist die Umbenennung der "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland" (IGD) in "Deutsche Muslimische Gemeinschaft" (DMG) Ende 2018. Die IGD gilt als wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der islamistischen 314 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 "Muslimbruderschaft" (MB) in Deutschland. Einer Presseveröffentlichung zufolge soll die Umbenennung in DMG Ausdruck der Verbundenheit mit der deutschen Gesellschaft und deren Werten sein, eine inhaltliche Veränderung gehe damit nicht einher. Aus diesem Grund muss davon ausgegangen werden, dass die DMG weiterhin darauf abzielt, ihren politisch-ideologischen Einflussbereich in Europa und Deutschland auszuweiten und langfristig einen islamistischen Staat zu errichten. Politische Salafisten versuchen, eine angeblich gesellschaftlich weit verbreitete Islamfeindlichkeit zu suggerieren, wodurch bei Muslimen - gerade denjenigen, die Diskriminierung erfahren haben - letztlich der Eindruck erweckt wird, dass die deutsche Gesellschaft den Islam als Ganzes ablehnen würde. Unter Bezugnahme auf diese vermeintliche Ächtung des Islam durch staatliche Instanzen oder auf ein vermeintlich islamfeindliches gesellschaftliches Klima kann jegliche (kritische) Diskussion über religiöse Aspekte grundsätzlich abgelehnt werden. Was bei den Muslimen bleiben soll, ist das subjektive Gefühl von Ohnmacht gegenüber einer vermeintlich "islamfeindlichen" Öffentlichkeit. Ausgrenzungsund Diskriminierungserfahrungen fungieren als Anschlussmoment für die salafistische Propaganda und sollen zur Stärkung des Bilds einer muslimischen Schicksalsgemeinschaft führen. Die vermeintliche Lösung der Salafisten: Die unbedingte Loyalität gegenüber dem salafistisch ausgelegten Islam und die Lossagung von allem, was dem Weltbild der Salafisten widerspricht. Als Beispiel für diese durchaus emotionale Diskursstrategie kann der Twittersturm #NichtOhneMeinKopftuch im April genannt werden, der als Reaktion auf ein mögliches Kopftuchverbot an Schulen in Nordrhein-Westfalen für Mädchen unter 14 Jahren ins Leben gerufen wurde. Organisator der Aktion war die salafistisch beeinflusste Gruppierung "Generation Islam". Mit der harmlos wirkenden, emotionalisierenden Twitter-Aktion konnten auch solche Muslime angesprochen und mobilisiert werden, die zwar nicht der salafistischen Szene angehören, sich aufgrund erfahrener Ausgrenzung aber dennoch mit der Thematik identifizieren können. Die vermeintliche Ablehnung des Kopftuchs sollte das Vertrauen in die demokratische Gesellschaft zerstören und die Abgrenzung von derselben fördern - was bei konsequenter Fortführung einen Weg in die salafistische Radikalisierung bilden kann. Wie anschlussfähig die Aktion war, wurde daran ersichtlich, dass der Hashtag #NichtOhneMeinKopftuch zeitweise Platz drei auf der tagesbezogenen Trendliste von Twitter in Deutschland belegte. 315 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Im Blickpunkt Jihadistische Salafisten adressieren die gesamte Gesellschaft. Sie zielen darauf ab, durch Anschläge und Anschlagsdrohungen ein Gefühl der Angst zu verbreiten und islamfeindliche Haltungen in der Öffentlichkeit zu erzeugen bzw. zu verstärken, um so wiederum größeren Zulauf von Sympathisanten und Anhängern zu erhalten. So werden die Attentäter in der explizit für eine junge Zielgruppe aufbereiteten IS-Propaganda als "Märtyrer" glorifiziert und die Taten als notwendiges Mittel im Kampf gegen die "ungläubige" Gesellschaft legitimiert. Jihadistische Terrororganisationen wie der "Islamische Staat" (IS) bekennen sich regelmäßig zu den Anschlägen, auch wenn die Sicherheitsbehörden eine Anhängerschaft des Selbstmordattentäters nicht immer zweifelsfrei nachweisen können. So verstärkt der IS seine globale Bedeutungsund Wirkmacht und erreicht damit sein Ziel, sich als vermeintlich übermächtigen Gegner darzustellen und Angst in der Gesellschaft zu verbreiten. Der Linksextremismus postuliert teils per se weithin anschlussfähige Werte und Positionen wie Gleichheit und Freiheit, verabsolutiert diese jedoch und interpretiert sie auf seine Weise um: Soziale Gleichheit in der Lesart der Linksextremisten steht über den individuellen Freiheiten und beschränkt persönliche Freiheitsrechte wie das Recht auf Eigentum. Im Gegensatz zum liberalen Freiheitsverständnis in der Demokratie verstehen Anarchisten und autonome Linksextremisten Freiheit als ein Gesellschaftsmodell, das frei von jeglichen Herrschaftsstrukturen ist. Indem positiv konnotierte Begriffe wie Gleichheit und Freiheit genutzt werden und die linksextremistische Umdeutung nicht offen zu Tage tritt, versuchen Linksextremisten, gesellschaftliche Anerkennung und Akzeptanz zu finden, um ihre Organisationen im Diskurs unangreifbar zu machen. Im Vordergrund steht jedoch weiterhin das Ziel, die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung herbeizuführen, um dann die eigene Gesellschaftsordnung zu errichten. Linksextremisten nutzen auch den breiten gesellschaftlichen Konsens gegen den Rechtsextremismus für ihre politischen Ziele, die weit über die Bekämpfung des Rechtsextremismus hinausreichen. Antifaschismus im linksextremistischen Sinn beinhaltet auch die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie. Ihre Aktionen dienen zum einen als verbindendes Element innerhalb der eigenen heterogenen Szene. Zum anderen werden dadurch Anschlussmöglichkeiten an demokratische Diskurse eröffnet. Die letztlich antidemokratischen und antifreiheitlichen Ideen sollen möglichst im gesamtgesellschaftlichen Konsens platziert werden, um extremistische Gesellschaftsund Zielvorstellungen umsetzen zu können. 316 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Im Bundesgebiet finden nur selten Demonstrationen unter ausschließlicher Beteiligung von Linksextremisten statt. Von ihnen bediente Themenfelder haben oftmals eine hohe Anschlussfähigkeit an das nichtextremistische Spektrum. Bekannte Aktionsfelder von Linksextremisten wie z. B. Antifaschismus, Antirassismus, Antimilitarismus und Antigentrifizierung stehen wie viele andere Themen auch gleichzeitig im Fokus demokratischer Akteure und Initiativen. Diese werden bewusst gewählt, um die Wahrnehmung und Wirkung in der Öffentlichkeit zu steigern. Aufgrund der gemeinsamen Themen kommt es dadurch oftmals sowohl zu Überschneidungen bei der Mobilisierung für Veranstaltungen als auch in der Folge zur Teilnahme von Linksextremisten an demokratisch organisierten Protesten und Veranstaltungen. So können Linksextremisten ihre Botschaften in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs einspeisen und nichtextremistische Unterstützer als Potenzial für ihre systemüberwindenden Ziele instrumentalisieren. Das Thema Gentrifizierung benutzen Linksextremisten beispielsweise, um legitime demokratische Proteste gegen zum Teil rasante Mieterhöhungen auch durch den Einsatz von Militanz zu verschärfen. Linksextremisten suchen u. a. in sog. Mitmachkampagnen den Schulterschluss. Ein Beispiel dafür ist die Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA), die 2016 im Nachgang eines bundesweiten Treffens autonomer Gruppen in Frankfurt/Main entstanden ist. Dabei handelt es sich um eine Initiative, bei der sich Personen unabhängig von einer Organisationszugehörigkeit unter einem einheitlichen Identifikationsbegriff beteiligen können. Mit Hilfe solcher Aktionsbündnisse und Kampagnen versuchen Linksextremisten, tagespolitische Themen aufzugreifen, diese perspektivisch in der linksextremistischen Szene zu verankern und somit ihre Anschlussfähigkeit an das demokratische Spektrum voranzutreiben. Verfassungsfeindliche Inhalte werden im Rahmen von sozialkritisch anmutenden Formaten verschleiert. Selbst seitens des gewaltbereiten linksextremistischen Spektrums, in dem einzelne Szeneteile nicht nur schwere Körperverletzungen, sondern auch den Tod von Menschen billigend in Kauf nehmen, wird versucht, im Rahmen von Erklärungsund Rechtfertigungsstrategien Akzeptanz innerhalb bürgerlicher Kreise zu erzeugen und Mitstreiter zu werben und zu mobilisieren. Autonome Linksextremisten verklären ihren Kampf gegen die freiheitliche demokratische Ordnung folglich zu einem Aufbegehren gegen ein angeblich übermächtiges und unterdrückerisches kapitalistisches System, welches seinerseits angeblich "strukturelle" wie physische Gewalt gegen die Bürger anwenden würde. Die Autonomen bemühen hierbei u. a. auch eine Strategie 317 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Im Blickpunkt der Entmenschlichung und Diffamierung des politischen Gegners, aber auch von Polizisten und anderen Repräsentanten des Staates (mit Szenebezeichnungen wie "Faschoschweine" und "Bullen" oder Slogans wie "Deutsche Polizisten schützen Nazis und Faschisten!"). Ihre Agitation spricht diesen Gruppen Menschenwürde und Menschenrechte letztlich ab. Ihre Rechtfertigungsnarrative sollen auch bei Nichtextremisten verfangen und - wenn nicht zu unmittelbarer Akzeptanz - so doch zu einer weniger verurteilenden Wahrnehmung linksextremistisch motivierter Gewalt im öffentlichen Diskurs führen. Die Nutzung sozialer Medien ist für die Kampagnenarbeit autonomer Linksextremisten von besonderer Bedeutung. Soziale Medien erweitern eklatant die Möglichkeiten, sich international zu vernetzen, zu mobilisieren und Aktionen zu koordinieren. Im Vorfeld des Bundesparteitags der AfD in Augsburg starteten autonome Linksextremisten die Kampagne "Augsburg für Krawalltouristen" und veröffentlichten im Internet einen "Reiseführer", der mehrere Angriffsziele wie Parteibüros, Polizeiwachen und Stromverteilerkästen in Augsburg auflistete und Vorschläge für gewaltsame Aktionsformen enthielt. Zusammen mit einem Mobilisierungsvideo, in dem u. a. zu sehen ist, wie Polizeifahrzeuge mit Grillanzündern in Brand gesetzt werden, wurde dieser "Reiseführer" in den sozialen Medien verbreitet. Die Verbreitung von Anleitungen zu teilweise schweren Gewalttaten ist eine übliche Vorgehensweise in der autonomen Szene. Die Herausgeber wollen damit zu Straftaten anstacheln und so Militanz erzeugen. Das Internet eröffnet ihnen dafür einen Resonanzraum, der deutlich größer und anonymer ist als das Milieu, das früher durch die Druckausgaben autonomer Szenemagazine wie "radikal" oder "interim" erreichbar war. Sog. Postautonome, die eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz für die eigenen autonomen Positionen erreichen wollen, verfolgen den strategischen Ansatz einer spektrenübergreifenden Mobilisierung und bilden ein Scharnier zwischen gewaltbereiten Linksextremisten und gemäßigten Kräften. Hier ist die "Interventionistische Linke" (IL) zu nennen, die mit dem Begriff des "zivilen Ungehorsams" suggeriert, dass gewaltsame Aktionen gegen den Staat und gegen staatliche Vertreter legitim und notwendig sowie vom demokratischen Konsens gedeckt seien. Sie rufen zwar öffentlich nicht zu Gewalt auf, distanzieren sich aber auch nicht davon. Hinter einer vermeintlich gewaltlosen Haltung verstecken sie ihre verfassungsfeindlichen Ziele, damit ihre Positionen von demokratischen Akteuren anerkannt werden. 318 Im Blickpunkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 In der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter ist zu beobachten, dass das Verbreiten ihrer Ideologie und der extremistischen Inhalte dazu dient, sich einerseits gegenseitig zu bestärken und andererseits neue Anhänger zu gewinnen sowie Sympathisanten in Verschwörungstheorien zu verstricken. Reichsbürger suchen aber auch die Auseinandersetzung mit z. B. staatlichen Vertretern, um Verwirrung zu stiften und die Gegner aufs Glatteis zu führen. Reichsbürger wirken vorrangig nach innen, versuchen jedoch auch, neue Anhänger von verschwörungstheoretischen Denkweisen zu überzeugen. Verschwörungstheorien helfen Szeneangehörigen und Interessenten dabei, sich in einer komplexen, globalisierten Welt mithilfe von einfachen Erklärungen und Wahrheiten zurechtzufinden. Das bietet Personen, die sich überfordert fühlen von der Komplexität moderner pluralistischer Gesellschaften und die aus verschiedenen Gründen unzufrieden mit dem staatlichen Handeln sind, eine Art Krisenbewältigungsstrategie an. Ihre verfassungsfeindlichen und verschwörungstheoretischen Inhalte streuen die Reichsbürger insbesondere auch in den sozialen Medien. Dadurch besteht die Gefahr, dass die dort erreichten Zielgruppen aufgrund der Verstärkerund Abkoppelungseffekte von "Echokammern" und "Filterblasen" den Anschluss an öffentliche Debatten innerhalb der Gesellschaft verlieren und sich in eine verschwörungstheoretisch geprägte Weltwahrnehmung verrennen. Zwar eint Reichsbürger die grundsätzliche Ablehnung des bundesdeutschen Staatswesens, untereinander konkurrieren sie aber um die Konstruktion der Wirklichkeit. 319 Anhang Anhang PERSONENPOTENZIAL UND GEWALTTATEN Anzahl der Extremisten in Bayern 7.000 6.000 5.000 4.200 4.000 4.155 3.500 3.420 3.000 2.360 2.000 1.200 1.000 0 100 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Islamisten* * Der Rückgang 2014/2015 ist vor allem auf die Sonstige ausländische Extremisten Reformbemühungen innerhalb der IGMG zurückzuführen. Rechtsextremisten ** Für das Jahr 2013 wurden erstmals nur die offen extremistischen Linksextremisten** Strukturen der Partei "DIE LINKE" ausgewiesen. Scientology-Organisation *** Aufnahme der Beobachtung im Jahr 2013 Verfassungsschutzrelevante Islamfeinde*** **** Aufnahme der Beobachtung im Jahr 2016 und Reichsbürger/Selbstverwalter**** fortschreitende Aufhellung des Personenpotenzials Entwicklung extremistisch motivierter Gewalttaten in Bayern 122 120 113 100 91 80 72 68 66 63 60 54 50 46 40 30 25 20 11 11 8 3 1 0 2014 2015 2016 2017 2018 Rechtsextremismus Linksextremismus Ausländerextremismus* Ausländische Ideologie * Statistik zu Ausländerextremismus enthält für die Jahre 2014-2016 Religiöse Ideologie Straftaten von religiöser Ideologie. 320 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 STICHWORTREGISTER A B Adil-Düzen (gerechte Ordnung) 37 Bakunin Michail Alexandrowitsch Advanced Persistent Threat 287-288 219, 222 Aktionsbündnis "Fluchtursachen Bandidos MC (BMC) 297, 299, bekämpfen" 249 302, 304 Al-Intiqad (Die Kritik) 77 Bayerische Informationsstelle Al-Manar (Der Leuchtturm) 77-78 gegen Extremismus (BIGE) 26-27, Alperen/Alperen-Genclik 92 30, 134-135, 139, 191 AL RISALAH, Online-Magazin Bayerisches Aussteigerprogramm 27 von AQ 59 Bayerisches Handlungskonzept gegen Anarchismus 219, 222, 244 Rechtsextremismus 27 Anarchisten 243-244, 256, 316 Bayerisches Netzwerk für Prävention Anarcho-Syndikalismus 222 und Deradikalisierung gegen SalaAntiatomkraft 223 fismus 29 Antifaschismus 223-224, 235, Bayerisches Sicherheits245-246, 248, 255, 316-317 Überprüfungsgesetz 23 Antigentrifizierung 208, 223, 225, 317 Bayerisches VerfassungsAntiglobalisierung 223, 244 schutzgesetz 19-20, 295 Antiimperialismus 88, 223, 253 Benefizveranstaltungen 55 Antiinstitutionalismus 244 Beobachtungsauftrag des Antimilitarismus 88, 223, 227, 239, Verfassungsschutzes 20-21, 33, 194 247, 254, 317 BIRGiT, Arbeitsgruppe 23, 55 Antirassismus 223, 246, 249, 317 Backyard Bloods 299 Antirepression 209, 223-225 Blood Red Section MC 299 Antisemitismus 38, 111, 146, 193 Bundesamt für Sicherheit in der Applied Scholastics 269-271 Informationstechnik (BSI) 289 Artikel 10-Gesetz 24 Bürgerinitiativen, rechtsextremistisch Atilim 91 103, 115, 117, 125, 143, 163-165, 195 Auditing 268 Bürgerwehr, rechtsextremistisch Ausländische Nachrichtendienste 116, 118, 22, 275, 277-279, 289, 296 Büro 610 283 Ausreisebewegungen 52-54 Autonome 205-213, 215, 217-218, 223-225, 230, 234, 236, 240, 242, 243-252, 254-255, 316-318 321 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Anhang C G Camorra 307-308 G20-Gipfel 209, 214-215, 252-253 Chapter/Charter 119, 171-172, G 10-Kommission 24 298-302 Gefangenenhilfe 36, 61-62 Colour 298 Gefährder 23, 55, 66-67 Cosa Nostra 307-308 Geheimschutz 22-23, 286 Cyberangriffe 22, 60, 279 Geheimschutzbetreuung 286 Cyberarmee 60 Gelber Schein 180 Cyber-Allianz-Zentrum Bayern 22, Geschichtsrevisionismus 106 274, 276, 285-286, 290 Global Public Register Offenders and Rapists 184 D Graue Wölfe 92 Da'wa (Missionierung) 32, 35, 44, Gremium MC 297, 300, 302-303 48, 55-56, 61 Gringos MC 299, 304 DABIQ (Online-Magazin) 59 Gülen-Bewegung 284 Defend Europe 116, 125, 132 Deutsche Annalen 138 H Deutsche Geschichte 138 HAMC Munich Area 302 Diebe im Gesetz 305 Harvest of the Soldiers 58-59 Diktatur des Proletariats 219, 221, Hass-Musik 229 237-238 Hells Angels MC 171, 297-300, 302-304 E Hochkommissar für Entrismus 221 Menschenrechte 185 Europäisches Institut für HumanHerrschaftsfreie Gesellschaft wissenschaften (EIHW) 47 205-206, 219, 222, 243, 257-258 Homegrown-Terroristen 58 F Home Da'wa 35, 55 Flüchtlinge (Islamismus) 35, 42, Hubbard, L. Ron 261, 264, 62-63, 67, 76 266-268, 270 Fränkische Aktionsfront 136, 139 FSN Shop 136 I Fünf Gifte 282 Ideale Org-Kampagne 267 Furkan Nesli Dergisi 37, 40-41 Imperialismus 37, 220, 226, 232, 252 Initialisierende Gewalt 207 Initiative Wirtschaftsschutz 285 Inlandsnachrichtendienst FSB (Russland) 280 322 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 INSPIRE (Online-Magazin) 59 L Interim (Szene-Zeitschrift) 207, 318 Landesamt für Sicherheit in der Intifada 76 Informationstechnik (LSI) 285, 289 Islamic Revolutionary Guards Landeskoordinierungsstelle Bayern Corps IRGC (Iran) 284 gegen Rechtsextremismus 26 Islam-Infostände 55-56 Legalresidentur 277-278, 281 Islamfeindlichkeit, Lenin, Wladimir I. 220 rechtsextremistische 110, 193 Lies! Koranverteilprojekt 35, 66 Islamfeindlichkeit, verfassungsLone Actor 59 schutzrelevante 21, 26, 28, Low-Profile-Angriffe 64 192-193, 195, 198-199 Islamismus, legalistischer 34, 36-37 M Islamseminare 35, 55 Mafia 307-309 Maoismus 221, 237 J Marx, Karl 219 Jihad 33, 49, 51, 54, 58, 65, 71-73 Marxismus 219-220, 246-247, 253-254 K Marxismus-Leninismus 89-90, Kalifat (khalifa) 52, 69-71, 78-79 220-221, 233-234, 238 Kapitalismus 37, 148, 151, 169, Massenvernichtungswaffen 276, 291 219-220, 223, 226-227, 231, 252, 254 Mexican Rebels 299 Kameradschaften 96-97, 124, Milieumanager 182-183 139, 166-170 Milli Istihbarat Teskilati MIT 283 Klassenlose Gesellschaft 219, 237, Milli Gazete 37-38 253, 255 Militärischer AuslandsnachrichtenKnow-how-Schutz 285 dienst GRU (Russland) 280 Kommunismus 37, 219-220, 231, Militärischer Nachrichtendienst 233, 249-250, 253-254 MID (China) 283 Kommunistische Partei Chinas Ministerium für öffentliche (KPCh) 280, 283 Sicherheit MÖS (China) 282-283 Kommunistische Partei Ministerium für Staatssicherheit Deutschlands (KPD) 233 MSS (China) 282 Konfrontative Gewalt 207 Ministry of Intelligence of the Konvertiten 50, 53 Islamic Republic of Iran MOIS 284 Kulturrevolution 221 Mobivideos (Mobilisierungsvideos) KYBERNETIQ 59 212, 228-229, 251, 318 323 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Anhang Mongols MC 297 P Muhacirun (Auswanderer) 78 Parlamentarisches Münchner Sicherheitskonferenz 227, Kontrollgremium 24 239 Politically Incorrect (PI-News) 196 Postautonome 243-244, 246, 252, N 254-255, 318 Nachhilfeinstitute 270 Proliferation 276, 284, 291-293 Nachrichtendienstliche Mittel 22-23, Prospect 171, 304 262, 279, 295 Nationale Allianz für Cyber- Q Sicherheit 289 Quds-Brigaden 284 Nationale Streifen 117-118 Nationalismus ist keine Alternative R (NIKA) 210, 255-256, 258, 317 Rätedemokratie 221 National-Zeitung/Deutsche Recht(s)konsulent 181-182 Wochenzeitung (NZ) 137 Red Devils MC 299-300 Nationalsozialismus 95, 113-114, 128, Relevante Person 67 140, 158, 163, 167, 170, 224 Religious Technology Center Nationalsozialistischer Untergrund (RTC) 267, 270 (NSU) 102-104, 253-254, 256 RESURGENCE, Online-Magazin 'Ndrangheta 307-308 von AQ 59 Neonazismus 167-168 Revolutionary Guards Intelligence Organization RGIO (Iran) 284 O Rock Machine MC 297 Obschtschjak 305 RUMIYAH (Online-Magazin) 59 Offen extremistische Strukturen 206, 220, 230-231 S Office of Special Affairs Sacra Corona Unita 307-309 (OSA) 269-270 Salafismus 28-30, 33-34, 47-50, Open Source Jihad 58 61-62, 200 Operierender Thetan 268 Salafismus, jihadistischer 34-35, 49 Organisierte Kriminalität 20-21, Salafismus, politischer 34-35, 49 294-309 Scientology TV 266 OSA 269-270 Scharia 33-34, 36-37, 39, 44, 46, Osmanen Germania BC 294, 297, 301 48, 74, 195, 201 Outlaw Motorcycle Gang Schwarzer Block 207, 214-215, (OMCG) 297-298 225, 240 Outlaws MC 297 324 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Scientology Missions International U (SMI) 267 Umwelt & Aktiv 167 Security and Intelligence United Tribuns 297, 300-301 Organization of the Army (Iran) 284 Serxwebun (Unabhängigkeit) 84 V Sicherheitsüberprüfung 23 Verbot des Freien Netzes Süd 136, Skinhead-Bands 130-133 139, 146-147 Skinheads 98, 100, 135, 170-172 Verfassungsfeindliche Bestrebung Social Bots 60 20, 33, 62, 136, 139 Social engineering 286 Verfassungstreueüberprüfung 23 Souveräne Bewegung 183 Verschlusssachen 22, 286 Sozialismus 72, 107, 200, 220-221, Vertrauensleute 20, 23 233-235, 237-238 Volksgemeinschaft 95, 107, 110, Spionageabwehr 22, 274, 276-277, 113, 140-141, 193 280, 284, 286 Vorfeldaufklärung 25 Stalinismus 220, 237 Street-Da'wa 56 W Strukturelle Gewalt 207, 243, 317 Wahhabismus 48 Supporter 299-300, 304 Warenverkaufsstände Syrien-Rückkehrer 52-54, 65 (Salafismus) 35 Widerständiges Bayern T 210, 227-228, 246-249, 251 Taghrib (kulturelle Verwestlichung) 44 Wirtschaftsschutz 274, 276, Takfir 72 284-285, 290 Tarnorganisationen 95, 164, 260, World Uyghur Congress (WUC) 282 263-265, 270-272 Tauhid 48 Y Todesfatwas 43 Yeni Özgür Politika 84, 86 Trennungsgebot 25 Yürüyüs 89 Trotzki, Leo 221 Trotzkismus 221, 231, 254 Z Trust MC 297 Zapata MC 299 Türk Federasyon Bülteni 92 Ziviler Auslandsnachrichtendienst Turner Diaries 98 SWR (Russland) 280 TV5 (Türkischer Fernsehsender) 38 Twitter-Bomben 60 325 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Anhang EXTREMISTISCHE ORGANISATIONEN UND GRUPPIERUNGEN In dieser Übersicht sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Organisationen und Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Organisation/Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine verfassungsfeindliche Organisation/ Gruppierung handelt. Organisationen/Gruppierungen aus den Phänomenbereichen "Organisierte Kriminalität" und "Spionageabwehr" wurden nicht aufgenommen. Aus dem Bereich "Scientology" erfolgte keine Aufnahme der internationalen Organisationsteile. ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Abu Sayyaf (Philippinen) 71 al-Qaida 49, 59, 69, 71-73 al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH) 71, 73 al-Qaida im Irak 71 Al-Rahman-Moschee (Regensburg) 57-58 al-Shabab (Somalia) 71 Al Ummah Moschee (München) 42 Ansaar International e. V. (ehemals Ansaar Düsseldorf e. V.) 55-56 As-Salam-Moschee (Schwandorf) 57 Boko Haram 64, 70 Dawa FFM 66 Die wahre Religion (DWR) 35, 56, 66 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG), vormals Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) 45-46, 314 El-Salam-Moschee (München) 57 Ennahda 44 Free our Sisters 62 Furkan-Gemeinschaft 37, 40-41 Furkan Stiftung für Bildung und Dienstleistungen 40 Hayat Tahrir al-Sham (HTS) 49, 64 Hilafet Devleti (Kalifatsstaat) 78-79 Hizb Allah (Hizbollah/Hisbollah) 77-78 Iman 56 326 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e. V. (IHH) 76 Islamisch albanisches Zentrum Ulm -Qendra islamike shqiptare Ulm e. V. (IAZ Neu-Ulm) 57 Islamische Audios 66 Islamische Föderation München e. V. 57 Islamische Gemeinde Hof e. V. (IGH) 42 Islamische Gemeinde Nürnberg e. V. (IGN) 46 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) 45-46, 314 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) 38-39 Islamischer Staat (IS) 66, 69, 75, 316 Islamische Stiftung Regensburg 58 Islamischer Verein Augsburg e. V. (IVA) 57 Islamischer Verein für Kultur und Bildung (Schweinfurt) 42 Islamische Vereinigung in Bayern e. V. (IVB) 42-43 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) 44, 75-76 Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) 42-43 Islamisches Zentrum München e. V. (IZM) 46 Islamisches Zentrum Regensburg e. V. 58 Islamisches Zentrum Schwandorf e. V. 57 Islamisches Zentrum Weiden e. V. 57 Ismael Aga Gemeinschaft (IAC) 38-40 Jabhat al-Nusra (JaN) 49, 73 Jabhat Fath al-Sham (JFS) 73 Jaish al-Muhajirin wal-Ansar (JAMWA) 68 Junud al-Sham 68 Kaukasisches Emirat (KE) 74 Kulturund Bildungszentrum Ingolstadt e. V. 79 LIES! Stiftung 35, 66 Millatu Ibrahim 66, 70 Milli-Görüs-Ahde-Vefa-Plattform - Erbakan Vakfi 39 Milli Görüs-Bewegung 34, 37-39 Muslimbruderschaft (MB) 37, 40, 44-47, 76, 315 Nordkaukasische Separatistenbewegung (NKSB) 74 Saadet Partisi (SP) 38 Sächsische Begegnungsstätte (SBS) 47 Salahuddin Moschee Augsburg 57 Somalischer Verein für Kultur, Familien, Jugendliche und Integration in Bayern e. V. 57 Tablighi Jamaat (TJ) 37, 41-42 327 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Anhang Tanzim Huras al-Din (THD) 73 Taufiq-Moschee (München) 57 Tschetschenische Republik Itschkeria (CRI) 74 We love Muhammad 56 World Wide Resistance - Help e. V. 56 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) bzw. Volkskongress Kurdistan (KONGRA GEL), ehemals Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistan (KADEK), Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK), Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) 82-89 Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum Deutschland e. V. (NAV-DEM) 85 Föderation der Arbeiter aus der Türkei e. V. (ATIF) 90 Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e. V. (AGIF) 91 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V. (ADÜTDF) 92 GRUP YORUM 90 Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) 90 Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa (AvEG-Kon) 91 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 91 Revolutionäre Volksbefreiungspartei (DHKP-C) 89-90 Türkisch Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten - Partizan Flügel (TKP/ML-Partizan Flügel) 90-91, 238, 242 Turan e. V. 93 Turkos MC 93 Ülkücü-Bewegung 83, 92-93 Verband der Türkischen Kulturvereine in Europa e. V. (ATB) 93 Young Struggle 91 RECHTSEXTREMISMUS Aktivitas der Burschenschaft Danubia München 124, 166 Ansgar Aryan 136 Bayerische Schießsportgruppe München e. V. (DBSSG) 163 Blood & Honour 100, 172-173 Bürgerinitiative A (BIA) e. V. (BIA-Nürnberg) 143, 163-164 328 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Bürgerinitiative Ausländerstopp Augsburg (BIA-Augsburg) 164-165 Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA-München) 103, 115, 125, 163-164, 195 Bürgerinitiative Soziale Alternative Oberpfalz e. V. (BiSAO) 165 Bürgerinitiative Soziales Fürth e. V. (BiSF) 165 Burning Hate 132-133 Combat 18 (C18) 100 Das Zeughaus 136 Der Dritte Weg (III. Weg) 9, 96-97, 100, 103, 107-108, 110-111, 113-115, 117-118, 120-124, 128-129, 131-132, 137, 146-150, 153, 165, 167-169 DIE RECHTE 96-97, 99-100, 132, 154-156 DIM Records 136 Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH (DSZ) 137 Eskalation 133 Faustrecht 133 Final Resistance 136 Freie Kräfte Berchtesgadener Land 169 Freies Netz Süd (FNS) 136, 139, 146 FSN Shop 136 FSN-TV 137 Gesellschaft für freie Publizistik e. V. (GfP) 165-166 Hammerskins 171-172 Hard as nails 134 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 109-110, 116, 129, 132, 156-158, 313 Junge Nationaldemokraten/Junge Nationalisten (JN) 134, 142, 145 Kameradschaft Aryans 168-169 Kameradschaft Altmühltal 169 Kameradschaft Gau Wendlstoa 169 Kameradschaft Unterfranken (KSU) 170 Kodex Frei 133, 172 Lunikoff 131, 134 Midgard e. V. 166-167 MPU 133 National Born Haters 134 Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) 96-97, 100, 103, 107-109, 111-112, 114, 117, 119, 125, 128, 131-132, 134, 137, 140-146, 156, 160, 164-165, 167, 195, 304 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) 102-104, 253-254, 256 Nordwind 133 329 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Anhang Oldschool Records 136 Oldschool Society (OSS) 99, 171 Patriotic Store 136 PEGIDA-München - zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e. V. (PEGIDA-München) 103-104, 115, 162-164, 195 Prolligans 133 Radio FSN 137 Revolution auf Sendung 137 Ring Nationaler Frauen (RNF) 145-146 Schanddiktat 131, 133 Schwarze Sonne Versand 114, 136 Soldiers of Odin Germany Division Bayern (SOO) 118-119 Stützpunkt Mainfranken (III. Weg) 118, 149-150 Stützpunkt München/Oberbayern (III. Weg) 149, 151 Stützpunkt Nürnberg/Fürth (III. Weg) 149, 152 Stützpunkt Oberfranken (III. Weg) 149-150 Stützpunkt Ostbayern (III. Weg) 149, 153-154 Stützpunkt Schwaben (III. Weg) 151 Sturmtrupp 133 TIWAZ 122 Untergrundwehr 134 Versand der Bewegung 136 VGB-Verlagsgesellschaft Berg mbH 138 Vikings Security Germania Division Bayern 119 Voice of Anger 171-172 Weisse Wölfe Terrorcrew (WWT) 99 White Rebel Boys 133 White Youth 173 Wikingerversand 136 Wodans Erben Germanien - Division Bayern (WEG) 118-119 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Akademie für Menschenrechte (Stade/Niedersachsen) 185 Amt Deutscher Heimatbund 183, 188-189 Bundesstaat Baden (umbenannt in Republik Baden) 188 Bundesstaat Bayern (umbenannt in Volksstaat Bayern) 186-188 Bundesstaat Sachsen 188 Bundesstaat Württemberg (umbenannt in Volksstaat Württemberg) 188 Deutscher Heimatbund 183, 188-189 330 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Exil-Regierung Deutsches Reich (Exilregierung) 191 Exilregierung Deutsches Reich 191 Freistaat Preußen 188 Global Common Law Court 184 Heimatbund der Menschen 183, 188-189 Heimatgemeinde "Gemeinde Chiemgau" 189 Heimatgesellschaft Chiemgau 189 Kommissarische Reichsregierung 178, 182, 191 Republik Baden (vormals Bundesstaat Baden) 188 Staatenbund Deutsches Reich 188 Verband der Deutschen Recht-Konsulenten (Kaarst-Vorst/Nordrhein-Westfalen) 182 Verband Deutscher Rechtssachverständiger und Rechtskonsulenten 1871 (Belm/Niedersachsen) 182 Verfassunggebende Versammlung 190 Volksstaat Bayern (vormals Bundestaat Bayern) 186-188 Volksstaat Württemberg (vormals Bundestaat Württemberg) 188 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE ISLAMFEINDLICHKEIT Bürgerbewegung PAX EUROPA e. V. - Landesverband Bayern (BPE Bayern) 195-197, 200 PEGIDA München - Das Original 195, 198 PEGIDA Nürnberg/PEGIDA Mittelfranken 195-196, 198-200 Michael Stürzenberger 195-201 LINKSEXTREMISMUS AGIR - Demokratische Jugend 251-252 Anarchistische Gruppe München (Bibliothek Frevel) 222, 256 Antifa-NT - Autonome Antifa München 254-256 Antifaschistisches Aktionsbündnis Nürnberg (AAB) 211 Antifaschistische Linke Fürth (ALF) 246, 248, 254 Antikapitalistische Linke (AKL) 230-231 Antikapitalistische Linke München (AL-M) 239-240, 254-255 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) 221, 231, 238-239 Arbeitsgemeinschaft Cuba Si 232 Auf der Suche (ADS) 222, 246, 256-258 Contre la Tristesse 252, 256 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 206, 220, 233-236, 239-240, 258 331 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Anhang DIE LINKE. SDS 206, 220, 230-232 Föderation deutschsprachiger Anarchist_innen 257 Frauenverband Courage e. V. 237 Freie Deutsche Jugend (FDJ) 225, 231 Infogruppe Rosenheim 251, 256 Interventionistische Linke (IL) Aschaffenburg/München/Nürnberg 243, 248, 252-253, 318 Jugendantifa Fürth (JAF) 248 Jugendverband REBELL 206, 237 Kinderorganisation ROTFÜCHSE 237 La Resistance - antifaschistische Jugendgruppe Ingolstadt (LARA) 246-249 Linksjugend ['solid] 231-232, 246, 248 Linksunten.indymedia. 228 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 206, 221, 237-240, 246, 258 Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus 239-240 Offenes antifaschistisches Plenum Rosenheim 252 Organisierte Autonomie (OA) Nürnberg 234, 245-246 Perspektive Kommunismus 254 Prolos 246-248 Revolutionär Organisierte Jugendaktion (ROJA) Nürnberg 217, 246-248 Rote Hilfe e. V. (RH) 240-241 Sozialrevolutionäre Aktion (SRA) 248, 250-251 Sozialistische Alternative (SAV) 231 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 206, 211, 234-235, 239-240, 246, 254, 258 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) 206, 235-236 332 Anhang Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 SCIENTOLOGY-ORGANISATION Applied Scholastics 269-271 Association for Better Living and Education (ABLE) 269, 271 Celebrity Centre München e. V. 267-268 Department of Special Affairs (DSA) 269-270 Der Weg zum Glücklichsein 263-265, 271 Die Lernakademie (München-Milbertshofen) 270 Jugend für Menschenrechte e. V. 269, 271 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte in Deutschland e. V. (KVPM) 263-264, 269, 271 Nachhilfeund Sprachenschule in Zirndorf 270 NARCONON Bayern e. V. 269, 271 Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben 263, 269, 271 Scientology Kirche Bayern e. V. (SKB) 263, 267, 269-270, 272 Scientology Kirche Deutschland e. V. (SKD) 263, 267, 269-270 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 269, 271 333 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Anhang BILDNACHWEIS Seite: 19 Foto: BayLfV Seite: 27 Broschüre Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite: 28 Broschüre Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite: 29 Broschüre BayLfV Seite: 29 Broschüre Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite: 29 Broschüre BayLfV Seite: 35 Broschüre BayLfV Seite: 54 Broschüre BayLfV Seite: 57 Broschüre BayLfV Seite: 130 BayLfV Seite: 191 Broschüre BayLfV Seite: 218 Oben und Mitte BayLfV Seite: 218: Broschüre BayLfV Seite: 267 Bild: https://www.scientology-fso.org/inside-our-church/ Seite: 273 Broschüre Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite: 281 Broschüre BayLfV Seite: 287 Broschüre BayLfV Seite: 290 Broschüre Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Seite: 290 links: Broschüre Verfassungsschutzverbund; Mitte und rechts: Broschüren BayLfV Seite: 293 Broschüre Verfassungsschutzverbund 334 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 335 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 336 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 Impressum Herausgeber: Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration Odeonsplatz 3, 80539 München www.innenministerium.bayern.de Redaktion: Abteilung Verfassungsschutz, Cybersicherheit in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz Gestaltung: IKW team GmbH, München Stand: Mai 2019 Druck: StMI (Pressefassung); gedruckt auf umweltzertifiziertem Papier Hinweis Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Bayerischen Staatsregierung herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern im Zeitraum von fünf Monaten vor einer Wahl zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags-, Kommunalund Europawahlen. Missbräuchlich ist während dieser Zeit insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken und Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Staatsregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. Wollen Sie mehr über die Arbeit der Bayerischen Staatsregierung erfahren? BAYERN | DIREKT ist Ihr direkter Draht zur Bayerischen Staatsregierung. Unter Telefon 089 122220 oder per E-Mail an direkt@bayern.de erhalten Sie Informationsmaterial und Broschüren, Auskünfte zu aktuellen Themen und Internetquellen sowie Hinweise zu Behörden, zuständigen Stellen und Ansprechpartnern bei der Bayerischen Staatsregierung. Die Servicestelle kann keine Rechtsberatung in Einzelfällen geben. 337