Verfassungsschutzbericht 2016 Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Liebe Bürgerinnen und Bürger, im Jahr 2016 ist der islamistische Terror noch näher nach Europa gerückt als je zuvor. Allein in Belgien und Frankreich kamen bei den Anschlägen auf den Flughafen und die U-Bahn in Brüssel und eine Strandpromenade in Nizza über 110 Personen ums Leben. In Frankreich wurden zudem mehrere Angehörige der Sicherheitsbehörden und ein katholischer Priester Opfer gezielter Attentate. Im Juli 2016 mussten wir innerhalb nur einer Woche erleben, dass der islamistischeTerror nun auch in Deutschland, in Bayern angekommen ist. Die aus dem Ausland gesteuerten islamistischen Terroranschläge in Würzburg und Ansbach haben uns alle betroffen gemacht. Bundesweit kam es in 2016 immer wieder zu Anschlägen, so z. B. bei Angriffen auf einen Bundespolizisten in Hannover und auf einen Sikh-Tempel in Essen. In den beiden letztgenannten Fällen waren dieTäter erschreckenderweise Minderjährige. Der menschenverachtende Anschlag vom 19. Dezember in Berlin hat uns erneut die aktuelle Gefahrenlage des Terrors auf traurige Weise vor Augen geführt. Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz mithilfe eines Lkw's war ein Angriff auf unsere christlichen Grundwerte und unsere gesamte freiheitliche und pluralistische Gesellschaft. Unsere Sicherheitsbehörden setzen alles daran, Attentäter rechtzeitig aufzuspüren, bevor sie ihre Pläne in die Tat umsetzen. Die Aufgabe der Politik ist es, ihnen jene Befugnisse zu geben, die sie zur Abwehr der terroristischen Bedrohung brauchen. In Bayern ist im Sommer ein modernes Verfassungsschutzgesetz in Kraft getreten, das die Befugnisse des Landesamts für Verfassungsschutz an die aktuellen Herausforderungen anpasst. Angesichts international agierender, mit modernster Technik kommunizierender Terrornetzwerke müssen zudem sowohl der nationale als auch der internationale Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden deutlich verbessert werden. Denn: Die Gefahr geht nicht von einem angeblich allwissenden Staat aus, sondern vom Terrorismus. Und anders als zu Zeiten der RAF stehen nicht die Eliten, sondern alle Bürger in seinem Fadenkreuz. 3 Die Tatsache, dass sich einige der Attentäter als Flüchtlinge ausgegeben haben, macht deutlich, dass Mitgefühl und Solidarität nicht zu Lasten der Inneren Sicherheit gehen dürfen. Andernfalls setzen wir unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ebenso aufs Spiel wie die Akzeptanz für die Unterstützung Schutzsuchender. Extremisten versuchen, Profit aus einem diffusen Gefühl der gesamtgesellschaftlichen Überforderung und Bedrohung zu schlagen. Die vor allem in den sozialen Medien zu beobachtende Verrohung und Hetze nimmt zu, weil es insbesondere Rechtsextremisten gelingt, sich als diejenigen darzustellen, die die Sorgen der Bürger ernst nehmen. Dabei werden die klassischen rechtsextremistischen Parteien zunehmend von "modernen", nicht auf den ersten Blick als extremistisch erkennbaren Gruppierungen, wie z. B. der "Identitären Bewegung" verdrängt. Wenn in Teilen der Bevölkerung die Akzeptanz für Hetzparolen steigt, ist dies ein Weckruf für alle demokratischen Parteien. Die Antwort kann nur lauten: klares JA zu einer kritisch-sachlichen Diskussion über die Zukunft unserer Gesellschaft, klares NEIN zu Hetze und Diffamierung. Ein klares NEIN ist aber auch gegenüber Jenen erforderlich, die auf der anderen Seite des extremistischen Spektrums unseren Rechtsstaat angreifen. Linksextremisten versuchen, die Deutungshoheit darüber zu erlangen, welche Meinungen als gesellschaftlich erwünscht gelten und welche nicht. Sie negieren darüber hinaus die gleichmäßige Durchsetzung der Gesetze durch den Rechtsstaat und seine Repräsentanten. Wer Andersdenkenden das Recht auf die eigene Meinung abspricht, Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung rechtfertigt oder rechtsstaatliche Entscheidungen und Maßnahmen pauschal diskreditiert und bekämpft, ist ebenso ein Feind unserer Verfassung wie Extremisten anderer Ausrichtungen. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz und seine Mitarbeiter leisten zur Abwehr dieser vielfältigen Gefahren für unsere Demokratie und das Zusammenleben in unserer Gesellschaft einen unverzichtbaren Beitrag. Dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung. München, im April 2017 Joachim Herrmann Gerhard Eck Staatsminister Staatssekretär 4 Liebe Bürgerinnen und Bürger, "Information ist die Währung der Demokratie", hat Thomas Jefferson, der 3. Präsident der USA gesagt. Was vor mehreren hundert Jahren galt, gilt heute umso mehr: Zur freien Meinungsbildung gehört immer auch der Zugang zu möglichst unverzerrter Information. Informationen beziehen wir heute zunehmend aus dem Internet, insbesondere aus sozialen Netzwerken. Dort werden Informationen nicht nur ausgetauscht, sondern auch kommentiert. Es finden Debatten statt, es kristallisieren sich Meinungsbilder heraus. Das bietet Ansatzpunkte für Manipulation: Im virtuellen Raum wissen wir nie so genau, mit wem wir es zu tun haben - mit Mensch oder Maschine, mit informiertem Bürger, hasserfülltem Extremisten oder gar dem Agenten eines ausländischen Nachrichtendienstes. Hinzukommt, dass uns die Weite des Internets den Eindruck vermittelt, wir seien besonders umfassend informiert, während wir in sozialen Netzwerken häufig vorrangig von politisch Gleichgesinnten umgeben sind, die die eigene Meinung teilen, bestätigen und dadurch immer weiter verfestigen. Die Wissenschaft spricht vom sogenannten "Echokammereffekt". Die Offenheit für andere Perspektiven kann dadurch ebenso abnehmen wie die Bereitschaft zur unvoreingenommenen Auseinandersetzung mit Menschen außerhalb der eigenen "Echokammer" oder "Blase". Diesen Effekt sehen wir in allen extremistischen Szenen: Dort werden die, die eine andere Meinung vertreten, letztlich als Gegner oder Feinde wahrgenommen. Verstärkt wird das noch durch die Algorithmen von Suchmaschinen, die die Suchergebnisse an die aus früheren Suchanfragen ersichtlichen Präferenzen anpassen, sowie durch sogenannte "social bots" - Softwareprogramme, die virtuelle Identitäten, Profile und Aktivitäten computergeneriert vortäuschen. Nutzer sozialer Netzwerke nehmen diese "bots" als echte Kommunikationsteilnehmer wahr und sind sich der Manipulation nicht bewusst. 5 Insbesondere durch die massenweise Verbreitung sogenannter "fake news" - Falschnachrichten - können "social bots" zu einer massiven "Vergiftung" des Meinungsklimas in sozialen Netzwerken beitragen. Anknüpfend an vorhandene Stereotype und Vorurteile werden dadurch letztlich Feindbilder geformt und gefestigt, die den Nährboden bilden können für Radikalisierungsverläufe - im Salafismus genauso wie im Rechtsextremismus. Es ist erschreckend, wie in sozialen Netzwerken teilweise über Flüchtlinge gesprochen wird. Dort wird gehetzt und zum Hass aufgestachelt. Teils geschieht das ganz offen, teils aber auch in geschlossenen Gruppen, in denen sich Rechtsextremisten "unter sich" wähnen und deshalb umso direkter ihren Rassismus ausleben. Das kann der Nährboden sein für Radikalisierungsverläufe über den virtuellen Raum hinaus: Kleingruppen mit terroristischer Agenda können sich, wie das Beispiel der Old School Society gezeigt hat, dort ebenso herausbilden wie individuelle Radikalisierungsverläufe, die dazu führen, dass Personen, die bislang außerhalb des Internets nicht mit der rechtsextremistischen Szene in Berührung gekommen sind, schwere Straftaten gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte begehen. Im Hinblick auf den Salafismus und Jihadismus haben uns die Anschläge von Würzburg und Ansbach die Tragweite des Internets deutlich vor Augen geführt: Im Internet haben die Täter nicht nur die Ideologie des Salafismus konsumiert, dort wurden sie auch radikalisiert, fanden Hilfestellungen bis hin zur virtuellen Begleitung beim konkreten Begehen eines Anschlags und wurden schließlich als Märtyrer vermarktet. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat deshalb die Internetaufklärung weiter intensiviert und personell aufgestockt. Verstärkt haben wir auch die Bemühungen, mit verdeckt operierenden Mitarbeitern in geschlossene extremistische Internetgruppen hineinzukommen, um dort Personen identifizieren und Ansatzpunkte für Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden schaffen zu können. Die rein sicherheitsbehördliche Ausrichtung greift jedoch zu kurz. Die technische Kompetenz zur Nutzung neuer Medien ist zwar zunehmend vorhanden. Die Medienkompetenz im Hinblick auf das Wissen um die Manipulationsmöglichkeiten in sozialen Netzwerken und deren Auswirkungen auf den Prozess demokratischer politischer Meinungsbildung hinkt jedoch hinterher. Ausgebaut haben wir deshalb die Informationsund Präventionsarbeit: Denn das beste Gegenmittel gegen die Manipulation ist immer noch die Information. München, im April 2017 Dr. Burkhard Körner Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz 6 7 Inhalt Informationen zum Verfassungsschutz 14 1. Der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem 15 2. Gesetzlicher Auftrag 15 3. Informationsbeschaffung 20 4. Kontrolle des Verfassungsschutzes 21 5. Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz 22 6. Information und Prävention 22 Islamismus 26 1. Personenpotenzial in Bayern 29 2. Islamismus in Deutschland 29 3. Strukturen 32 3.1 Legalistischer Islamismus 32 3.1.1 Milli-Görüs-Bewegung 32 3.1.2 Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) 35 3.1.3 Tablighi Jamaat (TJ) 36 3.1.4 Islamische Vereinigung in Bayern e. V. (IVB) 38 3.1.5 Die Muslimbruderschaft (MB) und ihr Einfluss in Deutschland 39 3.1.5.1 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) 42 3.2 Salafismus 44 3.2.1 Ursprung 44 3.2.2 Ideologie 44 3.2.3 Personenpotenzial 46 3.2.4 Reisebewegungen und Rückkehrer 49 3.2.5 Rekrutierung und Propaganda 52 3.2.6 Anschlagsgeschehen 61 3.2.7 Exekutivmaßnahmen 63 3.2.8 Terroristische Strukturen 65 3.2.8.1 Der Islamische Staat (IS) 65 3.2.8.2 Das al-Qaida-Netzwerk 68 3.2.8.3 Jabhat Fath al-Sham (früher: Jabhat al-Nusra (JaN)) 70 3.2.8.4 Islamistisch-kurdische Netzwerke 71 3.2.8.5 Islamistische Bezüge von Tschetschenen und weiteren Nordkaukasiern 73 3.3 Sonstiger islamistischer Terrorismus 74 3.3.1 HAMAS (Islamische Widerstandsbewegung) 74 3.3.2 Hizb Allah (Partei Gottes) 76 8 Ausländerextremismus 78 1. Personenpotenzial in Bayern 80 2. Konfliktund Gewaltpotenzial 80 3. Strukturen 81 3.1 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 81 3.2 Türkische Linke 85 3.2.1 DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) / Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 85 3.2.2 Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten - Partizan Flügel (TKP/ML - Partizan Flügel) 86 3.2.3 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 87 3.3 Türkische Rechtsextremisten: ÜLKÜCÜ-Bewegung ("Idealisten"-Bewegung) 88 3.4 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 90 Rechtsextremismus 92 1. Personenpotenzial in Bayern 94 2. Gewaltpotenzial 94 2.1 Gewaltorientierte rechtsextremistische Szene in Bayern 95 2.2 Gewalt gegen Flüchtlinge 97 2.3 Ermittlungen gegen die Oldschool Society (OSS) wegen Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung 99 2.4 Ermittlungen gegen Rechtsextremisten in Oberund Mittelfranken wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung 101 2.5 NSU-Prozess 102 2.6 Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten 103 3. Rechtsextremistische Themenfelder und Aktionsformen 105 3.1 Rechtsextremistische Themenfelder 105 3.2 Rechtsextremistische Aktionsformen 112 3.2.1 Parteiübergreifende Aktivitäten 112 3.2.2 Rechtsextremistische Bürgerinitiativen 114 3.2.3 Rechtsextremistische Aktivitäten bei Veranstaltungen 115 3.2.4 Freizeitaktivitäten zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und zur Nachwuchsgewinnung 116 3.2.5 Internationale Kontakte bayerischer Rechtsextremisten 117 4. Internet, Musik, Vertriebsstrukturen und Verlage 120 4.1 Rechtsextremisten im Internet 120 4.2 Rechtsextremistische Musik 123 9 4.3 Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen 126 4.4 Rechtsextremistische Internet-Radios und -TV 127 4.5 Rechtsextremistisches Verlagswesen 129 5. Immobiliensuche und -erwerb 129 6. Rechtsextremistische Parteien 132 6.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 132 6.2 Partei Der Dritte Weg (III. Weg) 139 6.3 Partei DIE RECHTE 149 7. Rechtsextremistische Vereinigungen 153 7.1 Bürgerinitiativen 153 7.2 Identitäre Bewegung Deutschland und sonstige rechtsextremistische Organisationen 156 8. Neonazismus und Kameradschaften 162 8.1 Neonazistische Gruppen 164 9. Rechtsextremistische Jugend-Szenen und Subkulturen 166 Pegida-Ableger mit extremistischen Bezügen 170 1. NüGIDA 172 2. Allgida Kempten 173 3. PEGIDA Franken 173 4. PEGIDA-München - zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e.V. (PEGIDA-München) 174 5. PEGIDA Nürnberg 177 Reichsbürger und Selbstverwalter 180 1. Personenpotenzial 183 2. Ideologie 183 3. Typische Aktivitäten 184 4. Gewaltpotenzial 185 5. Reichsbürgergruppierungen in Bayern 186 5.1 Phänomenbereich Rechtsextremismus 186 5.2 Sicherheitsgefährdende Bestrebungen 187 5.2.1 Bundesstaat Bayern 187 5.2.2 Heimatgemeinde "Gemeinde Chiemgau" (Heimatgesellschaft Chiemgau) 188 10 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit 190 1. Personenkreis um Michael Stürzenberger 193 2. Bürgerrechtspartei für mehr Freiheit und Demokratie DIE FREIHEIT (DIE FREIHEIT) 196 Linksextremismus 200 1. Personenpotenzial in Bayern 202 2. Militanzund Gewaltpotenzial 202 2.1 Instrumentalisierung der Flüchtlingsdebatte zum "Kampf" von Linkextremisten gegen politische Gegner 204 2.2 Strafund Gewalttaten 206 3. Ideologische Wurzeln des Linksextremismus 208 4. Linksextremistische Themenfelder 211 5. Internet und Musik 216 5.1. Linksextremisten im Internet 216 5.2 Linksextremistische Musik 217 6. Linksextremistische Parteien und Vereinigungen 219 6.1 Offen extremistische Strukturen in der Partei DIE LINKE. 219 6.1.1 Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE. (KPF) 219 6.1.2 Linksjugend ['solid] Landesverband Bayern 220 6.1.3 DIE LINKE. Sozialistisch-demokratischerStudierendenverband (DIE LINKE.SDS) Landesverband Bayern 220 6.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Umfeld 221 6.2.1 DKP 221 6.2.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 223 6.2.3 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) 224 6.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 225 6.4 Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus 227 6.5 Rote Hilfe e.V. (RH) 228 7. Autonome, Postautonome und Anarchisten 229 7.1 Beschreibung/Hintergrund 229 7.2 Gruppierungen 232 7.2.1 Autonome Gruppierungen 232 7.2.2 Postautonome Gruppierungen 236 7.2.3 Anarchistische Gruppen 239 11 Scientology-Organisation (SO) 242 1. Personenpotenzial 245 2. Aktionen und Aktivitäten 245 2.1. Ausstellung "Psychiatrie - Tod statt Hilfe" 245 2.2 Offensive Öffentlichkeitsarbeit der Tarnorganisation Der Weg zum Glücklichsein 247 3. Organisationsstruktur 248 3.1 Finanzierung der Scientology Organisation 249 3.2 Unterorganisationen der Scientology-Organisation 250 4. Aussteiger 254 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Cyber-Allianz-Zentrum (CAZ) 256 1. Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste 259 1.1 Russische Föderation 260 1.2 Volksrepublik China 261 2. Proliferation 263 3. Wirtschaftsschutz 266 4. Cyber-Allianz-Zentrum Bayern (CAZ) 268 Organisierte Kriminalität (OK) 272 1. Rockerkriminalität 275 1.1 Allgemeines 275 1.2 Bayerische OMCGs 277 1.3. Bayerische rockerähnliche Gruppierungen 279 1.4. Gefährdungslage Bund/Bayern 281 1.5. Phänomenübergreifende Aspekte 282 1.5.1 Verbindungen von Rockern in die rechtsextremistische Szene 282 1.5.2 Rocker und Waffenerlaubnisse 283 2. OK aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 284 3. OK-Gruppierungen aus dem Balkan und der Türkei 285 4. Italienische Mafia 285 12 Ausblick 288 Anhang Grafiken: Personenpotenzial und Gewalttaten 295 Stichwortregister 296 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 300 Bildnachweis 306 Impressum 307 13 Informationen zum Verfassungsschutz f Der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem f Gesetzlicher Auftrag f Informationsbeschaffung f Kontrolle des Verfassungsschutzes f Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz f Information und Prävention 14 1. Der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem Die Bundesrepublik Deutschland ist nach ihrer Verfassung eine wertgebundene, wachsame und wehrhafte Demokratie. Der Staat kann gegen Bestrebungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, die in der Verfassung vorgesehenen Abwehrmittel einsetzen, z. B. ein Parteioder Vereinsverbot. Das setzt aber voraus, dass er solche Bestrebungen oder Aktivitäten, die als extremistisch oder als verfassungsfeindlich bezeichnet werden, rechtzeitig erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Verfassungsschutzes als Frühwarnsystem zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie zum Schutz des Bestandes und der Sicherheit von Bund und Ländern ein. 2. Gesetzlicher Auftrag Die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sind gesetzlich genau festgelegt. Das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) regelt die von Bund und Ländern im Rahmen des Verfassungsschutzes gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben und ist zugleich Rechtsgrundlage für die Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Daneben gibt es in allen Ländern eigene Verfassungsschutzgesetze. In Bayern regelt das Bayerische Verfassungsschutzgesetz Neues Bayerisches (BayVSG) die Aufgaben und Befugnisse des Bayerischen LandesVerfassungsamtes für Verfassungsschutz, das seinen Sitz in München hat schutzgesetz und dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr unmittelbar nachgeordnet ist. Zum 1. August ist das neue Bayerische Verfassungsschutzgesetz in Kraft getreten. Das Gesetz hat die rechtlichen Befugnisse des Verfassungsschutzes an die technische Entwicklung, insbesondere die zunehmende Nutzung der modernen Telekommunikationstechnik durch Extremisten und Terroristen angepasst und setzt neue Vorgaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie Forderungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Bayerischen Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 15 Verfassungsschutz in Bayern Landtags um. Zu den zentralen Änderungen gehören eine enge Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit Polizeiund Sicherheitsbehörden, klare gesetzliche Rahmenbedingungen für den Einsatz von V-Leuten und eine stärkere Harmonisierung der Vorschriften mit Bundesrecht. Mit einer neuen Broschüre informiert das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr über die Aufgaben des Verfassungsschutzes und die Inhalte des neuen Gesetzes. Für das Landesamt wurden im Haushaltsplan 2016 insgesamt 541 Stellen für Beamte und Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst ausgewiesen. Das Haushaltsvolumen 2016 betrug rd. 38 Millionen Euro. Der Verfassungsschutz sammelt Informationen über sicherheitsgefährdende und verfassungsfeindliche Bestrebungen im Inland und wertet diese aus. Diesem originären Beobachtungsauftrag unterliegen im Wesentlichen f Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, f sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht (Sabotage und Spionage), f Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, f Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind, f Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität. Als "Bestrebung" ist eine politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweise definiert, die darauf gerichtet ist, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes bzw. Verfassungsgrundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Solche Bestrebungen können von Gruppierungen oder Einzelpersonen ausgehen. 16 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Verfassungsschutz in Bayern Arbeitsschwerpunkt des Verfassungsschutzes ist dabei die Beobachtung von extremistischen Organisationen, d. h. in erster Linie die Analyse ihrer Ziele, Aktivitäten, Stärke, Aufbau und finanziellen Verhältnisse. Dazu müssen zwangsläufig auch die Mitglieder und Unterstützer erfasst werden. Aber auch die Beobachtung von extremistischen Einzelpersonen ist zulässig. Als extremistische oder staatsgefährdende Bestrebungen werden in Bayern beobachtet: f Islamismus f Ausländerextremismus f Rechtsextremismus f Reichsbürger und Selbstverwalter f Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit f Einige Gruppierungen im Bereich der sog. "PEGIDA-Bewegung" f Linksextremismus f Scientology-Organisation Der Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes umfasst auch extremistische Aktivitäten im Internet, z. B. in Blogs und Foren. Dabei ist aber eine "automatische" Zurechnung von anonymen Beiträgen in Blogs oder Foren zulasten der Betreiber rechtlich nicht zulässig, da die Betreiber selbst extremistische Ziele verfolgen müssen. Erst wenn eine politisch motivierte, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielrichtung zurechenbar festzustellen ist, ist der Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes eröffnet. Aus Anlass einer Klage der Bundestagsfraktion der Partei Beobachtung von DIE LINKE. und eines Bundestagsabgeordneten dieser Partei Abgeordneten fällte das Bundesverfassungsgericht am 17. September 2013 eine Grundsatzentscheidung zu den Voraussetzungen und Grenzen der Beobachtung von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz. Das Gericht entschied, dass die Beobachtung von Parlamentsabgeordneten durch die Verfassungsschutzbehörden wegen des darin liegenden Eingriffs in das freie Mandat des Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen zulässig ist. An die Prüfung der Verhältnismäßigkeit Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 17 Verfassungsschutz in Bayern ist dabei mit Blick auf die Bedeutung, die das Grundgesetz dem freien Mandat zuerkennt, ein strenger Maßstab anzulegen. Ein die Beobachtung rechtfertigendes, überwiegendes Interesse am Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung liegt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere dann vor, wenn ein Abgeordneter sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft. Organisierte In Bayern ist die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität Kriminalität (OK) seit 1994 nicht nur Aufgabe der Polizei, sondern auch des Verfassungsschutzes. Dies umfasst u. a. die Bereiche illegaler Waffenund Drogenhandel, Schutzgelderpressung und Geldwäsche. Der Bayerische Verfassungsschutz klärt da auf, wo Polizei oder Staatsanwaltschaft rechtlich noch nicht tätig werden können und liefert so einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung krimineller Strukturen. Personen, die der OK angehören bzw. sich in deren Umfeld aufhalten, agieren sehr konspirativ. Die Aufklärung dieser Strukturen setzt eine systematische und vor allem langfristig angelegte Beobachtung voraus, die auch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erfordert. Liegen dem Verfassungsschutz konkrete Anhaltspunkte für kriminelle Strukturen und Straftaten vor, werden diese zur weiteren Bearbeitung an Polizei und Staatsanwaltschaft abgegeben. Spionageabwehr Eine weitere Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Spionageabwehr, d. h. die Abwehr der Spionage von Nachrichtendiensten fremder Staaten gegen Deutschland. Wesentliche Angriffsziele sind die Bereiche Politik, Militärtechnologie und Wirtschaft. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste, sammelt Informationen und wertet sie aus, um z. B. deutsche Unternehmen zu schützen. Cyber-AllianzDas seit Juli 2013 bestehende Cyber-Allianz-Zentrum im BayeriZentrum schen Landesamt für Verfassungsschutz unterstützt Unternehmen sowie Betreiber kritischer Infrastrukturen bei der Prävention und Abwehr gezielter Cyberangriffe. 18 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Verfassungsschutz in Bayern Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz in München Daneben hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz eine Reihe von Mitwirkungsaufgaben, bei denen es als Fachberater bei Sachentscheidungen einer anderen Behörde hinzugezogen wird. Dabei fließen die bereits vorhandenen oder aus Anlass des Mitwirkungsersuchens gewonnenen Erkenntnisse in den Entscheidungsprozess einer anderen Behörde mit ein. Zu den Mitwirkungsaufgaben gehören der Geheimund Sabotageschutz. Der Geheimschutz umfasst die Maßnahmen, die verhindern Geheimschutz sollen, dass Unbefugte von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Informationen und Unterlagen - sog. Verschlusssachen - Kenntnis erhalten. Verschlusssachen gibt es in Behörden, aber auch in privatwirtschaftlichen Unternehmen, die im Auftrag des Staates tätig werden. Der materielle Geheimschutz befasst sich mit den organisatorischen und technischen Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, um Verschlusssachen vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Der personelle Geheimschutz beinhaltet die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen. Die Sicherheitsüberprüfung nach dem Bayerischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BaySÜG) soll gewährleisten, dass nur zuverlässige Personen eingesetzt werden, bei denen keine Umstände vorliegen, die ein Sicherheitsrisiko darstellen. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz bringt außerdem Beteiligungsseine Erkenntnisse im Rahmen weiterer Beteiligungsaufgaben aufgaben ein, insbesondere bei einbürgerungsund aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen. Es ist an der behördenübergreifenden ArbeitsVerfassungsschutzbericht Bayern 2016 19 Verfassungsschutz in Bayern gruppe BIRGiT (Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus/ Extremismus) beteiligt. Zudem hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz die Aufgabe, im Einzelfall amtliche Auskünfte im Rahmen der Verfassungstreueüberprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst zu erteilen. Außerdem übermittelt es relevante Erkenntnisse im Rahmen von Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Luftsicherheitsgesetz und dem Atomgesetz. 3. Informationsbeschaffung NachrichtendienstZur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags ist der Verfassungsliche Mittel schutz verpflichtet, Informationen zu beschaffen, auszuwerten und zu speichern. Diese Informationen werden zum weit überwiegenden Teil aus offenen Quellen gewonnen (z. B. aus dem Internet, Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Programmen, Broschüren sowie bei öffentlichen Veranstaltungen extremistischer Organisationen). Einen Teil der Informationen erhält der Verfassungsschutz durch Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel. Dazu gehören im Wesentlichen: f der Einsatz von V-Leuten (Personen, die der Verfassungsschutzbehörde selbst nicht angehören, aber aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Beobachtungsobjekt "Szene-Erkenntnisse" gegen Bezahlung liefern), f das Beobachten verdächtiger Personen (Observation) sowie f verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen. Artikel 10-Gesetz Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs) sind besonders strengen rechtsstaatlichen Anforderungen unterworfen. Sie sind in einem eigenen Gesetz geregelt, das nach dem Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses "Artikel 10-Gesetz" (G 10) genannt wird. 20 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Verfassungsschutz in Bayern Ein Verfahren mit mehreren voneinander unabhängigen Kontrollinstanzen stellt sicher, dass in dieses Grundrecht nur eingegriffen wird, wenn die im Gesetz genannten besonderen Gründe vorliegen. Ähnliches gilt für die 2003 eingeführten Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern sowie für die Verwendung technischer Mittel zur Identifizierung von bisher unbekannten Mobilfunkanschlüssen. Die Zahl der Maßnahmen zur Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs lag im Jahr 2016 wie schon in der Vergangenheit im unteren zweistelligen Bereich. Besonders strenge rechtsstaatliche Sicherungen gelten auch für den Einsatz von Abhörgeräten oder versteckten Kameras in Wohnund Geschäftsräumen sowie für den verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme. 4. Kontrolle des Verfassungsschutzes Die Tätigkeit des bayerischen Verfassungsschutzes unterliegt einer vielfältigen Kontrolle. Dazu gehört die allgemeine parlamentarische Kontrolle, die durch die Berichtspflicht des verantwortlichen Ministers gegenüber dem Landtag im Rahmen von Anfragen von Abgeordneten, Petitionen usw. ausgeübt wird. Eine besondere Kommission des Bayerischen Landtags, das Parlamentarische Kontrollgremium, überwacht die Arbeit des Verfassungsschutzes. Die G 10-Kommission überprüft die Maßnahmen zur Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs sowie die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern. Die Verwaltungskontrolle obliegt dem Innenminister im Rahmen der Dienstund Fachaufsicht, ferner dem Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz und dem Bayerischen Obersten Rechnungshof. Diese Kontrollen werden ergänzt durch die Möglichkeit, gegen belastende Maßnahmen die Verwaltungsgerichte anzurufen. Schließlich findet über die Medienberichterstattung auch eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit statt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 21 Verfassungsschutz in Bayern 5. Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz Trennungsgebot Beim Schutz von Staat und Verfassung arbeiten Polizei und Verfassungsschutz eng zusammen. Dabei sind die Polizeiund Verfassungsschutzbehörden jedoch voneinander getrennt, Verfassungsschutzbehörden dürfen keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden (organisationsrechtliches Trennungsgebot). Aufgabe der Polizei ist die Abwehr von Gefahren sowie die Aufklärung von Straftaten. Sie verfügt über Eingriffsrechte und Zwangsbefugnisse (z. B. Festnahmen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen usw.) und muss eingreifen, sobald sie Hinweise auf Straftaten erhält. Der Verfassungsschutz ist dagegen für die Vorfeldaufklärung zuständig und hat keine Zwangsbefugnisse und kein Weisungsrecht gegenüber der Polizei (befugnisrechtliches Trennungsgebot). Hat der Verfassungsschutz ausreichend Erkenntnisse, die ein sicherheitsrechtliches Eingreifen erforderlich machen, unterrichtet er die zuständige Sicherheitsbehörde. Diese entscheidet dann selbständig, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. 6. Information und Prävention Der Verfassungsschutz hat den gesetzlichen Auftrag, Regierung und Parlament sowie die Öffentlichkeit über Aktivitäten und Ziele verfassungsfeindlicher Organisationen zu informieren. Zu diesem Zweck veröffentlicht das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz die jährlich erscheinenden Verfassungsschutzberichte. Eingang in den Verfassungsschutzbericht finden Bestrebungen, bei denen hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für Extremismus vorliegen. Eine Verdachtsberichterstattung findet in Bayern nicht statt. 22 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Verfassungsschutz in Bayern Der Internetauftritt des Landesamtes für Verfassungsschutz wurde im Jahr 2015 grundlegend überarbeitet und erweitert sowie an ein geändertes Nutzungsverhalten angepasst. Aufgrund seines responsiven Designs ist der neue Internetauftritt auf allen Endgeräten - auch auf Smartphone oder Tablet - gleichermaßen gut abrufbar. Mehrere Serviceangebote erleichtern zudem die Nutzbarkeit für Personen mit besonderen Bedürfnissen (Barrierefreiheit). Im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit klärt das Landesamt für Fachvorträge Verfassungsschutz zudem durch zielgruppenorientierte Fachvorträge über aktuelle extremistische Entwicklungen auf. Diese Fachvorträge richten sich vor allem an Multiplikatoren (Schulen, Universitäten, Bildungsakademien, Träger politischer Bildungsund Jugendarbeit, Kommunen, demokratische Bürgerinitiativen, politische Parteien). Der Verfassungsschutz leistet einen wichtigen Beitrag zur geistig-politischen Auseinandersetzung mit dem Extremismus und dient der Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Im Bereich des Rechtsextremismus arbeitet das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz u. a. mit der Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus und mit der Projektstelle gegen Rechtsextremismus "Bayerisches Bündnis für Toleranz, Demokratie und Menschenwürde schützen" zusammen. Es beteiligt sich auch an Ausbildungsund Fortbildungsmaßnahmen anderer Behörden, insbesondere der Bayerischen Polizei. Die beim Landesamt für Verfassungsschutz organisatorisch BIGE angesiedelte Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) ist die Informationsund Beratungsstelle der Staatsregierung zur Bekämpfung des politischen Extremismus. Sie ist ein wichtiger Bestandteil des "Bayerischen Handlungskonzepts gegen Rechtsextremismus", das seit seiner Einführung 2009 kontinuierlich fortentwickelt wird und eine Vielzahl von Maßnahmen gegen Rechtsextremismus enthält. Ziel der BIGE ist es, die Bekämpfung aller Arten von Extremismus zu fördern sowie hier die Zusammenarbeit von staatlichen Stellen, Kommunen, Schulen und gesellschaftlichen Einrichtungen zu stärken. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 23 Verfassungsschutz in Bayern Neue Außenstelle Die Beratung der Kommunen ist ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt in Nürnberg der Informationsstelle. Aufgrund der momentanen Flüchtlingssituation sind die Kommunen mit einer Zunahme von rechtsextremistischer Agitation, insbesondere im Zusammenhang mit der Asylbewerberunterbringung, konfrontiert. Dem gestiegenen Bedarf an Kommunenberatung wurde durch die personelle Aufstockung der BIGE Rechnung getragen, die ebenfalls sukzessive umgesetzt wird. Anfang Dezember wurde eine Dienststelle der BIGE in Nürnberg eröffnet, um das Beratungsangebot für die Kommunen in der Region zu verbessern. Rekrutierungsversuchen extremistischer Organisationen unter Kindern und Jugendlichen wirkt die BIGE durch gezielte Beratung und Information entgegen. Das Informationsangebot richtet sich an alle Interessierten, insbesondere aber an Schüler, Lehrer, Eltern und Mitarbeiter von Einrichtungen der Jugendund Bildungsarbeit. Mit dem Bayerischen Aussteigerprogramm soll das extremistische Personenpotenzial verringert werden. Mit ihrem breiten Angebot unterstützt die BIGE alle demokratischen Akteure. Sie arbeitet eng und vertrauensvoll mit den demokratischen Beratungsstellen zusammen. In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit im Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst bietet die BIGE umfassende Informationen auf ihren Internetportalen an. SalafismusDas Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ist bereits seit prävention mehreren Jahren durch verschiedene Maßnahmen und Projekte sowie verstärktem Mitarbeitereinsatz auch im Bereich der Islamismusbzw. Salafismusprävention mit vielfältigen Sensibilisierungsund Fortbildungsangeboten aktiv. Dazu zählen Beratungsgespräche, Vorträge und Multiplikatorenschulungen für Polizeibeamte, Lehrer, Ausbildungsträger, Mitarbeiter im sozialen Bereich, im Justizvollzug und in Flüchtlingsunterkünften. Im Bereich der Islamismusprävention kooperiert das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz im Rahmen des "Bayerischen Netzwerkes für Prävention und Deradikalisierung gegen Salafismus" mit den verschiedensten staatlichen Stellen in den Bereichen der Bildungsarbeit, der Integrationsund Sozialpolitik sowie der Jugendarbeit oder des Strafvollzuges. Das Netzwerk unterhält ein eigenes 24 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Verfassungsschutz in Bayern Internetportal mit Informationen zur Salafismusprävention in Bayern. Unter www.antworten-auf-salafismus.de finden Interessierte und Betroffene Antworten auf Fragen zum Thema Salafismus sowie vielfältige Beratungs-, Unterstützungsund Förderangebote. Im Landesamt für Verfassungsschutz gibt es zudem ein Hinweistelefon für Verdachtsfälle und Salafismusprävention. Die vom Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz in 2014 erarbeitete Broschüre "Salafismus - Prävention durch Information", wurde in 2016 grundlegend überarbeitet und wird derzeit in mehrere Sprachen übersetzt. Sie enthält neben Informationen zum Salafismus auch Informationen über Beratungsstellen und Ansprechpartner im Bereich der Prävention und Deradikalisierung, an die sich Betroffene wenden können. Die Broschüre ist im Internet abrufbar unter www.stmi.bayern.de. Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz Postfach 450145, 80901 München Telefon: 089 / 31201 0 (rund um die Uhr) Telefax: 089 / 31201 380 poststelle@lfv.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de Hinweistelefon für Verdachtsfälle und Salafismusprävention Telefon 089 / 31201 480 Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz Knorrstraße 139, 80937 München Telefon: 089 / 2192 2192 Telefax: 089 / 2192 2377 gegen-extremismus@stmi.bayern.de www.bayern-gegen-rechtsextremismus.bayern.de www.bayern-gegen-linksextremismus.bayern.de Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 25 Verfassungsschutz in Bayern Islamismus f Islamistischer Anschlag auf Weihnachtsmarkt in Berlin mit 12 Toten; bei Anschlägen in Ansbach und Würzburg werden 19 Personen zum Teil schwer verletzt f Anhaltend hohe Bedrohungslage für Deutschland; Rückkehrer mit Kampferfahrung stellen ein besonderes Sicherheitsrisiko dar f Islamistisch motivierte Reisebewegungen nach Syrien und Irak sind rückläufig f Das Internet wird in immer stärkerem Maße als Propaganda-, Rekrutierungsund Steuerungsmedium genutzt f Verbot der salafistischen Vereinigung Die wahre Religion durch den Bundesinnenminister; in Bayern werden 34 Objekte der Organisation durchsucht 26 Der Islam als Religion und seine Ausübung werden nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag unterliegen jedoch islamisch-extremistische (Kurzform: islamistische), d. h. religiös politisch motivierte Organisationen und Einzelpersonen mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Islamismus ist ein Überbegriff für eine Vielzahl von unterschiedlichen (Teil-) Strömungen, wie beispielsweise Salafismus. Als eine Gemeinsamkeit dieser Strömungen lassen sich folgende Kernelemente des Islamismus herausstellen: f "Der Islam" ist nicht allein Glaube und Ethik, sondern begründet eine alles umfassende Lebensform, die auf Koran und Sunna (Überlieferung der Reden und Taten des Propheten) basiert. f Die Muslime bilden eine religiöse und politische Einheit (Panislamische Zielsetzung). f Die Scharia (islamisches Gesetz) stellt ein politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip dar. f Koran und Sunna haben "Verfassungsrang" und verbindliche Vorbildfunktion für politisches Handeln und einen zukünftigen "islamischen Staat". Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 27 Islamismus Diese extremistischen Zielsetzungen widersprechen den in unserem Grundgesetz garantierten Freiheitsund Menschenrechten. Die Bestrebungen von Islamisten sind verfassungsund integrationsfeindlich. Gewaltbereite islamistische Terroristen sind unverändert eine große Gefahr für die Innere Sicherheit Deutschlands. Sie verfolgen ihr Ziel, weltweit eine totalitäre islamistische Gesellschaftsordnung zu errichten. Sie berufen sich auf die vermeintliche Pflicht aller Muslime, sich gegen westliche, d. h. "ungläubige" Einflüsse zu "verteidigen", und rufen zur Teilnahme am gewalttätigen Jihad auf. 28 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus 1. Personenpotenzial in Bayern Islamistischen Vereinigungen waren in Bayern im Jahr 2016 670 Salafisten 4.070 Personen zuzurechnen. Zu den mitgliederstärksten in Bayern Gruppierungen bzw. Strömungen zählen nach wie vor, neben der Milli-Görüs-Bewegung mit 2.900 Anhängern, die Anhänger des Salafismus. Seit 2013 stieg die Zahl der Salafisten in Bayern von 550 auf 670 zum Jahresende 2016 an. Von diesen 670 Salafisten sind knapp 20 Prozent dem gewaltorientierten Spektrum zuzuordnen. Bei Teilen der IGMG beobachtet der Verfassungsschutz seit einigen Jahren Anzeichen für einen Loslösungsprozess von der MilliGörüs-Bewegung in der Türkei. Die Zahl der dem islamistischen Personenpotenzial zuzurechnenden IGMGMitglieder hat sich dadurch reduziert. Ein beträchtlicher Teil der Anhänger orientiert sich aber weiterhin an der islamistischen Milli-Görüs-Ideologie. 2. Islamismus in Deutschland Bei islamistischen Bestrebungen in Deutschland gilt es grundLegalistischer sätzlich, zwischen den verschiedenen Strömungen und deren und jihadistischer Einstellung zur Gewalt zu unterscheiden. Während islamistische Extremismus Terroristen eindeutig den Einsatz von Gewalt legitimieren, vertreten politische Salafisten sowie legalistische Organisationen eine weitgehend gewaltfreie Herangehensweise zur Erreichung ihrer Ziele. Auch Strömungen des legalistischen Islamismus wollen die Religion so auslegen und von allen verstanden wissen, dass ein konfliktfreies Zusammenleben mit Andersdenkenden unmöglich erscheint. Sie bestehen auf einer strengen Lesart des Korans, der unabhängig von Zeit und Ort für alle Menschen gültig ist und dessen Inhalte und Weisungen, die im islamischen Recht ihren Niederschlag gefunden haben, nicht relativiert werden können. Unter Nutzung der von der deutschen Rechtsordnung garantierten Freiräume verfolgen sie eine Strategie der Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 29 Islamismus Sie stehen allerdings in offenem Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, deren Werte Islamisten in zentralen Punkten nicht teilen und die sie teils verbal, selten auch militant, bekämpfen. Islamisten verwahren sich strikt gegen die Abdrängung des Religiösen ins Private. Nach dem Bekenntnis "Der Islam ist Glaube und Staat" müssen die Normen der Scharia in allen Lebensbereichen und auf allen Ebenen durchgesetzt werden. Der Islamismus bedient und wiederbelebt ein in den Ursprüngen des Islams begründetes Überlegenheitsgefühl der Muslime als Inhaber und Wahrer der letzten und erhabensten Religion. Bundesweit ist eine wachsende Infrastruktur des Salafismus festzustellen. Durch die Vermittlung extremistischer Grundhaltungen und Konzepte bereitet insbesondere die salafistische Ideologie den Nährboden für Radikalisierungsprozesse, die zu terroristischen Handlungen führen können. Die Grenzen zwischen dem politischen Salafismus, der auf die Ausübung direkter Gewalt zur Erreichung seiner Ziele verzichtet, und dem jihadistischen Salafismus, der eine unmittelbare und sofortige Gewaltanwendung befürwortet, sind fließend. Die Durchlässigkeit zwischen den Teilströmungen wird durch die hierarchiearmen Strukturen salafistischer Netzwerke begünstigt. Anwerbung von Neue Anhänger für ihre extremistische Ideologie suchen Flüchtlingen Islamisten auch unter Flüchtlingen. An mehreren Orten in Bayern haben sie versucht, Kontakte zu Flüchtlingen herzustellen. Dabei steht zunächst die humanitäre Hilfe im Vordergrund. Durch soziale Unterstützung wollen Islamisten eine Vertrauensbasis schaffen. Diese können sie dann dazu missbrauchen, um ihre extremistische, integrationsfeindliche Ideologie zu transportieren. Langfristig sollen die Flüchtlinge damit als Unterstützer oder Mitglieder gewonnen werden. Eine Gefahr besteht insbesondere für junge, unbegleitete Flüchtlinge, die ohne Eltern und Verwandte nach Deutschland gekommen sind und somit besonders nach sozialer Nähe suchen. Mehrere islamistische Organisationen haben gezielt dazu aufgerufen, den Kontakt zu Flüchtlingen zu suchen, darunter sind auch salafistische Gruppierungen. 30 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus In einem Faltblatt informiert das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz über die Anwerbeversuche von Islamisten unter Flüchtlingen. Der Flyer wurde an die Verantwortlichen für die Flüchtlingsunterkünfte verteilt. Seit der Veröffentlichung am 1. Februar wurden bereits mehrere Zehntausend Exemplare verteilt, ein Großteil davon auf Nachfrage von Behörden und Hilfsorganisationen. Salafististische Propagandaaktivitäten sind bundesweit feststellbar. Bis zum Verbot am 15. November spielte dabei das Koranverteilungsprojekt "Lies!" des salafistischen Netzwerks Die wahre Religion (DWR) eine besondere Rolle. Weitere Propagandaaktivitäten sind u. a. Infostände anderer salafistischer Gruppierungen, Benefizveranstaltungen, Spendensammlungen, Islamseminare, Home-Da'wa (Missionierung), Propaganda in Moscheen oder die sogenannte Gefangenenhilfe. Zentrale Verbreitungswege salafistischer Propaganda sind das Internet und Instant-Messaging-Dienste. Vom internationalen islamistischen Terrorismus geht weiterhin Islamistische eine große Bedrohung für die internationale Staatengemeinschaft Terrornetzwerke, aus, er stellt auch für die Innere Sicherheit Deutschlands - trotz Kleinstgruppen zahlreicher Fahndungserfolge - eine der größten Gefahren dar. und Einzeltäter Der internationale islamistische Terrorismus tritt inzwischen sehr vielfältig in Erscheinung: Größere Netzwerke existieren ebenso wie autark operierende Kleinstgruppen bis hin zu den Einzeltätern. Die Aktivitäten islamistischer Terrorstrukturen in Deutschland reichen von der Nutzung Deutschlands als Rückzugsund Ruheraum über die Rekrutierung, Radikalisierung und Indoktrinierung neuer Anhänger bis hin zur Planung und Durchführung terroristischer Anschläge. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 31 Islamismus 3. Strukturen 3.1 Legalistischer Islamismus 3.1.1 Milli-Görüs-Bewegung Mitglieder Bayern: 2.900 Gründer Prof. Dr. Necmettin Erbakan Entstanden ca. 1970 in der Türkei Sprachrohr der Milli Gazete Milli-Görüs-Bewegung (Nationale Zeitung) Die islamistische Milli-Görüs-Bewegung ist ein Sammelbecken von Anhängern des am 27. Februar 2011 verstorbenen türkischen Politikers Prof. Dr. Necmettin Erbakan. Ziel der Bewegung ist es, zunächst die laizistische Staatsordnung (Trennung von Kirche und Staat) in der Türkei durch eine islamische Staatsund Gesellschaftsordnung mit dem Koran und der uneingeschränkten Gültigkeit der Scharia als Grundlagen des Staates und des gesellschaftlichen Zusammenlebens abzulösen. Ihr erklärtes Fernziel ist darüber hinaus die weltweite Einführung einer islamischen Staatsund Gesellschaftsordnung nach dem Vorbild des alten osmanischen Reichs unter Führung der Türkei. Die Bestrebungen der Milli-Görüs-Bewegung richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die Milli-Görüs-Bewegung wurde Ende der 1960er Jahre von dem türkischen Politiker Necmettin Erbakan gegründet. Zentrale Bedeutung in Erbakans politischem Denken haben die von ihm geprägten Schlüsselbegriffe Milli Görüs (nationale Sicht) und Adil Düzen (gerechte Ordnung). Nach der von Erbakan entwickelten Ideologie ist die Welt zweigeteilt: einerseits in die auf dem Wort Gottes fußende religiös-islamische Ordnung (Adil Düzen), andererseits in die westliche Ordnung der Gewalt und Unterdrückung (Batil Düzen = nichtige Ordnung). Es gelte, die westliche Ordnung durch eine "gerechte Ordnung" zu ersetzen, wofür die Ausrichtung an islamischen Grundsätzen statt an 32 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus von Menschen geschaffenen und damit "willkürlichen Regeln" erforderlich sei. Zu den klassischen Feindbildern gehören neben der westlichen Welt auch der Staat Israel - meist als "Zionisten" umschrieben - sowie Kommunismus, Imperialismus, Kapitalismus und Christentum. Insgesamt ist das Adil-Düzen-Konzept mit den Grundprinzipien Adil-Düzender freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar: Konzept Die Einführung einer islamischen Gesellschaftsordnung würde den Grundsatz der Gewaltenteilung, das Rechtstaatsprinzip, die Unabhängigkeit der Justiz und das Demokratieprinzip beseitigen. Die Ausrichtung der Milli-Görüs-Bewegung auf eine sultansähnliche türkische Führerfigur zeigt nationalistischdiktatorische Züge und widerspricht der republikanischen Struktur Deutschlands sowie dem Demokratieprinzip. Zudem vertritt die Milli-Görüs-Bewegung einen Antisemitismus, der zu einer ausgrenzenden Benachteiligung des jüdischen Volkes und der jüdischen Religion führt und die Menschenrechte sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Der Milli-Görüs-Bewegung sind insbesondere die Saadet Partisi (SP - Glückseligkeitspartei) als politische Vertreterin der Bewegung, die Ismael Aga Gemeinschaft (IAC), die Erbakan-Stiftung, die türkische Tageszeitung Milli Gazete, der türkische Fernsehsender TV 5 und die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) zuzurechnen. Das Zusammenwirken der IGMG, der SP und ihrer Sprachrohre Milli Gazete und TV 5 zeigt, dass es sich um Institutionen handelt, die zwar formal eigenständig sind, die aber nur als Glieder einer einheitlichen politischen Bewegung verstanden werden können. Saadet-Partisi (SP) In der Türkei sind die Anhänger der islamistischen Milli-Görüs-Bewegung seit 2001 in der SP organisiert, nachdem die Vorgänger-Parteien Refah Partisi (RP - Wohlfahrtspartei) und Fazilet Partisi (FP - Tugendpartei) wegen "antilaizistischer Aktivitäten", also wegen Aktivitäten, die die Trennung von Staat und Religion rückgängig machen sollen, verboten wurden. Bei der Parlamentswahl in der Türkei am 7. Juni 2015 erhielt die SP noch 2,1 %, bei der erneuten Wahl am 1. November 2015 nur noch weniger als Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 33 Islamismus 1 % der Stimmen. Die seit 2013 bestehende Deutschlandvertretung der SP verfügt auch in Bayern über Strukturen wie z. B. den Regionalverband Südbayern mit Sitz in München. Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) Die Zentrale der IGMG hat ihren Sitz in Köln, mit mehreren, nachgeordneten "Gebieten". Unterhalb der "Gebietsebene" sind eine Vielzahl von "Ortsvereinen" angesiedelt. In Bayern unterhalten mehrere Vereine Verbindungen zur IGMG. Regionale Schwerpunkte befinden sich in Nürnberg und München. Der Verfassungsschutz beobachtet bei Teilen der IGMG seit einigen Jahren Anzeichen für einen Loslösungsprozess von der MilliGörüs-Bewegung in der Türkei. Die Zahl der dem islamistischen Personenpotenzial zuzurechnenden IGMG-Mitglieder hat sich dadurch reduziert. Ein beträchtlicher Teil der Anhänger orientiert sich aber weiterhin an der islamistischen Milli-Görüs-Ideologie. Milli Görüs Ahde Vefa Plattform (MGAV) / Erbakan Vakfi IGMG-Anhänger, die den Kurs der IGMG-Führung als zu zurückhaltend kritisieren, gründeten im Jahr 2012 eine eigene Organisation unter dem Motto "Ahde Vefa" (Treue zum Schwur). Sie halten sich streng an die Milli-Görüs-Ideologie und orientieren sich dabei am Sohn Necmettin Erbakans, Fatih Erbakan. Inzwischen nennt sich die Gruppierung Erbakan Vakfi (Erbakan Stiftung). Ismael Aga Gemeinschaft (IAC) Die IAC ist Teil der weitverzweigten mystischen Bruderschaft der Naqshbandiya, der auch der verstorbene Führer der MilliGörüs-Bewegung Necmettin Erbakan angehörte und gilt als einer der radikaleren Zweige der Bruderschaft. In Deutschland wurde die IAC durch den Prediger Nusret Cayir geprägt, der die Einführung der Scharia in Deutschland forderte und die Gleichstellung der Frau ablehnt. Bayerische Sympathisanten der IAC besuchten die monatlichen Treffen in Frankfurt am Main, ebenso wie Veranstaltungen, bei denen Cayir in Bayern auftrat. Am 23. Oktober 2015 wurde Cayir in die Türkei abgeschoben. Das Verwaltungsgericht Darmstadt erklärte die Abschiebung für rechtswidrig und hob sie auf. Bis zu einer möglichen Wiedereinreise aus der Türkei hält Cayir den Kontakt zu seinen Anhängern über Videobotschaften im Internet aufrecht. 34 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus 3.1.2 Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) Anhänger Deutschland: etwa 750 Bayern: etwa 30 früherer Vorsitzender Metin Kaplan Gründung 1984 Sitz Köln Publizistisches Sprachrohr Muhacirun (Auswanderer) Die Vereinigung Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) wurde 2001 vom Bundesministerium des Innern in Deutschland nach dem Vereinsgesetz verboten. Der Kalifatsstaat war eine am Führerprinzip orientierte, streng hierarchisch gegliederte Organisation, deren Endziel die Weltherrschaft des Islam unter dem Kalifat seines Anführers Metin Kaplan war. Der Kalifatsstaat richtete sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung und gefährdete die Innere Sicherheit in Deutschland. Das Verbotsverfahren und die staatlichen Exekutivmaßnahmen haben die Organisationsstruktur geschwächt. Gleichwohl gibt es in Deutschland noch immer Anhänger, die das Gedankengut des Kalifatsstaats weiterhin verbreiten. Zudem ist die offizielle Internetseite des Kalifatsstaats, die über einen Server in den Niederlanden betrieben wird, abrufbar. Die 1984 in Köln gegründete Organisation Kalifatsstaat (ehemals Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V., Köln - ICCB) verstand sich als Wiederbelebung des durch Kemal Atatürk 1924 in der Türkei abgeschafften Kalifats. Wegen seiner aggressivkämpferischen, gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstoßenden und gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichteten Haltung wurde der Kalifatsstaat am 8. Dezember 2001 vom Bundesministerium des Innern verboten. Der frühere Vorsitzende des Kalifatsstaats Metin Kaplan, der wegen Mordaufrufs eine vierjährige Gefängnisstrafe in Deutschland verbüßt hatte, wurde 2004 in die Türkei abgeschoben. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 35 Islamismus Am 22. Oktober 2013 verbot das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr den 2009 gegründeten Verein Kulturund Bildungszentrum Ingolstadt e. V. als Ersatzorganisation des Kalifatsstaats. Vereinsverbot Die Auswertung von im Zusammenhang mit dem Verbot sicherbestätigt gestellten Beweismitteln bestätigte die Kalifatsstaatsbezüge des Vereins. So konnten beispielsweise Bücher festgestellt werden, die auf Cemaleddin Kaplan - den Vater von Metin Kaplan - zurückgehen und die Ideologie des verbotenen Kalifatsstaats propagieren. Mit Urteil vom 27. Januar hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof eine gegen das Verbot erhobene Klage des Vereins abgewiesen. Das Urteil ist rechtskräftig. 3.1.3 Tablighi Jamaat (TJ) Anhänger Deutschland: etwa 700 Bayern: etwa 140 Gründung 1926 bei Delhi (Indien) Ziel der TJ (Gemeinschaft der Verkündigung und Mission) ist die Islamisierung der Gesellschaft, um dadurch die Etablierung eines islamischen Staates zu erreichen. Die Bestrebungen der TJ richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die TJ wurde vom Religionsgelehrten Mawlana Muhammad Ilyas als pietistische Missionierungsbewegung gegründet. Seit ihren Ursprüngen ist sie eng mit der Islamischen Hochschule von Deoband/Indien verbunden. Die Gemeinschaft vertritt eine archaische Form des Islams indischer Prägung. Sie hat den Charakter einer internationalen islamistischen Massenbewegung, deren Anhänger sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig fühlen, sondern sich als konsequente Muslime mit missionarischem Auftrag verstehen. 36 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus Die TJ-Anhänger vertreten eine wörtliche Auslegung des Korans Ausgrenzung und der Sunna, die politische und gesellschaftliche Ausgrenvon Frauen zung von Frauen und die Abgrenzung zu Nicht-Muslimen. Abgrenzung zu Traditionelle Gebetskleidung und bis in Details verbindliche Nicht-Muslimen Verhaltensregeln im Alltag sollen die absolute Hinwendung zum Propheten Muhammad ausdrücken. Diese Bestrebungen wirken in nicht-muslimischen Gesellschaften zwangsläufig desintegrierend, so dass eine dauerhafte und ernsthafte Hinwendung zu westlichen Gesellschaftsordnungen, Wertvorstellungen und Integrationsmodellen nicht möglich ist. Charakteristisch für die Anhänger der TJ ist eine missionarische Reisetätigkeit, bei der sie Moscheen weltweit aufsuchen. Die Missionierung dient der Rekrutierung neuer TJ-Mitglieder. Zur Ausbildung der Anhänger gehört eine vier Monate dauernde Schulung, vornehmlich in Koranschulen in Pakistan. Die wenigsten Missionare verfügen über eine theologische Ausbildung. Zur Missionierung nutzen TJ-Anhänger auch Moscheen, die Missionierung in keinen unmittelbaren Bezug zur TJ haben. Dort organisieren sie Moscheen Veranstaltungen, bei denen die Anhänger über Tage oder Wochen Anwerbung von hinweg beten, den Koran studieren und indoktriniert werden. Flüchtlingen Für Kinder und Jugendliche werden auch Koran-Schulungen durchgeführt. Durch die gemeinsame ideologische Basis mit militanten Gruppierungen besteht die Gefahr, dass die weltweiten Strukturen der Bewegung von terroristischen Netzwerken genutzt werden. Von Einzelpersonen, die die Schulung der TJ durchlaufen haben, ist bekannt, dass sie sich terroristischen Gruppierungen angeschlossen haben. TJ-Aktivisten riefen dazu auf, Flüchtlinge in ihren Unterkünften aufzusuchen, um bei ihnen für die Sache der TJ zu werben. So versuchten z. B. in Selb (Landkreis Wunsiedel) TJ-Anhänger, Flüchtlinge anzuwerben. In Bayern sind mindestens zwei Moscheen (München und Schweinfurt) den TJ-Strukturen zuzurechnen. Zahlreiche weitere bayerische Moscheen sind Ziel von TJ-Aktivitäten. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 37 Islamismus 3.1.4 Islamische Vereinigung in Bayern e. V. (IVB) Anhänger/Besucher etwa 80 Gründung 1994 in München Neugründung 2009 IZH in Hamburg Als Multiplikator schiitisch-islamistischen Gedankenguts innerhalb der schiitischen Gemeinschaften in Deutschland dient das Islamische Zentrum Hamburg (IZH). In Bayern übernimmt die IVB als Außenstelle des IZH diese Aufgabe. Sie soll im Auftrag der iranischen Führung auf schiitische Muslime einwirken und deren politische und religiöse Einstellung beeinflussen. Da der Iran keine Trennung von Staat und Religion kennt, hat die religiöse Arbeit des Vereins auch eine politische Komponente und richtet sich daher gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die Bewahrung der einst vom iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini propagierten Idee der "Islamischen Revolution" im Iran und deren internationale Verbreitung ist bis heute wesentlicher Bestandteil der iranischen Politik. Der "Export der Revolution" ist in der iranischen Verfassung vorgeschrieben. Das beinhaltet auch "Todesfatwas", wie das Beispiel eines in Deutschland lebenden iranischen Musikers zeigt, dessen Texte 2012 als Gotteslästerung interpretiert wurden und der daraufhin Morddrohungen erhielt. Der Iran unterstützt eine Vielzahl islamischer und islamistischer Bewegungen und Organisationen, vor allem im Nahen und Mittleren Osten. Auch islamische Zentren und Moscheen in Deutschland dienen im Sinn dieses "Revolutionsexports" als Foren für Versuche der Einflussnahme durch den Iran. 38 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus Das größte und einflussreichste Zentrum ist das 1962 gegründete Islamische Zentrum Hamburg (IZH). Neben der iranischen Botschaft ist das IZH die wichtigste offizielle Vertretung des Iran in Deutschland und gleichzeitig eines seiner bedeutendsten Propagandazentren in Europa. Die enge Anbindung des IZH an die Führung des Iran zeigt sich u. a. darin, dass der Leiter des IZH ein ausgewiesener islamischer Rechtsgelehrter sein muss, der vom iranischen Außenministerium bestimmt wird und als Vertreter des iranischen "Revolutionsführers" in Mitteleuropa gilt. Der Iran versucht mit dessen Hilfe, Schiiten aller Nationalitäten an sich zu binden sowie die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Grundwerte der islamischen Revolution in Europa zu verbreiten. Zwischen IZH und IVB bestehen enge Verflechtungen. In der Satzung der IVB ist beispielsweise festgelegt, dass das Vereinsvermögen im Falle einer Auflösung des Vereins an das IZH fallen soll. Wichtige Angelegenheiten der IVB werden mit dem IZH abgestimmt. Insgesamt ist festzustellen, dass die Moschee der IVB als Anlaufstelle für schiitische Gläubige aller Nationalitäten dient, die so einer schiitisch-islamistischen Indoktrination ausgesetzt sind. 3.1.5 Die Muslimbruderschaft (MB) und ihr Einfluss in Deutschland Anhänger Deutschland: etwa 1.000 Bayern: etwa 150 Gründung 1928 in Ägypten Publikation Risalat-ul-Ikhwan Die 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten gegründete MB ist die einflussreichste und älteste islamistische Bewegung des zeitgenössischen politischen Islam. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 39 Islamismus Das von der MB angestrebte politische System weist deutliche Züge eines totalitären Herrschaftssystems auf, das die Souveränität des Volkes sowie die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit der Menschen nicht garantiert. Die Ideologie der MB ist auf die Errichtung islamischer Herrschaftsordnungen auf der Grundlage von Koran und Sunna ausgerichtet. Ein Großteil der ideologischen Grundsätze der MB ist somit unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung. Ideologie der MB Das Wesentliche der verfassungsfeindlichen Ideologie der MB ist in der - für die Organisation bis heute maßgeblichen - Schrift "Allgemeine Ordnung der Muslimbruderschaft", die auf die Gründergeneration um Hassan al-Banna zurückgeht, festgehalten: f Islamisierung der Gesellschaft durch Da'wa-Aktivitäten (deutsch: Missionierung) und soziale Maßnahmen f Beendigung der "kulturellen Verwestlichung" (arabisch: Taghrib) f Umwandlung des Bildungswesens und der Bildungsinstitutionen nach islamischen Kriterien f Errichtung eines islamischen Staates auf der Grundlage islamischer Prinzipien und Werte f Anwendung des islamischen Rechts (arabisch: Scharia) Die MB ist eine internationale Organisation. In zahlreichen Ländern existieren Vereinigungen, die sich ideologisch an der MB in Ägypten orientieren, zum Beispiel die al-Nahda in Tunesien. Offiziell haben sich die meisten Zweige der MB von Gewalt abgewandt. Die "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) als palästinensische Sektion der MB nutzt jedoch weiterhin militärische Mittel im Kampf gegen Israel. MB in Ägypten Den Umbruch in der arabischen Welt versuchte die MB zum AusUrteile gegen bau ihrer Machtposition zu nutzen. In Ägypten wurde sie bei den Funktionäre Parlamentswahlen im Dezember 2011 stärkste politische Kraft. Der Muslimbruder Muhammad Mursi setzte sich bei den Präsidentschaftswahlen 2012 durch. Nach Massendemonstrationen am 30. Juni 2013, bei denen 14 Millionen Ägypter auf die Straße 40 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus gingen, wurde er im Juli vom Militär abgesetzt und vor Gericht gestellt. Im Zusammenhang mit dem Sturz des Präsidenten kam es zu massiven Protesten der MB, die zum Teil gewaltsam ausgetragen wurden. Die Auseinandersetzungen mündeten in ein Verbot der MB und eine Verdrängung ihrer Anhänger aus dem öffentlichen Leben. Die ägyptische Regierung erklärte die MB im Dezember 2013 zur Terrororganisation. Im Juni 2015 hat ein Gericht in Kairo Todesurteile gegen den früheren ägyptischen Präsidenten Muhammed Mursi und 16 weitere Mitangeklagte wegen des Vorwurfs der Spionage bestätigt. Unter den Verurteilten war auch der deutsche Staatsangehörige und frühere Vorsitzende der der MB zuzurechnenden Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD), Ibrahim El-Zayat, der in Abwesenheit verurteilt wurde. Nachdem Mursis Anwälte Berufung eingelegt hatten, wurde das Urteil gegen ihn im Juni in eine 40-jährige Haftstrafe umgewandelt. Ein weiteres Todesurteil wegen Mordes und anderer schwerer Straftaten gegen Mursi wurde im Herbst aufgehoben und muss neu verhandelt werden. Als Dachverband MB-naher Organisationen in Europa fungiert die 1989 gegründete Föderation der Islamischen Organisationen in Europa (FIOE) mit Sitz in Brüssel. Eine weitere einflussreiche und eng mit der MB verflochtene Organisation ist der Europäische Fatwa-Rat (ECFR) mit Sitz in Dublin/Irland. Dessen Vorsitzender Yusuf al-Qaradawi ist als geistiger Führer der MB bekannt. Die MB tritt zwar in Deutschland nicht offen in Erscheinung, MB in Deutschland wird jedoch durch die Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) und die FIOE als Teil einer weltweiten "Islamischen Bewegung" vertreten und ist somit auch in Deutschland aktiv. Nach außen gibt sich die MB offen, tolerant und dialogbereit und strebt eine Zusammenarbeit mit politischen Institutionen und Entscheidungsträgern an, um so Einfluss im öffentlichen Leben zu gewinnen. Ihr Ziel bleibt aber die Errichtung einer auf der Scharia basierenden gesellschaftlichen und politischen Ordnung, wobei die MB für sich die Führungsrolle für alle Muslime beansprucht. Sie steht für eine deutliche Abgrenzung gegenüber den USA, Israel, dem jüdischen Volk und Andersgläubigen. Anhänger der MB bekunden in sozialen Netzwerken zum Teil auch Sympathien für terroristische Organisationen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 41 Islamismus 3.1.5.1 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) Mitglieder Deutschland: etwa 1.000 Bayern: etwa 150 Gründung 1960 in Deutschland Präsident Samir Falah Sitz Köln Verbindungen Die IGD versucht durch politisches Engagement in Deutschland zur Muslimihre von der Ideologie der Muslimbruderschaft (MB) geprägten bruderschaft Ziele zu erreichen. Die Anhänger der IGD sind bemüht, ihre Verbindung zur MB in öffentlichen Verlautbarungen nicht zum Ausdruck zu bringen. Die Bestrebungen der IGD richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die IGD ist Gründungsmitglied der Föderation der Islamischen Organisationen in Europa (FIOE), dem europäischen Dachverband MB-naher Verbände, sowie Gründungsmitglied des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD) und war über diesen auch an der Gründung des Koordinierungsrates der Muslime (KRM) beteiligt. Von 2002 bis Anfang 2010 war Ibrahim El-Zayat Präsident der IGD. 2010 wurde Samir Falah als sein Nachfolger gewählt und zuletzt am 1. Dezember 2013 für vier weitere Jahre im Amt bestätigt. Im Dezember 2015 veräußerte die IGD eine Immobilie in München. Bis 2005 war dort die deutsch-islamische Schule der IGD untergebracht. Islamische Zentren Mehrere zum Teil formell eigenständige Islamische Zentren (IZ) in München und sind der IGD in Deutschland nachgeordnet. In Bayern sind dies Nürnberg das Islamische Zentrum München (IZM) und die Islamische Rat der Imame und Gemeinde Nürnberg (IGN), ehemals Islamisches Zentrum NürnGelehrten (RIGD) berg. Sowohl im IZM als auch in der IGN treten Mitglieder des Rates der Imame und Gelehrten in Deutschland e.V. (RIGD) auf. Der RIGD mit Sitz in Frankfurt am Main wurde auf Initiative der IGD gegründet und erhebt den Anspruch, als wissenschaftliche 42 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus Autorität in Fragen des Islam für die in Deutschland lebenden Muslime zu fungieren. Organisatorisch und ideologisch steht er der IGD und dem ECFR nahe. Darüber hinaus verfügt die IGD über ein weit verzweigtes Netz an Kooperationspartnern in verschiedenen Städten Deutschlands. Die IGD ist um eine Verselbstständigung der ihr nachgeordneten Islamischen Zentren bemüht. Damit entstehen Vereinsstrukturen, die nur schwer kontrollierbar sind und die die tatsächliche Anbindung an die IGD verschleiern. Dieses Vorgehen ermöglicht den neu gegründeten selbstständigen Vereinen, für sich die Gemeinnützigkeit (steuerrechtliche Vorteile) zu beantragen. Die IGD selbst verlor 1999 die Gemeinnützigkeit, eine zunächst Gemeinnützigkeit gegen diese Entscheidung eingereichte Klage hatte sie später aberkannt wieder zurückgenommen. Auch eine Klage der IGN gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für die Jahre 2009 und 2010 blieb erfolglos. Die Klage wurde mit Urteil vom 8. März durch das Finanzgericht Nürnberg zurückgewiesen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Im Dezember 2012 wurde in Frankfurt das IGD-nahe Europäische Europäisches Institut für Humanwissenschaften (EIHW) gegründet. Das Institut für HumanEIHW soll Studienabschlüsse in der arabischen Sprache und wissenschaften in der Islamwissenschaft vermitteln. Die IGD strebt damit eine (EIHW) Alternative zum staatlich geförderten Vorhaben an, Imame an deutschen Universitäten auszubilden. Die Abschlüsse, für die das EIHW eine staatliche Anerkennung anstrebt, können auch durch ein Fernstudium erworben werden, in dessen Rahmen auch Blockunterrichte in München stattfinden. Der wissenschaftliche Leiter des EIHW war bereits 2009 für strategische Konzepte der IGD zuständig. In den Freitagsgebeten im IZM sowie in der IGN wird weiterhin zur Unterstützung der Flüchtlinge aufgerufen. Konkret werden die IGD-Anhänger aufgefordert, den Flüchtlingen zu helfen, indem sie z. B. Übersetzungsdienste leisten. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 43 Islamismus 3.2 Salafismus 3.2.1 Ursprung Ende des 18. Jahrhunderts trat auf der arabischen Halbinsel ein Prediger namens Muhammad Ibn Abd al-Wahhab auf. Er predigte eine Reinigung des Islam von, aus seiner Sicht, unerlaubten Neuerungen sowie von Irrglauben. Vorbildfunktion in Bezug auf den "wahren Islam" böten einzig die frommen Altvorderen (arabisch: al-salaf al-salih), also die Repräsentanten der Frühzeit des Islam. Der Salafismus ist die derzeit am schnellsten wachsende islamistische Strömung in Deutschland. 3.2.2 Ideologie Heutige Salafisten orientieren sich an der Lehre des Wahhabismus. Sie richten ihren Glauben, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Korans und dem vom Propheten Muhammad und den frommen Altvorderen gesetzten Vorbild aus. Jegliches Abweichen von dieser Norm, die als ursprünglicher und reiner Islam gilt, lehnen Salafisten als unerlaubte Verfälschung des Islam bzw. "Neuerung" (arabisch: bid'a) ab. Prinzip des Tauhid Zentraler salafistischer Glaubensinhalt ist die Ein(s)heit und Einzigartigkeit Gottes (arabisch: tauhid). Für Salafisten beinhaltet dies auch, dass Gott der einzig legitime Souverän und Gesetzgeber ist. Die Scharia ist für sie als Gesetz Gottes letztgültiger Maßstab. Salafisten lehnen daher weltliche Gesetze und die Werte westlicher Gesellschaftsund Herrschaftssysteme als unislamisch und unterlegen kategorisch ab. Sie orientieren sich kompromisslos an der islamischen Frühzeit vor 1.400 Jahren und befürworten frühislamische Herrschaftsund Gesellschaftsformen. Dies führt zur Ablehnung der als wesensfremd empfundenen Mehrheitsgesellschaft und ihrer demokratischen Werte. Vor allem die von salafistischen Akteuren in Deutschland propagierte Einheit von Religion und Staat und der ebenfalls erhobene absolute Geltungsanspruch der islamischen Rechtsordnung (Scharia) machen deutlich, dass salafistische Auffassungen Geltung für sämtliche Lebensbereiche beanspruchen. 44 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus Als Höherwertigkeitsideologie richtet sich der Salafismus zwar Abwertung auch gegen nicht-islamische, z. B. jüdische und christliche, anderer Religionen Glaubensvorstellungen; besonders in der Kritik stehen jedoch und Glaubensandere islamische Glaubensauffassungen - insbesondere das richtungen schiitische und mystische Islamverständnis. Salafisten diffamieren die Anhänger dieser Glaubensformen als Ungläubige oder werfen ihnen Götzendienste (arabisch: shirk) vor. Am Dialog mit Andersgläubigen sind die Salafisten nur insoweit interessiert, wie er ihrer Missionierungsarbeit (arabisch: da'wa) dienlich ist. Die ideologischen Grundsätze des Salafismus sind letztlich unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien, insbesondere der Demokratie, des Rechtsstaats und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung. Die Ideologie des Salafismus lässt sich in eine politische und eine jihadistische Strömung unterteilen, die Übergänge sind dabei fließend. Sie unterscheiden sich vor allem in der Wahl der Mittel, mit denen ihre Ziele realisiert werden sollen. Jihadistische wie auch politische Salafisten stützen sich jedoch auf dieselben ideologischen Autoritäten und Vordenker und verfolgen die gleichen Ziele. Jihadistische Salafisten befürworten eine unmittelbare und soforJihadistischer tige Gewaltanwendung. Sie propagieren den bewaffneten Kampf Salafismus auch gegen Regierungen in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, denen sie vorwerfen, vom Islam abgefallen und Handlanger des verhassten "Westens" zu sein. Derzeit ist nur ein kleiner Prozentsatz der Salafisten dem jihadistischen Salafismus zuzurechnen, die überwiegende Zahl der Anhänger spricht sich gegen Gewalt aus. Eine Reihe salafistischer Gruppierungen hat sich dennoch dem weltweiten bewaffneten Kampf (Jihad) gegen die "Ungläubigen" verschrieben. Jihadistische Salafisten kämpfen derzeit vor allem in Syrien und im Irak. Daneben entfalten aber auch die sog. Jihadregionen in Mali, Somalia, dem Jemen, Afghanistan und Pakistan nach wie vor eine Anziehungskraft auf jihadistisch orientierte Personen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 45 Islamismus Islamischer Staat In Syrien etablierten sich mit Beginn der bürgerkriegsähnlichen und Jabhat Fath Unruhen 2011 neben der säkular orientierten Opposition auch al-Sham in Syrien islamistische Gruppierungen, die den Jihad propagieren, um ausländische Kämpfer zu rekrutieren. Schätzungen zufolge befanden sich bis Ende 2015 bis zu 20.000 ausländische Kämpfer in Syrien bzw. dem Nordirak. Hauptakteure sind der Islamische Staat (IS) und die Jabhat al-Nusra, die sich im Juli von Al-Qaida abspaltete und in Jabhat Fath al-Sham umbenannte. Immer wieder rufen die terroristischen Gruppierungen dazu auf, den Jihad auch in die westlichen Staaten zu tragen. Genannt sind hier meist die USA und ihre Verbündeten. Politischer Der politische Salafismus verzichtet zwar auf die Ausübung Salafismus direkter Gewalt zur Erreichung seiner Ziele. Er bietet durch seine radikalisierende Wirkung aber immer wieder den Nährboden für terroristische Aktionen. So waren fast alle bisher in Deutschland identifizierten terroristischen Netzwerkstrukturen und Einzelpersonen salafistisch geprägt bzw. haben sich in salafistischen Milieus entwickelt. 3.2.3 Personenpotenzial Anhänger/Besucher Deutschland: etwa 9.700 Bayern: etwa 670 Entstehung Erste Strukturen in Bayern Mitte der 1990er Jahre Wachsende Bundesweit ist eine wachsende "Infrastruktur" des Salafismus "Infrastruktur" festzustellen. Die salafistische Szene ist allerdings meist nur lose organisiert und weist eine hohe Dynamik auf. Feste, formale Organisationsstrukturen sind in der Regel nicht vorhanden. Eine Ausnahme hiervon bilden örtliche salafistische Vereine, die häufig gleichzeitig als Träger salafistisch geprägter Moscheen fungieren. Daneben gibt es zunehmend lose Personennetzwerke oder autonom agierende Einzelpersonen, die salafistische Aktivitäten entfalten. 46 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus Bundesweit werden dem salafistischen Spektrum aktuell 9.700 Personen zugerechnet. In Bayern liegt das Potenzial derzeit bei 670 Personen. Von diesen 670 Salafisten sind knapp 20 Prozent dem gewaltorientierten Spektrum zuzurechnen. Minderjährige, Konvertiten und Homegrown -Terroristen Für junge Muslime der dritten Generation und deutsche Konvertiten auf Identitätssuche bietet der Salafismus eine neue Projektionsfläche fernab der Religiosität der Elterngeneration bzw. der Regeln der eigenen Gesellschaft. Muslime ohne tiefgründige Kenntnis der islamischen Religion sollen sich als fester Bestandteil einer salafistischen Solidargemeinschaft fühlen, die einfache, aber strenge Regeln und ein schlichtes dualistisches Weltbild bietet. Attraktiv ist der Salafismus für manche junge Menschen auch deshalb, weil er ihnen eine vermeintlich klare Orientierung bietet. Der Komplexität und Unübersichtlichkeit der modernen Welt setzt er ein konsequentes Schwarz-Weiß-Denken gegenüber. Von individuellen Entscheidungen und persönlicher Verantwortung wird der junge Mensch durch eine Vielzahl von eindeutigen Geboten und Verboten entlastet. Bei vielen orientierungslosen jungen Anhängern stiftet der Salafismus eine neue und grenzüberschreitende Identität. Die Jugendlichen fühlen sich anerkannt und als fester Bestandteil einer weltweiten Solidargemeinschaft wahrgenommen. Innerhalb des jihadistischen Personenspektrums sind überdies die sogenannten "Homegrown-Terroristen" von besonderer Relevanz. Sie sind in Europa geboren und/oder hier aufgewachsen, lehnen aber aufgrund religiöser, kultureller und sozialpsychologischer Einflüsse das hiesige Wertesystem ab. Unter ihnen befinden sich zahlreiche Konvertiten. Sie haben Kenntnisse über die Gegebenheiten in Deutschland und unterliegen aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit teilweise weniger Reisebeschränkungen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 47 Islamismus Frauen In Bayern sind rund 10 Prozent des salafistischen Personenpotenzials weiblich. Die Rolle der Frau hat sich innerhalb der gesamten salafischen Szene in den letzten Jahren gewandelt. In salafistisch ausgerichteten Moscheen agieren Frauen zwar nach wie vor getrennt von den Männern, für sie werden spezielle Frauenunterrichte und Frauenseminare angeboten. Im Zusammenhang mit salafistischen ("Lies!") Infoständen traten bis zum Verbot allerdings Frauen immer wieder als Mitorganisatoren auf und leisteten logistische Unterstützung. Im jihadistischen Spektrum war für Frauen bis vor einigen Jahren noch die Beziehung zu einem männlichen Jihadisten für eine Ausreise nach Syrien ausschlaggebend. Mittlerweile beschließen sie zunehmend auf eigene Faust, in Kampfgebiete auszureisen und selbstbestimmt Terrormilizen wie den IS zu unterstützen. Bei der Beeinflussung und Radikalisierung junger Frauen hin zu einer Ausreise in den Einflussbereich des IS spielt die Kommunikation in sozialen Netzwerken eine besondere Rolle. Frauen, die bereits auf dem Gebiet des IS leben, beschreiben in den sozialen Netzwerken ihren Alltag in den Jihadgebieten in idealisierter Weise. Rund 15 Prozent der Personen mit Ausreisebezug sind weiblich. Innerhalb des IS spielen Frauen im Vergleich zu ihrer früheren Beschränkung auf die Funktion als Ehefrau und Mutter inzwischen eine größere Rolle. Zu ihren Aktivitäten zählen Missionierungsarbeit und Rekrutierung, logistische Unterstützung oder Spendensammlungen. In Einzelfällen werden Frauen auch selbst durch jihadistische Aktivitäten auffällig. Ein Beispiel hierfür stellt der Fall der minderjährigen Safia S. aus Hannover dar. Am 26. Februar verübte das zu diesem Zeitpunkt 15-jährige Mädchen einen Messerangriff auf einen Beamten der Bundespolizei am Hauptbahnhof Hannover. Die Deutsch-Marokkanerin trat bereits als Kind in YouTube Videos mit dem salafistischen Prediger Pierre Vogel auf. Sie wurde inzwischen wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu sechs Jahren Haft verurteilt. 48 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus 3.2.4 Reisebewegungen und Rückkehrer Im Vergleich zum Jahr 2015 haben die Ausreisen von Salafisten aus Deutschland in Richtung Syrien abgenommen. Das dortige Bürgerkriegsgeschehen mobilisiert dennoch nach wie vor die salafistische Szene. Ausreisen aus Deutschland: mehr als 890 Personen bis Ende 2016 davon aus Bayern: etwa 100 Personen Bis Ende 2016 lagen bundesweit Erkenntnisse zu mehr als Ausund 890 Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien bzw. Wiedereinreisen Irak ausgereist sind, um dort beispielsweise an Kampfhandlungen in Deutschland teilzunehmen oder den Widerstand gegen das Assad-Regime in sonstiger Weise zu unterstützen. Es konnte jedoch nicht in allen Fällen bestätigt werden, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien bzw. Irak aufhalten bzw. aufgehalten haben. Von den mehr als 890 Personen ist etwa ein Drittel zumindest zeitweise wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Ferner sind den deutschen Sicherheitsbehörden bis Jahresende etwa 140 Todesfälle mit Bezug zu Deutschland bekannt geworden. Ende 2016 lagen Erkenntnisse zu knapp 100 Islamisten aus Bayern Ausund Wiedervor, die in Richtung Syrien bzw. Irak gereist sind, dies planen einreisen in Bayern oder dort agierende islamistisch terroristische Organisationen in sonstiger Weise unterstützen. Von diesen halten sich derzeit knapp 30 Prozent im Krisengebiet auf, um mutmaßlich auf Seiten jihadistischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder sich für deren Ziele anderweitig einzusetzen. Zu 10 Personen liegen Hinweise vor, dass sie in Syrien oder im Irak verstorben sind. Über ein Viertel der Personen, die sich im Krisengebiet aufhielten, sind bereits wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Gegen die in Bayern aufhältigen Personen - darunter die genannten Rückkehrer nach Bayern - werden in enger Kooperation mit den zuständigen Sicherheitsbehörden die für den jeweiligen Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 49 Islamismus Einzelfall erforderlichen und individuell abgestimmten Maßnahmen sowohl unter Beachtung präventivpolizeilicher, wie auch repressiver Aspekte, als auch unter Ausschöpfung der im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten bestehenden verwaltungsund ausländerrechtlichen Maßnahmen durchgeführt. Ausreisen aus Bayern 100 80 60 40 20 10/2013 01/2014 08/2014 11/2014 05/2015 07/2015 09/2015 12/2015 05/2016 07/2016 09/2016 12/2016 Maßnahmen Die bayerischen Sicherheitsbehörden sind bestrebt, möglichst zur Ausreiseviele dieser Ausreiseplanungen frühzeitig wahrzunehmen, um verhinderung deren Verwirklichung zu unterbinden. Die Anzahl der behördlich tatsächlich verhinderten Ausreisen bewegt sich im niedrigen zweistelligen Bereich. Bei ausreisewilligen Personen gilt der Grundsatz der Ausreiseverhinderung. Jedoch wird beim Vorliegen entsprechender rechtlicher Voraussetzungen bei Ausreisewilligen ausländischer Staaten - im jeweiligen Einzelfall - in Zusammenarbeit mit den Ausländerbehörden gegebenenfalls auch deren Ausweisung aus Deutschland geprüft. Anteil der Konver85 Prozent der Personen, die im Zusammenhang mit Austiten an Ausreisen reisesachverhalten auffällig wurden, sind gebürtige Muslime, 15 Prozent konvertierten zum Islam. Dieselbe prozentuale Aufteilung ergibt sich auch für das salafistische Gesamtpotenzial. Manche Konvertiten fühlen sich dem Druck ausgesetzt, sich als gute Muslime zu beweisen. Sie entwickeln dadurch einen besonderen Eifer, der sie anfällig für eine Radikalisierung durch Salafisten macht. Salafistische Prediger versuchen, junge Menschen, die bislang keiner bzw. anderen Religionen angehörten, unmittelbar von der Konversion in einen salafistisch orientierten Islam zu überzeugen. 50 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus Gefahr durch Rückkehrer Personen, die ein terroristisches Ausbildungslager absolviert haben bzw. aktiv an paramilitärischen Kampfhandlungen teilgenommen haben, stellen ein besonderes Sicherheitsrisiko dar. In der islamistischen Szene haben sie meist ein hohes Ansehen und können einer weiteren Radikalisierung bislang nicht gewaltorientierter Islamisten Vorschub leisten. Dabei üben sie insbesondere auf junge Menschen eine große Anziehungskraft aus. Bei Kampfhandlungen in Syrien haben Rückkehrer teilweise Erfahrung im Umgang mit Sprengstoff und Waffen gesammelt. Zudem ist ihre Hemmschwelle für die Anwendung von Gewalt gegen Menschen deutlich gesunken. Konkrete Anschlagspläne von Rückkehrern in Deutschland sind zwar noch nicht bekannt geworden, Anschläge in Paris (2015) und in Brüssel zeigten jedoch, zu welchen Taten Syrien-Rückkehrer bereit und in der Lage sind. So waren an den Anschlägen Personen beteiligt, die sich zuvor zeitweise in Syrien aufgehalten haben. Bayern verfügt mit dem 2009 erarbeiteten und 2013 aufgrund Handlungskonzept der Entwicklungen in Syrien aktualisierten "Gemeinsamen Bayern Handlungskonzept des Bayerischen Landeskriminalamts, des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz und des Operativen Staatsschutzes der Bayerischen Polizei im Zusammenhang mit Reisebewegungen von Islamisten in terroristische Ausbildungslager oder zur Teilnahme am bewaffneten Jihad" über ein Maßnahmenpaket zur Verhinderung jihadistisch-salafistisch motivierter Ausreisen in Krisengebiete. Schwerpunkt ist dabei ein möglichst frühzeitiger, umfassender und kontinuierlicher Informationsaustausch aller Sicherheitsbehörden. Ziel ist insbesondere bei deutschen Staatsbürgern die Verhinderung der Ausreise. Bei ausländischen Staatsangehörigen werden aufenthaltsbeendende Maßnahmen durch die Arbeitsgruppe BIRGiT (Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Extremismus/Terrorismus) geprüft. Soweit Personen mit ausländischer Nationalität bereits in Kampfgebiete ausgereist sind, werden die aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Wiedereinreise nach Deutschland zu verhindern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 51 Islamismus Entziehung von Im Dezember 2014 hat die ständige Konferenz der Innenminister Reisedokumenten einstimmig beschlossen, im Rahmen von ausreiseverhindernden und PersonalMaßnahmen auch den Entzug des Bundespersonalausweises ausweis zu ermöglichen, um die Ausreise nach Syrien über die Türkei zu unterbinden. Die Entziehung des Reisepasses wie auch die aus dem Kartenkörper nicht ersichtliche Beschränkung des Personalausweises, dass dieser nicht zum Verlassen Deutschlands berechtigt, waren schon bisher möglich. Zur Einreise in die Türkei genügt jedoch ein Personalausweis. Durch die Änderung des Personalausweisgesetzes im Juni 2015 ist es nun möglich, Ausreisen von Jihadisten durch den Entzug des Personalausweises effektiver zu unterbinden. An die Stelle des regulären Ausweises tritt dann ein sog. "Ersatz-Personalausweis". 3.2.5 Rekrutierung und Propaganda Angefangen von salafistischen Islam-Infoständen in Fußgängerzonen über Großveranstaltungen auf öffentlichen Plätzen bis hin zu teils mehrtägigen Islamseminaren, die häufig gefilmt und als Videos ins Internet gestellt werden, ist es Salafisten gelungen, zahlreiche reale und virtuelle Aktionsformen in Deutschland zu etablieren. Diese zunehmende professionelle Verbreitung der salafistischen Ideologie übt eine beträchtliche Anziehungskraft vor allem auf junge, emotional und sozial noch nicht gefestigte Menschen aus. Junge Menschen sind die Hauptzielgruppe islamistischer Internetpropaganda und Rekrutierungsaktivitäten. Die auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnittenen Rekrutierungsstrategien und die professionelle Vermarktung im Internet zeigen, dass die Salafisten von heute sehr vielschichtig neue Anhänger werben. Ziel ist es, durch breit gefächerte Angebote in möglichst viele Lebensbereiche vorzudringen, vermeintliche Antworten auf alle Fragen und Probleme des Lebens zu geben und Menschen dadurch längerfristig zu binden. Eine Zielgruppe sind dabei Flüchtlinge, die aus Krisengebieten nach Deutschland kommen. 52 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus Anfang September 2015 veröffentlichte der salafistische Prediger Pierre Vogel auf seiner Facebook-Seite eine Art Leitlinie zur Gewinnung von Flüchtlingen für die salafistische Szene. In einem 8-Punkte-Katalog erhalten seine Anhänger Tipps, wie man den Kontakt anbahnen sollte. Vogel empfiehlt, Teams zu bilden, Flüchtlingsunterkünfte in der Umgebung ausfindig zu machen und zu besuchen. Gemeinsam mit dem salafistischen Prediger Sven Lau warb Vogel auch mit einem Youtube-Video für die Anwerbung von Flüchtlingen. In Bayern konnten bereits in mehreren Städten derartige Aktionen festgestellt werden. So versuchten beispielsweise in Aschaffenburg die Mitglieder der Islamischen Jugend Aschaffenburg, Spenden direkt an die Flüchtlinge zu verteilen und sie in einem Gespräch an die salafistische Ideologie heranzuführen. Infostände und Koranverteilung In Bayern sind weiterhin Da'wa-Aktivitäten ("Da'wa" = Missionierung) einer sich in Netzwerken organisierenden Anhängerschaft der salafistischen Ideologie zu beobachten. Salafistische Aktivitäten konzentrieren sich dabei seit einiger Zeit zunehmend auf größere Städte und Ballungszentren. Bis zum Verbot der salafistischen Vereinigung Die wahre Religion Die wahre (DWR) des Predigers Abou Nagie am 15. November wurden in Religion verboten Verantwortung von DWR regelmäßig salafistische Infostände in Verbindung mit dem bundesweiten Koranverteilungsprojekt "Lies!" organisiert. Neben den Infoständen waren auch sog. "Street Da'wa"-Teams unterwegs, die Koranexemplare mobil aus Umhängetaschen heraus verteilten. Finanziert wurde das Koranverteilungsprojekt überwiegend mittels Spenden aus der salafistischen Szene. Neben der Rekrutierung neuer Anhänger diente das "Lies!"-Projekt auch der Vermittlung überregionaler Kontakte zwischen Salafisten, wodurch individuelle Radikalisierungsprozesse verstärkt werden konnten. Die häufig jugendlichen Mitglieder von "Lies!"-Gruppen empfanden ihr salafistisches Engagement als persönliche Aufwertung. Ihnen wurde das Gefühl von Gemeinschaft, Überlegenheit und Identität vermittelt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 53 Islamismus Grundsätzlich ist die Verteilung des Korans durch Artikel 4 des Grundgesetzes (Glaubensund Gewissensfreiheit) geschützt. Salafisten nutzen die Verteilung kostenloser Korane jedoch als Türöffner, um Kontakte zur Rekrutierung neuer Anhänger zu knüpfen. Neben den Aktivitäten der Organisation DWR werden salafistische Infostände und "Street Da'wa-Aktivitäten" auch von anderen salafistischen Organisationen wie Jesus im Islam oder Ansaar International bzw. durch organisationsunabhängige Einzelpersonen durchgeführt. Hilfsorganisationen und Benefizveranstaltungen Bundesweit sind mehrere islamistische Hilfsorganisationen aktiv, die unter dem Vorwand der Solidarität mit in Krisenregionen lebenden Muslimen Spenden sammeln und auch im Internet für sich werben. Die salafistische Prägung dieser Organisationen wird insbesondere dadurch deutlich, dass Verantwortliche und Unterstützer der salafistischen Szene zugeordnet werden können. Helfen in Not e. V Neben mehreren kleineren Gruppierungen sind insbesondere Ansaar die zwei in Nordrhein-Westfalen ansässigen salafistischen International e. V. Organisationen Helfen in Not e. V. und Ansaar International e. V. (ehemals Ansaar Düsseldorf e. V.) in der Spendensammlung aktiv. Zwischen beiden Vereinen bestehen einzelne personelle bzw. organisatorische Überschneidungen. Ein Schwerpunkt der Vereinsarbeit liegt auf der Hilfe für Syrien. Die Vereine machen durch die Organisation und Durchführung von Hilfskonvois nach Syrien auf sich aufmerksam. Dabei treten ebenfalls Personen des salafistischen Spektrums in Erscheinung, die Konvois begleiten oder organisatorisch in die Abwicklung der Transporte eingebunden sind. Islamseminare Spenden sammeln die salafistischen Hilfsorganisationen auch mit salafistischen im Rahmen von Islamseminaren und Benefizveranstaltungen. Inhalten Dabei treten bundesweit bekannte salafistische Prediger auf, die ihre salafistisch - teilweise jihadistisch - geprägten Vorträge an ein Publikum aus überwiegend Gleichgesinnten richten und die Anwesenden unter dem Verweis auf die religiöse Verpflichtung zu Spenden auffordern. Unter den Teilnehmern, die häufig aus dem gesamten Bundesgebiet anreisen, befinden sich teilweise 54 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus auch Salafisten aus Bayern, die derartige Veranstaltungen zur Kontaktpflege nutzen und sich von den dort vorgetragenen salafistischen Inhalten ein tieferes religiöses Verständnis versprechen. Für eine Reihe von Personen aus dem islamistisch-jihadistischen Bereich sind daher Islamseminare und Benefizveranstaltungen ein wichtiger Baustein in ihrer Radikalisierungsbiographie. Darüber hinaus können sporadische Flyerverteilungen verschiedener salafistischer Hilfsorganisationen in Bayern festgestellt werden. Gefangenenhilfe Innerhalb der salafistischen Szene stellen Solidarisierungsbekundungen mit inhaftierten "Glaubensgeschwistern" einen wichtigen Baustein dar, um das Gemeinschaftsgefühl zu festigen. Dabei wird der westliche Rechtsstaat als ungerechtes System diffamiert. Ziel der salafistischen Gefangenenhilfe ist es, Resozialisierungsprozesse zu verhindern, inhaftierte Szeneangehörige weiterhin an die salafistische Ideologie zu binden und sie dazu zu motivieren, Mithäftlinge an den Salafismus heranzuführen. Vor allem über das Internet wird auch zu (finanziellen) Hilfeleistungen für inhaftierte Gleichgesinnte aufgerufen. Zudem finden Solidaritätsaktionen im Rahmen von Gerichtsverfahren statt, die auch die Präsenz von Salafisten bei Gerichtsverhandlungen beinhalten können. Home Da'wa Eine weitere Form salafistischer Missionierung stellen Treffen in Privatwohnungen dar. Zu diesen als "Home Da'wa" bezeichneten Veranstaltungen können über das Internet salafistische Prediger nach Hause eingeladen werden. Die Treffen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich. Der salafistische Prediger Pierre Vogel propagiert diese Art der Missionierungsarbeit als geeignete Form, um unabhängig von Moscheen insbesondere jugendliches Publikum anzusprechen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 55 Islamismus Salafistische Prediger Salafistische Prediger spielen in der Szene und im Kontext der Propaganda eine wichtige Rolle. Bei Kundgebungen, in Moscheen und über Internetauftritte erreichen sie allein in Deutschland tausende vorrangig junge Menschen. Die salafistischen Prediger setzen sich dabei meist gekonnt in Szene, um möglichst breiten Anklang zu finden. Angepasst an die Bedürfnisse und Interessen ihrer Zielgruppen sprechen sie - teils in deutscher Jugendsprache - über Themen wie Freundschaft, Sex oder die Rolle der Frau. Sie verbinden dabei geschickt salafistische Ideologieelemente mit alltagspraktischer Relevanz. Salafistische Prediger in Deutschland sind oft keine ausgebildetenTheologen, sondern Laienprediger. Es gibt aber auch Prediger, die im Ausland, z. B. in Saudi-Arabien, studiert haben. Verhaftung von Zu den bekanntesten deutschen Salafistenpredigern zählen Pierre Abu Walaa Vogel und Ahmad Abdulaziz Abdulla, alias Abu Walaa. Letzterer war seit Ende 2015 bis zu seiner Verhaftung am 8. November als Imam im Deutschsprachigen Islamkreis Hildesheim (DIK) tätig. Der DIK steht als salafistischer Hot-Spot seit Jahren im Fokus der Sicherheitsbehörden. Abu Walaa wird verdächtigt, vor allem junge Muslime für dieTerrormiliz IS angeworben zu haben. Ihm wird die Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Moscheen Obwohl sich die Missionierungsarbeit im salafistischen Spektrum zunehmend auf den nichtöffentlichen Raum verlagert, dienen Moscheen nach wie vor als Plattform für salafistische Vortragsveranstaltungen sowie als Treffund Kontaktpunkte für Teile des salafistischen Personenpotenzials. Salafistische Salafistisch geprägte Moscheen in Bayern sind insbesondere Moscheen in die El-Salam-Moschee in München, die Masjid ibn Taymiyyah Bayern Moschee in Nürnberg, die Moschee des Islamischen Zentrums Weiden e. V., die Al-Rahman-Moschee in Regensburg und die As-Salam-Moschee in Schwandorf. Salafistische Personennetzwerke bilden sich aber auch abseits von Moscheenund Vereinsinstitutionen, z. B. im privaten Umfeld eines Freundesund Bekanntenkreises oder in sozialen Netzwerken im Internet. Innerhalb dieser Personenzusammenschlüsse 56 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus kann es aufgrund des starken Gemeinschaftsgefühls schnell zu einer Radikalisierung bis hin zur Bereitschaft zur Teilnahme am gewaltsamen Jihad kommen. Internet Salafisten nutzen das Internet seit Jahren gezielt als Propaganda-, Kommunikations-, Rekrutierungsund Steuerungsmedium. Zahlreiche Webseiten, Accounts in sozialen Netzwerken und Instant-Messaging-Dienste (Sofort-Nachrichten-Versand) sorgen für eine weltweite Verbreitung der islamistischen Ideologie. Auch die Zahl deutschsprachiger Websites ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Immer mehr salafistische Vereine, Netzwerke und Einzelpersonen richten beispielsweise sogenannte Dawa-Seiten (Missionierungsseiten) ein, die sie wiederum stark untereinander vernetzen. Diese Internetauftritte sind oftmals mehrsprachig, multimedial und grafisch aufwendig gestaltet. Junge Menschen im Alter zwischen 14 und 29 Jahren sind die Jugendliche und Hauptzielgruppe islamistischer Internetpropaganda und RekruHeranwachsende tierungsaktivitäten - insbesondere solche junge Menschen, die in als Zielgruppe einem instabilen sozialen Umfeld leben und auf der Suche nach der InternetmissioOrientierung, Halt und Anerkennung sind. nierung Salafistische Gruppierungen sprechen die jungen Menschen im Internet gezielt dort an, wo sie sich am häufigsten aufhalten: in sozialen Netzwerken und auf Online-Plattformen. Sie passen sich dabei der Lebenswelt junger Menschen in westlichen Ländern an und verwenden Begriffe und Symbole, die die Jugendlichen aus der Alltagskommunikation im Internet kennen, beispielsweise sog. "Emoticons" (kleine Piktogramme, die in E-Mails oder im Chat genutzt werden, um Emotionen auszudrücken). Auch Kinder im Vorschulund Grundschulalter sind bereits im Fokus salafistischer Gruppierungen. So gab es auf der Webseite des inzwischen verbotenen salafistischen Propaganda-Netzwerks Die wahre Religion einen eigenen Bereich "Kinder im Islam". Dort standen Spiele und Basteltipps, Arbeitsblätter, Geschichten, Gebete und Hörbücher zum Download oder zum Ausdrucken bereit. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 57 Islamismus Auch dieTerrororganisation Islamischer Staat (IS) orientiert sich mit ihrer jihadistischen Propaganda verstärkt an Kindern und Jugendlichen. So veröffentlichte der IS jüngst die mittlerweile 2. Version einer Lern-Software, mit der sich Kinder ("Junglöwen") die arabische Sprache und arabische Zahlen aneignen sollen. Darin werden arabische Buchstaben oftmals mit Bildern aus dem militärischen Bereich unterlegt, um dadurch die Kinder bereits beim Spracherwerb in das jihadistische Gedankengut des IS hinein zu sozialisieren. Der IS stellt in einer für Heranwachsende attraktiven Form den angeblichen "Glaubenskrieg" der Islamisten als aufregendes Abenteuer dar, das Männlichkeit, Mut und Hingabe zum Ausdruck bringe. Kinder und Jugendliche werden zudem bei der Ausbildung an der Waffe in terroristischen Ausbildungslagern sowie bei der Beteiligung an Exekutionen gezeigt. Dadurch soll der Eindruck vermittelt werden, dass die jihadistische Bewegung bis in die ferne Zukunft über ausreichend Nachwuchs verfüge. Die im Internet verbreitete Propaganda und "virtuelle" Netzwerke tragen dazu bei, dass sich Aktivisten und Sympathisanten des globalen Jihad als Teil einer einzigen, vermeintlich elitären Bewegung begreifen. In jedem Land der Welt können sich Sympathisanten mit Lehrmaterial aus dem Internet ausbilden, um am weltweiten Kampf teilzunehmen (sog. Open Source Jihad). Homegrown-Terroristen können sich somit in ihren Heimatländern jihadistisch betätigen, ohne unmittelbar in eine terroristische Gruppierung eingebunden zu sein. 58 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus Im August wurde der Propagandachef des IS, Abu Mohammed al-Adnani, bei Gefechten in Nordsyrien getötet. Al-Adnani soll maßgeblich für Terrorakte im Ausland zuständig gewesen sein. Oft veröffentlichte er über das Internet Videos und Ansprachen, in denen er zu Anschlägen in westlichen Staaten aufrief, zuletzt zu Beginn des Fastenmonats Ramadan. Seit Frühjahr 2014 gibt der IS das englischsprachige OnlineMagazin "DABIQ" heraus, das im 2-monatigen Turnus erscheint. Der Titel bezieht sich auf einen Ort in Syrien, an dem gemäß islamischer Überlieferung die Entscheidungsschlacht zwischen Muslimen und Ungläubigen stattfinden soll, um ein neues Zeitalter einzuleiten. "DABIQ" enthält aktuelle Meldungen aus den Kampfgebieten in Syrien und im Irak und dient der ideologischen Rechtfertigung der terroristischen Aktivitäten des IS. In der Berichterstattung von "DABIQ" rückte der Westen zuletzt mehr Online-Magazine und mehr in den Fokus. Beispielsweise wurde dazu aufgerufen, Anschläge in allen Staaten zu begehen, die Teil der Allianz gegen den IS sind. Auch Deutschland wird seit 2016 explizit als Anschlagsziel benannt. Seit Herbst 2016 veröffentlicht der IS zudem das neue monatlich erscheinende Online-Magazin "RUMIYAH", das zeitgleich in verschiedenen Sprachen (Englisch, Arabisch, Türkisch, Französisch, Deutsch, Russisch, Indonesisch, Urdu) veröffentlicht wird. Um dem medialen Erfolg der IS-Magazine zu begegnen, veröffentlichte die mit dem IS in Konkurrenz stehende Terrororganisation al-Qaida neben dem bereits seit 2010 erscheinenden OnlineMagazin "INSPIRE" die neuen englischsprachigen Magazine "RESURGENCE" und "AL RISALAH". Alle drei al-Qaida-Publikationen erscheinen mittlerweile in sehr langen und unregelmäßigen Abständen. Ausschließlich in deutscher Sprache erscheint das jihadistische Propaganda-Magazin "KYBERNETIQ", das der al-Qaida nahesteht. Der aus Bayern stammende Verfasser beschäftigt sich in dem unregelmäßig erscheinenden Magazin hauptsächlich mit Verschlüsselungstechnologien und der "sicheren" Kommunikation im Internet mit dem Ziel, Jihadisten dabei zu helfen, außerhalb des Radars der Sicherheitsbehörden zu bleiben. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 59 Islamismus Islamistische Zudem hat der IS auch eine Reihe von Medienstellen gegründet, Medienstellen die verschiedene Zielgruppen bedienen. Beispielsweise wenund Webseiten det sich das Al-Hayat Media Center an ein englisch-, deutsch-, russischund französischsprachiges Publikum. Es ist Teil der Kommunikationsstrategie des IS, nationale Öffentlichkeiten in der jeweiligen Landessprache anzusprechen. Dadurch erhofft sich der IS eine größere Reichweite, gerade auch bei Konvertiten, welche nicht arabisch sprechen. Die Anzahl deutschsprachiger Webseiten mit IS-Bezug bzw. die Verbreitung von in die deutsche Sprache übersetzten Propagandamedien hat stark zugenommen. So bieten beispielsweise die Internetportale "Baqiya", "AMAQ", "NIWelt" und "IS Media Deutsch" Dokumente des IS in deutschsprachigen Versionen an. Arabischsprachige Videos werden mit deutschen Untertiteln versehen. Auf einschlägigen deutschsprachigen Kanälen und Profilen in den sozialen Netzwerken Twitter, Facebook und Telegram werden deren Internetangebote beworben. Seit Herbst 2015 nutzen nahezu alle jihadistischen Organisationen Telegram-Kanäle für die Verbreitung ihrer Propagandamedien. Telegram ermöglicht eine anonyme Kommunikation im Internet. Botschaften können im Einzeloder Gruppenchat an beliebig viele Personen gesendet werden. Islamisten nutzen das Internet auch, um durch elektronische Angriffe bestehende Internetseiten und Computernetzwerke in ihrem Sinne zu beeinträchtigen oder zu zerstören. In mehreren Verlautbarungen von dem IS zuzurechnenden Gruppierungen wurden Cyberangriffe als probates Mittel im Kampf gegen den Westen propagiert. Der IS arbeitet am Aufbau einer jihadistischen "Cyber-Armee" und versucht, Personen mit entsprechenden IT-Kenntnissen dafür zu gewinnen. Den Sicherheitsbehörden sind einzelne Personen mit Deutschlandbezügen bekannt, die über einschlägige technische oder organisatorische Fähigkeiten verfügen und bekundet haben, die "Cyber-Armee" des IS unterstützen zu wollen. 60 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus 3.2.6 Anschlagsgeschehen Europa liegt weiterhin im Zielspektrum des islamistischen TerroAnschläge in rismus. Die anhaltend hohe Gefährdungslage dokumentieren u. a. Frankreich und Anschläge in Deutschland, Frankreich und Belgien. Frankreich war Belgien wiederholt Ziel von Terroranschlägen. Wenige Tage nach Beginn der Fußballeuropameisterschaft in Frankreich tötete ein Islamist einen Polizisten und dessen Lebensgefährtin in Magnanville. Am 14. Juli raste ein 31-jähriger Franko-Tunesier in Nizza mit einem LKW in eine Menschenmenge und tötete über 80 Personen. Nur ein paar Tage später nahmen zwei Männer in einer Kirche im nordfranzösischen Saint-Etienne du Rouvray fünf Geiseln und töteten den Pfarrer. In Belgien sorgten neben einem Macheten-Angriff auf zwei Polizistinnen am 6. August in Charleroi vor allem die Attentate in Brüssel am 22. März für weltweite Aufmerksamkeit. Bei Explosionen am Flughafen und in einer Metrostation der belgischen Hauptstadt starben über 30 Menschen, hunderte wurden verletzt. Das Täternetzwerk weist enge Verbindungen zu den Terroranschlägen in Paris im November 2015 auf. Attentate in Deutschland und Bayern Auch in Deutschland wurden erstmals nach dem Anschlag am Frankfurter Flughafen 2011 mehrere Terrorakte begangen, die dem islamistischen Terrorismus zuzurechnen sind. Am 26. Februar verübte ein 15-jähriges Mädchen aus dem salafistischen Milieu einen Messerangriff auf einen Beamten der Bundespolizei am Hauptbahnhof Hannover. Dabei wurde der Polizist schwer verletzt. Am 16. April verübten minderjährige Salafisten einen Sprengstoffanschlag auf Gebetsräume einer Sikh-Gemeinde in Essen. Neben einer traditionellen Hochzeitszeremonie fand zum Zeitpunkt der Explosion auch eine Feier zum Jahrestag der Religionsgründung der Sikhs statt. Mehrere Personen wurden verletzt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 61 Islamismus IS Bekennung Auch in Bayern begingen jihadistisch motivierte Personen zu Attentaten in Anschläge. Ein 17-jähriger Afghane hat am 18. Juli in einem Bayern Regionalzug nahe Würzburg insgesamt vier Personen zum Teil lebensgefährlich verletzt. Auch einer Passantin, die er auf der Flucht antraf, fügte er schwerste Verletzungen zu. Als der Attentäter auf der Flucht zwei Polizeibeamte attackierte, wurde er tödlich verletzt. Das Attentat in der Nähe von Würzburg stellte den ersten Anschlag in Deutschland dar, zu dem sich der IS bekannte. Ein weiteres Attentat in Bayern, zu dem sich der IS bekannte, ist der Sprengstoffanschlag vom 24. Juli in Ansbach durch einen 27-jährigen syrischen Staatsangehörigen. Durch die Explosion wurden mindestens 12 Personen verletzt, drei davon schwer. Der Attentäter selbst kam bei der Detonation ums Leben. Auf einem der Mobiltelefone des Attentäters wurde ein Video gesichert, in dem er seine Zugehörigkeit zu Abu Bakr al-Baghdadi, dem Anführer des IS, bezeugt. Nach der Tat in Ansbach veröffentlichte die Wochenzeitung des IS "Al Nabaa" einen Artikel über den Attentäter, in dem er als treuer Anhänger des IS dargestellt wurde, der im Westen Anschläge begehen wollte. Anschlag in Berlin Bei einem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz am 19. Dezember wurden 12 Menschen getötet sowie mehr als 50 verletzt. Bei dem Täter handelt es sich um den tunesischen Staatsangehörigen Anis Amri, der mit einem gestohlenen LKW in einen abgesperrten Bereich des Weihnachtsmarktes gefahren war. Die Nachrichtenagentur AMAQ, die dem Islamischen Staat (IS) nahesteht, propagierte in mehreren Veröffentlichungen den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt als Erfolg für den IS. Amri hatte vor der Tat ein Video gefertigt, in dem er den Treueeid auf den Anführer des IS schwor. Er war in der jihadistischen Szene in Deutschland und anderen europäischen Ländern vernetzt. Bei einer Ausweiskontrolle in der Nähe des Bahnhofs von Sesto San Giovanni bei Mailand (Italien) wurde Amri nach kurzem Feuergefecht erschossen. Ein italienischer Polizist wurde dabei verletzt. 62 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus 3.2.7 Exekutivmaßnahmen Vereinsverbote sind ein wichtiges Instrument der wehrhaften Demokratie in Deutschland. Ein Verein ist nach Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verboten, wenn der Zweck der Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderläuft oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Im Bereich Islamismus wurden in den letzten Jahren mehrere Vereinsverbote ausgesprochen. Beispiele hierfür sind das Verbot des Multi-Kultur-Hauses Ulm e. V. (MKH) in Neu-Ulm im Jahr 2005, das Verbot der salafistischen Vereinigung "Millatu Ibrahim" im Jahr 2012, das Verbot der salafistischen Vereine "Dawa FFM" und "Islamische Audios" 2013 sowie das Betätigungsverbot der Terrororganisation Islamischer Staat in Deutschland vom 12. September 2014. Am 15. November hat das Bundesinnenministerium die salaVerbot LIES!fistische Vereinigung Die wahre Religion (DWR) alias LIES! Stiftung / Stiftung/Stiftung LIES! einschließlich ihrer Teilorganisationen Die wahre Religion LIES! Verlag, ReadLiesLtd und Insamlingsstiflesen Al Quran Foundation verboten. DWR verbreitete verfassungsfeindliche und gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstoßende Botschaften und schürte damit bei den überwiegend jungen, zum Teil minderjährigen Anhängern eine verfassungsfeindliche Einstellung und kämpferisch-aggressive Grundhaltung. Sie war somit ein bundesweites Rekrutierungsund Sammelbecken für jihadistische Islamisten sowie für solche Personen, die aus jihadistisch-islamistischer Motivation nach Syrien oder in den Irak ausreisten. Das Verbot wurde in 10 Bundesländern mit über 190 DurchDurchsuchungen suchungsund Beschlagnahmemaßnahmen vollzogen. In Bayern in Bayern durchsuchte die Polizei 34 Objekte der Organisation. Verantwortlich für die "Lies!"-Aktion war das inzwischen verbotene salafistische Netzwerk Die wahre Religion (DWR) des Predigers Ibrahim Abou Nagie. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 63 Islamismus Anklagen gegen Neben Vereinsverboten besteht die Möglichkeit, auch EinzelTerrorunterstützer personen, beispielsweise aufgrund des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat gemäß SS89a StGB oder bezüglich der Bildung einer terroristischen Vereinigung nach SS129a StGB, anzuklagen. Am 6. September begann vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf der Prozess gegen Sven Lau, eine der bekanntesten Persönlichkeiten des deutschen Salafistenspektrums. Der Konvertit Lau soll die ausländische terroristische Vereinigung JAMWA ("Jaish al-Muhaijrin Wal Ansar") unterstützt und Reisewillige nach Syrien vermittelt haben. Gegen ihn wurde Anklage wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung in vier Fällen (SS129a Abs. 1, 5, SS129b Abs. 1 StGB) erhoben. Das Urteil wird für 2017 erwartet. Gemäß SS89a Abs. 2a StGB ist die Ausreise zum Zweck der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat oder die Ausreise zur Unterweisung in ein Terrorcamp strafbar. Am 14. April fand in München die Hauptverhandlung statt gegen einen 21-Jährigen Islamisten, der seine Ausreise nach Syrien geplant hatte, um sich dort der ehemaligen Jahbat al-Nusrah (heute Jabhat Fath al-Sham) anzuschließen. Der Angeklagte wurde zu einer Jugend-Freiheitsstrafe von 2 Jahren ohne Bewährung verurteilt. Am 19. Mai verurteilte das Münchner Landgericht einen 27-jährigen zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte in ein Terrorcamp nach Syrien ausreisen wollte. Am 27. September wurde ein weiterer bayerischer Salafist wegen der Anleitung zu einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (SS 91 Abs. 1 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Der Mann hatte im Oktober 2014 eine Bombenbauanleitung auf Twitter gepostet, die tatsächlich zur Konstruktion funktionsfähiger Sprengmittel geeignet war. 64 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus Darüber hinaus wurden nach der Änderung des Personalausweisgesetzes im Juni 2015 in Bayern in mehreren Fällen die Personalausweise von Jihadisten/Salafisten eingezogen, um eine beabsichtigte Ausreise nach Syrien über die Türkei zu unterbinden. In allen Fällen wurde ein sog. "Ersatz-Personalausweis", der nicht zum Verlassen der EU berechtigt, ausgehändigt. 3.2.8 Terroristische Strukturen 3.2.8.1 Der Islamische Staat (IS) Entstehung und Entwicklung Die salafistisch-jihadistische Terrororganisation IS hat ihre Wurzeln im Irak. Nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003 bildete sich dort unter der Führung des jordanischen Terroristen Abu Musab Al-Zarqawi eine al-Qaida-Zelle, die sich zunächst als "al-Qaida im Zweistromland" bezeichnete und ihren Namen in den folgenden Jahren mehrfach wechselte. Im Irak hat die Terrororganisation wiederholt Anschläge durchgeführt. Nach dem Tod al-Zarqawis übernahm der Iraker Abu Bakr al-Baghdadi die Führung. Seit 2012 ist die Organisation auch in Syrien aktiv. 2013 änderte sie vor dem Hintergrund weitreichender militärischer Erfolge erneut ihren Namen, zunächst in Islamischer Staat im Irak und Großsyrien (ISIG). Damit drückte die Terrororganisation ihren überregionalen Führungsanspruch aus. Mitte 2014 wurde das "Islamische Kalifat" ausgerufen und die Organisation trat unter der Bezeichnung Islamischer Staat (IS) auf. IS steht somit in dieser Region in direkter Konkurrenz zu al-Qaida. Das Kalifat bezeichnet sowohl ein Amt als auch ein HerrschaftsIslamisches Kalifat gebiet. Der Begriff geht auf das arabische "khalifa" zurück und bedeutet Nachfolger des Propheten Muhammad. Der Titel ist gleichbedeutend mit dem rechtmäßigen Führer der sunnitischen Gläubigen. Den letzten Kalifen stellte das Osmanische Reich. Der Titel wurde 1924 durch Kemal Atatürk abgeschafft. Das Streben nach der Wiedereinführung des Kalifats ist ein wesentliches Kennzeichen islamistischer Ideologie. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 65 Islamismus Der IS unterscheidet sich in Ideologie und Zielen nicht grundlegend von anderen jihad-salafistischen Gruppen. Es gibt jedoch Unterschiede in der ideologischen Schwerpunktsetzung und im strategischen Ansatz. Eine besondere Rolle spielt dabei die Rechtfertigung des Kalifats. Das Kalifat ist auch für al-Qaida ein Ziel, allerdings kann das Kalifat für al-Qaida nur am Ende eines mehrstufigen Prozesses stehen. Die Strategie al-Qaidas sieht vor, zunächst Rekruten zu ideologisieren, westliche Einflüsse in arabischen Ländern zu bekämpfen, Landgewinne zu erzielen und schließlich pro-westliche Regierungen im Nahen Osten zu stürzen. Erst danach wird die "Entscheidungsschlacht" zwischen den "Rechtgläubigen" und den "Ungläubigen" angestrebt, an deren Ende das Kalifat steht. Der IS hingegen sieht diese Entscheidungsschlacht unmittelbar bevorstehen und ruft Muslime weltweit auf, sich daran zu beteiligen. IS-Splittergruppen IS-Splittergruppen sind u. a. in Libyen, auf dem Sinai, in Pakistan und in Afghanistan aktiv. Im März 2015 schloss sich die nigerianische Terrororganisation Boko Haram dem IS an, woraufhin dieser verkündete, dass das Kalifat nun bis Westafrika reiche. In einem Video der IS-Medienstelle Al-Hayat vom Juni 2015 beanspruchten vom Balkan stammende IS-Kämpfer den Balkan als weiteres Kalifat und riefen zu Anschlägen in dieser Region auf. Nachdem die meisten Emire der Kaukasusprovinzen den Treueeid gegenüber dem IS erklärt haben, verkündete der IS im Juni 2015 zudem die Gründung der Provinz Kaukasus. Auftreten in Deutschland und Bayern Der IS verfügt - nicht zuletzt aufgrund seiner hohen Propagandawirksamkeit - innerhalb des salafistischen Spektrums in Deutschland bzw. Bayern über eine wachsende Anzahl von Sympathisanten, was sich auch in den Ausreisezahlen widerspiegelt. Auch im Internet sind verstärkte Aktivitäten von IS-Anhängern zu erkennen. Es werden auch Videobotschaften deutscher IS-Kämpfer verbreitet, die für den Jihad werben. Der IS hat sich auch zu den Attentaten in Würzburg und Ansbach bekannt. 66 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus Als erster Deutscher trat der mittlerweile als Selbstmordattentäter verstorbene Philip B. aus Dinslaken im November 2013 in einer Videobotschaft des IS auf. Der szenebekannte Berliner Jihadist Denis Cuspert alias Abu Talha Al-Almani veröffentlichte im April 2014 ein Video, in dem er den Treueeid auf den IS schwor. Cuspert galt als einer der Hauptakteure in der deutschen jihadistischen Szene. Das Video trug mit dazu bei, dass sich deutsche Jihadisten in Syrien vorrangig dem IS anschließen. Es kursierten auch Videos, die Cuspert bei Kampfhandlungen zeigen. Über Cuspert wurden in den letzten Jahren mehrfach Meldungen verbreitet, die seinen Tod verkündeten, zuletzt im Sommer 2016. Eine behördliche Bestätigung liegt nicht vor. Cuspert ist seit Oktober 2015 nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten. Auch Mohamed Mahmoud, der ehemalige Anführer der in Deutschland verbotenen Vereinigung Millatu Ibrahim, ist für den IS tätig. Er ist maßgeblich in die deutschsprachige Propagandaarbeit des IS in Syrien/Irak eingebunden und rief bereits vielfach zu Anschlägen in Deutschland und anderen westlichen Ländern auf. Der Bundesminister des Innern hat am 12. September 2014 die Betätigung der Vereinigung IS sowie die öffentliche Verwendung und Verbreitung von dessen Schriften und Symbolen verboten. Einschleusen von Flüchtlingen Angesichts der anhaltenden Zuwanderungsbewegungen nach Deutschland ist davon auszugehen, dass sich unter den Flüchtlingen auch aktive und ehemalige Mitglieder, Unterstützer und Sympathisanten terroristischer Organisationen gem. SSSS 129 a, b StGB (wie dem sogenannten Islamischen Staat) sowie Einzelpersonen mit extremistischer Gesinnung und/oder islamistisch motivierte Kriegsverbrecher befinden können. So ist bekannt, dass die Terrororganisation IS den Flüchtlingsstrom zwar nicht braucht, um Täter nach Europa zu bringen, ihn aber dennoch gezielt nutzt. Damit soll Verunsicherung in der Bevölkerung hervorgerufen und Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht werden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 67 Islamismus Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder erhielten diesbezüglich Hinweise im mittleren dreistelligen Bereich. Dies führte bundesweit zur Einleitung von Ermittlungsverfahren im mittleren zweistelligen Bereich. Auch den bayerischen Sicherheitsbehörden liegen verschiedene Hinweise auf Flüchtlinge mit möglicherweise jihadistischem Hintergrund vor. In einigen Verdachtsfällen stellte sich heraus, dass es sich bei eingegangenen Hinweisen um Fotomontagen, Denunzierungsversuche oder auch um Kämpfer aus anderen Bereichen (z. B. Peschmerga) handelte. 3.2.8.2 Das al-Qaida-Netzwerk Im Unterschied zu vielen anderen, islamistischen Terrornetzwerken oder Organisationen verfolgt al-Qaida nach wie vor länderübergreifend das Ziel, langfristig ein weltweites Kalifat zu errichten. Al-Qaida und die ihr zuzurechnenden Unterorganisationen sind für Planung und Durchführung einer Vielzahl von Terroranschlägen weltweit - z. B. die Anschläge am 11. September 2001 in den USA - mit zahlreichen Toten und Verletzten verantwortlich. Entstehung und Entwicklung Die Ursprünge des al-Qaida-Netzwerks lassen sich zurückführen auf den Konflikt um das sowjetisch besetzte Afghanistan der Jahre 1979 bis 1989. Eine herausragende Stellung nahmen seit 1984 der palästinensische Jihad-Ideologe Abdullah Azzam und der Saudi Usama Bin Ladin ein. Nach dem Tod Abdullah Azzams war es das Ziel Bin Ladins, den Jihad auch in anderen Konfliktgebieten wie Kaschmir, Indonesien, Tschetschenien, Bosnien und Somalia zu unterstützen. Mit der Machtübernahme der Taliban 1996 kehrte Bin Ladin mit seinem Gefolge nach Afghanistan zurück und agierte von dort aus bis zu seiner Flucht im Jahre 2001 unter dem Schutz des Taliban-Führers Mullah Omar. 68 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus Seit Mitte der 1990er Jahre ist ein Netzwerk aus AfghanistanveteraAbu Sayyaf nen entstanden, die in ihren Heimatländern ihrerseits OrganisatiAl-Shabab onen gründeten bzw. unterstützten, wie z. B. Abu Sayyaf auf den AQAH Philippinen, al-Qaida im Irak, die somalischen al-Shabab-Milizen oder al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH). Anschläge werden häufig von autonomen Zellen oder "freien Mitarbeitern" geplant und durchgeführt. Attentäter bekommen oftmals nachträglich den "Segen" für ihre Anschläge (etwa über Audiooder Video-Botschaften, die über das Internet verbreitet werden). Während in Ländern wie Irak, Saudi-Arabien und Jemen die Entwicklung des al-Qaida-Netzes dynamisch ist, hat sich - neben dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet - in Nordafrika eine relativ stabile Struktur herausgebildet. Die Ideologie des al-Qaida Netzwerks Die hauptsächlich von Bin Ladin und Abdullah Azzam etablierte salafistische Ideologie des al-Qaida-Netzwerks ist stark geprägt von den Schriften Sayyed Qutbs und dessen Weltsicht, dem Jihad-Gedanken und dem Takfir ("für ungläubig erklären"). Nach dieser Weltsicht gibt es nur den Islam in seiner durch die Chefideologen Bin Ladin, al-Zawahiri und Azzam geprägten Orientierung an den frommen Altvorderen (al-salaf al-salih), einer konstruierten idyllischen islamischen Frühzeit. Dem stehen Jahiliyya, der Unglaube und die Unwissenheit um den durch den Propheten Muhammad vermittelten "rechten Weg", gegenüber. Folgerichtig war es ein zentrales Anliegen Bin Ladins, den Islam von allen unislamischen "Übergriffen" wie Sozialismus und Demokratie freizuhalten. Die Stationierung amerikanischer Truppen in Saudi-Arabien, Afghanistan oder in anderen islamischen Staaten war aus seiner Sicht nicht hinzunehmen. Entwicklungstendenzen Die Tötung Usama Bin Ladins im Mai 2011 und die Verhaftung oder Tötung zahlreicher Mitglieder aus der alten Führungsriege haben zwar den Kern al-Qaidas geschwächt, das flexible Netzwerk jedoch keinesfalls handlungsunfähig gemacht. Zunehmend versucht al-Qaida unter der Führung von Ayman al-Zawahiri den Charakter einer globalen Bewegung anzunehmen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 69 Islamismus Internetverlautbarungen und jihadistische Online-Magazine wenden sich gezielt an Personen auch außerhalb der bestehenden al-Qaida Strukturen und Netzwerke mit dem Ziel, diesen Personenkreis für den jihadistischen Leitgedanken zu aktivieren und für Anschläge zu gewinnen. Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH) kommt dabei nach wie vor eine maßgebliche Rolle innerhalb des Netzwerks zu. Von ihr gehen zahlreiche Anschlagspläne aus. Sowohl al-Qaida als auch der IS versuchen sich der Öffentlichkeit als führende jihadistische Organisation zu präsentieren, nicht zuletzt indem sie Terroranschläge verüben. Sie stehen somit in einem Konkurrenzverhältnis zueinander. Dem IS ist es mit der Ausrufung des Kalifats gelungen, seinen Einfluss in der jihadistischen Szene deutlich zu steigern. Zum 15. Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September 2001 veröffentlichte al-Qaida eine Botschaft ihres derzeitigen Anführers Aiman Al-Zawahiri. Darin legitimiert er erneut die Anschläge als Rache für das angeblich erlittene Leid der muslimischen Gemeinschaft und kündigte weitere Anschläge gegen die USA an. Osama bin Ladins Sohn Hamsa drohte den USA in einer Audiobotschaft Vergeltung an. 3.2.8.3 Jabhat Fath al-Sham (früher: Jabhat al-Nusra (JaN) In den Reihen der Jabhat al-Nusra (JaN) etablierte sich ab 2013 eine Zelle der Kern-al-Qaida unter der Führung von Muhsin al-Fadhli. Die nach dem historischen Namen für eine Region in Zentralasien als Khorasan-Gruppe bezeichnete Zelle bildet insbesondere aus Europa stammende Kämpfer auch für Anschlagspläne in ihren Herkunftsländern aus. Hierfür wurden gezielt Personen ausgewählt, die noch nicht durch Straftaten aufgefallen waren. Am 28. Juli trennte sich die JaN formal von al-Qaida und benannte sich in Jabhat Fath al-Sham (JFS; Front zur Eroberung Syriens) um, nachdem sich Russland und die USA zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen die JaN entschlossen hatten. 70 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus Mit der JFS in Syrien ist eine weitere mitgliedsstarke jihadistische Organisation entstanden, die islamistische Terroristen rekrutiert und ausbildet. Die Organisation übte zeitweise eine große Anziehungskraft auf deutsche Jihadisten aus, musste jedoch mit Erstarken des konkurrierenden Islamischen Staates (IS) einen deutlichen Rückgang ihrer Anhängerschaft verzeichnen. 3.2.8.4 Islamistisch-kurdische Netzwerke Mitglieder Deutschland: keine gesicherten Zahlen Bayern: Einzelpersonen Gründung im Irak Einige islamistisch-kurdische Netzwerke sind durch ihr ZusamAnsar al-Islam menwirken mit der al-Qaida im Irak nach wie vor als Bestandteil (AAI) des internationalen Terrornetzwerks anzusehen. Besonders die Vereinigung Ansar al-Islam (AAI) war in der Vergangenheit für eine Vielzahl von Terroranschlägen im Irak mit zahlreichen Toten und Verletzten verantwortlich. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen stufte die AAI deshalb bereits im Februar 2003 als terroristische Vereinigung ein. Unter den Mujahidin, die in den 1990er Jahren in afghanischen Trainingslagern militärisch ausgebildet wurden, befanden sich auch kurdische Islamisten. Diese knüpften Kontakte zu al-Qaida, die auch nach der Rückkehr der kurdischen Kämpfer in den Irak bestehen blieben. In einem kleinen Teil des irakischen Kurdengebiets gelang es der AAI im Jahr 2001, ein Taliban-ähnliches Regime zu errichten. Zu Beginn des Irak-Kriegs 2003 wurde dieses Gebiet von den USA aus der Luft angegriffen und von nicht-islamistischen kurdischen Kräften wieder eingenommen. In der Folgezeit reorganisierte sich die AAI wieder. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 71 Islamismus Im Mai 2010 gelang irakischen Sicherheitskräften ein Schlag gegen die AAI, als in Bagdad deren mutmaßlicher Anführer mit sieben weiteren Terrorverdächtigen festgenommen wurde. Nach dem Abzug der US-amerikanischen Streitkräfte Ende 2011 aus dem Irak fällt es islamistisch-kurdischen Netzwerken wie der AAI leichter, sich im Nordirak neu zu positionieren, um dort dem Ziel der Schaffung eines autonomen Gebietes nach dem Primat der Scharia wieder etwas näher zu kommen. Aktivitäten Auch in Europa sind mehrere islamistisch-kurdische Netzwerke der Netzwerke aktiv. Ihre spirituelle Leitfigur, der in Norwegen lebende Mullah in Europa Krekar, wurde u. a. wegen Todesdrohungen gegen eine frühere Ministerin Norwegens zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen Mullah Krekar und weitere inund ausländische Beschuldigte ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Im März 2014 kam es in diesem Zusammenhang zu Durchsuchungsmaßnahmen auch in Bayern. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Ein Islamist, der im Jahr 2008 wegen Mitgliedschaft in der terroristischen ausländischen Vereinigung AAI zu acht Jahren Haft verurteilt worden war, hat im September 2015 eine Berliner Polizistin durch einen Messerangriff schwer verletzt. Der Täter wurde von der Polizei erschossen. Hintergrund seiner Verurteilung war das geplante Attentat auf den ehemaligen irakischen Ministerpräsidenten Ijad Allawi bei dessen Deutschlandbesuch im Jahr 2004. Situation in Bayern Insgesamt sind die Aktivitäten der AAI-Anhänger in Bayern stark zurückgegangen, da die Vereinigung durch staatliche Maßnahmen erheblich geschwächt wurde. Neben Verurteilungen zu langjährigen Haftstrafen und der Abschiebung von Unterstützern der AAI kam es auch zu freiwilligen Ausreisen durch den konsequenten Verfolgungsdruck staatlicher Sicherheitsbehörden. Die verbliebene Anhängerschaft orientiert sich zunehmend in Richtung salafistischer Netzwerke. 72 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus 3.2.8.5 Islamistische Bezüge von Tschetschenen und weiteren Nordkaukasiern Nordkaukasische Separatistenbewegung (NKSB) Nach dem Zerfall der UdSSR führte die 1991 in Tschetschenien gegründete Tschetschenische Republik Itschkeria (CRI) einen Guerillakrieg für die Unabhängigkeit der Teilrepublik von der Russischen Föderation und für die Errichtung eines islamischen Staates auf Grundlage der Scharia. 2007 proklamierte Dokku Umarov, der damalige CRI-Präsident, Kaukasisches das islamistisch ausgerichtete Kaukasische Emirat (KE), das mit Emirat (KE) terroristischen Mitteln für einen islamischen Staat auf dem Gebiet des gesamten Nordkaukasus kämpft. Dieser Strategiewechsel führte zur Spaltung. Die Leitung des CRI übernahm Ahmed Zakaev, der sich auf die politische Durchsetzung des Unabhängigkeitsbestrebens für Tschetschenien beschränkt. Beide Gruppierungen sind der Nordkaukasischen Separatistenbewegung zuzurechnen. Zum Nachfolger des 2014 verstorbenen Dokku Umarov wurde Alibulatovich Kebekov ernannt, der jedoch im April 2015 durch russische Einsatzkräfte getötet wurde. Dessen Nachfolger Magomed Suleimanov wurde im August 2015 ebenfalls bei einer russischen Anti-Terror-Operation getötet. Seitdem ist das KE offiziell führerlos. Im aktuellen Syrien/Irak-Konflikt kämpfen zahlreiche AngeKE unterstützt IS hörige des KE, zum Teil organisiert in eigenen tschetschenischen im Syrienkonflikt Brigaden, auf Seiten der Terrororganisation Islamischer Staat. Mehrere Kommandeure des KE haben den Treueeid auf den IS geschworen. Noch operieren das KE und der IS im Kaukasus formal unabhängig voneinander. Aufgrund der angespannten personellen Lage und zunehmenden Drucks der russischen Behörden ist eine Vereinigung des KE mit dem IS Ableger "Provinz Kavkaz" zukünftig jedoch denkbar. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 73 Islamismus Um einen von Moskau unabhängigen tschetschenischen Staat auf der Grundlage der Scharia zu erreichen, verübten tschetschenische und andere kaukasische Islamisten in der Vergangenheit wiederholt Anschläge in Russland. Deutschland wird primär als Rückzugsraum für die finanzielle und logistische Unterstützung der Separatisten im Nordkaukasus genutzt. Strukturen des KE in Bayern sind bisher nicht feststellbar. Aktivitäten gingen allenfalls von Einzelpersonen aus. Verbindungen zur salafistischen Szene In Deutschland bestätigen sich die Hinweise auf Verbindungen von Personen aus dem Nordkaukasus in salafistische Kreise. Tschetschenen beteiligten sich an der Verteilung kostenloser Koranausgaben im Rahmen der salafistischen Aktion "Lies!" und besuchen regelmäßig salafistische Islamseminare und Benefizveranstaltungen für Syrien. Auch in Bayern sind einzelne Personen aus dem Nordkaukasus in der salafistischen Szene aktiv. 3.3 Sonstiger islamistischer Terrorismus 3.3.1 HAMAS (Islamische Widerstandsbewegung) Mitglieder Deutschland: etwa 300 Bayern: Einzelpersonen Gründung 1988 Die HAMAS verneint ein Existenzrecht Israels und will auf dem gesamten Gebiet Palästinas einen "islamischen" Staat errichten. Sie lehnt deshalb auch den israelisch-palästinensischen Friedensprozess ab. Die HAMAS ist für eine Vielzahl terroristischer Aktionen verantwortlich, darunter zahlreiche Selbstmordattentate. Im Juni 2002 wurde deshalb der militärische Arm der HAMAS in die EU-Liste terroristischer Organisationen aufgenommen. 2003 haben die EU-Außenminister auch die Gesamtorganisation als terroristisch eingestuft. Im Dezember 2014 entschied der Euro74 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus päische Gerichtshof in erster Instanz, dass die EU bei der Einstufung der HAMAS als Terrororganisation einen Verfahrensfehler begangen habe. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Von den in Deutschland lebenden HAMAS-Anhängern gehen Bestrebungen aus, die auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Deutschland wird von der HAMAS zur Sammlung von Spenden und zur Verbreitung ihrer Propaganda genutzt. Nach Beginn der ersten Intifada ("Aufstand der Palästinenser") im Dezember 1987 schlossen sich Anfang 1988 die palästinensischen Anhänger der Muslimbruderschaft (MB) unter Führung von Ahmad Yasin zur HAMAS zusammen und nahmen den bewaffneten Kampf gegen Israel auf. Die HAMAS übt seit der gewaltsamen Machtübernahme 2007 die alleinige Kontrolle über den Gaza-Streifen aus. Seit Anfang Oktober 2015 kam es wiederholt zu Messerangriffen von Palästinensern auf Israelis, sog. "Messer-Intifada". Dabei wurden bis September 2016 über 30 Israelis und mehrere ausländische Staatsangehörige getötet. Auf palästinensischer Seite starben über 200 Menschen, die von israelischen Sicherheitskräften getötet wurden. Zum Ende des Jahres ebbten die Angriffe zusehends ab, nach dem die Sicherheitsvorkehrungen massiv erhöht wurden. Immer wieder ist festzustellen, dass sich Eskalationen zwischen Israelis und Palästinensern auch auf die Anhängerschaft in Deutschland auswirken. Die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern werden auch in den sozialen Netzwerken in Deutschland äußerst emotional kommentiert. Im Juni nahmen israelische Sicherheitskräfte den Leiter der Zweigstelle der Hilfsorganisation "World Vision" im Gazastreifen, Mohammad El Halabi, fest. Am 4. August wurde gegen ihn Anklage erhoben, da er seit 12 Jahren ein Mitglied der radikalislamischen HAMAS sein soll. Ihm wird vorgeworfen, der HAMAS bis zu 45 Millionen Dollar für militärische Zwecke zur Verfügung gestellt zu haben. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 75 Islamismus 3.3.2 Hizb Allah (Partei Gottes) Mitglieder Deutschland: etwa 950 Bayern: etwa 30 Gründung 1982 im Libanon Publikation al-Intiqad (Die Kritik) Fernsehsender al-Manar (Der Leuchtturm) Betätigungsverbot in Deutschland seit 29.10.2008 Das langfristige Ziel der Hizb Allah (Partei Gottes) ist die Zerstörung des Staates Israel und die "Herrschaft des Islam" über Jerusalem. Seit Jahren ist sie für Terroranschläge in Israel verantwortlich. In Deutschland hat sie bislang keine gewaltsamen Aktionen durchgeführt, nutzt aber das Bundesgebiet als Ruheund Rückzugsraum. Die Bestrebungen der Hizb Allah gefährden damit auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die Hizb Allah (auch: Hisbollah/Hizbollah) ist eine auf Initiative des Irans gegründete schiitische Partei, die seit 1992 im libanesischen Parlament vertreten ist. Sie wird vom Iran finanziell, materiell und ideologisch unterstützt. Sie ist einerseits eine politische Partei, die vor allem aufgrund ihres sozialen Engagements auf die Unterstützung ärmerer Bevölkerungsschichten zählen kann. Andererseits verfügt sie aber nach wie vor über militärische Einheiten, die insbesondere im Süden des Landes unabhängig von der libanesischen Staatsgewalt agieren. Eine Entwaffnung dieser Miliz gemäß der UN-Resolution 1559 aus dem Jahr 2004 gelang bisher nicht und wird vom politischen Flügel der Hizb Allah vehement abgelehnt. Im Mai 2008 hat das libanesische Kabinett der Hizb Allah offiziell "das Recht zum Widerstand gegen Israel" zugestanden. Die schiitische Miliz kann daher ungehindert den Ausbau der Verteidigungsanlagen nördlich der UN-Pufferzone zur Grenze Israels betreiben. Seit Beendigung des Libanonkriegs im Sommer 2006 wird sowohl von der israelischen Seite als auch von der Hizb Allah selbst über eine enorme Aufrüstung der Hizb Allah berichtet. 76 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Islamismus Im Mai 2013 hat der Generalsekretär der Hizb Allah, Hassan Nasrallah, öffentlich seine Anhänger zur Unterstützung des syrischen Regimes aufgerufen. Mittlerweile kämpfen mehrere Hizb Allah-Einheiten auf der Seite des syrischen Präsidenten Assad. Die Hizb Allah verbreitet ihre antiisraelische und antijüdische Propaganda u. a. über den libanesischen TV-Sender al-Manar, der auch in Deutschland zu empfangen ist. Da die Tätigkeit des Senders gegen deutsche Strafgesetze verstößt und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, wurde der Sender im Oktober 2008 vom Bundesministerium des Innern verboten. Am 2. April 2014 wurde der Verein "Waisenkinderprojekt Libanon e. V. (WKP)" durch das Bundesministerium des Innern verboten und aufgelöst. Der Verein unterstützte über Jahre die Shahid-Stiftung der Hizb Allah im Libanon und richtete damit seine Interessen gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Im Klageverfahren wurde das Vereinsverbot mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 8. Juli 2014 bis zu einer endgültigen Entscheidung vorübergehend ausgesetzt. Der Verein hat sich daraufhin in "Farben für Waisenkinder e. V." (FFW) umbenannt. Am 16. November 2015 wurde das Vereinsverbot vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Damit ist der Verein unter alter und neuer Bezeichnung verboten. Mehrere Indizien deuten darauf hin, dass die Hizb Allah im Verlauf des Jahres 2012 in Thailand, Georgien, Bulgarien und Indien an Anschlägen/Anschlagsversuchen auf Ziele mit Israelbezügen beteiligt war. Im Juli 2013 beschlossen die EU-Außenminister, den militärischen Arm der libanesischen Hizb Allah in die EUTerrorliste aufzunehmen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 77 Islamismus Ausländerextremismus f Der Militärputsch in der Türkei am 15. Juli beeinflusst auch Lage in Deutschland f Steigendes Gewaltund Aggressionspotenzial von PKK-nahen und türkischnationalistischen Kreisen f Zunahme von gegenseitigen Übergriffen und Provokationen zwischen prokurdischen und türkisch-rechtsextremen Aktivisten 78 Anhänger extremistischer Gruppierungen aus dem Ausland sind auch in Deutschland aktiv, um die politischen Verhältnisse in ihren Heimatländern antidemokratisch zu verändern. Sie wollen z. B. eigene Staaten gründen, kommunistische Systeme errichten oder vertreten eine extreme Variante des Nationalismus. Neben linksund rechtsextremistischen Gruppierungen gehen Gefahren auch von separatistischen Organisationen aus. Ihre ideologischen Ziele und Motive importieren sie nach Deutschland, zum Teil tragen sie auch hier ihre blutigen Konflikte aus. Die Anhängerschaft dieser Gruppierungen setzt sich neben Ausländern auch aus deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund oder aus deutschen Extremisten zusammen. Die Bestrebungen ausländerextremistischer Organisationen richten sich somit gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährden die Innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung sowie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 79 Ausländerextremismus 1. Personenpotenzial in Bayern Im Jahr 2016 waren dem Spektrum der ausländischen Extremisten (ohne Islamisten) 3.400 Personen (2015: 3.310) zuzurechnen: 2014 2015 2016 PKK* 1.800 1.800 1.800 Linksextremistische 220 200 190 Organisationen Rechtsextremistische 1.200 1.250 1.350 Organisationen Separatisten 30 30 30 Sonstige 40 30 30 gesamt 3.290 3.310 3.400 * inkl. Nachfolge-, Teilund Nebenorganisationen Die Zahlenangaben sind geschätzt und gerundet 2. Konfliktund Gewaltpotenzial Die Aktivitäten extremistischer Ausländerorganisationen in Deutschland werden im Wesentlichen von politischen Ereignissen und Entwicklungen in den jeweiligen Herkunftsländern beeinflusst. So können aktuelle Konflikte im Ausland unmittelbar zu gewaltsamen Aktivitäten in Deutschland führen. Zum Teil tragen extremistische Ausländerorganisationen ihre Konflikte hier auch gewalttätig untereinander aus. Vorwiegend betrachten sie Deutschland jedoch als Rückzugsraum, um hier ihre Ziele durch Agitation, Rekrutierung neuer Anhänger und ideologische Indoktrination zu verfolgen. Zudem spielt die materielle Unterstützung der Mutterorganisationen in den Heimatländern durch die in Deutschland gesammelten Spendenund Mitgliedsbeiträge für sie eine nicht unerhebliche Rolle. 80 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Ausländerextremismus Einen erheblichen Einfluss auf die Aktivitäten extremistischer AusstrahlungsAusländerorganisationen in Deutschland haben die anhaltenden wirkung innerinnerstaatlichen Konflikte in der Türkei. Der im Sommer 2015 staatlicher türkibeidseitig aufgekündigte Friedensprozess zwischen der türkischer Konflikte schen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) führte zu einer erneuten Eskalation des Kurdenkonflikts. Die PKK verübte zahlreiche Anschläge auf türkische Sicherheitskräfte. Sie wirft der türkischen Regierung unter anderem vor, den Islamischen Staat (IS) zu unterstützen. Zu einer weiteren Verschärfung der Lage führten der gescheiterte Militärputsch in der Türkei vom 15. Juli sowie die daraufhin erfolgten Notstandsmaßnahmen der türkischen Regierung. Das Gewaltund Aggressionspotenzial von PKK-nahen und türkisch-nationalistischen Kreisen in Deutschland ist im Zuge der Ereignisse in der Türkei insgesamt angestiegen. 3. Strukturen 3.1 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Anhänger Deutschland: 14.000 Bayern: 1.800 Leitung Abdullah Öcalan Gründung 1978 in der Türkei Publikationen Serxwebun ("Unabhängigkeit"), Yeni Özgür Politika ("Neue Freie Politik") Die PKK ist in Deutschland seit 26. November 1993 verboten. Seit 2. Mai 2002 wird sie in der Liste terroristischer Organisationen der EU aufgeführt. Das deutsche Verbot umfasst die späteren Umbenennungen in "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK), "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL), "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK) und "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK). Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 81 Ausländerextremismus Die PKK wurde 1978 von Abdullah Öcalan in Ostanatolien als marxistisch-leninistisch orientierte Organisation gegründet. Sie sollte durch einen Guerillakrieg eine Revolution mit dem Ziel eines unabhängigen kurdischen Staates herbeiführen. Über zwei Jahrzehnte lang führte die PKK innerhalb und außerhalb der Türkei terroristische Anschläge durch. Nach der Festnahme des PKK-Führers Abdullah Öcalan im Jahr 1999 kam es zu einer taktisch bedingten Mäßigung. Zumindest im Ausland wurde auf die Anwendung von Gewalt verzichtet. Die Organisation sah auch von ihrem ursprünglichen Ziel ab, durch bewaffneten Kampf einen eigenen kurdischen Staat durchzusetzen. Ziel ist es jetzt, einen föderalen Verbund aller Kurden im Nahen Osten herzustellen. Dabei sollen die bestehenden Staatsgrenzen unangetastet bleiben. Bei ihren Aktivitäten verfolgt die PKK weiterhin eine Doppelstrategie. Während sie auf dem Gebiet der Türkei terroristische Anschläge durchführt und Anhänger für den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat mobilisiert, nutzt sie das übrige Europa primär als Rückzugs-, Finanzierungsund Rekrutierungsraum. Regionale Bei der PKK und ihren deutschen Ablegern handelt es sich um Strukturen in eine Kaderorganisation mit einem weit verzweigten FunktionärsBayern /"Eyalets" wesen und strikten Befehlsstrukturen. Inzwischen hat sich die PKK in Deutschland regional umstrukturiert. Unter Beibehaltung der 31 Gebiete wurden die ehemals vier Sektoren nun in neun Regionen ("Eyalets") aufgeteilt. In Bayern existieren die Gebiete München/Südbayern und Nürnberg/Nordbayern. An der Spitze dieser hierarchischen Struktur stehen Funktionäre, die in der Regel durch die europäische Leitungsebene der Organisation eingesetzt werden. Die Zuweisung auf die einzelnen Funktionen erfolgt zumeist nur für einen begrenzten Zeitraum. Die hauptamtlichen Kader der PKK sind ideologisch geschult und leben äußerst konspirativ an häufig wechselnden Orten. 82 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Ausländerextremismus In den meisten größeren deutschen Städten gibt es ZusammenNAV-DEM schlüsse von PKK-Anhängern. Ihnen dienen die örtlichen Vereine YEK-KOM des Dachverbandes Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum Deutschland e. V. (NAV-DEM) als Anlaufstelle. Im Juni 2014 hatte sich die Vorläuferorganisation Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. (YEK-KOM) auf ihrem 20. Kongress in Dortmund in NAV-DEM umbenannt. Die an das NAV-DEM angegliederten Vereine, die sich nach außen als reine Kulturvereine darstellen, haben die Aufgabe, unter den Anhängern die Ziele und Politik der PKK zu verbreiten und zu fördern. Trotz des vereinsrechtlichen Betätigungsverbots gibt es somit weiterhin Aktivitäten von PKK-Anhängern in Deutschland. Ein Nachweis, dass ihre Betätigung der Organisation zuzurechnen ist, lässt sich jedoch oft nur im Einzelfall führen. Als wesentliche Propagandaplattformen dienen in Deutschland neben Fernsehsendern regelmäßig erscheinende Zeitungen wie beispielsweise die Tageszeitung Yeni Özgür Politika ("Neue Freie Politik"), in der regelmäßig Stellungnahmen von führenden PKK-Funktionären veröffentlicht werden. Reaktionen der PKK auf die Entwicklungen in der Türkei Das Verhalten von PKK-Anhängern in Bayern wurde unmittelbar von der angespannten politischen Lage in der Türkei beeinflusst. Auch in Zukunft wird das Auftreten der PKK-Anhänger in Bayern von der Lageentwicklung in der Türkei abhängen. Die Aufhebung der parlamentarischen Immunität mehrerer Abgeordneter der prokurdischen Partei HDP sowie die Festnahme der beiden Parteivorsitzenden führten ebenso wie diverse Offensiven des türkischen Militärs im syrischen Grenzgebiet zu Aufruhr in der hiesigen kurdischen Szene. Der zeitweise unklare Gesundheitszustand von Abdullah Öcalan wirkte ebenfalls mobilisierend auf die der PKK nahestehenden Kurden in Bayern. In diesem Zusammenhang wurden vermehrt öffentliche Solidaritätsbekundungen durchgeführt. Nachdem die türkische Regierung jedoch den Besuch von Angehörigen Öcalans in der Haftanstalt gestattet hatte und man sich von der Gesundheit Öcalans überzeugen konnte, flachten die Aktionen der PKK ab. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 83 Ausländerextremismus Steigende GewaltInsgesamt lässt sich feststellen, dass die aufgeheizte innenbereitschaft politische Stimmung in der Türkei auch in Deutschland durchschlug und insbesondere zu Prozessen gegenseitigen Aufwiegelns zwischen Anhängern der PKK und türkischen Rechtsextremisten führte. Wenngleich die PKK-Führung die Beschränkung auf den friedlichen und legalen Protest weiterhin als Leitlinie für ihre Anhänger in den europäischen Staaten vorgab, zeichnete sich eine gesteigerte Gewaltneigung vor allem bei jüngeren PKKAnhängern ab. In Aschaffenburg attackierten am 27. März etwa 30 PKK-nahe Kurden vorwiegend aus Hessen und Baden-Württemberg Teilnehmer einer türkischen Demonstration mit Böllerund Steinwürfen und flüchteten anschließend in ein Gebäude. Aus dem Gebäude heraus bewarfen sie die Polizei mit Steinen und Feuerwerkskörpern. Am 13. August wurde in Nürnberg eine Messerattacke auf einen türkisch-nationalistischen Demonstranten verübt. Zudem kam es immer wieder zu Sachbeschädigungen gegen türkische Einrichtungen durch Anhänger der PKK. "Langer Marsch" Die jährlich in Deutschland stattfindenden kurdischen Großveranstaltungen haben erneut mehr als 10.000 Teilnehmer mobilisiert. Dabei nahmen sowohl beim kurdischen Neujahrsfest Newroz am 19. März in Hannover als auch bei der Ersatzveranstaltung für das abgesagte Kurdistan-Festival in Köln am 3. September zahlreiche PKK-Anhänger aus Bayern teil. Am 14. August begann in Ingolstadt ein "Langer Marsch für die Freiheit von Abdullah Öcalan", der am 16. August in München endete. Die Rekrutierungsbemühungen der PKK in Deutschland erstreckten sich auch auf den Raum Bayern. Dabei konnten auch Ausreisen von Personen aus dem kurdischen Spektrum in Bayern in das Konfliktgebiet Türkei/Syrien zum Zweck der Unterstützung prokurdischer Konfliktparteien festgestellt werden. 84 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Ausländerextremismus 3.2 Türkische Linke 3.2.1 DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) / Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) Mitglieder Deutschland: 650 Bayern: 80 Gründung 1994 in Syrien Publikationen Yürüyüs Die DHKP-C ist in Deutschland seit 1998 verboten. Die Verbreitung der Publikation Yürüyüs ist nach Mitteilung des Bundesministeriums des Innern strafbar. Die revolutionär-marxistische DHKP-C zählt zu den militantesten türkischen Extremistengruppen, die mit Hilfe einer bewaffneten Revolution auf die Zerschlagung des türkischen Staates zielen. Ziele ihrer Agitation sind die NATO, die USA sowie die Türkei und ihre Gesellschaftsordnung. Die DHKP-C richtet sich damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährdet die Innere Sicherheit und die öffentliche Ordnung sowie sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland. Die DHKP-C wurde 1994 in Syrien gegründet und ging aus dem "Karatas-Flügel" der Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) hervor. Sie versteht sich, wie die Ursprungsorganisation, als eine an den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus ausgerichtete Volksbewegung. Die DHKP-C erklärte 1999 für Deutschland einen Gewaltverzicht, wobei jedoch am bewaffneten Kampf in der Türkei festgehalten wurde. Das Bundesministerium des Innern verfügte 1998 ein Vereinsverbot. Seit 2002 ist die DHKP-C auf der EU-Terrorliste aufgeführt. Am 4. Januar fand eine Demonstration des linksextremistischen Spektrums in Augsburg gegen den türkischen Staatspräsidenten Erdogan und seine Regierung statt. Daran beteiligten sich sowohl deutsche als auch türkische Linksextremisten, darunter auch Anhänger der DHKP-C. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 85 Ausländerextremismus 3.2.2 Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten - Partizan Flügel (TKP/ML - Partizan Flügel) Mitglieder Deutschland: 800 Bayern: 80 Gründung 1994 in der Türkei Die TKP/ML - Partizan Flügel vertritt die Ideologie des Marxismus-Leninismus, ergänzt um die Ideen Mao Tse-tungs. Sie befürwortet den bewaffneten Kampf und propagiert den Bürgerkrieg. Ziel ist die Errichtung eines kommunistischen Regimes. Die TKP/ML - Partizan Flügel spaltete sich 1994 aus der bereits seit den 1970er Jahren bestehenden Mutterorganisation TKP/ML ab. Die Anhänger der TKP/ML - Partizan Flügel sind seit Sommer 1997 in den beiden Basisorganisationen Föderation der Arbeiter aus der Türkei e. V. (ATIF) und der Ende 1986 gebildeten Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) organisiert. Beide Vereinigungen präsentieren sich als Massenorganisationen und tarnen ihre Verbindungen zur TKP/ML - Partizan Flügel. Sie beschränken sich in Deutschland auf Propagandaaktivitäten und auf die Beschaffung finanzieller Mittel. Strafprozess Mitte April 2015 hat der Generalbundesanwalt Exekutivmaßnahwegen Beteiligung men gegen mutmaßliche Mitglieder der TKP/ML eingeleitet, daran einer ausunter auch gegen zwei Aktivisten aus dem Raum Nürnberg. Die ländischen Beschuldigten sind dringend verdächtig, sich als Mitglieder bzw. terroristischen Rädelsführer an der ausländischen terroristischen Vereinigung Vereinigung TKP/ML beteiligt zu haben. Gegen 10 Personen wurde deshalb Anklage wegen Verstoßes gegen SSSS 129 a, 129 b StGB erhoben. Am 17. Juni hat der Prozess vor dem Oberlandesgericht München begonnen. Der Prozessauftakt wurde durch Solidaritätskundgebungen für die Angeklagten begleitet. Aktivitätsschwerpunkte der TKP/ML - Partizan Flügel sind in Bayern die Regionen Augsburg und Nürnberg. 86 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Ausländerextremismus 3.2.3 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Mitglieder Deutschland: 600 Bayern: 30 Gründung 1994 in der Türkei Publikation Atilim (Angriff) Die MLKP ist marxistisch-leninistisch geprägt und strebt die gewaltsame Zerschlagung der staatlichen Ordnung der Türkei und die dortige Errichtung einer kommunistischen Diktatur an. Die in der Türkei verbotene terroristische MLKP entstand 1994 aus dem Zusammenschluss zweier türkischer linksextremistischer Organisationen. Ihre Basisorganisation ist die Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e. V. (AGIF) mit Sitz in Köln. Die örtlichen AGIF-Vereine in Deutschland sind zuständig für die politische Basisarbeit. Ihr europäischer Dachverband trägt den Namen Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa (AvEG-KON). Mit ihrer Jugendorganisation Young Struggle gelingt es der MLKP Young Struggle weiterhin, auch junge Menschen in Bayern zu mobilisieren. Die Parteijugend organisierte mehrere Gedenkveranstaltungen für MLKP-Aktivisten, die im syrischen Bürgerkrieg ums Leben gekommen sind. Am 25. Juni fand in Duisburg ein von der MLKP organisiertes Musikfestival statt, mit dem einer in Syrien ums Leben gekommenen MLKP-Aktivistin gedacht werden sollte. Auch die bayerische Aktivistenszene beteiligte sich daran. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 87 Ausländerextremismus 3.3 Türkische Rechtsextremisten: ÜLKÜCÜ-Bewegung ("Idealisten"-Bewegung) Mitglieder Deutschland: 10.000 Bayern: 1.350 Publikationen Türk Federasyon Bülteni und Alperen/Alperen-Genclik Die Ülkücü-Bewegung umfasst ein breites Spektrum ultranationalistischen und rassistischen Gedankenguts. Symbol der Bewegung ist ein mit fünf Fingern stilisierter Wolfskopf, weshalb die Anhänger der Bewegung auch als "Graue Wölfe" bezeichnet werden. Die zahlenmäßig stärkste Anhängerschaft der Ülkücü-Bewegung in Deutschland ist in sog. Kulturund Idealisten-Vereinen der Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V. (ADÜTDF) organisiert. Die ADÜTDF wurde 1978 in Frankfurt am Main durch den Zusammenschluss von zahlreichen türkischen Vereinen gegründet. Die nationalistische ADÜTDF vertritt eine extreme Variante des türkischen Nationalismus und ist damit Teil der weltweit organisierten Ülkücü-(Idealisten-) Bewegung. Durch ihr teilweise extrem nationalistisches Gedankengut verfolgt die ADÜTDF Bestrebungen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Partei der NatioVereinzelt finden sich auch islamistische Ansätze. Die ADÜTDF nalen Bewegung hat es sich zum Ziel gesetzt, die größte türkische Organisation in MHP Westeuropa zu werden. Sie gilt seit ihrer Gründung als Auslandsorganisation der türkischen Partei der Nationalen Bewegung (MHP), dem politischen Arm der Ülkücü-Bewegung in der Türkei. Die MHP unterstützte nach dem Putschversuch im August die türkische Regierungspartei AKP. 88 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Ausländerextremismus Seit geraumer Zeit bemüht sich die Parteiführung der MHP unter Devlet Bahceli, der Partei ein konservatives und europafreundliches Erscheinungsbild zu geben. Dies findet jedoch nicht die ungeteilte Zustimmung aller Mitglieder, weshalb sich insbesondere jugendliche Aktivisten aus der Partei zurückziehen. Die rechtsextremistische Ülkücü-Jugendbewegung ist mittlerÜlkücü-Jugendweile überwiegend über das Internet organisiert, sie kommunibewegung ziert und mobilisiert vorwiegend über soziale Netzwerke. Hierbei ist eine erhöhte Gewaltbereitschaft, insbesondere gegen die kurdische Volksgruppe, erkennbar. Einschlägige Symbole der Ideologie werden mit Musik und aggressiven Texten unterlegt. Dabei werden zumeist Kurden als Feinde verbal verunglimpft und das Türkentum besonders hervorgehoben. Obwohl sich die Ülkücü-Jugendbewegung eher organisationsunabhängig gibt, bedienen sich Anhänger dennoch der eindeutigen Symbolik und verwenden beispielsweise ein Wolfskopf-Handzeichen als Gruß, der unverkennbar die Szenezugehörigkeit zeigt. Die ADÜTDF ist in Bayern vor allem mit kulturellen, religiösen und sportlichen Veranstaltungen aktiv, auch um neue Mitglieder zu werben. Schwerpunkte sind die Ballungsräume München, Nürnberg und Augsburg. Als weiterer Dachverband ist der Verband der Türkischen Kulturvereine in Europa e. V. (ATB) der Ülkücü-Bewegung zuzuordnen. Der ATB mit Sitz in Frankfurt am Main wurde im Jahr 1992 in Deutschland gegründet. Der ATB verbindet die islamische Komponente mit türkisch-nationalistischem Gedankengut und zielt auf eine bewusste Beeinflussung und Prägung der Mitglieder im türkisch-nationalistischen und islamisch-religiösen Sinne. Mit dem Motorradclub Turkos MC und dem Turan e.V. sind auch Turkos MC und rockerähnliche Organisationen der Ülkücü-Bewegung zuzuordTuran e. V. nen. Seit 2014 treten Chapter des Turkos MC auch in Bayern in Erscheinung. Die Turan-Gruppierung ist seit 2015 in München aktiv. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 89 Ausländerextremismus Konflikte zwischen Der sich zuspitzende Konflikt zwischen der türkischen Regierung Kurden und und der kurdischen Arbeiterpartei PKK führte auch in Bayern zu Ülkücü-Anhängern einer Zunahme von gegenseitigen Übergriffen und Provokationen in Bayern seitens türkischer Rechtsextremisten und prokurdischen Aktivisten. Dabei sind es oft unorganisierte jugendliche Ülkücü-Anhänger, von denen gewaltsame Aktionen ausgehen. Entgegen den offiziellen Anweisungen der Vorstände der meisten ÜlkücüVereine, provozieren und attackieren sie gegnerische Gruppen und Sicherheitskräfte bei Kundgebungen und Demonstrationen. Am Rande einer Demonstration am 10. April in Nürnberg etwa kam es zu Auseinandersetzungen zwischen meist jungen kurdischen Demonstrationsteilnehmern und Angehörigen des türkisch-nationalistischen Spektrums, unter denen sich auch Aktivisten der Ülkücü-Bewegung befanden. Nach gegenseitigen Provokationen griffen rund 20 türkische Nationalisten kurdische Demonstrationsteilnehmer an. Bei Veranstaltungen und Demonstrationen zur Unterstützung des türkischen Präsidenten Erdogan, die als Reaktion auf den Putschversuch im Juli abgehalten wurden, waren immer wieder auch Anhänger der Ülkücü-Bewegung festzustellen. 3.4 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) Mitglieder Deutschland: 1.000 Bayern: 30 Gründung 1972 auf Sri Lanka Bei der LTTE handelt es sich um eine paramilitärische Separatistenorganisation auf Sri Lanka mit dem Ziel eines unabhängigen tamilischen Staates. Der Rat der Europäischen Union stufte die LTTE 2006 offiziell als Terrororganisation ein. Die in Deutschland lebenden aktiven LTTE-Anhänger verfolgen Bestrebungen, die durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. 90 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Ausländerextremismus Ziel der LTTE ist ein autonomer Staat im Norden und Osten der Inselrepublik Sri Lanka, wo der größte Teil der tamilischen Minderheit lebt. Bis zu ihrer militärischen Zerschlagung 2009 versuchte die LTTE gewaltsam dieses Ziel zu erreichen. Seitdem befindet sie sich in einem Restrukturierungsprozess. Im Rahmen der organisatorischen Erneuerung haben sich in Deutschland verschiedene Flügel gebildet: Während die sog. "Hardliner" auf die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes in Sri Lanka setzen, streben die "Moderaten" eine politische Lösung an. Seit Beginn des Jahres 2013 sind vermehrt Versuche erkennbar, die verfeindeten Flügel wieder zu vereinen. Teilweise werden auch gemeinsame Veranstaltungen durchgeführt. In Deutschland tritt die LTTE unter ihrem eigentlichen Namen LTTE in öffentlich nicht auf. Ihre Ziele und Interessen werden hier durch Deutschland das Tamil Coordination Committee (TCC) mit Sitz in Oberhausen/ TCC Nordrhein-Westfalen und zahlreiche nahestehende Organisationen vertreten. Der TCC trägt durch regelmäßige Heldengedenktage, Mahnwachen und sonstige Kulturveranstaltungen zur Verbreitung der Ideologie der LTTE bei und möchte die Öffentlichkeit auf die aus ihrer Sicht desolate Situation der tamilischen Bevölkerung in Sri Lanka aufmerksam machen. Neben zahlreichen weiteren Veranstaltungen im Bundesgebiet fand am 27. November in Dortmund der jährliche Heldengedenktag des TCC-Deutschland mit deutlich über 2.000 Teilnehmern statt. Die Ballungsräume München und Nürnberg sind regionale Schwerpunkte der Anhängerschaft in Bayern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 91 Ausländerextremismus Rechtsextremismus f Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz nimmt Beobachtung der Identitären Bewegung als rechtsextremistische Bestrebung auf f Rechtsextremistische Hetze in den sozialen Medien nimmt zu und provoziert zunehmend auch Straftaten von Personen außerhalb der rechtsextremistischen Strukturen f Bundesverfassungsgericht bestätigt Verfassungsfeindlichkeit der NPD 92 Rechtsextremismus hat viele verschiedene Ausprägungen: Parteien kämpfen um Einfluss in Parlamenten. Ideologen versuchen, rassistisches und nationalistisches Gedankengut intellektuell zu verpacken. Antisemiten schreiben der Existenz von Juden die Ursache aller Probleme zu. Neonazis bekennen sich offen zum Nationalsozialismus und treten teilweise aggressiv und kämpferisch auf. Daneben versuchen sie durch die Gründung von Tarnorganisationen, ihre wahren Absichten zu verschleiern. Kennzeichnend für alle rechtsextremistischen Strömungen sind jedoch die übersteigerte Betonung der Nation sowie ein autoritäres Denken, das die "Volksgemeinschaft" über das Individuum stellt. Gemeinsames Ziel ist die Abschaffung zentraler Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, beispielsweise das Recht auf Wahlen. Darüber hinaus richten sich rechtsextremistische Bestrebungen gegen die universelle Geltung der Menschenrechte und die im Grundgesetz verankerte Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz. Das rechtsextremistische Weltbild geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zu einer "Rasse" den Wert eines Menschen bestimmt. Rassistisch motiviert ist auch die rechtsextremistische Agitation gegen Asylbewerber. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 93 Rechtsextremismus 1. Personenpotenzial in Bayern 2014 2015 2016 Parteien NPD 800 700 700 Der Dritte Weg 80 80 80 DIE RECHTE 10 40 40 Subkulturell geprägte 300 300 300 Rechtsextremisten Neonazis 1 700 700 700 Sonst. rechtsextremistische 480 570 620 Organisationen/Personen inklusive Identitäre Bewegung Deutschland Summe 2.370 2.390 2.440 Mehrfachmitgliedschaften 2 170 190 240 gesamt 2.200 2.200 2.200 davon gewaltorientiert 3 1.000 1.000 1.000 Die Zahlenangaben sind geschätzt und gerundet. 1 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der Neonazi-Szene. 2 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstiger rechtsextremistischer Organisationen und Gruppierungen werden vom Gesamtpotenzial abgezogen. 3 Dazu zählen gewalttätig, gewaltbereit, gewaltunterstützend und gewaltbefürwortend. 2. Gewaltpotenzial Ursache für rechtsextremistische Gewalttaten ist das rassistische Menschenbild der Rechtsextremisten, das den Einzelnen allein nach seiner ethnischen Herkunft beurteilt. Die Gewalttaten reichen von Übergriffen auf Minderheiten bis zu terroristischen Gewalttaten. Im Zusammenhang mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 bekam die rechtsextremistische Szene ideologischen und propagandistischen Auftrieb. Ein Resonanzboden für rechtsextremistische Ideologiefragmente entstand, die Folge war ein Ausfransen der rechtsextremistischen Szene in ein Umfeld hinein, das bislang nicht in rechtsextremistischen Strukturen 94 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus verankert war, diesen aber offenkundig ideologisch nahesteht. Dies hatte auch Auswirkungen auf Radikalisierungsprozesse und rechtsextremistisch motivierte politische Gewalt: Viele Strafund Gewalttaten gegenüber Flüchtlingen und deren Unterkünfte wurden von radikalisierten Personen und Kleingruppen begangen, die bislang keine Bindung an rechtsextremistische Strukturen aufwiesen. Befeuert wird dies insbesondere durch unzählige Hasskommentare im Internet und in sozialen Netzwerken, die geprägt sind von der rassistischen Abwertung von Migranten und teilweise offen kommunizierten Gewaltfantasien. Der Personenkreis, von dem rechtsextremistisch motivierte Gewalt ausgehen kann, hat sich dadurch erheblich vergrößert. Bislang fielen innerhalb der rechtsextremistischen Szene insbesondere Neonazis und Skinheads durch ihre Gewaltbereitschaft auf. Beispiele hierfür waren bereits in den 1990er Jahren die rassistischen Übergriffe in Mölln, Solingen und Rostock-Lichtenhagen. Zu dieser Zeit wurde die rechtsextremistische Szene jünger, aktionistischer und militanter. Innerhalb der Szene kursierten Texte, die zum bewaffneten Kampf aufriefen wie beispielsweise "The Turner Diaries" des US-amerikanischen Rechtsextremisten und Verlegers William Pierce, in denen er den Rassenkrieg propagierte. 2.1 Gewaltorientierte rechtsextremistische Szene in Bayern Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, verbunden mit Hass und Gewaltkult Ablehnung von Demokratie und pluralistischer Gesellschaft, bilden den Nährboden für rechtsextremistische Gewalttaten. Die Abwertung und Entmenschlichung von Feindbildern fördern ein Sinken der Hemmschwelle zur Gewaltanwendung. Der in Teilen der Szene gepflegte Gewaltkult, der mit der Verherrlichung von "kriegerisch-soldatischer Tugend" einhergeht, wirkt sich ebenfalls auf Gewaltbefürwortung und -anwendung aus. Die Mehrzahl der rechtsextremistischen Gewalttaten wird spontan verübt. Häufig erfolgen solche Taten aus einer Situation heraus, in der Rechtsextremisten - einzeln oder in kleinen Gruppen - auf Personen treffen, die den typischen rechtsextremistischen Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 95 Rechtsextremismus Feindbildern entsprechen. Am 19. September wurden zwei muslimische Asylbewerberinnen, die ein Kopftuch trugen, von einem stark alkoholisierten Täter angepöbelt und körperlich attackiert. Der Täter schlug einer der beiden Frauen mehrfach ins Gesicht, weitere Tätlichkeiten konnten durch das Eingreifen eines Passanten verhindert werden. Rechtsextremistisch motivierte Gewalt richtet sich darüber hinaus auch gegen den politischen Gegner, insbesondere gegen Demokraten, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren sowie gegen linksextremistische Antifaschisten. Die Rechtsextremisten wollen damit ihre politischen Gegner einschüchtern. In der Nacht vom 24. auf den 25. Januar wurden die Schaufenster der bayerischen Landesgeschäftsstelle der linksextremistischen Partei MLPD in Nürnberg mit Steinen eingeworfen. Im Internet berichtete die Partei Der Dritte Weg (III. Weg) am 6. Februar über das Ereignis. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) hat die Beobachtung von gewaltorientierten Personen und Gruppen in einem eigenen Sachgebiet gebündelt. Es wird damit ein fallbezogener Beobachtungsansatz verfolgt, wobei der Informationsaustausch mit den Polizeibehörden eine besondere Rolle spielt. Zudem erfolgte eine Anpassung der Abteilungsstruktur, sodass nun eine Abteilung des BayLfV ausschließlich für Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus und angrenzende Extremismusfelder wie die verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit und die Reichsbürgerbewegung zuständig ist. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Radikalisierung im Netz wurden zudem die Zuständigkeiten für die operative Internetauswertung im Bereich des Rechtsextremismus in einem eigenen Sachgebiet gebündelt. 96 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus 2.2 Gewalt gegen Flüchtlinge Die aggressive Hetze gegen Flüchtlinge, die rechtsextremisRadikalisierungstische Parteien wie NPD, III. Weg und DIE RECHTE und andere wirkung der rechtsextremistische Organisationen insbesondere über das Hetze im Netz Internet verbreiten, führt zu einer weiteren Radikalisierung gewaltorientierter Szeneangehöriger. Impulsgebend kann diese Hasskampagne aber auch auf Personen wirken, die bislang nicht in rechtsextremistischen Strukturen aktiv waren. Die Ergebnisse der polizeilichen Auswertung zeigen, dass es sich bei den ermittelten Tatverdächtigen häufig um männliche Personen im Alter zwischen 18 bis 25 Jahren handelt. Teilweise waren es auch Jugendliche, die als Einzeltäter oder in Gruppen von zwei bis fünf Personen auftraten und nur in wenigen Fällen bereits Bezüge zur rechtsextremistischen Szene aufwiesen. Häufig kommen die Tatverdächtigen aus der Nachbarschaft des angegriffenen Objekts. Dies deutet darauf hin, dass zumindest partiell rechtsextremistische fremdenfeindliche Einstellungen anschlussfähig sind. Einige Tatverdächtige haben einen allgemeinkriminellen Vorlauf bzw. Bezüge zur Hooligan-Szene. Nur in Ausnahmefällen waren die Tatverdächtigen alkoholisiert. Dies zeigt, dass sie in der Regel planvoll und gezielt gegen Flüchtlinge vorgehen wollten. In Bayern ereigneten sich im Jahr 2016 84 fremdenfeindliche Übergriffe auf Liegenschaften zur Unterbringung von Flüchtlingen. Die den Sicherheitsbehörden der Bundesländer vorliegenden Erkenntnisse ergaben bislang keine Anhaltspunkte für eine zentrale Steuerung von Gewalttaten oder eine regionale oder überregionale Koordinierung von Straftaten durch Rechtsextremisten. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 97 Rechtsextremismus So warf beispielsweise am 7. Februar ein 25-jähriger Tatverdächtiger eine mit brennbarem Inhalt gefüllte Bierflasche durch das geschlossene Fenster einer Asylbewerberunterkunft in Hirschau/Landkreis Amberg-Sulzbach. Die Flasche zerbrach beim Aufprall nicht, so dass der Brandsatz seine Wirkung nicht entfaltete. Der Tatverdächtige wohnte in unmittelbarer Nähe des Tatorts und gehörte keiner rechtsextremistischen Gruppierung an. Bei seiner Vernehmung räumte er die Tat ein und gab an, dass er aus Ärger über Flüchtlinge gehandelt habe. Am 4. März versuchten drei Jugendliche, die bisher nicht der rechtsextremistischen Szene angehörten, vormittags in München einen Wohncontainer einer im Bau befindlichen Asylbewerberunterkunft in Brand zu setzen. Dabei schleuderten sie zwei Brandsätze gegen die Container. Nachdem dies keine Wirkung zeigte, übergossen die drei Tatverdächtigen einen Heizungsschlauch und zündeten diesen mit einem Brandmittel an. Es entstand Sachschaden. Die Tatverdächtigen verließen daraufhin den Tatort, den sie am Abend desselben Tages erneut aufsuchten, um einen weiteren Anschlag zu verüben. Die Polizei konnte die Jugendlichen in Tatortnähe kontrollieren und fand dabei auch verschiedene Brandmittel und Schleudergegenstände auf. Die Jugendlichen räumten bei ihrer Vernehmung auch die fremdenfeindlich motivierte Tat am Vormittag ein. Rechtsextremistische Parteien haben wiederholt Brandstiftungen auf ihren Homepages und in sozialen Netzwerken kommentiert. Wenngleich diese Stellungnahmen nicht als Tatbekennungen gewertet werden können, ist aus ihnen eine grundsätzliche Zustimmung zu einem solchen Vorgehen erkennbar. So hat die Partei III. Weg beispielsweise am 22. Februar auf ihrer Webseite im Zusammenhang mit dem Brand einer Asylbewerberunterkunft in Bautzen unter der Überschrift "Sachsen Volksfeststimmung nach Asylheimbrand" kommentiert, dass in dem Gebäude "artund kulturfremde Asylanten" untergebracht werden sollten. 98 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Mehrfach wurden zudem Flüchtlinge in Bayern tätlich angegriffen. Übergriffe Am Abend des 11. Februar skandierte eine alkoholisierte Person auf Flüchtlinge vor einer Asylbewerberunterkunft in Kelheim "Heil Hitler" und "Scheiß Asylanten". Anschließend betrat sie bewaffnet mit einer Machete die Asylbewerberunterkunft und schlug auf einen Flüchtling aus Afrika ein. Der Täter konnte von der Polizei festgenommen werden, über ihn lagen zuvor keine Erkenntnisse aus dem Phänomenbereich Rechtsextremismus vor. Am 3. April drangen nachts etwa 15 junge Männer mit Steinen und Eisenstangen bewaffnet in eine Flüchtlingsunterkunft in Töging am Inn/Landkreis Altötting ein. Das Motiv für die Tat war Fremdenfeindlichkeit. Auch bundesweit ist die Zahl der Straftaten gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte stark gestiegen. 2.3 Ermittlungen gegen die Oldschool Society (OSS) wegen Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung Die rechtsextremistische OSS gründete sich im August 2014 als zunächst virtuelle Gruppe bei einem Instant-Messenger-Dienst. Es entstanden mehrere Chatgruppen für "Supporter", feste Mitglieder und eine der Rockerszene vergleichbare "Führungsebene" ("President", "Vice-President", "Secretary" und "Sergeant at Arms") der OSS. Die Chatgruppen wurden hauptsächlich zur Kontaktpflege und zum Austausch rechtsextremistischer Ansichten genutzt. Oberflächliche völkisch-rassistische Ideologieelemente Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 99 Rechtsextremismus vermischten sich mit der Ablehnung von Menschen mit Migrationshintergrund und Muslimen. In der Hauptchatgruppe waren bis zu zwanzig Personen aktiv. Im September 2014 eröffnete die OSS außerdem ein offenes Profil beim sozialen Netzwerk Facebook. Die Gruppe radikalisierte sich soweit, dass Mitglieder sich zum Ziel setzten, in kleinen Gruppen Anschläge gegen bekannte Salafisten und Moscheen zu begehen. Für derartige Aktionen wurden bereits pyrotechnische Gegenstände beschafft, die durch Modifikation - beispielsweise die Ummantelung mit Nägeln - in ihrer Wirkung noch verstärkt werden sollten. Durchsuchungen Am 6. Mai 2015 durchsuchten rund 250 Beamte von Bundeskriminalamt (BKA), Bundespolizei und verschiedenen Landespolizeibehörden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts (GBA) die Wohnungen von zehn Rechtsextremisten in mehreren Bundesländern. Sie stehen im Verdacht, mit der Gruppierung OSS eine terroristische Vereinigung gemäß SS 129 a StGB gegründet zu haben. In Bayern waren drei Personen von den Exekutivmaßnahmen betroffen. Der sog. "President" der OSS hatte Verbindungen zum NPD-Kreisverband Augsburg Stadt und Land. Er war in den Jahren 2010 und 2011 Beisitzer im Vorstand des Kreisverbands. Das Strafverfahren gegen die Mitglieder der OSS findet beim Oberlandesgericht München statt und ist noch nicht abgeschlossen. Die Entwicklung der Gruppierung hat gezeigt, dass durch die Vernetzung und den Austausch in sozialen Netzwerken rechtsextremistische Radikalisierungsprozesse angestoßen bzw. verstärkt und beschleunigt werden können. Dadurch können sich in bestimmten Konstellationen Gruppierungen herausbilden, die den virtuellen Raum des Internets verlassen und Aktivitäten entwickeln, die bis hin zum Rechtsterrorismus reichen. 100 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus 2.4 Ermittlungen gegen Rechtsextremisten in Oberund Mittelfranken wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung Am 21. Oktober 2015 fanden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen Rechtsextremisten wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Vorbereitung eines Explosionsverbrechens (SSSS 129, 310 StGB) Durchsuchungen in zwölf Objekten in Oberund Mittelfranken statt. Es ist davon auszugehen, dass bereits mehrere Straftaten in Planung waren. Unter anderem sollten Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte in Bamberg durchgeführt werden. Ein weiteres mutmaßliches Anschlagsziel war ein Lokal, das auch von Linksextremisten genutzt wird. Bei diesen Aktionen sollte Pyrotechnik zum Einsatz kommen. Den Durchsuchungsmaßnahmen lagen Erkenntnisse zugrunde, wonach ein Beschuldigter eine beachtliche Menge illegaler Pyrotechnik bei einem osteuropäischen Online-Versandhandel bestellt hatte. Bei der von der Polizei beschlagnahmten Lieferung handelte es sich um etwa 15 Kilogramm Sprengstoffprodukte, darunter zwei sog. Kugelbomben mit jeweils rund einem Kilogramm hochexplosiver Treibladung. Bei den Durchsuchungen wurden zudem Gotcha-Waffen, Elektroschocker sowie eine scharfe 9mm-Pistole Marke Luger mit Munition sichergestellt. Bei den Beschuldigten handelte es sich um Hooligans und Verbindungen zur Rechtsextremisten, darunter auch mehrere Aktivisten der Partei verbotenen Weisse DIE RECHTE sowie einzelne Personen, die der rechtsextremisWölfe Terrorcrew tischen Gruppierung Weisse Wölfe Terrorcrew (WWT) zuzurechnen waren. Diese gewaltbereite rechtsextremistische Vereinigung hat der Bundesminister des Innern am 16. März verboten. Das Verbot wurde bei 16 Rechtsextremisten in zehn Bundesländern mit Schwerpunkt in Norddeutschland vollstreckt. Im Zuge der Durchsuchungsmaßnahmen wurden umfangreiche Materialien sichergestellt. Von den Maßnahmen war auch die Sektion Bayern in Bamberg betroffen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 101 Rechtsextremismus Der bayerische Landesvorsitzende der Partei DIE RECHTE, Philipp Hasselbach, distanzierte sich in einer Stellungnahme vom 22. Oktober 2015 nicht von den beschuldigten Parteimitgliedern und -funktionären, sondern forderte im Gegenteil "Freiheit für alle nationalen politischen Gefangenen". Das Strafverfahren findet beim Landgericht Bamberg statt und ist noch nicht abgeschlossen. Die umfangreichen Exekutivmaßnahmen führten zu einer nachhaltigen Verunsicherung der rechtsextremistischen Szene in der Region Bamberg. Die Aktivitäten des dortigen Kreisverbands der Partei DIE RECHTE kamen weitgehend zum Erliegen. 2.5 NSU-Prozess Die rechtsterroristische Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) hat zwischen September 2000 und April 2007 bundesweit insgesamt zehn Personen ermordet. Drei dieser Taten wurden in Nürnberg (2000, 2001 und 2005) und zwei in München (2001 und 2005) begangen. Der Gruppierung werden weitere rechtsextremistisch motivierte Sprengstoffanschläge und eine Vielzahl von Banküberfällen zugerechnet. Die als Haupttäter erkannten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden am 4. November 2011 erschossen in einem von der Polizei umstellten Wohnmobil aufgefunden. Die als Mittäterin verdächtige Beate Zschäpe stellte sich nach mehrtägiger Flucht am 8. November 2011 der Polizei und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Am 6. Mai 2013 begann vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München der Prozess gegen Zschäpe und weitere Beschuldigte u. a. wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung im Zusammenhang mit dem NSU. 102 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus 2.6 Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten* Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" Politisch motivierte Gewaltdelikte 2015 2016 Tötungsdelikte (auch Versuch) 0 5 Körperverletzungen 78 91 Brandund Sprengstoffdelikte 6 5 Landfriedensbruch 1 0 Erpressung 1 8 sonstige Gewalttaten 5 4 gesamt 91 113 Kriminelle Vereinigung / Terrorismus 1 1 gesamt 1 1 sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 137 133 Propagandadelikte 1.287 1.298 sonstige Straftaten 244 227 Nötigung/Bedrohung 49 49 Volksverhetzung 484 558 gesamt 2.201 2.265 Straftaten insgesamt 2.293 2.379 * Statistik enthält 2016 auch Straftaten von Reichsbürgern Gewalttaten Im Jahr 2016 wurden in Bayern 113 rechtsextremistisch motivierte Gewaltdelikte registriert (2015: 91). Dabei handelt es sich überwiegend um Körperverletzungsdelikte. Von den Gewalttaten waren 25 (2015: 38) allgemein neonazistisch motiviert ; 9 dieser Delikte waren gegen den politischen Gegner gerichtet (2015: 5). 84 Gewalttaten (2015: 50) waren fremdenfeindlich motiviert. Bei 4 Gewaltdelikten lag eine antisemitische Motivation zugrunde (2015: 3). Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 103 Rechtsextremismus Insgesamt konnten 97 Gewalttaten aufgeklärt werden, dabei wurden insgesamt 118 Tatverdächtige ermittelt, darunter 8 Frauen. Wie im Jahr 2015 gehört mit 92 Personen die überwiegende Zahl der Tatverdächtigen der Altersgruppe über 21 Jahre an, 14 der Tatverdächtigen gehören zur Altersgruppe 17 bis 21 Jahre. An einem U-Bahnhof in Nürnberg schlug ein 50-jähriger Mann einem Wartenden ins Gesicht, anschließend schubste er ihn auf das Gleis. Jegliche Versuche sich aus dem Gleisbett zu befreien unterband der Täter durch Anwendung von Gewalt. Nur durch eine Bremsung der herannahenden U-Bahn konnte ein Zusammenstoß verhindert werden. Gegenüber den Polizeibeamten erläuterte der Täter seine Motivation: "Ich habe das gemacht weil er ein Jude ist, das nächste Mal mache ich es richtig." Das Landgericht Nürnberg-Fürth verurteilte den Täter zu 5 Jahren Haft wegen versuchten Totschlags. Das Urteil ist noch nicht rechtkräftig. Sonstige Straftaten In Bayern wurden 2016 insgesamt 2.265 (2015: 2.201) sonstige rechtsextremistische Straftaten (ohne Gewalttaten) gezählt. Davon waren 1.136 neonazistisch (2015: 1.364), 768 fremdenfeindlich ( 2015: 728) und 161 antisemitisch motiviert (2015: 110). In den meisten Fällen handelte es sich um Propagandadelikte (1.298; 2015: 1.287), aber u. a. auch um Volksverhetzung (558; 2015: 484) und Sachbeschädigungen (133; 2015: 137). Volksverhetzungsdelikte richteten sich insbesondere gegen Ausländer und gegen Mitbürger jüdischen Glaubens. Häufig sind diese Straftaten verbunden mit einem gewalttätigen Vorgehen der Täter. Propagandadelikte machen nach wie vor den Großteil rechtsextremistischer Straftaten aus. Beispielsweise wurden Hakenkreuze auf Wände und Fahrzeuge gesprüht bzw. geritzt, Parolen wie "Heil Hitler" und "Sieg Heil" gerufen. Neonazis verwenden z. B. auf dem Display ihres Mobiltelefons NS-Symbole als Standard-Einstellung und nutzen den Short Message Service (SMS) sowie den Multimedia Messaging Service (MMS), um neonazistische Grafiken, Filme und Lieder zu Propagandazwecken an andere Handy-Besitzer zu übermitteln. 104 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus 3. Rechtsextremistische Themenfelder und Aktionsformen 3.1 Rechtsextremistische Themenfelder Der Rechtsextremismus tritt in verschiedenen Ausprägungen nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Ideologieelemente sowie in unterschiedlichen, sich daraus herleitenden Zielsetzungen auf. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse entscheide über den Wert eines Menschen. Dieses rechtsextremistische Werteverständnis steht in einem fundamentalen Widerspruch zum Grundgesetz, das die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Rechtsextremisten versuchen, die nationalsozialistische GeKlassische Themen waltherrschaft unter Herausstellung angeblich positiver Leistungen zu rechtfertigen, Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime zu diffamieren und die Verbrechen des Dritten Reichs zu verschweigen, zu verharmlosen oder sogar zu leugnen (Geschichtsrevisionismus). Zusätzlich verunglimpfen sie den demokratischen Verfassungsstaat und seine Repräsentanten, indem sie beispielsweise Deutschland als Marionettenstaat ausländischer, insbesondere US-amerikanischer, Interessen darstellen. Deutsche Politiker diffamieren sie dabei regelmäßig als korrupte Handlanger ausländischer Interessen. Die eigene Organisation und ihre Vertreter sollen als die alleinigen Wahrer der Interessen des deutschen Volkes dargestellt und der politische Gegner als Verräter, der mit krimineller Energie systematisch den Interessen der Bürger schadet, diskreditiert werden. Rechtsextremisten lehnen die Kernbereiche der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab. Hinzu kommt die pauschale Überbewertung der Interessen der "Volksgemeinschaft" zu Lasten der Interessen und Rechte des Einzelnen, die zu einer Aushöhlung der Grundrechte führt (völkischer Kollektivismus). Diese Merkmale sind nicht gleichmäßig bei allen Rechtsextremisten zu beobachten. Manchmal sind nur Teilaspekte bestimmend; auch die Intensität und die Strategie des Kampfs gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind unterschiedlich. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 105 Rechtsextremismus Neue ThemenIn der Propaganda von Rechtsextremisten treten seit einigen felder Jahren sozial-, wirtschaftsund umweltpolitische Themen mehr und mehr in den Vordergrund. So wird z. B. Umweltschutz als "Heimatschutz" interpretiert und in den Kontext der völkischen Bewegung gestellt. Demzufolge ist der Schutz des eigenen Volkes untrennbar mit dem Schutz der Umwelt verbunden. Durch Verknüpfung sozialer Problemfelder mit rechtsextremistischen Theorieelementen wollen Rechtsextremisten aus den Sorgen der Bevölkerung Kapital schlagen. Teile des rechtsextremistischen Spektrums propagieren einen "volksbezogenen Sozialismus" mit dem Ziel, in sozialistisch orientierte Wählerschichten einzudringen. Agitation gegen Flüchtlinge Hetze im Netz Das rassistische Weltbild von Rechtsextremisten und ihr Nationimmt zu nalismus machen Asylsuchende zu einem klassischen Feindbild der rechtsextremistischen Szene. Vor dem Hintergrund der gestiegenen Flüchtlingszahlen hatte die Agitation gegen Flüchtlinge ab Sommer 2015 an Schärfe zugenommen. Mit dem Rückgang der Einreisen von Flüchtlingen im Jahr 2016 stagnierten zwar die Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene, zugleich intensivierte sich jedoch die rassistische Hetze in sozialen Netzwerken, die dort in zunehmendem Maße auch von Personen verbreitet wird, die nicht in rechtsextremistischen Strukturen organisiert sind. Die rechtsextremistische Szene führt weiterhin Infostände, Demonstrationen, Kundgebungen sowie Flugblattverteilungen durch. Ziel der Rechtsextremisten ist es, Ängste in der Bevölkerung vor einer angeblichen Überfremdung oder Bedrohung durch Ausländerkriminalität zu schüren und sich selbst als die einzige politische Kraft darzustellen, die diese Sorgen ernst nimmt. Aktivitäten in diesem Themenfeld gehen in Bayern unter anderem von den Parteien NPD, III. Weg und der Partei DIE RECHTE sowie von der Identitären Bewegung und PEGIDA-Gruppen aus. Die Aktionen richten sich vorwiegend gegen bestehende, geplante und im Bau befindliche Aufnahmeeinrichtungen oder Flüchtlingsunterkünfte. Die Summe der einschlägigen Aktionen und Veröffentlichungen im Aktionsfeld Anti-Asyl sowie die Art der thematischen Darstellung sind dazu geeignet, die ausländer106 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus feindliche Stimmung innerhalb der rechtsextremistischen Szene weiter anzuheizen. Diesbezüglich darf auch eine impulsgebende Wirkung auf radikalisierte und gewaltorientierte Einzelpersonen nicht unterschätzt werden. Die Partei III. Weg veröffentlichte am 7. Januar 2015 auf ihrer Leitfaden gegen Webseite einen Leitfaden gegen Asylbewerberunterkünfte mit Asylbewerberdem Titel "Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft! Wie unterkünfte bebzw. verhindere ich die Errichtung eines Asylantenheimes in und interaktive meiner Nachbarschaft". Der III. Weg beschreibt darin die vermeintDeutschlandkarte lichen "Folgen eines Asylantenheims in der Nachbarschaft für die heimische Bevölkerung". Er gibt detaillierte Hinweise zur Organisation des Protests sowie zu juristischen Fragestellungen. Insgesamt fügt sich der Leitfaden in die ausländerfeindlichen Beiträge auf der Webseite des III. Wegs ein und leitet sich ideologisch aus dem 10-Punkte-Programm der Partei ab. Darin ist u. a. von einer angeblichen Überfremdung Deutschlands und Gefahren durch steigende Asylbewerberzahlen die Rede. Auf der Homepage der Partei III. Weg befindet sich außerdem eine interaktive Deutschlandkarte, auf der die Standorte der derzeit in Deutschland bestehenden bzw. geplanten Asylbewerberunterkünfte sowie die Zahl der dort untergebrachten Flüchtlinge verzeichnet sind. Zusätzlich bietet die Karte die Möglichkeit, sich sog. "Bürgerinitiativen" anzeigen zu lassen, die sich gegen derartige Aufnahmeeinrichtungen richten. Auf die interaktive Deutschlandkarte wies der III. Weg auch mit Kundgebungsplakaten hin. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 107 Rechtsextremismus Am 12. Januar fotografierten zwei Aktivisten der Partei III. Weg eine Asylbewerberunterkunft in Viechtach und gaben sich dabei als freie Journalisten aus. Zur Informationsgewinnung setzen Rechtsextremisten vermehrt auf die mit dem Status als Journalist verbundenen Privilegien. Presseausweise werden von zahlreichen Organisationen ausgestellt, die sehr unterschiedliche Vergabekriterien anlegen. So verzichten einige Verbände auf jeden Nachweis über eine journalistische Tätigkeit. Staatliche Stellen wirken bei der Vergabe von Presseausweisen nicht mit. Postkartenaktion Im April versandten Aktivisten des III. Wegs Postkarten an verschiegegen Personen dene Personen des öffentlichen Lebens in Bayern (Politiker, Verbandsdes öffentlichen und Gewerkschaftsfunktionäre, Journalisten etc.). Die Postkarten mit Lebens der Abbildung eines Flüchtlingsbootes waren betitelt mit "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen". Die Empfänger wurden als Überfremdungsbefürworter bezeichnet und zur Ausreise nach Afrika aufgefordert. Die Postkarten waren teilweise an Privatadressen gerichtet und wurden gezielt zu einem Zeitpunkt zur Post gegeben, der eine Abstempelung mit dem Datum des Geburtstags von Adolf Hitler am 20. April ermöglichte. 108 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Der NPD-Landesverband Bayern veröffentlichte im Februar auf "Krimigrantenseinem Internetauftritt eine sog. "Übersichtskarte über Vorfälle karte" der NPD aus dem Bereich der Migrantenkriminalität". Die Karte soll Vorurteile über kriminelle Migranten weiter verstärken. Die NPD versucht sich zugleich als einzige Alternative zu den bestehenden anderen Parteien zu präsentieren, die in der Lage und willens sei, Problemen mit kriminellen Migranten zu begegnen. So schrieb der bayerische NPD-Landesverband am 10. Januar auf Facebook, man könne Zäune und Mauern bauen und "wir werden sie bauen und mit Waffengewalt verteidigen - mit oder ohne Euch!!!" Die Partei DIE RECHTE versuchte sexuelle Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht vom 31. Dezember 2015 auf 1. Januar 2016 in Köln für sich zu instrumentalisieren und verteilte am 16. Januar in München CS-Gas zur Selbstverteidigung an Passantinnen. Am 6. Februar führten Aktivisten der Partei in München eine Versammlung unter dem Motto "Deutschland muss leben - Volksverräter stoppen" durch. Diese Aktion steht beispielhaft dafür, dass Rechtsextremisten ihre Agitation gegen Asylbewerber immer wieder auch mit ihrer generellen Ablehnung der demokratisch gewählten Politiker verbinden. So deuten sie die aktuelle Politik entweder als Verrat am deutschen Volk oder aber als Versuch, dieses zu vernichten. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 109 Rechtsextremismus Fortsetzung der Diese Einstellung unterstreicht auch das Motto einer Demon"Volkstodstration des Nürnberger Kreisverbandes der Partei DIE RECHTE Kampagne" am 27. August in Nürnberg. Das Thema der Veranstaltung lautete: "Umvolkung stoppen - für deutsches Leben in Deutschland" und erinnerte an die aus den vergangenen Jahren bekannte "Volkstod"-Kampagne der rechtsextremistischen Szene in Deutschland. Ziel rechtsextremistischer Parteien ist es, die bestehende staatliche Ordnung durch eine ethnisch homogene "Volksgemeinschaft" zu ersetzen. Die Würde des Einzelnen ist nach dem Verständnis einer solchen völkischen Ideologie von der biologisch-genetischen Teilhabe an der "Volksgemeinschaft" abhängig. Islamfeindlichkeit Rassistisches Rechtsextremisten verknüpfen häufig die Agitation gegen Asyl"Volksgemeinbewerber mit der Agitation gegen den Islam. Rechtsextremistische schafts"Denken Muslimfeindlichkeit ist eine moderne Form der Fremdenfeindlichkeit. Die Ablehnung der Muslime basiert auf dem rassistischen "Volksgemeinschafts"-Gedanken: Demzufolge gehören Muslime einer "raumfremden" Religion an und werden als "undeutsch" abgelehnt. Rechtsextremisten beteiligen sich beispielsweise an Diskussionen um den Bau von Moscheen, versuchen dort, das Wort zu ergreifen und die Veranstaltungen als Plattform für ihre rechtsextremistische Agitation zu nutzen. Muslime werden dabei pauschal als Bedrohung der inneren Sicherheit dargestellt. So beschwört z. B. die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) in ihrer politischen Agitation die Gefahr einer Islamisierung Europas herauf, die die Folge von Migrationsbewegungen aus muslimisch geprägten Ländern sei und eine sog. "ethnokulturelle Identität" der europäischen Völker bedrohe. Fremde werden letztlich aufgrund ihrer ethnokulturellen Zugehörigkeit abgelehnt. Konzept der Das Konzept der "ethnokulturellen Identität" geht von einer "ethnokulturellen geprägten und über Generationen gewachsenen Identität der Identität" Völker aus. Diese sei bestimmt insbesondere durch die gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungen, Brauchtum und Religion. Im Verständnis der IBD ist der Islam als Religion und Wertesystem nicht mit der europäischen, deutschen oder österreichischen ethnokulturellen Identität vereinbar. Vor allem die Zuwanderung von Muslimen wird daher als Bedrohung für diese Identität begriffen. 110 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Die IBD beruft sich deshalb immer wieder auf die historischen Kämpfe des christlichen Europa in den Türkenkriegen des 16. und 17. Jahrhunderts und hat für sich das Schlagwort "Reconquista" gewählt, das die Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den maurischen Herrschern bezeichnete. Antisemitismus Antisemitismus ist eine rassistische Form der Judenfeindlichkeit Antizionismus und und ein wesentlicher Bestandteil rechtsextremistischer Ideologie. Antisemitismus Antisemitismus ist inzwischen häufig auch im Gewand des Antizionismus anzutreffen. Der antizionistische Antisemitismus gibt vor, Israel zu kritisieren, lehnt aber tatsächlich das Existenzrecht Israels ab. Er diffamiert den jüdischen Staat, indem er ihm einen "Vernichtungskrieg" und eine Politik der "Ausrottung" vorwirft. Die Feindschaft gegen den Staat Israel wird mit klassischen Stereotypen der Judenfeindschaft verbunden: von der jüdischen Finanzmacht bis hin zur jüdischen Weltverschwörung. Die Partei III. Weg verbreitet auf ihrer Webseite einen Flyer mit Handlungshinweisen zum "Israel-Boykott". So empfiehlt die Partei, Waren aus dem "Zionistenstaat" zu boykottieren und an Kundgebungen gegen die "verbrecherischen Völkermordmaßnahmen der Zionisten im Nahen Osten" teilzunehmen. Außerdem sollten keine "prozionistischen Parteien" gewählt werden. Am 28. März äußerte sich der Vorsitzende von PEGIDA-München Antisemitische e. V., Heinz Meyer, bei einer PEGIDA-Kundgebung in München Ausfälle des antisemitisch und sagte: PEGIDA-München Vorsitzenden "(...) das größte Konzentrationslager der westlichen Hemisphäre steht wo? Nicht in Deutschland, nein es steht in Israel. Die scheinbar haben sehr gut gelernt." Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 111 Rechtsextremismus 3.2 Rechtsextremistische Aktionsformen 3.2.1 Parteiübergreifende Aktivitäten SpektrenüberTrotz des Konkurrenzverhältnisses zwischen den einzelnen greifende Parteien und Gruppierungen in der rechtsextremistischen Szene Kooperationen kommt es immer häufiger zu parteiund spektrenübergreifenden Kooperationen. Das Themenfeld Anti-Asyl wirkt sich einheitsstiftend auf die Szene aus. Die Zusammenarbeit beschränkt sich jedoch nicht ausschließlich auf das Themenfeld Anti-Asyl. Der NPD-Kreisverband Augsburg lud am 6. Januar zu einem überparteilichen Dreikönigstreffen nach Schwenningen, Landkreis Dillingen an der Donau, ein. Als Redner traten sowohl Vertreter der NPD, darunter der Europaabgeordnete Udo Voigt, als auch der Landesvorsitzende der Partei DIE RECHTE, Philipp Hasselbach und Karl Richter von der rechtsextremistischen Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA-München) auf. Auch Unterstützer von PEGIDA-München waren anwesend. Der Münchner Stadtrat Karl Richter beschrieb dasTreffen als "Signal des Schulterschlusses", es dürfe "kein engstirniges Parteiund Vereinsdenken mehr geben". Bei einem Stammtisch der Partei DIE RECHTE am 10. Januar in München sprach die Vorsitzende des NPD-Kreisverbands München, Renate Werlberger, ein Grußwort. Darin forderte sie eine verstärkte Zusammenarbeit der "nationalen Kräfte". Bei beiden Treffen sollte ein Zeichen der verstärkten Zusammenarbeit verschiedener rechtsextremistischer Gruppierungen gesetzt werden. Eine Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung erfolgte wiederholt auch im Zusammenhang mit Kundgebungen. Karl Richter von der BIA-München trat mehrfach bei Kundgebungen der Partei DIE RECHTE als Redner auf. Am 30. Januar sprach er vor mehr als 70 Rechtsextremisten in Bamberg, am 19. März vor rund 25 Personen in Nürnberg und am 24. Juli in Zirndorf vor etwa 15 Personen. Auf seinem Facebook-Profil erklärte Richter, er habe "kein Problem damit, vor vermeintlich 'konkurrierenden' Organisationen zu sprechen. In der Situation, in der sich unser Volk befindet, sollte es eigentlich keine Konkurrenz im eigenen patriotischen Beritt mehr geben." 112 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Richter trat zudem ab Oktober mehrfach als Redner bei den Montagsdemonstrationen von PEGIDA-München auf und übernahm erstmals am 19. Dezember die Veranstaltungsleitung, nachdem die Stadt München dem Vorsitzenden von PEGIDA-München die Eignung als Veranstaltungsleiter abgesprochen hatte. In einer am 20. Dezember veröffentlichten Presseerklärung bezeichnete Richter die Übernahme der Veranstaltungsleitung als "Geste des Schulterschlusses". Ein Stadtrat der rechtsextremistischen Bürgerinitiative A Nürnberg e. V. (BIA-Nürnberg) trat bei einer Kundgebung der Partei DIE RECHTE am 9. April in Nürnberg vor mehr als 20 Personen und am 27. August vor 18 Personen als Redner auf. An einer Kundgebung der Partei DIE RECHTE in Nürnberg am 10. Juli nahmen auch NPD-Mitglieder teil. Eine Kundgebung der NPD am 16. April in Baiersdorf wiederum wurde von der Partei DIE RECHTE unterstützt. Eine Führungsperson des Kreisverbands Nürnberg der Partei DIE RECHTE trat vor rund zehn Teilnehmern als Redner auf. Am 4. August sprach die Führungsperson auch bei einer NPD-Kundgebung in München vor etwa 12 Personen. Für die Teilnahme an einer Kundgebung der Partei DIE RECHTE am 26. Juni in Nürnberg warb auch der mittelfränkische NPD-Bezirksverband. Unter den Teilnehmern einer Kundgebung der Partei DIE RECHTE in Nürnberg am 10. Juli befanden sich Mitglieder der NPD. Auch bei Gedenkveranstaltungen der rechtsextremistischen Szene nehmen immer wieder Vertreter mehrerer rechtsextremistischer Parteien gemeinsam teil, so am 25. April beim "Reinhold Elstner-Gedenken" mit etwa 35 Teilnehmern. Gegen den 70. Jahrestag der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse wandten sich bei einer Kundgebung in Nürnberg am 16. Oktober rund 25 Personen, darunter befanden sich Aktivisten der Parteien NPD und DIE RECHTE. Mitglieder des NPD-Kreisverbandes Neustadt/Aisch nahmen am 21. Oktober an einer Rechtsschulung der Partei DIE RECHTE in Nürnberg teil. Die NPD-Neustadt/Aisch bedankte sich auf Facebook und bekundete, sich auf die weitere Zusammenarbeit zu freuen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 113 Rechtsextremismus 3.2.2 Rechtsextremistische Bürgerinitiativen Rechtsextremisten nutzen in Bayern zudem die Möglichkeit, über Bürgerinitiativen politisch Einfluss nehmen zu können. Durch die Bezeichnung als "Bürgerinitiative" wollen Rechtsextremisten ihre eigentliche Gesinnung verschleiern und sich als wählbare politische Alternative präsentieren. Insbesondere die Behandlung bürgernaher Themen und lokaler Probleme soll "Volksnähe" zeigen. Die politischen Lösungsvorschläge orientieren sich jedoch deutlich an der rechtsextremistischen Ideologie. Virtuelle Auch im Internet versuchen sich Rechtsextremisten die politisch Bürgerinitiativen neutral wirkende Bezeichnung "Bürgerinitiative" zunutze zu machen. Für mehrere Orte, an denen Asylbewerberheime neu eingerichtet werden bzw. bereits bestehen, wurden in sozialen Netzwerken virtuelle Bürgerinitiativen gegründet, die sich nicht auf den ersten Blick einer rechtsextremistischen Organisation zurechnen lassen. Erst bei genauerem Hinsehen wird erkennbar, dass der Internetauftritt die Handschrift von Rechtsextremisten trägt. Kundgebung Unter dem Motto "Recht auf Zukunft - Franken gegen Überverboten fremdung" sollte am 9. Januar eine Kundgebung in Bamberg stattfinden. Für die Kundgebung wurde im Facebook-Profil der Gruppe "Franken gegen Überfremdung" und durch den Bamberger Kreisverband der Partei DIE RECHTE geworben. Der Veranstaltungsanmelder und die Versammlungsleiter waren als Rechtsextremisten bekannt. Die Stadt Bamberg hat die Kundgebung verboten. Das gegen das Verbot erhobene Rechtsmittel blieb vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth ohne Erfolg. Die Gruppe "Schweinfurt WEHRT SICH - Asylmissbrauch nein Danke" veranstaltete in Schweinfurt am 12. März eine Kundgebung mit etwa 45 Teilnehmern. In einem Veranstaltungsflyer erschien die Postanschrift der NPD-Bundespartei. Außerdem mobilisierte die Gruppe für eine Kundgebung am 23. April in Bad Kissingen, an der etwa 50 Personen teilnahmen. Ein Aktivist der Partei DIE RECHTE, Kreisverband Nürnberg, trat als Redner auf. Für die Mobilisierung nutzt die Gruppierung das soziale Netzwerk Facebook. Um den Einflussbereich auf alle fränkischen Regierungsbezirke zu erweitern, wurde die Gruppierung in "Franken WEHRT SICH" umbenannt. In 114 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Zirndorf fand am 2. Juli unter diesem Motto eine Kundgebung mit etwa 25 Teilnehmern statt. Als Redner trat auch ein Aktivist der Partei DIE RECHTE, Kreisverband Nürnberg, auf. 3.2.3 Rechtsextremistische Aktivitäten bei Veranstaltungen Rechtsextremisten nutzen gesellschaftliche Großveranstaltungen, Wortergreifungsum auf subtile Weise ihre politischen Botschaften zu verbreiten. strategie Sie knüpfen damit an die u. a. vom ehemaligen NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt propagierte "Wortergreifungsstrategie" an, nach der sich Rechtsextremisten unauffällig an öffentlichen Veranstaltungen beteiligen und diese als Plattform zur Verbreitung ihrer Propaganda nutzen sollen. "Wortergreifung" meint die gezielte verbale Konfrontation mit Vertretern der demokratischen Zivilgesellschaft in Diskussionsrunden und Informationsveranstaltungen. Dabei nutzen sie aus, dass für diese Aktionsformen in der Regel keine behördliche Anzeige oder Anmeldung notwendig ist, und versuchen dadurch, das Risiko eines vorherigen Verbots oder Ausschlusses zu verringern. Dabei geben sich die Rechtsextremisten nicht offen zu erkennen, sondern tarnen sich als "besorgte Bürger". Auch in Internetforen, am Arbeitsplatz oder in Vereinen versuchen Rechtsextremisten, Diskussionsteilnehmer zu verunsichern, inhaltlich zu dominieren und letztlich die Meinungsführerschaft zu übernehmen. So besuchten Aktivisten des Kreisverbandes Nürnberg der Partei DIE RECHTE am 18. Februar eine Informationsveranstaltung der Stadt Nürnberg in Langwasser zur Situation von Flüchtlingen und ergriffen das Wort. Zudem verteilten sie Flyer mit der Überschrift "Asylflut über Deutschland stoppen". Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 115 Rechtsextremismus "Deutsche Bayerische Rechtsextremisten haben zudem vermehrt Aktivitäten Winterhilfe" zur Unterstützung von Obdachlosen entfaltet. Damit wollen sie den Eindruck erzeugen, sie seien die einzige politische Kraft, die noch soziale Notlagen in der deutschen Bevölkerung im Blick hat, während sich alle anderen politischen Kräfte ausschließlich auf Flüchtlinge konzentrierten. Unter der Aktionsbezeichnung "Deutsche Winterhilfe" sammelt die Partei III. Weg Sachspenden für Obdachlose. Anfang des Jahres verteilten Aktivisten der Partei die im Vorfeld gesammelten Spenden dann an bedürftige Deutsche. Begleitet wurde die Kampagne durch eine Reihe von Beiträgen auf der Homepage der Partei. Im Juni und im Juli betätigten sich Aktivisten der Identitären Bewegung im Raum Simbach bei der Fluthilfe und nutzten diese Aktivitäten für die mediale Selbstdarstellung. Darüber hinaus beteiligten sich bayerische Rechtsextremisten an Demonstrationen russischstämmiger Bürger im Themenfeld Asyl. Zwischen 24. Januar und 14. Februar nahmen Rechtsextremisten an Kundgebungen teil, die von russischstämmigen Personen unter dem Motto "(...) Asylmissbrauch nein Danke" und "Gegen Gewalt und Vergewaltigung" organisiert wurden. Anlass war die angebliche Vergewaltigung einer russischstämmigen Minderjährigen durch Migranten am 11. Januar in Berlin. Die Vergewaltigung durch Migranten stellte sich als frei erfunden heraus. Die rechtsextremistischen Teilnehmer an diesen Veranstaltungen waren den Parteien NPD, DIE RECHTE und III. Weg zuzurechnen. Der Vorsitzende der rechtsextremistischen BIA-München, Karl Richter, hielt auf einer dieser Kundgebungen am 6. Februar in Bayreuth eine Rede. In Deggendorf sprachen der niederbayerische NPD-Bezirksvorsitzende Alfred Steinleitner sowie ein Aktivist der Partei III. Weg auf einer Kundgebung am 7. Februar. 3.2.4 Freizeitaktivitäten zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und zur Nachwuchsgewinnung Gemeinsame Freizeitaktivitäten haben für die rechtsextremistische Szene mehrere Funktionen: Sie stärken die Gruppenidentität und sollen neue Aktivisten anziehen. Neben dem Besuch von 116 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus rechtsextremistischen Konzerten spielen dabei auch gemeinsame sportliche Aktivitäten, Wanderungen und Reisen sowie Aktivitäten im Umweltschutz eine zunehmende Rolle. Stützpunkte der Partei III. Weg berichteten im Jahr 2016 wiederRechtsextreholt über parteiinterne "Gemeinschaftsaktivitäten". So unternahm mistische der Stützpunkt Nürnberg/Fürth im August einen Ausflug in das Familienaktionen Fränkische Freilandmuseum, besuchte im Mai den Tierpark in Nürnberg und machte im Juli eine Kajakfahrt. In der eigenen Berichterstattung wird hervorgehoben, dass diese Ausflüge für die ganze Familie seien und Kinder mit einbezogen würden. Die Partei versucht sich dadurch vordergründig familienfreundlich zu geben. Zugleich wird erkennbar, dass die Zugehörigkeit zur rechtsextremistischen Szene oft auch Ehepartner und Kinder einschließt. Das Privatleben von Rechtsextremisten spielt sich größtenteils in szeneinternen Kreisen ab. Freizeitaktivitäten wie Wanderungen und Sonnwendfeiern bot auch die NPD an. Der Kreisverband Neu-Ulm/Günzburg veranstaltete am 20. Juni eine Sonnwendfeier mit dem rechtsextremistischen Liedermacher Frank Rennicke. Eine Wanderung mit Grillfeier führte der Kreisverband Memmingen/Unterallgäu am 9. Juli durch. Die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) unternahm Wanderungen und lud zum Sport oder zu Selbstverteidigungskursen ein. 3.2.5 Internationale Kontakte bayerischer Rechtsextremisten Zwischen bayerischen und ausländischen Rechtsextremisten bestehen persönliche Kontakte. Für größere Szene-Veranstaltungen wie Konzerte, Feiern und Großdemonstrationen wird gegenseitig mobilisiert. Dabei kommt es in der Regel zu einer vorübergehenden länderübergreifenden Zusammenarbeit, in Einzelfällen auch zu dauerhaften Kooperationen. Bayerische Rechtsextremisten pflegen Kontakte insbesondere nach Tschechien, Ungarn und Griechenland. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 117 Rechtsextremismus Kontakte zu Am 30. Januar nahm eine Delegation der Partei III. Weg am sog. Chrysi Avgi und "Imia-Marsch" in Athen teil. Die Partei Chrysi Avgi organisiert slowakischen diese Veranstaltung jährlich als Erinnerung an den Konflikt um die Nationalisten sowohl von Griechenland als auch von der Türkei beanspruchte Mittelmeerinsel Imia, die Soldaten beider Länder 1996 einzunehmen versuchten. Chrysi Avgi vertritt offen neonazistische Positionen, die territoriale Ansprüche an Nachbarstaaten ebenso umfassen wie die Diskriminierung von Migranten. Der Stadtrat der rechtsextremistischen Münchner Bürgerinitiative Ausländerstopp München, Karl Richter, besuchte einen Kongress der Chrysi Avgi in Griechenland und trat bei einer Kundgebung slowakischer Nationalisten zur Europapolitik in Bratislava (Slowakei) auf. Kontakte zum Ein Aktivist des Stützpunkts München der Partei III. Weg reiste assadfreundlichen Anfang Mai nach Syrien. Er war Teil einer sog. "Delegation", der Netzwerk Euroauch Personen aus Belgien und Polen angehörten. Zu der Reise pean Solidarity angeregt wurde der Aktivist nach eigenen Angaben durch eine Front for Syria Vortragsveranstaltung der European Solidarity Front for Syria (ESFS) (ESFS) im Januar in München, an der Mitglieder des III. Wegs teilgenommen haben. Bei der ESFS handelt es sich um ein in mehreren europäischen Ländern aktives Netzwerk, das sich die propagandistische Unterstützung der syrischen Regierung unter Assad zum Ziel gesetzt hat. Eine enge Verzahnung der ESFS zur italienischen rechtsextremistischen Casa Pound-Bewegung ist erkennbar. Die Reisegruppe führte u. a. Gespräche mit Vertretern des Assad-Regimes und der syrischen Armee. Deutsche Rechtsextremisten sympathisieren bereits seit Längerem mit der syrischen Regierung unter Präsident Assad. Der syrische Staat mit seinen autokratischen Strukturen, seiner säkular-nationalistischen Politik und der vermeintlichen geistigen Einheit des syrischen Volkes gilt ihnen als Vorbild eines auch in Deutschland angestrebten Staatswesens eines "nationalistischen" und "sozialistischen" Volksstaates. Vertreter des III. Wegs nahmen auch an den rechtsextremistischen Gedenkfeiern zur Schlacht um Budapest im Zweiten Weltkrieg teil. Dabei beteiligte sich eine Gruppe des III. Weg-Stützpunktes Nürnberg/Fürth an einem Geländemarsch, welcher der Strecke des Ausbruchs von ungarischen und deutschen Soldaten aus dem belagerten Budapest nachempfunden war. 118 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Auch der Ukraine-Konflikt wird durch die Partei III. Weg immer wieder thematisiert. Insbesondere zum sog. "Bataillon Azov" fanden sich wiederholt Berichte auf der Homepage der Partei. Dabei stellt der III. Weg das Selbstverständnis von Azov "als Bewegung zur völkischen Neugeburt der Ukraine" hin. Das "Bataillon Azov" gilt als Milizgruppe mit rechtsextremen Bezügen und ist kein Teil der regulären ukrainischen Streitkräfte. Die "Schwarze Sonne" und die "Wolfsangel" sind Bestandteile des Abzeichens des "Bataillons Azov". Beide Symbole sind auch bei deutschen Rechtsextremisten beliebt und in Deutschland verboten. Im Juni hielten sich Azov-Angehörige laut Angaben des III. Wegs in Bayern auf. Am 11. Juni fand in Wien eine Kundgebung der Identitären Bewegung unter dem Motto "Europa verteidigen" statt. An der Veranstaltung nahmen Personen aus mehreren europäischen Staaten und der Bundesrepublik Deutschland, darunter auch Aktivisten der IB aus Bayern, teil, die an einem einheitlichen blauen T-Shirt zu erkennen waren. Darüber hinaus trat der Vorsitzende der IB Bayern bei der Demonstration in Wien als Redner auf. Außerdem besuchten Aktivisten der IBD aus Bayern im August ein "Identitäres Sommerlager" in Österreich und eine "Sommeruniversität" der französischen Generation Identitaire in Frankreich mit Sportangeboten und Vorträgen. Die Sommeruniversität in Frankreich diente dem Knüpfen von Kontakten mit Teilnehmern aus mehreren europäischen Staaten. Führender Aktivist der IB im deutschsprachigen Raum ist der Österreicher Martin Sellner, der auch in Deutschland immer wieder Aktivitäten entfaltet. In Berlin trat er im August bei einer IBD Demonstration auf, im Sommer beteiligte er sich an der Besetzung der CDU-Parteizentrale. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 119 Rechtsextremismus 4. Internet, Musik, Vertriebsstrukturen und Verlage 4.1 Rechtsextremisten im Internet Rechtsextremisten nutzen intensiv das Internet als Propaganda-, Rekrutierungsund Koordinierungsmedium. Die Zahl der von deutschen Rechtsextremisten betriebenen Internetseiten bewegt Verbot der sich seit Jahren auf hohem Niveau; dabei werden aber regelInternetplattform mäßig Seiten vom Netz genommen und andere veröffentlicht. "Altermedia" Eine der meistfrequentierten deutschsprachigen InternetPräsenzen der rechtsextremistischen Szene war das Internetportal "Altermedia". Der Bundesinnenminister hat am 27. Januar diese rechtsextremistische Internetplattform verboten. Im Zusammenhang mit den ansteigenden Flüchtlingszahlen häuften sich in den Kommentarbereichen sozialer Netzwerke Wortmeldungen, die als rassistisch und fremdenfeindlich zu bewerten sind. Teils handelt es sich dabei auch um strafrechtlich relevante Inhalte. Durchsuchungen Am 13. Juli fanden in 14 Bundesländern unter der Koordination bei rechtsexdes Bundeskriminalamts (BKA) Durchsuchungsmaßnahmen bei tremistischer etwa 60 Beschuldigten wegen sog. Hass-Postings im Internet Facebookgruppe statt. Im Mittelpunkt dieser Maßnahmen stand ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kempten. Auslöser des Ermittlungsverfahrens wegen politisch motivierter Kriminalität im Phänomenbereich Rechtsextremismus waren Erkenntnisse des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz zu einer geschlossenen Facebookgruppe. Erkenntnisse aus dieser Gruppe wurden seit dem Sommer 2015 über mehrere Monate durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz gesammelt, ausgewertet und an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden übermittelt. Bei der Beobachtung der Gruppe konnte festgestellt werden, dass dort antisemitische, rassistische und den Nationalsozialismus verherrlichende Inhalte verbreitet wurden. Die zwei Hauptbeschuldigten des Verfahrens - die Administratoren der Gruppe - stammen aus dem Landkreis Ostallgäu und aus Nürnberg. Insgesamt gingen annähernd 40 der bundesweit 60 Durchsuchungen auf die Ermittlungen im Zusammenhang mit dieser Gruppe zurück. 120 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Zunehmend orientieren sich Rechtsextremisten an einem geänderten Internet-Nutzungsverhalten, bei dem mobile Endgeräte wie Smartphones eine immer größere Rolle spielen. Mit der Nachrichten-App "widerstand.info" ist in der rechtsextremistischen Szene eine Android-App entstanden, die als "News-Aggregator" dient. Meldungen rechtsextremistischer Organisationen wie der Parteien III. Weg und DIE RECHTE, der NPD-Tarnorganisation Bürgerinitiative Ausländerstopp München, aus der Publikation Umwelt & Aktiv sowie aus Blogs und sozialen Netzwerken werden dort gesammelt und zur Verfügung gestellt. Rechtsextremistischen Smartphoneund Tablet-Nutzern ermöglicht die App so einen schnellen Zugriff auf die Medienquellen rechtsextremistischer Organisationen und Blogs. Das kann zur szeneinternen viralen Verbreitung entsprechender Meldungen beitragen. Daneben nutzen Rechtsextremisten auch soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter. Dort gründen Rechtsextremisten geschlossene Foren und Chatrooms zur szeneinternen Kommunikation. Der hohe Verbreitungsgrad macht soziale Netzwerke für Rechtsextremisten zudem als Propagandaplattform attraktiv. So werden Facebook-Gruppen zur Agitation gegen Asylbewerber genutzt oder Rechtsextremisten treten selbst Facebook-Gruppen als Mitglied bei. Mehr noch als bei offensichtlich rechtsextremistischen Homepages besteht in sozialen Netzwerken und auf Videoportalen die Gefahr, dass die Nutzer, ohne es zu bemerken, rechtsextremistischer Propaganda ausgesetzt sind. Zunehmend gehen Rechtsextremisten dazu über, Kommentare nicht nur Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 121 Rechtsextremismus öffentlich in sozialen Netzwerken zu posten, sondern sich dort auch in geschlossenen Gruppen zusammenzufinden. Der Zugang zu derartigen Gruppen bedarf in der Regel einer persönlichen Einladung und einer Bestätigung durch den Administrator und setzt somit zumindest virtuelle Kennverhältnisse voraus. Diese geschlossenen Gruppen vermitteln sowohl das Gefühl der Anonymität nach außen als auch das Gefühl, sich unter Gleichgesinnten offen austauschen zu können. Auf Instagram, einem Dienst zum Teilen von Fotos und Videos, ist der NPD-Bundesverband mit einem Profil vertreten und stellt Bildmaterial zur Verfügung. Zwar werden von einzelnen Providern immer wieder rechtsextremistische Inhalte aus dem Netz entfernt. Videos neonazistischer Kameradschaften und Parteien, Aufnahmen ihrer Demonstrationen und Musikclips rechtsextremistischer Bands werden jedoch fortlaufend neu publiziert. Die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) in Bayern war zunächst vor allem im virtuellen Raum aktiv und verbreitete dort ihre politische Agitation. Seit Anfang 2015 entfaltet die IBD zunehmend öffentliche Aktivitäten, ihre virtuelle Präsenz ist dabei unvermindert. So pflegen die drei in Bayern aktiven IBD-Dachorganisationen Bayern, Franken und Schwaben eigene Facebook-Profile. IB-Aktionen werden dort durch eigene Berichterstattung begleitet, häufig sind den Beiträgen Videos oder Bilder beigefügt, um die mediale Attraktivität zu erhöhen. Darüber hinaus nutzen Aktivisten der IBD zahlreiche weitere soziale Medien. So bestehen neben zahlreichen Youtube-Kanälen auch Twitter-Accounts und Instagram-Profile, die zum Teil sehr intensiv genutzt und gepflegt werden. Internetaufklärung Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat die Internetintensiviert aufklärung weiter intensiviert und personell aufgestockt. Darüber hinaus steht das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz in Kontakt mit der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien und versucht, in Zusammenarbeit mit dieser, Veröffentlichungen von rechtsextremistischen Inhalten zu verhindern. 122 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus 4.2 Rechtsextremistische Musik Rechtsextremistische Musik ist - zusammen mit sozialen Erfahrungen und gemeinsamen Erlebnissen - ein wesentliches Eintrittstor in die rechtsextremistische Szene. Rechtsextremisten nutzen Musik, um Jugendliche mit rechtsextremistischem Gedankengut in Kontakt zu bringen. Das Angebot an rechtsextremistischer Musik ist hinsichtlich Qualität, Stil und Zielrichtung größer geworden und reicht von Skinhead-Musik und Balladensängern über Vikingrock, Black Metal, Hatecore und Neofolk bis hin zu Hip-Hop und Techno. Die Texte enthalten nationalistisches, fremdenfeindliches, antisemitisches und antidemokratisches Gedankengut. Rechtsextremistische Musik wird live auf Veranstaltungen rechtsextremistischer Organisationen und Parteien sowie auf Skinhead-Konzerten im Inund Ausland gespielt. Diese Konzerte dienen den Teilnehmern als Plattform für soziale Kontakte und ermöglichen es, ein Netzwerk persönlicher Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Bayerische Skinhead-Bands Bandname Herkunft Aktiv seit Letzte Veröffentlichung Burning Hate Ober2005 CD "Your time franken Gründung mit is running out" (2010) ehemaligen Mitgliedern der SkinheadBands Aryan Rebels und Division 28 Kodex Frei Raum 2010 Beteiligung am Kempten Sampler"Tribute to Triebtäter" (2012) Faustrecht Raum 1994-2002 CD "For the love Mindelheim Neugegr. of oi" (2013) 2004 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 123 Rechtsextremismus MPU Raum Hof 2010 CD "Aus dem Herzen in die Fresse (2013)" National born Neu-Ulm 2001 CD "gehirngefickt" haters (derzeit inaktiv) (2010) Sturmtrupp Neuburg 2008 CD "Unter feindlicher a.d. Donau (Wiedergr. Attacke" (2011) nach Auflösg. 2002) (derzeit inaktiv) UnterWürzburg 2008 Beteiligung am Sampler grundwehr (Wieder"Tribute to Triebtäter" gründung) (2012) White rebel Raum Hof 2007 CD "The boys are boys back in town" (2012) Hard as nails Raum 2013 Demo-CD (2015) Allgäu Nordwind Raum Fürth 1995 LP Stolz & Stark - (inaktiv zw. limitierte Sammler2004 und 2014) Edition (2014) Schanddiktat Raum 2016 Youtube-channel Dillingen "Schanddiktat" an der Donau Rechtsextremistische Bands nutzen Konzerte als Möglichkeit, ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen und für Tonträger und Merchandising-Artikel zu werben. Allein mit der Gage für einen Konzertauftritt können die meisten Bands ihre entstandenen Kosten nur teilweise decken. Wesentlich einträglicher sind der Verkauf und Vertrieb von Tonträgern, die über Versandhandel, Verkaufsstände auf rechtsextremistischen Veranstaltungen und über das Internet verbreitet und vermarktet werden. 124 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Das Internet bietet darüber hinaus zahlreiche Möglichkeiten, rechtsextremistische Musik einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Beispielsweise können Musikclips schnell und effektiv zum Download zur Verfügung gestellt werden. Rechtsextremistische Konzerte werden von den Veranstaltern in der Regel konspirativ vorbereitet bzw. als private Veranstaltungen durchgeführt. Mit Vortrefforten, SMS-Mobilisierung bzw. Mund-zu-Mund Propaganda und/oder der Deklarierung eines Konzerts als private Geburtstagsfeier soll ein Einschreiten der Sicherheitsbehörden verhindert werden. Diese geheime Vorbereitung übt einen zusätzlichen Reiz aus. Veranstalter - es handelt sich dabei meistens um langjährige Aktivisten - erlangen bei der erfolgreichen Durchführung eines Konzerts innerhalb der Szene viel Anerkennung. Kommerzielle Interessen spielen dabei eine untergeordnete Rolle, da die Konzertveranstalter mit den erhobenen Eintrittsgeldern in der Regel gerade die eigenen Kosten, beispielsweise Bandgagen, decken können. Im Jahr 2016 fand kein rechtsextremistisches Konzert in Bayern Ausweichstatt. Ein konspirativ vorbereitetes Konzert konnte am 14. Juni bewegungen in Gangkofen, Niederbayern, von den Sicherheitsbehörden von Veranstaltern verhindert werden. Das strikte Vorgehen der bayerischen Sicherins Ausland heitsbehörden führt dazu, dass viele Musikveranstaltungen nicht mehr in Bayern, sondern in benachbarten Regionen durchgeführt wurden. Neben mehreren Konzerten im thüringisch-bayerischen Grenzgebiet mit regelmäßig sich wiederholenden Veranstaltungen in den thüringischen Gemeinden Kloster Veßra und Kirchheim b. Arnstadt, ist insbesondere das "Rocktoberfest" am 15. Oktober zu nennen. Diese Großveranstaltung mit 5.000 Besuchern war ursprünglich für "Süddeutschland" beworben worden, wurde dann jedoch im schweizerischen Alt St. Johann im Kanton St. Gallen durchgeführt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 125 Rechtsextremismus 4.3 Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen Rechtsextremistische Vertriebe und Versandhandel kommerzialisieren die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Das Sortiment ist gezielt auf die Bedürfnisse der Anhänger einzelner Szene-Stilrichtungen wie der Skinhead-, der NS-Hatecoreoder der NS-Black-Metal-Subkultur ausgerichtet. Bei der Produktion und Vervielfältigung von Tonträgern spielen insbesondere die größeren Vertriebe eine wichtige Rolle. Neben Musik umfasst die Angebotspalette auch Textilien, Fahnen, Flugblätter, Plakate und szenetypische Devotionalien wie Bücher und Aufkleber sowie zunehmend Accessoires für den Alltag wie Sonnenbrillen oder Gürteltaschen. Szeneläden sind mittlerweile die Ausnahme. Nahezu alle Händler bieten ihre Waren auf zum Teil professionell gestalteten Verkaufsplattformen im Internet an. Die Betreiber rechtsextremistischer Betriebe verfolgen insbesondere wirtschaftliche Interessen, manche unterstützen mit ihren Einnahmen auch die rechtsextremistische Szene. Vertriebe und Versandhandel Name Sitz / Landkreis seit Inhaber Ansgar Aryan Mantel / Neustadt 2009 Nemesis Produca.d. Waldnaab tion GmbH, Mantel; Gf: Patrick Schröder FSN Shop Mantel / Neustadt 2014 Patrick Schröder a.d. Waldnaab Versand der Murnau / Garmisch2003 Matthias Polt Bewegung Partenkirchen Patriaversand Kirchberg / Erding 1993 Franz Glasauer WikingerGeiselhöring / 1997 Siegfried Birl versand Straubing-Bogen Tradition Bad Wörishofen / 2010 Stefan Friedmann u. Moderne Unterallgäu Oldschool Wolfertschwenden / 2008 Benjamin Einsiedler Records Unterallgäu Schwarze Rain am Lech / 2001 Alexander Feyen Sonne Versand Donau-Ries DIM Records Coburg 1991 Ulrich Großmann Nordic Union Mantel / Neustadt Patrick Schröder a.d. Waldnaab 126 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr Exekutivmaßhat am 23. Juli 2014 das neonazistische Netzwerk Freies Netz Süd nahmen gegen (FNS) verboten, da es die verfassungsfeindlichen Bestrebungen FNS und der verbotenen Fränkischen Aktionsfront weiterführte. Darüber Final Resistance hinaus wurden Gegenstände des Szene-Versandhandels Final Versand Resistance Versand beschlagnahmt und eingezogen. Der Final Resistance Versand unterstützte die Aktivitäten des FNS, indem er Agitationsund Propagandamaterial zur Verfügung stellte. Er hatte sich in den letzten Jahren zu einem der bedeutendsten Szene-Versandhandel in Bayern entwickelt. Die Einziehung der Gegenstände des Final Resistance Versandes zu Gunsten des Freistaates Bayern ist allerdings noch nicht bestandskräftig, da dessen Gesellschafter hiergegen Rechtsmittel eingelegt haben. Das Klageverfahren ist vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth anhängig. Dieses Verfahren wurde bis zum rechtskräftigen Abschluss des parallel geführten Verfahrens vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof über die Rechtmäßigkeit des Vereinsverbots ausgesetzt. Gegen den Betreiber von Oldschool Records ermittelte die Staatsanwaltschaft Memmingen seit dem Jahr 2014 wegen der Verbreitung von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung. Das Amtsgericht Memmingen hat eine Geldstrafe in Höhe von 4.800 Euro verhängt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 4.4 Rechtsextremistische Internet-Radios und -TV Rechtsextremisten nutzen auch Internet-Radios zur Verbreitung "ihrer" Musik. Gelegentlich werden auch indizierte oder strafbare Titel gespielt. Teilweise können die Hörer das Programm mitgestalten. Als Wortbeiträge werden Interviews mit Rechtsextremisten (z. B. Bandmitgliedern), Kommentare oder Kritiken zu CDs sowie gelegentlich Werbung für Konzerte und Demonstrationen gesendet. Die Sendezeiten variieren von wenigen Stunden wöchentlich bis hin zu einem 24-Stunden Programm. Die Homepages dieser Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 127 Rechtsextremismus Internet-Radios bieten häufig auch anmeldepflichtige Chats und Diskussionsforen an. Internet-Radios unterliegen einer hohen Fluktuation, manche sind nur vorübergehend in Betrieb. Der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Weiden i. d. OPf., Patrick Schröder, betreibt seit 2007 - mit Unterbrechungen - von Weiden i. d. OPf. aus das rechtsextremistische Internetradio Radio FSN (Frei-Sozial-National) sowie seit August 2012 auch das InternetTV FSN-TV. Auf FSN-TV werden neben Interviews mit Protagonisten aus der rechtsextremistischen Szene in moderierten Beiträgen, die auch heruntergeladen werden können, Aktionshinweise, Demonstrationstermine und Informationen über aktuelle und politische Ereignisse innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums verbreitet. Patrick Schröder, der mit einem Co-Moderator auftritt, erreicht mit seinen Sendungen ein überregionales Szenepublikum. Klage gegen Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) untersagte Verbot des FSN-TV Schröder, ab 21. September 2014 das audiovisuelle Medienabgewiesen angebot FSN-TV oder ein anderes journalistisch-redaktionell gestaltetes audiovisuelles Angebot über Internet oder andere Übertragungskapazitäten für mehr als 500 zeitgleich mögliche Nutzer zu veranstalten und linear, d. h. live oder zu einem bestimmten Sendezeitpunkt, zu verbreiten. Die von Schröder dagegen erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht Regensburg am 17. November abgewiesen. Seit der Untersagungsverfügung der BLM bietet Schröder aufgezeichnete FSN-TV-Sendungen als Podcasts an. Schröder weicht dabei auf andere audiovisuelle Internetformate wie das Live-Stream Portal YouNow oder Youtube aus, die nicht der Aufsicht durch die BLM unterliegen. 128 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus 4.5 Rechtsextremistisches Verlagswesen Die 1958 gegründete Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH (DSZ-Verlag) mit Sitz in München war über einen langen Zeitraum das bedeutendste rechtsextremistische Propagandainstrument in Deutschland. In diesem Verlag erscheint wöchentlich die National-Zeitung / Deutsche Wochen-Zeitung (NZ). Die Verlagsgesellschaft Berg mbH (VGB) mit Geschäftssitz in Gilching, Landkreis Starnberg, besteht seit 1991. Sie ist mit dem Verlag Druffel & Vowinckel-Verlag verschmolzen und einer der größten organisationsunabhängigen rechtsextremistischen Verlage in Deutschland. Das Verlagsprogramm umfasst Schriften mit revisionistischen sowie militärhistorischen Inhalten, beispielsweise die Zeitschrift "Deutsche Geschichte" oder das Jahrbuch "Deutsche Annalen". Der Inhaber der VGB trat am 4. Juni in Kirchheim/Thüringen als Redner beim Jahreskongress der rechtsextremistischen Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) auf. Er wurde in der Einladung der GfP als "Urgestein des nationalen Lagers" angekündigt. 5. Immobiliensuche und -erwerb Rechtsextremistisch genutzte Immobilien sind solche, die ausschließlich oder überwiegend zum Zwecke der Schaffung oder Festigung regionaler Strukturen und Anlaufstellen erworben oder angemietet wurden. Davon abzugrenzen sind überwiegend als Wohnobjekte genutzte Immobilien. Rechtsextremisten nutzen Immobilien, um regionale Strukturen und Anlaufstellen zu schaffen. Sie sind in Ballungsräumen ebenso wie im ländlichen Raum ständig auf der Suche nach Räumlichkeiten für Feiern, Konzerte, Schulungen, Parteiveranstaltungen oder interne Treffen. Für kleinere Treffen nutzen Rechtsextremisten häufig auch ihre privaten Wohnobjekte. Sie haben in der breiten Öffentlichkeit keine Akzeptanz und mögliche Vermieter lehnen eine Vermietung an rechtsextremistische Gruppierungen zumeist ab. Die rechtsextremistische Szene hat deshalb regelmäßig erhebliche Schwierigkeiten, dauerhaft Immobilien für ihre Aktivitäten zu finden, die Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 129 Rechtsextremismus über eine bloße Wohnnutzung hinausgehen. Insbesondere die langfristige Anmietung einer Gaststätte durch Rechtsextremisten stellt in Bayern die Ausnahme dar. Verschiedene rechtsextremistische Gruppierungen halten zwar wiederholt interne Treffen oder kleinere Feiern in Gaststätten ab. Die Räumlichkeiten werden aber nur in Ausnahmefällen explizit für ein Treffen von Rechtsextremisten angemietet. Vielmehr geben sie sich dort meist als "normale" Gäste aus. Einsatz von StrohWenn Rechtsextremisten eine ernsthafte Kaufabsicht haben, setzen männern bei sie meist harmlos erscheinende "Strohmänner" ein, um den Immobilienerwerb rechtsextremistischen Hintergrund des Erwerbs zu verschleiern. Beschlagnahme Gleichzeitig mit dem mittlerweile bestandskräftigen Verbot einer Immobilie des neonazistischen Netzwerks Freies Netz Süd (FNS) hat das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr am 23. Juli 2014 eine Immobilie in Oberprex beschlagnahmt und eingezogen. Seit dem Jahr 2010 wurde das Gebäude kontinuierlich als Treffpunkt und Veranstaltungsort für die rechtsextremistische Szene im Umfeld des FNS genutzt. Die Einziehung des Grundstückes zu Gunsten des Freistaates Bayern ist allerdings noch nicht bestandskräftig, da die Eigentümerin hiergegen Rechtsmittel eingelegt hat. Das Klageverfahren ist vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth anhängig. In Murnau, Landkreis Garmisch-Partenkirchen, existiert bereits seit 2003 ein Ladengeschäft des rechtsextremistischen Versandhandels "Versand der Bewegung", in dem auch Veranstaltungen der NPD durchgeführt werden. Ein Aktivist der Skinhead-Gruppierung Voice of Anger (VoA) erwarb in Memmingen eine Gaststätte, die zu internen Treffen von VoA genutzt wird. Am 12. November nahmen dort an einem als "Geschlossene Gesellschaft" ausgewiesenen Treffen etwa 40 Rechtsextremisten teil. 130 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Auf Einladung der rechtsextremistischen GruppierungThügida aus Thüringen fand am 1. April auf dem Anwesen des rechtsextremistischen Liedermachers Frank Rennicke in Feilitzsch-Unterhartmannsreuth (Oberfranken) ein Organisationstreffen statt. Vertreter von etwa 30 Bürgerinitiativen und "GIDA"-Gruppen, insbesondere aus den BundesländernThüringen und Sachsen, beteiligten sich daran. Ziele des Treffens waren das Knüpfen von Kontakten, eine verbesserte Zusammenarbeit und die Planung von Aktionen. Über einen Untermietvertrag gelang es im März Aktivisten der Partei III. Weg, vorübergehend einen Kellerraum im Münchner Westend anzumieten. Die Nutzung wurde im Juni beendet. In dem Kellerraum befand sich eine Art Diskothek mit Barbetrieb. Außerdem waren dort Baseballschläger und Pfefferspray gelagert. Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) Die BIGE berät betroffene Kommunen und Eigentümer. Auf dem Internetportal der BIGE sind zusätzliche Informationen abrufbar: www.bayern-gegen-rechtsextremismus.bayern.de Seit Einrichtung der BIGE im Frühjahr 2009 wurden in mehr als 60 Fällen Kommunen in Bayern im Hinblick auf Kauf, Pacht, Anmietung oder sonstige längerfristige Nutzung von Immobilien durch Rechtsextremisten beraten. In mehreren Fällen konnte ein Kauf von Gasthöfen mit Unterstützung der BIGE verhindert werden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 131 Rechtsextremismus 6. Rechtsextremistische Parteien 6.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Deutschland Bayern Mitglieder 5.200 700 Vorsitzender Frank Franz Franz Salzberger Gründung 1964 1965 Sitz Berlin Bamberg Publikationen Deutsche Stimme Die NPD will die bestehende Ordnung durch eine "Volksgemeinschaft" ersetzen. Aus Sicht der NPD stellt einzig eine ethnisch homogene "Volksgemeinschaft" eine natürliche, dem wahren Wesen des Menschen entsprechende und damit annehmbare staatliche und gesellschaftliche Ordnung dar. Sie strebt einen Gegenentwurf zur parlamentarischen Demokratie in Deutschland an. Die von der NPD vertretenen völkischen Grundideen bringen im Zusammenhang mit den verschiedensten politischenThemen oft ausländerfeindliche, antisemitische, rassistische - und in Bezug auf den historischen Nationalsozialismus verharmlosende und zustimmende - Positionen zum Ausdruck. Damit wirkt die NPD ideologisch prägend für das gesamte rechtsextremistische Spektrum. Ihr angestrebtes Ziel der "Systemüberwindung" und ihre Grundaussagen stehen inhaltlich im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. Das im Juni 2010 verabschiedete Parteiprogramm der NPD ist von einem ausgeprägten Nationalismus getragen und schreibt den Gedanken der "Volksgemeinschaft" in einer völkischkollektivistischen Auslegung fest. So heißt es im Parteiprogramm: "Volksherrschaft setzt die Volksgemeinschaft voraus. Der Staat nimmt dabei die Gesamtverantwortung für das Volksganze wahr und steht daher über Gruppeninteressen." und "Ein grundlegender politischer Wandel muß die sowohl kostspielige als auch menschenfeindliche Integrationspolitik beenden und auf die Erhaltung der deutschen Volkssubstanz abzielen. Integration ist gleichbedeutend mit Völkermord." 132 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Für die NPD resultiert die Würde des Einzelnen nicht aus dem Rassismus und freien Willen des Individuums, sondern ist von biologischFremdenfeindgenetischer Teilhabe an der "Volksgemeinschaft" abhängig. Da nur lichkeit als IdeoloDeutsche völkischer Abstammung Teil der "Volksgemeinschaft" giebestandteile sein können, ist eine rassistisch und nationalistisch geprägte Fremdenfeindlichkeit elementarer Bestandteil der Parteiideologie vom "lebensrichtigen Menschenbild", das sich insbesondere gegen "Fremdbestimmung" und "Überfremdung" wendet. Die NPD verfolgt nicht nur erkennbare rechtsextremistische Ziele. Sie versucht auch, über bürgerliche Themen ihre rechtsextremistischen Anschauungen zu verbreiten. So befasst sie sich unter dem Motto "Sozial geht nur national" verstärkt mit sozialpolitischen Themen. Damit will sich die NPD als soziale Protestpartei darstellen und die Ängste der Bevölkerung vor sozialen Reformen, Arbeitslosigkeit und einer "multikulturellen Gesellschaft" schüren. Um dem Ziel der politischen Machtergreifung näher zu kommen, verfolgt die Partei ein auf vier "strategische Säulen" gestütztes Konzept. Diese Säulen bezeichnet sie schlagwortartig mit den Begriffen: f "Kampf um die Köpfe" Vier-Säulen- f "Kampf um die Straße" Strategie f "Kampf um die Parlamente" f "Kampf um den organisierten Willen" Der "Kampf um die Köpfe" bezeichnet die politisch-theoretische Arbeit. Die "völkisch-nationale Programmatik" soll weiterentwickelt und dem Bürger vermittelt werden. Gerade angesichts der Flüchtlingsthematik zeigt die zunehmende Verrohung mancher Debatten im Internet, dass die Strategie der NPD des "Kampfs um die Köpfe" erfolgreich ist. Im "Kampf um die Straße" soll einerseits durch zahlreiche öffentliche Veranstaltungen wie Aufmärsche und Demonstrationen Präsenz gezeigt und andererseits die Bevölkerung mobilisiert werden. Bei der dritten Säule, dem "Kampf um die Parlamente", geht es der NPD um Erfolge als politische Wahlpartei. Ziel ist die Gewinnung von Macht und Einfluss sowie die Gewährung finanzieller Zuwendungen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 133 Rechtsextremismus Mit dem "Kampf um den organisierten Willen" strebt die NPD eine Bündelung aller rechtsextremistischen Kräfte unter ihrer Führung an, ohne dabei programmatische Inhalte zu definieren. Im Grunde will die NPD im Rahmen einer Aktionseinheit als die zentrale und entscheidende Kraft des Rechtsextremismus wahrgenommen werden. Die NPD und ihre Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten unterhalten Verbindungen zu verschiedenen Rechtsextremisten im europäischen Ausland. Die NPD ist Mitglied der Europäischen Nationalen Front, einem europaweiten rechtsextremistischen Parteienbündnis, dem auch die griechische rechtsextremistische Partei Chrysi Avgi angehört. Misserfolge bei Die NPD gliedert sich in 16 Landesverbände, die wiederum in Wahlen Bezirksund Kreisverbände unterteilt sind. Ende 2010 fusionierte die NPD mit der Deutschen Volksunion (DVU) zur neuen Partei "NPD - Die Volksunion". Bei den Landtagswahlen im Jahr 2016 erlitt die NPD klare Niederlagen. Seit der verlorenen Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ist die Partei in keinem deutschen Länderparlament mehr vertreten. Aktivisten des Kreisverbandes München der NPD hatten Wahlkampfhilfe in MecklenburgVorpommern geleistet. Landesparteitag In Bayern gliedert sich die NPD in sieben Bezirksund 31 Kreisverbände. Am 5. November fand der NPD-Landesparteitag mit Neuwahlen des Landesvorstands in Schwenningen statt. Der bisherige Landesvorsitzende Franz Salzberger wurde in seinem bisherigen Amt bestätigt. Zu Stellvertretern wurden Axel Michaelis und Sascha Roßmüller gewählt. Der langjährige NPD-Funktionär Roßmüller war bereits 2010 zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt worden. Im Oktober 2014 hatte seine Verhaftung wegen Beteiligung an einer gefährlichen Körperverletzung im Rocker-Milieu in den Medien für erhebliches Aufsehen und in der bayerischen NPD für personelle Verwerfungen gesorgt: Sowohl der damalige Landesvorsitzende Karl Richter als auch seine Stellvertreterin Sigrid Schüßler traten umgehend von ihren Ämtern zurück. Roßmüller wurde am 30. November 2014 noch während der Untersuchungshaft auf dem 49. Ordentlichen Parteitag der bayerischen NPD in Schwürbitz, Landkreis Lichtenfels, als Beisitzer in den Landesvorstand 134 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus gewählt, bevor er nun wieder in sein ursprüngliches Amt als Stellvertreter zurückkehrte. Die Delegierten wählten Roßmüller zudem auf die Landesliste der bayerischen NPD für die Bundestagswahl 2017. An dem überparteilichen "Drei Königs Treffen" des NPD-Kreisverbandes Augsburg am 6. Januar in Schwenningen sprach neben den NPD-Vertretern Udo Voigt, Karl Richter und Manfred Waldukat auch Philipp Hasselbach von der Partei DIE RECHTE. Im Nachgang zu dieser Veranstaltung lobte der Münchner Stadtrat und NPD-Funktionär Karl Richter den überparteilichen Charakter der Veranstaltung auf seinem Facebook Profil: "Schulterschluss ist heute, wenn Deutschland morgen noch sein soll". Einen Rednerund Liederabend des NPD-Bezirksverbandes Oberbayern besuchten am 18. Mai in Murnau etwa 50 Personen. Am 2. Februar stellte die NPD Bayern auf ihrer Homepage einen Aufruf zum Aufruf an die Angehörigen der deutschen Sicherheitsbehörden Widerstand ein, in dem sie die aktuelle Flüchtlingspolitik der Bundesregierung mit dem Recht auf Widerstand in Verbindung brachte. Die Politik der Bundesregierung gefährde laut NPD den deutschen Staat und sei gegen das Volk gerichtet. Ähnlich wie die Partei III. Weg stellte die bayerische NPD auf ihrer Homepage eine interaktive Karte ein, in der angebliche "Vorfälle aus dem Bereich der Migrantenkriminalität" aufgelistet sind. Die Karte soll das Vorurteil angeblicher Kriminalität von Migranten weiter verstärken. Im Gegenzug stellt sich die Partei als einzige politische Kraft dar, die in der Lage und willens sei, Problemen mit kriminellen Migranten zu begegnen. Der Kreisverband München der NPD führte am 27. Februar Kampagne gegen eine Kundgebungstour mit drei Veranstaltungen in München Flüchtlinge durch. Dabei verknüpfte er das Thema "Flüchtlinge" mit dem Thema bezahlbarer Wohnraum für Einkommensschwache. An den drei Veranstaltungen nahmen jeweils 5 Personen teil. Eine weitere Kundgebungsreihe mit ebenfalls drei Veranstaltungen in München veranstaltete die Partei am 19. März. Auch diese Veranstaltungen drehten sich um das Thema Flüchtlinge bzw. die Einrichtungen von Unterkünften. Am 4. August fand in München eine NPD-Kundgebung unter dem Motto "Grenzen dicht - jetzt sofort! IS-Terroristen raus aus Deutschland!" mit etwa 15 Teilnehmern Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 135 Rechtsextremismus statt. An der NPD-Kundgebung "Weg mit dem Flüchtlingscamp am Sendlinger Tor! Aufnahmestopp für München - jetzt sofort" nahmen in München am 17. September etwa 10 Personen teil. Gegen die NATO führte der Münchner NPD-Kreisverband eine Kundgebung am Generalkonsulat der USA mit 11 Personen am 14. Oktober durch. Als Redner trat der Stadtrat Karl Richter auf. Am 28. Oktober besuchte der Europaabgeordnete Udo Voigt den Münchner NPD-Kreisverband und informierte über seine Tätigkeit im Europäischen Parlament. Richter ist als Parlamentarischer Referent für Voigt tätig. Das Thema Flüchtlinge bestimmt den Aktionismus der Partei nicht nur in München. So demonstrierten rund 10 Parteimitglieder und -sympathisanten am 16. April in Baiersdorf und Eschenau in Mittelfranken unter dem Motto "Asylbetrug macht uns arm". An einer NPD-Kundgebung in Würzburg nahmen am 23. Juli etwa 20 Personen teil. BundesverfasAm 3. Dezember 2013 reichte der Bundesrat durch die prozesssungsgericht lehnt bevollmächtigten Professoren Dr. Möllers und Dr. Waldhoff Parteiverbot ab einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD gemäß Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Die mündliche Verhandlung zum NPD-Verbotsverfahren fand vom 1. März bis zum 3. März vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe statt. Die Urteilsverkündung erfolgte am 17. Januar 2017. Das Gericht hat darin den Verbotsantrag des Bundesrates zurückgewiesen und dies im Wesentlichen mit folgenden Erwägungen begründet: 136 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Die NPD vertrete zwar ein auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Konzept. Sie wolle die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen. Ihr politisches Konzept missachte die Menschenwürde und sei mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar. Allerdings fehle es (derzeit) an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt (sog. Potentialität). Lasse das Handeln einer Partei noch nicht einmal auf die Möglichkeit eines Erreichens ihrer verfassungsfeindlichen Ziele schließen, bedürfe es eines Parteiverbotes nicht. Die ursprüngliche Rechtsauffassung im KPD-Urteil von 1956, nach der es einem Parteiverbot nicht entgegenstehe, wenn für die Partei nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können, hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich aufgegeben. Die NPD führte mehrere Kundgebungen gegen das Verbotsverfahren durch, zum Beispiel am 14. Mai in Freising sowie am 9. und 28. April in München. Die Teilnehmerzahl lag dabei jeweils bei rund 10 Personen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 137 Rechtsextremismus Junge Nationaldemokraten (JN) Deutschland Bayern Mitglieder 350 Einzelpersonen Vorsitzender Sebastian Richter derzeit keine Führungsstruktur auf Landesebene Gründung 1969 Sitz Halberstadt / Sachsen-Anhalt Die Jugendorganisation der NPD war in der Vergangenheit bestrebt, ein gegenüber der Mutterpartei eigenständiges Profil zu entwickeln. Dazu hat sie sich als "sozialrevolutionäre[r] Flügel innerhalb der NPD" dargestellt. Während sich die NPD als parlamentarischer Arm der "nationalen Opposition" versteht, sehen die JN ihren Schwerpunkt im "vorpolitischen Raum" und in der Bindegliedfunktion zur Neonazi-Szene. Ring Nationaler Frauen (RNF) Deutschland Bayern Mitglieder 150 Einzelpersonen Vorsitzende Ricarda Riefling derzeit keine Führungsstruktur auf Landesebene Gründung 2006 2013 Sitz Egeln/ Forchheim Sachsen-Anhalt i. Oberfranken Der RNF ist eine Unterorganisation der NPD und versteht sich als Sprachrohr und Ansprechpartner für "nationale" Frauen. Das vom RNF vertretene, konsequent völkisch geprägte Weltbild kommt im RNF-Propagandamaterial zum Ausdruck. In Bayern ist der RFN nur sporadisch aktiv. An einer Flugblattverteilung der NPD am 13. Februar in Coburg beteiligte sich eine Aktivistin des RNF. 138 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus 6.2 Partei Der Dritte Weg (III. Weg) Deutschland Bayern Mitglieder und 300 etwa 80 Fördermitglieder Vorsitzender Klaus Armstroff Kai Zimmermann Gründung 2013 2014 1 Sitz Weidenthal / --Rheinland-Pfalz 1 Stützpunkte bestehen seit 2014 Die Partei III. Weg vertritt einen stark neonazistisch geprägten Rechtsextremismus. Der überwiegende Teil der Aktivisten des verbotenen Freien Netzes Süd (FNS) sympathisiert mit der Partei bzw. ist Mitglied oder Fördermitglied. Die ideologischen Ziele der Partei ergeben sich aus ihrer Satzung Zehn-Punktesowie aus einem "Zehn-Punkte-Programm", das auf Elemente des Programm 25-Punkte-Programms der NSDAP zurückgreift. Beide Programme basieren auf einem biologischen Volksbegriff. Die NSDAP hatte festgeschrieben, dass nur der ein "Volksgenosse" sein könne, der "deutschen Blutes" sei. Die Partei III. Weg fordert die "Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" sowie die "Beibehaltung der nationalen Identität des deutschen Volkes", die es vor Überfremdung zu schützen gelte. Die Partei vertritt ein geschichtsrevisionistisches Weltbild. Sie fordert die Wiederherstellung "Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen" - damit dürfte Deutschland in den Grenzen vor dem Zweiten Weltkrieg gemeint sein. Auch der Antisemitismus ist prägend für die Ideologie der Partei: In Artikeln auf ihrer Homepage nimmt die Partei III. Weg den Palästina-Konflikt zum Anlass für antizionistische Propaganda. Auf der Startseite wird zudem dazu aufgerufen, keine israelischen Produkte zu kaufen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 139 Rechtsextremismus Drei-SäulenDie Partei verfolgt ein Drei-Säulen-Konzept: Konzept "den politischen Kampf", "den kulturellen Kampf" und "den Kampf um die Gemeinschaft". Der III. Weg sieht sich nach dem Drei-Säulen-Konzept nicht bloß als Wahlpartei, sondern als "nationale Bewegung", die insbesondere auch auf der Straße ihre politischen Ansichten vertritt, sich kulturell betätigt und den Gemeinschaftsgeist über die reine Parteiarbeit hinaus durch Sportund Freizeitangebote vertiefen will. Strukturen Sechs Stützpunkte Die Partei gliedert sich laut ihrer Satzung in die Gebietsverbände in Bayern Süd, West, Nord und Mitte. Der Gebietsverband Süd besteht aus den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg. Ein Kreisverband ist die kleinste selbstständige Einheit der Partei. Die Satzung ermöglicht in Gebieten, in denen keine Untergliederungen bestehen, sog. "Stützpunkte" einzurichten. Bis Ende 2016 wurden bundesweit 21 Stützpunkte eingerichtet, davon sechs in Bayern. Die bayerischen Stützpunkte entsprechen weitgehend den bisherigen geografischen Schwerpunkten der verbotenen Vereinigung FNS. Am 4. Juni begründete die Partei offiziell einen Gebietsverband "Süd". Zum Vorsitzenden wählten die Parteimitglieder Kai Zimmermann vom Stützpunkt Nürnberg-Fürth, zum zweiten Vorsitzenden den unterfränkischen Aktivisten Matthias Bauerfeind. Bei beiden handelt es sich um langjährige führende Akteure der rechtsextremistischen Szene in Bayern, die schon im FNS aktiv waren. Walter Strohmeier vom Stützpunkt Ostbayern, der zunächst als Gebietsverbandsleiter angekündigt worden war, fand keine Berücksichtigung. 140 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Der Dritte Weg Stützpunkte in Bayern mit Gründungsdatum Stand 31.12.2016 Coburg Stützpunkt Stützpunkt Oberfranken Mainfranken 01.02.2015 13.09.2014 Bamberg Bayreuth Würzburg Nürnberg Stützpunkt Nürnberg/Fürth 29.03.2014 Regensburg Stützpunkt Ingolstadt Ostbayern 21.06.2014 Landshut Passau Augsburg Neu-Ulm Stützpunkt Schwaben München 17.05.2014 Stützpunkt München/Oberbayern 23.03.2014 Traunstein Kempten Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 141 Rechtsextremismus Bundesvorstand Am 2. Oktober fand in Thüringen der dritte Bundesparteitag des III. Wegs mit nach eigenen Angaben 200 Teilnehmern statt. Vorstandswahlen wurden keine durchgeführt. Dem Bundesvorstand steht weiterhin der frühere rheinland-pfälzische NPD-Funktionär Klaus Armstroff vor. Die weiteren Mitglieder des Bundesvorstands stammen aus der Neonaziszene oder gehörten der NPD an. Bayerische Rechtsextremisten sind nicht im Bundesvorstand vertreten. In Rheinland-Pfalz hatte der III. Weg die zur Teilnahme an der Landtagswahl im März 2016 erforderlichen Unterstützerunterschriften zwar erfolgreich gesammelt, scheiterte jedoch mit lediglich 0,1% der abgegebenen Zweitstimmen deutlich. Aktivisten der bayerischen Stützpunkte des III. Wegs hatten sich am Wahlkampf für die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz beteiligt, sie nahmen u. a. an Demonstrationen in Worms und Alzey im Februar teil. Auf der Webseite der Partei werden einzelne Podcasts zu revisionistischen und ausländerfeindlichen Themen zum Download angeboten. Der III. Weg bezeichnet dies als "National-Revolutionäres Radio". Die Partei betreibt zudem einen Onlineshop für ihre Propagandamittel. Aktionen Schwerpunkt der Aktionen und Kundgebungen der Partei III. Weg war die Agitation gegen die Flüchtlingspolitik. So fanden Kundgebungen in den Bereichen der III. Weg-Stützpunkte Ostbayern, München/Oberbayern und Nürnberg-Fürth statt. 142 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Im Rahmen der durch die Partei ins Leben gerufenen Kampagne "Deutsche "Winterhilfe" bzw. "Deutsche Winterhilfe" sammelten und verWinterhilfe" teilten Angehörige der Partei u. a. in Bayern Sachspenden an bedürftige Deutsche. Der Name der Kampagne ist angelehnt an die Organisation "Winterhilfswerk des Deutschen Volkes" der NSDAP, das zur Unterstützung bedürftiger deutscher "Volksgenossen" ins Leben gerufen wurde. Mit der Kampagne will sich die Partei III. Weg als einzige politische Kraft darstellen, die noch soziale Notlagen in der deutschen Bevölkerung im Blick hat, während sich alle anderen politischen Kräfte ausschließlich auf Flüchtlinge konzentrierten. So waren Flüchtlinge von dieser Aktion explizit ausgeschlossen. Die Aktionen im Rahmen der Kampagne wurden durch Berichterstattung auf der Homepage der Partei begleitet. Im April versandten Aktivisten des III. Wegs Postkarten an verschiedene Personen des öffentlichen Lebens in Bayern. Die Empfänger werden als Überfremdungsbefürworter bezeichnet und zur Ausreise nach Afrika aufgefordert. Die Postkarten wurden zu einem Zeitpunkt zur Post gegeben, der eine Abstempelung mit dem Datum des Geburtstages von Adolf Hitler am 20. April ermöglichte. Mit mehreren Veranstaltungen am 9. April machten Aktivisten der Partei III. Weg gemeinsam mit weiteren Sympathisanten aus der rechtsextremistischen Szene bayernweit auf eine rechtsextremistische 1. Mai-Kundgebung in Plauen (Sachsen) aufmerksam. An den Kundgebungen in München, Pfaffenhofen a. d. Ilm, Deggendorf, Nürnberg und Ingolstadt beteiligen sich insgesamt 80 Rechtsextremisten. Die Partei III. Weg hat die Veranstaltungen als "Antikapitalistischen Aktionstag" bezeichnet. Die rechtsextremistische 1. Mai-Kundgebung in Plauen wurde maßgeblich von Aktivisten der Partei III. Weg vorbereitet und durchgeführt. Insgesamt beteiligten sich rund 1.000 Rechtsextremisten. Am 10. und 11. September fanden mehrere Aktionen des III. Wegs mit den Themen "Flüchtlinge damals und heute - Im Gedenken an unsere Heimatvertriebenen" und "Deutschland ist größer als die BRD" statt. In Bamberg, Schweinfurt und Würzburg veranstaltete die Partei am 11. September Kundgebungen mit bis zu 16 Teilnehmern. Aktivisten verschiedener Stützpunkte des III. Wegs besuchten Gedenkstätten für Kriegsopfer und Heimatvertriebene. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 143 Rechtsextremismus Am 12. November führte der III. Weg unter dem Titel "Heldengedenken" mit etwa 240 Teilnehmern eine Demonstration in Wunsiedel durch. Bei rechtsextremistischen "Heldengedenken" wird in der Regel ausschließlich der gefallenen deutschen Soldaten in den beiden Weltkriegen gedacht, die als Helden für Volk und Vaterland dargestellt werden. Dabei werden die Angehörigen der Waffen-SS ausdrücklich mit einbezogen. In Bayern bestehen folgende Stützpunkte: Stützpunkt Oberfranken Mitglieder und etwa 20 Personen Sympathisanten Gründung 1. Februar 2015 Aktionsraum Oberfranken Als erster Stützpunkt der Partei III. Weg in Bayern wurde am 25. Januar 2014 der Stützpunkt Hof gegründet, der später zum Stützpunkt Hochfranken/Vogtland umbenannt wurde. Am 1. Februar 2015 teilte sich dieser in die beiden Stützpunkte Vogtland und Oberfranken. Der Aktionsraum des neuen Stützpunkts Oberfranken ist das Gebiet zwischen Hof, Bayreuth und Kulmbach. Aktivisten des Stützpunkts erhielten im Februar eine Rechtsschulung zum Verhalten gegenüber der Polizei oder bei Hausdurchsuchungen sowie im Juni zum Thema Datensicherheit und Verschlüsselungstechnologien. Am 23. Januar sprach ein Redner über die Einziehung der Immobilie Oberprex 47 im Rahmen des Vereinsverbots gegen das Freie Netz Süd. Für die Aktion "Deutsche Winterhilfe" verteilten Aktivisten im Januar Flugblätter in Bayreuth. Flugblätter gegen die Flüchtlingspolitik verbreitete der Stützpunkt im Februar in Hof und im März in Schwarzenbach a. d. Saale. Weitere Flugblattverteilungen fanden im September im Raum Bamberg und im Oktober in Hof statt. Am 23. Dezember berichtete die Partei über eine angebliche "Nationale Streife" in Bamberg als Reaktion auf eine vermeintliche Überforderung der Polizei durch die Flüchtlingsproblematik. 144 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Stützpunkt Mainfranken Mitglieder und etwa 15 Personen Sympathisanten Gründung 13. September 2014 Aktionsraum Unterfranken Der Stützpunkt rekrutiert sich u. a. aus Rechtsextremisten, die in der ehemaligen Kameradschaft Main-Spessart organisiert waren. Aktivisten des Stützpunkts unterstützten den Wahlkampf des III. Wegs zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz. Schwerpunkt der Aktivitäten war die Anti-Asyl Agitation durch Verteilung von Flugblättern beispielsweise in Karlstadt, Veitshöchheim und im Großraum Würzburg. Anlässlich des Schweinfurter Volksfestes verteilten Aktivisten im Rahmen der Anti-Asyl Agitation Flugblätter mit Verhaltenstipps für Festbesucher. Anfang Dezember führte die Partei in Marktheidenfeld nach eigenen Angaben eine sog. "Nationale Streife" durch. Stützpunkt München/Oberbayern Mitglieder und etwa 20 Personen Sympathisanten Gründung 23. März 2014 Aktionsraum München und Oberbayern Der bisherige Einzugsbereich des Stützpunkts München wurde im Oktober 2015 auf den gesamten Regierungsbezirk Oberbayern ausgeweitet, die neue Bezeichnung lautet Stützpunkt München/ Oberbayern. Schwerpunkt der Aktivitäten war die Anti-Asyl Agitation insbesondere durch die Verteilung von Flugblättern, u. a. in München, Ingolstadt und in den Landkreisen Ebersberg und Pfaffenhofen a. d. Ilm. Kundgebungen zu diesem Themenfeld fanden am 16. Juli in Fürstenfeldbruck mit 15 Personen und am 17. September mit etwa 30 Teilnehmern statt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 145 Rechtsextremismus Am 23. November führte der Stützpunkt nach eigenen Angaben eine sog. "Nationale Streife" in München durch. Auf Facebook verband der III. Weg die Aktion mit der Agitation gegen Ausländer und Politiker, indem behauptet wurde, dass deutsche Bürger tagtäglich Opfer ausufernder Ausländergewalt seien. Aktivisten des Stützpunktes erhielten im Mai eine Rechtsschulung zum Verhalten gegenüber der Polizei oder bei Hausdurchsuchungen. Wiederholt verteilten Aktivisten des Stützpunktes München/Oberbayern Flugblätter zu den politischen Zielen des III. Wegs, beispielsweise zum Thema "Deutscher Sozialismus" am 19. August in Ernsgaden und zum Thema "Deutschland ist größer als die BRD" am 20. August in Lenting. Im Januar gaben in Ingolstadt Aktivisten im Rahmen der Aktion "Deutsche Winterhilfe" Sachspenden an Bedürftige aus. Eine weitere Verteilung von Sachspenden fand im Februar in München statt. Aktivisten des Stützpunktes nahmen wiederholt an Veranstaltungen von PEGIDA-München teil. Stützpunkt Nürnberg/Fürth Mitglieder und etwa 40 Personen Sympathisanten Gründung 29. März 2014 Aktionsraum Metropolregion Nürnberg/Fürth Schwerpunkt der Aktivitäten des Stützpunkts ist das Thema AntiAsyl. In Ansbach fand am 25. Juli eine Versammlung mit 30 Personen statt. In Fürth kamen am 15. Oktober zur Kundgebung "Asylflut stoppen" etwa 110 Personen zusammen. Flugblattverteilungen fanden u. a. in Nürnberg, Erlangen, Ansbach und in den Landkreisen Fürth und Neustadt Aisch/Bad Windsheim, statt. Zudem verteilten anlässlich von "Kärwa" (Kirchweih)-Festen in Nürnberg, Fürth und dem Landkreis Veitsbronn Aktivisten im Rahmen der Anti-Asyl Agitation Flugblätter mit Verhaltenstipps für Besucher. Sie versuchten den Eindruck zu erzeugen, dass die Sicherheit der Besucher aufgrund angeblicher massiver Flüchtlingskriminalität gefährdet sei. So heißt es in dem Flyer u.a.: 146 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus "- Vermeide längeren Blickkontakt zu exotisch aussehenden, fremden Männern!..... Vermeide das Passieren von Asylunterkünften oder die nähere Umgebung!.... Führe legale Selbstverteidigungsmöglichkeiten mit Dir!....." Am 17. Mai gab es in Nürnberg-Reichelsdorf eine Informationsveranstaltung der Stadt Nürnberg zu Asylbewerberunterkünften. Dort ergriffen Aktivisten des III. Wegs das Wort und verteilten Flugblätter. Im Januar händigten in Ansbach Aktivisten im Rahmen der Aktion "Deutsche Winterhilfe" Sachspenden an Bedürftige aus. In Nürnberg protestierten Aktivisten des III. Wegs im Mai mit Flugblättern gegen einen Wanderzirkus. Stützpunkt Ostbayern Mitglieder und etwa 20 Personen Sympathisanten Gründung 21. Juni 2014 Aktionsraum Niederbayern, Oberpfalz Schwerpunkt der Aktivitäten ist weiterhin die Agitation gegen Asylbewerber bzw. gegen die Flüchtlingspolitik. In Arnbruck fanden am 19. März mit etwa 40 und am 9. August mit etwa 20 Teilnehmern Kundgebungen statt. In Viechtach nahmen zu dieser Thematik am 15. April 20 Personen sowie am 6. August etwa 50 Personen teil, in Teisnach konnte der III. Weg am 11. Juni knapp 30 Personen mobilisieren. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 147 Rechtsextremismus Aktivisten des Stützpunkts verteilten Flugblätter an vielen Orten in den Regierungsbezirken Niederbayern und Oberpfalz. Anlässlich der Gerner Dult in Eggenfelden, dem Deggendorfer Frühlingsfest und der Regensburger Dult verteilten Aktivisten im Rahmen der Anti-Asyl Agitation Flugblätter mit Verhaltenstipps für Festbesucher. Im Juni beteiligten sich III. Weg-Aktivisten bei der Fluthilfe in Niederbayern, zudem rief die Partei zu Spenden auf, insbesondere für betroffene Aktivisten im Überschwemmungsgebiet. Im Internet begleitete die Partei diese Aktivitäten öffentlichkeitswirksam, sie sprach von einer "solidarischen Hilfe für unser Volk". Die Volkszugehörigkeit bestimmt der III. Weg biologistisch, sie beschränkt sich gemäß dem "Zehn-Punkte-Programm" auf diejenigen, die "deutschen Blutes" sind. Mit der Forderung "Härtere Strafen für Kinderschänder" veranstaltete der III. Weg Kundgebungen am 28. Juli in Deggendorf mit 12 Teilnehmern und am 25. September in Landshut mit 25 Teilnehmern. Das - bislang noch regional auf Niederbayern beschränkte - Aufgreifen des Themas "Kindesmissbrauch" zeigt, dass der III. Weg zusätzlich zu der weiterhin stattfindenden Agitation gegen Flüchtlinge auch wieder mit anderen emotional besetzten Themen breitere Bevölkerungsschichten erreichen möchte. Eine Rechtsschulung der Partei im Januar vermittelte den Aktivisten Tipps zum Verhalten gegenüber der Polizei oder bei Hausdurchsuchungen. Stützpunkt Schwaben Mitglieder und etwa 15 Personen in Bayern Sympathisanten Gründung 17. Mai 2014 Aktionsraum Schwaben, Baden-Württemberg Der Stützpunkt entfaltet Aktivitäten in Bayern und BadenWürttemberg. 148 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Im Januar brachten Aktivisten Sachspenden der "Deutschen Winterhilfe" in eine Obdachlosenunterkunft in Lindenberg (Allgäu). Die Agitation gegen Asylbewerber bildet den derzeitigen Themenschwerpunkt des Stützpunkts. Flugblattverteilungen fanden u. a. in Aystetten, Kaufering und im Landkreis AichachFriedberg statt. 6.3 Partei DIE RECHTE Deutschland Bayern Mitglieder 500 40 Vorsitzender Christian Worch Philipp Hasselbach Gründung 2012 24. Mai 2015 Sitz Parchim / München MecklenburgVorpommern Die im Jahr 2012 gegründete Partei DIE RECHTE ist neonazistisch ausgerichtet, ein Großteil der Mitglieder - auch in Führungspositionen - stammt aus der Neonazi-Szene. Ein politisch ideologischer Schwerpunkt der Partei DIE RECHTE ist die Fremdenfeindlichkeit. Das Parteiprogramm stellt einen Zusammenhang zwischen Migranten und dem Begehen von Straftaten her, um Migranten pauschal zu diskreditieren und Vorurteile gegenüber Flüchtlingen zu schüren. Strukturen Die Partei ist in zehn Bundesländern vertreten. Landesverbände gibt es in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Berlin, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Mehr als die Hälfte der Mitglieder wohnt in Nordrhein-Westfalen. Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 13. März gaben weniger als 800 Wahlberechtigte ihre Stimme für neun Wahlkreiskandidaten der Partei DIE RECHTE ab (0,0 Prozent). In Sachsen-Anhalt errang die Partei DIE RECHTE bei der Landtagswahl am 13. März 0,2 Prozent der Zweitstimmen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 149 Rechtsextremismus DIE RECHTE Die Strukturen der Partei DIE RECHTE in Bayern sind nach starken stagniert in Bayern Aufbaubestrebungen im Jahr 2015 zuletzt stagniert. Zu den bereits bestehenden Kreisverbänden in München, Nürnberg, Bamberg und Rosenheim kamen keine weiteren hinzu. Die Kreisverbände Bamberg und Rosenheim entfalteten 2016 keine eigenen Aktivitäten mehr. Sämtliche Webseiten bayerischer Strukturen der Partei DIE RECHTE waren bis Jahresende inaktiv. Auch die Aktivitäten des Landesverbandes gingen deutlich zurück. Nach dem gescheiterten Versuch, in Kolitzheim (Landkreis Schweinfurt) eine bayerische Parteizentrale zu etablieren, waren keine erneuten Bemühungen der Partei mehr feststellbar, dauerhaft über eine geeignete Immobilie zu verfügen. Veranstaltungen führte der Landesverband vereinzelt durch: So organisierte er im Zusammenhang mit dem Jahrestag der am 8. Mai 1945 hingerichteten Angehörigen der französischen Waffen-SSDivision Charlemagne am 7. Mai im Landkreis Berchtesgadener Land zwei Kundgebungen mit den Themen "Tag der Befreiung - Wir feiern nicht" und "Mord am Kugelbach - kein Vergeben, kein Vergessen". An den Kundgebungen nahmen in der Spitze 50 Rechtsextremisten teil. Kreisverband München Mitglieder 15 Gründung 20. April 2014 Der Kreisverband München versucht trotz seines geringen Mitgliederpotenzials möglichst große öffentliche Aufmerksamkeit zu erhalten. Am 16. Januar verteilten Aktivisten der Partei in der Münchner Innenstadt CS-Gas an junge Frauen als Reaktion auf die Ereignisse in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln. Dort war es zu massiven sexuellen Übergriffen auf junge Frauen gekommen. Am 19. und 25. Januar verteilte der Kreisverband Flyer an Münchner Schulen, um für die Partei zu werben. Aktivisten der Partei nahmen wiederholt an Veranstaltungen von PEGIDA-München teil. Außerdem hält der Kreisverband seine Kundgebungen im Rahmen von sog. "Kundgebungstouren" an mehreren Örtlichkeiten im Stadtgebiet ab. Am 23. Juli fanden im Rahmen einer Kundgebungstour vier Veranstaltungen mit jeweils bis zu 10 Teilnehmern 150 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus statt. An einer weiteren Kundgebungstour am 17. September mit vier Veranstaltungen beteiligten sich bis zu 10 Teilnehmer. Bei beiden Kundgebungstouren leistete der Nürnberger Kreisverband personelle Unterstützung. Eine stationäre Kundgebung unter dem Motto "Deutschland muss leben - Volksverräter stoppen!" führte der Münchner Kreisverband am 6. Februar mit 15 Teilnehmern in der Nähe des Münchner Rathauses durch. Kreisverband Nürnberg Mitglieder 10 Gründung 28. Januar 2015 Der Kreisverband Nürnberg stellt den aktionistischsten Teil der Partei in Bayern dar, er führte eine größere Zahl an Kundgebungen durch. Die Veranstaltungen bezogen sich zum größten Teil auf das Themenfeld Asyl. So veranstaltete die Partei am 27. Februar eine Kundgebungstour zum Thema "Schluss mit dem Asylwahn - Langwasser braucht keine Heime" mit insgesamt 13 Stationen in Nürnberg. Etwa 10 Personen beteiligten sich. Am 27. August führte der Kreisverband in Nürnberg eine Demonstration mit mehreren Zwischenkundgebungen durch unter dem Motto: "Umvolkung stoppen - für deutsches Leben in Deutschland" mit knapp 20 Teilnehmern. Als Redner traten ein Aktivist des Kreisverbandes sowie der Nürnberger Stadtrat Fridrich Luft der rechtsextremistischen Bürgerinitiative A (BIA-Nürnberg) auf. Weitere Kundgebungen veranstaltete der Kreisverband am 9. April mit etwa 20 Teilnehmern, am 26. Juni mit etwa 10 Teilnehmern und am 10. Juli mit etwa 15 Teilnehmern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 151 Rechtsextremismus Für die Teilnahme an der Kundgebung am 26. Juni warb auch der mittelfränkische NPD-Bezirksverband, unter den Teilnehmern der Kundgebung am 10. Juli befanden sich Mitglieder der NPD. Bei einer Kundgebungstour am 24. Juli in Zirndorf mit etwa 15 Teilnehmern traten unter anderem der bayerische Landesvorsitzende der Partei DIE RECHTE, Philipp Hasselbach, sowie der Münchner Stadtrat der Bürgerinitiative Ausländerstopp München, Karl Richter, als Redner auf. Richter sprach auch bei einer Demonstration mit 25 Teilnehmern am 19. März in Nürnberg, auf der DIE RECHTE ein Verbot der Parteien Bündnis 90/Die Grünen und SPD forderte. Insgesamt ist erkennbar, dass der Kreisverband - nicht zuletzt wegen des geringen eigenen Personenpotenzials - die Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Gruppierungen und Einzelpersonen sucht. Kreisverband Bamberg Mitglieder 10 Gründung 1. März 2015 ErmittlungsDie Mitglieder und Sympathisanten des Kreisverbands Bamberg verfahren stammten aus der regionalen Neonaziund Hooliganszene. Die Gruppierung wies ein erhöhtes Aggressionspotenzial auf. Gegen Personen aus dem Umfeld der Partei DIE RECHTE leitete die Staatsanwaltschaft Bamberg ein Verfahren wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung und des Verdachts der Vorbereitung eines Explosionsund Strahlungsverbrechens ein. Die Polizei beschlagnahmte bei Durchsuchungen im Jahr 2015 illegale Pyrotechnik, darunter 15 Kilogramm Sprengstoffprodukte und zwei sog. Kugelbomben mit jeweils etwa einem Kilogramm hochexplosiver Treibladung sowie Gotcha-Waffen, Elektroschocker und eine scharfe 9mm-Pistole mit Munition. Es ist davon auszugehen, dass bereits mehrere Gewalttaten in Planung waren. Unter anderem sollten Übergriffe gegen Asylbewerberunterkünfte in Bamberg durchgeführt werden. Dabei sollte die beschlagnahmte Pyrotechnik zum Einsatz kommen. Der Kreisverband Bamberg erschien im Jahr 2016 zwar weiterhin in einer Übersicht der Bundespartei, entwickelte jedoch seit den Durchsuchungen keine eigenen Aktivitäten mehr. 152 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Kreisverband Rosenheim Mitglieder 5 Gründung 10. Mai 2015 Der Kreisverband Rosenheim erschien im Jahr 2016 zwar weiterhin in einer Übersicht der Bundespartei, war jedoch inaktiv. 7. Rechtsextremistische Vereinigungen 7.1 Bürgerinitiativen Durch die Bezeichnung als "Bürgerinitiative" wollen sich Rechtsextremisten als bürgernahe und wählbare politische Alternative präsentieren. Bürgerinitiative A (BIA) e. V. (BIA-Nürnberg) Größe etwa 20 Personen Gründung bzw. Juli 2001 erstmalige Aktivitäten Aktionsraum Nürnberg Die 2001 gegründete Bürgerinitiative Ausländerstopp Nürnberg Tarnorganisation hatte sich im Jahr 2015 in Bürgerinitiative A (BIA) e.V. umbenannt, der NPD um die rechtsextremistische Prägung der BIA-Nürnberg stärker zu verschleiern. Es handelt sich um eine aktive, rechtsextremistische Tarnorganisation der NPD, die ausländerfeindlich ausgerichtet ist. Die BIA-Nürnberg ist im Nürnberger Stadtrat mit den beiden ehrenamtlichen Stadträten Fridrich Luft und Ralf Ollert vertreten. Dort konzentrieren sich die Aktivitäten vor dem Hintergrund der Flüchtlingsthematik vorrangig auf das Themenfeld Anti-Asyl. Die BIA-Nürnberg versucht sich auf Facebook als parteipolitisch "Nürnberger unabhängige und zugleich überparteiliche, volksverbundene Erklärung" Gruppe darzustellen. Am 5. März veröffentlichte die BIA-Nürnberg in ihrem Facebook-Profil eine sog. "Nürnberger Erklärung", in der sie u. a. die Forderung aufstellte, dass der aktuelle "Missbrauch Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 153 Rechtsextremismus des Asylrechts rigoros beendet" wird, abgelehnte Asylbewerber "unverzüglich" abgeschoben werden, die ungehinderte Einwanderung gestoppt und die Grenzen gesichert werden müssen. Auf der Webseite und im Facebook-Profil der BIA-Nürnberg werden häufig aktualisierte Nachrichten über die Tätigkeit im Nürnberger Stadtrat und Berichte über die Stadtratstätigkeit veröffentlicht, beispielsweise über eingebrachte Anträge. Die Partei DIE RECHTE veranstaltete am 9. April in Nürnberg eine Kundgebung zum Thema "Fluchtursachen bekämpfen - Flüchtlingsströme stoppen", bei der der BIA-Stadtrat Fridrich Luft als Redner fungierte. Auch bei einer Kundgebung der Partei DIE RECHTE am 27. August in Nürnberg trat er als Redner auf. Zudem wurde im Rahmen von Infoständen und Flugblattverteilaktionen in und um Nürnberg für die eigene Arbeit der BIA-Nürnberg geworben. Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA-München) Größe etwa 30 Personen Gründung bzw. September 2007 erstmalige Aktivität Aktionsraum München Die NPD-Tarnliste BIA-München ist seit 2008 durch Karl Richter im Stadtrat vertreten. Er ist Vorsitzender der BIA-München und war bis zu seinem Rücktritt im Oktober 2014 auch Landesvorsitzender der NPD. Seit dem Einzug der NPD in das Europäische Parlament ist Richter Parlamentarischer Referent von Udo Voigt. Über die Stadtratsarbeit der BIA-München wird regelmäßig in Presseerklärungen und auf der Webseite berichtet; hier steht weiterhin die Agitation gegen Flüchtlinge im Mittelpunkt. Die BIA-München hält Kontakt zu anderen rechtsextremistischen Organisationen. Richter trat bei verschiedenen Kundgebungen der Partei DIE RECHTE als Redner auf, so am 30. Januar in Bamberg, am 19. März in Nürnberg und am 24. Juli in Zirndorf. Auch an einem "überparteilichen Dreikönigstreffen" des NPD-Kreisverbands Augsburg am 6. Januar in Augsburg nahm Richter teil. Am 5. September, 10. Oktober und 5. Dezember trat Richter als Redner bei PEGIDA-Kundgebungen auf. Am 19. Dezember übernahm er die Versammlungsleitung. Auch außerhalb Bayerns war Richter 154 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus als Redner aktiv, unter anderem bei einer Kundgebung von PRO NRW am 31. Juli in Köln sowie bei mehreren Kundgebungen von Thügida in Gera und Dresden. Bürgerinitiative Ausländerstopp Augsburg (BIA-Augsburg) Größe Funktionärsgruppe Gründung bzw. 2009 erstmalige Aktivität Aktionsraum Augsburg Publikation Neues Schwaben Die Webseite und das Facebook-Profil der BIA-Augsburg werden nur unregelmäßig gepflegt. Das Impressum der Webseite verweist auf den Rechtsextremisten Roland Wuttke, erreichbar unter der Anschrift des NPD-Bundesverbands in Berlin. Dies belegt die Nähe der BIA-Augsburg zur NPD. Am 8. August fand in Augsburg eine Demonstration unter dem Motto "Die Lüge vom Frieden" statt. Mit Ausnahme dieser Kundgebung war die BIA-Augsburg zuletzt weitgehend inaktiv. Bürgerinitiative Soziales Fürth e. V. (BiSF) Größe Einzelpersonen Gründung bzw. 2009 erstmalige Aktivität Aktionsraum Fürth Die BiSF agitiert ausländerfeindlich und wendet sich gegen die Unterbringung von Asylbewerbern in Fürth. Seit Jahresbeginn haben die Aktivitäten der Gruppierung deutlich nachgelassen. Auf Facebook kommentierte die Gruppierung in einem Beitrag vom 6. Januar die Geschehnisse der Kölner Silvesternacht. Auf der Webseite der BiSF wurde im Februar zudem ein Bericht über einen vermutlich links motivierten Messerangriff am Fürther Bahnhofsplatz publiziert. Danach gab es bis zum Jahresende keine weiteren Veröffentlichungen mehr. Auch öffentlichkeitswirksame Aktionen der BiSF, z. B. Veranstaltungen oder Flugblattaktionen, konnten im Jahr 2016 nicht festgestellt werden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 155 Rechtsextremismus Bürgerinitiative Soziale Alternative Oberpfalz e. V. (BiSAO) Größe Einzelpersonen Gründung bzw. 2012 erstmalige Aktivität Aktionsraum Oberpfalz Die BiSAO beschränkte ihre Aktivitäten im Jahr 2016 auf Facebook. Im Facebook-Profil werden aktuelle Nachrichten, vorwiegend zur Ausländerund Kriminalitätsthematik, verlinkt und teilweise kommentiert. Öffentlichkeitswirksame Aktionen der BiSAO wie Veranstaltungen oder Flugblattaktionen waren im Jahr 2016 nicht feststellbar. 7.2 Identitäre Bewegung Deutschland und sonstige rechtsextremistische Organisationen Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) Die IBD versteht sich als Ableger der französischen Generation identitaire (GI). Bei der GI handelt es sich um die Jugendorganisation des Bloc identitaire, der die Nachfolgeorganisation der aufgrund rassistischer und gewalttätiger Aktivitäten im Jahr 2002 verbotenen Gruppierung Unite radicale darstellt und von den französischen Behörden als rechtsextremistisch eingestuft wird. "Ethnokulturelle Die IBD betrachtet sich als Bestandteil einer europaweiten BeweIdentität" und gung. Ihr Ziel ist es, die europäische Jugend im Kampf für die "Ethnopluralismus" ihrer Meinung nach bedrohte kulturelle Identität zu vereinen. Die IBD ist überzeugt davon, dass ein "Volk" eine "ethnokulturelle Identität" habe, die sich durch jeweils eine gemeinsame Sprache, "Kultur", "Herkunft" und Religion auszeichne. Das Volk sei zudem an einen bestimmten geographischen Raum gebunden. Jeder Mensch wird als Teil eines einzigen Volkes gesehen. Ideologisch sieht sich die IBD in der Tradition der sog. "konservativen Revolution". Damit beruft sie sich auf eine antidemokratische, antiliberale und antiegalitäre Strömung der Weimarer Zeit. 156 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Ihre vornehmliche Aufgabe sieht die IBD in der Verteidigung und Bewahrung von "Heimat, Freiheit, Tradition". An erster Stelle stehe hierbei der Erhalt der "ethnokulturellen Identität", die durch einen befürchteten "demographischen Kollaps" sowie durch angebliche "Massenzuwanderung" und "Islamisierung" bedroht sei. Die IBD propagiert deshalb einen europäischen Ethnopluralismus, d. h. die räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Ethnien. Dies hätte letztlich die Ausweisung großer Bevölkerungsteile unter Missachtung der vom Grundgesetz garantierten Menschenrechte zur Folge. Die ethnopluralistische Vorstellung von an bestimmte Territorien gebundenen Völkern entspricht der rechtsextremistischen "Blut und Boden"-Ideologie, wobei der Begriff der "Rasse" durch eine angebliche "ethnokulturelle Identität" ersetzt wird. In der Ideologie der IBD wird die Bedeutung von Abstammung und Identität in einer Art und Weise betont, die eine starke Nähe zum biologistischen Denken und der völkischen Ideologie von Rechtsextremisten erkennen lässt. Erkennungszeichen der IBD ist das Lambda, der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets, in einem Kreis. Das Symbol war im antiken Griechenland das Erkennungsmerkmal der Spartaner, die im 5. Jahrhundert vor Christus gegen die Invasion eines übermächtigen persischen Heeres kämpften. Dieser Opfermythos entspricht der Selbstwahrnehmung der IBD, die sich als die Letzten sehen, die die ethnokulturelle europäische Identität vor ihrem Untergang durch Überfremdung und Islamisierung retten können. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 157 Rechtsextremismus Die IBD hat seit Anfang 2015 in Bayern zunehmend öffentliche Aktivitäten entfaltet, während sie zuvor vornehmlich im Internet und in sozialen Medien in Erscheinung getreten war. Strukturen In Bayern dienen die Gruppierungen IBD Bayern, IBD Schwaben und IBD Franken als Dachorganisationen für lokale Ableger. Zur Gründung neuer Ortsgruppen wurden mehrere sog. "Gründungsstammtische" durchgeführt. Dem Gebiet der IBD Bayern sind die Ortsgruppen Bad Tölz, Chiemgau, Deggendorf, Mangfalltal, Mühldorf, München, Passau, Regensburg und Rupertiwinkel angeschlossen. Die IBD Schwaben ist mit den Ortsgruppen Augsburg und Allgäu vertreten und die IBD Franken entfaltet einzelne Aktivitäten in den Bereichen Aschaffenburg, Würzburg und im Großraum Würzburg. Aktionen Kundgebung Der Aktionismus der IBD beschränkt sich nicht nur auf Flugblatt"Wir sind verteilungen oder Aufkleberaktionen. Indem sie mehrfach Kunddie Grenze" gebungen an der deutsch-österreichischen Grenze bei Freilassing unter dem Motto "Wir sind die Grenze" organisierte, versuchte die IBD in Bayern Profit aus der Flüchtlingsthematik zu schlagen. An der ersten Kundgebung am 12. Dezember 2015 beteiligten sich rund 300 Personen, bei weiteren Kundgebungen am 9. Januar und 27. Februar jeweils ca. 400 Personen. Vereinzelt nahmen auch Aktivisten aus der Neonaziszene teil. Weitere Kundgebungen zur Thematik "drohende Überfremdung" fanden in Traunreut und Feldkirchen-Westerham statt. Am 21. April störten Aktivisten der IBD eine Veranstaltung mit dem Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen in Würzburg. Während einer Redepassage, in der es um die Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei ging, stürmten mehrere männliche Personen in den Saal und riefen die Parolen "Heimat, Freiheit, Tradition, Multikulti Endstation!" Als Reaktion auf einen sexuellen Übergriff verteilten in Übersee am Chiemsee IBD-Aktivisten am 24. Juli Pfefferspray an Frauen. 158 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Zunehmend setzt die IBD außerdem auf provokante öffentlichkeitswirksame Aktionen, mit denen sie ihre mediale Reichweite zu vergrößern versucht. Kopiert werden dabei Aktionsformen, die insbesondere von Umweltaktivisten bekannt sind, wie das Anbringen großflächiger Transparente an markanten symbolträchtigen Orten. So befestigten Aktivisten in der Nacht vom 9./10. Dezember ein Transparent mit der Aufschrift "Minga ist identitär" in rund 56 Metern Höhe an einem Gerüst an der Münchner Frauenkirche. In Sichtweite zu Autobahnen wurden bayernweit wiederholt Transparente der IBD aufgehängt. Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. (GfP) Die GfP wurde 1960 von ehemaligen SS-Offizieren und NSDAPFunktionären gegründet. Sie ist die mitgliederstärkste rechtsextremistische Kulturvereinigung, ihr gehören vor allem Verleger, Redakteure, Schriftsteller und Buchhändler an. Die GfP, die ihren Sitz in München hat, stellt drei Themen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten: die Relativierung der Kriegsschuld, die "Ausländerfrage" und die Meinungsfreiheit für die "nationale Publizistik". Sie unterhält Verbindungen zu rechtsextremistischen Organisationen sowie zu organisationsunabhängigen rechtsextremistischen Verlagen und Vertriebsdiensten. Von der GfP veranstaltete Kongresse dienen dazu, Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum zusammenzuführen und den organisationsübergreifenden Zusammenhalt zu stärken. Von 3. bis 5. Juni fand in Kirchheim (Thüringen) der Jahreskongress der GfP zum Thema "Die neue Völkerwanderung - Westliche Kriegspolitik und ihre Folgen" statt. Im Rahmen der Veranstaltung wurde einem Autor aus Österreich eine Auszeichnung verliehen. Der Preisträger ist bereits als Redner beim Lesertreffen der rechtsextremistischen Zeitschrift Umwelt & Aktiv am 10. April in Guthmannshausen (Thüringen) aufgetreten und hat dort zumThema "Folgen der Zuwanderung für unsere europäische Kulturund unser ökologisches Selbstverständnis" gesprochen. Aktivitas der Burschenschaft Danubia München Die Burschenschaft Danubia hat ihren Sitz in München. In der etwa zehn Personen umfassenden Aktivitas (= studierende Mitglieder) der Burschenschaft engagieren sich einzelne Personen, die Beziehungen zur rechtsextremistischen Szene unterhalten oder in der Vergangenheit unterhalten haben. Bei Veranstaltungen Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 159 Rechtsextremismus der Aktivitas traten seit Jahren auch Referenten aus dem rechtsextremistischen Bereich auf. Im Zusammenhang mit dem Umzug in eine andere Liegenschaft reduzierten sich die Veranstaltungen. Facebookprofil Auffällig sind intensive personelle Verbindungen zwischen einzel"Jugendmut" nen Personen aus der Aktivitas und der Identitären Bewegung. Kontakte zu IdentiWiederholt verlinkte das Facebook-Profil der Aktivitas auf die tären Bewegung Identitäre Bewegung Deutschland (IBD). Zudem wurde dort auf das Facebookprofil "Jugendmut" hingewiesen, in dessen Impressum die Aktivitas der Burschenschaft Danubia als Verantwortlicher genannt war. Das Facebook-Profil "Jugendmut" verwies wiederum auf einen gleichnamigen Internetblog und Youtube-Kanal. "Jugendmut" verfolgte laut eigener Darstellung das Ziel, eine "identitäre Kontrakultur" zu etablieren, die Aktivisten riefen deshalb zur "Aufnahme des politischen Kampfes auf ganzer Ebene" auf und forderten, das "Heil im Angriff zu suchen." Am 20. Juli wurde auf dem Youtube-Kanal ein "Vlog" veröffentlicht, in dem es unter anderem hieß: "zerstört das System, dieses allumfassende System, bevor es eben euch zerstört." "Jugendmut" pflegte somit eine Diktion, die gewaltbefürwortende Elemente enthält. Die Kanäle von "Jugendmut" in den sozialen Netzwerken wurden geschlossen. Europäische Aktion (EA) Die EA ist eine seit 2010 schwerpunktmäßig in Deutschland aktive rechtsextremistische Organisation, die versucht, im europäischen Raum ein antisemitisch-rassistisches Netzwerk aufzubauen. Offizieller Sitz der EA ist das sog. Zentralsekretariat in der Schweiz. Als Landesleiter für Deutschland tritt der frühere NPD-Mandatsträger und Publizist Rigolf Hennig auf. 2012 wurde ein EA-Stützpunkt München/Oberbayern gegründet. Flugblätter der EA wurden bei Kundgebungen von PEGIDA-München verteilt. Vorgebliches Ziel der EA ist die Bildung einer gesamteuropäischen "Freiheitsbewegung". Tatsächlich haben sich in der EA europäische Holocaust-Leugner gesammelt, deren Ziel es ist, an einem "Tag 160 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus X" alle "Fremdund Gemischtrassigen" sowie deren Partner ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit und erworbene Rechtspositionen aus dem "Deutschen Reich" zu entfernen. Midgard e. V. Rechtsextremisten setzen seit geraumer Zeit vermehrt auf gesellschaftspolitische Themen; dazu zählen auch Umweltund Naturschutz. In Bayern hat sich im Jahr 2006 innerhalb der Szene der rechtsextremistische Umweltverein Midgard e. V. mit Sitz in Landshut etabliert. Dem Vorstand des Vereins gehören überwiegend Rechtsextremisten an, die zum Teil in der NPD aktiv waren oder sind. Der Vorsitzende führte in der Vergangenheit den NPD-Bezirksverband Niederbayern. Die von Midgard e. V. herausgegebene Publikation "Umwelt & Aktiv" verbindet ökologische Themen mit typischen rechtsextremistischen Argumentationsmustern wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Diffamierung des politischen Systems oder der Forderung nach einer Volksgemeinschaft. In einer Veröffentlichung vom 10. Juni beschäftigte sich Umwelt & Aktiv auf seiner Webseite mit dem Thema Heimat am Beispiel des Sudetenlandes. Es verknüpfte dabei den Umweltschutz mit den Begriffen "Heimatschutz" und "Bevölkerungsaustausch". Dies folgt einer völkischen Ideologie, in der der Staat in einem biologistischen Sinne als "ethnisch-rassisch" homogene "Volksgemeinschaft" gesehen wird. Die in den Ausgaben von "Umwelt & Aktiv" behandelten Themen "Umwelt, Naturund Tierschutz" stoßen in der rechtsextremistischen Szene zunehmend auf Interesse. Mit dem Hinweis "Umweltschutz ist Heimatschutz" warb der bayerische NPD-Landesverband auf Facebook für die Zeitschrift Umwelt & Aktiv. Der NPD-Bezirksverband Niederbayern sieht Umwelt & Aktiv als Beweis für eine "politische Querfrontaufgabe" die "ernst genommen werden muß". Die rechtsextremistische Partei III. Weg informierte auf ihrer Webseite über neue Ausgaben von Umwelt & Aktiv und veröffentlichte eine Einladung zum Leserund Autorentreffen der Publikation, das am 9. und 10. April in Guthmannshausen (Thüringen) mit 65 Teilnehmern stattfand. Über den Verlauf des Treffens berichtete die NPD auf Facebook. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 161 Rechtsextremismus Einer Klage von Midgard e. V. gegen die Erwähnung des Vereins und der Zeitschrift "Umwelt & Aktiv" im Verfassungsschutzbericht Bayern 2012 hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 14. Januar 2016 stattgegeben. Hiergegen hat der Freistaat Bayern die vom Verwaltungsgericht selbst wegen Abweichung von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zugelassene Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden wurde. 8. Neonazismus und Kameradschaften Der Neonazismus ist eine besonders menschenverachtende Erscheinungsform des Rechtsextremismus: Er umfasst alle Aktivitäten und Bestrebungen, die sich offen zur Ideologie des Nationalsozialismus bekennen. Ziel der Neonazis ist die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Errichtung eines vom Führerprinzip bestimmten autoritären bzw. totalitären Staates. Neonazis betreiben revisionistische Vergangenheitsverfälschung, indem sie die Geschichtsschreibung über die Zeit des Dritten Reichs ändern wollen und die Gewaltherrschaft des nationalsozialistischen Regimes rechtfertigen oder verharmlosen. In Bayern sind wie in den Vorjahren rund 700 Personen der Neonazi-Szene zuzuordnen. "Moderne" Neonazis thematisieren aktuelle sozialoder gesellschaftspolitische Fragen und liefern vermeintlich einfache Antworten. Bei Demonstrationen greifen sie tagespolitische Themen auf und fordern beispielsweise die "Todesstrafe für Kindermörder" oder "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche". Ihre Thesen stützen Neonazis auf rassistische und antisemitische Argumentationsmuster. Um die Behörden im Hinblick auf Veranstaltungsanmeldungen oder eventuelle Verbotsüberlegungen zu täuschen, schließen sich Neonazis in informellen Gruppen zusammen, die weitgehend ohne feste Strukturen auskommen oder solche zu verschleiern versuchen. Zu beobachten ist eine Zusammenarbeit dieser informellen Gruppen in auch überregional tätigen Netzwerken. Die Vernetzung erfolgt heute weitgehend über moderne Kommunikationsmittel wie das Internet und soziale Netzwerke. 162 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Im Facebook-Profil der rechtsextremistischen Gruppierung Antikapitalistische NüGIDA gab es wiederholt Verweise auf das Antikapitalistische Kollektiv (AKK) Kollektiv (AKK). Beim AKK handelt es sich um ein Netzwerk innerhalb der rechtsextremistischen Szene mit dem Ziel, als Plattform unterschiedliche Akteure des sog. "Nationalen Widerstands" miteinander zu vernetzen. Das AKK versteht sich als antikapitalistisch und propagiert einen völkischen Sozialismus. Zur Durchsetzung seiner Ziele baut es auf bestehende rechtsextremistische Strukturen. So erschien im Facebook-Profil von NüGIDA ein Aufruf zur Teilnahme an einem AKK-Zeltlager vom 15. bis 17. Juli. Das Zeltlager fand in Baden-Württemberg statt und bestand aus Vorträgen und Schulungen, beispielsweise zu Strategien und Taktiken bei Demonstrationen. Aktivisten des AKK beteiligten sich an der rechtsextremistischen 1. Mai-Kundgebung in Plauen und protestierten am 17. September in Frankfurt am Main gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Zur Teilnahme an diesen Protesten hatten zuvor das AKK und NüGIDA aufgerufen. Verbot des Freien Netzes Süd (FNS) Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr hat am 23. Juli 2014 das neonazistische Netzwerk Freies Netz Süd (FNS) verboten, da es die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der verbotenen Fränkischen Aktionsfront weiterführte. Daneben beschlagnahmte es das Grundstück Oberprex 47, sowie Gegenstände des Final Resistance Versandes und zog beides zu Gunsten des Freistaates Bayern ein. Das Verbot ist seit 14. Dezember 2015 bestandskräftig, nachdem der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Klagen gegen dieses am 20. Oktober 2015 abwies. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bestätigte die Eigenschaft des FNS als Vereinigung im Sinne des Vereinsgesetzes. Das FNS habe als eine Art Dachverband der ihm angeschlossenen regionalen und lokalen neonazistischen Vereinigungen (Kameradschaften) eine Koordinierungsund Lenkungsfunktion für ganz Bayern wahrgenommen und von sich aus politische Aktionen zentral gesteuert, die dann von gleichgesinnten Gruppen oder Einzelpersonen auf regionaler oder lokaler Ebene umgesetzt wurden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 163 Rechtsextremismus 8.1 Neonazistische Gruppen Kameradschaft Altmühltal Weitere Bezeichnungen KS Altmühltal (KSA) Aktivisten und 20-30 Personen Sympathisanten Gründung bzw. 2004 erstmalige Aktivität Aktionsraum Neumarkt i. d.OPf., Dietfurt a. d. Altmühl Die Gruppierung war in ihrer Anfangszeit der rechtsextremistischen Skinheadszene zuzurechnen, Partys und Skinhead-Musik standen für sie im Vordergrund. In den letzten Jahren haben sich die Kameradschaftsmitglieder zunehmend politisiert und treffen sich zu internen Kameradschaftsabenden und Stammtischen. Gegen Angehörige der Kameradschaft Altmühltal wurde im Jahr 2014 wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz (Anfertigen und Zünden von Molotowcocktails) ermittelt. Das Strafverfahren ist durch Urteil vom 29. April 2015 abgeschlossen. Die Beschuldigten wurden zu Freiheitsstrafen, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten entfaltete die Kameradschaft 2016 nicht. Freie Kräfte Berchtesgadener Land Aktivisten und etwa 10 Personen Sympathisanten Gründung bzw. 2012 erstmalige Aktivität Aktionsraum Berchtesgaden, Bad Reichenhall Freilassing Aktivisten der Kameradschaft beteiligten sich an Kundgebungen der Identitären Bewegung unter dem Motto "Wir sind die Grenze" in Freilassing. Dabei gaben sie sich allerdings nicht als Angehörige der Kameradschaft zu erkennen, sondern mischten sich unter die Demonstrationsteilnehmer. Darüber hinaus beschränkte sich die Kameradschaft hauptsächlich auf interne Aktivitäten. Durch Gemeinschaftsaktivitäten wie eine Übernachtung auf einer Hütte in den Berchtesgadener Alpen oder einen Ausflug 164 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus mit Angehörigen der Kameradschaft "Gau Wendlstoa" und Aktivisten des Stützpunktes München-Oberbayern der Partei III. Weg mit Besichtigung des Obersalzberg wurden über den Kreis der Kameradschaft hinaus Kontakte in der rechtsextremistischen Szene gefestigt. Kameradschaft Gau Wendlstoa Aktivisten und 10 Personen Sympathisanten Gründung bzw. 2016 erstmalige Aktivität Aktionsraum Rosenheim, Niederaudorf Die Neonazikameradschaft Gau Wendlstoa gründete sich im zweiten Halbjahr 2016 im Raum Rosenheim. Angehörige der Gruppe trafen sich mit Aktivisten der Kameradschaft Berchtesgadener Land und der Partei III. Weg zu einem Ausflug nach Berchtesgaden mit Besuch des Obersalzberg. Dieser wurde nach 1933 zum zweiten Regierungssitz des nationalsozialistischen Regimes neben Berlin ausgebaut. Am Aktionswochenende zu den Themen "Flüchtlinge damals und heute - Im Gedenken an unsere Heimatvertriebenen" und "Deutschland ist größer als die BRD" des III. Wegs am 10./11. September beteiligte sich der Gau Wendlstoa in Oberbayern mit eigenen Aktionen. Kameradschaft Unterfranken (KSU) Aktivisten und 15 Personen Sympathisanten Gründung bzw. 2013 erstmalige Aktivität Aktionsraum Würzburg Die KSU verfolgt das Ziel, eine Schnittstelle zwischen rechtsextremistischen Parteien und der Neonaziszene zu bilden. Sie nahm mit mehreren Aktivisten an einer rechtsextremistischen Kundgebung am 1. Oktober in Gotha (Thüringen) teil. Die Gruppierung unterhält ein Profil bei dem russischen sozialen Netzwerk vk.com. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 165 Rechtsextremismus 9. Rechtsextremistische Jugend-Szenen und Subkulturen In rechtsextremistischen Jugend-Szenen verbindet sich eine diffuse Weltanschauung mit Elementen, die an zentrale Merkmale des Nationalsozialismus angelehnt sind. Um junge Aktivisten zu gewinnen, hat sich die rechtsextremistische Szene modisch und ideologisch geöffnet. Die früher typischen Glatzen und Springerstiefel der Skinheads sind weitestgehend verschwunden. Lange Haare, Piercings oder Basecaps und sogar Merkmale aus dem "linken" und linksextremistischen Spektrum wurden übernommen. Eine rechtsextremistische Gesinnung ist somit äußerlich nur noch schwer zu erkennen. Dadurch sollen Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner, Polizeikontrollen oder Probleme mit Eltern, Freunden, in der Schule oder im Beruf vermieden werden. In rechtsextremistischen Jugend-Szenen gibt es in der Regel weder feste Organisationsstrukturen noch formelle Mitgliedschaften. Die Anzahl rechtsextremistischer Skinheads ist in Bayern in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Das Personenpotenzial der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene hat sich jedoch insgesamt bei rund 300 Personen stabilisiert. Der Abwärtstrend bei den Skinheads wurde durch die Unterwanderung anderer Subkulturen relativiert. Insbesondere neue rechtsextremistische subkulturelle Strukturen wie die NS-HatecoreSzene oder die NS-Black-Metal-Szene erhalten verstärkt Zulauf. Knapp 100 subkulturell orientierte Rechtsextremisten sind diesen jüngeren Strömungen wie auch dem Neofolk, NS-Hip-Hop und NS-Techno zuzurechnen. Mit der Unterwanderung versuchen Rechtsextremisten, ihre Feindbilder und Ideologie einfließen zu lassen, um Anhänger für die NS-Ideologie zu gewinnen bzw. um rechtsextremistische Tendenzen in diese Subkulturen zu tragen. Dabei werden Black Metal, Hatecore und Neofolk sowie Hip-Hop und Techno mit rechtsextremistischen Texten unterlegt. Einzelpersonen sind auch in der rechtsorientierten Hooligan-Szene aktiv. Teilweise entwickeln sich aus erlebnisorientierten Skinheadgruppierungen auch gewaltbereite Aktionsgruppen mit klarer politischer Zielsetzung. 166 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus Ein Beispiel hierfür ist die Weisse Wölfe Terrorcrew (WWT), die Verbot der 2008 als Fangruppe der rechtsextremistischen Skinheadband Weisse Wölfe Weisse Wölfe gegründet wurde. Am 16. März hat das BundesTerrorcrew ministerium des Innern die gewaltbereite rechtsextremistische Vereinigung WWT verboten. Das Verbot wurde bei 16 Betroffenen in zehn Bundesländern mit Schwerpunkt in Norddeutschland vollstreckt. Im Zuge der durchgeführten Durchsuchungsmaßnahmen wurden umfangreiche Materialien sichergestellt. Von den Maßnahmen war auch die Sektion Bayern in Bamberg betroffen. Die WWT wurde ursprünglich in Hamburg gegründet und unterhielt regionale Untergliederungen, sog. Sektionen, in mehreren Bundesländern. Das Verbot bezieht sich zum einen auf die verfassungswidrige Ausrichtung der Gruppierung wegen deren Nähe zum historischen Nationalsozialismus, zum anderen auf das strafgesetzwidrige Verhalten zentraler Führungspersonen sowie auf als Gruppenaktionen begangene Straftaten. Ziel der WWT war es, Angriffe auf den politischen Gegner sowie auf Personen mit Migrationshintergrund zu verüben. Erkennungszeichen der WWT waren ihre schwarzen T-Shirts mit dem Logo der Vereinigung. Das Verbot ist bestandskräftig. Bereits im Vorfeld des Verbots wurde seitens der StaatsanwaltBamberger schaft Bamberg gegen mehrere Mitglieder der sog. Bamberger Mischszene Mischszene ein Ermittlungsverfahren nach SS 129 StGB wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet. Einzelne Aktivisten dieser Szene waren auch der WWT zuzurechnen. Entsprechende Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren flossen in die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums ein. Anlehnung an Erscheinungsbild und Strukturen der Rockerszene Subkulturell geprägte Rechtsextremisten nähern sich in ihrem Erscheinungsbild und ihren internen Strukturen vermehrt an die Rockerszene an. So wählen sie beispielsweise englischsprachige Gruppenbezeichnungen, tragen "Kutten" (Motorradjacken, auf deren Rückenteil das Gruppenlogo aufgenäht ist), pflegen rockerähnliche Aufnahmerituale für Neumitglieder und benennen interne Hierarchieebenen mit englischen Begriffen wie "President" oder "Secretary". Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 167 Rechtsextremismus Ein Beispiel ist das Erscheinungsbild der rechtsextremistischen Gruppierung Oldschool Society (OSS). Ihre Struktur lehnte sich an die von Rockergruppen an. So bestand die Führungsebene unter anderem aus "President", "Vice-President", "Secretary" und "Sergeant at Arms". Gegen die ehemaligen Mitglieder der OSS findet beim Oberlandesgericht München ein Strafverfahren unter anderem wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung statt, das noch nicht abgeschlossen ist. Auch die mit Abstand mitgliederstärkste Skinheadgruppierung in Bayern, Voice of Anger, weist einzelne Ähnlichkeiten mit Rockergruppierungen auf. So gibt es beispielsweise bei ihr ein Aufnahmeverfahren, das sich am sog. "Prospect"-Status der Rocker orientiert. Es ist aber weder eine strukturierte Zusammenarbeit noch eine ideologische Annäherung zwischen der rechtsextremistischen Szene und der "1-Prozenter" Rockerszene in Bayern feststellbar. Weite Teile der rechtsextremistischen Szene lehnen Rockerclubs wegen ihres vergleichsweise hohen Anteils von Migranten ab. Es bestehen aber punktuell personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene, die zumeist auf geschäftliche Interessen oder persönliche Beziehungen zurückgehen. Hammerskins (HS) Die 1988 in den USA gegründeten Hammerskins (HS) propagieren ein rassistisches und zum Teil nationalsozialistisches Weltbild und sehen sich als Elite der rechtsextremistischen Skinheads. Weltweit in die Schlagzeilen gerieten die HS, als der 40-jährige Wade Michael Page am 5. August 2012 in Oak Creek (Wisconsin) in einem Sikh-Tempel sechs Menschen niederschoss und anschließend selbst von einem Polizisten getötet wurde. Wade Michael Page war Anhänger der US-amerikanischen "Hammerskin-Bewegung". Struktur und Aufnahmeverfahren der Hammerskins ähneln dem Rockerclub Hells Angels MC. So sind die HS in vielen Ländern mit "Divisionen" vertreten. Europaweit bestehen als regionale Untergliederungen rund 25 Chapter, deren Aktivitäten sich größtenteils auf die Organisation von rechtsextremistischen Konzerten und Veranstaltungen sowie die Selbstorganisation der Hammerskin-Bewegung 168 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Rechtsextremismus beschränken. Der Hammerskin-Division Deutschland gehören rund zehn deutsche Chapter mit insgesamt bis zu 100 Skinheads an, darunter das Chapter Bayern und das Chapter Franken. Voice of Anger (VoA) Die 2002 im Großraum Memmingen/Kempten gegründete Skinhead-Gruppierung Voice of Anger ist eine überregional aktive Skinhead-Gruppierung in Bayern. Die etwa 60 Mitglieder und Sympathisanten gehören mehreren Sektionen an. Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stehen die gemeinsame Freizeitgestaltung, interne Veranstaltungen und Feiern sowie die Veranstaltung bzw. der Besuch von Skinhead Konzerten. Mitglieder von VoA gründeten 2010 die Skinhead-Band Kodex Frei. Im Internet verlinkt die nur teilweise abrufbare VoA-Webseite auf den Versandhandel Oldschool Records. Der Betreiber von Oldschool Records ist führender Aktivist von VoA. Gegen ihn als Betreiber des Versandhandels ist ein Strafverfahren beim Amtsgericht Memmingen anhängig. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 169 Rechtsextremismus PEGIDA-Ableger mit extremistischen Bezügen f Redner von PEGIDA-München vergleicht Bundespolitiker mit Vertretern des NS-Regimes f Rechtsextremisten und verfassungsschutzrelevante Islamfeinde prägen Ausrichtung der Gruppierungen f Wesentliche Bestandteile der Ideologie sind Hetze gegen Muslime und Aufrufe zur Selbstjustiz f Rückläufige Teilnehmerzahlen bei "GIDA"-Veranstaltungen 170 In Bayern schlossen sich mehrere Gruppierungen der seit Oktober 2014 von Dresden ausgehenden Protestbewegung PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) an bzw. griffen in ihrer Selbstbezeichnung auf ähnliche Namensbestandteile zurück. Die Gruppierungen PEGIDA-München, PEGIDA Nürnberg, NüGIDA, Allgida Kempten und PEGIDA Franken in Würzburg werden vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz als extremistische Bestrebungen beobachtet. Unter den Verantwortlichen bzw. Rednern finden sich Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum wie auch aus dem Bereich der verfassungsschutzrelevanten Islamfeindlichkeit. Kennzeichnend für die Ideologie, die diese Gruppierungen auf ihren Kundgebungen und über das Internet verbreiten, sind die Hetze gegen Muslime und muslimische Asylbewerber sowie Aufrufe zur Selbstjustiz. Insoweit Rechtsextremisten Einfluss auf die ideologische Ausrichtung der Gruppierungen haben, finden sich auch rassistische Argumentationsmuster wie die Unterstellung eines angeblichen "Bevölkerungsaustauschs". Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 171 PEGIDA-Gruppierungen 1. NüGIDA Aktivitäten seit Februar 2015 Aktionsraum Nürnberg Die rechtsextremistische Szene etablierte mit NüGIDA (Nürnberg gegen die Islamisierung des Abendlandes) eine eigene Plattform, bei der sie die ideologische Ausrichtung bestimmte. NüGIDA wird vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistische Bestrebung beobachtet. Nähe zur Partei Die Gruppe war ab September 2015 vorübergehend inaktiv. Auch DIE RECHTE ihr Facebook-Profil wurde deaktiviert. Im Januar reaktivierte NüGIDA das Profil, nachdem Facebook die Profile der Partei DIE RECHTE gelöscht hatte. Über das Profil von NüGIDA wurde Parteipropaganda für die Partei DIE RECHTE betrieben. So berichtete NüGIDA auf Facebook über eine Kundgebungstour der Partei DIE RECHTE am 27. Februar. Die Symbolik von NüGIDA war wiederholt auch bei Veranstaltungen der Partei DIE RECHTE zu sehen, beispielsweise bei einer Kundgebung in Nürnberg am 19. März. Das Mobilisierungspotenzial von NüGIDA entspricht demjenigen bei Kundgebungen der Partei DIE RECHTE in Nürnberg und beträgt bis zu 25 Personen. Vereinzelt wurden auch Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Organisationen wie z. B. der NPD über das Facebook-Profil von NüGIDA beworben. Personen mit NüGIDA-Transparenten beteiligten sich an rechtsextremistischen Kundgebungen in mehreren Bundesländern wie z. B. am 30. Januar in Büdingen/Hessen unter dem Motto "Büdingen wehrt sich - Asylflut stoppen" und einer Kundgebung der Partei DIE RECHTE am 1. Mai in Erfurt . Bei diesen Kundgebungen traten Funktionäre des Nürnberger Kreisverbandes der Partei DIE RECHTE als Redner auf. Insgesamt ist erkennbar, dass es sich bei NüGIDA um eine Tarnorganisation der Partei DIE RECHTE handelt. 172 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 PEGIDA-Gruppierungen 2. Allgida Kempten Aktivitäten seit Mai 2016 Aktionsraum Kempten Die Protestgruppe Allgida Kempten (Allgäuer gegen die Überfremdung des Abendlandes) ist seit Mai Beobachtungsobjekt des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Es liegen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen im Phänomenbereich Rechtsextremismus vor. Die Gruppierung ordnet sich selbst dem "Nationalen Widerstand" zu. Im Facebook-Profil von Allgida Kempten wurden Bilddateien der NPD zur Flüchtlingspolitik veröffentlicht. Bis Anfang Juni war eine Person Vorsitzender, die in ihrem Facebook-Profil deutliche Bezüge zum Rechtsextremismus aufwies. So präsentierte sie sich auf Facebook maskiert mit einem T-Shirt "Division Kempten - Allgida" sowie einem Schlagring. Nach Bekanntwerden der Beobachtung durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz legte der Vorsitzende sein Amt nieder. Er gab dafür private Gründe an. Seit der Absage einer ursprünglich für den 2. Juli geplanten Demonstration ist Allgida Kempten nicht mehr aktiv geworden. 3. PEGIDA Franken Aktivitäten seit November 2014 Aktionsraum Würzburg Die Gruppe PEGIDA Franken hatte Bezüge zu den rechtsextremistischen Parteien NPD, Der Dritte Weg (III. Weg) und DIE RECHTE. Zuletzt gelang es ihr im Oktober 2015, rund 100 Teilnehmer für eine Kundgebung in Würzburg zu mobilisieren, auf der ein Aktivist der Partei DIE RECHTE als Redner auftrat. Bis Mitte des Jahres 2016 stellte die Gruppierung ihre öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten zunehmend ein, auch das Facebook-Profil wurde deaktiviert. Im Jahr 2016 fanden keine Kundgebungen von PEGIDA Franken statt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 173 PEGIDA-Gruppierungen 4. PEGIDA-München - zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e.V. (PEGIDA-München) Gegründet am 29.04.2015 Aktionsraum München Dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz liegen zahlreiche tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass der Verein PEGIDA-München zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e. V. extremistische Bestrebungen verfolgt. Am 17. September nahm der Vorsitzende von PEGIDA-München, Heinz Meyer, an einer Kundgebung der Partei Der Dritte Weg (III. Weg) in München teil. Gegen Meyer ermittelt das Bayerische Landeskriminalamt seit 2012 im Auftrag des Generalbundesanwalts wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129 a StGB. PEGIDA-München veranstaltete zunächst bis Anfang Mai regelmäßig montags Demonstrationen und Kundgebungen in der Münchner Innenstadt. Zudem fanden zeitweise täglich kleinere Versammlungen im Stadtzentrum statt. Dabei wurden wiederholt Muezzinrufe vom Band abgespielt. Nachdem die Landeshauptstadt München mit Bescheid vom 24. Mai neue Regelungen für die Durchführung von Kundgebungen und Demonstrationen von PEGIDA-München mit dem Ziel getroffen hatte, die regelmäßig wiederkehrenden Versammlungen auf mehrere Örtlichkeiten im Stadtgebiet zu verteilen, sagte PEGIDA-München zunächst zahlreiche Versammlungen ab und legte Rechtsmittel ein. Mit Beschluss vom 7. Juli hat das Verwaltungsgericht München die Beschränkungen der Landeshauptstadt München weitgehend bestätigt, insbesondere die örtlichen Verlegungen an wechselnde Versammlungsorte. Ab 18. Juli führte PEGIDA-München wieder regelmäßig stationäre und sich fortbewegende Versammlungen durch. Die Teilnehmerzahl der Montagskundgebungen von PEGIDA-München war jedoch rückläufig. Im Januar nahmen noch bis zu 400 Personen teil, in der zweiten Jahreshälfte sank die Zahl auf 70 bis 100 Teilnehmer. 174 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 PEGIDA-Gruppierungen Unter den Teilnehmern der Veranstaltungen von PEGIDABezüge zu rechtsMünchen befanden sich wiederholt Aktivisten rechtsextreextremistischen mistischer Parteien und Organisationen, darunter die NPD, Parteien und der III. Weg, DIE RECHTE, die Bürgerinitiative Ausländerstopp Gruppierungen München (BIA-München) und die Identitäre Bewegung, deren Symbol wiederholt auch am Rednerpult von PEGIDA-München angebracht wurde. Auch die Aktivitas der Burschenschaft Danubia München warb auf Facebook für die Teilnahme an Veranstaltungen von PEGIDA-München. Bei PEGIDA-Kundgebungen wurde auch Propagandamaterial rechtsextremistischer Organisationen wie der Partei III. Weg oder der Europäischen Aktion verteilt. Teilnehmer verschiedener Kundgebungen von PEGIDA-München trugen außerdem Transparente mit sich, die bereits bei rechtsextremistischen Kundgebungen der Parteien III. Weg, DIE RECHTE und NPD gezeigt wurden oder über den Materialdienst der NPD erworben werden konnten. Rechtsextremisten beschränkten sich nicht mehr auf eine bloße Teilnahme an Kundgebungen von PEGIDA-München. So führten beispielsweise bei Demonstrationen am 11. Januar, 15. Februar und 18. Juli Rechtsextremisten den Aufzug mit an und trugen zumindest zeitweise ein Fronttransparent von PEGIDA-München. Im Kundgebungszug waren am 11. Januar und 21. März die rechtsextremistischen Ausrufe "frei, sozial und national" zu hören. Die rechtsextremistische Ausrichtung von PEGIDA-München zeigte sich auch während der Kundgebung am 22. August, als auf dem Königsplatz ein Lied des rechtsextremistischen Liedermachers Frank Rennicke abgespielt wurde. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 175 PEGIDA-Gruppierungen Bei Kundgebungen von PEGIDA-München traten auch vermehrt rechtsextremistische Redner auf. Der Rechtsextremist Dan Eising, der bis August Funktionär der Partei DIE RECHTE war, sagte auf einer Kundgebung am 22. August, man müsse "das System kippen" und in den "Bundestag einmarschieren", am 5. September forderte er einen "sozial und national" ausgerichteten Staat. Auch der Stadtrat der BIA-München, Karl Richter, sprach am 5. September und 10. Oktober auf PEGIDA-Kundgebungen. Am 5. Dezember traten sowohl Karl Richter als auch der Leiter des Stützpunktes München/Oberbayern der Partei III. Weg, Karl-Heinz Statzberger, als Redner bei der Kundgebung von PEGIDA-München auf. Nachdem die Landeshauptstadt München Heinz Meyer als Versammlungsleiter ablehnte, übernahm am 19. Dezember Karl Richter die Leitung der Kundgebung. Zudem trat Philipp Hasselbach von der Partei DIE RECHTE erstmals als Redner bei PEGIDA-München auf. Auf Zustimmung stößt in der rechtsextremistischen Szene insbesondere auch die Wahl des Versammlungsortes am Odeonsplatz. Im Rahmen des sogenannten Hitlerputsches marschierte Adolf Hitler am 9. November 1923 zusammen mit seinen Anhängern auf die Feldherrnhalle am Odeonsplatz zu, wo er von der bayerischen Landespolizei gestoppt wurde. Bei einer Kundgebung vor der Feldherrnhalle am 1. August sagte eine Rednerin "Das ist ja ein Ding, dass wir jetzt ausgerechnet hier vor der Feldherrnhalle stehen und ich spreche. Ich habe mir für diesen Anlass auch extra die "Kommando-Klamotten" angezogen. ... Verehrtes deutsches Volk, weiße Männer, blonde Frauen, na wollt ihr den totalen Terror? ... Wollt ihr den totalen Asylstaat?". Die Rednerin forderte außerdem die Bildung von Bürgerwehren und zur Selbstverteidigung eine Bewaffnung der Deutschen: "Wir brauchen eine Entschärfung des Waffenrechtes, die autochthonen Deutschen müssen sich bewaffnen, soviel wie möglich." Mit der Wortwahl lehnt sich die Rednerin an ein Goebbels-Zitat an und stellt das Gewaltmonopol des Staates in Frage. 176 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 PEGIDA-Gruppierungen 5. PEGIDA Nürnberg Aktivitäten seit Februar 2015 Aktionsraum Nürnberg und Fürth Über die Gruppe PEGIDA Nürnberg liegen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen vor, die dem Phänomenbereich der verfassungsschutzrelevanten Islamfeindlichkeit zuzuordnen sind. Der Versammlungsleiter Gernot Tegetmeyer war bis zu seinem Parteiaustritt in der zweiten Jahreshälfte 2015 stellvertretender Landesvorsitzender des bayerischen Landesverbands der Partei DIE FREIHEIT (DIE FREIHEIT Bayern), der verfassungsschutzrelevante islamfeindliche Bestrebungen verfolgte. Am 16. Januar verkündete ein Redner eine sogenannte "Nürnberger Erklärung zur Inkompatibilität von Koranertum und Abendland". Darin wird der als "Koranertum" bezeichnete Islam als faschistische Ideologie diffamiert, die mit Gewalt politische Ziele verfolge: "Das Koranertum ist eine politische und am Führerprinzip ausgerichtete faschistische Allmachtsideologie mit religiöser Tünche. ... Das Koranertum lehnt das staatliche Gewaltmonopol ab und sieht Gewalt von Anfang an als immanentes und legitimes Mittel zur Durchsetzung seiner religionspolitischen Machtansprüche." Nach jeder Nennung seiner Thesen fragte der Redner das Publikum "Passt das zu Deutschland?" Das Publikum antwortete laut mit "Nein". Außerdem folgerte der Redner aus seinen Thesen u. a., dass "Deutschen, die zum Koranertum übertreten, (...) folgerichtig die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden" müsse. Der Redner forderte in seiner Rede auch dazu auf, von einem vermeintlich bestehenden Widerstandsrecht Gebrauch zu machen: Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 177 PEGIDA-Gruppierungen "Wo ein Staat und seine politischen Führer sich gegen das eigene Volk und gegen geltendes Recht wenden, da wird der Patriot zum Widerstandskämpfer im eigenen Land." Beide Forderungen sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, da sie das Grundrecht auf Religionsfreiheit und das Gewaltmonopol des Staates untergraben. Als Redner trat bei PEGIDA Nürnberg außerdem wiederholt Michael Stürzenberger, Bundesvorsitzender der Ende 2016 aufgelösten Partei DIE FREIHEIT, auf. In einer Rede am 6. Mai setzte er, bezugnehmend auf den 11. September 2001, den Islam mit dem islamistischen Terrorismus gleich: "Am 11. September 2001 hat eine besonders intensive Form der islamischen Religionsausübung in New York dafür gesorgt, dass 3.000 Menschen umgekommen sind. Getreu nach dem Koranbefehl tötet die Ungläubigen wo immer ihr sie findet." In Fürth wurde unter der Bezeichnung PEGIDA Mittelfranken am 7. Juli erstmals eine Kundgebung durchgeführt. Sie wurde beworben als "21. Nürnberger Spaziergang" und war damit klar der Gruppierung PEGIDA Nürnberg zuzuordnen. PEGIDA Nürnberg beabsichtigt damit, über die Stadtgrenzen hinaus in der Metropolregion Präsenz zu zeigen. In darauffolgenden Kundgebungen trat wiederholt Michael Stürzenberger als Redner auf. Im Lauf des Jahres sank das Teilnehmerpotenzial an den Kundgebungen von bis zu 200 Personen im Januar kontinuierlich auf etwa 50 bis 80 Personen. An den Kundgebungen von PEGIDA Nürnberg nehmen regelmäßig auch Rechtsextremisten teil, obwohl der Versammlungsleiter Rechtsextremisten bei Veranstaltungen von PEGIDA Nürnberg als unerwünscht bezeichnet hatte. 178 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 PEGIDA-Gruppierungen Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 179 PEGIDA-Gruppierungen Reichsbürger und Selbstverwalter f Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz nimmt Beobachtung der Reichsbürgerszene als sicherheitsgefährdende Bestrebung auf f Behörden überprüfen waffenrechtliche Zuverlässigkeit bei Angehörigen der Reichsbürgerszene 180 Reichsbürger sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich unter anderem auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Zur Verwirklichung ihrer Ziele treten sie zum Teil aggressiv gegenüber den Gerichten und Behörden der Bundesrepublik Deutschland auf. Selbstverwalter sind Einzelpersonen, die behaupten, sie könnten durch eine Erklärung aus der Bundesrepublik austreten und seien so nicht mehr deren Gesetzen unterworfen. Die dafür genutzten Argumente sind im Wesentlichen deckungsgleich mit denen der sogenannten Reichsbürger. Selbstverwalter definieren beispielsweise ihre Wohnung, ihr Haus oder ihr Grundstück als souveränes Staatsgebiet. Ihr Grundstück markieren sie mitunter durch eine (Grenz-) Linie und zeigen als "Staatswappen" Symbole, die sie selbst entwerfen. In Teilen sind Reichsbürger und Selbstverwalter dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zuzurechnen; insbesondere dort, wo sich Versatzstücke antisemitischer und nationalsozialistischer Denkmuster wiederfinden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 181 Reichsbürger und Selbstverwalter Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann die Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein bis hin zur Gewaltanwendung. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Reichsbürger und Selbstverwalter in Bayern als sicherheitsgefährdende Bestrebung. 182 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Reichsbürger und Selbstverwalter 1. Personenpotenzial Der Kreis derer, die sich der Reichsbürgerszene zugehörig fühlen, ist über die letzten Jahre merklich gewachsen. In Bayern lagen im Berichtszeitraum zu rund 1.700 Personen belastbare Hinweise bezüglich ihrer Szenezugehörigkeit vor. Regionale Schwerpunkte in Bayern sind der Ballungsraum München, das Chiemgau, Nürnberg sowie der Großraum Würzburg-Schweinfurt. Eine eindeutige Zuordnung von sogenannten Reichsbürgern oder Selbstverwaltern zur rechtsextremistischen Szene ist bislang nur in wenigen Fällen belegbar. Die Ablehnung des Staates und seiner Organe ist ideologischer Bestandteil nahezu aller extremistischer Phänomenbereiche und begründet für sich genommen keine Zugehörigkeit zum Rechtsextremismus. Die Reichsbürgerbewegung wird daher als sicherheitsgefährdende Bestrebung eingestuft. 2. Ideologie Reichsbürger berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Leugnung der Fortbestand des Deutschen Reiches. Dabei werden z. B. der RechtsExistenz stand von 1937, 1914 zwei Tage vor dem Ausbruch des Ersten Deutschlands Weltkrieges oder auch 1871 genannt. Reichsbürger behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent, oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung 1990 seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. Die von den Reichsbürgern vorgetragenen Argumente gegen Entscheidung die Existenz Deutschlands als Staat sind falsch. Das Bundesdes Bundesververfassungsgericht hat entschieden, dass das Grundgesetz der fassungsgerichts Bundesrepublik Deutschland die gültige Verfassung des wiedervereinigten Deutschlands ist. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 183 Reichsbürger und Selbstverwalter Zu den vermeintlichen Argumenten der Reichsbürger stellte das Amtsgericht Duisburg im Leitsatz einer Entscheidung bereits am 26. Januar 2006 zusammenfassend fest: "Das Bonner Grundgesetz ist unverändert in Kraft. Eine deutsche Reichsverfassung, eine kommissarische Reichsregierung oder ein kommissarisches Reichsgericht existiert ebenso wenig, wie die Erde eine Scheibe ist." 3. Typische Aktivitäten Querulatorisches Regelmäßig überziehen Reichsbürger Behörden mit querulatoVerhalten rischen Schreiben , in denen sie der öffentlichen Verwaltung und der Justiz ihre Autorität oder gar ihre Existenz absprechen. In mehrseitigen Briefen werden z. B. Beamte und Richter belehrt, beschimpft und beleidigt. Reichsbürger und Selbstverwalter sind davon überzeugt, dass sie aus der Bundesrepublik Deutschland austreten können. Als ersten Schritt zu ihrem vermeintlichen Austritt betrachten sie häufig die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises (sogenannter "gelber Schein") unter Berufung auf das Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913. Nutzung von Außerdem geben Reichsbürger amtliche Ausweisdokumente Fantasiepapieren bei der Meldebehörde ab und benutzen stattdessen selbst produzierte Fantasiepapiere, wie "Reichspersonenausweise" oder "Reichsführerscheine". Diese sind völlig wertlos und teilweise strafrechtlich relevant. Der Verkauf solcher Fantasiepapiere ist eine wichtige Einnahmequelle von Reichsbürgergruppierungen. Reichsbürger bestreiten z. B. die Berechtigung von Forderungen des Staates aus Steuer-, Bußgeldund Verwaltungsverfahren. Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes sind bei der Ausübung ihrer Tätigkeit auch immer wieder Drohungen, unberechtigten Schadensersatzforderungen oder tätlichen Angriffen ausgesetzt. 184 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Reichsbürger und Selbstverwalter In der gerichtlichen Auseinandersetzung ist der Aktivismus Rechtskonsulenten der Reichsbürger und Selbstverwalter ambivalent: Einerseits schöpfen sie - soweit möglich - den juristischen Klageweg weitestgehend aus und überhäufen Gerichte mit Anträgen und Eingaben. Dabei lassen sie sich mitunter auch von selbsternannten Szene-"Anwälten", sogenannten Rechtskonsulenten, vertreten. Andererseits bleiben sie Gerichtsterminen fern, wirken nicht am ordentlichen Verfahren mit und versuchen, Strafbefehle einfach ins Leere laufen zu lassen und nicht zu beachten. Im Verlauf einer Gerichtsverhandlung gegen eine mutmaßliche Reichsbürgerin vor dem Amtsgericht Kaufbeuren am 20. Januar kam es im Gerichtssaal beim Verlesen der Anklageschrift zu tumultartigen Szenen. Mit einem neuen Flyer klärt das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes über Handlungsweisen der Reichsbürger auf. 4. Gewaltpotenzial Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann die Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein. Verschiedene Vorfälle belegen, dass sich in der Szene auch PersoTötung eines nen bewegen, die gewaltbereit sind. So sollten bei einer Person Polizeibeamten in Georgensgmünd, die ihr Grundstück mit Hilfe einer gelben Linie und einer Fahne als ihr Hoheitsgebiet deklariert hatte, am 19. Oktober auf Betreiben des Landratsamtes Roth mehrere richterliche Durchsuchungsund Beschlagnahmebeschlüsse wegen des unzulässigen Erwerbs und Besitzes von Schusswaffen vollzogen werden. Als die Polizeibeamten das Haus betraten, eröffnete der Täter das Feuer. Dabei wurde ein Polizeibeamter getötet, drei weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 185 Reichsbürger und Selbstverwalter Bereits im August gab es einen vergleichbaren Vorfall in Sachsen-Anhalt. Dort schoss der Gründer des Fantasiestaates "UR" im Rahmen eines Polizeieinsatzes auf Polizeikräfte und verletzte drei von ihnen. Entzug von WaffenUm das von ihnen ausgehende Gefahrenpotenzial zu minimieren, erlaubnissen werden derzeit bei Angehörigen der Reichsbürgerszene bestehende waffenrechtliche Erlaubnisse überprüft und, wo möglich, entzogen. Jede waffenrechtliche Erlaubnis setzt voraus, dass der Erlaubnisinhaber die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit besitzt. Diese Zuverlässigkeit ist im Fall der Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung aber zu verneinen. 5. Reichsbürgergruppierungen in Bayern Folgende Reichbürgergruppierungen sind in Bayern durch besondere Aktivitäten aufgefallen: 5.1 Phänomenbereich Rechtsextremismus Exilregierung Deutsches Reich (Exilregierung) Mitglieder 30 (Bayern) Gründung 2004 Aktionsraum Bundesgebiet Bei der Exilregierung handelt es sich um eine Reichsbürgergruppierung, die im Rechtsextremismus verankert ist und die als rechtsextremistische Gruppierung schon seit mehreren Jahren unter Beobachtung der Verfassungsschutzbehörden steht. Die Exilregierung versucht Überfremdungsängste zu stärken und Untergangsvisionen zu schüren. Sie kündigt eine bevorstehende Weltherrschaft des "politischen Zionismus" an und spricht im Hinblick auf die Flüchtlingswelle davon, dass der "Holocaust gegen die deutschen Völker" inzwischen eine neue Qualität erreicht habe. Die völkische und antisemitische Ideologie der Gruppierung wird daran deutlich. 186 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Reichsbürger und Selbstverwalter Die Gruppierung führte mehrere Veranstaltungen in Landsberg am Lech (Oberbayern), Tännesberg (Oberpfalz) und Nürnberg (Mittelfranken) durch, an denen sich bis zu 30 Personen beteiligten. Durch derartige Treffen besteht die Gefahr, dass sich Veranstaltungsteilnehmer von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entfernen, zu Widerstandshandlungen gegen Vertreter des Staates ermuntert fühlen und sich der Reichsbürgerszene bzw. der rechtsextremistischen Szene anschließen. 5.2 Sicherheitsgefährdende Bestrebungen 5.2.1 Bundestaat Bayern Mitglieder 30 Gründung Dezember 2015 Aktionsraum Oberbayern Der Bundesstaat Bayern mit Sitz in Landsham bei München beruft sich als "gültigen Rechtsstand" auf den Zeitpunkt "2 Tage vor Ausbruch des 1. Weltkriegs". Am 10. Dezember 2015 beschlossen die Gründungsmitglieder die Einleitung der "Reorganisation des Bundesstaats Bayern" und zum Zweck der "Reorganisation" eine sogenannte "Verfassung des Bundesstaats Bayern" mit 88 Artikeln. Bayern wird als Republik und als Glied dem Deutschen Reich zugeordnet, die früher zu Bayern gehörende Pfalz wird als Bestandteil des Bundesstaats Bayern gesehen. Auf seiner Webseite veröffentlicht der Bundesstaat Bayern Veranstaltungstermine. Am 7. Februar 2017 kam es in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zum Vollzug von sieben Durchsuchungsbeschlüssen bei Personen, die der Führungsstruktur des Bundesstaates Bayern angehören, sowie bei neun Sympathisanten und Beziehern diverser Ausweise der Gruppierung. Hintergrund der Durchsuchungsmaßnahmen war ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München II wegen des dringenden Tatverdachts der bandenund gewerbsmäßig begangenen Urkundenfälschung sowie Amtsanmaßung. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 187 Reichsbürger und Selbstverwalter Neben zahlreichen EDV-Geräten, Speichermedien, Reichsbürger-Dokumenten und sonstigen schriftlichen Unterlagen wurden auch Waffen und Munition sichergestellt. Es ist daher davon auszugehen, dass zumindest Teile der Aktivisten des Bundesstaates Bayern latent gewaltbereit sind. 5.2.2 Heimatgemeinde "Gemeinde Chiemgau" (Heimatgesellschaft Chiemgau) Mitglieder und 20 Personen, Sympathisanten Umfeld bis zu 300 Personen Gründung 2015 Aktionsraum Oberbayern Die Gruppe lehnt die Bundesrepublik Deutschland als Staat ab. Nach ihrer Auffassung handelt es sich bei vielen Regierungsorganisationen um Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die in einem internationalen Firmenregister eingetragen seien und damit dem Handelsrecht und nicht dem Völkerrecht unterlägen. Die Gruppe sieht sich ausschließlich den bayerischen Gesetzen vor 1914 verpflichtet, die Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland ignoriert sie. Anhänger der Gruppe fallen häufig durch Verwendung nicht amtlicher Kraftfahrzeugkennzeichen auf und nutzen ausschließlich selbst ausgestellte Ausweisdokumente. 188 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Reichsbürger und Selbstverwalter Weiterführende Informationen zur Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter Flyer "Reichsbürger" und "Selbstverwalter": harmlose Spinner oder gefährliche Extremisten? www.verfassungsschutz.bayern.de www.bayern-gegen-rechtsextremismus.bayern.de Die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) bietet auch Fortbildungsveranstaltungen zur Reichsbürgerszene für Mitarbeiter von Kommunen, staatlichen Behörden und Justiz an: Telefon: 089 / 2192-2192 gegen-extremismus@stmi.bayern.de Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 189 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit f Die Partei DIE FREIHEIT löst sich zum Jahresende 2016 auf f Aktivisten der verfassungsschutzrelevanten Islamfeindlichkeit treten als Redner bei mehreren PEGIDA-Demonstrationen auf 190 Islamfeindliche Agitation ist nicht auf den Bereich des Rechtsextremismus beschränkt. Auch jenseits der rechtsextremistischen, vornehmlich auf Rassismus begründeten Islamfeindlichkeit gibt es Gruppierungen und Einzelpersonen, die Muslimen die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit nicht zugestehen wollen. Sie setzen den Islam als Weltreligion gleich mit Islamismus und islamistischem Terrorismus und stellen die Religion des Islam als faschistische Ideologie dar, von der eine erhebliche Gefahr für unsere Gesellschaft ausgehe. Diese extremistische Argumentation wird zunehmend auch in Diskursen in sozialen Netzwerken aufgegriffen. Bei der verfassungsschutzrelevanten Islamfeindlichkeit fehlen die für Rechtsextremismus typischen Ideologieelemente wie autoritäres Staatsverständnis, Antisemitismus, Rassismus oder die Ideologie der Volksgemeinschaft. Extremistische Bestrebungen im Zusammenhang mit islamfeindlichen Äußerungen richten sich gegen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (Art. 1 GG), das Diskriminierungsverbot (Art. 3 GG) und die Religionsfreiheit (Art. 4 GG). Als extremistisch sind bestimmte zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen zu beurteilen, die die Geltung der genannten Prinzipien für Muslime und den Islam und seine Glaubensgemeinschaften außer Kraft setzen bzw. beseitigen wollen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 191 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Kritik, die im Rahmen einer geistig-politischen Auseinandersetzung auf Gefahren eines politischen Islam für unsere Grundwerte hinweist, unterliegt demgegenüber nicht dem Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes. Das Internet wird von verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Gruppierungen intensiv genutzt, um islamfeindliche Inhalte zu verbreiten. Publiziert wird auf Homepages und zunehmend auf Weblogs, auf denen sich auch anonyme Nutzer äußern können, deren Beiträge nicht automatisch den Betreibern zurechenbar sind. Ausschlaggebend für die Bewertung solcher Internetpräsenzen ist dabei, ob und inwieweit die Betreiber selbst extremistische Ziele verfolgen. Auf nicht zurechenbare Einzeläußerungen (z. B. Kommentare in Blogs und Foren) allein lässt sich eine Bewertung als extremistisch nicht stützen. 192 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit 1. Personenkreis um Michael Stürzenberger Michael Stürzenberger ist derzeit die zentrale Figur der verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Szene in Bayern. Um ihn herum hat sich ein Kreis von rund zehn Personen gebildet, die ihn bei seinen Aktivitäten unterstützen. Der Personenkreis um Stürzenberger konstituiert sich vorrangig aus Mitgliedern der Politically Incorrect Gruppe München (PI-München) und der Partei DIE FREIHEIT, die sich mit Wirkung zum Jahresende 2016 selbst aufgelöst hat. Stürzenberger steht PI-München als Leiter vor und war bis zuletzt Bundesvorsitzender der Partei DIE FREIHEIT. Im Jahr 2010 vereinbarten die PI-München und der Landesverband Bayern der Bürgerbewegung Pax Europa (BPE Bayern) eine "strategische Allianz", die auch in gemeinsamen Veranstaltungen öffentlich wahrnehmbar war. Stürzenberger gab im Januar 2014 sein Amt als Vorsitzender der BPE Bayern auf, verteilt aber weiter Flugblätter der Organisation in München. Auch bei PEGIDA-Veranstaltungen kursierten regelmäßig Flugblätter der BPE. Es liegen zahlreiche tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass Stürzenberger und der Personenkreis um ihn verfassungsschutzrelevante islamfeindliche Bestrebungen verfolgen. Zwar gibt Stürzenberger in verschiedenen Verlautbarungen Ideologie immer wieder an, lediglich sachlich über die angebliche Verfassungsfeindlichkeit des Islam und die von ihm ausgehenden Gefahren für die Demokratie aufzuklären, worin keine generelle Verunglimpfung, weder der Religion noch von Muslimen liege. Aus der Gesamtschau der Vielzahl an Äußerungen aber, in denen den Muslimen unterstellt wird, islamistische oder gar terroristische Verhaltensweisen seien nicht der Ausnahme-, sondern der alltägliche Normalzustand, lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass die Äußerungen darauf abzielen, Muslime aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit auszugrenzen und abzuwerten. Als propagandistische Plattform für Veröffentlichungen nutzt Stürzenberger insbesondere den Internet-Weblog Politically Incorrect (PI-News), für den er als Autor tätig ist. Der Weblog, Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 193 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit der im November 2004 online ging, ist mit PI-München nicht institutionell verbunden und kein Beobachtungsobjekt des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Die auf PI-News veröffentlichten Beiträge befassen sich überwiegend mit dem Thema einer angeblichen Islamisierung Europas. Gleichsetzung Stürzenberger rückt auf PI-News - wie auch in vielen anderen von Islam und Äußerungen - die Religion des Islam in die Nähe des Faschismus. Islamismus So äußerte er sich in einer Rede bei einer PEGIDA - Demonstration am 5. September in Duisburg: "Jeder, der sich mit dem Islam auch nur ansatzweise beschäftigt, weiß, was das für eine brandgefährliche, todbringende, faschistische Ideologie ist. Man kann es nicht anders formulieren. (...) Keine Ahnung von dieser faschistischen Ideologie, deren Gesetz es vorschreibt, dass der Islam an die Macht kommen muss. Und zur Erreichung der Macht, zur Erringung der Macht ist Gewalt und Töten nicht nur legitimiert, sondern gefordert. Damit haben wir es zu tun. Jeder Moslem, Freunde, ich sags immer wieder und immer wieder, der sich mit seiner Religion in Anführungsstrichen beschäftigt und der den Koran als Befehl Allahs akzeptiert, ist ein potenzieller Terrorist und eine Gefährdung für unser Land. (...) Alle Moslems bitte wieder zurück." (Transkription der mündlich vorgetragenen Rede) Stürzenberger setzt in seinen Veröffentlichungen immer wieder die Religion des Islam mit dem Islamismus als politischem Extremismus und dem jihadistisch motiviertenTerrorismus gleich. Dadurch verunglimpft er alle Muslime als potenzielle Extremisten und Terroristen. In einem Interview am Rand einer PEGIDA-Demonstration am 6. Juni in Dresden sagte Stürzenberger: "Dadurch dass der Islam einen Propheten hat, der alles begründet hat. Dieser Prophet Mohammed, der selber Kriege geführt hat, der selber Terror ausgeübt hat, der seine Kritiker töten ließ, der Gefangene köpfen ließ, Juden vor allen Dingen auch. Der also eine ganz strikte Feindschaft zu allen anderen Religionen gefordert hat, ist im Prinzip bei jedem Moslem rein theoretisch die Gefahr da, wenn er sich mit seinem Glauben beschäftigt, wenn er den Koran liest, wenn er den Propheten Mohammed studiert, sein Verhalten nachahmt, dass er ein aktiver Terrorist wird. Und das ist eine unglaubliche Gefahr." (Transkription der Interviewaussage) 194 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Zudem spricht Stürzenberger immer wieder den Muslimen das Ablehnung der im Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Religionsfreiheit ab. Religionsfreiheit So führt er z. B. in einem Artikel auf PI-News vom 8. Oktober aus: für Muslime "Wenn sich ein Moslem bei uns zivilisiert benimmt, unsere Werte verinnerlicht und auslebt, sich integriert, fleißig ist, nicht sozialschmarotzt, gewalttätig wird oder kriminell agiert und wenn er die Menschen - und Frauenrechte achtet - was bedeutet, dass er seine 'Religion' komplett ignorieren muss - kann er als Mensch zu Deutschland passen. Aber der Islam als gewaltlegitimierende, frauenverachtende und totalitäre Ideologie kann niemals zu Deutschland gehören, denn dann wäre unser schönes Land dem Untergang geweiht." Bezug nehmend auf die Terroranschläge in Paris richtete Stürzenberger in seiner weiteren Funktion als Bundesvorsitzender der Partei DIE FREIHEIT im November 2015 ein Schreiben an den bayerischen Innenminister, in dem er weitgehende Maßnahmen forderte, die eine massive Einschränkung der Religionsfreiheit für in Deutschland lebende Muslime bedeuten würden: "Die Erkenntnis, dass der Islam in seinem Wesen eine brandgefährliche politische Ideologie ist, die von ihren Gesetzmäßigkeiten darauf ausgelegt ist, die alleinige Macht zu erringen und die Gesetze Allahs allen Menschen aufzuzwingen, muss endlich an die Öffentlichkeit gebracht werden, um damit eine umfassende Diskussion auszulösen. An deren Ende muss die für alle Zeiten gültige Verzichtsforderung auf alle verfassungsfeindlichen Bestandteile des Islams, seine Gewalt-, Kampfund Tötungsbefehle, die Frauenunterdrückung und die barbarische Scharia stehen, gerichtet an alle islamischen Verbände, Organisationen, Moscheegemeinden und Koranschulen. Anschließend müssen alle Ausgaben des Korans eingezogen und eine neue zensierte Fassung herausgegeben werden, aus der all diese Befehle gestrichen wurden. Jede islamische Organisation, die diese hochnotwendige Entschärfung des Islams verweigert, ist unverzüglich wegen akuter Verfassungsfeindlichkeit zu verbieten. Solange auch nur ein ursprünglicher Koran in Umlauf ist, kann sich der Besitzer zu einem unkontrollierbaren Killer entwickeln, denn mit dem scheinbaren Willen eines Gottes kann jeder Mensch komplett gehirngewaschen und zu einer Tötungsmaschine geformt werden" Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 195 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Stürzenberger trat auch außerhalb Bayerns wiederholt als Redner bei islamund asylkritischen Veranstaltungen auf und verband dabei das Thema Asyl mit seiner islamfeindlichen Agitation, wie z. B. in einer Rede bei einer PEGIDA-Demonstration am 29. August in Dresden: "Und keiner weiß, wie viele der Mohammedaner, die bei uns leben, diesem Islamischen Staat solidarisch gegenüberstehen. Weil der ist die Reinform des Islam. Hundert Prozent Islam ist im Islamischen Staat realisiert (...) Wir haben es mit einer riesigen Kolonne von feindlichen Invasoren bei uns im Lande und das muss abgestellt werden dieser Zustand. (...) Und jeder Islambefürworter, jeder Islamkollaborateur muss zur Rechenschaft gezogen werden wegen Unterstützung einer faschistischen Ideologie, die nur ein Ziel hat: Dieses Land zu unterwerfen, der Herrschaft des Islams zuzuführen und uns zu erniedrigten Unterworfenen zu machen." (Transkription der mündlich vorgetragenen Rede) 2. Bürgerrechtspartei für mehr Freiheit und Demokratie DIE FREIHEIT (DIE FREIHEIT) Mitglieder 100 Vorsitzender Michael Stürzenberger Gründung 2011 Sitz München Auflösung der DIE FREIHEIT hat am 4. Dezember auf ihrem Bundesparteitag Partei zum Jahresin Nürnberg beschlossen, sich aufzulösen. Diesem Parteitagsende 2016 beschluss wurde durch die Mitglieder in einer laut Satzung erforderlichen Urabstimmung zugestimmt. Dem Verfassungsschutz lagen seit 2012 zahlreiche tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass DIE FREIHEIT verfassungsschutzrelevante islamfeindliche Bestrebungen verfolgte. Der Bundesverband der Partei DIE FREIHEIT unterlag, soweit dessen Bestrebungen sich auf das Gebiet des Freistaats Bayern bezogen oder auswirkten, dem Beobachtungsauftrag des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz. 196 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Prägend für die ideologische Ausrichtung der Partei war deren Vorsitzender Stürzenberger. Zwar behaupteten die Partei DIE FREIHEIT bzw. ihr Vorsitzender in verschiedenen Verlautbarungen immer wieder, lediglich sachlich über die angebliche Verfassungsfeindlichkeit des Islam und die von ihm angeblich ausgehenden Gefahren für die Demokratie aufzuklären, worin weder eine generelle Verunglimpfung der Religion oder von Muslimen liege. Aus der Gesamtschau der Vielzahl an Äußerungen, in denen Muslimen unterstellt wird, islamistische oder gar terroristische Verhaltensweisen seien nicht der Ausnahme-, sondern der alltägliche Normalzustand, lässt sich jedoch die Schlussfolgerung ziehen, dass DIE FREIHEIT darauf abzielte, Muslime auszugrenzen und abzuwerten. Bereits das vom damaligen Landesverband Bayern der FREIHEIT Bürgerbegehren angestrebte erste "Bürgerbegehren gegen das Zentrum für Islam gegen Moscheein Europa - München (ZIE-M)", für das zwischen Oktober 2011 und bau in München September 2014 Unterschriften in München gesammelt wurden, diente sowohl im Internet als auch bei Veranstaltungen der Partei DIE FREIHEIT als Plattform für islamfeindliche Propaganda, die sich primär gegen die Religionsfreiheit richtet. Im Mai initiierte Stürzenberger ein "Neues Bürgerbegehren gegen das Islamzentrum in München". Bei einer Kundgebung zur Unterschriftensammlung zum 2. Bürgerbegehren am 28. Mai verunglimpfte Stürzenberger den Koran, bezeichnete den Islam als "totalitäre Ideologie" und setzte ihn mit dem Nationalsozialismus gleich: "All das, was die Terroristen machen, was die muslimischen Terroristen machen, machen sie, indem sie die Befehle aus dem Koran ausführen. (...) Da merken sie was, Brüder im Geiste. Nationalsozialismus - Islam. Totalitäre Ideologien. (...) Es wird uns eine tötungslegitimierende Ideologie als Religion des Friedens untergejubelt. (...) Judenhass, totalitäre Ideologie, Gewalt und Töten, alleiniger Machtanspruch. Beide Ideologien sind vergleichbar." (Transkription der mündlich vorgetragenen Rede) Nachdem die Planungen für das "Münchner Forum für Islam" (MFI) durch die Stadt München Ende Juni eingestellt wurden, fanden keine weiteren Aktionen der Partei DIE FREIHEIT in diesem Zusammenhang mehr statt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 197 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit In ihren Verlautbarungen differenziert die Partei DIE FREIHEIT nicht zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als politischer Ideologie, sondern begreift den Islam als "faschistische Ideologie". Ideologie In einem auf PI-News veröffentlichten Beitrag zur oben genannten Kundgebung am 28. Mai schreibt Stürzenberger u. a.: "Es geht um die Aufklärung über einen neuen Faschismus, der im religiösen Gewand verkleidet an der Machtübernahme arbeitet (...)." Als Konsequenz ihrer Grundannahme, dass es keinen Unterschied zwischen Islam und Islamismus gebe, hat die Partei mehrfach von gläubigen Muslimen den Verzicht auf die aus ihrer Sicht "verfassungsfeindlichen Bestandteile des Islams" verlangt. Auf ihrer Internetseite forderte die Partei islamische Organisationen auf, umgehend in schriftlicher Form auf bestimmte Koranverse als Bestandteil der islamischen Glaubensgrundsätze dauerhaft zu verzichten, und stellte den Islam insgesamt als unvereinbar mit unserer Gesellschaftsordnung dar: "Jede Organisation, deren Ziel die Verbreitung des Islam ist, stellt somit eine akute Gefahr für unsere Freiheit dar. So wird die im Anschreiben benannte Organisation hiermit aufgefordert, umgehend in schriftlicher Form auf die nachstehend aufgeführten Koranverse als Bestandteil der islamischen Glaubensgrundsätze dauerhaft zu verzichten. Bei einer Ablehnung dieser Forderungen ist davon auszugehen, dass aktiv verfassungsfeindliche Ziele verfolgt werden." Im Rahmen einer Kundgebung zur Unterschriftensammelaktion für das "Neue Bürgerbegehren gegen das Islamzentrum" am 28. Mai wurde ein Flugblatt mit der "Forderung zur VerzichtsErklärung auf die verfassungsfeindlichen Bestandteile des Islam" verteilt. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. Oktober 2014 wurde die Beobachtung der Partei DIE FREIHEIT Bayern durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz für zulässig erklärt. Das hiergegen erhobene Rechtsmittel blieb erfolglos. 198 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit In zwei weiteren Verfahren hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 22. Oktober 2015 die Klagen gegen die Berichterstattung über die Partei DIE FREIHEIT Bayern, darunter im Verfassungsschutzbericht 2013, abgewiesen. Die Urteile sind rechtskräftig, nachdem das Bundesverwaltungsgericht am 24. März die jeweiligen Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision zurückwiesen hatte. In einer Pressemitteilung vom 27. Dezember 2016 informierte Stürzenberger die Medien über die Auflösung der Partei. Diese Pressemitteilung enthält in komprimierter Form die von der Partei DIE FREIHEIT vertretene Ideologie zur Untrennbarkeit von Islam und Islamismus und der generellen Aggressivität aller Muslime gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dort heißt es z. B.: "Beenden Sie die beschönigende, verharmlosende und vertuschende Berichterstattung zum Thema Islam (...). Die Aufklärung über die gefährliche politische Ideologie, die untrennbar mit der Religion Islam verbunden ist, hat nichts mit Kritik an Menschen zu tun (...). Lassen Sie sich nicht davon täuschen, dass sich die meisten Moslems hierzulande bisher relativ friedlich und unauffällig verhalten. Hierzu sind sie laut islamischem Rechtsgutachten in der Situation der Schwäche auch aufgefordert. Erst, wenn der Islam in Mehrheitspositionen ist, müssen sie dem Islam allesamt kompromisslos an die Macht verhelfen. Davor gilt es, die 'Ungläubigen' immer wieder in 'Schrecken' zu versetzen, und das bedeutet auch gezielte Terroranschläge. Gleichzeitig werden unablässig Forderungen gestellt, um die Verhaltensweisen von Moslems und die Gesetze des Islams in der Gesellschaft zu verankern." Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz wird weiterhin beobachten, ob mit der Auflösung der Partei DIE FREIHEIT die islamfeindlichen Aktivitäten tatsächlich eingestellt werden oder sich lediglich in andere Strukturen verlagern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 199 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Linksextremismus f Hohes Aggressionspotenzial der autonomen Szene f Bei Protesten von Autonomen gegen das bayerische Integrationsgesetz kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen f Linksextremistische Übergriffe auf Angehörige und Immobilien der AfD 200 Linksextremisten wollen die durch das Grundgesetz vorgegebene Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen. Je nach ideologisch-politischer Orientierung zielen Linksextremisten auf eine sozialistische bzw. kommunistische oder eine "herrschaftsfreie" Gesellschaft ab. Die linksextremistischen Vorstellungen richten sich insbesondere gegen durch das Grundgesetz garantierte Grundrechte, die parlamentarische Demokratie, die Gewaltenteilung, die Volkssouveränität, das Rechtsstaatsprinzip und den Pluralismus. Linksextremisten wollen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland abschaffen, die sie als "kapitalistisches System" diffamieren und in der sie die Wurzel des Faschismus sehen. In der linksextremistischen Szene bilden Autonome den weitaus größten Teil des gewaltbereiten Personenpotenzials. Autonome haben zwar keine gemeinsame Ideologie. Ziel aller Autonomen ist es aber, den Staat und seine Einrichtungen zu zerschlagen. Neben Sachbeschädigungen wenden Autonome auch Gewalt gegen Personen - vor allem Rechtsextremisten und Polizisten - an, um ihre Vorstellungen durchzusetzen. Linksextremisten besetzen auch Themen, die an sich nicht extremistisch sind. Ihr Ziel ist es dabei aber in erster Linie, ihre linksextremistischen politischen Vorstellungen zu verbreiten. Dazu arbeiten sie auch mit bürgerlich-demokratischen Organisationen zusammen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 201 Linksextremismus 1. Personenpotenzial in Bayern 2014 2015 2016 Partei DIE LINKE. 1.000 1.000 900 offen extremistische Strukturen DKP 340 340 340 SDAJ 110 110 110 VVN-BdA 700 700 700 MLPD (mit REBELL) 120 120 120 Sonstige Gruppierungen 950 950 1.000 Autonome 650 650 650 Summe 3.870 3.870 3.820 Mehrfachmitgliedschaften* 360 340 390 gesamt 3.510 3.530 3.430 Davon gewaltorientiert** 690 690 690 Die Zahlenangaben sind geschätzt und gerundet. * Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen Zusammenschlüsse werden vom Gesamtpotenzial abgezogen. ** Dazu zählen gewalttätige, gewaltbereite, gewaltunterstützende und gewaltbefürwortende Personen. 2. Militanzund Gewaltpotenzial In der linksextremistischen Szene bilden Autonome den weitaus größten Teil des gewaltbereiten Personenpotenzials. Sie sind für die meisten der linksextremistisch motivierten Gewalttaten verantwortlich. Ziel dieser überwiegend jungen Linksextremisten ist es, den Staat und seine Einrichtungen - auch mit Gewalt - zu zerschlagen und eine "herrschaftsfreie" Gesellschaft zu errichten. Mit diffusen anarchistischen, kommunistischen und sozialrevolutionären Ideologiefragmenten schaffen sich die Autonomen einen vermeintlichen Legitimationsrahmen für ihre Militanz. Gewalttaten werden als notwendiges Mittel dargestellt, um sich gegen die angebliche "strukturelle Gewalt" des politischen 202 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus Systems zu wehren. Viele Autonome erleben die Ausübung von Massenmilitanz als sinnstiftende Erfahrung. Gewalt wird zum Ausdruck eines Lebensgefühls. Formen und Ausmaß der Gewaltanwendung sind regelmäßig Gegenstand von Diskussionen in der autonomen Szene. Das Aggressionspotenzial der autonomen Szene ist seit Jahren Konfrontative hoch. Autonome suchen vor allem bei Demonstrationen gewaltGewalt same Auseinandersetzungen (konfrontative Gewalt). Gegner sind hauptsächlich Rechtsextremisten und Polizeibeamte. Linksextremisten sehen die Polizeikräfte als Repräsentanten eines vermeintlichen staatlichen "Repressionsorgans". Sie akzeptieren nicht, dass die Polizeibeamten z. B. auch bei Demonstrationen von Rechtsextremisten zur Gewährleistung des grundgesetzlich geschützten Versammlungsrechts eingesetzt werden müssen ("Deutsche Polizisten schützen Nazis und Faschisten"). Den Ablauf ihrer Aktionen machen Linksextremisten vor allem von ihrem Kräfteverhältnis gegenüber der Polizei abhängig. Dabei schließen sich vermummte Aktivisten in einheitlich schwarzer "Kampfausrüstung" häufig zu Schwarzen Blöcken zusammen, um aus diesen heraus unerkannt Gewalt ausüben zu können. Autonome nutzen aber auch Demonstrationen anderer - auch Initialisierende nichtextremistischer - Veranstalter, um der Veranstaltung einen Gewalt militanten und aggressiven Charakter aufzuzwingen und hinter der Deckung friedlicher Demonstranten Gewalttaten zu begehen sowie andere dazu aufzustacheln (initialisierende Gewalt). Neben dieser situationsabhängigen Massenmilitanz verüben Autonome auch konspirativ geplante Straftaten wie Brandanschläge, zu denen häufig auf einschlägigen Internetportalen anonyme Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht werden. Bauanleitungen für Sprengund Brandsätze stellt die autonome Szene im Internet und in Szene-Zeitschriften wie "radikal" und "INTERIM" zur Verfügung. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 203 Linksextremismus 2.1 Instrumentalisierung der Flüchtlingsdebatte zum "Kampf" von Linkextremisten gegen politische Gegner Linksextremisten sind bestrebt, gesellschaftliche Konflikte im Sinne ihrer revolutionären, extremistischen Ziele zu instrumentalisieren. Angesichts der zunehmenden Bedeutung der AsylThematik haben Linksextremisten in ihrer politischen Agitation dieses Thema wieder verstärkt aufgegriffen. Dabei versuchen sie, Anschluss an demokratische Initiativen zu finden, die sich für Asylsuchende einsetzen. Im Rahmen von Solidaritätsaktionen mit Asylbewerbern ("Refugees Welcome") nehmen sie unter Einbindung nichtextremistischer Akteure an Demonstrationen teil. Linksextremisten unterstellen in ihrer politischen Agitation staatlichen Institutionen und Repräsentanten institutionellen bzw. strukturellen Rassismus (s. u. Aktionsfeld Rassismus). Der Einsatz für Flüchtlinge und Asylsuchende dient ihnen als Vorwand und Rechtfertigung für ihre auch gewalttätigen Aktionen gegen staatliche Einrichtungen, die sie als legitime Gegenmaßnahmen darzustellen versuchen. Der Staat ist daher der "Hauptfeind" militanter Szeneangehöriger. Daneben richtet sich ihre Gewalt aber auch gegen Rechtsextremisten und generell gegen alle Parteien, denen sie Rassismus unterstellen. Insbesondere die Partei Alternative für Deutschland (AfD) wird von Autonomen mehr und mehr als politisches Feindbild wahrgenommen und als "faschistisch" bzw. "rassistisch" bezeichnet. Darüber hinaus ist die AfD aktuell in der öffentlichen Wahrnehmung präsenter als rechtsextremistische Parteien wie z. B. die NPD, Der Dritte Weg oder DIE RECHTE. Die Aktionen der linksextremistischen Szene gegen die AfD reichen von Outing-Aktionen über Massenmilitanz bis hin zu gewalttätigen Aktionen gegen einzelne AfD-Mitglieder und -Sympathisanten. Ausschreitungen In Zusammenhang mit dem AfD-Parteitag in Stuttgart am 29. und bei AfD Parteitag 30. April kam es zu massiven Ausschreitungen, vor allem gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten. Teilweise vermummte Personen blockierten Straßen - darunter auch eine Autobahn - 204 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus und entzündeten Autoreifen. Um die Stürmung der Veranstaltungsörtlichkeit zu verhindern, musste die Polizei Schlagstöcke und Pfefferspray einsetzen. An den Protesten nahmen rund 1.000 gewaltorientierte Linksextremisten teil. Es kam zu insgesamt 600 freiheitsentziehenden Maßnahmen, acht Polizeibeamte wurden verletzt. Im Vorfeld hatten auch bayerische Linksextremisten wie die Münchner anarchistische Gruppe LAVA MUC für die Teilnahme an der Demonstration in Stuttgart geworben. Die Münchner Gruppierung Antifa-NT beteiligte sich nach eigenen Angaben mit rund 100 Aktivisten an den Protesten in Stuttgart. Im Aufruf: München fährt nach Stuttgart hatte u. a. Antifa-NT zur Verhinderung des Parteitags und zu Blockaden aufgefordert. Das linksextremistische "...ums Ganze!"-Bündnis, dem Antifa-NT angehört, schrieb in einem im März veröffentlichten Kampagnentext: "Der Kampf gegen die AfD muss immer auch der Kampf gegen die Grundkonstanten von Staat, Nation und Kapital sein (...)". Auch in Bayern kam es vereinzelt zu gewalttätigen Übergriffen gegen AfD-Mitglieder und Funktionäre. So wurde am 25. Februar in Regensburg eine mit der AfD sympathisierende Person geschlagen und mit Pfefferspray besprüht, die eine politische Veranstaltung zum Thema "Die AfD - eine extrem rechte Partei?" besuchen wollte. Am 20. April wurde der Vorsitzende einer der AfD nahestehenden studentischen Vereinigung bei einer Sitzung des Studierendenparlaments der LMU München von rd. 30 Personen körperlich und verbal attackiert und bis auf die Straße verfolgt. Zudem kam es zu Übergriffen auf Wohnobjekte von AfD-Mitgliedern. So wurde das Wohnhaus einer Person in München in der Nacht des 12. Mai mit einem "Antifa"-Zeichen und dem Schriftzug "Smash AfD" beschmiert und mit schwarzer Farbe gefüllte Glasflaschen an die Fassade geworfen. Das Wohnhaus der Deggendorfer AfD-Kreisvorsitzenden wurde in den frühen Morgenstunden des 17. Juni mit Teer und Lehm besprüht. Die Adressen der Betroffenen waren zuvor - zusammen mit den Adressen anderer Teilnehmer des Parteitags in Stuttgart - auf einer von Linksextremisten genutzten Medienplattform veröffentlicht worden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 205 Linksextremismus Mehrfach Ziel von Sachbeschädigungsdelikten war zudem das Büro des AfD-Landesverbands Bayern in Unterhaching. Erstmals wurde es in der Nacht vom 25. auf den 26. April durch Würfe von mit brauner Farbe gefüllten Christbaumkugeln beschädigt. Am 26. August attackierten unbekannte Täter das Büro mit Buttersäure, am 29. Oktober bewarfen sie es mit Pflastersteinen. Am 13. November wurden die Scheiben der Geschäftsstelle eingeworfen, die Räumlichkeiten verwüstet und mit Schmierschriften wie "AFD = Rassist_innen", "Fuck AfD" und "Rassisten angreifen" versehen. 2.2 Strafund Gewalttaten Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" 2014 2015 2016 Politisch motivierte 50 122 72 Gewaltkriminalität, davon: Körperverletzung 37 104 50 Widerstandsdelikte 9 12 16 Landfriedensbruch 0 0 0 Brandund Sprengstoffdelikte 3 1 4 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 0 Raub 0 3 1 Gef. Eingriff in Bahn-, Schiffs- 1 2 1 und Luftverkehr Terrorismus 0 0 0 Sonstige politisch motivierte 418 350 503 Kriminalität, davon: Nötigung / Bedrohung 2 14 22 Sachbeschädigungen 348 257 380 Sonstige Straftaten 68 79 101 Gesamtsumme aller links468 472 575 extremistisch motivierten Straftaten 206 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus Die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten in Bayern ist im Weiterhin hohes Jahr 2016 gegenüber 2015 stark zurückgegangen. Ursächlich Niveau der hierfür dürfte vor allem sein, dass in Jahr 2016 kein mit dem G7 Gewalttaten Gipfel vergleichbares Großereignis stattfand. Mit 72 Gewalttaten liegt das Niveau jedoch immer noch erheblich über dem Jahr 2014 mit 50 Gewalttaten. Von den 72 Gewalttaten des Jahres 2016 richteten sich 35, also fast die Hälfte, gegen Polizeibeamte. Über die Hälfte der Strafund Gewalttaten (40) richteten sich gegen Veranstaltungen oder Anhänger des politischen Gegners. So wurde am 25. Februar in Regensburg eine mit der AfD sympathisierende Person geschlagen und mit Pfefferspray besprüht, die eine politische Veranstaltung zum Thema "Die AfD - eine extrem rechte Partei?" besuchen wollte. Eine weitere mit einer schwarzen Sturmhaube vermummte Person kam hinzu und griff ebenfalls an. Am 14. Oktober kam es bei einer Gegendemonstration zu einer Pegida-Veranstaltung in Fürth zu einem versuchten Durchbruch der Sperrgitterlinie der Polizei. Beim Zurückdrängen der Personen schlug eine Linksextremistin aus der Menge heraus einer Polizistin ins Gesicht und verletzte diese. Am 5. November stürmten 20 bis 25 autonome Linksextremisten auf einen Informationsstand der AfD in Regensburg zu und umringten ihn. Als Sichtschutz verwendeten sie mehrere mitgebrachte Banner. Die Mehrzahl der Personen war szenetypisch schwarz gekleidet und trug Mützen und Sonnenbrillen. Sie bespritzten den Infotisch und einen Passanten mit Klebstoff. In dem sich anschließenden Gerangel kam es zu vier Körperverletzungen. Ein Tatverdächtiger wurde vorläufig festgenommen. Zugenommen hat die sonstige politisch motivierte Kriminalität. Anstieg der SachStark angestiegen ist dabei insbesondere die Zahl der Sachbebeschädigungen schädigungen. In der Nacht vom 1. auf 2. Juni wurden an einem Pkw einer Münchner Firma, die mit dem Neubau des Justizzentrums in München in Verbindung steht, von Linksextremisten die Reifen zerstochen. Der Sachschaden beläuft sich auf etwa 400 Euro. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 207 Linksextremismus Am 4. Juli bewarfen Linksextremisten nachts das Gebäude der "Agentur für Arbeit" im Würzburger Stadtteil Sanderau mit Gläsern, die mit schwarzer Farbe gefüllt waren. Außerdem brachten sie die Schriftzüge "SMASH CAPITALISM", "R94 ÜBERALL" sowie das "Anarcho-Zeichen" an der Außenwand an. Die gläserne Eingangstüre zum Hauptgebäude wurde mit Pflastersteinen zerstört, weitere Scheiben am Gebäude wurden beschädigt. In einem Bekennerschreiben wurde erklärt, man habe die Agentur "entglast". Der Sachschaden beträgt etwa 5.000 Euro. Insgesamt stieg die Gesamtsumme aller linksextremistisch motivierten Straftaten von 472 Taten im Vorjahr um 103 Taten auf 575 an. 3. Ideologische Wurzeln des Linksextremismus Marxismus Die Lehren von Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) sind die ideologische Grundlage für das Denken und Handeln der meisten Linksextremisten. Das gesamte politische, geistige und kulturelle Leben einer Gesellschaft wird demnach durch die ökonomischen Strukturen und Verhältnisse bestimmt. Die marxistische Lehre ist sowohl wissenschaftliche Theorie als auch praktisch-politische Handlungsanleitung für die Revolution. Ihr zufolge vollzieht sich die Menschheitsgeschichte in gesetzmäßigen Entwicklungsstufen. Dem Endziel der geschichtlichen Entwicklung, der kommunistischen klassenlosen Gesellschaft, geht die revolutionäre Überwindung des kapitalistischen Systems voraus. Im Kapitalismus stehen sich die ausbeutende Klasse der bürgerlichen Kapitalisten - die Eigentümer an den Produktionsmitteln - und die ausgebeutete Klasse der Arbeiterschaft - die sog. Proletarier - gegenüber. Der durch die Arbeiterschaft geschaffene Mehrwert eines erstellten Produktes geht nach der marxistischen Lehre in den Besitz der Kapitalisten über und führt so zu Lohndruck, einer Verarmung und schließlich Verelendung 208 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus des Proletariats. Die Folgen sind Klassenkämpfe, die in eine Revolution und schließlich in die Diktatur des Proletariats münden mit dem Endziel einer kommunistischen Gesellschaft. Das Menschenbild des Marxismus ist ein grundsätzlich anderes als das freiheitlicher Demokratien. Im Mittelpunkt steht nicht das Individuum mit seinen garantierten Rechten, sondern die Arbeiterklasse. Nach dieser Sichtweise ist es zulässig, Grundund Menschenrechte zugunsten des sozialistischen Kollektivs und einer kommunistischen Zielsetzung zu relativieren oder gar außer Kraft zu setzen. Marxismus-Leninismus Der Marxismus-Leninismus war die offizielle Weltanschauung der früheren Sowjetunion. Er basiert auf den Lehren von Marx und Engels (Marxismus), die von Wladimir I. Lenin (1870-1924) zur Staatsdoktrin der Sowjetunion und für den von ihm propagierten internationalen Klassenkampf weiterentwickelt wurden. Auch nach marxistisch-leninistischer Auffassung muss der Kapitalismus bekämpft werden. Das höchste Stadium des Kapitalismus sah Lenin im sog. Imperialismus. Demnach trachte der Kapitalismus in ausbeuterischer Weise danach, seinen Machtund Einflussbereich auf andere Staaten auszudehnen, was zwangsläufig zu Kriegen führt. Dem Kapitalismus müsse also eine neue Gesellschaft folgen: der Sozialismus. Den Sozialismus sah Lenin wiederum als Vorstufe des Kommunismus. Der MarxismusLeninismus führt zwangsläufig zu einer revolutionären Umwälzung. Allerdings verfügt die Arbeiterklasse nach Lenin nicht über das notwendige politisch-revolutionäre Bewusstsein. Dieses müsse durch eine Kaderpartei aus Berufsrevolutionären (Avantgardeanspruch der kommunistischen Partei) vermittelt werden. In dieser Partei sind gemäß dem Grundsatz des "demokratischen Zentralismus" keine abweichenden Meinungen zu Parteibeschlüssen durch Fraktionen oder innerparteiliche Strömungen erlaubt. Für marxistisch-leninistische Kaderparteien wie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) spielt der Marxismus-Leninismus eine große, für offen extremistische Strukturen innerhalb der Partei DIE LINKE. zumindest eine prägende Rolle. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 209 Linksextremismus Stalinismus Stalinismus ist Josef W. Stalins (1878-1953) theoretische Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus zum diktatorischbürokratischen Herrschaftssystem der Sowjetunion. Entgegen der marxistischen Annahme, dass zum Sieg des Proletariats über das Bürgertum (Bourgeoisie) eine gemeinsame Revolution der Proletarier aller Länder notwendig sei, ging Stalin davon aus, dass der Sozialismus unter der Führung der Sowjetunion vorbildhaft zuerst dort realisiert werden müsse. Mit dem von Stalin betriebenen Aufund Umbau der Sowjetunion zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung wurden u. a. die "stalinistischen Säuberungen" legitimiert, denen Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. In Deutschland berufen sich die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) und der Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) auch auf die Ideen Stalins. Trotzkismus Das auf Leo Trotzki (1879-1940) zurückgehende Modell des Sozialismus ist keine in sich geschlossene eigenständige Lehre, sondern eine Abwandlung des Marxismus-Leninismus. Sie entstand vor allem aus der Opposition von Trotzki zu Stalin. Wesentliche Elemente sind die Theorie der "permanenten Revolution", der Glaube an die Weltrevolution (im Unterschied zu Stalins "Sozialismus in einem Land"), das Ziel der Errichtung einer "Diktatur des Proletariats" in Form einer Rätedemokratie und das Festhalten am "proletarischen Internationalismus". Die charakteristische Strategie trotzkistischer Vereinigungen ist der Entrismus, d. h. sie versuchen, gezielt in andere Organisationen einzudringen und Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. So findet ihre eigene Ideologie Verbreitung über die unterwanderte Organisation. 210 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus Maoismus Unter der Führung von Mao Tse-tung (1893-1976) wurde in China nach dem kommunistischen Sieg 1949 der Marxismus-Leninismus in einer von Sowjetrussland abweichenden Weise interpretiert und als kommunistische Ideologie weiterentwickelt. Der Maoismus sieht in China die ländliche Bevölkerung und nicht die städtische Arbeiterschaft als Träger des politischen Umsturzes. Die Weltrevolution sollte in einem Land der Dritten Welt durch einen Guerillakrieg bäuerlicher Partisanen ausgelöst werden. In einer Serie politischer Kampagnen ("Kulturrevolution") versuchte Mao Tse-tung, die chinesische Gesellschaft zu den revolutionären Zielen der Partei zu erziehen. Der ideologische Terror und die damit verbundenen "Säuberungsaktionen" forderten Millionen Tote. Die Ideen Maos waren Vorbild für große Teile der 1968erBewegung, vor allem der in Westeuropa entstandenen "Neuen Linken" (sog. K-Gruppen). Heute bekennt sich lediglich die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) öffentlich zu Mao Tse-tung. 4. Linksextremistische Themenfelder Um ihre politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen durchzusetzen, engagieren sich Linksextremisten in verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Themenfeldern. Im Linksextremismus stehen antifaschistische Aktivitäten im Vordergrund. Neben der Bekämpfung des Rechtsextremismus nutzen Linksextremisten auch andere gesellschaftliche Reizthemen, um innerhalb bürgerlichdemokratischer Protestbewegungen neue Anhänger zu finden. Dabei greifen sie häufig sozialpolitische Themen auf und deuten diese im Sinne ihres eigenen linksextremistischen Verständnisses um. Typische Aktionsfelder der Linksextremisten sind f Antifaschismus, f Antirassismus, f Antirepression, f Antigentrifizierung, Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 211 Linksextremismus f Antimilitarismus, f Antiimperialismus, f Antiglobalisierung, f Antiatomkraft, f Asylpolitik und der Kampf gegen "Sozialabbau". Die wichtigsten waren im Jahr 2016 Antifaschismus, Antirassismus, Antirepression, Antigentrifizierung und Antimilitarismus. Antifaschismus Ablehnung der Linksextremisten nutzen den breiten gesellschaftlichen Konsens parlamentarischen gegen den Rechtsextremismus für ihre politischen Ziele, die allerDemokratie dings weit über die Bekämpfung des Rechtsextremismus hinaus reichen. Antifaschismus im linksextremistischen Sinn beinhaltet auch die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie. Ursprünglich bezog sich der Begriff Antifaschismus auf die inneritalienische Opposition gegen die Herrschaft Mussolinis. Die Wurzeln des deutschen Antifaschismus liegen im Widerstand gegen die Diktatur des "Dritten Reichs". Neben dem bürgerlich-liberal geprägten Antifaschismus, der für die Erhaltung bzw. Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintrat, entwickelte sich ein kommunistisch orientierter, als linksextremistisch einzustufender Antifaschismus. Der linksextremistische Antifaschismus wertet alle nichtmarxistischen Systeme als potenziell faschistisch oder als eine Vorstufe zum Faschismus. Linksextremisten sehen also die eigentliche Ursache von Faschismus und Rechtsextremismus in einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung, die auf Kapitalismus, Parlamentarismus und Rechtsstaatsprinzipien aufbaut. Gewaltorientierte linksextremistische Autonome nutzen den Antifaschismus seit Jahren zur Mobilisierung ihrer Anhänger und zur Legitimierung ihrer militanten Aktionen gegen Staat und Polizei mit dem Argument, diese schützten Rechtsextremisten. Dabei suchen Autonome auch den Schulterschluss mit demokratischen Bündnissen und Initiativen. 212 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus Linksextremistische Parteien und Organisationen streben über eine gezielte Einflussnahme die Übernahme von Leitungsund Steuerungsfunktionen in antifaschistischen Initiativen an. Der Kampf gegen Hitler und die Verfolgung von Kommunisten zur Zeit des deutschen Nationalsozialismus dienen aus der kommunistischen Bewegung entstandenen Organisationen als Legitimation für ihren Führungsanspruch im antifaschistischen Spektrum. Antifaschismus ist nicht generell linksextremistisch. Es kommt vielmehr darauf an, was die jeweiligen Antifaschisten konkret unter "Faschismus" verstehen und welche Forderungen sich aus ihrem Selbstverständnis als "Antifaschisten" ergeben. Die zentrale Frage dabei lautet: Richtet sich die Ablehnung nur gegen Rechtsextremismus oder richtet sich die Ablehnung gegen die Normen und Regeln eines demokratischen Verfassungsstaats? Antirassismus Das Thema Antirassismus ist im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik in den Mittelpunkt der Agitation der linksextremistischen Szene gerückt. Die Aktionsfelder Antifaschismus und Antirassismus stehen im ideologischen Verständnis der Linksextremisten in einem unmittelbaren Zusammenhang. Linksextremisten begreifen den Kapitalismus als eine "Ideologie der Ungleichheit", die Rassismus sowohl hervorrufe als auch legitimiere. Demnach ist eine angeblich von Klassengegensätzen, Ausbeutung und Unterdrückung gekennzeichnete kapitalistische Gesellschaft ursächlich für Rassismus. Neben Firmen, die auch als "Profiteure des Rassismus" bezeichnet werden, können auch staatliche Einrichtungen sowie unter anderem Mitarbeiter von Ausländerbehörden von Sachbeschädigungsdelikten oder Verleumdungskampagnen betroffen sein. Dem demokratischen Rechtsstaat wird vorgeworfen, durch seine vermeintlich rassistische Grundausrichtung Rassismus und Rechtsextremismus zu befördern. Häufig sind linksextremistische Aktionen im Aktionsfeld Antirassismus in auf bestimmte Ziele ausgerichtete Kampagnen eingebettet, zum Beispiel gegen Abschiebungen oder gegen die Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 213 Linksextremismus Antirepression Mit dem Begriff der "Repression" versuchen Autonome jegliche Form rechtsstaatlichen Handelns, wie z. B. die Durchsetzung geltender Gesetze, zu diskreditieren. Dies gilt insbesondere für die staatliche Überwachung und Strafverfolgung linksextremistischer Aktionen. So lehnen Autonome polizeiliche Maßnahmen gegen linksextremistische Gewalttäter ab und versuchen mit Solidaritätskampagnen eine breite Öffentlichkeit in ihrem Sinne gegen rechtsstaatliches Handeln zu beeinflussen. Gleichzeitig mobilisieren sie damit die linksextremistische Szene und rechtfertigen ihr militantes Vorgehen. Antigentrifizierung Mit dem Thema Antigentrifizierung versuchen Linksextremisten ihre eigenen Interessen in eine aktuelle stadtund gesellschaftspolitische Diskussion einzubetten und damit in größere Bevölkerungskreise hinein politisch anschlussfähig zu werden. Der Begriff "Gentrifizierung" kommt ursprünglich aus der Stadtsoziologie und bezeichnet soziale Umstrukturierungsprozesse in Stadtteilen, die zu steigenden Mieten und einer Verdrängung der bisherigen Bewohner führen. Viele Bewohner von Großstädten beschäftigt dieses Thema. Es bilden sich Initiativen, die in aller Regel von demokratischen Kräften getragen werden. Linksextremisten versuchen, sich diesen Initiativen anzuschließen beziehungsweise im gleichen Themenfeld eigene Aktionen zu entwickeln, um damit ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu steigern und sich als sozialpolitische Akteure zu profilieren. Autonome Linksextremisten entwickeln im Zusammenhang mit dem Themenfeld Antigentrifizierung auch gewalttätige Aktivitäten: Insbesondere Immobilienmakler werden von ihnen als Mitverantwortliche für die "Gentrifizierung" und damit als Feindbild wahrgenommen. Büros und Fuhrpark von Immobilienfirmen sind immer wieder Ziel militanter Attacken aus der linksextremistischen Szene. 214 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus Antimilitarismus Antimilitarismus hat in der linksextremistischen Szene insbesondere durch vermehrte Auslandseinsätze der Bundeswehr in den letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnen. Nach der Militarismus-Theorie von Karl Liebknecht dient das Militär dazu, kapitalistische Expansionsbestrebungen gegenüber anderen Staaten durchzusetzen und im eigenen Land den Kapitalismus und dessen "Ausbeutungsstrukturen" zu stabilisieren. Dieses Gedankengut lebt in der linksextremistischen Szene weiter. Linksextremisten sind daher immer wieder auch in pazifistischen Initiativen und Bündnissen aktiv, um dort ihre Ideologie zu verbreiten. Im Gegensatz zum Pazifismus geht es Linksextremisten nicht nur um die Abschaffung des Militärs, sondern darüber hinaus um die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie. Prägendes Ereignis der linksextremistischen Aktivitäten zum Thema Antimilitarismus waren auch im Jahr 2016 die Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz im Februar. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 215 Linksextremismus 5. Internet und Musik 5.1 Linksextremisten im Internet Linksextremisten passen ihr Nutzungsverhalten den technischen Neuerungen im Internet an. Zwar existieren weiterhin einige linksextremistische Webseiten, sie werden jedoch nur noch selten aktualisiert. Linksextremistische Printmedien verlieren immer weiter an Auflage und versuchen, sich neue Vertriebswege zu erschließen. Der Großteil der Aktivitäten verlagert sich in soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, in denen auch eine Vielzahl von teilweise verschlüsselten Kommunikationsbeziehungen über Foren, Blogs und Chats existiert. Dabei können geschlossene Gruppen neue Mitglieder eingehend überprüfen. Die Teilnehmer fühlen sich verhältnismäßig sicher und kommunizieren weit "offener" als in öffentlich zugänglichen und für jedermann einsehbaren Bereichen. Auch Linksextremisten haben die Vorteile des Internets, insbesondere als Kommunikations-, Aktions-, Informationsund Serviceplattform erkannt. Die Nutzer agieren häufig auf mehreren Kanälen gleichzeitig. Multimediale Anwendungen nehmen zu, dies gilt insbesondere für sog. "Apps". Um sich während Großveranstaltungen flexibel und schnell auszutauschen, nutzen Linksextremisten über ihre mobilen Endgeräte u. a. Kurzmitteilungsdienste wie Twitter. Eigens eingesetzte "Moderatoren" steuern dabei die Demonstranten z. B. in Richtung von Rechtsextremisten oder Polizeibeamten. Über animierte Landkartendienste halten sie die eigene Demonstrationsroute sowie gegebenenfalls auch die des politischen Gegners abrufbar. Mobivideos Videoplattformen dienen der Verbreitung und dem Konsum von propagieren Propaganda. Dabei sind die meisten Nutzer passive Konsumenten. Gewaltanwendung Sie stellen selbst keine Videos ein, verfolgen jedoch über Abonnements die für sie interessanten Kanäle. Häufig werden YouTubeVideos auf Facebook-Profile verlinkt und somit weiterverbreitet. In "Mobivideos" (Mobilisierungs-Videos), vor allem auf YouTube, zeigen Linksextremisten erfolgreiche Aktionen und fordern mit szenetypischer Musik zum Mitmachen auf. Dabei wird auch die 216 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus Anwendung von Gewalt propagiert. Nachdem im Juni die Polizei Teile des von Autonomen besetzten Mietshauses Rigaer Straße 94 in Berlin-Friedrichshain geräumt hatte, kündigten linksextremistische Gewalttäter im Internet bundesweite Racheakte an. So bewarfen Linksextremisten am 4. Juli nachts das Gebäude der Agentur für Arbeit im Würzburger Stadtteil Sanderau mit Gläsern, die mit schwarzer Farbe gefüllt waren, sprühten Parolen und warfen Pflastersteine gegen die Eingangstüre. Es entstand ein Sachschaden von etwa 5.000 Euro. Im Internet sorgen linksextremistische Gruppierungen auch für sog. Outings tatsächlicher oder vermeintlicher Rechtsextremisten. Sie machen dazu teilweise umfangreiche Recherchen mit Bildmaterial und persönlichen Daten zugänglich. Vereinzelt ergänzen sie die Outings mit Aktionen im Arbeitsoder Wohnumfeld des Betroffenen, um diesen gesellschaftlich zu isolieren. Außerdem ist von einer Zunahme von Hacker-Angriffen auf Internetseiten des politischen Gegners auszugehen. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat die Internetaufklärung weiter intensiviert und hierfür einen eigenen Arbeitsbereich eingerichtet. 5.2 Linksextremistische Musik Im Linksextremismus hat sich eine Hass-Musikszene etabliert, in Hass-Musik der die Demokratie verächtlich gemacht sowie zur Selbstjustiz und zur Gewalt aufgerufen wird. Hassmusik mit linksextremistischen Bezügen kann man an keinem Musikstil festmachen, die Stilrichtungen bewegen sich von aggressivem Punk über Ska bis hin zu Reggae oder Hip Hop. Häufig wird Musik im Rahmen der Vorbereitungen bzw. im Verlauf größerer Demonstrationen eingesetzt. Musikunterlegte "Mobilisierungs-Videos" im Internet transportieren ideologische Positionen und sprechen damit vor allem jüngere Menschen an. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 217 Linksextremismus Ein Beispiel hierfür ist die bayerische Band Sans Frontieres. Ein Bandmitglied präsentiert sich auf seiner Facebookseite mit den Worten: "Für eine revolutionäre Bewegung! Aufruhr, Widerstand, Klassenkampf statt Vaterland!" Ausschreitungen Sans Frontieres solidarisierte sich mit den autonomen Hausin Berlin besetzern der Rigaer Straße 94 in Berlin. So veröffentlichte die Band am 8. August auf Youtube den Song "Traum vom besetzten Haus (Solidarität mit der Rigaer 94)" mit den Worten: "(...) Unsere Solidarität gilt allen besetzten Häusern auf dem Planeten. In diesen Tagen ist die Rigaer 94 durch Bullen besetzt, deshalb haben wir uns gedacht, dass es keinen besseren Zeitpunkt gibt als jetzt den Track hochzuladen und dafür zu werben, sich der Demo am Samstag (9.7.) anzuschließen. R94 bleibt!" Bei dieser Demonstration kam es zu massiven Ausschreitungen mit 123 verletzten Polizisten. Die Berliner Polizei sprach von der "aggressivsten und gewalttätigsten Demonstration der zurückliegenden fünf Jahre in Berlin". Auch als Einnahmequelle ist die Musik für Linksextremisten von erheblicher Bedeutung. Die erwirtschafteten Gelder dienen dazu, die eigenen Aktivitäten oder die Verteidigung von Szeneangehörigen in Strafprozessen zu finanzieren. Ein Beispiel für eine bayerische linksextremistische Band, die auch außerhalb Bayerns auftritt, ist Kurzer Prozess aus Nürnberg. Sie propagiert Gewalt als ein legitimes Mittel u. a. im Kampf gegen Rechtsextremisten, aber auch im Bereich des Antimilitarismus. Beispielsweise heißt es in einem ihrer Lieder: "(...) Sabotage, Sitzblockaden - es gibt kein ruhiges Hinterland! Ihr feiert 60 Jahre?! Ja, dann feiern wir den Widerstand!" 218 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus 6. Linksextremistische Parteien und Vereinigungen 6.1 Offen extremistische Strukturen in der Partei DIE LINKE. Innerhalb der Partei DIE LINKE. gibt es mehrere offen extremistische Strukturen, die auf eine Überwindung der freiheitlichen Staatsund Gesellschaftsordnung abzielen. Sie stellen teilweise die parlamentarische Demokratie infrage, sprechen der rechtsstaatlichen Ordnung die Legitimation ab oder unterhalten Kontakte zu gewaltorientierten Autonomen. Diese offen extremistischen Untergliederungen versuchen auf die Partei DIE LINKE. Einfluss zu nehmen. In Bayern sind folgende Strukturen präsent und aktiv: 6.1.1 Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE. (KPF) Die KPF ist nach wie vor der größte offen extremistische Zusammenschluss innerhalb der Partei DIE LINKE. Sie definiert sich in ihrer Satzung als ein "bundesweiter Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei DIE LINKE." und hält weiterhin an marxistisch-leninistischen Positionen fest. Angestrebt wird die Überwindung des Kapitalismus als Gesellschaftssystem mit dem Ziel einer sozialistischen Gesellschaft. Auf ihrer Bundeskonferenz am 2. Mai 2015 bekräftigte die KPF Verharmlosung ihr kommunistisches Selbstverständnis und verharmloste die des DDR-Unrechts Verbrechen des DDR-Regimes: "Die KPF wird alles in ihren Kräften Stehende tun, der Flut des Antikommunismus Würde im Umgang mit unserer Geschichte entgegenzusetzen. (...) Aber wieviel mehr zählten die existentiellen, realen Vorteile einer Gesellschaftsordnung, die nicht mehr vom Profitstreben dominiert war. Darüber kann auch das demagogisch-dumme Gequatsche über den 'Unrechtsstaat DDR' nicht hinwegtäuschen." Die KPF kündigte zudem die Verstärkung ihrer Aktivitäten zur Gewinnung neuer Mitglieder an. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 219 Linksextremismus In ihrer Satzung bekennt sich die KPF zum Internationalismus und wirbt für ein "breites Bündnis mit kommunistischen Parteien, Gruppen und Zusammenschlüssen sowie anderen linken Kräften". Besonderen Stellenwert nimmt für die KPF die "Solidarität mit dem sozialistischen Kuba" ein. Die KPF arbeitet mit inländischen Linksextremisten und anderen offen extremistischen Zusammenschlüssen in der Partei DIE LINKE. zusammen. 6.1.2 Linksjugend ['solid] Landesverband Bayern Die Mitglieder der 1999 gegründeten Linksjugend ['solid] bezeichnen sich in ihrem Programm selbst als "SozialistInnen, KommunistInnen, AnarchistInnen". Sie beziehen sich darin unter anderem "positiv auf die emanzipatorischen Traditionen des Kommunismus". Das Programm sieht die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln vor. Die Linksjugend ['solid] solidarisiert sich mit dem kommunistischen System in Kuba und fordert die Aufhebung aller Blockaden und Sanktionen. Der Landesverband verfügt in Bayern über Ortsgruppen in Ansbach, Augsburg, Bamberg, Eichstätt, Forchheim, Gunzenhausen, Höchstadt a. d. Aisch, Ingolstadt, Marktoberdorf, München, Neuburg a. d. Donau, Nürnberg, Passau, Regensburg, Schwabach-Roth, Weiden, Weißenburg und Würzburg. 6.1.3 DIE LINKE. Sozialistisch-demokratischerStudierendenverband (DIE LINKE.SDS) Landesverband Bayern Der 2007 gegründete Studierendenverband DIE LINKE.SDS ist laut Statut eine "Arbeitsgemeinschaft mit Sonderstatus der Linksjugend ['solid] mit eigener Mitgliedschaft und Organisation". DIE LINKE. SDS orientiert sich ideologisch an der Lehre von Marx und plädiert in ihrem Selbstverständnis für Außerparlamentarismus, Systemüberwindung und die Zusammenarbeit mit anderen Linksextremisten. Der Landesverband Bayern von DIE LINKE.SDS wurde am 30. Januar 2010 in Regensburg gegründet und verfügt über Ortsgruppen in Augsburg, Bamberg, Coburg, Eichstätt, Erlangen, München, Passau, Regensburg und Würzburg. 220 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus 6.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Umfeld 6.2.1 DKP Deutschland Bayern Mitglieder 3.000 340 Vorsitzender Patrik Köbele Gründung 26.09.1968 Sitz Essen Nürnberg und München Publikationen Unsere Zeit (UZ) Rundbrief; Marxistische Auf Draht Blätter Die DKP ist eine kommunistische Partei, die sich in einer Linie mit der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) sieht. Sie bekennt sich zum MarxismusLeninismus und hat laut Parteiprogramm die Einführung des "Sozialismus/Kommunismus" zum Ziel. Die bundesweit organisierte Partei war bis 1989/90 von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) abhängig. Dem Bundesverband sind Bezirksorganisationen nachgeordnet, die weiter in Kreisund Grundorganisationen oder auch Betriebsgruppen untergliedert sind. In Bayern existieren zwei Bezirksorganisationen (Nordund Südbayern). Seit 2009 gibt es in der DKP einen Richtungsstreit darüber, wie die Partei mehr politischen Einfluss gewinnen kann. Ein Flügel der Partei spricht sich für eine Öffnung hin zu anderen gesellschaftlichen Gruppierungen aus. Der andere Flügel votiert für die Rückkehr zur unverfälschten Lehre des Marxismus-Leninismus mit der DKP als alleiniger Avantgarde der Arbeiterklasse. Auf dem 21. Parteitag der DKP, der vom 14. bis 15. November 2015 in Frankfurt am Main stattfand, wurde die alte Führungsspitze der DKP größtenteils wiedergewählt. Damit haben sich die Kräfte, die für eine Rückkehr zur unverfälschten Lehre des Marxismus-Leninismus plädieren, auf Bundesebene durchgesetzt. Im Nachrichtenportal der DKP wurde die Haltung der Partei am 21. November 2015 wie folgt kommentiert: Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 221 Linksextremismus "Sie (die DKP) hat sich entschieden, den Versuch zu unternehmen (...) für die kommunistische Position einen Platz zurückzuerobern. Damit hat sie sich vorgenommen, auf die aktuellen Krisen Antworten zu geben (...) und zugleich die Notwendigkeit des revolutionären Bruchs mit den herrschenden Machtund Eigentumsverhältnissen als strategische Perspektive programmatisch zu verfechten." In Bayern ist keine geschlossene Positionierung erkennbar. In München befindet sich der Kreisverband im Richtungsstreit. Während sich Teile des Kreisverbands für eine stärkere Öffnung der Partei aussprechen, vertritt das sog. "Betriebsaktiv München", die Sammelbetriebsgruppe der DKP München, einen traditionell-dogmatischen Kommunismus, wie er sich auch auf Bundesebene mehrheitlich durchgesetzt hat. Der DKP-Bezirk Südbayern beteiligte sich zusammen mit den Bezirken Rheinland-Pfalz und Saarland vom 1. bis 3. Juli an dem von der Parteizeitung "Unsere Zeit" veranstalteten UZ-Pressefest in Dortmund. Bekenntnis Anlässlich des 60. Jahrestages des KPD-Verbots veranstaltete zur KPD die DKP am 18. September in Nürnberg eine Tagung mit etwa 40 Teilnehmern unter dem Motto "Die Kriminalisierung von Antifaschisten und Kommunisten endlich beenden - weg mit dem KPD-Verbot!". Damit unterstrich die DKP erneut, dass sie sich in der Tradition der verfassungswidrigen KPD sieht. Durch aktive Mitarbeit übt die DKP auch auf Organisationen wie die VVN-BdA und das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus Einfluss aus. 222 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus 6.2.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Deutschland Bayern Mitglieder 500 110 Vorsitzender Kollektiver Bundesvorstand Gründung 04./05.05.1968 Sitz Essen Publikationen POSITION KONTRA! StrikeBack! Die SDAJ ist nach ihrer Selbstdarstellung eine "bundesweite Organisation von Jugendlichen, die sich mit den Zuständen in Schulen, Betrieben, in dieser Republik und der 'Neuen Weltordnung' nicht abfinden" will. Sie ist marxistisch-leninistisch ausgerichtet: "Alle unsere Forderungen richten sich gegen die Herrschenden in dieser Gesellschaft, gegen die Kapitalisten. Verwirklichen können wir sie nur in einer Gesellschaft ohne Kapitalisten - im Sozialismus." Die SDAJ als ehemalige DKP-Jugendorganisation ist eine eigenständige Organisation. Sie ist aber weiterhin eng mit der DKP verbunden. Gewalt in der politischen Auseinandersetzung schließt die SDAJ nicht aus. Das wird in ihrer "Grundlagenschule" deutlich, die die SDAJ München im Internet verbreitet hat: "Als Faustregel kann gelten, dass die legalen Kampfformen voll ausgenutzt werden sollten, gleichzeitig aber auch die Vorbereitung auf die Anwendung illegaler Kampfformen stattfinden sollte." In Bayern existieren Ortsgruppen der SDAJ in Augsburg, Agitation gegen München und Nürnberg. Regelmäßige Aktivitäten entfaltete Bundeswehr und zuletzt insbesondere die Ortsgruppe in Nürnberg. Dabei war sie Rüstungsindustrie vorrangig im Themenfeld Antimilitarismus aktiv. So führte sie im Juli eine Versammlung unter dem Motto "Gegen Rüstungsexporte und Rüstungsindustrie - Rüstungskonzern Diehl outen" auf dem Aufseßplatz durch, im August sammelte sie Unterschriften für den Aufruf "Krieg? Nicht in unserem Namen!". Unter dem Motto "Offenes Anti-Kriegstreffen" lädt die SDAJ Nürnberg regelmäßig - Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 223 Linksextremismus auch über das soziale Netzwerk Facebook - zu Veranstaltungen ein, um im Aktionsfeld Antimilitarismus auch Personen für sich zu gewinnen, die bislang nicht der linksextremistischen Szene angehörten. 6.2.3 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Bayern Mitglieder 700 Vorsitzende Dr. Axel Holz Cornelia Kerth Gründung 15. - 17.03.1947 Sitz Berlin (Bundesgeschäftsstelle) Publikationen antifa Die VVN-BdA ist die bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus. Sie arbeitet mit offen linksextremistischen Kräften zusammen. In der VVN-BdA wird nach wie vor ein kommunistisch orientierter Antifaschismus verfolgt. Diese Form des Antifaschismus dient nicht nur dem Kampf gegen den Rechtsextremismus. Vielmehr werden alle nicht-marxistischen Systeme - also auch die parlamentarische Demokratie - als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt. Ein Artikel des Bundessprechers der VVN-BdA, Ulrich Schneider, in der Tageszeitung "junge Welt" mit dem Titel, "Bündnis, nicht Parteiersatz" gibt zu erkennen, dass die VVN-BdA auch linksextremistische autonome Gruppen als Bündnispartner akzeptiert: "Die Kunst der Bündnisarbeit ist es, eine möglichst breite Zusammenarbeit zu entwickeln, die allen Teilnehmenden ausreichend Raum für eigenständiges Handeln im Sinne der gemeinsamen Zielsetzung gibt. Das bedeutet zum Beispiel, dass Blockadeaktionen gegen Naziaufmärsche oder andere direkte Aktionen durchaus legitime Mittel sind, selbst wenn nicht alle Kräfte im Bündnis sich dieser Aktion anschließen können." 224 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus Der VVN-BdA-Ehrenvorsitzende Prof. Dr. Heinrich Fink hat gegen seine Nennung in den Verfassungsschutzberichten 2010 bis 2013 als "informeller Mitarbeiter" des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR und gegen die Erwähnung des Rechtsstreites im Verfassungsschutzbericht 2014 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Die bayerische Landesvereinigung der VVN-BdA hat gegen ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht 2010 den Rechtsweg beschritten. Die Klage wurde auf die Jahre 2011, 2012 und 2013 erweitert. Das Bayerische Verwaltungsgericht München wies die Klage der VVN-BdA-Landesvereinigung Bayern im Oktober 2014 ab. Der Landesverband hat im Mai 2015 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, über den noch nicht entschieden ist. 6.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Deutschland Bayern Mitglieder 1.900 120 (mit REBELL) Vorsitzender Stefan Engel Gründung 1982 Sitz Gelsenkirchen Nürnberg Publikationen Rote Fahne (Zentralorgan); REVOLUTIONÄRER WEG (Theorieorgan); REBELL (Jugendmagazin); Galileo - streitbare Wissenschaft (Zeitung der MLPD-Hochschulgruppen) Die zentralistisch geführte MLPD ist eine kommunistische Kaderpartei, die Sozialismus im Sinn des Stalinismus und des Maoismus anstrebt. Ihr grundlegendes Ziel ist "der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft". Im linksextremistischen Spektrum ist die MLPD aufgrund ihres dogmatischen Kommunismusverständnisses weitgehend isoliert. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 225 Linksextremismus Frauenverband Mit dem Frauenverband Courage e. V. sowie mit Freizeitangeboten Courage e.V. ihrer Jugendorganisation REBELL und ihrer Kinderorganisation ROTFÜCHSE ROTFÜCHSE versucht die MLPD Frauen, Jugendliche und Kinder und REBELL an sich zu binden. Im Umfeld der Berufsschule in Aschaffenburg verteilten MLPD-Mitglieder am 29. April Flyer an Schüler, mit denen für das "Rebellische Musikfestival" im Waldgrund Truckenthal/Thüringen vom 13.-15. Mai geworben wurde, das von der MLPD-Jugendorganisation REBELL veranstaltet wurde. Ebenfalls in Truckenthal veranstalteten REBELL und die Kinderorganisation ROTFÜCHSE vom 23. Juli bis 13. August erneut ein sog. Sommercamp mit 400 Teilnehmern, unter anderem auch aus Bamberg. Die Teilnehmerzahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr um rund 20 Prozent erhöht. Im Camp sollen junge Menschen an ein antidemokratisches, revolutionär-kommunistisches Politikverständnis herangeführt werden. Dabei wird Freizeiterlebnis mit politisch-ideologischer Unterweisung verknüpft. Dies steht in direktem Gegensatz zum demokratischen Erziehungsideal, der Erziehung zu freier Willensbildung und selbstbestimmtem Leben. Wechsel im Am 22. Juli fand in München eine Veranstaltung mit dem Parteivorsitz MLPD-Parteivorsitzenden Stefan Engel statt, die von rund angekündigt 100 Personen besucht wurde. Engel, der seit Gründung der MLPD den Parteivorsitz innehatte, hat seinen Rücktritt von dieser Funktion für das Jahr 2017 angekündigt. Als Nachfolgerin wurde Gabi Gärtner angekündigt. In einem Interview mit der MLPD-Parteizeitung "Rote Fahne"(RF) vom 25. November äußerten sich beide zur weiteren Ausrichtung der MLPD. Sie kündigten an, dass die MLPD bei der Bundestagswahl 2017 mit einer "Internationalistischen Liste/MLPD" antreten werde, die das "Fundament einer antiimperialistischen, fortschrittlichen und internationalistischen Einheitsfront" bilden solle. Gärtner will die bisherige ideologische Linie fortsetzen. Sie setzt u. a. "auf unerschütterliche Kampfmoral und einen eisernen Klassenstandpunkt, auf die Bereitschaft und Fähigkeit ein Kollektiv zum Tragen zu bringen und das tiefe Vertrauen in Partei und Massen". 226 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus 6.4 Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus Das linksextremistisch beeinflusste Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus ist ein loser Zusammenschluss von Personen und Organisationen ohne feste Mitgliederstruktur. In ihm sind vor allem linksextremistische Parteien und Gruppierungen wie die DKP, die SDAJ, die MLPD sowie die Antikapitalistische Linke München (AL-M) aktiv. Das Bündnis ist Organisator oder Unterstützer zahlreicher Demonstrationen, Mahnwachen und Informationsveranstaltungen. Außerdem dominiert es andere Protestbewegungen wie das Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz, das die Proteste gegen die Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik koordiniert. Über das Thema Antimilitarismus versuchen die beteiligten Linksextremisten, demokratische Organisationen und Personen einzubinden. Maßgebliche Aktivisten des Münchner Bündnisses gegen Krieg und Rassismus sind Claus Schreer und Walter Listl, die auch in der Münchner DKP aktiv sind. Der DKP gelingt es dadurch, ihre Bündnisstrategie zu verwirklichen. Die Proteste gegen die Münchner Konferenz für SicherheitsSinkende Teilnehmerpolitik sind in Bayern seit Jahren für die linksextremistische und zahl bei Protesten linksextremistisch beeinflusste Szene die größte Aktion mit dem gegen Sicherheitshöchsten Mobilisierungsund Teilnehmerpotenzial. Wie in den konferenz Vorjahren waren auch 2016 die Kundgebungen in der Münchner Innenstadt durch linksextremistische Parteien und Vereinigungen wie die DKP, die SDAJ und die MLPD sowie Autonome geprägt. An der Großdemonstration am 13. Februar nahmen bis zu 2.500 Personen (2015: etwa 4.000) teil. Rund 250 Personen bildeten in der Demonstration den sogenannten Schwarzen Block (2015: etwa 300), der von der gewaltorientierten Gruppe Antikapitalistische Linke München (AL-M) organisiert wurde. Die autonomen linksextremistischen Gruppierungen Organisierte Autonomie Nürnberg (OA), Revolutionär Organisierte Jugendaktion (ROJA) Nürnberg und Revolutionäre Aktion Stuttgart hatten dafür bereits im Vorfeld ihre Unterstützung bekundet. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 227 Linksextremismus Personen im Schwarzen Block brannten pyrotechnische Gegenstände ab. Die Polizei setzte unmittelbaren Zwang und Pfefferspray ein, ein Polizeibeamter wurde von einem Demonstranten durch einen Schlag mit einer Holzstange verletzt. Während des gesamten Konferenzzeitraums kam es zu 11 Festnahmen, unter anderem wegen Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Verstößen gegen das Versammlungsund Sprengstoffgesetz. 6.5 Rote Hilfe e. V. (RH) Deutschland Bayern Mitglieder 7.600 550 Sitz Göttingen verschiedene (BundesgeschäftsOrtsgruppen stelle) u.a. Nürnberg und München Publikationen "DIE ROTE HILFE", vierteljährlich Der Arbeitsschwerpunkt der RH ist die finanzielle und politische Unterstützung von linksextremistischen Strafund Gewalttätern, mit deren ideologischer Zielsetzung sie sich identifiziert. Dabei geht es ihr nicht um eine Resozialisierung von Straftätern, sondern um die Unterstützung gewaltbereiter Linksextremisten in ihrem Kampf gegen das politische System. Leitfaden für Als zentrale Publikation veröffentlichte die RH den Leitfaden Gewalttäter "Was tun wenn's brennt!?", Ausgabe 2015/2016, mit "Rechtshilfetipps" in mehreren Sprachen. Darin spiegelt sich ihre enge Verbundenheit mit linksextremistischen Gewalttätern wider: "Alle, die sich am Kampf beteiligen, sollen das in dem Bewusstsein tun können, dass sie auch hinterher, wenn sie Strafverfahren bekommen, nicht alleine dastehen. Ist es der wichtigste Zweck der staatlichen Verfolgung, diejenigen, die gemeinsam auf die Straße gegangen sind, durch Herausgreifen Einzelner voneinander zu isolieren und durch exemplarische Strafen Abschreckung zu bewirken, so stellt die Rote Hilfe dem das Prinzip der Solidarität entgegen und ermutigt damit zum Weiterkämpfen." 228 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus Die Unterstützung schließt auch ehemalige Angehörige terroristischer Vereinigungen ein. Die RH gewährt Beihilfen zu Anwaltsund Prozesskosten sowie zu Geldstrafen und Geldbußen. Mitglieder des Vereins diskreditieren das deutsche Rechtssystem immer wieder - u. a. in einem Newsletter vom 13. November 2014 - als "Gesinnungsjustiz". Die Ortsgruppe Nürnberg-Fürth-Erlangen lud am 2. Dezember Verharmlosung zu einer Veranstaltung über das Leben der RAF-Terroristin der RAF Ulrike Meinhof ein. In einem dazu veröffentlichten Flugblatt erklärte die RH: "In dieser Vortragsund Diskussionsveranstaltung ist es für uns wichtig, Ulrike als kämpferische Linke zu begreifen, die keinen Selbstmord begangen hat, und die RAF nicht als Terrorgruppe darzustellen." Die RH unterstützte den Aufruf zur Teilnahme an der Revolutionären 1. Mai-Demonstration in Nürnberg. 7. Autonome, Postautonome und Anarchisten 7.1 Beschreibung / Hintergrund Autonome Autonome sind - überwiegend junge - gewaltorientierte Links650 Autonome extremisten. Sie bilden den weitaus größten Teil des gewaltorienin Bayern tierten linksextremistischen Personenpotenzials. Zur autonomen Szene zählen bundesweit rund 6.300 Personen, in Bayern etwa 650. Autonome haben kein einheitliches ideologisches Konzept, sie folgen vielmehr anarchistischen und anarcho-kommunistischen Vorstellungen. Einig sind sich alle Autonomen in dem Ziel, den Staat und seine Einrichtungen - auch mit Gewalt - zu zerschlagen und eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu errichten. Sie rechtfertigen Gewalt als erforderliches Mittel gegen die "strukturelle Gewalt" eines "Systems von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung". Gewalttätige Handlungen verstehen sie als Akt individueller Selbstbefreiung von den Herrschaftsstrukturen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 229 Linksextremismus Dazu gehören Brandstiftungen, Sabotage, Hausbesetzungen und militante Aktionen bei Demonstrationen. Autonome versuchen, auch demokratische Protestbewegungen für ihren Kampf gegen den Staat zu mobilisieren. Postautonome In der autonomen Szene wird seit Längerem eine Organisationsund Militanzdebatte geführt. Seit Beginn der 1990er Jahre wuchs die interne Kritik, die autonome Bewegung sei zu unorganisiert, um nachhaltig politische Veränderungen bewirken zu können. Im Zentrum der Debatte steht dabei die Frage, wie eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz für die eigenen autonomen Positionen erreicht werden kann. Infolgedessen sind mehrere sog. postautonome Gruppierungen und Netzwerke entstanden, die die gesellschaftliche Isolation der Autonomen durchbrechen wollen. In der Szene besonders prägend wirkt die Interventionistische Linke (IL). Sie war erstmals im Jahr 1999 bei den Protesten gegen die EU-Ratstagung und den Weltwirtschaftsgipfel in Köln aktiv und gründete sich 2005 als informelles bundesweit agierendes Netzwerk. Postautonome versuchen ein Scharnier zwischen gewaltbereiten Linksextremisten und gemäßigten Kräften zu bilden. Die Vorsilbe "Post" steht für die Infragestellung einiger grundlegender Merkmale, aber nicht für einen vollständigen Bruch mit dem gewaltorientierten autonomen Politikansatz. Um zwischen linksextremistischen und demokratischen Akteuren zu vermitteln, bedienen sich die Postautonomen des Begriffs des "zivilen Ungehorsams". Vordergründig beteiligen sich Postautonome nicht an gewalttätigen Ausschreitungen, allerdings distanzieren sie sich auch nicht eindeutig vom Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele. InterventionisPostautonome engagieren sich z. B. in Mieterund Stadtteilinitiatische Linke (IL) tiven, in der Flüchtlingshilfe, in antifaschistischen Gruppierungen bekennt sich zu und in der Anti-Globalisierungsbewegung. Im Rahmen dieser Gewalt Bündnisse wird verstärkt auf die Vermittlung theoretisch-marxistischer Inhalte nach außen geachtet. Der "Antikapitalismus" bildet einen ideologischen Schwerpunkt der IL. Auf der Strategiekonferenz vom 8. bis 10. April in Hannover unterstrich die IL ihre Nähe 230 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus zur marxistischen Ideologie und die aus ihrer Sicht bestehende Notwendigkeit konkreter "Rebellion", was sie als gewaltorientierte Gruppierung erkennbar macht: "Nach den Jahrzehnten neoliberaler Weltwirtschaftspolitik, seit Seattle ist die Diskussion über ein Verbot von alternativen Bildern zum kapitalistischen Wahnsinn gebrochen. Es braucht konkrete Rebellion und konkrete Vorstellung anderer Vergesellschaftung." Besonderen Aufschwung erlebte die postautonome Szene im Rahmen von Protesten gegen die globale Finanzkrise. Bei den von der IL seit 2012 federführend mitinitiierten Demonstrationsund Aktionstagen in Frankfurt am Main nahmen bis zu 25.000 Menschen teil, von autonomen über zivilgesellschaftliche Organisationen bis hin zu Parteien. Auch in Bayern ist in der Szene eine zunehmende Tendenz hin zu postautonomen Strukturen festzustellen. Die IL verfügt in Bayern derzeit über Ortsgruppen in Aschaffenburg, München und Nürnberg. Die Münchner autonome Gruppe Antifa NT schloss sich dem bundesweiten linksextremistischen Bündnis "ums Ganze!" an, in dem sich gewaltorientierte linksextremistische Gruppen aus Deutschland und Österreich organisieren. Bereits seit einigen Jahren engagiert sich die Antikapitalistische Linke München (AL-M) in dem Bündnis "Perspektive Kommunismus", das sich als politische Plattform kommunistischer Gruppen begreift und einen "revolutionären Anspruch" vertritt. Das Bündnis beteiligte sich intensiv an der Mobilisierung zu den Protesten gegen den G7-Gipfel. Anarchisten Anarchismus ist eine Sammelbezeichnung für politische Auffassungen und Bestrebungen, die auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen abzielen. Allen anarchistischen Strömungen ist die Forderung gemein, den Staat als Herrschaftsinstitution abschaffen zu wollen - und zwar unabhängig von einer demokratischen oder diktatorischen Ausrichtung. Häufig schließt eine solche Auffassung einen grundsätzlichen Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 231 Linksextremismus Antiinstitutionalismus ein. Anarchisten sehen Bürokratien, Kirchen, Parteien, Parlamente und Vereine als Einrichtungen, die einem freiwilligen Zusammenschluss von emanzipierten und mündigen Menschen entgegenstehen. Diese Ablehnung von Hierarchie und Unterordnung hat zur Folge, dass Anarchisten sich selbst in der Regel nur schlecht organisieren können, lediglich lose strukturierte Gruppierungen bilden und die Gründung einer anarchistischen Partei ablehnen. 7.2 Gruppierungen 7.2.1 Autonome Gruppierungen Organisierte Autonomie (OA) Bayern Gründung ca. 1993 Sitz Nürnberg Publikationen barricada - zeitung für autonome politik und kultur Die OA ist ein Zusammenschluss eigenständiger autonomer Gruppen, der sich als offenes Projekt versteht. Dabei spiegelt der Name den Widerspruch zwischen jeglicher Ablehnung von Strukturen einerseits und dem erforderlichen Mindestmaß an Organisation zur Zielerreichung andererseits wider. In ihrer Selbstdarstellung tritt die OA für eine kommunistische Gesellschaftsordnung ein, die im kontinuierlichen Kampf gegen die herrschende Ordnung erreicht werden soll. Ziel der OA ist es demzufolge, den "Klassenkampf von unten" zu organisieren. Das von der OA verfolgte linksextremistische Antifaschismusverständnis wird in einer von ihr herausgegebenen Broschüre deutlich: "Faschismus ist kein geschichtlicher Betriebsunfall, sondern ein gern genutztes Mittel der herrschenden, kapitalistischen Klasse zur Aufrechterhaltung ihres menschenverachtenden Systems". 232 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus Die OA nutzt Treffund Veranstaltungsörtlichkeiten im Nürnberger Stadtteil Gostenhof. Zu diesen gehört das Selbstverwaltete Kommunikationszentrum Nürnberg e. V. (KOMM e. V.), das Anlaufstelle für viele linksextremistische Gruppierungen ist. In Gostenhof veranstaltet die OA auch ihre jährliche "revolutionäre 1. Mai-Demonstration" und das im Anschluss daran stattfindende "Internationalistische Straßenfest".An dieser Veranstaltung nahmen bis zu 2.000 Personen teil, darunter etwa 250 aus der linksextremistischen autonomen Szene. Neben der OA beteiligten sich u. a. auch Aktivisten der DKP, der SDAJ, von DIE LINKE.SDS und Linksjugend ['solid]. Anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz veröffentlichte die OA ein Flugblatt zur zentralen Gegendemonstration am 13. Februar, in dem sie u. a. zu einem "revolutionären, internationalen Klassenkampf" aufrief. Revolutionär Organisierte Jugendaktion (ROJA) Bayern Gründung 2009 Sitz Nürnberg Die ROJA ist eine autonome Jugendorganisation in Nürnberg. In ihrem Selbstverständnis beruft sie sich auf den Marxismus und fordert neben einem konsequenten Antikapitalismus auch Klassenkampf und Revolution. "Bewusst sind wir auch der Tatsache, dass dieses menschenverachtende System, in dem eine kleine Minderheit sich an dem Elend aller anderer bereichert, nicht ohne den Klassenkampf aller Ausgebeuteten und Unterdrückten - und nicht ihrer StellvertreterInnen - gegen die AusbeuterInnen und UnterdrückerInnen abgeschafft werden kann." Ein zentrales Betätigungsfeld der ROJA ist der Antimilitarismus. Unter Slogans "Bundeswehr raus aus den Schulen!" oder "Für die soziale Revolution weltweit!" agitiert die ROJA gegen Informationsveranstaltungen der Bundeswehr. Aktivisten der Gruppe störten eine Informationsveranstaltung der Bundeswehr am 20. Februar in Nürnberg. Sie verteilten Flugblätter und legten sich aus Protest auf den Boden. Im Aktionsfeld Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 233 Linksextremismus Antifaschismus arbeitete die ROJA auch mit der Roten Hilfe und den Gruppierungen Organisierte Autonomie und Auf der Suche zusammen, mit denen sie am 28. Mai eine "Rallye gegen Rechts" organisierte. Im Rahmen dieser Aktion wurden in Nürnberg Örtlichkeiten aufgesucht, an denen aus Sicht der Linksextremisten angebliche "Faschisierungstendenzen" feststellbar sind. Antifaschistische Linke Fürth (ALF) und Jugendantifa Fürth (JAF) ALF JAF Gründung 2005 2009 Sitz Fürth Das Antifaschismusverständnis der ALF zielt auf die Überwindung des bestehenden Systems als angebliche Ursache faschistischer Erscheinungsformen ab. Anlassbezogen wirkt die ALF auch in regionalen nicht-extremistischen Bündnissen mit. Auf eine Initiative der ALF geht die Gründung der JAF zurück. Durch die JAF werden junge Menschen an die autonome Szene in Fürth herangeführt. Auch die JAF versteht unter Antifaschismus weit mehr als nur einen Kampf gegen Rechtsextremismus. Nach ihrem Verständnis muss Antifaschismus immer auch das Ziel haben, die kapitalistischen Verhältnisse und die bestehende staatliche Ordnung zu überwinden. Die ALF beteiligte sich Anfang August an einem linksextremistisch beeinflussten Protestcamp in Bamberg, das sich gegen die Asylund Flüchtlingspolitik der Regierung aussprach. La Resistance - antifaschistische Jugendgruppe Ingolstadt (LARA) Bayern Gründung Gründung 2011 Sitz Ingolstadt Die Autonome Gruppe LARA hat sich Ende 2011 gegründet. Nach eigenen Angaben wurde der französische Begriff "la Resistance!" als Selbstbezeichnung gewählt, um den Widerstand gegen Missstände zu organisieren und Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu äußern. 234 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus So erklärte die Gruppe: "Neues schaffen heißt Widerstand leisten, Widerstand leisten heißt Neues schaffen". Unter Bezugnahme auf die marxistische Ideologie greift die Gruppe auf antikapitalistische Argumentationsmuster des Kommunismus zurück: "Für uns verlaufen die Grenzen nicht zwischen Menschen, sondern zwischen den Widersprüchen gesellschaftlicher Besitzverhältnisse. Es kann nicht sein, dass Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, und Andere davon leben." LARA beteiligte sich am 8. Oktober an einer Demonstration zum Thema "Gegen Polizeigewalt und Repression" in Ingolstadt. An der Veranstaltung nahmen 120 Personen vorwiegend aus dem linksextremistischen Spektrum teil. Die Gruppe richtet ihre Agitation u. a. gegen die Partei Alternative für Deutschland (AfD). Im Zusammenhang mit der Asylthematik unterstützte sie im Aktionsfeld Antirassismus das Aktionsbündnis "Fluchtursachen bekämpfen", das überwiegend von linksextremistischen, teils auch autonomen Gruppen getragen wird. Am 22. Oktober beteiligten sich Angehörige der LARA an einer Übergriffe bei Demonstration gegen das bayerische Integrationsgesetz in Demonstration München. Unter den rund 1.800 Teilnehmern befanden sich rund gegen Integrations300 Autonome, die in der Demonstration bengalische Feuer gesetz entzündeten, sich vermummten und auf die Polizei Farbbeutel warfen. Bei der Auseinandersetzung setzten die Autonomen Schirme und Fahnen als Schlagstöcke gegen die Polizei ein. 11 Gewalttäter wurden unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und versuchten Raubs festgenommen. Veranstaltungen wie diese nutzen die Angehörigen der Gruppe im Rahmen der autonomen Bündnispolitik, um für ihre Ideologie zu werben und aus bürgerlichen Demonstrationen heraus Straftaten zu begehen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 235 Linksextremismus anita f. - antifaschistische Gruppe in Regensburg (anita.f) Bayern Gründung 2005 Sitz Regensburg In Regensburg gründete sich 2005 die autonome Gruppe anita.f. In ihrem Selbstverständnis verortet sie sich ideologisch im Kommunismus und bringt zum Ausdruck, dass sie jegliche staatliche Strukturen ablehnt: "Als undogmatische kommunistische Gruppe streben wir eine herrschaftsfreie, klassenlose und selbstbestimmte Gesellschaftsordnung an." Anlässlich einer Veranstaltung der AfD am 22. April in Schwandorf rief anita.f zu einer Gegenkundgebung auf, in deren Verlauf es zu Straftaten kam, unter anderem wurde ein Polizeibeamter verletzt. Anita f. unterhält Kontakte zu anderen gewaltbereiten linksextremistischen Strukturen. Anita f. unterstützte im August die Großdemonstration "Solidarity4all gegen Ausgrenzung und Abschiebelager" gegen die Ankunftsund Rückführungseinrichtung in Bamberg. Die Demonstration wurde maßgeblich von bundesweit agierenden linksextremistischen Gruppierungen, unter anderem der Interventionistischen Linken-Nürnberg, beeinflusst. 7.2.2 Postautonome Gruppierungen Interventionistische Linke (IL) Bayern Gründung ca. 2005 Sitz Aschaffenburg, München, Nürnberg Publikationen "radical left" unregelmäßig 236 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus Die IL wurde 2005 als bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen Organisierung gegründet. Mit der Veröffentlichung des "Zwischenstandpapiers" im Oktober 2014 wurde die IL zu einer bundesweiten Organisation umformiert. Ideologisch orientiert sich die IL am Marxismus/Kommunismus. Sie versteht das bestehende Gesellschaftssystem als eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der die herrschende Klasse (Kapitalisten) die Arbeiterklasse (Proletariat) ausbeutet und unterdrückt. Ziel der IL ist die Abschaffung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung und die Installation einer klassenlosen Gesellschaft. Dabei fokussiert sie sich nicht ausschließlich auf regionale Protestaktionen, sondern wirkt auch an der Vorbereitung überregionaler Aktionen mit. Die IL verfügt in Bayern über Ortsgruppen in Aschaffenburg, München und Nürnberg. Die IL Nürnberg (vormals radikale Linke Nürnberg (rL)) war im August maßgeblich an der Vorbereitung und Durchführung eines linksextremistisch beeinflussten Protestcamps in Bamberg beteiligt, das sich gegen die Asyl-und Flüchtlingspolitik der Regierung richtete. Den Höhepunkt der Veranstaltung bildete die zentrale Demonstration am 6. August unter dem Motto "Solidarity4All! Gegen Ausgrenzung und Abschiebelager", an der ca. 700 Personen teilnahmen, darunter etwa 150 Angehörige der autonomen Szene. Die IL Aschaffenburg tritt seit Oktober 2015 auf. Im November warb sie für eine Anfang Dezember stattfindende Aktionskonferenz gegen den G20-Gipfel in Hamburg. Auf dieser Konferenz planten und verabredeten Aktivisten das Vorgehen gegen den G20-Gipfel, der am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg durchgeführt wird. Antikapitalistische Linke München (AL-M) Bayern Gründung 2011 Sitz München Die AL-M ist eine revolutionär-kommunistisch ausgerichtete post-autonome Gruppierung und folgt marxistisch-leninistischen und trotzkistischen Ideologieelementen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 237 Linksextremismus Nach ihrer Selbstdarstellung ist ihr Ziel die Beseitigung des demokratischen Verfassungsstaates und die Errichtung eines kommunistischen Systems: "(...) Notwendig ist: die Revolution. (...) Die revolutionäre Theorie, um die Welt zu begreifen und sie zu verändern, ist der Marxismus. Die einzige Alternative zum heutigen Kapitalismus ist eine andere Gesellschaft: Der Kommunismus - dafür kämpfen wir." Die AL-M ist ein Bindeglied zwischen dem traditionell kommunistisch ausgerichteten Spektrum des Linksextremismus und der autonomen Szene. Die Internetseite der AL-M dient als Mobilisierungsplattform für das gesamte linksextremistische Spektrum in München. Dort wird nicht nur zu autonomen Gruppen wie Antifa-NT verlinkt, sondern auch zu linksextremistischen Parteien und Organisationen wie der Roten Hilfe und der SDAJ München. Die Gruppierung ist bei mehreren Themen, die von Linksextremisten besetzt werden, aktiv, z. B. bei Aktionen zum Antimilitarismus. Bereits seit einigen Jahren ist die AL-M in das Bündnis "Perspektive Kommunismus" eingebunden. Antifa-NT Bayern Gründung bekannt seit 2006 Sitz München Die Gruppe Antifa-NT vertritt einen postautonomen Antifaschismus, der darauf abzielt, die bestehende Gesellschaftsordnung durch eine klassenlose Gesellschaft zu ersetzen. Sie pflegt bundesweite Kontakte zu anderen autonomen und postautonomen Gruppierungen und trat im Herbst dem linksextremistischen "... ums Ganze!"-Bündnis bei. Zur Demonstration gegen die Eröffnung der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main am 18. März 2015 organisierte Antifa-NT eine Busanreise aus München. Bei den Protesten kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. 238 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus Antifa-NT nutzt die Räumlichkeiten des Kafe Marat, das Teil eines selbstverwalteten Kulturzentrums ist. Das Kafe Marat dient Linksextremisten, insbesondere Autonomen, als Treffpunkt, logistisches Zentrum und Informationsbörse. Daneben nutzen auch andere nicht-extremistische kulturelle und gesellschaftliche Gruppen das Kafe Marat für Treffen und Veranstaltungen. Antifa NT schloss sich dem bundesweiten linksextremistischen Bündnis "ums Ganze!" an, in dem sich gewaltorientierte linksextremistische Gruppen aus Deutschland und Österreich organisieren. Dieses Bündnis ist Mitinitiator eines Aufrufs zu Protesten gegen den G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg. Der Aufruf steht unter dem Motto "Don't fight the players, fight the game: Zum G20 die Logistik des Kapitals lahmlegen!" Daraus ist bereits eine Gewaltorientierung der geplanten Proteste ablesbar. 7.2.3 Anarchistische Gruppen Anarchistische Gruppe München (Bibliothek Frevel) Bayern Gründung 2016 Sitz München Publikationen Anarchistische Straßenzeitung Fernweh In München besteht eine Gruppe von Anarchisten, die durch publizistische Aktivitäten und das Betreiben einer Bibliothek die anarchistische Ideologie verbreiten wollen. Sie eröffneten im Sommer in München die "Anarchistische Bibliothek Frevel". Die Bezeichnung Frevel geht vermutlich auf den anarchistischen Autor Walter Borgius (1870-1932) zurück, der in seinem Werk: "Die Schule - ein Frevel" die Schule als Herrschaftsmittel zur Züchtung gehorsamer Untertanen darstellt. Die Bibliothek will den "Zugang zu den Gedanken und Kämpfen anderer Revoltierender" ermöglichen. Die anarchistische Gruppe billigt Strafund Gewalttaten als Mittel zur Zerstörung der bestehenden Ordnung. So lag in ihrer Bibliothek die anarchistische Straßenzeitung "Fernweh" aus, die linksextremistische Straftaten positiv bewertet. In der im Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 239 Linksextremismus Dezember erschienenen Ausgabe 23 wurde unter anderem über folgende Straftaten berichtet: Brandstiftung an einem Dienst-Kfz einer Sicherheitsfirma, Brandstiftung am Geräteschuppen einer Schule in München-Trudering und Anschläge der PKK-nahen kurdischen "apoistischen Jugendinitivative" auf Pkws in Köln, Kassel und München. Die Zeitschrift propagierte in der Vergangenheit auch Aktionen gegen das geplante neue Strafjustizzentrum in München. Bei Sachbeschädigungen an der Baustelle, an Fahrzeugen beteiligter Firmen sowie durch Schmierereien entstand bislang ein Sachschaden von mehr als 350.000 Euro. Auf der Suche (ADS) Bayern Gründung 2014 Sitz Nürnberg Die Gruppe ADS versteht sich als eine anarchistische Gruppierung. Sie ist Mitglied der Föderation deutschsprachiger Anarchist_innen. Das Feindbild aller, im Detail unterschiedlich ausgerichteter, anarchistischer Strömungen ist der Staat. Er gilt im anarchistischen Denken als repressive Zwangsinstanz, die zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft aufgelöst und zerschlagen werden müsse. ADS lehnt aus dieser Ideologie heraus fundamentale Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie insbesondere Parlamentarismus und Volkssouveränität sowie das Mehrparteienprinzip ab: "Stellvertreter*innenmodelle und die Bildung von Parteien - wie in ausbeuterischen Wirtschaftssystemen und im Parlamentarismus üblich - lehnen wir ab, da diese im Widerspruch zu unseren Vorstellungen einer herrschaftsfreien Gesellschaft stehen. (...) Wir streben keine Übernahme, sondern die Abschaffung der politischen Herrschaft an." 240 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Linksextremismus Am 28. Mai war ADS Mitveranstalter der "Rallye gegen Rechts" in Nürnberg, an der sich auch die Rote Hilfe sowie die Gruppierungen Organisierte Autonomie und Revolutionär Organisierte Jugendaktion beteiligten. Libertäre Antifa München (LAVA MUC) Bayern Gründung 2014 Sitz München LAVA MUC ist eine Gruppierung aus dem Raum München, die ein anarchistisches, auf die Abschaffung der Bundesrepublik Deutschland zielendes Weltbild propagiert: "Als Anarchist*innen sehen wir den Staat als patriarchalen überwachenden Unterdrückungsmechanismus (...) Um einer befreiten Gesellschaft näher zu kommen, müssen wir uns mit alltäglichen Herrschaftsverhältnissen und Unterdrückungsmechanismen kritisch auseinandersetzen und sie letztlich als Ganzes überwinden." Sie agitiert hauptsächlich im Internet und bewirbt dort regelmäßig Veranstaltungen und Demonstrationen, wie die Anti SIKO (Sicherheitskonferenz) Protestkundgebungen oder Anti-Pegida und Anti-AfD-Proteste, an denen stets auch Linksextremisten teilnehmen. Bei diesen Veranstaltungen kommt es regelmäßig zu Strafund Gewalttaten, überwiegend gegen Polizeibeamte. LAVA MUC ist vor allem im Themenfeld Antifaschismus aktiv. LAVA MUC beteiligte sich am 30. April an Protesten gegen den AfD-Bundesparteitag in Stuttgart. Im Zusammenhang mit den Protesten verübten Gegendemonstranten zahlreiche Straftaten und gingen gewaltsam gegen Polizeibeamte vor. An den Protesten nahmen rund 1.000 gewaltorientierte Linksextremisten teil. Es kam zu insgesamt 600 freiheitsentziehenden Maßnahmen, acht Polizeibeamte wurden verletzt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 241 Linksextremismus ScientologyOrganisation (SO) f SO-Tarnorganisation KVPM veranstaltet in München eine manipulative Wanderausstellung zur Aufdeckung angeblicher Missstände in der Psychiatrie f KVPM versucht den Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum zu instrumentalisieren f Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit durch die Tarnorganisation Der Weg zum Glücklichsein 242 Die Scientology-Organisation (SO) ist eine internationale Organisation, die zum einen auf finanzielles Gewinnstreben ausgerichtet ist und zum anderen ein weltweites, unumschränktes Herrschaftssystem nach eigenen Vorstellungen errichten möchte. An die Stelle des Demokratieprinzips und der Grundrechte soll ein auf Psycho-Technologien und der bedingungslosen Unterordnung des Einzelnen beruhendes totalitäres Herrschaftssystem unter scientologischer Führung treten. Die SO ist somit nicht nur eine Gefahr für Einzelne, die in die Fänge und den Einflussbereich der Organisation zu geraten drohen, sondern stellt auch das demokratische System der Bundesrepublik Deutschland und die staatliche Garantie der Grundrechte in Frage. Schon in seinem Grundlagenwerk "Dianetik" aus dem Jahr 1950 wies der Gründer der SO, Lafayette Ron Hubbard, auf die politische Relevanz seiner Lehre hin. Nach seinen bis heute unveränderten und für alle Scientologen verbindlichen Vorstellungen soll eine ausschließlich nach scientologischen Richtlinien funktionierende Welt geschaffen werden. Mit harten psychound sozialtechnischen Instrumenten will die Organisation nicht nur den einzelnen Menschen steuern, sondern durch Einflussnahme auf Staat, Politik und Wirtschaft in die Gesellschaft eindringen, um sie den scientologischen Zielen zu unterwerfen. Programmatik und Aktivitäten der SO sind mit den Grundprinzipien unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 243 Scientology-Organisation Die Scientology-Organisation f will ein scientologisches Rechtssystem etablieren, in dem es keine Menschenund Grundrechte gibt, f missachtet die Menschenwürde (Art. 1 GG) und den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG), da sie nur Scientologen Rechte zugesteht, f missachtet das Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG), da sie Kritik mit allen - auch illegalen - Mitteln unterdrücken will, f baut auf ein totalitäres Herrschaftssystem, das Gewalt und Willkürherrschaft einschließt. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat mit Urteil vom 12. Februar 2008 festgestellt, dass f tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die SO Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, f zahlreiche Hinweise ergeben, dass die SO eine Gesellschaftsordnung anstrebt, in der zentrale Verfassungswerte außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden, f der Verfassungsschutz die Organisation daher - auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln - beobachten darf. 244 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Scientology-Organisation 1. Personenpotenzial Deutschland Bayern Mitglieder 4.000 etwa 1.200 Vorsitzender Helmut Blöbaum Nina Malessa Gründung München 1972 Nürnberg 1982 ("Scientology Kirche ("Scientology Kirche Deutschland e.V.") Bayern e.V.") Sitz München München (in Deutschland unselbständige Teilorganisationen) Publikationen Freiheit; Impact; Ursprung; Source u. a. Die Mitgliederzahl der SO in Bayern bewegt sich bei etwa 1.200 Personen. Staatliche Aufklärungsarbeit, Prävention und kritische Darstellungen in den Medien haben die SO und deren Ziele für die Öffentlichkeit transparent gemacht und erschweren es ihr, neue Mitglieder zu gewinnen. Mit Hilfe von Tarnorganisationen, wie z. B. der Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V. (KVPM ), der Organisation Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben oder der Organisation Der Weg zum Glücklichsein, versucht die SO weiterhin, sich als humanitäre und sozial verantwortliche Organisation darzustellen und neue Mitglieder zu gewinnen. 2. Aktionen und Aktivitäten 2.1 Ausstellung "Psychiatrie - Tod statt Hilfe" Von 22. März bis 4. April fand in München die Ausstellung "Psychiatrie - Tod statt Hilfe" statt. Dabei handelt es sich um eine Wanderausstellung der Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. (KVPM), einer Tarnorganisation der SO. Die 1972 gegründete Kommission stellt sich in der Öffentlichkeit als eine unabhängige Organisation dar, deren Ziel es sei, angebliche Missstände in der Psychiatrie aufzudecken. In der Ausstellung wird jedoch keine sachliche Kritik geäußert, sondern versucht, mit einer tendenziösen und manipulativen Darstellung Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 245 Scientology-Organisation die Besucher emotional zu erreichen. In der Darstellung der KVPM wird der Berufsstand der Psychiater allgemein für moralische Verfehlungen einzelner Berufsangehöriger verantwortlich gemacht. Es wird der Eindruck vermittelt, als sei es das Ziel des gesamten Berufsstandes, Menschen mit psychischen Problemen absichtlich zu schaden. Der Organisation geht es damit auch um eine Marktverdrängung. Sie betrachtet Psychiatrie und Psychologie und somit die meisten Psychotherapieangebote als Konkurrenz. Die KVPM-Kampagnen sollen verunsichern, um den Boden für ihre eigenen, scientologischen Lösungsansätze in Medizin und Justiz zu bereiten und damit die Grundlage für eine Expansion der SO in der Gesellschaft zu schaffen. InstrumentaIn diesem Zusammenhang instrumentalisierte die KVPM auch den lisierung des Amoklauf vom 22. Juli in München, bei dem ein 18-Jähriger 9 MenAmoklaufs vom schen und sich selbst tötete. Unter dem Motto "Psychopharmaka 22. Juli verursachen Gewalt" führte die KVPM am 4. August eine Veranstaltung am Tatort des Amoklaufs, dem Olympia-Einkaufszentrum, durch. Eine weitere Protestveranstaltung am 18. September mit dem Titel "Amoklauf durch Psychopillen" bezog sich ebenfalls auf dieses Ereignis und weitere Gewalttaten, die durch den Gebrauch von Psychopharmaka ausgelöst worden sein sollen. Die KVPM versuchte damit ihren Anspruch zu unterstreichen, die einzig richtige Methode zur Lösung psychischer Probleme zu kennen. 246 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Scientology-Organisation 2.2 Offensive Öffentlichkeitsarbeit der Tarnorganisation Der Weg zum Glücklichsein Die SO-Tarnorganisation Der Weg zum Glücklichsein ("The Way to Happiness Foundation") führte im zweiten Halbjahr 2016 eine Vielzahl von Informationsständen in der Münchner Innenstadt durch (Stand 31.12.2016: 18 Stände). Ziel war es, eine möglichst große Anzahl der gleichnamigen Broschüre "Der Weg zum Glücklichsein" zu verteilen. Aufmachung und Inhalt des Hefts sind auf den ersten Blick unverfänglich, lediglich im Impressum ist der Scientology-Gründer L. Ron Hubbard erwähnt. Transportiert werden mit der Broschüre eher triviale Vorschläge und Anleitungen zum "Glücklichsein", die scientologische Ideologie ist enthalten, aber nur schwer zu erkennen. Die SO versucht mit der Broschüre, Menschen auf vermeintlich problematische Erscheinungen oder Stimmungslagen in ihrem Leben aufmerksam zu machen und Interesse daran zu wecken, etwas daran zu ändern oder Hilfe zu suchen. Ziel ist, die Adressaten zur Kontaktaufnahme mit der Tarnorganisation zu motivieren. Sobald die Kontaktdaten vorhanden sind, können diese genutzt werden, um die Personen mittelfristig an die SO heranzuführen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 247 Scientology-Organisation 3. Organisationsstruktur Die SO ist wie ein internationaler Wirtschaftskonzern organisiert und strukturiert. Alle Einrichtungen unterliegen trotz scheinbarer Selbstständigkeit der strikten Befehlsund Disziplinargewalt des "Religious Technology Center" (RTC) in Los Angeles/USA unter der Leitung von David Miscavige, dem Nachfolger des Gründers der Scientology Organisation, L. Ron Hubbard. Kern ist der Church-Bereich, der in "Kirchen" (Org), Missionen und Celebrity Centres gegliedert ist. Dachverband in Deutschland ist die Scientology Kirche Deutschland e. V. (SKD), in Bayern existiert parallel dazu die Scientology Kirche Bayern e. V. (SKB). Sowohl die SKD als auch die SKB haben ihren Sitz in München. In München gibt es zudem ein Celebrity Centre, welches für Prominente und Künstler vorgesehen ist. Die Celebrity Centres sollen Politiker, Führungskräfte aus der Wirtschaft, Medienleute, Künstler und andere Prominente für Scientology gewinnen, um sie für Propagandazwecke nutzen zu können. 248 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Scientology-Organisation In Deutschland gibt es insgesamt acht Missionen, sechs in Baden-Württemberg sowie je eine in Bremen und Hessen. Die Mission München West wurde im Frühjahr 2015 nach Auflösung des Mietvertrages ersatzlos geschlossen. In der SO-Hierarchie stehen die Missionen unterhalb der Org, sie können nur grundlegende Dienstleistungen anbieten. Alle weltweiten Missionen stehen unter der Führung der Scientology Missions International (SMI) mit Sitz in Los Angeles/USA. Die Veröffentlichung interner Missionsranglisten soll gegenseitige Konkurrenz zwischen den Missionen erzeugen. Den besten Listenplatz erhält die Mission mit dem größten Umsatz, den meisten Neuanwerbungen oder dem höchsten Spendenaufkommen. 3.1 Finanzierung der Scientology-Organisation Die SO finanziert sich insbesondere durch die Durchführung von Golden Age of kostenpflichtigen Kursen und den Vertrieb von Kursmaterialien. Tech II Wer sich der SO anschließt, muss einen genau vorgezeichneten Trainingsweg beschreiten, um zum scientologischen Übermenschen, dem "Operierenden Thetan" (OT) zu werden. Vom ersten bis zum letzten Kurs ist mit Kosten in Höhe von mehreren hunderttausend Euro zu rechnen. Im November 2013 führte die SO eine als "Golden Age of Tech II" (GAT II) bezeichnete neue Technologie ein. Für die SO ist die Einführung der neuen Technologie ein Mittel zur Geldbeschaffung, da alle Mitglieder ihre Kurse erneuern und dafür wiederum hohe Geldbeträge investieren müssen. SO-Mitglieder reagierten teils mit Unmut und Unverständnis auf die neue Technologie und die damit einhergehende weitere finanzielle Belastung. Hinzu kommt der steigende Druck auf die Mitglieder, Spenden zu leisten. Der Spendendruck wird noch dadurch erhöht, dass die Mitglieder für die SO leicht erpressbar sind: Teil der Kurse ist das sogenannte Auditing, eine Psychotechnik, bei der Anhänger der SO sämtliche Informationen bis hin zu intimsten Details über ihr Leben preisgeben müssen. Dies macht sie für die SO zum gläsernen Menschen und damit letztendlich kompromittierbar. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 249 Scientology-Organisation 3.2 Unterorganisationen der ScientologyOrganisation Das World Institute of Scientology Enterprises (WISE) ist ein franchiseähnlicher Zusammenschluss von Unternehmen, die durch Lizenzverträge an die SO gebunden sind und nach deren Methoden arbeiten. WISE hat zum Ziel, die Wirtschaft zu unterwandern und Gewinne durch den Verkauf von SO-Management-Techniken an Unternehmen zu erwirtschaften. WISE-Unternehmen sind vor allem in der Immobilienbranche sowie in der Unternehmensund Personalberatung aktiv. Darüber hinaus versucht die SO verstärkt, Einfluss auf die IT-Branche zu gewinnen, die Zugang zu den sensibelsten Daten und Unternehmensbereichen eröffnen kann. Die SO verfügt über Management-Akademien und ein eigenes Kursprogramm für die Wirtschaft mit Seminaren zu Themen wie Motivation, Effizienz, Organisation, Kommunikation und Management nach Statistiken. Mit Hilfe der Associaton for Better Living and Education (ABLE) versucht die SO, sich auch als soziale Organisation darzustellen. Zu ABLE gehören u. a. die vermeintliche Hilfsorganisation für Drogenabhängige NARCONON und das Ausbildungsprogramm Applied Scholastics. Aus Sicht der SO sind Betroffene hier leichter zu beeinflussen und für die Lehre der SO zu gewinnen. Die KVPM-Initiative Jugend für Menschenrechte soll Jugendliche für die Themen der SO begeistern und mit aktiver Nachwuchsgewinnung sinkenden Mitgliederzahlen entgegen wirken. Geheimdienst Innerhalb des streng hierarchischen Aufbaus der SO gibt es OSA zahlreiche Überwachungseinrichtungen und einen eigenen Geheimdienst, das Office of Special Affairs (OSA). Diese sollen Informationen über Kritiker, Behördenangehörige und andere Gegner sammeln, auswerten und als Druckmittel verwenden. Die OSA-Einheit für Deutschland (Department of Special Affairs - DSA) ist zwar strukturell bei der Scientology 250 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Scientology-Organisation Kirche Deutschland e. V. angesiedelt, aber im Herbst 2012 an den Sitz der Scientology Kirche Bayern e. V. umgezogen. Hubbard sah in der OSA hauptsächlich das Ziel: "... Behörden und ...Denkmodelle oder Gesellschaften in einen Zustand völliger Übereinstimmung mit den Zielen der SO zu bringen. ... Dies geschieht durch die hochrangige Fähigkeit zur Steuerung und - falls sie nicht gegeben ist - durch die weiter unten angesiedelte Fähigkeit zur Überwältigung." (Hubbard-Anweisung vom 15. August 1960) Im Allgemeinen treten SO-Einrichtungen überwiegend offen auf bzw. versuchen nicht, ihre Verbindung zur SO zu verschleiern. Daneben bedient sich die SO allerdings auch Nebenund Tarnorganisationen, die auf den ersten Blick keinen Zusammenhang mit der SO erkennen lassen, mit denen aber Botschaften zu unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Themen transportiert werden sollen. Die SO ist in mehreren Themenfeldern mit Tarnorganisationen aktiv. Diese Felder zeichnen sich meist durch zwei Aspekte aus: Es gibt einen relativ breiten gesellschaftlichen Konsens, in den sich die SO einordnet, z. B. der Kampf gegen Drogenmissbrauch. Die SO versucht auf diese Weise an Menschen heranzukommen, die Hilfe brauchen, sich in einer Lebenskrise befinden und die damit leichter beeinflussbar sind, z. B. Drogenabhängige, psychisch Kranke, Straftäter oder Schüler mit schlechten Schulleistungen. Nachhilfeinstitute bieten zum Teil verdeckt, zum Teil aber auch offen nach scientologischen Regeln ablaufende Kurse für Kinder und Erwachsene an. Kinder werden somit schon früh in scientologische Denkweisen eingeführt. Die SO setzt bewusst auf Tarnorganisationen, um auch diejenigen erreichen zu können, die der SO zunächst ablehnend gegenüberstehen. Ziel der SO ist es, dadurch dauerhafte Kontakte zu Menschen aufzubauen, die zu einem späteren Zeitpunkt in die SO selbst und in das damit verbundene kostspielige Kurssystem eingegliedert werden können. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 251 Scientology-Organisation Sag NEIN zu Die SO-Tarnorganisation Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben, Drogen - Sag JA die in der Öffentlichkeit auch als "Verein für Drogenaufklärung" zum Leben auftritt, versucht, durch öffentliche Informationsveranstaltungen NARCONON und Kampagnen zur Drogenprävention in Kontakt mit Bürgern und vor allem Jugendlichen zu treten. Sie wird unterstützt durch die SO-Tarnorganisation NARCONON. Das Ziel von NARCONON ist es nicht, Drogenabhängigen zu helfen, sondern deren leichtere Beeinflussbarkeit auszunutzen und sie so langfristig an die SO zu binden. Tarnorganisationen der Scientology Organisation Logo Bezeichnung Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V. (KVPM) Jugend für Menschenrechte e. V. Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben e. V. Der Weg zum Glücklichsein NARCONON 252 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Scientology-Organisation SO-Einrichtungen versuchen oft, auf folgenden Wegen einen Kontaktaufnahme ersten Kontakt herzustellen: f Veranstaltungen und Info-Stände in Fußgängerzonen f Ansprechen auf der Straße mit dem Angebot, einen Persönlichkeitstest zu machen f Zusenden von Werbematerial f Angebote an Unternehmen zu Betriebsführungstechniken und Kursen zur Persönlichkeitsveränderung f Angebote auf dem Nachhilfemarkt f Kontaktaufnahmen in sozialen Netzwerken wie Facebook und YouTube Im Rahmen ihrer Ideale Org-Kampagne will die SO weltweit in Ideale Org Städten, die sie für sich als politisch und wirtschaftlich bedeutsam einschätzt, große und repräsentative Niederlassungen (Ideale Orgs) aufbauen bzw. bereits bestehende vergrößern. Diese Idealen Orgs sollen politischen Einfluss nehmen (u. a. durch Standorte in Regierungs-/Parlamentsnähe). In Deutschland existieren bislang zwei "Ideale Orgs". Die SO-Niederlassung in Berlin wurde 2007 eröffnet, seit Januar 2012 gibt es auch in Hamburg eine Ideale Org. In Stuttgart ist die Eröffnung einer Idealen Org geplant und das Gebäude bereits angekauft. Damit wurden die Vorgaben des internationalen Managements der SO erfüllt, das dieses Projekt nach wie vor als wichtigen Bestandteil seiner weltweiten Expansionsbestrebungen betrachtet. Im April 2015 wurde eine "Ideale Org" in Basel/Schweiz mit angeblich mehr als 100 Mitarbeitern eröffnet. Dieses neue Zentrum soll grenzübergreifend aktiv werden und somit den Einfluss der SO auch im süddeutschen Raum, vor allem in Baden-Württemberg, verstärken. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 253 Scientology-Organisation 4. Aussteiger Diffamierungen In der Vergangenheit haben mehrere hochrangige, beziehungsund Repressalien weise prominente SO-Mitglieder aus unterschiedlichen Motiven die SO verlassen. Zudem erschienen international mehrere Veröffentlichungen ehemaliger Scientologen über ihre Erfahrungen in der SO. Aussteiger, die sich in der Öffentlichkeit aktiv gegen die SO wenden, werden von ihr als "unterdrückerische", "antisoziale" oder "geisteskranke" Personen diffamiert und müssen mit Verfolgung, Bedrohung und Erpressung rechnen. Dabei macht die SO auch nicht vor den Angehörigen und dem persönlichen Umfeld der Betroffenen Halt. Allen Aussteigern und Betroffenen stehen bundesweit zahlreiche Institutionen und private Initiativen zur Verfügung, die Ratsuchenden eine erste pädagogisch-psychologische Beratung, Unterstützung und Krisenhilfe anbieten. Weitergehende Informationen zur SO, ein Glossar zum scientologischen Sprachgebrauch sowie die Adressen von Beratungsstellen finden sich auf den Internetseiten des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz sowie des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr. Vertrauliches Telefon Für Opfer und Aussteiger der SO sowie für Angehörige von SO-Mitgliedern unterhält das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ein vertrauliches Telefon; dort können Hinweise zur SO gegeben werden: Telefon: 089 / 31201 296 Weitere Informationen und Beratungsstellen: Broschüre Das System Scientology www.stmi.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de 254 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Scientology-Organisation Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 255 Scientology-Organisation Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Cyber-Allianz-Zentrum (CAZ) f Verstärkte Anwerbeversuche chinesischer Nachrichtendienste gegenüber deutschen Geschäftsreisenden in China f Cyberangriffe auf Mitglieder politischer deutscher Parteien durch die russische SOFACY-Gruppe f Nachrichtendienste bedienen sich zunehmend der Werkzeuge von Cyberkriminellen 256 Die Nachrichtendienste vieler Staaten haben die Aufgabe, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär anderer Länder auszuforschen. Ihr Ziel ist es, entweder die Erkenntnisse selbst zu nutzen oder die Möglichkeit zu haben, andere Staaten zu sabotieren. Dabei werden deutsche Interessen sowohl in Deutschland als auch weltweit ausspioniert. Auch elektronische Angriffe auf die Kommunikation von Regierungseinrichtungen gehören zum allgemeinen Repertoire von ausländischen Nachrichtendiensten. Politische Spionage ist auf die Außen-, Europaund Bündnispolitik sowie die Wirtschaftsund Energiepolitik Deutschlands ausgerichtet. Wie intensiv ein Staat Wirtschaftsspionage betreibt, ist abhängig von seiner eigenen wirtschaftlichen Lage. Wirtschaftlich weniger entwickelte Staaten spionieren in erster Linie Produkte und Fertigungsprozesse aus und wollen so mit möglichst geringem Aufwand an benötigtes Know-how gelangen. Wirtschaftlich hochentwickelte Staaten wollen darüber hinaus auch an strategische Informationen gelangen, um die eigene Wirtschaft im globalen Wettbewerb besser stellen zu können. Um an die Informationen zu kommen, werden Computersysteme von Behörden, Hochschulen und Wirtschaftsunternehmen zunehmend elektronisch angegriffen. Elektronische Angriffe können vielfältige Urheber und Ziele haben. Deshalb ist es unverzichtbar, im Rahmen der Prävention Abwehrmechanismen sowohl in der Politik als Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 257 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz auch in Wirtschaft und Wissenschaft zu implementieren, die unabhängig von der Herkunft des Angriffs Schutzwirkung entfalten. Spionage - vor allem Wirtschaftsspionage - verursacht in Deutschland jährlich Schäden in Milliardenhöhe und gefährdet Arbeitsplätze. Gerade auch bayerische Firmen und Hochschuleinrichtungen stehen wegen ihrer Innovationskraft in nahezu allen Branchen und Forschungsbereichen im Blickfeld ausländischer Nachrichtendienste. Besonders gefährdet sind kleine und mittelständische Firmen, die Spitzentechnologie entwickeln oder produzieren, da sich diese oft noch nicht ausreichend vor Spionageangriffen schützen. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz, das für die Spionageabwehr zuständig ist, sieht daher eine seiner wichtigsten Aufgaben im Wirtschaftsschutz. Schwerpunkt ist hier neben der Prävention die Abwehr elektronischer Angriffe, die seit Juli 2013 vom Cyber-Allianz-Zentrum Bayern (CAZ) wahrgenommen wird. Das wirksamste Mittel gegen elektronische Angriffe ist ein Know-howSchutz, der an den Schutzstrukturen möglicher Spionage-Objekte ansetzt. Neben Spionageaktivitäten bemühen sich einige Länder darum, in den Besitz von Technologien für atomare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen mit den erforderlichen Trägersystemen zu gelangen (Proliferation). 258 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz 1. Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste Viele ausländische Nachrichtendienste arbeiten getarnt in Legalresidenturen Deutschland. Unter dem Deckmantel einer offiziellen (z. B. Botschaft oder Generalkonsulat) oder halboffiziellen (z. B. Presseagentur) Vertretung unterhalten sie Legalresidenturen. Dort tarnen die Nachrichtendienste ihre Mitarbeiter z. B. als Diplomaten oder Journalisten, die entweder Informationen selbst beschaffen oder nachrichtendienstliche Operationen, die direkt aus den Heimatländern geführt werden, unterstützen. Zu den Aufgaben der Nachrichtendienstmitarbeiter gehört es auch, z. B. Messen oder Vortragsveranstaltungen zu besuchen. Dabei knüpfen sie Kontakte zu zahlreichen Gesprächspartnern mit dem Ziel, Informationen möglichst längerfristig abzuschöpfen. Beschaffungsmethoden fremder Nachrichtendienste Offene Beschaffung Konspirative Beschaffung f Auswertung offener Quellen f Einsatz menschlicher Quellen f Gesprächsabschöpfung f Einsatz technischer Mittel f Teilnahme am Wirtschaftsleben f Umgehung von Ausfuhrbeschränkungen Im März verurteilte das Oberlandesgericht München einen ehemaligen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes wegen Landesverrats und der Verletzung von Dienstgeheimnissen zu acht Jahren Haft. Zudem wurde ihm das Wahlrecht aberkannt. Der ehemalige BND-Mitarbeiter hatte jahrelang geheime Dokumente gegen Geld an den US-amerikanischen Auslandsnachrichtendienst Central Intelligence Agency (CIA) verkauft. Er hatte vor Gericht ein Geständnis abgelegt. Insbesondere im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise war in soziaEinflussnahmen len Netzwerken, Foren und den Kommentarbereichen von Onlinedurch ausländische Medien wiederholt eine auffällige Häufung einseitig prorussischer Nachrichtendienste Positionen feststellbar. Diese Aktivitäten stehen offensichtlich im Zusammenhang mit den Bemühungen russischer Nachrichtendienste, auf das Meinungsbild in Deutschland Einfluss zu nehmen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 259 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Im Januar und Februar fanden in Bayern mehrere Kundgebungen von russischstämmigen Personen statt zu Themen wie "...Asylmissbrauch nein Danke!" oder "Gegen Gewalt und Vergewaltigung". Anlass war die angebliche Vergewaltigung einer russlanddeutschen Minderjährigen am 11. Januar in Berlin, die von drei "Südländern" verschleppt, in einer Wohnung festgehalten und vergewaltigt worden sein sollte. Diese Darstellung stellte sich als frei erfunden heraus. Gleichwohl räumten russische Staatsmedien, die auch von russischstämmigen Personen in Deutschland verfolgt werden, dem Fall großen Platz in ihrer Berichterstattung ein. Den deutschen Behörden wurde Vertuschung vorgeworfen. Indem der unzutreffende Eindruck erzeugt wurde, das Mädchen sei durch Flüchtlinge vergewaltigt worden, wurde gezielt die Stimmung russischstämmiger Personen gegenüber der deutschen Flüchtlingspolitik beeinflusst. Es ist davon auszugehen, dass russische Nachrichtendienste Internetnutzer dafür bezahlen, anonym negative Kommentare über die deutsche Russlandpolitik zu verbreiten. 1.1 Russische Föderation Gesetzlicher Aufgabe russischer Nachrichtendienste ist es, neben den politiAuftrag zur Wirtschen auch die wirtschaftlichen Interessen Russlands weltweit schaftsspionage voranzutreiben. Die russische Wirtschaft profitiert in erheblichem Maß davon, dass alle russischen Nachrichtendienste gesetzlich dazu verpflichtet sind, Wirtschaftsspionage zu betreiben. Russland setzt vor allem drei Nachrichtendienste ein. Ziviler Auslandsnachrichtendienst (SWR) Der SWR ist zuständig für Spionage in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie. Darüber hinaus forscht er Ziele und Arbeitsmethoden westlicher Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden aus; dazu führt er auch elektronische Fernmeldeaufklärung durch. Zur Informationsbeschaffung setzt der SWR sog. Illegale ein, d. h. Nachrichtendienstoffiziere, die unter Verwendung falscher Identitäten langfristig in die Zielländer eingeschleust werden und dort möglichst unauffällig am sozialen Leben teilnehmen. 260 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Inlandsnachrichtendienst (FSB) Hauptaufgaben des FSB sind die zivile und militärische Spionageabwehr, er hat dazu umfangreiche Befugnisse. Auch ausländische Staatsangehörige können in das Blickfeld des FSB geraten und gezielt überwacht werden, wenn sie in Russland Internet oder Telefon nutzen. Der FSB hat Zugriff auf den Datenverkehr, der über russische Provider abgewickelt wird, und Zugang zu Datenbanken russischer Telefongesellschaften. Militärischer Auslandsnachrichtendienst (GRU) Der GRU hat die Aufgabe, das gesamte sicherheitspolitische und militärische Spektrum aufzuklären. Dazu spioniert er Bundeswehr, NATO und andere westliche Verteidigungsstrukturen genauso wie militärisch nutzbare Technologien aus. 1.2 Volksrepublik China Die Kommunistische Partei Chinas (KPC) setzt zur Stabilisierung ihres Machtanspruchs gezielt den umfangreichen Sicherheitsapparat ein. Die Nachrichtendienste sollen einen Beitrag für den Erhalt der sozialen Stabilität leisten und gleichzeitig wirtschaftliche Interessen fördern. Zur Beschaffung von Spitzentechnologie aus dem Westen setzt China auf großangelegte Spionage in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie. Chinesische Nachrichtendienste versuchen, am Hochtechnologiestandort Bayern entsprechendes Know-how insbesondere aus den Bereichen erneuerbare Energien, Elektromobilität, Umwelttechnik sowie Informationsund Militärtechnologie zu beschaffen. Hierfür nutzen sie in erster Linie Kontakte zu Vertretern von Behörden und Unternehmen oder Wissenschaftlern, um an sensible Informationen zu gelangen. Neben Nachrichtendienstmitarbeitern an Legalresidenturen setzt China zur Informationsbeschaffung auch in Deutschland lebende Chinesen ein, die sich hier als Ingenieure, Gastwissenschaftler, Praktikanten oder Studenten aufhalten. Für die Anwerbung und Abschöpfung nutzt China die Kontakte von Visumsantragstellern zu Botschaften und Konsulaten oder deren Aufenthalt im Heimatland, beispielsweise zu Verwandtschaftsbesuchen. Außerdem Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 261 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz werden deutsche Geschäftsreisende in China intensiv überwacht, insbesondere bei der Nutzung von Telefon und Internet. Dabei werden mitgeführte elektronische Datenträger offen oder verdeckt ausgespäht. Durch die Auswertung der elektronischen Datenträger gewinnen die Nachrichtendienste Erkenntnisse, die sie als Druckmittel einsetzen können, um westliche Geschäftsreisende zur Zusammenarbeit zu bewegen. Anwerbeversuche Chinesische Nachrichtendienste entwickeln Spionageaktivitäten und Überwachung nicht nur aus diplomatischen Einrichtungen heraus oder durch von Geschäftsreisende Nachrichtendienstoffiziere, die in Deutschland oder im reisenden benachbarten Ausland Treffen mit ihren Agenten durchführen. Ansprachen und Anwerbungsversuchen sind deutsche Staatsangehörige in verstärktem Maße auch in China selbst ausgesetzt. Gegenüber Bundesbürgern, die sich dort aus beruflichen Gründen aufhalten, verhalten sich chinesische Nachrichtendienstangehörige teils offensiv und versuchen unter Verwendung kompromittierenden Materials eine Zusammenarbeit zu erzwingen. Über die Gefahren für Geschäftsreisende klärt eine Broschüre des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz auf. Zur Verschleierung des nachrichtendienstlichen Hintergrunds der Ansprache werden gelegentlich auch wissenschaftliche Einrichtungen oder sogenannte Think-Tanks als Abdeckung genutzt. Nachrichtendienstlichen Anwerbungsversuchen sehen sich dabei sowohl Mitarbeiter bayerischer Hochtechnologieunternehmen wie auch Mitarbeiter internationaler Einrichtungen ausgesetzt. Der Aufstieg Chinas zu einem selbstbewussten Akteur in der internationalen Politik geht Hand in Hand mit intensivierten Aufklärungsbemühungen gegenüber interund supranationalen Organisationen, die in China vor Ort sind. "Fünf Gifte" Ein weiterer Schwerpunkt chinesischer Nachrichtendienste ist die nachdrückliche Bekämpfung oppositioneller Kräfte, von denen die Regierung eine Gefährdung der staatlichen Ordnung befürchtet. Die innere Einheit des Staates und seine territoriale Integrität sieht die Staatsführung insbesondere durch die sog. "Fünf Gifte" bedroht. Zu diesen gehören die Angehörigen der Meditationsbewegung Falun Gong und Mitglieder der Demokratiebewegung. Auch die Befürworter einer EigenstaatlichkeitTaiwans sowie die nach Unabhängigkeit strebenden Volksgruppen der Tibeter und Uiguren werden hierzu gezählt. In München ist mit dem World Uyghur Congress (WUC) die bedeutendste Organisation der Uiguren im Ausland ansässig. 262 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Ministerium für Staatssicherheit (MSS) Das chinesische MSS ist der weltweit größte zivile Inund Auslandsdienst. Hauptaufgabe des MSS ist die Auslandsspionage, in Deutschland bemüht es sich um die Informationsbeschaffung aus Wirtschaft und Politik und späht chinesische oppositionelle Gruppierungen aus. Militärischer Nachrichtendienst (MID) Die chinesischen Nachrichtendienste unterstützen das langfristig angelegte Programm Chinas zur Steigerung der militärischen Leistungsfähigkeit der Volksbefreiungsarmee. Aufgabe des MID ist es, weltweit Informationen, die die äußere Sicherheit der Volksrepublik betreffen, sowie technologisches Know-how für militärische Zwecke zu beschaffen. Zusammen mit anderen chinesischen Nachrichtendiensten bekämpft er Oppositionelle und separatistische Bewegungen im Inund Ausland. 2. Proliferation Proliferation ist die unerlaubte Weiterverbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows. Die Herstellung von Massenvernichtungswaffen und deren Verbreitung stellt eine ernsthafte Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar. Es ist zu befürchten, dass proliferationsrelevante Staaten Massenvernichtungswaffen im Fall eines bewaffneten Konflikts einsetzen oder deren Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele androhen. Beschaffungsbemühungen / Gründung von Tarnfirmen Sog. Risikostaaten wie Iran, Nordkorea, Syrien und Pakistan sind bemüht, ihr konventionelles Waffenarsenal durch die Herstellung von Massenvernichtungswaffen zu ergänzen. Um sich das dafür notwendige Know-how und entsprechende Bauteile zu beschaffen, versuchen diese Staaten Geschäftskontakte zu Unternehmen in den hochtechnologisierten Ländern wie Deutschland herzustellen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 263 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Iranisches Zwischen der internationalen Staatengemeinschaft und dem Nuklearprogramm Iran wurden die Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm am 14. Juli 2015 mit der Verabschiedung des "Joint Comprehensive Plan of Action" abgeschlossen. Der Iran stimmte darin erheblichen Beschränkungen und Kontrollen seines Nuklearprogramms zu. Im Gegenzug wurde vereinbart, die wegen des Nuklearprogramms verhängten Sanktionen schrittweise aufzuheben. Es bleibt abzuwarten, ob das mit dem Iran abgeschlossene Atomabkommen zu einem dauerhaften Rückgang der bislang intensiven iranischen Beschaffungsaktivitäten führt. Die strenge Gesetzgebung und die wirksamen Exportkontrollen in Deutschland setzen der Beschaffung einschlägiger Güter hohe Hürden. Risikostaaten verändern deshalb ständig ihre Beschaffungsmethoden, um geltende Exportkontrollverfahren zu umgehen und deutsche Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen zu täuschen. Dazu gründen sie in Deutschland häufig Tarnfirmen, versenden die Produkte über unkritische Drittländer oder machen falsche Angaben gegenüber dem Hersteller oder Händler. So minimieren sie das Risiko, dass die illegale Ausfuhr aufgedeckt wird und umgehen die Verhängung eines Ausfuhrverbotes. Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit der Wirtschaft Bayern ist als Hochtechnologiestandort weltweit führend. Die Beschaffungsbemühungen der Proliferationsstaaten richten sich insbesondere auf mittelständische Unternehmen und Universitäten. Um Proliferation zu verhindern, arbeitet das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz daher eng mit Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Es informiert in Vorträgen und Sensibilisierungsgesprächen proliferationsgefährdete Unternehmen über die Gefahren einer möglichen Weitergabe von kritischen Technologien und unterstützt mit individuellen Maßnahmen bei Verdachtsfällen. Dadurch konnten bereits verschiedene Beschaffungsbemühungen unterbunden werden. Proliferation So erhielt das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz verhindert einen Hinweis, wonach eine bayerische Firma in den Blickpunkt pakistanischer Beschaffungsbemühungen geraten sei. Dieses bayerische Unternehmen war auf einer Messe in Dubai von einer pakistanischen Firma um ein Angebot für ein proliferati264 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz onsrelevantes Produkt gebeten worden. Die bei der Ausfuhr von Rüstungsgütern vorgeschriebene Endverbleibserklärung wies jedoch einen anderen Endabnehmer aus. Dadurch war erkennbar, dass es sich bei dem als Geschäftspartner auftretenden Unternehmen lediglich um eine Tarnfirma handelte, mutmaßlich im Auftrag pakistanischer staatlicher Stellen. Aufgrund der vertraulichen Zusammenarbeit des bayerischen Unternehmens mit dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz konnte somit die Lieferung an einen problematischen Endempfänger in Pakistan verhindert werden. Durch die vertrauliche Kooperation mit der Firma konnte der Verfassungsschutz wichtige Informationen über konspirative Beschaffungsstrukturen gewinnen. Das Beispiel zeigt, dass Lieferwege und Zahlungswege häufig unabhängig voneinander gestaltet und durch mehrere Zwischenadressen verschleiert werden, um dadurch nachrichtendienstliche Ermittlungen zu erschweren. Der Verfassungsschutz registriert immer wieder Fälle, in denen Risikostaaten eine internationale Zusammenarbeit im Bereich von Wissenschaft und Forschung zu missbrauchen versuchen, um sich proliferationsrelevantes Know-how zu verschaffen. Dabei stehen vor allem Universitäten, Hochschulen, wissenschaftliche Institute, Forschungsgesellschaften sowie Forschungsabteilungen und Schulungsbereiche der Industrie im Fokus. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 265 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz 3. Wirtschaftsschutz Spionage verursacht in Deutschland jährlich einen Schaden in Milliardenhöhe. Nach wie vor sind sich nicht alle Unternehmen dieser Gefahr bewusst. Im Rahmen seiner Spionageabwehr ist es dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz daher besonders wichtig, bayerische Unternehmen sowie Hochschulen zu informieren, zu sensibilisieren und zu beraten. Es bietet rund um die Themen Proliferation, Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage kostenfreie Serviceleistungen an, von vertraulichen Gesprächen in Firmen und Hochschulen bis hin zu Vorträgen anlässlich fachspezifischer Informationsveranstaltungen. Seit 2010 besteht die "Initiative Wirtschaftsschutz" des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr mit dem Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie. Im Rahmen dieses gemeinsamen Engagements unter dem Motto "Wirtschaftsschutz ist Wirtschaftsförderung" konnten im Jahr 2016 mehrere Informationsveranstaltungen durchgeführt werden. Auch auf der Computerfachmesse CeBIT in Hannover und der IT-Sicherheitsmesse it-sa in Nürnberg war die Initiative Wirtschaftsschutz mit einem Info-Stand vertreten. Initiative Das Informationsportal www.wirtschaftsschutz.bayern.de wird Wirtschaftsschutz vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz ebenfalls im mobil erreichbar Rahmen dieser Initiative betrieben. Der Besucher betritt dort ein virtuelles Unternehmen, in dem er das gesamte Beratungsangebot sowie weitere Publikationen und Links rund um das Thema "Know-how-Schutz" findet. Das Portal richtet sich insbesondere an Mitarbeiter, Sicherheitsoder IT-Verantwortliche und Führungskräfte bayerischer Unternehmen und eignet sich auch zur firmeninternen Sensibilisierung. 2016 wurde es für die Nutzung auf mobilen Endgeräten weiterentwickelt. 266 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Risiken sozialer Netzwerke für die Unternehmenssicherheit beleuchtet eine Broschüre, die das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz gemeinsam mit der Hochschule Augsburg herausgegeben hat. Die erste Auflage war im Jahr 2012 erschienen. 2016 wurde eine grundlegend überarbeitete und aktualisierte Neuauflage vorgestellt. Die Broschüre erläutert, wie elektronische Angriffe unter Nutzung sozialer Netzwerke ablaufen und wie man sich dagegen schützen kann. Enthalten sind Hinweise auf geeignete Social-Media-Guidelines und Tipps, wie jedes Unternehmen individuell passende, eigene Regelungen schaffen, umsetzen und evaluieren kann. Unternehmen, die im Zusammenhang mit Aufträgen des Bundes oder eines Landes Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen Informationen (Verschlusssachen) haben, unterliegen der sog. "Geheimschutzbetreuung". Diese stellt den einheitlichen Schutz von Verschlusssachen auch in Wirtschaftsunternehmen sicher. Ansprechpartner für alle geheimschutzbetreuten Unternehmen, die ihren Sitz in Bayern haben, ist das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Ziel der Geheimschutzbetreuung ist es, nicht nur nachrichtendienstliche Angriffe zu erkennen und abzuwehren, sondern ihnen durch gezielte Maßnahmen präventiv entgegenzuwirken. Die Kontakte zu geheimschutzbetreuten Unternehmen sind ein wertvolles Netzwerk für die präventive Spionageabwehr. In mehreren Fällen ist es bereits gelungen, durch Hinweise geheimschutzbetreuter Unternehmen elektronische Angriffsmuster zu erkennen. Dadurch konnten andere möglicherweise ebenfalls betroffene Unternehmen frühzeitig informiert werden. Auf Bundesebene wurden im Laufe des Jahres mehrere Maßnahmen im Rahmen der "Nationalen Wirtschaftsschutz-Strategie" umgesetzt. Bereits 2013 hatten sich das Bundesinnenministerium, die Bundesvereinigung der Deutschen Industrie (BDI) und der Deutsche Industrie und Handelskammertag (DIHK) darauf verständigt, gemeinsam einen zukunftsweisenden Wirtschaftsschutz auszugestalten. Die von den Sicherheitsbehörden und der deutschen Wirtschaft angestoßenen Aktivitäten sollten vernetzt, abgestimmt und harmonisiert werden. Im Vordergrund aller Maßnahmen stehen Information, Sensibilisierung sowie Prävention. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 267 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Um die deutsche Wirtschaft besser vor Angriffen auf ihre Unternehmenswerte zu schützen, stellte der Bundesinnenminister im April die "Initiative Wirtschaftsschutz" vor. Darin arbeiten Akteure aus Staat und Wirtschaft unter dem Leitbild "Gemeinsam.Werte. Schützen" partnerschaftlich zusammen. Als Anker-Projekt der Initiative fungiert das Informationsportal Wirtschaftsschutz. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz unterstützt die Initiative Wirtschaftsschutz durch aktuelle Beiträge und praxisorientierte Handlungsempfehlungen. 4. Cyber-Allianz-Zentrum Bayern (CAZ) Die IT-Vernetzung der Gesellschaft nimmt immer weiter zu. Elektronische Angriffe werden für fremde Nachrichtendienste dadurch immer attraktiver: Sie sind relativ einfach und kostengünstig zu realisieren, bergen ein geringes Entdeckungsrisiko und haben eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit. Seit dem 1. Juli 2013 unterstützt das CAZ im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz Unternehmen sowie Betreiber kritischer Infrastruktur (KRITIS) bei der Prävention und Abwehr elektronischer Angriffe. Elektronische Angriffe sind gezielte Maßnahmen mit und gegen IT-Infrastrukturen zur Informationsbeschaffung (Cyber-Spionage) oder Schädigung (Cyber-Sabotage). Sie können sowohl über das Internet als auch über manipulierte Datenträger erfolgen. Den Angriffen geht häufig ein "social engineering" insbesondere in 268 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz sozialen Netzwerken voraus. Dabei werden mögliche Opfer ausgeforscht, dann geeignete Personen ausgewählt und schließlich gezielt angegriffen. Bei konkreten Vorfällen berät das CAZ gemeinsam mit den Beratung und betroffenen Wirtschaftsunternehmen vertraulich über das weiInformation tere Vorgehen. Die Ergebnisse werden im CAZ gesammelt und intern weiterverarbeitet; neben dem betroffenen Unternehmen erhalten auch andere möglicherweise von einem ähnlichen Angriff betroffene Unternehmen Informationen zu den erkannten Angriffsmustern - selbstverständlich in anonymisierter Form. Dadurch können Schutzmechanismen optimiert und Angriffe wirksam abgewehrt werden. Diese Warnmeldungen werden von bayerischen Unternehmen sowie auch zunehmend von solchen außerhalb Bayerns verstärkt nachgefragt. Das CAZ gliedert sich in die drei Säulen: f forensisch-technische Analyse f nachrichtendienstliche Bewertung f Kommunikation und Netzwerkbildung Von der Wirtschaft gemeldete Vorfälle, bei denen es Anhaltspunkte für einen gezielten Angriff gibt, werden zunächst aus forensisch-technischer Sicht bewertet. Gleiches gilt für gezielte Angriffe auf staatliche Stellen, die ebenfalls im CAZ analysiert werden. Die technischen Ergebnisse der Analysen fließen weiter in die zweite Säule des CAZ, in der eine nachrichtendienstliche Bewertung stattfindet. Ausländische Nachrichtendienste passen ihre Instrumente immer Übernahme von wieder an aktuelle technische und gesellschaftliche Entwicklungen Techniken der an, um mit möglichst geringem Aufwand einen maximalen Effekt zu Cyberkriminalität erzielen. In den letzten Monaten war feststellbar, dass ausländische Nachrichtendienste zunehmend Werkzeuge und Angriffsmethoden einsetzen, die aus der Cyberkriminalität bekannt sind, und zwar sowohl mit dem Ziel der Spionage wie auch der Sabotage. Die Werkzeuge der Cyberkriminellen sind bereits technisch entwickelt und damit kostengünstig und tragen zudem mit zur Verschleierung nachrichtendienstlicher Aktivitäten bei, weil die Angriffsmuster zunächst nicht auf einen nachrichtendienstlichen Hintergrund schließen lassen. Insbesondere die Nachrichtendienste Chinas und Russlands bedienen sich mutmaßlich solcher Praktiken. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 269 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz SOFACY-Gruppe Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat seit 2015 die sogenannte SOFACY-Gruppe intensiv beobachtet und nachrichtendienstliche Bezüge mit russischem Hintergrund herausgearbeitet. Der Generalbundesanwalt hat daraufhin das Bundeskriminalamt mit Ermittlungen gegen die SOFACYGruppe beauftragt, um konkrete Erkenntnisse hinsichtlich möglicher deutscher Betroffener aufzuklären. Das CAZ hat im Rahmen seiner Maßnahmen auch Kontakt mit Unternehmen und Hochschulen in Bayern aufgenommen und über die möglichen elektronischen Angriffe informiert. Die SOFACY-Gruppe fällt seit 2009 wiederholt durch gezielte Spionageangriffe auf. Opfer waren bislang überwiegend Militärattaches, Verteidigungsministerien, Militärangehörige, Polizeimissionen im Ausland (ISAF, KFOR), Forschungseinrichtungen sowie Rüstungsund Energieunternehmen. 2016 wurden zudem zwei Spear-Phishing-Wellen auf Mitglieder politischer Parteien bekannt, die der SOFACY-Gruppe zugeordnet werden. Strukturreform China hat eine Strukturreform der chinesischen Volksbefreider chinesischen ungsarmee auf den Weg gebracht. Die hiermit verbundenen VolksbefreiungsÄnderungen werden Einfluss auf die Aktivitäten des chinesischen armee Militärs im Bereich der elektronischen Spionage haben. Durch die Konsolidierung der chinesischen Cyber-Einheiten ist mit einer weiteren Professionalisierung elektronischer Angriffe auf deutsche Unternehmen, Hochschulen und Behörden zu rechnen. Hinweise auf eine neue Angriffsmethode, die mutmaßlich von chinesischen Nachrichtendiensten genutzt wird, ergab die Analyse einer zuvor nicht bekannten Schadsoftware durch das CAZ. Die Schadsoftware wurde auf einem Unternehmensserver entdeckt und nutzt zur Verschleierung des Rückkanalweges einen seltenen Chat-Client. Zur Erfüllung seiner Aufgaben arbeitet das CAZ eng mit weiteren Einrichtungen zusammen. Auf Bundesebene sind das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wichtige Partner. Das CAZ gehört seit seiner Gründung als Institution im besonderen staatlichen Interesse (INSI) der Nationalen Allianz für Cyber-Sicherheit an und ist damit Bestandteil der deutschen Sicherheitsarchitektur. 270 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Auf Landesebene ist das CAZ ein wichtiger Baustein der "Initiative Cybersicherheit", die 2013 im Rahmen der Bayerischen Cybersicherheitsstrategie ins Leben gerufen wurde. Weitere institutionelle Säulen der "Initiative Cybersicherheit" sind das Sachgebiet Cybersicherheit beim Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr sowie das Dezernat 54-Cybercrime im Bayerischen Landeskriminalamt. Das CAZ unterhält Kontakte zu den Cybercrime-Schwerpunktdienststellen München und Nürnberg. Außerdem findet ein Austausch mit dem Computer Emergency Response Team (Bayern-CERT) am Bayerischen Landesamt für Finanzen statt, das den Teilnehmern des Bayerischen Behördennetzes als zentrale Anlaufstelle bei akuten Sicherheitsproblemen dient. Eine enge Zusammenarbeit verbindet das CAZ mit den Industrieund Handelskammern (IHK) sowie mit den Wirtschaftsverbänden. Auch in den Hochschulbereich bestehen vielfältige Kontakte. Wirtschaftsschutz und Cyber-Allianz-Zentrum Bayern Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz Knorrstraße 139, 80937 München caz@lfv.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de Telefon: 089 / 31201 222 wirtschaftsschutz@lfv.bayern.de www.wirtschaftsschutz.bayern.de Telefon: 089 / 31201 500 Die im April 2016 veröffentlichte Broschüre "Bayern im Netz - aber sicher!" des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr sensibilisiert Bürger und Unternehmen über die Risiken im Cyberraum, wirbt für Maßnahmen zum Selbstschutz und informiert über wichtige Ansprechpartner. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 271 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Organisierte Kriminalität (OK) f Rockerähnliche Gruppierungen haben in Bayern weiterhin Zulauf f Expansionsbestrebungen führen zu erhöhtem Konfliktpotenzial f Mitgliedertreffen des Osmanen Germania BC 157 in Lindau am Bodensee 272 Organisierte Kriminalität (OK) liegt vor, wenn mehrere Personen planmäßig erhebliche Straftaten begehen, um Gewinne zu erzielen oder Macht zu erlangen. Dazu wenden sie Gewalt an, nutzen geschäftsähnliche Strukturen oder versuchen, Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft zu manipulieren (vgl. Art. 4 Abs. 2 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz). Durch die OK wird allein in Deutschland seit Jahren ein Schaden in Milliardenhöhe verursacht. Drahtzieher der OK bedrohen die Grundlagen unserer Gesellschaft, indem sie die Macht einer kriminellen Organisation durch Gewalt, Geld und massive Einflussnahme durchsetzen wollen. In Bayern ist seit 1994 der Verfassungsschutz für die Beobachtung der OK zuständig, um deren Aktivitäten bereits in einem früheren Stadium zu beobachten als dies durch Polizei und Staatsanwaltschaft möglich ist. Dadurch wurde eine wichtige Lücke im Kampf gegen die OK geschlossen. Personen, die der OK angehören oder sich in deren Umfeld bewegen, verhalten sich unauffällig und konspirativ. Die Aufklärung dieser Strukturen setzt daher eine systematische und langfristig angelegte Beobachtung voraus. Um möglichst schon im Vorfeld von Straftaten an das entscheidende "Insiderwissen" zu gelangen, können erforderlichenfalls nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Strukturermittlungen schaffen Grundlagen für polizeiliche Verfahren und können laufende Ermittlungen unterstützen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 273 Organisierte Kriminalität Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz arbeitet eng mit den OK-Dienststellen der Polizei zusammen und kooperiert aufgrund der international vernetzten OK-Strukturen mit Sicherheitsbehörden über Landesbzw. Staatsgrenzen hinweg. Innerhalb einer Arbeitsgruppe der europäischen Inlandsnachrichtendienste hat Bayern die Koordinierungsfunktion für Deutschland und ist zentraler Ansprechpartner für ausländische Nachrichtendienste. 274 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Organisierte Kriminalität 1. Rockerkriminalität Rockerkriminalität umfasst alle Straftaten von einzelnen oder mehreren Mitgliedern einer Rockergruppe, deren Tatmotivation im direkten Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und der Solidarität zu ihr zu sehen ist. 1.1 Allgemeines Mit der von den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden eingeOutlaw Motorcycle führten Bezeichnung "Outlaw Motorcycle Gang" (OMCG) werden Gang (OMCG) weltweit die polizeilich bedeutsamen Rockergruppierungen von der breiten Masse der Motorradclubs (MCs) abgegrenzt, die zwar im Einzelfall auch kriminelle Aktivitäten verfolgen können, diese aber nicht als Hauptmotivation ihrer Existenz verstehen. Neben der Betätigung auf verschiedenen Feldern der OK stellen gemeinsame Motorradausfahrten nach wie vor einen wichtigen Bestandteil des Clublebens in OMCGs dar. Diese Ausfahrten - sogenannte "Rides" - führen teils über Landesgrenzen hinweg und dienen somit auch der internationalen Vernetzung der Clubs. Aktuell werden deutschlandweit der Hells Angels MC, Bandidos MC, Outlaws MC, Gremium MC, Mongols MC und der Rock Machine MC den OMCGs zugeordnet. In Bayern tritt zudem derTrust MC auf. Die deutschenTeilorganisationen des hauptsächlich in den Niederlanden und den angrenzenden deutschen Bundesländern, aber auch in Bayern vertretenen Satudarah Maluku MC wurde vom Bundesministerium des Innern Anfang 2015 deutschlandweit verboten und dieTätigkeit des niederländischen Vereins in Deutschland untersagt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 275 Organisierte Kriminalität Rockerähnliche Neben den OMCGs drängen bundesweit Gruppierungen wie die Gruppierungen United Tribuns, der Osmanen Germania BC und die Black Jackets in die Betätigungsfelder der etablierten Clubs. Sie ähneln den klassischen Rockergruppierungen in ihrem martialischen Auftreten, der strengen Hierarchie und dem abgeschotteten Gruppenverhalten. Motorräder spielen für rockerähnliche Gruppierungen zumeist keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Wichtige "1-Prozenter" Szenebegriffe Die OMCGs bezeichnen sich selbst als "1-Prozenter". Darunter versteht man Biker (Motorradfahrer), die sich selbst als Outlaws (Gesetzlose) sehen und das bestehende Rechtssystem ablehnen. Auch in Bayern begehen Mitglieder dieser OMCGs typische OKDelikte wie Rauschgifthandel, Bedrohung oder Körperverletzung. "Colour" Unter dem "Colour" wird das von den jeweiligen Gruppierungen getragene Rückenabzeichen verstanden, das sich in drei Teile aufgliedert. Über dem Club-Logo, das mittig angebracht ist, befindet sich der "Top-Rocker", der Name der Gruppierung. Der "Bottom-Rocker", der Ort oder die Region, wo die Gruppierung zu finden ist, befindet sich am unteren Ende. "Chapter/Charter" Die jeweiligen Ortsgruppen werden von OMCGs und rockerähnlichen Gruppierungen in der Regel als "Chapter" bezeichnet, nur die Hells Angels sprechen von "Chartern". Personenpotenzial Das Personenpotenzial der bayerischen Rockerszene ist gegenüber 2015 (ca. 1.500 Personen) leicht angewachsen. Derzeit werden ca. 1.600 Personen den vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz beobachteten Rockerclubs und rockerähnlichen Gruppierungen zugerechnet. 276 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Organisierte Kriminalität Insbesondere bei den rockerähnlichen Gruppierungen können zeitweise schnell anwachsende Mitgliederzahlen beobachtet werden, wobei es sich dabei nur selten um stabile Entwicklungsprozesse handelt. Die starke Fluktuation ist ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu den etablierten Clubs. Auffällig ist für rockerähnliche Gruppierungen zudem ein hoher Anteil von jungen Männern mit Migrationshintergrund, die oftmals aus der Boxsport-, Freefightoder Bodybuildingszene stammen. 1.2 Bayerische OMCGs Hells Angels MC In Bayern gibt es derzeit Hells Angels-Charter in Hof, Nürnberg und Traunstein sowie drei Charter im Großraum München: "Munich City", "Deep South" und "Allershausen". Als Unterstützergruppierungen (sog. "Supporter") des Hells Angels MC sind in Bayern der Red Devils MC, das Regiment 81 Red Devils MC und der Blood Red Section MC aktiv. Charter des Red Devils MC Regiment 81 bestehen in Ansbach und Lindau, das Regiment 81 unterstützt Blood Red den Hells Angels MC in Traunstein. Der Hells Angels MC Hof City Section MC kann auf die Unterstützung von mittlerweile 9 Chartern des Blood Red Section MC zurückgreifen, davon allein 7 im Großraum Hof. Anfang 2016 kam das "Prospectcharter Hof County" neu hinzu. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 277 Organisierte Kriminalität Bandidos MC Die Bandidos verfügen in Bayern über Chapter in Allersberg, Bad Königshofen, Bamberg, Bogen, Deggendorf, Ingolstadt, München, Nürnberg, Passau, Starnberg und Weiden. Alle Chapter haben mittlerweile eigene Supportergruppierungen. Zapata MC Die Chapter Nürnberg und Allersberg werden vom Zapata MC, Mexican Rebels das Chapter Weiden von den Mexican Rebels und alle anderen Gringos MC von Chaptern der Supportergruppierung Gringos unterstützt. Der Gringos MC Deggendorf, der seit 2011 aufgelöst war, wurde zwischenzeitlich wieder eröffnet. Darüber hinaus gibt es Gringos-Chapter in Bad Tölz, im Allgäu, in Vilshofen sowie in Ulm (Baden-Württemberg). Im April 2015 war es in Neustadt an der Waldnaab zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Angehörigen des Bandidos MC Weiden und Mitgliedern der Blood Red Section New City (Neustadt an der Waldnaab), einer Supportergruppierung des Hells Angels MC, gekommen. Dabei erlitt ein Mitglied der Blood Red Section schwere Kopfverletzungen mit Spätfolgen. Sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im ersten Gerichtsverfahren im Dezember 2015 verhielten sich die Beteiligten beider Gruppierungen zunächst unkooperativ und verweigerten die Aussage. In der späteren Berufungsverhandlung im Mai 2016 räumten die Täter den Angriff hingegen uneingeschränkt ein und entgingen somit einer Haftstrafe. Die Strafen von jeweils 12 Monaten wurden stattdessen zur Bewährung ausgesetzt. Zudem mussten die beiden Täter 4.000 Euro zur Wiedergutmachung an den Geschädigten zahlen. Gremium MC Die Sektion Deutschland des Gremium MC gründete sich 1972 in Mannheim und ist mit über 80 Chaptern bundesweit der älteste und größte OMCG. Zudem zählt der Gremium MC zu den größten OMCGs weltweit. Oftmals werden für den Gremium MC auch der Begriff "Black Seven" und die Zahl 7 verwendet, da das Wort "Gremium" aus sieben Buchstaben besteht und das "G" der siebte Buchstabe im Alphabet ist. In Bayern gibt es 11 Chapter und diverse Unterstützergruppierungen. 278 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Organisierte Kriminalität Trust MC Im Lauf des Jahres konnte beim Trust MC festgestellt werden, dass sowohl die Mitglieder an ihren "Kutten" das 1-Prozenter Patch nicht mehr tragen, als auch auf der Homepage des Clubs dieses Zeichen nicht mehr zu sehen ist. Hintergrund könnte sein, dass der Trust MC nicht mehr unter die OMCG-Definition mit all ihren rechtlichen Konsequenzen fallen will. 1.3. Bayerische rockerähnliche Gruppierungen United Tribuns Die seit 2004 bestehenden United Tribuns haben im Jahr 2016 mit drei weiteren Chaptergründungen in Deutschland ihren Expansionswillen untermauert. Somit bestehen mittlerweile ca. 30 Chapter in fünf Ländern (Deutschland, Italien, Österreich, Türkei und Bosnien-Herzegowina). In Bayern existieren derzeit acht Chapter der United Tribuns in den Regionen Augsburg, Ingolstadt, München, Nürnberg, Passau, Regensburg, Rosenheim und Ulm/Neu-Ulm. Seit Oktober gibt es zudem ein Probechapter in Würzburg. Der Gründer, ein Ex-Boxer, führt die Gruppe von seinem Heimatland Bosnien aus. Die Mitglieder sind sowohl im Securityund Türsteherbereich als auch im Rotlichtmilieu zu finden. Aufgrund von Gebietsstreitigkeiten mit anderen OMCGs oder rockerähnlichen Gruppen kommt es immer wieder zu gewalttätigen Konflikten. Osmanen Germania Ende 2014 gründete sich in Hessen die rockerähnliche Gruppierung Osmanen Germania BC. Die meist türkischstämmigen Mitglieder rekrutieren sich hauptsächlich aus der Boxsportszene. Abweichend von anderen Rockergruppierungen spielen Motorräder keine Rolle. Der Osmanen Germania BC definiert sich selbst als Boxclub. Betätigungsfeld ist die Türsteher-, Kampfsportund Rotlichtszene. Die politisch-ideologische Ausrichtung des Osmanen Germania BC ist als türkisch-nationalistisch zu bewerten. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 279 Organisierte Kriminalität Aufgrund interner Auseinandersetzungen spaltete sich die Gruppierung im Mai 2015 in den Osmanen Germania BC 157 und den Osmanen BC Frankfurt 156 (Die Zahlen beziehen sich jeweils auf den 6. = "F" bzw. 7. = "G" und 15. Buchstaben = "O" des Alphabets). Im Anschluss an die Aufspaltung expandierte der Osmanen Germania BC 157 bundesund europaweit. Der Sitz des World Chapter befindet sich in Dietzenbach, Hessen. In Bayern gibt es Ableger beider Gruppierungen. Die Szene befindet sich allerdings in einem ständigen Wechsel, so löste sich z. B. ein in München bestehendes Chapter des Osmanen Germania BC 157 im März auf. Am 6. März veranstaltete der Osmanen Germania BC 157 sein weltweites Mitgliedertreffen in Lindau am Bodensee. Die rund 300 Teilnehmer kamen aus ganz Deutschland und aus angrenzenden Ländern. Die Polizei führte umfangreiche Anfahrtskontrollen durch und leitete in vier Fällen Strafverfahren wegen Verstößen nach dem Betäubungsmittelbzw. Arzneimittelgesetz ein. Zudem wurden drei verbotenerweise mitgeführte Einhandmesser aufgefunden. Weitere Messer, Quarzhandschuhe sowie ein Schlagstock wurden sichergestellt. ExekutivmaßSeit April 2016 führt das Hessische Landeskriminalamt intensive nahmen und Ermittlungen gegen den Osmanen Germania BC 157 wegen Strafverfahren des Verdachts der Verabredung zu Verbrechen, des illegalen Waffenhandels sowie weiterer schwerwiegender Straftaten. Sachleitend ist die Staatsanwaltschaft Darmstadt. Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens erfolgte im November eine groß angelegte Durchsuchungsaktion gegen den Osmanen Germania BC 157. Mehrere Objekte in Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg und Bayern wurden von der Polizei durchsucht. Dabei wurden mehrere Schusswaffen, Munition, Betäubungsmittel und Speichermedien beschlagnahmt. 280 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Organisierte Kriminalität 1.4. Gefährdungslage Bund/Bayern Die Ausbreitung rockerähnlicher Gruppierungen im gesamten Konfliktpotenzial Bundesgebiet und deren Eindringen in die klassischen Betätisteigt gungsfelder der etablierten OMCGs schafft zusätzliche Konfliktlinien innerhalb der Rockerszene. Konflikte bestehen sowohl zwischen etablierten und neuen Gruppierungen als auch unter rockerähnlichen Gruppierungen selbst. Zudem gibt es zwischen den etablierten OMCGs nach wie vor Auseinandersetzungen. Die Konflikte in der Rockerszene werden teils unter massiver Gewaltanwendung und der Verwendung von Schusswaffen ausgetragen. f In Hamburg trafen Anfang 2016 die OMCGs Hells Angels MC und Mongols MC mehrmals aufeinander. Der Hells Angels MC beansprucht dort die Vormachtstellung auf der Reeperbahn. Der Konflikt der beiden Gruppierungen wurde mit massiver Gewalt und Schusswaffen ausgetragen. Nach zahlreichen Maßnahmen der Polizeiund Sicherheitsbehörden löste sich der Mongols MC in Hamburg selbst auf. Der damalige Präsident des Hamburger Chapters des Mongols MC, der mit Haftbefehl gesucht wurde, konnte im Juli in Nürnberg festgenommen werden. Ihm werden Verstöße nach dem Waffenund Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen. f In Hessen geraten seit 2014 verschiedene Charter des Hells Angels MC aneinander. Im Mai wurden zwei Männer durch Schüsse von Angehörigen des Hells Angels MC in Frankfurt schwer verletzt. Der Präsident des Hells Angels MC Giessen wurde Anfang Oktober erschossen vor dem Clubhaus in Wißmar aufgefunden. f Im April trafen in Baden-Württemberg (Heidenheim) Mitglieder der rockerähnlichen Gruppierungen United Tribuns Ulm und Black Jackets Riverside (Ulm) aufeinander. Eine verbale Auseinandersetzung und darauffolgende Schlägerei endete in einer Schießerei, an deren Folgen der Vizepräsident der United Tribuns Ulm verstarb. Ein weiteres Mitglied der United Tribuns wurde schwer verletzt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 281 Organisierte Kriminalität f In Sachsen (Leipzig) eskalierte am 25. Juni eine Konfliktsituation zwischen Hells Angels und United Tribuns in einer Schießerei; dabei verstarb ein Angehöriger der United Tribuns. f In Bayern treten v. a. im Raum Oberfranken vermehrt Spannungen zwischen dem Gremium MC und den Hells Angels auf. Dort verfügt der Gremium MC über das Chapter Gremium MC Frankonia und verschiedene Supportergruppierungen. Zu letzteren zählen die Black Legion MC Frankonia (entstanden aus Black Legion MC Kronach und Black Legion MC Lichtenfels). Zugleich ist der Hells Angels MC mit dem Charter Hells Angels MC Hof City in der Region vertreten. Der Hells Angels MC Hof ist 2009 aus einem Übertritt des damaligen Gremium MC Hof entstanden. Seitdem besteht ein latentes Spannungsfeld zwischen diesen beiden Gruppierungen, das sich seit Ende April verschärft hat. 1.5. Phänomenübergreifende Aspekte 1.5.1 Verbindungen von Rockern in die rechtsextremistische Szene Punktuelle KonDas Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz verfolgt auch takte zur rechtsweiterhin mögliche Verbindungen zwischen Rockern und Rechtsextremistischen extremisten. Eine dafür im Mai 2012 eingerichtete Arbeitsgruppe, Szene die an der Schnittstelle zwischen den Fachbereichen Organisierte Kriminalität und Rechtsextremismus angesiedelt ist, stellte bis jetzt keine strukturierte Zusammenarbeit und ideologische Annäherung beider Szenen in Bayern fest. Ungeachtet dessen bestehen aber punktuell personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene, die zumeist auf geschäftliche Interessen oder persönliche Beziehungen zurückgehen. Teilweise handelt es sich dabei um Personen, die Führungspositionen in rechtsextremistischen Parteien und Gruppierungen einnehmen bzw. im rechtsextremistischen Versandhandel tätig sind. 282 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Organisierte Kriminalität Sascha Roßmüller ist nach seiner Haftentlassung im März 2015 wieder bei der NPD tätig und als ehemaliges Mitglied des Bandidos MC Regensburg dem Bandidos MC Bogen zuzurechnen. Beim Gringos MC Bogen ist zudem ein weiterer niederbayerischer NPD-Funktionär aktiv. In letzter Zeit kam es in Bayern innerhalb der OMCG-Szene vermehrt zu Kontakten und Annäherungen einzelner Rocker zur rechtsextremistischen Szene. So konnten unter anderem bei mehreren Personen Tätowierungen festgestellt werden, die eindeutig rechtsextremistische Bezüge aufweisen. Dagegen bleibt die Anzahl der Personen, die sich aktiv in beiden Szenen bewegen, gering. 1.5.2 Rocker und Waffenerlaubnisse Personen aus der Rockerszene und der rechtsextremistischen Szene zu identifizieren, die Sicherheitsunternehmen betreiben oder in diesem Bereich arbeiten, ist ein weiteres wichtiges Ziel der im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz bestehenden Arbeitsgruppe an der Schnittstelle zwischen den Fachbereichen Organisierte Kriminalität und Rechtsextremismus. In enger Zusammenarbeit mit der Polizei und weiteren Sicherheitsbehörden wird dadurch dem legalen Waffenbesitz solcher Unternehmen bzw. von deren Mitarbeitern entgegengewirkt. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschied im Januar 2015, dass bereits die Zugehörigkeit zu einer OMCG die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit begründet und bestätigte damit die Rechtsauffassung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr entgegen den Vorinstanzen. Auch bereits erteilte waffenrechtliche Erlaubnisse sind daher zu widerrufen, selbst wenn keine sonstigen Tatsachen für die Unzuverlässigkeit der betroffenen Person sprechen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 283 Organisierte Kriminalität 2. OK aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) In der GUS hat sich eine Vielzahl ethnisch geprägter krimineller Gruppierungen etabliert. Sie sind international vernetzt und begehen vor allem Straftaten in den Bereichen Eigentumskriminalität, Rauschgiftund Waffenhandel, Schmuggel, Schutzgelderpressung sowie Geldwäsche. Diebe im Gesetz Eine besondere Bedeutung innerhalb dieser kriminellen Gruppierungen kommt den weltweit bis zu 1.000 "Dieben im Gesetz" zu, die sich als Führungspersonen der OK-Szene der GUS durchgesetzt haben. Der Begriff "Dieb im Gesetz" stammt aus den 1920er Jahren, als sich in sowjetischen Gefängnissen und Lagern, den sog. Gulags, die Anführer der kriminellen Strafgefangenen gegen die Anführer der politischen Häftlinge durchsetzten und so die Oberhand gewannen. Diese kriminellen Anführer nannten sich nun "Diebe im Gesetz" und stellten mit den "Diebesgesetzen" einen eigenen Verhaltenskodex auf. Dieser sieht vor, dass Konflikte durch eigene Autoritätspersonen - notfalls auch mit Gewalt - geregelt werden und keine Zusammenarbeit mit der Polizei und Justiz stattfindet. Mit Gemeinschaftskassen ("Obschtschjak") werden vor allem strafrechtlich verfolgte oder inhaftierte Gruppenmitglieder sowie ihre Angehörigen unterstützt. In Bayern konnte der Verfassungsschutz in den letzten Jahren Aufenthalte von "Dieben im Gesetz" beobachten. 284 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Organisierte Kriminalität 3. OK-Gruppierungen aus dem Balkan und der Türkei In Bayern sind mehrere kriminelle Netzwerke aus Südosteuropa und der Türkei aktiv. Diese sind in ihren Strukturen meist ethnisch homogen, d. h. Personen anderer Nationalitäten werden in der Regel nicht aufgenommen. Die Angehörigen der Netzwerke haben häufig den gleichen Geburtsort oder eine gemeinsame militärische Ausbildung. Türkische Gruppierungen sind vor allem im Rauschgiftschmuggel und -handel mit Kokain und Cannabis aktiv. Darüber hinaus konnten folgende Delikte festgestellt werden: Eigentumsund Fälschungskriminalität, Steuerund Zolldelikte, Glückspieldelikte und Wettmanipulationen sowie Kriminalität im Zusammenhang mit illegalen Inkasso-Eintreibungen. Besonders wichtig für die kriminelle Szene sind die Verbindungen in die jeweiligen Heimatländer. Strukturermittlungen des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz ergaben, dass die Drahtzieher oft im Ausland sitzen und von dort aus ihre kriminellen Aktivitäten in Deutschland steuern. Die erzielten Gewinne investieren sie oft in Immobilien und Unternehmen außerhalb von Deutschland. Den Kauf wickeln sie über Strohmänner - meist Verwandte - ab. 4. Italienische Mafia Die seit Jahren bedeutendsten Mafiagruppierungen in Italien sind die 'Ndrangheta in Kalabrien, die Camorra im Gebiet um Neapel, die Cosa Nostra auf Sizilien sowie die Sacra Corona Unita in Apulien. Der geschätzte Jahresumsatz dieser vier Syndikate beläuft sich auf rund 140 Milliarden Euro. Im Rahmen ihrer globalen Ausbreitung sind viele Familienclans seit etlichen Jahren in Deutschland sesshaft. In Bayern können derzeit mehr als 100 Personen den vier großen italienischen Mafia-Syndikaten zugeordnet werden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 285 Organisierte Kriminalität Die Clan-Strukturen in Deutschland ähneln denen in Italien, insbesondere die 'Ndrangheta nutzt ihre organisatorische Geschlossenheit auch im Ausland: Die hier ansässigen Clanfamilien sind in kriminelle hierarchische Strukturen eingeteilt, arbeiten eigenverantwortlich und besitzen die gleichen Rechte und Pflichten wie die Clans in Italien. Ein enger Kontakt zum "Mutterhaus" in San Luca bleibt dennoch bestehen. Ita lie Sacra Corona Unita n Camorra 'Ndrangheta Cosa Nostra Immer wieder sind Besuche von Autoritäten aus Italien festzustellen, die den Aufbau der Clans und den reibungslosen Ablauf in Deutschland kontrollieren. Sog. Mitgliedertaufen werden von den Clans eigenverantwortlich vor Ort - auch in Deutschland - durchgeführt. Der wichtigste Teil der Aufnahmezeremonie ist der Treueschwur: Das Neumitglied verbrennt ein Heiligenbild in seiner Handfläche und spricht dabei den Treueeid. Omerta Um sich vor Eingriffen der Behörden zu schützen, gilt innerhalb der italienischen Mafia die sog. "Omerta". Dieses "Gesetz des Schweigens" verbietet es Mitgliedern, mit Nicht-Angehörigen über interne Angelegenheiten zu sprechen oder gegenüber Polizei und Justiz Aussagen zu machen. Innerhalb der 'Ndrangheta entfaltet die "Omerta" aufgrund der weitreichenden Blutsverwandtschaft ihrer Mitglieder besondere Wirkung. Mittlerweile werden vermehrt Zwangsheiraten zwischen den verschiedenen Familienclans angeordnet, um den internen Zusammenhalt der kriminellen Gruppierung zu stärken. 286 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Organisierte Kriminalität In Bayern liegen die legalen Geschäftszweige der italienischen Mafia vorrangig in der Gastronomie. Zu den illegalen Betätigungsfeldern zählen Rauschgifthandel, Geldwäsche, Erpressung und Zinswucher. Auffallend ist ein steigendes Interesse italienischer Krimineller, in Deutschland Grundstücke und Immobilien zu erwerben. Dies könnte im Zusammenhang mit einer Gesetzesänderung in Italien stehen. Das neue italienische Geldwäschegesetz verbietet unter anderem den Transfer von Bargeld zwischen verschiedenen Partnern, wenn der Geschäftswert 3.000 Euro übersteigt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 287 Organisierte Kriminalität Ausblick Die Konstruktion von Feindbildern ist typisch für alle extremistischen Ideologien. Feindbilder speisen sich vielfach aus Ängsten, aber auch aus Überlegenheitsvorstellungen. In einer immer komplexer werdenden Welt geben sie vermeintlich Orientierung und Sicherheit. Feindbilder sind daher von Schwarz-Weiß-Denken geprägt: Dem Feind werden ausschließlich negative Eigenschaften zugeschrieben, er dient als Projektionsfläche und Sündenbock. Durch die scharfe Abgrenzung zwischen "innen" und "außen" stärken Feindbilder zugleich den Gruppenzusammenhalt in der extremistischen Szene und wirken identitätsstiftend. In der Regel knüpfen Extremisten an vorhandene Stereotypen und Vorurteile gegen einzelne Personengruppen an. Sie gehen jedoch deutlich darüber hinaus, indem sie "den Anderen" kompromisslos ablehnen und bekämpfen. Dies kann zunächst verbal erfolgen. Eine typische Vorgehensweise ist die sprachliche "Entmenschlichung": Mit der Gleichsetzung des Feindes mit Tieren oder tierischen Verhaltensweisen werden diesem das "Menschsein" an sich und damit grundlegende Menschenrechte abgesprochen. Eine solche sprachliche Entmenschlichung kann sich jedoch auch gewaltlegitimierend auswirken: Wenn der andere nicht mehr als Mit-Mensch wahrgenommen wird, sinkt die Hemmschwelle, Gewalt gegen ihn anzuwenden. Extremisten versuchen, ihre von Feindbildern geprägten Denkstrukturen zu verbreiten und nutzen dafür alle modernen Kommunikationsmittel. Dies beinhaltet die Gefahr, dass diese Feindbilder dadurch weit über die extremistischen Szenen hinaus Wirkung entfalten. 288 Rechtsextremismus Die Feindbilder des Rechtsextremismus sind in sich weitgehend statisch - Ausländer, Juden, Muslime und Linksextremisten zählen seit jeher dazu. Variabel ist, welches Feindbild in der politischen Agitation der Rechtsextremisten jeweils die zentrale Rolle spielt. Dabei orientieren sich die Rechtsextremisten an aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen. So sind vor dem Hintergrund der Asyldebatte seit 2015 pauschal "Flüchtlinge" zentrales Feindbild der Rechtsextremisten. Rechtsextremisten versuchen dieses Feindbild gesellschaftsfähig zu machen und die politische Debatte dadurch zu radikalisieren. Der Zuzug von Flüchtlingen nach Europa dient ihnen als Beleg für ihre "Volkstod"und "Überfremdungs"-Thesen, mit denen sie bewusst ein Endzeitszenario beschreiben. So spricht die Partei Der Dritte Weg beispielsweise von einer "volksfeindlichen Überfremdungsmaschinerie", die "den Volkstod Tag für Tag vorantreibt". DIE RECHTE ruft dazu auf, den "Ethnozid an den weißen Völkern zu verhindern und das Lebensrecht weißer Völker sicherzustellen". Diese Endzeitszenarien sollen zum Handeln motivieren - militantes Handeln eingeschlossen. Tatsächlich zeigt diese Hetze Wirkungen, ohne dass rechtsextremistische Organisationen selbst aktiv Hand anlegen müssen: Viele Täter, die Übergriffe auf Asylbewerberunterkünfte verüben, waren vor der Tat nicht in rechtsextremistischen Strukturen organisiert. Sie haben sich weitgehend im Stillen radikalisiert. An PC oder Smartphone haben sie Hass und Hetze im Internet konsumiert. Die technischen Mechanismen der Suchmaschinen, die häufig nachgefragte Themen an erster Stelle auswerfen, verfestigen den Eindruck, Teil einer Bewegung zu sein. Dies und die andauernde sprachliche Entmenschlichung der Flüchtlinge sowie die Vehemenz, mit der rechtsextremistische Parteien oder Organisationen angeblich notwendige "Gegenmaßnahmen" beschreiben, entwickeln eine eigene Dynamik. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 289 Ausblick Auf anhaltend hohem Niveau bewegt sich die Agitation gegen Flüchtlinge insbesondere in sozialen Netzwerken: Mit sog. "fake news", also gezielt verbreiteten Falschmeldungen und Verleumdungen, wird das Feindbild weiter verschärft. Vor dem Hintergrund des Bundestagswahlkampfes ist damit zu rechnen, dass diese Agitation weiter zunimmt und in immer stärkerem Maße dabei alle Parteien diffamiert werden, denen die Rechtsextremisten eine "volksfeindliche" Politik attestieren. Die Partei DIE RECHTE ruft bereits zum "Niederschreien von Volksverrätern bei ihren Wahlkampfauftritten" auf sowie zum "symbolische(n) 'Besetzen' von zentralen Bauwerken, Kirchen, Bahnhöfen, Parteizentralen oder Zeitungsredaktionen". Ähnliche Aktionen, die das Ziel verfolgen, mit geringem Aufwand eine möglichst große mediale Wirkung zu erzeugen, praktiziert schon seit Längerem die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD), die in der Lage ist, im virtuellen Raum eine große Reichweite zu erzielen. Die rechtsextremistische Szene wird dadurch weiter an scharf abgegrenzter Kontur verlieren, es findet ein Ausfransen statt in ein Umfeld hinein, das bislang nicht in rechtsextremistischen Strukturen verankert war, ihnen aber zumindest ideologisch nahesteht. Aus diesem Umfeld ist auch weiterhin mit Gewaltverbrechen insbesondere gegen Asylbewerber und Migranten zu rechnen. Reichsbürger Das Reichsbürgermilieu zieht - neben Geschäftemachern und Steuerflüchtlingen - insbesondere Menschen an, die sich überfordert fühlen von einer als Souveränitätsverlust empfundenen, immer stärkeren weltweiten Vernetzung von Politik und Wirtschaft. Reichsbürger wünschen sich zurück in eine Welt der Übersichtlichkeit. Das Deutsche Reich wird von ihnen als Idealbild eines überschaubaren Staates überhöht. Die Vertreter des demokratischen Rechtsstaates, insbesondere von Sicherheitsbehörden, Finanzbehörden, Kommunen und Gerichten, werden als Gegner bekämpft. Die Maßnahmen, mit denen Reichsbürger gegen diese Repräsentanten des Staates vorgehen, reichen von querulatorischen Schreiben über die sogenannte "Malta290 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Ausblick Masche" - das Eintragen frei erfundener finanzieller Forderungen in ein ausländisches Schuldenregister - bis hin zu gewalttätigen Übergriffen. Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein von Feindbildern und Schwarz-Weiß-Denken bestimmtes Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann die Grundlage sein für Radikalisierungsprozesse bis hin zur Gewaltanwendung. Linksextremismus Parallel zu dem Ausfransen der rechtsextremistischen Szene und der Zunahme rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten ist auch die linksextremistische Szene in Bayern wieder aktiver geworden. Seit jeher sind rechtsextremistische Parteien und Organisationen zentrale Feindbilder von Linksextremisten. Da der "Antifaschismus" linksextremistischer Prägung immer mehr ist als der bloße Kampf gegen den Rechtsextremismus und auch als Kampf "gegen das System" verstanden wird, sind zudem Vertreter staatlicher Einrichtungen, insbesondere Polizeibeamte, potenzielle Angriffsziele. Legitimiert fühlen sich Linksextremisten im Kampf gegen diese Feindbilder auch zu Strafund Gewalttaten. Die eigene Gewalttätigkeit wird verbrämt als moralisch gebotene Gegengewalt: "Wir denken, in einer unanständigen Gesellschaft ist es anständig, Steine zu werfen", hieß es beispielsweise in einem Beitrag auf der linksextremistischen Internetplattform linksunten.indymedia. Linksextremistisch motivierte Straftaten richten sich in zunehmendem Maße gegen Immobilien und Personen, die in einem Bezug zur Partei Alternative für Deutschland (AfD) stehen. Im Zusammenhang mit dem Bundestagswahlkampf ist diesbezüglich mit einer Steigerung der Aktivitäten zu rechnen. Eine Verschärfung der Gefährdungslage ist in der Konfrontation mit Parteien und Personen, die Linksextremisten als "Rassisten" oder "Faschisten" definieren, jederzeit möglich. So mehren sich die Stimmen von Linksextremisten, die mehr Militanz fordern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 291 Ausblick Einen weiteren Mobilisierungsschwerpunkt stellt im Jahr 2017 der G20-Gipfel in Hamburg dar. Bereits viele Monate vor der Veranstaltung begann die linksextremistische Szene mit den Planungen für die Proteste gegen den Gipfel. Auch in Bayern fanden Ende 2016/Anfang 2017 erste Vorbereitungstreffen statt. Linksextremisten nutzen die Antiglobalisierungsbewegung zur Verbreitung linksextremistischer Theorie, Strategie und Politik, die in einen revolutionären Umsturz des "kapitalistischen Systems" münden soll. Ausländerextremismus Feindbilder werden auch von nationalen und internationalen politischen Entwicklungen beeinflusst. So hatten der Putschversuch in der Türkei und die sich daran anschließende Agitation gegen die Fethullah-Gülen-Bewegung wesentliche Auswirkungen auf die Lage in Deutschland. Auch in Bayern kam es vereinzelt zu Übergriffen auf Einrichtungen, die der Fethullah-Gülen-Bewegung zugerechnet werden. In sozialen Netzwerken wurden Hassparolen und Boykottaufrufe gegen Anhänger der Bewegung verbreitet. Die Fethullah-Gülen-Bewegung ist kein Beobachtungsobjekt des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Die türkisch-nationalistische Ülkücü-Bewegung, die sogenannten "Grauen Wölfe", hat derzeit auch in Bayern Zulauf. Das gilt insbesondere für ihr zuzuordnende neue rockerähnliche Gruppierungen wie Turkos MC und Turan e.V., die jüngere, freizeitund aktionsorientierte Zielgruppen ansprechen. Ähnlich wie Rockerclubs benutzen auch diese türkisch-nationalistischen Gruppierungen verbindende Symbole und Kleidungsstücke, verfügen über einen hierarchischen Aufbau und zeichnen sich durch eine oft enge persönliche Bindung der Mitglieder untereinander aus. Einige Angehörige dieser rockerähnlichen Gruppierungen betätigen sich auf dem Gebiet der Allgemeinkriminalität. Daneben verfolgen sie aber auch in unterschiedlich starker Ausprägung eine türkisch-rechtsextremistische Agenda, deren zentrale Feindbilder neuerdings die Fethullah-Gülen-Bewegung sowie seit jeher die Kurden bzw. PKK-nahe Kreise sind. Die 292 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Ausblick andauernden militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem türkischen Militär und den Guerillaeinheiten der PKK führen auch in Deutschland immer wieder zu Konfrontationen beider Lager. Zwar wird von offizieller Seite auf beiden Seiten für Deutschland nach wie vor die Linie vorgegeben, auf gewalttätige Auseinandersetzungen zu verzichten. Insbesondere jüngere Anhänger beider Seiten halten sich jedoch zunehmend weniger daran und sind im direkten Aufeinandertreffen leicht emotionalisierbar. In Abhängigkeit von der weiteren Entwicklung in der Türkei ist weiterhin mit Straftaten bis hin zu schweren Gewalttaten von Anhängern beider Seiten zu rechnen. Islamismus/Jihadismus Ziel islamistischer Terrorattacken sind keine konkreten einzelnen Personen, sondern das westliche, demokratische, als "ungläubig" diffamierte Gesellschaftssystem an sich. Dementsprechend sind willkürlich ausgewählte Menschenansammlungen - darunter auch Muslime - immer wieder Ziel von Terroristen. Als Feind definieren Salafisten letztlich jeden, der nicht dem von ihnen als einzig wahren Islam definierten Religionsund Weltverständnis folgt. Wie weit die totale Enthemmung reichen kann, die durch die mit der Konstruktion von Feindbildern verbundene Entmenschlichung bewirkt wird, war im Jahr 2016 wiederholt an den grausamen Anschlägen islamistischerTerroristen zu beobachten: Mit schweren Lastwägen überfuhren und töteten Islamisten in Berlin und Nizza wahllos viele Menschen. Mit einer Axt ging ein Islamist in einem Nahverkehrszug in Würzburg auf Reisende los. Mit einer Bombe wollte ein Jihadist in Ansbach Besucher eines Festivals töten. Diese Freund-Feind-Abgrenzung wird nicht nur ideologisch überhöht, sondern religiös begründet: Auf der einen Seite steht der als Märtyrer verstandene Jihadist, auf der anderen Seite stehen alle, die als "kuffar" - Ungläubige - definiert werden. Beim Kampf gegen die "kuffar" gibt es für Jihadisten kein Tabu. Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 293 Ausblick Dieses in der jihadistischen Propaganda stetig verbreitete Feindbild zeigt seine Wirkung insbesondere auch bei sich selbst radikalisierenden Einzeltätern und Kleinstgruppen, die ohne unmittelbare Anbindung an terroristische Organisationen aktiv werden. Die terroristischen Organisationen liefern mit ihren über viele virtuelle Kanäle verbreiteten Publikationen und Videos die Tatanleitungen und sorgen für den religiös-ideologischen Legitimationsrahmen sowie die propagandistische Vermarktung der Tat. Dass neben Frankreich und Belgien auch Deutschland innerhalb der von den Jihadisten als solche bezeichneten "Kreuzzüglerstaaten" stärker in den Fokus gerückt ist, zeigen die Anschläge von Ansbach, Würzburg und Berlin. Während vor dem Hintergrund von Gebietsverlusten des IS der Trend zur Ausreise in die Kampfgebiete in Syrien und im Irak gebrochen ist, haben der IS und andere terroristische Organisationen ihr Augenmerk stärker auf Anschläge in westlichen Ländern gerichtet. Die Anzahl der Hinweise, die von den Sicherheitsbehörden in diesem Zusammenhang abzuarbeiten sind, ist deutlich angestiegen. 294 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Ausblick Anzahl der Extremisten in Bayern 7.000 6.000 5.060 4.070 4.000 3.430 3.400 3.000 2.200 2.000 1.700 1.200 1.000 100 0 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Islamisten* * Der Rückgang ist vor allem auf Sonstige ausländische Extremisten die Reformbemühungen innerhalb Rechtsextremisten der IGMG zurückzuführen. Linksextremisten** ** Für das Jahr 2013 wurden erstmals Scientology-Organisation nur die offen extremistischen Verfassungsschutzrelevante Strukturen der Partei ausgewiesen. Islamfeinde*** *** Aufnahme der Beobachtung im Reichsbürger**** Jahr 2013 **** Aufnahme der Beobachtung im Jahr 2016 Entwicklung extremistisch motivierter Gewalttaten in Bayern 140 122 120 113 99 100 91 87 80 72 65 66 66 60 50 40 30 25 18 20 11 3 0 2012 2013 2014 2015 2016 Rechtsextremismus* * Statistik enthält 2016 auch Linksextremismus Gewalttaten von Reichsbürgern Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 295 Personenpotenzial und Gewalttaten Stichwortregister Bayerisches Aussteigerprogramm 24 A Bayerisches Handlungskonzept Adil Düzen gegen Rechtsextremismus 23 (gerechte Ordnung) 32-33 Bayerisches Netzwerk für Aktionsbündnis Prävention und Deradikalisierung "Fluchtursachen bekämpfen" 235 gegen Salafismus 24-25 Al-Intiqad (Die Kritik) 76 Bayerisches SicherheitsAl-Manar (Der Leuchtturm) 76-77 Überprüfungsgesetz 19 Al RISALAH, Bayerisches VerfassungsOnline-Magazin von AQ 59 schutzgesetz 3, 15, 273 Anarchismus 231 BenefizAnarchisten 229, 231-232, 239 veranstaltungen 31, 54-55, 74 Antiatomkraft 212 Beobachtungsauftrag des Antifaschismus 211-213, 224, Verfassungsschutzes 16-17, 232-234, 238, 241, 291 27, 192, 196 Antigentrifizierung 211-212, 214 BIRGiT, Arbeitsgruppe 19-20, 51, Antiglobalisierung 212, 292 Black Jackets 276, 281 Antiimperialismus 212 Blood Red Section 277-278 Antiinstitutionalismus 232 Bürgerinitiativen, Antimilitarismus 212, 215, 218, rechtsextremistisch 107, 112-114, 223-224, 227, 233, 238 118, 121, 131, 151-156, 175 Antirassismus 211-213, 235 C Antirepression 211-212, 214 Camorra 285-286 Antisemitismus 33, 111, 139, 191 Chapter/Charter 89, 168-169, Applied Scholastics 250 276, 277-282 Artikel 10-Gesetz 20 Colour 276 Asylpolitik 212 Cosa Nostra 285-286 Atilim 87 Cyber-Armee 60 Auditing 249 Cyber-Allianz-Zentrum 18, 256, Ausländische 258, 268, 271 Nachrichtendienste 5, 18, D 256-263, 265, 267-270, 274 Da'wa (Missionierung) 31, 40, Autonome 200-204, 207, 212, 45, 53-55 214, 217-219, 224, 227, 229-239 Dabiq (Online-Magazin) 59 B Deutsche Annalen 129 Bandidos MC 275, 278, 283 Deutsche Geschichte 129 Bayerische Diebe im Gesetz 284 Informationsstelle gegen Diktatur des Extremismus (BIGE) 23-25, 131 Proletariats 209-210, 225 296 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Anhang E Intifada 75 Entrismus 210 Islam-Infostände 31, 48, 52-54 Europäisches Institut für HumanIslamfeindlichkeit, wissenschaften (EIHW) 43 rechtsextremistische 110, 170 F Islamfeindlichkeit, Fethullah-Gülen-Bewegung 292 verfassungsschutzrelevante Flüchtlinge (Islamismus) 4, 30-31, 17, 96, 170-171, 177, 37, 52-53, 67-68 190-193, 196-197, 199, 295 Fränkische Aktionsfront 127, 163 Islamismus, legalistischer 29, 32 Fünf Gifte 262 Islamseminare 31, 52, 54-55, 74 G J G7-Gipfel 207, 231 Jihad 28, 45-46, 51-52, G 10-Kommission 21 57-58, 66-69, 293-294 Gefangenenhilfe 31, 55 K Geheimschutz 19 Kalifat (khalifa) 35-36, 65-66, 68, 70 Geheimschutzbetreuung 267 Kapitalismus 33, 208-209, Geschichtsrevisionismus 105 212-213, 215, 219 Golden Age of Tech 249 Kameradschaften 122, 145, Graue Wölfe 88, 292 162-165 Gremium MC 275, 278, 282 Karl Marx 208-209, 220 Gringos 278, 283 Klassenlose H Gesellschaft 208, 225, 236-238 Hass-Musik 217 Know-how-Schutz 258, 266 Hells Angels MC 168, 275-278, Kommunismus 33, 209, 220-222, 281-282 225, 231, 235-238 Herrschaftsfreie Gesellschaft Kommunistische Partei 201-202, 229, 236, 240 Chinas (KPC) 261 Homegrown-Terroristen 47, 58 Kommunistische Partei Home Da'wa 31, 45, 53-54, 55 Deutschlands (KPD) Hubbard, L. Ron 137, 210, 221-222 243, 247-248, 251 Konfrontative Gewalt 203 I Konvertiten 47, 50, 60, 64 Ideale Org-Kampagne 263 Kulturrevolution 211 Imperialismus 33, 209 L Informeller Mitarbeiter 225 Landeskoordinierungsstelle Initialisierende Gewalt 203 Bayern gegen Initiative Rechtsextremismus 23 Wirtschaftsschutz 266-268 Lenin, Wladimir I. 209 Inspire (Online-Magazin) 59 Lies! Koranverteilungsprojekt Interim (Szene-Zeitschrift) 203 31, 48, 53, 63, 74 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 297 Anhang M Osmanen Mafia 285-287 Germania BC 272, 276, 279-280 Maoismus 211, 225 Outlaw Motorcycle Marxismus 208-209, 233, 237-238 Gang (OMCG) 275-279, 281, 283 MarxismusOutlaws MC 275 Leninismus 85-86, 209-211, 221 P MassenvernichtungsParlamentarisches waffen 258, 263 Kontrollgremium 21 Mexican Rebels 278 Parteiverbot 136-137 Milli Gazete 32-33 Politically Incorrect Mobivideos (PI-News) 193-195, 198 (Mobilisierungs-Videos) 216-217 Postautonome 229-231, 236, 238 Mongols MC 275, 281 R Muhacirun (Auswanderer) 35 Radical left 236 Mujahidin 71 Rätedemokratie 210 Münchner SicherheitsRechtskonsulent 185 konferenz 215, 227, 233, 241 Red Devils MC 277 N Regiment 81 277 Nachhilfeinstitute 251 Religious Technology Nachrichtendienstliche Center (RTC) 248 Mittel 18, 20, 244, 273 RESURGENCE, Nationale Allianz für Online-Magazin von AQ 59 Cyber-Sicherheit 270-271 Rock Machine MC 275 National-Zeitung/ Deutsche S Wochen-Zeitung (NZ) 129 Sacra Corona Unita 285-286 Nationalsozialismus 93, 120, 132, Salafismus 6, 24-25, 27, 162, 166-167, 197, 213 29-30, 44-47, 55 Nationalsozialistischer Salafismus, jihadistischer 30, 45 Untergrund (NSU) 102 Salafismus, politischer 30, 46 'Ndrangheta 285-286 Satudarah Maluku MC 275 Neonazismus 162 Scharia 27, 30, 32, 34, O 40-41, 44, 72-74, 195 Offen extremistische Schwarzer Block 203, 227-228 Strukturen 202, 209, 219-220, 295 Scientology Missions Office of Special International (SMI) 249 Affairs (OSA) 250-251 Serxwebun Open Source Jihad 58 (Unabhängigkeit) 81 Operierender Thetan 249 Sicherheitsüberprüfung 19 Organisierte SkinheadKriminalität 16, 18, 272-287 Bands 123-124, 164, 167, 169 298 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Anhang Skinheads 95, 126, 130, W 164, 166, 168-169 Wahhabismus 44 Social engineering 268 World Uyghur Sozialismus 96, 106, 146, 163, Congress (WUC) 262 209-210, 221, 223, 225 Y Spionageabwehr 18, 256-271 Yeni Özgür Politika 81, 83 Strukturelle Gewalt 202, 229 Yürüyüs 85 Stalinismus 210, 225 Z Street Da'wa 53-54 Zapata MC 278 Syrien-Rückkehrer 49, 51-52 T Taghrib (kulturelle Verwestlichung) 40 Takfir 69 Tarnorganisationen 93, 121, 153, 172, 242, 245, 247, 251-252 Tauhid 44 Todesfatwas 38 Trennungsgebot 22 Trotzki, Leo 210 Trotzkismus 210, 237 Trust MC 275, 279 Türk Federasyon Bülteni 88 Turner Diaries 95 TV 5 (Türkischer Fernsehsender) 33 U Umwelt & Aktiv 121, 159, 161-162 United Tribuns 276, 279, 281-282 V V-Leute 16, 20 Verbot des Freien Netzes Süd 127, 130, 139, 144, 163 Verfassungsfeindliche Bestrebung 15-16, 27, 127, 163 Verfassungstreueüberprüfung 20 Verschlusssachen 19, 267 Volksgemeinschaft 93, 105, 110, 132-133, 137, 161, 191 Vorfeldaufklärung 22 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 299 Anhang Extremistische Organisationen und Gruppierungen In dieser Übersicht sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Organisationen und Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Organisation/Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine verfassungsfeindliche Organisation/Gruppierung handelt. Organisationen/Gruppierungen aus den Phänomenbereichen "Organisierte Kriminalität" und "Spionageabwehr" wurden nicht aufgenommen. Aus dem Bereich "Scientology" erfolgte keine Aufnahme der internationalen Organisationsteile. Islamismus / islamistischer Terrorismus Abu Sayyaf (Philippinen) 69 al-Nahda 40 al-Qaida 46, 59, 65-66, 68-71 al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH) 69-70 al-Qaida im Irak 65, 69, 71 Al-Rahman-Moschee (Regensburg) 56 al-Shabab (Somalia) 69 Ansaar International e. V. (ehemals Ansaar Düsseldorf e. V.) 54 Ansar al-Islam, Islamistisch-kurdische Netzwerke 71 As-Salam-Moschee (Schwandorf) 56 Boko Haram 66 Dawa FFM 63 Die wahre Religion (DWR) 31, 53, 57, 63 Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim (DIK) 56 El-Salam-Moschee (München) 56 Helfen in Not e. V. 54 Hilafet Devleti (Kalifatsstaat) 35 Hizb Allah (Hizbollah / Hisbollah) 76-77 Islamische Audios 63 Islamische Gemeinde Nürnberg e. V. (IGN) 42 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) 41-42 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) 33-34 Islamische Vereinigung in Bayern e. V. (IVB) 38 300 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Anhang Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) 40, 74-75 Islamischer Staat (IS) 46, 58, 63, 65, 73 Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) 38-39 Islamisches Zentrum München e. V. (IZM) 42-43 Islamisches Zentrum Weiden e. V. 56 Ismael Aga Gemeinschaft (IAC) 33-34 Jabhat al-Nusra (JaN) 46, 64, 70-71 Jabhat Fath al-Sham (JFS) 46, 64, 70-71 Jaish al-Muhaijrin Wal Ansar (JAMWA) 64 Jesus im Islam 54 Kaukasisches Emirat (KE) 73 Kulturund Bildungszentrum Ingolstadt e. V. 36 LIES! Stiftung 31, 48, 53, 63, 74 Masjid ibn Taymiyyah Moschee (Nürnberg) 56 Millatu Ibrahim 63, 67 Milli Görüs Ahde Vefa Plattform - Erbakan Vakfi 34 Milli Görüs-Bewegung 29, 32-34 Muslimbruderschaft (MB) 39-40, 42, 75 Nordkaukasische Separatistenbewegung (NKSB) 73 Saadet Partisi (SP) 33 Tablighi Jamaat (TJ) 36 Tschetschenische Republik Itschkeria (CRI) 73 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) bzw. Volkskongress Kurdistan (KONGRA GEL), ehemals Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistan (KADEK) 80-84, 90, 240, 292-293 Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum Deutschland e. V. (NAV-DEM) 83 Föderation der Arbeiter aus der Türkei e. V. (ATIF) 86 Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e. V. 87 Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) 86 Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa (AvEG-Kon) 87 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 90-91 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 87 Revolutionäre Volksbefreiungspartei (DHKP-C) 85 Türkisch Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten - Partizan Flügel (TKP/M-Partizan Flügel) 86 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 301 Anhang Turan e.V. 89, 292 Turkos MC 89, 292 Ülkücü-Bewegung / ADÜTDF 88-90, 292 Verband der Türkischen Kulturvereine in Europa e. V. (ATB) 89 Young Struggle 87 Rechtsextremismus Aktivitas der Burschenschaft Danubia München 159-160, 175 Ansgar Aryan 126 Bürgerinitiative A (BIA) e. V. (BIA-Nürnberg) 113, 151, 153-154 Bürgerinitiative Ausländerstopp Augsburg (BIA-Augsburg) 155 Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA-München) 112, 116, 154, 175-176 Bürgerinitiative Soziale Alternative Oberpfalz e. V. (BiSAO) 156 Bürgerinitiative Soziales Fürth e. V. (BiSF) 155 Burning Hate 123 Kodex Frei 123, 169 Der Dritte Weg (III. Weg) 94, 96-98, 106-108, 111, 116-119, 121,131, 135, 139-148, 161, 165, 173-176, 204, 289 DIE RECHTE 94, 97, 101-102, 106, 109-110, 112-116, 121,135, 149-152, 154, 172-173, 175-176, 204, 289-290 DIM Records 126 Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH (DSZ) 129 Europäische Aktion (EA) 160, 175 Faustrecht 123 Final Resistance 127, 163 Freie Kräfte Berchtesgadener Land 164 Freies Netz Süd (FNS) 127, 130, 139-140, 144, 163 FSN Shop 126 FSN-TV 128 Gesellschaft für freie Publizistik e. V. (GfP) 129, 159 Hammerskins 168-169 Hard as nails 124 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 4, 92, 94, 106, 110, 116-117, 119, 122, 156, 160, 164, 175, 290 Junge Nationaldemokraten (JN) 134, 138 Kameradschaft Altmühltal 164 Kameradschaft Gau Wendlstoa 165 Kameradschaft Unterfranken (KSU) 165 Midgard e. V. 161-162 MPU 124 302 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Anhang National born haters 124 Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) 92, 94, 97, 100, 106, 109, 112-117, 121-122, 128, 130, 132-138, 142, 152-155, 160-161, 172-173, 175, 204, 283 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) 102 Nordic Union 126 Nordwind 124 Oldschool Records 126-127, 169 Oldschool Society (OSS) 99-100, 168 Patriaversand 126 Radio FSN 128 Ring Nationaler Frauen (RNF) 138 Schanddiktat 124 Schwarze Sonne Versand 126 Stützpunkt Oberfranken (III. Weg) 141, 144 Stützpunkt Mainfranken (III. Weg) 141, 145 Stützpunkt München/Oberbayern (III. Weg) 118, 141, 145-146, 165, 176 Stützpunkt Nürnberg/Fürth (III. Weg) 117-118, 140-141, 146-147 Stützpunkt Ostbayern (III. Weg) 140-142, 147-148 Stützpunkt Schwaben (III. Weg) 141, 148-149 Sturmtrupp 124 Tradition und Moderne 126 Untergrundwehr 124 Versand der Bewegung 126, 130 VGB-Verlagsgesellschaft Berg mbH 129 Voice of Anger 130, 168-169 Weisse Wölfe Terrorcrew (WWT) 101, 167 White rebel boys 124 Wikingerversand 126 PEGIDA-Ableger mit extremistischen Bezügen NüGIDA 163, 171-172 Allgida Kempten 171, 173 PEGIDA Franken 171, 173 PEGIDA Mittelfranken 178 PEGIDA-München - zur Förderung staatsbürgerlicher Anliegen e.V. (PEGIDA-München) 111-113, 146, 150,160, 170-171, 174-176 PEGIDA Nürnberg 171, 177-178 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 303 Anhang Reichsbürger und Selbstverwalter Bundesstaat Bayern 187-188 Exilregierung Deutsches Reich (Exilregierung) 186 Heimatgemeinde "Gemeinde Chiemgau" 188 Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit Bürgerrechtspartei für mehr Freiheit und Demokratie DIE FREIHEIT 196-199 Personenkreis um Stürzenberger 193-196 Linksextremismus Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz 227 Anarchistische Gruppe München (Bibliothek Frevel) 239-240 anita f. - antifaschistische Gruppe in Regensburg 236 Antifa-NT - Autonome Antifa München 205, 238-239 Antifaschistische Linke Fürth (ALF) 234 Antikapitalistische Linke München (AL-M) 227, 231, 237-238 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) 210 Auf der Suche (ADS) 234, 240-241 Betriebsaktiv München 222 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 202, 209, 221-222, 227, 233 DIE LINKE. SDS 220, 233 Frauenverband Courage e. V. 226 Interventionistische Linke (IL) Aschaffenburg/München/Nürnberg 230, 236-237 Jugendantifa Fürth (JAF) 234 Jugendverband REBELL 202, 225-226 Kinderorganisation ROTFÜCHSE 226 Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE. (KPF) 219-220 Kurzer Prozess 218 La Resistance - antifaschistische Jugendgruppe Ingolstadt (LARA) 234-235 Libertäre Antifa München (LAVA MUC) 205, 241 Linksjugend ['solid] 220, 233 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 96, 202, 210-211, 225-227 Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus 222, 227 Organisierte Autonomie (OA) Nürnberg 227, 232, 234, 241 Perspektive Kommunismus 231, 238 radikale Linke (rL) Nürnberg 237 304 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Anhang Revolutionär Organisierte Jugendaktion (ROJA) Nürnberg 227, 233-234 Rote Hilfe e. V. (RH) 228-229, 241 Sans Frontieres 218 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 202, 223, 227, 233, 238 "...ums Ganze!"-Bündnis 205, 231, 238-239 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) 202, 222, 224-225 Scientology-Organisation Association for Better Living and Education (ABLE) 250 Celebrity Centre München e. V. 248 Department of Special Affairs (DSA) 250-251 Der Weg zum Glücklichsein 242, 245, 247, 252 Jugend für Menschenrechte e.V. 250, 252 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte in Deutschland e.V. (KVPM) 242, 245-246, 250, 252 NARCONON Bayern e. V. 250, 252 Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben 245, 252 Scientology Kirche Bayern e. V. (SKB) 248 Scientology Kirche Deutschland e. V. (SKD) 248 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 250 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 305 Anhang Bildnachweis S. 16: Broschüre Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr S. 19 Foto: BayLfV S. 31 Broschüre BayLfV S. 58 www.twitter.com/Terror_Monitor?lang=de/06.02.2017 S. 97 Foto: Staatsanwaltschaft Kaufbeuren S. 99 www.der-dritte-weg.info/22.02.2016 S. 107 Foto: BayLfV S. 109 Foto: BayLfV S. 121 links: www.facebook.com/großdeutschland/04.10.2016 rechts: www.facebook.com/großdeutschland/27.09.2016 S. 136 Foto: BayLfV S. 137 Foto: BayLfV S. 140 Foto: BayLfV S. 142 Foto: BayLfV S. 151 Foto: BayLfV S. 157 Foto: BayLfV S. 175 Foto: BayLfV S. 185 Broschüre BayLfV S. 215 Foto oben: BayLfV S. 215 Foto unten: BayLfV S. 248 www.scientology-losangeles.org/09.01.2015 S. 254 Broschüre StMI S. 262 Broschüre BayLfV S. 265 Broschüren BayLfV S. 267 Broschüre BayLfV S. 268 Broschüren BayLfV S. 271 Broschüre BayLfV S. 277 www.bloodredsection-mc.de 306 Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 Anhang Bayern Die Zukunft. | www.bayern-die-zukunft.de BAYERN | DIREKT ist Ihr direkter Draht zur Bayerischen Staatsregierung. Unter Telefon 089 12 22 20 oder per E-Mail an direkt@bayern.de erhalten Sie Informationsmaterial und Broschüren, Auskunft zu aktuellenThemen und Internetquellen sowie Hinweise zu Behörden, zuständigen Stellen und Ansprechpartnern bei der Bayerischen Staatsregierung. Hinweis Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Bayerischen Staatsregierung herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern im Zeitraum von fünf Monaten vor einer Wahl zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags-, Kommunalund Europawahlen. Missbräuchlich ist während dieser Zeit insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken und Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. 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