Bayerisches Staatsministerium des Innern G S U N S S Z F A T E R H U T V SC CH R I B 00 E 6 2 VERFASSUNGSSCHUTZ BERICHT 20 B AY E R N 06 Bayerisches Staatsministerium des Innern Vorwort 3 Wie die gescheiterten Anschläge mit Kofferbomben auf zwei Regionalzüge Ende Juli 2006 auf eindringliche Weise deutlich gemacht haben, stellt der islamistische Terrorismus die größte Gefahr für die Innere Sicherheit Deutschlands dar. Trotz polizeilicher und militärischer Erfolge bei der Bekämpfung terroristischer Netzwerke konnte die Bedrohung der westlichen Welt nicht nachhaltig eingedämmt werden. Insbesondere das Phänomen des "home-grown"-Terrorismus bedarf deshalb einer aufmerksamen Beobachtung. Außerhalb terroristischer Anschläge birgt der islamische Extremismus erhebliche Gefahren für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung: Islamistische Gruppen, die von Intoleranz gegen Andersgläubige geprägt sind und einen Absolutheitsanspruch für die eigene Auslegung des Islam vertreten, wenden sich massiv gegen eine echte Integration ausländischer Mitbürger. Bildungsund Betreuungsangebote verschaffen islamistischen Organisationen Möglichkeiten, unter dem Mantel der "islamischen" Bildung mit ihren extremistischen Haltungen prägend auf in Deutschland lebende Kinder und Jugendliche einzuwirken. Rechtsextremisten sind weiterhin bestrebt, insbesondere auch soziale Themen propagandistisch zu nutzen. Mit der Strategie, in Wahlkämpfen durch Schüren von Ängsten vor Arbeitslosigkeit, Fremdbestimmung oder Überfremdung Wählerstimmen zu erringen, konnte die NPD teilweise Wahlerfolge erringen. Trotz des Rückgangs der extremistisch motivierten Gewalttaten liegen die Zahlen noch immer auf einem hohen Niveau. Besonders bedenklich sind die vielen Gewalttaten gegen Polizeibeamte, die zum Schutz von Veranstaltungen eingesetzt waren. Der gewaltbereite Linksextremismus richtet sich seit längerem gegen den G8-Gipfel im Juni 2007 und droht, das Ansehen Deutschlands in der Weltöffentlichkeit zu beschädigen. Das Internet wird mittlerweile umfassend als Propaganda-, Kommunikationsund Steuerungsmedium ersten Ranges genutzt, das insbesondere auch Jugendliche anspricht. Dies gilt gerade für den Bereich des islamischen Extremismus. Neben ideologischer Beeinflussung wird im Internet für den bewaffneten Kampf geworben. Zudem werden für die Kriegführung und die Durchführung von Anschlägen erforderliche Informationen zur Verfügung gestellt. Aufgabe des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz ist es insbesondere, zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestands und der Sicherheit des Bundes und der Länder sowie zum Schutz vor Organisierter Kriminalität Informationen zu sammeln und die Sicherheitsbehörden dadurch in die Lage zu versetzen, rechtzeitig die notwendigen sicherheitsrechtlichen Entscheidungen zu veranlassen. Aufgabe des Landesamts und des Bayerischen Staatsministeriums des Innern ist es ferner, die Öffentlichkeit über solche extremistischen und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen und Tätigkeiten zu informieren. Diese Informationspflicht folgt aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der wehrhaften Demokratie und ist in Art. 15 des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes verankert. Nur der informierte und über extremistische Bestrebungen aufgeklärte Bürger ist in der Lage, Entwicklungen in Politik und Gesellschaft sowie die dazu getroffenen staatlichen Maßnahmen und Entscheidungen richtig zu beurteilen. Dieser Bericht soll hierzu beitragen. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der bayerischen Sicherheitsbehörden, insbesondere des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz und der bayerischen Polizei, gilt unser besonderer Dank. Durch ihren Einsatz haben sie auch im Jahr 2006 die Sicherheit der Bürger in Bayern gewährleistet und einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Deutschland geleistet. München, im März 2007 Dr. Günther Beckstein Georg Schmid Staatsminister Staatssekretär 4 Inhaltsverzeichnis 1. Abschnitt Verfassungsschutz in Bayern 11 1. Gesetzliche Grundlagen ................................................ 12 2. Aufgaben des Verfassungsschutzes ............................... 12 3. Informationsbeschaffung ............................................. 13 4. Kontrolle ...................................................................... 14 5. Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes ............... 15 6. Infound Beratungstelefone ......................................... 16 2. Abschnitt Entwicklung des politischen Extremismus im Jahr 2006 1. Ausländerextremismus .................................................. 17 2. Rechtsextremismus ....................................................... 19 3. Linksextremismus .......................................................... 22 4. Scientology-Organisation .............................................. 23 5. Grafische Darstellungen ................................................ 25 3. Abschnitt Extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern 1. Allgemeines ................................................................ 27 1.1 Merkmale des Ausländerextremismus .......................... 27 1.2 Entwicklung in Bayern ................................................. 27 1.3 Gewalttaten ................................................................ 29 1.4 Gerichtsverfahren und Exekutivmaßnahmen ................. 30 2. Islamischer Extremismus (= Islamismus) ........................ 33 2.1 Integrationsfeindlichkeit des Islamismus ....................... 33 2.2 Rolle des Internets ....................................................... 34 2.3 Islamistische Bildungsund Jugendarbeit ..................... 36 2.4 Protestaktionen ........................................................... 37 2.4.1 Proteste gegen die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen .............................................. 37 Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Inhaltsverzeichnis 5 2.4.2 Proteste gegen den Vortrag von Papst Benedikt XVI. in Regensburg ............................................................. 38 2.4.3 Reaktionen auf den militärischen Konflikt im Libanon ... 39 3. Islamistische Gruppierungen ........................................ 39 3.1 Die Muslimbruderschaft (MB) und ihre regionalen Strömungen ................................................................ 39 3.1.1 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) ....... 42 3.1.2 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) ................. 44 3.1.3 Islamische Heilsfront (FIS) ............................................ 45 3.1.4 En Nahda .................................................................... 46 3.2 Hizb ut-Tahrir .............................................................. 47 3.3 Ansar al-Islam ............................................................. 49 3.4 Tablighi Jamaat (TJ) .................................................... 51 3.5 Multi-Kultur-Haus Ulm e.V. (MKH) ................................. 53 3.6 Hizb Allah (Partei Gottes) ............................................ 55 3.7 Hezb-i Islami Afghanistan (HIA) ................................... 56 3.8 Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB) ................... 56 3.9 Türkische islamistische Gruppierungen ......................... 57 3.9.1 Milli-Görüs-Bewegung ................................................ 57 3.9.2 Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) .................................. 64 4. Islamistischer Terrorismus ............................................. 65 4.1 Überblick .................................................................... 65 4.2 Das Terrornetzwerk um al-Qaida ................................. 66 4.3 Terroranschläge und Anschlagsplanungen .................... 69 4.3.1 Deutschland ............................................................... 69 4.3.2 Europa ....................................................................... 70 4.3.3 Irak ............................................................................. 70 4.3.4 Afghanistan ................................................................ 70 4.3.5 Weitere Anschläge ....................................................... 71 4.4 Ausblick ...................................................................... 71 5. Sonstige ausländerextremistische Gruppierungen ......... 72 5.1 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL), ehemals Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) bzw. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ............................ 72 5.1.1 Allgemeines ................................................................ 73 5.1.2 Aktivitäten und Exekutivmaßnahmen ........................... 76 5.2 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) ............................... 78 5.3 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) .................................................................... 80 Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 6 Inhaltsverzeichnis 5.4 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) .. 82 5.5 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V. (ADÜTDF) .............................................. 83 5.6 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI)/Volksmudjahidin Iran (MEK) ................................................................... 84 6. Übersicht über erwähnenswerte extremistische Organisationen von Ausländern sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse ........................................................ 87 4. Abschnitt Rechtsextremismus 1. Allgemeines ................................................................ 92 1.1 Merkmale des Rechtsextremismus ............................... 92 1.2 Entwicklung der Organisationen .................................. 93 1.3 Nutzung des Internets ................................................ 95 2. Parteien, Organisationen und Verlage .......................... 96 2.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ........ 96 2.1.1 Ideologisch-politischer Standort ................................... 96 2.1.2 Organisation ............................................................... 100 2.1.3 Teilnahme an Wahlen .................................................. 101 2.1.4 Bündnisbestrebungen .................................................. 102 2.1.5 Sonstige Aktivitäten .................................................... 104 2.1.5.1 Parteitage ................................................................... 104 2.1.5.2 Kundgebungen und sonstige Aktionen ........................ 105 2.1.6 Junge Nationaldemokraten (JN) .................................... 108 2.2 Deutsche Volksunion (DVU) ......................................... 110 2.2.1 Ideologisch-politischer Standort .................................. 110 2.2.2 Organisation ............................................................... 114 2.2.3 Wahlbündnis mit der NPD ........................................... 114 2.3 Sonstige Organisationen .............................................. 115 2.4 Rechtsextremistische Bündnisbestrebungen im Raum München ....................................................... 116 2.4.1 Freundeskreis Demokratie Direkt München .................. 116 2.4.2 Bürgerinitiative "Pro München e.V."............................... 117 2.5 Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH (DSZ-Verlag) .. 117 2.6 Nation Europa Verlag GmbH ....................................... 120 Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Inhaltsverzeichnis 7 3. Neonazismus ............................................................... 121 3.1 Allgemeines ................................................................ 121 3.2 Neonazi-Kameradschaften ............................................ 122 3.2.1 Kameradschaft München ............................................. 122 3.2.2 Autonome Nationalisten München (ANM) .................... 123 3.2.3 Kameradschaft Asgard-Ratisbona ................................ 124 3.2.4 Kameradschaft Main-Spessart ...................................... 124 3.2.5 Anti-Antifa Nürnberg .................................................. 124 3.2.6 Kameradschaftsbund Hochfranken .............................. 125 3.2.7 Kameradschaft Augsburg ............................................ 125 3.3 Aktivitäten zum 19. Todestag von Rudolf Heß .............. 125 4. Rechtsextremistische Skinheads ................................... 127 4.1 Überblick .................................................................... 127 4.2 Politische Ausrichtung ................................................. 127 4.3 Strukturen .................................................................. 228 4.4 Anziehungskraft für Jugendliche .................................. 129 4.5 Skinhead-Musik ........................................................... 130 4.6 Skinhead-Magazine ..................................................... 133 5. Rechtsextremistisch motivierte Straftaten ..................... 133 5.1 Gewalttaten ................................................................ 133 5.2 Sonstige Straftaten ...................................................... 136 6. Strafverfahren, Urteile und Exekutivmaßnahmen .......... 138 7. Revisionismus .............................................................. 139 7.1 Ziele ............................................................................ 139 7.2 Entwicklung und Träger der Revisionismus-Kampagne ... 140 8. Verbindungen zum ausländischen Rechtsextremismus ... 143 9. Übersicht über erwähnenswerte rechtsextremistische Organisationen und Verlage sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse ........................................................ 144 5. Abschnitt Linksextremismus 1. Allgemeines ................................................................. 146 1.1 Merkmale des Linksextremismus .................................. 146 1.2 Entwicklung der Organisationen .................................. 147 1.3 Nutzung des Internets ................................................. 147 Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 8 Inhaltsverzeichnis 2. Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 149 2.1 Die Linkspartei.PDS ...................................................... 149 2.1.1 Ideologische Ausrichtung ............................................. 150 2.1.2 Organisation ................................................................ 156 2.1.3 Plattformen, Arbeitsund Interessengemeinschaften .... 156 2.1.3.1 Kommunistische Plattform (KPF) ................................... 157 2.1.3.2 Marxistisches Forum (MF) ............................................. 159 2.1.4 Jugendverband ['solid] ................................................. 159 2.1.5 Die Linkspartei.PDS Landesverband Bayern und ihre Organisationseinheiten ................................................ 161 2.1.6 Teilnahme an Wahlen .................................................. 163 2.1.7 Kommunistischer Internationalismus ............................ 163 2.1.8 Zusammenarbeit mit anderen Linksextremisten ............. 164 2.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ........................ 165 2.2.1 Ideologische Ausrichtung ............................................ 165 2.2.2 Organisation ................................................................ 167 2.2.3 Internationale Verbindungen ....................................... 168 2.2.4 Umfeld der DKP ........................................................... 168 2.2.4.1 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) ........... 168 2.2.4.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) ............... 170 2.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) .... 171 2.4 Linksruck-Netzwerk (Sozialistische Arbeitergruppe - SAG) 173 2.5 Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus ........... 174 2.6 Sonstige orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten ............................................... 176 3. Gewaltorientierte Linksextremisten .............................. 177 3.1 Autonome Gruppen .................................................... 177 3.1.1 Ideologische Ausrichtung und Aktionsformen .............. 177 3.1.2 Strukturen und Publikationen ....................................... 178 3.1.3 Schwerpunktthemen und Aktionen .............................. 180 3.1.3.1 Strategiedebatte - Fortsetzung der Gewaltdiskussion .... 181 3.1.3.2 Antifaschismus ............................................................ 182 3.1.3.3 Anti-Globalisierungs-Proteste ....................................... 184 3.1.3.4 Antiimperialismus ........................................................ 186 3.1.3.5 Sozialabbau ................................................................. 187 3.1.3.6 Einflussnahme auf die Antikernkraftbewegung ............ 188 3.2 Antideutsche Strukturen .............................................. 188 Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Inhaltsverzeichnis 9 3.3 Linksextremistisch motivierte Straftaten ........................ 190 3.3.1 Gewalttaten ................................................................ 190 3.3.2 Sonstige Straftaten ...................................................... 191 4. Übersicht über erwähnenswerte linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse .................. 193 6. Abschnitt Scientology-Organisation (SO) 1. Zur Geschichte der SO ................................................. 195 2. Ideologie und Aktivitäten ............................................. 196 2.1 Schriften der SO .......................................................... 197 2.2 Errichtung einer scientologischen Gesellschaft .............. 198 2.2.1 Lenkung der Regierung durch die SO ........................... 198 2.2.2 Einführung eines scientologischen Rechtssystems ......... 199 2.2.3 Bekämpfung von Kritik an Lehre und Praxis - aggressive Expansionstechnik ....................................................... 199 2.3 Aktivitäten der SO ....................................................... 199 2.3.1 Angriffe auf Repräsentanten des Staates ...................... 199 2.3.2 Techniken der Verhaltenskontrolle und -steuerung ....... 200 2.3.3 Ausforschung und Bekämpfung von Kritikern .............. 200 2.3.4 Aktivitäten im Ausland ................................................. 201 2.4 Bewertung der Schriften und Aktivitäten ...................... 202 3. Organisationsund Kommandostruktur der SO ............. 203 3.1 Weltweite Kommandostruktur der SO .......................... 203 3.2 Organisation der SO in Deutschland ............................. 203 3.2.1 "Church"-Sektor .......................................................... 203 3.2.2 WISE-Sektor ................................................................. 206 3.2.3 ABLE-Sektor ................................................................ 206 3.2.4 Besonders aktive Tarnorganisationen der SO ................ 207 3.2.4.1 Applied Scholastics ...................................................... 207 3.2.4.2 NARCONON ................................................................ 208 3.2.4.3 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) ....................................... 209 3.2.5 Office of Special Affairs (OSA) ..................................... 209 4. Mitglieder der SO ........................................................ 211 5. Veranstaltungen und sonstige Aktivitäten der SO .......... 211 Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 10 Inhaltsverzeichnis 6. Verwaltungsgerichtsverfahren ...................................... 212 7. Vertrauliches Telefon und Informationsangebot im Internet ................................................................... 214 7. Abschnitt Spionageabwehr 1. Ausgangslage .............................................................. 215 2. Wirtschaftsspionage ..................................................... 216 3. Spionage im Bereich der Kommunikationstechnik ......... 217 4. Proliferation ................................................................. 218 5. Schutzmaßnahmen - Beratung durch den Verfassungsschutz ........................................................ 219 6. Ausblick ....................................................................... 221 8. Abschnitt Organisierte Kriminalität 1. Ausgangslage .............................................................. 222 2. EU-Osterweiterung ...................................................... 222 3. Beobachtungsschwerpunkte ......................................... 223 3.1 Osteuropäische OK-Gruppierungen .............................. 224 3.2 OK-Gruppierungen in den Balkanstaaten und der Türkei 225 3.3 Italienische Mafia ......................................................... 227 3.4 Asiatische Organisierte Kriminalität .............................. 228 3.4.1 Schleusungsdelikte ....................................................... 229 3.4.2 Betäubungsmittelhandel .............................................. 229 3.5 Korruption ................................................................... 230 3.6 Kriminalität im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben .......................................................... 230 3.7 Rockerkriminalität in Bayern ......................................... 230 Anhang Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) .......................... 233 Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz (PKGG) ................... 243 Sachwortregister ....................................................................... 245 Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Verfassungsschutz in Bayern 11 1. Abschnitt Verfassungsschutz in Bayern Die Bundesrepublik Deutschland ist nach ihrer Verfassung eine wertWehrhafte gebundene, wachsame und wehrhafte Demokratie. Der Staat kann gegen Demokratie Bestrebungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuschaffen, die in der Verfassung vorgesehenen Abwehrmittel einsetzen, z.B. durch ein Parteioder Vereinsverbot. Dies setzt voraus, dass er solche Bestrebungen oder Aktivitäten, die als "extremistisch" oder als "verfassungsfeindlich" bezeichnet werden - diese Begriffe sind gleichbedeutend -, rechtzeitig erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Verfassungsschutzes ein. Er dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie dem Schutz des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist unter der Freiheitliche freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine Ordnung zu verstedemokratische hen, die unter Ausschluss jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft eine Grundordnung rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören mindestens: - die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, - die Volkssouveränität, - die Gewaltenteilung, - die Verantwortlichkeit der Regierung, - die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, - die Unabhängigkeit der Gerichte, - das Mehrparteienprinzip, - die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 12 Verfassungsschutz in Bayern 1. Gesetzliche Grundlagen Rechtliche Die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sind gesetzlich Grundlagen genau festgelegt. Das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz beschreibt die von Bund und Ländern auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben. Es ist zugleich Rechtsgrundlage für die Arbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz. Neben diesem Bundesgesetz bestehen in allen Ländern eigene Verfassungsschutzgesetze. In Bayern regelt das im Anhang abgedruckte Bayerische Verfassungsschutzgesetz die Aufgaben und Befugnisse des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz, das seinen Sitz in München hat und dem Bayerischen Staatsministerium des Innern unmittelbar nachgeordnet ist. Für das Landesamt wurden im Haushaltsplan 2006 insgesamt 446 Stellen für Beamte und Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst ausgewiesen; das Haushaltsvolumen 2006 betrug 25 Millionen Euro. 2. Aufgaben des Verfassungsschutzes BeobachtungsNach dem Bayerischen Verfassungsschutzgesetz hat das Landesamt für auftrag Verfassungsschutz im Wesentlichen den Auftrag der Beobachtung von - Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, - sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht (Sabotage und Spionage), - Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, - Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), gerichtet sind und - Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität. Darüber hinaus wirkt das Landesamt für Verfassungsschutz u.a. bei Sicherheitsüberprüfungen aus Gründen des Geheimschutzes und des Sabotageschutzes mit. Rechtsgrundlage hierfür ist das Bayerische Sicherheitsüberprüfungsgesetz. Das Landesamt ist fernerhin beteiligt bei der Überprüfung von Mitarbeitern in Flughäfen und Kernkraftwerken Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Verfassungsschutz in Bayern 13 nach dem Luftsicherheitsgesetz bzw. Atomgesetz sowie bei einbürgerungsund ausländerrechtlichen Entscheidungen. Im Mittelpunkt der Beobachtung stehen Aktivitäten von extremistischen Organisationen. Dazu müssen zwangsläufig auch die Mitglieder und Unterstützer erfasst werden. Aber auch die Beobachtung von Einzelpersonen ist zulässig. Der Verfassungsschutz beobachtet verfassungsfeindliche Bestrebungen im Inland. Er informiert die politisch Verantwortlichen und die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der Beobachtung, vor allem über mögliche Gefahren. Er versetzt die zuständigen staatlichen Stellen des Bundes und der Länder in die Lage, verfassungsfeindlichen Kräften rechtzeitig und angemessen zu begegnen. Im Gegensatz zum Verfassungsschutz beschafft der BundesnachrichAbgrenzung zu tendienst (BND) Informationen über das Ausland, die für die BundesBND und MAD republik Deutschland außenund sicherheitspolitisch von Interesse sind. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) nimmt Verfassungsschutzaufgaben im Bereich der Bundeswehr wahr. 3. Informationsbeschaffung Zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags ist der Verfassungsschutz verpflichtet, Informationen zu beschaffen, auszuwerten und zu speichern. Diese Nachrichten werden zum weit überwiegenden Teil aus offenen Quellen gewonnen (z.B. aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Programmen, Broschüren und sonstigem Material extremistischer Organisationen sowie bei deren öffentlichen Veranstaltungen). Einen Teil der Informationen erhält der Verfassungsschutz durch Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel. Zu diesen Mitteln gehören im WesentNachrichtenlichen: dienstliche Mittel - der Einsatz von verdeckt arbeitenden V-Leuten ("V" steht für "Vertrauen") in extremistischen Organisationen, - das Beobachten verdächtiger Personen (Observation) sowie - verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (Öffnen von BrieBriefund fen, Abhören von Telefongesprächen) sind besonders strengen rechtsTelefonkontrolle staatlichen Anforderungen unterworfen. Sie sind in einem eigenen Gesetz geregelt, das nach dem Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses "Artikel 10-Gesetz" (G10) genannt wird. Ein Verfahren mit mehreren voneinander unabhängigen Kontrollinstanzen stellt Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 14 Verfassungsschutz in Bayern sicher, dass in dieses Grundrecht nur eingegriffen wird, wenn die im Gesetz genannten besonderen Gründe vorliegen. Ähnliches gilt für die seit Beginn des Jahres 2003 eingeführten Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern, Fluggesellschaften und Kreditinstituten sowie für die Verwendung des so genannten IMSI-Catchers zur Feststellung unbekannter Mobiltelefonnummern. Rechtsstaatliche Sicherungen gelten auch für den Einsatz besonderer technischer Mittel im Schutzbereich des Art. 13 des Grundgesetzes, also für den Einsatz von Abhörgeräten oder versteckten Kameras in Wohnungen und Büros. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3.März 2004 zu entsprechenden Maßnahmen nach der Strafprozessordnung erfordert in Teilbereichen auch eine Anpassung der bisherigen Rechtslage. Keine polizeiDem Verfassungsschutz stehen keine polizeilichen Befugnisse zu. Polizeilichen Befugnisse behörden und Verfassungsschutz sind voneinander getrennt. Deshalb dürfen die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes keinerlei Zwangsmaßnahmen (wie z.B. Festnahmen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen usw.) durchführen. Verfassungsschutzbehörden dürfen auch keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden. Dies steht aber einer informationellen Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung nicht entgegen. Im Gegenteil sind diese unabdingbare Voraussetzungen für eine effiziente Arbeit der Sicherheitsbehörden. Erscheint aufgrund der dem Verfassungsschutz vorliegenden Informationen ein sicherheitsrechtliches Eingreifen erforderlich, so wird die zuständige Sicherheitsbehörde unterrichtet. Diese entscheidet dann selbständig, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. 4. Kontrolle Vielfältige Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden unterliegt einer vielfälKontrollen tigen Kontrolle. Dazu gehört die allgemeine parlamentarische Kontrolle, die durch die Berichtspflicht des verantwortlichen Ministers gegenüber dem Landtag im Rahmen von aktuellen Stunden, Anfragen von Abgeordneten, Petitionen usw. ausgeübt wird. Eine besondere Kommission des Bayerischen Landtags, das Parlamentarische Kontrollgremium, überwacht die Arbeit des Verfassungsschutzes. Die G10-Kommission überprüft die Maßnahmen zur Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs - deren Zahl im Jahr 2006 wie schon in der Vergangenheit im unteren zweistelligen Bereich lag -, die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern, Fluggesellschaften und Kreditinstituten sowie des Einsatzes des so genannten IMSI-Catchers. Die Verwaltungskontrolle obliegt dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Verfassungsschutz in Bayern 15 Innenminister im Rahmen der Dienstund Fachaufsicht, ferner dem Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz und dem Bayerischen Obersten Rechnungshof. Diese Kontrollen werden ergänzt durch eine mögliche gerichtliche Nachprüfung belastender Einzelmaßnahmen sowie durch die Öffentlichkeit in Form von Presse, Funk und Fernsehen. 5. Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann auf Dauer nicht ohne die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus gesichert werden. Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes gewährleistet, dass Regierung und Parlament, aber auch die Bürger über Aktivitäten und Absichten verfassungsfeindlicher Organisationen informiert werden. Aufklärungsarbeit Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes klärt das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz in Fachvorträgen über aktuelle extremistische Entwicklungen auf; im Jahr 2006 lagen hierbei die Schwerpunkte bei den Themen "Rechtsextremismus" und "Islamismus". Der Verfassungsschutzbericht sowie weitere Publikationen zu den Aufgabenfeldern des Verfassungsschutzes ermöglichen es jedem Bürger, sich selbst ein Urteil über die Gefahren zu bilden, die unserem Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 16 Verfassungsschutz in Bayern Rechtsstaat durch verfassungsfeindliche Kräfte drohen. Das Informationsmaterial wird kostenlos zur Verfügung gestellt und kann beim Bayerischen Staatsministerium des Innern - Sachgebiet ID6 -, Odeonsplatz 3, 80539 München (Telefax: 0 89 / 2 19 21 28 42) angefordert werden. Die meisten Materialien, insbesondere der jährliche VerfasInternetsungsschutzbericht und auch Informationen zur Scientology-OrganisaAngebote tion, sind zusätzlich im Internet unter folgender Adresse abrufbar: http://www.innenministerium.bayern.de/sicherheit/verfassungsschutz Das Internet-Angebot des Bayerischen Staatsministeriums des Innern wird durch die unter der Adresse http://www.verfassungsschutz.bayern.de erreichbare Homepage des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz ergänzt. 6. Infound Beratungstelefone Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ist telefonisch rund um die Uhr unter der Nummer 0 89 / 31 20 10 erreichbar. Kontakttelefone Speziell für Hinweise zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist dort unter der Nummer 0 89 / 31 20 14 80 ein Kontakttelefon eingerichtet. Im Rahmen der von Bund und Ländern erarbeiteten Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten besteht ein Beratungsund Hinweistelefon. Das Telefon, das ebenso der Aufklärung rechtsextremistischer Aktivitäten in Bayern dienen soll, ist für Bürger und aussteigewillige Extremisten - nicht nur Rechtsextremisten - unter der Nummer 0 18 02 00 07 86 zu erreichen. Für Opfer und Aussteiger der Scientology-Organisation (SO) sowie für Angehörige von SO-Mitgliedern unterhält das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ein "vertrauliches Telefon". Das Amt nimmt Informationen und Hinweise unter der Nummer 0 89 / 31 20 12 96 entgegen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Entwicklung des politischen Extremismus 17 2. Abschnitt Entwicklung des politischen Extremismus im Jahr 2006 1. Ausländerextremismus Der islamische Extremismus (Islamismus), insbesondere die Terrornetzwerke, stellt weiterhin die größte Bedrohung der Inneren Sicherheit dar. Diese Gefahr ist gerade auch für Deutschland durch die fehlgeschlageFehlgeschlagene nen Sprengstoffanschläge auf zwei Regionalzüge mit Ziel Hamm und Anschläge Koblenz am 31. Juli nochmals sehr deutlich geworden. In England verin Deutschland hinderte die Polizei im August Anschläge von islamistischen Terroristen mit Flüssigsprengstoff auf mehrere Flugzeuge, nachdem im Juli 2005 Selbstmordattentate auf den öffentlichen Nahverkehr in London 56 Tote und mehrere Hundert Verletzte gefordert hatten. Terroristische Bedrohungen gehen sowohl von grenzüberschreitenden Strukturen des Terrornetzwerkes al-Qaida als auch von regional operierenden Zellen aus, die in der Lage sind, Anschläge weitgehend ohne zentrale Vorbereitung und Steuerung durchzuführen. Das Phänomen des "home grown"-Ter"home grown"rorismus, das insbesondere in Großbritannien mit den Anschlägen vom Terrorismus Juli 2005 zutage trat, wird künftig eine der größten Herausforderungen auch für die deutschen Sicherheitsbehörden sein. Die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen im Irak haben nach wie vor Auswirkungen auf die Bedrohungslage in Deutschland; deshalb unterliegen die Rückkehrer aus dem Irak unverändert der besonderen Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden. Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) als Organisation Islamische der Milli-Görüs-Bewegung in Europa ist in Deutschland die mitgliederGemeinschaft stärkste islamistische Organisation. Sie bietet Islamisten eine politische Milli Görüs und religiöse Heimat und hält Kontakt zu der türkischen Regierungspartei AKP. Sie versucht, die Verbindungen zur türkisch-islamistischen Saadet Partisi (SP) in der Öffentlichkeit herunterzuspielen, ohne dabei einen Bruch mit dem Führer der Milli-Görüs-Bewegung und Vorsitzenden der SP, Prof. Dr. Necmettin Erbakan, zu provozieren. Die IGMG-Führungsspitze in Deutschland will mit dieser Politik die islamistischen Anhänger der Milli-Görüs-Bewegung halten und gleichzeitig den Anschein einer gemäßigten, weltoffenen und auf dem Boden der freiVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 18 Entwicklung des politischen Extremismus heitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Organisation erwecken. Sie ist nach wie vor um ein rechtlich unangreifbares Erscheinungsbild bemüht. Deshalb unternahm sie in den letzten Jahren verstärkt rechtliche Schritte gegen Veröffentlichungen in Verfassungsschutzberichten oder anderen Publikationen. In Bayern wurde im Mai ein seit dem Jahr 2002 andauernder Rechtsstreit in erster Instanz beendet. Das Bayerische Verwaltungsgericht München hat der Klage der IGMG gegen den Freistaat Bayern auf Unterlassung verschiedener Aussagen im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2001 zum Teil stattgegeben. Gegen das Urteil wurden Rechtsmittel eingelegt. Unabhängig von diesem juristischen Teilerfolg der IGMG existiert über sie weiterhin eine Vielzahl von Erkenntnissen, die belegen, dass die IGMG eine extremistische Organisation ist. Tablighi Jamaat Im Mai fand in der Al-Nur-Moschee in Berlin das Jahrestreffen der Tablighi Jamaat (TJ) statt, an dem sich rund 700 Anhänger aus Deutschland, darunter etwa 50 aus Bayern, beteiligten. Ziel der TJ ist die Islamisierung der Gesellschaft, um dadurch die Etablierung eines islamischen Staates zu erreichen, was bei diesem Jahrestreffen erneut deutlich wurde. Der gesamte Veranstaltungsablauf war gekennzeichnet durch den absoluten Führungsanspruch der pakistanischen und indischen Scheichs (Welt-Shura). Sie äußerten ihren Unmut darüber, dass Deutschland in den Missionierungserfolgen weit hinter anderen europäischen Ländern zurückliege. Die Anhänger wurden deshalb aufgefordert, ihre Missionierungsanstrengungen zu intensivieren; hierzu solle auch auf deutsche Entscheidungsträger wie Bürgermeister und Parlamentsabgeordnete zugegangen werden. "Multi-KulturDer Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) bestätigte mit Urteil Haus Ulm e.V." vom 24. Januar 2007 das Vereinsverbot des "Multi-Kultur-Hauses Ulm e.V." (MKH) nachdem er bereits im September 2006 einen Eilantrag des MKH gegen das Verbot abgelehnt hatte. Das MKH war ein vorwiegend in Bayern tätiger und in Baden-Württemberg vereinsrechtlich eingetragener Verein. Da vom MKH Bestrebungen ausgingen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richteten, wurde der Verein am 28. Dezember 2005 vom Bayerischen Staatsministerium des Innern verboten. Die Schließung des MKH verunsicherte die örtliche islamistische Szene nachhaltig und ließ bislang unterschwellige Spannungen unter der Anhängerschaft des MKH zu Tage treten. Die früheren Besucher des MKH verteilen sich nun auf die umliegenden vorwiegend türkischen Moscheen. Einzelne ehemalige Mitglieder versuchen schwerpunktVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Entwicklung des politischen Extremismus 19 mäßig in Ulm/Baden-Württemberg neue Vereine zu gründen. Ehemalige MKH-Anhänger sollen sich bemühen, unter Zuhilfenahme von Personen des "Islamischen Informationszentrums Ulm e.V." (I.I.Z.-Ulm) eine Ersatzstruktur für das verbotene MKH zu schaffen. Bisher erfolgte keine vereinsrechtliche Neueintragung; die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Konsequentes behördliches Vorgehen machte innerhalb der gesamten AG BIRGiT islamistischen Szene Eindruck. Die im Oktober 2004 ins Leben gerufene Arbeitsgruppe BIRGiT (Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus und Extremismus), die sich aus Spezialisten der Ausländerbehörden, des Verfassungsschutzes, der Polizei und anderer Behörden zusammensetzt, hat bis Ende 2006 gegen islamistische Gefährder und Hassprediger 65 Ausweisungsbescheide veranlasst. In 40 Fällen ist der Aufenthalt mittlerweile beendet und die Wiedereinreise untersagt. Der Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) hielt in Deutschland an seinem Gewaltverzicht fest. In der Türkei fanden indessen massive Kämpfe gegen türkische Sicherheitskräfte statt. Ungeachtet dessen hat der KONGRA GEL zum 1. Oktober erneut einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen. Die terroristische Organisation "Freiheitsfalken KurdisAnschläge der tans" (TAK) setzte ihre Anschläge in der Türkei gegen wirtschaftliche und "Freiheitsfalken touristische Ziele mit zahlreichen Toten und Verletzten fort. Die FreiKurdistans" (TAK) heitsfalken sind nach eigenen Angaben aus den HPG, den "Volksverteidigungskräften" des KONGRA GEL, hervorgegangen. In Deutschland ist der KONGRA GEL auch weiterhin in der Lage, für Großveranstaltungen mehrere zehntausend Anhänger zu mobilisieren. 2. Rechtsextremismus Der parteipolitische Rechtsextremismus fand bei Wahlen - wie schon im Vorjahr - wenig Zustimmung. Eine Ausnahme bildete die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), die im Frühjahr bei den LandSingulärer Wahltagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz noch scheiterte, erfolg der NPD aber im Herbst in Mecklenburg-Vorpommern den Einzug in das dortige Landesparlament schaffte. Während die Mitgliederzahlen der NPD leicht gestiegen sind, hatten die Deutsche Volksunion (DVU) und die Partei "Die Republikaner" (REP) in Bayern wie im übrigen Bundesgebiet Mitgliederverluste zu verzeichnen. Rechtsextremisten setzten ihre Agitation gegen eine Reform des Sozialsystems fort. Auch bei Wahlkämpfen griffen sie aktuelle politische TheVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 20 Entwicklung des politischen Extremismus men auf und versuchten, durch Verknüpfung nationalistischer, fremdenfeindlicher, antisemitischer und sozialdemagogischer Thesen die in der Bevölkerung vorhandenen Sorgen und Verunsicherungen für ihre extremistischen Ziele zu instrumentalisieren. Schwerpunkte Die Nahost-Problematik wurde von ihnen im Sinn ihres rassistisch motirechtsextremisvierten Antisemitismus kommentiert. Darüber hinaus dienten ihnen die tischer Agitation Osterweiterung der Europäischen Union (EU) sowie die Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU zur Schürung von Ängsten vor sozialen Veränderungen und zunehmender Kriminalität. Schwerpunkte rechtsextremistischer Agitation waren ferner Propagandaaktionen zum 60. Jahrestag der Nürnberger Prozesse. Rechtsextremisten sprachen in diesem Zusammenhang von "Schandurteilen", denn das Ziel der "Siegerjustiz" sei "nicht Recht, sondern Rache" gewesen. Auch die Auseinandersetzungen um die in einer dänischen Zeitung Mohammedveröffentlichten Mohammed-Karikaturen boten deutschen RechtsKarikaturen extremisten Ansatzpunkte zur Propaganda, machten aber auch das Spannungsverhältnis von Rechtsextremismus und Islamismus deutlich: Einerseits lehnen Rechtsextremisten Ausländer, insbesondere solche aus anderen Kulturen, in Deutschland ab. Andererseits wird die Agitation des Islamismus gegen westliche Werte zustimmend zur Kenntnis genommen. Desgleichen griff das rechtsextremistische Spektrum die revisionistischen und antisemitischen Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad auf, um so die eigenen Positionen zu stärken. Die NPD war auch 2006 der Motor für die anhaltenden Versuche zur Einigung des rechtsextremistischen Lagers. Der von den Parteivorsitzen"Deutschland-Pakt" den der NPD und DVU in einem so genannten Deutschland-Pakt im von NPD und DVU Januar 2005 vereinbarte Verzicht auf konkurrierende Kandidaturen bei Wahlen auf Europa-, Bundesund Landesebene bis 2009 wurde nach dem Wahlerfolg der NPD in Mecklenburg-Vorpommern bekräftigt. Die weitere Zusammenarbeit mit der DVU und den neonazistisch orientierten Kräften in der von der NPD dominierten "Volksfront von rechts" ist allerdings durch eine aktuelle Finanzkrise erheblich gefährdet. Die DVU ist zwar weiterhin die finanzstärkste rechtsextremistische Partei, aber nach wie vor zu einer sachorientierten politischen Arbeit nicht fähig. Das wenig ausgeprägte Parteileben ist nicht demokratisch organisiert und vom bedingungslosen Machtanspruch des Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard Frey dominiert. Obwohl die Vorsitzenden von NPD und DVU ständig betonen, dass sich beide Parteien in den Grundzielen einig seien, bestehen in den bündnispolitischen Positionen nach wie vor DiffeVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Entwicklung des politischen Extremismus 21 renzen, insbesondere in der Frage einer Zusammenarbeit mit Neonazis. Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt scheiterte die DVU trotz des mit der NPD geschlossenen "Deutschland-Pakts". Die Situation der REP ist seit Jahren durch interne AuseinandersetzunBestätigung des gen über den von der Parteiführung offiziell vertretenen AbgrenzungsAbgrenzungskurses kurs gegenüber anderen Organisationen des rechtsextremistischen der REP-Spitze Spektrums gekennzeichnet. Auf dem Bundesparteitag am 9. und 10. Dezember setzte sich bei der Vorstandswahl der Parteivorsitzende Dr. Rolf Schlierer klar gegen seinen Mitbewerber Björn Clemens durch, der sich im Vorfeld des Parteitags für ein Ende der "Abgrenzungspolitik" ausgesprochen hatte. Damit hat möglicherweise eine grundlegende Weichenstellung für die künftige Entwicklung der Partei stattgefunden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bestätigte am 29. Juni das Verbot der neonazistischen Fränkischen Aktionsfront (F.A.F.) durch das Bayerische Staatsministerium des Innern. Die F.A.F. war bis zu ihrem Verbot im Januar 2004 eine der bedeutendsten Neonazi-Gruppierungen in Bayern und hatte aufgrund ihrer umfangreichen Aktivitäten einen überregionalen Bekanntheitsgrad in der rechtsextremistischen Szene erlangt. Neonazis und rechtsextremistische Skinheads verstärkten erneut ihre intensive Zusammenarbeit. Dabei dominieren die neonazistischen Positionen gegenüber den eher diffusen rechtsextremistischen Orientierungen von Skinheads. Die Zahl neonazistisch orientierter Personen stieg auf 350; die Zahl der dem Spektrum rechtsextremistischer Skinheads zuzurechnenden Personen sank dagegen auf rund 750. Somit gibt es in Bayern weiterhin rund 1.100 gewaltbereite Rechtsextremisten. Die Zahl Gewaltbereite der Skinhead-Konzerte ist stark angestiegen. Während die Gewalttaten Rechtsextremisten vom hohen Niveau des Vorjahres wieder zurückgegangen sind, hat die Anzahl sonstiger Straftaten, insbesondere der Propagandadelikte, in Bayern zugenommen. Der von der Neonazi-Szene als wichtiges öffentlichkeitswirksames Ereignis konzipierte "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch" in Wunsiedel wurde erneut verboten. Die dagegen eingelegten Rechtsbehelfe blieben im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth, dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht erfolglos. Das im Februar 2001 vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz eingerichtete Hinweistelefon (0 18 02 00 07 86) wurde seither Hinweistelefon von etwa 350 Personen genutzt. Meist handelte es sich bei den Anrufern um Bürger, die Hinweise auf rechtsextremistische Bestrebungen Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 22 Entwicklung des politischen Extremismus gaben. In einigen Fällen bekundeten Rechtsextremisten ihren Willen zum Ausstieg. Darüber hinaus hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz insgesamt über 100 Personen angesprochen, von denen etwa die Hälfte inzwischen aus der rechtsextremistischen Szene ausgestiegen ist und etwa ein Dutzend als potenzielle Aussteiger bezeichnet werden können. 3. Linksextremismus Der gewaltbereite Linksextremismus stellt nach wie vor eine Gefahr für die Innere Sicherheit dar und verdient auch in Bayern Beachtung. Das linksextremistische Gewaltpotenzial wird zu 80 % von Gruppen und Einzeltätern aus dem autonomen und anarchistischen Spektrum gestellt. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Gewalttaten in Bayern ist von 107 Delikten im Jahr 2005 auf 71 deutlich gesunken. Opfer waren überwiegend (44 Fälle) Polizeibeamte, die zum Schutz von Veranstaltungen (z.B. der Münchner Sicherheitskonferenz und von rechtsextremistischen Aufzügen) eingesetzt waren. Auch bei den sonstigen Straftaten in Bayern war eine Reduzierung auf 69 (2005: 181) zu verzeichnen. Beim Thema "Antiimperialismus", insbesondere bei den Aktionen gegen die Münchner Sicherheitskonferenz, zeigt sich, dass die eigentlichen Angriffsziele der Autonomen der demokratische Staat und seine Repräsentanten sind. Die Thematik "Anti-Globalisierung" mit Schwerpunkte Aktionen gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm/Mecklenburg-VorAnti-Globalisierung pommern stellt ebenfalls ein wichtiges Agitationsund Aktionsfeld der und Antifaschismus Autonomen dar. Darüber hinaus bleibt ein Schwerpunkt autonomen Handelns der "Antifaschismus", d.h. der "Kampf" gegen tatsächliche und vermeintliche Rechtsextremisten; in diesem Zusammenhang wurden auch mit 50 Gewalttaten die meisten Gewaltdelikte verübt. Im Rahmen des Fusionsprozesses von Linkspartei.PDS und der nicht extremistischen Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative" (WASG) stellten beide Parteien am 23. Februar als Diskussionsgrundlage für ein gemeinsames Programm erste "Programmatische Eckpunktepapier Eckpunkte auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei in Deutschland" von Linkspartei.PDS vor. Am 20. September wurde ein überarbeiteter zweiter Entwurf des und WASG Eckpunktepapiers veröffentlicht. Dieses Papier bildete die Basis für den Gründungsentwurf der "Programmatischen Eckpunkte", der von den Parteivorständen der Linkspartei.PDS und der WASG am 22. Oktober beschlossen wurde. Der Gründungsentwurf gibt in weiten Teilen Zielvorstellungen der Linkspartei.PDS wieder. So soll am Ziel der Systemüberwindung festgehalten werden, indem eine Gesellschaft gefordert Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Entwicklung des politischen Extremismus 23 wird, die über den Kapitalismus hinausweist und die ihn in einem transformatorischen Prozess überwindet. Der Name der neuen Partei soll "DIE LINKE." sein. Anlässlich einer außerordentlichen Tagung des 10. Parteitags der Linkspartei.PDS am 26. November stimmten die Delegierten der Umwandlung der Partei von einem nicht rechtsfähigen in Umwandlung der einen rechtsfähigen Verein durch Änderung des Statuts zu, da das Linkspartei.PDS Parteiengesetz eine Fusion nicht vorsieht. Beide Parteien wollen den Parteineubildungsprozess bis zum 30. Juni 2007 abschließen. Erfolge konnte die Linkspartei.PDS bei den Landtagswahlen in den neuen Teilnahme an Bundesländern verzeichnen. Die Partei behielt ihren Status als zweitWahlen stärkste Fraktion in Sachsen-Anhalt bzw. als drittstärkste Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz kandidierte die Linkspartei.PDS nicht eigenständig, sondern war mit einigen Kandidaten auf den Listen der WASG angetreten. Die WASG scheiterte gleichwohl in beiden Ländern an der 5 %-Hürde. In Berlin musste die Linkspartei.PDS bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus starke Verluste hinnehmen, blieb aber dennoch weiterhin an der Landesregierung beteiligt. 4. Scientology-Organisation Die Scientology-Organisation (SO) verfolgt weiterhin das Ziel, eine weltweite scientologische Gesellschaft nach eigenen, die Grundprinzipien Missachtung der der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie Gewaltenteilung, Grundprinzipien Rechtsstaatsprinzip und Demokratieprinzip missachtenden Regeln zu unserer Verfassung schaffen und zu regieren. Ihr höchstes Ziel, die Weltherrschaft, steht im krassen Widerspruch zu ihren ständigen Beteuerungen, der Menschheit die völlige Freiheit zu bringen, weil die Verwirklichung ihres Herrschaftsprinzips tatsächlich zu einer massiven Beeinträchtigung der Menschenrechte führen würde. Für den einzelnen Menschen und seine Probleme hat die SO trotz anders lautender öffentlicher Bekundungen kein Interesse. Kritische Personen zu "Unterdrückern" zu erklären oder Menschen zu "potenziellen Schwierigkeitsquellen" zu degradieren, offenbart die ideologische Menschenverachtung der scientologischen Lehre. Sie sieht sich als Inhaberin der absoluten Wahrheit mit dem Recht, sich die Welt anzueignen. Ihr einziges Ziel, an dem sich all ihre Aktivitäten orientieren, ist die Expansion der Organisation. Bis dieses Ziel erreicht ist, steht die SO im Grunde mit allen Menschen, Gesellschaftsgruppen und Staaten, die sie ablehnen, in ständigem Konflikt. Vor diesem Hintergrund diffamierte sie auch 2006 in ihrer Propaganda die staatlichen Aufklärungsund Abwehrmaßnahmen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 24 Entwicklung des politischen Extremismus Dabei versucht die SO weiterhin, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz mit der Verfolgung der Juden im Dritten Reich gleichzuPropagandasetzen. Sie veranstaltet Info-Stände, Ausstellungen und andere propaaktionen und gandistische Aktionen, um die Öffentlichkeit über ihre verfassungsExpansionsfeindlichen Absichten zu täuschen und um neue Mitglieder zu werben. bestrebungen Ein Schwerpunkt der Expansionsstrategie der SO ist seit langem ihr Bestreben, in ihrem angeblichen Kampf gegen die Bildungsmisere und den Analphabetismus die Studiertechnologie Hubbards in der Gesellschaft zu etablieren. Dieses Bemühen, beispielsweise über Nachhilfegruppen zunächst unerkannt die Lehren Hubbards zu verbreiten, um letztendlich neue Mitglieder zu rekrutieren, hat sie zwar fortgesetzt, war jedoch weiterhin wenig erfolgreich. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Entwicklung des politischen Extremismus 25 5. Grafische Darstellungen Entwicklung Ausländische Extremisten Rechtsextremisten der MitgliederLinksextremisten zahlen extremisScientology-Organisation Deutschland tischer OrganiMitglieder sationen in 80.000 Deutschland 60.000 58.200 57.400 48.400 38.600 40.000 34.100 30.700* 20.000 9.500 5.500** 0 1997 98 99 2000 01 02 03 04 05 06 * Die Kurve beruht auf Zahlen des Bundesamts für Verfassungsschutz, das von den Mitgliedern der Linkspartei.PDS nur die der Kommunistischen Plattform (KPF) erfasst. Die Linkspartei.PDS hatte im Jahr 2006 insgesamt 60.300 Mitglieder, davon 1.000 in der KPF. ** Scientology-Organisation 1998 erstmals konkret erfasst; Angaben für das Vorjahr geschätzt. Entwicklung Ausländische Extremisten Rechtsextremisten der MitgliederLinksextremisten zahlen extremisScientology-Organisation Deutschland tischer OrganiMitglieder sationen in 12.000 Bayern 10.050 10.000 9.190 8.000 7.900 6.000 5.550 3.920 4.000 3.410 2.600* 2.000 3.000 0 1997 98 99 2000 01 02 03 04 05 06 * Scientology-Organisation 1998 erstmals konkret erfasst; Angaben für das Vorjahr geschätzt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 26 Entwicklung des politischen Extremismus Entwicklung extremistisch 2004 2005 2006 motivierter 1100 1.047 Gewalttaten in 1000 958 Deutschland 896 900 862 (Zahlen ohne terroristische 776 Straftaten) 800 700 600 521 500 400 300 200 95 100 61 47 0 linksextremistisch rechtsextremistisch Gewalttaten durch motivierte motivierte ausländische Gewalttaten Gewalttaten Extremisten Entwicklung extremistisch 2004 2005 2006 120 motivierter 107 Gewalttaten in Bayern 100 (terroristische Straftaten 80 77 vgl. Fußnoten) 71 60 47 42 40 27 20 113) 1) 2) 3 3 0 linksextremistisch rechtsextremistisch Gewalttaten motivierte motivierte ausländischer Gewalttaten Gewalttaten Extremisten 1) zusätzlich fünf terroristische Straftaten 3) zusätzlich drei terroristische Straftaten 2) zusätzlich vier terroristische Straftaten Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 27 3. Abschnitt Extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern 1. Allgemeines 1.1 Merkmale des Ausländerextremismus Ausländergruppen und ausländische Einzelpersonen werden als extreEinstufung als mistisch bewertet und vom Verfassungsschutz beobachtet, wenn sich extremistisch ihre politischen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand Bayerns bzw. des Bundes richten. Dazu gehören insbesondere die Organisationen islamischer Extremisten, die sich auch in Deutschland die Errichtung eines islamischen Gottesstaats nach dem Beispiel des Iran zum Ziel gesetzt haben und damit wesentliche Grundsätze unserer freiheitlichen Verfassung beseitigen wollen. Der gesetzlichen Beobachtung unterliegen ferner Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind bzw. Gruppierungen von Ausländern, die eine gewaltsame Änderung der politischen Verhältnisse in ihrem Heimatland anstreben und dadurch auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. 1.2 Entwicklung in Bayern LinksExtreme Islamische Gesamtzahl Mitgliederstärke extremisten Nationalisten Extremisten Mitglieder extremistischer AusländerKurden 1.800 (1.800) - (-) 50 (60) 1.850 (1.860) organisationen Türken 280 (280) 1.250 (1.500) 4.900 (4.900) 6.430 (6.680) in Bayern Sonstige* 330 (280) 50 (150) 530 (540) 910 (970) Gesamtzahl 2.410 (2.360) 1.300 (1.650) 5.480 (5.500) 9.190 (9.510) (in Klammern die Vergleichszahlen des Vorjahrs) * Albaner, Araber, Inder, Iraner, Srilanker u.a. Die Gesamtzahl der Mitglieder extremistischer Ausländervereinigungen in Bayern verringerte sich erneut geringfügig von 9.510 im Jahr 2005 Leicht gesunkene auf 9.190. Der Rückgang geht im Wesentlichen auf Austritte bei der Mitgliederzahl türkisch-nationalistischen Vereinigung ADÜTDF ("Graue Wölfe") zuVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 28 Ausländerextremismus rück. Wie in den Vorjahren stellten die Organisationen extremistischer Türken (einschließlich kurdischer Volkszugehöriger) etwa 90 % aller ausländischen Extremisten in Bayern. Über die Hälfte aller ausländischen Extremisten ist dem Islamismus zuzurechnen. Ausländische Extremisten in Deutschland 30.600 35.000 32.150 30.000 Islamische Extremisten 25.000 17.850 20.000 15.000 Linksextremisten 16.870 10.000 8.900 5.000 Extreme Nationalisten 8.380 0 2002 2003 2004 2005 2006 Ausländische Extremisten in Bayern 5.500 7.000 5.480 6.000 Islamische Extremisten 5.000 4.000 2.800 3.000 Linksextremisten 2.070 2.410 2.000 1.000 Extreme Nationalisten 1.300 0 2002 2003 2004 2005 2006 Eine isolierte Betrachtung der Mitgliederzahlen der Organisationen verdeutlicht die Bedrohungslage nicht ausreichend. Insbesondere im Bereich des Terrorismus treten im Inland fast ausschließlich organisationsunabhängige Einzelpersonen oder Anhänger von Splittergruppen ausländischer Organisationen mit Verbindungen zum islamistischen TerGewaltpotenzial rorismus auf. Ihre Gesamtzahl kann nur geschätzt werden. In Bayern in Bayern werden etwa 50 Personen Verbindungen zu terroristisch orientierten Netzwerken zugeschrieben. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass eine Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 29 weit größere Zahl islamischer Extremisten - rund 500 Personen - Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele befürwortet, dabei aber vorrangig auf ihre jeweiligen Heimatländer und nicht auf Deutschland abzielt. 1.3 Gewalttaten In Deutschland betrug die Zahl der Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "politisch motivierte Ausländerkriminalität" (ohne Terrorismusdelikte) 95 gegenüber 47 im Jahr 2005. Auch in Bayern stieg die Zahl der ausländischen Extremisten zuzurechnenden Gewaltdelikte von drei im Jahr 2005 auf elf deutlich an. Hauptursächlich für diese Entwicklung waren fünf Gewaltdelikte, die der KONGRA GEL-Anhängerschaft zuzurechnen sind (2005: 0). Neben diesen Gewaltdelikten ist die Zahl der Terrorismusdelikte von vier im Jahr 2005 auf drei im Jahr 2006 gesunken. In zwei Fällen wird wegen Anschlagsvorbereitungen ermittelt. In dem weiteren Fall steht ein türkischer Staatsangehöriger im Verdacht, Mitglied in der terroristischen Vereinigung DHKP-C zu sein. Beispiele für die im Berichtszeitraum verübten Gewalttaten sind folgende Vorfälle: Am 18. Februar pöbelten in Landshut vier unbekannte Ausländer drei Rechtsextremisten an und beschimpften sie als Nazis. Einer der Ausländer schlug einem 23-Jährigen mit der Faust ins Gesicht. Am Münchner Marienplatz beleidigten am 28. Februar etwa acht unbekannte Täter ausländischer Herkunft zwei alkoholisierte deutsche Jugendliche im Alter von 15 und 16 Jahren mit den Worten "Scheiß Deutsche" und "Scheiß Nazis". Sie schlugen mit den Fäusten auf sie ein und traten einen der Geschädigten mit Füßen, als dieser bereits am Boden lag. Am 19. März beleidigte in München ein 18-jähriger alkoholisierter Albaner zwei Kontrolleure der S-Bahnwache mit Aussagen wie "Schlitzauge, deine Mutter ist eine Hure!" und "Ihr Drecksdeutschen, ihr gehört mit den Schlitzaugen und Juden vergast!" Bei einem anschließenden Handgemenge wurde ein Kontrolleur am Arm verletzt. Am 16. September wurde ein 42-jähriger Deutscher, der mit seinem Fahrrad in Elsenfeld, Landkreis Miltenberg, unterwegs war, von mehreren bislang unbekannten Personen vom Fahrrad gestoßen und am Boden liegend getreten. Einer der Täter forderte den Geschädigten auf, Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 30 Ausländerextremismus dem Papst einen schönen Gruß auszurichten, wenn er ihn sehe. Am 12. September hatte Papst Benedikt XVI. einen Vortrag in Regensburg gehalten, der von Muslimen weltweit kritisiert worden war (vgl. auch Nummer 2.4.2 dieses Abschnitts). 1.4 Gerichtsverfahren und Exekutivmaßnahmen Urteil im Das Oberlandesgericht München verurteilte am 12. Januar den Iraker Lokman-Prozess Lokman Amin Mohammed wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Er hatte als führendes Mitglied der Ansar al-Islam im süddeutschen Raum u.a. Spendengelder gesammelt, gewerbsmäßige Einschleusungen von Irakern nach Deutschland ermöglicht und die Einreise von "Djihad-Kämpfern" in den Irak organisiert. Damit kam es zur bundesweit ersten Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, eines in Folge des 11. September 2001 neu geschaffenen Straftatbestands. Wegen Anstiftung zum Mord an "Ungläubigen" und Aufruf zu Terroranschlägen wurde am 7. Februar der muslimische Prediger Abu Hamza al-Masri von einem Londoner Gericht zu sieben Jahren Haft verurteilt. Dem ehemaligen Prediger der Londoner Moschee am Finsbury Park wurde u.a. vorgeworfen, die terroristische Gruppierung al-Qaida unterstützt zu haben. Zudem war Abu Hamza im Besitz eines elfbändigen Werks mit dem Titel "Enzyklopädie des afghanischen Djihad", das bei der Vorbereitung oder Verübung eines Terrorakts helfen soll. Am 10. März verurteilte ein Amsterdamer Gericht mehrere junge Muslime wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der so genannten Hofstad-Gruppe, zu Freiheitsstrafen bis zu 15 Jahren. Als Anführer der Hofstad-Gruppe galt Mohammed Bouyeri, der bereits im Juli 2005 wegen der Ermordung des Regisseurs Theo van Gogh im November 2004 zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Anklagen wegen Mehr als zwei Jahre nach den Bombenanschlägen auf Madrider VorAnschlägen in ortzüge am 11. März 2004 mit 191 Todesopfern wurden 29 Personen Madrid u.a. wegen Mordes angeklagt. Die Angeklagten gehörten einer lokalen islamistischen Terrorzelle an, die von der al-Qaida-Ideologie zur Tat motiviert worden war. Hinter den Anschlägen von Madrid steht laut Anklage die Ende der 90er Jahre von Afghanistan-Veteranen gegründete islamistische Organisation "Islamische Gruppe Marokkanischer Kämpfer" (GICM). Der Prozess wird voraussichtlich im Frühjahr 2007 beginnen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 31 Im bisher einzigen Prozess in den USA, der mit den Anschlägen vom 11. September 2001 befasst war, wurde der marokkanischstämmige Franzose Zacharias Moussaoui am 4. Mai zu lebenslanger Haft verurteilt. Hauptvorwurf der Anklage war, dass er die Anschläge trotz seines Wissens nicht verhindert habe. Moussaoui bezeichnete sich bereits im Vorfeld des Verfahrens als "stolzes Mitglied der al-Qaida" und sagte aus, er hätte in einer zweiten Anschlagswelle ein Flugzeug ins Weiße Haus steuern sollen. Nachdem der Generalbundesanwalt am 1. Dezember 2005 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf Anklage erhoben hatte, begann am 9. Mai der Prozess gegen drei Personen wegen Mitgliedschaft bzw. Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigung al-Qaida. Al-Qaida Der Hauptbeschuldigte aus Mainz soll von Führungskadern den Auftrag erhalten haben, neue Mitglieder für Selbstmordanschläge in Europa zu rekrutieren sowie Geldmittel und sonstige logistische Unterstützung zu beschaffen. Dazu konnte er die beiden Mitangeklagten gewinnen. Es sollten u.a. durch einen vorgetäuschten tödlichen Verkehrsunfall hohe Summen aus Lebensversicherungen eingenommen werden. Am 20. Juni begann vor dem Oberlandesgericht München die HauptAnsar al-Islam - verhandlung gegen zwei Iraker. Den Männern aus München und NürnProzess in berg wird vorgeworfen, die irakische Terrorgruppe Ansar al-Islam von München Deutschland aus logistisch und finanziell unterstützt zu haben. Der Prozess dauert an. Ebenfalls am 20. Juni begann vor dem Oberlandesgericht Stuttgart der Prozess in Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der Terrorgruppe Ansar al-Islam Stuttgart wegen eines Attentatversuchs auf den ehemaligen irakischen Ministerpräsidenten Dr. Ijad Allawi im Dezember 2004. Gegen die drei Iraker aus Augsburg, Berlin und Stuttgart war am 10. November 2005 Anklage erhoben worden. Als Zeuge der Bundesanwaltschaft sagte auch der wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vom Oberlandesgericht München im Januar verurteilte Kurde Lokman Amin Mohammed aus. Gegen einen der Angeklagten mit Wohnsitz in Bayern wurde ein Ausweisungsbescheid erlassen. Ein im Juni 2005 untergetauchter, Anfang 2006 in Großbritannien entdeckter Islamist wurde im Juni von den britischen Behörden auf der Grundlage europäischer Rücknahmeübereinkommen an die Bundesrepublik Deutschland überstellt. Aufgrund bestehender Haftbefehle wurde er unmittelbar nach der Einreise inhaftiert. Gegen den Islamisten, der nachweislich Kontakte zu islamistischen Terrornetzwerken Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 32 Ausländerextremismus unterhalten hatte, bestand seit 2003 eine Ausweisungsverfügung wegen Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Da Abschiebungshindernisse vorlagen, war er verpflichtet worden, seinen Aufenthalt in einer niederbayerischen Gemeinschaftsunterkunft zu nehmen. Im Juni 2005 war er von einer stationären klinischen Behandlung nicht mehr zurückgekehrt. Am 10. Oktober wurde bei Osnabrück ein 36-jähriger Iraker wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung festgenommen. Er soll Audiound Videobotschaften der al-Qaida-FunktioVerbreitungen näre al-Zarqawi, al-Zawahiri und Bin Ladin im Internet verbreitet haben. im Internet Mit dem Verfahren wird erstmalig in Deutschland die Verbreitung von Audiound Videobotschaften von al-Qaida im Internet als strafrechtlich relevante Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung verfolgt. Der Iraker lebte bis 2002 in Regensburg, die Ermittlungen gehen auch auf umfangreiche Mitteilungen bayerischer Sicherheitsbehörden zurück. Urteil im Der Bundesgerichtshof (BGH) sprach am 16. November den Marokkaner Hamburger Mounir al-Motassadeq rechtskräftig der Mitgliedschaft in einer terrorisTerrorprozess tischen Vereinigung und der Beihilfe zum 246-fachen Mord schuldig. Das Urteil umfasst die Morde an den Insassen der am 11. September 2001 entführten vier Flugzeuge. Das Oberlandesgericht Hamburg setzte am 8. Januar 2007 das Strafmaß auf 15 Jahre fest. Die Verteidigung kündigte an, sie werde Rechtsmittel einlegen. In erster Instanz war al-Motassadeq bereits im Februar 2003 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hatte jedoch im März 2005 das Urteil aufgehoben. Im August 2005 war al-Motassadeq dann wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu sieben Jahren Haft verurteilt, vom Vorwurf der Beihilfe zu den Anschlägen vom 11. September 2001 dagegen freigesprochen worden. Auch gegen dieses Urteil hatten Anklage und Verteidigung Rechtsmittel eingelegt. DurchsuchungsNeben den Ermittlungsund Gerichtsverfahren gab es im Jahr 2006 maßnahmen auch zahlreiche, teilweise bundesweite Durchsuchungsmaßnahmen. Diese richteten sich insbesondere gegen Anhänger der terroristischen Vereinigung Ansar al-Islam (vgl. auch Nummer 3.3 dieses Abschnitts) sowie gegen Anhänger der seit 1998 vereinsrechtlich verbotenen türkischen Extremistengruppe DHKP-C (vgl. auch Nummer 5.2 dieses Abschnitts). Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 33 2. Islamischer Extremismus (= Islamismus) 2.1 Integrationsfeindlichkeit des Islamismus Der Islam als Religion und seine Ausübung werden nicht vom VerfasGesetzlicher sungsschutz beobachtet. Der Beobachtung unterliegen jedoch islamisBeobachtungstische Gruppierungen und Einzelpersonen, die die unter Nummer 1.1 dieauftrag ses Abschnitts dargelegten Merkmale des Ausländerextremismus erfüllen. Die im Bundesgebiet aktiven islamistischen Gruppierungen wollen die in ihren Heimatländern bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen durch ein auf dem Koran und der Scharia (islamisches Rechtssystem) basierendes islamisches Gesellschaftssystem ersetzen. Überwiegend streben sie sogar die Errichtung eines anti-laizistischen Gottesstaats auf der ganzen Welt an. Sie gehen davon aus, dass durch die Scharia eine alle Lebensbereiche umfassende islamische Gesellschaftsordnung vorgegeben sei, die es überall zu verwirklichen gelte. Nach ihrer Überzeugung entsprechen die gesellschaftspolitischen Vorstellungen des Islamismus wegen ihres göttlichen Ursprungs als einziges gesellschaftliches System in allen Aspekten vollständig der menschlichen Natur. Die Trennung von Staat und Religion (Laizismus) in westlichen Staaten wird daher nicht nur als "un-islamisch" abgelehnt, sondern teilweise auch aktiv bekämpft. Der Islamismus ist geprägt von Intoleranz gegenüber Andersgläubigen, teilweise sogar gegen friedliche, moderate Muslime. Aufgrund seines Absolutheitsanspruchs fordert er einen aktiven Kampf gegen alle "Ungläubige" und für die weltweite Islamisierung, falls nötig durch Unterwerfung aller Nichtmuslime. Westliche Demokratieund Gesellschaftsvorstellungen werden abgelehnt, sofern sie nicht im Einklang mit der von den Islamisten vorgenommenen Auslegung des Korans und der Scharia stehen. Dies bedeutet die Ächtung des demoÄchtung kratischen Prinzips der Volkssouveränität und der Chancengleichheit der demokratischer Parteien. Ferner gibt es keine Gewaltenteilung, keine demokratische Prinzipien Legislative, keine Kontrolle der obersten Staatsgewalt. Auch die Menschenrechte nach westlichem Verständnis werden nur anerkannt, sofern sie nicht im Widerspruch zur Scharia stehen. Islamistische Gruppen wenden sich infolgedessen massiv gegen eine Ablehnung von echte Integration. Sie versuchen, vor allem junge Menschen zu beeinIntegration flussen und sie zu einer Ablehnung unserer demokratischen Ordnung und unserer freiheitlichen Gesellschaft zu bewegen. Dazu dienen die privaten Koranschulen extremistischer Organisationen wie auch die Pflicht für Frauen und Mädchen, Kopftücher zu tragen, was zur bewussten Abgrenzung von westlichen Lebensgewohnheiten beiträgt (vgl. auch Nummer 2.3 dieses Abschnitts). Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 34 Ausländerextremismus Haltung zur Die Haltung zur Gewalt ist differenziert zu sehen. Gewalt wird meist Gewalt nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern eher von taktischen Überlegungen abhängig gemacht. Nach Ansicht islamistischer Theoretiker schließt der "Djihad" (wörtlich: Innerer Kampf, Anstrengung; auch bekannt als "Heiliger Krieg") als Instrument zur Verwirklichung der islamischen Gesellschaftsordnung alle zum Sieg verhelfenden Mittel ein. So befürwortet eine Vielzahl der islamistischen Gruppierungen aus dem arabischen Raum Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Die im Bundesgebiet mitgliederstärkste islamistische Gruppierung, die türkische Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG), setzt dagegen vordergründig auf politische Aktivitäten zur Veränderung der gesellschaftlichen Ordnungen in der Türkei und in Deutschland (vgl. auch Nummer 3.9.1 dieses Abschnitts). 2.2 Rolle des Internets Sowohl nicht gewaltbereite Islamisten als auch islamistische Terroristen Propaganda, nutzen das Internet in professioneller Weise als wesentliches PropaKommunikation, ganda-, Kommunikationsund Steuerungsmedium. Inzwischen sorgen Steuerung mehrere tausend einschlägige Terrorseiten für eine weltweite Verbreitung der Djihad-Ideologie. Internet-Auftritte von islamischen Extremisten und von islamistischen Organisationen mit zahlreichen und eindeutigen Verweisen bzw. Links auf Internet-Angebote mit terroristischen Inhalten zeigen deutlich, wie leicht, fließend und damit gefährlich über das offene Medium des World Wide Web der Übergang vom Islamisten zum gewaltbereiten islamistischen Terroristen ist. Die Vorteile des Internets werden auch vom nicht gewaltbereiten Spektrum des Islamismus umfassend genutzt, da die spontane Bildung interaktiver und ideologisch gleich gesinnter Internet-Gemeinden kein großes Fachwissen erfordert und ein schnelles Agieren sowie eine große Große Reichweite Reichweite im Web ermöglicht. Hier werden Meinungen ausgetauscht, Verlautbarungen und einschlägige Schriften verbreitet, Audiound Video-Botschaften eingestellt oder neu verlinkt und somit einem breiten Publikum von Sympathisanten zur Verfügung gestellt. Neben der zunehmenden Verwendung von neuen Techniken, wie z.B. Podcasting, Weblogs, PalTalk und Chat, sorgt eine neue Generation von islamistischen IT-Fachleuten für professionell aufbereitete und getarnte Internet-Auftritte. So sind islamistische Internet-Angebote, insbesondere im Bereich des Djihadismus, äußerst dynamisch. Die Homepages ändern häufig ihr Erscheinungsbild und sind teilweise nur über einen kurzen Zeitraum abrufbar. Ein Großteil der Internet-Seiten ist in araVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 35 bischer Sprache abgefasst, teilweise werden englisch-, französischund auch deutschsprachige Fassungen präsentiert. Einige Internet-Angebote bieten ihre Seiten auch als so genannte Weblogs an, die es erlauben, eigene Beiträge einzubringen und so interaktive Netzgemeinden zu bilden. In einer Vielzahl von meist abgeschlossenen bzw. passwortgeschützten Diskussionsforen bilden sich abgeschottete Gruppen ideologisch Gleichgesinnter, in denen neben einer weitgehend unbemerkten Kommunikation auch eine religiöse bzw. ideologische Schulung und damit einhergehend die Radikalisierung von Sympathisanten stattRadikalisierung findet. Islamisten sehen im Internet zudem eine hervorragende Mögund Rekrutierung lichkeit, gerade junge Menschen anzusprechen und zu rekrutieren. Durch eine oftmals heroische Darstellung und durch die Verherrlichung des Märtyrertums soll der bewaffnete Kampf als etwas Heldenhaftes und Erstrebenswertes vermittelt werden. In Online-Magazinen werden Ausbildungsinhalte zu Themen wie Waffenkunde, Bombenbau, Überlebenstraining, konspirative Kommunikation und Guerilla-Kampftechniken vermittelt. Diese theoretischen und taktischen Anleitungen werden durch Videos ergänzt, die nicht nur darlegen, wie beispielsweise Bomben gebaut werden, sondern auch wie dieses Wissen praktisch umgesetzt wird, indem "live" gefilmte Anschläge gezeigt werden. Dieses "Fachwissen" kann weltweit abgerufen werden. Damit sollen die durch den internationalen Antiterror-Kampf erschwerten Rahmenbedingungen, wie die Zerstörung der Ausbildungslager in Afghanistan, zumindest teilweise ausgeglichen werden. Es sind somit "virtuelle Ausbildungslager" entstanden, die gewaltbereiten Isla"Virtuelle misten den Vorteil bieten, sich terroristisches Grundwissen anzueignen, Ausbildungslager" ohne sich der Gefahr auszusetzen, durch Aufenthalte in Ausbildungslagern erkannt zu werden. Das Internet ermöglicht folglich auch die weltweite Verbreitung von multimedial aufbereiteter Propaganda und damit die Rekrutierung neuer Kämpfer. Ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Ziel des groß angelegten Internet-Einsatzes ist die psychologische Kriegsführung. Zum einen soll der Psychologische Welt durch die überwiegend qualitativ hochwertige Darstellung vor Kriegsführung allem der Videos (u.a. fremdsprachliche Untertitelung, präzise Dokumentation von Attentaten, hohe Bildund Tonqualität) ein Gefühl der Stärke und uneingeschränkten Aktionsfähigkeit der Hersteller vermittelt werden; zum anderen soll der als schwach und dekadent eingeschätzte Westen durch die Verbreitung von martialischen Drohungen und von Videos, in denen die Enthauptung von Geiseln in allen Details wiedergegeben wird, in Angst und Schrecken versetzt werden. Die Videobotschaften von weltweit gesuchten Führungspersonen von al-Qaida solVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 36 Ausländerextremismus len die Anhänger nicht nur zu neuen Taten anspornen, sondern den Akteuren gleichzeitig den Nimbus von Heldenmut und Unbesiegbarkeit verleihen. 2.3 Islamistische Bildungsund Jugendarbeit Eine Vielzahl islamischer Einrichtungen in Deutschland wendet sich mit Bildungsund Betreuungsangeboten an Kinder, Jugendliche und Heranwachsende. Die Angebote sind nur teilweise extremistischer Natur. Eine Gefahr liegt jedoch darin, dass vor allem islamistische Organisationen dieser Arbeit hohe Bedeutung beimessen, um der Jugend eine moralische Orientierung zu geben, die ihrer Ansicht nach in der westlichen Gesellschaft nicht gewährleistet ist. Zudem ist die Jugendarbeit wesentlicher Baustein zum Erhalt und zur Fortentwicklung der eigenen Organisation. Eine besondere Rolle bei der Bildungsarbeit islamistischer OrganisatioKorankurse nen nimmt die religiöse Fortbildung und somit der Koranunterricht ein. In nahezu allen Moscheevereinen werden Korankurse angeboten. Der Unterricht findet nach Geschlechtern getrennt in der Regel am Wochenende statt. Zusätzlich bieten die Vereine während der Ferien besondere Kurse im Inund Ausland an. Parallel zu den Korankursen werden gelegentlich auch Arabischkurse angeboten, die das inhaltliche Verständnis des Korans ermöglichen sollen. Dabei schaffen sich extremistische Organisationen Möglichkeiten, in die als religiöse "islamische" Bildung präsentierten Angebote islamistische, auf politische Inhalte ausgelegte Positionen einfließen zu lassen und prägend auf Kinder und Jugendliche einzuwirken. Bildungsarbeit von Als Anbieter von Korankursen treten im Bereich der islamistischen OrgaIGMG und IGD nisationen insbesondere die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) sowie die mitgliederstärkste Organisation von Anhängern der sunnitisch-extremistischen Muslimbruderschaft (MB), die Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD), auf (vgl. auch Nummern 3.1 und 3.9.1 dieses Abschnitts). Die IGMG versucht, mit einem breiten Angebot in der Jugendund Bildungsarbeit bis hin zu Überlegungen, eigene Kindergärten einzurichten, und der Veranstaltung von Sommerkorankursen, junge Türken in Deutschland an die Organisation und an ihre islamistische Ideologie zu binden. Durch diese Angebote sollen Kinder und Jugendliche aus dem "Sumpf der westlichen Lebensweise" herausgehalten und nach "islamischen" Wertmaßstäben erzogen werden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 37 Auch die IGD bemühte sich in den letzten Jahren verstärkt um Attraktivität für die in Deutschland aufgewachsenen Muslime arabischer Herkunft. Diese sollen u. a. über den Ausund Aufbau von Bildungseinrichtungen in Islamischen Zentren der IGD erreicht werden. Neben der herkömmlichen Bildungsund Jugendarbeit haben islamis"Pop-Islamismus" tische Jugendorganisationen aber auch die Sogund Identifikationswirkung von Musik auf muslimische Jugendliche entdeckt. So demonstriert ein Teil der in Deutschland geborenen oder aufgewachsenen jungen Muslime vor allem durch Rap-Musik ein neues "islamisches Bewusstsein". Inhalt und Form der Musik sind ebenso wie die Darstellung gewollt politisch und gesellschaftlich provokant gehalten. Themen sind beispielsweise die "ungerechtfertigt negative" Darstellung des Islam in den deutschen Medien, die "Kopftuchdebatte" oder der "Krieg gegen den Terror". Zum Teil bieten islamistische Jugendorganisationen diesen deutschsprachigen Bands gezielt eine Plattform für Auftritte. Die Texte rufen dabei zu einem Bekenntnis für eine "islamische Identität" auf. Die "Gesellschaftskritik", die wesentlicher Bestandteil der Rap-Musik ist, wird dabei religiös-politisch untermauert. Zur wichtigen Identifikationsfigur junger Muslime weltweit hat sich der "Fernsehprediger" ägyptische "Fernsehprediger" Amr Khaled entwickelt. Durch seine regelmäßigen Auftritte im saudi-arabischen Satellitensender "Iqra" genießt er hohe Popularität bei seinem überwiegend jugendlichen Zielpublikum. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt Khaled als "unpolitischer", aber der ägyptischen Muslimbruderschaft nahestehender Vertreter des Islam, der sich vor allem alltäglicher Probleme junger Muslime annimmt. Die Popularität Khaleds machen sich auch extremistische Organisationen wie die IGD zu Nutze, indem sie ihn als Publikumsmagnet zu ihren Veranstaltungen einladen. 2.4 Protestaktionen 2.4.1 Proteste gegen die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen Die dänische Tageszeitung "Jyllands-Posten" veröffentlichte im September 2005 unter der Bezeichnung "Das Gesicht Mohammeds" eine Serie von zwölf Karikaturen des Propheten Mohammed, wenngleich eine bildhafte Darstellung des Propheten bei Muslimen nicht statthaft ist. In den Zeichnungen wurde der Religionsstifter u. a. mit Turban in Form einer Bombe mit brennender Lunte dargestellt. Im Oktober 2005 erstatteten daraufhin elf Vertreter dänischer islamischer Organisationen Strafanzeige wegen Blasphemie. Gleichwohl kam es erst nach einer Reise Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 38 Ausländerextremismus dänischer Imame durch einige islamische Staaten Ende 2005 sowie durch die Abbildung der Karikaturen in anderen Medien, so auch in der deutschen Zeitung "Die Welt" am 1. Februar, bis zum Frühjahr zu weltweiten Protesten empörter Muslime. Bei ihrer Kampagne in den islamischen Staaten hatten die dänischen Imame allerdings ein Dossier präsentiert, das zusätzlich drei besonders provozierende Karikaturen enthielt, die von "Jyllands-Posten" weder in Auftrag gegeben noch veröffentlicht worden waren. Der weltweite Protest, an dem sich auch Islamisten beteiligten, reichte von Großdemonstrationen über den Boykott dänischer Produkte bis hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die zahlreiche Menschenleben kosteten. So wurden in mehreren Staaten die dänischen Botschaften gestürmt bzw. in Brand gesetzt. Auch Deutschland war u. a. durch Gewalttätige die Übergriffe von Demonstranten auf die Außenstelle der deutschen Übergriffe Vertretung in Ramallah und Aktionen wütender Studenten vor der im Ausland Deutschen Botschaft in Teheran direkt von den Ereignissen betroffen. Nach Zeitungsberichten wurden ferner in Peschawar/Pakistan mehrere Puppen gehenkt, von denen eine den deutschen Vize-Bundeskanzler darstellen sollte. In Bayern gab es keine gewalttätigen Aktionen von Islamisten. Zwar wurde die Veröffentlichung der Karikaturen auch hier in mehreren Moscheen verurteilt, zugleich aber Gewalt als Form des Protests abgelehnt. Die gewaltsamen Übergriffe in verschiedenen arabischen Staaten wurden überwiegend als Überreaktionen bewertet, wenngleich teilweise auch ein gewisses Verständnis dafür herrschte. 2.4.2 Proteste gegen den Vortrag von Papst Benedikt XVI. in Regensburg Gegen eine theologische Vorlesung am 12. September an der Universität Regensburg, in der Papst Benedikt XVI. eine islam-kritische Aussage eines oströmischen Kaisers zitierte, kam es im Ausland von muslimischer und insbesondere von islamistischer Seite zu heftigen Reaktionen. Gewalttätige Es gab zahlreiche - teils gewalttätige - Protestdemonstrationen, u.a. Protestaktionen wurden in Somalia eine Nonne und ihr Leibwächter getötet. Der Leiter im Ausland der islamistischen Muslimbruderschaft, Mohammed Mahdi Akef, sprach von einer Bedrohung des Weltfriedens durch den Papst. Er forderte alle muslimischen Staaten zum Abbruch ihrer Beziehungen mit dem Vatikan auf, sollte der Papst seine Äußerungen nicht zurücknehmen. In einer Erklärung der irakisch-kurdischen Terrororganisation "Ansar al-Sunna" wurde der Papst als "Vertreter des Teufels" bezeichnet und die "ZerVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 39 trümmerung der Mauern Roms" prophezeit. Am 30. September äußerte der Bin Ladin-Stellvertreter Dr. Ayman al-Zawahiri in einer von al-Djazira ausgestrahlten Videobotschaft, dass der Papst ein Betrüger sei, der das Wesen Gottes und seines Propheten verunglimpft habe. Er verglich Papst Benedikt XVI. mit Papst Urban II., der zu den historischen Kreuzzügen aufgerufen hatte. In Bayern fielen die Reaktionen der islamistischen Szene gemäßigt aus, es war ein Bestreben der islamistischen Organisationen erkennbar, die vorhandene Empörung nicht weiter zu schüren. Vielfach wurde jedoch eine Entschuldigung des Papstes gefordert. Nachdem der Papst sein Bedauern über mögliche Missverständnisse ausgedrückt hatte, beruhigte sich die Lage. 2.4.3 Reaktionen auf den militärischen Konflikt im Libanon Nachdem am 12. Juli der militärische Arm der Hizb Allah zwei israelische Soldaten entführt hatte, um von Israel die Freilassung mehrerer Gefangener zu erzwingen, griff Israel Ziele im Libanon an; die Hizb Allah wiederum feuerte tausende Raketen auf Israel ab (vgl. auch Nummer 3.6 dieses Abschnitts). In Deutschland lebende Anhänger der Hizb Allah reagierten auf diese militärischen Ereignisse mit Mahnwachen, Protestkundgebungen und öffentlichen Aufzügen. In Berlin, Hamburg und Münster wurden dabei sowohl Embleme der Hizb Allah gezeigt als auch anti-israelische und anti-amerikanische Parolen skandiert. Bei nahezu allen Aktionen war der einseitig und pauschal gegen Israel und die USA gerichtete Charakter erkennbar. In Bayern stießen die Kriegshandlungen im Nahen Osten sowohl bei Schiiten libanesischer Herkunft als auch bei anderen Muslimen auf großes Interesse. In München und Nürnberg fanden im August - teils mit Beteiligung von deutschen Linksextremisten - mehrere Veranstaltungen statt; zu Gewalttaten kam es dabei nicht. 3. Islamistische Gruppierungen 3.1 Die Muslimbruderschaft (MB) und ihre regionalen Strömungen Deutschland Bayern Mitglieder: 1.250 200 Gründung: 1928 in Ägypten Publikation: "Risalat ul-Ikhwan" Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 40 Ausländerextremismus Die von Hassan al-Banna in Ismailija/Ägypten gegründete sunnitisch-extremistische MB ist eine multinationale Organisation, bei der eine Unterteilung in nationale Sektionen erkennbar ist. Die von der MB angestrebte Staatsform weist deutliche Züge eines diktatorischen bzw. totalitären Herrschaftssystems auf, das die Selbstbestimmung des Volkes sowie die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit der Menschen nicht garantiert. Die Grundideologie der MB ist auf die Errichtung islamischer GottesEmblem staaten ausgerichtet. Dieses Fernziel eint alle Strömungen innerhalb der der MB MB. Ein Großteil der ideologischen Grundsätze der MB ist somit unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland veranSunnitisch-extrekerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und einer auf der mistische Ideologie Menschenwürde basierenden politischen Ordnung. Die Ideologie der MB ist in der gesamten muslimischen Welt verbreitet und hat zur Herausbildung zahlreicher militanter islamistischer Organisationen geführt (vgl. auch das Schaubild auf der Seite 41 dieses Berichts). In ihrem Ursprungsland Ägypten ist die MB verboten; sie wird jedoch inzwischen geduldet. Sie verdankt ihren Einfluss vor allem ihrem sozialen Engagement. Anfang 2004 übernahm Mohamed Mahdi Akef die Führung des ägyptischen Zweigs der MB. Akef hatte Mitte der 80er Jahre das der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) zugehörige Islamische Zentrum München (IZM) geleitet. Er war in seiner Jugend mit dem MB-Gründer Hassan al-Banna befreundet. Später wurde er wegen eines geplanten Anschlags auf den ägyptischen Präsidenten zum Tode verurteilt und schließlich nach 20 Jahren Gefängnis begnadigt. Schon von Deutschland aus baute er seinen Einfluss auf den internationalen Zweig der MB aus. In seiner Person zeigt sich die personelle und ideologische Kontinuität der MB. In einem offenen Brief, der im August im Internet veröffentlicht wurde, sprach sich Akef für den bewaffneten Kampf gegen Israel aus. Anlass waren die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Hizb Allah und der israelischen Armee im Libanon: "Dann kam diese nicht ausgewogene Schlacht, die gezeigt hat, dass das Besiegen dieser Armee möglich ist, nicht nur durch Armeen, sondern mit Kämpfern, die an Allah glauben und nach dem Martyrium streben. (...) Aus diesem Grunde rufen wir dazu auf, alle jungen Menschen, die den Djihad wünschen, in allen islamischen und arabischen Ländern zu trainieren, damit sie als die Speerspitzen der Armeen und an deren Seite in der Schlacht der Befreiung und der Würde kämpfen werden." Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 41 Regionale Strömungen der Muslimbruderschaft Algerien Syrien Ägypten Palästina Tunesien Islamische Islamische Al-Gamaa HAMAS En Nahda Heilsfront (FIS) Avantgarden / al-Islamiya (GI) Islamisches Bewaffnete Zentrum (IZ) Djihad Islami (JI) Islamische in Aachen Islamischer Bund Gruppe (GIA) Palästina (IBP) Föderation der Al-Aqsa e.V. Islamischen Organisation in Europa (FIOE) Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) Ausländische Organisationen mit Einzelmitgliedern in Deutschland Organisationen mit Sitz in Deutschland / Europa In einem Interview mit dem Hizb Allah-eigenen libanesischen Fernsehsender "al-Manar" äußerte Akef am 2. August, er bedauere es, dass man derzeit nur materielle Hilfe und ideelle Unterstützung leisten könne, aber der Tag werde kommen, an dem man wie ein Mann mit den Libanesen zusammenstehen und gegen den zionistischen Feind kämpfen werde. Nach Auskunft Akefs ist die MB besonders stolz auf ihre "Verwandtschaft" mit der palästinensischen Befreiungsbewegung HAMAS des inzwischen getöteten Scheichs Yassin. Auch der Tunesier Rachid Ghannouchi, Führer der En Nahda, der Algerier Abassi Madani, Vorsitzender der FIS, und der Türke Prof. Dr. Necmettin Erbakan, Führer der Milli-Görüs-Bewegung, wurden immer als Brüder angesehen. Diese Aussage Akefs ist deshalb bemerkenswert, weil sie nicht nur die Nähe zu den anderen Zweigen der MB in Tunesien und Algerien betont, sondern auch eine ideologische Verbindung zum türkischen Islamismus erkennen lässt. Offiziell haben sich die meisten Zweige der MB von der Gewalt abgeHaltung zur wandt. Aussagen Mahdi Akefs und Selbstmordattentate der palästinenGewalt sischen Sektion der MB "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) zeigen indes, dass die MB Gewalt weiterhin als legitimes politisches Mittel betrachtet. Als Dachverband MB-naher Organisationen in Europa fungiert die "Föderation der Islamischen Organisationen in Europa" (FIOE) mit Sitz Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 42 Ausländerextremismus in Leicester/Großbritannien. Sie wurde 1989 im Rahmen einer Resolution begründet, die anlässlich einer Generalversammlung von Repräsentanten der wichtigsten Islamischen Zentren, Gesellschaften und VerMB in Europa einigungen in Europa verabschiedet wurde. Eine weitere einflussreiche und eng mit der MB verflochtene Organisation ist der "Europäische Fatwa-Rat" (ECFR) mit Sitz in Dublin/Irland. Dessen Vorsitzender Yusuf al-Qaradawi ist als Sympathisant der MB bekannt. Die MB tritt in Deutschland nicht offen in Erscheinung. Personell ist sie mit der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) verflochten, die als deutsche Zentrale des ägyptischen Zweigs der MB gilt. Anhänger des syrischen Zweigs der MB gründeten Anfang der 80er Jahre die "Islamischen Avantgarden" mit organisatorischem Schwerpunkt im "Islamischen Zentrum" in Aachen. 3.1.1 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) Deutschland Bayern Mitglieder: 600 120 Gründung: 1960 in Deutschland Sitz: München Präsident: Ibrahim Farouk el-Zayat Publikation: "al-Islam" (nur noch als Internet-Ausgabe) Einfluss der MB Die IGD gilt als deutsche Zentrale des ägyptischen Zweigs der MB. Sie auf die IGD hat ihren Sitz im Islamischen Zentrum München und ist Mitglied in der FIOE, dem europäischen Dachverband der MB (vgl. auch Nummer 3.1 dieses Abschnitts). Die IGD versucht durch politisches Engagement in Deutschland, die Verwirklichung ihrer Ideologie zu erreichen. Ihr Ziel ist dabei nicht die Integration, sondern die Veränderung der Gesellschaft den eigenen Vorstellungen entsprechend. Diese Vorstellungen sind von den ideologischen Grundsätzen der MB geprägt, wobei die Anhänger der IGD bemüht sind, dies in Logo der IGD öffentlichen Verlautbarungen nicht zum Ausdruck zu bringen. Seit dem 14. Februar 2002 ist Ibrahim Farouk el-Zayat Präsident der IGD. Dieser wurde in der Zeitschrift "islam-online.net" vom 19. März 2004 als Vertreter der MB in Deutschland bezeichnet, was die enge Beziehung zwischen MB und IGD verdeutlicht. Dass die IGD um das Gedankengut der MB bemüht ist, zeigt sich auch am diesjährigen Auftritt des früheren sudanesischen Ministers für religiöse Angelegenheiten Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 43 und Repräsentanten der MB, Esam al-Bashir, als Gast-Imam im Islamischen Zentrum München (IZM). Dieser Besuch wurde vom Präsidenten der IGD, Ibrahim el-Zayat, begleitet. Um die langfristigen Ziele besser durchsetzen zu können, wurde unter "Imam-Rat" Beteiligung der IGD ein "Imam-Rat" in Deutschland eingerichtet. Dieser unterhält Kontakte zu dem der MB nahe stehenden "Europäischen Fatwa-Rat" (vgl. auch Nummer 3.1 dieses Abschnitts). Aufgabe des deutschen "Imam-Rats" ist es, die Vereinbarkeit der deutschen Rechtsordnung mit Koran und Sunna zu prüfen. Der IGD sind mehrere Islamische Zentren (IZ) in Deutschland nachgeordnet. In Bayern sind dies das IZM und das Islamische Zentrum Nürnberg (IZN). Darüber hinaus verfügt die IGD über ein weit verzweigtes Netz an Kooperationspartnern in verschieden Städten Deutschlands. Daneben ist eine Reihe weiterer - nominell aber eigenständiger - Vereine der IGD zuzurechnen. Das um die IGD bestehende Netzwerk ist wenig transparent; seit der Änderung der diesjährigen Umgestaltung des Internet-Auftritts ist ein Einblick in den Vereinsstruktur organisatorischen Aufbau der IGD für Außenstehende kaum mehr möglich, was vor allem mit den Bemühungen der IGD um Verselbständigung der ihr nachgeordneten Islamischen Zentren zusammenhängt. Damit entstehen Vereinsstrukturen, die nur schwer kontrollierbar sind. Darüber hinaus ermöglichen die rein formalen Umstrukturierungsmaßnahmen, die tatsächliche Anbindung an die IGD nach außen hin zu verschleiern. Ferner bestünde dann für die der IGD bisher nachgeordneten Zentren die Möglichkeit, selbständig die steuerrechtliche Gemeinnützigkeit zu beantragen, die die IGD 1999 verloren hat. So hat sich inzwischen der "Förderverein des Islamischen Zentrums Nürnberg e.V." in "Islamische Gemeinde in Nürnberg e.V." umbenannt. Auch die Islamische Gemeinde Erlangen e.V. (IGE), die von der IGD noch bis vor kurzem als Kooperationspartner geführt wurde, ist bemüht, ihre Unabhängigkeit von der IGD zu demonstrieren. Für beide Organisationen gilt jedoch, dass ein dauerhafter Bruch mit der IGD gegenwärtig nicht erkennbar ist. Ein wesentliches Betätigungsfeld der IGD ist die "Erziehung und BilBildungsarbeit dung" junger Menschen, um auf diesem Weg die Gesellschaft ihren ideologischen Zielen entsprechend zu reformieren. So bemühte sich die IGD in den letzten Jahren gezielt um die in Deutschland aufgewachsenen Muslime arabischer Herkunft. Diese sollen u.a. über den Ausund Aufbau von Bildungseinrichtungen in Islamischen Zentren der IGD erreicht werden. Zu diesem Zweck betrieb die IGD u.a. die "Deutsch-Islamische Schule" in München, der ein Kindergarten angegliedert war. Die Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 44 Ausländerextremismus Schließung der Regierung von Oberbayern hat Anfang August 2005 entschieden, "Deutsch-Islamikeine Genehmigung für den Weiterbetrieb der "Deutsch-Islamischen schen Schule" Schule" zu erteilen, da die Verfassungstreue des Schulträgers nicht mehr gewährleistet war; gleichzeitig wurde die staatliche Schulförderung eingestellt. Daraufhin wurde die Schule geschlossen, auch der angegliederte Kindergarten stellte seinen Betrieb ein. Die Islamischen Zentren München und Nürnberg veranstalten regelmäßig Wochenend-Korankurse für Kinder und Jugendliche. 3.1.2 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) Deutschland Bayern Anhänger: 250 Einzelpersonen Seit der Gründung Israels im Jahr 1948 engagierten sich Anhänger der Muslimbruderschaft (MB) im Kampf für die Zurückgewinnung ganz Palästinas und die Etablierung einer "islamischen Herrschaft". Nach der Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens durch Israel im Jahr 1967 begann der palästinensische Zweig der MB in den besetzten Gebieten eine soziale Infrastruktur aufzubauen, was ihm rasche Popularität bei der Bevölkerung einbrachte. Am bewaffneten Kampf beteiligte er sich zunächst nicht. Erst als Reaktion auf den Ausbruch des ersten Palästinenseraufstands (Intifada) im Dezember 1987 wurde Anfang 1988 die HAMAS gegründet und der bewaffnete Kampf gegen Israel aufgenommen. Die HAMAS will Israel zerstören und auf dem gesamten Gebiet Palästinas einen islamistischen Staat errichten. Sie lehnt den israelisch-palästinensischen Friedensprozess und das Existenzrecht Israels ab und ist für eine Vielzahl terroristischer Aktionen verantwortlich, darunter zahlreiche Selbstmordattentate. Im Juni 2002 wurde deshalb der militärische Arm der HAMAS in die EU-Liste terroristischer Organisationen aufgenommen. Anfang September 2003 beschlossen die EU-Außenminister, auch die Gesamtorganisation als terroristisch einzustufen. Wahlsieg Die Wahlen zur Palästinensischen Nationalversammlung am 25. Januar endeten mit einem Sieg der HAMAS. In Folge des Wahlsieges verschärften sich vor allem die Spannungen zwischen der HAMAS und der zuvor regierenden Fatah-Partei. Dabei führten die gewalttätigen Auseinandersetzungen phasenweise zu Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 45 bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Mitverantwortlich war, dass es der HAMAS-Regierung entgegen ihrem Wahlversprechen nicht gelang, die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung zu verbessern. Die konsequente Weigerung der HAMAS, Israel anzuerkennen, führte zu einer erheblichen Reduzierung ausländischer Finanzhilfen und somit zu erheblichen Versorgungsengpässen. Die zunehmende Unzufriedenheit der Bevölkerung sowie die internationale Ächtung der HAMAS-Regierung lösten eine Regierungskrise aus. Vermittlungsbemühungen des palästinensischen Präsidenten Abbas scheiterten vor allem an der kompromisslosen Haltung der HAMAS. Parallel zu den innerpalästinensischen Auseinandersetzungen verschärfte sich mit dem Wahlsieg der HAMAS der Konflikt mit Israel drastisch. Bis Anfang Juni hielt sich die HAMAS weitestgehend an die im Februar 2005 ausgehandelte Waffenruhe. Die Angriffe gegen Israel wurden bis dahin überwiegend von militanten Kräften der Fatah und des Palästinensischen Islamischen Jihads (PIJ) verübt. Als bei einem israelischen Angriff acht Zivilisten starben, kündigte die HAMAS die Waffenruhe Aufkündigung auf. Die Entführung eines israelischen Soldaten im Juni sowie der der Waffenruhe Raketenbeschuss israelischer Grenzorte führten zu einer Militäroperation Israels im Gaza-Streifen und im Westjordanland, die den gefangenen Soldaten befreien und den Beschuss der israelischen Grenzorte unterbinden sollte. Dabei wurden rund 60 HAMAS-Mitglieder festgenommen, darunter eine Vielzahl von Regierungsangehörigen sowie Minister der palästinensischen Selbstverwaltung. In Bayern gibt es nur einzelne Anhänger der HAMAS. Die aktuellen Entwicklungen in Palästina wurden diskutiert, lösten aber kaum nennenswerte Aktivitäten aus. Veranstaltungen aus Anlass der israelischen Offensive verliefen ohne Störungen. 3.1.3 Islamische Heilsfront (FIS) Deutschland Bayern Mitglieder: 300 30 Gründung: 1989 in Algerien Die FIS ist der algerische Zweig der international tätigen Muslimbruderschaft (MB). Aufgrund des wirtschaftlichen und sozialen Niedergangs und des Ansehensverlusts der algerischen Regierung gewann die FIS im Dezember 1991 die Parlamentswahlen in Algerien. Als sie anschließend 1992 verboten wurde, gingen zahlreiche FIS-Funktionäre ins Ausland. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 46 Ausländerextremismus Bis zum Sommer 2002 führte der in Deutschland lebende Rabah Kebir die "Exekutivinstanz der FIS im Ausland". Am 4. August 2002 veranstaltete die Organisation erstmals seit zehn Jahren einen Kongress. Bei Interne dieser Veranstaltung wurde Kebir, der dem Treffen ferngeblieben war, Differenzen von dem in Genf ansässigen Physiker Dr. Mourad Dhina entmachtet. Dem abgewählten Vorsitzenden wurde seine eigenmächtige Dialogbereitschaft gegenüber der algerischen Regierung zur Last gelegt. Dr. Dhina, der zum radikalen Flügel gerechnet werden muss, lehnt den vom bewaffneten Arm der FIS mit der algerischen Regierung vereinbarten Waffenstillstand ab. Im September 2005 wurde in Algerien die von Präsident Bouteflika Flagge der FIS vorgelegte "Charta für Frieden und nationale Aussöhnung" in einer Volksabstimmung mit großer Mehrheit angenommen. Sie umfasst auch Teilamnestieeine Teilamnestie für ehemalige bewaffnete islamistische Straftäter, regelung sofern sie nicht an Morden, Vergewaltigungen oder Bombenanschlägen beteiligt waren. Für eine dauerhafte nationale Aussöhnung fordert Bouteflika jedoch ein Verbot politischer Betätigung für ehemalige Akteure der FIS. Im Zuge dieser Aussöhnungspolitik kehrte Rabah Kebir am 17. September in die Heimat zurück. Er kündigte an, dass er 2007 als unabhängiger Kandidat zur Parlamentswahl antreten werde. Über den künftigen Kurs der FIS in Algerien gibt es in der - in mehrere Fraktionen gespaltenen - FIS nach wie vor keine Einigkeit. Die Anhänger sowohl des gemäßigten als auch des radikalen Flügels fielen in Bayern nicht durch Aktionen in der Öffentlichkeit auf. 3.1.4 En Nahda Deutschland Bayern Mitglieder: 60 Wirkungsbereich: Oppositionsbewegung in Tunesien (seit 1991 in Tunesien verboten) Führung: Rachid Ghannouchi / Großbritannien Die En Nahda (Wiedergeburt) ist der tunesische Zweig der Muslimbruderschaft (MB). Nach der Ideologie der MB ist es das Ziel der En Nahda, in Tunesien einen Staat islamistischer Prägung aufzubauen. Nach wie vor ist die En Nahda die wichtigste Oppositionsbewegung Tunesiens. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 47 Seit 1991 wird die in Tunesien verbotene Organisation von Rachid Ghannouchi geleitet, der in seinem Heimatland zu lebenslanger Haft verurteilt ist. Ghannouchi lebt in Großbritannien und gibt sich nach außen als gemäßigter, demokratischer Politiker. Gegenüber seinen Anhängern äußert er sich Emblem jedoch militant und beteuert u.a., er wolle die amerikanischen Eroberer der En Nahda und die mit ihnen verbündeten arabischen Regierungen verjagen. Die En Nahda veranstaltete vom 14. bis zum 17. April in der Schweiz ihren Europakongress. An dieser Veranstaltung nahmen etwa 400 MitEuropakongress glieder und Sympathisanten teil; aus Bayern beteiligten sich an dem Treffen rund 60 Personen, darunter auch Frauen und Kinder. Im Juni feierte die En Nahda in Deutschland (Bonn) und Frankreich (Paris) den 25. Jahrestag der Bekanntmachung ihrer Gründung. In Bonn waren u.a. der Präsident des Politbüros der Bewegung sowie Mitglieder des weltweiten Shura-Rats zugegen. Nach eigener Darstellung im Internet nahmen "eine große Anzahl von Söhnen und Anhängern der En Nahda an der Feier teil". Die Veranstaltungen belegen eindeutig, dass die En Nahda in Europa und auch in Deutschland aktiv ist. Die Feier in Bonn wurde auf den Internet-Seiten der En Nahda erstmals offen dokumentiert. Die auf diesen Seiten verwendeten Begriffe wie "Präsident des Politbüros der Bewegung" und "Mitglieder des Shura-Rats" zeigen deutlich, dass es sich um eine Organisation mit fester Struktur handelt. Bei den in Bayern lebenden En Nahda-Anhängern sind keine festen Strukturen erkennbar. Allerdings engagieren sich viele von ihnen sowohl im Islamischen Zentrum München der Islamischen Gemeinschaft Deutschland e. V. (IGD) als auch in einigen tunesischen Vereinen. 3.2 Hizb ut-Tahrir Deutschland Bayern Anhänger: 150 Einzelpersonen Gründung: 1953 in Palästina Europazentrale: Großbritannien Publizistische Sprachrohre: "explizit"; "al-Khilafah"; "al-Waie" Politisches Betätigungsverbot in Deutschland seit 15. Januar 2003 Die "Partei der islamischen Befreiung" - Hizb ut-Tahrir - wurde von dem Weltweite Religionsgelehrten Taqi Din an-Nabhani, einem Mitglied der MuslimVerbreitung Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 48 Ausländerextremismus bruderschaft (MB), gegründet. Sie hat sich weltweit verbreitet; ab 1995 gewann sie in Zentralasien, insbesondere in den ehemaligen Sowjetrepubliken, zahlreiche Mitglieder. Anhänger der Hizb ut-Tahrir versuchten von Beginn an, militärische Institutionen und Einrichtungen in arabischen Ländern zu unterwandern und Mitglieder aus den Reihen des Militärs zu rekrutieren. In den Jahren 1968 und 1969 scheiterten Putschversuche in Amman/Jordanien und in Bagdad/Irak. Ebenso schlugen Bestrebungen zur Machtübernahme 1974 in Kairo/Ägypten und 1976 in Damaskus/Syrien fehl. Inzwischen ist die Hizb ut-Tahrir in der gesamten arabischen Welt und Zentralasien verboten. Das Ziel der Hizb ut-Tahrir ist die Errichtung eines "rechtgeleiteten" weltumspannenden Kalifats, das die Länder und Völker der Muslime in einem einzigen Staat eint und die Botschaft des Islam in die gesamte Welt trägt. Weitere erklärte Ziele sind die WiederSignet der Hizb ut-Tahrir einführung der Scharia als Strukturprinzip der islamischen Ordnung, die Auslöschung des Staates Israel und die Befreiung der muslimischen Welt von westlichen Einflüssen. Unausweichlich sei dabei ein "Kampf der Kulturen", insbesondere zwischen Islam und Christentum. Ein Dialog zwischen den Kulturen, geprägt vom Prinzip der Gleichheit und Toleranz, sei mit dem Islam unvereinbar. Der Kampf sei sowohl auf ideologischer, wirtschaftlicher und politischer als auch auf militärischer Ebene zu führen. Der militärische Kampf gegen die Ungläubigen sei im Sinn eines "aktiven Djihads" für jeden Muslim verpflichtend. Struktur und Die Gliederung der Hizb ut-Tahrir in Europa orientiert sich an den Grenzen Aktivitäten in der Nationalstaaten. Innerhalb der einzelnen Regionen operiert die Hizb Deutschland ut-Tahrir in voneinander unabhängigen Gruppen, überwiegend in Universitätsstädten. Die Hizb ut-Tahrir verbreitete in Deutschland Flugblätter und Broschüren in Deutsch, Arabisch, Türkisch sowie in Urdu. Ihre Anhänger verteilten die Publikationen insbesondere an Universitäten sowie im Umfeld von Moscheen und islamischen Zentren. Die Hizb ut-Tahrir betrieb eine deutschsprachige Homepage und gab von 1993 bis zum Betätigungsverbot 2003 die deutschsprachige Zeitschrift "explizit" heraus. Betätigungsverbot Das Bundesministerium des Innern hatte am 15. Januar 2003 die Betätigung der Hizb ut-Tahrir verboten, da sich die Gruppierung gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtete und Gewalt zur Durchsetzung politischer Belange befürwortete. Das Betätigungsverbot wurde am 25. Januar letztinstanzlich durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt. In Bayern waren nur wenige Anhänger von Hizb ut-Tahrir ansässig. Bekannt wurden Gruppen in Erlangen und München. Inzwischen verVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 49 ließen einige Aktivisten aufgrund der restriktiven Handhabung des Ausländerrechts Bayern und verlegten ihren Wohnsitz in andere Bundesländer oder ins Ausland. 3.3 Ansar al-Islam Deutschland Bayern Anhänger: 100 60 Anführer: bis Mitte 2002 Mullah Krekar ab Mitte 2002 Abu Adullah al-Shafi Gründung: September 2001 im Nordirak Die Ansar al-Islam ("Unterstützer des Islam") vereinigte ursprünglich Islamistische islamistische Kurden aus dem Nordirak mit dem Ziel, dort einen islamiKurdenorganisaschen Staat Kurdistan nach dem Beispiel der Taliban-Herrschaft in tion aus dem Afghanistan zu errichten. Die Ansar al-Islam wurde im September 2001 Nordirak gegründet und nannte sich anfangs Djund al-Islam. Im Dezember 2001 übernahm der Iraker Najm al-Deen Faraj Ahmed Mahmoud, genannt Mullah Krekar, die Führung der Djund al-Islam und änderte den Namen der Gruppierung in Ansar al-Islam; inzwischen bezeichnet sie sich auch als Jaish Ansar al-Sunna. Krekar scheint innerhalb der Ansar al-Islam keine Führungsrolle mehr zu spielen, dürfte aber weiterhin als spirituelle Leitfigur wirken. Als Nachfolger Krekars gilt sein früherer Stellvertreter Abu Adullah al-Shafi. Inzwischen ist die Ansar al Islam durch ihr Zusammenwirken mit der in die al-Qaida eingegliederten irakischen Terrorgruppe um al-Zarqawi bzw. um dessen Nachfolger al-Muhadjer Bestandteil des internationalen islamistischen Terrornetzwerks. Sie hat sich deshalb auch für Islamisten anderer Volkszugehörigkeiten geöffnet. Ihre langfristige Strategie setzt auf den weltweiten "Djihad". Verbindungen zum Terrornetzwerk al-Qaida Verbindungen bestanden schon früher. So hielten sich führende Mitglieder der Ansar zur al-Qaida al-Islam in den 90er Jahren in Afghanistan auf. Dort wurden sie in Trainingslagern militärisch ausgebildet und kamen mit dem Terrornetzwerk al-Qaida in Berührung. Der Kontakt blieb auch nach der Rückkehr aus Afghanistan bestehen. Nach der US-Intervention in Afghanistan nahm die Ansar al-Islam Kämpfer von Bin Ladin auf und unterstützte sie. Zu dem Usama Bin Ladin-Vertrauten al-Zarqawi bestanden besonders gute Kontakte. Die Bindungen und persönlichen Verflechtungen zwischen al-Qaida um Bin Ladin, der al-Qaida im Irak und Ansar al-Islam sind vor allem durch den gemeinsamen bewaffneten Kampf gegen die westlichen Truppen im Irak enger und intensiver geworden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 50 Ausländerextremismus Die Gruppierung mit ursprünglich rund 600 bewaffneten Kämpfern konnte ab etwa 2001 ein Taliban-ähnliches Regime in einem kleinen Teil des irakischen Kurdengebiets errichten. Zu Beginn des Irak-Kriegs 2003 wurde dieses Gebiet von den USA aus der Luft angegriffen und dann von kurdischen Truppen der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) eingenommen. Viele Kämpfer der Ansar al-Islam entkamen in den nahe gelegenen Iran, kehrten nach Kriegsende jedoch allmählich wieder in den Irak zurück und reorganisierten sich. Die Ansar al-Islam ist für eine Vielzahl von Terroranschlägen im Irak mit Hunderten von Toten und Verletzten verantwortlich. Nach einer Entscheidung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 24. Februar 2003 wurde die Ansar al-Islam deshalb als terroristische Vereinigung eingestuft. Logistik in Europa In Europa gibt es Anhänger in Skandinavien, Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland und in den Niederlanden. In Bayern sind in München, Nürnberg und Augsburg Anhänger bekannt, die die Organisation u.a. durch Beschaffung von Geld und Ausrüstung unterstützen. Seit Kriegsende reisten auch mehrere Mitglieder aus Bayern in den Irak; ein Teil von ihnen ist zwischenzeitlich wieder nach Bayern zurückgekehrt. ExekutivmaßBislang wurden 34 Personen, die der Ansar al-Islam zugehören, aus nahmen und Bayern ausgewiesen; 25 von ihnen haben zwischenzeitlich Deutschland Gerichtsverfahren verlassen. Weitere Ausweisungen gegen Ansar al-Islam-Anhänger sind in Vorbereitung. Am 10. November 2005 wurde vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen drei mutmaßliche Mitglieder der Ansar al-Islam aus Augsburg, Berlin und Stuttgart Anklage wegen eines Attentatversuchs auf den ehemaligen irakischen Ministerpräsidenten Dr. Ijad Allawi im Dezember 2004 erhoben; das Urteil steht noch aus (vgl. auch Nummer 1.4 dieses Abschnitts). Bundesweit zum ersten Mal wurde am 12. Januar ein führendes Mitglied der Ansar al-Islam wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilt. Das Oberlandesgericht München verurteilte den Iraker Lokman Amin Mohammed zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren (vgl. auch Nummer 1.4 dieses Abschnitts). Am 20. Juni begann vor dem Oberlandesgericht München die Hauptverhandlung gegen zwei Iraker aus München und Nürnberg, denen vorgeworfen wir, die Ansar al-Islam von Deutschland aus logistisch und finanziell unterstützt zu haben (vgl. auch Nummer 1.4 dieses Abschnitts). Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 51 Gegen mehrere Anhänger der Ansar al-Islam sind weitere Ermittlungsverfahren anhängig. Auch Durchsuchungsmaßnahmen wurden durchgeführt, beispielsweise am 10. Mai in München, Augsburg und in Wilhelmshaven/Niedersachsen gegen eine Schleuserorganisation, die mit der Ansar al-Islam in Verbindung steht. Dabei wurden ein Iraker und ein Syrer festgenommen. 3.4 Tablighi Jamaat (TJ) Deutschland Bayern Anhänger: 400 150 Gründung: 1927 bei Delhi (Indien) Europazentrale: Dewsbury/Großbritannien Die TJ wurde von dem Religionsgelehrten Mawlana Muhammad Ilyas als pietistische Missionierungsbewegung gegründet. Seit ihren Ursprüngen ist sie eng mit der Islamischen Hochschule von Deoband/Indien verbunden. Die Gemeinschaft vertritt eine streng orthodoxe Form des Islam indischer Prägung. Ziel der TJ ist die Islamisierung der Gesellschaft, um dadurch die Etablierung eines islamischen Staates zu erreichen. Sie hat den Charakter einer internationalen islamischen Massenbewegung, deren Anhänger Internationale sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig fühlen, sondern sich als islamische konsequente Muslime mit missionarischem Auftrag ansehen. Ihre AnMassenbewegung hänger vertreten eine wörtliche Auslegung des Korans und der Sunna, die Ausgrenzung der Frau und eine Abgrenzungspolitik gegenüber Nicht-Muslimen. Diese Bestrebungen wirken in nicht-muslimischen Gesellschaften zwangsläufig desintegrierend, so dass eine dauerhafte und ernsthafte Hinwendung zu westlichen Gesellschaftsordnungen, Wertvorstellungen und Integrationsmodellen nicht möglich ist. Das Tragen von traditioneller Gebetskleidung und die bis in Details verbindlichen Verhaltensregeln im Alltag sollen die absolute Hinwendung zum Propheten Mohammed ausdrücken. Charakteristisch für die Anhänger der TJ ist eine missionarische Reise"Missionierungstätigkeit, bei der sie Moscheen in ganz Europa aufsuchen. Die Missioreisen" nierung dient der Rekrutierung neuer Mitglieder. Zur Ausbildung der Anhänger gehört eine vier Monate dauernde Schulung, die vornehmlich in Koranschulen in Pakistan absolviert wird. Die wenigsten Missionare verfügen über eine theologische Ausbildung. Zur Missionierung nutzen ihre Anhänger auch Moscheen, die keinen unmittelbaren Bezug zu TJ haben. Dazu dienen Veranstaltungen, bei denen Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 52 Ausländerextremismus die Anhänger über Tage oder Wochen hinweg beten, den Koran studieren und indoktriniert werden. Auch für Kinder und Jugendliche werden Koranschulungen durchgeführt. Direkte Aufrufe zum "Djihad" werden dabei vermieden, jedoch wird der ideologische Nährboden für den gewaltbereiten Extremismus bereitet. Durch die gemeinsame ideologische Basis mit militanten Gruppierungen besteht die Gefahr, dass die weltweiten Strukturen der Bewegung von terroristischen Netzwerken genutzt werden. Von Einzelpersonen, die die Schulung der TJ durchlaufen haben, ist bekannt, dass sie sich terroristischen Gruppierungen angeschlossen haben. DeutschlandVom 5. bis 7. Mai fand in der Al-Nur-Moschee in Berlin das Jahrestreftreffen fen der TJ statt, an dem sich rund 700 TJ-Anhänger aus Deutschland, darunter etwa 50 aus Bayern, beteiligten. Organisiert wurde die Versammlung von den bisherigen Deutschland-Emiren, die trotz ihrer Entmachtung durch den TJ-Welt-Shura-Rat Ende 2005 informell ihre Führungsfunktion innerhalb Deutschlands weiterhin wahrnehmen. Der gesamte Veranstaltungsablauf war allerdings gekennzeichnet durch Führungsanspruch den absoluten Führungsanspruch der pakistanischen und indischen der Welt-Shura Scheichs (Welt-Shura). Die Scheichs der Welt-Shura äußerten ihren Unmut darüber, dass Deutschland in den Missionierungserfolgen weit hinter anderen europäischen Ländern zurückliege. Sie forderten die Anhänger deshalb auf, ihre Missionierungsanstrengungen zu intensivieren. Gleichzeitig kündigten sie an, durch regelmäßige Besuche die Fortschritte zu überwachen. Außerdem legte die Welt-Shura fest, dass die Deutschlandtreffen (Maschwara) nicht mehr wie bisher vierteljährlich, sondern alle zwei Monate stattfinden sollen. Anlässlich der Maschwara tragen die Städtegruppen die geleistete Missionstätigkeit und etwaige Erfolge vor. Die Verkürzung dieses Intervalls dient somit der strafferen Kontrolle der Missionsarbeit durch die Welt-Shura. Tenor der Predigten war, dass Allah die Menschen nur zu dem Zweck geschaffen habe, ihm zu dienen. Man habe nicht nach seinen eigenen Wünschen zu leben, sondern sich allein an Allah auszurichten. Die einzig wirkliche Lebensaufgabe eines jeden Muslim und insbesondere der TJ-Anhänger sei es, Allah zu dienen und andere zum Islam zu rufen. Dazu müsse die Missionstätigkeit verstärkt werden: "Das Ziel für die Menschen ist, dass alle Diener von Allah werden sollen. Für die Umma (Gemeinschaft der Muslime) ist es ein großes Ziel, dass alle Menschen Allah dienen." "Alle Menschen brauchen wir, auch die Nicht-Gläubigen, alle. Wir sind nicht in dieses Land (Deutschland) gekommen um zu essen und zu trinken, sondern damit wir uns um sie (die Nicht-Gläubigen) sorgen und ihnen den Iman (Glauben) bringen." Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 53 "Die, die nicht an Allah glauben und somit nach ihren Wünschen leben, sind wie Tiere und sie erziehen auch so ihre Kinder." "Wir sollen auch Bürgermeister und Mitglieder des Parlaments aufsuchen. Aber besonders darauf achten, dass man nicht zu den Essenszeiten stört. Für diese Menschen ist Dunja (Welt) wichtig, deshalb soll man nicht gleich sagen, dass sie keinen Wert hat. Man soll ihnen eine Alternative zur Dunja anbieten." "Dein ganzes Leben ist dem Glauben unterzuordnen, d.h. Du machst nur das, was Allah gesagt hat. Der Iman (Glauben) wird solange nicht komplett sein, solange die Dunja (Welt) nicht dem Iman unterstellt ist". In den Predigten wurde deutlich, dass die TJ in Deutschland nicht nur vom Glauben abgefallene Muslime zur Zielgruppe hat, sondern auch Andersgläubige. Dabei will die TJ auch deutsche Entscheidungsträger wie Bürgermeister und Parlamentsabgeordnete ansprechen. Bei der diesjährigen Jahresversammlung wurde erneut offensichtlich, dass Ziel der TJ die Islamisierung der Gesellschaft ist, um dadurch die Etablierung eines islamischen Staates zu erreichen. Die Verfassungsfeindlichkeit der TJ war bereits Gegenstand mehrerer GerichtsGerichtsentscheidungen. Das Verwaltungsgericht (VG) Ansbach stellte entscheidungen in zwei Beschlüssen vom 9. und 18. Mai fest, dass die TJ den Terrorismus unterstützt. Außerdem gefährde die TJ die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Sicherheit des Bundes. Bereits am 24. November 2005 hatte das VG Bayreuth festgestellt, dass der Verdacht der Unterstützung des Terrorismus durch die TJ sachlich begründet sei. Ähnlich hatte auch das VG Hannover am 2. März geurteilt. Gegen die Beschlüsse des VG Ansbach und das Urteil des VG Hannover wurden Rechtsmittel eingelegt. Die Organisation betreibt in Bayern zwei Moscheen in München und Pappenheim. In mehreren Moscheen konnte die TJ an Einfluss gewinnen. Aufenthaltsrechtliche Maßnahmen bayerischer Behörden und die verstärkte Medienberichterstattung führten zu einer Verunsicherung der deutschen TJ-Anhänger. 3.5 Multi-Kultur-Haus Ulm e.V. (MKH) Bayern Anhänger: 40 früherer Vorsitzender: Ramez Aly Gründung: 21.06.1996 früherer Sitz: Neu-Ulm Publizistisches Sprachrohr: "Denk mal Islamisch" (DmiZ) Seit 28. Dezember 2005 verboten Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 54 Ausländerextremismus Vereinsverbot Am 28. Dezember 2005 wurde das MKH vom Bayerischen Staatsministerium des Innern verboten, das Vereinsvermögen beschlagnahmt und ein zugehöriges Grundstück eingezogen. Nachdem der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) im September 2006 einen Eilantrag des MKH gegen das Verbot abgelehnt hatte, bestätigte er mit Urteil vom 24. Januar 2007 das Vereinsverbot. Das Gericht kam in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass sich die Tätigkeit des Vereins gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richte. Das MKH war ein vorwiegend in Bayern tätiger und in Baden-Württemberg vereinsrechtlich eingetragener Verein. Die Szene im Umfeld des MKH war bereits seit längerer Zeit im Blickfeld der bayerischen und baden-württembergischen Sicherheitsbehörden, die mehrere Durchsuchungen durchführten. Im Februar und im Juni 2005 wurden Hassprediger des MKH von Bayern und Baden-Württemberg nach Ägypten abgeschoben. Öffentliche Äußerungen von Funktionären und Freitagsgebete sowie bei den Durchsuchungen aufgefundene Lehrbücher und Medien waren geprägt von einer massiven, gebetsmühlenartigen Hetze gegen die parlamentarische Demokratie, gegen Andersgläubige, Juden und den Staat Israel. Der "Djihad" wurde durchwegs als Pflicht jedes Muslim propagiert. Reaktionen auf Die Schließung des MKH verunsicherte die örtliche islamistische Szene die Schließung nachhaltig und ließ bislang unterschwellige Spannungen unter der Andes MKH hängerschaft des MKH zu Tage treten. Die früheren Besucher des MKH verteilen sich nun auf die umliegenden vorwiegend türkischen Moscheen. Einzelne ehemalige Mitglieder versuchen, schwerpunktmäßig in Ulm/Baden-Württemberg neue Vereine zu gründen. Ehemalige MKH-Anhänger sollen sich bemühen, unter Zuhilfenahme von Personen des "Islamischen Informationszentrums Ulm e.V." (I.I.Z.-Ulm) eine Ersatzstruktur für das verbotene MKH zu schaffen. Bisher erfolgte keine vereinsrechtliche Neueintragung; die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Vereinszeitschrift Die Vereinszeitschrift des I.I.Z.-Ulm "Denk mal islamisch" (DmiZ) wird jetzt in Ägypten verfasst. Beiträge gelangen von dort per Datentransfer nach Deutschland. Die Redaktion wurde komplett ausgewechselt; die redaktionelle Verantwortung liegt nun bei deutschen Konvertiten. Mit diesem Wechsel ging eine Verschärfung des Inhalts einher. Die erste in Ägypten erstellte Ausgabe mit dem Titel "Beckstein - Der Barbar aus Bayern" erschien im Februar und thematisierte insbesondere die Schließung des MKH. Das MKH-Verbot wurde darin als "Überfall auf ein Gotteshaus" bezeichnet. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 55 3.6 Hizb Allah (Partei Gottes) Deutschland Bayern Mitglieder: 900 Einzelpersonen Gründung: 1982 im Libanon Publikation: "al-Intiqad" (Die Kritik) Fernsehsender: "al-Manar" (Der Leuchtturm) Die Hizb Allah (auch: Hisbollah/Hizbollah) ist eine auf Initiative des Irans gegründete schiitische Partei, die seit 1992 im libanesischen Parlament vertreten ist. Sie wird vom Iran finanziell, materiell und ideologisch unterstützt. Das langfristige Ziel der Hizb Allah ist die Zerstörung des Staates Israel und die "Herrschaft des Islam" über Jerusalem. Die Hizb Allah ist einerseits eine politische Partei, die vor allem aufgrund ihres sozialen Engagements auf die Unterstützung der ärmeren Ablehnung der Bevölkerungsschichten zählen kann. Andererseits verfügt sie aber nach Entwaffnung wie vor über militärische Einheiten, die insbesondere im Süden des Landes unabhängig von der libanesischen Staatsgewalt agieren. Eine Entwaffnung dieser Miliz gemäß der UN-Resolution 1559 gelang bisher nicht und wird vom politischen Flügel vehement abgelehnt. In einer am 22. Januar im libanesischen Fernsehen ausgestrahlten Rede betonte der Generalsekretär der Hizb Allah, Scheich Hassan Nasrallah, dass der "Islamische Widerstand" seine Waffen niemals und unter keinen Umständen abgeben werde. Die Waffen seien ihnen "heilig". Er drohte, gegen jeden, der eine Entwaffnung wünsche, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bis zum letzten Blutstropfen vorzugehen. Signet der Der bewaffnete Kampf gegen Israel zur Verteidigung des Libanon Hizb Allah müsse fortgeführt werden. Am 12. Juli eskalierte der Konflikt zwischen Israel und der Hizb Allah. "Juli-Krieg" Ein Überfall auf eine israelische Militärpatrouille im Grenzgebiet zu Israel und die Entführung zweier Soldaten im Libanon waren Anlass für massive kriegerische Auseinandersetzungen. Erst die Verabschiedung der UN-Resolution 1701 führte am 14. August zu einem Waffenstillstand. Deutschland ist seit Mitte Oktober mit Marineeinheiten an der internationalen Friedensmission im Libanon beteiligt. In Deutschland lebende Anhänger der Hizb Allah reagierten auf die Kämpfe im Libanon mit Mahnwachen, Protestkundgebungen und öffentlichen Aufzügen. In Berlin, Hamburg und Münster wurden dabei Embleme der Hizb Allah sowie Bilder des Generalsekretärs Nasrallah gezeigt, anti-israelische und anti-amerikanische Parolen skandiert und Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 56 Ausländerextremismus Bilder von libanesischen Opfern des Krieges mitgeführt. Auch bei Hizb Allah-Anhängern in Bayern stießen die Ereignisse auf großes Interesse. Im August fanden deshalb mehrere Veranstaltungen in München und Nürnberg, teilweise unter Beteiligung deutscher Linkesextremisten, statt. Die Veranstaltungen verliefen störungsfrei. 3.7 Hezb-i Islami Afghanistan (HIA) Deutschland Bayern Anhänger: 250 Einzelpersonen Anführer: Gulbuddin Hekmatyar Gründung: 1973 in Afghanistan Kampf für ein Die HIA ist eine Gruppierung überzeugter Islamisten, die im Zusamislamistisches menwirken mit verbliebenen Talibanund al-Qaida-Kämpfern die von Afghanistan der westlichen Allianz gestützte afghanische Regierung bekämpft. Sie will in Afghanistan einen islamischen Staat errichten und die Scharia einführen. Mitte Dezember wurde eine Videobotschaft von Hekmatyar verbreitet, der 1996 für kurze Zeit Regierungschef Afghanistans war. Die fremden Truppen würden in Kürze gewaltsam vertrieben: "Ich bin überzeugt, dass das Schicksal der Sowjetunion auch auf die Amerikaner wartet." Die HIA kämpft im Osten Afghanistans, wo vor allem US-Truppen stationiert sind. 3.8 Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB) Anhänger/Besucher: bis zu 300 - vorwiegend iranischer, irakischer und libanesischer Nationalität Vorsitzender: Mahmoud Khalilzadeh Gründung: 1994 in München Sitz: München Eigentümer: Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) seit Oktober 2003 Bis heute ist die Bewahrung der einst vom iranischen Revolutionsführer Ajatollah Khomeini propagierten Idee der "Islamischen Revolution" im Iran sowie deren internationale Verbreitung wesentlicher Bestandteil der iranischen Politik. Der Iran unterstützt daher eine Vielzahl islamiVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 57 scher und islamistischer Bewegungen und Organisationen vor allem im Nahen und Mittleren Osten. Der "Export der Revolution" in diese Länder, die zu lernen hätten, "mit der Hilfe Gottes zur Revolution zu Iranischer "Revolugelangen", ist in der iranischen Verfassung vorgeschrieben. tionsexport" Auch islamische Zentren und Moscheen in Deutschland dienen im Sinn dieses "Revolutionsexports" als Foren für Versuche der Einflussnahme durch den Iran. Eines dieser Zentren ist die Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB). Die IVB ist dem Islamischen Zentrum Hamburg (IZH) unmittelbar nachgeordnet. Das IZH gilt europaweit als hochrangige Verbindungsstelle der Islamischen Republik Iran. Die IVB war Trägerin der schiitisch-iranischen Moschee in München. Moscheeschließung Dort trafen sich auch Anhänger islamistischer Organisationen wie der libanesischen Hizb Allah. Im März wurde diese Moschee auf Veranlassung des IZH aufgrund finanzieller Probleme geschlossen. Es bleibt abzuwarten, ob die Vereinsaktivitäten an einem anderen Ort fortgeführt werden. In Ermangelung einer eigenen schiitischen Gebetsstätte besuchen die Gläubigen derzeit verschiedene sunnitische Moscheen in der Münchner Innenstadt. 3.9 Türkische islamistische Gruppierungen 3.9.1 Milli-Görüs-Bewegung "Führer" der Milli-Görüs-Bewegung: Prof. Dr. Necmettin Erbakan Vorsitzender des europäischen Zweigs (IGMG): Osman Döring, genannt Yavuz Celik Karahan Entstehung der Bewegung (Türkei): ca. 1970 Entwicklung in Europa: Gründung 1985 in Köln als "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT); 1995 Aufteilung in die beiden unabhängigen juristischen Personen "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) und "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft" (EMUG) Deutschland Bayern Mitglieder: 26.000 4.800 Sitz der IGMG: Kerpen Sprachrohr der Milli-Görüs-Bewegung: "Milli Gazete" (Nationale Zeitung) Publikation der IGMG: "Milli Görüs & Perspektive" Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 58 Ausländerextremismus Die Milli-Görüs-Bewegung ist ein Sammelbecken von Anhängern des langjährigen türkischen Politikers Prof. Dr. Necmettin Erbakan, der von 1996 bis 1997 Ministerpräsident in der Türkei war. Sie will seit Ende der 60er bzw. Anfang der 70er Jahre - trotz gegenteiliger Äußerungen - die laizistische Staatsordnung in der Türkei durch eine islamische Staatsund Gesellschaftsordnung mit dem Koran als Grundlage des Staatsaufbaus und als Verhaltenskodex des gesellschaftlichen Zusammenlebens ablösen. Ihr Fernziel ist die weltweite Islamisierung unter Führung der Türkei. Prof. Dr. Erbakan hat seine politischen Ideen u.a. in der Schrift "Milli Görüs" (Nationale Sicht) von 1975 veröffentlicht. Die Ideologie und die Ziele der Milli-Görüs-Bewegung werden durch unterschiedliche Organisationsformen bzw. Kommunikationsmittel verbreitet: - die Glückseligkeitspartei (SP) in der Türkei, - die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) als Repräsentantin im Ausland, - die "Milli Gazete" als publizistisches Sprachrohr, - das Internet als modernes Kommunikationsmittel. Glückseligkeitspartei (SP) in der Türkei In der Türkei sind die Anhänger der islamistischen Milli-Görüs-Bewegung seit 2001 in der Saadet-Partisi (SP - Glückseligkeitspartei) organisiert, nachdem die islamistischen Vorgänger-Parteien Refah Partisi (RP - Wohlfahrtspartei) und Fazilet Partisi (FP - Tugendpartei) wegen "anti-laizistischer Aktivitäten" verboten worden waren. Trotz eines gegen Prof. Dr. Erbakan erlassenen Politikverbots, das ihm die Ausübung einer Parteifunktion verwehrt, gilt er weiterhin als "Führer" mit weit reichendem Einfluss auf Partei und Bewegung. Offizieller VorVerhältnis zu sitzender der SP ist Recai Kutan. Auch die derzeitige Regierungspartei türkischen Parteien AKP (Gerechtigkeitsund Aufschwungpartei) ging aus der 2001 vom türkischen Verfassungsgericht verbotenen FP hervor, sie nimmt für sich aber - anders als die SP - eine Abkehr vom Islamismus in Anspruch. Bei der türkischen Parlamentswahl im Jahr 2002 erhielt die SP nur 2,5 % der Stimmen, während die AKP mit 35,0 % der Wählerstimmen die Mehrheit der Abgeordnetenmandate errang und seither die Regierung in der Türkei stellt. Bei diesen Wahlen zeigte sich die Verbundenheit zwischen Milli-Görüs-Bewegung, SP und IGMG. So unterstützte die IGMG den Wahlkampf der SP. Die Anhänger der IGMG reagierten auf die Regierungsübernahme der AKP zwiespältig. Viele Mitglieder begrüßVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 59 ten den Sieg der AKP, während sich manche Funktionäre von der Wahlniederlage der SP schockiert zeigten. Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) als Repräsentantin im Ausland Die IGMG bildet die Auslandsorganisation der Milli-Görüs-Bewegung. Organisation Der Sitz der IGMG-Zentrale befindet sich in Kerpen/Nordrhein-Westfalen. Der Zentrale sind mehr als 30 "Gebiete" nachgeordnet, davon etwa die Hälfte allein in Deutschland. Weitere "Gebiete" befinden sich in europäischen Ländern, aber auch in Kanada und Australien. Unterhalb der "Gebietsebene" sind die "Ortsvereine" angesiedelt, die sich direkt oder indirekt der IGMG zurechnen lassen. Auch hier zeigt sich, dass sich die Bestrebungen der IGMG vor allem auf Deutschland konzentrieren. So befinden sich von den insgesamt rund 700 "Ortsvereinen" etwa 500 in Deutschland. In Bayern sind etwa 70 "Ortsvereine" aktiv, mit regionalen Schwerpunkten in Nürnberg und München. Das Bemühen der IGMG um gesellschaftliche Akzeptanz führte bei mehreren "Ortsvereinen" zur Annahme von neutralen Bezeichnungen. Solche Vereine geben sich Satzungen, die formal keine Rückschlüsse auf die IGMG mehr zulassen. Die IGMG-Führung unter Leitung des im Dezember 2002 gewählten VorVerhältnis zur AKP sitzenden Karahan ist seit der Niederlage der SP bei den türkischen Parlamentswahlen 2002 und der Regierungsbildung durch die AKP bemüht, sich gegenüber der türkischen Regierung als wichtige Organisation zur Wahrung türkischer Interessen in Deutschland darzustellen. So bot im Dezember 2002 der IGMG-Generalsekretär Oguz Ücüncü dem damaligen türkischen Ministerpräsidenten Abdullah Gül und dem AKP-Gründer Recep Tayyip Erdogan Unterstützung an. Die IGMG sei eine wichtige Brücke zwischen der Türkei und Europa. Der Weg zur EU führe über Milli Görüs. Die türkische Regierung griff dieses Angebot auf und strich die IGMG von einer Liste von staatsfeindlichen Organisationen. In der Folgezeit verstärkten sich die Beziehungen zwischen der IGMG und Repräsentanten der AKP sowie regierungsnahen Einrichtungen und Organisationen. Die IGMG-Spitze nutzte im Mai einen Deutschlandbesuch Erdogans für ein gemeinsames Treffen. Die IGMG versucht in Deutschland, den Eindruck einer bloßen Religionsgemeinschaft und einer verfassungstreuen Organisation zu erwecken, die sich ausschließlich um die religiösen und sozialen Emblem Bedürfnisse der türkischen Muslime in Deutschland kümmert. Seit Jahder IGMG ren bemüht sie sich um ein rechtlich unangreifbares Erscheinungsbild. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 60 Ausländerextremismus Die Beziehungen zur SP und der Milli-Görüs-Leitfigur Prof. Dr. Erbakan werden nur gelegentlich sichtbar, so etwa bei der diesjährigen Gedenkfeier anlässlich des Jahrestags der Eroberung Istanbuls. Der IGMG-Funktionär Hasan Damar bekannte sich dabei zur ideologischen Führungsrolle Prof. Dr. Erbakans: "Um Milli Görüs wieder an die Macht zu bringen, müssen wir von Europa und (müsst) ihr von der Türkei aus mit aller Kraft arbeiten. Denn die Rettung der islamischen Welt, die heute vielleicht die dunkelsten Tage ihrer Geschichte erlebt, ist nur durch die Türkei möglich. Wir als in Europa befindliche Auswanderer unterstehen dem Befehl unseres Hocas Erbakan." (Milli Gazete vom 29. Mai) "Tag der BrüderAuch beim "Tag der Brüderlichkeit und der Solidarität" am 4. Juni in lichkeit" der belgischen Stadt Hasselt, den nach Angaben des Veranstalters über 25.000 Personen aus allen IGMG-Bezirken Europas sowie Vertreter der SP besuchten, wurde der Zusammenhalt zwischen Milli-Görüs-Bewegung, SP und IGMG deutlich. So sprach per Live-Schaltung Prof. Dr. Necmettin Erbakan zu seinen Anhängern. Der IGMG-Generalvorsitzende Karahan wies bei derselben Veranstaltung auf die Dauerhaftigkeit der muslimischen Präsenz in Europa hin: "Die Muslime sind nun in Europa sesshaft, der Islam ist in Europa sesshaft. Auch Europa ist nun, wie andere Teile der Welt auch, das Mutterland des Islam." Es gelte, sich in Europa zu etablieren, ohne dabei die eigene Identität zu verlieren. Der Generalsekretär, Oguz Ücüncü, beklagte das Verhalten der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Muslimen: "Die Diskussionen um die Vollmitgliedschaft der Türkei, die Kopftuchverbote in verschiedenen Staaten und Bundesländern, Gewissensprüfungen, verdachtsunabhängige Kontrollen vor Moscheen und zuletzt die Verunglimpfung unseres Propheten im Namen der Pressefreiheit zeigen jedem vernünftigen Menschen, dass hier eine Religion, eine ganze Zivilisation, eine Lebensweise verurteilt, zur Zielscheibe gemacht und als das Andere etabliert wird. (...) Unsere Gemeinschaft und ihre Mitglieder sehen sich einer Hexenjagd ausgesetzt, ..." DurchsuchungsBei Durchsuchungen der IGMG-Zentrale Südbayern in München wuraktionen den im September 2004 und im April 2005 Computer sowie zahlreiche Bücher, Videokassetten und CDs beschlagnahmt. Darunter befanden sich Veröffentlichungen über Prof. Dr. Necmettin Erbakan, die islamistischen Parteien der Türkei und die Milli-Görüs-Bewegung. In den beschlagnahmten Büchern wird die Feindschaft gegen Juden, Freimaurer und Christen sowie die Ablehnung des Westens und der Demokratie sichtbar. Weitere beschlagnahmte Publikationen betonen die Bedeutung des "Djihads" und die Allgemeingültigkeit des Islam. Das MedienVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 61 angebot der IGMG-Südbayern belegt, dass die Führung des Verbands der Ideologie Prof. Dr. Erbakans und dessen SP treu ergeben ist. Neben einem umfangreichen Buchsortiment wurden auch VideokassetMedienangebot ten zur Verbreitung vorrätig gehalten. Beispielhaft ist hier der auf Kinder IGMG der zugeschnittene Zeichentrickfilm "Kücük Mücahid" (Der kleine Glaubenskämpfer) zu nennen, der Kindern den (bewaffneten) Guerillakampf gegen "Besatzer" vermittelt. Auch ein Propagandavideo der palästinensischen Widerstandsbewegung HAMAS wurde sichergestellt. Insgesamt zeigt die zwischenzeitlich abgeschlossene Auswertung des beschlagnahmten Materials, dass sich die Milli-Görüs-Bewegung im Kampf gegen eine schon lange geplante, bis heute andauernde jüdische Weltverschwörung sieht. Dass sich daran bis heute nichts geändert hat, wurde auch am diesjährigen Europatreffen der IGMG deutlich. Dort wurde am Verkaufsstand des IGMG-Bücherclubs u.a. auch das antisemitische Propaganda-Video "Zehras blaue Augen" verkauft. Das Antisemitismus Video zeigt, wie einem palästinensischen jungen Mädchen die Augen herausgeschnitten werden, um diese einem blinden jüdischen Jungen einzusetzen. Der Vater des Jungen, ein israelischer Offizier, sagt in dem Film: "Augen und Herzen eines palästinensischen Arabers oder eines Christen sind wie die Früchte aus unseren eigenen Gärten. Wir nutzen die Früchte unseres Gartens so, wie wir es wollen." Der Film endet damit, dass ein Verwandter des Mädchens ein Selbstmordattentat auf den jüdischen Offizier verübt. Auf den Verkauf des Videos angesprochen gab der IGMG-Generalsekretär Ücüncü in einem Interview zu erkennen, dass er sich nicht in der Lage sehe, die Verbreitung islamistischer Propaganda zu unterbinden, da sein Einfluss offensichtlich begrenzt sei. Ücüncü entwertete dadurch seine bisherigen Distanzierungsbemühungen von Antisemitismus und Extremismus. Mit einem breiten Angebot in der Jugendund Sozialarbeit versucht die Kinderund IGMG, junge Türken in Deutschland an die Organisation zu binden. So Jugendarbeit führte die IGMG wie bisher Sommerkorankurse durch. Diese so genannten Sommerschulen sind eingebettet in ein von der IGMG-Zentrale verabschiedetes Bildungsprogramm. Dazu gehört auch Islamunterricht ab dem Kindergarten bis zur 8. Klasse. Bei einer Veranstaltung am 25. Juli 2004 in Neu-Ulm zum Thema "Situation muslimischer Kinder im deutschen Bildungssystem" warb die IGMG für eigene muslimische Kindergärten. Durch diese Angebote sollen Kinder und Jugendliche aus dem "Sumpf der westlichen Lebensweise" herausgehalten und nach "islamischen" Wertmaßstäben erzogen werden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 62 Ausländerextremismus Das Verwaltungsgericht München gab am 22. Mai der Klage der IGMG gegen den Freistaat Bayern auf Unterlassung verschiedener Aussagen im Verfassungsschutzbericht Bayern des Jahres 2001 zum Teil statt. Nach Ansicht des Gerichts konnten weder der Beklagte den Nachweis führen, dass die im Verfassungsschutzbericht wiedergegebenen Äußerungen aus drei damaligen IGMG-Veranstaltungen tatsächlich erfolgten noch die Klägerin nachweisen, dass dies nicht der Fall war. Daher wertete das Gericht die genannten Zitate aus prozessualen Gründen als einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Rechte der IGMG. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Freistaat Bayern hat dagegen Rechtsmittel eingelegt. "Milli Gazete" als publizistisches Sprachrohr Die türkischsprachige Zeitschrift "Milli Gazete" ist eine formal eigenständige Publikation, die jedoch inhaltlich den Lesern die Ideologie von Milli Görüs vermittelt; das Blatt verfügt auch über eine Homepage im Internet. Die Tageszeitung erscheint in einer Türkeisowie in einer Europabzw. Deutschlandausgabe. Die Herausgeber weisen in der Europaausgabe seit Juni 2005 im Impressum darauf hin, dass es sich bei "Milli Gazete" um eine unabhängige Publikation handle, die Gewalt und Terror ablehne und sich zu Demokratie und Menschenrechten bekenne. Diese Haltung spiegelt sich jedoch nicht in der Berichterstattung wider. Wie die folgenden Zitate zeigen, verbreitet die "Milli Gazete" Verschwörungstheorien und propagiert antijudaistische Aussagen: "Zionismus bedeutet die Absicht und politische Auffassung der Juden, die Weltherrschaft der Juden zu gewährleisten und das israelische Reich zu gründen." "Die zionistische Gemeinschaft, deren Besonderheiten im Koran erwähnt wurden, will, dass auf der Welt Blut, Tränen, Abscheu und Hass Platz nehmen. Um diese Bosheiten zu verhindern, sollte die Menschheit nichts unterlassen, was in ihrer Macht steht." (Internet-Ausgabe der Milli Gazete vom 10. November) Sprachrohrfunktion Die IGMG bestreitet immer wieder, dass die "Milli Gazete" ihr publizistisches Sprachrohr sei. Vereinzelt distanziert sich die IGMG auch von Artikeln der Zeitung. Gleichzeitig führen IGMG und "Milli Gazete" jedoch gemeinsame Veranstaltungen durch, auf denen für das Blatt geworben wird. Die Nähe von IGMG und Milli Gazete zeigt sich zudem am Gesamtbild der Berichterstattung. Die "Milli Gazete" berichtet in einem Umfang über die IGMG, wie er weder in der IGMG-eigenen Zeitschrift "Milli Görüs & Perspektive" noch auf der eigenen Homepage der Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 63 IGMG erreicht wird. Sogar Kinder der IGMG-Mitglieder werden bereits in Lehrbüchern auf die "Milli Gazete" hingewiesen. Das Verwaltungsgericht München entschied am 22. Mai, dass Artikel aus der Zeitschrift Milli Gazete im Verfassungsschutzbericht nicht mehr im Abschnitt über die IGMG erwähnt werden dürften. Die Milli Gazete sei zwar möglicherweise das Sprachrohr der IGMG. Nach Auffassung des Gerichts führe dies jedoch nicht dazu, dass sämtliche Artikel der Milli Gazete der IGMG zuzurechnen seien. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Freistaat Bayern hat gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt. Internet als modernes Kommunikationsmittel Seit acht Jahren ist die IGMG im Internet durch eine deutschsprachige Internet-Seite vertreten, die laufend aktualisiert wird. Der Verzicht auf extremistisches Gedankengut auf dieser Homepage entspricht der Zielsetzung, sich als bloße Religionsgemeinschaft und als verfassungstreue Organisation darzustellen. Anders verhält es sich auf der Internet-Seite www.milligorusforum.com, Internet-Forum die seit Dezember 2005 Inhalte der Milli-Görüs-Bewegung verbreitet. Diese von der IGMG unabhängige Internet-Seite zeigt exemplarisch das extremistische Potenzial der Milli-Görüs-Bewegung. Sie enthält ein türkischsprachiges Forum für registrierte Mitglieder. Bei den Nutzern handelt es sich überwiegend um männliche Jugendliche, die sich zum Teil extremistisch äußern. Beispielsweise propagierte ein Teilnehmer unwidersprochen die Djihad-Lehre des Mentors von Usama Bin Ladin, Abdullah Azzam: "Die Imame der vier Rechtsschulen sind sich darüber einig, dass der Zweck des Djihad darin liegt, auf dem Weg Allahs Krieg zu führen. Dinge wie 'Djihad mit dem Bleistift' oder 'Djihad mit der Sprache' sind im Sinne der Scharia kein Djihad. Nach der Scharia bedeutet Djihad: Krieg führen. Als unser Herr Prophet - Allahs Segen möge über ihm sein - gefragt wurde, was 'auf dem Weg Allahs Djihad führen' entsprechen könnte, gab er folgende Antwort: 'Dafür reicht eure Kraft nicht aus!' Wenn Djihad mit Bleistift oder Sprache zu führen gewesen wäre, hätte ihre Kraft bestimmt dafür ausgereicht." Es wird auf weitere Internet-Seiten der Milli-Görüs-Bewegung sowie auf Propagandaseiten über das weltweite Leid der Muslime verwiesen. Auf 32 Seiten wird ein in Tschetschenien gefallener "Märtyrer Bilal" mit Bildern und Aussprüchen wie "Allahuekber, Allah möge dein Glaubensbekenntnis anerkennen und uns dasselbe ermöglichen!" gefeiert. Teilnehmer des Forums sehen den Islam in einem weltweiten AbwehrVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 64 Ausländerextremismus kampf gegen die Ungläubigen. Die Lösung für diese Probleme biete die Milli-Görüs-Bewegung, insbesondere ihr Führer Prof. Dr. Erbakan: "Mein Hoca, wir brauchen Dich ... Wir brauchen diesen Verstand, diese Auffassung, diese Stimme, diesen Atem ... Deine Stimme zu hören verleiht uns Vertrauen und den Ungläubigen Furcht ... Mein Hoca, wir brauchen Dich ... Wir flehen Dich an, verlass uns nicht ... Oh Gott! Milli Görüs und unser Hoca sind bemüht, Deinen Glauben über die Welt herrschen zu lassen ... Oh Gott! Lass unseren Hoca den Triumph von Milli Görüs erleben ... Sein Bestreben ist die Glückseligkeit von 6 Milliarden Menschen ... Lass auch unseren Hoca die Tage, an denen wir unser Ziel erreichen, erleben ... Amen ..." Das Bayerische Staatsministerium des Innern hatte erstmals in den Verfassungsschutzinformationen für das 1. Halbjahr 2006 unter der Rubrik IGMG über die Internet-Seite www.milligorus-forum.com berichtet. Die IGMG wandte sich gegen diese Darstellung und ersuchte den Freistaat Bayern um Unterlassung und Richtigstellung. Da der Freistaat Bayern dieser Aufforderung nicht nachkam, ist diesbezüglich ein Rechtsstreit beim Verwaltungsgericht München anhängig. 3.9.2 Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) Deutschland Bayern Anhänger: 800 60 früherer Vorsitzender: Metin Kaplan Gründung: 1984 Sitz: Köln In Deutschland seit 12. Dezember 2001 verboten Der "Kalifatsstaat" (Hilafet Devleti) war eine am Führerprinzip orientierte, streng hierarchisch gegliederte Organisation. Das Endziel dieses "Staates ohne Staatsgebiet" war die Weltherrschaft des Islam unter dem Kalifat seines Anführers Metin Kaplan. Als erste Stufe auf dem Weg zu diesem Ziel erstrebte der "Kalifatsstaat" den gewaltsamen Sturz des laizistischen Regierungssystems in der Türkei. Er lehnte Demokratie und jede Trennung von Politik und Religion strikt ab. Damit richtete er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung und gefährdete die Innere Sicherheit in Deutschland. Das Emblem des Bundesministerium des Innern verbot deshalb am 12. Dezember 2001 Kalifatsstaats die Vereinigung "Kalifatsstaat" mit 17 ihrer Teilorganisationen, darunter alle vier bayerischen Verbände. Am 19. September 2002 wurden Vereinsverbot weitere 16 Teilorganisationen des "Kalifatsstaats" vom BundesministeVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 65 rium des Innern verboten. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte am 27. November 2002 die Verbote. Ungeachtet der Verbotsverfügungen versuchten ehemalige Mitglieder des "Kalifatsstaats", sowohl organisatorische Zusammenhänge aufrecht zu erhalten als auch die Lehren des "Kalifen" weiterhin zu verbreiten. Die nach dem Verbot durchgeführten umfangreichen Exekutivmaßnahmen gegen Anhänger des "Kalifatsstaats" sowie die Abschiebung des früheren "Kalifen" Metin Kaplan haben den organisatorischen Zusammenhalt in Bayern nachhaltig geschwächt. 4. Islamistischer Terrorismus 4.1 Überblick Der Islamismus - insbesondere die Terrornetzwerke - gefährdet die Bedrohung durch Innere Sicherheit der westlichen Staaten und damit auch Deutschlands Terrornetzwerke stärker als jede andere extremistische Bestrebung. Trotz der Festnahme oder des Todes einiger hochrangiger al-Qaida-Funktionäre - wie etwa der Tod des Führers von al-Qaida im Irak, Abu Musab al-Zarqawi, der am 7. Juni bei einem Angriff von US-Truppen ums Leben kam - sind die islamistischen Terrornetzwerke unverändert handlungsfähig. Die Aktivitäten Terrorverdächtiger werden weiterhin intensiv beobachtet. Wesensmerkmal des islamistischen Terrorismus sind nicht strukturelle und organisatorische Verbindungen zum al-Qaida-Netzwerk, sondern die gemeinsame Ideologie des Djihadismus. Die Djihadismus-Ideologie wird demnach auch von regionalen Kleingruppen, so genannten "home "home grown"grown"-Netzwerken, gepflegt, die sich unter Umständen aus scheinNetzwerke bar längst integrierten Personen zusammensetzen (vgl. auch Nummer 4.4 dieses Abschnitts). Ein typisches Beispiel hierfür ist die Londoner Gruppe, die im Sommer 2005 die Anschläge auf das Londoner Verkehrsnetz verübte. Die gescheiterten Anschläge vom 31. Juli mit Kofferbomben auf zwei AnschlagsRegionalzüge zeigen sehr deutlich, dass Deutschland nicht nur eine Rolle planungen in als Rückzugsund Ruheraum spielt, sondern konkretes Anschlagsziel Deutschland für islamistische Terroristen ist. Bereits in der Vergangenheit gab es Anschlagsplanungen in Deutschland, z.B. die geplante Ermordung des damaligen irakischen Ministerpräsidenten während eines Staatsbesuchs in Deutschland Ende 2004, denen durch rechtzeitige Maßnahmen der Sicherheitsbehörden begegnet werden konnte. Darüber hinaus betrachten Terrororganisationen Deutschland als logistische Basis zur finanziellen Unterstützung ihrer Aktivitäten in ihren Heimatländern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 66 Ausländerextremismus Separatistische und In ausländischen Regionen mit überwiegend muslimischer Bevölkerung nationalistische stützen sich separatistische und nationalistische Bestrebungen vielfach Bestrebungen auf ein zweites ideologisches Standbein, nämlich die Verbreitung des Islam und die Errichtung islamischer Gottesstaaten. Dadurch erhalten diese Bestrebungen auch einen islamistischen Charakter und finden damit weltweit Unterstützung durch islamistische Extremisten und Terroristen. Diese Vermengung von Islamismus, Separatismus und Nationalismus ist bei Anschlägen in Tschetschenien, in Südostasien und - mit Einschränkungen - auch in Palästina festzustellen. 4.2 Das Terrornetzwerk um al-Qaida Internationales Das Netzwerk arabischer Mudjahidin besteht aus teils unabhängig vonNetzwerk einander operierenden Organisationen und Zellen, in denen bei gemeinsamer Zielrichtung unterschiedliche Organisationsformen und Vorgehensweisen festzustellen sind. Seine Akteure handeln mit islamistischem Sendungsbewusstsein und nutzen ihre vielfach in Afghanistan gesammelten Erfahrungen. Zwischen diesen Organisationen kann es auch sich überschneidende Abhängigkeitsund Weisungsstränge geben. Eine besondere Führungsrolle innerhalb dieses Netzwerks unabhängiger Organisationen nimmt die Organisation al-Qaida ein. Das Schaubild auf der Seite 67 dieses Berichts versucht, dieses Netzwerk vereinfacht darzustellen. Weltweit sind etwa 10.000 ausgebildete und kriegserfahrene Afghanistan-Kämpfer in ihre Heimatoder Zufluchtsländer zurückgekehrt, wo Lokale Terrorsie sich teilweise lokalen islamistischen Gruppen angeschlossen haben. gruppen Sie genießen dort hohes Ansehen und können als Multiplikatoren fungieren. Diese lokalen terroristischen Gruppierungen (dargestellt im rechten Bereich des Schaubilds) streben in ihren jeweiligen Heimatländern durch bewaffneten Kampf die Beseitigung der dortigen - aus Sicht der Täter westlich-dekadenten - Gesellschaftsordnung und die Errichtung eines islamistischen Gottesstaats an. Die Ideologie von al-Qaida ist Djihad-Ideologie vom "Djihadismus" geprägt. Ihr Weltbild teilt die Menschheit in Muslime und Ungläubige. Pflicht der Muslime sei es, die Ungläubigen, wenn sie sich ihnen nicht anschließen, im bewaffneten Kampf zu besiegen. Zu den Ungläubigen zählen insbesondere Christen und Juden. Auch die Regierungen zahlreicher islamischer Staaten sind wegen ihrer Weigerung, die USA und Israel zu bekämpfen und eine "muslimische" Ordnung einzuführen, in den Augen von al-Qaida bloße Marionetten der USA. Zwar ist die Errichtung eines "islamischen Staates" das gemeinsame Ziel, doch über dessen konkrete Ausgestaltung gibt es nur selten Einigkeit. Feindbild ist der "dekadente Westen". Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 67 Netzwerkstruktur des internationalen islamistischen Terrorismus AL-QAIDA als ideologische Basis sog. non-alignednational bzw. Mudjahidin regional ausgerichunabhängige oder lose tete Gruppen vernetzte Attentäterz.B. Zellen tschetschenische z.B. Mudjahidin Al-Tauhid Ansar al-Islam "Madrid-Attentäter" Terroranschläge Organisation al-Qaida im islamischen Maghreb (ehemals GSPC) USA ... 11.09.2001 Madrid London 11.03.2004 07.07.2005 Anschlagsziele sind dabei auch Staaten, die mit dem Westen kooperieren (vor allem Saudi-Arabien) oder Staaten, die als zu westlich gelten (z.B. die Türkei). Häufig ist die Ideologie das einzige Bindeglied dieser weltweit autark operierenden Gruppierungen und Zellen. Al-Qaida ist Al-Qaida als deren "ideologische" Basis. Dieser Umstand erleichtert auch personelle "ideologische" Verflechtungen. Attentäter-Zellen im Sinn von al-Qaida bedürfen größBasis tenteils nicht des zentralen Kommandos und bekommen nachträglich den "Segen" für ihre oft langfristig geplanten Anschläge (etwa über Audiooder Videobotschaften, die über das Internet oder über arabische Sender verbreitet werden). Die Legitimation für ihre Aktivitäten liefern islamistische Ideologen, häufig selbst ernannte Prediger, deren persönliche Autorität weder durch ihren Tod noch durch ihr Wirken aus dem Untergrund, wie z.B. bei Usama Bin Ladin, beeinträchtigt wird. Kampfplätze, auf denen Mudjahidin ihr Kriegswissen erproben können, sind hauptsächlich der Irak und Afghanistan, jedoch auch Tschetschenien und Kaschmir. Der Palästina-Konflikt mit seiner großen medialen Präsenz dient hauptsächlich der Agitation und Mobilisierung. Die Zerschlagung der afghanischen Zentrale und die Verhaftung oder Tötung zahlreicher Mitglieder aus der alten Führungsriege haben zwar den Kern von al-Qaida vorübergehend geschwächt, das flexible Netzwerk jedoch nicht besiegt. Vielmehr erklärte zum Beispiel im September die "Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat" (GSPC, "Salafiyya-Gruppe für Predigt und Kampf") via Internet offiziell ihren Beitritt zu al-Qaida. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 68 Ausländerextremismus GSPC Die algerische Terrororganisation GSPC entstand 1997 als Abspaltung der "Groupes Islamiques Armes" (GIA, "Islamische Bewaffnete Gruppen"). Sie setzt sich aus einer Vielzahl von Kleingruppen auch außerhalb Algeriens zusammen und finanziert sich vor allem durch kriminelle Aktivitäten. Die GSPC konzentrierte sich zunächst auf den Kampf gegen die algerische Staatsmacht. Die Bekämpfung durch algerische Sicherheitskräfte führte zu einer Schwächung der Organisation. Daraufhin näherte sich die GSPC ab Herbst 2003 der internationalen Djihad-Ideologie von al-Qaida an. Dies ging aus mehreren Kommuniques, die auch im Internet publiziert wurden, hervor. Ermittlungen westlicher Sicherheitsbehörden weisen auf die Existenz mehrerer Unterstützerzellen von GSPC-Anhängern in Europa hin, u. a. in Italien, Frankreich und Großbritannien. Eine Exilstruktur der GSPC in Deutschland ist bisher nicht erkennbar. Mit einer Internet-Erklärung vom 24. Januar 2007 hat die GSPC in Folge ihres Anschlusses an al-Qaida ihre Umbenennung in "Organisation al-Qaida im islamischen Maghreb" bekanntgegeben. Nutzung des Zur Rekrutierung und Propaganda bedient sich das Netzwerk arabischer Internets Mudjahidin, allen voran al-Qaida, überwiegend des Internets (vgl. auch Nummer 2.2 dieses Abschnitts). So wurden auch im Jahr 2006 über Audiound Videobotschaften, die größtenteils über das Internet verbreitet wurden, Terroranschläge und der "Heilige Krieg" gegen den Westen propagiert und gerechtfertigt. Während sich Usama Bin Ladin im Jahr Botschaften und 2005 nicht zu Wort gemeldet hatte, trat er 2006 mit mehreren BotschafDrohungen ten an die Öffentlichkeit. Daneben äußerten sich vielfach auch andere Führungspersonen der al-Qaida wie z.B. Bin Ladins Stellvertreter Dr. Ayman al-Zawahiri, der im Juni getötet Abu Musab al-Zarqawi, dessen Nachfolger Abu Hamsa al-Muhadjer, aber auch ein zum Islam konvertierter US-Amerikaner, der von al-Zawahiri präsentiert wurde. Spezielle Themen der Verlautbarungen waren z.B. der Streit um die Mohammed-Karikaturen, der Irak-Krieg, die im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 stehende Verurteilung des Terroristen Zacarias Moussaoui zu lebenslanger Haft, der Tod al-Zarqawis und seine Nachfolge, der Libanon-Konflikt sowie der Vortrag Papst Benedikts XVI. in Regensburg. Beispielsweise strahlte der Fernsehsender al-Djazira am 23. Juni eine Videobotschaft von al-Zawahiri aus, die ihn vor einem Foto al-Zarqawis zeigte. Er drohte den USA mit gewaltsamer Rache für den Tod von al-Zarqawi: "Niemand von uns wird getötet, ohne gerächt zu werden." Er wandte sich auch direkt an den US-Präsidenten und erklärte, dass dessen Versuch, von Sicherheit zu träumen, vergeblich sei. Auch Usama Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 69 Bin Ladin würdigte in einer am 30. Juni im Internet veröffentlichten Audiobotschaft die Rolle und die Leistungen al-Zarqawis und stellte ihn als einen der besten Feldkommandeure der al-Qaida dar. Gleichzeitig machte er deutlich, dass al-Zarqawi der Führung der Organisation al-Qaida untergeordnet war und betonte damit die Führungsrolle seiner Organisation im weltweiten "Djihad". 4.3 Terroranschläge und Anschlagsplanungen Nach der Zuspitzung der Gefahr durch den islamistischen Terrorismus insbesondere durch die Anschläge in den USA im September 2001 ist Deutschland Ende Juli 2006 durch das Scheitern von Kofferbombenattentaten auf zwei Regionalzüge knapp einem terroristischen Anschlag entgangen. Diese Ereignisse haben sehr deutlich gemacht, dass Deutschland konkretes Anschlagsziel für islamistische Terroristen ist. Auch in anderen Teilen Europas sowie auf der ganzen Welt setzten Anhänger des islamistischen Terrors ihre Gewaltakte fort. 4.3.1 Deutschland Am 31. Juli versuchten zwei Libanesen im Alter von 20 und 21 Jahren, Fehlgeschlagene zeitlich aufeinander abgestimmte Sprengstoffanschläge auf RegionalKofferbombenzüge von Aachen nach Hamm sowie von Mönchengladbach nach Koblenz anschläge zu verüben. Die beiden Beschuldigten, die die Züge im Kölner Hauptbahnhof bestiegen, führten so genannte Koffertrolleys mit sich, die zeitgesteuerte Sprengund Brandvorrichtungen enthielten. Die Täter deponierten die Koffer und verließen nach kurzer Fahrstrecke unbemerkt die Züge. Nur ein handwerklicher Fehler verhinderte die Explosionen; die Bombenbauanleitungen sollen aus dem Internet bezogen worden sein. Der Generalbundesanwalt leitete daraufhin ein Verfahren wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, versuchten Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln und versuchten Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion ein. Nach einer umfangreichen Öffentlichkeitsfahndung gelang es den Sicherheitsbehörden, den ersten Tatverdächtigen zu identifizieren und am 19. August in Kiel festzunehmen. Neben DNA-Spuren trug die Auswertung von Videoaufzeichnungen der Überwachungskameras im Hauptbahnhof Köln zum Erfolg bei. Der Festgenommene hatte sich in Kiel auf ein Studium der Mechatronik vorbereitet und wohnte in einem Studentenwohnheim. Noch am Tattag verließ er Deutschland, kehrte jedoch zurück. Der zweite Tatverdächtige stellte sich am 24. August der Polizei in Tripoli/Libanon und wurde verhaftet. Die Bundesanwaltschaft bemüht sich um seine Auslieferung. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 70 Ausländerextremismus Am 25. August wurde des Weiteren in einem Studentenwohnheim in Konstanz ein 23-jähriger Syrer festgenommen. Ein Haftbefehl wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und anderer Delikte wurde am 14. September aufgehoben, die Ermittlungen werden jedoch fortgeführt. 4.3.2 Europa Geplante In der Nacht zum 10. August nahm die britische Polizei über 20 PersoAnschläge auf nen fest; neben zwei britischen Konvertiten waren diese überwiegend Flugzeuge pakistanischer Abstammung. Hintergrund der polizeilichen Maßnahme war die Planung von Anschlägen auf mehrere Verkehrsflugzeuge, die auf dem Flug von London in die USA mit Flüssigsprengstoff zum Absturz gebracht werden sollten. Die Gerichtsverhandlungen werden voraussichtlich im Jahr 2007 beginnen. 4.3.3 Irak Trotz intensiver Bemühungen der US-Armee und irakischer Sicherheitskräfte, gegen aufständische Truppen militärisch vorzugehen und damit den Terror einzudämmen, eskaliert die Gewalt im Irak zunehmend. Im Fokus der Anschläge stehen weiter vor allem die Koalitionstruppen und die irakischen Sicherheitskräfte. Zunehmend geraten auch irakische Regierungsmitglieder bzw. Personen, die die Regierung unterstützen, ins Visier der Terroristen. Besonders viele Opfer fordern Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten. Ziel der Konfrontationen ist es, das Land weiter zu destabilisieren. Weiterhin werden Ausländer, aber auch Iraker entführt. Dabei fällt es schwer, terroristische und allgemein-kriminelle Täter zu unterscheiden. Deutsche Geiseln Am 24. Januar wurden nordwestlich von Bagdad zwei deutsche Techniker entführt. Die Geiselnehmer forderten die Freilassung weiblicher Gefangener aus irakischen Gefängnissen, die Abberufung des deutschen Botschafters aus dem Irak sowie das Ende der Kooperation mit der irakischen Regierung. Die beiden Entführungsopfer kamen am 2. Mai wieder frei. 4.3.4 Afghanistan Auch in Afghanistan verschärfte sich die Sicherheitslage. Hauptangriffsziele der wieder erstarkten Taliban waren - vor allem im Süden von Afghanistan - Angehörige und Einrichtungen der ISAF-Einheiten. Dabei Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 71 wurden sowohl ISAF-Soldaten als auch afghanische Helfer und Zivilisten getötet bzw. verletzt. Auch die deutschen ISAF-Kräfte waren Ziel mehrerer Anschläge. So ISAF-Einheiten wurde ein Soldat bei einem Sprengstoffanschlag am 22. Februar in als Angriffsziel Kunduz verletzt, vier weitere beim Beschuss eines Nachtlagers der Bundeswehr am 6. April. Am 13. Juni wurden in Faizabad ein Soldat schwer und ein weiterer leicht verletzt. Am 28. Juni griffen erneut Terroristen eine Patrouille der Bundeswehr in Kunduz an, wobei drei Soldaten Verletzungen erlitten. Am 14. Oktober wurden in der Nähe von Kunduz drei deutsche Patrouillenfahrzeuge beschossen. Dabei wurde ein deutscher Soldat verletzt. Weitere Anschläge gegen deutsche Truppen forderten Tote und Verletzte unter der Zivilbevölkerung oder verursachten Sachschäden. Am 7. Oktober wurden im Norden Afghanistans zwei deutsche Journalisten ermordet. Der Tathintergrund ist bislang unbekannt. 4.3.5 Weitere Anschläge Am Abend des 24. April detonierten im ägyptischen Badeort Dahab vor zwei Restaurants und auf einem Markt fast zeitgleich drei ferngezündete Bomben. Dabei wurden 23 Menschen getötet - darunter auch ein zehnjähriger deutscher Junge - und über 60 weitere verletzt. Bei den meisten Opfern handelte es sich um Ägypter. Am 11. Juli explodierten in Mumbai/Indien während des abendlichen Explosionen in Berufsverkehrs fast gleichzeitig sieben Sprengsätze in fünf vollbesetzten Mumbai/Indien Vorortzügen. Etwa 200 Menschen wurden dabei getötet und über 700 verletzt, unter den Opfern befanden sich keine westlichen Ausländer. Bisher gibt es keine Bekennerschreiben, die indische Regierung rechnet die Anschläge jedoch islamistischen Terrorgruppen zu. Am 12. September wurde in der syrischen Hauptstadt Damaskus ein Anschlag auf die US-amerikanische Botschaft verübt. Die Täter zündeten vor dem Gebäude eine Autobombe und eröffneten das Feuer. Bei dem Anschlag kamen vier Angreifer und ein Angehöriger einer Antiterroreinheit ums Leben, 14 weitere Personen wurden verletzt. Die syrische Regierung geht von einem islamistischen Hintergrund aus. 4.4 Ausblick Wie die gescheiterten Kofferbombenanschläge auf Regionalzüge am 31. Juli sowie mehrere rechtzeitig von den Sicherheitsbehörden in DeutschVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 72 Ausländerextremismus Deutschland als land aufgedeckte Anschlagspläne zeigen, ist Deutschland nicht nur Anschlagsziel Rückzugsund Ruheraum, sondern konkretes Anschlagsziel für islamistische Terroristen. Dabei gehen die Gefahren einerseits von Personen aus, die sich nur kurzzeitig, etwa für Studienzwecke, in europäischen Staaten aufhalten. Anderseits ist zu beobachten, dass sich auch Personen, die in Europa geboren, aufgewachsen und scheinbar integriert sind, radikalisieren und zu terroristischen Kleingruppen zusammen"home grown"schließen. Das Phänomen des "home grown"-Terrorismus, das insbeTerrorismus sondere in Großbritannien mit den Anschlägen vom Juli 2005 in Erscheinung trat, wird auch künftig eine große Herausforderung für die deutschen Sicherheitsbehörden sein. Damit besteht die besondere Gefährlichkeit des Terrornetzwerks al-Qaida "Globalisierter stärker noch als bisher in seiner Eigenschaft als Inbegriff des "globaDjihad" lisierten Djihad" für kampfbereite Islamisten. Auf die Entwicklungen im internationalen Terrorismus haben die deutschen Sicherheitsbehörden insbesondere mit einer Intensivierung der Zusammenarbeit reagiert, so etwa mit der Errichtung des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums von Polizei und Nachrichtendiensten in Berlin und der Schaffung einer gemeinsamen Antiterrordatei von Polizei und Verfassungsschutz. 5. Sonstige ausländerextremistische Gruppierungen 5.1 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL), ehemals Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) bzw. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Deutschland Bayern Anhänger: 11.500 1.800 Vorsitzender: Zübeyir Aydar Kurd. Volksführer: Abdullah Öcalan Leitung: Führungsfunktionäre der "Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa"(CDK) (in Abhängigkeit vom Vorsitzenden des KONGRA GEL, dem kurdischen Volksführer Abdullah Öcalan und dem Exekutivkomitee des KONGRA GEL) Gründung: 1978 in der Türkei Publikation: "Serxwebun" (Unabhängigkeit) In Deutschland seit 26. November 1993 verboten Der Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) ist identisch mit der mehrfach umbenannten, in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei KurdisVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 73 tans (PKK). Die PKK hatte sich im April 2002 in Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) umbenannt. Weder bei dieser Umbenennung noch bei der Namensänderung am 15. November 2003 in KONGRA GEL erfolgten wesentliche Veränderungen in Organisation, Struktur und Ideologie. Das gegen die PKK erlassene vereinsrechtliche Betätigungsverbot aus dem Jahr 1993 erstreckt sich deshalb auch auf den KONGRA GEL. Der Rat der Europäischen Union hat am 2. April 2004 EU-Terrorliste den KONGRA GEL und seine Vorgängerorganisation KADEK - wie bereits 2002 die PKK - als Terrororganisation eingestuft. Der Bundesgerichtshof stellte am 21. Oktober 2004 fest, dass die Führungsspitze des KONGRA Kriminelle GEL auch weiterhin als kriminelle Vereinigung einzustufen ist. Vereinigung 5.1.1 Allgemeines Der KONGRA GEL ist eine gut organisierte, straff geführte, ursprünglich marxistisch-leninistisch geprägte Kaderorganisation, deren Ziele aus einer Mischung von sozialistischem und nationalistischem Gedankengut bestehen. Im Mittelpunkt stand über zwei Jahrzehnte der aktive "revolutionäre Kampf" für ein freies und unabhängiges Kurdistan. Nach der Festnahme des damaligen PKK-Führers Abdullah Öcalan im Jahr 1999 kam es zu einer taktisch bedingten Mäßigung. Die Organisation verzichtete auf ihr ursprüngliches Ziel, durch bewaffneten Kampf einen eigenen kurdischen Staat durchzusetzen. Nach Aufkündigung des "Friedenskurses" durch den KONGRA GEL zum 1. Juni 2004 haben die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den "Volksverteidigungskräften" (HPG) - den Guerillaeinheiten des KONGRA GEL - und türkischen Sicherheitskräften jedoch wieder zugenommen. Der KONGRA GEL beansprucht im Kampf der Kurden die Führungsrolle, Anspruch auf was wiederholt zu teilweise militärisch geführten AuseinandersetzunFührungsrolle im gen mit konkurrierenden Organisationen führte. Der KONGRA GEL verKampf der Kurden steht sich auch als die alleinige Vertretung der in Deutschland lebenden rund 500.000 türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit, obwohl sich nur etwa 10 % dieser Volksgruppe zum KONGRA GEL bekennen. Abdullah Öcalan wurde in der Satzung des KONGRA GEL als kurdischer Volksführer bezeichnet. Vorsitzender des KONGRA GEL ist der ehemalige Führungsfunktionär des KONGRA GEL-dominierten "Kurdischen Nationalkongresses" (KNK) Zübeyir Aydar. Die hauptamtlichen Kader des KONGRA GEL leben äußerst konspirativ Konspirative an häufig wechselnden Orten. Die KONGRA GEL-Anhängerschaft ist in Betätigung zahlreichen, der "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM) angegliederten örtlichen Vereinen organisiert. Diese Vereine, Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 74 Ausländerextremismus die sich nach außen als reine Kulturvereine darstellen, haben die Aufgabe, Ziele und Politik des KONGRA GEL unter den Anhängern zu verbreiten und zu fördern. Darüber hinaus bedient sich der KONGRA GEL zahlreicher vom Betätigungsverbot nicht erfasster Nebenorganisationen ("Y-Gruppen"), die verschiedene Zielgruppen innerhalb der kurdischen Bevölkerung für den KONGRA GEL gewinnen sollen. Finanzierung Der KONGRA GEL finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, dem Verkauf von Publikationen und den Einnahmen aus Veranstaltungen. Den größten Anteil der Einnahmen erbringt die jeweils von September bis Januar durchgeführte Spendenkampagne. Es gibt Hinweise, dass der KONGRA GEL auch vom Rauschgifthandel profitiert, indem er beispielsweise kurdische Drogenhändler abschöpft. Der KONGRA GEL bemüht sich weiterhin, über den "Internationalen Kurdischen Arbeitgeberverband" (KARSAZ) das Wirtschaftspotenzial der in Europa lebenden Kurden zu kontrollieren. KARSAZ unterhält Niederlassungen in Frankfurt am Main und in Berlin. PropagandaEin wichtiges Propagandamedium ist der KONGRA GEL-nahe Fernsehmedien sender ROJ TV, der vom KONGRA GEL als Plattform zur Darstellung seiner politischen Ziele genutzt wird. Die Beiträge gleichen in wesentlichen Punkten der Berichterstattung seines Vorgängers MEDYA-TV. Als weiteres Agitationsinstrument dient dem KONGRA GEL die türkischsprachige Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" ("Neue Freie Politik"), in der führende KONGRA GEL-Funktionäre regelmäßig Stellungnahmen publizieren. Die Zeitschrift wird allerdings nicht unmittelbar vom KONGRA GEL bzw. einer seiner Teiloder Nebenorganisationen herausgegeben. Sie versucht, als Nachfolgepublikation der "Özgür Politika" im Sinn des KONGRA GEL Einfluss auf die Politik im Mittleren Osten und besonders in den kurdischen Siedlungsgebieten zu nehmen. Die "Özgür Politika" hatte nach dem Verbot des Verlags, der die Zeitung in Deutschland herausgab, im September 2005 ihr Erscheinen eingestellt. Der KONGRA GEL ist indessen weiterhin mit einer eigenen Homepage im Internet präsent, deren Inhalte in deutscher, englischer, kurdischer und türkischer Sprache abgerufen werden können. Auch die "Volksverteidigungskräfte" des KONGRA GEL unterhalten eine eigene Internet-Seite in türkischer und kurdischer Sprache mit aktuellen Informationen über die HPG. "Neue PKK" Im April 2005 wurde die Gründung der "neuen PKK" verkündet, die sich als politische und vor allem ideologische Avantgarde betrachtet und sich durch eine besondere Nähe zu Abdullah Öcalan auszeichnet. Laut Satzung ist sie eine Teilorganisation des KONGRA GEL, ihre tatVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 75 sächlichen Aufgaben und Ziele sind jedoch nach wie vor unklar. Die "neue PKK" lehnt nach eigenen Angaben Gewalt grundsätzlich ab, behält sich aber weiterhin das Recht auf "legitime Selbstverteidigung" vor. Gegenwärtig gibt es keine Anhaltspunkte für einen Strategiewechsel. In Bayern wurden bisher keine Aktivitäten der "neuen PKK" festgestellt. Die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) wurden erstmals im Juli 2004 "Freiheitsfalken bekannt. Sie sind nach eigenen Angaben aus den "VolksverteidigungsKurdistans" (TAK) kräften" (HPG) des KONGRA GEL hervorgegangen. In einer Erklärung vom 14. April 2006 stellten die TAK fest, dass sie sich von dem KONGRA GEL getrennt hätten, da ihnen sowohl der KONGRA GEL als auch die "Volksverteidigungskräfte" (HPG) als zu schwach erschienen seien. Seither verübten die TAK eine Serie von Sprengstoffanschlägen Anschläge auf vor allem gegen touristische Ziele in der Türkei. Dabei wurden mehrere touristische Ziele Personen getötet und zahlreiche verletzt. Die TAK warnten wiederholt vor Reisen in die türkischen Tourismuszentren und drohten mit weiteren Anschlägen. Auf ihrer Internet-Seite veröffentlichten die TAK eine Anleitung zur Herstellung von Sprengsätzen für Selbstmordattentäter. Darüber hinaus waren Ziele für Bombenanschläge und Sabotageakte in der Türkei aufgelistet. Strukturen bzw. Aktivitäten der TAK in Bayern konnten bislang nicht festgestellt werden. Faysal Dunlayici alias Kani Yilmaz, Gründungsmitglied und ehemals hochrangiger PKK-Funktionär, der sich 2004 von der Organisation abgewandt und zusammen mit Osman Öcalan, dem Bruder des PKK-Gründers Abdullah Öcalan, und weiteren Dissidenten die "Patriotisch-Demokratische Partei Kurdistans" (PWD) gegründet hatte, kam im Februar im Irak unter bisher ungeklärten Umständen ums Leben. Dunlayici hatte 1993 in Deutschland politisches Asyl erhalten. 1998 war er u. a. wegen schwerer Brandstiftung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Im April fand die Vollversammlung des KONGRA GEL - trotz Angriffen türkischer und iranischer Streitkräfte - im Irak statt. Dabei soll der Ausbau des Konzepts des "Demokratischen Konföderalismus" beschlossen worden sein. Das Konzept von Abdullah Öcalan wird auch mit dem Begriff "Union der kurdischen Gemeinschaften" (Koma Komalen Kur"Koma Komalen distan - KKK) umschrieben. Gemeint ist mit dem KKK ein föderaler VerKurdistan" (KKK) bund der kurdischen Siedlungsgebiete in der Türkei, Syrien, Iran und Irak unter Achtung der bestehenden staatlichen Grenzen. Kurdischen Medienberichten zufolge tritt die im Jahr 2005 umbenannte KONGRA GEL-Jugendorganisation KOMALEN-CIWAN seit ihrem 3. KonVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 76 Ausländerextremismus gress im Februar auch in Europa unter dieser Bezeichnung auf. Aus der JugendJugendorganisation rekrutiert sich ein Teil der Guerilla des KONGRA organisation GEL. Nicht selten wurden dabei in der Vergangenheit Jugendliche gegen den Willen ihrer Eltern zwangsverpflichtet und in Ausbildungslagern im benachbarten Ausland geschult, bevor sie zum Kampfeinsatz in die Türkei geschleust wurden. Aus einer weiteren Jugendorganisation des KONGRA Gel, der "Demokratischen Jugend" (Demokratik Genclik - DEM-GENC) sollen die künftigen KOMALEN-CIWAN-Funktionäre gewonnen werden. In Bayern wurden bislang keine Aktivitäten der DEM-GENC festgestellt. Die von der KOMALEN-CIWAN herausgegebene Monatszeitschrift "ÖZGÜR GENCLIK" ("Freie Jugend") stellte im Mai ihr Erscheinen ein. Die erste Ausgabe der Nachfolgepublikation "CIWANEN AZAD" ("Freie Jugendliche") wurde im Juni festgestellt. Die Zeitschrift enthält Artikel in türkischer, kurdischer, französischer und deutscher Sprache. Für den 1. Oktober verkündete der KONGRA GEL - nach Aufforderung durch Abdullah Öcalan - erneut einen einseitigen Waffenstillstand ohne Vorbedingungen. Dieser Waffenstillstand ist zwar nicht befristet, doch soll seine Dauer - laut dem Vorsitzenden des KONGRA GEL-Exekutivrats Murat Karayilan - von "entsprechenden Schritten" der türkischen Regierung abhängen. Das "Recht auf legitime Selbstverteidigung" werde im Fall eines auf Vernichtung abzielenden Angriffs auf die HPG jedoch auch während des Waffenstillstands weiterhin wahrgenommen. Darunter versteht der KONGRA GEL auch Vergeltungsanschläge nach Operationen türkischer Truppen im KurdenWaffenstillstand gebiet. 5.1.2 Aktivitäten und Exekutivmaßnahmen Trotz des PKK-Verbots im Jahr 1993 führten KONGRA GEL-Anhänger erneut eine Reihe von Veranstaltungen mit teilweise mehreren zehntausend Teilnehmern durch, zu denen auch hunderte Personen aus Bayern anreisten. Mehrfach kam es zu Verstößen gegen das Vereinsgesetz. Nachdem Anfang des Jahres gegen Abdullah Öcalan eine Disziplinarstrafe in Form einer 20-tägigen Einzelhaft verhängt worden war, kam es bundesweit zu mehreren Demonstrationen. Mobilisiert wurde hierzu auch von der Jugendorganisation KOMALEN-CIWAN. In Bayern fanden zwar keine Kundgebungen statt, allerdings setzten Unbekannte am 25. Januar auf einer Straße in Aschaffenburg Autoreifen in Brand. Am Tatort wurde ein Tuch mit der Aufschrift "Ohne Öcalan kein Frieden" Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 77 aufgefunden. Nach einer ähnlichen Straftat in Darmstadt wurden Personen festgenommen, die auch der Tat in Aschaffenburg verdächtig sind (vgl. auch Nummer 1.3 dieses Abschnitts). Anlässlich des siebten Jahrestags der Festnahme Abdullah Öcalans am 15. Februar führten Anhänger des KONGRA GEL am 11. Februar in Straßburg eine Großdemonstration unter dem Motto "Öcalan ist unser Großdemonspolitischer Wille" durch. Unter den rund 12.000 Teilnehmern befanden tration in sich etwa 200 Personen aus Bayern. In Bayern wurde zu dem Thema ein Straßburg Info-Stand in der Münchener Innenstadt betrieben. An der Feier zum kurdischen Neujahrsfest Newroz am 18. März in Frankfurt am Main nahmen insgesamt etwa 15.000 Menschen teil, darunter etwa 450 aus Bayern. Es wurden Fahnen verbotener Organisationen sichergestellt und mehrere Strafverfahren eingeleitet. Neben einem Aufzug des Vereins "Medya Volkshaus e.V." am 20. März in Nürnberg fand am selben Tag in München eine von einem deutschen Linksextremisten angemeldete Newroz-Veranstaltung statt. Auch in Deutschland reagierten Anhänger des KONGRA GEL auf die "Frühjahrsoffensive" des türkischen Militärs und die massiven Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften in den kurdischen Siedlungsgebieten der Türkei. Ende März und Anfang April kam es zu mehreren Protestmärschen, verbunden mit Sachbeschädigungen. In Bayern fanden Demonstrationen in Nürnberg und München statt, wobei es insbesondere in München zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte und zu zahlreichen Verstößen gegen das Vereinsgesetz kam. An einer Großdemonstration des Kurdischen Nationalkongresses (KNK) beteiligten sich am 15. April in Brüssel rund 5.000 Personen. Am 22. April fand im Bürgersaal München-Fürstenried ein "Kurdisches Kulturfestival" statt, zu dem der "Deutsch-Kurdische Freundschaftsverein München e.V." eingeladen hatte. Im Verlauf der Veranstaltung kam es zu Verstößen gegen das Vereinsgesetz. Es wurden insbesondere verbotene Parolen skandiert. Ein Verdächtiger wurde vorläufig festgenommen. Am 18. Mai endete eine bereits 2005 eingeleitete UnterschriftenkamUnterschriftenpagne unter dem Motto "Ich akzeptiere Abdullah Öcalan als meinen kampagne für politischen Willen" mit einer von etwa 3.000 Teilnehmern besuchten Öcalan Großdemonstration in Straßburg, die von der "Konföderation kurdischer Vereine in Europa" (KON-KURD) organisiert wurde. Bei KON-KURD handelt es sich um eine Nebenorganisation des KONGRA GEL. Im Rahmen Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 78 Ausländerextremismus der Aktion sollen über 3,2 Millionen Unterschriften gesammelt und an Vertreter des Europarats übergeben worden sein. Als Reaktion auf die Festnahmen von zwei hochrangigen KONGRA GEL-Funktionären am 8. und 9. August in Nordrhein-Westfalen kam es in mehreren deutschen Städten zu demonstrativen Aktionen. In Stuttgart beteiligten sich KONGRA GEL-Anhänger aus Bayern an einem Hungerstreik und einer Demonstration. In Nürnberg veranstaltete der Verein "Medya Volkshaus e.V." einen Info-Stand. Zu Aktivitäten von KONGRA GEL-Anhängern gab es erneut sowohl zahlreiche Exekutivmaßnahmen seitens der Sicherheitsbehörden als auch Gerichtsverfahren u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung. 5.2 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) Deutschland Bayern Mitglieder: 800 120 Gründung: 1978 in der Türkei Die Organisation ist gespalten in: * Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) mit ihren Untergliederungen DKHP (Partei) und DHKC (Militärischer Arm) * Türkische Volksbefreiungspartei-Front (THKP-C Devrimci Sol) mit ihren Untergliederungen THKP (Partei) und THKC (militärischer Arm) Die Devrimci Sol ist in Deutschland seit 1983 verboten, ihre beiden Spaltergruppen seit 1998. Revolutionäre Die 1978 gegründete und 1983 in Deutschland verbotene revolutioZielsetzung när-marxistische Devrimci Sol versteht sich als eine an den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus ausgerichtete Volksbewegung. Sie zählt zu den militantesten türkischen Extremistengruppen, die mit Hilfe einer bewaffneten Revolution auf die Zerschlagung des türkischen Staates zielen und in der Türkei terroristisch aktiv sind. Seit 1993 ist die Devrimci Sol in den "Karatas-Flügel", aus dem die 1994 in Syrien gegründete Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) hervorging, und den "Yagan-Flügel", aus dem sich die Türkische Volksbefreiungspartei-Front (THKP-C Devrimci Sol) entwickelte, gespalten. Das Bundesministerium des Innern verfügte am 13. August 1998 gegen die DHKP-C ein Vereinsverbot und gegen die THKP-C Devrimci Sol, die in Deutschland nicht organisatorisch verankert war, ein Betätigungsverbot. Beide Verbote gegen die Ersatzorganisationen der Devrimci Sol sind bestandsVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 79 kräftig. Mit Beschluss vom 2. Mai 2002 setzte die Europäische Union die DHKP-C auf die EU-Terrorliste. Örtliche Schwerpunkte der DHKP-C mit insgesamt rund 110 Anhängern Anhänger in in Bayern bestehen in Aschaffenburg, München, Augsburg, RegensBayern burg und Nürnberg; für die THKP-C Devrimci Sol sind in Bayern nur einzelne Mitglieder aktiv. Die Agitation und der Kampf gegen den "Imperialismus", gegen die NATO, die USA sowie die türkische Staatsund Gesellschaftsordnung sind zentrale Elemente der Ideologie der türkischen linksextremistischen Gruppierungen. Einige von ihnen, wie die DHKP-C und die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP), sehen ihr Heimatland Türkei als Kampfgebiet an, in dem auch Terroranschläge zur Durchsetzung politischer Ziele als legitimes Mittel betrachtet werden. Für Deutschland und Europa hat die DHKP-C seit 1999 einen Gewaltverzicht erklärt. Auf dem Gebiet der Türkei befürwortet die Organisation jedoch ausdrücklich terroristische Aktivitäten. Wie im Vorjahr entwickeltem Anhänger der DHKP-C in Deutschland Aktivitäten wie Proteste im Zusammenhang mit Hungerstreiks gegen die "Isolationshaft" in türkischen Haftanstalten. Dabei trug insbesondere das "Solidaritätskomitee mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei" (TAYAD) in thematischer Übereinstimmung mit der DHKP-C die Aktionen in Deutschland gegen die Isolationshaft. Auch der Streit um die Mohammed-Karikaturen wurde von der Organisation in einem Internet-Beitrag für die eigene antiimperialistische Propaganda instrumentalisiert. Am 15. Februar verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf einen eheGerichtsverfahren maligen Führungsfunktionär der DHKP-C wegen Mitgliedschaft in einer und Exekutivterroristischen Vereinigung, räuberischer Erpressung und gefährlicher maßnahmen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er Mitte der 90er Jahre türkische Geschäftsleute teilweise mit Gewalt zur Zahlung von Spendengeldern erpresst hatte. Im Juli 1997 hatte er zusammen mit weiteren Tatbeteiligten zwei Anhänger einer konkurrierenden Fraktion in einem Hamburger Lokal zusammengeschlagen und durch Knieschüsse schwer verletzt. Er war im Juni 2004 in Rotterdam/Niederlande festgenommen und im Juni 2005 nach Deutschland ausgeliefert worden. Das Strafgericht Brügge/Belgien verurteilte am 28. Februar mehrere Funktionäre bzw. Mitglieder der DHKP-C u.a. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Waffendelikten und Urkundenfälschung zu Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 80 Ausländerextremismus Freiheitsstrafen zwischen vier und sieben Jahren. Der Leiter der DHKP-C, Dursun Karatas, gegen den in Abwesenheit verhandelt wurde, erhielt eine Haftstrafe von fünf, der Sprecher der Organisation von sechs Jahren. Das Gericht stufte zudem die DHKP-C als Terrororganisation ein. Im Juli wurde ein weiterer Funktionär der DHKP-C vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Dem 35-jährigen Türken wird die Planung von Anschlägen auf Geschäfte in Deutschland mit Molotowcocktails vorgeworfen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verurteilte am 2. November einen Funktionär der DHKP-C zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Er hatte zwischen Ende der 90er Jahre als Gebietsverantwortlicher an Treffen hochrangiger DHKP-C-Funktionäre teilgenommen, bei denen Brandanschläge gegen türkische Einrichtungen in Deutschland, gewaltsame Spendeneintreibungen sowie Tötungen vermeintlicher Parteifeinde geplant worden waren. Am 28. November fand in Bayern, Baden-Württemberg und NordDurchsuchungsrhein-Westfalen eine Durchsuchungsund Festnahmeaktion bei Mitund Festnahmegliedern der DHKP-C wegen Unterstützung einer verbotenen Vereiniaktion gung statt. Dabei wurde auch ein hochrangiger vorbestrafter Funktionär für Süddeutschland festgenommen. 5.3 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) Deutschland Bayern Mitglieder: 1.800 120 Gründung: 1972 in der Türkei Die Organisation ist gespalten in: * Maoistische Kommunistische Partei (MKP), ehemals Ostanatolisches Gebietskomitee (DABK) * Partizan-Flügel (TKP/ML) Die Entwicklung der TKP/ML ist seit dem Ende der 70er Jahre durch eine Vielzahl von Fraktionsbildungen und Abspaltungen geprägt. Im Jahr 1994 spaltete sich das Ostanatolische Gebietskomitee (DABK) vom so genannten Partizan-Fügel der TKP/ML ab. Dies führte zur Bildung von zwei neuen unabhängig voneinander existierenden Organisationen, die sich beide als Nachfolgeorganisation der ursprünglichen TKP/ML sehen. Während der Partizan-Fügel nach wie vor die Bezeichnung TKP/ML verVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 81 wendet, hat sich das DABK im Jahr 2002 in Maoistische Kommunistische Partei (MKP) umbenannt. Beide Organisationen vertreten die Ideologie des Marxismus-Leninismus, ergänzt um die Ideen Mao Tse-tungs, befürworten den bewaffneten Kampf als Grundform ihres Handelns und propagieren den bewaffneten Bürgerkrieg mit anschließender Bildung einer Volksregierung. Mit der "Türkischen Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO) auf Seiten der TKP/ML und der "Volksbefreiungsarmee" (HKO) auf Seiten der MKP unterhalten beide Gruppierungen in der Türkei bewaffnete Guerillagruppen. In Deutschland organisierten sich die Anhänger der TKP/ML (Partizan-FlüOrganisation gel) in der 1976 gegründeten "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in in Deutschland Deutschland e.V." (ATIF) und der Ende 1986 gebildeten "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" (ATIK). Beide Vereinigungen präsentieren sich als Massenorganisationen und tarnen ihre Verbindungen zur TKP/ML weitgehend. Die Anhänger der MKP sind seit Sommer 1997 in den beiden Basisorganisationen "Föderation für demokratische Rechte in Deutschland" (ADHF) bzw. "Konföderation für demokratische Rechte in Europa" (ADHK) organisiert. In einer Internet-Veröffentlichung bezeichnete die ATIK die neu konziAktivitäten pierten Befragungen von Einbürgerungsbewerbern in Baden-Württemberg als "institutionell-rassistische Politik". Der Fragenkatalog diene dazu, die Gesinnung von Muslimen "auszuschnüffeln" und zeige ein "rassistisches und faschistoides" Gedankengut. Zum 1. Mai nahmen türkische Linksextremisten wie in den Vorjahren an Kundgebungen deutscher Organisationen teil. Die ATIK erklärte im Internet unter der Überschrift "Am 1. Mai Sind Wir Laut Stark Und Militant Dabei": "Es ist heute der wichtigste Tag um den gemeinsamen Kampf zu erhöhen und die Zukunft zu gewinnen. Denn es ist heute der Rote 1. Mai! Deshalb sagen wir Laut und Stark am 1. Mai: Alle Besatzungsmächte raus aus dem Irak und Palästina! Kampf dem Rassismus und Faschismus Überall!" Die der ATIK angeschlossene "Neue demokratische Jugend" (YDG) veranstaltete am 14. Oktober in Frankfurt am Main ihr 16. Jugend-, Kulturund Kunstfestival mit über 900 Teilnehmern. Anlässlich des 33. Todestags von Ibrahim Kaypakkaya, Gründer der TKP/ML, kamen am 20. Mai etwa 5.000 Personen in Wetzlar/Hessen zu einer Gedenkfeier der TKP/ML zusammen. Die MKP gedachte Kaypakkayas in einer Versammlung mit mehr als 1.000 Personen am 28. Mai in Hamburg. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 82 Ausländerextremismus Am 17. Juni fand in Köln eine Veranstaltung der MKP zum Gedenken an 17 im Jahr 2005 in der Türkei getötete Genossen statt. Daran beteiligten sich etwa 800 Personen aus ganz Deutschland und aus Westeuropa. Sie skandierten Parolen wie "Es lebe der Volkskrieg!" und "Tod dem Faschismus in aller Welt!" Die Teilnehmerzahl blieb hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück. 5.4 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Deutschland Bayern Mitglieder: 600 40 Gründung: 1994 in der Türkei Publikation: "Yeniden Atilim" (Neuer Vorstoß) Die in der Türkei verbotene terroristische MLKP entstand 1994 aus dem Zusammenschluss zweier türkischer linksextremistischer Organisationen. Wie die TKP/ML und die Devrimci Sol erstrebt sie die gewaltsame Zerschlagung des türkischen Staatsgefüges und die Errichtung einer kommunistischen Diktatur. Ihre Basisorganisation ist die "Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e.V." (AGIF) mit Sitz in Köln. Mitglieder der MLKP waren auch im Jahr 2006 wieder an der Rosa-Luxemburg-Gedenk-Veranstaltung im Januar in Berlin und an Protesten gegen die Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik im Februar in München beteiligt. Unter der Überschrift "Am 1. Mai auf die Straßen - Gegen Besatzung, Sozialabbau und Anti-Terror-Gesetze" veröffentlichte die MLKP im Internet einen Aufruf zum 1. Mai. Es handle sich nicht um einen gewöhnlichen Feiertag, sondern um einen "Tag für die kämpferischen Forderungen der Arbeiterklasse, für die internationale Solidarität und des Kampfes gegen die Bourgeoisie. (...) Arbeiter, Werktätige, lasst uns den ersten Mai ... mit unseren Transparenten, unserem revolutionären Motto, als das Fest der Arbeit feiern. Kommt zu den 1. Mai-Demonstrationen, um unsere Stimmen zu vermehren und unsere Kräfte zu vereinigen". Das Internationale Büro der MLKP verurteilte im Internet "die zionistische Aggression und Barbarei" Israels gegen Palästinenser und Libanesen sowie die Rolle der USA: "Die Angriffe auf Palästina und ... auf den Libanon sind die Verwirklichung eines imperialistisch-zionistischen Planes. (...) Es ist unrealistisch, dass die Zionisten ohne Wissen und Einverständnis der USA an mehreren Fronten Angriffe durchführen ... Aus diesem Grund sind die Probleme, denen Israel gegenVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 83 übersteht, auch die des US-Imperialismus. (...) Die Botschaften Israels und der USA und ihre militärischen und zivilen Einrichtungen sind jene Orte, an denen wir die Aggression verurteilen und protestieren können. Um den US-Imperialismus aus dem Mittleren Osten und Israel aus Palästina zu vertreiben, müssen wir unsere militanten Solidaritätsaktionen mit dem Widerstand im Libanon und dem Irak verstärkt durchführen." Bei Durchsuchungen in sieben türkischen Provinzen wurden am 8. und 9. September 23 Mitglieder der MLKP festgenommen. Dabei wurden zahlreiche Waffen und Handgranaten sowie 250 Kilogramm Sprengstoff und Chemikalien beschlagnahmt. Die MLKP soll in der Türkei bereits 76 Bombenanschläge mit insgesamt drei Todesopfern verübt Anschläge in haben. Den Festgenommenen wird zur Last gelegt, zum Gründungstag der Türkei der MLKP am 10. September neue Anschläge geplant zu haben. Als Reaktion auf diese Festnahmen trafen sich am 10. September etwa 50 Personen zu einer Protestveranstaltung in Stuttgart. 5.5 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V. (ADÜTDF) Deutschland Bayern Mitglieder: 7.500 1.250 Vorsitzender: Cemal Cetin Gründung: 1978 Sitz: Frankfurt am Main Publikation: "Türk Federasyon Bülteni" Die nationalistische ADÜTDF vertritt eine extreme Variante des türkischen Nationalismus, die in der Türkei seit längerer Zeit durch die "Partei der Nationalen Bewegung" (MHP) propagiert wird. Die Führung der Organisation verehrt nach wie vor offen Alparslan Türkes, den 1997 verstorbenen langjährigen MHP-Vorsitzenden. In Bayern reduzierte sich die Anzahl der dem Verband zuzurechnenden "Graue Wölfe" Vereine von 30 auf 25. Die Anhänger der ADÜTDF werden häufig auch als "Graue Wölfe" bezeichnet. Ihr Erkennungszeichen ist ein mit fünf Fingern stilisierter Wolfskopf. Das Ziel der ADÜTDF war bisher, die größte türkische Einrichtung in Westeuropa zu werden. Sie war deshalb auch ein Sammelbecken von Anhängern der MHP, die eine Großtürkei nach osmanischem Vorbild propagierte. Dieses Streben der ADÜTDF nach Dominanz stand einer echten Integration der Türken wie auch der Muslime in die deutsche Gesellschaft entgegen. Türkischen Jugendlichen wurde die ÜberlegenVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 84 Ausländerextremismus heit der Türken suggeriert, so dass viele von ihnen ein Gruppenbewusstsein entwickelten, das sich gegen die deutsche Gesellschaft richtete. Zwar riet der Verband den Mitgliedern, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen, Motiv hierfür waren aber nur die damit verbundenen größeren Einflussmöglichkeiten. Mutterpartei MHP Seit einiger Zeit bemüht sich die Parteiführung der MHP unter Devlet Bahceli, der Partei ein konservatives und europafreundliches Erscheinungsbild zu geben. Dies findet jedoch nicht die ungeteilte Zustimmung aller Mitglieder, weshalb sich ein Teil der "wahren Idealisten" zurückzieht. Dies spiegelt sich auch in den rückläufigen Mitgliederzahlen wider. Die ADÜTDF stellt sich in Deutschland als gesetzestreu dar und lehnt bereits seit einigen Jahren Gewalt ab. Dennoch gibt es weiterhin Anhaltspunkte für nationalistische und rassistische Einstellungen. Festzustellen sind auch Aktivitäten der ADÜTDF und ihrer Mutterpartei gegen den Gedanken der Völkerverständigung, vor allem gegen das friedliche Zusammenleben der Völker. Vereinzelt finden sich auch islamistische Ansätze. 5.6 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) / Volksmudjahidin Iran (MEK) Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) Deutschland Bayern Mitglieder: 900 200 Gründung: 1981 in Paris (in Deutschland vertreten seit 1994) Sitz: Berlin Deutschlandvertreterin: Dr. Bolourchi Massoumeh Volksmudjahidin Iran (MEK) Gründung: 1965 im Iran Leitung: Massoud Radjavi Publikation: "Mojahed" (Glaubenskämpfer) Der NWRI ist ein Zusammenschluss iranischer Oppositionsgruppen und Exilparlament Einzelpersonen. Im August 1993 bildete der NWRI ein Exilparlament und rief die Generalsekretärin der MEK, Maryam Radjavi, zur "künftigen Präsidentin des Irans" aus. Zu den Aufgaben der im westlichen Ausland tätigen MEK-Organisationen gehören umfangreiche Propaganda-Aktivitäten und Maßnahmen zur Geldbeschaffung. Der NWRI und die MEK wollen das iranische Regime stürzen und halten dafür den bewaffneten Kampf für notwendig. Der NWRI ist der weltVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 85 weit politisch agierende Arm der MEK. Die MEK galten bis zur Besetzung des Iraks durch amerikanische und britische Truppen als stärkste und militanteste Oppositionsgruppe, die vom Irak aus im Iran operierte. Militante iranische Zu diesem Zweck unterhielten die MEK in der Vergangenheit ihren Oppositionsgruppe bewaffneten Arm "National Liberation Army" (NLA) im Irak, der für zahlreiche terroristische Anschläge im Iran verantwortlich war. Der Oberbefehlshaber dieser "Nationalen Befreiungsarmee" ist Massoud Radjavi, der Ehemann von Maryam Radjavi. Nach dem Sturz des irakischen Regimes im April 2003 schloss die NLA einen Waffenstillstand mit den US-Streitkräften; die rund 4000 Mitglieder wurden im Lager "Ashraf" im Irak unter US-Aufsicht gestellt und entwaffnet. Mittlerweile haben diese MEK-Angehörigen den Status "geschützter Personen" nach der Vierten Genfer Konvention zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten erhalten. Die MEK, nicht jedoch der NWRI, wurden am 2. Mai 2002 in die Liste Aufnahme der der als terroristisch eingestuften Organisationen der Europäischen Union MEK in die aufgenommen. Am 12. Dezember erklärte ein Gericht der Europäischen EU-Terrorliste Union den EU-Ratsbeschluss, die MEK auf die Liste terroristischer Organisationen zu setzen, aus formellen Gründen für nichtig. Das Gericht befasste sich dabei allerdings nicht mit der Frage, ob die MEK eine Terrororganisation sind. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. In Deutschland ist keine Abgrenzung zwischen den MEK und dem NWRI zu erkennen. Die Volksmudjahidin sind innerhalb der iranischen Exilopposition seit Jahren isoliert, da sie für sich in Anspruch nehmen, die "einzige demokratische Alternative" zum iranischen Regime zu sein. Tatsächlich ist die Organisation jedoch von innerparteilicher Demokratie weit entfernt. Darauf deuten die streng hierarchisch ausgerichtete Kaderstruktur und der sektenartige Führerkult um das Ehepaar Massoud und Maryam Radjavi hin. Seit der Entwaffnung der NLA und der Internierung der MEK-Angehörigen im Lager Ashraf im Irak hatten die MEK keine Möglichkeit mehr, Terroranschläge durchzuführen. Eine ausdrückliche Abkehr von Gewalt durch NWRI oder MEK ist jedoch bislang nicht erfolgt. Die MEK-Anhänger versuchen, mit öffentlichen Aktionen wie Konzerten Öffentlichkeitsund Informationsveranstaltungen Aufmerksamkeit zu erwecken und für arbeit ihre Ziele zu werben. Dazu nutzen sie Themen wie "Menschenrechtsverletzungen im Iran", "Protest gegen das iranische Atomwaffenprogramm", "Protest gegen den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad" und fordern die Streichung der Volksmudjahidin aus der EU-Terrorliste. Derartige Veranstaltungen fanden in Berlin, Wien, München und Genf statt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 86 Ausländerextremismus Seit der Wahl des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad rückte bei den Demonstrationen des NWRI neben den Menschenrechtsverletzungen verstärkt das Atomprogramm des iranischen Regimes in den Vordergrund. Der NWRI fordert die Einschaltung des UN-Sicherheitsrats und den Beschluss von Sanktionen, wobei die bisherige Politik des Westens für die aktuelle politische Lage verantwortlich gemacht wird. Weiterhin fordert der NWRI die Streichung der MEK aus den USund EU-Terrorlisten. Am 1. Juli fand hierzu eine Großkundgebung in Paris unter dem Motto "Zeit für die Wende mit Maryam Radjavi" statt. Dabei betonte Maryam Radjavi erneut die Wichtigkeit der Widerstandskämpfer in dem Lager Ashraf. Nachdem der irakische Premierminister al-Maliki eine Auflösung des Lagers gefordert hatte, demonstrierten Anhänger der MEK von August bis Oktober täglich vor dem Gebäude der Vereinten Nationen in Genf. Im Fall einer Auflösung des Lagers befürchtet die Organisation eine Schwächung ihrer Position im Kampf gegen die iranischen Machthaber. Verstärkte Seit Mitte des Jahres ist eine verstärkte Spendensammeltätigkeit von SpendenAnhängern des NWRI und in seinem Umfeld agierender Vereine zu versammlungen zeichnen. Aktivisten des NWRI führen im Namen der Vereine "Hilfswerk für Menschenrechte im Iran e.V." (HMI) aus Dortmund, des "Menschenrechtszentrums für ExiliranerInnen e.V." (MEI) mit Sitz in Düsseldorf sowie des Aachener "Menschenrechtsvereins für Migranten e.V." bundesweit Straßensammlungen durch. Die Schwerpunkte der Sammlungsaktivitäten liegen in Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Aber auch in Bayern sind vereinzelt Haussammlungen für angeblich humanitäre Zwecke zu verzeichnen. MEK und NWRI versuchen nach wie vor, Politiker für ihre Ziele sowie für die Teilnahme an Veranstaltungen zu gewinnen, um sich in der Öffentlichkeit als freiheitsliebende und "demokratische" Exilbewegung darzustellen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 87 6. Übersicht über erwähnenswerte extremistische Organisationen von Ausländern sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) 1. Afghanische, arabische und maghrebinische Gruppen Al-Qaida sunnitisch-extremistisch Muslimbruderschaft (MB) Risalat ul-Ikhwan sunnitisch-extremistisch - wöchentlich - Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) Al-Islam sunnitisch-extremistisch - nur als Internet-Ausgabe - Al-Gamaa al-Islamiya (GI) sunnitisch-extremistisch Djihad Islami (JI) sunnitisch-extremistisch Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) Islamischer Bund Palästina (IBP) Al-Aqsa e.V. (in Deutschland rechtskräftig verboten seit 03.12.2004) sunnitisch-extremistisch Islamische Heilsfront (FIS) sunnitisch-extremistisch Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA) sunnitisch-extremistisch En Nahda sunnitisch-extremistisch Hizb ut-Tahrir Al-Khilafah (Das Kalifat) (in Deutschland seit 15.01.2003 verboten) - unregelmäßig - schiitisch-extremistisch Al-Waie Explizit - vierteljährlich - Hezb-i Islami Afghanistan (HIA) sunnitisch-extremistisch Ansar al-Islam sunnitisch-extremistisch Tablighi Jamaat (TJ) sunnitisch-extremistisch Al-Tauhid sunnitisch-extremistisch Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 88 Ausländerextremismus Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) Hizb Allah (Partei Gottes) Al-Intiqad (Die Kritik) schiitisch-extremistisch - wöchentlich - Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) marxistisch-leninistisch Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) marxistisch-leninistisch Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkommando - (PFLP-GC) marxistisch-leninistisch Hizb al-Dawa al-Islamiya (Dawa) (Partei des islamischen Rufs /der islamischen Mission) schiitisch-extremistisch Islamisch-Irakische Gemeinschaft Deutschland e.V. (IIGD) schiitisch-extremistisch 2. Iranische Gruppen Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB) islamisch-extremistisch Union islamischer Studentenvereine in Europa (U.I.S.A.) islamisch-extremistisch Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) API-Brief marxistisch - monatlich - International - monatlich - Volksmudjahidin Iran (MEK) Mojahed (Glaubenskämpfer) islamisch-extremistisch - wöchentlich - Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) Sitz: Berlin islamisch-extremistisch 3. Kurdische Gruppen Volkskongress Kurdistans Serxwebun (Unabhängigkeit) (KONGRA GEL) - monatlich - vormals: Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistan Report Kurdistans (KADEK) - zweimonatlich - davor: Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) marxistisch-leninistisch (in Deutschland seit 26.11.1993 verboten) Teilorganisationen des KONGRA GEL: Volksverteidigungskräfte (HPG) vormals: Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK) Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 89 Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) vormals: Kurdische Demokratische Volksunion (YDK) davor: Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) (in Deutschland seit 26.11.1993 verboten) Kurdischer Nationalkongress (KNK) Nebenorganisationen des KONGRA GEL: Kurdistan-Komitee e.V., Köln (seit 26.11.1993 verboten) Kurdistan Informationsbüro in Deutschland (KIB) (seit 02.03.1995 verboten) Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (FEYKA-Kurdistan) (seit 26.11.1993 verboten) Kurdistan Informations-Zentrum (KIZ) Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM) Haus der kurdischen Künstler e.V. vormals: HUNERKOM Verband der stolzen Frauen (Koma Jinen Bilind - KJB) umfasst: Freiheitspartei der Frauen Kurdistans (PAJK) Newaya Jin (Freie Frauen) vormals: Partei der Freien Frauen (PJA) - monatlich - davor: Union der freien Frauen aus Kurdistan (YAJK) vormals: Jina Serbilind (Die stolze Frau) Freie Frauenverbände (YJA) Frauenguerilla (YJA-STAR) Union der Journalisten Kurdistans (YRK) Union der patriotischen Arbeiter Kurdistans (YKWK) Union zur Pflege der kurdischen Kultur und Kunst (YRWK) Welate Me (Unsere Heimat) Vereinigung der demokratischen Jugendlichen Kurdistans CIWANEN AZAD (Freie Jugendliche) (KOMALEN-CIWAN) bisher: ÖZGÜR GENCLIK (Freie Jugend) vormals: Bewegung der freien Jugend Kurdistans (TECAK) vormals: Sterka Ciwan (Stern der Jugend) davor: Union der Jugendlichen aus Kurdistan (YCK) - zweimonatlich - Demokratische Jugend (DEM-GENC) Verband der StudentInnen aus Kurdistan (YXK) Ronahi (Licht) - dreimonatlich - Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 90 Ausländerextremismus Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) Demokratische Aleviten-Föderation (FEDA) Semah vormals: Föderation der Demokratischen Aleviten (DAV) vormals: Zülfikar davor: Union der Aleviten aus Kurdistan (KAB) - monatlich - Islamische Bewegung Kurdistans (KIH) Baweri (Glaube) Kurdischer Roter Halbmond (HSK) Roja Kurdistane (Sonne Kurdistans) 4. Türkische Gruppen 4.1 Linksextremisten Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-LeniIsci-Köylü Kurtulusu nisten (TKP/ML) (Arbeiter-Bauern-Befreiung) - zweimonatlich - Partizan-Flügel (TKP/ML) Devrim Yolunda Isci Köylü (Arbeiter und Bauern auf dem Weg der Revolution) - vierzehntägig - Maoistische Kommunistische Partei (MKP) Devrimci Demokrasi vormals: DABK (Ostanatolisches Gebietskomitee) (Revolutionäre Demokratie) Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (TIKKO) Frontorganisation des Partizan-Flügels (TKP/ML) Volksbefreiungsarmee (HKO), militärischer Arm der MKP Basisorganisationen der TKP/ML: Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (ATIF) Sitz: Duisburg (Partizan-Flügel) Föderation für demokratische Rechte in Deutschland (ADHF) (DABK-Flügel) Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) Mücadele (Kampf) (Partizan-Flügel) - unregelmäßig - Konföderation für demokratische Rechte in Europa (ADHK) (DABK-Flügel) Bolschewistische Partei Nordkurdistan/Türkei Bolsevik Partizan (BP-KK/T) (Bolschewistischer Partisan) (Abspaltung von der TKP/ML) - monatlich - Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Ausländerextremismus 91 Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) in Deutschland seit 09.02.1983 verboten; 1993 in zwei Fraktionen (Karatasbzw. Yagan-Flügel) zerfallen Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) Ekmek ve Adalet aus dem Karatas-Flügel der Devrimci Sol hervorgegangen (Brot und Gerechtigkeit) (in Deutschland seit 13.08.1998 verboten) - wöchentlich - Yürüyüs (Marsch) - wöchentlich - Türkische Volksbefreiungspartei-Front (THKP-C Devrimci Sol) aus dem Yagan-Flügel der Devrimci Sol hervorgegangen (in Deutschland seit 13.08.1998 verboten) Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Yeniden Atilim (Neuer Vorstoß) - wöchentlich - Bewaffnete Einheiten der Armen und Unterdrücker (FESK) - militärischer Arm der MLKP - Basisorganisation der MLKP: Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa (AvEG-Kon) Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei AGIF Bülteni in Deutschland e.V. (AGIF) - zweimonatlich - 4.2 Extreme Nationalisten Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine Türk Federasyon Bülteni in Europa e.V. (ADÜTDF) - monatlich - Sitz: Frankfurt am Main 4.3 Islamische Extremisten Milli Görüs-Bewegung Publizistisches Sprachrohr: Milli Gazete Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) Verbandszeitschrift: Sitz: Kerpen Milli Görüs & Perspektive Hilafet Devleti (Kalifatsstaat) Publizistisches Sprachrohr: vormals: Verband der islamischen Vereine und Barika-I Hakikat (Aufleuchten der Gemeinden e.V. (ICCB) mit Sitz in Köln Wahrheit) (in Deutschland seit 12.12.2001 verboten) Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 92 Rechtsextremismus 4. Abschnitt Rechtsextremismus 1. Allgemeines 1.1 Merkmale des Rechtsextremismus Ablehnung der Der Rechtsextremismus weist keine gefestigte einheitliche Ideologie auf. Grundlagen der Die Bestrebungen rechtsextremistischer Organisationen in Deutschland Demokratie sind im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass sie die Grundlagen der Demokratie ablehnen und stattdessen - aus taktischen Gründen meist nicht offen erklärt - eine totalitäre Regierungsform unter Einschluss des Führerprinzips anstreben, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren ist. Bestimmende Merkmale des organisierten Rechtsextremismus sind vor allem Kollektivismus - die pauschale Überbewertung der Interessen der "Volksgemeinschaft" zu Lasten der Interessen und Rechte des Einzelnen, die zu einer Aushöhlung der Grundrechte führt (völkischer Kollektivismus), Nationalismus - ein den Gedanken der Völkerverständigung missachtender Nationalismus, Rassismus - die offene oder verdeckte Wiederbelebung rassistischer Thesen, u.a. des Antisemitismus, die mit dem Schutz der Menschenwürde und dem Gleichheitsprinzip nicht vereinbar sind, Relativierung des - immer wiederkehrende Versuche, die nationalsozialistische GewaltNS-Unrechts herrschaft unter Herausstellung angeblich positiver Leistungen des Dritten Reichs zu rechtfertigen, die Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime zu diffamieren und die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu verschweigen, zu verharmlosen oder sogar zu leugnen. Verunglimpfung Hinzu kommt die allen Extremisten gemeinsame planmäßige Verunder Demokratie glimpfung der bestehenden Staatsform und ihrer Repräsentanten. Ziel dieser Angriffe ist es, die eigene Organisation und ihre Vertreter als die alleinigen Wahrer der Interessen von Staat und Bürgern darzustellen, was im Ergebnis auf die Ablehnung des Mehrparteienprinzips und des Rechts auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition hinausläuft. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 93 Diese Merkmale sind nicht gleichmäßig bei allen Rechtsextremisten zu beobachten. Manchmal sind nur Teilaspekte bestimmend; auch die Intensität und die Strategie des Kampfs gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind unterschiedlich. Seit einigen Jahren treten in der Propaganda von Rechtsextremisten soSozialpolitische zialund wirtschaftspolitische Themen in den Vordergrund. Durch VerThemen knüpfung sozialer Problemfelder mit rechtsextremistischen Theorie-Elementen hoffen Rechtsextremisten, aus den Sorgen der Bevölkerung um ihre soziale Sicherheit und gesellschaftliche Positionierung Kapital schlagen zu können. Teile des rechtsextremistischen Spektrums propagieren einen von dezidiert antikapitalistischen Elementen geprägten "volksbezogenen Sozialismus" mit dem Ziel, in sozialistisch orientierte Wählerschichten einzudringen. Rechtsextremisten betonen seit einiger Zeit Gemeinsamkeiten mit anderen politischen Strömungen. Sie traten beispielsweise als Teil der Protestbewegungen gegen die US-amerikanische Intervention im Irak und gegen die Sozialreformen auf. In der globalen Auseinandersetzung mit dem Islamismus positionierten sie sich eindeutig antiwestlich und verAntiwestliche suchten, den Konflikt zwischen der internationalen Staatengemeinschaft Feindbilder und dem Iran für ihre Ziele zu nutzen. Sie leugneten die Gefahren eines iranischen Atomprogramms und griffen stattdessen die USA, Israel und die Bundesregierung an. Übereinstimmungen zwischen Rechtsextremisten und Islamisten bestehen in einem antizionistisch-antisemitischen und antiwestlich-antiamerikanischen Feindbild. Rechtsextremisten wie auch islamische Extremisten sehen in den USA gemeinsam den Feind, der aus imperialistisch-kapitalistischem Interesse die Widerstandskraft der Völker und Kulturen zu zerstören suche. Nutznießer - wenn nicht gar Betreiber dieses Prozesses - seien die Juden. 1.2 Entwicklung der Organisationen Die Entwicklung der Zahl rechtsextremistischer Organisationen in Bayern Rechtsextremisund deren jeweilige Mitgliederstärke sind aus der Übersicht auf der tische Parteien Seite 94 dieses Berichts zu ersehen. Bei erkannten Mehrfachmitgliedschaften wurde die Person nur bei einer Organisation mitgezählt. Die Wahlerfolge in Sachsen im Herbst 2004 und in Mecklenburg-Vorpommern im Herbst 2006 brachten der NPD bundesweit einen mäßigen Aufwärtstrend; auch in Bayern stieg die Zahl der Mitglieder leicht an (vgl. auch Nummer 2.1 dieses Abschnitts). Numerisch stärkste rechtsextremistische Partei im Bundesgebiet ist wie bisher die DVU, allerdings Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 94 Rechtsextremismus Zahl und 2004 2005 2006 Mitgliederstärke rechtsextremisAnzahl der Organisationen 40 40 40 tischer OrganiMitgliederstärken sationen in Die Republikaner (REP) 2.800 2.300 2.200 Bayern NPD mit JN und NHB 900 900 950 Deutsche Volksunion (DVU)* 1.200 1.100 1.000 Neonazistische Organisationen 160 160 190 Sonstige Organisationen 420 420 300 5.480 4.880 4.640 Neonazistische Einzelaktivisten 140 140 160 Rechtsextremistische Skinheads 800 800 750 Rechtsextremisten insgesamt 6.420 5.820 5.550 * Die Zahlen umfassen die Mitglieder der Partei und des gleichnamigen Vereins. mit abnehmender Tendenz, da sie den durch Überalterung bedingten Mitgliederschwund nicht aufhalten kann (vgl. auch Nummer 2.2 dieses Abschnitts). Die REP hatten bundesweit deutliche Mitgliederverluste zu verzeichnen, blieben aber in Bayern die mitgliederstärkste Partei des rechtsextremisAnhaltspunkte für tischen Spektrums. Teile der REP, vor allem unterhalb der Ebene des rechtsextremisParteivorstands, verfolgen nach wie vor rechtsextremistische Ziele. Hintische Bestrebungen weise auf eine gegen die Menschenwürde und das Diskriminierungsin Teilen der REP verbot gerichtete Zielsetzung finden sich insbesondere in einigen fremdenfeindlich geprägten Aussagen, in denen in Deutschland lebende Ausländer pauschal für gesellschaftliche Kontroversen und Probleme verantwortlich gemacht und dabei undifferenziert als bedrohender Faktor für die deutsche Bevölkerung dargestellt werden. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg (2,5 %), Rheinland-Pfalz (1,7 %), Sachsen-Anhalt (0,5 %) und bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin (0,9 %) waren die REP als "Protestpartei" erneut erfolglos. Bestätigung des Der Bundesvorsitzende Dr. Rolf Schlierer setzte sich auf dem BundesAbgrenzungskurses parteitag am 8./9. Dezember in Höchstadt a.d. Aisch, Landkreis Erlanauf dem Bundesgen-Höchstadt, in einer Richtungswahl gegen seinen Konkurrenten um parteitag das Amt des Parteivorsitzenden Björn Clemens mit 135 zu 71 Stimmen durch. Dieser war zuvor nachdrücklich für ein Ende der "Abgrenzungspolitik" eingetreten. Damit bestätigten die Delegierten den offiziellen Abgrenzungskurs der Parteispitze gegenüber rechtsextremistischen Organisationen, insbesondere gegenüber dem "Volksfront"-Kurs der Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 95 NPD. Der Abgrenzungskurs von Dr. Schlierer wird in Bayern vom dortigen Landesvorsitzenden unterstützt, der auf dem Landesparteitag am 25. November in Kissing mit rund 95 % der Stimmen in seinem Amt bestätigt wurde. Ferner verabschiedeten die Delegierten - bei lediglich drei Enthaltungen - eine Resolution, in der sie Absprachen bzw. die Zusammenarbeit mit verfassungsfeindlichen Parteien ablehnten. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bestätigte am 6. April Erfolgreiche Klage das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 31. August 1998, mit dem gegen das Land die Aufnahme der REP in den Verfassungsschutzbericht 1997 des LanBerlin des Berlin als rechtswidrig festgestellt wurde, weil das Gesamtbild der Partei auf der Grundlage der Behördenerkenntnisse nicht die Feststellung ermöglicht habe, sie verfolge verfassungsfeindliche Bestrebungen. Die kaum noch aktive "Deutsche Partei - Die Freiheitlichen" (DP) nahm Deutsche Partei - wegen mangelnder Erfolgsaussichten an den Landtagswahlen im Jahr Die Freiheitlichen 2006 nicht teil. Seit ihrer Gründung im Jahr 1993 hatte die DP mit (DP) anderen kleinen "konservativ und national" ausgerichteten Parteien versucht, eine gemeinsame politische Einheit zu bilden. In diesem Zusammenhang bot sie sich seit 2001 enttäuschten Mitgliedern von Parteien aus dem "rechten Lager" als Alternative an, u.a. ehemaligen REP-Funktionären. Ihre Sammlungsbemühungen blieben jedoch auch im Berichtszeitraum weitgehend erfolglos. 1.3 Nutzung des Internets Seit mehreren Jahren nutzen Rechtsextremisten moderne KommunikaBedeutendes tionstechniken. Dabei kommt dem Internet bei der Verbreitung rechtsKommunikationsextremistischen Gedankenguts und der Koordinierung von Aktivitäten mittel der rechtsextremistischen Szene eine weiterhin steigende Bedeutung zu. Der Zugriff auf das Internet bietet Rechtsextremisten eine geeignete Plattform zur Information und Kommunikation. Darüber hinaus stellt dieser Verbund ein wichtiges Instrument zur Mobilisierung der Szene dar. Die Zahl der von Deutschen betriebenen Homepages mit rechtsextremisKonstante Zahl tischen Inhalten blieb in den vergangenen vier Jahren mit durchschnittlich rechtsextremis1.000 konstant. Zunehmend werden die neuen technischen Möglichkeitischer deutscher ten der "Web 2.0-Generation", etwa in Form von "Weblogs", genutzt. Homepages Die Internet-Angebote rechtsextremistischer Parteien, beispielsweise der NPD, nehmen zum Teil zu aktuellen tagespolitischen Fragen Stellung und befinden sich auf hohem technischem Niveau. Eine Vielzahl rechtsextremistischer Skinhead-Bands stellt auf ihren Homepages neben Fotos von Auftritten und Konzertberichten auch die Lieder zur VerVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 96 Rechtsextremismus fügung. Im Online-Versandhandel entsprechender Anbieter findet sich eine umfangreiche Auswahl an szene-typischer Kleidung, Musik-CDs und anderen Szene-Artikeln. Diskussionsforen Eine große Bedeutung kommt in diesem Bereich ferner den Diskussionsforen zu. Die Relevanz dieses Internet-Dienstes für die Nutzer besteht in der permanenten, ortsunabhängigen und kaum zu kontrollierenden Möglichkeit zur Information, Kommunikation und Vernetzung mit anderen Szene-Anhängern. Deutsche Rechtsextremisten werben für ihre verfassungsfeindlichen Ziele mit immer anspruchsvollerer Technik. So binden sie aufwendige Grafiken ein und bieten Skinhead-Musik über Tondateien an. Homepage-Betreiber aus dem Bereich des Rechtsextremismus weichen zum Teil auf ausländische Speicherplatzanbieter aus, die sich Appellen staatlicher und privater Einrichtungen sowie einer Selbstkontrolle verschließen. Darunter befinden sich etliche Provider, die der rechtsextremistischen Szene angehören. 2. Parteien, Organisationen und Verlage 2.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Deutschland Bayern Mitglieder: 7.000 900 Vorsitzender: Udo Voigt Ralf Ollert Gründung: 1964 Sitz: Berlin Publikation: "Deutsche Stimme" (DS) 2.1.1 Ideologisch-politischer Standort Neonazistische und nationalrevolutionäre Thesen sind fester Bestandteil des ideologischen Spektrums der NPD und haben deren Erscheinungsbild nachhaltig verändert. Die NPD hat sich mittlerweile zu einem Sammelbecken Sammelbecken gewaltbereiter Skinheads und Neonazis entwickelt. Die von Neonazis und Parteiführung intensivierte die Zusammenarbeit mit den "Freien NatioSkinheads nalisten". Das von der Partei vertretene Staatsund Menschenbild steht in krassem Gegensatz zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Für die NPD resultiert die Würde des Einzelnen nicht aus dem freien Willen des Individuums, sondern sie ist von biologisch-genetischer Teilhabe an der "Volksgemeinschaft" abhängig. Mit ihrer Forderung nach Schaffung einer "Volksgemeinschaft" verwendet die NPD einen zentralen Begriff des Nationalsozialismus, der Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 97 darunter insbesondere eine Schicksalsgemeinschaft verstand, in der die Völkischer Interessen des Einzelnen bedingungslos der Gemeinschaft der VolksKollektivismus genossen untergeordnet wurden und das Wohl der so definierten "Volksgemeinschaft" allen anderen Interessen vorging: "Volksherrschaft setzt die Volksgemeinschaft voraus. (...) Der Staat hat dabei über den Egoismen einzelner Gruppen zu stehen und die Gesamtverantwortung wahrzunehmen." (Parteiprogramm, Abschnitt 3) "Die Globalisierung muß gestoppt werden! An ihre Stelle muß eine raumorientierte Volkswirtschaft treten, die Arbeitsplätze, soziale Sicherheit und eine gesunde Natur gewährleistet. (...) Der menschenverachtenden Globalisierung setzen wir das Konzept einer am Menschen, am Volk und seinem Lebensraum orientierten nationalen Volkswirtschaft, dem Freihandel eine Re-Nationalisierung der Betriebe und Entflechtung des raumfremden Spekulationsund Einflußkapitals entgegen." (Deutsche Stimme, Mai 2006, Seite 2) Eine mit der Menschenwürde und dem Gleichheitsprinzip des GrundRassismus und gesetzes unvereinbare, rassistisch und nationalistisch geprägte FremNationalismus denfeindlichkeit ist elementarer Bestandteil der Parteiideologie vom "lebensrichtigen Menschenbild", das sich insbesondere gegen "Fremdbestimmung" und "Überfremdung" wendet: "Im Zusammenspiel von Großkapital, Regierung und Gewerkschaften wurden Millionen von Ausländern wie Sklaven der Neuzeit nach Deutschland geholt. Diese Politik wird durch eine menschenund völkerverachtende Integration fortgesetzt. Ausländer und Deutsche werden gleichermaßen ihrer Heimat entfremdet und entwurzelt, ihnen droht der Verlust ihrer Identität, ... In zahlreichen Städten bilden sich Ausländerghettos, in denen die deutsche Restbevölkerung zur Minderheit im eigenen Land wird. (...) Ein grundlegender politischer Wandel muß die menschenfeindliche Integrationspolitik beenden sowie die deutsche Volkssubstanz erhalten." (Parteiprogramm, Abschnitt 8) Als konträr zu ihren völkischen Idealen betrachtet die NPD das Gesellschaftsmodell sowohl des Islam als auch der USA: "Als größtes Integrationshindernis gilt derweil der Islam, weshalb man vielen orientalischen Landbesetzern bis zum Tag ihrer Rückführung nur viel Koranfestigkeit wünschen kann. (...) Bei Islamismus und Amerikanismus handelt es sich mithin um zwei völkerverachtende Universalismen, um zwei Fundamentalismen mit konkurrierenden Heilsbotschaften. Dem Identitätsund Selbstbestimmungsrecht der Völker stehen beide Parteien aufgrund ihrer Weltherrschaftsansprüche feindlich gegenüber." (Deutsche Stimme, April 2006, Seite 19) Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 98 Rechtsextremismus "Die imperialistische Politik der USA will alle Völker unterwerfen, die nicht nach ihrer Pfeife tanzen. (...) Wir wissen, daß Mord, Verschleppung und Folter auch den Namen der USA tragen und wollen den Iran und weitere Völker vor solch einem Schicksal bewahren. Wir solidarisieren uns mit allen noch nicht 'befreiten' und damit wirklich souveränen Völker der Welt und fordern diese auf, sich sich dem US-Imperialismus zu widersetzen." (Deutsche Stimme, Juni 2006, Seite 2; Anmerkung: Fehler wurden übernommen) Revisionismus Für die NPD gehört Revisionismus nach wie vor zum Bestandteil ihrer Ideologie. Sie fordert "Ein Ende der einseitigen Vergangenheitsbewältigung. Wir Deutschen sind kein Volk von Verbrechern. (...) Kein Ersatz der Freiheit von Forschung und Lehre durch ein staatlich verordnetes, von politischer Justiz überwachtes Geschichtsbild zu Lasten Deutschlands." (Parteiprogramm, Abschnitt 11) Allerdings argumentiert sie zurückhaltender als bisher. So hieß es in dem Artikel "In der Schweigespirale gefangen - Gesinnungsdiktatur anstelle von Meinungsfreiheit": "Doch die Sieger des Zweiten Weltkrieges hatten nicht nur mit den Nürnberger Prozessen ein Exempel statuiert, sie installierten darüber hinaus auch eine Vielzahl von Ämtern und Aufsichtsbehörden im Land, die bis heute über das von den Siegern verordnete Geschichtsbild wachen. Ein kritisches Wort über den Staat Israel oder ein gutes Wort über einen Soldaten des Zweiten Weltkrieges - und der Betreffende wird noch heute politisch isoliert, moralisch degradiert und seiner beruflichen Existenz beraubt." (Deutsche Stimme, Oktober 2006, Seite 20) Antisemitismus Bei der Verbreitung antisemitischer Propaganda nutzt die NPD aktuelle politische Ereignisse, um Ressentiments gegen Juden zu fördern. Im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt hieß es unter der Überschrift "Der Bomber": "Denn das zionistische Israel dokumentiert mit seinen Angriffen auf libanesische Zivilisten, was in der westlichen Presse immer so vage mit Rassismus betitelt wird. Israel ist unter seinem Ministerpräsidenten Olmert das einzige Land, das im Schutze historischer Halbwahrheiten Menschenrechtsverletzungen begehen kann. (...) Der Libanon wird nur ein Etappenziel für die machthungrige zionistische Elite sein, die ihren wahnhaften Auserwähltheitstraum auf Kosten des Lebens von Kindern und Frauen träumt." (Deutsche Stimme, September 2006, Seite 2) Diffamierung Das politische System in Deutschland wurde häufig als "Regime" diffademokratischer miert; seine Repräsentanten seien Betrüger und Versager: Institutionen "Nur eine nicht korrumpierbare nationale Oppositionspartei könnte im Bundestag Licht in die dunklen Machenschaften der Kriegspolitiker der Etablierten Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 99 bringen. Jetzt wird wieder einmal deutlich, warum die NPD von den herrschenden Kollaborateuren so massiv bekämpft wird." (Deutsche Stimme, Februar 2006, Seite 2) "Das Parteiensystem ist am Ende, und der Staat pfeift aus dem letzten Loch." (Deutsche Stimme, März 2006, Seite 2) Unter der Überschrift "Die Republik der Strolche" polemisierte die Partei gegen zwei Urteile des Bundessozialgerichts und des Landgerichts Düsseldorf (Mannesmann-Prozess), die "einer massiven Vertrauenserosion gegenüber den Institutionen des pseudodemokratischen Staates Vorschub leisten und zu seiner sozialethischen Delegitimation beitragen. (...) Die geheuchelte Empörung der etablierten Politiker-Mischpoke, die durch ihre Neoliberalisierungspolitik und Dauer-Kriecherei vor den Kapitalherren solche obszönen Gesellschaftsverhältnisse erst geschaffen hat, ließ nicht lange auf sich warten. (...) Diese Ungerechtigkeits-Republik ist moralisch längst am Ende ..." (Pressemitteilung vom 1. Dezember 2006) Diese diffamierende Polemik zeigt deutlich, dass die NPD die Prinzipien Wesensverwandtdes Mehrparteiensystems und der Chancengleichheit der Parteien trotz schaft mit der ihres formalen Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen GrundNS-Terminologie ordnung ablehnt. Darüber hinaus offenbart die Diktion der NPD, insbesondere der häufige Gebrauch der Begriffe "System", "System-Parteien" oder "Systempolitiker", die bereits von der NSDAP zur Diffamierung der Weimarer Republik instrumentalisiert wurden, eine Wesensverwandtschaft mit der Ideologie der NSDAP. NPD und JN betrachten die Wertordnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in der bestehenden Form als "überholt und handlungsunfähig" und wollen sie deshalb beseitigen. Um dem Ziel der politischen Machtergreifung näher zu kommen, hat die Partei zur Verfolgung ihrer verfassungsfeindlichen Bestrebungen 1997 ein auf drei "Drei-Säulen"strategische Säulen" gestütztes Konzept entwickelt, nämlich Konzept" - Programmatik: Kampf um die Köpfe, - Massenmobilisierung: Kampf um die Straße, - Wahlteilnahme: Kampf um die Parlamente. Mit dem im Herbst 2004 noch als vierte Säule eingefügten "Kampf um Neue vierte Säule den organisierten Willen" erstrebt die NPD eine Bündelung aller nationalen Kräfte, ohne dabei programmatische Inhalte zu definieren. Im Grunde handelt es sich um eine Aktionseinheit von NPD und Teilen des rechtsextremistischen Lagers. Die NPD bezieht hierin auch die DVU mit ein. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 100 Rechtsextremismus Zunehmende Seit Mitte der 90er Jahre hat die NPD ihre Agitation zur "sozialen Frage" Konzentration auf kontinuierlich erweitert. Sie erklärte dieses Thema zum Drehund soziale Themen Angelpunkt nationaler Politik. Mit einer Orientierung hin zum "Nationalen Sozialismus", einer Verknüpfung von "Nation" und "Sozialismus", wirbt die NPD vor allem in den neuen Bundesländern um Anhänger. Insbesondere in Wahlkämpfen schürt die NPD Ängste vor Arbeitslosigkeit, Fremdbestimmung oder Überfremdung. Damit soll eine Krisenstimmung geschaffen werden, die den Angriff gegen den sozialen Rechtsstaat und die freiheitliche Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen soll. Aggressiver Im Rahmen ihres aggressiven Bestrebens, über den außerparlamentaAktionismus im rischen Kampf politische Macht in Deutschland zu erringen, veranstal"Kampf um die tete die NPD seit dem Amtsantritt des Bundesvorsitzenden Voigt im Jahr Straße" 1996 bundesweit rund 790 Demonstrationen und öffentliche Aktionen mit teilweise bis zu 5.000 Teilnehmern. Die Partei versteht sich als Anführerin einer breiten sozialen Protestbewegung, die in öffentlichen Aufmärschen auf der Straße gemeinsam mit Neonazis und Skinheads ihre auf die Überwindung des "Systems" gerichteten Ziele verfolgt. Sie bietet der Neonazi-Szene ein "legales" organisatorisches Dach und ist somit mitverantwortlich für ein geistiges Klima, das den Boden für Übergriffe von Rechtsextremisten auf Ausländer und andere Minderheiten bereitet. 2.1.2 Organisation Anstieg der Die Partei mit Sitz in Berlin zählt bundesweit annähernd 7.000 (2005: Mitgliederzahl 6.000) Mitglieder. Sie gliedert sich in 16 Landesverbände, die wiederum in Bezirksund Kreisverbände unterteilt sind. Bundesvorsitzender ist seit März 1996 Udo Voigt; seine Stellvertreter sind Holger Apfel, Peter Marx und Sascha Roßmüller. Redaktion und Anzeigenabteilung des Parteiorgans "Deutsche Stimme" (DS) befinden sich in Riesa/Sachsen. Dem aus 19 Personen bestehenden Bundesvorstand gehören mehrere ehemalige Aktivisten verbotener neonazistischer Gruppierungen an. Darüber hinaus betrachtet die NPD Skinheads als natürliche Bündnispartner. Landesverband Dem Landesverband Bayern mit derzeitiger Adresse in Bamberg gehören Bayern rund 900 (2005: 850) Mitglieder an, darunter zahlreiche Angehörige der Neonaziund Skinhead-Szene. Er gliedert sich in sieben Bezirksund rund 35 Kreisverbände, von denen aber rund ein Drittel nicht aktiv ist. Der Landesverband wird von Ralf Ollert geleitet. Seine Stellvertreter sind Uwe Meenen (Vorsitzender des NPD-Bezirksverbands Unterfranken), Roland Wuttke (Vorsitzender des NPD-Bezirksverbands Oberbayern) und Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 101 Sascha Roßmüller, ein ehemaliger Aktivist des 1993 verbotenen neonazistischen Nationalen Blocks (NB). Nach wie vor sind im bayerischen Landesvorstand neben Anhängern der orthodoxen Linie der NPD auch Funktionäre mit einer überwiegend neonazistisch ausgerichteten Ideologie vertreten; ebenso bestehen Verbindungen zur Skinhead-Szene. Die NPD verfügt mittlerweile über das umfassendste Angebot aller rechtsextremistischen Parteien im Internet. Ihre Homepage enthält mehrere Diskussionsforen sowie ein eigenes Textarchiv mit Schlagwortsuchmodus, über den alle bislang von Nutzung des der NPD veröffentlichten Texte abrufbar sind. Einige NPD-LandesverInternets bände verfügen über eigene Internet-Seiten. Über eine Linkliste sind Angebote von Untergliederungen der NPD und ihrer Jugendorganisation zugänglich. Die NPD und ihre Jugendorganisation unterhalten Verbindungen zu Auslandskontakte gleich gesinnten Personen und Organisationen im westeuropäischen Ausland, insbesondere nach Spanien, Österreich und Italien. Allerdings ist die NPD ihrem Ziel der Bildung einer nationalistischen nordeuropäischen Allianz nicht näher gekommen. 2.1.3 Teilnahme an Wahlen Gemäß der mit der DVU getroffenen Wahlabsprache kandidierte die Landtagswahl in NPD am 26. März bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Baden-WürttemRheinland-Pfalz. Nach dem amtlichen Endergebnis erreichte sie in berg Baden-Württemberg mit 29.219 Zweitstimmen einen Stimmenanteil von 0,7 %. Damit konnte sie ihr Ergebnis gegenüber der Landtagswahl 2001 (7.649 Stimmen = 0,2 %) zwar verbessern, verfehlte jedoch ihr Minimalziel, mit einem Zweitstimmenanteil von mindestens 1 % einen Anspruch auf Teilhabe an der staatlichen Teilfinanzierung der Parteien zu erwerben. Im Vergleich zur Bundestagswahl am 18. September 2005 (66.644 Stimmen = 1,1 %) verlor die NPD in Baden-Württemberg mehr als die Hälfte ihrer Stimmen. In Rheinland-Pfalz erhielt die NPD 21.056 Zweitstimmen (1,2 %). Sie Rheinland-Pfalz konnte damit ihr Ergebnis im Vergleich zur Landtagswahl 2001 (0,5 %) verbessern. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2005 (31.012 Stimmen = 1,3 %) musste sie dagegen Stimmenverluste hinnehmen. Auf der Landesliste der NPD kandidierten auch drei Neonazis sowie eine Vertreterin der DVU. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 102 Rechtsextremismus Berlin Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin am 17. September erreichte die NPD 35.229 Zweitstimmen (2,6 %). Gegenüber der letzten Abgeordnetenhauswahl im Oktober 2001 (0,9 %) konnte sie 20.119 Stimmen hinzugewinnen. Bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin errang die NPD in vier der fünf Bezirke, in denen sie zur Wahl angetreten war, insgesamt elf Mandate. Der Bundesvorsitzende Udo Voigt wurde in die Bezirksverordnetenversammlung Treptow-Köpenick gewählt. Eine für die NPD kandidierende DVU-Aktivistin erhielt ein Mandat in der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg. Wahlerfolg in Am selben Tag beteiligte sich die NPD als einzige rechtsextremistische MecklenburgPartei an der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Dabei erreichte Vorpommern sie mit 59.845 (2002: 7.718) Zweitstimmen einen Stimmenanteil von 7,3 % (2002: 0,8 %) und dementsprechend sechs Landtagsmandate. Neben dem NPD-Landesvorsitzenden Stefan Köster zogen auch Neonazis in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ein. Im Wahlkampf hatte die NPD an zahlreichen Info-Ständen Wahlzeitungen, Flugschriften sowie ihre "Schulhof-CD" verteilt. Der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt erklärte in einer über das Internet verbreiteten "Videobotschaft", der zwischen NPD und DVU geschlossene "Deutschland-Pakt" habe sich ebenso bewährt wie die Unterstützung durch "freie Kameraden". Der "Kampf um Deutschland" gehe weiter. 2.1.4 Bündnisbestrebungen Die NPD bemüht sich schon seit längerer Zeit um Absprachen mit anderen rechtsextremistischen Parteien, um ihre Chancen bei Wahlen "Volksfront von zu steigern. Mit dem aktuellen Konzept einer "Volksfront von rechts" rechts" verfolgt die Partei Bündnisbestrebungen in zwei unterschiedliche Richtungen: Zum einen intensiviert sie ihre bündnispolitische Orientierung zur Neonazi-Szene. Zum anderen wird die Kooperation mit den "derzeitigen nationalen Parteien in der BRD" angestrebt, da aufgrund der Zersplitterung dieser Parteien keine in der Lage sei, "wirksamen politischen Einfluss und gestalterische Macht zu entfalten". Ziel der Bündnispolitik ist die "Konzentration aller nationalen Kräfte" bzw. die Einheit des "nationalen Lagers". Der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt und der DVU-Bundesvorsitzende "Deutschland-Pakt" Dr. Gerhard Frey vereinbarten am 15. Januar 2005 in einem "Deutschland-Pakt" ihre weitere Zusammenarbeit für die Europa-, Bundestagsund Landtagswahlen bis 2009. So kandidierte bei der Bundestagswahl 2005 absprachegemäß nur die NPD. Desgleichen beteiligte sich Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 103 die NPD als "einzige nationale Kraft" an den Landtagswahlen 2006 in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Im Gegenzug trat die DVU im September 2006 bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt an. Schon bei den Landtagswahlen 2004 in Brandenburg und Sachsen hatte der Verzicht auf Konkurrenzkandidaturen zu den Erfolgen von DVU bzw. NPD beigetragen. Seit Jahresbeginn 2004 ist eine verstärkte Annäherung zwischen der NPD und den "Freien Nationalisten" erkennbar. So propagierte der führende Neonazi Thomas Wulff im Mai 2004 in einem im NPD-Parteiorgan veröffentlichten Beitrag die Schaffung einer "Volksfront von rechts". Dem NPD-Bundesvorstand gehören inzwischen bekannte Neonazis wie Jürgen Rieger, Annäherung an Sascha Roßmüller und Thomas Wulff an. Allerdings erfährt die von der die Neonazi-Szene NPD propagierte "Volksfront" bei den "Freien Nationalisten" nicht nur Zustimmung. Bei diesen ist die Zusammenarbeit vielfach rein taktisch motiviert und oft von Eigeninteressen geprägt. Die NPD nutzt die Anziehungskraft der Skinheads gezielt für ihre Wahlkampfveranstaltungen und Rekrutierungsmaßnahmen. Sie hat sehr früh den hohen Stellenwert der rechtsextremistischen Skinhead-Musik erKontakte zu kannt und ist bestrebt, bei eigenen Skinhead-Konzerten jugendliche Skinheads Besucher für NPD-Aktivitäten zu mobilisieren und letztlich für die Ziele der Partei zu gewinnen. Daher bieten die NPD bzw. deren Aktivisten, die wie beispielsweise Norman Bordin enge Verbindungen zur Skinhead-Szene besitzen, rechtsextremistischen Skinhead-Bands ein Forum für Auftritte bei Parteiveranstaltungen. Obwohl sich einzelne Skinheads bzw. kleinere Skinhead-Gruppierungen eher unpolitisch geben, sich von der NPD distanzieren und eine Politisierung durch Schulungsund Vortragsveranstaltungen kategorisch ablehnen, halten andere Gruppierungen nach wie vor engen Kontakt zu NPD-Verbänden. Die Parteimitgliedschaft führender Neonazis erleichtert der NPD die Personelle Mobilisierung und Integration von Skinheads im Großraum München Verflechtungen und Nürnberg. Die hohe Präsenz von rechtsextremistischen Skinheads in den mittelfränkischen NPD-Strukturen hat weiter zugenommen. Dort rekrutiert sich inzwischen ein Großteil der Vorstandsmitglieder aus der örtlichen Neonaziund Skinhead-Szene. Auch Angehörige der Skinhead-Szene aus dem Großraum Würzburg suchen die Nähe zur NPD und nehmen bayernweit an NPD-Veranstaltungen teil. Rechtsextremistische Liedermacher treten mitunter bei Skinhead-Treffen, Rechtsextremishäufiger aber bei Veranstaltungen rechtsextremistischer Parteien wie der tische Liedermacher Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 104 Rechtsextremismus NPD auf. Dabei steht die Verherrlichung der ihnen vorschwebenden "deutschen Ideale" im Vordergrund: Kameradschaft, Frau als Mutter in der Familie, Gehorsam, Heldentum, Tapferkeit, Solidarität, Treue und Ordnungssinn. Darüber hinaus werden in den Liedern auch die angeblich positiven Seiten des NS-Regimes betont. Zwei bekannte Liedermacher in der bayerischen Szene sind Michael und Annett Müller. Beide treten bundesweit bei Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene auf. 2.1.5 Sonstige Aktivitäten 2.1.5.1 Parteitage Landesparteitag Der NPD-Landesverband Bayern veranstaltete am 21. Mai in Gremsdorf, in Gremsdorf Landkreis Erlangen-Höchstadt, unter dem Leitspruch "Landesentwicklung statt Entwicklungsland" den 40. ordentlichen Landesparteitag mit rund 150 Teilnehmern, darunter etwa 100 Delegierten. Bei den anstehenden Neuwahlen konnte sich der seit dem Jahr 2000 amtierende Landesvorsitzende Ralf Ollert mit 52 zu 49 Stimmen nur knapp durchsetzen. Seine Stellvertreter sind der unterfränkische Bezirksvorsitzende Uwe Meenen, der oberbayerische Bezirksvorsitzende Roland Wuttke und der Beisitzer im NPD-Bundesvorstand Sascha Roßmüller. Neonazis im Mit Roßmüller und den Beisitzern Norman Bordin, Matthias Fischer und Landesvorstand Martin Paulus gehören dem bayerischen Landesvorstand Funktionäre mit einer überwiegend neonazistischen Ideologie an; ferner bestehen Verbindungen zur rechtsextremistischen Skinhead-Szene. Roßmüller ist ein ehemaliger Aktivist des 1993 verbotenen neonazistischen Nationalen Blocks (NB); Bordin war der informelle Führer der neonazistischen Kameradschaft München. Bei Fischer und Paulus handelt es sich um ehemals führende Aktivisten der 2004 verbotenen Fränkischen Aktionsfront (F.A.F.). Ollert wurde bei seiner Kandidatur mehrheitlich von Anhängern der orthodoxen Linie der NPD unterstützt, während sich sein Herausforderer Meenen eher auf den jüngeren und aktionistischeren Teil der bayerischen NPD stützte. Bundesparteitag Unter dem Motto "Aus der Mitte des Volkes" hielt die NPD am 11. und in Berlin 12. November ihren Bundesparteitag erstmals in Berlin ab. Daran beteiligten sich rund 550 Rechtsextremisten, darunter 232 Delegierte und der DVU-Bundesvorsitzende Dr. Gerhard Frey. Nach Grußbotschaften befreundeter Organisationen aus Italien, Portugal und Rumänien hob der Bundesvorsitzende Udo Voigt hervor, dass der Parteitag in der "Reichshauptstadt" Berlin stattfinde. In seinem Rechenschaftsbericht bekannte er sich zum "Deutschland-Pakt" mit der DVU sowie zur ZuVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 105 sammenarbeit mit den freien Kräften in der "deutschen Volksfront". Bei der Neuwahl des Parteivorstands wurde Voigt ohne Gegenkandidaten mit über 95 % der Stimmen in seinem Amt bestätigt. Ebenfalls wiedergewählt wurden die beiden stellvertretenden Parteivorsitzenden Holger Apfel und Peter Marx. Zum dritten Stellvertreter Voigts bestimmten die Delegierten den bisherigen Beisitzer und stellvertretenden bayerischen Landesvorsitzenden Sascha Roßmüller. Dem Bundesvorstand gehören ferner die führenden Neonazis Thomas Wulff, Jürgen Rieger und Torsten Heise an. 2.1.5.2 Kundgebungen und sonstige Aktionen Am 1. März veranstaltete der NPD-Bezirksverband Niederbayern in RetPolitischer tenbach, Landkreis Deggendorf, das alljährliche Aschermittwochstreffen Aschermittwoch mit rund 180 Teilnehmern. Als Redner traten der Landesvorsitzende Ralf Ollert, sein Stellvertreter Sascha Roßmüller sowie der Bundesvorsitzende der rechtsextremistischen "Deutschen Partei - Die Freiheitlichen" (DP) Ulrich Pätzold auf. Ollert betonte, dass sich die NPD gegen Globalisierung und "Multi-Kulti"-Gesellschaft wende und statt dessen auf eine "raumorientierte Volkswirtschaft und Volksgemeinschaft" setze. Ein "De facto-Einwanderungsland Deutschland" werde von der Partei abgelehnt. Vielmehr sei als Ziel einer "volksverantwortlichen" Politik die "Rückführung der Ausländer" in ihre Heimatländer zu fördern. Auch die CSU habe mit ihrer Politik die über fünf Millionen Arbeitslosen in Deutschland zu verantworten. Daher sei es das Ziel der NPD, als "Opposition zum herrschenden Parteienkartell" im Jahr 2008 in den bayerischen Landtag einzuziehen. In Bayern fanden keine eigenen Veranstaltungen von Rechtsextremisten Kundgebung zum zum 1. Mai statt. Bundesweit organisierte die rechtsextremistische Szene 1. Mai in Rostock mehrere dezentrale Kundgebungen. Die größte mit rund 1.300 Teilnehmern fand in Rostock unter dem Motto "Arbeit für Deutsche" statt. Der Bundesvorsitzende Udo Voigt forderte in seiner Rede "Arbeit für Deutsche" und - anstelle des von allen Bundestagsparteien mitgetragenen Zuwanderungsgesetzes - ein Gesetz zur "Ausländerheimführung". Die Globalisierung müsse gestoppt werden. An der Veranstaltung nahmen auch Rechtsextremisten aus Spanien, Griechenland, Österreich und den USA teil. Ende März wollte der NPD-Funktionär Uwe Meenen für einen Kaufpreis Versuchter von knapp 1,2 Millionen Euro in Cham einen leer stehenden GebäudeImmobilienerwerb komplex erwerben. Zu dem Kaufobjekt gehörte eine von Januar bis in Cham Mitte April 2006 von zwei Rechtsextremisten gemietete ehemalige Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 106 Rechtsextremismus Diskothek, die damals in "Sturm 23" umbenannt worden war. Dort hatten u.a. als "Geburtstagspartys" getarnte Skinhead-Konzerte stattgefunden; dagegen konnten angemeldete Skinhead-Konzerte von der Stadt bzw. dem Landratsamt Cham erfolgreich verboten werden. Die NPD erwog, das Grundstück als Veranstaltungsund Schulungszentrum zu nutzen und meldete für den 17. Juni in Cham einen so genannten Bayerntag an. Das Vorhaben scheiterte, da die Stadt Cham ihr Vorkaufsrecht ausübte. Meenen hatte bereits vor etwa einem Jahr in der Oberpfalz versucht, eine Tennishalle in Grafenwöhr zu erwerben. Auch hier hatte er mit dem Verkäufer einen hohen Kaufpreis vereinbart und den notariellen Vertrag in einer Presseerklärung der Partei werbewirksam bekannt gemacht. Als die NPD eine "national befreite Zone Grafenwöhr" propagierte, machte die Stadt Grafenwöhr ihr Vorkaufsrecht geltend. "WM-Planer" Die Titelseite eines von der NPD anlässlich der FIFA-Weltmeisterschaft verbreiteten "WM-Planers" zeigte den Oberkörper eines Spielers im weißen Trikot der deutschen Nationalmannschaft sowie Teile der Spielernummer 25. Die Abbildung war mit dem Slogan "Weiß - Nicht nur eine Trikot-Farbe! - Für eine echte NATIONAL-Mannschaft!" versehen. Ein farbiger Bundesligaspieler war in der Nationalmannschaft aktuell Träger des Trikots mit der Nummer 25. Damit hat die Partei zumindest unterschwellig einem Sportler allein wegen seiner Hautfarbe die Befähigung abgesprochen, in der deutschen Nationalmannschaft zu spielen, und Ressentiments gegen farbige Mitbürger geschürt. Am 6. April durchsuchte die Polizei die NPD-Bundesgeschäftsstelle in Berlin und stellte 30.000 Exemplare des "WM-Planers" sicher. Die Titelseite eines daraufhin von der NPD auf ihrer Internet-Seite ange"Spielplan '06" botenen neuen "Spielplans '06" zeigte zu der Frage "Nationalelf 2010?" eine stilisierte Darstellung der deutschen Nationalmannschaft, bei der nur ein Spieler eine weiße Hautfarbe hatte. Im Text wurde die mutmaßliche Zusammensetzung der künftigen Nationalmannschaft kritisiert und ihr indirekt eine unwürdige Vertretung der deutschen Nation unterstellt. Am 8. Juni durchsuchte die Polizei erneut die NPD-Bundesgeschäftsstelle und stellte 3.000 Exemplare des neu aufgelegten "Spielplans '06" sicher. Werbekampagne Auf einer gemeinsamen Veranstaltung des NPD-Bezirksverbands Mittelfranken und des JN-Landesverbands Bayern am 3. Juni in Gremsdorf, Landkreis Erlangen-Höchstadt, stellte der NPD-Bezirksvorsitzende Matthias Fischer die neue Werbekampagne "Rebellion im KlassenzimVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 107 mer - Franken rockt!" vor. Diese Initiative sei die Antwort auf "antinationale Zustände" an fränkischen Schulen. Damit solle in der Region der Grundstein gelegt werden, an fränkischen Schulen gezielter für das "nationale Deutschland" zu werben und "den herrschenden "Zuständen in der BRD eine deutliche Absage zu erteilen". Zweck der Kampagne sei es auch, "nationalen Jugendlichen" an fränkischen Schulen den Rücken zu stärken, insbesondere mittels deutlicher Hinweise auf "antideutsche Bestrebungen" linker Lehrer und linksextremistischer Mitschüler. Dazu ließ die NPD seit Juli neben sonstigem Werbematerial zahlreiche Exemplare einer "Schulhof-CD" mit dem Titel "Rebellion im Klassenzimmer - gegen Umerziehung und Multikulti" vor mehreren Schulen verteilen. Außerdem wurde diese CD auf der Internet-Seite des NPD-Bezirksverbands Mittelfranken zum Herunterladen bereitgestellt. Anders als die im Jahr 2004 im Rahmen des neonazistischen "Projekts Schulhof" produzierten Tonträger enthält die "Schulhof-CD" der NPD zwar rechtsextremistische, aber keine strafrechtsrelevanten Texte. Der zur NPD gehörende "Deutsche Stimme"-Verlag führte vom 9. bis "4. Freiheitlicher 11. Juni in Bayreuth unter dem Motto "Von Nürnberg bis Bagdad: VölKongress" kerrecht statt Siegerwillkür" seinen "4. Freiheitlichen Kongress" durch. Mit rund 180 (2005: 300) Teilnehmern fand die Veranstaltung deutlich weniger Zuspruch als im Vorjahr. Der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende und Chefredakteur der "Deutschen Stimme" Holger Apfel behauptete, die wahren Terroristen des 21. Jahrhunderts säßen nicht in Bagdad oder Teheran, sondern in Washington und New York; dort liefen die Fäden der kapitalistischen Völkerunterdrückung und Globalisierung zusammen. Als weitere Referenten traten am Eröffnungstag u.a. der Parteivorsitzende Udo Voigt sowie der DVU-Funktionär Ingmar Knop auf. Am 17. Juni veranstaltete der NPD-Landesverband Bayern in Regensburg den ersten "Bayerntag". Zu dem Sommerfest erschienen rund 600 Besucher. Im musikalischen Teil traten zwei Skinhead-Bands "Bayerntag" und ein rechtsextremistischer Liedermacher auf. Zahlreiche Szene-Angehörige trugen aufgrund der heißen Witterung keine Oberbekleidung. Wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nahm die Polizei 28 Personen vorläufig fest, bei denen entsprechende Tätowierungen sichtbar waren. Gegen den "Bayerntag" der NPD protestierten in Regensburg bis zu 600 Personen, darunter auch Angehörige des regionalen linksextremistischen Spektrums. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 108 Rechtsextremismus Pressefest in Am 5. August fand in Dresden das Pressefest des NPD-eigenen "DeutDresden sche Stimme"-Verlags statt. An der Veranstaltung nahmen rund 7.000 Personen teil; darunter etwa 200 Szene-Angehörige aus Bayern. Hauptattraktion der Veranstaltung war das u.a. von rechtsextremistischen Liedermachern und zwei Skinhead-Bands gestaltete Musikprogramm. Am 14. Oktober demonstrierten rechtsextremistische Gruppierungen in Nürnberg unter dem Leitspruch "Recht statt Rache - Revision der Nürnberger Prozesse". An dem auch von der NPD unterstützten Aufzug nahmen etwa 200 Personen teil. "Heldengedenken" Unter dem Motto "Ehre unseren tapferen Soldaten beider Weltkriege" in Gräfenberg führte die NPD am 12. November in Gräfenberg, Landkreis Forchheim, ihre seit 1999 jährlich stattfindende Versammlung anlässlich des so genannten Heldengedenkens durch. An der Veranstaltung beteiligten sich etwa 130 (2005: 150) Rechtsextremisten aus der Umgebung. Am 2. Dezember veranstaltete die NPD in Augsburg eine Demonstration zum Thema "Null Toleranz - gegen kriminelle Tendenzen bei Polizei und Justiz". Daran beteiligten sich etwa 180 Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum. Als Redner traten u.a. der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Roland Wuttke sowie der bayerische JN-Landesvorsitzende Norman Bordin auf. Anlass der Kundgebung war ein Polizeieinsatz gegen Rechtsextremisten am 4. November am Oberhauser Bahnhof in Augsburg. 2.1.6 Junge Nationaldemokraten (JN) Deutschland Bayern Mitglieder: 300 50 Vorsitzender: Stefan Rochow Norman Bordin Gründung: 1969 Sitz: Riesa/Sachsen Mit den JN verfügt die NPD als einzige rechtsextremistische Partei über Ideologische eine Jugendorganisation. Die JN bekennen sich in Ideologie und ZielAusrichtung setzung zum Programm ihrer Mutterpartei. In ihrem beim Bundeskonan der NPD gress 2002 als "Perspektive für ein besseres Deutschland" verabschiedeten "Manifest der nationalistischen Jugend" stellen sie das als grundlegendes Prinzip der freiheitlichen demokratischen Grundordnung geltende Mehrparteiensystem insofern in Frage, als sie eine "konstruktive parlamentarische Mitarbeit" erst nach der "eigentlichen Entscheidung" dulden wollen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 109 Angesichts der fortdauernden Dominanz der Mutterpartei und ihrer intensivierten bündnispolitischen Orientierung zur Neonazi-Szene sind die JN bemüht, ihre Eigenständigkeit sowie ihre Bedeutung als Nahtstelle Bedeutungsverlust zwischen der NPD und den neonazistischen Organisationen zurückzugewinnen. Zwar blieb ihre Mitgliederzahl konstant. Ihrem Anspruch, die "Speerspitze des nationalen Widerstands" zu bilden, genügen die JN aber seit längerem nicht mehr. Die Dominanz der Mutterpartei zeigte sich beispielhaft an der Ablösung Neuer Landesdes am 4. Februar in Neu-Ulm gewählten Landesvorstands. Dort hatten vorsitzender die Delegierten den JN-Bundesorganisationsleiter Mike Nwaiser zum neuen Landesvorsitzenden berufen und zwei bekannte Aktivisten der neonazistischen "Autonomen Nationalisten München" (ANM) zu Beisitzern bestellt. Bereits am 30. April wurde dieses Ergebnis auf einem außerordentlichen Landeskongress in München revidiert, wo die Delegierten den stellvertretenden Vorsitzenden des NPD-Bezirksverbands Oberbayern Norman Bordin zum neuen JN-Landesvorsitzenden wählten. Offiziell wurde die Neuwahl in einer Pressemitteilung damit begründet, dass zum Kongress am 4. Februar nicht alle Mitglieder geladen worden seien. Tatsächlich wurde die Ablösung des Vorstands vor allem durch einzelne Funktionäre der NPD initiiert, die einen Ansehensverlust infolge der Wahl der ANM-Aktivisten befürchteten. Anschließend bemühte sich der neue Landesvorstand um einen Ausbau der schwachen Verbandsstrukturen. So fand am 3. Juni unter dem Motto "Jugend voran!" in Gremsdorf, Landkreis Erlangen-Höchstadt, eine Organisatorischer Saalveranstaltung mit rund 90 Teilnehmern statt. Im Mittelpunkt des Aufbau Treffens stand die Gründung der drei neuen JN-Stützpunkte Nürnberg, Nürnberger Land und Fürth. Als Redner traten u.a. der stellvertretende Vorsitzende des NPD-Landesverbands Bayern Uwe Meenen, der Vorsitzende des JN-Landesverbands Bayern Norman Bordin sowie die NPD-Funktionäre und ehemaligen Aktivisten der verbotenen F.A.F. Matthias Fischer und Martin Paulus auf. Aktivisten der neuen JN-Stützpunkte betonten ihre Bereitschaft, zum Gelingen der von Fischer vorgestellten "Schulhof-Kampagne" (vgl. auch Nummer 2.1.5.2 dieses Abschnitts) beizutragen. Auf dem JN-Bundeskongress am 1. April in Bernburg/Sachsen-Anhalt Bundeskongress wurde die Änderung des JN-Statuts und der Finanzordnung beschlossen. So soll u.a. die Mitgliedschaft mit Vollendung des 35. Lebensjahres (bisher: 30. Lebensjahr) enden. Grund für die Heraufsetzung des Austrittsalters dürfte das Ziel sein, die Mitglieder länger an die JN zu binden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 110 Rechtsextremismus 2.2 Deutsche Volksunion (DVU) Deutschland Bayern Mitglieder: 8.500 1.000 Vorsitzender: Dr. Gerhard Frey Bruno Wetzel Gründung: 1987 Sitz: München Publizistisches Sprachrohr: "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) 2.2.1 Ideologisch-politischer Standort Extremistische In ihrem Programm bekennt sich die DVU formal zur freiheitlichen Grundhaltung demokratischen Grundordnung, doch will sie einige für alle Menschen gültige Grundrechte, beispielsweise den Schutz der Familie, zu Bürgerrechten reduzieren, die ausschließlich Deutschen zustehen sollen. Die rechtsextremistische Grundeinstellung der Partei wird in Äußerungen führender Funktionäre sowie im Inhalt der im Verlag des Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard Frey erscheinenden National-Zeitung deutlich. Rassismus und Die rassistisch und nationalistisch geprägte Propaganda der Partei richNationalismus tet sich insbesondere gegen die Ausländerpolitik der Bundesregierung und die Europäische Union (EU). "Hätte man auf die Rechten gehört, die den Stopp des Massenzustroms Fremder und Allzufremder schon gefordert haben, als die Lage noch lange nicht so verfahren war wie nun der Fall, wäre diesem Land viel an schlimmen Multikulti-Zuständen erspart geblieben. (...) Gerade beim Zustrom Fremder gilt: Wer für alle offen ist, kann nicht ganz dicht sein." (NZ vom 7. April, Seite 12) "Seit mehr als einem Drittel Jahrhundert plärren uns herrschende Gesellschaftspolitiker, Rote und Grüne, Schwarze und Gelbe, die Ohren voll mit ihren Integrationssprüchen. Hunderte Milliarden sind für die verschiedensten Modelle schon verpulvert worden. Jetzt kommen uns Etablierte wieder mit ihren 'Weisheiten'. Alles ausgelatschte Trampelpfade, Irrund Holzwege!" (NZ vom 7. April, Seite 12) "Tatsächlich hat es nie zuvor eine solche Abzocke des deutschen Volkes durch die Obrigkeit gegeben wie gegenwärtig. Geld kommt genug ein in die öffentlichen Kassen. Es wird an falscher Statt zum Fenster hinausgeworfen. Das Sündenregister ist lang: Vom Durchfüttern schräger Zuzugsvögel aus aller Herren Länder bis zum Mästen der Brüsseler EU-Bonzokratie aus unserer Kasse, ..." (NZ vom 16. Juni, Seite 6) Zur EU-Osterweiterung entwarf die DVU folgendes Horror-Szenario: "Die EU-Osterweiterung wird zudem bald schon eine gigantische Welle von Armutsflüchtlingen, darunter viele Zigeuner, nach Mitteleuropa schwemmen, Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 111 die - vor allem nach der Aufnahme von Rumänien und Bulgarien - die SozialFremdensysteme der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zerreifeindlichkeit ßen dürften." (NZ vom 22. September, Seite 2) "Sind Rumänien und Bulgarien Mitglieder der EU, droht der Export von Korruption und Kriminalität im grenzenlosen Europa. (...) Man braucht wenig Phantasie dazu, um sich die Folgen für die Sicherheitslage in Deutschland vorstellen zu können." (NZ vom 6. Oktober, Seite 7) Ausländer werden häufig pauschal als Kriminelle oder Wirtschaftsflüchtlinge diffamiert, die eine Gefahr für die Innere Sicherheit darstellten: "Die Bundesrepublik Deutschland ist innerhalb der EU das Hauptziel legaler und illegaler Einwanderer aus aller Welt. (...) Sie finden sich als Straßenverkäufer raubkopierter CDs und DVDs, im Rotlichtmilieu oder als Drogenhändler wieder, wenn sie nicht gleich in die Schwerkriminalität abgleiten." (NZ vom 9. Juni, Seite 5) Die DVU vermeidet offenen Antisemitismus, wobei sich ihre antisemitiLatenter sche und antiisraelische Grundhaltung vielfach hinter massiver Kritik an Antisemitismus der Politik des Staates Israel verbirgt. "Wie man Israel, das am laufenden Band das Völkerrecht bricht und ein unmenschliches Besatzungsregime ausübt, immer noch als 'einzigen demokratischen Rechtsstaat im Nahen Osten' bezeichnen kann, ist schwer begreiflich. Und während der Hamas der Vorwurf gemacht wird, sie wolle den Staat Israel vernichten, lässt Israel einen palästinensischen Staat erst gar nicht zu." (NZ vom 3. Februar, Seite 5) "Heute kanzelt Merkel als Regierungschefin der absteigenden Mittelmacht Bundesrepublik alles ab, was sich israelischem Hegemoniestreben nicht unterwirft. (...) Die Bundeskanzlerin hatte sich als Lehrmeister der Staatenwelt auf der Münchner 'Sicherheitskonferenz' total mit Israels Interessen identifiziert, ohne dass die Lebensinteressen und der Nutzen des deutschen Volkes irgendeine Rolle spielen könnten. (...) Merkel hat keinerlei Interesse an einer verteidigungsfähigen Bundesrepublik Deutschland, jedoch größtes Interesse an der Allmacht eines atomar bewaffneten Israels." (NZ vom 24. Februar, Seiten 3/4) In der Agitation gegen jüdische Einrichtungen klingen mitunter auch revisionistische Tendenzen an: "Der Zentralrat der Juden wünscht sich hierzulande natürlich nur die erste Gruppe von Deutschen, 'die Devoten', welche Probleme mit sich und der eigenen Nation haben. (...) Um nicht vollends das Erpressungsmonopol aus der Hand zu geben und in die Vergangenheitsbewältigungs-Defensive zu geraten, will sich der Zentralrat der Juden nun noch mehr auf jene stürzen, die Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 112 Rechtsextremismus sich gegen verordnetes Denken nicht wehren können: die Kinder und Jugendlichen in den Schulen." (NZ vom 7 Juli, Seite 2) Revisionismus Wie bisher zählt die Kritik an der "extrem einseitigen Vergangenheitsbewältigung" zu den Schwerpunkten der Programmatik: "Merkel und Geistesverwandte aber lassen die deutsch-polnische Geschichte im September 1939 beginnen. Sie sehen die Alleinschuld für alles Negative auf deutscher Seite und konstruieren überdies eine Kollektivverantwortung, also Erbsünde, die auch alle kommenden Generationen unseres Volkes umfassen und entrechten soll." (NZ vom 17. März, Seite 13) "Wer glaubt, die rund 6.000 Mahnmale unterschiedlichster Größenordnungen in Deutschland zum Gedenken an die NS-Judenverfolgung - bis hin zum monströsen Holocaust-Mahnmal in Berlin - würden deutsche Schuld und Sühne ausreichend dokumentieren, sieht sich nahezu täglich im Irrtum. Landauf, landab werden immer neue Stellen ausfindig gemacht, an denen man deutscher Untaten gedenken will. (...) Erstaunlich: Trotz leerer Kassen hat die öffentliche Hand stets ausreichend Geld zur Verfügung, wenn es um die Anprangerung von deutschem Unrecht aus längst vergangener Zeit geht. Für deutsche Opfer fremden Unrechts aber braucht Deutschland offenbar keine Erinnerungsstätten." (NZ vom 10. März, Seite 6) Relativierung der Die Verbrechen der Nationalsozialisten werden zwar nicht ausdrücklich NS-Verbrechen geleugnet, doch wird versucht, diese durch wiederholte Hinweise auf Verbrechen anderer Völker zu relativieren. Hierzu bemerkte die NZ unter der Überschrift "Wieder US-Massaker aufgeflogen - US-Blutspur": "Überhaupt ist der Umgang mit der eigenen Vergangenheit in den USA merkwürdig: Während man mit Museen, Denkmälern, Bibliotheken usw. ausgerechnet deutsche Schuld beschwört und eine Holocaust-Gedenkstätte nach der anderen einweiht, sucht man vergebens nach einem Mahnmal zu Ehren der vielen Millionen ausgerotteten Indianer oder aber auch nach einem Denkmal, das in irgendeiner Weise die barbarische Negersklaverei aufbereiten würde. Undenkbar sind in den USA auch Mahnmale zur Erinnerung an die Opfer von mehr als 200 Einsätzen kriegerischer US-Truppen (davon nur fünf mit Kriegserklärung)." (NZ vom 9. Juni, Seite 7) Die DVU nahm das Bekenntnis eines Schriftstellers, Ende des Zweiten Weltkriegs Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, zum Anlass einer revisionistisch geprägten Kampagne mit dem Ziel einer "Entdämonisierung" dieser Truppe. So hieß es unter der Überschrift "Waffen-SS: Endlich Gerechtigkeit?": "Dem Leid des Krieges folgten für Waffen-SS-Männer nicht selten Torturen in alliierten Konzentrationslagern. (...) Dabei hatten Frontkämpfer nun wahrhafVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 113 tig nichts mit dem furchtbaren und grausamen Terror in den KZ zu tun. Schon während des Krieges wurden zahlreiche Angehörige der Waffen-SS nach ihrer Gefangennahme ermordet; nach Kriegsende waren Misshandlungen und willkürliche Erschießungen alltäglich. Im Zivilleben waren Waffen-SS-Männer nach 1945 Diffamierungen und Benachteiligungen ausgesetzt, obwohl sie beim Aufbau der Bundesrepublik Faszinierendes leisteten." (NZ vom 25. August, Seite 4) Nach wie vor ist die Partei bestrebt, rechtsextremistisch motivierte Verharmlosung Gewalt zu relativieren. Unter der Überschrift "Alltag in Deutschland" rechtsextremiswar in der NZ zu lesen: tischer Gewalt "Das Fernsehen präsentiert am laufenden Bande zumeist erfundene Schandtaten so genannter Rechter. Dadurch werden systematisch Nachahmungstäter gezüchtet, die mit ihren Rechtsbrüchen einer antideutschen Meinungsindustrie Material für eine hasserfüllte Berichterstattung liefern. Jede Schandtat, ob erfunden oder echt, dient der Entrechtung des deutschen Volkes." (NZ vom 28. April, Seite 4) "Das Zusammenspiel zwischen Agenten, die derlei Straftaten entweder auftragsgemäß inszenieren oder schüren, zwischen Polit-Bonzen, die eigene Machenschaften verdrängen und lästige Polit-Konkurrenz von rechts vom Hals haben möchten, zwischen Irren und Psychopathen, die tatsächlich solche Schurkentaten verüben, zwischen Nachahmungstätern, die zweifelsfrei durch übermächtige Sensationsberichterstattung gezüchtet wurden und einer vor nichts zurückschreckenden Meinungsindustrie, die Deutschenhass als Antriebsfeder hat, funktioniert nahezu perfekt." (NZ vom 5. Mai, Seite 1/2) Häufig werden demokratische Institutionen und ihre Repräsentanten Diffamierung diffamiert. Auf diese Weise soll das Vertrauen in diese Institutionen und demokratischer den von ihnen getragenen Rechtsstaat untergraben werden. Die WortInstitutionen wahl macht deutlich, dass es sich dabei nicht um Kritik an einzelnen Entscheidungen oder Entscheidungsträgern handelt, sondern am System der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie: "Während Millionen Rentner in die Armut getrieben werden und Millionen Deutsche im arbeitsfähigen Alter auf der Straße stehen, stopfen sich die Politiker ungeniert die Taschen voll." (NZ vom 17. März, Seite 1) "Herrschende aber setzen skrupellos weiter auf Sozialabbau. Für sich selbst hingegen haben sie ein Polit-Schlaraffenland geschaffen. Diäten und Fabel-Vergünstigungen versüßen das Leben bundesdeutscher Politiker. Nie war die Kluft zwischen den Luxusgehältern der Politiker und der Altersversorgung der Bevölkerung größer. Der Einfallsreichtum von Polit-Bonzen ist atemberaubend, wenn es darum geht, die eigenen Bürger zu schröpfen. (...) Was Herrschende in diesem Lande veranstalten, hat nichts, Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 114 Rechtsextremismus aber auch gar nichts mehr damit zu tun, Schaden vom deutschen Volk zu wenden und seinen Nutzen zu mehren." (NZ vom 2. Juni, Seite 1) "Es ist hoch an der Zeit, dass endlich auch das etablierte Parteienkartell, das Deutschland ins Elend führt, ausgewechselt wird." (NZ vom 30. Juni, Seite 1) 2.2.2 Organisation Rückläufige Die Mitgliederzahl der DVU liegt bundesweit bei 8.500 (2005: 9.000). Mitgliederzahl In Bayern verlor die Partei etwa 100 Mitglieder, so dass der derzeitige Mitgliederstand 1.000 Personen beträgt. Seit 1994 hat die Partei damit 11.500 Mitglieder verloren. Die DVU hat keine Jugendorganisation und betreibt keine Jugendarbeit. Sie verfügt in allen Bundesländern nominell über Landesverbände, die jedoch öffentlich kaum in Erscheinung treten. Auf Bezirks-, Kreisund Ortsebene ist die DVU organisatorisch ebenfalls kaum vertreten. Der bedingungslose Machtanspruch des Vorsitzenden Dr. Gerhard Frey lässt den Unterorganisationen keinen Handlungsspielraum. Im Verlag des Parteivorsitzenden erscheint die "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) als Werbeträger und publizistisches Sprachrohr der DVU. Nach wie vor ist die DVU bei ihrem Vorsitzenden verschuldet. Die Personalunion von Vorsitzendem und Kreditgeber verleiht Dr. Frey eine ungewöhnliche Machtfülle. 2.2.3 Wahlbündnis mit der NPD Die Vorsitzenden von DVU und NPD, Dr. Gerhard Frey und Udo Voigt, hatten nach den Wahlerfolgen in Brandenburg und Sachsen im Jahr 2004 beschlossen, dass beide Parteien auch bei der folgenden Bundestagswahl und der Europawahl 2009 kooperieren werden. Künftig solle möglichst nur eine "nationale Liste" aufgestellt werden. Am 15. Januar "Deutschland-Pakt" 2005 schrieben die Parteivorsitzenden in einer als "Deutschland-Pakt" bezeichneten Vereinbarung ihre weitere Zusammenarbeit für die Wahlen auf Europa-, Bundesund Landesebene bis 2009 fort. Dementsprechend verzichtete die DVU im Jahr 2006 zugunsten der NPD auf die Teilnahme an den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Absprachegemäß kandidierten wie bisher bei Wahlen Angehörige der NPD bzw. DVU auf Listen der jeweils anderen Partei. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 26. März hoffte die DVU, durch Agitation gegen soziale Reformen und eine gezielte WerbeVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 115 kampagne um junge Wähler an den Erfolg von 1998 anknüpfen zu könLandtagswahl in nen. Auf ihrer Liste kandidierten auch drei NPD-Mitglieder. Nach dem Sachsen-Anhalt amtlichen Endergebnis erreichte sie mit 26.905 Zweitstimmen einen Stimmenanteil von 3,0 % (1998: 12.9 %). Damit hat sie ihr Wahlziel deutlich verfehlt. An der Landtagswahl 2002 hatte sich die Partei wegen des desolaten Zustands ihrer damaligen Landtagsfraktion nicht mehr beteiligt. Ihr Wahlkampf war besonders bei jungen Wählern erfolgreich. So erhielt die DVU bei den unter 30-jährigen Wahlberechtigten 8 % der Stimmen. Der Spitzenkandidat Ingmar Knop hatte nach eigenen Angaben 250.000 "Jungwählerbriefe" mit DVU-Werbematerial verschickt. Weiterhin wurden im Vorfeld CD's mit dem Titel "Stolz und Frei" an Schulen verteilt. Auf ihrer Internet-Seite äußerte sich die DVU enttäuscht über ihr Abschneiden. Unter der Überschrift "Das rechte Potenzial parkt (noch) in der Stimmenthaltung" trat sie für eine Abschaffung der 5 %-Klausel ein und betonte die Notwendigkeit, bei künftigen Wahlen auf die "Fehlkalkulation" hinzuweisen, man könne mit Enthaltung "dem 'Schnauze voll'-Gefühl gegen die Etablierten Luft machen". Ferner erklärte sie, an dem "Deutschland-Pakt" mit der NPD festhalten zu wollen, und rief die "ehrbaren Aktivisten der Republikaner" auf, den "Kurs des rechten Gegeneinanders endlich zu stoppen". 2.3 Sonstige Organisationen Neben der Partei "Die Republikaner" (REP) gibt es teils regional, teils bundesweit tätige sonstige rechtsextremistische Organisationen, die vielfach nur publizistisch aktiv sind. Etwaige Aktivitäten beschränken sich im Allgemeinen auf interne Veranstaltungen, die kaum Außenwirkung entfalten. Zu nennen sind hier insbesondere die Gruppierungen - Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) - Deutsche Partei - Die Freiheitlichen (DP) - Deutsches Kolleg (DK) - Deutschland-Bewegung/Friedenskomitee - Freundeskreis Ulrich von Hutten - Gesellschaft für Freie Publizistik (GFP). Weitere rechtsextremistische Organisationen sind unter Nummer 9 dieses Abschnitts aufgeführt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 116 Rechtsextremismus 2.4 Rechtsextremistische Bündnisbestrebungen im Raum München 2.4.1 Freundeskreis Demokratie Direkt München Bayern Anhänger: 15 Leiter: Roland Wuttke Gründung: 2004 Sitz: München Publikation: "München Direkt" Ende 2003 hatte sich die rechtsextremistische Vereinigung "Demokratie Direkt München e.V." selbst aufgelöst. Umbenannter Ihr ehemaliger Leiter Roland Wuttke setzte seine Aktivitäten unter der Zusammenschluss Bezeichnung "Freundeskreis Demokratie Direkt München" fort. Im Jahr von Rechts2004 organisierte er mit seiner umbenannten Gruppierung im Raum extremisten München zahlreiche Mahnwachen, Informationsstände und Demonstrationen. Hierbei arbeitete er sowohl mit Aktivisten der Kameradschaft München als auch mit der NPD zusammen. Seit seiner Wahl zum Vorsitzenden des NPD-Kreisverbands München im Februar 2005 und seiner anschließenden Wahl zum Vorsitzenden des NPD-Bezirksverbands Oberbayern im April konzentriert sich Wuttke vorwiegend auf die Parteiarbeit; so betreut er die Internet-Präsenz des NPD-Bezirksverbands Oberbayern. Im Berichtszeitraum waren keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen des "Freundeskreises Demokratie Direkt München" zu verzeichnen. FremdenWuttke publiziert regelmäßig auf der Internet-Seite des "Freundeskreises feindlichkeit Demokratie Direkt München". In einem Beitrag ",Integration' bis zum Bürgerkrieg" agitierte er dort pauschal gegen Ausländer in Deutschland: "Die wachsenden islamischen Ghettos in den Städten sind Brückenköpfe einer Landnahme. Das Regime versucht diesen vorsätzlich herbeigeführten und geduldeten Angriff auf die Subtanz des deutschen Volkes herunterzuspielen und zu verharmlosen. Es will von Hochverrat, Eidund Verfassungsbruch der Handelnden ablenken. (...) Die politische Klasse hält am Konzept der 'Integration' Integrationsunwilliger fest, koste es was es wolle. Sie muß dies tun, um ihre ideologischen Fehler nicht eingestehen zu müssen. Materialistisch durch und durch, hält sie das Geld für das Bindemittel, mit dem sich alles regeln ließe. Der Bürgerkrieg scheint unvermeidbar. Er wird wohl notwendig um überkommene Denkmuster über Bord zu werfen." (Anmerkung: Fehler wurde übernommen) Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 117 2.4.2 Bürgerinitiative "Pro München e.V." Bayern Anhänger: 20 Sprecher: Stefan Werner Gründung: Januar 2006 Sitz: München Publikation: "Bürgerbewegung Pro München - patriotisch & sozial" Die Bürgerinitiative "Pro München e.V." wurde Mitte Januar in München Rechtsextremistigegründet. An der Gründungsversammlung nahmen Personen aus dem sche Wahlplattform Umfeld der NPD, DP, DVU und REP teil. Als Sprecher der Vereinigung fungieren Funktionäre der DP und der NPD. Die Gruppierung bezeichnet sich als "national-patriotisch-freiheitliches Bündnis" und will bei der Kommunalwahl 2008 in München antreten. Den Anstoß zu dieser Sammlungsbewegung gab offenbar der Erfolg des von der NPD dominierten "Nationalen Bündnisses Dresden e.V." (NBD), das bei der sächsischen Kommunalwahl am 13. Juni 2004 mit einem Stimmenanteil von 4,0 % drei Stadtratssitze errungen hatte. In der Öffentlichkeit trat die Gruppierung erstmals auf dem "8. MünchNeujahrstreffen ner Neujahrstreffen" am 22. Januar auf. Unter der Leitung der DP versammelten sich in einer Münchener Gaststätte rund 120 Vertreter rechtsextremistischer Organisationen, um die Perspektiven eines "gemeinsamen politischen Kampfs" zu erörtern. An der Veranstaltung beteiligten sich Funktionäre und Mitglieder der NPD, DVU und DP sowie Angehörige der neonazistischen Kameradschaft München. Ein Funktionär der NPD referierte über die Tätigkeit der NPD in Sachsen. Für die neue Bürgerinitiative "Pro München e.V." warb der NPD-Funktionär Roland Wuttke. 2.5 Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH (DSZ-Verlag) Der 1958 gegründete, von Dr. Gerhard Frey geleitete DSZ-Verlag in Bedeutendstes München ist weiterhin das bedeutendste rechtsextremistische Proparechtsextremisgandainstrument in Deutschland. Die wöchentliche Auflage der im Vertisches Propagandalag erscheinenden "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) instrument beträgt rund 38.000 Exemplare. Als publizistisches Sprachrohr der DVU vertritt die NZ deren nationalistische, rassistische und revisionistische Grundhaltung. Die Beiträge sind geprägt von Vereinfachung, Schematisierung und dem Aufbau von FreundFeind-Bildern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 118 Rechtsextremismus Nationalismus Unter der Überschrift "Invasion aus Afrika" wurde das Szenario eines und Fremden"massenhaften Flüchtlingszustroms" entworfen: feindlichkeit "Nach wie vor dringen Massen afrikanischer Wirtschaftsflüchtlinge in den EU-Raum ein. (...) Als harmloseste Variante verdingen sich illegale Einwanderer als Schwarzarbeiter beispielsweise auf Baustellen oder in der Gastronomie, was aber gleichwohl angesichts des Massenheeres deutscher Arbeitsloser sowie der hinterzogenen Steuern und Sozialabgaben großen volkswirtschaftlichen Schaden anrichtet. Werden solche Schwarzarbeiter krank, gehen sie nicht selten mit der Versicherungskarte eines krankenversicherten Bekannten zum Arzt. Noch verheerender aber wirken sich die kriminellen Aktivitäten aus, mit denen viele illegale Einwanderer ihre Schulden bei den Schleuserbanden abarbeiten." (NZ vom 26. Mai, Seite 1) In einem Beitrag "Wie Deutschland kaputtgespart wird" hieß es: "Wo der Staat wirklich sinnvoll sparen könnte - darüber macht sich die Bundesregierung keine Gedanken: An den weit überhöhten Zahlungen Deutschlands an die EU, die sich ab 2007 weiter massiv erhöhen werden, an den Milliardenaufwendungen für deutsche Militäreinsätze in entfernten Weltgegenden, wo wir nichts zu suchen haben, oder an den immensen Aufwendungen für Hunderttausende Scheinasylanten oder die Integrationsund Unterstützungsmaßnahmen für Millionen armer und arbeitsloser Ausländer, die großteils nicht zu integrieren sind. Lieber spart man bei den Deutschen!" (NZ vom 10. März, Seite 5) Nationalistische und fremdenfeindliche Bestrebungen kamen auch in einem Beitrag "Gipfel der Heuchelei - Zur Debatte über Integration und Gewalt an deutschen Schulen" zum Ausdruck: "Für kurdische Großfamilien ist die deutsche Sozialhilfe kein Trauma, sondern häufig ein Traumziel. Mehr und mehr fragt sich inzwischen aber der deutsche Steuerzahler, wieso er verpflichtet sein soll, den Verbleib von integrationsunwilligen und integrationsunfähigen Ausländern zu finanzieren, die sein Land und ihn selbst zum Dank nicht selten auch noch verachten. (...) Der Multikulturalismus hat die Fundamente der staatlichen Institution (Schulen, Verwaltungen, Rechtspflege) untergraben, Haushaltsund Sozialkassen ruiniert sowie viele Deutsche zu Fremdlingen im eignen Land werden lassen." (NZ vom 21. April, Seiten 9/10) Antisemitismus Eine antisemitische Grundhaltung wurde in mehreren Artikeln deutlich: "Kanzlerin Merkel schmolz bei ihrem Nahostbesuch Anfang der Woche vor Israels amtierendem Ministerpräsidenten Ehud Olmert geradezu dahin. (...) Frau Merkel betonte, aus der Singularität des Holocausts folge eine immerwährende Einzigartigkeit der deutsch-israelischen Beziehungen, stellte ewige Buße und Sühne der Deutschen wegen der NS-Untaten vor über 60 Jahren in Aussicht, ..." (NZ vom 3. Februar, Seite 1) Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 119 "Während in Deutschland überall die Sozialleistungen für Arme zusammengestrichen werden und das Geld allerorten für das Nötigste fehlt, scheinen immer noch Unsummen vorhanden zu sein, wenn es um die Unterstützung der Kriegspolitik Israels geht." (NZ vom 7. April, Seite 2) "Jüdische Lobbyisten in Deutschland sind sehr erfindungsreich, wenn es darum geht, Geldquellen zu erschließen. Dabei bitten sie nicht nur die öffentliche Hand, also den Bund, die Länder und Kommunen zur Kasse, sondern auch deutsche Unternehmen. Alle diese Institutionen, so argumentieren sie, müssten sich zu einer aus der deutschen Vergangenheit resultierenden Verantwortung, insbesondere im Hinblick auf die NS-Judenverfolgung, bekennen. Dabei wird weniger Wert auf verbale Bekenntnisse gelegt, sondern man will vor allem eines sehen: Geld, meist sehr viel Geld." (NZ vom 20. Oktober 2006, Seite 5) In einem Kommentar "Die Kardinalfehler der Altparteien" wurde die Revisionismus Thematik der Vergangenheitsbewältigung aufgegriffen: "Große Energie stecken Etablierte weiterhin in antideutsche Bewältigungspolitik. Auf deutschem Boden befinden sich Abertausende Bußund Sühnestätten, die mit Unsummen deutscher Steuergelder gehegt und gepflegt werden. Jetzt soll in München ein aufwendiges NS-Dokumentationszentrum entstehen." (NZ vom 29. September, Seite 1) "In Berlin gibt es bereits rund 600 Mahnmale, Gedenkstätten, Forschungsund Dokumentationszentren, die dem NS-Unrecht gewidmet sind. (...) Unabhängig davon stellt sich jedoch die Frage, ob es gerechtfertigt ist, dass über sechs Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu den bereits vorhandenen zahlreichen deutschen Schuldmalen immer neue hinzukommen, die heutige und kommende deutsche Generationen in eine Kollektivhaftung nehmen sollen, während eine solche Anprangerung eigener Untaten in keinem anderen Staat der Welt üblich ist." (NZ vom 3. Februar, Seite 2) Wie in den Vorjahren wurden demokratische Institutionen und ihre Diffamierung Repräsentanten häufig diffamiert: demokratischer Institutionen "Unser Volk hat Kriege und Katastrophen überlebt. An Dekadenz, Werteverfall und Gleichgültigkeit, vorgelebt von Massenmedien und Polit-Bonzen, droht es nun zu zerbrechen. (...) Die Schuldigen sitzen an den einflussreichsten Positionen dieser Gesellschaft. Seit vielen Jahrzehnten. Und sie werden nach Lage der Dinge verbrannte Erde hinterlassen, wenn sie mit uns fertig sind." (NZ vom 6. Oktober, Seite 2) "Geht man davon aus, dass jede Stimme für Rechte eine Ohrfeige für Etablierte ist, dann haben sich Polit-Versager diese Abreibung aber auch wirklich verdient. (... ) Denn was Merkel, Müntefering und Gernegrößen in dieser Republik anVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 120 Rechtsextremismus richten, geht auf keine Kuhhaut mehr. (...) Die Deutschen waren sich selten so einig: Polit-Bonzen verprassen unser Geld, während das Volk immer weiter geschröpft wird. (...) Polit-Obere versagen nicht nur auf allen Lebensbereichen deutscher Interessen, sie leben zudem eine geradezu unerträgliche Arroganz vor, die den Wähler nachdrücklich provoziert. (...) Wie Hohn klingen etablierte Schwüre, die eigene Kraft 'dem Wohle des deutschen Volkes' zu widmen. (...) Sie verplempern unser Geld, kassieren ab, drehen hinter den Kulissen krumme Dinger und schrecken selbst vor Kriegen am Rockzipfel US-Amerikas nicht zurück." (NZ vom 29. September, Seite 1) Typisches Kennzeichen der NZ ist ihr ständig betonter Wahrheitsanspruch, mit dem sie alle anderen Informationen und Meinungen indirekt als falsch bezeichnet: "Informieren Sie sich Woche für Woche über die wahren Hintergründe des politischen und historischen Geschehens aus der NATIONAL-ZEITUNG. NATIONAL-ZEITUNG-Leser wissen die Wahrheit." (NZ vom 21. April, Seite 10) 2.6 Nation Europa Verlag GmbH Bedeutendes Der Nation Europa Verlag in Coburg wurde 1953 gegründet. Ein Jahr rechtsextremisspäter konstituierte sich der mit den politischen Interessen des Verlags tisches Theorieeng verbundene Verein Nation-Europa-Freunde e.V., dem derzeit etwa organ 200 Mitglieder angehören. Herausgeber der im Verlag erscheinenden Monatsschrift "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" sind die Rechtsextremisten Peter Dehoust und Harald Neubauer. Die Zeitschrift bietet Rechtsextremisten eine publizistische Plattform. Mit einer Auflage von 18.000 Exemplaren gehört sie zu den wichtigsten rechtsextremistischen Theorieorganen. Revisionismus und "Nation & Europa" (NE) verbreitet Beiträge, die in einer Gesamtschau Rassismus eine revisionistische, rassistische und antisemitische Grundhaltung erkennen lassen. "Es stimmt schlicht und einfach nicht, daß die Wirtschaftswunderjahre eine ,bürgerliche' Ära gewesen wären. Richtig ist vielmehr, daß das Wirtschaftswunder und infolgedessen Millionen von Deutschen ein bescheidener Wohlstand gelang, weil Währungsreform und Wiederaufbau auf die Dynamik einer zutiefst egalitären Gesellschaft bauen konnten, für die das Dritte Reich die Voraussetzungen geschaffen hatte." (NE vom Mai 2006, Seite 47) "Vom Erfolg einstiger Zivilisierungsbemühungen europäischer Mächte zeugen heute das Commonwealth und die frankophone Welt (unbeschadet der Frage, was gewonnen sein soll, wenn Farbigen abendländische Idiome und Umgangsformen anerzogen werden). (...) So Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 121 banal es ist: Kolonialmächte wie Frankreich oder England traten ihren außereuropäischen Untertanen im selbstverständlichen Bewußtsein ihrer kulturellen Überlegenheit gegenüber. Vergleichbare Selbstgewißheit im Angesicht Hunderttausender türkischer, nordoder schwarzafrikanischer Immigranten sucht man bei den europäischen Zuwanderungsgesellschaften unserer Tage vergebens." (NE vom Juni 2006, Seite 9) 3. Neonazismus 3.1 Allgemeines Der Neonazismus umfasst alle Aktivitäten und Bestrebungen, die ein offenes Bekenntnis zur Ideologie des Nationalsozialismus darstellen und auf die Errichtung eines vom Führerprinzip bestimmten autoritären bzw. totalitären Staates gerichtet sind. Schwerpunktthemen waren wie in den AgitationsVorjahren die angebliche staatliche Verfolgung des "nationalen Lagers", schwerpunkte die Ausländerund Asylpolitik der Bundesregierung sowie rassistische und antisemitische Agitation. Seit 2004 werden vermehrt sozialpolitische Themen, insbesondere die Folgen von "Hartz IV", diskutiert. Die Gewinner der seit den Verboten neonazistischer Organisationen einsetzenden Ideologieund Strategiedebatte des "nationalen Lagers" Ideologische sind die NPD und die JN bzw. deren aus der neonazistischen Szene Durchdringung stammende Führungskader. Deren neonazistische und nationalrevoluder NPD tionäre Gedankenelemente sind inzwischen integraler Bestandteil des ideologischen Spektrums der NPD geworden und haben das Erscheinungsbild der Partei nachhaltig verändert. Die Verzahnung des rechtsextremistischen Spektrums zwischen der Schulterschluss NPD, neonazistischen Kameradschaften und politisch agierenden rechtsdes rechtsextremistischen Skinhead-Szenen kommt immer deutlicher zum Ausextremistischen druck. Grund für diese Entwicklung ist nach Ansicht der Initiatoren der Spektrums ungeheure staatliche Druck auf alle "Nationalen", dem man nur mit Geschlossenheit begegnen könne, um weitere Verbote von Parteien und Organisationen zu verhindern. Einzelne Neonazis, die sich als "autonome Nationalisten" bezeichnen, fordern militantere Aktionsformen. Dabei lehnen sie sich stark an linksextremistische Aktionsmuster an und teilen mit nationalrevolutionären Zirkeln die strikte Ablehnung des Parlamentarismus. Den Kameradschaften gehören nicht mehr ausschließlich Neonazis an. Vermehrt werden auch rechtsextremistische Skinheads eingebunden, die aufgrund ihrer politischen Aktivitäten den Bereich der losen Szenen verlassen haben. So wurden in den vergangenen Jahren zunehmend Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 122 Rechtsextremismus Örtliche "Misch-Szenen" aus Neonazis und rechtsextremistischen Skinheads fest"Misch-Szenen" gestellt. Dazu gehören beispielsweise die Kameradschaft Asgard-Ratisbona in Regensburg und der Kameradschaftsbund Hochfranken. Führende "freie Nationalisten" engagieren sich in der NPD. So treten seit Jahren vermehrt Neonazis in die Partei ein. Teilweise erreichten sie leitende Positionen, wie z.B. Norman Bordin, der seit 2004 NPD-Mitglied und seit 2006 Vorsitzender der JN in Bayern ist. Neonazistisches Das Potenzial des neonazistischen Lagers in Bayern erhöhte sich aufPotenzial grund der zunehmenden Politisierung der Skinheads auf rund 350 Personen (2005: 300); davon betätigen sich etwa 190 (2005: 160) in neonazistischen Organisationen. Dem Spektrum rechtsextremistisch orientierter Skinheads gehören rund 750 Personen (2005: 800) an. Damit zählt das gewaltbejahende rechtsextremistische Potenzial in Bayern unverändert etwa 1.100 Personen. 3.2 Neonazi-Kameradschaften Strukturlose Nach dem Verbot zahlreicher rechtsextremistischer Organisationen seit Zusammen1992 entwickelten führende Neonazis das Konzept strukturloser schlüsse Zusammenschlüsse. Dadurch sollten staatliche Gegenmaßnahmen erschwert werden. Bei diesen Kameradschaften gibt es weder eine formelle Mitgliedschaft noch Vorstandspositionen. Anführer ist meist ein aktiver Rechtsextremist, der es versteht, seinen Gefolgsleuten die den ideologischen Zusammenhalt stärkenden "Feindbilder" zu vermitteln. In Bayern sind folgende neonazistische Kameradschaften erwähnenswert: 3.2.1 Kameradschaft München Die seit Frühsommer 2004 unter der Bezeichnung "Kameradschaft Zusammenschluss München" aktive Gruppe zählt rund 20 Anhänger. Diese rekrutierten von Neonazis sich zum Teil aus Mitgliedern der im Herbst 2003 durch Exekutivmaßnahmen zerschlagenen "Kameradschaft Süd-Aktionsbüro Süd" (AS). Ihr Leiter war der Neonazi Norman Bordin, der Ende 2001 das AS gegründet hatte, bis März 2004 eine Freiheitsstrafe verbüßte und danach wieder die Führung der verbliebenen Mitglieder des AS übernahm. Die Gruppierung organisierte zahlreiche Demonstrationen, Mahnwachen und Info-Stände; auch beteiligte sie sich an Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Organisationen. So nahmen Angehörige der Kameradschaft München am 22. Januar an dem "8. politischen Neujahrstreffen" in München teil, auf dem das Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 123 Mitte Januar entstandene Wahlbündnis "Pro München" vorgestellt wurde. Die Veranstaltung diente dem Zweck, Rechtsextremisten aus unterschiedlichen Lagern zu sammeln und eine gemeinsame Plattform für Landtagsund Kommunalwahlen zu schaffen. Das überregionale Engagement der Kameradschaft München zeigt sich an intensiven Kontakten zu anderen bayerischen Neonazi-Gruppen. Die Verbindungen zur NPD wurden seit dem Parteieintritt von Norman Bordin im Herbst 2004 weiter intensiviert. Im Jahr 2006 haben die öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen der Gruppierung abgenommen, da sich Bordin aufgrund seiner Funktion als bayerischer JN-Vorsitzender vermehrt für parteipolitische Belange engagiert. 3.2.2 Autonome Nationalisten München (ANM) Die Autonomen Nationalisten München (ANM), die sich auch "Munich Spaltergruppe der Allstars" nannten, wurden im Sommer 2005 von Dissidenten der KameKameradschaft radschaft München gegründet. Ursache der Abspaltung war vor allem München ein Machtkonflikt zwischen Bordin und seinem Stellvertreter Hayo Klettenhofer. Bordins angeblich zu wenig gewaltorientierter Kurs war innerhalb der Kameradschaft München nach mehreren Übergriffen linksextremistischer Aktivisten zunehmend umstritten. Erstmals traten die ANM unter Führung von Klettenhofer am 2. Juni 2005 in Bayern öffentlich auf. Die einheitlich schwarz gekleideten elf Aktivisten trugen zur Tarnung Sonnenbrillen und schwarze Baseballmützen. Am 14. Januar beteiligten sich in München etwa 150 Rechtsextremisten Vielfältige an einer von einem ANM-Aktivisten angemeldeten Versammlung unter Kontakte dem Motto "Beckstein auf die Pelle rücken - Polizeiwillkür stoppen!". An der Kundgebung nahmen Angehörige der ANM, der rechtsextremistischen Gruppierung "Asgard Ratisbona" aus Regensburg, der Kameradschaft Stuttgart und der rechtsextremistischen Skinhead-Szene aus dem Raum Bodensee teil. Die Demonstranten zeigten Transparente mit der Aufschrift "Aufbau - Angriff - Revolution". Als Redner traten u.a. der informelle Führer der ANM Hayo Klettenhofer sowie die bundesweit aktiven Neonazis Christian Worch und Hartmut Wostupatsch auf. Während des Aufzugs skandierte Klettenhofer auf einem Lautsprecherwagen die Parole "Deutschland - Bullenstaat - Wir haben dich zum Kotzen satt!". Aufgrund dessen wurde er wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole rechtskräftig verurteilt. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 124 Rechtsextremismus 3.2.3 Kameradschaft Asgard-Ratisbona In Regensburg besteht seit Herbst 2004 die von einem NPD-Aktivisten gegründete und geleitete Kameradschaft Asgard-Ratisbona. Die Gruppierung, die sich überwiegend aus Skinheads und Neonazis der rechtsextremistischen Szenen in Abensberg, Kelheim und Regensburg rekruUmfangreiche tiert, zählt etwa 20 Personen. Sie trat in Regensburg und der näheren Aktivitäten Umgebung mit Informationsständen, Flugblattaktionen und Mahnwachen in Erscheinung. So forderte sie am 22. April bei einer Versammlung in Regensburg "Null Toleranz gegen linke Gewalt". Während der Veranstaltung zeigten die Teilnehmer ein Transparent mit der Aufschrift "Zerschlagt den roten Terror! - Eine andere Jugend! Eine revolutionäre Idee! Eine neue Zukunft!". Des Weiteren beteiligte sich die Kameradschaft an öffentlichen Versammlungen der NPD in Regensburg sowie an sonstigen rechtsextremistischen Veranstaltungen in München und Nürnberg. 3.2.4 Kameradschaft Main-Spessart Die im Großraum Würzburg im Jahr 2005 gegründete Kameradschaft Main-Spessart besteht aus 10 bis 15 Mitgliedern. Die Gruppierung trat erstmals im Oktober 2006 mit einer Verteilaktion öffentlichkeitswirksam auf. Dabei wurden im Bereich eines Schulzentrums in Lohr am Main etwa 40 Aufkleber verbreitet, auf denen u.a. Horst Wessel in SA-Uniform mit dem Spruch "Frei, sozial und national!" abgebildet war. Ein weiteres Motiv zeigte ein - entsprechend der NS-Propaganda - arisch aussehendes Paar mit dem Text: "Kämpfe mit uns! Deine Heimat Deine Zukunft". Derartige Aufkleber wurden am 15. Oktober auch in einer Gaststätte in Aschaffenburg festgestellt. 3.2.5 Anti-Antifa Nürnberg Die Anti-Antifa Nürnberg ist nach eigenen Angaben ein Zusammenschluss von Personen, der sich die Aufklärung von "politischen Gegnern" zum Ziel gesetzt hat. Sie betreibt eine Internet-Plattform, die über linksextremistische - vor allem autonome - Aktivitäten im Großraum Nürnberg informiert. Mit einer Flugblattaktion am 23. Juni in Fürth forderte die Gruppierung "Werdet aktiv gegen Linksextremisten in Fürth!". Die Schriften enthielten die Namen, Adressen und Bilder von politischen Gegnern. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 125 3.2.6 Kameradschaftsbund Hochfranken Der Anfang 2006 von Anhängern der Kameradschaften Wunsiedel und OrganisationsHof gegründete Kameradschaftsbund Hochfranken gehört zu den übergreifender aktivsten Neonazi-Gruppierungen in Nordbayern. Er zählt etwa 25 MitZusammenschluss glieder und versteht sich als ein loser parteiund organisationsübergreifender Zusammenschluss von "Nationalisten und Patrioten" aus dem gesamten ostoberfränkischen Raum. Viele Anhänger des Kameradschaftsbunds sind gleichzeitig NPD-Mitglieder. Die Gruppierung betreibt eine eigene Internet-Seite. Ihr regelmäßig erscheinender Rundbrief "Wunsiedler Feldpost" berichtet über Aktivitäten der regionalen Neonazi-Szene und thematisiert die Ideologie des Nationalsozialismus. Das von ihr herausgegebene Fanzine "Wunsiedler Widerstand - Ausgabe Nummer 1 -" befasst sich sowohl mit skinhead-typischen Inhalten - wie der Vorstellung von Musikgruppen und Konzertberichten - als auch mit politischen Themen. Die Gruppierung organisierte mehrere Skinhead-Konzerte in Wunsiedel (vgl. auch Nummer 4.5 dieses Abschnitts). Bei diesen traten Mitglieder des Kameradschaftsbunds als Ordnerpersonal auf und trugen T-Shirts mit dem Aufdruck "Ordner" und "KB Hochfranken". Daneben führte die Gruppierung auch politische Veranstaltungen durch, so etwa den "1. Nationalen Frankentag". Weiter fanden auch interne Schulungsveranstaltungen für Angehörige der rechtsextremistischen Szene statt. 3.2.7 Kameradschaft Augsburg Die seit 2004 bekannte Kameradschaft Augsburg zählt etwa 15 Personen. Anlässlich einer Gedenkveranstaltung der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA) am 1. November in Augsburg kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen Personen des rechtsund linksextremistischen Spektrums. Dabei wurden sechs Rechtsextremisten, darunter auch Angehörige der Kameradschaft Augsburg, festgenommen. Die Gruppierung unterhält enge Kontakte zum "Augsburger Bündnis - Nationale Opposition e.V." und zur Kameradschaft München. 3.3 Aktivitäten zum 19. Todestag von Rudolf Heß Anlässlich des 19. Todestags von Hitlers ehemaligem Stellvertreter Rudolf Heß meldete der Neonazi und Rechtsanwalt Jürgen Rieger für den Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 126 Rechtsextremismus Erneutes 19. August eine zentrale Gedenkveranstaltung in Wunsiedel an. Das VersammlungsLandratsamt Wunsiedel erließ einen Verbotsbescheid, der sich insverbot besondere auf die am 1. April 2005 in Kraft getretene Vorschrift des SS 130 Abs. 4 StGB stützte. Danach macht sich derjenige strafbar, der in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewaltund Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt. Bereits im Vorjahr hatte die Versammlungsbehörde die zentrale Heß-Kundgebung verboten. Die dagegen eingelegten Rechtsbehelfe blieben im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth, dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht erfolglos. Aufgrund des aktuellen Stands des derzeit beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof anhängigen Hauptsacheverfahrens geht das Bundesverfassungsgericht von einer Klärung der strittigen Rechtsfragen bis zur Heß-Gedenkveranstaltung im Jahr 2007 aus. ErsatzTrotz des Verbots der zentralen Heß-Gedenkveranstaltung kam es wieveranstaltungen derum zu Ersatzkundgebungen des rechtsextremistischen Spektrums. An den zehn Veranstaltungen, die bundesweit im Zeitraum um den Todestag von Rudolf Heß stattfanden, beteiligten sich insgesamt rund 1.200 Rechtsextremisten. Schwerpunkte des Demonstrationsgeschehens waren Jena/Thüringen mit 480 und Berlin mit 250 Teilnehmern. Mahnwache in In München veranstaltete der bayerische JN-Vorsitzende und Neonazi München Norman Bordin am 17. August eine Mahnwache unter dem Motto "Rudolf Heß - Märtyrer des Friedens". Daran beteiligten sich etwa 70 Rechtsextremisten. Die Demonstranten zeigten ein Transparent mit der Aufschrift "Rudolf Heß - von den Besatzern ermordet". Eine ebenfalls von Norman Bordin angemeldete Demonstration am 19. August in München sollte ursprünglich am 1. Juli stattfinden. Trotz des zeitlichen Bezugs zum Tod von Rudolf Heß behielten die Veranstalter das ursprüngliche Motto "Nur ein Esel glaubt noch an den Sozialstaat BRD - Rückführung statt Integration" bei. An der Versammlung beteiligten sich etwa 120 Angehörige des rechtsextremistischen Spektrums. In Wunsiedel versuchten Rechtsextremisten ungeachtet des Verbots, am 19. August eine Gedenkversammlung mit dem "Szene-Anwalt" Horst Mahler durchzuführen. Die Polizei verhinderte das Vorhaben und nahm die rechtsextremistischen Aktivisten in Gewahrsam. Des Weiteren stellte die Polizei Propagandamittel mit Bezug zu Rudolf Heß fest, so ein einschlägiges Transparent an einer Autobahnbrücke der Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 127 A 8 in der Nähe von Augsburg. In München nahm die Polizei sechs Personen aus dem Umfeld der neonazistischen "Autonomen Nationalisten München" (ANM) fest, die etwa 200 Heß-Aufkleber in verschiedenen Stadtteilen angebracht hatten. Weitere Aktionen wurden u.a. in Fürth, Nürnberg, Augsburg und Würzburg durchgeführt. 4. Rechtsextremistische Skinheads 4.1 Überblick Die Skinhead-Bewegung entstand Ende der 60er Jahre in Großbritannien und trat erstmals Ende der 70er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland in Erscheinung. Sie war ursprünglich eine jugendliche SubJugendliche kultur, die durch ihr Auftreten eine extreme Ablehnung der bürgerSubkultur lichen Gesellschaft signalisierte. Äußerlichkeiten wie Kleidung oder Haarschnitt lassen heute keine eindeutigen Schlüsse auf eine Zuordnung zur Skinhead-Szene mehr zu, da mittlerweile auch viele unpolitische Jugendliche ein entsprechendes Aussehen zeigen. Die Beachtung, die rechtsextremistischen Skinheads in der Öffentlichkeit und in den Medien zuteil wird, ist auf ihre brutalen und menschenverachtenden Gewalttaten zurückzuführen, die sich gegen Ausländer, Asylbewerber und soziale Randgruppen, aber auch gegen "Linke" richten. 4.2 Politische Ausrichtung Die politischen Ansichten der Skinhead-Subkultur reichen von den so genannten Redskins (linksextremistisch beeinflusste Skinheads) über die so genannten SHARPs (Skinheads against racial prejudice - Skinheads gegen rassistische Vorurteile) und die Oi-Skinheads ("unpolitische Skinheads") bis hin zur Mehrheit der rechtsextremistischen Skinheads einschließlich der so genannten White Power-Skinheads. Die entsprechende politische Überzeugung bildet sich je nach Einzelfall nicht selten erst nach Beitritt in die Szene stärker aus. Skinheads sind deshalb zunächst zu einer rational bestimmten politischen Meinungsbildung kaum fähig und an einer fundierten politischen Auseinandersetzung nicht interessiert. In ihren Kreisen hat sich eine vom organisierten Rechtsextremismus unabhängige diffuse rechtsextremistische WeltWeltanschauung anschauung herausgebildet. Sie ist von rassistisch motivierter Fremdenund Politikverfeindlichkeit sowie übersteigertem Nationalbewusstsein geprägt und ständnis knüpft insofern an wesentliche Elemente des Nationalsozialismus an. Diese Einstellung spiegelt sich in meist spontanen Gewalttaten wider. Opfer sind nach wie vor Ausländer, aber auch Personen aus sozialen Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 128 Rechtsextremismus Randgruppen sowie "Linke", also alle zu ihren Feindbildern zählenden Menschen. Skinheads dienen rechtsextremistischen Organisationen als Mobilisierungspotenzial für öffentlichkeitswirksame Aktionen. Frühere Vorbehalte der Skinheads gegenüber diesen Organisationen haben stark Unterstützung abgenommen. Aktionen der NPD und JN werden von Skinheads massiv von NPD und JN unterstützt; ein Großteil der Besucher von NPD-Großkundgebungen gehört der Skinhead-Szene an. Enge Kontakte bestehen nach wie vor, insbesondere in den Räumen Nürnberg, Ingolstadt und Hof, zwischen den dortigen Skinhead-Szenen und den JN bzw. der NPD. Versuche von Neonazis, Skinheads für eine längerfristige ernsthafte politische Tätigkeit zu gewinnen, waren dagegen bislang wenig erfolgreich, da diese einer intensiven ideologischen Schulung kaum zugänglich sind. Inzwischen ist jedoch eine zunehmende Zusammenarbeit zwischen Skinheads und Neonazis feststellbar. 4.3 Strukturen Die Skinhead-Szene unterliegt einer starken Fluktuation und kennt in der Regel weder feste Organisationsstrukturen noch formelle Mitgliedschaften. Die Bindungen zur Gruppe reichen von losen gelegentlichen Kontakten über regelmäßige Beteiligung an Aktionen bis zur vollen sozialen Integration oder der Wahrnehmung von Führungsfunktionen. Diese informellen Führer wandern später zum Teil in andere rechtsextremistische Gruppierungen ab. Strukturelle In Bayern ist die Zahl der Skinheads mit rechtsextremistischem HinterÄnderungen grund im Vergleich zum Vorjahr von 800 auf 750 leicht zurückgegangen. Dabei hat sich die Tendenz fortgesetzt, dass sich Skinhead-Gruppierungen oder Einzelaktivisten auch Neonazi-Gruppierungen anschließen. Daraus resultierende "Misch-Szenen" entstanden vor allem in Nordbayern. Größere neue Skinhead-Szenen hingegen wurden in Bayern nicht bekannt. Dagegen bildeten sich kleinere Skinhead-Szenen im Großraum Regensburg. Schwerpunkte im Skinhead-Spektrum stellen in Bayern nach wie vor die Großräume München und Nürnberg dar; dort sowie im Raum Regensburg lagen 2006 auch die Schwerpunkte der Gewalttaten. Skinheads sind sehr mobil und können aufgrund ihrer engen Vernetzungen in kürzester Zeit gemeinsam Aktionen bzw. Veranstaltungen planen und durchführen. Nach wie vor besteht seitens des Staates ein intensiver Überwachungsdruck auf die Skinhead-Szene. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 129 Rechtsextremistische Skinhead-Szenen in Bayern 2006 Raum Raum Coburg Coburg Aschaffenburg Raum ca. 20 Bayreuth/Hof ca. 40 ca. 25 Aschaffenburg Raum Bayreuth Würzburg Bamberg ca. 20 Raum Würzburg/ Raum Lohr am Main Erlangen Raum Amberg/ Schwandorf/Weiden ca. 35 ca. 25 Nürnberg ca. 40 Großraum Ansbach Nürnberg Raum ca. 50 Cham/Roding Raum Ansbach/ ca. 20 Schwabach ca. 15 Regensburg Angehörige der Raum Skinhead-Szenen Ingolstadt Raum Regensburg ca. 30 ca. 30 Ingolstadt Raum Augsburg/ Raum Passau Friedberg/Aichach Landshut Landshut Raum Passau/ ca. 10 ca. 10 Deggendorf/ Neu-Ulm Straubing Augsburg Raum Raum Neu-Ulm/ Erding ca. 30 Dillingen ca. 40 ca. 25 Raum Landsberg/ Fürstenfeldbruck München Raum Krumbach/ ca. 20 Großraum Raum Memmingen München Traunstein ca. 30 ca. 120 ca. 20 Großraum Rosenheim Oberallgäu/ Raum Unterallgäu Raum Weilheim Rosenheim ca. 40 (Oberland) ca. 15 ca. 40 4.4 Anziehungskraft für Jugendliche Die Anziehungskraft der Skinhead-Szene, insbesondere auf männliche Jugendliche, hält an. Die Beweggründe, die junge Menschen in diese Mögliche Subkultur treiben, sind vielfältig: jugendliche Protesthaltung, ProvokaEinstiegsmotive tion und Tabubruch, sowie die gesamtgesellschaftliche Entwicklung mit den häufigen Folgen einer Entwurzelung und einer zunehmenden Entfremdung vom Elternhaus, Perspektivlosigkeit in Verbindung mit wirtschaftlichen Problemen und einem begonnenen oder befürchteten Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 130 Rechtsextremismus sozialen Abstieg. Hinzu kommt das durch die Szene vermittelte Gemeinschaftserlebnis und das daraus folgende Gefühl eigener Stärke und Anerkennung in einer sozialen Gruppe. Den Jugendlichen werden einfache Erklärungen und einfache Lösungen für komplexe Probleme angeboten. Skinheads entstammen zu einem erheblichen Teil, aber nicht ausschließlich, den unteren sozialen Schichten. Die meisten Skinheads finAltersstruktur den sich in der Altersgruppe von 16 bis 24 Jahren, ältere Szene-Angehörige sind die Ausnahme. Die so genannten Jungglatzen sind erst 12 bis 13 Jahre alt. Auch Mädchen, die Renees, gehören dieser Subkultur an, sind jedoch zahlenmäßig in der Minderheit. Ihr Anteil beträgt je nach Szene bis zu 20 %. Die rechtsextremistische Skinhead-Szene rekrutiert sich vor allem aus Jugendlichen, die sich für Skinhead-Musik als Stilrichtung der Rockmusik interessieren. Dabei kommen zunächst eher unpolitische Jugendliche über Konzerte oder das gemeinsame Musikhören mit der Skinhead-Szene in Kontakt. Daneben finden manche Jugendliche Gefallen an dem in der Skinhead-Szene üblichen exzessiven Lebensgenuss einschließlich des enormen Alkoholkonsums unter dem Motto "Fun & Froide". 4.5 Skinhead-Musik Skinhead-Musik vermittelt die subkulturellen Botschaften der Skinhead-Szene. In den Liedern werden Eigenverständnis und Abgrenzung der Szene gegenüber der Gesellschaft beschrieben, Kritik am Establishment formuliert und andere politische Themen aufgegriffen. Rechtsextremistische Skinhead-Bands verbreiten in ihren Liedtexten neonazisAufrufe zum Hass tische Ideologiefragmente und rufen zum Hass gegen Skinhead-Feindgegen Feindbilder bilder wie Ausländer, "Linke" und Juden auf. In Bayern sind derzeit sieben Musikgruppen aktiv, die teilweise bei Konzerten im Inund Ausland auftreten. Es handelt sich hierbei um die Gruppen - BURNING HATE (Raum Oberfranken) - TERRORMACHINE 88 (Amberg) - NOISE OF HATE (Amberg) - BRAUNE BRÜDER (Hof) - FELDHERREN (München) - FAUSTRECHT (Mindelheim) - DAMAGE INCORPORATED (Aschaffenburg). Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 131 Im Jahr 2006 wurden von der mittlerweile nicht mehr bestehenden Band AUFMARSCH aus Ingolstadt die CD "Masterrace" ("Herrenrasse"), von FAUSTRECHT die CD "Ein Blick zurück im Zorn" und von der Band BRAUNE BRÜDER die CD "Land ohne Freiheit" veröffentlicht. Skinhead-Musik wird von zehn rechtsextremistischen Tonträgervertrieben angeboten. Die Zahl der Skinhead-Konzerte in Bayern stieg gegenüber dem Vorjahr Zunahme der um neun auf 26 Konzerte an. Die Teilnehmerzahlen lagen zwischen 20 Skinhead-Konzerte und 300 Personen. Die meisten Konzerte fanden in Cham und in Wunsiedel statt. Ursächlich für den Anstieg der Musikveranstaltungen im Jahr 2006 ist zum einen, dass in der von Rechtsextremisten betriebenen Gaststätte "Lokalbahn" in Wunsiedel verstärkt Skinhead-Konzerte veranstaltet wurden. Nach einem Umbau wird diese Gaststätte jedoch nicht mehr als Konzertraum genutzt. Des Weiteren zeichnet sich der Trend ab, dass Veranstalter vermehrt auf Konzerte mit geringeren Teilnehmerzahlen setzen. Auch Parteiveranstaltungen wurden als Gelegenheit genutzt, Skinhead-Konzerte durchzuführen. Die Organisation der Konzerte erfolgt teilweise konspirativ. Sie werden von den Veranstaltern als private Tanzabende bzw. Plattenpartys oder als Geburtstagsfeiern ausgegeben, um ein Einschreiten der Sicherheitsbehörden zu erschweren. Die Teilnehmer werden durch persönlich ausgehändigte oder per Post zugestellte Einladungskarten informiert oder vor Beginn des Konzertes ohne nähere Angaben zum eigentlichen Veranstaltungsort in eine bestimmte Region gelotst. Erst unmittelbar vor Beginn wird die konkrete Örtlichkeit z.B. per SMS bekannt gegeben. Neben der üblichen Skinhead-Musik ist Black Metal eine weitere Musikrichtung, in der - wenn auch nur in kleinen Bereichen - rechtsextremisBlack Metal tisches Gedankengut an Bedeutung gewinnt und die innerhalb der Skinhead-Szene immer mehr Akzeptanz findet. Bei Black Metal handelt sich um eine aggressivere Variante des Heavy Metal. Inhaltlich setzt sich Black Metal mit antichristlichen bzw. satanistischen Themen auseinander. Ferner werden Krieg, Hass, Vernichtung und Tod besungen. Musikalisch wird Black Metal schneller und härter gespielt als Skinhead-Musik. Teilweise ist der Text akustisch nicht mehr zu verstehen, die Texte können aus den CD-Booklets entnommen werden. Einen Kultstatus innerhalb der Black Metal-Szene genießt die Thüringer Band ABSURD. Der Sänger dieser Band, Hendrik Möbus, beging am 29. April 1993 einen satanistisch motivierten Mord an einem 15-jährigen Mitschüler. 1994 wurde er zu acht Jahren Jugendhaft verurteilt. Durch den Einfluss der NS-Ideologie hat Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 132 Rechtsextremismus sich als kleiner Teil des Black Metal die Stilrichtung NS Black Metal (NSBM) etabliert; diese ist dem rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnen. Skinhead-Konzerte Beispiele für im Berichtszeitraum durchgeführte Skinhead-Konzerte sind folgende Veranstaltungen: Anlässlich ihres zweijährigen Bestehens veranstaltete die Skinhead-Kameradschaft "Kameradschaft Altmühltal" am 28. Januar in Mühlhausen, Landkreis Neumarkt i.d. Opf., ein Konzert mit den Gruppen BRAUNE BRÜDER und TERRORMACHINE 88. Zu der Veranstaltung im Nebengebäude einer Gaststätte kamen etwa 130 Personen. Zur Musikrichtung NS Black Metal fand am 4. März in einer Gaststätte in Gremsdorf, Landkreis Erlangen-Höchstadt, ein Konzert u.a. mit der Band ABSURD statt. Zu dem von einem NPD-Funktionär angemeldeten Konzert erschienen rund 200 Besucher, davon etwa die Hälfte aus dem rechtsextremistischen Spektrum. Als am 29. April im "Allacher Bunker" in München die Skinhead-Band JAGDSTAFFEL aus Baden-Württemberg mit ihrem Auftritt beginnen wollte, führte die Polizei eine Razzia durch. Dabei wurden etwa 100 zum Verkauf angebotene CDs sichergestellt. Auf einer Tafel waren ein Reichsadler und das Wort "Endsieg" aufgemalt, wobei das "s" als Sigrune dargestellt war. Die Polizei untersagte die Fortsetzung des Konzerts. Am 13. Mai traten in einer Diskothek in Mühlhausen, Landkreis Neumarkt i.d. Opf., vor etwa 200 Besuchern die Skinhead-Bands BRAUNE BRÜDER, FELDHERREN und HAUPTKAMPFLINIE aus Kassel/Hessen auf. Bei Vorkontrollen überprüfte die Polizei über 150 Personen. Hierbei wurden mehrere Ermittlungsverfahren eingeleitet, u.a. wegen Verstößen gegen das Waffengesetz, rechtsextremistischer Propagandadelikte und Volksverhetzung. Ferner wurden diverse Gegenstände wie z.B. ein Butterflymesser, ein Baseballschläger, ein Totschläger und ein Stahlhelm mit der Abbildung von SS-Runen und einem Hakenkreuz sichergestellt. Die Neonazi-Kameradschaft "Weisse Wölfe" aus Cham hatte für den 3. Juni eine Party mit Live-Musik geplant, bei der vor 150 Besuchern u.a. die Skinhead-Band FELDHERREN auftreten sollte. Die Stadt Cham erließ eine Verbotsverfügung; die Polizei stellte sodann am 3. Juni auf einem Wiesengrundstück in Viechtach, Landkreis Regen, eine Ersatzveranstaltung fest, als die Gruppe FELDHERREN gerade einen "Sound-Check" durchführte. Die Polizei untersagte die Fortführung der Veranstaltung und löste das Treffen auf. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 133 Auf dem "Bayerntag" der NPD am 17. Juni in Regensburg (vgl. auch Nummer 2.1.5.2 dieses Abschnitts) traten vor rund 600 Besuchern u.a. die Skinhead-Bands NOISE OF HATE und FELDHERREN auf. Der Neonazi und bayerische JN-Vorsitzende Norman Bordin feierte am 19. August seinen Geburtstag mit einem Skinhead-Konzert in Gremsdorf, Landkreis Erlangen-Höchstadt. In einer Gaststätte spielten vor etwa 230 Personen u.a. die Skinhead-Bands ACT OF VIOLENCE aus Baden-Württemberg und FELDHERREN. Am 14. Oktober fand wiederum in Gremsdorf, Landkreis Erlangen-Höchstadt, in einer Gaststätte ein Skinhead-Konzert statt, das etwa 150 Rechtsextremisten besuchten. Darunter befand sich auch der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Uwe Meenen. Zu der Veranstaltung hatte der Neonazi und NPD-Funktionär Matthias Fischer - angeblich aus einem familiären Anlass - eingeladen. Tatsächlich nutzten zahlreiche rechtsextremistische Teilnehmer, die am selben Tag an einer rechtsextremistischen Demonstration in Nürnberg teilgenommen hatten, das Konzertangebot u.a. mit der Band NOISE OF HATE. 4.6 Skinhead-Magazine Die Fan-Magazine der Skinhead-Szene, auch "Fanzines" oder "Zines" genannt, beschäftigen sich mit den Aktivitäten rechtsextremistischer Skinhead-Bands und enthalten ausführliche Rezensionen sowie Bestelladressen für Tonträger, andere Fanzines und diverse Szene-Artikel, wie z.B. T-Shirts, Buttons oder Aufkleber. Die Fanzines werden auch im Internet veröffentlicht. Im Jahr 2006 veröffentlichte der Kameradschaftsbund Hochfranken erstmals den Rundbrief "Wunsiedler Feldpost" und das Fanzine "Wunsiedler Widerstand". Während die "Wunsiedler Feldpost" zunächst monatlich, später unregelmäßig erschien, gibt es vom "Wunsiedler Widerstand" bisher nur eine Ausgabe. 5. Rechtsextremistisch motivierte Straftaten 5.1 Gewalttaten Bundesweit waren von insgesamt 2.004 (2005: 1.901) extremistischen Bundesweiter Gewalttaten 1.047 (2005: 958) rechtsextremistisch motiviert; die rechtsAnstieg der extremistischen Gewaltdelikte haben damit bundesweit zugenommen. Gewaltdelikte In Bayern ist dagegen die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten von 77 im Jahr 2005 auf 47 zurückgegangen, was in etwa Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 134 Rechtsextremismus Rückgang der dem Niveau der Jahre 2003 und 2004 entspricht. Von den 47 GewaltGewaltdelikte delikten waren 27 (2005: 23) fremdenfeindlich und 18 (2005: 49) allgein Bayern mein neonazistisch motiviert. Zwei (2005: fünf) Gewalttaten lag eine antisemitische Motivation zugrunde: In dem einen Fall erhielt eine Firma einen anonymen Erpresserbrief, in dem anderen Fall zogen drei Angehörige der rechtsextremistischen Szene im Alter von 18 bis 22 Jahren nach erheblichem Alkoholkonsum auf einer Party einen 19-jährigen Deutschen im Schlaf aus, hielten ihn gewaltsam fest und bemalten seinen Körper mit Hakenkreuzen, SS-Runen und beleidigenden Ausdrücken. Von den 18 allgemein neonazistisch motivierten Gewalttaten wurden zwölf Fälle gegen politische Gegner registriert; im Vorjahr war diese Zahl mit 35 Gewaltdelikten sehr hoch gewesen. Hintergrund der zahlreichen Gewalttaten im Vorjahr waren Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten bei Demonstrationen wie auch anlässlich des Bundestagswahlkampfs 2005; im Jahr 2006 wurden dagegen weniger politische Veranstaltungen durchgeführt. Gewaltpotenzial Die rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten waren überwiegend der der Skinheads äußerst gewaltbereiten Skinhead-Szene zuzurechnen. Von 72 ermittelten Tatverdächtigen gehörten 50 der Skinhead-Szene an. 42 Tatverdächtige waren zur Tatzeit jünger als 21 Jahre. Der Anteil der erstmals in Erscheinung getretenen Gewalttäter lag bei 59 % (43 Tatverdächtige). Die Gewalttaten wurden größtenteils nicht von Einzeltätern begangen, vielmehr entstand der Tatentschluss vielfach spontan aus gruppendynamischen Prozessen, gefördert durch Alkohol und Musik mit rechtsextremistischen Texten. Räumliche Schwerpunkte waren die Großstadtregionen München, Nürnberg und Regensburg. Rechtsextremistisch motivierte Gewalttäter sind überwiegend nicht in politischen Gruppen oder Parteien organisiert. Eine überregionale Steuerung durch rechtsextremistische Organisationen konnte in keinem Fall festgestellt werden. Das typische Ablaufmuster für rechtsextremistisch motivierte Gewalt ist gleich geblieben: Nach gezielten anfänglichen Provokationen der Angreifer kommt es bei geringstem Anlass zu Tätlichkeiten und massiver Gewaltanwendung gegen die Opfer. Einzelfälle Beispiele für die im Berichtszeitraum verübten Gewalttaten sind folgende Vorfälle: Vier Skinheads im Alter von 15 bis 19 Jahren beleidigten am 4. April in Cham einen 36-jährigen irakischen Staatangehörigen mit den Worten "Arschloch" und "Scheiß Kanake". Auf der Flucht wurde der Iraker von den Beschuldigten zusammengeschlagen und dabei erheblich verletzt. Die Täter waren zur Tatzeit leicht alkoholisiert. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 135 Ein 21-jähriger Skinhead schlug am 10. Juni in Markt Mönchberg, Landkreis Miltenberg, einen ebenfalls 21-Jährigen zusammen und trat dem am Boden Liegenden mehrfach mit seinen Springerstiefeln ins Gesicht, gegen den Hinterkopf und in den Bauch. Nach der Tat bezeichnete der Skinhead sein Opfer als Verräter. In der Vergangenheit war der Geschädigte wiederholt mit der Gruppe des Täters unterwegs, er hatte sich aber wegen dessen brutalen Verhaltens von der Gruppe abgesondert. Ihm wurde im Fall einer Anzeigeerstattung gedroht, ihn endgültig "fertig" zu machen. Am 20. August traten ein 20und ein 23-jähriger Skinhead mit Wohnsitz in Österreich nach einer Kneipentour in Lindau am Bodensee auf einen am Boden schlafenden 19-jährigen Punker ein. Das Opfer erlitt so schwere Verletzungen insbesondere am Kopf, dass es voraussichtlich dauerhafte gesundheitliche Schäden haben und daher auf pflegerische Hilfe angewiesen sein wird. Nachdem sich zwei Rechtsextremisten an einer Tankstelle Spiritus und Grillanzünder besorgt hatten, setzten sie damit am 26. August das Vereinsheim der Landjugend in Volkach, Landkreis Kitzingen, in Brand. Dabei entstand an der Holzfassade ein Sachschaden in Höhe von 5.000 Euro. Die beiden Täter reagierten damit auf Aufkleber mit der Aufschrift "Keine Toleranz für Nazis!", die sie an Briefkästen, Laternenmasten und Zigarettenautomaten vorgefunden hatten. Sie wollten sich mit der Brandsetzung an Personen aus der Punker-Szene rächen, denen sie die Verantwortung für die Aufkleber-Aktion zuschrieben. Am 15. September wurde ein 19-jähriger Deutsch-Amerikaner mit dunkler Hautfarbe von drei bisher unbekannten Tätern im Alter von etwa 25 bis 30 Jahren in Kirchenlamitz, Landkreis Wunsiedel i. Fichtelgebirge, festgehalten. Der Angegriffene, der seinen wenige Wochen alten Sohn im Kinderwagen dabei hatte, konnte sich zunächst losreißen, wobei seine Kleidung zerriss. Er forderte die Unbekannten auf, ihn in Ruhe zu lassen, worauf er beschimpft und ihm angedroht wurde, dass man sich mit ihm prügeln und mit dem Kind Pingpong spielen wolle. Bei der anschließenden tätlichen Auseinandersetzung bekam der Angegriffene einen Schlag in die Nierengegend, er konnte sich jedoch erfolgreich verteidigen, so dass die Angreifer schließlich von ihm abließen. In einem Münchner U-Bahnhof kam es am 6. November zu einer Auseinandersetzung zwischen einem 28-jährigen Deutschen und einem 22-jährigen Schwarzafrikaner, bei der u.a. die Worte "Nigger" und "Nazi" gefallen sein sollen. Daraufhin schlug der 28-Jährige dem Schwarzafrikaner mehrfach mit der Faust ins Gesicht, so dass sich das Opfer Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 136 Rechtsextremismus starke Schwellungen am Auge und einen Nasenbeinbruch zuzog. Der Tatverdächtige führte einen MP3-Player mit sich, auf dem u.a. die "Schulhof-CD" der NPD gespeichert war. Mehrere Rechtsextremisten beleidigten am 6. Dezember in Furth im Wald, Landkreis Cham, einen 19-jährigen Punker und schlugen ihn. Motiv der Tat dürfte gewesen sein, dass das Opfer wiederholt als Gegendemonstrant bei rechtsextremistischen Demonstrationen auftrat. 5.2 Sonstige Straftaten Anstieg der Die Gesamtzahl der in Bayern bekannt gewordenen sonstigen neonaStraftaten zistischen, antisemitischen und rassistischen Straftaten beträgt 1.866 (2005: 1.540), darunter 254 (2005: 176) fremdenfeindlich motivierte Delikte. Dabei handelte es sich vielfach um Sachbeschädigung, Nötigung, Bedrohung, Volksverhetzung (insgesamt 470 Delikte) und insbesondere um das Verbreiten von Propagandamitteln bzw. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (insgesamt 1.396 Delikte). So wurden Hakenkreuze auf Wände und Fahrzeuge gesprüht bzw. geritzt, Parolen wie "Heil Hitler" und "Sieg Heil" gerufen und zahlreiche antisemitische Pamphlete mit strafbaren Texten verbreitet. Des Öfteren verwendeten Neonazis auf dem Display ihres Mobiltelefons NS-Symbole als Standard-Einstellung. Wie auch im Jahr 2005 bedienten sich Rechtsextremisten wiederholt des Short-Message-Systems (SMS) der Mobilfunkbetreiber, um neonazistische Agitation an andere Handy-Besitzer zu übermitteln. Dabei wurden auch Grafiken, Filme und Lieder zu Propagandazwecken versandt. Durch rechtsextremistisch motivierte Ausschreitungen und Schmierereien entstanden Sachschäden von rund 281.000 Euro (2005: etwa 257.000 Euro). Einzelfälle Beispiele für die im Berichtszeitraum verübten Straftaten sind folgende Vorfälle: Unbekannte Täter besprühten Mitte Januar ein Anwesen in Taufkirchen, Landkreis Erding, mit einem Hakenkreuz und den Worten "Tötet alle Juden". In Herzogenaurach, Landkreis Erlangen-Höchstadt, wurden in der Nacht zum 5. Februar mehrere Anwesen mit Hakenkreuzen, SS-Runen und Parolen wie "White Power", "Heil Hitler" und "Türken raus" besprüht. Unbekannte Täter beschmierten Mitte Februar eine Kirche in Garching, Landkreis München, mit einem Hakenkreuz und den Worten "Sieg Heil" und "Juden ins KZ". Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 137 Im Zusammenhang mit den "Mohammed-Karikaturen" ging einer Moschee in Bamberg im Februar ein Schreiben mit folgendem Text zu: "Lasst auf der Stelle unsere dänischen Freunde in Ruhe, sonst schächten wir Euch, ihr Scheiss-Muslime ihr unreinen Teufel". Das Doppel-S war dabei in Form einer Doppel-Sigrune geschrieben. Ein 16-jähriger Schüler verbreitete am 3. März mit seinem Mobiltelefon folgende ihm per SMS zugegangene Nachricht: "Mit dieser SMS töten Sie einen Türken. Versenden Sie diese SMS an alle Leute, die Sie kennen, für die Aktion Sauberes Deutschland!" Unbekannte Täter brachten Anfang April an der israelischen Synagoge in Amberg die Schmierschrift "Juden raus, gez. Hitler" an. Am 26. Mai wurde in einer Kirche in Schweinfurt eine auf einem Lesepult aufgeschlagene Bibel mit zwei Hakenkreuzen sowie den Parolen "Heil Hitler" und "Juden ins KZ" beschmiert. Bei der Übertragung des WM-Eröffnungsspiels auf einer Großbildleinwand in Miesbach am 9. Juni trug ein Zuschauer ein teilweise abgedecktes T-Shirt mit dem Aufdruck "CONSDAPLE", wobei nur die Buchstaben "NSDAP" erkennbar waren. In einer Wohnung in München stellte die Polizei am 9. Juni zahlreiche NS-Devotionalien und Tonträger mit rechtsextremistischen Inhalten sicher. Der Wohnungsinhaber und elf Gäste hatten auf dem Balkon den Sieg der deutschen Mannschaft im WM-Eröffnungsspiel mit einer über die Brüstung gehängten Hakenkreuzfahne und "Sieg-Heil"-Rufen gefeiert. In der Nacht zum 11. Juni nahm die Polizei in Feldkirchen, Landkreis München, vier Personen fest, die den Hitlergruß gezeigt und dabei die Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" skandiert hatten. Unbekannte Täter beschmierten in der Nacht zum 14. Juli in einem Parkhaus in Poing, Landkreis Ebersberg, Türen und Wände mit Hakenkreuzen und den Worten "Alle Juden, Bimbos, Kanaken und Kaffer nach Dachau". In Nürnberg wurde ein Sudanese in der Nacht zum 22. Juli auf dem Heimweg angerempelt und mit den Worten "Scheiß Neger, geh zurück in dein Land" beleidigt; anschließend zeigte der Täter den Hitlergruß und warf einen Stein, der den Angegriffenen nur knapp verfehlte. Unbekannte Täter besprühten Mitte Oktober in Bach a.d. Donau, Landkreis Regensburg, einen Container mit der Parole "Die Juden sind unser Unglück". Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 138 Rechtsextremismus Drei jugendliche Auszubildende gossen am 18. Oktober eine brennbare Flüssigkeit in Form von Hakenkreuzen auf den Parkplatz einer Schule in Innernzell, Landkreis Freyung-Grafenau, und entzündeten diese. Es entstanden Brandspuren mit einer Größe von zwei bis vier Metern und ein Sachschaden von etwa 1.000 Euro. Am Abend des 25. November zogen fünf Jugendliche durch Neu-Ulm und riefen Parolen wie "Deutschland den Deutschen", "Türken raus" und "Auschwitz soll wieder eröffnet werden". 6. Strafverfahren, Urteile und Exekutivmaßnahmen Waffenrechtliche Das Landgericht Augsburg verurteilte Ende Februar zwei Mitglieder des Verstöße Europäischen Darstellungsvereins für Lebendige Geschichte (EDLG) wegen des Besitzes und Handels mit Kriegswaffen zu jeweils drei Jahren Haft; das Verfahren gegen den dritten Angeklagten wurde eingestellt. Bereits am 26. Januar hatte das Amtsgericht Herford/Nordrhein-Westfalen gegen den ehemaligen EDLG-Leiter und ein weiteres EDLG-Mitglied Bewährungsstrafen wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Waffengesetz verhängt. Anlass der Strafverfahren waren umfangreiche Waffenund Munitionsfunde im November 2004 und April 2005. Die Aktivitäten des EDLG sind nach den damaligen Exekutivmaßnahmen weitgehend zurückgegangen. Waffen-SS Die Mitglieder des 1995 in Nordrhein-Westfalen gegründeten EDLG als Vorbild stellten mit möglichst originalgetreuen Uniformen und Ausrüstungsgegenständen historische Schlachten nach. Da es in Deutschland strafbar ist, Uniformen mit SS-Emblemen in der Öffentlichkeit zu tragen, führten sie ihre "Darstellungsübungen" überwiegend im Ausland durch. Von den rund 100 Vereinsangehörigen sind etwa 20 bis 30 Personen einer "rechtsextremistischen Plattform" zuzurechnen, die neonazistisches Gedankengut vertritt und versucht, dieses auch zu verbreiten. Durchsuchungen im Am 7. März durchsuchte die Polizei in Bayern und in anderen BundesZusammenhang mit ländern über 120 Objekte von 80 Rechtsextremisten. Die Beschuldigten "Blood & Honour" stehen im Verdacht, die im September 2000 verbotene Vereinigung "Blood & Honour" fortgeführt oder Nachfolgestrukturen unterstützt zu haben. Bei den Durchsuchungsmaßnahmen beschlagnahmte die Polizei in Bayern u.a. auch eine Handgranate und mehrere Waffen; ferner wurden zahlreiche Gegenstände mit "Blood & Honour"-Bezug sichergestellt. Der Bundesminister des Innern hatte die deutsche "Division" der international agierenden Skinhead-Organisation "Blood & Honour" im Jahr 2000 verboten, da sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 139 sowie den Gedanken der Völkerverständigung richtete. Nachdem maßgebliche ehemalige Aktivisten von "Blood & Honour" nach dem Verbot insbesondere in Nordund Ostdeutschland nahezu erfolglos versucht hatten, die originären Strukturen der verbotenen Vereinigung aufrechtzuerhalten, hatten sich seit dem Jahr 2003 vor allem in Südwestdeutschland neben weiterhin bestehenden auch neue so genannte Sektionen gebildet. Diese waren im früheren Hauptbetätigungsfeld, der Organisation von rechtsextremistischen Skinhead-Konzerten, aktiv. Das Amtsgericht München verurteilte im Oktober einen 19-jährigen Neonazi aus München zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und 200 Stunden Sozialarbeit. Der Angeklagte hatte im Dezember 2005 während einer Demonstration in München den Einsatzleiter der Polizei tätlich angegriffen und verletzt. Die Polizei durchsuchte Ende November/Anfang Dezember im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie Verstößen u.a gegen das Waffengesetz über Verstöße gegen 20 Objekte im Raum Oberbayern und nahm über zehn Personen fest. das Waffengesetz Bei den überwiegend aus dem rechtsextremistischen Spektrum stammenden Beschuldigten wurden über 100 Kurzund Langwaffen, darunter auch Maschinengewehre und Maschinenpistolen, eine Stabhandgranate sowie mehrere hundert Schuss Munition sichergestellt. Außerdem wurde in den Objekten eine Vielzahl von NS-Devotionalien wie z.B. Hakenkreuzfahnen, Hitler-Büsten und SS-Uniformen gefunden. Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen haben die Tatverdächtigen keine extremistischen Straftaten geplant, vielmehr sind die Waffen als "Statussymbole" der rechtsextremistischen Szene zu betrachten. Das Landgericht Ingolstadt verurteilte am 29. November vier Personen wegen versuchten Mordes in 24 Fällen und versuchter schwerer Brandstiftung zu mehrjährigen Freiheitsstrafen. Die Verurteilten hatten im Juli 1999 einen Brandanschlag gegen eine Asylunterkunft in Neuburg a.d. Donau verübt, indem sie drei Molotowcocktails gegen die Unterkunft warfen. Von den im Mai 2006 festgenommenen Tätern hatten einige zum Tatzeitpunkt der rechtsextremistischen Szene angehört und den Brandanschlag aus fremdenfeindlichen Motiven verübt. 7. Revisionismus 7.1 Ziele Der Revisionismus, der die Geschichtsschreibung über die Zeit des Dritten Reichs ändern will, ist zu einem Bindeglied zwischen den unterVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 140 Rechtsextremismus Versuch einer schiedlichsten rechtsextremistischen Strömungen geworden. Seinen Rehabilitierung Repräsentanten geht es allerdings nicht um die Gewinnung neuer wisdes Nationalsenschaftlicher Erkenntnisse, sondern gezielt um die mittelbare Rechtsozialismus fertigung bzw. Aufwertung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft durch einseitige, relativierende oder verharmlosende Darstellung des NS-Regimes. Im Mittelpunkt der revisionistischen Agitation stehen die Leugnung des nationalsozialistischen Massenmords an europäischen Juden in Gaskammern deutscher Konzentrationslager während des Zweiten Weltkriegs (Holocaust) sowie die Behauptung, Deutschland trage keine Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Auf diese Weise soll das auf seriöser Forschung beruhende Geschichtsbild propagandistisch untergraben werden, um die Deutschen von einem vermeintlich aufgezwungenen "Schuldkomplex" zu befreien. 7.2 Entwicklung und Träger der Revisionismus-Kampagne Revisionismus war von Anfang an eine internationale Erscheinung, wobei der Anstoß zunächst aus Frankreich und den USA kam. Seit Beginn der 50er Jahre erschien eine große Anzahl von Büchern, die den historischen Nachweis führen wollten, dass es entgegen der Feststellung seriöser Forscher und Zeitzeugen keine Tötung von Juden in Gaskammern gegeben habe. Hervorzuheben ist hierbei das 1989 veröffent"Leuchter-Bericht" lichte "Gutachten" des Amerikaners Fred A. Leuchter, wonach es in Auschwitz und einigen anderen Konzentrationslagern aufgrund der technischen Gegebenheiten nicht möglich gewesen sei, Menschen in Gaskammern zu töten. Dieselbe These verbreitete der Diplomchemiker Germar Scheerer, "Rudolf-Gutgeb. Rudolf, ein ehemaliges REP-Mitglied, in seinem 1994 veröffentlichachten" ten, 2001 in Zweitauflage erschienenen und inzwischen indizierten "Gutachten über die Bildung und Nachweisbarkeit von Zyanidverbindungen in den 'Gaskammern' von Auschwitz". Er hatte sich im Frühjahr 1996 nach einer Verurteilung (u.a. wegen Volksverhetzung) ins Ausland abgesetzt. Aufgrund eines internationalen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Mannheim wurde er am 15. November 2005 von den USA an die deutschen Strafverfolgungsbehörden überstellt. Seit dem 14. November 2006 muss er sich vor dem Landgericht Mannheim wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener verantworten. Ihm wird vorgeworfen, im Internet und durch Verbreitung von Schriften den nationalsozialistischen Völkermord an den Juden systematisch geleugnet bzw. verharmlost sowie durch antisemitische Hetze zum Hass gegen die jüdische Bevölkerung aufgestachelt zu haben. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 141 Der wohl bekannteste Vertreter des Revisionismus ist der international David Irving agierende britische Schriftsteller David Irving, der 1993 wegen Leugnung des Holocausts verurteilt und aus Deutschland ausgewiesen wurde. Gegen ihn bestehen Einreiseverbote in Australien, Deutschland, Kanada, Österreich und Südafrika. Zuletzt residierte Irving hauptsächlich in Key West/Florida. Am 11. November 2005 wurde er in der SteierInhaftierung in mark/Österreich festgenommen. Das Landgericht Wien verurteilte ihn Österreich am 20. Februar wegen Verstoßes gegen das NS-Verbotsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren ohne Bewährung. In der Berufungsverhandlung bestätigten die Richter das Strafmaß, setzten jedoch zwei Drittel der Strafe zur Bewährung aus. Am 20. Dezember wurde Irving aus österreichischer Haft entlassen und einen Tag später nach Großbritannien ausgewiesen. Das österreichische Innenministerium erwirkte gegen ihn ein lebenslanges Aufenthaltsverbot. Ein weiterer Protagonist des Revisionismus ist der deutsche Staatsangehörige Ernst C.F. Zündel, der 1958 nach Kanada übersiedelte. Dort verErnst Zündel fasste und versandte er zahlreiche Publikationen, darunter den "Germania"-Rundbrief, der neonazistische und antisemitische Thesen enthielt und über das Internet abrufbar war. Im Internet erschien ferner der Beitrag "Good morning from the Zündelsite", der - so Zündel - monatlich von mehr als 1,2 Millionen Interessenten eingesehen wurde. Dort waren u.a. Bücher, die in Deutschland der Beschlagnahme unterliegen bzw. von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert wurden, mit vollem Text eingestellt, darunter "Der Holocaust auf dem Prüfstand" von Jürgen Graf und "Starben wirklich sechs Millionen?" von Richard Harwood. Aufgrund einer Entscheidung des Bundesgerichts in Ottawa schoben die Abschiebung und kanadischen Behörden Zündel am 1. März 2005 nach Deutschland ab. Strafverfahren Seit dem 8. November 2005 muss er sich vor dem Landgericht Mannheim wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener verantworten. Er soll von Kanada und den USA aus über Rundbriefe und seine Internet-Homepage öffentlich den Holocaust geleugnet haben. Zündels Wahlverteidigerin, die sich in einem Antrag auf Einstellung des Verfahrens selbst in volksverhetzender Weise geäußert hatte, wurde am 31. März wegen Verdachts der versuchten Strafvereitelung vom Prozess ausgeschlossen. Am 15. Februar 2007 wurde Zündel zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener verurteilt. Die 1985 in Antwerpen gegründete, in Berchem/Belgien ansässige Vrij Historisch Organisation Vrij Historisch Onderzoek (V.H.O.) ist eine der bedeutenOnderzoek (V.H.O.) Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 142 Rechtsextremismus den Lieferantinnen von revisionistischem Propagandamaterial. Sie verfügt über weltweite Kontakte zu führenden Revisionisten und bietet nahezu alle wichtigen, in Deutschland teilweise beschlagnahmten oder indizierten revisionistischen Veröffentlichungen an. Seit Anfang 1997 gibt die V.H.O. die revisionistische Zeitschrift "Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung" (VffG) heraus. Der Mitbegründer der V.H.O. Siegfried Verbeke, der zusammen mit seinem Bruder Herbert die V.H.O. betreibt, wurde am 1. November 2005 aufgrund eines Haftbefehls an die deutschen Behörden überstellt und in der Justizvollzugsanstalt Heidelberg inhaftiert. Die Staatsanwaltschaft Mannheim erhob gegen ihn am 30. März Anklage wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Er soll im Internet und durch Verbreitung von Schriften den nationalsozialistischen Massenmord an Juden systematisch geleugnet bzw. verharmlost haben. Revisionistische Der Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Vereinigung Verfolgten (VRBHV) wurde am 9. November 2003 auf Initiative von Horst Mahler, eines führenden Aktivisten des rechtsextremistischen Intellektuellenzirkels "Deutsches Kolleg", gegründet. Der Sitz des VRBHV befindet sich in Vlotho/Nordrhein-Westfalen. In der Gründungserklärung heißt es: "Es war der Beginn der großen Lüge, die endgültig zu Fall zu bringen Anliegen unseres Vereins sein wird: Der Auschwitz-Lüge." Dem Verein haben sich zahlreiche Revisionisten angeschlossen. Seit Anfang 2004 existieren die beiden Internet-Seiten "Aufstand für die Wahrheit" und "Reichsbürgerbrief". Auf letzterer Seite ruft Mahler zum Volksaufstand gegen die von einer Fremdmacht ausgeübte, "talmudisch" getarnte Gewaltund Willkürherrschaft in Deutschland auf, die jegliche Politik zum Wohle des deutschen Volkes und zur Wahrung seiner Würde verhindere. Mahler verlegte im November seinen Wohnsitz nach Bayern. Er verbüßt derzeit in der Justizvollzugsanstalt Bernau eine vom Landgericht Berlin am 12. Januar 2005 verhängte Freiheitsstrafe von neun Monaten wegen Volksverhetzung. RevisionismusDas dem iranischen Außenministerium angeschlossene "Institute for konferenz in Political and International Studies" (IPIS) richtete am 11. und 12. DeTeheran zember in Teheran eine "Konferenz" unter dem Motto "Review of the Holocaust: Global Vision" aus, an der nach dortigen Angaben 67 "Wissenschaftler" aus 30 Ländern teilgenommen haben sollen. Zu den Mitwirkenden zählten demnach neben Revisionisten aus Dänemark, Frankreich und den USA der österreichische Rechtsanwalt Dr. Herbert Schaller, der Schweizer Bernhard Schaub und der deutschstämmige Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 143 Leiter des rechtsextremistischen "Adelaide Institute" Fredrick Töben aus Australien. Der inhaftierte Holocaustleugner Horst Mahler ließ auf der Konferenz einen offenen Brief an den iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad verteilen, in dem er u.a. das "Holocaust-Dogma" als "die größte Lüge der Weltgeschichte" bezeichnete. Er dankte dem iranischen Staatspräsidenten, der "der Wahrheit die Tore weit geöffnet" habe; deshalb würden die Völker seiner "ewig gedenken als des Erlösers von der Jüdischen Knechtschaft". 8. Verbindungen zum ausländischen Rechtsextremismus Der amerikanische Neonazi und Propagandaleiter der NSDAP-AusNeonazistische landsund Aufbauorganisation (NSDAP-AO) Gary Rex Lauck tritt nach Propaganda wie vor durch die Verbreitung von neonazistischem Gedankengut in Erscheinung. Über die Homepage der NSDAP-AO können Hakenkreuzaufkleber, Fahnen und Abzeichen des Dritten Reichs, Filme und Bücher aus der NS-Zeit (z.B. "Der ewige Jude", "Mein Kampf") sowie CDs mit Marschmusik und Hitler-Reden bestellt werden. Das Angebot enthält ferner Computerspiele wie "KZ-Rattenjagd" und "Anti-Türken-Test" zum kostenlosen Herunterladen. Auch die Internet-Seite der Anti-Antifa-Nürnberg (vgl. auch Nummer 3.2.5 dieses Abschnitts), auf der Personen der vermeintlich linksextremistischen Szene namentlich genannt sind, wurde auf einem von Lauck betriebenen Server in Atlanta/USA bereitgestellt. Für deutsche Rechtsextremisten ist Lauck nach wie vor kaum von Bedeutung; sie stehen ihm reserviert gegenüber, da er den kommerziellen Aspekt offenbar immer stärker in den Vordergrund rückt. Weiteres rechtsextremistisches Propagandamaterial aus dem Ausland gelangt überwiegend über das Internet nach Deutschland. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 144 Rechtsextremismus 9. Übersicht über erwähnenswerte rechtsextremistische Organisationen und Verlage sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 2006 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) 1. Parteien einschließlich integrierter Vereinigungen Die Republikaner (REP) 2.200 6.000 Zeit für Protest! 26.11.1983, Berlin zweimonatlich, 10.000 Nationaldemokratische Partei 900 7.000 Deutsche Stimme (DS) Deutschlands (NPD) monatlich, 20.000 28.11.1964, Stuttgart (nach Eigenangaben) Junge Nationaldemokraten (JN) 50 300 Nationaldemokratischer Hochschulbund (NHB) Funktionärs1967, Nürnberg gruppe Deutsche Volksunion (DVU) 1.000 8.500 (Publizistische Sprachrohre: 05.03.1987, München siehe DSZ-Verlag) Deutsche Volksunion e.V. (siehe DVU) einschließlich Aktionsgemeinschaften 16.01.1971, München Deutsche Partei - Die Freiheitlichen (DP) 70 500 Deutschland-Post 1993, Bad Soden (geschätzt) unregelmäßig 2. Neonazistische Organisationen und Zusammenschlüsse Anti-Antifa Nürnberg 10 2006, Nürnberg Hilfsorganisation für nationale politische 75 600 Nachrichten der HNG Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) monatlich, 600 02.07.1979, Frankfurt am Main Kameradschaft München 20 2004, München Kameradschaft Augsburg 15 2004, Augsburg Kameradschaft Main-Spessart 10 2006, Würzburg Kameradschaft Asgard-Ratisbona 15 2004, Regensburg Kameradschaftsbund Hochfranken 25 Wunsiedler Feldpost 2006, Hof/Wunsiedel Kameradschaft Weisse Wölfe 25 2002, Roding Autonome Nationalisten München 20 2005, München NSDAP-Auslandsund Aufbauorganisation NS Kampfruf (NSDAP-AO) unregelmäßig 1972, Lincoln/USA Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Rechtsextremismus 145 Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 2006 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) 3. Sonstige Organisationen Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 60 500 (Inoffizielles Organ: siehe 03.10.1991, Berlin Nation Europa Verlag GmbH) Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) 40 450 Das Freie Forum 1960, München vierteljährlich, 1.500 Freundeskreis Ulrich von Hutten e.V. 30 280 Huttenbriefe - für Volkstum, Februar 1982, Starnberg Kultur, Wahrheit und Recht zweimonatlich, 4.000 Schutzbund für das Deutsche Volk e.V. (SDV) 200 September 1981, München Deutsches Kolleg (DK) Funktionärs1994, Berlin / Würzburg gruppe Deutschland-Bewegung /Friedenskomitee 40 100 Pressespiegel mit "Frieden 1990, Starnberg 2000 - Nachrichten für die Deutschland-Bewegung" Europäischer Darstellungsverein für 100 Lebendige Geschichte (EDLG), 1995 Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) Einzel2001, Nürnberg personen Freundeskreis Demokratie Direkt München 15 München Direkt 2004 Aktivitas der Burschenschaft Danubia 15 Danubenzeitung 1848, München unregelmäßig Augsburger Bündnis - Nationale FunktionärsNeues Schwaben Opposition e.V. gruppe unregelmäßig 2001, Augsburg Bürgerinitiative "Pro München e.V." 20 Bürgerbewegung Pro Mün2006, München chen - patriotisch & sozial 4. Skinheads 750 10.400 5. Verlage Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH National-Zeitung/Deutsche (DSZ-Verlag), München Wochen-Zeitung (NZ), wöchentlich, 38.000 Nation Europa Verlag GmbH Nation & Europa - 1953, Coburg Deutsche Monatshefte monatlich, 18.000 Verlag Hohe Warte - Franz von Bebenburg KG Mensch und Maß 1949, Pähl zweimal monatlich, 2.000 VGB Verlagsgesellschaft Berg mbH Deutsche Geschichte Stegen Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 146 Linksextremismus 5. Abschnitt Linksextremismus 1. Allgemeines 1.1 Merkmale des Linksextremismus Ideologisches Das ideologische Spektrum der Linksextremisten reicht von Anhängern Spektrum des "wissenschaftlichen Sozialismus/Kommunismus" in seiner klassischen Form über Sozialrevolutionäre mit unterschiedlichen diffusen Konzeptionen bis hin zu Anarchisten. Theoretische Grundlagen bilden im Wesentlichen die Werke von Marx und Lenin, aber auch von Trotzki, Stalin, Mao Tse-tung und anderen. Die Bestrebungen der Linksextremisten sind darauf gerichtet, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung zu beseitigen, die sie als kapitalistisch, rassistisch und imperialistisch ansehen. An deren Stelle solle eine sozialistisch-kommunistische Diktatur oder die Anarchie, eine Gesellschaft frei von jeglicher Herrschaft, treten. Diese Bestrebungen sind verfassungsfeindlich, weil die Ziele und oft auch die Mittel, mit denen sie erreicht werden sollen, gegen die grundlegenden Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstoßen. Innerhalb des linksextremistischen SpekAntideutsche trums hat die Bedeutung der so genannten Antideutschen zugenommen. Sie verbinden ein extremes Antifaschismusverständnis mit einer klaren pro-israelischen und pro-amerikanischen Haltung und stehen damit im Gegensatz zu Linksextremisten nach traditionellem Verständnis; gemeinsam ist allen jedoch das Thema Antifaschismus. Aktionsformen Die Aktionsformen der Linksextremisten sind breit gestreut. Sie umfasder Linksextresen öffentliche Veranstaltungen, offene Agitation mittels Zeitungen, misten Flugblättern, elektronischen Kommunikationsmitteln, ferner Versuche der Einflussnahme in "bürgerlichen" Institutionen bis hin zur Beteiligung an Wahlen. Darüber hinaus gibt es Linksextremisten, die politische Gewalt als ein legitimes und geeignetes Mittel sehen, ihre extremistischen Vorstellungen durchzusetzen. In ihrer Propaganda stellen sich Linksextremisten als Vertreter einer hohen Moral, als Kämpfer gegen Unterdrückung und Verfechter von Frieden und sozialer Gerechtigkeit dar. Ihre politische Praxis zeigt jedoch etwas anderes. Sie missachten demokratische Mehrheitsentscheidungen und das Gewaltmonopol des Staates. Sie setzen sich über Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 147 das Recht der Menschen auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit hinweg, wenn dieses Recht ihren Interessen entgegensteht. Einige der linksextremistischen Gruppierungen bekennen offen, dass ihre Ziele nur unter Anwendung von Gewalt zu erreichen sind. Teilweise verüben sie Gewalttaten oder arbeiten zur Erreichung ihrer Ziele mit Gewalttätern zusammen. Dies verstößt gegen den Grundsatz des Ausschlusses jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft und verletzt, wenn sich die Gewalt gegen Personen richtet, das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die wahren Ziele werden oftmals in Aktionsfelder und Themen einAgitationsthemen gebunden, die für sich betrachtet nicht extremistisch sind. Durch gewandte Agitation gelingt es Linksextremisten teilweise, den notwendigen Konsens aller Demokraten in der Ablehnung jeder Art politischen Extremismus zu durchbrechen. Für ihre Agitation und Mobilität bei Demonstrationen oder anderen Aktionen nutzen Linksextremisten auch die Vorteile der modernen Kommunikationsmöglichkeiten wie Handy und Internet. Zentrale Agitationsthemen der Linksextremisten waren Neonazismus/Faschismus, Globalisierung, Imperialismus, Auslandseinsätze der Bundeswehr, Rassismus, Asylund Abschiebeproblematik, Arbeitslosigkeit und Sozialversorgung. Daneben unterstützen Linksextremisten weiterhin sozialrevolutionäre Bewegungen im Ausland. 1.2 Entwicklung der Organisationen Die Gesamtzahl der Mitglieder linksextremistischer und linksextremistisch Anstieg der beeinflusster Parteien und Gruppierungen in Bayern erhöhte sich. Die Zahl Mitgliederzahlen der Linkspartei.PDS-Mitglieder stieg von rund 500 auf 600. Die Mitgliederzahl der DKP nahm dagegen sowohl bundesals auch bayernweit ab. Auch die Zahl der Anhänger autonomer Gruppen stieg an. Die Autonomen werden von anderen linksextremistischen Organisationen als Bündnispartner für Aktionen akzeptiert. Die Entwicklung der Zahl linksextremistischer und linksextremistisch beeinflusster Organisationen in Bayern und ihrer Mitgliederstärken ist aus der auf der Seite 148 dieses Berichts abgedruckten Übersicht zu ersehen. Erkannte Mehrfachmitgliedschaften sind jeweils nur bei einer Organisation erfasst. 1.3 Nutzung des Internets Schon seit Ende der 80er Jahre nutzen Linksextremisten elektronische Kommunikationsmedien - zunächst Mailboxen, inzwischen verstärkt Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 148 Linksextremismus Zahl und 2004 2005 2006 Mitgliederstärke Anzahl der Organisationen 38 38 38 linksextremistischer OrganiMarxisten-Leninisten und sationen in andere revolutionäre Marxisten Bayern Die Linkspartei.PDS 700 500 600 DKP 600 500 400 Marxistische Gruppe (MG) 700 700 700 weitere Kernorganisationen 250 240 240 Nebenorganisationen 80 100 120 beeinflusste Organisationen 840 850 850 Autonome, Anarchisten und Sozialrevolutionäre 400 400 500 Linksextremisten insgesamt 3.570 3.290 3.410 das Internet -, um sich selbst darzustellen und die eigenen Parolen, ihre verfassungsfeindlichen Zielsetzungen und Ideen zu verbreiten, ihre Verbesserung der Kommunikation zu verbessern sowie den Organisationsprozess und die Kommunikation Vernetzung in der linken Szene voranzubringen. Die sich aus der technischen Entwicklung ergebenden neuen Verfahren und neuen Informationssysteme werden von Linksextremisten schnell auf die Verwendbarkeit für eigene Zwecke erprobt. Die linksextremistische Szene beteiligt sich auch an demokratischen Kommunikationsstrukuren, beispielweise Diskussionsforen zu gesellschaftspolitischen Themen (wie Bildungsund Sozialabbau; Fremdenfeindlichkeit) im Internet, um ihre Ideologie zu verbreiten und politischen Einfluss zu gewinnen. Sowohl linksextremistische Parteien und Organisationen als auch AutoEigene Internetnome verfügen über eigene Internet-Angebote. Auf ihren Websites Angebote sind die Informationen weltweit abrufbar. Neben professionell strukturierten Selbstdarstellungen - auch mit Bild-, Tonund Videobeiträgen - werden in Internet-Portalen Pressemitteilungen, Berichte und Kommentare zu aktuellen Themen, Veranstaltungshinweise, Plakate und Flugblätter sowie umfangreiche Linklisten und Kontaktadressen zur E-Mail-Kommunikation zur Verfügung gestellt. Die autonome Szene sieht in den flexiblen Möglichkeiten der Verschlüsselungstechnik ein geeignetes Instrument gegen staatliche Kontrolle. Zum Teil werden auch über ausländische Anbieter aktuelle Termine, Nachrichten, Diskussionsbeiträge und Publikationen mit teilweise strafbarem Inhalt verbreitet. Neben der Verbreitung extremistischen Gedankenguts und der Nutzung von Kommunikationsmöglichkeiten stellt das Internet für LinksextremisVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 149 ten auch eine geeignete Plattform für gezielte elektronische Angriffe Elektronische auf den politischen Gegner dar. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem Angriffe Internet-Auftritte der rechtsextremistischen Szene. Im Rahmen der so genannten Antifa-Arbeit sind Linksextremisten in rechtsextremistische Homepages elektronisch eingedrungen und haben die dort abgelegten Daten zerstört, verfälscht oder auch veröffentlicht. Der bevorstehende G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm/Mecklenburg-Vorpommern ist für Linksextremisten Anlass, so genannte KampagnenKampagnenseiten seiten einzurichten, die neben Berichten über die aktuelle Entwicklung, Kommentaren und Presseartikeln auch Demonstrationsaufrufe und Hinweise zu Vorbereitungstreffen enthalten. Diese Internet-Angebote sind zumeist überregional ausgerichtet und werden als "Weblog" betrieben. Es handelt sich dabei um interaktive Internet-Seiten, die eine aktive Mitarbeit des einzelnen Nutzers ermöglichen. 2. Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten Marxistisch-leninistisch ausgerichtete Organisationen und andere revolutionäre Marxisten bemühen sich weiterhin, durch massive Kritik an den "herrschenden Verhältnissen" und Forderungen nach "Fundamentalopposition" ihren sozialistischen und kommunistischen Zielen näher zu kommen. Dabei gelingt es nur begrenzt, die unterschiedlichen Ideologien und Strömungen zu bündeln. Die Linkspartei.PDS, die nach dem Zusammenbruch des SED-Unrechtsregimes einen neuen Weg des Versuch der "demokratischen Sozialismus" zu beschreiten vorgibt, versucht, LinksBündelung extreextremisten aller Richtungen zu integrieren. mistischer Kräfte 2.1 Die Linkspartei.PDS Deutschland Bayern Mitglieder: 60.300 600 Vorsitzende(r): Prof. Dr. Lothar Bisky Eva Bulling-Schröter; Josef Obermeier Umbenennung der SED: 16./17.12.1989 Gründung: 11.09.1990 Sitz: Berlin München Publikationen: "DISPUT"; "TITEL" "Die Linke.PDS-Pressedienst; "UTOPIE-kreativ"; "Mitteilungen der KPF" Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 150 Linksextremismus Die ehemals in der DDR herrschende Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) hat sich nach der friedlichen Revolution und dem Zusammenbruch ihres Unrechtsregimes nicht aufgelöst. Sie beschloss auf ihrem Sonderparteitag am 16./17. Dezember 1989 in Berlin-Weißensee, sich in "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands - Partei des Umbenannte SED Demokratischen Sozialismus (SED-PDS)" umzubenennen. Auf einer Tagung des Parteivorstands der SED-PDS am 4. Februar 1990 wurde der Parteiname endgültig in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) geändert. Der 1. Parteitag der PDS am 24./25. Februar 1990 bestätigte diese Namensänderung. Anlässlich einer außerordentlichen Tagung des 9. Parteitags am 17. Juli 2005 in Berlin wurde beschlossen, sich in "Die Erneute Linkspartei.PDS" umzubenennen. Den Landesverbänden wurde es gleichUmbenennung zeitig freigestellt, die Zusatzbezeichnung "PDS" zu führen. Im Parteistatut wurde als Kurzbezeichnung "Die Linke" ebenfalls mit dem Zusatz "PDS" festgelegt. Seit Ende Mai 2005 ist die Linkspartei.PDS bestrebt, mit der nicht extremistischen Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative" (WASG) zu fusionieren. 2.1.1 Ideologische Ausrichtung Strömungspartei Die Linkspartei.PDS versteht sich als linke "Strömungspartei" für sozialislinker Kräfte tische Gruppen und Personen, die die bestehenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland kritisieren und ablehnen. Das auf der 2. Tagung des 8. Parteitags der Linkspartei.PDS am 25. und 26. Oktober 2003 in Chemnitz beschlossene - mittlerweile dritte - Parteiprogramm stellt fest, die Linkspartei.PDS sei ein Zusammenschluss unterschiedlicher linker Kräfte, die - bei allen Meinungsverschiedenheiten - darin übereinstimmten, dass die Dominanz des privatkapitalistischen Eigentums überwunden werden müsse. Im Programm heißt es dazu weiter: "In ihr (Anmerkung: in der Linkspartei.PDS) haben sowohl Menschen einen Platz, die der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzen und die die gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnen, als auch jene, die ihren Widerstand damit verbinden, die gegebenen Verhältnisse positiv zu verändern und schrittweise zu überwinden." Gegen Die Beseitigung des Kapitalismus, die Überwindung des mit ihm verKapitalismus bundenen politischen Systems der Freiheit und der Demokratie im Sinn unseres Grundgesetzes sowie die Errichtung einer neuen "sozialistischen Gesellschaft" gehören somit, auch wenn die Revolutionsrhetorik des Marxismus-Leninismus vermieden wird, zu den Zielen der Partei, die vor allem außerparlamentarisch erreicht werden müssten. Das Bekenntnis der Partei zum außerparlamentarischen Kampf und zum Widerstand gegen die "Herrschenden" und die "gegebenen Verhältnisse" ist mit Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 151 der Grundidee der parlamentarischen repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes unvereinbar. Das programmatische Ziel der Linkspartei.PDS ist nach wie vor eine über die Grenzen der bestehenden Gesellschaftsform hinausweisende sozialistische Ordnung. Die Linkspartei.PDS vertritt einen konsequenten Internationalismus und ist dem Erbe von Marx und Engels, den vielfältigen Strömungen der Bekenntnis zu revolutionären und internationalen Arbeiterbewegung sowie anderen Marx und Engels revolutionären und "volks-demokratischen" Bewegungen verbunden und dem Antifaschismus verpflichtet. Die Berufung auf Marx und Engels, die historische Entwicklung der Partei sowie die politische Herkunft ihrer Mitglieder aus kommunistischen Organisationen, insbesondere der SED, müssen auch bei der Auslegung ihrer programmatischen Äußerungen berücksichtigt werden. Die Linkspartei.PDS verwendet Begriffe wie Demokratie und Menschenrechte, die sie auch schon als SED gebraucht hat. Die Realität der DDR bewies jedoch, dass diese Begriffe dort anders, nämlich freiheitsund demokratiefeindlich, definiert waren. Ursache für die andere Interpretation politischer Begriffe ist deren bewusste Umwidmung im Umwidmung Lehrgebäude des Marxismus-Leninismus, in dessen Denkschule die von Begriffen Mehrheit der Mitglieder der Linkspartei.PDS erzogen wurde. Deshalb besitzen die in ihrer Programmatik verwendeten Begriffe eine Doppeldeutigkeit. Das 2003 in Chemnitz verabschiedete Parteiprogramm verfolgt weiterhin dieselbe ideologische Zielsetzung - eine über die Grenzen der bestehenden Gesellschaftsform hinausweisende sozialistische Ordnung - und hält am "Manifest der Kommunistischen Partei", der Lehre von Marx und Engels, sowie an Rosa Luxemburg fest. Obwohl im Programm auf die Erwähnung der bolschewistischen Oktoberrevolution von 1917 verzichtet wird, stellt sich die Linkspartei.PDS weiterhin ausdrücklich in die Tradition der revolutionären kommunistischen Arbeiterbewegung und wendet sich "aus historischer Erfahrung" entschieden gegen jegliche Form von "Antikommunismus". Sie ist auch vom gescheiterten Sozialismusversuch der früheren DDR nach wie vor überzeugt. Der Unrechtsgehalt des SED-Regimes wird relativiert; es wird betont, dass der "Aufbau einer besseren Gesellschaftsordnung" für den Osten keiner "Entschuldigung" bedürfe und die "antifaschistisch-demokratischen Veränderungen im Osten Deutschlands und das spätere Bestreben, eine Überwindung sozialistische Gesellschaft zu gestalten" in "berechtigtem Gegensatz der bestehenden zur Weiterführung des Kapitalismus in Westdeutschland" gestanden Gesellschaftshätten. Im Bestreben um das gesellschaftliche Endziel kämpft die Linksordnung Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 152 Linksextremismus partei.PDS für die Überwindung der als "Kapitalismus" diffamierten bestehenden Gesellschaftsordnung. Das Programm führt dazu aus: "Die Politik der PDS soll dazu beitragen, die Vorherrschaft der Kapitalverwertungsinteressen abzuschwächen, schließlich zu überwinden und die ihr zu Grunde liegenden Machtund Eigentumsverhältnisse zu verändern. (...) Ein selbstbestimmtes Leben, eine von Entfremdung befreite Arbeitswelt und eine gerechte Verteilung des Reichtums bedürfen alternativer Gesellschaftsstrukturen, die von der Verwirklichung gemeinschaftlicher Interessen geprägt sind und die Dominanz privatkapitalistischen Eigentums überwunden haben." Antikapitalistische Die strikt antikapitalistische Grundausrichtung bleibt die Grundidee der Ausrichtung Linkspartei.PDS. So wird bereits in der Präambel betont: "Wir wollen, dass diese gesellschaftlichen Strukturen zurückgedrängt und schließlich überwunden werden, damit die Menschheit einen Ausweg aus dieser zerstörerischen Entwicklungslogik findet. In diesem Sinne sind wir konsequent antikapitalistisch." Angestrebtes Seit dem 30. Mai 2005 strebt die Linkspartei.PDS einen Zusammenschluss Bündnis mit der mit der nicht extremistischen Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die WASG Wahlalternative" (WASG) an. In Sondierungsgesprächen hatten beide Parteien am 10. Juni 2005 vereinbart, innerhalb der nächsten zwei Jahre ein neues Projekt der Linken in Deutschland auf den Weg zu bringen. Aus taktischen Erwägungen benannte sich die PDS dazu anlässlich einer außerordentlichen Tagung des 9. Parteitags am 17. Juli 2005 in "Die Linkspartei.PDS" (Kurzbezeichnung: "Die Linke" ebenfalls mit dem Zusatz "PDS") um. Nach der erfolgreichen Teilnahme des eigens gebildeten Wahlbündnisses aus Linkspartei.PDS und WASG an der Bundestagswahl am 18. September 2005 unterzeichneten der Parteivorsitzende der Linkspartei.PDS Prof. Dr. Lothar Bisky und der geschäftsführende Vorstand der WASG Klaus Ernst am 6. Dezember 2005 ein "Kooperationsabkommen", das "die freie Vereinigung der gesellschaftlichen Linken in der ersten wirklich gesamtdeutschen Partei" bis zum 30. Juni 2007 vorsieht. Diesem "Kooperationsabkommen mit der WASG" stimmten die Delegierten der Linkspartei.PDS mehrheitlich auf ihrem Parteitag am 10. und 11. Dezember 2005 zu. Am 23. Februar 2006 stellten beide Parteien als Diskussionsgrundlage Gemeinsames für ein gemeinsames Programm erste "Programmatische Eckpunkte auf Eckpunktepapier dem Weg zu einer neuen Linkspartei in Deutschland" vor. In dem Papier wird ausgeführt, dass die strategische Kernaufgabe der Linken in der "Veränderung gesellschaftlicher und politischer Kräfteverhältnisse" bestehe, um in einem längeren Prozess eine "Umgestaltung der Gesellschaft" durchsetzen zu können. "Um das zu erreichen, wollen wir eine Veränderung der Machtund Verteilungsverhältnisse in der Wirtschaft und der Gesellschaft." Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 153 Das Eckpunktepapier enthält Formulierungen und strategische Vorstellungen, die die Linkspartei.PDS bereits im Leitantrag des Parteivorstands auf dem Potsdamer Parteitag im Oktober 2004 festgelegt und im "Kooperationsabkommen" wiederholt hatte. Dazu gehört auch die inhaltliche Wiedergabe des Prinzips des "strategischen Dreiecks", das sich aus Prinzip des "strateparlamentarischer Opposition und außerparlamentarischem Widerstand gischen Dreiecks" sowie der visionären Entwicklung einer zukünftigen Gesellschaft zusammensetzt. Das Festhalten an der Lehre von Marx und die Versuche, fundamentale Positionen des geltenden Programms der Linkspartei.PDS in das gemeinsame Papier zu integrieren, macht das Bestreben der Linkspartei.PDS deutlich, ihre Ideologie nach wie vor aufrecht zu erhalten und für den Bündnispartner WASG verbindlich festzuschreiben. Am 29. und 30. April führte die Linkspartei.PDS ihre 1. Tagung des 10. Parteitags in Halle/Sachsen-Anhalt durch. Die Delegierten bestätigten bei der turnusgemäßen Neuwahl des 20-köpfigen Parteivorstands Neuwahl des mit 88,5 % der abgegebenen Stimmen Prof. Dr. Lothar Bisky als VorsitParteivorstands zenden. Sahra Wagenknecht, Linkspartei.PDS-Europaabgeordnete und Mitglied des Bundeskoordinierungsrats der Kommunistischen Plattform der Linkspartei.PDS (KPF), fand zum wiederholten Male mit einer Zustimmung von 60,9 % der Delegiertenstimmen ihre Bestätigung als Vorstandsmitglied in der Parteiführung. In seiner Rede forderte der wiedergewählte Parteivorsitzende "eine tief greifende Veränderung der herrschenden Eigentumsund Machtverhältnisse". Im Zusammenhang mit der Menschenrechtsdiskussion um Kuba verlangte er eine Beendigung der Embargopolitik gegen den mittelamerikanischen Staat und sprach sich zugleich für eine intensivere Zusammenarbeit mit der sozialistischen Führung in Kuba aus. Mit großer Mehrheit beschlossen die Delegierten die Aufgaben und Aufgaben und Arbeitsschwerpunkte für das Jahr 2006. So stehe der ParteibildungsArbeitsschwerprozess mit der WASG im Vordergrund und müsse vorangebracht werpunkte den. Darüber hinaus solle der parlamentarische Einfluss der Linkspartei.PDS gestärkt werden. Eine besondere Rolle spiele dabei die "Auseinandersetzung mit rechten und rechtsextremen Kräften". Eine weitere Aufgabe sei das Engagement in "sozialen Bewegungen, in der Friedensund Antifa-Arbeit" sowie in "der globalisierungskritischen Bewegung". In dem Beschluss heißt es dazu weiter: "Ein Schwerpunkt dabei ist die Vorbereitung des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm, den wir gemeinsam mit den globalisierungskritischen und anderen Bewegungen nutzen wollen, um unseren Forderungen für Frieden und globale Gerechtigkeit Nachdruck zu verleihen." Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 154 Linksextremismus In Berlin stellten am 2. Juni die Linkspartei.PDS und die WASG einen gemeinsamen "Aufruf zur Gründung einer neuen Linken" vor. Der Gründungsaufruf, der die Programmdiskussion in beiden Parteien intensivieren soll, bezieht klassische Zielvorstellungen aus dem Programm der Linkspartei.PDS ein. So enthält er ein ausdrückliches Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus; der Kapitalismus sei nicht das Ende der Geschichte. Auch am Ziel der Systemüberwindung wird festgehalten, indem gefordert wird, die "Barbarei der kapitalistischen Gesellschaft zu überwinden". Schlüsselbereiche der Wirtschaft und der Daseinsvorsorge müssten in öffentliche Eigentumsformen überführt werden. Außerdem werde die neue Partei Forderungen der außerparlamentarischen Bewegungen aufgreifen und deren Mitwirkung am politischen Entscheidungsprozess unterstützen. Das Prinzip des "strategischen Dreiecks" wird - im Wortlaut leicht verändert - als "strategische Einheit" bezeichnet. "Protest, Mitgestaltung und Alternativen, die über den Kapitalismus hinausweisen, bilden in der Arbeit der Linken eine strategische Einheit." Am 20. September legte eine von den Parteivorständen der Linkspartei.PDS und der WASG eingesetzte paritätische Programmgruppe Überarbeitetes einen überarbeiteten Entwurf der "Programmatischen Eckpunkte" vor, Eckpunktepapier der auf den im Februar vorgelegten Positionen basiert. Hinsichtlich des Ziels der Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung wird ausgeführt: "Wir setzen uns angesichts der Entfesselung und Deregulierung im gegenwärtigen Kapitalismus für einen neuen Anlauf gesellschaftlicher Transformation ein, der über den Kapitalismus hinausweist und ihn überwindet. (...) Die neue Linke legt programmatische Grundzüge einer umfassenden gesellschaftlichen Umgestaltung vor, um die Vorherrschaft der Kapitalverwertung über Wirtschaft und Gesellschaft zu beenden und den Herausforderungen der Gegenwart mit einem alternativen Entwicklungsweg zu begegnen. (...) Notwendig ist die Überwindung aller Eigentumsund Herrschaftsverhältnisse, 'in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist' (Karl Marx)." Die Parteivorstände der Linkspartei.PDS und der WASG verabschiedeten Gründungsam 22. Oktober in Erfurt die Entwürfe der Gründungsdokumente für dokumente für eine neue gesamtdeutsche linke Partei. Dazu zählen die "Programmaneue Partei tischen Eckpunkte", die Bundessatzung und die Bundesfinanzordnung. Der Name der neuen Partei soll "DIE LINKE." sein. Der Vorsitzende der Linkspartei.PDS Prof. Dr. Lothar Bisky erklärte, die neue Linke werde das Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 155 Ziel des demokratischen Sozialismus nicht aus den Augen verlieren. Der Gründungsentwurf der "Programmatischen Eckpunkte" stimmt in den wesentlichen Kernaussagen mit dem überarbeiteten Eckpunktepapier vom September überein. So enthält auch er überwiegend Positionen, die die Linkspartei.PDS seit Jahren in ihren programmatischen Papieren vertritt. Dazu gehört insbesondere das Festhalten am Ziel der SystemFesthalten am überwindung, indem eine Gesellschaft gefordert wird, die "über den Ziel der SystemKapitalismus hinausweist und die ihn in einem transformatorischen Proüberwindung zess überwindet". Die anzustrebende Gesellschaft wird wieder - wie bereits im Programm der PDS von 2003 - mit dem verkürzten Zitat aus dem "Kommunistischen Manifest" (1848) von Karl Marx und Friedrich Engels beschrieben als "eine Gesellschaft, in der die freie Entwicklung einer und eines jeden die Bedingung der freien Entwicklung aller" ist. Die beiden Vorentwürfe wiesen diese Formulierung nicht auf. Enthalten ist auch die Aussage, dass die neue Partei "plural" sein solle. Hiermit wird auf das bisher von der "Linkspartei.PDS" vertretene Prinzip des "Pluralismus" verwiesen, d.h. das Recht, innerhalb der Partei Zusammenschlüsse oder Plattformen zu bilden. Dies berechtigt die neue Partei, auch offen extremistische Zusammenschlüsse zu bilden. Der Gesamtverlauf der Fusionsbestrebungen und die Formulierungen in den Entwürfen der Gründungsdokumente machen deutlich, dass der Zusammenschluss beider Parteien maßgeblich durch die Linkspartei.PDS Dominierende bestimmt oder sogar dominiert wird. Nach Beratungen innerhalb beider Linkspartei.PDS Parteien soll auf parallel stattfindenden Parteitagen am 24. und 25. März 2007 über die bis dahin vorliegenden Leitanträge entschieden werden. Anlässlich einer außerordentlichen Tagung des 10. Parteitags der Linkspartei.PDS am 26. November in Berlin stimmten 84,7 % der gewählten Delegierten der Umwandlung der Partei von einem nicht rechtsfähigen Umwandlung in in einen rechtsfähigen Verein durch Änderung des Statuts zu. Einen rechtsfähigen gleichlautenden Beschluss hatte die WASG eine Woche zuvor auf ihrem Verein Bundesparteitag gefasst. Ein von der Linkspartei.PDS in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zu Fragen einer Parteifusion war zu dem Ergebnis gekommen, dass sich beide Parteien zunächst in eingetragene und damit rechtsfähige Vereine umwandeln sollten und dann der kleinere Verein dem größeren beitritt. Die aufnehmende Partei müsse nicht aufgelöst werden und behalte alle ihr zustehenden Rechtsansprüche und deren verfestigte Vorstufen. Die Umwandlung bedeute weder den Verlust des Parteistatus noch eine Einschränkung des politischen Handlungsspielraums. Am 10. Dezember beschlossen die Vorstände von Linkspartei.PDS und WASG auf einer gemeinsamen Sitzung die Entwürfe der GründungsVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 156 Linksextremismus dokumente für die Partei "DIE LINKE.", nämlich die "Programmatischen Eckpunkte", die Bundessatzung, die Bundesfinanzordnung und die Schiedsordnung. Auf Drängen vieler Mitglieder der Linkspartei.PDS fand nun der Begriff des "demokratischen Sozialismus" deutlicher formuliert Eingang in den Entwurf der "Programmatischen Eckpunkte". 2.1.2 Organisation Die Linkspartei.PDS ist eine auf Bundesebene organisierte Partei mit Sitz in Berlin. Sie gliedert sich in 16 Landesverbände, deren Gebiete mit den Ländern identisch sind, mit Kreisverbänden und Basisorganisationen. Die Partei verfügt bundesweit über rund 60.300 Mitglieder (2005: 61.500). Damit verzeichnet die Linkspartei.PDS im Vergleich zum Vorjahr erneut einen Mitgliederrückgang. Über 70 % der ParBundesweit teimitglieder sind 60 Jahre und älter; nur etwa 3 % sind jünger als rückläufige 30 Jahre. Nach Angaben der Parteiführung stammen 70 bis 80 % der Mitgliederzahl Mitglieder aus der ehemaligen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) der DDR, darunter auch Mitarbeiter des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit. Nutzung des Seit Jahren nutzt die Linkspartei.PDS die Kommunikationsmöglichkeiten Internets im Internet. Verschiedene Gliederungen der Partei, wie die Linkspartei.PDS-Delegation in der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) im Europäischen Parlament, die Linkspartei.PDS-Fraktion im Deutschen Bundestag, Linkspartei.PDS-Fraktionen in den Bundesländern, der Bundesvorstand, Landesund Kreisverbände sowie Einzelpersonen sind neben einer so genannten Startseite der Linkspartei.PDS mit eigenen Homepages vertreten. Auch in Bayern nehmen Kreisverbände und Basisorganisationen das Internet in Anspruch. Der Linkspartei.PDS-nahe Jugendverband ['solid] nutzt bundesund landesweit ebenfalls das moderne Kommunikationsmedium. 2.1.3 Plattformen, Arbeitsund Interessengemeinschaften Plattformen, Arbeitsund Interessengemeinschaften sowie ähnliche innerparteiliche Zusammenschlüsse sind wesentlich für die Bündnisund Integrationspolitik der Linkspartei.PDS. Sie wirken im Rahmen des Statuts in der Partei, können sich eigene Satzungen geben und können ihre politischen Ziele in der Partei offen vertreten. Sie sind integrale BeVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 157 standteile der Linkspartei.PDS. Die Partei muss sich deshalb die Tätigkeit Integrale der Plattformen, Arbeitsund Interessengemeinschaften wie auch das Bestandteile der Wirken der sonstigen innerparteilichen Zusammenschlüsse sowie die Linkspartei.PDS Äußerungen ihrer Mitglieder als Gesamtpartei zurechnen lassen. Plattformen sind in der Regel Zusammenschlüsse mit gemeinsamer Ideologie, während Arbeitsund Interessengemeinschaften themenbezogen auf wichtigen Aktionsfeldern tätig werden. 2.1.3.1 Kommunistische Plattform (KPF) Die am 30. Dezember 1989 gegründete KPF der Linkspartei.PDS - ihr sind etwa 1.000 Mitglieder zuzurechnen - ist eine marxistisch-leninistische Organisation. Sie betrachtet die DKP als natürliche Verbündete und arbeitet auch mit der noch in der DDR gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zusammen. Innerhalb der Linkspartei.PDS ist die KPF die Gruppierung, die sich am deutlichsten zum Kommunismus bekennt. Sie strebt die Fortsetzung marxistischer und Bekenntnis zum leninistischer Politik, also die Diktatur des Proletariats, an. In ihren Marxismus-LeniGründungsthesen betonte sie: nismus "Die revolutionäre Arbeiterbewegung mit dem Wissenschaftlichen Kommunismus, mit dem Marxismus-Leninismus, zu verbinden, aufgrund der marxistisch-leninistischen Analyse der realen Gesellschaftsentwicklung Strategie und Taktik zu bestimmen und Politik zu organisieren - ist vornehmste Aufgabe der Kommunisten und sie bleibt es." Nach einer programmatischen Erklärung vom Februar 1994, verfasst von drei Sprechern der KPF, bildet der Wissenschaftliche Kommunismus, wie er durch Lenin, Luxemburg, Gramsci, Trotzki, Bucharin oder Mao Tse-tung weiterentwickelt worden ist, die Grundlage für die Politik der KPF. Ziel der KPF sei die revolutionäre Transformation der alten, der Klassengesellschaft, in eine neue klassenlose Gesellschaft. Die KPF strebt eine enge Zusammenarbeit mit anderen kommunistischen Parteien und Organisationen an und sucht die Beteiligung an außerparlamentarischen Initiativen, insbesondere in dem von ihr in kommunistischer Ideologie verstandenen Antifaschismus. Am 19. März veranstaltete die KPF in Berlin die 5. Tagung ihrer 5. Tagung der 12. Bundeskonferenz, in deren Mittelpunkt die Festlegung der "näch12. Bundessten Aufgaben der Kommunistischen Plattform der Linkspartei.PDS" konferenz stand. Im dazu ergangenen Beschluss heißt es: "Im Rahmen der Diskussion über die programmatischen Eckpunkte einer zukünftigen Linkspartei formulieren wir gemeinsam mit Genossinnen und Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 158 Linksextremismus Genossen des Marxistischen Forums und des Geraer Dialogs unverzichtbare Positionen zu den Schwerpunkten: sozialistisches Ziel und Umgang mit dem Sozialismus des vergangenen Jahrhunderts, friedenspolitische Grundsätze, Verhältnis von Opposition und Regierungsbeteiligung." Verankerung in der Weiter unterstreicht die KPF in demselben Beschluss ihre feste VerankeLinkspartei.PDS rung in der Linkspartei.PDS. Hintergrund ist die Befürchtung der KPF, in der künftigen Partei in ihrer Position geschwächt oder sogar ausgegrenzt zu werden. "Wir analysieren besonders aufmerksam die strukturellen Entwicklungen im Rahmen des Fusionsprozesses und die sich in diesem Zusammenhang abzeichnenden statutarischen Konsequenzen. Wir werden, wie schon in den vergangenen Jahren, keinem Druck nachgeben, der darauf gerichtet ist, die marxistisch orientierten Gliederungen in der PDS in welcher Form auch immer einzuschränken. Wir beteiligen uns mit anderen an der Verteidigung und Ausweitung der demokratischen Mitgliederrechte in unserer Partei. Vielmehr intensivieren wir unsere Zusammenarbeit mit dem Marxistischen Forum, dem Geraer Dialog und anderen marxistisch orientierten Kräften innerhalb und außerhalb der Partei, insbesondere mit der DKP." In einem anderen Beschluss wird bekräftigt, gegen die von der Linkspartei.PDS und der WASG vorgestellten "Programmatischen Eckpunkte" Einwände in Form eines eigenen "Diskussionspapiers zur Debatte über die Programmatischen Eckpunkte" geltend und gleichzeitig zur Richtschnur in der begonnenen Programmdebatte zu machen. Beanstandet wird darin, das Sozialismusbild der "Eckpunkte" sei verschwommen, die Kritik am bestehenden Kapitalismus beschönigend und das pazifistische Profil der Partei untergraben. Eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDS auf Bundesebene sei nach wie vor abzulehnen, da auf diesem Wege der neoliberalen Offensive Vorschub geleistet würde. 13. BundesAuf der 1. Tagung der 13. Bundeskonferenz der KPF am 1. Oktober in konferenz Berlin beschlossen die Delegierten ihre künftigen Aufgabenschwerpunkte im Hinblick auf den nächsten Bundesparteitag der Linkspartei.PDS im März 2007. Im Mittelpunkt der aktiven Arbeit stehen danach das Statut der neuen Linkspartei, die Mitwirkung in der Programmdiskussion sowie der verstärkte Kampf gegen Antikommunismus. Die Solidarität mit dem sozialistischen Kuba soll vertieft und die aktive Arbeit in antifaschistischen Bündnissen fortgeführt werden. In Bayern ist die KPF nicht aktiv. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 159 2.1.3.2 Marxistisches Forum (MF) Am 6. Juni 1995 konstituierte sich in Berlin das orthodox-kommunistisch ausgerichtete MF. Es will die soziale, ökonomische und politische Situation mit den Mitteln des Marxismus analysieren, die marxistische Theorie weiterentwickeln und zur theoretischen Fundierung Weiterentwickder Politik der Linkspartei.PDS beitragen. Dazu gehöre neben der lung der marxismarxistischen Aufarbeitung der Geschichte der DDR und des Soziatischen Theorie lismus auch die Untersuchung der Dialektik von systemimmanenten und systemüberwindenden Reformen. Außerdem solle auf die notwendige Verstärkung des antimilitaristischen Kampfs aufmerksam gemacht werden. Dem Zusammenschluss innerhalb der Linkspartei.PDS gehören rund 60 Personen an, darunter Parteimitglieder sowie Personen des Staatsapparats, des Kulturund Wirtschaftsbereichs der ehemaligen DDR. Das Forum übt Einfluss in der Partei u.a. über die Mitgliedschaft in verschiedenen Parteigremien aus. 2.1.4 Jugendverband ['solid] Am 19. Juni 1999 wurde in Hannover der Jugendverband ['solid] - die sozialistische Jugend gegründet. Der Name steht für "sozialistisch, links und demokratisch". Ziel des Jugendverbands ist es nach der im "Die Linke.PDS-Pressedienst" Nummer 25 vom 25. Juni 1999 abgedruckten Gründungserklärung, in organisierter Form der "rechten Hegemonie in Gründungsder Gesellschaft" entgegenzutreten. Man wolle keine "Kampfreserve" erklärung der Linkspartei.PDS werden, sondern strebe "eine gleichberechtigte Zusammenarbeit auch mit den regionalen und lokalen Jugendstrukturen in und bei der PDS" an; ['solid] sei nicht die Jugendorganisation der Linkspartei.PDS. Anlässlich der 1. Tagung des 8. Parteitags vom 12. bis 13. Oktober 2002 in Gera erklärte der Parteivorstand der Linkspartei.PDS in seinem Tätigkeitsbericht: "Der Parteivorstand erkannte per Beschluss ['solid] als den PDS-nahen bundesweiten Jugendverband an und unterstützte ihn materiell und ideell." Organ der Jugendorganisation ist "Die Ware"; das Magazin erscheint vierteljährlich. Dem Jugendverband ['solid] gehören in 14 Landesverbänden zwischenzeitlich etwa 1.500 Mitglieder (davon rund 100 in Bayern) an. Er verfügt in Bayern über einen Landesverband mit OrtsOrganisationsgruppen in München, Passau, Regensburg, Nürnberg, Bayreuth, Ingolstrukturen stadt, Aschaffenburg, Coburg, Weißenburg, Würzburg und Bamberg. In Erlangen wurde eine Ortsgruppe und in Cham eine Regionalgruppe Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 160 Linksextremismus neu gegründet. Als Organ der bayerischen Jugendorganisation erscheint der Landesmitgliederrundbrief "['ROTFRONT!]". BundesdelegierAuf der 7. Bundesdelegiertenkonferenz des Jugendverbands ['solid] vom tenkonferenz 12. bis 14. Mai in Potsdam wählten die Delegierten einen neuen Bundessprecherrat, dem sowohl ein Vertreter der marxistisch-leninistisch beeinflussten Kommunistischen Plattform der Linkspartei.PDS (KPF) als auch erstmals ein Mitglied der nicht extremistischen Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative" (WASG) angehören. Der Vorsitzende der Linkspartei.PDS Prof. Dr. Lothar Bisky sicherte als Gastredner dem Verband die Unterstützung seiner Partei zu. Neben den Wahlen diskutierten die rund 100 Delegierten über die weiteren inhaltlichen Schwerpunkte und Aktionen des Jugendverbands im kommenden Jahr. Im Leitantrag "Mitmachen, die Linke stark machen, den Kapitalismus kaputtmachen!" bekräftigte der Jugendverband seinen Gestaltungsanspruch im Parteineubildungsprozess. Die neue Linke müsse mit einem populären Antikapitalismus einer gesellschaftlichen Gegenbewegung zum Neoliberalismus den Boden ebnen. Das gewachsene Konzept des parteinahen Jugendverbands soll präzisiert, weiterentwickelt und mit Hilfe von Kampagnen und Projekten für "weitere junge Engagierte" geöffnet werden. Hinsichtlich des Verhältnisses von ['solid] zur Linkspartei.PDS wird betont, dass ['solid] ein "Netzwerkverband" sowie eine "nur" parteinahe Jugendorganisation sei. Ein hoher Freiheitsgrad gegenüber der Partei und das Recht auf Selbstorganisation seien Ausdruck eines innoCharakter der vativen linken Organisationsverständnisses. Zum Charakter der künfkünftigen tigen Aktivitäten des Verbands, u. a. im Zusammenhang mit der "selbstAktivitäten ernannten Weltregierung G8", heißt es: "Unser Agieren sollte vermehrt im offenen zivilen Ungehorsam ufern. Revoltieren gegen menschenverachtende Verhältnisse und die Aneignung dessen, was uns allein zusteht, sind, ob symbolisch oder praktisch, Ziele eines solchen Aktionismus. Ob nun das Blockieren von Veranstaltungen, das Stören von öffentlichen Zelebrierungen von Nationalismus und Militarismus oder das Auftauchen mit unseren Botschaften an Orten, wo mensch dies nicht wünscht - vieles ist möglich und unserer Kreativität sind nur wenige Grenzen gesetzt. Das Überschreiten von Grenzen sorgt nicht nur für eine stärkere öffentliche Aufmerksamkeit, sie ist vor allem Ausdruck unseres Willens, dieses System ... zu überwinden." Neuformierung In einem am 15. August veröffentlichten Thesenpapier zur "Neuformierung einer pluralen Jugendorganisation der Linken" sprach sich ['solid] erneut für einen "Netzwerkund Beteiligungsverband" aus, der den Gruppen vor Ort eine hohe Autonomie lasse und einen "breiten Einstiegskorridor in die Neue Linke" biete. Die "politische Eigenverantwortlichkeit des Verbands" dürfe von der Partei nicht in Frage gestellt Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 161 werden; gleichzeitig müsse aber die "Interaktion zwischen Partei und Jugendverband strukturell gesichert sein". Am 9. Dezember rief der Vorstand der Linkspartei.PDS alle Mitglieder unter 35 Jahren dazu auf, sich an Landesversammlungen zu beteiligen, damit ein neuer gemeinsamer Jugendverband der Partei "DIE LINKE" im Mai 2007 gegründet werden kann. Ebenfalls am 9. Dezember fand in Cham die LandesmitgliederversammLandesmitgliederlung von ['solid] Bayern statt. Bei den rund 25 Teilnehmern standen der versammlung Status und die zukünftige Form von ['solid] in der neuen Partei genauso zur Debatte wie die Aktionen in den Ortsgruppen oder die des Landesverbands. Die Mitglieder waren überzeugt, dass eine Fusion mit der WASG-Jugendorganisation ein "überaus produktives und gutes Ergebnis" nach sich ziehen werde. Agitationsthema von ['solid] Bayern war - wie auch im Vorjahr - die BilAgitationsdungsund Beschäftigungspolitik in Bund und Ländern. So riefen Aktischwerpunkte visten der neuen Ortsgruppe Erlangen unter dem Motto "Es reicht! Kapitalismus abschaffen! Perspektiven schaffen!" zu einer Demonstration am 7. Oktober gegen "die Ausbildungsplatzmisere, Studiengebühren, Büchergeld und Bildungsklau" auf. Der Antifaschismus stellte das zweite Hauptagitationsund Aktionsthema des Landesverbands dar. In Nürnberg beteiligte sich ['solid] am 14. Oktober an einer Demonstration unter dem Leitspruch "We can do it!" gegen einen gleichzeitig stattfindenden Aufmarsch von Neonazis. ['solid]-Aktivisten aus Bund und Land hatten zuvor zur Gegendemonstration aufgerufen. 2.1.5 Die Linkspartei.PDS Landesverband Bayern und ihre Organisationseinheiten Die in Bayern seit dem 11. September 1990 bestehende Linkspartei.PDS Organisation setzt sich aus dem Landesverband, 21 Kreisverbänden und 28 Basisin Bayern organisationen zusammen. Neu errichtet - zum Teil auch durch Umstrukturierung bestehender Basisorganisationen - wurden die Kreisverbände Bayerwald, Cham, Coburg, Erlangen-Höchstadt, Freising, Oberland, Rosenheim, Schweinfurt und Traunstein. Beim Kreisverband München bildete sich ein "Arbeitskreis Trennung Kirche und Staat". Der Sitz des Landesverbands Bayern befindet sich in München. Für einige örtliche Strukturen bestehen Kontaktund Anlaufadressen. In Bayern erhöhte sich die Zahl der Linkspartei.PDS-Mitglieder von rund 500 auf etwa 600 beitragspflichtige Personen. Dies ist sowohl auf die Erfolge Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 162 Linksextremismus bei der Bundestagswahl 2005 als auch auf die Möglichkeit von Doppelmitgliedschaften in der Linkspartei.PDS und der WASG zurückzuführen. Politischer In Passau, Ingolstadt und Freising hielt die Linkspartei.PDS Bayern am Aschermittwoch 1. März die traditionellen Aschermittwochstreffen ab. In Passau sprachen der Vorsitzende der Linkspartei.PDS-Bundestagsfraktion Dr. Gregor Gysi sowie sein Fraktionskollege und Bundesvorsitzender der nicht extremistischen WASG Klaus Ernst zu den rund 500 Besuchern. In Freising traten die Bundestagsabgeordnete der bayerischen Linkspartei.PDS Kornelia Möller sowie des Sprechers des Landesverbands Bayern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) und Mitglied der Linkspartei.PDS Dr. Guido Hoyer vor annähernd 25 Zuhörern als Redner auf. In Ingolstadt referierte die Linkspartei.PDS-Bundestagsabgeordnete Dr. Gesine Lötzsch vor etwa 50 Personen. Der Landesverband berief insgesamt drei Landesparteitage ein. Auf dem Parteitag am 28. und 29. Januar in Regensburg wählten die Delegierten einen neuen Landesvorstand. Dabei wurde die Linkspartei.PDS-Bundestagsabgeordnete Eva Bulling-Schröter als Landessprecherin erneut bestätigt. Josef Obermeier übernahm das Amt des nicht mehr zur Wahl angetretenen Landessprechers Reinhold Rückert. Die stellvertretende Linkspartei.PDS-Bundesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Katja Kipping berichtete über das 100-Tage-Programm der Linkspartei.PDS-Bundestagsfraktion und den Stand des Fusionsprozesses mit der WASG. Die Versammlung bekräftigte den Wunsch und die Notwendigkeit zum Zusammengehen der Linken in Bayern. Nach Ansicht der Landessprecherin müsse im laufenden Fusionsprozess auch ein klares bayerisches Profil erkennbar sein. Der Landesparteitag am 1. Juli in Bamberg unter dem Motto "Von Arbeit Landesparteitag muss man leben können - darum Mindestlohn jetzt!" stand im Zeichen in Bamberg der von der Bundespartei gestarteten Kampagne zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Die Landessprecherin und Bundestagsabgeordnete Eva Bulling-Schröter konnte zu diesem Themenkomplex als Gastredner den stellvertretenden Landesbezirksvorsitzenden der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) begrüßen. Im Hinblick auf den Parteineubildungsprozess fassten die Delegierten den Beschluss, der Landesvorstand habe an den Bundesvorstand zu appellieren, dass Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 163 die "basisdemokratischen Strukturen" der Linkspartei.PDS in Bayern - bestehend aus Landesverband, Kreisverbänden, Basisorganisationen, Arbeitsgemeinschaften, Interessensgruppen und Plattformen - auch in der "Nachfolgepartei" fortzuführen seien. Dies müsse auch in einem neuen Statut der beiden Parteien so berücksichtigt werden. Auf diese Weise könne die neue Partei auf das bisherige Organisationsgerüst der Linkspartei.PDS zurückgreifen und eine "lebendige, basisdemokratische Entwicklung" garantieren. Auf der Landesmitgliederversammlung am 4. November in Augsburg Landesmitgliederdiskutierten etwa 50 Mitglieder den Entwurf der Gründungsdokumente versammlung in von Linkspartei.PDS und WASG. Sie erklärten, die Parteienfusion auf Augsburg Landesebene mit dem Aufbau einer bayerischen Landesund Kreisstruktur der neuen Partei zu unterstützen. Außerdem solle bis zur Parteigründung im Juni 2007 ein kommissarischer Parteivorstand einberufen werden, der die Parteibildung in Bayern unmittelbar nach der bundesweiten Neugründung umsetzen soll. 2.1.6 Teilnahme an Wahlen Die Linkspartei.PDS wurde bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am Landtagswahlen 26. März mit einem Zweitstimmenanteil von 24,1 % erneut zweitstärkste politische Kraft im Land und erzielte gegenüber 2002 einen Zuwachs von 3,7 Prozentpunkten. Bei den zeitgleich durchgeführten Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz kandidierte die Linkspartei.PDS nicht eigenständig, sondern trat mit einigen Kandidaten auf den Listen der WASG an. Die WASG scheiterte gleichwohl in beiden Ländern an der 5 %-Hürde. In Mecklenburg-Vorpommern erzielte die Linkspartei.PDS bei der Landtagswahl am 17. September einen Zweitstimmenanteil von 16,8 % und behielt damit ihren Status als drittstärkste Fraktion. Bei der ebenfalls am 17. September abgehaltenen Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin fiel sie jedoch auf einen Zweitstimmenanteil von 13,4 % gegenüber 22,6 % im Jahr 2001 zurück. 2.1.7 Kommunistischer Internationalismus Im Rahmen der so genannten internationalen Solidarität unterhält die Linkspartei.PDS vielfältige Verbindungen und Kontakte zu ausländischen kommunistischen Parteien und anderen ausländischen Linksextremisten. Das Parteiprogramm der Linkspartei.PDS nennt dies "InternationaInternationalismus lismus" und orientiert sich damit an der Idee des Weltkommunismus. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 164 Linksextremismus Mit der kubanischen Revolution fühlt sich die Linkspartei.PDS solidarisch eng verbunden, was nicht zuletzt auch in Aufrufen zu Spendenaktionen für das kommunistische Kuba zum Ausdruck kommt. Die Partei Auslandskontakte unterhält zudem ausgeprägte Kontakte zu Funktionären im sozialistisch regierten Venezuela. Eine seit jeher ideologisch motivierte internationalistische Solidarität gibt es auch für ausländische "Befreiungsbewegungen", so für die kolumbianische Guerillaorganisation FARC-EP, die Aufnahme in die EU-Liste der terroristischen Vereinigungen gefunden hat. Am 16. August reisten Linkspartei.PDS-Mitglieder des Kreisverbands Augsburg und des Bezirks Schwaben nach Bregenz, um Mitglieder der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) bei ihrer Unterschriftensammlung für die Zulassung der KPÖ an den Nationalratswahlen im September zu unterstützen. Zum 71. Pressefest der kommunistischen Zeitschrift "L'Humanite" vom 15. bis 17. September in La Courneuve bei Paris reiste auch eine bayerische Linkspartei.PDS-Delegation an. 2.1.8 Zusammenarbeit mit anderen Linksextremisten Die Linkspartei.PDS pflegt Kontakte zu fast allen anderen inländischen linksextremistischen und linksextremistisch beeinflussten Gruppierungen sowie zu gewaltbereiten Autonomen und arbeitet mit ihnen zusammen. Veranstaltung Am 15. Januar legte der Vorsitzende der Linkspartei.PDS Prof. Dr. Lothar in Berlin Bisky gemeinsam mit den beiden Vorsitzenden der Linkspartei.PDS-Bundestagsfraktion Oskar Lafontaine und Dr. Gregor Gysi aus Anlass des 87. Jahrestags der Ermordung der Gründer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, traditionell Kränze am Denkmal der ermordeten Kommunisten in Berlin-Friedrichsfelde nieder. Rund 20.000 Personen, darunter Angehörige der Linkspartei.PDS und revolutionär-marxistischer Organisationen, beteiligten sich an dem Gedenkmarsch. Unter den Teilnehmern befanden sich außerdem der ehemalige Staatsratsvorsitzende der DDR und Parteichef der SED Egon Krenz, der Ehrenvorsitzende der Linkspartei.PDS und letzte DDR-Ministerpräsident Dr. Hans Modrow sowie der Vorstand der Partei der Europäischen Linken (EL) mit ihrem Vorsitzenden Fausto Bertinotti. Aktivitäten Anlässlich eines Aufzugs von Rechtsextremisten am 1. April in Cham in Bayern beteiligten sich rund 350 Personen des linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten Spektrums an einer Gegendemonstration. Darunter befanden sich Aktivisten der autonomen und antifaschistischen Szene in Regensburg, der Ortsgruppe Regensburg von ['solid], Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 165 der VVN-BdA und der Linkspartei.PDS. Die Landessprecherin der Linkspartei.PDS Landesverband Bayern und Bundestagsabgeordnete Eva Bulling-Schröter sprach zu den Gegendemonstranten. In Augsburg beteiligten sich am 1. Mai bis zu 1.000 Anhänger der Linkspartei.PDS, der VVN-BdA, der MLPD und der KPD an Demonstrationen. Ein Aufmarsch von Rechtsextremisten am 14. Oktober in Nürnberg führte zu einer Gegendemonstration unter dem Motto "We can do it!", an der sich Aktivisten der Linkspartei.PDS und von ['solid] beteiligten. Von insgesamt rund 5.000 Gegendemonstranten waren nahezu 800 Teilnehmer dem linksextremistischen Spektrum - darunter etwa 400 Personen der gewaltbereiten autonomen Szene - zuzurechnen. 2.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Deutschland Bayern Mitglieder: 4.200 400 Vorsitzender: Heinz Stehr Gründung: 26.09.1968 Sitz: Essen Nürnberg und München Publikationen: "Unsere Zeit" (UZ); "Rundbrief" "Marxistische Blätter" 2.2.1 Ideologische Ausrichtung Die bis zur Wende von der SED der DDR ideologisch und materiell abhängige DKP bestätigte ihre gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzung und ihre unveränderte ideoloUnveränderte gische Ausrichtung im neuen Parteiprogramm, das auf der 2. Tagung ideologische des 17. Parteitags am 8. April in Duisburg-Rheinhausen beschlossen Ausrichtung wurde und das seit 1978 geltende Programm ablöst. Innerparteiliche Konflikte hatten seit 1993 eine Neufassung verhindert. Die DKP versteht sich weiterhin als Partei, die in der Arbeiterklasse jene Bekenntnis zu revolutionäre Kraft sieht, die im Bündnis mit anderen Teilen der BevölSozialismus und kerung die Eigentumsund Machtverhältnisse "revolutionär" veränKlassenkampf dern und den "Sozialismus" durchsetzen kann. In der Präambel des neuen Parteiprogramms heißt es dazu: "Die DKP als revolutionäre Partei der Arbeiterklasse ist hervorgegangen aus dem Kampf der deutschen Arbeiterbewegung gegen kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Militarismus und Krieg. Sie steht in der Tradition der revolutionären deutschen Sozialdemokratie und der KommunistiVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 166 Linksextremismus schen Partei Deutschlands. (...) Fundament und politischer Kompass der Politik der DKP sind die von Marx, Engels und Lenin begründeten und von anderen Marxistinnen und Marxisten weitergeführten Erkenntnisse des wissenschaftlichen Sozialismus, der materialistischen Dialektik, des historischen Materialismus und der Politischen Ökonomie. Die DKP wendet diese Lehren des Marxismus auf die Bedingungen des Klassenkampfes in unserer Zeit an und trägt zu ihrer Weiterentwicklung bei. (...) Ziel der DKP ist der Sozialismus/Kommunismus. Unter der Voraussetzung des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln und der gesamtgesellschaftlichen Planung der Produktion kann in einem längeren historischen Prozess eine Ordnung menschlichen Zusammenlebens entstehen, 'worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist'.(K. Marx / F. Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, 1848) Für dieses Ziel die Arbeiterklasse und die Mehrheit der anderen Werktätigen zu gewinnen - darum geht es der DKP." Idealisiertes Bild Ferner wird ein idealisiertes Bild des "realen Sozialismus" gezeichnet des "realen Soziaund dessen diktatorischer Charakter einschließlich der systemimmanenlismus" ten Verbrechen ausgeblendet: "Das Ziel der Deutschen Kommunistischen Partei, der Sozialismus, ist die grundlegende Alternative zum Kapitalismus. (...) Der Übergang zum Kommunismus wird in einem langen geschichtlichen Prozess durch den Aufbau des Sozialismus vorbereitet. Die sozialistische Gesellschaftsordnung setzt die Erringung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse im Bündnis mit den anderen Werktätigen voraus. Sie gründet sich auf das gesellschaftliche Eigentum an allen wichtigen Produktionsmitteln, an den Finanzinstituten und Naturressourcen. Sie ermöglicht damit die planvolle Nutzung und Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums zum Wohle der Allgemeinheit ..." "Sie (Anmerkung: die Oktoberrevolution 1917 in Russland) gab der Menschheit das Signal zum Aufbruch in eine neue Epoche. Unter ungünstigsten Ausgangsbedingungen wurden in der Sowjetunion und später in weiteren sozialistischen Staaten großartige Leistungen vollbracht. (...) Die Deutsche Demokratische Republik hat unter Führung der SED der Macht des deutschen Imperialismus Grenzen gesetzt." Arbeiterklasse als Die Arbeiterklasse sei die entscheidende Kraft im Kampf gegen die entscheidende Kraft Macht des Kapitals und zur Erkämpfung des Sozialismus. Das Zusammengehen der Klasse mit ganzer Kraft zu unterstützen, das Einigende in den Vordergrund zu rücken, gemeinsame Aktionen zu fördern und zur Entwicklung des Klassenbewusstseins beizutragen bezeichnet die DKP als ihren Grundsatz und ihre Aufgabe. Als Akteure für den sozialistischen Aufbau sieht die DKP aber nicht mehr ausschließlich die kommunistische Partei und die Arbeiterklasse, Neue "soziale sondern die "große Vielfalt neuer sozialer Akteure" und jedes potenAkteure" zielle Opfer des "Neoliberalismus". Zu diesen Kräften zählt die DKP soziale Protestbewegungen, Gewerkschaften, "Abgeordnete linker ParVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 167 teien und Wahlbündnisse" sowie "antifaschistische Organisationen und Bündnisse". Gleichwohl ist sie bestrebt, in wichtigen VorfeldorganisaEinfluss in Vortionen, wie der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der feldorganisationen Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) und der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), ihren maßgeblichen Einfluss nicht aufzugeben. Die Agitation der DKP richtete sich vorrangig auf die Themenbereiche Antifaschismus, Anti-Globalisierung, Antimilitarismus sowie "Demokratieund Sozialabbau". Aus Anlass des 50. Jahrestags des Parteiverbots der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) durch das Bundesverfassungsgericht führte die DKP am 19. August in Berlin eine Veranstaltung unter dem Motto "50 Jahre KPD-Verbot - Kommunisten-Verfolgung beenden! Das KPD-Verbot aufheben!" durch. Die Veranstaltung war Teil einer neu aufgelegten Kampagne, die bereits vor Jahren dazu benutzt wurde, um die Aufhebung des KPD-Verbots und eine Entschädigung der vermeintlichen Opfer des "Kalten Krieges" voranzutreiben. In Bayern fanden aus diesem Anlass DKP-Veranstaltungen am 6. September in Hassfurt und am 30. September in Nürnberg statt. 2.2.2 Organisation Die DKP ist eine bundesweit organisierte Partei mit Sitz in Essen. Sie ist in 18 Bezirksorganisationen - 13 in den westlichen Bundesländern sowie eine in Berlin und vier in ostdeutschen Ländern - gegliedert, die Organisationsweiter in 87 Kreisund 280 Grundorganisationen sowie 14 Betriebsstrukturen gruppen unterteilt sind. Die Zahl der Mitglieder ist bei fortschreitender Überalterung auf 4.200 zurückgegangen. Dem sich aus 40 Mitgliedern zusammensetzenden Parteivorstand gehören neben dem DKP-Vorsitzenden Heinz Stehr und den beiden stellvertretenden Vorsitzenden Prof. Dr. Nina Hager und Rolf Priemer auch vier Funktionäre aus Bayern an. In Bayern bestehen zwei Bezirksorganisationen (Nordund Südbayern), zwölf Kreisverbände, eine Betriebsgruppe sowie ein "BetriebsRückgang der aktiv". Die Mitgliederzahl in Bayern verringerte sich weiter auf rund Mitgliederzahl in 400. Die DKP wird überwiegend von Altkommunisten repräsentiert. Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 168 Linksextremismus 2.2.3 Internationale Verbindungen Auf der Grundlage des kommunistischen Internationalismus unterhält Kontakte zu die DKP eine Vielzahl von Kontakten zu kommunistischen Parteien und ausländischen Bewegungen, insbesondere in Kuba, Venezuela und der Tschechischen kommunistischen Republik. Seit Jahren pflegt die DKP Nordbayern enge Verbindungen Parteien zur Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSCM) und zu deren am 12. Oktober vom Innenministerium der Tschechischen Republik verbotenen Jugendorganisation KSM. Seit Januar 2005 ist die DKP in der Partei der Europäischen Linken (EL) Mitglied mit Beobachterstatus. 2.2.4 Umfeld der DKP 2.2.4.1 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Deutschland Bayern Mitglieder: 6.000 700 Vorsitzende: Prof. Dr. Heinrich Fink; Werner Pfennig Gründung: 15.-17.03.1947 Sitz: Berlin (Bundesgeschäftsstelle) Publikation: "antifa" Die VVN-BdA bleibt die bundesweit größte Organisation im linksextremistischen Spektrum des Antifaschismus. Als gleichberechtigte Vorsitzende der VVN-BdA fungieren Prof. Dr. Heinrich Fink aus Berlin und Werner Pfennig aus Stuttgart. Seit August 2003 erscheint die Zeitschrift "antifa" in zweimonatigem Rhythmus. In einem in der Tageszeitung "junge Welt" (jW) vom 14. Januar veröffentlichten Interview bestätigte der ehemalige SED-Funktionär Prof. Dr. Heinrich Fink, der zu DDR-Zeiten Ordinarius an der theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin war, ausdrücklich die extremistische Ausrichtung seiner Vereinigung. Auf die Zwischenbemerkung des Befragers, seinem Verband werde des Öfteren vorgeworfen, im Kampf gegen den Neofaschismus zu sehr auf den Staat zu vertrauen, antwortete der Bundesvorsitzende der VVN-BdA: "Den Vorwurf, wir seien in welcher Art und Weise auch immer staatstragend, möchte ich deutlich zurückweisen. Das Gegenteil ist der Fall." Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 169 Als Grund für die Abstinenz der VVN-BdA von militanten Formen des antifaschistischen Kampfs nannte er in dem Gespräch das Alter der Mitglieder der VVN-BdA, wobei das Gros der Mitglieder eben nicht aus Verbindungen zu Jugendlichen bestehe. Den autonomen Antifaschisten versicherte er autonomen Antischließlich, "auf ihrer Seite zu stehen und jederzeit zu einer Zusamfaschisten menarbeit mit ihnen bereit zu sein". Im Landesverband Bayern der VVN-BdA ist auf Landeswie auf Kreisebene der Einfluss von Linksextremisten, insbesondere aus der DKP, maßgeblich. Die Landesvereinigung unterstützte auch weiterhin aus dem linksextremistischen Spektrum initiierte Aktionen. Schwerpunkte der Agitation der VVN-BdA Bayern waren der als Neofaschismus bezeichnete Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus und Sozialabbau. In Mittenwald, Landkreis Garmisch-Partenkirchen, beteiligten sich Linksextremisten an Protesten gegen die traditionelle, alljährlich stattfindende so genannte Brendten-Feier des "Kameradenkreises der Gebirgstruppe e.V.". Die Gegendemonstrationen fanden vom 26. bis 28. Mai unter dem Motto "Endlich Schluss mit dem Gebirgsjägertreffen in Mittenwald" statt. Hauptinitiatoren dieser Veranstaltungen waren der "Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege", hinter dem maßgeblich die VVN-BdA steht, und die VVN-BdA selbst. Sowohl die AuftaktveranProtestveranstalstaltungen am 26. Mai in Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen tungen in Bayern mit bis zu 50 Teilnehmern als auch die zentrale Demonstration am 27. Mai in und um Mittenwald, an der sich nahezu 300 Personen des linksextremistischen Spektrums beteiligten, verliefen weitgehend störungsfrei. Bei den Protestveranstaltungen wurden Transparente mit Aufschriften wie "Kein Ja und Amen zu Kriegsverbrechen", "Mittenwald: Die Welt zu Gast bei Kriegsverbrechern", "Kein Kriegseinsatz der Bundeswehr" sowie Fahnen der linksextremistischen DKP, der VVN-BdA und der Antifaschisten gezeigt. Am 28. Mai versuchten Demonstrationsteilnehmer, den Gedenkplatz auf dem "Hohen Brendten" zu erreichen, um den dort stattfindenden Gedenkgottesdienst des "Kameradenkreises der Gebirgstruppe e.V." zu stören. Die Polizei erteilte 147 Personen aus dem linksextremistischen Spektrum Platzverweise und nahm drei Personen fest. Der Landesverband Bayern der VVN-BdA veranstaltete am 8. und 9. Juli seine 30. Ordentliche Landesdelegiertenkonferenz in Ingolstadt. Die LandesdelegiertenDelegierten forderten eine Wiederaufnahme des NPD-Verbotsverfahkonferenz rens und beschlossen einstimmig eine Erklärung, in der die Notwendigkeit "antifaschistischer Bündnisse" betont wird. Die Konferenz berief Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 170 Linksextremismus außerdem vier Landessprecher, darunter das Linkspartei.PDS-Mitglied im Stadtrat Freising, Dr. Guido Hoyer. 2.2.4.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Deutschland Bayern Mitglieder: 300 100 Vorsitzender: Kollektiver Bundesvorstand mit 29 Personen Gründung: 04./05.05.1968 Sitz: Essen Publikationen: "POSITION" "KONTRA!" Die mit der DKP eng verbundene SDAJ versteht sich als eigenständige Organisation von Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten, Auszubildenden und jungen Arbeitenden, die in der Bundesrepublik Deutschland leben, unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe oder sexueller Orientierung. Die SDAJ kämpft nach eigener Darstellung für eine Welt ohne Ausbeutung und Rassismus, für eine Welt, in der die Menschen und nicht die Konzerne das Sagen haben. Als ihre Alternative, für die sie sich im Kampf einsetzt, benennt die SDAJ den Sozialismus. Dieser könne nur durch einen Bruch mit dem kapitalistischen System erreicht werden, nicht allein durch Verbesserung der bestehenden Verhältnisse. Deshalb sei sie eine antikapitalistische und revolutionäre Organisation. AgitationsSchwerpunkte der Agitation der SDAJ sind die Forderung nach Verschwerpunkte besserung der Bildungsund Arbeitspolitik für die Jugend, die Bekämpfung des "Faschismus" sowie der Widerstand gegen den Militarismus in der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Die Jugendorganisation greift öffentlichkeitswirksame Themen auf und nutzt diese gezielt für die eigene Propaganda. So beteiligte sich die SDAJ im Februar an Aktionen gegen die 42. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik. Anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft führte die SDAJ als Verantwortliche eines Aktionsbündnisses im Juni einen Aufzug mit Kundgebung in München durch, woran etwa 250 Personen - darunter rund 100 Linksextremisten aus dem Umfeld der SDAJ und der autonomen Szene - teilnahmen. Während des Papstbesuchs in Bayern im September griff die SDAJ die Eskalation im Nah-Ost-Konflikt für ihre eigene Agitation auf. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 171 Die kommunistische Jugendorganisation unterhält Kontakte zu linksextremistischen Ausländerorganisationen und unterstützt zusammen mit anderen kommunistischen Jugendverbänden aus Europa und Nordamerika Solidaritätsprojekte vor allem auf Kuba. Enge Kontakte pflegt die SDAJ Bayern zur Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSCM) in der Tschechischen Republik und zu deren Jugendverband KSM, der am 12. Oktober durch das Innenministerium der Tschechischen Republik verboten wurde. Noch im Juni nahm eine gemeinsame Delegation von DKP und der SDAJ an einem traditionellen Treffen der KSCM in Domazlice teil; im Juli veranstaltete die SDAJ Bayern ihr jährliches Seminar ebenfalls in der Tschechischen Republik. Die SDAJ-Bayern ist Herausgeber der zweimonatlich erscheinenden Jugendzeitung "KONTRA!". In München verzeichnete die SDAJ einen Mitgliederzuwachs. 2.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Deutschland Bayern Mitglieder: 2.300 100 Vorsitzender: Stefan Engel Gründung: 1982 Sitz: Gelsenkirchen München, Nürnberg Publikationen: "Rote Fahne" (Zentralorgan); "REVOLUTIONÄRER WEG" (Theorieorgan); "REBELL" (Jugendmagazin); "Galileo - streitbare Wissenschaft" (Zeitung der MLPD-Hochschulgruppen) Die MLPD wurde 1982 in Bochum gegründet; sie ging durch Umbenennung aus dem im August 1972 gegründeten Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands (KABD) hervor. In der Präambel des Statuts der MLPD wird festgestellt, dass sich die Partei als "politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland" versteht. Ihr grundlegendes Ziel sei "der revolutionäre Sturz der Diktatur des MonopolExtremistische kapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau Grundhaltung des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft". Weiter wird in der Präambel betont: "Die MLPD ist eine Partei neuen Typs. Sie ist im Kampf gegen den Verrat am Sozialismus und die Verfälschung des Marxismus-Leninismus durch den Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 172 Linksextremismus modernen Revisionismus entstanden und arbeitet auf der Grundlage der proletarischen Denkweise. (...) Die Lehren von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tse-tung und ihre lebendige Anwendung auf die konkreten Verhältnisse der fortschreitenden gesellschaftlichen Wirklichkeit bilden die entscheidende Grundlage für einen Aufschwung des Kampfs für den Sozialismus." Maoistisch-stalinisDie maoistisch-stalinistisch ausgerichtete MLPD sieht sich selbst als "Teil tische Ausrichtung der internationalen marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung, Erbe der revolutionären Tradition der KPD, der deutschen Arbeiterklasse und ihrer großen Führer Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Ernst Thälmann". OrganisationsDie zentralistisch geführte MLPD ist in Betriebszellen, Ortsund Kreisstrukturen gruppen, Bezirke und vereinzelt in Landesverbände gegliedert. Ihre Zentrale und ihren Aktionsschwerpunkt hat sie in Nordrhein-Westfalen. Stefan Engel ist seit der Parteigründung im Jahre 1982 Vorsitzender; er gilt als unumstrittener Vordenker und Idol. Laut eigener Aussage ist die Partei zusammen mit ihrem Jugendverband "REBELL" in über 450 Orten in allen Bundesländern Deutschlands vertreten. Die Mehrzahl der Parteimitglieder seien Arbeiter und einfache Angestellte. 80 % der Mitglieder seien in Gewerkschaften organisiert; der Frauenanteil liege bei etwa 38 %. Die MLPD habe Beziehungen zu 470 Parteien und OrganiAuslandskontakte sationen der "internationalen marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung" in 78 Ländern. Am 1. März rief das Zentralkomitee der MLPD zur Unterstützung der terroristisch agierenden Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) und ihres bewaffneten Arms, der Neuen Volksarmee (NPA), auf. Die Partei ist finanziell unabhängig; sie finanziert sich eigenen Angaben zufolge ausschließlich durch freiwillige Spenden und Mitgliedsbeiträge. Die Großspende einer Privatperson an die MLPD in einer Gesamthöhe von 2,5 Millionen Euro in den Jahren 2005 und 2006 rief in den Medien ein enormes Echo hervor. Neben der Frauenund Familienarbeit legt die MLPD besonderes AugenNachwuchsmerk auf die Rekrutierung von Nachwuchskadern im Kinderund Juorganisationen gendbereich. Hierzu bedient sie sich der Jugendorganisation "REBELL" und deren Kinderorganisation "ROTFÜCHSE", die mit altersgerechten Freizeitangeboten locken. Sommercamps mit Freizeitund Bildungsangeboten vermitteln mit jugendnah konzipierten Schulungen eine "proletarische Denkweise". Im linksextremistischen Spektrum ist die "sektenhaft führerzentrierte und autoritär beherrschte" MLPD isoliert. Trotz massiver Bemühungen, Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 173 auf aktuelle politische Entwicklungen mit Kampagnen gegen den Krieg und gegen Sozialabbau adäquat zu reagieren, erfährt sie kaum gesellschaftlichen Zuspruch. Erklärte Hauptgegner sind die als revisionistisch bezeichnete DKP und die Linkspartei.PDS. Bei der am 26. März in Sachsen-Anhalt durchgeführten Landtagswahl bekam die MLPD landesweit 4.060 Zweitstimmen, was einem Anteil von 0,4 % entspricht. Seit August 2004 versucht die Partei, steuernden Einfluss auf die Montagsdemonstrationen gegen den Sozialabbau und "Hartz IV" zu nehmen. Parteiintern wurden die Gliederungen aufgefordert, so genannte überparteiliche Bündnisse zu initiieren und dort die Meinungsführerschaft zu übernehmen. Aus strategischen Überlegungen leugnete die MLPD öffentlich den Versuch der Instrumentalisierung der Montagsdemonstranten. Das allgemeine Interesse an regionalen Demonstrationen gegen "Hartz IV", die auch in Rückgang der Bayern teilweise von der MLPD initiiert und gesteuert wurden, ging Montagsweiter zurück. Die MLPD-Strategie, örtliche Initiativen zu gründen bzw. demonstrationen diese zu vereinnahmen, hat sich nicht bewährt. 2.4 Linksruck-Netzwerk (Sozialistische Arbeitergruppe - SAG) Deutschland Bayern Mitglieder: 400 10 Gründung: 1993 Sitz: Berlin Publikation: "Linksruck" Die bundesweit als Linksruck-Netzwerk auftretende trotzkistische Gruppierung SAG bezeichnet sich in ihren auch im Internet veröffentlichten "Politischen Grundsätzen" selbst als "Strömung der revolutionären Sozialisten". Die Abschaffung des Kapitalismus und die Einführung einer Rätedemokratie sieht das Netzwerk als Voraussetzung für eine "endgültige Beseitigung jeder Unterdrückung". Der freien Marktwirtschaft, die sich als unfähig erwiesen habe, stellt das Netzwerk in seinen Leitsätzen eine auf die Bedürfnisse der Menschen abgestimmte "demokratische Planung der Wirtschaft" entgegen. In seiner Publikation Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 174 Linksextremismus Ideologische "Linksruck - Zeitung für internationalen Sozialismus" betont das NetzAusrichtung werk unter der Rubrik "Linksruck - Wer wir sind": "Wir glauben, dass der Kapitalismus nicht verbessert werden kann, sondern durch eine sozialistische Revolution gestürzt werden muss. (...) Linksruck will alle Menschen zusammenbringen, die denken, dass die Welt grundsätzlich verändert werden muss." Organe des Bundesweite Organe des Netzwerks sind die jährlich stattfindende MitNetzwerks gliederversammlung, die dort gewählte Bundesleitung sowie die in unregelmäßigen Abständen durchgeführte Delegiertenkonferenz "Organisationsrat". Stadtgruppen wählen auf ihren Mitgliederversammlungen die jeweiligen Gruppenleiter. Das Netzwerk organisierte die "Rosa-Luxemburg-Tage 2006" als bundesweite Konferenz unter dem Motto "Marx is muss - Für die neue Linke", die vom 25. bis 28. Mai in Berlin stattfand. Der Schwerpunkt des in Bayern nur wenige Personen umfassenden Linksruck-Netzwerks befindet sich in München. Die Gruppierung betrieb dort einige Informationsstände zur Darstellung Aktivitäten ihrer Politik. Weitere Themenschwerpunkte waren der Sozialabbau bzw. in Bayern der Kampf gegen "Hartz IV". 2.5 Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus Im März 2003 gründete sich als Nachfolgeorganisation des Münchner Bündnisses gegen Rassismus das linksextremistisch beeinflusste Bündnis Umbenennung München gegen Krieg. Am 14. Juni 2005 benannte sich dieses Bündnis in Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus um. Darin sind sowohl demokratische als auch linksextremistische Gruppierungen wie die LinksBündnisbeteiligte partei.PDS, die DKP, die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), der Revolutionär Sozialistische Bund (RSB) und die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) vertreten. Das Bündnis fungierte als Träger oder Unterstützer einer Vielzahl von Aktivitäten wie Demonstrationen, Kundgebungen, Mahnwachen und Informationsveranstaltungen, insbesondere zum Thema "Krieg". Mit weiteren Gruppierungen, beispielsweise dem Münchner Friedensbündnis, schloss sich bereits die Vorgängerorganisation zum Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz zusammen. Dieses Aktionsbündnis, das vom Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus dominiert wird, mobilisierte gegen die 42. Konferenz für Sicherheitspolitik, an der vom 3. bis 5. Februar in München hochrangige RegieVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 175 rungsund Militärvertreter sowie Rüstungsexperten - überwiegend aus den NATO-Staaten - teilnahmen. An den Protestaktionen gegen diese Proteste gegen Konferenz beteiligten sich neben Demonstranten aus dem demokradie 42. Münchner tischen Spektrum auch zahlreiche Linksextremisten. Die Zahl der GegenKonferenz für demonstranten blieb hinter den Erwartungen der im Aktionsbündnis Sicherheitspolitik gegen die NATO-Sicherheitskonferenz vereinten Gruppierungen zurück; damit setzte sich der Trend rückläufiger Teilnehmerzahlen der vergangenen Jahre fort. Am 3. Februar nahmen 500 Personen an einer Veranstaltung des Aktionsbündnisses teil. Die überwiegend jugendlichen Teilnehmer interessierten sich insbesondere für das musikalische Programm. Während der Veranstaltung weigerte sich der linksextremistische Versammlungsleiter und maßgebliche Aktivist des Aktionsbündnisses Claus Schreer, Plakate mit der Aufschrift "Rumsfeld Massenmörder" zu entfernen. Am 4. Februar beteiligten sich etwa 50 Linksextremisten aus dem autonomen Spektrum an einer "Warm up-Demo". Höhepunkt der Proteste war am selben Tag ein Aufzug unter dem Motto "Antifaschistische, antirassistische und antimilitaristische Proteste gegen die NATO-Kriegskonferenz, die sog. Sicherheitskonferenz" mit rund 1.700 Demonstranten, die sich fast ausschließlich aus dem linksextremistischen Spektrum rekrutierten und unter denen sich etwa 500 GewaltAktionseinheit mit bereite befanden. Im Verlauf der Veranstaltung wurde umfangreiches gewaltbereiten linksextremistisches Propagandamaterial verteilt. Der Linksextremist Autonomen Claus Schreer skandierte im Demonstrationsgeschehen die Parole "Rumsfeld Massenmörder" und zeigte ein Plakat mit entsprechender Aufschrift. Beim Versuch, Plakate mit der Aufschrift "Rumsfeld Massenmörder" sicherzustellen, erlitten drei Polizisten leichte Verletzungen. Ein 16-jähriger Kundgebungsteilnehmer, der eine Holzstange auf einen Polizisten warf, wurde festgenommen. Als Reaktion auf den Polizeieinsatz meldeten zwei Linksextremisten, darunter Claus Schreer, einen "Aufzug gegen Polizeiwillkür" für den 5. Februar an, an dem sich etwa 60 Personen beteiligten. Claus Schreer zeigte erneut ein Plakat mit der Aufschrift "Rumsfeld Massenmörder". Im Laufe der Protesttage erfolgten insgesamt 95 freiheitsentziehende bzw. freiheitsbeschränkende Maßnahmen - darunter 44 Festnahmen - Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 176 Linksextremismus durch die Polizei. Hintergrund waren überwiegend Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, aber auch Beleidigungen und Widerstandshandlungen. Im Juli und August forderte das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus mit Unterstützung der DKP, der SDAJ und libanesischer bzw. palästinensischer Gruppen in Deutschland ein Ende der "Aggression Israels" und verharmloste die islamistische Hizb Allah (Partei Gottes). 2.6 Sonstige orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten Die teils bundesweit, teils regional tätigen sonstigen linksextremistischen Parteien, Organisationen und Bündnisse entfalteten in Bayern kaum Marxistische Außenwirkung. Dies gilt insbesondere für die Marxistische Gruppe (MG), Gruppe die trotz ihres bislang nicht widerrufenen Auflösungsbeschlusses vom Mai 1991 bundesweit mit rund 10.000 Anhängern fortbesteht. Sie verfügt in Bayern über etwa 4.200 Anhänger, von denen nahezu 700 aktiv sind. Öffentlich trat die MG nur bei regelmäßigen "GEGENSTANDPUNKT"-Diskussionsveranstaltungen in München, Nürnberg, Augsburg und Regensburg in Erscheinung; die Bezeichnung dieser Veranstaltungen geht auf die seit 1992 von führenden MG-Funktionären herausgegebene Zeitschrift "GEGENSTANDPUNKT" zurück. Die an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen aktive Sozialistische Gruppe ist ebenfalls der MG zuzurechnen. AB Der Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) beteiligte sich in Bayern vor allem an Demonstrationen und Diskussionsveranstaltungen anderer Organisationen. Am 5. September arrangierte der AB in München eine Vortragsveranstaltung über die Aktion "Das Begräbnis oder die HIMMLISCHEN VIER" in Berlin. Hierbei handelt sich um eine zeitgeschichtliche Vorführung gegen den Krieg, die Bertold Brechts "Legende vom toten Soldaten" aufgreift und sich gleichzeitig gegen die Kampagne "Du bist Deutschland" wendet. Außerdem führte der AB eine Mahnwache zum 26. Jahrestag des "faschistischen Oktoberfestanschlags" durch. FAU-IAA Die "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter Union - Internationale Assoziation" (FAU-IAA) ist eine bundesweit aktive linksextremistische Gruppierung mit etwa 250 Anhängern, die anarchistische Ziele verfolgt und die Bundesrepublik Deutschland als Staat "zerschlagen" will. Sie versteht sich selbst als anarchistische Organisation mit gewerkschaftlichem Anspruch und strebt als sozialrevolutionäre Bewegung eine "herrschaftsVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 177 freie, auf Selbstverwaltung gegründete Gesellschaft" an. Dabei setzen die Anhänger der FAU-IAA auf Formen der "direkten Aktion" (z.B. Besetzungen, Boykotts, Streiks und Sabotage). In Bayern gibt es Ortsgruppen in München und Dachau. Weitere linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Organisationen, die dem Bereich "Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten" zuzurechnen sind, werden in Nummer 4 dieses Abschnitts aufgeführt. 3. Gewaltorientierte Linksextremisten 3.1 Autonome Gruppen Deutschland Bayern Angehörige: 5.500 500 erstmaliges Auftreten: Ende der 70er Jahre Struktur: meist themenbezogene Gruppen, die überwiegend lokalen Charakter aufweisen Publikationen: Szene-Blätter wie "INTERIM" (Berlin); auf regionaler Ebene u. a. "barricada" (Nürnberg) 3.1.1 Ideologische Ausrichtung und Aktionsformen Gewaltbereite Autonome stellen nach wie vor eine Bedrohung für die Innere Sicherheit in Deutschland dar. Autonome haben kein einheitliches ideologisches Konzept, sie folgen vielmehr anarchistischen und anarcho-kommunistischen Vorstellungen. Die einzelnen Gruppen bilden sich meist über Aktionsthemen. Einig sind sich die Autonomen in ihrem Ziel der gewaltsamen Zerschlagung des Staates und seiner Einrichtungen sowie der Errichtung einer "herrschaftsfreien Gesellschaft". Anstreben einer Um diesem Ziel näher zu kommen, nutzen sie aktuelle politische Fragen "herrschaftsfreien für ihre Zwecke. Durch geschickte Agitation versuchen sie, auch demoGesellschaft" kratische Protestbewegungen für ihren Kampf gegen den Staat zu mobilisieren. Das provozierende Auftreten der Autonomen in der Öffentlichkeit, ihre staatsfeindliche Haltung, die Ablehnung gesellschaftlicher Normen und Werte, aber auch das Bejahen von Gewalt zur Durchsetzung ihrer Forderungen und Ziele kommen der Protesthaltung mancher junger Menschen entgegen, vor allem, wenn diese mit Problemen im Elternhaus, in der Schule oder der Ausbildung konfrontiert sind. Die Autonomen unterscheiden sich soziologisch kaum von anderen Jugendlichen oder jungen Erwachsenen. Sie sind in der Regel Schüler, Studenten oder Auszubildende. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 178 Linksextremismus Autonome machen den Ablauf ihrer Aktionen primär von der Einschätzung der Durchsetzbarkeit und ihrem Kräfteverhältnis gegenüber der Polizei abhängig. Rechtsextremistischen Versammlungen begegnen sie nach wie vor mit einer hohen Aggressivität und Gewaltbereitschaft. Autonome führen dabei meist keine eigenen öffentlichen Veranstaltungen durch, sondern mischen sich stattdessen unter die Teilnehmer ande"Schwarze Blöcke" rer Gegenveranstaltungen. Die Formierung von so genannten Schwarzen Blöcken bei Demonstrationen als Symbol für militanten Antifaschismus ist nur noch vereinzelt festzustellen. Die zeitweilige Differenzierung zwischen "Gewalt gegen Personen" und "Gewalt gegen Sachen" wird zunehmend aufgegeben. Körperverletzungsdelikte von Linksextremisten gegen "Rechte" oder vermeintlich Unverminderte "Rechte" machen deutlich, dass Autonome Gewaltanwendung gegen Gewaltbereitschaft politische Gegner als legitimes Mittel ansehen. Wie in den Vorjahren waren Autonome für die meisten der linksextremistisch motivierten Gewalttaten verantwortlich. Besorgnis erregend ist nach wie vor eine Strategiedebatte um terroristische Gewalt vor allem in Kreisen Berliner Autonomer. In Bayern sind linksextremistische Strukturen mit terroristischer Zielsetzung derzeit nicht feststellbar. 3.1.2 Strukturen und Publikationen Insgesamt ist die Zahl der Angehörigen der autonomen Strukturen in Bayern von 400 auf 500 angestiegen. Im Jahr 2006 traten in Bayern Autonome besonders die autonomen Gruppierungen "Organisierte Autonomie" Gruppierungen (Nürnberg), "radikale Linke" (Nürnberg), "Autonome Jugend Antifa" (Nürnberg), "Revolutionärer Aufbau München" "Antifaschistische Aktion München", "Contra Real" (Augsburg) und "Zusammen Aktiv Kämpfen" (Sulzbach-Rosenberg) in Erscheinung. Örtliche Örtliche Schwerpunkte der Autonomen in Bayern sind nach wie vor die Schwerpunkte Großräume Nürnberg/Erlangen/Fürth und München. Die Zahl der Autonomen in Nürnberg/Erlangen/Fürth ist mit etwa 150 und in der Landeshauptstadt München mit etwa 120 Anhängern konstant geblieben. Die autonome Szene in Nürnberg formiert sich um das "Stadtteilzentrum Schwarze Katze" und die Anlaufstelle "DESI". Für Münchner Autonome spielen der autonome "Info-Laden" in der Breisacher Straße und das "Cafe Marat" im ehemaligen "Tröpferlbad" in der Thalkirchner Straße eine wesentliche Rolle. Daneben sind in Kleinstädten einige autonome Kleinstgruppen entstanden. Eine Übersicht über die namentlich aufgeführten autonomen Gruppierungen einschließlich Kleinund Kleinstgruppen ist in nebenstehender Karte enthalten. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 179 Autonome in Bayern 2006 Coburg* (Schwerpunkte) Schweinfurt* Aschaffenburg* Bayreuth* Würzburg* Nürnberg/ Erlangen/ Fürth Sulzbach-Rosenberg ca. 40 ca. 150 - Zusammen Aktiv Kämpfen - Organisierte Autonomie - Radikale Linke - Autonome Jugend Antifa Ansbach* Regensburg ca. 20 Straubing* Ingolstadt* Passau Landshut* ca. 20 Augsburg Neu-Ulm* Freising* Dorfen* Mühldorf* ca. 30 München Contra Real Altötting* Waldkraiburg* ca. 120 - Antifaschistische Aktion München - Revolutionärer Aufbau München Rosenheim* *) Angehörige der autonome Personenautonome autonomen Szenen zusammenhänge Kleinstgruppen (nicht abschließend) Für den lokalen, überregionalen und internationalen InformationsausInternationale tausch verwenden Autonome Szene-Publikationen, Info-Läden, SzeVernetzung ne-Lokale sowie verdeckte informelle Strukturen wie Telefonketten. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 180 Linksextremismus Info-Läden dienen dem autonomen Spektrum nicht nur als zentrale Informations-, Kommunikationsund Anlaufstellen, sondern tragen auch zur Verbreitung und Koordinierung autonomer Aktivitäten bei und haben wesentlichen Einfluss auf die Mobilisierungsfähigkeit der Szene. In Bayern bestehen Info-Läden u.a. in München, Nürnberg, Augsburg und Landshut. Trotz der steigenden Attraktivität der modernen elektronischen Medien Publikationen haben die klassischen Publikationen nach wie vor große Bedeutung für die autonome Szene. Im Bundesgebiet gibt es über 50 dieser Szene-Publikationen, in denen Diskussionspapiere, Aufrufe zu Veranstaltungen, Selbstbezichtigungsschreiben und andere Beiträge veröffentlicht werden. Bundesweite Bedeutung haben dabei nur wenige Schriften, darunter insbesondere die in Berlin erscheinende "INTERIM". Die Mehrzahl der Publikationen hat einen vorrangig regionalen Verbreitungskreis, so auch die in Bayern herausgegebenen Druckwerke, z.B. "barricada - zeitung für autonome politik und kultur" (Nürnberg). Die Publikationen werden oft konspirativ hergestellt und verbreitet. Sie enthalten teilweise unverhohlene Aufforderungen und Anleitungen zu Gewalttaten, u.a. gegen Rechtsextremisten und deren Einrichtungen. Im Juli erschien die erste Ausgabe der neuen Publikation "Fürther Antifa-Zeitung" (FAZ), die von der linksextremistischen Gruppe "Antifaschistische Linke Fürth" (ALF) herausgegeben wird. Neben allgemeinen politischen Themen widmen sich die Verfasser darin auch der Aufklärung über "Nazistrukturen in Fürth". Die ALF veröffentlichte im November die zweite Ausgabe dieser Zeitung. 3.1.3 Schwerpunktthemen und Aktionen Für die Autonomen in Bayern ist "Antifaschismus" nach wie vor ein vorrangiges Agitationsund Aktionsfeld. Zusätzlich beschäftigen sie sich mit den Themenfeldern "Anti-Globalisierung" und "Antiimperialismus". Agitationsfelder In diesem Zusammenhang rückt zunehmend die Agitation gegen den G8-Gipfel, der vom 6. bis 8. Juni 2007 in Heiligendamm/Mecklenburg-Vorpommern stattfindet, in den Vordergrund. Im Zuge der Diskussionen um einen Abbau sozialer Leistungen und entsprechender Gesetzesvorhaben werden auch die Themen "Arbeitslosigkeit" und "Sozialversorgung" bzw. "Sozialabbau" behandelt. Auch die "Antirepression" wurde in der autonomen Szene wieder stärker thematisiert. Dagegen spielten andere Themenfelder wie die Asyl-, Ausländerund Flüchtlingspolitik ("Antirassismus") und die Kernenergie ("Anti-Atomkraft") eine Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 181 eher untergeordnete Rolle. Die Debatte über eine Neuorientierung der autonomen Szene in Deutschland wurde fortgeführt. 3.1.3.1 Strategiedebatte - Fortsetzung der Gewaltdiskussion In der gewaltbereiten linksextremistischen Szene dauert die "Militanzdebatte" an. Seit Jahren diskutieren unterschiedliche autonome Gruppierungen mit dem Ziel, die bisher im autonomen Spektrum weitgehend vorherrschende Trennung zwischen der akzeptierten "Gewalt gegen Sachen" und der außerhalb der antifaschistisch orientierten Gruppen eher abgelehnten "Gewalt gegen Personen" zu überwinden. Hauptdiskussionsforum ist das autonome Szene-Blatt "INTERIM" aus Berlin. "Verantwortliche des Herrschaftssystems" wie Polizisten, Politiker, Militärangehörige und führende Repräsentanten von Wirtschaftsund Finanzunternehmen sollen wieder Ziel von Angriffen werden. Die theoretische Diskussion wird auch von Gewalttaten zumeist in Form von Brandanschlägen begleitet, durch die teilweise Sachschäden in sechsstelliger Höhe entstanden sind. Diese - schwerpunktmäßig weiterhin im Berliner Raum begangenen - Straftaten richteten sich meist gegen staatliche Gebäude und Fahrzeuge sowie solche von Großunternehmen. In der Berliner Szene-Publikation "INTERIM" erschienen wieder einige Diskussionspapiere autonomer Gruppen, aus denen eine überwiegend positive Reaktion auf die bis dahin publizierten Papiere und die begangenen Anschläge deutlich wurde. Teilweise fordern die Autoren die Überwindung der bisherigen "autonomen Kleingruppenmilitanz" und den langfristigen Aufbau einer "neuen militanten Organisierung" in Deutschland als organisatorischen Rahmen für gewaltbereite Gruppen; ein entsprechendes Organisationsgeflecht autonomer Gruppen soll eigenständig militante Aktionen durchführen. Entscheidend für Anschläge soll dabei die Vermittelbarkeit der Aktionen sein. Die in Berlin aktive und maßgeblich an dieser Diskussion beteiligte "militante gruppe (mg)" übernahm militante gruppe in Selbstbezichtigungsschreiben die Verantwortung für acht Anschläge, (mg) bei denen jeweils Schäden bis zu 100.000 Euro entstanden. Die Anschläge waren u.a. gegen das Polizeipräsidium Berlin-Tempelhof sowie gegen zwei Dienstfahrzeuge der Berliner Polizei gerichtet. In ihren Selbstbezichtigungsschreiben begründet die "militante gruppe (mg)" die Anschläge meist mit ihrer Ablehnung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung. So diffamiert sie einerseits staatliches Handeln als "staatliche Überwachung und Repression", andererseits begründet sie ihr Handeln mit ihrem "Kampf für den Kommunismus". Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 182 Linksextremismus 3.1.3.2 Antifaschismus Im Mittelpunkt der Aktivitäten autonomer Gruppen in Bayern standen wie in den vergangenen Jahren Proteste und Aktionen gegen rechtsextremistische Veranstaltungen, aber auch gezielte Angriffe gegen einzelne tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Von den 71 in Hauptmotiv der Bayern verübten linksextremistisch motivierten Gewalttaten entfallen Gewalttaten 50 auf diesen Bereich. Grundsätzlich propagieren Autonome Gewaltanwendung vor allem in ihrem Kampf gegen rechtsextremistische Personen und Strukturen. Neben Veranstaltungen und Aktionen gegen rechtsextremistische Kundgebungen und Demonstrationen setzen Autonome verstärkt auf "Antifa-Recherche" ereignisunabhängige "Antifa-Recherche". Dabei spähen sie ihre politischen Gegner gezielt aus und veröffentlichen deren "Steckbriefe" in ihren Publikationen, auf Flugblättern und im Internet. Diese Informationen können der autonomen Szene zur Vorbereitung von militanten Aktionen dienen. In der linksextremistischen, in Hamburg erscheinenden Publikation "Zeck", Nummer 132 vom Mai/Juni, formulieren Autonome dies so: "Außerdem kann es so oder so nicht schaden die Schweine zu kennen, nicht zuletzt um direkt aktiv gegen sie vorgehen zu können." Gerade im Rahmen des Antifaschismus betreiben Autonome eine nach Bündnispolitik wie vor rege Bündnispolitik. Neben kontinuierlich arbeitenden "Aktionsbündnissen", die zumeist auf lokaler bzw. regionaler Ebene überwiegend mit linksextremistischen Gruppierungen und Parteien wie in Nürnberg kooperieren, gibt es auch anlassbezogene Bündnisse, in denen häufig auch demokratische Gruppen und Institutionen mitarbeiten. Diese anlassbezogenen Bündnisse dienen primär der Vorbereitung und Koordinierung von Demonstrationen, Versammlungen, Mahnwachen, Informationsständen und anderen Veranstaltungen gegen rechtsextremistische Aktivitäten. Der autonomen antifaschistischen Szene gelingt es jedoch weiterhin nur schwer, derartige Bündnisveranstaltungen zu dominieren. Aktionen Autonome beteiligten sich in Bayern u.a. an folgenden gegen den in Bayern Rechtsextremismus gerichteten Aktivitäten: München Am 14. Januar fanden in München mehrere linksextremistische Veranstaltungen gegen eine Demonstration von etwa 150 Rechtsextremisten statt. Unter den Teilnehmern der Gegenveranstaltungen waren auch 150 bis 200 Autonome, deren Ziel es war, nicht nur gegen den rechtsextremistischen Aufmarsch zu protestieren, sondern ihn auch zu stören und möglichst zu verhindern. Mehrfach versuchten sie, die Polizeiabsperrungen zu überwinden, um die Rechtsextremisten anzugreifen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 183 Rechtsextremisten und Polizeibeamte wurden mit Eisbrocken, Schneebällen und Flaschen beworfen. Die Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten hielten auch noch nach Abschluss der neonazistischen Kundgebung an. Insgesamt nahm die Polizei 58 Personen, davon 43 Gegendemonstranten, vorläufig fest. Bereits am Vortag des "Antifa-Aktionstags" waren etwa 60 Personen - überwiegend aus dem linksextremistischen Spektrum - in einem Münchner Stadtteil in einem Demonstrationszug an Wohnungen von verschiedenen Rechtsextremisten vorbeigezogen, die die rechtsextremistische Demonstration am 14. Januar organisiert hatten. Auch in diesem Jahr fanden als Protest gegen den für den 19. August Wunsiedel in Wunsiedel geplanten rechtsextremistischen "Heß-Gedenkmarsch" "antifaschistisch" motivierte Aktivitäten von Linksextremisten in Bayern statt. Antifa-Gruppen hatten zunächst mehrere Veranstaltungen geplant, wie z.B. einen "Antifaschistischer Aktionstag" am 19. August in Wunsiedel. Da der "Heß-Gedenkmarsch" jedoch verboten wurde, kam es zur Absage dieses Aktionstags und zu einer Reduzierung anderer antifaschistischer Aktionen, an denen sich einzelne Linksextremisten beteiligten. In München protestierten an diesem Tag etwa 600 Personen, darunter auch Linksextremisten, gegen einen Aufzug von etwa 130 Rechtsextremisten, der von ihnen als eine "Heß-Ersatzveranstaltung" angesehen wurde. Die Proteste der Gegendemonstranten verliefen teilweise gewalttätig. In Nürnberg fanden am 14. Oktober anlässlich einer rechtsextremistischen Demonstration mehrere Gegenveranstaltungen statt, an denen Nürnberg sich insgesamt 5.000 Personen überwiegend aus Bayern beteiligten. Von diesen waren bis zu 800 dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen, davon wiederum etwa 400 der gewaltbereiten autonomen Szene. Auf Flugblättern und im Internet traten die linksextremistischen Gruppierungen "Organisierte Autonomie" Nürnberg (OA) und "Antifaschistisches Aktionsbündnis Nürnberg" (AABN) als Veranstalter auf, die sowohl vom demokratischen als auch vom linksextremistischen Spektrum, wie z.B. von der DKP Nürnberg, der SDAJ Bayern, von ['solid] Nürnberg und von der autonomen "Antifaschistischen Linken Fürth" (ALF) unterstützt wurden. Die Gegendemonstranten versuchten, Absperrgitter zu überwinden, um die rechtsextremistische Veranstaltung zu stören. Außerdem bewarfen sie Einsatzkräfte der Polizei, die ein direktes Aufeinandertreffen von linksund rechtsextremistischen Demonstranten verhindern konnten, mit Flaschen, Steinen und Tomaten. Insgesamt führte die Polizei 32 freiheitsentziehende Maßnahmen Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 184 Linksextremismus durch, davon 24 im Spektrum der Gegendemonstranten. Die "Organisierte Autonomie" Nürnberg wertete in einer im Internet eingestellten Nachbetrachtung die Aktionen als Erfolg: "Insgesamt ist der Verlauf des Tages als klarer antifaschistischer Erfolg zu werten. Zwar konnte die Auftaktkundgebung der Nazis nicht verhindert werden, aber trotz eines massiven Polizeiaufgebotes von bis zu 5000 PolizistInnen ... gelang es, den Demonstrationszug der Nazis zu stoppen. (...) In ihren eigenen Foren berichten sie von antifaschistischen Angriffen. In Zukunft werden antifaschistische Kräfte 7auf diesen Erfolg aufbauen können und damit den Aktionsradius faschistischer Gruppen weiter einschränken." 3.1.3.3 Anti-Globalisierungs-Proteste Globalisierung ist zwar in Kreisen gewaltbereiter Linksextremisten noch immer ein Thema, die Beteiligung deutscher Autonomer an Aktionen im Ausland war jedoch wieder deutlich geringer als in den Vorjahren. Besuch des Stärkere Aufmerksamkeit erhielt jedoch der Besuch des US-Präsidenten US-Präsidenten Bush im Juli in Stralsund/Mecklenburg-Vorpommern. Unter den etwa 1.000 Personen, die sich an der zentralen Protestdemonstration beteiligten, waren etwa 100 bis 150 Autonome. Im Rahmen von Protestaktionen wurde ein Polizeifahrzeug in Brand gesetzt; das Feuer griff auf zwei weitere Fahrzeuge über, die nahezu vollständig ausbrannten. Insgesamt entstand dadurch ein Sachschaden von etwa 100.000 Euro. Während das G8-Gipfeltreffen im Juli in St. Petersburg in der linksextremistischen autonomen Szene nur vereinzelt als Aktionsthema gesehen wurde, haben autonome Gruppierungen bereits im Jahr 2005 mit den Planungen für eine möglichst breite Mobilisierungskampagne gegen den vom 6. bis 8. Juni 2007 in Heiligendamm/Mecklenburg-VorG8-Gipfeltreffen pommern stattfindenden G8-Gipfel begonnen. Zu diesem Zweck schlosim Juni 2007 in sen sich Linksextremisten zu verschiedenen Bündnissen zusammen. Das Heiligendamm Bündnis "Interventionistische Linke" (IL) ist beispielsweise gesellschaftlich breiter ausgerichtet und soll damit auch Personen und Organisationen aus dem demokratischen Spektrum ansprechen. Es gibt aber auch Zusammenschlüsse, die nur auf die linksextremistische, autonome Szene abzielen, so die zwei Vernetzungen "Dissent!" und das "Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive". Die beteiligten linksextremistischen Gruppen erhoffen sich einen neuen großen Mobilisierungsschub für die Anti-Globalisierungsbewegung. Im März fand in Rostock die "1. Aktionskonferenz gegen den G8-Gipfel 2007" statt, zu der etwa 300 Aktivisten aus dem gesamten Bundesgebiet zusammenkamen, um Mobilisierungen für Protestaktionen zu diskutieren, zu koordinieren Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 185 und zu planen. An der "2. Aktionskonferenz", die im November ebenfalls in Rostock stattfand und international ausgerichtet war, nahmen erneut etwa 300 Globalisierungsgegner teil, darunter nach Angaben der Veranstalter auch Aktivisten aus Griechenland, Polen, den Niederlanden und Großbritannien. In einer gemeinsamen Abschlusserklärung verständigten sich die Teilnehmer auf einen "Fahrplan für die Protestwoche gegen den G8-Gipfel", wonach Großdemonstrationen, verschiedene Aktionstage und ein Alternativgipfel geplant sind. Außerdem sollen am Tag der Anreise der G8-Delegationsteilnehmer wie auch an den Folgetagen Blockadeaktionen durchgeführt werden. Der internationalen Mobilisierung diente auch ein Sommercamp unter der Bezeichnung "Camp Inski", das im August in Steinhagen/Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt wurde. Unter den bis zu 700 Teilnehmern befanden sich nach Angaben der Veranstalter globalisierungskritische Aktivisten aus mehreren europäischen Staaten, Australien und den USA. Mit einer "Infotour" reisten G 8-Gegner zusätzlich monatelang durch verschiedene Städte in Deutschland sowie durch Städte im europäischen Ausland, um dort jeweils dezentrale Informationsund Mobilisierungsveranstaltungen durchzuführen. In Bayern fanden im Juli Informationsveranstaltungen u.a. in Nürnberg, Würzburg, München und Rosenheim statt. An diesen Veranstaltungen beteiligten sich durchschnittlich etwa 30, überwiegend jüngere Personen, meist aus der linksextremistischen Szene. Die Mobilisierungskampagne gegen den G 8-Gipfel 2007 beschränkte sich in Teilen des linksextremistischen Spektrums nicht nur auf Informationsund Mobilisierungsveranstaltungen oder publizistische Aktivitäten, vielmehr kam es seit Juli 2005 zu einer Reihe von Anschlägen auf Fahrzeuge und Gebäude von Firmen oder staatlichen Stellen, die in Selbstbezichtigungsschreiben mit dem G 8-Gipfel 2007 begründet wurden. Durch diese Brandanschläge entstanden erhebliche Sachschäden, im Einzelfall sogar in Millionenhöhe. Im Jahr 2006 wurden beispielsweise im März in Schleswig-Holstein fünf Spezialfahrzeuge einer Gleisund Schienenbaufirma in Brand gesetzt. Die Fahrzeuge, die nahezu vollständig ausbrannten, Brandanschläge waren teilweise mit großen Gasflaschen beladen, so dass es auch zu mehreren Explosionen kam. Es entstand ein Gesamtschaden von etwa 250.000 Euro. In der Nacht zum 28. August beschädigten unbekannte Täter das Wohnhaus des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern in Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 186 Linksextremismus der Nähe von Schwerin. Die Täter warfen mit schwarzer Flüssigkeit gefüllte Gläser sowie Steine gegen das Gebäude, so dass Sachschäden entstanden. Am 29. August gingen bei insgesamt drei Tageszeitungen in Berlin, Hamburg und Rostock gleichlautende Taterklärungen ein. Bereits in der Überschrift "Für globale Bewegungsfreiheit - Lager abschaffen - G8 Gipfel in Heiligendamm angreifen!" stellten die Verfasser ihre Tat auch in einen inhaltlichen Zusammenhang mit dem G 8-Gipfel 2007. In einem Positionspapier, das in der "INTERIM", Nummer 639 vom 20. Juli, abgedruckt war, forderte die in Berlin ansässige "militante gruppe (mg)", dass die Brandanschläge mit Bezug zum G8-Gipfel 2007 kein punktuelles und unkoordiniertes "Aufflackern einer militanten Praxis" sein dürften, sondern dass sie vielmehr als "Übungsfeld" für einen umfassenden "revolutionären Aufbauprozess" anzusehen seien. Die grundsätzliche Zielsetzung bestehe darin, "die militante Option in den Anti-G8-Mobilisierungen als integralen Bestandteil einzubringen und zu verankern. Dazu müssen die Diskussionen und Auseinandersetzungen, die als Folge der fünfjährigen Militanzdebatte entwickelt wurden/werden (einschließlich der Fragen um die potentielle Aufnahme einer bewaffneten Propaganda in der organisatorischen Form einer Militanz oder Guerilla) im Anti-G8-Mobilisierungsprozess ihren praktischen Niederschlag finden. Die Präsenz angewandter Militanz als Ausdruck der Bandbreite der zur Verfügung stehenden Aktionsmittel revolutionärer Politik ist unser praktischer Ausgangspunkt." Weiterer In der Nacht zum 26. Dezember verübten unbekannte Täter in Hamburg Brandanschlag einen Brandanschlag auf ein Fahrzeug der Familie des Staatssekretärs im Bundesministerium der Finanzen, das vor deren Wohnhaus abgestellt war. Das Fahrzeug brannte vollständig aus. Die Täter warfen außerdem zwei Farbgläser gegen das Haus. Die Taterklärung einer Anti-G 8-Gruppe stand unter der Überschrift "Nur noch 23 Wochen bis zum Gipfel - Jetzt zuschlagen". Am 28. Dezember bekannten sich militante Linksextremisten in einer an mehrere Tageszeitungen und Agenturen gesteuerten Pressemitteilung zu einem in der Nacht zuvor verübten Anschlag mit Farbbeuteln auf das als Tagungsort vorgesehene Hotel in Heiligendamm und betonten, dass "bis zum Gipfel keine Ruhe herrschen" werde. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von etwa 1.900 Euro. 3.1.3.4 Antiimperialismus Obwohl das Themenfeld "Antiimperialismus" im Vergleich zu den letzten Jahren an Bedeutung verloren hat, hielten auch dieses Jahr Teile der Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 187 autonomen Szene unvermindert an den Protestaktionen gegen die alljährliche Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik fest (vgl. auch Nummer 2.5 dieses Abschnitts). 3.1.3.5 Sozialabbau Noch immer sehen Linksextremisten bei Personen, die von den sozialpolitischen Reformen "Agenda 2010" betroffen sind, ein neues Mobilisierungsund Rekrutierungspotenzial und sind bestrebt, die Proteste gegen den Sozialabbau verstärkt agitatorisch und aktionistisch für ihre Ziele zu nutzen. Bei der diesjährigen "Revolutionären 1. Mai-Demons1. Mai in tration" in Nürnberg traten somit wieder mehr antikapitalistische und Nürnberg sozialrevolutionäre Forderungen in den Vordergrund. Entsprechend lautete das Motto "Streiken - Besetzen - Enteignen! Kapitalismus abschaffen! Für die soziale Revolution!". An dieser Demonstration, die überwiegend vom regionalen linksextremistischen Spektrum initiiert wurde, beteiligten sich etwa 1.000 Personen. Den "antikapitalistischen Block", der die Demonstration anführte, stellten etwa 150 Angehörige der autonomen Szene, militante Aktionen blieben aber aus. Nachdem sich in den vergangenen Jahren Linksextremisten in München an der DGB-Demonstration als eigenständiger Block angehängt hatten, führten Autonome im Jahr 2006 eine eigene "Revolutionäre 1. Mai-De1. Mai in monstration" unter dem Motto "Soziale Rechte erkämpfen - Gegen München Lohnraub und Sozialkahlschlag - Gegen Faschismus und staatliche Repression" in der Landeshauptstadt durch. Es beteiligten sich etwa 200 Personen, von denen der überwiegende Teil dem regionalen autonomen Spektrum zuzurechnen war. Im Rahmen eines bundesweiten Aktionstags gegen Sozialabbau veranstalteten Gewerkschaften am 21. Oktober in fünf deutschen Städten Protestdemonstrationen. Teile des linksextremistischen autonomen Spektrums zeigten sich im Vorfeld an diesen Ereignissen interessiert und mobilisierten innerhalb der eigenen Szene für eine Beteiligung an teils eigenständigen "antikapitalistischen Blöcken". Insgesamt nahmen rund 150.000 Menschen an den Protestdemonstrationen teil. In München beteiligten sich über einhundert Linksextremisten, von denen sich etwa 60 Autonome zu einem eigenständigen "antikapitalistischen Block" zusammenschlossen. Nach Veranstaltungsende führten rund 60 Personen, größtenteils aus dem "antikapitalistischen Block", eine nicht angemeldete Spontandemonstration durch, wobei mehrere Demonstranten eine Polizeibeamtin durch Fußtritte verletzten. Bei den Aktionen in Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 188 Linksextremismus anderen Städten kam es teilweise zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen bis hin zu schweren Übergriffen wie dem Werfen von Molotowcocktails und anderen Brandsätzen. In Stuttgart wurde gegen eine Polizeibeamtin ein brennendes "Bengalisches Feuer" geschleudert. 3.1.3.6 Einflussnahme auf die Antikernkraftbewegung Auch 2006 beteiligten sich Linksextremisten am Protest gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie, der im Wesentlichen von nicht extremistischen Bürgerund Umweltschutzinitiativen getragen wird. Dabei versuchten die Linksextremisten, dem Protest eine staatsfeindliche Ausrichtung zu geben. In Bayern blieb die linksextremistische Einflussnahme auf die Anti-Atom-Bewegung gering. Castor-Transport Gegen den Castor-Transport im November demonstrierten mehrere tausend Atomkraftgegner, darunter auch etwa 150 Linksextremisten. Vereinzelt kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, wobei u. a. Polizeibeamte durch Steinwürfe verletzt und Einsatzfahrzeuge beschädigt wurden. Daneben wurde auch eine Funkanlage der Polizei beschädigt sowie Hakenkrallenanschläge auf Bahnstrecken verübt. 3.2 Antideutsche Strukturen Innerhalb des bundesweiten linksextremistischen Spektrums hat die Bedeutung der so genannten Antideutschen zugenommen. Diese facettenreiche und vergleichsweise junge Strömung verbindet ein Extremes extremes Antifaschismusverständnis mit einer klaren pro-israelischen Antifaschismusund pro-amerikanischen Haltung. Ddurch die Mischung aus dogmativerständnis schen, kommunistischen Theoretikern und zumeist jungen autonomen Aktivisten entstand dabei eine sehr dynamische, eigenständige linksextremistische Szene, die um Vernetzung bemüht ist. Nach ersten szene-internen Denkansätzen trat die antideutsche Strömung ab Beginn der 90er Jahre vereinzelt, zuletzt aber mit steigender Bedeutung innerhalb der linksextremistischen Szene auf. Nach marxistisch-kommunistischer Ansicht führt Kapitalismus zu Faschismus. Kommunistische Kleingruppen entwickelten damals die Vorstellung, dass von einer besonderen Aggressivität eines spezifisch deutschen Faschismus auszugehen sei. Dies werde durch die deutsche Vergangenheit, insbesondere durch einen auf Vernichtung ausgerichteten Antisemitismus, belegt. Der Beitritt der fünf neuen Bundesländer wurde daher als Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 189 Gefahr der Entstehung eines "Vierten Reiches" angesehen. Der im "Dritten Reich" begangene Holocaust bewirkte nach linksextremistischer antideutscher Denkweise u.a., dass bis zur weltweiten Überwindung des Antisemitismus Israel als einziger Staat eine "Existenzberechtigung" habe. Damit wird neben dem überhöhten "Antifaschismus" eine kompromisslose pro-israelische Haltung eingenommen, die auch das außenpolitische Auftreten der USA zum Wohle Israels umfasst. Die Golfkriege und insbesondere die von Palästinensern im Jahr 2000 aufgenommene al-Aksa-Intifada ließen die Israel-Solidarität zum zentralen Israel-Solidarität Thema der antideutschen Strömung werden. Die linksextremistische Strömung der Antideutschen steht somit im deutlichen Gegensatz zu Linksextremisten nach traditionellem Verständnis. Gemeinsame Aktivitäten von "traditionellen" Linksextremisten und Anhängern der antideutschen Strömung scheinen nur anlassbezogen beim gemeinsamen Thema Antifaschismus möglich. Die traditionell linksextremistische Ansicht, wonach Israel als kapitalistische und imperialistische Besatzungsmacht zum Nachteil des palästinensischen Volkes handelt, wird von der antideutschen Strömung als antizionistisch und antisemitisch verurteilt. Mit der zunehmenden Bedeutung der antideutschen Strömung innerhalb des linksextremistischen Spektrums verstärkt sich dieser Konflikt. Der Streit um damit verbundene fundamentale linksextremistische Prinzipien hat auch innerhalb der autonomen Szene zu einer inhaltlichen, organisatorischen und aktionistischen Spaltung in pro-israelische und pro-palästinensische Strukturen geführt. Das antideutsche Politikverständnis zieht zum einen Linksextremisten aus dem revolutionär-marxistischen Spektrum an, die sich an der Lehre von Karl Marx orientieren und Wert auf ideologische Ausbildung, z.B. in Form von Seminaren und Vortragsveranstaltungen, legen. Zum anderen fühlen sich auch Teile der gewaltbereiten autonomen Szene mit zunehmender Tendenz vom extremen Antifaschismusverständnis der antideutschen Strömung und der Israel-solidarischen Haltung angesprochen. Vor allem handlungsorientierte junge autonome Antifa-Gruppen werden unter dem Minimalkonsens der Solidarität mit Israel im Rahmen ihrer "Antifaschismusarbeit" in der Öffentlichkeit aktiv. Sie zeigen ihren Protest gegen die als faschistisch diffamierte Bundesrepublik Deutschland, gegen Rechtsextremisten sowie gegen jede Form von Kritik am Staat Israel bei Demonstrationen und Kundgebungen, beispielsweise bei der Veranstaltung der linksextremistischen Gruppierung "Solidarität International" zum Thema Nahostkonflikt am 12. August in Nürnberg. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 190 Linksextremismus 3.3 Linksextremistisch motivierte Straftaten 3.3.1 Gewalttaten Angehörige der autonomen Szene halten Gewaltanwendung zur Überwindung des kapitalistischen Systems für legitim. Sie rechtfertigen Gewalt als angeblich erforderliches Mittel gegen die "strukturelle Gewalt" eines "Systems von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung". So wird in dem von Autonomen herausgegebenen Buch "Autonome in Bewegung" zum Thema Gewalt ausgeführt: "Militanz ist in unseren Augen notwendiger Bestandteil linksradikaler Politik, sowohl im allgemeinen Sinn der konsequenten, kämpferischen Haltung an sich, als auch im engeren Sinn von politischer Gewalt. Dass dies ein höheres Maß an Verantwortung erfordert als das Bilden von Lichterketten ist selbstverständlich. Doch wer auf die Option der Militanz verzichtet, beraubt sich selbst der notwendigen Mittel gegen ein System der Herrschaft, dem allein mit den besseren Argumenten nicht beizukommen ist." (aus: A.G. Grauwacke: "Autonome in Bewegung", Berlin, Hamburg, Göttingen, o.J., S. 380/381) Im Vergleich zum Jahr 2005 mit 896 Gewalttaten weisen die linksextremistisch motivierten Gewaltdelikte 2006 mit 862 Gewalttaten im Rückgang der Bundesgebiet eine rückläufige Entwicklung auf. Ähnlich verhält es sich Gewalttaten in Bayern. Dort ist ein Rückgang von 107 im Jahr 2005 auf 71 Gewaltdelikte festzustellen. Insbesondere im Bereich des "Antifaschismus" sind die Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr in Bayern rückläufig (2005: 82 Gewalttaten, 2006: 50). Der Rückgang resultiert jedoch nicht aus einer gesunkenen Gewaltbereitschaft der Autonomen, sondern vielmehr aus einer geringeren Anzahl von rechtsextremistischen Veranstaltungen in Bayern, die in der Regel den Anlass für linksextremistische Gewalttaten gegen Rechtsextremisten sowie gegen die bei solchen Ereignissen eingesetzten Polizeibeamten darstellen. Von den 71 Gewalttaten richteten sich 44 gegen Polizisten. Der Vergleich mit den 47 rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten in Bayern zeigt, dass die linksextremistisch motivierten Gewaltdelikte wie im Vorjahr den größten Teil der politisch motivierten Gewalttaten ausmachen. Einzelfälle Beispiele für die im Berichtszeitraum verübten Gewalttaten sind folgende Vorfälle: Am 8. Januar schlugen drei Täter einen Angehörigen der örtlichen rechtsextremistischen Szene in Murnau am Staffelsee vor der Eingangstür seines Hauses brutal zusammen und versetzten ihm Fußtritte an den Kopf. Bei den Protestaktionen gegen eine rechtsextremistische Kundgebung am 14. Januar in München wurden insgesamt 25 der 71 linksextremisVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 191 tisch motivierten Gewaltdelikte begangen. Ein Teilnehmer an diesen Protesten schleuderte beispielsweise eine Bierflasche in Richtung der eingesetzten Polizisten. Des Weiteren wurden auch teils handballgroße Eisbrocken als Wurfgeschosse verwendet. Im Rahmen der Proteste gegen die 42. Münchner Konferenz für SicherGewalttaten heitspolitik Anfang Februar ereigneten sich neun der linksextremistisch im Rahmen der motivierten Gewaltdelikte. So wurden eingesetzte Polizeibeamte mit Sicherheitsdiversen Gegenständen beworfen. Außerdem kam es zu Körperverletkonferenz zungsdelikten im Rahmen von Widerstandshandlungen. Beispielsweise schlug eine Demonstrantin mit einer Holzlatte, an der ein Plakat befestigt war, gezielt auf den Kopf eines Polizeibeamten ein; dieser konnte ausweichen und wurde an der Schulter getroffen. Ein unbekannter Täter, der die Festnahme einer weiteren Person wegen Körperverletzung verhindern wollte, versuchte, mit einer Faust auf Polizisten einzuschlagen. In der Faust hielt er einen Schlüssel so, dass die Spitze des Schlüssels außerhalb der geballten Hand lag. Ein Teilnehmer eines am 19. August in München veranstalteten rechtsextremistischen Aufzugs wurde von einer Glasflasche, die ein Linksextremist geworfen hatte, im Gesicht getroffen. Außerdem attackierte ein weiterer Linksextremist einen Polizeibeamten mit einer Fahnenstange; dieser konnte den Angriff jedoch abwehren. Bis zu acht Personen des Antifa-Spektrums griffen am 2. September einen Info-Stand der NPD in Straubing an. Es kam zu einer Schlägerei, bei der ein Rechtsextremist mit einer Fahnenstange geschlagen und der Infotisch beschädigt wurde. Es wurden Ermittlungsverfahren u.a. wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung eingeleitet. Bei Protesten gegen eine NPD-Demonstration am 14. Oktober in Nürnberg bewarfen Gegendemonstranten eingesetzte Polizisten wiederholt mit Glasflaschen und anderen Wurfgegenständen. 3.3.2 Sonstige Straftaten Die Gesamtzahl der in Bayern bekannt gewordenen sonstigen linksextremistisch motivierten Straftaten beträgt 69 und ist damit gegenüber dem Jahr 2005 (181) deutlich zurückgegangen. Dabei handelte es sich vor allem um Sachbeschädigungen, aber auch um Delikte wie Beleidigung oder Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole. Beispielsweise skandierten Angehörige des "internationalistischen Blocks" bei einer Protestdemonstration gegen die 42. Münchner KonfeVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 192 Linksextremismus renz für Sicherheitspolitik wiederholt die Parole "BRD - Bullenstaat - Wir haben dich zum Kotzen satt". Es wurden Ermittlungen wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole eingeleitet. Während der diesjährigen "Revolutionären 1. Mai-Demonstration" in Nürnberg warf ein unbekannter Täter eine Bierflasche gegen ein Polizeifahrzeug, wodurch eine Scheibe beschädigt wurde. In der Nacht auf den 14. Mai wurde im Zusammenhang mit den Protesten gegen die so genannte Brendten-Feier der Gebirgsjäger in Garmisch-Partenkirchen eine Kriegergedächtniskapelle verwüstet (vgl. auch Nummer 2.2.4.1 dieses Abschnitts). Es entstand ein Sachschaden von etwa 50.000 Euro. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Linksextremismus 193 4. Übersicht über erwähnenswerte linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 2006 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) 1. Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 1.1 Kernorganisationen: Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 400 4.200 Unsere Zeit (UZ) 18 Bezirksorganisationen, aufgeteilt wöchentlich, 6.300 in Kreisund Grundorganisationen sowie Betriebsgruppen, Marxistische Blätter zweimonatlich, 2.500 26.09.1968, Essen Rundbrief monatlich Die Linkspartei.PDS 60.300 Neues Deutschland (ND) (neuer Name beschlossen auf außerordent- - parteinahe Zeitung - lichem PDS-Parteitag am 17.07.2005) werktäglich, 53.600 16 Landesverbände mit KreisverDISPUT bänden und Basisorganisationen, monatlich, 11.000 Berlin Die Linke.PDS-Pressedienst wöchentlich, 2.200 UTOPIE-kreativ-Diskussion sozialistischer Alternativen monatlich, 800 Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Linkspartei.PDS monatlich, 1.000 Die Linkspartei.PDS Landesverband Bayern 600 TITEL (Informationsforum mit 21 Kreisverbänden und der Linkspartei.PDS Bayern) 28 Basisorganisationen, unregelmäßig, 500 11.09.1990, München Arbeiterbund für den Wieder100 130 Kommunistische aufbau der KPD (AB) Arbeiterzeitung (KAZ) 1973, München vierteljährlich Marxistisch-Leninistische 100 2.300 Rote Fahne Partei Deutschlands (MLPD) wöchentlich, 7.500 10 Parteibezirke, über 100 Ortsgruppen und Stützpunkte, REVOLUTIONÄRER WEG 17./18.06.1982, Gelsenkirchen unregelmäßig Linksruck-Netzwerk 10 400 Linksruck (Sozialistische Arbeitergruppe - SAG) monatlich 1993, Berlin Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 194 Linksextremismus Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 2006 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) Marxistische Gruppe (MG) München 700 10.000 GEGENSTANDPUNKT 1969/70 AK Rote Zellen, München (Aktive) Herausgeber: ehemalige ("aufgelöst" zum 01.06.1991) Funktionäre der MG vierteljährlich, 7.000 1.2 Nebenorganisationen: Nebenorganisation der DKP: Sozialistische Deutsche 100 300 POSITION Arbeiterjugend (SDAJ) unregelmäßig, 1.500 Landesverbände, Kreisverbände und Ortsgruppen, KONTRA! 04./05.05.1968, Essen Nebenorganisationen der MLPD: Jugendverband REBELL 20 150 REBELL - Beilage zur Roten Fahne - MLPD-Hochschulgruppen Galileo - streitbare Wissenschaft 1.3 Beeinflusste Organisationen: DKP-beeinflusst: Vereinigung der Verfolgten des 700 6.000 antifa Naziregimes - Bund der Antifaschiszweimonatlich, 9.000 tinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Landesvereinigungen mit Kreisund Ortsvereinigungen, 15.-17.03.1947, Berlin 2. Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten Autonome etwa rund zum Teil unregelmäßig 500 5.500 erscheinende Szene-Blätter wie z.B. radikal, INTERIM; auf regionaler Ebene u.a. barricada 3. Von mehreren Strömungen des Linksextremismus beeinflusst Münchner Bündnis gegen Krieg 30 und Rassismus München Antifaschistisches Aktionsbündnis 20 Nürnberg Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Scientology-Organisation 195 6. Abschnitt Scientology-Organisation (SO) International Deutschland Bayern Mitglieder: 125.000 bis 150.000* 5.000 bis 6.000 etwa 2.600 Vorsitzender: David Miscavige Helmuth Blöbaum Gerhard Böhm Gründung: Los Angeles 1952 München 1972 Nürnberg 1982 (Church of Scientology (Scientology Kirche (Scientology Kirche International - CSI -) Deutschland e.V.) Bayern e.V.) Sitz: Los Angeles, USA München München/Nürnberg (in Deutschland unselbständige Teilorganisationen) Publikationen: "Freiheit"; "Impact"; "Ursprung"; "Source" u.a. * geschätzte bzw. hochgerechnete Zahlenangaben, die auf Mitgliederbzw. Aussteigerinformationen basieren 1. Zur Geschichte der SO Im Jahr 1950 veröffentlichte der amerikanische Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard (1911 bis 1986) in den USA das Buch "Dianetik - Die Dianetik moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit" und stellte darin seine "Technologie" zur "Heilung psychosomatischer Krankheiten und geistiger Störungen" vor. In den folgenden Jahren wurden so genannte Dianetik-Zentren eingerichtet und schließlich die SO gegründet und aufgebaut. 1952 gründete Hubbard die "Hubbard Association of Scientologists International" (HASI), die noch nicht den Anspruch erhob, eine Kirche oder angewandte religiöse Philosophie zu sein. Hubbard erkannte jedoch bald die wirtschaftlichen und steuerlichen Vorteile einer Umwandlung seiner Organisation in eine Kirche. Deshalb erklärte er sein von ihm erdachtes Verfahren der Psychomanipulation, das er zusammen mit einer totalitären Organisationslehre und -technik in Form eines Kommandosystems ("Admintech") entwickelt hatte, zur Religion und gründete 1954 die erste "Kirche". Die Leiter der örtlichen Niederlassungen in den USA nennen sich seitdem "Geistliche", tragen kirchliche Kleidung und fügen ihrem Namen den Titel "Reverend" hinzu. Im Jahr 1957 wurde die SO in den USA als gemeinnützige Organisation (charitable organisation) anerkannt und somit von der Steuer befreit. Nachdem die oberste amerikanische Steuerbehörde IRS (Internal Revenue Service) fragwürdige persönliche Bereicherungstatbestände bei Hubbard und vielen seiner Funktionäre aufgedeckt hatte, widerrief sie Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 196 Scientology-Organisation 1967 die Steuerbefreiung aller SO-Einrichtungen. In der Begründung hierzu hieß es: "Die Führungskräfte von Scientology profitieren vom Status einer 'gemeinnützigen Kirche'. (...) Die Aktivitäten von Scientology sind kommerziell. (...) Die Scientology-Kirche dient den privaten Interessen des Gründers L. Ron Hubbard." Die SO wehrte sich gegen diese Entscheidung und wurde 1993 nach einem Vergleich mit der IRS wieder als gemeinnützig anerkannt. Nach einem Bericht der "The New York Times" setzte die SO dabei "schmutEinschüchterungszige Methoden der Einschüchterung und Erpressung" ein. Mitarbeiter und Erpressungsder IRS wurden bis in die Privatsphäre hinein ausspioniert und zum Teil methoden wegen erfundener Behauptungen mit über 2.000 Prozessen überzogen. Die Anleitung für dieses Vorgehen ist in einem Richtlinienbrief Hubbards vom 15. August 1960 über die Einrichtung eines "Department of Government Affairs" enthalten, der Methoden beschreibt, mit denen Regierungen gefügig gemacht werden sollen. Darüber hinaus liegt die SO seit Jahrzehnten im Konflikt mit den Rechtsordnungen demokratischer Staaten. Die Vorwürfe lauten z.B. auf Betrug und Wucher gegenüber Kunden, Bedrohung und Nötigung von Kritikern, auf Verschwörung gegen die Regierung, Steuerhinterziehung und Bildung einer kriminellen Vereinigung. In diesem Zusammenhang kam es auch in den USA zu zahlreichen Verfahren und Verurteilungen von Funktionären der SO. Mitte der 80er Jahre, nach dem Tode Hubbards und intrigenreichen Machtkämpfen innerhalb der Organisation, übernahm David Miscavige die Führung der SO. 2. Ideologie und Aktivitäten Nach Feststellung der Konferenz der Innenminister von Bund und LänAnhaltspunkte dern (IMK) vom 5./6. Juni 1997 liegen tatsächliche Anhaltspunkte für verfür Verfassungsfassungsfeindliche Bestrebungen der SO vor. Die SO wehrt sich gegen die feindlichkeit Beobachtung durch den Verfassungsschutz seit Jahren mit polemischer, herabsetzender Kritik in der Öffentlichkeit und mit dem Hinweis auf ihre angebliche Religionseigenschaft. Diese betont die SO jedoch nur dann, wenn das mit Vorteilen verbunden ist. Im Gegensatz dazu verzichtet sie beispielsweise in der arabischen Welt auf eine religiöse Darstellung. So heißt es im Impressum des Grundlagenwerks der SO "Dianetik, der Leitfaden für den menschlichen Verstand", Ausgabe 2003: "Dieses Buch ist Teil der Werke von L. Ron Hubbard, der die Dianetik, eine Technologie zur Befreiung des geistigen Wesens, und Scientology, eine angewandte religiöse Philosophie, entwickelte." Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Scientology-Organisation 197 In der zeitgleich vertriebenen, arabischen Ausgabe des Werks heißt es im Impressum: "Dieses Buch ist Teil der Werke von L. Ron Hubbard, der die Dianetik, die moderne Wissenschaft von der geistigen Gesundheit, entwickelt hat." Daneben werden die "Scientology Kirchen" - wie sie in der deutschen Ausgabe genannt werden - in der arabischen Ausgabe lediglich als weltweite "Dianetics Center" bezeichnet. Die Ideologie der SO stützt sich ausschließlich auf die Schriften von L. Ron Hubbard, die nach eigenen Aussagen unveränderliche Gültigkeit besitzen. Vor allem seine programmatischen Äußerungen werden in den so genannten policy letters (Richtlinienbriefen) den Mitgliedern und Mitarbeitern als verbindliche Orientierung vorgegeben. Der ideologische Überbau der SO beruht auf drei Säulen: der Dianetik, Die "drei Säulen" der Lehre Scientology und der scientologischen Ethik. Dianetik richtet der SO sich vordergründig an den Einzelmenschen, dogmatisiert aber tatsächlich gesellschaftliche und politische Grundsätze und Forderungen. In der Lehre Scientology, die sich an das "Geistwesen" des Menschen, den so genannten Thetan, mit seinen verschiedenen Stufen der Befreiung richtet, prophezeit Hubbard, er kehre auf die Erde nicht als religiöser, sondern als politischer Führer des Universums zurück. Die scientologische Ethik beschreibt die Disziplinierungstechnologie für Mitglieder, Mitarbeiter und die gesamte Gesellschaft. 2.1 Schriften der SO Die Analyse zahlreicher Schriften der SO zeigt den generellen Anspruch auf absolute Gültigkeit der scientologischen Ideologie. Den Mitgliedern wird suggeriert, dass die SO das Universalinstrument sei, mit dem alle politischen und gesellschaftlichen Probleme gelöst werden könnten. Das Wertesystem der SO erhebt daher nicht nur den Anspruch auf die Richtigkeit seiner Inhalte, sondern erklärt diese für absolut, nicht mehr hinterfragbar und für universell gültig. Darüber hinaus erfasst die SO den Menschen in all seinen persönlichen, zwischenmenschlichen und gesellschaftlich-politischen Lebensbereichen, sobald er in das Kontrollsystem der Organisation eingebunden ist. Die SO propagiert nicht nur Veränderung der eine verfassungsfeindliche Wertordnung, sondern will sie als verbindGesellschaft mit lichen Ordnungsfaktor für Staat und Gesellschaft etablieren. Sie gibt SO-Techniken sich dabei als eine totalitäre Zwangslehre zu erkennen. Die SO in Deutschland bekennt sich auch in ihren aktuellen Veröffentlichungen ausdrücklich zu ihrem Gründer und seiner unveränderbaren Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 198 Scientology-Organisation politischen Programmatik. Verschiedene Aussagen der SO deuten sogar darauf hin, dass sie ihre Ziele kämpferisch-aggressiv verwirklichen will. Von Mitgliedern erwartet sie einer Werbebroschüre der "International Association of Scientologists" (IAS) zufolge, dass sie "die Zerschlagung von Gruppen unterstützen, die den Zweck verfolgen, die Anwendung der Scientology-Technologie zu verhindern". Eine Änderung der Ideologie ist nicht erkennbar; vielmehr werden weiter Schriften in diesem Sinn veröffentlicht. Auch hält die SO strikt an den internen Richtlinien und den grundsätzlich zeitlich unbegrenzt gültigen "policy letters" fest. 2.2 Errichtung einer scientologischen Gesellschaft Politische Schon in seinem grundlegenden Buch "Dianetik" hatte Hubbard auf Zielsetzung die politische Relevanz und die Reichweite seiner Lehre und Technik hingewiesen. Mit der Entwicklung seiner totalitären "Admintech", die in elf Bänden niedergelegt ist, hat Hubbard ein sozialtechnisches Instrumentarium geschaffen, um Gruppen gefügig zu machen. Es soll eine ausschließlich nach scientologischen Richtlinien funktionierende Welt geschaffen werden. Eine neue "wahre Demokratie" soll an die Stelle der bisherigen Demokratien treten, die Scientologen als Produkt einer "aberrierten", d.h. von der Vernunft abweichenden, geisteskranken Gesellschaft ansehen. Alle gesellschaftlichen Probleme sollen dadurch gelöst werden, dass zunächst 10 bis 15 % der politischen Meinungsführer, dann 80 bis 98 % der Bevölkerung "geklärt" werden und die Gesellschaft schließlich nur noch aus den so genannten Nichtaberrierten, den "Clears", besteht, wobei die "Unfähigen" oder "Unwilligen" nach Hubbard "abseits der Gesellschaft in Quarantäne" geschafft werden können. Gleichzeitig soll die "Admintech" weltweit zur Organisation aller gesellschaftlichen Gruppen und der Regierungen eingesetzt werden. 2.2.1 Lenkung der Regierung durch die SO Projekt Bereits am 20. März 1964 stellte Hubbard in einem Vortrag das Projekt Weltregierung "International City" vor und erhob darin den Anspruch, weltweit die Regierungen zu beherrschen. Dazu dient auch die Hubbard-Anweisung vom 13. März 1961. Danach soll ein "Department für Behördenangelegenheiten" u.a. "ständigen Druck auf Regierungen ausüben, um Gesetzgebung von Gruppen zu verhindern, die der Scientology entgegenstehen". Behörden und unVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Scientology-Organisation 199 abhängige Gerichte werden von der SO als "Gefahr" gesehen, der man begegnet, indem "immer ausreichend Drohungen gegen sie gesucht oder erfunden werden". 2.2.2 Einführung eines scientologischen Rechtssystems Die SO lehnt die bestehenden Rechtsordnungen ab. Der Kreis der Rechtsträger wird auf die "Ehrlichen" beschränkt, also nur auf diejenigen, die sich der SO verschrieben haben. Im bereits 1959 erschienenen "Handbuch des Rechts" äußert sich "Handbuch des L. Ron Hubbard zur Funktion des scientologischen Rechtssystems. Rechts" Danach wird es im scientologischen Gesellschaftssystem keine Menschenund Grundrechte mehr geben, wie sie im Grundgesetz definiert sind. Im scientologischen Rechtssystem sind auch keine unabhängigen Gerichte vorgesehen. Vielmehr erforscht ein nicht an Recht und Gesetz gebundener Nachrichtendienst (vgl. auch Nummer 3.2.5 dieses Abschnitts) Sachverhalte und ergreift Maßnahmen. 2.2.3 Bekämpfung von Kritik an Lehre und Praxis - aggressive Expansionstechnik In einem Grundlagenwerk fordert Hubbard "totale Disziplin". Um die Totale Macht zu behalten - so offenbar der Gedanke von Hubbard in seinem Disziplinierung Werk "Einführung in die Ethik der Scientology" - müsse man kaltblütig, der Anhänger skrupellos, hemmungslos, gegebenenfalls auch heimtückisch, hinterlistig und mit Gewalt gegen die eigenen Feinde vorgehen, ansonsten werde man die Macht verlieren. Die im "Handbuch des Rechts" empfohlenen Operationen zur "Abwehr" von "Unterdrückern" lassen erkennen, dass die SO gewillt ist, die im Grundgesetz konkretisierten Grundrechte abzuschaffen oder deren Schutzbereich verfassungswidrig einzuschränken und dadurch eine totale Kontrolle des Einzelnen durch die SO zu erreichen. 2.3 Aktivitäten der SO 2.3.1 Angriffe auf Repräsentanten des Staates Alle Aktivitäten der SO sind auf die Expansion der Organisation ausgelegt. In diesem Zusammenhang sind auch Maßnahmen gegen Kritiker zu sehen. Kritiker sind alle Personen und Institutionen, die den Zielen der SO nicht zustimmen und ihrer Verwirklichung entgegenstehen. Für deren "Handhabung" gibt es detaillierte Anweisungen, wie zu verfahren ist. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 200 Scientology-Organisation Verunglimpfung Aus diesem Grund verunglimpft, beschimpft und verleumdet die SO von Politikern entsprechend dem immer noch gültigen HCO-Richtlinienbrief vom 11. Mai 1971 seit mehreren Jahren Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland. Darüber hinaus verunglimpft die SO die jetzige deutsche Verfassungsordnung, indem sie diese mit der des nationalsozialistischen Deutschlands gleichsetzt. 2.3.2 Techniken der Verhaltenskontrolle und -steuerung Durch effiziente Techniken der Verhaltenskontrolle und -steuerung, der "Technologie", werden die Mitarbeiter, aber auch die einfachen aktiven Mitglieder in manipulativer Weise unter ständigen Verhaltenszwang gesetzt, damit sie nach dem internen Sprachgebrauch des Managements Mensch als wie "Maschinen" neue Kunden werben und zu Anhängern des Systems Maschine machen. Der Leistungsdruck des Systems auf die Mitarbeiter und Mitglieder ist dabei so stark, dass sie sich dem technokratischen Regelwerk der "Admintech" und den Befehlen der Funktionsträger in der Regel ohne Widerspruch fügen, selbst wenn sie unter Umständen sogar Normen und Dienstpflichten verletzen. 2.3.3 Ausforschung und Bekämpfung von Kritikern Personen, die Kritik üben, sollen mit schikanösen bis diffamierenden Attacken als "Feinde" bekämpft werden. Ziel ist es dabei, die Gegner der SO, die als "unterdrückerische Personen" bezeichnet werden, mundtot zu machen, um die Expansion des Systems nicht von ihnen gefährden zu lassen. Kritiker werden wegen ihrer Gegnerschaft zur SO diffamiert, öffentlich bloßgestellt, angezeigt und verklagt, bisweilen bedroht, Psychofolterbelästigt und zur Zermürbung auch psychisch gequält. In einer nach wie methoden vor gültigen Führungsanweisung Hubbards zum Umgang mit "Unterdrückern" von 1966 heißt es dazu: "Leute, die Scientology angreifen sind Verbrecher." "Wenn man Scientology angreift, wird man auf Verbrechen hin untersucht." "Man ist sicher, wenn man Scientology nicht angreift, auch wenn man nicht auf ihrer Seite ist." In den USA scheuen sich daher manche Medien, offen gegen die SO Stellung zu nehmen. Auch in Deutschland spionierte die SO ihre Kritiker durch verdeckt arbeitende Mitarbeiter und Privatdetektive bis in ihre Intimsphäre aus, um sie mit ehrenrührigen Behauptungen in der Öffentlichkeit bloßzustellen (vgl. auch Nummer 3.2.5 dieses Abschnitts). Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Scientology-Organisation 201 2.3.4 Aktivitäten im Ausland Zwar bezeichnet die SO Deutschland immer wieder als wichtigstes Expansionsgebiet in Europa, doch sind ihre Verbreitungsbemühungen auch in vielen anderen europäischen Staaten nicht unerheblich. Zahlreiche Verfahren gegen Scientologen in Frankreich, Belgien, Spanien und Italien zeigen, dass die SO Verstöße gegen die Rechtsordnungen dieser Länder in Kauf nimmt. Zudem werden - wie in Deutschland - in den genannten Staaten, insbesondere in Frankreich, Kampagnen gegen die angebliche religiöse Diffamierung der SO durchgeführt. In Belgien laufen gegen die SO seit Oktober 1999 Strafermittlungen Belgien wegen Betrugs und anderer Straftaten. Im Frühjahr 2003 wurden daraufhin neun Angehörige der SO wegen verschiedener Delikte wie Betrug, Verletzung der Privatsphäre, illegale Ausübung des Apothekerund Arztberufs sowie Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Im Zusammenhang mit den scientologischen Aktivitäten in Belgien wurde im September 2005 von einigen Abgeordneten der Belgischen Abgeordnetenkammer ein "Gesetzesvorschlag zur Veränderung des Strafgesetzes zur Strafbarkeit der mentalen Destabilisierung von Personen und des Missbrauchs der Situation der Schwächen von Personen" eingereicht. Über den Gesetzesvorschlag wurde noch nicht entschieden. Am Aufbau neuer Organisationsstrukturen im Ausland beteiligten sich auch deutsche Scientologen. Besonders bei der Expansion der SO in OstOsteuropa europa spielt die Münchener Niederlassung der SO, die so genannte Org München, seit Jahren eine bedeutende Rolle. In Kursen der Org München werden zahlreiche Osteuropäer ausgebildet. Einer Pressemeldung aus dem Internet zufolge soll das oberste Gericht in Russland das Urteil des obersten Gerichts der Republik Baschkirien vom 9. Februar 2004 bestätigt haben, das das Verbot der "Scientology-Kirche" für seinen Zuständigkeitsbereich für rechtmäßig angesehen habe, weil die Organisation unberechtigt erzieherische und medizinische Tätigkeiten ausübe, die das Denken und die Psyche der Auszubildenden negativ beeinflussten und die öffentliche Gesundheit bedrohten. Dem Gericht zufolge sei die SO dort seit 1994 aktiv. Im September 2003 eröffnete die SO unter großem Medienaufwand in Brüssel/Belgien ein "Menschenrechtsbüro", das mit Mitteln der "Internationalen Vereinigung von Scientologen" (IAS) finanziert wurde. Die SO will damit an einem wichtigen und einflussreichen Politikund Verwaltungszentrum Präsenz zeigen und Lobbyarbeit leisten. Zu diesem Versand von Zweck verschickte die SO auch im Jahr 2006 Informationsbroschüren Informations"Scientology - Antworten und Lösungen" zu den verschiedensten Thebroschüren Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 202 Scientology-Organisation men an führende Persönlichkeiten Europas. Mit jeder der in acht Sprachen verfassten Broschüren will die Organisation 56.000 Persönlichkeiten in ganz Europa als Multiplikatoren erreichen. Insgesamt sollen nach eigenen Angaben bereits über 700.000 Broschüren verteilt worden sein. In Bayern sind bereits zahlreiche Kommunen, Schulen und Sicherheitsbehörden als Adressaten bekannt. Während der Olympischen Winterspiele 2006 in Turin sollen laut einer Pressemitteilung der SO hunderte so genannter Volunteer Ministers (ehrenamtliche Geistliche der SO), darunter auch eine Gruppe Scientologen aus Deutschland, aktiv gewesen sein. Angeblich seien vor und während der Eröffnungsfeierlichkeiten zehntausende Broschüren zum Thema Menschenrechte und die SO-Broschüre "Der Weg zum Glücklichsein" an Zuschauer und Gäste verteilt worden. Allerdings neigt die SO bei Presseverlautbarungen zu ihren öffentlichen Veranstaltungen zu Übertreibungen. "1. Europäischer Am 8. April fand in Brüssel der "1. Europäische Expansionsgipfel" der Expansionsgipfel" SO statt. Die belgische Zeitung "Le Soir" berichtete über die Veranstaltung, an der mehrere Hundert Menschen teilnahmen. So habe ein Redner Institutionen der Europäischen Union (EU) indirekt mit Nazis verglichen und die EU als "Viertes Reich" bezeichnet. Außerdem hätten SO-Funktionäre gesagt, dass sich die SO im Krieg befinde und man sich bemühen müsse, in Belgien die Kontrolle zu übernehmen. Dem Zeitungsbericht zufolge sei geplant, die europäische Zentrale der SO in Brüssel zu errichten. Zu diesem Zweck soll die SO schon umfangreichen Immobilienbesitz in der Nähe politischer Institutionen der EU und des belgischen Staates erworben haben. 2.4 Bewertung der Schriften und Aktivitäten Gutachten Nach einem Gutachten des Instituts für Therapieforschung (IFT) aus dem Jahr 2002 kommt die SO mit der objektiven Wertordnung der Verfassung in vielfacher Hinsicht in Konflikt, weil sie nicht nur ein internes Normensystem habe, das die Organisationsinteressen ausnahmslos über die Belange des Einzelnen stelle, sondern auch Feindbilder in Form von willkürlich erklärten "Unterdrückern" aufgebaut habe. Die interne Organisation sowie die Methoden der Überwachung und Instrumentalisierung, die gegen Mitglieder und Mitarbeiter angewendet werden, verstoßen dem Gutachten zufolge gegen die Menschenwürde, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und gegen die Meinungsfreiheit. Darüber hinaus werde von der Organisation das herrschende Gesellschaftssystem, vor allem das Sozialstaatsprinzip, massiv kritisiert und negiert. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Scientology-Organisation 203 Die SO biete nicht nur Einzelpersonen ihre Dienstleistungen an, sondern Ziel: Abschaffung ziele über die Persönlichkeitsveränderung des Menschen auf die Errichder freiheitlichen tung einer scientologischen Gesellschaftsund Staatsordnung, die im demokratischen Widerspruch zu zentralen Prinzipien unserer Rechtsordnung stehe. Grundordnung Das Gutachten bestätigt die bisherige Bewertung der SO durch die bayerischen Sicherheitsbehörden. Auch das Verwaltungsgericht Köln hat 2004 im Rechtsstreit zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und der SO bestätigt, dass diese verfassungsfeindliche Ziele verfolge, die darauf gerichtet sind, die Grundrechte, insbesondere die Menschenwürde, zu beseitigen. Das Gutachten ist unter der ISBN 3-936142-40-8 beim Pabst Science Publishers Verlag unter dem Titel "Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology" erschienen. 3. Organisationsund Kommandostruktur der SO 3.1 Weltweite Kommandostruktur der SO Die Einrichtungen der SO in Deutschland erscheinen zwar nach außen als rechtlich selbständig, sind jedoch der strikten Befehlsund Disziplinargewalt des Internationalen Managements in den USA unterworfen und daher unselbständige Teile. Das Religious Technology Center (RTC) unter David Miscavige hat die Befehlszentrale oberste Befehlsgewalt in der SO. Unterhalb des RTC ist das Internatioder SO nale Management der SO angesiedelt. Dieses hat die Aufgabe, für jeden Sektor der SO Strategien und taktische Pläne zu entwickeln. Hier wird auch die Führung der verschiedenen Sektoren koordiniert. Derartige Sektoren sind u.a. die Bereiche "Church", WISE, ABLE und OSA. Das Internationale Management besteht demzufolge aus mehreren Gruppen, von denen jede eine ganz bestimmte Verantwortung trägt. Die oberste Stufe dieser Führungsebene ist das Watchdog Committee (WDC). Hierbei handelt es sich um eine "Inspektionsund Überwachungsorganisation", welche die eigentlichen Management-Gruppen inspiziert und für deren Funktionieren sorgen soll. 3.2 Organisation der SO in Deutschland 3.2.1 "Church"-Sektor Derzeit existieren im Bundesgebiet zehn "Kirchen" (Orgs) und "Celebrity Centres" (CC), und zwar jeweils eine Org und ein CC in München, Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 204 Scientology-Organisation Organisationen der SO in Bayern Hof Aschaffenburg Würzburg KVPM - Schlüsselfeld Nürnberg Scientology Mission Nürnberg Regensburg Scientology Mission Ingolstadt Augsburg Passau Augsburg Scientology Mission München München Celebrity Center München Lindau WISE Scientology Scientology KVPM - Starnberg Kirche Kirche Bundesleitung Deutschland e.V. Bayern e.V. Department of Department of KVPM Special Affairs Special Affairs München GER MUC Düsseldorf und Hamburg sowie jeweils eine Org in Berlin, Stuttgart, Frankfurt am Main und Hannover. Außerdem gibt es in Deutschland insgesamt 14 "Missionen", davon neun in Baden-Württemberg, je eine in Bremen und Hessen sowie drei in Bayern, nämlich in München, Nürnberg und Augsburg. Daneben sind noch einige so genannte Feldauditorengruppen aktiv. Die genannten Einrichtungen der SO sind in Deutschland überwiegend als eingetragene Vereine organisiert. Als Dachverband fungiert die "Scientology Kirche Deutschland e.V." (SKD). Diese Vereine sind jedoch Scheinselbstännur scheinbar selbständig; sie haben im weltweiten, aus den USA gedige Teilorganisteuerten System kaum eigenständige Funktionen. Faktisch werden die sationen SO-Einrichtungen nicht durch die jeweiligen Vereinsvorstände geleitet, sondern durch die Executive Directors und die sonstigen Funktionsinhaber Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Compilations Unit; Translations ns Unit; Cine Org Audio Division (Tapes, Music); Systemss M Manufacturing Division Projection Systems, s, Cassette Decks)] Scientology-Organisation 205 206 Scientology-Organisation in den USA über die jeweiligen Verbindungsstellen. Dies ist in den Lizenzverträgen über die Nutzung der Dianetikund SO-Warenzeichen zwischen der Konzernspitze in den USA und den örtlichen "Kirchen", "Missionen" usw. in aller Welt geregelt. So wurden in den vergangenen Jahren beispielsweise Mitglieder der Eliteorganisation Sea-Org aus den USA und dem Kontinentalen Verbindungsbüro in Kopenhagen in deutsche Einrichtungen der SO abgeordnet, um dort Befehle zu erteilen und für die richtige "Handhabung" der scientologischen Technologie zu sorgen. 3.2.2 WISE-Sektor Das 1979 von der SO gegründete World Institute of Scientology Enterprises (WISE) besteht aus Geschäftsleuten oder Unternehmen aus allen Bereichen der Wirtschaft. Zweck von WISE ist es, Geld für die SO zu beschaffen und durch die Verbreitung der auf L. Ron Hubbard beruhenden "Technologie" Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Damit kommt WISE auch eine führende politische Bedeutung zu. Schwerpunkte in Deutschland und Bayern sind die Immobilienbranche sowie die Unternehmens-, Führungsund Personalberatung. WISE-Logo Darüber hinaus ist die IT-Branche aufgrund ihrer globalen Vernetzung und ihrer technischen Möglichkeiten ins Blickfeld von Scientologen geraten, da sie den Zugang in sensibelste Unternehmensbereiche eröffnen kann. In besonderem Maße bemüht sich die SO seit einiger Zeit, in Osteuropa (Russland, Ungarn) zu expandieren. Kontinentale WISE-Büros finden sich für Europa in Kopenhagen, Mailand, Budapest und Moskau. Über so genannte Hubbard Colleges of Administration wird versucht, Hubbards Verwaltungstechnologie als vorgeblich erfolgreiches westliches Know-how in Unternehmen und in der Verwaltung zu etablieren. 3.2.3 ABLE-Sektor Umwandlungen Die Association for better Living and Education (ABLE) versucht, für die in sozialen SO den sozialen Bereich der Gesellschaft zu durchdringen und scientoBereichen logische Lösungsansätze zu realisieren. Zu den dem ABLE-Bereich zuzuordnenden Organisationen gehören vor allem * das "Zentrum für individuelles und effektives Lernen" (ZIEL), * "Applied Scholastics" (Ausbildungsprogramm; u.a. Englisch-Fernkurse), Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Scientology-Organisation 207 * "NARCONON", ein angebliches Drogenrehabilitationsprogramm, * "CRIMINON", angeblich ein Programm zur Rehabilitation von Strafgefangenen. Mit diesen Organisationen versucht die SO, sich als humanitäre, karitative und sozial verantwortliche Organisation darzustellen. Die Wahl von Ausbildung, Gefangenenund Drogenrehabilitation als weitere Schwerpunkte lässt den Schluss zu, dass die gerade bei diesen Personengruppen gegebene Möglichkeit der leichteren Einflussnahme benutzt wird, um diese für die SO zu werben. 3.2.4 Besonders aktive Tarnorganisationen der SO 3.2.4.1 Applied Scholastics Einer der Schwerpunkte der Expansionsstrategie der SO ist ihr Bestreben, in ihrem angeblichen Kampf gegen die Bildungsmisere und den Analphabetismus die Studiertechnologie Hubbards in der Gesellschaft zu etablieren. Die derzeitigen Bildungsund Schulsysteme werden von der SO als unfähig deklariert, den Schülern "wahre Fertigkeiten und geistige Fähigkeiten" beizubringen. In diesem Zusammenhang heißt es bereits im Klappentext aus dem Jahr 1992 zum "Grundlegenden Studierleitfaden" von Hubbard: "Erlangen Sie die Fertigkeiten, die Ihnen das Schulsystem niemals beibrachte - und beginnen Sie wirklich anzuwenden, was Sie lernen!" Anlässlich der Feier zum 10. Jahrestag der International Association of Scientologists (IAS) Ende 2003 forderte der Vorsitzende des Religious Technology Center (RTC) David Miscavige in seiner Rede: "Die Studiertechnologie muss überall sein. (...) So schaffen wir die Mittel, um die Tech in jede Schule einzuführen und das Problem auf globaler Ebene zu lösen." Mit der Studiertechnologie, die beispielsweise über Nachhilfegruppen Studiertechnologie verbreitet werden soll, will die SO zunächst unerkannt die Lehren Hubals Rekrutierungsbards verbreiten, um letztendlich neue Mitglieder zu rekrutieren. Somittel wohl das Werbematerial der von Scientologen geführten Lernstudios als auch deren Namen enthalten dabei keine Hinweise auf die Organisation. So tragen die Anbieter neutrale Namen wie zum Beispiel Lernstudio, Lerncenter oder Tutoring. Erfahrungsberichte von Eltern und Schülern zeigen, dass die Nachhilfelehrer nicht nur den Lehrstoff behandelten, sondern dass sie Wörter und Begriffe nach der Hubbard-Studiertechnologie definierten und durch Knetmasse darstellen ließen, wobei anfangs jeder Hinweis auf die SO vermieden wird. In Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 208 Scientology-Organisation wurden allerdings schon Fälle bekannt, bei denen Schülern bereits nach wenigen Stunden Nachhilfe die SO-Werbebroschüre "Der Weg zum Glücklichsein" übergeben wurde, in der zwar Hubbard als Verfasser genannt wird, ansonsten aber auch jeder Hinweis auf die SO fehlt. Der weltweite Aufruf an Scientologen, zuletzt bei der Neujahrsveranstaltung 2006 der Church of Scientology International (CSI) in Los Angeles, im Umfeld ihrer "Kirchen" und "Missionen" zahlreiche Schülernachhilfegruppen zu gründen, war bisher allerdings wenig erfolgSO-Nachhilfereich. In Bayern wurden bislang zehn solcher Nachhilfeeinrichtungen einrichtungen bekannt. In diesem Zusammenhang warnte das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus in Lehrerrundbriefen und Elternzeitschriften wiederholt vor diesen Aktivitäten der SO. Darüber hinaus können sich besorgte Eltern auf der Internet-Seite http://www.appliedscholastics.org auf dem dortigen Global-Locator-Germany über SO-Nachhilfeanbieter informieren. Diese Liste von Anbietern ist allerdings nicht vollständig. 3.2.4.2 NARCONON Im Jahr 2003 gründeten Mitglieder der SO einen neuen Verein "NARCONON Bayern e.V." mit Sitz in München. Dieser Verein versuchte, im Landkreis Cham ein NARCONON-Rehabilitationszentrum zu errichten. Proteste aus der örtlichen Bevölkerung verhinderten das Vorhaben. Stattdessen mietete der Verein Ende 2004 ein ehemaliges Alpengasthaus im österreichischen Ellmau, um dort ein Drogenrehabilitationszentrum, "Europas größtes" NARCONON-Center, zu eröffnen. Mittlerweile kam es aber auch dort zu Protesten in der ÖffentLogo von NARCONON lichkeit gegen diese Einrichtung. Örtliche Politiker verteilten Postwurfsendungen, in denen auf die Gefahren der SO-Ideologie hingewiesen wird. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese SO-Einrichtung in Tirol auf Dauer etablieren kann. Zur Gründung einer NARCONON-Einrichtung empfiehlt die SO Folgendes: "Jeder, der daran interessiert ist, als Pionier ein NARCONON-Zentrum auf der Grundlage der Technologie L. Ron Hubbards zu eröffnen, sollte als erstes mit dem nächstgelegenen NARCONON-Zentrum oder mit einem Repräsentanten von NARCONON International Kontakt aufnehmen, der ihm dabei helfen wird. NARCONON International wird anschließend mit Rat, Anleitung und Materialien zur Verfügung stehen, die für einen Start benötigt werden." (Auszug aus "Was ist Scientology?", Seite 514) Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Scientology-Organisation 209 Die Teilnehmer an einem "NARCONON-Entzug" durchlaufen u.a. eine "Trainings-Routine", was in den "Kirchen" zum Vorbereitungsprogramm der Ausbildung zum Auditor gehört. Teil des Kurses ist ferner ein "Reinigungsprogramm", das in den "Kirchen" vor Beginn des Auditings zu absolvieren ist. Der deutsche NARCONON-Verein in Itzehoe hat sich offenbar aufgelöst; es wurden keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten in Deutschland mehr bekannt. Der ehemalige dortige Vorsitzende hat sich jetzt dem "NARCONON Bayern e.V." angeschlossen. 1995 verurteilte das Amtsgericht Miesbach einen Verantwortlichen von NARCONON wegen Verstößen gegen das Heilpraktikergesetz. Damals Verstöße gegen wurde festgestellt, dass weder der angeklagte Vorsitzende des Vereins das Heilpraktiker"NARCONON-Schliersee" noch die Betreuer zur Ausübung eines Heilgesetz berufs befähigt oder berechtigt waren. 3.2.4.3 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) Die KVPM ist eine mit der SO verbundene Organisation und im Bereich "Sozialreformen" tätig. Sie wurde 1972 von Mitgliedern der SO gegründet. Als ihr Ziel bezeichnet sie, Missbräuche und Menschenrechtsverletzungen der Psychiatrie zu untersuchen und aufzu-decken. Nach internen, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Publikationen soll sie jedoch dazu beitragen, eine neue Zivilisation, eine scientologische Gesellschaft zu schaffen. Angesiedelt ist die KVPM im Office of Special Affairs (OSA) der SO. KVPM-Logo 3.2.5 Office of Special Affairs (OSA) OSA ist die Nachfolgeorganisation einer bereits in den 60er Jahren unter dem Namen Guardian Office (GO) aufgebauten Abteilung, die nach eigenem Selbstverständnis auch Nachrichtendienstund SpionagefunkGeheimdienst tionen hatte. Zahlreiche Grundlagenpapiere für das GO, z.B. für nachder SO richtendienstliche Schulung, wurden für den neuen Dienst als OSA-Network Orders übernommen. Im Gegensatz zur rigiden und direkten Vorgehensweise des GO, die in der Vergangenheit international zu einem Ansehensverlust der SO geführt hatte, operiert das OSA heute erkennbar vorsichtiger, ohne seine Ziele im Wesentlichen geändert zu haben. Die für Deutschland zuständige OSA-Einheit ist das Department of SpeDeutsche OSAcial Affairs (DSA) mit Sitz in München. Nach außen tritt das DSA unter Zentrale (DSA) Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 210 Scientology-Organisation der Bezeichnung "Scientology Kirche Deutschland, Beichstraße 12, 80802 München" auf; der inoffizielle Sitz befindet sich in München in der Nordendstraße 3. Dem DSA-Deutschland nachgeordnet sind die lokalen DSA-Büros in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, München und Ulm, angesiedelt bei den dortigen "Scientology Kirchen" oder den "Celebrity Centres". Die SO selbst stellt ihre OSA-Einrichtung für Deutschland mit Sitz in München als Büro für öffentliche Angelegenheiten oder als Presseund Rechtsamt dar. Teile des OSA sind das Deutsche Büro für MenschenCCHR rechte und die Citizens Commission on Human Rights (CCHR). Da die CCHR weisungsgebend für die Kommission für Verstöße der Psychiatrie KVPM gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) ist, kann dieses öffentlichkeitswirksame Aushängeschild zur Bekämpfung der Psychiatrie ebenfalls dem Bereich OSA zugerechnet werden. Auch die im August 2001 gegründete ATV "Aktion Transparente Verwaltung München" (ATV), betrieben von einem DSA-Unterabteilungsleiter, ist dem OSA zuzurechnen. Die ATV unterhält eine eigene Homepage; ein Hinweis auf die SO ist dort nicht erkennbar. Das Engagement im Bereich angeblicher Menschenrechtsverletzungen gegen Scientologen durch feindliche Staaten und ihre Behörden ist wesentlicher Bestandteil der Expansionsbemühungen, ebenso der von Hubbard betriebene Kampf gegen die Psychiater als "Quelle allen Übels in der Welt". Gemäß der Hubbard-Anweisung (HCO-PL) vom 13. März 1961 soll in den OSA-Akten die jeweilige Ausgangslage für Maßnahmen von OSA bzw. DSA gegen "Feinde", d.h. der SO kritisch begegnende Personen, gesammelt werden. Der HCO-PL beschreibt als Ziel der Abteilung: " ... Behörden und ihnen entgegen gesetzte Denkmodelle oder Gesellschaften in einen Zustand völliger Übereinstimmung mit den Zielen der SO zu bringen. (...) Dies geschieht durch die hochrangige Fähigkeit zur Steuerung und - falls sie nicht gegeben ist - durch die weiter unten angesiedelte Fähigkeit zur Überwältigung." Arbeitsweise Das DSA-Deutschland setzt diese Anweisung um, sammelt Informatiodes DSA nen über Kritiker, Politiker, Behördenangehörige und andere Gegner, wertet sie aus und verwendet sie für eigene operative Maßnahmen. Durch Recherchen unter Falschnamen und andere Maßnahmen verschafft sich das DSA-Deutschland interne Unterlagen deutscher Einrichtungen. Seine Außendienstmitarbeiter observieren als "Feinde" bezeichnete Gegner der SO und beziehen, um Rückschlüsse auf ihre Organisation zu verhindern, Privatdetektive in ihre Arbeit ein. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Scientology-Organisation 211 Das DSA arbeitet abgeschottet gegenüber anderen SO-Strukturen. Die Informationen an übergeordnete Einrichtungen werden verschlüsselt oder durch konspirativen Botenverkehr übermittelt. 4. Mitglieder der SO Die SO hat in Deutschland zwischen 5.000 und 6.000 Mitglieder, wobei Mitgliederzahlen die Organisation selbst eine deutlich höhere Zahl angibt. Früher behauptete die SO, dass die "Scientology Kirche Deutschland e.V." (SKD) über 30.000 Mitglieder habe; im Rechtsstreit der SO gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (vgl. auch Nummer 6 dieses Abschnitts) gab der Präsident der SKD im Jahr 2004 an, die SKD habe etwa 12.000 Mitglieder. Der Mitgliederstand in Bayern ist mit etwa 2.600 konstant geblieben. Als Mitglieder werden solche Personen verstanden, die ihre Mitgliedschaft in einem SO-Verein oder einer sonstigen SO-Gliederung, z.B. im WISEoder ABLE-Bereich, schriftlich erklärt haben oder durch die Belegung von Kursen in einem SO-Verein verdeutlichen. 5. Veranstaltungen und sonstige Aktivitäten der SO Schwerpunkt der öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der SO in Bayern waren Informationsstände vor allem in München, vereinzelt auch in Info-Stände Nürnberg und Augsburg. Wie schon 2005 hat die SO wesentlich mehr öffentliche Veranstaltungen abgehalten als in den Jahren zuvor. Die etwa 350 öffentlichen Veranstaltungen in Bayern waren größtenteils als Informationsstände in Form von Versammlungen organisiert. Als Veranstalter traten meist die "Scientology Kirche Deutschland e.V." (SKD) und die "Scientology Kirche Bayern e.V." (SKB) auf. Die SKD und die SKB warben wie in den Vorjahren mit den Themen Themen"Für den Frieden auf der Welt - Dianetik führt zum Frieden" bzw. "Für schwerpunkte den Frieden auf der Welt - die ehrenamtlichen Scientology-Geistlichen sagen, man kann immer etwas tun". Bei den Veranstaltungen wurden regelmäßig SO-Broschüren zu den Themen "Die Wahrheit über den Joint", "Was sind Menschenrechte", "Der Weg zum Glücklichsein" sowie andere Werbeartikel der SO verteilt, um angebliche Missstände in der Gesellschaft anzuprangern und damit Interessenten und gegebenenfalls neue Mitglieder zu werben. Am 3. Juni wurde in München eine öffentliche Kundgebung unter dem Motto "Jugend für Menschenrechte" abgehalten, bei der neben der Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 212 Scientology-Organisation Vizepräsidentin der SKD auch jugendliche Scientologen auftraten, die die von den Vereinten Nationen proklamierte Erklärung der Menschenrechte vortrugen. Untermalt wurde die Veranstaltung von Musik und Tanzdarbietungen. Entgegen einer Ankündigung von über hundert Teilnehmern nahmen nur etwa 30 Besucher an der Veranstaltung teil. Während der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland verstärkte die SO ihre Veranstaltungsaktivitäten erheblich. Sie trat dabei jedoch nicht in der Nähe von Fußballstadien oder Fan-Festen auf. In Bayern wurden während dieser Zeit 106 öffentliche Informationsveranstaltungen durchgeführt, die meisten davon in München. Bei diesen Veranstaltungen wurden regelmäßig SO-Broschüren in mehreren Sprachen ausgelegt, um auch ausländische Besucher anzusprechen. Darüber hinaus wurde die bundesweite Informationskampagne über die Volunteer so genannten Ehrenamtlichen Geistlichen (Volunteer Ministers) der SO Ministers fortgesetzt. Bei einigen Veranstaltungen wurden Listen ausgelegt, in die sich Betroffene oder interessierte Bürger eintragen konnten. Diesen wird dann, wie die SO selbst im Internet berichtete, Informationsmaterial zugesandt, um sie für die SO zu gewinnen. Diese Aktionen dienen nur vordergründig dazu, über die SO zu informieren. Tatsächlich sollen die Besucher für die Organisation geworben werden. Die Resonanz in der Öffentlichkeit war jedoch gering. Außerdem führte die SO zahlreiche Postwurfaktionen durch, wobei Flugblätter und die Publikation "Freiheit" in großer Anzahl verteilt wurden. Mehrere Straßenwerber wurden nach der nicht erlaubten Verteilung von Werbematerialien auf öffentlichen Straßen wegen Verstoßes gegen das Bayerische Straßenund Wegegesetz angezeigt. Wie in den Jahren zuvor verteilten Scientologen die Broschüre "Die Fakten über den Joint! Sag NEIN zu Drogen" an Polizeidienststellen. Die SO sandte diese Publikation auch an Schulen und Behörden. Mit der Propagierung von scientologischen Lösungsansätzen in der Drogenproblematik sollen betroffene Personen veranlasst werden, kostenpflichtige Angebote der SO (Bücher, Kurse, so genannte Reinigungsrundowns usw.) anzunehmen. 6. Verwaltungsgerichtsverfahren Beobachtung der Mit Urteil vom 11. November 2004 hatte das Verwaltungsgericht Köln SO durch das BfV die Klage der SO auf Unterlassung der Beobachtung durch das Bundesrechtens amt für Verfassungsschutz (BfV) in vollem Umfang zurückgewiesen Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Scientology-Organisation 213 (Az. 20 K 1882/03), wogegen die SO am 2. Mai 2005 Berufung eingelegt hat. Das Gericht führte zur Begründung aus, es sei zu der Überzeugung gelangt, dass die Beobachtung der "Scientology Kirche Deutschland e.V." (SKD) und der "Scientology Kirche Berlin e.V." (SKB) durch das BfV sowohl mit offenen als auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln rechtmäßig sei, weil deutliche tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Kläger verfassungsfeindliche Ziele verfolgten. Das Urteil stellte auch klar, dass die SO ihre verfassungsfeindlichen Ziele nicht nur theoretisch verfolgt, sondern auch praktisch umsetzt, wenn es ausführt, dass "tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die von den Klägern verfolgten Verhaltensweisen zielund zweckgerichtet darauf gerichtet sind, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen". Der Hinweis des Gerichts, dass "Kämpfer für Scientology" geworben werden sollen und dass die Kläger letztendlich das "Konzept verfolgen, die verfassungsmäßige Ordnung zu untergraben", deutet in Richtung auf eine Betätigungsweise, die als aggressiv-kämpferisch bezeichnet wird. In seiner Klageerwiderung vom 15. August 2003 hat der Prozessbevollmächtigte des BfV eine ausführliche Darstellung der vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche und teilweise sogar aggressiv-kämpferische Bestrebungen der SO gegen die freiheitliche Aggressiv-kämpdemokratische Grundordnung und darüber hinaus für Straftaten wie ferische Ansätze Betrug und Nötigung gegeben: "Scientology sieht sich in einem Kampf auf Leben und Tod mit dem Rest der Welt, und hieraus wird erklärlich, weshalb dieser Kampf nach Auffassung von Scientology ohne Rücksicht, ohne Grenzen und mit allen Mitteln geführt werden muß und geführt werden darf." "Es ist offensichtlich, dass eine Gruppierung mit diesem Verständnis, sollte sie je bestimmenden oder gar beherrschenden Einfluß in einem Staat erringen, eine Schreckensund Terrorherrschaft errichten würde, die auf die Unterdrückung, wenn nicht gar vollständige Vernichtung aller ihrer Gegner gerichtet wäre." "Scientology ist stets, überall und jederzeit, bemüht, alles in Erfahrung zu bringen, was sich in irgendeiner Weise gegen seine Kritiker verwenden ließe. Dies wird eingesetzt, um Kritiker mit der Drohung der Veröffentlichung einzuschüchtern. Dabei handelt es sich um systematische strafbare Nötigung im Sinn des SS 240 StGB, weil die zur öffentlichen Diskreditierung der Kritiker eingesetzten Informationen nichts mit der Kritik an Scientology zu tun haben." Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) entschied am 2. No"CCM-Entscheivember 2005, dass der Verein "Celebrity Center Scientology Kirche dung" München e.V." (CCM) weiterhin als "eingetragener Verein" tätig sein Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 214 Scientology-Organisation darf (Az.: 4 B 99.2582). Die Landeshauptstadt München hatte mit Bescheid vom 13. November 1995 dem eingetragenen Verein die Rechtsfähigkeit entzogen, weil er entgegen seiner Satzung keine ideellen Ziele verfolge. Das Verwaltungsgericht München hatte die Klage des Vereins gegen den Entzug der Rechtsfähigkeit mit Urteil vom 2. Juni 1999 abgewiesen. Das Urteil hat unmittelbar nur Geltung für das CCM und nicht für andere SO-Vereine. Unberührt bleibt von dieser Entscheidung auch die Bewertung eines SO-Vereins als Gewerbebetrieb, da die Begriffe "wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb" im Sinn des Vereinsrechts und "Gewerbe" im Sinn des Gewerberechts nach Ansicht des BayVGH wegen unterschiedlicher Schutzzwecke nicht identisch sind. 7. Vertrauliches Telefon und Informationsangebot im Internet Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz unterhält ein "vertrauliches Telefon" unter der Nummer 0 89 / 31 20 12 96. Opfer, Aussteiger und Angehörige von SO-Mitgliedern können dort Hinweise über die SO geben. Für Beratungen stehen die anerkannten Beratungsstellen zur Verfügung. Das Bayerische Staatsministerium des Innern informiert im Internet über die Maßnahmen der Bayerischen Staatsregierung, über Pressemitteilungen und Gerichtsentscheidungen unter folgender Adresse: http://www.innenministerium.bayern.de/scientology Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Spionageabwehr 215 7. Abschnitt Spionageabwehr 1. Ausgangslage Die Notwendigkeit für die internationale Staatengemeinschaft, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen bei Krisenländern und terroristischen Organisationen (Proliferation) zu verhindern, sowie die BeobProliferation achtung der Wirtschaftsspionage stehen - neben den nachrichtendienstlichen Aktivitäten vor allem Chinas und der GUS-Staaten - weiter im Mittelpunkt des Auftrags der Spionageabwehr im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz. Die anhaltenden Bemühungen von hoch technisierten deutschen - insbesondere auch mittelständischen - Unternehmen, sich auf den Wirtschaftsmärkten in Russland und Fernost zu etablieren, sind für den Schutz von Know-how nicht ohne Gefahren. Aktivitäten fremder Nachrichtendienste zur Erlangung von Spezialwissen belegen das nach wie vor bestehende Interesse an deutschen Produkten. Die Volksrepublik (VR) China versucht mit Nachdruck, den technoloZielobjekte der gischen Abstand zu den führenden Industriestaaten zu verringern. China VR China beabsichtigt langfristig, mit einer Innovationsoffensive Spitzentechnologien selbst herzustellen, d.h. der Staat fördert die eigene Hochtechnologie und beschränkt gleichzeitig die Einfuhr von Technik ausländischer Investoren. Mit offensivem Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel werden vor allem Informationen zu den Bereichen Militär, Wirtschaft und Forschung gesammelt. Darüber hinaus versucht die VR China weiterhin, oppositionelle Gruppierungen im Ausland zu beobachten und zu unterwandern. Vor allem die in China verbotene buddhistisch-taoistische Falun-Gong-Bewegung sowie die in Deutschland lebenden organisierten Angehörigen der uigurischen Minderheit, aber auch Anhänger der taiwanesischen Souveränität stehen im Blickfeld der chinesischen Nachrichtendienste. Die hohe Zahl der in russischen diplomatischen Vertretungen in DeutschAktivitäten land beschäftigten nachrichtendienstlichen Mitarbeiter lässt einen Rückrussischer Nachschluss auf das Aufklärungsinteresse des russischen Auslandsaufklärichtendienste rungsdienstes SWR bzw. des militärischen Dienstes GRU in Deutschland zu. Während sich der SWR in erster Linie um Informationen zu poliVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 216 Spionageabwehr tischen und wirtschaftlichen Bereichen und Zielobjekten bemüht, ist der GRU primär an klassischen Militärobjekten und -technologien interessiert. Weiter betreiben Angehörige des russischen Inlandsnachrichtendienstes FSB in Deutschland Aufklärung. Zentrale Themen sind dabei die Erweiterung von NATO und EU, die Haltung Deutschlands zu Tschetschenien, die Handelsbeziehungen zu Russland sowie der angestrebte schnellere Zugang zu westlichem Know-how für die Modernisierung der Wirtschaft Russlands. Nach wie vor werden Agentenoperationen aus getarnten Stützpunkten in diplomatischen Vertretungen, so genannten Legalresidenturen, geführt. So kontaktierte ein Angehöriger des russischen Auslandsaufklärungsdienstes SWR, der als russischer Diplomat in Deutschland tätig war, einen leitenden Angestellten einer deutschen Firma. Bei Treffen in Lokalen übernahm der Diplomat stets die Kosten und überbrachte auch Geschenke. So entwickelte sich eine persönliche Beziehung. Im Rahmen dieser Treffen schöpfte der SWR-Angehörige Informationen aus dem beruflichen Umfeld des Angestellten ab. Regimekritiker Die Nachrichtendienste der Länder Syrien, Libyen und Iran legen den im Visier Schwerpunkt ihrer Auslandsaktivitäten im Westen auf die Aufklärung und Infiltration regimekritischer Organisationen und Personen. Vor dem Hintergrund terroristischer Anschläge im Irak sind auch nachrichtendienstliche Bestrebungen der im Nordirak ansässigen kurdischen Parteien zu beobachten, die in Deutschland agierenden Strukturen des internationalen islamistischen Terrorismus aufzuklären. 2. Wirtschaftsspionage Die Wirtschaftsspionage gewinnt vor dem Hintergrund zunehmender Globalisierung und steigenden Wettbewerbs an Bedeutung. Nicht nur Großunternehmen, sondern auch kleine und mittelständische Firmen Know-how im verfügen vielfach über technisches Know-how, das für die NachrichtenBlickfeld der dienste anderer Länder von Interesse ist. In Russland, China und vielen Nachrichtendienste anderen Staaten sind deren Nachrichtendienste gesetzlich verpflichtet, die Wirtschaft ihres Landes zu unterstützen. Die Verlagerung von Entwicklungsund Produktionsstätten in diese Staaten birgt auch unter diesem Gesichtspunkt erhebliche Gefahren für die deutschen Wirtschaftsunternehmen in sich. Besonders in China bestehen speziell für Investoren der ausländischen Wirtschaft Vorschriften, die darauf abzielen, an das Know-how der Firma zu gelangen. So ist für Produkte bzw. Branchen, die für die chinesische Wirtschaft besonders wichtig sind, ein Joint Venture mit einem chinesischen Geschäftspartner gesetzlich vorgeschrieben. Durch das so gewonnene Know-how kann das Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Spionageabwehr 217 Produkt von anderen chinesischen Firmen wesentlich preisgünstiger nachgebaut werden. Auch durch den Kauf deutscher Firmen gelangen fremde Staaten an westliche Technologie. Wirtschaftsspionage hat unterschiedliche Zielrichtungen. Diese sind auf den jeweiligen technologischen Stand der handelnden Staaten ausgerichtet. Bei technisch weniger entwickelten Staaten konzentriert sich die Wirtschaftsspionage auf die Beschaffung von technischem Know-how und Informationen über die Produktion. Dagegen richtet sich bei hoch entwickelten Staaten der Fokus besonders auf Unternehmens-, Marktund Wettbewerbsstrategien des Unternehmens. Die strategische Wirtschaftsaufklärung stellt heute zunehmend den Kern des Informationsinteresses fremder Nachrichtendienste dar. Folgender Beispielsfall der Wirtschaftsspionage verdeutlicht die Vorgehensweise ausländischer Nachrichtendienste: Ein Asiate bemühte sich in kurzen Zeitabständen bei zwei Technologiefirmen um Anstellung. Seine verfälschten Bewerbungsunterlagen entsprachen exakt dem Anforderungsprofil des jeweiligen Unternehmens. Nachdem seine zweite Bewerbung erfolgreich war, kam es zu Auffälligkeiten am Arbeitsplatz. Bei den daraufhin eingeleiteten Ermittlungen wurde festgestellt, dass sich die bei beiden Firmen vorgelegten Lebensläufe des Asiaten deutlich unterschieden. Die Gesamtumstände ließen darauf schließen, dass ein ausländischer Nachrichtendienst - mit genauen Kenntnissen des entsprechenden Personalbedarfs der Firmen - einen Bewerber für eigene Zwecke platzieren wollte. Die Firma trennte sich daraufhin von dem Mitarbeiter. 3. Spionage im Bereich der Kommunikationstechnik Parallel zur wachsenden Bedeutung der Informationstechnik (IT) für die Abhöranfälligkeit öffentliche Verwaltung und die Wirtschaft hat sich auch die Technik zur der TelekommuAusforschung von Kommunikationswegen rasch weiterentwickelt. Benikation sonders risikoreich ist die zunehmend eingesetzte Wireless-Technik, die zwar für den Anwender den Komfort erhöht, aber das unerwünschte Abhören und Erfassen von Mitteilungen jedweder Art erleichtert. Veröffentlichte Tests haben gezeigt, dass sich technisch Versierte problemlos in Verbindungen einloggen können, ohne dass die Betroffenen hiervon Kenntnis erlangen. Die modernen Kommunikationstechniken haben die Bandbreite der Angriffsmethoden deutlich erweitert. So birgt die Bluetooth-Funktion in Handys und Notebooks kritische Sicherheitslücken in sich. Um einen Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 218 Spionageabwehr erfolgreichen Angriff zu starten und Daten auszulesen, genügt bereits ein anderes Mobiltelefon mit entsprechender Software. Prinzipiell lassen sich so auch E-Mails, Fotos und PIN-Codes ausspähen, sofern sie z.B. auf dem Handy hinterlegt sind. Der Einsatz von Bluetooth in sicherheitsempfindlichen Bereichen sollte deshalb unterbleiben oder die Funktion nur aktiviert werden, wenn sie erforderlich ist. Schwachstellen Vor dem "Abhören" der Kommunikationsverbindungen sind weder Teleder Informationsfon, SMS, E-Mail noch Fax sicher. Insbesondere können Handys und Laptechnik tops durch Manipulationen zu "Wanzen" umfunktioniert werden, um damit alle Gespräche in einem Raum zu belauschen. Auch das Ausspähen geheimer Informationen über gefälschte E-Mails und Internet-Seiten, das so genannte Phishing und Pharming, stellt ein Sicherheitsrisiko dar. Ebenso birgt der Trend, über IP-Netzwerke (Voice-over-IP) zu telefonieren, das Risiko, überwacht zu werden. Technische Möglichkeiten, Schwachstellen der IT zu beseitigen oder zu minimieren, sind zwar vorhanden, werden allerdings durch die ständig wachsende Komplexität der Software erschwert. Zudem erhöhen an die Informationsnetze drahtlos angebundene mobile Geräte das Sicherheitsrisiko erheblich. Im Zeitalter internationaler Kommunikation ist eine räumliche Nähe zum Spionageziel nicht mehr erforderlich; Hacking kann mit geringem Aufwand von jedem Ort der Welt betrieben werden. Dabei erleichtern mangelnder Systemschutz und fahrlässiger Umgang mit Passwörtern dem Angreifer die Arbeit. Bei aller Notwendigkeit, die moderne KomAbsicherung von munikationstechnik zu nutzen, kommt es entscheidend darauf an, die Speicherung und wesentlichen Kernbereiche der geheim zu haltenden Informationen Übertragungsdurch weitgehend sichere Speichermöglichkeiten und Übertragungswegen wege zu schützen. In jüngster Zeit wurden auch in Deutschland elektronische Angriffe aus China auf Computernetze festgestellt. Die Angriffe erfolgen durch E-Mails, die einen "Trojaner" enthalten. Durch diesen können Daten auf dem Computer des Empfängers "gelesen" werden. 4. Proliferation Unter Proliferation versteht man die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte einschließlich der dazu erforderlichen Kenntnisse sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen. Auch im Jahr 2006 wurden Beschaffungsaktivitäten verschiedener Krisenländer festgestellt, um in den Besitz proliferationsrelevanter Technologie zu gelangen. Der SchwerVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Spionageabwehr 219 punkt lag hier im Bereich der atomaren Rüstung der Staaten Iran, PakisProliferation durch tan und Nordkorea. Krisenländer Als problematisch stellt sich auch die verstärkt festgestellte Weitergabe von Schlüsseltechnologien zwischen proliferationsrelevanten Staaten dar. Diese so genannte Horizontale Proliferation ist für die westlichen Nachrichtendienste besonders schwer aufzuklären und zu verhindern. In Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz wurden verschiedene proliferationsrelevante Schlüsseltechnologien definiert, die für die Durchführung eines Waffenprogramms unabdingbar sind, und die in Bayern ansässigen Hersteller festgestellt. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz führte bei diesen bayerischen Firmen Sensibilisierungsgespräche durch. Die Kooperationsbereitschaft der betroffenen Firmen war durchweg positiv und führte zu Hinweisen auf mehrere proliferationsrelevante Sachverhalte. Eine weitere Möglichkeit, an proliferationsrelevante Technologien zu gelangen, stellt die Entsendung von Gastwissenschaftlern dar. In einer vom Auswärtigen Amt und deutschen Sicherheitsbehörden initiierten "Arbeitsgemeinschaft Gastwissenschaftler" werden Deutschlandaufenthalte von Wissenschaftlern aus bestimmten Staaten auf eine mögliche Proliferationsgefahr hin geprüft und im Bedarfsfall auch die aufnehmende Universität in Deutschland zu einem Sensibilisierungsgespräch kontaktiert. Im Berichtszeitraum wurden wieder verschiedene Verstöße gegen das Verstöße gegen Verbot der Ausfuhr bestimmter Technologien bekannt. Ein Beispiel hierdas Ausfuhrverbot für ist: In Zusammenarbeit mit anderen Verfassungsschutzbehörden beobachtete das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ein umfangreiches iranisches Beschaffungsnetz. Dieser Personenkreis versuchte, ausfuhrgenehmigungspflichtige Steuerungstechnik für den Einsatz in Waffensystemen illegal in Deutschland und den USA einzukaufen und in den Iran zu bringen. Die Nachforschungen führten zu einem Ermittlungsverfahren der zuständigen Zollbehörden und zur Festnahme der Verdächtigen. 5. Schutzmaßnahmen - Beratung durch den Verfassungsschutz Das Sensibilisierungsprogramm des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz soll präventiv zur Verhinderung der Wirtschaftsspionage beitragen. Auch mittelständische Unternehmen werden dabei für Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 220 Spionageabwehr Gefahren sensibilisiert und ein Sicherheitsbewusstsein für notwendige Schutzmaßnahmen gegen die Ausspähung von Firmengeheimnissen Sensibilisierung geweckt. Die angesprochenen Firmenverantwortlichen werden so in die der FirmenLage versetzt, die Schwachstellen im Know-how-Schutz selbst zu erkenverantwortlichen nen und Sicherheitskonzepte zu entwickeln. Erneut gab es positive Reaktionen bei den beratenen Unternehmen. Firmen, die als Lieferanten sensibler Güter mit Einsatzmöglichkeiten bei ABC-Waffensystemen infrage kommen (Proliferation), haben eine besondere Verantwortung, dies zu verhindern. Diese Firmen können sich im Verdachtsfall vertrauensvoll an das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz wenden. Der Verfassungsschutz ist keine Strafverfolgungsbehörde und unterliegt somit nicht dem Strafverfolgungszwang. Er kann auch die Interessenlage der Personen und Firmen berücksichtigen, die ihm Informationen zur Verfügung stellen. Die Verbände und Organisationen, wie der Bayerische Verband für Sicherheit in der Wirtschaft (BVSW) oder die Industrieund Handelskammern, die es sich zur AufZusammenarbeit gabe gemacht haben, vorrangig auch mittelständische Betriebe gegender Wirtschaft mit über diesen Gefahren der Spionage zu sensibilisieren, arbeiten sehr eng dem Verfassungsmit dem Verfassungsschutz zusammen. Dabei geht es neben der schutz gemeinsamen Erstellung von Informationsbroschüren um gemeinsame Informationsveranstaltungen und vor allem um den Erkenntnisaustausch unter dem Motto: Informationen aus der Wirtschaft für die Wirtschaft. Alle Maßnahmen dienen dem Ziel, die Führung mittelständischer Unternehmen auf die Risiken durch Wirtschaftsund Konkurrenzspionage aufmerksam zu machen, ihnen das notwendige Problembewusstsein zu vermitteln und Ansätze bzw. Ansprechpartner zur Lösung der Probleme aufzuzeigen. Faltblatt für die In einem Faltblatt für die Wirtschaft hat das Landesamt für VerfassungsWirtschaft schutz außerdem auf die Gefahren der Proliferation hingewiesen und eine eigens eingerichtete Telefonnummer (089/31201500) genannt, unter der die Firmen Kontakt zum Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz aufnehmen können. Der Text ist auch im Internet unter folgender Adresse abrufbar: http://www.verfassungsschutz.bayern.de Einen Überblick über die besonders gefährdeten Bereiche, Ursache und Motive der Spionage sowie die Hauptauftraggeber gibt die neue Neue Broschüre gemeinsame Broschüre "Wirtschaftsspionage in Baden-Württemberg und Bayern" der Landesämter für Verfassungsschutz von Bayern und Baden-Württemberg. Die Broschüre ist ebenfalls im Internet unter der vorgenannten Adresse abrufbar. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Spionageabwehr 221 6. Ausblick Obwohl die Verfassungsschutzbehörden mit einer Vielzahl von ausländischen Nachrichtendiensten gegen den Terrorismus zusammenarbeiten, geht die Ausspähung politischer, wirtschaftlicher und militärischer Geheimnisse durch diese Nachrichtendienste unvermindert weiter. Eine besondere Wachsamkeit gilt der Verhinderung der Proliferation. Die Beobachtung der stark zunehmenden Aktivitäten chinesischer Nachrichtendienste hat nicht nur in Deutschland, sondern in vielen westlichen Staaten hohe Priorität. Um die wirtschaftliche Stabilität, die auch Garant für die politische StaSpionageabwehr bilität ist, zu erhalten, bleibt es für unsere Gesellschaft unabdingbar, zur Standortinternational wettbewerbsfähig zu sein. Gerade deshalb dürfen notwensicherung dige Schutzmaßnahmen nicht außer Acht gelassen werden. Vorhandene Know-how-Vorteile in Forschung und Produktion müssen gesichert und Aktivitäten fremder Nachrichtendienste unterbunden werden. Staat, Wirtschaft und Forschung sind aufgrund der fortschreitenden Globalisierung und des steten Fortschritts der Kommunikationstechnik verstärkt der Gefahr der Ausspähung ausgesetzt. Sie sind schutzbedürftiger geworden. Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, dies bewusst zu machen und vor diesen Gefahren zu schützen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 222 Organisierte Kriminalität 8. Abschnitt Organisierte Kriminalität 1. Ausgangslage OK-Beobachtung Die durch die Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes im in Bayern Jahr 1994 ermöglichte, langfristig angelegte Beobachtung krimineller seit 1994 Strukturen und Personen im Vorfeld konkreter Straftaten durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz stellt eine wichtige Ergänzung der polizeilichen Arbeit beim Vorgehen gegen die Organisierte Kriminalität (OK) dar. Die Beobachtung der OK durch den Verfassungsschutz muss auf eine breite Basis in Zusammenarbeit mit dem Bund und den Ländern gestellt werden. Neben Bayern bestehen auch in den Ländern Hessen, Saarland und Thüringen die gesetzlichen Grundlagen für diese Aufgabe des Verfassungsschutzes. In der Broschüre "10 Jahre Beobachtung der Organisierten Kriminalität durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz" wird umfassend über die Tätigkeit des Verfassungsschutzes in diesem Bereich berichtet. Die Broschüre ist abrufbar unter folgenden Internet-Adressen: http://www.innenministerium.bayern.de/service/publikationen http://www.verfassungsschutz.bayern.de 2. EU-Osterweiterung Mit der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die Europäische Union haben sich durch die Verschiebung der EU-Außengrenzen in Richtung Osten neue Ausgangslagen ergeben. Damit haben europaweit agierende Kriminelle neue Marktund Machtchancen und können ihre bereits Europaweite bestehenden Netzwerke weiter ausbauen. Somit bedarf es auch einer Zusammenarbeit engen Zusammenarbeit der europäischen Sicherheitsbehörden. Die Beitrittsländer haben frühzeitig der wachsenden Bedrohung durch die OK Rechnung getragen und die Beobachtung und Bekämpfung der OK ihren jeweiligen Nachrichtendiensten übertragen. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz unterhält gute Kontakte zu den NachVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Organisierte Kriminalität 223 richtendiensten der angrenzenden Länder. Der Beitritt Rumäniens und Bulgariens am 1. Januar 2007 stellt eine weitere Herausforderung im Kampf gegen die OK dar. 3. Beobachtungsschwerpunkte Die Erkenntnisse im Bereich der OK werden vorwiegend durch den EinErkenntnismittel satz geheimer Mitarbeiter, aus der Anwendung anderer nachrichtendes Verfassungsdienstlicher Mittel sowie aus der Zusammenarbeit mit ausländischen schutzes Nachrichtendiensten, die in Europa fast ausnahmslos mit der Bekämpfung der OK beauftragt sind, gewonnen. Weitere Informationen ergeben sich aus der Zusammenarbeit mit den polizeilichen Dienststellen zur Bekämpfung der OK und erschließen sich aus der Analyse von offen zugänglichem Material sowie aus dem Berichtsaufkommen anderer Aufgabenbereiche, insbesondere aus der Spionageabwehr und der Beobachtung ausländischer extremistischer Organisationen. Die Ergebnisse der Strukturermittlungen münden oft in polizeiliche Ermittlungen. Die Schwerpunkte der Bearbeitung liegen weiterhin auf der BeobachAufklärungstung der OK aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), aus schwerpunkte Asien und aus Südosteuropa. Neu hinzugekommen ist die Beobachtung der OK aus Polen und Italien. Die Beobachtung von Rockergruppierungen wie etwa der "Hells Angels" oder der "Bandidos" mit den Deliktsschwerpunkten im Rotlichtmilieu sowie Drogenund Waffenhandel wurde in Ergänzung der polizeilichen Arbeit fortgesetzt. Neben deutschen Staatsangehörigen stellen Täter aus der GUS und Asien sowie aus südosteuropäischen Ländern den größten Teil des zu beobachtenden Personenkreises dar. Auffällig waren sie vor allem in den Deliktsbereichen der Prostitution und Zuhälterei, dem Waffenund internationalen Drogenhandel, bei Menschenhandel und Schleusungen, bei Fälschungsdelikten sowie beim illegalen Handel mit Medikamenten bzw. Surrogaten und der im Zusammenhang mit diesen Straftaten stehenden Geldwäsche. Erkenntnisse aus der OK-Beobachtung werden aber auch zur Bekämpfung des internationalen islamischen Extremismus und des islamistischen Terrorismus genutzt. Insbesondere in den Deliktsbereichen Schleusung und Geldwäsche gibt es Anhaltspunkte für Verflechtungen, die zur illegalen Einreise islamischer Extremisten und zur Finanzierung ihrer Aktivitäten aufgrund der teilweise gleichen Ethnie der Täter genutzt werden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 224 Organisierte Kriminalität 3.1 Osteuropäische OK-Gruppierungen Bei der Beobachtung der russischen OK gelang es, einzelne Personen zu identifizieren, die in Bayern als Kontaktpersonen von russischen Kriminellen genutzt werden. Sie verfügen nicht nur über Verbindungen ins kriminelle Milieu, sondern unterhalten auch gute Kontakte zu Lobbyisten in Deutschland. Ihre zentrale Funktion besteht darin, Geschäfte zu vermitteln und Kontakte zu Vertretern aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik herzustellen und zu pflegen. Durch die Beobachtung einer dieser Kontaktpersonen wurde beispielsweise ein Treffen zwischen Angehörigen einer russischen OK-Gruppierung, russischen Geschäftsleuten und russischen Politikern dokumentiert. Hintergrund des Treffens in einer exklusiven Wohngegend in Bayern waren geplante Geldwäscheaktivitäten im benachbarten Ausland. Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet. Russische Nach wie vor werden auch die kriminellen Aktivitäten von jungen rusAussiedler sischen Aussiedlern beobachtet. Der Schwerpunkt ihrer Straftaten liegt vorwiegend im Bereich der Rauschgiftund Gewaltkriminalität. Bei den Ermittlungen fielen Erkenntnisse über eine Familie an, die ihren Lebensunterhalt mit dem "Dealen" von Heroin und Cannabisprodukten aller Art verdient. Die Verteilung an Zwischenhändler fand in Südbayern statt. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz gab die gewonnenen Erkenntnisse an die zuständigen Polizeibehörden zur Strafverfolgung ab. Eine ebenfalls in Südbayern operierende Gruppierung handelte mit geschmuggelten Zigaretten und Rauschgift. Sowohl die Zigaretten als auch das Rauschgift wurden in Osteuropa beschafft. Diese Gruppe soll auch osteuropäischen Frauen die Einreise nach Bayern ermöglicht haben, um sie anschließend der Prostitution zuzuführen. Nach wie vor dienen bestimmte Diskotheken als Treffpunkt der jungen russischen Aussiedler, in denen sie "unter sich sind". An Wochenenden finden manchmal so genannte Russendiskos statt, bei denen auch Rauschgift konsumiert wird. Dabei wird auf eine konsequente Abschottung geachtet. Begangene Straftaten werden nicht angezeigt und die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden in der Regel abgelehnt. Polnische Bereits vor dem offiziellen Beitritt Polens in die Europäische Union nahGruppierungen men polnische Straftäter in der deutschen Kriminalstatistik unter den osteuropäischen Ländern eine führende Position ein. Die Schwerpunkte ihrer Straftaten lagen dabei im Bereich der Eigentumskriminalität, insVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Organisierte Kriminalität 225 besondere der Verschiebung gestohlener Kraftfahrzeuge ins Ausland. Diese Entwicklung wurde durch Strukturermittlungen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz auch für Bayern bestätigt. Dabei war zu beobachten, dass polnische Banden gezielt zur Tatbegehung nach Deutschland einreisen und das Land sofort nach der Tat wieder verlassen, was auf einen hohen Organisationsgrad und auf eine arbeitsteilige Vorgehensweise innerhalb der Gruppierungen schließen lässt. Ermittlungen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz führDrogenhandel ten zu der Erkenntnis, dass sich kriminelle polnische Gruppierungen zunehmend auch auf dem Gebiet der Produktion, der Einfuhr und des Handels mit Drogen betätigen. Dabei nehmen Amphetamine und ähnliche Betäubungsmittel einen wichtigen Stellenwert ein. Die Lieferwege für die illegale Einfuhr dieser Betäubungsmittel führen meist über die Tschechische Republik oder direkt aus Polen nach Deutschland. Ein Großteil dieser Drogen wird in polnischen Laboren hergestellt. Neben der gängigen Tablettenform - Ecstasy - ist eine zunehmende Spezialisierung auf die Produktion und den Vertrieb von hochwirksamen Amphetaminen in flüssiger Form festzustellen. Die Drogen werden dabei u.a. getarnt als original verschlossene Wodkaflaschen oder Frostschutzmittel geschmuggelt. 3.2 OK-Gruppierungen in den Balkanstaaten und der Türkei Kriminelle Gruppierungen aus Bosnien, Mazedonien, Serbien, dem Kosovo und Albanien sind häufig deliktsübergreifend aktiv. Die SchwerSchwerpunkte der punkte ihrer Aktivitäten liegen im internationalen Drogenhandel, bei Aktivitäten Eigentumsund Fälschungsdelikten sowie im illegalen Glücksspiel bzw. bei Wettgeschäften. Nach wie vor ist die illegale Beschäftigung besonders im Gebäudereinigungsund Baugewerbe sowie in Gaststätten weit verbreitet. Die daraus resultierenden Gewinne aus Steuerund Abgabenhinterziehungen sind erheblich und werden auf vielfältige Art und Weise gewaschen. Die kriminellen Gruppierungen aus dem ehemaligen Jugoslawien sind Gruppierungen aus in ihren Strukturen oftmals in sich abgeschlossen; Personen anderer dem ehemaligen Nationalitäten werden in der Regel nicht akzeptiert. Die einschlägige Jugoslawien Szene trifft sich bevorzugt in Gaststätten, die von Landsleuten geführt werden. Dort fühlt sie sich hinreichend sicher und ungestört, um Straftaten verschiedenster Art zu verabreden. Zur Vorbereitung der Straftaten werden im kriminellen Milieu gefälschte Pässe und geeignete Handys, aber auch Pkws angeboten, die keinen Rückschluss auf den Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 226 Organisierte Kriminalität eigentlichen Nutzer zulassen. Die kriminellen Gruppierungen gehen professionell vor und nutzen dabei den neuesten Stand der Technik. "Arbeitsweise" Neue Begehungsweisen für Verbrechen werden untereinander regelmäßig weitergegeben. Allerdings schließen die gegenseitige Unterstützung und die Weitergabe von Tipps nicht aus, dass sich die kriminellen Personen gegenseitig betrügen. Besonders wichtig für die kriminelle Szene sind die sozialen und regionalen Verbindungen aus den bzw. in die Heimatländer, die sowohl als Rückzugsgebiet als auch als Stützpunkt organisierter Banden dienen können. Von dort aus wird agiert, wobei man bei Bedarf Personen einsetzt, die wiederum in Bayern eng in der Szene verwurzelt sind. Ein kroatischer Staatsangehöriger führte in Zusammenarbeit mit einem in Augsburg lebenden bosnischstämmigen Mittelsmann aus den USA 10.000 Stück gefälschte Viagra-Tabletten per Post illegal nach Deutschland ein. Die Tabletten wurden in Indien hergestellt und über das Internet in Las Vegas/USA bestellt. Zur Verschleierung wurden sie von dort an den bosnischen Mittelsmann in Deutschland gesandt. Die Tabletten wurden anschließend in einer Gaststätte zu einem Stückpreis von zwei bis sechs Euro verkauft bzw. zunächst als Proben angeboten. Der Einkaufspreis lag bei sieben Cent. Durch die Weitergabe von Informationen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz an das Bayerische Landeskriminalamt konnten 95 % der Einfuhrmenge durch die Polizei sichergestellt werden. Alle Beteiligten wurden festgenommen und zwischenzeitlich durch das Augsburger Landgericht zu einer Freiheitsstrafe von jeweils einem Jahr auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von 5.000 bzw. 3.000 Euro verurteilt. Ein Gutachten ergab, dass von den Fälschungen eine erhebliche Gesundheitsgefährdung für die Konsumenten ausging. Kriminelle Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet auch weitürkische terhin kriminelle türkische Strukturen. Zu den Schwerpunkten gehören Strukturen hier neben Rauschgiftund Glückspieldelikten auch die Bereiche Schutzgeldund Inkasso-Eintreibungen. Bei der Beobachtung von türkischstämmigen Tätern zeigte sich wiederholt, dass bei den Rauschgiftdelikten der Handel mit Kokain bzw. Heroin zu den dominierenden Straftaten gehört. Dabei wird der Drogenhandel direkt aus der Türkei gesteuert. In Deutschland sitzen ein oder mehrere "Statthalter" der kriminellen Vereinigung, die den Verkauf der Drogen sowie den Rückfluss der Gelder in die Türkei organisieren. Bei der arbeitsteiligen Tatausführung agieren fast ausschließlich türkischstämmige Landsleute. Bei dem Schmuggel größerer Mengen an Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Organisierte Kriminalität 227 Drogen kommt dem Lkw-Verkehr international tätiger Transportunternehmen eine zentrale Bedeutung zu. Die illegale Ware wird in Deutschland zu verschiedenen Anlaufstellen im gesamten Bundesgebiet verbracht. Die jeweiligen "Statthalter" verfügen über Kontakte innerhalb Deutschlands und ins benachbarte Ausland, insbesondere in die Niederlande und nach Italien. Ortsansässige Dealer beziehen das Rauschgift nicht zwangsläufig vom Statthalter vor Ort, sondern auch aus anderen deutschen Großstädten. Innerhalb des türkischen Straftäterspektrums wurde erneut eine hohe Zahl von gewaltsamen Eintreibungen von Geldforderungen, so genannte Inkasso-Delikte beobachtet. Dabei übertragen Gläubiger kriminellen türInkasso-Delikte kischen Organisationen die Aufgabe der Geldeintreibung. Hintergrund dafür ist beispielsweise, dass die Forderungen aus illegalen Geschäften resultieren und daher nicht vor einem Gericht eingeklagt werden können oder sich Personen mit nicht gedeckten "Wechselschecks" an diese Gruppen wenden. Im türkischen Alltag ist es üblich, größere Zahlungen mit Wechselschecks abzuwickeln. Jedoch sind solche Schecks nicht durch die Banken abgedeckt, so dass man sich bei Nichteinlösung der Schecks direkt an den Schuldner wenden muss. In einigen Fällen beauftragen Gläubiger dabei kriminelle Gruppen zur Eintreibung des Geldes, da weder die unmittelbare Kontaktaufnahme mit dem Schuldner noch der Rechtsweg als erfolgversprechend betrachtet werden. So erhalten die Gläubiger wenigstens einen Teil ihrer Forderung erfüllt, da die Eintreiber selbst, je nach Fall (z.B. Gefährlichkeit, Höhe des Geldbetrags) bis zur Hälfte des Forderungsbetrags für ihre "Dienste" verlangen. Dabei kassieren sie sowohl bei dem Gläubiger als auch bei dem Schuldner. Verweigert ein Geschäftsmann die Zahlung, wird er mittels Anwendung oder Androhung von Gewalt - auch gegen seine Familie in der Heimat - gefügig gemacht. Dabei wird in Kreisen von türkischen kriminellen Gruppen die gesamte Familie für die Schulden eines Familienangehörigen zur Rechenschaft gezogen. Aus Angst vor weiteren Repressalien verzichten die Geschädigten in der Regel auf die Erstattung einer Anzeige. 3.3 Italienische Mafia In Italien sind vor allem vier einflussreiche kriminelle Organisationen bekannt, die der italienischen Mafia zugerechnet werden. Es handelt sich hierbei um die sizilianische Mafia, die Camorra in Kampanien, die 'Ndrangheta in Kalabrien und die Sacra Corona Unita in Apulien. Alle vier Organisationen weisen Beziehungen nach Deutschland und Bayern Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 228 Organisierte Kriminalität Deutschland als auf. Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass Deutschland entweder Rückzugsund als Rückzugsraum für flüchtige Straftäter oder für Investitionen bzw. Investitionsraum Geldwäsche genutzt wird und die Gelder überwiegend in die Gastronomiebranche, z.B. in Form von Eröffnungen oder Übernahmen von Gaststätten, oder in das Baugewerbe fließen. Der spektakulärste Fall in Bayern endete zunächst 1998 mit der Festnahme von Giorgio Basile am Bahnhof in Kempten. Basile war eine Führungspersönlichkeit des Carelli-Clans, der der kalabrischen 'Ndrangheta zugerechnet wird. Basile trat später als Kronzeuge der italienischen Strafverfolgungsbehörden auf und sagte umfassend über seinen Clan und die Mafia in Italien aus. Dabei gab er an, dass er auch Kontakte zu italienischen Landsleuten in Nürnberg unterhielt, die dort einen Stützpunkt des Carelli-Clans bildeten. Örtliche Strafverfolgungsbehörden hatten bereits seit 1993 in Nürnberg Ermittlungen gegen verschiedene kriminelle italienische Staatsangehörige wegen möglicher Verbindungen zur italienischen Mafiaorganisation 'Ndrangheta durchgeführt. Diese Strukturen wurden 1999 endgültig zerschlagen, wobei es zur Festnahme und späteren Verurteilung von mehreren Personen kam. Im Jahr 2005 veröffentlichte Basile seine Biografie mit dem Titel "Das Engelsgesicht - Die Geschichte eines Mafia-Killers aus Deutschland", in der er neben umfangreichen Hintergrundinformationen zur italienischen Mafia erneut die Beziehungen des Carelli-Clans nach Nürnberg darWiederaufnahme stellte. Daraufhin wurden wieder Ermittlungen verschiedener Strafvervon Strukturfolgungsbehörden durchgeführt, die vom Bayerischen Landesamt für ermittlungen in Verfassungsschutz begleitend unterstützt wurden. Ziel war es festzuBayern stellen, ob es in Nürnberg zu einer Reorganisation früherer Mafia-Strukturen gekommen ist. Die bisherigen Ermittlungen erbrachten dafür noch keine Hinweise. Auch weitere Verdachtsmomente, dass in Bayern italienische Staatsangehörige mit Verbindungen zu italienischen Mafiaorganisationen leben, konnten bislang nicht erhärtet werden. Dennoch geht der Verfassungsschutz davon aus, dass die Mafia über Jahre hinweg in Bayern Strukturen aufgebaut hat und sich ihre Angehörigen zwischenzeitlich auch gesellschaftlich etablieren konnten. 3.4 Asiatische Organisierte Kriminalität Bei der Beobachtung der OK aus dem südostasiatischen Raum wurde festgestellt, dass sich Führungspersonen im Bereich der vietnamesischen OK in den neuen Bundesländern und den ehemaligen OstblockVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Organisierte Kriminalität 229 staaten aufhalten. Die in den neuen Bundesländern bestehenden Strukturen der OK wurden von den in Bayern ansässigen vietnamesischen Kriminellen für die Begehung von Straftaten, insbesondere den Rauschgifthandel, intensiv genutzt. Die Beobachtung der OK aus dem Bereich der Chinesen erbrachte überwiegend Hinweise auf den Deliktsbereich der Schleusungskriminalität. Dabei wurde Bayern bzw. Deutschland von den bereits in anderen europäischen Staaten illegal lebenden Chinesen meist nur als Transitland in Richtung Griechenland, Italien oder Spanien benutzt. England wurde aufgrund verstärkter Grenzkontrollen wegen Terrordrohungen nicht mehr als Hauptzielland gewählt. 3.4.1 Schleusungsdelikte Durch den zunehmenden Globalisierungsprozess gewinnen die Wanderungsund Flüchtlingsbewegungen eine neue Qualität. Die Einschränkung der legalen Zuwanderungsmöglichkeiten, u.a. durch Zuwanderungsquoten in verschiedenen EU-Ländern, führte dazu, dass vermehrt der Versuch unternommen wird, auf illegalen Wegen unter Zuhilfenahme von kriminellen Schleusungsorganisationen nach Europa zu gelangen. Diese bieten derzeit so genannte Garantieschleusungen an. Durch BeGarantiezahlung von 10.000 bis 15.000 Dollar seitens des Schleusungswilligen schleusungen oder dessen Verwandten an die Schleusungsorganisation garantiert diese eine Schleusung bis in das Zielland, auch wenn hierzu mehrere Versuche unternommen werden müssen. Dieses Risiko wird von der Schleusungsorganisation getragen. Zu beobachten ist, dass die Legalisierung des illegalen Aufenthalts von Ausländern in verschiedenen europäischen Staaten zur Zunahme von Schleusungen in diese Länder führte. So konnten in Bayern Hinweise auf Schleusungen nach Griechenland gewonnen werden. Die dortigen Behörden wurden informiert. 3.4.2 Betäubungsmittelhandel Im Bereich der vietnamesischen OK war zu beobachten, dass der RauschVietnamesische gifthandel weiterhin intensiv betrieben wird. In diesem Zusammenhang OK konnten vietnamesische Schlüsselpersonen in bayerischen Großstädten lokalisiert werden. Sie bedienten sich für den Drogenhandel der bestehenden Lieferwege und Verbindungen in die neuen Bundesländer und erschlossen sich neue Lieferwege zum Beispiel nach Berlin. Erkenntnisse des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz trugen zur Sicherstellung einer größeren Menge Heroins durch die Polizei bei. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 230 Organisierte Kriminalität 3.5 Korruption Eines der Wesensmerkmale der OK ist die Einflussnahme auf die öffentliche Verwaltung. Mit Hilfe von korrupten öffentlichen Bediensteten wollen sich die Kriminellen finanzielle Vorteile sowie Vergünstigungen sichern und das Entdeckungsrisiko minimieren. Korruption führt sowohl für den Staat als auch für Wirtschaft und Gesellschaft zu hohen materiellen Schäden. Aber auch immaterielle Schäden - wie der Vertrauensverlust der Bürger in den Staat - sind die Folge. Ein System illegaler Einflussnahme auf die öffentliche Verwaltung konnte z.B. im Bereich der Sozialverwaltung aufgedeckt werden. Hinweise auf einen korrupten Beamten eines Sozialreferats in einer bayerischen Großstadt führten zu einer Durchsuchung und mehreren Festnahmen. 3.6 Kriminalität im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben Kriminalität in Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben verursacht hohe materielle Schäden und greift die sozialen und volkswirtschaftlichen Strukturen des Staates an. Verstöße gegen die Rahmenbedingungen der Wirtschaft stören erheblich das Vertrauen der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit von Staat und Wirtschaft. Der effektiven Bekämpfung dieses Kriminalitätsbereichs kommt daher besondere Bedeutung zu. Sie ist wesentlich davon abhängig, dass Wirtschaftskriminalität in ihren vielfältigen Erscheinungsformen frühzeitig erkannt wird. Soweit Merkmale der OK verwirklicht wurden, beschäftigte sich das Bayerische Landesamt mit dem Phänomen und unterstützte damit die Strafverfolgungsbehörden. Dabei handelte es sich insInsolvenzstraftaten besondere um Insolvenzstraftaten und Delikte im Anlageund Finanzund Anlagedelikte bereich, die nachfolgend beispielhaft dargestellt sind: So genannte Firmenbestatter übernehmen insolvente Betriebe und entziehen sie durch Namensänderung, Sitzverlegung (teilweise ins Ausland) und Geschäftsführerwechsel dem Zugriff der Gläubiger. Da die private Investition in Kapitalmarktprodukte, z.B. aus Gründen der privaten Altersvorsorge, zukünftig noch an Bedeutung zunehmen wird, muss mit einem steigenden Angebot unseriöser Anlageprodukte gerechnet werden. 3.7 Rockerkriminalität in Bayern Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet das Phänomen der gewaltbereiten und kriminellen Rocker im Rahmen der AufVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Organisierte Kriminalität 231 klärung der OK seit mehreren Jahren. Dabei können bei einigen Rockergruppen verschiedene Indikatoren für OK nachgewiesen werden. So beTypische stehen ein interner Ehrenkodex und ein hierarchischer innerer Aufbau. Indikatoren Expansionsstreben und Gebietsansprüche werden arbeitsteilig und planmäßig gewaltsam durchgesetzt. Außerdem lassen sich Machtund Gewinnstreben sowie die arbeitsteilige Begehung spezifischer Delikte wie illegaler Waffenhandel, Betäubungsmittelkriminalität, Menschenhandel, Körperverletzungsdelikte und Schutzgelderpressungen belegen. Weltweit gibt es zahlreiche Motorradclubs, von denen aber nur ein kleiner Prozentsatz systematisch Straftaten begeht und grundsätzlich die Normen und Werte unserer Gesellschaft ablehnt. Deren Mitglieder nennen sich "One-Percenters" und tragen als spezielles "Patch" (Abzei"One-Percenters" chen) ein 1 %-Zeichen in einer Raute als Erkennungszeichen auf ihren Jacken. Als Beispiele für derartige Gruppen mit internationaler Ausrichtung und hoher krimineller Energie können der Hells Angels MC (Motorcycle Club), der Outlaws MC, der Trust MC, der Gremium MC und der Bandidos MC gesehen werden. Diesen Rockergruppen werden bayernweit etwa 50 Stützpunkte, die so genannten Chapter oder Charter, zugerechnet. Sie sind zudem in einem weltweiten Geflecht von international agierenden Rockergruppen eingebunden. Bei den kriminellen Rockergruppen handelt es sich um nach innen und außen geschlossene Gemeinschaften, die sich eigene Normen ("Ehrenkodex") geben und diese notfalls auch mit Gewalt durchsetzen. Dabei werden die gesellschaftlich geltenden Normen grundsätzlich abgelehnt. Man betrachtet sich als außerhalb der gültigen Rechtsordnung stehend ("Outlaws"). Die Aufnahme in eine Rockergruppe erfolgt über feststehende Regeln und Auswahlkriterien. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe kommt durch das Tragen von Jacken mit speziellen Farben und Symbolen zum Ausdruck. Clubinteressen werden oft mit Gewalt durchgesetzt. Im Ausland gab es Gewaltbereitschaft bei Auseinandersetzungen verschiedener Rockerbanden bzw. bei Konflikten innerhalb der Gruppen sogar Tote. So wurden in Ontario/Kanada die Leichen von acht Angehörigen des Bandidos MC aufgefunden. Die Täter werden in den Reihen der eigenen Rockergruppe vermutet. In den Niederlanden töteten Angehörige des Hells Angels MC drei Personen aus den eigenen Reihen wegen Streitigkeiten im Zusammenhang mit Rauschgifthandel. Gewalttätigkeiten zwischen rivalisierenden Rockergruppen sind auch in Deutschland keine Seltenheit mehr. In verschiedenen Bundesländern kam es zu mehreren gewalttätigen Übergriffen, zum Teil mit Schwerverletzten. So wurden in Thüringen im Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 232 Organisierte Kriminalität Mai Angehörige des Road Eagle MC von Angehörigen des Gremium MC überfallen. Unter den Tätern waren auch Rocker aus Bayern. Bemerkenswert war auch ein Überfall auf mehrere Angehörige des Bandidos MC im März in der Nähe von Bremen. Die Opfer waren gefesselt und fast zu Tode geprügelt worden. In München wurden im Januar zwölf Angehörige des Bandidos MC wegen Bildung einer "bewaffneten Gruppe" (SS 127 StGB) und gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von mehreren Monaten auf Bewährung verurteilt. Sie hatten mehrere Besucher einer Stammkneipe des Bandidos MC verletzt. Die Polizei fand bei Durchsuchungen im Kreis der Beschuldigten mehrere Waffen. Bemerkenswert an dem Fall war, dass die Geschädigten kein Interesse an der Aufklärung zeigten und zunächst gemachte Aussagen später widerriefen. Das Gericht verurteilte die Angeklagten dennoch. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der dargestellte Fall zeigt deutlich, dass im Rockermilieu eine Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich abgelehnt wird. Wird das Gebot des Schweigens dennoch gebrochen, ist mit drastischen Sanktionen zu rechnen. ExpansionsIn letzter Zeit war eine Expansion der großen Rockerclubs sowohl im bestrebungen Ausland als auch in Deutschland festzustellen. Regionale Gruppen wurden teilweise komplett übernommen. Die Übernahme ("Patch-Over") des Bats MC durch den Trust MC zum Jahresanfang und der Übertritt mehrerer, auch bayerischer Chapter des Stones MC zum Gremium MC im Mai lassen eine rigorose Expansionspolitik der "1 %er-Clubs" erkennen. Es spricht einiges dafür, dass Rockerclubs versuchen werden, einerseits in Bayern weiter zu expandieren und andererseits auch in den neuen Bundesländern, insbesondere im Rotlichtmilieu, in der Türsteher-Szene und im Rauschgifthandel, Fuß zu fassen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 233 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 1997 (GVBl S. 70, BayRS 12-1-I) Geändert durch SS 2 des Gesetzes zur Anpassung des Bayerischen Landesrechts an Art. 13 des Grundgesetzes vom 10. Juli 1998 (GVBl S. 383), Art. 4 Abs. 1 des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 10. Februar 2000 (GVBl S. 40) und SS 1 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz, des Bayerischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes und des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 24. Dezember 2002 (GVBl S. 969) I. Abschnitt erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, Organisation und Aufgaben durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder des Verfassungsschutzes unbestimmte Dauer arbeitsteilig tätig werden - unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnArt. 1 licher Strukturen oder Organisation des Verfassungsschutzes, Verhältnis zur Polizei - unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder (1) 1 Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des - unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Bundes und der Länder besteht in Bayern ein LandesMedien oder Wirtschaft. amt für Verfassungsschutz. 2 Es dient auch dem Schutz vor Organisierter Kriminalität. (4) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz ist eine dem Staatsministerium des Innern unmittelbar (2) 1 Freiheitliche demokratische Grundordnung nachgeordnete Behörde. 2 Das Landesamt und Dienstnach Absatz 1 ist eine Ordnung, die unter Ausschluss stellen der Polizei dürfen einander nicht angegliedert jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft eine rechtswerden. 3Dem Landesamt für Verfassungsschutz staatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der steht ein Weisungsrecht gegenüber Dienststellen der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der Polizei oder die Befugnis zu polizeilichen Maßnahmen jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit nicht zu. darstellt. 2 Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung gehören mindestens: Die Achtung vor den im Art. 2 Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem Zuständigkeit vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßiggesetzlich festgelegten Aufgaben zu erfüllen. 2 Dazu gekeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, hört auch die Zusammenarbeit Bayerns mit dem Bund das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für und den anderen Ländern in Angelegenheiten des Veralle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsfassungsschutzes. mäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. (2) Verfassungsschutzbehörden der anderen Länder (3) Organisierte Kriminalität ist die von Gewinndürfen in Bayern nur im Einvernehmen mit dem Lanoder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung desamt für Verfassungsschutz nach Maßgabe dieses von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von Gesetzes tätig werden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 234 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) Art. 3 haltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Aufgaben Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Aufgabe, 2. an der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder 1. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetverteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt zes, die gegen die freiheitliche demokratische sind oder beschäftigt werden sollen, Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine 3. an technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen, verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines die im öffentlichen Interesse geheimhaltungsLandes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, bedürftig sind, gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes mitzuwirken. für eine fremde Macht, (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des GrundgesetAufgabe, amtliche Auskünfte zu erteilen zes, die durch Anwendung von Gewalt oder 1. im Rahmen der Überprüfung der Verfassungstreue darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärvon Personen, die sich um Einstellung in den öffenttige Belange der Bundesrepublik Deutschland lichen Dienst bewerben, gefährden, 2. nach Maßgabe des Art. 14, insbesondere in Einbür4. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetgerungsund Ordensverfahren zur Verleihung des zes, die gegen den Gedanken der VölkerverständiVerdienstordens der Bundesrepublik Deutschland gung (Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz), insbesondere - mit Ausnahme der Verdienstmedaille - und des gegen das friedliche Zusammenleben der Völker Bayerischen Verdienstordens, sowie nach Art. 15. (Art. 26 Abs. 1 Grundgesetz), gerichtet sind, 5. Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten II. Abschnitt Kriminalität im Geltungsbereich des Grundgesetzes Allgemeine Befugnisse und Datenverarbeitung zu beobachten; solche Bestrebungen und Tätigkeiten können von Gruppierungen oder Einzelpersonen ausArt. 4 gehen. 2 Das Landesamt hat in Erfüllung dieser Aufgabe Allgemeine Befugnisse Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über sol(1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur che Bestrebungen oder Tätigkeiten zu sammeln und Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz die dazu auszuwerten. 3 Die notwendige Koordinierung mit den erforderlichen Informationen einschließlich personenanderen Sicherheitsbehörden und den Strafverfolgungsbezogener Daten auch ohne Kenntnis der betroffenen behörden wird in Richtlinien des Staatsministeriums Gruppierung oder Person erheben und in Akten und des Innern im Einvernehmen mit dem Staatsministerium Dateien verarbeiten, diese Informationen nutzen sowie der Justiz geregelt. 4 Über diese Richtlinien wird das aus Akten und Dateien übermitteln, soweit nicht nachParlamentarische Kontrollgremium gemäß Art. 3 Abs. 3 folgend besondere Bestimmungen gelten. 2Das LandesSatz 1 des Gesetzes zur parlamentarischen Kontrolle amt für Verfassungsschutz darf personenbezogene der Staatsregierung hinsichtlich der Maßnahmen nach Daten auch für die Vorgangsverwaltung nutzen und verArt. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes sowie der Tätigarbeiten. 3Ist zum Zweck der Datenerhebung die Überkeit des Landesamts für Verfassungsschutz (Parlamittlung personenbezogener Daten erforderlich, so darf mentarisches Kontrollgremium-Gesetz - PKGG) vom ein entsprechendes Ersuchen des Landesamts für Ver10. Februar 2000 (GVBl S. 40) unterrichtet. fassungsschutz nur diejenigen personenbezogenen Daten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft uner(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die lässlich sind. 4Schutzwürdige Interessen des BetroffeAufgabe, nen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. 1. nach Maßgabe des Bayerischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes an der Sicherheitsüberprüfung von (2) 1 Die Befugnisse des Landesamts für VerfasPersonen, denen im öffentlichen Interesse geheimsungsschutz bei der Mitwirkung nach Art. 3 Abs. 2 Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 235 Nrn. 1 und 2 sind im Bayerischen Sicherheitsüberprü(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf perfungsgesetz vom 27. Dezember 1996 (GVBl S. 509, sonenbezogene Daten nach Art. 5 durch Anwendung BayRS 12-3-I)), zuletzt geändert durch SS 6 des Gesetzes nachrichtendienstlicher Mittel erheben, wenn vom 24. April 2001 (GVBl S. 140), in der jeweils gel1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder tenden Fassung geregelt, soweit sie nicht in besonderen Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 vorliegen oder auf Gesetzen geregelt sind; Art. 6 Abs. 1 Satz 4 bleibt undiese Weise Erkenntnisse über Nachrichtenzugänge berührt. 2Das Landesamt für Verfassungsschutz darf, gewonnen werden können oder soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, an einer Überprüfung nach Art. 3 Abs. 2 Nr. 2 nur mitwirken 2. das zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, und nach Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 nur Auskunft erteilen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamts wenn die betroffene Person der Durchführung der für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende Überprüfung zugestimmt hat; werden der Ehegatte oder oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. die Person, mit der die betroffene Person in eheähnlicher oder gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft lebt, in die (3) 1 Personenbezogene Daten dürfen durch AnwenÜberprüfung mit einbezogen, so ist auch deren Zustimdung nachrichtendienstlicher Mittel nur erhoben wermung erforderlich. den, wenn die Daten nicht auf eine andere geeignete Weise gewonnen werden können, die die betroffene (3) 1 Sind für die Erfüllung einer Aufgabe verschiePerson weniger beeinträchtigt. 2 Die Anwendung nachdene Maßnahmen geeignet, so hat das Landesamt für richtendienstlicher Mittel darf nicht erkennbar außer Verfassungsschutz diejenige zu wählen, die die betrofVerhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverfene Gruppierung oder Person voraussichtlich am halts stehen. 3 Sie ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr wenigsten beeinträchtigt. 2 Eine Maßnahme unterbleibt, Zweck erreicht ist oder sich ergibt, dass er nicht oder wenn sie einen Nachteil herbeiführt, der erkennbar nicht auf diese Weise erreicht werden kann. außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. (4) Die Zulässigkeit von Maßnahmen nach dem Art. 5 Gesetz zu Art. 10 Grundgesetz bleibt unberührt. Erhebung personenbezogener Daten Art. 6 a 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf persoEinsatz besonderer technischer Mittel nenbezogene Daten erheben, soweit das zur Erfüllung im Schutzbereich des Art. 13 Grundgesetz seiner Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich ist. 2 Zur Erfüllung seiner Aufgaben nach Art. 3 Abs. 3 (1) 1 Der Einsatz besonderer technischer Mittel zur Nr. 1 darf das Landesamt für Verfassungsschutz persoInformationsgewinnung im Schutzbereich des Art. 13 nenbezogene Daten jedoch nur im Rahmen von Nachdes Grundgesetzes ist als nachrichtendienstliches Mitermittlungen erheben, soweit das zur Überprüfung von tel im Sinn des Art. 6 Abs. 1 unter besonderer BerückInformationen erforderlich ist, die bei den Verfassungssichtigung des Grundsatzes der Verhaltnismäßigkeit schutzbehörden bereits vorliegen. nach Art. 6 Abs. 3 nur zulässig, wenn Art. 6 1. die materiellen Voraussetzungen für einen Eingriff Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel in das Brief-, Postoder Fernmeldegeheimnis nach SS 1 Abs. 1 und SS 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschrän(1) 1 Zur Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem kung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses Gesetz darf das Landesamt für Verfassungsschutz auch vom 26. Juni 2001 (BGBl I S. 1254) in der jeweils nachrichtendienstliche Mittel anwenden. 2 Sie dienen geltenden Fassung vorliegen, oder der verdeckten Informationsgewinnung und der Sicher2. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht vorlieheit des Landesamts für Verfassungsschutz und seiner gen, dass jemand Bestrebungen nach Art. 3 Abs. 1 Mitarbeiter. 3Nachrichtendienstliche Mittel sind MaßSatz 1 Nrn. 1, 3 oder 4 durch die Planung oder Benahmen zur Tarnung, der Einsatz geheimer Mitarbeiter gehung von Straftaten nach SSSS 129, 129 a, 129 b, 130 und andere Maßnahmen, die verbergen sollen, dass das oder 131 des Strafgesetzbuchs (StGB) in der jeweils Landesamt für Verfassungsschutz Informationen ergeltenden Fassung verfolgt, oder hebt. 4 Bei Sicherheitsüberprüfungen (Art. 3 Abs. 2 Nrn. 1 und 2) darf das Landesamt für Verfassungs3. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht besteschutz nur das nachrichtendienstliche Mittel der Tarhen, dass jemand Bestrebungen oder Tätigkeiten nung von Mitarbeitern anwenden. nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 durch die Planung Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 236 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) oder Begehung von Straftaten nach SS 100 a der StrafBetroffenen nach Absatz 5 oder für eine gerichtliche prozessordnung (StPO) in der Fassung der BekanntNachprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme nach machung vom 7. April 1987 (BGBl I S. 1074, 1319), Absatz 1 von Bedeutung sein können. 7In diesem Fall zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom sind die Daten zu sperren und dürfen nur zu diesen 22. August 2002 (BGBl I S. 3390), SSSS 261, 263 bis Zwecken verwendet werden. 265, 265 b, 266, 267 bis 273, 331 bis 334 StGB oder SSSS 92 a, 92 b des Ausländergesetzes (AuslG) vom (4) Die Übermittlung personenbezogener Daten an 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1353), zuletzt geändert durch andere öffentliche Stellen gemäß Art. 14 Abs. 1 bis 3 ist Art. 11 des Gesetzes vom 9. Januar 2002 (BGBl I nur zulässig zur Abwehr von erheblichen Gefahren für S. 361), in der jeweils geltenden Fassung verfolgt die öffentliche Sicherheit, insbesondere zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Personen und zur Verund die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise folgung von in Absatz 1 oder in SS 138 StGB genannten aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. 2Der verStraftaten. deckte Einsatz besonderer technischer Mittel darf sich nur gegen den Verdächtigen oder gegen Personen rich(5) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz teilt dem ten, von denen auf Grund von Tatsachen anzunehmen Betroffenen Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 nach ist, dass sie für den Verdächtigen bestimmte oder von ihrer Einstellung, frühestens jedoch dann mit, wenn eine ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen weitergeben, oder dass der Verdächtige sich in ihrer werden kann. 2Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn das Wohnung aufhält. nach Absatz 7 zuständige Gericht festgestellt hat, dass (2) 1 Der Einsatz besonderer technischer Mittel nach 1. die Voraussetzung auch nach fünf Jahren nach BeenAbsatz 1 bedarf einer richterlichen Anordnung. 2Bei digung der Maßnahme noch nicht eingetreten ist, Gefahr im Verzug kann der Präsident des Landesamts 2. sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für Verfassungsschutz oder dessen Vertreter die Anordauch in Zukunft nicht eintreten wird und nung treffen; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. 3Die Anordnungen sind auf längs3. die Voraussetzungen für eine Löschung sowohl bei tens drei Monate zu befristen; Verlängerungen um jeder erhebenden Stelle als auch beim Empfänger der weils nicht mehr als drei weitere Monate sind auf AnDaten vorliegen. trag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. 4Liegen die Voraussetzungen nicht (6) 1 Der verdeckte Einsatz besonderer technischer mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel im Schutzbereich des Art. 13 des Grundgesetzes Mittel nicht mehr erforderlich, so ist die Maßnahme unausschließlich zum Schutz der für den Verfassungsverzüglich zu beenden. schutz in diesem Bereich tätigen Personen bedarf der Anordnung des Präsidenten des Landesamts für Verfas(3) 1 Ein Bediensteter des Landesamts für Verfassungsschutz oder eines von ihm bestellten Beauftragsungsschutz mit Befähigung zum Richteramt beauften. 2Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangsichtigt den Vollzug der Anordnung. 2Die nach Absatz 1 ten Erkenntnisse ist nur zulässig, wenn zuvor die erhobenen Daten dürfen nur zur Erforschung und VerRechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt folgung von dort genannten Bestrebungen und Tätigist; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheikeiten, sowie für Datenübermittlungen nach Absatz 4 dung unverzüglich nachzuholen. 3Soweit Erkenntnisse verwendet werden. 3Das Landesamt für Verfassungsverwertet werden, gelten für die Datenverarbeitung, die schutz prüft unverzüglich und sodann in Abständen von Löschung der Daten und die Mitteilung des Betroffenen sechs Monaten, ob die durch Maßnahmen nach Absatz 1 die Absätze 3 bis 5 entsprechend. 4Im Übrigen sind sie erhobenen personenbezogenen Daten allein oder zuunverzüglich zu löschen. sammen mit bereits vorliegenden Daten für die Verfolgung und Erforschung der dort genannten Bestrebun(7) 1Zuständiges Gericht zur Entscheidung nach den gen oder Tätigkeiten erforderlich sind. 4Soweit diese Absätzen 2, 5 und 6 ist das Amtsgericht am Sitz des Daten dafür nicht erforderlich sind und nicht für eine Landesamts für Verfassungsschutz. 2Für das Verfahren Übermittlung an andere Stellen benötigt werden, sind gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelesie unverzüglich unter Aufsicht eines Bediensteten, der genheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit - FGG - die Befähigung zum Richteramt hat, zu löschen. 5Die (BGBl III 315-1), zuletzt geändert durch Art. 26 des Löschung ist zu protokollieren. 6Die Löschung unterGesetzes vom 23. Juli 2002 (BGBl I S. 2850), entsprebleibt, soweit die Daten für eine Mitteilung an den chend. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 237 (8) 1Die Staatsregierung unterrichtet den Landtag (2) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im jährlich über die in Absatz 1, und soweit richterlich Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufgabe nach Art. 3 überprüfungsbedürftig, nach Absatz 6 angeordneten Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, sofern die dort genannten BestreMaßnahmen. 2Ein vom Landtag ausgewähltes Gremium bungen durch Anwendung von Gewalt oder darauf übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentariausgerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt wersche Kontrolle aus. den, sowie zur Erfüllung seiner Aufgabe nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 5 Auskünfte entsprechend SS 8 Abs. 5 bis 8 Art. 6 b BVerfSchG einholen. 2Absatz 1 gilt entsprechend. Datenerhebung bei Kreditinstituten, Fluggesellschaften, sowie Post-, Telekommuni(3) 1Das Staatsministerium des Innern unterrichtet im kationsund Teledienstgesellschaften Abstand von höchstens sechs Monaten das Parlamentarisowie Einsatz des IMSI-Catchers sche Kontrollgremium nach dem Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetz über die Durchführung der (1) 1Auskünfte nach SS 8 Abs. 5 bis 8 des Gesetzes Absätze 1 und 2; dabei ist insbesondere ein Überblick über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und des BunBerichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen nach den desamts für Verfassungsschutz (BundesverfassungsAbsätzen 1 und 2 zu geben. 2Das Gremium erstattet dem schutzgesetz - BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 Bayerischen Landtag jährlich einen Bericht über die (BGBl I S. 2954), zuletzt geändert durch Art. 9 des Durchführung sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe Gesetzes vom 16. August 2002 (BGBl I S. 3202), in der der Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2; dabei sind jeweils geltenden Fassung dürfen nur auf Antrag eingedie Grundsätze des Art. 2 Abs. 1 PKGG zu beachten. holt werden. 2Der Antrag ist durch den Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz oder seinen Vertreter (4) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im schriftlich zu stellen und zu begründen. 3Über den Antrag Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufgaben nach Art. 3 entscheidet das Staatsministerium des Innern. 4Es unterAbs. 1 Satz 1 Nr. 1, sofern die dort genannten Bestrerichtet monatlich die nach Art. 2 des Gesetzes zur Ausbungen durch Anwendung von Gewalt oder darauf ausführung des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz (AGG 10) gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, vom 11. Dezember 1984 (GVBl S. 522, BayRS 12-2-I), sowie zur Erfüllung seiner Aufgaben nach Art. 3 Abs. 1 zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes vom Satz 1 Nrn. 2 bis 5 unter den Voraussetzungen des SS 3 10. Februar 2000 (GVBl S. 40), gebildete Kommission Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes auch technische Mittel über die beschiedenen Anträge vor deren Vollzug. 5Bei zur Ermittlung des Standorts eines aktiv geschalteten Gefahr im Verzug kann das Staatsministerium des Innern Mobilfunkendgeräts und zur Ermittlung der Geräteund den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der UnKartennummern einsetzen. 2Die Maßnahme ist nur zuterrichtung der Kommission anordnen. 6Die Kommission lässig, wenn ohne die Ermittlung die Erreichung des prüft von Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden Zwecks der Überwachungsmaßnahme aussichtslos oder die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von wesentlich erschwert wäre. 3Personenbezogene Daten Auskünften. 7 SS 15 Abs. 5 des Artikel l0-Gesetzes vom eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur 26. Juni 200l (BGBl I S. 1254), zuletzt geändert durch erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 22. August 2002 (BGBl I zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1 unvermeidbar S. 3390), ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenist. 4Über den Datenabgleich zur Ermittlung der gesuchden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf ten Geräteund Kartennummer hinaus dürfen sie nur die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten im Sinn nach SS 8 Abs. 5 bis 8 BVerfSchG erlangten personenbedes SS 138 StGB verwendet werden. 5Nach Beendigung zogenen Daten erstreckt. 8Entscheidungen über Auskünfder Maßnahme sind sie unverzüglich zu löschen. te, die die Kommission für unzulässig oder nicht not- 6 Absätze 1 und 3 gelten entsprechend. wendig erklärt, hat das Staatsministerium des Innern unverzüglich aufzuheben. 9Für die Verarbeitung der nach (5) Das Staatsministerium des Innern erstattet dem SS 8 Abs. 5 bis 8 BVerfSchG erhobenen Daten ist SS 4 des Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundes jährArtikel l0-Gesetzes entsprechend anzuwenden. 10Das lich einen Bericht nach SS 8 Abs. 11 BVerfSchG über die Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten dürfen Durchführung des Absatzes 1; dabei ist insbesondere dem Betroffenen oder Dritten vom Auskunftsgeber nicht ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis mitgeteilt werden. 11SS12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Geund Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten setzes finden entsprechende Anwendung. Maßnahmen nach Absatz 1 zu geben. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 238 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) Art. 7 Art. 8 Speicherung und Veränderung Berichtigung und Löschen von Daten personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz persoberichtigen, wenn sie unrichtig sind; in Akten, die nenbezogene Daten in Dateien speichern und veränzu einer bestimmten Person geführt werden, ist dies zu dern, wenn vermerken. 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 vorliegen oder Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrelöschen, wenn ihre Speicherung nach Art. 7 unzulässig bungen oder Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 erforderwar oder ihre Kenntnis für die Erfüllung seiner gesetzlich ist oder lich festgelegten Aufgaben nicht mehr erforderlich ist; 3. das Landesamt für Verfassungsschutz nach Art. 3 Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, Abs. 2 Nrn. 2 und 3 an Überprüfungen mitwirkt. sind unter diesen Voraussetzungen zu vernichten. 2 Ob die Voraussetzungen der Löschung und Vernichtung 2 In den Fällen des Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 dürfen personennach Satz 1 vorliegen, ist bei jeder Einzelfallbearbeibezogene Daten in Dateien nur gespeichert werden, tung und nach festgesetzten Fristen zu entscheiden. wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder 3 Die Löschung oder Vernichtung unterbleibt, wenn Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 vorliegen. 3Das Recht der Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzNutzung und Verabeitung personenbezogener Daten würdige Interessen der betroffenen Person beeinträchnach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 zur Vorgangsverwaltung tigt würden. 4 In diesem Fall sind die Daten zu sperren; bleibt unberührt. sie dürfen nur noch mit Einwilligung der betroffenen Person übermittelt werden. (2) 1Personenbezogene Daten über das Verhalten einer Person vor Vollendung des 14. Lebensjahres dür(3) 1 Für die Archivierung gelten die Vorschriften fen nicht in Dateien gespeichert werden. 2 Personenbedes Bayerischen Archivgesetzes. 2 Die Anbietungszogene Daten über das Verhalten einer Person nach pflicht bestimmt sich nach Maßgabe der nach Art. 6 Vollendung des 14. und vor Vollendung des 16. LebensAbs. 2 BayArchivG abzuschließenden Vereinbarung. jahres sind zwei Jahre nach dem Verhalten zu löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse im Sinn des Art. 9 Art. 3 Abs. 1 angefallen sind. 3 Personenbezogene Daten Errichtungsanordnung über das Verhalten einer Person nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind zwei (1) 1 Für den erstmaligen Einsatz einer automatisierJahre nach dem Verhalten auf die Erforderlichkeit der ten Datei, in der personenbezogene Daten verarbeitet Speicherung in Dateien zu überprüfen und spätestens werden, hat das Landesamt für Verfassungsschutz in fünf Jahre nach dem Verhalten zu löschen, es sei denn, einer Errichtungsanordnung, die der Zustimmung des dass weitere Erkenntnisse im Sinn des Art. 3 Abs. 1 Staatsministeriums des Innern bedarf, festzulegen: angefallen sind über ein Verhalten nach Eintritt der Volljährigkeit. 4 Für Akten, die zu einer minderjährigen 1. Bezeichnung der Datei, Person geführt werden, gelten die vorstehenden Prü2. Zweck der Datei, fungsund Löschungsfristen entsprechend. 3. betroffener Personenkreis, (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die 4. Art der zu speichernden Daten, Dauer der Speicherung in Dateien und in Akten, die zu 5. Eingabeberechtigung, einer bestimmten Person geführt werden, auf das Maß 6. Zugangsberechtigung, festzulegen, das zur Erfüllung seiner Aufgabe nach diesem Gesetz erforderlich ist. 7. regelmäßige Übermittlungen, 8. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, (4) Werden Bewertungen über Betroffene gespei9. Protokollierung des Abrufs. chert, muss erkennbar sein, wer die Bewertung vorgenommen hat und wo die Informationen gespeichert 2 Nach der Zustimmung des Staatsministeriums des sind, die der Bewertung zugrunde liegen. Innern ist die Errichtungsanordnung dem LandesbeaufVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 239 tragten für den Datenschutz unverzüglich mitzuteilen. 4. die Information oder die Tatsache der Speicherung 3 Entsprechendes gilt für wesentliche Änderungen des nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen Verfahrens. nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheimgehal(2) Die Zustimmung des Staatsministeriums des ten werden muss. Innern darf nur erteilt werden, wenn die Speicherung personenbezogener Daten auf das erforderliche Maß (4) 1 Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf beschränkt ist. keiner Begründung. 2 Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist der Betroffene auf die Rechtsgrundlage für (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, angemessenen Abständen die Notwendigkeit der Weidass er sich hinsichtlich der Verarbeitung personenterführung oder Änderung seiner Dateien zu prüfen. bezogener Daten an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. 3 Dem Landesbeauftragten Art. 10 für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu Geltung des Bayerischen Datenschutzgesetzes erteilen, soweit nicht das Staatsministerium des Innern im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bei der Erfüllung der gesetzlich festgelegten AufBundes oder eines Landes gefährdet würde. 4 Mitteilungaben durch das Landesamt für Verfassungsschutz fingen des Landesbeauftragten an den Betroffenen dürfen den die Art. l0 bis 13, 15 bis 23 und 26 bis 28 des keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des LandesBayerischen Datenschutzgesetzes keine Anwendung. amts für Verfassungsschutz zulassen, sofern dieses nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. Art. 11 Auskunftserteilung III. Abschnitt (1) Ein Anspruch auf Auskunft über die beim 1 Übermittlungsregelungen Landesamt für Verfassungsschutz in Dateien oder Akten gespeicherten Informationen besteht nicht. 2 Hat Art. 12 eine Person ein besonderes Interesse an einer Auskunft Informationsübermittlung über die zu ihrer Person gespeicherten Daten, so entan das Landesamt für Verfassungsschutz scheidet das Landesamt für Verfassungsschutz nach ohne Ersuchen pflichtgemäßem Ermessen über das Auskunftsbegeh(1) Die Behörden, Gerichte hinsichtlich ihrer Regisren. ter, Gebietskörperschaften und andere der staatlichen Aufsicht unterstehenden juristischen Personen des (2) Soweit eine Person einer Sicherheitsüberprüöffentlichen Rechts sowie sonstige öffentliche Stellen fung nach Art. 3 Abs. 2 unterzogen wird oder zu einer des Freistaats Bayern haben von sich aus dem LandesPerson Auskunft nach Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 erteilt wird, amt für Verfassungsschutz die ihnen bei Erfüllung ihrer hat diese Person abweichend von Absatz 1 einen Aufgaben bekannt gewordenen Informationen zu überAnspruch auf Auskunft über die Daten des Landesamts mitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestefür Verfassungsschutz, die es im Rahmen der Erfüllung hen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufdieser Aufgaben übermittelt hat. gaben des Landesamts für Verfassungsschutz nach Art. 3 Abs. 1 oder entsprechender Aufgaben auf Grund eines (3) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit Gesetzes nach Art. 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des 1. eine Gefährdung der Erfüllung der Aufgaben nach Grundgesetzes erforderlich sein kann. Art. 3 durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist, (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die 2. durch die Auskunftserteilung nachrichtendienstliche übermittelten Informationen nach ihrem Eingang unZugänge gefährdet sein können oder die Ausforverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für die Erfülschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitslung seiner in Absatz 1 genannten Aufgaben erforderweise des Landesamts für Verfassungsschutz zu lich sind. 2 Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderbefürchten ist, lich sind, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernich3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden ten. 3 Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung Nachteile bereiten würde oder der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 240 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) vertretbarem Aufwand erfolgen kann; in diesem Fall Art. 14 dürfen die nicht erforderlichen Informationen nicht verPersonenbezogene Datenübermittlung wendet werden. durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf perArt. 13 sonenbezogene Daten an öffentliche Stellen übermitteln, Informationsübermittlung wenn das zur Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem an das Landesamt für Verfassungsschutz Gesetz erforderlich ist oder wenn die öffentliche Stelle auf Ersuchen die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen (1) 1 Die in Art. 12 Abs. 1 genannten öffentlichen Sicherheit einschließlich der Strafverfolgung benötigt; Stellen haben dem Landesamt für Verfassungsschutz das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Übermittauf dessen Ersuchen die ihnen bei Erfüllung ihrer Auflung aktenkundig zu machen. 2 Gleiches gilt, wenn der gaben bekannt gewordenen Informationen zu übermitEmpfänger die personenbezogenen Daten zur Erfüllung teln, soweit das zur Erfüllung der Aufgaben des Lananderer ihm zugewiesener Aufgaben benötigt, sofern er desamts für Verfassungsschutz nach diesem Gesetz dabei auch zum Schutz der freiheitlichen demokratischen erforderlich ist. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz Grundordnung beizutragen oder Gesichtspunkte der darf Ersuchen nach Satz 1 nur stellen, wenn die Inforöffentlichen Sicherheit oder auswärtige Belange zu mation auf andere Weise nur mit übermäßigem Aufwürdigen hat. 3 Der Empfänger darf die übermittelten wand oder nur durch eine die betroffene Gruppierung Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, oder Person stärker belastende Maßnahme gewonnen nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermitwerden kann. 3 Das Landesamt für Verfassungsschutz telt wurden, es sei denn, dass das Landesamt für Verfashat Ersuchen zu begründen, es sei denn, dass eine Besungsschutz einer anderen Verwendung für Zwecke gründung dem Schutz der betroffenen Gruppierung nach den Sätzen 1 und 2 zugestimmt hat. 4 Satz 1 gilt oder Person zuwiderläuft oder den Zweck der Maßnahauch für die Übermittlung personenbezogener Daten inme gefährden würde. 4 Es hat die Ersuchen aktenkundig nerhalb des Landesamts für Verfassungsschutz. zu machen. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte im Rahmen Akten anderer öffentlicher Stellen und amtlich geführvon Art. 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen te Dateien unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über einsehen, soweit das zur Erfüllung seiner Aufgaben die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der nach diesem Gesetz erforderlich ist und die sonstige Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländiÜbermittlung von Informationen aus den Akten oder schen Streitkräfte vom 3. August 1959 (BGBl II 1961 den Dateien den Zweck der Maßnahme gefährden, eiS. 1183) personenbezogene Daten übermitteln; das Lannen übermäßigen Aufwand erfordern oder das Persöndesamt für Verfassungsschutz hat die Übermittlung lichkeitsrecht des Betroffenen unnötig beeinträchtigen aktenkundig zu machen. 2 Der Empfänger ist darauf hinwürde. 2 Über die Einsichtnahme in amtlich geführte Dazuweisen, dass die übermittelten Daten nur zu dem teien hat das Landesamt für Verfassungsschutz einen Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm überNachweis zu führen, aus dem der Zweck und die eingemittelt wurden. sehene Datei hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu (3) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf persichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr sonenbezogene Daten an öffentliche Stellen außerhalb ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. des Geltungsbereichs des Grundgesetzes sowie an überoder zwischenstaatliche öffentliche Stellen über(3) 1 Hält eine in Art. 12 Abs. 1 genannte öffentliche mitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung seiner Stelle das Ersuchen nach Absatz 1 oder die EinsichtAufgaben nach diesem Gesetz oder zur Wahrung nahme nach Absatz 2 für unzulässig, so teilt sie das erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erfordem Landesamt für Verfassungsschutz mit. 2 Besteht derlich ist; das Landesamt für Verfassungsschutz hat dieses auf dem Ersuchen oder der Einsichtnahme, so die Übermittlung aktenkundig zu machen. 2 Die Überentscheidet darüber die oberste fachliche Aufsichtsmittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bunbehörde, die für die ersuchte Stelle zuständig ist. desrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person entgegenstehen. (4) Art. 12 Abs. 2 gilt entsprechend. 3 Sie ist aktenkundig zu machen. 4 Der Empfänger ist Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 241 darauf hinzuweisen, dass die übermittelten Daten nur 1. erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie der Informationen und ihrer Erhebung das schutzihm übermittelt wurden. würdige Interesse der Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegt, oder (4) 1Personenbezogene Daten dürfen außer in den 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern. Fällen des Art. 4 Abs. 1 Satz 3 an andere Empfänger als öffentliche Stellen nur übermittelt werden, wenn dies (2) Besondere Rechtsvorschriften, die Informationszum Schutz vor den in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 bezeichneübermittlungen zulassen oder verbieten, bleiben unten Bestrebungen, Gefahren und Tätigkeiten erforderberührt. lich ist. 2Die Übermittlung nach Satz 1 bedarf der vorherigen Zustimmung des Staatsministeriums des Innern; die Zustimmung kann auch für eine Mehrzahl von gleichartigen Fällen vorweg erteilt werden. 3Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Übermittlung IV. Abschnitt aktenkundig zu machen. 4Der Empfänger darf die überParlamentarische Kontrolle mittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 5Das Landesamt für VerfasArt. 18 sungsschutz hat den Empfänger darauf hinzuweisen. Parlamentarisches Kontrollgremium Die parlamentarische Kontrolle der Staatsregierung (5) 1 Übermittlungspflichten nach bundesrechtlichen hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für VerfasVorschriften bleiben unberührt. 2 Das Landesamt für sungsschutz erfolgt nach den Bestimmungen des GesetVerfassungsschutz kann andere Verfassungsschutzbehörzes zur parlamentarischen Kontrolle der Staatsregieden auch dadurch unterrichten, dass es diesen den Abruf rung hinsichtlich der Maßnahmen nach Art. 13 Abs. 3 von Daten im automatisierten Verfahren ermöglicht, bis 5 des Grundgesetzes sowie der Tätigkeit des Landessoweit deren gesetzliche Aufgaben identisch sind. amts für Verfassungsschutz - Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz - vom 10. Februar 2000 (GVBl Art. 15 S. 40, BayRS 12-4-I) in der jeweils geltenden Fassung. Unterrichtung der Öffentlichkeit 1 Das Staatsministerium des Innern und das LandesArt. 19 und 20 (aufgehoben) amt für Verfassungsschutz unterrichten die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. l. 2 Dabei dürfen der Öffentlichkeit personenbezogene Daten bekanntgegeben werden, wenn das Interesse V. Abschnitt der Öffentlichkeit an der Unterrichtung das schutzSchlussvorschriften würdige Interesse der betroffenen Person an der Wahrung ihrer Anonymität überwiegt. Art. 21 Erfüllung bundesrechtlicher Aufgaben Art. 16 Nachberichtspflicht Zur Erfüllung von Aufgaben auf Grund eines Gesetzes nach Art. 73 Nr. l0 Buchst. b und c des GrundErweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer gesetzes stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz Übermittlung durch das Landesamt für Verfassungsdie Befugnisse zu, die es zur Erfüllung der entsprechenschutz als unvollständig oder unrichtig, sind sie unverden Aufgaben nach diesem Landesgesetz hat. züglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen, wenn das zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Art. 22 betroffenen Person erforderlich ist. Einschränkung von Grundrechten Art. 17 Auf Grund dieses Gesetzes kann das Grundrecht Übermittlungsverbote der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 des Grundgesetzes und Art. l06 Abs. 3 der Verfassung und (1) Die Übermittlung von Informationen durch das das Grundrecht des Brief-, Postund FernmeldegeheimLandesamt für Verfassungsschutz nach den Art. 4 und nisses nach Art. 10 des Grundgesetzes und Art. 112 der 14 hat zu unterbleiben, wenn Verfassung eingeschränkt werden. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 242 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) Art. 23 Art. 24 Änderung des Gesetzes zur Ausführung In-Kraft-Treten des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz 1 Dieses Gesetz tritt am 1. November 1990 in Kraft.* Das Gesetz zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 2 Gleichzeitig treten außer Kraft: Grundgesetz (AGG 10) vom 11. Dezember 1984 (GVBl 1. Das Gesetz über die Errichtung eines Landesamts S. 522, BayRS 12-2-I) wird wie folgt geändert: für Verfassungsschutz (BayRS 12-1-I), 1. Art. 2 Abs. 3 Satz 6 erhält folgende Fassung: 2. Art. 8 Abs. 2 Nr. 5 des Bayerischen Datenschutz"6 Die Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung, gesetzes (BayRS 204-1-I). die der Zustimmung der Parlamentarischen Kontrollkommission für die Angelegenheiten des Verfassungsschutzes bedarf." 2. In Art. 3 werden die Worte "den für Sicherheitsfragen zuständigen Ausschuss des Landtags" durch * Diese Vorschrift betrifft das In-Kraft-Treten des Gesetzes in der die Worte "die Parlamentarische Kontrollkommission ursprünglichen Fassung vom 24. August 1990 (GVBl S. 323). für die Angelegenheiten des Verfassungsschutzes" Der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der späteren Änderungen ersetzt. ergibt sich aus den jeweiligen Änderungsgesetzen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz (PKGG) 243 Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle der Staatsregierung hinsichtlich der Maßnahmen nach Art. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes sowie der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz (Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz - PKGG) Vom 10. Februar 2000 (GVBl S. 40, BayRS 12-4-I) Geändert durch SS 4 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz, des Bayerischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes und des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 24. Dezember 2002 (GVBl S. 969), SS 1 Nr. 6 des Dritten Gesetzes zur Aufhebung von Rechtsvorschriften vom 7. August 2003 (GVBl S. 497) und SS 2 des Gesetzes zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 24. Dezember 2005 (GVBl S. 641) Art. 1 (3) 1 Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiParlamentarisches Kontrollgremium ner Fraktion aus, so verliert es seine Mitgliedschaft im Parlamentarischen Kontrollgremium; Absatz 4 bleibt (1) 1 Das Parlamentarische Kontrollgremium übt die unberührt. 2Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein parlamentarische Kontrolle gemäß Art. 13 Abs. 6 Satz 3 neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein des Grundgesetzes zum Vollzug der Maßnahmen nach Mitglied aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium Art. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes nach Maßgabe ausscheidet. 3Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für der Art. 48 a des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsdie stellvertretenden Mitglieder. verfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes (AGGVG), Art. 34 Abs. 9 des Polizeiaufgaben(4) Das Parlamentarische Kontrollgremium übt seine gesetzes (PAG) und Art. 6 a Abs. 8 des Bayerischen Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des LandVerfassungsschutzgesetzes (BayVSG) in der Fassung tags hinaus solange aus, bis der nachfolgende Landtag ein der Bekanntmachung vom 10. April 1997 (GVBl S. 70, neues Parlamentarisches Kontrollgremium gewählt hat. BayRS 12-1-I), zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes vom 10. Februar 2000 (GVBl S. 40), aus. Art. 2 2 Dem Parlamentarischen Kontrollgremium obliegt ferGeheimhaltung ner die Kontrolle der Staatsregierung hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz; die (1) 1 Die Beratungen des Parlamentarischen KontrollRechte des Landtags und seiner Ausschüsse bleiben ungremiums sind geheim. 2Die Mitglieder und stellvertreberührt. tenden Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit im (2) 1 Das Parlamentarische Kontrollgremium besteht Parlamentarischen Kontrollgremium bekannt geworden aus fünf Mitgliedern. 2Die Mitglieder des Parlamentarisind. 3Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheischen Kontrollgremiums werden zu Beginn jeder neuen den aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium. Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte gewählt. 3In gleicher Weise wird für jedes Mitglied ein stellvertreten(2) 1 Das Parlamentarische Kontrollgremium tritt des Mitglied gewählt. 4Gewählt ist, wer die Stimmen der mindestens einmal im Jahr zusammen. 2Jedes Mitglied Mehrheit der Mitglieder des Landtags auf sich vereint. kann die Einberufung des Parlamentarischen KontrollVerfassungsschutzbericht Bayern 2006 244 Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz (PKGG) gremiums verlangen. 3Das Parlamentarische KontrollArt. 4 gremium gibt sich eine Geschäftsordnung. 4Ferner obÄnderung von Gesetzen liegt ihm die Wahl seiner bzw. seines Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden. (1) Das Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 1997 (GVBl S. 70, BayRS 12-1-I), geändert Art. 3 durch SS 2 des Gesetzes vom 10. Juli 1998 (GVBl Rechte des Parlamentarischen Kontrollgremiums S. 383), wird wie folgt geändert: und Berichtspflichten der Staatsregierung 1. Art. 18 erhält folgende Fassung: (1) Das Staatsministerium der Justiz erstattet dem "Art. 18 Parlamentarischen Kontrollgremium jährlich Bericht Parlamentarisches Kontrollgremium nach Art. 48 a AGGVG. Die parlamentarische Kontrolle der Staatsregie(2) 1 Das Staatsministerium des Innern erstattet dem rung hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Parlamentarischen Kontrollgremium jährlich Bericht Verfassungsschutz erfolgt nach den Bestimmungen nach Art. 34 Abs. 9 PAG und Art. 6 a Abs. 8 BayVSG. des Gesetzes zur parlamentarischen Kontrolle der 2 Die Berichterstattung nach diesen Vorschriften kann Staatsregierung hinsichtlich der Maßnahmen nach gesondert erfolgen. Art. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes sowie der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz (3) 1 Das Staatsministerium des Innern unterrichtet - Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz - vom das Parlamentarische Kontrollgremium ferner regel10. Februar 2000 (BayRS 12-4-I)." mäßig umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz und über Vorgänge 2. Art. l9 und 20 werden aufgehoben. von besonderer Bedeutung. 2Darüber hinaus berichtet es zu einem konkreten Thema aus dem Aufgabenbereich (2) In Art. 3 des Gesetzes zur Ausführung des des Landesamts für Verfassungsschutz, sofern das ParGesetzes zu Art. 10 Grundgesetz (AGG 10) vom lamentarische Kontrollgremium dies verlangt. 3Zeit, Art 11. Dezember 1984 (GVBl S. 522, BayRS 12-2-I), und Umfang der Unterrichtung des Parlamentarischen geändert durch Art. 23 des Gesetzes vom 24. August Kontrollgremiums werden unter Beachtung des not1990 (GVBl S. 323), werden die Worte "die Parlamenwendigen Schutzes des Nachrichtenzugangs durch die tarische Kontrollkommission für Angelegenheiten des politische Verantwortung der Staatsregierung bestimmt. Verfassungsschutzes" durch die Worte "das Parlamentarische Kontrollgremium" ersetzt. (4) 1 Das Staatsministerium des Innern erstattet dem Parlamentarischen Kontrollgremium ferner Bericht Art. 5 nach Maßgabe des Art. 3 des Gesetzes über die AufIn-Kraft-Treten, Übergangsvorschrift gaben der G 10-Kommission im Bayerischen Landtag und zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes (G 10) (1) Dieses Gesetz tritt am 1. April 2000 in Kraft.* und nach Maßgabe des Art. 6 b Abs. 3 und 4 BayVSG. 2 Art. 2 AGG 10 bleibt unberührt. (2) (aufgehoben). * Diese Vorschrift betrifft das In-Kraft-Treten des Gesetzes in der ursprünglichen Fassung. Der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der späteren Änderungen ergibt sich aus den jeweiligen Änderungsgesetzen. Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Sachwortregister 245 Sachwortregister ABLE 206 Bolschewistische Partei Nordkurdistan/Türkei (BP-KK/T) 90 ABSURD 131 Adelaide Institute 143 BRAUNE BRÜDER 130 Admintech 198 Bündnis München gegen Krieg 174 ADÜTDF 83 Bürgerbewegung Pro München - patriotisch & sozial 145 Aktion Transparente Verwaltung München (ATV) 210 Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) 145 Al-Aqsa e.V. 87 BURNING HATE 130 Al-Gamaa al-Islamiya (GI) 87 Burschenschaft Danubia 145 Al-Qaida 66 Al-Tauhid 87 Celebrity Centres (CC) 203 Ansar al-Islam 49 Church of Scientology International (CSI) 195 Anti-Antifa Nürnberg 124 "Church"-Sektor 203 Antideutsche 188 Citizens Commission on Human Rights (CCHR) 210 antifa 194 CIWANEN AZAD (Freie Jugendliche) 76 Antifaschismus 182 Clears 198 Antifaschistische Aktion München 178 Continental Liaison Office (CLO) 205 Antifaschistische Linke Fürth 180 Contra Real 178 Antifaschistisches Aktionsbündnis Nürnberg 194 CRIMINON 207 Anti-Globalisierung 184 Antiimperialismus 186 DAMAGE INCORPORATED 130 Antikernkraftbewegung 188 Das Freie Forum 145 Applied Scholastics 207 Dawa 88 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) 176 Demokratie Direkt München e.V. 116 Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) 88 Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) 88 Asiatische Organisierte Kriminalität 228 Demokratische Jugend AUFMARSCH 131 (Demokratik Genclik - DEM-GENC) 76 Augsburger Bündnis - Nationale Department of Special Affairs (DSA) 209 Opposition e.V. 145 Deutsche Geschichte 145 Autonome 177 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 165 Autonome Jugend Antifa 178 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 145 Autonome Nationalisten München (ANM) 123 Deutsche Partei - Die Freiheitlichen (DP) 144 Deutsche Stimme (DS) 144 barricada - zeitung für autonome politik und kultur 180 Deutsche Volksunion (DVU) 110 Betäubungsmittelhandel 229 Deutsche Volksunion e.V. 144 Black Metal 131 Deutsches Büro für Menschenrechte 210 Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 246 Sachwortregister Deutsches Kolleg (DK) 145 Freundeskreis Demokratie Direkt München 116 Deutschland-Bewegung/Friedenskomitee 145 Freundeskreis Ulrich von Hutten 145 "Deutschland-Pakt" 102 Frieden 2000 - Nachrichten für die Deutschland-Bewegung 145 Deutschland-Post 144 Friedenskomitee 145 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 78 FSB (Inlandsnachrichtendienst der GUS) 216 Dianetik nach L. Ron Hubbard 195 Fürther Antifa-Zeitung (FAZ) 180 Die Republikaner (REP) 94 Die Linke.PDS-Pressedienst 193 Galileo - streitbare Wissenschaft 171 Die Linkspartei.PDS 149 GEGENSTANDPUNKT 176 Die Ware 159 Gerechtigkeitsund Aufschwungpartei (AKP) 59 DISPUT 193 "Germania"-Rundbrief 141 Djihad 34 Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) 145 Djihad Islami (JI) 41 Glückseligkeitspartei (SP) 58 Djihadismus 66 GRU (Militärischer Nachrichtendienst Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH der GUS) 216 (DSZ-Verlag) 117 GUS-Mafia 223 En Nahda 46 HAMAS 44 Europäischer Darstellungsverein für Lebendige Geschichte (EDLG) 138 Hezb-i Islami (HIA) 56 Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) 64 Fanzine 133 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. FAUSTRECHT 130 (HNG) 144 FELDHERREN 130 Hizb al-Dawa al-Islamiya (Dawa) 88 FIS 45 Hizb Allah (Partei Gottes) 55 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Hizb ut-Tahrir 47 Deutschland e.V. (ATIF) 81 "home grown"-Terrorismus 72 Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e.V. (AGIF) 82 Huttenbriefe 145 Föderation der Islamischen Organisationen in Europa (FIOE) 41 Impact 195 Föderation der Türkisch-Demokratischen Info-Läden der Autonomen 179 Idealistenvereine in Europa e.V. (ADÜTDF) 83 Institute for Political and International Föderation für demokratische Rechte in Studies (IPIS) 142 Deutschland (ADHF) 81 INTERIM 180 Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM) 73 International Association of Scientologists (IAS) 201 Fränkische Aktionsfront (F.A.F.) 21 International City 198 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter Union - Internationale Assoziation (FAU-IAA) 176 Internationaler Kurdischer Arbeitgeberverband (KARSAZ) 74 Freie Nationalisten 96 Islamische Bewaffnete Gruppen (GIA) 68 Freiheit 195 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) 75 (IGD) 42 Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Sachwortregister 247 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. KONGRA GEL (Volkskongress Kurdistans) 72 (IGMG) 57 KONTRA! 171 Islamische Heilsfront (FIS) 45 Koordination der kurdischen demokratischen Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB) 56 Gesellschaft in Europa (CDK) 72 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) 44 Korruption 230 Islamischer Bund Palästina (IBP) 87 Kurdischer Nationalkongress (KNK) 73 Islamischer Widerstand 55 Islamisches Zentrum München (IZM) 42 Leuchter-Bericht 140 Islamisch-Irakische Gemeinschaft Linksruck 193 Deutschland e.V. (IIGD) 88 Linksruck-Netzwerk 173 Italienische Mafia 227 Maoistische Kommunistische Partei (MKP) 80 Jaish Ansar al-Sunna 49 Marxistische Blätter 193 Jugendverband REBELL 172 Marxistische Gruppe (MG) 176 Jugendverband ['solid] 159 Marxistisches Forum (MF) 159 Junge Nationaldemokraten (JN) 108 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 82 Kalifatsstaat 64 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands Kameradschaft Asgard Ratisbona 124 (MLPD) 171 Kameradschaft Augsburg 125 Mensch und Maß 145 Kameradschaf Main-Spessart 124 militante gruppe (mg) 181 Kameradschaft München 122 Militanzdebatte 181 Kameradschaftsbund Hochfranken 125 Milli Gazete 62 Kameradschaft Süd - Aktionsbüro SüdMilli-Görüs-Bewegung 57 deutschland (AS) 122 Mitteilungen der Kommunistischen Kameradschaft Weisse Wölfe 144 Plattform der Linkspartei.PDS 193 Kinderorganisation ROTFÜCHSE 172 Mudjahidin 66 Koma Komalen Kurdistan (KKK) 75 München Direkt 145 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) 209 Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus 174 Kommunistische Arbeiterzeitung (KAZ) 193 Münchner Bündnis gegen Rassismus 174 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 167 Multi-Kultur-Haus Ulm e.V. (MKH) 53 Kommunistische Plattform (KPF) 157 Muslimbruderschaft (MB) 39 Kommunistischer Arbeiterbund Deutschlands (KABD) 171 Konföderale Fraktion der Vereinten Nachrichten der HNG 144 Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke NARCONON 208 (GUE/NGL) 156 Nationaldemokratische Partei Deutschlands Konföderation der Arbeiter aus der Türkei (NPD) 96 in Europa (ATIK) 81 Nationaldemokratischer Hochschulbund Konföderation für demokratische Rechte (NHB) 144 in Europa (ADHK) 81 Nationaler Block (NB) 101 Konföderation kurdischer Vereine in Europa (KON-KURD) 77 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) 84 Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 248 Sachwortregister Nationales Bündnis Dresden (NBD) 117 Religious Technology Center (RTC) 203 National Liberation Army (NLA) 85 Renees 130 National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung Revisionismus 139 (NZ) 117 REVOLUTIONÄRER WEG 193 Nation-Europa-Freunde e.V. 120 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front Nation Europa Verlag GmbH 120 (DHKP-C) 78 Nation & Europa - Deutsche Monatshefte 120 Revolutionär Sozialistischer Bund (RSB) 174 Neonazi-Kameradschaften 122 Revolutionärer Aufbau München 178 Neue PKK 74 Rockerkriminalität 230 Neues Deutschland 193 ROJ TV 74 Neues Schwaben 145 Rote Fahne 193 Newroz 77 ['ROTFRONT!] 160 NOIS OF HATE 130 ROTFÜCHSE 172 NS Black Metal (NSBM) 132 Rudolf-Gutachten 140 NS Kampfruf 144 Rudolf-Heß-Aktionen 125 NSDAP-Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP-AO) 143 Salafiyya-Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC) 67 Office of Special Affairs (OSA) 209 Scharia 33 Oi-Skinheads 127 Schleusungsdelikte 229 Org 203 Schulhof-CD 107 Organisation al-Qaida im islamischen Maghreb 68 Schutzbund für das Deutsche Volk e.V. (SDV) 145 Organisierte Autonomie 178 Schwarzer Block 178 Organisierte Kriminalität (OK) 222 Scientology Kirche Bayern e.V. (SKB) 195 Osteuropäische Organisierte Kriminalität 224 Scientology Kirche Deutschland e.V. (SKD) 195 Scientology-Organisation (SO) 195 Partei der Europäischen Linken (EL) 164 Serxwebun 72 Partei der Nationalen Bewegung (MHP) 83 SHARPs 127 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 150 Skinheads 127 Partizan-Flügel (TKP/ML) 80 ['solid] 159 PKK (Arbeiterpartei Kurdistans; nunmehr Solidaritätskomitee mit den politischen KONGRA GEL) 72 Gefangenen und deren Familien in der Türkei (TAYAD) 79 policy letters 197 Source 195 POSITION 194 Sozialabbau 187 Projekt Schulhof 107 Sozialistische Arbeitergruppe (SAG) 173 Proliferation 218 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend Pro München e.V. 117 (SDAJ) 170 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands radikale Linke 178 (SED) 150 REBELL 172 Sozialistische Gruppe 176 Redskins 127 SWR (Auslandsnachrichtendienst der GUS) 215 Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Sachwortregister 249 Tablighi Jamaat 51 VGB Verlagsgesellschaft Berg mbH 145 TERRORMACHINE 88 130 Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung (VffG) 145 TITEL - Informationsforum der Linkspartei.PDS Bayern 193 Volksbefreiungsarmee (HKO) 81 Türkische Arbeiterund BauernbefreiungsVolksfront für die Befreiung Palästinas armee (TIKKO) 81 - Generalkommando - (PFLP-GC) 88 Türkische Kommunistische Partei/MarxisVolksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) 88 ten-Leninisten (TKP/ML) 80 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL); Türkische Volksbefreiungspartei-Front ehemals Freiheitsund Demokratiekongress (THKP-C Devrimci Sol) 78 Kurdistans (KADEK) bzw. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 72 Tugendpartei (FP) 58 Volksmudjahidin Iran-Organisation (MEK) 84 Volksverteidigungskräfte (HPG) 73 Union islamischer Studentenvereine in Europa (U.I.S.A.) 88 Volunteer Ministers 212 Unsere Zeit (UZ) 193 Vrij Historisch Onderzoek (V.H.O.) 141 Ursprung 195 UTOPIE - kreativ - Diskussion sozialistischer Watchdog Committee (WDC) 203 Alternativen 193 White Power-Skinheads 127 Wirtschaftskriminalität 230 Verband der islamischen Vereine und Wirtschaftsspionage 216 Gemeinden e.V. (ICCB) 91 WISE 206 Verband der stolzen Frauen Wunsiedler Feldpost 144 (KJB; umfasst PAJK, YJA und YJA-STAR) 89 Wunsiedler Widerstand 125 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Verfolgten (VRBHV) 142 Yeniden Atilim 82 Vereinigung der demokratischen Yeni Özgür Politika 74 Jugendlichen Kurdistans (KOMALEN-CIWAN) 75 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen Zentrum für individuelles und effektives und Antifaschisten (VVN-BdA) 168 Lernen (ZIEL) 206 Verlag Hohe Warte - Franz von BebenZine 133 burg KG 145 Zusammen Aktiv Kämpfen 178 Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 Herausgeber: Bayerisches Staatsministerium des Innern, Odeonsplatz 3, 80539 München Druck: Joh. Walch GmbH & Co. KG, Augsburg Gedruckt auf Recyclingpapier aus 100 % Altpapier Hinweis: Der Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 ist auch über das Internet abrufbar: http://www.innenministerium.bayern.de/sicherheit/verfassungsschutz http://www.verfassungsschutz.bayern.de Verfassungsschutzbericht Bayern 2006