Bayerisches Staatsministerium des Innern G S U N S S Z F A T E R H U T V SC CH R I B 00 E 8 2 VERFASSUNGSSCHUTZ BERICHT 20 B AY E R N 08 Bayerisches Staatsministerium des Innern Vorwort 3 Der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2008 informiert über den Umfang verfassungsfeind licher Entwicklungen sowie über Organisationen und Gruppierungen, die Aktivitäten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland entfalten. Die Infor mationspflicht folgt aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der wehrhaften Demokratie und ist in Art. 15 des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes verankert. Nur der informierte und über extremistische Bestrebungen aufgeklärte Bürger ist in der Lage, Entwicklungen in Politik und Gesellschaft sowie die dazu getroffenen staatlichen Maßnahmen und Entscheidungen richtig zu beurteilen. Auch dieses Jahr bilden der islamistische Extremismus und insbesondere seine Terrornetzwerke einen Schwerpunkt des Berichts. Obwohl keine konkreten Anschlagsplanungen bekannt gewor den sind, müssen wir unverändert davon ausgehen, dass jederzeit Anschläge in Deutschland möglich sind. Ein gewandeltes Bedrohungsszenario stellt die Sicherheitsbehörden dabei vor neue Herausforderungen: Identitätsprobleme der zweiten und dritten Einwanderergeneration sind idealer Nährboden für islamistische Fanatiker. Auch islamische Konvertiten geraten immer wieder unter derartige Einflüsse. Anschlagsplanungen werden daher auch unmittelbar gegen die eigene Gesellschaft gerichtet. Hinzu kommt die zentrale Bedeutung des Internets bei der Radikalisierung und Indoktrination dieser "home grown"-Terroristen. Videound Audiobotschaften beziehen sich immer wieder auf Deutschland als mögliches Angriffsziel. Bildungsund Betreuungsangebote islamistischer Organisationen, die sich bemühen, Einfluss auf Jugendliche zu gewinnen, und so einen Nährboden für mögliche Terrorakte schaffen, müssen wir besonders im Auge behalten. Rechtsextremistische Parteien sind in Bayern nach wie vor ohne Rückhalt in der Bevölkerung und bei Wahlen erfolglos. Auch wenn die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten abgenommen hat, bedarf die gewaltbereite rechtsextremistische Szene dennoch ständiger Aufmerksamkeit, um neue Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen. Um die bereits vorhandenen und erfolgreichen Maßnahmen gegen Rechtsextremismus weiter zu intensivieren, hat die Bayerische Staatsregie rung Anfang des Jahres 2009 ein Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus beschlossen. Sie macht damit deutlich, dass die Bekämpfung von Rechtsextremismus auch in Zukunft ein zentrales Anliegen bayerischer Politik ist. Die Partei DIE LINKE. ist unverändert linksextremistisch ausgerichtet. Es gibt daher keinen Grund, ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz einzustellen. Der Widerstand im linksextremis tischen Spektrum gegen die bestehende staatliche Ordnung zeigt sich insbesondere auch in der Zu nahme linksextremistisch motivierter Gewalttaten, die sich vorrangig gegen Polizeibeamte richten. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der bayerischen Sicherheitsbehörden, insbesondere des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz und der bayerischen Polizei, gilt unser besonderer Dank. Durch ihren Einsatz haben sie auch im Jahr 2008 einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit der Bürger in Bayern und zum Erhalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Deutschland geleistet. München, im März 2009 Joachim Herrmann Dr. Bernd Weiß Staatsminister Staatssekretär 4 Inhaltsverzeichnis 1. Abschnitt Verfassungsschutz in Bayern 11 1. Gesetzliche Grundlagen ............................................... 12 2. Aufgaben des Verfassungsschutzes .............................. 12 3. Informationsbeschaffung ............................................. 13 4. Kontrolle ..................................................................... 14 5. Präventionsarbeit ......................................................... 15 6. Infound Beratungstelefone ........................................ 18 2. Abschnitt Entwicklung des politischen Extremismus im Jahr 2008 1. Ausländerextremismus ................................................. 19 2. Rechtsextremismus ...................................................... 21 3. Linksextremismus ......................................................... 24 4. Scientology-Organisation ............................................. 25 5. Grafische Darstellungen .............................................. 27 3. Abschnitt Extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern 1. Allgemeines ................................................................ 29 1.1 Merkmale des Ausländerextremismus .......................... 29 1.2 Entwicklung in Bayern ................................................. 29 1.3 Gewalttaten ................................................................ 31 2. Islamischer Extremismus (= Islamismus) ........................ 31 2.1 Ideologische Grundlagen des Islamismus ..................... 31 2.2 Salafismus ................................................................... 33 2.3 Rolle des Internets ....................................................... 36 2.4 Islamistische Bildungsund Jugendarbeit ...................... 40 3. Islamistische Gruppierungen ........................................ 43 3.1 Milli-Görüs-Bewegung ................................................. 43 3.1.1 Die Verfassungsfeindlichkeit der Milli-Görüs-Ideologie ... 44 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Inhaltsverzeichnis 5 3.1.2 Saadet-Partisi (SP) in der Türkei ................................... 45 3.1.3 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) als Auslandsorganisation der Milli-Görüs-Bewegung ..... 47 3.1.4 "Milli Gazete" als publizistisches Sprachrohr ................ 52 3.1.5 Internet und Fernsehen als Kommunikationsmittel ....... 53 3.2 Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) .................................. 54 3.3 Hizb ut-Tahrir .............................................................. 55 3.4 Tablighi Jamaat (TJ) ..................................................... 56 3.5 Hizb Allah (Partei Gottes) ............................................. 58 3.6 Die Muslimbruderschaft (MB) und ihre regionalen Strömungen ............................................................... 60 3.6.1 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) ....... 62 3.6.2 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) ................. 64 3.6.3 En Nahda .................................................................... 66 3.7 Islamistische Szene Neu-Ulm/Ulm - Verbotenes Multi-Kultur-Haus Ulm e.V. (MKH) ................................ 66 4. Islamistischer Terrorismus ............................................. 69 4.1 Überblick ..................................................................... 69 4.2 Tätertypen des Jihad .................................................... 70 4.3 Das Terrornetzwerk um al-Qaida .................................. 71 4.3.1 Internationales Netzwerk und lokale Terrorgruppen ...... 71 4.3.2 Botschaften al-Qaidas .................................................. 74 4.4 Terroranschläge und Anschlagsplanungen .................... 75 4.4.1 Deutschland ................................................................ 75 4.4.2 Europa ........................................................................ 76 4.4.3 Irak .............................................................................. 77 4.4.4 Afghanistan ................................................................ 77 4.4.5 Indien ......................................................................... 78 4.5 Bewertung .................................................................. 79 5. Sonstige ausländerextremistische Gruppierungen ......... 80 5.1 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL), ehemals Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) bzw. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ............................ 80 5.1.1 Allgemeines ................................................................. 80 5.1.2 Aktivitäten und Exekutivmaßnahmen ........................... 85 5.1.3 Bewertung .................................................................. 87 5.2 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) ............................... 88 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 6 Inhaltsverzeichnis 5.3 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) ...................................................................... 90 5.4 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) .. 91 5.5 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. (ADÜTDF) ....................................... 91 5.6 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI)/Volksmudjahidin Iran (MEK) ................................................................... 93 6. Übersicht über erwähnenswerte extremistische Organisationen von Ausländern sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse ......................................................... 96 4. Abschnitt Rechtsextremismus 1. Allgemeines ................................................................. 101 1.1 Merkmale des Rechtsextremismus ................................ 101 1.2 Entwicklung der Organisationen .................................. 102 1.3 Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalt taten - Gefährdungsanalyse ......................................... 103 1.3.1 Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten .................. 103 1.3.2 Sonstige Straftaten ...................................................... 105 1.4 Nutzung des Internets ................................................. 106 2. Parteien, Organisationen und Verlage .......................... 107 2.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ......... 107 2.1.1 Ideologisch-politischer Standort .................................... 107 2.1.1.1 Ideologie ...................................................................... 107 2.1.1.2 Vier-Säulen-Strategie .................................................... 112 2.1.2 Organisation ................................................................ 113 2.1.3 Teilnahme an Wahlen in Bayern ................................... 114 2.1.3.1 Kommunalwahlen ........................................................ 114 2.1.3.2 Landtagsund Bezirkstagswahlen ................................. 115 2.1.4 Bündnisbestrebungen ................................................... 118 2.1.5 Sonstige Aktivitäten ..................................................... 119 2.1.5.1 Parteitage .................................................................... 119 2.1.5.2 Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund ................................................................ 121 2.1.6 Junge Nationaldemokraten (JN) .................................... 124 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Inhaltsverzeichnis 7 2.1.7 Bürgerinitiativen Ausländerstopp .................................. 125 2.1.7.1 "Bürgerinitiative Ausländerstopp" Nürnberg ................ 125 2.1.7.2 "Bürgerinitiative Ausländerstopp" München ................. 126 2.2 Deutsche Volksunion (DVU) ......................................... 127 2.2.1 Ideologisch-politischer Standort ................................... 127 2.2.2 Organisation und Entwicklung ..................................... 130 2.2.3 Veranstaltungen .......................................................... 131 2.2.4 Teilnahme an Wahlen .................................................. 131 2.3 Bürgerbewegung Pro München - patriotisch und sozial e.V. .................................................................... 132 2.4 Nation Europa Verlag GmbH ........................................ 133 2.5 Sonstige Organisationen .............................................. 134 3. Neonazismus ............................................................... 134 3.1 Allgemeines ................................................................ 134 3.2 Neonazi-Kameradschaften ........................................... 135 3.2.1 Anti-Antifa Nürnberg (AAN) ......................................... 136 3.2.2 Kameradschaftsbund Hochfranken (KBH) ..................... 137 3.3 Autonomer Nationalismus ............................................ 137 3.3.1 Freie Nationalisten München (FNM) .............................. 139 3.3.2 Kameradschaft Augsburg - Nationales Augsburg ......... 140 3.3.3 Sozialrevolutionäre Aktion Regensburg ........................ 140 3.4 Sonstige neonazistische Organisationen ....................... 141 3.4.1 Sache des Volkes (SdV) ................................................ 141 3.4.2 Heimattreue Deutsche Jugend e.V. (HDJ) ...................... 141 3.5 Aktivitäten zum 21. Todestag von Rudolf Heß .............. 142 4. Rechtsextremistische Jugend-Szenen ............................ 143 4.1 Überblick ..................................................................... 143 4.2 Rechtsextremistische Skinheads .................................... 144 4.3 Rechtsextremistisch beeinflusste Subkulturen ............... 145 4.4 Strukturen ................................................................... 145 4.5 Anziehungskraft für Jugendliche .................................. 147 4.6 Rechtsextremistische Musik .......................................... 148 5. Revisionismus ............................................................... 150 5.1 Ziele ............................................................................ 150 5.2 Entwicklung und Träger der Revisionismus-Kampagne ... 150 6. Exekutivmaßnahmen und Strafverfahren ...................... 150 6.1 Vereinsverbote ............................................................. 150 6.2 Strafverfahren ............................................................. 151 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 8 Inhaltsverzeichnis 7. Übersicht über erwähnenswerte rechtsextremistische Organisationen und Verlage sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse ........................................................ 153 5. Abschnitt Linksextremismus 1. Allgemeines ................................................................. 155 1.1 Merkmale des Linksextremismus .................................. 155 1.2 Entwicklung der Organisationen .................................. 156 2. Organisierte linksextremistische Parteien und Gruppierungen ............................................................ 157 2.1 DIE LINKE. .................................................................... 157 2.1.1 Ideologische Ausrichtung ............................................. 160 2.1.2 Organisation ................................................................ 165 2.1.3 Plattformen, Arbeitsund Interessengemeinschaften .... 165 2.1.4 Linksjugend ['solid] ..................................................... 168 2.1.5 Die Linke. Sozialistisch-demokratischer Studierenden verband (DIE LINKE.SDS) .............................................. 170 2.1.6 DIE LINKE. Bayern ........................................................ 172 2.1.7 Teilnahme an Wahlen .................................................. 174 2.1.8 Kommunistischer Internationalismus ............................ 177 2.1.9 Zusammenarbeit mit anderen Linksextremisten ............. 177 2.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ........................ 180 2.2.1 Ideologische Ausrichtung ............................................. 180 2.2.2 Organisation ................................................................ 181 2.2.3 Teilnahme an Wahlen .................................................. 182 2.2.4 Umfeld der DKP ........................................................... 183 2.2.4.1 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) ........... 183 2.2.4.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) .............. 185 2.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) .... 186 2.4 Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus ............ 187 2.5 Sonstige orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten ............................................... 189 3. Gewaltorientierte Linksextremisten ............................... 190 3.1 Autonome Gruppen ..................................................... 190 3.1.1 Ideologische Ausrichtung und Aktionsformen .............. 190 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Inhaltsverzeichnis 9 3.1.2 Strukturen und Publikationen ...................................... 191 3.1.3 Strategiedebatte - Fortsetzung der Gewaltdiskussion .... 194 3.1.4 Antifaschismus ............................................................ 194 3.1.5 Anti-Globalisierung - Klimadebatte .............................. 197 3.1.6 Antimilitarismus - Antiimperialismus ............................ 198 3.1.7 Sozialabbau ................................................................. 200 3.1.8 Weitere Aktionen ........................................................ 201 3.2 Antideutsche Strukturen .............................................. 202 3.3 Linksextremistisch motivierte Straftaten ....................... 203 3.3.1 Gewalttaten ................................................................ 203 3.3.2 Sonstige Straftaten ...................................................... 207 4. Übersicht über erwähnenswerte linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse .................. 208 6. Abschnitt Scientology-Organisation (SO) 1. Zur Geschichte der SO ................................................. 210 2. Ideologie und Ziele der SO ........................................... 210 3. Organisationsund Kommandostruktur der SO ............ 212 3.1 Weltweite Kommandostruktur der SO .......................... 212 3.2 Organisation der SO in Deutschland ............................. 213 3.2.1 "Church"-Sektor .......................................................... 213 3.2.2 WISE-Sektor ................................................................. 216 3.2.3 ABLE-Sektor ................................................................. 217 3.2.4 Besonders aktive Tarnorganisationen der SO ................ 217 3.2.4.1 Applied Scholastics ...................................................... 217 3.2.4.2 NARCONON ................................................................ 219 3.2.4.3 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) ....................................... 220 3.2.5 Office of Special Affairs (OSA) ...................................... 220 3.2.6 Sonstige öffentlichkeitswirksame Aktivitäten ................ 221 4. Mitglieder der SO ....................................................... 222 5. Beobachtung durch den Verfassungsschutz .................. 222 6. Bewertung .................................................................. 223 7. Vertrauliches Telefon und Informationsangebot im Internet .................................................................. 224 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 10 Inhaltsverzeichnis 7. Abschnitt Spionageabwehr 1. Ausgangslage .............................................................. 225 2. Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage ...................... 226 3. Informationsund Kommunikationstechnik als Mittel der Spionage ............................................................... 228 4. Proliferation ................................................................. 229 5. Wirtschaftsschutz - Beratung durch den Verfassungsschutz ........................................................ 230 6. Ausblick ....................................................................... 231 8. Abschnitt Organisierte Kriminalität 1. Ausgangslage .............................................................. 233 2. Methodik und Beobachtungsschwerpunkte .................. 233 3. Zusätzlicher Erkenntnisgewinn durch die Tätigkeit des Verfassungsschutzes im Bereich der OK ........................ 235 4. Ergebnisse der OK-Beobachtung .................................. 236 4.1 Italienische Mafia ......................................................... 236 4.2 Beobachtung der OK aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten ........................................................................ 238 4.3 OK-Gruppierungen aus den Balkanstaaten und der Türkei 240 4.4 OK-Gruppierungen aus Asien ....................................... 242 4.5 Rockerkriminalität in Bayern ......................................... 245 5. Ausblick ....................................................................... 247 Anhang Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) .......................... 249 Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz (PKGG) ................... 262 Sachwortregister ....................................................................... 264 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Verfassungsschutz in Bayern 11 1. Abschnitt Verfassungsschutz in Bayern Die Bundesrepublik Deutschland ist nach ihrer Verfassung eine wert Wehrhafte gebundene, wachsame und wehrhafte Demokratie. Der Staat kann gegen Demokratie Bestrebungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung abzu schaffen, die in der Verfassung vorgesehenen Abwehrmittel einsetzen, z.B. durch ein Parteioder Vereinsverbot. Dies setzt voraus, dass er solche Bestrebungen oder Aktivitäten, die als "extremistisch" oder als "verfassungsfeindlich" bezeichnet werden - diese Begriffe sind gleich bedeutend -, rechtzeitig erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Ver fassungsschutzes ein. Er dient dem Schutz der freiheitlichen demokra tischen Grundordnung sowie dem Schutz des Bestandes und der Sicher heit des Bundes oder eines Landes. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist unter der Freiheitliche freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine Ordnung zu verste demokratische hen, die unter Ausschluss jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft eine Grundordnung rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbst bestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören mindestens: - die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrech ten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, - die Volkssouveränität, - die Gewaltenteilung, - die Verantwortlichkeit der Regierung, - die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, - die Unabhängigkeit der Gerichte, - das Mehrparteienprinzip, - die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 12 Verfassungsschutz in Bayern 1. Gesetzliche Grundlagen Rechtliche Die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sind gesetzlich Grundlagen genau festgelegt. Das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz beschreibt die von Bund und Ländern auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben. Es ist zugleich Rechtsgrundlage für die Arbeit des Bundes amts für Verfassungsschutz. Neben diesem Bundesgesetz bestehen in allen Ländern eigene Verfassungsschutzgesetze. In Bayern regelt das im Anhang abgedruckte Bayerische Verfassungsschutzgesetz die Aufgaben und Befugnisse des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz, das seinen Sitz in München hat und dem Bayerischen Staatsministerium des Innern unmittelbar nachgeordnet ist. Für das Landesamt wurden im Haushaltsplan 2008 insgesamt 437 Stellen für Beamte und Tarifbeschäf tigte im öffentlichen Dienst ausgewiesen; das Haushaltsvolumen 2008 betrug 24,3 Millionen Euro. 2. Aufgaben des Verfassungsschutzes Beobachtungs Nach dem Bayerischen Verfassungsschutzgesetz hat das Landesamt für auftrag Verfassungsschutz im Wesentlichen den Auftrag der Beobachtung von - Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundord nung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, - sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht (Sabotage und Spionage), - Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf ge richtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundes republik Deutschland gefährden, - Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), ge richtet sind und - Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität. Darüber hinaus wirkt das Landesamt für Verfassungsschutz u.a. bei Sicherheitsüberprüfungen aus Gründen des Geheimschutzes und des Sabotageschutzes mit. Rechtsgrundlage hierfür ist das Bayerische Sicherheitsüberprüfungsgesetz. Das Landesamt ist fernerhin beteiligt bei der Überprüfung von Mitarbeitern in Flughäfen und KernkraftwerVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Verfassungsschutz in Bayern 13 ken nach dem Luftsicherheitsgesetz bzw. Atomgesetz sowie bei ein bürgerungsund ausländerrechtlichen Entscheidungen. Im Mittelpunkt der Beobachtung stehen Aktivitäten von extremistischen Organisationen. Dazu müssen zwangsläufig auch die Mitglieder und Unterstützer erfasst werden. Aber auch die Beobachtung von Einzel personen ist zulässig. Der Verfassungsschutz beobachtet verfassungsfeindliche Bestrebungen im Inland. Er informiert die politisch Verantwortlichen und die Öffent lichkeit über die Ergebnisse der Beobachtung, vor allem über mögliche Gefahren. Er versetzt die zuständigen staatlichen Stellen des Bundes und der Länder in die Lage, verfassungsfeindlichen Kräften rechtzeitig und angemessen zu begegnen. Im Gegensatz zum Verfassungsschutz beschafft der Bundesnachrich Abgrenzung zu tendienst (BND) Informationen über das Ausland, die für die Bundes BND und MAD republik Deutschland außenund sicherheitspolitisch von Interesse sind. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) nimmt Verfassungsschutzauf gaben im Bereich der Bundeswehr wahr. 3. Informationsbeschaffung Zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags ist der Verfassungsschutz ver pflichtet, Informationen zu beschaffen, auszuwerten und zu speichern. Diese Nachrichten werden zum weit überwiegenden Teil aus offenen Quellen gewonnen (z.B. aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Pro grammen, Broschüren und sonstigem Material extremistischer Organi sationen sowie bei deren öffentlichen Veranstaltungen). Einen Teil der Informationen erhält der Verfassungsschutz durch Anwendung nach Nachrichten richtendienstlicher Mittel. Zu diesen Mitteln gehören im Wesentlichen: dienstliche Mittel - der Einsatz von V-Leuten (Dabei handelt es sich um Personen, die der Verfassungsschutzbehörde selbst nicht angehören, aber auf grund ihrer Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Beobachtungsobjekt "Szene-Erkenntnisse" gegen Bezahlung liefern.), - das Beobachten verdächtiger Personen (Observation) sowie - verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (Öffnen von Brie Briefund fen, Abhören von Telefongesprächen) sind besonders strengen rechts Telefonkontrolle staatlichen Anforderungen unterworfen. Sie sind in einem eigenen Gesetz geregelt, das nach dem Grundrecht des Brief-, Postund Fern meldegeheimnisses "Artikel 10-Gesetz" (G10) genannt wird. Ein VerVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 14 Verfassungsschutz in Bayern fahren mit mehreren voneinander unabhängigen Kontrollinstanzen stellt sicher, dass in dieses Grundrecht nur eingegriffen wird, wenn die im Gesetz genannten besonderen Gründe vorliegen. Ähnliches gilt für die seit Beginn des Jahres 2003 eingeführten Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern sowie für die Verwen dung des so genannten IMSI-Catchers zur Feststellung unbekannter Mobiltelefonnummern. Besonders strenge rechtsstaatliche Sicherungen gelten auch für den Einsatz besonderer technischer Mittel im Schutz bereich des Art. 13 des Grundgesetzes, also für den Einsatz von Abhör geräten oder versteckten Kameras in Wohnungen und Büros sowie für den verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme. Keine polizei Dem Verfassungsschutz stehen keine polizeilichen Befugnisse zu. Polizei lichen Befugnisse behörden und Verfassungsschutz sind voneinander getrennt. Deshalb dürfen die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes keinerlei Zwangsmaß nahmen (wie z.B. Festnahmen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen usw.) durchführen. Verfassungsschutzbehörden dürfen auch keiner polizei lichen Dienststelle angegliedert werden. Dies steht aber einer informa tionellen Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung nicht ent gegen. Im Gegenteil sind diese unabdingbare Voraussetzungen für eine effiziente Arbeit der Sicherheitsbehörden. Erscheint aufgrund der dem Verfassungsschutz vorliegenden Informa tionen ein sicherheitsrechtliches Eingreifen erforderlich, so wird die zu ständige Sicherheitsbehörde unterrichtet. Diese entscheidet dann selb ständig, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. 4. Kontrolle Vielfältige Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden unterliegt einer vielfälti Kontrollen gen Kontrolle. Dazu gehört die allgemeine parlamentarische Kontrolle, die durch die Berichtspflicht des verantwortlichen Ministers gegenüber dem Landtag im Rahmen von aktuellen Stunden, Anfragen von Abge ordneten, Petitionen usw. ausgeübt wird. Eine besondere Kommission des Bayerischen Landtags, das Parlamentarische Kontrollgremium, überwacht die Arbeit des Verfassungsschutzes. Die G10-Kommission überprüft die Maßnahmen zur Überwachung des Postund Fernmelde verkehrs - deren Zahl im Jahr 2008 wie schon in der Vergangenheit im unteren zweistelligen Bereich lag -, die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikations dienstleistern sowie des Einsatzes des so genannten IMSI-Catchers. Die Verwaltungskontrolle obliegt dem Innenminister im Rahmen der Dienstund Fachaufsicht, ferner dem Bayerischen Landesbeauftragten Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Verfassungsschutz in Bayern 15 für den Datenschutz und dem Bayerischen Obersten Rechnungshof. Diese Kontrollen werden ergänzt durch eine mögliche gerichtliche Nachprüfung belastender Einzelmaßnahmen sowie durch die Öffent lichkeit in Form von Presse, Funk und Fernsehen. 5. Präventionsarbeit Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann auf Dauer nicht ohne die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus gesichert werden. Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes gewährleistet, dass Regierung und Parlament, aber auch die Bürger über Aktivitäten und Absichten verfassungsfeindlicher Organisationen informiert wer Aufklärungsarbeit den. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes klärt das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz durch zielgruppen orientierte Fachvorträge und die Teilnahme an Diskussionsveranstaltun gen über aktuelle extremistische Entwicklungen auf; im Jahr 2008 lagen hierbei die Schwerpunkte bei den Themen "Rechtsextremismus" Fachvorträge und "Islamismus". Die Fachvorträge dienen vor allem der Sensibili sierung von Multiplikatoren und werden hauptsächlich von Schulen und Universitäten, Bildungsakademien, Kommunen, Trägern politischer Bildung und Jugendarbeit, demokratischen Bürgerinitiativen und poli tischen Parteien und Stiftungen nachgefragt. Von Medienvertretern Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 16 Verfassungsschutz in Bayern war ein verstärktes Interesse an Hintergrundgesprächen zu aktuellen Entwicklungen im Bereich "Islamismus" zu verzeichnen. Im Bereich "Rechtsextremismus" arbeitete das Bayerische Landesamt für Verfas sungsschutz u.a. mit der Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus und mit der Projektstelle gegen Rechtsextremismus - Bayerisches Bündnis für Toleranz, Demokratie und Menschenwürde schützen - zusammen. Das Landesamt beteiligte sich auch an Ausbil dungsund Fortbildungsmaßnahmen anderer Behörden; Hauptbedarfs träger ist hier die Bayerische Polizei. Programm zum Zum Wirtschaftsschutz hat das Bayerische Landesamt für Verfassungs Wirtschaftsschutz schutz ein Sensibilisierungsprogramm erarbeitet, das präventiv zur Ver hinderung der Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage beitragen soll. Allen in Bayern ansässigen Unternehmen wird damit ein breites Spek trum an Informationsund Beratungsmöglichkeiten angeboten. Im Bereich der Hochschulen wird besonders auch auf die Gefahren der Wissenschaftsspionage hingewiesen. Fragen zum Wirtschaftsschutz - insbesondere bei Verdacht des Informationsverlusts - beantwortet das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz; Hinweise werden vertrau lich behandelt. Informations Der Verfassungsschutzbericht sowie weitere Publikationen zu den Auf materialien gabenfeldern des Verfassungsschutzes ermöglichen es jedem Bür ger, sich selbst ein Urteil über die Gefahren zu bilden, die unserem Rechtsstaat durch verfassungsfeindliche Kräfte drohen. Die Broschüre "Hellhörig bei braunen Tönen" informiert über rechtsextremistische Jugend-Szenen in Bayern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Verfassungsschutz in Bayern 17 Das in gedruckter Form vorhandene Informationsmaterial wird kosten los zur Verfügung gestellt und kann beim Bayerischen Staatsministe rium des Innern - Sachgebiet ID6 -, Odeonsplatz 3, 80539 München (Telefax: 0 89 / 2 19 21 28 42) angefordert oder direkt unter der Inter Internetnet-Adresse Angebote http://www.innenministerium.bayern.de/service/publikationen/ (> Thema "Verfassungsschutz") "online" bestellt werden. Zusätzlich sind die Materialien, insbesondere der jährlich erscheinende Verfassungsschutzbericht, die Broschüre "Hellhörig bei braunen Tönen" und auch Informationen zur Scientology-Organisation (SO), im Internet unter folgender Adresse abrufbar und können als PDF-Datei herunter geladen werden: http://www.innenministerium.bayern.de/sicherheit/verfassungsschutz Das Internet-Angebot des Bayerischen Staatsministeriums des Innern wird durch die unter der Adresse http://www.verfassungsschutz.bayern.de erreichbare Homepage des Bayerischen Landesamts für Verfassungs schutz ergänzt. Das am 12. Januar 2009 von der Bayerischen Staatsregierung beschlos sene "Bayerische Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus" setzt Handlungskonzept neben repressiven Maßnahmen gegen Rechtsextremismus vor allem gegen Rechts auch bei der Prävention einen Schwerpunkt. Als institutionelle Kom extremismus ponente wird eine zentrale Informationsstelle gegen Extremismus im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz mit einem umfassenden Angebot an Information, Aufklärung und Beratung errichtet. Der neuen Informationsstelle werden neben Mitarbeitern des Verfassungsschutzes auch Polizeibeamte angehören. Ziel der Informationsstelle ist es neben der Sensibilisierung der Öffent Neue Informations lichkeit auch, die Vernetzung staatlicher und gesellschaftlicher Initia stelle tiven in Bayern zu intensivieren. Hinzu kommt die Präventionsabsicht, das rechtsextremistische Personenpotenzial sowohl durch das Aussteiger programm für Rechtsextremisten als auch durch gezielte Beratung von Institutionen mit Blick auf gefährdete Kinder und Jugendliche zu reduzieren bzw. Rekrutierungsversuche durch rechtsextremistische Organisationen zu erschweren. Der thematische Schwerpunkt wird auf der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus liegen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 18 Verfassungsschutz in Bayern Zur Kommunikation wird die Informationsstelle sowohl ein Beratungs telefon für alle Bürgerinnen und Bürger einrichten als auch ein ressort übergreifendes Internet-Portal unter der Adresse http://www.rechtsextremismus.bayern.de aufbauen und betreiben. Im Internet werden wichtige Informationen und Angebote für alle Interessierten, Organisationen und Kommunen zu finden sein. Dazu werden Info-Broschüren für Schüler und Eltern, Hinweise an Kommunen zu eigenen Beratungsangeboten oder auch Profile für die Anforderung von Referenten der Informationsstelle zu Fachvorträgen oder Podiumsdiskussionen gehören. 6. Infound Beratungstelefone Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ist telefonisch rund um die Uhr unter der Nummer 0 89 / 31 20 10 erreichbar. Kontakttelefone Speziell für Hinweise zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist dort unter der Nummer 0 89 / 31 20 14 80 ein Kontakttelefon eingerichtet. Im Rahmen der von Bund und Ländern erarbeiteten Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten besteht ein Beratungsund Hinweistelefon. Das Telefon, das ebenso der Aufklärung rechtsextremistischer Aktivitäten in Bayern dienen soll, ist für Bürger und aussteigewillige Extremisten - nicht nur Rechtsextremisten - unter der Nummer 0 18 02 00 07 86 zu erreichen. Für Opfer und Aussteiger der Scientology-Organisation (SO) sowie für Angehörige von SO-Mitgliedern unterhält das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ein "vertrauliches Telefon". Das Amt nimmt Infor mationen und Hinweise unter der Nummer 0 89 / 31 20 12 96 entgegen. In allen Fragen des Wirtschaftsschutzes steht das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz unter der Telefonnummer 0 89 / 31 20 15 00 (Info-Telefon Wirtschaftsschutz) als Ansprechpartner zur Verfügung. Das Beratungstelefon der zentralen Informationsstelle gegen Extremis mus ist unter der Nummer 0 89 / 21 92 21 92 zu erreichen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Entwicklung des politischen Extremismus 19 2. Abschnitt Entwicklung des politischen Extremismus im Jahr 2008 1. Ausländerextremismus Der Islamismus, insbesondere der islamistische Terrorismus, stellt weiter hin die größte Bedrohung der Inneren Sicherheit dar. Dabei gehen die Gefahren nicht nur von islamistischen Terroristen in entsprechenden Staaten wie Afghanistan oder Pakistan aus. Die aktuellen Entwicklun gen zeigen, dass vermehrt kleinere Zellen sowie Einzelpersonen un mittelbar in Deutschland Anschlagsplanungen gegen die eigene soziale Gesellschaft entwickeln. Ursachen für diesen "home grown"-Terro "home grown" rismus werden u.a. in Identitätsproblemen der so genannten zweiten Terrorismus oder dritten Einwanderergeneration gesehen. Diese bilden einen idea len Nährboden für islamistische Fanatiker, die zudem über das kaum kontrollierbare Medium Internet weltweit Einfluss nehmen können. In diesem Strudel werden auch immer wieder islamische Konvertiten mit gerissen, die aufgrund ihrer "Unauffälligkeit" als besonders leicht ein setzbar gelten. Die Bundesanwaltschaft hat am 2. September u.a. wegen Mitgliedschaft "Sauerlandin einer ausländischen terroristischen Vereinigung und wegen Vorberei Gruppe" tung eines Sprengstoffverbrechens Anklage gegen drei Männer er hoben. Diese sollen als Mitglieder der "Islamischen Jihad Union" (IJU) in Terror-Ausbildungslagern der IJU in Pakistan geschult worden sein. Den Männern wird vorgeworfen, dass sie mehrere Bomben bauen und diese gleichzeitig an unterschiedlichen Orten in Deutschland, z.B. an der US-Flugbasis Ramstein, zur Explosion bringen wollten. Bei dieser als "Sauerland-Gruppe" bekannten Gruppierung handelt es sich um "home grown"-Terroristen, die in Deutschland aufgewachsen und radi kalisiert worden sind. Eine wesentliche Rolle, insbesondere bei der Radikalisierung und Indok Radikalisierung trination der "home grown"-Terroristen, spielt das Internet. Zentrale via Internet Schritte von der Radikalisierung bis hin zur Selbstrekrutierung, von der ideologischen Schulung bis zur Planung von Anschlägen, können mittels des im Internet zur Verfügung gestellten Materials vollzogen werden. Es ist zu erwarten, dass die mit Hilfe des Internets geschulten Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 20 Entwicklung des politischen Extremismus und operativ unabhängigen Einzelpersonen oder Gruppen im Bereich des islamistischen Terrorismus zunehmen werden, zumal al-Qaida als eine handlungslegitimierende und -leitende Ideologie zu verstehen ist, die jeder als "Markenzeichen" in Anspruch nehmen kann. Internet-Ver "Global Islamic öffentlichungen wie die auf der Seite der "Global Islamic Media Front" Media Front" (GIMF) erschienene Anleitung "39 Möglichkeiten den Jihad zu unter (GIMF) stützen" geben konkrete Anleitung von der geistigen Vorbereitung über die logistische Unterstützung der Mudjahidin bis hin zum eigenen "Märtyrer-Tod". Über das Internet veröffentlichte die IJU im Jahr 2008 auch mehrere Botschaften des aus dem Saarland stammenden deutschen Konvertiten Eric Breininger. Dieser gilt als Kontaktperson zu einem Mitglied der "Sauerland-Gruppe". Im Jahr 2007 war Breininger über Ägypten nach Pakistan ausgereist, wo er mutmaßlich eine terroristische Ausbildung absolvierte. In den Videobotschaften ruft Breininger die Muslime dazu auf, in den Jihad zu ziehen. Eine im Oktober veröffentlichte Videobot schaft Breiningers mit dem Titel "Aufruf vom Hindukusch" machte erneut deutlich, dass Deutschland aufgrund seines Engagements in Afghanis tan im Zielspektrum des islamistischen Terrorismus steht. Salafismus Innerhalb islamistischer Strömungen in Deutschland gewinnt salafisti sches Gedankengut zunehmend an Bedeutung und Attraktivität. Diese Entwicklung ist zwischenzeitlich auch in Bayern festzustellen, denn hier verdichten sich die Hinweise auf eine zunehmende, sich in Netzwerken organisierende Anhängerschaft salafistischer Ideologie. Diesen Netz werken werden nach groben Schätzungen etwa 100 Personen zuge rechnet. Die Staatsanwaltschaft München I führt ein Ermittlungsverfah ren gegen mehrere Personen aus der salafistischen Szene Deutschlands durch. Bildungsund Die Bildungsund Jugendarbeit ist ein wesentlicher Baustein zum Erhalt Jugendarbeit und zur Fortentwicklung jeder Organisation. So wendet sich eine Viel zahl islamischer Einrichtungen in Deutschland mit altersund zielgrup penorientierten Bildungsund Betreuungsangeboten an Kinder, Jugend liche und Heranwachsende. Die Angebote sind nur teilweise extremis tischer Natur. Eine Gefahr liegt jedoch darin, dass vor allem islamistische Organisationen dieser Arbeit hohe Bedeutung beimessen. Sie wollen der Jugend eine moralische Orientierung geben, die ihrer Ansicht nach in der westlichen Gesellschaft nicht gewährleistet ist. In Deutschland hat sich zwischenzeitlich ein umfangreiches und weit verzweigtes privatautonomes islamistisches Bildungsund Schulsystem entwickelt hat. Die Gefahren dieser Entwicklung sind erheblich; Bildungsund Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Entwicklung des politischen Extremismus 21 Sozialarbeit islamistischer Träger kann von einer gemäßigt religiösen zu einer islamistischen Geisteshaltung führen und somit erheblich zur Radikalisierung von Muslimen in Deutschland beitragen. 2. Rechtsextremismus Rechtsextremisten in Bayern konzentrierten ihre Aktivitäten stark auf die Kandidatur und den Wahlkampf bei den Kommunalwahlen am Wahlkampf 2. März sowie den Landtagsund Bezirkstagswahlen am 28. Septem der NPD ber. Dabei wurde die NPD nicht nur durch die DVU im Rahmen des "Deutschland-Pakts" unterstützt, sondern auch durch Neonazi-Kamerad schaften wie die "Freien Nationalisten München" (FNM) und rechts extremistische Skinheads. Die Wahlkampfunterstützung dieser nicht parteigebundenen "Freien Kräfte" aus der rechtsextremistischen Szene beinhaltete vor allem Plakatierungsaktionen, die Präsenz an Info-Ständen sowie die Verteilung von Wahlkampfmitteln. Während die NPD bei den Kommunalwahlen durch ihre Tarnlisten "Bür gerinitiative Ausländerstopp" in München und Nürnberg insgesamt drei Stadtratsmandate errang, blieb die Partei bei den Landtagsund Be zirkstagswahlen in Bayern weiter auf dem Niveau einer Splitterpartei stehen. So erzielte sie bei der Landtagswahl ein Gesamtstimmenergeb Wahlergebnisse nis von 1,2 % und scheiterte damit erneut bei dem Versuch, vom Wähler in Bayern als "soziale Protestpartei" oder "nationale Opposition" wahr genommen zu werden. Die NPD erreichte mit ihrer völkisch-nationalis tischen Programmatik, die eindeutig menschenund demokratiefeind liche Ziele beinhaltet, keineswegs die "Mitte der Gesellschaft". Gleich wohl erzielte sie in einigen Stimmkreisen Ergebnisse zwischen 2 und 3 %. Insgesamt wird die NPD durch das Überwinden der 1 %-Hürde bei der Landtagswahl in Bayern von der staatlichen Teilfinanzierung politischer Parteien finanziell profitieren. Die NPD war auch 2008 wichtiger Kristallisationspunkt des rechtsextre mistischen Spektrums in Bayern. Allerdings musste die Partei bei ihrem Versuch, das rechtsextremistische Lager zu einen und sich selbst an die Spitze der "Volksfront von rechts" zu stellen, erhebliche Rückschläge "Volksfront hinnehmen. So wandte sich der jüngere und aktionistischere Flügel des von rechts" bayerischen NPD-Landesverbands auf dem Parteitag am 9. November offen gegen den Vorsitzenden Ralf Ollert. Dabei wurde der Gegen kandidat Uwe Meenen vor allem von Kräften unterstützt, die früher neonazistischen Kameradschaften und der rechtsextremistischen Skin head-Szene angehört haben. Ob die Machtprobe im Landesverband Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 22 Entwicklung des politischen Extremismus aufgrund persönlicher Rivalitäten oder ideologischer bzw. strategischer Konflikte erfolgte, blieb auf dem Parteitag unklar. Als das Ergebnis fest stand - Ollert wurde in seinem Amt als Parteivorsitzender bestätigt kündigten einige Funktionäre ihren sofortigen Parteiaustritt an, so auch der Vorsitzende des NPD-Bezirksverbands Mittelfranken und ehemalige Führungskader der verbotenen Neonazi-Kameradschaft Fränkische Aktionsfront (F.A.F.) Matthias Fischer. NPD mit Auch auf Bundesebene gibt es in Reihen der NPD derzeit erhebliche finanziellen Spannungen. Die Veruntreuung von Parteigeldern durch den ehemali Schwierigkeiten gen Bundesschatzmeister und Vertrauten des Parteichefs Udo Voigt, Erwin Kemna, sowie die damit verbundene Finanzkrise sorgten für erhebliche Unruhe. Ob Voigt weiter Parteivorsitzender bleibt, wird sich auf dem Sonderparteitag der NPD im Frühjahr 2009 zeigen; es gibt bereits die Ankündigung einer Gegenkandidatur. Der Bedeutungsverlust der DVU hält weiter an. Sichtbarer Ausdruck dafür ist - neben dem Mitgliederrückgang - vor allem der Verzicht von Dr. Gerhard Frey, weiter an der Spitze der rechtsextremistischen Partei zu stehen. Auf dem Bundesparteitag am 11. Januar 2009 wurde der bisherige Bundesorganisationsleiter Matthias Faust in das Amt des DVU-Bundesvorsitzenden gewählt. Die Zukunft der finanziell von Dr. Frey abhängigen Partei ist damit ebenso ungewiss wie die Auswir kungen auf den "Deutschland-Pakt", ein bis Ende 2009 vereinbartes Wahlbündnis der DVU mit der NPD. Bei der Landtagswahl 2009 in Thüringen wird die DVU entgegen der Absprachen zu Gunsten der NPD auf eine eigene Kandidatur verzichten. Mediale Aufmerksamkeit fand erneut das Kaufinteresse von Rechts extremisten an verschiedenen Immobilien in Bayern. Die Interessenten, die in der Regel als Privatpersonen auftraten, betonten bei ihrer Kauf ankündigung teilweise lautstark die Bedeutung lokaler Verankerung für rechtsextremistische Partei-, Bildungsund Schulungsarbeit. In einigen Immobilienerwerbe Fällen gab es Hinweise dafür, dass das behauptete Kaufinteresse aus durch Rechtsextre unterschiedlichen, in der Regel finanziellen Gründen nur vorgetäuscht misten war. Dem rechtsextremistischen "Störtebeker-Netz" zufolge, das Beiträge der rechtsextremistischen Szene im Internet veröffentlicht, gilt es in der Immobilienbranche inzwischen "längst als Geheimtipp, schwer verkäuf lichen Objekten die Aura des Verkaufs an ,Nazis' anzudichten", um auf diese Weise die betroffenen Gemeinden "zum Kauf von vollkommen überteuerten ... Immobilien zu nötigen". In anderen Fällen ist dagegen eine tatsächliche Kaufabsicht zur Nutzung der propagierten politischen Ziele nicht auszuschließen (vgl. auch Nummer 2.1.5.2 des 4. Abschnitts, Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Entwicklung des politischen Extremismus 23 wo Beurteilungskriterien zusammengestellt sind, die für bzw. gegen eine tatsächliche Kaufabsicht von Rechtsextremisten sprechen). Am 12. Januar 2009 beschloss der Ministerrat in Bayern die Errichtung einer zentralen Informationsstelle gegen Extremismus. Eine wichtige Zentrale Informa Aufgabe dieser Zentralstelle wird auch darin bestehen, betroffene Kom tionsstelle gegen munen und Bürger mit dem Ziel zu beraten, rechtsextremistische Struk Extremismus turen vor Ort zu verhindern (vgl. auch Nummer 5 des 1. Abschnitts, in dem die Aufgaben und Ziele der Präventionsstelle skizziert werden). Im Bereich der Neonazi-Szene und des Spektrums subkulturell gepräg ter Rechtsextremisten, das vor allem rechtsextremistische Skinheads umfasst, findet weiterhin eine intensive Zusammenarbeit statt. Dabei Zusammenarbeit dominieren in den so genannten Misch-Szenen die neonazistischen Posi von Neonazis und tionen gegenüber den eher diffusen rechtsextremistischen Orientierun Skinheads gen der subkulturellen Szene. Die NPD wirkt weiterhin als Kristalli sationspunkt innerhalb der rechtsextremistischen Szene in Bayern. Die marginalen Wahlergebnisse im Jahr 2008 haben indessen den Einfluss auf die Neonaziund rechtsextremistische Skinhead-Szene insgesamt eher geschwächt als gestärkt. Die Zahl neonazistisch orientierter Personen in Bayern liegt weiterhin bei 400; die Zahl der rechtsextremistischen Jugend-Szenen zuzurechnenden Personen ist mit 700 ebenfalls unverändert geblieben. Somit gibt es in Bayern rund 1.100 gewaltbereite Rechtsextremisten. Darunter befindet Gewaltpotenzial sich eine steigende Zahl an Personen, die sich selbst als "Autonome Nationalisten" bezeichnen bzw. zumindest teilweise deren Elemente wie Outfit und Parolen übernehmen (vgl. auch Nummer 3.3 des 4. Abschnitts). Das Phänomen "Autonomer Nationalisten" findet bei Polizei und Ver Autonome fassungsschutz nicht zuletzt wegen der Frage der Gewaltbereitschaft Nationalisten dieser "erlebnisorientierten" Jugend-Szene besondere Berücksichtigung. Gewalttätige Übergriffe von "Autonomen Nationalisten", wie am 1. Mai in Hamburg, waren in Bayern bisher nicht zu beobachten. Besondere Aufmerksamkeit erregte der Angriff auf den Polizeidirektor Alois Mannichl, der am 13. Dezember vor seinem Haus in Fürstenzell, Landkreis Passau, mit einem Messer niedergestochen und schwer ver letzt wurde. Zwar sind die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen, es besteht jedoch aufgrund der Aussagen des Opfers der Verdacht, dass es sich um eine rechtsextremistisch motivierte Gewalttat handelt. Der Polizeibeamte war vor und selbst nach der Tat wegen seines engagierten Auftretens als polizeilicher Einsatzleiter im Zusammenhang mit Veranstaltungen von Rechtsextremisten im Internet von Szene-Angehörigen diskreditiert und zum Feindbild erklärt worden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 24 Entwicklung des politischen Extremismus Das im Februar 2001 vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz Hinweistelefon eingerichtete Hinweistelefon (0 18 02 00 07 86) wurde seither von etwa 450 Personen genutzt. Meist handelte es sich bei den Anrufern um Bürger, die Hinweise auf rechtsextremistische Bestrebungen gaben. In einigen Fällen bekundeten Rechtsextremisten ihren Willen zum Aus stieg. Darüber hinaus hat das Bayerische Landesamt für Verfassungs schutz insgesamt über 120 Personen angesprochen, von denen etwa die Hälfte inzwischen aus der rechtsextremistischen Szene ausgestiegen ist und etwa ein Dutzend als potenzielle Aussteiger bezeichnet werden können. 3. Linksextremismus Der gewaltbereite Linksextremismus stellt nach wie vor eine Gefahr für die Innere Sicherheit dar. Das linksextremistische Gewaltpotenzial wird zu 80 % von Gruppen und Einzeltätern aus dem autonomen und anarchistischen Spektrum gestellt. Im Jahr 2008 gab es eine massive Steigerung der linksextremistisch motivierten Strafund Gewalttaten in Hohe Gewalt Bayern. Die Zahl der Gewalttaten ist von 76 Delikten im Jahr 2007 auf bereitschaft 109 erheblich angestiegen. Opfer waren in weit mehr als der Hälfte der Fälle (66 Fälle) Polizeibeamte, die zum Schutz von Veranstaltungen (z.B. der Münchner Sicherheitskonferenz und von rechtsextremistischen Auf zügen) eingesetzt waren. Bei den sonstigen linksextremistisch motivier ten Straftaten in Bayern war ebenfalls eine außergewöhnliche Steige rung auf 252 Taten (2007: 95) zu verzeichnen. Die alljährlichen Aktio nen gegen die Münchner Sicherheitskonferenz zeigen, dass die eigent lichen Angriffsziele der Autonomen der demokratische Staat und seine Repräsentanten sind. Das herausragende Agitationsund Aktionsfeld der Autonomen waren im Jahr 2008 die Wahlkämpfe für die Kommu nalund Landtagswahl in Bayern. Die angestiegenen linksextremis tischen Straftaten stehen im Zusammenhang mit den von Rechtsextre misten in dieser Zeit durchgeführten Wahlkampfveranstaltungen und Werbeaktionen. Darüber hinaus bleibt der "Antifaschismus" ein Schwer punkt autonomer Aktivitäten, d.h. der "Kampf" gegen tatsächliche und vermeintliche Rechtsextremisten; in diesem Zusammenhang wurden 51 Gewalttaten verübt. Die Partei DIE LINKE. stellt die größte linksextremistische Organisation Bundesparteitag dar. Auf dem Bundesparteitag am 24. und 25. Mai in Cottbus wurden der Partei Prof. Dr. Lothar Bisky und Oskar Lafontaine in ihren Ämtern als gleich DIE LINKE. berechtigte Parteivorsitzende bestätigt. Auch Bundesgeschäftsführer Dr. Dietmar Bartsch und Bundesschatzmeister Dr. Karl Holluba erhielten Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Entwicklung des politischen Extremismus 25 erneut das Vertrauen der Delegierten. Fast alle Personen, die bereits in der Vergangenheit in Führungspositionen der Linkspartei.PDS vertreten waren, befinden sich auch weiterhin im 44-köpfigen Parteivorstand. Die Wahl von vier Angehörigen kommunistischer Gruppierungen in den Vorstand zeigt, dass die Partei noch immer nicht auf Kommunisten im Führungskader verzichten will. Repräsentanten der Partei beschäftigten sich erneut mit der "Systemfrage" und dokumentierten damit letztlich "Systemfrage" ihre Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Bei den Landtagswahlen am 27. Januar in Hessen und Niedersachsen Teilnahme an gelang es der Partei erstmals, in die Landesparlamente zweier west Wahlen deutscher Flächenländer einzuziehen. In Hessen errang DIE LINKE. einen Stimmenanteil von 5,1 %, in Niedersachsen von 7,1 %. Damit ist die Partei im Hessischen Landtag mit sechs, im Niedersächsischen Landtag mit elf Abgeordneten vertreten. Bei den Wahlen zur Hamburger Bür gerschaft am 24. Februar erzielte die Partei einen Zweitstimmenanteil von 6,4 % und zog damit erstmals mit acht Abgeordneten in das Lan desparlament ein. Bei den Kommunalwahlen in Bayern am 2. März konnte die Partei DIE LINKE. insgesamt 42 Mandate für sich gewinnen, davon sind 29 Stadtrats-, drei Gemeinderatsund zehn Kreistagssitze. Bei der Wahl zum Bayerischen Landtag am 28. September verfehlte die Partei DIE LINKE. mit einem Gesamtstimmenanteil von 4,4 % den Ein zug in das Parlament. Bei den gleichzeitig durchgeführten Wahlen zu den sieben Bezirkstagen konnte sie sich fünf Mandate sichern. 4. Scientology-Organisation Die Scientology-Organisation (SO) startete im Februar eine bundesweite Informationskampagne über die angebliche weltweite Anerkennung der SO als Religionsgemeinschaft. In Flugblättern bezieht sich die SO erneut auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom April 2007 und interpretiert dieses bewusst falsch. Entgegen der Darstellung der SO hat dieses Urteil keine Auswirkung auf die Rechts lage in Deutschland, wo die SO nicht als Religionsgemeinschaft an Keine Religions erkannt ist. Die Anerkennung als Religionsgemeinschaft hängt vom gemeinschaft Religionsverfassungsrecht jedes einzelnen Staates ab. Nach deutschem Religionsverfassungsrecht muss sich eine Organisation im Schwerpunkt mit religiösen oder weltanschaulichen Fragen befassen. Überwiegen dagegen kommerzielle Interessen oder wendet eine Organisation nur geistige oder psychologische Techniken an, kann sich die Organisation nicht auf die Grundrechte der Religionsfreiheit berufen. Dementspre Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 26 Entwicklung des politischen Extremismus chend hat bisher kein deutsches Gericht die SO als Religionsgemein schaft angesehen. Im Jahr 2008 lag ein besonders Augenmerk des Verfassungsschutzes Kinder und auf der Vereinnahmung von Kindern und Jugendlichen durch die SO. Im Jugendliche Sinn der Maßnahmenkataloge der Bayerischen Staatsregierung gegen die SO konnte aufgrund von Erkenntnissen des Verfassungsschutzes die Ausbildung von Auszubildenden in zwei Unternehmen, die von beken nenden Scientologen geführt werden, beendet werden. In einem Fall untersagte die zuständige Industrieund Handelskammer die Ausbil dung wegen fehlender persönlicher Eignung, im anderen Fall verzichtete das Unternehmen nach Einleitung eines entsprechenden Verfahrens durch die zuständige Industrieund Handelskammer letztendlich auf die weitere Ausbildung. Die Gefährdung des Wohls der Kinder war Anfang des Jahres Grund für die Schließung der von Scientologen betriebenen Kindertagesstätte "Kinderhäusl e.V." in München. Die SO nutzt überdies den Schüler nachhilfemarkt nach wie vor, um die Studiertechnologie Hubbards weiterverbreiten und letztendlich neue Mitglieder rekrutieren zu wollen. Die SO verfolgt weiterhin das Ziel, eine weltweite scientologische Ge sellschaft nach eigenen, den Grundprinzipien der freiheitlichen demo kratischen Grundordnung wie Gewaltenteilung, Rechtsstaatsprinzip und Demokratieprinzip missachtenden Regeln zu schaffen und zu regieren. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Entwicklung des politischen Extremismus 27 5. Grafische Darstellungen Entwicklung der Mitglieder zahlen extremis tischer Organi sationen in Deutschland * Zur Partei "Die Republikaner" (REP) liegen keine hinreichend gewichtigen Anhaltspunkte für Bestre bungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mehr vor, so dass ihre Mitglieder ins gesamt nicht mehr dem Rechtsextremismus zugeordnet werden können (Grafik ab 2007 ohne REP). ** Die Kurve beruht auf Zahlen des Bundesamts für Verfassungsschutz, das von den Mitgliedern der Partei DIE LINKE. nur die der Kommunistischen Plattform (KPF) erfasst. DIE LINKE. hatte im Jahr 2008 insgesamt 76.100 Mitglieder, davon 900 in der KPF. Entwicklung der Mitglieder zahlen extremis tischer Organi sationen in Bayern * Zur Partei "Die Republikaner" (REP) liegen keine hinreichend gewichtigen Anhaltspunkte für Bestre bungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mehr vor, so dass ihre Mitglieder ins gesamt nicht mehr dem Rechtsextremismus zugeordnet werden können (Grafik ab 2007 ohne REP). Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 28 Entwicklung des politischen Extremismus Entwicklung extremistisch motivierter Gewalttaten in Deutschland (Zahlen ohne terroristische Straftaten) Entwicklung extremistisch motivierter Gewalttaten in Bayern (terroristische Straftaten vgl. Fußnoten) Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 29 3. Abschnitt Extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern 1. Allgemeines 1.1 Merkmale des Ausländerextremismus Ausländergruppen und ausländische Einzelpersonen werden als extre Einstufung als mistisch bewertet und vom Verfassungsschutz beobachtet, wenn sich extremistisch ihre politischen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand Bayerns bzw. des Bundes richten. Dazu gehören insbesondere die Organisationen, die sich auch in Deutsch land die Errichtung eines islamischen Gottesstaats zum Ziel gesetzt haben und damit wesentliche Grundsätze unserer freiheitlichen Verfas sung beseitigen wollen. Der Beobachtung unterliegen ferner Bestre bungen in Deutschland, die gegen den Gedanken der Völkerverständi gung gerichtet sind, oder eine gewaltsame Änderung der politischen Verhältnisse in ihrem Heimatland beabsichtigen und dadurch auswär tige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. 1.2 Entwicklung in Bayern LinksExtreme Islamische Gesamtzahl Mitgliederstärke extremisten Nationalisten Extremisten Mitglieder extremistischer Ausländer Kurden 1.800 (1.800) - (-) 30 (50) 1.830 (1.850) organisationen Türken 280 (280) 1.250 (1.250) 4.930 (4.900) 6.460 (6.430) in Bayern Sonstige* 280 (310) 50 (50) 670 (520) 1.000 (880) Gesamtzahl 2.360 (2.390) 1.300 (1.300) 5.630 (5.470) 9.290 (9.160) (in Klammern die Vergleichszahlen des Vorjahrs) * Araber, Pakistani, Afghanen, Iraner, Bosnier u.a. Die Gesamtzahl der Mitglieder extremistischer Ausländervereinigungen in Bayern blieb mit 9.290 gegenüber 9.160 im Vorjahr annähernd gleich. Wie in den Vorjahren stellten die Organisationen extremistischer Türken (einschließlich kurdischer Volkszugehöriger) etwa 90 % aller ausVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 30 Ausländerextremismus Ausländische Extremisten in Deutschland Ausländische Extremisten in Bayern ländischen Extremisten in Bayern. Über die Hälfte aller ausländischen Extremisten ist dem Islamismus zuzurechnen. Eine isolierte Betrachtung der Mitgliederzahlen der Organisationen verdeutlicht die Bedrohungs lage nicht ausreichend. Insbesondere im Bereich des Terrorismus treten im Inland Einzelpersonen ohne erkannten Bezug zu einer Organisation oder Anhänger von Splittergruppen ausländischer Organisationen mit Gewaltpotenzial Verbindungen zum islamistischen Terrorismus auf. Ihre Gesamtzahl in Bayern kann nur geschätzt werden. In Bayern werden etwa 50 Personen Ver bindungen zu terroristisch orientierten Netzwerken zugeschrieben. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass eine weit größere Zahl islamischer Extremisten - rund 500 Personen - Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele befürwortet, dabei aber vorrangig auf ihre jeweiligen Heimat länder und nicht auf Deutschland abzielt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 31 1.3 Gewalttaten In Deutschland betrug die Zahl der Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "politisch motivierte Ausländerkrimina lität" (ohne Terrorismusdelikte) 113 gegenüber 108 im Jahr 2007. In Bayern blieb die Zahl der ausländischen Extremisten zuzurechnenden Gewaltdelikte mit fünf im Jahr 2008 gegenüber sechs im Jahr 2007 etwa gleich. Bei einem der Gewaltdelikte handelt es sich um die Ver schleppung und massive Einschüchterung eines zum Christentum kon vertierten türkischen Journalisten in Fürth. Die Zahl von acht Terrorismusdelikten im Jahr 2007 ist im Jahr 2008 wieder auf ein Terrorismusdelikt in Bayern gesunken. Dabei leitete der Generalbundesanwalt gegen sieben Personen ein Ermittlungsverfahren ein und beauftragte das Bayerische Landeskriminalamt mit den Ermitt lungen. Den Verdächtigen wird Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und die Planung von Sprengstoffanschlägen in Europa vorgeworfen. 2. Islamischer Extremismus (= Islamismus) 2.1 Ideologische Grundlagen des Islamismus Der Islam als Religion und seine Ausübung werden nicht vom Ver Gesetzlicher fassungsschutz beobachtet. Der Beobachtung unterliegen jedoch reli Beobachtungs giös-politisch motivierte Gruppierungen und Einzelpersonen, die die auftrag unter Nummer 1.1 dieses Abschnitts dargelegten verfassungsfeindlichen Ziele verfolgen. Die im Bundesgebiet aktiven islamistischen Gruppierungen wollen die in ihren Heimatländern bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnun gen durch ein auf dem Koran und der Scharia (islamisches Rechtssystem) basierendes Gesellschaftssystem ersetzen. Überwiegend streben sie sogar die Errichtung eines anti-laizistischen Gottesstaats auf der ganzen Welt an. Sie gehen davon aus, dass durch die Scharia eine alle Lebens bereiche umfassende islamische Gesellschaftsordnung vorgegeben sei, die es überall zu verwirklichen gelte. Nach ihrer Überzeugung entspre chen die gesellschaftspolitischen Vorstellungen des Islamismus wegen ihres göttlichen Ursprungs als einziges gesellschaftliches System in allen Aspekten vollständig der menschlichen Natur. Die Trennung von Staat und Religion (Laizismus) in westlichen Staaten wird daher nicht nur als "un-islamisch" abgelehnt, sondern teilweise auch aktiv bekämpft. Der Islamismus ist geprägt von Intoleranz gegenüber Andersgläubigen, teil weise sogar gegen friedliche, moderate Muslime. Aufgrund seines Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 32 Ausländerextremismus Absolutheits Absolutheitsanspruchs fordert er einen aktiven Kampf gegen alle anspruch "Ungläubigen" und für die weltweite Islamisierung, falls nötig durch Unterwerfung aller Nichtmuslime. Westliche Demokratieund Gesell schaftsvorstellungen werden abgelehnt, sofern sie nicht im Einklang mit der von den Islamisten vorgenommenen Auslegung des Korans und der Scharia stehen. Dies bedeutet die Ächtung des demokratischen Prinzips der Volkssouveränität und der Chancengleichheit der Parteien. Ferner gibt es keine Gewaltenteilung, keine demokratische Legislative, keine Kontrolle der obersten Staatsgewalt. Auch die Menschenrechte nach westlichem Verständnis werden nur anerkannt, sofern sie nicht im Widerspruch zur Scharia stehen. Die Gleichheit der Menschen wird ver neint, nur Muslime genießen volle Rechte. Ablehnung von Islamistische Gruppen wenden sich infolgedessen gegen eine echte Integration Integration. Sie versuchen, vor allem junge Menschen zu beeinflussen und sie zu einer Ablehnung unserer demokratischen Ordnung und unserer freiheitlichen Gesellschaft zu bewegen. Dazu dienen die priva ten Koranschulen extremistischer Organisationen wie auch die Pflicht für Frauen und Mädchen, Kopftücher zu tragen, was zur bewussten Abgrenzung von westlichen Lebensgewohnheiten beiträgt (vgl. auch Nummer 2.4 dieses Abschnitts). Islamistische Terrorgruppen stehen weit mehr im öffentlichen Interesse als nicht-gewaltbereite islamistische Gruppen. Dennoch sind auch diese eine Gefahr für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung, da sie - trotz anderslautender Bekennt nisse - eine wirkliche Integration ablehnen und damit zur Bildung von Parallelgesellschaften entscheidend beitragen. Haltung zur Die Haltung zur Gewalt ist differenziert zu sehen. Gewalt wird nicht von Gewalt allen Organisationen grundsätzlich abgelehnt, sondern eher von takti schen Überlegungen abhängig gemacht. Nach Ansicht mancher isla mistischer Theoretiker schließt der "Jihad" (wörtlich: Innerer Kampf, Anstrengung; auch bekannt als "Heiliger Krieg") als Instrument zur Ver wirklichung der islamischen Gesellschaftsordnung alle zum Sieg verhel fenden Mittel ein. So befürwortet ein Teil der islamistischen Gruppie rungen vor allem aus dem arabischen Raum Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Die im Bundesgebiet mitgliederstärkste islamis tische Gruppierung, die türkische Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG), setzt dagegen auf politische Aktivitäten zur Veränderung der gesellschaftlichen Ordnungen in der Türkei und in Deutschland (vgl. auch Nummer 3.1 dieses Abschnitts). Innerhalb des islamistischen Spektrums manifestieren sich verschiedene Strömungen, salafistische und nicht-salafistische. Unter der nicht-salaVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 33 fistischen Strömung finden sich sunnitische Organisationen wie die Muslimbruderschaft (MB) mit ihren nationalen Ablegern, wie etwa die palästinensische Hamas, oder schiitische Organisationen wie die Hizb Allah. Innerhalb dieser Strömung finden sich sowohl legalistische, nationale wie auch gewaltorientierte Organisationen. Unter der salafis tischen Strömung lassen sich einerseits gewaltfreie missionarische (da'wa) Netzwerke (Puristischer und Mainstream-Salafismus), anderer seits gewaltorientierte Organisationen wie al-Qaida und deren Ableger (Jihadistischer Salafimsus) unterscheiden. 2.2 Salafismus Innerhalb islamistischer Strömungen in Deutschland gewinnt salafis tisches Gedankengut zunehmend an Bedeutung und Attraktivität. Gerade Solidargemein für junge Muslime der dritten Generation und deutsche Konvertiten auf schaft Identitätssuche bietet der Salafismus eine neue Projektionsfläche fernab der Religiosität der Elterngeneration bzw. der Regeln der eigenen Ge sellschaft an. Konvertiten und "wiedergeborene" Muslime ohne tief gründige Kenntnis der islamischen Religion fühlen sich als fester Be standteil einer neuen salafistischen Solidargemeinschaft, die einfache aber strenge Regeln, ein einfaches dualistisches Weltbild und als Ersatz familie einen intensiven spirituellen und sozialen Zusammenhalt bietet. Der Sammelbegriff "Salafismus" bezeichnet eine vom saudi-arabischen Wahhabismus geprägte islamische Bewegung, die sich in strenger, dok trinärer Form am Leitbild der frühen Muslime (salaf al-salih = fromme Vorfahren, Ahnen) orientiert. Ideologisch gehen die Salafisten von einem negativen Bild der islami Ideologie schen Welt in der Gegenwart aus. Die Ursachen hierfür werden in der Entfernung der Muslime von den ursprünglichen Lehren des Islam, in der Spaltung der islamischen Gemeinschaft (umma) in zahlreiche Rechts schulen und Sekten, sowie in der seit Jahrhunderten verkrusteten und blinden Nachahmungsmethodologie in der theologischen Praxis gesehen. Um dieser negativen Entwicklung entgegenzuwirken, streben die Sala fisten eine Reinigung des Islam von jeglichem fremden kulturellen und sozialen Einfluss an. Zu den Wesenszügen der salafistischen Islamauf fassung zählt das im Vergleich zum Mehrheitsislam sehr rigorose Ver ständnis von der Einheit und Einzigkeit Gottes (tauhid). Nicht-Salafisten werden deshalb oft mit dem Vorwurf belegt, Götzendienst (shirk) zu betreiben oder un-islamische Neuerungen (bida') einzuführen. Dem puristischen "Weltund Gesellschaftsbild" ist zudem eine dualistische Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 34 Ausländerextremismus Dualistische Weltsicht inhärent, die zwischen "wahrhaft gläubigen" Muslimen und Weltsicht Ungläubigen (kuffar) unterscheidet. Das daraus abgeleitete Loyalitäts prinzip (al-wala' wal-bara') verlangt von den salafistischen Anhängern, dass sie sich loyal zu den "wahrhaft Gläubigen" verhalten und sich von allen anderen lossagen sollen. Als Höherwertigkeitsideologie richtet sich der Salafismus zwar auch gegen nicht-islamische, jüdische und christliche Glaubensvorstellungen, besonders in der Kritik steht jedoch das schiitische und mystische Islam verständnis. Am Dialog mit Andersgläubigen sind die Salafisten nur inso weit interessiert, wie er den Interessen ihrer Mission (da'wa) dienlich ist. Ablehnung von Die Welt wird ausschließlich durch das Prisma der Scharia gesehen. weltlichen Gesetzen "Menschengemachte" Gesetze und Herrschaftssysteme wie die Demo und Herrschafts kratie werden kategorisch als un-islamisch abgelehnt. Die (Wieder)-Er systemen richtung einer "idealen" muslimischen Gesellschaft wie zu Lebzeiten des Propheten und der Salaf kann nach Auffassung der Salafisten nur auf der Grundlage einer wortwörtlichen Auslegung von Koran und Sunna als die einzig zulässigen juristischen Quellen erreicht werden. Trotz seiner homogenen Ideologie in seinen zentralen Orientierungen ist der heutige Salafismus eine polymorphe Bewegung, die über keine bzw. wenige festgefügten und formalen Organisationsstrukturen ver fügt. Grundsätzlich werden drei Haupttendenzen festgestellt, die sich weniger in ihrer Zielsetzung als viel mehr in ihrem methodischen Ansatz sowie in der Wahl der Mittel unterscheiden. Salafistische Während sich der weltabgewandte puristische und der politische Main Hauptströmungen stream-Salafismus sich der gewaltfreien Mission (da'wa) verschrieben haben, sieht der revolutionäre Jihad-Salafismus in der Gewalt das einzige Mittel zur Lösung der Probleme der islamischen Welt. - Bei puristischen Salafisten, die in der wissenschaftlichen Literatur auch "apolitische Salafisten" genannt werden, handelt es sich um Gelehrte und deren Anhänger, die in erster Linie eine gesellschaft liche Umgestaltung über die Veränderung des Alltagsverhaltens der Individuen erreichen wollen. Primär sehen die puristischen Salafisten ihre Aufgabe darin, den Islam von allen fremden Einflüssen durch die Da'wa-Arbeit zu reinigen. Die Einmischung in politische Angelegen heiten wird bei dieser älteren Generation von salafistischen Gelehr ten als unerlaubte Neuerung angesehen, die zwangsweise zur Spal tung der Gemeinschaft (umma) führen würde. Das Streben nach einem "puristischen" Islam trägt in sich isolationistische Züge, die einen Dialog mit Andersdenkenden und Nicht-Muslimen verhindern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 35 Dieser Flügel orientiert sich an der Islaminterpretation der saudischen Religionsgelehrten. - Die Mainstream-Salafisten, auch politische Salafisten genannt, haben ein verstärktes Interesse an gesellschaftspolitischen Aspekten und politischer Einflussnahme. Sie sind junge Gelehrte, die stark vom Aktivismus der Ideologie der Muslimbruderschaft (MB - vgl. auch Num mer 3.6 dieses Abschnitts) beeinflusst worden sind und den Anspruch erheben, die Probleme der Gegenwart und insbesondere die interna tionale Politik besser zu verstehen als ihre älteren puristischen Lehrer. - Die jihadistischen Salafisten sind politisierte Salafisten, die mit den "Puristen" die Vision einer idealen islamischen Gemeinschaft nach dem Vorbild der "salaf" und die vollständige Anwendung der Scha ria teilen, diese aber nicht nur durch Mission (da'wa), sondern in er ster Linie mit gewaltsamen Mitteln (jihad) verwirklichen will. Der Kriegsschauplatz im Afghanistan der 1980er Jahre bot die idealen Bedingungen für die Entwicklung des "Jihad-Salafismus". Von dort aus verbreitete sich eine neue globale Gefahr in die ganze Welt in Form der aktuell größten islamistischen Terrororganisationen in den Krisengebieten der islamischen Welt, wie al-Qaida und ihre regiona len Zweige im Irak, auf der arabischen Halbinsel, im Jemen und in Nordafrika, sowie Gruppierungen wie Ansar as-Sunna (Irak) und Fatah al-Islam (Libanon). Gemeinsam sind allen drei Tendenzen die salafistischen Glaubensgrund sätze. Unterschiede bestehen in der Methode, mit der diese Grundsätze umgesetzt bzw. der gegenwärtige gesellschaftspolitische Kontext inter pretiert wird. Die Mehrheit der Salafisten lehnt bis heute Gewalt, Haltung zur besonders terroristische Gewalt, zur Verbreitung ihrer Religion und Gewalt Ideologie ab, propagiert jedoch eine intolerante Haltung gegenüber Andersgläubigen, die die mögliche Hinwendung zum Jihad-Salafismus begünstigen kann. Zwischen den gewaltfreien salafistischen Tendenzen und der gewaltorientierten jihadistischen Tendenz bestehen Grauzonen und zum Teil fließende Grenzen. Während der Mainstreamund der Jihad-Salafismus als solche verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, bleibt bei den Puristischen Salafisten im Einzelfall zu beobachten, ob die Grenze zur politischen Bestrebung überschritten wird. In den frühen 1960er Jahren war der heutige Salafismus noch eine Rand Historische erscheinung, die hauptsächlich auf dem Gebiet der arabischen Halb Entwicklung insel verbreitet war. Infolge des durch Saudi-Arabien unterstützten außer ordentlichen Missionierungseifers entwickelte sich der Salafismus inner halb weniger Jahrzehnte zu einer transnationalen Bewegung. Von entVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 36 Ausländerextremismus scheidender Bedeutung für die Entwicklung dieser Bewegung sind zum einen der Afghanistan-Krieg (1979) und die Stationierung von amerika nischen Bodentruppen im Zuge des Golfkriegs (1991) auf dem Territorium von Saudi-Arabien, die sich als Katalysatoren für die internationale Ver breitung und Radikalisierung der salafistischen Bewegung auswirkten. Entwicklung in Anfang der 1990er Jahre fasste diese globale Bewegung auch in ein Europa zelnen Staaten Westeuropas Fuß und stellt seitdem eine ernstzuneh mende Konkurrenz für die bis zu diesem Zeitpunkt in Europa agierenden islamistischen Akteure wie z.B. die Muslimbruderschaft und Milli-Gö rüs-Bewegung dar. Der Salafismus ist aufgrund der verstärkten Akti vitäten salafistischer Netzwerke die am schnellsten wachsende Bewe gung unter jungen, auch konvertierten, Muslimen in Europa und dient bisweilen als intellektuelles Sprungbrett zum globalen Jihad. Salafistisches LehrFür den deutschsprachigen Kreis hat sich mittlerweile ein weites salafis und Bildungsnetz tisches Lehrund Bildungsnetz gebildet. Zu nennen sind in diesem Zu sammenhang beispielsweise die überregionalen Grundlagenseminare "Lerne den Islam", die bundesweit von Predigern salafistischer Netz werke angeboten werden und insbesondere junge Teilnehmer anspre chen. Neben Schulungsmaßnahmen vor Ort besteht aber auch ein Trend zur Virtualisierung der Fortbildung über das Internet. Dabei spielt die Kommunikationsplattform Paltalk eine zentrale Rolle, da hier pro minente Angehörige des salafistischen Gelehrtennetzwerks, wie der Leipziger Imam Hassan Dabbagh, als Online-Imame auftreten. Zusätz lich ermöglichen Live-Übertragungen über das Internet, Seminarauszüge oder "Fernuniversitäten" die Schulung vor dem Bildschirm. Auch in Bayern verdichten sich die Hinweise auf eine zunehmende, sich in Netzwerken organisierende Anhängerschaft salafistischer Ideologie. Die missionarische Vortragstätigkeit prominenter salafistischer Prediger hat sich in 2008 intensiviert und die Zahl bayerischer Teilnehmer an den Islamseminaren ist deutlich gestiegen. Diesen Netzwerken werden in Bayern nach groben Schätzungen etwa 100 Personen zugerechnet. Die Staatsanwaltschaft München I führt derzeit ein Ermittlungsverfah ren gegen mehrere Personen aus der salafistischen Szene Deutschlands (vgl. auch Nummer 3.7 dieses Abschnitts). 2.3 Rolle des Internets Propaganda, Sowohl nicht gewaltbereite Islamisten als auch islamistische Terroristen Kommunikation, nutzen das Internet in professioneller Weise als wesentliches Propa Steuerung ganda-, Kommunikationsund Steuerungsmedium. Inzwischen sorgen Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 37 mehrere tausend einschlägige Terrorseiten für eine Verbreitung der Jihad-Ideologie. Internet-Auftritte von islamischen Extremisten und von islamistischen Organisationen mit zahlreichen und eindeutigen Verwei sen bzw. Links auf Internet-Angebote mit terroristischen Inhalten zeigen deutlich, wie leicht, fließend und damit gefährlich über das offene Medium des World Wide Web der Übergang vom Islamisten zum isla mistischen Terroristen ist. Ein anschauliches Beispiel für die zentrale Bedeutung des Internets ist Zentrale Bedeutung die jüngere Entwicklung al-Qaidas. Mit Hilfe des Internets hat sich für al-Qaida al-Qaida immer weiter weg von einer Organisation bewegt und den Charakter einer weltweiten Bewegung angenommen. Die Grenze zwi schen al-Qaida-Sympathisanten, die mit Propaganda, Know-how sowie ideologischer Schulung im Netz auftreten, und den Aktivisten des Terrors verschwimmt zunehmend. In jedem Land der Welt können sich Sympathisanten mit Hilfe des zur Verfügung gestellten Lehrmaterials, wie etwa der "Enzyklopädie des Jihad", ausbilden, um im Namen al-Qaidas am Kampf teilzunehmen. Das Internet gewährleistet die Exis tenz, Überlebensfähigkeit und Weiterentwicklung al-Qaidas. In Videoproduktionen der al-Qaida-Medienstelle as-Sahab werden neu entstandene Organisationen offiziell durch die Führung Kern-al-Qaidas legitimiert. Diese von Anhängern und Sympathisanten geforderte Praxis belegt den weiterhin hohen ideologischen Einfluss des obersten Führers der al-Qaida, Usama Bin Ladin, und dessen Stellvertreters Dr. Ayman al-Zawahiri. Islamisten und islamistische Terroristen finden im Internet ideale Bedin gungen, da die spontane Bildung interaktiver und ideologisch gleich gesinnter Internet-Gemeinden kein großes Fachwissen erfordert und ein schnelles Agieren sowie eine große Reichweite im Web ermöglicht. Große Reichweite Hier werden Meinungen ausgetauscht, Verlautbarungen und einschlä gige Schriften verbreitet, Audiound Videobotschaften eingestellt oder neu verlinkt und somit einem breiten Publikum von Sympathisanten zur Verfügung gestellt. Neben der zunehmenden Verwendung von neuen Techniken, wie z.B. Podcasting, Weblogs, PalTalk und Chat, sorgt eine neue Generation von islamistischen IT-Fachleuten für professionell auf bereitete und getarnte Internet-Auftritte. So sind islamistische Inter net-Angebote, insbesondere im Bereich des Jihadismus, besonders dynamisch. Die Homepages ändern häufig ihr Erscheinungsbild und sind teilweise nur über einen kurzen Zeitraum abrufbar. Ein Großteil der Internet-Seiten ist in arabischer Sprache abgefasst; teilweise werden englisch-, französischund auch deutschsprachige Fassungen präsenVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 38 Ausländerextremismus tiert. Einige Internet-Angebote gehen mit so genannten Weblogs ein her, die es erlauben, eigene Beiträge einzubringen und so interaktive Netzgemeinden zu bilden. In den meist passwortgeschützten Diskus sionsforen bilden sich abgeschottete Gruppen ideologisch Gleich gesinnter, in denen religiöse Schulung ebenso stattfindet wie Radika lisierung und Rekrutierung für terroristische Aktivitäten. Während bisher die Vermittlung einschlägigen Fachwissens zu den The men Waffenkunde, Bombenbau, konspirative Kommunikation und Guerillakampf vorwiegend über den Austausch von selbst erstellten Handbüchern und Anleitungen im Internet erfolgte, konnte 2007 erst "Onlinemals eine Art Online-Universität festgestellt werden. Das zugangs Universität" beschränkte militant-islamistische Internet-Forum "al-Ekhlaas" (die Wahrhaftigkeit) bot einen Elektrotechnik-Kurs für Jihadisten an. Der Unterricht erfolgt über foreninterne Privatpost zwischen Lehrer und Schülern sowie über zum Download bereitgestellte Powerpoint-Präsen tationen. Die terroristische Ausbildung mittels "Fernstudium" stellt eine neue Entwicklung dar, die zunehmend als Ergänzung oder auch Ersatz für die immer mehr unter Druck geratenden Ausbildungslager in Afghanistan und Pakistan dient. "home grown" Das Internet leistet so gerade auch dem "home grown"-Terrorismus Terrorismus wesentlichen Vorschub. Zentrale Schritte von der Radikalisierung bis hin zur Selbstrekrutierung, von der ideologischen Schulung bis zur Planung von Anschlägen, können mittels des im Internet zur Verfügung gestell ten Materials vollzogen werden. Es ist zu erwarten, dass die mit Hilfe des Internets geschulten und operativ unabhängigen Einzelpersonen oder Gruppen im Bereich des islamistischen Terrorismus zunehmen wer den, zumal al-Qaida als eine handlungslegitimierende und -leitende Ideologie zu verstehen ist, die jeder als "Markenzeichen" in Anspruch nehmen kann. Internet-Veröffentlichungen, wie die auf der Seite der "Global Islamic Media Front" (GIMF) erschienene Anleitung "39 Mög lichkeiten den Jihad zu unterstützen", geben konkrete Anleitung von der geistigen Vorbereitung über die logistische Unterstützung der Mud jahidin bis hin zum eigenen "Märtyrer-Tod". Al-Qaida versucht verstärkt, die Muslime in westlichen Ländern, ins besondere re-islamisierte junge Männer der zweiten und dritten Einwan derergeneration sowie Konvertiten, durch ihre Internet-Verlautbarungen zu erreichen. Eine besondere Rolle in Deutschland spielen hierbei die Seiten der GIMF. Sie wendet sich nicht primär an die Bevölkerung im arabischen Raum, sondern hat die weltweite Verbreitung ihrer Propa ganda zum Ziel. Seit Mai 2006 gibt es auch eine deutschsprachige Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 39 GIMF-Homepage. Hier werden regelmäßig deutsche Übersetzungen Global Islamic von Verlautbarungen, Tatbekennungen und sonstigen Informationen Media Front von Mudjahidin-Gruppen im Irak und in Afghanistan eingestellt. Bei (GIMF) spielsweise waren im März 2007 Deutschland und Österreich über eine Videobotschaft mit Terroranschlägen bedroht worden, falls sie ihre Sol daten nicht aus Afghanistan abziehen würden. Der Verantwortliche der deutschsprachigen GIMF war daraufhin im September 2007 in Wien festgenommen worden, was die GIMF auf ihrer Homepage am 17. Sep tember 2007 kommentierte: "An die Kuffar, die uns versuchen zu bekämpfen, sagen wir Folgendes: Ihr könnt machen, was ihr wollt, macht so viele Festnahmen, wie ihr wollt, ..., ihr werdet euer Ziel nie erreichen, wir werden immer weiter machen, bis wir den Sieg erlangen oder das Märtyrertum." Die Festnahme ihrer mutmaßlichen Führungsspitze führte allerdings nicht zu einer erkennbaren Schwächung; die GIMF ist unverändert aktiv. Dies zeigte auch ein zweites Drohvideo nach der Festnahme Ende No vember 2007. Nach nachrichtendienstlichen Aufklärungsmaßnahmen konnte Ende 2007 einer der Administratoren des GIMF-Netzwerks in Weiden i.d.OPf. identifiziert werden. Mit diesen Erkenntnissen und in Zusammenarbeit der Verfassungs schutzbehörden mit dem Bundeskriminalamt konnten weitere Aktivis ten der GIMF in Deutschland ermittelt werden. Im Rahmen eines Er mittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts nach SS 129b StGB (Mit gliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland) wurden am 25. November in einer bundesweiten Durchsuchungsaktion insgesamt zwölf Objekte von Aktivisten der GIMF u.a. in Augsburg und Weiden i.d.Opf. durchsucht. Ein wesentliches Element terroristischer Aktivitäten ist die konspirative Konspirative Kommunikation. Das jihadistische Online-Magazin "al-Mujahid al-TiKommunikation qani" (der technische Mudjahid), das sich mit technischen Fragen im Zusammenhang mit der Rechnernutzung befasst, stellte in einem aus führlichen Artikel neben den am häufigsten verwendeten Methoden der elektronischen Verschlüsselung auch die Steganographie vor. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, bei dem verschlüsselte Infor mationen in den Farbschichten von Bilddokumenten verborgen über mittelt werden. Seit März 2007 wird im Internet eine Hackingsoftware unter dem Titel "al-Jihad al-Elektruni" (der elektronische Jihad) angeboten. Die Software dient der Generierung von "Denial of Services"-Attacken. Bei einem derartigen Angriff wird der Zielcomputer bzw. ein Server mit einer so Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 40 Ausländerextremismus hohen Anzahl von Anfragen beschickt, dass er die Anfrageflut nicht mehr bewältigen kann und vom Netz genommen werden muss. Der Betreiber der Internet-Seite, auf der die Software angeboten wird, benennt auch Ziele, vorwiegend Internet-Seiten mit aus seiner Sicht anti-islamischem Inhalt, und ruft zum "elektronischen Krieg" gegen diese "Elektronischer Seiten auf. In der Praxis des "elektronischen Jihad" überwiegen anlass Jihad" bezogene Angriffe gegen Internet-Seiten, wie z.B. gegen die dänische Zeitung Jyllands-Posten wegen der Mohammed-Karikaturen. Generell nimmt die Bedeutung des "Cyber Jihad" in islamistischen Kreisen zu, da man auf diesem Feld mit relativ geringen Mitteln und fast ohne per sönliches Risiko in hoch technisierten Gesellschaften großen Schaden anrichten kann. 2.4 Islamistische Bildungsund Jugendarbeit Die Bildungsund Jugendarbeit ist ein wesentlicher Baustein zum Erhalt und zur Fortentwicklung jeder Organisation. So wendet sich eine Viel zahl islamischer Einrichtungen in Deutschland mit altersund zielgrup penorientierten Bildungsund Betreuungsangeboten an Kinder, Jugend liche und Heranwachsende. Die Angebote sind nur teilweise extremis tischer Natur. Eine Gefahr liegt jedoch darin, dass vor allem islamistische Organisationen dieser Arbeit hohe Bedeutung beimessen. Sie wollen der Jugend eine moralische Orientierung geben, die ihrer Ansicht nach in der westlichen Gesellschaft nicht gewährleistet ist. Eine besondere Rolle bei der Bildungsarbeit islamistischer Organisatio nen nimmt die religiöse Fortbildung und somit der Koranunterricht ein. Korankurse In nahezu allen Moscheevereinen werden Korankurse angeboten. Der Unterricht findet nach Geschlechtern getrennt in der Regel am Wochen ende statt. Zusätzlich bieten die Vereine während der Ferien besondere Kurse im Inund Ausland an. Parallel zu den Korankursen werden ge legentlich auch Arabischkurse angeboten, die die Rezitation und das inhaltliche Verständnis des Korans ermöglichen sollen. Dabei schaffen sich extremistische Organisationen Möglichkeiten, in die als religiöse "islamische" Bildung präsentierten Angebote islamistische, auf poli tische Inhalte ausgelegte Positionen einfließen zu lassen und prägend auf Merkmale Kinder und Jugendliche einzuwirken. Kennzeichnend für eine islamisti islamistischer sche, also auf politische Inhalte ausgelegte Bildungsarbeit, sind vor allem: Bildungsarbeit - die Ausschließlichkeit, mit der die spezielle religiös-politische Lesart der Organisation vertreten wird, - die Deutung des Islams als ordnungspolitisches System, Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 41 - der abwertende Umgang mit Andersgläubigen und andersdenken den Muslimen sowie - die ablehnende Haltung gegenüber demokratischen Freiheitsrechten. Als Anbieter von Korankursen treten im Bereich der islamistischen Bildungsarbeit von Organisationen insbesondere die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. IGMG und IGD (IGMG) sowie die mitgliederstärkste Organisation von Anhängern der sunnitisch-extremistischen Muslimbruderschaft (MB), die Islamische Ge meinschaft in Deutschland e.V. (IGD), auf. Die IGMG versucht, mit einem breiten Angebot in der Jugendund Bildungsarbeit wie etwa der Veranstaltung von Sommerkorankursen, junge Türken in Deutschland an die Organisation und an ihre islamistische Ideologie zu binden. Durch diese Angebote sollen Kinder und Jugendliche aus dem "Sumpf der westlichen Lebensweise" herausgehalten und nach "islamischen" Wertmaßstäben erzogen werden. Neben den traditionellen Schulungen in Wochenendund Sommerkorankursen für Kinder setzt die IGMG aber inzwischen auch gezielt auf attraktive Veranstaltungen für Jugend liche und Studenten (vgl. auch Nummer 3.1 dieses Abschnitts). Die IGD bemühte sich in den letzten Jahren verstärkt um Attraktivität für die in Deutschland aufgewachsenen Muslime arabischer Herkunft. Diese sol len u.a. über den Ausund Aufbau von Bildungseinrichtungen in Islami schen Zentren der IGD erreicht werden (vgl. auch Nummer 3.6.1 dieses Abschnitts). Neben der herkömmlichen Bildungsund Jugendarbeit haben islamistische Jugendorganisationen aber auch die Sogund Iden tifikationswirkung von Musik auf muslimische Jugendliche entdeckt. So "Pop-Islamismus" demonstriert ein Teil der in Deutschland geborenen oder aufgewachse nen jungen Muslime vor allem durch Rap-Musik ein neues "islamisches Bewusstsein". Inhalt und Form der Musik sind ebenso wie die Darstellung gewollt politisch und gesellschaftlich provokant gehalten. Themen sind beispielsweise die "ungerechtfertigt negative" Darstellung des Islam in den deutschen Medien, die "Kopftuchdebatte" oder der "Krieg gegen den Terror". Die Texte rufen dabei zu einem Bekenntnis für eine "isla mische Identität" auf. Die "Gesellschaftskritik", die wesentlicher Bestandteil der Rap-Musik ist, wird dabei religiös-politisch untermauert. Zum Teil bieten islamistische Jugendorganisationen diesen deutschspra chigen Bands gezielt eine Plattform für Auftritte. Ein weiteres wichtiges Idol junger Muslime weltweit ist der ägyptische "Fernsehprediger" Amr "Fernsehprediger" Khaled. Durch seine regelmäßigen Auftritte im saudi-arabischen Satelli tensender "Iqra" genießt er hohe Popularität bei seinem überwiegend jugendlichen Zielpublikum. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt Khaled als "unpolitischer", aber der ägyptischen Muslimbruderschaft nahestehender Prediger, der sich vor allem alltäglicher Probleme junger Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 42 Ausländerextremismus Muslime annimmt. Die Popularität Khaleds machen sich auch extremis tische Organisationen zu Nutze, indem sie ihn zu ihren Veranstaltungen einladen. Erwachsenen Neben dem Engagement im Jugendbereich spielt aber auch die Erwach bildung senenbildung eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Verbreitung islamistischer Ideologie. In diesem Zusammenhang ist u.a. auf vielfältige Ausbildungsangebote für Multiplikatoren (Lehrer, Dozenten) hinzuwei sen. Beispielhaft dafür steht das Anfang 2001 in Frankfurt am Main gegründete Islamologische Institut, das mittlerweile seinen Hauptsitz nach Wien verlegt hat. Es steht dem Gedankengut der Muslimbruder schaft (vgl. auch Nummer 3.6 dieses Abschnitts) nahe und geht von einem islamistischen Weltbild aus, das mit einem säkularen Staat un vereinbar ist. Der Leiter des Instituts propagiert diese Haltung auch in einem von ihm verfassten Lehrbuch, das im Unterricht eingesetzt wird. Darin wird Religion als "islamische Lebensweise, die alle Bereiche und Ebenen der Lebensgestaltung, nämlich die religiöse, kulturelle, politische, wirtschaftliche, soziale, wissenschaftliche ... umfasst" definiert. Ein ein deutiges Bekenntnis zu Menschenrechten und Grundgesetz ist somit fragwürdig. Kurse des Instituts, meist Wochenendseminare, finden an mehreren Orten statt, u.a. auch in München. Die Absolventen sollen dafür qualifiziert werden, in öffentlichen Schulen sowie in islamischen Gemeinden und Moscheen in deutscher Sprache islamischen Religions unterricht zu erteilen. Das Islamologische Institut profitiert davon, dass im deutschsprachigen Raum ein Mangel an akademisch ausgebildeten Religionslehrern herrscht. Es versucht, durch seine Schulungsangebote diese Lücke auszufüllen und junge Multiplikatoren ideologisch und fachlich auszubilden. Bildung via Auch das Internet spielt bei der Vermittlung islamistischer Lehrinhalte Internet eine wachsende Rolle. So ist eine große Anzahl einschlägiger Inter net-Seiten zu verzeichnen, die zum Teil miteinander verlinkt sind und Schulungen in Form von Audiooder Video-Dateien zum Herunterladen anbieten. Teilweise werden auch Islamseminare live via Internet über tragen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich in Deutschland zwischen zeitlich ein umfangreiches und weit verzweigtes privatautonomes isla mistisches Bildungsund Schulsystem entwickelt hat. Die Gefahren die ser Entwicklung sind erheblich; Bildungsund Sozialarbeit islamistischer Träger kann von einer gemäßigt religiösen zu einer islamistischen Geis teshaltung führen und somit erheblich zur Radikalisierung von Musli men in Deutschland beitragen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 43 3. Islamistische Gruppierungen 3.1 Milli-Görüs-Bewegung "Führer" der Milli-Görüs-Bewegung: Prof. Dr. Necmettin Erbakan Vorsitzender des euro päischen Zweigs (IGMG): Osman Döring, genannt Yavuz Celik Karahan Entstehung der Bewegung (Türkei): ca. 1970 Entwicklung in Europa: Gründung 1985 in Köln als "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT); 1995 Aufteilung in die beiden unabhängigen juristischen Personen "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) und "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemein schaft" (EMUG) Deutschland Bayern Mitglieder: 26.000 4.800 Sitz der IGMG: Kerpen Sprachrohr der Milli-Görüs-Bewegung: "Milli Gazete" (Nationale Zeitung) Publikation der IGMG: "IGMG Perspektive" Die Milli-Görüs-Bewegung ist ein Sammelbecken von Anhängern des türkischen Politikers Prof. Dr. Necmettin Erbakan, der von 1996 bis 1997 Ministerpräsident in der Türkei war. Sie will seit Ende der 1960er bzw. Anfang der 1970er Jahre - trotz gegenteiliger Bekundungen - zu nächst die laizistische Staatsordnung in der Türkei durch eine islamische Staatsund Gesellschaftsordnung mit dem Koran und der uneingeVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 44 Ausländerextremismus schränkten Gültigkeit der Scharia als Grundlagen des Staates und des gesellschaftlichen Zusammenlebens ablösen. Ihr erklärtes Fernziel ist darüber hinaus die weltweite Einführung einer islamischen Staatsund Gesellschaftsordnung nach dem Vorbild des alten osmanischen Reichs unter Führung der Türkei. Zuzurechnende Die Ideologie und die Ziele der Milli-Görüs-Bewegung erschließen sich Institutionen durch die Gesamtschau der Äußerungen und Aktivitäten der ihr zuzu rechnenden Institutionen. Dies sind im Wesentlichen - die Saadet Partisi (SP - Glückseligkeitspartei) in der Türkei, - die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) als Repräsen tantin im Ausland, - die "Milli Gazete" als publizistisches Sprachrohr. 3.1.1 Die Verfassungsfeindlichkeit der Milli-Görüs-Ideologie Ideologische Die ideologischen Wurzeln der IGMG sind auf die Ideen des Begründers Wurzeln der Milli-Görüs-Bewegung, Prof. Dr. Erbakan, zurückzuführen. Zentrale Bedeutung in Prof. Dr. Erbakans politischem Denken haben die von ihm geprägten Schlüsselbegriffe "Milli Görüs" (Nationale Sicht) und "Adil Düzen" (Gerechte Ordnung). Nach der von Prof. Dr. Erbakan ent wickelten Ideologie ist die Welt in die auf dem Wort Gottes fußende religiös-islamische Ordnung ("Adil Düzen") einerseits und die westliche Ordnung der Gewalt und Unterdrückung ("Batil Düzen" = Nichtige Ordnung) andererseits aufgeteilt; der letzteren ("Batil Düzen") spricht Prof. Dr. Erbakan jede Existenzberechtigung ab. Es gelte, ein solches System durch eine "Gerechte Ordnung" zu ersetzen, wofür die Aus richtung an islamischen Grundsätzen statt an von Menschen geschaf fenen und damit "willkürlichen Regeln" erforderlich sei. Die "Gerechte Ordnung" soll alle Lebensbereiche erfassen und zunächst in der Türkei und danach in der ganzen Welt verwirklicht werden. Zu den klassischen Feindbildern gehört außer der westlichen Welt auch der Staat Israel - meist als "Zionisten" umschrieben - ferner Kommunismus, Imperialis mus, Kapitalismus und Christentum. Insgesamt ist das "Adil-Düzen-Kon zept" mit den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grund ordnung unvereinbar: - Die Einführung einer islamischen Gesellschaftsordnung würde den Grundsatz der Gewaltenteilung, das Rechtstaatsprinzip, die Unab hängigkeit der Richter und das Demokratieprinzip beseitigen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 45 - Die propagierte Vormachtstellung sowohl des politischen Islam als Beispiele für auch der Türkei würde zu einer verfassungsmäßig nicht gerechtfer Verfassungsfeind tigten Ungleichbehandlung anderer Religionen, Ethnien und des lichkeit weiblichen Geschlechts führen sowie die im Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention konkretisierten Menschen rechte verletzen. - Der in der Milli-Görüs-Bewegung vertretene Antisemitismus führt zu einer ausgrenzenden Benachteiligung des jüdischen Volkes und der jüdischen Religion und verletzt die Menschenrechte sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz. - Die Bestrebung, die gesamte Welt unter islamische Führung zu stel len, würde die republikanische Ordnung Deutschlands ebenso besei tigen wie den Grundsatz der Gewaltenteilung und des Demokratie prinzips einschließlich der Wahlgrundsätze. - Die Bildung einer Opposition, die nicht den Ansprüchen des Islams in der politischen Sichtweise der Milli-Görüs-Bewegung genügt, wäre in einem derartigen Staat ausgeschlossen. - Die Ausrichtung der Milli-Görüs-Bewegung auf eine sultansähnliche türkische Führerfigur zeigt nationalistisch-diktatorische Züge und widerspricht der republikanischen Struktur Deutschlands sowie dem Demokratieprinzip. - Das Streben nach einer "Großtürkei" als bestimmende Macht auch in Europa und der Welt zielt auf die Beseitigung national-staatlicher Grenzen und widerspricht damit dem in der Verfassung verankerten Grundsatz der Völkerverständigung. 3.1.2 Saadet-Partisi (SP) in der Türkei In der Türkei sind die Anhänger der islamistischen Milli-Görüs-Bewe Heimatliche gung seit 2001 in der Saadet-Partisi (SP - Glückseligkeitspartei) organi Mutterpartei siert, nachdem die Vorgänger-Parteien Refah Partisi (RP - Wohl fahrtspartei) und Fazilet Partisi (FP - Tugendpartei) wegen "anti-laizis tischer Aktivitäten", also wegen Aktivitäten, die Trennung von Staat und Religion rückgängig zu machen, verboten worden waren. Die SP ist faktisch die heimatliche Mutterpartei der gesam ten Milli-Görüs-Bewegung. Trotz eines gegen Prof. Dr. Erbakan erlassenen Politikverbots, das ihm die Ausübung einer Parteifunktion verwehrt, gilt er weiterhin als "Führer" Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 46 Ausländerextremismus Wahlkampf mit weit reichendem Einfluss auf Partei und Bewegung. Wahlkampf auftritte im Vorfeld der türkischen Parlamentswahlen am 22. Juni 2007 verdeutlichten, dass Prof. Dr. Erbakan nach wie vor als Führungsfigur innerhalb der SP fungiert und er unverändert an seinen ideologischen Standpunkten festhält. Nach einem Bericht der "Milli Gazete" vom 15. Juni 2007 kritisierte Prof. Dr. Erbakan in einer Rede vor Kandidaten der SP die türkische Regierung, die sich dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ergeben habe. Er stellte dies als Folge eines neuen, im Jahre 1990 eingeleiteten 20. Kreuzzugs durch den nach dem Zusammenbruch Russlands ein zigen "rassistischen Imperialismus" des Westens dar. Prof. Dr. Erbakan nahm ferner Bezug auf die Besetzung Afghanistans und des Iraks durch die USA und kündigte den Beginn des "Nationalen Befreiungskampfs" (Milli Kurtulus Harekati) an: "Der historische Punkt, an dem wir uns befinden, ist ein wichtiger Punkt. Und die Wahlen am 22. Juli 2007 werden aus diesem Grund genauso wichtig sein wie die Schlacht von Canakkale (Anmerkung: Dardanellen 1915), sogar noch wichtiger. Zur Befreiung Istanbuls, der islamischen Welt und der Menschheit starten wir den Nationalen Befreiungskampf." Alle Parteien - außer der SP selbst - hätten die "ehrenhafteste Nation der Geschichte" und dieses "Land, dem Gott (Allah) die größten Gaben geschenkt hat", versklavt und ausgebeutet. Er rief kämpferisch dazu auf, der SP als einziger Partei, die für eine "Gerechte Ordnung" eintrete, die Stimme zu geben: "Der Sieg gehört denen, die daran glauben, und der Sieg ist nahe. Gesegnet sei euer Jihad." Ob der Begriff "Jihad" in diesem Zusammenhang im Sinn eines militä rischen Kampfs (kleiner Jihad) gemeint sein soll, kann dahinstehen. In jedem Fall handelt es sich nicht nur um das innere Bemühen (großer Jihad), sondern um eine aktive politische Bestrebung. Dies lässt sich bereits durch Äußerungen von Prof. Dr. Erbakan Ende der 1980er Jahre gegen Israel und die Juden aufzeigen. Er vertrat in einem Vortrag mit dem Titel "Grundthemen und Jihad" die Auffassung, der Zionismus sei eine Mentalität, die jeden zum Sklaven der Juden machen möchte. Ein be wusster Muslim trete entweder in die Jihad-Armee ein oder er werde zum jüdischen Soldaten. Der Anhänger von "Milli Görüs" sei verpflich tet, für die Islamherrschaft zu kämpfen: "Wer sich von der Armee trennt, für den gilt das Urteil des Schwertes." Weltweiter Der weltweite Anspruch der "Milli Görüs" innerhalb der SP zeigte sich Anspruch nicht zuletzt bei den diesjährigen Feierlichkeiten zur Übergabe des Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 47 SP-Parteivorsitzes. In seiner Abschiedsrede wies Recai Kutan auf das Blutvergießen und die Tränen in der islamischen Welt, insbesondere in Afghanistan und Palästina hin, die lediglich durch die "Milli Görüs" beendet werden könnten. Der neue SP-Vorsitzende, Prof. Dr. Numan Kurtulmus, verdeutlichte während einer späteren Parteisitzung noch mals, dass die SP ein neues Zeitalter nicht nur für die islamische Welt, sondern für die gesamte Menschheit einleiten werde. Alle westlichen Zivilisationen heutzutage seien modernes Sklaventum, das es abzu schaffen gelte. 3.1.3 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) als Auslandsorganisation der Milli-Görüs-Bewegung Organisation Die IGMG bildet die Auslandsorganisation der Milli-Görüs-Bewegung. Organisation Der Sitz der IGMG-Zentrale befindet sich in Kerpen/Nordrhein-West falen. Der Zentrale sind mehr als 30 "Gebiete" nachgeordnet, davon etwa die Hälfte allein in Deutschland. Weitere "Gebiete" befinden sich in euro päischen Ländern (u.a. in Österreich, Frankreich und Belgien), aber auch in Kanada und Australien. Unterhalb der "Gebietsebene" sind die "Ortsvereine" angesiedelt. Auch hier zeigt sich, dass sich die Bestre bungen der IGMG vor allem auf Europa und hier insbesondere auf Deutschland als größte türkische Exklave konzentrieren. So befinden sich von den insgesamt rund 700 "Ortsvereinen" etwa 500 in Deutschland. In Bayern sind etwa 70 "Ortsvereine" aktiv, mit regio nalen Schwerpunkten in Nürnberg und München. Die Struktur be legt den hierarchischen Aufbau. Das Bemühen der IGMG um gesellschaftliche Akzeptanz führte in der Vergangenheit bei mehreren Ortsvereinen zur Annahme von neutralen Bezeichnungen. Solche Vereine geben sich Satzungen, die formal keine Rückschlüsse auf die IGMG mehr zulassen. Die Zugehörigkeit zur IGMG lässt sich aber aufgrund von internen Mit gliedslisten oder durch bekannt gewordene persönliche Mitgliedschaf Emblem ten führender Funktionäre herstellen. Die so nachgewiesenen extremis der IGMG tischen Bezüge sind im Rahmen von Verwaltungsverfahren im Aufent haltsund Staatsangehörigkeitsrecht, bei Zuverlässigkeitsüberprüfun gen und bei der Prüfung der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit der entsprechenden Organisationen von Belang und werden gegenüber Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 48 Ausländerextremismus den zuständigen Behörden durch Erkenntnismitteilungen des Verfas sungsschutzes eingebracht. Ein Beispielsfall für formal nach außen hin vollzogene Distanzierungs bemühungen ist die Islamische Gemeinde Penzberg e.V. (IGP). Dieser 1994 gegründete Verein erschien noch für den Zeitraum 2003/2004 auf Mitgliedslisten der IGMG, die bei einer polizeilichen Durchsuchung der Münchner IGMG-Moschee aufgefunden wurden. Zwar hat der Vereins vorsitzende der IGP inzwischen Schreiben vorgelegt, mit denen er um Streichung des Vereins aus dem IGMG-Register bittet und seine persön liche Mitgliedschaft ab März 2006 kündigt. Trotzdem wurde auch im Be richtsjahr in der IGP für eine IGMG-Veranstaltung in Ingolstadt geworben. Verbindungen zur Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei Die IGMG-Führung, vertreten durch den Generalsekretär Oguz Ücüncü, ist nach eigener Darstellung nach außen bemüht, sich von der Milli-Gö rüs-Bewegung und deren ideologischen Führer Prof. Dr. Necmettin Erbakan zu distanzieren sowie den Verband als bloße Religionsgemein schaft und verfassungstreue Organisation darzustellen. Diese Außen darstellung ist jedoch wenig überzeugend. Enge Bindung Die enge Verbindung zur Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei, die be reits in der Beibehaltung des Begriffs "Milli Görüs" im Namen der IGMG zum Ausdruck kommt, wird u.a. in engen und dauerhaften Kontakten deutlich, die nach wie vor zwischen der IGMG und dieser Bewegung in der Türkei bzw. der von ihr getragenen SP bestehen. Dies zeigt sich nicht nur in der allgemeinen Zielsetzung der IGMG, die Milli-Görüs-Be wegung als solche zu stärken und zu unterstützen, sondern auch in der Teilnahme hoher Funktionäre der SP an Veranstaltungen der IGMG und umgekehrt, in dem Inhalt der Redebeiträge von SP-Funktionären bei Veranstaltungen der IGMG und in der häufigen Zuschaltung von Prof. Dr. Erbakan zu IGMG-Veranstaltungen, bei denen für die Milli-Görüs-Be wegung geworben wird. Beispiele Beispielhaft sind in diesem Zusammenhang zu nennen: - Im März 2007 trafen sich die Gründungsmitglieder der "Milli Görüs" in Europa in Rotterdam/Niederlande zum "Tag der Vertragstreue". Neben dem Vorsitzenden der SP in Istanbul, Osman Yumakogullari, der zeitweise Generalvorsitzender der "Milli Görüs" in Europa war, nahmen der gegenwärtige IGMG-Generalvorsitzende Yavuz Celik Karahan und der damalige IGMG-Funktionär Hasan Damar an der Veranstaltung teil. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 49 - Im April 2007 wurde eine neue IGMG-Moschee in Mühldorf a. Inn eröffnet. Die Einweihungsfeier besuchten etwa 300 Personen. Neben hochrangigen Funktionären der IGMG, wie etwa dem damaligen südbayerischen Gebietsvorsitzenden Abdussamed Temel, waren auch der stellvertretende Vorsitzende der SP und ehemalige türkische Justizminister Sevket Kazan anwesend. Zu einer Veranstaltung der IGMG-Zweigstelle in Nürnberg im Juli 2008 wurde auch ein Funktio när der SP eingeladen. - Die IGMG unterstützte 2007 massiv den Wahlkampf der SP und Wahlkampf dokumentierte damit ihre politische Ausrichtung an der türkischen unterstützung Milli-Görüs-Bewegung. Zur Vorbereitung der Wahlen fanden Mitte April 2007 Veranstaltungen der Milli-Görüs-Bewegung mit den IGMG-Gebietsvorsitzenden in der Türkei statt: Am 12. und 13. April 2007 traf Prof. Dr. Erbakan die IGMG-Gebietsvorsitzenden aus Euro pa in einem Hotel in Ankara zu Einzelgesprächen. Bei einer Gemein schaftsveranstaltung sprach auch Dr. Arif Ersoy. Dr. Ersoy gilt als Architekt des Konzepts der "Gerechten Ordnung", einer zentralen ideologischen Säule der Milli-Görüs-Bewegung. Unter dem Titel "Wir werden die Saadet-Fahne ganz nach oben ziehen" berichtete die Europaausgabe der "Milli Gazete" am 16. April 2007 über die monatliche Provinzratssitzung der SP in Istanbul. An der Sitzung nah men auch IGMG-Funktionäre aus Deutschland teil. - Im April 2007 besuchte die Vorsitzende der IGMG-Frauenorganisa tion, Zehra Dizman, mit Mitgliedern ihres Führungsrats Prof. Dr. Erba kan in der Türkei. Anschließend traf sich die Delegation mit der Vor sitzenden der Frauenorganisation der SP. - An einer Feier der IGMG in Bremen im Jahr 2008 nahmen Funktio näre des Verbands und Prof. Dr. Numan Kurtulmus (SP) teil. Prof. Dr. Necmettin Erbakan wurde der Veranstaltung per Telefon live zuge schaltet. - Etwa 25.000 Menschen besuchten nach Darstellung der IGMG am Tag der 31. Mai den Tag der Brüderlichkeit und Solidarität in der belgischen Brüderlichkeit Stadt Hasselt. Am 2. Juni berichtete die türkische Tageszeitung "Milli und Solidarität Gazete" über diese Veranstaltung. Demnach wurde im Verlauf des Programms unter Beifall eine Botschaft von Prof. Dr. Erbakan vorge tragen. Die Besucher, die ihre Tränen nicht zurückhalten konnten, skandierten laut "Milli Gazete" Slogans wie "Mücahid Erbakan" (Glaubenskämpfer Erbakan). Dies lässt sich als weiterer Beleg für die Führungsrolle des Milli-Görüs-Führers und die Verinnerlichung des sen strikten islamistischen Kurses bei der IGMG bewerten. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 50 Ausländerextremismus - Der Vorsitzende der SP, Prof. Dr. Numan Kurtulmus, hat im Novem ber eine Delegation der IGMG empfangen. Leiter der Delegation war der IGMG-Generalvorsitzende Osman Döring, der über die Aktivitä ten der IGMG Bericht erstattete. - Die Jugendorganisation des Frauenverbands der IGMG in Baden-Würt temberg organisierte im Jahr 2008 eine Kulturreise in die Türkei. Während der Reise bestand für die Teilnehmerinnen Gelegenheit zu einem Besuch bei Prof. Dr. Necmettin Erbakan, beim Fernsehsender TV5 und der Zeitung "Milli Gazete". - Einem Bericht der "Milli Gazete" vom 19. Mai zufolge besuchten 30 Jugendliche der IGMG-Jugendorganisation Freiburg die Zentrale der SP in Ankara und das Haus des Milli-Görüs-Führers Prof. Dr. Erbakan. Während der Reise fand ein Seminar zum Thema "Grundvorausset zung für Glückseligkeit" mit dem Inhalt "Wie soll ein Anhänger der Milli Görüs sein" statt. Umsetzung der Milli-Görüs-Ideologie durch die IGMG Dass innerhalb der IGMG die verfassungsfeindliche Milli-Görüs-Ideolo gie vertreten wird, wurde in der Vergangenheit mehrfach offenkundig. Durchsuchungs Durchsuchungen in den Jahren 2004 und 2005 in der IGMG-Zentrale aktion Südbayern in München hatten aufgezeigt, dass die Organisation der Ideologie Prof. Dr. Erbakans und der SP treu ergeben ist. Es wurden Ver öffentlichungen von Prof. Dr. Erbakan festgestellt. In anderen dort be schlagnahmten Büchern wird die Feindschaft gegen Juden, Freimaurer und Christen sowie die Ablehnung des Westens und der Demokratie sichtbar. Weitere beschlagnahmte Publikationen betonen die Bedeu tung des Jihad und die Allgemeingültigkeit des Islam. Neben einem um fangreichen Buchsortiment wurden auch Videokassetten zur Verbrei tung vorrätig gehalten. Beispielhaft ist hier der auf Kinder zugeschnit tene Zeichentrickfilm "Kücük Mücahid" (Der kleine Glaubenskämpfer) zu nennen, der Kindern den bewaffneten Guerillakampf gegen "Besat zer" vermittelt. Insgesamt zeigte die Auswertung des beschlagnahmten Materials, dass sich die Milli-Görüs-Bewegung im Kampf gegen eine schon lange geplante, bis heute andauernde jüdische Weltverschwö rung sieht. Die wurde auch beim Europatreffen der IGMG im Jahr 2006 deutlich. Dort wurde am Verkaufsstand des IGMG-Bücherclubs u.a. das antisemitische Propaganda-Video "Zehras blaue Augen" verkauft. Presse berichten aus dem Jahr 2007 zufolge bezweifeln nach Einschätzung des IGMG-Generalsekretärs Oguz Ücüncü viele Imame, dass der Holo caust stattgefunden hat. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 51 Der IGMG-Generalvorsitzende Osman Döring äußerte in seiner Rede auf dem europaweiten Tag der Brüderlichkeit und Solidarität in der bel gischen Stadt Hasselt am 31. Mai: "Denn wir sind Milli-Görüs-Mitglieder. (...) Zu unseren Grundprinzipien gehört unsere muslimische Identität. Eine Bewegung, die der islamischen Identität keinen Vorrang einräumt, wird nicht in der Lage sein, die Muslime zu ver treten. (...) Es ist unsere Pflicht, dem Islam im europäischen Raum nicht länger die Rolle des Gastes zuzuweisen, sondern die Rolle des Gastgebers anzu nehmen." Hier weist bereits die Verwendung des Begriffs "Gastgeber" darauf hin, dass die IGMG den von der Milli-Görüs-Bewegung verfolgten Führungs Führungsanspruch anspruch verinnerlicht hat, weil sie sich nicht nur als gleichberechtig ten Bestandteil der Gesellschaft sehen will. Zudem dokumentiert der IGMG-Generalvorsitzende in seiner Rede die Identität von IGMG und Milli-Görüs-Bewegung. Jugendund Bildungsarbeit Die Jugendarbeit gehört nach wie vor zu den Schwer punktaufgaben der IGMG. Mit ihrem breiten Angebot in der Jugendund Sozialarbeit versucht die IGMG junge Muslime in Deutschland an die Organisation zu binden. Im Jahr 2008 bot die IGMG in 76 Ortsvereinen Bildungs maßnahmen an; es ist geplant, diese auf 115 Ortsvereine auszubauen. Die IGMG ist damit weiterhin bemüht, die Infrastruktur für ihre Bildungsarbeit auszubauen. Anfang Juli feierte der IGMG-Ortsverein Nürnberg die Eröffnung des neuen Bildungsvereins "Kalem - Egitim Merkezi". Auf der Einladung wurde mit dem Besuch des stellvertretenden Generalvorsitzenden der SP, Ömer Vehbi Hatipoglu, geworben. Darüber hinaus führte die IGMG auch 2008 wieder Sommerkorankurse Sommerkoran durch mit dem Ziel, den Kindern und Jugendlichen eine alternative Frei kurse zeitgestaltung in den Sommerferien zu bieten. Ausblick Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bestätigt in einem am 22. Juli veröffentlichten Urteil die weiterhin enge Verbindung der IGMG mit der türkischen Milli-Görüs-Bewegung und erklärt, dass deren Ziele auch der IGMG zuzurechnen seien. Andererseits ging das Gericht davon aus, dass sich die IGMG und deren junges Führungspersonal in Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 52 Ausländerextremismus einem Wandlungsprozess gegenüber Prof. Dr. Necmettin Erbakan sowie in der Akzeptanz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung be fänden. Angeblicher Derzeit stellt sich die Organisation als inhomogen dar, bei der klare ver Reformprozess bindliche Reformbewegungen von Gewicht nicht deutlich abgrenzbar sind. Ob ein intern als solcher wahrnehmbarer Prozess tatsächlich ver folgt oder nur dargestellt wird, ob sich einzelne Reformer überhaupt unter dem fortbestehenden Dach der IGMG durchsetzten können und ob eine mögliche reformerische Linie nicht auch weiterhin verfassungs feindliche Tendenzen erkennen lassen wird, ist derzeit noch offen und bleibt zu beobachten. 3.1.4 "Milli Gazete" als publizistisches Sprachrohr Die türkischsprachige Zeitschrift "Milli Gazete" ist eine formal eigenständige Publikation, die jedoch inhaltlich den Lesern die Ideologie von "Milli Görüs" vermittelt; das Blatt verfügt auch über eine Homepage im Internet. Die Tages zeitung erscheint in einer Türkeisowie in einer Europabzw. Deutsch landausgabe. Ziel der Bericht Am 12. Januar 1973 startete die "Milli Gazete" ihre Berichterstattung erstattung mit dem Ziel, "eine Stimme für die Milli Görüs zu bilden". Damit defi nierte sie ihre Rolle im Rahmen der politischen Zielrichtung der Bestre bung der "Milli Görüs". In ihrer Jubiläumsausgabe vom 12. /13. Januar betonte sie, dieser Pflicht seit 35 Jahren nachzukommen: "Die Milli Görüs ist viel mehr als der Slogan einer politischen Partei. Sie legt uns dar, warum wir auf diesem Boden leben. ... du musst als Diener Gottes deine Pflichten erfüllen. Dies fängt mit dem Jihad an. Dieser fasst alle Bemühungen zusammen, wonach alle Gebote und Verbote Gottes befolgt werden. Das Hauptziel des Jihad ist die Bildung einer gerechten Welt. Wenn die Milli Görüs von einer ,Neuen Welt' spricht, meint sie dieses Ziel. Die Milli Gazete ist die Vorkämpferin der Ideologie unserer Ahnen, die uns diesen Boden anvertraut haben. Sie haben 600 Jahre lang die Basis für ein Leben in einer gerechten Welt geschaffen. Früher waren wir großartig. Daher sagen wir: ,Wieder eine Großtürkei.'." In der Europaausgabe der "Milli Gazete" nimmt die Berichterstattung über die IGMG, die SP wie überhaupt das Thema "Milli Görüs" breiten Raum ein. Regelmäßig und umfänglich wird in der "Milli Gazete" auch über lokale, regionale und bundesweite Veranstaltungen der IGMG berichtet. Des Weiteren werden dort auch Annoncen der IGMG ver öffentlicht. Auch die Glückwunschund Kondolenzanzeigen machen Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 53 deutlich, dass die "Milli Gazete" eine wichtige Kommunikationsplatt Kommunikations form für die IGMG und die gesamte Milli-Görüs-Bewegung ist. Weder plattform der die Homepage der IGMG noch die verbandseigene Zeitschrift "IGMG IGMG Perspektive" oder andere IGMG-Publikationen bieten eine derartige Fülle von Informationen über die verschiedenen IGMG-Veranstaltun gen. Die Europaausgabe der "Milli Gazete" stellt damit die Hauptinfor mationsquelle über das Vereinsleben der IGMG dar. Ferner wird inner halb der IGMG und auch auf ihren Veranstaltungen für das Abonne ment der "Milli Gazete" geworben. Die IGMG nutzt und fördert damit ein Medium, das entschieden für politische Inhalte auf der ideolo gischen Linie Prof. Dr. Necmettin Erbakans und der SP eintritt und wiederholt Verschwörungstheorien aufgreift sowie anti-semitische und anti-israelische Aussagen trifft. 3.1.5 Internet und Fernsehen als Kommunikationsmittel Seit Jahren ist die IGMG im Internet unter www.igmg.de durch eine deutschsprachige Internet-Seite vertreten, die laufend aktualisiert wird. Der Verzicht auf extremistisches Gedankengut auf dieser Homepage entspricht der Zielsetzung, sich in Deutschland als bloße Religions gemeinschaft und als verfassungstreue Organisation darzustellen. Anders verhält es sich auf der Internet-Seite www.milligorusforum.com, Internet-Forum die seit Dezember 2005 Inhalte der Milli-Görüs-Bewegung verbreitet. Diese von der IGMG unabhängige Internet-Seite zeigt exemplarisch das extremistische Potenzial der Milli-Görüs-Bewegung. Sie enthält ein tür kischsprachiges Forum für registrierte Mitglieder. Bei den Nutzern han delt es sich überwiegend um männliche Jugendliche, die sich zum Teil extremistisch äußern. Im Milli-Görüs-Forum wird immer wieder mit drastischen Bildern getö teter Kinder auf die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Palästina hingewiesen und als Problemlösung sogar der terroristische Widerstand propagiert. Darüber hinaus wird mit Bildern in Tschetschenien gefalle nen Märtyrern gedacht. Teilnehmer des Forums sehen den Islam in "TV 5" einem weltweiten Abwehrkampf gegen die Ungläubigen. Die Lösung für diese Probleme biete die Milli-Görüs-Bewegung, insbesondere ihr Führer Prof. Dr. Erbakan. Mit dem türkischen Fernsehsender "TV 5" verfügt die Milli-Görüs-Be wegung über eine weitere Medienplattform. Die Bedeutung des Senders ist mit derjenigen der "Milli Gazete" im Printmedienbereich vergleichbar. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 54 Ausländerextremismus 3.2 Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) Deutschland Bayern Anhänger: 800 60 früherer Vorsitzender: Metin Kaplan Gründung: 1984 Sitz: Köln Publizistisches Sprachrohr: "Barika-I Hakikat" (Aufleuchten der Wahrheit) - erscheint derzeit nicht In Deutschland seit 12. Dezember 2001 verboten Der "Kalifatsstaat" (Hilafet Devleti) war eine am Führerprinzip orien tierte, streng hierarchisch gegliederte Organisation. Das Endziel dieses "Staates ohne Staatsgebiet" war die Weltherrschaft des Islam unter dem Kalifat seines Anführers Metin Kaplan. Als erste Stufe auf dem Weg zu diesem Ziel erstrebte der "Kalifatsstaat" den gewaltsamen Sturz des laizistischen Regierungssystems in der Türkei. Er lehnte Demokratie und jede Trennung von Politik und Religion strikt ab. Damit richtete er sich gegen die verfassungs mäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständi gung und gefährdete die Innere Sicherheit in Deutschland. Das Bundesministerium des Innern verbot deshalb am 12. Dezember 2001 Emblem des die Vereinigung "Kalifatsstaat" mit 17 ihrer Teilorganisationen, darun Kalifatsstaats ter alle vier bayerischen Verbände. Am 19. September 2002 wurden weitere 16 Teilorganisationen des "Kalifatsstaats" vom Bundesministe rium des Innern verboten. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte am 27. November 2002 die Verbote. Der als "Kalif von Köln" bekannt gewordene Islamistenführer und frü here Vorsitzende des "Kalifatsstaats" Metin Kaplan, der wegen Mord aufrufs eine vierjährige Gefängnisstrafe in Deutschland verbüßt hatte, wurde 2004 in die Türkei abgeschoben. Dort wurde er am 20. Juni 2005 wegen Landesverrats und versuchter Terroranschläge zu einer lebens langen Haftstrafe verurteilt. Diese Entscheidung wurde am 15. Oktober 2008 in der Berufungsinstanz bestätigt. Nachfolge Auch nach dem Verbot des "Kalifatsstaats" waren weiterhin Aktivitäten aktivitäten aus den Reihen der Anhänger festgestellt worden, die in Folge zu ver schiedenen Ermittlungsverfahren und Exekutivmaßnahmen geführt hatten. Das Verbotsverfahren und die staatlichen Exekutivmaßnahmen haben die Organisationsstruktur zwar geschwächt, gleichwohl sind die AnhänVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 55 ger weiterhin in Deutschland präsent, wobei die Aktivitäten der Anhän ger in Bayern nahezu zum Erliegen gekommen sind. Allerdings wird das Gedankengut des "Kalifatsstaats" weiterhin verbreitet. So ist die offi zielle Internet-Seite des "Kalifatsstaats", die über einen Server in den Niederlanden betrieben wird, abrufbar. Neben Schriften und Büchern Kaplans, Videound Audiodokumenten sind hier auch Ausgaben der deutschsprachigen Publikation "Der Islam als Alternative" (DIA) im Voll text eingestellt. 3.3 Hizb ut-Tahrir Deutschland Bayern Anhänger: 150 Einzelpersonen Gründung: 1953 in Palästina Europazentrale: Großbritannien Publizistische Sprachrohre: "explizit"; "al-Khilafah"; "al-Waie" Politisches Betätigungsverbot in Deutschland seit 15. Januar 2003 Die "Partei der islamischen Befreiung" - Hizb ut-Tahrir - wurde von dem Weltweite Religionsgelehrten Taqi Din an-Nabhani, einem Mitglied der Muslim Verbreitung bruderschaft (MB), gegründet. Sie hat sich weltweit verbreitet; ab 1995 gewann sie in Zentralasien, insbesondere in den ehemaligen So wjetrepubliken, zahlreiche Mitglieder. Anhänger der Hizb ut-Tahrir versuchten von Beginn an, militäri sche Institutionen und Einrichtungen in arabischen Ländern zu unterwandern und Mitglieder aus den Reihen des Militärs zu re krutieren. In den Jahren 1968 und 1969 scheiterten Putschver suche in Amman/Jordanien und in Bagdad/Irak. Ebenso schlugen Bestrebungen zur Machtübernahme 1974 in Kairo/Ägypten und 1976 in Damaskus /Syrien fehl. Inzwischen ist die Hizb ut-Tahrir in der gesamten arabischen Welt und Zentralasien verboten. In der Türkei wurde im September 2008 ein Offizier der tür kischen Armee verhaftet, da dieser im Verdacht stand, Anhänger der Signet der Hizb ut-Tahrir zu sein. In diesem Zusammenhang kam es anschließend Hizb ut-Tahrir zur Verhaftung von weiteren fünf Personen. Das Ziel der Hizb ut-Tahrir ist die Errichtung eines "rechtgeleiteten" weltumspannenden Kalifats, das die Länder und Völker der Muslime in einem einzigen Staat eint und die Botschaft des Islam in die gesamte Welt trägt. Weitere erklärte Ziele sind die Wiedereinführung der Scharia als Strukturprinzip der islamischen Ordnung, die Auslöschung des Staates Israel und die Befreiung der muslimischen Welt von westlichen Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 56 Ausländerextremismus Einflüssen. Unausweichlich sei dabei ein "Kampf der Kulturen", ins besondere zwischen Islam und Christentum. Ein Dialog zwischen den Kulturen, geprägt vom Prinzip der Gleichheit und Toleranz, sei mit dem Islam unvereinbar. Der Kampf sei sowohl auf ideologischer, wirtschaft licher und politischer als auch auf militärischer Ebene zu führen. Der militärische Kampf gegen die Ungläubigen sei im Sinn eines "aktiven Jihads" für jeden Muslim verpflichtend. Die Gliederung der Hizb ut-Tahrir in Europa orientiert sich an den Gren zen der Nationalstaaten. Innerhalb der einzelnen Regionen operiert die Hizb ut-Tahrir in voneinander unabhängigen Gruppen, überwiegend Betätigungsverbot in Universitätsstädten. Das Bundesministerium des Innern verbot am 15. Januar 2003 die Betätigung der Hizb ut-Tahrir, da sich die Gruppie rung gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtete und Ge walt zur Durchsetzung politischer Belange befürwortete. Das Verbot wurde 2006 vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Trotz des Verbots ist davon auszugehen, dass die Organisation ihre Aktivitäten in Deutschland in bekannt konspirativer Weise fortgesetzt hat und Propaganda sowie Mitgliederwerbung betreibt. Öffentlich wahrzunehmen ist die Organisation durch Verbreitung von Propaganda im Internet. Hierzu bedient sie sich in erster Linie im europäischen Aus land befindlicher Server. Öffentliche Auftritte von Führungsfunktionä ren der Hizb ut-Tahrir waren in der jüngeren Vergangenheit in Deutsch land jedoch nicht mehr festzustellen. In Bayern waren nur wenige Anhänger von Hizb ut-Tahrir ansässig. Be kannt wurden Gruppen in Erlangen und München. Einige Aktivisten ver ließen aufgrund der restriktiven Handhabung des Ausländerrechts Bayern. 3.4 Tablighi Jamaat (TJ) Deutschland Bayern Anhänger: 400 140 Gründung: 1927 bei Delhi (Indien) Die Tablighi Jamaat (Gemeinschaft der Verkündigung und Mission) wurde von dem Religionsgelehrten Mawlana Muhammad Ilyas als pietistische Missionierungsbewegung gegründet. Seit ihren Ursprüngen ist sie eng Islam indischer mit der Islamischen Hochschule von Deoband/Indien verbunden. Die Prägung Gemeinschaft vertritt eine archaische Form des Islam indischer Prägung. Ziel der TJ ist die Islamisierung der Gesellschaft, um dadurch die Eta blierung eines islamischen Staates zu erreichen. Sie hat den Charakter Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 57 einer internationalen islamischen Massenbewegung, deren Anhänger Internationale sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig fühlen, sondern sich als islamische konsequente Muslime mit missionarischem Auftrag ansehen. Ihre AnMassenbewegung hänger vertreten eine wörtliche Auslegung des Korans und der Sunna, die Ausgrenzung der Frau und eine Abgrenzungspolitik gegenüber Nicht-Muslimen. Diese Bestrebungen wirken in nicht-muslimischen Gesellschaften zwangsläufig desintegrierend, so dass eine dauerhafte und ernsthafte Hinwendung zu westlichen Gesellschaftsordnungen, Wertvorstellungen und Integrationsmodellen nicht möglich ist. Das Tragen von traditioneller Gebetskleidung und die bis in Details verbind lichen Verhaltensregeln im Alltag sollen die absolute Hinwendung zum Propheten Mohammed ausdrücken. Charakteristisch für die Anhänger der TJ ist eine missionarische Reise "Missionierungs tätigkeit, bei der sie Moscheen in ganz Europa aufsuchen. Die Missio reisen" nierung dient der Rekrutierung neuer Mitglieder. Zur Ausbildung der Anhänger gehört eine vier Monate dauernde Schulung, die vornehm lich in Koranschulen in Pakistan absolviert wird. Die wenigsten Missio nare verfügen über eine theologische Ausbildung. Zur Missionierung nutzen ihre Anhänger auch Moscheen, die keinen unmittelbaren Bezug zu TJ haben. Dazu dienen Veranstaltungen, bei denen die Anhänger über Tage oder Wochen hinweg beten, den Koran studieren und indoktriniert werden. Direkte Aufrufe zum "Jihad" wer den dabei vermieden, jedoch wird der ideologische Nährboden für den gewaltbereiten Extremismus bereitet. Für Kinder und Jugendliche wer den auch Koranschulungen durchgeführt. Durch die gemeinsame ideo logische Basis mit militanten Gruppierungen besteht die Gefahr, dass die weltweiten Strukturen der Bewegung von terroristischen Netzwer ken genutzt werden. Von Einzelpersonen, die die Schulung der TJ durchlaufen haben, ist bekannt, dass sie sich terroristischen Gruppie rungen angeschlossen haben. Vom 16. bis 18. Mai fand im Kulturzentrum der "Islamischen Gemeinde DeutschlandSaarland e.V." in Saarbrücken das Deutschlandtreffen der TJ statt, an treffen dem sich insgesamt mehr als 1.000 Personen aus Deutschland - darun ter auch Teilnehmer aus Bayern -, Frankreich, Großbritannien, Öster reich, Pakistan und Indien beteiligten. Die Veranstaltung begann mit einer Predigt des innerhalb der TJ angesehenen und hochrangigen Füh rers ("Amir") Sheik Abdul Mohammad Wahab aus Pakistan. Neben Gebeten und Predigten war die Berichterstattung der Gebietsverant wortlichen zu den durchgeführten Missionierungsaktivitäten von be sonderer Bedeutung. Dabei berichteten die Verantwortlichen der zwölf deutschen TJ-Kreise nach einem festgelegten Schema über ihren VerVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 58 Ausländerextremismus antwortungsbereich, u.a. über die jeweils von dortigen Angehörigen durchgeführten Missionsreisen und -besuche. Auch die Verantwort lichen der TJ-Bezirke Pappenheim und München trugen ihre Berichte vor. In seiner Predigt am 18. Mai betonte Wahab die Stärke der TJ in Europa, insbesondere in Italien und Spanien. Die Arbeit der TJ müsse die gleiche wie die der Insekten in einem Baum sein. Man müsse ihn aushöhlen; dann sähe der Baum zwar von außen immer noch stark aus, bei einem Sturm würde er aber fallen. TJ-Führung Im Gegensatz zu früheren Veranstaltungen konnten den öffentlichen Äußerungen der TJ-Führer keine extremistischen Aussagen entnommen werden. Das Deutschlandtreffen beweist erneut die Führungsrolle der in Pakistan und Indien ansässigen Gelehrten. In einem bürokratischen Verfahren müssen die Gebietsverantwortlichen Rechenschaft über ihre Aktivitäten ablegen. Zugleich wird seitens der TJ-Führung wegen unzu reichender Erfolge Druck ausgeübt. In Bayern sind mindestens zwei Moscheen in München und Pappen heim fest den TJ-Strukturen zuzurechnen. Zahlreiche weitere bayerische Moscheen waren Ziel der TJ-Missionierungsaktivitäten. Bayern geht konsequent gegen Aktivisten der TJ vor. Jüngstes Beispiel hierfür ist der Fall eines führenden TJ-Aktivisten aus Erlangen, der am 28. Juni unter dem Druck der bevorstehenden Abschiebung nach Tunesien ausgereist ist, nachdem Rechtsmittel gegen die Ausweisung erfolglos geblieben waren. In einem anderen Fall hat der Bayerische Gerichtsurteil Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 5. März entschieden, dass ein TJ-Anhänger keinen Anspruch auf Einbürgerung habe. Nach Auffassung des Gerichts rechtfertigen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme, dass die TJ Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demo kratische Grundordnung gerichtet sind. Die Bewegung TJ ziele auf die Islamisierung der Gesellschaft und damit auf die Etablierung eines isla mischen Gottesstaats ab. 3.5 Hizb Allah (Partei Gottes) Deutschland Bayern Mitglieder: 900 Einzelpersonen Gründung: 1982 im Libanon Publikation: "al-Intiqad" (Die Kritik) Fernsehsender: "al-Manar" (Der Leuchtturm) Betätigungsverbot in Deutschland seit 11. November 2008 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 59 Die Hizb Allah (auch: Hisbollah/Hizbollah) ist eine auf Initiative des Irans gegründete schiitische Partei, die seit 1992 im libanesischen Parlament vertreten ist. Sie wird vom Iran finanziell, materiell und ideologisch Unterstützung unterstützt. Das langfristige Ziel der Hizb Allah ist die Zerstörung des durch den Iran Staates Israel und die "Herrschaft des Islam" über Jerusalem. Die Hizb Allah ist einerseits eine politische Partei, die vor allem aufgrund ihres sozialen Engagements auf die Unterstützung der ärmeren Bevölkerungsschichten zählen kann. Andererseits verfügt sie aber nach wie vor über militärische Einheiten, die insbesondere im Süden des Landes unabhängig von der libanesischen Staats gewalt agieren. Eine Entwaffnung dieser Miliz gemäß der UN-Re solution 1559 aus 2004 gelang bisher nicht und wurde vom politischen Flügel vehement abgelehnt. Im Mai wurde der Hizb Allah durch das libanesische Kabinett offiziell "das Recht zum Wider Signet der stand" gegen Israel" zugestanden. Die schiitische Miliz kann daher un Hizb Allah gehindert den Ausbau der Verteidigungsanlagen nördlich der UN-Puf ferzone zur Grenze Israels betreiben. Seit Beendigung des Libanon kriegs im Sommer 2006 wird sowohl von der israelischen Seite, wie auch von der Hizb Allah selbst, über eine enorme Aufrüstung der Hizb Allah berichtet. Am 14. Februar fand in Beirut die Trauerfeier für Imad Mughniyah alias Imad Hajj, Gründungsmitglied und einer der wichtigsten Führer der Hizb Allah, statt; er war am 12. Februar bei einem Autobomben anschlag in der syrischen Hauptstadt Damaskus ums Leben gekommen. In den 1980er und 1990er Jahren war Mughniyah in zahlreiche para militärische Operationen der Hizb Allah vorwiegend gegen US-amerika nische und israelische Ziele verwickelt. Bereits kurz nach Bekanntgabe des Todes von Mughniyah machte die Hizb Allah Israel für den Anschlag verantwortlich. Während der Trauer feier wurde eine Videobotschaft des Hizb-Allah-Führers Nasrallah abge spielt. In dieser Rede drohte Nasrallah offen mit Angriffen auf israe Drohungen lische Einrichtungen. Er betonte, dass sich das Kampfgebiet bisher auf das libanesisches Gebiet beschränkt habe. Jetzt hätten sie ("die Zionis ten") den Krieg ins Ausland getragen, nun werde die Hizb Allah den Krieg ebenfalls im Ausland weiterführen. Eine Umsetzung dieser Dro hung hat bisher nicht stattgefunden. Die Drohungen von Nasrallah wurden von den in Bayern lebenden Hizb-Allah-Sympathisanten intensiv diskutiert. Einigkeit herrschte in der Schuldzuweisung für den Anschlag gegen Israel, aber auch gegen die USA sowie in der Forderung, dass diese für den Anschlag zur Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 60 Ausländerextremismus Rechenschaft gezogen werden müssten. Dies sollte aber in der Region geschehen. Betätigungsverbot Am 11. November hat das Bundesministerium des Innern gegen den gegen TV-Sender libanesischen, von der Hizb Allah beeinflussten, TV-Sender al-Manar, al-Manar ein Betätigungsverbot erlassen. Damit kann jede organisierte Unter stützung des Senders strafrechtlich verfolgt werden. Begründet wurde das Betätigungsverbot u.a. anhand der Programminhalte, die von aggressivster Hassund Hetzpropaganda gegen Angehörige des jüdi schen Glaubens, den Staat Israel sowie die USA geprägt sind. Dem Staat Israel wird in den Filmbeiträgen das Existenzrecht abgesprochen und es wird zu seiner Vernichtung durch Vertreibung und Tötung der jüdischen Bevölkerung aufgerufen. Bereits 2004 wurde die Ausstrahlung von al-Manar über europäische Satelliten-Anbieter verboten. Al-Manar sendet jedoch über das ägyp tische Satellitensystem Nilesat sowie über sein arabisches Pendant Arabsat und ist somit auch in Deutschland weiterhin zu empfangen. Darüber hinaus kann al-Manar über das Internet abgerufen werden. 3.6 Die Muslimbruderschaft (MB) und ihre regionalen Strömungen Deutschland Bayern Mitglieder: 1.250 200 Gründung: 1928 in Ägypten Publikation: "Risalat ul-Ikhwan" Sunnitisch-extre Die von Hassan al-Banna in Ismailija/Ägypten gegründete sunnitisch-extre mistische Ideologie mistische MB ist eine multinationale Organisation, bei der eine Unter teilung in nationale Sektionen erkennbar ist. Das von der MB angestrebte Herrschaftssystem weist deutliche Züge eines totalitären Herrschaftssystems auf, das die Selbstbestimmung des Volkes sowie die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit der Menschen nicht garantiert. Die Grundideologie der MB ist auf die Errichtung islamischer Gottesstaaten auf der Grundlage von Koran und Sunna ausgerichtet. Dieses Fern ziel eint alle Strömungen innerhalb der MB. Ein Großteil der ideologischen Grundsätze der MB ist somit unvereinbar mit den im Emblem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien der MB der Demokratie, des Rechtsstaats und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung. Die Ideologie der MB ist in der ge samten muslimischen Welt verbreitet und hat zur Herausbildung zahlVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 61 reicher militanter islamistischer Organisationen geführt (vgl. nachfol gendes Schaubild). In ihrem Ursprungsland Ägypten ist die MB verboten; sie wird jedoch in zwischen geduldet. Sie verdankt ihren Einfluss vor allem ihrem sozialen Engagement. 2004 trat Mohamed Mahdi Akef die Nachfolge des verstorbenen Füh rers des ägyptischen Zweigs der MB, Ma'moun al-Hudeibi an. Akef hatte Mitte der 1980er Jahre das der Islamischen Gemeinschaft in Deutsch land e.V. (IGD) zugehörige Islamische Zentrum München (IZM) geleitet. Er war in seiner Jugend mit dem MB-Gründer Hassan al-Banna be freundet. Später wurde er wegen eines geplanten Anschlags auf den ägyptischen Präsidenten zum Tode verurteilt und schließlich nach 20 Jahren Gefängnis begnadigt. Schon von Deutschland aus baute er sei nen Einfluss auf den internationalen Zweig der MB aus. In seiner Person zeigt sich die personelle und ideologische Kontinuität der MB. Offiziell haben sich die meisten Zweige der MB von der Gewalt abge Haltung zur wandt. Aber Aussagen Mahdi Akefs und Selbstmordattentate der Gewalt palästinensischen Sektion der MB "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) zeigen indes, dass die MB Gewalt weiterhin als legitimes politisches Mittel betrachtet. Als Dachverband MB-naher Organisationen in Europa fungiert die "Föderation der Islamischen Organisationen in Europa" (FIOE) mit Sitz Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 62 Ausländerextremismus MB in Europa in Brüssel. Sie wurde 1989 gegründet. Eine weitere einflussreiche und eng mit der MB verflochtene Organisation ist der "Europäische Fatwa-Rat" (ECFR) mit Sitz in Dublin/Irland. Dessen Vorsitzender Yusuf al-Qaradawi ist als Sympathisant der MB bekannt. Die MB tritt in Deutschland nicht offen in Erscheinung. Personell ist sie mit der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) verflochten, die als deutsche Zentrale des ägyptischen Zweigs der MB gilt. Anhän ger des syrischen Zweigs der MB gründeten Anfang der 1980er Jahre die "Islamischen Avantgarden" mit organisatorischem Schwerpunkt im "Islamischen Zentrum" in Aachen. 3.6.1 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) Deutschland Bayern Mitglieder: 600 120 Gründung: 1960 in Deutschland Sitz: München Präsident: Ibrahim Farouk el-Zayat Publikation: "al-Islam" (nur noch als Internet-Ausgabe) Einfluss der MB Die IGD gilt als deutsche Zentrale des ägyptischen Zweigs der MB. Sie auf die IGD hat ihren Sitz im Islamischen Zentrum München (IZM) und ist Mitglied in der FIOE, dem europäischen Dachverband MB-naher Verbände (vgl. auch Nummer 3.6 dieses Abschnitts). Die IGD versucht durch politisches Engagement in Deutsch land, die Verwirklichung ihrer Ideologie zu erreichen. Ihr Ziel ist dabei nicht die Integration, sondern die Verände rung der Gesellschaft den eigenen Vorstellungen entspre chend. Diese Vorstellungen sind von den ideolo gischen Grundsätzen der MB geprägt, wobei die Anhänger der IGD Logo der IGD bemüht sind, dies in öffentlichen Verlautbarungen nicht zum Ausdruck zu bringen. Seit 2002 ist Ibrahim Farouk el-Zayat Präsident der IGD. Gegen ihn und führende Mitglieder der MB hat das ägyptische Militärgericht im Februar 2007 ein Verfahren wegen "terroristischer Methoden und Geldwäsche" eröffnet. Neben dem IGD-Präsidenten el-Zayat wurde auch sein Amtsvor gänger Ghaleb Himmat angeklagt. Am 15. April wurde el-Zayat in Ab wesenheit von einem ägyptischen Militärgericht zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 63 Um die langfristigen Ziele besser durchsetzen zu können, wurde unter Beteiligung der IGD ein "Imam-Rat" in Deutschland eingerichtet. Dieser "Imam-Rat" unterhält Kontakte zu dem der MB nahe stehenden "Europäischen Fatwa-Rat" (vgl. auch Nummer 3.6 dieses Abschnitts). Aufgabe des deutschen "Imam-Rats" ist es, die Vereinbarkeit der deutschen Rechts ordnung mit Koran und Sunna zu prüfen. Der IGD sind mehrere formell eigenständige Islamische Zentren (IZ) in Vereinsstruktur Deutschland nachgeordnet. In Bayern sind dies die Islamischen Zentren in München und Nürnberg und deren angegliederten Moscheen. Da rüber hinaus verfügt die IGD über ein weit verzweigtes Netz an Ko operationspartnern in verschiedenen Städten Deutschlands, darunter in Bayern die "Islamische Gemeinde Erlangen e.V." (IGE). Die IGE betreffend hat es das Verwaltungsgericht Ansbach im noch nicht rechtskräftigen Urteil vom 3. September als erwiesen angesehen, dass zwischen der IGD und der IGE strukturelle Verbindungen bestanden. Aktuell be stehende Anzeichen, dass sich die IGE in einem "Abnabelungsprozess" von der IGD befindet, hat das Gericht im Hinblick auf die langjährige Verstrickung der IGE mit der IGD als derzeit nicht ausreichend ange sehen, um von einer echten Abwendung ausgehen zu können. Im Übrigen ist das Gericht der Auffassung gefolgt, wonach die IGD eine Organisation ist, deren Bestrebungen sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, weil sie die Ideologie der sunni tisch-extremistischen Muslimbruderschaft (MB) vertritt, deren Ziel die Errichtung eines islamischen Gottesstaats ist. Das um die IGD bestehende Netzwerk ist wenig transparent, was vor allem mit den Bemühungen der IGD um Verselbständigung der ihr nachgeordneten Islamischen Zentren zusammenhängt. Damit ent stehen Vereinsstrukturen, die nur schwer kontrollierbar sind. Darüber hinaus ermöglichen die Umstrukturierungsmaßnahmen, die tatsäch liche Anbindung an die IGD nach außen hin zu verschleiern. Ferner bietet dieses Vorgehen den neu gegründeten selbstständigen Vereinen die Möglichkeit, für sich die Gemeinnützigkeit zu beantragen, die die IGD 1999 verloren hat. Als Beispiel kann hier die Neugründung des Vereins "Islamisches ZenIZM trum München e.V." (IZM) angeführt werden. Das IZM existiert zwar seit 1973, war jedoch bisher nur Teil der IGD und kein eingetragener Verein. Seit Juli 2007 firmiert das IZM nunmehr als selbstständiger Verein; die vereinsrechtliche Eintragung beim Amtsgericht München erfolgte am 13. März 2008. Erster Vorsitzender des neu gegründeten Vereins ist der deutsche Konvertit Ahmad von Denffer, der jahrelang Funktionär der IGD und des bisherigen IZM war. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 64 Ausländerextremismus Bildungsarbeit Ein wesentliches Betätigungsfeld der IGD ist die "Erziehung und Bil dung" junger Menschen, um auf diesem Weg die Gesellschaft ihren ideologischen Zielen entsprechend zu reformieren. So bemühte sich die IGD in den letzten Jahren gezielt um die in Deutschland aufgewachse nen Muslime arabischer Herkunft. Diese sollen u.a. über den Ausund Aufbau von Bildungseinrichtungen in Islamischen Zentren der IGD er reicht werden. Zu diesem Zweck betrieb die IGD u.a. die "Deutsch-Isla mische Schule" in München, der ein Kindergarten angegliedert war. Die Regierung von Oberbayern hat Anfang August 2005 entschieden, keine Genehmigung für den Weiterbetrieb der "Deutsch-Islamischen Schule" zu erteilen, da die Verfassungstreue des Schulträgers nicht mehr ge währleistet war. Die Schule und auch der angegliederte Kindergarten stellten ihren Betrieb ein. Damit wurde der IGD eine wichtige Plattform zur Verbreitung ihrer Ideologie genommen. Allerdings veranstalten die Islamischen Zentren München und Nürnberg auch weiterhin regel mäßig Wochenend-Korankurse für Kinder und Jugendliche. Im Umfeld des IZM sind darüber hinaus Aktivitäten feststellbar, die darauf hindeuten, dass ein neuer Verein für die Kinderund Jugendbetreuung geschaffen werden soll. Außerdem bestehen im IZM mehrere Jugendgruppen. Eine dieser Jugendgruppen wird von der "Muslimischen Jugend in Deutschland e.V." (MJD), einer der IGD nahestehenden Organisation, als offizieller Lokal kreis geführt. 3.6.2 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) Deutschland Bayern Mitglieder: 300 Einzelpersonen Kampf um Seit der Gründung Israels im Jahr 1948 engagierten sich Anhänger der Palästina Muslimbruderschaft (MB) im Kampf für die Zurückgewinnung ganz Palästinas und die Etablierung einer "islamischen Herrschaft". Nach der Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens durch Israel im Jahr 1967 begann der palästinensische Zweig der MB in den besetzten Gebieten eine soziale Infrastruktur aufzubauen, was ihm rasche Popu larität bei der Bevölkerung einbrachte. Am bewaffneten Kampf be teiligte er sich zunächst nicht. Erst als Reaktion auf den Ausbruch des ersten Palästinenseraufstands (Intifada) im Dezember 1987 wurde Anfang 1988 die HAMAS gegründet und der bewaffnete Kampf gegen Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 65 Israel aufgenommen. Die HAMAS will Israel zerstören und auf dem gesamten Gebiet Paläs tinas einen "islamischen" Staat errichten. Sie lehnt den israelisch-palästinensischen Frie densprozess und das Existenzrecht Israels ab und ist für eine Vielzahl terroristischer Aktionen verant wortlich, darunter zahlreiche Selbstmordattentate. Im Juni 2002 wurde deshalb der militärische Arm der HAMAS in die EU-Liste terroristischer Organisationen aufgenommen. 2003 beschlossen die EU-Außenminis ter, auch die Gesamtorganisation als terroristisch einzustufen. Die HAMAS betreibt diverse Wohltätigkeitseinrichtungen in Palästina und finanziert diese auch durch weltweite Spendensammlungen. Auch Spenden in Deutschland führten die inzwischen verbotenen Vereine " Al-Aqsa e.V." sammlungen und "Yatim-Kinderhilfe e.V." Spendensammlungen durch. Die israe lischen Behörden erklärten im Jahre 2008 u.a. auch die britische Organisation "Muslim Aid" als ungesetzliche Vereinigung; diese steht in Verbindung mit dem in München ansässigen Verein "Muslime hel fen e.V.". Am 19. Juni stimmte Israel unter ägyptischer Vermittlung einer Waffen ruhe mit der HAMAS zu. Diese war bis 19. Dezember befristet und wurde von Seiten der HAMAS nicht verlängert. Mit Ablauf der Waffenruhe setzten sich die militärischen Auseinadersetzungen fort. Mit der am 3. Januar 2009 gestarteten Bodenoffensive hat Israel seine Militäraktion erheblich ausgeweitet, was weltweit zu Protestaktionen gegen Israel führte. Bei den Demonstrationen war eine zunehmend anti-israelische Grundstimmung zu erkennen. In Bayern verliefen die Protestaktionen allerdings weitgehend ohne größere Störungen. Verantwortliche der HAMAS hatten als Reaktion auf die israelischen Angriffe erstmals eine weltweite Fortführung des Kampfs gegen Israel erklärt. Terroristische Aktionen außerhalb der Nahost-Region waren seither allerdings nicht zu verzeichnen. Die HAMAS hat durch den Krieg bislang keine Anhänger verloren, vielmehr ist eine zunehmende Solidarisierung sowohl in der arabischen Zunehmende Welt als auch bei den deutschlandweiten Demonstrationen erkennbar. Solidarisierung Trotz der Krisensituation sind derzeit keine konkreten Anhaltspunkte für eine verstärkte Gefährdungssituation durch HAMAS-Anhänger in Bayern vorhanden. Aktivitäten emotionalisierter Einzeltäter können jedoch nicht ausgeschlossen werden, insbesondere da nach der Öff nung der Grenzen zum Gazastreifen konkrete Berichterstattungen über das Ausmaß der Zerstörung zu erwarten sind. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 66 Ausländerextremismus 3.6.3 En Nahda Deutschland Bayern Mitglieder: 80 Wirkungsbereich: Oppositionsbewegung in Tunesien (seit 1991 in Tunesien verboten) Führung: Rachid Ghannouchi/Großbritannien Die En Nahda (Wiedergeburt) ist der tunesische Zweig der Muslimbru derschaft (MB). Nach der Ideologie der MB ist es das Ziel der En Nahda, Oppositions in Tunesien einen Staat islamistischer Prägung aufzubauen. Nach wie bewegung vor ist die En Nahda die wichtigste Oppositionsbewegung Tunesiens. Seit 1991 wird die in Tunesien verbotene Organisation von Rachid Ghannouchi geleitet, der in seinem Heimatland zu lebenslanger Haft verurteilt ist. Ghannouchi lebt in Großbritannien und gibt sich nach außen als gemäßigter, demokratischer Politiker. Gegenüber seinen Anhängern äußert er sich jedoch militant und spricht davon, die amerikanischen Eroberer und die mit ihnen verbündeten arabischen Regierungen verjagen zu wollen. Emblem der Staatspräsident Ben Ali hat im November anlässlich des 21. Jahrestags En Nahda seiner Machtübernahme die letzten wenigen, noch inhaftierten En Nahda Mitglieder begnadigt und aus den tunesischen Gefängnissen entlassen. Unter ihnen sollen sich auch mehrere Führungsmitglieder befinden, die in den 1990er Jahren zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Möglicherweise steht die Amnestie auch im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im März 2009. Exilorganisation Die En Nahda präsentiert sich professionell im Internet und nimmt Stel lung zu aktuellen politischen Ereignissen. Dies deutet darauf hin, dass die Organisationsstrukturen der En Nahda im Exil unverändert fortbestehen. Bei den in Bayern lebenden En Nahda-Anhängern sind keine festen Strukturen erkennbar. Allerdings engagieren sich viele von ihnen sowohl im Islamischen Zentrum München der Islamischen Gemeinschaft Deutschland e.V. (vgl. auch Nummer 3.6.1 dieses Abschnitts) als auch in einigen tunesischen Vereinen. 3.7 Islamistische Szene Neu-Ulm/Ulm - Verbotenes Multi-Kultur-Haus Ulm e.V. (MKH) Die Region Neu-Ulm/Ulm entwickelte sich in der Vergangenheit zuneh mend zur Anlaufstelle islamischer Extremisten. Seit Ende der 1990er Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 67 Jahre sind kontinuierlich Verbindungen der islamistischen Szene aus der Region Neu-Ulm/Ulm zum internationalen islamistischen Terrorismus zu verzeichnen. Vor allem im "Multi-Kultur-Haus" (MKH) in Neu-Ulm wur den Personen radikalisiert und für den kriegerischen Jihad rekrutiert. Am 28. Dezember 2005 wurde deshalb das MKH vom Bayerischen Vereinsverbot Staatsministerium des Innern verboten, das Vereinsvermögen beschlag nahmt und ein zugehöriges Grundstück eingezogen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bestätigte am 24. Januar 2007 das Verbot des MKH. Das Gericht kam in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass sich die Tätigkeit des Vereins gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtete. Es stellte ferner fest, dass der Verein für seine Besucher und Mitglieder eine Fülle von Publikationen bereit gehalten habe, die massive Hetzparolen gegen die Demokratie, den Rechtsstaat und die Menschenwürde von "Ungläu bigen" enthielten. Das Gericht ließ gegen das Urteil keine Revision zu; das Verbot ist damit bestandskräftig. Im MKH nahm der aus Ägypten stammende Arzt Dr. Yehia Yousif eine Dr. Yehia Yousif Schlüsselrolle ein. Er betätigte sich dort seit 2001 verstärkt und avan cierte zum informellen und charismatischen Führer. Er trat im MKH regelmäßig als Imam und Koranlehrer in Erscheinung und unterrichtete in dieser Eigenschaft junge Muslime und deutsche Konvertiten. In die sem Zusammenhang forderte er auch offen zur Teilnahme am bewaff neten Jihad auf. Dr. Yousif wurde im Dezember 2004 aus Deutschland ausgewiesen und befindet sich nach einem Aufenthalt in Ägypten nun mehr in Saudi-Arabien. Die Schließung des MKH im Dezember 2005 sowie die Ausreise des charismatischen Führers Dr. Yehia Yousif aus Deutschland verunsicher ten und schwächten jedoch die örtliche islamistische Szene nachhaltig. Das "Islamische Informationszentrum" (IIZ) in Ulm konnte in den bei den folgenden Jahren nicht die Bedeutung des MKH als Moschee, Schulungsund Indoktrinierungszentrum für die islamistische Szene er reichen. Vereinzelt bemühten sich Islamisten nach dem MKH-Verbot, im Nachfolge Raum Neu-Ulm/Ulm wieder ähnliche islamistische Strukturen zu errich aktivitäten ten. Diese Bemühungen scheiterten jedoch bislang zumeist an fehlen den Finanzmitteln oder an persönlichen Differenzen. Erschwerend kam hinzu, dass weitere Führungspersönlichkeiten entweder Deutschland verlassen bzw. sich aus Furcht vor strafrechtlicher Verfolgung vom MKH-Spektrum distanziert haben. Vier Tage nach der Vereitelung der versuchten Terroranschläge am 4. September 2007 in Deutschland haben Mitglieder des IIZ in einer außerordentlichen Sitzung ihren Verein aufVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 68 Ausländerextremismus gelöst, um offenbar einem Verbot des IIZ durch das baden-württem bergische Innenministerium zuvorzukommen. Die Bedeutung der islamistischen Szene in der Region Neu-Ulm/Ulm spiegelt sich auch in einem polizeilichen Ermittlungsverfahren wider. Die Analyse früherer Strafverfahren rund um das Personenumfeld des ehemaligen MKH führte Mitte des Jahres 2007 zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Bildung bzw. Mitgliedschaft in einer kri Salafistische minellen Vereinigung gegen mehrere Personen der salafistischen Szene Szene Deutschlands. Den insgesamt zehn Beschuldigten wird vorgeworfen, sich seit September 2005, ausgehend von Neu-Ulm und dem ehemali gen MKH, mit der Zielsetzung zusammengefunden zu haben, Muslime und Neu-Muslime, insbesondere auch zum Islam konvertierte Deutsche, im Sinn einer äußerst strengen Form des Islam zu radikalisieren. Zur Erreichung ihrer Ziele bedienten sich die Beschuldigten in strafrechtlich relevanter Art und Weise sowohl radikaler Literatur, Audiound Video medien als auch Islamseminare, Internet-Auftritte und einschlägige Diskussionsforen. Die Beschuldigten stehen in Verdacht, schwerpunkt mäßig Straftaten wie Volksverhetzung und Anwerbung zu einem frem den Wehrdienst begangen zu haben. Getragen werden die Aktivitäten der Beschuldigten von der radikalen Ablehnung freiheitlich orientierter Lebensweisen sowie der Ablehnung der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Intoleranz und Gewalt gegen "Ungläubige" sowie der Tod im Jihad sind ein wesentlicher Bestandteil der Ideologie der Be schuldigten. Durchsuchungs Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens fanden am 23. April in 16 Pri aktion vatwohnungen, Moscheen und Verlagsräumlichkeiten in Baden-Würt temberg, Bayern, Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen Durchsuchungsmaßnahmen statt. Bei der bundesweiten Razzia wurden zahlreiche Unterlagen und Gegenstände beschlagnahmt. Die Auswer tung der umfangreichen Asservate ist noch nicht abgeschlossen. Wenn auch die straffen Strukturen eines MKH im Raum Neu-Ulm/Ulm seit 2005 nicht mehr vorhanden sind und bis dato keine adäquaten Alternativen für das radikal-islamistische Spektrum existieren, sind in dieser Region dennoch Personen aus dem Umfeld des ehemaligen MKH aktiv. Diese Personen, darunter Araber und deutsche Konvertiten, wei sen eine gewaltorientierte islamistische Einstellung auf und unterhalten teilweise rege Verbindungen zu terrorverdächtigen Personen und Struk turen im Inund Ausland. Auch bei den vereitelten Terroranschlägen 2007 von Angehörigen der "Islamischen Jihad Union" (IJU) waren Be züge in die Region Neu-Ulm/Ulm festzustellen. So wohnte einer der drei Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 69 am 4. September 2007 im Sauerland festgenommenen Tatverdächtigen seit Jahren in Ulm und besuchte von 2003 bis 2005 regelmäßig das MKH. Auch ein weiterer Hauptbeschuldigter, der seit Dezember 2007 in der Türkei und seit November in Deutschland inhaftiert ist, stammt aus Ulm und war ebenfalls dem Umfeld des MKH zuzurechen. Die gewaltorientierte islamistische Szene in der Region Neu-Ulm/Ulm ist derzeit zwar unstrukturiert und geschwächt, jedoch unverändert gefährlich. 4. Islamistischer Terrorismus 4.1 Überblick Der islamistische Terrorismus gefährdet die Innere Sicherheit der west lichen Staaten und damit auch Deutschlands stärker als jede andere Größte extremistische Bestrebung. Trotz internationaler polizeilicher und militä Bedrohung rischer Maßnahmen sind die islamistischen Terrornetzwerke unverän dert handlungsfähig. Die Aktivitäten Terrorverdächtiger werden weiter hin intensiv beobachtet. In der jüngsten Vergangenheit waren die vereitelten Anschläge von Aktivisten der "Islamischen Jihad Union" (IJU) - so genannte Sauer land-Attentäter - im September 2007 das schwerwiegendste Beispiel dafür, dass islamistische Terroristen auch Ziele in Deutschland angrei Deutschland als fen. Auch die vermutete Einreise des Konvertiten Eric Breininger im Angriffsziel September 2008, der Deutschland mit Videobotschaften mutmaßlich aus dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet gedroht hatte, hat die Bedrohungslage erneut sehr deutlich gemacht. Ein Beweis für die un verminderte Schlagkraft islamistischer Kreise war bereits im ersten Halbjahr 2008 aus deutschem Blickwinkel das Selbstmordattentat des bis April 2007 in Bayern wohnhaften türkischen Staatsangehörigen Cüneyt Ciftci. Terrororganisationen betrachten Deutschland als logistische Basis zur finanziellen Unterstützung ihrer Aktivitäten in ihren Heimatländern. In Separatistische und ausländischen Regionen mit überwiegend muslimischer Bevölkerung nationalistische stützen sich separatistische und nationalistische Bestrebungen vielfach Bestrebungen auf ein zweites ideologisches Standbein, nämlich die Verbreitung des Islam und die Errichtung islamischer Gottesstaaten. Dadurch erhalten diese Bestrebungen auch einen islamistischen Charakter und finden da mit weltweit Unterstützung durch islamistische Extremisten und Terro risten. Diese Vermengung von Islamismus, Separatismus und NationaVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 70 Ausländerextremismus lismus ist bei Anschlägen in Tschetschenien, in Südostasien und - mit Einschränkungen - auch in Palästina festzustellen. 4.2 Tätertypen des Jihad Wesensmerkmal des islamistischen Terrorismus ist die gemeinsame Ideologie des Jihadismus (vgl. auch Nummer 4.3.1 dieses Abschnitts). Dagegen sind strukturelle und organisatorische Verbindungen zum al-Qaida-Netzwerk nicht unbedingt zwingend, wie die unterschied lichen Hintergründe von Anschlägen, Gruppierungen und Tätern zeigen. Al-QaidaAls eindeutige al-Qaida-Terroristen gelten die Täter der Anschläge vom Terroristen 11. September 2001 in den USA. Sie waren von al-Qaida ausgewählt und ausgebildet, reisten mit einem genauen Auftrag von al-Qaida - einer damals klar strukturierten Organisation - in das Zielland USA ein und verübten dort die Anschläge. Demgegenüber wurden die in Europa in den letzten Jahren durch geführten bzw. geplanten Anschläge nicht von einer einzigen über geordnete Organisation geplant und angeordnet . Vielmehr agiert eine Vielzahl kleiner Gruppierungen, die entweder in Kontakt zu relevanten Personen im Ausland stehen, oder die sich über das Internet radikali sieren. Dabei trat insbesondere nach den Anschlägen in London im Sommer "home grown" 2005 der Tätertypus des "home grown"-Terroristen in den Vorder Terrorismus grund. Mit dieser Bezeichnung beschreibt man autonome, informelle Gruppen von radikalisierten und gewaltbereiten Muslimen, die ent weder einen Migrationshintergrund aufweisen (so genannte zweite oder dritte Einwanderergeneration) oder bei denen es sich um radika lisierte Konvertiten handelt, die aus unterschiedlichen Gründen das westliche Wertesystem ablehnen. Für Deutschland wurde diese Tätertypologie insbesondere durch die im September 2007 in Nordrhein-Westfalen festgenommenen Aktivisten der "Islamischen Jihad Union" (IJU) deutlich. Sie hatten eine Ausbildung in einem Lager der IJU in Pakistan erhalten. Demgegenüber stehen die beiden so genannten Kofferbomber, deren Anschläge auf zwei Regional züge im Sommer 2006 scheiterten. Diese kamen bereits islamistisch beeinflusst zu Studienzwecken nach Deutschland, konnten sich hier nicht integrieren und radikalisierten sich unter dem Einfluss ihrer sozia len Situation bzw. durch Einflüsse von außen, insbesondere durch den weltweiten Protest gegen die im September 2005 veröffentlichten Mohammed-Karikaturen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 71 Trotz systematischer Analysen verschiedenster nationaler und inter nationaler Anschläge bzw. Anschlagsplanungen können keine Aussagen über zukünftige Täterprofile getroffen werden. Zwar lassen sich im Nachhinein oftmals Brüche in der jeweiligen Biographie bzw. Besuche bei Islamseminaren oder die Teilnahme an der Hadj (Pilgerfahrt nach Mekka) als einigendes Element feststellen. Diese Merkmale treffen jedoch auch auf eine Vielzahl anderer Personen zu, ohne dass diese jemals jihadistische Terroraktionen ausführen. Bedeutsam ist auch der Einfluss charismatischer Persönlichkeiten, die eine zentrale Rolle in einem kommunikativen Netzwerk innehaben. Diese sind entweder durch persönliche Gespräche oder über das Internet mit ausschlag gebend für den eigentlichen Radikalisierungprozess. 4.3 Das Terrornetzwerk um al-Qaida 4.3.1 Internationales Netzwerk und lokale Terrorgruppen Das Netzwerk arabischer Mudjahidin besteht aus teils unabhängig voneinander operierenden Organisationen und Zellen. Eine besondere Führungsrolle Führungsrolle innerhalb dieses Netzwerks nimmt die al-Qaida ein. der al-Qaida Die Ideologie von al-Qaida ist vom "Jihadismus" geprägt. Ihr Weltbild Jihad-Ideologie teilt die Menschheit in Muslime und Ungläubige. Pflicht der Muslime sei es, die Ungläubigen, wenn sie sich ihnen nicht anschließen, im bewaff neten Kampf zu besiegen. Zu den Ungläubigen zählen insbesondere Christen und Juden. Auch die Regierungen zahlreicher islamischer StaaVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 72 Ausländerextremismus ten sind wegen ihrer Weigerung, die USA und Israel zu bekämpfen und eine "muslimische" Ordnung einzuführen, in den Augen von al-Qaida bloße Marionetten der USA. Weltweit sind etwa 10.000 ausgebildete und kriegserfahrene Afghanis tan-Kämpfer in ihre Heimatoder Zufluchtsländer zurückgekehrt, wo Lokale Terror sie sich teilweise lokalen islamistischen Gruppen angeschlossen haben. gruppen Sie genießen dort hohes Ansehen und können als Multiplikatoren fun gieren. Diese lokalen terroristischen Gruppierungen (dargestellt im rechten Bereich des auf der Seite 71 abgedruckten Schaubilds) streben in ihren jeweiligen Heimatländern durch bewaffneten Kampf die Besei tigung der dortigen - aus Sicht der Täter westlich-dekadenten - Gesell schaftsordnung und die Errichtung eines islamistischen Gottesstaats an. Häufig ist die Ideologie, das islamistische Sendungsbewusstsein, das ein zige Bindeglied der weltweit autark operierenden Gruppierungen und Al-Qaida als Zellen. Al-Qaida ist ihre "ideologische" Basis. Dieser Umstand erleichtert ideologische Basis auch personelle Verflechtungen. Attentäter-Zellen im Sinn von al-Qaida bedürfen größtenteils nicht des zentralen Kommandos und bekommen nachträglich den "Segen" für ihre oft langfristig geplanten Anschläge (etwa über Audiooder Videobotschaften, die über das Internet oder über arabische Sender verbreitet werden). Die Legitimation für ihre Aktivi täten liefern islamistische Ideologen, häufig selbst ernannte Prediger, deren persönliche Autorität weder durch ihren Tod noch durch ihr Wir ken aus dem Untergrund, wie z.B. bei Usama Bin Ladin, beeinträchtigt wird. Kampfplätze, auf denen Mudjahidin ihr Kriegswissen erproben können, sind hauptsächlich der Irak und Afghanistan, jedoch auch Tschetschenien und Kaschmir. Der Palästina-Konflikt mit seiner großen medialen Präsenz dient hauptsächlich der Agitation und Mobilisierung. Die Zerschlagung der afghanischen Zentrale und die Verhaftung oder Tötung zahlreicher Mitglieder aus der alten Führungsriege haben zwar den Kern von al-Qaida vorübergehend geschwächt, das flexible Netz werk jedoch nicht besiegt. Einerseits gibt es eine Vielzahl kleinerer Organisationen, die mit al-Qaida teilweise eher lose verbunden sind und nur bei besonderen Ereignissen öffentliches Interesse erfahren. Dies gilt etwa für die "Islamische Jihad Union" (IJU), die die am 4. September 2007 in Nordrhein-Westfalen festgenommen Aktivisten ausbildete und mit Terroraufträgen nach Deutschland schickte. Daneben gibt es auch große schlagkräftige Organisationen, die eng in das al-Qaida-Netzwerk eingebunden sind. Unter den Mudjahidin, die sich in den 1990er Jahren in Afghanistan aufhielten und in Trainingslagern militärisch ausgebildet wurden, be fanden sich auch kurdische Islamisten, die 2001 an der Gründung der Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 73 Ansar al-Islam - AAI - (Unterstützer des Islam) beteiligt waren. Sie knüpfAnsar al-Islam ten Kontakte zu al-Qaida, die auch nach der Rückkehr aus Afghanistan (AAI) bestehen blieben. Der AAI gelang es, 2001 ein Taliban-ähnliches Regime in einem kleinen Teil des irakischen Kurdengebiets zu errichten. Nach der US-Intervention in Afghanistan nahm die AAI Kämpfer von Usama Bin Ladin auf und unterstützte sie. Inzwischen ist die AAI durch ihr Zusammenwirken mit al-Qaida im Irak Bestandteil des internationalen Terrornetzwerks. Sie ist für eine Vielzahl von Terroranschlägen im Irak mit Hunderten von Toten und Verletzten verantwortlich. Der Sicher heitsrat der Vereinten Nationen stufte sie deshalb am 24. Februar 2003 als terroristische Vereinigung ein. In Europa gibt es Anhänger der AAI in Skandinavien, Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland und in den Niederlanden. In Bayern AAI-Anhänger sind u.a. in München, Nürnberg und Augsburg etwa 40 Anhänger in Bayern bekannt, die die Organisation durch Beschaffung von Geld unterstüt zen; deutschlandweit umfasst die Gruppierung etwa 100 Anhänger. Seit Kriegsende reisten auch mehrere Mitglieder aus Bayern in den Irak; ein Teil von ihnen ist zwischenzeitlich wieder nach Bayern zurück gekehrt. Insgesamt sind die Aktivitäten der AAI-Anhänger in Bayern allerdings stark zurückgegangen, da die Szene durch zahlreiche Maß nahmen der Sicherheitsbehörden erheblich geschwächt wurde. Bei spielsweise hat das Oberlandesgericht Stuttgart nach über zweijähriger Verhandlungsdauer drei Anhänger der AAI - einer davon aus dem Raum Augsburg - am 15. Juli zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die drei Iraker wurden u.a. für schuldig befunden, ein Attentat auf den frühe ren irakischen Ministerpräsidenten Dr. Ijad Allawi bei dessen Deutsch landbesuch im Dezember 2004 geplant zu haben. Die ausdrückliche Erwähnung des Maghreb-Gebiets im Namen der "Organisation al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQIM), der früheren Organisation "Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat" - GSPC - (Sala al-Qaida im fiyya-Gruppe für Predigt und Kampf), signalisiert den Anspruch auf islamischen alleinige Vertretung der al-Qaida in der Region Marokko, Algerien, Maghreb Tunesien und Libyen. In Algerien haben Attentate gegen Regierungs einrichtungen und Sicherheitspersonal seit dem Anschluss der früheren GSPC an die al-Qaida bereits 2007 deutlich zugenommen. Ein weiterer Anstieg der Anschlagszahlen ist 2008 zu verzeichnen, der Wirkungs bereich wurde auf mehrere Nachbarstaaten ausgedehnt. Darüber hinaus verübt die AQIM nun gezielt Attentate auf westliche Ausländer und bekannte sich erstmals auch zu Entführungen. Das Motiv dürfte hierbei auch in den möglichen Lösegeldforderungen liegen. Strukturelle Verbindungen nach bzw. in Deutschland sind bisher nicht erkennbar. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 74 Ausländerextremismus 4.3.2 Botschaften al-Qaidas Im Jahr 2008 meldeten sich hochrangige Repräsentanten der al-Qaida in zahlreichen Audiound Videobotschaften zu Wort. Beispielsweise wurde am 19. September im Internet eine Videobotschaft der Medien produktionsstelle der al-Qaida, as-Sahab, mit dem Titel "Die Ernte aus sieben Jahren der Kreuzzüge" veröffentlicht. Mit dem Video, in dem zahlreiche Anführer der al-Qaida sowie ein mutmaßlicher Selbstmord attentäter des 11. September 2001 auftreten, soll ein umfassender Rückblick und eine Bewertung des schon sieben Jahre andauernden "neuen Kreuzzugs" gegen die islamische Welt vorgenommen werden. Bedeutsam ist die Einbindung zahlreicher Anführer der al-Qaida in eine Botschaft durch den Vizechef von al-Qaida, Dr. Ayman al-Zawahiri, moderierte al-Zawahiris und äußerst sorgfältig komponierte Gesamtbotschaft und die Interpre tation von Ereignissen an aktuellen Schauplätzen der bewaffneten Aus einandersetzung im Sinn der Ideologie al-Qaidas. Das Hervorheben der Bedeutung jihadistischer Medienarbeit bestätigt den Eindruck, dass al-Qaida der Propagandaarbeit wesentliche Bedeutung beimisst. Botschaft Bereits am 16. Mai war in diversen jihadistischen Internet-Foren eine Bin Ladins Audiobotschaft von Usama Bin Ladin verbreitet worden. Die Botschaft mit dem Titel "An die westlichen Völker. Die Gründe des Konflikts - an lässlich des 60. Jahrestags der Gründung des israelischen Besatzungs staats" wurde ebenfalls von as-Sahab, der Medienproduktionsstelle al-Qaidas, hergestellt. Bin Ladin beschuldigt die "Völker des Westens", für den Nahost-Konflikt verantwortlich zu sein und die "Besatzungs politik Israels" zu unterstützen. Er stellt heraus, dass die "Befreiung Palästinas" ein zentrales Anliegen seiner Organisation sei. Der Jihad sei Pflicht und das einzige Mittel zur Erreichung dieses Ziels. Bisher konnte nicht festgestellt werden, dass die Botschaften al-Qaidas zu vermehrten Anschlagsplanungen in Deutschland führen. Im Januar Vermehrt 2009 häuften sich allerdings die Deutschlandbezüge in Botschaften. Ein Deutschland Video der Medienproduktionsstelle as-Sahab mit dem Titel "Das Ret bezüge tungspaket für Deutschland - von Al Hafidh Abu Talha der Deutsche Oktober 2008" ist die erste al-Qaida zuzurechnende Videobotschaft mit ausschließlichem Deutschlandbezug. Bei dem Sprecher handelt es sich um den in Marokko geborenen Bekkay Harrach, der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und in Bonn wohnhaft war. Er war vor einiger Zeit in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet ausgereist. Harrach richtet in seiner Botschaft in deutscher Sprache direkte Drohungen gegen Deutschland und deutsche Interessen im Ausland. Dies gilt auch für eine etwa zeitgleiche Botschaft der mit al-Qaida kooperierenden "IslamiVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 75 schen Jihad Union" (IJU). Auch darin droht einer der Sprecher in deutscher Sprache mit Angriffen auf die "Verbündeten der Besatzungsmächte". 4.4 Terroranschläge und Anschlagsplanungen 4.4.1 Deutschland Rund ein Jahr nach der Verhaftung von drei Aktivisten einer Zelle der islamistischen terroristischen Vereinigung "Islamische Jihad Union" (IJU) in Medebach-Oberschledorn/Nordrhein-Westfalen erhob die Bundes anwaltschaft am 2. September Anklage gegen die drei Terrorverdächti Anklage gegen gen. Ihnen wird u.a. Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen "SauerlandVereinigung und die Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens vorge Gruppe" worfen. Einer der Angeklagten ist zudem wegen versuchten Mordes angeklagt. Die drei Männer waren am 4. September 2007 nach umfangreichen nachrichtendienstlichen Vorermittlungen in einer großangelegten Poli zeiaktion festgenommen worden. Bei den polizeilichen Ermittlungen wurde deutlich, dass die Täter ernsthaft bemüht waren, mehrere ver mutlich simultane Anschläge in Deutschland zu verüben und dabei möglichst hohen Personenund Sachschaden anzurichten. Ein regiona ler Schwerpunkt der Ermittlungen war neben dem Saarland und Hessen der Raum Ulm/Neu-Ulm. Kenntnisse zum Bau von Sprengvorrichtungen hatten die mutmaßlichen Attentäter insbesondere in den Ausbildungs lagern der IJU in Pakistan erhalten. Bei der IJU handelt es sich um eine in Usbekistan angesiedelte Organi Islamische sation, die im März 2002 von ehemaligen Mitgliedern der "Islamischen Jihad Union Bewegung Usbekistan" (IBU) gegründet worden ist. Die IJU gilt als un abhängige Gruppierung, jedoch mit engen Verbindungen zur al-Qaida. Die Gruppierung verfolgte zunächst regionale Ziele, hat jedoch ihre Aktivitäten auf den weltweiten Jihad erweitert. Ihre Handlungsfähigkeit hat sie mit Bombenanschlägen gegen die amerikanische und israelische Botschaft in Taschkent/Usbekistan am 30. Juli 2004 und weiteren An schlägen gegen usbekische Staatseinrichtungen unter Beweis gestellt. Im Jahr 2008 veröffentlichte die IJU auch mehrere Internet-Botschaften Internetmit dem deutschen Konvertiten Eric Breininger aus dem Saarland, der Botschaften als Kontaktperson zu einem Angehörigen der so genannten Sauer land-Attentäter gilt. Im Jahr 2007 war Breininger über Ägypten nach Pakistan ausgereist, wo er mutmaßlich eine terroristische Ausbildung absolvierte. Sein Begleiter soll der ebenfalls aus dem Saarland stam mende Houssain al-Malla sein. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 76 Ausländerextremismus In einer Videobotschaft vom 28. April rief Breininger, der sich zu dieser Zeit im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aufgehalten haben dürfte, die in Deutschland lebenden Muslime dazu auf, in den Jihad zu ziehen. Am 23. Mai folgte ein Interview, in dem er den Wunsch äußerte, im Jihad als Märtyrer zu sterben. Im September erlangten die Sicher Eric Breininger heitsbehörden Hinweise, wonach Eric Breininger und Houssain al-Malla und Houssain sich mit der Absicht auf dem Weg nach Deutschland befunden haben al-Malla sollen, hier möglicherweise einen Anschlag zu begehen. Daraufhin wurde zu einer Öffentlichkeitsfahndung nach Breininger und al-Malla aufgerufen. Als Reaktion auf die Öffentlichkeitsfahndung wurde am 21. Oktober im Internet eine Videobotschaft von Breininger mit dem Titel "Aufruf vom Hindukusch" veröffentlicht, in dem er einen Deutsch landaufenthalt dementierte und betonte, dass er sich weiterhin in Afghanistan aufhalte. Darüber hinaus erklärte Breininger, dass Deutsch land so lange im Zielspektrum des islamistischen Terrorismus stehen werde, bis die Bundesregierung ihr militärisches Engagement in islami schen Ländern beende. Die deutschen Sicherheitsbehörden gingen im Jahr 2008 mit Festnah meund Durchsuchungsaktionen gegen Aktivisten und Unterstützer der IJU vor. Ein aus dem Raum Ulm/Neu-Ulm stammender deutscher Terrorverdächtiger mit Bezug zur IJU, der bereits im November 2007 in der Türkei festgenommen worden war, wurde am 20. November nach Deutschland überstellt. Er steht im Verdacht, an den versuchten Terror anschlägen der so genannten Sauerland-Attentäter beteiligt gewesen zu sein. 4.4.2 Europa Am 12. Februar wurden in Dänemark drei Personen festgenommen, die Anschlags einen Anschlag auf den dänischen Karikaturisten Westergaard geplant planungen haben sollen. Westergaard war einer der Zeichner der Mohammed-Ka auf dänischen rikaturen, deren Veröffentlichung in der Presse im Jahre 2005 zu welt Karikaturisten weiten Protesten und Ausschreitungen geführt hatte. Aus Protest gegen die bekannt gewordenen Anschlagspläne veröffentlichten die führenden Tageszeitungen in Dänemark erneut eine Zeichnung Wester gaards, die den Kopf des Propheten Mohammed mit einer angezünde ten Bombe als Turban zeigt. Dies führte in Dänemark zu Demonstratio nen und massiven gewaltsamen Ausschreitungen. Darüber hinaus kam es in zahlreichen muslimischen Ländern, darunter Pakistan, Afghanis tan, Kuwait und Jordanien, zu Protestkundgebungen und Demonstra tionen sowie zu Boykottaufrufen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 77 Islamkritische Veröffentlichungen, insbesondere von Karikaturen des Propheten Mohammed, sind nicht nur dazu geeignet, die Herausgeber zu gefährden, sondern können als Begründung für Anschläge in den jeweiligen Ländern dienen, wie die gescheiterten Kofferbomber anschläge auf Regionalzüge in Deutschland im Juli 2006 gezeigt haben. 4.4.3 Irak Seit Juni 2007 zeichnet sich landesweit eine leichte Verbesserung der Sicherheitslage im Irak ab. Trotzdem bleibt der Irak der Staat mit der höchsten Gefährdung und dem höchsten Anschlagsrisiko für alle vor Ort befindlichen westlichen Kräfte. Aufgrund der Ausbildung iraki scher Sicherheitskräfte Richter und Staatsanwälte durch Deutschland, Deutsche stehen auch deutsche Einrichtungen im Zielspektrum islamistischer Einrichtungen als Terroristen. Angriffsziel Im Fokus der Attacken stehen auch Mitglieder der neu gebildeten Stammesmilizen und Bürgerwehren. Hintergrund sind der Zusammen schluss einiger sunnitischer Stämme und damit verbunden deren Zusammenarbeit mit den Koalitionstruppen gegen "al-Qaida im Zwei stromland" bzw. den "Islamischen Staat Irak". Dabei richten sich die Anschläge nicht nur gegen die Stammesscheichs und führende Mitglie der, sondern auch gegen einfache Angehörige der Milizen und deren Kontrollpunkte. Auch Entführungen sind im Irak nach wie vor an der Tagesordnung, wobei verstärkt Iraker ins Visier von Entführern genom men werden. Gleichwohl bleiben auch Ausländer nach wie vor in hohem Maße gefährdet. Motive für die Entführung von Inländern sind jedoch weniger politische Ziele wie bei der Entführung von Ausländern, sondern häufig finanzielle Interessen sowie die anhaltenden interkon fessionellen Auseinandersetzungen. 4.4.4 Afghanistan Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich weiter verschlechtert, zu nehmend ist auch der bisher als relativ ruhig geltende Norden des Landes betroffen. Das Engagement Deutschlands in Afghanistan ist ein entscheidender Faktor dafür, dass deutsche Einrichtungen in Afghanis tan und dort stationierte Bundeswehrsoldaten im unmittelbaren Ziel spektrum islamistischer Terroristen stehen. Anschläge auf die in dieser Angriffe auf Region stationierten Bundeswehrsoldaten nehmen stetig zu. Neben Bundeswehr zahlreichen Anschlägen auf Bundeswehrpatrouillen, bei denen keine Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 78 Ausländerextremismus Personenschäden entstanden, wurden am 27. März und am 30. Juni jeweils drei deutsche Soldaten bei Anschlägen verletzt. Bei einem Selbst mordanschlag am 6. Juli auf ein Fahrzeug dreier deutscher Polizei beamter in der Nähe von Kunduz wurden zwei der Beamten leicht ver letzt. Am 6. August kamen bei einem weiteren Selbstmordanschlag in der Provinz Kunduz drei deutsche Soldaten ums Leben. Am 27. August wurden bei einer Bombenexplosion ein deutscher Soldat getötet und drei verletzt. Zwei deutsche Bundeswehrsoldaten wurden am 20. Okt ober bei einem Selbstmordanschlag getötet. Bei einem Angriff auf einen Konvoi wurden am 16. November ein deutscher Soldat schwer und ein weiterer leicht verletzt. Am 17. November wurden bei einem Attentat vier deutsche Soldaten leicht verletzt. Zu fast allen Anschlägen Aktionen der bekannten sich die Taliban. Die recht weitreichende Handlungsfähigkeit Taliban der Taliban war auch durch den Anschlag auf das als sehr gut gesichert geltende und vornehmlich von westlichen Staatsangehörigen besuchte Hotel Serena in Kabul am 14. Januar deutlich geworden. Dabei sind mindestens fünf Personen ums Leben gekommen, sechs weitere wur den verletzt. Am 3. März hat der bis April 2007 in Bayern wohnhafte türkische Selbstmordanschlag Staatsangehörige Cüneyt Ciftci in einem Militärlager in Afghanistan des Cüneyt Ciftci mit einem mit Sprengstoff beladenen Lastwagen einen Selbstmord anschlag begangen und dabei mehrere Menschen mit in den Tod ge rissen. Damit handelt es sich bei dem Türken um den ersten islamis tisch-terroristisch motivierten Selbstmordattentäter, der in Deutschland geboren, aufgewachsen und sozialisiert worden ist; er kann somit dem Spektrum "home grown"-Terrorismus zugeordnet werden. Der An schlag wurde in einer am 6. März im Internet erschienenen Meldung der IJU bekannt gegeben. Seine Terrormission dokumentierte er mit einem Video. Ciftci hatte auch Kontakt zu einem der am 4. September 2007 im Sauerland festgenommenen IJU-Aktivisten. Er war seit Jahren Besucher der Milli-Görüs-Moschee in Ansbach (vgl. auch Nummer 3.1 dieses Abschnitts). Außerdem war er wiederholt mit radikal-islamis tischen Aussagen und Einstellungen aufgefallen. Er unterhielt auch Kontakte zu Angehörigen der Tablighi Jamaat (TJ), die eine radikali sierte Form des streng gläubigen Islams indischer Prägung vertritt (vgl. auch Nummer 3.4 dieses Abschnitts). 4.4.5 Indien Die Anschläge am Abend des 26. November in Mumbai, bei denen Ter roristen mit Schnellfeuergewehren, Handgranaten und Sprengsätzen Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 79 nahezu gleichzeitig mindestens sieben verschiedene Ziele angegriffen haben, unterscheiden sich in der Zielauswahl und in der Vorgehens weise grundlegend von allen bisher in Indien verübten Terroranschlä gen. Erstmalig wurden gezielt Anschlagsorte ausgewählt, an denen sich Gezielte Angriffe westliche Touristen und Geschäftsleute aufhielten. Der in Mumbai fest auf Tourismus gestellte Tathergang ist wegen der eingesetzten Tatmittel, der hohen einrichtungen Anzahl paralleler Anschläge sowie der Zielgerichtetheit und der inten siven Vorplanungen von einer neuen Bedrohungsqualität. Zu den Anschlägen bekannte sich die bis dahin nicht in Erscheinung getretene Gruppe "Deccan Mujahedeen". An den Anschlägen beteiligte Mitglie der dieser Gruppe sollen von der in Pakistan agierenden islamistischen Terrorgruppe "Laskhar-e-Taiba" intensiv auf diese Anschläge vorberei tet worden sein. Durch die Anschläge wurde in besonderem Maße der Tourismussektor getroffen. In der Folge sind auch deutsche Staatsangehörige, für die Indien ein beliebtes Reiseziel ist, gefährdet. Erneute Anschläge gegen westliche Staatsangehörige und touristische Ziele können nicht ausge schlossen werden. Eine Erhöhung der Gefährdungssituation in Deutsch land ist nicht erkennbar. 4.5 Bewertung Die Ereignisse im Berichtszeitraum haben erneut zwei Aspekte verdeut licht. Zum einen ist Deutschland konkretes Anschlagsziel islamistischer Deutschland Terroristen; zum anderen besteht die besondere Gefährlichkeit des Ter als konkretes rornetzwerks al-Qaida noch stärker als bisher in seiner Eigenschaft als Anschlagsziel Inbegriff des "globalisierten Jihad" für kampfbereite Islamisten. Diese Ideologie des "Jihadismus" wird von lokalen Gruppierungen als Recht fertigung für eigenständig und unabhängig geplante Terrorakte heran gezogen. Moderne Medien - vor allem das Internet - werden intensiv für Propagandazwecke und Informationsaustausch genutzt. Auf die Entwicklungen im internationalen Terrorismus haben die deut schen Sicherheitsbehörden vor allem mit einer Intensivierung der Zusammenarbeit reagiert. Islamistische Terrornetzwerke werden weiter die größte Bedrohung der Inneren Sicherheit darstellen. Die Gemein gefährlichkeit islamistischer Terroristen hat beispielsweise auch das Oberlandesgericht Düsseldorf mit seinem Urteil vom 9. Dezember deut Urteil gegen lich gemacht. Es verurteilte einen der so genannten Kofferbomber "Kofferbomber" wegen vielfachen Mordversuchs zu einer lebenslangen Haftstrafe. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 80 Ausländerextremismus 5. Sonstige ausländerextremistische Gruppierungen 5.1 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL), ehemals Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) bzw. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 5.1.1 Allgemeines Deutschland Bayern Anhänger: 11.500 1.800 Vorsitzender: Zübeyir Aydar Kurd. Volksführer: Abdullah Öcalan Leitung: Führungsfunktionäre der "Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa"(CDK) (in Abhängigkeit vom Vorsitzenden des KONGRA GEL, dem kurdischen Volksführer Abdullah Öcalan und dem Exekutivkomitee des KONGRA GEL) Gründung: 1978 in der Türkei Publikation: "Serxwebun" (Unabhängigkeit) In Deutschland seit 26. November 1993 verboten Der Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) ist identisch mit der mehr fach umbenannten, in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei Kurdis tans (PKK). Die PKK hatte sich im April 2002 in Freiheitsund Demo kratiekongress Kurdistans (KADEK) umbenannt. Weder bei dieser Um benennung noch bei der Namensänderung am 15. November 2003 in KONGRA GEL gab es wesentliche Veränderungen in Organisation, Vereinsrechtliches Struktur und Ideologie. Das gegen die PKK erlassene vereinsrechtliche Betätigungsverbot Betätigungsverbot aus dem Jahr 1993 erstreckt sich deshalb auch auf den KONGRA GEL. Die Tätigkeit der PKK einschließlich ihrer Teilund Neben organisationen verstößt gemäß der Verbotsverfügung gegen Straf gesetze, richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährdet die Innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung sowie sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland. Der Rat der Europäischen Union hatte am 2. April 2004 den KONGRA GEL und seine Vorgängerorganisation KADEK - wie bereits früher die PKK - als Terrororganisation eingestuft. Am 3. April 2008 hat der Euro päische Gerichtshof die Aufnahme der PKK und des KONGRA GEL in die EU-Liste terroristischer Organisationen für nichtig erklärt. Für das in Deutschland bestehende Betätigungsverbot hat das Urteil jedoch keine unmittelbaren Auswirkungen. Der Bundesgerichtshof hatte am 21. OktoVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 81 ber 2004 festgestellt, dass die Führungsspitze des KONGRA GEL auch Kriminelle weiterhin als kriminelle Vereinigung einzustufen ist. Vereinigung Ursprünglich stand über zwei Jahrzehnte der aktive "revolutionäre Kampf" für ein freies und unabhängiges Kurdistan im Mittelpunkt der PKK-Aktivitäten. Nach der Festnahme des damaligen PKK-Führers Abdul lah Öcalan im Jahr 1999 kam es zu einer taktisch bedingten Mäßigung. Die Organisation verzichtete auf ihr ursprüngliches Ziel, durch bewaffneten Kampf einen eigenen kurdischen Staat durch zusetzen. Vorsitzender des KONGRA GEL ist der ehemalige Führungsfunktionär des KONGRA GEL-dominierten "Kurdi schen Nationalkongresses" (KNK) Zübeyir Aydar. In Deutsch land bekennen sich etwa 10 % der rund 500.000 tür kischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit zum KONGRA GEL. KONGRA Die hauptamtlichen Kader des KONGRA GEL in Deutschland leben GEL-Flagge äußerst konspirativ an häufig wechselnden Orten. Die KONGRA GEL-An hängerschaft ist in zahlreichen, der "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM) angegliederten örtlichen Vereinen orga nisiert. Diese Vereine, die sich nach außen als reine Kulturvereine dar stellen, haben die Aufgabe, Ziele und Politik des KONGRA GEL unter den Anhängern zu verbreiten und zu fördern. Darüber hinaus bedient sich der KONGRA GEL zahlreicher vom Betätigungsverbot nicht erfas ster Nebenorganisationen ("Y-Gruppen"), die verschiedene Zielgruppen innerhalb der kurdischen Bevölkerung für den KONGRA GEL gewinnen sollen. Trotz des vereinsrechtlichen Betätigungsverbots gibt es somit weiterhin Aktivitäten der KONGRA GEL-Anhänger in Deutschland. Ein Aktivitäten in Nachweis, dass ihre Betätigung der Organisation zuzurechnen ist, lässt Deutschland sich jedoch oft nur schwer führen. Offen wahrnehmbar sind Aktivitäten der kurdischstämmigen Bevölkerung insbesondere in der Kulturund Brauchtumspflege, z.B. dem alljährlichen kurdischen Neujahrsfest Newroz, und bei der Wahrnehmung ihrer Rechte als kulturelle Minder heit. Sympathie für die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen kann den Kurden zu einem gewissen Teil unterstellt werden. Eine Handhabe für behördliche Maßnahmen bietet sich aber nur, wenn die konkrete Unterstützung der PKK nachweisbar ist, d.h., wenn beispielsweise ver botene Symbole verwendet werden, Unterstützung durch Spenden gelder nachgewiesen werden kann oder klare organisatorische Struk turen aufgedeckt werden können. Auf die Aufdeckung solcher Aktivitä ten ist auch das Augenmerk der Sicherheitsbehörden gerichtet. Auch wenn in diesem Jahr wieder Aktivitäten von KONGRA GEL-Anhänger festgestellt werden konnten, kann man nicht von einem WiedererstarVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 82 Ausländerextremismus ken der PKK bzw. des KONGRA GEL ausgehen. Die den Sicherheits behörden möglichen Durchsuchungsund Festnahmeaktionen tragen immer wieder zu einer nicht unerheblichen Verunsicherung, mitunter auch zu einer Schwächung der Organisation bei. Finanzierung Der KONGRA GEL finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, dem Verkauf von Publikationen und den Einnahmen aus Veranstaltungen. Den größ ten Anteil der Einnahmen erbringt die jeweils von September bis Januar durchgeführte Spendenkampagne. Hierbei konnte die Organisation das in Deutschland und anderen europäischen Staaten erzielte Vorjahres ergebnis, trotz diverser Strafverfolgungsmaßnahmen gegen die Spen denkampagne, deutlich übertreffen. Das Festlegen und Einsammeln der Spenden verlief weitgehend ohne Gewalt. Am 12. März wurden jedoch drei mutmaßliche KONGRA GEL-Anhänger wegen des Verdachts einer versuchten Spendengelderpressung festgenommen. Das Geld der Spendenkampagne soll - wie in den Vorjahren auch - für die finanzielle Unterstützung der "Volksverteidigungskräfte" (HPG), der Guerillaein heit des KONGRA GEL, sowie für den Unterhalt von Einrichtungen der Organisation in Europa verwendet werden. Es gibt Hinweise, dass der KONGRA GEL auch vom Rauschgifthandel profitiert, indem er bei spielsweise kurdische Drogenhändler abschöpft. Der KONGRA GEL be müht sich weiterhin, über den "Internationalen Kurdischen Arbeit geberverband" (KARSAZ) mit Niederlassungen in Frankfurt am Main und in Berlin das Wirtschaftspotenzial der in Europa lebenden Kurden zu kontrollieren. Ein wichtiges Propagandamedium ist noch immer der in Dänemark sit zende KONGRA GEL-nahe Fernsehsender ROJ TV, der vom KONGRA GEL als Plattform zur Darstellung seiner politischen Ziele genutzt wird. Die Beiträge gleichen in wesentlichen Punkten der Berichterstattung seines Vorgängers MEDYA-TV. Vereinsrechtliches Am 19. Juni wurde gegen ROJ TV eine vereinsrechtliche Verbotsver Verbot gegen fügung vollzogen. Dabei wurde auch dem Sender in Dänemark eine ROJ TV Verbotsverfügung zugestellt und damit die Ausstrahlung nach Deutsch land untersagt. Ein Organisationsverbot wurde zudem gegen die in Wuppertal ansässige Firma "VIKO Fernseh Produktion GmbH", als Teil organisation von ROJ TV, verhängt. Das Unternehmen stellt Beiträge für ROJ TV her und ist faktisch dessen Deutschland-Repräsentanz. Die Verbotsverfügung wurde damit begründet, dass der Satellitensender ROJ TV Propaganda für den KONGRA GEL betreibe und damit gegen deutsche Strafgesetze und den Gedanken der Völkerverständigung ver stoße. Aufgrund der besonderen Stellung des Senders im OrganisaVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 83 tionsgefüge von PKK/KONGRA GEL kam es in der Folge deutschland weit zu zahlreichen öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen. Als weiteres Agitationsinstrument dient dem KONGRA GEL die türkisch sprachige Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" (Neue Freie Politik), in der Tageszeitung "Yeni führende KONGRA GEL-Funktionäre regelmäßig Stellungnahmen pub Özgür Politika" lizieren. Die Zeitschrift wird allerdings nicht unmittelbar vom KONGRA GEL bzw. einer seiner Teiloder Nebenorganisationen herausgegeben. Sie versucht, als Nachfolgepublikation der "Özgür Politika" im Sinn des KONGRA GEL Einfluss auf die Politik im Mittleren Osten und besonders in den kurdischen Siedlungsgebieten zu nehmen. Der KONGRA GEL ist indessen weiterhin mit einer eigenen Homepage Internet-Präsenz im Internet präsent, deren Inhalte in deutscher, englischer, kurdischer und türkischer Sprache abgerufen werden können. Auch die "Volks verteidigungskräfte" des KONGRA GEL unterhalten eine eigene Inter net-Seite in türkischer und kurdischer Sprache mit aktuellen Informa tionen über die HPG. Im April 2005 ist die Gründung der "neuen PKK" verkündet worden, "Neue PKK" die sich als politische und vor allem ideologische Avantgarde betrachtet und sich durch eine besondere Nähe zu Abdullah Öcalan auszeichnet. Laut Satzung ist sie eine Teilorganisation des KONGRA GEL, ihre tat sächlichen Aufgaben und Ziele sind jedoch nach wie vor unklar. Die "neue PKK" lehnt nach eigenen Angaben Gewalt grundsätzlich ab, behält sich aber weiterhin das Recht auf "legitime Selbstverteidigung" vor. Gegenwärtig gibt es keine Anhaltspunkte für einen Strategiewech sel. In Bayern wurden bisher keine Aktivitäten der "neuen PKK" fest gestellt. Seit dem 16. Dezember 2007 ging die türkische Armee mit Luftangrif fen gegen Stellungen der HPG im Nordirak vor. Vorausgegangen war eine Entscheidung des türkischen Parlaments vom 17. Oktober 2007, mit welcher der Regierung die Erlaubnis für grenzüberschreitende Militärschläge gegen die PKK-Guerilla erteilt worden war. Am 21. Feb Türkische ruar erfolgte der Einmarsch der türkischen Armee mit Bodentruppen in Militäraktionen den Nordirak. An der Offensive, die bis zum 29. Februar andauerte, gegen PKK-Guerilla waren rund 100.000 Soldaten beteiligt, unterstützt von Panzern, Artil lerie, Kampfhubschraubern und Kampfflugzeugen. Damit ging diese Militäraktion weit über die Dimension jener gezielten Operationen hin aus, die die Türkei in den vergangenen Jahren immer wieder unter nommen hat. Der KONGRA GEL und ihm nahestehende Organisatio nen haben sowohl mit Verlautbarungen als auch mit Kundgebungen Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 84 Ausländerextremismus auf die Offensive reagiert. So protestierten Anhänger des KONGRA GEL in der Folge europaweit in Form von zahlreichen - zumeist fried lich verlaufenen - Versammlungen, Mahnwachen und Pressekonferen zen öffentlichkeitswirksam gegen die Bodenoffensive. Zu Zwischen fällen kam es in diesem Zusammenhang bei Kundgebungen in Dort mund und Kassel. Freiheitsfalken Die "Freiheitsfalken Kurdistans" ("Teyrebazen Azadiya Kurdistan" - TAK) Kurdistans (TAK) waren erstmals im Juli 2004 bekannt geworden. Sie sind nach eigenen Angaben aus den "Volksverteidigungskräften" (HPG) des KONGRA GEL hervorgegangen. In einer Erklärung vom 14. April 2006 stellten die TAK fest, dass sie sich von dem KONGRA GEL getrennt haben, da ihnen sowohl der KONGRA GEL als auch die "Volksverteidigungskräfte" (HPG) als zu schwach erschienen seien. Seither verübten die TAK eine Serie von Sprengstoffanschlägen vor allem gegen touristische Ziele in der Türkei. Dabei wurden mehrere Personen getötet und zahlreiche verletzt. Die TAK warnten wiederholt vor Reisen in die türkischen Tourismus zentren und drohten mit weiteren Anschlägen. Auf ihrer Internet-Seite veröffentlichten die TAK eine Anleitung zur Herstellung von Spreng sätzen für Selbstmordattentäter. Darüber hinaus sind Ziele für Bomben anschläge und Sabotageakte in der Türkei aufgelistet. Im Februar 2008 erklärten die TAK in einer Verlautbarung, mit noch größerer Entschlos senheit zu neuen Aktionen bereit zu sein und bekannten sich im August zu einer Anschlagsserie in der Türkei. In der Verlautbarung wird deut lich, dass sich die TAK erneut von der aus ihrer Sicht zu passiven Hal tung von KONGRA GEL und HPG distanzieren und dadurch ihre mili Militante tante Ausrichtung unterstreichen. Erstmals wurden auch Drohungen Ausrichtung gegen türkische Einrichtungen und Institutionen außerhalb der Türkei gerichtet. Jugendorganisation Aus der Jugendorganisation KOMALEN-CIWAN, welche die Zeitschrift KOMALEN-CIWAN "CIWANEN AZAD" ("Freie Jugendliche") herausgibt, rekrutiert sich ein Teil der Guerilla des KONGRA GEL. Dabei wurden in der Vergangenheit Jugendliche auch gegen den Willen ihrer Eltern zwangsverpflichtet und in Ausbildungslagern im benachbarten Ausland geschult, bevor sie zum Kampfeinsatz in die Türkei geschleust wurden. Aus einer weiteren Jugendorganisation des KONGRA GEL, der "Demokratischen Jugend" (Demokratik Genclik - DEM-GENC) sollen die künftigen KOMALEN-CIWANFunktionäre gewonnen werden. In Bayern wurden bislang keine Akti vitäten der DEM-GENC festgestellt. Kampagne Die seit dem 9. Oktober 2007 unter dem Motto "Edi Bese" ("Es reicht!") "Edi Bese" propagierte Aktionskampagne des KONGRA GEL wurde europaweit mit Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 85 zahlreichen Demonstrationen und Kundgebungen fortgesetzt, die zum Teil unfriedlich verliefen. Die Führungsspitze der Organisation hatte ab dem 18. Mai die "zweite Etappe" der Kampagne ausgerufen. Ziel sind die Freiheit ÖCALANs und die Umsetzung eines Modells des so genann ten Demokratischen Konföderalismus. Bereits im Mai 2007 war im Rahmen der 5. Vollversammlung des KONGRA GEL im Nordirak die Änderung des bisherigen Organisations namens "Koma Komalen Kurdistan" (KKK - Union der kurdischen Ge meinschaften) in "Koma Civaken Kurdistan" (KCK - Gemeinschaft der Koma Civaken Räte Kurdistans) beschlossen worden. Zum Vorsitzenden des KCK-Exe Kurdistan (KCK) kutivrats, der aus 30 Mitgliedern besteht, war der Führungsfunktionär Murat Karayilan gewählt worden. Im Mittelpunkt der KCK steht das von Abdullah Öcalan entwickelte Prinzip des Demokratischen Konfödera lismus. Gemeint ist damit ein föderaler Verbund der kurdischen Sied lungsgebiete in der Türkei, Syrien, im Iran und Irak unter Achtung der bestehenden staatlichen Grenzen. Das Konzept, das eine neue gesell schaftliche Ordnung innerhalb aller kurdischen Siedlungsgebiete vor sieht, ist - mangels Akzeptanz durch die betroffenen Staaten - von einer Umsetzung weit entfernt. Zum Abschluss des Kongresses wurde Zübeyir Aydar von den Delegierten als Vorsitzender des KONGRA GEL wiedergewählt. Im Juli fand die 6. Generalversammlung des KONGRA GEL im Nordirak statt. Schwerpunkte der Konferenz sollen der Aufbau des Systems der "Koma Civaken Kurdistans" (KCK), die Ausweitung des "Serhildans" (Volkswiderstand) sowie die Stärkung der Guerillakräfte gewesen sein. Die Organisationsführung hat dabei keine Beschlüsse verkündet, die auf eine Abkehr des Friedenskurses in Europa hindeuten. 5.1.2 Aktivitäten und Exekutivmaßnahmen Am 8. Juli wurde eine 13-köpfige deutsche Reisegruppe beim Aufstieg Entführung auf den Berg Ararat im Osten der Türkei von unbekannten Personen deutscher Reise überfallen. Die Täter, die sich als Anhänger der "Arbeiterpartei Kurdis gruppe am tans" bezeichneten, wählten drei Männer aus der Reisegruppe als Gei Berg Ararat seln und verließen den Tatort. Mit dieser Entführung sollte die deutsche Bundesregierung dazu bewegt werden, das am 19. Juni in Deutschland gegen den kurdischen Fernsehsender ROJ TV verhängte vereinsrecht liche Verbotsverfügung aufzuheben sowie die politische Haltung der Bundesregierung zur PKK insgesamt zu überdenken. Die aus Bayern stammenden Entführten wurden am 20. Juli freigelassen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 86 Ausländerextremismus Durch einen auf der Internet-Seite der Nachrichtenagentur "Firat News" am 16. Oktober veröffentlichten Bericht wurde verbreitet, dass Abdullah ÖCALAN angeblich durch türkisches Justizpersonal miss handelt worden sei. Seine Anwälte berichteten, dass ÖCALAN zur Durchsetzung einer Durchsuchung seiner Zelle körperlich angegriffen worden sei. Der angebliche Vorfall wurde auch vom organisationsnahen Fernseh sender ROJ TV sowie im Internet thematisiert. Als Reak tion auf die angeblich Misshandlung des inhaftierten Kurdenführers kam es in der Folge sowohl in Deutsch land als auch im Ausland zu zahlreichen Protestkund gebungen. Neben störungsfrei verlaufenen Veranstal tungen - u.a. auch in München und Nürnberg - gab es in anderen Städten auch gewaltsame Übergriffe auf türkische Einrichtungen. Großes Mobilisie Trotz des PKK-Verbots im Jahr 1993 führten KONGRA GEL-Anhänger rungspotenzial erneut eine Reihe von Veranstaltungen mit teilweise mehreren zehn tausend Teilnehmern durch, zu denen auch hunderte von Personen aus Bayern anreisten. Mehrfach kam es zu Verstößen gegen das Vereins gesetz. Teilnehmerzahlen von bis zu 35.000 Personen pro Veranstal tung, z.B. beim Kurdistan-Festival am 6. September in Gelsenkirchen, zeigen, dass der KONGRA GEL nach wie vor in der Lage ist, eine große Anzahl von Kurden für die Bewegung in Deutschland zu mobilisieren. Darüber hinaus wurden Führungsfunktionäre der Organisation aufgrund Festnahmen bestehender Haftbefehle festgenommen und wegen Mitgliedschaft bzw. Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist ein ehe maliges Führungsmitglied der verbotenen PKK am 12. Januar vom Kam mergericht Berlin zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Mona ten verurteilt worden. Der 58-jährige Staatenlose soll für organisato rische, finanzielle und personelle Angelegenheiten der PKK zuständig gewesen sein. Er hatte in dem Prozess eingeräumt, Mitte der 1990er Jahre Regionsleiter der PKK in Bayern und Teilen von Baden-Württem berg gewesen zu sein. Nach jahrelanger Fahndung hatte sich der in der Türkei geborene Theaterregisseur im März 2007 den deutschen Behör den gestellt. Wegen Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung wurde am 10. April ein führender Funktionär der PKK vom OLG Frankfurt am Main zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Der 52-jährige türkiVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 87 sche Staatsangehörige soll zwischen Juli 2005 und seiner Verhaftung im August 2006 als "Serit-Leiter Süd" in weiten Teilen Süddeutschlands für die organisatorischen, finanziellen und propagandistischen Angelegen heiten der PKK verantwortlich gewesen sein. Am 22. Juli wurde in Detmold ein 47-jähriger PKK-Aktivist festgenom men. Ihm wird vorgeworfen, als Rädelsführer einer kriminellen Vereini gung von März bis 2007 Leiter des Sektors Süd und anschließend bis Juni 2008 Deutschland-Verantwortlicher der PKK gewesen zu sein. Am 28. August hat die Bundesanwaltschaft vor dem Oberlandes gericht Frankfurt am Main Anklage gegen zwei türkische Staatsange Anklagen hörige kurdischer Abstammung erhoben. Den beiden Männern wird u.a. die Mitgliedschaft und Unterstützung einer kriminellen Vereini gung vorgeworfen. Der eine Beschuldigte soll von Juli 2004 bis März 2008 die PKK-Gebiete Nürnberg, Mainz, Darmstadt und Berlin geleitet haben. In seiner Funktion als Gebietsleiter Darmstadt soll er den zwei ten Beschuldigten dabei unterstützt haben, einen aussteigewilligen Aktivisten der PKK-Jugendorganisation "KOMALEN-CIWAN" in Darm stadt in "Parteihaft" zu nehmen, um von ihm unter Androhung kör perlicher Gewalt Geld zu erpressen. 5.1.3 Bewertung Aktuell sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass PKK bzw. KONGRA GEL ihre bewährte Doppelstrategie, bestehend aus bewaffnetem Kampf in den kurdischen Siedlungsgebieten der Türkei und im Nordirak sowie einem weitgehend friedlichen Agieren in West europa, mit dem Ziel, sich hier einen Rückzugsraum zu bewahren und für politische Akzeptanz zu werben, grundsätzlich ändern wollen. In der Bundesrepublik Deutschland sowie in den übrigen Ländern West europas überwiegt das Interesse der Organisation an einer Fortsetzung ihres seit Jahren propagierten "Friedenskurses", weil sie keine zusätz Weiterhin lichen staatlichen Reaktionen herausfordern möchte. Der KONGRA GEL "Friedenskurs" ist sich sehr wohl des Risikos bewusst, dass staatliche Repressionen in Deutschland seinen Handlungsund Bewegungsspielraum weiter einschränken können. Die Organisation befindet sich dabei aber in einem ständigen Abwägungsprozess. Sollte sie zu der Einschätzung gelangen, dass sie durch ihr vermeintliches Wohlverhalten mehr Nachteile als Vorteile erlangt, ist damit zu rechnen, dass sie ihr Verhalten modifiziert. Dies kann sowohl anlassbezogen geschehen, aber auch in einen grundsätz lichen Strategiewechsel münden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 88 Ausländerextremismus 5.2 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) Deutschland Bayern Mitglieder: 650 120 Gründung: 1978 in der Türkei Die Organisation ist gespalten in: * Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) mit ihren Untergliederungen DKHP (Partei) und DHKC (Militärischer Arm) * Türkische Volksbefreiungspartei-Front (THKP-C Devrimci Sol) mit ihren Untergliederungen THKP (Partei) und THKC (militärischer Arm) Die Devrimci Sol ist in Deutschland seit 1983 verboten, ihre beiden Spalter gruppen seit 1998. Die von Dursun KARATAS und Bedri YAGAN im Jahr 1978 gegründete und 1983 in Deutschland verbotene revolutionär-marxistische Devrimci Sol versteht sich als eine an den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus ausgerichtete Volksbewegung. Sie zählt zu den militantesten türkischen Revolutionäre Extremistengruppen, die mit Hilfe einer bewaffneten Revolution auf die Zielsetzung Zerschlagung des türkischen Staates zielen und in der Türkei terroris tisch aktiv sind. Seit 1993 ist die Devrimci Sol in den "Karatas-Flügel", aus dem die 1994 in Syrien gegründete Revolutionäre Volksbefreiungs partei-Front (DHKP-C) hervorging, und den "Yagan-Flügel", aus dem sich die Türkische Volksbefreiungspartei-Front (THKP-C Devrimci Sol) entwickelte, gespalten. Das Bundesministerium des Innern verfügte am 13. August 1998 gegen die DHKP-C ein Vereinsverbot und gegen die THKP-C Devrimci Sol, die in Deutschland nicht organisatorisch ver ankert ist, ein Betätigungsverbot. Beide Verbote gegen die Ersatzorgani sationen der Devrimci Sol sind bestandskräftig. Mit Beschluss vom 2. Mai EU-Terrorliste 2002 setzte die Europäische Union die DHKP-C auf die EU-Terrorliste. Die Agitation und der Kampf gegen den "Imperialismus", gegen die NATO, die USA sowie die türkische Staatsund Gesellschaftsordnung sind zentrale Elemente der Ideologie der türkischen linksextremistischen Gruppierungen. Einige von ihnen, wie die DHKP-C und die Marxis tisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP - vgl. auch Nummer 5.4 dieses Abschnitts), sehen ihr Heimatland Türkei als Kampfgebiet an, in dem auch Terroranschläge zur Durchsetzung politischer Ziele als legi times Mittel betrachtet werden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 89 Für Deutschland und Europa hat die DHKP-C seit 1999 einen GewaltGewaltverzicht verzicht erklärt. Auf dem Gebiet der Türkei jedoch befürwortet die in Deutschland Organisation ausdrücklich terroristische Aktivitäten. So bekennt sich die DHKP-C in einer Internet-Erklärung zum Gedenken an ihre Gründung 1994 zum bewaffneten Kampf: "Das, was wir unter bewaffnetem Kampf verstehen, ist kein Kampf, der sich nur auf die Perspektive des Widerstands beschränkt, sondern ist ein bewaff neter Kampf, der auf die Macht zielt. In unserem Land ist es nicht möglich, auf parlamentarischem Wege zum Sozialismus zu gelangen. (...) Die Revolution kann nur mit einem Volkskrieg ... zum Sieg gelangen. ( ...) Der Weg zur Revo lution der Türkei ist der Weg unserer Partei." Die DHKP-C Europa verkündete am 11. August den Tod des ParteigrünTod des ders und Generalvorsitzenden Dursun Karatas auf der Website ihres Parteigründers Nachrichtenkanals mit einer mehrseitigen Stellungnahme. Karatas erlag einem Krebsleiden, nachdem er rund 40 Jahre die Partei geführt hatte. Da er sich in den letzten Lebensjahren überwiegend im Benelux-Raum aufgehalten hat, verabschiedete sich am 12. August seine Anhänger schaft mit einer Trauerfeier in Rotterdam von ihm. Ein Nachfolger für Karatas wurde noch nicht bekannt, auch die möglichen Auswirkungen seines Todes auf die Organisationspolitik können noch nicht einge schätzt werden. Seit dem 17. März müssen sich fünf hochrangige Funktionäre der DHKP-C, unter ihnen der Gebietsverantwortliche für den Bereich SüdProzess gegen deutschland, wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung Gebietsverant im Ausland vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verantworten. Die wortlichen für Angeklagten waren vor allem für die Beschaffung finanzieller Mittel Süddeutschland durch Spendensammlungen und den Verkauf parteieigener Publikatio nen, aber auch für die Auswahl geeigneter Kuriere zum Transport von Geld, Waffen und Sprengstoff für den militärischen Widerstand in der Türkei verantwortlich. Dieser Terrorprozess, wie auch ein parallel in Italien stattfindender Prozess gegen DHKP-C-Funktionäre, wird von der Organisation sowie vom türkischen und deutschen linksextremis tischen Spektrum als politische Kampagne gegen eine Migrantenorga nisation verstanden. Im September 2008 eröffnete der Generalbundesanwalt beim Bundes gerichtshof ein Ermittlungsverfahren gegen drei hochrangige FührungsErmittlungsver funktionäre der DHKP-C, darunter die aktuelle Verantwortliche der fahren gegen DHKP-C in Deutschland, wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in Deutschland einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach SS 129 StGB. Die verantwortliche Verdächtigen sind am 5. November festgenommen worden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 90 Ausländerextremismus 5.3 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) Deutschland Bayern Mitglieder: 1.500 120 Gründung: 1972 in der Türkei Die Organisation ist gespalten in: * Maoistische Kommunistische Partei (MKP), ehemals Ostanatolisches Gebietskomitee (DABK) * Partizan-Flügel (TKP/ML) Die Entwicklung der TKP/ML ist seit dem Ende der 1970er Jahre durch eine Vielzahl von Fraktionsbildungen und Abspaltungen geprägt. Im Jahr 1994 spaltete sich das Ostanatolische Gebiets komitee (DABK) vom so genannten Partizan-Flügel der TKP/ML ab. Dies führte zur Bildung von zwei neuen unabhängig von einander existierenden Organisationen, die sich beide als Nachfolgeorganisation der ursprünglichen TKP/ML sehen. Während der Partizan-Flügel nach wie vor die Bezeichnung TKP/ML verwendet, hat sich das DABK im Jahr 2002 in Maoistische Logo der TKP/ML Kommunistische Partei (MKP) umbenannt. Beide Organisationen vertreten die Ideologie des Marxismus-Leni nismus, ergänzt um die Ideen Mao Tse-tungs, befürworten den bewaff neten Kampf als Grundform ihres Handelns und propagieren den be waffneten Bürgerkrieg mit anschließender Bildung einer Volksregie rung. Mit der "Türkischen Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO) auf Seiten der TKP/ML und der "Volksbefreiungsarmee" (HKO) auf Seiten der MKP unterhalten beide Gruppierungen in der Türkei bewaffnete Guerillagruppen. Organisation In Deutschland organisierten sich die Anhänger der TKP/ML (Parti in Deutschland zan-Flügel) in der 1976 gegründeten "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V." (ATIF) und der Ende 1986 gebildeten "Kon föderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" (ATIK). Beide Ver einigungen präsentieren sich als Massenorganisationen und tarnen ihre Verbindungen zur TKP/ML weitgehend. Die Anhänger der MKP sind seit Sommer 1997 in den beiden Basisorganisationen "Föderation für demokratische Rechte in Deutschland" (ADHF) bzw. "Konfödera tion für demokratische Rechte in Europa" (ADHK) organisiert. Die TKP/ML trat 2008 in Süddeutschland nur bei einer großen Veran staltung in Erscheinung, als sie sich an der Kundgebung der DHKP-C zum 1. Mai in Ulm beteiligte. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 91 5.4 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Deutschland Bayern Mitglieder: 600 40 Gründung: 1994 in der Türkei Publikation: "Atilim" (Angriff) Die in der Türkei verbotene terroristische MLKP entstand 1994 aus dem Zusammenschluss zweier türkischer linksextremistischer Organisationen. Wie die TKP/ML und die Devrimci Sol erstrebt sie die gewaltsame Zerschlagung des türkischen Staatsgefüges und die Errichtung einer kommunistischen Diktatur. Ihre Basis organisation ist die "Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e.V." (AGIF) mit Sitz in Köln. Die ört lichen AGIF-Vereine in Deutschland sind zuständig für die politische Basisarbeit und bilden zusammen die AGIF. Der europäische Dachverband trägt den Namen "Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa" (AvEG-Kon). Aktivitäten der MLKP fanden hauptsächlich in der Türkei statt. In Bayern trat die MLKP-Zelle in Nürnberg im Jahr 2008 nicht mit Veranstaltungen in Erscheinung. 5.5 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. (ADÜTDF) Deutschland Bayern Mitglieder: 7.500 1.250 Vorsitzender: Sentürk Dogruyol Gründung: 1978 Sitz: Frankfurt am Main Publikation: "Türk Federasyon Bülteni" Die nationalistische ADÜTDF vertritt eine extreme Variante des türki schen Nationalismus, und ist damit Teil der weltweit organisierten Ülkücü(Idealisten-) Bewegung. Symbol der Bewegung ist ein mit fünf Fingern stilisierter Wolfskopf, weshalb die Anhänger der Bewegung auch als "Graue Wölfe" bezeichnet werden. "Graue Wölfe" Ülkücü-Bewegung Die Ülkücü-Bewegung umfasst ein breites Spektrum ultranationalis tischen und rassistischen Gedankenguts. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 92 Ausländerextremismus Ideologie Zu den maßgeblichen Ideologie-Elementen der Ülkücü-Bewegung zählen: - Panturkismus, mit der Zielvorstellung von einer weltweiten Vereini gung der Türken in einer an den Grenzen des osmanischen Reichs orientierten (Groß-)Türkei. - Überlegenheit der türkischen Rasse gegenüber allen anderen Natio nalitäten und Ethnien. - In der Ülkücü-Ideologie bestehen zahlreiche Feindbilder und Ver schwörungstheorien. Zentrale Feindbilder sind vor allem Amerikaner, Juden, Armenier und Kurden aber auch Angehörige gesellschaft licher Minderheiten, beispielsweise Homosexuelle. Im Zentrum der Verschwörungstheorien steht die jüdische Weltherrschaft. Nachfolgende Positionen werden von den Ülkücü-Anhängern strikt abgelehnt und bekämpft: - politische/kulturelle Zugeständnisse an Minderheiten in der Türkei, - die Idee einer multikulturellen Gesellschaft, - der EU-Beitritt der Türkei, - die Idee von universellen Menschenrechten. Als politischer Arm der Ülkücü-Bewegung in der Türkei fungiert die MHP türkische "Partei der Nationalen Bewegung" (MHP). Das Gedankengut der Ülkücü-Bewegung richtet sich gegen den Gedan ken der Völkerverständigung, das friedliche Zusammenleben der Völker und ist mit dem Schutz der Menschenwürde und dem Gleichheits prinzip nicht vereinbar. Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. (ADÜTDF) Die Anhängerschaft der Ülkücü-Bewegung in Deutschland ist in so genannten Kulturund Idealisten-Vereinen der ADÜTDF organisiert. Die ADÜTDF wurde 1978 in Frankfurt am Main durch den Zusammen schluss von zahlreichen türkischen Vereinen gegründet. Die ADÜTDF gilt seit ihrer Gründung als Auslandsorganisation der MHP, dem politischen Arm der Ülkücü-Bewegung in der Türkei. Seit geraumer Zeit bemüht sich die Parteiführung der MHP unter Devlet Bahceli, der Partei ein konservatives und europafreundliches Erscheinungsbild zu geben. Dies hat jedoch nicht die ungeteilte Zustimmung aller MitglieVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 93 der gefunden, weshalb sich ein Teil der "wahren Idealisten" zurück gezogen hat. Dies spiegelte sich auch in den rückläufigen Mitglieder Rückläufige zahlen wider. In Bayern reduzierte sich die Anzahl der dem Verband Mitgliederzahlen zuzurechnenden Vereine von 30 auf 25. Im Kern sind die politischen Themen der MHP jedoch unverändert geblieben. So sind die Kurden und die PKK nach wie vor größtes Feindbild der MHP wie nachfolgende Internet-Veröffentlichung der MHP verdeutlicht: "Brüder, Idealisten. Die Lösung ist nicht, die PKK zu vernichten. Die Lösung ist, alle Kurden zu vernichten. Durch die PKK existiert in den Köpfen der Kurden der Gedanke, einen eigenen Staat zu gründen. Sagt mir doch, würde es die PKK noch geben, wenn diese Hunde diese Organisation nicht unterstützen würden. Die Verantwortlichen des Terrors sind die Kurden. Also müssen die Kurden und das Kurdentum vernichtet werden." In Deutschland gehören insgesamt etwa 150 Vereine mit rund 7.500 Vereinsstruktur in Mitgliedern der ADÜTDF an. In Bayern sind ihr - schwerpunktmäßig in Deutschland München, Nürnberg und Augsburg - rund 25 Vereine zuzurechnen, die vor allem im kulturellen, religiösen und sportlichen Bereich aktiv sind. Von der ADÜTDF gehen kaum öffentlichkeitswirksame Aktivitäten aus. Lediglich im Zusammenhang mit den türkisch-kurdischen Auseinander setzungen im Grenzgebiet des Nordirak beteiligten sich auch Anhänger der ADÜTDF an pro-türkischen Demonstrationen. Die ADÜTDF stellt sich in Deutschland als gesetzestreu dar und lehnt bereits seit einigen Jahren Gewalt ab. Dennoch gibt es weiterhin An haltspunkte für nationalistische und rassistische Einstellungen wie sie auch von der Ülkücü-Bewegung propagiert werden. Vereinzelt finden sich auch islamistische Ansätze. 5.6 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI)/Volksmudjahidin Iran (MEK) Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) Deutschland Bayern Mitglieder: 900 200 Gründung: 1981 in Paris (in Deutschland vertreten seit 1994) Sitz: Berlin Deutschlandvertreterin: Dr. Bolourchi Massoumeh Volksmudjahidin Iran (MEK) Gründung: 1965 im Iran Leitung: Massoud Radjavi Publikation: "Mojahed" (Glaubenskämpfer) Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 94 Ausländerextremismus Iranische Opposi Die "Volksmudjahidin Iran-Organisation" (MEK) ist die bedeutendste tionsgruppe und früher auch militanteste iranische Oppositionsgruppe. Ziel der MEK ist der Sturz des iranischen Regimes. Mit ihrem ehemals militärischen Arm "Nationale Befreiungsarmee" (NLA) war sie für zahlreiche, aus schließlich im Iran verübte Anschläge verantwortlich. Nach dem Sturz des irakischen Regimes im Jahr 2003 schloss die NLA einen Waffen stillstand mit den US-Streitkräften. Die im Irak verbliebenen Kämpfer der NLA wurden im Lager "Ashraf" unter US-Aufsicht gestellt und entwaffnet. Sie sind dort entsprechend der Vierten Genfer Konven Der goldene tion als "geschützte Personen" anerkannt. Das UNO-Mandat, das Löwe, Symbol die Anwesenheit von US-Streitkräften im Irak legitimiert, endete am des NWRI 31. Dezember 2008. Vor diesem aktuellen Hintergrund wurden von der MEK Politiker in Deutschland, u.a. auch in Bayern, angesprochen, um deren politische Unterstützung für die Lagerbewohner zu gewinnen. Die MEK wurden 2002 in die Liste der als terroristisch eingestuften Organisationen der Europäischen Union aufgenommen. Am 26. Januar 2009 hat der Rat der Europäischen Union die aktuelle Fassung der Streichung aus EU-Terrorliste verabschiedet; darauf sind weder die MEK noch ihr EU-Terrorliste militärischer Arm NLA gelistet. Nach Informationen von EU-Offiziellen gegenüber der Presse sei die Streichung nicht aus inhaltlichen Gründen erfolgt, sondern um früheren Entscheidungen des Europäischen Ge richtshofs hinsichtlich von Fehlern im Listungsverfahren Rechnung zu tragen. Als politisches Sprachrohr der MEK mit einem Betätigungsfeld haupt sächlich in Europa und Nordamerika fungiert der NWRI. Der NWRI wurde 1981 in Paris als Exilorganisation der MEK gegründet. 1993 bildete der NWRI ein Exilparlament und rief die Generalsekretärin der MEK, Maryam Radjavi, zur "künftigen Präsidentin des Iran" aus. Zu den Aufgaben des NWRI gehören umfangreiche Propaganda-Aktivitäten und Maßnahmen zur Finanzierung. Seit 1994 ist der NWRI auch in Deutschland vertreten. Im Umfeld des NWRI existieren zahlreiche Vereine, die eine ideologische Anbindung an den NWRI aufweisen und durch öffentlichkeitswirksame propagandistische Aktivitäten sowie durch Spendensammlungen wahr nehmbar sind. Der NWRI ist bestrebt, sich als demokratische iranische Oppositions bewegung darzustellen und politische Bedeutung zu erlangen. Hierzu Lobbyarbeit setzt die Organisation auf lobbyistische Aktivitäten, durch die sie die öffentliche Meinung sowie gesellschaftliche und politische Entschei dungsträger zu beeinflussen versucht. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 95 Wie schon in den vergangenen Jahren in anderen europäischen LänDeutschlandbesuch dern praktiziert, besuchte Maryam Radjavi im November 2008 erstmals von Maryam Deutschland. In Berlin traf sie sich mit verschiedenen Abgeordneten, Radjavi um von politischer Seite Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Ziele zu erhalten. Maryam Radjavi erhielt eine von vielen Abgeordneten unterzeichnete Erklärung, in der ihr politische Unterstützung zugesagt wurde. Aus dem gesamten Bundesgebiet waren Anhänger des NWRI angereist, um Maryam Radjavi in ihrer "Aktionswoche" zu begleiten. Es gab keine Störungen. Um seine Anliegen in der Öffentlichkeit zu vermitteln, setzte der NWRI wie bereits in den Vorjahren auch auf die Durchführung von Demonstra tionen, Kunst-, Musikund Kulturveranstaltungen sowie auf Informa tionsund Propagandaveranstaltungen. Themenschwerpunkte der Ver anstaltungen waren die Kritik an der Atompolitik des Iran, die Frage der Menschenrechte im Iran, Vollzug der Todesstrafe sowie die seit Jahren vorgebrachte Forderung nach Streichung der MEK aus der EU-Terror liste. Um die zum Teil mit großem Aufwand durchgeführten Aktionen zu finanzieren, zählte auch weiterhin die Beschaffung von Finanzmitteln zu einem wichtigen Betätigungsfeld des NWRI. Durch Sammelvereine wurden im gesamten Bundesgebiet Spendensammlungen angeblich für Spenden humanitäre Zwecke durchgeführt. sammlungen Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 96 Ausländerextremismus 6. Übersicht über erwähnenswerte extremistische Organisationen von Ausländern sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) 1. Afghanische, arabische und maghrebinische Gruppen Terrornetzwerk um al-Qaida sunnitisch-extremistisch Organisation al-Qaida im islamischen Maghreb sunnitisch-extremistisch Libyan Islamic Fighting Group (LIFG) sunnitisch-extremistisch Muslimbruderschaft (MB) Risalat ul-Ikhwan sunnitisch-extremistisch - wöchentlich - Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) al-Islam sunnitisch-extremistisch - nur als Internet-Ausgabe Fatah al-Islam sunnitisch-extremistisch al-Gamaa al-Islamiya (GI) sunnitisch-extremistisch Jihad Islami (JI) sunnitisch-extremistisch Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) sunnitisch-extremistisch Islamische Heilsfront (FIS) sunnitisch-extremistisch Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA) sunnitisch-extremistisch En Nahda sunnitisch-extremistisch Hizb ut-Tahrir al-Khilafah (Das Kalifat) (in Deutschland seit 15.01.2003 verboten) - unregelmäßig schiitisch-extremistisch al-Waie Explizit - vierteljährlich Hezb-i Islami Afghanistan (HIA) sunnitisch-extremistisch Ansar al-Islam sunnitisch-extremistisch Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 97 Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) Tablighi Jamaat (TJ) sunnitisch-extremistisch al-Tauhid sunnitisch-extremistisch Hizb Allah (Partei Gottes) al-Intiqad (Die Kritik) schiitisch-extremistisch - wöchentlich Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) marxistisch-leninistisch Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) marxistisch-leninistisch Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkommando - (PFLP-GC) marxistisch-leninistisch 2. Iranische Gruppen Union islamischer Studentenvereine in Europa (U.I.S.A.) islamisch-extremistisch Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) API-Brief marxistisch - monatlich Volksmudjahidin Iran (MEK) Mojahed (Glaubenskämpfer) islamisch-extremistisch - wöchentlich Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) Sitz: Berlin islamisch-extremistisch 3. Kurdische Gruppen Volkskongress Kurdistans Serxwebun (Unabhängigkeit) (KONGRA GEL) - monatlich vormals: Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistan Report Kurdistans (KADEK) - zweimonatlich davor: Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) marxistisch-leninistisch (in Deutschland seit 26.11.1993 verboten) Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 98 Ausländerextremismus Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) Teilorganisationen des KONGRA GEL: Volksverteidigungskräfte (HPG) vormals: Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK) Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) vormals: Kurdische Demokratische Volksunion (YDK) davor: Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) (in Deutschland seit 26.11.1993 verboten) Kurdischer Nationalkongress (KNK) Nebenorganisationen des KONGRA GEL: Kurdistan-Komitee e.V., Köln (seit 26.11.1993 verboten) Kurdistan Informationsbüro in Deutschland (KIB) (seit 02.03.1995 verboten) Föderation der patriotischen Arbeiterund Kultur vereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (FEYKA-Kurdistan) (seit 26.11.1993 verboten) Kurdistan Informations-Zentrum (KIZ) Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM) Haus der kurdischen Künstler e.V. vormals: HUNERKOM Verband der stolzen Frauen (Koma Jinen Bilind - KJB) umfasst: Freiheitspartei der Frauen Kurdistans (PAJK) Newaya Jin (Freie Frauen) vormals: Partei der Freien Frauen (PJA) - monatlich davor: Union der freien Frauen aus Kurdistan (YAJK) vormals: Jina Serbilind (Die stolze Frau) Freie Frauenverbände (YJA) Frauenguerilla (YJA-STAR) Union der Journalisten Kurdistans (YRK) Union der patriotischen Arbeiter Kurdistans (YKWK) Union zur Pflege der kurdischen Kultur und Kunst (YRWK) Welate Me (Unsere Heimat) Vereinigung der demokratischen Jugendlichen Kurdistans CIWANEN AZAD (Freie Jugendliche) (KOMALEN-CIWAN) bisher: ÖZGÜR GENCLIK (Freie Jugend) vormals: Bewegung der freien Jugend Kurdistans (TECAK) vormals: Sterka Ciwan (Stern der Jugend) davor: Union der Jugendlichen aus Kurdistan (YCK) - zweimonatlich Demokratische Jugend (DEM-GENC) Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Ausländerextremismus 99 Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) Verband der StudentInnen aus Kurdistan (YXK) Ronahi (Licht) - dreimonatlich Demokratische Aleviten-Föderation (FEDA) Semah vormals: Föderation der Demokratischen Aleviten (DAV) vormals: Zülfikar davor: Union der Aleviten aus Kurdistan (KAB) - monatlich - Islamische Bewegung Kurdistans (KIH) Baweri (Glaube) Kurdischer Roter Halbmond (HSK) Roja Kurdistane (Sonne Kurdistans) Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) 4. Türkische Gruppen 4.1 Linksextremisten Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leni Isci-Köylü Kurtulusu nisten (TKP/ML) (Arbeiter-Bauern-Befreiung) - zweimonatlich Partizan-Flügel (TKP/ML) Devrim Yolunda Isci Köylü (Arbeiter und Bauern auf dem Weg der Revolution) - vierzehntägig - Maoistische Kommunistische Partei (MKP) Devrimci Demokrasi vormals: DABK (Ostanatolisches Gebietskomitee) (Revolutionäre Demokratie) Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (TIKKO) Frontorganisation des Partizan-Flügels (TKP/ML) Volksbefreiungsarmee (HKO), militärischer Arm der MKP Basisorganisationen der TKP/ML: Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (ATIF) Sitz: Duisburg (Partizan-Flügel) Föderation für demokratische Rechte in Deutschland (ADHF) (DABK-Flügel) Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) Mücadele (Kampf) (Partizan-Flügel) - unregelmäßig - Konföderation für demokratische Rechte in Europa (ADHK) (DABK-Flügel) Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 100 Ausländerextremismus Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) Bolschewistische Partei Nordkurdistan/Türkei Bolsevik Partizan (BP-KK/T) (Bolschewistischer Partisan) (Abspaltung von der TKP/ML) - monatlich Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) in Deutschland seit 09.02.1983 verboten; 1993 in zwei Fraktionen (Karatasbzw. Yagan-Flügel) zerfallen Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) Ekmek ve Adalet aus dem Karatas-Flügel der Devrimci Sol hervorgegangen (Brot und Gerechtigkeit) (in Deutschland seit 13.08.1998 verboten) - wöchentlich - Yürüyüs (Marsch) - wöchentlich - Türkische Volksbefreiungspartei-Front (THKP-C Devrimci Sol) aus dem Yagan-Flügel der Devrimci Sol hervorgegangen (in Deutschland seit 13.08.1998 verboten) Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Yeniden Atilim (Neuer Vorstoß) - wöchentlich Bewaffnete Einheiten der Armen und Unterdrückten (FESK) - militärischer Arm der MLKP Basisorganisation der MLKP: Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa (AvEG-Kon) Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei AGIF Bülteni in Deutschland e.V. (AGIF) - zweimonatlich 4.2 Extreme Nationalisten Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine Türk Federasyon Bülteni in Europa e.V. (ADÜTDF) - monatlich Sitz: Frankfurt am Main 4.3 Islamische Extremisten Milli Görüs-Bewegung Publizistisches Sprachrohr: Milli Gazete Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) Verbandszeitschrift: Sitz: Kerpen IGMG Perspektive Hilafet Devleti (Kalifatsstaat) vormals: Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB) mit Sitz in Köln (in Deutschland seit 12.12.2001 verboten) Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 101 4. Abschnitt Rechtsextremismus 1. Allgemeines 1.1 Merkmale des Rechtsextremismus Der Rechtsextremismus weist keine gefestigte einheitliche Ideologie auf. Ablehnung der Die Bestrebungen rechtsextremistischer Organisationen in Deutschland Grundlagen der sind im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass sie die Grundlagen Demokratie der Demokratie ablehnen und stattdessen - aus taktischen Gründen meist nicht offen erklärt - eine totalitäre Regierungsform unter Ein schluss des Führerprinzips anstreben, die mit der freiheitlichen demo kratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren ist. Bestimmende Merk male des organisierten Rechtsextremismus sind vor allem - die pauschale Überbewertung der Interessen der "Volksgemein Kollektivismus schaft" zu Lasten der Interessen und Rechte des Einzelnen, die zu einer Aushöhlung der Grundrechte führt (völkischer Kollektivismus), - ein den Gedanken der Völkerverständigung missachtender Nationa Nationalismus lismus, - die offene oder verdeckte Wiederbelebung rassistischer Thesen, u.a. Rassismus des Antisemitismus, die mit dem Schutz der Menschenwürde und dem Gleichheitsprinzip nicht vereinbar sind, - immer wiederkehrende Versuche, die nationalsozialistische Gewalt Relativierung des herrschaft unter Herausstellung angeblich positiver Leistungen des NS-Unrechts Dritten Reichs zu rechtfertigen, die Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime zu diffamieren und die Verbrechen der nationalsozialis tischen Gewaltherrschaft zu verschweigen, zu verharmlosen oder sogar zu leugnen. Hinzu kommt die allen Extremisten gemeinsame planmäßige Verun Verunglimpfung glimpfung der bestehenden Staatsform und ihrer Repräsentanten. Ziel der Demokratie dieser Angriffe ist es, die eigene Organisation und ihre Vertreter als die alleinigen Wahrer der Interessen von Staat und Bürgern darzustellen, was im Ergebnis auf die Ablehnung des Mehrparteienprinzips und des Rechts auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition hinausläuft. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 102 Rechtsextremismus Diese Merkmale sind nicht gleichmäßig bei allen Rechtsextremisten zu beobachten. Manchmal sind nur Teilaspekte bestimmend; auch die Intensität und die Strategie des Kampfs gegen die freiheitliche demo kratische Grundordnung sind unterschiedlich. Sozialpolitische Seit einigen Jahren treten in der Propaganda von Rechtsextremisten Themen sozialund wirtschaftspolitische Themen in den Vordergrund. Durch Ver knüpfung sozialer Problemfelder mit rechtsextremistischen Theorie-Ele menten hoffen Rechtsextremisten, aus den Sorgen der Bevölkerung um ihre soziale Sicherheit und gesellschaftliche Positionierung Kapital schlagen zu können. Teile des rechtsextremistischen Spektrums propa gieren einen von dezidiert antikapitalistischen Elementen geprägten "volksbezogenen Sozialismus" mit dem Ziel, in sozialistisch orientierte Wählerschichten einzudringen. Rechtsextremisten betonen seit einiger Zeit Gemeinsamkeiten mit anderen politischen Strömungen. Sie traten beispielsweise als Teil der Protestbewegungen gegen die US-amerikanische Intervention im Irak und gegen die Sozialreformen auf. In der globalen Auseinandersetzung mit dem Islamismus positionierten sie sich eindeutig antiwestlich und versuchten, den Konflikt zwischen der internationalen Staaten gemeinschaft und dem Iran für ihre Ziele zu nutzen. Sie leugneten die Gefahren eines iranischen Atomprogramms und griffen stattdessen die USA, Israel und die Bundesregierung an. Übereinstimmungen zwischen Rechtsextremisten und Islamisten bestehen in einem antizionistisch-anti Antisemitische semitischen und antiwestlich-antiamerikanischen Feindbild. Rechts Feindbilder extremisten wie auch islamische Extremisten sehen in den USA gemeinsam den Feind, der aus imperialistisch-kapitalistischem Inte resse die Widerstandskraft der Völker und Kulturen zu zerstören suche. Nutznießer - wenn nicht gar Betreiber dieses Prozesses - seien die Juden. 1.2 Entwicklung der Organisationen Die NPD hatte bundesweit einen leichten Mitgliederrückgang zu ver zeichnen; in Bayern blieb die Zahl der Mitglieder weitgehend unverän dert (vgl. auch Nummer 2.1 dieses Abschnitts) - einen leichten Zuwachs gab es hier nur im Bereich der NPD-Jugendorganisation "Junge National Erneuter demokraten". Die DVU verlor in Bayern erneut Mitglieder, da sie den Mitgliederverlust durch Überalterung bedingten Mitgliederschwund nicht aufhalten bei der DVU kann (vgl. auch Nummer 2.2 dieses Abschnitts). Bei erkannten Mehr fachmitgliedschaften wurde die Person nur bei einer Organisation mit gezählt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 103 Zahl und 2006 2007 2008 Mitgliederstärke Anzahl der Organisationen 40 40 40 rechtsextremis tischer Organi Mitgliederstärken sationen in NPD mit JN und NHB* 950 1.020 1.050 Bayern Deutsche Volksunion (DVU)** 1.000 900 800 neonazistische Organisationen 190 250 250 sonstige Organisationen 300 300 300 2.440 2.470 2.400 neonazistische Einzelaktivisten 160 150 150 rechtsextremistische Skinheads 750 700 700 Rechtsextremisten insgesamt 3.350 3.320 3.250 * Nationaldemokratischer Hochschulbund ** Die Zahlen umfassen die Mitglieder der Partei und des gleichnamigen Vereins. 1.3 Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten - Gefährdungsanalyse 1.3.1 Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten Bundesweit waren von insgesamt 1.856 (2007: 1.921) extremistischen Gewalttaten 1.042 (2007: 980) rechtsextremistisch motiviert. In Bayern Rückgang der hat sich die Zahl dieser Delikte von 82 im Jahr 2007 auf 68 und damit Gewalttaten um 17 % verringert. Von diesen Gewalttaten waren 20 (2007: 43) frem in Bayern denfeindlich und 45 (2007: 38) allgemein neonazistisch motiviert. Drei Gewaltdelikten lag eine antisemitische Motivation zugrunde (2007: eine). Von den allgemein neonazistisch motivierten Taten wurden 26 gegen politische Gegner, d.h. gegen die linksextremistische Szene, verübt (2007: 20). Bayern gehörte beim Vergleich der Häufigkeitszahlen der Jahre 2003 bis 2007 - bezogen auf jeweils 100.000 Einwohner - stets zu den drei am wenigsten belasteten Bundesländern. Zu den 88 Tatverdächtigen der im Jahr 2008 begangenen rechtsextre mistischen Gewaltdelikte gehören fünf Frauen. 49 der Tatverdächtigen sind erstmals straffällig geworden. 53 Tatverdächtige waren zur Tatzeit jünger als 21 Jahre. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 104 Rechtsextremismus Besonderes Aufsehen erregte am 13. Dezember ein Messerangriff auf den Passauer Polizeidirektor Alois Mannichl vor dessen Wohnhaus in Fürstenzell, Landkreis Passau. Die Ermittlungen sind noch nicht abge schlossen. Es besteht jedoch aufgrund der Aussagen des Opfers der Ver dacht, dass es sich um eine rechtsextremistische Gewalttat handelt. Ge zielte rechtsextremistisch motivierte Anschläge auf Polizisten oder andere Repräsentanten des Staates sind in den letzten Jahrzehnten in Bayern nicht verübt worden. Sollten die strafrechtlichen Ermittlungen bestätigen, dass der Angriff rechtsextremistisch motiviert war, bedeutet dies eine neue Qualität rechtsextremistischer Gewalt in Bayern und Deutschland. Die größte Gewaltbereitschaft besteht nach wie vor bei den subkultu rell geprägten Rechtsextremisten, vor allem bei den rechtsextremisti schen Skinheads. 50 der 88 Tatverdächtigen der im Jahr 2008 began Gewaltbereitschaft genen Gewaltdelikte gehören der rechtsextremistischen Skinhead-Szene bei Skinheads an. Diese begehen ihre Gewalttaten aber im Regelfall nicht aufgrund einer strategischen Zielsetzung, sondern spontan, in der Gruppe und häufig unter Alkoholeinfluss. Die Taten sind vielfach fremdenfeindlich motiviert. Ein Beispiel einer "typischen" Gewalttat aus dem rechtsextremistischen Skinhead-Spektrum war ein fremdenfeindlicher Vorfall am 26. Februar in München. Zwei erheblich alkoholisierte 20-jährige Skinheads schlu gen auf offener Straße drei Jugendliche russischer Abstammung nieder, die sich auf russisch unterhalten hatten. Die festgestellten Gewalttäter sind überwiegend nicht in politischen Gruppen oder Parteien organisiert. Räumliche Schwerpunkte für die im Jahr 2008 begangenen Gewalttaten waren die Stadtregionen Mün chen, Nürnberg und Regensburg. Insgesamt hat sich das Gewaltpoten zial in den letzten Jahren in Bayern nicht grundlegend verändert. Besondere Aufmerksamkeit richten die Sicherheitsbehörden bei der Gefährdungsanalyse der rechtsextremistisch motivierten Gewaltkrimi nalität auf die zunehmende Rolle des Internets, da auf rechtsextremis tischen Internet-Seiten vermehrt Drohkulissen aufgebaut werden. Diese sollen einerseits politische Gegner einschüchtern und andererseits ein "Hass-Klima" gegen das "System" des demokratischen Verfassungs staats und seiner Repräsentanten schüren. Überdies wird die Entwicklung der Gewaltbereitschaft bei den Anhän Autonome gern der "Autonomen Nationalisten" (vgl. auch Nummer 3.3 dieses Ab Nationalisten schnitts) verstärkt beobachtet. Auftreten und Vorgehen bei Demonstra tionen entsprechen zunehmend dem der gewaltbereiten Autonomen aus der linksextremistischen Szene. Der Schwerpunkt des Phänomens der Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 105 "Autonomen Nationalisten" liegt jedoch in anderen Bundesländern. In der Öffentlichkeit bekannt wurden sie durch extrem gewalttätige Aus einandersetzungen mit Polizei und Gegendemonstranten in Hamburg bei einer rechtsextremistischen "1. Mai-Demonstration". Ein gezielter An schlag auf bestimmte Personen in deren privaten Umfeld entspricht nicht der bisherigen Strategie "Autonomer Nationalisten". Auch in Bay ern gibt es rechtsextremistische Szenen, die sich als "Autonome Natio nalisten" bezeichnen bzw. einige ihrer typischen Merkmale aufweisen. Beispiele sind die "Freien Nationalisten München", die aus den auf gelösten "Autonomen Nationalisten München" hervorgegangen sind, die "Kameradschaft Augsburg - Nationales Augsburg" und die "Sozial revolutionäre Aktion Regensburg", die sich auch als "Autonome Natio nalisten Regensburg" bezeichnet. In bisherigen Verlautbarungen von Gruppen "Autonomer Nationalisten" in Bayern bekunden diese, Gewalt abzulehnen. Der Verfassungsschutz wird weiterhin intensiv beobach ten, ob sich mit steigender Sympathie für die "Autonomen Nationalis ten" im Bereich der "Freien Nationalisten" - in der Regel Misch-Szenen "Misch-Szenen" aus Neonazis und rechtsextremistischen Skinheads - die Akzeptanz von Gewalt zur Verfolgung politischer Ziele in der Szene erhöht. 1.3.2 Sonstige Straftaten Die Gesamtzahl der in Bayern bekannt gewordenen sonstigen neo nazistischen, antisemitischen und rassistischen Straftaten beträgt 1.715 (2007: 1.771), darunter 214 (2007: 230) fremdenfeindlich motivierte Leichter Rückgang Delikte. Dabei handelte es sich vielfach um Sachbeschädigung, Nöti der Straftaten gung, Bedrohung, Volksverhetzung (262 Taten, 2007: 309) und ins besondere um das Verbreiten von Propagandamitteln bzw. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (insgesamt 1.280 Delikte). So wurden Hakenkreuze auf Wände und Fahrzeuge gesprüht bzw. geritzt, Parolen wie "Heil Hitler" und "Sieg Heil" gerufen und zahlreiche antisemitische Pamphlete mit strafbaren Texten verbreitet. Des Öfteren verwendeten Neonazis auf dem Display ihres Mobiltele fons NS-Symbole als Standard-Einstellung. Wie auch im Jahr 2007 be dienten sich Rechtsextremisten wiederholt des Short-Message-Systems (SMS) der Mobilfunkbetreiber, um neonazistische Agitation an andere Handy-Besitzer zu übermitteln. Dabei wurden auch Grafiken, Filme und Lieder zu Propagandazwecken versandt. Durch rechtsextremistisch motivierte Ausschreitungen und Schmiere reien entstanden Sachschäden von rund 280.160 Euro (2007: etwa 316.000 Euro). Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 106 Rechtsextremismus Ein Beispiel für diese rechtsextremistischen Straftaten ist die bundes weite Versendung von Briefen mit antisemitischen Inhalten durch unbekannte Täter seit Ende des Jahres 2007. Die Schreiben wurden verschiedenen jüdischen bzw. sonstigen Einrichtungen zugestellt, u.a. auch den Israelitischen Kultusgemeinden in München und in Hof sowie an die "Hanns-Seidel-Stiftung e.V." in München. Die antisemitischen Parolen werden mit der Forderung nach einem sofortigen "Verbot aller jüdischen Einrichtungen in Deutschland" verbunden. 1.4 Nutzung des Internets Hohe Bedeutung Dem Internet kommt bei der Verbreitung rechtsextremistischen Gedan des Internets kenguts und der Koordinierung von Aktivitäten der rechtsextremis tischen Szene eine große Bedeutung zu. Der Zugriff auf das Internet bietet Rechtsextremisten eine geeignete Plattform zur Information und Kommunikation sowie zur Mobilisierung der Szene. Zunehmend werden die neuen technischen Möglichkeiten der "Web 2.0-Generation", etwa in Form von "Weblogs", genutzt. In Internet-Portalen findet ein reger Austausch zwischen Nutzern rechtsextremistischer "Internet-Commu nities" statt. Angeboten werden u. a. Verlautbarungen zu aktuellen Themen, Hinweise auf Veranstaltungen der Szene und des politischen Gegners sowie entsprechendes Propagandamaterial. Die Zahl der von Deutschen betriebenen Homepages mit rechtsextremis tischen Inhalten blieb in den vergangenen Jahren mit durchschnittlich 1.000 konstant. Homepage-Betreiber aus dem Bereich des Rechtsextre mismus weichen zum Teil auf ausländische Speicherplatzanbieter aus, die sich Appellen staatlicher und privater Einrichtungen verschließen und keine Selbstkontrolle ausüben. Darunter befinden sich auch etliche Anbieter, die der rechtsextremistischen Szene angehören. Diese bieten den jeweiligen Seitenbetreibern die Möglichkeit, ihre Internet-Seiten anonym zu veröffentlichen. Die Internet-Angebote rechtsextremistischer Parteien, beispielsweise der NPD, nehmen zum Teil zu aktuellen tagespolitischen Fragen Stel lung und befinden sich auf hohem technischem Niveau. Rechtsextre Technisch mistische Skinhead-Bands stellen auf ihren Homepages neben Fotos hochwertige von Auftritten und Konzertberichten auch Lieder zum Download zur Homepages Verfügung. Im Online-Versandhandel entsprechender Anbieter findet sich eine umfangreiche Auswahl an szene-typischer Kleidung, MusikCDs und anderen Szene-Artikeln. Auch Neonazis wie die "Freien Natio nalisten München" betreiben eigene Internet-Seiten, die als Mobilisie rungsund Informationsplattform sowie zur Verbreitung rechtsextreVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 107 mistischer Propaganda dienen. Auf den Seiten werden zugleich die Ver bindungen zu anderen "nationalen" Gruppierungen erkennbar. Zunehmend wird auf rechtsextremistischen Internet-Seiten, in Chat rooms oder Diskussionsforen, der "politische Gegner" namentlich an den Pranger gestellt, beleidigt und diffamiert. Dazu zählen insbesondere Diffamierung "linke" Aktivisten, etwa Angehörige der "Antifa", aber auch Reprä politischer Gegner sentanten des Staates, beispielsweise Polizeibeamte. So wurde der am 13. Dezember durch eine Messerattacke in Fürstenzell, Landkreis Pas sau, verletzte Polizeidirektor Alois Mannichl vor und selbst nach der Tat wegen seines engagierten Auftretens als polizeilicher Einsatzleiter im Zusammenhang mit Veranstaltungen von Rechtsextremisten im Internet diskreditiert und zum Feindbild erklärt. Die Veröffentlichung persönlicher Daten dient dem Aufbau einer Droh kulisse und soll die Betroffenen einschüchtern; zugleich wird damit die Stimmung in der rechtsextremistischen Szene gegen die jeweiligen Per sonen geschürt. Teilweise werden - zumindest latent - Drohungen aus gesprochen. Konkrete Aufforderungen zu Straftaten sind dagegen - wohl vor allem aus Angst vor Strafverfolgung - nicht die Regel. 2. Parteien, Organisationen und Verlage 2.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Deutschland Bayern Mitglieder: 7.000 950 (ohne JN, NHB) Vorsitzender: Udo Voigt Ralf Ollert Gründung: 1964 Sitz: Berlin Publikation: "Deutsche Stimme" (DS) 2.1.1 Ideologisch-politischer Standort 2.1.1.1 Ideologie Neonazistische und nationalrevolutionäre Thesen sind fester Bestandteil Erscheinungsbild des ideologischen Spektrums der NPD und haben deren Erscheinungs der NPD bild nachhaltig verändert. In dem von der Partei vertretenen Staatsund Menschenbild finden sich alle die den organisierten Rechtsextremismus bestimmenden Merkmale wieder (vgl. auch Nummer 1.1 dieses Ab schnitts). Für die NPD resultiert die Würde des Einzelnen nicht aus dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 108 Rechtsextremismus freien Willen des Individuums, sondern sie ist von biologisch-geneti scher Teilhabe an der "Volksgemeinschaft" abhängig. Dies steht in krassem Gegensatz zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Völkischer Mit ihrer Forderung nach Schaffung einer "Volksgemeinschaft" ver Kollektivismus wendet die NPD einen zentralen Begriff des Nationalsozialismus, der darunter insbesondere eine Schicksalsgemeinschaft verstand, in der die Interessen des Einzelnen bedingungslos der Gemeinschaft der Volks genossen untergeordnet wurden und das Wohl der so definierten "Volksgemeinschaft" allen anderen Interessen vorging: "Volksherrschaft setzt die Volksgemeinschaft voraus. (...) Der Staat hat dabei über den Egoismen einzelner Gruppen zu stehen und die Gesamtverantwor tung wahrzunehmen." (Parteiprogramm, Abschnitt 3) Als Gegenmodell zur Globalisierung fordert die NPD eine raumorien tierte Volkswirtschaft. Unter der Überschrift: "Globalisierungswahn sinn" wird in der "Deutschen Stimme" dazu Folgendes ausgeführt: "Nein, es gibt nur eine Lösung, und diese heißt: Die Globalisierung durch eine raumorientierte Volkswirtschaft stoppen, Wiederherstellung des Zusammen hangs und der Bindungskräfte zwischen Volk, Wirtschaft und Kapital, Auf hebung der internationalen Kapitalfreiheit, Wiedereinführung einer natür lichen Balance zwischen der nationalen Wirtschaftsgemeinschaft als raum gebundener sozialer und vielseitiger Leistungsgemeinschaft einerseits und einem begrenzten Handel im Rahmen einer gutnachbarschaftlichen Verkehrs gemeinschaft zwischen freien, vielseitigen, sozioökonomisch und ökologisch lebensfähigen Nationen und Regionen andererseits." (Deutsche Stimme, April 2008, Seite 25) Rassismus und Eine mit der Menschenwürde und dem Gleichheitsprinzip des Grund Nationalismus gesetzes unvereinbare, rassistisch und nationalistisch geprägte Fremden feindlichkeit ist elementarer Bestandteil der Partei-Ideologie vom "lebensrichtigen Menschenbild", das sich insbesondere gegen "Fremd bestimmung" und "Überfremdung" wendet: "Im Zusammenspiel von Großkapital, Regierung und Gewerkschaften wurden Millionen von Ausländern wie Sklaven der Neuzeit nach Deutschland geholt. Diese Politik wird durch eine menschenund völkerverachtende Integration fortgesetzt. Ausländer und Deutsche werden gleichermaßen ihrer Heimat ent fremdet und entwurzelt, ihnen droht der Verlust ihrer Identität, ... In zahl reichen Städten bilden sich Ausländerghettos, in denen die deutsche Rest bevölkerung zur Minderheit im eigenen Land wird. (...) Ein grundlegender politischer Wandel muß die menschenfeindliche Integrationspolitik beenden sowie die deutsche Volkssubstanz erhalten." (Parteiprogramm, Abschnitt 8) Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 109 Daraus resultierend fordert die NPD die Rückführung der in Deutsch Rückführung von land lebenden Ausländer in ihre Herkunftsländer. Wegen eines im Ausländern Wahlkampf zur Landtagsund Bezirkstagswahl in Bayern verwendeten Plakats der NPD mit dem Aufdruck "Guten Heimflug" wurde ein Straf verfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung (SS 130 StGB) ein geleitet. In der NPD-Publikation "Jetzt reicht's!" werden unter der Überschrift "Die Überfremdung Stoppen! - Was wir wollen" die konkreten Forde rungen der NPD zum Thema Ausländer dargestellt: "- Schaffung eines nationalen Arbeitsplatzsicherungsgesetzes. Arbeitsämter und Arbeitsvermittlungsstellen dürfen nur dann Arbeit für eine begrenzte Zeit an Ausländer vergeben, wenn keine gleichqualifizierten deutschen Arbeits kräfte zur Verfügung stehen. - Strikte Anwendung des Ausländergesetzes zur Aufenthaltsbeschränkung. Ausländer ohne Arbeitserlaubnis oder Sonderaufenthaltsgenehmigung haben Deutschland nach längstens dreimonatigem Aufenthalt zu verlassen. - Ersatzlose Streichung des einklagbaren Rechtes auf Asyl. Wir National demokraten fordern die ersatzlose Streichung des Asylrechtsartikels. Das weltweit einzigartige einklagbare Recht auf Asyl hat nicht nur zu einem unvorstellbaren Mißbrauch geführt, sondern auch zu einer Belastung der Volkswirtschaft und des Steuerzahlers in Milliardenhöhe. - Kriminelle Ausländer müssen unverzüglich abgeschoben werden. Anstatt durch De-facto-Bleiberechte und ,Härtefall'-Regelungen immer neue Schlupf löcher der Zuwanderung zu schaffen, muß jede weitere Zuwanderung nach Deutschland unterbunden werden." Im Zusammenhang mit der Kommentierung aktueller Ereignisse wird der Rassismusgedanke in der NPD deutlich. Das NPD-Bundesvorstands mitglied Jürgen Gansel schrieb über die Wahl Barack Obamas zum Prä Antiamerikanismus sidenten der USA in einem Artikel mit dem Titel "Afrika erobert das Weiße Haus" auf der Internet-Seite der NPD: "Das weiße, von europäischen Auswanderern getragene Amerika befindet sich durch Einwanderung und Rassenmischung in Auflösung und hat mit dem Afrika-Sprößling seinen symbolischen Totengräber ins Präsidentenamt gewählt. (...) Schon das weiße Amerika war eine kulturelle Zumutung für die Welt und zwang freien Völkern mit Waffengewalt ihr multirassisches und damit rassen vernichtendes Gesellschaftsmodell auf; ein nicht-weißes Amerika ist jedoch eine Kriegserklärung an alle Menschen, die eine organisch gewachsene Ge meinschaftsordnung aus Sprache und Kultur, Geschichte und Abstammung für die Essenz des Menschlichen halten." In dem zuvor genannten Artikel werden rassistisches und antisemiti sches Gedankengut gekoppelt, um Ressentiments gegen Juden zu förVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 110 Rechtsextremismus Antisemitismus dern. Dabei wird das antisemitische Vorurteil des "volkszersetzenden" jüdischen Charakters verwendet: "In dem Beitrag 'Der Obama-Macher' - gemeint ist der Jude David Axelrod wird daran erinnert, daß Juden und Neger in den sechziger Jahren eine revo lutionäre Koalition gegen das Estabilshment schmiedeten. (...) Die alte Selbst behauptungsstrategie des Judentums, Inländervorrechte durch Minderheiten rechte zu ersetzen und ethno-kulturelle Unterschiede zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu verwischen, deckt sich mit den Interessen aller Minder heiten, Mischlinge und Entwurzelten im Schmelztiegel Amerika." Revisionismus Für die NPD gehören revisionistische Thesen nach wie vor zum Bestand teil ihrer Ideologie. Sie fordert: "Ein Ende der einseitigen Vergangenheitsbewältigung. Wir Deutschen sind kein Volk von Verbrechern. (...) Kein Ersatz der Freiheit von Forschung und Lehre durch ein staatlich verordnetes, von politischer Justiz überwachtes Geschichtsbild zu Lasten Deutschlands." (Parteiprogramm, Abschnitt 11) Die internationale Finanzmarktkrise nutzt die NPD zur Agitation gegen "das System" und prognostiziert das Ende des vermeintlichen US-ame rikanischen Hegemonieanspruchs in der Welt. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der NPD und Fraktionsvorsitzende der NPD im Säch sischen Landtag, Holger Apfel, hatte in seiner Rede am 16. Oktober vor dem Sächsischen Landtag zur Finanzkrise seine grundsätzliche Ablehnung des Ablehnung des Staatsund Gesellschaftssytems der Bundesrepublik "Systems" geäußert: "Man braucht nur wenig Ursachenforschung zu betreiben, um festzustellen, dass das Jahr 2008 wohl zum Todesdatum der neoliberalen Deregulierungs politik der etablierten Parteienkaste wird. Quer durch die Bank haben die Glo balisierungsparteien ... über Jahre eine verhängnisvolle Deregulierungspolitik betrieben. (...) Das System hat keine Fehler, das System ist der Fehler!" Das politische System in Deutschland wird häufig als "Regime" diffa miert; seine Repräsentanten seien Betrüger und Versager. Der NPD-Par teivorsitzende Udo Voigt schreibt in seiner monat lichen Kolumne zum Thema "Wie lange wird es noch so weitergehen?": "Die etablierten Versagerparteien freuen sich darum über jeden Nichtwähler. (...) Die geschilderten Entwicklungen sind keineswegs Zufälle, sie sind die Folge katastrophaler Fehlentscheidungen unfähiger Politiker. Die Realität der BRD spiegelt vielmehr die Folgen der Herrschaft der anti sozialen Kapitalisten wider." (Deutsche Stimme, Januar 2008, Seite 2) Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 111 In einem Solidaritätsappell schreibt Voigt unter der Überschrift "Rech nung des Systems": "Deutschland muß wieder das Land der Deutschen werden. (...) Wenn der Staat zu solch kriminellen Methoden greift, zeigt er damit einmal mehr, daß er uns gegenüber nichts anderes in der Hand hat. Mit diesen Maßnahmen führt das liberalkapitalistische BRD-System zugleich seine Behauptung ad absurdum, eine freiheitliche Demokratie mit Gleichberechtigung und Chancengleichheit zu sein." (Deutsche Stimme, Februar 2008, Seite 6) Diese diffamierende Polemik zeigt deutlich, dass die NPD die Prinzipien des Mehrparteiensystems und der Chancengleichheit der Parteien trotz ihres formalen Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grund ordnung ablehnt. Darüber hinaus offenbart die Diktion der NPD, ins besondere der häufige Gebrauch der Begriffe "System", "System-Par teien" oder "Systempolitiker", die bereits von der NSDAP zur Diffamie Wesensverwandt rung der Weimarer Republik instrumentalisiert wurden, eine Wesens schaft mit der verwandtschaft mit der Ideologie der NSDAP. NPD und Junge National NS-Terminologie demokraten (JN) betrachten die Wertordnung der freiheitlichen demo kratischen Grundordnung in der bestehenden Form als "überholt und handlungsunfähig" und wollen sie deshalb beseitigen. Durch die Öffnung der NPD Mitte der 1990er Jahre für Neonazis und rechtsextremistische Skinheads wurden auch verschiedene inhaltliche Strömungen in die Partei integriert. Der orthodoxe Parteiflügel vertritt dabei die inhaltliche Ausrichtung des Deutsch-Nationalismus und steht so in der Tradition der 1960er Jahre. Dagegen propagiert der neonazis tische Flügel dezidiert einen "völkischen Sozialismus" und vertritt dabei "Völkischer wesentliche nationalsozialistische Programminhalte. In den letzten Jah Sozialismus" ren gab es eine tendenzielle Abkehr von früheren Positionen und zugleich die verstärkte Hinwendung zu neonazistischen und national revolutionären Thesen. Zugleich hat die NPD ihre Agitation zur "sozialen Frage" kontinuierlich erweitert. Sie erklärte dieses Thema zum Drehund Angelpunkt natio naler Politik. Sie tritt nach außen als "soziale Protestpartei" auf und Anschein einer schürt so Ängste der Bevölkerung vor sozialen Reformen, Arbeitslosig "sozialen Protest keit und einer "multikulturellen Gesellschaft". Damit soll eine Krisen partei" stimmung geschaffen werden, die den Angriff gegen den sozialen Rechtsstaat und die freiheitliche Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen soll. Im Zusammenhang mit der Landtags wahl in Bayern 2008 wurden Themengebiete wie die "Förderung der deutschen Familien und Kinder" sowie die "Einführung eines bayeri schen Rentenfonds für erziehende Mütter" angesprochen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 112 Rechtsextremismus 2.1.1.2 Vier-Säulen-Strategie Politische Macht Um dem Ziel der politischen Machtergreifung näher zu kommen, hat ergreifung als Ziel die Partei zur Verfolgung ihrer verfassungsfeindlichen Bestrebungen 1997 ein auf zunächst drei "strategische Säulen" gestütztes Konzept entwickelt, nämlich - "Kampf um die Köpfe", - "Kampf um die Straße", - "Kampf um die Parlamente". Der "Kampf um die Köpfe" verfolgt das Ziel, die "Weiterentwicklung der völkisch-nationalen Programmatik" nicht allein am Schreibtisch zu erledigen, sondern diese "Schlacht um die Köpfe" als integralen Be standteil der täglichen politischen Arbeit zu begreifen. Die zweite Säule, der "Kampf um die Straße", setzt im Kern auf die Mobilisierung der Massen. Zu den Erscheinungsformen zählen nicht nur die zahlreichen Aufmärsche und Demonstrationen, sondern auch andere Veranstaltungen wie Parteitage oder "Kulturveranstaltungen". Aktiver "Kampf Die Umsetzung dieser Strategie findet beispielsweise in der Stadt Gräfen um die Straße" berg, Landkreis Forchheim, statt. Das dortige Kriegerdenkmal auf dem Michelsberg ist seit 1999 Ziel rechtsextremistischer Demonstrationen. Jährlich fanden dort im November revisionistisch ausgerichtete "Helden gedenken" statt, an denen sich durchschnittlich etwa 100 Angehörige der rechtsextremistischen Szene (NPD bzw. JN, Neonazis und rechtsextre mistische Skinheads) beteiligten. Seit Dezember 2006 nahm die rechts extremistische Szene um Matthias Fischer, dem seinerzeitigen Vorsitzen den des NPD-Bezirksverbands Mittelfranken, die seit Jahren bestehende Sperrung des Kriegerdenkmals zum Anlass, mit Ausnahme der Monate Juni 2007, September und Dezember 2008 mindestens einmal monatlich Versammlungen in Gräfenberg durchzuführen. Bis Ende 2008 fanden knapp 30 von NPD und JN durchgeführten Veranstaltungen statt. Bei der dritten Säule, dem "Kampf um die Parlamente", geht es der NPD um Erfolge als politische Wahlpartei auf allen Ebenen. Ziel ist die Gewinnung von Macht und Einfluss sowie die Gewährung finanzieller Zuwendungen. "Kampf um den Mit dem im Herbst 2004 noch als vierte Säule eingefügten "Kampf um organisierten den organisierten Willen" erstrebt die NPD eine Bündelung aller nationa Willen" len Kräfte, ohne dabei programmatische Inhalte zu definieren. Im Grunde handelt es sich um eine Aktionseinheit von NPD und Teilen des rechts extremistischen Lagers. Die NPD bezieht hierin auch die DVU mit ein. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 113 2.1.2 Organisation Die Partei mit Sitz in Berlin zählt bundesweit annähernd 7.000 (2007: Leichter Rückgang 7.200) Mitglieder. Sie gliedert sich in 16 Landesverbände, die wiederum der Mitgliederzahl in Bezirksund Kreisverbände unterteilt sind. Bundesvorsitzender ist seit März 1996 Udo Voigt; seine Stellvertreter sind Sascha Roßmüller, Holger Apfel und Jürgen Rieger. Redaktion und Anzeigenabteilung des Parteiorgans "Deutsche Stimme" (DS) befinden sich in Riesa/Sachsen. Dem aus derzeit 18 Personen bestehenden Bundesvorstand gehören mehrere ehemalige Aktivisten verbotener neonazistischer Gruppierun gen an. Darüber hinaus betrachtet die NPD Skinheads als natürliche Bündnispartner. Dem Landesverband Bayern mit derzeitiger Adresse in Bamberg gehö Landesverband ren - wie auch im Jahr 2007 - rund 950 Mitglieder an, darunter zahl Bayern reiche Angehörige der Neonaziund Skinhead-Szene. Er gliedert sich in sieben Bezirksund rund 35 Kreisverbände, von denen aber rund ein Drittel nicht aktiv ist. Der Landesverband wird von Ralf Ollert geleitet. Sein Stellvertreter ist Sascha Roßmüller, ein ehemaliger Aktivist des 1993 verbotenen neonazistischen Nationalen Blocks (NB). Der erst im November gewählte zweite Stellvertreter Walter Baur, stellvertretender Vorsitzender des DVU-Landesverbands Bayern, schied noch vor Jahres ende aus dem Vorstand aus. Nach wie vor sind im bayerischen Landes vorstand neben Anhängern der orthodoxen Linie der NPD auch Funk tionäre mit einer überwiegend neonazistisch ausgerichteten Ideologie vertreten; ebenso bestehen Verbindungen zur Skinhead-Szene. Vor standsmitglieder mit einer überwiegend neonazistisch ausgerichteten Ideologie haben jedoch gegenüber den Mitgliedern, die die orthodoxe Linie vertreten, kein Übergewicht. Die NPD verfügt mittlerweile über das umfassendste Angebot aller Nutzung des rechtsextremistischen Parteien im Internet. Ihre Homepage enthält Internets mehrere Diskussionsforen sowie ein eigenes Archiv, über das alle bislang von der NPD veröffentlichten Texte abrufbar sind. Die NPD-Landesver bände verfügen über eigene Internet-Seiten. Über eine Linkliste sind Angebote von Untergliederungen der NPD und ihrer Jugendorganisa tion JN zugänglich. NPD und JN unterhalten Verbindungen zu nationalistischen Personen Auslandskontakte und Organisationen im westeuropäischen Ausland, insbesondere nach Spanien, Österreich und Italien. Allerdings ist die NPD ihrem Ziel der Bildung einer nationalistischen nordeuropäischen Allianz nicht näher gekommen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 114 Rechtsextremismus 2.1.3 Teilnahme an Wahlen in Bayern Den wesentlichen Schwerpunkt der organisierten rechtsextremistischen Szene bildeten die Aktivitäten im Vorfeld der Kommunalwahlen am 2. März und der Landtagsund Bezirkstagswahlen am 28. September in Bayern, bei denen im Rahmen der Wahlwerbung versucht wurde, Wahlkampf mit sich an aktuelle politische Themen "anzuhängen" oder "Themen der "Themen der Mitte" aufzugreifen, um so die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Tat Mitte" sächlich konnten Rechtsextremisten nur bei den Kommunalwahlen in Nürnberg und München "erfolgreich" antreten; die dortigen Tarnlisten der NPD errangen unter der Bezeichnung "Bürgerinitiative Ausländer stopp" (BIA) insgesamt drei Stadtratsmandate. Bei den Landtagswahlen erzielte die NPD für sie enttäuschende 1,2 % der Wählerstimmen. Die NPD ist damit bei den nächsten Landtagswahlen wieder auf die Samm lung einer ausreichenden Zahl von Unterstützungsunterschriften ange wiesen. Damit bestätigte sich erneut, dass in Bayern die Chancen orga nisierter Rechtsextremisten, bei Wahlen größere Erfolge zu erzielen, gering sind. 2.1.3.1 Kommunalwahlen Bei den Kommunalwahlen am 2. März hat die NPD man gels Erfolgsaussichten lediglich in Fürth und Pappen heim versucht, unter ihrem Parteinamen anzutreten. In beiden Orten wurde die erforderliche Anzahl an Unter stützungsunterschriften verfehlt.Die Bürgerinitiativen, die als Tarnlisten der NPD anzusehen sind, konnten in Nürnberg und München Erfolge für sich verbuchen. Die BIA-Nürnberg erreichte ein weiteres Mandat und weist nun zwei Vertreter im Stadtrat auf. Die BIA-München errang erstmals einen Sitz im Stadtparlament (vgl. auch Nummer 2.1.7 dieses Abschnitts). Am 6. Februar hatte der Landesverband Bayern gemeinsam mit der BIA-München in einer Münchner Gaststätte ein Politisches Aschermitt Bürgerinitiativen wochstreffen veranstaltet. Die NPD hatte bundesweit ihre Mitglieder und Ausländerstopp Sympathisanten zur Teilnahme aufgerufen und bezeichnete die Veran staltung zugleich als "Wahlkampfauftakt" für die Kommunalwahl in München. Vor bis zu 350 Personen des rechtsextremistischen Spektrums traten der Parteivorsitzende Udo Voigt, der NPD-Landesvorsitzende Ralf Ollert sowie der Spitzenkandidat der BIA-München, Karl Richter, als Red ner auf. Ursprünglich hatte die NPD versucht, die Stadthalle in Eggenfel den, Landkreis Rottal-Inn, für das Treffen anzumieten. Im Rechtsstreit über Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 115 die Nutzung der Halle vor dem Verwaltungsgericht Regensburg unterlag sie jedoch und wich deshalb auf die Räumlichkeiten in München aus. 2.1.3.2 Landtagsund Bezirkstagswahlen Bei der Wahl zum 16. Bayerischen Landtag am 28. September erreichte die NPD einen Gesamtstimmenanteil in Höhe von 1,2 % (123.399 Wäh lerstimmen). Über 2 % erzielte die Partei in den Stimmkreisen Nürnberg-West (2,4 %), Tirschenreuth (2,4 %), Kronach - Lichtenfels (2,5 %), Wunsiedel i. Fichtelgebirge (2,6 %), Straubing (2,7 %) und Weiden i.d. Opf. (2,8 %). Dabei handelt es sich um Orte, an denen die NPD mit "bekannteren" Aktivisten präsent ist. In München hingegen erreichte die NPD trotz ihres BIA-Vertre ters im Stadtrat, Karl Richter, sowie zahlreicher Veranstaltun gen in keinem Stimmkreis die 1 %-Marke. Das von der NPD selbst gesteckte Ziel, die 5 %-Hürde zu überwinden, wurde deutlich verfehlt. Da die Partei auch nicht 1,25 % der Gesamtstimmen erreichte, benötigt sie für die Kandidatur bei der nächsten Landtagswahl erneut die erforderlichen Unterstützungsunterschriften. Dagegen ist die Tatsache, dass es dem bayerischen Landesverband erstmals seit 1972 gelungen ist, "flächendeckend" Kandi daten für die bayerischen Landtagsund Bezirkstagswahlen aufzustel len, als parteiinterner Erfolg zu bewerten. Außer in der Person des DVU-Funktionärs Walter Baur erhielt die NPD bei ihrem Landtagswahl kampf von der DVU keine Unterstützung. Für den strukturund finanzschwachen Landesverband war es ins besondere von Bedeutung, die 1 %-Hürde zu überwinden; dadurch par tizipiert die Partei an der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung und erhält finanzielle Mittel des Staates. Als Reaktion auf das Wahlergebnis äußerte der damalige stellver tretende NPD-Landesvorsitzende Uwe Meenen, dass es der NPD da mit gelungen sei, "aus dem Stand die 1 %-Hürde zu nehmen und somit den Grundstock zu neuen Erfolgen zu legen". Der stellvertredende NPD-Bundesvorsitzende Sascha Roßmüller be tonte, die NPD habe trotz kaum vorhandener finanzieller Mittel ge zeigt, nicht mehr dem "Null-Komma-Ghetto" anzugehören. Er räumte jedoch ein, in der "Nichtwählermobilisierung" hinter den Erwartungen geblieben zu sein. Insgesamt war in der Partei Ernüchterung über das Wahlergebnis festzustellen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 116 Rechtsextremismus Schon auf dem Landesparteitag am 23. September 2007 in Gremsdorf, Landkreis Erlangen-Höchstadt, hatte die NPD ihr Landtagswahlpro gramm unter dem Titel "Heimat statt Globalisierung" vorgestellt. Eine Kandidatenaufstellung zur Landtagswahl fand bei diesem Parteitag nicht statt, da die Kandidaten für die Wahlkreislisten unmittelbar von den sieben Bezirksverbänden zu benennen waren. Spitzenkandidaten auf den Wahlkreislisten waren u. a. in Niederbayern der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Sascha Roßmüller, in Ober bayern der für die NPD-Tarnliste "Bürgerinitiative Ausländerstopp" (BIA) in den Münchner Stadtrat gewählte Karl Richter, in Mittelfranken der NPD-Landesvorsitzende und Nürnberger BIA-Stadtrat Ralf Ollert sowie in Schwaben der stellvertretende DVU-Landesvorsitzende Walter Baur. Direktkandidaten Die Listen der NPD wurden zugelassen, weil die erforderlichen Unter in allen Stimm stützungsunterschriften vorlagen. In allen 91 bayerischen Stimmkreisen kreisen kandidierten Direktkandidaten. Das in Gremsdorf verabschiedete Wahlprogramm beinhaltet die wesent lichen Wahlkampfthemen der NPD sowie deren kommunalund landes politischen Politikziele. So werden beispielsweise "getrennte Schulklas sen für Deutsche und Ausländer" sowie der "Abzug aller Besatzungs truppen aus Bayern" gefordert. Im Wahlkampf wurde einerseits der Versuch der NPD deutlich, sich mit aktuellen - häufig sozialund wirtschaftspolitischen - Themen als Pro Landtagswahl testpartei zu profilieren ("Jetzt reicht's! Wehrt Euch! Soziale Gerechtig programm keit durchsetzen!", "Arbeit und Mittelstand schützen", "Aktionspro gramm für ein besseres Deutschland" mit der Forderung nach Abschaf fung von Hartz IV und eine bessere Gesundheitspolitik für Deutsche, "Gesunde Ernährung statt ,Gen-Food'!"). Andererseits vertrat die Partei eindeutig nationalistische und fremdenfeindliche Positionen. Dabei spielte auch das Wahlthema "Islamisierung Deutschlands" eine wichtige Rolle. Die NPD wendet sich dabei gegen jede Integration von Ausländern und den hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. Ziel der Partei ist die Entrechtung und Abschiebung von Millionen Men schen in ihre "Heimatländer" - selbst wenn sie einen deut schen Pass besitzen und noch nie außerhalb Deutschlands gelebt haben. Das im Wahlkampf verwendete Plakat mit dem Aufdruck "Guten Heimflug" wurde bayernweit verbreitet. Gegen die Verantwortlichen des Wahlplakats wurden strafrechtVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 117 liche Ermittlungen eingeleitet. Das Amtsgericht Viechtach stellte fest, Volksverhetzendes dass "die Verbreitung bzw. das öffentliche Aushängen des genannten Wahlplakat Plakats" den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle. Das Plakat wurde zeitweise auch auf der Internet-Seite des bayerischen Landesverbands bereitgestellt. In einem ebenfalls im Internet veröffentlichten Flugblatt mit dem Titel "Das passiert, wenn die NPD regiert ... Ein Maßnahmekatalog" heißt es: "Mit sofortiger Wirkung tritt das neue Staatsbürgerschaftsrecht in Kraft. Einen deutschen Paß erhalten ab sofort nur noch Personen, deren Eltern Deutsche sind (...) Am heutigen Tag sind weitere Gesetze des Maßnahmenpaktes der Bundesregierung zur Ausländerrückführung in Kraft getreten. In der BRD lebende Ausländer wurden aus dem deutschen Sozialund Rentenversiche rungssystem ausgegliedert und dürfen in der BRD ab sofort keinen Grund und Boden mehr erwerben." Der Bundesorganisationsleiter der NPD, Jens Pühse, hatte für sei ne Partei unter dem Motto "Sozial geht nur national - heraus zum 1. Mai" eine Versammlung in Nürnberg angemeldet. Sie sollte die zentrale Kundgebung der NPD zum 1. Mai und gleichzeitig Auftaktver anstaltung für die Landtagswahl sein. An der Kundgebung nahmen "Sozial geht nur etwa 1.500 Personen aus dem gesamten rechtsextremistischen Spek national" trum teil. NPD und "Freie Nationalisten" verbuchten die Veranstaltung als Erfolg. Als Redner traten in Nürnberg der Parteivorsitzende Udo Voigt, sein Stellvertreter Sascha Roßmüller, der NPD-Landesvorsitzende Ralf Ollert und der JN-Bundesvorsitzende Michael Schäfer auf. Daneben kamen der rechtsextremistische Liedermacher Jörg Hähnel, Beisitzer im NPD-Bundes vorstand, und Oliver Podjaski, Mitglied der hessischen Skinhead-Band HAUPTKAMPFLINIE, zu Wort. Der Parteivorsitzende prangerte als Haupt ursache der sozialen Missstände die Politik der Globalisierung und der multikulturellen Überfremdung an, die von allen im Bundestag vertre tenen Parteien, von der CSU bis zur "PDS", betrieben werde. Dazu führte er aus: "Von sozialer Marktwirtschaft ist hierzulande nichts mehr übrig geblieben. Wir er leben den Kapitalismus pur. In der BRD wird abgezockt, was das Zeug hält: ..." Sascha Roßmüller ging auf einige - seiner Meinung nach - grundsätz liche Probleme der Landespolitik ein. Er verwies auf die besonders hohe Inflationsrate im Freistaat und das Desaster bei der Bayerischen Landes bank, das insbesondere den Mittelstand gefährde. An die Kundgebungs teilnehmer richtete er den Appell, nicht zu vergessen, "national" zu wählen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 118 Rechtsextremismus Auch bei weiteren NPD-Wahlkampfveranstaltungen im August und September trat die "Parteiprominenz" mit dem Ziel der Mobilisierung eigener Anhänger und Sympathisanten auf, u. a. der NPD-Bundesvorsit zende Udo Voigt und der Vorsitzende der NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern Udo Pastörs. Die Veranstaltungen wurden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Bezirkstagswahlen An den Bezirkstagswahlen beteiligte sich die NPD mit insgesamt 94 Be werbern, die mit den Landtagskandidaten zum Teil übereinstimmten. Die Partei erreichte keinen Sitz in einem der sieben Bezirkstage. Als Resümee ist festzuhalten, dass die NPD in Bayern offenkundig kein Wählerpotenzial für "Themen der Mitte" findet. Die Partei scheiterte erneut bei dem Versuch, als "soziale Protestpartei" oder "nationale Op position" wahrgenommen zu werden. Ein signifikanter Anstieg des rechtsextremistischen Wählerpotenzials war nicht zu verzeichnen. 2.1.4 Bündnisbestrebungen Die NPD bemüht sich seit längerer Zeit erfolgreich um Absprachen mit anderen rechtsextremistischen Parteien, um ihre Chancen bei Wahlen zu "Volksfront von steigern. Mit dem Konzept einer "Volksfront von rechts" verfolgt die Par rechts" tei Bündnisbestrebungen in zwei unterschiedliche Richtungen: Zum einen intensiviert sie ihre bündnispolitische Orientierung zur Neonazi-Szene; zum anderen strebt sie eine Kooperation mit den "derzeitigen nationalen Parteien in der BRD" an, da aufgrund der Zersplitterung dieser Parteien keine in der Lage sei, "wirksamen politischen Einfluss und gestalterische Macht zu entfalten". Ziel der Bündnispolitik ist die "Konzentration aller nationalen Kräfte" bzw. die Einheit des "nationalen Lagers". Der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt und der ehemalige DVU-Bundesvorsitzende Dr. Gerhard Frey vereinbarten am 15. Januar 2005 in einem "Deutschland-Pakt" ihre weitere Zusammenarbeit für die Europa-, Bundestags und Landtagswahlen bis 2009. Schon bei vergangenen Wahlen hatte der Verzicht auf Konkurrenzkandidaturen zu Erfolgen von DVU bzw. NPD beigetragen. Zwischenzeitlich bereiten DVU und NPD Korrekturen ihres vereinbarten "Deutschland-Pakt" "Deutschland-Pakts" vor. Die DVU wird - entgegen ursprünglicher Wahlabsprachen - auf eine Kandidatur bei der Landtagswahl in Thürin gen am 30. August zugunsten des Bündnispartners verzichten. Voigt steht zum "Deutschland-Pakt" und hält seine Vier-Säulen-Strategie für richtig. Für die Europawahl 2009 gibt es derzeit keine Anhaltspunkte für Änderungen der Absprache zwischen NPD und DVU. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 119 Seit 2004 war bundesweit eine verstärkte Annäherung zwischen der NPD und den "Freien Nationalisten" erkennbar. Dem NPD-BundesvorAnnäherung an stand gehören inzwischen bekannte Neonazis wie Jürgen Rieger, die Neonazi-Szene Sascha Roßmüller und Thorsten Heise an. Allerdings erfährt die von der NPD propagierte "Volksfront" bei den "Freien Nationalisten" nicht nur Zustimmung. Bei diesen ist die Zusammenarbeit vielfach rein taktisch motiviert und oft von Eigeninteressen geprägt. Zumindest in Bayern dürfte der Einfluss der "Freien Nationalisten" in der NPD nach den angekündigten Austritten von Neonazis wie Matthias Fischer in Folge der Ereignisse auf dem Landesparteitag am 9. November in Simbach, Landkreis Dingolfing-Landau, schwinden. Die NPD nutzt die Anziehungskraft der Skinheads gezielt für ihre WahlKontakte zu kampfveranstaltungen und Rekrutierungsmaßnahmen. Sie hat den Skinheads hohen Stellenwert der rechtsextremistischen Skinhead-Musik erkannt und ist bestrebt, bei eigenen Skinhead-Konzerten jugendliche Besucher für NPD-Aktivitäten zu mobilisieren und letztlich für die Ziele der Partei zu gewinnen. Daher bieten die NPD bzw. deren Aktivisten, die wie Nor man Bordin enge Verbindungen zur Skinhead-Szene besitzen, rechts extremistischen Skinhead-Bands ein Forum für Auftritte. Die Parteimit gliedschaft führender Neonazis erleichterte der NPD die Mobilisierung und Integration von Skinheads in den Großräumen München und Nürn berg sowie in Oberfranken. Ob dies nach den angekündigten Austrit ten von Neonazis wie Matthias Fischer in Folge der Ereignisse auf dem Landesparteitag so bleiben wird, ist abzuwarten. Rechtsextremistische Liedermacher treten mitunter bei Skinhead-Treffen, häufiger aber bei Veranstaltungen rechtsextremistischer Parteien wie der NPD auf. Dabei steht die Verherrlichung der ihnen vorschwebenden "deutschen Ideale" im Vordergrund: Kameradschaft, Frau als Mutter in der Familie, Gehor sam, Heldentum, Tapferkeit, Solidarität, Treue und Ordnungssinn. Da rüber hinaus werden in den Liedern auch die angeblich positiven Seiten des NS-Regimes betont. Zwei bekannte Liedermacher in der bayeri schen Szene sind Michael und Annett Müller. Beide treten bundesweit bei Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene auf. 2.1.5 Sonstige Aktivitäten 2.1.5.1 Parteitage Am 24. und 25. Mai veranstaltete die NPD unter dem Motto "Sozial Bundesparteitag geht nur national" ihren 32. ordentlichen Bundesparteitag in der Kon in Bamberg zertund Kongresshalle in Bamberg. Bundesweit waren dazu etwa 230 Delegierte sowie rund 200 Gäste angereist. Im Mittelpunkt des ParteiVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 120 Rechtsextremismus tags standen die Rechenschaftsberichte der Funktionäre sowie die Neu wahl des Parteivorstands. Breiten Raum nahm die Diskussion um Bundesschatzmeister Erwin Kemna ein, der sich zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft befand und inzwischen vom Landgericht Münster wegen der Veruntreuung von Parteigeldern zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden ist. Bestätigung von Bei der Neuwahl des Parteivorstands wurde Udo Voigt mit 199 von 221 Udo Voigt als Delegiertenstimmen und ohne Gegenkandidat in seinem Amt bestätigt. Bundesvorsitzender Zu den stellvertretenden Bundesvorsitzenden wurden Sascha Roßmül ler, Holger Apfel und Jürgen Rieger gewählt. Überraschend war die Wahl von Jürgen Rieger, der für die "Freien Kräfte" im rechtsextremis tischen Lager steht. Bei einer Demonstration zum 1. Mai in Hamburg, bei der es zu massiven Ausschreitungen kam, war er Seite an Seite mit den "Freien Kräften" marschiert. Den Zugang zur Konzerthalle hatte sich die NPD in einer verwaltungs gerichtlichen Auseinandersetzung erstritten. Die Stadt Bamberg wurde verpflichtet, der Partei den Saal zur Verfügung zu stellen. Eine Be schwerde der Stadt gegen die Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Bayreuth beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof war nicht erfolgreich. Ausschluss der Im Vorfeld des Parteitags hatte die NPD mehrere Reporter der ARD von Presse der Veranstaltung ausgeschlossen und begründete dies mit "anti faschistischer Propaganda" der Journalisten. Auch während der Veran staltung machten die Parteitagsteilnehmer kein Geheimnis aus ihrer Ab lehnung gegenüber Medienvertretern, die die NPD als "System-Presse" diffamiert. Landesparteitag Am 9. November fand im niederbayerischen Simbach der 42. ordent in Simbach liche Landesparteitag des bayerischen Landesverbands der NPD statt. An der Versammlung nahmen etwa 200 Personen teil. Von insgesamt 154 gemeldeten Delegierten waren 143 bei der Eröffnung durch den Landesvorsitzenden anwesend. Im Mittelpunkt stand die Neuwahl des Landesvorstands. Nach einer kontroversen Sachund Personaldiskussion wurde Ralf Ollert in seinem Amt als Landesvorsitzender bestätigt; er setzte sich gegen Uwe Meenen durch. Bereits vor dem Landesparteitag war zu erkennen, dass verschiedene Funktionäre um Matthias Fischer, Vorsitzender des NPD-Bezirksver bands Mittelfranken und Vorsitzender des Landesverbands der "Jungen Nationaldemokraten" (JN), versuchten, eine Mehrheit in der Abstim mung gegen Ollert zu organisieren. Damit sollte einerseits eine Stär kung des jüngeren und aktionistischeren Flügels erreicht werden, der Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 121 sich mehrheitlich aus früheren Neonazis und rechtsextremistischen Skinheads zusammensetzt und die Meinung vertritt, dass mit der orthodoxen Haltung "keine revolutionäre nationale Politik" durchgesetzt werden könne. Andererseits sollte der Landesvorsitzende die Quittung für das schlechte Abschneiden bei der Landtagswahl erhalten, wo die Erwartungen der aktiven "Basis" enttäuscht wurden. Nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Wahl zum Landesvorsitzendem Parteiaustritt von verließen Matthias Fischer sowie weitere Delegierte aus Protest die Ver Matthias Fischer anstaltung. Zugleich erklärte Fischer seinen Austritt aus der NPD und gab seinen Mitgliedsausweis zurück. Seinem Beispiel folgten mehrere Funktionäre und Mitglieder. Die Delegierten stimmten einem Initiativantrag des Kreisverbands Strau bing zu, die Anzahl der stellvertretenden Landesvorsitzenden auf zwei Personen zu begrenzen. Bei den anschließenden Wahlen zum stellver tretenden Vorsitzenden sowie zu den Beisitzern befanden sich nur noch 106 Delegierte im Saal. Sascha Roßmüller wurde, wie bereits in den ver gangenen Jahren, als Stellvertreter von Ollert bestätigt. Uwe Meenen verzichtete auf eine Kandidatur. An seiner Stelle wurde Walter Baur, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des DVU-Landesverbands Bayern und jetziger Funktionär im NPD-Bezirksverband Schwaben, ge wählt. Im Laufe des Parteitags wurden die Resolutionen "Saubere Landwirt schaft statt Genhofer! Ein klares NEIN zur grünen Gentechnik!" sowie "Bayern darf nicht zum Orient werden!" verabschiedet. Ralf Ollert zeigte sich über das auf dem Landesparteitag erreichte Wiederwahl von Ergebnis erleichtert, da es ihm trotz der Konkurrenzkandidatur von Ralf Ollert Meenen gelang, sein Amt als Landesvorsitzender zu verteidigen. In seiner Schlussrede stimmte er die Mitglieder auf das aufgabenreiche Wahljahr 2009 ("Superwahljahr") ein. Der eingeladene Bundesvorsitzende Udo Voigt forderte in einem Rede beitrag die Einsatzbereitschaft der Partei ein und bezeichnete die soziale Frage als eine nationale Aufgabe, die in Deutschland mit einem Ausländer-Rückführungsprogramm angegangen werden müsse. 2.1.5.2 Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund Rechtsextremisten sehen den Immobilienbesitz grundsätzlich als geeig netes Mittel an, um regionale Strukturen und Anlaufstellen zu schaffen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 122 Rechtsextremismus Immobilien dienen als Rückzugsort und/oder Basis für weitere Expan sionen von und für Neonazis. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass ins besondere die NPD zur Verbreitung ihrer Basis die lokale Verankerung, Immobilien als die Präsenz vor Ort, sucht. Es werden Räumlichkeiten gesucht, in denen lokale Verankerung Schulungen und Veranstaltungen durchgeführt werden können und in denen sich Parteimitglieder und andere Rechtsextremisten ungestört treffen können. Dort durchgeführte Veranstaltungen - auch Konzerte haben eine ideologisierende Funktion und dienen der Rekrutierung neuer Mitglieder. Trotz finanzieller Engpässe besteht ein echtes Erwerbsinteresse an ge eigneten Immobilien. Die NPD hat daneben insbesondere erkannt, dass im Fall von angekün digten Immobilienkaufabsichten durch Rechtsextremisten regelmäßig Verhinderung des öffentlicher und politischer Druck auf die entsprechenden Kommunen Erwerbs durch ausgeübt wird, ein Vorkaufsrecht auszuüben, um die Ansiedlung gemeindliches der Partei oder von Parteifunktionären zu verhindern. Dieses Szenario Vorkaufsrecht wird bewusst initiiert, um bei Ausübung eines Vorkaufsrechts an dem Verkaufserlös in Form einer "Vermittlungsprovision" zu partizipieren. Medienwirksam wird in diesen Fällen verschiedentlich von angeblichen Kaufinteressenten angekündigt, auf dem neu erworbenen Grundstück Schulungsund Veranstaltungszentren einzurichten. Die Gemeinden sollen dabei veranlasst werden, von dem ihnen zustehenden Vorkaufs recht Gebrauch zu machen. Neben dem finanziellen Interesse an der "Vermittlungsprovision" profitiert die NPD auch an dem hierdurch erzeugten Medieninteresse. Gerade im Vorfeld von Wahlen nutzt die NPD offensichtlich die hierdurch eröffnete Möglichkeit erhöhter Medienpräsenz. In diesem Zusammenhang stellt sich häufig die Frage, echte Kauf absichten von so genannten Scheinkäufen abzugrenzen. Kriterien für Beurteilungskriterien, die für ein Scheingeschäft sprechen: Scheingeschäfte - der Verkäufer befindet sich in finanziellen Schwierigkeiten bzw. das Objekt ist auf dem freien Markt nahezu unverkäuflich, - zwischen Kaufpreis und tatsächlichem Wert liegt eine hohe Dis krepanz, - Käufer und/oder Verkäufer sind dem rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnen, - die Rechtsextremisten begleiten die Kaufverhandlungen durch Pro paganda und bringen weitere "Geldgeber" ins Spiel, Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 123 - die Öffentlichkeit wurde vom Verkäufer oder Käufer gezielt infor miert, - der Käufer verfügt offensichtlich nicht über die notwendigen finan ziellen Mittel und/oder die Vertragsgestaltung bevorzugt eine der beiden Parteien in unüblicher Weise, - es bestand schon vorher ein Mietverhältnis oder eine Verbindung zwischen Verkäufer und Käufer. Beurteilungskriterien, die für ernsthafte Kaufabsichten sprechen Kriterien für können: Kaufabsichten - das Geschäft wird ohne Öffentlichkeit und ohne Nennung der NPD zu marktüblichen Konditionen realisiert, - der Käufer kann nicht mit Rechtsextremismus in Verbindung ge bracht werden, - das Objekt ist für eine Nutzung durch Rechtsextremisten geeignet und kann auch entsprechend bewirtschaftet werden. Bei den seit 2005 bekannt gewordenen Aktivitäten namhafter NPD-Funk tionäre auf dem Immobilienmarkt handelte es sich wohl überwiegend um Scheingeschäfte, da die NPD aufgrund ihrer mehr als angespannten Finanzsituation nicht in der Lage war, Liegenschaften im Wert von meh reren hunderttausend Euro, geschweige denn im Millionenbereich, aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Eine Sonderrolle nimmt allerdings der in Hamburg ansässige Rechts Rolle des anwalt Jürgen Rieger ein. Rieger, stellvertretender Bundesvorsitzender Jürgen Rieger der NPD, ist bereits Eigentümer mehrerer Immobilien. So kaufte er bei spielsweise 2003 im thüringischen Pößneck das "Schützenhaus", das der NPD als Veranstaltungsstätte diente. Im Jahr 2004 erwarb er im Namen der "Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Ltd." den "Heisenhof" in Dörverden/Niedersachsen, einen Anlaufpunkt der gesamten rechts extremistischen Szene. Ein Erwerbsinteresse der NPD kann insoweit nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Insbesondere die Aktivitäten in Warmensteinach, Landkreis Bayreuth, Gasthof Puchtler sorgten für mediale Aufmerksamkeit. Nachdem der Gemeinde im Sep in Warmensteinach tember der notarielle Kaufvertrag über den Verkauf des Gasthofs Puchtler sowie weiterer Grundstücke im Gemeindebereich zum Preis von insgesamt 1,84 Millionen Euro an die von Jürgen Rieger vertretene "Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Ltd." vorgelegt wurde, hat die Gemeinde beschlossen, das ihr zustehende Vorkaufsrecht für den Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 124 Rechtsextremismus Gasthof auszuüben. Der Verkäufer hat gegen den entsprechenden Bescheid der Gemeinde Klage erhoben; hierüber wurde noch nicht ent schieden. Anhand der bekannt gewordenen Informationen kann generell nicht zuverlässig beurteilt werden, ob das Scheingeschäft von der Parteifüh rung geplant war oder die handelnden Personen unabhängig aktiv wur den und der NPD-Vorstand dies nur duldete. In Jena bot die NPD einen "Service" für Immobilienbesitzer an, bei dem gegen Zahlung einer Spende an die Partei das Interesse der NPD an bestimmten Objekten öffentlich bekundet wird. Eigentümer schwer verkäuflicher Immobilien sehen sich wegen der intensiven Medienberichterstattung gelegentlich veranlasst, die NPD - auch ohne deren Wissen - als vermeintlichen Käufer ins Spiel zu brin gen. Die Motivation der Eigentümer ist dabei unterschiedlich. Sie reicht von offener Sympathie für die Ziele der Verfassungsfeinde bis zur bloßen Hoffnung, eine unverkäufliche Immobilie gut bezahlt verkaufen zu können. Beratung durch Am 12. Januar 2009 beschloss der Ministerrat die Errichtung einer zen zentrale Informa tralen Informationsstelle gegen Extremismus. Eine wichtige Aufgabe tionsstelle gegen dieser Zentralstelle wird auch darin bestehen, betroffene Kommunen in Extremismus solchen Fällen zu beraten, um rechtsextremistische Strukturen vor Ort zu verhindern (vgl. auch Nummer 5 des 1. Abschnitts). 2.1.6 Junge Nationaldemokraten (JN) Deutschland Bayern Mitglieder: 400 90 Vorsitzender: Michael Schäfer Matthias Fischer (bis Ende 2008) Gründung: 1969 Sitz: Bernburg/Sachsen-Anhalt Ideologische Mit den JN verfügt die NPD als einzige rechtsextremistische Partei über Ausrichtung eine Jugendorganisation. Die JN bekennen sich in Ideologie und Ziel an der NPD setzung zum Programm ihrer Mutterpartei. In ihrem beim Bundeskon gress 2002 als "Perspektive für ein besseres Deutschland" verabschie deten "Manifest der nationalistischen Jugend" stellen sie grundlegen de Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie das Mehrparteiensystem inhaltlich in Frage. Nachdem die struktur schwachen JN in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ihre frühere Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 125 Bedeutung weitgehend verloren hatten, sind sie nunmehr bestrebt, ihren Anspruch als "sozialrevolutionärer Flügel innerhalb der NPD" zu bekräftigen und wieder mehr eigenstän diges Profil zu gewinnen. Am 27. April fand der Landeskongress der JN in Leinburg, Landkreis Nürnberger Land, statt. An der Veranstaltung nahmen etwa 45 Personen des rechtsextremistischen Spektrums teil. Zum neuen JN-Landesvorsitzenden wurde der ehemalige "Führer" der verbotenen neo nazistischen Fränkischen Aktionsfront (F.A.F.), Matthias Fischer, gewählt. Dieser formulierte als Ziel der JN in Bayern und Franken sowohl die Landeskongress Durchführung zahlreicher Aktivitäten auf der Straße als auch die ver in Leinburg stärkte Schulung der "Köpfe" zur Verhinderung einer Entradikalisie rung der Partei. Fischer sprach auf dem Landesparteitag der NPD am 9. November sei nen Parteiaustritt aus, nachdem die von ihm mit initiierte Abwahl des Parteivorsitzenden Ralf Ollert gescheitert war. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen dies für die JN in Bayern haben wird. Seit dem Parteiaustritt Fischers ist das Amt des bayerischen Landesvorsitzenden Kommissarische nicht besetzt. Der Landesverband wird derzeit kommissarisch vom Leitung durch Bundesverband geleitet. Bundesverband 2.1.7 Bürgerinitiativen Ausländerstopp 2.1.7.1 "Bürgerinitiative Ausländerstopp" Nürnberg Die "Bürgerinitiative Ausländerstopp" Nürnberg (BIA-Nürnberg) wurde im Juli 2001 anlässlich der Kommunalwahlen 2002 gegrün det. Bei dieser Wahl erreichte der NPD-Landesvorsitzende Ralf Ollert als Spitzenkandidat mit einem Stimmenanteil von 2,3 % einen Sitz im Nürnberger Stadtrat. Bei der Kommunalwahl 2008 errang die BIA-Nürnberg bei den Wahlen zum Stadtrat 3,3 % der Stimmen. Neben Ralf Ollert zog auch der NPD-Funktionär Sebastian Schmaus in den Stadtrat ein. Der 25-jährige Schmaus entstammt der rechtsextremistischen Szene in Nürnberg und war Anhänger der seit Januar 2004 verbotenen neonazistischen Fränkischen Aktionsfront (F.A.F.). Bei der Oberbürgermeisterwahl in Nürnberg erreichte Ollert einen Stimmenanteil von 1,9 %. Für ihren Wahlkampf hatte die BIA-Nürnberg seit November 2007 an zahlreichen Info-Stän den in der Stadt geworben. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 126 Rechtsextremismus 2.1.7.2 "Bürgerinitiative Ausländerstopp" München Die "Bürgerinitiative Ausländerstopp" München (BIA-München) wurde im September 2007 wegen Differenzen zwischen der Organisation "Pro München" und der NPD gegründet. Die Gründungsmitglieder wählten aus ihrer Mitte den Münchner Publizisten und ehemaligen Chef des Parlamentarischen Beratungsdienstes der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen, Karl Richter, zum Vorsitzenden; dieser stellte sich zugleich als Spitzenkandidat der BIA-München sowie Kandidat für die Wahl des Oberbürgermeisters zur Verfügung. Richter formulierte für den Wahl kampf in München: "Wir sind nicht ausländerfeindlich, sondern inländerfreundlich. Deshalb möchte ich in München weder eine Großmoschee noch nichtdeutsche Parallelgesellschaften. München soll auch in Zukunft lebensund liebenswert bleiben." Neben der Forderung einer konsequenten Ausweisung illegal hier lebender und krimineller Ausländer stellte die BIA-München den Bau einer geplanten Großmoschee im Stadtteil Sendling in den Mittelpunkt ihrer Agitation. Bei der Stadtratswahl in München erreichte sie mit 1,4 % der Stimmen ein Stadtratsmandat. Der Sitz fiel an Karl Richter. Nach der Wahl erklärte dieser auf der Internet-Seite der NPD, man habe das Wahl ziel erreicht und werde nun "das Münchner Rathaus phantasievoll und lautstark nutzen". Neben Flugblättern hatte die BIA-München im Wahlkampf auch eine so genannte Schulhof-CD an Info-Ständen verteilt. Außerdem warb sie mit einer eigenen Internet-Seite. Sascha Roßmüller, stellvertretender NPD-Bundesvorsitzender und Mit glied des bayerischen Landesvorstands, bezeichnete im Internet die Wahlergebnisse als Erfolge in Großstädten, die "bekanntlich nicht zu unseren Hochburgen zählen". Nach den klaren Misserfolgen der NPD bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen am 27. Januar propagierte die Partei das Ergebnis der ihr nahe stehenden Bürgeriniti ativen als Achtungserfolg. Unterstützung Die BIA-München wurde im Wahlkampf von der NPD unterstützt. Die durch die NPD "Deutsche Stimme" berichtete in ihrer Ausgabe vom September 2007 wie folgt über die "Bürgerinitiative Ausländerstopp": "Der NPD-Parteivorstand entschied erst unlängst in München auf einen eigenen Wahlantritt zu verzichten und statt dessen die BiA mit Nachdruck zu unterstüt zen. (...) Bleibt nur die 'Bürgerinitiative Ausländerstopp'. Sie ist seit 2004 bereits im Nürnberger Stadtrat vertreten und will nun erstmals auch in der bayerischen Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 127 Landeshauptstadt mit einem klaren Programm den Sprung ins Rathaus schaffen. Außer einem unmißverständlichen 'Nein' zu den rot-grünen Moscheeplänen will sich die BiA auch für eine konsequente Ausweisung illegaler und krimineller Aus länder für 'mehr Schutz und bessere Bildungschancen für einheimische Münch ner Kinder' und für den Vorrang einheimischer Leistungsberechtigter bei der Vergabe von Sozialwohnungen starkmachen. (...) Die Zeit ist überreif dafür, daß den Etablierten auch im Münchner Rathaus endlich eine kräftige Brise von rechts ins Gesicht weht. (...) Es wäre ein Fanal, wenn ausgerechnet im rot-rosa-grünen Münchner Stadtrat im März 2008 der Einbruch gelänge." (Deutsche Stimme, September 2007, Seite 12) Bei der Vereidigung der gewählten Stadträte der Stadt München am 2. Mai im Alten Rathaus hatte Karl Richter die Hand nicht, wie üblich, senkrecht nach oben gehalten, sondern den Unterarm schräg nach vorne oben gestreckt ("Hitler-Gruß"). Daraufhin wurde er am 21. August vom Amtsgericht München wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß SS 86a StGB zu einer Geld "Hitler-Gruß" strafe in Höhe von 140 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt. Presse von Karl Richter berichten zufolge hat das Gericht in der Urteilsbegründung festgestellt, dass "kaum eine unerhörtere und schwerwiegendere Tatausführung vorstellbar" sei. Als strafverschärfend war zu werten, dass Karl Richter die verbotene Geste bei der Vereidigung gezeigt habe, bei der es schließlich um die Beschwörung der Werte des Grundgesetzes gegan gen sei - und das noch dazu an einem "historisch derart vorbelasteten Ort". Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 2.2 Deutsche Volksunion (DVU) 2.2.1 Ideologisch-politischer Standort Deutschland Bayern Mitglieder: 6.000 800 Vorsitzender: Dr. Gerhard Frey Bruno Wetzel seit 11.01. 2009: Matthias Faust Gründung: 1987 Sitz: München Publizistisches Sprachrohr: "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zei tung" (NZ) Die DVU bekennt sich in ihrem Programm formal zur freiheitlichen Extremistische demokratischen Grundordnung, doch will sie einige für alle Menschen Grundhaltung gültige Grundrechte - beispielsweise den Schutz der Familie - zu Bür gerrechten reduzieren, die ausschließlich Deutschen zustehen sollen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 128 Rechtsextremismus Die rechtsextremistische Grundeinstellung der Partei wird in Äußerun gen führender Funktionäre sowie im Inhalt der im Druckschriftenund DSZ-Verlag Zeitungsverlag GmbH (DSZ-Verlag) des früheren Bundesvorsitzen den Dr. Gerhard Frey erscheinenden "National-Zeitung/Deutsche Wo chen-Zeitung" (NZ) deutlich. Die wöchentliche Auflage der NZ beträgt rund 32.000 Exemplare. Als publizistisches Sprachrohr der DVU vertritt die NZ deren nationalistische, rassistische und revisionistische Grund haltung. Die Beiträge sind geprägt von Vereinfachung, Schematisierung und dem Aufbau von Freund-Feind-Bildern. Rassismus und Die rassistisch und nationalistisch geprägte Propaganda der Partei rich Nationalismus tet sich insbesondere gegen die Ausländerpolitik der Bundesregierung und gegen die Europäische Union. In einem Artikel der NZ war zu lesen: "Für Milliardengeschenke ans Ausland, U-Boote für Israel, Milliarden an Über zahlungen an die EU und die UNO, für Auslandseinsätze der Bundeswehr im Dienste des US-Imperialismus, für die soziale Alimentierung ganzer ausländi scher Großfamilien und Heerscharen von Asylbetrügern aus alle Welt ist zwar immer genug 'Staatsknete' vorhanden. Wenn es aber darum geht, einige Milli arden sinnvoll in deutscher Zukunftstechnologie anzulegen, sind die Staats kassen plötzlich leer." (NZ vom 4. April, Seite 9) Fremden Ausländer werden häufig pauschal als Kriminelle oder Wirtschafts feindlichkeit flüchtlinge diffamiert, die eine Gefahr für die Innere Sicherheit darstel len würden: "Es ist nun wirklich keine Schwarzmalerei, sich vorzustellen, was bei einer vollen Niederlassungsfreiheit - und die gilt nun einmal innerhalb der EU - passieren würde: Weitere Millio nen Türken - Experten-Schätzungen schwanken zwischen 15 und 20 Millionen - würden nach Deutschland kommen und das ohnehin mehr und mehr empfindliche Sozialnetz über belasten. Die Folgen liegen auf der Hand: Mehr Arbeitslose, mehr Ghettos, mehr Überfremdung, mehr Kriminalität, mehr Glaubenskämpfe, mehr sozialer Unfrieden." (NZ vom 7. März, Seite 2) "Mit dem Geburtenrückgang rechtfertigen Polit-Versager dann ihre Überfrem dungspolitik. In zahlreichen Vierteln unserer Großstädte sind Deutsche zur Minderheit im eigenen Land geworden. Überfremdungs-Ghettos sind soziale Brennpunkte. Die Anzahl ausländischer Sozialhilfeempfänger explodiert. In der ganzen Republik ist ein Klima der Verunsicherung entstanden. Die Menschen sind in Sorge wegen einer ständig steigenden Kriminalität. Viele Bürger trau en sich nachts überhaupt nicht mehr auf die Straße. Die jüngsten Fälle aus ufernder Ausländer-Kriminalität sind fast schon logische Multikulti-Folgen." (NZ vom 1. Februar, Seite 6) Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 129 Die DVU vermeidet offenen Antisemitismus, wobei sich ihre antisemitiLatenter sche und anti-israelische Grundhaltung vielfach hinter massiver Kritik Antisemitismus an der Politik des Staates Israel verbirgt: "Bundeskanzlerin Angela Merkel gerät bekanntlich schon dann in sinnliche Verzückung, wenn sie nur den Namen 'Israel' hört. Im krassen Gegensatz zu dieser Begeisterung für den Judenstaat stehen dessen politische Repräsentan ten. Nicht nur, dass sie die menschenwürdige Entrechtung und Unterdrückung der Palästinenser zu verantworten haben, auch mieses persönliches Verhalten ist in Israel oft kein Hinderungsgrund, in höchste Staatsämter aufzusteigen." (NZ vom 15. August, Seite 5) Wie bisher zählt die Kritik an der "extrem einseitigen VergangenheitsRevisionismus bewältigung" zu den Schwerpunkten der Programmatik: "Die deutsche Hauptstadt Berlin ist bereits mit hunderten Mahnmalen, Ge denkstätten und -tafeln, Dokumentationsstätten und Museen gesegnet, die alle nur ein Thema haben: das Unrecht des vor über einem halben Jahrhundert untergegangenen Nationalsozialismus. Doch immer wieder findet man eine Opfergruppe, der noch nicht speziell gedacht worden ist, und eine Lücke im Berliner Stadtbild, wo ein entsprechendes Mahnmal installiert werden kann. (...) Merkwürdig bei diesem Gedenk-Marathon ist, dass die Millionen Deut schen, die der Siegerwillkür zum Opfer fielen, in Berlin und anderen deutschen Städten keiner Würdigung für wert befunden werden." (NZ vom 22. August, Seite 11) Die Verbrechen der Nationalsozialisten werden zwar nicht ausdrücklich geleugnet, doch wird versucht, diese durch wiederholte Hinweise auf Verbrechen anderer Völker zu relativieren: "Für Millionen deutsche Soldaten stand am Ende des Zweiten Weltkrieges nicht die 'Befreiung', sondern jahrelange Zwangsarbeit, Not und Hunger in den Konzentrationslagern der Sieger. Ob in Frankreich, in England, auf den Rheinwiesen, auf dem Balkan oder in den Weiten Sibiriens. (...) Unter bewusstem Bruch des Völkerrechts wurden sie als 'menschliche Reparationen' ausgenutzt, wobei Millionen lange nach Kriegsende jämmerlich an Hunger, Kälte und Seuchen bei Schwerstarbeit und unmenschlicher Behandlung um gekommen sind." (NZ vom 4. Januar, Seite 11) Nach wie vor ist die Partei bestrebt, die Gefahr durch rechtsextremisVerharmlosung tische Bestrebungen für die freiheitliche demokratische Grundordnung rechtsextremis zu relativieren. tischer Gewalt "Wo aber bleibt im Falle der alltäglichen Ausländergewalt die 'Zivilcourage', die etablierte Politbonzen und Massenmedien gegen eine imaginäre 'rechte Gefahr' ständig anmahnen und mit Abermillionen an Steuergeldern für Irr sinns-Projekte fördern wollen?" (NZ vom 4. Juli, Seite 3) Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 130 Rechtsextremismus Diffamierung Häufig werden demokratische Institutionen und ihre Repräsentanten demokratischer diffamiert. Auf diese Weise soll das Vertrauen in diese Institutionen und Institutionen den von ihnen getragenen Rechtsstaat untergraben werden. Die Wort wahl macht deutlich, dass es sich dabei nicht um Kritik an einzelnen Entscheidungen oder Entscheidungsträgern handelt, sondern am Sys tem der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie: "Wer sich beruflich und finanziell abgesichert fühlt, ist natür lich eher bereit, zu heiraten und eine Familie mit Kindern zu gründen. Dass dies in Deutschland endlich wieder gewähr leistet ist, wäre vornehmste Aufgabe der herrschenden Poli tiker. Doch die haben vielfach nur das eigene Wohl im Auge." (NZ vom 4 Juli, Seite 5) "Während sich Etablierte ein Schlaraffenland mit ungezählten Vergünstigun gen geschaffen haben, verarmen immer mehr Deutsche." (NZ vom 1. Februar, Seite 1) 2.2.2 Organisation und Entwicklung Erneuter Mit Bei der DVU setzte sich der Mitgliederrückgang auch 2008 fort. So liegt gliederrückgang ihre Mitgliederzahl bundesweit bei rund 6.000 (2007: 7.000) In Bayern verlor die Partei erneut etwa 100 Mitglieder, so dass der derzeitige Mit gliederstand 800 Personen beträgt. Seit 1993 hat die Partei deutsch landweit 20.000 Mitglieder verloren. Die DVU hat keine Jugendorgani sation und betreibt auch keine Jugendarbeit. Sie verfügt in fast allen Bundesländern nominell über Landesverbände, die jedoch öffentlich kaum in Erscheinung treten. Auf Bezirks-, Kreisund Ortsebene ist die DVU organisatorisch ebenfalls kaum vertreten. Auf dem Bundesparteitag am 11. Januar 2009 in Calbe/Sachsen-Anhalt übernahm der 37-jährige Matthias Faust, ehemals Mitglied bei der NPD, Neuwahl des das Amt des Bundesvorsitzenden von Dr. Gerhard Frey. Faust unterhält Vorsitzenden beim gute Kontakte zur NPD sowie zu dem Neonazi Christian Worch. Dr. Frey Bundesparteitag hatte nach 22 Jahren an der Spitze der Partei auf eine erneute Kandi in Calbe datur verzichtet. Ziel des 75-Jährigen sei es, die Führungsspitze zu ver jüngen. Bis zu seinem Verzicht hatte Dr. Frey einen geradezu absoluten Macht anspruch in der Partei vertreten. Im seinem Verlag erscheint die "Natio nal-Zeitung /Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) als Werbeträger und publi zistisches Sprachrohr der DVU. Nach wie vor ist die DVU bei Dr. Frey verschuldet. Wie es nach dessen Amtsverzicht mit der - seit längerer Zeit an Bedeutung verlierenden Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 131 Partei weitergeht, ist noch nicht absehbar. In diesem Zusammenhang Ungewisse Zukunft stellt sich auch die Frage nach dem Bestand des zwischen NPD und DVU der Partei geschlossenen "Deutschland-Pakts", dessen Fortschreibung im Jahr 2009 ansteht. Im Gegensatz zur NPD ist es der DVU nicht gelungen, durch das Wahlbündnis ihre Attraktivität in der rechtsextremistischen Szene oder die Mitgliederzahl zu erhöhen. Stattdessen setzte sich die Abwärtsentwicklung weiter fort. 2.2.3 Veranstaltungen Im Jahr 2008 fand kein Bundesoder Landesparteitag der DVU statt. In Mindelau/Mindelheim, Landkreis Unterallgäu, wurde am 19. April eine Vortragsveranstaltung durchgeführt, an der etwa 80 Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum teilnahmen. Als Organisator trat der DVU-Vorsitzende des Bezirksverbands Schwaben, Walter Baur, auf. Redner waren neben Baur der DVU-Funktionär Dr. Thomas Mehnert und Liane Hesselbarth, DVU-Fraktionsvorsitzende im brandenburgi schen Landtag. Als Hauptrednerin referierte sie über die Themen "Die erfolgreiche Arbeit der DVU im Landtag" und "Wie lange lassen sich die Deutschen noch belügen". Als letzter Redner thematisierte Walter Baur die bevorstehende Landtagswahl in Bayern. Er lobte den "Deutschland-Pakt" als Kernmodell für nationale Parteien. Deswegen kandidiere er als Spitzenkandidat für die NPD bei der Landtagswahl. Dabei hob er auch die "gute Zusammenarbeit beider Parteien" im Regierungsbezirk Schwaben hervor. Zum Abschluss seiner Rede rief er die Anwesenden dazu auf, Unterstützungsunterschriften für die NPD zu leisten. 2.2.4 Teilnahme an Wahlen Nach den Wahlerfolgen in Brandenburg und Sachsen im Jahr 2004 be schlossen die damaligen Vorsitzenden von DVU und NPD, Dr. Gerhard Frey und Udo Voigt, dass beide Parteien auch bei der folgenden Bundestagswahl und der Europawahl 2009 kooperieren werden und künftig möglichst nur eine "nationale Liste" aufgestellt werden solle. Am 15. Januar 2005 schrieben die Parteivorsitzenden in einer als "Deutschland-Pakt" bezeichneten Vereinbarung ihre weitere Zusam "Deutschland-Pakt" menarbeit für die Wahlen auf Europa-, Bundesund Landesebene bis 2009 fort. Bei der Bürgerschaftswahl am 24. Februar in Hamburg erreichte die Bürgerschaftswahl DVU 0,8 % der Stimmen und erhält damit keine Wahlkampfkostenin Hamburg erstattung. Mit einem derart schlechten Abschneiden hatte innerhalb der DVU niemand gerechnet; es wird u.a. darauf zurückgeführt, dass Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 132 Rechtsextremismus der Spitzenkandidat, Matthias Faust, insbesondere bei den Hamburger Mitgliedern der NPD und den "Freien Nationalisten" nicht unumstritten war und teils sogar auf offene Ablehnung stieß. Seit Januar 2009 ist Matthias Faust DVU-Bundesvorsitzender. Kommunalwahlen Bei den Kommunalwahlen in Brandenburg am 28. September erhielt in Brandenburg die DVU 1,6 % der Wählerstimmen und ist in sieben Kreisen (Elbe-Els ter, Märkisch-Oderland, Oberspreewald-Lausitz, Teltow-Fläming, Pots dam-Mittelmark, Prignitz) sowie in der Landeshauptstadt Potsdam mit ein bis zwei Abgeordneten vertreten. NPD und DVU hatten sich - in Anlehnung an den "Deutschland-Pakt" die Landkreise Brandenburgs weitestgehend aufgeteilt, um nicht gegen einander zu konkurrieren. Lediglich im Landkreis Oder-Spree traten Kan didaten aus beiden rechtsextremistischen Parteien an. Hier konnte die NPD mit einem Stimmenanteil von 4,6 % die DVU deutlich überflügeln und in den Kreistag einziehen. Das Ergebnis der Kommunalwahlen in Brandenburg wird die Konkurrenz situation der beiden Parteien verschärfen. Tatsächlich dürfte das schlech tere Abschneiden der DVU mit ihrer mangelnden Präsenz vor Ort zusammenhängen. Sie ist noch mehr auf bundespolitisch motivierte "Protestwähler" angewiesen als die NPD. 2.3 Bürgerbewegung Pro München - patriotisch und sozial e.V. Bayern Anhänger: 50 Sprecher: Stefan Werner, Rüdiger Schrembs Gründung: 2006 Sitz: München Publikation: "Bürgerbewegung Pro München - patriotisch & sozial" Die "Bürgerbewegung Pro München - patriotisch und so zial e.V." (Pro München) wurde Mitte Januar 2006 in Mün chen mit dem Ziel gegründet, an der Kommunalwahl 2008 in München teilzunehmen. An der Gründungsversamm lung nahmen Personen aus dem Umfeld der NPD, der Deutschen Partei - Die Freiheitlichen (DP), der DVU und Rechtsextremisder Partei "Die Republikaner" (REP) teil. In der Folgezeit zogen sich die tische WahlNPD-Anhänger aus dieser zurück und gründeten die "Bürgerinitiative plattform Ausländerstopp" München (BIA-München) als eigene Wahlvereinigung. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 133 Pro München macht in München lebende Ausländer und Randgruppen pauschal für städtische Probleme verantwortlich. Die Bürgerbewegung fordert in ihrem Programm zur Stadtratswahl die Ausweisung mehrfach Programm zur straffällig gewordener Ausländer, die Beendigung der weiteren Zuwan Stadtratswahl derung in die Sozialsysteme und Bevorzugung von Randgruppen bei der Vergabe städtischer Mittel, die Ablehnung demonstrativer Moscheebauten in Konkurrenz zu christlichen Kirchen und die Verbes serung der Lebenssituation von alteingesessenen Münchnern in zuneh mend überfremdeten Stadtteilen. Pro München verfehlte mit einem Anteil von 0,9 % der Stimmen den Einzug in den Stadtrat. 2.4 Nation Europa Verlag GmbH Der Nation Europa Verlag in Coburg wurde 1953 gegrün det. Ein Jahr später konstituierte sich der mit den poli tischen Interessen des Verlags eng verbundene Verein Nation-Europa-Freunde e.V.. Herausgeber der im Verlag erscheinenden Monatsschrift "Nation & Europa - Deut sche Monatshefte" sind die Rechtsextremisten Peter Dehoust und Harald Neubauer. Die Zeitschrift bietet Rechtsextremisten eine publizistische Plattform. Mit einer Auflage von etwa 18.000 Exemplaren gehört sie zu den wichtigsten rechtsextremis tischen Theorieorganen. "Nation & Europa" (NE) verbreitet Beiträge, die in einer Gesamtschau Publizistische eine revisionistische, rassistische und antisemitische Grundhaltung er Plattform für kennen lassen. Rechtsextremisten "Kritiker der jüngsten Vereinbarung befürchten, daß demnächst die jüdischen Gemeinden zahlreicher europäischer Städte von Deutschland gesonderte Wie dergutmachung verlangen werden. Da die Bundesregierung keinen Widerspruch erhebt, setzt sich mehr und mehr die Auffassung durch, daß die Deutschen eigentlich gegenüber allen Juden zur ,Entschädigung' verpflichtet sind, auch wenn der Schaden durch Dritte verursacht wurde, oder gar nicht entstanden ist." (NE vom Oktober, Seite 44) "Was klarblickendere Zeitgenossen immer prophezeit haben, tritt nun ein: Die Zeitbombe der ,multikulturellen Gesellschaft' detoniert vor unseren Augen. Der multikulturelle, der ethnische Bürgerkrieg auf deutschem Boden geht in seine heiße Phase. Niemand kann mehr seine Ohren davor verschließen, daß die Ausbrüche inländerfeindlicher Gewalt, die in Großstädten wie München seit Wochen die Schlagzeilen beherrschen, von einem unüberhörbaren rassis tischen, antideutschen Unterton begleitet werden. Fast immer, wenn in diesen Wochen von neuen Pöbeleien in der U-Bahn, von Rangeleien mit ausländi schen Halbwüchsigen berichtet wird, sind deutschfeindliche Provokationen im Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 134 Rechtsextremismus Spiel: ,Scheiß-Deutscher', ,deutsche Hure'. Auch an Schulen, an denen ein heimische Kinder mittlerweile in die Minderheit geraten sind, gehört dieses Vokabular längst zum häßlichen Repertoire des alltäglichen Terrors, denen Rest-Deutsche an den Brennpunkten der Überfremdung ausgesetzt sind." (NE vom März, Seite 42) "Die Geschädigten pflanzen sich mit ihren psychischen Schäden fort, stempeln Kinder und Kindeskinder zu Spätopfern. Wer das für absurd hält, braucht sich nur das spiegelbildliche Übertragungsmuster deutscher ,Vergangenheitsbewäl tigung' anzuschauen: Hier wurde Täterschuld längst in eine Kollektivhaftung der Nachgeborenen umgewandelt. Dazu gehört, daß Deutsche auch in zwei ter und dritter Generation zahlen - und andere in zweiter und dritter Genera tion kassieren. Möglicherweise noch darüber hinaus. Bis zum Jüngsten Tag." (NE vom Januar, Seite 53) 2.5 Sonstige Organisationen Sonstige rechts Weitere teils regional, teils bundesweit tätige sonstige rechtsextremis extremistische tische Organisationen sind vielfach nur publizistisch aktiv. Etwaige Akti Organisationen vitäten beschränken sich im Allgemeinen auf interne Veranstaltungen, die kaum Außenwirkung entfalten. Zu nennen sind hier insbesondere die Gruppierungen - Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) - Deutsches Kolleg (DK) - Freundeskreis Ulrich von Hutten - Gesellschaft für Freie Publizistik (GFP). Weitere rechtsextremistische Organisationen sind unter Nummer 7 die ses Abschnitts aufgeführt. 3. Neonazismus 3.1 Allgemeines Der Neonazismus ist eine besonders menschenverachtende Erschei nungsform des Rechtsextremismus. Er umfasst alle Aktivitäten und Bestrebungen, die ein offenes Bekenntnis zur Ideologie des National sozialismus darstellen. Ziel der Neonazis ist die Errichtung eines vom Führerprinzip bestimmten autoritären bzw. totalitären Staates. Agitations Neonazis greifen inzwischen aber auch tagespolitische Themen auf schwerpunkte ("Moderne Neonazis"). Schwerpunktthemen waren im Berichtsjahr die angebliche staatliche Verfolgung des "nationalen Lagers", die "Über fremdung durch Ausländer" und verstärkt sozialund wirtschaftspolitiVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 135 sche Themen, wie die Folgen von "Hartz IV" und die globale Finanzkrise. Der neonazistische Kameradschaftsbund Hochfranken bemerkt dazu: "Nicht die Krise des Finanzsystems ist das Problem, sondern das System selbst ist das Problem, das überwunden werden muss!". Nach den Verboten zahlreicher neonazistischer Organisationen in den 1990er Jahren setzte eine Ideologieund Strategiedebatte ein, aus der das Konzept strukturloser Zusammenschlüsse hervorging. Durch lokale "Kameradschaften" ohne Mitgliederlisten, Vorstandspositionen und rechtlichen Strukturen sollten staatliche Gegenmaßnahmen erschwert und Verbote verhindert werden. Selbst bezeichnen sich Neonazis als "Freie Nationalisten" oder "Freie Kräfte". Die Vernetzung regionaler Neonazi-Gruppierungen erfolgt heute weitgehend über moderne Kom munikationsmittel wie das Internet. Die Gewinner dieser Neuausrichtung des "nationalen Lagers" sind auch die NPD und die JN bzw. deren aus der neonazistischen Szene stam mende Führungskader. Im Zuge einer "Volksfront von Rechts", der Ideologische Zusammenarbeit von Neonazis und NPD, sind zahlreiche "Freie Nationa Durchdringung listen" der NPD beigetreten. In ihren Reihen rufen sie dazu auf, die NPD der NPD als "parteipolitischen Arm" der "nationalen Bewegung" zu unterstützen. So sind neonazistische und nationalrevolutionäre Ideologie-Elemente integraler Bestandteil des ideologischen Spektrums der NPD geworden. Der NPD-Landesparteitag am 9. November in Simbach, Landkreis Dingol fing-Landau, könnte allerdings einen Wendepunkt in der Zusammen Zusammenarbeit arbeit von Neonazis und orthodoxen NPD-Mitgliedern in Bayern markie von Neonazis ren. Bayerische NPD-Parteifunktionäre wie Matthias Fischer nahmen die mit der NPD Wahlniederlage von Uwe Meenen, der von den "Freien Kräften" inner halb der NPD als Landesvorsitzender favorisiert wurde, zum Anlass, den Austritt aus der Partei anzukündigen. Es bleibt abzuwarten, ob dies das dauerhafte Ende der engen Zusammenarbeit zwischen der Partei und neonazistisch geprägten Kameradschaften in Bayern bedeutet. 3.2 Neonazi-Kameradschaften Nach wie vor organisieren sich Neonazis überwiegend in Kamerad schaften, die ohne formelle Mitgliedschaften und Strukturen auskom men. Anführer ist meist ein aktiver Rechtsextremist, der es versteht, seinen Strukturlose Gefolgsleuten die den ideologischen Zusammenhalt stärkenden "Feind Zusammenschlüsse bilder" zu vermitteln. Den Kameradschaften gehören aber nicht nur Neonazis an, vermehrt werden auch Rechtsextremisten aus subkulturel len Jugend-Szenen eingebunden, die sich - eigentlich szene-untypisch Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 136 Rechtsextremismus an politischen Aktivitäten beteiligen wollen. Daher gibt es immer mehr "Misch-Szenen" wie beispielsweise den Kameradschaftsbund Hoch franken. Angebote für Führende Neonazis sichern sich die Aufmerksamkeit Jugendlicher, indem Jugendliche für soziale Alltagsprobleme vermeintlich einfache Lösungen auf Grund lage eines "nationalen Sozialismus" angeboten werden. Geködert wer den Jugendliche im vorpolitischen öffentlichen Raum. Über das Internet, Aufkleberund Flugblattaktionen, die Organisation von Rechtsrock-Kon zerten oder die Herausgabe von Schulhof-CDs werden rechtsextremis tische Inhalte in einem modernen Design verpackt und verbreitet. Musik ist für die Szene von zentraler und gemeinschaftsfördernder Be deutung. In Konzerten oder Liederabenden werden politische Botschaf ten vermittelt. Neonazis organisierten im Jahr 2004 ein so genanntes Schulhof-Projekt. Dazu produzierten sie 50.000 Stück einer CD Bedeutung "Anpassung ist Feigheit - Lieder aus dem Untergrund" mit rechtsextre der Musik mistischer Musik, die bundesweit kostenlos an Jugendliche verteilt wer den sollte. Wegen rechtsextremistischer, systemfeindlicher und jugend gefährdender Inhalte ist die Verbreitung der CD verboten, es konnten lediglich einige wenige Exemplare verteilt werden. Dieses Projekt diente als Vorbild für weitere Projekte derselben Art. In Bayern sind folgende neonazistische Kameradschaften erwähnens wert: 3.2.1 Anti-Antifa Nürnberg (AAN) Die Anti-Antifa Nürnberg (AAN) ist nach eigenen Angaben ein Zu sammenschluss von Personen, der sich die "Aufklärung" von "politischen Gegnern" zum Ziel gesetzt hat. Über eine eigene Internet-Plattform in formierte die AAN über Aktivitäten der vermeintlich linksextremistischen - vor allem autonomen - Szene im Großraum Nürnberg. Auch Anti-An "Hausbesuche" tifa-Aktivitäten wurden thematisiert, z.B. unter der Überschrift "Haus der AAN besuche bei Antifaschisten in Fürth". Bei diesen "Hausbesuchen" wur den Autoreifen zerstochen und eine Hausfassade mit dem Slogan "Good Night Left Side" besprüht. Auf der Webseite wurden sowohl Bilder dieser Sachbeschädigungen als auch Fotos des vermeintlichen politischen Gegners veröffentlicht. Diese Internet-Präsenz der AAN wurde im Som mer 2008 abgeschaltet. Gleichwohl ist die Gruppe nach wie vor aktiv. Schlagzeilen machte die "Anti-Antifa Nürnberg" im Frühsommer, als Sebastian Schmaus, der die BIA-Nürnberg seit der Kommunalwahl im März neben dem NPD-Landesvorsitzenden Ralf Ollert im Nürnberger Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 137 Stadtrat vertritt, vorgehalten wurde, als Fotograf für die AAN tätig zu sein. 3.2.2 Kameradschaftsbund Hochfranken (KBH) Der Anfang 2006 von Anhängern der Kameradschaf ten Wunsiedel und Hof gegründete Kameradschafts bund Hochfranken (KBH) gehört nach wie vor zu den aktivsten Neonazi-Gruppierungen in Nordbayern. Er zählt etwa 20 Mit glieder und versteht sich als ein loser parteiund organisationsüber greifender Zusammenschluss von "Nationalisten und Patrioten" aus dem gesamten ostoberfränkischen Raum. Aufgrund der geographischen Nähe arbeiten die Anhänger des KBH eng mit Kameraden im sächsischen und thüringischen Vogtland zu Organisations sammen und sind über das Internet untereinander vernetzt ("Freies übergreifender Netz"). Der KBH nimmt mit Delegationen an dortigen Veranstaltungen Zusammenschluss teil, bei denen vor allem der Kameradschaftsführer Tony Gentsch als Redner auftritt. Aber auch in Bayern ist eine zunehmende Vernetzung zu beobachten. So meldete einer der führenden Aktivisten des KBH am 14. Juni im unterfränkischen Marktheidenfeld eine Demonstration "Gegen Repres sion und Polizeigewalt" an, an der 150 Personen aus dem überregio nalen neonazistischen Spektrum teilnahmen. Die Verbindungen des KBH reichen sogar über die Grenzen der Bundes republik hinaus. So nahmen mehrere Mitglieder des KBH an einem Kontakte ins internationalen Treffen von Neonazis zum "Tag der Ehre" am 9. Februar Ausland in Ungarn teil. 3.3 Autonomer Nationalismus Seit einigen Jahren fallen auf rechtsextremistischen Demonstrationen Teilnehmer auf, die dem klassischen Erscheinungsbild der Neonazis widersprechen. In Kleidungsstil und Aktionsformen lehnen sich die "Autonomen Nationalisten" (AN) u.a. an die "Autonomen" der linksextremistischen Szene an. Ein modernes Outfit wie schwarze Kapuzen-Pullis, Sonnenbrillen, Basecaps oder HipHop-Hosen grenzt sie von den biedermännischen Parteien oder der klassischen Neo naziund Skinhead-Szene ab. Selbst lange Haare und Musik "linker" Bands oder Punk-Bands sind keine Tabus mehr. Neu sind auch Parolen, Emblem der Slogans oder bunte Transparente mit Anglizismen, die mit veränderten Autonomen Inhalten ebenfalls von "Linksautonomen" kopiert wurden. So heißt es Nationalisten Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 138 Rechtsextremismus bei den AN "Good night - left side" statt "Good night - white pride". Selbst Palästinenser-Tücher und in abgewandelter Form die Fahne der "Antifaschistischen Aktion" wurden übernommen. Bei rechts extremistischen Demonstrationen sind die AN daher schwer als Rechtsextremisten erkennbar, was bewusst auch als taktischer Vorteil gegenüber der Polizei oder dem politischen Gegner genutzt wird. Anders als bei den "Freien Nationalisten" (FN) oder rechtsextremis Emblem der Antifaschistischen tischen Parteien sind die Aktionsformen wesentlich provokanter. Ein Aktion militantes Auftreten und Vorgehen bei öffentlichen Demonstrationen ähnelt dem "Schwarzen Block" der "Linksautonomen". Hauptangriffs ziele sind der deutsche Staat und seine Repräsentanten ("Fight the Militantes system") sowie der politische Gegner ("Anti-Antifa"). Das Verhältnis Auftreten zur NPD und der Mehrheit der "Freien Kräfte", die auf ein positives Erscheinungsbild bedacht sind, ist deshalb nicht unkritisch. Allerdings wird Gewalt nur als Reaktion auf "Provokationen" durch die Polizei oder Gegendemonstranten bei Versammlungen propagiert. Inhaltlich basiert die Bewegung der AN vorgeblich auf der national revolutionären Strömung der 1920er und 1930er Jahre - anders als bei den meisten klassischen FN, die sich am historischen Nationalsozia lismus orientieren. Einzelne AN bezeichnen sich als "revolutionäre Links nationalisten" oder auch als "Nationalsozialisten", die sich jedoch vom "Hitlerismus" distanzieren und stattdessen auf "sozialrevolutionäre Aktivisten in der nationalsozialistischen Ursprungsbewegung" Bezug nehmen. Eine tiefere ideologische Auseinandersetzung findet jedoch nicht statt. Die politischen Eigendarstellungen bleiben zumeist ober flächlich, als kleinster gemeinsamer Nenner genügt ein "nationales und sozialistisches" Weltbild mit "revolutionärem" Pathos. Mit vormals "links" besetzten Themen wie Anti-Globalisierung oder Antikapitalismus versuchen die AN, eine Klientel anzusprechen, die für rechtsextremistische Inhalte bisher nicht empfänglich war. Gegenüber Übernahme Jugendgruppen, die eher dem alternativen "linken" Politspektrum zu "linker" Symbole zurechnen sind, bestehen zumindest bei der Übernahme des Lebensstils keine Berührungsängste. Auch das unterscheidet die AN von den tradi tionellen Neonazis, die den Vorwurf einer äußerlichen Verbrüderung der AN mit dem lange bekämpften politischen Gegner erheben. Ein bayerischer Anhänger der AN beschreibt sich folgendermaßen: "Also ich bin von ganzem Herzen nationaler Sozialist. Ich bin antikapitalistisch und antiamerikanisch. Wenn mich deswegen jemand als links bezeichnet ist es mir wirklich egal." Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 139 Bayerische AN forderten sogar auf einem Flugblatt "Freiheit für Chris tian Klar", den zwischenzeitlich aus der Haft entlassenen früheren RAF-Terroristen. In Bayern existiert derzeit keine Gruppierung, die alle Merkmale der AN erfüllt. Gleichwohl darf das Phänomen "Autonomer Nationalismus" nicht unterschätzt werden. Durch die Öffnung gegenüber anderen Steigende Jugendkulturen steigt die Anhängerzahl bundesweit an. Auch in Bayern Anhängerzahl erkennen immer mehr Kameradschaften die Achtungserfolge der AN an und übernehmen zumindest Elemente wie Outfit oder Parolen. 3.3.1 Freie Nationalisten München (FNM) Die Gruppierung "Freie Nationalisten München" (FNM) wurde im Okto ber 2007 von den beiden Neonazis Mike Nwaiser und Philipp Hassel bach gegründet. Sie entstand aus der Gruppierung "Autonome Natio nalisten München", die sich zuvor aufgrund interner Streitigkeiten auf gelöst hatte. Die Anhänger der FNM treten öffentlich immer noch vor wiegend schwarz gekleidet auf und verwenden Erkennungszeichen der "Autonomen Nationalisten" wie etwa schwarze Fahnen und Anglizis men wie "we will rock you". Die FNM sind in Südbayern die aktivste neonazistische Vereinigung. In Zahlreiche regelmäßigen Abständen führt sie Mahnwachen, Flugblattverteilaktio Aktivitäten nen und Demonstrationen durch. Zielgruppe der öffentlichkeitswirk in Südbayern samen Aktionen sind vor allem Jugendliche, bei denen Sympathien für die Ziele der FNM geweckt werden sollen. Für diesen Zweck streben die FNM auch eine enge Vernetzung mit anderen rechtsextremistischen Gruppierungen an. "München wird deutsch!" fordern die FNM auf einem ihrer Aufkleber, die im Münchener Stadtgebiet verbreitet werden. Dieselbe Gruppierung verteilte am 19. September vor dem Maria-Theresia-Gymnasium in München Flugblätter mit der Parole "Nationale Alternativen schaffen" Schuloffensive an Schüler. Ziel dieser Aktion war es, in einer "Schuloffensive ... den der FNM Bekanntheitsgrad unserer Gruppe bei der Münchner Jugend zu erhö hen". Durch solche aktionsorientierte Handlungen wenden sich Neo nazis gezielt an Jugendliche, um sie für ihre nationalistischen Ideen zu gewinnen. Am 13. Juni veranstalteten die FNM in München eine Versammlung unter dem Motto "Linksextreme Strukturen erkennen - A.I.D.A.-Archiv verbieten!" (vgl. auch Nummer 3.3.1 des 5. Abschnitts). An der Demons tration nahmen auch Mitglieder und Sympathisanten der NPD sowie der Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 140 Rechtsextremismus BIA-München teil. Die Demonstrationsteilnehmer führten Transparente mit der Aufschrift "Autonome Nationalisten" und "Linke Banden hier im Land - München leistet Widerstand" mit. Als Redner traten das Stadtratsmitglied der BIA-München, Karl Richter, sowie die beiden NPD-Funktionäre Norman Bordin und Roland Wuttke auf. Auch der neo nazistische "Heldengedenkmarsch" mit 200 Teilnehmern am 15. Novem ber in München wurde von den FNM organisiert. 3.3.2 Kameradschaft Augsburg - Nationales Augsburg Die seit 2004 aktive Kameradschaft besteht aktuell aus bis zu zehn Aktivisten und orientiert sich seit Mitte 2007 am Konzept der "Auto nomen Nationalisten". Dementsprechend treten die Angehörigen in Kleidungsstil der Öffentlichkeit schwarz gekleidet auf. Die Aktivisten beteiligen sich regelmäßig an rechtsextremistischen Demonstrationen und Mahn wachen in Bayern. Zuletzt mobilisierten sie auf Ihrer Homepage für eine von dem Neonazi und NPD-Funktionär Roland Wuttke angemeldete Versammlung mit dem Motto "Landsberg bekennt sich zu seiner Geschichte" am 29. November in Landsberg am Lech. Hintergrund war die Entwidmung des Spöttinger-Friedhofs in Landsberg; dort wurden nach dem Zweiten Weltkrieg auch hingerichtete NS-Kriegsverbrecher bestattet. An der Kundgebung nahmen rund 80 Aktivisten der süd bayerischen Neonazi-Szene teil. Kontakte Die Kameradschaft Augsburg arbeitet eng mit den "Freien Nationalis zu den FNM ten München" unter der Führung von Philipp Hasselbach zusammen und koordiniert entsprechende Aktionen. Die Zusammenarbeit wird auch im Rahmen des Internet-Auftritts und auf Flugblättern deutlich. Als Verantwortlicher wird zumeist Mike Nwaiser genannt. 3.3.3 Sozialrevolutionäre Aktion Regensburg In Regensburg bestand seit Herbst 2004 die von einem NPD-Aktivisten gegründete und geleitete Kameradschaft Asgard Ratisbona. Die Grup pierung, die sich überwiegend aus Skinheads und Neonazis der rechts extremistischen Szenen in Abensberg, Kelheim und Regensburg rekru tierte, zählte etwa 20 Personen. Sie trat in Regensburg und der nähe ren Umgebung mit Informationsständen, Flugblattaktionen und Mahn Umstrukturierung wachen in Erscheinung. Nach einer Phase der Umstrukturierung nennt sich die Gruppierung seit 2007 "Sozialrevolutionäre Aktion Regens burg". Die weiterhin rechtsextremistisch aktive Anhängerschaft hat sich auf bis zu zehn Personen verringert. Seit Oktober benutzt die GruppieVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 141 rung zusätzlich den Namen "Autonome Nationalisten Regensburg". Teilnahme am Unter diesem Namen beteiligten sich die Anhänger auch am "HeldenHeldengedenkgedenkmarsch" am 15. November in München. marsch 3.4 Sonstige neonazistische Organisationen 3.4.1 Sache des Volkes (SdV) Im Frühjahr entstand unter maßgeblicher Beteiligung von Jürgen Schwab, einem intellektuellen Vordenker der rechtsextremistischen Szene, eine "Gesinnungsgemeinschaft nationalrevolutionärer" Organi sationen und Aktivisten. Die SdV versteht sich als überregionales NetzÜberregionales werk und Plattform für Anhänger eines "sozialrevolutionären NationaNetzwerk lismus". Ziel ist es, theoretische Schulungen für Gleichgesinnte vor Ort anzubieten, aber auch Aktionen im öffentlichen Raum anzuregen. Die SdV ist bislang überwiegend publizistisch, durch Vortragsveranstaltun gen und vereinzelte Flugblattaktionen aktiv geworden. In der auf der Homepage der SdV veröffentlichten Grundsatzerklärung wird betont, dass man keine neue Partei sei, sondern Bildungsarbeit leisten und die eigenen Ideen verbreiten möchte. In der zwölf Punkte umfassenden Grundsatzerklärung wird z.B. die Position zum Islam dar gestellt: "Die Sache des Volkes (SdV) sieht im Islam eine außereuropäische Religion, deren Gesellschaftsbild in vielen Bereichen unseren Traditionen widerspricht. Den Bau von Moscheen lehnen wir in unserer Heimat aber nicht deshalb ab, weil er von Muslimen betrieben wird, deren religiöses Bekenntnis wir akzep tieren, sondern weil er von Ausländern initiiert wird, die nach unserer Über zeugung in ihre Heimatländer zurückkehren sollten." 3.4.2 Heimattreue Deutsche Jugend e.V. (HDJ) Bei der HDJ handelt es sich um eine neonazistisch ausgerichtete Jugend organisation mit bundesweit einigen hundert Mitgliedern. Sie präsen tiert sich als jugendpflegerischer Verein, der Fahrten und Lager für Kin der und Jugendliche oder auch ganze Familien organisiert. Bei diesen vorgeblich unpolitischen Freizeitaktivitäten wird ein rechtsextremisOrientierung tisches Weltbild vermittelt, insbesondere eine am Ideal der "Volks an der "Volks gemeinschaft" orientierte politische "Kultur". Auf diese Weise sollen gemeinschaft" Kinder und Jugendliche rechtsextremistisches Gedankengut verinner lichen. Die HDJ sieht sich selbst als aktive, volksund heimattreue Jugend bewegung für alle deutschen Mädel und Jungen im Alter von 7 bis 29 JahVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 142 Rechtsextremismus ren. Sie wurde 1990 im Zuge einer Abspaltung aus dem Bund Heimat treuer Jugend e.V. gegründet. Die Bundesführung der HDJ ist im Groß raum Berlin ansässig. Die HDJ verfügt über einen bundesweiten hierar chischen Aufbau mit regionalen Ortsgruppen. In Bayern ist von min destens zehn HDJ-Aktivisten auszugehen, zu denen auch der bekannte rechtsextremistische Liedermacher Frank Rennicke gerechnet wird. Sowohl bundesweit als auch in Bayern unterhalten Mitglieder der HDJ szene-übergreifende Kontakte zur NPD und auch zur neonazistischen Kameradschafts-Szene. Vereinsrechtliche Am 9. Oktober wurden im Rahmen eines vom Bundesministerium des Maßnahmen Innern eingeleiteten vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens bundes weit die Wohnungen von rund 100 der HDJ zuzurechnenden Personen von der Polizei durchsucht. In Bayern waren dabei zehn Wohnungen betroffen. 3.5 Aktivitäten zum 21. Todestag von Rudolf Heß Das konsequente Handeln der zuständigen Behörden wehrte erfolg reich den Versuch der rechtsextremistischen Szene ab, aus Anlass des 21. Gedenktags eine zentrale Ersatzveranstaltung für den verbotenen Heß-Gedenkmarsch in Wunsiedel oder Umgebung durchzuführen. Auch der erstmalige Versuch, durch eine nichtöffentliche Veranstaltung das Verbot zu umgehen, blieb erfolglos. Die (internationale) Mobilisie rung für derartige Gedenkveranstaltungen im gesamten Bundesgebiet Rückläufige war im Vergleich zu den Vorjahren mit nur 780 Teilnehmern (2007: Mobilisierung 1.200) rückläufig. Der Neonazi und Rechtsanwalt Jürgen Rieger hatte ursprünglich für den 16. August eine zentrale Veranstaltung zum Gedenken an den Erneutes Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß in Wunsiedel angemeldet. Diese Veran Versammlungs staltung wurde ebenso wie jede Form von Ersatzveranstaltungen vom verbot Landratsamt Wunsiedel im Fichtelgebirge verboten. Auch der Versuch von Rieger, für den 16. und 17. August in der Gast stätte "Puchtler" in Warmensteinach, Landkreis Bayreuth, eine "private" Heß-Gedenkveranstaltung abzuhalten, scheiterte am entsprechenden Verbot durch das Landratsamt Bayreuth. Um den Anschein einer nicht öffentlichen Veranstaltung zu wahren, sollten die Teilnehmer in einen "Rudolf-Heß-Gedenkverein" aufgenommen werden. Am 15. und 16. August gingen bei der Polizei Anmeldungen für Eil versammlungen in Erlangen, Herzogenaurach, Forchheim und WiesentVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 143 heid ein. Das Thema richtete sich jeweils gegen die Versammlungsver bote. Diese von Funktionären der NPD und JN angemeldeten Treffen wurden ebenfalls verboten. In Herzogenaurach erteilte die Polizei den bereits rund 50 versammelten Rechtsextremisten Platzverweise. Auch ein Treffen auf dem Privatgrundstück eines NPD-Funktionärs in Geschwand, Landkreis Forchheim, wurde von der Polizei verhindert. Unter den anwesenden Personen befanden sich auch der Rechtsextre mist Norman Bordin sowie Jürgen Rieger. Außerhalb Bayerns führte die rechtsextremistische Szene am 16. und Aktivitäten 17. August in Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rhein außerhalb Bayerns land-Pfalz und Thüringen insgesamt neun dezentrale Gedenkveranstal tungen zum 21. Todestag des Hitler-Stellvertreters durch. Insgesamt be teiligten sich etwa 780 Personen (2007: 1.200) an den Demonstrationen. Größere Kundgebungen gab es nur in Altenburg/Thüringen mit etwa 230 Teilnehmern und Ueckermünde/Mecklenburg-Vorpommern mit rund 250 Teilnehmern. Der Aufzug in Ueckermünde wurde aufgelöst. 4. Rechtsextremistische Jugend-Szenen 4.1 Überblick Die rechtsextremistische Jugend-Szene unterlag in den letzten Jahren einem deutlichen Umbruch. Lange Zeit prägten rechtsextremistische Skinheads die Szene und das Bild einer "rechten" Subkultur in Deutsch land. Daneben gab es eine Vielzahl anderer Jugendkulturen. Mittler weile sind die Grenzen fließender. Klassische Identifizierungsmerkmale der Skinhead-Szene wie Tätowierungen oder der rasierte Schädel haben Eingang in die Jugendmode gefunden. Unpolitische Jugendliche haben aus Unkenntnis oder als Provokation gegenüber der Gesellschaft "rechte" Symbolik übernommen. Andererseits wurden Merkmale aus anderen Jugend-Szenen von Rechts extremisten übernommen. Moderne Lifestyle-Elemente wie HipHop-Klei dung, lange Haare, Piercings oder Basecaps sowie Musikstile und Sym bolik des linken Spektrums wurden von der rechtsextremistischen Szene kopiert und lassen auf den ersten Blick eine rechtsextremistische Gesinnung nicht erkennen. Der klassische Skinhead mit Glatze, Sprin gerstiefeln und Bomberjacke ist zwar nicht verschwunden, dominiert aber die rechtsextremistische Szene nicht mehr. Die früher bewusst pro Änderungen im vokative stilistische Abgrenzung wird teilweise aufgegeben. Zum einen Erscheinungsbild hat ein unauffälligeres Outfit den Vorteil, Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner oder Polizeikontrollen zu vermeiden. Zum Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 144 Rechtsextremismus anderen können andere Jugend-Szenen so leichter beeinflusst werden, um sich neue Rekrutierungsfelder zu erschließen. Hinweise auf die Zu gehörigkeit zur rechtsextremistischen Szene erschließen sich heute eher durch versteckte oder verschlüsselte Symbole, die für Gleich gesinnte erkennbar sind. Beliebt sind neben NS-Zahlen und "NS-Dress codes", auch Runen und Symbole der nordischen Mythologie, die all gemein nicht sofort mit der NS-Herrschaft in Verbindung gebracht werden. 4.2 Rechtsextremistische Skinheads Nach wie vor übt der so genannte Skinhead-Kult eine Faszination auf Jugendliche aus, auch wenn das klassische Skinhead-Outfit aus der Mode gerät. Für die häufig nur lose strukturierte Skinhead-Szene "Spaßfaktor" stehen Spaß, d.h. laute Skinhead-Musik, exzessiver Alkoholkonsum, Pogo-Tanzen und Randale im Vordergrund. Die politischen Ansichten Redskins der Skinhead-Subkultur reichen von den so genannten Redskins (links extremistisch beeinflusste Skinheads) über die so genannten SHARPs SHARPs (Skinheads against racial prejudice - Skinheads gegen rassistische Vor Oi-Skinheads urteile) und die Oi-Skinheads ("unpolitische Skinheads") bis hin zur White-PowerMehrheit der rechtsextremistischen Skinheads einschließlich der so ge Skinheads nannten White-Power-Skinheads. Skinheads sind zu einer rational bestimmten politischen Meinungs bildung oft kaum fähig und an einer fundierten politischen Ausein andersetzung nicht interessiert. Eine politische Überzeugung bildet sich allerdings je nach Einzelfall nicht selten nach Beitritt in die Szene stärker aus. In Skinhead-Kreisen hat sich eine vom organisierten Rechtsextre Diffuse rechts mismus unabhängige diffuse rechtsextremistische Weltanschauung her extremistische ausgebildet. Sie ist von rassistisch motivierter Fremdenfeindlichkeit Weltanschauung sowie übersteigertem Nationalbewusstsein geprägt und knüpft inso fern an wesentliche Elemente des Nationalsozialismus an. Diese Einstel lung spiegelt sich in meist spontanen Gewalttaten wider. Opfer sind nach wie vor Ausländer, aber auch Personen aus sozialen Randgruppen sowie "Linke", also alle zu ihren Feindbildern zählenden Menschen. Die Skinhead-Bewegung entstand Ende der 1960er Jahre in Großbri tannien und trat erstmals Ende der 1970er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland in Erscheinung. Sie war ursprünglich eine jugendliche Sub kultur, die durch ihr Auftreten eine extreme Ablehnung der bürger lichen Gesellschaft signalisierte. Die Beachtung, die rechtsextremis tischen Skinheads in der Öffentlichkeit und in den Medien zuteil wird, ist auf ihre brutalen und menschenverachtenden Gewalttaten zurückVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 145 zuführen, die sich gegen Ausländer, Asylbewerber und soziale Rand gruppen, aber auch gegen "Linke" richten. 4.3 Rechtsextremistisch beeinflusste Subkulturen Rechtsextremisten nutzen die verbindenden Elemente zu anderen Sub kulturen um deren Anhänger für die NS-Ideologie zu gewinnen oder um rechtsextremistische Tendenzen in diese Subkulturen zu tragen. Insbe sondere Teile der Black-Metal-Szene weisen eine historisch gewachsene Black-Metal-Szene Verbindung zum Rechtsextremismus auf. Gemeinsamkeiten bestehen in der Ablehnung des Christentums (Stichwort "Odin statt Jesus"), in der Berufung auf die nordische Göttermythologie mit ihrer Runen-Symbolik sowie einem elitären Sozial-Darwinismus. Allerdings ist die Black-Me tal-Szene weitgehend unpolitisch. Daher hat sich für den rechtsextre mistischen Teil dieser Szene der Begriff NS-Black-Metal eingebürgert. Gemeinsame Schnittmenge der NS-Black-Metal-Szene mit der rechts NS-Black-Metalextremistischen Szene sind dabei wiederum die Glorifizierung des Szene Heldentums oder die Auferstehung eines germanischen Reichs. Beide Merkmale entsprechen dem Weltbild der Nationalsozialisten. Einige Vertreter des NS-Black-Metal sehen Adolf Hitler als die Wiedergeburt des Satans, der als Anti-Christ verehrt wird. Innerhalb der "Schwarzen Szene" oder auch "Grufti-Szene" fällt vor allem die Strömung "Neofolk" mit einem rechtsextremistischen Habitus Neofolk auf. "Neofolk"-Anhänger zeichnen sich für ihre Vorliebe für Uniformen mit faschistischem oder nationalsozialistischem Hintergrund aus. Großen Raum nimmt auch die Hinwendung zu nordischer Mythologie und Mys Nordische tik ein. So finden etwa durch das NS-Regime vereinnahmte Runen, wie Mythologie die Lebensrune oder die Wolfsangel, in dieser Szene weite Verbreitung. Auch werden vielfach andere vorbelastete Symbole von Neofolk-Bands und -Anhängern offen zur Schau gestellt. Zu nennen ist hier die für die Szene bedeutende Band "Death in June" die einen SS-Totenkopf als Symbol verwendet und sich in ihrer Namensgebung auf den Tod von SA-Chef Ernst Röhm bezieht. Dies macht die Szene für Rechtsextremis ten interessant und empfänglich. Beispielsweise nimmt auch der Akti vist der Münchener Neonazi-Szene Hajo Klettenhofer regelmäßig an Veranstaltungen der Neofolk-Szene teil. 4.4 Strukturen Rechtsextremistische Subkulturen unterliegen einer starken Fluktuation und kennen in der Regel weder feste Organisationsstrukturen noch forVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 146 Rechtsextremismus Rechtsextremistische Skinhead-Szenen in Bayern 2008 Raum Raum Coburg Coburg Aschaffenburg Raum ca. 15 Bayreuth/Hof ca.20 Aschaffenburg ca. 25 Raum Bayreuth Würzburg Bamberg ca. 20 Raum Würzburg/ Raum Lohr am Main Erlangen Raum Amberg/ Schwandorf/Weiden ca. 35 ca. 25 Nürnberg ca. 35 Großraum Ansbach Nürnberg Raum ca. 50 Cham/Roding Raum Ansbach/ ca. 20 Schwabach ca. 25 Raum Regensburg Angehörige der Ingolstadt Skinhead-Szenen ca. 30 Raum Regensburg Ingolstadt ca. 30 Raum Passau Dillingen Raum Augsburg/ Raum Friedberg/Aichach Landshut Landshut Raum Passau/ ca. 15 ca. 25 ca. 10 Deggendorf/ Neu-Ulm Straubing Augsburg Raum Raum Erding ca. 25 Neu-Ulm ca. 35 ca. 10 Raum Landsberg/ Fürstenfeldbruck München Raum Krumbach/ ca. 15 Großraum Raum Memmingen München Traunstein ca. 40 ca. 105 ca. 15 Großraum Rosenheim Oberallgäu/ Raum Unterallgäu Raum Weilheim/ Rosenheim ca. 30 Geretsried ca. 15 ca. 30 melle Mitgliedschaften. Die Bindungen zur Gruppe reichen von losen gelegentlichen Kontakten über regelmäßige Beteiligung an Aktionen bis zur vollen sozialen Integration oder der Wahrnehmung von Füh rungsfunktionen. Diese informellen Führer wandern später zum Teil in andere rechtsextremistische Gruppierungen ab. MobilisierungsRechtsextremistisch eingestellte Jugendliche und Skinheads dienen potenzial Neonazis und der NPD/JN als Mobilisierungspotenzial für öffentlichVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 147 keitswirksame Aktionen. Frühere Vorbehalte gegenüber diesen Organi sationen haben stark abgenommen. Ein Großteil der Besucher von NPD-Großkundgebungen gehört der subkulturell geprägten rechts extremistischen Szene an. Enge Kontakte bestehen nach wie vor - ins besondere in den Räumen Nürnberg, Ingolstadt und Hof - zwischen den dortigen Skinhead-Szenen und den JN bzw. der NPD. Nach den rückläufigen Zahlen in den beiden Vorjahren ist in Bayern die Zahl der subkulturell orientierten Rechtsextremisten im Vergleich zum Personenpotenzial Vorjahr mit 700 gleich geblieben. Auch die Zahl derer, die sich Neo in Bayern nazi-Gruppierungen oder der NPD/JN anschließen, stagniert. Solche "Misch-Szenen" gibt es vor allem in Nordbayern. Größere neue rechtsextremistische Szenen wurden in Bayern nicht bekannt. Aktuelle Schwerpunkte im Skinhead-Spektrum gibt es in den Regionen Augsburg und Memmingen mit den Skin head-Gruppierungen "Hate Crew Schwaben" und "Voice of Anger". Skinheads sind sehr mobil und können aufgrund ihrer engen Vernetzungen in kürzester Zeit gemeinsam Aktionen bzw. Veranstaltungen planen und durchfüh ren. Nach wie vor übt der Staat einen intensiven Überwachungsdruck auf die Szene aus. 4.5 Anziehungskraft für Jugendliche Die Anziehungskraft rechtsextremistischer subkultureller Szenen, wie der Skinhead-Szene, auf männliche Jugendliche, hält an. Die Beweg gründe, die junge Menschen in diese Subkultur treiben, sind viel fältig: jugendliche Protesthaltung, Provokation und Tabubruch, sowie Mögliche die gesamtgesellschaftliche Entwicklung mit den häufigen Folgen einer Einstiegsmotive Entwurzelung und einer zunehmenden Entfremdung vom Elternhaus, Perspektivlosigkeit in Verbindung mit wirtschaftlichen Problemen und einem begonnenen oder befürchteten sozialen Abstieg. Hinzu kommt das durch die Szene vermittelte Gemeinschaftserlebnis und das daraus folgende Gefühl eigener Stärke und Anerkennung in einer sozialen Gruppe. Den Jugendlichen werden einfache Erklärungen und einfache Lösungen für komplexe Probleme angeboten. Skinheads entstammen zu einem erheblichen Teil, aber nicht aus schließlich, den unteren sozialen Schichten. Die meisten Skinheads fin den sich in der Altersgruppe von 16 bis 24 Jahren, ältere Szene-Ange Altersstruktur hörige sind die Ausnahme. Die so genannten Jungglatzen sind erst 12 bis 13 Jahre alt. Auch Mädchen, die Renees, gehören dieser Subkultur Renees Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 148 Rechtsextremismus an, sind jedoch zahlenmäßig in der Minderheit. Ihr Anteil beträgt je nach Szene bis zu 20 %. Skinhead-Musik Die rechtsextremistische Skinhead-Szene rekrutiert sich vor allem aus als Rekrutierungs Jugendlichen, die sich für Skinhead-Musik als Stilrichtung der Rock mittel musik interessieren. Dabei kommen zunächst eher unpolitische Jugend liche über Konzerte oder das gemeinsame Musikhören mit der Skin head-Szene in Kontakt. Daneben finden manche Jugendliche Gefallen an dem in der Skinhead-Szene üblichen exzessiven Lebensgenuss einschließlich des enormen Alkoholkonsums unter dem Motto "Fun & Froide". 4.6 Rechtsextremistische Musik Rechtsextremistische Musik vermittelt die subkulturellen Botschaften der Szene. In den Liedern werden Eigenverständnis und Abgrenzung der Szene gegenüber der Gesellschaft beschrieben, Kritik am Estab lishment formuliert und andere politische Themen aufgegriffen. Rechtsextremistische Bands verbreiten in ihren Liedtexten neonazis tische Ideologiefragmente und rufen zum Hass gegen Feindbilder wie Ausländer, "Linke" und Juden auf. Über die Musik werden auch rechtsextremistische Botschaften in andere Subkulturen getragen, wie z.B. in Teile der sonst unpolitischen "Schwarzen Szene" oder der Black-Metal-Szene. Rechtsextremistische Musik lässt sich in die Bereiche Liedermacher, NS-Black-Metal und Rechtsrock untergliedern. Bekanntester deutscher Liedermacher Liedermacher der rechtsextremistischen Szene ist der in Bayern wohn hafte Frank Rennicke. Innerhalb des Musikstils Black-Metal etablierte sich der so genannte NS-Black-Metal. Die Texte enthalten kaum ein deutige extremistische Aussagen. Politische Botschaften werden viel mehr unverständlich gegrölt oder verschleiert und nur für "Insider" ver NS-Black-Metalständlich dargeboten. Schwerpunkt der NS-Black-Metal-Szene in Bay Szene ern ist der Großraum Nürnberg. Eine Kultband der Black-Metal-Szene ist die Band ABSURD aus Thüringen. Der Sänger dieser Band, Henrik Möbus, beging am 29. April 1993 einen satanistisch motivierten Mord an einem 15-jährigen Mitschüler. Rechtsrock Unter Rechtsrock fallen Stilrichtungen wie die traditionelle Skin head-Musik "RAC" ("Rock against Communism") oder "White Noise". Besonderer Beliebtheit unter jugendlichen Rechtsextremisten erfreut sich in jüngster Zeit der NS-Hatecore, eine aggressive Variante des "RAC". Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 149 Rechtsextremistische Musik wird in Bayern von elf rechtsextremistischen Tonträgervertrieben angeboten. In Bayern sind zehn Musikgruppen Bayerische aktiv, die teilweise bei Konzerten im Inund Ausland auftreten. Es han Musikgruppen delt sich hierbei um die Gruppen - BURNING HATE (Raum Oberfranken) - DAMAGE INCORPORATED (Aschaffenburg) - EDELWEISS (München) - FAUSTRECHT (Mindelheim) - FELDHERREN (München) - NATIONAL BORN HATERS (Raum Ulm) - NOISE OF HATE (Amberg) - STURMTRUPP (Neuburg a.d. Donau) - UNTERGRUNDWEHR (Würzburg) - WHITE REBEL BOYS (Raum Hof) Die Veranstalter versuchen, die Konzerte als private Tanzabende bzw. Plattenpartys oder als Geburtstagsfeiern zu tarnen, um ein Einschreiten der Sicherheitsbehörden zu erschweren. Des Weiteren versuchen die Organisatoren, die Konzerte als geschlossene Veranstaltungen abzuhal ten. Die Teilnehmer werden durch persönlich ausgehändigte oder per Post zugestellte Einladungskarten informiert oder vor Beginn des Konzerts ohne nähere Angaben zum eigentlichen Veranstaltungsort in eine bestimmte Region gelotst. Erst unmittelbar vor Beginn wird die konkrete Örtlichkeit z.B. per SMS bekannt gegeben. In Bayern fanden im Jahr 2008 sieben rechtsextremistische Konzerte statt. Im Vorjahr waren im gleichen Zeitraum neun Konzerte begon nen bzw. durchgeführt worden. Die Teilnehmerzahl bei den Veran staltungen lag zwischen 40 und 150 Personen. Obwohl die Organisa tion der Konzerte immer konspirativer erfolgt, ist zu erkennen, dass es den Veranstaltern bei weitem nicht mehr so oft gelingt, diese erfolg reich durchzuführen. Ursächlich ist der intensive Überwachungsdruck Verhinderung von durch die zuständigen Sicherheitsbehörden. Die Veranstalter sind daher Veranstaltungen immer weniger bereit, das finanzielle Risiko eines Rechtsrock-Konzerts in Bayern zu tragen. Bayerische Rechtsextremisten weichen in der Folge als Konzertbesucher zunehmend ins europäische Ausland aus. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 150 Rechtsextremismus 5. Revisionismus 5.1 Ziele Der Revisionismus, der die Geschichtsschreibung über die Zeit des Drit ten Reichs ändern will, ist zu einem Bindeglied zwischen den unter schiedlichsten rechtsextremistischen Strömungen geworden. Seinen Repräsentanten geht es allerdings nicht um die Gewinnung neuer wis Rechtfertigung senschaftlicher Erkenntnisse, sondern gezielt um die mittelbare Recht der national fertigung bzw. Aufwertung der nationalsozialistischen Gewaltherr sozialistischen schaft durch einseitige, relativierende oder verharmlosende Darstellung Gewaltherrschaft des NS-Regimes. Im Mittelpunkt der revisionistischen Agitation stehen die Leugnung des nationalsozialistischen Massenmords an europä ischen Juden in Gaskammern deutscher Konzentrationslager während des Zweiten Weltkriegs (Holocaust) sowie die Behauptung, Deutschland trage keine Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Auf diese Weise soll das auf seriöser Forschung beruhende Geschichtsbild propa gandistisch untergraben werden, um die Deutschen von einem ver meintlich aufgezwungenen "Schuldkomplex" zu befreien. 5.2 Entwicklung und Träger der Revisionismus-Kampagne Revisionismus war von Anfang an eine internationale Erscheinung, wo bei der Anstoß zunächst aus Frankreich und den USA kam. Seit Beginn der 1950er Jahre erschien eine große Anzahl von Büchern, die den histo rischen Nachweis führen wollten, dass es entgegen der Feststellung seriöser Forscher und Zeitzeugen keine Tötung von Juden in Gaskam mern gegeben habe. Hervorzuheben ist hierbei das 1989 veröffent "Leuchter-Bericht" lichte "Gutachten" des Amerikaners Fred A. Leuchter, wonach es in Auschwitz und einigen anderen Konzentrationslagern aufgrund der technischen Gegebenheiten nicht möglich gewesen sei, Menschen in Gaskammern zu töten. 6. Exekutivmaßnahmen und Strafverfahren 6.1 Vereinsverbote Der Bundesminister des Innern hat am 7. Mai die rechtsextremistischen Vereine "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holo Verbot von caust Verfolgten" (VRBHV), "Internationales Studienwerk - Collegium VRBHV und CH Humanum e.V." (CH) und dessen Teilorganisation "Bauernhilfe e.V." verboten. Ferner wurden die entsprechenden Internet-Seiten der Vereine gesperrt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 151 Die Vereine wurden verboten, weil ihre Zwecke und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwider liefen und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und den Gedanken der Völ kerverständigung richteten. Die Vereinstätigkeit bestand aus antisemiti scher Propaganda, Leugnung des Holocausts und der Verherrlichung Leugnung des der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Das rechtsextremistische Holocausts Gedankengut wurde im Internet, in Druckerzeugnissen sowie in der vereinseigenen Liegenschaft des CH in Vlotho/Nordrhein-Westfalen ver breitet. Das CH war 1963 vom früheren NS-Funktionär Werner Georg Haverbeck gegründet und zuletzt von dessen Witwe Ursula Haverbeck-Wetzel ge leitet worden. Der Verein hatte als erklärtes Ziel die "Herbeiführung eines Volksaufstands" und sah sich selbst "in einem Krieg gegen das bestehende System". Der "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Verfolgten" (VRBHV) war 2003 von Mitgliedern des CH unter Beteili gung international agierender Revisionisten gegründet worden. Der Ver ein verfolgte das Ziel, den wegen Verstößen gegen SS 130 StGB und Leugnung des Holocausts Verurteilten Unterstützung im Rechtsstreit zu gewähren und wollte nach eigenem Bekunden die Wiederaufnahme aller Strafverfahren erreichen, die wegen der Leugnung des Holocausts zu Verurteilungen geführt haben. In der Gründungserklärung des Vereins heißt es: "Es war der Beginn der großen Lüge, die endgültig zu Fall zu bringen Anliegen unseres Vereins sein wird: Der Auschwitz-Lüge." 6.2 Strafverfahren Der Holocaust-Leugner Horst Mahler war einer der Aktivisten des VRBHV und des CH. Gegen Mahler fanden 2008 mehrere Gerichtsver Verfahren gegen fahren statt, die er erneut als Bühne zur Verbreitung seiner volksver Horst Mahler hetzenden und mitunter holocaustleugnenden Thesen nutzte. Das Amtsgericht Erding hat ihn am 28. April wegen Volksverhetzung, Ver wendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten ohne Bewäh rung verurteilt. Gegenstand der Verurteilung war ein Interview Mahlers mit dem Magazin "Vanity Fair" im Oktober 2007, das Michel Friedman, früherer Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, geführt hatte. Mahler hatte das Interview mit den Worten "Heil Hitler, Herr Friedman" begonnen und im weiteren Verlauf den Holocaust Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 152 Rechtsextremismus geleugnet. Im Verlauf des Prozesses nutzte Mahler seine Beweisanträge zur Holocaustleugnung und wurde daraufhin durch das Gericht zeit weilig von der Sitzung ausgeschlossen. Die Berufung Mahlers wurde durch das Landgericht Landshut am 11. Februar 2009 verworfen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Das Landgericht Cottbus/Brandenburg verurteilte Mahler am 22. Juli im Berufungsverfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungs widriger Organisationen zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten, die - ebenso wie die im erstinstanzlichen Verfahren durch das Amtsgericht Cottbus ausgesprochene Strafe von sechs Monaten - nicht zur Bewäh rung ausgesetzt wurde. Mahler hatte sich bei seinem Haftantritt am 15. November 2006 vor der Justizvollzugsanstalt Cottbus-Dissenchen von seinen Anhängern mit dem Ausruf "Heil Hitler" verabschiedet und dabei den Hitlergruß gezeigt, als er wegen Volksverhetzung bis August 2007 eine neunmonatige Haftstrafe verbüßen musste. Das Urteil des Landgerichts Cottbus ist noch nicht rechtskräftig. Anklage wegen Am 8. Oktober wurde Mahler wegen Volksverhetzung vor dem Land Volksverhetzung gericht Potsdam angeklagt. Die Staatsanwaltschaft Cottbus wirft ihm vor, in diversen Internet-Veröffentlichungen aus den Jahren 2001 bis 2004 den Holocaust geleugnet zu haben. Mit Urteil vom 11. März 2009 wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verhängt; das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Rechtsextremismus 153 7. Übersicht über erwähnenswerte rechtsextremistische Organisationen und Verlage sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 2008 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) 1. Parteien einschließlich integrierter Vereinigungen Nationaldemokratische Partei 950 7.000 Deutsche Stimme (DS) Deutschlands (NPD) monatlich, 35.000 28.11.1964, Stuttgart (nach Eigenangaben) Junge Nationaldemokraten (JN) 90 400 Nationaldemokratischer Hochschulbund (NHB) Funktionärs1967, Nürnberg gruppe Deutsche Volksunion (DVU) 800 6.000 (Publizistische Sprachrohre: 05.03.1987, München siehe DSZ-Verlag) Deutsche Volksunion e.V. (siehe DVU) einschließlich Aktionsgemeinschaften 16.01.1971, München 2. Neonazistische Organisationen und Zusammenschlüsse Anti-Antifa Nürnberg 10 2006, Nürnberg Hilfsorganisation für nationale politische 55 550 Nachrichten der HNG Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) monatlich, 550 02.07.1979, Frankfurt am Main Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) 10 1989, Berlin Kameradschaft Augsburg 10 2004, Augsburg Kameradschaft München 10 2004, München Kameradschaft Main-Spessart 5 2006, Würzburg Sozialrevolutionäre Aktion Regensburg 10 2006, Regensburg Kameradschaftsbund Hochfranken 20 2006, Hof/Wunsiedel Freie Nationalisten München 15 2005, München Sache des Volkes (SdV) 5 2008 Freie Kameradschaft Erding 5 2008 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 154 Rechtsextremismus Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 2008 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) 3. Sonstige Organisationen Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) 40 500 Das Freie Forum 1960, München vierteljährlich, 1.500 Freundeskreis Ulrich von Hutten e.V. 30 280 Huttenbriefe - für Volkstum, Februar 1982, Starnberg Kultur, Wahrheit und Recht zweimonatlich, 4.000 Schutzbund für das Deutsche Volk e.V. (SDV) 100 September 1981, München Deutsches Kolleg (DK) Funktionärs 1994, Berlin / Würzburg gruppe "Bürgerinitiative Ausländerstopp" (BIA) 30 2007, München "Bürgerinitiative Ausländerstopp" (BIA) Einzel2001, Nürnberg personen Augsburger Bündnis - Nationale FunktionärsNeues Schwaben Opposition e.V. gruppe unregelmäßig 2001, Augsburg Bürgerbewegung Pro München - patriotisch 50 Bürgerbewegung Pro Münund sozial e.V. chen - patriotisch und sozial 2006, München Coburger Runde loser Coburg Zusammenschluss 4. Rechtsextremistische Jugend-Szenen 700 9.500 5. Verlage Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH National-Zeitung/Deutsche (DSZ-Verlag), München Wochen-Zeitung (NZ), wöchentlich, 32.000 Nation Europa Verlag GmbH Nation & Europa 1953, Coburg Deutsche Monatshefte monatlich, 18.000 Verlag Hohe Warte - Franz von Bebenburg KG Mensch und Maß 1949, Pähl zweimal monatlich, 2.000 VGB Verlagsgesellschaft Berg mbH Deutsche Geschichte Stegen Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 155 5. Abschnitt Linksextremismus 1. Allgemeines 1.1 Merkmale des Linksextremismus Das ideologische Spektrum der Linksextremisten reicht von Anhängern Ideologisches des "wissenschaftlichen Sozialismus/Kommunismus" in seiner klassi Spektrum schen Form über Sozialrevolutionäre mit unterschiedlichen diffusen Konzeptionen bis hin zu Anarchisten. Theoretische Grundlagen bilden im Wesentlichen die Werke von Marx und Lenin, aber auch von Trotzki, Stalin, Mao Tse-tung und anderen. Die Bestrebungen der Linksextre misten sind darauf gerichtet, die bestehende Staatsund Gesellschafts ordnung zu beseitigen, die sie als kapitalistisch, rassistisch und imperia listisch ansehen. An deren Stelle solle eine sozialistisch-kommunistische Diktatur oder die Anarchie, eine Gesellschaft frei von jeglicher Herrschaft, treten. Diese Bestrebungen sind verfassungsfeindlich, weil sie gegen die grundlegenden Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundord nung verstoßen. Innerhalb des linksextremistischen Spektrums hat die Partei DIE LINKE. eine zunehmend exponierte Stellung; andere Gruppie rungen veränderten sich in ihrer Relevanz nur geringfügig. Die Bedeu tung der so genannten Antideutschen blieb gleich. Sie verbinden ein Antideutsche extremes Antifaschismusverständnis mit einer klaren pro-israelischen und pro-amerikanischen Haltung und stehen damit im Gegensatz zu Linksextremisten nach traditionellem Verständnis; gemeinsam ist allen jedoch das Thema Antifaschismus. Die Aktionsformen der Linksextremisten sind breit gestreut. Sie umfas Aktionsformen sen öffentliche Veranstaltungen, offene Agitation mittels Zeitungen, der Linksextre Flugblättern, elektronischen Kommunikationsmitteln, ferner Versuche misten der Einflussnahme in "bürgerlichen" Institutionen bis hin zur Beteili gung an Wahlen. Darüber hinaus gibt es Linksextremisten, die poli tische Gewalt als ein legitimes und geeignetes Mittel sehen, ihre extre mistischen Vorstellungen durchzusetzen. In ihrer Propaganda stellen sich Linksextremisten als Vertreter einer hohen Moral, als Kämpfer gegen Unterdrückung und Verfechter von Frieden und sozialer Gerechtigkeit dar. Ihre politische Praxis zeigt Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 156 Linksextremismus jedoch etwas anderes. Sie missachten demokratische Mehrheitsent scheidungen und das Gewaltmonopol des Staates. Einige der linksextremistischen Gruppierungen bekennen offen, dass ihre Ziele nur unter Anwendung von Gewalt zu erreichen sind. Teilweise verüben sie Gewalttaten oder arbeiten zur Erreichung ihrer Ziele mit Gewalttätern zusammen. Agitationsthemen Die wahren Ziele werden oftmals in Aktionsfelder und Themen ein gebunden, die für sich betrachtet nicht extremistisch sind. Durch ge wandte Agitation gelingt es Linksextremisten teilweise, den notwen digen Konsens aller Demokraten in der Ablehnung jeder Art politischen Extremismus zu durchbrechen. Für ihre Agitation und Mobilität bei Demonstrationen oder anderen Aktionen nutzen Linksextremisten auch die Vorteile der modernen Kommunikationsmöglichkeiten wie Handy und Internet. Zentrale Agitationsthemen der Linksextremisten waren Neonazismus/Faschismus, Globalisierung, Imperialismus, Auslandsein sätze der Bundeswehr, Rassismus, Asylund Abschiebeproblematik, Arbeitslosigkeit und Sozialversorgung. Daneben unterstützen Links extremisten weiterhin sozialrevolutionäre Bewegungen im Ausland. 1.2 Entwicklung der Organisationen Anstieg der Die Gesamtzahl der Mitglieder linksextremistischer und linksextremis Mitgliederzahlen tisch beeinflusster Parteien und Gruppierungen in Bayern erhöhte sich auch im Jahr 2008 und setzte damit den Trend aus dem Jahr 2007 fort. Maßgeblich hierfür war erneut die steigende Zahl der Mitglieder der Zahl und 2006 2007 2008 Mitgliederstärke linksextremis Anzahl der Organisationen 38 38 40 tischer Organi Organisierte linksextremistische sationen in Parteien und Gruppierungen Bayern DIE LINKE., vormals: Die Linkspartei.PDS 600 2.200 3.000 DKP 400 400 340 Marxistische Gruppe (MG) 700 700 700 weitere Kernorganisationen 240 250 250 Nebenorganisationen 120 130 130 beeinflusste Organisationen 850 860 860 Autonome, Anarchisten und Sozialrevolutionäre 500 600 600 Linksextremisten insgesamt 3.410 5.140 5.880 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 157 Partei DIE LINKE. von etwa 2.200 auf 3.000. Die Mitgliederzahl der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) sank dagegen unter das Vor jahresniveau. Die Zahl der Anhänger autonomer Gruppen blieb gegen Konstante An über dem Vorjahr bei rund 600 konstant. Die Autonomen werden hängerschaft bei von anderen linksextremistischen Organisationen, auch der Partei DIE den autonomen LINKE., als Bündnispartner für Aktionen akzeptiert. Gruppen Die Entwicklung der Zahl linksextremistischer und linksextremistisch beeinflusster Organisationen in Bayern und ihrer Mitgliederstärken ist aus der auf der Seite 156 abgedruckten Übersicht zu ersehen. Erkannte Mehrfachmitgliedschaften sind jeweils nur bei einer Organisation erfasst. 2. Organisierte linksextremistische Parteien und Gruppierungen Linksextremistische Parteien und Gruppierungen bemühen sich weiter hin, durch massive Kritik an den "herrschenden Verhältnissen" und For derungen nach "Fundamentalopposition" ihren sozialistischen und kommunistischen Zielen näher zu kommen. Dabei gelingt es diesen nur Versuch der begrenzt, die unterschiedlichen Ideologien und Strömungen zu bün Bündelung extre deln. Die Partei DIE LINKE. erfährt Akzeptanz in Teilen der Gesellschaft mistischer Kräfte und integriert als "Strömungspartei" in ihren Reihen Linksextremisten verschiedener Richtungen. 2.1 DIE LINKE. Deutschland Bayern Mitglieder: 76.100 3.000 Vorsitzende(r): Prof. Dr. Lothar Bisky; Eva Bulling-Schröter; Oskar Lafontaine Franc Zega Umbenennung der SED: 16./17.12.1989 Umbenennung der Linkspartei.PDS: 16.06.2007 Gründung: 11.09.1990 Sitz: Berlin München Publikationen: "DISPUT"; "UTOPIE-kreativ"; "Mitteilungen der KPF" Eine Sonderstellung nimmt die Partei DIE LINKE. ein. Die ehemals in der DDR herrschende Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) hat sich nach der friedlichen Revolution und dem Zusammenbruch ihres Unrechtsregimes nicht aufgelöst. Sie beschloss am 16./17. Dezember Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 158 Linksextremismus 1989 in Berlin-Weißensee, sich in "Sozialistische Einheitspartei Deutsch Umbenannte SED lands - Partei des Demokratischen Sozialismus (SED-PDS)" umzubenen nen. Am 4. Februar 1990 wurde der Parteiname endgültig in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) geändert. Anlässlich einer außer ordentlichen Tagung des 9. Parteitags am 17. Juli 2005 in Berlin wurde Erneute beschlossen, sich in "Die Linkspartei.PDS" umzubenennen. Den Lan Umbenennungen desverbänden wurde es gleichzeitig freigestellt, die Zusatzbezeichnung "PDS" zu führen. Im Parteistatut wurde als Kurzbezeichnung "Die Linke" ebenfalls mit dem Zusatz "PDS" festgelegt. Am 16. Juni 2007 trat die Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative" (WASG) der Linkspartei.PDS bei. Beide Parteien bildeten zusammen die Partei DIE LINKE.; mit der erneuten Namensänderung war kein neues Partei programm verbunden. Auch wenn deren Führung bemüht ist, die Partei als linksdemokratische Alternative im Parteiensystem darzustellen, stellt sie nach wie vor die größte linksextremistische Organisation dar. Der Extremismusbezug ergibt sich dabei gerade aus der Gesamtschau ge tätigter Aussagen und ideologischer Positionen. Die Unvereinbarkeit Extremismus der Ziele der Partei DIE LINKE. mit der freiheitlichen demokratischen bezüge Grundordnung ergibt sich aus - der Forderung der Überwindung der freiheitlichen Staatsund Gesellschaftsordnung, - der Infragestellung der Volkssouveränität, - dem Versuch der Delegitimation der rechtsstaatlichen Herrschafts ordnung, - der Sympathiebekundungen gegenüber ausländischen terroristischen Vereinigungen sowie - der Duldung und Unterstützung offen extremistischer Zusammen schlüsse und Gruppierungen innerhalb der Partei. Die Partei DIE LINKE. beschränkt sich in ihren wirtschaftsund sozial politischen Vorstellungen nicht auf eine Kritik an einzelnen Problemkrei sen innerhalb der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, sondern fordert weitergehend die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln und weitreichende Beschränkungen des Privateigentums. Hierdurch wird die verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsgarantie in Frage Rückbesinnung gestellt. Die aktuelle Rückbesinnung auf Karl Marx und die Forderung auf Karl Marx nach Verankerung marxistischen Gedankenguts im neuen Partei programm zeigt - im Gesamtkontext mit der ideologischen Herkunft der Partei - die mit dem Grundgesetz nicht vereinbare Zielvorstellung einer sozialistischen Staatsform. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 159 Die Partei DIE LINKE. betrachtet die Wertordnung des Grundgesetzes, nach der alle Macht vom Volk ausgeht, als ein systembedingtes Defizit und stellt damit das Prinzip der Volkssouveränität in Frage. Die Bildung von - an Entscheidungen zu beteiligenden - Wirtschaftsund Sozial beiräten soll, wie es beispielsweise das Landtagswahlprogramm der Par tei in Bayern fordert, korrigierend wirken. Dahinter stehen räte-demo Räte-demokratische kratische Vorstellungen, die mit dem Prinzip der Volkssouveränität nicht Vorstellungen in Einklang zu bringen sind. Die Partei DIE LINKE. delegitimiert die rechtsstaatliche Herrschaftsord nung, indem sie "notwendige Alternativen" zur Politik der Herrschen den - die gegen das Volk gerichtet sei - fordert. Wiederholt wurde der als "bürgerlich" geschmähte Staat verbal angegriffen, dem es nach innen um Repression und nach außen um Militarismus oder Imperia lismus ginge. Dabei werden auch Vorstellungen vertreten, wonach es eines Korrektivs des Parlamentarismus bedarf, der ungerechte und unsoziale Entscheidungen produziere. Die Partei DIE LINKE. akzeptiert und unterstützt offen extremistische Extremistische Zusammenschlüsse und Vereinigungen in der Partei, wie beispielweise Zusammenschlüsse die Kommunistische Plattform (KPF), das Marxistisches Forum (MF) und in der Partei "marx21". Diese Zusammenschlüsse sind auf verschiedenen Partei ebenen durch Angehörige in einschlägigen Funktionen (u. a. Bun desund Landesvorstandsmitglieder, Mandatsträger) repräsentiert. Da neben arbeitet die Partei auf kommunaler Ebene weiterhin mit der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) zusammen und bietet ihr auf Kommunalwahllisten ein Forum. Die Partei DIE LINKE. distanziert sich offiziell von Gewalt als Mittel der Politik. Tatsächlich arbeitet sie seit Jahren punktuell, aber kontinuierlich, mit gewaltbereiten Linksextremisten zusammen. Wiederholt wurden autonome Aufzüge und Kundgebungen von Angehörigen der Partei DIE LINKE. angemeldet; auch als Versammlungsleiter traten diese Per sonen für die autonome Szene in Erscheinung. Daneben gibt es Aktionsbündnisse Aktionsbündnisse einzelner Vertreter oder Gliederungen der Partei mit mit gewaltbereiten gewaltbereiten Autonomen bei Kundgebungen und Demonstrationen. Autonomen Die Partei DIE LINKE. sympathisiert seit Jahren mit der terroristischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und fordert in Deutschland die Auf hebung aller Verbotsmaßnahmen gegen diese Partei und ihre Nach folgestrukturen. Der parteinahe Studierendenverband DIE LINKE.SDS fordert die An erkennung der terroristischen kolumbianischen Vereinigung Fuerzas Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 160 Linksextremismus Armadas Revolucionarias de Columbia (FARC) als Kriegspartei und die Streichung dieser Guerillabewegung aus der Terrorliste der Europä ischen Union. 2.1.1 Ideologische Ausrichtung Der Vorsitzende der Linkspartei.PDS, Prof. Dr. Lothar Bisky betonte anlässlich des Zusammenschlusses beider Parteien im Juni 2007 aus drücklich: "Ja, wir diskutieren auch und immer noch die Veränderung der Eigen tumsund Herrschaftsverhältnisse, ... (...) Wir stellen die Systemfrage! (...) Die, die aus der PDS kommen, aus der EX-SED und auch die neue Partei "Systemfrage" DIE LINKE. - wir stellen die Systemfrage." Der am 16. Juni 2007 gewählte und am 25. Mai 2008 bestätigte Vor sitzende der Partei DIE LINKE. hielt damit für beide Fusionskandidaten, also Linkspartei.PDS und WASG, an der Zielvorstellung einer Systemveränderung fest. Diese Umgestaltung soll nach den Vorstellungen der Partei zuvorderst die Eigen tumsfrage betreffen. Das im Oktober 2003 in Chemnitz verabschiedete - dritte und gegenwärtig noch nicht widerrufene - Parteiprogramm stellt fest, dass die Links partei.PDS ein Zusammenschluss unterschiedlicher lin ker Kräfte sei, die - bei allen Meinungsverschieden heiten - darin übereinstimmten, dass die Dominanz des privatkapitalistischen Eigentums überwunden werden müsse. Der Partei DIE LINKE. ist es nach dem Redebeitrag ihres gleichberechtigten Bundesvorsitzenden Oskar Lafontaine auf dem 1. Bundesparteitag am 24. und 25. Mai in Cottbus wichtig, "die Erfahrungen der Arbeiterbewegung in kapitalistischen Gesellschaften aufzuarbeiten". Das politische Vermächtnis von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verpflichte die Partei "heute mehr denn je". Gegenwärtig herrsche im Land ein "finanzmarktgetriebener Kapitalismus". Wolle DIE LINKE. als demokratische und soziale Erneue rungsbewegung die Demokratie retten, so sei es unverzichtbar, "dem Gegen sich immer schneller drehenden Rad des finanzmarktgetriebenen Kapi Kapitalismus talismus in die Speichen" zu greifen und seine zentralen Voraussetzun gen in Frage zu stellen. Lehrgebäude des Seine Rede spiegelt das Ideologieverständnis der Gesamtpartei wider. Er Marxismus verteidigte das Lehrgebäude des Marxismus, unterstrich die zentrale Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 161 und herausragende Bedeutung der Arbeiterbewegung und forderte eine weitreichende gesamtgesellschaftliche Veränderung: "... und hat man ein Bild von einer neuen Gesellschaftsordnung, dann gilt es, die Veränderungsmöglichkeiten der Gesellschaft zu prüfen. Marx sagte dazu: ,Eine Gesellschaftsordnung geht nie unter, bevor alle Produktionskräfte entwi ckelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind.'" Im Zeichen der von der Partei eingeforderten "Systemüberwindung" plädierte er für elementare Eingriffe in Formen der privaten Eigentums Eingriffe ins verfügung zugunsten einer Ausweitung öffentlicher Eigentumsformen. private Eigentum "Ebenso wichtig weil systemverändernd, ja systemüberwindend" sei eine andere Verteilung des Zuwachses des Betriebsvermögens. Zu einer klaren Grenzziehung zum Kernbestand privaten Eigentums zeigen sich bislang weder Partei noch Funktionäre imstande. In dem Parteitagsbeschluss "Eine starke Linke für eine andere, bessere Überwindung Politik" heißt es hinsichtlich der angestrebten Überwindung der Gesell der bestehenden schaftsordnung: Gesellschafts "Die neue LINKE eint die Auffassung, dass die bestehenden kapitalistischen ordnung Verhältnisse nicht das letzte Wort der Geschichte sind, dass demokratischer Sozialismus möglich und nötig ist, ... (...) Eine Gesellschaft, die sich in ihrem wirtschaftlichen und sozialen Wohlergehen immer stärker von wenigen gro ßen wirtschaftlichen Machtzusammenballungen abhängig macht, ist für die Partei DIE LINKE. keine erstrebenswerte Gesellschaft, sondern die Aufforde rung, die Frage nach den Regeln des Systems zu stellen und über das be stehende System hinauszugehen. (...) Die politische und die gesellschaftliche Wirkungsmächtigkeit der neuen LINKEN wird davon bestimmt, dass sie in Kenntnis der Geschichte sozialistischer, sozialdemokratischer, kommunistischer und anderer linker Parteien und ihrer Lehren die programmatischen Grund lagen für einen demokratischen Sozialismus entfaltet." Im Zuge wiederkehrender Bekenntnisse zum "demokratischen Sozialismus" wird immer auch Bezug auf das Chemnitzer Par teiprogramm vom Oktober 2003 und damit auf die Über windung der kapitalistischen Eigentumsordnung genommen. So heißt es in den beim Zusammenschluss von der Links partei.PDS und der WASG im Jahr 2007 einbezogenen "Pro grammatischen Eckpunkten": "Die Linkspartei.PDS bringt in Übereinstimmung damit ihr histori sches Verständnis des demokratischen Sozialismus als Ziel, Weg und Wertesystem und als Einheit von Freiheitsund sozialen Grundrechten ein - niedergelegt in ihrem Chemnitzer Parteipro gramm." Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 162 Linksextremismus Das gegenwärtig gültige Chemnitzer Grundsatzprogramm beschränkt sich in seiner ideologischen Zielsetzung für eine sozialistische Ordnung Festhalten am nicht auf die Eigentumsfrage. Es hält vielmehr am "Manifest der Kom "Manifest der munistischen Partei", der Lehre von Marx und Engels sowie an Rosa Kommunistischen Luxemburg fest. Die Partei stellt sich in die Tradition der revolutionären Partei" kommunistischen Arbeiterbewegung und wendet sich "aus historischer Erfahrung" entschieden gegen jegliche Form von "Antikommunismus". Sie ist in großen Teilen auch weiterhin vom gescheiterten Sozialismus versuch der früheren DDR überzeugt. Der Unrechtsgehalt des SED-Re gimes wird zugleich durch die Betonung "sozialer Errungenschaften der DDR" relativiert; es wird dabei hervorgehoben, dass der "Aufbau einer besseren Gesellschaftsordnung" für den Osten keiner "Entschuldi gung" bedürfe und die "antifaschistisch-demokratischen Veränderun gen im Osten Deutschlands und das spätere Bestreben, eine sozialis tische Gesellschaft zu gestalten" in "berechtigtem Gegensatz zur Weiterführung des Kapitalismus in Westdeutschland" gestanden hät ten. Im Bestreben um das gesellschaftliche Endziel kämpft die Partei für die Überwindung der als "Kapitalismus" diffamierten bestehenden Ge sellschaftsordnung. Der Bundesvorsitzende Oskar Lafontaine kündigte in einem Interview im April an, in das geplante neue Parteiprogramm Passagen des "Kom munistischen Manifests" von Karl Marx aufnehmen zu wollen. Die Sätze dieser Kampfschrift seien nach seiner Meinung "doch hochaktuell". In Frage käme dabei nach seiner Ansicht folgende Textpassage: "... die Bourgeoisie, das Kapital ,hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohl erworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Aus beutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Men schen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Bezie hungen mit nüchternen Augen anzusehen'." Auch die Verwendung marxistischer Kernbegriffe lässt erkennen, dass Ideologische die Partei eine ideologische Nähe zum Marxismus-Leninismus sucht. Im Nähe zum Marxis Besonderen wird in den "Programmatischen Eckpunkten" mehrfach mus-Leninismus Bezug auf die Klasse bzw. den "Klassenkampf" genommen. Das demokratische Verständnis der universellen, unteilbaren Gültigkeit der Grundund Menschenrechte findet in der Partei DIE LINKE. nicht immer und uneingeschränkt Zustimmung. Verletzungen dieser Rechte in sozialistischen Staaten werden mitunter relativiert oder auch mit der besonderen Lage dieser Staaten in der globalisierten Welt des KapitaVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 163 lismus begründet. Die Arbeitsgemeinschaft Cuba Si in der Partei bei spielsweise bejaht den Sozialismus kubanischer Prägung und hebt dort Solidarität eingeräumte soziale Rechte hervor. Die Repräsentantin der Kommunis mit Kuba tischen Plattform (KPF) in der Partei Die LINKE., die Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht, äußert sich zu diesem Thema wie folgt: "Ländern wie Kuba gehört unsere Solidarität. Die Menschenrechte dürfen nicht instrumentalisiert werden, um soziale Entwicklungen abzublocken." Derartige Vorstellungen finden sich auch in dem Beschluss des Bundes ausschusses der Partei "Zur Haltung der Partei DIE LINKE. zu Kuba und der aktuellen Entwicklung der Linken in Lateinamerika" vom 21. Sep tember wieder. Dazu wird betont: "Die Partei DIE LINKE. erklärt sich solidarisch mit den Bewegungen gegen Neoliberalismus in Lateinamerika und dem Kampf des kubanischen Volkes zur Verteidigung seiner Revolution, seiner nationalen Souveränität und seines Rechtes auf eine selbstbestimmte Entwicklung. (...) Im Europäischen Parla ment und im Deutschen Bundestag wird die Partei DIE LINKE darauf hinwir ken, dass ... die USA-Strategie, die auf Einmischung in die inneren Angele genheiten Venezuelas, Kubas und anderer Länder Lateinamerikas und auf den Sturz demokratisch legitimierter Regierungen setzt, zurückgewiesen wird ... (...) Die solidarische Haltung der Partei DIE LINKE. gegenüber den fortschritt lichen Bewegungen in Lateinamerika findet ihren konkreten Ausdruck ins besondere in der Fortführung der politischen und materiellen Solidaritätskam pagnen der AG Cuba Si ,Milch für Kubas Kinder' und ,Kuba muss überleben'." Unvereinbar mit der verfassungsrechtlich geschützten parlamenta rischen repräsentativen Demokratie ist außerdem das Bekenntnis der Partei zum außerparlamentarischen Kampf sowie zum Widerstand ge gen die "Herrschenden" und "gegebenen Verhältnisse". Diese Positio nen kommen auch in den "Programmatischen Eckpunkten" zum Aus druck. Das Eckpunktepapier stellt den Vorläufer des geplanten neuen Eckpunktepapier Programms der Partei DIE LINKE. dar und spiegelt wesentliche Zielund Leitvorstellungen der Linkspartei.PDS wider. Dazu gehört auch die inhaltliche Wiedergabe des Prinzips des "strategischen Dreiecks", das Prinzip des "strate sich zusammensetzt aus parlamentarischer Opposition und außerparla gischen Dreiecks" mentarischem Widerstand sowie "über den Kapitalismus hinaus wei sende Alternativen". Es beinhaltet auch die Zusammenarbeit mit auto nomen Gruppierungen. Die Beseitigung des Kapitalismus, die Überwindung des mit ihm ver bundenen politischen Systems der Freiheit und der Demokratie im Sinn des Grundgesetzes sowie die Errichtung einer neuen "sozialistischen Gesellschaft" gehören zu den Zielen der Partei, die vor allem außerpar Ziele der Partei lamentarisch erreicht werden müssten. Eine Vielzahl von Mitgliedern Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 164 Linksextremismus und Funktionären der Partei sind in außerparlamentarische, auch extre mistische Gruppen, eingebunden. Repräsentanten der Partei reihen sich als Redner und Demonstranten in Veranstaltungen außerparlamen tarischer Bewegungen ein und vertreten dort auch linksextremistisches Gedankengut (vgl. auch Nummern 2.2.4.1, 2.4 und 3.3.1 dieses Ab schnitts). Strömungspartei Die Partei DIE LINKE. versteht sich konsequenterweise als linke "Strö linker Kräfte mungspartei" für sozialistische Gruppen und Personen, die die be stehenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland kritisieren und ablehnen. Dies bedeutet, dass auch kommunistische bzw. trotzkistische Gruppen - wie beispielsweise die KPF, das MF oder die Gruppierung "marx21" - unterstützt und der Vereinigung Sozialis tische Alternative Voran (SAV) ein Forum geboten werden. Auf kom munaler Ebene gibt es zudem eine punktuelle Zusammenarbeit mit der DKP sowie anlassbezogen auch gemeinsame Aktivitäten mit gewalt bereiten Autonomen. Im Zuge des Zusammenschlusses von WASG und Linkspartei.PDS zur Partei DIE LINKE. war es der Linkspartei.PDS gelungen, wesentliche ideo logische und programmatische Inhalte beizubehalten. Eine grundsätz Keine Neuausrich liche programmatisch-inhaltliche Neuausrichtung war damit nicht ver tung nach Beitritt bunden und ist auch jetzt nicht im Gespräch. Zugleich lässt die perso der WASG nelle Besetzung entsprechender Funktionen innerhalb der Partei - schon bei der Wahl des ersten Parteivorstands der Partei DIE LINKE. im Juni 2007 brachte die Linkspartei.PDS nahezu geschlossen ihren letzten Par teivorstand ein - keine Neuausrichtung erwarten. Auf der 1. Tagung des 1. Bundesparteitags der Partei DIE LINKE. am Neuwahl des 24. und 25. Mai in Cottbus wurden bei der Wahl des Parteivorstands Parteivorstands Prof. Dr. Lothar Bisky und Oskar Lafontaine in ihren Ämtern als gleich berechtigte Parteivorsitzende bestätigt. Auch Bundesgeschäftsführer Dr. Dietmar Bartsch und Bundesschatzmeister Dr. Karl Holluba erhielten erneut das Vertrauen der Delegierten. Fast alle Personen, die bereits in der Vergangenheit in Führungspositionen der Linkspartei.PDS tätig waren, befinden sich auch weiterhin im 44 Mitglieder umfassenden Parteivorstand. Die erneute Wahl der Europaabgeordneten und Mit glied des Bundeskoordinierungsrats der KPF, Sahra Wagenknecht, in die Führungsspitze zeigt, dass die Partei noch immer nicht auf Kommunis ten im Führungskader verzichten will. Als Vorstandsmitglieder wurden auch Christine Buchholz und Janine Wissler von der trotzkistischen Ver einigung "marx21" sowie Thies Gleiss von der marxistischen Vereini gung "internationale sozialistische linke" (isl) wiedergewählt. Als Beleg Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 165 für die enge Verzahnung mit der Gesamtpartei sind der parteinahe Jugendverband Linksjugend ['solid] und der Sozialistisch-demokratische Studierendenverband DIE LINKE.SDS mit jeweils einem Mitglied vertre ten. Mit dem stellvertretenden Parteivorsitzenden Klaus Ernst und Anny Heike gehören nunmehr nur noch zwei bayerische Repräsentanten dem Parteivorstand an; Fritz Schmalzbauer gelang die Wiederwahl nicht. Der Parteivorsitzende Prof. Dr. Lothar Bisky betonte in seiner Rede, dass DIE LINKE. eine internationalistische Partei bleibe und die Zusammen arbeit mit den Linken in Lateinund Südamerika intensivieren wolle. Innenpolitisch habe der Einzug seiner Partei in vier westliche Landtage die Republik verändert. Der innerparteiliche Umgang müsse verbessert Innerparteilicher werden. Er forderte eine offene politische Debatte in der Partei; einen Umgang Machtkampf zwischen ideologischen "Strömungen" brauche man nicht. Im Parteitagsbeschluss "Eine starke Linke für eine andere, bessere Poli tik" wurde zusätzlich festgelegt, dass künftig Kandidaten der Partei DIE Festlegungen LINKE. bei Europa-, Bundestagsund Landtagswahlen - nicht jedoch bei hinsichtlich der Wahlen auf kommunaler Ebene - keiner weiteren Partei mehr angehö Kandidaturen ren dürfen. Damit trug man der Affäre um die niedersächsische Land bei Wahlen tagsabgeordnete Christel Wegner und auch einer inzwischen geänder ten Gesetzeslage Rechnung. Die niedersächsische Abgeordnete war als DKP-Mitglied auf der Liste der Partei DIE LINKE. gewählt worden. Weil sie in einem Interview den Bau der Berliner Mauer verteidigt und die Wiedereinführung eines Staatssicherheitsdienstes wie in der DDR be fürwortet hatte, war sie aus der Fraktion der Partei DIE LINKE. im Niedersächsischen Landtag ausgeschlossen worden. 2.1.2 Organisation DIE LINKE. ist eine auf Bundesebene organisierte Partei mit Sitz in Ber lin. Sie gliedert sich in Landes-, Kreisund Ortsverbände. Bundesweit verfügt sie über rund 76.100 Mitglieder (2007: 69.200). Zahlreiche Mit Anstieg der glieder der Partei DIE LINKE. waren früher Mitglieder der ehemaligen Mitgliederzahl Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) der DDR, darunter auch Mitarbeiter des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). 2.1.3 Plattformen, Arbeitsund Interessengemeinschaften Plattformen, Arbeitsund Interessengemeinschaften sowie ähnliche inner parteiliche Zusammenschlüsse sind wesentlich für die Bündnisund Integrationspolitik der Partei. Sie wirken im Rahmen des Statuts in der Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 166 Linksextremismus Partei, können sich eigene Satzungen geben und können ihre politi Integrale Bestand schen Ziele in der Partei offen vertreten. Sie sind integrale Bestandteile teile der Partei der Partei. Die Partei DIE LINKE. muss sich deshalb die Tätigkeit der Plattformen, Arbeitsund Interessengemeinschaften wie auch das Wirken der sonstigen innerparteilichen Zusammenschlüsse sowie die Äußerungen ihrer Mitglieder als Gesamtpartei zurechnen lassen. Platt formen sind in der Regel Zusammenschlüsse mit gemeinsamer Ideolo gie, während Arbeitsund Interessengemeinschaften themenbezogen auf wichtigen Aktionsfeldern tätig werden. Wichtige Zusammenschlüsse sind das 1995 in Berlin gegründete, ortho Marxistisches dox-kommunistisch ausgerichtete Marxistische Forum (MF) sowie das Forum (MF) Netzwerk "marx21", das im September 2007 aus der bis dahin unab hängigen, trotzkistischen Organisation "Linksruck-Netzwerk" hervor ging und sich seitdem als eigene Gruppierung in der Partei versteht. Christine Buchholz, Mitglied von "marx21" und des zwölf Personen um fassenden Geschäftsführenden Parteivorstands der Partei DIE LINKE., bezog im Vorfeld des Cottbuser Bundesparteitags Stellung im Hinblick auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. In dem auch im Internet publizierten Artikel vom 11. April, mit dem sie gleich zeitig auch "Orientierungshilfen" für die künftige Arbeit der Partei DIE LINKE. verbreitete, heißt es: "Einen Politikwechsel schafft die LINKE nicht mit der strategischen Orientie rung auf das Parlament, sondern auf soziale und politische Kämpfe. (...) Keine Fraktion ohne Aktion. Die Parlamentsfraktionen können einen wichtigen Bei trag zur Durchsetzung linker Politik leisten, wenn sie verwurzelt sind in den außerparlamentarischen Bewegungen und deren Stärkung zum Ziel haben." Von den zahlreichen weiteren innerparteilichen Gruppierungen hebt sich insbesondere die Kommunistische Plattform (KPF) der Partei DIE LINKE. ab. Mitglied des Bundeskoordinierungsrats der KPF und Spitzenfunktionärin des Zusammenschlusses ist die Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht, die anlässlich des Bundesparteitags am 24. und 25. Mai in Cottbus mit einer Zustimmung von 70,5 % der Delegiertenstimmen ihre Bestäti gung als Vorstandsmitglied in der Parteiführung fand. Die am 30. Dezember 1989 gegründete KPF der Partei DIE LINKE. - ihr sind nach eigenen Angaben etwa 900 Mitglieder zuzurechnen - ist eine marxistisch-leninistische Organisation. Sie betrachtet die DKP (vgl. auch Nummer 2.2 dieses Bekenntnis zum Abschnitts) als natürliche Verbündete. Innerhalb der Partei DIE LINKE. Marxismus-Leni ist die KPF die Gruppierung, die sich am deutlichsten zum Kommu nismus nismus bekennt. Sie strebt die Fortsetzung marxistischer und leninisVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 167 tischer Politik, also die Diktatur des Proletariats, an. In ihren Gründungs thesen betonte sie: "Die revolutionäre Arbeiterbewegung mit dem Wissenschaftlichen Kommu nismus, mit dem Marxismus-Leninismus, zu verbinden, aufgrund der marxis tisch-leninistischen Analyse der realen Gesellschaftsentwicklung Strategie und Taktik zu bestimmen und Politik zu organisieren - ist vornehmste Aufgabe der Kommunisten und sie bleibt es." Ziel der KPF ist nach ihrer programmatischen Erklärung die revolutio Ziel der KPF näre Transformation der alten, der Klassengesellschaft, in eine neue, klassenlose Gesellschaft. Die KPF strebt eine enge Zusammenarbeit mit anderen kommunis tischen Parteien und Organisationen an und sucht die Beteiligung an außerparlamentarischen Initiativen, insbesondere in dem von ihr in kommunistischer Ideologie verstandenen Antifaschismus. Das in der Bundesrepublik Deutschland bestehende politische System wird nach wie vor abgelehnt; die KPF strebt nach einem anderen, sozialistischen Staatsgebilde. In dem auf der 1. Tagung der 14. Bundeskonferenz der KPF am 26. April 14. Bundes in Berlin verabschiedeten Beschluss "Schwerpunktaufgaben der Kom konferenz der KPF munistischen Plattform in den nächsten Monaten" wird als wesentliche Aufgabe gesehen, im künftigen Programm der Partei DIE LINKE. die "eindeutige gesellschaftliche Alternative zum kapitalistischen Gesell schaftssystem" zu verankern. Mit Blick auf den Bundesparteitag der Partei DIE LINKE. in Cottbus wurde in dem Beschluss zugleich gefordert, die im Leitantrag für den Parteitag enthaltene Formulierung zu strei chen, dass auf Wahllisten der Partei DIE LINKE. neben eigenen Mitglie dern nur noch parteiungebundene Persönlichkeiten kandidieren dür fen, mithin keine Angehörigen anderer Parteien - also auch nicht Mit glieder der DKP - als Kandidaten zugelassen wären. Diese Forderung ist als Schulterschluss mit der DKP anzusehen. Neben einer Forcierung der Mitgliedergewinnung soll die Zusammenarbeit mit marxistisch-orien tierten Kräften innerhalb und außerhalb der Partei, vor allem mit der DKP, intensiviert und ein verstärktes Engagement in antifaschistischen Bündnissen gezeigt werden. In einem am Vortag, dem 25. April, veröffentlichten Interview zweifelt Interview mit Sahra Sahra Wagenknecht an, dass die Bundesrepublik Deutschland demo Wagenknecht kratisch ist: "Aber wirkliche Demokratie gibt es im Kapitalismus so wenig wie in der DDR. Dafür ist die Macht der Wirtschaftslobbys viel zu groß. Viele Freiheitsrechte setzen voraus, dass man sie sich leisten kann." Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 168 Linksextremismus Auf die Zwischenfrage, ob sie die Bundesrepublik Deutschland nicht für demokratisch halte, antwortete sie: "Sie können heute das Parlament wählen, aber die Entscheidungen, die in den Zentralen der Dax-Konzerne fallen, sind von ungleich größerer Relevanz." Ein in den Mitteilungen der KPF vom Mai veröffentlichter Bericht des Bundessprecherrats der KPF über die 1. Tagung der 14. Bundeskonfe Keine Distanzie renz lässt eine klare Distanzierung von der ehemaligen DDR und des rung vom DDR-Un dort herrschenden Unrechtsregimes nicht erkennen. In Anspielung auf rechtsregime die Geschichte der DDR räumt die KPF zwar partiell "Fehler der DDR" ein, bringt aber zugleich eine Verteidigungsstrategie ins Spiel: "Die Haltung zur Geschichte widerspiegelt immer auch die Einstellung zur Zu kunft. Eben deshalb sollten wir uns zur Legitimität der Herausbildung sozialis tischer Gesellschaftsformationen im 20. Jahrhundert bekennen, darunter auf deutschem Boden, so unvollkommen und mit Fehlern belastet die Entwicklung der DDR in den vier Jahrzehnten ihrer Existenz bis zu ihrem Zusammenbruch auch war." Dem Bericht des Bundessprecherrats zufolge sei zudem die Errichtung der Mauer "zu einer Existenzfrage für die DDR und für die Erhaltung des Friedens, zumindest in Europa," notwendig gewesen. Auch in Bayern ist ein landesweiter Zusammenschluss der KPF bekannt. 2.1.4 Linksjugend ['solid] Am 19. Juni 1999 wurde in Hannover der Jugendverband ['solid] - die sozialistische Jugend gegründet. Der Name steht für "sozialistisch, links und demokratisch". Vom Parteivorstand der seinerzeitigen PDS wurde der Jugendverband im Jahr 2002 als PDS-nah anerkannt und seitdem materiell wie auch ideell gefördert. Seit dem 20. Mai 2007 heißt die Umbenennung Vereinigung Linksjugend ['solid]. Der Sitz ihrer Bundesgeschäftsstelle liegt in der Zentrale der Partei DIE LINKE. in Berlin. Eigenen Angaben zufolge definiert sich die Organisa tion als ein sozialistischer, antifaschistischer, basis demokratischer und feministischer Jugendverband. Er greife in die gesellschaftlichen Verhältnisse ein und sei Plattform für kapitalismuskritische, selbstbestimmte und rebellische Politik. Als Teil emanzipatorischer Be wegungen suche er die Kooperation mit anderen BündnispartnerInnen. Der Jugendverband strebe eine enge Zusammenarbeit mit gleichgesinnten politischen Jugendstruktu ren auf internationaler und insbesondere auf europäischer Ebene an. Im Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 169 Mittelpunkt der Tätigkeit des Jugendverbands würden politische Bildung, der Eintritt in eine politische und kulturelle Offensive und die politische Aktion stehen. Der 1. Bundeskongress der Linksjugend ['solid] vom 4. bis 6. April in 1. Bundeskongress Leipzig wählte einen neuen BundessprecherInnenrat (Vorstand). Unter in Leipzig den zehn Angehörigen dieses zwischen den Bundesdelegiertenkon ferenzen höchsten Organs des Jugendverbands befinden sich überwie gend bisherige Funktionäre und Mitglieder von ['solid] und der Links partei.PDS. Als bayerisches Vorstandsmitglied wurde Max Steininger, der auch als Aktivist der trotzkistischen Gruppierung "marx21" in Erschei nung tritt, wiedergewählt. In der Debatte um das am 5. April beschlossene neue Programm des Neues Programm Jugendverbands nahmen Überlegungen zur Transformation von Staat und Gesellschaft einen breiten Raum ein, die ein Delegierter wie folgt beschrieb: "Die Linksjugend ['solid] streitet für die Überwindung des Kapitalismus. Die Frage nach Reform oder Revolution ist dabei für den Jugendverband kein Widerspruch, sondern Grundlage für eine breite gesellschaftliche Bewegung. Die Linksjugend ['solid] kämpft auf allen Ebenen für eine Überwindung der kapitalistischen Produktionsweisen und Eigentumsverhältnisse und für eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft, in der alle Menschen gemeinsam über den Einsatz von Produktionsmitteln entscheiden." Im beschlossenen Programm des parteinahen Jugendverbands der Par Forderung nach tei DIE LINKE. wird ein grundsätzlicher Systemwechsel unter Überwin "Systemwechsel" dung kapitalistischer Produktionsund Herrschaftsverhältnisse gefor dert: "Wir wollen nicht weniger als die Welt verändern! (...) Als SozialistInnen, KommunistInnen, AnarchistInnen kämpfen wir für eine libertäre, klassenlose Gesellschaft jenseits von Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat. (...) Wir streiten für einen grundsätzlichen Systemwechsel - aber wir setzen auch mit radikalen Alternativen im Hier und Jetzt in der konkreten Lebenswelt junger Menschen an. (...) Linke Organisierung ist für uns kein Hobby oder eine jugendliche Phase, sondern notwendiger Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse. (...) Natürlich wollen wir den Kapitalismus zerstören. Aber die sem Zerstörerischem ruht auch etwas Schöpferisches inne. Widerstand bedeu tet, Alternativen zu schaffen." Der Verband versteht sich als Teil eines politischen Blocks der Linken - einer Bewegung für Demokratie und Sozialismus. Kritik gegenüber der Partei DIE LINKE. sei genauso selbstverständlich wie eine solida rische Zusammenarbeit. Man arbeite für eine vernetzte, breite Linke, die die Kraft besitze, die Gesellschaft tatsächlich zu verändern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 170 Linksextremismus In Bayern verfügt die Linksjugend ['solid] über einen Landesverband mit zahlreichen Ortsgruppen. Am 2. April hat sich die Ortsgruppe Erlangen neu gegründet. Vom 6. bis 27. September unterstützte der Jugend verband mit einer Bustour aktiv den Landtagswahlkampf der Partei DIE LINKE.. Die Zahl der Mitglieder im Landesverband Bayern der Links jugend ['solid] beläuft sich auf rund 800 Personen. 2.1.5 Die Linke. Sozialistisch-demokratischer Studierenden verband (DIE LINKE.SDS) Vom 4. bis 6. Mai 2007 gründeten in Frankfurt am Main rund 100 Per sonen den Hochschulverband "Die Linke. Sozialistisch-demokra tischer Studierendenverband" (DIE LINKE.SDS). Der Sitz des Ver bands ist die Parteizentrale der Partei DIE LINKE. in Berlin. Als Organ erscheint die seit Mitte 2008 umbenannte Zeitung "critica"; zuvor war eine Hochschulzeitung unter dem Namen "die linke.campus" herausgegeben worden. In der Präambel der Satzung bekennt sich der Hochschulver band "zu den Grundsätzen der Partei DIE LINKE." und des Jugendverbands "Linksjugend ['solid]" (vgl. auch Nummer 2.1.4 dieses Abschnitts). Er versteht sich als parteinaher Rich tungsverband der Partei DIE LINKE. und zugleich betrachtet er sich als eine Arbeitsgemeinschaft dieses Jugendverbands mit Sonderstatus. Im Programm - als "Selbstverständnis des Studierendenverbands DIE LINKE.SDS" bezeichnet - heißt es: "Der Kapitalismus ist für uns nicht das Ende der Geschichte. Wir stehen für die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und stellen ihr unsere handlungsbestimmende Perspektive einer sozialistischen Gesellschaft entgegen." Für die Einführung des allgemeinpolitischen Mandats der Studenten Zusammenarbeit schaft werde man kämpfen. Andere linke Hochschulgruppen und mit "wichtigen Gewerkschaften seien "wichtige Akteure", mit denen zusammen Akteuren" gearbeitet werden soll. Auch mit antifaschistischen Gruppen sehe man sich verbunden. Ungeachtet der Nähe zur Partei DIE LINKE. werde man jedoch auf politischer und organisatorischer Autonomie beharren, eigene politische Positionen gegenüber der Partei offensiv vertreten, intellektuelle Freiräume bewahren und bildungspolitische Forderungen in die Partei einbringen. Auf dem Bundesparteitag der Partei DIE LINKE. am 24. und 25. Mai in Cottbus wurde eine Angehörige von DIE LINKE.SDS in den Parteivorstand gewählt. Bundeskongress Anlässlich des Bundeskongresses des Studierendenverbands vom in Marburg 20. bis 22. Juni in Marburg/Hessen, an dem 46 Delegierte von 29 HochVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 171 schulgruppen teilnahmen, wurde ein neuer 10-köpfiger Bundesvor stand gewählt; ein Vorstandsmitglied ist zugleich Angehöriger der trotzkistischen Gruppierung "marx21". Mit dem Beschluss "Marx an die Hochschule" wird den Hochschulgruppen bundesweit eine Veran staltungstour unter dem Motto "Marx neu entdecken" zur Verfügung gestellt. Die Tour ist als Auftakt für bundesweite Lesekreise gedacht, die sich eingehend mit marxistischer Theorie beschäftigen sollen. Der Bundeskongress vom 5. bis 7. Dezember in Bochum stand im Zeichen der globalen Wirtschaftsund Finanzkrise. Unter dem Tagungs-Motto Bundeskongress "Die Systemfrage stellen! Alternativen zum Kapitalismus entwickeln." in Bochum wurde auch ein "Appell an DIE LINKE." verabschiedet, der die ideo logische Nähe zur Partei DIE LINKE. kennzeichnet. In dem Beschluss heißt es: "Der Bundeskongress als höchstes Gremium des Studierendenverbandes DIE LINKE.SDS appelliert an die Partei DIE LINKE., die derzeitige weltweite Finanz krise offensiver zu nutzen und deutlicher das bestehende Wirtschaftssystem dadurch infrage zu stellen, indem Systemalternativen intensiver von ihr ange sprochen werden. Der Bundeskongress weist auf den gerade äußerst günsti gen Moment hin, mit antikapitalistischen Positionen an die Öffentlichkeit zu treten." DIE LINKE.SDS gibt sich offenkundig mit der bisher erhobenen Kapita lismuskritik der Partei DIE LINKE. nicht mehr zufrieden. Um die Auswir kungen der Wirtschaftskrise zu bekämpfen, dürfe die Partei nicht bei Forderungen nach Stabilisierung stehen bleiben. Die "Systemfrage" "Systemfrage" stellt der Studierendenverband auch weiterhin im Schulterschluss mit der Gesamtpartei. Einem Bericht der Zeitung "die linke.campus", Ausgabe Num mer 4/2008, zufolge unterhält DIE LINKE.SDS Verbindungen zu Funktionären ausländischer sozialistischer und kommunis tischer Parteien, so insbesondere zur "Vereinigten Sozialis tischen Partei Venezuelas" (PSUV) und zur "Kommunistischen Partei Venezuelas" (PCV). Anlässlich einer am 23. Februar gestarteten Reise einer 30-köpfigen Delegation des Studie rendenverbands nach Venezuela wurde in einer Erklärung der Reiseteilnehmer vom 5. März unter der Überschrift "Der kolumbianische Präsident Uribe gehört auf die Terrorliste" gefordert: "Der Studierendenverband DIE LINKE.SDS ruft die Bundesregierung auf, die verlogene Politik der USA zurückzuweisen. Zudem muss sie endlich die Men schenrechtsverletzungen in Kolumbien kritisieren und sich für eine friedliche Lösung des Konflikts im Sinne der Bevölkerung einsetzen. Dazu gehört die Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 172 Linksextremismus Ermordung von Raul Reyes zu verurteilen, die FARC von der Liste der Terror organisationen zu streichen, sie als Kriegspartei anzuerkennen und Kolumbien zu Verhandlungen zu drängen, die weitere Tote verhindern." Raul Reyes war bis zu seiner Tötung durch den Einsatz kolumbianischer Truppen auf ecuadorianischem Hoheitsgebiet am 1. März Sprecher des Oberkommandos der terroristischen Guerillaorganisation FARC. Die Guerilleros halten in Kolumbien mehr als 700 Geiseln in ihrer Gewalt. Vor Massakern, auch an der Zivilbevölkerung, schreckte die FARC in ihrem seit 1964 geführten bewaffneten Kampf nicht zurück. Organisations In Bayern ist der Studierendenverband bislang in den Städten Augs strukturen burg, Bamberg, Eichstätt, Erlangen, Ingolstadt, München, Nürnberg, Regensburg und Würzburg organisiert. 2.1.6 DIE LINKE. Bayern Die in Bayern seit dem 11. September 1990 bestehende Linkspartei.PDS setzte sich aus dem Landesverband, zahlreichen Kreisverbänden und Ortsgruppen zusammen. Am 15. September 2007 trat die bayerische WASG der Linkspartei.PDS zum Landesverband Bayern der Partei DIE LINKE. bei. Neben der Landesorganisation mit Sitz in München existiert Anstieg der eine Reihe von Kreisund Ortsverbänden. In Bayern erhöhte sich die Mitgliederzahl Zahl der Parteimitglieder von 2.200 auf etwa 3.000 Personen. Dies ist in erster Linie auf die gestiegene Akzeptanz der Bundespartei sowie das verstärkte öffentliche Auftreten der Partei in Wahlkämpfen zurück zuführen. Mit drei Veranstaltungen hielt DIE LINKE. Bayern am 6. Februar die tra Politischer ditionellen Aschermittwochstreffen ab. In Tiefenbach bei Passau sprach Aschermittwoch der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag, Dr. Gregor Gysi, zu den rund 350 Besuchern. Mit Blick auf die Wahl erfolge in Hessen und Niedersachsen im Januar führte er aus, dass es der Partei nun gelungen sei, sich auch im Westen zu etablieren. In Schweinfurt trat der Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Par teivorsitzende Klaus Ernst vor annähernd 100 Zuhörern als Redner auf. In Ingolstadt referierte der Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE., Dr. Dietmar Bartsch. Landesparteitage Der Landesverband berief insgesamt drei Landesparteitage ein. Auf dem 1. Landesparteitag am 26. April in Gunzenhausen kritisierte Harald Weinberg, neben der Bundestagsabgeordneten Eva Bulling-Schröter seinerzeit gleichberechtigter Vorsitzender des Landesverbands Bayern, eine "wechselseitige Ausgrenzung" innerhalb der Linken und verwies Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 173 auf ein akutes Identitätsproblem. Zwar sei die Partei nach der Fusion mit der WASG rasant angewachsen, doch es fehle an einer exakten Standortbestimmung. Die Verabschiedung des Entwurfs eines Wahlpro gramms zur bayerischen Landtagswahl am 28. September wurde an gesichts zahlreicher Änderungsanträge, langer Debatten und einem Streit um die Bildungsund Beschäftigungspolitik auf den 26. Juli ver schoben. Bei der Kandidatenaufstellung für die Landtagswahl lehnte Klaus Ernst, Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Parteivorsit zender, eine Spitzenkandidatur ab. Als Kompromiss legte man sich auf Fritz Schmalzbauer fest, der bereits zu diesem Zeitpunkt die oberbaye rische Landesliste anführte. Anlässlich der Fortsetzung des 1. Landesparteitags am 26. Juli in Nürn berg verabschiedeten die 177 Delegierten nach langer Diskussion ein Verabschiedetes deutlich erweitertes Landtagswahlprogramm. Der eingeladene Vorsit Landtagswahl zende der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE., Dr. Gregor Gysi, programm wertete einen möglichen Einzug seiner Partei in den Bayerischen Land tag als "bundespolitischen Durchbruch der Linken". Auf dem Landesparteitag am 6. und 7. Dezember in Regensburg, bei dem als Gastrednerin die Europaabgeordnete Gabi Zimmer sprach, standen die Auswertung der bayerischen Landtagswahl, die Neuwahl Neuwahl des des 20-köpfigen Landesvorstands sowie der Europawahlkampf 2009 im Landesvorstands Mittelpunkt. Bereits im Vorfeld hatte der bisherige, gleichberechtigte Landessprecher Harald Weinberg angekündigt, nicht mehr für dieses Amt kandidieren zu wollen. Die bisherige Landessprecherin und Bundes tagsabgeordnete Eva Bulling-Schröter wurde - allerdings mit nur knapp 55 % der Delegiertenstimmen - im Amt für weitere zwei Jahre bestä tigt. Zum neuen weiteren gleichberechtigten Landessprecher wurde überraschend Franc Zega aus Aschaffenburg gewählt, der erst während der Delegiertenversammlung kurzfristig seine Kandidatur angekündigt hatte. Er sprach sich gegen Abgrenzungsversuche gegenüber der trotz kistischen Sozialistischen Alternative (SAV) aus und stellte sich damit gegen die Landesvorsitzende, die zuvor einschlägige Parteiausschluss verfahren initiiert hatte. Der weiterhin dem geschäftsführenden Landesvorstand angehörende, bisherige Landessprecher Harald Weinberg bezeichnete die Partei DIE LINKE. in seiner auch im Internet veröffentlichten Rede vom 6. Dezem ber als "eine politische Kraft, die sich aufmache in Richtung eines Sozia lismus des 21. Jahrhunderts" und forderte in Anknüpfung an die Notwendigkeit Finanzmarktund Wirtschaftskrise eine Überwindung des bestehenden eines "System Systems. Dabei plädierte er unter ausdrücklichem Verweis auf Marx für wechsels" Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 174 Linksextremismus die Vergesellschaftung finanzträchtiger Wirtschaftszweige und die "Einschränkung der Verfügungsrechte über Grund und Boden". Im "Dimitroff-Theorie" Übrigen griff er auf die kommunistische "Dimitroff-Theorie" aus den 1930er Jahren zurück. Danach nutze der hochentwickelte Kapitalismus vorhandene faschistische Tendenzen in Staat und Gesellschaft für seine politischen Ziele; der bürgerliche Staat entwickle sich durch ökono mische Krisen zwangsläufig zum Faschismus. Zum Erreichen dieses Ziels könne für eine begrenzte Zeit auch noch ein bürgerlicher Staat be stehen bleiben. Bürgerliche Demokratie und faschistischer Staat sind nach diesem Verständnis zwei Ausprägungen des Kapitalismus; beide seien der "Diktatur des Finanzkapitals" unterworfen. In Anlehnung an Dimitroff liest sich das in der publizierten Rede wie folgt: "Daher wird es gleichzeitig darum gehen, den Herrschenden den Weg in einen autoritären Ausweg zu versperren. Die Exit-Option einer ,autoritären Kapitalis musvariante' wird ja seit längerem systematisch vorbereitet ... (...) Unsere These lautet: Es geht um die präventive (vorsorgliche) Absicherung des neo liberalen Projekts in einer Phase, in der die sozialen, kulturellen und politischen Widersprüche aufzubrechen beginnen, die diesem Projekt eingeschrieben sind. (...) Im herrschenden Block geht der harte Kern der Neoliberalen als Reaktion auf diese Erosionsund Krisenprozesse nach Rechts, in Richtung autoritärer Staat. (...) Spitzt sich die Krise zu, dann wird auch diese Tendenz zu einer autoritären Lösung stärker und zu einer wirklichen Gefahr für die Demokratie. Damit stellt sich als aktuelle Aufgabe die Verteidigung der Demokratie und der sozialen Lage der Arbeiterklasse. Dies wird jedoch nur erfolgreich möglich sein, wenn wir die bevorstehenden Abwehrkämpfe mit Forderungen verknüpfen, die über den Kapitalismus hinausweisen." 2.1.7 Teilnahme an Wahlen Außerbayerische Bei den Landtagswahlen am 27. Januar in Hessen und Niedersachsen Landtagswahlen gelang es der Partei DIE LINKE. erstmals, in die Landesparlamente zweier westdeutscher Flächenländer einzuziehen. In Hessen errang sie einen Zweitstimmenanteil von 5,1 %, in Niedersachsen von 7,1 %. Damit ist die Partei im Hessischen Landtag mit sechs, im Niedersächsi schen Landtag mit elf Abgeordneten vertreten. Bei den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft am 24. Februar erzielte die Partei einen Zweit stimmenanteil von 6,4 % und zog damit erstmals mit acht Abgeordne ten in das Landesparlament ein. Kommunalwahlen Bei den Kommunalwahlen in Bayern am 2. März konnte die Partei in Bayern DIE LINKE. insgesamt 42 Mandate für sich gewinnen, davon 29 Stadt rats-, drei Gemeinderatsund zehn Kreistagssitze. Mit vier Mandaten (was 8,6 % der Wählerstimmen entspricht) errang die Partei in der Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 175 Stadt Schweinfurt die meisten Stadtratssitze auf Landesebene. In Mün chen erzielte die Partei statt bislang einen nunmehr drei Mandate, ver fehlte jedoch das Wahlziel der Fraktionsstärke (fünf Mandate); der bis herigen Stadträtin der Partei DIE LINKE., Brigitte Wolf, gelang die Wiederwahl. Erfolglos dagegen blieben sowohl auf der Liste kandidie rende Mitglieder der DKP, wie Claus Schreer, Sonja Schmid und Walter Listl, als auch Aktivisten der trotzkistischen SAV, wie Max Brym, Beate Jenkner und Oliver Stey. Anders als in München trat die Partei DIE LINKE. in Nürnberg nicht eigenständig zur Stadtratswahl an, son dern als Hauptakteur im Rahmen einer "Linken Liste Nürnberg". In dieses Wahlbündnis waren neben der Partei DIE LINKE. unter schiedliche Organisationen wie die türkische linksextremistische Föderation der Demokratischen Arbeitervereine e.V. (DIDF), die DKP, die Linksjugend ['solid] sowie die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) eingebunden. Die "Linke Liste Nürn berg" errang drei Stadtratsmandate. Der Einzug der auf Platz vier kandidierenden DKP-Aktivistin Marion Padua scheiterte knapp. In den Städten Augsburg, Erlangen, Freising, Fürth, Hof, Ingolstadt, Regensburg und Würzburg konnte DIE LINKE. jeweils zwei Sitze erobern. In Freising gehört mit Dr. Guido Hoyer ein Landesvorstandsmitglied der Vereinigung der Verfolgten des Nazi regimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) dem Stadtrat an. Bei der Wahl zum 16. Bayerischen Landtag am 28. September verfehlte Wahl zum Baye die Partei DIE LINKE. mit einem Stimmenanteil von 4,4 % (461.755 rischen Landtag Gesamtstimmen) den Einzug in das Parlament. Der Beschlusslage der 1. Tagung des 1. Bundesparteitags der Partei DIE LINKE. vom 24. und 25. Mai in Cottbus und einer Novellierung des Parteiengesetzes Rech nung tragend, kandidierten keine Mitglieder der DKP auf den bayeri schen Wahllisten. Allerdings tolerierte der Landesverband DIE LINKE. Bayern Vertreter trotzkistischer Gruppierungen. So traten u.a. mit Max Brym, Norbert Stolle und Oliver Stey Aktivisten der SAV sowie mit Nicole Gohlke und Max Steininger Angehörige des parteiinternen Netz werks "marx21" zur Landtagswahl an. Das anlässlich des Landesparteitags am 26. Juli in Nürnberg beschlos sene Landeswahlprogramm enthält Forderungen, die Zweifel an der Forderungen im Finanzierbarkeit aufwerfen. Es enthält keine aussagekräftigen Angaben Wahlprogramm darüber, wie die hierfür notwendige "Umverteilung von oben nach unten" in einem demokratischen Rechtsstaat möglich sein soll. Die fun damentale Ablehnung anderer politischer Parteien sowie vermeintlich einfache Lösungen für komplexe politische, gesellschaftliche und wirtVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 176 Linksextremismus schaftliche Sachverhalte sind Merkmale eines zielgerichteten Links populismus im Wahlprogramm: "Seit mehr als 25 Jahren betreiben SPD und CDU/CSU zusammen mit FDP und GRÜNEN in trauter Eintracht und wechselnden Rollen dieselbe Politik: Sie schenken Jahr für Jahr den Reichen und Wohlhabenden, den Unternehmen und Konzernen mit immer neuen Steuererleichterungen immer mehr Geld. (...). DIE LINKE fordert eine grundlegende Demokratisierung der Wirtschaft und will sie sozialen Maßstäben unterordnen. Wir treten ebenso wie die Gewerkschaften dafür ein, die Allmacht des Kapitals über wirtschaftliche Ent scheidungen zu brechen, ..." Zugleich werden in dem Wahlprogramm unter dem Titel "Die Wirt Bildung von schaft muss den Menschen dienen" die Bildung von Wirtschaftsund Wirtschaftsund Sozialräten gefordert, die nicht nur Initiativund Beratungs-, sondern Sozialräten auch Entscheidungsrechte haben sollen und bei denen Gewerkschaften und Unternehmerverbände sowie Sozial-, Umweltund Verbraucher verbände vertreten sein sollen. Nach den programmatischen Vorstellun gen sind diese Räte zwingend an der Erarbeitung und Beschlussfassung in Umweltfragen zu beteiligen. Zur Regelung von Konflikten zwischen Mehrheitsentscheidungen des Parlaments und davon abweichenden Vorstellungen der Wirtschaftsund Sozialräte äußert sich das Pro gramm nicht. Gleichwohl werden Vorbehalte gegenüber der repräsen tativen Demokratie unter der Überschrift "Für ein demokratisches Bay ern" geschürt: " ,Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.' So bestimmen es Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes und Artikel 2 der Bayerischen Verfassung. Nur noch eine Minderheit der Bevölkerung empfindet diese Rechtsnorm jedoch als Realität." Das Misstrauen der Partei DIE LINKE. gegenüber den demokratischen Institutionen des Verfassungsstaats in Deutschland und Bayern wird in unterschiedlichen Forderungen deutlich. So soll beispielsweise ein "Menschenrechts "Menschenrechtsausschuss" im Bayerischen Landtag eingerichtet wer ausschuss" den, was auch im Zusammenhang mit folgender Aussage im Wahlpro gramm steht: "Persönliche Freiheitsrechte, die den einzelnen Bürger vor staatlichen Über griffen schützen, sollen unter dem völlig unbestimmten Begriff der ,Gefahren abwehr' massiv eingeschränkt werden. (...). Es ist nicht Aufgabe der Innen politik, die Bürgerinnen und Bürger zu bespitzeln und unter Generalverdacht zu stellen." Bei den gleichzeitig mit der Landtagswahl am 28. September durch Bezirkstagswahlen geführten Wahlen zu den sieben Bezirkstagen errang DIE LINKE. ins gesamt fünf Mandate. Sie entsendet in den Bezirkstag Oberbayern zwei Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 177 Vertreter und in die Bezirktage Schwaben, Mittelund Unterfranken jeweils einen Bezirksrat. Mit Beate Jenkner gehört eine Aktivistin der SAV dem Bezirkstag von Oberbayern an. 2.1.8 Kommunistischer Internationalismus Im Rahmen der so genannten internationalen Solidarität unterhält die Partei DIE LINKE. vielfältige Verbindungen und Kontakte zu auslän dischen kommunistischen Parteien und anderen ausländischen Links extremisten. Das in Chemnitz im Oktober 2003 verabschiedete und gegenwärtig noch gültige Parteiprogramm nennt dies "Internationa Internationalismus lismus" und orientiert sich damit an der Idee des Weltkommunismus. Seit dem 25. November 2007 ist der Vorsitzende der Partei DIE LINKE. Vorsitzender der Prof. Dr. Lothar Bisky Vorsitzender der Partei der "Europäischen Linken" Partei der Euro (EL), einem Zusammenschluss von rund 30 Mitgliedsund Beobachter päischen Linken parteien kommunistischen Zuschnitts oder Ursprungs. Im September besuchte eine Delegation der EL auf Einladung der "Kommunistischen Partei Chinas" (KPCh) die Volksrepublik China, um Fragen sozialistischer Entwicklung im 21. Jahrhundert zu diskutieren und um Möglichkeiten für einen Ausbau der Beziehungen zwischen der EL und der KPCh aus zuloten. Neben Prof. Dr. Lothar Bisky nahmen auch Vertreterinnen und Vertreter der "Rifondazione Comunista" (Italien), von "Synaspismos" Auslandskontakte (Griechenland), dem "Linksblock" (Portugal), der "Kommunistischen Partei Spaniens" und der "Partei des Demokratischen Sozialismus" der Tschechischen Republik teil. Dabei wurden Gespräche mit einem Mit glied des Ständigen Ausschusses des Politbüros des Zentralkomitees der KPCh, dem Vizeminister in der Internationalen Abteilung des Zentral komitees der KPCh und des Kommunistischen Jugendverbands geführt. Man kam überein, den Meinungsaustausch fortzusetzen. 2.1.9 Zusammenarbeit mit anderen Linksextremisten Die Partei pflegt Kontakte zu vielen anderen inländischen und ausländi schen linksextremistischen und linksextremistisch beeinflussten Gruppie rungen sowie zu gewaltbereiten Autonomen und arbeitet mit ihnen zu sammen. Wiederholt traten in der Vergangenheit als Anmelder oder Ver anstaltungsleiter von autonomen Aufzügen auch Aktivisten der Partei DIE LINKE. in Erscheinung (vgl. auch Nummer 3.3.1 dieses Abschnitts). Den Auftakt zu den traditionellen Gedenkfeiern aus Anlass des 89. Jah XIII. Internationale restags der Ermordung der Mitbegründer der KPD, Rosa Luxemburg und Rosa-LuxemburgKarl Liebknecht, bildete am 12. Januar die XIII. Internationale Rosa-LuKonferenz Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 178 Linksextremismus xemburg-Konferenz, die von der parteinahen Tageszeitung "junge Welt" veranstaltet und zahlreichen anderen Organisationen wie der SDAJ, der autonomen Szene und dem Organ der DKP "Unsere Zeit" unterstützt wurde. Unter den Gastreferenten befand sich auch die Generalsekretärin der "Kommunistischen Partei Griechenlands" (KKE). Podiumsdiskussion Bei einer Podiumsdiskussion zu dem Thema "Partei für alle? Brauchen mit Sahra Wagen wir neben der 'Linken' eine eigene marxistische Organisation?" betonte knecht die Europaabgeordnete und Mitglied des Bundeskoordinierungsrats der KPF, Sahra Wagenknecht, die Wichtigkeit der Zusammenarbeit mit anderen linksgerichteten Organisationen, wie der DKP, und plädierte für eine Stärkung des Außerparlamentarismus: "Wir müssen mit allen Kräften zusammenarbeiten, die sich in diesem Lande als links verstehen - ob sie sich nun in der Linkspartei oder separat organisieren. (...) Viel wichtiger ist es, dass wir gemeinsam daran arbeiten, dass in diesem Lande außerhalb der Parlamente endlich mehr Bewegung entsteht." "Stilles Gedenken" Am "stillen Gedenken" an Liebknecht und Luxemburg am 13. Januar in in Berlin Berlin-Friedrichsfelde beteiligten sich ranghohe Funktionäre der Partei DIE LINKE., so die Parteivorsitzenden Prof. Dr. Lothar Bisky und Oskar Lafontaine, der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag Dr. Gregor Gysi sowie dessen Stellvertreterin Petra Pau. An der traditionellen Demonstration vom Frankfurter Tor zur Gedenkstätte, zu der rund 50 Initiativen und Parteien aufgerufen hatten, nahmen etwa 10.000 Personen teil, darunter auch zahlreiche Angehörige kom munistischer, marxistischer und autonomer Gruppierungen, wie der DKP, MLPD, SDAJ und KPD. Forderung nach Seit Jahren tritt die Partei DIE LINKE. für die Aufhebung des Verbots der Aufhebung des Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und verbotener Nachfolgestrukturen in Verbots der PKK Deutschland ein. Die Bundestagsabgeordnete und innenpolitische Spre cherin der Partei DIE LINKE., Ulla Jelpke, führte dazu beispielsweise in einem Kommentar für die parteinahe Tageszeitung "Neues Deutsch land" am 11. April aus: "Allein außenpolitische Interessen der EU-Staaten entscheiden darüber, ob eine Gruppierung als terroristische oder Befreiungsbewegung eingestuft wird. (...). Neben der Beschlagnahme von Geldern dient die Aufführung auf den Terrorlisten der Stigmatisierung von Konfliktund Bürgerkriegsparteien. Dies erschwert Friedenslösungen etwa in Kurdistan und dem Nahen Osten, auf Sri Lanka oder in Kolumbien. (...) Zusätzlich zu den Terrorlisten besteht in Deutschland seit 1993 das PKK-Verbot. (...) Organisationen, die wie der Kongra-Gel für eine politische Lösung der kurdischen Frage im Rahmen einer demokratischen Föderation eintreten, werden verfolgt und kriminalisiert. (...) Ein Ende des PKK-Verbots in Deutschland ist notwendig, um hier lebenden kurdischstämmigen Bürgerinnen und Bürgern eine demokratische politische Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 179 Betätigung zu ermöglichen. Dies wäre ein Beitrag zu einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage auch in der Türkei." Medienberichten zufolge beabsichtigte die Partei DIE LINKE. erneut, im Frühsommer die Aufhebung des PKK-Verbots im Deutschen Bundestag zu beantragen. Sie stellte dies zurück, als bewaffnete PKK-Kämpfer drei deutsche Bergsteiger entführten. In einem mit der Tageszeitung "Der Tagesspiegel" am 27. Juli geführten Gespräch antwortete der Vorsit zende der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag Dr. Gregor Gysi auf die Frage "Ist der militärische Kampf der PKK ein legitimer Frei heitskampf?": "Wer es in einer Demokratie nicht schafft, Mehrheiten zu organisieren, hat kein Recht zum gewaltsamen Widerstand. Wer aber diktatorisch unterdrückt wird, hat notfalls das Recht, sich auch bewaffnet zu wehren." Der zurückgezogene Antrag zur Aufhebung des PKK-Verbots sowie die Unterstützung Äußerungen der Repräsentanten der Partei DIE LINKE. zu diesem The des "kurdischen menkreis zeigen, dass die Partei nicht von ihrer Unterstützung des "kur Befreiungs dischen Befreiungskampfs" abweicht und der PKK bzw. deren Nach kampfs" folgeorganisationen bei der Durchsetzung ihrer Ziele sogar das Mittel der Gewalt zubilligt. An einer Kundgebung der Sozialistischen Alternative (SAV) am 18. April Kundgebung der in München gegen das geplante neue Bayerische Versammlungsgesetz SAV in München beteiligten sich Aktivisten der Partei DIE LINKE., der MLPD, des Revolu tionär Sozialistischen Bunds (RSB), der SDAJ, des Arbeiterbunds für den Wiederaufbau der KPD (AB) und der autonomen Szene. Einem Bericht im DKP-Rundbrief vom Juni zufolge äußerte sich die bay erische Bundestagsabgeordnete der Partei DIE LINKE., Kornelia Möller, anlässlich eines Empfangs der DKP München zum 1. Mai vor rund 60 Empfang der Gästen zur Zusammenarbeit der Linken wie folgt: DKP München "Sie betonte die gerade in München sehr gute Tradition der Zusammenarbeit zwischen DKP, Linkspartei und der ,Bewegungslinken', aus der sie selbst komme. Diese Zusammenarbeit müsse gegen den ,Turbokapitalismus' un bedingt fortgesetzt werden; sie dankte der DKP München ausdrücklich für die bisherige und weitere gute Kooperation." Der Kreisverband München der Partei DIE LINKE. führte am 13. Juni in München vor dem Hintergrund einer Parallelveranstaltung von Rechts extremisten vor dem "Kafe Marat" eine Versammlung unter der Leitung der beiden Aktivisten der Partei DIE LINKE., Nicole Fritsche und Jan Tepperies, durch, an der rund 200 Personen teilnahmen. Dabei konnten nicht nur Angehörige der Partei DIE LINKE., sondern auch der DKP, der Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 180 Linksextremismus SDAJ, der SAV, der autonomen Szene und des Volkskongresses Kurdis tans (KONGRA GEL) festgestellt werden. 2.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Deutschland Bayern Mitglieder: 4.250 340 Vorsitzender: Heinz Stehr Gründung: 26.09.1968 Sitz: Essen Nürnberg und München Publikationen: "Unsere Zeit" (UZ); "Rundbrief" "Marxistische Blätter" 2.2.1 Ideologische Ausrichtung Die bis zur Wende von der SED der DDR ideologisch und materiell ab hängige DKP hat durch das Parteiprogramm vom April 2006 ihre gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzung Unveränderte und ihre unveränderte ideologische Ausrichtung bestätigt. Die DKP ver ideologische steht sich weiterhin als revolutionäre Partei, die in der Arbeiterklasse Ausrichtung jene Kraft sieht, die im Bündnis mit anderen Teilen der Bevölkerung die Eigentumsund Machtverhältnisse "revolutionär" verändern und den "Sozialismus" durchsetzen kann. In der Präambel des Parteiprogramms heißt es dazu: "Die DKP als revolutionäre Partei der Arbeiterklasse ist hervorgegangen aus dem Kampf der deutschen Arbeiterbewegung gegen kapitalistische Ausbeu tung und Unterdrückung, gegen Militarismus und Krieg. Sie steht in der Tradition der revolutionären deutschen Sozialdemokratie und der Kommunis Bekenntnis zu tischen Partei Deutschlands. (...) Fundament und politischer Kompass der Sozialismus und Politik der DKP sind die von Marx, Engels und Lenin begründeten und von Klasssenkampf anderen Marxistinnen und Marxisten weitergeführten Erkenntnisse des wis senschaftlichen Sozialismus, der materialistischen Dialektik, des historischen Materialismus und der Politischen Ökonomie. Die DKP wendet diese Lehren des Marxismus auf die Bedingungen des Klassenkampfes in unserer Zeit an und trägt zu ihrer Weiterentwicklung bei. (...) Ziel der DKP ist der Sozia lismus/Kommunismus." Die DKP beging mit einer Festveranstaltung am 27. September in Reck 40-jähriges linghausen/Nordrhein-Westfalen ihr vierzigjähriges Bestehen. Die vom Bestehen Parteivorstand und den Bezirken Rheinland-Westfalen sowie Ruhr-West falen organisierte Jubiläumsfeier wurde von rund 400, meist älteren Mit gliedern besucht, von denen viele zur Gründergeneration der DKP zu zählen sind. Der Leiter der Bonner Außenstelle der kubanischen BotVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 181 schaft, Jose Carlos Rodriguez Ruiz, würdigte in seinem Redebeitrag die Leistungen der DKP. Auf die Solidarität der deutschen Kommunisten habe sich Kuba in den letzten 40 Jahren immer verlassen können. Vor dem Hintergrund der weltweiten Finanzkrise und unter Anspielung auf die Privatisierung öffentlicher Unternehmen hielt der Parteivorsitzende Heinz Stehr in seiner Ansprache die "Eigentumsfrage" für zukunftsweisend: "Wir müssen die Eigentumsfrage zum Thema machen, denn es ist das Kapital, das diese Frage jeden Tag stellt." Nach seiner Ansicht würde es völlig ausreichen, statt vieler verschiede ner Geldinstitute nur eine einzige Bank und eine einzige Versicherung zu betreiben. Diese müssten aber unter demokratische, öffentliche Kontrolle gestellt werden. Zentrale Agitationsthemen der DKP waren - und sind nach wie vor - der Agitations Antimilitarismus, der Sozialabbau, die eigene Bündnispolitik und die schwerpunkte Konsolidierung der Partei. In ihrer Bündnispolitik sieht sich die DKP als Teil der sozialen Bewegung und fördert deshalb weiterhin die aktive Mitarbeit ihrer Genossen in verschiedenen Bündnissen, Organisationen und Initiativen, wie beispielsweise im Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus. Der Sprecher der DKP Südbayern, Walter Listl, ist als ein Hauptverantwortlicher dieses Bündnisses anzusehen. Was er unter Bündnispolitik versteht, zeigt sein im Internet veröffentlichter Diskus sionsbeitrag anlässlich des 18. Bundesparteitags der DKP am 23. und 24. Februar in Mörfelden-Walldorf/Hessen: "Einer marxistischen Partei kommt in diesem Prozess die Aufgabe zu, Brücken zu bauen zwischen den Bewegungen und im Kampf gegen den gemeinsamen Gegner, den transnationalen Konzernen das gemeinsame Projekt eines Sozia lismus des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Diese Gemeinsamkeiten ins Zen trum zu rücken, das ist heute wesentlicher Inhalt der Klassenfrage und des Klassenstandpunkts." Die DKP ist weiterhin bestrebt, in Vorfeldorganisationen, wie der Einfluss in Vorfeld VVN-BdA und der SDAJ, maßgeblichen Einfluss auszuüben. organisationen 2.2.2 Organisation Die DKP ist eine bundesweit organisierte Partei mit Sitz in Essen. Sie ist in Bezirksorganisationen gegliedert, die weiter in Kreisund Grund organisationen oder auch Betriebsgruppen unterteilt sind. Die Zahl der Organisations Mitglieder beträgt bei fortschreitender Überalterung rund 4.250. Der strukturen bislang 40 Personen umfassende Bundesvorstand wurde anlässlich der auf dem 18. Parteitag am 23. und 24. Februar durchgeführten NeuVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 182 Linksextremismus Neuwahl des wahlen dieses Gremiums auf 34 Mitglieder verringert. Der Parteivorsit Bundesvorstands zende Heinz Stehr und seine Stellvertreterin Prof. Dr. Nina Hager wur den in ihren Ämtern bestätigt. Anstelle des bisherigen stellvertretenden Parteivorsitzenden Rolf Priemer wurde der Münchner Leo Mayer ge wählt, der für einen traditionell marxistischen Kurs innerhalb der DKP steht. Neben ihm gehören mit Isa Paape, Renate Münder und August Ballin noch drei weitere Funktionäre aus Bayern dem Parteivorstand an. In einem Grußwort auf dem DKP-Parteitag warnte die Bundesspreche rin der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE., Ellen Bromba cher, ihre Partei davor, die DKP auszugrenzen und die marxistisch orien tierten Kräfte sich gegeneinander aufhetzen zu lassen. Gegen einen "faktischen" Unvereinbarkeitsbeschluss für DKP-Mitglieder als Kandi daten auf Listen der Partei DIE LINKE. werde sie in ihrer Partei kämpfen. Sie stellte dazu eindeutig fest: "Es gibt keinen linken Antikommunismus und - zumindest auf Dauer - auch keine antikommunistischen Linken." Organisation In Bayern bestehen zwei Bezirksorganisationen (Nordund Südbayern), in Bayern zwölf Kreisverbände, eine Betriebsgruppe sowie ein "Betriebsaktiv". Die Mitgliederzahl in Bayern ist auf rund 340 gesunken. 2.2.3 Teilnahme an Wahlen Zu den Kommunalwahlen in Bayern am 2. März kandi dierten insgesamt 44 Mitglieder von DKP und SDAJ auf Listen der Partei DIE LINKE. bzw. auf von ihr initiierten und getragenen "Linken Listen". Eigenständig trat die DKP nicht zur Wahl an. In München stellten sich die in verschiedenen Bündnissen aktiven DKP-Mitglieder Claus Schreer, Walter Listl und Sonja Schmid für den Stadtrat zur Wahl. Bereits am 27. Oktober 2007 hatte die Kreismitgliederversammlung der DKP München die Unterstützung der Partei DIE LINKE. im Kommu nalwahlkampf beschlossen. In Nordbayern war die DKP ebenfalls mit mehreren Kandidatinnen und Kandidaten auf den Listen der Partei DIE LINKE. vertreten. Keinem Bewerber der DKP gelang es, bei der Kommunalwahl ein Mandat zu erlangen (vgl. auch Nummer 2.1.7 dieses Abschnitts). Wahl zum Baye Den Wahlkampf der Partei DIE LINKE. zum 16. Bayerischen Landtag rischen Landtag unterstützte die DKP mit Informationsveranstaltungen und dem Vertei len von Flugblättern. Der Beschlusslage des Bundesparteitags der Partei DIE LINKE. vom 24. und 25. Mai in Cottbus und einer Novellierung des Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 183 Parteiengesetzes folgend, kandidierten keine Mitglieder der DKP auf den bayerischen Wahllisten der Partei DIE LINKE.. 2.2.4 Umfeld der DKP 2.2.4.1 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Deutschland Bayern Mitglieder: 7.500 700 Vorsitzende: Prof. Dr. Heinrich Fink; Cornelia Kerth Gründung: 15.-17.03.1947 Sitz: Berlin (Bundesgeschäftsstelle) Publikation: "antifa" Die VVN-BdA bleibt die bundesweit größte Organisation im linksextre mistischen Spektrum des Antifaschismus. Als gleichberechtigte Vorsit zende der VVN-BdA fungieren Prof. Dr. Heinrich Fink und Cornelia Neuwahlen zu den Kerth, die anlässlich der auf dem 3. Bundeskongress der VVN-BdA am Bundesgremien 24. und 25. Mai in Berlin durchgeführten Neuwahlen zu den Bundesgremien für den im Januar verstorbenen Werner Pfennig nachrückte. Die Verbandszeitschrift "antifa" erscheint in zwei monatigem Rhythmus. Die VVN-BdA versteht unter Antifaschismus nicht nur den Kampf gegen Rechtsextremismus; sie agiert auch gegen den demokratischen Staat und dessen Institutionen, denen unter stellt wird, rechtsextremistische Bestrebungen zu schützen und zu fördern. Daneben versucht die VVN-BdA unter dem Vorwand "Kampf gegen Rechtsextremismus", Einfluss auf bürgerliche Kräfte zu nehmen und letztendlich Demokraten für ihre antidemokratischen Ziele zu vereinnahmen. In einem in der Wochendausgabe der Tageszeitung "junge Welt" (jW) vom 8./9. Dezember 2007 veröffentlichten Interview und ebenso in seiner Rede beim 3. Bundeskongress in Berlin lieferte der ehemalige SED-Funk tionär Prof. Dr. Heinrich Fink wiederum Belege für die staatsund ver Verfassungsfeind fassungsfeindliche Grundposition seines Verbands, indem er den liche Grundposition Beschluss der Innenministerkonferenz in Berlin, extremistische Stiftun gen und Vereine über das Steuerrecht von staatlichen Geldern abzu schneiden, als Schritt in die falsche Richtung bezeichnete. Beim 3. Bundes kongress rief er die Mitglieder der VVN-BdA dazu auf, gegen den EinVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 184 Linksextremismus satz der Bundeswehr im Inund Ausland mobil zu machen und Forde rungen, sich von Kommunisten und radikalen Linken zu distanzieren, eine klare Absage zu erteilen. Auch die als Delegierte des Kongresses anwesende Bundestagsabgeordnete der Partei DIE LINKE., Dorothee Autonome Anti Menzner, sprach sich für eine verstärkte Zusammenarbeit mit autonomen faschisten als Antifaschisten aus und forderte deren Anerkennung als engagierte Bündnispartner Bündnispartner. Die praktische Bedeutung des "strategischen Dreiecks" der Partei DIE LINKE. (vgl. auch Nummer 2.1.1 dieses Abschnitts) wird aufgrund dieser Äußerung sehr deutlich: Eigenes Engagement in Bünd nissen - wie mit der VVN-BdA - ist verbunden mit Forderungen, in sol chen Bündnissen auch gewaltbereiten außerparlamentarischen Grup pierungen ein Forum zu bieten. Prof. Dr. Fink und mit ihm die Vereini gung stellen sich nach wie vor gegen die antitotalitäre Konzeption des Grundgesetzes, indem zwar der Rechtsextremismus verurteilt, der Links extremismus jedoch als gesellschaftlich notwendig erachtet wird. Im Landesverband Bayern der VVN-BdA ist auf Landeswie auf Kreis ebene der Einfluss von Linksextremisten, insbesondere aus der DKP, Agitations maßgeblich. Die Landesvereinigung unterstützte auch weiterhin aus schwerpunkte dem linksextremistischen Spektrum initiierte Aktionen. Schwerpunkte der Agitation der VVN-BdA Bayern waren der als Neofaschismus be zeichnete Rechtsextremismus, der Antisemitismus, der Rassismus und der Sozialabbau. In Mittenwald, Landkreis Garmisch-Partenkirchen, beteiligten sich Links extremisten an Protesten gegen die traditionelle, alljährlich stattfin Brendten-Feier dende so genannte Brendten-Feier des "Kameradenkreises der Gebirgs in Mittenwald truppe e.V.". Die Gegendemonstrationen fanden am 3. und 4. Mai unter dem Motto " ... geben wir ihnen den Rest. Nie wieder Gebirgs jäger in Mittenwald! ... und tschüss!" statt. Hauptinitiatoren dieser Veranstaltungen waren der "Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege", hinter dem maßgeblich die VVN-BdA steht, und die VVN-BdA selbst. An den Veranstaltungen beteiligten sich mit insgesamt rund 220 Teilneh mern wiederum weniger Personen als im Jahr zuvor. Die Polizei nahm am zweiten Tag 45 Personen aus dem linken Spektrum in Gewahrsam. Die VVN-BdA zeigt mit ihrer Unterstützung der Proteste aus dem links extremistischen und dem autonomen Bereich, dass ihre Bündnisarbeit bis weit in das gewaltbereite Spektrum reicht. In der Zeit vom 28. bis 31. August fand in Geretsried, Landkreis Bad Antifaschistisches Tölz-Wolfratshausen, das zweite bayernweite antifaschistische Jugend Jugendcamp camp statt, zu dem ein Bündnis aus der VVN-BdA Bayern und aus poli tischen Jugendorganisationen aufgerufen hatte. Organisiert wurde es Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 185 von den VVN-BdA Kreisverbänden Wolfratshausen und Landshut. Als Unterstützer traten sowohl linksextremistische Gruppen wie die Links jugend ['solid] Bayern und der SDAJ Bayern, als auch autonome Grup pierungen wie die "Antifaschistische Jugend München" (AJM) und die "Antifa NT" (München) auf. Gefördert wurde das Camp auch vom Ver ein der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE. und der - dieser Partei nahestehenden - Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie dem Kurt-Eisner-Ver ein. Ziel des viertägigen Jugendcamps mit rund 80 Teilnehmern war, Ziel des "Jugendliche der verschiedenen antifaschistischen Spektren einen Treff Jugendcamps punkt zu geben, Kontakte zu knüpfen und weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter für ein antifaschistisches Engagement zu gewinnen". Die Veranstaltung verlief störungsfrei. 2.2.4.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Deutschland Bayern Mitglieder: 300 110 Vorsitzender: Kollektiver Bundesvorstand mit 29 Personen Gründung: 04./05.05.1968 Sitz: Essen Publikationen: "POSITION" "KONTRA!" Die mit der DKP eng verbundene SDAJ bezeichnet sich in ihrer SelbstIdeologischer darstellung als "bundesweite Organisation von Jugendlichen, die sich Gleichklang mit mit den Zuständen in Schulen, Betrieben, in dieser Republik und der der DKP 'Neuen Weltordnung' nicht abfinden" und für eine andere Gesellschaft kämpfen will. Dazu heißt es: "Alle unsere Forderungen richten sich gegen die Herrschenden in dieser Gesellschaft, gegen die Kapitalisten. Verwirklichen können wir sie nur in einer Gesellschaft ohne Kapitalisten - im Sozialismus." Schwerpunkte der Agitation der SDAJ sind die Forderung nach Verbesserung der Bildungsund Arbeitspolitik für die Jugend, die Bekämpfung des "Faschismus" sowie der Widerstand gegen den Militarismus in der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Die sich aus dem auf dem 18. Bundeskongress am 17. und 18. März 2007 in Hannover verabschiedeten Programm mit dem Titel "Zeit sich zu wehren!" und der ebenfalls beschlos senen "Kampagne gegen Zukunftskiller" ergebenden Aktio nen für Bildung und Ausbildung wurden fortgesetzt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 186 Linksextremismus Arbeits In Bayern legte die SDAJ den Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit vor schwerpunkt dem Hintergrund der Wahl zum 16. Bayerischen Landtag am 28. Sep tember auf die Kampagne "Beckstein stoppen", wobei zu Demonstra tionen, Kundgebungen und satirischen Aktionen zur Nichtwahl der CSU und des damaligen Bayerischen Ministerpräsidenten aufgerufen wurde. Es wurden Flugblätter verteilt, Info-Stände durchgeführt, Straßen theatervorstellungen gegeben und Wahlkampfveranstaltungen der CSU gestört. Die SDAJ Bayern bewertete die Kampagne als "vollen Erfolg". Die SDAJ Bayern ist Herausgeber der zweimonatlich erscheinenden Jugendzeitung "KONTRA!". 2.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Deutschland Bayern Mitglieder: 2.300 100 Vorsitzender: Stefan Engel Gründung: 1982 Sitz: Gelsenkirchen München, Nürnberg Publikationen: "Rote Fahne" (Zentralorgan); "REVOLUTIONÄRER WEG" (Theorieorgan); "REBELL" (Jugendmagazin); "Galileo - streitbare Wissenschaft" (Zeitung der MLPD-Hochschulgruppen) Die MLPD wurde am 20. Juni 1982 in Bochum gegründet. Der Präambel ihres Statuts zufolge versteht sich die Partei als "politische Vorhut Extremistische organisation der Arbeiterklasse in Deutschland". Grundlegendes Ziel sei Grundhaltung "der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialis mus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesell schaft". Maoistisch-stalinis Die maoistisch-stalinistisch ausgerichtete MLPD sieht sich selbst als "Teil tische Ausrichtung der internationalen marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung, Erbe der revolutionären Tradition der Kommunistischen Partei Deutsch lands (KPD), der deutschen Arbeiterklasse und ihrer großen Führer Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Ernst Thälmann". Organisations Die zentralistisch geführte Partei ist in Landesverbände, Betriebs-, strukturen Ortsund Kreisgruppen gegliedert. Sie hat ihre Zentrale und ihren Aktionsschwerpunkt in Nordrhein-Westfalen. Stefan Engel ist seit der Parteigründung im Jahre 1982 Vorsitzender; er gilt als Vordenker und Idol. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 187 Im Zuge ihrer Reorganisierung gründete die Partei Ende Mai sechs neue Neue Landes Landesverbände, darunter auch den Landesverband Bayern mit Sitz in verbände Nürnberg. Die als "größte kaderpolitische Umwälzung seit der Gründung der MLPD" bezeichnete Errichtung einer weiteren Leitungsebene sei "dringend notwendig, um künftige Klassenschlachten" in wichtigen Metropolregio nen verantwortungsvoll zu leiten und zu führen. In einem am 16. September geführten Interview betonte der Par teivorsitzende Stefan Engel im Zusammenhang mit den Ergebnissen des Anfang September in Hamburg durch geführten VIII. Parteitags der MLPD, dass eine "neue taktische Offensive für den echten Sozialismus" die wichtigste Schlussfolgerung für die Arbeit der nächsten Zeit sei: "Es gibt keinen Weg zum Sozialismus ohne die Zerschlagung der bürgerlichen Staatsmacht und die Errichtung der Diktatur des Proletariats!". Laut eigener Aussage ist die Partei zusammen mit ihrem Jugendverband "REBELL" in über 450 Orten in allen Bundesländern Deutschlands ver treten. Die Mehrzahl der Parteimitglieder seien Arbeiter und einfache Angestellte; der Frauenanteil liege bei 43 %. Die MLPD ist finanziell un abhängig; sie finanziert sich eigenen Angaben zufolge ausschließlich durch freiwillige, teils hohe Spenden und Mitgliedsbeiträge. Neben der Frauenund Familienarbeit legt die MLPD besonderes Nachwuchs Augenmerk auf die Rekrutierung von Nachwuchskadern im Kinderund organisationen Jugendbereich. Hierzu bedient sie sich der Jugendorganisation "REBELL" und deren Kinderorganisation "ROTFÜCHSE", die mit altersgerechten Freizeitangeboten locken. Sommercamps mit Freizeitund Bildungs angeboten vermitteln mit jugendnah konzipierten Schulungen eine "proletarische Denkweise". Im linksextremistischen Spektrum ist die "sektenhaft führerzentrierte und autoritär beherrschte" MLPD isoliert. Trotz massiver Bemühungen, auf aktuelle politische Entwicklungen adäquat zu reagieren, erfährt sie kaum gesellschaftlichen Zuspruch. 2.4 Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus In dem seit Juni 2005 in dieser Form bestehenden linksextremistisch be einflussten Bündnis sind sowohl demokratische als auch linksextremis tische Parteien und Gruppierungen wie DIE LINKE., die DKP, die SDAJ, Bündnisbeteiligte der Revolutionär Sozialistische Bund (RSB), die MLPD und Autonome Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 188 Linksextremismus vertreten. Das Bündnis fungierte als Träger oder Unterstützer einer Viel zahl von Aktivitäten wie Demonstrationen, Kundgebungen, Mahn wachen und Informationsveranstaltungen, insbesondere zum Thema "Krieg". Maßgebliche Aktivisten dieses Bündnisses sind Claus Schreer und Walter Listl, beide gleichzeitig Angehörige der Münchner DKP. Proteste gegen Das Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz, das vom die 44. Münchner Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus dominiert wird, mobili Konferenz für sierte auch im Berichtsjahr wieder gegen die Konferenz für Sicherheits Sicherheitspolitik politik, die vom 8. bis 10. Februar in München stattfand. An diesem speziell für Aktionen gegen die Münchner Konferenzen für Sicherheits politik gegründeten Bündnis sind die bereits beim Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus vertretenen Parteien und Gruppierungen beteiligt. Wie in den Jahren zuvor kam es zu zahlreichen Protestaktionen. Be gonnen hatten diese am 8. Februar mit einer satirischen "Jubeldemo", organisiert von der SDAJ. An ihr beteiligten sich bis zu 180 Personen. Höhepunkt der Proteste war am 9. Februar eine Großkundgebung, bei der der Aktivist der Partei DIE LINKE., Jan Tepperies, als Versamm lungsleiter auftrat. Zur Auftaktkundgebung auf dem Marienplatz waren anfangs nur ungefähr 70 Personen erschienen. Während der Veranstaltung wurden seitens der Redner wiederholt verbale Atta cken gegen die Polizei geführt. Bis zum Ende der Kundgebung waren rund 1.500 Personen zu verzeichnen, unter denen sich auch rund 70 Kurden mit "Öcalan-Fahnen" und ein etwa 400 gewalt bereite Autonome umfassender "Schwarzer Block" befanden. Die Bundestagsabgeordnete und innenpolitische Sprecherin der Bundes tagsfraktion DIE LINKE., Ulla Jelpke, trat auf dieser Protestkundgebung Linksextremes als Rednerin auf und ließ erkennen, wie linksextremes Gedankengut in Gedankengut Veranstaltungen linksextremistisch beeinflusster Bündnisse getragen wird. Unter dem von ihr gewählten Leitsatz "Krieg nach außen - Re pression nach innen - das sind zwei Seiten der selben Medaille" führte sie aus: "Man muss sich bei dieser ganzen Entwicklung fragen, was die Herrschenden eigentlich bezwecken. Es scheint ja im Moment überhaupt keine Notwendig keit zu geben, die Opposition quasi unter Kriegsrechtsbedingungen zu stellen. Es gibt niemanden im Land, den die Herrschenden ernsthaft als ,Gefährder' einstufen müssten, es gibt nicht die Spur einer ernsthaft systemüberwinden den Opposition. Aber gab es denn einen ,richtigen' Grund für die Einführung der Notstandsgesetze in den 1960er Jahren? Die Regierenden zögern nicht, die Basis ihrer Herrschaft zu verbreitern, wenn sie die Gelegenheit dazu sehen. Das ist aus Herrschaftssicht, nur allzu verständlich. Wer will ausschließen, dass Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 189 es auch in Deutschland in Zukunft größere soziale Kämpfe geben wird, in denen Kapitalismus an sich in Frage gestellt wird? Die neoliberale Politik und die kommende Wirtschaftskrise erzwingen dies geradezu. Die Herrschenden denken bei der Vorbereitung der präventiven Konterrevolution weiter als viele der Beherrschten." Nach der Kundgebung zogen schätzungsweise 2.500 Demonstranten vom Marienplatz zur Schlusskundgebung am Odeonsplatz. An der Spitze dieses Aufzugs schritten neben anderen die bayerische Bundestagsab geordnete und Landessprecherin der Partei DIE LINKE., Eva Bulling-Schrö ter, sowie die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (DIE LINKE.). Einem in den "Münchner Lokalberichten - antifaschistisch, antiimperia listisch, antikapitalistisch" vom 12. November veröffentlichten Aufruf zufolge, der vom Bündnis zusammen mit linksextremistischen Gruppie rungen wie SDAJ, SAV, RSB und Linksjugend ['solid] unterzeichnet wor den ist, wird im Zusammenhang mit dem Krieg in Kurdistan gefordert: Forderung nach "Weg mit dem PKK-Verbot und dem Verbot von Roj TV!". Damit doku Aufhebung des mentiert das Bündnis klar seine extremistischen Überzeugungen, ins Verbots der PKK besondere auch die Unterstützung einer terroristischen Organisation. Am 13. November führte das Bündnis im EineWeltHaus in München eine Informationsveranstaltung zum Thema "60 Jahre NATO sind genug" durch, bei der dem ehemaligen DDR-Spion im Nato-Hauptquartier und gegenwärtigen Stammautor der der Partei DIE LINKE. nahestehenden Tageszeitung "junge Welt", Rainer Rupp, ein Forum geboten wurde. In der Einladung zur Veranstaltung wird ausgeführt, dass die NATO nach 1989 auf Konfrontationskurs gegen solche Staaten ging, "die sich dem kapitalistischen Weltmarkt nicht bedingungslos öffnen und preisgeben wollten". Unter Verweis auf "völkerrechtswidrige Angriffskriege", wird betont: " ..., all das beweist, dass es der NATO nicht um Sicherheit, Stabilität und Frie den geht, sondern darum, die strategischen und Geschäftsinteressen ihrer Mitgliedsstaaten ohne Rücksicht auf Verluste unter der Zivilbevölkerung gewaltsam durchzusetzen." 2.5 Sonstige orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten Die teils bundesweit, teils regional tätigen sonstigen linksextremis tischen Parteien, Organisationen und Bündnisse entfalteten in Bayern kaum Außenwirkung. Dies gilt insbesondere für die Marxistische Gruppe Marxistische (MG), die trotz ihres bislang nicht widerrufenen Auflösungsbeschlusses Gruppe (MG) Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 190 Linksextremismus vom Mai 1991 bundesweit mit rund 10.000 Anhängern fortbesteht. Sie verfügt in Bayern über etwa 4.200 Anhänger, von denen nahezu 700 "GEGENSTAND aktiv sind. Öffentlich trat die MG nur bei regelmäßigen "GEGENSTAND PUNKT"-Ver PUNKT"-Diskussionsveranstaltungen in München, Nürnberg, Augsburg anstaltungen und Regensburg in Erscheinung; die Bezeichnung dieser Veranstaltun gen geht auf die seit 1992 von führenden MG-Funktionären heraus gegebene Zeitschrift "GEGENSTANDPUNKT" zurück. Die an der Fried rich-Alexander-Universität in Erlangen aktive Sozialistische Gruppe ist ebenfalls der MG zuzurechnen. Der 1973 aus "Arbeiter-Basisgruppen" hervorgegangene Arbeiter bund für den Wiederaufbau der KPD (AB) beteiligte sich in Bayern überwiegend an Demonstrationen und Veranstaltungen anderer Organisationen. Der AB zeigte, wie in den Jahren zuvor, nur geringe Aktivitäten. Am 7. Juni lud er in München - seinem Grün dungsort - zu einer "Roten Revue" aus 40 Jahren Arbeiterbewe gung und 40 Jahren Wiederaufbau der KPD ein. Der AB habe sich als "Avantgarde der Arbeiterklasse bewährt". Weitere linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Organisationen werden in Nummer 4 dieses Abschnitts auf geführt. 3. Gewaltorientierte Linksextremisten 3.1 Autonome Gruppen Deutschland Bayern Angehörige: 5.800 600 erstmaliges Auftreten: Ende der 1970er Jahre Struktur: meist themenbezogene Gruppen, die überwiegend lokalen Charakter aufweisen Publikationen: Szene-Blätter wie "INTERIM" oder "Bahamas" (beide Berlin); auf regionaler Ebene u. a. "barricada" (Nürnberg) 3.1.1 Ideologische Ausrichtung und Aktionsformen Gewaltbereite Autonome stellen nach wie vor eine Bedrohung für die Kein einheitliches Innere Sicherheit in Deutschland dar. Autonome haben kein einheit ideologisches liches ideologisches Konzept, sie folgen vielmehr anarchistischen und Konzept anarcho-kommunistischen Vorstellungen. Die einzelnen Gruppen bil den sich meist über Aktionsthemen wie z.B. Antifaschismus, Antimilita rismus und Sozialabbau. Einig sind sich die Autonomen in ihrem Ziel der Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 191 gewaltsamen Zerschlagung des Staates und seiner Einrichtungen sowie Anstreben einer der Errichtung einer "herrschaftsfreien Gesellschaft". Um diesem Ziel "herrschaftsfreien näher zu kommen, nutzen sie aktuelle politische Fragen für ihre Gesellschaft" Zwecke. Durch geschickte Agitation versuchen sie, auch demokratische Protestbewegungen für ihren Kampf gegen den Staat zu mobilisieren. Das provozierende Auftreten der Autonomen in der Öffentlichkeit, ihre staatsfeindliche Haltung, die Ablehnung gesellschaftlicher Normen und Werte, aber auch das Bejahen von Gewalt zur Durchsetzung ihrer For derungen und Ziele kommen der Protesthaltung mancher junger Men schen entgegen, vor allem, wenn diese mit Problemen im Elternhaus, in der Schule oder der Ausbildung konfrontiert sind. Autonome unter scheiden sich soziologisch kaum von anderen Jugendlichen oder jungen Erwachsenen. Sie sind in der Regel Schüler, Studenten oder AuszubilJunge Anhänger dende. Autonome machen den Ablauf ihrer Aktionen primär von der Einschät zung der Durchsetzbarkeit und ihrem Kräfteverhältnis gegenüber der Polizei abhängig. Rechtsextremistischen Versammlungen begegnen sie nach wie vor mit einer hohen Aggressivität und Gewaltbereitschaft. Autonome führen dabei oft keine eigenen öffentlichen Veranstaltungen durch, sondern mischen sich stattdessen unter die Teilnehmer anderer Gegenveranstaltungen. Die Formierung von so genannten "Schwarzen "Schwarze Blöcke" Blöcken" bei Demonstrationen als Symbol militanten Politikverständnis ses ist wieder vermehrt feststellbar. Die Differenzierung zwischen "Gewalt gegen Personen" und "Gewalt gegen Sachen" wird teilweise in Frage gestellt. Körperverletzungsdelikte von Linksextremisten gegen "Rechte" oder vermeintliche "Rechte" machen deutlich, dass Autonome Gewaltanwendung gegen politische Unverminderte Gegner als legitimes Mittel ansehen. Wie in den Vorjahren waren AutoGewaltbereitschaft nome für die meisten der linksextremistisch motivierten Gewalttaten verantwortlich. Nach wie vor wird vor allem in Kreisen Berliner Auto nomer eine Strategiedebatte um terroristische Gewalt geführt. In Bayern sind linksextremistische Strukturen mit terroristischer Zielsetzung derzeit nicht feststellbar. 3.1.2 Strukturen und Publikationen Insgesamt ist die Zahl der Angehörigen der autonomen Strukturen in Personenpotenzial Bayern im Vergleich zum letzten Jahr mit etwa 600 gleich geblieben. Im in Bayern Jahr 2008 traten in Bayern besonders die autonomen Gruppierungen "Organisierte Autonomie" (Nürnberg), "radikale Linke" (Nürnberg), Autonome "Autonome Jugend Antifa" (Nürnberg), "Antifa NT" (München), "Antifa Gruppierungen Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 192 Linksextremismus Jugend München" (AJM), "Contra Real" (Augsburg) und "Zusammen Aktiv Kämpfen" (Sulzbach-Rosenberg) in Erscheinung. Örtliche Örtliche Schwerpunkte der Autonomen in Bayern sind nach wie vor die Schwerpunkte Großräume Nürnberg/Erlangen/Fürth und München. Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Zahl der Autonomen in Nürnberg/Erlan gen/ Fürth von etwa 170 und in der Landeshauptstadt Mün chen von etwa 140 Anhängern nicht verändert. Die auto nome Szene in Nürnberg formiert sich um das "Stadtteil zentrum Schwarze Katze" und die Anlaufstelle "DESI". Für Münchner Autonome spielen der autonome "Info-Laden" und das "Kafe Marat" im ehemaligen "Tröpferlbad" in der Thalkirchner Straße eine wesentliche Rolle. Einen Überblick über in Erscheinung getretene autonome Gruppierungen - einschließlich Kleinund Kleinstgruppen - vermittelt die auf der Seite 193 dieses Berichts abgedruckte Karte. Informations Für den lokalen, überregionalen und internationalen Informations austausch austausch verwenden Autonome Szene-Publikationen, Info-Läden, Sze ne-Lokale sowie verdeckte informelle Strukturen wie Telefonketten. Info-Läden dienen dem autonomen Spektrum nicht nur als zentrale In formations-, Kommunikationsund Anlaufstellen, sondern tragen auch zur Verbreitung und Koordinierung autonomer Aktivitäten bei und haben wesentlichen Einfluss auf die Mobilisierungsfähigkeit der Szene. Info-Läden In Bayern bestehen Info-Läden u.a. in München, Nürnberg, Würzburg, Augsburg und Landshut. Trotz der steigenden Attraktivität der modernen elektronischen Medien haben die klassischen Publikationen nach wie vor Bedeu tung für die autonome Szene. Im Bundesgebiet gibt es zahlreiche dieser Szene-Publikationen, in denen Diskussionspapiere, Aufrufe zu Veranstaltungen, Selbstbezichtigungsschreiben und andere Beiträge veröffentlicht werden. Bundesweite Bedeutung haben dabei nur wenige Schriften, vor allem die in Berlin erscheinende "INTERIM". Sie agiert insbesondere als "Knotenpunkt für die Bündelung des Widerstands" im Hinblick auf künftige Ereig nisse, wie beispielsweise zu den Themenfeldern Antikapitalis mus, Antirassismus oder Antiimperialismus. Die "INTERIM"-Re daktion ruft u.a. dazu auf, Kampagnenvorschläge "für die nächsten Tage, Monate, Jahre" einzusenden. Die Mehrzahl der Publi kationen hat einen vorrangig regionalen Verbreitungskreis, so auch die Publikationen in Bayern herausgegebenen Druckwerke, z.B. "barricada - zeitung für autonome politik und kultur" (Nürnberg). Die Publikationen werden oft Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 193 Autonome in Bayern 2008 Coburg* (Schwerpunkte) Schweinfurt* Aschaffenburg* Main-Spessart-Gebiet* Bayreuth* Würzburg* Nürnberg/ Erlangen/ Fürth Sulzbach-Rosenberg ca. 170 ca. 40 - Organisierte Autonomie - radikale Linke - Zusammen Aktiv Kämpfen - Autonome Jugend Antifa - Antifa Umland Erlangen - Antifaschistische Linke Fürth Ansbach* Regensburg ca. 20 Straubing* Ingolstadt* Passau Landshut* ca. 20 Augsburg Freising* Neu-Ulm* Dorfen* Mühldorf* ca. 30 München Altötting* Contra Real Waldkraiburg* ca. 140 - Antifa NT - Antifa-Jugend-München Rosenheim* *) Angehörige der autonome Personen autonome autonomen Szenen zusammenhänge Kleinstgruppen (nicht abschließend) konspirativ hergestellt und verbreitet. Sie enthalten teilweise unverhoh lene Aufforderungen und Anleitungen zu Gewalttaten u.a. gegen Rechtsextremisten und deren Einrichtungen. Die Aufklärung über Nazistrukturen im Großraum Nürnberg /Erlangen / Fürth wurde in der "barricada - zeitung für autonome Politik und kultur" fortgesetzt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 194 Linksextremismus 3.1.3 Strategiedebatte - Fortsetzung der Gewaltdiskussion Nachlassen der In der gewaltbereiten Szene ließ die seit Jahren andauernde "Militanz "Militanzdebatte" debatte" deutlich nach. Der Grund wird in Exekutivmaßnahmen gegen mutmaßliche Aktivisten der "militanten Kampagne gegen den G8-Gip fel" und der "militanten gruppe" (mg) im Jahr 2007 gesehen. Die mg hatte sich bisher maßgeblich an der Debatte beteiligt. Seit Jahren dis kutierten unterschiedliche autonome Gruppierungen mit dem Ziel, die bisher im autonomen Spektrum weitgehend vorherrschende Trennung zwischen der akzeptierten "Gewalt gegen Sachen" und der außerhalb der antifaschistisch orientierten Gruppen eher abgelehnten "Gewalt gegen Personen" zu überwinden. Hauptdiskussionsforum war und ist das autonome Szene-Blatt "INTERIM" als "unkontrollierter, keiner Zen sur durch Repressionsorgane unterliegenden Zeitung" aus Berlin. Die in dieser Zeitung fortgeführte Debatte hat, ge messen an den Beitragsveröffentlichungen der Vor jahre, quantitativ abgenommen. Eine Gruppe, die sich als "some militant activists" bezeichnet und zur Solidarität mit der "militanten gruppe" (mg) auf ruft, fordert eine "Wiederbelebung der militanten Debatte". Damit verbindet sie den Wunsch, dass "wieder mehr Gruppen und Einzelpersonen über militante Intervention nachdenken". Eine weitere Gruppierung, die sich "AK Vermittlung" nennt, stellt fest, dass die "Kriminalisierung militan ter Praxis" die Debatte erschwere und propagiert, dem politisch ent gegentreten zu wollen. Die Verfasser bringen dabei ihr Politikverständ nis zum Ausdruck: "Die politische Praxis, den Weg den wir wählen, lassen wir uns nicht zensieren und reglementieren. Die Mittel diskutieren wir immer wieder neu, je nach politischer Situation und politischer Stärke. Unsere Aktionsformen sind vielfäl tig. Sie umfassen ... Blockaden, Sabotagen ... das Plündern (...) Aber uns ist eine gemeinsame Reflektion und Debatte um Militanz wichtig. (...) Es geht darum eine unvereinbare Haltung gegenüber dem herrschenden System ein zunehmen (...) Wir müssen ... unsere Argumente verstärkt in den Diskurs einbringen. Mehr Aufmerksamkeit für linksradikale Politik!" Bei den bayerischen Autonomen blieb eine Reaktion auf die im Be richtszeitraum veröffentlichten Beiträge zur "Militanzdebatte" aus. 3.1.4 Antifaschismus Wichtiges Der Antifaschismus blieb ein wichtiges Dauerthema für gewaltbereite Dauerthema Linksextremisten. Für Autonome, wie für andere Linksextremisten, beVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 195 inhaltet der Antifaschismus jedoch nicht allein den Kampf gegen Rechtsextremismus, sondern auch gegen den demokratischen Staat. Nach linksextremistischer Auffassung ist der Rechtsextre mismus Folge des Kapitalismus, den es deshalb als Ursache zu bekämpfen gilt. Dies kommt u.a. in einem Aufruf gegen einen am 15. November in der Münchener Innenstadt durchgeführ ten rechtsextremistischen Aufmarsch zum Ausdruck: "Wir sind uns bewusst, dass Nazis nicht einfach vom Himmel fallen. Sie kön nen mit ihren rassistischen, antisemitischen, nationalistischen und geschichts revisionistischen Positionen an Ressentiments anknüpfen, die weit in der Gesellschaft verbreitet sind. Deshalb begreifen wir Antifa-Politik nicht bloß als reinen Kampf gegen Nazis, sondern immer auch als Kampf gegen die kapita listische Gesellschaftsordnung. Emanzipatorische, antifaschistische Politik kann nur aus einer fundamentalen Kritik an Ausgrenzung und Unterdrückung von Menschen hervorgehen und muss so zwingend antikapitalistisch sein." Für ihre Übergriffe auf Rechtsextremisten nutzen gewaltbereite Links Übergriffe auf extremisten noch immer überwiegend Kundgebungen gegen rechts Rechtsextremisten extremistische Auftritte - oft auch des bürgerlichen Spektrums - als Forum für Gewalttaten. Rechtsextremistische Wahlkampfveranstaltungen im Vorfeld zu den bayerischen Kommunalund Landtagswahlen boten ein Forum für vielfältige Proteste der autonomen Szene. Das Ziel der Autonomen, rechtsextremistische Veranstaltungen zu verhindern oder wenigstens zu stören, stand bei den teilweise äußerst aggressiv geführten Gegenprotesten im Vordergrund. Dies ist auch ursächlich für die sprung haft angestiegenen linksextremistischen Straftaten. Die bis zum Tag der Landtagswahl am 28. September registrierten Delikte belegen, dass Autonome ihre Vorstellungen von Antifaschismus auch durch die Ver letzung verfassungsmäßig garantierter Rechtsgüter durchzusetzen ver suchen. Von den 109 in Bayern verübten linksextremistisch motivierten Hauptmotiv der Gewalttaten entfallen 51 auf den Bereich Antifaschismus. Gewalttaten Neben Veranstaltungen und Aktionen gegen rechtsextremistische Kund gebungen und Demonstrationen setzen Autonome verstärkt auf eine ereignisunabhängige "Antifa-Recherche". Dabei spähen sie ihre politi "Antifa-Recherche" schen Gegner gezielt aus und veröffentlichen deren "Steckbriefe" in ihren Publikationen, auf Flugblättern und im Internet. Diese Informatio nen können der autonomen Szene zur Vorbereitung von militanten Aktionen dienen. Die seit Ende 2006 bekannte Kampagne "Nazis unplugged - Rechten Kampagne Strukturen den Saft abdrehen" trat durch Aktivitäten in Zusammen "Nazis unplugged" hang mit der Landtagswahl erneut an die Öffentlichkeit. In einem Inter net-Auftritt stellt sich die Kampagne, die von einem Bündnis bayerischer Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 196 Linksextremismus Gruppierungen mit linksextremistischer Zielsetzung getragen wird, selbst dar: "Wir wenden uns offensiv gegen die sich weiter verbreitende und perso nell stärker werdende Naziszene in Bayern. Der Schwerpunkt liegt auf der Zurückdrängung und Bekämpfung extrem rechter Infrastruktur. Darunter verstehen wir zum einen Rückzugsorte von Neonazis - wie Wohnprojekte, Kneipen und andere 'private' Treffpunkte - natürlich aber auch die Orte des rechten Lifestyles, in denen versucht wird, neue AnhängerInnen zu gewinnen, also: Läden, die neonazistische Kleidung und Musik vertrei ben, (Internet) Versände und politische Veranstaltungsorte, sowie auch ihre Organisationsund Parteistrukturen als solche." Die Kampagne intervenierte gegen die NPD und formulierte ihre be absichtigte Einflussnahme: "Anlässlich des anstehenden Landtagswahlkampfes wollen wir uns daher spe ziell auch mit der NPD auseinandersetzen. (...) Mittels Aufklärungsarbeit, politischen und kulturellen Aktionen sowie Demonstrationen wollen wir die Knotenpunkte und AktivistInnen der rechten Szene und insbesondere der NPD öffentlich machen und sie in ihrem Treiben stoppen. (...) NPD und anderen Strukturen den Saft abdrehen! Für die antifaschistische Offensive! Ein Leben ohne Nazis, Staat und Kapital erkämpfen!" In diesem Zusammenhang steht eine am 19. Juli unter dem Motto "Outingaktionen" "Keine Ruhe der NPD!" durchgeführte "Outingaktion". Die bayerische Kampagne veröffentlichte einen kurzen politischen Steckbrief von sieben NPD-Direktkandidaten im Internet. Darüber hinaus berichtete "Nazis unplugged - Nazistrukturen den Saft abdrehen", dass an den jeweiligen Wohnorten der "NPD-Direktkandidaten" Flugblätter verteilt worden seien, um "die BürgerInnen über deren Weltanschauung und Engagement in der rechten Szene zu informieren und zum entschlosse nen Vorgehen gegen sie aufzufordern". Die Kampagne veröffentlichte im Internet auch eine weitere "Aktion gegen Nazi-Läden in Bayern". Am 22. September sei die Bevölkerung in zwei niederbayerischen Ortschaften mit einem Infotisch und der Ver Flugblattaktionen teilung von jeweils bis zu 1.000 Flugblättern an Haushalte und Passan ten über "Neonazi-Aktivitäten" informiert worden. Die Aktion habe sich gegen die Betreiber örtlicher Verkaufsstellen für rechtsextremis tische Produkte gerichtet. "Ziel der Aktion war es, die Betreiber aus der Anonymität zu zerren und den öffentlichen Druck auf sie zu erhöhen." Die Kampagne bewertete ihre Aktion als Erfolg und kündigte an, "dass weitere dieser Art folgen werden". Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 197 Die von Linksextremisten Mitte 2005 gegründete Gruppierung "Anti Antifaschistische faschistische Linke Fürth" (ALF) hat sich verfestigt. In ihrem Kampf für Linke Fürth (ALF) die "soziale Revolution" beschäftigte sich die Gruppierung zwar mit Themen wie z.B. "Sozialabbau", "Antirepression", "Antirassismus" und "Antimilitarismus". Der Schwerpunkt lag jedoch auf dem Themenfeld "Antifaschismus". Die ALF veranstaltete oder beteiligte sich an mehreren, gegen rechts extremistische Aktivitäten gerichtete Aktionen und Demons trationen. Im Rahmen des Antifaschismus betreiben Autonome eine nach wie vor rege Bündnispolitik. Neben kontinuierlich arbeitenden "Aktionsbünd Bündnispolitik nissen", die zumeist auf lokaler bzw. regionaler Ebene überwiegend mit linksextremistischen Gruppierungen und Parteien wie in Nürnberg kooperieren, gibt es auch anlassbezogene Bündnisse, in denen häufig auch demokratische Gruppen und Institutionen mitarbeiten. Diese an lassbezogenen Bündnisse dienen primär der Vorbereitung und Koordi nierung von Demonstrationen, Versammlungen, Mahnwachen, Infor mationsständen und anderen Veranstaltungen gegen rechtsextremis tische Aktivitäten. Der autonomen antifaschistischen Szene gelingt es jedoch weiterhin nur schwer, derartige Bündnisveranstaltungen für ihre eigenen, linksextremistischen Zwecke zu dominieren. 3.1.5 Anti-Globalisierung - Klimadebatte Die große räumliche Entfernung zu dem im Jahr 2008 in Japan veran stalteten G8-Gipfel, senkte das Interesse des linksextremistischen Spek trums an dieser Thematik. Linksextremisten unterschiedlicher ideolo gischer Ausrichtung auf dem Gebiet der Anti-Globalisierung wandten sich der Thematik einer globalen Erderwärmung zu. Eine im Herbst "Klimakampagne" 2007 von einer nicht extremistischen "Klima-Allianz" ge startete "Klimakampagne" führte in linksextremistischen Gruppierungen zu einer Debatte über die Möglichkeiten politischer Einflussnahme. Das vorläufige Ergebnis war die Organisation eines "Klimacamps" im August. An dem als Doppelcamp konzipierten "Klimacamp" und "Antirassistischen Sommercamp" vom 15./16. bis 24. August in Hamburg beteiligen sich teilweise bis zu 700 Personen. Darunter befanden sich auch Linksextremisten. Bereits im Vorfeld und während der Dauer beider Camps kam es zu mehreren Gewaltund Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund. So betei ligten sich bis zu 250 Angehörige eines "Schwarzen Blocks" an einer Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 198 Linksextremismus rund 600 Personen umfassenden und unter dem Motto "Kein Kohle kraftwerk in Moorburg" stehenden Demonstration. Während des von dem Aktionsbündnis "Gegenstrom08" organisierten Aufzugs versuch ten etwa 400 Personen, in Kleingruppen auf die Baustelle des Kraft werks zu gelangen. Dabei bewarfen sie eingesetzte Polizeibeamte mit Steinen und Flaschen. Von den beteiligten Organisatoren des Doppelcamps, darunter auch Linksextremisten, wird das Thema "Klimawandel" als eine Möglichkeit gesehen, an das Niveau der internationalen Mobilisierung der G8-Pro teste in Heiligendamm/Mecklenburg-Vorpommern im Sommer 2007 an Systemüberwin zuknüpfen. Linksextremisten stellen insbesondere systemüberwindende dende Ziele bei Ziele bei der "Klimadebatte" heraus. Die "Ursache für Armut, Hunger, der Klimadebatte soziale Ausgrenzung und Unterdrückung" sei "dieselbe wie für den Klimawandel", nämlich der "Kapitalismus mit seiner Wachstumsund Verwertungslogik". Insofern sollte dessen Abschaffung "von linksradi kaler Seite gefordert ... werden, wenn es um das Thema Klima geht", argumentieren Linksextremisten in einem Diskussionspapier. Abschlie ßend wird in dem Schreiben propagiert: "Wir wollen die Zerschlagung von Kapital, Patriarchat, Staat." Linksextremisten erwarten aufgrund des "Klimawandels" Begleiterschei nungen, insbesondere in den armen Ländern und einer dort verstärkt einsetzenden Migration von "Klimaflüchtlingen", die seitens der Staa tenwelt mit einer "rassistischen Entrechtung" bekämpft werden. Außer dem stellen sie die Hypothese auf, dass in der weiteren Zukunft ein sich gravierend zuspitzender Prozess zur Verschlechterung sozialer Verhält nisse eintritt. Insgesamt sei die Klimathematik als inhaltliche und thematische "Klammer" für die Integration verschiedener politischer Neue verbindende Felder anzusehen. Die neue Thematik könnte sich mit anderen links Thematik extremistischen Aktionsfeldern zu einem verbindenden Element für Linksextremisten, nicht zuletzt für Autonome herausbilden. Die Folge könnte ein erhöhtes Mobilisierungspotenzial auch auf internationaler Ebene sein. Die geplante UN-Weltklimakonferenz in Kopenhagen Ende 2009 soll demnach in den Fokus einer internationalen Mobilisierung gestellt werden. 3.1.6 Antimilitarismus - Antiimperialismus Antimilitarismus In den vergangenen Jahren war der Themenbereich "Antimilitarismus" gegenüber dem Aktionsfeld "Antifaschismus" und der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm in den Hintergrund getreVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 199 ten. Durch einen für Anfang April 2009 in Baden-Baden und Straßburg Mobilisierung anberaumten NATO-Gipfel erlangte diese Thematik erneut an Bedeu gegen NATO-Gipfel tung. Im Mittelpunkt des linksextremistischen Interesses steht dabei die im April 2009 Mobilisierung gegen dieses Treffen, das anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Verteidigungsgemeinschaft stattfinden wird. Um eine breite, auch internationale Mobilisierung als Basis effektiver Proteste zu ermöglichen, bildete sich u.a. das Bündnis "By By NATO", das von Linksextremisten dominiert wird. Die in das Bündnis integrierte anti imperialistische Initiative "Libertad!" drängt auf eine internationale "antimilitaristische Mobilisierung" gegen den NATO-Gipfel. "Libertad!", in der Angehörige des ehemaligen RAF-Umfelds - heute "Antiimperia listischer Widerstand" - führend mitwirken, mobilisiert in einem auch im Internet unter dem Motto "Kein Friede mit der NATO! oder: Das Recht auf Revolution" veröffentlichten mehrseitigen Aufruf: "Eine Kampagne gegen die NATO kann schon von der Sache her nur eine internationale sein, die weder mit dem Event beginnt, noch mit ihm endet. Auf dem Weg dahin gibt es jetzt schon Aktivitäten an die wir anknüpfen können." Die Absichten, die "Libertad!" zu den Protesten gegen den NATO-Gip fel verfolgt, orientieren sich erkennbar an den Aktionen, die von Links extremisten bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm Orientierung an 2007 durchgeführt wurden. Dabei war es zu Ausschreitungen mit einer Heiligendamm bislang nicht gekannten Brutalität gekommen, bei denen mehr als 400 Polizeibeamte verletzt worden waren. In dem Aufruf führt "Libertad!" weiter aus: "Den Gipfel in Kehl und Strasbourg sollten wir zu einer starken antimilitaris tischen Gegenmobilisierung nutzen und versuchen die peinliche Verzagtheit am Thema Krieg aufzubrechen. Dabei können wir unmittelbar an die punk tuellen Erfahrungen in Heiligendamm anknüpfen. Das Wesentliche dort war die Entschlossenheit im Handeln und eine kollektive Erfahrung von Gegen macht. (... ) Nutzen wir die nächsten Monate für die Organisierung einer viel fältigen (in Bezug auf die Mittel) aber gemeinsamen (in Bezug auf die Ziele), antimilitaristischen, sozialrevolutionären und antiimperialistischen Praxis, die die Feierlichkeiten der NATO nicht glatt über die Bühne gehen lässt ..." Von den gegen die Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Febru ar 2009 gerichteten Protestkundgebungen erhofft sich das links extremistische Spektrum einen "Auftakt für die internationale Mobilisierung gegen die NATO-Propaganda-Show Anfang April in Straßburg". So bringt ein dem autonomen Spektrum zuzuord nender Internet-Aufruf die Münchner Sicherheitskonferenz 2009 mit dem darauffolgenden NATO-Gipfel im April in Verbindung. Unter dem Motto "Smash we can! Den herrschenden KriegsVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 200 Linksextremismus zustand sabotieren" rufen die Verfasser dazu auf, sich auch an den Pro testen gegen das NATO-Treffen zu beteiligen: "Wir werden planen, demonstrieren, sabotieren - wir werden es nicht zulas sen, dass sie ungestört Kriege vorbereiten und 60 Jahre imperialistische Politik abfeiern! Deshalb auf nach München! Auf nach Strasbourg!" Bedeutungs Die gegen den NATO-Gipfel gerichteten linksextremistischen Aktivitäten gewinn des belegen einen herausgehobenen Stellenwert des Themenkomplexes Antimilitarismus "Antimilitarismus". Bayerische Autonome bringen dies u.a. in der Okto berausgabe 2008 der Szene-Publikation "barricada" unter der Über schrift "Mobilisierung gegen den NATO-Geburtstag" zum Ausdruck: "Neben der Verknüpfung des Antimilitarismus mit anderen Themenfeldern ... und der Weiterentwicklung kreativer Aktionsformen, etwa zu öffentlichen Veranstaltungen des Militärs, werden die Proteste gegen den NATO-Geburts tagsgipfel nächstes Jahr ein wichtiges Mittel sein, die Breite und Verankerung des Antimilitarismus darzustellen und auszuweiten." Antiimperialismus Obwohl das Themenfeld "Antiimperialismus" im Vergleich zu den letz ten Jahren an Bedeutung verloren hat, hielten wieder Teile der auto nomen Szene unvermindert an den Protestaktionen gegen die alljähr liche Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik im Jahr 2008 fest (vgl. auch Nummer 2.4 dieses Abschnitts). An den Gegenprotesten beteiligte sich wieder ein "Schwarzer Block" mit etwa 400 Autonomen. 3.1.7 Sozialabbau Noch immer sehen Linksextremisten bei Personen, die von den sozial politischen Reformen der "Agenda 2010" betroffen sind, ein Mobilisie rungsund Rekrutierungspotenzial und sind bestrebt, die Proteste ver stärkt agitatorisch und aktionistisch für ihre Ziele zu nutzen. Die alljährliche "revolutionäre 1. Mai-Demonstration" in Nürnberg stand im Jahr 2008 unter dem Motto "Nazis stoppen! - Aus beutung und Unterdrückung beenden! - Kapitalismus abschaf fen! - Es gibt keine Alternative zur sozialen Revolution!" An dem Aufzug beteiligten sich bis zu 3.000 Protestteilnehmer, an deren Spitze sich einige Hundert Autonome formiert hat ten. Im Mittelpunkt der linksextremistischen Proteste stand aber eine Demonstration der NPD. Es kam zu teilweise er heblichen Ausschreitungen (vgl. auch Nummer 3.3.1 dieses Abschnitts). Durch die überregionale Mobilisierung von Linksextremisten gegen den NPD-Aufmarsch am 1. Mai in Nürnberg bünVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 201 delte sich dort an diesem Tag insbesondere das bayerische autonome Spektrum zu Gegenprotesten. Bei weiteren in Bayern durchgeführten 1. Mai-Veranstaltungen kam es zu keinen Störungen. 3.1.8 Weitere Aktionen Nach zahlreichen Blockadeaktionen auf der Schienenund Straßen Proteste gegen strecke von La Hague/Frankreich nach Gorleben in Niedersachsen, er Castor-Transport reichte ein Transportzug mit Atommüllbehältern am 11. November sein Ziel verspätet. Militante Kernkraftgegner hatten an der Strecke Lüne burg - Dannenberg einen Schienenabschnitt unterhöhlt, brennende Barrikaden errichtet und Pferde der Polizei mit Pyrotechnik beschossen. An den Protesten gegen den Castor-Transport, der teilweise über Stun den blockiert wurde, beteiligten sich bis zu 15.000 Personen, darunter zahlreiche Linksextremisten. Unter dem Eindruck der erreichten Teil nehmerzahlen werteten die Organisatoren den Protest als "vollen Erfolg für die Anti-Atomkraft-Bewegung". Derzeit ist unklar, ob es der "Anti-Atomkraft-Bewegung" gelingen wird, ihren Widerstand verstärkt in das linksextremistische Spektrum hineinzutragen. Bayerische Auto nome zeigen sich an der Thematik bislang wenig interessiert. Ferner wurde die "Antirepression" in der autonomen Szene erneut Antirepression thematisiert. Am 8. November fand eine so genannte Doppeldemons tration in Fürth und Nürnberg unter dem Motto "Kriminell ist das System und nicht der Widerstand" statt. Organisiert wurden die Demonstratio nen als "Aktionstag gegen staatliche Repression" u.a. von der "Anti faschistischen Linken Fürth" (ALF) und der "Organisierten Autonomie" (OA) Nürnberg. Hintergrund der Solidaritätsdemonstration, an der ins gesamt bis zu 600 Personen teilnahmen, war ein Strafprozess gegen mehrere, dem linksextremistischen Spektrum zuzuordnende Personen, denen Farbschmierereien an Hauswänden zur Last gelegt wurden. Bereits im Vorfeld fanden aus diesem Anlass Kundgebungen in Fürth und Nürnberg statt. Diese Veranstaltungen wurden vom Bündnis "Autonome für Recht, Ordnung und Sicherheit" durchgeführt. Das Bündnis ist eine Initiative der ALF und der OA. An zahlreichen Veranstaltungen gegen das am 1. Oktober in Kraft ge Proteste gegen tretene Bayerische Versammlungsgesetz beteiligten sich auch Autonome. neues Bayerisches So bildeten beispielsweise bis zu 200 Autonome einen "Schwarzen Block" Versammlungs bei einer etwa 2.000 Personen umfassenden Demonstration am 31. Mai gesetz in der Münchner Innenstadt. Bei dem unter dem Motto "Für die Ver sammlungsfreiheit - Gegen das neue bayerische Versammlungsgesetz Gegen Faschismus und jede andere Form von Gewaltherrschaft" Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 202 Linksextremismus stehenden Aufzug wurden auch Knallkörper abgebrannt und die Parole "BRD Bullenstaat - wir haben dich zum Kotzen satt." skandiert. 3.2 Antideutsche Strukturen Innerhalb des bundesweiten linksextremistischen Spektrums sind die so genannten Antideutschen weiterhin von Bedeutung. Das besondere und verbindende Element des facettenreichen und vergleichsweise Extremes noch jungen Phänomens ist ein extremes Antifaschismusverständnis, Antifachismus das von einer klaren pro-israelischen und pro-amerikanischen Haltung verständnis geprägt ist. Die linksextremistische Strömung der Antideutschen steht somit im deutlichen Gegensatz zu Linksextremisten nach traditionellem Verständnis. Nach ersten szene-internen Denkansätzen trat die antideutsche Strömung ab Beginn der 1990er Jahre vereinzelt, zuletzt aber mit steigender Be deutung innerhalb der linksextremistischen Szene auf. Kommunistische Kleingruppen entwickelten damals die Vorstellung, dass von einer beson deren Aggressivität eines spezifisch deutschen Faschismus auszugehen sei. Damit werde der nach marxistisch-kommunistischer Anschauung grundsätzlich aus dem Kapitalismus resultierende Faschismus hin zu einem spezifisch deutschen verstärkt. Dies werde durch die deutsche Vergangenheit, insbesondere durch den auf Vernichtung ausgerich teten Antisemitismus belegt. Der Beitritt der fünf neuen Bundeslän der wurde daher als Gefahr der Entstehung eines "Vierten Reichs" angesehen. Der im "Dritten Reich" begangene Holocaust bewirkte nach linksextremistischer antideutscher Denkweise u.a., dass bis zur weltweiten Überwindung des Antisemitismus Israel als einziger Staat eine "Existenzberechtigung" habe. Damit wird neben dem überhöhten "Antifaschismus" eine kompromisslose pro-israelische Haltung einge nommen, die auch das außenpolitische Auftreten der USA zum Wohle Israels umfasst. Die Golfkriege und insbesondere die von Palästinensern Israel-Solidarität im Jahr 2000 aufgenommene al-Aksa-Intifada ließen die Israel-Solida als Thema rität zum zentralen Thema der antideutschen Strömung werden. Die herkömmlich linksextremistische Ansicht, wonach Israel als kapita listische und imperialistische Besatzungsmacht zum Nachteil des paläs tinensischen Volks handelt, wird von der antideutschen Strömung als antizionistisch und antisemitisch verurteilt. Mit der zunehmenden Be deutung der antideutschen Strömung innerhalb des linksextremis tischen Spektrums verstärkte sich dieser Konflikt. Der Streit um damit verbundene fundamentale linksextremistische Prinzipien hat auch innerhalb der autonomen Szene zu einer inhaltlichen, organisatorischen Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 203 und aktionistischen Spaltung in pro-israelische und pro-palästinensische Strukturen geführt. Gemeinsame Aktivitäten zwischen "traditionellen" Linksextremisten und Anhängern der antideutschen Strömung scheinen deshalb nur dann möglich, wenn sie gegen den gemeinsamen "Feind", die Rechtsextremisten, gerichtet sind. Aktuell ist eine Hinwendung der Szene zum Thema Islamismus erkennbar. Islamismus als Der Islamismus als "neuer Faschismus" komme demnach in erster Linie "neuer Faschismus" aus dem Iran. Das Streben des Iran nach nuklearen Waffen wird als die derzeit größte Bedrohung für den Staat Israel angesehen. In Publikatio nen und Veranstaltungen wird diese Problematik verstärkt thematisiert. Das antideutsche Politikverständnis zieht zum einen Linksextremisten aus dem revolutionär-marxistischen Spektrum an, die sich an der Lehre von Karl Marx orientieren und Wert auf ideologische Ausbildung, z.B. in Form von Seminaren und Vortragsveranstaltungen, legen; zum anderen fühlen sich auch Teile der gewaltbereiten autonomen Szene vom extre men Antifaschismusverständnis der antideutschen Strömung und der Israel-solidarischen Haltung angesprochen. Vor allem handlungsorien tierte junge autonome Antifa-Gruppen werden unter dem Minimalkon sens der Solidarität mit Israel im Rahmen ihrer "Antifaschismusarbeit" in der Öffentlichkeit aktiv. Sie zeigen ihren Protest gegen die als faschis tisch diffamierte Bundesrepublik Deutschland, gegen Rechtsextremisten sowie gegen jede Form von Kritik am Staat Israel bei Demonstrationen und Kundgebungen, beispielsweise bei einer Demonstration unter dem Motto "Alles Gute kommt von oben" am 22. Februar in Augsburg, die Demonstration sich gegen einen Gedenkmarsch des "Augsburger Bündnisses - Natio in Augsburg nale Opposition" (AB-NO) sowie das Gedenken anlässlich der Bomben nacht vom 25. Februar 1944 richtete. Die bis zu 120 Teilnehmer führ ten u.a. Fahnen der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs sowie des Staates Israel mit sich. Auf Transparenten und in Redebeiträgen wurden geschichtsrevisionistische Tendenzen kritisiert. Die Mischung aus dogmatisch kommunistischen Theoretikern und zu meist jungen autonomen Aktivisten macht die antideutsche Erschei nungsform zu einer sehr dynamischen und um Vernetzung bemühten eigenständigen linksextremistischen Szene. 3.3 Linksextremistisch motivierte Straftaten 3.3.1 Gewalttaten Angehörige der autonomen Szene halten Gewaltanwendung zur Über windung des kapitalistischen Systems für legitim. Sie rechtfertigen Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 204 Linksextremismus Gewalt als angeblich erforderliches Mittel gegen die "strukturelle Gewalt" eines "Systems von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung". So wird in dem von Autonomen herausgegebenen Buch "Autonome in Bewegung" zum Thema Gewalt ausgeführt: "Militanz ist in unseren Augen notwendiger Bestandteil linksradikaler Politik, sowohl im allgemeinen Sinn der konsequenten, kämpferischen Haltung an sich, als auch im engeren Sinn von politischer Gewalt. Dass dies ein höheres Maß an Verantwortung erfordert als das Bilden von Lichterketten ist selbstver ständlich. Doch wer auf die Option der Militanz verzichtet, beraubt sich selbst der notwendigen Mittel gegen ein System der Herrschaft, dem allein mit den besseren Argumenten nicht beizukommen ist." (aus: A.G. Grauwacke: "Autonome in Bewegung", Berlin, Hamburg, Göttin gen, o.J., Seiten 380/381) Die Anwendung von Gewalt wird von den Autonomen aber auch als legitimes Mittel zur "Bekämpfung" von Rechtsextremisten als politi schem Gegner erachtet. Die in der Vergangenheit an "Rechten" be gangenen Körperverletzungsdelikte machen deutlich, dass Autonome diesen jedes Recht auf politische Betätigung absprechen. Abnahme der Die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung nimmt tendenziell ab. Im Hemmschwelle Vergleich zum Jahr 2007 mit 833 Gewalttaten gab es im Bundesgebiet im Jahr 2008 insgesamt 701 Gewalttaten. Den aktionistischen Höhe punkt für die gewaltbereite linksextremistische Szene Deutschlands stellten die Proteste gegen die parallel durchgeführten Aufzüge der NPD am 1. Mai in Hamburg und Nürnberg dar. Die von der NPD bundes weit gerichtete Werbung, sich diesen Veranstaltungen anzuschließen, führte insbesondere im autonomen Spektrum zu einem Mobilisierungs schub. Vor allem in Hamburg kam es zu den schwersten Ausschreitun gen seit Jahren. Bis in die frühen Morgenstunden des folgenden Tages kam es dort zu Angriffen auf Polizeibeamte; Barrikaden, Abfallcon tainer und Fahrzeuge wurden in Brand gesetzt. Ausschreitungen In Nürnberg gab es im Anschluss an die gegen den NPD-Aufmarsch am 1. Mai in gerichtete und unter der Beteiligung von rund 3.000 Linksextremisten Nürnberg durchgeführte "revolutionäre 1. Mai-Demonstration" erhebliche Aus schreitungen. Im Anschluss an die Demonstration versuchten Autonome, die sich an der Spitze des Aufzugs formiert hatten, die zum Schutz vor Übergriffen errichteten Polizeiabsperrungen zu überwinden. Angeheizt durch aggressive Lautsprecherdurchsagen von Linksextremisten, kam es zu massiven Durchbruchsversuchen und Flaschenwürfen; außerdem wurden Feuerwerkskörper abgebrannt. Erheblicher In Bayern ist ein erheblicher Anstieg der Gewalttaten von 76 im Jahr Anstieg in Bayern 2007 auf 109 im Jahr 2008 festzustellen. Dabei ist mit 51 GewaltVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 205 delikten etwa die Hälfte dem Bereich Antifaschismus zuzurechnen, die andere Hälfte (57) war anarchistisch motiviert. Eine weitere Gewalttat steht im Zusammenhang mit Antimilitarismus. Die Taten aus dem Bereich Antifaschismus richteten sich wie in der Vergangenheit jedoch meist nicht unmittelbar gegen den politischen Gegner. Vielmehr ist die Polizei als staatliches "Repressionsorgan" vermehrt das Ziel linksextre Gewalt gegen mistisch aggressiven Verhaltens. Betroffen hiervon sind insbesondere Polizeibeamte die zur Gewährleistung des grundgesetzlich geschützten Versamm lungsrechts eingesetzten Polizeibeamten, die durch ihre Präsenz Über griffe verhindern sollen. Linksextremistische Gewalttäter sprechen inso weit auch Polizeibeamten das Grundrecht auf Unversehrtheit der Person ab. Von den 109 Gewalttaten richteten sich allein 66 gegen Polizisten (2007: 49). Die Zahl der linksextremistisch motivierten Gewalttaten steht insofern in Zusammenhang mit der Anzahl rechtsextremistischer Veranstaltungen, die die Gewalttäter als Anlass für ihre gewalttätigen Aktionen nehmen. Ein Vergleich mit den 68 rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten in Bayern zeigt, dass die linksextremistisch motivierten Gewaltdelikte anders als im Vorjahr nun wieder den größten Teil der politisch moti vierten Gewalttaten ausmachen. Beispiele für die im Berichtszeitraum verübten Gewalttaten sind fol gende Vorfälle: Parallel zu Protesten des demokratischen Spektrums bündelten auch Linksextremisten ihre Gegenproteste anlässlich des NPD-Bundespartei tags am 24. und 25. Mai in Bamberg. In mehreren Kleingruppen einer Bamberg bis zu 800 Linksextremisten umfassenden Demonstration versuchten sie, zum NPD-Bundesparteitag vorzudringen; aufgrund der polizeilichen Präsenz blieben diese Versuche erfolglos. Das Aggressionspotenzial der bis zu 600 Autonomen, die u.a. mit Bussen aus Berlin, Dresden, Jena und Nürnberg angereist waren, richtete sich infolgedessen gegen die Polizei. Aus dem Demonstrationszug wurden Flaschen in Richtung der eingesetzten Polizeibeamten geworfen und von dem mitgeführten Laut sprecherwagen Sprechchöre, wie "Kampf der Polizei", skandiert. Eine Vortragsveranstaltung über "den Stand der extrem rechten Szene in München" der "Antifaschistischen Informa tions-, Dokumentationsund Archivstelle München e.V." (a.i.d.a.) im a.i.d.a. München "Kafe Marat", einem örtlichen Anlaufpunkt auch des autonomen Spek trums in München (vgl. auch Nummer 3.1.2 dieses Abschnitts), ver anlasste Rechtsextremisten zu Gegenprotesten. Ein Aufzug der "Freien Nationalisten München" am 13. Juni unter dem Motto "Linksextreme Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 206 Linksextremismus Strukturen erkennen - a.i.d.a.-Archiv verbieten!", der am "Kafe Marat" vorbeiführen sollte, war dabei ein Höhepunkt linksautonomer Gewalt anwendung in München. Unter dem Slogan "Kein Mal und nie wieder - Keine Nazis vor dem Kafe Marat oder sonst wo!" mobilisierten Auto nome gegen die rechtsextremistische Versammlung. Repräsentanten der Partei DIE LINKE. meldeten unter dem Motto "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen - Es gibt kein Recht auf Nazipropa ganda; Die Linke. in den Bayerischen Landtag" eine Gegenveranstaltung an. Trotz erheblicher Ausschreitungen kam es aufgrund des massiven Polizeiaufgebots zu keinem direkten Aufeinandertreffen der Versamm lungsteilnehmer mit den Gegendemonstranten. Allerdings richtete sich die Aggression der bis zu 400 Teilnehmer umfassenden linksextremis tischen bzw. autonomen Gegendemonstranten wie in der Szene häufig zu beobachten nicht nur gegen Rechtsextremisten. Vor allem die ein gesetzten Polizeibeamten waren massiv den teilweise koordinierten Angriffen ausgesetzt. Neben Steinwürfen auf Polizeifahrzeuge, wurden Polizisten mehrfach mit Tritten und Schlägen sowie mit Flaschen, Stei nen und anderen Gegenständen angegriffen. Linksextremisten beschrie ben und bewerteten die Geschehnisse in einer im Internet veröffent lichten Analyse: "... ankommende Faschos ... wurden mit Flaschen und einem Zeitungsständer beworfen (...) In Seitenstrassen wurden kleine Barris (Barrikaden) errichtet, um die Bullen auf Trab zu halten. Eine Wanne (Polizeieinsatzfahrzeug) wurde im vorbeigehen mit Steinen eingedeckt ... eine politisch richtige Antwort (...) Das militante Vorgehen gegen die Bullen war für viele eine neue subjektive Erfah rung, aber auch ganz objektiv gesehen hatten wir an dem Tag eine seltene Stärke - ein durchaus rosiger Ausblick (...) Bei kommenden Mobilisierungen wird es wichtig sein, Momente kollektiver Handlungsfähigkeit zu schaffen, z.B. durch ein Infotelefon oder transparentere Aktionspläne. (...) Für eine starke und handlungsfähige Linke!" Aschaffenburg Über ein rechtsextremistisches Treffen am 17. September in Aschaffen burg waren Linksextremisten offensichtlich über einen Terminhinweis im Internet informiert. Während sich die Rechtsextremisten in einer Gaststätte aufhielten, beschädigten bis zu 20 schwarz gekleidete und teilweise vermummte Personen den vor dem Lokal geparkten Pkw eines NPD-Aktivisten. Nachdem die Täter mit einem Gullydeckel die Karosse rie und die Windschutzscheibe zerstört hatten, warfen sie das Fahrzeug um und flüchteten. An dem Fahrzeug entstand Totalschaden. München In Anlehnung an den Volkstrauertag veranstalteten die rechtsextremis tischen "Freien Nationalisten München" am 15. November einen Auf zug in der Münchner Innenstadt. An einer von Repräsentanten der Par tei DIE LINKE. angemeldeten Gegenkundgebung beteiligten sich bis zu Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 207 600 Personen, darunter Autonome. Sie bildeten einen bis zu 60 Perso nen umfassenden "Schwarzen Block". Die Kundgebung stand an die sem Tag unter dem Motto "Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda, Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen, gegen Helden gedenken, gegen staatliche Repression, gegen das neue bayerische Ver sammlungsgesetz". Nachdem die linksextremistische Kundgebung von der Veranstalterin vorzeitig aufgelöst worden war, versuchten die Teil nehmer in geschlossenen Gruppen zur Aufzugsstrecke der Rechtsextre misten zu gelangen. Dabei formierte sich eine Gruppe aus etwa 100 Personen, die zweimal versuchten, die zum Schutz vor Übergriffen ein gesetzten Polizeiketten zu durchbrechen. 3.3.2 Sonstige Straftaten Die Gesamtzahl der in Bayern bekannt gewordenen sonstigen links Erheblicher extremistisch motivierten Straftaten betrug 252 und hat damit gegen Anstieg in über dem Jahr 2007 (95) massiv zugenommen. Einen erheblichen Bayern Anstieg gab es vor allem bei den Sachbeschädigungen. Zu den sons tigen Straftaten gehören aber auch Delikte wie Beleidigung oder Ver unglimpfung des Staates und seiner Symbole. Die hohe Zahl der Straf taten steht im Zusammenhang mit den von Rechtsextremisten durch geführten Wahlkampfveranstaltungen und Werbeaktionen für die Kom munalund Landtagswahl im Jahr 2008. Beispielsweise begingen im Mai bislang unbekannte Täter an zwei Ge bäuden, in denen der SPD-Bezirksverband-Mittelfranken und die baye rische Beamtenversicherung ihren Sitz haben, Farbanschläge mit gefüll ten Glasflaschen. An dem Gebäude der Bayerischen Versicherungs kammer brachten die unbekannten Täter den Schriftzug "1. Mai: NAZIS LAUFEN DANK STADT & BULLEN" an. In einem auch von Linksextremis ten genutzten Internet-Portal setzten unbekannte Verfasser in einem Bekennerschreiben die Tat in Bezug zu den 1. Mai-Demonstrationen in Nürnberg (vgl. auch Nummer 3.1.7 dieses Abschnitts). In Sulzbach-Rosenberg beschmierten im März unbekannte Täter ein Mehrfamilienhaus mit dem Schriftzug "NAZIS MORDEN - DER STAAT SCHIEBT AB - DAS IST DAS GLEICHE RASSISTEN-PACK" in schwarzer Farbe. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 208 Linksextremismus 4. Übersicht über erwähnenswerte linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 2008 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) 1. Organisierte linksextremistische Parteien und Gruppierungen 1.1 Kernorganisationen: Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 340 4.250 Unsere Zeit (UZ) 18 Bezirksorganisationen, aufgeteilt wöchentlich, 6.000 in Kreisund Grundorganisationen sowie Betriebsgruppen, Marxistische Blätter 26.09.1968, Essen zweimonatlich, 2.500 Rundbrief monatlich DIE LINKE. 76.100 Neues Deutschland (ND) 16 Landesverbände mit Kreisver - parteinahe Zeitung bänden und Basisorganisationen, werktäglich, 41.824 Berlin DISPUT monatlich, 11.000 UTOPIE-kreativ-Diskussion sozialistischer Alternativen monatlich, 800 Mitteilungen der Kommu nistischen Plattform der Partei DIE LINKE. monatlich, 1.500 marx21 - Magazin für internationalen Sozialismus DIE LINKE Bayern 3.000 mit 40 Kreisverbänden 11.09.1990, München Arbeiterbund für den Wieder 100 150 Kommunistische aufbau der KPD (AB) Arbeiterzeitung (KAZ) 1973, München vierteljährlich Marxistisch-Leninistische 100 2.300 Rote Fahne Partei Deutschlands (MLPD) wöchentlich, 7.500 7 Landesverbände, über 100 Ortsgruppen und Stützpunkte, REVOLUTIONÄRER WEG 17./18.06.1982, Gelsenkirchen unregelmäßig Marxistische Gruppe (MG) München 700 10.000 GEGENSTANDPUNKT 1969/70 AK Rote Zellen, München (Aktive) Herausgeber: Funktionäre der MG ("aufgelöst" zum 01.06.1991) vierteljährlich, 7.000 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Linksextremismus 209 Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 2008 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) Sozialistische Alternative (SAV) 20 400 Solidarität - Sozialistische Zeitung monatlich 1.2 Nebenorganisationen: Nebenorganisation der DKP: Sozialistische Deutsche 110 300 POSITION Arbeiterjugend (SDAJ) zweimonatlich, 1.500 Landesverbände, Kreisverbände und Ortsgruppen, KONTRA! 04./05.05.1968, Essen zweimonatlich, 4.000 Nebenorganisationen der MLPD: Jugendverband REBELL 20 150 REBELL - Beilage zur Roten Fahne MLPD-Hochschulgruppen Galileo - streitbare Wissenschaft 1.3 Beeinflusste Organisationen: DKP-beeinflusst: Vereinigung der Verfolgten des 700 7.500 antifa Naziregimes - Bund der Antifaschis zweimonatlich, 9.000 tinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Landesvereinigungen mit Kreisund Ortsvereinigungen, 15.-17.03.1947, Berlin 2. Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten Autonome etwa rund zum Teil unregelmäßig 600 5.800 erscheinende Szene-Blätter wie: radikal, INTERIM, BAHAMAS; auf regionaler Ebene u.a. barricada 4. Von mehreren Strömungen des Linksextremismus beeinflusst Münchner Bündnis gegen Krieg 30 und Rassismus München Antifaschistisches Aktionsbündnis 20 Nürnberg Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 210 Scientology-Organisation 6. Abschnitt Scientology-Organisation (SO) International Deutschland Bayern Mitglieder: 125.000 bis 150.000* 5.000 bis 6.000 etwa 2.600 Vorsitzender: David Miscavige Helmuth Blöbaum Gerhard Böhm Gründung: Los Angeles 1952 München 1972 Nürnberg 1982 (Church of Scientology (Scientology Kirche (Scientology Kirche International - CSI -) Deutschland e.V.) Bayern e.V.) Sitz: Los Angeles, USA München München/Nürnberg (in Deutschland unselbständige Teilorganisationen) Publikationen: "Freiheit"; "Impact"; "Ursprung"; "Source" u.a. * geschätzte bzw. hochgerechnete Zahlenangabe 1. Zur Geschichte der SO Im Jahr 1950 veröffentlichte der amerikanische Science-Fiction-Autor Dianetik L. Ron Hubbard (1911 bis 1986) in den USA das Buch "Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit" und stellte darin seine "Technologie" zur "Heilung psychosomatischer Krankheiten und geis tiger Störungen" vor. In den folgenden Jahren wurden so genannte Dianetik-Zentren eingerichtet und schließlich die SO gegründet und aufgebaut. 1952 gründete Hubbard die Hubbard Associa tion of Scientologists International (HASI), die noch nicht den Anspruch erhob, eine Kirche oder angewandte religiöse Philo sophie zu sein. Hubbard erkannte jedoch bald die wirtschaft lichen und steuerlichen Vorteile einer Umwandlung seiner Organisation in eine Kirche. Deshalb erklärte er sein von ihm erdachtes Verfahren der Psychomanipulation zur Religion und gründete 1954 die erste "Kirche". Mitte der 1980er Jahre, nach dem Tode Hubbards und intrigenreichen Machtkämpfen innerhalb der Organisation, übernahm David Miscavige die Führung der SO. 2. Ideologie und Ziele der SO Die "drei Säulen" Der ideologische Überbau der SO beruht auf drei Säulen: der Dianetik, der SO der Lehre Scientology und der scientologischen Ethik. Dianetik richtet sich quasi als Methode zur psychologischen Einzelanalyse vordergrün dig an den Einzelmenschen, dogmatisiert aber tatsächlich gesellschaftVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Scientology-Organisation 211 liche sowie politische Grundsätze und Forderungen. In der Lehre Scien tology, die sich an das "Geistwesen" des Menschen, den so genannten Thetan, mit seinen verschiedenen Stufen der Befreiung richtet, prophe "Thetan" zeit Hubbard, er kehre auf die Erde nicht als religiöser, sondern als politischer Führer des Universums zurück. Die scientologische Ethik beschreibt die Disziplinierungstechnologie für Mitglieder, Mitarbeiter und die gesamte Gesellschaft. Die Ideologie der SO stützt sich ausschließlich auf die Schriften von L. Ron Hubbard. Vor allem seine programmatischen Äußerungen wer den in den so genannten Richtlinienbriefen ("policy letters") den Mit policy letters gliedern und Mitarbeitern als verbindliche Orientie rung vorgegeben. Die Analyse zahlreicher Schriften der SO zeigt den generellen Anspruch auf absolute Gültigkeit der scientologischen Ideologie. Den Mit gliedern wird suggeriert, dass die SO das Universal-Instrument sei, mit dem alle politischen und gesellschaftlichen Probleme gelöst werden könnten. Darüber hinaus erfasst die SO den Menschen in all seinen persönlichen, zwischenmenschlichen und gesellschaftlich-politischen Lebensbereichen, sobald er in das Kontrollsystem der Organisation ein gebunden ist. Die SO propagiert nicht nur eine verfassungsfeindliche Wertordnung, sondern will sie als verbindlichen Ordnungsfaktor für Staat und Gesellschaft etablieren. Sie gibt sich dabei als eine totalitäre Zwangslehre zu erkennen. Durch effiziente Techniken der Verhaltenskontrolle und -steuerung, der "Technologie", werden die Mitarbeiter, aber auch die einfachen aktiven Technologie Mitglieder, in manipulativer Weise unter ständigen Verhaltenszwang gesetzt, damit sie nach dem internen Sprachgebrauch des Manage ments wie "Maschinen" neue Kunden werben und zu Anhängern des Systems machen. Der Leistungsdruck des Systems auf die Mitarbeiter und Mitglieder ist groß. Ziel der SO ist eine ausschließlich nach scientologischen Richtlinien Veränderung der funktionierende Welt. Eine neue "wahre Demokratie" soll an die Stelle Gesellschaft mit der bisherigen Demokratien treten, die Scientologen als Produkt einer SO-Techniken "aberrierten", d. h. von der Vernunft abweichenden, geisteskranken Gesellschaft ansehen. Dabei sollen zunächst 10 bis 15 % der politischen Meinungsführer, dann 80 bis 98 % der Bevölkerung "geklärt" werden und die Gesellschaft schließlich nur noch aus den so genannten Nicht aberrierten, den "Clears", bestehen, wobei die "Unfähigen" oder "Clears" "Unwilligen" nach Hubbard "abseits der Gesellschaft in Quarantäne" geschafft werden können. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 212 Scientology-Organisation Die SO lehnt die bestehenden Rechtsordnungen ab. Im bereits 1959 erschienenen "Handbuch des Rechts" äußert sich L. Ron Hubbard zur Scientologisches Funktion des scientologischen Rechtssystems. Danach wird es im scien Rechtssystem tologischen Gesellschaftssystem keine Menschenund Grundrechte mehr geben, wie sie im Grundgesetz definiert sind. Im scientologischen Rechtssystem sind auch keine unabhängigen Gerichte vorgesehen. Vielmehr erforscht ein nicht an Recht und Gesetz gebundener eigener Nachrichtendienst Sachverhalte und ergreift Maßnahmen. In seinem Grundlagenwerk "Einführung in die Ethik der Scientology" Abwehr von fordert Hubbard "totale Disziplin". Um die Macht zu behalten, müsse "Feinden" man kaltblütig, skrupellos, hemmungslos, gegebenenfalls auch heim tückisch, hinterlistig und mit Gewalt gegen die eigenen Feinde vorgehen, ansonsten werde man die Macht verlieren. Verschiedene Aussagen der Aggressiv SO deuten darauf hin, dass sie ihre Ziele aggressiv-kämpferisch ver kämpferisches wirklichen will. Alle Aktivitäten der SO sind auf die Expansion der Verhalten Organisation ausgelegt. In diesem Zusammenhang sind auch Maßnah men gegen Kritiker zu sehen. Kritiker, die auch als "unterdrückerische Personen" bezeichnet werden, sind alle Personen und Institutionen, die den Zielen der SO nicht zustimmen und ihrer Verwirklichung entgegen stehen. Für deren "Handhabung" gibt es detaillierte Anweisungen, wie zu verfahren ist. In einer nach wie vor gültigen Führungsanweisung Hubbards von 1966 heißt es dazu: "Leute, die Scientology angreifen sind Verbrecher." "Wenn man Scientology angreift, wird man auf Verbrechen hin untersucht." "Man ist sicher, wenn man Scientology nicht angreift, auch wenn man nicht auf ihrer Seite ist." 3. Organisationsund Kommandostruktur der SO 3.1 Weltweite Kommandostruktur der SO Die Einrichtungen der SO in Deutschland erscheinen zwar nach außen als rechtlich selbständig, sind jedoch der strikten Befehlsund Diszipli nargewalt des Internationalen Managements in den USA unterworfen und daher unselbständige Teile. Die SO in Deutschland bekennt sich auch in ihren aktuellen Veröffentlichungen ausdrücklich zu ihrem Grün der und seiner unveränderbaren politischen Programmatik. RTC: Befehls Das Religious Technology Center (RTC) unter David Miscavige hat die zentrale der SO oberste Befehlsgewalt in der SO. Unterhalb des RTC ist das Internatio nale Management der SO angesiedelt. Dieses hat die Aufgabe, für Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Scientology-Organisation 213 jeden Sektor der SO Strategien und taktische Pläne zu entwickeln. Hier wird auch die Führung der verschiedenen Sektoren koordiniert. Der artige Sektoren sind u.a. die Bereiche "Church", WISE, ABLE und OSA. Das Internationale Management besteht demzufolge aus mehreren Gruppen, von denen jede eine ganz bestimmte Verantwortung trägt. Die oberste Stufe dieser Führungsebene ist das Watchdog Committee Watchdog (WDC). Hierbei handelt es sich um eine "Inspektionsund Über Committee (WDC) wachungsorganisation", welche die eigentlichen Management-Grup pen inspiziert und für deren Funktionieren sorgen soll. 3.2 Organisation der SO in Deutschland 3.2.1 "Church"-Sektor Im Bundesgebiet existieren zehn "Kirchen" (Orgs) und "Celebrity Centres" "Orgs" und (CC), und zwar jeweils eine Org und ein CC in München, Düsseldorf "Celebrity Centres" und Hamburg sowie jeweils eine Org in Berlin, Stuttgart, Frankfurt am Main und Hannover. Außerdem gibt es in Deutschland insgesamt 14 "Missionen", davon neun in Baden-Württemberg, je eine in Bremen und Hessen sowie drei in Bayern, nämlich in München, Nürnberg und Augsburg, wobei die beiden letztgenannten Missionen inaktiv sind. Daneben sind noch einige so genannte Feldauditorengruppen aktiv. Die genannten Einrichtungen der SO sind in Deutschland überwiegend als eingetragene Vereine organisiert. Als Dachverband fungiert die Scientology Kirche "Scientology Kirche Deutschland e.V." (SKD) mit Sitz in München. Die Deutschland e.V. Vereine sind jedoch nur scheinbar selbständig; sie haben im weltweiten, (SKD) aus den USA gesteuerten System kaum eigenständige Funktionen. Fak tisch werden die SO-Einrichtungen nicht durch die jeweiligen Vereins vorstände geleitet, sondern durch so genannte Executive Directors und durch Funktionsinhaber in den USA über die jeweiligen Verbindungs stellen. Dies ist in den Lizenzverträgen über die Nutzung der Dia netikund SO-Warenzeichen zwischen der Konzernspitze in den USA und den örtlichen "Kirchen", "Missionen" usw. weltweit geregelt. In den vergangenen Jahren wurden beispielsweise Mitglieder der Eliteorgani sation Sea-Org aus den USA und dem Kontinentalen Verbindungsbüro Sea-Org in Kopenhagen in deutsche Einrichtungen der SO abgeordnet, um dort Befehle zu erteilen und für die richtige "Handhabung" der scientolo gischen Technologie zu sorgen. Schwerpunkt der derzeitigen Expansionsbemühungen der SO ist u.a. die weltweite Schaffung von "Idealen Orgs". Dies gab der Vorsitzende "Ideale Orgs" des Religious Technology Center (RTC), David Miscavige, höchste AutoVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 214 Scientology-Organisation Organisationen der SO in Bayern rität der SO, anlässlich seiner Neujahresansprache 2003 in Los Angeles bekannt. Diese sollen in der Nähe nationaler Regierungen errichtet wer den, um politischen Einfluss auszuüben. Im Januar 2007 wurde in Ber "Ideale Org" Berlin lin-Charlottenburg die erste deutsche "Ideale Org" eröffnet. Bei der Eröffnungsfeier rief die Vizepräsidentin der SKD, Sabine Weber, dazu auf, den Kampf gegen die "Unterdrückerstaaten" wie Deutschland nicht aufzugeben. Auch in anderen deutschen Städten wie München, Stuttgart und Hamburg sollen "Ideale Orgs" gegründet werden. "Ideale Orgs" gibt es bereits in den europäischen Hauptstädten Brüssel, Lon don und Madrid. Zwar wird Deutschland von der SO immer wieder als wichtigstes Expansionsgebiet in Europa bezeichnet, doch sind ihre Verbreitungs bemühungen auch in vielen anderen europäischen Staaten nicht unerVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Scientology-Organisation 215 heblich. Zahlreiche Verfahren gegen Scientologen in Frankreich, Bel gien, Spanien und Italien zeigen, dass die SO Verstöße gegen die Rechtsordnungen dieser Länder in Kauf nimmt. Zudem werden - wie in Deutschland - in den genannten Staaten, insbesondere in Frankreich, Kampagnen gegen die angebliche religiöse Diffamierung der SO durch geführt. Deutsche Scientologen beteiligen sich auch am Aufbau neuer Organi Expansions sationsstrukturen im Ausland. Besonders bei der Expansion der SO in bestrebungen Osteuropa spielt die Münchner Niederlassung der SO, die Org Mün chen, seit Jahren eine bedeutende Rolle. In Kursen der Org München werden zahlreiche Osteuropäer ausgebildet. Die SO startete im Februar eine bundesweite Informationskampagne Informations über die weltweite Anerkennung der SO als Religionsgemeinschaft. In kampagne den Flugblättern behauptet die SO, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe sie mit bindender Wirkung für alle Mit gliedstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention als Reli gionsgemeinschaft anerkannt. Dabei wird das entsprechende Urteil vom 5. April 2007 von der SO bewusst falsch interpretiert. Entgegen der Darstellung der SO hat dieses Urteil keine Auswirkung auf die Rechtslage in Deutschland. Laut einer PR-Aktion sollten bundesweit rund eine halbe Millionen Flugblätter verteilt werden; in Bayern wurden entsprechende Flugblätter auch an private Haushalte versandt. Allgemein gilt, dass die Frage, ob die SO als Religionsgemeinschaft an erkannt ist, vom Religionsverfassungsrecht des jeweiligen Staates ab hängt. Teils verlangen Staaten besondere Anforderungen an die Struk tur oder den inhaltlichen Charakter einer Organisation, teils führen Staaten Religionsregister, die mehr oder weniger nur dem deutschen Ver einsregister entsprechen und selbst bei einer Registereintragung keine Schlüsse über den tatsächlichen Charakter als Religionsgemeinschaft erlauben. Die ausländische Praxis, die SO als Religionsgemeinschaft an zuerkennen oder nicht, ist wegen der unterschiedlichen religionsverfas sungsrechtlichen Verständnisse und Voraussetzungen für die Frage einer Anerkennung in Deutschland nicht relevant. Nach deutschem Religionsverfassungsrecht muss sich eine Organisation im Schwerpunkt mit religiösen oder weltanschaulichen Fragen befassen. Überwiegen dagegen kommerzielle Interessen oder wendet eine Organisation nur geistige oder psychologische Techniken an, kann sich die Organisation Keine Anerken nicht auf die Grundrechte der Religionsfreiheit nach Art. 4 und Art. 140 nung als Religions des Grundgesetzes berufen. Dementsprechend hat bisher kein deut gemeinschaft sches Gericht die SO als Religionsgemeinschaft angesehen. in Deutschland Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 216 Scientology-Organisation Die Aktivitäten der SO waren - wie in den Vorjahren - im Wesentlichen geprägt von der Agitation gegen die Beobachtung durch den Verfas sungsschutz und ihre Erwähnung in den Verfassungsschutzberichten (vgl. auch Nummer 5 dieses Abschnitts). Die SO führte in Bayern mehr als 400 öffentliche Veranstaltungen Informations durch. Dabei handelte es sich größtenteils um Informationsstände, vor stände allem in München, vereinzelt auch im Raum Oberbayern, Nürnberg und Augsburg. Scientology Kirche Die SKD und die "Scientology Kirche Bayern e.V." (SKB) werben nach wie Bayern e.V. (SKB) vor mit dem Thema "Für den Frieden auf der Welt - Dianetik führt zum Frieden" bzw. "Für den Frieden auf der Welt - die ehrenamtlichen Scientology-Geistlichen sagen, man kann immer etwas tun". Bei diesen Veranstaltungen wurden regelmäßig die SO-Broschüren zu den Themen "Die Wahrheit über den Joint", "Was sind Menschenrechte", "Der Weg zum Glücklichsein" sowie andere Werbeartikel der SO verteilt, um angebliche Missstände in der Gesellschaft anzuprangern und damit Interessenten und gegebenenfalls neue Mitglieder zu werben. 3.2.2 WISE-Sektor Dem 1979 von der SO gegründeten World Institute of Scientology Enterprises (WISE) gehören Geschäftsleute und Unternehmen aus allen Bereichen der Wirtschaft an, die SO-Verwaltungstechnolo gien anwenden und weitervermitteln. Zweck von WISE ist es, Geld für die SO zu beschaffen und durch die Verbreitung der auf Hub bard beruhenden "Technologie" Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Über "Hubbard Colleges of Administration" wird ver sucht, Hubbards Verwaltungstechnologie als angeblich erfolgrei ches westliches Know-how in Unternehmen und in der Verwal tung zu etablieren. WISE-Logo Schwerpunkte in Deutschland und Bayern sind die Immobilienbranche Geldbeschaffung sowie die Unternehmens-, Führungsund Personalberatung. Darüber hinaus ist die IT-Branche aufgrund ihrer globalen Vernetzung und ihrer technischen Möglichkeiten ins Blickfeld von Scientologen geraten, da sie den Zugang in sensibelste Unternehmensbereiche eröffnen kann. Im Januar hatte ein bayerisches Unternehmen, das sich offen zur SO be kannte, die Anerkennung als Ausbildungsbetrieb bei der Industrieund Maßnahmen der Handelskammer (IHK) beantragt. Die IHK untersagte der medizintech IHK nischen Firma jedoch, unterstützt durch die Erkenntnisse des Bayeri schen Landesamts für Verfassungsschutz, aufgrund fehlender persönVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Scientology-Organisation 217 licher Eignung das Einstellen und Ausbilden von Auszubildenden. In einem vergleichbaren Fall trat die zuständige IHK aufgrund von Erkenntnissen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz an eine Firma aus der Computer-Branche heran. Da die Firma von zwei aktiven und langjährigen Mitgliedern der SO geleitet wird, sollte die Anerkennung als Ausbildungs betrieb widerrufen werden. Im Rahmen des Verfahrens erklärte die Firma, dass sie künftig auf die Ausbildung verzichten würde, die bestehenden Ausbildungsverhältnisse wurden zum Ende des Jahres beendet. 3.2.3 ABLE-Sektor Die Association for Better Living and Education (ABLE) versucht, für die SO den sozialen Bereich der Gesellschaft zu durchdringen und sciento logische Lösungsansätze zu realisieren. Zu den dem ABLE-Bereich zuzu ordnenden Organisationen gehören vor allem * das Zentrum für individuelles und effektives Lernen (ZIEL), ZIEL * Applied Scholastics (Ausbildungsprogramm; u.a. Englisch-Fernkurse), Applied Scholastics * NARCONON, ein angebliches Drogenrehabilitationsprogramm, NARCONON * CRIMINON, angeblich ein Programm zur Rehabilitation von Straf CRIMINON gefangenen (derzeit inaktiv). Mit diesen Organisationen versucht die SO, sich als humanitäre und sozial verantwortliche Organisation darzustellen. Die Wahl von Ausbil dung, Gefangenenund Drogenrehabilitation als weitere Schwerpunkte lässt den Schluss zu, dass die gerade bei diesen Personengruppen gegebene Möglichkeit der leichteren Einflussnahme benutzt wird, um diese für die SO zu werben. 3.2.4 Besonders aktive Tarnorganisationen der SO 3.2.4.1 Applied Scholastics Einer der Schwerpunkte der Expansionsstrategie der SO ist ihr Bestre ben, in ihrem Kampf gegen die angebliche Bildungsmisere und den Analphabetismus die Studiertechnologie Hubbards in der Gesellschaft zu etablieren. Die derzeitigen Bildungsund Schulsysteme werden von der SO als unfähig deklariert, den Schülern "wahre Fertigkeiten und geistige Fähigkeiten" beizubringen. In diesem Zusammenhang heißt es bereits im Klappentext aus dem Jahr 1992 zum "Grundlegenden Studierleitfaden" von Hubbard: "Studierleitfaden" "Erlangen Sie die Fertigkeiten, die Ihnen das Schulsystem niemals beibrachte und beginnen Sie wirklich anzuwenden, was Sie lernen!" Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 218 Scientology-Organisation Anlässlich der Feier zum 10. Jahrestag der International Association of Scientologists (IAS) Ende 2003 forderte der Vorsitzende des Religious Technology Center (RTC) David Miscavige in seiner Rede: "Die Studiertechnologie muss überall sein. (...) So schaffen wir die Mittel, um die Tech in jede Schule einzuführen und das Problem auf globaler Ebene zu lösen." Studiertechnologie Mit der Studiertechnologie, die beispielsweise über Nachhilfegruppen als Rekrutierungs verbreitet werden soll, will die SO zunächst unerkannt die Lehren Hub mittel bards verbreiten, um letztendlich neue Mitglieder zu rekrutieren. So wohl das Werbematerial der von Scientologen geführten Lernstudios als auch deren Namen enthalten dabei keine Hinweise auf die Organi sation. So tragen die Anbieter neutrale Namen, wie z.B. Lernstudio, Lerncenter oder Tutoring. Derzeit sind deutschlandweit rund 30 von Scientologen betriebene "Lerncenter" bekannt. In Bayern gibt es 13 Nachhilfeeinrichtungen, wobei eine steigende Tendenz festzustellen ist. Die Dunkelziffer dürfte Informationen des noch höher liegen, da Scientology-Institute weitere "Lerncenter" ohne Staatsministeriums Bezug zur SO und deren Unterorganisationen gründen. Das Bayerische für Unterricht und Staatsministerium für Unterricht und Kultus gibt auf seiner Internet-Seite Kultus entsprechende Warnmeldungen heraus, die unter http://www.km.bayern.de abrufbar sind. Internet-Seite Darüber hinaus können sich besorgte Eltern auf der Internet-Seite der SO Applied Scholastics http://www.appliedscholastics.org auf dem dortigen Global-Locator-Germany über SO-Nachhilfeanbieter informieren. Diese Liste von Anbietern ist allerdings nicht vollständig. Schließung der Die Landeshauptstadt München hat am 25. Februar dem Verein "Kinder Kindertagesstätte häusl e.V." mit sofortiger Wirkung die Betriebserlaubnis für die gleich Kinderhäusl e.V. namige Kindertagesstätte entzogen. Die Schließung wurde aufgrund in München einer Gefährdung des Wohls der Kinder in dieser Einrichtung angeord net, da der Bildungsund Erziehungsarbeit die Vorgaben der SO zu grunde lagen. Sowohl bei dem Vorstand als auch bei den Erzieherinnen handelte es sich um hochrangige und langjährige Mitglieder von Scien tology. Bei der Betreuung der Zweibis Zwölfjährigen wie auch bei der Schülernachhilfe wurde die Lerntechnologie von Hubbard verwendet. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat am 17. Dezember in einer Eilentscheidung zum vorläufigen Rechtsschutz ein Urteil des VerwalVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Scientology-Organisation 219 tungsgerichts München bestätigt und eine vorläufige Betriebserlaubnis abgelehnt. In einer Interessenabwägung habe der Schutz des Kindes wohls überwogen. Aus Protest gegen die bevorstehende Schließung der Kindertagesstätte hatten etwa 80 Personen am 4. Januar in München vor dem Bayeri schen Staatsministerium des Innern demonstriert und dem Verfassungs schutz Diskriminierung vorgeworfen. In Pliening, Landkreis Ebersberg, wurden im Sommer Flugblätter mit Lernakademie in Werbung für ein Nachhilfestudio verteilt. Unter der angegebenen Pliening Adresse der "Lernakademie" wohnt eine ranghohe Scientologin, die seit Jahren für die SO im Bereich Kinderund Jugendarbeit tätig ist. Das Copyright des Flugblatts wiederum unterliegt dem Professionellen Lern center Stuttgart, einem Applied Scholastics Lerncenter. Auch in Nordbayern wurden Flugblätter für eine Nachhilfeund Spra Schulungs chenschule in Zirndorf, Landkreis Fürth, verteilt. Sowohl auf dem Flyer angebote in als auch auf der entsprechenden Internet-Seite wird auf Applied Scho Zirndorf lastics Bezug genommen und offen mit den auf L. Ron Hubbard basie renden Lernmaterialen geworben. Die beiden Nachhilfelehrer sind aktive Mitglieder der SO. Im Hinblick auf die Zielgruppe "Jugendliche" lud eine SO-Initiative für SO-Initiative den 10. März zu einer Veranstaltung "Jugend für Menschenrechte" in "Jugend für ein Münchener Hotel ein. Die Einladungen wurden an Jugendgruppen Menschenrechte" im Stadtgebiet verteilt. Der Kreisjugendring in München nahm dies zum Anlass, einen Warnhinweis zu veröffentlichen. Aufgrund dieser War nung nahmen an dem Treffen keine Jugendlichen der Verbände teil, sondern lediglich Kinder von Scientologen. Die SO-Aktion "Jugend für Menschrechte" meldete darüber hinaus mehrere Versammlungen in der Münchner Innenstadt an. Daran nahmen jedoch nur wenige Personen teil, die Bevölkerung zeigte kein Interesse. 3.2.4.2 NARCONON Bei NARCONON handelt es sich um ein angebliches Dro genentzugsprojekt der SO. Die Teilnehmer des Entzugs durchlaufen u.a. ein "Reinigungsprogramm", das einem "kalten Drogenentzug" entspricht und auch in den "Kir chen" als Vorbereitungsprogramm für die Ausbildung zum Auditor gehört. Logo von Der Sitz des Vereins "NARCONON Bayern e.V." befindet sich in München. NARCONON Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 220 Scientology-Organisation 3.2.4.3 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) Die 1972 von Scientologen gegründete KVPM ist eine Teilorganisation der SO. Als ihr Ziel bezeichnet sie, Missbräuche und Menschen rechtsverletzungen der Psychiatrie zu untersuchen und aufzu decken. Nach internen, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Publikationen, soll die KVPM jedoch dazu beitragen, eine neue Zivilisation, d.h. eine scientologische Gesellschaft zu schaffen. Angesiedelt ist die KVPM im Office of Special Affairs (OSA) der SO (vgl. auch Nummer 3.2.5 dieses Abschnitts). KVPM-Logo SO und insbesondere die KVPM üben insbesondere durch Flugblatt aktionen, Demonstrationen oder auf ihrer Internet-Seite Kritik an der Psychiatrie und ihren Behandlungsmethoden. Die Kritik richtet sich so wohl gegen die Psychiatrie im Allgemeinen als auch gegen einzelne psychiatrische Kliniken und deren ärztlichen Leiter. Die Angriffe der SO gegen die Psychiatrie dürften in deren Alleinvertretungsanspruch be gründet sein. Die SO beansprucht den einzig wahren Weg zur Heilung von psychischen Krankheiten und geistigen Störungen zu besitzen; allein die Technik der SO helfe, eine "gesunde Gesellschaft" zu schaffen. Ausstellung in Die KVPM veranstaltete vom 12. bis 29. April eine Ausstellung in Mün München chen zum Thema "Missstände und Menschenrechtsverletzungen in der Psychiatrie". In der Ausstellung wurde auch ein Foto eines bayerischen Schauspielers gezeigt, der - ohne sein Wissen - als "Opfer" der Psychia trie dargestellt wurde. Nach seinem Protest wurde das Bild entfernt. Die Ausstellung stieß in der Bevölkerung auf wenig Resonanz. Mitarbeiter der Psychiatrischen Universitätsklinik in München fanden im Januar in der klinikeigenen Bibliothek die Geldbörse des Leiters der KVPM Deutschland. Entsprechende Recherchen ergaben, dass er sich als Kursteilnehmer eingeschlichen hatte. Des Weiteren wurde bekannt, dass auch seine Mitarbeiter des Öfteren in der Klinik an Kursen teilgenom men hatten, möglicherweise um Anhaltspunkte für weitere Verleum dungsaktionen gegenüber der Klinik zu finden. Dem Leiter der KVPM Deutschland und seinen Mitarbeitern wurde ein Hausverbot erteilt. 3.2.5 Office of Special Affairs (OSA) OSA ist die Nachfolgeorganisation einer bereits in den 1960er Jahren un ter dem Namen Guardian Office (GO) aufgebauten Abteilung, die nach Geheimdienst eigenem Selbstverständnis auch Nachrichtendienstund Spionagefunk der SO tionen hatte. Zahlreiche Grundlagenpapiere für das GO, z.B. für nachVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Scientology-Organisation 221 richtendienstliche Schulung, wurden für den neuen Dienst als OSA-Net work Orders übernommen. Im Gegensatz zur rigiden und direkten Vor gehensweise des GO, die in der Vergangenheit international zu einem Ansehensverlust der SO geführt hatte, operiert das OSA heute erkenn bar vorsichtiger, ohne seine Ziele im Wesentlichen geändert zu haben. Die für Deutschland zuständige OSA-Einheit hat ihren Sitz in München. Sitz in München Nach außen tritt sie unter der Bezeichnung "Scientology Kirche Deutschland, Beichstraße 12, 80802 München" auf; der inoffizielle Sitz befindet sich in München in der Nordendstraße 3. Dem OSA-Deutsch land nachgeordnet sind lokale Büros, die so genannten Departments of Departments of Special Affairs (DSA). In München ist ein DSA-Büro bei der "Scientology Special Affairs Kirche Bayern e.V." (SKB), Beichstraße 12, 80802 München, angesiedelt. (DSA) Gemäß der Hubbard-Anweisung (HCO-PL) vom 13. März 1961 soll in den OSA-Akten die jeweilige Ausgangslage für Maßnahmen gegen "Feinde", d.h. der SO kritisch begegnende Personen, gesammelt wer den. Der HCO-PL beschreibt als Ziel der Abteilung: "... Behörden und ihnen entgegen gesetzte Denkmodelle oder Gesellschaften in einen Zustand völliger Übereinstimmung mit den Zielen der SO zu bringen. (...) Dies geschieht durch die hochrangige Fähigkeit zur Steuerung und - falls sie nicht gegeben ist - durch die weiter unten angesiedelte Fähigkeit zur Über wältigung." Es ist davon auszugehen, dass OSA-Deutschland weiterhin versucht, diese Anweisung umzusetzen. So sollen Informationen über Kritiker, Behördenangehörige und andere Gegner gesammelt, ausgewertet und als Druckmittel verwendet werden. Durch Recherchen unter Falsch namen wird versucht, Informationen zu beschaffen (vgl. auch Nummer 3.2.4.3 dieses Abschnitts). 3.2.6 Sonstige öffentlichkeitswirksame Aktivitäten Seit Jahren verschickt die "New Era Publications International, Kopen New Era hagen", der Buchverlag der SO, Werbebroschüren und die DVD "Eine Publications Einführung in die Scientology" an öffentliche Bibliotheken sowie an Schulen. Dabei wird angeboten, kostenlos weitere Publikationen über die SO erhalten zu können, wenn ein beigefügter Fragenkatalog aus gefüllt an New Era zurückgesandt würde. Zweck dieser Aktion ist offensichtlich das Bemühen, in kommunalen und in Schulbibliotheken präsent zu sein. Nach Aussage des Leiters von Theta Books, Emil Kauer, Theta Books "ist es von äußerster Wichtigkeit, dass wir alle Bibliotheken mit dem Grundlagen-Buchpaket bestücken". Daneben wird diese Werbe-DVD Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 222 Scientology-Organisation bundesund bayernweit auch an Politiker und Mitarbeiter des öffent lichen Dienstes verschickt, zum Teil auch an deren Privatadresse. Way to Happiness Die SO-Einrichtung "The Way to Happiness Foundation International" Foundation aus Glendale/USA versendet die SO-Werbebroschüre "Der Weg zum Glücklichsein" an zahlreiche Behörden, Unternehmen und Banken. Die Broschüre beschäftigt sich u.a. mit Drogenmissbrauch und Jugend kriminalität. Adressaten waren in Bayern auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie Bürgermeister und Mandatsträger. Die Titel seite der Broschüre erscheint mit den persönlichen Daten des Adressa ten, so dass der Eindruck entsteht, die Person würde selbst hinter der Aktion stehen. In dem Begleitschreiben zur Broschüre wird das Angebot unterbreitet, kostengünstig in höherer Auflage personalisierte Exem plare des Hefts zu bestellen. 4. Mitglieder der SO Die SO hat in Deutschland zwischen 5.000 und 6.000 Mitglieder, wobei die Mitgliederzahlen in den letzten Jahren stagnieren. Die Organisation selbst gibt eine deutlich höhere Zahl an. Früher behauptete die SO, dass die "Scientology Kirche Deutschland e.V." (SKD) über 30.000 Mitglie der habe; in einem Rechtsstreit der SO gegen das Bundesamt für Ver fassungsschutz gab der Präsident der SKD im Jahr 2004 an, die SKD habe etwa 12.000 Mitglieder. Der Mitgliederstand in Bayern ist mit etwa 2.600 konstant geblieben. Als Mitglieder werden solche Personen verstanden, die ihre Mitglied schaft in einem SO-Verein oder einer sonstigen SO-Gliederung, z.B. im WISEoder ABLE-Bereich, schriftlich erklärt haben oder durch die Belegung von Kursen in einem SO-Verein verdeutlichen. Stagnierende Ein Grund für die seit Jahren stagnierende Entwicklung der Mitglieder Mitgliederzahlen zahlen in Deutschland und Bayern dürfte in der verstärkten Aufklärung über die wahren Ziele der SO zu sehen sind. 5. Beobachtung durch den Verfassungsschutz Entscheidung des Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat am 12. Februar die Be OVG Münster rufung der "Scientology Kirche Deutschland e.V." und der "Scientology Kirche Berlin e.V." gegen ein erstinstanzliches Urteil des Verwaltungs gerichts Köln vom 11. November 2004 zurückgewiesen. Mit ihrer im März 2003 eingereichten Klage hatte sich die SO gegen die Beobach tung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz gewandt, da sie eine Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Scientology-Organisation 223 Religionsgemeinschaft sei und keine verfassungsfeindlichen Ziele ver folge. Das OVG Münster hat die Frage ausdrücklich offen gelassen, ob die SO eine Religionsgemeinschaft ist, da dies für die Entscheidung nicht relevant sei. Das OVG Münster urteilte, dass die Beobachtung der SO durch den Ver Beobachtung auch fassungsschutz sowohl mit offenen als auch mit nachrichtendienst mit nachrichten lichen Mitteln rechtmäßig sei. Die SO verfolge Bestrebungen, die gegen dienstlichen Mitteln die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet seien. Aus einer Vielzahl von - teilweise auch nicht öffentlich zugänglichen - scien tologischen Schriften sowie den Aktivitäten der SO bzw. deren Mitglie dern ergäben sich zahlreiche Hinweise, dass die SO eine Gesellschafts ordnung anstrebe, in der zentrale Verfassungswerte wie die Menschen würde und der allgemeine Gleichheitsgrundsatz außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden. Insbesondere bestehe der Verdacht, dass in einer scientologischen Gesellschaft nur Scientologen staatsbürgerliche Rechte zustehen sollten. Es gebe aktuelle Erkenntnisse über Aktivitäten der SO, mit denen versucht werde, das scientologische Programm in Deutschland umzusetzen. 6. Bewertung Trotz der Zunahme an Veranstaltungen und Info-Ständen in der Öffent lichkeit, kann in Bayern nicht von einer Expansion der Organisation gesprochen werden. Auch die Schaffung "Idealer Orgs" in Deutschland, einer der Schwerpunkte ihrer Expansionsbemühungen, stagniert. Deut lich erkennbar ist der Ausbau der Aktivitäten im Bereich Kinder und Jugendliche, hier insbesondere im Bereich Nachhilfe. Nach dem Urteil des OVG Münster zur Beobachtung durch den Ver fassungsschutz (vgl. auch Nummer 5 dieses Abschnitts) ließ die SO verlauten, dass sie keine Rechtsmittel mehr gegen die nachrichten dienstliche Beobachtung einlegen werde. Als Konsequenz sei eine "Grundsatzerklärung über Menschenrechte und Demokratie" ver Grundsatz abschiedet worden, die die Verfassungsmäßigkeit der SO auf allen erklärung über Ebenen festschreiben soll. Die Organisation erhoffe sich, dass dieses Menschenrechte Bekenntnis zur freiheitlichen Demokratie in Deutschland von den und Demokratie staatlichen Stellen gewürdigt werde. Eine entsprechende bundesweite Grundsatzerklärung gibt es bislang nicht. Lediglich die SKB hat die Aufnahme der "Grundsatzerklärung über Menschenrechte und Demo kratie" in die Satzung beschlossen. Insgesamt können die Aktionen der SO jedoch als anhaltendes Bemühen gewertet werden, die wahren Ziele zu verschleiern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 224 Scientology-Organisation 7. Vertrauliches Telefon und Informationsangebot im Internet Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz unterhält ein "vertrauliches Telefon" unter der Nummer 0 89 / 31 20 12 96. Opfer, Aussteiger und Angehörige von SO-Mitgliedern können dort Hinweise über die SO geben. Für Beratungen stehen die anerkannten Beratungsstellen zur Verfügung. Das Bayerische Staatsministerium des Innern informiert im Internet über die Maßnahmen der Bayerischen Staatsregie rung, über Pressemitteilungen und Gerichtsentscheidungen unter folgender Adresse: http://www.innenministerium.bayern.de/scientology Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Spionageabwehr 225 7. Abschnitt Spionageabwehr 1. Ausgangslage Die Notwendigkeit für die internationale Staatengemeinschaft, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen bei Krisenländern und terroristischen Organisationen (Proliferation) zu verhindern, sowie die Proliferation Beobachtung der Wirtschaftsspionage stehen - neben der Abwehr von Spionageaktivitäten vor allem durch Nachrichtendienste Chinas und Russlands - weiter im Mittelpunkt des Auftrags der Spionageabwehr im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz. Das anhaltende Interesse von hoch technisierten deutschen - insbeson dere auch mittelständischen - Unternehmen, sich auf den Wirtschafts märkten in Russland und Fernost zu etablieren, ist für den Schutz von Know-how nicht ohne Gefahren. Aktivitäten fremder Nachrichten dienste zur Erlangung von Spezialwissen belegen das nach wie vor be stehende Interesse an deutschen Produkten. Die Volksrepublik China verfolgt mit Nachdruck das Ziel, als Wirschafts Ziele der macht eine führende Rolle einzunehmen. Mit einer staatlichen Innova VR China tionsoffensive ist es dort in einigen Bereichen bereits gelungen, wich tige Spitzentechnologien selbst herzustellen. Mit offensivem Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel werden weiterhin vor allem Informatio nen zu den Bereichen Militär, Wirtschaft und Forschung gesammelt. Im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking kam es in Tibet zu gewalt tätigen Auseinandersetzungen mit chinesischen Sicherheitskräften; dies hat auch in Deutschland zu Protestdemonstrationen geführt. Derartige Aktivitäten von im Ausland lebenden Chinesen werden vom chine sischen Nachrichtendienst beobachtet. Vor allem die in Deutschland lebenden Tibeter, die organisierten Angehörigen der uigurischen Min derheit, aber auch die in China verbotene buddhistisch-taoistische Falun-Gong-Bewegung sowie die Anhänger der taiwanesischen Souve ränität stehen im Blickfeld der chinesischen Nachrichtendienste. Auch die russischen Nachrichtendienste betreiben unvermindert Spio Aktivitäten nage gegen Deutschland. Während sich der Auslandsnachrichtendienst russischer Nach SWR in erster Linie um Informationen aus Politik und Wirtschaft richtendienste Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 226 Spionageabwehr bemüht, ist der militärische Nachrichtendienst GRU primär an klassi schen Militärobjekten und -technologien interessiert. Zu den Aufgaben des russischen Inlandsnachrichtendienstes FSB gehört es ausdrücklich, Niederlassungen ausländischer Firmen in Russland auszuforschen. Zentrale Themen russischer Aufklärungsbemühungen betreffen die Erweiterung von NATO und Europäischer Union, die Handelsbeziehun gen zu Russland sowie den angestrebten schnelleren Zugang zu west lichem Know-how für die Modernisierung der Wirtschaft und der Rüs Einsatz von tung Russlands. Dabei werden zur Gewinnung von Informationen alle Agenten nachrichtendienstlichen Mittel, auch der Einsatz von Agenten, genutzt. Ein Fall, der dies belegt, fand im Sommer 2008 seinen gerichtlichen Abschluss: Ein ehemaliger Mitarbeiter eines bayerischen Rüstungskonzerns, der über Jahre an einen GRU-Angehörigen Informationen weitergegeben hatte, wurde vom Oberlandesgericht München zu einer Haftstrafe von elf Monaten auf Bewährung und zur Rückzahlung des Agentenlohns in fünfstelliger Höhe verurteilt. Die Nachrichtendienste der Länder Syrien, Libyen, Tunesien und Iran legen den Schwerpunkt ihrer Auslandsaufklärung auf die Ausspähung regimekritischer Organisationen und Personen, vor allem islamischer Extremisten und Terroristen. So wurde ein Syrer, der mehrere Jahre lang im Auftrag des syrischen Nachrichtendienstes Landsleute in Deutsch land ausspioniert hat, wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung, verurteilt. 2. Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage geht von fremden Nachrich tendiensten aus. Die Konkurrenzspionage hingegen geht vom "Wett bewerber" als Angreifer aus; in diesen Fällen liegt - anders als bei der Wirtschaftsspionage - keine gesetzliche Zuständigkeit des Verfassungs schutzes vor. Bedeutungsgewinn Die Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage gewinnt vor dem Hinter bei Krisen grund der weltweiten Finanzund Wirtschaftskrise und dem damit ein hergehenden Wettbewerbsdruck an Bedeutung. So besteht einerseits die Gefahr, dass aus Kostengründen im Bereich der Unternehmens sicherheit gespart wird und dadurch das Firmen-Know-how nicht aus reichend geschützt ist. Andererseits dürften Krisen zu verstärkter Wirt schaftsspionage führen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Spionageabwehr 227 Nicht nur Großunternehmen, sondern auch kleine und mittelständische Firmen sowie Hochschulen verfügen vielfach über technisches Know-how, das für die Nachrichtendienste anderer Länder von Interesse ist. In Russ land und China sind deren Nachrichtendienste gesetzlich verpflichtet, die Wirtschaft ihres Landes zu unterstützen. Auch in einigen westlichen Unterstützung der Staaten kann die Wirtschaft auf die Unterstützung der NachrichtenWirtschaft durch dienste zählen. Nachrichtendienste Die Verlagerung von Entwicklungsund Produktionsstätten in diese Staaten sowie Kooperationen im Hochschulbereich mit diesen Ländern bergen ein erhöhtes Gefahrenpotenzial für Ausspäh-Aktivitäten in sich. Besonders in China bestehen speziell für Investoren der ausländischen Wirtschaft Vorschriften, die darauf abzielen, an das Know-how der Firma zu gelangen. So ist für bestimmte Schlüsseltechnologien, die für die chinesische Wirtschaft besonders wichtig sind, ein Joint Venture mit einem chinesischen Geschäftspartner gesetzlich vorgeschrieben. Das dadurch gewonnene Know-how kann anderen chinesischen Firmen zum preisgünstigen Nachbau zur Verfügung gestellt werden. Auch durch den Kauf deutscher Firmen gelangen fremde Staaten an westliche Tech nologie. Wirtschaftsspionage hat unterschiedliche Zielrichtungen. Diese sind auf Zielrichtungen den jeweiligen technologischen Stand der handelnden Staaten ausder Wirtschafts gerichtet. spionage Interesse fremder Nachrichtendienste Interessen bei Technisch und Staaten mit der Kokurrenz wirtschaftlich hoch Technologierückstand ausspähung entwickelte Staaten * wirtschaftspolitische * Beschaffung von tech * Informationen über Strategien nischem Know-how, Wettbewerb, Märkte, * sozialökonomische um Kosten für eigene Technologien und und politische Trends Entwicklungen und Kunden Lizenzgebühren zu * aktuelles Know-how * Unternehmens-, sparen zur Produktentwick Marktund Absatzstrategien, Zielrichtun * Beschaffung von lung und Produktions gen und Methoden Informationen über technik der Forschung Fertigungstechniken, * Preisinformationen um auf dem Markt * Wettbewerbsstrate * Kalkulationen kostengünstiger gien, Preisgestaltung gefertigter Nachbau * Designstudien und Konditionen ten wettbewerbsfähig * Zusammenschlüsse zu sein und Absprachen von Unternehmen Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 228 Spionageabwehr Folgendes Beispiel zeigt den Versuch, das Know-how einer deutschen Firma zu erlangen: Ein oberbayerisches international tätiges Beratungsunternehmen für den Bereich Technologie beabsichtigte, in China tätig zu werden. Zu diesem Zweck reiste ein Mitarbeiter nach China, um firmenbezogene Daten zu präsentieren. Die chinesische Firma bestand - mit dem vor geschobenen Hinweis eigener Sicherheitsvorschriften - auf die Nutzung firmeninterner PCs. Dazu mussten die Daten vom Laptop des Mitarbei ters auf den fremden PC kopiert werden. Hierfür wurde ihm vom chinesischen Gesprächspartner ein USB-Stick zur Verfügung gestellt. Später stellte der Mitarbeiter der deutschen Firma fest, dass auf dem Trojanerattacken Notebook ein Trojaner installiert worden war. Der Trojaner diente dazu, durch die VR China eine Hintertür des Systems zu öffnen, um den Rechner zum Ziel der Informationsgewinnung fremd steuern zu können. 3. Informationsund Kommunikationstechnik als Mittel der Spionage Parallel zur wachsenden Bedeutung der Informationstechnik (IT) für die öffentliche Verwaltung und die Wirtschaft hat sich auch die Technik zu Technische Weiter deren Ausforschung rasch weiterentwickelt. Im Zeitalter der globalen entwicklung Vernetzung ist eine räumliche Nähe zum Spionageobjekt nicht mehr erforderlich. Das Ausspähen von geheimen Daten und Informationen kann mit geringem Aufwand von jedem Ort der Welt betrieben werden. Zielobjekt dieser Form von Spionage ist vor allem die Wirtschaft, aber auch die öffentliche Verwaltung kann betroffen sein. So hat China erneut die elektronische Spionage durch Trojaner-Attacken gegen mehrere Bundesbehörden und Wirtschaftsunternehmen fortgeführt. Hinweise, dass auch bayerische Behörden betroffen sind, liegen derzeit nicht vor. Die Angriffe werden überwiegend über zuvor recherchierte E-Mail-Adres sen ("social engineering") initiiert. Die Schadsoftware (Trojaner) der - ganz gezielt an bestimmte Personen - versandten E-Mails befindet sich im Dateianhang und installiert sich nach Öffnen des Dokuments unbemerkt. Gefahren für klei Insbesondere kleine und mittelständische Firmen sowie Hochschulen ver nere Unternehmen fügen vielfach über Know-how, das für die Nachrichtendienste anderer Länder von Interesse ist. Gerade dort fehlen oftmals die Mittel für geeig nete IT-Schutzmaßnahmen oder das entsprechende Gefahrenbewusst sein. Daraus resultiert ein unzureichender Schutz der IT-Systeme, der dem Angreifer die Ausspähung erleichtert. Die rasante technische Entwicklung erfordert eine kontinuierliche Anpassung der Schutzmechanismen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Spionageabwehr 229 Auch die Nutzung moderner Kommunikationsmittel ist mit Risiken für die Informationssicherheit verbunden. Beispielsweise können Handys und Laptops durch Manipulation zu "Wanzen" umfunktioniert werden, Manipulation von um damit alle Gespräche in einem Raum zu belauschen. Vor dem "Ab Kommunikations hören" der Kommunikationsverbindungen sind weder Telefon, SMS mitteln oder Fax noch Datenübertragungen sicher. Der Einsatz von Techniken zur drahtlosen Datenbzw. Sprachübertragung, wie WLAN oder Blue tooth, sollte in sicherheitsempfindlichen Bereichen ganz unterbleiben und die Funktionen generell nur dann aktiviert werden, wenn sie tat sächlich benötigt werden. 4. Proliferation Unter Proliferation versteht man die Weiterverbreitung von Massenver nichtungswaffen bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte einschließlich der dazu erforderlichen Kenntnisse sowie von entspre chenden Waffenträgersystemen. Auch im Jahr 2008 wurden Beschaf fungsaktivitäten verschiedener Krisenländer festgestellt, um in den Be Proliferation durch sitz proliferationsrelevanter Technologie zu gelangen. Der Schwerpunkt Krisenländer lag hier im Bereich der atomaren Rüstung der Staaten Iran, Pakistan und Nordkorea. Ein Weg, an proliferationsrelevante Technologien zu gelangen, stellt die Entsendung von Gastwissenschaftlern dar. In einer vom Auswärtigen Amt und deutschen Sicherheitsbehörden initiierten "Arbeitsgemeinschaft Gastwissenschaftler" werden Deutschlandaufenthalte von Wissenschaft lern aus bestimmten Staaten auf eine mögliche Proliferationsgefahr hin geprüft und im Bedarfsfall auch die aufnehmende Universität in Deutsch land zu einem Sensibilisierungsgespräch kontaktiert. So wurden im Jahr 2008 in über 20 Fällen Wissenschaftler aus dem Möglicher Iran, aus Pakistan und aus Nordkorea überprüft und in einigen Fällen Know-how-Verlust mit den jeweiligen bayerischen Universitäten Sensibilisierungsgespräche durch Gast geführt. Der Visumantrag eines pakistanischen Wissenschaftlers, der wissenschaftler einen zweijährigen Forschungsaufenthalt in Bayern antreten wollte, wurde wegen der Gefahr eines Know-how-Abflusses abgelehnt. Folgendes Beispiel belegt den Versuch des Iran, für den Ausfuhr beschränkungen gelten, in den Besitz proliferationsrelevanter Technolo gie zu gelangen: Ein bayerischer Hersteller von Elektronikbauteilen bekam seit Ende 2007 verstärkt Anfragen und Aufträge einer Import-/Exportfirma aus Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 230 Spionageabwehr den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der bayerischen Firma wurde eine zivile Nutzung der bestellten Waren zugesagt und unkritische industrielle Endempfänger benannt. Den Verfassungsschutzbehörden lagen allerdings zur beteiligten Imund Exportfirma in den Emiraten Hinweise vor, wonach diese als Beschaffer des iranischen Atomwaffen programms anzusehen ist und eine Weiterleitung der Waren aus Bayern in den Iran denkbar war. Die bayerische Firma wurde daraufhin durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz im Rahmen eines Sen sibilisierungsgesprächs auf die möglichen Gefahren hingewiesen. 5. Wirtschaftsschutz - Beratung durch den Verfassungsschutz Das Sensibilisierungsprogramm des Bayerischen Landesamts für Verfas sungsschutz soll präventiv zur Verhinderung der Wirtschaftsund Wis senschaftsspionage beitragen. Hierbei wird allen in Bayern ansässigen Unternehmen ein breites Spektrum an Informationsund Beratungs möglichkeiten angeboten. Dies reicht von der Bereitstellung von Infor mationsmaterial, über die Entsendung von Experten zu Fachvorträgen bis zu persönlichen Beratungsgesprächen in Firmen. Insbesondere Sensibilisierung innovative mittelständische Unternehmen werden dabei für Gefahren von Unternehmen sensibilisiert und ein Sicherheitsbewusstsein für notwendige Schutz maßnahmen gegen die Ausspähung von Firmengeheimnissen geweckt. Die angesprochenen Firmenverantwortlichen werden so in die Lage ver setzt, die Schwachstellen im Know-how-Schutz selbst zu erkennen und Sicherheitskonzepte zu entwickeln. Auch im Berichtsjahr gab es wieder positive Reaktionen bei den beratenen Unternehmen. Darüber hinaus wird im Bereich der Hochschulen auf die Gefahren der Wissenschafts spionage hingewiesen und Empfehlungen bei der Erarbeitung oder Analyse von IT-Schutzkonzepten gegeben. Firmen, die als Lieferanten sensibler Güter mit Einsatzmöglichkeiten bei ABC-Waffensystemen infrage kommen (Proliferation), haben eine be sondere Verantwortung, dies zu verhindern. Diese Firmen können sich im Verdachtsfall, wie z.B. bei einer Anfrage zu einem sensiblen Produkt durch einen Interessenten aus einem Krisenland, an das Bayerische Lan desamt für Verfassungsschutz wenden. Zusammenarbeit In allen Fragen des Wirtschaftsschutzes - insbesondere bei Verdacht des mit dem Informationsverlusts - können sich Firmen an das Landesamt wenden. Verfassungsschutz Hinweise werden vertraulich behandelt. Verbände und Organisationen, wie der Bayerische Verband für Sicher heit in der Wirtschaft (BVSW) oder die Industrieund Handelskammern Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Spionageabwehr 231 arbeiten sehr eng mit dem Landesamt zusammen. Bei gemeinsamen Informationsveranstaltungen für mittelständische Firmen, die speziell für die Gefahren der Wirtschaftsspionage sensibilisiert werden sollen, geht es vorrangig auch um den Erkenntnisaustausch unter dem Motto: Informationen aus der Wirtschaft für die Wirtschaft. Alle Maßnahmen dienen dem Ziel, die Führung und Mitarbeiter mittel ständischer Unternehmen auf die Risiken durch Wirtschaftsspionage aufmerksam zu machen und Lösungsansätze aufzuzeigen. Hierzu wer den kompetente Ansprechpartner benannt. Diese Sicherheitspartner schaft mit dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz wird von vielen Firmen und Hochschuleinrichtungen angenommen. Die Forderung der Wirtschaft an den Staat, stärkere Anstrengungen zu deren Schutz zu unternehmen, wird durch das Landesamt durch viel fältige Aktivitäten aufgegriffen. Ziel ist es dabei, die Wirtschaft in Bay ern möglichst flächendeckend und nachhaltig mit Informationen zum Know-how-Schutz zu versorgen. Im Internet werden unter der Adresse http://www.verfassungsschutz.bayern.de neben allgemeinen Informationen zur Wirtschaftsspionage und Prolife ration auch aktuelle sicherheitsrelevante Hinweise bereitgestellt sowie themenspezifische Broschüren angeboten. Unter der eigens eingerichteten Telefonnummer 0 89 / 31 20 15 00 Info-Telefon (Info-Telefon Wirtschaftsschutz) können Firmen - beispielweise zur Ver Wirtschaftsschutz einbarung von Beratungsgesprächen - Kontakt mit dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz aufnehmen. 6. Ausblick Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste halten auch in Bayern unvermindert an. Die Schwerpunkte ihrer jeweiligen Beschaffungs bemühungen orientieren sich an den aktuellen politischen Vorgaben Orientierung oder wirtschaftlichen Prioritäten in den jeweiligen Heimatstaaten. Die an politischen besondere Wachsamkeit gilt dabei der Verhinderung der Proliferation, Vorgaben da in Bayern Bemühungen, insbesondere von iranischer Seite, zur Beschaffung proliferationsrelevanter Technik und Know-how aus den Bereichen Forschung und Technik zu verzeichnen sind. Bayern ist zudem als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzen technologie mit Weltmarktführung besonders attraktiv. So ist eine Zunahme der Spionage im Bereich Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung insbesondere durch chinesische Nachrichtendienste zu ver Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 232 Spionageabwehr zeichnen. Neben dem Einsatz menschlicher Quellen gewinnen die neuen Technologien zur Informationsbeschaffung erkennbar an Bedeutung. Die aktuell gefährlichste Bedrohung stellen internet-gebundene An griffe auf Computersysteme von Wirtschaftsunternehmen, so genannte Trojaner-Attacken, dar. Aufgrund der vorhandenen Gefahren sind für die nachhaltige Wett bewerbsfähigkeit der Wirtschaft ganzheitliche Schutzmaßnahmen des betrieblichen Know-how unabdingbar. Das Bayerische Landesamt für Verfas sungsschutz hat die Aufgabe, dies bewusst zu machen und vor diesen Gefahren zu schützen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Organisierte Kriminalität 233 8. Abschnitt Organisierte Kriminalität 1. Ausgangslage Im Jahr 2008 abgeschlossene Strafverfahren in Ingolstadt und München gegen Angehörige der russischen Organisierten Kriminalität (OK) haben beispielhaft deutlich gemacht, dass Strukturen der OK in Bayern nach wie vor aktiv sind. Die russischstämmigen Täter verübten in mehreren bayerischen Städten Straftaten, so etwa in den Deliktsbereichen Rauschgifthandel und Schutzgelderpressung. Die Beobachtung der OK durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz stellt eine wichtige Ergänzung der polizeilichen Arbeit bei der Bekämpfung der OK dar. So kann der Verfassungsschutz Bei spielsweise bereits im Vorfeld konkreter Straftaten tätig werden. Zur Optimierung der Zusammenarbeit sollte die Beobachtung der OK durch den Verfassungsschutz bundesweit auf eine breite Basis gestellt werden. Neben Bayern bestehen auch in den Län dern Hessen, Saarland und Thüringen die gesetzlichen Grund lagen für diese Aufgabe des Verfassungsschutzes. In der Broschüre "10 Jahre Beobachtung der Organisierten Kriminalität durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz" wird umfassend über die Tätigkeit in diesem Bereich berichtet. Die Broschüre ist unter folgenden Internet-Adressen abrufbar: http://www.innenministerium.bayern.de/service/publikationen http://www.verfassungsschutz.bayern.de 2. Methodik und Beobachtungsschwerpunkte Viele OK-Gruppierungen setzen sich homogen aus Mitgliedern einer Ethnie zusammen, die in der Regel abgeschottet und konspirativ agie ren. Deshalb bearbeitet das Bayerische Landesamt für Verfassungs schutz das jeweilige Informationsaufkommen nach der Herkunft der jeweiligen Zielpersonen. Mit diesem Ethnienansatz können Zusammen Ethnienansatz hänge genauer analysiert und verdächtige Personen besser identifiziert werden. Dabei profitiert das Landesamt vor allem von seinen langjähriVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 234 Organisierte Kriminalität gen Erfahrungen bei der Werbung und Führung von V-Leuten in diesen Organisationsstrukturen. Erkenntnismittel Die Erkenntnisse zur OK werden darüber hinaus aus der Anwendung des Verfasssungs anderer nachrichtendienstlicher Mittel zur verdeckten Informations schutzes gewinnung sowie aus der Zusammenarbeit mit ausländischen Nach richtendiensten, die in Europa fast ausnahmslos mit der Bekämpfung der OK beauftragt sind, gewonnen. Weitere Informationen ergeben sich aus der Zusammenarbeit mit den polizeilichen Dienststellen zur Bekämpfung der OK und erschließen sich aus der Analyse von offen zu gänglichem Material sowie aus dem Berichtsaufkommen anderer Auf gabenbereiche des Verfassungsschutzes, insbesondere aus der Spionage abwehr und der Beobachtung ausländischer extremistischer Organi sationen. Ziel der Strukturermittlungen des Verfassungsschutzes im Bereich der OK ist es, polizeiliche Ermittlungen zu ermöglichen bzw. zu unterstützen und zu ergänzen. Aufklärungs Ein Schwerpunkt der Bearbeitung liegt weiterhin bei der Beobachtung schwerpunkte der OK aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), insbeson dere aus der Russischen Föderation. Hier kann der Verfassungsschutz seine Erfahrungen aus dem Bereich der Spionageabwehr im Erkennen abgeschotteter und konspirativ tätiger Personen einbringen. Ähnliche Bedeutung kommt der spezifischen Arbeit des Verfassungsschutzes im Bereich asiatischer Tätergruppen zu, die sich ebenfalls durch eine weit gehende Abschottung in allen Bereichen des Lebens auszeichnen. Straftaten, die untereinander begangen werden, gelangen regelmäßig nicht an die Öffentlichkeit. Dies gilt insbesondere für vietnamesische Gruppierungen. OK-Strukturen aus dem Balkan und der Türkei stellen statistisch gesehen die größte Gruppe der Strafverdächtigen dar und er fordern deshalb besondere Beachtung. Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt stellt das Beobachten der Aktivitä ten der italienischen Mafia dar. Außer der Nutzung Bayerns als Rück zugsgebiet etabliert sich die Mafia hier immer mehr im Betäubungs mittelhandel. Neben OK-Strukturen fremder Ethnien liegt der Beobachtungsschwer punkt bei Rockergruppierungen wie etwa dem Hells Angels MC (Mo torcycle Club) oder dem Bandidos MC mit den Deliktsschwerpunkten im Rotlichtmilieu sowie beim Drogenund Waffenhandel. Organisierte Organisierte Täterstrukturen zeigen sich vor allem in den Deliktsberei Täterstrukturen chen der illegalen Prostitution und Zuhälterei, des Waffenund interna tionalen Drogenhandels, beim Menschenhandel und bei Schleusungen, bei Fälschungsdelikten sowie beim illegalen Handel mit Medikamenten Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Organisierte Kriminalität 235 bzw. Surrogaten und der im Zusammenhang mit diesen Straftaten stehenden Geldwäsche. Dabei wird deutlich, dass bestimmte Ethnien typische Deliktsfelder besetzen und auch in der Art des Handelns spezifische Eigenheiten aufweisen. Diese sollen im Rahmen der nach Ethnien dargestellten OK-Strukturen im Folgenden näher beleuchtet werden (vgl. auch Nummern 4.1 bis 4.4 dieses Abschnitts). 3. Zusätzlicher Erkenntnisgewinn durch die Tätigkeit des Verfassungsschutzes im Bereich der OK Da die OK häufig Merkmale geheimdienstlicher Tätigkeit (z.B. Abschot tung) aufweist, liegt es nahe, sich bei ihrer Bekämpfung auch nachrich tendienstlicher Mittel zu bedienen. Dazu ist gerade der Verfassungs schutz durch seine langjährige Erfahrung und den - dem Verfassungs schutz spezifisch zustehenden - Eingriffsbefugnissen in diesem Bereich besonders geeignet. Personen, die einer kriminellen Gruppierung angehören, arbeiten kon spirativ und im Verborgenen. Sie geben sich anderen gegenüber häufig als "normale" Bürger aus, erzählen von legalen Geschäften oder Be rufen und verhalten sich meist unauffällig. Ihr Ziel ist es, nicht in das Blickfeld von Polizei und von anderen Sicherheitsbehörden zu geraten. Ein Zugang zu diesen verdeckt operierenden Kreisen ist alleine durch systematische und langfristig angelegte Informationsbeschaffung er Langfristig ange reichbar. Das entscheidende "Insiderwissen" kann meist nur durch den legte Informations Einsatz menschlicher Quellen erlangt werden. Nur so ist es möglich, die beschaffung Hintermänner ausfindig zu machen, andere Mitglieder der Gruppe und deren Kommunikationsnetze zu erkennen sowie strafbare Aktivitäten festzustellen, um dadurch Strukturen aufzuklären. Hierbei können durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz Ermittlungen bereits im Vorfeld konkreter strafbarer Sachverhalte vorgenommen werden. Die beschriebenen Strukturermittlungen erfolgen regelmäßig im Vor feld polizeilicher Aufgabeneröffnung. Die hieraus erlangten Erkennt nisse sind oftmals gerade Voraussetzung dafür, dass die Polizei und Strafverfolgungsbehörden tätig werden können. Mit dem Ziel, langfristige Strukturermittlungen zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber das "Legalitätsprinzip" zugunsten des Verfassungsschutzes "Legalitätsprinzip" gelockert. Hierfür hat der Gesetzgeber dem Verfassungsschutz in engen Grenzen den Spielraum eingeräumt, eine sofortige Strafverfolgung im Interesse des tieferen Eindringens in OK-Strukturen zunächst zurück zustellen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 236 Organisierte Kriminalität "Quellenschutz" Das Landesamt bietet einen wirkungsvollen Schutz von Informanten und Quellen. Diese Personen kommen in der Regel aus dem Bereich der OK oder dessen direktem Umfeld und unterliegen bei Bekanntwerden ihrer Informantentätigkeit einem sehr hohen Gefährdungspotenzial. An Strafverfolgungsbehörden übermittelte Erkenntnisse von Informanten oder Quellen werden durch den Verfassungsschutz so aufbereitet und verdichtet, dass diese Personen nicht mehr als Informationsgeber erkenn bar sind. Im Bereich der Führung von Quellen, von jeher Schwerpunkt nachrichtendienstlicher Tätigkeit, kann gerade, wenn diese in fremden Ethnien eingesetzt werden, auf Jahrzehnte lange Erfahrungen aus dem Bereich des Ausländerextremismus und der Spionageabwehr zurückge griffen werden. 4. Ergebnisse der OK-Beobachtung 4.1. Italienische Mafia Verbreitung Die Vorfeldbeobachtung im Bereich der OK durch das Bayerische Landes in Bayern amt für Verfassungsschutz zeigt, dass auch in Bayern kriminelle italieni sche Gruppierungen aktiv sind. Dies sind Mitglieder und Kontaktpersonen der drei großen Mafiaorganisationen Cosa Nostra, 'Ndrangheta und Camorra. Die Clans dieser Organisationen entsenden Großfamilien nach Bayern, die hier gastronomische Betriebe übernehmen. Die Deliktsschwerpunkte liegen im Handel mit Drogen, in der illegalen Beschäftigung und im Betrug. Bei der Bekämpfung der italienischen OK-Strukturen baut das Landesamt auf sehr gute Kontakte und eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem italienischen Nachrichtendienst AISE. Die enge und vertrauensvolle Kooperation macht es möglich, Hintergründe, Normen und Werte der Clanmitglieder aller drei großen italienischen kriminellen Syndikate kennenzulernen. "Clan-Regeln" Der italienische Nachrichtendienst bestätigte, dass die strengen Regeln und Hierarchien der 'Ndrangheta auch über die Grenzen Italiens hinaus weiterhin ihre Gültigkeit behalten. Demzufolge führen die von den Bossen ausgewählten Vertrauten, die nicht zwingend Familienmit glieder sein müssen, die geforderten Befehle aus. Bei den Mitgliedern herrscht allgemein das Bewusstsein, dass die Strafe bei Nichterfüllung nur der Tod sein kann. Einen neuen wichtigen Gesichtspunkt stellt die Bewertung der Einbindung von Frauen innerhalb der 'Ndrangheta dar. Sie sind nicht mehr nur die schweigenden und von Rache erfüllten Mütter und Ehefrauen, sondern vollwertige Mitglieder der Clans. Mit ihren Aktivitäten unterwerfen sie sich allen Regeln und Ritualen der Familien. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Organisierte Kriminalität 237 In den vergangenen Monaten wurden große Ermittlungserfolge der ita Ermittlungs lienischen Strafverfolgungsbehörden gegen die drei mächtigsten krimi erfolge in Italien nellen Organisationen Italiens bekannt. Innerhalb weniger Stunden wurden 30 Mitglieder des Casalesi-Clans, der zur neapolitanischen Camorra gehört, verhaftet und Vermögenswerte von mehreren Millio nen Euro beschlagnahmt. Die sizilianische Cosa Nostra galt nach den Festnahmen der Bosse Bernardo Provenzano und Salvatore Lo Piccolo im Jahre 2007 bereits als geschwächt, als im Januar 2008 dessen Sohn, Calogero Lo Piccolo, und 36 weitere Mitglieder festgenommen werden konnten. Noch im Februar wurden bei der Cosa Nostra mehrere Millionen Euro beschlagnahmt. Auch im Rahmen der Bekämpfung der kalabrischen Mafia-Organisation 'Ndrangheta wurden Erfolge verzeichnet. Gerade in San Luca, dem "Herz" dieser kriminellen Vereinigung, konnten einige hochrangige Mitglieder verhaftet werden, die auch im Zusammenhang mit den Aufsehen erregenden Morden in einem Duisburger Lokal vom August 2007 zu sehen sind. Doch weder die Camorra, die Schlagzeilen im Zuge der Müllproblema "Das Herz der tik in Neapel machte, noch die sizilianische Mafia haben dadurch ihre 'Ndrangheta" kriminellen Geschäftsaktivitäten vermindert. Die Anhänger der Cosa Nostra verehren bereits wieder einen mutmaßlichen neuen "Boss der Bosse": Matteo Messina Denaro. An verschiedenen Orten Siziliens tauchten Pop-Art-Gemälde des extrovertierten Denaro nach dem Muster von Andy-Warhol auf. Ob die Werke nun eine Provokation oder eine Mystifizierung darstellen soll ten, ist bisher noch ungeklärt. Die Krakenarme der kriminellen Syndikate breiten sich weiter in Europa aus. Durch gezielte Beobachtungen konnte das Bayerische Lan desamt für Verfassungsschutz Strukturen eines in Bayern agierenden kriminellen Netzwerks einer der großen italienischen mafiö sen Organisationen feststellen. Die italienischen Verdachtspersonen sind Wandbilder ("Murales") u.a. Söhne, Neffen und andere Verwandte der in Italien sitzenden Bosse. von Denaro Von dort aus werden Aufträge erteilt, Gebietsansprüche erklärt und Personalentscheidungen getroffen sowie Konflikte und Ungereimtheiten innerhalb der Familie geregelt. In Bayern ist diese nächste Generation vorwiegend im Deliktsbereich des Rauschgifthandels tätig. Außerdem bietet sie italienischen Straftätern, die ihr Heimatland verlassen müssen, in ihren Lokalen und Wohnungen Unterschlupf. Jede Familie handelt eigenverantwortlich. Viele Verhaltensweisen und das Geschäftsgebaren der Clans aus Italien werden in Deutschland übernommen. Typisch sind die Neueröffnung oder die spontane Schließung eines Restaurants und Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 238 Organisierte Kriminalität dessen Wiedereröffnung nach kurzer Zeit. Hierdurch werden kriminelle Machenschaften verschleiert und die Geldwäsche illegaler Gewinne vor allem aus dem Drogenhandel erleichtert. 4.2 Beobachtung der OK aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Das Erkennen und gezielte Beobachten der Aktivitäten von Strukturen der russischen OK stellt seit Mitte der 1990er Jahre einen Schwerpunkt für das Bayerische Landesamts für Verfassungsschutz dar. Mittlerweile kann das Landesamt auf einen langjährigen Erfahrungs schatz - verbunden mit einem gut ausgebauten Netz von V-Leuten - zu rückgreifen. Ziel der Beobachtung ist es, Hintermänner der OK-Grup pierungen ausfindig zu machen, Gruppenmitglieder zu identifizieren und begangene bzw. geplante strafbare Handlungen festzustellen. Die deliktischen Schwerpunkte der festgestellten Gruppierungen liegen im Bereich der Rauschgiftund Eigentumskriminalität sowie der Erpres sung, vorwiegend von Schutzgeldern. Gruppenmerkmale Die herausragenden Gruppenmerkmale sind - der hierarchische Aufbau mit arbeitsteiliger Vorgehensweise, - das Einsetzen von "Statthaltern" in Bayern, die nach Festnahme aktionen sofort nachersetzt werden, - die Anwendung von Gewalt zur Tatausführung auch gegenüber Mit tätern, - die Steuerung durch in Russland und Tschechien ansässige Rädels führer und - die Schaffung von kriminellen Kassen zur Unterstützung von Grup penmitgliedern in Haft. Folgende Erkenntnisse konnten aus der Vorfeldbeobachtung gewonnen werden: Geographische Im Jahr 2008 konnten neben den bekannten geographischen Schwer Schwerpunkte punkten Regensburg, Augsburg und Nürnberg weitere Regionen erkannt werden, in denen russische OK-Gruppierungen Aktivitäten ent falteten. Diese befinden sich in kleineren Städten Frankens und Nieder bayerns. Der deliktische Schwerpunkt liegt hier eindeutig beim Betäu bungsmittelhandel. Im Mittelpunkt steht dabei der Handel mit Kokain, Haschisch und der Kunstdroge Crystal. In Unterfranken konnte eine Bande festgestellt werden, die unter ihren Landsleuten den Heroinhandel organisierte. Deren Vorgehen ist symptoVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Organisierte Kriminalität 239 matisch für den Tathergang entsprechender Täter aus Russland: Die Gruppe wird von einer Führungsperson geleitet; die weiteren Banden mitglieder scharen sich als "Soldaten" um den Boss und führen dessen kriminelle Anweisungen aus. Das Rauschgift wird aus den Niederlanden beschafft und ist für den weiteren Vertrieb in Unterfranken vorgesehen. Die Bande beschränkt sich dabei nicht auf den Handel von Betäu bungsmitteln, sondern wird auch im Zusammenhang mit Kreditbetrü gereien und Zigarettenschmuggel tätig. Gerade auch jüngste Erfolge bei der Verfolgung der russischen OK ver deutlichen das erfolgreiche Zusammenwirken von Verfassungsschutz und Polizei sowie der Strafverfolgungsbehörden. Exemplarisch werden in diesem Zusammenhang zwei Ermittlungsverfahren dargestellt, die Ermittlungs durch den Verfassungsschutz initiiert oder verdichtet und durch Fach verfahren dienststellen des Polizeipräsidiums Schwaben und des Bayerischen Lan deskriminalamts geführt wurden. Bandenmitglieder einer entsprechenden Gruppierung standen im Ver dacht, im gesamten bayerischen Raum Drogenhändler und Diskothe kenbetreiber zu erpressen. Von den Rauschgiftdealern wurde gefordert, Schutzgeld die Einnahmen aus ihren kriminell erzielten Gewinnen entweder abzu erpressung geben oder nur noch Rauschgift im Auftrag der Gruppierung zu verkau fen. Die Diskothekenbetreiber wurden zur Zahlung von Schutzgeldern für eine kriminelle Kasse aufgefordert. Durch den "Abschtschjak", die "Sozialkasse" der Kriminellen, werden in Not geratene Bandenmitglieder finanziell unterstützt, um die strafbaren Aktivitäten der Gruppe aufrecht erhalten zu können. Als sich Hinweise auf eine unmittelbar bevorste hende Tat mit erheblicher Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ord nung abzeichneten, wurden die zuständigen Polizeidienststellen in Kennt nis gesetzt, so dass weitergehende Ermittlungen anlaufen konnten. Im Rahmen der eingeleiteten Strafverfahren kam es in mehreren baye rischen Städten zu Festnahmen, die teilweise bereits zu Verurteilungen führten. Beispielsweise wurde einer der Täter wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung im Juli 2008 zu einer mehrjährigen Haft strafe verurteilt. Weitere Strafverfahren gegen Mittäter sind noch nicht abgeschlossen. Im zweiten Verfahren fielen Erkenntnisse zu Personen im Raum Nieder Rauschgifthandel bayern/Oberpfalz an. Durch fortgesetzte Strukturermittlungen konnte eine Rauschgiftgruppierung lokalisiert werden, welche hierarchisch strukturiert war und im mehrstelligen Kilogrammbereich Handel mit Haschisch betrieb. Sie wurde von zwei Bandenchefs geleitet. Die Mit glieder standen aufgrund ihres Rauschgiftkonsums in einem AbhängigVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 240 Organisierte Kriminalität keitsverhältnis zu diesen und wurden für die Verteilung von Betäu bungsmitteln bzw. zur Geschäftsanbahnung genutzt. Es ist es gelungen, die hierüber anfallenden Informationen zu verdich ten und an eine Polizeidienststelle abzugeben. In enger Zusammen arbeit mit der Staatsanwaltschaft führte die Polizei nach langwierigen Ermittlungen einen beachtlichen Schlag gegen die im großen Stil agie rende Rauschgiftbande. Im Ergebnis wurden mehrere Personen fest genommen und eine bedeutende Menge Haschisch sichergestellt. Unter den Festgenommenen befanden sich zwei Gewaltverbrecher, die noch mehrjährige Haftstrafen wegen eines zurückliegenden, versuchten Tötungsdelikts zu verbüßen haben. Trotz der Erfolge bei der Beobachtung der russischen OK lässt sich fest stellen, dass sich die einzelnen Gruppierungen durch polizeiliche Maß nahmen nicht von weiteren kriminellen Taten abhalten lassen, sondern Rekrutierung vielmehr sogleich Nachersatz im Heimatland oder in Deutschland von Nachersatz rekrutieren. Ziel des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz ist es, in den Strukturen derart verankert zu sein, dass die durch polizei liche und Strafverfolgungsmaßnahmen ausgelösten organisatorischen und personellen Änderungen frühzeitig erkannt und damit der Verfol gungsdruck auf entsprechende Organisationen aufrecht erhalten wer den kann. 4.3 OK-Gruppierungen aus den Balkanstaaten und der Türkei In Bayern sind mehrere kriminelle Netzwerke von Personen aus Serbien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Mazedonien, Albanien sowie aus der Türkei präsent. Die kriminellen Gruppierungen aus Süd osteuropa sind in ihren Strukturen oftmals in sich geschlossen; Personen anderer Nationalitäten werden in der Regel nicht akzeptiert. Die Grup pierungen haben meist neben der homogenen Ethnie noch eine weitere Gemeinsamkeit, wie z.B. Religion, Geburtsort oder eine gemeinsame militärische Ausbildung. Gruppenmerkmale Weitere Merkmale der Gruppierungen aus dem Balkan und der Türkei sind: - Nutzung modernster Technik zur Kommunikation und bei Begehung der Straftaten, beispielsweise bei der Manipulation von Geldspiel automaten, - Weitergabe von "Insiderwissen" zur Begehung von Straftaten, - keine über Jahre festgefügten organisatorischen Strukturen, Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Organisierte Kriminalität 241 - Steuerung der Gruppierungen durch deren Hintermänner aus den jeweiligen Heimatländern. In folgenden Straftatenbereichen war die OK aus Südosteuropa be Straftatenbereiche sonders aktiv: - Drogenhandel, vor allem mit Heroin, - Eigentumsund Betrugsdelikte, - Fälschungsdelikte im Zusammenhang mit Ausweispapieren, - Produktpiraterie, - Illegale Beschäftigung und Sozialbetrug, - Geldwäsche sowie - Glücksspiel und illegale Wetten. Durch die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel konnten Informa tionen über mehrere Heroinlieferungen im hohen zweistelligen Kilo grammbereich aus dem Balkan nach Bayern gewonnen werden. In Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden kam es zu mehreren Festnahmen und langjährigen Verurteilungen. Einige kriminelle Gruppierungen haben sich auf Betrugsdelikte, ins Betrugsdelikte besondere zum Nachteil von Banken, Warenhäusern und Telekom munikationsanbietern, spezialisiert. Diese Straftaten ermöglichen bei geringem Risiko ansehnliche Gewinne. Dabei passen die Straftäter ihre Vorgehensweise ständig den aktuellen Möglichkeiten des Wirtschafts lebens an und tauschen erfolgversprechende Tipps mit anderen Grup pierungen aus. So werden Personen aus Rumänien angeworben und nach Deutschland verbracht, wo sie ausschließlich, unter dirigistischer Anleitung der Drahtzieher, Bankkonten eröffnen und Kaufverträge abschließen müssen. Dazu gebrauchen sie gefälschte Lohnbescheini gungen und Kontoauszüge. Sobald die Gruppierungen im Besitz von EC-/Kreditkarten und Bankkrediten sind, werden im großen Stil Folge straftaten wie EC-/Kreditkartenbetrug, Warenkreditbetrug, betrügerische Erlangung von Handyverträgen und Anmietung von hochwertigen Pkws, die anschließend in das Ausland verschoben werden, begangen. Danach werden die geworbenen Personen zurück in ihr Heimatland verbracht und durch neu angeworbene Landsleute ausgetauscht. Da das Entdeckungsrisiko für die Hintermänner relativ gering ist, die Beteiligten aber einen großen finanziellen Gewinn erzielen können, wird dieses Phänomen in Zukunft nach Einschätzungen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz weiterhin an Bedeutung gewinnen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 242 Organisierte Kriminalität Türkische OK Als typische Erscheinungsform der OK türkischer Gruppierungen waren 2008 vor allem Kreditbetrügereien im Zusammenhang mit Immobilien handel feststellbar. Bei dieser Betrugsart, bezeichnet als "Kick-Back-Im mobilienbetrug" oder "Überfinanzierungsbetrug", werden völlig über teuerte und überfinanzierte Objekte verkauft. Käufer sind meist Perso nen, denen "das Wasser bis zum Hals steht" und die schlicht die Mög lichkeit sehen, schnell "Cash" zu machen. Insoweit wird ein Teil der Kreditsumme dem Käufer in bar ausgezahlt. Kreditbetrug Zur Krediterlangung werden den türkischen Kunden, die bei Banken unter normalen Umständen keinen Kredit mehr bekommen, falsche Lohnbescheinigungen erstellt oder auf das Konto des Kunden wird aus Bonitätsgründen vom Vermittler kurzfristig ein hoher Betrag in bar ein bezahlt, der nach positivem Kreditbescheid wieder zurückgezahlt wird. Als Sicherheit für die jeweilige Bank dient die erworbene Immobilie. Da bei handelt es sich um minderwertige Objekte, die durch falsche Gut achten überbewertet sind, um bei der Bank einen höheren Kredit zu erzielen. Die Krediterlangung wird durch Kontakte zu teilweise tat beteiligten Bankangestellten abgesichert. Gewinner sind die als Vermitt ler und Immobilienverkäufer auftretenden Personen, die völlig über höhte Provisionen vom realisierten Kredit einziehen. Oftmals werden Strohmänner vorgeschoben, um selbst im Hintergrund zu bleiben und strafrechtlichen Folgen aus dem Weg zu gehen. Geschädigte sind so wohl die Banken, die für die Kreditvergabe keine hinreichende Sicher heit erhalten und der Käufer der "Schrottimmobilien", der zudem durch die überhöhte Provision nur ein Teil der Kreditsumme erhält. Obwohl die Banken angehalten sind, die Beleihungswerte für die zu finanzierenden Objekte selbst zu ermitteln und bei eigener markt gerechter Einschätzung des jeweiligen Objekts Täuschungen vorgebeugt werden soll, stellt diese Form des Kreditbetrugs ein ständig wiederkeh rendes Phänomen dar. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz stellte in diesem Delikts bereich verschiedene türkische Tätergruppierungen im süddeutschen Raum fest, die zueinander geschäftliche Kontakte unterhalten und regelmäßig im Zuge ihrer kriminellen Machenschaften zusammenwirken. 4.4 OK-Gruppierungen aus Asien OK-Gruppierungen aus dem asiatischen Raum sind in Bayern vorrangig in den Ballungsräumen München und Nürnberg tätig. Sie sind grund sätzlich gegenüber Personen aus anderen Kulturkreisen extrem abgeVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 Organisierte Kriminalität 243 schottet. Die Tätigkeiten der Gruppierungen beschränken sich nicht nur Abschottung auf das Gebiet Bayerns. Gerade die Nähe zur Republik Tschechien, in der eine große Anzahl Vietnamesen lebt, wird durch in Bayern woh nende Vietnamesen für kriminelle Zwecke genutzt. Der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem tschechischen Nachrich tendienst kommt insoweit maßgebliche Bedeutung zu. Asiatische Täter gruppierungen nutzen vor allem ihre gewerblichen Möglichkeiten, wie die Gastronomie und den Dienstleistungssektor, um illegale Aktivitäten besser verschleiern zu können. Bei den Straftaten handelt es sich haupt sächlich um den Anbau von und den Handel mit Betäubungsmitteln, insbesondere Cannabis-Produkte, Heroin und Kokain. Hinzu kommen Steuerhinterziehungen, Geldwäsche, Zigarettenschmuggel sowie Schleu sungen und damit in Zusammenhang stehende Delikte wie die profes sionelle Vermittlung von "Scheinehen" zur Beschaffung von legalen Aufenthaltstiteln. Der Handel mit harten Drogen, insbesondere mit Heroin und Kokain, Drogenhandel wird in Bayern innerhalb vorhandener vietnamesischer Strukturen be trieben. Wie in den vergangenen Jahren beobachtet werden konnte, werden die Betäubungsmittel in der Regel durch Landsleute in den neuen Bundesländern beschafft und auf unterschiedlichen Wegen nach Bay ern transportiert. Die Verteilung an die Konsumenten erfolgt in Süd bayern meist über verschiedene, durch Vietnamesen betriebene Speise lokale. Des Weiteren werden zwischen den hier beobachteten etablier ten vietnamesischen Geschäftsleuten junge vietnamesische Frauen zum Zweck der Prostitution weitergegeben. Der Transport von illegal produzierten und unversteuert eingeführten Zigaretten aus dem Grenzgebiet zwischen dem Freistaat Bayern und der Tschechischen Republik ist nicht zuletzt auf Grund verschiedener Fahn dungserfolge deutlich zurückgegangen. Bei den vietnamesischen Tätern konnte die Tendenz beobachtet werden, den Handel von Zigaretten durch den Anbau und Vertrieb von Cannabis-Produkten zu ersetzen. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes haben"Indoor-Plantagen" auf dem Gebiet der tschechischen Republik einen hohen Marktanteil am Cannabisanbau innerhalb der Europäischen Union. Die Anlagen werden innerhalb kürzester Zeit in Betrieb genommen und bei drohen der Gefahr einer Entdeckung auch sehr rasch wieder abgebaut. Da für die Abnahme des Rauschgifts ein großer Markt vorhanden ist, nutzen immer mehr vietnamesische Gruppierungen diesen Trend, um Geld zu verdienen. Zu den organisierten Tätergruppen kommt noch eine unbe kannte Anzahl von Personen hinzu, die kleinere Anlagen in WohnunVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 244 Organisierte Kriminalität gen unterhalten. Dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz liegen Erkenntnisse vor, dass innerhalb Bayerns mehrere Vietnamesen planen, den Cannabisanbau über angemietete Wohnungen zu betrei ben. Diese werden zentral von einer Organisation außerhalb Bayerns gesteuert. Die Ermittlungen werden durch die Tatsache erschwert, dass viele Wohnungen vor allem durch die professionell agierenden Banden oft nur für die Zeit einer Ernte angemietet werden. Im gesamten bayerischen Raum ist zudem als neues Phänomen die Eröffnung von Nagelstudios unter vietnamesischer Leitung feststellbar. Die Studios werden in Großstädten vor allem in Einkaufzentren einge richtet. Innerhalb der Szene wird die Verschleierung der Herkunft von Geldern des Öfteren als eigentlicher Zweck dieser neu eröffneten Nagelstudios genannt. Vernetzung Die grenzüberschreitende Vernetzung zwischen vietnamesischen und chinesischen Organisationen hat sich insbesondere bei Schleusungs aktivitäten "bewährt". Die tschechische Republik nimmt dabei eine Schlüsselposition ein. Sie ist für Personen aus dem asiatischen Raum nach wie vor erste Anlaufadresse innerhalb Europas. Über die vorhandene Infrastruktur der ansässigen Gruppierungen gelangen die Geschleusten so am sichersten in die westlichen EU-Staaten, ohne im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels zu sein. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz war bei einem Groß verfahren mehrerer Bundesund Landespolizeibehörden beteiligt. Durch seine Erkenntnisse gelang es, mehrere Straftäter bei einer Schleusung festzunehmen. Da die Straftaten meist innerhalb der Ethnien begangen und wegen der internen Abschottung nicht an die Strafverfolgungsbehörden gemeldet Hohes "Dunkelfeld" werden, herrscht hier ein überproportional hohes "Dunkelfeld". Auf grund der wenigen bekannten Straftaten erschließen sich diese Ethnien nicht in so großem Maße dem Verfolgungsdruck anderer staatlicher Stellen. Das Landesamt versucht daher, in die Strukturen der Ethnien langfristig einzudringen. Wegen der erwähnt hohen Abschottung asia tischer Täterkreise, die zudem ethnisch geschlossen bleiben, kommt dabei der Quellenführung besondere Bedeutung zu. Zu deren Gewin nung bedarf es langjährig angelegter Werbemaßnahmen und großer Erfahrung im Umgang mit diesen Ethnien. Die Erfolge des Verfassungs schutzes bei der Aufklärung der Strukturen asiatischer OK-Tätergrup pen beruhen gerade auf den beschriebenen Möglichkeiten nachrichten dienstlichen Vorgehens. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Organisierte Kriminalität 245 4.5 Rockerkriminalität in Bayern Das Phänomen der Rockerkriminalität war lange Zeit nur aus den USA bekannt, wo einzelne Rockerclubs und -gruppierungen bereits seit 50 Jahren bestehen. Vor 35 Jahren kam es dann in Deutschland zur Gründung der ersten Clubs. Beispielsweise etablierte sich zu dieser Zeit die wohl bekannteste Rockergruppierung, der Hells Angels MC (Motor cycle Club), von Hamburg aus mit mittlerweile über 30 Chartern ("Orts gruppen") in ganz Deutschland. Die Hamburger Gruppierung selbst wurde 1983 als kriminelle Vereinigung verboten. Inzwischen beobachtet das Bayerische Landesamt für Verfassungs schutz seit mehreren Jahren die kriminellen und gewaltbereiten Rocker. Im Fokus stehen vor allem die so genannten "1-Prozenter"-Gruppie "One-Percenters" rungen, die sich selbst als Gesetzlose sehen und das bestehende Rechtssystem ablehnen. Zu diesen gehören bundesweit der Hells An gels MC, der Bandidos MC, der Gremium MC, der Outlaws MC und - fast ausschließlich regional auf Bayern beschränkt - der Trust MC. In Bayern sind auch alle übrigen genannten Gruppierungen mit Chartern vertreten. Aufgrund der Abschottung nach außen, der absoluten Verschwiegenheit nach dem geltenden Ehrenkodex gegenüber Dritten, insbesondere auch gegenüber den Sicherheitsbehörden, gestaltet sich die Beobachtung die ser Gruppierungen als sehr komplex und schwierig. Trotzdem ist es dem Verfassungsschutz mit seiner langen Erfahrung beim Einsatz nachrich tendienstlicher Mittel gelungen, auch in diesem speziellen OK-Phäno men Zugänge zu schaffen, die eine aktuelle Beobachtung zulassen. So konnten umfangreiche Strukturerkenntnisse und "Insiderinformationen" aus dem inneren Zirkel der Rockergruppen gewonnen werden. Typische Merkmale dieser kriminellen Rocker sind: Gruppenmerkmale - absolute Abschottung nach außen, - interner Ehrenkodex, - Machtund Gewinnstreben, - streng hierarchischer innerer Aufbau sowie - mit massivem Druck und Gewalt durchgesetzte Gebietsansprüche. Unter den Delikten bilden Drogenhandel mit allen Stoffen, Waffen delikte und Rotlichtkriminalität die Schwerpunkte. Bundesweit begann das Jahr 2008 für die Rocker-Szene äußerst spekta kulär. Mitglieder des größten deutschen Motorradclubs, dem Gremium Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 246 Organisierte Kriminalität MC Germany, traten dem Hells Angels MC bei. Es gab zwar im Vorfeld des Übertritts mehrfach Hinweise aus der Rocker-Szene auf eine solche Aktion, diese konnten aber im Detail nie bestätigt werden. Mitte Januar Veränderung der wurden die Wechsel ganzer Clubs als auch einzelner Mitglieder von Kräfteverhältnisse polizeilicher Seite bestätigt. Bis Ende 2008 traten etwa 80 Personen des Gremium MC zum Hells Angels MC über. Auch Bayern war von diesen Entwicklungen betroffen. Das bisherige Chapter des Gremium MC München-Westside schloss sich dem Hells Angels MC an. Somit gibt es erstmalig zwei Charter, so genannte Orts gruppen, des Hells Angels MC in Bayern. Wie alle Neumitglieder mussten die Angehörigen des Gremium MC eine "Probezeit" bei dem orts ansässigen Hells Angels MC München in Allershausen, Landkreis Freising, ablegen. Im Oktober wurden die neuen Mitglieder als Vollmitglieder beim Hells Angels MC übernommen und bestätigt. Dass die neue Konstellation sowie die Veränderung der Kräfteverhält nisse auch zukünftig Reibungspunkte und Anlass für Auseinander setzungen sind, ist nicht auszuschließen, obwohl Spontanaktionen zwischen den Gruppierungen bislang ausblieben. Konfrontationen riva lisierender Rockergruppen finden bundesweit jedoch schon seit langem statt. Den Konflikten liegen meist massive Expansionsbestrebungen der verschiedenen Motorradgruppen zugrunde. Die Feindschaft unter den Gruppierungen ist zum Teil historisch gewachsen. Dies gilt in besonde rem Maße für die rivalisierenden MCs der Hells Angels und der Bandidos bzw. ihrer "Supporterclubs". Gewalttätige Die folgenden Beispielsfälle aus Bayern oder mit Beteiligung bayerischer Übergriffe Charter verdeutlichen, dass nicht nur an den momentanen Brennpunk ten, wie Berlin und den neuen Bundesländern, Rivalität und gewalt tätige Übergriffe zwischen den Gruppierungen immer häufiger werden, sondern diese mittlerweile auch in Bayern angekommen sind. Einem im Jahr 2008 begonnenen und noch nicht abgeschlossenen Pro zess beim Landgericht Erfurt liegt ein Überfall im Juni 2006 durch Angehörige der Rockergruppierung Gremium MC aus Hof und aus Sachsen auf ein Clubhaus eines anderen Motorradclubs zugrunde. Die Angreifer sollen dabei mit Schlagstöcken, Baseballschlägern und Mes sern auf andere Motorradfahrer losgegangen sein. Bei dem Überfall wurden mehrere Personen verletzt. Ein zwischenzeitlich abgeschlossener Prozess beim Landgericht Mün chen richtete sich gegen Angehörige des Trust MC. Bei einem Biker treffen in Anzing, Landkreis Ebersberg, im Jahr 2005 wurde eine Person Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Organisierte Kriminalität 247 durch Fußtritte und Schläge ins Gesicht erheblich verletzt. Trotz zahlrei cher Zeugen konnte die Anklage erst 2008 erhoben werden, da die Zeugen sich an den Vorfall nicht mehr erinnern wollten bzw. konnten. Auch die Aussagebereitschaft des Opfers war gering. Dennoch wurden beide Angeklagten zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Beide Prozesse haben verdeutlicht, dass auf grund des "Ehrenkodex" innerhalb der Bikerclubs mit Zeugenaussagen aus den Reihen der Mitglieder nicht zu rechnen ist. Bei einer Motorradmesse in München waren im Frühjahr Mitglieder der beiden verfeindeten Motorradclubs Hells Angels und Bandidos aufein ander getroffen. Eine größere Auseinandersetzung konnte nur durch das rasche Eingreifen der Polizei verhindert werden. Die Auseinandersetzungen der beiden MCs führten vermutlich auch zu einem Brandanschlag auf das neue Clubhaus des Hells Angels MC Brandanschlag München in Allershausen, Landkreis Freising, im Februar. Bislang unbe kannte Täter versuchten, mit Hilfe von Molotowcocktails das Gebäude in Brand zu setzen; es entstand jedoch nur ein leichter Brandschaden an der Außenwand. Ob die Täter tatsächlich aus dem Bereich einer rivali sierenden Rockergruppierung kommen, ist noch ungeklärt. Weiterhin konnten auch 2008 keine konkreten und verfestigten Ver bindungen aus dem Rockerbereich zur rechtsextremistischen Szene festgestellt werden. Allerdings bestehen nach wie vor lose Kontakte einzelner Personen untereinander. 5. Ausblick Der Wegfall der Grenzkontrollen zum 21. Dezember 2007 - an den Flug häfen ab März 2008 - aufgrund des Schengener Abkommens zu den Ländern Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn hat bereits heute neue Möglichkeiten für die OK ergeben. Die europaweit agierenden kriminellen Strukturen nutzen die neuen Marktund Machtchancen sowie die neuerworbene Reise Nutzung der freiheit, um ihre bereits bestehenden Netzwerke weiter auszubauen. Reisefreiheit Zur Bewältigung dieses Problems bedarf es einer weiteren, engen Zu sammenarbeit der europäischen Sicherheitsbehörden. Ein neuer Schwerpunkt der OK zeichnet sich im Bereich der Fälschung von Führerscheinen ab. In Deutschland benutzen beispielsweise ver mehrt Kraftfahrzeugführer gefälschte oder verfälschte bulgarische Füh rerscheine. Die Papiere werden hier durch eine Vielzahl von Personen aller Nationalitäten auf Bestellung angeboten. Der Auftraggeber kann Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 248 Organisierte Kriminalität wahlweise eigene oder falsche Personalien angeben und erhält darauf hin zumeist echte Dokumente. Es ist davon auszugehen, dass diese in Bulgarien von korruptionsbereiten Beamten beschafft werden. Ab 2009 Fälschung von ist mit einer weiteren Zunahme von gefälschten Führerscheinen zu Führerscheinen rechnen, da der Gesetzgeber den Führerscheintourismus nach entzoge ner Fahrerlaubnis weiter einschränken wird. Hier arbeitet das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz bereits im Vorfeld konkreter Straf taten, um Strukturen und Vertriebswege bis hin zu den Hintermännern und Fälscherwerkstätten aufzudecken. Schleusungen Im Bereich der Schleusungen ist weiter mit einer hohen Zahl von illegal eingereisten Irakern zu rechnen. Neben der Nutzung Deutschlands als Transitland auf dem Weg nach Skandinavien dient die Bundesrepublik immer mehr auch als Zielland für irakische Flüchtlinge. Als Schleuser fungieren hauptsächlich irakische Tätergruppen, deren Zahl sich in den letzten Jahren fast verdoppelt hat. Hier versucht das Landesamt gezielt, weitere V-Leute zu gewinnen, um rechtzeitig und effektiv gegen die Schleuserorganisationen vorgehen zu können Aufgrund der beschriebenen Strukturen und Arbeitsweisen der OK sind Forderungen nach einer Wiedereinführung der "Kronzeugenregelung" - ergänzend zur Arbeit der Polizei und des Verfassungsschutzes - ein wichtiges Instrument bei der Bekämpfung dieses Phänomens. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 249 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 1997 (GVBl S. 70, BayRS 12-1-I) Geändert durch SS 2 des Gesetzes zur Anpassung des Bayerischen Landesrechts an Art. 13 des Grundgesetzes vom 10. Juli 1998 (GVBl S. 383), Art. 4 Abs. 1 des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 10. Februar 2000 (GVBl S. 40), SS 1 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz, des Bayerischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes und des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 24. Dezember 2002 (GVBl S. 969) sowie SS 1 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, des Ausführungsgesetzes Art. 10-Gesetz und des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 8. Juli 2008 (GVBl S. 357) I. Abschnitt erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, Organisation und Aufgaben durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder des Verfassungsschutzes unbestimmte Dauer arbeitsteilig tätig werden - unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähn Art. 1 licher Strukturen oder Organisation des Verfassungsschutzes, Verhältnis zur Polizei - unter Anwendung von Gewalt oder durch entspre chende Drohung oder (1) 1 Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des - unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Bundes und der Länder besteht in Bayern ein Landes Medien oder Wirtschaft. amt für Verfassungsschutz. 2 Es dient auch dem Schutz vor Organisierter Kriminalität. (4) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz ist eine dem Staatsministerium des Innern unmittelbar (2) 1 Freiheitliche demokratische Grundordnung nachgeordnete Behörde. 2 Das Landesamt und Dienst nach Absatz 1 ist eine Ordnung, die unter Ausschluss stellen der Polizei dürfen einander nicht angegliedert jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft eine rechts werden. 3 Dem Landesamt für Verfassungsschutz staatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der steht ein Weisungsrecht gegenüber Dienststellen der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der Polizei oder die Befugnis zu polizeilichen Maßnahmen jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit nicht zu. darstellt. 2 Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung gehören mindestens: Die Achtung vor den im Art. 2 Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem Zuständigkeit vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßig gesetzlich festgelegten Aufgaben zu erfüllen. 2 Dazu ge keit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, hört auch die Zusammenarbeit Bayerns mit dem Bund das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für und den anderen Ländern in Angelegenheiten des Ver alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungs fassungsschutzes. mäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. (2) Verfassungsschutzbehörden der anderen Länder (3) Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn dürfen in Bayern nur im Einvernehmen mit dem Lan oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung desamt für Verfassungsschutz nach Maßgabe dieses von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von Gesetzes tätig werden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 250 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) Art. 3 haltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Aufgaben Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Aufgabe, 2. an der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder 1. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgeset verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt zes, die gegen die freiheitliche demokratische sind oder beschäftigt werden sollen, Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine 3. an technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen, ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung die im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürf verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines tig sind, gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, mitzuwirken. 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die für eine fremde Macht, Aufgabe, amtliche Auskünfte zu erteilen 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgeset 1. im Rahmen der Überprüfung der Verfassungstreue zes, die durch Anwendung von Gewalt oder von Personen, die sich um Einstellung in den öffent darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswär lichen Dienst bewerben, tige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 2. nach Maßgabe des Art. 14, insbesondere in Einbür gerungsund Ordensverfahren zur Verleihung des 4. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgeset Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zes, die gegen den Gedanken der Völkerverständi - mit Ausnahme der Verdienstmedaille - und des gung (Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz), insbesondere Bayerischen Verdienstordens, sowie nach Art. 15. gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 Grundgesetz), gerichtet sind, II. Abschnitt 5. Bestrebungenund Tätigkeiten der Organisierten Allgemeine Befugnisse und Datenverarbeitung Kriminalität im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu beobachten; solche Bestrebungen und Tätigkeiten Art. 4 können von Gruppierungen oder Einzelpersonen aus Allgemeine Befugnisse gehen. 2 Das Landesamt hat in Erfüllung dieser Aufgabe Informationen, insbesondere sachund personenbezo (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur gene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über sol Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz die dazu che Bestrebungen oder Tätigkeiten zu sammeln und erforderlichen Informationen einschließlich personen auszuwerten. 3 Die notwendige Koordinierung mit den bezogener Daten auch ohne Kenntnis der betroffenen anderen Sicherheitsbehörden und den Strafverfolgungs Gruppierung oder Person erheben und in Akten und behörden wird in Richtlinien des Staatsministeriums Dateien verarbeiten, diese Informationen nutzen sowie des Innern im Einvernehmen mit dem Staatsministerium aus Akten und Dateien übermitteln, soweit nicht nach der Justiz geregelt. 4 Über diese Richtlinien wird das folgend besondere Bestimmungen gelten. 2 Das Landes Parlamentarische Kontrollgremium gemäß Art. 3 Abs. 3 amt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Satz 1 des Gesetzes zur parlamentarischen Kontrolle Daten auch für die Vorgangsverwaltung nutzen und ver der Staatsregierung hinsichtlich der Maßnahmen nach arbeiten. 3 Ist zum Zweck der Datenerhebung die Über Art. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes sowie der Tätig mittlung personenbezogener Daten erforderlich, so darf keit des Landesamts für Verfassungsschutz (Parla ein entsprechendes Ersuchen des Landesamts für Ver mentarisches Kontrollgremium-Gesetz - PKGG) vom fassungsschutz nur diejenigen personenbezogenen Da 10. Februar 2000 (GVBl S. 40) unterrichtet. ten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft uner lässlich sind. 4 Schutzwürdige Interessen des Betroffe (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die nen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträch Aufgabe, tigt werden. 1. nach Maßgabe des Bayerischen Sicherheitsüberprü (2) 1 Die Befugnisse des Landesamts für Verfas fungsgesetzes an der Sicherheitsüberprüfung von sungsschutz bei der Mitwirkung nach Art. 3 Abs. 2 Personen, denen im öffentlichen Interesse geheim Nrn. 1 und 2 sind im Bayerischen Sicherheitsüberprü Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 251 fungsgesetz vom 27. Dezember 1996 (GVBl S. 509, des Staatsministeriums des Innern, das das Parlamen BayRS 12-3-I)), zuletzt geändert durch SS 6 des Gesetzes tarische Kontrollgremium unterrichtet. 6 Bei Sicher vom 24. April 2001 (GVBl S. 140), in der jeweils gel heitsüberprüfungen (Art. 3 Abs. 2 Nrn. 1 und 2) darf tenden Fassung geregelt, soweit sie nicht in besonderen das Landesamt für Verfassungsschutz nur das nachrich Gesetzen geregelt sind; Art. 6 Abs. 1 Satz 4 bleibt un tendienstliche Mittel der Tarnung von Mitarbeitern berührt. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf, anwenden. soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, an einer Überprüfung nach Art. 3 Abs. 2 Nr. 2 nur mitwirken (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf per und nach Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 nur Auskunft erteilen, sonenbezogene Daten nach Art. 5 durch Anwendung wenn die betroffene Person der Durchführung der nachrichtendienstlicher Mittel erheben, wenn Überprüfung zugestimmt hat; werden der Ehegatte oder 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder die Person, mit der die betroffene Person in eheähnlicher Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 vorliegen oder auf oder gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft lebt, in die diese Weise Erkenntnisse über Nachrichtenzugänge Überprüfung mit einbezogen, so ist auch deren Zustim gewonnen werden können oder mung erforderlich. 2. das zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, (3) Sind für die Erfüllung einer Aufgabe verschie 1 Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamts dene Maßnahmen geeignet, so hat das Landesamt für für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende Verfassungsschutz diejenige zu wählen, die die betrof oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. fene Gruppierung oder Person voraussichtlich am (3) 1 Personenbezogene Daten dürfen durch Anwen wenigsten beeinträchtigt. 2 Eine Maßnahme unterbleibt, dung nachrichtendienstlicher Mittel nur erhoben wer wenn sie einen Nachteil herbeiführt, der erkennbar den, wenn die Daten nicht auf eine andere geeignete außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Weise gewonnen werden können, die die betroffene Person weniger beeinträchtigt. 2 Die Anwendung nach Art. 5 richtendienstlicher Mittel darf nicht erkennbar außer Erhebung personenbezogener Daten Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachver 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf perso halts stehen. 3 Sie ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr nenbezogene Daten erheben, soweit das zur Erfüllung Zweck erreicht ist oder sich ergibt, dass er nicht oder seiner Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich ist. nicht auf diese Weise erreicht werden kann. 2 Zur Erfüllung seiner Aufgaben nach Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 darf das Landesamt für Verfassungsschutz perso Art. 6 a nenbezogene Daten jedoch nur im Rahmen von Nach Einsatz technischer Mittel im Schutzbereich ermittlungen erheben, soweit das zur Überprüfung von des Art. 13 Grundgesetz Informationen erforderlich ist, die bei den Verfassungs (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf tech schutzbehörden bereits vorliegen. nische Mittel im Schutzbereich des Art. 13 des Grund gesetzes als nachrichtendienstliche Mittel im Sinn des Art. 6 Art. 6 Abs. 1 unter besonderer Berücksichtigung des Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach Art. 6 Abs. 3 (1) 1 Zur Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem nur unter den nachfolgenden Voraussetzungen einsetzen. Gesetz darf das Landesamt für Verfassungsschutz auch (2) 1 Maßnahmen nach Abs. 1 sind nur zulässig, sofern nachrichtendienstliche Mittel anwenden; besondere tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht vorliegen, gesetzliche Regelungen bleiben unberührt. 2 Sie dienen dass jemand Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Art. 3 der verdeckten Informationsgewinnung und der Sicher Abs. 1 Satz 1 durch die Planung oder Begehung von heit des Landesamts für Verfassungsschutz und seiner Straftaten verfolgt, die im Einzelfall geeignet sind, den Mitarbeiter. 3 Nachrichtendienstliche Mittel sind Maß Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines nahmen zur Tarnung, der Einsatz geheimer Mitarbeiter Landes oder in erheblichem Maße Leib, Leben oder und andere Maßnahmen, die verbergen sollen, dass das Freiheit von Personen zu gefährden. 2 Solche Straftaten Landesamt für Verfassungsschutz Informationen erhebt. sind: 4 Die nachrichtendienstlichen Mittel sind in einer Dienst vorschrift zu benennen, in der auch die Zuständigkeit für 1. Straftaten des Friedensverrats, Hochverrats und die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen zu Landesverrats (SSSS 80, 81, 82, 94 Strafgesetzbuch regeln ist. 5 Die Dienstvorschrift bedarf der Zustimmung StGB), Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 252 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 2. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung (SSSS 129a, richtet und die zu seiner Berufsausübung bestimm 129b StGB), ten Räumlichkeiten betroffen sind, die Vorausset zungen der Nr. 2 Buchst. a vorliegen. 3. Straftaten gegen das Leben (SSSS 211, 212 StGB, SS 6 Völkerstrafgesetzbuch), 2 In den Fällen des Satzes 1 Nrn. 2 und 3 ist eine nur automatische Aufzeichnung zulässig, wenn bei Anord 4. Straftaten gegen die persönliche Freiheit (SSSS 232, nung der Maßnahme abzusehen ist, dass keine Gesprä 233, 233a Abs. 2, SSSS 234, 234a Abs. 1, SSSS 239a, che geführt werden, die dem Kernbereich der privaten 239b StGB), Lebensgestaltung zuzurechnen sind; wird bei einer 5. Gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der Maßnahme nach Abs. 1 erkennbar, dass solche Gesprä SSSS 306a, 306b, 307 Abs. 1 und 2, SS 308 Abs. 1, SS 309 che geführt werden und bestehen keine Anhaltspunkte Abs. 1, SS 310 Abs. 1, SS 313 Abs. 1, SS 314 Abs. 1, dafür, dass sie dem Zweck der Herbeiführung eines SS 315 Abs. 3, SS 315b Abs. 3, SS 316c StGB und Erhebungsverbots dienen sollen, ist die Datenerhebung 6. Straftaten nach dem Waffengesetz (WaffG) und dem unverzüglich und so lange erforderlich zu unterbrechen. Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen (SS 51 (4) 1 Maßnahmen nach Abs. 1 dürfen im Fall des Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2, SS 52 Abs. 1 Nr. 1 in Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 nur in Wohnungen des in der An Verbindung mit Abs. 5 WaffG; SS 19 Abs. 2, SS 20 ordnung bezeichneten Adressaten durchgeführt werden. Abs. 1, jeweils auch in Verbindung mit SS 21 des Ge 2 In Wohnungen anderer Personen sind die Maßnahmen setzes über die Kontrolle von Kriegswaffen; SS 22a zulässig, wenn es nicht Wohnungen von Berufsgeheim Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 des Gesetzes über nisträgern nach SSSS 53, 53a StPO sind und auf Grund die Kontrolle von Kriegswaffen). bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass (3) 1 Maßnahmen nach Abs. 1 sind nur zulässig, wenn 1. der Adressat sich dort aufhält und und soweit 2. die Maßnahme in Wohnungen des Adressaten allein 1. die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise zur Erforschung des Sachverhalts nicht möglich aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und oder nicht ausreichend ist. 2. für den Fall, dass zu privaten Wohnzwecken genutzte 3 Die Erhebung personenbezogener Daten über andere Räumlichkeiten betroffen sind, in denen sich die als die in Satz 1 genannten Personen ist zulässig, soweit Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, allein sie unvermeidliche Folge einer Maßnahme nach Abs. 1 oder ausschließlich mit engsten Familienangehöri ist. gen, mit in gleicher Weise Vertrauten oder mit Berufsgeheimnisträgern nach SSSS 53, 53a der Straf prozessordnung (StPO) in der Fassung der Bekannt Art. 6 b machung vom 7. April 1987 (BGBl I S. 1074, 1319) Verfahrensregelungen für Maßnahmen nach Art. 6a in der jeweils geltenden Fassung aufhält, (1) 1 Der Einsatz technischer Mittel nach Art. 6a a) tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme recht bedarf einer richterlichen Anordnung auf Antrag des fertigen, dass Gespräche geführt werden, die einen Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz oder unmittelbaren Bezug zu den im Abs. 2 genannten dessen Stellvertreters. 2 Bei Gefahr im Verzug kann der Bestrebungen oder Tätigkeiten haben, ohne dass Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz oder ein Gesprächsteilnehmer über ihren Inhalt das dessen Vertreter die Anordnung treffen; eine richter Zeugnis als Geistlicher, Verteidiger, Rechtsan liche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. 3 In der walt, Arzt, Berater für Fragen der Betäubungs schriftlichen Anordnung sind Adressat, Art, Umfang mittelabhängigkeit, Psychologischer Psychothera und Dauer der Maßnahme zu bestimmen und die wesent peut oder Kinderund Jugendlichenpsychothera lichen Gründe zu benennen. 4 Die Anordnung ist auf peut nach SSSS 53, 53a StPO verweigern könnte, längstens einen Monat zu befristen; Verlängerungen um oder jeweils nicht mehr als einen Monat sind auf Antrag zu lässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fort b) die Maßnahme sich auch gegen die Familien bestehen. 5 Liegen die Voraussetzungen nicht mehr vor angehörigen, Vertrauten oder Berufsgeheimnis oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel nicht träger richtet, und mehr erforderlich, so ist die Maßnahme ungeachtet des 3. für den Fall, dass sich die Maßnahme gegen einen in der Anordnung genannten Zeitraums unverzüglich zu Berufsgeheimnisträger nach SSSS 53, 53a StPO selbst beenden. 6 Die Beendigung ist dem Richter mitzuteilen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 253 7 Ein Bediensteter des Landesamts für Verfassungs (3) 1 Daten, die dem Kernbereich privater Lebens schutz mit Befähigung zum Richteramt beaufsichtigt gestaltung zuzurechnen sind und nicht verwendet wer den Vollzug der Anordnung und eventuelle Daten den dürfen, sind unverzüglich zu löschen. 2 Die durch übermittlungen. eine Maßnahme nach Art. 6a Abs. 1 erlangten personen bezogenen Daten, deren Verwendung zu den in Abs. 2 (2) 1 Die durch Maßnahmen nach Art. 6a erhobenen Satz 3 genannten Zwecken nicht erforderlich ist oder Daten sind als solche zu kennzeichnen. 2 Nach einer für die ein Verwendungsverbot besteht, sind unverzüg Übermittlung hat der Empfänger die Kennzeichnung lich unter Aufsicht eines Bediensteten, der die Befähi aufrecht zu erhalten; darauf ist dieser hinzuweisen. gung zum Richteramt hat, zu löschen; soweit die Daten 3 Daten aus Maßnahmen nach Art. 6a dürfen nur ver für eine Mitteilung an den Betroffenen oder für eine ge wendet werden richtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Maß 1. zur Abwehr und Aufklärung der in Art. 6a Abs. 2 nahme von Bedeutung sein können, sind sie zu sperren. genannten Gefahren, 3 Die gesperrten Daten dürfen nur zu den in Satz 2 Halb satz 2 genannten Zwecken verwendet werden. 4 Im Fall 2. zurVerfolgung von Straftaten, wenn die Voraus der Mitteilung an den Betroffenen sind die Daten erst setzungen der Strafprozessordnung für die Daten zu löschen, wenn der Betroffene nach Ablauf eines erhebung bei der Erhebung vorgelegen haben und Monats nach seiner Benachrichtigung keine Klage er bei der Übermittlung noch vorliegen, hebt; auf diese Frist ist in der Mitteilung hinzuweisen. 3. zur Abwehr dringender Gefahren für Leib, Leben 5 Im Fall einer gerichtlichen Überprüfung sind die Daten oder Freiheit von Menschen. nach deren Abschluss zu löschen. 6Die Löschung von Daten ist zu protokollieren. 4 Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft unverzüg lich und dann in Abständen von sechs Monaten, ob die (4) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz teilt den in durch Maßnahmen nach Art. 6a erhobenen personen der Anordnung bezeichneten Personen sowie denjenigen, bezogenen Daten allein oder zusammen mit bereits deren personenbezogene Daten erhoben und zu den vorliegenden Daten für die Zwecke des Satzes 3 erfor Zwecken des Abs. 2 Satz 3 verwendet wurden, Maßnah derlich sind. 5 Daten, bei denen sich nach Auswertung men nach Art. 6a Abs. 1 nach ihrer Einstellung, frühes herausstellt, dass tens jedoch dann mit, wenn eine Gefährdung des Zwecks 1. die Voraussetzungen für ihre Erhebung nicht vorge der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. 2 Erfolgt legen haben oder die Mitteilung nicht binnen sechs Monaten nach Ein stellung der Maßnahmen, bedarf ihre weitere Zurück 2. sie Inhalte betreffen, über die das Zeugnis als Geist stellung der richterlichen Zustimmung. 3 Dem Gericht licher, Verteidiger, Rechtsanwalt, Arzt, Berater für sind die Gründe mitzuteilen, die einer Mitteilung an den Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit, Psycho Betroffenen entgegenstehen. 4 Die richterliche Entschei logischer Psychotherapeut oder Kinderund Jugend dung ist jeweils nach einem Jahr erneut einzuholen, lichenpsychotherapeut nach SSSS 53, 53a StPO ver wenn das Gericht keine andere Frist bestimmt. 5 Eine weigert werden könnte, oder Mitteilung kann mit richterlicher Zustimmung auf Dauer 3. sie dem Kernbereich privater Lebensgestaltung oder unterbleiben, wenn einem Vertrauensverhältnis mit anderen Berufs 1. überwiegende Interessen eines Betroffenen ent geheimnisträgern zuzuordnen sind und keinen un gegenstehen, mittelbaren Bezug zu den in Art. 6a Abs. 2 genann 2. die Identität oder der Aufenthaltsort eines Betroffe ten Bestrebungen oder Tätigkeiten haben, nen nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermittelt dürfen nicht verwendet werden, es sei denn, ihre Ver werden kann oder wendung ist zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr 3. die Voraussetzungen für eine Mitteilung auch nach für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich fünf Jahren nach Beendigung der Maßnahme nicht und Daten im Sinn der Nr. 2 oder 3 sind nicht betroffen. eingetreten sind, sie mit an Sicherheit grenzender 6 Über eine Übermittlung von Daten aus einer Maß Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht eintreten nahme nach Art. 6a an Stellen außerhalb des Verbunds werden und die Voraussetzungen für eine Löschung der Verfassungsschutzbehörden entscheidet der Richter. sowohl bei der erhebenden Stelle als auch beim 7 Bei Gefahr im Verzug kann die Entscheidung auch der Empfänger der Daten vorliegen. Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz oder dessen Vertreter treffen; in diesem Fall ist eine richter (5) 1 Der verdeckte Einsatz technischer Mittel im liche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Schutzbereich des Art. 13 des Grundgesetzes ausschließVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 254 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) lich zum Schutz der für den Verfassungsschutz in die ständen von Transportleistungen, insbesondere zum sem Bereich tätigen Personen bedarf der Anordnung Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum des Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz Buchungsweg, oder eines von ihm bestellten Beauftragten. 2 Eine an derweitige Verwendung der hierbei erlangten Erkennt 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und nisse ist nur zulässig, wenn zuvor der Richter festge Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhaber und stellt hat, dass die Maßnahme rechtmäßig ist und die sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungs Voraussetzungen des Art. 6a Abs. 2 vorliegen; bei Ge verkehr Beteiligten und über Geldbewegungen und fahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unver Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund -ausgänge, züglich nachzuholen. 3 Soweit Erkenntnisse verwendet werden, gelten für die Datenverarbeitung, die Löschung 3. denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistun der Daten und die Mitteilung an den Betroffenen Abs. 2 gen erbringen und daran mitwirken, zu den Umstän bis 4 entsprechend. 4 Im Übrigen sind die Daten unver den des Postverkehrs, züglich zu löschen. 4. denjenigen, die geschäftsmäßigTelekommunika (6) 1 Zuständiges Gericht zur Entscheidung nach den tionsdienste erbringen oder daran mitwirken, zu Ver Abs. 1, 2, 4 und 5 ist das Amtsgericht am Sitz des kehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 TKG und Landesamts für Verfassungsschutz. 2 Für das Verfahren sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angele der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten genheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (BGBl III und 315-1), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 26. März 2008 (BGBl I S. 441), entsprechend. 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Telemedien anbie ten oder daran mitwirken, über (7) 1 Die Staatsregierung unterrichtet den Landtag a) Merkmale zur Identifikation des Nutzers von jährlich über die gemäß Art. 6a und, soweit richterlich Telemedien, überprüfungsbedürftig, nach Abs. 5 angeordneten Maß nahmen. 2 Das Parlamentarische Kontrollgremium übt b) Angaben über Beginn und Ende sowie über den auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Umfang der jeweiligen Nutzung und Kontrolle aus. c) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch ge nommenen Telemedien, Art. 6 c Besondere Auskunftsersuchen und soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben nach Art. 3 Einsatz technischer Mittel zur Ortung Abs. 1 Satz 1 erforderlich ist und tatsächliche Anhalts von Mobilfunkendgeräten punkte für eine schwerwiegende Gefahr für die in Art. 3 Abs. 1 genannten Schutzgüter vorliegen. 2Im Fall des (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 gilt dies nur für Bestrebun Einzelfall bei denjenigen, die geschäftsmäßig Post gen, die bezwecken oder auf Grund ihrer Wirkungs dienstleistungen erbringen oder Telemedien anbieten weise geeignet sind, oder daran mitwirken, Auskunft über Daten einholen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, 1. zu Hassoder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschen über Postdienstleistungen oder Telemedien gespeichert würde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlich worden sind, soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben machen oder Verleumden anzugreifen und dadurch nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 erforderlich ist. 2 Die Ver die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu för pflichteten haben die Auskunft unentgeltlich zu ertei dern und den öffentlichen Frieden zu stören oder len. 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten, einschließ (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im 1 lich dem Befürworten, Hervorrufen oder Unterstüt Einzelfall auch im Rahmen des SS 113a des Telekommu zen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen nikationsgesetzes (TKG) vom 22. Juni 2004 (BGBl I von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen S. 1190) in der jeweils geltenden Fassung Auskunft ein oder Sachen veranlassen, befürworten oder andro holen bei hen. 1. Luftfahrtunternehmen zu Namen und Anschriften 3 Die Verpflichteten haben die Auskunft unentgeltlich zu von Kunden sowie zu Inanspruchnahme und Um erteilen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 255 (3) Auskünfte nach Abs. 2 dürfen nur über Personen Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut unter eingeholt werden, bei denen den Voraussetzungen des Art. 6a Abs. 2 im Einzelfall mit technischen Mitteln verdeckt auf informationstech 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nische Systeme zugreifen, um Zugangsdaten und ge die schwerwiegenden Gefahren nach Abs. 2 fördern, speicherte Daten zu erheben. 2 Die Anordnung ist nur oder zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf 2. auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert a) bei Auskünften nach Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 5, wäre. 3 Sie darf sich nur gegen Verdächtige und ihre dass sie die Leistung für eine Person nach Nr. 1 Nachrichtenmittler richten. 4 Gegen Nachrichtenmittler in Anspruch nehmen oder darf sich die Maßnahme nur insoweit richten, als sie kein Recht zur Verweigerung des Zeugnisses nach den b) bei Auskünften nach Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 und 4, SSSS 53, 53a StPO haben. 5 Wird erkennbar, dass in ein dass sie für eine Person nach Nr. 1 bestimmte durch ein Berufsgeheimnis geschütztes Vertrauensver oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegen hältnis im Sinn der SSSS 53, 53a StPO eingegriffen wird, nehmen oder weitergeben oder im Fall des Abs. 2 ist die Maßnahme insoweit unzulässig, es sei denn, sie Satz 1 Nr. 4, dass eine Person nach Nr. 1 ihre richtet sich gegen den Berufsgeheimnisträger selbst. Kommunikationseinrichtung benutzt. 6 Soweit informationstechnisch und ermittlungstech nisch möglich, sind alle Maßnahmen zu ergreifen, mit (4) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im denen die Erhebung von Daten, die dem Kernbereich Einzelfall unter den Voraussetzungen des Abs. 2 auch privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, vermieden technische Mittel zur Ermittlung des Standorts eines werden kann. 7 Wird erkennbar, dass solche Daten be aktiv geschalteten Mobilfunkendgeräts oder zur Ermitt troffen sind und bestehen keine Anhaltpunkte dafür, lung der Geräteund Kartennummern einsetzen. 2 Die dass diese Daten dem Zweck der Herbeiführung eines Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne die Ermittlung Erhebungsverbots dienen sollen, ist die weitere Daten die Erreichung des Zwecks der Überwachungsmaß erhebung insoweit unzulässig. nahme aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. 3 Sie darf sich nur gegen die in Abs. 3 Nrn. 1 und 2 (2) 1 Zur Vorbereitung einer Maßnahme nach Abs. 1 Buchst. b bezeichneten Personen richten. 4 Personen dürfen auch technische Mittel eingesetzt werden, um bezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher spezifische Kennungen sowie den Standort eines infor Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus tech mationstechnischen Systems zu ermitteln. 2 Personen nischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1 bezogene Daten Dritter dürfen dabei nur erhoben wer unvermeidbar ist. 5 Sie unterliegen einem absoluten Ver den, soweit dies aus technischen Gründen unvermeid wendungsverbot und sind nach Beendigung der Maß bar ist. 3 Nach Beendigung der Maßnahme sind diese nahme unverzüglich zu löschen. unverzüglich zu löschen. Art. 6 d Abhören und Aufzeichnen des Art. 6 f nichtöffentlich gesprochenen Wortes Verfahrensvorschriften Das Landesamt für Verfassungsschutz darf außerhalb (1) 1 Maßnahmen nach Art. 6c Abs. 4 sowie Aus von Wohnungen und außerhalb des Anwendungsbereichs künfte nach Art. 6c Abs. 2 bedürfen eines Antrags, der des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund durch den Präsidenten des Landesamts für Verfassungs Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz - G 10) vom schutz oder seinen Vertreter schriftlich zu stellen und zu 26. Juni 2001 (BGBl I S. 1254, 2298) in der jeweils gel begründen ist. 2 Über den Antrag entscheidet das Staats tenden Fassung das nichtöffentlich gesprochene Wort ministerium des Innern. unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach Art. 6 Abs. 3 mit dem verdeck (2) 1 Die Anordnung einer Maßnahme nach Art. 6c ten Einsatz technischer Mittel abhören und aufzeichnen. Abs. 4 sowie eines Auskunftsersuchens nach Art. 6c Abs. 2 über künftig anfallende Daten ist auf höchstens Art. 6 e drei Monate zu befristen. 2 Eine Verlängerung um je Verdeckte Online-Datenerhebung weils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zuläs sig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fort (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz kann bei bestehen. 3 Anordnungen über Auskunftsersuchen nach Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte einer konkreten Art. 6c Abs. 2 sind dem Verpflichteten insoweit schriftVerfassungsschutzbericht Bayern 2008 256 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) lich mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihm die für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich Erfüllung seiner Verpflichtung zu ermöglichen. 4 Das und Daten im Sinn der Nr. 2 oder 3 sind nicht betroffen. Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten darf 3 Daten, die nicht verwendet werden dürfen, sind unver der Verpflichtete dem Betroffenen oder Dritten nicht züglich zu löschen. mitteilen. (5) 1 Bei Maßnahmen nach Art. 6e gelten Art. 6b (3) Im Fall der Anordnung eines Auskunftsersuchens 1 Abs. 1 bis 4 und 6 entsprechend. 2 Die schriftliche An nach Art. 6c Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 sowie bei Maß ordnung der Maßnahme muss soweit möglich Namen nahmen nach Art. 6c Abs. 4 unterrichtet das Staats und Anschrift des Betroffenen, gegen den sich die Maß ministerium des Innern monatlich die nach Art. 2 des nahme richtet, sowie die Bezeichnung des informa Ausführungsgesetzes Artikel 10-Gesetz (AGG 10) tionstechnischen Systems, auf das zugegriffen werden gebildete Kommission über die Anordnungen vor deren soll, enthalten und ist bei der erstmaligen Anordnung Vollzug. 2 Bei Gefahr im Verzug kann es den Vollzug abweichend von Art. 6b Abs. 1 Satz 4 auf höchstens der Anordnung auch bereits vor der Unterrichtung der drei Monate zu befristen. 3 Bestehen bei der Durchsicht Kommission anordnen. 3 Die Kommission prüft von der Daten Anhaltspunkte dafür, dass Daten Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden, ob die 1. dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzu Anordnung zulässig und notwendig ist. 4 SS 15 Abs. 5 ordnen sind oder G 10 ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die 2. Inhalte betreffen, über die das Zeugnis als Geist gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach licher, Verteidiger, Rechtsanwalt, Arzt, Berater für Art. 6c Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 und Abs. 4 erlangten Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit, Psycho personenbezogenen Daten erstreckt. 5 Anordnungen, die logischer Psychotherapeut oder Kinderund Jugend die Kommission für unzulässig oder nicht notwendig lichenpsychotherapeut nach SSSS 53, 53a StPO ver erklärt hat, hat das Staatsministerium des Innern unver weigert werden könnte, oder züglich aufzuheben. 6 Die Daten unterliegen in diesem 3. einemVertrauensverhältnis mit anderen Berufs Fall einem absoluten Verwendungsverbot und sind un geheimnisträgern zuzuordnen sind, verzüglich zu löschen. 7 Für die Verarbeitung der erho benen Daten ist SS 4 G 10 entsprechend anzuwenden. 8 Für sind diese unverzüglich zu löschen oder dem zuständi die Mitteilung an den Betroffenen finden SS 12 Abs. 1 gen Richter zur Entscheidung über die weitere Verwen und 3 G 10 entsprechende Anwendung. dung vorzulegen. 4Art. 6b Abs. 2 Satz 7 und Art. 6b Abs. 6 gelten im Fall des Satzes 3 entsprechend. (4) 1 Die Erhebung und Verwendung von Daten nach Art. 6d bedarf der Genehmigung des Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz oder seines Stellver Art. 6 g treters. 2 Soweit bei Maßnahmen nach Art. 6d Daten er Notwendige Begleitmaßnahmen hoben wurden, bei denen sich nach Auswertung heraus 1 Zur Durchführung von Maßnahmen nach Art. 6a und stellt, dass 6e Abs. 1 und 2 kann das Landesamt für Verfassungs 1. die Voraussetzungen für ihre Erhebung nicht vor schutz verdeckt Sachen durchsuchen sowie die Woh gelegen haben oder nung des Betroffenen ohne Einwilligung betreten und durchsuchen. 2 Für die Anordnung dieser Begleitmaß 2. sie Inhalte betreffen, über die das Zeugnis als Geist nahmen und die Unterrichtung der Betroffenen finden licher, Verteidiger, Rechtsanwalt, Arzt, Berater für die für die Maßnahmen nach Art. 6a und 6e Abs. 1 und 2 Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit, Psycho jeweils geltenden Vorschriften entsprechende Anwen logischer Psychotherapeut oder Kinderund Jugend dung. 3 Zur Durchführung von Maßnahmen nach dem lichenpsychotherapeut nach SSSS 53, 53a StPO ver Artikel 10-Gesetz kann das Landesamt für Verfassungs weigert werden könnte, oder schutz verdeckt Sachen durchsuchen sowie bei Vorlie 3. sie dem Kernbereich privater Lebensgestaltung gen einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicher zuzuordnen sind und keinen unmittelbaren Bezug zu heit und Ordnung die Wohnung des Betroffenen ohne den in Art. 6a Abs. 2 genannten Bestrebungen oder Einwilligung betreten und durchsuchen. 4 Für die An Tätigkeiten haben, ordnung dieser Begleitmaßnahme und die Unterrich tung der Betroffenen finden die für Maßnahmen nach dürfen sie nicht verwendet werden, es sei denn, ihre Art. 6e geltenden Vorschriften entsprechende Anwen Verwendung ist zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr dung. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 257 Art. 6 h (2) 1 Personenbezogene Daten über das Verhalten Information des einer Person vor Vollendung des 14. Lebensjahres dür Parlamentarischen Kontrollgremiums fen nicht in Dateien gespeichert werden. 2 Personen bezogene Daten über das Verhalten einer Person nach (1) 1 Das Staatsministerium des Innern unterrichtet Vollendung des 14. und vor Vollendung des 16. Lebens im Abstand von höchstens sechs Monaten das Parla jahres sind zwei Jahre nach dem Verhalten zu löschen, mentarische Kontrollgremium nach dem Parlamenta es sei denn, dass weitere Erkenntnisse im Sinn des rischen Kontrollgremium-Gesetz über die Durchführung Art. 3 Abs. 1 angefallen sind. 3 Personenbezogene Daten von Auskunftsersuchen und Maßnahmen nach Art. 6c über das Verhalten einer Person nach Vollendung des Abs. 2 und 4 sowie in jährlichem Abstand über die 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind zwei Datenerhebung nach Art. 6e und, sofern diese Daten Jahre nach dem Verhalten auf die Erforderlichkeit der länger als sechs Monate gespeichert wurden, nach Speicherung in Dateien zu überprüfen und spätestens Art. 6d; dabei ist insbesondere ein Überblick über fünf Jahre nach dem Verhalten zu löschen, es sei denn, Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im dass weitere Erkenntnisse im Sinn des Art. 3 Abs. 1 Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen nach angefallen sind über ein Verhalten nach Eintritt der Art. 6c Abs. 2 zu geben. 2 Das Gremium erstattet dem Volljährigkeit. 4 Für Akten, die zu einer minderjährigen Landtag jährlich einen Bericht über die Durchführung Person geführt werden, gelten die vorstehenden Prü sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe der Aus fungsund Löschungsfristen entsprechend. kunftsersuchen und Maßnahmen nach Art. 6c Abs. 2, 4 und Art. 6e. 3 Die Grundsätze des Art. 2 Abs. 1 PKGG (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die sind zu beachten. Dauer der Speicherung in Dateien und in Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, auf das Maß (2) Das Staatsministerium des Innern erstattet dem festzulegen, das zur Erfüllung seiner Aufgabe nach die Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundes jähr sem Gesetz erforderlich ist. lich einen Bericht nach SS 8a Abs. 8 des Bundesverfas sungsschutzgesetzes über die Durchführung des Art. 6c (4) Werden Bewertungen über Betroffene gespei Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 bis 5; dabei ist insbesondere ein chert, muss erkennbar sein, wer die Bewertung vorge Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und nommen hat und wo die Informationen gespeichert Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maß sind, die der Bewertung zugrunde liegen. nahmen nach Art. 6c Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 zu geben. Art. 8 Art. 7 Berichtigung und Löschen von Daten Speicherung und Veränderung (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in personenbezogener Daten Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur berichtigen, wenn sie unrichtig sind; in Akten, die Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz perso zu einer bestimmten Person geführt werden, ist dies zu nenbezogene Daten in Dateien speichern und verän vermerken. dern, wenn (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 vorliegen oder löschen, wenn ihre Speicherung nach Art. 7 unzulässig 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestre war oder ihre Kenntnis für die Erfüllung seiner gesetz bungen oder Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 erforder lich festgelegten Aufgaben nicht mehr erforderlich ist; lich ist oder Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, sind unter diesen Voraussetzungen zu vernichten. 2 Ob 3. das Landesamt für Verfassungsschutz nach Art. 3 die Voraussetzungen der Löschung und Vernichtung Abs. 2 Nrn. 2 und 3 an Überprüfungen mitwirkt. nach Satz 1 vorliegen, ist bei jeder Einzelfallbearbei 2 In den Fällen des Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 dürfen personen tung und nach festgesetzten Fristen zu entscheiden. bezogene Daten in Dateien nur gespeichert werden, 3 Die Löschung oder Vernichtung unterbleibt, wenn wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutz Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 vorliegen. 3Das Recht der würdige Interessen der betroffenen Person beeinträch Nutzung und Verabeitung personenbezogener Daten tigt würden. 4 In diesem Fall sind die Daten zu sperren; nach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 zur Vorgangsverwaltung bleibt sie dürfen nur noch mit Einwilligung der betroffenen unberührt. Person übermittelt werden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 258 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) (3) 1 Für die Archivierung gelten die Vorschriften Art. 11 des Bayerischen Archivgesetzes. 2 Die Anbietungs Auskunftserteilung pflicht bestimmt sich nach Maßgabe der nach Art. 6 Abs. 2 BayArchivG abzuschließenden Vereinbarung. (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt dem Betroffenen auf Antrag kostenfrei Auskunft über die zu seiner Person in Dateien oder Akten gespeicher Art. 9 ten Daten. 2 Die Auskunftsverpflichtung besteht nur, Errichtungsanordnung soweit der Betroffene ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. 3 Sie erstreckt sich nicht auf die Her (1) 1 Für den erstmaligen Einsatz einer automatisier kunft der Daten und die Empfänger von Übermittlun ten Datei, in der personenbezogene Daten verarbeitet gen. 4 Das Landesamt für Verfassungsschutz bestimmt werden, hat das Landesamt für Verfassungsschutz in das Verfahren, insbesondere die Form der Auskunfts einer Errichtungsanordnung, die der Zustimmung des erteilung, nach pflichtgemäßem Ermessen. Staatsministeriums des Innern bedarf, festzulegen: (2) Soweit eine Person einer Sicherheitsüberprü 1. Bezeichnung der Datei, fung nach Art. 3 Abs. 2 unterzogen wird oder zu einer 2. Zweck der Datei, Person Auskunft nach Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 erteilt wird, hat diese Person abweichend von Absatz 1 einen An 3. betroffener Personenkreis, spruch auf Auskunft über die Daten des Landesamts für 4. Art der zu speichernden Daten, Verfassungsschutz, die es im Rahmen der Erfüllung 5. Eingabeberechtigung, dieser Aufgaben übermittelt hat. 6. Zugangsberechtigung, (3) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 7. regelmäßige Übermittlungen, 1. eine Gefährdung der Erfüllung der Aufgaben nach 8. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, Art. 3 durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist, 9. Protokollierung des Abrufs. 2. durch die Auskunftserteilung nachrichtendienstliche Zugänge gefährdet sein können oder die Ausfor 2 Nach der Zustimmung des Staatsministeriums des schung des Erkenntnisstandes oder der Arbeits Innern ist die Errichtungsanordnung dem Landesbeauf weise des Landesamts für Verfassungsschutz zu tragten für den Datenschutz unverzüglich mitzuteilen. befürchten ist, 3 Werden in der automatisierten Datei personenbezo gene Daten verarbeitet, die der Kontrolle der nach 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden Art. 2 AGG 10 gebildeten Kommission unterliegen, ist oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes die Errichtungsanordnung auch der Kommission mitzu Nachteile bereiten würde oder teilen. 4 Entsprechendes gilt für wesentliche Änderungen 4. die Information oder die Tatsache der Speicherung des Verfahrens. nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden (2) Die Zustimmung des Staatsministeriums des berechtigten Interessen eines Dritten, geheimgehal Innern darf nur erteilt werden, wenn die Speicherung ten werden muss. personenbezogener Daten auf das erforderliche Maß beschränkt ist. (4) 1 Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in keiner Begründung. 2 Wird die Auskunftserteilung abge lehnt, ist der Betroffene auf die Rechtsgrundlage für angemessenen Abständen die Notwendigkeit der Wei das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, terführung oder Änderung seiner Dateien zu prüfen. dass er sich hinsichtlich der Verarbeitung personen bezogener Daten an den Landesbeauftragten für den Art. 10 Datenschutz wenden kann. 3 Dem Landesbeauftragten Geltung des Bayerischen Datenschutzgesetzes für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht das Staatsministerium des Innern Bei der Erfüllung der gesetzlich festgelegten Auf im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des gaben durch das Landesamt für Verfassungsschutz fin Bundes oder eines Landes gefährdet würde. 4 Mitteilun den die Art. l0 bis 13, 15 bis 23 und 26 bis 28 des gen des Landesbeauftragten an den Betroffenen dürfen Bayerischen Datenschutzgesetzes keine Anwendung. keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des Landes Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 259 amts für Verfassungsschutz zulassen, sofern dieses wand oder nur durch eine die betroffene Gruppierung nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. oder Person stärker belastende Maßnahme gewonnen werden kann. 3 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat Ersuchen zu begründen, es sei denn, dass eine Begrün dung dem Schutz der betroffenen Gruppierung oder III. Abschnitt Person zuwiderläuft oder den Zweck der Maßnahme Übermittlungsregelungen gefährden würde. 4 Es hat die Ersuchen aktenkundig zu machen. Art. 12 Informationsübermittlung (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf an das Landesamt für Verfassungsschutz Akten anderer öffentlicher Stellen und amtlich geführte ohne Ersuchen Dateien unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 ein (1) Die Behörden, Gerichte hinsichtlich ihrer Regis sehen, soweit das zur Erfüllung seiner Aufgaben nach ter, Gebietskörperschaften und andere der staatlichen diesem Gesetz erforderlich ist und die sonstige Über Aufsicht unterstehenden juristischen Personen des öffent mittlung von Informationen aus den Akten oder den lichen Rechts sowie sonstige öffentliche Stellen des Dateien den Zweck der Maßnahme gefährden, einen Freistaats Bayern haben von sich aus dem Landesamt übermäßigen Aufwand erfordern oder das Persönlich für Verfassungsschutz die ihnen bei Erfüllung ihrer keitsrecht des Betroffenen unnötig beeinträchtigen Aufgaben bekannt gewordenen Informationen zu über würde. 2 Über die Einsichtnahme in amtlich geführte mitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür be Dateien hat das Landesamt für Verfassungsschutz einen stehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Auf Nachweis zu führen, aus dem der Zweck und die einge gaben des Landesamts für Verfassungsschutz nach Art. 3 sehene Datei hervorgehen; die Nachweise sind geson Abs. 1 oder entsprechender Aufgaben auf Grund eines dert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu Gesetzes nach Art. 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr Grundgesetzes erforderlich sein kann. ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die (3) 1 Hält eine in Art. 12 Abs. 1 genannte öffentliche übermittelten Informationen nach ihrem Eingang un Stelle das Ersuchen nach Absatz 1 oder die Einsicht verzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für die Erfül nahme nach Absatz 2 für unzulässig, so teilt sie das lung seiner in Absatz 1 genannten Aufgaben erforder dem Landesamt für Verfassungsschutz mit. 2 Besteht lich sind. 2 Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforder dieses auf dem Ersuchen oder der Einsichtnahme, so lich sind, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. entscheidet darüber die oberste fachliche Aufsichts 3 Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Tren behörde, die für die ersuchte Stelle zuständig ist. nung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unver (4) Art. 12 Abs. 2 gilt entsprechend. tretbarem Aufwand erfolgen kann; in diesem Fall dürfen die nicht erforderlichen Informationen nicht verwendet Art. 14 werden. Personenbezogene Datenübermittlung durch das Landesamt für Verfassungsschutz Art. 13 Informationsübermittlung (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf per an das Landesamt für Verfassungsschutz sonenbezogene Daten an öffentliche Stellen übermitteln, auf Ersuchen wenn das zur Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich ist oder wenn die öffentliche Stelle (1) 1 Die in Art. 12 Abs. 1 genannten öffentlichen die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Stellen haben dem Landesamt für Verfassungsschutz Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen auf dessen Ersuchen die ihnen bei Erfüllung ihrer Auf Sicherheit einschließlich der Strafverfolgung benötigt; gaben bekannt gewordenen Informationen zu übermit das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Übermitt teln, soweit das zur Erfüllung der Aufgaben des Lan lung aktenkundig zu machen. 2 Gleiches gilt, wenn der desamts für Verfassungsschutz nach diesem Gesetz Empfänger die personenbezogenen Daten zur Erfüllung erforderlich ist. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz anderer ihm zugewiesener Aufgaben benötigt, sofern er darf Ersuchen nach Satz 1 nur stellen, wenn die Infor dabei auch zum Schutz der freiheitlichen demokratischen mation auf andere Weise nur mit übermäßigem Auf Grundordnung beizutragen oder Gesichtspunkte der Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 260 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) öffentlichen Sicherheit oder auswärtige Belange zu wür für Verfassungsschutz hat den Empfänger darauf hin digen hat. 3 Der Empfänger darf die übermittelten Daten, zuweisen. soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt (5) 1 Übermittlungspflichten nach bundesrechtlichen wurden, es sei denn, dass das Landesamt für Verfassungs Vorschriften bleiben unberührt. 2 Das Landesamt für schutz einer anderen Verwendung für Zwecke nach den Verfassungsschutz kann andere Verfassungsschutzbehör Sätzen 1 und 2 zugestimmt hat. 4 Satz 1 gilt auch für die den auch dadurch unterrichten, dass es diesen den Abruf Weitergabe personenbezogener Daten innerhalb des von Daten im automatisierten Verfahren ermöglicht, Landesamts für Verfassungsschutz. soweit deren gesetzliche Aufgaben identisch sind. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf (6) Zur Übermittlung personenbezogener Daten Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte im Rahmen nach Abs. 1 bis 4 ist unter den dort genannten Voraus von Art. 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen setzungen auch das Staatsministerium des Innern be zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über fugt. die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Art. 15 Streitkräfte vom 3. August 1959 (BGBl II 1961 S. 1183) Unterrichtung der Öffentlichkeit personenbezogene Daten übermitteln; das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Übermittlung akten 1 Das Staatsministerium des Innern und das Landes kundig zu machen. 2 Der Empfänger ist darauf hinzu amt für Verfassungsschutz unterrichten die Öffentlich weisen, dass die übermittelten Daten nur zu dem Zweck keit über tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt und Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. l. 2 Dabei dürfen der wurden. Öffentlichkeit personenbezogene Daten bekanntgegeben werden, wenn das Interesse der Öffentlichkeit an der (3) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Unterrichtung das schutzwürdige Interesse der betroffe personenbezogene Daten an öffentliche Stellen außer nen Person an der Wahrung ihrer Anonymität über halb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes sowie an wiegt. überoder zwischenstaatliche öffentliche Stellen über mitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung seiner Art. 16 Aufgaben nach diesem Gesetz oder zur Wahrung erheb Nachberichtspflicht licher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforder lich ist; das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung aktenkundig zu machen. 2 Die Übermitt Übermittlung durch das Landesamt für Verfassungs lung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundes schutz als unvollständig oder unrichtig, sind sie unver republik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige züglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen, Interessen der betroffenen Person entgegenstehen. 3 Sie wenn das zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der ist aktenkundig zu machen. 4 Der Empfänger ist darauf betroffenen Person erforderlich ist. hinzuweisen, dass die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm über Art. 17 mittelt wurden. Übermittlungsverbote (4) 1 Personenbezogene Daten dürfen außer in den (1) Die Übermittlung von Informationen durch das Fällen des Art. 4 Abs. 1 Satz 3 an andere Empfänger Landesamt für Verfassungsschutz nach den Art. 4 und als öffentliche Stellen nur übermittelt werden, wenn 14 hat zu unterbleiben, wenn dies zum Schutz vor den in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 be zeichneten Bestrebungen, Gefahren und Tätigkeiten 1. erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art erforderlich ist. 2 Die Übermittlung nach Satz 1 bedarf der Informationen und ihrer Erhebung das schutz der vorherigen Zustimmung des Staatsministeriums würdige Interesse der Betroffenen das Allgemein des Innern; die Zustimmung kann auch für eine Mehr interesse an der Übermittlung überwiegt, oder zahl von gleichartigen Fällen vorweg erteilt werden. 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern. 3 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Über mittlung aktenkundig zu machen. 4 Der Empfänger darf (2) Besondere Rechtsvorschriften, die Informations die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden, übermittlungen zulassen oder verbieten, bleiben unbe zu dem sie ihm übermittelt wurden. 5 Das Landesamt rührt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 261 IV. Abschnitt Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheim Parlamentarische Kontrolle nisses nach Art. 10 des Grundgesetzes und Art. 112 der Verfassung eingeschränkt werden. Art. 18 Parlamentarisches Kontrollgremium Art. 23 Änderung des Gesetzes zur Ausführung Die parlamentarische Kontrolle der Staatsregierung des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Verfas sungsschutz erfolgt nach den Bestimmungen des Geset Das Gesetz zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 zes zur parlamentarischen Kontrolle der Staatsregie Grundgesetz (AGG 10) vom 11. Dezember 1984 (GVBl rung hinsichtlich der Maßnahmen nach Art. 13 Abs. 3 S. 522, BayRS 12-2-I) wird wie folgt geändert: bis 5 des Grundgesetzes sowie der Tätigkeit des Landes 1. Art. 2 Abs. 3 Satz 6 erhält folgende Fassung: amts für Verfassungsschutz - Parlamentarisches Kon "6 Die Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung, trollgremium-Gesetz - vom 10. Februar 2000 (GVBl die der Zustimmung der Parlamentarischen Kon S. 40, BayRS 12-4-I) in der jeweils geltenden Fassung. trollkommission für die Angelegenheiten des Verfas sungsschutzes bedarf." Art. 19 und 20 (aufgehoben) 2. In Art. 3 werden die Worte "den für Sicherheits fragen zuständigen Ausschuss des Landtags" durch die Worte "die Parlamentarische Kontrollkommission für die Angelegenheiten des Verfassungsschutzes" V. Abschnitt ersetzt. Schlussvorschriften Art. 24 Art. 21 Inkraftreten Erfüllung bundesrechtlicher Aufgaben 1 Dieses Gesetz tritt am 1. November 1990 in Kraft.* Zur Erfüllung von Aufgaben auf Grund eines Geset 2 Gleichzeitig treten außer Kraft: zes nach Art. 73 Nr. l0 Buchst. b und c des Grund gesetzes stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz 1. Das Gesetz über die Errichtung eines Landesamts die Befugnisse zu, die es zur Erfüllung der entsprechen für Verfassungsschutz (BayRS 12-1-I), den Aufgaben nach diesem Landesgesetz hat. 2. Art. 8 Abs. 2 Nr. 5 des Bayerischen Datenschutz gesetzes (BayRS 204-1-I). Art. 22 Einschränkung von Grundrechten * Diese Vorschrift betrifft das Inkrafttreten des Gesetzes in der Auf Grund dieses Gesetzes kann das Grundrecht der ursprünglichen Fassung vom 24. August 1990 (GVBl S. 323). Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 des Grund Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der späteren Änderungen gesetzes und Art. l06 Abs. 3 der Verfassung und das ergibt sich aus den jeweiligen Änderungsgesetzen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 262 Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz (PKGG) Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle der Staatsregierung hinsichtlich der Maßnahmen nach Art. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes sowie der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz (Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz - PKGG) Vom 10. Februar 2000 (GVBl S. 40, BayRS 12-4-I) Geändert durch SS 4 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz, des Bayerischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes und des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 24. Dezember 2002 (GVBl S. 969), SS 1 Nr. 6 des Dritten Gesetzes zur Aufhebung von Rechtsvorschriften vom 7. August 2003 (GVBl S. 497), SS 2 des Gesetzes zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 24. Dezember 2005 (GVBl S. 641), SS 3 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, des Ausführungsgesetzes Art. 10-Gesetz und des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 8. Juli 2008 (GVBl S. 357) sowie SS 1 des Gesetzes zur Änderung des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 22. Dezember 2008 (GVBl S. 972) Art. 1 Weise wird für jedes Mitglied ein stellvertretendes Mit Parlamentarisches Kontrollgremium glied gewählt. 6 Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehr heit der Mitglieder des Landtags auf sich vereint. (1) 1 Das Parlamentarische Kontrollgremium übt die parlamentarische Kontrolle gemäß Art. 13 Abs. 6 Satz 3 (3) 1 Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder sei des Grundgesetzes zum Vollzug der Maßnahmen nach ner Fraktion aus, so verliert es seine Mitgliedschaft im Art. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes nach Maßgabe Parlamentarischen Kontrollgremium; Absatz 4 bleibt der Art. 48 a des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsunberührt. 2 Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein verfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Bundes (AGGVG), Art. 34 Abs. 9 des PolizeiaufgabenMitglied aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium gesetzes (PAG) und Art. 6 b Abs. 7 des Bayerischen Verausscheidet. 3 Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für fassungsschutzgesetzes (BayVSG) aus. 2 Dem Parladie stellvertretenden Mitglieder. mentarischen Kontrollgremium obliegt ferner die Kon trolle der Staatsregierung hinsichtlich der Tätigkeit des (4) Das Parlamentarische Kontrollgremium übt seine Landesamts für Verfassungsschutz; die Rechte des Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des LandLandtags und seiner Ausschüsse bleiben unberührt. tags hinaus solange aus, bis der nachfolgende Landtag ein neues Parlamentarisches Kontrollgremium gewählt hat. (2) 1 Das Parlamentarische Kontrollgremium besteht aus sieben Mitgliedern. 2 Die Mitglieder des ParlamenArt. 2 tarischen Kontrollgremiums werden zu Beginn jeder Geheimhaltung neuen Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte gewählt. 3 Das Vorschlagsrecht steht den Fraktionen (1) 1 Die Beratungen des Parlamentarischen Kontroll im Verhältnis ihrer Stärke zu. 4 Das Verfahren nach gremiums sind geheim. 2 Die Mitglieder und stellvertre Sainte-Lague/Schepers findet Anwendung. 5 In gleicher tenden Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angele Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz (PKGG) 263 genheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit im Art. 4 Parlamentarischen Kontrollgremium bekannt geworden Änderung von Gesetzen sind. 3 Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausschei den aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium. (1) Das Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) in der Fassung der Bekanntmachung vom (2) 1 Das Parlamentarische Kontrollgremium tritt 10. April 1997 (GVBl S. 70, BayRS 12-1-I), geändert mindestens einmal im Jahr zusammen. 2 Jedes Mitglied durch SS 2 des Gesetzes vom 10. Juli 1998 (GVBl kann die Einberufung des Parlamentarischen Kontroll S. 383), wird wie folgt geändert: gremiums verlangen. 3 Das Parlamentarische Kontroll gremium gibt sich eine Geschäftsordnung. 4 Ferner ob 1. Art. 18 erhält folgende Fassung: liegt ihm die Wahl seiner bzw. seines Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden. "Art. 18 Parlamentarisches Kontrollgremium Art. 3 Die parlamentarische Kontrolle der Staatsregie Rechte des Parlamentarischen Kontrollgremiums rung hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für und Berichtspflichten der Staatsregierung Verfassungsschutz erfolgt nach den Bestimmungen (1) Das Staatsministerium der Justiz erstattet dem des Gesetzes zur parlamentarischen Kontrolle der Parlamentarischen Kontrollgremium jährlich Bericht Staatsregierung hinsichtlich der Maßnahmen nach nach Art. 48 a AGGVG. Art. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes sowie der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz (2) 1 Das Staatsministerium des Innern erstattet dem - Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz - vom Parlamentarischen Kontrollgremium jährlich Bericht 10. Februar 2000 (BayRS 12-4-I)." nach Art. 34 Abs. 9 PAG und Art. 6 b Abs. 7 BayVSG. 2 Die Berichterstattung nach diesen Vorschriften kann 2. Art. l9 und 20 werden aufgehoben. gesondert erfolgen. (2) In Art.3 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes (3) Das Staatsministerium des Innern unterrichtet 1 zu Art. 10 Grundgesetz (AGG 10) vom 11. Dezember das Parlamentarische Kontrollgremium ferner regel 1984 (GVBl S. 522, BayRS 12-2-I), geändert durch mäßig umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Art. 23 des Gesetzes vom 24. August 1990 (GVBl Landesamts für Verfassungsschutz und über Vorgänge S. 323), werden die Worte "die Parlamentarische Kon von besonderer Bedeutung. 2 Darüber hinaus berichtet es trollkommission für Angelegenheiten des Verfassungs zu einem konkreten Thema aus dem Aufgabenbereich schutzes" durch die Worte "das Parlamentarische Kon des Landesamts für Verfassungsschutz, sofern das Par trollgremium" ersetzt. lamentarische Kontrollgremium dies verlangt. 3 Zeit, Art und Umfang der Unterrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremiums werden unter Beachtung des not Art. 5 wendigen Schutzes des Nachrichtenzugangs durch die Inkrafttreten, Übergangsvorschrift politische Verantwortung der Staatsregierung bestimmt. (4) 1 Das Staatsministerium des Innern erstattet dem (1) Dieses Gesetz tritt am 1. April 2000 in Kraft.* Parlamentarischen Kontrollgremium ferner Bericht nach (2) (aufgehoben). Maßgabe des Art. 3 des Gesetzes über die Aufgaben der G 10-Kommission im Bayerischen Landtag und zur * Diese Vorschrift betrifft das Inkrafttreten des Gesetzes in der Ausführung des Artikel 10-Gesetzes (G 10), nach Maß ursprünglichen Fassung. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der gabe des Art. 6 Abs. 1 BayVSG und nach Maßgabe des späteren Änderungen ergibt sich aus den jeweiligen Änderungs Art. 6 h BayVSG. 2 Art. 2 AGG 10 bleibt unberührt. gesetzen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 264 Sachwortregister Sachwortregister ABLE 217 Bahamas 190 ABSURD 148 barricada - zeitung für autonome ADÜTDF 91 politik und kultur 192 Al-Aqsa e.V. 65 Bauernhilfe e.V. 150 Al-Ekhlaas 38 Bewaffnete Einheiten der Armen und Unterdrückten (FESK) 100 Al-Jihad al-Elektruni 39 Black-Metal 145 Al-Manar 60 Bolschewistische Partei Nordkurdistan/Türkei Al-Mujahid al-Tiqani 39 (BP-KK/T) 100 Al-Qaida 71 Bürgerbewegung Pro München - patriotisch Al-Tauhid 97 und sozial e.V. 132 Ansar al-Islam 73 Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) 125 Anti-Antifa Nürnberg (AAN) 136 "Bürgerinitiative Ausländerstopp" Nürnberg 125 Antideutsche 202 "Bürgerinitiative Ausländerstopp" München 126 Antifa-Jugend-München 193 BURNING HATE 149 Antifa NT 191 Antifaschismus 194 Celebrity Centres (CC) 213 Church of Scientology International (CSI) 210 "Church"-Sektor 213 Antifaschistische Linke Fürth (ALF) 197 CIWANEN AZAD (Freie Jugendliche) 84 Antifaschistisches Aktionsbündnis Nürnberg 209 Clears 211 Antifa Umland Erlangen 193 Coburger Runde 154 Anti-Globalisierung 197 Collegium Humanum e.V. 150 Antiimperialismus 198 Contra Real 192 Antimilitarismus 198 CRIMINON 217 Antirepression 201 critica 170 Applied Scholastics 217 Arbeiterbund für den Wiederaufbau Cyber Jihad 40 der KPD (AB) 190 Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) 97 DAMAGE INCORPORATED 149 Asiatische Organisierte Kriminalität 242 Demokratische Front für die Befreiung Augsburger Bündnis - Nationale Palästinas (DFLP) 97 Opposition e.V. 154 Demokratische Jugend Autonome 190 (Demokratik Genclik - DEM-GENC) 84 Autonome Jugend Antifa 191 Department of Special Affairs (DSA) 221 Autonome Nationalisten München (ANM) 139 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 180 Autonomer Nationalismus 137 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 134 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Sachwortregister 265 Deutsche Stimme (DS) 113 Freundeskreis Ulrich von Hutten 134 Deutsche Volksunion (DVU) 127 FSB (russischer Inlandsnachrichtendienst) 226 Deutsches Kolleg (DK) 134 "Deutschland-Pakt" 118 Galileo - streitbare Wissenschaft 186 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 88 GEGENSTANDPUNKT 190 Dianetik nach L. Ron Hubbard 210 Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) 134 Die Republikaner (REP) 27 Global Islamic Media Front (GIMF) 38 DIE LINKE. 157 Glückseligkeitspartei (SP) 45 DIE LINKE. Bayern 172 GRU (russischer militärischer Nachrichten dienst) 226 die linke.campus 170 Die Linke. Sozialistischer-demokratischer Studierendenverband (DIE LINKE.SDS) 170 HAMAS 64 Die Linkspartei.PDS 158 Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) 141 DISPUT 208 Hezb-i Islami (HIA) 96 Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) 54 (DSZ-Verlag) 128 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. EDELWEISS 149 (HNG) 153 En Nahda 66 Hizb Allah (Partei Gottes) 58 Hizb ut-Tahrir 55 FAUSTRECHT 149 "home grown"-Terrorismus 70 FELDHERREN 149 Huttenbriefe 154 FIS 96 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Ideale Org 213 Deutschland e.V. (ATIF) 90 Immobiliengeschäfte mit rechtsextremis Föderation der Arbeiterimmigranten aus der tischem Hintergrund 121 Türkei in Deutschland e.V. (AGIF) 91 Impact 210 Föderation der Islamischen Organisationen in Europa (FIOE) 61 Info-Läden der Autonomen 192 Föderation der Türkisch-Demokratischen INTERIM 192 Idealistenvereine in Deutschland e.V. International Association of Scientologists (ADÜTDF) 91 (IAS) 218 Föderation für demokratische Rechte in internationale sozialistische linke (isl) 164 Deutschland (ADHF) 90 Föderation kurdischer Vereine in Internationaler Kurdischer Arbeitgeber Deutschland e.V. (YEK-KOM) 81 verband (KARSAZ) 82 Freie Nationalisten München 139 Internationales Studienwerk - Collegium Humanum e.V. 150 Freie Kameradschaft Erding 153 Islamische Bewaffnete Gruppen (GIA) 61 Freiheit 210 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) 84 (IGD) 62 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 266 Sachwortregister Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. KONTRA! 209 (IGMG) 47 Konvertiten 38 Islamische Heilsfront (FIS) 96 Koordination der kurdischen demokratischen Islamische Jihad Union (IJU) 75 Gesellschaft in Europa (CDK) 80 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) 64 Kurdischer Nationalkongress (KNK) 81 Islamischer Bund Palästina (IBP) 61 Islamisches Zentrum München (IZM) 62 Leuchter-Bericht 150 Italienische Mafia 236 Libyan Islamic Fighting Group 96 Liedermacher 148 Jihad 32 Linksjugend ['solid] 168 Jihadismus 71 Linksruck-Netzwerk 166 Jihad Islami (JI) 61 Jugendverband Linksjugend ['solid] 168 Maoistische Kommunistische Partei (MKP) 90 Jugendverband REBELL 187 marx21 166 Jugendverband ['solid] 168 marx21 - Magazin für internationalen Junge Nationaldemokraten (JN) 124 Sozialismus 208 Marxistische Blätter 208 Kalifatsstaat 54 Marxistische Gruppe (MG) 189 Kameradschaft Asgard Ratisbona 140 Marxistisches Forum (MF) 166 Kameradschaft Augsburg 140 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 91 Kameradschaft Main-Spessart 153 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands Kameradschaft München 153 (MLPD) 186 Kameradschaften 135 Mensch und Maß 154 Kameradschaftsbund Hochfranken (KBH) 137 militante gruppe (mg) 194 Kinderorganisation ROTFÜCHSE 187 Militanzdebatte 194 Klimadebatte 197 Milli Gazete 52 Koma Civaken Kurdistan (KCK) 85 Milli-Görüs-Bewegung 43 Koma Komalen Kurdistan (KKK) 85 Mitteilungen der Kommunistischen Kommission für Verstöße der Psychiatrie Plattform der Partei DIE LINKE. 208 gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) 220 Mudjahidin 71 Kommunistische Arbeiterzeitung (KAZ) 208 Münchner Bündnis gegen Krieg und Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 186 Rassismus 187 Kommunistische Plattform (KPF) 166 Multi-Kultur-Haus Ulm e.V. (MKH) 66 Konföderation der Arbeiter aus der Türkei Muslimbruderschaft (MB) 60 in Europa (ATIK) 90 Muslim Aid 65 Konföderation der unterdrückten Migranten Muslime helfen e.V. 65 in Europa (AvEG-Kon) 91 Konföderation für demokratische Rechte in Europa (ADHK) 99 NARCONON 219 KONGRA GEL (Volkskongress Kurdistans) 80 NATIONAL BORN HATERS 149 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 Sachwortregister 267 Nationaldemokratische Partei Deutschlands radikale Linke 191 (NPD) 107 REBELL 187 Nationaldemokratischer Hochschulbund (NHB) 153 Rechtsrock 148 Nationaler Block (NB) 113 Redskins 144 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) 93 Religious Technology Center (RTC) 212 Renees 147 National Liberation Army (NLA) 94 Revisionismus 150 National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung (NZ) 128 REVOLUTIONÄRER WEG 208 Nation-Europa-Freunde e.V. 133 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) 88 Nation Europa Verlag GmbH 133 Revolutionär Sozialistischer Bund (RSB) 179 Nation & Europa - Deutsche Monatshefte 133 Rockerkriminalität 245 Nazis unplugged 195 ROJ TV 82 Neofolk 145 Rote Fahne 208 Neonazismus 130 ROTFÜCHSE 187 Neue PKK 83 Rudolf Heß 142 Neues Schwaben 154 Russische Organisierte Kriminalität 238 Newroz 81 NOISE OF HATE 149 Sache des Volkes (SdV) 141 NS-Black-Metal 145 Salafismus 33 Salafiyya-Gruppe für Predigt und Kampf Office of Special Affairs (OSA) 220 (GSPC) 73 Oi-Skinheads 144 Scharia 31 Org 213 Schulhof-CD 126 Organisation al-Qaida im islamischen Schutzbund für das Deutsche Volk e.V. Maghreb 73 (SDV) 154 Organisierte Autonomie 191 Schwarzer Block 191 Organisierte Kriminalität (OK) 233 Scientology Kirche Bayern e.V. (SKB) 216 Scientology Kirche Deutschland e.V. (SKD) 222 Partei der Europäischen Linken (EL) 177 Scientology-Organisation (SO) 210 Partei der Nationalen Bewegung (MHP) 92 Sea Org 213 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 158 SHARPs 144 Partizan-Flügel (TKP/ML) 90 Skinheads 143 PKK (Arbeiterpartei Kurdistans; nunmehr ['solid] 168 KONGRA GEL) 80 Source 210 policy letters 211 Sozialabbau 200 POSITION 209 Sozialistische Alternative (SAV) 209 Proliferation 229 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend Pro München 132 (SDAJ) 185 Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 268 Sachwortregister Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Verein zur Rehabilitierung der wegen (SED) 157 Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) 150 Sozialistische Gruppe 190 Vereinigung der demokratischen Sozialrevolutionäre Aktion Regensburg 140 Jugendlichen Kurdistans (KOMALEN-CIWAN) 84 STURMTRUPP 149 Vereinigung der Verfolgten des SWR (russischer Auslandsnachrichtendienst) 225 Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) 183 Verlag Hohe Warte - Franz von Beben Tablighi Jamaat (TJ) 56 burg KG 154 Technologie 211 VGB Verlagsgesellschaft Berg mbH 154 Terrornetzwerk 71 Volksbefreiungsarmee (HKO) 90 Thetan 211 Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkommando - (PFLP-GC) 97 Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungs armee (TIKKO) 90 Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) 97 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL); Türkische Kommunistische Partei/Marxis ehemals Freiheitsund Demokratiekongress ten-Leninisten (TKP/ML) 90 Kurdistans (KADEK) bzw. Arbeiterpartei Türkische Volksbefreiungspartei-Front Kurdistans (PKK) 80 (THKP-C Devrimci Sol) 88 Volksmudjahidin Iran-Organisation (MEK) 93 Tugendpartei (FP) 45 Volksverteidigungskräfte (HPG) 82 Ülkücü-Bewegung 91 Watchdog Committee (WDC) 213 Union islamischer Studentenvereine in White Power-Skinheads 144 Europa (U.I.S.A.) 97 WHITE REBEL BOYS 149 Unsere Zeit (UZ) 208 Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage 226 UNTERGRUNDWEHR 149 WISE 216 Ursprung 210 UTOPIE - kreativ - Diskussion sozialistischer Alternativen 208 Yatim Kinderhilfe e.V. 65 Yeni Özgür Politika 83 Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB) 100 Zentrum für individuelles und effektives Lernen (ZIEL) 217 Verband der stolzen Frauen (KJB; umfasst PAJK, YJA und YJA-STAR) 98 Zusammen Aktiv Kämpfen 192 Herausgeber: Bayerisches Staatsministerium des Innern, Odeonsplatz 3, 80539 München Druck: Joh. Walch GmbH & Co. KG, Augsburg Gedruckt auf Recyclingpapier aus 100 % Altpapier Hinweis: Der Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 ist auch über das Internet abrufbar: http://www.innenministerium.bayern.de/sicherheit/verfassungsschutz http://www.verfassungsschutz.bayern.de Verfassungsschutzbericht Bayern 2008