Bayerisches Staatsministerium des Innern Verfassungsschutzbericht 2010 Vorwort Die vermehrten Terrorwarnungen Ende des Jahres 2010 haben nach der schon verschärften Sicherheitslage im Rahmen der Bundestagswahl 2009 erneut deutlich gemacht, dass Deutschland vom islamistischen Terrorismus bedroht ist. Auch für Deutschland ist von der Existenz eines gewaltbereiten islamistischen Spektrums - so genannter "home grown"-Terrorismus - auszugehen, zumal sich Verlautbarungen islamistischer Gruppierungen ausdrücklich immer wieder an Personenkreise aus und in Deutschland wenden. In Deutschland ist das Anschlagsrisiko gestiegen; der fehlgeschlagene Anschlag in Stockholm am 11. Dezember hat den Terror sogar wieder unmittelbar nach Europa gebracht. Bei Ermittlungsverfahren haben die Sicherheitsbehörden im Jahr 2010 Einblicke in die Vernetzungen und Arbeitsweisen islamistischer Organisationen gewonnen. Wir müssen davon ausgehen, dass islamistische Gruppen und Einrichtungen, die von Intoleranz gegenüber Andersgläubigen geprägt sind, wie auch Bildungsund Betreuungsangebote islamistischer Organisationen einen Nährboden für mögliche Terrorakte schaffen. Der Salafismus, derzeit weltweit eine der am schnellsten wachsenden islamistischen Bewegungen, gewinnt auch in Deutschland immer mehr Raum. Bei der angestrebten Fusion der rechtsextremistischen Parteien NPD und DVU bleibt abzuwarten, ob die rechtsextremistische Parteienlandschaft hierdurch an Auftrieb gewinnt. Vor dem Hintergrund ihres äußerst niedrigen bundesweiten Stimmenanteils bei der Bundestagswahl 2009 wäre die Zusammenführung der "Stammwählerschaft" jedoch als kaum relevant anzusehen. Nachdem die Zahl linksextremistisch motivierter Gewalttaten bereits im Jahr 2009 einen historischen Höchststand erreicht hatte, wurden im Jahr 2010 nochmals deutlich mehr Gewaltdelikte - insbesondere gegen Polizeibeamte - registriert. Dabei hat autonome Gewalt in ihrer Aggressivität eine neue Qualität erreicht. Die Gewalttäter nehmen schwere Verletzungen von Polizeibeamten und von Unbeteiligten bewusst in Kauf. Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, extremistische Bestrebungen zu beobachten und die Öffentlichkeit zu informieren. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz klärt aber auch die Strukturen Organisierter Kriminalität auf und sammelt Erkenntnisse zur Spionageabwehr. Als Beitrag zum Wirtschaftsschutz betreibt der bayerische Verfassungsschutz seit September ein Internetportal. Der Besuch eines virtuellen Unternehmens bietet zahlreiche Tipps zum Know-how-Schutz. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der bayerischen Sicherheitsbehörden, insbesondere des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz und der bayerischen Polizei, gilt unser besonderer Dank. Durch ihren Einsatz haben sie auch im Jahr 2010 die Sicherheit der Bürger in Bayern mit hohem Engagement gewährleistet und einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Deutschland geleistet. München, im März 2011 ahin Ai Joachim Herrmann, Staatsminister W Gerhard Eck, Staatssekretär Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 3 Inhalt 1. Abschnitt Verfassungsschutz in Bayern 1. Gesetzliche Grundlagen 12 2. Aufgaben des Verfassungsschutzes 12 3. Informationsbeschaffung 14 4. Kontrolle 16 5. Präventionsarbeit 17 6. Infound Beratungstelefone 21 2. Abschnitt Islamistische/islamistisch-terroristische Bestrebungen 1. Aktuelle Entwicklungen 23 1.1 "Home grown"-Terrorismus: Terroristen aus Deutschland 23 1.2 Die terroristische Bedrohungslage hat sich verschärft 27 1.3 Exekutivmaßnahmen schwächen islamistische Organisationen in Deutschland 30 1.4 "Milli-Görüs-Führer" Prof. Dr. Erbakan besucht IGMG in Deutschland 31 1.5 Der Iran intensiviert seinen Einfluss auf in Deutschland lebende Schiiten 32 1.6 Islamische Gemeinde Penzberg (IGP) unterliegt im Rechtsstreit gegen Freistaat Bayern 34 Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Inhalt 4 1.7 Salafismus, die am schnellsten wachsende islamistische Bewegung Deutschlands 36 1.8 Personenpotenzial in Bayern 38 2. Ideologie und Strategie 38 2.1 Ideologie des Islamismus 38 2.2 Salafismus 40 2.3 Jihadismus und Jihadisten 44 2.4 Rolle des Internets 46 2.5 Islamistische Bildungsund Jugendarbeit 49 3. Strukturen 52 3.1 Islamistische Gruppierungen 52 3.1.1 Milli-Görüs-Bewegung 52 3.1.2 Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) 58 3.1.3 Hizb ut-Tahrir 59 3.1.4 Tablighi Jamaat (TJ) 61 3.1.5 Hizb Allah 62 3.1.6 Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB) 64 3.1.7 Die Muslimbruderschaft (MB) und ihre regionalen Strömungen 65 3.1.7.1 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) 67 3.1.7.2 Muslimische Jugend in Deutschland e.V. (MJD) 68 3.1.7.3 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) 69 3.1.7.4 Al-Nahda 71 3.2 Islamistischer Terrorismus 72 3.2.1 Das al-Qaida-Netzwerk 72 3.2.2 Ansar al-Islam (AAI) 76 3.2.3 Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) 77 3.2.4 Islamische Jihad Union (IJU) 78 3.2.5 Islamistische Szene Neu-Ulm/Ulm - Umfeld des ehemaligen Multi-Kultur-Haus Ulm e.V. (MKH) 79 4. Übersicht über erwähnenswerte islamistische/ islamistisch-terroristische Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse 82 Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Inhalt 5 3. Abschnitt Sonstige ausländerextremistische Bestrebungen 1. Aktuelle Entwicklungen 85 1.1 Europäische Sicherheitsbehörden setzen PKK unter Druck 85 1.2 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 88 1.3 Gewalttaten 89 2. Ideologie und Strategie 89 3. Strukturen 91 3.1 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL), ehemals Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) bzw. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 91 3.2 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 98 3.3 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) 100 3.4 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 101 3.5 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. (ADÜTDF) 102 3.6 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 104 4. Übersicht über erwähnenswerte extremistische Organisationen von Ausländern sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse 107 4. Abschnitt Rechtsextremismus 1. Aktuelle Entwicklungen 111 1.1 NPD sucht weiter Wege aus der Krise 111 1.2 Die Neonazi-Szene im Aufwind 115 1.3 Sonstige Entwicklungen 120 1.3.1 Kaum Aktionen zum 23. Todestag von Rudolf Heß in Bayern - dafür erneuter Gedenkmarsch für den verstorbenen Neonazi Jürgen Rieger 120 Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Inhalt 6 1.3.2 Immobiliennutzung mit rechtsextremistischem Hintergrund 121 1.4 Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten - Exekutivmaßnahmen 122 1.4.1 Wohnungsdurchsuchungen bei Mitgliedern der rechtsextremistischen Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) 122 1.4.2 Exekutivmaßnahmen 123 1.4.3 Gewalttaten 124 1.4.4 Sonstige Straftaten 126 2. Ideologie und Strategie 127 2.1 Merkmale und Aktionsfelder des Rechtsextremismus 127 2.2 Autonome Nationalisten (AN) 129 2.3 Die Rolle des Internets 130 2.4 Rechtsextremistische Musik und ihre Anziehungskraft auf Jugendliche 132 3. Strukturen 134 3.1 Parteien, Vereinigungen und Verlage 134 3.1.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 134 3.1.2 Bürgerinitiative Ausländerstopp Nürnberg (BIA-Nürnberg) 138 3.1.3 Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA-München) 139 3.1.4 Deutsche Volksunion (DVU) 140 3.1.5 Rechtsextremistische Verlage 141 3.1.6 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 142 3.2 Neonazismus und Kameradschaften 143 3.2.1 Freies Netz Süd (FNS) 145 3.2.2 Freier Widerstand Süddeutschland (FWS) 147 3.2.3 Nationales Bündnis Niederbayern (NBN) 149 3.3 Rechtsextremistische Jugend-Szenen 150 3.3.1 Rechtsextremistische Skinheads 151 3.3.2 Unterwanderung anderer Subkulturen 152 4. Übersicht über erwähnenswerte rechtsextremistische Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse 154 Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Inhalt 7 5. Abschnitt Linksextremismus 1. Aktuelle Entwicklungen 157 1.1 Partei DIE LINKE. 157 1.2 Proteste gegen die 46. Konferenz für Sicherheitspolitik in München 163 1.3 Zunahme der Gewaltbereitschaft 165 1.3.1 Linksextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten 165 1.3.2 Formen der Gewaltausübung 167 2. Ideologie und Strategie 171 2.1 Wurzeln des Linksextremismus 171 2.2 Gewaltorientierte Linksextremisten: Autonome, Antideutsche und Anarchisten 177 2.3 Aktionsfelder 182 3. Strukturen 186 3.1 Parteien und Vereinigungen 186 3.1.1 Die LINKE. und ihre Zusammenschlüsse 186 3.1.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Umfeld 191 3.1.2.1 DKP 191 3.1.2.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 193 3.1.2.3 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) 195 3.1.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 197 3.1.4 Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus 198 3.1.5 Sonstige linksextremistische bzw. linksextremistisch beeinflusste Organisationen 198 3.2 Autonome Gruppierungen 201 4. Übersicht über erwähnenswerte linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse 204 Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Inhalt 8 6. Abschnitt ScientologyOrganisation (SO) 1. Verfassungsfeindliche Bestrebungen der SO 207 2. Geschichte und Ideologie 208 3. Die totalitäre Organisationslehre der SO 209 4. Organisationsstruktur 211 5. Aktuelle Entwicklungen/Ausblick 213 5.1 Ideale Org-Kampagne 213 5.2 KVPM-Kampagne gegen die Psychiatrie in München 214 5.3 Kontaktaufnahmeversuche der SO 214 5.4 Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen 216 6. Vertrauliches Telefon und Informationsangebot 217 7. Abschnitt Spionageabwehr 1. Aktuelle Entwicklungen 219 2. Ziele - Akteure - Strategien 223 2.1 Proliferation 223 2.2 Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage 224 2.3 Politische und militärstrategische/-technologische Spionage 225 2.4 Oppositionellenbeobachtung 227 2.5 Aufgaben und Strukturen chinesischer und russischer Nachrichtendienste 227 3. Sensibilisierung und Prävention 230 Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Inhalt 9 8. Abschnitt Organisierte Kriminalität (OK) 1. Aktuelle Entwicklungen 235 1.1 Gewalt rivalisierender Rockergruppen hält an 235 1.2 "Indoorplantagen" weiterhin im Trend 238 2. OK als Phänomen und seine Bekämpfung durch den Verfassungsschutz 240 2.1 Definition der Organisierten Kriminalität 240 2.2 Zusätzlicher Erkenntnisgewinn durch den Einsatz des Verfassungsschutzes im Bereich der OK 240 3. Strukturen 241 3.1 OK aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten 241 3.2 OK-Gruppierungen aus dem Balkan und der Türkei 242 3.3 OK-Gruppierungen aus Asien 243 3.4 Italienische Mafia 244 3.5 Rockerkriminalität 245 Anhang Grafische Darstellung extremistischer Entwicklungen 249 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 250 Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz (PKGG) 264 Sachwortregister 268 Impressum 270 Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 11 1. Abschnitt Verfassungsschutz in Bayern Die Bundesrepublik Deutschland ist nach ihrer Verfassung eine wertgebundene, wachsame und wehrhafte Demokratie. Der Staat kann gegen Bestrebungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuschaffen, die in der Verfassung vorgesehenen Abwehrmittel einsetzen, z. B. durch ein Parteioder Vereinsverbot. Dies setzt voraus, dass er solche Bestrebungen oder Aktivitäten, die als "extremistisch" oder als "verfassungsfeindlich" bezeichnet werden - diese Begriffe sind gleichbedeutend -, rechtzeitig erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Verfassungsschutzes ein. Er dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie dem Schutz des Bestandes und der Sicherheit von Bund und Ländern. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Freiheitliche unter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine Orddemokratische nung zu verstehen, die unter Ausschluss jeglicher Gewaltund Grundordnung Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören mindestens: - die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, - die Volkssouveränität, - die Gewaltenteilung, - die Verantwortlichkeit der Regierung, - die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, - die Unabhängigkeit der Gerichte, - das Mehrparteienprinzip, - die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Verfassungsschutz in Bayern 12 1. Gesetzliche Grundlagen Die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sind gesetzlich genau festgelegt. Das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz beschreibt die von Bund und Ländern auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben. Es ist zugleich Rechtsgrundlage für die Arbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz. Neben diesem Bundesgesetz bestehen in allen Ländern eigene VerfassungsBayerisches schutzgesetze. In Bayern regelt das im Anhang abgedruckte BayVerfassungsschutzerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) die Aufgaben und Begesetz fugnisse des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz, das seinen Sitz in München hat und dem Bayerischen Staatsministerium des Innern unmittelbar nachgeordnet ist. Für das Landesamt wurden im Haushaltsplan 2010 insgesamt 433 Stellen für Beamte und Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst ausgewiesen; das Haushaltsvolumen 2010 betrug 25 Millionen Euro. 2. Aufgaben des Verfassungsschutzes BeobachtungsNach dem Bayerischen Verfassungsschutzgesetz hat das Lanauftrag desamt für Verfassungsschutz im Wesentlichen den Auftrag der Beobachtung von - Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, - sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht (Sabotage und Spionage), - Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, - Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Verfassungsschutz in Bayern 13 das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), gerichtet sind und - Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität. Im Mittelpunkt der Beobachtung stehen Aktivitäten von extremistischen Organisationen. Dazu müssen zwangsläufig auch die Mitglieder und Unterstützer erfasst werden. Aber auch die Beobachtung von Einzelpersonen ist zulässig. Der Verfassungsschutz beobachtet verfassungsfeindliche BestreInlandsbungen im Inland. Er informiert die politisch Verantwortlichen und nachrichtendienst die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der Beobachtung, vor allem über mögliche Gefahren. Er versetzt die zuständigen staatlichen Stellen des Bundes und der Länder in die Lage, verfassungsfeindlichen Kräften rechtzeitig und angemessen zu begegnen. Im Gegensatz zum Verfassungsschutz beschafft der BundesAbgrenzung zu nachrichtendienst (BND) Informationen über das Ausland, die für BND und MAD die Bundesrepublik Deutschland außenund sicherheitspolitisch von Interesse sind. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) nimmt Verfassungsschutzaufgaben im Bereich der Bundeswehr wahr. Weitere Aufgabenbereiche des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz stellen der Geheimund Sabotageschutz dar. Die einzelnen Mitwirkungsaufgaben ergeben sich aus Art. 3 Abs. 2 BayVSG. Unter dem Begriff Geheimschutz versteht man die Maßnahmen, die verhindern sollen, dass Unbefugte von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Informationen und Unterlagen - so genannten Verschlusssachen - Kenntnis erhalten. Verschlusssachen gibt es in Behörden, aber auch in privatwirtschaftlichen Unternehmen, die im Auftrag des Staates tätig werden. Der materielle Geheimschutz umfasst die organisatorischen und technischen Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, um Verschlusssachen vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Je nach ihrem Schutzbedarf werden die Verschlusssachen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Verfassungsschutz in Bayern 14 von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung unterschiedlich eingestuft. Die Verschlusssachenanweisung sieht abhängig von der Schwere des Schadens, der bei Verletzung der Geheimhaltung für den Bestand, die Sicherheit oder sonstige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder eintreten kann, vier verschiedene Geheimhaltungsstufen und entsprechend abgestufte Schutzvorkehrungen vor. Personeller Der personelle Geheimschutz beinhaltet die SicherheitsüberGeheimschutz prüfung von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen. Die Sicherheitsüberprüfung nach dem Bayerischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz soll gewährleisten, dass nur zuverlässige Personen eingesetzt werden, bei denen keine Umstände vorliegen, die ein Sicherheitsrisiko darVorbeugender stellen. Der vorbeugende personelle Sabotageschutz wurde als personeller Reaktion auf die Terroranschläge des 11. September 2001 als weiSabotageschutz tere Aufgabe in das Bayerische Sicherheitsüberprüfungsgesetz aufgenommen. Seit dem 1. Januar 2005 werden Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen lebenswichtiger Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ist Ansprechpartner für alle geheimschutzbetreuten Firmen, die ihren Sitz in Bayern haben. Ziel ist dabei, jedem Hinweis, der den Verdacht auf eine nachrichtendienstliche Tätigkeit, einen Verrat oder Sabotage begründen könnte, nachzugehen. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz wirkt zudem an Zuverlässigkeitsüberprüfungen im Rahmen des Luftsicherheitsgesetzes und des Atomgesetzes mit. 3. Informationsbeschaffung Zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags ist der Verfassungsschutz verpflichtet, Informationen zu beschaffen, auszuwerten und zu speichern. Diese Nachrichten werden zum weit überwie- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Verfassungsschutz in Bayern 15 genden Teil aus offenen Quellen gewonnen (z. B. aus Zeitungen, Offene Quellen Zeitschriften, Flugblättern, Programmen, Broschüren und sonstigem Material extremistischer Organisationen sowie bei deren öffentlichen Veranstaltungen). Einen Teil der Informationen erhält der Verfassungsschutz durch Anwendung nachrichtenNachrichtendienstlicher Mittel. Zu diesen Mitteln gehören im Wesentlichen: dienstliche Mittel - der Einsatz von V-Leuten (Dabei handelt es sich um Personen, die der Verfassungsschutzbehörde selbst nicht angehören, aber aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Beobachtungsobjekt "Szene-Erkenntnisse" gegen Bezahlung liefern.), - das Beobachten verdächtiger Personen (Observation) sowie - verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (ÖffPostund Telenen von Briefen, Abhören von Telefongesprächen) sind bekommunikationssonders strengen rechtsstaatlichen Anforderungen unterworüberwachung fen. Sie sind in einem eigenen Gesetz geregelt, das nach dem Beschaffung Offene Beschaffung Beschaffung bei anderen Behörden und Privaten - Auswertung von Partei- - Polizeiliche Ermittlungsakten, programmen, Satzungen, Gerichtsurteile, Auskünfte Vereinspublikationen, anderer Behörden Flugblättern usw. - Informationserhebung bei - Medienauswertung, privaten Institutionen insbesondere das Internet (Banken, Fluggesellschaften, - Besuch öffentlicher TelekommunikationsdienstVeranstaltungen leister usw.) Nachrichtendienstliche Beschaffung (unter strengen gesetzlichen Voraussetzungen) - Führen von Informanten (V-Leute und verdeckte Ermittler) - Observationen - Verdeckte Wohnraumüberwachung, verdeckte Videotechnik, Fotografie - Kontrolle des Telefonund Briefverkehrs - Legendierte Ermittlungen usw. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Verfassungsschutz in Bayern 16 Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses "Artikel 10Gesetz" (G 10) genannt wird. Ein Verfahren mit mehreren voneinander unabhängigen Kontrollinstanzen stellt sicher, dass in dieses Grundrecht nur eingegriffen wird, wenn die im Gesetz genannten besonderen Gründe vorliegen. Ähnliches gilt für die seit Beginn des Jahres 2003 eingeführten Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern sowie für die Verwendung des so genannten IMSI-Catchers zur Feststellung unbekannter Mobiltelefonnummern. Besonders strenge rechtsstaatliche Sicherungen gelten auch für den Einsatz besonderer technischer Mittel im Schutzbereich des Artikel 13 des Grundgesetzes, also für den Einsatz von Abhörgeräten oder versteckten Kameras in Wohnungen und Büros sowie für den verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme. Keine polizeilichen Dem Verfassungsschutz stehen keine polizeilichen Befugnisse Befugnisse zu. Polizeibehörden und Verfassungsschutz sind voneinander getrennt. Deshalb dürfen die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes keinerlei Zwangsmaßnahmen (wie z. B. Festnahmen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen usw.) durchführen. Verfassungsschutzbehörden dürfen auch keiner polizeiliche Dienststelle angegliedert werden. Dies steht aber einer informationellen Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung nicht entgegen. Im Gegenteil sind diese unabdingbare Voraussetzungen für eine effiziente Arbeit der Sicherheitsbehörden. Erscheint aufgrund der dem Verfassungsschutz vorliegenden Informationen ein sicherheitsrechtliches Eingreifen erforderlich, so wird die zuständige Sicherheitsbehörde unterrichtet. Diese entscheidet dann selbständig, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. 4. Kontrolle Parlamentarische Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden unterliegt einer vielKontrolle fältigen Kontrolle. Dazu gehört die allgemeine parlamentarische Kontrolle, die durch die Berichtspflicht des verantwortlichen Ministers gegenüber dem Landtag im Rahmen von aktuellen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Verfassungsschutz in Bayern 17 Stunden, Anfragen von Abgeordneten, Petitionen usw. ausgeübt wird. Eine besondere Kommission des Bayerischen Landtags, das Parlamentarische Kontrollgremium, überwacht die Arbeit des Verfassungsschutzes. Die G 10-Kommission überprüft die Maßnahmen zur Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs - deren Zahl im Jahr 2010 wie schon in der Vergangenheit im unteren zweistelligen Bereich lag -, die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern sowie des Einsatzes des so genannten IMSI-Catchers. Die Verwaltungskontrolle obliegt dem Innenminister im Rahmen der Dienstund Fachaufsicht, ferner dem Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz und dem Bayerischen Obersten Rechnungshof. Diese Kontrollen werden ergänzt durch eine mögliche gerichtliche Nachprüfung belastender Einzelmaßnahmen sowie durch die Öffentlichkeit in Form von Presse, Funk und Fernsehen. 5. Präventionsarbeit Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann auf Dauer nicht ohne die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus gesichert werden. Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes gewährleistet, dass Regierung und Parlament, aber auch die Bürger über Aktivitäten und Absichten verfassungsfeindlicher Organisationen informiert werden. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes klärt das BayeAufklärungsarbeit rische Landesamt für Verfassungsschutz durch zielgruppenorientierte Fachvorträge und die Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen über aktuelle extremistische Entwicklungen auf; im Jahr 2010 lagen hierbei die Schwerpunkte bei den Themen "Rechtsextremismus" und "Islamismus". Die Fachvorträge dienen vor allem der Sensibilisierung von Multiplikatoren und werden hauptsächlich von Schulen und Universitäten, Bildungsakademien, Kommunen, Trägern politischer Bildung und Jugendarbeit, demokratischen Bürgerinitiativen, politischen Parteien und Stiftungen nachgefragt. Von Medienvertretern war ein verstärktes Interesse an Hintergrundgesprächen zu aktuellen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Verfassungsschutz in Bayern 18 Entwicklungen im Bereich "Islamismus" zu verzeichnen. Im Bereich "Rechtsextremismus" arbeitete das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz u. a. mit der Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus und mit der Projektstelle gegen Rechtsextremismus - Bayerisches Bündnis für Toleranz, Demokratie und Menschenwürde schützen - zusammen. Es beteiligte sich auch an Ausbildungsund Fortbildungsmaßnahmen anderer Behörden; Hauptbedarfsträger ist hier die Bayerische Polizei. Wirtschaftsschutz Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat innerhalb der Spionageabwehr einen eigenen "Bereich Wirtschaftsschutz" geschaffen, der umfassende Präventionsangebote zur Verhinderung von Proliferation, Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage anbietet. Einer der Schwerpunkte ist es, allen bayerischen Unternehmen und Hochschulen die notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen, um Spionage zu erkennen und erfolgreich abzuwehren. Ergänzend zum Beratungsangebot werden auch Mitteilungen und Fragen rund um den Themenbereich Proliferation, Wirtschaftsund Wissenschaftsschutz entgegengenommen. Seit September 2010 besteht das Internetportal www.wirtschaftsschutz.bayern.de www.wirtschaftsschutz.bayern.de Internetportal mit Im Rahmen eines virtuellen Unternehmens können dort Besuvirtuellem cher online und interaktiv auf ein umfangreiches Angebot an praUnternehmen xisorientierten Informationen, Tipps und relevanten Links rund um das Thema Know-how-Schutz zugreifen. Publikationen Der Verfassungsschutzbericht sowie weitere Publikationen zu den Aufgabenfeldern des Verfassungsschutzes ermöglichen es jedem Bürger, sich selbst ein Urteil über die Gefahren zu bilden, die unserem Rechtsstaat durch verfassungsfeindliche Kräfte drohen. Die Broschüre "Hellhörig bei braunen Tönen" informiert über rechtsextremistische Jugend-Szenen in Bayern. Die Broschüre "Das System Scientology - Fragen und Antworten" informiert über die Gefahren, die von der Scientology-Organisation für unsere Gesellschaft ausgehen. Die Faltblattreihe "Demokratie in Gefahr" beinhaltet wesentliche Erkenntnisse und Hintergründe zu verschiedenen Aufgabenfeldern des Verfassungsschutzes. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Verfassungsschutz in Bayern 19 Hellhörig bei braunen Tönen Rechtsextremistische Jugend-Szenen in Bayern Das in gedruckter Form vorhandene Informationsmaterial wird kostenlos zur Verfügung gestellt und kann beim Bayerischen Staatsministerium des Innern - Sachgebiet ID6 -, Odeonsplatz 3, 80539 München (Telefax: 089/ 219 21 28 42) angefordert oder direkt unter folgender Internetadresse "online" bestellt werden: www.innenministerium.bayern.de/service/publikationen www.innenministerium.bayern.de/service/publikationen (siehe Thema "Verfassungsschutz") Zusätzlich sind die Materialien im Internet unter folgender Adresse abrufbar und können als PDF-Datei heruntergeladen werden: www.innenministerium.bayern.de/sicherheit/verfassungsschutz www.innenministerium.bayern.de/sicherheit/verfassungsschutz Das Internetangebot des Bayerischen Staatsministeriums des Innern wird durch die Homepage des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz ergänzt. Die Adresse lautet: www.verfassungsschutz.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de Das am 12. Januar 2009 von der Bayerischen Staatsregierung Bayerische beschlossene Bayerische Handlungskonzept gegen RechtsextreInformationsstelle mismus setzt neben repressiven Maßnahmen gegen Rechtsgegen Extremisextremismus vor allem auch bei der Prävention einen Schwermus (BIGE) punkt. Als institutionelle Komponente wurde die Bayerische Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Verfassungsschutz in Bayern 20 Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz mit einem umfassenden Angebot an Information, Aufklärung und Beratung errichtet. Der neuen Informationsstelle gehören neben Mitarbeitern des Verfassungsschutzes auch Polizeibeamte an. Ziel der Informationsstelle ist es neben der Sensibilisierung der Öffentlichkeit auch, die Vernetzung staatlicher und gesellschaftlicher Initiativen in Bayern zu intensivieren. Hinzu kommt die Präventionsabsicht, das extremistische Personenpotenzial etwa durch das Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten, aber auch durch gezielte Beratung von Institutionen mit Blick auf gefährdete Kinder und Jugendliche zu reduzieren bzw. Rekrutierungsversuche durch extremistische Organisationen zu erschweren. Wichtige Kommunikationsmittel der Informationsstelle sind ein Beratungstelefon für alle Bürgerinnen und Bürger sowie ein ressortübergreifendes Internetportal unter der Adresse: Internetportal www.bayern-gegen-rechtsextremismus.de www.bayern-gegen-rechtsextremismus.de der BIGE Unter dieser Internetadresse sind regionale Lagebilder für alle Regierungsbezirke in Bayern und die Landeshauptstadt München mit Informationen zu rechtsextremistischen Strukturen, Aktivitäten von Rechtsextremisten sowie deren Straftaten abrufbar. Außerdem sind dort Hintergrundinformationen zum Thema Rechtsextremismus zu finden, beispielsweise zu rechtsextremen Parteien, zu rechtsextremistischen Symbolen und Zeichen sowie zur Musik der "rechten Szene". Beratungsund Hilfsangebote für Aussteiger, Schulen, Kommunen und Vereine werden über dieses Portal ebenfalls zur Verfügung gestellt. Mit ihrem breiten Angebot unterstützt die BIGE alle demokratischen Akteure. Sie arbeitet eng und vertrauensvoll mit den bestehenden Beratungsstellen zusammen. Zum Thema "Linksextremismus" wird ein vergleichbares Informationsangebot im Rahmen eines Internetportals im Lauf des Jahres 2011 zur Verfügung stehen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Verfassungsschutz in Bayern 21 6. Infound Beratungstelefone Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ist telefonisch rund um die Uhr erreichbar unter der Nummer: Erreichbarkeit 089/ 31 20 10 rund um die Uhr Speziell für Hinweise zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist dort ein Kontakttelefon eingerichtet. Die Nummer lautet: 089/ 31 20 14 80 Terrorismus Im Rahmen der von Bund und Ländern erarbeiteten Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten besteht ein Beratungsund Hinweistelefon. Das Telefon, das ebenso der Aufklärung rechtsextremistischer Aktivitäten in Bayern dienen soll, ist für Bürger und aussteigewillige Extremisten - nicht nur Rechtsextremisten - unter folgender Nummer zu erreichen: 0180 200 07 86 Aussteiger Für Opfer und Aussteiger der Scientology-Organisation (SO) sowie für Angehörige von SO-Mitgliedern unterhält das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ein "vertrauliches Telefon" mit der Telefonnummer: 089/ 31 20 12 96 SO In allen Fragen des Wirtschaftsschutzes steht das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz als Ansprechpartner zur Verfügung. Die Telefonnummer lautet: 089/ 31 20 15 00 Wirtschaftsschutz Das Beratungstelefon der Bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) ist zu erreichen unter der Nummer: 089/ 21 92 21 92 BIGE BER, RN Fa ÜROICHPRATER ' : Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 23 2. Abschnitt Islamistische/islamistisch-terroristische Bestrebungen Der Islam als Religion und seine Ausübung werden nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Islamismus dagegen ist eine Form des politischen Extremismus, der seine politischen Ordnungsvorstellungen aus dem Islam ableitet. Islamisten lehnen nicht nur die Errungenschaften der Demokratie ab, sondern formulieren eine konkrete politische Zukunftsvision, die auch in Deutschland auf eine fundamentale Änderung der Gesellschaftsordnung hin zu einer absoluten Herrschaft des Islam abzielt. Sie sind verfassungsund integrationsfeindlich. Vom gewaltbereiten islamistischen Terrorismus geht die größte Gefahr für die Innere Sicherheit Deutschlands aus. Islamistische Terroristen sehen im Islam nicht nur religiöse Gebote, sondern zwingende politische Handlungsanweisungen. Im Kampf für eine "islamische Weltordnung" berufen sie sich auf eine vermeintliche Pflicht aller Muslime zum gewalttätigen Jihad. 1. Aktuelle Entwicklungen 1.1 "Home grown"-Terrorismus: Terroristen aus Deutschland Auch in Deutschland ist von der Existenz eines gewaltbereiten islamistischen Spektrums auszugehen. Islamisten mit Aufenthalten im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet und Ausbildungen in Terrorlagern stellen ernste Sicherheitsrisiken dar. Verlautbarungen islamistischer Gruppierungen wenden sich ausdrücklich an Personenkreise aus und in Deutschland. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 24 Die Gefahr durch "home grown"-Terroristen hat zugenommen. Das Aktionspotenzial islamistischer Terroristen mit deutschem Hintergrund wurde bereits mit den zahlreichen Drohbotschaften im Rahmen der Bundestagswahl 2009 deutlich. In diesen Videos traten überwiegend deutsche Akteure in deutscher Sprache auf. Die Sprecher - wie z. B. das deutsche al-Qaida-Mitglied Bekkay Harrach, der in Marokko geboren wurde und in Bonn wohnhaft war - sind im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet Mitglieder von Terrorgruppierungen wie der Islamischen Jihad Union (IJU), der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) sowie von al-Qaida und den Taliban. Reisebewegungen Auch im Jahr 2010 waren Reisebewegungen von Islamisten aus in Terrorlager Deutschland mit dem Verdacht der Teilnahme am gewaltsamen Jihad oder an einer terroristischen Ausbildung festzustellen. Ziel waren mutmaßlich terroristische Ausbildungslager in Krisenregionen wie Afghanistan und Pakistan oder die Teilnahme an Kampfhandlungen in den Krisengebieten. Da sich alQaida zudem regional ausbreitet, gehen die Sicherheitsbehörden davon aus, dass auch im Jemen und in Somalia Terroristen geschult werden. Innerhalb des islamistischen Personenpotenzials in Deutschland werden häufig Reisen in islamisch geprägte Staaten unternommen. Diese Auslandsreisen reichen vom Familienbesuch und Urlaub über religiös motivierte Pilgerreisen, dem Erlernen der arabischen Sprache und dem Koranstudium bis zu Aufenthalten in terroristischen Ausbildungslagern und der Teilnahme am gewaltsamen Jihad. Die Reisen islamistischer Personen in islamische Staaten können zur Radikalisierung beitragen bis hin zur Beteiligung am Jihad und der Verübung von Terroranschlägen. Daraus ergibt sich ein erhebliches Sicherheitsrisiko für Deutschland und westliche Sicherheitsinteressen im Ausland. Tod des deutschen Ende April wurde der deutsche Konvertit Eric Breininger bei Konvertiten Kampfhandlungen in Pakistan getötet. Der aus dem Saarland Eric Breininger stammende Breininger war 2007 über Ägypten nach Pakistan ausgereist, wo er in einem Terrorlager ausgebildet wurde. Er war im Jahr 2008 in den Fokus der deutschen Sicherheitsbehörden gerückt, als er über eine Videobotschaft in Deutschland lebende Muslime dazu aufgerufen hatte, in den Jihad zu ziehen. Die Sicherheitsbehörden hatten damals Hinweise erlangt, wonach Breininger mit einem Begleiter nach Deutschland zurückreisen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 25 wollte, um hier möglicherweise einen Anschlag zu begehen. Anlässlich seines Tods war im Internet ein Dokument mit dem Titel "Mein Weg nach Jannah" veröffentlicht worden. Darin wird u. a. auch der Radikalisierungsverlauf von Breininger in acht Stufen nachvollzogen. Die Entwicklung begann mit einer persönlichen Identitätskrise und führte über den zufälligen Kontakt mit einem "praktizierenden Muslim" im beruflichen Umfeld zum Bruch mit dem bisherigen Leben. Im neu gewählten Milieu folgte die zunehmende Radikalisierung zum Jihadisten, insbesondere durch die Auseinandersetzung mit Propagandavideos. Dies führte schließlich zur Ausreise aus Deutschland und dem Einsatz als Jihadist in Afghanistan. Im Juni wurde in Pakistan ein Deutsch-Syrer aus Hamburg bei eiFestnahme eines ner Personenkontrolle festgenommen. Er hatte Deutschland im Deutsch-Syrers März 2009 mit einer Gruppe Islamisten verlassen, um als Mitin Pakistan glied der Deutschen Taliban Mudjahidin am Jihad teilzunehmen. In Deutschland galt er als Kopf einer Islamistengruppe, die sich im Umfeld der Anfang August von den Sicherheitsbehörden geschlossenen Hamburger Taiba-Moschee gebildet hatte; in der früheren al-Quds-Moschee verkehrten auch die Attentäter des 11. September. Der Islamist ist Ende August nach Deutschland überstellt worden. Zu der Hamburger Gruppe gehörte auch ein Deutsch-Afghane, Festnahme eines der im Juli in Kabul/Afghanistan vom US-Militär festgenommen Deutsch-Afghanen worden ist. Nach eigenen Aussagen hat er im Frühsommer Konin Afghanistan takt mit der Nummer drei der al-Qaida, Scheich Younis al-Mauretani, gehabt. Der Scheich habe über mögliche Anschläge in mehreren europäischen Ländern gesprochen. Usama Bin Ladin habe die Pläne persönlich gebilligt und einen Teil der dafür nötigen Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Die Aussagen des DeutschAfghanen sowie Aussagen des in Pakistan festgenommenen Deutsch-Syrers waren eine der Grundlagen für die verschärfte Gefährdungsbewertung im Herbst 2010. Im August haben die deutschen Chouka-Brüder alias Abu Adam und Abu Ibraheem auf einer jihadistischen Internetseite in einem Propagandavideo der IBU für den Jihad geworben. Die Brüder mit marokkanischem Hintergrund waren im Herbst 2008 in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet ausgereist. Mit dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 26 Anwerbung Video in deutscher Sprache wandten sie sich ausdrücklich an in deutscher Muslime Deutschland lebende Muslime. In dem Video gaben die Brüder für den Jihad einen Einblick in den Alltag der Kämpfer und warben um aktive Beteiligung und finanzielle Unterstützung. Tötung eines Anfang Oktober sollen in Pakistan bei einem amerikanischen Deutschen in Drohnenangriff auf ein Terrorlager mehrere Islamisten getötet einem Terrorlager worden sein. Zu den Toten gehört auch ein 20-jähriger deutscher Staatsbürger mit türkischem Migrationshintergrund aus Wuppertal/Nordrhein-Westfalen. Er war im Jahr 2010 in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet ausgereist. Reisebewegungen Den Bundessicherheitsbehörden lagen Ende des Jahres 2010 Informationen zu insgesamt rund 215 Personen mit Deutschland-Bezug und islamistischem bzw. terroristischem Hintergrund vor, die seit Beginn der 1990er Jahre eine paramilitärische Ausbildung erhalten haben bzw. eine solche beabsichtigten. Bei den Personen handelt es sich um deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund, um Konvertiten sowie um Personen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 27 anderer Staatsangehörigkeit, die sich früher in Deutschland aufgehalten haben. Von diesen 215 Personen haben sich Ende 2010 ungefähr 105 Personen (wieder) in Deutschland aufgehalten, davon befinden sich etwa 15 in Haft. Rund 40 dieser 215 Personen haben sich mutmaßlich seit Beginn des Jahres 2001 an Kampfhandlungen in Krisenregionen beteiligt. Deutsche Jihadisten treten auch im Namen der Deutschen TaliDeutsche Taliban ban Mudjahidin in Terrorvideos auf. Die Gruppierung agiert unter Mudjahidin dem Schutz der verschiedenen Organisationen des Taliban-Netzwerks in Afghanistan und Pakistan. Sie betont in ihren Botschaften vor allem die Pflicht zum Jihad und rechtfertigt Selbstmordattentate. Daneben traten auch ranghohe al-Qaida-Mitglieder wie Usama Bin Ladin und Dr. Ayman al-Zawahiri mit Botschaften an die Öffentlichkeit. Verlautbarungen wenden sich ausdrücklich an Personenkreise aus und in Deutschland. Es besteht die Gefahr, dass hierdurch Personen ohne Organisationsanbindung oder bekannte Bezüge zu jihadistischen Kreisen emotionalisiert, mobilisiert und rekrutiert werden. 1.2 Die terroristische Bedrohungslage hat sich verschärft Das Anschlagsrisiko in Deutschland ist gestiegen. In der zweiten Jahreshälfte haben sich die Warnhinweise verdichtet. Festgenommene Jihadisten berichten von Anschlagszielen in Deutschland. Anschlagshinweise verdichten sich Deutschland sieht sich seit geraumer Zeit mit einer abstrakt hohen Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus konfrontiert. Bereits im Umfeld der Bundestagswahl im September 2009 hatte sich die Bedrohungslage aufgrund zahlreicher Verlautbarungen von deutschen Akteuren in Videobotschaften zugespitzt. Seit Mitte 2010 gibt es vermehrt Hinweise auf langfristige Anschlagsplanungen der Terrororganisation al-Qaida gegen Ziele in den USA, in Europa und in Deutschland. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 28 Die abstrakte Gefährdungslage und die Auswertung verschiedener relevanter Erkenntnisse und Sachverhalte führten bei den deutschen Sicherheitsbehörden im Herbst 2010 zur EinschätQualitativ neue zung einer qualitativ neuen Bedrohungssituation. Innerhalb kurBedrohungssituation zer Zeit waren mehrere gefährdungsrelevante Sachverhalte bekannt geworden, die sich sowohl zeitlich als auch inhaltlich in hohem Maß mit bisherigen Hinweisen deckten. Aus mehreren Quellen, u. a. Aussagen von in Pakistan und Afghanistan festgenommenen deutschen Jihadisten, ergaben sich unterschiedliche Bedrohungsszenarien. Sie reichen von Anschlägen im "MumbaiStil" (Terroristen hatten im November 2008 in Mumbai/Indien u. a. Hotels gestürmt) bis hin zu gezielten Bombenattentaten. Es Anschlagspläne gibt Anhaltspunkte, dass die geplanten Anschläge möglicherweise nicht nur von deutschen Jihadisten, die in Terrorcamps ausgebildet worden sind, sondern auch von aus dem Ausland eingereisten Terrorkommandos durchgeführt werden sollen. Als Anschlagsziele kommen insbesondere Örtlichkeiten mit einem hohen Symbolwert und Orte, die mit "typischen westlichen Lebensgewohnheiten" in Verbindung gebracht werden, in Betracht, aber auch Infrastrukturen. Die Anschlagsszenarien ergeben sich dabei aus den jeweiligen Möglichkeiten und Ressourcen der Täter. Die Analyse bisheriger terroristischer Anschläge macht deutlich, dass sich die Täter der Mittel bedienen, derer sie habhaft werAnschlagsversuch den können. Ein Beispiel hierfür waren die Anschlagsversuche mit mit SprengstoffSprengstoffpaketen in Flugzeugen aus dem Jemen. Am 29. Oktopaketen aus dem ber ist bekannt geworden, dass zwei Pakete in Sanaa/Jemen aufJemen gegeben worden waren. Eines der Pakete wurde in Dubai sichergestellt. Das andere Paket war am 28. Oktober auf dem Flughafen Köln/Bonn angekommen und am Tag darauf nach Großbritannien weitergeleitet worden. In beiden Paketen befand sich ein umsetzungsfähiger Sprengsatz, der wohl im US-amerikanischen Luftraum ausgelöst werden sollte. Zu dem Anschlagsversuch hat sich al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH) bekannt. Obwohl der Transport über Köln/Bonn nur logistischen Abläufen des Frachtunternehmens geschuldet war, haben die Anschlagsversuche deutlich gemacht, dass auch deutsche Interessen durch den internationalen Terrorismus fortdauernd hoch gefährdet sind. Gefahrenpotenzial Auch wenn die verschiedenen Drohbotschaften, Reisebewegunfür Deutschland gen und Hinweise keine Anschläge in Deutschland nach sich Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 29 gezogen haben, ist die Bedrohungssituation verschärft. Quellenerkenntnisse zu den Anschlagsplanungen von al-Qaida können nicht abschließend auf Glaubwürdigkeit und Wahrheitsgehalt eingeschätzt werden. Für Deutschland besteht die Gefahr, dass autonom agierende, islamistisch motivierte Kleinstgruppen oder Einzeltäter Anschläge in Deutschland begehen. Zwar sind insbesondere die Kämpfer der Deutschen Taliban Mudjahidin in Kämpfe und Anschlagsplanungen in Afghanistan und Pakistan verwickelt. Durch die im Jahr 2010 verstärkte Propaganda von Selbstmordattentaten ist jedoch zu befürchten, dass diese Form von Anschlägen in naher Zukunft auch auf deutschem Boden oder gegen deutsche Interessen im Ausland zum Einsatz kommen könnte. Fehlgeschlagener Anschlag in Stockholm/Schweden Ein missglückter Selbstmordanschlag am 11. Dezember in Stockholm/Schweden hat deutlich gemacht, dass Europa unverändert Ziel islamistischer Terroristen ist. Bei dem Anschlagsversuch hatte ein im Irak geborener 28 Jahre alter Schwede in der Stockholmer Innenstadt ein Fahrzeug mit Sprengmitteln in Brand gesetzt und sich selbst rund 200 Meter weiter in die Luft gesprengt. Bei den Anschlägen kam lediglich der Attentäter ums Leben. Von Selbstmordden sechs mit Nägeln gefüllten Rohrbomben, die der Attentäter attentäter in einem Rucksack mit sich führte, explodierte nur eine, so dass die Sprengwirkung insgesamt gering war. Der Attentäter soll sich in Luton, einer islamischen "Hochburg" in Großbritannien, radikalisiert haben. Es gilt als wahrscheinlich dass er die Anschläge nicht als Einzeltäter umgesetzt hat, sondern zumindest über Verbindungen in terroristische Personenkreise verfügte. In einer Bekennerbotschaft hat er die schwedische Unterstützung des NATO-Einsatzes in Afghanistan sowie die Mohammed-Karikaturen des schwedischen Zeichners Lars Vilks angegriffen: "Unsere Taten werden für sich sprechen, solange ihr euren Krieg gegen den Islam sowie die Demütigungen des Propheten nicht beendet, und eure dumme Unterstützung für das Schwein Vilks ..." "... jetzt werden eure Kinder, Töchter und Schwestern genauso sterben wie unsere Brüder, Schwestern und unsere Kinder." Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 30 1.3 Exekutivmaßnahmen schwächen islamistische Organisationen in Deutschland Bei Ermittlungsverfahren gewinnen die Sicherheitsbehörden Einblicke in die Vernetzungen und Arbeitsweisen islamistischer Organisationen. Der Verein Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V. (IHH) wird verboten, weil er Spendengelder an Organisationen transferiert hat, die der Terrororganisation HAMAS nahestehen. Zentrale Organisationen im nicht-gewaltbereiten Islamismus sind die türkisch geprägte Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) und die Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD), die als Zweig der ägyptischen Muslimbruderschaft gilt. Muslimische Sowohl IGMG als auch IGD sind in muslimischen DachverbänDachverbände den vertreten und nehmen über die Verbandsarbeit Einfluss auf den politischen und interreligiösen Dialog. In diesem Zusammenhang spielen der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IR), der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) sowie der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland (KRM) eine Rolle. So konnte die IGMG über ihre Mitgliedschaft im IR mittelbar auch an der Arbeit der Deutschen Islamkonferenz (DIK) mitwirken. Im Hinblick auf verschiedene Ermittlungsverfahren im Umfeld der IGMG hat das Bundesministerium des Innern dem IR das Ruhen der DIK-Mitgliedschaft angeboten, worauf der IR im März seine Arbeit innerhalb der DIK beendet hat. ErmittlungsEin eingeleitetes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft verfahren München I wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung richtete sich gegen Funktionäre der IGD und der IGMG. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Köln wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung durch die IGMG ist nach wie vor anhängig. Die Auswertung von Beweismitteln ermöglichte den Sicherheitsbehörden Einblicke in die Vernetzungen und Arbeitsweisen islamistischer Organisationen. Ein Beispiel für die Vernetzung islamistischer Organisationen war der Verein Internationale Humanitäre Hilfsorganisation (IHH). Die Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 31 IHH war personell eng mit der IGMG verbunden. VorstandsmitVerein Internatioglieder der IHH übten Funktionen innerhalb der IGMG aus, hochnale Humanitäre rangige Funktionäre des IGMG-Dachverbandes gehörten dem Hilfsorganisation Vereinskuratorium an. Nach den Feststellungen der Behörden (IHH) hat die IHH unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe seit langem und in beträchtlichem finanziellem Umfang im Gaza-Streifen ansässige so genannte Sozialvereine, die der HAMAS zuzuordnen sind, unterstützt. Die HAMAS ist ein einheitliches Gebilde, bei dem die sozialen Aktivitäten nicht von dem terroristischen und politischen Vorgehen der Organisation getrennt werden können. Zuwendungen an die Sozialvereine der HAMAS, wie sie die IHH mit Millionenbeträgen geleistet hat, unterstützten deshalb in Wahrheit die Terrororganisation HAMAS als Ganzes und richten sich dadurch gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Das Bundesministerium des Innern hat die IHH deshalb am 12. Juli verboten. 1.4 "Milli-Görüs-Führer" Prof. Dr. Erbakan besucht IGMG in Deutschland Prof. Dr. Erbakan wird bei seinem Deutschlandbesuch im April von seiner Anhängerschaft begeistert gefeiert. Anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Milli-Görüs-Bewegung 40 Jahre hielt sich der Gründer der Bewegung, Prof. Dr. Necmettin ErbaMilli-Görüskan, vom 15. bis 19. April in Deutschland auf. Die kurzfristig anBewegung gekündigte Reise führte ihn u. a. nach Berlin und Duisburg. Bei seiner Reise durch Deutschland wurde er auch zeitweise von ranghohen Funktionären der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) begleitet. Erbakan nutzte den Deutschlandbesuch, um seine Anhänger auf die Ziele der Milli-Görüs-Bewegung einzuschwören. Am 16. April besuchte Erbakan als Redner das Freitagsgebet in einer Berliner IGMG-Moschee. Prominente Gäste waren der IGMG-Generalvorsitzende Osman Döring, der IGMG-Generalsekretär Oguz Ücüncü und der frühere Präsident der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD), Ibrahim El-Zayat. Presseveröffentlichungen zufolge bezeichnete Erbakan in seiner Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 32 Ansprache den Kapitalismus und den Kommunismus als "Zwillingsschwestern" und Systeme der Unterdrückung. Milli Görüs beschrieb er als Bewegung, die für den Beginn einer gerechten Welt stehe. Bei einer Feierlichkeit am 18. April in Duisburg mit mehr als 2.500 Teilnehmern wurde er gefeiert und mit Rufen "Mücahit Erbakan" (= "Glaubenskämpfer Erbakan") begrüßt. Laut der Tageszeitung Milli Gazete erinnerte er bei dieser Veranstaltung daran, dass die Milli-Görüs-Bewegung eine historische Angelegenheit sei. Denn sie sei eine Bewegung zur Rettung der Menschen aus einer "erstickenden Welt" mit belastenden "Grausamkeiten". Milli Görüs strebe die Gründung einer gerechten Welt an. IGMG-Generalsekretär Oguz Ücüncü betonte bei dieser Veranstaltung, dass sich die IGMG für die Gerechtigkeit in der Welt einsetze: "Wir sind davon überzeugt, dass wir die Welt verändern können und diese Überzeugung wollen wir auch an die nächsten Generationen weitergeben". In mittlerweile auf dem Internetportal YouTube eingestellten Videosequenzen wird deutlich, dass die Verherrlichung Erbakans durch seine Anhängerschaft in Europa ungebrochen ist. 1.5 Der Iran intensiviert seinen Einfluss auf in Deutschland lebende Schiiten Seit geraumer Zeit ist ein verstärktes Engagement des Iran bei der Verbreitung des islamischen Systems iranischer Prägung im Sinne eines "Revolutionsexports" auch in Bayern zu beobachten. In Deutschland existieren eine Reihe islamischer Zentren und Organisationen regimetreuer Iraner, die der iranischen Staatsführung unterstehen. Diese Institutionen haben den Auftrag, die in der iranischen Verfassung verankerte weltweite Verbreitung des islamischen Systems iranischer Prägung zu betreiben. Sie agieren nach außen hin als ausschließlich religiöse Einrichtun- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 33 gen. Tatsächlich versucht die iranische Staatsführung aber mit Hilfe dieser Zentren, Schiiten verschiedener Nationalitäten an sich zu binden und die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Grundwerte der iranischen Staatsdoktrin in Europa zu verbreiten. Im März 2009 wurde ein Dachverband, die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands e.V. (IGS), als oberste und einzige Vertretung der schiitischen Gemeinden auf Bundesebene gegründet. Das größte und einflussreichste Zentrum ist das 1962 gegründete Islamische Zentrum Hamburg (IZH). Neben der iranischen Botschaft ist das IZH die wichtigste offizielle Vertretung des Iran in Deutschland und gleichzeitig eines seiner bedeutendsten Propagandazentren in Europa. Die enge Anbindung des IZH an die Führung des Iran zeigt sich u. a. darin, dass der Leiter des IZH ein ausgewiesener islamischer Rechtsgelehrter sein muss, der vom iranischen Außenministerium bestimmt wird und als Vertreter des iranischen "Revolutionsführers" in Mitteleuropa gilt. Seit der Wiedereröffnung des iranischen Generalkonsulats (IGK) Wiedereröffnung in München im Februar 2009 sind auch in Bayern verstärkte Akiranisch-schiitischer tivitäten zur Verbreitung der iranischen Staatsdoktrin festzustelMoschee in len. So hat die iranisch-schiitische Moschee in München, die seit München 2006 geschlossen war, im Jahr 2009 ihren Betrieb wieder aufgenommen. Der frühere Trägerverein der Moschee, die Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB), ist seit März 2010 wieder aktiv. Die Bedeutung der iranisch-schiitischen Moschee München zeigt sich u. a. darin, dass sowohl der iranische Generalkonsul als auch der Leiter des IZH bereits mehrmals Veranstaltungen der Moschee besuchten. Insgesamt ist festzustellen, dass die Moschee nicht nur bei Iranern regen Zulauf hat. Das zunehmende Engagement der Islamischen Republik Iran in Bayern wurde auch bei einer Veranstaltung des IGK München im März deutlich, bei der Rahim Mashaie, der Berater des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, in einer Rede die im Ausland lebenden Iraner zur Unterstützung des Iran aufgerufen hat. Dabei unterstrich er die Bedeutung der Gründung eines "Iranischen Hauses" in München. Diese Einrichtung soll künftig als Anlaufstelle für die Schiiten in Süddeutschland dienen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 34 1.6 Islamische Gemeinde Penzberg (IGP) unterliegt im Rechtsstreit gegen Freistaat Bayern Dass bei der Islamischen Gemeinde Penzberg Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorlagen, bestätigten im Jahr 2010 zwei gerichtliche Instanzen. Die Islamische Gemeinde Penzberg e.V. (IGP) wurde 1994 für Muslime aus Bosnien, der Türkei, dem Kosovo und anderen Ländern gegründet. Der Verein bezeichnet sich selbst als multiethnisch und von Dachverbänden unabhängig, nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes bestanden Beziehungen zu Organisationen des islamistischen Extremismus. Zum einen handelt es sich um die türkisch geprägte Islamische Gemeinschaft Milli Verbindungen zu Görüs (IGMG), zum anderen um die Islamische Gemeinschaft in IGMG und IGD Deutschland (IGD), die als Zweig der ägyptischen Muslimbruderschaft (MB) gilt. So erschien die IGP bis zum Jahr 2006/2007 auf internen Mitgliedslisten der IGMG. Der IGP-Vorsitzende war nach eigenen Angaben bis 2005 persönlich Mitglied der IGMG. Der Penzberger Imam nahm 1994 mit schriftlicher Unterstützung des damaligen IGD-Generalsekretärs seine Tätigkeit auf und absolvierte in den Jahren 1994 bis 1998 ein Fernstudium an der Europäischen Fakultät für Islamische Studien (IESH) in Chateau Chinon/Frankreich, die im europaweiten Geflecht von der MB nahestehenden Verbänden steht. Aus einer richterlich angeordneten Telefonüberwachungsmaßnahme sind Gespräche des Imams und des IGP-Vorsitzenden mit dem damaligen Vorsitzenden der IGD, Ibrahim El-Zayat, und dem IGMG-Generalsekretär, Oguz Ücüncü, im Zeitraum August 2007 bis Februar 2009 dokumentiert. Mit maßgeblicher finanzieller Unterstützung aus dem Emirat Sharja (Vereinigte Arabische Emirate) eröffnete die IGP im Jahr 2005 eine repräsentative Moschee in Penzberg. Aufgrund der verstärkt öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten informierte der Verfassungsschutz die Öffentlichkeit erstmals im August 2007 über die extremistischen Hintergründe der IGP. Seitdem wird die IGP im jährlichen Verfassungsschutzbericht Bayern erwähnt. Gegen die Nennung im Verfassungsschutzbericht 2008 hat die IGP im Mai 2009 Antrag auf einstweiligen Rechtschutz beim Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 35 Verwaltungsgericht München gestellt. Diesen Antrag hat das Entscheidung des Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 3. Mai 2010 Verwaltungs(Az. M 22 E 09.2155) abgelehnt. Das Gericht hat es als korrekgerichts München te Folgerung gewertet, dass sich die IGP nur formal um eine Distanzierung von der verfassungsfeindlichen Organisation IGMG bemüht habe. Es gebe Verbindungen des Vereinsvorsitzenden der IGP sowie auch des Imams der Moschee in Penzberg zu Milli Görüs. Der Imam stehe zudem in einem Unterordnungsverhältnis zu einer weiteren verfassungsfeindlichen Organisation, nämlich der IGD, dem deutschen Zweig der extremistischen MB. Aufgrund dieser Verbindungen und der Tatsache, dass die geplante Satzung des Projekts ZIE-M (Zentrum für Islam in Europa - München) keine Regelung des Inhalts enthalten hat, wonach die Mitgliedschaft und Mitwirkung von Organisationen und Personen nicht geduldet werden, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für die Verfolgung verfassungsfeindlicher Ziele vorliegen, hat das VG festgestellt, dass eine Einflussnahme islamistischer Organisationen auf das Projekt ZIE-M nicht ausgeschlossen werden könne. Mit Beschluss vom 17. Juli 2010 (Az. 10 CE 10.1201) hat der BayeEntscheidung des rische Verwaltungsgerichtshof (VGH) die Zulässigkeit der ErwähBayerischen nung der IGP im Verfassungsschutzbericht bestätigt. Klage im VerwaltungsHauptsacheverfahren wurde im Berichtsjahr nicht erhoben. gerichtshofs In ihrer Presseund Internetarbeit weist die IGP die verfassungsschutzrechtliche Bewertung weiterhin zurück. Die IGP habe zu keiner Zeit eine Form der Unterstützung durch IGMG und IGD erhalten, noch habe eine Form der Kooperation bestanden. Der Imam der IGP hat im Berichtsjahr verschiedene Veröffentlichungen herausgegeben, in denen er für einen mit dem Grundgesetz vereinbaren Islam eintritt. Die Vereinssatzung von ZIE-M wurde zwischenzeitlich um ein ausdrückliches Bekenntnis zum Grundgesetz und eine ausdrückliche Ausschlussklausel von extremistischen Mitgliedern ergänzt. Ob in der zwischenzeitlich geäußerten Distanz zu extremistischen Organisationen eine anhaltende, eigenständige, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entsprechende Ausrichtung zu sehen ist, bleibt abzuwarten. Neue Erkenntnisse über verfassungswidrige Aktivitäten ergaben sich im Berichtsjahr jedenfalls nicht. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 36 1.7 Salafismus, die am schnellsten wachsende islamistische Bewegung Deutschlands "Infrastruktur" des politischen Salafismus in Deutschland wächst. Vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren gegen salafistisches Netzwerk in Deutschland. Der Salafismus ist derzeit weltweit eine der am schnellsten wachsenden islamistischen Bewegungen. Er orientiert sich kompromisslos an der islamischen Frühzeit vor 1.400 Jahren. Die BefürAblehnung wortung frühislamischer Herrschaftsund Gesellschaftsformen demokratischer führt zu Isolation und Ablehnung der als wesensfremd empfunWerte denen Mehrheitsgesellschaft und ihrer demokratischen Werte. Das salafistische Spektrum in Deutschland lässt sich in eine politische und eine jihadistische Strömung unterteilen, die sich in der Wahl ihrer Mittel voneinander unterscheiden. Der politische Salafismus stützt sich auf intensive Propagandatätigkeit zur Verbreitung seiner Ideologie. Jihad-Salafisten setzen hingegen auf eine Strategie der Gewaltanwendung. Die Übergänge zwischen politischem Salafismus und Jihad-Salafismus sind fließend. Politischer In Deutschland ist eine wachsende "Infrastruktur" des politiSalafismus schen Salafismus festzustellen. Sie umfasst öffentliche Publikationen, Infostände, Internetangebote, Vortragsveranstaltungen charismatischer Prediger, Islam-Fernstudium via Internet und vieles mehr. Mehrtägige "Islamseminare" von überregionaler Bedeutung finden bundesweit statt. In Bayern bietet beispielsweise die El-Salam-Moschee in München bekannten Salafisten bei Vortragsveranstaltungen eine Propagandaplattform. So fanden dort im Berichtsjahr mehrere Vorträge von prominenten salafistischen Predigern statt. Der Verein stellt sich in einer arabischsprachigen Website im Internet vor. Die thematischen Inhalte entsprechen der salafistischen Ideologie. Darüber hinaus wird auf Literatur und Links verwiesen, die als salafistisch bewertet werden. Auch andere Vereine rücken im Zusammenhang mit der Verbreitung salafistischer Ideologie zunehmend ins Blickfeld der Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 37 Öffentlichkeit. Der Braunschweiger Verein Einladung zum Paradies (EZP) hat seit seiner Gründung im Jahr 2006 durch eine zunehmende Kooperation mit anderen salafistischen Predigern, gemeinsamen Veranstaltungen wie z. B. Islamseminaren, den Druck und Verkauf entsprechender Literatur, einer sich ständig verstärkenden gemeinschaftlichen Internetpräsenz und dem Betrieb einer Islamschule ein breites unterstützendes "Missionierungs-Netzwerk" rund um den Verein geschaffen, das vor allem auf junge Muslime eine starke Anziehungskraft ausübt. Gerade durch das Internet und Videoplattformen wie YouTube richten sie sich gezielt an junge noch nicht gefestigte Muslime. Gegen die Vereine EZP und das Islamische Kulturzentrum BreVereinsrechtliche men e.V. (IKZB) ist derzeit ein vereinsrechtliches ErmittlungsverErmittlungsfahren des Bundesministeriums des Innern anhängig. EZP und verfahren IKZB sind verdächtig, sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung zu richten, indem sie als bundesweit agierendes salafistisches Netzwerk diese zugunsten der Errichtung eines islamischen Gottesstaates in Deutschland beseitigen wollen. Im Zuge dieses vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens wurden am 14. Dezember in Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Durchsuchungen durchgeführt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 38 1.8 Personenpotenzial in Bayern Während die Zahl der Mitglieder extremistischer Ausländervereinigungen in Bayern im Jahr 2009 mit 9.695 gegenüber 9.290 im Jahr 2008 leicht angestiegen war, ist die Mitgliederzahl im Jahr 2010 mit 9.555 wieder leicht zurückgegangen. Etwa zwei Drittel aller ausländischen Extremisten sind dem Islamismus zuzurechnen. Insbesondere im Bereich des islamistischen Terrorismus gibt es darüber hinaus Einzelpersonen ohne erkannten Bezug zu einer Organisation und auch Anhänger von Splittergruppen ausländischer Organisationen mit Verbindungen zum islamistischen Terrorismus. 2. Ideologie und Strategie 2.1 Ideologie des Islamismus Gesetzlicher Der Islam als Religion und seine Ausübung werden nicht vom BeobachtungsVerfassungsschutz beobachtet. Als islamisch-extremistisch auftrag (= islamistisch) werden jedoch religiös-politisch motivierte Gruppierungen und Einzelpersonen bezeichnet, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen. Dazu gehören insbesondere die Organisationen, die sich die Errichtung eines islamischen Gottesstaats zum Ziel gesetzt haben. Die in Deutschland aktiven islamistischen Gruppierungen wollen die in ihren Heimatländern bestehenden Staatsund GesellScharia schaftsordnungen durch ein auf dem Koran und der Scharia (islamisches Rechtssystem) basierendes Gesellschaftssystem ersetzen. Überwiegend streben sie sogar die weltweite Herrschaft an. Sie gehen davon aus, dass durch die Scharia eine alle Lebensbereiche umfassende islamische Gesellschaftsordnung vorgegeben sei, die es überall und in allen Bereichen zu verwirklichen gelte. Nach ihrer Überzeugung entsprechen die gesellschaftspolitischen Vorstellungen des Islam wegen ihres göttlichen Ursprungs als einziges gesellschaftliches System in allen Aspekten vollständig der menschlichen Natur. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 39 Die Trennung von Staat und Religion in westlichen Staaten wird daher nicht nur als un-islamisch abgelehnt, sondern teilweise auch aktiv bekämpft. Islamisten sind geprägt von Intoleranz gegenüber Andersgläubigen, teilweise sogar gegen Muslime, die ihrer Auslegung des Islam nicht folgen. Aufgrund ihres AbsolutAbsolutheitsheitsanspruchs fordern sie einen aktiven Kampf gegen alle "Unanspruch gläubigen" und für die weltweite Islamisierung, falls nötig durch Unterwerfung aller Nicht-Muslime. Westliche Demokratieund Gesellschaftsvorstellungen sowie der Gedanke der universellen Geltung der Menschenrechte werden abgelehnt, sofern sie nicht im Einklang mit der von den Islamisten vorgenommenen Auslegung des Korans und der Scharia stehen. Die Gleichheit der Menschen wird verneint, nur Muslime genießen volle Rechte. Damit steht der Islamismus in direktem Widerspruch zu Kernbereichen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie der Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. In einem islamistischen Staatswesen gäbe es, da alles Recht von Gott kommt und daher nicht zur Disposition steht, keine wirkliche Gewaltenteilung, kein echtes, d.h. frei gewähltes, Parlament und keine wirkliche Kontrolle der obersten Staatsgewalt. Im Fokus der Öffentlichkeit stehen in erster Linie islamistische Terrorgruppen. Übersehen wird dabei manchmal, dass auch nicht-gewaltbereite, so genannte legalistische islamistische Legalistische Gruppen eine Gefahr für die freiheitliche demokratische GrundIslamisten ordnung darstellen. Diese Organisationen sind sowohl verfassungsals auch integrationsfeindlich. Sie lehnen - trotz teilweise anderslautender Bekenntnisse - eine wirkliche Integration ab und tragen damit zur Bildung von Parallelgesellschaften entscheidend bei. Sie versuchen, vor allem junge Menschen dahingehend zu beeinflussen, dass sie die freiheitliche westliche Gesellschaftsordnung als "gottlos" ablehnen. Dazu dienen auch die privaten Koranschulen extremistischer Organisationen. Ein zentrales Anliegen vieler islamistischer Organisationen ist es, das Tragen des Kopftuchs auch in Deutschland in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu ermöglichen. Für Islamisten ist das Kopftuch ein demonstrativer und zentraler Ausdruck ihrer politischen Überzeugung und dient zur bewussten Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft. Allerdings kann das Tragen von Kopftüchern auch ausschließlich als religiöse Glaubensäußerung und -pflicht angesehen werden, ohne dass hierin eine darüber Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 40 hinausgehende politische und damit extremistische Haltung verbunden wäre. Haltung zur Die Haltung zur Gewalt unterscheidet sich von Organisation zu Gewalt Organisation. Die Anwendung von Gewalt wird nicht von allen Organisationen grundsätzlich abgelehnt, sondern eher von taktischen Überlegungen abhängig gemacht. So sehen manche Gruppierungen als Voraussetzung für einen gewaltsamen Umbruch erst die Einigung aller Muslime. Nach Ansicht islamistiJihad scher Theoretiker schließt der Jihad (wörtlich: Innerer Kampf, Anstrengung; auch bekannt als "Heiliger Krieg") als Instrument zur Verwirklichung der islamischen Gesellschaftsordnung alle zum Sieg verhelfenden Mittel ein. Allerdings bestehen über die Konkretisierung unterschiedliche Auffassungen. So befürwortet ein Teil der islamistischen Gruppierungen vor allem aus dem arabischen Raum bereits jetzt Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Die im Bundesgebiet mitgliederstärkste islamistische Gruppierung, die türkische Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG), setzt dagegen auf politische Aktivitäten zur Veränderung der gesellschaftlichen Ordnungen in der Türkei und in Deutschland. 2.2 Salafismus Der Salafismus ist derzeit weltweit eine der am schnellsten wachsenden islamistischen Bewegungen. Der Begriff Salafismus bezeichnet eine islamistische Ideologie und die aus ihr hervorgegangene heterogene Bewegung, nach der sich die Muslime in Glaube, religiöser Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran und dem vom Propheten Muhammad und den ersten Muslimen - den so genannten rechtschaffenen Altvorderen (arabisch: al-salaf al-salih) - gesetzten Vorbild auszurichten haben. Jegliches Abweichen von dieser Norm, die als ursprünglicher und reiner Islam gedacht wird, lehnen Salafisten als unstattgemäße Verfälschung des Islam bzw. "Neuerung" (arabisch: bid'a) ab. Zentraler salafistischer Glaubensinhalt ist die Ein(s)heit und Einzigartigkeit Gottes (arabisch: tauhid). Für Salafisten ist die islamische Welt in der Gegenwart von Fehlentwicklungen geprägt. Die Ursachen hierfür werden in der Entfernung der Muslime von den ursprünglichen Lehren des Islam und in der Spaltung Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 41 der islamischen Gemeinschaft (umma) in zahlreiche Rechtsschulen und Sekten gesehen. Um dieser negativen Entwicklung entgegenzuwirken, streben die Salafisten eine Reinigung des Islam von jeglichem fremden kulturellen und sozialen Einfluss an. Dem salafistischen Weltund Gesellschaftsbild liegt eine dualistische Dualistische Weltsicht zugrunde. Diese unterscheidet zwischen "Wahrheit" Weltsicht und "Falschheit"; zwischen wahrhaftem Glauben und Unglauben. Das daraus abgeleitete Loyalitätsprinzip (arabisch: al-wala' wal-bara') verlangt von den salafistischen Anhängern, dass sie sich loyal zu den "wahrhaft Gläubigen" verhalten und sich von allen anderen "Ungläubigen" (arabisch: kuffar) lossagen sollen. Als Höherwertigkeitsideologie richtet sich der Salafismus zwar Höherwertigkeitsauch gegen nicht-islamische, z. B. jüdische und christliche, Glauideologie bensvorstellungen; besonders in der Kritik steht jedoch das schiitische und mystische Islamverständnis. Die Anhänger dieser Glaubensformen werden als Ungläubige diffamiert oder mit dem Vorwurf des Götzendienstes (arabisch: shirk) belegt. Am Dialog mit Andersgläubigen sind die Salafisten nur insoweit interessiert, wie er den Interessen ihrer Mission (da'wa) dienlich ist. Weltliche Gesetze und Werte westlicher Gesellschaftsund HerrAblehnung schaftssysteme wie die Demokratie werden als un-islamisch und westlicher Werte unterlegen kategorisch abgelehnt. Die (Wieder)Errichtung einer und Gesetze "idealen" muslimischen Gesellschaft wie zu Lebzeiten des Propheten und der "salaf" kann nach Auffassung der Salafisten nur auf der Grundlage einer wortwörtlichen Auslegung von Koran und Sunna als die einzig zulässigen rechtlichen Quellen erreicht werden. Die Scharia wird in Gänze, d.h. einschließlich der Körperstrafen (Hadd-Strafen), als göttliches Gesetz für alle Menschen angesehen. "So darf kein Mensch, so mächtig er sein mag, diesen Regelungen entgegenwirken, oder ein Gesetz erlassen, das gegen sie verstoßen kann". Der Salafismus "ruft zur totalen Unterwerfung unter die legislativen Texte auf, den Edlen Qur'an und die Sunnah ... Es ist ein gesegneter Weg, denn er basiert nicht auf den Ideen, Vorstellung und Gedanken irgendeines Menschen, eines Volkes oder eines Stammes, sondern er basiert auf dem, was vom Herrn der Himmel und der Erden offenbart wurde." Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 42 Dass solche Aufrufe nicht nur im Ausland herausgegebenen Schriften oder unter Pseudonym im Internet veröffentlichten Beiträgen zu entnehmen sind, zeigt die Aussage des salafistischen Predigers Pierre Vogel bei einer Protestaktion des Vereins Einladung zum Paradies e.V. in Mönchengladbach: "Ich schlage vor, lassen sie sich doch einfach einmal Frau Merkel für die muslimischen Jugendlichen, z. B. Neukölln von den ganzen Gangs und so die Scharia einführen, das heißt für Ehrenmord gibt's die Todesstrafe, für Klauen und Raub gibt's die Hand ab und dann wollen wir mal gucken wie sich das Ganze nach einem Jahr dort entwickelt." Trotz seiner homogenen Ideologie in seinen zentralen Orientierungen ist der heutige Salafismus eine amorphe Bewegung, die über kaum festgefügte und formale bzw. zentrale Organisationsstrukturen verfügt. In Abgrenzung zu anderen islamistischen Organisationen lässt sich das salafistische Spektrum in Deutschland in eine politische und eine jihadistische Strömung unterteilen, die sich weniger in ihrer Zielsetzung als viel mehr in ihrem methodischen Ansatz sowie in der Wahl der Mittel unterscheiden. Politischer - Der politische Salafismus stützt sich auf intensive PropaganSalafismus datätigkeit - die so genannte da'wa (Ruf zum Islam/Missionierung) -, um seine Ideologie zu verbreiten und somit politischen und gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Politische Salafisten sind junge Prediger und ihre Anhänger, die den Anspruch erheben, die Probleme der Gegenwart und insbesondere die internationale Politik besser zu verstehen als ihre älteren Lehrer und durch die Rückkehr zu den Urquellen des Islam lösen zu können. - Vertreter des jihadistischen Salafismus teilen mit den politiJihadistischer schen Salafisten die Vision einer idealen islamischen GemeinSalafismus schaft nach dem Vorbild der "salaf" unter vollständiger Anwendung der Scharia. Sie glauben allerdings, dieses Ziel nicht nur durch Mission (da'wa), sondern in erster Linie mit gewaltsamen Mitteln (in salafistischer Terminologie "jihad") verwirklichen zu können. Die Grauzonen und Übergänge zwischen politischem und jihadistischem Salafismus sind fließend. Jihadistische wie auch politische Salafisten stützen sich auf dieselben ideologischen Autoritäten und Vordenker. Sowohl die religiösdogmatischen Grund- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 43 lagen wie auch die angestrebten gesellschaftlichen Ziele sind bei beiden Gruppen gleich. Sie unterscheiden sich vor allem in der Wahl der Mittel, mit denen ihre Ziele realisiert werden sollen. Sowohl der politische als auch der jihadistische Salafismus lehnen sämtliche weltlichen Gesetze, insbesondere die im Grundgesetz verankerte parlamentarische Demokratie, ab und liefern dadurch tatsächliche Anhaltspunkte für ihre verfassungsfeindlichen Ziele. Gerade für junge Muslime der dritten Generation und deutsche Konvertiten auf Identitätssuche bietet der Salafismus eine neue Projektionsfläche fernab der Religiosität der Elterngeneration bzw. der Regeln der eigenen Gesellschaft an. Konvertiten und "wiedergeborene" Muslime ohne tiefgründige Kenntnis der islamischen Religion fühlen sich als fester Bestandteil einer neuen salafistischen Solidargemeinschaft, die einfache, aber strenge Regeln, ein einfaches dualistisches Weltbild und als Ersatzfamilie einen intensiven spirituellen und sozialen Zusammenhalt bietet. Für deutschsprachige Muslime hat sich mittlerweile ein weites salafistisches Bildungsund Lehrnetz gebildet. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise die überregionalen Grundlagenseminare "Lerne den Islam", die bundesweit von Predigern salafistischer Netzwerke angeboten werden und insbesondere junge Teilnehmer ansprechen. Neben Schulungsmaßnahmen vor Ort besteht aber auch ein Trend zur Virtualisierung Salafistisches der Fortbildung über das Internet. Dabei spielt die KommunikatiBildungsund onsplattform Paltalk eine zentrale Rolle, da hier prominente AnLehrnetz gehörige des salafistischen Gelehrtennetzwerks als Online-Imame auftreten. Zusätzlich ermöglichen Live-Übertragungen über das Internet, Seminarauszüge oder "Fernuniversitäten" die Schulung vor dem Bildschirm. Die indoktrinierenden Inhalte dieser vielfältigen Angebote führen in vielen Fällen zu einer massiven Radikalisierung der Teilnehmer. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass quasi alle Personen mit Deutschlandbezug, die sich in der jüngeren Vergangenheit dem Jihad im Ausland angeschlossen haben oder diesen befürworten, zuvor in Kontakt mit Trägern salafistischer Bestrebungen standen. Auch in Bayern verdichten sich die Hinweise auf eine zunehmenSalafisten in de, sich in Netzwerken organisierende Anhängerschaft salafistiBayern scher Ideologie. Die Mehrzahl der salafistischen Einrichtungen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 44 und Netzwerke in Deutschland wie in Bayern sind dem politischen Spektrum des Salafismus zuzuordnen. Nach groben Schätzungen werden etwa 100 Personen diesen salafistischen Einrichtungen in Bayern zugerechnet. 2.3 Jihadismus und Jihadisten Ideologie Die Ideologie al-Qaidas, der Jihadismus, ist das Bindeglied im al-Qaidas internationalen terroristischen Netzwerk. Strukturelle und organisatorische Verbindungen zum al-Qaida-Netzwerk sind dagegen nicht unbedingt zwingend. Das hinter Jihadismus stehende Weltbild unterteilt die Menschen in Muslime und "Ungläubige", darunter fallen auch moderate Muslime. Die "Ungläubigen", die sich nicht bekehren lassen, müssen im bewaffneten Jihad besiegt werden. Die Grenzen von nicht gewaltbereiter islamistischer Ideologie zu jihadistischen, terroristischen Bestrebungen sind fließend. Feindbild Das gemeinsame Feindbild aller Jihadisten ist der "dekadente Westen". Die Gefährdung "westlicher" Staaten durch den islamistischen Terrorismus ergibt sich im Wesentlichen aus folgenden Kriterien: - Beteiligung am internationalen Kampf gegen den islamistischen Terrorismus - Befürwortung des militärischen Engagements in Konfliktgebieten wie Afghanistan und Irak - Erwähnung in Verlautbarungen, insbesondere durch Führungspersonen der al-Qaida - Vorwurf der Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Islam bzw. der Muslime Seit dem 11. September 2001 haben sich Vorgehen und Akteure des islamistischen Terrorismus geändert. Al-QaidaDie Täter der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA gelTerroristen ten als eindeutige al-Qaida-Terroristen. Sie waren von al-Qaida ausgewählt und ausgebildet, reisten mit einem genauen Auftrag von al-Qaida - einer damals klar strukturierten Organisation - in das Zielland USA ein und verübten dort die Anschläge. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 45 Demgegenüber wurden die in Europa in den letzten Jahren Kleingruppen durchgeführten bzw. geplanten Anschläge nicht von einer einzigen übergeordnete Organisation geplant und angeordnet. Vielmehr agiert eine Vielzahl kleiner Gruppierungen, die entweder in Kontakt zu Terroristen im Ausland stehen oder die sich über das Internet radikalisieren. Dabei trat insbesondere nach den Anschlägen in London im "home grown"Sommer 2005 der Tätertypus des "home grown"-Terroristen in Terroristen den Vordergrund. Mit dieser Bezeichnung beschreibt man autonome, informelle Gruppen von radikalisierten und gewaltbereiten Islamisten, die entweder einen Migrationshintergrund aufweisen (so genannte zweite oder dritte Einwanderergeneration) oder bei denen es sich um radikalisierte Konvertiten handelt, die aus unterschiedlichen Gründen das westliche Wertesystem ablehnen. Für "home grown"-Terroristen stellt der islamistische Terrorismus - bis hin zum Selbstmordattentat - die radikalste Form der Gesellschaftskritik dar. In Deutschland war dieser Tätertypus erstmalig bei den im September 2007 in Nordrhein-Westfalen festgenommenen Aktivisten der Islamischen Jihad Union (IJU) zu erkennen. Sie hatten eine Ausbildung in einem Lager der IJU in Pakistan erhalten. Demgegenüber stehen die beiden so genannten Kofferbomber, deren Anschläge auf zwei Regionalzüge im Sommer 2006 scheiterten. Diese kamen bereits islamistisch beeinflusst zu Studienzwecken nach Deutschland, konnten sich hier nicht integrieren und radikalisierten sich, insbesondere durch den weltweiten Protest gegen die im September 2005 veröffentlichten Mohammed-Karikaturen. Letztendlich gibt es kein einheitliches Täterprofil. Zwar lasKein einheitliches sen sich im Nachhinein oftmals Gemeinsamkeiten wie Brüche Täterprofil in der jeweiligen Biographie, Besuche bei Islamseminaren oder die Teilnahme an der Hadj (Pilgerfahrt nach Mekka) feststellen. Diese Merkmale treffen jedoch auch auf eine Vielzahl anderer Personen zu, ohne dass diese jemals mit jihadistischen Terroraktionen in Berührung kommen. Bedeutsam ist auch der Einfluss charismatischer Persönlichkeiten, die eine zentrale Rolle in einem kommunikativen Netzwerk innehaben. Diese üben durch persönliche Gespräche oder über das Internet einen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 46 entscheidenden Einfluss auf den individuellen Radikalisierungsprozess aus. 2.4 Rolle des Internets Sowohl nicht gewaltbereite Islamisten als auch islamistische Terroristen nutzen das Internet als wesentliches Propaganda-, Kommunikationsund Steuerungsmedium. Zahlreiche Seiten sorgen für eine weltweite Verbreitung der Jihad-Ideologie. Internetauftritte von islamischen Extremisten und von islamistischen Organisationen mit Verweisen bzw. Links auf diese Terrorseiten machen deutlich, wie leicht, fließend und damit gefährlich über das Internet die Radikalisierung vom Islamisten zum islamistischen Terroristen ist. Grundlage für Das Internet ist eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung "home grown"des "home grown"-Terrorismus. Islamistische TerrornetzwerTerrorismus ke versuchen, die Muslime in westlichen Ländern, insbesondere junge Männer der zweiten und dritten Einwanderergeneration sowie Konvertiten, mit ihren Internetauftritten zu erreichen. Radikalisierung bis Selbstrekrutierung, ideologische Schulung und Anschlagsplanungen können mit dem Material im Internet umgesetzt werden. Daneben sorgt eine neue Generation von islamistischen IT-Fachleuten für professionell aufbereitete und getarnte Internetauftritte. Die Internetseiten ändern häufig ihr Erscheinungsbild und sind teilweise nur kurzzeitig abrufbar. In meist passwortgeschützten Diskussionsforen bilden sich abgeschottete Gruppen. Im Mittelpunkt vieler Terrorseiten steht die Vermittlung von Fachwissen zu den Themen Waffenkunde, Bombenbau, konspirative Kommunikation und Guerillakampf. Zentrale Bedeutung Ein Beispiel für die zentrale Bedeutung des Internets ist die jüngefür al-Qaida re Entwicklung al-Qaidas. Mit Hilfe des Internets hat sich al-Qaida immer mehr von einer Organisation zu einer weltweit agierenden Bewegung entwickelt. Die Grenze zwischen al-Qaida-Sympathisanten, die mit Propaganda und ideologischer Schulung im Netz auftreten, und den Aktivisten des Terrors verschwimmt zunehmend. In jedem Land der Welt können sich Sympathisanten mit Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 47 Lehrmaterial aus dem Internet ausbilden, um im Namen al-Qaidas am Kampf teilzunehmen. Das Internet gewährleistet die Existenz, Überlebensfähigkeit und Weiterentwicklung al-Qaidas. In Video-Produktionen der al-Qaida-Medienstelle as-Sahab werden neu entstandene Organisationen offiziell durch die Führung der "Kern-al-Qaida" legitimiert. Diese Praxis belegt den weiterhin hohen ideologischen Einfluss des obersten Führers der al-Qaida, Usama Bin Ladin, und dessen Stellvertreters, Dr. Ayman al-Zawahiri. Al-Qaida will mittels Online-Magazinen gezielt potenzielle Rekruten in westlichen Ländern ansprechen. So hat al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH) mittlerweile mehrere Ausgaben des englischsprachigen jihadistischen Online-Magazins Inspire herausgegeben. Produziert wird Inspire von der 2008 gegründeOnline-Magazin ten al-Malahem Media Foundation. Die Medienstelle al-Malahem Inspire hat mit Inspire ein Medium geschaffen, das sich auf sprachlich hohem Niveau in erster Linie an im Westen lebende Sympathisanten des globalen Jihad richtet. Darin rät AQAH nicht nur zur Ausreise in Jihadgebiete, sondern empfiehlt, Anschläge unmittelbar in westlichen Ländern zu begehen, insbesondere auch, um diese Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 48 wirtschaftlich zu schädigen. Inspire beinhaltet zahlreiche Anregungen für Anschläge in westlichen Innenstädten in Eigeninitiative und für Einzelpersonen. Die Vorschläge dürften mit ihren drastischen brutalen Schilderungen auf das Interesse gewaltbereiter Islamisten stoßen. Beispielsweise werden unter dem Titel "Ultimative Mähmaschine" Muslime dazu aufgerufen, aufzuwachen und den USA das zurückzuzahlen, was den US-Amerikanern zustehe. Dazu gibt es Ratschläge, wie man den "individuellen Jihad" im Westen kostengünstig finanzieren könne. So könne man einen Pickup-Geländewagen, an dem man "vorne und hinten auf beiden Seiten Stahlklingen, am besten vom Metzger," anbringt, "mit hoher Geschwindigkeit" in eine Menschenmenge steuern und anschließend, falls eine Waffe vorhanden sei, um sich schießen, um weitere Menschen zu töten. Da es nach einem solchen Anschlag schwierig sei, zu entkommen und später nicht erkannt zu werden, wird geraten: "Es ist eine Einbahnstraße. Du kämpfst so lange weiter, bis du als Märtyrer stirbst". Weiterhin heißt es: "Diese Idee könnte in Ländern wie Israel, den USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Frankreich, Deutschland und Dänemark angewendet werden sowie in Ländern, die die israelische Besatzung Palästinas und die US-Invasion in Afghanistan und im Irak unterstützen oder eine besondere Rolle bei der Beleidigung des Propheten Muhammad gespielt haben ..." Auf den Kämpfern, die Kenntnisse in Mikrobiologie oder Chemie haben, laste eine größere Verantwortung. Diese werden ermutigt, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln. Es besteht die Gefahr, dass durch derartige Veröffentlichungen autonom agierende, islamistisch motivierte Kleinstgruppen oder Einzeltäter Anschläge in Deutschland begehen, die über soziale Netzwerke wie beispielsweise Facebook rekrutiert werden. Hier scheint sich eine strategische Änderung von al-Qaida anzudeuten. Vor allem durch eine Vielzahl kleiner Anschläge soll ein möglichst großer wirtschaftlicher Schaden entstehen. Al-Qaida bezeichnet dies als "Strategie der tausend Schritte". Dies ermöglicht es al-Qaida, auch misslungene Anschläge allein durch einen Verweis auf den wirtschaftlichen Schaden als Erfolg darzustellen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 49 2.5 Islamistische Bildungsund Jugendarbeit Die Bildungsund Jugendarbeit ist ein wesentlicher Baustein zum Erhalt und zur Fortentwicklung jeder Organisation. So wendet sich eine Vielzahl islamischer Einrichtungen in Deutschland mit altersund zielgruppenorientierten Bildungsund Betreuungsangeboten an Kinder, Jugendliche und Heranwachsende. Die Angebote sind nur teilweise extremistischer Natur. Eine Gefahr liegt jedoch darin, dass vor allem islamistische Organisationen dieser Arbeit nachgehen. Sie wollen der Jugend eine nach ihrer Ansicht moralische Orientierung geben, die aber mit den Wertvorstellungen der westlichen Gesellschaft nicht in Einklang zu bringen ist. Eine besondere Rolle bei der Bildungsarbeit islamistischer Organisationen nimmt die religiöse Fortbildung und somit der Koranunterricht ein. In nahezu allen Moscheevereinen werden Korankurse angeboten. Der Unterricht findet nach Geschlechtern getrennt in der Regel am Wochenende statt. Zusätzlich bieten die Vereine während der Ferien besondere Kurse im Inund Ausland Koranunterricht an. Parallel zu den Korankursen werden gelegentlich auch Arabischkurse angeboten, die die Rezitation und das inhaltliche Verständnis des Korans ermöglichen sollen. Dabei schaffen sich extremistische Organisationen Möglichkeiten, in die als religiöse "islamische" Bildung präsentierten Angebote islamistische, auf politische Inhalte ausgelegte Positionen einfließen zu lassen und prägend auf Kinder und Jugendliche einzuwirken. KennzeichMerkmale nend für eine islamistische, also auf politische Inhalte ausgelegte islamistischer Bildungsarbeit, sind vor allem: Bildungsarbeit - der Anspruch der Organisation, ausschließlich ihre eigene religiös-politische Lesart als zulässig zu betrachten, - die Deutung des Islams als ordnungspolitisches System, - der abwertende Umgang mit Andersgläubigen und andersdenkenden Muslimen sowie - die ablehnende Haltung gegenüber der Demokratie und den Menschenund Freiheitsrechten. Als Anbieter von Korankursen treten im Bereich der islamistiAngebote von schen Organisationen insbesondere die Islamische GemeinIGMG und IGD schaft Milli Görüs e.V. (IGMG) sowie die mitgliederstärkste Organisation von Anhängern der sunnitisch-extremistischen Mus- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 50 limbruderschaft (MB), die Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD), auf. Die IGMG versucht, mit einem breiten Angebot in der Jugendund Bildungsarbeit, wie etwa der Veranstaltung von Sommerkorankursen, junge Türken in Deutschland an die Organisation und an ihre islamistische Ideologie zu binden. Durch diese Angebote sollen Kinder und Jugendliche aus dem "Sumpf der westlichen Lebensweise" herausgehalten und nach "islamischen" Wertmaßstäben erzogen werden. Neben den traditionellen Schulungen in Wochenendund Sommerkorankursen für Kinder setzt die IGMG aber inzwischen auch gezielt auf attraktive Veranstaltungen für Jugendliche und Studenten. So veranstaltete die IGMG am 4. April 2009 mit etwa 3.000 Teilnehmern in Dortmund ihren zweiten europaweiten Studententag (Uniday 2009). Ziel der IGMG ist es, nicht nur eine bestimmte Zielgruppe anzusprechen, sondern auch ein positives Image als bildungsfördernde Vereinigung zu gewinnen. Muslimischen Studenten soll der Eindruck vermittelt werden, dass die IGMG sich ihrer annimmt und ihre Interessen - im Gegensatz zu anderen studentischen Vertretungen - wirkungsvoll vertritt. Die IGD bemühte sich in den letzten Jahren verstärkt um Attraktivität für die in Deutschland aufgewachsenen Muslime arabischer Herkunft. Diese sollen u. a. über den Ausund Aufbau von Bildungseinrichtungen in Islamischen Zentren der IGD erreicht werden. "Pop-Islamismus" Neben der herkömmlichen Bildungsund Jugendarbeit haben islamistische Jugendorganisationen aber auch die Sogund Identifikationswirkung von Musik auf muslimische Jugendliche entdeckt. So demonstriert ein Teil der in Deutschland geborenen oder aufgewachsenen jungen Muslime vor allem durch Rap-Musik ein neues "islamisches Bewusstsein". Inhalt und Form der Musik sind ebenso wie die Darstellung gewollt politisch und gesellschaftlich provokant gehalten. Themen sind beispielsweise die "ungerechtfertigt negative" Darstellung des Islam in den deutschen Medien, die "Kopftuchdebatte" oder der "Krieg gegen den Terror". Die Texte rufen dabei zu einem Bekenntnis für eine "islamische Identität" auf. Die "Gesellschaftskritik", die wesentlicher Bestandteil der Rap-Musik ist, wird dabei religiös-politisch Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 51 untermauert. Zum Teil bieten islamistische Jugendorganisationen diesen deutschsprachigen Bands gezielt eine Plattform für Auftritte. Ein weiteres wichtiges Idol junger Muslime weltweit ist der ägyp"Fernsehprediger" tische "Fernsehprediger" Amr Khaled. Durch seine regelmäßigen Auftritte im saudi-arabischen Satellitensender Iqra genießt er hohe Popularität bei seinem überwiegend jugendlichen Zielpublikum. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt Khaled als "unpolitischer", aber der ägyptischen MB nahestehender Prediger, der sich vor allem alltäglicher Probleme junger Muslime annimmt. Die Popularität Khaleds machen sich auch extremistische Organisationen zu Nutze, indem sie ihn zu ihren Veranstaltungen einladen. Auch die 1994 gegründete Muslimische Jugend in DeutschMuslimische land e.V. (MJD) betreibt intensive Jugendarbeit. Sie ist formal ein Jugend in rechtlich unabhängiger Jugendverband, steht aber der IGD nahe. Deutschland e.V. Die IGD ist von den ideologischen Grundsätzen der MB geprägt. Die MJD ist eine bundesweit organisierte deutschsprachige Organisation für muslimische Jugendliche und Konvertiten aus bildungsorientierten Schichten. Organisiert ist die MJD in so genannten Lokalkreisen, von denen derzeit bundesweit 23 existieren. Mitglied kann laut Satzung jede muslimische Jugendgruppe sowie jeder muslimische Jugendliche zwischen 13 und 30 Jahren werden. Hauptsitz der MJD ist Berlin. Ein sehr aktiver Lokalkreis befindet sich in München. Auch das Internet spielt bei der Vermittlung islamistischer LehrinLernangebote halte eine wachsende Rolle. So ist eine große Anzahl einschlägiim Internet ger Internetseiten zu verzeichnen, die zum Teil miteinander verlinkt sind und Schulungen in Form von Audiooder Video-Dateien zum Herunterladen anbieten. Teilweise werden auch Islamseminare live via Internet übertragen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich in Deutschland zwischenzeitlich ein umfangreiches und weit verzweigtes privates islamistisches Bildungsund Schulsystem entwickelt hat. Die Gefahren dieser Entwicklung sind erheblich. Einerseits kann die Bildungsund Sozialarbeit islamistischer Träger bei Schülern zu einer Radikalisierung beitragen; anderseits dienen die Angebote der islamistischen Veranstalter auch der Rekrutierung von Nachwuchs. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 52 3. Strukturen 3.1 Islamistische Gruppierungen 3.1.1 Milli-Görüs-Bewegung Führer der MilliProf. Dr. Necmettin Erbakan, verstorben am Görüs-Bewegung 27. Februar 2011 Vorsitzender des Osman Döring, genannt Yavuz Celik Karahan europäischen Zweigs (IGMG) Entstehung der ca. 1970 Bewegung (Türkei) Entwicklung in Europa Gründung 1985 in Köln als Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V. (AMGT); 1995 Aufteilung in die beiden unabhängigen juristischen Personen Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) und Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft (EMUG). Die IGMG ist Mitglied im Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland. Mitglieder Deutschland: 30.000 Bayern: 4.700 Sitz der IGMG Kerpen Sprachrohr der Milli Gazete (Nationale Zeitung) Milli-Görüs-Bewegung Publikation der IGMG Perspektif Die islamistische Milli-Görüs-Bewegung ist ein Sammelbecken von Anhängern des am 27. Februar 2011 verstorbenen türkischen Politikers Prof. Dr. Necmettin Erbakan. Ziel der Bewegung ist es, zunächst die laizistische Staatsordnung in der Türkei durch eine islamische Staatsund Gesellschaftsordnung mit dem Koran und der uneingeschränkten Gültigkeit der Scharia als Grundlagen des Staates und des gesellschaftlichen Zusammenlebens abzulösen. Ihr erklärtes Fernziel ist darüber hinaus die weltweite Einfüh - rung einer islamischen Staatsund Gesellschaftsordnung nach dem Vorbild des alten osmanischen Reichs unter Führung der Türkei. Die Milli-Görüs-Bewegung ist damit nicht nur als religiös ausgerichtete Gemeinschaft anzusehen, sondern zudem eine politisch ausgerichtete Bewegung, die sich einen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 53 weltweiten gesellschaftlichen Umbruch zum Ziel gesetzt hat. Die Bestrebungen der Milli-Görüs-Bewegung richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die Milli-Görüs-Bewegung wurde Ende der 1960er Jahre von "Milli Görüs" und dem türkischen Politiker Prof. Dr. Necmettin Erbakan gegründet. "Adil Düzen" Zentrale Bedeutung in Prof. Dr. Erbakans politischem Denken haben die von ihm geprägten Schlüsselbegriffe "Milli Görüs" (Nationale Sicht) und "Adil Düzen" (Gerechte Ordnung). Nach der von Prof. Dr. Erbakan entwickelten Ideologie ist die Welt in die auf dem Wort Gottes fußende religiös-islamische Ordnung (Adil Düzen) einerseits und die westliche Ordnung der Gewalt und Unterdrückung (Batil Düzen = Nichtige Ordnung) andererseits aufgeteilt; der letzteren (Batil Düzen) spricht Prof. Dr. Erbakan jede Existenzberechtigung ab. Es gelte, ein solches System durch eine "Gerechte Ordnung" zu ersetzen, wofür die Ausrichtung an islamischen Grundsätzen statt an von Menschen geschaffenen und damit "willkürlichen Regeln" erforderlich sei. Die "Gerechte Ordnung" soll alle Lebensbereiche erfassen und zunächst in der Türkei und danach in der ganzen Welt verwirklicht werden. Zu den klassischen Feindbildern gehören neben der westlichen Welt auch der Staat Israel - meist als "Zionisten" umschrieben - sowie Kommunismus, Imperialismus, Kapitalismus und Christentum. Insgesamt ist das "Adil-Düzen-Konzept" mit den GrundprinzipiVerfassungsen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar: feindlichkeit - Die Einführung einer islamischen Gesellschaftsordnung würde den Grundsatz der Gewaltenteilung, das Rechtstaatsprinzip, die Unabhängigkeit der Richter und das Demokratieprinzip beseitigen. - Die propagierte Vormachtstellung sowohl des politischen Islam als auch der Türkei würde zu einer verfassungsmäßig nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung anderer Religionen, Ethnien und des weiblichen Geschlechts führen sowie die im Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention konkretisierten Menschenrechte verletzen. - Der in der Milli-Görüs-Bewegung vertretene Antisemitismus führt zu einer ausgrenzenden Benachteiligung des jüdischen Volkes und der jüdischen Religion und verletzt die Menschenrechte sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 54 - Die Bestrebung, die gesamte Welt unter islamische Führung zu stellen, würde die republikanische Ordnung Deutschlands ebenso beseitigen wie den Grundsatz der Gewaltenteilung und des Demokratieprinzips einschließlich der Wahlgrundsätze. - Die Bildung einer Opposition, die nicht den Ansprüchen des Islams in der politischen Sichtweise der Milli-Görüs-Bewegung genügt, wäre in einem derartigen Staat ausgeschlossen. - Die Ausrichtung der Milli-Görüs-Bewegung auf eine sultansähnliche türkische Führerfigur zeigt nationalistisch-diktatorische Züge und widerspricht der republikanischen Struktur Deutschlands sowie dem Demokratieprinzip. - Das Streben nach einer "Großtürkei" als bestimmende Macht auch in Europa und der Welt zielt auf die Beseitigung nationalstaatlicher Grenzen und widerspricht damit dem in der Verfassung verankerten Grundsatz der Völkerverständigung. Ihre Großmachtbestrebungen versucht die Milli-Görüs-BeweWesentliche gung durch arbeitsteiliges Zusammenwirken unterschiedlicher Komponenten Teilbereiche zu erreichen. Wesentliche Komponenten sind dabei: - die Saadet Partisi (SP - Glückseligkeitspartei) in der Türkei, - die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) als Repräsentantin im Ausland, - die Milli Gazete als publizistisches Sprachrohr und - der türkische Fernsehsender TV 5. Das Zusammenwirken der IGMG, der SP und ihrer Sprachrohre Milli Gazete und TV 5 zeigt, dass es sich um Institutionen handelt, Milli-Görüs-Bewegung türkische Auslandsorganisation Inlandsorganisation Sitz: Deutschland und Mutterorganisation der Bewegung Saadet Partisi (SP) IGMG e.V. Sprachrohr (Türkei und Ausland) "Milli Gazete", "TV 5" Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 55 die zwar formal eigenständig sind, die aber nur als Glieder einer einheitlichen politischen Bewegung verstanden werden können. Saadet-Partisi (SP) in der Türkei In der Türkei sind die Anhänger der islamistischen Milli-GörüsBewegung seit 2001 in der Saadet-Partisi (SP - Glückseligkeitspartei) organisiert, nachdem die Vorgänger-Parteien Refah Partisi (RP - Wohlfahrtspartei) und Fazilet Partisi (FP - Tugendpartei) wegen "antilaizistischer Aktivitäten", also wegen Aktivitäten, die die Trennung von Staat und Religion rückgängig machen würden, verboten wurden. Die SP ist faktisch die heimatliche Mutterpartei der gesamten Milli-Görüs-Bewegung. Nach einer parteiinternen Führungskrise trat der Vorsitzende der SP, Prof. Dr. Numan Kurtulmus, im Oktober aus der SP aus. Auf dem anschließend einberufenen Parteitag in Ankara wählten die Delegierten Prof. Dr. Erbakan am 17. Oktober zum neuen Parteivorsitzenden. An dem Parteitag nahmen laut einem Bericht der Zeitung Milli Gazete auch viele Anhänger der Milli Görüs aus Europa teil. Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) als Auslandsorganisation der Milli-Görüs-Bewegung Die IGMG bildet die Auslandsorganisation der Milli-Görüs-Bewegung. Der Sitz der IGMG-Zentrale befindet sich in Kerpen/ Nordrhein-Westfalen. Der Zentrale sind mehr als 30 "Gebiete" nachgeordnet, davon etwa die Hälfte allein in Deutschland. Weitere "Gebiete" befinden sich in europäischen Ländern (u. a. in Österreich, Frankreich und Belgien), aber auch in Kanada und Australien. Unterhalb der "Gebietsebene" sind die "Ortsvereine" angesiedelt. Auch hier zeigt sich, dass sich die Bestrebungen der IGMG vor allem auf Europa und hier insbesondere auf Deutschland als größte türkische Exklave konzentrieren. So befinden sich von den insgesamt rund 500 "Ortsvereinen" etwa 325 in Deutschland. In Bayern sind etwa 50 "Ortsvereine" akOrganisation tiv, mit regionalen Schwerpunkten in Nürnberg und München. in Bayern Die Struktur belegt den hierarchischen Aufbau. Das Bemühen der IGMG um gesellschaftliche Akzeptanz führte in der Vergangenheit bei mehreren "Ortsvereinen" zur Annahme von neutralen Bezeichnungen. Solche Vereine geben sich Satzungen, die Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 56 formal keine Rückschlüsse auf die IGMG mehr zulassen. Die Zugehörigkeit zur IGMG lässt sich aber aufgrund von internen Mitgliedslisten oder durch bekannt gewordene persönliche Mitgliedschaften führender Funktionäre nachweisen. Sprachrohre Milli Gazete und TV 5 Die türkischsprachige Zeitschrift Milli Gazete ist eine formal eigenständige Publikation, die jedoch inhaltlich den Lesern die Ideologie von Milli Görüs vermittelt; das Blatt verfügt auch über eine Homepage im Internet. Die Tageszeitung erscheint in einer Türkeisowie in einer Europabzw. Deutschlandausgabe. In der Europaausgabe der Milli Gazete nimmt die Berichterstattung über die IGMG, die SP wie überhaupt das Thema Milli Görüs breiten Raum ein. Regelmäßig und umfänglich wird in der Milli Gazete auch über lokale, regionale und bundesweite Veranstaltungen der IGMG berichtet. Außerdem werden dort Annoncen der IGMG veröffentlicht. Glückwunschund Kondolenzanzeigen machen deutlich, dass die Milli Gazete eine wichtige Kommunikationsplattform für die IGMG und die gesamte Milli-Görüs-Bewegung ist. Weder die Homepage der IGMG noch die verbandseigene Zeitschrift Perspektif oder andere IGMG-Publikationen bieten eine derartige Fülle von Informationen über die verschiedenen IGMG-Veranstaltungen. Milli Gazete als Die Europaausgabe der Milli Gazete stellt damit die HauptinforHauptinformationsmationsquelle über das Vereinsleben der IGMG dar. Die IGMG quelle nutzt und fördert damit ein Medium, das entschieden für politische Inhalte auf der ideologischen Linie Prof. Dr. Necmettin Erbakans wie auch der SP eintritt, und Verschwörungstheorien aufgreift sowie antisemitische und antiisraelische Aussagen trifft. Angesichts dieses engen Beziehungsgeflechts können Äußerungen der Milli Gazete als repräsentativ für das Islamverständnis und für die ideologische Ausrichtung der IGMG angesehen werden. Zwar ist nicht von vornherein jeder erscheinende Artikel der Milli Gazete der IGMG zurechenbar, doch in der Rechtsprechung wird die Schlussfolgerung geteilt, dass die Milli Gazete als Sprachrohr der IGMG und der Milli-Görüs-Bewegung fungiert. Mit dem türkischen Fernsehsender TV 5 verfügt die Milli-GörüsBewegung über eine weitere Medienplattform. Die Bedeutung Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 57 des Senders ist mit derjenigen der Milli Gazete im Printmedienbereich vergleichbar. Außendarstellung In Deutschland bzw. Europa wird die Milli-Görüs-Bewegung von der IGMG repräsentiert, die damit von zentraler Bedeutung für die außerhalb der Türkei lebenden Anhänger Erbakans ist. Die IGMG-Führung, vertreten durch den Generalsekretär Oguz Ücüncü, ist nach eigener Darstellung nach außen bemüht, sich von der Milli-Görüs-Bewegung und deren ideologischen Führer Prof. Dr. Necmettin Erbakan zu distanzieren sowie den Verband als bloße Religionsgemeinschaft und verfassungstreue Organisation darzustellen. Diese Außendarstellung ist jedoch wenig überzeugend. Die enge Verbindung zur Milli-Görüs-Bewegung Verbindungen in in der Türkei, die bereits in der Beibehaltung des Begriffs Milli die Türkei Görüs im Namen der IGMG zum Ausdruck kommt, wird u. a. in engen und dauerhaften Kontakten deutlich, die nach wie vor zwischen der IGMG und dieser Bewegung in der Türkei bzw. der von ihr getragenen SP bestehen. Dies zeigt sich in der allgemeinen Zielsetzung der IGMG, die Milli-Görüs-Bewegung als solche zu stärken und zu unterstützen, indem hohe Funktionäre der SP und im Jahr 2010 Prof. Dr. Erbakan auch persönlich an Veranstaltungen der IGMG teilnahmen. Prof. Dr. Erbakan hielt sich anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Milli-Görüs-Bewegung vom 15. bis 19. April in Deutschland auf. Bei seiner Reise durch Deutschland wurde er von ranghohen Funktionären der IGMG begleitet. Die Jugendarbeit gehört zu den Schwerpunktaufgaben der IGMG. Mit ihrem breiten Angebot in der Jugendund Sozialarbeit versucht die IGMG, junge Muslime in Deutschland an die Organisation zu binden. Zentrales Anliegen der IGMG-Bildungsarbeit ist es, die religiöse und kulturelle Identität türkischer bzw. türkischstämmiger Jugendlicher zu wahren. Diese wird als Voraussetzung für die in der Außendarstellung grundsätzlich begrüßte Integration in die deutsche Gesellschaft angesehen. Es liegen verschiedene Anhaltspunkte dafür vor, dass die Bildungsarbeit der IGMG am Islamverständnis und den Zielsetzungen der MilliGörüs-Bewegung ausgerichtet ist, was in deutlichem Widerspruch zur bekundeten Integrationsbereitschaft steht. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 58 Innerhalb der IGMG mag es Ansätze für Bemühungen geben, die in einen demokratischen Reformprozess münden könnten; sie sind bislang jedoch nicht konkret greifbar, wie der jüngste Deutschlandbesuch von Prof. Dr. Erbakan zeigt. Auch sind reformerische Kräfte nicht so stark, als dass sie den bisherigen verfassungsfeindlichen Kurs der IGMG insgesamt in Frage stellen könnten. Ob der Organisation eine verfassungskonforme Ausrichtung gelingt, bleibt abzuwarten. 3.1.2 Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) Anhänger Deutschland: 750 Bayern: Einzelmitglieder früherer Vorsitzender Metin Kaplan Gründung 1984 Sitz Köln Publizistisches Barika-I Hakikat (Aufleuchten der Wahrheit) Sprachrohr - erscheint derzeit nicht - In Deutschland seit 12. Dezember 2001 verboten Der Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) war eine am Führerprinzip orientierte, streng hierarchisch gegliederte Organisation. Das Endziel dieses "Staates ohne Staatsgebiet" war die Weltherrschaft des Islam unter dem Kalifat seines Anführers Metin Kaplan. Als erste Stufe auf dem Weg zu diesem Ziel erstrebte der Kalifatsstaat den gewaltsamen Sturz des laizistischen Regierungssystems in der Türkei, um dann sein Kalifat unter Anwendung von Gewalt auch auf andere Staaten, wie Deutschland, auszudehnen. Er lehnte Demokratie und jede Trennung von Politik und Religion strikt ab. Damit richtete er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung und gefährdete die Innere Sicherheit in Deutschland. Die 1984 in Köln gegründete Organisation Kalifatsstaat (ehemals Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V., Köln - ICCB) verstand sich als Wiederbelebung des durch Kemal Atatürk 1924 in der Türkei abgeschafften Kalifats. Wegen seiner aggressivkämpferischen, gegen die verfassungsmäßige Ordnung versto- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 59 ßenden und gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichteten Haltung wurde der Kalifatsstaat am 8. Dezember 2001 vom Bundesministerium des Innern verboten. Der frühere VorVereinsverbot sitzende des Kalifatsstaats Metin Kaplan, der wegen Mordaufrufs eine vierjährige Gefängnisstrafe in Deutschland verbüßt hatte, wurde 2004 in die Türkei abgeschoben. Auch nach dem Verbot des Kalifatsstaats wurden weiterhin Aktivitäten aus den Reihen der Anhänger festgestellt, die in Folge zu verschiedenen Ermittlungsverfahren und Exekutivmaßnahmen führten. Das Verbotsverfahren und die staatlichen Exekutivmaßnahmen haben die Organisationsstruktur zwar geschwächt, gleichwohl sind die Anhänger weiterhin in Deutschland präsent, wobei die Aktivitäten der Anhänger in Bayern zum Erliegen gekommen sind. Allerdings wird das Gedankengut des Kalifatsstaats weiterhin verbreitet. So ist die offizielle Internetseite des Kalifatsstaats, die über einen Server in den Niederlanden betrieben wird, abrufbar. Neben Schriften und Büchern Kaplans, Videound Audio-Dokumenten sind hier auch Ausgaben der deutschsprachigen Publikation "Der Islam als Alternative" (D.I.A.) im Volltext eingestellt. 3.1.3 Hizb ut-Tahrir Anhänger Deutschland: 300 Bayern: Einzelpersonen Gründung 1953 in Palästina Europazentrale Großbritannien Publizistische Sprachrohre explizit; al-Khilafah; al-Waie Politisches Betätigungsverbot in Deutschland seit 15. Januar 2003 Das Ziel der Hizb ut-Tahrir (Partei der islamischen Befreiung) ist die Errichtung eines "rechtgeleiteten" weltumspannenden Kalifats, das die Länder und Völker der Muslime in einem einzigen Staat eint und die Botschaft des Islam in die gesamte Welt trägt. Weitere erklärte Ziele sind die Wiedereinführung der Scharia als Strukturprinzip der islamischen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 60 Ordnung, die Auslöschung des Staates Israel und die Befreiung der muslimischen Welt von westlichen Einflüssen. Unausweichlich sei dabei ein "Kampf der Kulturen", insbesondere zwischen Islam und Christentum. Ein Dialog zwischen den Kulturen, geprägt vom Prinzip der Gleichheit und Toleranz, sei mit dem Islam unvereinbar. Der Kampf sei sowohl auf ideologischer, wirtschaftlicher und politischer als auch auf militärischer Ebene zu führen. Der militärische Kampf gegen die "Ungläubigen" sei im Sinn eines "aktiven Jihads" für jeden Muslim verpflichtend. Das BundesministeBetätigungsverbot rium des Innern verbot 2003 die Betätigung der Hizb ut-Tahrir, da sich die Gruppierung gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtete und Gewalt zur Durchsetzung politischer Belange befürwortete. Die Hizb ut-Tahrir wurde von dem Religionsgelehrten Taqi Din an-Nabhani, einem Mitglied der Muslimbruderschaft (MB), gegründet. Sie hat sich weltweit verbreitet; ab 1995 gewann sie in Zentralasien, insbesondere in den ehemaligen Sowjetrepubliken, zahlreiche Mitglieder. Anhänger der Hizb ut-Tahrir versuchten von Beginn an, militärische Institutionen und Einrichtungen in arabischen Ländern zu unterwandern und Mitglieder aus den Reihen des Militärs zu rekrutieren. In den Jahren 1968 und 1969 scheiterten Putschversuche in Amman/Jordanien und in Bagdad/Irak. Ebenso schlugen Bestrebungen zur Machtübernahme 1974 in Kairo/Ägypten und 1976 in Damaskus/Syrien fehl. Inzwischen ist die Hizb ut-Tahrir in der gesamten arabischen Welt und Zentralasien verboten. OrganisationsDie Gliederung der Hizb ut-Tahrir in Europa orientiert sich an den aufbau Grenzen der Nationalstaaten. Innerhalb der einzelnen Regionen operiert die Hizb ut-Tahrir in voneinander unabhängigen Gruppen, überwiegend in Universitätsstädten. Öffentlich wahrzunehmen ist die Organisation durch Verbreitung von Propaganda im Internet. Hierzu bedient sie sich in erster Linie im europäischen Ausland befindlicher Server. In Bayern waren nur wenige Anhänger von Hizb ut-Tahrir ansässig. Bekannt wurden Gruppen in Erlangen und München. Einige Aktivisten verließen aufgrund der konsequenten Handhabung Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 61 des Ausländerrechts Bayern. Öffentliche Auftritte von Führungsfunktionären der Hizb ut-Tahrir sind in Deutschland nicht mehr festzustellen. 3.1.4 Tablighi Jamaat (TJ) Anhänger Deutschland: 700 Bayern: 140 Gründung 1927 bei Delhi (Indien) Ziel der TJ (Gemeinschaft der Verkündigung und Mission) ist die Islamisierung der Gesellschaft, um dadurch die Etablierung eines islamischen Staates zu erreichen. Sie hat den Charakter einer internationalen islamischen Massenbewegung, deren Anhänger sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig fühlen, sondern sich als konsequente Muslime mit missionarischem Auftrag ansehen. Ihre Anhänger vertreten eine wörtliche Auslegung des Korans und der Sunna, die politische und gesellschaftliche Ausgrenzung der Frau und eine Abgrenzungspolitik gegenüber Nicht-Muslimen. Das Tragen von traditioneller Gebetskleidung und die bis in Details verbindlichen Verhaltensregeln im Alltag sollen die absolute Hinwendung zum Propheten Mohammed ausdrücken. Diese Bestrebungen wirken in nicht-muslimischen Gesellschaften zwangsläufig desintegrierend, so dass eine dauerhafte und ernsthafte Hinwendung zu westlichen Gesellschaftsordnungen, Wertvorstellungen und Integrationsmodellen nicht möglich ist. Direkte Aufrufe zum Jihad werden zwar vermieden, aber die TJ bereitet den ideologischen Nährboden für gewaltbereiten Extremismus. Die Bestrebungen der TJ richten sich damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die TJ wurde von dem Religionsgelehrten Mawlana Muhammad Ilyas als pietistische Missionierungsbewegung gegründet. Seit ihren Ursprüngen ist sie eng mit der Islamischen Hochschule von Deoband/Indien verbunden. Die Gemeinschaft vertritt eine archaische Form des Islam indischer Prägung. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 62 "MissionierungsCharakteristisch für die Anhänger der TJ ist eine missionarische reisen" Reisetätigkeit, bei der sie Moscheen in ganz Europa aufsuchen. Die Missionierung dient der Rekrutierung neuer Mitglieder. Zur Ausbildung der Anhänger gehört eine vier Monate dauernde Schulung, die vornehmlich in Koranschulen in Pakistan absolviert wird. Die wenigsten Missionare verfügen über eine theologische Ausbildung. Zur Missionierung nutzen ihre Anhänger auch Moscheen, die keinen unmittelbaren Bezug zur TJ haben. Dazu dienen Veranstaltungen, bei denen die Anhänger über Tage oder Wochen hinweg beten, den Koran studieren und indoktriniert werden. Für Kinder und Jugendliche werden auch Koranschulungen durchgeführt. Durch die gemeinsame ideologische Basis mit militanten Gruppierungen besteht die Gefahr, dass die weltweiten Strukturen der Bewegung von terroristischen Netzwerken genutzt werden. Von Einzelpersonen, die die Schulung der TJ durchlaufen haben, ist bekannt, dass sie sich terroristischen Gruppierungen angeschlossen haben. TJ in Bayern In Bayern sind mindestens zwei Moscheen in München und Pappenheim den TJ-Strukturen zuzurechnen. Zahlreiche weitere bayerische Moscheen waren Ziel der TJ-Missionierungsaktivitäten. 3.1.5 Hizb Allah Mitglieder Deutschland: 900 Bayern: 30 Gründung 1982 im Libanon Publikation al-Intiqad (Die Kritik) Fernsehsender al-Manar (Der Leuchtturm) Betätigungsverbot in Deutschland seit 11. November 2008 Das langfristige Ziel der Hizb Allah (Partei Gottes) ist die Zerstörung des Staates Israel und die "Herrschaft des Islam" über Jerusalem. Seit Jahren ist sie für Terroranschläge in Israel verantwortlich. In Deutschland hat sie bislang keine gewaltsamen Aktionen durchgeführt, nutzt aber das Bundesgebiet als Ruheund Rückzugsraum. Die Bestrebungen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 63 der Hizb Allah gefährden damit auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die Hizb Allah (auch: Hisbollah/Hizbollah) ist eine auf Initiative Unterstützung des Irans gegründete schiitische Partei, die seit 1992 im libanesidurch den Iran schen Parlament vertreten ist. Sie wird vom Iran finanziell, materiell und ideologisch unterstützt. Sie ist einerseits eine politische Partei, die vor allem aufgrund ihres sozialen Engagements auf die Unterstützung ärmerer Bevölkerungsschichten zählen kann. Andererseits verfügt sie aber nach wie vor über militärische Einheiten, die insbesondere im Süden des Landes unabhängig von der libanesischen Staatsgewalt agieren. Eine Entwaffnung dieser Miliz gemäß der UN-Resolution 1559 aus dem Jahr 2004 gelang bisher nicht und wurde vom politischen Flügel vehement abgelehnt. Im Mai 2008 hat das libanesische Kabinett der Hizb Allah offiziell "das Recht zum Widerstand gegen Israel" zugestanden. Die schiitische Miliz kann daher ungehindert den Ausbau der Verteidigungsanlagen nördlich der UN-Pufferzone zur Grenze Israels betreiben. Seit Beendigung des Libanonkriegs im Sommer 2006 wird sowohl von der israelischen Seite als auch von der Hizb Allah selbst über eine enorme Aufrüstung der Hizb Allah berichtet. Die Hizb Allah verbreitet ihre antiisraelische und antijüdische Propaganda u. a. über den libanesischen TV-Sender al-Manar, der auch in Deutschland zu empfangen ist. Da die Tätigkeit des Senders gegen deutsche Strafgesetze verstößt und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, wurde der Sender im Oktober 2008 vom Bundesministerium des Innern verboten. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 64 3.1.6 Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB) Anhänger/Besucher bis zu 140 Gründung 1994 in München Ruhephase 2007 - 2009 Neugründung 2010 Vorsitzender Ahmadvand Mohsen Die Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB) dient als Multiplikator schiitisch-islamistischen Gedankenguts innerhalb schiitischer Gemeinschaften in Bayern. Ziel ist es, im Auftrag der iranischen Führung in deren Sinn auf schiitische Muslime einzuwirken und deren politische und religiöse Einstellung zu beeinflussen. Da der Iran keine Trennung von Staat und Religion kennt, hat die religiöse Arbeit des Vereins auch eine politische Komponente und richtet sich daher gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. "Islamische Die Bewahrung der einst vom iranischen RevolutionsfühRevolution" rer Ayatollah Khomeini propagierten Idee der "Islamischen Revolution" im Iran sowie deren internationale Verbrei tung ist bis heute wesentlicher Bestandteil der iranischen Politik. Der Iran unterstützt daher eine Vielzahl islamischer und islamistischer Bewegungen und Organisationen vor allem im Nahen und Mittleren Osten. Der "Export der Revolution" in diese Länder, die zu lernen hätten, "mit der Hilfe Gottes zur Revolution zu gelangen", ist in der iranischen Verfassung vorgeschrieben. Auch islamische Zentren und Moscheen in Deutschland dienen im Sinn dieses "Revolutionsexports" als Foren für Versuche der Einflussnahme durch den Iran. Eines dieser Zentren ist die Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB). Iranisches Seit der Wiedereröffnung des iranischen Generalkonsulats (IGK) Generalkonsulat in München im Februar 2009 sind in Bayern verstärkte Aktivitäin München ten zur Verbreitung der iranischen Staatsdoktrin festzustellen. So hat die iranisch-schiitische Moschee in München, die seit 2006 geschlossen war, im Jahr 2009 ihren Betrieb wieder aufgenommen. Der frühere Trägerverein der Moschee, die Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB), ist seit März 2010 wieder aktiv. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 65 Das Iranische Generalkonsulat München hat sich für die Wiedereröffnung der Moschee eingesetzt. Der Generalkonsul sagte in Veranstaltungen der Moschee Unterstützung zu. In der Satzung der IVB ist festgelegt, dass das Vereinsvermögen im Falle einer Auflösung des Vereins an das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) fallen soll. Ebenso gehört dem Vereinsbeirat immer der jeweilige Imam von Hamburg an, der den Vorstand in allen Vereinsangelegenheiten berät. Das IZH gilt europaweit als hochrangige Verbindungsstelle der Islamischen Republik Iran. 3.1.7 Die Muslimbruderschaft (MB) und ihre regionalen Strömungen Anhänger Deutschland: 1.690; Bayern: 225 Gründung 1928 in Ägypten Publikation Risalat-ul-Ikhwan Die 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten gegründete MB ist die einflussreichste und älteste islamistische Bewegung des modernen politischen Islam. Das Wesentliche der verfassungsfeindlichen Ideologie der MB ist in der - für die Organisation bis heute maßgeblichen - Schrift "Allgemeine Ordnung der Muslimbruderschaft", die auf die Gründergeneration um Hassan al-Banna zurückgeht, festgehalten: - Islamisierung der Gesellschaft durch religiöse Agitation (da'wa) und soziale Maßnahmen - Beendigung der "kulturellen Verwestlichung" (taghrib) - Umwandlung des Bildungswesens und der Bildungsinstitutionen nach islamischen Kriterien - Errichtung eines islamischen Staates auf der Grundlage islamischer Prinzipien und Werte - Anwendung des islamischen Rechts (Scharia). Das von der MB angestrebte politische System weist deutliche Züge eines totalitären Herrschaftssystems auf, das die Souveränität des Volkes sowie die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit der Menschen nicht garantiert. Die Ideologie der Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 66 MB ist auf die Errichtung islamischer Herrschaftsordnungen auf der Grundlage von Koran und Sunna, denen Verfassungsrang zukommt, ausgerichtet. Dieses Fernziel eint alle Strömungen innerhalb der MB. Ein Großteil der ideologischen Grundsätze der MB ist somit unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung. Multinationale Die sunnitisch-extremistische MB ist eine multinationale OrganiOrganisation sation, bei der eine Unterteilung in nationale Sektionen erkennbar ist. In ihrem Ursprungsland Ägypten ist die MB verboten; sie wird jedoch inzwischen geduldet. Sie verdankt ihren Einfluss vor allem ihrem sozialen Engagement. Von 2004 bis 2009 stand Mahdi Akef an der Spitze des ägyptischen Zweigs der MB. Er hatte Mitte der 1980er Jahre das der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) zugehörige Islamische Zentrum München (IZM) geleitet. Er war in seiner Jugend mit dem MB-Gründer Hassan al-Banna befreundet. Später wurde er wegen eines geplanten Anschlags auf den ägyptischen Präsidenten zum Tode verurteilt und schließlich nach 20 Jahren Gefängnis begnadigt. Schon von Deutschland aus baute er seinen Einfluss auf den internationalen Zweig der MB aus. In seiner Person zeigt sich die personelle und ideologische Kontinuität der MB. Im Januar wurde als sein Nachfolger Mohammed Badi gewählt. Haltung zur Offiziell haben sich die meisten Zweige der MB von der Gewalt Gewalt abgewandt. Aber Aussagen Mohammed Badis und Selbstmordattentate der palästinensischen Sektion der MB "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) zeigen, dass die MB Gewalt weiterhin als legitimes politisches Mittel betrachtet. FIOE und ECFR Als Dachverband MB-naher Organisationen in Europa fungiert die Föderation der Islamischen Organisationen in Europa (FIOE) mit Sitz in Brüssel. Sie wurde 1989 gegründet. Eine weitere einflussreiche und eng mit der MB verflochtene Organisation ist der Europäische Fatwa-Rat (ECFR) mit Sitz in Dublin/Irland. Dessen Vorsitzender Yusuf al-Qaradawi ist als Sympathisant der MB bekannt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 67 Die MB tritt in Deutschland nicht offen in Erscheinung. PersoVerflechtung mit nell ist sie mit der IGD verflochten, die als deutsche Zentrale des der IGD ägyptischen Zweigs der MB gilt. 3.1.7.1 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) Mitglieder Deutschland: 1.300; Bayern: 145 Gründung 1960 in Deutschland Präsident Samir Falah Sitz seit November 2010 Köln; vormals München Publikation al-Islam (nur noch als Internetausgabe) Die IGD versucht durch politisches Engagement in Deutschland, die Verwirklichung ihrer Ideologie zu erreichen. Ihr Ziel ist dabei nicht die Integration, sondern die Veränderung der Gesellschaft den eigenen Vorstellungen entsprechend. Diese Vorstellungen sind von den ideologischen Grundsätzen der Muslimbruderschaft (MB) geprägt, wobei die Anhänger der IGD bemüht sind, dies in öffentlichen Verlautbarungen nicht zum Ausdruck zu bringen. Die Bestrebungen der IGD richten sich damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die IGD hat im November ihren langjährigen Vereinssitz im Islamischen Zentrum München (IZM) aufgegeben und offiziell nach Köln verlegt. Die IGD ist Gründungsmitglied der Föderation der Islamischen Organisationen in Europa (FIOE), dem europäischen Dachverband MB-naher Verbände, sowie Gründungsmitglied des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD) und über diesen auch an der Gründung des Koordinierungsrates der Muslime (KRM) beteiligt. Von 2002 bis Anfang 2010 war Ibrahim Farouk el-Zayat Präsident der IGD. Am 11. Januar wurde Samir Falah als sein Nachfolger gewählt. Der IGD sind mehrere zum Teil formell eigenständige Islamische Vereinsstruktur Zentren (IZ) in Deutschland nachgeordnet. In Bayern sind dies die Islamischen Zentren München und Nürnberg. Darüber hinaus verfügt die IGD über ein weit verzweigtes Netz an Kooperationspartnern in verschiedenen Städten Deutschlands. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 68 Das um die IGD bestehende Netzwerk ist nicht transparent, was vor allem mit den Bemühungen der IGD um Verselbständigung der ihr nachgeordneten Islamischen Zentren zusammenhängt. Damit entstehen Vereinsstrukturen, die nur schwer kontrollierbar sind. Darüber hinaus ermöglichen die Umstrukturierungsmaßnahmen, die tatsächliche Anbindung an die IGD nach außen hin zu verschleiern. Ferner bietet dieses Vorgehen den neu gegründeten selbstständigen Vereinen die Möglichkeit, für sich die Gemeinnützigkeit zu beantragen, die die IGD 1999 verloren hat. Ein wesentliches Betätigungsfeld der IGD ist die "Erziehung Bildungsarbeit und Bildung" junger Menschen, um auf diesem Weg die Gesellschaft ihren ideologischen Zielen entsprechend zu reformieren. So bemühte sich die IGD in den letzten Jahren gezielt um die in Deutschland aufgewachsenen Muslime arabischer Herkunft. Die Islamischen Zentren München und Nürnberg veranstalten regelmäßig Wochenend-Korankurse für Kinder und Jugendliche. Im IZM bestehen mehrere Jugendgruppen. Eine dieser Jugendgruppen wird von der Muslimischen Jugend in Deutschland e.V. (MJD), einer der IGD ideologisch nahestehenden Organisation, als offizieller Lokalkreis geführt. 3.1.7.2 Muslimische Jugend in Deutschland e.V. (MJD) Vorsitzender Hischam Abul Ola Gründung 1994 Sitz Berlin Struktur 23 Lokalkreise Die MJD ist ein rechtlich unabhängiger Jugendverband mit Kontakten zur IGD. In der Öffentlichkeit präsentiert er sich als Anziehungspunkt zur Freizeitgestaltung junger Muslime. Für Außenstehende ist daher oftmals nicht ersichtlich, dass im Schulungsund Freizeitangebot der MJD u. a. auf Material zurückgegriffen wird, das sich auch auf Aussagen von Vordenkern der extremistischen Muslimbruderschaft (MB) stützt. Damit liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Aktivitäten der MJD gegen einzelne Elemente Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 69 der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten. In Grundlagenpapieren der MJD wird davon ausgegangen, dass Muslime einen Vertrag mit Allah geschlossen haben, in dem sie sich als Mensch verpflichten, Allah allein zu dienen und ihm allein gehorsam zu sein sowie die ihm auferlegten Pflichten in persönlicher, gesellschaftlicher und islamischer Hinsicht zu erfüllen. Um dies zu gewährleisten werden die Aspiranten in so genannten Tarbiyya-Kursen (Erziehung) geschult, die mehrere Stufen umfassen und in einem geschlossen Intensivkreis enden. Bei dieMehrstufiger sen Kursen wird auch Schulungsmaterial verwandt, das sich auf Ausbildungsaufbau Vordenker der MB stützt. Organisiert ist die MJD in so genannten Lokalkreisen, von denen derzeit bundesweit 23 existieren. Ein aktives Mitglied sollte zwischen 13 und 30 Jahre alt sein. 3.1.7.3 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) Mitglieder Deutschland: 300 Bayern: Einzelpersonen Gründung 1988 Militärischer Arm seit Juni 2002, Gesamtorganisation seit 2003 in EU-Terror-Liste Die HAMAS will Israel zerstören und auf dem gesamten Gebiet Palästinas einen "islamischen" Staat errichten. Sie lehnt den israelisch-palästinensischen Friedensprozess und das Existenzrecht Israels ab und ist für eine Vielzahl terroristischer Aktionen verantwortlich, darunter zahlreiche Selbstmordattentate. Im Juni 2002 wurde deshalb der militärische Arm der HAMAS in die EU-Liste terroristischer Organisationen aufgenommen. 2003 beschlossen die EU-Außenminister, auch die Gesamtorganisation als terroristisch einzustufen. Damit gehen von den in Deutschland lebenden HAMASAnhängern Bestrebungen aus, die durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 70 Kampf um Seit der Gründung Israels im Jahr 1948 engagierten sich AnhänPalästina ger der Muslimbruderschaft (MB) im Kampf für die Zurückgewinnung ganz Palästinas und die Etablierung einer "islamischen Herrschaft". Nach der Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens durch Israel im Jahr 1967 begann der palästinensische Zweig der MB in den besetzten Gebieten eine soziale Infrastruktur aufzubauen, was ihm rasche Popularität bei der Bevölkerung einbrachte. Am bewaffneten Kampf beteiligte er sich zunächst nicht. Erst als Reaktion auf den Ausbruch des ersten Palästinenseraufstands (Intifada) im Dezember 1987 wurde Anfang 1988 die HAMAS gegründet und der bewaffnete Kampf gegen Israel aufgenommen. Bei den Wahlen zur Palästinensischen Nationalversammlung 2006 war die HAMAS erfolgreich. Während die Fatah das Westjordanland kontrolliert, übt die HAMAS seit der gewaltsamen Machtübernahme 2007 die alleinige Kontrolle über den Gaza-Streifen aus. Die HAMAS pflegt weiterhin intensive Kontakte zu Syrien und Iran, u. a. mit dem Ziel, eine gemeinsame Strategie gegen Israel zu entwickeln. Am 31. Mai stoppten israelische Sicherheitskräfte mehrere Schiffe mit Gütern für den durch die Hamas kontrollierten Gazastreifen. Bei der gewaltsamen Erstürmung der Schiffe wurden neun Menschen getötet und mehrere verletzt. An Bord der Schiffe befanden sich zwei Bundestagsabgeordnete der Partei DIE LINKE. Aufgrund der internationalen Kritik am harten militärischen Vorgehen der Israelischen Sicherheitskräfte kam es weltweit zu Protestkundgebungen, darunter auch in einigen deutschen Großstädten. Die HAMAS betreibt diverse Wohltätigkeitseinrichtungen in Palästina und finanziert diese u. a. durch weltweite Spendensammlungen. Auch in Deutschland führten die inzwischen verbotenen Vereine Al-Aqsa e.V. und Yatim-Kinderhilfe e.V. Spendensammlungen durch. Ein weiterer, eng mit der Islamischen GemeinSpendenschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) verbundener Spendensammelversammlungen ein, die Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V. (IHH), wurde am 12. Juli verboten. Der Verein hat über einen langen Zeitraum in erheblichem Umfang Spendengelder gesammelt und an Vereinigungen transferiert, die der Terrororganisation HAMAS zugerechnet werden können oder diese unterstützen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 71 3.1.7.4 Al-Nahda Mitglieder Deutschland: Einzelpersonen Bayern: Einzelpersonen Führung Rachid Ghannouchi/ Großbritannien Bei der al-Nahda (Wiedergeburt/Renaissance) handelt es sich um den tunesischen Zweig der sunnitisch geprägten Muslimbruderschaft (MB). Gemäß der Ideologie der MB ist das Ziel der al-Nahda, die staatliche Ordnung in Tunesien durch einen Staat islamistischer Prägung zu ersetzen und die Scharia einzuführen. Damit richtet sie sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Seit 1991 wird die in Tunesien verbotene Organisation von Rachid Ghannouchi geleitet. Durch die seit Mitte Dezember 2010 erfolgte Revolution in Tunesien wurde ein gegen ihn bestehender Haftbefehl aufgehoben sowie die Partei al-Nahda offiziell wieder zugelassen. Ghannouchi, der am 31. Januar 2011 nach Tunesien zurückkehrte, gibt sich nach außen als gemäßigter, demokratischer Politiker und vertritt den moderaten Flügel der al-Nahda. Gegenüber seinen Anhängern äußerte er sich jedoch militant und spricht davon, die amerikanischen Eroberer und die mit ihnen verbündeten arabischen Regierungen verjagen zu wollen. Die al-Nahda präsentiert sich professionell im Internet und nimmt Stellung zu aktuellen politischen Ereignissen, vorrangig zum Thema "Menschenrechte in Tunesien" und zum Recht auf Rückkehr in die Heimat. Auf der Webseite der al-Nahda werden Beiträge eines der wichtigsten Ideologen der zeitgenössischen Muslimbruderschaft, Yussuf al-Qaradawi, veröffentlicht, der u. a. durch seine Rechtfertigung von Selbstmordattentaten auffiel. Ferner wurde ein Artikel des geistigen Führers der MB, Mohamed Akef, in dem dieser zum Krieg gegen Israel aufruft, auf der al-NahdaWebseite eingestellt. Die al-Nahda weist in Deutschland keine festen OrganisationsAktivitäten in strukturen auf. Erkennbar ist jedoch ein Geflecht von al-Nahda Deutschland Mitgliedern, die in Deutschland enge Sozialkontakte weiterführen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 72 und in einem oder mehreren tunesischen Vereinen aktiv sind. Die tatsächliche Zielrichtung dieser Vereine ist es, die von Ghannouchi geprägte Ideologie in Deutschland zu transportieren. Die gemeinsamen Treffen der al-Nahda-Mitglieder finden im geschlossenen Kreis statt. 3.2 Islamistischer Terrorismus 3.2.1 Das al-Qaida-Netzwerk Mitglieder Deutschland: keine gesicherten Zahlen Bayern: keine gesicherten Zahlen Im Unterschied zu vielen anderen islamistischen Terrornetzwerken oder Organisationen verfolgt al-Qaida länderübergreifend das Ziel, ein weltweites Kalifat zu errichten. Al-Qaida ist für eine Vielzahl von Terroranschlägen weltweit - z. B. die Anschläge am 11. September 2001 in den USA - mit Hunderten Toten und Verletzten verantwortlich. Entstehung und Entwicklung AfghanistanDie Ursprünge des al-Qaida-Netzwerks lassen sich zurückfühKonflikt ren auf den Konflikt um das sowjetisch besetzte Afghanistan der Jahre 1979 bis 1989. Die stammesethnisch und religiös motivierte Opposition der Mudjahidin gegen das 1978 installierte kommunistische Regime konnte auf die Unterstützung der USA und Saudi Arabiens zurückgreifen. Für die wachsende Zahl der sich dem Jihad in Afghanistan anschließenden arabischen Mudjahidin wurden Rekrutierungsund Unterstützungsbüros gegründet, die von der saudischen Regierung und von saudischen Geschäftsleuten finanziert wurden. Eine herausragende Stellung nahm das seit 1984 von dem palästinensischen Jihad-Ideologen Abdullah Azzam und dem Saudi Usama Bin Ladin geführte "Dienstleistungsbüro" ein. Diese Stelle unterhielt ein Netz von Trainingslagern und Rekrutierungsbüros, u. a. das al-Kifah Refugee Center in New York, dessen bekanntester Repräsentant "der blinde Sheikh" Omar Abdel-Rahman war. Abdel Rahman hatte Kontakte zu den Attentätern des ersten Anschlags auf das World Trade Center im Jahr 1993. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 73 Es ist davon auszugehen, dass al-Qaida (arabisch für "die Basis") zunächst nur die Bezeichnung für die Personenliste der Rekrutierten bzw. für das "Dienstleistungsbüro" als "Basis" für den Jihad in Afghanistan war. Nach dem Tod Abdullah Azzams und dem Abzug der sowjetischen Truppen entwickelte Bin Ladin "die Basis" und deren internationale Infrastruktur aus RekrutierungsAl-Qaida als Basis büros, Banken, Tarnfirmen und Nichtregierungsorganisationen unter der Zielsetzung weiter, den Jihad auch in anderen Konfliktgebieten wie Kaschmir, Indonesien, Tschetschenien, Bosnien und Somalia zu unterstützen. Mit der Machtübernahme der Taliban 1996 kehrte Bin Ladin mit seinem Gefolge nach Afghanistan zurück und agierte von dort aus bis zu seiner Flucht im Jahre 2001 unter dem Schutz des Taliban-Führers Mullah Omar. Seit Mitte der 1990er Jahre entstand ein Netzwerk aus Afghanistanveteranen, die in ihren Heimatländern ihrerseits Organisationen gründeten bzw. unterstützten, wie z. B. Abu Sayyaf auf den PhilippiAl-Qaida-Ableger nen, al-Qaida im Irak, die somalischen al-Shabab-Milizen oder al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH). Während in Ländern wie Irak, Saudi Arabien und Jemen die Entwicklung des al-Qaida-Netzes dynamisch ist, hat sich - neben dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet - in Nordafrika eine relativ stabile Struktur herausgebildet. Die Organisation al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM), die AQIM aus der Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat (Salafiyya-Gruppe für Predigt und Kampf - GSPC -) hervorging, konnte ihren Einflussbereich von Algerien und Tunesien aus bis nach Mauretanien und Niger ausdehnen. In Algerien haben Attentate gegen Regierungseinrichtungen und Sicherheitspersonal seit dem Anschluss der früheren GSPC an al-Qaida im Jahr 2007 deutlich zugenommen. Darüber hinaus verübte die AQIM gezielt Attentate auf westliche Ausländer und bekannte sich zu Entführungen. Das Motiv dürfte hierbei auch in den möglichen Lösegeldforderungen liegen. Strukturelle Verbindungen nach bzw. in Deutschland sind bisher nicht erkennbar. Struktur Al-Qaida lässt sich am ehesten als ein Netzwerk charakterisieNetzwerk ren. Anschläge werden häufig von autonomen Zellen oder "freien Mitarbeitern" geplant und durchgeführt. Attentäter bekommen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 74 oftmals nachträglich den "Segen" für ihre Anschläge (etwa über Audiooder Video-Botschaften, die über das Internet verbreitet werden). Wichtige Führungspersonen dieses Netzwerks, die so Kern-al-Qaida genannte Kern-al-Qaida, halten sich vor allem in den nordwestlichen Grenzprovinzen Pakistans auf. Obwohl sie dort unter hohem Verfolgungsdruck stehen, gibt es Ansätze für eine funktionelle Gliederung: - Das Militärkomitee ist zuständig für die Ausbildung von Rekruten und Waffenbeschaffung. - Das Komitee für Operationen/Außenbeziehungen plant Anschläge und zeigt sich verantwortlich für Kontakte zu anderen Organisationen bzw. Gruppen. - Das Finanzkomitee nutzt u. a. das islamische Hawala-Banksystem zur Geldbeschaffung. - Das Rechtskomitee beschäftigt sich mit dem islamischen Recht und dessen Auslegung sowie der Handlungslegitimation mittels der Scharia. Dies geschieht ausschließlich unter dem Blickwinkel der durch al-Qaida angepassten Ideologie. - Das Komitee für islamische Studien/Fatwa befasst sich mit der Fatwas Erstellung und Begründung von Fatwas (= Rechtsgutachten), Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 75 wie etwa dem von 1998, in dem Muslime aufgefordert werden, Amerikaner zu töten. - Seit 2005 wurde aus dem Medienkomitee die "ProduktionsMedienstelle firma" as-Sahab geformt, die für die Herstellung und Verbreias-Sahab tung von Propagandamaterial wie Audiound Video-Botschaften verantwortlich ist. Die Ideologie des al-Qaida-Netzwerks Die hauptsächlich von Bin Ladin und Abdullah Azzam etablierte salafistische Ideologie des al-Qaida-Netzwerks ist stark geprägt von den Schriften Sayyed Qutbs und dessen Weltsicht, dem Jihad-Gedanken und dem Takfir (= "für ungläubig erklären"). Nach Jihadismus und dieser Weltsicht gibt es nur den Islam in seiner durch die ChefTakfir ideologen Bin Ladin, al-Zawahiri und Azzam geprägten Orientierung an den frommen Vorfahren (salaf al-salih), einer konstruierten idyllischen islamischen Frühzeit, und Jahiliyya, den Unglauben und die Unwissenheit um den durch den Propheten Muhammad vermittelten "rechten Weg". Folgerichtig ist es ein zentrales Anliegen Bin Ladins, den Islam von allen un-islamischen "Angriffen" wie Sozialismus und Demokratie freizuhalten. Die Stationierung amerikanischer Truppen in Saudi Arabien, Afghanistan oder in anderen islamischen Staaten ist aus seiner Sicht nicht hinzunehmen. Mit den "Ungläubigen" kooperierende Regime bzw. Herrscher werden mit dem Takfir belegt. Die Durchsetzung des "rechten Glaubens" und die Lebensweise gemäß den frommen Vorfahren soll mittels des Jihad herbeigeführt und als - nach islamischem Recht - legitimer Verteidigungskrieg interpretiert werden. Entwicklungstendenzen Die Zerschlagung der afghanischen Basis und die Verhaftung oder Tötung zahlreicher Mitglieder aus der alten Führungsriege haben zwar den Kern al-Qaidas vorübergehend geschwächt, das flexible Netzwerk jedoch keinesfalls kampfunfähig gemacht. Zunehmend versucht al-Qaida, den Charakter einer Bewegung anzunehmen. Internetverlautbarungen und jihadistische OnlineMagazine wenden sich gezielt an Personen außerhalb der bestehenden al-Qaida-Strukturen und -Netzwerke mit dem Ziel, diesen Personenkreis für Anschläge zu gewinnen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 76 3.2.2 Ansar al-Islam (AAI) Mitglieder Deutschland: etwa 80 Bayern: etwa 35 Gründung 2001 im Irak Die AAI ist durch ihr Zusammenwirken mit der al-Qaida im Irak Bestandteil des internationalen Terrornetzwerks. Sie ist für eine Vielzahl von Terroranschlägen im Irak mit Hunderten von Toten und Verletzten verantwortlich. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen stufte sie deshalb im Februar 2003 als terroristische Vereinigung ein. Kurdische Unter den Mudjahidin, die sich in den 1990er Jahren in AfghaIslamisten nistan aufhielten und in Trainingslagern militärisch ausgebildet wurden, befanden sich auch kurdische Islamisten, die 2001 an der Gründung der AAI beteiligt waren. Die kurdischen Kämpfer knüpften Kontakte zu al-Qaida, die auch nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan in die Kurdengebiete des Irak bestehen blieben. Nach der US-Intervention in Afghanistan nahm die AAI Kämpfer von Bin Ladin auf und unterstützte sie. Der AAI gelang es, 2001 ein Taliban-ähnliches Regime in einem kleinen Teil des irakischen Kurdengebiets zu errichten. Zu Beginn des Irak-Kriegs 2003 wurde dieses Gebiet von den USA aus der Luft angegriffen und von kurdischen Truppen wieder eingenommen. In der Folgezeit reorganisierte sich die AAI wieder. Im Mai diesen Jahres gelang irakischen Sicherheitskräften ein Schlag gegen die AAI, als in Bagdad deren mutmaßlicher Anführer mit sieben weiteren Terrorverdächtigen festgenommen wurde. In Europa gibt es Anhänger der AAI in Skandinavien, Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland und in den Niederlanden. In Bayern sind derzeit etwa 35 Anhänger bekannt, die die Organisation durch Beschaffung von Geld unterstützen; die SchwerAAI-Anhänger in punkte liegen in München und Augsburg. Im Bundesgebiet umBayern fasst die AAI etwa 80 Anhänger. Rückgang der Insgesamt sind die Aktivitäten der AAI-Anhänger in Bayern stark Aktivitäten zurückgegangen, da die Vereinigung durch staatliche Aktivitäten verunsichert und erheblich geschwächt wurde. Neben der Verurteilung zu langjährigen Haftstrafen und der Abschiebung Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 77 von Unterstützern der AAI kam es auch zu "freiwilligen" Ausreisen durch den konsequenten Verfolgungsdruck staatlicher Sicherheitsbehörden. 3.2.3 Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) Mitglieder Deutschland: keine gesicherten Zahlen Bayern: keine gesicherten Zahlen Gründung 1998 in Tadschikistan Die IBU ist eine islamistische Gruppe, die 1998 von Juma Namangani und Tahir Yuldashev mit dem Ziel gegründet wurde, das Regime des usbekischen Präsidenten Islam Karimov zu stürzen und stattdessen einen islamischen Staat zu errichten. Dabei begeht sie terroristische Anschläge. Nach dem Afghanistankonflikt und dem Zerfall der Sowjetunion hatten die beiden Gründer der IBU zunächst die neue Religionsfreiheit genutzt, um eine salafistische Gruppe mit dem Namen Adolat (Gerechtigkeit) aufzubauen. Dieser gelang es, kurzzeitig in einer usbekischen Provinz ein islamisches Regime zu errichten, das jedoch zerschlagen wurde. Nach ihrer Flucht nach Tadschikistan begannen die beiden IBU-Gründer von tadschikischen Basen aus eine Anschlagsserie in Usbekistan. Nachdem die IBU daraufhin auch in Tadschikistan verfolgt wurde, wich die Organisation nach Afghanistan aus; deren Kämpfer verbündeten sich im dortigen Bürgerkrieg mit den Taliban. Bei der US-Intervention in Afghanistan 2001 wurde Namangani getötet und die IBU weitgehend zerschlagen. Teile der Organisation flohen in die Stammesgebiete der nordwestlichen Grenzgebiete Pakistans, um sich neu zu strukturieren. Gegenwärtig steht die IBU unter hohem Verfolgungsdruck der Hoher pakistanischen Armee und von US-Spezialeinheiten. In DeutschVerfolgungsdruck land wurde die IBU durch Drohvideos im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 bekannt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 78 3.2.4 Islamische Jihad Union (IJU) Mitglieder Deutschland: keine gesicherten Zahlen Bayern: keine gesicherten Zahlen Gründung 2002 in Pakistan (als Abspaltung der IBU) Webseite Sehadet Zamani Wie die IBU wollte auch die IJU das Regime des usbekischen Präsidenten Islam Karimov stürzen und einen islamischen Staat errichten. Sie spaltete sich jedoch 2002 - unter ihrem Führer Najmiddin Shalolov - von der IBU ab und bezeichnete sich zunächst als Islamic Jihad Group (IJG). Die IJG stand der internationalen Jihad-Ideologie von al-Qaida näher als die IBU. Terrorgruppe Die IJG-Fraktion organisierte sich in Pakistan und begann im aus Usbekistan Jahre 2004 eine Anschlagsserie in usbekischen Städten. 2005 änderte die IJG ihren Namen in IJU und rekrutierte zunehmend türkische und deutsche Staatsbürger. Kontakte bestanden auch zu dem 2008 getöteten al-Qaida-Repräsentanten Abu Laith Sauerland-Gruppe al-Libi. Dieser gilt als Hintermann der so genannten SauerlandGruppe, bei dem eine Zelle um den aus pakistanischen Trainingslagern zurückgekehrten deutschen Konvertiten Fritz G. Bombenanschläge in Deutschland plante. Weitere Deutschlandbezüge der IJU ergaben sich aus der Video-Dokumentation des 2008 in einem Militärlager in Afghanistan verübten Anschlags des "ersten deutschen Selbstmordattentäters" Cüneyt Ciftci sowie aus den Verlautbarungen des im Frühjahr 2009 bei einem Angriff in Pakistan getöteten deutschen Konvertiten Eric Breininger im NaDeutschsprachige men der IJU. Die deutschsprachigen Akteure der IJU-Botschaften Akteure in wenden sich gezielt an ein deutsches Publikum und rufen zur TeilBotschaften nahme am globalen Jihad auf, wobei die jihad-salafistische Ideologie und Propaganda der IJU über die ansonsten vorwiegend türkischsprachige Webseite Sehadet Zamani verbreitet wird. Das auf der Webseite erzeugte Selbstbild der IJU zielt auf die Vermittlung einer globalen Jihad-Agenda ab, wogegen sich die realen Aktivitäten - mit Ausnahme der Anschlagsplanungen in Deutschland - hauptsächlich auf Afghanistan und Usbekistan beschränken. Die Tatsache, dass die von einer usbekischen Gruppe zur Propaganda genutzte Webseite türkischsprachig ist und vermehrt Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 79 Deutsche mit dem Ziel der Rekrutierung adressiert werden, lässt auf die Absicht schließen, die Aktivitäten über die turksprachigen Länder Zentralasiens und die Türkei bis Europa ausdehnen zu wollen. Eine große Gefahr für Deutschland geht gegenwärtig von der Rekrutierungspropaganda der IJU im Internet sowie von Rückkehrer aus Rückkehrern aus Trainingslagern der IJU aus. Terrorlagern 3.2.5 Islamistische Szene Neu-Ulm/Ulm - Umfeld des ehemaligen Multi-Kultur-Haus Ulm e.V. (MKH) Mitglieder Deutschland/Bayern: Einzelmitglieder Die Region Neu-Ulm/Ulm entwickelte sich in der Vergangenheit zunehmend zur Anlaufstelle islamischer Extremisten. Seit Ende der 1990er Jahre sind kontinuierlich Verbindungen der islamistischen Szene aus der Region Neu-Ulm/Ulm zum internationalen islamistischen Terrorismus zu verzeichnen. Vor allem im MKH in Neu-Ulm wurden Personen radikalisiert und für den kriegerischen Jihad rekrutiert. Das MKH wurde am 28. Dezember 2005 vom Bayerischen Vereinsverbot Staatsministerium des Innern verboten; das Vereinsvermögen wurde beschlagnahmt und ein zugehöriges Grundstück eingezogen. Vom MKH gingen Bestrebungen aus, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richteten. Das Verbot ist bestandskräftig. Im MKH nahm der aus Ägypten stammende Arzt Dr. Yehia Yousif eine Schlüsselrolle ein. Seit 2001 avancierte er zum informellen und charismatischen Führer. Im MKH war er regelmäßig als Imam und Koranlehrer tätig; er unterrichtete junge Muslime und deutsche Konvertiten. Dabei forderte er auch offen zur Teilnahme am bewaffneten Jihad auf. Dr. Yousif wurde im Dezember 2004 aus Deutschland ausgewiesen und befindet sich nach einem Aufenthalt in Ägypten nunmehr in Saudi-Arabien. Die Schließung des MKH im Dezember 2005 sowie die Ausreise des Dr. Yousif aus Deutschland verunsicherten und schwächten die örtliche islamistische Szene nachhaltig. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 80 IIZ als In den folgenden Jahren diente der Verein Islamisches InformatiAnlaufstelle onszentrum (IIZ) in Ulm als Anlaufstelle. Er erreichte jedoch nicht die Bedeutung des MKH als Moschee, Schulungsund Indoktrinierungszentrum für die islamistische Szene. Erschwerend kam hinzu, dass andere Führungspersonen entweder die Region NeuUlm/Ulm verlassen oder sich aus Furcht vor strafrechtlicher Verfolgung vom MKH-Spektrum distanziert haben. Vier Tage nach der Vereitelung der geplanten Terroranschläge Anfang September 2007 ("Sauerland-Attentat") in Deutschland haben Mitglieder des IIZ in einer außerordentlichen Sitzung ihren Verein aufgelöst, offenbar um einem Verbot des IIZ durch das baden-württembergische Innenministerium zuvorzukommen. Wenn auch die straffen Strukturen eines MKH im Raum NeuUlm/Ulm seit 2005 nicht mehr vorhanden sind und bis jetzt keine adäquaten Alternativen für das islamistische Spektrum existieren, sind in dieser Region noch Personen aus dem Umfeld des ehemaligen MKH aktiv. Diese Personen, darunter Araber und Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 81 deutsche Konvertiten sind gewaltorientiert und unterhalten teilweise rege Verbindungen zu terrorverdächtigen Personen und Strukturen im Inund Ausland. Im Februar fanden bundesweite Durchsuchungen im Rahmen eiBundesweite nes Ermittlungsverfahrens wegen Bildung bzw. Mitgliedschaft in Durchsuchungseiner kriminellen Vereinigung gegen sieben Personen mit Bezümaßnahme gen nach Ulm/Neu-Ulm statt. Drei Beschuldigte wurden im Bundesgebiet festgenommen, die übrigen halten sich zurzeit im Ausland auf. Ihnen wird vorgeworfen, Personen mittels hetzerischer Medien für eine radikale Form des Islam missioniert sowie nach einer Vermittlung an Sprachschulen in Ägypten für verschiedene Ausbildungslager terroristischer Organisationen angeworben zu haben. Auch bei den vereitelten Terroranschlägen 2007 von Angehörigen der Islamischen Jihad Union (IJU) waren Bezüge in die Region Neu-Ulm/Ulm festzustellen. So wohnte der Anführer der so genannten Sauerland-Gruppe, Fritz G., seit Jahren in Ulm und besuchte von 2003 bis 2005 regelmäßig das MKH. Ein weiterer Angehöriger der Sauerland-Gruppe, Attila S., stammt aus Ulm und war ebenfalls dem Umfeld des MKH zuzurechen. Die gewaltorientierte islamistische Szene in der Region Neu-Ulm/Ulm ist derzeit zwar unstrukturiert und geschwächt, jedoch gehen von ihr weiterhin Gefahren aus. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 82 4. Übersicht über erwähnenswerte islamistische/islamistischterroristische Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation Publikationen ideologische Ausrichtung Erscheinungsweise al-Gamaa al-Islamiya (GI) sunnitisch-extremistisch al-Nahda sunnitisch-extremistisch Ansar al-Islam (AAI) sunnitisch-extremistisch Hilafet Devleti (Kalifatsstaat) vormals: Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB) mit Sitz in Köln (in Deutschland seit 12.12.2001 verboten) sunnitisch-extremistisch Hizb Allah (Partei Gottes) al-Intiqad (Die Kritik) schiitisch-extremistisch Hizb ut-Tahrir (in Deutschland seit 15.01.2003 verboten) al-Khilafah (Das Kalifat) schiitisch-extremistisch unregelmäßig al-Waie unregelmäßig Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) sunnitisch-extremistisch Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) al-Islam sunnitisch-extremistisch nur als Internet-Ausgabe Islamische Jihad Union (IJU) sunnitisch-extremistisch Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) sunnitisch-extremistisch Jihad Islami (JI) sunnitisch-extremistisch Milli-Görüs-Bewegung Publizistisches Sprachrohr: Milli Gazete täglich Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) Verbandszeitschrift: Sitz: Kerpen Perspektif sunnitisch-extremistisch monatlich Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Islamismus /Terrorismus 83 Organisation Publikationen ideologische Ausrichtung Erscheinungsweise Muslimbruderschaft (MB) Risalat ul-Ikhwan sunnitisch-extremistisch wöchentlich Organisation al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM) sunnitisch-extremistisch Organisation al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH) Inspire (Internetsunnitisch-extremistisch Magazin) Tablighi Jamaat (TJ) sunnitisch-extremistisch Terrornetzwerk um al-Qaida sunnitisch-extremistisch Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 85 3. Abschnitt Sonstige ausländerextremistische Bestrebungen Anhänger extremistischer Gruppierungen aus dem Ausland sind in Deutschland aktiv, um die politischen Verhältnisse in ihrem Heimatland gewaltsam zu ändern. Gefahren gehen insbesondere von nationalistischen, separatistischen und linksextremistischen Gruppierungen aus. Sie wollen beispielsweise kommunistische Systeme errichten oder eigene Staaten gründen. Mit ihren Unterstützungshandlungen bei uns gefährden sie die außenpolitischen Interessen Deutschlands. Aktivisten von ausländerextremistischen Gruppierungen müssen nicht unbedingt Ausländer sein. Unterstützt werden sie auch von deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund oder von deutschen Linksextremisten. 1. Aktuelle Entwicklungen 1.1 Europäische Sicherheitsbehörden setzen PKK unter Druck Europäische Sicherheitsbehörden führten groß angelegte Durchsuchungsmaßnahmen gegen Funktionäre und Einrichtungen der PKK durch. Bei mehreren Anschlägen der Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) in der Türkei wurden zahlreiche Menschen verletzt und getötet. Durchsuchungsmaßnahmen in Europa Die Sicherheitsbehörden verschiedener europäischer Länder sind Durchsuchungen im Jahr 2010 verstärkt gegen PKK-Strukturen und ihre Aktivitäin Frankreich und ten in Europa vorgegangen. Am 26. Februar führten französische Italien Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 86 und italienische Behörden zeitgleich aufeinander abgestimmte Durchsuchungsmaßnahmen gegen PKK-Einrichtungen und Aktivisten durch. Die Ermittlungsverfahren waren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zur Vorbereitung terroristischer Straftaten und zur Finanzierung des Terrorismus eingeleitet worden. Es wurden u. a. Waffen und Propagandamaterial der PKK sichergestellt und zahlreiche Haftbefehle vollstreckt. In Frankreich wurde dabei auch ein abgelegener Bauernhof durchsucht, in dem im Januar 2009 ein Ausbildungslager und im August 2009 ein internationaler Kongress der PKK-Jugendorganisation KOMALEN-CIWAN abgehalten worden waren. In Italien konnten vier Beschuldigte auf einem Anwesen festgenommen werden, wo seit Anfang Februar 2010 ein Kurs zur Ausbildung junger Rekruten der PKK abgehalten wurde. Es wurden rund 70 Teilnehmer angetroffen, darunter fast 20 Frauen. Auch in Deutschland gingen die Sicherheitsbehörden gegen ein mutmaßliches "Schulungscamp" des KOMALEN-CIWAN vor. Am 29. Dezember wurde im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts des Anwerbens für einen fremden Wehrdienst eine Jugendherberge in Nordrhein-Westfalen durchsucht, da HinDurchsuchung in weise auf eine mögliche Schulung potenzieller Rekruten für die Deutschland Guerilla der PKK Ende Dezember vorlagen. Es wurde u. a. Schulungsmaterial zum Thema Guerillataktik sichergestellt. Außerdem wurden 44 Personen vorläufig festgenommen, darunter hochrangige Kader des KOMALEN-CIWAN. Unter den Schulungsteilnehmern waren sechs Minderjährige, darunter auch ein Mädchen. Durchsuchungen in Nach mehrjährigen Ermittlungen der belgischen SicherheitsBelgien behörden sind am 4. März in Belgien zahlreiche PKK-nahe Objekte durchsucht worden. Von den Maßnahmen betroffen waren insbesondere Einrichtungen des kurdischen Fernsehsenders ROJ TV, des Kurdistan Nationalkongresses (KNK), der in der Türkei verbotenen Partei für eine demokratische Gesellschaft (DTP) sowie Vereinsräumlichkeiten und private Wohnungen von PKKFunktionären. Vorrangiges Ziel der Maßnahmen war es, die Finanzstrukturen der PKK in Europa offen zu legen. Dabei wurde ROJ TV als eine Verteilerstation für in Westeuropa eingenommene Finanzmittel gewertet. Gegenstand der Ermittlungen waren aber auch Rekrutierungsmaßnahmen und die Beschaffung Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 87 von Ausrüstungsgegenständen für die PKK-Guerilla. Im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahmen wurden der ehemalige Vorsitzende des KONGRA GEL, Zübeyir Aydar, sowie der amtierende Vorsitzende, Remzi Kartal, festgenommen. Darüber hinaus wurden 13 zum Teil hochrangige Führungsfunktionäre ebenfalls in Haft genommen und gegen 14 weitere Personen internationale Haftbefehle erwirkt. Bei der Durchsuchung von ROJ TV konnten rund 100.000 Euro Bargeld sichergestellt werden. Nach kurzer Unterbrechung setzte der Sender den Betrieb über seine Filiale NEWROZ-TV in Stockholm fort. Mit neu beschaffter Technik hat ROJ TV seinen Betrieb in Brüssel inzwischen wieder aufgenommen. In ganz Europa kam es zu zahlreichen Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Exekutivmaßnahmen, die überwiegend friedlich verliefen. Lediglich im Rahmen einer Blockadeaktion in Belgien sowie einer Demonstration in Hannover kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen von Demonstranten. Anschläge der TAK in der Türkei Die Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) - eine Splittergruppe der Anschläge in PKK - verübten 2010 in Istanbul/Türkei mehrere Anschläge, bei Istanbul denen zahlreiche Menschen getötet oder verletzt wurden. Gleichzeitig warnten die TAK Touristen vor Reisen in die Türkei. Die TAK Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 88 begründeten die Anschläge damit, dass der türkische Staat das kurdische Volk auf jegliche Art unterdrücke und angreife, ohne auf Frauen und Kinder Rücksicht zu nehmen. Die Drohungen der TAK und die Anschläge bestätigen, dass in der Türkei weiterhin mit Terrorakten zu rechnen ist. Auch wenn die TAK nicht vorrangig auf deutsche Einrichtungen in der Türkei abzielen, können jedoch in Tourismusgebieten auch deutsche Staatsangehörige und Reiseveranstalter mitbetroffen sein. Anschläge in Deutschland sind dagegen auch aufgrund hier fehlender Strukturen der TAK unwahrscheinlich. 1.2 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) Die tamilische Terrororganisation LTTE befindet sich nach ihrer militärischen Zerschlagung in einem Restrukturierungsprozess. Nach dem Ende des Bürgerkrieges in Sri Lanka im Mai 2009 und der militärischen Zerschlagung der LTTE versucht die Organisation, im Ausland neue Strukturen aufzubauen und weiterhin auf die tamilische Diaspora Einfluss zu nehmen. Machtkampf Im Rahmen der organisatorischen Erneuerung haben sich verinnerhalb schiedene Flügel gebildet. So findet derzeit ein Machtkampf zwitamilischer schen "Hardlinern" und "Moderaten" statt, der ein erhebliches Gemeinschaft Konfliktpotenzial innerhalb der tamilischen Gemeinschaft birgt. Der moderate Flügel strebt die Umwandlung der LTTE in eine demokratische und gewaltfreie Bewegung an, wohingegen die "Hardliner" auf die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes in Sri Lanka setzen. Trotz dieser Flügelkämpfe gelang es, Wahlen zu einer "Transnationalen Regierung" in allen Staaten mit tamilischer Diaspora zu organisieren. Nominiert wurden hierbei 135 tamilische Regie- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 89 rungsvertreter aus verschiedenen Ländern, welche am 17. Mai das Transnational Government of Tamil Eelam (TGTE) offiziGründung des ell gründeten. Diese international bislang nicht anerkannte ReTGTE gierung hat es sich zum Ziel gesetzt, durch Verhandlungen auf politischem Weg das Selbstbestimmungsrecht der Tamilen in Sri Lanka zu erlangen. Die "Hardliner" beteiligten sich an den Wahlen mit dem Ziel, die von den "Moderaten" angestrebte Regierung mit ihren Anhängern zu dominieren und damit die weitere Entwicklung maßgeblich zu kontrollieren. Bei den Wahlen in Deutschland zeigte sich, dass die Tamilen hier noch immer in den alten politischen Denkstrukturen der LTTE verwurzelt sind. So besteht weiterhin Unsicherheit über die Frage, ob die LTTE in Zukunft ihre Ziele mit bewaffnetem Kampf oder mit politischen Mitteln verfolgen wird. In Deutschland befasst sich die Organisation, auch wenn sie der Gewalt in Sri Lanka nicht abgeschworen hat, weiterhin hauptsächlich mit dem Sammeln von SpendengelSpendendern und gewaltfreien Propagandaaktionen. sammlungen 1.3 Gewalttaten In Bayern ist die Zahl der Gewaltdelikte aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - Ausländer" mit fünf im Jahr 2010 gegenüber einer im Jahr 2009 leicht gestiegen, aber noch immer auf dem niedrigen Niveau der letzten Jahre. Bei den registrierten Gewalttaten handelt es sich um Körperverletzungsdelikte, die überwiegend auf gegenseitige Provokationen zurückzuführen sind. 2. Ideologie und Strategie Ausländische Gruppen und Personen werden als extremistisch bewertet, wenn sie sich gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Beobachtet werden überdies Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind bzw. Gruppierungen von Ausländern, die eine gewaltsame Änderung der politischen Verhältnisse in ihrem Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 90 Heimatland anstreben und dadurch auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Linksextremisten Für die Sicherheitslage in Bayern sind vor allem linksextremistische Ausländerorganisationen relevant. Geprägt von marxistischleninistischer oder maoistischer Ideologie streben diese - mehrheitlich türkischen - Gruppierungen wie die DHKP-C die "revolutionäre" Zerschlagung der bestehenden Gesellschaftsordnung in ihren Heimatländern und die Errichtung kommunistischer Systeme an. Einige dieser Gruppen schrecken nicht vor terroristischen Anschlägen in ihrem Heimatland zurück. Die Agitation der türkischen Gruppierungen richtet sich zwar hauptsächlich gegen die Türkei, gelegentlich wird aber auch die deutsche Ausländerund Sozialpolitik kritisiert. Dabei suchen sie auch den Schulterschluss mit deutschen Linksextremisten. Extreme Für extrem nationalistische Organisationen wie die FöderaNationalisten tion der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V. (ADÜTDF) bemisst sich der Wert eines Menschen nach seiner Zugehörigkeit zu einer Nation oder Rasse. Mit der Missachtung der Rechte anderer Völker stehen sie im Widerspruch zum Gedanken der Völkerverständigung und den fundamentalen Menschenrechten. Separatisten Separatistische Gruppierungen wie die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) aus Sri Lanka zielen mit ihren Anstrengungen in Deutschland insbesondere darauf ab, durch die Beschaffung von Spendengeldern und durch propagandistische Aktivitäten ihre Organisationen in den jeweiligen Heimatländern zu unterstützen. Letztendlich werden die Aktivitäten der extremistischen Ausländerorganisationen im Wesentlichen durch aktuelle politische Ereignisse und Entwicklungen in den jeweiligen Herkunftsländern bestimmt. Deutschland betrachten sie als sicheren Rückzugsraum, von dem aus sie ihre Ziele im Heimatland durch Agitation verfolgen und die Mutterorganisationen materiell unterstützen können. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 91 3. Strukturen 3.1 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL), ehemals Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) bzw. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Anhänger Deutschland: 11.500 Bayern: 1.800 Vorsitzender Remzi Kartal (seit Juli 2009) Kurdischer Volksführer Abdullah Öcalan Leitung Führungsfunktionäre der Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) (in Abhängigkeit vom Vorsitzenden des KONGRA GEL, dem kurdischen Volksführer Abdullah Öcalan und dem Exekutivkomitee des KONGRA GEL) Gründung 1978 in der Türkei Publikation Serxwebun (Unabhängigkeit) In Deutschland seit 26. November 1993 verboten Die PKK einschließlich ihrer Teilbzw. Nebenund Nachfolgeorganisationen (KADEK, KONGRA GEL) wurde 1993 vom Bundesministerium des Innern verboten, weil sie gegen Strafgesetze verstößt, sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet und die Innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung sowie sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. 2004 hatte der Rat der Europäischen Union den KONGRA GEL und seine Vorgängerorganisation KADEK - wie bereits früher die PKK - als Terrororganisation eingestuft. Im selben Jahr hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass die Führungsspitze des KONGRA GEL auch weiterhin als kriminelle Vereinigung einzustufen ist. Die Organisation im Kurdengebiet Die PKK war 1978 von Abdullah Öcalan in Ostanatolien als marxistisch-leninistisch orientierte Organisation gegründet worden. Sie sollte durch einen Guerillakrieg eine Revolution mit dem Ziel eines unabhängigen kurdischen Staates herbeiführen. Über zwei Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 92 Jahrzehnte lang führte die PKK innerhalb und außerhalb der Türkei terroristische Anschläge durch. Nach der Festnahme des damaligen PKK-Führers Abdullah Öcalan im Jahr 1999 kam es zu einer taktisch bedingten Mäßigung. Zumindest im Ausland wurde auf die Anwendung von Gewalt verzichtet. Die Organisation sah auch von ihrem ursprünglichen Ziel, durch bewaffneten Kampf einen eigenen kurdischen Staat durchzusetzen, ab. Ziel ist es jetzt, einen föderalen Verbund aller Kurden im Nahen Osten herzustellen. Dabei sollen die bestehenden Staatsgrenzen unangetastet bleiben. Diese Mäßigung beruht auf Vorstellungen des inhaftierten Öcalan, der eine Gemeinschaft der Kommunen KurKKK bzw. KCK distans (Koma Komalen Kurdistan - KKK) anstrebt. Die KKK tritt heute unter dem Namen Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (Koma Civaken Kurdistan - KCK) auf. KONGRA GEL Der heutige KONGRA GEL ist identisch mit der mehrfach umidentisch mit PKK benannten, in Deutschland verbotenen PKK. Die PKK hatte sich 2002 in Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) und 2003 in Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) umbenannt. Bei keiner dieser Umbenennungen gab es wesentliche Veränderungen in Organisation, Struktur und Ideologie. "Neue" PKK 2005 trat der KONGRA GEL mit der Idee, eine "neue" PKK zu gründen, auf. Diese neue PKK, die sich durch eine besondere Nähe zu Abdullah Öcalan auszeichnet, sollte den KONGRA GEL nicht ersetzen, sondern eine ideologische Vorreiterrolle übernehmen. Faktisch handelt es sich bei den Mitgliedern der "neuen" PKK um altgediente Organisationskader. Laut Satzung ist sie eine Teilorganisation des KONGRA GEL, ihre tatsächlichen Aufgaben und Ziele sind jedoch nach wie vor unklar. Die "neue" PKK lehnt nach eigenen Angaben Gewalt grundsätzlich ab, behält sich aber weiterhin das Recht auf "legitime Selbstverteidigung" vor. Gegenwärtig gibt es keine Anhaltspunkte für einen Strategiewechsel. In Bayern wurden bisher keine Aktivitäten der "neuen" PKK festgestellt. Vorsitzender des KONGRA GEL ist seit Juli 2009 der bis dahin stellvertretende Vorsitzende und ehemalige Führungsfunktionär des KONGRA GEL-dominierten Kurdischen Nationalkongresses KNK (KNK), Remzi Kartal. Kartal war im Juli 2009 auf der 7. Generalversammlung des KONGRA GEL im Nordirak gewählt worden und löste den seit 2003 amtierenden Zübeyir Aydar in dieser Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 93 repräsentativen Funktion ab. Stärkster Mann im Organisationsgefüge bleibt weiterhin Murat Karayilan als Vorsitzender des Exekutivrats der KCK. Nachdem der KONGRA GEL am 8. Juni seine einseitig erklärte Waffenruhe aufgekündigt hatte, hat er am 13. August erneut eine einseitige Waffenruhe verkündet. Der ursprünglich bis 20. September befristete Beschluss wurde in der Folge zwei Mal bis nunmehr zu den Parlamentswahlen in der Türkei im Juni 2011 verlängert. Einen dauerhaften Waffenstillstand knüpft der KONGRA GEL an eine Reihe von Bedingungen, u. a. an eine aktive Beteiligung des kurdischen Volksführers Abdullah Öcalan an den Verhandlungen. Die türkische Regierung führt mit dem auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Gründer Abdullah Öcalan Gespräche über die Möglichkeit einer friedlichen Lösung des Kurdenkonflikts. Seit der Aufnahme des bewaffneten Kampfes der PKK im Jahr 1984 hatte es bislang sechs vermeintliche Waffenruhen der kurdischen Seite gegeben, die aber zu keinem Zeitpunkt zur völligen Einstellung der Kämpfe geführt haben. Die Organisation in Deutschland In Deutschland leben die hauptamtlichen Kader des KONGRA GEL YEK-KOM äußerst konspirativ an häufig wechselnden Orten. Die KONGRA GEL-Anhängerschaft ist in zahlreichen, der Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM) angegliederten örtlichen Vereinen organisiert. Die YEK-KOM gilt als Nachfolgeorganisation der 1993 verbotenen Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der BRD e.V. (FEYKA-Kurdistan). Die an die YEK-KOM angegliederten Vereine, die sich nach außen als reine Kulturvereine darstellen, haben die Aufgabe, Ziele und Politik des KONGRA GEL unter den Anhängern zu verbreiten und zu fördern. Darüber hinaus bedient sich der KONGRA GEL zahlreicher vom Betätigungsverbot nicht erfasster Nebenorganisationen ("Y-Gruppen"), die Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 94 verschiedene Zielgruppen innerhalb der kurdischen Bevölkerung für den KONGRA GEL gewinnen sollen. Trotz des vereinsrechtlichen Betätigungsverbots gibt es somit weiterhin Aktivitäten der KONGRA GEL-Anhänger in Deutschland. Ein Nachweis, dass ihre Betätigung der Organisation zuzurechnen ist, lässt sich jedoch oft nur schwer führen. Offen wahrnehmbar sind Aktivitäten von PKK-Anhängern insbesondere bei Veranstaltungen der Kulturund BrauchtumspfleNewroz ge, z. B. dem alljährlichen kurdischen Neujahrsfest Newroz. Eine Handhabe für behördliche Maßnahmen bietet sich aber nur, wenn die konkrete Unterstützung der PKK nachweisbar ist, d.h., wenn beispielsweise verbotene Symbole verwendet werden, Unterstützung durch Spendengelder nachgewiesen werden kann oder klare organisatorische Strukturen aufgedeckt werden können. Finanzierung Der KONGRA GEL finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, dem Verkauf von Publikationen und den Einnahmen aus Veranstaltungen. Den größten Anteil der Einnahmen erbringt die jährlich von September bis Januar durchgeführte Spendenkampagne. Es gibt Hinweise, dass der KONGRA GEL auch vom Rauschgifthandel profitiert, indem er beispielsweise kurdische Drogenhändler abschöpft. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 95 Medien Ein wichtiges Propagandamedium ist der in Dänemark sitzende KONGRA GEL-nahe Fernsehsender ROJ TV, der vom KONGRA GEL als Plattform zur Darstellung seiner politischen Ziele genutzt wird und 2008 vom Bundesministerium des Innern verboten worFernsehsender den war. Die Verbotsverfügung war damit begründet worden, ROJ TV dass der Satellitensender ROJ TV Propaganda für den KONGRA GEL betreibe und damit gegen deutsche Strafgesetze und den Gedanken der Völkerverständigung verstoße. Der Fernsehsender hatte gegen das Verbot Klage erhoben. Am 24. Februar hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Sendungen von ROJ TV gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstoßen. Gleichzeitig hat es jedoch die Anwendung dieses Verbotsgrunds nach deutschem Recht vor dem Hintergrund der europäischen Fernsehrichtlinie in Frage gestellt und den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Der EuGH hat zu entscheiden, ob der Erlass eines Vereinsverbots dem koordinierten Bereich der EG-Fernsehrichtlinie unterfällt. In diesem Fall stünde es Deutschland nicht zu, die Tätigkeit des Senders für Deutschland zu verbieten. Das Verwaltungsstreitverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist bis zur Entscheidung des EuGH ausgesetzt. Das Verbot des Bundesministeriums des Innern ist somit nicht vollziehbar. Tätigkeiten von und für ROJ TV in Deutschland sind daher derzeit rechtlich zulässig. Am 31. August hat die dänische Justiz ein Ermittlungsverfahren gegen ROJ TV wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (KONGRA GEL) eingeleitet und die Räumlichkeiten des Senders durchsuchen lassen. Als weiteres Agitationsinstrument dient dem KONGRA GEL die Tageszeitung türkischsprachige Tageszeitung Yeni Özgür Politika (Neue Freie Yeni Özgür Politika Politik), in der führende KONGRA GEL-Funktionäre regelmäßig Stellungnahmen publizieren. Die Zeitschrift wird allerdings nicht unmittelbar vom KONGRA GEL bzw. einer seiner Teiloder Nebenorganisationen herausgegeben. Sie versucht, als Nachfolgepublikation der Özgür Politika im Sinn des KONGRA GEL Einfluss auf die Politik im Mittleren Osten und besonders in den kurdischen Siedlungsgebieten zu nehmen. Der KONGRA GEL ist weiterhin mit einem eigenen InternetaufInternetauftritt tritt präsent, dessen Inhalte in deutscher, englischer, kurdischer Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 96 und türkischer Sprache abgerufen werden können. Auch der militärische Arm HPG, die "Volksverteidigungskräfte" des KONGRA GEL, unterhalten eine eigene Internetseite in türkischer und kurdischer Sprache mit aktuellen Informationen über die HPG. Terroristische Aktivitäten Die Freiheitsfalken Kurdistans (Teyrebazen Azadiya Kurdistan - TAK) waren erstmals im Juli 2004 bekannt geworden. Sie sind nach eigenen Angaben aus den HPG des KONGRA GEL hervorgegangen. In einer Erklärung vom 14. April 2006 hatten die TAK ihre Trennung vom KONGRA GEL verkündet, da ihnen soFreiheitsfalken wohl der KONGRA GEL als auch die HPG als zu schwach erschieKurdistans (TAK) nen seien. Seither verübten die TAK eine Serie von Sprengstoffanschlägen vor allem gegen touristische Ziele in der Türkei. Dabei wurden mehrere Personen getötet und zahlreiche verletzt. Die TAK warnten wiederholt vor Reisen in die türkischen Tourismuszentren und drohten mit weiteren Anschlägen. Auf ihrer Internetseite veröffentlichten die TAK eine Anleitung zur Herstellung von Sprengsätzen für Selbstmordattentäter. Darüber hinaus sind Ziele für Bombenanschläge und Sabotageakte in der Türkei aufgelistet. Im Februar 2008 erklärten die TAK in einer Verlautbarung, mit noch größerer Entschlossenheit zu neuen Aktionen bereit zu sein und bekannten sich im August 2008 zu einer Anschlagsserie in der Türkei. In der Verlautbarung wurde deutlich, dass sich die TAK erneut von der aus ihrer Sicht zu passiven Haltung von KONGRA GEL und HPG distanzierten und dadurch ihre militante Ausrichtung unterstrichen. Erstmals waren auch Drohungen gegen türkische Einrichtungen und Institutionen außerhalb der Türkei gerichtet. Am 24. Januar 2010 haben sich die TAK auf ihrer Internetseite erneut "An die Presse und Öffentlichkeit" gewandt: "Wir als Freiheitsfalken Kurdistans wollen noch einmal darauf hinweisen, dass wir ... den Freiheitskampf weiter steigern werden." "In diesem Zusammenhang wollen wir alle Touristen warnen, die sich in der Türkei befinden und die, die die Absicht haben, in die Türkei zu reisen. Wenn ihr nicht zum Ziel in diesem Krieg werden wollt, verlasst sofort die Türkei und reist nicht in die Türkei." Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 97 Nachdem der KONGRA GEL am 8. Juni seine einseitig erklärte Anschläge in Waffenruhe aufgekündigt hatte, verübten die TAK noch am selder Türkei ben Tag in Istanbul einen Bombenanschlag auf einen Polizeibus, bei dem 15 Polizeibeamte verletzt wurden. Gleichzeitig warnten die TAK erneut Touristen vor Reisen in die Türkei. Am 22. Juni wurden bei einem Anschlag auf einen mit Soldaten und deren Familienangehörigen besetzten Militärbus in Istanbul drei Offiziere und ein 17-jähriges Mädchen getötet und weitere Personen zum Teil schwer verletzt. Die TAK begründeten die Anschläge damit, dass der türkische Staat das kurdische Volk auf jegliche Art unterdrücke und angreife, ohne auf Frauen und Kinder Rücksicht zu nehmen. Sie bekannten sich später auch zu einem Selbstmordanschlag am 31. Oktober wiederum auf einen Polizeibus in Istanbul. Dabei wurden zahlreiche Polizisten und auch Zivilisten verletzt. Einer im Internet veröffentlichten Erklärung zufolge hätten die TAK keinen Beschluss zu einem Waffenstillstand gefasst und fühlten sich an einen durch die PKK ausgerufenen Waffenstillstand nicht gebunden. Die PKK selbst hat sich von der Tat distanziert. Aus der Jugendorganisation KOMALEN-CIWAN, die die Zeitschrift CIWANEN AZAD (Freie Jugendliche) herausgibt, rekrutiert sich ein Teil der Guerilla des KONGRA GEL. Dabei wurden in der Vergangenheit Jugendliche auch gegen den Willen ihrer Eltern zwangsverpflichtet und in Ausbildungslagern im benachbarten Ausland geschult, bevor sie zum Kampfeinsatz in die Türkei Jugendgeschleust wurden. Aus einer weiteren Jugendorganisation des organisationen KONGRA GEL, der Demokratischen Jugend (Demokratik GencKOMALEN-CIWAN lik - DEM-GENC) sollen die künftigen KOMALEN-CIWAN-Funktiund DEM-GENC onäre gewonnen werden. In Bayern wurden bislang keine Aktivitäten der DEM-GENC festgestellt. Aktuelle Entwicklungen In Deutschland gelang es dem KONGRA GEL, wieder eine erhebGroßes liche Anzahl von Anhängern zu seinen Veranstaltungen zu moMobilisierungsbilisieren. So nahmen z. B. beim Kurdistan-Festival am 18. Seppotenzial tember in Gelsenkirchen bis zu 35.000 Personen teil. Bereits am 4. April hatte die Anhängerschaft europaweit den 61. Geburtstag des Organisationsgründers Abdullah Öcalan gefeiert; in Bayern gab es dazu in Nürnberg eine Kundgebung mit 150 Teilnehmern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 98 Maßnahmen Auch wenn in diesem Jahr wieder Aktivitäten von KONGRA GELder SicherheitsAnhänger festgestellt werden konnten, kann man nicht von eibehörden nem Wiedererstarken der PKK ausgehen. Eine Reihe von Führungsfunktionären der Organisation wurde in Deutschland aufgrund bestehender Haftbefehle festgenommen und wegen Mitgliedschaft bzw. Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Die Durchsuchungsund Festnahmeaktionen der Sicherheitsbehörden tragen immer wieder zu einer nicht unerheblichen Verunsicherung, mitunter auch zu einer Schwächung der Organisation bei. 3.2 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) Mitglieder Deutschland: 650 Bayern: 100 Gründung 1978 in der Türkei durch Dursun Karatas und Bedri Yagan Publikationen Yürüyüs und Halk Gercegi Die Organisation ist gespalten in: - Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) mit ihren Untergliederungen DHKP (Partei) und DHKC (Militärischer Arm) - Türkische Volksbefreiungspartei-Front (THKP-C) mit ihren Untergliederungen THKP (Partei) und THKC (Militärischer Arm) Die Devrimci Sol ist in Deutschland seit 1983 verboten, ihre beiden Splittergruppen seit 1998. Die revolutionär-marxistische Devrimci Sol versteht sich als eine an den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus ausgerichtete Volksbewegung. Sie zählt zu den militantesten türkischen Extremistengruppen, die mit Hilfe einer bewaffneten Revolution auf die Zerschlagung des türkischen Staates zielen und in der Türkei terroristisch aktiv sind. Die Agitation und der Kampf gegen den "Imperialismus", gegen die NATO, die USA sowie die türkische Staatsund Gesellschaftsordnung sind zentrale Elemente der Ideologie der türkischen linksextremistischen Gruppierungen. Einige von ihnen, wie die DHKP-C und die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP), sehen ihr Heimatland Türkei als Kampfgebiet an und halten dort auch Terroranschläge für ein legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 99 Seit 1993 ist die Devrimci Sol gespalten. Aus dem Karatas-Flügel ging die 1994 in Syrien gegründete Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) hervor. Der Yagan-Flügel benannte sich in Türkische Volksbefreiungspartei-Front (THKP-C) um. Das Bundesministerium des Innern verfügte am 13. August 1998 gegen die DHKP-C ein Vereinsverbot und gegen die THKP-C DeVereinsverbot und vrimci Sol, die in Deutschland nicht organisatorisch verankert ist, Betätigungsverbot ein Betätigungsverbot. Beide Verbote gegen die Ersatzorganisationen der Devrimci Sol sind bestandskräftig. Mit Beschluss vom 2. Mai 2002 setzte die Europäische Union die DHKP-C auf die EU-Terror-Liste. Für Deutschland und Europa hat die DHKP-C seit 1999 einen GeGewaltverzicht in waltverzicht erklärt. Auf dem Gebiet der Türkei jedoch befürworDeutschland tet die Organisation ausdrücklich terroristische Aktivitäten. So bekennt sich die DHKP-C in einer Interneterklärung zum Gedenken an ihre Gründung 1994 zum bewaffneten Kampf: "Das, was wir unter bewaffnetem Kampf verstehen, ist kein Kampf, der sich nur auf die Perspektive des Widerstands beschränkt, sondern ist ein bewaffneter Kampf, der auf die Macht zielt. In unserem Land ist es nicht möglich, auf parlamentarischem Wege zum Sozialismus zu gelangen. ... Die Revolution kann nur mit einem Volkskrieg ... zum Sieg gelangen. ... Der Weg zur Revolution der Türkei ist der Weg unserer Partei." Der Bau neuer Gefängnisse mit Einzelzellen in der Türkei war für inhaftierte Angehörige türkischer linksextremistischer Organisationen Anlass gewesen, im Oktober 2000 in einen Hungerstreik Hungerstreik zu treten. Insbesondere das türkische Solidaritätskomitee mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei (TAYAD) unterstützte dabei - in thematischer Übereinstimmung mit der DHKP-C - die Aktionen in Deutschland gegen die "Isolationshaft". Seit Mai 2002 war die DHKP-C die einzige Organisation, die noch an diesem Todesfasten festgehalten hatte. Nach einer Reform des türkischen Strafvollzugs war der Hungerstreik im Januar 2007 beendet worden. Die Kampagne forderte insgesamt 122 Tote. Am 15. Juli sind vom Oberlandesgericht Stuttgart zwei hochranVerurteilungen gige Funktionäre der DHKP-C wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 100 3.3 Türkische Kommunistische Partei/MarxistenLeninisten (TKP/ML) Mitglieder Deutschland: 800 Bayern: 80 Vorsitzender Remzi Kartal (seit Juli 2009) Gründung 1972 in der Türkei Publikation MÜCADELE Die Organisation ist gespalten in: - Maoistische Kommunistische Partei (MKP), ehemals Ostanatolisches Gebietskomitee (DABK) - Partizan-Flügel (TKP/ML) Die MKP und die TKP/ML vertreten beide die Ideologie des Marxismus-Leninismus, ergänzt um die Ideen Mao Tse-tungs, befürworten den bewaffneten Kampf als Grundform ihres Handelns und propagieren den bewaffneten Bürgerkrieg mit anschließender Bildung einer Volksregierung. Mit der Türkischen Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (TIKKO) auf Seiten der TKP/ML und der Volksbefreiungsarmee (HKO) auf Seiten der MKP unterhalten beide Gruppierungen in der Türkei bewaffnete Guerillagruppen. Die Entwicklung der TKP/ML ist seit dem Ende der 1970er Jahre durch eine Vielzahl von Fraktionsbildungen und Abspaltungen geprägt. Im Jahr 1994 spaltete sich das Ostanatolische Gebietskomitee (DABK) vom so genannten Partizan-Fügel der TKP/ML ab. Dies führte zur Bildung von zwei neuen, unabhängig voneinander existierenden Organisationen, die sich beide als Nachfolgeorganisation der ursprünglichen TKP/ML sehen. Während der Partizan-Fügel nach wie vor die Bezeichnung TKP/ML verwendet, hat sich das DABK im Jahr 2002 in MKP umbenannt. In Deutschland organisierten sich die Anhänger der TKP/ML (Partizan-Flügel) in der 1976 gegründeten Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (ATIF) und der Ende 1986 gebildeten Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK). Beide Vereinigungen präsentieren sich als Massenorganisationen und tarnen ihre Verbindungen zur TKP/ML weitgehend. Die Anhänger der MKP sind seit Sommer 1997 in den beiden Basisorganisationen Föderation für demokratische Rechte in Deutsch- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 101 land (ADHF) bzw. Konföderation für demokratische Rechte in Europa (ADHK) organisiert. Die Organisationen beschränken sich in Deutschland auf PropaPropagandagandaaktivitäten und auf die Sammlung finanzieller Mittel. Sie aktivitäten in arbeiten dabei anlassbezogen mit deutschen Linksextremisten Deutschland zusammen. Die TKP/ML und ihre deutsche Basisorganisation ATIF waren am 22. Mai in Esslingen/Baden-Württemberg und am 29. Mai in Hamburg mit ihren traditionellen Mai-Veranstaltungen zum Gedenken an ihren im Mai 1973 in türkischer Haft verstorbenen Aktivisten Kaypakkayain aktiv. Die beiden Veranstaltungen waren Teil einer Veranstaltungsreihe in Deutschland und im benachbarten europäischen Ausland. 3.4 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Mitglieder Deutschland: 600 Bayern: 40 Gründung 1994 in der Türkei Publikation Atilim (Angriff) Wie die TKP/ML und die Devrimci Sol ist die MLKP marxistischleninistisch geprägt und strebt die gewaltsame Zerschlagung der staatlichen Ordnung der Türkei und die Errichtung einer kommunistischen Diktatur an. Die in der Türkei verbotene terroristische Organisation entstand 1994 aus dem Zusammenschluss zweier türkischer linksextremistischer Organisationen. Ihre Basisorganisation ist die Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e.V. (AGIF) mit Sitz in Köln. Die örtlichen AGIF-Vereine in Deutschland AGIF sind zuständig für die politische Basisarbeit und bilden zusammen die AGIF. Der europäische Dachverband trägt den Namen Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa (AvEG-KON). AvEG-KON Nach rückläufiger Tendenz gelang es der MLKP in jüngster Zeit, ihre Mobilisierungsfähigkeit in Bayern wieder etwas zu steigern. Am 1. September veranstalteten die MLKP und ihre deutsche Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 102 Basisorganisation AGIF gemeinsam mit anderen linksextremistischen deutschen und türkischen Gruppierungen einen bundesweiten Aktionstag zum Thema "Rüstungsexporte, Giftgas und deutsche Unternehmen im Irak". In Bayern fand in diesem Zusammenhang eine Veranstaltung auf dem Nürnberger Aufseßplatz statt. 3.5 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. (ADÜTDF) Mitglieder Deutschland: 7.000 Bayern: 1.250 Vorsitzender Sentürk Dogruyol Gründung 1978 Sitz Frankfurt am Main Publikation Türk Federasyon Bülteni Die nationalistische ADÜTDF vertritt eine extreme Variante des türkischen Nationalismus, und ist damit Teil der weltweit organisierten Ülkücü-(Idealisten-) Bewegung. Durch ihr teilweise extrem nationalistisches Gedankengut verfolgt die ADÜTDF Bestrebungen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Vereinzelt finden sich auch islamistische Ansätze. Graue Wölfe Die Ülkücü-Bewegung umfasst ein breites Spektrum ultranationalistischen und rassistischen Gedankenguts. Symbol der Bewegung ist ein mit fünf Fingern stilisierter Wolfskopf, weshalb die Anhänger der Bewegung auch als Graue Wölfe bezeichnet werden. Die Anhängerschaft der Ülkücü-Bewegung in Deutschland ist in so genannten Kulturund Idealisten-Vereinen der ADÜTDF organisiert. Die ADÜTDF wurde 1978 in Frankfurt am Main durch den Zusammenschluss von zahlreichen türkischen Vereinen gegründet. Die ADÜTDF gilt seit ihrer Gründung als Auslandsorganisation der türkischen Partei der Nationalen Bewegung (MHP), dem politischen Arm der Ülkücü-Bewegung in der Türkei. Die ADÜTDF Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 103 hat es sich zum Ziel gesetzt, die größte türkische Organisation in Westeuropa zu werden. Dieses Streben der ADÜTDF nach Dominanz stand einer echten Integration der Türken wie auch der Muslime in die deutsche Gesellschaft entgegen. Türkischen Jugendlichen wurde die Überlegenheit der Türken suggeriert, so dass viele von ihnen ein Gruppenbewusstsein entwickelten, das sich gegen die deutsche Gesellschaft richtete. Die durch rechtsRechtsextreextreme Tendenzen bekannt gewordene Ülkücü-Jugendbewemistische gung ist mittlerweile weltweit organisiert und über das Internet Tendenzen vernetzt. Im Zusammenhang mit der angespannten politischen Lage im türkisch-irakischen Grenzgebiet kam es in der Vergangenheit neben der Beteiligung von ADÜTDF-Anhängern an bundesweiten Demonstrationen gegen den Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) auch zu Reaktionen von meist jugendlichen MHP-Mitgliedern im Internet. Seit geraumer Zeit bemüht sich die Parteiführung der MHP unter Devlet Bahceli, der Partei ein konservatives und europafreundliches Erscheinungsbild zu geben. Dies findet jedoch nicht die ungeteilte Zustimmung aller Mitglieder, weshalb sich ein Teil der "wahren Idealisten" aus der Partei zurückzieht. Die rückläufiRückläufige gen Mitgliederzahlen verdeutlichen die dadurch geminderte BinMitgliederzahlen dungskraft der ADÜTDF. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 104 Im Juli fanden zwei Jahreshauptversammlungen der ADÜTDF in Belgien und Frankreich statt. Auch in Deutschland gelang es der ADÜTDF weiterhin, ihre Mobilisierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. In Bayern zeichnet sich ein leichter Rückgang der dem Verband zuzurechnenden Vereine ab. Die ADÜTDF ist hier aber weiterhin vor allem mit kulturellen, religiösen und sportlichen Veranstaltungen aktiv. Schwerpunkte sind die Ballungsräume München, Nürnberg und Augsburg. 3.6 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) Mitglieder Deutschland: etwa 1.000 Bayern: 30 Gründung 1972 in Sri Lanka Wirkungsbereich Terrororganisation auf Sri Lanka mit dem Ziel eines unabhängigen tamilischen Staates (Tamil Eelam) Führung Velupillai Prabhakaran (+ 18.05.2009) Bei der LTTE handelt es sich um eine paramilitärische Separatistenorganisation auf Sri Lanka. Bis zu ihrer militärischen Zerschlagung im Mai 2009 kämpfte die LTTE gewaltsam für einen autonomen Staat im Norden und Osten der Inselrepublik Sri Lanka, wo der größte Teil der tamilischen Minderheit lebt. In Sri Lanka wurde die LTTE 1998 zur Terrororganisation erklärt und verboten. Der Rat der Europäischen Union stufte die LTTE offiziell 2006 als Terrororganisation ein. Damit verfolgen die in Deutschland lebenden LTTE-Anhänger Bestrebungen, die durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Die 1972 gegründete LTTE wurde bis zu seinem Tod im Mai von Velupillai Prabhakaran angeführt. Ausgangspunkt für den Kampf der Tamilen gegen das Mehrheitsvolk der Singhalesen war 1948 die Aufhebung der britischen Kolonialherrschaft über Sri Lanka, wodurch auch die Bevorzugung der Tamilen endete. Dies führte 1958 zu ersten Protesten der Tamilen, denen Übergriffe der Singhalesen folgten. Nach Anschlägen in den 1960er Jahren for- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 105 mierten sich im Laufe der Jahre mehrere tamilische OrganisaTamilische tionen, die für eine staatliche Eigenständigkeit der tamilischen Terrororganisation Volksgruppe eintraten. Nach Gründung der LTTE wurden alle anderen tamilischen Separatistenorganisationen von der LTTE verdrängt. Durch den Einsatz militärischer und terroristischer Mittel wollte die LTTE einen eigenständigen Staat für die im Norden von Sri Lanka lebende Volksgruppe der Tamilen schaffen. Seit 1983 eskalierte der Konflikt zu einem offenen Bürgerkrieg, in dem es der LTTE gelang, weite Teile des Nordens und des Ostens von Sri Lanka zu beherrschen. Die Regierung von Sri Lanka schloss 2002 einen Waffenstillstand mit der LTTE, den sie 2008 aufkündigte. Bei der im Januar 2009 begonnenen Großoffensive der Armee von Sri Lanka wurde die LTTE im Mai 2009 militärisch besiegt. Seither befindet sich die LTTE in einem Restrukturierungsprozess. Im Rahmen der organisatorischen Erneuerung haben sich verschiedene Flügel geMachtkampf bildet. So findet derzeit ein Machtkampf zwischen "Hardlinern" zwischen und "Moderaten" statt, der ein erhebliches Konfliktpotenzial in"Hardlinern" nerhalb der tamilischen Gemeinschaft birgt. Der moderate Flüund "Moderaten" gel strebt die Umwandlung der LTTE in eine demokratische und gewaltfreie Bewegung an, wohingegen die "Hardliner" auf die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes in Sri Lanka setzen. Um die LTTE-Strukturen außerhalb Sri Lankas wieder unter eine Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 106 gemeinsame Führung stellen zu können, wurden in den Jahren 2009 und 2010 weltweit Wahlen zu einer transnationalen Regierung (Transnational Government of Tamil Eelam - TGTE) initiiert. Bei den Wahlen in Deutschland zeigte sich, dass die Tamilen hier noch immer in den alten politischen Denkstrukturen der LTTE verwurzelt sind. So besteht weiterhin Unsicherheit über die Frage, ob die LTTE in Zukunft ihre Ziele mit bewaffnetem Kampf oder mit politischen Mitteln verfolgen wird. LTTE in Die LTTE tritt in Deutschland nicht unter ihrem Namen auf. Ihre Deutschland Ziele und Interessen werden hier durch das Tamil Coordination Committee (TCC) mit Sitz in Oberhausen/Nordrhein-Westfalen vertreten. Die LTTE-Sektion Deutschland wird durch konspirative Zellen gebildet, die sich nach außen völlig abschotten. Der LTTE nahestehende Organisationen sind: - Tamil Youth Organization (TYO), Sitz: Hamm/Nordrhein-Westfalen - Tamil Rehabilitation Organization e.V. (TRO), Sitz: Wuppertal/Nordrhein-Westfalen - Tamil Student Organization e.V. (TSV), Sitz: Neuss/Nordrhein-Westfalen - Tamilische Bildungsvereinigung e.V. (TBV), Sitz: Stuttgart/Baden-Württemberg In Deutschland sammelte die LTTE in Einzelfällen mit teilweise erpresserischen Methoden Spendengelder, um diese dann für den bewaffneten Kampf ins Heimatland zu transferieren. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 107 4. Übersicht über erwähnenswerte extremistische Organisationen von Ausländern sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation Publikationen ideologische Ausrichtung Erscheinungsweise 1. Kurdische Gruppen Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) Serxwebun vormals: Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) (Unabhängigkeit) davor: Arbeiterpartei Kurdistans (PKK); monatlich in Deutschland seit 26.11.1993 verboten marxistisch-leninistisch Kurdistan Report zweimonatlich Teilorganisationen des KONGRA GEL: Volksverteidigungskräfte (HPG) Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) in Deutschland seit 26.11.1993 verboten Kurdischer Nationalkongress (KNK) Nebenorganisationen des KONGRA GEL: Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (FEYKA-Kurdistan) in Deutschland seit 26.11.1993 verboten Kurdistan Informations-Zentrum (KIZ) Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM) Verband der stolzen Frauen (Koma Jinen Bilind - KJB); umfasst: Newaya Jin Freiheitspartei der Frauen Kurdistans (PAJK) (Freie Frauen) Freie Frauenverbände (YJA) monatlich Frauenguerilla (YJA-STAR) Union der Journalisten Kurdistans (YRK) Union der patriotischen Arbeiter Kurdistans (YKWK) Union zur Pflege der kurdischen Kultur und Kunst Welate Me (YRWK) (Unsere Heimat) Vereinigung der demokratischen Jugendlichen Kurdistans CIWANEN AZAD (KOMALEN-CIWAN) (Freie Jugendliche) zweimonatlich Demokratische Jugend (DEM-GENC) Verband der StudentInnen aus Kurdistan (YXK) Ronahi (Licht) dreimonatlich Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 108 Organisation Publikationen ideologische Ausrichtung Erscheinungsweise Demokratische Aleviten-Föderation (FEDA) Semah vormals: Föderation der Demokratischen Aleviten (DAV) monatlich Islamische Bewegung Kurdistans (KIH) Baweri (Glaube) Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) 2. Türkische Gruppen 2.1 Linksextremisten Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) Isci-Köylü Kurtulusu (Arbeiter-BauernBefreiung) zweimonatlich Partizan-Flügel (TKP/ML) Devrim Yolunda Isci Köylü (Arbeiter und Bauern auf dem Weg der Revolution) vierzehntägig Maoistische Kommunistische Partei (MKP) Devrimci Demokrasi (Revolutionäre Demokratie) Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (TIKKO) Frontorganisation des Partizan-Flügels (TKP/ML) Volksbefreiungsarmee (HKO), militärischer Arm der MKP Basisorganisationen der TKP/ML: Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (ATIF) Sitz: Duisburg (Partizan-Flügel) Föderation für demokratische Rechte in Deutschland (ADHF) (DABK-Flügel) Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) (Partizan-Flügel) Mücadele (Kampf) unregelmäßig Konföderation für demokratische Rechte in Europa (ADHK) (DABK-Flügel) Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Ausländerextremismus 109 Organisation Publikationen ideologische Ausrichtung Erscheinungsweise Bolschewistische Partei Nordkurdistan/Türkei (BPKK/T) Bolsevik Partizan (Abspaltung von der TKP/ML) (Bolschewistischer Partisan) monatlich Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) in Deutschland seit 09.02.1983 verboten 1993 in zwei Fraktionen (Karatasbzw. Yagan-Flügel) zerfallen Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) Ekmek ve Adalet aus dem Karatas-Flügel der Devrimci Sol hervorgegangen (Brot und Gerechtigkeit) in Deutschland seit 13.08.1998 verboten wöchentlich Yürüyüs (Marsch) wöchentlich Türkische Volksbefreiungspartei-Front (THKP-C Devrimci Sol) aus dem Yagan-Flügel der Devrimci Sol hervorgegangen in Deutschland seit 13.08.1998 verboten Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Yeniden Atilim (Neuer Vorstoß) wöchentlich Bewaffnete Einheiten der Armen und Unterdrückten (FESK) - militärischer Arm der MLKP - Basisorganisationen der MLKP: Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa (AvEG-Kon) Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei AGIF Bülteni in Deutschland e.V. (AGIF) zweimonatlich 2.2 Extreme Nationalisten Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V. Türk Federasyon (ADÜTDF) Bülteni Sitz: Frankfurt am Main monatlich 3. Sonstige Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 111 4. Abschnitt Rechtsextremismus In der rechtsextremistischen Szene in Deutschland gibt es verschiedene Ausrichtungen und Strategien: Parteien kämpfen um Einfluss in den Parlamenten. Neonazis bekennen sich offen zur Ideologie des Nationalsozialismus. Autonome Nationalisten treten aggressiv und kämpferisch auf. Rechtsextremisten organisieren Aufmärsche und Demonstrationen, stellen antisemitische Propaganda ins Internet, verüben fremdenfeindliche Gewalttaten und treten teilweise erfolgreich bei Wahlen an. Rechtsextremisten beschäftigen sich in ihrer Propaganda mit sozialund wirtschaftspolitischen Themen. Aus den Sorgen um die soziale Sicherheit wollen sie politischen Nutzen ziehen. Das unterschiedliche Auftreten von Rechtsextremisten eint das gemeinsame Ziel, zentrale Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzuschaffen. 1. Aktuelle Entwicklungen 1.1 NPD sucht weiter Wege aus der Krise Eine neu eingerichtete Strategiekommission soll die NPD für Wähler attraktiver gestalten. Aktuelle Kampagnen gegen den Islam sollen neue Wählerschichten ansprechen und neue Mitglieder gewinnen. Das neue Parteiprogramm verändert die ideologische Grundausrichtung nicht. Die Fusion mit der DVU ist weitgehend vollzogen; Streitigkeiten dauern jedoch noch an. Angesichts der schlechten Wahlergebnisse im "Superwahljahr" 2009 versucht die NPD, sich mit der Einrichtung einer Strategiekommission neu zu positionieren. Ziel ist es, nicht die eigene Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 112 Ideologie zu korrigieren oder gar zu revidieren, sondern die "Verpackung" der eigenen Positionen für den Wähler attraktiver zu gestalten, um im Jahr 2011 bei den Landtagswahlen in SachsenAnhalt in ein drittes Landesparlament einziehen zu können. Kampagne gegen die "Islamisierung Deutschlands" Forderung eines In ihrer Strategiedebatte versucht die NPD, auch aktuelle TheMinarettverbots men aufzugreifen. Nach dem Volksentscheid in der Schweiz über den Bau von Minaretten startete sie bundesweit eine Kampagne mit dem Titel "Danke Schweiz - Minarettverbot auch hier". Die NPD-Fraktion im sächsischen Landtag beantragte, das Minarettverbot in die sächsische Verfassung mit aufzunehmen. Von verschiedenen Parteifunktionären wurde die Absicht geäußert, künftig den "Kampf gegen die Islamisierung" als Kernthema wesentlich stärker in den Vordergrund zu stellen. Dies biete einen erfolgversprechenden Ansatz, um das weit darüber hinausgehende "Ausländerrückführungsprogramm" zu popularisieren. Die Hinwendung zu einer verstärkten antiislamischen Agitation hat vor allem strategische Gründe. Aufgrund des relativ hohen muslimischen Bevölkerungsanteils in westdeutschen Großstädten wird darin ein potenziell wählerwirksames Thema gesehen. Fundamental Die NPD propagiert eine fundamental antiislamische Haltung, inantiislamische dem sie letztlich jedweder Form muslimischen Lebens die DaHaltung seinsberechtigung in Deutschland abspricht und pauschal die "Ausländerrückführung" fordert. Moscheen werden als Machtsymbole einer Religion gesehen, die Deutschland zum Eroberungsraum erklärt hat. Auf lokaler Ebene versucht sie, beispielsweise durch das Verteilen von Flyern gegen Moscheebauvorhaben zu agitieren. Bundesparteitage und Fusion mit der DVU Neues Zentraler Punkt des Bundesparteitags Anfang Juni in Bamberg Parteiprogramm war die Verabschiedung eines neuen Parteiprogramms, das in der ideologischen Tradition des bisherigen Programms steht. Es ist weiter von einem ausgeprägten Nationalismus getragen und schreibt den Gedanken der Volksgemeinschaft in einer völkischkollektivistischen Auslegung fest. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 113 Die Bündelung aller rechtsextremistischen Kräfte unter eigener Führung ist seit Jahren das erklärte strategische Ziel der NPD. Auf dem Bundesparteitag wurde die Empfehlung der Strategiekommission, sich für alle "volksund heimattreuen Kräfte" zu öffnen, d.h. eine Fusion mit der DVU anzustreben, aufgegriffen. Zur Vorbereitung des geplanten Zusammenschlusses mit der DVU wurden in beiden Parteien die Mitglieder befragt. Über 90 % der an der Abstimmung Beteiligten - jeweils rund ein Viertel der Mitglieder - halten eine Vereinigung für sinnvoll. Von Seiten der NPD wurde die Umfrage allerdings mit der Einschränkung gestellt, dass durch die Fusion keine neuen Schulden entstehen. Der ehemalige DVU-Vorsitzende Dr. Gerhard Frey hat auf seine Forderungen an die DVU in Höhe von rund 1 Million Euro verzichtet und diesen Betrag am 20. Oktober der DVU gespendet. Auf dem außerordentlichen Bundesparteitag am 6. November in Hohenmölsen/Sachsen-Anhalt stimmten über 90 % der Delegierten für eine Fusion mit der DVU. Im Zuge von Nachwahlen zum Parteivorstand wurde der Bundesvorsitzende der DVU, Matthias Faust, zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden sowie zwei weitere DVU-Funktionäre in den Vorstand gewählt. Somit wurde die Möglichkeit genutzt, bereits frühzeitig Funktionäre der DVU in das Leitungsgremium der NPD aufzunehmen und damit den weiteren Fusionsprozess zu forcieren. Im Gegensatz zur NPD, die eine rasche Fusion beider Parteien anstrebt, war die DVU aufgrund interner Streitigkeiten in ihrer Handlungsfähigkeit weitgehend gelähmt. Eine Reihe von Funktionären ist von ihren Parteiämtern zurückgetreten. Der Versuch, Matthias Faust aufgrund seiner fusionsfreundlichen Haltung den Vorsitz und die Mitgliedschaft zu entziehen, scheiterte. Auf dem außerordentlichen Parteitag, an dem auch Udo Voigt teilgenommen hat, stimmten am 12. Dezember in Kirchheim/Thüringen knapp 90 % der anwesenden Mitglieder für die Fusion mit der NPD und die gleichzeitige Auflösung der DVU. Noch vor der Abstimmung verließen die Gegner der Fusion geschlossen die Veranstaltung, da es Unstimmigkeiten wegen der Teilnahme von Personen gab, die sowohl bei der NPD als auch bei der DVU Mitglied waren. Die Vorsitzenden beider Parteien haben entsprechenden Parteiangaben zufolge am 29. Dezember den "Fusionsvertrag" zur Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 114 neuen Partei "NPD - die Volksunion" unterzeichnet. Durch diese "Bündelung" der rechtsextremistischen Kräfte erhofft sich die Partei größere Chancen bei den im Jahr 2011 stattfindenden Landtagswahlen. Die Gegner innerhalb der DVU haben rechtliche Schritte gegen die Fusion eingeleitet. Gerichtlich wurde Gerichtliches am 25. Januar 2011 die Unterzeichnung des VerschmelzungsVerfahren gegen vertrags untersagt, nachdem die Unterzeichnung vom Dezember Fusion nicht glaubhaft gemacht wurde. Vor dem Hintergrund eines bundesweiten Stimmenanteils von 1,5 % für die NPD und 0,1 % für die DVU bei der Bundestagswahl 2009 ist die Zusammenführung der "Stammwählerschaft" kaum relevant. Auch wegen der Überalterung und der weitgehenden Inaktivität der DVU-Mitgliedschaft ist nicht mit einer wesentlichen Stärkung der NPD zu rechnen. Landesparteitag in Schwenningen Am 24. Oktober fand in Schwenningen der Parteitag des Landesverbands Bayern statt. Dabei wurden Ralf Ollert und Sascha Roßmüller als Landesvorsitzender und dessen Stellvertreter bestätigt. Karl Richter, stellvertretender NPD-Bundesvorsitzender und Vorsitzender der Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA-München), wurde erstmals in den Vorstand gewählt; er Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 115 übernimmt die Funktion des Landespressesprechers von Roland Wuttke, der aus dem Vorstand ausgeschieden ist. Es bleibt abzuwarten, ob Richter in Zukunft den Führungsanspruch von Ralf Ollert in Frage stellen und die Zusammenarbeit mit den "Freien Kräften" in Bayern suchen wird. Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen Das Ergebnis der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai zeigte erneut, dass die NPD auch mit vermeintlich populären Themen keine Erfolge erzielen kann. Die Partei erreichte einen - aus ihrer Sicht enttäuschenden - Zweitstimmenanteil von 0,7 % (2005: 0,9 %) und blieb damit unter der für die staatliche Wahlkampfkostenerstattung wichtigen 1 %-Hürde. 1.2 Die Neonazi-Szene im Aufwind Neonazis schließen sich zunehmend in informellen Gruppen zusammen, die vor allem über das Internet kommunizieren. Erscheinungsbild und Verhalten der Autonomen Nationalisten verstärken die Anziehungskraft auf jugendliche Rechtsextremisten. Die rechtsextremistische Skinhead-Subkultur verliert weiter an Attraktivität. Mit rund 700 Neonazis sind der bayerischen Szene etwa 200 PerMehr Neonazis sonen mehr als im Vorjahr zuzurechnen. Der Bruch mit der NPD in Bayern beim Landesparteitag im November 2008 führte zu strukturellen Veränderungen innerhalb der Szene. Es entwickeln sich seitdem verschiedene überregionale und regionale kameradschaftsübergreifenden Netzwerke, die mit einem Mindestmaß an Struktur unter einem gemeinsamen Etikett agieren. Sie nutzen das Internet als zentrales Kommunikationsmittel, um kurzfristig Informationen zu verbreiten, Aktionen zu koordinieren sowie die unterschiedlichen Gruppen lose zu vernetzen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 116 Die hohe Mobilisierungsfähigkeit der Szene verdeutlichte die vom Freien Netz Süd organisierte Demonstration am 1. Mai in Schweinfurt. Mit 850 Rechtsextremisten aus dem gesamten süddeutschen Raum lag die Teilnehmerzahl höher als bei der gleichzeitig in Berlin durchgeführten zentralen NPD-Veranstaltung zum "Arbeiterkampftag". Neben dem Freien Netz Süd existiert der Freie Widerstand Süddeutschland als zweites überregionales Bündnis. Auf regionaler Ebene agiert das Nationale Bündnis Niederbayern. Freies Netz Süd (FNS) Größtes bayerisches Das Freie Netz Süd ist mit etwa 20 Gruppierungen das größte Neonazi-Netzwerk neonazistische Netzwerk in Bayern und organisiert zahlreiche Veranstaltungen. Die über das Internet vernetzten Gruppierungen und Einzelpersonen verfügen über einen Aktivistenstamm von etwa 100 bis 150 Personen; das Mobilisierungspotenzial liegt mit 300 bis 350 Anhängern deutlich höher. Auf der Homepage wird auch auf rechtsextremistische Veranstaltungen außerhalb Bayerns hingewiesen. Zu zahlreichen Veranstaltungen finden sich so genannte Aktionsberichte. Aktionen bei Mit der Kampagne "Sag Nein zur Bundeswehr" knüpft das FNS Schulen gegen im Berichtsjahr an die "Schulhofoffensive" aus dem Jahr 2009 Bundeswehr an. Zu Beginn des Schuljahres 2010/2011 brachten Aktivisten an mehreren Schulgebäuden und öffentlichen Einrichtungen Plakate an und verteilten Flugblätter und Werbekarten, mit denen die Bundeswehr diffamiert sowie Wehrmacht und Waffen-SS verherrlicht werden. Jugendliche werden aufgefordert, sich Schützenvereinen und Jugendgruppen anzuschließen, um dort eine "alternative Pflege des Heimatschutzes zu betreiben". Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 117 Im Juni initiierte das FNS eine Kampagne unter dem Motto "Wir wollen die D-Mark". Seitdem wurden gleichlautende Flugblätter in zahlreichen Städten verteilt. Auf den Flyern wird die angebliche "Ausbeutung der Unterund Mittelschichten" thematisiert. Matthias Fischer, Hauptakteur im FNS, trat am 1. Februar eine dreimonatige Haftstrafe wegen Volksverhetzung an. Aufgrund widerrufener Bewährungsstrafen verlängerte sich die Haftzeit von Fischer bis Mitte 2011. Trotz der Inhaftierung eines der führenden Köpfe des Freien Netzes Süd konnte die Kerngruppe des Netzwerks zahlreiche Flugblattaktionen und öffentliche Veranstaltungen initiieren. So meldeten Aktivisten aus dem Umfeld von Matthias Fischer für den 9. Oktober unter dem Motto "Besatzer Raus! Wir zahlen nicht für Eure Kriege" eine Demonstration in Schweinfurt an, an der rund 100 Personen teilnahmen. Die Veranstaltung war Teil einer Kampagne, die sich gegen alliierte Truppenstützpunkte in Bayern richtet. Freier Widerstand Süddeutschland (FWS) Der Freie Widerstand Süddeutschland wurde 2009 als ein überregionales Netzwerk gegründet, um "nationale Kräfte aus Bayern und Baden-Württemberg" zu bündeln. Der FWS verfügt in Bayern über rund 100 bis 150 Anhänger. Zu dem Netzwerk zählen insbesondere die Freien Nationalisten München, die in Südbayern aktivste neonazistische Gruppierung um Philipp Hasselbach, die Gruppierung Nationales Augsburg sowie mehrere Kameradschaften aus Baden-Württemberg. Dem FWS sind Kameradschaften angeschlossen, die eine AlterAlternative native zum größten neonazistischen Netzwerk Freies Netz Süd zum Freien suchen, da Rivalitäten zwischen dem informellen Anführer der Netz Süd Freien Nationalisten München, Philipp Hasselbach, und dem führenden Aktivisten des Freien Netzes Süd, Matthias Fischer, bestehen. Nationales Bündnis Niederbayern (NBN) Das Nationale Bündnis Niederbayern, dem etwa 50 bis 80 Rechtsextremisten angehören, trat unter dieser Bezeichnung erstmals Mitte 2009 auf. Eine eigene Internetseite dient seitdem Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 118 als Kommunikationsplattform von neonazistischen Kameradschaften und Kleingruppen aus Niederbayern, die auch dem Freien Netz Süd angehören. Dazu zählen insbesondere die Freien Nationalisten Bayerischer Wald und die Freien Kräfte Straubing. Bei Bündnistreffen werden gemeinsame Aktionen wie Demonstrationen, Mahnwachen und Flugblattverteilungen abgesprochen, um damit effektiver nach außen zu wirken. Am 14. August veranstaltete das NBN in Viechtach eine Kundgebung unter dem Motto "Sozialabbau, Arbeitslosigkeit, Überfremdung - die BRD vernichtet unsere Zukunft! Wir stellen uns quer!". An der Aktion beteiligten sich etwa 30 Rechtsextremisten. Mit dieser Veranstaltung hat das Nationale Bündnis Niederbayern sozialund wirtschaftspolitische Themen aufgegriffen, die bereits seit einigen Jahren in der Propaganda von Neonazis in den Vordergrund gestellt werden. Durch Verknüpfung sozialer Problemfelder wie Arbeitslosigkeit oder Kürzung von staatlichen Sozialleistungen mit rechtsextremistischen Elementen wie Rassismus und Ausländerfeindlichkeit soll aus den Sorgen der Bevölkerung um ihre soziale Sicherheit Kapital geschlagen werden. Division Franken In Mittelfranken bildete sich neben dem überregionalen Netzwerk Freies Netz Süd das regionale neonazistische Aktionsbündnis Freies Franken, das u. a. aus den Gruppierungen Freien Nationalisten Nürnberg und Nationaler Stammtisch a.d. Regnitz bestand. Dem Freien Franken gehörten rund 30 Rechtsextremisten an. Neben gemeinsamen Flugblattverteilungen, Schulungen, Saalveranstaltungen und Demonstrationen sollten FreizeitangeAngebote für bote wie Wanderungen, Ausflüge und Sonnwendfeiern vor allem Jugendliche Jugendliche ansprechen. Im Unterschied zum Freien Netz Süd kooperierte das Aktionsbündnis mit der NPD. Im Juni startete die gemeinsame frankenweite Flugblattkampagne zum Thema "Der deutsche Sozialstaat wurde aufgelöst". Ende des Jahres löste sich das Aktionsbündnis Freies Franken auf. Gleichzeitig schlossen sich die beiden Gruppierungen Freie Nationalisten Nürnberg und Nationaler Stammtischen a.d. Regnitz zur Kameradschaft Division Franken zusammen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 119 Autonome Nationalisten Seit einiger Zeit ist zu beobachten, dass sich an rechtsextremistischen Veranstaltungen auch Personen beteiligen, die vom klassischen Erscheinungsbild rechtsextremistischer Parteikader und Neonazis abweichen. Diese Autonomen Nationalisten orientieren sich an Kleidungsstil und Aktionsformen der linksextremistischen Autonomen. Das Nachahmen dieser Aktionsformen durch jugendliche Rechtsextremisten blieb in Bayern bisher eine Randerscheinung Randerscheinung. Anders als in anderen Bundesländern war kein in Bayern aggressives oder gewalttätiges Auftreten zu beobachten. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 120 Rechtsextremistische Skinheads Bedeutungsverlust Im Gegensatz zur Neonazi-Szene verliert die provokante und auffällige Subkultur rechtsextremistischer Skinheads innerhalb der Szene zunehmend an Bedeutung. Die Anzahl rechtsextremistischer Skinheads verringerte sich von 500 auf 300 Personen. Im Gegensatz zu früheren Jahren erfolgt der Einstieg in die NeonaziSzene heute nur noch in Ausnahmefällen über die jugendliche Skinhead-Subkultur. 1.3 Sonstige Entwicklungen 1.3.1 Kaum Aktionen zum 23. Todestag von Rudolf Heß in Bayern - dafür erneuter Gedenkmarsch für den verstorbenen Neonazi Jürgen Rieger Kein "RudolfDas Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2009 die VerfasHeß-Gedenksungsbeschwerde von Jürgen Rieger gegen das Verbot einer für marsch" den 20. August 2005 angemeldeten Rudolf-Heß-Gedenkkundgebung in Wunsiedel zurückgewiesen. Aus diesem Grund fand im Jahr 2010 dort keine Gedenkveranstaltung statt. Die konsequente Durchsetzung der Versammlungsverbote in den vergangenen Jahren hat die Szene nachhaltig verunsichert. Im Gegensatz zu den Vorjahren unterließen es die Rechtsextremisten, Ersatzveranstaltungen durchzuführen. Bayernweit kam es nur zu einigen kleineren Propagandaaktionen. Dafür veranstalteten NPD und Neonazis in Wunsiedel zum zweiten Mal nach 2009 einen Gedenkmarsch anlässlich des Todes von Jürgen Rieger, der Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 121 stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD war. Rechtsanwalt Rieger war nicht nur ein wichtiger Finanzier der Partei, sondern auch einflussreiches Bindeglied zwischen der NPD, den militanten Kameradschaften und NS-Nostalgikern. Er sorgte auch in bayerischen Kommunen wiederholt mit seinen Ankündigungen für Verunsicherung, Immobilien für die Errichtung rechtsextremistischer "Schulungsund Forschungszentren" zu erwerben. Diese Aktionen führten regelmäßig zu großer Medienresonanz. Am 30. Oktober fand die von der NPD angemeldete Demonstration unter dem Motto "Für Einigkeit und Recht und Freiheit. Gedenkmarsch für Jürgen Rieger" statt. Als Versammlungsleiter fungierten Thomas "Steiner" Wulff, Bundesvorstandsmitglied der NPD und als dessen Stellvertreter Tony Gentsch vom NeonaziNetzwerk Freies Netz Süd. Trotz umfangreicher Mobilisierung innerhalb der bayerischen Neonazi-Szene verlief die Veranstaltung mit rund 200 Teilnehmern aus Sicht der NPD enttäuschend. Im Vorjahr haben sich am Trauermarsch etwa 850 Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet sowie dem benachbarten Ausland beteiligt. Das geringe Interesse an der diesjährigen Veranstaltung ist für die Szene ein herber Rückschlag bei dem Versuch, an die früheren "Rudolf-Heß-Gedenkmärsche" anzuknüpfen. 1.3.2 Immobiliennutzung mit rechtsextremistischem Hintergrund Rechtsextremisten beabsichtigen Immobilien zu erwerben bzw. Schulungszu mieten, um regionale Strukturen und Anlaufstellen zu schafund Veranstalfen. Es werden Räumlichkeiten gesucht, in denen Schulungen tungsräume und Veranstaltungen durchgeführt werden und in denen sich Parteimitglieder und andere Rechtsextremisten ungestört treffen können. In Bayern verfügt der Aktivist des neonazistischen Netzwerks Freies Netz Süd, Tony Gentsch, seit März über ein Anwesen in der Gemeinde Regnitzlosau, Landkreis Hof, das seitdem für Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene genutzt wird. So fand am 26. Juni in der ehemaligen Gaststätte eine Feier mit rund 60 Rechtsextremisten statt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 122 Der NPD-Bezirksvorsitzende von Oberbayern und Funktionär der BIA-München, Roland Wuttke, hatte ein Objekt in MünchenForstenried als "Lagerraum" und "Abstellfläche" angemietet. Tatsächlich sollten die Räumlichkeiten dem gesamten rechtsextremistischen Spektrum für Versammlungen zur Verfügung stehen. Nach Bekanntwerden der Nutzungsänderung wurde der Mietvertrag vom Vermieter umgehend fristlos gekündigt. Im Juli mietete die BIA-München Räumlichkeiten in der Drygalski-Allee in München an, die zuvor gewerblich genutzt wurden. Dieses "Nationale Begegnungszentrum" wurde von der BIA und anderen Münchner Rechtsextremisten als Versammlungsund Veranstaltungsort genutzt. Ende August erließ die Stadt München für die Räume ein Nutzungsverbot als Aufenthaltsund Versammlungsraum. Gerichtlich einigten sich BIA und Vermieter auf eine Beendigung des Mietverhältnisses zum 31. Oktober. Rechtsextremisten haben erkannt, dass im Fall von bekannt geworden Immobilienkaufabsichten regelmäßig öffentlicher und politischer Druck auf die entsprechenden Kommunen ausgeübt wird. Diese Vorgehensweise wird gezielt eingesetzt, um bei einem Verkauf eine "Vermittlungsprovision" zu erhalten. Unterstützung der Die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) unKommunen durch terstützt Kommunen mit einem breiten Beratungsangebot, wie die BIGE auf vermeintlich oder wirkliche Erwerbsabsichten durch Rechtsextremisten reagiert werden kann. 1.4 Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten - Exekutivmaßnahmen 1.4.1 Wohnungsdurchsuchungen bei Mitgliedern der rechtsextremistischen Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) Vereinsrechtliches Am 7. September wurden in mehreren Bundesländern WohnunErmittlungsgen von Angehörigen der Neonazi-Szene durchsucht. Hinterverfahren grund war die Einleitung eines vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen die HNG. Bei ihr bestehen tatsächliche An- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 123 haltspunkte, dass die Zwecke des Vereins und seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen und dieser sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet. In Bayern waren drei Objekte betroffen, u. a. wurde die Wohnung des bekannten Rechtsextremisten Norman Bordin durchsucht. Im Rahmen der Durchsuchungen wurde umfangreiches Material sichergestellt, darunter Waffen, zwei Schlagringe, ein Wurfstern und ein zweiseitig geschliffenes Messer. Die 1979 gegründete HNG ist mit etwa 600 Mitgliedern die derzeit größte neonazistische Organisation in Deutschland. In Bayern gehören ihr etwa 50 Personen an. Sie wird insbesondere von Anhängern des neonazistischen Netzwerkes Freies Netz Süd unterstützt. Erklärtes Ziel ist die Betreuung und Unterstützung von "nationalen Gefangenen". Dabei geht es der HNG nicht um eine Resozialisierung von Straftätern und deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft, sondern um die Verfestigung einer beim Straftäter angelegten nationalsozialistischen Gesinnung. 1.4.2 Exekutivmaßnahmen Die Inhaftierung der beiden Leitfiguren Philipp Hasselbach und Matthias Fischer schwächte die rechtsextremistische Szene. Die beiden Münchner Rechtsextremisten und Mitglieder der Neonazi-Kameradschaft Freie Nationalisten München (FNM), Philipp Hasselbach und Franz Sedlbauer, wurden am 30. Juni wegen mehrerer Beleidigungs-, und Körperverletzungsdelikte festgenommen. Hasselbach, informeller Führer der FNM, musste sich zusätzlich wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung verantworten. Am 10. November wurden Hasselbach und Sedlbauer wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen verurteilt. Hasselbach wurde zu einem Jahr und acht Monaten, Sedlbauer zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 124 Der Neonazi Matthias Fischer aus Fürth trat am 1. Februar eine dreimonatige Haftstrafe wegen Volksverhetzung an. Aufgrund widerrufener Bewährungsstrafen wegen verschiedener Delikte verlängerte sich die Haftzeit von Fischer bis Mitte 2011. Matthias Fischer gründete nach seinem Austritt aus der NPD Ende 2008 das rechtsextremistische Netzwerk Freies Netz Süd. 1.4.3 Gewalttaten Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten bewegt sich trotz eines leichten Anstiegs auf dem Niveau des Vorjahres. In Bayern hat sich die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewaltdelikte von 53 im Jahr 2009 leicht auf 58 erhöht. Dabei handelt es sich überwiegend um Körperverletzungsdelikte, es wurde aber auch ein versuchter Totschlag registriert. Bayern gehört beim Vergleich der Häufigkeitszahlen der vergangenen Jahre - bezogen auf jeweils 100.000 Einwohner - stets zu den drei am wenigsten belasteten Bundesländern. Von den 58 Gewalttaten waren 32 (2009: 28) allgemein neonazistisch motiviert; 18 dieser Delikte waren gegen Anhänger der linken Szene gerichtet (2009: 12). 23 (2009: 24) Gewalttaten waren fremdenfeindlich motiviert. Drei Gewaltdelikten lag eine antisemitische Motivation zugrunde (2009: 1). Insgesamt konnten 52 Gewalttaten aufgeklärt werden, dabei wurden insgesamt 77 Tatverdächtige ermittelt, darunter fünf Frauen. 33 der Tatverdächtigen sind erstmals straffällig geworden. Wie im Jahr 2009 gehört mit 53 Personen die überwiegende Zahl der Tatverdächtigen der Altersgruppe über 21 an, die übrigen 24 Tatverdächtigen gehören zur Altersgruppe 17 bis 21 Jahre. Gewaltbereitschaft Eine hohe Gewaltbereitschaft besteht nach wie vor bei den subbei Skinheads kulturell geprägten Rechtsextremisten, vor allem bei den rechtsextremistischen Skinheads. Bei 19 von 52 aufgeklärten Gewalttaten waren Skinheads beteiligt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 125 Rechtsextremistische Gewalttäter werden in der Regel nicht aufgrund einer strategischen Zielsetzung gewalttätig, sondern spontan, in der Gruppe (2010: 31 der insgesamt 58 Gewaltdelikte) und häufig unter Alkoholeinfluss (2010: bei 23 von 52 aufgeklärten Gewaltdelikten waren die Tatverdächtigen alkoholisiert). Fünf Gewalttaten wurden im Rahmen rechtsextremistischer Demonstrationen begangen. Ein Angriff eines 24-jährigen Rechtsextremisten am 28. April Versuchtes in der Nürnberger U-Bahn war als versuchtes Tötungsdelikt die Tötungsdelikt schwerwiegendste Gewalttat. Nach einer kurzen Auseinandersetzung mit seinem 17-jähriger Gegner - angeblich hatte dieser die Freundin des Tatverdächtigen als rechte "Schlampe" beleidigt -, hat der Rechtsextremist seinen Gegner so schwer verletzt, dass dieser reanimiert und ins künstliche Koma versetzt werden musste. Ein weiteres Beispiel für ein neonazistisch motiviertes GewaltdeBeispiele für likt ist eine gefährliche Körperverletzung am 30. Juni in RegensGewalttaten burg. Gegen Mitternacht waren fünf Skinheads zwischen 19 und 38 Jahren durch die Altstadt gezogen und skandierten Parolen wie "Sieg Heil" und "Heil Hitler". Sie suchten ein Lokal auf und legten sich mit dem Barkeeper an, der einen der Skinheads wenige Wochen zuvor wegen rechtsextremistischer Äußerungen kritisiert hatte. Nachdem der Barkeeper die Personen aus dem Lokal verwiesen hatte, schlugen ihn die Skinheads zu Boden und traten auf ihn ein. Das Opfer erlitt Platzwunden und Prellungen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 126 Als fremdenfeindlich motivierte Gewalttat wurde beispielsweise ein Vorfall am 17. April in München registriert. Am Morgen beleidigte ein 17-jähriger Tatverdächtiger in einem Linienbus eine Schülerin und einen Schüler wegen ihrer Hautfarbe mit "Scheiß Neger". Beim Verlassen des Busses zog er an der Jacke der Schülerin, worauf ihr 19-jähriger Begleiter einschritt. Der Tatverdächtige schlug dem Schüler mit der Faust auf den Hinterkopf und stieß ihn mit dem Knie. Ein Beispiel für eine der drei registrierten antisemitischen Gewalttaten ist ein Angriff eines rechtsextremistisch gesinnten 19-Jährigen, der am 25. September eine Bierflasche auf einen 41-Jährigen geworfen hatte, so dass dieser an einem Auge und an einer Hand verletzt wurde. Dabei beleidigte der Tatverdächtige das Opfer mit Worten wie "Drecksjudenschwein". 1.4.4 Sonstige Straftaten Die Zahl der sonstigen rechtsextremistisch motivierten Straftaten ist erneut zurückgegangen. Propagandadelikte In Bayern wurden 2010 insgesamt 1.455 (2009: 1.638) Straftaund ten (ohne Gewalttaten) gezählt. Davon waren 1.240 (2009: 1.367) Volksverhetzung neonazistisch, 123 (2009: 167) fremdenfeindlich und 92 (2009: 104) antisemitisch motiviert. In den meisten Fällen handelte es sich um Propagandadelikte (1.116; 2009: 1.258), aber u. a. auch um Volksverhetzung (173; 2009: 210) und Sachbeschädigungen (85; 2009: 81). Beispielsweise wurden Hakenkreuze auf Wände und Fahrzeuge gesprüht bzw. geritzt, Parolen wie "Heil Hitler" und "Sieg Heil" gerufen und antisemitische Schriften verbreitet. Neonazis verwenden z. B. auf dem Display ihres Mobiltelefons NS-Symbole als Standard-Einstellung und nutzen das Short-Message-System (SMS) sowie den Multimedia Messaging Service (MMS), um neonazistische Grafiken, Filme und Lieder zu Propagandazwecken an andere Handy-Besitzer zu übermitteln. Sachschaden Durch rechtsextremistisch motivierte Ausschreitungen und Schmierereien entstand im Jahr 2010 ein Sachschaden von rund 444.980 Euro (2009: etwa 434.900 Euro). Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 127 2. Ideologie und Strategie 2.1 Merkmale und Aktionsfelder des Rechtsextremismus Der Rechtsextremismus weist keine gefestigte einheitliche IdeoAblehnung der logie auf. Die Bestrebungen rechtsextremistischer OrganisatioGrundlagen der nen in Deutschland sind im Wesentlichen dadurch gekennzeichDemokratie net, dass sie die Grundlagen der Demokratie ablehnen. Stattdessen wird eine autoritäre Regierungsform angestrebt, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren ist. Dies wird aus taktischen Gründen meist nicht offen erklärt. Rechtsextremistische Bestrebungen richten sich gegen die universelle Geltung der Menschenrechte und gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u. a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder "Rasse" bestimme den Wert eines Menschen. Damit geht zumeist ein offener oder verdeckter Antisemitismus Antisemitismus einher. Rechtsextremisten haben ein autoritäres Staatsverständnis, das bis zur Forderung nach einem Staat reicht, der nach dem Führerprinzip aufgebaut ist. Gemäß dieser Ideologie der "Volksgemeinschaft" sollen die staatlichen Führer intuitiv nach dem vermeintlich einheitlichen Willen des Volkes handeln. In einem rechtsextremistisch geprägten Staat würden somit wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen auszuüben, oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition, wegfallen. Eine Konstante rechtsextremistischer Agitation ist der Versuch, Rechtfertigung der die nationalsozialistische Gewaltherrschaft unter HerausstelNS-Herrschaft lung angeblich positiver Leistungen des Dritten Reichs zu rechtfertigen, die Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime zu Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 128 Diffamierung diffamieren und die Verbrechen der nationalsozialistischen Gedeutscher Politiker waltherrschaft zu verschweigen, zu verharmlosen oder sogar zu leugnen. Hinzu kommt die allen Extremisten gemeinsame planmäßige Verunglimpfung des demokratischen Verfassungsstaats Bundesrepublik Deutschland und seiner Repräsentanten. Dies geschieht insbesondere durch den Versuch, die "BRD" als Marionettenstaat ausländischer, insbesondere US-amerikanischer Interessen ("Besatzer") darzustellen. Die deutschen Politiker werden dabei regelmäßig als korrupte Handlanger dieser Interessen diffamiert, die nicht willens und in der Lage sind, die Probleme des Landes zu lösen. Hinter dieser Darstellung verbergen sich meist Antiamerikanismus und Antisemitismus als weitere Merkmale rechtsextremistischer Agitation. Demnach wird die US-amerikanische Politik von finsteren jüdischen Kreisen ("Ostküste") gesteuert. Ziel dieser Angriffe ist es, die eigene Organisation und ihre Vertreter als die alleinigen Wahrer der Interessen des deutschen Volkes darzustellen und den politischen Gegner als Verräter, der mit krimineller Energie systematisch den Interessen der Bürger schadet, zu diskreditieren. Diese Diffamierung bedeutet nichts anderes als die Ablehnung von Kernbereichen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, nämlich des Mehrparteienprinzips und des Rechts auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Sozialund Nicht alle Rechtsextremisten bedienen sich gleichmäßig dieser wirtschaftspoliStereotypen. Manchmal sind - je nach Interessenlage - auch nur tische Themen Teilaspekte bestimmend. So treten seit einigen Jahren in der Propaganda von Rechtsextremisten sozialund wirtschaftspolitische Themen in den Vordergrund. Durch Verknüpfung sozialer Problemfelder mit rechtsextremistischen Theorie-Elementen soll aus den Sorgen der Bevölkerung um ihre soziale Sicherheit Kapital geschlagen werden. Teile des rechtsextremistischen Spektrums propagieren einen von dezidiert antikapitalistischen Elementen geprägten "volksbezogenen Sozialismus" mit dem Ziel, in sozialistisch orientierte Wählerschichten einzudringen. Fundamental Auch die Diskussion um den Bau von Moscheen wird für rechtsantiislamische extremistische Agitationen genutzt. Rechtsextremisten proHaltung pagieren eine fundamental antiislamische Haltung, indem sie Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 129 jedweder Form muslimischen Lebens die Daseinsberechtigung in Deutschland absprechen. Das Thema Islam wird häufig dazu genutzt, Ängste vor muslimischen Mitbürgern zu schüren und vor einer vermeintlichen Islamisierung und Überfremdung zu warnen. Als prägendes Element des Rechtsextremismus vertritt die NPD Völkischer einen völkischen Nationalismus, dessen Ziel es ist, das FunktiNationalismus onieren der bestehenden Ordnung zu beeinträchtigen und es durch das Ideal einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" zu ersetzen. Mit dieser Forderung verwendet die NPD einen zentralen Begriff des Nationalsozialismus, der darunter insbesondere eine Schicksalsgemeinschaft verstand, in der die Interessen des Einzelnen bedingungslos der Gemeinschaft der "Volksgenossen" untergeordnet wurden und das Wohl der so definierten "Volksgemeinschaft" allen anderen Interessen vorging: "Volksherrschaft setzt die Volksgemeinschaft voraus. Der Staat nimmt dabei die Gesamtverantwortung für das Volksganze wahr und steht daher über Gruppeninteressen." (Parteiprogramm der NPD, Abschnitt 3) 2.2 Autonome Nationalisten (AN) Zur Vermeidung von Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner oder der Polizei bemühen sich Teile der rechtsextremistischen Jugend-Szene um ein Erscheinungsbild, das sich dem Auftreten der linksextremistischen Szene annähert. Dabei gewinnt das Phänomen AN verstärkt an Attraktivität; es handelt sich dabei um Neonazis, die sowohl dem Äußeren nach als auch in ihren Aktionsformen den linksextremistischen Autonomen ähnlicher sind als den klassischen Rechtsextremisten. Zum "Outfit" gehören idealtypisch schwarze Kapuzen-Pullis, Schwarzes Sonnebrillen, Basecaps und HipHop-Hosen, wobei auch das Tra"Outfit" gen von "Palästinensertüchern" möglich ist. In Bayern wird dieses neue Erscheinungsbild bevorzugt von jugendlichen Nachwuchsaktivisten übernommen. Die Attraktivität der AN für einen Teil der rechtsextremistischen Jugendlichen hat mehrere Gründe. So suggeriert das autonome Selbstverständnis Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 130 "Unabhängigkeit". Daneben kann man im "nationalen Widerstand" dabei sein, ohne sich von einer Partei oder Kameradschaft vereinnahmen zu lassen. Auch ist eine tiefere ideologische Auseinandersetzung mit historischen Fragen wie bei den "klassischen" Neonazis nicht erforderlich. Provokation Autonome Nationalisten stellen somit weniger eine ideologische als vielmehr eine strategisch-aktionistische Neuerung im Rechtsextremismus dar. Diese aktionistische Ausrichtung kommt Jugendlichen entgegen. Das provokante und zugleich Anonymität bietende Outfit kommt bei Jugendlichen gut an. Ohne Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel können zudem Nachteile und Schwierigkeiten in der Schule, im Elternhaus oder bei Freunden vermieden werden. In Bayern nur Auch wenn die Übernahme des äußeren Erscheinungsbildes wenige Gruppen der AN zunimmt, gibt es in Bayern nur wenige Gruppen, die sich selbst den AN zuordnen. Auch die als zentrales Merkmal der AN vorhandene gesteigerte Gewaltbereitschaft konnte in Bayern bislang nicht festgestellt werden. 2.3 Die Rolle des Internets Dem Internet kommt für die rechtsextremistische Szene eine herausragende Bedeutung zu. Die Zahl der von deutschen Rechtsextremisten betriebenen Homepages bewegt sich mit etwa 1.000 Seiten seit Jahren auf konstant hohem Niveau. Auch Parteien wie die NPD haben den Stellenwert eines Internetauftritts erkannt und betreiben technisch hochwertige Homepages. Aktivität auch Rechtsextremisten entdecken vermehrt auch die interaktiven in sozialen Möglichkeiten des Web 2.0, indem sie ihr Gedankengut über Netzwerken grundsätzlich unpolitische Plattformen wie Facebook oder YouTube verbreiten. Nach und nach gewinnen aber auch szeneinterne Foren und Netzwerke an Bedeutung. Dem allgemeinen Trend folgend, nehmen Rechtsextremisten auch das Potenzial des Kurznachrichtendienstes Twitter in Anspruch und informieren so zum Beispiel über aktuelle Demonstrationen und Veranstaltungen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 131 Vorteile des Internets aus rechtsextremistischer Sicht - Das Internet unterstützt die rechtsextremistische Szene in ihrer Netzwerkbildung. Zu Demonstrationen und Kampagnen werden anlassbezogene Sonderseiten ins Netz gestellt. Des Weiteren kommunizieren Rechtsextremisten in zugangsgeschützten Foren und können dort auch spontane Aktionen verabreden. - Vor allem junge Menschen fühlen sich durch das Internet mehr angesprochen. So findet auf Weblogs und anderen Internetportalen ein reger Gedankenaustausch innerhalb der rechtsextremistischen Szene statt. - Rechtsextremistisches Gedankengut kann im Internet weitgehend risikolos und bei Bedarf anonym verbreitet werden. Dies gilt vor allem für rechtsextremistische Propaganda mit zum Teil strafbaren Inhalten, die vornehmlich von ausländischen Szene-Providern angeboten wird. - Die rechtsextremistischen Vertriebsstrukturen können durch das Internet mit geringem finanziellem Aufwand erhalten werden. Auf den Webseiten von rechtsextremistischen Bands wird zum Teil Musik kostenlos zum Download angeboten. Szenetypische Kleidung, Musik-CDs sowie sonstige Devotionalien mit rechtsextremistischem Inhalt sind im kommerziellen Versandhandel im Internet erhältlich. - Die Möglichkeiten des Internets, wie z. B. Chat-Rooms oder Skype-Konferenzen, kommen der aktionistischen Ausrichtung der rechtsextremistischen Szene entgegen. - Eine Auseinandersetzung mit dem "politischem Gegner" findet in Chat-Foren und Webseiten oft in diffamierender Weise statt. Dabei werden Kommunalpolitiker, Stadträte, "linke" Aktivisten und Polizisten an den Pranger gestellt. Diese Drohkulisse soll der Einschüchterung dienen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 132 2.4 Rechtsextremistische Musik und ihre Anziehungskraft auf Jugendliche Viele Jugendliche sind in ihrer politischen Überzeugung, ihren Werten und ihrer Weltanschauung noch nicht gefestigt und deshalb für die NS-Ideologie anfälliger. Musik ist dabei für Jugendliche ein wichtiges Mittel zur Identifikation und zum Ausdruck von Lebensgefühlen und Emotionen. Verschiedene Musikstile ermöglichen - verbunden mit typischer Kleidung und szeneeigenen Symbolen - eine Selbstzuordnung zu verschiedenen Subkulturen. Dies macht sich die rechtsextremistische Szene zu Nutze. Stilrichtungen In der rechtsextremistischen Musik-Szene gibt es - entsprechend der verschiedenen "rechten" Subkulturen - ein breites Spektrum an Stilrichtungen und Sängern: Skinhead-Musik, NS-Black-Metal, NS-Hatecore, Neofolk, NS-HipHop, NS-Techno und diverse Liedermacher. Rechtsextremistische Musik ist nicht homogen. Hauptströmungen sind zwar die Musik von Skinhead-Bands und Liedermachern. Daneben gibt es aber auch die rechtsextremistisch beeinflusste Musik in Bereichen wie der Black-Metal-Szene. Es geht nicht mehr nur um stumpfsinnige Rockmusik mit unverständlich gesungenen Texten. Es werden neben rassistischen, ausländerfeindlichen, antisemitischen und nationalistischen Inhalten auch vermehrt soziale Missstände und der Kampf gegen das bestehende politische System thematisiert. Rechtsextremistische Musik ist nicht allein das Eintrittstor in die rechtsextremistische Szene. Vielmehr sind soziale Erfahrungen und gruppendynamisches Erleben ein wesentlicher Faktor, um in die rechtsextremistische Szene abzugleiten. Dennoch ist rechtsextremistische Musik als Träger rechtsextremistischen Gedankenguts für jede Art von Rechtsextremisten von großer Bedeutung, um Nachwuchs zu ködern. Vor allem die NPD bzw. ihre Jugendorganisation JN und Angehörige der Neonazi-Szene versuchen immer wieder, durch Verteilaktionen von "Schulhof-CDs" oder Comics an Schulen und Jugendeinrichtungen gezielt Nachwuchs zu gewinnen. Rechtsextremistische Musik wird auch durch Versandhandel, Internet-Börsen sowie an Verkaufsständen auf rechtsextremistischen Veranstaltungen verbreitet und vermarktet. Eine zuneh- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 133 mend bedeutende Rolle nimmt dabei das Internet ein. Musikclips können schnell und effektiv zum Download oder auf Video-Portalen zur Verfügung gestellt und somit einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Auf Skinhead-Konzerten im Inund Ausland sowie auf Veranstaltungen rechtsextremistischer Organisationen und Parteien wird rechtsextremistische Musik live aufgeführt. In Bayern waren im Jahr 2010 folgende Skinhead-Bands aktiv: SkinheadBands - Burning Hate (Raum Oberfranken) in Bayern - Codex Frei (Kempten) - Faustrecht (Mindelheim) - Feldherren (München) - National Born Haters (Neu-Ulm) - Noise of Hate (Amberg) - MPU (Raum Hof) - Southern White Punks (Raum Augsburg) - Stray Bullet (Unterfranken) - Sturmtrupp (Neuburg a.d. Donau) - Untergrundwehr (Würzburg) - White Rebel Boys (Raum Hof) Aufgrund des intensiven Überwachungsdrucks der Sicherheitsbehörden und des damit verbundenen finanziellen Risikos gelingt es den Veranstaltern in Bayern nur noch selten, Skinhead-Konzerte durchzuführen. Im Jahr 2010 fanden in Bayern lediglich sieben Konzerte statt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 134 3. Strukturen 3.1 Parteien, Vereinigungen und Verlage 3.1.41 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Die Nationalen Die Aktivitäten der NPD zielen darauf ab, die bestehende Ordnung durch das Ideal der "Volksgemeinschaft" zu ersetzen. Einzig eine ethnisch homogene "Volksgemeinschaft" stellt aus Sicht der NPD eine natürliche, dem wahren Wesen des Menschen gemäße und damit annehmbare staatliche Ordnung dar und dient als Gegenentwurf zur parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Die von der NPD vertretenen völkischen Grundideen bringen im Zusammenhang mit den verschiedensten politischen Themen oft ausländerfeindliche, rassistische - und in Bezug auf den historischen Nationalsozialismus verharmlosende bis wohlwollende - Positionen zum Ausdruck. Ihr angestrebtes Ziel der "Systemüberwindung" und ihre Grundaussagen stehen damit inhaltlich im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 135 Das im Rahmen des Bundesparteitags am 4. und 5. Juni in BamVölkischer berg verabschiedete neue Parteiprogramm steht in der ideoloKollektivismus gischen Tradition des bisherigen Programms. Es ist weiter von einem ausgeprägten Nationalismus getragen und schreibt den Gedanken der Volksgemeinschaft in einer völkisch-kollektivistischen Auslegung fest. So heißt es im neuen Parteiprogramm: "Volksherrschaft setzt die Volksgemeinschaft voraus. Der Staat nimmt dabei die Gesamtverantwortung für das Volksganze wahr und steht daher über Gruppeninteressen." und "Ein grundlegender politischer Wandel muß die sowohl kostspielige als auch menschenfeindliche Integrationspolitik beenden und auf die Erhaltung der deutschen Volkssubstanz abzielen. Integration ist gleichbedeutend mit Völkermord." Für die NPD resultiert die Würde des Einzelnen nicht aus dem freien Willen des Individuums, sondern sie ist von biologisch-genetischer Teilhabe an der "Volksgemeinschaft" abhängig. Da nur Deutsche völkischer Abstammung Teil der Volksgemeinschaft sein können, ist eine rassistisch und nationalistisch geprägte Fremdenfeindlichkeit elementarer Bestandteil der Partei-Ideologie vom "lebensrichtigen Menschenbild", das sich insbesondere gegen "Fremdbestimmung" und "Überfremdung" wendet. Die NPD macht aus ihrer offenen Gegnerschaft zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch kein Hehl: So schrieb der Bundesvorsitzende der NPD, Udo Voigt, in der "Deutschen Stimme": "Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß die NPD sich auch weiterhin als Systemalternative zum kapitalistischen System der BRD verstehen soll, allerdings in gewisser Weise eine seriöse Radikalität entwickeln muß." (Deutsche Stimme, April 2010, Seite 17) Durch die Öffnung der NPD Mitte der 1990er Jahre für Neonazis fand auch eine verstärkte Hinwendung zu neonazistischen Inhalten statt. So hat die NPD ihre Agitation zur "sozialen Frage" verstärkt und versucht, sich mit dem Motto "Sozial geht nur naAnschein einer tional" den Anschein einer sozialen Protestpartei zu geben. Sie sozialen will damit die Ängste der Bevölkerung vor sozialen Reformen, Protestpartei Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 136 Arbeitslosigkeit und einer "multikulturellen Gesellschaft" schüren. Damit soll eine Krisenstimmung geschaffen werden, die den Angriff gegen den Rechtsstaat und die freiheitliche demokratische Grundordnung rechtfertigen soll. Vier-Säulen-Strategie Ziel: Politische Um dem Ziel der politischen Machtergreifung näher zu komMachtergreifung men, hat die Partei 1997 ein auf zunächst drei "strategische Säulen" gestütztes Konzept entwickelt. Diese Säulen bezeichnet sie schlagwortartig mit den Begriffen: - "Kampf um die Köpfe" - "Kampf um die Straße" - "Kampf um die Parlamente" Der "Kampf um die Köpfe" bezeichnet die politisch-theoretische Arbeit. Die "völkisch-nationale Programmatik" soll weiterentwickelt und dem Bürger vermittelt werden. Im "Kampf um die Straße" soll einerseits durch zahlreiche öffentliche Veranstaltungen, wie Aufmärsche und Demonstrationen, Präsenz gezeigt und andererseits der Bürger mobilisiert werden. Bei der dritten Säule, dem "Kampf um die Parlamente", geht es der NPD um Erfolge als politische Wahlpartei auf allen Ebenen. Ziel ist die Gewinnung von Macht und Einfluss sowie die Gewährung finanzieller Zuwendungen. Mit dem im Herbst 2004 als vierte Säule eingefügten "Kampf um den organisierten Willen" erstrebt die NPD eine Bündelung aller rechtsextremistischen Kräfte unter ihrer Führung, ohne dabei programmatische Inhalte zu definieren. Im Grunde will die NPD im Rahmen einer Aktionseinheit als die zentrale und entscheidende Kraft des Rechtsextremismus wahrgenommen werden. Organisationsstruktur Die Partei mit Sitz in Berlin zählt bundesweit etwa 6.600 Mitglieder (2009: 6.800). Sie gliedert sich in 16 Landesverbände, die wiederum in Bezirksund Kreisverbände unterteilt sind. Bundes- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 137 vorsitzender ist seit März 1996 Udo Voigt. Dem aus derzeit 19 Personen bestehenden Bundesvorstand gehören mehrere Mitglieder mit neonazistischem Hintergrund an. Das Parteiorgan "Deutsche Stimme" (DS) wird in Riesa/Sachsen herausgegeben. Der Landesverband Bayern umfasst wie im Vorjahr rund 900 MitLandesverband glieder, darunter - allerdings eine erneut zurückgehende Zahl - Bayern Angehörige der Neonaziund Skinhead-Szene. Er gliedert sich in sieben Bezirksund rund 35 Kreisverbände, von denen aber rund ein Drittel nicht aktiv ist. Der Landesverband wird von Ralf Ollert geleitet. Seine Stellvertreter sind Sascha Roßmüller, ein ehemaliger Aktivist des 1993 verbotenen neonazistischen Nationalen Blocks (NB), sowie Karl Richter, stellvertretender NPD-Bundesvorsitzender und Vorsitzender der Bürgerinitiative Ausländerstopp München. Die NPD verfügt mittlerweile über das umfassendste Angebot alInternetangebot ler rechtsextremistischen Parteien im Internet. Ihre Homepage enthält mehrere Diskussionsforen sowie ein eigenes Archiv, über das alle bislang von der NPD veröffentlichten Texte abrufbar sind. Auch der bayerische Landesverband betreibt eine eigene Internetseite. Die NPD und deren Jugendverband Junge NationaldemokraAuslandskontakte ten (JN) unterhalten Verbindungen zu nationalistischen Personen und Organisationen im europäischen Ausland. So nimmt der Bundesvorsitzende häufig mit einer Parteidelegation an ausländischen rechtsextremistischen Veranstaltungen teil, wie z. B. dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 138 alljährlich stattfindenden Falangistentreffen in Spanien. Am 19. und 20. November beteiligte sich Udo Voigt mit einer NPD-Delegation in Madrid an den Gedenkveranstaltungen zu Ehren des im Jahr 1975 verstorbenen Diktators Francisco Franco und des "Falange"-Gründers Primo de Rivera. Zum Jahresende fusionierte die NPD mit der Deutschen Volksunion (DVU) zur neuen Partei "NPD - Die Volksunion", was von Fusionsgegnern innerhalb der DVU derzeit gerichtlich bekämpft wird. Junge Nationaldemokraten (JN) Deutschland Bayern Mitglieder 430 - Vorsitzender Michael Schäfer Keine aktuelle Führungsstruktur Gründung 1969 Sitz Bernburg/SachsenAnhalt Die Jugendorganisation der NPD war in der Vergangenheit bestrebt, gegenüber der Mutterpartei ein eigenständiges und radikales Profil zu entwickeln. So hat sie für sich reklamiert, der "sozialrevolutionäre Flügel innerhalb der NPD" zu sein. Durch die Öffnung der NPD gegenüber dem NeonaziSpektrum und der Umsetzung der Vier-Säulen-Strategie verlor die JN in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung. In Bayern keine Nachdem der Neonazi Matthias Fischer im November 2008 sein aktiven Strukturen Amt als Landesvorsitzender aufgegeben hatte, gibt es in Bayern derzeit keine aktiven Strukturen. 3.1.2 Bürgerinitiative Ausländerstopp Nürnberg (BIA-Nürnberg) Die im Juli 2001 gegründete BIA-Nürnberg erreichte bei den Kommunalwahlen 2008 in Nürnberg 3,3 % der Stimmen. Neben Ralf Ollert, Vorsitzender des NPD-Landesverbands, zog auch Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 139 Sebastian Schmaus in den Stadtrat ein. Dieser war Anhänger der seit 2004 verbotenen neonazistischen Fränkischen Aktionsfront (F.A.F.). Bereits 2002 hatte Ollert mit 2,3 % der Stimmen einen Stadtratssitz errungen. Die Agitation gegen Migranten ist nach wie vor beherrschendes Element der Stadtratstätigkeit der BIA-Nürnberg. So wendet sich diese gegen die Errichtung eines "Interkulturellen Gartens" in Nürnberg-Langwasser, einem Gartenprojekt bei dem interkulturelles Lernen, Völkerverständigung und Integration vermittelt werden sollen. Die BIA sieht hierin eine Politik, die sich gegen das eigene Volk richtet, und nennt das Vorhaben "Multi-Kulti-Müll-Garten". 3.1.3 Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA-München) Auch in München gründete sich - im Vorfeld der Kommunalwahlen 2008 - eine Bürgerinitiative Ausländerstopp. Bei der BIAMünchen handelt es sich um eine Abspaltung der - mittlerweile nahezu bedeutungslosen - rechtsextremistischen Sammlungsbewegung Pro München. Hintergrund waren Differenzen über den Einfluss der NPD. Vorsitzender ist der ehemalige Chef des Parlamentarischen Beratungsdienstes der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen, Karl Richter. Im April 2009 übernahm Richter zusätzlich das Amt des stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden sowie im Berichtsjahr die Funktion des stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden in Bayern. Bei den Kommunalwahlen 2008 konnte Richter mit einem Ergebnis von 1,4 % in den Stadtrat einziehen. Bisher sorgte Richter öffentlich nur bei seiner Vereidigung für Aufsehen. Das Landgericht München verurteilte ihn wegen des Zeigens des "Hitler-Grußes" zu einer Geldstrafe. Die BIA-München arbeitet eng mit der Neonazi-Szene in München Zusammenarbeit zusammen. So gehörte der Neonazi und Anführer der Freien Namit Neonazi-Szene tionalisten München (FNM), Philipp Hasselbach, von März 2009 Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 140 bis Juli 2010 dem Vorstand an. Des Weiteren arbeitet der rechtsextremistische Multifunktionär Roland Wuttke im Vorstand der BIA-München mit. 3.1.4 Deutsche Volksunion (DVU) Deutschland Bayern Mitglieder 3.000 400 Vorsitzender Matthias Faust Günther Weishäupl Gründung 1987 Sitz Hamburg Die DVU versuchte, ihre rechtsextremistische Grundhaltung zu verschleiern, indem sie sich formal zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannte. Ihre extremistische Grundeinstellung wurde erst in Äußerungen führender Funktionäre deutlich. Ausländer wurden häufig pauschal als Kriminelle oder Wirtschaftsflüchtlinge diffamiert. Die DVU wurde 1987 von Dr. Gerhard Frey gegründet, der sie bis Anfang 2009 autokratisch führte und weitgehend finanzierte, sich dann aber zurückzog. Bundesvorsitzender wurde im Anschluss Matthias Faust, der seit November auch einer der stellvertretenden NPD-Vorsitzenden ist. Die Mitgliederzahl der Partei lag zuletzt bundesweit bei etwa 3.000 Personen (2009: 4.500). Auch in Bayern hatte sich der seit Jahren zu beobachtende Mitgliederrückgang fortgesetzt. So ist in Bayern zuletzt von 400 Mitgliedern (2009: 700) auszugehen. Seit 1993 hatte die Partei deutschlandweit über 20.000 Mitglieder verloren. Weder die Gründung der Jugendorganisation Junge Rechte noch die Professionalisierung ihrer Internetpräsenz hatten diesen Trend aufhalten können. Zum Jahresende fusionierte die DVU mit der NPD zur neuen Partei "NPD - Die Volksunion", was von innerparteilichen Fusionsgegnern aktuell gerichtlich bekämpft wird. Eine der treibenden Kräfte der Fusion war Matthias Faust. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 141 3.1.5 Rechtsextremistische Verlage Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH (DSZ) Der 1958 gegründete DSZ-Verlag mit Sitz in München ist weiterhin das bedeutendste rechtsextremistische Propagandainstrument in Deutschland. Inhaber des DSZ-Verlags und Herausgeber der in diesem Verlag wöchentlich erscheinenden National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung (NZ) ist Dr. Gerhard Frey. Nach dessen Rückzug aus der DVU gilt die NZ nicht mehr als Sprachrohr der DVU, sondern als organisationsunabhängige Publikation. Dennoch werden weiterhin fremdenfeindliche, nationalistische und revisionistische Argumentationsmuster in der Zeitung transportiert. VGB-Verlagsgesellschaft Berg GmbH Die Verlagsgesellschaft mit Sitz in Inning besteht seit 1991. In ihr Revisionistische sind die ehemaligen eigenständigen Verlage Druffel, Türmer und Schriften Vowinkel aufgegangen. Sie ist einer der größten organisationsunabhängigen rechtsextremistischen Verlage in Deutschland. Das Verlagsprogramm umfasst Schriften mit revisionistischen sowie militärhistorischen Inhalten, beispielsweise die Zeitschrift "Deutsche Geschichte" oder das Jahrbuch "Deutsche Annalen". Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 142 3.1.6 Sonstige rechtsextremistische Organisationen Augsburger Bündnis - Nationale Opposition e.V. (AB-NO) Das Bündnis wurde im Vorfeld der Stadtratswahl 2002 von Angehörigen von NPD und DVU sowie weiteren Rechtsextremisten gegründet. Die Wahlteilnahme dieser rechtsextremistischen Wahlplattform scheiterte jedoch an den notwendigen Unterstützungsunterschriften. Seitdem veranstaltet das AB-NO zahlreiche Infostände und Kundgebungen, unter anderem mit fremdenfeindlicher Propaganda. Eine wichtige Rolle nimmt dabei der Bezirksvorsitzende der NPD Oberbayern, Roland Wuttke, ein. Bürgerbewegung Pro München patriotisch und sozial e.V. (Pro München) Pro München wurde im Jahr 2006 mit dem Ziel gegründet, an den Kommunalwahlen 2008 teilzunehmen. An der Gründungsversammlung nahmen Personen aus dem Umfeld von NPD und DVU teil. Die NPD-Anhänger zogen sich in der Folgezeit zurück und gründeten die BIA-München als eigene Wahlvereinigung. Pro München macht in München lebende Ausländer und Randgruppen pauschal für städtische Probleme verantwortlich. Mit einem Stimmenanteil von 0,9 % verfehlte Pro München im Jahr 2008 den Einzug in den Stadtrat. Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GfP) SSund NSDAPDie GfP wurde 1960 von ehemaligen SS-Offizieren und NSDAPHintergrund Funktionären gegründet. Der Vereinigung stellt die mitglieder- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 143 stärkste rechtsextremistische Kulturvereinigung dar, ihr gehören vor allem Verleger, Redakteure, Schriftsteller und Buchhändler an. Die GfP stellt drei Themen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten: die Relativierung der Kriegsschuld, die "Ausländerfrage" und die Meinungsfreiheit für die "nationale Publizistik". Hierzu gibt sie vierteljährlich den Organisationsrundbrief Das Freie Forum heraus. Die GfP unterhält Verbindungen zu rechtsextremistischen Organisationen sowie zu organisationsunabhängigen rechtsextremistischen Verlagen und Vertriebsdiensten. Freundeskreis Ulrich von Hutten e.V. Der Freundeskreis Ulrich von Hutten e.V. wurde 1982 gegrünNationalistisches det. Die Hauptaktivität des Vereins ist die Herausgabe der organiund rassistisches sationseigenen Publikation "Huttenbriefe - für Volkstum, Kultur, Gedankengut Wahrheit und Recht". In dieser Zeitschrift wird nationalistisches und rassistisches Gedankengut verbreitet und die Kriegsschuld Deutschlands geleugnet. Darüber hinaus werden verschiedene Tagungen organisiert, bei welchen sich deutsche und österreichische rechtsextremistische Gesinnungsgenossen treffen. Schutzbund für das deutsche Volk e.V. (SDV) Der SDV wurde 1981 gegründet. Zweck des in München ansäsAusländersigen Vereins ist laut Satzung die Erhaltung der ethnischen und feindlichkeit kulturellen Eigenart des deutschen Volkes. Tatsächlich richtet sich die rechtsextremistische Organisation mit ihren Aktivitäten gegen die im Grundgesetz verankerten Menschenrechte und diffamiert pauschal die hier lebenden Ausländer. 3.2 Neonazismus und Kameradschaften Der Neonazismus ist eine besonders menschenverachtende Erscheinungsform des Rechtsextremismus und umfasst alle Aktivitäten und Bestrebungen, die ein offenes Bekenntnis zur Ideologie des Nationalsozialismus darstellen. Ziel der Neonazis ist die Errichtung eines vom Führerprinzip bestimmten autoritären bzw. totalitären Staates und die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 144 Freie Nationalisten Hof Widerstand Tirschenreuth (c) Aschaffenburg O Bamberg ÖÜ) Bayreuth (r)) Würzburg i Neonazikreis um Matthias Fischer Division Franken ", Ö Nürnberg Widerstand Cham OÖ Regensburg Freie Nationalisten Bayerischer Wald Ingolstadt O Freie Kräfte Straubing OÖ Landshut Freie Nationalisten . O Augsburg München Nationale Augsburg ((r) München Jagdstaffel D.ST. Fu Prosaauua wanunt"" (c) Traun (c) Kempten Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 145 Neben revisionistischer Vergangenheitsbewältigung thematisieren heute "moderne" Neonazis aktuelle sozialoder gesellschaftspolitische Fragen und liefern vermeintlich einfache Antworten auf Basis einer "sozialrevolutionären" oder "linken" Interpretation des Nationalsozialismus ("Nationaler Sozialismus"). Um die Behörden im Hinblick auf Veranstaltungsanmeldungen oder eventuellen Verbotsüberlegungen zu täuschen, schließen sich Neonazis zunehmend in informellen Gruppen zusammen, die weitgehend ohne feste Strukturen auskommen. Zu beobachStrukturlose ten ist gleichwohl eine zunehmend erfolgreiche Zusammenarbeit Zusammenschlüsse dieser informellen Gruppen in überregional tätigen Netzwerken. Die Vernetzung erfolgt heute weitgehend über moderne Kommunikationsmittel wie das Internet. In Bayern sind rund 700 Personen (2009: 500) der Neonazi-Szene zuzuordnen. 3.2.1 Freies Netz Süd (FNS) In Bayern ist hier vor allem das neonazistische Netzwerk Freies Netz Süd zu nennen, das eine bayernweite Vernetzung von NPDkritischen Neonazis und Kameradschaften darstellt und in erster Linie als Mobilisierungsplattform dient. Führende Aktivisten hatten sich bis Ende des Jahres 2008 mehrheitlich (auch) in der NPD und JN engagiert. Aktionsschwerpunkt ist Franken und die Oberpfalz. Zu den Hauptakteuren zählen langjährige Neonazis wie Matthias Fischer oder Tony Gentsch. Im FNS werden gezielt feste Strukturen vermieden, um keine Ansatzpunkte für Verbote zu bieten. Trotz deutlicher Distanzierung zum NPD-Landesvorstand bestehen auf regionaler Ebene nach wie vor Kontakte und sogar Doppelmitgliedschaften. Zum FNS zählen insbesondere die folgenden Gruppierungen: Neonazi-Kreis um Matthias Fischer Der neonazistische Personenkreis um Matthias Fischer bildet den aktionistischen Kern des Freien Netzes Süd. Der Zusammen- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 146 Raum Nürnberg schluss umfasst rund 50 Neonazis aus dem Raum Nürnberg und und Fürth Fürth. Die Gruppe verwendet in der Öffentlichkeit unterschiedliche Bezeichnungen für eigene Aktionen, so etwa Kameradschaft Nürnberg, Kameradschaft Fürth oder auch nur Freies Netz Süd. Freie Nationalisten Hof Der Gruppe, die seit Ende 2008 besteht und von Tony Gentsch geleitet wird, sind derzeit etwa 20 Anhänger zuzuordnen. In der Öffentlichkeit werden verschiedene Eigenbezeichnungen gewählt, z. B. Nationale Sozialisten Hof oder Kameradschaft Hof. Ursprünglich wurde die Verbindung im Januar 2006 als Zusammenschluss verschiedener Kameradschaften und Einzelaktivisten aus dem Raum Hof/Wunsiedel gegründet; sie trug damals den Namen Kameradschaftsbund Hochfranken. Tony Gentsch hat bis Mitte des Jahres das Internetportal des Freien Netzes Süd betreut und wurde auf Flugblättern als Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes genannt. Die Gruppierung beteiligt sich regelmäßig an verschiedenen Kampagnen des FNS und verfügt über enge Kontakte zu Rechtsextremisten im sächsischen und thüringischen Vogtland. Widerstand Tirschenreuth Die neonazistische Kameradschaft besteht aus 20 bis 30 Personen und wird von dem Rechtsextremisten Simon Preisinger geführt. Seit ihrer Gründung im Jahr 2008 beteiligt sich die Gruppierung an öffentlichen rechtsextremistischen Aktionen und tritt in der Öffentlichkeit auch als Aktionsbündnis Oberpfalz auf. Anhänger nehmen bundesweit an rechtsextremistischen Mahnwachen und Versammlungen teil. Der informelle Führer der Gruppe ist seit Mitte des Jahres bei Publikationen und im Impressum der Internetseite des Freien Netzes Süd als Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes genannt. Widerstand Cham Die Kameradschaft wurde zum Jahreswechsel 2007/2008 gegründet. Die etwa zehn bis 15 Aktivisten zählende Gruppierung Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 147 verwendet in der Öffentlichkeit unterschiedliche Bezeichnungen, so etwa Aktionsbündnis Cham, Widerstand Cham, Urd & Skult oder auch Freie Nationalisten Cham. Neben internen Kameradschaftstreffen nimmt die Beteiligung an öffentlichen Versammlungen in ganz Bayern einen hohen Stellenwert ein. Der Name Urd & Skult bezeichnet Figuren aus der unter Neonazis beliebten nordischen Mythologie. 3.2.2 Freier Widerstand Süddeutschland (FWS) Das Personenpotenzial des überregionalen neonazistischen Anhänger in Netzwerks Freier Widerstand Süddeutschland beträgt insgesamt Baden-Württemrund 250 Anhänger in Baden-Württemberg und Bayern. In Bayberg und Bayern ern zählen etwa 100 bis 150 Personen zu dem Netzwerk, dem verschiedene Kameradschaften wie Freie Nationalisten München oder Nationales Augsburg angehören. Der FWS beschreibt sich auf seiner Homepage selbst wie folgt: "Mit dem Freien Widerstand Süddeutschland (FW Süd) wurde ein Dachverband ins Leben gerufen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, nationale Kräfte aus Bayern und Baden-Württemberg zu bündeln. Auf der Grundlage dieser überregionalen Vernetzung sollen die Geschicke und Bemühungen einzelner Gruppen synergistisch zusammengeführt werden, damit das vorhandene Potenzial so effizient wie möglich genutzt wird." Trotz persönlicher Differenzen zwischen den führenden Aktivisten der Netzwerke Freies Netz Süd und Freier Widerstand Süddeutschland gibt es Verbindungen einzelner Anhänger beider Netzwerke. Freie Nationalisten München (FNM) Die Kameradschaft wurde im Oktober 2007 als Nachfolgeorganisation der Autonomen Nationalisten München (ANM) gegründet. Informeller Anführer der etwa 20 Personen zählenden Gruppe ist Philipp Hasselbach. Einige Anhänger treten in der Öffentlichkeit überwiegend schwarz gekleidet auf und verwenden die für den Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 148 Bereich der Autonomen Nationalisten typischen Erkennungszeichen wie schwarze Fahnen und Anglizismen. Bei den FNM handelt es sich um die in Südbayern aktivste neonazistische Vereinigung. In regelmäßigen Abständen führt sie Demonstrationen, Mahnwachen und Flugblattverteilaktionen durch. Zielgruppe der öffentlichkeitswirksamen Aktionen sind vor allem Jugendliche. Für diesen Zweck streben die FNM auch eine enge Vernetzung mit anderen rechtsextremistischen Gruppierungen an. Die FNM sind wichtigster Teil des neonazistischen Netzwerks Freier Widerstand Süddeutschland und führen zusammen mit anderen rechtsextremistischen Organisationen regelmäßig Veranstaltungen durch. Hasselbach wurde wegen mehrerer Körperverletzungsund Beleidigungsdelikte sowie wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung am 30. Juni festgenommen und zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Nationales Augsburg Die seit 2004 bestehende Neonazi-Kameradschaft umfasst derzeit etwa zehn Aktivisten, die seit 2010 in regelmäßigen Abständen die Publikation Freier Rundbrief Augsburg herausgeben und in der rechtsextremistischen Szene verbreiten. Die Publikation umfasst mehrere Seiten und dient Rechtsextremisten als Plattform für Veranstaltungshinweise. Angehörige der Kameradschaft beteiligen sich regelmäßig an rechtsextremistischen Demonstrationen und Mahnwachen. Gegen Angehörige der Kameradschaft Nationales Augsburg wurde u. a. wegen des Verdachts der Volksverhetzung, des Ver- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 149 breitens von Propagandamitteln und der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten Ermittlungsverfahren eingeleitet und am 14. Oktober insgesamt 30 Wohnund Geschäftsräume in Bayern und Thüringen durchsucht. Dabei wurde umfangreiches Beweismaterial sichergestellt. Jagdstaffel D.S.T. Die neonazistische Gruppierung Jagdstaffel D.S.T. gründete Raum Geretsried/ sich Ende 2009 unter dem Namen Jagdstaffel Süd im Raum GeWolfratshausen/ retsried. Sie besteht aus etwas zehn Personen, die der rechtsMünchen extremistischen Skinhead-Szene Geretsried/Wolfratshausen und München zuzuordnen sind. Zentrales Erkennungsmerkmal ist eine einheitlich gestaltete Lederjacke. Auf der Brustseite ist der jeweilige Spitzname des Trägers aufgebracht, die Rückseite zeigt eine schussbereit Richtung Himmel gerichtete Flugabwehrkanone. Die Gruppierung betreibt eine eigene Internetseite, die größtenteils nur für registrierte Mitglieder zugänglich ist, und unterhält enge Verbindungen zur rechtsextremistischen Szene in München. Öffentlich tritt die Jagdstaffel D.S.T. vor allem durch die Beteiligung an gemeinsamen Feiern und Treffen der rechtsextremistischen Szene im Großraum München in Erscheinung. 3.2.3 Nationales Bündnis Niederbayern (NBN) Zum regional aktiven Netzwerk Nationales Bündnis Niederbayern zählen insbesondere die Freien Nationalisten Bayerischer Wald sowie die Freien Kräfte Straubing. Das Gesamtmobilisierungspotenzial liegt etwa bei 50 bis 80 Personen. Freie Nationalisten Bayerischer Wald Die Kameradschaft aus Viechtach, Landkreis Regen, besteht aus etwa 30 Aktivisten. Es handelt sich dabei um den aktivsten Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 150 rechtsextremistischen Personenzusammenschluss in der Region. Überdies ist die Kameradschaft überregional vernetzt und gehört nicht nur dem NBN an, sondern auch dem Netzwerk Freies Netz Süd. Seit ihrer Gründung Anfang 2009 veranstalteten die Angehörigen der Organisation zahlreiche Aktionen, darunter Versammlungen, Mahnwachen und Flugblattverteilungen. Diese Veranstaltungen werden regelmäßig auf der eigenen Internetseite dokumentiert. Freie Kräfte Straubing Die neonazistisch ausgerichtete Kameradschaft wurde im Oktober 2008 gegründet und hat seitdem mehrmals ihre Bezeichnung gewechselt. So nannten sich ihre Anhänger zunächst Nationaler Widerstand Niederbayern, dann Freie Nationalisten Niederbayern und schließlich Freie Kameradschaft Straubing bis der derzeitige Name Freie Kräfte Straubing Verwendung fand. Die Gruppe, die eine eigene Homepage betreibt, umfasst etwa zehn Anhänger. Diese treffen sich zu Kameradschaftsabenden, nehmen an rechtsextremistischen Veranstaltungen teil und verteilen Flugblätter. 3.3 Rechtsextremistische Jugend-Szenen In rechtsextremistischen Jugend-Szenen verbindet sich eine diffuse Weltanschauung mit Elementen, die an zentrale Merkmale des Nationalsozialismus angelehnt sind. Dabei werden auch rechtsextremistische Symbole offen zur Schau gestellt. Nachdem lange Zeit rechtsextremistische Skinheads mit ihrem typischen Äußeren die Subkultur geprägt haben, haben sie erheblich an Anziehungskraft verloren. Dagegen versuchen Rechtsextremisten erfolgreich, andere - ursprünglich unpolitische - Subkulturen zu unterwandern. Modische und Um junge Aktivisten zu gewinnen, hat sich die rechtsextremisideologische tische Szene modisch und ideologisch geöffnet. NationalsoziaÖffnung listische Themen wurden an den "Lifestyle" der Jugend angepasst. Es wurden lange Haare, Piercings oder Basecaps und sogar Merkmale aus dem "linken" und linksextremistischen Spektrum übernommen. In dem unauffälligeren Äußeren sehen die Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 151 Szene-Anhänger den Vorteil, Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner und Polizeikontrollen zu entkommen. Andererseits haben klassische Identifizierungsmerkmale der SkinheadSzene - teils aus Unkenntnis, teils aus Provokation - Eingang in die Jugendmode gefunden. Eine rechtsextremistische Gesinnung ist somit nicht mehr unbedingt auf den ersten Blick zu erkennen. Rechtsextremistische Subkulturen unterliegen einer starken Fluktuation. Es gibt in der Regel weder feste OrganisatiStarke onsstrukturen noch formelle Mitgliedschaften. Fluktuation Mit dem Schwund rechtsextremistischer Skinheads ging im Jahr Schwund rechts2010 das Potenzial der rechtsextremistischen subkulturellen Szeextremistischer ne in Bayern von 500 auf 300 Personen zurück. Der AbwärtsSkinheads trend der letzten Jahre wird aber durch die Unterwanderung anderer Subkulturen durch Rechtsextremisten relativiert. Insbesondere die NS-Hatecore-Szene und die NS-Black-Metal-Szene erhalten verstärkt Zulauf. 20 % bis 30 % der subkulturell orientierten Rechtsextremisten sind diesen jüngeren Strömungen wie auch dem Neofolk, NS-HipHop und NS-Techno zuzurechnen. Einzelpersonen sind auch in der rechtsorientierten Hooliganund Rocker-Szene aktiv. 3.3.1 Rechtsextremistische Skinheads Die diffuse Weltanschauung rechtsextremistischer Skinheads ist von rassistisch motivierter Fremdenfeindlichkeit sowie übersteigertem Nationalbewusstsein geprägt und knüpft insoweit an wesentliche Elemente des Nationalsozialismus an. Das spiegelt sich auch in ihren meist spontanen Gewalttaten gegen Ausländer und "linke" Gegner wider. Die Skinhead-Bewegung entstand Ende der 1960er Jahre in Großbritannien als jugendliche Subkultur (Ablehnung der bürgerlichen Gesellschaft) und kam etwa zehn Jahre später nach Deutschland. Der heutigen Skinhead-Szene geht es vor allem um Spaß ("Fun & Froide"). Trinkgelage mit Skinhead-Musik und "Fun & Froide" Pogo-Tanz, ein martialisches Auftreten mit Hitlergruß und tätowiertem Hakenkreuz sowie eine hohe Gewaltbereitschaft sollen provokant und einschüchternd wirken. Der Anteil der weiblichen Skinheads, der Renees, liegt bei etwa 20 %. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 152 Skinheads sind keine homogene Bewegung und daher nicht an sich rechtsextremistisch. Abhängig von der Einbindung in die Szene haben sie ein breites Spektrum an politischen Richtungen: Politische - Redskins (linksextremistisch beeinflusste Skinheads) Richtungen - SHARPs (Skinheads against racial prejudice - Skinheads gegen rassistische Vorurteile) - Oi-Skinheads ("unpolitische Skinheads") - rechtsextremistische Skinheads einschließlich White-Power-Skinheads Die rechtsextremistische Skinhead-Szene rekrutiert sich vor allem aus Jugendlichen, die sich für Skinhead-Musik als Stilrichtung der Rockmusik interessieren. Das in der Szene verbreitete Gemeinschaftsgefühl fällt vor allem dann auf fruchtbaren Boden, wenn es fehlende Stärke und Anerkennung ersetzen kann. Schwerpunkte Schwerpunkte der rechtsextremistischen subkulturellen Szene in in Bayern Bayern gibt es mit der Skinhead-Gruppierung Voice of Anger im Großraum Memmingen/Kempten sowie einem überregionalen Treffpunkt in Schwabach. 3.3.2 Unterwanderung anderer Subkulturen Bei der Unterwanderung anderer (Musik-)Subkulturen nutzen Rechtsextremisten verbindende Elemente zu diesen Genres, um deren Anhänger für die NS-Ideologie zu gewinnen bzw. um rechtsextremistische Tendenzen in diese Subkulturen zu tragen. NS-Black-Metal (NSBM) Insbesondere bei Teilen der Black-Metal-Szene mit den Stilrichtungen Paganund Viking-Metal, gibt es eine historisch gewachsene Verbindung zum Rechtsextremismus: Ablehnung des Christentums ("Odin statt Jesus"), Berufung auf die nordische Göttermythologie mit ihrer Runen-Symbolik sowie Überzeugung von einem elitären Sozial-Darwinismus. Die Black-Metal-Szene ist zwar weitgehend unpolitisch, der rechtsextremistische Teil der Szene, der NS-Black-Metal, strebt allerdings nach der Auferstehung eines germanischen Reichs, was dem Weltbild der Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 153 Nationalsozialisten entspricht. Einige Vertreter des NS-BlackMetal sehen in Adolf Hitler die Wiedergeburt des Satans, der als Anti-Christ verehrt wird. Bekannte deutsche Musikgruppen dieser Richtung sind die NSBM-Bands Absurd und Totenburg. Neofolk Innerhalb der "Schwarzen Szene" bzw. "Grufti-Szene" haben Anhänger der Musik-Szene Neofolk (etwa "neue Volksmusik") eine Vorliebe für Uniformen mit faschistischem oder nationalsozialistischem Hintergrund. Durch ihren Hang zur nordischen Mythologie und Mystik sind durch das NS-Regime vereinnahmte Runen in der Szene weit verbreitet. Dass Neofolk-Bands und ihre Anhänger vorbelastete Symbole offen zur Schau stellen, macht die Szene für Rechtsextremisten interessant und empfänglich. Beispielsweise verwendet die für die Szene bedeutende Band Death in June einen SS-Totenkopf als Symbol und bezieht sich mit ihrem Namen SS-Symbole auf den Tod des SA-Chefs Ernst Röhm. NS-Hatecore Als Weiterentwicklung des Hardcore der amerikanischen PunkBewegung der 1970er Jahre entstand in den 1990er Jahren der Musikstil Hatecore. Dem selbstzerstörerischen Lebensstil der Punk-Szene setzten die Hatecore-Anhänger einen eigenverantwortlichen Umgang mit dem eigenen Körper entgegen, der martialisch besungen wird. Hatecore-Anhänger sehen in einer gesunden Lebensweise die Voraussetzung zur Schaffung eines gesunden "Volkskörpers". Die Grenzen zum NS-Hatecore sind fließend, weshalb die Szene ein ideales Rekrutierungsfeld für Rechtsextremisten ist. Liedtexte von NS-Hatecore-Bands sind rassistisch, antisemitisch sowie ausländerund demokratiefeindlich. Bekannte deutsche NS-Hatecore-Gruppen sind die Bands Moshpit und Brainwash; in Bayern gehört die oberfränkische Bayerische Band Burning Hate zu dieser Subkultur. Band Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 154 4. Übersicht über erwähnenswerte rechtsextremistische Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation Mitglieder Ende 2010 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum (einschließlich Erscheiund Sitz) Bayern Deutschland nungsweise und Auflage) 1. Parteien einschließlich integrierter Vereinigungen Nationaldemokratische Partei Deutschlands 900 6.600 Deutsche Stimme (DS) (NPD) monatlich, 25.000 28.11.1964, Berlin Junge Nationaldemokraten (JN) - 430 Deutsche Volksunion (DVU) 400 3.000 05.03.1987, München 2. Neonazistische Organisationen und Zusammenschlüsse Freies Netz Süd Netzwerk Nationales Bündnis Niederbayern Netzwerk Freier Widerstand Süddeutschland Netzwerk Division Franken 20 Freie Nationalisten Hof 20 Neonazi-Kreis um Matthias Fischer 50 Widerstand Cham 10-15 Widerstand Tirschenreuth 20-30 Freie Nationalisten Bayerischer Wald 30 Freie Kräfte Straubing 10 Freie Nationalisten München 20 Jagdstaffel D.S.T. 10 Nationales Augsburg 10 Freier Rundbrief Augsburg zweimonatlich Hilfsorganisation für nationale politische 50 - 60 600 Gefangene und deren angehörige e.V. (HNG) 02.07.1979, Frankfurt am Main Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Rechtsextremismus 155 Organisation Mitglieder Ende 2010 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum (einschließlich Erscheiund Sitz) Bayern Deutschland nungsweise und Auflage) 3. Sonstige Organisationen Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) 40 500 Das Freie Forum 1960, München vierteljährlich, 3.500 Freundeskreis Ulrich von Hutten e.V. 30 280 Huttenbriefe - für Februar 1982, Starnberg Volkstum, Kultur, Wahrheit und Recht zweimonatlich, 4.000 Schutzbund für das Deutsche Volk e.V. (SDV) - 100 September 1981, München Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) 30-40 2007, München Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) Einzel2001, Nürnberg personen Augsburger Bündnis - Nationale FunktionärsNeues Schwaben Opposition e.V., 2001, Augsburg gruppe unregelmäßig Bürgerbewegung Pro München 40 patriotisch und sozial e.V., 2006, München 4. Rechtsextremistische Subkulturen 300 8.300 5. Verlage Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH National-Zeitung/ (DSZ-Verlag), München Deutsche Wochen-Zeitung (NZ), wöchentlich VGB Verlagsgesellschaft Berg GmbH Deutsche Stegen Geschichte I N Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 157 5. Abschnitt Linksextremismus Linksextremisten wollen die durch das Grundgesetz vorgegebene Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen. Sie diffamieren diese freiheitliche demokratische Grundordnung als von Rassismus und Faschismus geprägten Kapitalismus. Je nach ideologisch-politischer Orientierung wollen Linksextremisten stattdessen eine sozialistische bzw. kommunistische oder eine "herrschaftsfreie" Gesellschaft etablieren und orientieren ihr politisches Handeln an revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Ideologien. Revolutionär-marxistische Organisationen setzen auf traditionelle Konzepte eines langfristig betriebenen "Klassenkampfs". Das anarchistisch geprägte Selbstverständnis der so genannten Autonomen ist getragen von der Vorstellung eines freien, selbstbestimmten Lebens in "herrschaftsfreien Räumen"; als Folge wird jede Form staatlicher und gesellschaftlicher Normen abgelehnt. Bei einem Teil der Gruppierungen schließt das militante Aktionsformen mit ein. 1. Aktuelle Entwicklungen 1.1 Partei DIE LINKE. Die Parteiführung stellt "1. Entwurf für ein Programm der Partei DIE LINKE" vor. Sie zielt auf eine mit der Verfassung unvereinbare grundlegende Umgestaltung der Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung. Wechsel an der Führungsspitze der Partei: Oskar Lafontaine und Lothar Bisky übergeben Parteivorsitz an Gesine Lötzsch und Klaus Ernst. Sahra Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform (KPF) wird stellvertretende Parteivorsitzende. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigt Beobachtung der Partei DIE LINKE. durch den Verfassungsschutz. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 158 Schwere Auseinandersetzungen im bayerischen Landesverband: Führungswechsel - neuer Landesvorsitzender tritt wenig später zurück. Parteivorsitzende sucht nach "Wegen zum Kommunismus". Entwurf für Die damaligen Parteivorsitzenden Lothar Bisky und Oskar LafonParteiprogramm taine stellten am 20. März in Berlin den "1. Entwurf für ein Programm der Partei DIE LINKE" vor, das 2011 verabschiedet werden soll. Der Beitritt der Partei "Arbeit & Soziale Gerechtigkeit - die Wahlalternative" (WASG) zur Linkspartei.PDS hatte 2007 zur Umbenennung in DIE LINKE. geführt. Da beide Parteien jeweils über ein eigenes Programm verfügten, wurde die Notwendigkeit für ein neues gemeinsames Programm gesehen. Der Programmentwurf soll das seit 2003 noch Programmkonvent immer gültige Parteiprogramm der PDS bzw. Hannover, 7. November 2010 Reden von Gesine Lötzsch, Klaus Ernst, Lothar Bisky und Oskar Lafontaine Linkspartei.PDS sowie die von Linkspartei.PDS und WASG im Jahre 2007 erarbeiteten "ProEditorial möglichst umfassend informiert zu werden, um sich eine eigene Meinung bilden zu können. Deshalb veröffentlichen wir in dieser Nachberichterstattung zeichnen nur ein unvollkommenes Bild über die vielschichtige Debatte. Ich würde mich freuen, wenn die vorstand wird am 11. und 12. Dezember beraten, wie wir die weitere Programmdiskussion gestalten, damit wir im nächsten Jahr grammatischen Eckpunkte" ablösen. Der EntBeilage die ungekürzten Reden von den beiReden von Oskar, Lothar, Klaus und mir daein neues Programm beschließen können. wurf greift deutlich die programmatisch-ideoloTäglich schwirren mediale Versatzstücke den Parteivorsitzenden und den beiden Vorzu dienen, in der Basisorganisation, im Bedurch den Äther. Gedanken werden in Halbsitzenden der Programmkommission. Auf trieb, im Freundeskreis und in der Familie Dr. Gesine Lötzsch sätze gepresst. Daraus ergeben sich unenddieser Grundlage lässt es sich dann sachüber unseren Programmentwurf weiter zu lich viele Missverständnisse, über die dann lich und fundiert diskutieren. Das war auch diskutieren. Möglichst viele Menschen solwieder berichtet werden kann. Diesen Teudas Erfolgsrezept des Konvents in Hannolen erfahren, dass wir mit unserem Parteifelskreis müssen wir durchbrechen. Ich ver. Über 700 Menschen haben unaufgeprogrammentwurf die Fragen unserer Zeit gische Ausrichtung und Zielsetzung der Vorgänweiß, dass die Leserinnen und Leser des regt, aber engagiert den Programmentwurf diskutieren und wir mit ihnen gemeinsam Neuen Deutschland den Anspruch haben, diskutiert. Die medialen Zuspitzungen in der nach Lösungen suchen wollen. Der ParteiBerlin, den 20. November 2010 DIE LINKE ist und bleibt 100-Prozent Gerechtigkeitspartei gerpartei Linkspartei.PDS auf. Die Partei fordert Rede von Gesine Lötzsch zum Programmkonvent der LINKEN die unser Land grundsätzlich verändert? Ich genseitig mit unseren Theoriegebäuden hält, wir wissen nur, dass er völlig unfähig durchgängig die Errichtung eines "demokratimeine: Ja, liebe Genossinnen und Genoserschlagen. Wir müssen mit diesem Prowar, eine normale Beziehung zu einer Frau schen Sozialismus". Sie beruft sich dabei vor alsen, das ist unsere Aufgabe. gramm möglichst viele Menschen für eizu gestalten. Natürlich freue ich mich auch immer wiene bessere Gesellschaft begeistern. Das Wenn wir nicht wie Faust als beziehungsder, wenn ich anregende wissenschaftliche ist unsere Aufgabe, liebe Genossinnen und unfähige Menschen scheitern wollen, dann Publikationen lese, doch das GrundsatzproGenossen. müssen wir uns mehr in das tagtägliche Legramm einer Partei ist weder DissertatiIch weiß, dass es nicht immer leicht ist, Menben der Menschen hineindenken. on noch eine Habilitationsschrift, sondern schen für Politik zu begeistern. Ich würde Die wichtigste Frage, die wir in unserem dieses Programm soll ein Handbuch sein. Mit Handbuch meine ich allerdings nicht den Umfang, sondern den Charakter des Programms, nämlich die Handhabbarkeit. mich schon freuen, wenn viele Menschen unser Programm einfach einleuchtend fänden. Das Wort "einleuchtend" ist treffend, weil es einen notwendigen Erkenntnisprozess Programmentwurf stellen, heißt: Wie wollen wir leben? Genau diese Frage stellt sich jeder Mensch mehrmals im Leben, und er muss sie auch mehrmals entscheiden. Und lem auf Rosa Luxemburg, eine Gründungsfigur Und wir wissen alle, dass wir mit dem Wisbeschreibt. wenn wir diese Frage ernst nehmen, dann der KPD, die den Sozialismus durch Revolution Liebe Genossinnen und Genossen, sen unserer Parteimitglieder ganze EnzyDie Menschen lesen unser Programm und kann unser Programm eine echte Lebenssehr geehrte Gäste, klopädien füllen und sogar Wikipedia überfinden es einleuchtend, weil sie unsere hilfe für viele Millionen Menschen sein. Und in der Öffentlichkeit ist der Eindruck enttreffen könnten, doch wir müssen nicht Analyse und unsere Forderungen mit ihren darum müssen wir die Frage "Wie wollen standen, dass wir uns wie die Kesselflicker alles aufschreiben, was wir wissen. Erfahrungen verbinden können. Wenn die wir leben?" in den Mittelpunkt unserer Deum unseren Programmentwurf streiten. Wenn wir jetzt eine neue Gesellschaft entLeser diese Erleuchtung nicht haben, dann batte und unseres Programms stellen. Dabei ist mein Eindruck, wir haben eine werfen, dann ist das wie ein Hausbau, da müssen wir unser Programm korrigieren. Wie wollen wir leben? Die Menschen wollen große Übereinstimmung in vielen Fragen, und wir werden uns zu den restlichen fünf bis zehn Prozent so verständigen, dass wir im nächsten Jahr mit großer, großer Mehrmuss man sich nicht vor der Grundsteinlegung darüber streiten, wo dann später im Korridor der Schlüsselhaken angebracht werden soll. Ich finde, es ist auch Und wenn wir z. B. die Menschen seitenlang mit politökonomischen Theorien traktieren, dann kommt der Leser vielleicht gar nicht bis zu der Stelle, wo die Fragen diskutiert ein angstfreies Leben. Das heißt, sie wollen in Frieden leben, sie wollen ihre Grundbedürfnisse befriedigen können, und sie wollen frei von Krankheiten sein. Wir analysieund die Diktatur des Proletariats verwirklichen heit dieses Programm beschließen können. eine schwierige Kunst, die wir anstreben werden, die ihn ganz persönlich bewegen. ren unsere Welt und unsere Gesellschaft wollte und einen parlamentarischen und reforJetzt ist aber schon klar: DIE LINKE ist und sollten, die richtigen Antworten zur richUnd manches an unserem Programmentund stellen fest: Krieg und Gewalt werden bleibt auf jeden Fall eine 100-Prozent solitigen Zeit zu geben. wurf erinnert mich ein bisschen an Goethes immer noch als Mittel der Politik in Demodarische Partei, eine 100-Prozent GerechBei unserem Programm, liebe GenosFaust. Goethe wollte wissen, was die Welt kratien und Diktaturen akzeptiert und praktigkeitspartei und eine 100-Prozent Friesinnen und Genossen, geht es um mehr im Innersten zusammenhält. Auch wir als tiziert. Und in Deutschland werden masdenspartei! als eine Selbstverständigung innerhalb unLINKE wollen wissen, was die Welt im Insenhaft Waffen für diese Kriege entwickelt, Was wollen wir mit dem Programm eigentlich? serer Partei. Es geht um die Erreichung nersten zusammenhält. gebaut und exportiert. Das macht vielen Wollen wir mit dem Programm eine Pflicht erfüllen, die uns das Parteiengesetz auferlegt? Wollen wir mit dem Programm an der vorganz konkreter gesellschaftlicher Ziele mit ganz konkreten Mitteln! Diese Ziele erreichen wir nur, wenn wir unsere ProgrammDoch viele Menschen gehen ganz anders an ihre Probleme heran. Sie sagen: Ja, die Krise des Kapitalismus, das ist mir zu abMenschen Angst. Und darum müssen wir dagegen kämpfen. In dieser Welt können viele Menschen ihre Grundbedürfnisse nicht bemistischen Weg zum Sozialismus ablehnte. Bereits in der Präambel wird die grundlegende Umgestaltung des Wirtschaftsund Gesellschaftssystems als Ziel formuliert; das kapitalistische System müsse überwunden werden, ein "demokratischer Sozialismus" soll entstehen. Die Leitlinie des "strategischen Dreiecks", wie sie die PDS 2004 formulierte (außerparlamentarischer Protest und Widerstand, parlamentarische Mitarbeit und Regierungsbeteiligung, Überwindung des Kapitalismus als Ziel), kommt im Programmentwurf erneut zum Ausdruck. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 159 Von dem Unrechtsregime der DDR, die als "Sozialismusversuch" bezeichnet wird, distanziert sich die Partei im neuen Programmentwurf erneut nur halbherzig, was teilweise sogar zu Kritik aus den eigenen Reihen führte. Zugrunde gelegt wird im Entwurf einmal mehr die Auffassung, dass die Demokratie des Grundgesetzes mangelhaft sei. Deshalb wird eine "Demokratisierung der Gesellschaft" bzw. "wirkliche" Demokratie gefordert. Unter "Demokratie" wird dabei vor allem soziale Chancengleichheit und eine diffuse "Mitbestimmung" verstanden. Mit der "Veränderung der Eigentumsverhältnisse" zum Zweck der Umverteilung wird erneut die Aushöhlung der im Grundgesetz geregelten Eigentumsgarantie angestrebt. Auf dem 2. Bundesparteitag am 15. und 16. Mai in Rostock übergaben Oskar Lafontaine und Lothar Bisky den Parteivorsitz an Gesine Lötzsch und Klaus Ernst. Sahra Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform (KPF) rückte zur stellvertretenden Parteivorsitzenden auf. Damit zeigt die Parteiführung, dass sie Angehörige offen extremistischer Strömungen weiterhin in die Parteispitze integriert. Mit Christine Buchholz und Janine Wissler sind auch Vertreterinnen des trotzkistischen Netzwerkes marx21 im Parteivorstand vertreten. Das Bundesverwaltungsgericht hat am 21. Juli entschieden, dass Beobachtung das Bundesamt für Verfassungsschutz die Partei DIE LINKE. und durch den den Vorsitzenden der Landtagsfraktion der Partei DIE LINKE. in Verfassungsschutz Thüringen, Bodo Ramelow, von 1999 bis 2009 zu Recht beobachtet hat. Das Gericht führte u. a. aus: "Nach den den Senat bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts gab bzw. gibt es in den Parteien PDS, Linkspartei.PDS und heute DIE LINKE tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, nämlich gegen das Recht des Volkes, die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, gegen das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, gegen die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung sowie gegen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 160 Mit diesen zentralen Verfassungswerten nicht vereinbar sind eine sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats im klassisch-marxistischleninistischen Sinne einer sozialistischkommunistischen Gesellschaft." Bodo Ramelow hat gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde erhoben. In Bayern gründete der designierte Parteivorsitzende Klaus Ernst mit Eva Bulling-Schröter, Nicole Gohlke und Harald Weinberg eine Arbeitsgemeinschaft bayerischer Bundestagsabgeordneter AG Bayern (AG Bayern), die sich zur Aufgabe machte, den Landesverband Bayern zu unterstützen, Bürgerbüros zu eröffnen sowie Aufgaben und Ziele der Parteipolitik zu vermitteln. Dies stieß im Landesvorstand jedoch auf heftige Gegenwehr, wurde als "Aufbau von Parallelstrukturen bzw. hauptamtlichen Netzwerken" gewertet und führte zum Rücktritt eines Landesvorstandsmitglieds. Da die Kritik um Klaus Ernst nicht verstummen wollte und insbesondere der Landesvorsitzende Franc Zega ihm Spaltungstendenzen, Ausgrenzungsversuche und einen "gutsherrlichen Führungsstil" vorwarf, sah sich der bayerische Landesverband veranlasst, einen personellen Neubeginn einzuleiten. Auf dem außerordentlichen Landesparteitag am 17. und 18. April in Schweinfurt wurden der frühere Gewerkschafter Michael Wendl und die ehemalige SED-Angehörige Eva Mendl zu neuen bayerischen Landesvorsitzenden gewählt. Sie lösten Franc Zega und die langjährige Vorsitzende Eva Bulling-Schröter ab, die nicht mehr kandidierten. Ulrich Voß wurde als neuer Landesschatzmeister bestellt. Mit Dr. Martina Tiedens konnte sich eine Anhängerin der linksextremistischen Strömung Antikapitalistische Linke (AKL) einen Platz im geschäftsführenden Landesvorstand sichern. In einem Bewerbungsprofil äußerte sie: "Gemeinsam mit den Mitgliedern unseres und der anderen Landesverbände und den Aktiven der außerparlamentarischen Bewegungen und antifaschistischer Initiativen setze ich mich ein für eine größtmögliche Vergesellschaftung von Eigentum unter demokratischer Kontrolle in den Bereichen der Banken und Versicherungen, der Energiewirtschaft und allen Schlüsselindustrien, sowie in allen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge." Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 161 Die AKL versteht sich als Strömung in der Partei DIE LINKE., die Antikapitalistische auch Nichtmitgliedern zugänglich ist und in Anlehnung an die Linke (AKL) Lehre von Marx die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung anstrebt. Auf Bundesebene bestehen Grundstrukturen der AKL seit 2006, in Bayern seit Anfang 2010, wo man sich unregelmäßig zu Landesversammlungen trifft und einen Koordinierungskreis mit Funktionären der Partei DIE LINKE. eingerichtet hat. Mit der Wahl von Wendl und Mendl verstummten die innerparteilichen Auseinandersetzungen allerdings nicht. Nach einem Interview zum Thema "Mindestlohn" geriet Wendl insbesondere bei Anhängern der Antikapitalistischen Linken ins Visier und musste im Juli sein Amt niederlegen. Ihm folgte, zunächst kommissarisch, der Parteifunktionär Xaver Merk. Auf dem Landesparteitag am 11. Dezember in Asbach-Bäumenheim wurden Eva Mendl und Xaver Merk als Landesvorsitzende bestätigt. Landesschatzmeister Ulrich Voß trat zurück und übergab das Amt an Gaby Braun aus Regensburg. Mit Dr. Martina Tiedens ist eine Angehörige der AKL im geschäftsführenden Landesvorstand, mit Nicole Gohlke (MdB) eine Anhängerin des trotzkistischen Netzwerks marx21 im erweiterten Landesvorstand vertreten. Der Parteivorsitzende Klaus Ernst konnte seinen Einfluss im Landesverband sichern und festigen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 162 Im Zusammenhang mit einer nichtbereinigten Mitgliederdatei und Vorwürfen gegenüber Klaus Ernst, er habe sich in der Vergangenheit dadurch Vorteile bei seiner Aufstellung als Kandidat für die Bundestagswahl 2009 verschafft, unternahm der Landesverband Anstrengungen, die tatsächliche Mitgliederzahl zuverlässig festzustellen. Zahlreiche Mitglieder hatten in der Vergangenheit keine Mitgliedsbeiträge entrichtet, wurden aber entgegen der Landessatzung weiterhin als Mitglieder geführt. Dies erzeugte offenbar eine Schieflage bei Delegiertenschlüsseln und angreifbare Ergebnisse im Landesverband. Verzeichnete der Landesverband Ende 2009 noch rund 3.200 Mitglieder, so wurde ihre Zahl zum 30. Juni 2010 zunächst mit knapp 2.200, nach Angaben des damaligen Schatzmeisters Ulrich Voß zum Jahresende mit knapp 2.400 Mitgliedern beziffert. Der Bundesgeschäftsführer der Partei berief sich hingegen jüngst auf 3.300 Mitglieder. Neue Ortsgruppen Der parteinahe Jugendverband Linksjugend ['solid] erweiterte von ['solid] in im vergangenen Jahr seine Organisationsstruktur und gründeBayern te Ortsgruppen in Amberg, Deggendorf und Forchheim. Der Studierendenverband DIE LINKE.SDS gründete in Regensburg ebenfalls einen Landesverband. Das Jahr 2011 begann turbulent für die Partei: Gesine Lötzsch, seit Mai Parteivorsitzende, schrieb in einem Artikel für die Zeitung Junge Welt, der am 3. Januar 2011 unter dem Titel "Wege zum Kommunismus" erschien: "Wege zum "Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf Kommunismus" den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung." Die Herausforderungen von heute wolle die Partei mit einer "revolutionären Realpolitik" im Sinne Rosa Luxemburgs bewältigen, um ihr Ziel, den "demokratischen Sozialismus", zu erreichen. Mit den eindeutigen Hinweisen auf die Mitbegründerin der KPD und deren revolutionäre Forderungen impliziert Lötzsch, dass der "demokratische Sozialismus" letztlich nur ein Zwischenziel für die, gegebenenfalls auch revolutionäre, Herbeiführung des Kommunismus ist. Von ihrer Aussage zum Kommunismus rückte die Parteivorsitzende auch nach starker öffentlicher Kritik nicht ab. In einem Inter- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 163 view mit der Frankfurter Rundschau vom 6. Januar 2011 machte sie noch einmal deutlich, dass sie unter dem Begriff "Kommunismus" eine neue, von Ausbeutung und Diskriminierung freie Gesellschaft verstehe, die die Partei mit "demokratischen Mitteln" zu erreichen suche. 1.2 Proteste gegen die 46. Konferenz für Sicherheitspolitik in München Die Konferenz für Sicherheitspolitik in München ist einer der wichtigsten Anlässe für Protestveranstaltungen von Linksextremisten. Es kommt dabei zu einem Zusammenwirken von organisierten und unorganisierten Linksextremisten, aber auch mit nicht-extremistischen Organisationen. Das Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz wird vom Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus dominiert. Dem Aktionsbündnis gelang es erneut - auch bundesweit - gegen die Konferenz für Sicherheitspolitik so viele Linksextremisten zu mobilisieren wie bei keiner anderen Veranstaltung in Bayern. An der Großkundgebung gegen die Konferenz für Sicherheitspolitik nahmen am 6. Februar bis zu 1.000 Personen, darunter 150 Teilnehmer des "Schwarzen Blocks" teil. In Redebeiträgen wurde massiv Stimmung gegen die Polizei gemacht. So wurde u. a. behauptet, dass es in den Reihen der Polizei "mehr Gewalttäter gä"Schwarzer be", als auf dem Platz versammelte Teilnehmer des internationalisBlock" tischen Blocks. An der nachfolgenden Demonstration beteiligten sich bis zu 2.200 Teilnehmer, darunter etwa 450 Personen als "Schwarzer Block". Von zentraler Bedeutung für die Mobilisierung autonomer Kreise Kafe Marat war erneut das Kafe Marat. Hierbei handelt es sich um einen Teil eines Kulturzentrums, das auch von Linksextremisten als Treffpunkt, logistisches Zentrum und Informationsbörse genutzt wird. Der Name des Kafe Marat wurde von den Betreibern in Anlehnung an einen radikalen Unterstützer der französischen Revolution sowie Befürworter politischer Gewalt, Jean Paul Marat, gewählt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 164 Kafe Marat Teile des linksextremistischen Spektrums Münchens führen in den Räumlichkeiten des Kafe Marat regelmäßig u. a. Vorträge, Diskussionsrunden oder Mobilisierungsveranstaltungen, z. B. anlässlich der Konferenz für Sicherheitspolitik und des "AntifaActionday", durch. Ein dort geführter Infoladen vertreibt einschlägige Zeitschriften und Bücher sowie Flyer und Aufkleber. Es liegen beispielsweise auch Ausgaben der von Linksextremisten publizierten und bundesweit vertriebenen Szenezeitschrift INTERIM aus. Einzelne Ausgaben enthalten immer wieder Anleitungen oder Aufforderungen zu Straftaten, deren Verbreitung durch Beschlagnahmebeschlüsse der Staatsanwaltschaft unterbunden wird. Derartige Ausgaben der INTERIM konnten von der Polizei bei mehreren Durchsuchungen in diesem Jahr im "Infoladen" bzw. im Kafe Marat sichergestellt werden. Gefunden wurden auch ein DIN A 4-Ordner, der Anleitungen zum Bau von unkonventionellen Brandund Sprengvorrichtungen enthielt, sowie etwa 150 nicht zertifizierte Böller. Neben kommunistischen Fahnen von DKP und MLPD fielen auch Fahnen der Partei DIE LINKE. und linksextremistischer Jugendorganisationen auf, wie z. B. Linksjugend ['solid], SDAJ, REBELL Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 165 und die frühere SED-Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ). Daneben waren einzelne MLKP-Fahnen und kleinere Fahnen mit einem Portrait des PKK-Gründers Abdullah Öcalan zu sehen. An der Spitze des Demonstrationszuges trugen u. a. die Mitglieder der Partei DIE LINKE. Tobias Pflüger (ehemaliger Europaabgeordneter) und Nicole Gohlke (MdB) das Transparent des Aktionsbündnisses gegen die NATO-Sicherheitskonferenz mit dem Slogan "Bundeswehr raus aus Afghanistan". Autonome dominierten den Demonstrationszug mit aggressiven Lautsprecherparolen. An den diesjährigen Aktionstagen kam es zu sechs Festnahmen. 1.3 Zunahme der Gewaltbereitschaft Die Zahl linksextremistischer Gewalttaten ist wieder deutlich gestiegen und hat einen erneuten historischen Höchststand erreicht. Autonome Gewalt hat in ihrer Aggressivität eine neue Qualität erreicht. Die Gewalttäter nehmen schwere Verletzungen von Polizeibeamten und von Unbeteiligten bewusst in Kauf. Bauanleitungen für Sprengsätze und Gewaltaufrufe werden in Szene-Zeitschriften und im Internet verbreitet. Gewalttaten richten sich gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten und vorwiegend gegen Polizisten. 1.3.1 Linksextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten Nachdem die Zahl linksextremistisch motivierter Gewalttaten bereits im Jahr 2009 bundesweit wie auch in Bayern drastisch gestiegen war und einen historischen Höchststand seit mindestens zwei Jahrzehnten erreicht hatte, ist für das Jahr 2010 eine signifikante Fortsetzung dieses Trends festzustellen. Im Jahr 2010 wurden in Bayern insgesamt 372 linksextremistisch motivierte Straftaten registriert (2009: 303). Von den 372 Straf- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 166 taten waren 172 Gewaltdelikte (2009: 127), die übrigen 200 Taten gehören zu den sonstigen Straftaten wie z. B. Sachbeschädigungen. Die Bereitschaft zur Gewaltanwendung ist im Jahr 2010 erneut auffallend gestiegen. Waren in Bayern im Jahr 2007 noch 76 Gewalttaten zu verzeichnen, war ihre Zahl im Jahr 2009 bereits auf 127 Gewaltdelikte angestiegen. Mit 172 Delikten - und damit einer Steigerung um etwa 35 % im Vergleich zum Vorjahr - hat Neuer Höchststand die Zahl der linksextremistisch motivierten Gewalttaten erneut an Gewaltdelikten einen Höchststand erreicht. Ein Vergleich mit den 58 (2009: 53) rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten in Bayern zeigt, dass die linksextremistisch motivierten Gewaltdelikte abermals deutlich den größten Teil der politisch motivierten Gewalttaten ausmachen. Autonome Bei Linksextremisten bilden die Autonomen den weitaus größten Teil des gewaltbereiten Personenpotenzials. Ihre gewalttätigen Angriffe richten sie gegen Sachen und Personen. Die im Jahr 2010 registrierten Gewaltdelikte hatten mehrheitlich einen antifaschistischen Hintergrund und wurden hauptsächlich bei Protestaktionen im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Veranstaltungen begangen. Die Opfer der Gewalttaten waren dabei nicht nur Rechtsextremisten als politischer Gegner sondern in erster Linie Polizeibeamte als Repräsentanten eines vermeintlich staatlichen "Repressionsorgans", die zur Gewährleistung des grundgesetzlich geschützten Versammlungsrechts eingesetzt werden. So richteten sich von den 172 Gewalttaten allein 120 gegen Polizisten (2009: 61). Das entspricht rund 70 % der im Jahr 2010 verzeichneten linksextremistisch motivierten Gewalttaten und einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr um fast 100 %. Beispiele für Ein Beispiel für die generelle Aggressivität von linksextremistiGewalttaten schen Gewalttätern waren Randale nach einem Punkkonzert im Kafe Marat in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar in München. Dabei zogen etwa 20 vermummte Personen durch das Glockenbachviertel zum Gärtnerplatz und beschädigten mindestens sieben Autos und acht Häuser durch Schmierschriften. Bei einer Filiale der Stadtsparkasse beschädigten sie ein Schaufenster. Mit einer Straßensperre aus Bauzaunelementen versuchten sie, den Einsatz von Polizeibeamten zu verhindern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 167 Ein Beispiel für eine antifaschistisch motivierte Gewaltaktion war der Überfall einer etwa 40-köpfigen Gruppe aus dem linksextremistischen Spektrum am 30. April in Nürnberg. Sie überfiel eine neunköpfige Gruppe des rechtsextremistischen Spektrums beim Grillen am Pegnitzgrund. Dabei schlugen sie mit Fäusten und Ästen bzw. Holzknüppeln auf drei Männer ein und traten sie mit Füßen; der Rest der Gruppe konnte flüchten. Die Täter waren schwarz gekleidet und mit Sturmhauben und Kapuzen vermummt; ihre Kleidung trug teilweise die Aufschrift "Antifaschistische Aktion". Das Ausmaß der Gewaltbereitschaft gegen Polizeibeamte zeigte sich beispielsweise am 27. November in Sulzbach-Rosenberg. Ein Polizeibeamter, der zum Schutz einer rechtmäßig angemeldeten Demonstration von Rechtsextremisten eingesetzt war, stürzte bei einer Einsatzmaßnahme gegen Personen des "linken" Spektrums. Ein unbekannter Täter aus dem "linken" Spektrum lief aus der rund 350 Personen umfassenden Versammlung von Gegendemonstranten des "linken" und bürgerlichen Spektrums heraus, trat den am Boden liegenden Polizeibeamten mehrmals mit den Füßen ins Gesicht und tauchte wieder in der Personengruppe unter. Der Polizeibeamte verlor kurzzeitig das Bewusstsein und zog sich eine Schädelprellung, Gehirnerschütterung, Schwellungen und Schürfwunden im Gesicht sowie eine Einblutung im linken Auge zu. 1.3.2 Formen der Gewaltausübung Linksextremistische Gewalt hat verschiedene Ausformungen: Gewaltbereite Linksextremisten veranstalten bzw. beteiligen Konfrontative sich an Demonstrationen, um gemeinschaftlich, gezielt und geGewalt walttätig gegen den Gegner vorzugehen (konfrontative Gewalt). Als Gegner sehen sie neben Rechtsextremisten vor allem Polizeibeamte. Beispiele für konfrontative Gewalt sind die "Revolutionären 1. Mai-Demonstrationen" in Berlin, die regelmäßig für schwerste Straftaten genutzt werden. Auch in Bayern war diese Vorgehensweise in diesem Jahr am 1. Mai in Nürnberg und Schweinfurt Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 168 festzustellen. Autonome bildeten jeweils einen "Schwarzen Block" mit etwa 500 Teilnehmern. Sie bewarfen Polizisten und deren Einsatzfahrzeuge mit Steinen, PET-Flaschen und Bengalfeuern und setzten Papiercontainer und Mülltonnen in Brand. In München versuchten am 8. Mai rund 300 Autonome bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus eine U-Bahn-Station zu stürmen. Dort hatten sich Rechtsextremisten gesammelt, um anschließend an einer genehmigten Versammlung teilzunehmen. Linksextremisten griffen auch Polizeibeamte an, um einen festgenommen Straftäter zu befreien. Initialisierende Von initialisierender Gewalt spricht man, wenn Autonome DeGewalt monstrationen anderer, auch nicht-extremistischer Veranstalter, nutzen, um der Veranstaltung einen militanten und aggressiven Charakter aufzuzwingen und hinter der Deckung friedlicher Demonstranten Gewalttaten zu begehen. Die Menge dient anschließend als Sichtschutz, um die Kleidung zu wechseln und sich dadurch der Strafverfolgung zu entziehen. Gewaltbereite Autonome treten in diesem Zusammenhang insbesondere bei Demonstrationen auf, bei denen es vorwiegend um Themen wie "Kampf gegen Rechtsextremismus", "Sozialabbau" und "Bildungsstreik" geht. Es handelt sich hierbei um Inhalte von medialem Interesse, die in breiten Kreisen der Bevölkerung Unterstützung finden. Die Themen werden gezielt genutzt, um nicht nur bei Linksextremisten, sondern gerade auch bei Demokraten Interesse zu wecken. Die Zielsetzung der Linksextremisten unterscheidet sich dabei allerdings grundsätzlich von der des demokratischen Spektrums. Linksextremisten sehen ihr Engagement als Teil ihres Kampfes zur Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die gravierenden Folgen dieses Vorgehens zeigten sich bei einem exzessiven Gewaltausbruch von Autonomen in Berlin, der auch die zunehmende Radikalisierung innerhalb dieses Spektrums belegt. Bei einer mehrere tausend Personen umfassenden Protestdemonstration gegen die Sparpläne der Bundesregierung am 12. Juni bildeten bis zu 450 teilweise vermummte Autonome einen "Schwarzen Block". Aus diesem heraus bewarfen sie gezielt Polizisten mit Steinen, Flaschen und einem improvisierten Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 169 Sprengkörper. Durch die Wucht der Detonation wurden zwei Polizisten trotz ihrer Schutzkleidung schwer und weitere 14 Beamte leicht verletzt. Auch in Bayern konnte eine ähnliche Strategie am 13. November beobachtet werden. Rechtsextremisten hatten einen "Heldengedenkmarsch 2010" durch die Münchner Innenstadt angemeldet. Mehrere Organisationen, u. a. auch Autonome, hatten zu Protesten aufgerufen. Sie veranstalteten zunächst einen eigenen Aufzug unter dem Motto "Antifa-Actionday", an dem sich bis zu 750 "Anitfa-Actionday" Personen beteiligten. Auf Transparenten, Fahnen und mit Parolen skandierten sie: "Antifa heißt Angriff auf allen Ebenen und mit allen Mitteln!" "Antifa-Action gegen Nazi-Aufmarsch, Militär und kapitalistischen Normalbetrieb!" "BRD - Bullenstaat - wir haben dich zum Kotzen satt!" Teilnehmer des Demonstrationszugs bewarfen Polizeibeamte mit Böllern, Obst und Flaschen; insgesamt wurden allein im Rahmen des Demonstrationsgeschehens am 13. November 38 Gewaltdelikte registriert. Anschließend schlossen sich die Demonstranten einer anderen Protestkundgebung an. Aus dieser heraus versuchten die Linksextremisten mehrfach, Polizeisperren gewaltsam zu durchbrechen, um die Demonstrationstrecke der Rechtsextremisten zu blockieren. Insgesamt nahmen 400 Autonome an den Protestkundgebungen teil. Zu Gewalttaten kam es auch bei Protestaktionen gegen einen Castor-Transport im November nach Gorleben, Niedersachsen. "Anti-Atom" ist ein klassisches Aktionsthema der Autonomen. Unter dem Vorwand, gegen Gefahren der Kernenergie zu kämpfen, haben Autonome auch in der Vergangenheit immer wieder zum Kampf gegen den "Atom-Staat" aufgerufen. Auch beim Transport im November beteiligten sich Linksextremisten an der Kampagne "Castor? Schottern!". Ziel war es, "massenhaft den Schot"Castor-Schottern" ter aus dem Gleisbett zu entfernen, also die Gleise zu unterhöhlen und sie für den Atommüllzug unbefahrbar zu machen". Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen "Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Störung öffentlicher Betriebe". Derzeit sind keine Versuche der autonomen Szene festzustellen, steuernd in die "Anti-Atom-Szene" einzugreifen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 170 Brandanschlag Auch in Bayern organisierte die linksextremistische Szene in München Mobilisierungsund Informationsveranstaltungen. Anfang November kam es im Zusammenhang mit dem Castor-Transport in München zu einem Brandanschlag auf ein Fahrzeug der Deutschen Bahn AG. In einem Schreiben skandierten die Täter "NO CASTOR NO STUTTGART 21 BAHN AG ANGREIFEN". Neben dem offen aggressiven Auftreten von Autonomen ist jedoch auch eine konspirative Planung und Durchführung von Straftaten Klandestine festzustellen (klandestine Gewalt). Ein Beispiel hierfür sind die Gewalt gezielten Anschläge auf Symbole der Staatsgewalt, u. a. auf Fahrzeuge der Bundeswehr. Anschläge von Linksextremisten werden zunehmend professioneller vorbereitet. Im Internet und in SzeneZeitschriften, wie "radikal" und INTERIM, finden sich immer häufiger Darstellungen von szenetypischen Vorgehensweisen und Bauanleitungen von Sprengsätzen. Vor allem das gewaltbereite linksextremistische Spektrum soll dadurch angesprochen und in die Lage versetzt werden, selbst einen Anschlag durchzuführen. Neben Anleitungen für Sachbeschädigungen, wie "Entglasungen", "Sprühaktionen" oder "Auto plätten", werden auch Planungsschritte für Anschläge veröffentlicht, die eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben von Menschen darstellen können. Eine qualitativ völlig neue Dimension erreicht die von militanten Linksextremisten veröffentlichte und im autonomen Spektrum prisma kursierende Publikation "prisma" (prima radikales info sammelsurium militanter aktionen"). Darin werden systematisch und detailliert Unkundige an Sabotagebzw. Anschlagsmöglichkeiten herangeführt. In der 80-seitigen Broschüre werden die Möglichkeiten des "Plakatierens", des "Bahnstrecken blockierens und sabotierens" bis hin zum "Feuerlegen mit elektronischen Zeitzündern" beschrieben. Einige dieser "Aktionsformen" wurden bereits in anderen Szene-Zeitschriften veröffentlicht, manches ist aber nach eigener Darstellung "extra für dieses Heft entstanden ... weil wir das so nirgends gefunden haben". Unter dem Kapitel "Brandsätze" werden u. a. eine "Materialliste", eine "Bauanleitung" sowie die "Funktionsweise" erläutert. In der Broschüre machen die Autoren aus ihrer Verachtung und Abneigung gegenüber "staatlichen Institutionen" oder "Verantwortliche für ... kapitalistische Ausbeutung" kein Hehl und "plädieren" für militante Aktionen, "die gezielt, gut geplant und wohl dosiert" sein sollen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 171 Linksextremisten, insbesondere Autonome, diskutieren immer wieder über das Thema Gewalt, ihre Anwendung und über die Trennung von "Gewalt gegen Personen" und "Gewalt gegen Sachen". Neben "INTERIM" und "prisma" greift die "Publikation der Revolutionären Linken", "radikal", regelmäßig das Thema Gewalt auf und versucht eine "Militanzdebatte", also eine Diskussion über "Militanzdebatte" die Akzeptanz von Gewalt gegen Personen, im gewaltbereiten Linksextremismus neu zu beleben. 2. Ideologie und Strategie 2.1 Wurzeln des Linksextremismus Marxismus Im Spektrum des organisierten Linksextremismus stellt der Marxismus die Hauptströmung dar. Er ist ein Sammelbegriff für verschiedene Theorieansätze und Politikinhalte, die auf die Lehren von Karl Marx (1818 -1883) und Friedrich Engels (1820-1895) zurückgehen. Ihm liegt eine Sichtweise der Wirklichkeit zugrunde, der zufolge das politische, geistige, kulturelle und sonstige Leben von Gesellschaften durch die ökonomischen Strukturen und Verhältnisse bestimmt wird. Die marxistische Theorie versteht sich dabei als "wissenschaftKlassenlose liche" Anleitung zum Handeln. Geleitet von dem Endziel einer Gesellschaft als klassenlosen Gesellschaft, in der "die freie Entwicklung eines jeEndziel den die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" (Manifest der Kommunistischen Partei von 1848), versucht der Marxismus, mittels kritischer Analyse der gegebenen Verhältnisse die Bedingungen und Wege zu ihrer revolutionären Überwindung zu bestimmen. Ausgehend von der sozialen Situation in der Mitte des 19. Jahrhunderts sind nach dem Marxismus für die Überwindung des kapitalistischen Systems die Widersprüche, die sich aus dem Gegensatz von Kapital und Arbeit ergeben, entscheidend. In der Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 172 kapitalistischen Gesellschaft stehen sich danach die ausbeutende Klasse der bürgerlichen Kapitalisten (Kapital als Eigentümer an Produktionsmitteln) und die ausgebeutete Klasse der Arbeiterschaft (Proletariat als "Eigentümer" bloßer Arbeitskraft) gegenüber. Der Wert der Arbeitskraft wird im Verwertungsprozess des Kapitals nicht hinreichend entlohnt. Mit dem durch Arbeit entstandenen Mehrwert kann der bürgerliche Kapitalist deshalb auf Kosten des arbeitenden Proletariats Kapital ansammeln. Dieser erwirtschaftete Profit wiederum wird zur Entwicklung neuer Techniken (Maschinen, Fabriken usw.) verwendet, die einerseits den Profit steigern und andererseits überflüssige Arbeitskräfte freisetzen. Dies führt zu Lohndruck und zur Verelendung des Proletariats. Konsequenz ist eine Verschärfung des Klassengegensatzes zwischen Bürgertum und Proletariat, der sich notwendiKlassenkämpfe gerweise in Klassenkämpfen, in einer Revolution des Proletariats entlädt. Nach einer vorübergehenden Diktatur des Proletariats mündet dieser Prozess in eine kommunistische klassenlose Gesellschaft. Um in einer sozialistischen, später kommunistischen Gesellschaft zu verhindern, dass sich die bislang ausgebeuteten Schichten durch Aneignung privater Produktionsmittel wiederum in Ausbeuter verwandeln, ist zwingend notwendig, das Privateigentum an Produktionsmitteln abzuschaffen. Die von Karl Marx und Friedrich Engels entwickelte kommunistische Lehre hat die Geschichte der deutschen und der internationalen Linken bis in die Gegenwart entscheidend geprägt. Marxismus-Leninismus Der Marxismus wurde unter der Führung von Wladimir I. Lenin (1870 -1924) zu einer Staatsdoktrin und theoretischen Vorgabe für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft sowie für den internationalen Klassenkampf weiterentwickelt. Nach marxistisch-leninistischer Auffassung ist der Sozialismus die erste (niedere) Phase der Gesellschaftsform des Kommunismus. Mit anderen Worten: Sozialismus ist die Gesellschaft, die unmittelbar aus dem Kapitalismus erwächst; er ist die erste EntSozialismus als wicklungsstufe der neuen Gesellschaft. Kommunismus kann sich Voraussetzung für als höhere Form der neuen Gesellschaft nur dann herausbilden, den Kommunismus wenn sich der Sozialismus vollständig entwickelt hat. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 173 Der Sozialismus entwickelt sich nach marxistisch-leninistischer Entwicklung des Auffassung nach allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten: Sozialismus - Am Anfang steht eine - gewaltsame - Revolution der Arbeiterklasse ("Proletarische Revolution"). Die in so genannten bürgerlichen Gesellschaften herrschenden Kapitalisten werden beseitigt. - Um die errungene Macht abzusichern, muss eine Diktatur ("Diktatur des Proletariats") errichtet werden. - Das als solches nicht handlungsfähige Proletariat wird durch eine marxistisch-leninistische Kaderpartei geführt, um handlungsfähig zu werden ("Avantgarde der Arbeiterklasse"). - Opposition - innerhalb oder außerhalb - der Partei wird nicht geduldet. - Die Arbeiterklasse verbündet sich mit den Bauern (Bündnispolitik). - Das private Eigentum an Produktionsmittel (Kapitalismus) wird beseitigt und gesellschaftliches Eigentum begründet (beispielsweise die Kollektivierung der Landwirtschaft). - Die "bürgerliche" Intelligenz wird durch eine "sozialistische Kulturrevolution" verdrängt. Eine "sozialistische Intelligenz" entsteht. - Die Volkswirtschaft wird nach zentralen Plänen entwickelt (Planwirtschaft). - Die sozialistischen Länder schließen sich unter der Führung der UdSSR - als stärkstes sozialistisches Land - zusammen, um den kapitalistischen Ländern, die die Entwicklung in den sozialistischen Ländern wieder zurückdrehen wollen (Konterrevolution), besser entgegentreten zu können. - Der Sozialismus wird gegen äußere und innere Feinde mit allen Mitteln verteidigt. Der Marxismus-Leninismus unterstreicht vor allem die revolutionäre Seite des Marxismus und gibt dazu konkrete organisatorische und strukturelle Vorgaben. Lenins Lehre von der Partei neuen Typs ging vor allem davon aus, dass das Proletariat als revolutionäres Subjekt auf sich allein gestellt, nicht das notwendige politische Bewusstsein entwickeln kann. Dies muss ihm durch eine revolutionäre Kaderpartei ("Avantgardeanspruch" der kom"Avantgardemunistischen Partei) vermittelt werden. anspruch" Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 174 "Demokratischer Alle Funktionen in der Partei müssen dabei in der Hand einer Zentralismus" möglichst geringen Zahl von Berufsrevolutionären konzentriert sein. Die Partei muss nach den Grundsätzen vom "demokratischen Zentralismus" straff organisiert sein. Danach sind alle Beschlüsse von Leitungsgremien strikt zu befolgen und Fraktionen innerhalb der Partei verboten. Für marxistisch-leninistische Kaderparteien, beispielsweise die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), aber auch für postkommunistisch transformierte Parteien in Deutschland, wie die Partei DIE LINKE., spielt der Marxismus-Leninismus im ersten Fall eine hohe, im zweiten eine zumindest prägende Rolle. Stalinismus Die auf den Theorien Lenins gründende Lehre Josef W. Stalins (1878-1953) von den Möglichkeiten des "Sozialismus in einem Land" - nämlich zunächst nur in der Sowjetunion -, verknüpft mit den Machtmöglichkeiten einer internationalen kommunistischen Organisation ("Kommunistische Internationale"), richtete das Handeln aller in ihr organisierten kommunistischen Parteien auf die Interessen der Sowjetunion als zentrale Führerin des internationalen Kommunismus aus. Die "Verschärfung des Klassenkampfs" wurde zur Legitimation "Stalinistische von Repressionen und "stalinistischen Säuberungen". HundertSäuberungen" tausende wurden ermordet. Mehrere Millionen Menschen wurden in Gefängnisse und Arbeitslager gebracht. Den Versuch, den rückständigen Agrarstaat Sowjetunion in kurzer Zeit in eine moderne Industriegesellschaft umzuwandeln, bezahlten weitere Millionen Menschen aufgrund dadurch verursachter Hungersnöte mit ihrem Leben. Stalins Thesen vom prinzipiellen Gegensatz der Staaten des "imperialistischen" und "antiimperialistischen" Lagers legten den Grundstein für den bis 1989/1990 andauernden Ost-WestKonflikt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 175 Trotzkismus und Entrismus Das auf Leo Trotzki (1879-1940) zurückgehende Modell des Sozialismus stellt keine in sich geschlossene eigenständige Lehre, sondern eine Modifikation des Marxismus-Leninismus dar, die vor allem aus der Opposition von Trotzki zu Stalin entstanden ist. Trotzkisten bezeichnen sich selbst als "Bolschewisten-Leninisten", um ihre Nähe zu Lenin zu betonen und betrachten sich als Anhänger des "reinen" Marxismus. Wesentliche Elemente sind die Theorie der "permanenten Revolution", der Glaube an die Weltrevolution (im Unterschied zu Stalins "Sozialismus in einem Lande"), das Ziel der Errichtung einer "Diktatur des Proletariats" in Form einer Rätedemokratie und das Festhalten am "proletarischen Internationalismus". Heutige Trotzkisten wenden sich gegen Parteibürokratie und lehnen klassische marxistisch-leninistische Kaderparteien, wie in Deutschland die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), als bürokratisch degeneriert ab. Die im Trotzkismus erlaubte Fraktionsbildung führte zu einer Vielzahl von Parteien und Organisationen, die in unterschiedlichen internationalen Verbindungen organisiert sind. Charakteristische Strategie für trotzkistische Vereinigungen ist Entrismus der Entrismus. Dabei wird versucht, gezielt und heimlich in demokratische Organisationen einzudringen - bevorzugte Objekte sind zum Beispiel Parteien, Gewerkschaften, Schülerund Studentenvereinigungen, Umweltgruppen und ähnliche - und auf diese Weise von innen heraus, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Ziel ist es, die eigene Ideologie zu verbreiten und die Organisationen für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. In Deutschland gibt es verschiedene trotzkistische VereinigunTrotzkistische gen, von denen das Netzwerk marx21 in der Partei DIE LINKE. Vereinigungen in und die Sozialistische Alternative (SAV) erwähnenswert sind. Bei Deutschland der Partei DIE LINKE. ist seit einigen Jahren in den alten Bundesländern festzustellen, dass Anhänger von marx21 (vormals Linksruck-Netzwerk) wichtige Positionen (beispielsweise in Parteivorständen, als Abgeordnete im Deutschen Bundestag oder in den Länderparlamenten) besetzen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 176 Maoismus Unter der Führung von Mao Tse-tung (1893-1976) bildete sich in China nach dem kommunistischen Sieg 1949 eine Theorie und Praxis heraus, die sich als historisch-konkrete Anwendung und kritische Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus auf die speziellen Bedingungen Chinas versteht. Die Ideen Maos waren Vorbild für große Teile der nach 1968 vor allem in Westeuropa entstandenen "Neuen Linken" (Dogmatische Neue Linke). Mao entwickelte auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus eine neue Revolutionstheorie, in der die besonderen Bedingungen der so genannten Dritten Welt berücksichtigt wurden. Ausgehend von der "Strategie der Umzingelung der Städte durch das Land" wurde nicht wie bei Lenin die städtische Arbeiterschaft (Proletariat), sondern die unterdrückte Landbevölkerung zum Träger der Revolution erhoben (dem revolutionären Subjekt). Nach der Auffassung Maos war die Revolution in einem Land der Dritten Welt durch einen Guerillakrieg bäuerlicher Partisanen auszulösen. Auch Mao betonte allerdings die führende Rolle der kommunistischen Partei in diesem Krieg, der sich zu einem Volkskrieg ausweiten sollte mit dem Ziel, die herrschende Klasse zu stürzen und die Diktatur des Proletariats zu errichten. Von den unterentwickelten Agrarländern der Dritten Welt sollte dann die Revolutionswelle ausgehen, die vom Land in die StädZiel: Weltrevolution te der Industrienationen getragen und letztlich zur Weltrevolution führen sollte. Revolutionäre Zentren waren für Mao demnach die Entwicklungsländer, nicht hingegen die imperialistischen Länder des Westens und auch nicht die Sowjetunion mit ihrem Vormachtanspruch. Die Aufrechterhaltung einer ständigen "inneren" Revolution betraf nicht nur den Wirtschaftsund Gesellschaftsaufbau, sondern sollte auch die Bewusstseinslage des einzelnen Menschen immer wieder hinterfragen. Dies sollte auch durch die von Mao als letzte ideologische und revolutionäre Massenkampagne 1965/66 "Große eingeleitete "Große Proletarische Kulturrevolution" erreicht werProletarische den. Sie sollte die bürgerliche Kultur und verbliebene Privilegien Kulturrevolution" - etwa der Intellektuellen - beseitigen. Die "Volksmassen" wurden dabei immer wieder und rücksichtslos zur Durchsetzung der revolutionären Ziele und zur "Säuberung" der Gesellschaft von Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 177 "Klassenfeinden" mobilisiert. Hunderttausende wurden teilweise auf grausame Weise umgebracht. Anders als zu Zeiten der 1968er-Bewegung spielen maoistische Vereinigungen und Parteien heute in Deutschland keine Rolle. Eine der wenigen, noch öffentlich in Erscheinung tretenden maoistisch orientierten Parteien ist die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD). 2.2 Gewaltorientierte Linksextremisten: Autonome, Antideutsche und Anarchisten Autonome Im linksextremistischen Spektrum bilden Autonome den weitaus Gewaltbereites größten Teil des gewaltbereiten Personenpotenzials. Wie in den Personenpotenzial Vorjahren waren Autonome erneut für die meisten der linksextremistisch motivierten Gewalttaten verantwortlich. Autonome haben kein einheitliches ideologisches Konzept; sie folgen vielmehr anarchistischen und anarcho-kommunistischen Vorstellungen. Dabei vertreten sie zwar anarchistische Ideologiefragmente, beschäftigen sich aber nicht näher mit der politischen Theorie des Anarchismus. Sie haben anarchistische Aktionsformen, Anarchismus wie zivilen Ungehorsam, Sabotage, Hausbesetzungen, militante Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 178 Aktionen (z. B. die Bildung eines "Schwarzen Blocks" bei Demonstrationen) übernommen und weiterentwickelt. Einig sind sich die Autonomen in ihrem Ziel der gewaltsamen Zerschlagung des Staates und seiner Einrichtungen sowie der Errichtung einer "herrschaftsfreien Gesellschaft". Um diesem Ziel näher zu kommen, nutzen sie aktuelle politische Fragen für ihre Zwecke. Mobilisierung Durch geschickte Agitation versuchen sie, auch demokratische demokratischer Protestbewegungen für ihren Kampf gegen den Staat zu mobiliProtestbewegungen sieren. Autonome rechtfertigen Gewalt als angeblich erforderliches Mittel gegen die "strukturelle Gewalt" eines "Systems von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung". Gewalttätige Handlungen werden als Akt individueller Selbstbefreiung von den Herrschaftsstrukturen verstanden. Veranschaulicht wird die Einstellung zur Gewalt in dem von Autonomen herausgegebenen Buch "Autonome in Bewegung": "Militanz ist in unseren Augen notwendiger Bestandteil linksradikaler Politik, sowohl im allgemeinen Sinn der konsequenten, kämpferischen Haltung an sich, als auch im engeren Sinn von politischer Gewalt. Dass dies ein höheres Maß an Verantwortung erfordert als das Bilden von Lichterketten ist selbstverständlich. Doch wer auf die Option der Militanz verzichtet, beraubt sich selbst der notwendigen Mittel gegen ein System der Herrschaft, dem allein mit den besseren Argumenten nicht beizukommen ist." (aus: A. G. Grauwacke: "Autonome in Bewegung", Berlin, Hamburg, Göttingen, o. J., Seiten 380/381) Autonome machen den Ablauf ihrer Aktionen primär von deren Umsetzbarkeit und ihrem Kräfteverhältnis gegenüber der Polizei abhängig. Rechtsextremistischen Versammlungen begegnen sie nach wie vor mit einer hohen Aggressivität und Ge"Schwarzer Block" waltbereitschaft. Die Formierung von "Schwarzen Blöcken" bei Demonstrationen als Symbol militanten Politikverständnisses ist wieder vermehrt zu beobachten. In Bayern sind linksextremistische Strukturen mit terroristischer Zielsetzung derzeit nicht feststellbar. Dies gilt auch für den Bereich der Autonomen. Andererseits steht eine nach außen vertretene Differenzierung zwischen "Gewalt gegen Personen" und "Gewalt gegen Sachen" tatsächlich in Frage. Körperverletzungsdelikte von Autonomen gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche "Rechte" machen deutlich, dass sie Gewaltanwendung ge- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 179 gen politische Gegner als legitimes Mittel ansehen. Auch die im Berichtszeitraum registrierten Gewaltdelikte hatten mehrheitlich einen antifaschistisch geprägten Hintergrund und wurden hauptAntifaschistische sächlich bei Protestaktionen im Zusammenhang mit rechtsextGewaltdelikte remistischen Veranstaltungen begangen. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Gewalttaten steht also mit der Anzahl rechtsextremistischer Veranstaltungen in einem direkten Zusammenhang. Die Taten aus dem Bereich Antifaschismus richteten sich wie in der Vergangenheit nicht nur unmittelbar gegen den politischen Gegner. Vielmehr ist auch die Polizei als staatliches Gewalt gegen "Repressionsorgan" vermehrt das Ziel linksextremistisch aggresPolizei siven Verhaltens. Betroffen hiervon sind insbesondere die zur Gewährleistung des grundgesetzlich geschützten Versammlungsrechts eingesetzten Polizeibeamten, die durch ihre Präsenz Übergriffe verhindern sollen. Von den 172 Gewalttaten richteten sich allein 120 gegen Polizisten (2009: 61). Beispielsweise beteiligten sich an der "Revolutionären 1. MaiDemonstration" in Nürnberg auch rund 500 Autonome. Bereits während des Aufzugs wurden Polizisten und Einsatzfahrzeuge mit Steinen und Flaschen beworfen. Gegen Ende der Demonstration verfolgten zahlreiche äußerst aggressive, teilweise vermummte Autonome einen Polizisten, auf den sie zuvor ein Bengalfeuer geworfen hatten. Zu Hilfe eilende Polizeibeamte wurden von den Demonstranten massiv mit Glasflaschen, Pflastersteinen und Holzlatten angegriffen. Autonome versuchten auch, die Einsatzkräfte mit Autoanhängern zu attackieren. Jugendliche sind für Extremisten aller Art wegen ihrer oftmals Rekrutierung noch nicht vollständig ausgeprägten Kritikund Urteilsfähigkeit Jugendlicher und damit einer leichteren Beeinflussbarkeit interessant. Besonders erfolgreich in dem Bestreben, Jugendliche an sich zu binden, ist aber die linksextremistische autonome Szene. Dabei scheinen die typischen Merkmale der Autonomen, wie Aktionsbezogenheit und einfache Feindbilder (Staat, Faschisten, "Bullen") für Jugendliche besonders attraktiv zu sein. Antideutsche Bei den so genannten Antideutschen handelt es sich um eine Strömung innerhalb des linksextremistischen Spektrums, die im Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 180 Gegensatz zu traditionellen Linksextremisten eine klare pro-israelische und pro-amerikanische Haltung vertritt und von einer besonderen Aggressivität eines spezifisch "deutschen Faschismus" ausgeht. Dieser "deutsche Faschismus" wird mit der deutschen Vergangenheit, insbesondere durch den auf Vernichtung ausgePro-israelisch richteten Antisemitismus begründet. Die Wiedervereinigung wurund de daher als Gefahr der Entstehung eines "Vierten Reichs" angepro-amerikanisch sehen. Der im "Dritten Reich" begangene Holocaust hat nach Ansicht der Antideutschen zur Konsequenz, dass bis zur weltweiten Überwindung des Antisemitismus Israel als einziger Staat eine "Existenzberechtigung" habe. Diese kompromisslose pro-israelische Haltung führt dazu, dass auch das außenpolitische Auftreten der USA zum Wohle Israels wohlwollend betrachtet wird. Die Golfkriege und insbesondere die von Palästinensern im Jahr 2000 aufgenommene al-Aqsa-Intifada ließen die Israel-Solidarität zum zentralen Thema der antideutschen Strömung werden. Die herkömmlich linksextremistische Ansicht, wonach Israel als kapitalistische und imperialistische Besatzungsmacht zum Nachteil des palästinensischen Volkes handelt, wird von der antideutschen Strömung als antizionistisch und antisemitisch verurteilt. Mit der zunehmenden Bedeutung der antideutschen Strömung innerhalb des linksextremistischen Spektrums verstärkte sich dieser Konflikt und führte auch innerhalb der autonomen Szene zu einer inhaltlichen, organisatorischen und aktionistischen Spaltung in pro-israelische und pro-palästinensische Strukturen. Antideutsche bezeichnen den Islamismus als "neuen Faschismus" und sehen das Streben des von ihnen als islamistisch bewerteten Iran nach nuklearen Waffen als die derzeit größte Bedrohung für den Staat Israel. Das antideutsche Politikverständnis zieht zum einen Linksextremisten aus dem revolutionär-marxistischen Spektrum an, die sich an der Lehre von Karl Marx orientieren und Wert auf ideologische Ausbildung, z. B. in Form von Seminaren und Vortragsveranstaltungen, legen; zum anderen fühlen sich auch Teile der Extremes autonomen Szene vom extremen Antifaschismusverständnis Antifaschismusder antideutschen Strömung und der Israel-solidarischen Halverständnis tung angesprochen. Vor allem aktionsorientierte junge autonome Antifa-Gruppen werden unter dem Minimalkonsens der Solidarität mit Israel im Rahmen ihrer "Antifaschismusarbeit" in der Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 181 Öffentlichkeit aktiv. Die Mischung aus dogmatisch-kommunistischen Theoretikern und zumeist jungen autonomen Aktivisten macht die Antideutschen zu einer sehr dynamischen und um Vernetzung bemühten eigenständigen linksextremistischen Szene. Anarchismus Anarchismus ist eine Sammelbezeichnung für politische Auffassungen und Bestrebungen, die auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen, insbesondere in Gestalt des Staates, abzielen. Entgegen dem umgangssprachlichen Verständnis steht Anarchie in der politischen Ideengeschichte nicht für Chaos oder Terror, sondern für Herrschaftslosigkeit. Abschaffung des Den unterschiedlich ausgerichteten anarchistischen Strömungen Staates als Herrist die Forderung gemein, den Staat als Herrschaftsinstitution abschaftsinstitution schaffen zu wollen - und zwar unabhängig von einer demokratischen oder diktatorischen Ausrichtung. Die Institution des Staates gilt im anarchistischen Selbstverständnis an sich als repressive Zwangsinstanz, die zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft aufgelöst oder zerschlagen werden müsse. Häufig schließt eine solche Auffassung einen grundsätzlichen Antiinstitutionalismus ein, gelten doch auch Bürokratien, Kirchen, Parteien, Parlamente und Vereine als Einrichtungen, die einer freiwilligen Assoziation von emanzipierten und mündigen Menschen entgegenstehen. Im Mittelpunkt stehen Freiheit, Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Selbstverwirklichung der Individuen und kollektive Selbstverwaltung. Der Anarchismus wird als Synthese zwischen individueller Freiheit wie im Liberalismus und sozialer Verantwortung für die Gemeinschaft wie im Sozialismus verstanden. Diese Ablehnung von Hierarchie und Unterordnung führt zu einer generellen Skepsis gegenüber politischen Organisationsformen. Dies hatte zur Konsequenz, dass man sich selbst nur schlecht organisieren konnte, lediglich lose strukturierte Gruppierungen Lose strukturierte bestanden und die Gründung einer anarchistischen Partei abgeGruppierungen lehnt wurde. Gegenwärtig bestehen nur wenige Kleinorganisationen, z. B. die Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU), mit einer Mitgliederzahl von wenigen hundert Personen, die sich dezidiert dem Anarchismus verschrieben haben. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 182 2.3 Aktionsfelder Auf dem Weg zum Fernziel einer aus ihrer Sicht besseren Gesellschaftsordnung engagieren sich Linksextremisten in verschiedenen Bereichen. Dabei steht für jeden Linksextremisten Vereinnahmung das antifaschistische Engagement im Vordergrund. Ebenso wie bürgerlichdie Bekämpfung des Rechtsextremismus nutzen sie auch andedemokratischer re gesellschaftliche Reizthemen, um innerhalb der bürgerlichProtestbewegungen demokratischen Protestbewegung neue Anhänger zu finden. Antifaschismus Antifaschismus im linksextremistischen Sinn steht für eine Haltung, die sich nicht nur gegen Rechtsextremismus wendet, sondern auch eine Ablehnung von Kapitalismus, Parlamentarismus und Rechtsstaat zum Ausdruck bringt. Ursprünglich bezog sich der Begriff Antifaschismus auf die inneritalienische Opposition gegen die Herrschaft Mussolinis. Die Wurzeln des deutschen Antifaschismus liegen im Widerstand gegen die Diktatur des "Dritten Reichs". Neben dem bürgerlich-liberal geprägten Antifaschismus, der für die Erhaltung bzw. Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintrat, entwickelte sich ein kommunistisch orientierter, letztlich als Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 183 linksextremistisch einzustufender Antifaschismus. Der linksextLinksextremisremistische Antifaschismus wertet alle nicht-marxistischen Systischer teme als potenziell faschistisch oder als eine Vorstufe zum FaAntifaschismus schismus. Die eigentliche Ursache von Faschismus und Rechtsextremismus sei in einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung mit Kapitalismus, Parlamentarismus und Rechtsstaat zu sehen. Voraussetzung für eine endgültige Ausschaltung des Faschismus Abschaffung des sei demnach die Abschaffung des Kapitalismus, d.h. des PrivatKapitalismus eigentums an Produktionsmitteln, und die Schaffung eines sozialistischen Systems mit vergesellschaftetem, kollektivem Eigentum. Wenn Linksextremisten fordern, die "gesellschaftlichen und ökonomischen Ursachen des Faschismus" zu beseitigen, beinhaltet das nichts anderes als die Absicht, die freiheitliche demokratische Grundordnung, die auch das Privateigentum an Produktionsmitteln garantiert, abzuschaffen. Zu den wichtigsten linksextremistisch beeinflussten Organisationen, bei denen das antifaschistische Engagement im Vordergrund steht, gehört die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Daneben nutzen gewaltbereite linksextremistische VVN-BdA Autonome den "antifaschistischen Kampf" seit Jahren zur Mobilisierung ihrer Anhänger und zur Legitimierung ihrer militanten Aktionen gegen Staat und Polizei mit dem Argument, diese schützten Rechtsextremisten. Die "Faschos" gelten bei den Autonomen wegen ihrer Glorifizierung des Nationalsozialismus und ihrer Fremdenfeindlichkeit als Feindbild schlechthin. Entsprechend ihrer anarchistisch geprägten und damit staatsfeindlichen Grundüberzeugung sehen Autonome in der bürgerlichen Gesellschaftsstruktur und im kapitalistischen Wirtschaftssystem die wahren Ursachen nationalistischer und rassistischer Tendenzen. Nach dem Motto "Nazis morden, der Staat schiebt ab. Das ist das gleiche Rassistenpack!" greifen sie zur - gewalttätigen - "antifaschistischen Selbsthilfe". Linksextremistische Parteien streben über eine gezielte Einflussnahme die Übernahme von Leitungsund Steuerungsfunktionen in antifaschistischen Organisationen und Bündnissen an. Der Kampf gegen Hitler und die Verfolgung von Kommunisten zur Zeit des deutschen Nationalsozialismus dienen aus Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 184 der kommunistischen Bewegung stammenden Organisationen als Legitimation für den Führungsanspruch im antifaschistischen Spektrum. Diese Führungsrolle wird von Autonomen jedoch strikt abgelehnt. Die autonome Antifa-Szene ist vielmehr aktionsorientiert und unterstützt nach dem Motto "Schlagt die Nazis, wo ihr sie trefft!" Aktivitäten, mit denen "rechte" Strukturen oder Personen direkt angegriffen werden. Antifaschismus ist nicht generell linksextremistisch. Es kommt vielmehr darauf an, was die jeweiligen Antifaschisten konkret unter "Faschismus" verstehen und welche Forderungen sich aus ihrem Selbstverständnis als "Antifaschisten" ergeben. Die zentrale Frage dabei lautet: Richtet sich die Ablehnung nur gegen Rechtsextremismus oder richtet sich die Ablehnung gegen die Normen und Regeln eines demokratischen Verfassungsstaats als Vorstufe des Faschismus? Antimilitarismus Vor allem im Hinblick auf den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, die NATO-Konferenzen oder die alljährlich in München stattfindende Konferenz für Sicherheitspolitik hat das Aktionsfeld Antimilitarismus in der linksextremistischen Szene wieder an Bedeutung gewonnen. Antimilitarismus ist dabei ein klassisches kommunistisches Agitationsfeld. So beschrieb Karl Liebknecht, dessen Name heute die Parteizentrale der Partei DIE LINKE. in Berlin trägt, im Jahr 1907 in seiner Streitschrift "Militarismus und Antimilitarismus" die doppelte Funktion des Militärs. Danach diente es zum einen zur "Durchsetzung kapitalistischer Expansionsbestrebungen" und zum anderen zur "Aufrechterhaltung der Ausbeutungsstrukturen innerhalb der kapitalistischen Staaten". Dieses Gedankengut lebt in der linksextremistischen Szene weiter; zum Teil wird es aktuell auf die heutige Bundesrepublik Deutschland umgedeutet. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 185 In Deutschland gibt es aktuell wieder Diskussionen über die Rolle des Militärs und die Bedeutung von Systemen kollektiver Sicherheit und von Verteidigungsbündnissen. In Initiativen, die die Rolle des Militärs in der Gesellschaft thematisieren, engagieren sich neben Demokraten stets auch Linksextremisten. Letztere versuchen dabei, Einfluss auf die jeweilige "Friedensbewegung" zu nehmen. Vor allem die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) DKP und ihre Vorfeldorganisationen nutzen das Thema, um gegen die Bundeswehr und die NATO zu agitieren. Die linksextremistische Ausrichtung wird auch dann deutlich, wenn öffentliche Gelöbnisse der Bundeswehr unter dem Motto "Gelöbnix" gestört werden. Anti-Globalisierung Der ökonomische, politische und kulturelle Wandel und die damit einhergehende Veränderung der Gesellschaften und ihrer Lebensbedingungen haben in den letzten Jahren zu einer sich weltweit entwickelnden heterogenen Protestbewegung geführt. Die Proteste der "Anti-Globalisierungsbewegung" richten sich insbeProteste gegen sondere gegen Gipfelkonferenzen wie den G8-Gipfel. Neben deGipfelkonferenzen mokratischen Organisationen nutzen Linksextremisten diese Bewegung als Plattform ihres Protests gegen die weltumspannende Ausbreitung einer aus ihrer Sicht deregulierten Wirtschaftsordnung. Ergebnis des "weltweiten Kapitalismus" ist aus ihrer Sicht eine "Umverteilung von unten nach oben" mit einer Verschärfung der Armut. Kleine gewalttätige Gruppierungen nutzen die Proteste regelmäßig, um Unterstützung für gewalttätige Aktionen zu erlangen und mit Straßenmilitanz das Bild von Demonstrationen zu prägen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 186 3. Strukturen 3.1 Parteien und Vereinigungen 3.1.1 Die LINKE. und ihre Zusammenschlüsse Deutschland Bayern Mitglieder 75.500 3.300* Vorsitzende(r) Gesine Lötzsch; Eva Mendl; Klaus Ernst Xaver Merk Umbenennung 16./17.12.1989 der SED Umbenennung der 16.06.2007 Linkspartei.PDS Gründung 11.09.1990 Sitz Berlin München Publikationen DISPUT; UTOPIE-kreativ; Mitteilungen der KPF * 3.300 nach den maßgeblichen Zahlen des Bundes 2.400 nach Angaben des damaligen Schatzmeisters Ulrich Voß Die Parteiführung ist darum bemüht, die Gesamtpartei als linksdemokratische Alternative im Parteienspektrum darzustellen. Indessen stellt die Partei mit ihrer Vielzahl von Strömungen und Zusammenschlüssen keine homogene Organisation dar. Eine Gesamtschau der vorliegenden Aussagen und ideologischen Positionen verdeutlicht nach wie vor deren extremistische Ausrichtung. Die Unvereinbarkeit der Ziele der Partei DIE LINKE. mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ergibt sich vor allem aus - Forderungen, die auf eine Überwindung der freiheitlichen Staatsund Gesellschaftsordnung abzielen, - der teilweisen Infragestellung der parlamentarischen Demokratie, - dem Versuch der Delegitimierung der rechtsstaatlichen Herrschaftsordnung, Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 187 - der Duldung und Unterstützung offen extremistischer Zusammenschlüsse und Gruppierungen innerhalb der Partei, - den Kontakten zu gewaltbereiten Autonomen, - Sympathiebekundungen gegenüber ausländischen terroristischen Vereinigungen. Die Partei DIE LINKE. beschränkt sich in ihren wirtschaftsund sozialpolitischen Vorstellungen nicht auf eine Kritik an einzelnen Problemkreisen innerhalb der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, sondern fordert weitergehend die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln und weitreichende Beschränkungen des Privateigentums. Hierdurch wird die verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsgarantie in Frage gestellt. Die aktuelle Rückbesinnung auf Karl Marx und die Forderung nach Verankerung marxistischen Gedankenguts im Parteiprogramm weisen - vor dem Hintergrund der ideologischen Herkunft der Partei - darauf hin, dass eine sozialistische Staatsform angestrebt wird, die weit über den Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft hinausgeht. Daran hat auch der Zusammenschluss von der Linkspartei.PDS und der Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative (WASG) zur Partei DIE LINKE. im Juni 2007 nichts geändert. So betonte der damalige Parteivorsitzende Prof. Dr. Lothar Bisky anlässlich des Zusammenschlusses ausdrücklich: "Ja, wir diskutieren auch und immer noch die Veränderung der Eigentumsund Herrschaftsverhältnisse, ... Wir stellen die Systemfrage! ... Die, die aus der PDS kommen, aus der EX-SED und auch die neue Partei DIE LINKE - wir stellen die Systemfrage." Das im Oktober 2003 in Chemnitz verabschiedete und immer Chemnitzer noch gültige Parteiprogramm stellt fest, dass die Partei ein ZuParteiprogramm sammenschluss unterschiedlicher linker Kräfte sei, die - bei allen Meinungsverschiedenheiten - darin übereinstimmten, dass die Dominanz des privatkapitalistischen Eigentums überwunden werden müsse. Dieses Programm beschränkt sich in seiner ideologischen Zielsetzung für eine sozialistische Ordnung aber nicht nur auf die Eigentumsfrage. Es hält vielmehr am "Manifest der Festhalten am Kommunistischen Partei", der Lehre von Marx und Engels sowie "Manifest der an Rosa Luxemburg fest. Die Partei stellt sich ganz bewusst in Kommunistischen die Tradition der revolutionären kommunistischen ArbeiterbewePartei" gung und wendet sich "aus historischer Erfahrung" entschieden Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 188 Keine Distanzierung gegen jegliche Form von "Antikommunismus". Eine klare und vom DDR-Unrechtsdeutliche Distanzierung vom grundsätzlich demokratiefeindliregime chen und menschenverachtenden kommunistischen System, dessen Versuche einer Umsetzung weltweit mit Massenmord und Millionen Toten verbunden waren, findet nicht statt. Die Partei ist in großen Teilen auch weiterhin vom gescheiterten Sozialismusversuch der früheren DDR überzeugt. Der Unrechtsgehalt des SED-Regimes wird durch die Betonung "sozialer Errungenschaften der DDR" relativiert; es wird dabei hervorgehoben, dass der "Aufbau einer besseren Gesellschaftsordnung" für den Osten keiner "Entschuldigung" bedürfe und die "antifaschistisch-demokratischen Veränderungen im Osten Deutschlands und das spätere Bestreben, eine sozialistische Gesellschaft zu gestalten" in "berechtigtem Gegensatz zur Weiterführung des Kapitalismus in Westdeutschland" gestanden hätten. Auch die Verwendung marxistischer Kernbegriffe lässt erkennen, dass die Partei eine ideologische Nähe zum Marxismus-Leninismus sucht. Im Besonderen wird in den "Programmatischen Klassenkampf Eckpunkten" mehrfach Bezug auf die Klasse bzw. den "Klassenkampf" genommen. Das Eckpunktepapier aus dem Jahr 2007 als Vorläufer eines neuen Programms der Partei DIE LINKE. spiegelt wesentliche Zielund Leitvorstellungen der Partei wider. Dazu gehört das Prinzip des "strategischen Dreiecks", das sich zusammensetzt aus parlamentarischer Opposition und außerparlamentarischem Widerstand sowie "über den Kapitalismus hinausweisende Alternativen". Am 20. März wurde der "1. Entwurf für ein Programm der Partei DIE LINKE" vorgestellt. Die Partei DIE LINKE. betrachtet die Regelung des Grundgesetzes, nach der alle Macht vom Volk ausgeht und diese durch Wahlen ausgeübt wird, als ein systembedingtes Defizit und stellt damit das Prinzip der parlamentarischen repräsentativen Demokratie in Frage. Es werden Vorstellungen vertreten, wonach es eines Korrektivs des Parlamentarismus bedarf, der ungerechte und unsoziale Entscheidungen produziere. Demgemäß bekennt sich Außerparlamendie Partei zum außerparlamentarischen Kampf sowie zum Witarischer Kampf derstand gegen die "Herrschenden" und "gegebenen Verhältnisse". Diese Positionen kommen auch in den "Programmatischen Eckpunkten" und im neuen Programmentwurf teilweise zum Ausdruck. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 189 Die Beseitigung des Kapitalismus, die Überwindung des mit ihm Ziele der Partei verbundenen politischen Systems der Freiheit und der Demokratie im Sinn des Grundgesetzes sowie die Errichtung einer neuen "sozialistischen Gesellschaft" gehören zu den Zielen der Partei, die vor allem außerparlamentarisch erreicht werden müssten. Einige Mitglieder und Funktionäre der Partei sind in außerparlamentarische, auch extremistische Gruppen eingebunden. Repräsentanten der Partei reihen sich als Redner und Demonstranten in Veranstaltungen außerparlamentarischer Bewegungen ein und vertreten dort auch linksextremistisches Gedankengut. Die Partei DIE LINKE. distanziert sich offiziell von Gewalt als MitZusammenarbeit tel der Politik. Tatsächlich arbeitet sie seit Jahren punktuell, aber mit gewaltbereiten kontinuierlich mit gewaltbereiten Linksextremisten zusammen. Autonomen Wiederholt wurden autonome Aufzüge und Kundgebungen von Angehörigen der Partei DIE LINKE. angemeldet; auch als Versammlungsleiter traten diese Personen für die autonome Szene in Erscheinung. Daneben gibt es Aktionsbündnisse einzelner Vertreter oder Gliederungen der Partei mit gewaltbereiten Autonomen bei Kundgebungen und Demonstrationen. Die Partei sympathisiert seit Jahren mit der terroristischen ArbeiUnterstützung terpartei Kurdistans (PKK) und fordert in Deutschland wiederholt der PKK die Aufhebung aller Verbotsmaßnahmen gegen diese Partei und ihre Nachfolgestrukturen. Das demokratische Verständnis der universellen und unteilbaren Geltung der Grundund Menschenrechte stößt in der Partei DIE LINKE. nicht immer und uneingeschränkt auf Zustimmung. Verletzungen dieser Rechte in sozialistischen Staaten werden mitunter relativiert oder auch mit der besonderen Lage dieser Staaten in der globalisierten Welt des Kapitalismus begründet. Die Arbeitsgemeinschaft Cuba Si in der Partei bejaht den SoziaArbeitsgemeinlismus kubanischer Prägung und hebt dort eingeräumte soziale schaft Cuba Si Rechte hervor. Die Repräsentantin der Kommunistischen Plattform (KPF) in der Partei, Sahra Wagenknecht, bringt diese Einstellung zu den Menschenrechten klar zum Ausdruck, wenn sie sagt: "Ländern wie Kuba gehört unsere Solidarität. Die Menschenrechte dürfen nicht instrumentalisiert werden, um soziale Entwicklungen abzublocken." Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 190 Im Rahmen der so genannten internationalen Solidarität unterhält die Partei vielfältige Verbindungen und Kontakte zu ausländischen kommunistischen Parteien - so etwa in China, Italien und Griechenland - sowie zu anderen ausländischen Links - extremisten. Kommunistische Die Wahl von Sahra Wagenknecht zur stellvertretenden ParteiFührungskader vorsitzenden im Mai zeigt, dass die Partei auch in Zukunft nicht auf Kommunisten im Führungskader verzichten will. Als Vorstandsmitglieder wurden auch Christine Buchholz und Janine Wissler von der trotzkistischen Vereinigung marx21 sowie Stefanie Graf von DIE LINKE.SDS und Ben Brusniak von Linksjugend ['solid] gewählt. Die Partei DIE LINKE. hat sich in ihrer Geschichte mehrfach umbenannt. Ihre Wurzeln gehen auf die in der ehemaligen DDR herrSED schende Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) zurück, die sich nach der friedlichen Revolution von 1989 und dem Zusammenbruch der Diktatur nicht aufgelöst hat. Zahlreiche Mitglieder der Partei DIE LINKE. waren früher Mitglieder der ehemaligen Staatspartei, darunter auch Mitarbeiter des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). OrganisationsDie Bundespartei hat ihren Sitz in Berlin. Sie gliedert sich in Lanstrukturen des-, Kreisund Ortsverbände. Bundesweit verfügt sie über rund 75.500 Mitglieder (2009: 77.000). In Bayern gehören der Partei etwa 3.300 (2009: 3.200) - nach den Angaben des damaligen Schatzmeisters Ulrich Voß 2.400 - Mitglieder an. Als Jugendverband der Partei tritt die Organisation Linksjugend ['solid] auf, deren Mitgliederzahl in Bayern nahezu 800 Personen umfasst. Der Hochschulverband DIE LINKE. Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband (DIE LINKE.SDS) ist in Bayern in Augsburg, Bamberg, Eichstätt, Erlangen, Ingolstadt, München, Nürnberg, Passau, Regensburg und Würzburg aktiv. Innerparteiliche Plattformen, Arbeitsund Interessengemeinschaften sowie ähnGruppierungen liche innerparteiliche Zusammenschlüsse sind wesentlich für die Bündnisund Integrationspolitik der Partei. Sie wirken im Rahmen des Statuts in der Partei, können sich eigene Satzungen geben und ihre politischen Ziele in der Partei offen vertreten. Sie sind integrale Bestandteile der Partei. Die Partei DIE LINKE. muss Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 191 sich deshalb deren Tätigkeiten sowie die Äußerungen ihrer Mitglieder zurechnen lassen. Plattformen sind in der Regel Zusammenschlüsse mit gemeinsamer Ideologie, während Arbeitsund Interessengemeinschaften themenbezogen auf wichtigen Aktionsfeldern tätig werden. Von den zahlreichen innerparteilichen Gruppierungen hebt sich insbesondere die Kommunistische Plattform (KPF) der Partei DIE LINKE. ab. Bei der KPF handelt es sich um eine marxistisch-leninistische Organisation, die die DKP als natürliche Verbündete betrachtet. Weitere wichtige Zusammenschlüsse sind das orthodox-komMarxistisches munistisch ausgerichtete Marxistische Forum (MF) sowie das Forum (MF) Netzwerk marx21, das im September 2007 aus der bis dahin unabhängigen, trotzkistischen Organisation Linksruck-Netzwerk marx21 hervorging. 3.1.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Umfeld 3.1.2.1 DKP Deutschland Bayern Mitglieder 4.000 340 Vorsitzender Bettina Jürgensen Gründung 26.09.1968 Sitz Essen Nürnberg und München Publikationen Unsere Zeit (UZ); Rundbrief; Marxistische Blätter Auf Draht; DKP info; Rotes Echo Die DKP ist eine kommunistische Partei im klassischen Sinn. Sie bekennt sich zum Marxismus-Leninismus und hält weiterhin an ihrer seit Jahrzehnten gültigen ideologisch-politischen Orientierung sowie - laut Parteiprogramm von 2006 - am Ziel "Sozialismus/ Kommunismus" fest. In der Präambel des Parteiprogramms heißt es dazu: Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 192 "Die DKP als revolutionäre Partei der Arbeiterklasse ist hervorgegangen aus dem Kampf der deutschen Arbeiterbewegung gegen kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Militarismus und Krieg. Sie steht in der Tradition der revolutionären deutschen Sozialdemokratie und der Kommunistischen Partei Deutschlands. ... Fundament und politischer Kompass der Politik der DKP sind die von Marx, Engels und Lenin begründeten und von anderen Marxistinnen und Marxisten weitergeführten Erkenntnisse des wissenschaftlichen Sozialismus, der materialistischen Dialektik, des historischen Materialismus und der Politischen Ökonomie. Die DKP wendet diese Lehren des Marxismus auf die Bedingungen des Klassenkampfes in unserer Zeit an und trägt zu ihrer Weiterentwicklung bei. ... Ziel der DKP ist der Sozialismus/Kommunismus." OrganisationsDie bundesweit organisierte Partei mit Sitz in Essen war bis strukturen 1989/90 von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) abhängig. Ihr gehören - bei zunehmender Überalterung - rund 4.000 Mitglieder an. Dem Bundesverband sind Bezirksorganisationen nachgeordnet, die weiter in Kreisund Grundorganisationen oder auch Betriebsgruppen untergliedert sind. In Bayern bestehen zwei Bezirksorganisationen (Nordund Südbayern) sowie 14 Kreisverbände. In ihrer aktionsund themenorientierten Bündnisarbeit sieht die Partei vor Ort die Chance, kommunistische Vorstellungen auch in Teile der demokratischen Gesellschaft zu transportieren. Aktivisten der DKP engagieren sich daher auch im Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus. Schwerpunkte der Agitation der DKP waren der "Sozialabbau" und der "Antimilitarismus". Die DKP zielte ferner darauf ab, durch aktive Mitarbeit maßgeblichen Einfluss auf andere Organisationen - wie die VVN-BdA und die SDAJ - auszuüben. Mit der Wahl eines neuen Parteivorstands am 9. und 10. Oktober hat sich die Parteiführung deutlich verjüngt. Als Stellvertreter der neuen Vorsitzenden Bettina Jürgensen wurden Nina Hager, Patrik Köbele und Leo Mayer (Bayern) gewählt. Unter den weiteren 34 Mitgliedern des Parteivorstands sind Isa Paape und August Ballin aus Bayern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 193 3.1.2.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Deutschland Bayern Mitglieder 300 110 Vorsitzende(r) Kollektiver Bundesvorstand mit 29 Personen Gründung 04./05.05.1968 Sitz Essen Publikationen POSITION KONTRA! Die SDAJ hält an ihrer marxistisch-leninistischen Ausrichtung fest. In einer Selbstdarstellung als "bundesweite Organisation von Jugendlichen, die sich mit den Zuständen in Schulen, Betrieben, in dieser Republik und der 'Neuen Weltordnung' nicht abfinden" will, heißt es dazu: "Alle unsere Forderungen richten sich gegen die Herrschenden in dieser Gesellschaft, gegen die Kapitalisten. Verwirklichen können wir sie nur in einer Gesellschaft ohne Kapitalisten - im Sozialismus." Die SDAJ hat ihren Sitz in Essen. In Bayern gehören etwa 110 Personen dem Verband an. Die SDAJ Bayern ist Herausgeber der Jugendzeitung KONTRA!. Der 19. Bundeskongress fand am 14. und 15. März 2009 in Hannover statt. Hier wurden die Pläne für die nächsten zwei Jahre beschlossen. Im Mittelpunkt der Tagung standen das Thema "Bildungsstreik" unter der Losung "Rettet die Bildung - nicht die Banken und Konzerne!" sowie die Verabschiedung einer Kampagne gegen die Bundeswehr. In Bayern wurde versucht, die ideologische Ausrichtung der Beeinflussung SDAJ durch die aktive Beteiligung am "Bildungsstreik 2010", demokratisch bei Propagandaaktionen gegen die Bundeswehr im Rahmen der geprägter Kampagne "Bundeswehrfreie Zone" sowie bei der Anti-Atom DeBündnisse monstration am 9. Oktober in München umzusetzen. Die kommunistische Jugendvereinigung wie auch die DKP sind nach wie vor bestrebt, in breiten Bündnissen mit demokratischen Gruppen und Akteuren Einfluss zu gewinnen. Dementsprechend engagierten sich Angehörige der SDAJ auch im Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz in München. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 194 Kerem Schamberger (Sprecher der SDAJ Ortsgruppe München) nimmt inzwischen auch eine wichtige Rolle in der Münchner DKP ein, unter anderem als Delegierter auf dem Parteitag der DKP. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 195 3.1.2.3 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Deutschland Bayern Mitglieder 6.000 700 Vorsitzende Prof. Dr. Heinrich Fink; Cornelia Kerth Gründung 15.-17.03.1947 Sitz Berlin (Bundesgeschäftsstelle) Publikationen antifa In der VVN-BdA wird nach wie vor ein kommunistisch orientierter Antifaschismus verfolgt. Dabei dient diese Form des Antifaschismus nicht nur dem Kampf gegen Rechtsextremismus; vielmehr werden alle nicht-marxistischen Systeme - also auch die parlamentarische Demokratie - als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt. Die VVN-BdA ist die bundesweit größte linksextremistisch beeinZahlenmäßig flusste Organisation des Antifaschismus. Auch im Landesverband stärkste OrganiBayern ist der Einfluss von Linksextremisten, insbesondere aus sation im Spektrum der DKP, maßgeblich. Über den bayerischen Landessprecher des Antifaschismus der VVN-BdA, Ernst Grube, beispielsweise sind Verbindungen zur DKP und zu autonomen Gruppen bekannt. Ulrich Sander, VVN-BdA-Bundessprecher, ist DKP-Mitglied und wiederholt im Umfeld von VVN-BdA-Aktionen in Bayern in Erscheinung getreten. Zur Partei DIE LINKE. bestehen ebenfalls Kontakte. Die VVN-BdA arbeitet mit offen linksextremistischen Kräften zusammen. So dokumentierte sie beispielsweise in ihrer Verbandszeitung "antifa" den Schulterschluss mit gewaltorientierten autonomen Gruppen anlässlich gemeinsamer Protestaktionen gegen Rechtsextremisten im Februar in Dresden. Der VVN-BdA-Vorsitzende Prof. Dr. Heinrich Fink (früher "informeller Mitarbeiter" des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), Mitglied der SED und PDS-Bundestagsabgeordneter, heute Aktivist Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 196 in der Partei DIE LINKE.) äußerte sich zur Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Autonomen im Januar mit den Worten: "Natürlich ist es richtig, daß es Unterschiede zwischen Mitgliedern unserer Organisation und beispielsweise autonomen Antifagruppen gibt, in denen sich viele junge Menschen engagieren. Ich glaube aber, daß das Trennende keineswegs überwiegt, und bin immer froh, wenn es zu breiten Bündnissen gegen Neonazis kommt. ... Unser Anliegen als VVN-BdA war immer, eine breite Bündnispolitik zu betreiben, die jedoch natürlich nicht auf Kosten unserer Inhalte gehen darf." Schwerpunkte der Agitation der VVN-BdA sind (Neo)faschimus, Antisemitismus, Rassismus und Sozialabbau. Heinrich Fink lieferte am 13. August 2009 in einem Grußwort für die Kampagne "Klassenkampf statt Wahlkampf" Belege Verfassungsfeindfür die staatsund verfassungsfeindliche Grundposition seines liche Grundposition Verbands: "Ich unterstütze die Aktion 'Klassenkampf statt Wahlkampf - Gegen den Notstand der Republik', weil sie in dieser gesellschaftlichen Krisensituation hierzulande sehr notwendig ist. Weil sie nämlich aufklärt über eine Situation, die davon gekennzeichnet ist, daß die faschistische Gefahr zunimmt durch Demokratieabbau und Umbau des Staatsapparats. Dazu kommt noch, daß die Militarisierung mittlerweile alle Bereiche der Gesellschaft erfaßt hat von den Schulen über die Arbeitsämter bis hin zu den Rathäusern, bis hin zur Übung des Bundeswehreinsatzes gegen streikende Arbeiter. Dem Einhalt zu gebieten ist nur über Altersund Organisationsgrenzen hinweg möglich. Diese Aktion leistet einen Beitrag dafür, und ich wünsche ihr einen guten Verlauf!" Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 197 3.1.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Deutschland Bayern Mitglieder 2.300 100 Vorsitzende(r) Stefan Engel Gründung 1982 Sitz Gelsenkirchen München, Nürnberg Publikationen Rote Fahne (Zentralorgan); REVOLUTIONÄRER WEG (Theorieorgan); REBELL (Jugendmagazin); Galileo - streitbare Wissenschaft (Zeitung der MLPD-Hochschulgruppen) Die MLPD ist eine klassische kommunistische Kaderpartei, die Sozialismus im Sinn des Stalinismus und des Maoismus anstrebt. Ihr grundlegendes Ziel ist "der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft." Im linksextremistischen Spektrum ist die MLPD aufgrund ihres sektiererischen Agierens isoliert. Die zentralistisch geführte MLPD hat ihre Zentrale und ihren Aktionsschwerpunkt in Nordrhein-Westfalen. Dem Leitungsgremium - dem Zentralkomitee (ZK) - gehören 16 Parteimitglieder an. Die MLPD ist finanziell unabhängig; sie finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge und freiwillige Spenden. Mit dem auf ihre Initiative hin tätigen Frauenverband CouraKinderund ge e.V. betreibt die MLPD Frauenund Familienarbeit. Ebenso ist Jugenddie MLPD mit altersgerechten Freizeitangeboten ihrer Jugendororganisationen ganisation REBELL sowie ihrer Kinderorganisation ROTFÜCHSE in der Jugendarbeit aktiv. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 198 3.1.4 Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus In dem linksextremistisch beeinflussten "Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus" sind sowohl demokratische als auch linksextremistische Parteien und Gruppierungen wie die Partei DIE LINKE., die DKP, die SDAJ, der Revolutionär Sozialistische Bund (RSB), die MLPD sowie Autonome aktiv vertreten. Das Bündnis tritt als Träger oder Unterstützer einer Vielzahl von Aktivitäten wie Demonstrationen, Mahnwachen und Informationsveranstaltungen auf. Es dominiert das Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz, das die Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz koordiniert. Das Themenund Aktionsfeld "Antimilitarismus" ermöglicht dabei einen Brückenschlag zu demokratischen Organisationen und Personen. Die linksextremistische Dominanz wird an der Akzeptanz von Gewalt als Mittel der Politik deutlich. In einer Einschätzung aus dem Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz vom 21. Mai 2009 heißt es zur "Gewaltdebatte": "In der Mehrheit hat sich das Plenum dafür ausgesprochen, dass politisch zielgerichtete Militanz, beispielweise als Gegenwehr gegen Angriffe der Polizei oder gegen staatliche Willkür etwa bei massiver Einschränkung demokratischer Grundrechte, eine durchaus zu akzeptierende Aktionsform ist. Nur wenige fordern totale Gewaltfreiheit." Maßgebliche Aktivisten des Münchner Bündnisses gegen Krieg und Rassismus sind Claus Schreer und Walter Listl, die auch gleichzeitig Angehörige der Münchner DKP sind. Der DKP gelingt es dadurch, ihre kommunistische Bündnisstrategie innerhalb dieses Bündnisses zu verwirklichen. 3.1.5 Sonstige linksextremistische bzw. linksextremistisch beeinflusste Organisationen Marxistische Gruppe (MG) Die MG besteht trotz ihres bislang nicht widerrufenen Auflösungsbeschlusses vom Mai 1991 bundesweit mit rund 10.000 Anhängern fort. In Bayern verfügt die MG über etwa 500 aktive Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 199 Anhänger. Die an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen aktive Sozialistische Gruppe ist ebenfalls der MG zuzurechnen. Neben internen Mitgliederschulungen trat die MG öffentlich mit marxismustheoretischen GEGENSTANDPUNKT-Veranstaltungen in München, Nürnberg, Augsburg und Regensburg in Erscheinung. Die Bezeichnung dieser Veranstaltungen geht auf die seit 1992 von führenden MG-Funktionären herausgegebene Zeitschrift GEGENSTANDPUNKT zurück. Sozialistische Alternative (SAV) Die SAV bekennt sich im Rahmen ihres orthodox-kommunistischen Gedankenguts zu den Lehren Leo Trotzkis. Im Statut legt sie ihre Ziele dar: "Die SAV ist eine revolutionäre, sozialistische Organisation, die sich in den Traditionen der Ideen von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Luxemburg und Liebknecht versteht. Das Ziel der SAV ist die Abschaffung des kapitalistischen Wirtschaftssystems und der Aufbau einer sozialistischen Demokratie auf der Grundlage der Überführung der Produktionsmittel in Gemeineigentum und einer demokratisch geplanten Wirtschaft, in Deutschland wie international." Die SAV gliedert sich in Bundesleitung, Regionalund Stadtverbände sowie Ortsgruppen. Sie verfügt bundesweit über rund 400 Mitglieder - darunter etwa 20 in Bayern - und ist international im trotzkistischen Dachverband Committee for a Workers' International (CWI) organisiert. Im Rahmen des so genannten Entrismus engagieren sich Funktionäre und Aktivisten insbesondere auch in der Partei DIE LINKE.; in Bayern gibt es im geschäftsführenden Landesvorstand der Partei DIE LINKE. Sympathien für die SAV. Seit April 2010 enthält die Solidarität, die Sozialistische Zeitung der SAV, die zweimonatlich erscheinende Jugendbeilage "megafon", mit der junge Menschen für die SAV interessiert und für die Mitarbeit gewonnen werden sollen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 200 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) RevolutionärDer Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD ist eine revomarxistisch lutionär-marxistische Organisation, die sich auf den MarxismusLeninismus, die Ideen Stalins und Mao Tse-tungs beruft. Ziel des Arbeiterbunds ist die Beseitigung der herrschenden Ausbeuterklasse und die Errichtung einer Diktatur des Proletariats, um den Kommunismus in einer klassenlosen Gesellschaft zu verwirklichen. Als "proletarische Speerspitze" der Arbeiterklasse kommt es dem AB darauf an, Einfluss in Gewerkschaften zu erlangen. Er verfügt über Gruppen und Stützpunkte in Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg. Sitz ist München. Revolutionär-Sozialistischer Bund - Sektion der IV. Internationale in Deutschland (RSB) Die Organisation wurde im Oktober 1994 von Mitgliedern trotzkistischer Gruppierungen gegründet. Der RSB hat es sich zur Aufgabe gemacht, in der Linken und in der Arbeiterbewegung das Klassenbewusstsein zu entwickeln und zu fördern und zum Aufbau der Kommunistischen Partei in Deutschland beizutragen. Ziel des RSB ist der Sturz des Kapitalismus und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft. Der Schwerpunkt seiner Aktivitäten liegt nach eigenen Angaben im "außerparlamentarischen Kampf". Solidarität International (SI) Der Verein Solidarität International (SI) wurde 1996 von der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) gegründet und versteht sich selbst als international agierende Solidaritätsund Hilfsorganisation. Programmatik und Wortwahl der Vereinigung erinnern bis heute an die Diktion der MLPD, die im weltweit agierenden Kapital bzw. Kapitalismus den Hauptfeind der Ortsgruppe Menschheit erkennt. Die SI gibt eine gleichnamige InformationsNürnberg-Erlangenschrift heraus. In Bayern besteht eine Ortsgruppe für NürnbergFürth Erlangen-Fürth, die auch unter dem Namen "Franken" agiert. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 201 . 3.2 Autonome Gruppierungen Autonome haben kein einheitliches ideologisches Konzept, sie Gruppenbildung folgen vielmehr anarchistischen Vorstellungen. Einzelne Grupüber Aktionspierungen bilden sich meist über Aktionsthemen wie z. B. Antithemen faschismus und Antimilitarismus. Einig sind sich die Autonomen in ihrem Ziel der gewaltsamen Zerschlagung des Staates und seiner Einrichtungen sowie der Errichtung einer "herrschaftsfreien Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 202 Gesellschaft". Zur Szene der Autonomen zählen bundesweit rund 6.200 Personen, in Bayern etwa 650. Durch ihre Gewalttaten bedrohen sie die Innere Sicherheit. Organisierte Autonomie (OA) Die OA bringt in ihrer Selbstdarstellung zum Ausdruck, dass sie für eine freie, kommunistische, klassenlose und herrschaftsfreie Gesellschaft ohne Staat eintritt. Als Zusammenschluss eigenständiger autonomer Gruppen tritt sie seit 1993 in Erscheinung. Die OA versteht sich als ein offenes Projekt, das sich in Arbeitsgruppen verschiedener Schwerpunktthemen annimmt. Dabei spiegelt der Name den Widerspruch zwischen jeglicher Ablehnung von Strukturen einerseits und dem erforderlichen Mindestmaß an Organisation zur Zielerreichung andererseits wider. Im Nürnberger Stadtteil Gostenhof befinden sich Treffund Veranstaltungsmöglichkeiten, die von Linksextremisten genutzt werden, z. B. das "Metroproletan, Archiv & Bibliothek". In diesem Stadtteil führt die OA auch ihre jährlich wiederkehrende "Revolutionäre 1. Mai-Demonstration" und das im Anschluss stattfindende "Internationalistisches Straßenfest" durch. Antifaschistische Linke Fürth (ALF) Das von ALF propagierte Antifaschismusverständnis zielt auf die Überwindung des bestehenden Systems als Ursache faschistischer Erscheinungsformen ab. Der Anstoß für die Gründung war im Jahre 2005 die Gründung eines NPD-Kreisverbands in Fürth und die dabei angekündigte Planung eines "Nationalen Zentrums" von Rechtsextremisten. Außer im Kampf gegen Faschismus setzt sich ALF auch gegen Rassismus ein und will Widerstand gegen die als ungerecht empfundene Sozialpolitik leisten. Mitwirkung in Anlassbezogen wirkt ALF teilweise auch in regionalen nicht-exnicht-extremistremistischen Bündnissen mit, z. B. im Bündnis für ein gerechtischen tes Bildungssystem oder im Jahr 2007 im "Aktionsbündnis geBündnissen gen G8-Gipfel". Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 203 Antifa-NT Die Gruppe Antifa-NT - auch "Antifant" genannt - vertritt einen autonomen Antifaschismus, der darauf abzielt, die bestehende Gesellschaftsordnung durch eine klassenlose Gesellschaftsform zu ersetzen. Seit dem Jahr 2006 tritt sie in München als eine der aktivsten Antifa-Gruppen in Erscheinung. Sie ist in der Lage, einen breiten Unterstützerkreis für Demonstrationen zu mobilisieren. Wie im Vorjahr gelang es auch 2010 - unter deutlicher Mitwirkung von Antifa-NT - am 13. November einen "Antifa-Actionday" mit einem Demonstrationszug gegen einen rechtsextremistischen "Heldengedenktag" zu organisieren, an dem bis zu 750 Personen teilnahmen. Mit Hilfe des Internets und einem Infotelefon gelang es den Autonomen, sich fortwährend über aktuelle Entwicklungen zu informieren. Beispielsweise wurde über einen so genannten Ticker Folgendes mitgeteilt: "Achtung, Bullen kontrollieren massiv um den Auftaktkundgebungsplatz". So lässt sich erklären, dass an der Auftaktkundgebung der "AntifaAction"-Demonstration lediglich 200 der später 400 gezählten, dem "Schwarzen Block" zuzurechnenden Personen festgestellt wurden. Forum Autonomer Umtriebe Landshut (F.A.U.L.) Die Gruppierung F.A.U.L. zielt politisch auf die Bekämpfung bzw. Abschaffung der Bundesrepublik Deutschland. Das Forum Autonomer Umtriebe Landshut (F.A.U.L.) wurde 2003 gegründet. Wie bei vielen autonomen Gruppen geht auch F.A.U.L. Bündnisse mit anderen Gruppen ein. F.A.U.L. mobilisierte beispielsweise auf ihrer Homepage zur Teilnahme an einer Demonstration am 3. Oktober in Bremen gegen die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 204 4. Übersicht über erwähnenswerte linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation Mitglieder Ende 2010 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum (einschließlich Erscheiund Sitz) Bayern Deutschland nungsweise und Auflage) 1. Organisierte linksextremistische Parteien und Gruppierungen Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 340 4.000 Unsere Zeit (UZ) 18 Bezirksorganisationen, aufgeteilt wöchentlich, 6.000 in Kreisund Grundorganisationen Marxistische Blätter sowie Betriebsgruppen, zweimonatlich, 2.500 26.09.1968, Essen Rundbrief monatlich DIE LINKE. 75.500 Neues Deutschland (ND) 16 Landesverbände mit Kreisver- - parteinahe Zeitung bänden und Basisorganisationen, werktäglich, 41.824 Berlin DISPUT monatlich, 11.000 UTOPIE-kreativDiskussion sozialistischer Alternativen monatlich, 800 Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE. monatlich, 1.500 marx21 - Magazin für internationalen Sozialismus DIE LINKE. Bayern mit 45 Kreisverbänden 3.300* 11.09.1990, München Arbeiterbund für den Wiederaufbau 100 130 Kommunistische der KPD (AB) Arbeiterzeitung (KAZ) 1973, München vierteljährlich Marxistisch-Leninistische 100 2.300 Rote Fahne Partei Deutschlands (MLPD) wöchentlich, 7.500 7 Landesverbände, über 100 REVOLUTIONÄRER WEG Ortsgruppen und Stützpunkte, unregelmäßig 1982, Gelsenkirchen Marxistische Gruppe (MG) München 500 10.000 GEGENSTANDPUNKT 1969/70 AK Rote Zellen, München (Aktive) Herausgeber: Funktionäre ("aufgelöst" zum 01.06.1991) der MG vierteljährlich, 7.000 Revolutionär Sozialistischer Bund (RSB) 10 70 Avanti (Zeitschrift) 15./16. Oktober 1994, Mannheim * nach den maßgeblichen Zahlen des Bundes bzw. 2.400 nach den Angaben des damaligen Schatzmeisters Ulrich Voß Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Linksextremismus 205 Organisation Mitglieder Ende 2010 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum (einschließlich Erscheiund Sitz) Bayern Deutschland nungsweise und Auflage) Solidarität International (SI) e.V. 40 1.000 Solidarität International 24./25. Februar 1996, Duisburg Infoschrift, vierteljährlich Sozialistische Alternative (SAV) 20 400 Solidarität - Sozialistische 7. Mai 1994, Berlin Zeitung monatlich Nebenorganisation: Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend 110 300 POSITION (SDAJ) Landesverbände, Kreisverbände und zweimonatlich, 1.500 Ortsgruppen, KONTRA! 04./05.05.1968, Essen unregelmäßig, 4.000 Nebenorganisationen der MLPD: Jugendverband REBELL 20 150 REBELL zweimonatlich MLPD-Hochschulgruppen Galileo - streitbare Wissenschaft Beeinflusste Organisationen: DKP-beeinflusst: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes 700 6.000 antifa - Bund der Antifaschistinnen und Antizweimonatlich, 8.000 faschis ten (VVN-BdA) Landesvereinigungen mit Kreisund Ortsvereinigungen, 15.-17.03.1947, Berlin 2. Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten Autonome etwa 650 etwa 6.200 zum Teil erscheinen unregelmäßig Szene-Blätter wie: radikal, INTERIM, BAHAMAS; auf regionaler Ebene u. a. barricada 3. Sonstige Linksextremisten 4. Von mehreren Strömungen des Linksextremismus beeinflusst Münchner Bündnis gegen Krieg und 30 Rassismus München Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 207 6. Abschnitt ScientologyOrganisation (SO) Die SO ist ein internationaler Wirtschaftskonzern, der nicht nur nach Gewinnmaximierung strebt, sondern auch ein weltweites Herrschaftssystem nach eigenen Vorstellungen errichten will. An die Stelle des Demokratieprinzips und der Grundrechte soll ein auf Psycho-Technologien und der bedingungslosen Unterordnung des Einzelnen beruhendes totalitäres Herrschaftssystem treten. 1. Verfassungsfeindliche Bestrebungen der SO Die SO ist nicht nur eine Gefahr für Einzelne, die in die Fänge der Organisation zu geraten drohen, sondern stellt das politische System der Bundesrepublik Deutschland in Frage. Schon in seinem Grundlagenwerk Dianetik aus dem Jahr 1959 wies der Gründer der SO, L. Ron Hubbard, auf die politische Relevanz seiner Lehre hin. Nach seinen bis heute für alle Scientologen verbindlichen Vorstellungen soll eine ausschließlich nach scientologischen Scientologische Richtlinien funktionierende Welt geschaffen werden. Mit harten Richtlinien psychound sozialtechnischen Maßnahmen will die Organisation nicht nur den einzelnen Menschen steuern, sondern durch Einflussnahme auf Staat, Politik und Wirtschaft in die Gesellschaft eindringen und sie ihren Zielen unterwerfen. Die Mission Clear Planet beschreibt das Ziel, alle nach Auffassung von SO "geistig gestörten" ("aberrierten") Menschen zu befreien. Programmatik und Aktivitäten der SO sind mit Grundprinzipien unVerfassungsfeindserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. liche Bestrebungen Eine Reihe von Hinweisen deutet darauf hin, dass die Ideologie Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Scientology-Organisation 208 der SO auch in aggressiv-kämpferischer Weise umgesetzt werden soll. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat mit Urteil vom 12. Februar 2008 festgestellt, dass - tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die SO Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, - zahlreiche Hinweise ergeben, dass die SO eine Gesellschaftsordnung anstrebt, in der zentrale Verfassungswerte außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden, - der Verfassungsschutz die Organisation daher - auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln - beobachten darf. Die Organisation - will ein scientologisches Rechtssystem etablieren, in dem es keine Menschenund Grundrechte gibt, - missachtet die Menschenwürde (Art. 1 GG) und den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG), da sie nur Scientologen Rechte zugesteht, - missachtet das Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG), da sie Kritik mit allen - auch illegalen - Mitteln unterdrücken will, - baut auf ein totalitäres Herrschaftssystem, das Gewalt und Willkürherrschaft einschließt. 2. Geschichte und Ideologie Die SO wurde von dem amerikanischen Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard (1911 bis 1986) gegründet. Hubbard begann seinen Feldzug der Indoktrinierung 1950 in den USA mit der Veröffentlichung des Buches "Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit" und stellte darin seine Technologie zur "Heilung psychosomatischer Krankheiten und geistiger Störungen" vor. In den folgenden Jahren wurden so genannte DianetikZentren eingerichtet und schließlich die SO gegründet und aufgebaut. Die 1952 gegründete Hubbard Association of Scientologists Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Scientology-Organisation 209 International (HASI) erhob noch nicht den Anspruch, eine Kirche zu sein. Nachdem Hubbard jedoch wirtschaftliche und steuerliche Vorteile erkannt hatte, betrieb er ab 1954 die Umwandlung seiner Organisation in eine "Kirche". Seitdem will die SO den Eindruck einer harmlosen Religionsgemeinschaft erwecken. Der ideologische Überbau der SO beruht auf drei Säulen: der Dianetik (SO-Methodik zur Auffindung und Beseitigung angeblicher traumatischer Erlebnisse), der Lehre Scientology (die sich zusätzlich an einen Thetan, ein angenommenes Geistwesen des Die "drei Säulen" Menschen, richtet) und der scientologischen Ethik (Disziplinieder SO rungstechnologie für Mitglieder, Mitarbeiter und die gesamte Gesellschaft). 3. Die totalitäre Organisationslehre der SO Hubbard schuf eine totalitäre Organisationslehre, um Menschen zu "befreien". Alle Nicht-Scientologen gelten als "aberriert" ("geistig gestört"), solange sie nicht durch das scientologische Verfahren (Dianetik) zu Clears (geklärt) werden. Das be"Clears" freite Geistwesen soll über die Brücke zur völligen Freiheit zum scientologischen Übermenschen, zum Operierenden Thetan (OT) werden (Lehre Scientology). Dazu wendet die Organisation einer Gehirnwäsche vergleichbare Psycho-Techniken wie Auditing und andere Methoden wie den Reinigungsrundown an. Personen, die sich diesen Verfahren aussetzen, verändern ihre Persönlichkeit erheblich. Sie werden im Kurssystem der Organisation gefangen und entwickeln ein suchtähnliches Verlangen nach weiteren Kursen mit Kosten bis zu mehreren hunderttausend Euro. Am Ende steht aber oft nicht nur der finanzielle Ruin, sondern auch eine lückenlose Kontrolle durch die SO. Scientologen werden darauf programmiert, wie eine Maschine zu funktionieren. Soziale und berufliche Bindungen werden oft zerstört. Das macht deutlich, dass es der SO nicht um seelischen Zuspruch oder um uneigennützige Lebenshilfe, sondern darum geht, ein steuerbares Produktionselement im System der Organisation zu schaffen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Scientology-Organisation 210 Tarnung als Das Bundesarbeitsgericht hat bereits mit seinem Beschluss vom "Kirche" 22. März 1995 festgestellt, dass das Auftreten der Organisation als "Kirche" nur als Vorwand dient, um wirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Die dabei angewendeten Praktiken seien "menschenverachtend" und "gesundheitsgefährdend". Andere deutsche Gerichte haben die Frage, ob die SO eine Religionsgemeinschaft ist, regelmäßig offen gelassen, weil es für ihre Entscheidungen nicht darauf ankam. Nach deutschem Religionsverfassungsrecht muss sich eine Organisation im Schwerpunkt mit religiösen oder weltanschaulichen Fragen befassen. Überwiegen dagegen kommerzielle Interessen oder wendet eine Organisation bloße geistige oder psychologische Techniken an - was bei der SO aus Sicht der Bayerischen Staatsregierung und der Bundesregierung der Fall ist -, kann sich die Organisation nicht auf die Grundrechte der Religionsfreiheit nach Art. 4 und Art. 140 des Grundgesetzes berufen. Die von der SO hochstilisierte Frage der Religionseigenschaft ist letztlich für die Auseinandersetzung mit ihr nicht entscheidend. Denn auch Religionsgemeinschaften haben sich im freien demokratischen Staat an Recht und Gesetz zu halten und die demokratische Grundordnung zu respektieren. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Scientology-Organisation 211 4. Organisationsstruktur International Deutschland Bayern Mitglieder etwa 130.000* 4.500 - 5.000 etwa 1.400 Vorsitzender David Miscavige Helmut Blöbaum Nina Malessa Gründung Los Angeles 1952 München 1972 Nürnberg 1982 (Church of (Scientology (Scientology Scientology InterKirche Kirche Bayern national - CSI -) Deutschland e.V.) e.V.) Sitz Los Angeles, USA München München (in Deutschland unselbständige Teilorganisationen) Publikationen Freiheit; Impact; Ursprung; Source u. a. * geschätzte bzw. hochgerechnete Zahlenangabe Die SO ist wie ein internationaler Wirtschaftskonzern organiInternationaler siert. Alle Einrichtungen unterliegen trotz scheinbarer SelbstänWirtschaftskonzern digkeit der strikten Befehlsund Disziplinargewalt des obersten Managements in Los Angeles/USA. Die oberste Befehlsgewalt in der SO übt das Religious Technology Center (RTC) unter der LeiBefehlszentrale RTC tung von Hubbard-Nachfolger David Miscavige aus. Kern ist der Church-Bereich, der in "Kirchen" (u. a. eine in München), Missionen (u. a. in München) und Celebrity Centres (u. a. eines in München) gegliedert ist. Dachverband ist in Deutschland die "Scientology Kirche Deutschland e.V." (SKD), in Bayern tritt Scientology auch die "Scientology Kirche Bayern e.V." (SKB) auf. Beide haben Kirche Bayern e.V. ihren Sitz in München. Das World Institute of Scientology Enterprises (WISE) ist ein ZuWISE sammenschluss von Unternehmen, die zur SO zählen und nach deren Methoden arbeiten. WISE soll die Wirtschaft unterwandern und Geld beschaffen. WISE-Unternehmen sind vor allem in der Immobilienbranche sowie in der Unternehmensund Personalberatung aktiv. Darüber hinaus versucht die SO, Einfluss auf die IT-Branche zu gewinnen, die Zugang zu sensibelsten Unternehmensbereichen eröffnen kann. Durch die Association for Better Living and Education (ABLE) verABLE sucht die SO, im sozialen Bereich Fuß zu fassen. Zu ABLE gehören u. a. die vermeintliche Hilfsorganisation für Drogenabhängige Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Scientology-Organisation 212 NARCONON und das Ausbildungsprogramm Applied Scholastics. Aus Sicht der Organisation sind Betroffene hier leichter zu beeinflussen und für die Lehren der SO empfänglicher. Mit der Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte (KVPM) greift die SO die Psychiatrie an. Die Kritik richtet sich sowohl gegen die Psychiatrie im Allgemeinen als auch gegen einzelne psychiatrische Kliniken und deren ärztliche Leiter. Ihre Initiative Jugend für Menschenrechte soll Jugendliche gewinnen. Geheimdienst Innerhalb der hierarchischen Struktur gibt es zahlreiche Überwader SO chungseinrichtungen und einen eigenen Geheimdienst, das Office of Special Affairs (OSA). Die OSA-Einheit für Deutschland (Department of Special Affairs - DSA) ist bei der "Scientology Kirche Deutschland e.V." angesiedelt. Es sollen Informationen über Kritiker, Behördenangehörige und andere Gegner gesammelt, ausgewertet und als Druckmittel verwendet werden. Hubbard sah in der OSA u. a. das Ziel "... Behörden und ... Denkmodelle oder Gesellschaften in einen Zustand völliger Übereinstimmung mit den Zielen der SO zu bringen. ... Dies geschieht durch die hochrangige Fähigkeit zur Steuerung und - falls sie nicht gegeben ist - durch die weiter unten angesiedelte Fähigkeit zur Überwältigung." (Hubbard-Anweisung vom 15. August 1960) Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Scientology-Organisation 213 5. Aktuelle Entwicklungen/Ausblick Die Mitgliederzahl der SO geht weiter zurück. Die Eröffnung einer weiteren "Idealen Org" in Deutschland scheitert weiterhin an fehlenden finanziellen Mitteln. Die SO nutzt verstärkt soziale Netzwerke im Internet, um für sich zu werben. 5.1 Ideale Org-Kampagne Im Rahmen der Idealen Org-Kampagne will die SO weltweit in Städten, die sie für sich als politisch und wirtschaftlich bedeutsam einschätzt, große und repräsentative Niederlassungen (Ideale Orgs) aufbauen bzw. bereits bestehende vergrößern. Diese Idealen Orgs sollen nachhaltig Einfluss auf politische Kreise nehmen. Sie sind ein wichtiger Bestandteil des weltweiten Expansionsanspruchs der SO. Die bislang einzige Ideale Org in Deutschland war im Januar 2007 in Berlin eröffnet worden. Zwar hat die SO im Jahr 2010 weltweit mehrere Ideale Orgs eröffnet. In Deutschland ist der Aufbau einer weiteren Idealen Org in München, Hamburg oder Stuttgart bislang jedoch an fehlenden finanziellen Mitteln gescheitert. In München hat die SO in den letzten beiden Jahren verschiedene Veranstaltungen zum Thema Ideale Org durchgeführt, um einerseits die eigenen Mitarbeiter für die Kampagne zu motivieren und andererseits Spenden für die Finanzierung eines Gebäudekaufs zu sammeln. Ähnlich wie in Stuttgart ist es jedoch auch für München unwahrscheinlich, dass der für den Kauf benötigte Geldbetrag allein durch Spenden aufgebracht werden kann, da die Mitgliederzahl der SO in Bayern Rückgang der rückläufig ist. Sollte es dennoch zur Eröffnung einer Idealen Org Mitgliederzahl in München kommen, wäre dies für die SO in erster Linie nur ein Signal an die eigenen Mitglieder, dass die SO an ihrem Expansionsanspruch festhalten will. Ob dies auch den im Jahr 2010 festzustellenden Bedeutungsverlust der SO, der sich auch im Rückgang der Mitgliederzahl in Bayern bemerkbar macht, ausgleichen könnte, ist zweifelhaft. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Scientology-Organisation 214 5.2 KVPM-Kampagne gegen die Psychiatrie in München Die 1972 von Scientologen gegründete Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte (KVPM) sieht ihre Aufgabe darin, angebliche Missbräuche und Menschenrechtsverletzungen der Psychiatrie anzuprangern. Durch Flugblattaktionen, Demonstrationen oder im Internet diffamiert sie die Psychiatrie, ihre Behandlungsmethoden sowie einzelne psychiatrische Einrichtungen. Vom 22. Februar bis 23. März zeigte die KVPM in München die Wanderausstellung "Psychiatrie: Tod statt Hilfe". Anlass war ein wissenschaftlicher Psychiatriekongress am 27. Februar in München. Obwohl die Ausstellung mit Infoständen und Flugblattverteilungen in der Münchner Innenstadt beworben wurde, war wenig Resonanz bei der Bevölkerung festzustellen. Gleichzeitig fand eine Demonstration gegen den Leiter der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität in München statt, die ebenfalls nur wenig Beachtung fand. Die Angriffe der SO gegen die Psychiatrie sind im Alleinvertretungsanspruch der SO begründet, den einzig wahren Weg zur Heilung von psychischen Krankheiten und geistigen Störungen zu kennen. Hintergrund der gezielten Angriffe gegen die Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität ist wohl, dass die Psychiatrische Klinik vor einigen Jahren vom Innenministerium beauftragt worden war, ein Gutachten über die Methoden der SO zu erstellen. Seitdem scheint die SO die Klinik und ihre jeweiligen Leiter als Gegner zu betrachten. 5.3 Kontaktaufnahmeversuche der SO Informationsstände In Bayern wurden im Jahr 2010 von der SO rund 400 öffentliche Veranstaltungen, größtenteils Informationsstände, vor allem in München durchgeführt. Im Allgemeinen treten SO-Einrichtungen überwiegend offen auf bzw. bestreiten nicht ihre Verbindung zur Organisation. Daneben bedient sich die SO aber auch Nebenund Tarnorganisationen, die auf den ersten Blick keinen Zusammenhang mit der SO erkennen lassen, mit denen aber Botschaften Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Scientology-Organisation 215 zu unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Themen transportiert werden sollen. SO-Einrichtungen versuchen, oft auf folgenden Wegen einen ersten Kontakt herzustellen: - Veranstaltungen und Informationsstände in Fußgängerzonen, - Ansprechen auf der Straße mit dem Angebot, einen Persönlichkeitstest zu machen, - Zusenden von Werbematerial - Angebote an Unternehmen zu Betriebsführungstechniken und Kursen zur Persönlichkeitsveränderung - Angebote auf dem Nachhilfemarkt - Kontaktaufnahmen in sozialen Netzwerken wie Facebook und YouTube In einer bundesweiten Aktion versendet die "Scientology Kirche Zeitschrift Deutschland e.V." (SKD) seit Juli 2010 die von ihr herausgegebe"Freiheit" ne Zeitschrift Freiheit an Behörden, in Bayern vor allem an Landratsämter und Polizeidienststellen. In einem Anschreiben wird die angeblich einseitige Berichterstattung über SO kritisiert und auf SO-eigene Internetseiten verwiesen. In der Zeitschrift werden von der SO aktuelle Themen aufgegriffen, die es ihr ermöglichen, sich den Anstrich einer humanitären und sozial verantwortlichen Organisation zu geben. Durch die Versendung an Behörden versucht die SO, Vertreter des öffentlichen Dienstes zu erreichen sowie neue Mitglieder zu werben. Die SO nutzt auch das Internet gezielt für Eigenwerbung. Im freiEinflussnahme en Internet-Lexikon Wikipedia waren Berichte über die SO wieim Internet derholt zu ihren Gunsten geändert worden. Auch auf anderen Internetseiten werden Kommentare, Rezensionen und Artikel im Sinne der Organisation formuliert. Dass diese Veröffentlichungen durch Scientologen verfasst wurden, wird meist verheimlicht. Einem neutralen Nutzer dieser Internetveröffentlichungen wird somit ein einseitig positives Bild von der SO vermittelt. Darüber hinaus nutzen Scientologen seit einiger Zeit vermehrt auch so genannte soziale Netzwerke wie Facebook und YouTube, um für die SO zu werben. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Scientology-Organisation 216 5.4 Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen Im Bereich der Betreuung und Förderung von Kindern und Jugendlichen tätige SO-Einrichtungen sind oft nur schwer erkennbar. Dabei geht es der Organisation in diesem Bereich nicht nur darum, Kinder und Jugendliche möglichst früh zu beeinflussen, etwa mit Büchern wie "Die Lernfibel", sondern die Kinder in scientologische Denkweisen einzuführen. Sie sieht hier auch die Möglichkeit, einen scheinbar unverfänglichen Kontakt zu den Eltern anzubahnen und ihre Produkte gewinnbringend zu vermarkten. Die Organisationseinheit Applied Scholastics schafft dazu Einrichtungen, um Kinder und Jugendliche in jeder Lebensphase indoktrinieren zu können, von der Kindertagesstätte bis zum Nachhilfemarkt. Unter www.appliedscholastics.org/global_locator www.appliedscholastics.org/global_locator wirbt die Organisation mit Nachhilfeeinrichtungen, die ihr zuzurechnen sind; die Liste ist allerdings nicht vollständig. Von Scientologen geführte Nachhilfeeinrichtungen führen mitunter auch neutrale Namen wie Lernstudio, Lerncenter oder Tutoring. Informationen Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus verdes Bayerischen öffentlicht unter Staatsministeriums für Unterricht und www.km.bayern.de www.km.bayern.de Kultus Warnmeldungen und eine Kriterienliste, die Eltern bei der Auswahl seriöser Anbieter hilft. Das Kultusministerium rät, insbesondere nach Methoden, Zielen und möglichen Probestunden zu fragen. Hilfreich sind auch Erkundigungen zu Erfahrungen der Schule und zum Ruf des Anbieters. Neben dem "Bildungsbereich" wirbt die SO außerdem mit Kampagnen wie Jugend für Menschenrechte (Youth for Human Rights) um junge Anhänger. Sie organisiert vorgeblich zum Thema Menschenrechte Veranstaltungen speziell für Jugendliche und verbreitet über DVDs und das Internet Videobeiträge. Der Bezug zur SO wird oft nicht unmittelbar deutlich. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Scientology-Organisation 217 6. Vertrauliches Telefon und Informationsangebot Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz unterhält ein "vertrauliches Telefon" unter folgender Nummer: 089/ 31 20 12 96 Opfer, Aussteiger und Angehörige von SO-Mitgliedern können dort Hinweise über die SO geben. Das Bayerische Staatsministerium des Innern informiert im Internet über Maßnahmen der Bayerischen Staatsregierung, über Pressemitteilungen und Gerichtsentscheidungen: www.innenministerium.bayern.de/scientology www.innenministerium.bayern.de/scientology Informationen zur SO enthalten auch die Broschüre "Das System Scientology - Fragen und Antworten" und das Faltblatt "Scientology-Organisation" aus der Faltblattreihe "Demokratie in Gefahr". Beide Publikationen wurden vom Bayerischen Staatsministerium des Innern herausgegeben und können auch über das Internet bestellt werden. Für Beratungen stehen die anerkannten Beratungsstellen zur Verfügung. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 219 7. Abschnitt Spionageabwehr Nachrichtendienste fremder Staaten richten bei der Spionage gegen Deutschland ihre Ausforschungsbemühungen auf Informationen aus den Bereichen Politik und Wirtschaft. Sie wollen Erkenntnisse über Außen-, Europaund Bündnispolitik wie auch über Wirtschaftsund Energiepolitik erlangen. Im Rahmen der Wirtschaftsspionage liegt das Interesse beim Produkt, den Fertigungsprozessen und bei strategischen Informationen zu deutschen Firmen. Bei der Abwehr von Spionage werden die Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste beobachtet, Informationen gesammelt und ausgewertet. 1. Aktuelle Entwicklungen Wirtschaftsspionage als kostengünstige Know-howBeschaffung wird auch nach dem Ende der weltweiten Krise betrieben. Unternehmen werden sich der Gefahren durch Spionage bewusst. Elektronische Attacken aus China dauern an. Uiguren weiterhin im Fokus chinesischer Nachrichtendienste. Der Iran setzt seine Proliferationsaktivitäten unvermindert fort. Keine Entwarnung nach der Krise Die bayerische Wirtschaft hat die weltweite Finanzund Wirtschaftskrise schneller überwunden als befürchtet. Diese erfreuliche Entwicklung sollte jedoch nicht zu dem Trugschluss führen, dass damit die Gefahr für Unternehmen, Opfer von Wirtschaftsspionage Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Spionageabwehr 220 zu werden, abnimmt. Insbesondere in Schwellenländern bestehen nach wie vor ein erhöhter Wettbewerbsdruck und die Notwendigkeit, die heimische Wirtschaft zu modernisieren. Der russische Präsident Medwedjew hat öffentlich die "Modernisierungsoffensive" seines Landes zur Chefsache erklärt und betont, dass dazu die Technologie aus dem Ausland erforderlich sei. Auch in der Volksrepublik China wurde ein neuer "Fünf-JahresPlan" veröffentlicht, der die mangelnde Innovationsfähigkeit der eigenen Unternehmen zum Anlass nimmt, die Bemühungen um hoch-innovative Technologien (z. B. Umweltschutz, neuer Energien, Bio-Medizin) weiter zu forcieren. Daher ist unverändert von zahlreichen Spionageaktivitäten auszugehen. Die Möglichkeiten für Angriffe auf das Firmen-Know-how werden vielfältiger und sind immer schwieriger zu erkennen. Risikofaktoren Mensch und IT Auch wenn Ausspähungsgefahren durch technische Schutzmaßnahmen begegnet werden kann, bleibt der Mensch als möglicher Know-howRisikofaktor bestehen. Diesen Umstand nutzen Know-how-Diebe Diebstahl gezielt für ihre Angriffe. Spionage durch "Innentäter", die von einem fremden Nachrichtendienst gezielt angeworben werden, stellt nur einen der Gefährdungsaspekte dar. Sehr häufig gehören Unkenntnis, Vergesslichkeit oder Nachlässigkeit der Mitarbeiter zu den "Alltagsrisiken" im Umgang mit sensiblen Informationen und Datenträgern. Gesteigertes Gefahrenbewusstsein durch Prävention Die Präventionsangebote zur Verhinderung der Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage finden breite Akzeptanz. Diese Angebote sowie die Tatsache, dass der Verfassungsschutz Hinweise vertraulich behandelt, führen verstärkt dazu, dass sich Firmen bei Spionageverdacht an den Verfassungsschutz wenden. So erhielt das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz den Hinweis, dass ein Mitarbeiter eines mittelständischen bayerischen Unternehmens bei einem Geschäftsbesuch in China aufgefordert wurde, für eine Präsentation seinen USB-Stick in den dortigen Rechner zu stecken. Nach der Rückkehr stellte er auf dem Stick einen installierten Trojaner fest. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Spionageabwehr 221 Ein Geschäftsführer einer international tätigen MittelstandsFirma stellte seine Geschäftsaktivitäten in China ein, nachdem versucht worden war, im Rahmen eines Joint-Ventures an das Schlüssel-Know-how des Unternehmens zu gelangen. Elektronische Attacken aus China anhaltend intensiviert Seit Jahren werden zahlreiche elektronische Angriffe mit mutmaßlich nachrichtendienstlichem Hintergrund auf deutsche Bundesbehörden und Wirtschaftsunternehmen festgestellt. Im Vergleich zum Vorjahr erhöhte sich die Anzahl der erkannten Angriffe noch einmal deutlich. Die überwiegende Zahl dieser Angriffe ist auf Stellen in der Volksrepublik China zurückzuführen. Es ist davon auszugehen, dass elektronische Angriffe durch fremde Nachrichtendienste weiter zunehmen werden und dabei neben Spionage vermehrt auch Sabotage gegen kritische Infrastrukturen verfolgt wird. Als Anzeichen hierfür sind die Angriffe gegen Prozesssteuerungen in Industrieanlagen zu bewerten, die im Sommer bekannt wurden und möglicherweise einen nachrichtendienstlichen Hintergrund besitzen (Stuxnet-Vorfall). Stuxnet-Vorfall Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Spionageabwehr 222 Es handelt sich dabei um einen komplexen, auf ein bestimmtes Ziel programmierten Computervirus, der sich per USB-Stick über die entsprechenden Schnittstellen von IT-Systemen verbreitet. Auch in Deutschland haben sich Rechner mit Stuxnet infiziert. Die Gesamtumstände deuten jedoch nicht darauf hin, dass deutsche Unternehmen konkretes Ziel der Angriffe waren. Auch wenn bislang keine eindeutigen Nachweise vorliegen, ist vielmehr davon auszugehen, dass in erster Linie im Iran betriebene Steuerungsanlagen beeinflusst werden sollten. Spionage gegen Uiguren und Tibeter In München ist mit dem WUC (World Uyghur Congress) die bedeutendste Organisation der Uiguren im Ausland ansässig. Die Beobachtung der Aktivitäten und Mitglieder sind für chinesische Nachrichtendienste nach wie vor von Bedeutung. Es liegen konkrete Hinweise vor, dass Mitglieder der uigurischen Gemeinschaft nachrichtendienstlich überwacht werden. Gleiches gilt für tibetische Exilorganisationen und deren Unterstützer, die sich in Deutschland aufhalten. ErmittlungsDer Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof leitete daher verfahren ein Ermittlungsverfahren gegen vier Personen ein, die über einen unmittelbaren Zugang zur uigurischen Gemeinschaft verfügen. Sie stehen im Verdacht, für einen als Konsul tätigen Mitarbeiter des chinesischen Nachrichtendienstes Informationen gesammelt zu haben. Iranische Proliferationsaktivitäten Im Bereich der Proliferationsbekämpfung stand die Aufklärung über iranische Beschaffungsaktivitäten im Mittelpunkt der Arbeit des Verfassungsschutzes. EU und UNO haben ihre Sanktionen gegenüber dem Iran deutlich verschärft und dadurch Exporte in den Iran erschwert. Wegen dieser neuen Einschränkungen bemüht sich der Iran verstärkt, bestimmte "key elements" für sein Urananreicherungsprogramm zu beschaffen und setzt verstärkt auf Umweglieferungen über Drittstaaten. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Spionageabwehr 223 2. Ziele - Akteure - Strategien 2.1 Proliferation Unter Proliferation versteht man die Weiterverbreitung von atoVerbreitung maren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswafvon Massenfen bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie vernichtungswaffen von entsprechenden Waffenträgersystemen einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows. Ziel ist insbesondere die Beschaffung proliferationsrelevanter Güter bei deutschen Firmen. Hauptakteur im Bereich Proliferation ist nach wie vor der Iran. Dessen aggressives Vorgehen bei der Umsetzung seines umstrit tenen Urananreicherungsprogramms stößt weltweit auf Widerstand. Zur Beschaffung relevanter Technologien werden unter Umgehung der verschiedenen Exportkontrollen in den westlichen Industrieländern Tarnfirmen gegründet, in denen mitunter auch in Gründung von Deutschland lebende iranische Geschäftsleute tätig sind. Weitere Tarnfirmen Verschleierungsmethoden sind die Angabe einer Beschaffungs- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Spionageabwehr 224 firma in einem unkritischen Drittland als Empfänger, die Angabe eines unverdächtigen Endempfängers im Iran oder die Fälschung einer Endverbleibserklärung. Darüber hinaus wurden verschiedene Beschaffungsversuche Pakistans, Syriens und Nordkoreas festgestellt. 2.2 Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage Für viele Nachrichtendienste ist die Ausforschung von Wirtschaft und Wissenschaft ein bedeutendes Aufklärungsziel. Nicht zuletzt auch deshalb, weil eine funktionierende Ökonomie eine der Grundvoraussetzungen für die innere Stabilität des jeweiligen Deutsche Firmen Staates ist. Gerade deutsche Firmen und Hochschuleinrichtunund Hochschulen gen stehen auf Grund ihrer Innovationskraft in nahezu allen Branchen und Forschungsbereichen im Blickfeld ausländischer Nachrichtendienste. Dabei ist nicht die Größe einer Firma ausschlaggebend, sondern ob Spitzentechnologie entwickelt und produziert wird. Gleiches gilt für deutsche Hochschulen, die sich im Bereich der Spitzenforschung sowohl national als auch international betätigen. Neben dem technischen Know-how stehen auch Produktideen, komplexe Fertigungstechniken sowie Unternehmensund Marktstrategien im Interesse der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung. Aktivitäten Hauptträger der Spionageaktivitäten im Bereich Wirtschaft, Wischinesischer senschaft und Forschung sind vor allem die Nachrichtendienste Nachrichtendienste der Volksrepublik China. Das Bestreben, bis zum Jahr 2020 den USA wirtschaftlich und militärisch auf Augenhöhe gegenübertreten zu können, soll durch Beschaffung von Spitzentechnologie aus dem Westen gelingen. Daher versucht China, auch am Hochtechnologiestandort Bayern auf vielfältige Weise entsprechendes Know-how zu beschaffen. Auch in einigen westlichen Staaten kann die Wirtschaft verstärkt auf die Unterstützung ihrer Nachrichtendienste zählen. Derzeit liegen keine Erkenntnisse für eine systematische Wirtschaftsspionage westlicher Dienste gegen die Bundesrepublik Deutschland vor. Verdachtshinweisen wird jedoch in jedem Fall nachgegangen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Spionageabwehr 225 Neben der methodischen Auswertung offen verfügbarer Informationsquellen werden vor allem die Beteiligung an Vorträgen oder Besuche bei Industriemessen dazu genutzt, deutsche Wissensträger kennen zu lernen. Bei den Kontakten wird versucht, neben allgemeinen Informationen von den Gesprächspartnern auch sensible Informationen "abzuschöpfen". Durch Einladungen werden derartige Kontakte intensiviert mit dem Ziel, eine langfristige gute Beziehung aufzubauen. Die sich in Deutschland aufhaltenden chinesischen Fachkräfte, insbesondere Austauschwissenschaftler, Praktikanten sowie bereits eingebürgerte Personen chinesischer Abstammung bilden aus chinesischer Sicht eine besonders gute Basis zur Informationsgewinnung. Dieser Personenkreis fühlt sich seiner Heimat häufig eng verbunden - das nutzen die Nachrichtendienste aus. Erleichtert wird die Informationsabschöpfung dieser so genannten Non-Professionals auch durch den hohen Organisierungs"Non-Professionals" grad der Chinesen in Deutschland, die sich in zahlreichen Vereinen zumeist unter Förderung und Kontrolle der amtlichen chinesischen Vertretungen zusammenschließen. Zu einer besonderen Gefahr haben sich E-Mail-basierte elektronische Angriffe auf Behörden und Unternehmen entwickelt, die gezielt an einzelne Mitarbeiter adressiert werden. Die Trojanerattacken erfolgen in der Regel unbemerkt und haben den Zugriff auf Unternehmensdaten zum Ziel. Den Angriffen geht häufig ein "social engineering" voraus. Dabei handelt es sich um eine Methode, einzelne Mitarbeiter auszuspionieren, um so unbefugt an Trojanerattacken sensible Informationen zu gelangen. Nach derzeitiger Einschätzung haben die meisten der derzeit festgestellten elektronischen Angriffe ihren Ursprung in China, wobei einige Merkmale auf eine Steuerung durch chinesische Nachrichtendienste hindeuten. Aktuelle Trojaner werden überwiegend von marktgängigen Schutzprogrammen nicht aufgespürt. 2.3 Politische und militärstrategische/-technologische Spionage Im Rahmen der politischen Spionage sind alle Themenbereiche von Interesse, die einen Bezug zur nationalen Sicherheitslage Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Spionageabwehr 226 und zu relevanten außenund sicherheitspolitischen Aspekten haben. Speziell die Bündnisund Wirtschaftspolitik des Westens sowie die Entwicklung der NATO und der EU stehen hier im Fokus. Die militärstrategische und -technologische Spionage ist in erster Linie auf die Sicherheitsund Verteidigungspolitik sowie auf die entsprechenden Technologien aus Bereichen wie Telekommunikationsund Sicherheitstechnik, Zivilschutztechnik, Luftund Raumfahrt ausgerichtet. Während die Nachrichtendienste Chinas ihr Beschaffungsinteresse eher auf allgemeines technologisches Know-how richten, konzentrieren sich die russischen Nachrichtendienste verstärkt darauf, Informationen aus dem politischen sowie dem militärischen Bereich zu beschaffen. Hat eine Kontaktperson Zugang zu besonders sensiblen Informationen, kann es das Ziel des fremden Nachrichtendienstes sein, "Klassische eine "klassische Agentenführung" aufzubauen. Grundlage hierAgentenführung" für ist die schrittweise Steigerung von Qualität oder Umfang der Beschaffungswünsche bei gleichzeitiger Erhöhung der psychologischen und/oder materiellen Zuwendungen durch den Nachrichtendienstoffizier. Da die Zielperson unter Hinweis auf die Notwendigkeit, die Beziehung geheim zuhalten, zu besonderer Vorsicht verpflichtet wird, kann diese spätestens zu diesem Zeitpunkt den nachrichtendienstlichen Charakter der Verbindung erkennen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Spionageabwehr 227 2.4 Oppositionellenbeobachtung Bei den Spionageaktivitäten der Staaten des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens sowie Nordafrikas dominiert neben der klassischen Informationsbeschaffung die Ausforschung Oppositioneller sowie die Unterwanderung ihrer Organisationen. Einige dieser Staaten nutzen ihre Nachrichtendienste auch zur Beobachtung islamistischer Gruppen in Deutschland. Bei der Aufklärung oppositioneller Aktivitäten beobachten die chinesischen Nachrichtendienste schwerpunktmäßig die in Deutschland lebenden organisierten Angehörigen der Uiguren und tibetischer Gruppierungen. Auch die Nachrichtendienste Syriens, Libyens, Tunesiens und des Iran widmen sich der Aufklärung und Infiltration regimekritischer Organisationen. Nachrichtendienstmitarbeiter in Deutschland werden u. a. als Tarnung der Angehörige der Botschaft oder der Konsulate getarnt eingeNachrichtendienstsetzt. Diese nutzen zum Teil eigene Agentennetze und bemümitarbeiter hen sich um die Anwerbung neuer Informanten. Häufig werden dabei Kontakte von Landesleuten bei der Visumantragstellung für Reisen in ihr Heimatland genutzt. Auf dem eigenen Hoheitsgebiet können Landsleute beispielsweise bei Verwandtschaftsbesuchen risikolos überwacht werden, indem man sie einer intensiven Grenzkontrolle unterzieht oder in ihren Hotels überwacht. Zum Teil werden sie befragt und in Einzelfällen auch mit Drohungen dazu bewegt, mit den Nachrichtendiensten zu kooperieren. 2.5 Aufgaben und Strukturen chinesischer und russischer Nachrichtendienste Volksrepublik China Mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MSS) verfügt die Größter Volksrepublik China über einen der weltweit größten SicherheitsNachrichtendienst und Aufklärungsdienste. Zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und der Stabilität des Regimes sowie zur Durchsetzung politischer und ökonomischer Interessen unterhalten Partei und Regierung einen gewaltigen Sicherheitsapparat. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Spionageabwehr 228 MSS Aufgaben (Ministry of - Gewährleistung der Inneren Sicherheit (Überwachung State Security) von Oppositionellen und separatistischen Bewegungen) - Spionageabwehr Inund - weltweite Auslandsaufklärung, insbesondere Auslandsdienst in den Bereichen (zivil) - Politik - Wirtschaft - Wissenschaft und Technik - Forschung - Randbereiche des Militärwesens MID Aufgaben (Military - weltweite Auslandsaufklärung mit menschlichen Quellen Intelligence - in allen Bereichen mit militärischem Bezug Department) - in den Bereichen Politik und Wirtschaft - Überwachung von Oppositionellen und separatistischen Inund Bewegungen Auslandsdienst - Aufklärung der weltweiten Telekommunikation und (militärisch) Fernmeldesicherheit der nationalen Netze - Kontrolle des diplomatischen Fernmeldeverkehrs der ausländischen Botschaften im Inland Russische Föderation Unterstützung Die russischen Nachrichtendienste sind ein wichtiger Faktor der durch nationalen Sicherheitsarchitektur; sie genießen bei der politirussische Politik schen Führung Rückhalt und hohes Ansehen. Die im Inund Ausland beschafften Informationen werden bei der Vorbereitung von politischen Entscheidungen genutzt. Sie tragen zur Erfüllung politischer Vorgaben bei und dienen nicht zuletzt dazu, neben den politischen auch die ökonomischen Interessen Russlands weltweit voranzutreiben. Auch die russische Wirtschaft profitiert in erheblichem Maße davon, dass alle Dienste gesetzlich verpflichWirtschaftstet sind, Wirtschaftsspionage zu betreiben. Im Mittelpunkt der spionage Aufklärungsbemühungen stehen insbesondere die Bereiche Politik und Militär, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Aktuell ist ein klarer Trend zu neuen Technologien im Bereich regenerativer Energien zu beobachten, wobei exportstarke Branchen wie Maschinenund Anlagenbau, Automotive sowie Elektronik und Software nach wie vor von großem Interesse sind. Gerade in diesen Bereichen fehlen in Russland noch immer Fachwissen und -personal. Einen Großteil ihrer Informationsbeschaffung decken die russischen Nachrichtendienste über "offene Quellen" ab. Dabei pflegen die Nachrichtendienstoffiziere eine Vielzahl von Kontakten Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Spionageabwehr 229 zu Gesprächspartnern in allen Zielbereichen. Bei besonders geSchaffung eigneten Kontaktpersonen wird versucht, diese als langfristige langfristiger Informationsquelle zu nutzen. Informationsquellen Die Nutzung diplomatischer und konsularischer Vertretungen als Abdeckung für hauptamtliche Nachrichtendienstangehörige stellt traditionell eine der wichtigsten Methoden russischer Nachrichtendienste dar. Unter dem Deckmantel diplomatischer oder journalistischer Tätigkeit können so geheimdienstliche Aktivitäten aller Art unauffällig ausgeweitet werden. Das nachrichtendienstliche Personal wird dort in allen Arbeitsbereichen eingesetzt und bildet innerhalb dieser Stützpunkte die so genannten Legalresidenturen. SWR Aufgaben (Slushba - Aufklärung in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wneschnej Wissenschaft und Technik Raswedkij) - elektronische Fernmeldeaufklärung - Mitwirkung bei der Bekämpfung des internationalen Auslandsdienst Terrorismus (zivil) - Bekämpfung der Proliferation - Ausforschung von Zielen und Arbeitsmethoden westlicher Nachrichtendienste Personalumfang mehr als 13.000 Mitarbeiter GRU Aufgaben (Glawnoje RasAufklärung des gesamten sicherheitspolitischen und wediwatelnoje militärischen Spektrums, z. B. Uprawlenije) - Bundeswehr - NATO, sonstige westliche Verteidigungsstrukturen Auslandsdienst - Bereich militärisch nutzbarer Technologie (militärisch) Personalumfang rund 12.000 Mitarbeiter FSB Aufgaben (Federalnaja - Spionageabwehr (zivil und militärisch) Slushba - Extremismus-/Terrorismusbekämpfung Besopasnosti) - Bekämpfung Organisierter Kriminalität - Sicherung der Staatsgrenze, Grenzkontrolle Inlandsdienst - Fernmeldesicherheit im Bereich Telekommunikation und Sicherheit in der Informationstechnik Personalumfang mindestens 350.000 Mitarbeiter Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Spionageabwehr 230 3. Sensibilisierung und Prävention Wirtschaftsund Wirtschaftsund Industriespionage verursacht einen jährlichen Industriespionage Schaden in Höhe von schätzungsweise 20 Milliarden Euro. Sie bedroht den technologischen Vorsprung sowie die Innovationskraft insbesondere mittelständischer Unternehmen und hat den Verlust von Arbeitsplätzen zur Folge. Viele Unternehmen nehmen diese substanzielle Gefahr noch immer nicht als eine solche wahr. Die Information, Sensibilisierung und Beratung bayerischer Unternehmen und Hochschulen bildet daher einen Schwerpunkt in der Spionageabwehr. Damit wird u. a. der Forderung aus der Wirtschaft gegenüber dem Staat Rechnung getragen, stärkere Anstrengungen zu ihrem Schutz vor Spionage zu unternehmen. Beratungsangebote und Kontaktmöglichkeiten Rund um die Themen Proliferation, Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage bietet innerhalb des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz der Bereich Wirtschaftsschutz objektive und kostenfreie Serviceleistungen: - telefonisch unter 0 89 / 31 20 15 00 - per E-Mail: wirtschaftsschutz@lfv.bayern.de - auf der Homepage www.verfassungsschutz.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de - über das Internetportal: www.wirtschaftsschutz.bayern.de www.wirtschaftsschutz.bayern.de - oder bei einem persönlichen Gespräch im Unternehmen oder in der Hochschule. Initiative Wirtschaftsschutz Durch Maßnahmen zum Know-how-Schutz kann insbesondere unsere mittelständische Wirtschaft vor betriebswirtschaftlichen Einbußen geschützt und das Gemeinwesen vor volkswirtschaftlichen Schäden bewahrt werden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Spionageabwehr 231 In Zusammenarbeit mit dem Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie wurde daher die "Initiative Wirtschaftsschutz" gegründet; sie verfolgt das Ziel, durch gemeinsames staatliches Engagement wertvolle Synergien zu bünWirtschaftsschutz deln. Wirtschaftsschutz kann insoweit auch als Wirtschaftsförals Wirtschaftsderung verstanden werden. förderung Projekt "Best Practice" Resultierend aus den vielen Beratungsgesprächen mit bayerischen Unternehmen wurde Anfang des Jahres 2010 das Projekt "Best Practice" ins Leben gerufen. Hintergrund war die immer wieder gestellte Frage nach den besten, in der Praxis bewährten Methoden, die von anderen Unternehmen bereits erfolgreich zum Know-how-Schutz anwendet werden. Um diese "best practices" in Erfahrung zu bringen, wurde ein spezieller Fragebogen konzipiert und an über 100 bayerische Unternehmen versandt, mit denen bereits eine Sicherheitspartnerschaft besteht. Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz Infotelefon: 089 31201-500 www.wirtschaftsschutz@lfv.bayern.de Postfach 450145 - 80901 München Online-Portal "Wirtschaftsschutz Bayern" Die Ergebnisse aus dem Projekt "Best Practice" sollten von Anfang an nicht nur zusammengefasst und unter den Teilnehmern veröffentlicht werden, sondern allen Interessierten auf moderne und anwenderfreundliche Weise zur Verfügung gestellt werden. So entstand die Idee, die Befragungsergebnisse mit praxisnahen Tipps und fachlichen Empfehlungen anzureichern, das gesamte Beratungsangebot darzustellen sowie weiterführende Links rund um das Thema Know-how-Schutz anzubieten. All dies wurKnow-how-Schutz de im Rahmen des virtuellen Unternehmens "Wirtschaftsschutz Bayern" verwirklicht, das sich über die Seite www.wirtschaftsschutz.bayern.de betreten lässt und beim Rundgang durch die verschiedenen Ebenen und Räume seine offenen und versteckten Informationen preisgibt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Spionageabwehr 232 Verhinderung von Proliferation Verfassungsschutz Auch im Bereich der Proliferationsverhinderung versteht sich als Partner das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz als Partner der der bayerischen bayerischen Wirtschaft und Wissenschaft. In Zusammenarbeit Wirtschaft mit den Ausfuhrkontrollbehörden werden verschiedene Produkte festgelegt, die der Iran und andere Risikostaaten zum einen dringend benötigen und zum anderen nicht selbst herstellen können. Relevante Unternehmen werden über die Gefahren einer möglichen Weitergabe von kritischen Technologien an Risikostaaten informiert und entsprechend sensibilisiert. Um den Abfluss proliferationsrelevanter Technologien im Hochschulbereich zu verhindern, werden in einer vom Auswärtigen Amt und deutschen Sicherheitsbehörden initiierten "ArbeitsgeProliferationsgefahr meinschaft Gastwissenschaftler" Deutschlandaufenthalte von durch GastwissenGastwissenschaftlern aus bestimmten Staaten auf eine mögliche schaftler Proliferationsgefahr hin überprüft. Das zuständige Landesamt für Verfassungsschutz sensibilisiert die aufnehmende deutsche Universität entsprechend. Im Berichtsjahr wurde in drei Fällen iranischen Gastwissenschaftler die Einreise nach Deutschland und damit die angestrebte Arbeit an bayerischen Universitäten verhindert. Sicherheitskooperation Darüber hinaus werden auch Hinweise, die im Zusammenhang mit Proliferation, Wirtschaftsoder Wissenschaftsspionage bekannt werden, entgegengenommen, auf nachrichtendienstliche Relevanz geprüft und Handlungsempfehlungen gegeben. Ziel ist es, eine auf Dauer angelegte, vertrauensvolle Sicherheitskooperation mit Wirtschaft und Wissenschaft aufzubauen; daher werden diese Hinweise unter Zusicherung der VertraulichVertraulichkeit keit behandelt. Positive Reaktionen aus Wirtschaft und Wissenschaft Die starke Nachfrage nach Information und Unterstützung zur Verhinderung von Spionage, die sich gerade bei kleineren und mittelständischen Unternehmen existenzbedrohend auswirken kann, zeigt, dass sowohl Firmen als auch Hochschulen das Ange- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Spionageabwehr 233 bot des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz annehmen. Dieses Vertrauen manifestiert sich auch in der zunehmenden Bereitschaft, spionagerelevante Sachverhalte mitzuteilen. Zusammenarbeit mit der Wirtschaft Neben der individuellen Betreuung von Firmen und Hochschulen wird großer Wert auf die Zusammenarbeit mit Wirtschaftsverbänden wie den Industrieund Handelskammern sowie dem Bayerischen Verband für Sicherheit in der Wirtschaft gelegt. Gemeinsame Informationsveranstaltungen ermöglichen den teilnehmenden Firmenvertretern den notwendigen Informationsaustausch sowie den Aufbau vertrauensvoller Kontakte. Darüber hinaus werden relevante Informationen aus dem Bereich Know-how-Schutz mittels themenbezogener Flyer aufgegriffen. Ziel ist es dabei, der Wirtschaft kompakte Handreichungen mit den notwendigen Hintergrundinformationen und Verhaltenstipps zu geben. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 235 8. Abschnitt Organisierte Kriminalität (OK) Drahtzieher und Täter aus dem Milieu der Organisierten Kriminalität wollen an die Stelle der Herrschaft des Rechts in einem freiheitlichen Verfassungsstaat die Macht einer kriminellen Organisation durch Gewalt, Geld und massive Einflussnahme setzen. Organisierte Kriminalität ist nicht immer sofort erkennbar, viele fühlen sich nicht konkret bedroht. Durch die Organisierte Kriminalität wird aber allein in Deutschland ein nachweisbarer Schaden von mehr als 500 Millionen Euro im Jahr verursacht. 1. Aktuelle Entwicklungen 1.1 Gewalt rivalisierender Rockergruppen hält an Gewalteskalation zwischen rivalisierenden Rockergruppen mündet in fragwürdiges Friedensabkommen. Sicherheitsbehörden reagieren auf Gewaltexzesse im Rockermilieu. Veränderungen der Rockerstruktur in Bayern lösen Spannungen aus. Nach der Gewalteskalation im vergangenen Jahr kam es auch im Gewalteskalation Jahr 2010 bundesweit zu zahlreichen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern rivalisierender Rockergruppen. - Ein spektakulärer Wechsel ("Patchover") einer Berliner Ortsgruppe (Chapter) der Bandidos zu den Hells Angels führte im Februar in Berlin zu mehreren gewalttätigen Übergriffen auf die "Verräter" und deren neues Clubheim. Dabei wurden mehrere Personen schwer verletzt. Dieser Wechsel ist ein bislang Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Organisierte Kriminalität 236 beispielloser Vorgang, der alle bisher bekannten Clubregeln, Szenevorstellungen und Ehrbegriffe der Rocker in Frage stellt. - Im März wurde in Anhausen/Rheinland-Pfalz während eines Polizeieinsatzes ein Beamter eines Sondereinsatzkommandos von einem Mitglied der Hells Angels erschossen. Vereinsverbote Im Kampf gegen die Rockerkriminalität hat das Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein am 29. April das Bandidos MC Probationary Chapter Neumünster sowie das Hells Angels MC Charter Flensburg verboten. Zweck und Tätigkeit der ausschließlich in Schleswig-Holstein aktiven Vereine haben gegen Strafgesetze verstoßen und waren gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet. "FriedensvereinAm 26. Mai erklärten die Rockergruppen Hells Angels und Banbarung" zwischen didos zur allgemeinen Überraschung ihren Bandenkrieg offiziell Hells Angels und für beendet. Je drei führende Mitglieder der rivalisierenden MoBandidos torradclubs trafen sich medienwirksam in einer Anwaltskanzlei in Hannover, um eine Art Friedensvereinbarung zu unterzeichnen, die den jahrelangen Konflikt der beiden Banden beenden soll. Darin legten beide Clubs deutschlandweit gültige Verhaltensregeln fest. Unter anderem wurde vereinbart, dass beide Rockergruppierungen ein Jahr lang auf die Neugründung von Chaptern verzichten. Auch wenn im Berichtsjahr keine Verstöße gegen diese Vereinbarung bekannt geworden sind, so ist doch zweifelhaft, ob dieses Friedensabkommen dauerhaften Bestand haben wird. Diese Skepsis wird auch von einzelnen Szenemitgliedern geteilt. Sollte das Abkommen dennoch Bestand haben, bedeutet dies jedoch nicht automatisch eine Befriedung der gesamten Rockerszene, da die Vereinbarung nicht für die beiden anderen großen Rockergruppierungen Gremium MC und Outlaws MC gilt. Der Zeitpunkt für diesen Schritt dürfte, trotz Dementi der Clubs, bewusst gewählt gewesen sein, da auf der zwei Tage später in Hamburg stattfindenden Innenministerkonferenz das Thema "Rockerkriminalität" thematisiert wurde. Strukturänderungen Im Juli veränderte sich die Rockerstruktur in Bayern gravierend. in Bayern Von den 32 Chaptern des Trust MC lösten sich nach internen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Organisierte Kriminalität 237 Differenzen über zehn Ortsgruppen auf. Große Teile der ehemaligen Mitglieder schlossen sich entweder dem Hells Angels MC oder dem Bandidos MC an. Der Rest verteilte sich auf kleinere Clubs oder legte seine "Kutten" ab. Der Trust MC hat hierdurch erheblich an Bedeutung verloren; gleichzeitig wurden die Positionen des Hells Angels MC und des Bandidos MC durch den personellen Zuwachs gestärkt. Neben dem Mitgliedergewinn aus den "Trust-Auflösungen" sind Mitgliederzahlen bei fast allen in Bayern ansässigen Rockergruppen zunehmende Mitgliederzahlen zu verzeichnen. Insbesondere die Zahl der Unterstützer-Gruppen (so genannte Supporter) hat zugenommen. Einzelne Rockergruppierungen breiten sich über ihre Supporter regional aus, um so Gebietsansprüche geltend machen zu können. Dies birgt die Gefahr, dass die größtenteils ruhige Lage in Bayern zukünftig angespannter wird. Im August kam es in Augsburg am Rande einer Hells Angels Supporter-Party zu einer Machtdemonstration von rund 100 Personen (Mitglieder und Supporter aus dem Umfeld des Hells Angels MC München) gegenüber etwa 20 Mitgliedern des ortsansässigen Outlaws MC Augsburg. Nur ein sehr starkes Polizeiaufgebot konnte eine direkte Konfrontation und Eskalation der aufgeheizten Stimmung verhindern. Erhebliches Konfliktpotenzial entstand, als ehemalige Mitglieder einer Straubinger Ortsgruppe des Gremium MC zum Bandidos MC Regensburg übertraten. Nach langen Verhandlungen zwischen den rivalisierenden Gruppen konnte eine gewalttätige Auseinandersetzung zunächst verhindert werden. In der Folgezeit kam es allerdings immer wieder zu Provokationen von Mitgliedern des Bandidos MC im Gebiet des Gremium MC. Dies hatte eine bundesweite Mobilisierung des Gremium MC zur Folge, was zu einer Verschärfung der Situation führte. Umfangreiche Polizeimaßnahmen sowie eine chapterübergreifende Vereinbarung des Bandidos MC mit dem Gremium MC, in dieser Region nicht mehr aufzutreten, führten vorläufig zu einer Entspannung des Konflikts. Im Dezember 2010 eskalierte die Situation jedoch. Bei einer Auseinandersetzung zwischen etwa zehn Mitgliedern des Gremium MC und Bandidos MC kam es zu erheblichen Körperverletzungsdelikten. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Organisierte Kriminalität 238 Es bleibt abzuwarten, wie sich der Bandidos MC und der Hells Angels MC nach Ablauf des "Friedensvertrags" in Bayern positionieren. Sollte es zu Neugründungen von Chaptern bzw. Chartern kommen, muss ein besonderes Augenmerk auf die Reaktionen der jeweils konkurrierenden Gruppierung sowie anderer, bereits existierender Motorradclubs gelegt werden. 1.2 "Indoorplantagen" weiterhin im Trend Anbau und Vertrieb von Cannabisprodukten auf dem Vormarsch. Ermittlungserfolge gegen vietnamesische Organisierte Kriminalität in Bayern und anderen Bundesländern. Anbau von Bereits seit 2001 beobachteten Sicherheitsbehörden in einigen Cannabispflanzen europäischen Staaten den Anbau von Cannabispflanzen in "Indoorplantagen"; in Deutschland ist dieses Phänomen seit 2005 festzustellen. Bei den "Indoorplantagen" handelt es sich um Gewächshäuser, die häufig in alten, leer stehenden Fabrikgebäuden eingerichtet werden. Dort werden die Pflanzen bis zur Ernte herangezogen und getrocknet. Spezielle Jungpflanzen, die illegal aus den Niederlanden importiert werden, ermöglichen - bei entsprechender Beleuchtung, Bewässerung und Belüftung - einen besonders hohen Ernteertrag. Der dafür benötigte hohe Strombedarf wird dabei zuweilen illegal aus Stromleitungen abgezweigt. Die Betreiber dieser "Indoorplantagen" halten sich im Hintergrund. Die "Arbeiter" haben in den meisten Fällen keine Kenntnis über die Hintermänner. Der Lohn wird in einigen Fällen nicht ausbezahlt, sondern als Entgelt für ihre illegale Schleusung nach Deutschland einbehalten. Angehörige der vietnamesischen OK sind seit Jahren in den Bereichen Zigarettenschmuggel, Schleusungen sowie dem Handel mit Betäubungsmitteln tätig. Vietnamesische OK In Bayern konnte bei der vietnamesischen OK auch im vergangenen Jahr ein Rückgang des illegalen Handels mit Zigaretten wahrgenommen werden. Diese setzt in Bayern offenbar immer mehr auf den Anbau und Vertrieb von Cannabisprodukten sowie Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Organisierte Kriminalität 239 die Organisation entsprechender Aktivitäten im Inund Ausland. Die Produktion erfolgt dabei im Auftrag von mehreren unabhängig voneinander agierenden Rauschgifthändlern, die im Einzelfall zur Gewinnoptimierung auch zusammenarbeiten. Profitgier und Konkurrenzdenken stehen einer engeren Kooperation entgegen. Über lose Vertriebsstrukturen wird die bestellte Ware an die Konsumenten weiterverkauft. Erkenntnisse des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz ermöglichten es der Polizei, nicht nur bayern-, sondern auch deutschlandweit erfolgreich gegen die vietnamesische OK vorzugehen. So wurde im März in Neumarkt in der Oberpfalz eine "Indoorplantage" von der Polizei stillgelegt. 410 Cannabispflanzen und 3,5 Kilogramm verkaufsfertig verpacktes Marihuana im Gesamtwert von 70.000 Euro konnten sichergestellt werden. Ein 36-jähriger Vietnamese wurde festgenommen. Mitte des Jahres wurden in Baden-Württemberg, RheinlandPfalz und Hessen ein deutscher Kurier und neun vietnamesische Tatverdächtige festgenommen, darunter zwei Hauptdrahtzieher. Insgesamt konnten Pflanzenmaterial im Verkaufswert von etwa 670.000 Euro und Bargeld in Höhe von 40.000 Euro sichergestellt werden. Im Oktober gelang es der Polizei in Hessen, zwei "Indoorplantagen" zu lokalisieren und im Rahmen einer Festnahmeund Durchsuchungsaktion sechs vietnamesische Tatverdächtige festzunehmen. Neben diversem Equipment zur Unterhaltung einer Plantage gelang es auch, etwa fünf Kilogramm Cannabispflanzenteile und 500 Gramm Marihuana höherer Qualität zu sichern. Die aktuellen Ermittlungserfolge sowohl in Bayern als auch in anderen Bundesländern zeigen, dass die Entwicklung im Bereich der "Indoorplantagen" weiterhin intensiv beobachtet werden muss. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Organisierte Kriminalität 240 2. OK als Phänomen und seine Bekämpfung durch den Verfassungsschutz 2.1 Definition der Organisierten Kriminalität Der Begriff OK beschreibt keinen abgrenzbaren Straftatbestand, sondern ist ein komplexes Kriminalitätsphänomen, das wie folgt definiert ist: Organisierte Kriminalität ist die von Gewinnoder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig tätig werden - unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen oder - unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder - unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft. Art. 1 Abs. 3 BayVSG Der Begriff umfasst nicht Straftaten des Terrorismus. 2.2 Zusätzlicher Erkenntnisgewinn durch den Einsatz des Verfassungsschutzes im Bereich der OK Um der massiven Bedrohung durch die OK begegnen zu können, müssen alle Bekämpfungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden. Alles zu tun heißt auch, Kenntnisse und Kompetenz des Verfassungsschutzes zu nutzen. Der Verfassungsschutz kann die Aktionen der OK in einem früheren Stadium beobachten und aufklären als Polizei und Staatsanwaltschaft. Dies schließt eine wichtige Lücke im Kampf gegen die OK. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Organisierte Kriminalität 241 Personen, die OK-Strukturen angehören, arbeiten konspirativ und verhalten sich meist unauffällig. Ihr Ziel ist es, nicht in das Blickfeld der Sicherheitsbehörden zu geraten. Eine Aufklärung Aufklärung von dieser Strukturen setzt eine systematische und langfristig anOK-Strukturen gelegte Beobachtung voraus. Um an das entscheidende "Insiderwissen" - auch bereits im Vorfeld von Straftaten - zu gelangen, ist es erforderlich, nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen. Hierzu ist vor allem der Einsatz von V-Leuten notwendig. Langfristige Strukturermittlungen sollen Grundlagen für polizeiliche Ermittlungen schaffen bzw. laufende Ermittlungen unterstützen. Hierfür hat der Gesetzgeber dem Verfassungsschutz in engen Grenzen den Spielraum eingeräumt, eine sofortige Strafverfolgung im Interesse des tieferen Eindringens in OK-Strukturen zunächst zurückzustellen. In der Broschüre "10 Jahre Beobachtung der Organisierten Kriminalität durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz" wird umfassend über die Tätigkeit in diesem Bereich berichtet. Die Broschüre ist unter folgender Internetadresse abrufbar: www.innenministerium.bayern.de/service/publikationen www.innenministerium.bayern.de/service/publikationen www.verfassungsschutz.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de 3. Strukturen 3.1 OK aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten In der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten haben sich etwa 6.500 kriminelle Vereinigungen etabliert, von denen mehr als 50 europaweit, einige auch weltweit, aktiv sind. Dabei begehen sie vor allem Straftaten in den Bereichen Eigentumskriminalität, Rauschgiftund Waffenhandel, Schmuggel, Schutzgelderpressung und Geldwäsche. Eine herausragende Rolle in der dortigen kriminellen Szene spielen über 1.000 so genannte "Diebe im Gesetz", die sich über Jahre Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Organisierte Kriminalität 242 hinweg etabliert haben. 25 Männer aus diesem Zirkel sind als oberste Paten anzusehen, von denen einige auch in Deutschland OK-Strukturen steuern. Bestimmte Tätowierungen (z. B. "Adler mit weit geöffneten Flügeln" oder "achtzackiger Stern") sind nur den "Dieben im Gesetz" vorbehalten. Zentrale Bedeutung hat die Einrichtung von traditionell verwurzelten Gemeinschaftskassen ("Abschtschjak"), wovon vor allem strafrechtlich verfolgte oder inhaftierte Gruppenmitgliedern sowie deren Angehörige profitieren. Gruppenmerkmale Weitere bedeutsame Gruppenmerkmale sind - die Steuerung durch in Russland und in anderen europäischen Ländern ansässige kriminelle Autoritäten, - das Einsetzen von "Statthaltern" in Bayern, die nach Festnahmeaktionen sofort nachersetzt werden, - der hierarchische Aufbau mit arbeitsteiliger Arbeitsweise, - die Anwendung von Gewalt zur Tatausführung auch gegenüber Mittätern. In den zurückliegenden Jahren gab es mehrere Gerichtsverfahren gegen Angehörige der russischen OK in Bayern, die mit hohen Haftstrafen endeten. 3.2 OK-Gruppierungen aus dem Balkan und der Türkei In Bayern sind mehrere kriminelle Netzwerke aus Südosteuropa und der Türkei aktiv. Diese sind in ihren Strukturen meist ethnisch homogen; das bedeutet, dass Personen anderer Nationalitäten in der Regel nicht aufgenommen werden. Eine weitere Besonderheit ist häufig dieselbe Religion, der gleiche Geburtsort oder eine gemeinsame militärische Ausbildung. "Balkanroute" Über die so genannte Balkanroute wird hauptsächlich Rauschgiftund Menschenhandel betrieben. Darüber hinaus stehen bei den Ermittlungsbehörden Schleusungen, Zigarettenschmuggel sowie Eigentums-, Fälschungsund Betrugsdelikte im Fokus. Dabei ist häufig eine Zusammenarbeit mit kriminellen Strukturen aus Staaten wie Rumänen, Bulgarien oder Albanien festzustellen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Organisierte Kriminalität 243 DEU AUT HUN SVN ROM HRV BIH SRB/ MTN BGR TUR Klassische Balkanroute Nördliche Balkanroute Strukturermittlungen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz ergaben, dass die Drahtzieher oft im Ausland sitzen und kriminellen Aktivitäten durch "Statthalter" durchführen lassen. Die Gewinne werden oft in Immobilien und Unternehmen außerhalb von Deutschland investiert. Der Kauf wird über Strohmänner - meist Verwandte - abgewickelt. 3.3 OK-Gruppierungen aus Asien Mitglieder asiatischer OK-Gruppen rekrutieren sich vor allem aus Vietnamesen und Chinesen. Sie nutzen u. a. gewerbliche Strukturen im Bereich der Gastronomie und den Dienstleistungssektor zur Verschleierung ihrer kriminellen Aktivitäten. Abweichend von klassischen Vorstellungen der OK arbeiten die Gruppierungen in der Regel nur temporär zusammen, um ihre Ziele zu erreichen. Bei den Straftaten handelt es sich hauptsächlich um SteuerhinSteuerhinterziehung terziehungen sowie um Geldwäsche. Hohe Gewinne werden und Geldwäsche auch mit Schleusungen und der professionellen Vermittlung von Scheinehen zur Beschaffung legaler Aufenthaltstitel erzielt. Hinzu kommen Rauschgiftdelikte wie der illegale Anbau und Handel mit Betäubungsmitteln, insbesondere Cannabisprodukte, Heroin und Kokain. In Bayern konzentrieren sich die Aktivitäten vor allem vietnamesischer Tätergruppierungen auf die Ballungsräume München Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Organisierte Kriminalität 244 und Nürnberg. Diese unterhalten häufig seit langem gewachsene Kontakte zu Vietnamesen in den neuen Bundesländern und in die Tschechische Republik. 3.4 Italienische Mafia In Italien fanden im Jahr 2010 umfangreiche Polizei-Aktionen gegen Mitglieder der großen Mafia-Organisationen Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta statt, bei denen auch hochrangige und lange gesuchte Anführer inhaftiert werden konnten. Auch in Deutschland sind Mitglieder dieser Gruppierungen feststellbar. 'Ndrangheta Die Präsenz der 'Ndrangheta wurde im Jahr 2007 durch die Aufsehen erregenden Morde in Duisburg deutlich. Drei der Drahtzieher, die Angehörige eines verfeindeten Clans sind und mutmaßlich aus Rache sechs Menschen erschossen haben, befinden sich zwischenzeitlich in italienischer Haft. Der Prozess gegen einen der Täter ist bereits eröffnet. Die 'Ndrangheta ist eine aus dem süditalienischen Kalabrien stammende kriminelle Organisation, deren Struktur überwiegend auf familiären Banden beruht. Längst hat sie ihre kriminellen Machenschaften über Norditalien in andere europäische Länder und weltweit ausgedehnt. Auch in Bayern sind kriminelle italienische OK-Gruppierungen aktiv. Meistens handelt es sich dabei um Mitglieder von Großfamilien, die hier gastronomische Betriebe zur Verschleierung ih- I t a l i e Sacra Corona Unita n (in Deutschland nicht aktiv) Camorra 'Ndrangheta Cosa Nostra Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Organisierte Kriminalität 245 rer Aktivitäten übernehmen und hauptsächlich in den Bereichen Drogenhandel, illegale Beschäftigung sowie Betrug tätig sind. Daneben wird Deutschland auch als Ruheraum genutzt. 3.5 Rockerkriminalität Rockerkriminalität umfasst alle Straftaten von einzelnen oder mehreren Mitgliedern einer Rockergruppe, deren Tatmotivation im direkten Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und der Solidarität zu ihr zu sehen ist. Mit der von den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden eingeführten Bezeichnung Outlaw Motorcycle Gang (OMCG) werden weltweit die polizeilich besonders relevanten Rockergruppierungen von der breiten Masse der Motorradclubs (MCs) abgegrenzt, die zwar im Einzelfall auch kriminelle Aktivitäten verfolgen können, diese aber nicht als Hauptmotivation ihrer Existenz verstehen. Das Phänomen der Rockerkriminalität ist in den USA entstanden. Veteranen des Zweiten Weltkriegs, die Kameradschaft und Disziplin des Militärs im zivilen Leben vermissten, fanden sich in Motorradclubs (MCs) zusammen. 1947 kam es bei einem Motorradtreffen in Hollister/USA zu schweren Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Rockergruppierungen und der Polizei. Vertreter eines Motorradverbands erklärten später, dass nur "ein Prozent" der Motorradfahrer an den Unruhen beteiligt war. Daraus leitet sich heute der Begriff des "One-Percenter" "1-Prozenter" oder "1-Prozenter" ab. 1948 entstand in den USA die bekannteste "1-Prozenter"-Gruppierung, die "Hells Angels", die sich später auch in Europa und Deutschland etablieren konnte. In Texas wurde 1966 der Bandidos Motorcycle Club (MC) gegründet. Ein Jahr später eröffnete der Outlaws MC in Florida seine erste Ortsgruppe (Chapter). In den Folgejahren hatte die Gruppe so starken Zulauf, dass sie heute als eine der großen Motorradclubs der Welt gilt. Das Logo der Gruppierung ist der Totenkopf mit den gekreuzten Kolben, der so genannte Charlie. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Organisierte Kriminalität 246 Als erster deutscher Club wurde 1972 der Gremium MC in Mannheim gegründet. Er ist mittlerweile der größte Club Deutschlands und besitzt auch außerhalb Deutschlands so genannte Chapter. Das Clubzeichen ist die nach oben gestreckte Faust. Heute gibt es deutschlandweit vier erwähnenswerte "1-Prozenter"Rockerorganisationen. Dabei handelt es sich um die Hells Angels, die Bandidos, die Outlaws und den Gremium MC. Als regionaler Schwerpunkt des 50 Chapter starken Bandidos MC ist der Westen Deutschlands anzusehen. Der Hells Angels MC hat sich hingegen mit seinen mehr als 40 Chaptern - bei dieser Gruppe Charter genannt - gleichmäßig in ganz Deutschland verbreitet. Auch in Bayern sind diese vier "1-Prozenter"-Gruppierungen mit Chaptern vertreten; zusätzlich gibt es den Trust MC mit 20 bayerischen Chaptern. Die Chapter des Trust MC und des Gremium MC sind auf ganz Bayern verteilt. Der Outlaws MC ist verstärkt im nordbayerischen Raum angesiedelt. Den wesentlich größeren Einfluss auf die aktuellen Strukturen in Bayern haben jedoch der Hells Angels MC und der Bandidos MC, die jeweils auch die Vorherrschaft in der hiesigen Club-Szene für sich beanspruchen. Der Hells Angels MC hat in Bayern drei Charter, zwei davon in München, eines in Hof. Der Bandidos MC unterhält in Bayern acht Chapter. Bei den beiden letztgenannten Gruppierungen sind momentan verstärkt Expansionsbestrebungen festzustellen, was insbesondere auf die aktuelle Schwächung des Trust MC zurückzuführen sein dürfte. Im Juli lösten sich nach internen Differenzen zwölf der vormals 32 Chapter des Trust MC auf. Große Teile der ehemaligen Mitglieder schlossen sich entweder dem Hells Angels MC oder dem Bandidos MC an. Der Rest verteilte sich auf kleinere Clubs oder legte seine "Kutten" ab. Der Trust MC hat hierdurch erheblich an Bedeutung verloren; gleichzeitig wurden die Positionen des Hells Angels MC und des Bandidos MC durch den personellen Zuwachs gestärkt. Die aktiven Mitglieder der OMCGs, ihrer Unterstützer-Gruppen (so genannte Supporter) und sonst polizeilich relevanten MCs werden in Bayern derzeit auf mindestens 700 Personen geschätzt. Die Beziehungen der konkurrierenden Rockergruppen reichen insbesondere unter Berücksichtigung örtlicher Gegebenheiten Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Organisierte Kriminalität 247 von Neutralität bis hin zu offener Feindschaft, was zu Spannungen und gewalttätigen Konflikten führen kann. In jedem Chapter eines "1-Prozenter"-Clubs besteht eine strenHierarchischer ge Hierarchie. Diese unterscheidet Vollmitglieder, "Prospects" Aufbau und "Hangarounds". Aus dem "Hangaround" (interessierter Anwärter) rekrutiert sich der "Prospect" (ernsthafter Anwärter). Nach Ablauf der Anwartschaft, die mehrere Jahre dauern kann, werden sie in der Regel zu Vollmitgliedern. Hierbei verpflichtet man sich dem Club gegenüber zu einer lebenslangen Zugehörigkeit und bedingungsloser Loyalität. Wichtige Funktionen innerhalb des Chapters werden ausschließlich durch Vollmitglieder besetzt. Präsident und Vizepräsident führen den Club, weitere Funktionsträger sind der "Sergeant at Arms" (Waffenwart), der "Secretary" (Schriftführer), der "Treasurer" (Kassenwart) sowie der "Roadcaptain" (Organisation von Ausfahrten). Für das Verhalten der einzelnen Mitglieder gelten strenge, unge"Ehrenkodex" schriebene Regeln ("Ehrenkodex"). Anhaltspunkte für OK liegen bei den "1-Prozenter"-Rockergruppierungen vor, weil der Verdacht auf die Begehung von schwerem Straftaten besteht und darüber hinaus - ein hierarchischer innerer Aufbau und ein interner Ehrenkodex vorliegen, - Expansionsbestrebungen feststellbar sind, - Gebietsansprüche durch Anwendung von Gewalt durchgesetzt werden, - Machtund Gewinnstreben vorherrschen sowie ein - arbeitsteiliges Vorgehen praktiziert wird. Mitglieder von OMCGs sind auch in Bayern in typischen OK-Deliktsfeldern aktiv, wobei der Handel mit Betäubungsmitteln, Gewaltdelikte wie Körperverletzungsdelikte oder Bedrohungen eine wesentliche Rolle spielen. Das Geschäftsgebaren einzelner Rockergruppierungen zielt unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel auch in legalen Geschäftsfeldern auf einen territorialen und finanziellen Machtzuwachs gegenüber konkurrierenden Clubs ab. In Bayern bewegen sich die Straftaten bislang auf eher niedrigem Niveau. Eine steigende Tendenz ist jedoch erkennbar. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 249 Grafische Darstellung extremistischer Entwicklungen Anzahl der Extremisten in Bayern 9.000 8.000 7.000 6.040 6.000 5.020 5.000 4.000 3.515 3.000 2.000 2.600 1.000 1.400 0 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Islamisten sonstige ausländische Extremisten Rechtsextremisten Linksextremisten Scientology-Organisation Extremistisch motivierte Gewalttaten in Bayern 210 172 180 150 127 120 109 82 90 71 76 68 53 58 60 47 30 11 1 5 6 5 0 2006 2007 2008 2009 2010 Rechtsextremismus Linksextremismus Ausländerextremismus Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 250 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 1997 (GVBl S. 70, BayRS 12-1-I) Geändert durch 2 des Geset zes zur Anpassung des Bayerischen Landesrechts an Art. 13 des Grundgeset zes vom 10. Juli 1998 (GVBl S. 383), Art. 4 Abs. 1 des Parlamentarischen Kontrollgremium-Geset zes vom 10. Februar 2000 (GVBl S. 40), 1 des Geset zes zur Änderung des Bayerischen Ver fassungsschutzgesetzes, des Geset zes zur Ausführung des Geset zes zu Art. 10 Grundgesetz, des Bayerischen Sicherheitsüberprüfungsgeset zes und des Parlamentarischen Kontrollgremium-Geset zes vom 24. Dezember 2002 (GVBl S. 969), 1 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, des Ausführungsgesetzes Art. 10-Gesetz und des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 8. Juli 2008 (GVBl S. 357), 2 des Gesetzes zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes, des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes und des Bayerischen Datenschutzgesetzes vom 27. Juli 2009 (GVBl S. 380) sowie Art. 11 des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 8. November 2010 (GVBI S. 722). antwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit I. Abschnitt der Ver waltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, Organisation und Aufgaben des das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit Ver fassungsschut zes für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer OpArt. 1 position. Organisation des Ver fassungsschut zes, Verhältnis zur Polizei (3) Organisier te Kriminalität ist die von Gewinnoder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von (1) 1 Zum Schutz der frei heit li chen de mo kra tiStraf taten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von schen Grund ordnung, des Be stan des und der Sierheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, cherheit des Bundes und der Länder besteht in Baydurch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder ern ein Landesamt für Ver fassungsschutz. 2 Es dient unbestimmte Dauer arbeitsteilig tätig werden auch dem Schutz vor Organisier ter Kriminalität. - unter Ver wendung gewerblicher oder geschäfts(2) 1 Freiheitliche de mo kratische Grund ordnung ähnlicher Struk turen oder nach Ab satz 1 ist eine Ordnung, die unter Aus- - unter Anwen dung von Gewalt oder durch entschluss jeglicher Gewaltund Willkürherr schaft eisprechende Drohung oder ne rechts staat li che Herr schafts ordnung auf der - unter Einflussnahme auf Politik, Ver waltung, JusGrundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach tiz, Medien oder Wirtschaft. dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit dar stellt. 2 Zu den grundle gen(4) 1 Das Lan des amt für Ver fas sungs schutz ist den Prinzipien dieser Ordnung ge hö ren min deseine dem Staatsminis terium des Innern unmit teltens: Die Achtung vor den im Grundgesetz konkretibar nachgeordnete Behörde. 2 Das Landesamt und sier ten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht Dienst stel len der Po li zei dür fen ei nan der nicht der Per sönlichkeit auf Leben und freie Ent faltung, angegliedert werden. 3 Dem Landesamt für Ver fasdie Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Versungs schutz steht ein Weisungsrecht ge genüber Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | BayVSG 251 Dienststellen der Polizei oder die Befugnis zu poliausgehen. 2 Das Landesamt hat in Er füllung dieser zeilichen Maßnahmen nicht zu. Aufgabe Infor matio nen, ins be son de re sachund per so nen be zo ge ne Aus künf te, Nach rich ten und Art. 2 Unter lagen über solche Be strebungen oder TätigZuständigkeit keiten zu sammeln und auszuwerten. 3 Die notwendige Koordinierung mit den anderen Sicherheits(1) 1 Das Landesamt für Ver fassungsschutz hat die behörden und den Strafverfolgungsbehörden wird gesetzlich festgelegten Aufgaben zu er füllen. 2 Dazu in Richtlinien des Staatsministeriums des Innern im gehört auch die Zusammenarbeit Bayerns mit dem Einvernehmen mit dem Staatsministerium der JusBund und den anderen Ländern in Angelegenheiten tiz geregelt. 4 Über diese Richtlinien wird das Parlades Ver fassungsschut zes. mentarische Kontrollgremium gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 1 des Parlamentarischen Kontrollgremium-Ge(2) Ver fassungsschutzbehörden der anderen Länsetzes (PKGG) unterrichtet. der dür fen in Bayern nur im Einvernehmen mit dem Landes amt für Ver fas sungs schutz nach Maß gabe (2) Das Landesamt für Ver fassungsschutz hat die dieses Geset zes tätig werden. Aufgabe, Art. 3 1. nach Maßgabe des Bayerischen SicherheitsüberAufgaben prüfungsgeset zes an der Sicherheitsüberprüfung von Per sonen, denen im öf fentlichen Interes se (1) 1 Das Landesamt für Ver fassungsschutz hat die geheim hal tungs be dürf ti ge Tat sa chen, Ge genAufgabe, stände oder Erkenntnisse anver traut werden, die Zugang dazu er halten sollen oder ihn sich ver1. Be stre bun gen im Gel tungs be reich des Grund - schaf fen können, geset zes, die ge gen die freiheit li che de mo kra2. an der Si cher heits über prü fung von Per so nen, tische Grund ord nung, den Be stand oder die die an sicher heits empfindlichen Stellen von leSicher heit des Bun des oder ei nes Lan des gebensoder ver teidigungswichtigen Einrichtungen richtet sind oder eine ungesetzliche Be einträchbeschäf tigt sind oder beschäf tigt werden sollen, tigung der Amtsführung ver fassungsmäßiger Or3. an tech nischen Si cher heits maß nah men zum gane des Bun des oder eines Lan des oder ihrer Schutz von Tat sachen, Ge gen stän den oder ErMitglieder zum Ziele haben, kenntnissen, die im öf fentlichen Interesse geheim2. sicherheitsgefähr dende oder geheimdienstliche haltungsbe dürf tig sind, ge gen die KenntnisnahTätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetme durch Unbefugte zes für eine fremde Macht, 3. Be stre bun gen im Gel tungs be reich des Grund - mit zuwirken. geset zes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen aus(3) Das Landesamt für Ver fassungsschutz hat die wär tige Belange der Bundesrepublik Deutschland Aufgabe, amtliche Auskünf te zu er teilen gefährden, 1. im Rahmen der Über prü fung der Ver fas sungs4. Be stre bun gen im Gel tungs be reich des Grund - treue von Per so nen, die sich um Einstellung in geset zes, die ge gen den Ge danken der Völkerden öf fentlichen Dienst bewerben, ver ständigung (Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz), ins2. nach Maß gabe des Art. 14, insbesondere in Einbesondere gegen das friedliche Zusammenleben bür ge rungsund Or dens ver fah ren zur Ver leider Völker (Art. 26 Abs. 1 Grundgesetz), gerichtet hung des Ver dienstor dens der Bun des re pub lik sind, Deutschland - mit Ausnahme der Ver dienstme5. Be stre bun gen und Tä tig kei ten der Or ga ni sierdaille - und des Bayerischen Verdienstordens, soten Kriminalität im Geltungsbereich des Grundwie nach Art. 15. gesetzes zu beobachten; solche Bestrebungen und Tätigkeiten können von Gruppierungen oder Einzelpersonen Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | BayVSG 252 unter bleibt, wenn sie einen Nachteil her bei führt, II. Abschnitt der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigAllgemeine Befugnisse und Datenverarbeitung ten Er folg steht. Art. 4 Allgemeine Befugnisse Art. 5 Erhebung personenbezogener Daten (1) 1 Das Lan des amt für Ver fas sungs schutz darf zur Er füllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz 1 Das Lan des amt für Ver fas sungs schutz darf die dazu er for der lichen Infor mationen einschließpersonenbezogene Daten erheben, soweit das zur lich per so nenbezo ge ner Daten auch ohne KenntEr füllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz er fornis der be trof fe nen Grup pie rung oder Per son erderlich ist. 2 Zur Er füllung seiner Aufgaben nach Art. 3 heben und in Ak ten und Dateien verarbeiten, diese Abs. 3 Nr. 1 darf das Landesamt für Ver fassungsInfor mationen nut zen sowie aus Ak ten und Dateischutz personenbezogene Daten jedoch nur im Rahen übermit teln, soweit nicht nachfolgend besondemen von Nachermittlungen erheben, soweit das zur re Bestimmungen gelten. 2 Das Landesamt für VerÜberprüfung von Informationen er forderlich ist, die fassungsschutz darf personenbezogene Daten auch bei den Verfassungsschutzbehörden bereits vorliegen. für die Vor gangsver wal tung nut zen und verar beiten. 3 Ist zum Zweck der Datenerhebung die ÜberArt. 6 mittlung personenbezogener Daten er forderlich, so Anwendung nachrichtendienstlicher Mit tel darf ein entsprechendes Ersuchen des Landesamts für Ver fassungsschutz nur diejenigen per sonenbe(1) 1 Zur Er füllung seiner Aufgaben nach die sem zo genen Daten enthalten, die für die Er teilung der Gesetz darf das Landesamt für Ver fassungsschutz Auskunft unerlässlich sind. 4 Schutz würdige Interesauch nachrichtendienstliche Mit tel anwenden; besen des Betrof fenen dür fen nur in unvermeidbarem sondere gesetzliche Regelungen bleiben unberührt. Umfang beeinträchtigt werden. 2 Sie die nen der ver deck ten In for ma ti ons ge winnung und der Sicher heit des Landes amts für Ver(2) 1 Die Befugnisse des Landesamts für Ver fasfassungsschutz und seiner Mit arbeiter. 3 Nachrichsungsschutz bei der Mit wirkung nach Art. 3 Abs. 2 tendienstliche Mit tel sind Maßnahmen zur Tarnung, Nrn. 1 und 2 sind im Bayerischen Sicherheitsüberprüder Einsatz geheimer Mitarbeiter und andere Maßfungsgesetz vom 27. Dezember 1996 (GVBl S. 509, nahmen, die verbergen sollen, dass das Landesamt BayRS 12-3-I), zuletzt geändert durch 6 des Gesetfür Ver fas sungs schutz Infor mationen erhebt. 4 Die zes vom 24. April 2001 (GVBl S. 140), in der jeweils nachrichtendienstlichen Mittel sind in einer Dienstgeltenden Fassung geregelt, soweit sie nicht in bevorschrift zu benennen, in der auch die Zustänsonderen Gesetzen geregelt sind; Art. 6 Abs. 1 Satz 6 digkeit für die Anordnung solcher Informationsbebleibt unberührt. 2 Das Landesamt für Ver fassungsschaffungen zu regeln ist. 5 Die Dienstvorschrift beschutz darf, soweit gesetzlich nichts anderes bedarf der Zustimmung des Staatsministeriums des stimmt ist, an einer Überprüfung nach Art. 3 Abs. 2 Innern, das das Parlamentarische Kontrollgremium Nr. 2 nur mit wirken und nach Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 nur unterrichtet. 6 Bei Sicherheitsüberprüfungen (Art. 3 Auskunft er teilen, wenn die betrof fene Person der Abs. 2 Nrn. 1 und 2) darf das Landesamt für Ver fasDurchführung der Überprüfung zugestimmt hat; wersungsschutz nur das nachrichtendienstliche Mit tel den der Ehegatte oder die Person, mit der die betrofder Tarnung von Mitarbeitern anwenden. fene Person in eheähnlicher oder gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft lebt, in die Überprüfung mit ein(2) Das Lan des amt für Ver fas sungs schutz darf bezogen, so ist auch deren Zustimmung er forderlich. personenbezogene Daten nach Art. 5 durch Anwendung nachrichtendienstlicher Mit tel erheben, wenn (3) 1 Sind für die Er füllung einer Aufgabe verschiedene Maßnahmen geeignet, so hat das Landesamt 1. tat säch li che An halts punk te für Be stre bun gen für Ver fassungsschutz diejenige zu wählen, die die oder Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 vorliegen oder betrof fe ne Gruppie rung oder Per son voraus sichtauf diese Weise Erkenntnisse über Nachrichtenlich am wenigsten beeinträchtigt. 2 Eine Maßnahme zugänge gewonnen werden können oder Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | BayVSG 253 2. das zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtun5. Gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der gen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des 306 a, 306 b, 307 Abs. 1 und 2, 308 Abs. 1, Landesamts für Ver fassungsschutz gegen sicher309 Abs. 1, 310 Abs. 1, 313 Abs. 1, 314 Abs. 1, heitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätig315 Abs. 3, 315 b Abs. 3, 316 c StGB und keiten er forderlich ist. 6. Straftaten nach dem Waffengesetz (WaffG) und dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaf(3) 1 Per sonenbezo gene Daten dür fen durch Anfen ( 51 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2, 52 wendung nachrichtendienstlicher Mit tel nur erhoben Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 5 WaffG; 19 wer den, wenn die Da ten nicht auf ei ne an de re Abs. 2, 20 Abs. 1, jeweils auch in Verbindung mit geeignete Weise gewonnen wer den können, die 21 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegsdie betrof fene Per son weniger beeinträchtigt. 2 Die waffen; 22 a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 des Anwen dung nach rich ten dienst li cher Mit tel darf Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen). nicht er kennbar au ßer Ver hält nis zur Be deu tung des auf zuklären den Sachver halts ste hen. 3 Sie ist (3) 1 Maßnahmen nach Abs. 1 sind nur zulässig, unver züglich zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht wenn und soweit ist oder sich ergibt, dass er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. 1. die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und Art. 6 a 2. für den Fall, dass zu privaten Wohnzwecken geEinsatz technischer Mit tel im Schutzbereich nutzte Räumlichkeiten betroffen sind, in denen des Art. 13 Grundgesetz sich die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, allein oder ausschließlich mit engsten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Familienangehörigen, mit in gleicher Weise Vertechnische Mittel im Schutzbereich des Art. 13 des trauten oder mit Berufsgeheimnisträgern nach Grundgesetzes als nachrichtendienstliche Mittel 53, 53 a der Strafprozessordnung (StPO) in der im Sinn des Art. 6 Abs. 1 unter besonderer BerückFassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 sichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßig(BGBl I S. 1074, 1319) in der jeweils geltenden keit nach Art. 6 Abs. 3 nur unter den nachfolgenden Fassung aufhält, Voraussetzungen einsetzen. a) tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass Gespräche geführt werden, die (2) 1 Maßnahmen nach Abs. 1 sind nur zulässig, einen unmittelbaren Bezug zu den im Abs. 2 sofern tatsächliche Anhaltspunkte für den Vergenannten Bestrebungen oder Tätigkeiten hadacht vorliegen, dass jemand Bestrebungen oder ben, ohne dass ein Gesprächsteilnehmer über Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 durch die Plaihren Inhalt das Zeugnis als Geistlicher, Verteinung oder Begehung von Straftaten verfolgt, die diger, Rechtsanwalt, Arzt, Berater für Fragen im Einzelfall geeignet sind, den Bestand oder die der Betäubungsmittelabhängigkeit, PsychoSicherheit des Bundes oder eines Landes oder in logischer Psychotherapeut oder Kinderund erheb lichem Maße Leib, Leben oder Freiheit von Jugendlichenpsychotherapeut nach 53, Personen zu gefährden. 2 Solche Straftaten sind: 53 a StPO verweigern könnte, oder b) die Maßnahme sich auch gegen die Familien1. Straftaten des Friedensverrats, Hochverrats und angehörigen, Vertrauten oder BerufsgeheimLandesverrats ( 80, 81, 82, 94 Strafgesetzbuch nisträger richtet, und - StGB), 3. für den Fall, dass sich die Maßnahme gegen einen 2. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung ( 129 a, Berufsgeheimnisträger nach 53, 53 a StPO 129 b StGB), selbst richtet und die zu seiner Berufsausübung 3. Straftaten gegen das Leben ( 211, 212 StGB, 6 bestimmten Räumlichkeiten betroffen sind, die Völkerstrafgesetzbuch), Voraussetzungen der Nr. 2 Buchst. a vorliegen. 4. Straftaten gegen die persönliche Freiheit ( 232, 233, 233 a Abs. 2, 234, 234 a Abs. 1, 239 a, 2 In den Fällen des Satzes 1 Nrn. 2 und 3 ist eine nur 239 b StGB), automatische Aufzeichnung nicht zulässig; wird Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | BayVSG 254 bei einer Maßnahme nach Abs. 1 erkennbar, dass Richter mitzuteilen. 7 Ein Bediensteter des LandesGespräche geführt werden, die dem Kernbereich amts für Verfassungsschutz mit Befähigung zum der privaten Lebensgestaltung zuzurechnen sind, Richteramt beaufsichtigt den Vollzug der Anordund bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sie nung und eventuelle Datenübermittlungen. dem Zweck der Herbeiführung eines Erhebungsverbots dienen sollen, ist die Datenerhebung unver(2) 1 Die durch Maßnahmen nach Art. 6 a erhobezüglich und so lange erforderlich zu unterbrechen. nen Daten sind als solche zu kennzeichnen. 2 Nach einer Übermittlung hat der Empfänger die Kenn(4) 1 Maßnahmen nach Abs. 1 dürfen im Fall des zeichnung aufrecht zu erhalten; darauf ist dieser Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 nur in Wohnungen des in der Anhinzuweisen. 3 Daten aus Maßnahmen nach Art. 6 a ordnung bezeichneten Adressaten durchgeführt dürfen nur verwendet werden werden. 2 In Wohnungen anderer Personen sind die 1. zur Abwehr und Aufklärung der in Art. 6 a Abs. 2 Maßnahmen zulässig, wenn es nicht Wohnungen genannten Gefahren, von Berufsgeheimnisträgern nach 53, 53 a StPO 2. zur Verfolgung von Straftaten, wenn die Vorsind und auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehaussetzungen der Strafprozessordnung für die men ist, dass Datenerhebung bei der Erhebung vorgelegen ha1. der Adressat sich dort aufhält und ben und bei der Übermittlung noch vorliegen, 2. die Maßnahme in Wohnungen des Adressaten 3. zur Abwehr dringender Gefahren für Leib, Leben allein zur Erforschung des Sachverhalts nicht oder Freiheit von Menschen. möglich oder nicht ausreichend ist. 4 Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft unverzüglich und dann in Abständen von sechs Monaten, 3 Die Erhebung personenbezogener Daten über andere ob die durch Maßnahmen nach Art. 6 a erhobenen als die in Satz 1 genannten Personen ist zulässig, personenbezogenen Daten allein oder zusammen soweit sie unvermeidliche Folge einer Maßnahme mit bereits vorliegenden Daten für die Zwecke des nach Abs. 1 ist. Satzes 3 erforderlich sind. 5 Daten, bei denen sich nach Auswertung herausstellt, dass Art. 6 b 1. die Voraussetzungen für ihre Erhebung nicht vorVerfahrensregelungen für Maßnahmen gelegen haben oder nach Art. 6 a 2. sie Inhalte betreffen, über die das Zeugnis als Geistlicher, Verteidiger, Rechtsanwalt, Arzt, Berater für (1) 1 Der Einsatz technischer Mittel nach Art. 6 a Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit, Psybedarf einer richterlichen Anordnung auf Antrag des chologischer Psychotherapeut oder Kinderund Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz Jugendlichenpsychotherapeut nach 53, 53 a oder dessen Stellvertreters. 2 Bei Gefahr im Verzug StPO verweigert werden könnte, oder kann der Präsident des Landesamts für Verfas3. sie dem Kernbereich privater Lebensgestaltung sungsschutz oder dessen Vertreter die Anordnung oder einem Vertrauensverhältnis mit anderen treffen; eine richterliche Entscheidung ist unverzügBerufsgeheimnisträgern zuzuordnen sind und keilich nachzuholen. 3 In der schriftlichen Anordnung nen unmittelbaren Bezug zu den in Art. 6 a Abs. 2 sind Adressat, Art, Umfang und Dauer der Maßnahgenannten Bestrebungen oder Tätigkeiten haben, me zu bestimmen und die wesentlichen Gründe zu benennen. 4 Die Anordnung ist auf längstens einen dürfen nicht verwendet werden, es sei denn, ihre Monat zu befristen; Verlängerungen um jeweils Verwendung ist zur Abwehr einer gegenwärtigen nicht mehr als einen Monat sind auf Antrag zulässig, Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person ersoweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbeforderlich und Daten im Sinn der Nr. 2 oder 3 sind stehen. 5 Liegen die Voraussetzungen nicht mehr vor nicht betroffen. 6 Über eine Übermittlung von Daten oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel aus einer Maßnahme nach Art. 6 a an Stellen außernicht mehr erforderlich, so ist die Maßnahme ungehalb des Verbunds der Verfassungsschutzbehörden achtet des in der Anordnung genannten Zeitraums entscheidet der Richter. 7 Bei Gefahr im Verzug kann unverzüglich zu beenden. 6 Die Beendigung ist dem die Entscheidung auch der Präsident des Landes- Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | BayVSG 255 amts für Verfassungsschutz oder dessen Vertreter 3. die Voraussetzungen für eine Mitteilung auch treffen; in diesem Fall ist eine richterliche Entscheinach fünf Jahren nach Beendigung der Maßnahdung unverzüglich nachzuholen. me nicht eingetreten sind, sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft (3) 1 Daten, die dem Kernbereich privater Lebensnicht eintreten werden und die Voraussetzungestaltung zuzurechnen sind und nicht verwendet gen für eine Löschung sowohl bei der erhebenwerden dürfen, sind unverzüglich zu löschen. 2 Die den Stelle als auch beim Empfänger der Daten durch eine Maßnahme nach Art. 6 a Abs. 1 erlangvorliegen. ten personenbezogenen Daten, deren Verwendung zu den in Abs. 2 Satz 3 genannten Zwecken nicht (5) 1 Der verdeckte Einsatz technischer Mittel im erforderlich ist oder für die ein Verwendungsverbot Schutzbereich des Art. 13 des Grundgesetzes ausbesteht, sind unverzüglich unter Aufsicht eines Beschließlich zum Schutz der für den Verfassungsdiensteten, der die Befähigung zum Richteramt hat, schutz in diesem Bereich tätigen Personen bedarf zu löschen; soweit die Daten für eine Mitteilung an der Anordnung des Präsidenten des Landesamts den Betroffenen oder für eine gerichtliche Nachfür Verfassungsschutz oder eines von ihm bestellprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme von ten Beauftragten. 2 Eine anderweitige Verwendung Bedeutung sein können, sind sie zu sperren. 3 Die der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zuläsgesperrten Daten dürfen nur zu den in Satz 2 Halbsig, wenn zuvor der Richter festgestellt hat, dass satz 2 genannten Zwecken verwendet werden. 4 Im die Maßnahme rechtmäßig ist und die VoraussetFall der Mitteilung an den Betroffenen sind die Daten zungen des Art. 6 a Abs. 2 vorliegen; bei Gefahr erst zu löschen, wenn der Betroffene nach Ablauf im Verzug ist die richterliche Entscheidung unvereines Monats nach seiner Benachrichtigung keine züglich nachzuholen. 3 Soweit Erkenntnisse verwenKlage erhebt; auf diese Frist ist in der Mitteilung hindet werden, gelten für die Datenverarbeitung, die zuweisen. 5 Im Fall einer gerichtlichen Überprüfung Löschung der Daten und die Mitteilung an den sind die Daten nach deren Abschluss zu löschen. Betrof fenen Abs. 2 bis 4 entsprechend. 4 Im Übrigen 6 Die Löschung von Daten ist zu protokollieren. sind die Daten unverzüglich zu löschen. (4) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz teilt (6) 1 Zuständiges Gericht zur Entscheidung nach den in der Anordnung bezeichneten Personen soden Abs. 1, 2, 4 und 5 ist das Amtsgericht am Sitz wie denjenigen, deren personenbezogene Daten erdes Landesamts für Verfassungsschutz. 2 Für das hoben und zu den Zwecken des Abs. 2 Satz 3 verVerfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über wendet wurden, Maßnahmen nach Art. 6 a Abs. 1 das Verfahren in Familiensachen und in Angelegennach ihrer Einstellung, frühestens jedoch dann heiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entspremit, wenn eine Gefährdung des Zwecks der Maßchend; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. nahme ausgeschlossen werden kann. 2 Erfolgt die Mit teilung nicht binnen sechs Monaten nach Einstel(7) 1 Die Staatsregierung unterrichtet den Landtag lung der Maßnahmen, bedarf ihre weitere Zurückjährlich über die gemäß Art. 6 a und, soweit richterstellung der richterlichen Zustimmung. 3 Dem lich überprüfungsbedürftig, nach Abs. 5 angeordGericht sind die Gründe mitzuteilen, die einer Mitteineten Maßnahmen. 2 Das Parlamentarische Kontlung an den Betroffenen entgegenstehen. 4 Die richrollgremium übt auf der Grundlage dieses Berichts terliche Entscheidung ist jeweils nach einem Jahr erdie parlamentarische Kontrolle aus. neut einzuholen, wenn das Gericht keine andere Frist bestimmt. 5 Eine Mitteilung kann mit richterlicher Art. 6 c Zustimmung auf Dauer unterbleiben, wenn Besondere Auskunftsersuchen und Einsatz technischer Mittel zur Ortung von 1. überwiegende Interessen eines Betroffenen entMobilfunkendgeräten gegenstehen, 2. die Identität oder der Aufenthaltsort eines Betrof(1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf fenen nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erim Einzelfall bei denjenigen, die geschäftsmäßig mittelt werden kann oder Postdienstleistungen erbringen oder Telemedien Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | BayVSG 256 anbieten oder daran mitwirken, Auskunft über Da1. zu Hassoder Willkürmaßnahmen gegen Teile ten einholen, die für die Begründung, inhaltliche der Bevölkerung aufzustacheln oder deren MenAusgestaltung, Änderung oder Beendigung eines schenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Vertragsverhältnisses über Postdienstleistungen Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreioder Telemedien gespeichert worden sind, soweit fen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung dies zur Erfüllung der Aufgaben nach Art. 3 Abs. 1 von Gewalt zu fördern und den öffentlichen FrieSatz 1 erforderlich ist. 2 Die Verpflichteten haben die den zu stören oder Auskunft unentgeltlich zu erteilen. 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten, einschließlich dem Befürworten, Hervorrufen oder (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Unterstützen von Gewaltanwendung, auch durch im Einzelfall auch im Rahmen des 113 a des TeleUnterstützen von Vereinigungen, die Anschläge kommunikationsgesetzes (TKG) vom 22. Juni 2004 gegen Personen oder Sachen veranlassen, befür(BGBl I S. 1190) in der jeweils geltenden Fassung worten oder androhen. Auskunft einholen bei 3 Die Verpflichteten haben die Auskunft unentgelt1. Luftfahrtunternehmen zu Namen und Anschriften lich zu erteilen. von Kunden sowie zu Inanspruchnahme und Umständen von Transportleistungen, insbesondere (3) Auskünfte nach Abs. 2 dürfen nur über Persozum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und nen eingeholt werden, bei denen zum Buchungsweg, 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten sie die schwerwiegenden Gefahren nach Abs. 2 und Finanzunternehmen zu Konten, Konten infördern, oder haber und sonstigen Berechtigten sowie weiteren 2. auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist am Zahlungsverkehr Beteiligten und über Gelda) bei Auskünften nach Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1, 2 bewegungen und Geldanlagen, insbesondere über und 5, dass sie die Leistung für eine Person Kontostand und Zahlungseinund -ausgänge, nach Nr. 1 in Anspruch nehmen oder 3. denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleisb) bei Auskünften nach Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 und 4, tungen erbringen und daran mitwirken, zu den dass sie für eine Person nach Nr. 1 bestimmte Umständen des Postverkehrs, oder von ihr herrührende Mitteilungen ent4. denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikagegennehmen oder weitergeben oder im Fall tionsdienste erbringen oder daran mitwirken, zu des Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, dass eine Person nach Verkehrsdaten nach 96 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 TKG Nr. 1 ihre Kommunikationseinrichtung benutzt. und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Ver(4) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf kehrsdaten und im Einzelfall unter den Voraussetzungen des Abs. 2 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Telemedien anauch technische Mittel zur Ermittlung des Standorts bieten oder daran mitwirken, über eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgeräts oder a) Merkmale zur Identifikation des Nutzers von zur Ermittlung der Geräteund Kartennummern einTelemedien, setzen. 2 Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne b) Angaben über Beginn und Ende sowie über die Ermittlung die Erreichung des Zwecks der Überden Umfang der jeweiligen Nutzung und wachungsmaßnahme aussichtslos oder wesentc) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch gelich erschwert wäre. 3 Sie darf sich nur gegen die nommenen Telemedien, in Abs. 3 Nrn. 1 und 2 Buchst. b bezeichneten Persoweit dies zur Erfüllung der Aufgaben nach Art. 3 so nen richten. 4 Personenbezogene Daten eines Abs. 1 Satz 1 erforderlich ist und tatsächliche AnDritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur haltspunkte für eine schwerwiegende Gefahr für die erhoben werden, wenn dies aus technischen Grünin Art. 3 Abs. 1 genannten Schutzgüter vorliegen. den zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1 unver- 2 Im Fall des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 gilt dies nur für meidbar ist. 5 Sie unterliegen einem absoluten VerBestrebungen, die bezwecken oder auf Grund ihrer wendungsverbot und sind nach Beendigung der Wirkungsweise geeignet sind, Maßnahme unverzüglich zu löschen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | BayVSG 257 Art. 6 d um spezifische Kennungen sowie den Standort eines Abhören und Aufzeichnen des informationstechnischen Systems zu ermitteln. nichtöffentlich gesprochenen Wortes 2 Personenbezogene Daten Dritter dürfen dabei nur erhoben werden, soweit dies aus technischen GrünDas Landesamt für Verfassungsschutz darf außerden unvermeidbar ist. 3 Nach Beendigung der Maßhalb von Wohnungen und außerhalb des Anwennahme sind diese unverzüglich zu löschen. dungsbereichs des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (ArtiArt. 6 f kel 10-Gesetz - G 10) vom 26. Juni 2001 (BGBl I Verfahrensvorschriften S. 1254, 2298) in der jeweils geltenden Fassung das nichtöffentlich gesprochene Wort unter besonderer (1) 1 Maßnahmen nach Art. 6 c Abs. 4 sowie AusBerücksichtigung des Grundsatzes der Verhältniskünfte nach Art. 6 c Abs. 2 bedürfen eines Antrags, mäßigkeit nach Art. 6 Abs. 3 mit dem verdeckten der durch den Präsidenten des Landesamts für VerEinsatz technischer Mittel abhören und aufzeichnen. fassungsschutz oder seinen Vertreter schriftlich zu stellen und zu begründen ist. 2 Über den Antrag entArt. 6 e scheidet das Staatsministerium des Innern. Verdeckte Online-Datenerhebung (2) 1 Die Anordnung einer Maßnahme nach Art. 6 c (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz kann Abs. 4 sowie eines Auskunftsersuchens nach Art. 6 c bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte einer konAbs. 2 über künftig anfallende Daten ist auf höchskreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtstens drei Monate zu befristen. 2 Eine Verlängerung gut unter den Voraussetzungen des Art. 6 a Abs. 2 im um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag Einzelfall mit technischen Mitteln verdeckt auf inforzulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung mationstechnische Systeme zugreifen, um Zugangsfortbestehen. 3 Anordnungen über Auskunftsdaten und gespeicherte Daten zu erheben; die Maßersuchen nach Art. 6 c Abs. 2 sind dem Verpflichnahmen sind zu dokumentieren. 2 Die Anordnung ist teten insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies erfornur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts derlich ist, um ihm die Erfüllung seiner Verpflichauf andere Weise aussichtslos oder wesentlich ertung zu ermöglichen. 4 Das Auskunftsersuchen und schwert wäre. 3 Sie darf sich nur gegen Verdächtige die übermittelten Daten darf der Verpflichtete dem und ihre Nachrichtenmittler richten. 4 Gegen NachBetroffenen oder Dritten nicht mitteilen. richtenmittler darf sich die Maßnahme nur insoweit richten, als sie kein Recht zur Verweigerung des (3) 1 Im Fall der Anordnung eines AuskunftsZeugnisses nach den 53, 53 a StPO haben. 5 Wird ersuchens nach Art. 6 c Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 erkennbar, dass in ein durch ein Berufsgeheimnis sowie bei Maßnahmen nach Art. 6 c Abs. 4 untergeschütztes Vertrauensverhältnis im Sinn der 53, richtet das Staatsministerium des Innern monatlich 53 a StPO eingegriffen wird, ist die Maßnahme insodie nach Art. 2 des Ausführungsgesetzes Artikel weit unzulässig, es sei denn, sie richtet sich gegen 10-Gesetz (AGG 10) gebildete Kommission über die den Berufsgeheimnisträger selbst. 6 Soweit informaAnordnungen vor deren Vollzug. 2 Bei Gefahr im tionstechnisch und ermittlungstechnisch möglich, Verzug kann es den Vollzug der Anordnung auch sind alle Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die bereits vor der Unterrichtung der Kommission anErhebung von Daten, die dem Kernbereich privaordnen. 3 Die Kommission prüft von Amts wegen ter Lebensgestaltung zuzurechnen sind, vermieden oder auf Grund von Beschwerden, ob die Anordwerden kann. 7 Wird erkennbar, dass solche Daten nung zulässig und notwendig ist. 4 15 Abs. 5 G 10 betroffen sind und bestehen keine Anhaltpunkte ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dafür, dass diese Daten dem Zweck der Herbeifühdass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf rung eines Erhebungsverbots dienen sollen, ist die die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung weitere Datenerhebung insoweit unzulässig. der nach Art. 6 c Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 und Abs. 4 erlangten personenbezogenen Daten er(2) 1 Zur Vorbereitung einer Maßnahme nach Abs. 1 streckt. 5 Anord nungen, die die Kommission für dürfen auch technische Mittel eingesetzt werden, unzulässig oder nicht notwendig erklärt hat, hat das Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | BayVSG 258 Staatsministerium des Innern unverzüglich aufzuheFragen der Betäubungsmittelabhängigkeit, Psyben. 6 Die Daten unterliegen in diesem Fall einem chologischer Psychotherapeut oder Kinderund absoluten Verwendungsverbot und sind unverzügJugendlichenpsychotherapeut nach 53, 53 a lich zu löschen. 7 Für die Verarbeitung der erhobeStPO verweigert werden könnte, oder nen Daten ist 4 G 10 entsprechend anzuwenden. 3. einem Vertrauensverhältnis mit anderen Berufs- 8 Für die Mitteilung an den Betroffenen finden 12 geheimnisträgern zuzuordnen sind, Abs. 1 und 3 G 10 entsprechende Anwendung. sind diese unverzüglich zu löschen oder dem zuständigen Richter zur Entscheidung über die wei(4) 1 Die Erhebung und Verwendung von Daten tere Verwendung vorzulegen; Art. 6 b Abs. 2 Satz 7 nach Art. 6 d bedarf der Genehmigung des Präsigilt entsprechend. 4 Zuständiges Gericht ist das in denten des Landesamts für Verfassungsschutz 74 a Abs. 4 GVG bezeichnete Gericht, in dessen oder seines Stellvertreters. 2 Soweit bei MaßnahBezirk das Landesamt für Verfassungsschutz seimen nach Art. 6 d Daten erhoben wurden, bei denen Sitz hat. 5 Über Beschwerden entscheidet das in nen sich nach Auswertung herausstellt, dass 120 Abs. 4 Satz 2 GVG bezeichnete Gericht. 6 Für 1. die Voraussetzungen für ihre Erhebung nicht vordas Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes gelegen haben oder über das Verfahren in Familiensachen und in Ange2. sie Inhalte betreffen, über die das Zeugnis als legenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entspreGeistlicher, Verteidiger, Rechtsanwalt, Arzt, Berachend; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. ter für Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit, Psychologischer Psychotherapeut oder KinArt. 6 g (aufgehoben) derund Jugendlichenpsychotherapeut nach Art. 6 h 53, 53 a StPO verweigert werden könnte, oder Information des Parlamentarischen 3. sie dem Kernbereich privater Lebensgestaltung Kontrollgremiums zuzuordnen sind und keinen unmittelbaren Bezug zu den in Art. 6 a Abs. 2 genannten Bestrebungen (1) 1 Das Staatsministerium des Innern unterrichtet oder Tätigkeiten haben, im Abstand von höchstens sechs Monaten das Parladürfen sie nicht verwendet werden, es sei denn, mentarische Kontrollgremium nach dem Parlamenihre Verwendung ist zur Abwehr einer gegenwärtitarischen Kontrollgremium-Gesetz über die Durchgen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Perführung von Auskunftsersuchen und Maßnahmen son erforderlich und Daten im Sinn der Nr. 2 oder nach Art. 6 c Abs. 2 und 4 sowie in jährlichem 3 sind nicht betroffen. 3 Daten, die nicht verwendet Abstand über die Datenerhebung nach Art. 6 e und, werden dürfen, sind unverzüglich zu löschen. sofern diese Daten länger als sechs Monate gespeichert wurden, nach Art. 6 d; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis (5) 1 Bei Maßnahmen nach Art. 6 e gelten Art. 6 b und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Abs. 1 bis 4 entsprechend. 2 Die schriftliche AnordMaßnahmen nach Art. 6 c Abs. 2 zu geben. 2 Das nung der Maßnahme muss soweit möglich Namen Gremium erstattet dem Landtag jährlich einen und Anschrift des Betroffenen, gegen den sich die Bericht über die Durchführung sowie Art, Umfang Maßnahme richtet, sowie die Bezeichnung des und Anordnungsgründe der Auskunf tsersuinformationstechnischen Systems, auf das zugechen und Maßnahmen nach Art. 6 c Abs. 2, 4 und griffen werden soll, enthalten und ist bei der erstArt. 6 e. 3 Die Grundsätze des Art. 9 Abs. 1 PKGG maligen Anordnung abweichend von Art. 6 b Abs. 1 sind zu beachten. Satz 4 auf höchstens drei Monate zu befristen. 3 Bestehen bei der Durchsicht der Daten Anhaltspunkte (2) Das Staatsministerium des Innern erstattet dafür, dass Daten dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bun1. dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzudes jährlich einen Bericht nach 8 a Abs. 8 des ordnen sind oder Bundesverfassungsschutzgesetzes über die Durch2. Inhalte betreffen, über die das Zeugnis als Geistführung des Art. 6 c Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 bis 5; licher, Verteidiger, Rechtsanwalt, Arzt, Berater für dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | BayVSG 259 Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Bezu einer be stimmten Per son geführt wer den, auf richtszeitraum durchgeführten Maßnahmen nach das Maß fest zulegen, das zur Er füllung seiner AufArt. 6 c Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 zu geben. gabe nach diesem Gesetz er forderlich ist. Art. 7 (4) Werden Bewer tungen über Betrof fene gespeiSpeicherung und Veränderung chert, muss erkennbar sein, wer die Bewer tung vorpersonenbezogener Daten genommen hat und wo die Informationen gespeichert sind, die der Bewer tung zugrunde liegen. (1) 1 Das Lan des amt für Ver fas sungs schutz darf zur Er füllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz Art. 8 personenbezogene Daten in Dateien speichern und Berichtigung und Löschen von Daten verändern, wenn (1) Das Lan des amt für Ver fas sungs schutz hat 1. tat säch li che An halts punk te für Be stre bun gen die in Dateien ge speicher ten per sonenbezo genen oder Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 vorliegen oder Daten zu be richtigen, wenn sie unrichtig sind; in 2. dies für die Er for schung und Bewer tung von BeAk ten, die zu einer bestimmten Person geführt werstrebungen oder Tätigkei ten nach Art. 3 Abs. 1 den, ist dies zu vermerken. er forderlich ist oder 3. das Landesamt für Ver fassungsschutz nach Art. 3 (2) 1 Das Lan des amt für Ver fas sungs schutz hat Abs. 2 Nrn. 2 und 3 an Überprüfungen mit wirkt. die in Da tei en ge spei cher ten perso nen be zo ge- 2 In den Fällen des Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 dür fen pernen Daten zu lö schen, wenn ih re Spei che rung sonenbezo gene Daten in Dateien nur ge speichert nach Art. 7 unzuläs sig war oder ihre Kenntnis für wer den, wenn tat sächliche Anhaltspunk te für Bedie Er füllung seiner ge setzlich festge leg ten Aufstrebungen oder Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 vorgaben nicht mehr er for der lich ist; Ak ten, die zu lie gen. 3 Das Recht der Nut zung und Ver abei tung ei ner be stimm ten Per son ge führt wer den, sind personenbezogener Daten nach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 unter die sen Voraus setzungen zu ver nichten. 2 Ob zur Vorgangsver waltung bleibt unberührt. die Vor aus set zun gen der Lö schung und Ver nichtung nach Satz 1 vorliegen, ist bei je der Einzelfall(2) 1 Personenbezogene Daten über das Verhalten bearbeitung und nach festgesetz ten Fristen zu enteiner Per son vor Vollendung des 14. Lebensjahres scheiden. 3 Die Löschung oder Vernichtung unterdür fen nicht in Dateien gespeichert werden. 2 Persobleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass nenbezogene Daten über das Verhalten einer Person durch sie schutzwür dige Interes sen der betrof fenach Vollendung des 14. und vor Vollendung des nen Per son be einträchtigt würden. 4 In diesem Fall 16. Lebensjahres sind zwei Jahre nach dem Verhalsind die Daten zu sperren; sie dür fen nur noch mit ten zu löschen, es sei denn, dass weitere ErkenntnisEinwil li gung der be trof fe nen Per son über mit telt se im Sinn des Art. 3 Abs. 1 angefallen sind. 3 Persowerden. nenbezogene Daten über das Verhalten einer Person nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des (3) 1 Für die Ar chi vie rung gel ten die Vor schrif18. Le bensjahres sind zwei Jahre nach dem Verten des Baye rischen Ar chivge set zes. 2 Die Anbiehalten auf die Er forderlichkeit der Speicherung in tungspflicht bestimmt sich nach Maßgabe der nach Dateien zu über prüfen und spätes tens fünf Jahre Art. 6 Abs. 2 BayArchivG abzuschließenden Vereinnach dem Verhalten zu löschen, es sei denn, dass barung. weitere Erkenntnisse im Sinn des Art. 3 Abs. 1 angefallen sind über ein Verhalten nach Eintritt der VollArt. 9 jährigkeit. 4 Für Ak ten, die zu einer minderjährigen Errichtungsanordnung Per son geführt wer den, gel ten die vor ste hen den Prüfungsund Löschungsfristen entsprechend. (1) 1 Für den erstmaligen Einsatz einer automatisier ten Datei, in der per sonenbezogene Daten ver(3) Das Landesamt für Ver fassungsschutz hat die ar bei tet wer den, hat das Lan des amt für Ver fasDauer der Speicherung in Dateien und in Ak ten, die sungsschutz in einer Errichtungsanordnung, die der Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | BayVSG 260 Zustimmung des Staatsministeriums des Innern besich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empdarf, fest zulegen: fänger von Übermittlungen. 4 Das Landesamt für Verfassungsschutz bestimmt das Verfahren, ins1. Bezeichnung der Datei, besondere die Form der Auskunftserteilung, nach 2. Zweck der Datei, pflichtgemäßem Ermessen. 3. betrof fener Personenkreis, 4. Art der zu speichernden Daten, 5. Eingabeberechtigung, (2) So weit ei ne Per son ei ner Si cher heits über6. Zugangsberechtigung, prüfung nach Art. 3 Abs. 2 unter zo gen wird oder 7. regelmäßige Übermittlungen, zu einer Per son Auskunft nach Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 8. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, er teilt wird, hat die se Per son ab wei chend von 9. Protokollierung des Abrufs. Absatz 1 einen Anspruch auf Auskunft über die Daten des Landesamts für Ver fassungsschutz, die es 2 Nach der Zu stim mung des Staats mi nis te ri ums im Rahmen der Er füllung dieser Aufgaben übermitdes Innern ist die Errichtungsanordnung dem Lantelt hat. des be auf trag ten für den Da ten schutz unver züglich mit zu teilen. 3 Werden in der automatisierten (3) Die Auskunftser teilung unterbleibt, soweit Datei personenbezogene Daten verarbeitet, die der Kontrolle der nach Art. 2 AGG 10 gebildeten Kom1. eine Gefährdung der Er füllung der Aufgaben nach mission unterliegen, ist die Errichtungs anordnung Art. 3 durch die Auskunftser teilung zu besorgen auch der Kommission mitzuteilen. 4 Entsprechendes ist, gilt für wesentliche Änderungen des Ver fahrens. 2. durch die Auskunftser teilung nachrichtendienstliche Zu gän ge ge fähr det sein können oder die (2) Die Zustimmung des Staatsminis teriums des Aus for schung des Er kennt nis stan des oder der Innern darf nur er teilt wer den, wenn die SpeicheAr beitsweise des Lan des amts für Ver fas sungsrung per sonenbezo gener Daten auf das er for derschutz zu befürchten ist, liche Maß beschränkt ist. 3. die Auskunft die öf fentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Lan(3) Das Landesamt für Ver fassungsschutz hat in des Nachteile bereiten würde oder angemes senen Abständen die Not wendigkeit der 4. die Infor mation oder die Tat sache der SpeicheWei ter führung oder Än de rung seiner Datei en zu rung nach ei ner Rechts vor schrift oder ih rem prüfen. Wesen nach, ins be son de re we gen der überwiegen den be rechtig ten Inte res sen eines DritArt. 10 ten, geheimgehalten werden muss. Geltung des Bayerischen Datenschutzgeset zes (4) 1 Die Ablehnung der Auskunftser teilung bedarf Bei der Er füllung der gesetzlich festgelegten Aufkeiner Be gründung. 2 Wird die Auskunftser teilung gaben durch das Landesamt für Ver fassungsschutz abgelehnt, ist der Betrof fene auf die Rechtsgrundfinden die Art. 10 bis 13, 15 bis 23 und 26 bis 28 des lage für das Fehlen der Begründung und darauf hinBaye ri schen Da ten schutzge set zes kei ne Anwenzuweisen, dass er sich hinsichtlich der Verarbeitung dung. personenbezogener Daten an den Landesbeauf tragten für den Datenschutz wenden kann. 3 Dem LanArt. 11 desbe auf trag ten für den Datenschutz ist auf sein Auskunftser teilung Ver lan gen Aus kunft zu er teilen, soweit nicht das Staatsministerium des Innern im Einzelfall feststellt, (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines dem Betroffenen auf Antrag kostenfrei Auskunft Landes gefährdet würde. 4 Mit teilungen des Landesüber die zu seiner Person in Dateien oder Akten beauf tragten an den Betrof fenen dür fen keine Rückgespeicherten Daten. 2 Die Auskunftsverpflichtung schlüsse auf den Kenntnisstand des Landesamts für besteht nur, soweit der Betroffene ein besonderes Ver fas sungs schutz zulas sen, so fern die ses nicht Interesse an einer Auskunft darlegt. 3 Sie erstreckt einer weitergehenden Auskunft zustimmt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | BayVSG 261 Maßnahme gewonnen werden kann. 3 Das LandesIII. Abschnitt amt für Ver fassungsschutz hat Ersuchen zu begrünÜbermittlungsregelungen den, es sei denn, dass eine Begründung dem Schutz Art. 12 der betrof fenen Gruppierung oder Person zuwiderInformationsübermittlung an das Landesamt läuft oder den Zweck der Maßnahme gefährden für Ver fassungsschutz ohne Ersuchen würde. 4 Es hat die Ersuchen aktenkundig zu machen. (1) Die Be hör den, Ge rich te hin sicht lich ih rer (2) 1 Das Landesamt für Ver fassungsschutz darf AkRegis ter, Ge biets kör per schaf ten und an de re der ten anderer öf fentlicher Stellen und amtlich geführstaat lichen Auf sicht unter ste hen den ju ris ti schen te Da tei en un ter den Vor aus set zun gen des AbPer sonen des öf fentlichen Rechts sowie sonstige sat zes 1 ein se hen, soweit das zur Er füllung seiöffentliche Stellen des Freistaats Bayern haben von ner Auf ga ben nach die sem Ge setz er for der lich sich aus dem Lan des amt für Ver fas sungs schutz ist und die sons tige Übermittlung von Informatiodie ihnen bei Er fül lung ih rer Auf ga ben be kannt nen aus den Ak ten oder den Datei en den Zweck geworde nen Infor mationen zu über mit teln, wenn der Maß nah me ge fähr den, ei nen über mä ßi gen tat sächliche Anhaltspunk te dafür be ste hen, dass Auf wand er for dern oder das Per sönlichkeitsrecht die Über mitt lung für die Er füllung der Aufgaben des Be trof fe nen unnö tig be ein träch ti gen würdes Landesamts für Ver fassungsschutz nach Art. 3 de. 2 Über die Ein sicht nah me in amt lich ge führAbs. 1 oder ent spre chen der Aufgaben auf Grund te Da tei en hat das Lan des amt für Ver fas sungseines Geset zes nach Art. 73 Nr. 10 Buchst. b oder c schutz ei nen Nachweis zu führen, aus dem der des Grundgeset zes er forderlich sein kann. Zweck und die ein ge se he ne Da tei her vor ge hen; die Nach wei se sind ge son dert auf zu be wah ren, (2) 1 Das Landesamt für Ver fassungsschutz hat die gegen unberechtig ten Zugriff zu sichern und am über mit tel ten Infor mationen nach ihrem Eingang Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstelunver züglich darauf zu über prü fen, ob sie für die lung folgt, zu vernichten. Erfüllung seiner in Absatz 1 genannten Aufgaben er forderlich sind. 2 Ergibt die Prüfung, dass sie nicht (3) 1 Hält eine in Art. 12 Abs. 1 ge nannte öf fenter forderlich sind, sind die Unterlagen unver züglich liche Stelle das Er suchen nach Absatz 1 oder die zu vernichten. 3 Die Vernichtung kann unterbleiben, Ein sicht nahme nach Ab satz 2 für unzuläs sig, so wenn die Trennung von anderen Informationen, die teilt sie das dem Landesamt für Ver fassungsschutz zur Er füllung der Aufgaben er forderlich sind, nicht mit. 2 Be steht die ses auf dem Er su chen oder der oder nur mit unver tret ba rem Auf wand er fol gen Einsichtnahme, so ent scheidet darüber die oberskann; in diesem Fall dür fen die nicht er forderlichen te fachliche Aufsichtsbehörde, die für die er suchte Informationen nicht ver wendet werden. Stelle zuständig ist. Art. 13 (4) Art. 12 Abs. 2 gilt entsprechend. Informationsübermittlung an das Landesamt für Ver fassungsschutz auf Ersuchen Art. 14 Personenbezogene Datenübermittlung (1) 1 Die in Art. 12 Abs. 1 genannten öf fentlichen durch das Landesamt für Ver fassungsschutz Stellen haben dem Landesamt für Ver fassungsschutz auf dessen Er suchen die ihnen bei Er füllung ihrer (1) 1 Das Lan des amt für Ver fas sungs schutz darf Aufgaben bekannt gewordenen Infor mationen zu per so nen be zo ge ne Da ten an öf fent li che Stel len übermit teln, soweit das zur Er füllung der Aufgaben über mit teln, wenn das zur Er füllung sei ner Aufdes Landesamts für Verfassungsschutz nach diesem gaben nach die sem Ge setz er for der lich ist oder Gesetz er forderlich ist. 2 Das Landesamt für Ver faswenn die öf fentliche Stelle die Daten zum Schutz der sungsschutz darf Ersuchen nach Satz 1 nur stellen, freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder wenn die Information auf andere Weise nur mit übersonst für Zwe cke der öf fentlichen Sicher heit einmäßigem Auf wand oder nur durch eine die betrofschließlich der Straf ver folgung benötigt; das Lanfene Gruppierung oder Per son stärker belas tende desamt für Ver fassungsschutz hat die Übermittlung Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | BayVSG 262 ak tenkundig zu machen. 2 Gleiches gilt, wenn der fänger als öf fentliche Stellen nur über mit telt werEmpfänger die personenbezogenen Daten zur Erfülden, wenn dies zum Schutz vor den in Art. 3 Abs. 1 lung anderer ihm zugewiesener Aufgaben benötigt, Satz 1 bezeichneten Bestrebungen, Gefahren und sofern er dabei auch zum Schutz der freiheitlichen Tätigkeiten er forderlich ist. 2 Die Übermittlung nach de mo krati schen Grund ordnung beizu tragen oder Satz 1 be darf der vor he ri gen Zu stim mung des Ge sichts punk te der öf fent li chen Si cher heit oder Staats mi nis te riums des In nern; die Zu stim mung auswärtige Belange zu würdigen hat. 3 Der Empfänkann auch für ei ne Mehr zahl von gleich ar ti gen ger darf die übermit telten Daten, soweit gesetzlich Fällen vor weg er teilt werden. 3 Das Landesamt für nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verVer fas sungs schutz hat die Über mitt lung aktenwenden, zu dem sie ihm übermit telt wurden, es sei kundig zu machen. 4 Der Empfänger darf die überdenn, dass das Landes amt für Ver fas sungsschutz mit telten Daten nur zu dem Zweck ver wenden, zu einer an de ren Ver wen dung für Zwe cke nach den dem sie ihm übermit telt wurden. 5 Das Landesamt Sät zen 1 und 2 zuge stimmt hat. 4 Satz 1 gilt auch für Ver fas sungs schutz hat den Empfänger darauf für die Weitergabe personenbezogener Daten innerhinzuweisen. halb des Landesamts für Ver fassungsschutz. (5) 1 Über mitt lungs pflich ten nach bun des recht(2) 1 Das Landes amt für Ver fas sungs schutz darf li chen Vor schrif ten bleiben unbe rührt. 2 Das LanDienststellen der Stationierungsstreitkräf te im Rahdesamt für Ver fassungsschutz kann andere Ver fasmen von Art. 3 des Zusatzabkommens zu dem Absungsschutzbehörden auch dadurch unterrichten, kommen zwischen den Par teien des Nordatlantikdass es die sen den Ab ruf von Daten im au to maver trags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hintisier ten Ver fahren ermöglicht, soweit deren gesetzsichtlich der in der Bundesre pub lik Deutschland liche Aufgaben identisch sind. stationier ten ausländischen Streitkräf te vom 3. August 1959 (BGBl II 1961 S. 1183) per sonenbezogene (6) Zur Übermittlung personenbezogener Daten Daten übermit teln; das Landesamt für Ver fassungsnach Abs. 1 bis 4 ist unter den dort genannten Vorausschutz hat die Übermittlung ak tenkundig zu machen. setzungen auch das Staatsministerium des Innern 2 Der Empfänger ist darauf hinzu weisen, dass die befugt. übermit telten Daten nur zu dem Zweck ver wendet werden dür fen, zu dem sie ihm übermit telt wurden. Art. 15 Unterrichtung der Öf fentlichkeit (3) 1 Das Lan des amt für Ver fas sungs schutz darf per so nen be zo ge ne Da ten an öf fent li che Stel len 1 Das Staatsministerium des Innern und das Lanaußerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes des amt für Ver fas sungs schutz un ter rich ten die sowie an überoder zwi schen staat li che öffent liÖf fentlichkeit über tatsächliche Anhaltspunkte für che Stellen übermit teln, wenn die Übermittlung zur Be strebungen und Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1. Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz oder 2 Dabei dür fen der Öf fentlichkeit personenbezogene zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Daten be kanntge ge ben wer den, wenn das InterEmpfängers er forderlich ist; das Landesamt für Veresse der Öf fentlichkeit an der Unter richtung das fassungsschutz hat die Übermittlung ak tenkundig schutzwürdige Interesse der betrof fenen Person an zu machen. 2 Die Über mittlung unter bleibt, wenn der Wahrung ihrer Anonymität über wiegt. auswär tige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder über wiegende schutz würdige Interessen Art. 16 der be trof fe nen Per son entge gen ste hen. 3 Sie ist Nachberichtspflicht aktenkundig zu machen. 4 Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass die übermit telten Daten nur zu Er wei sen sich per so nen be zo ge ne Da ten nach dem Zweck ver wendet werden dür fen, zu dem sie ihrer Über mittlung durch das Lan des amt für Verihm übermit telt wurden. fassungs schutz als unvoll stän dig oder unrichtig, sind sie unver züglich gegenüber dem Empfänger zu (4) 1 Per so nen be zo ge ne Da ten dür fen au ßer in berichtigen, wenn das zur Wahrung schutz würdiger den Fällen des Art. 4 Abs. 1 Satz 3 an andere EmpInteressen der betrof fenen Person er forderlich ist. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | BayVSG 263 Art. 17 Grundgeset zes und Art. 106 Abs. 3 der Ver fassung Übermittlungsverbote und das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmelde ge heimnis ses nach Art. 10 des Grundge set zes (1) Die Übermittlung von Informationen durch das und Art. 112 der Ver fassung eingeschränkt werden. Landesamt für Ver fassungsschutz nach den Art. 4 und 14 hat zu unterbleiben, wenn Art. 23 1. erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Änderung des Geset zes zur Ausführung des Art der Informationen und ihrer Erhebung das Geset zes zu Art. 10 Grundgesetz schutzwürdige Interesse der Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung über wiegt, oder Das Ge setz zur Aus füh rung des Ge set zes zu 2. über wie gende Sicher heitsinteres sen dies er forArt. 10 Grundgesetz (AGG 10) vom 11. Dezember dern. 1984 (GVBl S. 522, BayRS 12-2-I) wird wie folgt geändert: (2) Besondere Rechtsvor schrif ten, die Informati1. Art. 2 Abs. 3 Satz 6 er hält fol gen de Fas sung: onsübermittlungen zulassen oder verbieten, bleiben "6 Die Kommis sion gibt sich eine Ge schäfts ordunberührt. nung, die der Zustimmung der Parlamentarischen Kontrollkommission für die Angelegenheiten des Ver fassungsschut zes bedarf." IV. Abschnitt 2. In Art. 3 werden die Wor te "den für SicherheitsParlamentarische Kontrolle fra gen zu stän di gen Aus schuss des Land tags" Art. 18 durch die Wor te "die Parlamentarische KontrollParlamentarisches Kontrollgremium kommission für die Angelegenheiten des Ver fassungsschut zes" ersetzt. Die parlamentarische Kontrolle der Staatsre gierung hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Art. 24 Ver fassungsschutz er folgt nach den Bestimmungen Inkraftreten des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes. 1 Dieses Gesetz tritt am 1. November 1990 in Kraft.* Art. 19 und 20 (aufgehoben) 2 Gleichzeitig treten außer Kraft: 1. Das Gesetz über die Errichtung eines Landesamts für Ver fassungsschutz (BayRS 12-1-I), V. Abschnitt 2. Art. 8 Abs. 2 Nr. 5 des Bayerischen DatenschutzSchlussvorschrif ten geset zes (BayRS 204-1-I). Art. 21 Er füllung bundesrechtlicher Aufgaben Zur Er fül lung von Auf ga ben auf Grund ei nes Ge set zes nach Art. 73 Nr. 10 Buchst. b und c des Grundgeset zes stehen dem Landesamt für Ver fassungsschutz die Befugnisse zu, die es zur Er füllung der ent spre chen den Aufgaben nach die sem Landesgesetz hat. Art. 22 * Die se Vor schrift be trifft das Inkrafttre ten des Einschränkung von Grundrechten Ge set zes in der ur sprüng li chen Fas sung vom 24. August 1990 (GVBl S. 323). Der Zeitpunkt des Auf Grund dieses Geset zes kann das Grundrecht Inkrafttre tens der spä te ren Än de run gen er gibt der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 des sich aus den jeweiligen Änderungsgeset zen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 264 Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle der Staatsregierung hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz sowie hinsichtlich der Maßnahmen nach Art. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes (Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz - PKGG) Vom 8. November 2010 (GVBl 2010 S. 722) Art. 1 Art. 2 Kontrollrahmen Mitgliedschaft (1) Dem Parlamentarischen Kontrollgremium ob(1) 1Das Parlamentarische Kontrollgremium besteht liegt die Kontrolle der Staatsregierung hinsichtaus sieben Mitgliedern. 2Der Landtag wählt zu Belich der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsginn jeder neuen Wahlperiode aus seiner Mitte die schutz; dies umfasst auch die Kontrolle gemäß Mitglieder des Parlamentarischen KontrollgremiArt. 6b Abs. 7 und Art. 6h des Bayerischen Verfasums. 3Das Vorschlagsrecht steht den Fraktionen sungsschutzgesetzes (BayVSG) sowie gemäß Art. 3 im Verhältnis ihrer Stärke zu. 4Das Verfahren nach des Ausführungsgesetzes Art. 10-Gesetz (AGG 10). Sainte-Lague/Schepers findet Anwendung. 5In gleicher Weise wird für jedes Mitglied ein stellvertre(2) Das Parlamentarische Kontrollgremium übt die tendes Mitglied gewählt. 6Gewählt ist, wer die Stimparlamentarische Kontrolle gemäß Art. 13 Abs. 6 men der Mehrheit der Mitglieder des Landtags auf Satz 3 des Grundgesetzes zum Vollzug der Maßsich vereint. nahmen nach Art. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes nach Maßgabe von Art. 48a des Gesetzes zur (2) 1Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiAusführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und ner Fraktion aus oder wird es Mitglied der Staatsrevon Verfahrensgesetzen des Bundes (AGGVG), Art. gierung, so verliert es seine Mitgliedschaft im Parla34 Abs. 9 und Art. 34d Abs. 8 des Polizeiaufgabenmentarischen Kontrollgremium; Art. 3 Abs. 3 bleibt gesetzes (PAG) aus. unberührt. 2Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen. 3Das Gleiche gilt, wenn (3) Die Rechte des Landtags und seiner Ausschüsse ein Mitglied aus dem Parlamentarischen Kontrollsowie der Kommission nach dem Ausführungsgegremium ausscheidet. 4Für die stellvertretenden setz Art. 10-Gesetz bleiben unberührt. Mitglieder gelten die Sätze 1 bis 3 entsprechend. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | PKGG 265 Art. 3 Art. 5 Zusammentritt Befugnisse des Kontrollgremiums (1) 1Das Parlamentarische Kontrollgremium tritt (1) Das Parlamentarische Kontrollgremium kann von mindestens einmal im Vierteljahr zusammen. 2Es der Staatsregierung verlangen, gibt sich eine Geschäftsordnung. 3Ihm obliegt die Wahl seines bzw. seiner Vorsitzenden und stellver1. im Rahmen der Unterrichtung der Staatsregierung tretenden Vorsitzenden. Einsicht in Akten, Schriftstücke und Dateien des Landesamts für Verfassungsschutz zu erhalten, (2) Jedes Mitglied kann die Einberufung und die Un2. im Rahmen der Unterrichtung der Staatsregieterrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremirung Einsicht in Akten, Schriftstücke und Dateien ums verlangen. der Staatsregierung zu erhalten, die die Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz betreffen, (3) Das Parlamentarische Kontrollgremium übt seiund ne Tätigkeit auch über das Ende einer Wahlperiode 3. Zutritt zu den Dienststellen des Landesamts für des Landtags hinaus so lange aus, bis der nachfolVerfassungsschutz zu erhalten. gende Landtag gemäß Art. 2 entschieden hat. (2) 1Das Parlamentarische Kontrollgremium kann nach Unterrichtung der Staatsregierung Art. 4 Pflicht der Staatsregierung zur Unterrichtung 1. Angehörige des Landesamts für Verfassungsschutz, (1) 1Das Staatsministerium des Innern unterrich2. für die Tätigkeit des Landesamts für Verfassungstet das Parlamentarische Kontrollgremium umfasschutz zuständige Mitglieder der Staatsregierung send über die allgemeine Tätigkeit des Landesamts und für Verfassungsschutz und über Vorgänge von be3. mit der Tätigkeit des Landesamts für Verfassonderer Bedeutung. 2Auf Verlangen des Parlamensungsschutz befasste Mitarbeiter von Mitgliedern tarischen Kontrollgremiums hat die Staatsregieder Staatsregierung befragen. rung auch über sonstige Vorgänge zu berichten. 3 Die politische Verantwortung der Staatsregierung 2 Die zu befragenden Personen sind verpflichtet, für das Landesamt für Verfassungsschutz bleibt unvollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu berührt. machen. (2) 1Das Staatsministerium des Innern erstattet (3) Den Verlangen des Parlamentarischen Kontrolldem Parlamentarischen Kontrollgremium Bericht gremiums hat die Staatsregierung unverzüglich zu nach Maßgabe des Art. 3 des Gesetzes über die Aufentsprechen. gaben der G 10-Kommission im Bayerischen Landtag und zur Ausführung des Ausführungsgesetzes Art. 10-Gesetz, nach Maßgabe der Art. 6 Abs. 1 und Art. 6 Art. 6h BayVSG. 2Art. 2 AGG 10 bleibt unberührt. Umfang der Unterrichtungspflicht, Verweigerung der Unterrichtung (3) 1Das Staatsministerium des Innern erstattet dem Parlamentarischen Kontrollgremium jährlich Be(1) Die Verpflichtung der Staatsregierung nach Art. richt nach Art. 34 Abs. 9 und Art. 34d Abs. 8 PAG so- 4 Abs. 1 und 2 und Art. 5 erstreckt sich nur auf Inforwie Art. 6b Abs. 7 BayVSG. 2Die Berichterstattung mationen und Gegenstände, die der Verfügungsbenach diesen Vorschriften kann gesondert erfolgen. rechtigung des Landesamts für Verfassungsschutz unterliegen. (4) Das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz erstattet dem Parlamentarischen Kon(2) 1Soweit dies aus zwingenden Gründen des Nachtrollgremium jährlich Bericht nach Art. 48a AGGVG. richtenzugangs oder aus Gründen des Schutzes Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | PKGG 266 von Persönlichkeitsrechten Dritter notwendig ist esse anderer Angehöriger dieser Behörde, ohne oder wenn der Kernbereich der exekutiven EigenEinhaltung des Dienstweges unmittelbar an das verantwortung betroffen ist, kann die StaatsregieParlamentarische Kontrollgremium zu wenden. rung sowohl die Unterrichtung nach Art. 4 als auch 2 Eingaben sind zugleich an die Leitung des Landesdie Erfüllung von Verlangen nach Art. 5 Abs. 1 und amts für Verfassungsschutz zu richten. 3Das Parla- 2 verweigern sowie den in Art. 5 Abs. 2 genannten mentarische Kontrollgremium übermittelt die EinPersonen die Erteilung der Auskunft untersagen. gaben der Staatsregierung zur Stellungnahme. 2 Macht die Staatsregierung von diesen Rechten Gebrauch, so hat sie dies dem Parlamentarischen Kon(2) An den Landtag gerichtete Eingaben von Bürtrollgremium zu begründen. gern und Bürgerinnen über ein sie betreffendes Verhalten des Landesamts für Verfassungsschutz sind dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Art. 7 Kenntnis zu geben. Beauftragung eines Sachverständigen (1) 1Das Parlamentarische Kontrollgremium kann Art. 9 mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder Geheime Beratungen, Bewertungen, nach Anhörung der Staatsregierung im Einzelfall eiSondervoten nen Sachverständigen beauftragen, zur Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben Untersuchungen (1) 1Die Beratungen des Parlamentarischen Kontrolldurchzuführen. 2Der Sachverständige hat dem Pargremiums sind geheim. 2Die Mitglieder des Gremilamentarischen Kontrollgremium über das Ergebnis ums sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten seiner Untersuchungen zu berichten. 3Art. 5, 6 und verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit im Parla- 9 Abs. 1 gelten entsprechend. mentarischen Kontrollgremium bekannt geworden sind. 3Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Aus(2) 1Das Parlamentarische Kontrollgremium kann scheiden. mit Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder entscheiden, dass dem Landtag ein schriftlicher Be(2) 1Abs. 1 gilt nicht für Bewertungen bestimmricht zu den Untersuchungen erstattet wird. 2Der ter Vorgänge, wenn eine Mehrheit von zwei DritBericht hat den Gang des Verfahrens, die ermittelteln der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollten Tatsachen und das Ergebnis der Untersuchungremiums ihre vorherige Zustimmung erteilt hat. gen wiederzugeben. 3Art. 9 gilt entsprechend. 2 In diesem Fall ist es jedem einzelnen Mitglied des Gremiums erlaubt, eine abweichende Bewertung (3) Der Bericht darf auch personenbezogene Da(Sondervotum) zu veröffentlichen. ten enthalten, soweit dies für eine nachvollziehbare Darstellung der Untersuchung und des Ergebnis(3) Soweit für die Bewertung des Gremiums oder die ses erforderlich ist und die Betroffenen entweder in Abgabe von Sondervoten eine Sachverhaltsdarsteldie Veröffentlichung eingewilligt haben oder das öflung erforderlich ist, sind die Belange des Geheimfentliche Interesse an der Bekanntgabe gegenüber schutzes zu beachten. den Belangen der Betroffenen überwiegt. Art. 10 Art. 8 Berichterstattung Eingaben 1 Das Parlamentarische Kontrollgremium erstattet (1) 1Angehörigen des Landesamts für Verfassungsdem Landtag in der Mitte und am Ende jeder Wahlschutz ist es gestattet, sich in dienstlichen Angeleperiode Bericht über seine Kontrolltätigkeit. 2Dabei genheiten, jedoch nicht im eigenen oder im Intersind die Grundsätze des Art. 9 Abs. 1 zu beachten. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | PKGG 267 Art. 11 Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes Das Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 1997 (GVBl S. 70, BayRS 12-1-I), zuletzt geändert durch SS 2 des Gesetzes vom 27. Juli 2009 (GVBl S. 380), wird wie folgt geändert: 1. Art. 3 Abs. 1 Satz 4 erhält folgende Fassung: "4Über diese Richtlinien wird das Parlamentarische Kontrollgremium gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 1 des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes (PKGG) unterrichtet." 2. In Art. 4 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 werden die Worte "Satz 4" durch die Worte "Satz 6" ersetzt. 3. In Art. 6h Abs. 1 Satz 3 wird die Zahl "2" durch die Zahl "9" ersetzt. 4. Art. 18 erhält folgende Fassung: "Art. 18 Parlamentarisches Kontrollgremium Die parlamentarische Kontrolle der Staatsregierung hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz erfolgt nach den Bestimmungen des Parlamentarischen KontrollgremiumGesetzes." Art. 12 Inkrafttreten, Außerkrafttreten (1) Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2011 in Kraft. (2) Mit Ablauf des 31. Dezember 2010 tritt das Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle der Staatsregierung hinsichtlich der Maßnahmen nach Art. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes sowie der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz (Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz - PKGG) vom 10. Februar 2000 (GVBl S. 40, BayRS 12-4-I), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2008 (GVBl S. 972), außer Kraft. Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 268 Sachwortregister ADÜTDF 102 Bürgerinitiative Ausländerstopp Nürnberg Al-Aqsa e.V. 70 (BIA-Nürnberg) 138 Al-Manar 63 Al-Nahda 71 Celebrity Centres 211 Al-Qaida 4472 Clears 209 Al-Qaida auf der arabischen Committee for a Workers' - Halbinsel (AQAH) 4773 International (CWI) 199 Al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM) 73 Demokratische Jugend Al-Shabab-Milizen 73 (Demokratik Genclik - DEM-GENC) 97 Anarchismus 177, 181 Department of Special Affairs - DSA 212 Ansar al-Islam (AAI) 76 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 191 Antideutsche 179 Deutsche Taliban Mudjahidin 27 Antifa-NT 203 Deutsche Volksunion (DVU) 112, 140 Antifaschismus 182 Devrimci Sol 98 DHKP-C 98 Dianetik 209 Die LINKE. 157, 186 Antifaschistische Linke Fürth (ALF) 202 DIE LINKE. Sozialistisch-demokratischer Anti-Globalisierung 185 Studierendenverband (DIE LINKE.SDS) 190 Antikapitalistische Linke (AKL) 161 Druckschriftenund Antimilitarismus 184 Zeitungsverlag GmbH (DSZ) 141 Applied Scholastics 212216 DVU 112, 140 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) 200 Einladung zum Paradies (EZP) 37 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 85, 91 Entrismus 175 Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Europäischer Fatwa-Rat (ECFR) 66 Die Wahlalternative (WASG) 187 As-Sahab 47 Föderation der Islamischen Organisationen Association for Better Living and in Europa (FIOE) 66 Education (ABLE) 211 Föderation der Türkisch-Demokratischen Auditing 209 Idealistenvereine in Deutschland e.V. Augsburger Bündnis - (ADÜTDF) 102 Nationale Opposition e.V. (AB-NO) 142 Forum Autonomer Umtriebe Autonome 166177 Landshut (F.A.U.L.) 203 Autonome Nationalisten (AN) 119, 129 Freie Kräfte Straubing 150 Freie Nationalisten Bayerischer Wald 149 Brücke zur völligen Freiheit 209 Freie Nationalisten Hof 146 Bürgerbewegung Pro München Freie Nationalisten München (FNM) 147 patriotisch und sozial e.V. (Pro München) 142 Freier Widerstand Bürgerinitiative Ausländerstopp München Süddeutschland (FWS) 117147 (BIA-München) 139 Freies Netz Süd (FNS) 116145 Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Sachwortregister 269 Freiheit 215 Koma Civaken Kurdistan - KCK 92 Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) 87, 96 Koma Komalen Kurdistan - KKK 92 Freundeskreis Ulrich von Hutten e.V. 143 KOMALEN-CIWAN 8697 Kommission für Verstöße der Psychiatrie Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GfP) 142 gegen Menschenrechte (KVPM) 212214 Graue Wölfe 102 Kommunistische Plattform (KPF) 191 Konfrontative Gewalt 167 HAMAS 69 KONGRA GEL 85, 91 Hilafet Devleti 58 Konvertiten 45 Hilfsorganisation für nationale politische Koordination der kurdischen Gefangene und deren Angehörige e.V. demokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) 91 (HNG) 122 Koordinierungsrat der Muslime Hizb Allah (Partei Gottes) 62 in Deutschland (KRM) 30 Hizb ut-Tahrir 59 Kurdischer Nationalkongresses (KNK) 92 "Home grown"-Terrorismus 2345 Hubbard, L. Ron 207208 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 88104 Linksjugend ['solid] 162190 Ideale Orgs 213 Linkspartei.PDS 186 Initialisierender Gewalt 168 Initiative Wirtschaftsschutz 230 Maoismus 176 Inspire 47 marx21 191 INTERIM 164170 Marxismus 171 Internationale Humanitäre Marxismus-Leninismus 172 Hilfsorganisation e.V. (IHH) 30, 70 Marxistische Forum (MF) 191 Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) 77 Marxistische Gruppe (MG) 198 Islamische Gemeinde Penzberg e.V. (IGP) 34 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Islamische Gemeinschaft der schiitischen Partei (MLKP) 101 Gemeinden Deutschlands e.V. (IGS) 33 Marxistisch-Leninistische Partei Islamische Gemeinschaft in Deutschlands (MLPD) 197 Deutschland e.V. (IGD) 3067 megafon 199 Islamische Gemeinschaft Milli Gazete 56 Milli Görüs e.V. (IGMG) 3055 Milli-Görüs-Bewegung 3152 Islamische Jihad Union (IJU) 78 Mudjahidin 72 Islamisches Kulturzentrum Bremen e.V. (IKZB) 37 Multi-Kultur-Haus Ulm e.V. (MKH) 79 Islamisches Zentrum München (IZM) 67 Münchner Bündnis gegen Krieg und Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB) 3364 Rassismus 198 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) 69 Muslimbruderschaft (MB) 65 Islamrat für die Bundesrepublik Muslimische Jugend in Deutschland (IR) 30 Deutschland e.V. (MJD) 68 Italienische Mafia 244 Nachhilfemarkt 216 Jagdstaffel D.S.T. 149 NARCONON 212 Jihad 44 Nationaldemokratische Partei Jugend für Menschenrechte 212216 Deutschlands (NPD) 111, 134 Junge Nationaldemokraten (JN) 138 Nationales Augsburg 148 Nationales Bündnis Niederbayern (NBN) 117149 Kafe Marat 164 Neofolk 132153 Kalifatsstaat 58 Neonazis, Neonazismus 115, 143 Kameradschaften 143 Newroz 94 Klandestine Gewalt 170 NS-Black-Metal (NSBM) 132, 152 Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 | Sachwortregister 270 NS-Hatecore 132153 Tablighi Jamaat (TJ) 61 Taliban 73 Office of Special Affairs (OSA) 212 Terrorlager 23 Operierender Thetan (OT) 209 Thetan 209 Organisierte Autonomie (OA) 202 Transnational Government of Tamil Eelam (TGTE) 88 Partei der Nationalen Bewegung (MHP) 102 Trotzkismus 175 PKK 85, 91 Türkische Kommunistische Partei/ prisma 170 Marxisten-Leninisten (TKP/ML) 100 Proliferation 223 TV 5 54 Radikal 171 Ülkücü-Bewegung 102 Reinigungsrundown 209 Usama Bin Ladin 72 Religious Technology Center (RTC) 211 Revolutionär-Sozialistischer Bund - Sektion Verband der islamischen Vereine und der IV. Internationale in Deutschland (RSB) 200 Gemeinden e.V., Köln - ICCB 58 Rockerkriminalität 245 Vereinigung der Verfolgten des ROJ TV 8695 Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen Rosa Luxemburg 158 und Antifaschisten (VVN-BdA) 195 ROTFÜCHSE 197 VGB-Verlagsgesellschaft Berg GmbH 141 Volkskongress Kurdistans Saadet-Partisi (SP) 55 (KONGRA GEL) 85, 91 Salafismus 3640 Volksverteidigungskräfte (HPG) 96 Scharia 38 Schutzbund für das deutsche Volk e.V. (SDV) 143 Widerstand Cham 146 Schwarzer Block 178 Widerstand Tirschenreuth 146 Scientology Kirche Bayern e.V. (SKB) 211 Wirtschaftsschutz Bayern 231 Scientology Kirche Deutschland e.V. (SKD) 211 Wirtschaftsspionage 219 Skinhead-Bands 133 Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage 224 Skinheads 120151 World Institute of Scientology Enterprises Solidarität 199 (WISE) 211 Solidarität International (SI) 200 Sozialistische Alternative (SAV) 199 Yatim-Kinderhilfe e.V. 70 Sozialistische Deutsche YEK-KOM 93 Arbeiterjugend (SDAJ) 193 Yeni Özgür Politika 95 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) 190 Zentralrat der Muslime in Deutschland Stalinismus 174 (ZMD) 30 Impressum Herausgeber: Bayerisches Staatsministerium des Innern, Odeonsplatz 3, 80539 München Druck: Auer Buch und Medien GmbH, Donauwörth Bildnachweis: Thilo Härdtlein: Umschlag innen; Rolf Poss: 10, 248; Nicolas Crepea: 218; L. Ron Hubbard, Ein Portrait, CSI: 209; New Era Publications International ApS/Kopenhagen/Was ist Scientology?: 210; AP: 22 oben, 49, 80, 84, 110, 137, 156, 206, 226; Fotolia: 125 (Gina Sanders), 171 (elxeneize), 172 (Helgo), 176 (Stephane Tougard) Der Verfassungsschutzbericht Bayern 2010 ist auch über das Internet abrufbar. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz Bayerisches Staatsministerium des Innern Odeonsplatz 3, 80539 München www.innenministerium.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de