Bayerisches Staatsministerium des Innern G S U N S S Z F A T E R H U T V SC CH R I B 00 E 4 2 VERFASSUNGSSCHUTZ BERICHT 20 B AY E R N 04 Bayerisches Staatsministerium des Innern Vorwort 3 A kteure des internationalen islamistischen Terrorismus haben im Jahr 2004 deutlich gemacht, dass auch Europa vor Anschlägen nicht gefeit ist. Die Terroranschläge auf Vorortzüge am 11. März in Madrid mit 191 Toten und mehr als 1.500 Verletzten haben die Bedrohung der freiheitlichen Gesellschaft in Europa durch den internationalen Terrorismus mit aller Deutlichkeit gezeigt. Die Täter stammten zwar überwiegend aus den Maghreb-Staaten und gehörten nicht unmittelbar al-Qaida an, sie handelten jedoch im Interesse von al-Qaida und fanden deshalb auch das Lob Usama Bin Ladins. Anschläge dieser Art können auch für Deutschland letztlich nicht ausgeschlossen werden. Angesichts dieser Bedrohung und der fast schon alltäglichen Anschläge im Irak, die zumindest teilweise auch islamistisch motiviert sind, werden in diesem Bericht erneut die einzelnen islamistisch-fundamentalistischen Organisationen und das von ihnen ausgehende Gewaltpotenzial dargestellt. Dass es den Sicherheitsbehörden gelungen ist, die Anschlagsplanung auf den irakischen Staatspräsidenten Dr. Allawi bei seinem Besuch in Deutschland im Dezember rechtzeitig zu erkennen, sowie die Festnahme islamistischer Gewalttäter zeigen, dass unsere Sicherheitsbehörden trotz der Schwierigkeiten, die sich aus den unterschiedlichen Sprachen und Ethnien ergeben, alles tun, um Anschläge in Deutschland zu verhindern. Die menschenverachtende Grundeinstellung islamischer Fundamentalisten, denen weder das eigene Leben noch das Leben der Opfer etwas wert ist, lassen es nicht zu, Sicherheit vor Selbstmordanschlägen zu garantieren. Die vergangenen weltweiten Ermittlungserfolge im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus haben zwar das internationale Terrornetzwerk geschwächt, es aber nicht seiner Handlungsmöglichkeiten beraubt. Die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus ist zwar derzeit vorrangiges, aber nicht einziges Aufgabenfeld des Verfassungsschutzes. Im Jahr 2004 war vor allem der Rechtsextremismus ein weiterer Schwerpunkt der Aufklärungsarbeit des Verfassungsschutzes in Bayern. Die Wahlerfolge von NPD und DVU, vor allem bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg und zuvor schon bei der Europawahl, sind ein Alarmsignal für alle Demokraten. Auch wenn ein Großteil der Wähler die extremistischen Parteien nur aus Protest gegen die Regierungspolitik gewählt haben sollte, so bleibt doch die Erkenntnis, dass es den demokratischen Parteien wohl nicht gelungen ist, den Wählern zu vermitteln, dass die platten Theorien und plumpen Lösungsvorschläge der extremistischen Parteien die Wirtschaftsund Arbeitsmarktprobleme Deutschlands nur noch verstärken, nicht aber lösen. Grundelemente bayerischer Sicherheitspolitik sind ihre Nachhaltigkeit und Beharrlichkeit. Diesen ist es zu verdanken, dass die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten erneut leicht zurückgegangen ist. Die Steigerung linksextremistischer Gewalttaten ist vor allem auf Störungen bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2004 zurückzuführen sowie auf die Antifa-Aktivitäten der Autonomen, die in der Öffentlichkeit, weil gegen Rechtsextremismus gerichtet, leider nicht auf die gleiche Ablehnung stoßen wie rechtsextremistische Gewalttaten. Aufgabe des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz und des Bayerischen Staatsministeriums des Innern ist es, die Öffentlichkeit über extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen und Tätigkeiten zu informieren. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der wehrhaften Demokratie und Art. 15 des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes sind formale Grundlage dieses Berichts. Nur der informierte und über extremistische Bestrebungen aufgeklärte Bürger ist in der Lage, Entwicklungen in Politik und Gesellschaft sowie die dazu getroffenen staatlichen Maßnahmen und Entscheidungen richtig zu beurteilen. Dazu dient auch dieser Bericht. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der bayerischen Sicherheitsbehörden, insbesondere des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz und der bayerischen Polizei, gilt unser besonderer Dank. Durch ihren Einsatz haben sie auch im Jahr 2004 die Sicherheit der Bürger in Bayern gewährleistet und einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Deutschland geleistet. München, im April 2005 Dr. Günther Beckstein Georg Schmid Staatsminister Staatssekretär 4 Inhaltsverzeichnis 1. Abschnitt Verfassungsschutz in Bayern 11 1. Gesetzliche Grundlagen ................................................ 12 2. Aufgaben des Verfassungsschutzes ............................... 12 3. Informationsbeschaffung .............................................. 13 4. Kontrolle ...................................................................... 14 5. Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes ............... 15 6. Infound Beratungstelefone ......................................... 16 2. Abschnitt Entwicklung des politischen Extremismus im Jahr 2004 1. Rechtsextremismus ....................................................... 17 2. Linksextremismus ......................................................... 19 3. Ausländerextremismus .................................................. 20 4. Scientology-Organisation .............................................. 22 5. Grafische Darstellungen ................................................ 24 3. Abschnitt Rechtsextremismus 1. Allgemeines .................................................................. 26 1.1 Merkmale des Rechtsextremismus ................................. 26 1.2 Entwicklung der Organisationen ................................... 27 1.3 Rechtsextremistische Gewalt ........................................ 29 2. Parteien, Organisationen und Verlage ........................... 30 2.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ......... 30 2.1.1 Ideologisch-politischer Standort ..................................... 30 2.1.2 Organisation ................................................................. 37 2.1.3 Teilnahme an Wahlen ................................................... 38 2.1.4 Bündnisbestrebungen ................................................... 40 2.1.5 Sonstige Aktivitäten ..................................................... 43 2.1.5.1 Parteitage .................................................................... 43 2.1.5.2 Kundgebungen und sonstige Aktionen ......................... 44 2.1.6 Junge Nationaldemokraten (JN) .................................... 47 2.2 Deutsche Volksunion (DVU) .......................................... 49 2.2.1 Ideologisch-politischer Standort .................................... 49 Inhaltsverzeichnis 5 2.2.2 Organisation ................................................................ 55 2.2.3 Beteiligung an Wahlen ................................................ 56 2.2.4 Bundesparteitag .......................................................... 57 2.3 Die Republikaner (REP) ................................................. 57 2.3.1 Ideologisch-politischer Standort .................................... 57 2.3.2 Aushöhlung des offiziellen Abgrenzungskurses und Bündnisbestrebungen ................................................... 59 2.3.3 Organisation ................................................................. 61 2.3.4 Teilnahme an Wahlen ................................................... 61 2.3.5 Sonstige Aktivitäten ..................................................... 63 2.4 Deutsche Partei - Die Freiheitlichen (DP) ........................ 64 2.4.1 Ideologisch-politischer Standort .................................... 64 2.4.2 Kontakte zu anderen Rechtsextremisten ...................... 66 2.4.3 Organisation ................................................................. 67 2.4.4 Teilnahme an Wahlen ................................................... 68 2.4.5 Aktivitäten in Bayern ..................................................... 68 2.5 Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) ............................. 69 2.6 Deutschland-Bewegung/Friedenskomitee ...................... 70 2.7 Freundeskreis Demokratie Direkt München .................... 72 2.8 Sonstige Organisationen ............................................... 73 2.9 Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH (DSZ-Verlag) .. 74 2.10 Nation Europa Verlag GmbH ......................................... 76 3. Organisationsunabhängiger Neonazismus ..................... 77 3.1 Allgemeines .................................................................. 77 3.2 Neonazi-Kameradschaften ............................................ 79 3.2.1 Fränkische Aktionsfront (F.A.F.) ..................................... 79 3.2.2 Kameradschaft München, ehemals Kameradschaft Süd-Aktionsbüro Süddeutschland (AS) ..... 80 3.2.3 Kameradschaft Aschaffenburg ...................................... 84 3.2.4 Bund Frankenland - Staatsbürgerliche Runde ................ 84 3.2.5 Kameradschaft Lichtenfels ............................................ 84 3.3 Informationelle Vernetzung .......................................... 85 3.4 Aktivitäten zum 17. Todestag von Rudolf Heß .............. 87 4. Skinheads ..................................................................... 88 4.1 Überblick ...................................................................... 88 4.2 Politische Ausrichtung .................................................. 88 4.3 Strukturen .................................................................... 89 4.4 Anziehungskraft für Jugendliche ................................... 90 4.5 Skinhead-Musik und Skinhead-Magazine ...................... 92 4.6 Verbindungen rechtsextremistischer Skinheads zur NPD .. 95 4.7 Strafverfahren, Urteile und Exekutivmaßnahmen ........... 96 6 Inhaltsverzeichnis 5. Rechtsextremistisch motivierte Straftaten ...................... 96 5.1 Gewalttaten ................................................................. 96 5.2 Sonstige Straftaten ....................................................... 100 6. Revisionismus ............................................................... 102 6.1 Ziele ............................................................................. 102 6.2 Entwicklung und Träger der Revisionismus-Kampagne .... 103 7. Verbindungen zum ausländischen Rechtsextremismus .... 106 8. Übersicht über erwähnenswerte rechtsextremistische Organisationen und Verlage sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse ......................................................... 107 4. Abschnitt Linksextremismus 1. Allgemeines ................................................................. 109 1.1 Merkmale des Linksextremismus ................................... 109 1.2 Entwicklung der Organisationen ................................... 110 1.3 Linksextremistische Gewalt ........................................... 111 2. Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 112 2.1 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) ................ 113 2.1.1 Ideologische Ausrichtung .............................................. 113 2.1.2 Organisation ................................................................ 119 2.1.3 Plattformen, Arbeitsund Interessengemeinschaften ...... 119 2.1.3.1 Kommunistische Plattform (KPF) .................................... 119 2.1.3.2 Marxistisches Forum (MF) .............................................. 121 2.1.4 Jugendverband ['solid] .................................................. 122 2.1.5 PDS Landesverband Bayern und seine Organisationseinheiten .................................................. 123 2.1.6 Teilnahme an Wahlen .................................................... 125 2.1.7 Kommunistischer Internationalismus ............................. 126 2.1.8 Zusammenarbeit mit anderen Linksextremisten ............. 126 2.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ......................... 127 2.2.1 Ideologische Ausrichtung .............................................. 128 2.2.2 Organisation ................................................................. 129 2.2.3 Teilnahme an Wahlen .................................................... 130 2.2.4 Internationale Verbindungen ......................................... 131 2.2.5 Umfeld der DKP ............................................................ 132 2.2.5.1 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) ........... 132 2.2.5.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) ............... 133 Inhaltsverzeichnis 7 2.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) ..... 135 2.4 Linksruck-Netzwerk (Sozialistische Arbeitergruppe - SAG) 137 2.5 Bündnis München gegen Krieg ..................................... 138 2.6 Sonstige orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten ................................................. 140 3. Gewaltorientierte Linksextremisten ............................... 140 3.1 Autonome Gruppen ...................................................... 140 3.1.1 Überblick ...................................................................... 141 3.1.2 Ideologische Ausrichtung und Aktionsformen ............... 141 3.1.3 Strukturen .................................................................... 142 3.1.4 Informationelle Vernetzung ........................................... 143 3.1.5 Autonome Publikationen .............................................. 144 3.1.6 Schwerpunktthemen und Aktionen .............................. 145 3.1.6.1 Strategiedebatte - Fortsetzung der Gewaltdiskussion .... 145 3.1.6.2 Antifaschismus .............................................................. 147 3.1.6.3 Anti-Globalisierungs-Proteste ....................................... 149 3.1.6.4 Antiimperialismus ......................................................... 150 3.1.6.5 Sozialabbau .................................................................. 151 3.1.6.6 Weitere Aktionen ......................................................... 153 3.1.6.7 Einflussnahme auf die Antikernkraftbewegung .............. 154 3.2 Gewalttaten in Bayern ................................................... 154 3.3 Rechtliche Aufarbeitung der Strukturen der RAF und anderer ehemaliger Terrorgruppen ......................... 155 4. Übersicht über erwähnenswerte linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse ................... 157 5. Abschnitt Extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern 1. Allgemeines ................................................................ 159 1.1 Merkmale des Ausländerextremismus .......................... 159 1.2 Entwicklung der Organisationen .................................. 159 1.3 Integrationsfeindlichkeit des islamischen Extremismus ... 161 1.4 Gewalttaten ................................................................ 163 2. Islamisch-fundamentalistisch orientierter Terror ............. 164 2.1 Überblick ..................................................................... 164 2.2 Islamistisch motivierte Terroranschläge ......................... 165 2.3 Terrorismus im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg ....... 170 8 Inhaltsverzeichnis 2.4 Erklärungen islamistischer Gruppierungen .................... 171 2.5 Exekutivmaßnahmen und Gerichtsverfahren ................. 174 2.6 Ausblick ...................................................................... 178 3. Islamisch-fundamentalistische Gruppierungen .............. 178 3.1 Die internationale islamische Front - Al-Qaida .............. 178 3.2 Muslimbruderschaft (MB) ............................................. 181 3.2.1 Ägyptischer Zweig der MB ........................................... 183 3.2.1.1 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) ....... 183 3.2.1.2 Al-Gamaa al-Islamiya (GI) ............................................. 185 3.2.1.3 Djihad Islami (JI) ........................................................... 186 3.2.2 Palästinensischer Zweig der MB - Repräsentanten der Islamischen Widerstandsbewegung (HAMAS) in Deutschland Islamischer Bund Palästina (IBP) - Al-Aqsa e.V. .............. 186 3.2.3 Algerischer Zweig der MB ............................................ 188 3.2.3.1 Islamische Heilsfront (FIS) ............................................. 188 3.2.3.2 Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA) / Salafiyya-Gruppe für die Mission und den Kampf (GSPC) ........................ 189 3.2.4 Tunesischer Zweig der MB - En Nahda ......................... 190 3.3 Hizb ut-Tahrir .............................................................. 191 3.4 Ansar al-Islam ............................................................. 193 3.5 Tablighi Jamaat ........................................................... 196 3.6 Al-Tauhid .................................................................... 198 3.7 Hizb Allah (Partei Gottes) .............................................. 199 3.8 Islamisch-Irakische Gemeinschaft Deutschland e.V. (IIGD) Hizb al-Dawa al-Islamiya (Dawa) ................................... 200 3.9 Hezb-i Islami (HIA) ....................................................... 201 3.10 Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB) ................... 202 3.11 Türkische islamisch-fundamentalistische Gruppierungen .. 203 3.11.1 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) .......... 203 3.11.2 Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) ................................... 210 3.11.3 Front der islamischen Kämpfer des Großen Ostens (IBDA-C) 213 4. Sonstige ausländerextremistische Gruppierungen ......... 214 4.1 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL), ehemals Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) bzw. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) .............. 214 4.1.1 Ideologie ..................................................................... 217 4.1.2 Organisation ................................................................ 218 4.1.3 Strategie ...................................................................... 220 4.1.4 Aktivitäten ................................................................... 221 4.1.5 Festnahmen und Gerichtsverfahren .............................. 225 Inhaltsverzeichnis 9 4.2 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) ................................ 227 4.3 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) ...................................................................... 230 4.4 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) mit dem militärischen Arm FESK ....................... 232 4.5 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V. (ADÜTDF) .............................................. 234 4.6 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) / Volksmudjahidin Iran (MEK) ................................................................... 235 5. Übersicht über erwähnenswerte extremistische Organisationen von Ausländern sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse ..................................... 238 6. Abschnitt Scientology-Organisation (SO) 1. Zur Geschichte der SO ................................................ 243 2. Ideologie und Aktivitäten ............................................ 244 2.1 Schriften der SO .......................................................... 245 2.2 Errichtung einer scientologischen Gesellschaft .............. 246 2.2.1 Lenkung der Regierung durch Scientology ................... 246 2.2.2 Einführung eines scientologischen Rechtssystems ......... 247 2.2.3 Bekämpfung von Kritik an Lehre und Praxis - aggressive Expansionstechnik ....................................................... 247 2.3 Aktivitäten der SO ....................................................... 247 2.3.1 Angriffe auf Repräsentanten des Staates ..................... 247 2.3.2 Techniken der Verhaltenskontrolle und -steuerung ....... 248 2.3.3 Ausforschung und Bekämpfung von Kritikern .............. 248 2.3.4 Scientology Zeitschrift "free MIND magazin" ................ 249 2.3.5 Aktivitäten im Ausland ................................................ 250 2.4 Bewertung der Schriften und Aktivitäten ..................... 251 3. Organisationsund Kommandostruktur der SO ............ 252 3.1 Weltweite Kommandostruktur der SO ......................... 252 3.2 Organisation der SO in Deutschland ............................ 254 3.2.1 "Church"-Sektor .......................................................... 254 3.2.2 WISE-Sektor ................................................................ 255 3.2.3 ABLE-Sektor ................................................................. 256 3.2.4 Besonders aktive Tarnorganisationen der SO ................. 256 3.2.4.1 NARCONON ................................................................ 256 10 Inhaltsverzeichnis 3.2.4.2 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) ....................................... 257 3.2.5 Office of Special Affairs (OSA) ..................................... 258 4. Mitglieder der SO ........................................................ 259 5. Veranstaltungen und sonstige Aktivitäten der SO ......... 260 6. Verwaltungsgerichtsverfahren ...................................... 261 7. Vertrauliches Telefon und Informationsangebot im Internet .................................................................. 263 7. Abschnitt Spionageabwehr 1. Ausgangslage .............................................................. 264 2. Wirtschaftsspionage - Ausforschung von Wissenschaft und Technik ........................................... 265 3. Spionage im Bereich der Kommunikationstechnik ........ 266 4. Proliferation ................................................................ 267 5. Schutzmaßnahmen - Beratung durch den Verfassungsschutz ....................................................... 268 6. Ausblick ...................................................................... 269 8. Abschnitt Organisierte Kriminalität 1. Ausgangslage .............................................................. 270 2. EU-Osterweiterung ..................................................... 270 3. Beobachtungsschwerpunkte ........................................ 271 3.1 GUS-Mafia .................................................................. 272 3.2 Südosteuropa-Mafia .................................................... 273 3.3 Rockerkriminalität in Bayern ........................................ 275 3.4 Asiatische Organisierte Kriminalität .............................. 276 3.4.1 Schleusungsdelikte ....................................................... 277 3.4.2 Betäubungsmittelhandel .............................................. 277 Anhang Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) ....................... 279 Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz (PKGG) ................ 289 Sachwortregister .................................................................... 291 Verfassungsschutz in Bayern 11 1. Abschnitt Verfassungsschutz in Bayern Die Bundesrepublik Deutschland ist nach ihrer Verfassung eine wertWehrhafte gebundene, wachsame und wehrhafte Demokratie. Der Staat kann Demokratie gegen Bestrebungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuschaffen, die in der Verfassung vorgesehenen Abwehrmittel einsetzen, z.B. durch ein Parteioder Vereinsverbot. Dies setzt voraus, dass er solche Bestrebungen oder Aktivitäten, die als "extremistisch" oder als "verfassungsfeindlich" bezeichnet werden - diese Begriffe sind gleichbedeutend -, rechtzeitig erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Verfassungsschutzes ein. Er dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie dem Schutz des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist unter Freiheitliche der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine Ordnung zu demokratische verstehen, die unter Ausschluss jeglicher Gewaltund WillkürherrGrundordnung schaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören mindestens: - die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, - die Volkssouveränität, - die Gewaltenteilung, - die Verantwortlichkeit der Regierung, - die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, - die Unabhängigkeit der Gerichte, - das Mehrparteienprinzip, - die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. 12 Verfassungsschutz in Bayern 1. Gesetzliche Grundlagen Rechtliche Die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sind gesetzGrundlagen lich genau festgelegt. Das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz beschreibt die von Bund und Ländern auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben. Es ist zugleich Rechtsgrundlage für die Arbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz. Neben diesem Bundesgesetz bestehen in allen Ländern eigene Verfassungsschutzgesetze. In Bayern regelt das im Anhang abgedruckte Bayerische Verfassungsschutzgesetz die Aufgaben und Befugnisse des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz, das seinen Sitz in München hat und dem Bayerischen Staatsministerium des Innern unmittelbar nachgeordnet ist. Für das Landesamt wurden im Haushaltsplan 2004 insgesamt 448 Stellen für Beamte, Angestellte und Arbeiter ausgewiesen; das Haushaltsvolumen 2004 betrug 24,2 Millionen Euro. 2. Aufgaben des Verfassungsschutzes BeobachtungsNach dem Bayerischen Verfassungsschutzgesetz hat das Landesamt für auftrag Verfassungsschutz im Wesentlichen den Auftrag der Beobachtung von - Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, - sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht (Sabotage und Spionage), - Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, - Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), gerichtet sind und - Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität. Darüber hinaus wirkt das Landesamt für Verfassungsschutz u.a. bei Sicherheitsüberprüfungen aus Gründen des Geheimschutzes und des Sabotageschutzes mit. Rechtsgrundlage hierfür ist das Bayerische Verfassungsschutz in Bayern 13 Sicherheitsüberprüfungsgesetz. Es ist fernerhin beteiligt bei der Überprüfung von Mitarbeitern in Flughäfen und Kernkraftwerken nach dem Luftverkehrsgesetz bzw. Atomgesetz sowie bei einbürgerungsund ausländerrechtlichen Entscheidungen. Im Mittelpunkt der Beobachtung stehen Aktivitäten von extremistischen Organisationen. Dazu müssen zwangsläufig auch die Mitglieder und Unterstützer erfasst werden. Aber auch die Beobachtung von Einzelpersonen ist zulässig. Der Verfassungsschutz beobachtet verfassungsfeindliche Bestrebungen im Inland. Er informiert die politisch Verantwortlichen und die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der Beobachtung, vor allem über mögliche Gefahren. Er versetzt die zuständigen staatlichen Stellen des Bundes und der Länder in die Lage, verfassungsfeindlichen Kräften rechtzeitig und angemessen zu begegnen. Im Gegensatz zum Verfassungsschutz beschafft der BundesnachrichAbgrenzung zu tendienst (BND) Informationen über das Ausland, die für die BundesBND und MAD republik Deutschland außenund sicherheitspolitisch von Interesse sind. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) nimmt Verfassungsschutzaufgaben im Bereich der Bundeswehr wahr. 3. Informationsbeschaffung Zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags ist der Verfassungsschutz verpflichtet, Informationen zu beschaffen, auszuwerten und zu speichern. Diese Nachrichten werden zum weit überwiegenden Teil aus offenen Quellen gewonnen (z.B. aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Programmen, Broschüren und sonstigem Material extremistischer Organisationen sowie bei deren öffentlichen Veranstaltungen). Einen Teil der Informationen erhält der Verfassungsschutz durch Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel. Zu diesen Mitteln gehöNachrichtenren im Wesentlichen: dienstliche Mittel - der Einsatz von verdeckt arbeitenden V-Leuten ("V" steht für "Vertrauen") in extremistischen Organisationen, - das Beobachten verdächtiger Personen (Observation) sowie - verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (Öffnen von Briefund Briefen, Abhören von Telefongesprächen) sind besonders strengen Telefonkontrolle 14 Verfassungsschutz in Bayern rechtsstaatlichen Anforderungen unterworfen. Sie sind in einem eigenen Gesetz geregelt, das nach dem Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses "Artikel 10-Gesetz" (G 10) genannt wird. Ein Verfahren mit mehreren voneinander unabhängigen Kontrollinstanzen stellt sicher, dass in dieses Grundrecht nur eingegriffen wird, wenn die im Gesetz genannten besonderen Gründe vorliegen. Ähnliches gilt für die seit Beginn des Jahres 2003 eingeführten Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern, Fluggesellschaften und Kreditinstituten sowie für die Verwendung des so genannten IMSI-Catchers zur Feststellung unbekannter Mobiltelefonnummern. Rechtsstaatliche Sicherungen gelten auch für den Einsatz besonderer technischer Mittel im Schutzbereich des Art. 13 des Grundgesetzes, also für den Einsatz von Abhörgeräten oder versteckten Kameras in Wohnungen und Büros. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 zu entsprechenden Maßnahmen nach der Strafprozessordnung erfordert in Teilbereichen auch eine Anpassung der bisherigen Rechtslage. Keine polizeiDem Verfassungsschutz stehen keine polizeilichen Befugnisse zu. lichen Befugnisse Polizeibehörden und Verfassungsschutz sind voneinander getrennt. Deshalb dürfen die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes keinerlei Zwangsmaßnahmen, wie z.B. Festnahmen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen usw., durchführen. Verfassungsschutzbehörden dürfen auch keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden. Dies steht aber einer informationellen Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung nicht entgegen. Im Gegenteil sind diese unabdingbare Voraussetzungen für eine effiziente Arbeit der Sicherheitsbehörden. Erscheint aufgrund der dem Verfassungsschutz vorliegenden Informationen ein sicherheitsrechtliches Eingreifen erforderlich, so wird die zuständige Sicherheitsbehörde unterrichtet. Diese entscheidet dann selbständig, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. 4. Kontrolle Vielfältige Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden unterliegt einer vielfälKontrollen tigen Kontrolle. Dazu gehört die allgemeine parlamentarische Kontrolle, die durch die Berichtspflicht des verantwortlichen Ministers gegenüber dem Landtag im Rahmen von aktuellen Stunden, Anfragen von Abgeordneten, Petitionen usw. ausgeübt wird. Eine besondere Kommission des Bayerischen Landtags, das Parlamentarische Verfassungsschutz in Bayern 15 Kontrollgremium, überwacht die Arbeit des Verfassungsschutzes. Die G 10-Kommission überprüft die Maßnahmen zur Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs - deren Zahl im Jahr 2004 wie schon in der Vergangenheit im unteren zweistelligen Bereich lag -, die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Auskunftsverpflichtungen von Postund Telekommunikationsdienstleistern, Fluggesellschaften und Kreditinstituten sowie des Einsatzes des so genannten IMSI-Catchers. Die Verwaltungskontrolle obliegt dem Innenminister im Rahmen der Dienstund Fachaufsicht, ferner dem Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz und dem Bayerischen Obersten Rechnungshof. Diese Kontrollen werden ergänzt durch eine mögliche gerichtliche Nachprüfung belastender Einzelmaßnahmen sowie durch die Öffentlichkeit in Form von Presse, Funk und Fernsehen. 5. Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann auf Dauer nicht ohne die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus gesichert werden. Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes gewährleistet, dass Regierung und Parlament, aber auch die Bürger über Aktivitäten und Absichten verfassungsfeindlicher Organisationen inforAufklärungsmiert werden. tätigkeit Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes werden der Verfassungsschutzbericht sowie weitere Informationsmaterialien zur Verfügung gestellt. Das Informationsmaterial erhalten Sie kostenlos beim Bayerischen Staatsministerium des Innern - Sachgebiet Verfassungsschutz -, Odeonsplatz 3, 80539 München (Telefax: 0 89 / 2 19 21 28 42). Die meisten Materialien, insbesondere der jährliche Verfassungsschutzbericht und auch Informationen zur Scientology-Organisation, sind zusätzlich im Internet unter folgender InternetAdresse abrufbar: Angebote http://www.innenministerium.bayern.de/sicherheit/verfassungsschutz Das Internet-Angebot des Bayerischen Staatsministeriums des Innern wird durch die unter der Adresse http://www.verfassungsschutz.bayern.de erreichbare Homepage des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz ergänzt. 16 Verfassungsschutz in Bayern 6. Infound Beratungstelefone Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ist telefonisch rund um die Uhr unter der Nummer 0 89 / 31 20 10 erreichbar. Kontakttelefone Speziell für Hinweise zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist dort unter der Nummer 0 89 / 31 20 14 80 ein Kontakttelefon eingerichtet. Im Rahmen der von Bund und Ländern erarbeiteten Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten besteht ein Beratungsund Hinweistelefon. Das Telefon, das ebenso der Aufklärung rechtsextremistischer Aktivitäten in Bayern dienen soll, ist für Bürger und aussteigewillige Extremisten - nicht nur Rechtsextremisten - unter der Nummer 0 18 02 00 07 86 zu erreichen. Für Opfer und Aussteiger der Scientology-Organisation (SO) sowie für Angehörige von SO-Mitgliedern unterhält das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ein "vertrauliches Telefon". Das Amt nimmt Informationen und Hinweise unter der Nummer 0 89 / 31 20 12 96 entgegen. Entwicklung des politischen Extremismus 17 2. Abschnitt Entwicklung des politischen Extremismus im Jahr 2004 1. Rechtsextremismus Die rechtsextremistischen Parteien konnten den Abwärtstrend der letzten Jahre durch einzelne zum Teil erhebliche Wahlerfolge stoppen. Ihre finanzielle Situation verbesserte sich damit. Die Mitgliederzahlen blieben weitgehend konstant. Interne Differenzen bestehen trotz erfolgreicher Bündnisbemühungen fort. Rechtsextremisten sind weiterhin bestrebt, aktuelle politische TheSchwerpunkte men propagandistisch zu nutzen. Insbesondere intensivierten sie ihre rechtsextremisAgitation gegen eine Reform des Sozialsystems. Wie die Wahlergebtischer Agitation nisse besonders in Ostdeutschland zeigen, gelang es ihnen, durch Verknüpfung nationalistischer, antisemitischer und sozialdemagogischer Thesen die in der Bevölkerung vorhandenen Sorgen und Verunsicherungen für ihre extremistischen Ziele zu instrumentalisieren. Die Anschläge vom 11. März in Madrid veranlassten Rechtsextremisten zu sowohl fremdenfeindlicher als auch "antiimperialistischer" Propaganda, die sich gegen die USA und die deutsche Westorientierung richtete. Die Nahost-Problematik wurde von ihnen im Sinn ihres rassistisch motivierten Antisemitismus kommentiert. Darüber hinaus dienten ihnen die Zuwanderung von Ausländern sowie die Osterweiterung der Europäischen Union (EU) zur Schürung von Ängsten vor sozialen Veränderungen und zunehmender Kriminalität; verschwörungstheoretisch wurde Deutschland als Opfer außereuropäischer "Kapitalbesitzer" dargestellt. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) erzielte bereits Wahlerfolge bei der Europawahl im Juni, bei der sie ihren Stimmenanteil von 1999 der NPD mehr als verdoppeln konnte, einen ersten Achtungserfolg. Bei der Landtagswahl im Saarland Anfang September scheiterte sie nur knapp an der 5 %-Hürde. Dagegen gelang ihr zwei Wochen später bei der Landtagswahl in Sachsen erstmals seit 1968 wieder der Einzug in ein Landesparlament. Zuvor hatten die Parteivorsitzenden der NPD und der Deutschen Volksunion (DVU) den Verzicht auf konkurrierende 18 Entwicklung des politischen Extremismus Kandidaturen bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg vereinbart. Der NPD-Vorsitzende Udo Voigt erweiterte auf dem Bundesparteitag das strategische Drei-Säulen-Konzept der NPD, "Kampf um die Straße", "Kampf um die Köpfe" und "Kampf um die Parlamente" um eine vierte Komponente, nämlich den "Kampf um den organisierten Willen". In diesem Zusammenhang strebt die Partei die Schaffung einer "Volksfront von rechts" an. Die DVU nahm wegen mangelnder Erfolgsaussichten weder an der Europawahl noch an der gleichzeitigen Landtagswahl in Thüringen Erfolgreiche teil. Sie konzentrierte sich stattdessen auf die Landtagswahl in BranWahlteilnahme denburg. Dort konnte sie ihr Ergebnis von 1999 nochmals verbessern der DVU in und sich mit 6,1 % der Wählerstimmen den Wiedereinzug ins ParlaBrandenburg ment sichern. Die DVU ist zwar die finanzstärkste rechtsextremistische Partei, aber nach wie vor zu einer sachorientierten politischen Arbeit nicht fähig. Die Wahlabsprache mit der NPD vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg zeigt, dass beide Parteien im Interesse einer erfolgreichen Wahlteilnahme zur partiellen Kooperation bereit sind. Die Partei "Die Republikaner" (REP) war bei der Wahl zum Europäischen Parlament und der zeitgleichen Landtagswahl in Thüringen jeweils stärkste Kraft des rechtsextremistischen Spektrums. Sie erreichte Stimmenanteile von 1,9 % bzw. 2,0 %. An den Landtagswahlen in Sachsen und in Brandenburg nahm die Partei nicht teil. Die Serie interner Differenzen setzte sich 2004 fort. Die seit 1993 bestehende "Deutsche Partei - Die Freiheitlichen" (DP), die bislang bei Wahlen nur marginale Ergebnisse erzielte, hat sich zu einem Sammelbecken für Rechtsextremisten entwickelt. Sie möchte das "nationale" Lager einigen und engagiert sich in Bündnissen, vor allem auf kommunaler Ebene. Anklage des GBA Der Generalbundesanwalt hat inzwischen gegen insgesamt neun gegen Neonazis Aktivisten der Münchner Kameradschaft Süd wegen Unterstützung und Mitgliedschaft bzw. Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung Anklage erhoben. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, einen Sprengstoffanschlag auf die am 9. November 2003 in München erfolgte Grundsteinlegung für das Jüdische Kulturzentrum geplant zu haben. Seit dem 6. Oktober 2004 haben sich die Angeklagten vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht in zwei Prozessen zu verantworten. Entwicklung des politischen Extremismus 19 Neonazis und rechtsextremistische Skinheads haben ihre Zusammenarbeit intensiviert. Dabei dominieren die dezidiert neonazistischen Positionen gegenüber den eher diffusen rechtsextremistischen Orientierungen von Skinheads. Dies galt vor allem für die Fränkische Aktionsfront (F.A.F.), die durch zahlreiche politische Aktivitäten in Erscheinung trat und am 22. Januar 2004 vom Bayerischen Staatsministerium Verbot der F.A.F. des Innern verboten wurde. Die Zahl neonazistisch orientierter Personen blieb mit 300 ebenso konstant wie die Zahl der dem Spektrum rechtsextremistischer Skinheads zuzurechnenden rund 800 Personen. Somit gibt es derzeit in Bayern rund 1.100 gewaltbereite Rechtsextremisten. Die Zahl der Skinhead-Konzerte sank auf 15 Veranstaltungen (2003: Anzahl der Skin18). Desgleichen verringerte sich die Zahl der von Neonazis und Skinhead-Konzerte heads verübten Gewalttaten auf 42 (2003: 47). Die dabei demonstund Gewalttaten rierte Brutalität und Menschenverachtung änderten sich jedoch nicht. leicht rückläufig Die Anzahl sonstiger Straftaten, insbesondere der Propagandadelikte, ist dagegen in Bayern deutlich gestiegen. Das im Februar 2001 vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz eingerichtete Hinweistelefon (0 18 02 00 07 86) wurde seither Hinweistelefon von etwa 250 Personen genutzt. Meist handelte es sich bei den Anrufern um Bürger, die Hinweise auf rechtsextremistische Bestrebungen gaben. In einigen Fällen bekundeten Rechtsextremisten ihren Willen zum Ausstieg. Darüber hinaus hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz insgesamt über 90 Personen angesprochen, von denen 35 inzwischen ausgestiegen sind und zehn als potenzielle Aussteiger bezeichnet werden können. 2. Linksextremismus Der gewaltbereite Linksextremismus stellt nach wie vor ebenfalls eine Gefahr für die Innere Sicherheit dar und verdient - wie dies u.a die Auseinandersetzungen um die jährlich stattfindende Sicherheitskonferenz in München zeigen - auch in Bayern Beachtung. Das linksextremistische Gewaltpotenzial wird zu 80 % von Gruppen und Einzeltätern aus dem autonomen und anarchistischen Spektrum gestellt. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Gewalttaten in Anstieg der Bayern erhöhte sich von 16 im Jahr 2003 auf 27. Im Rahmen des Gewalttaten "Antifa-Kampfs" richteten sich diese Gewalttaten in Bayern zum großen Teil gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Das eigentliche Angriffsziel der Autonomen sind jedoch der demo- 20 Entwicklung des politischen Extremismus kratische Staat und seine Repräsentanten. Dass das grundsätzlich auch für Extremisten jeglicher Couleur geltende Versammlungsrecht verfassungsrechtlich gesichert ist und garantiert werden muss, wird Aktionsfelder der nicht akzeptiert. Die Thematik "Anti-Globalisierung" stellt weiterhin Autonomen ein wichtiges Aktionsfeld der Autonomen dar. Auch nach dem offiziellen Ende des Irak-Kriegs der USA ist der "Antiimperialismus" für die autonome Szene von großer Bedeutung. Infolge der Diskussionen um die Kürzung von sozialen Leistungen und entsprechender Gesetzesvorhaben wird auch das Thema "Sozialabbau" wieder vermehrt von Angehörigen dieses Spektrums aufgegriffen. Dabei hat die früher kaum wahrnehmbare Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) eine organisatorische Führungsrolle übernommen. Gründung der Am 8. und 9. Mai wurde in Rom die "Partei der Europäischen Linken" Partei der Euro(EL) gegründet. Die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) war päischen Linken daran maßgeblich beteiligt und ist in deren Vorstand mit zwei Funktionären vertreten. Auf ihrem Parteitag in Berlin Ende Januar stellte die PDS die Kandidatenliste für die Europawahl auf und verabschiedete ein Europawahlprogramm. Im Oktober beschloss sie eine politische Leitlinie bis zur Bundestagswahl 2006 und sprach sich gegen die Ratifizierung der Wahlerfolge Europäischen Verfassung aus. Erfolge konnte die PDS bei der Europader PDS wahl sowie den Landtagsund Kommunalwahlen in den neuen Bundesländern verzeichnen. Sie entsendet jetzt sieben statt bisher sechs Abgeordnete in das Europäische Parlament. In den Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg wurde sie bei den Landtagswahlen zweitstärkste Fraktion. Die PDS ist derzeit in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern an Länderregierungen beteiligt, bleibt aber in den alten Bundesländern bedeutungslos. 3. Ausländerextremismus Bedrohung durch Der islamische Extremismus, insbesondere die arabischen Mudjahidin islamistische mit der Organisation al-Qaida und andere Terrornetzwerke, stellen Netzwerke weiterhin die größte Bedrohung der Inneren Sicherheit dar. Trotz der Festnahme oder des Todes einiger hochrangiger al-Qaida-Funktionäre sind die islamistischen Terrornetzwerke nach wie vor handlungsund aktionsfähig. Die Sprengstoffanschläge am 11. März in Madrid mit 191 Todesopfern und über 1.500 verletzten Personen zeigen, dass auch in Europa mit schwersten Terroranschlägen islamischer Entwicklung des politischen Extremismus 21 Extremisten gerechnet werden muss. Primär gefährdet sind wie bisUnveränderte her US-Einrichtungen sowie israelische und jüdische Einrichtungen Gefährdungslage auch in Deutschland. Ebenso können öffentlichkeitswirksame und symbolträchtige Anschläge auf andere Einrichtungen in Deutschland nicht ausgeschlossen werden. Gleiches gilt für deutsche Präsenz im Ausland in den entsprechenden Regionen. Die in Deutschland durchgeführten Exekutivmaßnahmen und Gerichtsverfahren sowie die Festnahmen von drei Anhängern der Ansar al-Islam in Augsburg, Stuttgart und Berlin, die einen Anschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten Dr. Ijad Allawi während seines Deutschlandbesuchs geplant haben sollen, zeigen, dass auch Deutschland Aktionsraum islamistisch-terroristischer Netzwerke ist und dass hier ebenfalls Unterstützer zu suchen und zu finden sind. Ebenso können sich Separatismusbestrebungen und militärische Aktionen von Aufständischen in Regionen mit überwiegend muslimischem Bevölkerungsanteil (z.B. Irak, Tschetschenien) der weltweiten Unterstützung islamistischer Fundamentalisten und Terroristen sicher sein, die diese Bestrebungen für ihre Zwecke zu nutzen trachten. Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) ist als mitgliederMitgliederstärkste stärkste islamistische Organisation in Deutschland nach wie vor von Dachorganisation besonderer Bedeutung. Sie bietet fundamentalistischen Islam-Gläubiislamischer gen eine politische und religiöse Heimat, ist aber gleichzeitig bemüht, Fundamentalisten ihre Kontakte zu der türkischen Regierungspartei AKP zu verbessern. Sie versucht, die Verbindungen zur türkisch-islamistischen Saadet Partisi (SP) in der Öffentlichkeit herunterzuspielen, ohne dabei aber einen Bruch mit dem Führer der Milli Görüs-Bewegung und Vorsitzenden der SP, Prof. Necmettin Erbakan, zu provozieren. Die IGMG-Führungsspitze in Deutschland versucht mit dieser Politik, die fundamentalistischen Anhänger der Milli Görüs-Bewegung zu halten und gleichzeitig den Anschein einer gemäßigten, weltoffenen und auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Organisation zu erwecken. Dass dieser Schein trügen dürfte, Kluft zwischen zeigt das Ergebnis einer Durchsuchung der IGMG-Gebietszentrale öffentlichen Südbayern am 30. September. Hierbei wurden u.a. Bücher sicherErklärungen und gestellt, aus denen Antisemitismus, die Gegnerschaft zu Christen und Wirklichkeit die Ablehnung der Demokratie und des Westens deutlich werden. Mit einem breiten Angebot in der Jugendund Sozialarbeit versucht die IGMG, junge Türken in Deutschland an die Organisation zu binden. Als Teil dieses Gesamtbildungskonzepts führte die IGMG wie bereits in den Vorjahren Sommerkorankurse durch. Die Ausbildungs- 22 Entwicklung des politischen Extremismus bemühungen der IGMG schließen auch die Errichtung eigener Kindergärten ein. Abschiebung Am 12. Oktober wurde der frühere Vorsitzende des "Kalifatsstaats" Kaplans Metin Kaplan festgenommen und in die Türkei abgeschoben. Sowohl die seit dem Verbot des Vereins im Dezember 2001 mehrfach (teilweise bundesweit) durchgeführten Exekutivmaßnahmen gegen Anhänger des ehemaligen "Kalifatsstaats" als auch die Abschiebung des früheren "Kalifen" Metin Kaplan in die Türkei dürften zu einer Schwächung der Organisation und Verunsicherung der Anhänger geführt haben. Im April hat eine weitere Durchsuchung von insgesamt 32 Wohnungen und Gebetshäusern in mehreren Bundesländern, darunter auch in Bayern, gezeigt, dass der verbotene "Kalifatsstaat" in Belgien und in den Niederlanden, wo der Verband nicht verboten ist, ein Vertriebsnetz von Propagandamaterial und Lebensmitteln aufgebaut hat. Der europaweite Verkauf dient u.a. der Finanzierung der Nachfolgeaktivitäten in Deutschland. Der Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL), ehemals Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) bzw. Arbeiterpartei KurdisGewaltverzicht des tans (PKK), hat in Deutschland bisher an seinem Gewaltverzicht festKONGRA GEL in gehalten. Insbesondere erneute Drohungen mit Gewalt und die VerDeutschland wicklung der HPG-Guerillaeinheiten in Kämpfe mit türkischen Sicherheitskräften geben Anlass zur Sorge. Die Organisationsstruktur und Mobilisierungsfähigkeit des KONGRA GEL zu Großveranstaltungen mit mehreren zehntausend Anhängern sind nach wie vor intakt. Die in Deutschland aktiven türkischen linksextremistischen Gruppierungen agitierten gegen die angeblich imperialistische Zielrichtung Proteste gegen der NATO und insbesondere gegen das NATO-Gipfeltreffen vom die NATO 28. bis 29. Juni in der Türkei. Dort war diese Tagung von mehreren Sprengstoffanschlägen überschattet, die türkischen linksextremistischen Gruppierungen zuzurechnen sind. 4. Scientology-Organisation Die Scientology-Organisation (SO) hat nach wie vor das Ziel, eine weltweite scientologische Gesellschaft nach eigenen, die GrundprinMissachtung der zipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie GewalGrundprinzipien tenteilung, Rechtsstaatsprinzip und Demokratieprinzip missachtenunserer Verfassung den Regeln zu schaffen und zu regieren. Ihr höchstes Ziel, die Weltherrschaft, steht im krassen Widerspruch zu ihren ständigen Beteue- Entwicklung des politischen Extremismus 23 rungen, der Menschheit die völlige Freiheit zu bringen, weil die Verwirklichung ihres Herrschaftsprinzips tatsächlich zu einer massiven Beeinträchtigung der Menschenrechte führen würde. Bis zur Erreichung ihres Ziels steht die SO im Grunde mit allen anti-scientologischen Menschen, Gesellschaftsgruppen und Staaten im ständigen Konflikt. Vor diesem Hintergrund wurden auch 2004 Propagandamaßnahmen durchgeführt, mit denen die SO die Aufklärungsund Abwehrmaßnahmen des Staates diffamiert. Dabei ist die SO nach wie vor bestrebt, die Beobachtung durch den PropagandaVerfassungsschutz mit der Verfolgung der Juden im Dritten Reich aktivitäten der SO gleichzusetzen. Sie führt weiterhin Veranstaltungen wie Info-Stände, Ausstellungen und andere propagandistische Aktionen durch, um die Öffentlichkeit über ihre wahren verfassungsfeindlichen Absichten zu täuschen und um neue Mitglieder zu werben. Ein Schwerpunkt der Expansionsstrategie der SO ist ihr Bestreben, in ihrem angeblichen Kampf gegen die Bildungsmisere und den Analphabetismus die Studiertechnologie Hubbards in der Gesellschaft zu etablieren. Ihr Bemühen, über die Studiertechnologie, die beispielsweise über Nachhilfegruppen verbreitet werden soll, zunächst unerkannt die Lehren Hubbards zu verbreiten, um letztendlich neue Mitglieder zu rekrutieren, war bisher jedoch wenig erfolgreich. 24 Entwicklung des politischen Extremismus 5. Grafische Darstellungen Entwicklung der MitgliederRechtsextremisten Linksextremisten zahlen extremisAusländische Extremisten tischer OrganiScientology-Organisation Deutschland Mitglieder sationen in 80.000 Deutschland 60.000 55.500 57.520 40.000 46.300 40.700 35.000 30.800* 20.000 Deutschland 10.000 9.500 5.500** 0 1995 96 97 98 99 2000 01 02 03 04 * Die Kurve beruht auf Zahlen des Bundesamts für Verfassungsschutz, das von den Mitgliedern der PDS nur die der Kommunistischen Plattform (KPF) erfasst. Die PDS hatte im Jahr 2004 insgesamt 65.500 Mitglieder, davon 1.000 in der KPF. ** Scientology-Organisation 1998 erstmals konkret erfasst; Angaben für die Vorjahre geschätzt. Entwicklung der MitgliederRechtsextremisten Linksextremisten zahlen extremisAusländische Extremisten tischer OrganiScientology-Organisation sationen in Mitglieder 12.000 Bayern 9.900 10.000 9.590 8.000 7.585 6.420 6.000 4.000 3.640 3.530 3.000 2.600* 2.000 Bayern 0 1995 96 97 98 99 2000 01 02 03 04 * Scientology-Organisation 1998 erstmals konkret erfasst; Angaben für die Vorjahre geschätzt. Entwicklung des politischen Extremismus 25 Entwicklung 2002 2003* 2004 extremistisch motivierter 1000 Gewalttaten in 900 Deutschland 800 772 759 776 700 600 521 483 500 385 400 300 200 61 88 61 100 0 linksextremistisch rechtsextremistisch Gewalttaten durch motivierte motivierte ausländische Gewalttaten Gewalttaten Extremistenn *Zahlen ohne terroristische Straftaten Entwicklung 2002 2003 2004 extremistisch motivierter 80 Gewalttaten in 70 Bayern 60 51 50 47* 42 40 30 27 21 20 16 9 8*** 10 2** 0 linksextremistisch rechtsextremistisch Gewalttaten durch motivierte motivierte ausländische Gewalttaten Gewalttaten Extremisten * davon zwei terroristische Straftaten ** davon eine terroristische Straftat *** davon fünf terroristische Straftaten 26 Rechtsextremismus 3. Abschnitt Rechtsextremismus 1. Allgemeines 1.1 Merkmale des Rechtsextremismus Ablehnung der Der Rechtsextremismus weist keine gefestigte einheitliche Ideologie Grundlagen der auf. Die Bestrebungen rechtsextremistischer Organisationen in Demokratie Deutschland sind im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass sie die Grundlagen der Demokratie ablehnen und stattdessen - aus taktischen Gründen meist nicht offen erklärt - eine totalitäre Regierungsform unter Einschluss des Führerprinzips anstreben, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren ist. Bestimmende Merkmale des organisierten Rechtsextremismus sind vor allem Kollektivismus - die pauschale Überbewertung der Interessen der "Volksgemeinschaft" zu Lasten der Interessen und Rechte des Einzelnen, die zu einer Aushöhlung der Grundrechte führt (völkischer Kollektivismus), Nationalismus - ein den Gedanken der Völkerverständigung missachtender Nationalismus, Rassismus - die offene oder verdeckte Wiederbelebung rassistischer Thesen, u.a. des Antisemitismus, die mit dem Schutz der Menschenwürde und dem Gleichheitsprinzip nicht vereinbar sind, Relativierung des - immer wiederkehrende Versuche, die nationalsozialistische GewaltNS-Unrechts herrschaft unter Herausstellung angeblich positiver Leistungen des Dritten Reichs zu rechtfertigen, die Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime zu diffamieren und die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu verschweigen, zu verharmlosen oder sogar zu leugnen. Verunglimpfung Hinzu kommt die allen Extremisten gemeinsame planmäßige Verunder Demokratie glimpfung der bestehenden Staatsform und ihrer Repräsentanten. Ziel dieser Angriffe ist es, die eigene Organisation und ihre Repräsentanten als die alleinigen Wahrer der Interessen von Staat und Bürgern darzustellen, was im Ergebnis auf die Ablehnung des Mehrparteien- Rechtsextremismus 27 prinzips und des Rechts auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition hinausläuft. Diese Merkmale sind nicht gleichmäßig bei allen Rechtsextremisten zu beobachten. Manchmal sind nur Teilaspekte bestimmend; auch die Intensität und die Strategie des Kampfs gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind unterschiedlich. Seit einigen Jahren treten in der Propaganda von Rechtsextremisten sozialund wirtschaftspolitische Themen zunehmend in den VorderSozialpolitische grund. Durch Verknüpfung sozialer Problemfelder mit rechtsextremisThemen tischen Theorie-Elementen hoffen Rechtsextremisten, aus den Sorgen der Bevölkerung um die Sicherheit des Arbeitsplatzes, die Finanzierung der Renten und die Folgen der Sozialreformen Kapital schlagen zu können. Teile des rechtsextremistischen Spektrums propagieren einen von dezidiert antikapitalistischen Elementen geprägten "volksbezogenen Sozialismus" mit dem Ziel, in sozialistisch orientierte Wählerschichten einzudringen. Organisierte und unorganisierte Rechtsextremisten sind sich einig in der Ablehnung der Weltmacht USA. Sie fordern die geistige "BefreiAntiamerikanismus ung" von der kulturellen und politischen "Überfremdung" durch die USA und versuchen, die Probleme, die aus dem freien Welthandel und der zunehmenden Globalisierung resultieren, für ihre Propaganda zu nutzen. Daher ist das rechtsextremistische Spektrum bestrebt, mit Aktionen gegen die Globalisierung politischen Einfluss zu gewinnen. Die USA wurden hierbei - insbesondere im Zusammenhang mit ihrem Engagement im Irak - zum Hauptträger des "militärischen Globalisierungs-Imperialismus" erklärt. 1.2 Entwicklung der Organisationen Die Entwicklung der Zahl rechtsextremistischer Organisationen in Bayern und deren jeweilige Mitgliederstärke ist aus den nachfolgenden Übersichten zu ersehen. Bei erkannten Mehrfachmitgliedschaften wurde die Person nur bei einer Organisation mitgezählt. Die Beendigung des Verbotsverfahrens im März 2003 brachte der RechtsextremisNPD und ihrer Jugendorganisation weder bundesweit noch in Bayern tische Parteien den erhofften Anstieg der Mitgliederzahlen. Die mitgliederstärksten rechtsextremistischen Parteien sind im Bundesgebiet wie bisher die DVU, in Bayern die REP. Bei beiden Parteien war bundesweit ein leichter 28 Rechtsextremismus Zahl und Mit2002 2003 2004 gliederstärke rechtsextremisAnzahl der Organisationen 37 39 40 tischer Organisationen in Mitgliederstärken Bayern Die Republikaner (REP) 3.000 2.800 2.800 NPD mit JN und NHB 920 900 900 Deutsche Volksunion (DVU)* 1.400 1.200 1.200 Neonazistische Organisationen 70 120 160 Sonstige Organisationen 280 350 420 ** 5.670 5.370 5.480 Neonazistische Einzelaktivisten 180 180 140 Rechtsextremistische Skinheads 900 800 800 Rechtsextremisten insgesamt 6.750 6.350 6.420 * Die Zahlen umfassen die Mitglieder der Partei und des gleichnamigen Vereins. ** Darin sind erstmals die 70 Mitglieder der Deutschen Partei - Die Freiheitlichen (DP) enthalten. Mitglieder 70.000 60.000 Deutschland 50.000 40.000 46.300 40.700 30.000 20.000 Bayern 10.000 7.585 6.420 0 1995 96 97 98 99 2000 01 02 03 04 Mitgliederrückgang zu verzeichnen, während sie in Bayern ihren Bestand halten konnten. Die Parteivorsitzenden von NPD und DVU vereinbarten am 23. Juni, bei den Landtagswahlen in Sachsen und in Brandenburg nicht gegen- Rechtsextremismus 29 einander anzutreten. Nach den Wahlerfolgen der NPD in Sachsen sowie Wahlabsprachen der DVU in Brandenburg kündigten die Parteivorsitzenden eine Koopezwischen NPD ration bei der Bundestagswahl 2006 und der Europawahl 2009 an. und DVU Die NPD intensivierte zudem ihre bündnispolitische Orientierung zur Neonaziund Skinhead-Szene. So wählten die Delegierten des NPD-BunEinbindung von desparteitags den kurz zuvor in die Partei eingetretenen Neonazi Neonazis in die Thorsten Heise in den Bundesvorstand. In Bayern verfügt die Partei mit NPD dem stellvertretenden Landesvorsitzenden Sascha Roßmüller, einem ehemaligen Aktivisten des 1993 verbotenen neonazistischen Nationalen Blocks (NB), und dem früheren Anführer der verbotenen Fränkischen Aktionsfront (F.A.F.) und jetzigen Beisitzer im NPD-Landesvorstand Matthias Fischer über Verbindungen zu örtlichen Neonazi-Kameradschaften und zur Skinhead-Szene (vgl. auch Nummer 2.1.4 dieses Abschnitts). Ende Oktober vereinbarten die Parteivorsitzenden der REP, der Deutschen Partei - Die Freiheitlichen (DP) und der Deutschen Sozialen Union (DSU) in einer "Frankfurter Erklärung" eine Kooperation für künftige "Frankfurter Wahlen. Der Bundesvorstand der DP widerrief diese Abmachung Erklärung" allerdings am 21. November, da dies zu einer weiteren Spaltung des "patriotischen Parteiengefüges" führe. 1.3 Rechtsextremistische Gewalt Die Zahl rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten in Deutschland (ohne terroristische Straftaten) stieg gegenüber dem Jahr 2003 von Entwicklung Deutschland Bayern rechtsextremis900 772 776 tisch motivierter 800 759* Gewalttaten 700 600 500 400 300 200 100 51 47** 42 0 2002 2003 2004 *ohne terroristische Straftaten **davon zwei terroristische Straftaten 30 Rechtsextremismus 759 auf 776 an. In Bayern ist die Zahl rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten hingegen auf 42 (2003: 47) zurückgegangen. Davon waren 22 Delikte fremdenfeindlich und 18 Delikte allgemein neonazistisch motiviert, darunter elf Angriffe auf politische Gegner. Zwei Gewalttaten lag eine antisemitische Motivation zugrunde. Die Mehrzahl der Gewalttaten geht nach wie vor von Skinheads aus. Anstieg der Die Zahl sonstiger rechtsextremistisch motivierter Straftaten ist in Propagandadelikte Bayern dagegen auf 1.468 gestiegen (2003: 1.307). Bei diesen Straftaten handelt es sich in 335 Fällen um Sachbeschädigung, Nötigung, Bedrohung und Volksverhetzung sowie bei 1.081 Delikten um das Verbreiten von Propagandamitteln bzw. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. 2. Parteien, Organisationen und Verlage 2.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Deutschland Bayern Mitglieder: 5.300 850 Vorsitzender: Udo Voigt Ralf Ollert Gründung: 1964 Sitz: Berlin Publikation: Deutsche Stimme (DS) 2.1.1 Ideologisch-politischer Standort Neonazistische und nationalrevolutionäre Thesen sind fester Bestandteil des ideologischen Spektrums der NPD und haben deren Erscheinungsbild nachhaltig verändert. Die NPD hat sich mittlerweile zu Sammelbecken einem Sammelbecken gewaltbereiter Skinheads und Neonazis entvon Neonazis und wickelt. Die Parteiführung intensivierte die Zusammenarbeit mit den Skinheads "Freien Nationalisten". Das von der Partei vertretene Staatsund Menschenbild steht in krassem Gegensatz zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Für die NPD resultiert die Würde des Einzelnen nicht aus dem freien Willen des Individuums, sondern sie ist von biologisch-genetischer Teilhabe an der "Volksgemeinschaft" abhängig. Mit ihrer Forderung nach Schaffung einer "Volksgemeinschaft" verwendet die NPD einen zentralen Begriff des Nationalsozialismus, der Rechtsextremismus 31 darunter insbesondere eine Schicksalsgemeinschaft verstand, in der Völkischer die Interessen des Einzelnen bedingungslos der Gemeinschaft der Kollektivismus Volksgenossen untergeordnet wurden. "Volksherrschaft setzt die Volksgemeinschaft voraus. (...) Der Staat hat dabei über den Egoismen einzelner Gruppen zu stehen und die Gesamtverantwortung wahrzunehmen." (Parteiprogramm, Abschnitt 3) "Wir wollen eine nationale Volksgemeinschaft und werden nun nicht damit beginnen, einzelne deutsche Landsleute deshalb auszugrenzen, weil die einen bürgerliche Anzüge tragen oder die anderen Argumente der uns feindlich gesonnenen Medien verstärken, indem sie unreflektiert deren 'Glatzenvorwürfe' übernehmen und so wieder einmal jene in zwei Lager teilen wollen, die noch deutsch fühlen." (Deutsche Stimme Nummer 4/2004, Seite 18) "... die nun wiederaufgenommenen Demos können den Stein in Rollen bringen, der auch die BRD auf die Müllhalde der Geschichte schleudert und damit der Wiederherstellung einer solidarischen Volksgemeinschaft den Weg ebnet." (Deutsche Stimme Nummer 9/2004, Seite 1) "Im kapitalistischen Staatswesen der BRD gilt hingegen das Primat der Wirtschaft, mit all den deprimierenden Konsequenzen für das Gemeinwohl. (...) Dagegen hat die Idee der Volksgemeinschaft konstruktive Kräfte freigesetzt. Wäre die Volksgemeinschaft im NS-Staat nicht Realität gewesen, wären die einzigartigen Leistungen der Arbeiterund Bauernsöhne als Soldaten der Deutschen Wehrmacht unmöglich gewesen." (Deutsche Stimme Nummer 11/2004, Seite 21) Eine mit dem Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes unvereinbare, Rassismus und rassistisch und nationalistisch geprägte Fremdenfeindlichkeit ist eleNationalismus mentarer Bestandteil der Parteiideologie vom "lebensrichtigen Menschenbild", das sich insbesondere gegen "Fremdbestimmung" und "Überfremdung" wendet. "Mit ihrer Forderung nach Ausländerintegration geht es den Herrschenden nicht um die Lebensinteressen der Menschen, sondern um die Verschleierung der Überfremdung!" (Deutsche Stimme, Sonderausgabe zur Europawahl, Seite 1) 32 Rechtsextremismus "Die Kartellparteien des Bundestages fordern trotz zunehmender Überfremdung und abnehmender Sicherheit im Lande nicht etwa ein Rückkehrgesetz für Ausländer, sondern absurderweise ein 'Zuwanderungsgesetz'." (Deutsche Stimme Nummer 6/2004, Seite 1) "Nachdem die Türken 1529 und 1683 zur Eroberung Europas antraten und nur mühevoll vor den Mauern Wiens abgewehrt werden konnten, ist in naher Zukunft ein neuer Türkensturm zu erwarten. Diesmal würde Europa - vor allem Deutschland - nicht militärisch überrannt, sondern 'friedlich' von Millionen Zivilokkupanten überflutet." (Deutsche Stimme Nummer 4/2004, Seite 1) FremdenDie Fremdenfeindlichkeit wird dabei auch mit der "Systemfrage" verfeindlichkeit bunden: "Wer aber die Gewalt, die zu einem ganz erheblichen Teil Ausländergewalt ist, in Deutschland ernsthaft bekämpfen will, muß die Systemfrage stellen. Der muß dieses System, das den Deutschen dies alles planvoll eingebrockt hat, überwinden wollen. Denn Gewalt, Kriminalität und Drogen gehören zur multikulturellen Gesellschaft wie die Flöhe zum Hund." (Deutsche Stimme Nummer 3/2004, Seite 4) Antiamerikanismus Als konträr zu ihren völkischen Idealen betrachtet die NPD das Gesellschaftsmodell der als imperialistisch bezeichneten USA, mit der sie nicht einmal die Zustimmung zur Todesstrafe gemeinsam haben will: "Man muß der Bevölkerung klarmachen, daß es bei der Todesstrafe nicht darum geht, nach amerikanischem Vorbild jeden Kleinkriminellen oder Verzweiflungstäter zu vergasen oder wegzuspritzen." (Deutsche Stimme Nummer 1/2004, Seite 10) "Bushs Wahlsieg befeuert weltweit den Amerikahaß - und das ist gut so!" (Deutsche Stimme Nummer 11/2004, Seite 2) Revisionismus Für die NPD gehört Revisionismus nach wie vor zum Bestandteil ihrer Ideologie. Allerdings argumentiert sie dabei zurückhaltender als bisher. "Es muss jedem klar sein, daß die Hauptursache des Ersten wie des Zweiten Weltkrieges die geldpolitische Strategie der USA und Englands bzw. der Hintergrundmächte in diesen beiden Staaten war." (Deutsche Stimme Nummer 2/2004, Seite 20) Die Nähe zum nationalsozialistischen Führerstaat lässt sich beispielhaft an der Position des NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt auf- Rechtsextremismus 33 zeigen, der in einem Interview mit der Zeitschrift "Junge Freiheit" (JF) erklärte: "Zweifellos handelt es sich bei Hitler um einen großen deutschen Staatsmann." (JF vom 23. September) Den politischen Umsturz in Deutschland will Voigt durch "revolutioNationalrevolutionäre Veränderung" erreichen. An anderer Stelle des Interviews spricht näre Bestrebungen er von einer "demokratischen Erhebung". Das "liberal-kapitalistische System der BRD" werde entweder "durch Verfall zur multikulturellen Gesellschaft erodieren", oder das Volk werde ihm "durch revolutionär verändertes Wahlrecht" ein Ende setzen. "Es ist unser Ziel, die BRD ebenso abzuwickeln, wie das Volk vor fünfzehn Jahren die DDR abgewickelt hat. Dies geht offensichtlich auch über die Wahlurne." Der Antisemitismus der NPD wurde häufig mit aggressiver Kritik an Antisemitismus internationalen Organisationen, mit Hasspropaganda gegen die USA oder mit der Agitation gegen die "etablierten Parteien" in Deutschland verbunden. So hieß es unter der Überschrift "Neue Gefährdungen für die Meinungsfreiheit - Antisemitismus-Konferenz der OSZE diente der Kriminalisierung von Israelund Judenkritik": "Im strengbewachten und von Abfangjägern geschützten Berlin fand ... die zweite 'Antisemitismus-Konferenz' der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) statt. Dort wurde versucht, Kritik an der israelischen Politik als eine verdeckte Form des Antisemitismus zu brandmarken. (...) In den Kartellparteien regte sich keinerlei Widerspruch gegen die pro-israelische Propagandaveranstaltung." (Deutsche Stimme Nummer 6/2004, Seite 6) "Sicherlich noch vor Israel sind die USA der weltweit meistgehaßte Staat, dem ganze Völker um ihres eigenen Überlebens willen den Untergang wünschen." (Deutsche Stimme Nummer 11/2004, Seite 2) In einem Beitrag mit der Überschrift "Jüdisches Finanztrio bald komplett" polemisierte das Parteiorgan gegen die "Schlüsselstellung von Juden in den privaten und staatlichen Machtzentren des Weltkapitalismus": "Neben der US-Notenbank und der Weltbank wird demnächst auch das EU-Handelskommissariat in auserwählter Hand sein. Alles ein Zufall? 34 Rechtsextremismus ... wirklich ein starkes Plutokratentrio für die 'Schöne neue Welt' und ein Alptraum für die Völker." (Deutsche Stimme Nummer 10/2004, Seite 18) Diffamierung Das politische System in Deutschland wurde häufig als "Regime" demokratischer diffamiert, auf dessen Ende man sich vorbereiten müsse; seine RepräInstitutionen sentanten seien "Verräter". "Die NPD ist eine Partei aus dem Volk für das Volk. Nur Volksverräter nehmen keine Rücksicht auf Stimmungen. Die NPD hat sich den realen Problemen unseres Volkes gestellt (...). Im übrigen kommt natürlich auch bei mir (Anmerkung: Holger Apfel) keine Begeisterung auf, in den nächsten Jahren mit den Volksverrätern von CDU/SPD oder der Mauermörderpartei PDS den Dialog suchen zu müssen. " (Deutsche Stimme Nummer 10/2004, Seite 3) "In Berlin und anderswo beginnen die morschen Knochen der Volksbetrüger zu zittern. (...) Allem Anschein nach könnte die soziale Kahlschlagpolitik der Kartellparteien einmal als Anfang vom Ende des volksverachtenden BRD-Systems in die Geschichtsbücher eingehen." (Deutsche Stimme Nummer 9/2004, Seite 1) "Dieses politische System ist auf Lügen und Verleumdungen aufgebaut. Die Regierenden fürchten nichts mehr als die Wahrheit ..." (Deutsche Stimme Nummer 4/2004, Seite 18) "Einen verächtlicheren Staat hat es auf deutschem Boden noch nie gegeben." (Deutsche Stimme Nummer 4/2004, Seite 11) "Wir sind die Alternative zum Kartell der etablierten Parteien. Die NPD ist der organisierte Wille des deutschen Volkes gegen Fremdbestimmung, Überfremdung, Globalisierung und kapitalistische Ausbeutung!" (Deutsche Stimme, Sonderausgabe zur Europawahl, Seite 1) "Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, daß die Gier der etablierten Politikerkaste kaum Grenzen kennt. (...) Der Parlamentarismus, der so etwas hervorbringt, hat viel mit schamloser Bereicherung nach liberalkapitalistischem Muster zu tun (...). Wagt das Volk als angeblicher Souverän aber die Abzockerei der Altparteiler anzuprangern, muß es sich auch noch Beleidigungen aus Politikermund gefallen lassen." (Deutsche Stimme Nummer 11/2004, Seite 5) Rechtsextremismus 35 Dem Bundeskanzler warf die NPD vor, er wolle "... sich im Ausland durch Verrat an deutschen Interessen und die Kriminalisierung der eigenen Nationalgeschichte unvergeßlich machen." (Deutsche Stimme Nummer 9/2004, Seite 4) Diese diffamierende Polemik zeigt deutlich, dass die NPD die Prinzipien des Mehrparteiensystems und der Chancengleichheit der Parteien trotz ihres formalen Bekenntnisses zur freiheitlichen demokraWesensverwandttischen Grundordnung ablehnt. Darüber hinaus offenbart die Diktion schaft mit der der NPD, insbesondere der häufige Gebrauch der Begriffe "System", NS-Terminologie "System-Parteien" oder "Systempolitiker", die bereits von der NSDAP zur Diffamierung der Weimarer Republik instrumentalisiert wurden, eine Wesensverwandtschaft mit der Ideologie der NSDAP. NPD und JN betrachten die Wertordnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in der bestehenden Form als "überholt und handlungsunfähig" und wollen sie deshalb beseitigen. Um dem Ziel der politischen Machtergreifung näher zu kommen, hat die Partei zur Verfolgung ihrer verfassungsfeindlichen Bestrebungen 1997 ein auf "Drei-Säulendrei "strategische Säulen" gestütztes Konzept entwickelt, nämlich Konzept" - Programmatik: Kampf um die Köpfe, - Massenmobilisierung: Kampf um die Straße, - Wahlteilnahme: Kampf um die Parlamente. Auf dem Bundesparteitag Ende Oktober in Leinefelde/Thüringen fügte der Bundesvorsitzende Voigt als vierte Säule noch den "Kampf um den Neue vierte Säule organisierten Willen" ein. Dies sei der Versuch der Konzentration möglichst aller nationalen Kräfte in Deutschland, um politische Macht zu erlangen. Mit einer intensivierten bündnispolitischen Orientierung zur Neonazi-Szene will sich die NPD an die Spitze einer breiten Bewegung stellen und unterschiedliche rechtsextremistische Kräfte unter der Annäherung an Meinungsführerschaft der Partei bündeln. In einer im Internet verdie Neonazi-Szene öffentlichten Erklärung des Parteipräsidiums vom 19. September unter dem Titel "Volksfront statt Gruppenegoismus" bekannte sich die NPD zur "Gesamtbewegung des nationalen Widerstandes". Das Ringen zwischen der NPD und Vertretern der "Freien Nationalisten" um Dominanz in der Szene habe sinnlose Gräben aufgerissen; die gemeinsame Verantwortung verlange es aber, "Grundlagen für eine konstruktive Zukunft zu schaffen". Diese Verlautbarung der NPD nahmen die bekannten Neonazis Thomas Wulff, Thorsten Heise und Ralph Tegethoff zum Anlass, ihren Eintritt in die NPD zu erklären. 36 Rechtsextremismus Seit Mitte der 90er Jahre hat die NPD ihre Agitation zur "sozialen Zunehmende Frage" kontinuierlich erweitert. Sie erklärte dieses Thema zum Konzentration auf Drehund Angelpunkt nationaler Politik. Mit einer Orientierung hin soziale Themen zum "Nationalen Sozialismus", einer Verknüpfung von "Nation" und "Sozialismus", wirbt die NPD vor allem in den neuen Bundesländern um Anhänger. Insbesondere in Wahlkämpfen schürt die NPD Ängste vor Arbeitslosigkeit, Fremdbestimmung oder Überfremdung. Damit soll eine Krisenstimmung geschaffen werden, die den Angriff gegen den sozialen Rechtsstaat und die freiheitliche Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen soll. In einem Beitrag im Internet zum Thema "Nein zur Agenda 2010 - Ja zu sozialer Gerechtigkeit" behauptete die NPD, dass das deutsche Sozialwesen, wie es in über 100 Jahren geschaffen wurde, dem Erdboden gleich gemacht werde. Mit plakativen Parolen wie: "Quittung für Hartz IV: Jetzt NPD", "Schnauze voll? Wahltag ist Zahltag", "Das Elend hat einen Namen: Hartz IV" oder "Grenze dicht für Lohndrücker" gelang es der NPD, von der durch die Sozialreformen in Teilen der Bevölkerung ausgelösten Verunsicherung zu profitieren. Aggressiver Im Rahmen ihres aggressiven Bestrebens, über den außerparlamenAktionismus im tarischen Kampf politische Macht in Deutschland zu erringen, ver"Kampf um die anstaltete die NPD seit dem Amtsantritt des Bundesvorsitzenden Voigt Straße" im Jahr 1996 bundesweit rund 700 Demonstrationen und öffentliche Aktionen mit teilweise bis zu 5.000 Teilnehmern. Die Partei versteht sich als Anführerin einer breiten sozialen Protestbewegung, die in öffentlichen Aufmärschen auf der Straße gemeinsam mit Neonazis und Skinheads ihre auf die Überwindung des "Systems" gerichteten Ziele verfolgt. Sie bietet der Neonazi-Szene ein "legales" organisatorisches Dach und ist somit mitverantwortlich für ein geistiges Klima, das den Boden für Übergriffe von Rechtsextremisten auf Ausländer und andere Minderheiten bereitet. Der Publizist und NPD-Theoretiker Jürgen Schwab bekannte sich in der März-Ausgabe des NPD-Parteiorgans "Deutsche Stimme" (DS) zur Opportunistische Anwendung von Gewalt, sofern sie zur Durchsetzung nationalistischer Position zur Ziele opportun erscheine. Unter der Überschrift "BefreiungsnationaGewaltanwendung lismus und Gewaltfrage" erklärte er, Gewalt sei zwar vielfach negativ besetzt, doch handele es sich tatsächlich um einen neutralen, je nach moralischem Standpunkt auslegbaren Begriff. Zur Durchsetzung ihrer Ziele bleibe die Politik auf Gewalt angewiesen, wobei Gewalt militärisch, polizeilich, strukturell, psychisch oder wirtschaftlich ausgerichtet sein könne. Für Nationalisten erübrigten sich pseudomoralische Rechtsextremismus 37 Einlassungen zur Gewaltfrage; diese würden nur zur Spaltung des eigenen Lagers beitragen. Sinnvoller sei es, Gewalt unter dem Gesichtspunkt des vorhandenen Gewaltpotenzials zu beurteilen, also im Hinblick auf die "Möglichkeit, erfolgversprechend mittels Gewalt" politische Ziele anzustreben. Auch Nationalisten würden der These zustimmen, dass terroristische Gewalt gegen die amerikanischen Besatzer im Irak in jeder Hinsicht legitim sei. Was aus befreiungsnationalistischer Sicht im heutigen Irak oder Palästina jedoch sinnvoll sei, könne sich bei fehlendem Bewusstsein des unterdrückten Volks - so wie es in der Bundesrepublik Deutschland der Fall sei - als verhängnisvoll und kontraproduktiv erweisen. Mediale Verblödung und Umerziehung ließen Gewaltanwendung gegen das System als illegitim erscheinen. Organisierter Nationalismus sollte deshalb gegenwärtig militante Gewalt aus "nationaler Verantwortung und parteipolitischer Legalität" für sich selbst ausschließen. Ein tatsächlich legitimes staatliches Gewaltmonopol könne erst das wieder herzustellende "national-befreite" Deutsche Reich beanspruchen. 2.1.2 Organisation Der Bundesvorsitzende Voigt reagierte auf den durch das VerbotsverAnstieg der fahren ausgelösten Mitgliederschwund mit der Verbandsund StrukMitgliederzahl turreform "Klasse geht vor Masse"; inzwischen hat sich die Situation stabilisiert. Die Partei mit Sitz in Berlin zählt rund 5.300 (2003: 5.000) Mitglieder. Sie gliedert sich in 16 Landesverbände, die wiederum in Bezirksund Kreisverbände unterteilt sind. Bundesvorsitzender ist seit März 1996 Udo Voigt; seine Stellvertreter sind Holger Apfel, Jürgen Schön, Peter Marx und der Generalsekretär der Partei Ulrich Eigenfeld. Redaktion und Anzeigenabteilung des Parteiorgans "Deutsche Stimme" (DS) befinden sich in Riesa/Sachsen. Dem aus 19 Personen bestehenden Bundesvorstand gehören nach wie vor mehrere ehemalige Aktivisten verbotener neonazistischer Gruppierungen an. Darüber hinaus betrachtet die NPD Skinheads als natürliche Bündnispartner. Dem Landesverband Bayern mit derzeitiger Adresse in Rain, Landkreis Landesverband Straubing-Bogen, gehören wie im Jahr 2003 rund 850 Mitglieder an, Bayern 38 Rechtsextremismus darunter zahlreiche Angehörige der Neonaziund Skinhead-Szene. Er gliedert sich in sieben Bezirksund rund 35 Kreisverbände, von denen rund ein Drittel aber nicht aktiv ist. Der Landesverband wird von Ralf Ollert geleitet, seine Stellvertreter sind Franz Salzberger und Sascha Roßmüller, ein ehemaliger Aktivist des 1993 verbotenen neonazistischen Nationalen Blocks (NB). Nach wie vor sind im bayerischen Landesvorstand neben Anhängern der orthodoxen Linie der NPD auch Funktionäre mit einer überwiegend neonazistisch ausgerichteten Ideologie vertreten; ebenso bestehen Verbindungen zur Skinhead-Szene. Nutzung des Die NPD verfügt mittlerweile über das umfassendste Angebot aller Internets rechtsextremistischen Parteien im Internet. Die NPD-Netzseite verfügt über mehrere Diskussionsforen sowie über ein eigenes Textarchiv mit Schlagwortsuchmodus, über den alle bislang von der NPD veröffentlichten Texte abrufbar sind. Einige NPD-Landesverbände verfügen über eigene Internet-Seiten. Über eine Linkliste sind Angebote von Untergliederungen der NPD und ihrer Jugendorganisation zugänglich. Auslandskontakte Die NPD und ihre Jugendorganisation unterhalten Verbindungen zu gleichgesinnten Personen und Organisationen im westeuropäischen Ausland, insbesondere nach Österreich, Italien und Spanien. Allerdings ist die NPD ihrem Ziel der Bildung einer nationalistischen nordeuropäischen Allianz nicht näher gekommen. 2.1.3 Teilnahme an Wahlen Europawahl Die NPD trat zur Europawahl am 13. Juni mit einer 23 Bewerber umfassenden Liste an. Auf Platz eins kandidierte der Parteivorsitzende Udo Voigt, auf Platz fünf der langjährige Parteivorsitzende Günter Deckert. Die bayerischen NPD-Funktionäre Ralf Ollert und Sascha Roßmüller belegten die Plätze acht und zehn. Ein schon im August 2003 verabschiedeter "Leipziger Appell", in dem der Parteivorstand die Gründung einer "Deutschen Liste für Europa" (DLFE) als paritätisch besetzte nationale Wahlplattform aller deutschen rechtsextremistischen Parteien propagiert hatte, war an den Parteiführungen von DVU und REP gescheitert. Zentrales Thema des Wahlkampfs war die Agitation gegen die Osterweiterung der Europäischen Union. In ihrem Wahlprogramm "Europäische Freiheit statt US-Imperialismus" erklärte die NPD, die EU vertrete nicht die Interessen der Völker Europas, sondern die Inte- Rechtsextremismus 39 ressen von - auch außereuropäischen - Kapitalbesitzern. Darüber hinaus wandte sich die Partei im Wahlkampf gegen den EU-Beitritt der Türkei und warnte vor einer "Zuwanderungsschwemme". Der Landesverband Bayern betrieb mehr als 50 Info-Stände, an denen Werbematerial verteilt wurde. Weiter fanden einzelne Informationsveranstaltungen, politische "Frühschoppen" und "Gesprächskreise" zur Europawahl statt. Nach dem amtlichen Endergebnis erzielte die NPD einen Stimmenanteil von 0,9 % (1999: 0,4 %). Damit gelang es der Partei, ihr Wahlergebnis gegenüber der Europawahl von 1999 mehr als zu verdoppeln. Ihr bestes Ergebnis mit 3,3 % erreichte sie in Sachsen; in Brandenburg konnte sie 1,8 %, in Mecklenburg Vorpommern und Thüringen jeweils 1,7 % der Stimmen erzielen. In Bayern gelang der NPD eine Steigerung auf 0,6 % (1999: 0,2 %). Die Partei hat damit zwar ihr Ziel verfehlt, im Wettstreit mit den REP stärkste Kraft des "nationalen Lagers" zu werden, aber einen Anspruch auf Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung erworben, was ihre prekäre Finanzsituation entschärft. Die NPD beteiligte sich als einzige Partei aus dem rechtsextremistiHamburger Bürschen Spektrum an den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft am gerschaftswahl 29. Februar. Ihr Wahlkampf stand unter dem Motto "Hamburg wählt Deutsch" und beschränkte sich auf einzelne Info-Stände, Flugblattverteilaktionen und einen TV-Werbespot. Öffentliche Wahlkundgebungen fanden dagegen nicht statt. Die Hoffnung der Hamburger NPD, vom Wahlverzicht der REP und der DVU profitieren und deren Wählerpotenzial für sich gewinnen zu können, hat sich nicht erfüllt. Mit einem Stimmenanteil von 0,3 % (1997: 0,1 %) blieb die NPD in Hamburg als Wahlpartei bedeutungslos; an der Bürgerschaftswahl im Jahr 2001 hatte sie nicht teilgenommen. Zur Landtagswahl in Thüringen am 13. Juni trat die NPD mit einer Landtagswahl in Landesliste von 15 Bewerbern an, darunter der Neonazi Thorsten Thüringen Heise. Des Weiteren wurde die Mehrheit der Listenplätze mit Kandidaten besetzt, die eine Zusammenarbeit der NPD mit Neonazis und rechtsextremistischen Skinheads befürworten. An der Sammlung von Unterstützungsunterschriften waren neben Parteimitgliedern auch Anhänger "Freier Kameradschaften" maßgeblich beteiligt. Im Wahlkampf wandte sich die NPD insbesondere gegen eine angeblich 40 Rechtsextremismus geplante Ansiedlung Tausender neuer Asylbewerber in Großstädten wie Erfurt und Jena. Nach dem amtlichen Endergebnis erreichte die NPD mit einem Stimmenanteil von 1,6 % eine deutliche Verbesserung des 1999 erzielten Ergebnisses (0,2 %). Landtagswahl im Einen beachtlichen Erfolg hatte die NPD am 5. September bei der Saarland Landtagswahl im Saarland zu verzeichnen, wo sie 4,0 % der Stimmen erhielt. In einer Stellungnahme erklärte Voigt, mit diesem Ergebnis in einem westdeutschen Bundesland sei nun klar, dass die NPD bei der zwei Wochen später anstehenden Wahl in Sachsen besser abschneiden werde als die SPD. Der Wähler, der heute die "Schnauze voll" habe von Multikulti und Sozialabbau, könne wieder auf eine nationale Erneuerung Deutschlands hoffen. Spektakulärer Bei der Landtagswahl in Sachsen am 19. September gelang der NPD Erfolg bei der erstmals seit 1968 wieder der Einzug in ein Landesparlament. Die ParLandtagswahl in tei erreichte einen Stimmenanteil von 9,2 % (1999: 1,4 %) und ist Sachsen nunmehr mit zwölf Abgeordneten im Dresdner Landtag vertreten. Eine Ursache dieses spektakulären Erfolgs war offenbar der im Juni mit der DVU vereinbarte Verzicht auf konkurrierende Kandidaturen und die Wahlempfehlung der DVU zugunsten der NPD. Im Wahlkampf, in dem das Thema Sozialreformen eine herausragende Rolle spielte, hatte der mitgliederstarke NPD-Landesverband Sachsen intensive öffentliche Aktivitäten entfaltet. So hatten sich Parteiaktivisten gezielt in Demonstrationen gegen die Sozialreformen ("Hartz IV") eingereiht und diese Protestform für ihre Wahlwerbung genutzt. Am 26. September erzielte die NPD bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen landesweit zwölf (1999: drei) Mandate. 2.1.4 Bündnisbestrebungen Die NPD bemüht sich schon seit längerer Zeit um Absprachen mit anderen rechtsextremistischen Parteien, um ihre Chancen bei Wahlen "Volksfront von zu steigern. Mit dem aktuellen Konzept einer "Volksfront von rechts" rechts" verfolgt die Partei Bündnisbestrebungen in zwei unterschiedliche Richtungen: Zum einen intensiviert sie ihre bündnispolitische Orientierung zur Neonazi-Szene. Zum anderen wird die Kooperation mit den "derzeitigen nationalen Parteien in der BRD" angestrebt, da aufgrund der Zersplitterung dieser Parteien keine in der Lage sei, "wirksamen politischen Einfluß und gestalterische Macht zu entfalten". Ziel der Bündnispolitik ist die "Konzentration aller nationalen Kräfte" Rechtsextremismus 41 bzw. die Einheit des "nationalen Lagers". Der Bundesparteitag der NPD bestätigte im Oktober diesen Kurs des Parteivorsitzenden Udo Voigt. Bereits in der April-Ausgabe des Parteiorgans "Deutsche Stimme" (DS) hatte Voigt erklärt, es gebe keinen nachvollziehbaren Grund mehr, die Bildung von kleinen, unabhängig arbeitenden Parteien zur Maxime zu erheben. Nur Einigkeit mache stark. Ein erstes Ergebnis dieser Bündnisbestrebungen war die Absprache Wahlabsprachen vom 23. Juni mit dem DVU-Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard Frey, die mit der DVU Erfolgsaussichten bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am 19. September nicht durch konkurrierende Kandidaturen zu verringern. In einer gemeinsamen Erklärung mit der Überschrift "Taten statt Worte" hieß es, man empfehle den "nationalen Wählern", in Brandenburg für die DVU und in Sachsen für die NPD zu stimmen. Nachdem beiden Parteien der Einzug in das jeweilige Landesparlament gelungen war, vereinbarten Voigt und Dr. Frey am 22. September eine feste Zusammenarbeit für die Zukunft. Voigt kündigte an, dass beide Parteien weiter bestehen blieben und dass künftige Wahlabsprachen bzw. gemeinsame Listen oder Listenverbindungen dort angestrebt würden, wo das Wahlrecht dies zulasse. So werde die NPD im Februar 2005 zu den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein als "einzige nationale Kraft" antreten. Zur Bundestagswahl 2006 stelle die NPD Landeslisten auf; Dr. Frey und weitere Führungskräfte der DVU seien bereit, auf den NPD-Listen zu kandidieren. Im Gegenzug werde die DVU bei der Europawahl 2009 Listenführerin mit Kandidaten der NPD auf der DVU-Liste sein. Eine verstärkte Annäherung zwischen der NPD und den "Freien Verstärkte AnNationalisten" zeichnete sich bereits seit Jahresbeginn ab. So gab es näherung an die anlässlich der 1. Mai-Demonstration der NPD in Berlin einen gemeinNeonazi-Szene samen Aufruf von Teilen der Neonazi-Szene und der NPD. Anschließend propagierte der bekannte Neonazi Thomas Wulff in einem im NPD-Parteiorgan "Deutsche Stimme" (DS) veröffentlichten Beitrag die Schaffung einer "Volksfront von rechts". Unmittelbar vor der Landtagswahl in Sachsen rief Wulff zur Unterstützung der NPD auf; er selbst engagierte sich im dortigen Wahlkampf für die NPD. Am 19. September erklärten die führenden Neonazis Thorsten Heise, Ralph Tegethoff und Thomas Wulff ihren Eintritt in die NPD. Sie äußerten, bereits zuvor habe es - etwa bei der Wahlkampfunterstützung für die NPD in Sachsen - wiederholt klärende und vertrauensbildende Gespräche zwischen ihnen und dem NPD-Parteivorsitzenden Udo Voigt gegeben. Wulff versteht sich in der NPD künftig als Sprachrohr 42 Rechtsextremismus und Ansprechpartner für alle "Kameradinnen und Kameraden, welche sich außerhalb der Partei organisieren". Auch der bislang als wichtigster und schärfster NPD-Kritiker geltende Neonazi Christian Worch revidierte inzwischen seinen Kurs und schloss in einem "Offenen Brief" eine "punktuelle Zusammenarbeit" mit der NPD nicht mehr aus. Mit der Wahl des Neonazi Thorsten Heise in den Parteivorstand gelang es dem NPD-Parteivorsitzenden Voigt, seine Vorstellungen einer verstärkten Integration neonazistischer Kräfte ohne größeren Widerstand durchzusetzen. Bedeutungsgewinn Die bisher durch das Konzept einer "Volksfront von rechts" erzielten im rechtsextremisErgebnisse führten sowohl zu einem Bedeutungsgewinn der NPD tischen Spektrum innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums als auch zu erhöhten Erfolgsaussichten bei künftigen Wahlen. Gleichwohl sind innerparteiliche Konflikte ebenso absehbar wie Konflikte mit Rechtsextremisten außerhalb der NPD. So bemängelte der rechtsextremistische Autor Jürgen Schwab die von der Parteiführung propagierte "Volksfront von rechts" als "Bürgerkriegsposition". Sie sei ein "taktisch motiviertes Zweckbündnis" und diene dazu, die "NPD vom Volk zu isolieren". Das Bündnis mit DVU und Neonazis sei nur eine "aufgeblasene ANTI-Antifa". Der Rechtsextremist Roland Wuttke plädierte in der April-Ausgabe des Parteiorgans "Deutsche Stimme" (DS) für eine Fortsetzung der in Teilen der rechtsextremistischen Szene seit einiger Zeit geführten Versuch einer Diskussion über Berührungspunkte rechtsund linksextremistischer Überwindung der Politik. Unter der Überschrift "Sind Rechte und Linke zu einer strate"Rechts-Linksgischen Allianz fähig?" verwies er u. a. auf den sozialrevolutionären Gegensätze" Nationalismus sowie auf nationalistische Elemente in der Politik der Nachkriegs-KPD und der SED als historische Vorbilder für Berührungspunkte "rechter" und "linker" Politik. Heute sei die "Linke" gespalten: Während Teile der "Linken" sich mit staatsfinanzierten Projekten eines "Kampfs gegen Rechts" zufrieden gäben und damit dem "BRD-Regime" Hilfsdienste leisteten, sei es doch viel interessanter, den "gemeinsamen Gegner zu identifizieren". Denkbar seien strategische Allianzen mit der "antiimperialistischen und antikapitalistischen Linken". Dabei bilde die "Kritik am Neoliberalismus" den zentralen gemeinsamen Berührungspunkt. Es gelte den "Globalkapitalismus als den Zerstörer der Identität der Völker zu identifizieren". Eine soziale Strömung mit nationaler Orientierung und ökologischer Ausrichtung ergäbe eine ernsthafte Bedrohung für das Herrschaftssystem der Globalisierer. Wenn die "Linke" die "Naturkraft völkischer Iden- Rechtsextremismus 43 tität" akzeptierte, wäre "die kritische Masse gegeben, die Veränderungen herbeiführen" könne. In der "Deutschen Stimme" (DS) sind bereits mehrfach Beiträge mit einer positiven Würdigung einzelner Ideologieund Politikelemente des Linksextremismus erschienen: Im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Irak-Krieg ging es um eine Überwindung der "Rechts-Links-Gegensätze" und die Forderung "Querfront statt Bürgerkriegsgräben". Der Beitrag von Wuttke ist ein weiterer Beleg für die Suche von Rechtsextremisten nach Bündnispartnern und ansprechbarem Potenzial, die aber bei Linksextremisten wenig Resonanz finden wird. 2.1.5 Sonstige Aktivitäten 2.1.5.1 Parteitage Unter dem Motto "Arbeit - Familie - Vaterland" führte die NPD am Bundesparteitag 30./31. Oktober in Leinefelde/ Thüringen ihren 30. Bundesparteitag in Thüringen durch. Bei den Vorstandswahlen bestätigten die Delegierten den bisherigen Bundesvorsitzenden Udo Voigt in seiner Funktion. Als Stellvertreter wählten sie Holger Apfel, Ulrich Eigenfeld und Peter Marx. Als neue Beisitzer wurden u.a. der Neonazi Thorsten Heise und der ehemalige stellvertretende REP-Bundesvorsitzende Frank Rohleder in den 19 Mitglieder umfassenden Bundesvorstand berufen. Der Landesverband Bayern ist im Bundesvorstand durch den Landesgeschäftsführer Sascha Roßmüller vertreten. In seiner Parteitagsrede stellte Voigt fest, dass die Partei mit ihrer Bündnispolitik den "gordischen Knoten" durchschlagen habe. Die NPD werde auch künftig an ihrem "Drei-Säulen-Konzept" festhalten und alle drei Säulen dieses Konzepts gleichrangig bedienen. Hier seien der "Kampf um die Parlamente" und der "Kampf um die Straße" erfolgreicher gewesen als der "Kampf um die Köpfe". Die zu gewinnenden "Köpfe" müssten noch "vom Denken unserer Feinde" befreit werden. Voigt führte als Erweiterung des vierte Säule den "Kampf um den organisierten Willen" in das Kon"Drei-Säulenzept ein. Dies sei der "Versuch der Konzentration möglichst aller Konzepts" nationalen Kräfte", um Macht durch den "organisierten Willen" zu erlangen. Auf kleinere Demonstrationen will Voigt künftig weitgehend verzichten. Der DVU-Vorsitzende Dr. Frey, der am Parteitag als Gast teilnahm, betonte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Voigt die Einigkeit beider Parteien in den wesentlichen Zielen. 44 Rechtsextremismus Landesparteitag Der NPD-Landesverband Bayern hielt am 21. November in Schwenin Schwenningen ningen, Landkreis Dillingen an der Donau, seinen diesjährigen Parteitag ab. Daran beteiligten sich bis zu 120 Mitglieder und Sympathisanten. Die 67 Delegierten bestätigten den Landesvorsitzenden Ralf Ollert und seine Stellvertreter Franz Salzberger und Sascha Roßmüller in ihren Funktionen. Mit Roßmüller, ehemals Aktivist des 1993 verbotenen neonazistischen Nationalen Blocks (NB), und Matthias Fischer, Neonazis im vormals Mitbegründer und Führer der verbotenen F.A.F. (vgl. auch bayerischen Nummer 3.2.1 dieses Abschnitts) und jetzt neuer Beisitzer im LandesLandesvorstand vorstand, verfügt die NPD über Verbindungen zu örtlichen Kameradschaften sowie zur Neonaziund Skinhead-Szene. Ollert würdigte das Bündnis mit der DVU und forderte, das nationale Wählerpotenzial konsequent zu nutzen. In seinem Gastreferat hob Holger Apfel die gute Zusammenarbeit der Landesverbände Bayern und Sachsen im Wahlkampf der sächsischen NPD hervor. Er rechtfertigte die Öffnung der Partei gegenüber den "Freien Kräften" mit dem Ziel, im Jahr 2006 in den Bundestag einzuziehen. Die gemeinsame Unterschriftenaktion gegen den Beitritt der Türkei in die EU bezeichnete er als "ersten Testfall" für das Bündnis NPD und DVU. Einige Delegierte kritisierten allerdings die Arbeit des Landesverbands und das mangelnde Engagement einzelner Funktionäre. Die Bereitschaft, an öffentlichen Demonstrationen der NPD teilzunehmen, sei sehr gering. Der Landespressesprecher beklagte die unzureichende Nutzung des Schulungsangebots. Da der Wahlerfolg in Sachsen Funktionäre binde, seien im Landesverband zusätzlich personelle Probleme entstanden und der Mangel an Führungspersonen bereits sichtbar. 2.1.5.2 Kundgebungen und sonstige Aktionen Politischer Das traditionelle Aschermittwochtreffen der bayerischen NPD am Aschermittwoch 25. Februar in Straubing fand nur wenig Resonanz. An der Veranstaltung beteiligten sich lediglich etwa 70 Mitglieder und Sympathisanten. Der Landesvorsitzende Ralf Ollert forderte in seiner Rede die Schaffung einer "nationalen Bewegung" gegen die herrschende Politik in Bayern. Die NPD sehe sich als Wahlpartei einer "Nationalen Widerstandsbewegung", die den Nationalstaat als Heimat aller Deutschen erhalten wolle. Unter dem Motto "Arbeit für Millionen statt Profit für Millionäre! Volksgemeinschaft statt Globalisierungswahn!" veranstaltete die Rechtsextremismus 45 NPD in Berlin-Lichtenberg gemeinsam mit neonazistischen "Freien Kundgebung zum Nationalisten" ihre alljährliche Maikundgebung. An der Versamm1. Mai in Berlin lung, die zugleich den offiziellen Auftakt des Europawahlkampfs der NPD darstellte, nahmen rund 2.300 Personen teil, darunter auch etwa 300 Rechtsextremisten aus Bayern. Als Redner traten der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt und dessen Stellvertreter Holger Apfel sowie die "Freien Nationalisten" Thomas Wulff und Ralph Tegethoff auf. Apfel verlas eine Grußbotschaft des inhaftierten Neonazis Friedhelm Busse. Der rechtsextremistische Liedermacher Frank Rennicke sorgte für den musikalischen Rahmen. Die Demonstration konnte aufgrund massiver Störaktionen von Gegendemonstranten erst mit erheblicher Verspätung beginnen. Die ursprüngliche Demonstrationsroute wurde von der Polizei aufgrund von Ausschreitungen bei der Gegendemonstration stark abgekürzt. In einer im Internet veröffentlichten Erklärung sah sich die NPD "trotz polizeilicher Repression und Rotfrontterror" als moralischer und politischer Sieger. Die gemeinsame Vorbereitung und Durchführung dieser Kundgebung durch die Führung der NPD und "Freie Nationalisten" habe sich als richtig und konstruktiv erwiesen. Diese erstmalige Zusammenarbeit der NPD mit den "Freien Nationalisten" um Wulff hat sich für die Partei offenbar bezahlt gemacht: Im Vergleich zum Jahr 2003 konnte die Partei fast doppelt so viele Teilnehmer mobilisieren. Damals hatten an der zentralen Maikundgebung der NPD in Berlin 1.300 Personen teilgenommen; an einer zeitgleich durchgeführten Konkurrenzveranstaltung des Neonazis Christian Worch in Halle hatten sich 1.200 Rechtsextremisten beteiligt. An einer am 1. Mai 2004 von Worch in Leipzig veranstalteten Demonstration nahmen nur etwa 900 Personen teil. Anlässlich der Gründung eines NPD-Ortsverbands im Juni 2003 in Verstärkte AktiviSenden propagierte die NPD in einem Internet-Beitrag die Schaffung täten im Raum eines "Nationalen Zentrums", das sich der vorhandenen örtlichen InfraNeu-Ulm/Senden struktur bedienen werde, um regelmäßig Veranstaltungen zu organisieren. So fand auf Initiative eines NPD-Funktionärs am 31. Januar in der Turnund Festhalle in Senden-Ay ein Konzert mit dem rechtsextremistischen Liedermacher Frank Rennicke statt. Am 21. März führte der NPD-Ortsverband Senden im Rot-Kreuz-Haus in Senden eine Veranstaltung mit Horst Mahler zum Thema "Hintergründe des 11. September 2001" durch. Die Stadt Senden hatte den Saal der NPD überlassen, die Zulassung aber nachträglich widerrufen. Rechtsmittel der NPD gegen den Widerruf waren erfolgreich. Mahler vertrat in sei- 46 Rechtsextremismus nem Vortrag vor etwa 60 Besuchern die These, dass hinter den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA die amerikanische Regierung selbst stehe und nicht etwa islamistische Kämpfer der al-Qaida. Ein weiterer Vortragsund Konzertabend fand am 3. April in der Festhalle von Senden statt. An der Veranstaltung nahmen rund 200 Personen teil, davon etwa 140 Skinheads. Der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt bat in seiner Rede um volle Unterstützung für die NPD bei der anstehenden Europawahl. Im Verlauf des Abends traten zwei rechtsextremistische Liedermacher sowie die Skinhead-Band "ACT OF VIOLENCE" auf. Diffamierung In einer Stellungnahme zu den Anschlägen vom 11. März in Madrid der USA forderte der Bundesgeschäftsführer der NPD Frank Schwerdt tags darauf, die Bombenleger von Madrid und den amerikanischen Präsidenten auf die gleiche moralische Stufe zu stellen. Ferner machte er die USA für die Anschläge moralisch mitverantwortlich. Die vielen von den USA ausgelösten kriegerischen Auseinanderssetzungen in Afghanistan, im Irak oder früher in Vietnam hätten Tod und Verderben über viele Menschen gebracht, die so unschuldig seien wie die Opfer in Madrid. Etwa 100 Personen beteiligten sich am 20. März in München an einem Aufzug der NPD unter dem Motto "Der Irak-Krieg war ein Verbrechen!". Damit sollte die Öffentlichkeit zur Solidarität mit dem Freiheitskampf des irakischen und palästinensischen Volks gegen den US-Imperialismus und dessen Helfer aufgerufen werden. Ein starkes Polizeiaufgebot verhinderte Auseinandersetzungen mit rund 300 Gegendemonstranten. Die Polizei nahm 14 Personen, darunter einen Rechtsextremisten, vorübergehend fest. Am 2. Oktober protestierte die NPD mit einer Kundgebung in Erlangen gegen die Sozialpolitik der Bundesregierung. An der Veranstaltung unter dem Motto "Quittung für Hartz IV - Sozialabbau stoppen - Nationale Solidarität durchsetzen" beteiligten sich etwa 150 NPD-Anhänger. Als Redner traten u.a. der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt, der bayerische NPD-Landesvorsitzende Ralf Ollert und der Rechtsextremist Roland Wuttke auf. Letzterer sympathisierte in seiner Rede offen mit Terroristen: "Wir haben eine große Botschaft. Wir haben wieder etwas, was die Jugend zum Kampf animiert. Es ist der große Idealismus. Und fragt euch Rechtsextremismus 47 doch einmal: Welche Kraft ist denn mächtiger? Erinnert euch an die Bilder der jungen Palästinenserinnen, junge Mütter, die sich den Sprengstoffgürtel umschnallen, um für ihr Volk, ihre Nation in den Tod zu gehen. Das ist es, was Schopenhauer einmal gemeint hat, indem er gesagt hat: 'Derjenige, der sein Leben für sein Volk hingibt, ist von der Täuschung befreit, die das Dasein auf seine Person beschränkt'." Am Rande der Demonstration gab Udo Voigt ein Interview, in dem er bezüglich des im Bau befindlichen Holocaust-Mahnmals in Berlin erklärte: "Ja, ich denke, dass es in Deutschland eine Zeit gibt, wo mit endgültigem Schuldbewusstsein sechzig Jahre nach Ende des Krieges endlich aufgeräumt wird. Und wenn Sie sich die Betonsockel und die Quader dort ansehen, die liegen, dann sind die natürlich sehr gut geeignet. (...) Und ich schlage deshalb vor, wenn es eine neue Regierung in Deutschland gibt, dass man aus diesen Fundamenten sicherlich eine neue Reichskanzlei bauen könnte." 2.1.6 Junge Nationaldemokraten (JN) Deutschland Bayern Mitglieder: 300 50 Vorsitzender: Stefan Rochow Stefan Winkler Gründung: 1969 Sitz: Riesa/Sachsen Mit den JN verfügt die NPD als einzige rechtsextremistische Partei über eine Jugendorganisation. Die JN bekennen sich in Ideologie und Ideologische Zielsetzung zum Programm ihrer Mutterpartei. In ihrem beim BundesAusrichtung kongress 2002 als "Perspektive für ein besseres Deutschland" veraban der NPD schiedeten "Manifest der nationalistischen Jugend" stellen sie das als grundlegendes Prinzip der freiheitlichen demokratischen Grundordnung geltende Mehrparteiensystem insofern in Frage, als sie eine "konstruktive parlamentarische Mitarbeit" erst nach der "eigentlichen Entscheidung" dulden wollen. Wegen der fortdauernden Dominanz der Mutterpartei und ihrer Bedeutungsintensivierten bündnispolitischen Orientierung zur Neonazi-Szene ist verlust es den JN nicht gelungen, ihre Eigenständigkeit sowie ihre Bedeutung als Nahtstelle zwischen der NPD und den neonazistischen Organisa- 48 Rechtsextremismus tionen zurückzugewinnen. Dies zeigte sich insbesondere bei der Vorbereitung und Durchführung von Demonstrationen und Großveranstaltungen. Zwar blieben die Mitgliederzahlen konstant. Ihrem Anspruch, die "Speerspitze des nationalen Widerstands" zu bilden, genügen die JN aber seit längerem nicht mehr. Rechtsextremistische Jugendliche organisieren sich zunehmend in unabhängigen Kameradschaften. Geplante Der JN-Bundesvorstand beschloss Ende Februar ein Konzept für eine Offensiven Schülerzeitungskampagne unter dem Motto "Den Nationalismus in an Schulen die Schulen tragen". Auf diese Weise solle eine "gezielte Gegenöffentlichkeit" zu den vom herrschenden politischen "System" in den öffentlichen Diskurs eingebrachten Meinungen erzeugt werden. Ein wesentlicher Aspekt dieser "Gegenöffentlichkeit" werde die unmissverständliche Analyse der staatlichen Repression und das damit verbundene Aufzeigen von Freiheitsdefiziten sein. Ein weiterer Schwerpunkt sei die Zurückgewinnung der Definitionshoheit bezüglich des Begriffs "Nationalismus" und weiterer damit zusammenhängender Begriffe wie "Volk", "Nation" und "Staat", um auf diesem Weg der gezielt vorgetragenen Desinformation des herrschenden politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland entgegenzuwirken. Weiterhin rief die JN im Juni zu einer Schuloffensive auf und richtete dazu eine eigene Internetseite mit der Bezeichnung "Der Rebell" ein. Sie enthält Informationen aus dem nationalen Bereich sowie Propagandamaterial für die politische Auseinandersetzung an Schulen. Eine Umsetzung dieser Konzepte war in Bayern bisher nicht feststellbar. Landeskongress Auf dem Kongress des JN-Landesverbands Bayern am 28. März in Regensburg wurde der bisherige Beisitzer und Pressesprecher der JN Stefan Winkler zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Dieser arrangierte für die Mitglieder ein Sommerprogramm mit mehreren Sommerlagern, Vortragsveranstaltungen und der Teilnahme am "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch" am 21. August in Wunsiedel. Bundeskongress Am 2./3. Oktober fand in Mosbach bei Eisenach/Thüringen unter dem Motto "Ein revolutionärer Geist, eine sozialistische Idee, eine aktivistische Jugend" der 33. JN-Bundeskongress statt. Daran nahmen rund 80 Personen teil, darunter der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt. Die Delegierten bestätigten den bisherigen JN-Bundesvorsitzenden Stefan Rochow in seiner Funktion; als Stellvertreter wählten sie den JN-Landesvorsitzenden von Baden-Württemberg Alexander Neidlein sowie den ehemaligen Landesvorsitzenden der JN-Niedersachsen Rechtsextremismus 49 Florian Cordes. Rochow stellte in seiner Rede das Projekt "JN-Führungsschule" vor, das die Ausbildung und Schulung der JN-Kader weiter optimieren soll. Der stellvertretende JN-Bundesvorsitzende Cordes erläuterte anhand der Aktion "Den Nationalismus in die Schulen tragen" mögliche Wege zur Aufklärung und Wiedergewinnung der deutschen Jugend. 2.2 Deutsche Volksunion (DVU) Deutschland Bayern Mitglieder: 11.000 1.200 Vorsitzender: Dr. Gerhard Frey Bruno Wetzel Gründung: 1987 Sitz: München Publizistisches Sprachrohr: National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung (NZ) 2.2.1 Ideologisch-politischer Standort In ihrem Programm bekennt sich die DVU formal zur freiheitlichen Extremistische demokratischen Grundordnung, doch will sie einige für alle MenGrundhaltung schen gültige Grundrechte, beispielsweise den Schutz der Familie, zu Bürgerrechten reduzieren, die ausschließlich Deutschen zustehen sollen. Die rechtsextremistische Grundeinstellung der Partei wird in Äußerungen führender Funktionäre sowie im Inhalt der im Verlag des Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard Frey erscheinenden National-Zeitung deutlich. Die rassistisch und nationalistisch geprägte Propaganda der Partei Rassismus und richtet sich insbesondere gegen die Ausländerpolitik und die EuroNationalismus päische Union (EU). So bemerkte die NZ unter der Überschrift "Für Türken Milliarden, für Deutsche nichts!" bezüglich der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei: "Alle Zeichen sprechen dafür, dass noch in diesem Herbst grünes Licht für den EU-Beitritt der Türkei gegeben wird. (...) Die Türkei zu sanieren, übersteigt die Kräfte Deutschlands bei weitem. Millionen Türken würden aufgrund der in der EU geltenden Freizügigkeit nach Mitteleuropa strömen. Der von Oswald Spengler vorausgesagte Untergang des Abendlandes wäre innerhalb weniger Jahre unausweichlich. (...) Würde die Türkei auf- 50 Rechtsextremismus genommen werden, so gäbe es kein vernünftiges Argument mehr gegen den Anschluss von weiteren sechs Staaten mit türkischstämmiger Bevölkerung. (...) Die Türkei soll offenbar der Türöffner und Vorläufer Israels, seines engen Alliierten, sein". (NZ vom 23. Juli, Seite 1) "Die im vergangenen Mai vollzogene Osterweiterung der EU sollte aber nun wirklich die 'große Chance' sein, ohne die Deutschland auf dem Wirtschaftsmarkt nicht bestehen könne. Dabei war jedem, der sich durch die Parolen der EU-Propagandisten nicht ganz verblöden ließ, vollkommen klar, dass die Aufnahme der osteuropäischen Hungerleider Deutschland als dem mit weitem Abstand größten EU-Finanzier den Rest geben wird." (NZ vom 27. August, Seite 3) UnterschriftenMitte Oktober startete die DVU gemeinsam mit der NPD eine Unteraktion gegen schriftenaktion gegen einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union einen EU-Beitritt (EU). Das Unterschriftenformular ist seitdem in der NZ abgedruckt; der Türkei weitere 20.000 Formulare sollten auf Parteiveranstaltungen verteilt werden. Zwei Gesichtspunkte stehen im Vordergrund, nämlich eine angeblich drohende Massenzuwanderung aus der Türkei sowie die finanziellen Belastungen für Deutschland, das schon jetzt den größten Teil der im Ausland lebenden Türken beherberge und nach dem Beitritt der Türkei zur EU nicht mehr wieder zu erkennen sein werde. Dies wollten NPD und DVU gemeinsam verhindern. Antiamerikanische Ferner wendet sich die Partei gegen eine deutsche Beteiligung an Agitation Militäraktionen im Ausland. In einem Beitrag "Der Irrsinn deutscher Auslandseinsätze" hieß es: "Heute behauptet Verteidigungsminister Struck gar, die Bundesrepublik Deutschland werde am Hindukusch verteidigt. In Wahrheit sollen deutsche Einheiten als Hilfstruppen Washingtons Aufgaben im Dienste des Imperialismus und Kolonialismus übernehmen, ... (...) Warum soll am Ende das deutsche Volk für die Politik der Welteroberung büßen und sich als Feind der Dritten Welt darstellen?" (NZ vom 9. Januar, Seite 1) In einem weiteren Artikel der National-Zeitung (NZ) war zu lesen: "Die deutsche Bundeswehr verkommt nun endgültig zu einer Söldner-Truppe in US-Diensten. (...) Muss wirklich deutsches Blut fließen, um US-Präsi- Rechtsextremismus 51 dent Bush zufriedenzustellen? Es ist schlicht Irrsinn, das Leben und die Gesundheit deutscher Soldaten in Ländern aufs Spiel zu setzen, in denen Deutschland absolut nichts zu suchen hat und was den Steuerzahler auch noch Unsummen kostet. (...) Washington sucht jetzt Hiwis, die von den amerikanischen Befehlshabern als Kanonenfutter in brenzligen Situationen eingesetzt werden können." (NZ vom 23. Januar, Seite 10) Wie bisher zählt die Kritik an der "extrem einseitigen VergangenRevisionismus heitsbewältigung" zu den Schwerpunkten der Programmatik. "Wer sich zum Esel macht, dem lädt jeder Säcke auf. (...) Es hat sich eben herumgesprochen, dass das Scheckbuch in Berlin umso lockerer sitzt, je mehr man das deutsche Volk anklagt und beschimpft. (...) Etablierte bundesdeutsche Politiker und Medien suhlen sich in Nationalmasochismus und übersteigern die von auswärts vorgetragenen Anklagen. (...) Es ist Ausdruck nicht von Moral, sondern von Machtkalkül: Ein mit Schuldgefühlen vollgepumptes Volk lässt sich leichter kujonieren und von aktuellen Schweinereien ablenken. (...) Weltweit und weltgeschichtlich einzigartig ist jedenfalls das Erfolgsprinzip, das man gegenüber den Deutschen anwendet: Die Hand zum Abkassieren stets offen, den Fuß zum Tritt allzeit bereit." (NZ vom 16. Januar, Seite 12) "Denn es ist in der Tat unerträglich, wie Politiker und Medien neben Propagierung der Alleinschuldvorwürfe immer wieder auch das deutsche Volk in seiner Gesamtheit in den Schuldturm sperren wollen. Diese Anklagen werden keineswegs in erster Linie von ehemaligen Feinden geschürt, sondern von hiesigen Nestbeschmutzern. Offenbar verspricht sich eine kleine Schicht Pfründe und Macht durch den Umstand, dass sich unser Volk in nationaler Würdelosigkeit und schuldbewusst durch die Gegenwart schleppt." (NZ vom 3. September, Seite 1) "Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass es den heutigen Opfern von Gewalt und Terror, aber auch von so genannten Anti-Terror-Kriegen, die in Wahrheit ganz andere Ziele verfolgen, wenig bis nichts nützt, wenn der vor fast 60 Jahren untergegangene Nationalsozialismus und sein Anführer immer wieder und immer wieder beleuchtet, interpretiert, aufgearbeitet oder gar 'bekämpft' werden, was einem Kampf gegen Windmühlen gleichkommt. Es drängt sich der Eindruck auf, dass man den Sack schlägt und den Esel meint. Der Esel ist das deutsche Volk, das man mit den Vorhaltungen längst vergangenen Unrechts quasi auf ewig im Schuldturm halten will. Das lenkt nicht nur von heutigen Menschheits- 52 Rechtsextremismus verbrechen ab, das macht auch deutsche Politiker gegenüber immer neuen Wiedergutmachungs-Forderungen gefügig." (NZ vom 17. September, Seite 3) Relativierung der Die Verbrechen der Nationalsozialisten werden zwar nicht ausdrückNS-Verbrechen lich geleugnet, doch wird versucht, diese durch wiederholte Hinweise auf Verbrechen anderer Völker zu relativieren. Neu sind dabei Versuche, Parallelen zwischen den Opfern alliierter Bombenangriffe und den in Gaskammern ermordeten KZ-Häftlingen zu ziehen: "Was aber ist das für eine 'Gerechtigkeit', die nach einem schrecklichen Krieg nur die Untaten der besiegten Seite verfolgt?" (NZ vom 24. September, Seite 6) "Übrigens ist ein Großteil der deutschen Bombenopfer vergast worden. Luftkriegsexperte Dr. Jörg Friedrich erläutert den 'Injektoreffekt', durch den es bei Feuerstürmen zum Massentod in Luftschutzkellern kam: 'Schwelendes Lagergut, das Haus drüber in hellen Flammen, der Sog reißender Straßenwinde, die Unterdruck im Keller erzeugen, welcher seinerseits Gase aus oberen Brandstellen hinabzieht. Alles das leitet in die Kammern ein.' " (NZ vom 5. November, Seite 1) "Nicht Befreier drangen 1945 in Deutschland ein, die das Grundgesetz im Marschgepäck mit sich führten, sondern die Alliierten hatten antideutsche Vernichtungspläne im Tornister. (...) Besonders brisant: Die Aufdeckungen von Vergasungsverbrechen der Gegenseite: Injektoreffekt bei Feuerstürmen durch die angloamerikanischen Luftwaffen; Morde an deutschen Kriegsgefangenen unter Einsatz von Zyklon B in den Todeskammern von Stalins schaurigem Folterspezialisten Dr. Mairanowski." (NZ vom 5. November, Seite 5) "Über Jahrzehnte hinweg war der Völkermord an Millionen Afrikanern ... ein Tabu-Thema. Man 'bewältigte' statt dessen lieber Verbrechen anderer Völker - mit Vorliebe natürlich von Deutschen während des Zweiten Weltkrieges." (NZ vom 6. Februar, Seite 14) Latenter Die DVU vermeidet offenen Antisemitismus, doch wird ihre antisemiAntisemitismus tische und antiisraelische Grundhaltung in ihrem publizistischen Sprachrohr deutlich. "Zum x-ten Mal haben sich die USA im UN-Sicherheitsrat schützend vor Israel gestellt. Diesmal blockierte Washington eine Resolution, die den Rechtsextremismus 53 Judenstaat wegen der gezielten Tötung des Scheichs Ahmed Jassin verurteilen sollte. (...) Sanktionen kann die Weltgemeinschaft gleichwohl auch in diesem Fall nicht gegen Israel verhängen, nachdem die USA wie immer ihren Schützling durch ihr Veto davor bewahren. Das ist auch kein Wunder: Sind doch die USA und Israel, was die Missachtung internationalen Rechts betrifft, Brüder vom gleichen Geblüt. Der Sicherheitsrat gleicht, wenn es um Israel geht, einer Gerichtskammer, in der ein Gauner bei der Verhandlung über seinen Komplizen mit Veto-Recht vertreten ist." (NZ vom 2. April, Seite 6) "Bald 60 Jahre nach Kriegsende ist immer noch kein Ende der Wiedergutmachung Deutschlands in Sicht. Die Jewish Claims Conference (JCC) kann jetzt ihre Kasse wieder einmal kräftig auffüllen mit Rückübertragungen von oder Entschädigungen für ehemals in jüdischem Besitz befindlichen Grundstücken in Berlin und den neuen Bundesländern. (...) Dort wird man sich über jeden einzelnen Antrag herzlich freuen, dürfte er doch zur Begründung weiterer Forderungen an Deutschland herangezogen werden und damit auch das Überleben der Claims Conference und die finanzielle Ausstattung ihrer Funktionäre sichern!" (NZ vom 30. April, Seite 5) "Als einer der Führungsbosse des Jüdischen Weltkongresses ... und als Spitzenfunktionär der für die Eintreibung von 'Wiedergutmachung' zuständigen JCC schlug Israel Singer immer wieder mit der Moralkeule zu. (...) Jetzt aber steht der weise Sittenrichter aus New York im Zentrum einer höchst unmoralischen Affäre. Kern der Vorwürfe: Singer soll sich zum Zwecke persönlicher Bereicherung aus dem Weltkongress-Haushalt 1,2 Millionen Dollar abgezwackt und auf einem geheimen Genfer Konto gebunkert haben." (NZ vom 26. November, Seite 5) Nach wie vor ist die Partei bestrebt, rechtsextremistisch motivierte Relativierung Gewalt zu relativieren: rechtsextremistischer Gewalt "Massenmedien und Politiker täuschen uns vor, die Republik werde von 'rechten Gewalttätern' bedroht. Auf der Strecke bleibt dabei die Realität. Deutsche wie ausländische Frauen beispielsweise fürchten sich in diesem Land bei Dunkelheit nicht vor jungen Leuten mit nationaler Gesinnung, sondern vor ganz anderen Gestalten." (NZ vom 25. Juni, Seite 1) 54 Rechtsextremismus "Völlig durchgeknallt: Die bundesdeutsche Journaille stürzt sich gegenwärtig wie von Sinnen auf einen in München laufenden Prozess gegen ein paar selbst ernannte 'Neonazis'. Dem Unsinn sind dabei offenbar keine Grenzen gesetzt. (...) Unter 83 Millionen Bundesbürgern gibt es leider einige Spinner, darunter möglicherweise auch ein paar gefährliche. (...) Davon geht allerdings die Welt nicht unter. Die antideutsche Meinungsindustrie aber will der ganzen Welt erzählen, ein paar Verrückte hätten die Demokratie in diesem Lande gefährdet. Es liegt auf der Hand, dass nach den nationalen Wahlerfolgen in Brandenburg und Sachsen eine neue Stimmung gegen Rechte erzeugt werden soll, um Macht und Pfründe für Herrschende zu sichern. Da ist dieser Prozess natürlich ein gefundenes Fressen." (NZ vom 15. Oktober, Seite 5) Diffamierung Häufig werden demokratische Institutionen und ihre Repräsentanten demokratischer diffamiert. Auf diese Weise soll das Vertrauen in diese Institutionen Institutionen und den von ihnen getragenen Rechtsstaat untergraben werden. Die Wortwahl macht deutlich, dass es sich dabei nicht um Kritik an einzelnen Entscheidungen oder Entscheidungsträgern handelt, sondern am System der parlamentarisch repräsentativen Demokratie: "Außer asozialem Sozialabbau (Sparen, Kürzen und Streichen hauptsächlich bei solchen Deutschen, die ohnehin schon gebeutelt sind), verbunden mit jeder Menge Sprechblasen-Bla-Bla fällt führenden Vertretern der herrschenden bundesrepublikanischen Politkaste nichts ein, um die kranke Volkswirtschaft gesunden zu lassen und die chronisch schwindsüchtigen öffentlichen Kassen zu sanieren (...) Dabei ist der Rotstift an und für sich richtig. (...) Auch beispielsweise bei der hemmungslosen Abzockerei vieler Vertreter der herrschenden Politkaste und ihres in die Abertausende gehenden Parteifreundegesponses." (NZ vom 16. Januar, Seite 1) "Was der Öffentlichkeit als tiefsitzende Meinungsverschiedenheit verkauft wird, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Scheingefecht, um nicht zu sagen als eines jener Schmierentheater, die etablierte Politiker ... dem deutschen Volk laufend vorführen." (NZ vom 13. Februar, Seite 1) "Und tatsächlich, kein Tag vergeht, ohne dass neue monströse moralische Deformationen der hierzulande Herrschenden enthüllt werden." (NZ vom 20. Februar, Seite 14) Rechtsextremismus 55 "Das deutsche Volk wird von Polit-Etablierten gelackmeiert und vergackeiert und diese Republik ist spätestens die nächsten zwei, drei Jahre überreif für einen deftigen Rechtsruck." (NZ vom 27. Februar, Seite 3) "Das Kartell der etablierten Parteien macht eine Politik gegen die Interessen und gegen den Nutzen des deutschen Volkes." (NZ vom 24. September, Seite 3) "Warner vor dem Untergang des Abendlandes der bodenständigen europäischen Völker und ihrer Kulturen werden in einem System, das sich frevelhaft Demokratie nennt und Meinungsfreiheit heuchelt, die längst zur Einbahnstraße geworden ist, als 'Rassisten' und 'Rechtsextremisten' niedergemacht. Quo vadis verratenes Europa?" (NZ vom 5. November, Seite 3) Unter der Überschrift "Durchs wilde Korruptistan" hieß es: "Man sollte es nicht für möglich halten: Während die drastischen Sparmaßnahmen der Bundesregierung im Renten-, Gesundheitsund Sozialwesen insbesondere alte, kranke und arbeitslose Deutsche zum Teil bis an die Existenzgrenze drücken, lassen es sich Politiker und hohe Beamte nicht nur mit horrenden Bezügen und luxuriöser Altersversorgung aus der Steuerkasse gut gehen, sondern werden vielfach auch noch von interessierter Seite bestochen und geschmiert." (NZ vom 16. April, Seite 1) 2.2.2 Organisation Die Mitgliederzahl der DVU ist bundesweit um etwa 500 Personen Rückläufige auf 11.000 zurückgegangen; in Bayern zählt die Partei wie im Jahr 2003 Mitgliederzahl 1.200 Mitglieder. Seit 1994 hat die Partei damit 9.000 Mitglieder verloren. Die DVU hat keine Jugendorganisation und betreibt keine Jugendarbeit. Sie verfügt in allen Bundesländern nominell über Landesverbände, die jedoch öffentlich - außer bei Wahlen, z.B. am 19. September in Brandenburg - kaum in Erscheinung treten. Auf Bezirks-, Kreisund Ortsebene ist die DVU ebenfalls kaum vertreten. Der bedingungslose Machtanspruch des Vorsitzenden Dr. Frey lässt den Unterorganisationen keinen Handlungsspielraum. Im Verlag des Parteivorsitzenden erscheint die "National-Zeitung/Deutsche WochenZeitung" (NZ) als Werbeträger und publizistisches Sprachrohr der DVU. Nach wie vor ist die DVU bei ihrem Vorsitzenden verschuldet. 56 Rechtsextremismus Die Personalunion von Vorsitzendem und Kreditgeber verleiht Dr. Frey eine ungewöhnliche Machtfülle. 2.2.3 Beteiligung an Wahlen Die Partei hält nach wie vor an ihrer Taktik fest, nur dort zu kandidieren, wo sie sich Erfolgschancen ausrechnet. Daher verzichtete sie auf eine Beteiligung an der Europawahl 2004 und konzentrierte sich auf Erneuter die Landtagswahl am 19. September in Brandenburg. Im Wahlkampf Wahlerfolg in präsentierte sie sich als Protestpartei. Schwerpunkte ihres WahlBrandenburg programms waren die Themen Überfremdung, Kriminalität, Massenarbeitslosigkeit, soziale Gerechtigkeit und der Widerstand gegen die "Hartz IV-Gesetze". Vor Ort trat der relativ inaktive DVU-Landesverband Brandenburg fast nur durch Plakatwerbung und Postwurfsendungen in Erscheinung. Mit einem Stimmenanteil von 6,1 % (1999: 5,3 %) gelang der DVU der Wiedereinzug in den Landtag. Sie stellt nunmehr sechs statt bislang fünf Abgeordnete. Zu diesem Erfolg hat offenbar die am 23. Juni mit der NPD getroffene Wahlabsprache beigetragen. Wegen der angeblich "zunehmenden Überfremdung und der sozialen Verarmung der Deutschen" hatten die Vorsitzenden von DVU und NPD damals vereinbart, bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen nicht gegeneinander zu konkurrieren. Sie empfahlen den "nationalen Wählern", in Brandenburg für die DVU und in Sachsen für die NPD zu stimmen, um in beiden Ländern "nationale Abgeordnete ins Parlament zu bringen". Die Vorsitzenden von DVU und NPD beschlossen nach den Wahlerfolgen in Brandenburg und SachWahlabsprache sen, dass beide Parteien auch bei der Bundestagswahl 2006 und der mit der NPD Europawahl 2009 kooperieren werden. Künftig solle möglichst nur eine "nationale Liste" aufgestellt werden. Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 26. September trat die DVU nur in einzelnen Kommunen an und erreichte landesweit insgesamt vier Mandate (1999: drei). Sie gewann bei den Stadtratswahlen in Dortmund drei Mandate sowie in Stolberg einen Sitz. Rechtsextremismus 57 2.2.4 Bundesparteitag An dem Bundesparteitag der DVU am 20. März in München beteiligten sich etwa 150 Mitglieder und Sympathisanten. Bei der Wahl des Bundesvorstands wurde der Bundesvorsitzende Dr. Gerhard Frey mit Wiederwahl des 99 % der abgegebenen Stimmen in seiner Funktion bestätigt. Einen Parteivorsitzenden der beiden Stellvertreterposten besetzt wie bisher der Vorsitzende des Landesverbands Bayern Bruno Wetzel. Als Nachfolger des Anfang März verstorbenen stellvertretenden Bundesvorsitzenden Heinrich Gerlach wurde der DVU-Abgeordnete der Bremer Bürgerschaft Siegfried Tittmann gewählt. Dr. Frey rief in seiner Grundsatzrede dazu auf, alle Kräfte auf die bevorstehende Landtagswahl in Brandenburg zu konzentrieren. Eine scharfe Opposition gegen den deutschfeindlichen Kurs der etablierten Parteien sei das Gebot der Stunde. Zur aktuellen Finanzlage der DVU gab Dr. Frey bekannt, dass sich die Parteischulden von 2.400.000 Euro im Jahr 2003 auf 1.450.000 Euro reduziert hätten. 2.3 Die Republikaner (REP) Deutschland Bayern Mitglieder: 7.500 2.800 Vorsitzender: Dr. Rolf Schlierer Johann Gärtner Gründung: 1983 Sitz: Berlin Publikation: Zeit für Protest! (bisher: Der Republikaner) 2.3.1 Ideologisch-politischer Standort Die Partei bemüht sich weiterhin, in ihren öffentlichen Verlautbarungen Aussagen mit eindeutig rechtsextremistischer Zielsetzung zu vermeiden. Überzogene Prognosen der Partei, die ein Zerrbild von Nationalismus Deutschen als "Minderheit im eigenen Land" vorspiegeln, lassen aber immer wieder einen übersteigerten Nationalismus, verbunden mit Ressentiments gegen Ausländer sowie fremde Staaten und Völker erkennen. "Die Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung heißt weder Klassenkampf noch Turbokapitalismus und Manchester-Liberalismus. Sie heißt: Nationale Solidarität. (...) Viele Verteilungskämpfe, die uns noch 58 Rechtsextremismus bevorstehen, könnten uns erspart bleiben, hätten wir uns nicht Scharen von ungebetenen Gästen ins Haus geholt." (Zeit für Protest! Nummer 7-8/2004, Seite 1) "Ein türkischer EU-Beitritt bedeutet für Deutschland den sicheren Ruin durch Masseneinwanderung und Milliardenzahlungen." (Pressemitteilung 02/04 vom 9. Januar) Rassismus und Als verhängnisvolle Fehlentscheidung kritisierten die REP die ZustimFremdenfeindlichmung des Deutschen Bundestags zur Aufnahme von EU-Beitrittskeit verhandlungen mit der Türkei: "Dieses Votum widerspricht dem deutschen Interesse. (...) Mit ihrem egoistischen Starrsinn bereiten Schröder und Fischer eine finanzielle und politische Katastrophe für Deutschland und Europa vor." (Pressemitteilung 64/04 vom 16. Dezember) Das Parteiorgan polemisierte gegen eine Gleichstellung von Ausländern und Deutschen aufgrund der Zusammenlegung von Arbeitslosenund Sozialhilfe: "Die Gesetze ... sind aber nicht nur bürokratisch, sondern auch ungerecht. Sie machen keinen Unterschied zwischen Empfängern, die vorher einen Beitrag zur Solidargemeinschaft geleistet haben, und den zahllosen, meist eingewanderten Trittbrettfahrern und blinden Passagieren des heruntergewirtschafteten deutschen Wohlfahrtsstaates." (Zeit für Protest! Nummer 7-8/2004, Seite 2) Im Vorfeld der EU-Osterweiterung zum 1. Mai schürten die REP Ängste vor einer Völkerwanderung von "1,5 Millionen Zigeunern" in die deutschen Sozialsysteme: "Nicht nur Tschechen und Slowaken, Polen und Ungarn werden nämlich am 1. Mai EU-Bürger, sondern auch 1,5 Millionen Zigeuner, die schon auf gepackten Koffern sitzen. Von diesem Tag an, so hoffen sie, können sie sich europaweit niederlassen, flüchten aus einem Leben als geächtete, hoffnungslose, elende Unterklasse. (...) Am 1. Mai sind die Grenzen offen, da lockt die viel komfortablere deutsche Sozialhilfe. Deutschland darf sich schon mal auf eine neue Völkerwanderung einstellen." (Zeit für Protest! Nummer 3-4/2004, Seite 5) Revisionismus In der Tendenz revisionistisch ist ein Beitrag mit der Überschrift "Peinliche Anbiederung", in dem Bundeskanzler Schröder wegen seiner Rechtsextremismus 59 Teilnahme an dem internationalen Treffen zum 60. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie angegriffen wurde: "Früher führten Sieger in ihren Triumphzügen gerne prominente Exemplare des besiegten Feindes mit, um sie zu demütigen und dem allgemeinen Spott preiszugeben. Heute lädt man sie ein, und sie kommen freiwillig. Bundeskanzler Schröder jedenfalls war stolz darauf, daß die Weltkriegs-Alliierten ihn zur Feier des 60. Jahrestags der Landung in die Normandie eingeladen hatten. (...) Für einen deutschen Kanzler ist es würdelos, sich charakterlos und mediengeil ins Rampenlicht zu drängen, wenn andere ihre Siege in einem Krieg feiern, der Millionen Deutschen Tod und Verderben gebracht hat." (Zeit für Protest! Nummer 7-8/2004, Seite 12) 2.3.2 Aushöhlung des offiziellen Abgrenzungskurses und Bündnisbestrebungen Ein bereits 1990 gefasster Parteitagsbeschluss, wonach bei den REP niemand eine Funktion übernehmen darf, der in extremistischen und verfassungsfeindlichen Organisationen eine aktive Rolle gespielt hat, gilt innerparteilich als grundsätzliche Abgrenzungserklärung gegenüber allen anderen Organisationen des rechtsextremistischen Spektrums. Allerdings tragen regionale Gliederungen der REP und einzelne Parteifunktionäre diesen Beschluss nicht mit. So kandidierten MitglieWahlbündnisse der der REP, der DVU, der NPD, der DP und "parteiungebundene mit anderen Patrioten" bei der sächsischen Kommunalwahl am 13. Juni in Dresden Rechtsextremisten für ein von der NPD dominiertes "Nationales Bündnis Dresden e.V." (NBD). In Chemnitz bildeten Mitglieder der REP, der DSU, der NPD und der DP ein Wahlbündnis unter Federführung der REP. Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 26. September kandidierten auf REP-Listen in Lüdenscheid auch NPD-Mitglieder und in Düsseldorf ein DVU-Mitglied. In Sachsen zog die damalige REP-Landesvorsitzende Kerstin Lorenz - entgegen der offiziellen Absicht der Partei - einen Tag vor Ablauf der Frist die Wahlvorschläge für die REP-Landesliste bei der dortigen Landtagswahl zurück. Im NPD-Parteiorgan "Deutsche Stimme" rief sie zur Wahl der NPD auf und trat später der NPD bei. Vor der Landtagswahl in Brandenburg sprach der Berliner REP-Landesvorstand eine klare Wahlempfehlung zugunsten der DVU aus. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Björn Clemens, der sich auf dem Bundesparteitag der REP am 27./28. November in Veitshöchheim, 60 Rechtsextremismus Landkreis Würzburg, um das Amt des Bundesvorsitzenden bewarb, verfasste vor seiner Kandidatur ein Positionspapier mit dem Titel "Denkanstöße zur weiteren Entwicklung der Partei". Darin bezeichnete er es als unnötig und kontraproduktiv, sich über die "Ablehnung oder Zustimmung zu anderen Parteien zu definieren". Die Parteiführung um Dr. Schlierer hielt trotz wachsender innerparteilicher Kritik, zahlreicher Austritte führender Funktionäre und meistens ausbleibender Wahlerfolge bisher unbeirrt an ihrem AbgrenBestätigung zungskurs fest. Auf dem Bundesparteitag am 27./28. November verdes bisherigen abschiedeten die Delegierten eine Resolution, in der sie die Betei"Anti-Volksfrontligung an einer "rechten Volksfront" ebenso wie eine ZusammenKurses" arbeit mit Parteien, die den Staat oder die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen, kategorisch ablehnten. Gemeinsame Aktivitäten und Kandidaturen mit der NPD oder mit neonationalsozialistischen Organisationen und deren Umfeld seien ausgeschlossen. Diese Resolution ersetzt den so genannten "Ruhstorfer Beschluss" vom 8. Juli 1990, der damals noch unter dem Parteivorsitz von Franz Schönhuber die Abgrenzung der Republikaner gegenüber extremistischen oder als verfassungsfeindlich eingeschätzten Organisationen festlegte. Insoweit konnte sich Dr. Schlierer mit seinem "Anti-Volksfront"-Kurs nochmals durchsetzen; das beachtliche Wahlergebnis seines Gegenkandidaten Björn Clemens zeigt jedoch deutlich, dass es innerhalb der REP unverändert Widerstand gegen die Abgrenzungspolitik der Parteiführung gibt. Angesichts des Erfolgs der "Volksfront"-Politik der NPD scheinen inzwischen Zweifel an der Opportunität des eigenen Konzepts zu bestehen, die in eine grundlegende politische Neuausrichtung münden könnten. Bereits Ende Oktober vereinbarten die Parteivorsitzenden der REP, der "Frankfurter DP und der Deutschen Sozialen Union (DSU) in einer "Frankfurter Erklärung" Erklärung" eine engere Zusammenarbeit ihrer Parteien mit dem Ziel, zusammen mit weiteren Parteien eine seriöse und demokratische Alternative zu den Bundestagsparteien rechts von der Union zu etablieren. Eine Kooperation mit der "Volksfront von NPD/DVU und Neonazis" komme dabei nicht in Frage. Grundlage der Zusammenarbeit sei das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die "Erhaltung unseres Staates". Dazu seien allerdings Reformen erforderlich, die auf parlamentarischem Weg umgesetzt werden müssten. Rechtsextremismus 61 Nachdem der DP-Bundesvorstand diese Vereinbarung am 21. November mehrheitlich widerrufen hatte, äußerte Dr. Schlierer am 26. November in einem Interview: "In der DP gibt es derzeit einen internen Machtkampf. Schuld daran sind gewisse Personen, deren dubiose Rolle wir aus der eigenen Vergangenheit bereits kennen. Die DP wird sich wie wir von diesen Agents provocateurs trennen und dann zusammen mit uns die 'Frankfurter Erklärung' zielstrebig umsetzen." 2.3.3 Organisation Die Mitgliederzahl der REP ist seit Jahren rückläufig. Während die ParRückläufige tei 1994 bundesweit rund 20.000 Mitglieder zählte, waren es im Jahr Mitgliederzahl 2004 nur noch etwa 7.500 (2003: 8.000); am stärksten sind die Landesverbände in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Dr. Rolf Schlierer ist seit Ende 1994 Parteivorsitzender. Seine Stellvertreter sind Björn Clemens, Johann Gärtner, Haymo Hoch und Ursula Winkelsett. Der von Johann Gärtner geführte Landesverband Bayern zählt wie im Jahr 2003 etwa 2.800 Mitglieder. Der Bundesverband, der Landesverband Bayern und weitere REP-Gliederungen sind mit eigenen Homepages im Internet vertreten. Das Parteiorgan "Der Republikaner" wurde Anfang 2004 in "Zeit für Protest!" umbenannt. 2.3.4 Teilnahme an Wahlen Sowohl bei der Wahl zum Europäischen Parlament am 13. Juni als Europawahl auch bei der gleichzeitig durchgeführten Landtagswahl in Thüringen scheiterte die Partei deutlich an der 5 %-Hürde, konnte aber den anhaltenden Abwärtstrend der letzten Jahre stoppen. Aus beiden Wahlen gingen die REP als stärkste Partei des rechtsextremistischen Spektrums hervor; außerdem erlangten sie einen Anspruch auf Leistungen aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Nach dem amtlichen Endergebnis erzielten die REP bei der Europawahl einen Stimmenanteil von 1,9 % (1999: 1,7 %). Am erfolgreichsten waren sie in Sachsen (3,4 %), gefolgt von Baden-Württemberg (2,8 %) und Rheinland-Pfalz (2,7 %). In Bayern steigerten 62 Rechtsextremismus sich die REP gegenüber der Europawahl 1999 von 1,9 % auf 2,3 %. Die besten Ergebnisse erreichten sie dabei in Rosenheim mit 5,6 % und im Landkreis Würzburg mit 5,1 % der Stimmen. Die REP kandidierten zur Europawahl mit einer 15 Kandidaten umfassenden Liste. Spitzenkandidatin war die stellvertretende Bundesvorsitzende und Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen Ursula Winkelsett, gefolgt vom Bundesvorsitzenden Dr. Rolf Schlierer. Zwei Bewerber aus Bayern nahmen die Listenplätze sieben und zwölf ein. Programm In ihrem Programm zur Europawahl forderten die REP ein Europa der zur Europawahl Vaterländer auf der Grundlage des gemeinsamen kulturellen Erbes, das es zu verteidigen gelte. Eine der wichtigsten Aufgaben der EU sei eine restriktive Ausländerund Asylpolitik zwecks Erhalts der europäischen Identität. Nur ein Zuwanderungsstopp für Nichteuropäer in Verbindung mit einem Rückführungsprogramm biete die Chance, die bereits stattfindende "Überfremdung" einzudämmen. Überdies könnten der EU nur zivilisierte Staaten angehören. Polen und die Tschechische Republik gehörten bis zur Aufhebung der Bierutund Benes-Dekrete sowie der Anerkennung der Vertreibungsverbrechen nicht dazu. Des Weiteren traten die REP für die Abschaffung des Euro und die Rückkehr zur Deutschen Mark ein. Wahlwerbung Mit Parolen wie "Europa ohne Türken", "Abzocker stoppen" und "Sozialabbau, Altersarmut. Wir haben etwas dagegen!" forderte die Partei auf Plakaten, Postkarten und Flugblättern die Wähler dazu auf, den "Altparteien" die Rote Karte zu zeigen und "einen Denkzettel zu verpassen". In Bayern fanden Wahlveranstaltungen mit der Spitzenkandidatin Ursula Winkelsett im März in Rosenheim und Deggendorf sowie im Mai in Freilassing statt. Winkelsett betonte in Freilassing, die REP kandidierten bei der Europawahl, um 70 Millionen Deutschen eine Stimme zu geben und nicht den drei Millionen hier lebenden Türken. Landtagswahl Zur Landtagswahl in Thüringen kandidierten die REP mit einer Landesin Thüringen liste von neun Bewerbern. In ihrem Wahlprogramm widmeten sie sich insbesondere Themen wie Arbeits-, Gesundheitsund Sozialpolitik. Wie die NPD konnten auch die REP ihr Wahlergebnis in Thüringen deutlich steigern. Mit einem mehr als verdoppelten Stimmenanteil von 2,0 % (1999: 0,8 %) erwarb die Partei wie schon bei der Europawahl einen Anspruch auf Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung. An den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am 19. September beteiligten sich die Republikaner nicht. Rechtsextremismus 63 2.3.5 Sonstige Aktivitäten Am 25. Februar eröffneten die REP in Geisenhausen, Landkreis LandsPolitischer hut, mit ihrer alljährlichen Aschermittwochsveranstaltung den EuropaAschermittwoch wahlkampf. An dem Treffen nahmen rund 200 Besucher teil. Der Bundesvorsitzende Dr. Rolf Schlierer bezeichnete die Bundesregierung als "Karnevalstruppe", die Deutschland auch nach Faschingsende weiter zur Lachnummer mache. Es gelte, sich der Zerstörung des Sozialstaats durch inkompetente und rückgratlose Politiker der "Berliner Altparteien" zu widersetzen. Scharf kritisierte Dr. Schlierer die geplante Osterweiterung der EU; zugleich warnte er vor einem Beitritt der Türkei. Der REP-Landesverband Bayern hielt am 24. April in Schechen, LandLandesparteitag kreis Rosenheim, seinen Landesparteitag ab. Unter den rund 80 Teilin Schechen nehmern befanden sich auch der Bundesvorsitzende Dr. Rolf Schlierer sowie seine Stellvertreterin und Europawahlspitzenkandidatin Ursula Winkelsett. Bei den Vorstandswahlen wurde der Landesvorsitzende Johann Gärtner mit großer Mehrheit wieder gewählt. Gärtner erwartet aufgrund der Zusammensetzung des Vorstands eine konstante Fortführung der bisherigen Parteiarbeit. Er rief dazu auf, den Europawahlkampf optimistisch anzugehen und die Bevölkerung im Kampf gegen den Sozialabbau zu unterstützen. Der Bundesvorsitzende Dr. Schlierer betonte in seiner Eröffnungsrede die seit Jahren erhobene Forderung der Partei, die Sozialversicherungssysteme von versicherungsfremden Leistungen zu befreien und vor missbräuchlicher Inanspruchnahme zu schützen. Mit dem Begriff der "versicherungsfremden Leistungen" wenden sich die REP vor allem gegen die Ausländerund Sozialpolitik der Bundesregierung: "Solidargemeinschaft bedeutet Leistung und Gegenleistung, also Ansprüche erst nach vorangegangener eigener Leistung. Bei der Fehlsteuerung unserer Sozialsysteme brauchen wir uns über leere Rentenkassen nicht zu wundern." (Presseerklärung vom 25. April) Die deutliche Wiederwahl von Johann Gärtner zum bayerischen Landesvorsitzenden - trotz anhaltender Erfolglosigkeit der Partei auch auf Landesebene - dokumentiert den Mangel an personellen Alternativen. Frühere Kritiker des auch von Gärtner unterstützten Abgrenzungskurses des Bundesvorsitzenden sind inzwischen aus der Partei ausgetreten bzw. wurden in Einzelfällen ausgeschlossen. 64 Rechtsextremismus Bundesparteitag Auf dem Bundesparteitag am 27./28. November in Veitshöchheim, in Veitshöchheim Landkreis Würzburg, bestätigten die Delegierten den Bundesvorsitzenden Dr. Rolf Schlierer in seiner Funktion. Von 249 abgegebenen Stimmen erhielt Dr. Schlierer 145 Stimmen; auf seinen Gegenkandidaten Björn Clemens entfielen 99 Stimmen. Als stellvertretende Bundesvorsitzende wurden die nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Ursula Winkelsett und ihr bei der Wahl des Bundesvorsitzenden unterlegener Stellvertreter Björn Clemens sowie der bayerische Landesvorsitzende Johann Gärtner und der hessische Landesvorsitzende Haymo Hoch wieder gewählt. Bundesschriftführerin blieb Monika Ewert aus Bayern. Dr. Schlierer betonte in seiner Rede, dass er künftig sozialpolitische Themen in den Mittelpunkt stellen und die Zusammenarbeit mit anderen demokratischen Parteien und Gruppierungen suchen wolle. In einem Leitantrag bekräftigten die REP ihre Ablehnung einer multikulturellen Gesellschaft; Zuwanderer müssten sich assimilieren oder gehen. Erforderlich sei ein Rückwanderungsgesetz als rechtlicher Rahmen für die "umgehende Rückführung auf eigene Kosten aller nicht assimilierungswilliger Zuwanderer" in ihre Heimatländer. In einem zweiten Leitantrag lehnten die REP einen EU-Beitritt der Türkei ab und forderten hierüber eine Volksabstimmung. In einer "Grußadresse an alle Menschen deutscher Zunge jenseits von Oder und Sudeten" sprach sich der Bundesparteitag für Minderheitenrechte für die Deutschen in den abgetrennten Ostgebieten aus. 2.4 Deutsche Partei - Die Freiheitlichen (DP) Deutschland Bayern Mitglieder: 500 (geschätzt) 70 Vorsitzender: Dr. Heiner Kappel Ulrich Pätzold Gründung: 1993 Sitz: Bad Soden/Hessen Publikation: Deutschland-Post 2.4.1 Ideologisch-politischer Standort Seit ihrer Gründung im Jahr 1993 versuchte die DP - anfangs erfolglos - mit anderen kleinen "konservativ und national" ausgerichteten Parteien eine gemeinsame politische Einheit zu bilden. Unter dem im Rechtsextremismus 65 Jahr 2001 gewählten Bundesvorsitzenden Dr. Heiner Kappel gelang Sammelbecken es der DP, sich enttäuschten Mitgliedern von Parteien aus dem "rechenttäuschter ten Lager", u.a. ehemaligen REP-Funktionären, als Alternative anzuRechtsextremisten bieten. Diese Offenheit gegenüber anderen "patriotisch" gesonnenen Parteien wurde vom Parteivorstand am 31. August 2003 als Nicht-Abgrenzungsabschluss formuliert: "Die Deutsche Partei bewertet jedwede politische Ausgrenzung und Abwertung als inhuman, intolerant und undemokratisch. Für die DP lebt die Demokratie von der Vielfalt der politischen Meinungen und dem Wettstreit um den besten Weg. Deshalb ist die Deutsche Partei gegenüber jeder politischen Gruppierung - von der PDS bis zur NPD - gesprächsund diskussionsbereit." Auf dem Bundesparteitag am 4. Oktober 2003 in Fulda fusionierte Fusion mit rechtsdie DP mit der "Freiheitlichen Deutschen Volkspartei" (FDVP), einer extremistischer als Abspaltung der DVU in Sachsen-Anhalt gegründeten SplitterparSplitterpartei tei. Mit dem Zusammenschluss wurde die FDVP aufgelöst; die Bezeichnung "Deutsche Partei" erhielt den Zusatz "Die Freiheitlichen". In ihren öffentlichen Verlautbarungen vermied die DP bisher weitgehend Aussagen mit eindeutig rechtsextremistischer Zielsetzung. Dennoch lassen die Art der Darstellung aktueller Probleme sowie die RechtsextremisVerunglimpfung von Repräsentanten demokratischer Institutionen in tische Grundeiner Gesamtschau die grundsätzliche Ablehnung von wesentlichen haltung Prinzipien unserer Verfassung erkennen. Dies äußert sich in übersteigertem Nationalismus, in Fremdenfeindlichkeit und Ressentiments gegen Minderheiten. So fordert die DP in einem auf ihrer Internet-Homepage enthaltenen Positionspapier: "Schluß mit der schrankenlosen Zuwanderung nach Deutschland. (...) Schluß mit dem Multi-Kulti-Wahn. (...) Schluß mit den überzogenen Zahlungen Deutschlands an die Europäische Union, die UN und weitere internationale Organisationen. Schluss mit der Scheckbuchpolitik unserer etablierten Parteien, die seit Jahrzehnten das Geld der Bürger mit vollen Händen in der Welt austeilen. (...) Schluß mit der verkrampften Selbstbeschuldigung und Selbsterniedrigung Deutschlands vor aller Welt. (...) Wir wollen endlich Geschichte beschreiben statt Geschichte klittern." Im Parteiorgan "Deutschland-Post" diffamierte der damalige Bundesvorsitzende Dr. Kappel Repräsentanten demokratischer Parteien: "Deutschland wird von Gestalten regiert, die mir jeden Morgen Grauen verursachen. Der Amtseid, alles für das deutsche Volk zu tun und Scha- 66 Rechtsextremismus den von ihm abzuwenden, ist längst in Vergessenheit geraten." (Deutschland Post, Februar 2004, Seite 1) In der Aprilausgabe der "Deutschland-Post" wurde die "Zerstörung der deutschen Sprache" als geopolitisches Ziel der USA zur Aufrechterhaltung der Fremdbestimmung bezeichnet: "Die Medien, ob Rundfunk oder Fernsehen, sind in Deutschland zu hundert Prozent Besatzersender. Die privaten Rundfunkund Fernsehanstalten sind durch Hollywood der direkte Arm der Umerzieher. Die Zerstörung der deutschen Sprache und der deutschen Lebensform ist das Ziel, denn ein Volk, das seine Sprache nicht mehr spricht, ist tot. Und ein totes Volk wird niemals wieder sein Selbstbestimmungsrecht einfordern. (...) Doch die Machtclique in den USA wird lernen müssen, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Denn wo eine Bewegung ist, entsteht auch immer eine Gegenbewegung, und außerdem ist der Fäulnisund Gärungsprozeß in den USA schon weiter fortgeschritten, als sie und ihre Handlanger in Europa es wahrhaben wollen." (Deutschland-Post, April 2004, Seite 4) Im Oktober startete die DP eine Unterschriftenaktion "Nein zum EU-Beitritt der Türkei". Sie betrachtet die Aufnahme der Türkei als "Schicksalsfrage des Deutschen Volkes" und erwartet im Falle einer Mitgliedschaft einen Zuzug von mehr als zehn Millionen Türken in die EU. 2.4.2 Kontakte zu anderen Rechtsextremisten Auf dem Bundesparteitag im Oktober 2003 in Fulda hatte die DP beschlossen, bei der Europawahl 2004 selbständig anzutreten, falls es nicht gelingen sollte, bis Ende Oktober 2003 ein Wahlbündnis mit anderen Gruppierungen einzugehen. Dr. Kappel wandte sich danach in einem offenen Brief "an alle bürgerlich-patriotischen, wertkonservativen und freiheitlichen politischen Gruppierungen in der Bundesrepublik, denen tatsächlich noch etwas an der Zukunft Deutschlands Misslungene und des deutschen Volkes liegt" und forderte für die Europawahl Bildung einer 2004 eine gemeinsame Liste der "bürgerlichen deutschen Rechten", Listenverbindung die jedoch nicht zustande kam. Die DP hielt dennoch an ihrem Öffzur Europawahl nungskurs gegenüber anderen - auch extremistischen - Organisationen fest und räumte u.a. einem REP-Mitglied einen Platz auf ihrer Europawahlliste ein. Rechtsextremismus 67 Bei der am 13. Juni parallel zur Europawahl durchgeführten KommuBeteiligung an nalwahl war die DP in Sachsen in zwei Wahlbündnissen vertreten. In rechtsextremisDresden stellten sich im "Nationalen Bündnis Dresden e.V." (NBD) tischen WahlMitglieder der NPD, der DVU, der REP, der DP und "parteiungebunbündnissen dene Patrioten" dem Votum der Wähler. In Chemnitz traten in einem Wahlbündnis unter der Federführung der REP Mitglieder der REP, der DSU, der NPD und der DP an. In Würzburg beschloss am 26. Juni die rechtsextremistische Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) eine enge Zusammenarbeit mit der DP. Am 2. November veröffentlichte die DP im Internet eine Meldung, wonach die Parteivorsitzenden der REP, der DP und der Deutschen Sozialen Union (DSU) Ende Oktober in einer so genannten "Frank"Frankfurter furter Erklärung" eine engere Zusammenarbeit vereinbart hätten. Erklärung" Während die REP auf ihrer Internet-Seite in einer weitgehend identischen Verlautbarung betonten, dass dabei eine Kooperation mit der "Volksfront von NPD/DVU und Neonazis" nicht in Frage komme, fehlte eine solche Abgrenzung in dem von der DP ins Internet eingestellten Text. Der DP-Bundesvorstand lehnte am 21. November die in der"Frankfurter Erklärung" angekündigte Kooperation mehrheitlich ab: "Ein Bündnis zu dieser Zeit führt nur zu einer weiteren Spaltung des patriotisch-freiheitlichen Parteiengefüges und verringert die Chancen für die nationalen Parteien, im Jahr 2006 unter einer gemeinsamen Liste in den Bundestag einzuziehen. Verhandlungen mit dem Bundesvorstand der Republikaner hinsichtlich einer möglichen Zusammenarbeit mit der DEUTSCHEN PARTEI sind erst wieder möglich, wenn bei der Partei DIE REPUBLIKANER der so genannte Ruhstorfer Beschluß auf Dauer außer Kraft gesetzt wird." Dessen ungeachtet bekräftigte Dr. Kappel am 27. November auf dem REP-Bundesparteitag in seinem Grußwort die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den REP. 2.4.3 Organisation Die Deutsche Partei befindet sich noch im Aufbau bzw. Ausbau. So wurden im November 2003 die Landesverbände Sachsen und Sachsen-Anhalt und im März 2004 der Landesverband Saarland gegrün- 68 Rechtsextremismus Landesverband det. Der Landesverband Bayern gliedert sich derzeit in die BezirksverBayern bände Oberbayern, Niederbayern, Oberpfalz, Schwaben und das "Gebiet Franken". Der Bundesverband, der Landesverband Bayern und weitere DP-Gliederungen sind mit eigenen Homepages im Internet vertreten. Amtsenthebung Der Bundesvorsitzende Dr. Kappel wurde auf einer außerordentlichen des BundesBundesvorstandssitzung am 22. Januar 2005 seiner Ämter enthoben. vorsitzenden Vorangegangen waren interne Querelen um die Bündnispolitik der Partei. Die DP wird seitdem kommissarisch von den bisherigen drei Stellvertretern Claudia Wiechmann, Eberhard Lehmann und Ulrich Pätzold geleitet. 2.4.4 Teilnahme an Wahlen Europawahl Bei ihrer erstmaligen Teilname an einer Europawahl kandidierte die DP mit einer 20 Personen umfassenden Liste. In ihrem zwölf Punkte umfassenden Wahlprogramm wandte sich die Partei gegen die Ausbeutung Deutschlands als "Melkkuh Europas", lehnte einen europäischen Bundesstaat entschieden ab und forderte ein "Europa der souveränen Vaterländer", das auf die Staaten Europas zu beschränken sei mit der Folge, dass die Türkei kein Vollmitglied der EU werden könne. Mit einem Stimmenanteil von 0,2 % gelang der DP bei der Europawahl am 13. Juni nicht einmal der erhoffte Achtungserfolg. Landtagswahl Bei der Wahl zum saarländischen Landtag am 5. September blieb die im Saarland Partei mit einem Ergebnis von 0,1 % der Stimmen noch hinter dem Resultat der Europawahl zurück. An den Landtagswahlen am 19. September in Brandenburg und Sachsen nahm die DP nicht teil. 2.4.5 Aktivitäten in Bayern Am 18. Januar wurde in Fürstenfeldbruck das in den Vorjahren noch von den REP veranstaltete "Brucker Neujahrstreffen" erstmals unter der organisatorischen Leitung der DP durchgeführt. Dieses Treffen soll "Münchner künftig als Veranstaltung eines parteiübergreifenden "Münchner Bündnis" Bündnisses" stattfinden. Dabei orientieren sich örtliche Vertreter "national-patriotischer" Parteien und Gruppierungen wie der NPD, der DP, der REP und des Schutzbunds für das Deutsche Volk e.V. (SDV) offenbar am "Nationalen Bündnis Dresden e.V." (NBD), das bei der Rechtsextremismus 69 sächsischen Kommunalwahl einen Stimmenanteil von 4,0 % erzielt hatte und damit in Dresden drei Stadträte stellt. Die Aschermittwochsveranstaltung der DP fand am 25. Februar in Politischer Steinach, Landkreis Straubing-Bogen, statt. Vor rund 70 Teilnehmern Aschermittwoch polemisierte der damalige Bundesvorsitzende Dr. Kappel gegen die "herrschende Politikerkaste" und warf ihr vor, gesteuert gegen die Interessen des deutschen Volkes zu handeln. Beim Landesparteitag am 29. Juni in Ingolstadt bestätigten die DeleLandesparteitag gierten den bisherigen Landesvorsitzenden Ulrich Pätzold in seiner Funktion. Vor rund 50 Teilnehmern betonte Pätzold die Kooperationsbereitschaft der DP: "Das Wort Abgrenzung kennen wir nicht, unser gemeinsames Ziel heißt Deutschland!" 2.5 Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) Bayern Anhänger: Einzelpersonen Führender Repräsentant: Ralf Ollert Gründung: 2001 Sitz: Nürnberg Mitglieder und Sympathisanten der NPD initiierten Ende Juli 2001 in Nürnberg die Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) als parteiübergreifende Plattform für die Kommunalwahl 2002. Diese örtliche Wählergemeinschaft ermöglichte den NPD-Akteuren ein breites WahlbündTarnorganisation nis mit anderen Rechtsextremisten, das unter dem Etikett der NPD von NPD-Anhänallein nicht zustande gekommen wäre. Dabei sollten Protestwähler gern mit simplen Parolen gewonnen werden, wobei ein direkter Bezug zur NPD vermieden wurde. Führender Repräsentant der BIA ist der bayerische NPD-Landesvorsitzende Ralf Ollert, der bei der bayerischen Kommunalwahl 2002 als Spitzenkandidat der BIA mit einem Stimmenanteil von 2,3 % einen Sitz im Nürnberger Stadtrat erreichte. Das im Herbst 2002 vom Bayerischen Staatsministerium des Innern Aussetzung gegen die BIA eingeleitete Verbotsverfahren ruht, nachdem sich die des ErmittlungsGruppierung von den strafbaren Internet-Aktivitäten des für ihre verfahrens Homepage verantwortlichen Aktivisten Gerhard Ittner umgehend 70 Rechtsextremismus distanzierte und dessen Beiträge löschen ließ. Seitdem trägt die Homepage die "Handschrift" Ollerts. Sie ist nach wie vor extremistisch, jedoch weniger aggressiv und um strafrechtlich unangreifbare Inhalte bemüht. Nach außen trat die BIA im Berichtszeitraum lediglich durch einzelne Info-Stände in Erscheinung. 2.6 Deutschland-Bewegung/Friedenskomitee Deutschland Bayern Mitglieder: 150 80 Vorsitzender: Dr. Alfred Mechtersheimer Gründung: 1990 Sitz: Starnberg Publikationen: Pressespiegel mit "Frieden 2000 - Nachrichten für die Deutschland-Bewegung" Die 1990 gegründete Deutschland-Bewegung/Friedenskomitee mit Sitz in Starnberg besteht aus lokalen Kleingruppen. Die Aktivitäten beschränken sich auf Treffen einiger weniger Mitglieder. Überparteiliche Dr. Mechtersheimer arbeitet mit bekannten rechtsextremistischen SammlungsFunktionären bzw. Aktivisten verschiedenster Parteien und Gruppen bewegung zusammen. Mit der Auflösung der als Teilorganisation der Deutschland-Bewegung gegründeten Deutschen Aufbau-Organisation (DAO) im Jahr 2002 scheiterte der Versuch, die zahlreichen Strömungen des rechtsextremistischen Lagers zu einer Sammlungspartei zusammenführen. Dr. Mechtersheimer setzt dennoch weiterhin auf das aus seiner Sicht bewährte "Zwei-Säulen-Modell", nämlich "Bewegung und Partei". Ohne "parteiunabhängige Aufklärungsarbeit", welche die Deutschland-Bewegung leiste, könne es keine neue erfolgreiche Partei in Deutschland geben. BündnisAngesichts der Wahlerfolge der NPD in Sachsen und der DVU in Branbemühungen denburg verbreitete die Deutschland-Bewegung einen u.a. an die Bundesvorstände der REP, der DP und der DSU gerichteten "Aufruf der Basis". Diese Parteien sollten laut Dr. Mechtersheimer das Wahlbündnis zwischen NPD und DVU unterstützen und sich daran beteiligen Dr. Mechtersheimer, der ehemalige REP-Vorsitzende Franz Rechtsextremismus 71 Schönhuber und der Fraktionsvorsitzende der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen Holger Apfel diskutierten auf einer Veranstaltung am 20. November in Eschenlohe, Landkreis Garmisch-Partenkirchen, über das Thema "Deutsche Rechte im Aufbruch". Die politische Position der Deutschland-Bewegung/Friedenskomitee Nationalismus ergibt sich aus den regelmäßig erscheinenden Publikationen "Presseund Fremdenspiegel" und "Frieden 2000" sowie aus Flugblättern, die fremdenfeindlichkeit feindliche Tendenzen aufweisen und einen übersteigerten Nationalismus propagieren: "Zum Verlust der inneren Einheit kommt der ständige Abbau nationaler Souveränität und der laufende Milliarden-Transfer von Volksvermögen an internationale Organisationen wie EU, NATO und UNO. Übrig bleibt ein schwacher, ausgeplünderter Staat mit immer kleineren Gestaltungsspielräumen. (...) Wohin man schaut: Partikular-Interessen, doch keine VOLKSGEMEINSCHAFT ... !" (Flugblatt "Volksgemeinschaft? Oder nur noch Neidgesellschaft?") Ausländer werden pauschal diffamiert und für gesellschaftliche Probleme verantwortlich gemacht. So erklärte Dr. Mechtersheimer in einem Rundbrief: "Die beiden Hauptursachen des Desasters, der allumfassende Betrug und die Finanzierung alles Fremden werden nicht angefaßt. Die Gemeinden lassen ihre Infrastruktur verkommen wegen der immer weiter wachsenden Sozialausgaben für Menschen, die in das Sozialsystem einwandern. (...) Es droht die Gefahr, daß der Parlamentarismus zum zweiten Mal in der deutschen Geschichte in der Krise versagt. Nicht nur weil die Eliten keine sind, sondern weil das Volk total desinformiert wurde. Deutschland bricht nicht zusammen, aber das ökonomisch-politische System ist am Ende. Das ist die Lage." (Frieden 2000 - Nachrichten der Deutschland-Bewegung, Nummer 4/2004) In einem Interview mit der "National-Zeitung" (NZ) zur Frage, wie Deutschland wirklich zum Frieden beitragen könne, äußerte Dr. Mechtersheimer: "Es gibt zwei zentrale Kriegsursachen: das Vorherrschaftsstreben und die multikulturelle Gesellschaft. Deshalb ist der ethnisch homogene Nationalstaat der ideale Baustein für eine friedliche Welt. Heute dient der Kampf gegen US-amerikanische Vorherrschaft und kulturzerstörende Zuwanderung dem äußeren und dem inneren Frieden." (NZ vom 6. Februar, Seite 6) 72 Rechtsextremismus 2.7 Freundeskreis Demokratie Direkt München Deutschland Bayern Anhänger: 15 Leiter: Roland Wuttke Gründung: 2004 Sitz: München Publikation: München Direkt Umbenannter Ende 2003 hatte sich die rechtsextremistische Vereinigung "DemoZusammenschluss kratie Direkt München e.V." selbst aufgelöst. Ihr ehemaliger Leiter von RechtsextreRoland Wuttke setzte seine Aktivitäten unter der Bezeichnung misten "Freundeskreis Demokratie Direkt München" fort. So organisierte er mit seiner umbenannten Gruppierung zahlreiche Mahnwachen, Info-Stände und Demonstrationen im Raum München. Hierbei arbeitete er sowohl mit Aktivisten der Kameradschaft München als auch mit der NPD zusammen. Revisionismus Am 13. Februar trat er in München als Veranstalter einer Mahnwache zum Thema "Gedenken an Bombenterror in Dresden" in Erscheinung. Daran beteiligten sich etwa 40 Personen, darunter mehrere ehemalige Mitglieder und Sympathisanten des aufgelösten Vereins. Die Demonstranten entrollten schwarze Fahnen, verteilten Flugblätter und zeigten ein Schild mit der Aufschrift "Dresden, 13.02.1945 - Es war Völkermord". Für den 25. April meldete Wuttke bei der Landeshauptstadt München eine Mahnwache vor der Feldherrnhalle unter dem Motto "Gedenken an die Opfer des Gesinnungsterrors" an. Anlass war der Freitod eines 75-jährigen Rechtsextremisten, der sich am 25. April 1995 an der Feldherrnhalle verbrannt hatte, um damit gegen "50 Jahre unendlicher Verleumdung" und gegen die "Verteufelung eines ganzen Volks" zu protestieren. Wegen der hohen Symbolkraft des Versammlungsorts für Rechtsextremisten und der daraus resultierenden unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung verfügte die Versammlungsbehörde eine Verlegung der Mahnwache auf den Marienplatz. An der Kundgebung beteiligten sich rund 60 Personen. Antisemitismus Unter dem Leitspruch "Israelische Kriegsverbrechen zur Anklage bringen!" führte Roland Wuttke am 29. Mai eine Mahnwache in München durch. Weitere Mahnwachen folgten, so etwa am 17. Juni unter dem Rechtsextremismus 73 Motto "17. Juni - Selbstbestimmungsrecht statt Fremdherrschaft". Bei dieser Veranstaltung ließ Wuttke durch Aktivisten der Kameradschaft München eine Szene aus dem irakischen "Abu-Ghraib-GefängAntiamerikanismus nis" nachstellen. Auf der Internet-Seite der Organisation hieß es dazu: "Die Verbrechen Israels und der USA müssen Dauerthema werden und einen Paradigmenwechsel einleiten. Die historischen Parallelen sind aufzuzeigen, Komplizen und Handlanger zu benennen. Der Befreiungs-Nationalismus der Palästinenser und der Iraker findet die Solidarität des nationalen Widerstandes, da er sich gegen dieselben Mächte wendet, die Deutschland besetzt und besiegt halten." Wuttke publiziert regelmäßig im NPD-Organ "Deutsche Stimme" Diffamierung (DS). Unter der Überschrift "BRD wird an inneren Widersprüchen zerdemokratischer brechen" verfasste Wuttke eine "Lagebeurteilung zum Stand der GloInstitutionen balisierung", in der er ein "globales Ausbeutungsund Enteignungssystem" für die Situation der Dritten Welt verantwortlich machte. Ursachen der aussichtslosen Lage in Deutschland seien " ... die geistige Knechtschaft durch das Besatzungsregime und dessen Koalition mit der 'Holocaust-Industrie' ... , die dieses Land gnadenlos ausbeutet und ihm die Perspektive eines nationalen Fortbestandes raubt. (...) Solange wir die Besatzungs-Republik-Deutschland (BRD) nicht überwinden, hat Deutschland keine Zukunft." (Deutsche Stimme Nummer 8, Seite 6) 2.8 Sonstige Organisationen Die teils regional, teils bundesweit tätigen sonstigen rechtsextremistischen Organisationen sind vielfach nur publizistisch aktiv. Etwaige Aktivitäten beschränken sich im Allgemeinen auf interne Veranstaltungen, die kaum Außenwirkung entfalten. Zu nennen sind hier insbesondere die Gruppierungen - Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) - Gesellschaft für Freie Publizistik (GFP) - Freundeskreis Ulrich von Hutten - Deutsches Kolleg. Weitere rechtsextremistische Organisationen sind unter Nummer 8 dieses Abschnitts aufgeführt. 74 Rechtsextremismus 2.9 Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH (DSZ-Verlag) Bedeutendstes Der 1958 gegründete, von Dr. Gerhard Frey geleitete DSZ-Verlag in rechtsextremistiMünchen ist weiterhin das bedeutendste rechtsextremistische Propasches Propagandagandainstrument in Deutschland. Die wöchentliche Auflage der im instrument Verlag erscheinenden "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) beträgt unverändert rund 41.000 Exemplare. Als publizistisches Sprachrohr der DVU vertritt die NZ deren nationalistische, rassistische und revisionistische Grundhaltung. Die Beiträge sind geprägt von Vereinfachung, Schematisierung und dem Aufbau von Freund-Feind-Bildern. Nationalismus Unter der Überschrift "Warum gehen die alten Parteien unter?" hieß es: "Deutschland subventioniert mit immer höheren Summen andere EU-Staaten und sinkt dabei langsam aber sicher zum Armenhaus Europas herab. (...) Dass Clinton wie Bush und auch der nächste US-Präsident mit aller Macht den EU-Beitritt der Türkei erzwingen wollen, um ihren kleinasiatischen 'Flugzeugträger' und treuen Vasallen Israels auch noch von Deutschland finanzieren zu lassen, ist aus der Logik der hegemonialen Politik Washingtons begreiflich. (...) Die angestrebte Masseneinwanderung aber trägt nicht zum Bestand der deutschen Nation bei, sondern zu einer Umvolkung in Mitteleuropa ..." (NZ vom 24. September, Seite 3) FremdenfeindFremdenfeindliche Bestrebungen kamen in einem Beitrag "Wer will lichkeit noch alles in die EU?" zum Ausdruck: "Schröder aber nahm den Eindruck 'großer Fortschritte' in Rumänien und Bulgarien mit nach Hause und zeigte sich von deren EU-Reife überzeugt. Worauf er überhaupt nicht einging, ist der Umstand, dass in beiden Ländern Millionen Zigeuner auf gepackten Koffern sitzen und darauf lauern, die in Deutschland bereits heimisch gewordenen Sippengenossen massiv zu verstärken. Womit nicht wenige von ihnen ihren Lebensunterhalt bestreiten, ist jedem bekannt, der ab und zu einen Blick in die Polizeiberichte seiner Heimatzeitung wirft. Überhaupt befürchten die Sicherheitsbehörden nach Öffnung der Grenzen, dass noch mehr organisierte Schwerkriminelle, Menschen-, Drogenund Waffenhändler, Autodiebe und Schwarzarbeiter als jetzt schon Deutschland heimsuchen werden." (NZ vom 27. August, Seite 3) Rechtsextremismus 75 Eine antisemitische Grundhaltung wurde in einem Artikel "Wer Antisemitismus beherrscht die USA wirklich?" deutlich. Gleichzeitig wurden die im rechtsextremistischen Lager verbreiteten Verschwörungstheorien gepflegt: "Aber ist der amerikanische Präsident wirklich der souveräne Lenker der amerikanischen Politik - oder ist er nicht vielmehr eine Marionette an den Fäden geheimer Mächte im Hintergrund? Sind es nicht Hochfinanzkreise und die Bosse beispielsweise der Mineralölund Rüstungsindustrie sowie politische Zirkel, darunter nicht zuletzt die einflussreiche jüdische Lobby, die den Kurs der US Politik bestimmen? Viele Gerüchte sind darüber im Umlauf, doch handfeste Fakten darüber sucht man in den Massenmedien vergeblich, so als ob auch die Berichterstattung in der so genannten freien Welt von unsichtbaren Konzertmeistern dirigiert werden würde." (NZ vom 12. November, Seite 3) Ähnlich äußerte sich ein Kommentator unter der Überschrift "Kann sich Israel auf Dauer alles erlauben?": "Weil mit jedem getöteten US-Soldaten im Irak die Zahl der Amerikaner wächst, die nach dem Sinn des mit Fälschungen herbeigeführten Kriegseinsatzes fragen und analog dazu Bushs Chancen für eine Wiederwahl sinken, scheint er mit dem Freibrief für den Schlächter Scharon ganz und gar auf die Unterstützung der bekanntlich sehr einflussreichen jüdischen Lobby in den USA zu setzen. Auf diesem Schachbrett sind die Palästinenser die Bauern. (...) Wie man Israel, das am laufenden Band das Völkerrecht bricht und ein unmenschliches Besatzungsregime ausübt, immer noch als 'einzigen demokratischen Rechtsstaat im Nahen Osten'. bezeichnen kann - wie es nach wie vor in westlichen Medien geschieht -, ist unbegreiflich, um nicht zu sagen der blanke Hohn." (NZ vom 30. April, Seite 5) In einem Kommentar "Auf Schritt und Tritt NS-'Stolpersteine'" wurde Revisionismus die Thematik der Vergangenheitsbewältigung aufgegriffen: "Allein in München gibt es bereits 208 (!) Orte, an denen der nationalsozialistischen Ära gedacht wird. (...) Der 'Platz der Opfer des Nationalsozialismus' wird von einer sechs Meter hohen Basalt-Säule geprägt, auf der ein Käfig aus Stahl sitzt, in dem eine ewige Flamme lodert. Gleich neben der wuchtigen Stele erinnert eine Bronzeplatte am Boden an die '141 ermordeten Sinti und Roma aus Bayern'. Alles gut und schön. Nur Mahnmale, die an die Abermillionen Deutschen erinnern, die im Bombenterror der Alliierten, im Zuge der mörderischen Vertreibung der Ostund Sudetendeutschen 76 Rechtsextremismus oder in den Todeslagern der Sieger ihr Leben verloren, sucht man in München - und übrigens auch in anderen deutschen Städten - vergeblich." (NZ vom 19. November, Seite 5) Diffamierung Eine Diffamierung demokratischer Institutionen und ihrer Repräsendemokratischer tanten enthielt der Beitrag "Korruptions-Saustall bei Politikern": Institutionen "Dem Volke Leitungswasser predigen, selber aber Champagner schlürfen. Diesen Eindruck haben immer mehr Bürger von vielen etablierten Politikern. Einem asozialen Sozialabbau zu Lasten insbesondere Kranker, Armer und Schwacher stehen Abzockerei und Völlerei auf Kosten der Allgemeinheit gegenüber. (...) Zunehmend driften Teile der Polit-Kaste sogar in die Kumpanei mit der Organisierten Kriminalität ab. (...) Großverbrecher machen Kasse, gewisse Politiker werden geschmiert und stehen Schmiere." (NZ vom 23. Januar, Seite 6) Typisches Kennzeichen der NZ ist ihr ständig betonter Wahrheitsanspruch, mit dem sie alle anderen Informationen und Meinungen indirekt als falsch bezeichnet: "Verbreiten Sie die Wahrheit! Auch Sie, verehrter Leser, sollten zur Verbreitung der Wahrheit beitragen und diese Ausgabe der NATIONAL-ZEITUNG in so vielen Exemplaren, wie es Ihnen möglich ist, bei Ihrem Zeitungshändler erwerben und an Mitbürger weitergeben, die auf diese Weise die wirklichen Hintergründe des Geschehens erfahren." (NZ vom 19. November, Seite 1) 2.10 Nation Europa Verlag GmbH Der Nation Europa Verlag in Coburg wurde 1953 gegründet. Ein Jahr später konstituierte sich der mit den politischen Interessen des Verlags eng verbundene Verein Nation-Europa-Freunde e.V., dem derzeit etwa 200 Mitglieder angehören. Herausgeber der im Verlag erscheinenden Monatsschrift "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" sind die Rechtsextremisten Peter Dehoust und Harald Neubauer. Die Zeitschrift bietet Rechtsextremisten eine publizistische Plattform. Mit einer Auflage von 14.500 Exemplaren gehört sie zu den wichtigsten rechtsextremistischen Theorieorganen. "Nation & Europa" (NE) verbreitet Beiträge, die in einer Gesamtschau eine revisionistische, aber auch antisemitische Grundhaltung erkennen lassen. Rechtsextremismus 77 "Wie sonst ließe sich erklären, dass hierzulande kein Gegenwartsproblem Revisionismus und groß genug sein kann, um es nicht durch rückwärtsgerichtete Debatten Antisemitismus über das Dritte Reich an den Rand zu drängen? Je länger Hitler tot ist, desto mehr Widerstand schlägt ihm entgegen. (...) Kein Wunder also, dass nach jüngsten Umfragen fast 70 Prozent der Deutschen keinen Sinn mehr darin sehen, Geschehnisse zu 'bewältigen', die sich in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ereigneten. Mit Rechtsextremismus oder Antisemitismus hat der Überdruß nichts zu tun. Aber seit sechs Jahrzehnten nahezu jeden Tag die gleichen Gedenkreden hören zu müssen ..., das läßt sogar Stocktaube nach Ohrstöpseln greifen. Zumal jeder weiß, dass es nicht um das Andenken der Opfer geht, sondern um handfeste politische und materielle Gegenwartsinteressen." (NE vom Januar 2004, Seite 4) "Man fragt sich, worüber man sich bei Gerhard Schröder mehr wundern soll: über seine historische Ignoranz oder seine Helotengesinnung. Für die Visite, die den Kanzler am 6. Juni zu den D-Day-Gedenkfeiern in die Normandie führte, brauchte es vermutlich beides. (...) Schlimmer noch als die geschichtsferne Aufdringlichkeit, mit der sich Schröder zur westalliierten Familienfeier in die Normandie zwängte, ist freilich seine vasallenhafte Anbiederung an die Sieger von 1944. Sie wurde in jahrzehntelanger Umerziehung verinnerlicht und ist ... seit langem eine zentrale Denkfigur. (...) Zufriedene Sklaven sind bekanntlich die erbittertsten Feinde der Freiheit." (NE vom Juli/August 2004, Seite 36 ff.) "Von daher mutet es reichlich weltfremd an, wenn westliche Politiker und Medien plötzlich so tun, als sei der Terrorismus ein völlig neues Phänomen. Er wurde nur lange nicht mehr beim Namen genannt. Was den Amerikanern heute im Irak passiert, erlebten deutsche Soldaten vor 1945 nahezu überall in den von ihnen besetzten Ländern. Allerdings werden die damaligen Bombenleger und Heckenschützen heute nicht als "Terroristen" apostrophiert, sondern - durchaus wohlwollend - als Partisanen, Widerständler und Freiheitskämpfer." (NE vom April 2004, Seite 3) 3. Organisationsunabhängiger Neonazismus 3.1 Allgemeines Der Neonazismus umfasst alle Aktivitäten und Bestrebungen, die ein offenes Bekenntnis zur Ideologie des Nationalsozialismus darstellen 78 Rechtsextremismus und auf die Errichtung eines vom Führerprinzip bestimmten autoritäAgitationsren bzw. totalitären Staates gerichtet sind. Schwerpunktthemen schwerpunkte waren wie in den Vorjahren die angebliche staatliche Verfolgung des "nationalen Lagers", die Ausländerund Asylpolitik der Bundesregierung sowie rassistische und antisemitische Agitation. Das von führenden Neonazis entwickelte Konzept einer Vernetzung autonomer nationaler Gruppen wird nicht mehr thematisiert und ist somit als gescheitert zu betrachten. Ideologische Die Gewinner der seit den Verboten neonazistischer Organisationen Durchdringung zwischen den Jahren 1992 und 1995 einsetzenden Ideologieund der NPD Strategiedebatte des "nationalen Lagers" sind die NPD und die JN bzw. deren aus dem neonazistischen Spektrum stammende Führungskader. Deren neonazistische und nationalrevolutionäre Gedankenelemente sind inzwischen integraler Bestandteil des ideologischen Spektrums der NPD geworden und haben das Erscheinungsbild der Partei nachhaltig verändert. Schulterschluss Die Verzahnung des rechtsextremistischen Spektrums kommt in verdes rechtsextremisschiedenen Regionen im Schulterschluss zwischen der NPD, neonazistischen Spektrums tischen Kameradschaften und politisch agierenden rechtsextremistischen Skinhead-Szenen immer deutlicher zum Ausdruck. Grund für diese Entwicklung ist nach Ansicht der Initiatoren der ungeheure staatliche Druck auf alle "Nationalen", dem man nur mit Geschlossenheit begegnen könne, um weitere Verbote von Parteien und Organisationen zu verhindern. Trotz vieler Gemeinsamkeiten gibt es aber mitunter auch Spannungen zwischen den einzelnen Lagern. Den Kameradschaften gehören nicht mehr ausschließlich Neonazis an. Vermehrt werden auch rechtsextremistische Skinheads eingebunden, die aufgrund ihrer politischen Aktivitäten den Bereich der losen Örtliche Szenen verlassen haben. So wurden in den vergangenen Jahren zu"Misch-Szenen" nehmend "Misch-Szenen" aus Neonazis und rechtsextremistischen Skinheads festgestellt. Dazu gehören beispielsweise die Kameradschaft München und die im Herbst 2004 in Regensburg gegründete "Asgard Ratisbona", die von einem NPD-Aktivisten geleitet wird und bisher vor allem mit Infoständen in Erscheinung trat. Das Zusammenwirken der neonazistischen Kameradschaften mit der NPD zeigte sich bei zahlreichen Veranstaltungen. So ist z. B. der alljährlich stattfindende "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch" in Wunsiedel mittlerweile zu einem Großereignis der rechtsextremistischen - insbesondere der neonazistischen - Szene geworden. Bei dieser Veranstaltung Rechtsextremismus 79 referierte in diesem Jahr neben bekannten Neonazis auch der NPD-Vorsitzende Udo Voigt. Mit dem am 19. September bekannt gegebenen Eintritt der führenden Annäherung "freien Nationalisten" Thomas Wulff, Ralph Tegethoff und Thorsten an die NPD Heise in die NPD erreichte die sich seit Jahresbeginn abzeichnende Annäherung zwischen der NPD und Teilen der Neonaziszene einen Höhepunkt. Thorsten Heise fungiert inzwischen als Beisitzer im Bundesvorstand der NPD. Im Vorfeld der Landtagswahl in Sachsen hatte Thomas Wulff "alle freien Nationalisten" zur Wahl der NPD aufgerufen. Zuvor hatte er in einem in der Mai-Ausgabe der "Deutschen Stimme" (DS) veröffentlichten Beitrag "eine Volksfront von rechts" propagiert und alle Aktivisten aufgefordert, die NPD in den anstehenden Wahlkämpfen als den "parteipolitischen Arm" der Bewegung zu unterstützen. Dem neonazistischen Lager in Bayern werden wie im Jahr 2003 rund Neonazistisches 300 Personen zugerechnet; davon sind etwa 160 (2003: 120) in neoPotenzial nazistischen Organisationen aktiv. Dem Spektrum rechtsextremistisch orientierter Skinheads gehören wie bisher rund 800 Personen an. Damit zählt das gewaltbejahende rechtsextremistische Potenzial in Bayern insgesamt etwa 1.100 Personen. Die Anzahl und Auflagenstärke neonazistischer Publikationen ging dagegen weiter zurück; der Grund hierfür war vor allem die verstärkte Nutzung des Internets. 3.2 Neonazi-Kameradschaften Nach dem Verbot zahlreicher rechtsextremistischer Organisationen seit Strukturlose 1992 entwickelten führende Neonazis das Konzept strukturloser Zusammenschlüsse Zusammenschlüsse. Dadurch sollten staatliche Gegenmaßnahmen erschwert werden. Bei diesen Kameradschaften gibt es weder eine formelle Mitgliedschaft noch Vorstandspositionen. Anführer ist meist ein engagierter Rechtsextremist, der es versteht, seinen Gefolgsleuten die den ideologischen Zusammenhalt stärkenden "Feindbilder" zu vermitteln. In Bayern sind folgende neonazistische Kameradschaften erwähnenswert: 3.2.1 Fränkische Aktionsfront (F.A.F.) Die F.A.F. war bis zu ihrem Verbot die aktivste rechtsextremistische Gruppierung in Nordbayern. Sie trat erstmals im Mai 2001 im Raum 80 Rechtsextremismus Herzogenaurach mit einem Veranstaltungsaufruf gegen die "zunehmende antifaschistische Gewalt gegen Rechte" an die Öffentlichkeit. In ihrem Konzeptpapier vom Sommer 2001 beschrieb sie sich selbst als "politisch regionales Forum für Männer und Frauen, die sich im Nationalen Widerstand in Deutschland organisieren und vorrangig im Großraum Franken tätig sind". Der Kern der F.A.F. umfasste etwa 40 Personen. Führer der F.A.F. war deren Mitbegründer Matthias Fischer. In der Anfangszeit rekrutierte sich die F.A.F. überwiegend aus rechtsextremistischen Skinheads. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die F.A.F. aufgrund der eindeutig neonazistischen Prägung ihrer Hauptakteure von einer Skinhead-Gruppierung zu einer der aktivsten Neonazi-Gruppierungen in Bayern. Durch zahlreiche Aufkleberund Plakataktionen sowie durch häufige Beteiligung an Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Organisationen und Akteure, so etwa der ehemaligen Kameradschaft Süd-Aktionsbüro Süddeutschland, der NPD oder dem vom Hamburger Neonazi Jürgen Rieger organisierten "Rudolf-Heß-Marsch" in Wunsiedel, erlangte die F.A.F. einen überregionalen Bekanntheitsgrad in der rechtsextremistischen Szene. Am 22. Januar wurde die F.A.F. vom Bayerischen Staatsministerium des Innern verboten, da sie sich aufgrund ihrer Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtete und ihre Tätigkeit außerdem den Strafgesetzen zuwiderlief. Beim Vollzug des Verbots durchsuchte die Polizei die Wohnungen mehrerer führender Aktivisten der F.A.F. und stellte u.a. neun PC-Anlagen, einen Laptop, diverse Disketten, fünf Schreckschusswaffen, zwei Schlagstöcke sowie umfangreiches Schriftund Propagandamaterial sicher. Mehrere Aktivisten haben gegen das Verbot Klage erhoben. 3.2.2 Kameradschaft München, ehemals Kameradschaft Süd-Aktionsbüro Süddeutschland (AS) Die Kameradschaft Süd-Aktionsbüro Süddeutschland (AS) entstand im Dezember 2001 auf Initiative des Neonazis Norman Bordin. Die Gruppe bestand aus etwa 50 Personen und stellte den wichtigsten Rechtsextremismus 81 rechtsextremistischen Zusammenschluss von Skinheads und Neonazis im Raum München dar. Sie umfasste auch Angehörige des mittlerweile aufgelösten neonazistischen "Freizeitvereins Isar 96 e.V." (FZV). Das ideologisch einigende Band der Mitglieder und Anhänger des AS bestand in dem Ziel, die bestehende Gesellschaftsordnung zu beseitigen und letztlich ein diktatorisches System nationalsozialistischer NS-Ideologie Prägung zu errichten. Mitte 2002 übernahm Martin Wiese die Leitung des AS, nachdem Führungswechsel Bordin als Mittäter eines gewalttätigen Angriffs auf einen griechischen Staatsangehörigen am 13. Januar 2001 im "Burg TrausnitzFall" zu einer 15-monatigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden war. Wiese war bestrebt, das AS als eine Art Dachorganisation verschiedener Neonaziund Skinhead-Gruppen auszubauen, um die heterogene Szene im Raum München zu einer einheitlichen rechtsextremistischen Kraft zu formen. So wurden neben regelmäßigen Stammtischtreffen öffentlichkeitswirksame Kundgebungen gegen die Wehrmachtsausstellung durchgeführt. Das AS nahm auch an diversen Veranstaltungen der von dem Rechtsextremisten Roland Wuttke geleiteten, Ende 2003 aufgelösten Gruppierung "Demokratie Direkt München e.V." teil. Nach Feststellungen der Sicherheitsbehörden begann Wiese im Herbst 2002, unter seiner Führung einen von den übrigen Mitgliedern des AS abgeschotteten Führungskreis mit fest gefügten Strukturen aufzubauen. Der Gruppe gehörten mehr als zehn aus München und Umgebung stammende weibliche und männliche Personen im Alter von 17 bis 37 Jahren an. Die Aufgabe des Führungskreises Führungskreis sollte es sein, die politischen Ziele des AS auch durch den Einsatz mit militanter von Waffen und Sprengstoff umzusetzen. Die Angehörigen führten Zielsetzung wöchentlich, jeweils sonntags, Wehrsportübungen in Waldgebieten um München durch. Neben körperlicher Ertüchtigung und militärischem Drill gehörten Schießübungen mit so genannten Soft-Air-Waffen zum Trainingsprogramm. Darüber hinaus begann der Führungskreis, Überlegungen zu gezielten Anschlägen anzustellen. Hierzu beschaffte er sich Waffen, Kriegswaffen, Munition und Sprengstoff. Zur Waffenund SprenstoffVorbereitung beschaffung fuhren die Neonazis nach Mecklenburg-Vorpommern eines Sprengstoffund nach Polen, wo sie in einem Waldstück aus aufgefundenen anschlags Munitionsresten Substanzen entnahmen, die sie für Sprengmittel hielten. Auf diese Weise gelangten sie u.a. an 1,2 Kilogramm TNT und transportierten diesen Sprengstoff nach München. In der Folgezeit 82 Rechtsextremismus führten Mitglieder des Führungskreises Zündversuche durch. Anschließend versteckte einer der Beteiligten den Sprengstoff an seinem Arbeitsplatz. Zunächst erwog der Führungskreis ein Sprengstoffattentat auf das Gelände des geplanten jüdischen Kulturzentrums am St.-Jakobs-Platz in München, um auf diese Weise die für den 9. November 2003 vorgesehene Grundsteinlegung zu verhindern. Mitte August 2003 sollen die Neonazis von der weiteren Verfolgung dieses Anschlagsplans Abstand genommen haben, weil sie aufgrund laufender polizeilicher Ermittlungen in anderer Sache gegen einzelne Gruppenmitglieder die Aufdeckung ihres Vorhabens befürchteten. Stattdessen zogen sie in Erwägung, zu einem späteren Zeitpunkt einen Anschlag auf dem Marienplatz oder anderen Örtlichkeiten in der Münchner Innenstadt zu verüben. Darüber hinaus sammelten sie Ausspähung Daten von Personen, die sie zur politischen Gegnerschaft des AS rechpolitischer Gegner neten. Die Polizei durchsuchte Anfang September 2003 die Wohnungen von Martin Wiese und weiteren Beschuldigten in München, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Allein in den Objekten von Wiese wurden zwei Pistolen der Marke "Mauser" (Kaliber 7,65 mm), mehrere Stichwaffen, eine Streitaxt, Sturmhauben und umfangreiche schriftliche Unterlagen sichergestellt. Der Polizeiaktion waren zwei Hausdurchsuchungen am 18. und 28. August 2003 bei einem Münchner Neonazi vorausgegangen, der sich wegen eines versuchten Tötungsdelikts gegen einen Szene-Aussteiger seit Mitte Juli in Haft befand. Dabei waren am Arbeitsplatz des Neonazis im Münchner Süden etwa 14 Kilogramm sprengstoffverdächtiges Material, darunter 1,2 Kilogramm TNT-Sprengstoff, sowie eine Handgranate und Munition beschlagnahmt worden. Ferner wurden bei Durchsuchungen weitere Waffen, Kriegswaffen und Munition sichergestellt. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hatte durch den Einsatz eines V-Manns Erkenntnisse über die Waffenund Sprengstoffbeschaffung durch Martin Wiese erlangt. Eine gerichtlich angeExekutivordnete und vom Bayerischen Landeskriminalamt durchgeführte maßnahmen Wohnraumüberwachung mit technischen Mitteln bestätigte diese Informationen. Nach der Festnahme der Verdächtigen beauftragte der Generalbundesanwalt das Polizeipräsidium München mit den weiteren Ermittlungen. Diese bestätigten zwar die Anschlagsplanung für den 9. November 2003, ergaben aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kameradschaft Süd bzw. der engere Personenkreis um den mutmaßlichen Anführer Wiese über persönliche Kontakte hinaus Rechtsextremismus 83 bundesweite Strukturen unterhielt und in ein "braunes Netzwerk" eingebunden war. Die erfolgreiche Exekutivaktion der bayerischen Polizei hatte bis ins Jahr 2004 eine starke Verunsicherung aller Mitglieder und Sympathisanten des AS zur Folge. Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts führten zur AnklageGerichtsverfahren erhebung vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht wegen des Verdachts der Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129 a StGB. Am 24. November 2004 begann die Verhandlung gegen den Anführer der Kameradschaft Süd, Martin Wiese, wegen Rädelsführerschaft sowie gegen drei weitere Personen des "inneren Führungszirkels". Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hatte am 1. Juli Anklage gegen die vier Neonazis wegen Mitgliedschaft in einer rechtsextremistischen terroristischen Vereinigung erhoben. Weitere Anklagepunkte in dem Verfahren sind Verstöße gegen das Waffengesetz sowie illegale Sprengstoffbeschaffung. Gegen fünf weitere Mitglieder hatte bereits am 6. Oktober der Prozess vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht wegen Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer rechtsextremistischen terroristischen Vereinigung begonnen. Die Prozesse dauern an. Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft im März 2004 übernahm der Gründer des AS, Norman Bordin, wieder die Führung der früheren Mitglieder des AS. Die neonazistisch orientierte Gruppe tritt seither unter dem Namen "Kameradschaft München" auf. Sie beteiligte Gründung der sich an zahlreichen rechtsextremistischen Veranstaltungen, wie z.B. Kameradschaft dem "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch" am 21. August in Wunsiedel. München Das überregionale Engagement der Gruppierung zeigt sich auch an den intensiven Kontakten zu anderen bayerischen Neonazi-Kameradschaften und der Gründung eines Stützpunkts des neonazistischen "Kampfbunds Deutscher Sozialisten" (KDS) in München durch Aktivisten der Kameradschaft München. Die Verbindungen der Kameradschaft zur NPD wurden seit dem ParVerbindung zur teieintritt von Norman Bordin im Herbst 2004 weiter intensiviert. NPD Durch seine Rolle als "informeller Führer" der Kameradschaft München bindet er die Neonaziund Skinhead-Szene enger an die NPD. Die erste Veranstaltung, die Bordin unter dem Dach der NPD mitorganisierte, fand am 11. Dezember in Dorfen, Landkreis Erding, statt. Dort demonstrierten 80 Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum unter dem zynischen Motto "Kriminellen Banden keine Plattform bieten, schützt die Jugend vor linksfaschistischer Gewalt". 84 Rechtsextremismus 3.2.3 Kameradschaft Aschaffenburg Bei der Kameradschaft Aschaffenburg handelt es sich um eine Gruppe von Neonazis aus dem überregionalen Raum Aschaffenburg. Die ExekutivGruppierung meidet öffentliche Auftritte. Im Jahre 2003 kontrollierte maßnahmen die Polizei Aktivisten der Kameradschaft Aschaffenburg in der Nähe von Heimbuchenthal, Landkreis Aschaffenburg, bei der Durchführung einer wehrsportähnlichen, von der Kameradschaft Frankfurt organisierten Geländeübung. Dabei wurden rechtsextremistische Propagandadelikte sowie Verstöße gegen das Waffen-, Sprengstoffund Betäubungsmittelgesetz festgestellt. Im Jahr 2004 stellte die Polizei in einem Lokal in Hattersheim, Main-Taunus-Kreis, bei Mitgliedern der Kameradschaft mehrere Schriftstücke und einen Computer mit rechtsextremistischen Texten sicher. 3.2.4 Bund Frankenland - Staatsbürgerliche Runde Der am 21. Dezember 1991 als Partei gegründete Bund Frankenland (BF) wurde am 29. Januar 1992 als eingetragener Verein registriert. Vorstandsmitglieder waren zu diesem Zeitpunkt die bekannten AntiparlamentariRechtsextremisten Jürgen Schwab und Uwe Meenen. Ziel des BF war sche Zielsetzung die Beseitigung des Grundgesetzes und der parlamentarischen Demokratie sowie die Schaffung eines "Vierten Deutschen Reichs" nationalistisch-rassistischer Prägung. Im September 2001 entschlossen sich der Arbeitskreis "Kameradschaft Heinrich II." des BF und die seit 1999 bestehende überparteiliche "Staatsbürgerliche Runde" um den Rechtsextremisten Jürgen Gesprächszirkel Schwab, ihre Kräfte zu bündeln. Der von ihnen gebildete Gesprächszirkel umfasst rund 15 Personen und führt die Bezeichnung "Bund Frankenland - Staatsbürgerliche Runde". Seitdem wurden in Franken mehrere Vortragsveranstaltungen durchgeführt, die indes kaum Resonanz fanden. 3.2.5 Kameradschaft Lichtenfels Die Kameradschaft Lichtenfels wurde 1998 von dem NPD-Funktionär Winfried Breu gegründet. Die rund 20 Mitglieder stammen meist aus der örtlichen Skinhead-Szene. In den Flugblättern der Kameradschaft werden führende Politiker der "etablierten Parteien" sowie die Sicherheitsbehörden verunglimpft. Die regelmäßigen Zusammenkünfte der Rechtsextremismus 85 Gruppierung werden ausschließlich als Kameradschaftstreffen und nicht etwa als NPD-Stammtische bezeichnet, was die Abgrenzung zu dieser Partei verdeutlicht. In der Öffentlichkeit trat die Organisation bisher kaum in Erscheinung. 3.3 Informationelle Vernetzung Seit mehreren Jahren nutzen Rechtsextremisten auch moderne Kommunikationstechniken, insbesondere um die nach den Verboten neonazistischer Organisationen weggefallenen Kontaktmöglichkeiten zu ersetzen. Der Zugriff auf das Internet bietet Rechtsextremisten eine Nutzung des willkommene Plattform zur Verbreitung verfassungsfeindlicher Ziele. Internets Zunehmend setzen Rechtsextremisten im Rahmen ihrer Internet-Aktivitäten technische Sicherheitsprogramme ein, die Schutz vor unerwünschter Einsichtnahme Dritter in ihren Datenbestand und -verkehr gewährleisten sollen. So bieten die Betreiber einer Internet-Domain die Software "Steganos Security Suite" zum Downloaden an. Mit diesem Programm kann der Anwender beliebige Dateien und Verzeichnisse mittels Steganografie verschlüsseln, aber auch seinen E-Mail-Verkehr schützen und mit Hilfe eines "Internet-Spurenvernichters" sämtliche Fährten, die durch Internet-Aktivitäten entstanden sind, löschen. Insbesondere die Einschaltung ausländischer Provider vermindert das Risiko der Strafverfolgung. Die Zahl der von Deutschen betriebenen Homepages mit rechtsextreKonstante Zahl mistischen Inhalten blieb in den vergangenen beiden Jahren mit rechtsextremistidurchschnittlich etwa 950 konstant. Dabei nutzen die Homepage-Bescher deutscher treiber den Vorteil, dass sie auf Speicherplatzanbieter ausweichen könHomepages nen, die sich Appellen staatlicher und privater Einrichtungen sowie einer Selbstkontrolle verschließen. Darunter befinden sich etliche Provider, die der rechtsextremistischen Szene angehören. Deutsche Rechtsextremisten werben für ihre verfassungsfeindlichen Ziele mit immer anspruchsvollerer Technik. So binden sie aufwendige Grafiken ein und bieten Skinhead-Musik über Tondateien an. Dem Internet kommt daher bei der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts sowie bei der Koordinierung von Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene eine weiterhin steigende Bedeutung zu. Rechtsextremisten, die ihre politischen Inhalte über Dienste in Deutschland anbieten, halten sich im Allgemeinen an die deutschen Gesetze. Bei Nutzung ausländischer Anbieter, beispielsweise in Übersee, geben 86 Rechtsextremismus Strafbare Inhalte sie ihre Zurückhaltung auf. Es werden rassistische, revisionistische und bei ausländischen volksverhetzende Aufrufe verbreitet, etwa aus den USA durch den Providern deutschen Revisionisten Ernst Zündel, dessen Propaganda auch mit Tonund Videosequenzen abrufbar ist. Zum rechtsextremistischen Internet-Spektrum zählen ferner detaillierte Anleitungen zur Herstellung von Sprengund Brandsätzen sowie sonstiger Sabotagemittel, aber auch gezielte Aufforderungen zur Gewaltanwendung gegen politische Gegner bis hin zu Mordaufrufen. Allerdings sind selbst anonyme Homepage-Benutzer identifizierbar, wenn auch mit großem Aufwand. Eine nach eigenen Angaben Ende 2003 gegründete "Kameradschaft ERH" trat bisher nur durch Aktivitäten im Internet in Erscheinung. Die von einem Erlanger NPD-Funktionär repräsentierte Gruppe veröffentlichte auf ihrer Homepage unter der Rubrik "Bilder" Fotos von Bundeskanzler Schröder im Stil eines Fahndungsplakats. Unter der Überschrift "Gaga, Galgen oder Gitter?" hieß es: "Wie entsorgen wir Kollaborateure? Nürnberg II - im Jahre 2013. Volksund Hochverräter braucht die BRD. Nicht aber unser Vaterland Deutschland. Nur - die Feigheit trennt uns von der Freiheit. Es wird Zeit, sich Unser Land zurückzuholen!" Nationale Wegen der wachsenden Bedeutung des Internets spielen die NatioInfo-Telefone nalen Info-Telefone (NIT) in den letzten Jahren innerhalb der rechtsextremistischen Szene kaum noch eine Rolle. Das von dem Neonazi Norman Bordin kurzfristig wiederbetriebene "NIT Süddeutschland" wird seit Frühjahr 2004 durch eine Homepage des "Nationalen Widerstands Süddeutschland" ersetzt. Auf dieser Seite findet sich neben Veranstaltungshinweisen und politischen Kommentaren ein Forum "Nationales Infoportal Bayern" (NIB). Nach eigenen Angaben handelt es sich dabei um ein gemeinsames Projekt von "Aktionsbüro Süd, Kameradschaft München, JN-München, Kameradschaft Weiße Wölfe, NFD (Nationale Freunde Deutschland), NPD-Bayern, Liedermacher Michael und der Band Edelweiss" mit dem Ziel, die "Zersplitterung der nationalen Bewegung in Bayern" zu überwinden. Mobiltelefone Mobiltelefone (Handys) werden insbesondere zur Steuerung von Anreisen zu konspirativen Treffen oder nicht angemeldeten Versammlungen genutzt. Das Short-Message-System (SMS) der Handy-Betreiber dient daneben vielfach der Verbreitung von volksverhetzenden und antisemitischen Texten. Rechtsextremismus 87 3.4 Aktivitäten zum 17. Todestag von Rudolf Heß Am 21. August veranstalteten etwa 3.800 Personen aus dem NPDund Neonazi-Spektrum in Wunsiedel einen Marsch zum Gedenken an Hitlers ehemaligen Stellvertreter Rudolf Heß. An dem Aufzug beteiligten sich neben deutschen auch ausländische Rechtsextremisten aus Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Polen, Russland, Schweden, der Schweiz, Spanien und Tschechien. Die rechtsextremistische Szene hatte im Vorfeld bundesweit über das Internet sowie mit Heß-Aufklebern, Plakaten und Transparenten für die zentrale Kundgebung mobilisiert. Anmelder und Leiter der Versammlung war der Hamburger Rechtsanwalt und Neonazi Jürgen Rieger. Nach der Eröffnungsrede des Versammlungsleiters und den GrußAufzug in worten ausländischer Delegationen sprach der NPD-Vorsitzende Udo Wunsiedel Voigt. Die rechtsextremistischen Liedermacher Michael Müller und Jörg Hähnel bestritten das Rahmenprogramm. Schlussredner war der stellvertretende Versammlungsleiter Thomas Wulff. Anschließend zogen die Teilnehmer unter der Führung von Rieger in einem rund zweistündigen Schweigemarsch durch die Innenstadt von Wunsiedel. An Protestaktionen gegen den "Heß-Gedenkmarsch" beteiligten sich Protestkundgebung auch rund 100 Personen aus dem linksextremistischen/autonomen Spektrum, die den Aufzug der Rechtsextremisten lautstark störten. Zu nennenswerten gewalttätigen Zwischenfällen kam es dabei nicht. Gegendemonstranten aus dem bürgerlichen Lager stoppten den Schweigemarsch kurzzeitig durch eine Sitzblockade. Im Rahmen der Veranstaltung nahm die Polizei - überwiegend bei Vorkontrollen - 118 Personen wegen Propagandadelikten, Sachbeschädigungen und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz vorläufig fest, darunter 79 Rechtsextremisten. Wie in den Vorjahren hatte das Landratsamt Wunsiedel die Kundgebung zunächst verboten, da sie die Verherrlichung einer Führungsperson des Nationalsozialismus bezwecke und damit eine konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bedeute. NachVerwaltungsdem Rieger Rechtsmittel eingelegt hatte, hob das Verwaltungsgericht gerichtliches Bayreuth das Versammlungsverbot auf. Der Bayerische VerwaltungsVerfahren gerichtshof wies die hiergegen erhobene Beschwerde zurück. In den beiden vorangegangenen Jahren hatten sich an der "Heß-Kundgebung" in Wunsiedel 2.500 bzw. 2.600 Personen beteiligt. Die 88 Rechtsextremismus rechtsextremistische Szene wertete die erneute Steigerung der Teilnehmerzahl auf 3.800 und die internationale Attraktivität der Veranstaltung als großen Erfolg. 4. Skinheads 4.1 Überblick Die Skinhead-Bewegung entstand in Großbritannien und trat erstmals Ende der 70er Jahre auch im Bundesgebiet in Erscheinung. Sie Jugendliche war ursprünglich eine jugendliche Subkultur, die durch ihr Auftreten Subkultur eine extreme Ablehnung der bürgerlichen Gesellschaft signalisierte. Äußerlichkeiten wie Kleidung oder Haarschnitt lassen heute keine eindeutigen Schlüsse auf eine Zuordnung zur Skinhead-Szene mehr zu, da mittlerweile auch viele unpolitische Jugendliche ein entsprechendes Aussehen zeigen. Die Beachtung, die Skinheads in der Öffentlichkeit und in den Medien zuteil wird, ist auf ihre brutalen und menschenverachtenden Gewalttaten zurückzuführen, die sich gegen Ausländer, Asylbewerber und soziale Randgruppen, aber auch gegen "Linke" richten. 4.2 Politische Ausrichtung Die politischen Ansichten dieser Subkultur reichen von den so genannten Redskins (linksextremistisch beeinflusste Skinheads) über die so genannten SHARPs (Skinheads against racial prejudice - Skinheads gegen rassistische Vorurteile) und die Oi-Skinheads ("unpolitische Skinheads") bis hin zur Mehrheit der rechtsextremistischen Skinheads einschließlich der so genannten White Power-Skinheads. Die entsprechende politische Überzeugung bildet sich je nach Einzelfall nicht selten erst nach Beitritt in die Szene stärker aus. Skinheads sind deshalb zunächst zu einer rational bestimmten politischen Meinungsbildung kaum fähig und an einer fundierten politischen Auseinandersetzung nicht interessiert. In ihren Kreisen hat sich eine vom organisierten Rechtsextremismus unabhängige diffuse rechtsextreWeltanschauung mistische Weltanschauung herausgebildet. Sie ist von rassistisch und Politikmotivierter Fremdenfeindlichkeit sowie übersteigertem Nationalverständnis bewusstsein geprägt und knüpft insofern an wesentliche Elemente des Nationalsozialismus an. Diese Einstellung spiegelt sich in meist spontanen Gewalttaten wider. Opfer sind nach wie vor Ausländer, Rechtsextremismus 89 aber auch Personen aus sozialen Randgruppen sowie "Linke", also alle zu ihren Feindbildern zählenden Menschen. Skinheads dienen rechtsextremistischen Organisationen vor allem als Mobilisierungspotenzial für öffentlichkeitswirksame Aktionen. So werden Aktionen der NPD und JN von Skinheads massiv unterstützt; Unterstützung frühere Vorbehalte der Skinheads gegenüber diesen Organisationen von NPD und JN haben stark abgenommen. Ein Großteil der Besucher von NPD-Großkundgebungen gehört der Skinhead-Szene an. Enge Kontakte bestehen nach wie vor insbesondere in Nürnberg/Erlangen sowie in Straubing zwischen den dortigen Skinhead-Szenen und den JN bzw. der NPD. Versuche von Neonazis, Skinheads für eine längerfristige ernsthafte politische Tätigkeit zu gewinnen, waren bislang wenig erfolgreich, da diese einer intensiven ideologischen Schulung kaum zugänglich sind. Inzwischen ist jedoch eine zunehmende Zusammenarbeit zwischen Skinheads und Neonazis feststellbar. 4.3 Strukturen Die Skinhead-Szene unterliegt einer starken Fluktuation und kennt in der Regel weder feste Organisationsstrukturen noch formelle Mitgliedschaften. Die Bindungen zur Gruppe reichen von losen gelegentlichen Kontakten über regelmäßige Beteiligung an Aktionen bis zur vollen sozialen Integration oder der Wahrnehmung von Führungsfunktionen. Diese informellen Führer wandern später zum Teil in andere rechtsextremistische Gruppierungen ab. In Bayern sind wie im Jahr 2003 rund 800 Skinheads mit rechtsextremistischem Hintergrund bekannt. Neue Szenen wurden in Wunsiedel, Ansbach, Assling und im Altmühltal bekannt. Dagegen lösten sich eheStrukturelle mals gefestigte regionale Szenen, z.B. die Skinhead-Kameradschaft Änderungen Neu-Ulm auf. Schwerpunkte im Skinhead-Spektrum stellen in Bayern nach wie vor die Großräume München und Nürnberg dar; dort liegt auch der Schwerpunkt der Gewalttaten. Trotz des unveränderten Personenpotenzials der Skinhead-Szene ist derzeit ein allgemeiner RückRückgang der gang ihrer Aktivitäten festzustellen. Dies resultiert zum einen aus der Aktivitäten Festnahme von Martin Wiese und seinen Gefolgsleuten der Kameradschaft Süd im September 2003 (vgl. auch Nummer 3.2.2 dieses Abschnitts) und zum anderen aus dem im Januar durch das Bayerische 90 Rechtsextremismus Staatsministerium des Innern erlassenen Verbot der F.A.F. (vgl. auch Nummer 3.2.1 dieses Abschnitts). Diese beiden Maßnahmen verunsicherten die Skinhead-Szene in ganz Bayern. Auch der intensive Überwachungsdruck der Sicherheitsbehörden wirkte sich negativ auf die Aktionsbereitschaft der Skinhead-Aktivisten aus. Derzeit fehlt es der Szene an Personen, die verantwortlich Veranstaltungen organisieren, um das vorhandene Personenpotenzial auszuschöpfen. In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass immer mehr ehemals geschlossene Skinhead-Szenen in lose Kleingruppen zerfallen. Ungeachtet dessen sind Skinheads kommunikativ sehr mobil und in der Lage, in kürzester Zeit gemeinsam Aktionen bzw. Veranstaltungen durchzuführen. Bei äußerst konspirativ vorbereiteten Großveranstaltungen, insbesondere Konzerten, werden Hunderte von Skinheads in eine vorher bestimmte Region dirigiert. Erst unmittelbar vor Veranstaltungsbeginn wird die konkrete Örtlichkeit, zum Teil über Mobiltelefone, bekannt gegeben. Auf diese Weise versuchen die Skinheads, rechtzeitige Gegenmaßnahmen der Sicherheitsbehörden zu verhindern. 4.4 Anziehungskraft für Jugendliche Die Anziehungskraft der Skinhead-Szene, insbesondere auf männMögliche liche Jugendliche, hält an. Die Beweggründe, die junge Menschen in Einstiegsmotive diese Subkultur treiben, sind vielfältig: jugendliche Protesthaltung, Provokation und Tabubruch, sowie die gesamtgesellschaftliche Entwicklung mit den häufigen Folgen einer Entwurzelung und einer zunehmenden Entfremdung vom Elternhaus, Perspektivlosigkeit in Verbindung mit wirtschaftlichen Problemen und einem begonnenen oder befürchteten sozialen Abstieg. Hinzu kommt das durch die Szene vermittelte Gemeinschaftserlebnis und das daraus folgende Gefühl eigener Stärke und Anerkennung in einer sozialen Gruppe. Den Jugendlichen werden einfache Erklärungen und einfache Lösungen für komplexe Probleme angeboten. Skinheads entstammen zu einem erheblichen Teil, aber nicht ausschließlich, den unteren sozialen Schichten. Die meisten Skinheads finden sich in der Altersgruppe von 16 bis 24 Jahren. Ältere Szene-Angehörige sind die Ausnahme. Der Anteil der unter 16 Jahre alten Skinheads wächst dagegen ständig; die so genannten Jungglatzen sind erst 12 bis 13 Jahre alt. Auch Mädchen, die Renees, gehören die- Rechtsextremismus 91 Rechtsextremistische Skinhead-Szenen Raum in Bayern 2004 Raum Aschaffenburg/ Coburg Coburg Lohr a. Main Raum ca. 30 Bayreuth/Hof ca. 40 ca. 25 Aschaffenburg Raum Bayreuth Würzburg Bamberg ca. 20 Raum Würzburg Raum Erlangen Raum Amberg/ ca. 50 Schwandorf/Weiden ca. 30 Nürnberg ca. 40 Großraum Nürnberg Raum ca. 50 Cham/Roding ca. 20 Regensburg Angehörige der Raum Skinhead-Szenen Ingolstadt Raum Regensburg ca. 30 ca. 20 Ingolstadt Raum Krumbach/ Passau Babenhausen Raum Augsburg/ Friedberg/Aichach Raum Landshut Raum Passau/ ca. 30 ca. 10 Landshut Deggendorf/ Neu-Ulm Straubing Augsburg ca. 10 ca. 35 Raum Neu-Ulm/ Dillingen Raum Altötting/ Raum Landsberg/ Tüßling ca. 40 Fürstenfeldbruck München ca. 15 ca. 15 Großraum München Großraum ca. 180 Rosenheim Oberallgäu/ Unterallgäu Raum Rosenheim ca. 50 Raum Weilheim/ ca. 15 Garmisch-Partenkirchen ca. 45 ser Subkultur an, sind jedoch zahlenmäßig in der Minderheit. Ihr Anteil beträgt je nach Szene bis zu 20 %. Die rechtsextremistische Skinhead-Szene erfährt zudem seit Jahren verstärkt Zulauf durch Jugendliche, die sich für Skinhead-Musik als Stilrichtung der Rockmusik interessieren. Dieser Bereich ist auch für unpolitische Jugendliche attraktiv. Daneben finden manche Jugend- 92 Rechtsextremismus liche Gefallen an dem in der Skinhead-Szene üblichen exzessiven Lebensgenuss einschließlich des enormen Alkoholkonsums unter dem Motto "Fun & Froide". Die Grenzen zur eindeutig rechtsextremistisch geprägten Skinhead-Szene sind deshalb vielfach fließend. 4.5 Skinhead-Musik und Skinhead-Magazine Die Skinhead-Musik vermittelt die subkulturellen Botschaften der Skinhead-Szene. In den Liedern werden Eigenverständnis und Abgrenzung der Szene gegenüber der Gesellschaft beschrieben, Kritik am Establishment formuliert und andere politische Themen aufgegriffen. Rechtsextremistische Skinhead-Bands verbreiten in ihren Liedtexten neonazistische Ideologiefragmente und rufen zum Hass gegen Skinhead-Feindbilder wie Ausländer, "Linke" und Juden auf. In Bayern Musikgruppen bestehen weiterhin zehn derartige Musikgruppen, die teilweise bei und TonträgerKonzerten im Inund Ausland auftreten. Skinhead-Musik wird danevertriebe ben unverändert von sechs rechtsextremistischen Tonträgervertrieben angeboten. Im Jahr 2004 wurde von den bayerischen Skinhead-Bands kein neuer Tonträger kommerziell aufgenommen. Die Zahl der Skinhead-Konzerte in Bayern verringerte sich auf 15 Veranstaltungen gegenüber 18 im Jahr 2003. Für Skinhead-Konzerte besteht weiterhin eine große Nachfrage. Meist werden diese Veranstaltungen äußerst konspirativ vorbereitet, um ein Einschreiten der Sicherheitsbehörden zu erschweren. So werden sie beispielsweise auch als private Tanzabende bzw. Plattenpartys oder als Geburtstagsfeiern ausgegeben. Black Metal Neben der Skinhead-Musik ist Black Metal eine weitere Musikrichtung, in der - wenn auch nur in kleinen Bereichen - rechtsextremistisches Gedankengut an Bedeutung gewinnt. Bei Black Metal handelt sich um eine aggressivere Variante des Heavy Metal. Inhaltlich setzt sich Black Metal mit antichristlichen bzw. satanistischen Themen auseinander. Ferner werden Krieg, Hass, Vernichtung und Tod besungen. Musikalisch wird Black Metal schneller und härter gespielt als Skinhead-Musik. Teilweise ist der Text akustisch nicht mehr zu verstehen. Die Texte können dann aus den CD-Booklets entnommen werden. Einen Kultstatus innerhalb der Black Metal-Szene genießt die Thüringer Band "ABSURD". Der Sänger dieser Band, Hendrik Möbus, beging am 29. April 1993 einen satanistisch motivierten Mord an einem Rechtsextremismus 93 15-jährigen Mitschüler. 1994 wurde er zu acht Jahren Jugendhaft verurteilt. Am 24. Januar fand in Gremsdorf, Landkreis Erlangen-Höchstadt, ein Black Metal-Konzert mit den Gruppen "TOTENBURG" "ABSURD" und "TYSKLAND" statt. Bei diesem Konzert stammte etwa die Hälfte der Besucher aus der rechtsextremistischen Skinhead-Szene. In Collenberg, Landkreis Miltenberg, meldete ein bekannter Aktivist der fränkischen Skinhead-Szene für den 17. Juli ein Skinhead-Konzert an. Nachdem die Gemeinde den Mietvertrag für die dortige Festhalle nicht unterzeichnete, fand die Veranstaltung ersatzweise in einer landwirtschaftlichen Scheune in Kürnach, Landkreis Würzburg, statt. Bei diesem Konzert, das von rund 600 Personen besucht wurde, traten die Gruppen "STURM UND DRANG" aus Brandenburg, "ACT OF VIOLENCE" aus Baden-Württemberg, "NO ALIBI" aus den USA und "VERSZERZÖDES" aus Ungarn auf. Die Polizei kontrollierte etwa 650 Personen und 250 Fahrzeuge und nahm sieben Personen wegen rechtsextremistischer Propagandadelikte fest. Ein weiteres großes Skinhead-Konzert fand am 6. November in EbersSkinhead-Konzert dorf bei Coburg in einer Gaststätte statt. Die Veranstaltung wurde als in Ebersdorf Geburtstagsfeier von einem Aktivisten der fränkischen Skinhead-Szene organisiert. Das Konzert, auf dem u.a. die Band "TOLLSCHOCK" auftrat, besuchten nahezu 650 Personen aus dem Inund Ausland. Die Veranstaltung verlief ohne besondere Vorkommnisse, lediglich bei den polizeilichen Vorkontrollen wurden vier Strafanzeigen u.a. wegen Verwendens von nationalsozialistischen Symbolen erstattet. Für den 27. November plante ein bekannter Skinhead ein Konzert in Skinhead-Konzert Kaufbeuren mit den Gruppen "FAUSTRECHT", "TOLLSCHOCK" und in Kaufbeuren "KOMMANDO SKIN". Gegenüber der Pächterin des Veranstaltungsraums nannte der Veranstalter dagegen andere Gruppen und erklärte, dass es sich um ein Rockbzw. Punk-Konzert handele und etwa 250 Personen erwartet würden. Er bestätigte ihr schriftlich, dass kein Bandmitglied der rechtsextremen Szene angehöre. Es gab jedoch Hinweise, dass damit eine Täuschung der Behörden beabsichtigt war. Das 94 Rechtsextremismus geplante Konzert wurde durch die Stadt Kaufbeuren verboten; die Behörden rechneten aber mit einer Ersatzveranstaltung an einem anderen Ort. Aufgrund weiterer Ermittlungen wurde bekannt, dass das Konzert im Kanton Thurgau in der Schweiz stattfinden solle. Die Kontaktaufnahme der Skinheads in die Schweiz erfolgte wohl sehr kurzfristig und teilweise per SMS. Das Konzert fand unter Beteiligung der aus dem Bereich Mindelheim stammenden Skinhead-Gruppe "FAUSTRECHT", der aus Vorarlberg stammenden österreichischen Gruppe "TOLLSCHOCK" und der italienischen Gruppe "CIVICO 88" statt. Die Gruppe "KOMMANDO SKIN" aus dem Bereich Schwäbisch Gmünd wurde an der Schweizer Grenze beim Einreiseversuch zurückgewiesen. An dem Konzert nahmen rund 250 Personen, überwiegend aus Deutschland, teil. Ebenfalls am 27. November fand in Waldaschaff, Landkreis Aschaffenburg, eine als Geburtstagsfeier ausgegebene Skinhead-Musikveranstaltung mit der Black Metal-Band "ABSURD" und der brandenburgischen Skinhead-Band "CONFIDENT OF VICTORY" statt. Es wurde ein Eintrittsgeld in Höhe von 15 Euro erhoben. Die Polizei unterband den Verkauf von CDs und szene-typischer Kleidung. Auch diese Veranstaltung war erst am Nachmittag als Black Metal-Konzert per SMS in der Szene bekannt gemacht worden. Von den rund 100 Veranstaltungsteilnehmern war nur ein Teil aufgrund des äußeren Erscheinungsbilds eindeutig der Skinhead-Szene zuzuordnen. Liedermacher Neben Skinhead-Bands gewinnen rechtsextremistische Liedermacher zunehmend an Bedeutung. Sie treten weniger bei Skinhead-Treffen, NPD-Bezug sondern häufiger bei Parteiveranstaltungen, z.B. der NPD, auf. Dabei steht die Verherrlichung der ihnen vorschwebenden "deutschen Ideale" im Vordergrund: Kameradschaft, Frau als Mutter in der Familie, Gehorsam, Heldentum, Tapferkeit, Solidarität, Treue und Ordnungssinn. Darüber hinaus werden in den Liedern auch die positiven Seiten des NS-Regimes betont. Zwei bekannte Liedermacher in der bayerischen Szene sind Michael Müller und Annett Möck. Beide treten im gesamten Bundesgebiet bei Veranstaltungen der rechtsextremen Szene auf. Skinhead-Magazine Die Fan-Magazine der Skinhead-Szene, auch "Fanzines" oder "Zines" genannt, beschäftigen sich mit den Aktivitäten rechtsextremistischer Skinhead-Bands und enthalten ausführliche Rezensionen sowie Bestelladressen für Tonträger, andere Fanzines und diverse Szene-Artikel, wie z.B. T-Shirts, Buttons oder Aufkleber. Entgegen dem bundesweiten Trend ist in Bayern die Zahl der Fanzines stark rückläufig. Diese Ent- Rechtsextremismus 95 wicklung resultiert auch aus der Nutzung des Internets, das hier zunehmend an Bedeutung gewinnt. Derzeit sind den Sicherheitsbehörden nur sehr wenige regelmäßig erscheinende Fanzines in Papierform bekannt. Die Zahl der Fanzines stieg in Deutschland von rund einem Dutzend im Jahr 2003 auf etwa 20 verschiedene Publikationen im Jahr 2004. 4.6 Verbindungen rechtsextremistischer Skinheads zur NPD Während sich einzelne Skinhead-Szenen eher unpolitisch geben, halten andere Gruppierungen nach wie vor engen Kontakt zu NPD-VerEnge Kontakte bänden. Insbesondere die auffällige Präsenz von rechtsextremistischen zur NPD Skinheads in den mittelfränkischen NPD-Strukturen hat weiter zugenommen. Dort rekrutiert sich inzwischen ein Großteil der Vorstandsmitglieder aus der örtlichen Neonaziund Skinhead-Szene. Die zum Gedenken an Rudolf Heß am 21. August veranstaltete Kundgebung in Wunsiedel wurde sowohl von NPD-Mitgliedern und Neonazis als auch von Skinheads aktiv unterstützt. Des Weiteren nutzt die NPD gezielt die Anziehungskraft der Skinheads für ihre Wahlkampfveranstaltungen und Rekrutierungsmaßnahmen. So fand am 3. April in der Festhalle von Senden ein Vortragsund Konzertabend statt. An der Veranstaltung nahmen rund 200 Personen teil, davon etwa 140 Skinheads. Der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt bat in seiner Rede um volle Unterstützung für die NPD bei Werbung für die der anstehenden Europawahl. Im Verlauf des Abends traten die beiEuropawahl den rechtsextremistischen Liedermacher Michael Müller und Annett Möck sowie die Skinhead-Band "ACT OF VIOLENCE" auf. Die Mobilisierung und Integration von Skinheads durch die NPD dürfte im Großraum München durch die Parteimitgliedschaft führender Neonazis wie Norman Bordin erleichtert werden. Bordin hatte bereits als "informeller Führer" der Kameradschaft München wiederholt jugendliche Skinheads an sich binden können. Als Mitglied der NPD wird er diese Kontakte nutzen, um damit auch Nachwuchskräfte in die Parteistruktur einzugliedern. In anderen Bereichen Bayerns gehen Gelegentliche dagegen Skinheads gelegentlich auf Distanz zur NPD. So boykottierDistanz zur NPD ten beispielsweise Angehörige der Skinhead-Kameradschaft "Donaufront" aus Ingolstadt den NPD-Stammtisch, als dessen Organisatoren versuchten, politische Ideen der Partei bei den Stammtischtreffen zu propagieren. 96 Rechtsextremismus 4.7 Strafverfahren, Urteile und Exekutivmaßnahmen Neben dem Prozess gegen die Führungspersonen der ehemaligen Kameradschaft Süd in München und dem Verbot der F.AF. sind insbesondere folgende Strafverfahren und Exekutivmaßnahmen von Bedeutung: Das Amtsgericht München verurteilte im März zwei Rechtsextremisten Gefährliche wegen gefährlicher Körperverletzung zu 32 bzw. 40 Monaten FreiheitsKörperverletzung strafe ohne Bewährung. Die beiden Täter (27 und 34 Jahre alt) hatten am 19. Juli 2003 in Unterschleißheim einen 24-jährigen "Aussteiger" aus der rechtsextremistischen Szene angegriffen und schwer verletzt. Der 27-jährige Tatbeteiligte steht außerdem im bereits genannten Strafverfahren gegen Mitglieder der Kameradschaft Süd wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung in München vor Gericht. Im Oktober wurde in Gmund am Tegernsee ein 27-jähriger Neonazi und Sympathisant der Skinhead-Szene festgenommen, nachdem die Polizei bei der Durchsuchung seiner Wohnung ein umfangreiches Waffenarsenal Waffenarsenal (Kriegswaffen, Gewehre, Pistolen, Munition) und zahlund Publikationen reiche Publikationen aus der NS-Zeit sichergestellt hatte. Der Beschuldigte hatte bis zu seiner Festnahme engen Kontakt zu örtlichen Skinhead-Szenen und reiste oft nach Österreich, überwiegend nach Innsbruck. Er organisierte Treffen der rechtsextremistischen Szene und nahm an mehreren Skinhead-Feiern teil. Das Landgericht Amberg verurteilte im November einen zur Tatzeit 27-jährigen Skinhead aus Schwandorf zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Angeklagte war im Juli 2003 mit einer Gruppe Gleichgesinnter nach reichlichem Alkoholkonsum in Schwandorf unterwegs. Gegenüber einer Gruppe Ausländerfeindvon nigerianischen Staatsangehörigen verhielt er sich äußerst aggreslichkeit siv. Er beschimpfte sie lautstark, rief NS-Parolen und trat einer Person dieser Gruppe mit Springerstiefeln in den Magen. Im Strafmaß wurden mehrere Gewaltdelikte des bereits vorbestraften Skinhead zusammengefasst. 5. Rechtsextremistisch motivierte Straftaten 5.1 Gewalttaten Bundesweit stellten Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation nach wie vor den größten Teil der Rechtsextremismus 97 extremistischen Gewalttaten. Von insgesamt 1.358 (2003: 1.330) extremistischen Gewalttaten waren 776 (2003: 759) rechtsextremistisch motiviert. In Bayern verringerte sich die Gesamtzahl der rechtsextreAbnahme der mistischen Gewalttaten auf 42 (2003: 47). Davon waren 22 Delikte Gewalttaten fremdenfeindlich und 18 Delikte allgemein neonazistisch motiviert, in Bayern darunter elf Angriffe auf politische Gegner. Zwei Gewalttaten lag eine antisemitische Motivation zugrunde. Dabei handelte es sich um eine versuchte Körperverletzung mittels einer vermeintlich verseuchten Briefsendung am 30. März. Ferner war eine Körperverletzung am Rande eines Fußballspiels im November in München antisemitisch motiviert. Die rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten sind überwiegend der äußerst gewaltbereiten Skinhead-Szene zuzurechnen. 47 Tatverdächtige gehörten der Skinhead-Szene an. Von 60 ermittelten Tatverdächtigen waren 42 zur Tatzeit jünger als 21 Jahre. Der Anteil der erstmals in Erscheinung getretenen Gewalttäter liegt bei 65 % (39 Tatverdächtige). Die Gewalttaten wurden ganz überwiegend nicht von Einzeltätern, sondern mit anderen gemeinsam begangen. Dabei entstand der Tatentschluss vielfach spontan aus gruppendynamischen Prozessen, gefördert durch Alkohol und Musik mit rechtsextremistischen Texten. Räumliche Schwerpunkte waren die Großstadtregionen München und Nürnberg. Rechtsextremistisch motivierte Gewalttäter sind überwiegend nicht in politischen Gruppen oder Parteien organisiert. Eine überregionale Steuerung durch rechtsextremistische Organisationen konnte in keinem Fall festgestellt werden. Das typische Ablaufmuster für rechtsextremistisch motivierte Gewalt ist gleich geblieben. Nach gezielten anfänglichen Provokationen der Angreifer kommt es bei geringstem Anlass zu Tätlichkeiten und massiver Gewaltanwendung gegen die Opfer. Beispiele für die im Berichtszeitraum verübten Gewalttaten sind folEinzelfälle gende Vorfälle: Am 3. Januar schlug in Beilngries, Landkreis Eichstätt, ein Skinhead seinem Kontrahenten mehrfach eine Bierflasche auf den Kopf. Das 17-jährige Opfer erlitt dabei eine Platzwunde und Gesichtsverletzungen. Anlass war ein von dem Angegriffenen getragenes T-Shirt mit der Aufschrift "Gegen Nazis". 98 Rechtsextremismus In München wurde ebenfalls am 3. Januar eine Türkin, die mit drei Kindern an einer Bushaltestelle wartete, von einem etwa 20-jährigen Täter zunächst mit den Worten "Ausländer raus - alle Ausländer sind Scheiße" beleidigt. Nach einer kurzen Diskussion schlug der Angreifer die Mutter nieder und trat auf sie ein. Die Frau musste im Krankenhaus ambulant behandelt werden. Der Täter konnte unerkannt flüchten. In Dorfen, Landkreis Erding, entbot ein 16-jähriger Schüler in der Zeit vom 1. bis 21. Januar einem neunjährigen dunkelhäutigen Kind gegenüber mehrfach den "Hitler-Gruß" und rief dazu "Heil Hitler". In einem Fall rief er "Jetzt ab ins KZ" und schoss mit einer Soft-Air-Pistole auf das Kind. Am 25. Januar blockierten in Zusamaltheim, Landkreis Dillingen a.d. Donau, vier Skinheads eine Straße und veranlassten dadurch vier Insassen eines Pkw auszusteigen. Nach einem Wortwechsel, bei dem auch die Parolen "Heil Hitler" und "Sieg Heil" gerufen wurden, griffen die Skinheads zwei der Pkw-Insassen mit Faustschlägen und Stiefeltritten an. Das Fahrzeug der Angegriffenen wurde durch Fußtritte beschädigt. Bis zum Eintreffen der Polizei verwüsteten die Skinheads einen Bauwagen, der den Dorfjugendlichen als Treffpunkt diente. Zerstört wurden ferner ein dort abgestelltes Moped und ein Sturzhelm. Die beiden angegriffenen Pkw-Insassen erlitten Schädelprellungen, Schürfwunden und Hämatome im Gesicht. Die vier Skinheads im Alter von 16 bis 19 Jahren stammen aus dem näheren Umkreis des Täters, der am 19. Dezember 2003 in Heidenheim/Baden-Württemberg drei russlanddeutsche Jugendliche mit Messerstichen getötet hatte. Am 21. März beleidigten drei Skinheads im Münchner Hauptbahnhof zwei italienische Staatsangehörige u.a. mit den Worten "Scheiß Ausländer, Scheiß Italiener". Auch außerhalb des Bahnhofs wurden die Italiener von den Skinheads bedrängt. Einem der Italiener schütteten die Skinheads Bier ins Gesicht und ohrfeigten ihn. Am 26. März schlugen in Nürnberg zwei 18und 19-jährige Skinheads einen Deutschen nach einem Streitgespräch nieder, traten ihn mit Stiefeln und beschimpften ihn als "Kommunistenschwein". Anschließend zwangen sie den Angegriffenen unter Androhung von Schlägen zur Herausgabe seines Handys. Als der Geschädigte sein Handy zurückforderte, schlugen die Skinheads weiter auf ihn ein. Das Opfer erlitt Prellungen im Rückenund Brustbereich sowie Verletzungen im Gesicht. Rechtsextremismus 99 Am 30. März wurden im Briefzentrum in Kempten (Allgäu) zwei Briefe an deutsche Firmen in Amberg und Sulzbach-Rosenberg aufgegeben. Der Brief nach Amberg enthielt ein weißes Pulver. Als Absender war in beiden Fällen ein "M. Friedmann" angegeben. Das Begleitschreiben enthielt den Text "Tief einatmen, nicht zum Arzt gehen, sterben und dabei an Sharon denken". Beide Firmeninhaber wurden von den anonymen Absendern als Juden bezeichnet. Am 8. Mai kam es am Münchner Ostbahnhof zu einer Schlägerei zwischen einem 24-jährigen Skinhead und einem 22-jährigen Franzosen senegalesischer Abstammung. Während der Schlägerei beschimpfte der Skinhead den Franzosen mit den Worten "Neger raus aus Deutschland". Auf dem Kirchweihfest in Herzogenaurach, Landkreis Erlangen-Höchstadt, beleidigte eine Gruppe Skinheads am 20. Mai zwei vermeintliche Angehörige der linken Szene. Eines der Opfer wurde geschubst, geohrfeigt und mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Der Rädelsführer forderte sein Opfer auf, einen Anstecker mit fünfzackigem Stern und "Anarcho-A" sowie einen weiteren Anstecker mit der Aufschrift "Gegen Nazis" zu demolieren. Erst nachdem der Angegriffene dieser Forderung nachkam, ließen die Täter von ihm ab. Beim Verlassen einer Gaststätte in Kempten (Allgäu) trafen am 28. Juli einige Skinheads auf eine gleich große Gruppe türkischer und südländisch aussehender deutscher junger Leute. Nach einer kurzen Pöbelei aufgrund deren Aussehens, insbesondere der Haare, begannen die Skinheads auf die jungen Leute einzuschlagen. Diese wurden teilweise bei ihrer Flucht verfolgt und mit Fäusten und Füßen attackiert. Vier dieser Personen erlitten zum Teil erhebliche Verletzungen. In München trafen am 18. Oktober vier Skinheads und vier Punker aufeinander. Die Skinheads versuchten die Punker zu provozieren, indem sie diese als "Abschaum" bezeichneten. Einer der Gruppe zeigte den "deutschen Gruß". Als sich die Punker entfernten, liefen ihnen die Skinheads nach und stießen einen 14-Jährigen gegen ein Verkehrszeichen. Der Punker wurde dadurch am Hinterkopf verletzt. Ein weiterer 14-jähriger Punker wurde gegen eine Hauswand gedrückt und mehrmals mit Fäusten ins Gesicht geschlagen. Die Skinheads konnten unerkannt entkommen. Vier junge Männer traktierten am 27. November in Cham zunächst mit Fußtritten das Fahrzeug eines etwa Gleichaltrigen und schlugen daraufhin mit einer etwa einen halben Meter langen Eisenstange in das 100 Rechtsextremismus Gesicht des Opfers. Während der Tat wurde das Opfer, ein ehemaliger polnischer Aussiedler, mit den Worten "Scheiß Pollackensau" beleidigt. Unbekannte Täter warfen am 26. Dezember in Oberasbach, Landkreis Fürth, drei mit Benzin gefüllte Flaschen gegen drei Fenster eines Vereinsheims mit Sportgaststätte, in dem sich sich auch die Wohnung des Pächters serbischer Staatsangehörigkeit befand. Eine der Flaschen entzündete sich und verursachte am Fenster der Pächterwohnung einen Schaden in Höhe von rund 1.000 Euro. Der Brand konnte vom Geschädigten selbst gelöscht werden. Im Eingangsbereich der Vereinsgaststätte wurden drei mit schwarzer Farbe gesprühte Hakenkreuze von etwa jeweils 1 x 1 Meter festgestellt. 5.2 Sonstige Straftaten Die Gesamtzahl der in Bayern bekannt gewordenen sonstigen neonazistischen, antisemitischen und rassistischen Straftaten beträgt 1.468 (2003: 1.307), darunter 218 (2003: 212) fremdenfeindlich motivierte Delikte. Dabei handelte es sich vielfach um Sachbeschädigung, NS-Kennzeichen Nötigung, Bedrohung, Volksverhetzung (insgesamt 335 Delikte) und und Volksverinsbesondere um das Verbreiten von Propagandamitteln bzw. Verhetzung wenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (insgesamt 1.081 Delikte). So wurden Hakenkreuze auf Wände und Fahrzeuge gesprüht bzw. geritzt, Parolen wie "Heil Hitler" und "Sieg Heil" gerufen und zahlreiche antisemitische Pamphlete mit strafbaren Texten verbreitet. Wie auch im Jahr 2003 bedienten sich Rechtsextremisten wiederholt des Short-Message-Systems (SMS) der Mobilfunkbetreiber, um neonazistische Propaganda an andere Handy-Besitzer zu übermitteln. Des öfteren verwendeten Neonazis auf dem Display ihres Handy NS-Symbole als Standard-Einstellung. So stellte die Polizei bei einer Wohnungsdurchsuchung am 8. September in Pfronten, Landkreis Ostallgäu, auf einem Mobiltelefon u.a. NS-Symbole sowie volksverhetzende und antisemitische Texte fest, darunter die Verse "Wenn Ali an der Eiche baumelt, wenn Mehmet durch den Gasraum taumelt, wenn Harkan unsre Straße teert, ja dann ist Deutschland wieder lebenswert!!" und "I bin so stark, I bin so schlau, I bin der Adolf aus Braunau. Meine Müllverbrennungsbuden san der Wahnsinn für die Juden. Meine Diktatur: Ein Wunder der Natur!" Rechtsextremismus 101 Der Beschuldigte gab zu, die Texte geschrieben und an mehrere Personen, u.a. auch an einen Türken, versandt zu haben. Durch rechtsextremistisch motivierte Ausschreitungen und Schmierereien entstanden Sachschäden von rund 500.000 Euro (2003: etwa 280.000 Euro). Beispiele für die im Berichtszeitraum verübten Straftaten sind auch folgende Vorfälle: Zwischen dem 20. und 22. Februar wurden zwei Verkehrszeichen an einer Kreisstraße im Bereich der Stadt Pegnitz, Landkreis Bayreuth, mit den Worten "Achtung, Judenbande!" und "Juden sind hier unerwünscht!" beschmiert. Mitte März wurden an den inzwischen gereinigten Verkehrszeichen weitere Schmierschriften wie "Hängt den Juden Friedman", "Keine Judenschweine" und "Für Juden gesperrt" festgestellt. Als Täter ermittelte die Polizei einen 45-jährigen Arbeitslosen, der bei seiner Vernehmung gestand, seit 2001 mehrere ähnliche antisemitische Schmierereien verübt zu haben. Ende Februar verwüsteten unbekannte Täter die Neubauwohnung eines bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigen in Landshut. Sie besprühten Wände und Einrichtungsgegenstände mit SS-Runen und Parolen wie "Heil Hitler", "Der Führer lebt", "Dreckspack" und "Bald bist du dran". Der Sachschaden betrug rund 150.000 Euro. Unbekannte Täter brachten Anfang März in der Sparkasse Hohenstadt, Gemeinde Pommelsbrunn im Landkreis Nürnberger Land, ein selbst gefertigtes Plakat mit folgender Aufschrift an: "Steht auf wenn ihr Deutsche seid und haut den Lumpen, die uns regieren auf die Schnauze, ehe sie uns den Rest geben! Volk steh auf und Sturm brich los." In der Nacht zum 17. März wurde ein am Haupteingang der Bundesagentur für Arbeit in Roth angebrachtes Schild mit einem Hakenkreuz und der Parole "Arbeit macht frei!" beschmiert. Am 25. März ging der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern ein anonymes Schreiben mit folgendem Text zu: "Scharon - der größte Verbrecher und Lügner den es auf der Welt gibt! Natürlich ein dreckiger Jude! Die ganze Welt schaut zu und der Hass wächst! Ihr gehört fast alle geschächtet." 102 Rechtsextremismus Unbekannte Täter schmierten Mitte April im Treppenaufgang eines Wohngebäudes in Tettau, Landkreis Kronach, ein Hakenkreuz und die Worte "Türken gehören ausgerottet". In Ludwigsstadt, Landkreis Kronach, wurde Anfang Mai eine auf einem Parkplatz angebrachte Werbetafel mit den Worten "Odin über alles" und "Judea und Islam verrecke, Deutschland den Deutschen" beschmiert. Ein der Jüdischen Gemeinde Regensburg am 12. Mai zugegangenes anonymes Schreiben enthielt die Drohung, demnächst würden "die Juden Deutschlands an unseren Laternenpfählen baumeln". Das Pamphlet endete mit den Worten "Bis zum Jahre 2010 wird Deutschland judenfrei sein. Versprochen!!!" Unbekannte Täter beschmierten in der Nacht zum 21. Juli ein Anwesen in München mit einem Davidstern und den Worten "Deutsche Politiker - Hündische Knechte der Juden! Welche Schande". Mitte August wurden vier Schaufenster eines Einkaufszentrums in Ergolding, Landkreis Landshut, mit Parolen wie "Adolf Hitler unser Führer", "Haut den Türken auf die Fresse", "Skinheads Germany" und "Wir wissen wen wir hassen - die nicht arischen Rassen" beschmiert. Unbekannte Täter kratzten im September mit einem spitzen Werkzeug Hakenkreuze und die Worte "Heil Hitler" sowie "Hitler kommt wieder" in eine Fensterscheibe der Grundschule in Hassfurt. Es entstand ein Schaden von rund 1.200 Euro. In der Bahnstation Creußen, Landkreis Bayreuth, wurde Anfang November ein Wartehäuschen mit SS-Runen, einem Hakenkreuz und Parolen wie "SA Sieg Heil", "Ihr Scheiß Juden" und "Nazi rein - Ausländer raus" beschmiert. Ein 16-jähriger Lehrling trug am 8. November in Steinfeld, Landkreis Main-Spessart, unter der geöffneten Jacke ein T-Shirt mit einem Portrait von Adolf Hitler und der Aufschrift "GUT, BESSER, HITLER!" 6. Revisionismus 6.1 Ziele Der Revisionismus, der die Geschichtsschreibung über die Zeit des Dritten Reichs ändern will, ist zu einem Bindeglied zwischen den unterschiedlichsten rechtsextremistischen Strömungen geworden. Rechtsextremismus 103 Seinen Repräsentanten geht es allerdings nicht um die Gewinnung Versuch einer neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern gezielt um die mittelRehabilitierung bare Rechtfertigung bzw. Aufwertung der nationalsozialistischen des NationalGewaltherrschaft durch einseitige, relativierende oder verharmlosende sozialismus Darstellung des NS-Regimes. Im Mittelpunkt der revisionistischen Agitation stehen die Leugnung des nationalsozialistischen Massenmords an europäischen Juden in Gaskammern deutscher Konzentrationslager während des Zweiten Weltkriegs (Holocaust) sowie die Behauptung, Deutschland trage keine Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Auf diese Weise soll das auf seriöser Forschung beruhende Geschichtsbild propagandistisch unterminiert werden, um die Deutschen von einem vermeintlich aufgezwungenen "Schuldkomplex" zu befreien. 6.2 Entwicklung und Träger der Revisionismus-Kampagne Revisionismus war von Anfang an eine internationale Erscheinung, wobei der Anstoß zunächst aus Frankreich und den USA kam. Seit Beginn der 50er Jahre erschien eine große Anzahl von Büchern, die den historischen Nachweis führen wollten, dass es entgegen der Feststellung seriöser Forscher und Zeitzeugen keine Tötung von Juden in Gaskammern gegeben habe. Hervorzuheben ist hierbei das 1989 veröffentlichte "Gutachten" des Amerikaners Fred A. Leuchter, wonach "Leuchter-Bericht" es in Auschwitz und einigen anderen Konzentrationslagern aufgrund der technischen Gegebenheiten nicht möglich gewesen sei, Menschen in Gaskammern zu töten. Dieselbe These verbreitete der Diplomchemiker Germar Scheerer, geb. Rudolf, ein ehemaliges REP-Mit"Rudolfglied, in seinem 1994 veröffentlichten, 2001 in Zweitauflage erschieGutachten" nenen und bereits indizierten "Gutachten über die Bildung und Nachweisbarkeit von Zyanidverbindungen in den 'Gaskammern' von Auschwitz". Die international aktivsten Revisionisten leben heute meist in Ländern, in denen Strafbestimmungen gegen das Verbreiten und die Veröffentlichung revisionistischen Gedankenguts fehlen. So setzte sich der deutsche Revisionist Germar Scheerer im Frühjahr 1996 nach einer Verurteilung (u.a. wegen Volksverhetzung) ins Ausland ab, wo er seine Agitation fortsetzte. Über seinen Verlag "Castle Hill PubScheerers publizislishers Ltd." in Großbritannien vertrieb er mehrere revisionistische tische Aktivitäten Schriften. In den USA stellte er einen Antrag auf politisches Asyl, der in Großbritannien im Juni 2003 abgelehnt wurde. Im Rahmen einer gerichtlich angeord- 104 Rechtsextremismus neten Exekutivmaßnahme wurde am 7. September Scheerers bei einer Bank in Baden-Württemberg eingerichtetes Konto gepfändet. Der wohl bekannteste Vertreter des Revisionismus ist der internatioDavid Irving nal agierende britische Schriftsteller David Irving, der 1993 wegen Leugnung des Holocaust verurteilt und aus Deutschland ausgewiesen wurde. Gegen ihn bestehen Einreiseverbote in Australien, Deutschland, Kanada, Österreich und Südafrika. Inzwischen residiert er hauptsächlich in Key West/Florida. Ein weiterer Protagonist des Revisionismus ist der deutsche StaatsErnst Zündel angehörige Ernst C. F. Zündel, der 1958 nach Kanada übersiedelte. Sein Antrag auf Verleihung der dortigen Staatsbürgerschaft wurde zweimal abgelehnt. 2001 löste Zündel seinen Verlag "Samisdat Publishers Ltd." in Toronto auf und verlegte seinen Wohnsitz in die USA, da er - nach eigenen Angaben - in Kanada wegen der Einstellung der "Zündelsite" ins Internet strafrechtlich verfolgt wurde. Anfang Februar 2003 wurde er wegen illegalen Aufenthalts in den USA verhaftet und nach Kanada ausgeliefert, wo er sich seither in Untersuchungshaft Abschiebung befand. Die kanadischen Behörden schoben ihn Anfang März 2005 nach Deutschland nach Deutschland ab. In Deutschland liegt gegen Zündel ein Haftbefehl des Amtsgerichts Mannheim aus dem Jahr 2003 vor. Zündel unterhält internationale Kontakte. Er verfasst und verschickt zahlreiche Publikationen, darunter in erster Linie den "Germania"Rundbrief, der neonazistische und antisemitische Thesen enthält und auch über das Internet abrufbar ist. Im Internet erscheint ferner seit mehreren Jahren der Beitrag "Good morning from the Zündelsite", der - so Zündel - seit seiner Verhaftung monatlich von mehr als 1,2 Millionen Interessenten eingesehen wird. Dort sind u.a. Bücher, die in Deutschland der Beschlagnahme unterliegen bzw. von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert wurden, mit vollem Text eingestellt, darunter "Der Holocaust auf dem Prüfstand" von Jürgen Graf und "Starben wirklich sechs Millionen?" von Richard Harwood. Zündels neuestes Werk ist ein im Gefängnis geschriebenes Buch mit dem Titel "Setting the Record Straight", das in Deutschland unter dem Titel "Brief aus Zelle 7" veröffentlicht werden soll. Institute for Das 1979 unter rechtsextremistischer Beteiligung gegründete Institute Historical Review for Historical Review (IHR) mit Sitz in Kalifornien/USA pflegt Verbin(IHR) dungen - auch über das Internet - zu Rechtsextremisten in allen Kontinenten. Mit seiner Zeitschrift "Journal of Historical Review" und vor allem mit seinen jährlichen Kongressen bietet es eine Plattform, um Rechtsextremismus 105 gegen die Ergebnisse der zeitgeschichtlichen Forschung zu polemisieren. Eine am 24. April in Sacramento stattgefundene Revisionisten-Konferenz war dem in Kanada inhaftierten Ernst Zündel gewidmet. Teilnehmer waren bekannte Holocaust-Leugner. Das monatlich im Verlag des britischen Rechtsextremisten Anthony Hancock in Uckfield erscheinende "National Journal", das ebenfalls National Journal mit einer Homepage im Internet vertreten ist, betreibt massive Hetze gegen Ausländer und Juden und leugnet oder bagatellisiert den Holocaust. Der Herausgeberkreis führt die Bezeichnung "Die Freunde im Ausland" (DFiA). Die 1985 in Antwerpen gegründete, in Berchem/Belgien ansässige Vrij Historisch Organisation Vrij Historisch Onderzoek (V.H.O.) ist eine der bedeutenOnderzoek den Lieferantinnen von revisionistischem Propagandamaterial. Sie (V.H.O.) verfügt über weltweite Kontakte zu führenden Revisionisten und bietet nahezu alle wichtigen, in Deutschland teilweise beschlagnahmten oder indizierten revisionistischen Veröffentlichungen an. Seit Anfang 1997 gibt die V.H.O. die revisionistische Zeitschrift "Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung" (VffG) heraus. Die Schrift rechtfertigt die Politik des Dritten Reichs und leugnet den Völkermord an den europäischen Juden. Ferner polemisiert sie gegen die angeblich ungerechtfertigte Verfolgung der Revisionisten. Autoren sind u.a. David Irving, Robert Faurisson und Germar Scheerer. Der Mitbegründer der V.H.O. Siegfried Verbeke, der zusammen mit seinem Bruder Herbert die V.H.O. betreibt, wurde am 26. November aufgrund eines europäischen Haftbefehls wegen Verbreitung revisionistischer Literatur in Belgien festgenommen. Der Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Revisionistische Verfolgten (VRBHV) wurde am 9. November 2003 auf Initiative von Vereinigung Horst Mahler, eines führenden Aktivisten des rechtsextremistischen Intellektuellenzirkels "Deutsches Kolleg", gegründet. In der Gründungserklärung heißt es: "Es war der Beginn der großen Lüge, die endgültig zu Fall zu bringen Anliegen unseres Vereins sein wird: Der Auschwitz-Lüge." Dem Verein haben sich zahlreiche Revisionisten angeschlossen. Seit Anfang 2004 existieren die beiden neuen Homepages "Aufstand für die Wahrheit" und "Reichsbürgerbrief". Auf letzterer Seite ruft Mahler zum Volksaufstand gegen die von einer Fremdmacht ausgeübte, "talmudisch" getarnte Gewaltund Willkürherrschaft in Deutschland 106 Rechtsextremismus auf, die jegliche Politik zum Wohle des deutschen Volkes und zur Strafverfahren Wahrung seiner Würde verhindere. Mahler wurde am 12. Januar gegen Mahler 2005 vom Landgericht Berlin zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten ohne Bewährung verurteilt. Er hatte 2002 während einer Pressekonferenz in den Räumen der NPD-Parteizentrale in Berlin-Köpenick einen Schriftsatz an Journalisten verteilen lassen, in dem er als Prozessvertreter der NPD im Rahmen des damaligen Verbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht den Hass auf Juden als "untrügliches Zeichen eines intakten spirituellen Immunsystems" bezeichnete. 7. Verbindungen zum ausländischen Rechtsextremismus Der amerikanische Neonazi und Propagandaleiter der NSDAP-Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP-AO) Gary Rex Lauck tritt Neonazistische nach wie vor durch den Versand neonazistischer Propagandamittel Propaganda in Erscheinung. Seine deutschsprachige Schrift "NS Kampfruf" erscheint in unregelmäßigen Abständen. Sie besteht derzeit größtenteils aus einer Preisliste mit Angeboten für nationalsozialistische Devotionalien. Auch auf der Homepage der NSDAP-AO überwiegen inzwischen Offerten für NS-Propagandamaterial die politischen Inhalte. Dort können Hakenkreuzaufkleber, Fahnen und Abzeichen des Dritten Reichs, Filme und Bücher aus der NS-Zeit (z.B. "Jud Süß", "Der ewige Jude", "Mein Kampf") sowie CDs mit Marschmusik und Hitler-Reden bestellt werden. Das Angebot enthält ferner Computerspiele wie "KZ-Rattenjagd" und "Der SA-Mann" zum kostenlosen Herunterladen. Deutsche Rechtsextremisten stehen Lauck eher reserviert gegenüber, da bei ihm der kommerzielle Aspekt offenbar immer mehr in den Vordergrund rückt. ExekutivAm 8. Oktober fand die Polizei bei einer Durchsuchung im nordmaßnahmen bayerischen Raum eine CD, auf der sich Hitlers Buch "Mein Kampf" befand. Gegen Lauck wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Er hatte das Buch "Mein Kampf" schon im August 2000 auf der Homepage der NSDAP-AO zur weltweiten Nutzung ins Internet eingestellt und im Jahr 2003 behauptet, die NSDAP-AO sei in der Lage, selbst CDs und DVDs herzustellen. Rechtsextremismus 107 8. Übersicht über erwähnenswerte rechtsextremistische Organisationen und Verlage sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 2004 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) 1. Parteien einschließlich integrierter Vereinigungen Die Republikaner (REP) 2.800 7.500 Zeit für Protest! 26.11.1983, Berlin zweimonatlich, 10.000 Nationaldemokratische Partei 850 5.300 Deutsche Stimme (DS) Deutschlands (NPD) monatlich, 20.000 28.11.1964, Stuttgart (nach Eigenangaben) Junge Nationaldemokraten (JN) 50 300 Nationaldemokratischer HochschulFunktionärsbund (NHB) gruppe 1967, Nürnberg Deutsche Volksunion (DVU) 1.200 11.000 (Publizistische Sprachrohre: 05.03.1987, München siehe DSZ-Verlag) Deutsche Volksunion e.V. (siehe DVU) einschließlich Aktionsgemeinschaften 16.01.1971, München Deutsche Partei - Die Freiheitlichen (DP) 70 (geschätzt) 500 Deutschland-Post 1993, Bad Soden 10 x jährlich 2. Neonazistische Organisationen und Zusammenschlüsse Hilfsorganisation für nationale 70 600 Nachrichten der HNG politische Gefangene und deren monatlich, 600 Angehörige e.V. (HNG) 02.07.1979, Frankfurt am Main Kameradschaft Lichtenfels 20 1998 Kameradschaft München 30 2004 Kameradschaft Aschaffenburg 10 Fränkische Aktionsfront (F.A.F.) 40 2001 (verboten am 22.01.2004) Bund Frankenland - Staatsbürgerliche 15 Runde 1992 NSDAP-Auslandsund Aufbauorganisation NS Kampfruf (NSDAP-AO) unregelmäßig 1972, Lincoln/USA 108 Rechtsextremismus Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 2004 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) 3. Sonstige Organisationen Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 60 500 (Inoffizielles Organ: siehe 03.10.1991, Berlin Nation Europa Verlag GmbH) Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) 40 450 Das Freie Forum 1960, München vierteljährlich, 1.500 Freundeskreis Ulrich von Hutten e.V. 30 280 Huttenbriefe - für Volkstum, Februar 1982, Starnberg Kultur, Wahrheit und Recht zweimonatlich, 4.000 Die Artgemeinschaft - Germanische 5 120 Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung (Artgemeinschaft) Schutzbund für das Deutsche Volk e.V. (SDV) 200 September 1981, München Deutsches Kolleg (DK) Funktionärs1994, Berlin / Würzburg gruppe Deutschland-Bewegung /Friedenskomitee 80 150 Pressespiegel mit "Frieden 1990, Starnberg 2000 - Nachrichten für die Deutschland-Bewegung" Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) Einzel2001, Nürnberg personen Freundeskreis Demokratie Direkt München 15 2004 Aktivitas der Burschenschaft Danubia 15 Danubenzeitung 1848, München unregelmäßig Augsburger Bündnis - Nationale FunktionärsNeues Schwaben Opposition e.V. gruppe unregelmäßig 2001, Augsburg 4. Skinheads 800 10.000 5. Verlage Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH National-Zeitung/Deutsche (DSZ-Verlag), München Wochen-Zeitung (NZ), wöchentlich, 41.000 Nation Europa Verlag GmbH Nation & Europa - 1953, Coburg Deutsche Monatshefte monatlich, 14.500 Verlag Hohe Warte - Franz von Bebenburg KG Mensch und Maß 1949, Pähl zweimal monatlich, 2.000 Denk mit!-Verlag Denk mit! Nürnberg unregelmäßig, 1.000 VGB Verlagsgesellschaft Berg mbH Deutsche Geschichte Stegen zweimonatlich, 10.000 Linksextremismus 109 4. Abschnitt Linksextremismus 1. Allgemeines 1.1 Merkmale des Linksextremismus Das ideologische Spektrum der Linksextremisten reicht von AnhänIdeologisches gern des "wissenschaftlichen Sozialismus/Kommunismus" in seiner Spektrum klassischen Form über Sozialrevolutionäre mit unterschiedlichen diffusen Konzeptionen bis hin zu Anarchisten. Theoretische Grundlagen bilden im Wesentlichen die Werke von Marx und Lenin, aber auch von Trotzki, Stalin, Mao Tse-tung und anderen. Die Bestrebungen der Linksextremisten sind darauf gerichtet, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung zu beseitigen, die sie als kapitalistisch, rassistisch und imperialistisch ansehen. An deren Stelle solle eine sozialistisch-kommunistische Diktatur oder die Anarchie, eine Gesellschaft frei von jeglicher Herrschaft, treten. Diese Bestrebungen sind verfassungsfeindlich, weil die Ziele und oft auch die Mittel, mit denen sie erreicht werden sollen, gegen die grundlegenden Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstoßen. Die Aktionsformen der Linksextremisten sind breit gestreut: Sie umAktionsformen fassen öffentliche Veranstaltungen, offene Agitation mittels Zeitunder Linksextregen, Flugblättern, elektronischen Kommunikationsmitteln, ferner misten Versuche der Einflussnahme in "bürgerlichen" Institutionen bis hin zur Beteiligung an Wahlen. Darüber hinaus gibt es Linksextremisten, die politische Gewalt als ein legitimes und geeignetes Mittel sehen, ihre extremistischen Vorstellungen durchzusetzen. In ihrer Propaganda stellen sich Linksextremisten als Vertreter einer hohen Moral, als Kämpfer gegen Unterdrückung und Verfechter von Frieden und sozialer Gerechtigkeit dar. Ihre politische Praxis zeigt jedoch etwas anderes. Sie missachten demokratische Mehrheitsentscheidungen und das Gewaltmonopol des Staates. Sie setzen sich über das Recht der Menschen auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit hinweg, wenn dieses Recht ihren Interessen entgegensteht. 110 Linksextremismus Einige der linksextremistischen Gruppierungen bekennen offen, dass ihre Ziele nur unter Anwendung von Gewalt zu erreichen sind. Teilweise verüben sie Gewalttaten oder arbeiten zur Erreichung ihrer Ziele mit Gewalttätern zusammen. Dies verstößt gegen den Grundsatz des Ausschlusses jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft und verletzt, wenn sich die Gewalt gegen Personen richtet, das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Agitationsthemen Die wahren Ziele werden oftmals in Aktionsfelder und Themen eingebunden, die für sich betrachtet nicht extremistisch sind. Durch gewandte Agitation gelingt es Linksextremisten teilweise, den notwendigen Konsens aller Demokraten in der Ablehnung jeder Art politischen Extremismus zu durchbrechen. Für ihre Agitation und Mobilität bei Demonstrationen oder anderen Aktionen nutzen Linksextremisten auch die Vorteile der modernen Kommunikationsmöglichkeiten wie Handy und Internet. Zentrale Agitationsthemen der Linksextremisten waren Neonazismus/Faschismus, Globalisierung, Imperialismus, Auslandseinsätze der Bundeswehr, Rassismus, Asylund Abschiebeproblematik, Arbeitslosigkeit und Sozialversorgung. Im Mittelpunkt der Arbeit von Linksextremisten stand ferner die Unterstützung sozialrevolutionärer Bewegungen im Ausland. 1.2 Entwicklung der Organisationen Rückgang der Die Gesamtzahl der Mitglieder linksextremistischer und linksextremisMitgliederzahlen tisch beeinflusster Parteien und Gruppierungen in Bayern verringerte Mitglieder 40.000 35.000 30.000 30.800 Deutschland * 20.000 10.000 Bayern 3.640 3.530 0 1995 96 97 98 99 2000 01 02 03 04 * Diese Kurve beruht auf Zahlen des Bundesamts für Verfassungsschutz, das von den Mitgliedern der PDS nur die der Kommunistischen Plattform (KPF) erfasst. Die PDS hatte im Jahr 2004 insgesamt 65.500 Mitglieder, davon 1.000 in der KPF. Linksextremismus 111 sich geringfügig. Die Zahl der PDS-Mitglieder und -Sympathisanten sowie die Mitgliederzahl der DKP nahmen bundesweit ab. Die Zahl der Anhänger autonomer Gruppen blieb konstant. Sie werden von anderen linksextremistischen Organisationen als Bündnispartner für Aktionen akzeptiert. Die Entwicklung der Zahl linksextremistischer und linksextremistisch beeinflusster Organisationen in Bayern und ihrer Mitgliederstärken ist aus der folgenden Übersicht zu ersehen. Erkannte Mehrfachmitgliedschaften sind jeweils nur bei einer Organisation erfasst. Zahl und Mit2002 2003 2004 gliederstärke Anzahl der Organisationen 38 37 38 linksextremistischer OrganiMarxisten-Leninisten und sationen in andere revolutionäre Marxisten Bayern PDS 700 700 700 DKP 600 600 600 Marxistische Gruppe (MG) 700 700 700 weitere Kernorganisationen 360 300 250 Nebenorganisationen 70 80 80 beeinflusste Organisationen 1.080 1.080 1.080 Autonome, Anarchisten und Sozialrevolutionäre 450 400 400 Linksextremisten insgesamt 3.960 3.860 3.530 1.3 Linksextremistische Gewalt Die Zahl linksextremistisch motivierter Gewalttaten in Deutschland ist auf 521 angestiegen gegenüber 483 im Jahr 2003. In Bayern ist die Anstieg der Zahl der Gewalttaten von 16 im Jahr 2003 auf 27 im Jahr 2004 erhebGewalttaten lich angestiegen. Die linksextremistischen Gewalttaten wurden wieder in Bayern zu über 80 % von Gruppen und Einzeltätern aus dem gewaltbereiten autonomen und anarchistischen Spektrum begangen. Schwerpunkt mit 15 Gewalttaten waren wie im Vorjahr tätliche Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten. Die Angriffe richteten sich dabei vor allem gegen rechtsextremistische Angriffsziele Veranstaltungen, einzelne Rechtsextremisten wurden auch gezielt 112 Linksextremismus Entwicklung linksextremis800 Deutschland Bayern tisch motivierter 700 Gewalttaten 600 521 483* 500 385 400 300 200 100 21 27 16 0 2002 2003 2004 *ohne terroristische Straftaten angegriffen. Linksextremisten versuchen die Gewalttaten als "Kampf gegen den Faschismus" zu rechtfertigen. Das Thema "Antifaschismus" wird auch in Zukunft ein wichtiges Aktionsfeld autonomer Politik und damit auch autonomer Militanz bleiben. Ziel der gewalttätig agierenden linksextremistischen Gruppen ist nach wie vor der Staat, dem unterstellt wird, "Faschisten" zu schützen, soDestabilisierung wie die Destabilisierung unserer Staatsund Gesellschaftsordnung, in von Staat und der sie ein "Instrument zur Durchsetzung weltweiter kapitalistischer Gesellschaft und imperialistischer Ausbeuterinteressen" sehen. Dies ist auch der Hintergrund für die massive Unterstützung der Proteste gegen die alljährlich in München stattfindende so genannte Sicherheitskonferenz durch linksextremistische Autonome. Die europaweiten "Anti-Globalisierungs-Proteste" mit Aktionen gegen internationale Konferenzen verliefen wie im Vorjahr - bedingt durch starke polizeiliche Sicherungsmaßnahmen und Präsenz - nur teilweise gewalttätig. 2. Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten Marxistisch-leninistisch ausgerichtete Organisationen und andere revolutionäre Marxisten bemühen sich weiterhin, durch massive Kritik an den "herrschenden Verhältnissen" und Forderungen nach "Fundamentalopposition" ihren sozialistischen und kommunistischen Zielen näher zu kommen. Dabei gelang es nur begrenzt, die unter- Linksextremismus 113 schiedlichen Ideologien und Strömungen zu bündeln. Die PDS, die Versuch der nach dem Zusammenbruch des SED-Unrechtsregimes einen neuen Bündelung extreWeg des "demokratischen Sozialismus" zu beschreiten vorgibt, vermistischer Kräfte sucht, Linksextremisten aller Richtungen zu integrieren. 2.1 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) Deutschland Bayern Mitglieder: 65.500 700 Vorsitzende(r): Prof. Dr. Lothar Bisky Eva Bulling-Schröter, Reinhold Rückert Umbenennung der SED: 16./17.12.1989 Gründung: 11.09.1990 Sitz: Berlin München Publikationen: DISPUT; PDS-Pressedienst; UTOPIE-kreativ; Mitteilungen der KPF; TITEL Die ehemals in der DDR herrschende Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) hat sich nach der friedlichen Revolution und dem Zusammenbruch ihres Unrechtsregimes nicht aufgelöst. Sie beschloss auf ihrem Sonderparteitag am 16./17. Dezember 1989 in Berlin-Weißensee, sich in "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands - Partei des Demokratischen Sozialismus (SED-PDS)" umzubenennen. Auf einer Umbenannte SED Tagung des Parteivorstands der SED-PDS am 4. Februar 1990 wurde der Parteiname endgültig in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) geändert. Der 1. Parteitag der PDS am 24./25. Februar 1990 bestätigte die Namensänderung. 2.1.1 Ideologische Ausrichtung Die PDS versteht sich als linke "Strömungspartei" für sozialistische Strömungspartei Gruppen und Personen, die die bestehenden politischen und wirtlinker Kräfte schaftlichen Verhältnisse in Deutschland kritisieren und ablehnen. Das auf der 2. Tagung des 8. Parteitags der PDS am 25. und 26. Oktober 2003 in Chemnitz beschlossene - mittlerweile dritte - Parteiprogramm stellt fest, die PDS sei ein Zusammenschluss unterschiedlicher linker Kräfte, die - bei allen Meinungsverschiedenheiten - darin über- 114 Linksextremismus einstimmten, dass die Dominanz des privatkapitalistischen Eigentums überwunden werden müsse. Im Programm heißt es dazu weiter: "In ihr (Anmerkung: in der PDS) haben sowohl Menschen einen Platz, die der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzen und die die gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnen, als auch jene, die ihren Widerstand damit verbinden, die gegebenen Verhältnisse positiv zu verändern und schrittweise zu überwinden." Gegen Die Beseitigung des Kapitalismus, die Überwindung des mit ihm verKapitalismus bundenen politischen Systems der Freiheit und der Demokratie im Sinn unseres Grundgesetzes sowie die Errichtung einer neuen "sozialistischen Gesellschaft" gehören somit, auch wenn die Revolutionsrhetorik des Marxismus-Leninismus vermieden wird, zu den Zielen der Partei, die vor allem außerparlamentarisch erreicht werden müssten. Das Bekenntnis der Partei zum außerparlamentarischen Kampf und zum Widerstand gegen die "Herrschenden" und die "gegebenen Verhältnisse" ist mit der Grundidee der parlamentarischen repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes unvereinbar. Das programmatische Ziel der PDS ist nach wie vor eine über die Grenzen der bestehenden Gesellschaftsform hinausweisende sozialistische Ordnung. Die PDS vertritt einen konsequenten Internationalismus und ist dem Bekenntnis zu Erbe von Marx und Engels, den vielfältigen Strömungen der revoluMarx und Engels tionären und internationalen Arbeiterbewegung sowie anderen revolutionären und "volks-demokratischen" Bewegungen verbunden und dem Antifaschismus verpflichtet. Die Berufung auf Marx und Engels, die historische Entwicklung der Partei sowie die politische Herkunft ihrer Mitglieder aus kommunistischen Organisationen, insbesondere der SED, müssen auch bei der Auslegung ihrer programmatischen Äußerungen berücksichtigt werden. Die PDS verwendet Begriffe wie Demokratie und Menschenrechte, die sie auch schon als SED gebraucht hat. Die Realität der DDR bewies jedoch, dass diese Begriffe dort anders, nämlich freiheitsund demokratiefeindlich, definiert waren. Ursache für die andere Interpretation politischer Begriffe ist Umwidmung von deren bewusste Umwidmung im Lehrgebäude des Marxismus-LeniBegriffen nismus, in dessen Denkschule die Mehrheit der Mitglieder der PDS erzogen wurde. Deshalb besitzen die in ihrer Programmatik verwendeten Begriffe eine Doppeldeutigkeit. Das 2003 in Chemnitz verabschiedete Parteiprogramm verfolgt nach wie vor dieselbe ideologische Zielsetzung - eine über die Grenzen der bestehenden Gesellschaftsform hinausweisende sozialistische Ord- Linksextremismus 115 nung - und hält am "Manifest der Kommunistischen Partei", der Lehre von Marx und Engels, sowie an Rosa Luxemburg fest. Obwohl im neuen Programm auf die Erwähnung der bolschewistischen Oktoberrevolution von 1917 verzichtet wird, stellt sich die PDS weiterhin ausdrücklich in die Tradition der revolutionären kommunistischen Arbeiterbewegung und wendet sich "aus historischer Erfahrung" entschieden gegen jegliche Form von "Antikommunismus". Sie ist auch vom gescheiterten Sozialismusversuch der früheren DDR nach wie vor überzeugt. Der Unrechtsgehalt des SED-Regimes wird relativiert; es wird betont, dass der "Aufbau einer besseren Gesellschaftsordnung" für den Osten keiner "Entschuldigung" bedürfe und die "antifaschistisch-demokratischen Veränderungen im Osten Deutschlands und das spätere Bestreben, eine sozialistische Gesellschaft zu gestalten" in "berechtigtem Gegensatz zur Weiterführung des Kapitalismus in Westdeutschland" gestanden hätten. Im Bestreben um das gesellÜberwindung schaftliche Endziel kämpft die PDS für die Überwindung der als der bestehenden "Kapitalismus" diffamierten bestehenden Gesellschaftsordnung. Das GesellschaftsProgramm führt dazu aus: ordnung "Die Politik der PDS soll dazu beitragen, die Vorherrschaft der Kapitalverwertungsinteressen abzuschwächen, schließlich zu überwinden und die ihr zu Grunde liegenden Machtund Eigentumsverhältnisse zu verändern. (...) Ein selbstbestimmtes Leben, eine von Entfremdung befreite Arbeitswelt und eine gerechte Verteilung des Reichtums bedürfen alternativer Gesellschaftsstrukturen, die von der Verwirklichung gemeinschaftlicher Interessen geprägt sind und die Dominanz privatkapitalistischen Eigentums überwunden haben." Die strikt antikapitalistische Grundausrichtung bleibt die Grundidee der PDS. So wird bereits in der Präambel betont: "Wir wollen, dass diese gesellschaftlichen Strukturen zurückgedrängt und schließlich überwunden werden, damit die Menschheit einen Ausweg aus dieser zerstörerischen Entwicklungslogik findet. In diesem Sinne sind wir konsequent antikapitalistisch." Am 10. und 11. Januar fand auf Einladung der PDS in Berlin ein Treffen einer Initiative zur Gründung einer "Partei der Europäischen LinAufruf zur Grünken" (EL) statt. An der Veranstaltung nahmen etwa 50 Vertreter von dung der Partei 19 Linksparteien aus 17 Ländern der Europäischen Union und der der Europäischen EU-Beitrittsländer teil. Ziel des Treffens war, einen gemeinsamen Linken Gründungsaufruf zu verabschieden sowie Entwürfe von Programm und Statut zu erarbeiten. Der PDS-Vorsitzende Prof. Dr. Lothar Bisky 116 Linksextremismus erklärte in seiner Eröffnungsrede, die Zeit sei reif für eine solche Partei, für die es kein Vorbild und keine historische Vorgängerin gebe. Im vereinbarten Programmentwurf hieß es, die Parteien und politischen Organisationen, die sich für kommunistische, sozialistische, demokratische, ökologische und feministische Ziele einsetzten, wollten ein neues politisches Subjekt in Form der EL schaffen. Auf dem Treffen wurde ein "Berliner Aufruf zur Gründung der Partei der Europäischen Linken" verabschiedet, der nur von elf der anwesenden 19 Parteien unterzeichnet wurde. GründungsDer Gründungskongress der EL fand am 8. und 9. Mai in Rom statt. kongress der Unter den mehr als tausend Teilnehmern waren neben zahlreichen Partei der EuroGästen etwa 300 Delegierte von 16 kommunistischen und linkssoziapäischen Linken listischen Parteien aus 13 europäischen Ländern; dazu gehörte auch die PDS, die zu den Initiatoren der EL zählte. Die Delegierten wählten einen Vorstand und verabschiedeten ein Statut. Vorsitzender der EL wurde der italienische Kommunist Fausto Bertinotti. Die PDS entsandte wie alle anderen Mitgliedsorganisationen zwei Personen in den Vorstand. So wurden Katina Schubert - Mitglied des Parteivorstands - und Helmut Scholz - PDS-Mitarbeiter und außenpolitischer Koordinator im PDS-Parteivorstand - in den Vorstand der EL aufgenommen. Durch die Annahme des Statuts gehören 15 Parteien der EL an; neben der PDS, der italienischen Partei der kommunistischen Wiedergründung (PRC) und der Französischen Kommunistischen Partei (FKP) sind dies die kommunistischen Parteien Österreichs, San Marinos, Spaniens und der Slowakei, die von der KP Spaniens dominierte Vereinigte Linke Spaniens sowie die Vereinigte Linke Kataloniens, außerdem linkssozialistische Parteien aus Estland, Griechenland, Rumänien, Tschechien, Ungarn und der Schweiz. Europaparteitag Die PDS veranstaltete am 31. Januar und 1. Februar in Berlin ihren so in Berlin genannten "Europaparteitag". Die Delegierten wählten die bisherige PDS-Europaabgeordnete Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann zur Spitzenkandidatin der PDS bei den Wahlen zum Europäischen Parlament. Dr. Helmuth Markov, ebenfalls bereits Europaabgeordneter, und die frühere Parteichefin Gabriele Zimmer belegten die weiteren Listenplätze. Sahra Wagenknecht, Mitglied des Parteivorstands und des Bundeskoordinierungsrats der Kommunistischen Plattform der Linksextremismus 117 PDS (KPF), erreichte den Listenplatz 5. Als Vertreter der PDS in Bayern kam Sepp Obermeier auf Platz 12 der EU-Wahlliste. Der PDS-Ehrenvorsitzende und bisherige Europaabgeordnete Dr. Hans Modrow war von der PDS-Parteiführung schon bei der am 12. Januar erfolgten Aufstellung einer acht Personen umfassenden Vorschlagsliste nicht mehr berücksichtigt worden. Weiter verabschiedeten die Delegierten das Europawahlprogramm 2004 mit dem Titel "Alternativen sind machbar: Für ein soziales, demokratisches und friedliches Europa!". In der Präambel des Wahlprogramms setzt sich die PDS auch mit der Europapolitik der Bundesregierung "kritisch auseinander". Deren Bilanz sei "höchst zwiespältig". Einerseits habe sich die Bundesregierung für die Grundrechte-Charta und die europäische Verfassung engagiert. Während des Irak-Kriegs habe sie durch ihr gemeinsames Agieren mit Frankreich Ansehen gewonnen, sich allerdings den imperialen Machtambitionen der Bush-Administration nicht dauerhaft widersetzt. Andererseits habe sich die Bundesregierung mit ihrem massiven Drängen auf die Entwicklung der Europäischen Union zu einer Militärmacht, ihrer jahrelangen Blockadepolitik im Hinblick auf fortschrittliche europäische Zuwanderungsund Asylregelungen oder ihrer Vorreiterrolle bei der Privatisierung sozialer EuropawahlSicherungssysteme und der skandalösen Umverteilung von unten programm nach oben jedoch ein "denkbar schlechtes europapolitisches Zeugnis" ausgestellt. Die PDS werde daher nicht nur im Europäischen Parlament für einen "Kurswechsel" streiten. Am 30. und 31. Oktober führte die PDS ihre 1. Tagung des 9. Parteitags in Potsdam durch. Die angemeldeten 402 Delegierte bestätigten bei der turnusgemäßen Neuwahl des 20-köpfigen Parteivorstands Neuwahl des Prof. Dr. Lothar Bisky als Vorsitzenden. Sahra Wagenknecht, neue Parteivorstands PDS-Europaabgeordnete seit den Wahlen zum Europäischen Parlament (vgl. auch Nummer 2.1.6 dieses Abschnitts) und Mitglied des Bundeskoordinierungsrats der KPF (vgl. auch Nummer 2.1.3.1 dieses Abschnitts), fand zum wiederholten Male mit einer Zustimmung von 61,1 % der Delegiertenstimmen ihre Bestätigung als Vorstandsmitglied in der Parteiführung. Dorothee Menzner, die dem Marxistischen Forum der PDS (vgl. auch Nummer 2.1.3.2 dieses Abschnitts) angehört, wurde neu in das oberste Leitungsgremium aufgenommen. 118 Linksextremismus Der Parteitag nahm mit sehr großer Mehrheit den vom Parteivorstand ausgearbeiteten Leitantrag "Für eine starke PDS: Sozial, mit aller Kraft! Als sozialistische Partei 2006 in den Deutschen Bundestag" an. Darin tritt die Partei für einen politischen Richtungswechsel in Deutschland und Europa ein. Sie will dabei an ihrem Parteiprogramm von 2003 und dem Ziel eines Umbaus der Gesellschaft festhalten. Es gehe ihr vor allem darum, mit "Druck von links" Protest zu stärken, eine eigenständige linkssozialistische Politik zu entwickeln und dem Erstarken rechtsextremer Parteien auf allen Ebenen entgegenzuwirken. Das Reformprogramm der Bundesregierung "Hartz IV" sei Klassenkampf von oben; die gesamte "Agenda 2010" stelle eine Politik der Umverteilung von unten nach oben dar. Die PDS wolle dieser Entgegentreten mit Form von Politik u.a. mit ihrer "Agenda sozial" entgegentreten. Sie der "Agenda sozial" sei weiterhin bereit, Regierungsverantwortung auf Länderebene zu übernehmen. Eine Koalition mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen sei unter den gegenwärtigen Bedingungen auf Bundesebene aber nicht vorstellbar. Künftige sozialistische Politik wird in dem gefassten Beschluss als "strategisches Dreieck" bestimmt: "Für sozialistische Politik nach unserem Verständnis bilden Widerstand und Protest, der Anspruch auf Mitund Umgestaltung sowie über den Kapitalismus hinaus weisende Alternativen ein unauflösbares strategisches Dreieck." Mit großer Mehrheit lehnte der Parteitag einen "alternativen Leitantrag" der Parteilinken ab, der von der Bundessprecherin der KPF, Ellen Brombacher, begründet worden war. Mit ihm sollte die PDS eindeutiger auf ihre Oppositionsrolle festgelegt werden. Vertreter der KPF beklagten, die PDS verliere durch Regierungsbeteiligungen zunehmend an Vertrauen. Mit dem von den Delegierten verabschiedeten Beschluss "Für einen anderen Verfassungsvertrag - Für ein friedliches, soziales und demokratisches Europa" lehnte die PDS den am 29. Oktober in Rom von den Staatsund Regierungschefs sowie den Außenministern der 25 MitAblehnung des gliedstaaten der EU unterzeichneten Vertrag über eine Verfassung für EU-VerfassungsEuropa ab. Sie werde sich parlamentarisch wie außerparlamentarisch, vertrags in Deutschland und international, aktiv betätigen, um das In-Kraft-Treten der Verfassung zu verhindern. Das Vertragswerk bedürfe in allen Mitgliedstaaten einer direkten demokratischen Legitimation durch die Bürgerinnen und Bürger. Aus diesem Grund sei eine Grundgesetzänderung anzustreben, die den Weg für einen Volksentscheid über die Europäische Verfassung frei mache. Linksextremismus 119 2.1.2 Organisation Die PDS ist eine auf Bundesebene organisierte Partei mit Sitz in Berlin. Sie gliedert sich in 16 Landesverbände, deren Gebiete mit den Ländern identisch sind, mit Kreisverbänden und Basisorganisationen. Die Partei verfügt bundesweit über etwa 65.500 Mitglieder Bundesweit (2003: 70.000), davon fast 4.400 (2003: 4.700) in den alten Bundesrückläufige ländern. Die Mitgliederentwicklung ist insgesamt rückläufig. Etwa Mitgliederzahl zwei Drittel der Parteimitglieder sind 60 Jahre und älter; nur rund 3 % sind jünger als 30 Jahre. Seit Jahren nutzt die PDS die Kommunikationsmöglichkeiten im InterNutzung des net. Verschiedene Gliederungen der Partei, wie die PDS-Delegation in Internets der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) im Europäischen Parlament, der Bundesvorstand und Einzelpersonen sind neben einer so genannten Startseite der PDS mit eigenen Homepages vertreten. Auch in Bayern nehmen Kreisverbände und Basisorganisationen das Internet in Anspruch. Der PDS-nahe Jugendverband ['solid] nutzt bundesweit ebenfalls das moderne Kommunikationsmedium. 2.1.3 Plattformen, Arbeitsund Interessengemeinschaften Plattformen, Arbeitsund Interessengemeinschaften sowie ähnliche innerparteiliche Zusammenschlüsse sind wesentlich für die Bündnisund Integrationspolitik der PDS. Sie wirken im Rahmen des Statuts in der Partei, können sich eigene Satzungen geben und können ihre politischen Ziele in der Partei offen vertreten. Sie sind integrale Integrale BestandBestandteile der PDS. Die PDS muss sich deshalb die Tätigkeit der teile der PDS Plattformen, Arbeitsund Interessengemeinschaften wie auch das Wirken der sonstigen innerparteilichen Zusammenschlüsse sowie die Äußerungen ihrer Mitglieder als Gesamtpartei zurechnen lassen. Plattformen sind in der Regel Zusammenschlüsse mit gemeinsamer Ideologie, während Arbeitsund Interessengemeinschaften themenbezogen auf wichtigen Aktionsfeldern tätig werden. 2.1.3.1 Kommunistische Plattform (KPF) Die am 30. Dezember 1989 gegründete KPF der PDS - ihr sind etwa 1.000 Mitglieder zuzurechnen - ist eine marxistisch-leninistische Organisation. Sie betrachtet die DKP als natürliche Verbündete und 120 Linksextremismus arbeitet auch mit der noch in der DDR gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zusammen. Innerhalb der PDS ist die KPF die Gruppierung, die sich am deutlichsten zum Kommunismus Bekenntnis zum bekennt. Sie strebt die Fortsetzung marxistischer und leninistischer Marxismus-LeniPolitik, also die Diktatur des Proletariats, an. In ihren Gründungsnismus thesen betonte sie: "Die revolutionäre Arbeiterbewegung mit dem Wissenschaftlichen Kommunismus, mit dem Marxismus-Leninismus, zu verbinden, aufgrund der marxistisch-leninistischen Analyse der realen Gesellschaftsentwicklung Strategie und Taktik zu bestimmen und Politik zu organisieren - ist vornehmste Aufgabe der Kommunisten und sie bleibt es." Nach einer programmatischen Erklärung vom Februar 1994, verfasst von drei Sprechern der KPF, bildet der Wissenschaftliche Kommunismus, wie er durch Lenin, Luxemburg, Gramsci, Trotzki, Bucharin oder Mao Tse-tung weiterentwickelt worden ist, die Grundlage für die Politik der KPF. Ziel der KPF sei die revolutionäre Transformation der alten, der Klassengesellschaft, in eine neue, klassenlose Gesellschaft. Die KPF strebt eine enge Zusammenarbeit mit anderen kommunistischen Parteien und Organisationen an und sucht die Beteiligung an außerparlamentarischen Initiativen, insbesondere in dem von ihr in kommunistischer Ideologie verstandenen Antifaschismus. Am 13. März veranstaltete die KPF in Berlin die 1. Tagung ihrer 12. Bundes12. Bundeskonferenz, in deren Mittelpunkt neben den Neuwahlen konferenz des Bundeskoordinierungsrats und des Bundessprecherrats der KPF für die kommenden zwei Jahre die Verabschiedung des Beschlusses "Die nächsten Aufgaben der Kommunistischen Plattform der PDS" stand. Als zentrale Punkte werden in diesem Beschluss der Verbleib der PDS im Europäischen Parlament, die Bekämpfung sämtlicher Ausklammerungsversuche durch die Partei, eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem Marxistischen Forum sowie eine Intensivierung der Solidarität mit dem sozialistischen Kuba und mit Venezuela gesehen. Sahra Wagenknecht, Mitglied des Parteivorstands und des Bundeskoordinierungsrats der KPF, kritisierte in ihrem Referat die rot-grüne Politik in Deutschland; diese Politik würde von Interessen geleitet, die auch die europäische Entwicklung bestimmten: Es seien die Interessen des europäischen Großkapitals, die Interessen der Konzernlobbys und Wirtschaftsverbände. Die Funktionärin tadelte gleichermaßen die Linksextremismus 121 Berliner Senatspolitik; diese würde "auch im EU-Wahlkampf wie ein Mühlstein am Hals hängen". Wiederum in Berlin führte die KPF am 18. September die 2. Tagung ihrer 12. Bundeskonferenz durch. Erörtert wurde von den anwesenden 83 Delegierten der einen Tag zuvor von Vertretern der KPF und weiteren Parteilinken gemeinsam eingereichte "alternative Leit"Alternativer antrag" an den Potsdamer-Parteitag. Darin forderten die EinreichenLeitantrag" an den die Umsetzung antikapitalistischer Zielvorstellungen, die BeibePotsdamer-Parteihaltung des streng pazifistischen Kurses der Gesamtpartei, die krititag sche Hinterfragung der PDS-Regierungsbeteiligungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sowie die Bewahrung des Charakters der PDS als gesamtdeutsche und nicht als regionale Partei. Der alternative Antrag sollte - trotz seiner Ablehnung auf dem Parteitag - dokumentieren, dass für seine Einreicher die Auseinandersetzung in der Frage nicht beendet sei, ob sich die PDS vorrangig als Oppositionskraft verstehe oder ob die Partei ihre Hauptanstrengungen darauf zu konzentrieren habe, sich an Landesregierungen zu beteiligen. 2.1.3.2 Marxistisches Forum (MF) Am 6. Juni 1995 konstituierte sich in Berlin das orthodox-kommunistisch ausgerichtete MF. Es will die soziale, ökonomische und politische Situation mit den Mitteln des Marxismus analysieren, die marxistische Theorie weiterentwickeln und zur theoretischen Fundierung Weiterentwicklung der Politik der PDS beitragen. Dazu gehöre neben der marxistischen der marxistischen Aufarbeitung der Geschichte der DDR und des Sozialismus auch die Theorie Untersuchung der Dialektik von systemimmanenten und systemüberwindenden Reformen. Außerdem solle auf die notwendige Verstärkung des antimilitaristischen Kampfes aufmerksam gemacht werden. Dem Zusammenschluss innerhalb der PDS gehören rund 60 Personen an, darunter Parteimitglieder sowie Personen des Staatsapparats, des Kulturund Wirtschaftsbereichs der ehemaligen DDR. Das Forum übt Einfluss in der Partei u.a. über die Mitgliedschaft in verschiedenen Parteigremien aus. Die Verabschiedung des neuen Parteiprogramms der PDS auf dem Chemnitzer Parteitag im Oktober 2003 war auf den Widerstand führender Funktionäre des MF gestoßen. Auf der 1. Tagung des 9. Parteitags der PDS am 30. und 31. Oktober in Potsdam wurde Dorothee Menzner, Aktivistin des MF, mit einem Stimmenanteil von 51,9 % in den Parteivorstand gewählt. 122 Linksextremismus 2.1.4 Jugendverband ['solid] Am 19. Juni 1999 wurde in Hannover der Jugendverband ['solid] - die sozialistische Jugend gegründet. Der Name steht für "sozialistisch, links und demokratisch". Ziel des Jugendverbands ist es nach der im PDS-Pressedienst Nummer 25 vom 25. Juni 1999 abgedruckten GrünGründungsdungserklärung, in organisierter Form der "rechten Hegemonie in der erklärung Gesellschaft" entgegenzutreten. Man wolle keine "Kampfreserve" der PDS werden, sondern strebe "eine gleichberechtigte Zusammenarbeit auch mit den regionalen und lokalen Jugendstrukturen in und bei der PDS" an; ['solid] sei nicht die Jugendorganisation der PDS. Anlässlich der 1. Tagung des 8. Parteitags vom 12. bis 13. Oktober 2002 in Gera erklärte der Parteivorstand der PDS in seinem Tätigkeitsbericht: "Der Parteivorstand erkannte per Beschluss ['solid] als den PDS-nahen bundesweiten Jugendverband an und unterstützte ihn materiell und ideell." Organ der Jugendorganisation ist "Die Ware"; das Magazin erscheint vierteljährlich. Dem Jugendverband ['solid] gehören in 14 Landesverbänden zwischenzeitlich etwa 1.300 Mitglieder (davon rund 40 in Bayern) an. Er verfügt in Bayern über einen Landesverband mit Ortsgruppen in München, Passau, Regensburg, Nürnberg, Fürth, Bayreuth und Ingolstadt. Als Organ der bayerischen Jugendorganisation erscheint der Landesmitgliederrundbrief "['ROTFRONT!]". BundesdelegiertenAn der 5. Bundesdelegiertenkonferenz des PDS-nahen Jugendverkonferenz in bands nahmen vom 2. bis 4. April in Berlin-Marzahn rund 100 junge Berlin-Marzahn Menschen aus den Landesverbänden teil. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Neuwahl eines nunmehr achtköpfigen BundessprecherInnenrats, dem höchsten Organ des Jugendverbands zwischen den Bundesdelegiertenkonferenzen, für eine Amtszeit von einem Jahr. Die politische Debatte war geprägt von internationalen, sozialen und pazifistischen Themen: So wurde über Globalisierung, Sozialabbau und Positionen für ein friedliches und soziales Europa diskutiert. Mit großer Mehrheit beschlossen die Delegierten den Leitantrag "Ändern wir die Welt - sie braucht es!", worin die kapitalistische Globalisierung, die die Gräben zwischen Arm und Reich weiter öffne, kritisiert wird. Die Jugendlichen forderten eine steuerfinanzierte soziale Grundsicherung für jedermann, eine höhere Besteuerung von Unternehmensgewinnen sowie eine deutliche Arbeitszeitverkürzung. Den Entwurf für eine EU-Verfassung lehnte der Jugendverband ab, da dieser Linksextremismus 123 die Mitgliedstaaten zur Aufrüstung verpflichten, Europa weiter militarisieren und die neoliberale Wirtschaftspolitik als Verfassungsauftrag festschreiben würde. Anlässlich der Landesmitgliederversammlung von ['solid] Bayern am Landesmitglieder25. September in München, an der 22 Personen teilnahmen, wurden versammlung in in den für jeweils ein Jahr amtierenden sechsköpfigen LandesvorMünchen stand zwei Jugendliche nachgewählt. Die Versammlung beschloss, die Demonstrationen gegen Sozialabbau am 2. Oktober in Berlin und am 6. November in Nürnberg zu unterstützen. Beraten wurde auch, einen Flyer zum Thema Bildung zu erstellen. Weitere Handzettel sollen zu den Problemkreisen Gentechnik/Umweltpolitik, Ladenöffnungszeiten und Lernmittelfreiheit in eigens dafür gebildeten Arbeitsgruppen entwickelt werden. Die aus Zeitgründen nicht abschließend erfolgte Behandlung des Themas "Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze" bildete den Schlusspunkt dieser Mitgliederversammlung. 2.1.5 PDS Landesverband Bayern und seine Organisationseinheiten Die in Bayern seit dem 11. September 1990 bestehende PDS setzt Organisation sich aus dem Landesverband, zwölf Kreisverbänden und 34 Basisin Bayern organisationen zusammen. Am 5. November löste sich die Basisorganisation "Linkes Forum" des PDS-Kreisverbands München auf. Der Sitz des Landesverbands Bayern befindet sich in München. Für einige örtliche Strukturen bestehen Kontaktund Anlaufadressen. Aktivisten der KPF arbeiten landesweit in der "AG der Kommunistischen Plattform in Bayern" mit Sitz beim Landesbüro der PDS in München. Die KPF ist in Nürnberg mit einer Regionalgruppe und in München mit einer Ortsgruppe vertreten; ihnen gehören insgesamt nahezu 30 Personen an. In Bayern blieb die Zahl der PDS-Anhängerschaft mit rund Konstante 500 beitragspflichtigen Mitgliedern und etwa 200 Sympathisanten, Anhängerschaft die den Mitgliedern gleichgestellt sind, annähernd konstant. Der PDS Landesverband Bayern veranstaltete am 25. Februar zwei Politische Aschermittwochtreffen, nämlich in Passau und Ingolstadt. Politischer Als Gastredner traten der Vorsitzende der PDS-Landtagsfraktion in Aschermittwoch Thüringen, Bodo Ramelow, sowie der Vorsitzende der Landtagsfraktion der PDS in Sachsen, Prof. Dr. Peter Porsch, auf. Ramelow, der in Ingolstadt vor rund 50 Mitgliedern und Sympathisanten der PDS eine 124 Linksextremismus Rede hielt, behandelte als Schwerpunkte die anhaltenden Unterschiede zwischen Ostund Westdeutschland sowie die "soziale Frage". So griff er insbesondere die angebliche Haltung von SPD-Ministerpräsidenten an, die die Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland nicht mehr energisch genug verfolgten. Hier zeige sich, wer noch immer alte Mauern in den Köpfen habe und neue aufbaue. Die soziale Frage stehe für die PDS im Mittelpunkt ihrer Politik. Prof. Dr. Porsch sprach in Passau vor knapp 40 Anhängern. Der PDS-Funktionär griff insbesondere Themen wie die Einführung der Praxisgebühr, das Vorziehen der Steuerreform, eine mögliche Erhöhung der Mehrwertsteuer, die drohende Abschaffung von Feiertagen oder die geplante Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche auf, um die Bundesregierung anzugreifen. Landesparteitage Drei Landesparteitage berief der PDS Landesverband Bayern ein. Am 28. März nahmen an der Landesversammlung in Nürnberg rund 50 Mitglieder und Sympathisanten der Partei teil. In einem Referat zur "Europäischen Sozialpolitik" wurden die Reformen der Bundesregierung im Bereich der Sozial-, Arbeitsund Gesundheitspolitik kritisiert und weitgehend als unsozial abgelehnt. Ein Antrag des PDS-nahen Jugendverbands ['solid] auf Anerkennung als "einzige Jugendstruktur" des PDS Landesverbands Bayern wurde abgelehnt. Vor dem Hintergrund anhaltender "Aktivitäten der NPD" fassten die Delegierten den Beschluss, künftig "lokale, antifaschistische Strukturen" in Bayern gezielt zu unterstützen. Damit setzt die PDS ihre Taktik fort, Kontakte zu anderen inländischen linksextremistischen und linksextremistisch beeinflussten Gruppierungen zu pflegen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Auf dem Landesparteitag am 17. Juli in Regensburg bemängelte der PDS-Landessprecher Reinhold Rückert eine unzureichende Berichterstattung über die Partei und ihre "Agenda sozial" in den bayerischen Medien. Er plädierte für eine stärkere Beteiligung des Landesverbands an "Protestund Widerstandsaktionen gegen Hartz IV" und führte in diesem Zusammenhang aus: "Wir müssen Menschen für phantasievolle Aktionen des zivilen Ungehorsams sowie der legitimen Gesetzesüberschreitung, der Rebellion und Revolte gewinnen. Das Wort von Ulrike Meinhof, 'Protest ist, wenn ich sage was mir nicht passt; Widerstand ist, wenn ich etwas dagegen tu (damit sich die Verhältnisse ändern).', hat immer noch Gültigkeit. Sich an Linksextremismus 125 Latschdemos beteiligen, ist Protest - kein Widerstand. Wir müssen den täglichen Kampf gegen Sozialraub und für die 'Agenda sozial' als permanenten Wahlkampf begreifen - und ihn auch so umsetzen. Dann werden wir auch in Bayern als PDS Kampagnenfähigkeit erreichen." Auf der Landesmitgliederversammlung am 27. November in München nahm das Thema "Auswirkungen Hartz IV und soziale Situation in Bayern" breiten Raum ein. Als zentrale Punkte standen ferner die Neuwahlen des Landesschatzmeisters, der Schiedsund Revisionskommissionen sowie ein Bericht über den PDS-Parteitag am 30. und 31. Oktober in Potsdam auf der Tagesordnung. 2.1.6 Teilnahme an Wahlen Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament am 13. Juni erhielt die Europawahl PDS bundesweit 6,1 % der Wählerstimmen gegenüber 5,8 % im Jahr 1999. Im neuen Europaparlament stellt die PDS nunmehr sieben statt bisher sechs Abgeordnete. Neben den bisherigen Europaabgeordneten Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Dr. Helmuth Markov, Dr. Andre Brie und Feleknas Uca sind dies die frühere Parteivorsitzende Gabriele Zimmer, das Mitglied des Parteivorstands und des Bundeskoordinierungsrats der KPF Sahra Wagenknecht sowie der parteilose Politikwissenschaftler Tobias Pflüger. Der bayerische Kandidat Sepp Obermeier auf Platz 12 der EU-Wahlliste konnte sich nicht durchsetzen. In Bayern erhöhte sich der PDS-Stimmenanteil von 0,7 % auf 0,9 %; insgesamt entfielen 32.290 Wählerstimmen auf die Landesliste. 1999 schloss sich die PDS nach ihrem erstmaligen Einzug in das Europäische Parlament der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke an. Dieser Fraktion gehören derzeit 39 Abgeordnete aus zwölf Ländern und 16 Mitgliedsparteien an; die PDS ist dort mit sieben Abgeordneten die stärkste Mitgliedspartei. Bei der ebenfalls am 13. Juni durchgeführten Landtagswahl in ThüLandtagswahl ringen erhielt die PDS 26,1 % der Zweitstimmen gegenüber 21,3 % in Thüringen bei der Landtagswahl 1999. Damit erreichte die PDS insgesamt 28 Mandate, darunter fünf Direktmandate (1999: 21 Mandate, aber kein Direktmandat), und blieb zweitstärkste politische Kraft in Thüringen. Bei den zeitgleich abgehaltenen Kommunalwahlen konnte die PDS Kommunalwahlen im Saarland, in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und 126 Linksextremismus Rheinland-Pfalz prozentuale Stimmenzuwächse verzeichnen; in Mecklenburg-Vorpommern musste sie hingegen teilweise Verluste hinnehmen. Bei den Kommunalwahlen in Thüringen am 27. Juni legte die PDS mit einem Stimmenanteil von 24,6 % deutlich zu; gegenüber 1999 erzielte sie einen Zuwachs von 6,7 Prozentpunkten. Weitere Die PDS bekam bei der Landtagswahl im Saarland am 5. September Landtagswahlen 10.240 Stimmen, was einem Anteil von 2,3 % (1999: 0,8 %) entspricht. Mit diesem Ergebnis verfehlte sie wiederum den angestrebten Einzug in ein westdeutsches Landesparlament. Bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am 19. September ging die PDS als jeweils zweitstärkste Fraktion hervor und verbesserte ihre Ergebnisse von 1999. Wählten 1999 in Sachsen noch 22,2 % der Wähler mit ihrer Zweitstimme die PDS, so sprachen sich diesmal 23,6 % für die Sozialisten aus. In Brandenburg erhöhte die PDS ihren Zweitstimmenanteil von 23,3 % auf 28,0 %. Eine Regierungskoalition mit der SPD scheiterte dort wegen inhaltlicher Differenzen. Kommunalwahlen In Nordrhein-Westfalen erhielt die PDS bei den am 26. September in Nordrhein-Westdurchgeführten Kommunalwahlen landesweit 1,4 % (1999: 0,8 %) falen der Stimmen; sie konnte damit die Zahl ihrer Mandate in den Räten und Kreistagen von 33 auf 54 steigern. An der am 29. Februar durchgeführten Bürgerschaftswahl in Hamburg beteiligten sich keine Kandidaten der PDS. 2.1.7 Kommunistischer Internationalismus Im Rahmen der so genannten internationalen Solidarität unterhält die PDS vielfältige Verbindungen und Kontakte zu ausländischen kommunistischen Parteien und anderen ausländischen Linksextremisten. Internationalismus Das Parteiprogramm der PDS nennt dies "Internationalismus" und orientiert sich damit an der Idee des Weltkommunismus. Die vormalige Parteivorsitzende Gabi Zimmer leitet den Koordinierungsrat für Internationale Politik beim Parteivorstand. 2.1.8 Zusammenarbeit mit anderen Linksextremisten Die PDS pflegt Kontakte zu fast allen anderen inländischen linksextremistischen und linksextremistisch beeinflussten Gruppierungen Linksextremismus 127 sowie zu gewaltbereiten Autonomen und arbeitet mit ihnen zusammen. Am 10. Januar fand aus Anlass des 85. Jahrestags der Ermordung der Veranstaltungen Gründer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), Rosa in Berlin Luxemburg und Karl Liebknecht, zum neunten Mal in Folge die Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin statt. Etwa 900 politisch Interessierte aus dem Inund Ausland nahmen an der Veranstaltung teil. Am 11. Januar legten Funktionäre der PDS traditionell Kränze am Denkmal der ermordeten Kommunisten in Berlin-Friedrichsfelde nieder. Rund 25.000 Menschen, darunter auch Aktivisten ausländischer kommunistischer Parteien, der autonomen Antifaschistischen Aktion (Antifa), von PDS, ['solid], DKP, MLPD und türkisch-kommunistischen Organisationen, beteiligten sich an den Gedenkveranstaltungen. Unter den teilnehmenden Vertretern von 19 europäischen Linksparteien befand sich auch der Vorsitzende der italienischen Partei der kommunistischen Wiedergründung (PRC), Fausto Bertinotti. Einzelne Personen glorifizierten den früheren sowjetischen Diktator Stalin. In Bayern beteiligte sich die PDS an zahlreichen Demonstrationen Demonstrationen gegen Aufrüstung, Sozialabbau und Arbeitslosigkeit. So veranstaltein Bayern ten mehrere Aktivisten der PDS am 6. Februar eine Kundgebung in München, die im Zusammenhang mit der 40. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik (vgl. auch Nummer 2.5 dieses Abschnitts) stattfand und von der Münchner PDS-Stadträtin Brigitte Wolf angeführt wurde. In Aschaffenburg folgten rund 300 Mitglieder und Sympathisanten von PDS, DKP und lokalen ausländischen Organisationen einem Aufruf zu den traditionellen 1. Mai-Veranstaltungen und beteiligten sich an einer Demonstration in der Innenstadt. 2.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Deutschland Bayern Mitglieder: 4.500 600 Vorsitzender: Heinz Stehr Gründung: 26.09.1968 Sitz: Essen Nürnberg und München Publikationen: Unsere Zeit (UZ); Marxistische Blätter 128 Linksextremismus 2.2.1 Ideologische Ausrichtung Die bis zur Wende von der SED der DDR ideologisch und materiell abhängige DKP bestätigte ihre gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzung in den auf dem 12. Parteitag am 16./17. Januar 1993 in Mannheim beschlossenen "Thesen zur programmatischen Orientierung der DKP". In der Einleitung zu den Bekenntnis zu "Thesen" heißt es, die DKP kämpfe für eine Politik, die im Sozialismus Sozialismus und die Zukunft, im Klassenkampf die zentrale Triebkraft der Geschichte Klassenkampf und in der Arbeiterklasse die entscheidende soziale Kraft für den gesellschaftlichen Fortschritt sehe. Sie stütze sich auf die materialistische Wissenschaft, die von Marx und Engels begründet und von Lenin weiterentwickelt worden sei. Ihre unveränderte ideologische Ausrichtung dokumentiert die DKP auch in dem zuletzt am 1. Dezember 2002 geänderten Parteistatut. Die DKP bezeichnet sich darin als marxistische Partei sowie politische Organisation der Arbeiterklasse und anderer werktätiger Schichten. Auf dem Weg zum Kommunismus sei der Sozialismus die historische Übergangsperiode zur neuen Gesellschaft. Schon seit 1993 verfolgt die DKP das Ziel, ein neues Parteiprogramm zu erarbeiten. Anfang 2004 wurde diese programmatische Debatte nochmals intensiviert, gleichwohl konnten keine konkreten Ergebnisse dargetan werden. Die ursprüngliche Absicht, das neue Parteiprogramm noch im Jahre 2004 zu verabschieden, wurde aufgegeben; stattdessen wurde auf der 6. Tagung des DKP-ParteivorEntwurf einer stands vom 14. bis 15. Februar der "Entwurf einer Politischen Erklärung Politischen der DKP" beschlossen. In der vom Parteivorstand verabschiedeten Erklärung Erklärung, die bei den Mitgliedern der DKP Klarheit über die gegenwärtigen Entwicklungen schaffen und die Aktionstätigkeit befördern soll, heißt es: "Wir Kommunistinnen und Kommunisten müssen dazu beitragen, dass in den aktuellen Abwehrkämpfen - unter Bedingungen der Defensive - sich eine außerparlamentarische gesellschaftliche Kraft formiert, die in der Lage ist, die Verhältnisse aufzubrechen. Um in die Offensive zu kommen, ist eine außerparlamentarische Opposition erforderlich, die das Kräfteverhältnis umzukehren in der Lage ist. (...) Zudem wird deutlicher, wie sehr diese Situation nach einer starken antikapitalistisch-antiimperialistischen, internationalistischen, marxistischen Kraft verlangt, die konsequent handelt. Eine Kraft, die in der Lage ist, nicht nur Ursachen und Tendenzen der Linksextremismus 129 gegenwärtigen Entwicklung aufzudecken, sondern auch gesellschaftliche Alternativen zu formulieren und in die gesellschaftlichen Bewegungen einzubringen." Ideologische Veränderungen der Parteidoktrin sowie eine grundUnveränderte legend neue politische Orientierung sind mit dieser Verlautbarung ideologische des Parteivorstands nicht gewollt: Ausrichtung "Die DKP hält es für möglich und erstrebenswert, dass im Ergebnis des Kampfes gegen das Großkapital grundlegende antimonopolistische und demokratische Umgestaltungen durchgesetzt werden können, die den Weg zum Sozialismus frei machen. Aber all diese Maßnahmen wären nur erste Schritte zur grundlegenden und dauerhaften Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, zum Bruch mit den bestehenden Machtund Eigentumsverhältnissen. Die Zurückdrängung und schließlich Überwindung der Herrschaft dieses mächtigsten Teils der Bourgeoisie ist die entscheidende Voraussetzung für die Öffnung des Weges zum Sozialismus. Die Alternative zum gegenwärtigen System des Kapitalismus ist eine Gesellschaft, in der das Privateigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln durch gesellschaftliches Eigentum ersetzt ist." Bis zur 1. Tagung des 17. Parteitags der DKP im Februar 2005 soll dieser Entwurf der Erklärung in allen Organisationsgliederungen der DKP diskutiert werden. Die Agitation der DKP richtete sich vorrangig auf die Themenbereiche Bekämpfung des Rechtsextremismus, Anti-Globalisierung, Antimilitarismus vor dem Hintergrund des beendeten Irak-Kriegs sowie "Demokratieund Sozialabbau". Im Mittelpunkt standen dabei der "Überwachungsstaat", die "Hartz-Gesetze" und die "Agenda 2010". 2.2.2 Organisation Die DKP ist eine bundesweit organisierte Partei mit Sitz in Essen. Sie ist in 14 Bezirksorganisationen - zwölf in den westlichen BundeslänOrganisationsdern sowie eine in Berlin und eine weitere in Brandenburg, die beide strukturen zugleich die Mitglieder in den übrigen vier ostdeutschen Ländern betreuen - gegliedert, die weiter in 87 Kreisund in 280 Grundorganisationen sowie 14 Betriebsgruppen unterteilt sind. Die Zahl der Mitglieder ist bei fortschreitender Überalterung auf 4.500 zurückgegan- 130 Linksextremismus gen. Dem 35-köpfigen Parteivorstand gehören neben dem DKP-Vorsitzenden Heinz Stehr und den beiden stellvertretenden Parteivorsitzenden Prof. Dr. Nina Hager und Rolf Priemer auch weiterhin vier Funktionäre aus Bayern an. In Bayern bestehen zwei Bezirksorganisationen (Nordund Südbayern), 12 Kreisverbände, eine Betriebsgruppe sowie ein "Betriebsaktiv". Die Mitgliederzahl in Bayern stagniert bei rund 600. Die DKP wird überwiegend von Altkommunisten repräsentiert. Die finanzielle Lage der Partei, die seit Jahren Probleme bereitet, hat sich weiter verschärft. Dennoch erscheint das DKP-Zentralorgan "Unsere Zeit" (UZ) nach wie vor wöchentlich. Parteifinanzen Dazu stellte der Parteivorstand anlässlich seiner Tagung am 26. und 27. Juni in Essen fest: "Die Herausgabe der UZ als Wochenzeitung ist aktuell gefährdet. Die Einnahmen reichen nicht, um die Zeitung zu finanzieren. Hauptursache ist die Zahl der Abonnenten, deren Zahl in den letzten Jahren trotz aller Anstrengungen stetig zurückging." 2.2.3 Teilnahme an Wahlen Auf einer Europawahlkonferenz am 10. Januar in Berlin hatte die DKP ihre Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament am 13. Juni beschlossen. Ihren Wahlkampf stellte die Partei unter Erfolglose Teildas Motto "Ein anderes Europa ist möglich!" Die DKP, die erstmals nahme an der seit 1989 an den Europawahlen teilnahm, erreichte mit 37.160 StimEuropawahl men bundesweit einen Wähleranteil von 0,1 %; in Bayern wurden davon auf den Wahlvorschlag der Partei 2.767 Wählerstimmen abgegeben. Bei der Landtagswahl in Brandenburg am 19. September erhielt die DKP 2.084 Zweitstimmen, was einem Anteil von 0,2 % entspricht. Kommunalwahlen Die DKP kandidierte außerdem bei den Kommunalwahlen am 13. Juni in Baden-Württemberg und im Saarland sowie am 26. September in Nordrhein-Westfalen. Sie erreichte dabei teilweise beachtliche Einzelergebnisse. Im saarländischen Püttlingen steigerte sie beispielsweise Linksextremismus 131 ihren Stimmenanteil von 6,1 % auf 15,6 % und erlangte dort sechs Stadtratsmandate. In Heidenheim/Baden-Württemberg konnte die DKP ihr Stimmenergebnis von 3,8 % auf 5,7 % erhöhen und ist nunmehr mit zwei Mitgliedern im Stadtrat vertreten. Von der DKP unterstützte Bündnisse konnten in Tübingen vier, in Freiburg drei Mandate und in Mannheim ein Mandat erringen. In Idar-Oberstein gelang zwei DKP-Mitgliedern der Wiedereinzug in den Stadtrat hingegen nicht. In Bottrop/Nordrhein-Westfalen errang die DKP mit einem Stimmenanteil von 6,5 % vier Ratsmandate. 2.2.4 Internationale Verbindungen Auf der Grundlage des kommunistischen Internationalismus unterhält die DKP eine Vielzahl von Kontakten zu kommunistischen ParKontakte zu teien und Bewegungen. So sicherte der Parteivorsitzende der DKP, ausländischen Heinz Stehr, am 13. Mai in einem Brief an das Zentralkomitee der kommunistischen Kommunistischen Partei Kubas und den "Genossen Fidel Castro" zu, Parteien die Solidarität der deutschen Kommunisten mit dem sozialistischen Kuba zu verstärken. In seinem Schreiben schlug der DKP-Vorsitzende außerdem eine international vernetzte Kampagne unter dem Titel "Hände weg vom sozialistischen Kuba" vor. Dabei wurde die Forderung "nach sofortiger Freilassung der in den USA zu lebenslanger Haft verurteilten Patrioten" erhoben. Der Parteivorsitzende Heinz Stehr nahm auf Einladung der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP) am 25. April in Lissabon an einer Konferenz anlässlich des 30. Jahrestags der Aprilrevolution in Portugal teil. Er würdigte im Verlauf der Diskussionen, bei denen Vertreter von 18 kommunistischen und Linksparteien zugegen waren, die jahrzehntelange vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen DKP und PCP. Der DKP-Vorsitzende unterstrich dabei auch die Notwendigkeit der Vernetzung kommunistischer Parteien in Europa. Bei der Gründung der "Partei der Europäischen Linken" (EL) am 8. und 9. Mai in Rom, an der die PCP als Beobachter teilnahm, war die DKP lediglich als Gast geführt worden, obwohl die DKP auf Beschluss ihres Parteivorstands vom 14./15. Februar den Beobachterstatus beantragt hatte. Die Aufnahme als Beobachterpartei erfolgte Mitglied der EL mit erst anlässlich einer Tagung des Parteivorstands der EL vom 8. bis Beobachterstatus 9. Januar 2005 in Berlin; damit ist nunmehr die DKP mit Beobachterstatus Mitglied der EL. 132 Linksextremismus 2.2.5 Umfeld der DKP 2.2.5.1 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Deutschland Bayern Mitglieder: 8.000 700 Vorsitzender: Geschäftsführender Vorstand mit 13 Mitgliedern Gründung: 15.-17.03.1947 Sitz: Berlin (Bundesgeschäftsstelle) Publikation: antifa Zahlenmäßig Die VVN-BdA bleibt die bundesweit größte Organisation im linksstärkste Organisaextremistischen Spektrum des Antifaschismus. Als Sprecher der tion im Spektrum VVN-BdA fungieren derzeit der Theologe Prof. Dr. Heinrich Fink, des Antifaschismus Gründungsvorsitzender des vormaligen ostdeutschen "Bundes der Antifaschisten" (BdA) sowie ehemaliges Mitglied der PDS-Bundestagsfraktion, und Cornelia Kerth, eine der Bundessprecherinnen der vormaligen VVN-BdA (West). Seit August 2003 erscheint die Zeitschrift "antifa" in zweimonatigem Rhythmus. Im Landesverband Bayern der VVN-BdA ist auf Landeswie auf Kreisebene der Einfluss von Linksextremisten, insbesondere aus der DKP, maßgeblich. Der Landesverband unterstützte auch weiterhin aus dem linksextremistischen Spektrum initiierte Aktionen. Schwerpunkt der Agitation der VVN-BdA war der Irak-Krieg, der beim Antikriegstag am 1. September und bei den Ostermärschen thematisiert wurde. Darüber hinaus befasste sich die Vereinigung mit den Themen Sozialabbau, Antirassismus, Neofaschismus und Rechtsextremismus. ProtestveranstalDie VVN-BdA beteiligte sich ferner an den Protestveranstaltungen tungen in Bayern gegen die 40. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik und rief zu Demonstrationen gegen das 47. Pfingsttreffen des Kameradschaftskreises auf dem Hohen Brendten bei Mittenwald auf, bei dem ehemalige Gebirgssoldaten der Gefallenen und Vermissten gedenken. Zwei Mitglieder des Bundesausschusses der VVN-BdA aus München Linksextremismus 133 und Köln tadelten in einem gemeinsam verfassten "Brief an die Bundesregierung", der ins Internet gestellt wurde, die "Unterstützung des Treffens des völkisch-reaktionären 'Kameradenkreises Gebirgstruppe' durch die Bundesregierung und die Bayerische Staatsregierung". In dem Schreiben heißt es: "Wir verurteilen die 'geistige Aufrüstung', mit der gegen das Grundgesetz mit seinem Friedensgebot und Verbot der Vorbereitung und Führung von Angriffskriegen verstoßen wird. Das Treffen auf dem Hohen Brendten galt die (Anmerkung: Fehler übernommen!) Verharmlosung vergangener und Vorbereitung neuer Kriege." 2.2.5.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Deutschland Bayern Mitglieder: 350 60 Vorsitzender: Kollektiver Bundesvorstand mit 29 Personen Gründung: 04./05.05.1968 Sitz: Essen Publikation: POSITION Die mit der DKP eng verbundene SDAJ versteht sich als eigenstänIdeologischer dige Organisation von Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Gleichklang mit Studenten, Auszubildenden und jungen Arbeitenden, die in der der DKP Bundesrepublik Deutschland leben, unabhängig von ihrer Herkunft. Die SDAJ kämpft nach eigener Darstellung für eine Welt ohne Ausbeutung und Rassismus, für eine Welt, in der die Menschen und nicht die Konzerne das Sagen haben. Als ihre Alternative, für die sie sich im Kampf einsetzt, benennt die SDAJ den Sozialismus. Dieser könne nur durch einen Bruch mit dem kapitalistischen System erreicht werden, nicht allein durch Verbesserungen der bestehenden Verhältnisse. Deshalb sei sie eine antikapitalistische und revolutionäre Organisation. Die kommunistische Jugendorganisation unterhält Kontakte zu linksextremistischen Ausländerorganisationen und unterstützt zusammen mit anderen kommunistischen Jugendverbänden aus Europa und Nordamerika Solidaritätsprojekte vor allem auf Kuba. So wurden dort Solidaritätsprojekte bei der Renovierung der Universität von Matanzas mehrere interauf Kuba nationale Arbeitsbrigaden mit deutscher Beteiligung eingesetzt. Die 134 Linksextremismus SDAJ, die den Vorschlag zu diesem Projekt gemacht hatte, sammelte allein im Jahr 2004 dafür Spendengelder in Höhe von 12.000 US-Dollar. Solidarisch erklärte sich die SDAJ auch mit der kolumbianischen linksterroristischen Gruppierung Fuerza Armada Revolutionaria Columbia (FARC-EP) und befürwortete in einem Internet-Beitrag den Dienst in dieser Guerillaorganisation: "In der FARC kämpfen auch deutsche InterbrigadistInnen. Wer eine militärische, ärztliche oder pädagogische Ausbildung besitzt und Spanisch spricht, kann grundsätzlich auf Seiten der Unterdrückten in den Reihen der FARC Dienst tun." AgitationsSchwerpunkte der Agitation der SDAJ sind die Forderung nach Verschwerpunkte besserung der Bildungsund Arbeitspolitik für die Jugend sowie der Kampf gegen den Militarismus in der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Bundeskongress Am 9. und 10. Oktober führte die SDAJ ihren 17. Bundeskongress mit in Hannover rund 100 Teilnehmern in Hannover durch. Im Mittelpunkt des Treffens standen neben der Neuwahl des Bundesvorstands, an dessen Spitze nun eine Kollektive Führung steht, die Planung einer im Januar 2005 startenden "Kampagne gegen Lehrstellenkiller" unter dem Motto "Ausbilden statt Ausbeuten" sowie die Vorbereitung der im August 2005 in Caracas/Venezuela stattfindenden "16. Weltfestspiele der Jugend und StudentInnen". Die SDAJ will dorthin mit einer 50-köpfigen Delegation fliegen. Der Kongress stand im Zeichen des 100. Jahrestags der Gründung der ersten Arbeiterjugendorganisationen in Deutschland. Als Gäste waren neben dem DKP-Vorsitzenden Heinz Stehr sowie dem Präsidenten des Weltbunds der Demokratischen Jugend Vertreterinnen und Vertreter der kommunistischen Jugendverbände aus Kuba, Griechenland, Zypern, Portugal, Dänemark und der Tschechischen Republik erschienen. Demonstrationen In Bayern beteiligte sich die SDAJ an den Protestdemonstrationen am in München 7. Februar in München gegen die 40. Konferenz für Sicherheitspolitik sowie an dem von der Münchner DKP am 26. Juni veranstalteten "Fest der Solidartät" auf dem Rotkreuzplatz. Im Anschluss an eine "Mahnwache" der rechtsextremistischen "Kameradschaft Süd" wurden am 10. November auf der Donnersberger Brücke in München nach einem tätlichen Übergriff 18 Gegendemonstranten aus der linksextremistischen Szene vorübergehend festgenommen, darunter auch der Sprecher der SDAJ-Bayern. Linksextremismus 135 2.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Deutschland Bayern Mitglieder: 2.000 100 Vorsitzender: Stefan Engel Gründung: 1982 Sitz: Gelsenkirchen München, Nürnberg Publikationen: Rote Fahne; Theorieorgan "REVOLUTIONÄRER WEG"; REBELL-Magazin Die MLPD wurde 1982 in Bochum gegründet; sie ging durch Umbenennung aus dem im August 1972 gegründeten Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands (KABD) hervor. In der Präambel des Statuts der MLPD wird festgestellt, dass sich die Partei als "politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland" versteht. Ihr grundlegendes Ziel sei "der revolutionäre Sturz der Diktatur des Extremistische Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für Grundhaltung den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft". Weiter wird in der Präambel betont: "Die MLPD ist eine Partei neuen Typs. Sie ist im Kampf gegen den Verrat am Sozialismus und die Verfälschung des Marxismus-Leninismus durch den modernen Revisionismus entstanden und arbeitet auf der Grundlage der proletarischen Denkweise. (...) Die Lehren von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tse-tung und ihre lebendige Anwendung auf die konkreten Verhältnisse der fortschreitenden gesellschaftlichen Wirklichkeit bilden die entscheidende Grundlage für einen Aufschwung des Kampfs für den Sozialismus." Die maoistisch-stalinistisch ausgerichtete MLPD sieht sich selbst als Maoistisch-stalinis"Teil der internationalen marxistisch-leninistischen und Arbeiterbetische Ausrichtung wegung, Erbe der revolutionären Tradition der KPD, der deutschen Arbeiterklasse und ihrer großen Führer Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Ernst Thälmann". Auf ihrem VI. Parteitag im Dezember 1999 in Gelsenkirchen beschloss die MLPD nach einer über zehn Monate dauernden Diskussion ein neues Parteiprogramm, das sich erstmals auf das wiedervereinigte Deutschland bezog. Es sei aus der Erfahrung der fast dreißigjährigen Geschichte des Parteiaufbaus der MLPD verfasst worden. Im Vorwort dieses Programms kommt zum Ausdruck, dass es den allgemeinen Anspruch habe, die "marxistisch-leninis- 136 Linksextremismus tische Partei neuen Typs programmatisch auszurichten und insbesondere der Arbeiterklasse und den breiten Massen aufzuzeigen, welche Schlussfolgerungen die MLPD aus der Geschichte der internationalen marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung zieht". OrganisationsDie zentralistisch geführte MLPD ist in Betriebszellen, Ortsund Kreisstrukturen gruppen, Bezirke und vereinzelt in Landesverbände gegliedert. Ihre Zentrale und ihren Aktionsschwerpunkt hat sie in Nordrhein-Westfalen. Laut eigener Ausssage ist die Partei zusammen mit ihrem Jugendverband "REBELL", dem nach ihrer Ansicht stärksten linken Jugendverband in Deutschland, in über 450 Orten in allen Bundesländern Deutschlands vertreten. Die MLPD zog auf ihrem VII. Parteitag in Magdeburg im Frühjahr 2004 eine positive Bilanz: Sie sei in über 400 Betrieben vertreten; 70 % ihrer Mitglieder seien Arbeiter und Angestellte, 80 % in Gewerkschaften organisiert. Sie habe Beziehungen zu 470 Parteien und Organisationen der "internationalen marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung" in 78 Ländern. Besonderes Augenmerk legt die MLPD auf die Rekrutierung von Nachwuchskadern im Kinderund Jugendbereich. Hierzu bedient sie Jugendund Kinsich der Jugendorganisation "REBELL" und deren Kinderorganisation derorganisationen "ROTFÜCHSE", die mit altersgerechten Freitzeitangeboten locken. Sommercamps mit Freizeitund Bildungsangeboten sollen mit jugendnah konzipierten Schulungen eine "proletarische Denkweise" vermitteln. Im linksextremistischen Spektrum ist die MLPD isoliert. Erklärte Hauptgegner sind die als revisionistisch bezeichnete DKP und PDS. Stefan Engel ist seit der Parteigründung im Jahre 1982 amtierender Unumstrittener Vorsitzender; er gilt als unumstrittener Vordenker und Idol. Seit Mitte Vorsitzender August versucht die Partei gemäß einer Direktive des Zentralkomitees, einen steuernden Einfluss auf die Montagsdemonstrationen gegen den Sozialabbau und "Hartz IV" zu nehmen. Parteiintern wurden die Gliederungen aufgefordert, so genannte "überparteiliche BündÜbernahme der nisse" zu initiieren und dort als MLPD die Meinungsführerschaft zu Meinungsführerübernehmen. Aus strategischen Überlegungen leugnete die MLPD schaft öffentlich den Versuch der Instrumentalisierung der Montagsdemonstranten. Kritikern dieser "MLPD-Taktik" wurde nicht nur eine Spaltungsabsicht, sondern auch die Manipulation und Verdummung der Leute unterstellt. Aber auch trotz dieser massiven Bemühungen, auf aktuelle politische Entwicklungen, wie Kampagnen gegen den Krieg und gegen Sozialabbau, adäquat zu reagieren, erfährt die MLPD Linksextremismus 137 kaum gesellschaftlichen Zuspruch. Mit ihrem doktrinären Selbstverständnis, ihrer Vereinnahmungsstrategie sowie elitärer Verhaltensweisen grenzt sich die MLPD in weiten Teilen der von ihr aufgegriffenen Politikfelder selbst aus. Getrennte Großdemonstrationen am 2. und 3. Oktober gegen "Hartz IV" in Berlin, die von wechselseitigen Spaltungsvorwürfen begleitet waren, dokumentierten die maximale Mobilisierungsfähigkeit der MLPD auf Bundesebene. Nahmen an einer von einem "Aktionsbündnis Weg mit Hartz IV" veranstalteten Kundgebung am 2. Oktober bis zu 45.000 Menschen teil, so erreichte ein von der MLPD maßgeblich organisierter "SternAktivitäten marsch nach Berlin" am Tag der Deutschen Einheit nur rund 4.000 Teilnehmer. Mit dem Rückgang des allgemeinen Interesses an regionalen Demonstrationen gegen "Hartz IV", die auch in Bayern teilweise von der MLPD initiiert und gesteuert wurden, war ein massiver Rückgang des tatsächlichen Engagements der MLPD in dieser Bewegung festzustellen. Einzelaktivitäten von MLPD-Aktivisten fanden in der Bevölkerung wenig Beachtung. Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 26. September Kommunalwahlen kandidierte die MLPD in Wahlbündnissen mit unterschiedlichen in Nordrhein-WestBezeichnungen in sieben Städten. Ihre besten Ergebnisse erzielte sie in falen Neukirchen-Vluyn (Stimmenanteil 5,3 %) und in Bergkamen (4,29 %), wo sie jeweils zwei Stadtratsmandate errang. In Gelsenkirchen, dem Sitz der MLPD-Führung, erreichte das Wahlbündnis einen Stimmenanteil von nahezu 3 %. 2.4 Linksruck-Netzwerk (Sozialistische Arbeitergruppe - SAG) Deutschland Bayern Mitglieder: 500 20 Gründung: 1993 Sitz: Berlin Publikationen: Linksruck, Sozialismus von unten Die bundesweit als Linksruck-Netzwerk auftretende trotzkistische Gruppierung SAG bezeichnet sich in ihren auch im Internet veröffentIdeologische lichten "Politischen Grundsätzen" selbst als "Strömung der revolutioAusrichtung 138 Linksextremismus nären Sozialisten". Die Abschaffung des Kapitalismus und die Einführung einer Rätedemokratie sieht das Netzwerk als Voraussetzung für eine "endgültige Beseitigung jeder Unterdrückung". Der freien Marktwirtschaft, die sich als unfähig erwiesen habe, stellt das Netzwerk in seinen Leitsätzen eine auf die Bedürfnisse der Menschen abgestimmte "demokratische Planung der Wirtschaft" entgegen. Das Linksruck-Netzwerk engagierte sich stark für die in der Gründung befindliche Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative", die bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 erstmals antreten will. Das Netzwerk forderte seine Mitglieder auf, bei der neuen Linkspartei mitzumachen. Der bayerische Schwerpunkt des Linksruck-Netzwerks befindet sich in München. Die Gruppierung organisierte nur wenige Veranstaltungen und beteiligte sich an Demonstrationen anderer linksextremistischer Gruppierungen, um eigenes Propagandamaterial Themenverteilen zu können. Die Themenschwerpunkte waren der Sozialschwerpunkte abbau und der Kampf gegen "Hartz IV". 2.5 Bündnis München gegen Krieg Im März 2003 gründete sich als Nachfolgeorganisation des Münchner Bündnisses gegen Rassismus das linksextremistisch beeinflusste Bündisbeteiligte Bündnis München gegen Krieg. An diesem Bündnis sind sowohl demokratische als auch linksextremistische Gruppierungen wie PDS, DKP, Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), Revolutionär Sozialistischer Bund (RSB) und Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) beteiligt. Das Bündnis fungierte als Träger oder Unterstützer einer Vielzahl von Aktivitäten wie Demonstrationen, Kundgebungen, Mahnwachen und Informationsveranstaltungen, insbesondere zum Thema Irak-Krieg. Mit weiteren Gruppierungen, beispielsweise dem Münchner Friedensbündnis, schloss sich 2003 das Bündnis München gegen Krieg zum Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz zusamProteste gegen men. Das Aktionsbündnis mobilisierte gegen die 40. Münchner Kondie 40. Münchner ferenz für Sicherheitspolitik und rief im Internet zur Teilnahme an den Konferenz für beabsichtigten Protesten auch gegen die 41. Münchner Konferenz Sicherheitspolitik für Sicherheitspolitik vom 11. bis 13. Februar 2005 auf. Linksextremismus 139 An der 40. Konferenz für Sicherheitspolitik am 6./7. Februar 2004 in München nahmen etwa 200 hochrangige Regierungsund Militärvertreter sowie Rüstungsexperten - überwiegend aus den NATO-Staaten - teil. An mehreren Protestaktionen gegen diese Konferenz beteiligten sich neben Demonstranten aus dem demokratischen Spektrum auch zahlreiche Linksextremisten. Die Teilnehmerzahlen an den Protesten mit insgesamt rund 6.000 Personen - im Jahr 2003 waren bis zu 16.500 Teilnehmer gezählt worden - blieben hinter den Erwartungen der im Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz vereinten Gruppierungen zurück. Am 6. Februar beteiligten sich etwa 900 Personen an den Protesten. Die Polizei verhinderte hierbei zwei versuchte Blockadeaktionen durch rund 30 Akteure. Eine von dem Linksextremisten und maßgeblichen Aktivisten des Aktionsbündnisses Claus Schreer angemeldete Menschenkette kam aufgrund mangelnder Beteiligung nicht in dem beabsichtigten Umfang zustande. Höhepunkt der Proteste war eine "Internationale Großdemonstration" am 7. Februar. Dazu versammelten sich etwa 5.000 Personen, darunter 300 bis 400 militante Autonome aus dem ganzen Bundesgebiet, die einen "Schwarzen Block" an der Spitze des Demonstrationszugs bildeten. Ausschreitungen konnten durch massive polizeiliche Präsenz Aktionseinheit mit und entschlossenes Vorgehen der Einsatzkräfte weitgehend verhingewaltbereiten dert werden. Autonomen Im Verlauf beider Protesttage kam es zu insgesamt 259 freiheitsentziehenden bzw. freiheitsbeschränkenden Maßnahmen. 177 Personen wurden präventiv in Gewahrsam, 74 Personen nach Straftaten festgenommen. Bei acht Personen wurden Identitätsfeststellungen durchgeführt. Hintergrund waren überwiegend Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, aber auch Körperverletzungsdelikte, Widerstandshandlungen, versuchte Gefangenenbefreiung, Beleidigungen sowie das Verwenden verfassungsfeindlicher bzw. den Staat verunglimpfender Symbole. Am 20. März demonstrierten in München rund 200 Personen bei einer vom Bündnis München gegen Krieg angemeldeten Kundgebung. Die Veranstaltung, an der auch Anhänger von PDS, DKP und 140 Linksextremismus SDAJ teilnahmen, fand anlässlich des weltweiten Aktionstags zum Jahrestag des Kriegsbeginns im Irak statt. 2.6 Sonstige orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten Die teils bundesweit, teils regional tätigen sonstigen linksextremistischen Parteien, Organisationen und Bündnisse entfalteten in Bayern Marxistische kaum Außenwirkung. Dies gilt insbesondere für die Marxistische Gruppe Gruppe (MG), die trotz ihres bislang nicht widerrufenen Auflösungsbeschlusses vom Mai 1991 bundesweit mit rund 10.000 Anhängern fortbesteht. Sie verfügt in Bayern über etwa 4.200 Anhänger, von denen nahezu 700 aktiv sind. Öffentlich trat die MG nur bei regelmäßigen "GEGENSTANDPUNKT"-Diskussionsveranstaltungen in München, Nürnberg und Regensburg in Erscheinung; die Bezeichnung dieser Veranstaltungen geht auf die seit 1992 von führenden MG-Funktionären herausgegebene Zeitschrift "GEGENSTANDPUNKT" zurück. Die an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen aktive SOZIALISTISCHE GRUPPE ist ebenfalls der MG zuzurechnen. AB Der Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) beteiligte sich in Bayern an Demonstrationen, Diskussionsveranstaltungen und anderen Aktionen, wie beispielsweise Flugblattverteilungen. Weitere linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Organisationen, die dem Bereich "Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten" zuzurechnen sind, werden in Nummer 4 dieses Abschnitts aufgeführt. 3. Gewaltorientierte Linksextremisten 3.1 Autonome Gruppen Deutschland Bayern Angehörige: über 5.500 400 Gründung: Ende der 70er Jahre Struktur: meist themenbezogene Gruppen, die überwiegend lokalen Charakter aufweisen Publikationen: Szene-Blätter wie "INTERIM" (Berlin); auf lokaler Ebene u. a. "barricada" (Nürnberg) Linksextremismus 141 3.1.1 Überblick Die gewaltbereiten Autonomen bedrohen weiterhin die Innere Unverminderte Sicherheit in Deutschland. Wie in den Vorjahren waren Autonome für Gewaltbereitschaft die meisten der linksextremistisch motivierten Gewalttaten verantwortlich. Ziel der Autonomen ist die gewaltsame Zerschlagung des Staates und die Errichtung einer "herrschaftsfreien Gesellschaft". Diesem Ziel wollen sie über eine Reihe von Aktionsthemen näher kommen. Dabei nutzen die Autonomen aktuelle politische Themen für ihre Zwecke. Durch geschickte Agitation versuchen sie, auch demokratische Protestbewegungen für ihren Kampf gegen den Staat zu mobilisieren. "Antifaschismus" ist für die Autonomen in Bayern nach wie vor ein Agitationsund vorrangiges Agitationsund Aktionsfeld. Zusätzlich beschäftigen sie Themenfelder sich auch mit dem Themenfeld "Anti-Globalisierung". Vor allem bedingt durch den Irak-Krieg und dessen Folgen griffen Angehörige der autonomen Szene den Bereich "Antiimperialismus" wieder verstärkt auf. Im Zuge der Diskussionen um einen Abbau sozialer Leistungen und entsprechender Gesetzesvorhaben rückten die Themen "Arbeitslosigkeit" und "Sozialversorgung" ebenfalls in den Vordergrund autonomer Agitation und Aktion. Dagegen spielten andere Themenfelder wie die Asyl-, Ausländerund Flüchtlingspolitik ("Antirassismus") und die Kernenergie ("Anti-Atomkraft") in der politischen Agitation eine eher untergeordnete Rolle. Besorgnis erregend ist nach wie vor eine Strategiedebatte um terroristische Gewalt vor allem in Kreisen Berliner Autonomer. In Bayern sind linksextremistische Strukturen mit terroristischer Zielsetzung derzeit nicht feststellbar. 3.1.2 Ideologische Ausrichtung und Aktionsformen Autonome haben kein einheitliches ideologisches Konzept. Sie folgen unklaren anarchistischen und anarchokommunistischen Vorstellungen. Die einzelnen Gruppen bilden sich meist über Aktionsthemen. Einig sind sich die Autonomen in der Ablehnung von Staat und GesellAblehnung von schaft. Ihr Ziel ist die gewaltsame Abschaffung des Staates und seiStaat und ner Institutionen, um an seiner Stelle eine "herrschaftsfreie GesellGesellschaft schaft" zu errichten. Das provozierende Auftreten der Autonomen in der Öffentlichkeit, ihre staatsfeindliche Haltung, die Ablehnung gesellschaftlicher Normen und Werte, aber auch das Bejahen von 142 Linksextremismus Gewalt zur Durchsetzung ihrer Forderungen und Ziele kommen der Protesthaltung mancher junger Menschen entgegen, vor allem, wenn diese mit Problemen im Elternhaus oder in der Schule bzw. Ausbildung konfrontiert werden. Angehörige bzw. Aktivisten der Autonomen unterscheiden sich soziologisch kaum von anderen Jugendlichen oder jungen Erwachsenen. Sie sind in der Regel Schüler, Studenten und Auszubildende. Autonome machen den Ablauf ihrer Demonstrationen primär von der Einschätzung der Durchsetzbarkeit und ihrem Kräfteverhältnis gegenüber der Polizei abhängig. Rechtsextremistischen Versammlungen begegnen sie nach wie vor mit einer hohen Aggressivität und Gewaltbereitschaft. Die Autonomen führen dabei meist keine eigenen öffentlichen Veranstaltungen durch, sondern mischen sich stattdessen unter die Teilnehmer anderer Gegenveranstaltungen. Die Formierung "Schwarze Blöcke" von so genannten "Schwarzen Blöcken" bei Demonstrationen als Symbol für militanten Antifaschismus ist aber nur noch vereinzelt festzustellen. Die zeitweilige Differenzierung zwischen "Gewalt gegen Personen" und "Gewalt gegen Sachen" wird zunehmend aufgegeben. Die Körperverletzungsdelikte von Linksextremisten gegen "Rechte" oder vermeintlich "Rechte" zeigen, dass die Autonomen Gewaltanwendung gegen politische Gegner als legitimes Mittel ansehen. 3.1.3 Strukturen Insgesamt gehören den autonomen Strukturen in Bayern unverändert knapp 400 Personen an. Im Jahr 2004 traten in Bayern besonders die autonomen Gruppierungen "Organisierte Autonomie" (Nürnberg), "Autonome Jugend Antifa" (Nürnberg), "Sozialistische Aktion München", "Antifaschistische Aktion München" und "a.l.d.e.n.t.e. - autonome gruppe mit biss" (Augsburg) in Erscheinung. Schwerpunkte Örtliche Schwerpunkte der Autonomen in Bayern sind nach wie vor in Bayern die Großräume Nürnberg/Erlangen/Fürth und München. Während die Szene in Nürnberg/Erlangen/Fürth mit etwa 150 Anhängern personell konstant geblieben ist, erhöhte sich die Zahl der Autonomen in der Landeshauptstadt München von 110 auf etwa 120 Personen leicht. Die autonome Szene in Nürnberg formiert sich um das "Stadtteilzentrum Schwarze Katze" und die Anlaufstelle "DESI". Für die Münchner Autonomen spielt nach wie vor der autonome "Infoladen" in der Breisacherstraße eine wesentliche Rolle. Weitere autonome Linksextremismus 143 Autonome in Bayern 2004 (Schwerpunkte) Coburg* Aschaffenburg* Bayreuth* Würzburg* Nürnberg/ Erlangen/ Fürth Sulzbach-Rosenberg ca. 20 ca. 150 - Organisierte Autonomie - Autonome Jugend Antifa Angehörige der autonomen Szenen Regensburg* autonome Personenzusammenhänge (nicht abschließend) Ingolstadt* Passau* *) Landshut* autonome Neu-Ulm* Kleinstgruppen Augsburg ca. 25 a.l.d.e.n.t.e. München ca. 120 - Antifaschistische Aktion München - Sozialistische Aktion München Rosenheim* Gruppierungen sowie autonome Kleinund Kleinstgruppen sind in der vorstehenden Karte dargestellt. 3.1.4 Informationelle Vernetzung Für den lokalen, überregionalen und internationalen Informationsaustausch verwenden Autonome Szene-Publikationen, Info-Läden, 144 Linksextremismus Szene-Lokale sowie verdeckte informelle Strukturen wie TelefonInfo-Läden ketten. Info-Läden dienen dem autonomen Spektrum nicht nur als zentrale Informations-, Kommunikationsund Anlaufstellen, sondern tragen auch zur Verbreitung und Koordinierung autonomer Aktivitäten bei und haben wesentlichen Einfluss auf die Mobilisierungsfähigkeit der Szene. In Bayern bestehen Info-Läden u.a. in München, Nürnberg, Augsburg und Landshut. Bei bundesweiten Info-Laden-Vernetzungstreffen wird über "Konzepte und Perspektiven", aber auch über "Kämpfe und Widerstandsformen" diskutiert. Um die Vernetzung und den Austausch der Info-Läden untereinander zu fördern, wurden "zentrale Internet-Seiten" eingerichtet. Nutzung des Die autonome Szene nutzt intensiv das Internet als KommunikationsInternets mittel und sieht in den entsprechenden Verschlüsselungssystemen ein geeignetes Instrument gegen staatliche Kontrolle. Zum Teil werden über ausländische Anbieter aktuelle Termine, Nachrichten, Diskussionsbeiträge und Publikationen mit teilweise strafbarem Inhalt verbreitet. Die Beiträge umfassen auch Selbstdarstellungen autonomer Zusammenschlüsse, wie z.B. der Gruppierungen "Organisierte Autonomie", "Antifaschistische Aktion Ulm/Neu-Ulm", "Antifaschistische Aktion München" und "Sozialistische Aktion München". 3.1.5 Autonome Publikationen Trotz der steigenden Attraktivität der modernen elektronischen Medien haben die klassischen Publikationen nach wie vor große Bedeutung für die autonome Szene. Im Bundesgebiet gibt es über 50 dieser Szene-Publikationen, in denen Diskussionspapiere, Aufrufe zu Veranstaltungen, Selbstbezichtigungsschreiben und andere Beiträge veröffentlicht werden. Bundesweite Bedeutung haben dabei nur wenige Schriften, darunter insbesondere die in Berlin erscheinende "INTERIM". Die Mehrzahl der Publikationen hat einen vorrangig regionalen Verbreitungskreis, so auch die in Bayern erscheinenden Druckwerke. Erwähnenswert sind regelmäßige Schriften wie "barricada - zeitung für autonome politik und kultur" (Nürnberg), "Grossraumzeitung - Nürnberg/Erlangen/Fürth", "Pro.K - Zeitung des revolutionären Aufbau München" und "Wenz - Unter sticht Ober" (München). Linksextremismus 145 Im April erschien nach einer fünfjährigen Pause wieder eine neue Ausgabe der Untergrundzeitschrift "radikal", in der ausführliche Anleitungen zum Bau von Brandsätzen abgedruckt sind. Die Publikationen werden oft konspirativ hergestellt und verbreitet. Sie enthalten teilweise unverhohlene Aufforderungen und Anleitungen zu Gewalttaten, u.a. gegen Rechtsextremisten und deren Einrichtungen. 3.1.6 Schwerpunktthemen und Aktionen Schwerpunktthemen waren im Jahr 2004 "Antifaschismus", "Anti-GloThemenkreis balisierung" und "Antiimperialismus". Auch der "Sozialabbau" und die "Antirepression" wurden in der autonomen Szene wieder stärker thematisiert. "Antirassismus" und "Anti-Atomkraft" hatten dagegen geringere Bedeutung. Die Debatte über eine Neuorientierung der autonomen Szene in Deutschland wurde fortgeführt. 3.1.6.1 Strategiedebatte - Fortsetzung der Gewaltdiskussion In der gewaltbereiten linksextremistischen Szene dauert die "Militanzdebatte" an. Seit Jahren diskutieren unterschiedliche autonome Gruppierungen mit dem Ziel, die bisher im autonomen Spektrum weitgehend vorherrschende Trennung zwischen der akzeptierten "Gewalt gegen Sachen" und der außerhalb der antifaschistisch oriGewaltdiskussion entierten Gruppen eher abgelehnten "Gewalt gegen Personen" zu überwinden. Hauptdiskussionsforum ist das autonome Szene-Blatt "INTERIM" aus Berlin. "Verantwortliche des Herrschaftssystems" wie Polizisten, Politiker, Militärangehörige und führende Repräsentanten von Wirtschaftsund Finanzunternehmen sollen wieder Ziel von Angriffen werden. Die theoretische Diskussion wird auch von Gewalttaten zumeist in Form von Brandanschlägen begleitet. Diese - schwerpunktmäßig im Berliner Raum begangenen - Straftaten richteten sich meist gegen staatliche Gebäude und Fahrzeuge von Großunternehmen. In der Berliner Szene-Publikation "INTERIM" erschienen einige Diskussionspapiere autonomer Gruppen, aus denen eine überwiegend positive Reaktion auf die bis dahin publizierten Papiere und die begangenen Anschläge deutlich wurde. Teilweise fordern die Autoren die Überwindung der bisherigen "autonomen Kleingruppenmilitanz" und den langfristigen Aufbau einer 146 Linksextremismus "neuen militanten Organisierung" in Deutschland als organisatorischen Rahmen für gewaltbereite Gruppen. Nach dem Beispiel der ehemaligen linksterroristischen Strukturen "Revolutionäre Zellen" (RZ) und "Bewegung 2. Juni" soll ein Organisationsgeflecht autonomer Gruppen entstehen, das eigenständig aus der Legalität heraus militante Aktionen durchführt. Entscheidend für Anschläge soll dabei die Vermittelbarkeit der Aktionen sein. Die in Berlin aktive und maßgeblich an dieser Diskussion beteiligte militante gruppe "militante gruppe (mg)" übernahm in einem Selbstbezichtigungs(mg) schreiben, das am 31. März bei einem Berliner Presseverlag eingegangen ist, die Verantwortung für einen in den frühen Morgenstunden des 30. März verübten Brandanschlag in Berlin. Ziel des Anschlags war ein gemeinsam vom Bezirksamt und dem Arbeitsamt Berlin-Nord genutztes Gebäude. Die Verfasser stellen ihren Anschlag in Zusammenhang mit dem "Mobilisierungsprozess" zu den "Europäischen Aktionstagen gegen Sozialkahlschlag" am 2./3. April. Außerdem sei der Aufbau einer Anschlag ein weiterer Schritt in Richtung des Aufbaus einer "militan"militanten ten Plattform". Die Verfasser erklären, sie hätten durch verschiedene Plattform" Anschläge, u.a. auf Einrichtungen der "Sozialtechnokratie", versucht, das "militante Profil" innerhalb der "revolutionären Linken" zu schärfen. Ausdrücklich erwähnen die Autoren die Brandanschläge auf das Sozialamt Berlin-Reinickendorf am 5. Februar 2002 - verbunden mit der Versendung einer scharfen Patrone und eines Messers an den zuständigen Sozialstadtrat -, auf das Finanzamt Berlin-Neukölln am 1. Januar 2003, auf Transportfahrzeuge eines Entsorgungsunternehmens am 30. Oktober 2003 und auf das Gebäude des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) am 1. Januar 2004. Im Hinblick auf die "Militanzdebatte" heißt es: "Wir und andere Gruppen sehen dieses Plattformprojekt als einen wichtigen Baustein der Strukturierung und Organisierung des militanten und potentiell bewaffneten Widerstands in der BRD an. Der Aufbau einer militanten Plattform ist für uns sowohl eine Voraussetzung als auch ein Ausgangspunkt einer Fundierung und (Neu)orientierung revolutionärer Politik, die den organisierten Klassenkampf von unten nicht nur auf geduldiges Papier niederschreibt, sondern mit den verfügbaren Mitteln in die Tat umsetzt." In einer früheren Erklärung in der "INTERIM", Nummer 550 vom 9. Mai 2002, hat die "militante gruppe (mg)" unter dem Titel "Für einen revolutionären Aufbauprozess - für eine militante Plattform" Linksextremismus 147 bereits ihre Vorstellungen aufgezeigt, auf welchem Weg die "soziale Revolution" erreicht werden sollte: "Exekutionen von Entscheidungsträgerinnen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sind sowohl aus logistischer als auch aus repressionstechnischen Gründen erst während einer längeren intensiven Diskussion unter uns zu entscheiden. Nicht zuletzt ist die Methode des bewaffneten Kampfes Ergebnis der strategischen Linie unseres revolutionären Projekts und der Einschätzung der gesamtgesellschaftlichen Voraussetzungen. Die Erkenntnis der Notwendigkeit einer Bewaffnung unserer Struktur ist der eine Aspekt, die konkrete Aufnahme des bewaffneten Kampfes ein anderer. D.h., daß die Schaffung einer logistischen Basis eines potentiellen bewaffneten Kampfes nicht unmittelbar mit deren Nutzung zusammenfällt. Entscheidend ist allerdings, daß wir diese logistische Basis als einen integralen Bestandteil eines komplexen revolutionären Aufbauprozesses betrachten." Als Beitrag zur "Militanzdebatte" ist auch das Erscheinen einer neuen Ausgabe der Untergrundzeitschrift "radikal" im April nach einer Neuerscheinen fünfjährigen Pause zu werten. Sie enthält ausführliche Anleitungen der Zeitschrift zum Bau von Brandsätzen und elektronischen Zeitzündern. Im Vor"radikal" wort betonen die Verfasser, dass das Bedürfnis militant zu handeln weiter verbreitet sei als allgemein angenommen und dass es grundsätzlich ein legitimes Mittel der politischen Aktion sei. Allerdings sei es dabei immer wieder zu technisch bedingten Fehlern gekommen. Die aus den USA stammenden Anleitungen seien daher so überarbeitet worden, dass sie hiesigen Bedingungen besser entsprechen würden. Die Kapitel behandeln u.a. Platzierung von Brandsätzen, Brennstoffanforderungen für Gebäude und Tipps zur Konstruktion von elektrischen Zeitgebern. 3.1.6.2 Antifaschismus Im Mittelpunkt der Aktivitäten autonomer Gruppen in Bayern standen wie im Vorjahr Proteste und Aktionen gegen rechtsextremistische Veranstaltungen, aber auch gezielte Angriffe gegen einzelne tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Von den 27 in Bayern Hauptmotiv der verübten Gewalttaten entfallen 15 auf diesen Bereich. LinksextremisGewalttaten ten spähen ihre politischen Gegner ebenso wie Rechtsextremisten gezielt aus und veröffentlichen seit Jahren entsprechende "Steckbriefe" in ihren Publikationen. 148 Linksextremismus Gerade im Rahmen des Antifaschismus betreiben Autonome eine nach wie vor rege Bündnispolitik. Neben kontinuierlich arbeitenden "Aktionsbündnissen" auf zumeist lokaler bzw. regionaler Ebene überwiegend mit linksextremistischen Gruppierungen und Parteien Anlassbezogene wie in Nürnberg gibt es auch anlassbezogene Bündnisse, in denen Bündnisse häufig auch demokratische Gruppen und Institutionen mitarbeiten. Diese anlassbezogenen Bündnisse dienen primär der Vorbereitung und Koordinierung von Demonstrationen, Versammlungen, Mahnwachen, Informationsständen und anderen Veranstaltungen gegen rechtsextremistische Aktivitäten. Derzeit gelingt es der autonomen antifaschistischen Szene nur schwer, derartige Bündnisveranstaltungen zu dominieren. Aktionen Autonome beteiligten sich u.a. an folgenden gegen den Rechtsextrein Bayern mismus gerichteten Aktivitäten in Bayern: Am 13. Februar demonstrierten rund 200 Personen, darunter auch Linksextremisten, gegen eine von dem Rechtsextremisten Roland Wuttke organisierte Mahnwache zum Thema "Gedenken an den Bombenterror in Dresden" in München. Die Demonstrationsteilnehmer führten zwei Transparente, u.a. mit der Aufschrift "Bomber Harris, Do it again", mit. Die Polizei nahm insgesamt sechs Personen fest. Anlässlich der Europawahl am 13. Juni richteten sich verschiedene Aktionen gegen Wahlveranstaltungen rechtsextremistischer Parteien. So störten am 17. April etwa 20 Personen eine NPD-Wahlversammlung in einer Gaststätte in Landshut, bei der auch der EU-Kandidat und langjährige Parteivorsitzende Günter Deckert anwesend war. Am 5. Juni beteiligten sich einige Angehörige der linksextremistischen Szene an den Protesten von über 200 Personen gegen eine NPD-Kundgebung in Neustadt a.d. Aisch. Auf der rechtsextremistischen Veranstaltung trat als Hauptredner der NPD-Spitzenkandidat für die EU-Wahl und NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt auf. Gegen den "Gedenkmarsch" von rund 3.800 Rechtsextremisten anlässlich des 17. Todestags des ehemaligen Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß protestierten etwa 400 Personen am 21. August in Wunsiedel, darunter etwa 100 Linksextremisten. Durch die starke Polizeipräsenz vor Ort wurde verhindert, dass sich die aufgeheizte, aggressive Stimmungslage der Autonomen nicht in Übergriffen und Ausschreitungen entladen konnte. Es wurden insgesamt 118 Personen festgenommen, darunter 79 Rechtsextremisten, vier Linksextremisten und 35 sonstige Gegendemonstranten. Linksextremismus 149 Am 9. Oktober veranstaltete in Augsburg das "Bündnis gegen den Naziaufmarsch" eine Demonstration mit dem Thema "Gegen Rassismus, für eine solidarische Welt". An der Protestaktion nahmen rund 500 Personen teil, darunter etwa 200 aus dem linksextremistischen autonomen Spektrum. Der Aufzug stellte eine Protestaktion gegen eine rechtsextremistische Demonstration dar, an der sich etwa 80 bis 100 Personen beteiligten. Im Verlauf der Abschlusskundgebung verurteilten die Redner den rechtsextremistischen Aufzug und verteilten Flugblätter mit dessen Aufzugsweg. Die Polizei verhinderte allerdings Blockadeversuche von Personen aus dem linksextremistischen autonomen Spektrum. Sie setzte 50 Platzverweise mit unmittelbarem Zwang durch, nahm eine vermummte Person fest und erstattete zwei Anzeigen wegen Beleidigung. Im Anschluss an eine rechtsextremistische Kundgebung am 10. November in München kam es zu tätlichen Übergriffen auf RechtsextreTätliche misten. Zwei von ihnen trugen Verletzungen davon, die in einem Fall Übergriffe stationär behandelt werden mussten. Bundesweit wurden mehrere zum Teil schwere Anschläge gegen tatsächliche und vermeintliche Rechtsextremisten bekannt. So verübten am 29. März unbekannte Täter einen Brandanschlag auf das Fahrzeug des Hamburger Neonazis Christian Worch. Bereits am 27. Januar und 4. März waren Brandanschläge auf die Fahrzeuge der Rechtsextremisten Jürgen Rieger und Thomas Wulff begangen worden. Beide waren als Redner auf einer gegen die Wehrmachtsausstellung gerichteten Demonstration am 31. Januar in Hamburg aufgetreten. Auch die NPD-Geschäftsstelle in Berlin war bereits mehrfach das Ziel von Übergriffen. So verübten am 20. April unbekannte Täter einen Brandanschlag auf einen unmittelbar vor der Geschäftsstelle auf dem Gehweg abgestellten Pkw. An der Hausfassade entstand erheblicher Sachschaden. 3.1.6.3 Anti-Globalisierungs-Proteste Das Thema Globalisierung hat im Bereich gewaltbereiter Linksextremisten weiterhin Bedeutung. Die Beteiligung deutscher Linksextremisten an Aktionen im Ausland war jedoch deutlich geringer als in den Vorjahren. In Davos/Schweiz wurden gegen das WeltwirtschaftsWeltwirtschaftsforum (World Economic Forum -WEF-), das vom 21. bis 25. Januar stattforum in Davos fand, mehrere Protestveranstaltungen abgehalten. Innerhalb des glo- 150 Linksextremismus balisierungskritischen Spektrums, insbesondere in der Schweiz, hat sich das Treffen in den letzten Jahren zu einer Veranstaltung mit hohem Symbolcharakter entwickelt, bei welcher friedliche Proteste von Hohe Gewaltgewalttätigen Ausschreitungen überschattet werden. So wurden auch bereitschaft dieses Jahr die Protestveranstaltungen teilweise von gewalttätigen Ausschreitungen begleitet. Bereits zwei Wochen vor der Konferenz randalierten Globalisierungsgegner in Winterthur/Schweiz unter dem Motto "Reclaim the world - Crack the WEF" und verursachten einen Sachschaden von rund 100.000 Franken. Durch den Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas konnte die Polizei noch größeren Schaden verhindern. Sie nahm 14 Personen fest, darunter auch zwei deutsche Staatsangehörige. Insbesondere in der Zeit vom 21. bis 24. Januar fanden neben Autobahnblockaden mehrere Protestkundgebungen u.a. in Chur/Schweiz statt. In Chur beschädigten rund 200 Angehörige eines "Schwarzen Blocks" Bankgebäude. Bei Blockadeaktionen auf Gleisanlagen wurde eine Zugeinheit derart beschädigt, dass sie nicht mehr funktionsfähig war. Bei diesen Gewalttaten entstand ein Sachschaden von mehreren hunderttausend Franken. Bedingt durch den massiven Polizeieinsatz konnten die gewaltbereiten Linksextremisten jedoch ihr Ziel, die Konferenz in Davos nachhaltig zu stören, nicht erreichen. Die Schweizer Grenzbehörden wiesen zwölf aus Deutschland anreisende Störer bereits beim Versuch der Einreise zurück. 3.1.6.4 Antiimperialismus Auch nach dem offiziellen Ende des Irak-Kriegs der USA im Jahr 2003 blieb der Antiimperialismus ein Schwerpunktthema gewaltbereiter autonomer Gruppen. Die Autonomen lehnten dabei das Vorgehen der USA und anderer Staaten gegenüber dem Irak als Ausdruck einer kapitalistischen und imperialistischen Machtpolitik ab. Sie versprachen Beteiligung an sich von ihrer Beteiligung an den Friedensdemonstrationen vor allem Friedenskundeine Einflussnahme auf Teile dieser gesellschaftlich breiten Friedensgebungen bewegung. Besonders im Schülerund Studentenbereich sahen sie ein großes Mobilisierungsund Rekrutierungspotenzial für eigene Ziele. Proteste gegen Beispiel für das massive Engagement der Autonomen in diesem die 40. Münchner Themenfeld waren ihre Aktivitäten gegen die 40. Münchner KonfeKonferenz für renz für Sicherheitspolitik vom 6. bis 7. Februar, an der zahlreiche Sicherheitspolitik internationale Regierungsvertreter der NATO-Staaten sowie Repräsentanten aus dem Militärund Rüstungsbereich teilnahmen. Gegen dieses Treffen protestierten in einer Reihe von Veranstaltungen meh- Linksextremismus 151 rere tausend Menschen, darunter etwa 300 bis 400 gewaltbereite Autonome aus dem ganzen Bundesgebiet. Diese Kundgebungen sind maßgeblich vom Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz organisiert worden, als Bindeglied zum autonomen Spektrum fungierte das Aktionsbündnis "Conaction". Bei einer Großdemonstration am 7. Februar bildeten etwa 300 bis 400 militante Autonome aus dem ganzen Bundesgebiet einen "Schwarzen Block" an der Spitze des Demonstrationszugs mit etwa 5.000 Teilnehmern. Nur durch einen massiven Polizeieinsatz konnte der ungestörte Verlauf der Konferenz sichergestellt werden. Im Verlauf beider Protesttage kam es zu insgesamt 259 freiheitsentziehenden bzw. freiheitsbeschränkenden Maßnahmen. Hintergrund waren überwiegend Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, aber auch Körperverletzungsdelikte, Widerstandshandlungen, versuchte Gefangenenbefreiung, Beleidigungen sowie das Verwenden verfassungsfeindlicher bzw. den Staat verunglimpfender Symbole (vgl. auch Nummer 2.5 dieses Abschnitts). Bereits am 4. Februar, wenige Tage vor der Konferenz, hatten unbeVersuchter Brandkannte Täter versucht, auf dem Gelände einer Münchner Niederlassung anschlag auf einen eines Automobilkonzerns zwei Fahrzeuge mit zeitverzögerten BrandAutomobilkonzern sätzen zu zerstören. Die Brandsätze waren funktionstüchtig, kamen jedoch nicht zur Entzündung. In einem Selbstbezichtigungsschreiben, das in der Berliner Szene-Publikation "INTERIM", Nummer 589 vom 27. Februar, abgedruckt war, wird der versuchte Anschlag u.a. mit der Beteiligung des Industriekonzerns an Rüstungsprojekten, der in München stattfindenden "NATO-Kriegskonferenz" sowie der EU-Militärpolitik begründet. Das Selbstbezichtigungsschreiben endet mit den Parolen: "No pasaran - die Kriegsplaner duerfen nicht durchkommen!!! Blockiert und sabotiert die Kriegskonferenz in Muenchen!!! Antikapitalismus globalisieren!!! Gegen die Kriegspolitik von Nato, EU, USA und allen anderen Schweinehunden!!!" 3.1.6.5 Sozialabbau Die mit der "Agenda 2010" eingeleiteten sozial-politischen Reformen lösten im Hinblick auf die Einführung des so genannten Arbeitslosengelds II am 1. Januar 2005 Proteste aus. Die Zahl der nicht-extremistischen Demonstranten vergrößerte sich im Laufe des Jahres in die Zehntausende. Linksextremisten erkannten darin eine neue, als Mobi- 152 Linksextremismus lisierungsund Rekrutierungsfeld nutzbare Protestbewegung. Daher wurde der Sozialabbau immer mehr zum neuen Schwerpunktthema linksextremistischer Agitation und Aktion. Demonstration Am 6. November beteiligten sich in Nürnberg etwa 7.000 Personen in Nürnberg an einem Demonstrationszug zur Bundesagentur für Arbeit unter dem Motto "Gegen Sozialraub, Agenda 2010 und Hartz IV". Neben Personen des demokratischen Spektrums waren auch mehrere hundert Anhänger der autonomen Szene sowie Vertreter der linksextremistischen Parteien PDS, DKP und MLPD anwesend. Die "Organisierte Autonomie" (OA) mobilisierte bundesweit mit einem eigenen Aufruf im Internet in der linksextremistischen Szene für einen "antikapitalistischen Block" bei der Demonstration. Daneben führte die OA bundesweit Mobilisierungsund Informationsveranstaltungen durch, um im autonomen Spektrum Interesse für die Teilnahme an der Demonstration zu wecken. In einem ihrer Aufrufe heißt es: "Begreifen und organisieren wir uns als Klasse, kämpfen wir gemeinsam gegen Sozialraub, kapitalistische Ausbeutung und Armut. Bewusst als Klasse handelnd, statt im Kampf aller gegen alle, entsolidarisiert und individualisiert, werden wir uns durchsetzen. (...) Die massenhafte Wut und Empörung muss endlich ihren praktischen Ausdruck finden, die Ohnmacht zum organisierten Widerstand werden. (...) Denn um ehrlich zu sein, haben wir hier noch immer den Status eines Entwicklungslandes, was Protest und Widerstand betrifft, ... (...) Schluss mit dem zahmen Protest, denn eines ist klar: Unser Widerstand wird nur dann erfolgreich sein, wenn Staat und Kapital ihn wirklich zu spüren bekommen." Im Verlauf des Aufzugs kam es zu Eierwürfen. Kurz vor Erreichen der Bundesagentur für Arbeit versuchte zudem ein Teil des "antikapitalistischen Blocks" durch Abdrängen der Polizeikräfte Steine aus dem dort befindlichen Gleisbett aufzunehmen. Das Werfen der Steine konnte durch massives Einschreiten der Polizei verhindert werden. SachbeschädiIm Bundesgebiet kam es wiederholt zu Sachbeschädigungen an gungen Einrichtungen, die mit dem Themenfeld Sozialabbau in Verbindung gebracht wurden. So waren vor allem Arbeitsagenturen, Sozialämter und Zeitarbeitsfirmen im Visier gewaltbereiter Gegner der Sozialreformen. Besonders in den Tagen um den "Revolutionären 1. Mai" wurden vermehrt derartige Anschläge im Berliner Raum begangen. In München zerstörten in der Nacht zum 16. November unbekannte Täter durch Steinwürfe Fensterscheiben von zwei Zeitarbeitsfirmen Linksextremismus 153 und einer dritten Firma, die man offenbar ebenfalls für eine solche gehalten hatte. In der autonomen Zeitschrift "INTERIM", Nummer 606 vom 25. November, erschien unter dem Titel "Zeitarbeit ist moderner Sklavenhandel!" eine Tatbekennung, in der diese "Entglasungsaktion" mit der Thematik Sozialabbau begründet wird: "Notwendig ist es jedoch neben der legalen Massenaktion auch in die organisierte militante Offensive zu kommen. Nur so können die Angriffe auf unsere Klasse wirksam abgewehrt werden. Und nur mittels revolutionärer Gegengewalt kann letztendlich eine klassenlose Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung erkämpft werden. Alles andere ist Illusion und Augenwischerei!" 3.1.6.6 Weitere Aktionen Im Gegensatz zum weitgehend störungsfreien "Revolutionären 1. Mai" Ausschreitungen in Bayern wurden die 1. Mai-Feiern in Berlin wie erwartet wieder von zum 1. Mai in schweren Gewaltausbrüchen begleitet. Der Polizei gelang es allerBerlin dings durch starke Präsenz vor Ort, Zerstörungen und Sachbeschädigungen in der Dimension der Vorjahre zu verhindern. Die Auseinandersetzungen begannen bereits am 30. April und eskalierten am Abend des 1. Mai. Die Einsatzkräfte wurden wiederholt mit Steinen und Flaschen attackiert sowie mit Signalmunition beschossen. Insgesamt wurden 250 Polizeibeamte verletzt. Autonome Gewalttäter setzten u.a. Müllcontainer sowie ein Auto in Brand und blockierten Straßen. Einen Schwerpunkt für die autonome Szene bildete die so genannte "16.00 Uhr-Demo", an der sich unter dem Motto "Unsere Agenda heißt Widerstand - Zusammen kämpfen gegen Sozialterror und imperialistisches Morden" etwa 2.400 überwiegend der gewaltbereiten autonomen Szene zuzurechnende Demonstranten beteiligten. Die Polizei nahm insgesamt 186 Personen im Zusammenhang mit den Gewalttätigkeiten am 1. Mai in Berlin vorläufig fest. In Bayern konzentrierten sich gewaltbereite Linksextremisten auf die "Revolutionäre 1. Mai-Veranstaltung" in Nürnberg. Die von der "InitiaAktionen zum tive Neue ArbeiterInnenbewegung" angemeldete Demonstration mit 1. Mai in Bayern anschließendem internationalem Straßenfest verlief bei einer Beteiligung von rund 900 Personen weitgehend friedlich. Am Rande des internationalen Straßenfestes wurden leere Flaschen gegen die eingesetzten Polizeibeamten geworfen. 154 Linksextremismus 3.1.6.7 Einflussnahme auf die Antikernkraftbewegung Auch 2004 beteiligten sich Linksextremisten an dem Protest gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie, der im Wesentlichen von nicht-extremistischen Bürgerund Umweltschutzinitiativen getragen wird. Dabei versuchten die Linksextremisten, dem Protest eine staatsfeindliche Ausrichtung zu geben. Schwerpunkt waren Aktionen gegen den Castor-Transport, der vom 6. bis 9. November von der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague/Frankreich zum Zwischenlager Gorleben/Niedersachsen führte. Während des gesamten Transports kam es immer wieder zu Störungen und Blockaden, die Verzögerungen zur Folge hatten. An den Protestaktivitäten nahmen bundesweit insgesamt bis zu 5.000 Personen teil, darunter etwa 250 aus der linksextremistischen und linksextremistisch beeinflussten Szene, einschließlich rund 100 Autonome. Überschattet Todesfall beim wurde der Transport durch einen folgenschweren Unfall, der sich am Castor-Transport Nachmittag des 7. November im lothringischen Avricourt ereignete. Ein 21-jähriger französischer Umweltaktivist, der sich an die Gleise gekettet hatte, wurde trotz sofort eingeleiteter Notbremsung vom Castor-Transportzug überrollt. Er starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus. In mehreren Städten, so auch in München, fanden Mahnwachen und Solidaritätskundgebungen statt. Der Bau von Zwischenlagern an den bayerischen Kernkraftwerken wird im linksextremistischen Spektrum auch von der PDS thematisiert. Unter dem Motto "Atom-Lager niX da!" beteiligte sie sich an einer Demonstration am 26. September in Grafenrheinfeld bei Schweinfurt. An dieser Protestveranstaltung nahm auch die Coburger Ortsgruppe von ['solid] teil. 3.2 Gewalttaten in Bayern Bundesweit wurden 521 Gewalttaten mit linksextremistischer MotiAnstieg der vation gegenüber 483 Gewalttaten im Jahr 2003 erfasst. In Bayern ist Gewalttaten in die Zahl der Gewalttaten von Linksextremisten im Vergleich zum VorBayern jahr erheblich angestiegen. Von den 27 (2003: 16) in Bayern verübten Gewalttaten waren 15 "antifaschistisch" motiviert und standen im Zusammenhang mit Aktivitäten gegen Versammlungen rechtsextremistischer Organisationen, insbesondere der NPD, und Angriffen gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Am 20. März durchbrachen während einer Protestkundgebung gegen einen NPD-Aufzug in München etwa 30 Personen eine Polizeiabsper- Linksextremismus 155 rung. Die Polizei konnte den Großteil der Störer zurückdrängen und leitete gegen die Anstifterin ein Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs ein. Gegen zwei weitere Tatverdächtige wurde wegen Körperverletzung, Nötigung und anderer Straftaten ermittelt. Im Anschluss an eine rechtsextremistische Kundgebung am 10. November in München kam es zu tätlichen Übergriffen auf RechtsextreÜbergriffe auf misten. Einer wurde zunächst mit einem gezielten Faustschlag ins Rechtsextremisten Gesicht und dann mit Fußtritten an den Kopf und in den Rücken verletzt. Ein anderer erlitt nach mehreren Schlägen Prellungen und Hautabschürfungen. Zehn der 27 Gewalttaten, darunter die versuchte schwere BrandstifGewalttaten tung auf zwei Fahrzeuge vor einer Münchner Niederlassung eines in München Automobilkonzerns, wurden im Zusammenhang mit der 40. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik begangen. Im Wesentlichen handelte es sich dabei um Widerstandshandlungen von Versammlungsteilnehmern gegen Vollstreckungsbeamte im Rahmen der Protestaktionen sowie um versuchte Körperverletzungsdelikte; es wurden auch Feuerwerkskörper und eine Glasflasche auf Polizeibeamte geworfen. 3.3 Rechtliche Aufarbeitung der Strukturen der RAF und anderer ehemaliger Terrorgruppen Am 18. März verurteilte das Berliner Kammergericht fünf Mitglieder Verurteilung von der ehemaligen terroristischen Vereinigung "Revolutionäre Zellen" (RZ) Mitgliedern der wegen Herbeiführung von zwei Sprengstoffexplosionen und Rädels"Revolutionären führerschaft bzw. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Zellen" Matthias Borgmann wurde zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten, Sabine Eckle und Rudolf Schindler zu Freiheitsstrafen von je drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Zwei weitere Mitangeklagte erhielten Haftstrafen von zwei Jahren und neun bzw. zehn Monaten. Bei den Sprengstoffanschlägen, die den Verurteilten zur Last gelegt wurden, handelt es sich um die Anschläge auf die Zentralstelle für Asylbewerber in Berlin im Jahr 1987 sowie Anschläge auf die Siegessäule im Jahr 1991. Der ehemalige RZ-Angehörige Lothar Ebke wurde am 15. Juli vom Verurteilung von Berliner Kammergericht wegen seiner Beteiligung an einem SprengLothar Ebke stoffanschlag der RZ im Januar 1987 in Berlin zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte am 28. September das Verurteilung von ehemalige mutmaßliche RAF-Mitglied Andrea Klump wegen Beihilfe Andrea Klump 156 Linksextremismus zum versuchten Mord in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Andrea Klump an einem Sprengstoffanschlag am 23. Dezember 1991 in Ungarn beteiligt war. Sie wurde außerdem für schuldig befunden, Wohnungen angemietet und ihren Lebensgefährten, den ehemaligen Angehörigen der RAF Horst Ludwig Meyer, logistisch unterstützt zu haben. Bei ihrer Festnahme am 15. September 1999 in Wien kam es zu einer Schießerei, bei der Horst Ludwig Meyer getötet wurde. Klump verbüßt zurzeit bereits eine neunjährige Freiheitsstrafe wegen Beteiligung an einem fehlgeschlagenen Sprengstoffanschlag auf einen NATO-Militärstützpunkt in Rota/Spanien am 17. Juni 1988. Linksextremismus 157 4. Übersicht über erwähnenswerte linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 2004 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) 1. Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 1.1 Kernorganisationen: Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 600 4.500 Unsere Zeit (UZ) 14 Bezirksorganisationen, aufgeteilt wöchentlich, 7.000 in Kreisund Grundorganisationen Marxistische Blätter sowie Betriebsgruppen, zweimonatlich, 2.500 26.09.1968, Essen Partei des Demokratischen 65.500 Neues Deutschland (ND) Sozialismus (PDS) - PDS-nahe Zeitung - - neuer Name beschlossen werktäglich, 53.600 auf SED-Parteitag am DISPUT 16./17.12.1989 -, monatlich, 11.000 16 Landesverbände mit Kreisverbänden und Basisorganisationen, PDS-Pressedienst Berlin wöchentlich, 2.200 UTOPIE-kreativ-Diskussion sozialistischer Alternativen monatlich, 800 Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS monatlich, 1.000 PDS Landesverband Bayern 700 TITEL (Informationsforum mit 12 Kreisverbänden und (einschließlich der PDS Bayern) 34 Basisorganisationen Sympathisanten) unregelmäßig, 500 11.09.1990, München Arbeiterbund für den Wieder100 150 Kommunistische aufbau der KPD (AB) Arbeiterzeitung (KAZ) 1973, München vierteljährlich Marxistisch-Leninistische 100 2.000 Rote Fahne Partei Deutschlands (MLPD) wöchentlich, 7.500 10 Parteibezirke, über 100 Ortsgruppen und Stützpunkte, 17./18.06.1982, Gelsenkirchen Linksruck-Netzwerk 20 500 Sozialismus von unten (Sozialistische Arbeitergruppe - SAG) 1993, Berlin Linksruck, zweiwöchentlich 158 Linksextremismus Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 2004 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) Marxistische Gruppe (MG) München 700 (Aktive) 10.000 GEGENSTANDPUNKT 1969/70 AK Rote Zellen, München Herausgeber: ehemalige ("aufgelöst" zum 01.06.1991) Funktionäre der MG vierteljährlich, 7.000 1.2 Nebenorganisationen: Nebenorganisation der DKP: Sozialistische Deutsche 60 350 POSITION Arbeiterjugend (SDAJ) unregelmäßig, 1.500 Landesverbände, Kreisverbände und Ortsgruppen, 04./05.05.1968, Essen Nebenorganisationen der MLPD: Jugendverband REBELL 20 70 Rebell - Beilage zur Roten Fahne - MLPD-Hochschulgruppen Galileo - Semesterzeitschrift 1.3 Beeinflusste Organisationen: DKP-beeinflusst: Vereinigung der Verfolgten des 700 8.000 antifa Naziregimes - Bund der Antifaschiszweimonatlich, 9.000 tinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Landesvereinigungen mit Kreisund Ortsvereinigungen, 15.-17.03.1947, Berlin MLPD-beeinflusst: Frauenverband Courage 20 500 Courage 2. Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten Autonome etwa rund zum Teil unregelmäßig 400 5.500 erscheinende Szene-Blätter wie: radikal, INTERIM; auf lokaler Ebene u.a. barricada 3. Von mehreren Strömungen des Linksextremismus beeinflusst Bündnis München gegen Krieg 20 München Antifaschistisches Aktionsbündnis 20 Nürnberg Ausländerextremismus 159 5. Abschnitt Extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern 1. Allgemeines 1.1 Merkmale des Ausländerextremismus Ausländergruppen werden als extremistisch eingestuft, wenn sie sich Einstufung als gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Dazu extremistisch zählen insbesondere die Organisationen islamischer Extremisten, die sich die Errichtung eines islamischen Staates, wie z.B. im Iran, auch in Deutschland zum Ziel gesetzt haben und damit wesentliche Grundsätze unserer freiheitlichen Verfassung beseitigen wollen. Der gesetzlichen Beobachtung unterliegen ferner Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind bzw. Gruppierungen von Ausländern, die eine gewaltsame Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatland anstreben und dadurch auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. 1.2 Entwicklung der Organisationen LinksExtreme Islamische Gesamtzahl Mitgliederstärke extremisten Nationalisten Extremisten Mitglieder extremistischer Links-extremisten Extreme AusländerNationalisten Kurden Islamische 1.960 (1.940) - - 50 (50) 2.010 (1.990) organisationen Türken 280 (330) 1.500 (2.000) 4.930 (5.080) 6.710 (7.410) in Bayern Sonstige* 270 (370) 160 (70) 440 (400) 870 (840) Gesamtzahl 2.510 (2.640) 1.660 (2.070) 5.420 (5.530) 9.590 (10.240) (in Klammern die Vergleichszahlen des Vorjahrs) * Albaner, Araber, Inder, Iraner, Srilanker u.a. Die Gesamtzahl der Mitglieder extremistischer Ausländervereinigungen verringerte sich in Bayern geringfügig von 10.240 im Jahr 2003 auf Leicht gesunkene 9.590. Darin eingerechnet sind rund 1.800 Anhänger des in DeutschMitgliederzahl land verbotenen Volkskongresses Kurdistans (KONGRA GEL bzw. KHK; bisher Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans - KADEK -, 160 Ausländerextremismus Entwicklung der MitglieMitglieder derzahlen 100.000 extremistischer 80.000 Ausländerorganisationen 60.000 55.500 Deutschland 57.520 40.000 20.000 Bayern 9.900 9.590 0 1995 96 97 98 99 2000 01 02 03 04 Ausländische Extremisten in Deutschland 31.450 35.000 31.800 30.000 Islamische Extremisten 25.000 18.600 20.000 15.000 Linksextremisten 17.290 10.000 8.750 5.000 Extreme Nationalisten 8.430 0 2000 2001 2002 2003 2004 Ausländische Extremisten in Bayern 7.000 5.540 6.000 5.420 5.000 Islamische Extremisten 4.000 2.750 3.000 Linksextremisten 2.000 2.510 2.180 1.000 Extreme Nationalisten 1.660 0 2000 2001 2002 2003 2004 Ausländerextremismus 161 ehemals Arbeiterpartei Kurdistans - PKK -). Wie in den Vorjahren stellten die Organisationen extremistischer Türken (einschließlich kurdischer Volkszugehöriger) mehr als 90 % aller ausländischen Extremisten in Bayern. Über die Hälfte aller ausländischen Extremisten ist dem islamischen Fundamentalismus zuzurechnen. Mit den Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001 und in Madrid am 11. März 2004 hat die Gefährdung der westlichen Welt durch fanatische islamische Fundamentalisten eine neue Dimension erreicht. Der islamische Fundamentalismus bedeutet im Hinblick auf seine weltweiten Expansionsbestrebungen inzwischen eine weit größere Gefahr für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung als die Bestrebungen gewaltbereiter türkischer Linksextremisten und des kurdischen KONGRA GEL. Die Äußerungen Usama Bin Ladins belegen, dass Deutschland nicht mehr nur Vorbereitungsund RuheDeutschland raum islamistischer Terroristen ist, sondern auch jederzeit Tatort und als möglicher Ziel von Terrorakten sein kann. Die inzwischen laufenden GerichtsAnschlagsort verfahren und Festnahmen zeigen dies deutlich. Besonders gefährdet sind in Deutschland Einrichtungen der USA und Großbritanniens sowie jüdische/israelische Einrichtungen. Die isolierte Betrachtung der Mitgliederzahlen der Organisationen verdeutlicht die Bedrohungslage nicht ausreichend. Insbesondere im Bereich des Terrorismus treten im Inland fast ausschließlich organisationsunabhängige Einzelpersonen oder Anhänger von Splittergruppen ausländischer Organisationen mit Verbindungen zum islamistischen Terrorismus auf. Ihre Gesamtzahl kann nur geschätzt werden. In Bayern werden mehr als 50 Personen Verbindungen zu terroristisch Gewaltpotenzial orientierten Netzwerken zugeschrieben. in Bayern Zu berücksichtigen ist jedoch, dass eine weit größere Zahl islamischer Fundamentalisten - rund 500 Personen - Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele befürwortet, dabei aber vorrangig auf ihre jeweiligen Heimatländer und nicht auf Deutschland abzielt. 1.3 Integrationsfeindlichkeit des islamischen Extremismus Der Islam als Religion und seine Ausübung werden nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Der Beobachtung unterliegen jedoch poliGesetzlicher tische Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische BeobachtungsGrundordnung oder den Bestand Bayerns bzw. des Bundes richten auftrag (islamischer Fundamentalismus), sowie Bestrebungen, die durch 162 Ausländerextremismus Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und damit oder durch entsprechende Propaganda auch das friedliche Zusammenleben der Völker beeinträchtigen. Diese Trennung kann nicht absolut sein, da sich der islamische Fundamentalismus direkt aus dem Islam ableitet. Die im Bundesgebiet aktiven islamisch-extremistischen Gruppierungen wollen die in ihren Heimatländern bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen durch ein auf dem Koran und der Scharia (islamisches Rechtssystem) basierendes islamisches Gesellschaftssystem ersetzen. Überwiegend streben sie sogar die Errichtung eines anti-laizistischen Gottesstaats auf der ganzen Welt an. Sie gehen davon aus, dass durch die Scharia eine alle Lebensbereiche umfassende islamische Gesellschaftsordnung vorgegeben sei, die es überall zu verwirklichen gelte. Ihrer Überzeugung nach entsprechen die gesellschaftspolitischen Vorstellungen des Islamismus wegen ihres göttlichen Ursprungs als einziges gesellschaftliches System in allen Aspekten vollständig der menschlichen Natur. Die Trennung von Staat und Religion (Laizismus) in westlichen Staaten wird daher nicht nur als Verstoß gegen "un-islamisch" abgelehnt, sondern teilweise auch aktiv bekämpft. Die das GleichheitsGleichheit der Menschen wird verneint. Nur Muslime gelten als völlig prinzip rechtsfähig und können gleiche Rechte haben, sofern diese nicht im Widerspruch zur Scharia stehen. Menschenrechte nach westlichem Verständnis werden nur zum Teil anerkannt. Die Scharia liefert zudem die Legitimation für unmenschliche Strafen. Intoleranz Der islamische Fundamentalismus ist geprägt von Intoleranz gegenüber Andersgläubigen, teilweise sogar selbst gegen friedliche, moderate Muslime. Aufgrund seines Absolutheitsanspruchs fordert er einen aktiven Kampf gegen alle "Ungläubigen" und die weltweite Islamisierung, falls nötig durch Unterwerfung aller Nichtmuslime. Ablehnung der Westliche Demokratieund Gesellschaftsvorstellungen werden abgeDemokratie lehnt, sofern sie nicht im Einklang mit der von den Fundamentalisten vorgenommenen Auslegung des Korans und der Scharia stehen. Dies bedeutet die Ächtung des demokratischen Prinzips der Volkssouveränität und der Chancengleichheit der Parteien. Ferner gibt es keine Gewaltenteilung, keine demokratische Legislative, keine Kontrolle der obersten Staatsgewalt. Eine Eingliederung von Muslimen in die demokratische Gesellschaft ist damit wesentlich erschwert. Der islamische Fundamentalismus ist daher zwangsläufig integrationsfeindlich. Ausländerextremismus 163 Islamische fundamentalistische Gruppen wenden sich deshalb massiv gegen eine echte Integration. Sie versuchen, vor allem junge Menschen zu beeinflussen und sie zu einer Ablehnung unserer demokratischen Ordnung und unserer freiheitlichen Gesellschaft zu bewegen. Dazu dienen die privaten Koranschulen extremistischer Organisationen wie auch die Pflicht für Frauen und Mädchen, Kopftücher zu tragen. Sie trägt zur bewussten Abgrenzung von westlichen Lebensgewohnheiten bei. Dem Politikverständnis von Islamisten ist auch ein taktisches VerhältHaltung zur nis zur Frage der Gewaltanwendung immanent. Nach Ansicht islamisGewalt tischer Theoretiker schließt der "Djihad" (wörtlich: Innerer Kampf, Anstrengung; auch bekannt als "Heiliger Krieg") als Instrument zur Verwirklichung der islamischen Gesellschaftsordnung alle zum Sieg verhelfenden Mittel ein. So befürwortet die Mehrzahl der islamistischen Gruppierungen aus dem arabischen Raum Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Die im Bundesgebiet mitgliederstärkste islamistische Gruppierung, die türkische Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG), setzt dagegen vordergründig auf politische Aktivitäten zur Veränderung der gesellschaftlichen Ordnungen in der Türkei und in Deutschland. 1.4 Gewalttaten In Deutschland ist die Zahl der Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "politisch motivierte AusländerkriminaEntwicklung Deutschland Bayern der Gewalt100 88* taten durch 80 ausländische 61 61 Extremisten 60 40 20 9 8*** 2** 0 2002 2003 2004 * ohne terroristische Straftaten ** davon eine terroristische Straftat *** davon fünf terroristische Straftaten 164 Ausländerextremismus lität" von 88 im Jahr 2003 auf 61 gesunken. In Bayern ist die Zahl der ausländischen Extremisten zuzurechnenden Gewaltund Terrorismusdelikte von zwei auf insgesamt acht gestiegen. Fünf Fälle beziehen sich auf die Unterstützung der ausländischen Vereinigung Ansar al-Islam, eine islamistische Vereinigung von Kurden; dies soll beispielsweise durch Spenden und Sammeln von Geld sowie logistische Unterstützung erfolgt sein. Gegen die Beschuldigten wird ermittelt. Darüber hinaus wurden u.a. folgende politisch motivierte Gewalttaten von Ausländern bekannt: Am 6. Februar beteiligte sich ein 24-jähriger türkischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Österreich an einer Gegenversammlung zur 40. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik. Dort versuchte er, mit einer etwa 2,20 Meter langen Fahnenstange auf Polizeibeamte einzuschlagen. Auch später bei seiner Festnahme schlug er um sich und trat gezielt nach den Beamten. Ein 31-jähriger wohnsitzloser tunesischer Asylbewerber begann am 3. Dezember in einem Nürnberger Cafe zu randalieren und mit einem Spazierstock auf den irakischen Gastwirt einzuschlagen. Zudem drohte er, das Lokal mit einer Bombe in die Luft zu sprengen. Gegen den Täter erging Haftbefehl. 2. Islamisch-fundamentalistisch orientierter Terror 2.1 Überblick Bedrohung durch Der islamische Extremismus, insbesondere die arabischen Mudjahidin die al-Qaida mit der Organisation al-Qaida und anderen Terrornetzwerken, stellen weiterhin die größte Bedrohung der Inneren Sicherheit dar. Trotz der Festnahme oder des Todes einiger hochrangiger al-Qaida-Funktionäre sind die islamistischen Terrornetzwerke nach wie vor handlungsund aktionsfähig. Die Sprengstoffanschläge am 11. März in Madrid mit 191 Todesopfern und über 1.500 Verletzten zeigen, dass auch in Europa mit schwersten Terroranschlägen islamischer Extremisten gerechnet werden muss. Primär gefährdet sind wie bisher US-Einrichtungen sowie israelische und jüdische Einrichtungen auch in Deutschland. Ebenso können öffentlichkeitswirksame und symbolträchtige Anschläge auf andere Einrichtungen in Deutschland nicht ausgeschlossen werden, wie die Festnahmen von drei Anhängern der Ansar al-Islam am 3. Dezember in Augsburg, Stuttgart und Berlin gezeigt haben. Die Festgenommenen sollen einen Anschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten Dr. Ijad Allawi während seines Berlin-Aufenthalts geplant haben. Auch deutsche Präsenz im Ausland ist in den entsprechenden Regionen bedroht. Ausländerextremismus 165 Die in Deutschland durchgeführten Exekutivmaßnahmen und Gerichtsverfahren, wie z.B. die Verfahren gegen einen tunesischen Staatsangehörigen vor dem Kammergericht in Berlin wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung oder das al-Tauhid-Verfahren vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf, zeigen, dass auch Deutschland Aktionsraum islamistisch-terroristischer Netzwerke ist und dass auch hier Unterstützer zu suchen und zu finden sind. Separatistische und nationalistische Bestrebungen werden in RegioSeparatistische und nen mit überwiegend muslimischem Bevölkerungsanteil oft auf ein nationalistische zweites ideologisches Standbein, nämlich die Verbreitung des Islam Bestrebungen und die Errichtung islamischer Gottesstaaten, gestützt. Dadurch werden diese Bestrebungen auch zur islamistischen Bestrebung und findet damit weltweite Unterstützung islamistischer Fundamentalisten und Terroristen. Diese Vermengung von Islamismus, Separatismus und Nationalismus ist bei den Terroranschlägen in Tschetschenien, in Südostasien und - mit Einschränkungen - auch in Palästina festzustellen. Über den arabischen Sender al-Djazira und auch über das Internet Drohungen drohten Führungspersönlichkeiten der al-Qaida und anderer Gruppen wie der al-Tauhid al-Djihad des Jordaniers Abu Musab al-Zarqawi vermehrt mit massiven Terrorakten gegen die USA und ihre Verbündeten. So stellte das islamistische Diskussionsforum Muntada al-Ansar am 6. Juni eine Erklärung ins Internet ein, die als "Road-Map" der Mudjahidin verstanden werden kann. Die Auflistung der in dieser Erklärung angesprochenen Feindbilder nimmt u.a. auch auf Deutschland Bezug. In einer weiteren Videobotschaft vom September, die von Dr. Ayman al-Zawahiri, dem Stellvertreter Bin Ladins, stammen soll, wurden nicht nur, wie in anderen Erklärungen üblich, die USA und die Verbündeten im Allgemeinen bedroht, sondern speziell auch die internationale Friedenstruppe ISAF in Kabul erwähnt, der auch deutsche Soldaten angehören. 2.2 Islamistisch motivierte Terroranschläge Am 11. März explodierten in vier Madrider Pendlerzügen mehrere in Anschläge Rucksäcken deponierte Sprengsätze, die insgesamt 191 Todesopfer in Madrid und über 1.500 Verletzte forderten. Während bei früheren Attentaten des al-Qaida-Netzwerks stets Ziele mit westlichem oder jüdischem Symbolcharakter angegriffen wurden, verfolgten die Atten- 166 Ausländerextremismus täter diesmal offenbar ausschließlich das Ziel, möglichst viele Opfer zu treffen. Bereits am Tattag fand die Polizei einen gestohlenen Lieferwagen, in dem sich Sprengstoffzünder sowie ein Tonband mit Koranversen befanden. Wenige Stunden nach den Bombenexplosionen ging im Londoner Büro der arabischen Zeitung al-Kuds al-Arabi ein Selbstbezichtigungsschreiben der al-Qaida ein, dessen Authentizität allerdings fraglich ist. Am 13. März wurde in einem Papierkorb in der Nähe einer Madrider Moschee ein Video von al-Qaida sichergestellt, auf dem in arabischer Sprache die Gruppierung "Abu Dudjan al-Afghani" die Verantwortung für die Anschläge übernahm. Darin hieß es: "Wir erklären unsere Verantwortung für das, was in Madrid genau zweieinhalb Jahre nach den Angriffen auf New York und Washington geschehen ist. Es ist eine Antwort auf die Verbrechen, die ihr in der Welt verübt habt, und zwar besonders im Irak und Afghanistan und es wird weitere (Anmerkung: Antworten) geben, so Gott will. Ihr liebt das Leben und wir lieben den Tod, was ein Beispiel für das gibt, was der Prophet Mohammed gesagt hat. Wenn ihr eure Ungerechtigkeiten nicht stoppt, wird mehr Blut fließen und diese Angriffe werden sehr klein verglichen mit dem sein, was geschehen wird und was ihr Terrorismus nennt. Das ist eine Erklärung des Militärsprechers der al-Qaida für Europa, Abu Dudjan al-Afghani." Im Zuge der Ermittlungen wurden seit dem 13. März zahlreiche MarokFestnahmen kaner, Inder und Syrer als Tatverdächtige festgenommen werden. in Madrid Anfang April töteten sich mehrere Hintermänner des Anschlags vom 11. März bei einer Polizeiaktion in Madrid selbst. Sie zündeten in ihrem Versteck gelagerten Sprengstoff, als die Polizei das Haus stürmte. Insgesamt kamen bei dieser Aktion sieben Tatverdächtige und ein Polizist ums Leben, elf Polizisten wurden verletzt. Der mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge von Madrid, der Ägypter Rabei Osman el Sayed Achmet alias "Mohamed der Ägypter", konnte in einer gemeinsamen Aktion der italienischen, spanischen und französischen Sicherheitsbehörden am 7. Juni in Mailand festgenommen werden. Er gilt als Sprengstoffexperte. Die Ermittlungen ergaben, dass el Sayed von 1999 bis 2001 auch zeitweise in Deutschland lebte. SprengstoffAm 21. April verübten Selbstmordattentäter in Riad/Saudi-Arabien anschlag in Riad einen Sprengstoffanschlag auf das Hauptquartier des saudischen Inlandsnachrichtendienstes. Während eine Reihe von Fahrzeugen an einem Kontrollpunkt auf die Abfertigung wartete, stieg ein Selbstmordattentäter aus einem Fahrzeug und zündete eine am Körper Ausländerextremismus 167 getragene Sprengladung. Kurz darauf explodierten zwei in der Warteschlange stehende Fahrzeuge mit einer Sprengstoffmenge von insgesamt etwa drei Tonnen. Dabei starben ungefähr 20 Menschen. Am 1. Mai erschossen in Janbu/Saudi-Arabien vier Attentäter auslänErschießungen dische Mitarbeiter einer Ölfirma, nachdem sie sich Zugang zu einem in Janbu gesicherten Bürobereich verschafft hatten. Sie töteten zwei US-Amerikaner, zwei Briten, einen Australier sowie einen saudischen Sicherheitsbeamten und verletzten einen Italiener und einen Kanadier schwer. Danach flüchteten die Attentäter, wobei sie die Leiche eines Opfers als Trophäe hinter ihrem Fahrzeug herzogen und an belebten Orten den Passanten präsentierten. Sicherheitskräfte stoppten die Flucht und töteten die um sich schießenden Attentäter. Am 22. Mai wurde in Riad/Saudi-Arabien ein deutscher StaatsangeErschießung eines höriger auf offener Straße erschossen. Auf einer Internet-Seite des Deutschen in Riad al-Qaida-nahen Magazins Maaskar al-Battar wurde die Ermordung u.a. mit der Rolle Deutschlands in der Allianz gegen den Islam begründet. Ziel dieses und anderer Anschläge sei es, die Angst ausländischer Bewohner in Saudi-Arabien zu steigern. Am 29. Mai stürmten islamische Extremisten das al-Chobar Petroleum Center in Chobar/Saudi-Arabien, in dem sich die Büros großer westlicher Ölfirmen befinden, und töteten insgesamt 22 Menschen. Nach Angaben des Innenministeriums in Riad handelte es sich dabei um acht Inder, drei Filipinos, drei Saudi-Araber, zwei Sri-Lanker, einen US-Amerikaner, einen Briten, einen Italiener, einen Südafrikaner, einen Schweden und einen Ägypter. Anschließend nahmen die Täter zahlreiche noch verbliebene Büroangehörige als Geiseln. Die GeiselGeiselnahme nahme wurde am 30. Mai durch saudische Spezialkräfte beendet, in Chobar nachdem die Extremisten begonnen hatten, die Geiseln zu töten. In der Nacht zum 25. August wurden im Süden Russlands zeitgleich zwei Passagierflugzeuge durch Sprengstoffanschläge zweier tschetschenischer Selbstmordattentäterinnen zum Absturz gebracht. Fast einhundert Personen verloren ihr Leben. Bei den zwei Täterinnen handelte es sich um so genannte "schwarze Witwen", d.h. Frauen, "Schwarze die männliche Angehörige im Tschetschenien-Krieg verloren haben Witwen" und zu Selbstmordattentäterinnen werden. Am Abend des 31. August sprengte sich eine weitere tschetschenische Selbstmordattentäterin nahe der belebten Metro-Station "Rischskaja" im Stadtzentrum Moskaus in die Luft. Die Terroristin hatte nach 168 Ausländerextremismus Erkenntnissen der russischen Sicherheitsbehörden mit den beiden Attentäterinnen zusammengelebt, die am 25. August die Anschläge auf die Passagierflugzeuge verübten. Geiselnahme Am 1. September stürmten tschetschenische Rebellen in Beslan, einer in Beslan Stadt in der südrussischen Teilrepublik Nord-Ossetien, eine Schule und brachten etwa 1.200 Geiseln in ihre Gewalt. Am 3. September beendeten russische Einsatzkräfte das Geiseldrama durch einen Sturmangriff. Die Zahl der Todesopfer beläuft sich nach Angaben der russischen Generalstaatsanwaltschaft auf 330 Personen. Darüber hinaus sollen rund 240 Menschen erhebliche Verletzungen erlitten haben. Am 9. September wurden bei einem Selbstmordattentat vor der australischen Botschaft in der indonesischen Hauptstadt Jakarta neun Menschen getötet und 170 Personen verletzt. Zu dem Anschlag bekannte sich im Internet die mit der al-Qaida verbundene Terrorgruppe Jemaah Islamiya. In der Erklärung wurde die Regierung Australiens aufgefordert, ihre Truppen aus dem Irak abzuziehen. Die Jemaah Islamiya wird auch für die Anschläge in Bali im Jahr 2002 mit mehr als 200 Toten und für den Anschlag auf ein Hotel in Jakarta im August 2003 mit zwölf Toten verantwortlich gemacht. Am 29. September wurde das Stabsgebäude im Camp des von Deutschland geführten regionalen Wiederaufbauteams (PRT) in Kunduz/Afghanistan von Raketen getroffen. Ein deutscher Soldat erlitt schwere, zwei weitere deutsche Soldaten und zwei Soldaten aus der Schweiz leichte Verletzungen. Zu dem Anschlag bekannten sich die Taliban. BombenAm 7. Oktober wurden bei drei Bombenexplosionen in hauptsächlich explosionen in von israelischen Touristen besuchten Hotelanlagen auf der ägypHotelanlagen tischen Halbinsel Sinai mindestens 26 Menschen getötet und mehr als 100 verletzt. Eine bisher unbekannte "Islamische Tauhid Brigade", die nach Angaben israelischer Sicherheitsbehörden Verbindungen zum Terrornetzwerk al-Qaida hat, bekannte sich zu den Anschlägen. Am Morgen des 8. Oktober detonierte vor der indonesischen Botschaft in Paris ein Sprengsatz, durch den neun Menschen leicht verletzt wurden. In einer E-Mail bekannte sich die bisher unbekannte Gruppe "Französisch-Islamische Front" zu dem Anschlag. Die Gruppierung forderte die Freilassung von zwei Islamisten, die seit Mitte der 90er Jahre wegen einer Serie von Bombenanschlägen in Paris Ausländerextremismus 169 lebenslange Freiheitsstrafen verbüßen. Eine weitere Forderung betraf die Unterstützung des EU-Beitritts der Türkei durch die französische Regierung. Zudem sollten Veröffentlichungen verboten werden, die den Islam in Frankreich kritisieren. Die Gruppierung forderte darüber hinaus auch die Aufhebung des Kopftuchverbots an öffentlichen Schulen in Frankreich. Sie gab der Regierung bis 30. Januar 2005 Zeit, die Forderungen zu erfüllen, sonst werde die Organisation "weitere Aktionen, blutiger denn je" starten. Am 13. Oktober wurde auf das Gästehaus der Außenstelle der deutAnschlag auf die schen Botschaft in Herat/Afghanistan ein Sprengstoffanschlag verübt. deutsche Botschaft In dem Gästehaus befinden sich Wohnungen von Beschäftigten der in Herat deutschen Botschaft. Es entstand erheblicher Sachschaden, Personen wurden nicht verletzt. Am 2. November wurde der niederländische Autor und Filmemacher Theo van Gogh in Amsterdam auf offener Straße erschossen. Die Ermordung von Polizei nahm als mutmaßlichen Täter einen 26-jährigen Niederländer Theo van Gogh marokkanischer Abstammung fest, der die Tat wegen angeblich islam-feindlicher Projekte und Äußerungen van Goghs begangen haben soll. In dessen Film "Submission" stehen die Kritik am Islam und Frauenmisshandlungen im Mittelpunkt. Weitere Festgenommene werden einer radikal-islamischen Gruppierung zugerechnet. Die Tat löste in den Niederlanden eine Reihe von Anschlägen sowohl auf christliche Kirchen als auch auf Moscheen aus. Am 6. Dezember stürmten islamistische Terroristen das Konsulat der USA in Jeddah/Saudi-Arabien, töteten fünf Wachen und nahmen Mitarbeiter des Konsulats als Geiseln. Bei einem Polizeieinsatz zur Befreiung der Geiseln starben vier Terroristen; westliche Bedienstete des Konsulats blieben unverletzt. Auf einer islamistischen Internet-Seite bekannte sich die al-Qaida zu dem Anschlag. Auch die terroristischen Angriffe von Palästinensern in Israel sind nicht nur als Separationsbewegung und "Befreiungskampf" zu sehen, sondern wurden von Bin Ladin in den internationalen Kampf zur Islamisierung der Welt einbezogen. Am 29. Oktober sendete der arabischsprachige Fernsehsender al-Djazira eine Videobotschaft von Usama Bin Ladin, welche sich im Zusammenhang mit der Präsidentenwahl an das amerikanische Volk richtete. Bin Ladin begründete darin die Anschläge vom 11. September 2001 u.a. damit, dass sie eine Reaktion auf die seit Jahren andauernde israelisch-amerikanische Allianz gegen Palästina und den Libanon seien. 1982 hätten die USA 170 Ausländerextremismus den Israelis erlaubt, in den Libanon einzumarschieren. Auch die sechste US-amerikanische Flotte sei an diesem militärischen Einsatz beteiligt gewesen. Die im Libanon durch diese Offensive zerstörten "Türme" hätten Bin Ladin auf den Gedanken gebracht, die USA in gleicher Weise zu "bestrafen". 2.3 Terrorismus im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg Auch der Irak-Krieg und die Besetzung des Iraks durch die USA wurden vom internationalen islamistischen Terrorismus aufgegriffen. Die zunächst gegen die Beseitigung des Regimes Saddam Husseins gerichteten Terroranschläge im Irak wurden zunehmend auch mit dem internationalen Kampf gegen die Ungläubigen und zur Verbreitung des Islam gerechtfertigt. So kam es im Irak im Jahr 2004 nach der militärischen Besetzung des Landes zu einer Vielzahl von islamistisch motivierten Anschlägen. Der Jordanier Abu Musab al-Zarqawi, der von Bin Ladin als "oberster Befehlshaber der Organisation al-Qaida im Irak" bezeichnet wurde, bekannte sich zu zahlreichen Terroraktionen. Die genaue Zahl der Opfer ist nicht bekannt, da eine Feststellung der Motivation jedes einzelnen Anschlags im Irak nicht möglich ist. Entführung und Im Jahr 2004 gab es zudem im Irak zahlreiche Entführungen und Ermordung von Ermordungen von Ausländern, wobei Morde gefilmt und anschlieAusländern ßend im Internet veröffentlicht wurden. Die Geiselnehmer forderten zumeist den Rückzug der Truppenkontingente der jeweiligen Länder aus dem Irak. Verantwortlich für diese Verbrechen war häufig die islamistische Terrororganisation al-Tauhid al-Djihad des Jordaniers al-Zarqawi. Daneben agierten u.a. Terrorgruppen wie die Armee von der mit der Ansar al-Islam in Verbindung stehenden Ansar al-Sunna, die für das Massaker an zwölf nepalesischen Geiseln verantwortlich zeichnete, sowie die "Islamische Armee" im Irak. Am 11. Mai wurde auf der Internet-Seite der islamistischen Organisation Muntada al-Ansar, einer der al-Qaida nahestehenden Gruppe, ein Video veröffentlicht, in dem die Enthauptung eines US-Amerikaners zu sehen ist. Bei einem der fünf maskierten Täter soll es sich um den jordanischen Terroristen Abu Musab al-Zarqawi handeln. Dieselbe Gruppe köpfte am 22. Juni einen südkoreanischen Staatsangehörigen, nachdem Südkorea der Forderung nach einem sofortigen Abzug seiner im Irak stationierten Truppen nicht nachgekommen war. Insgesamt sollen über 180 Personen entführt worden sein, von denen mehr als 30 ermordet wurden. Darunter befand sich auch die Leiterin der Hilfsorganisation CARE im Ausländerextremismus 171 Irak. Sie besaß die britische, irische und irakische Staatsbürgerschaft, war mit einem Iraker verheiratet und lebte seit mehr als 30 Jahren im Irak. Mitte August entführten Islamisten zwei - mittlerweile freigelassene - französische Journalisten. Die Geiselnehmer forderten die Aufhebung des Kopftuchverbots an französischen Schulen. 2.4 Erklärungen islamistischer Gruppierungen Die islamistischen Gruppierungen nutzen zunehmend verschiedene Medien, z.B. das Internet, als Mittel zur Selbstdarstellung und weltweiten Verbreitung ihrer Erklärungen und ihrer Propaganda. Am 24. Februar veröffentlichte der arabische Fernsehsender al-Arabija eine Tonbanderklärung, die von Dr. Ayman al-Zawahiri, dem Stellvertreter Bin Ladins, stammen soll. Er verurteilte darin den Entschluss der französischen Regierung, das Tragen des Kopftuchs in den franzöKopftuchverbot sischen Schulen zu verbieten. Diese Entscheidung sei ein klarer Beweis in Frankreich für die antiislamische Haltung und den Hass der Kreuzzügler bzw. der westlichen Welt gegenüber dem Islam und den Muslimen. Am 29. März veröffentlichte das islamistische Magazin "Maaskar al-Batar" des kurzzeitig als al-Qaida Führer in Saudi-Arabien geltenden Abu Hajar Abdelaziz al-Mukrin ein Strategiepapier mit einer Rangfolge für Terrorziele auf der arabischen Halbinsel. Ziele sollen dabei insbesondere die wirtschaftlichen Interessen von "Juden und Kreuzzüglern" in moslemischen Ländern sein. Dieses Papier hatte offensichtlich bereits als Hintergrund für die Anschläge in Janbu und Chobar gedient. Es enthielt jedoch auch die Aufforderung, "die Länder der Ungläubigen zum Schauplatz von Operationen zu machen". Dies verdeutlicht erneut eine Gefährdung auch für Europa. Am 6. Juni nannte die "Organisation al-Qaida auf der arabischen Nennung Halbinsel" in einer Internet-Erklärung ebenfalls konkrete Anschlagskonkreter ziele. Die muslimische Bevölkerung wurde dabei auch vor einer ZuAnschlagsziele sammenarbeit mit "Kreuzzüglern und Polytheisten" gewarnt. Hauptziele seien Wohnkomplexe, Liegenschaften und Transportmittel der "Kreuzzügler", insbesondere aber westliche und US-amerikanische Fluggesellschaften. Diese Erklärung deckt sich damit weitgehend mit dem Strategiepapier al-Mukrins. Der arabische Fernsehsender al-Arabija veröffentlichte am 15. April eine Botschaft von Usama Bin Ladin, die den europäischen Ländern 172 Ausländerextremismus unter bestimmten Bedingungen einen Waffenstillstand anbot. Voraussetzung hierfür sei, dass sich die europäischen Länder künftig jeglicher Einflussnahme auf die muslimischen Staaten enthielten. Die Mitteilung forderte ausdrücklich den Abzug europäischer Truppen aus dem Irak und anderen islamischen Ländern. Die USA wurden von diesem Angebot, welches auf drei Monate befristet war, ausgenommen. Damit versuchte Bin Ladin unter Bezugnahme auf die Anschläge vom 11. März in Madrid vergeblich, die weltweite Allianz zur Bekämpfung des islamistischen Terrors zu spalten und weitere Länder zum Rückzug ihrer Truppen aus dem Irak zu veranlassen. Aussetzung von Am 6. Mai setzte Bin Ladin in einer weiteren Audiobotschaft für die Kopfgeldern durch Ermordung von führenden Vertretern der USA, aber auch der UNO, Bin Ladin z.B. von Kofi Annan, ein hohes Kopfgeld aus. Entsprechend der islamischen Tradition wurde das Kopfgeld dabei in Gold angeboten. Damit reagierte Bin Ladin offensichtlich auf die Auslobung von Kopfgeldern durch amerikanische Stellen gegen Führungspersonen der al-Qaida. Diese Erklärung ist ein erneuter Beleg dafür, dass die Terroranschläge im Irak, die sich gegen US-Truppen und deren irakische Kooperationspartner richten, nicht nur von Anhängern des alten Regimes, sondern auch von islamistischen Terroristen verübt werden. Am 7. Juni wurde auf einer islamistischen Internet-Seite durch die al-Qaida-Zelle in Saudi-Arabien eine Erklärung mit dem Titel "Warnung an die Muslime, sich nicht unter Kreuzfahrer und Christen zu mischen" abgegeben. Darin wurde mit Anschlägen insbesondere gegen westliche Einrichtungen, Firmen und Fluggesellschaften gedroht: "Alles was in besonderer Weise zu diesen Kreuzfahrern gehört, und zwar an Wohnanlagen, Basen, Transportmitteln und ganz besonders westliche und US-amerikanische Fluggesellschaften, ist ein direktes Ziel für Operationen, die mit Gottes Beistand und Erlaubnis kommen werden." Am 23. Juni wurde im Internet eine Audiobotschaft veröffentlicht, die von Abu Musab al-Zarqawi stammen soll. Darin drohte er, den irakiMorddrohung schen Ministerpräsidenten Dr. Ijad Allawi zu töten, und warnte die gegen Dr. Allawi Muslime vor einer Kollaboration mit den USA. Am 18. Juli setzte eine Gruppierung, die sich "al-Walid Brigade" nennt und nach eigenen Angaben zu al-Zarqawis Gruppe al-Tauhid al-Djihad gehört, auf die Tötung des irakischen Ministerpräsidenten Dr. Ijad Allawi ein Kopfgeld in Höhe von 200.000 jordanischen Dinaren (rund 230.000 Euro) aus. Ausländerextremismus 173 Im islamistischen Diskussionsforum Muntada al-Ansar erschien am 6. Juli eine 19-seitige Erklärung der Abu Hafs al-Masri Brigaden. Die Erklärung richtete sich an die Gemeinschaft der Muslime. Die USA seien nach wie vor Hauptfeinde der Muslime. Europa sei ein Teil der amerikanischen Armee und führe damit auch einen Kreuzzug gegen den Islam. In der Auflistung der Feindbilder waren - unabhängig von einer Teilnahme am Irak-Krieg - die USA, die UNO und europäische Regierungen genannt. So wurden u.a. auch Deutschland erwähnt und Äußerungen des Bundesministers des Innern Otto Schily und des Bundesaußenministers Joschka Fischer zitiert. Häufig sprachen islamistische Gruppierungen Drohungen gegen Italien Drohungen gegen aus, die im Internet veröffentlicht wurden. So hieß es in einem SchreiItalien ben der Abu Hafs al-Masri Brigaden vom 17./18. Juli, es werde ein Blutbad wie am 11. September geben, sollte es in Rom zu keinem Regierungswechsel kommen: "Dies ist die letzte Warnung an das italienische Volk. Entweder werdet ihr den inkompetenten Berlusconi los oder wir werden Italien wahrhaft in Brand setzen." Aber auch andere europäische Länder wie z.B. Polen, Ungarn, Bulgarien und die Niederlande wurden in verschiedenen Internet-Veröffentlichungen als potenzielle Anschlagsziele genannt. Am 9. September strahlte der arabische Sender al-Djazira eine Videobotschaft des Stellvertreters von Bin Ladin, Dr. Ayman al-Zawahiri, aus. Die Botschaft erwähnte ausdrücklich die "internationale Friedenstruppe" (ISAF) in Kabul, der auch deutsche Streitkräfte angehöDrohungen gegen ren: Die US-Truppen und die ISAF verschanzten sich in Kabul und die ISAF müssten dort jederzeit mit Märtyreroperationen rechnen. Im Irak hätten die Mudjahidin die Pläne der USA bereits auf den Kopf gestellt. Die Niederlage der USA im Irak und in Afghanistan sei nur noch eine Frage der Zeit. Die USA befänden sich zwischen zwei Feuern, blieben sie in Afghanistan und im Irak, würden sie ausbluten; zögen sie ab, würden sie alles verlieren. In einer weiteren Tonbandbotschaft vom 1. Oktober, die von Dr. Ayman al-Zawahiri stammen soll, hieß es: "Wir sollten nicht warten, bis US-amerikanische, britische, französische, jüdische, südkoreanische, ungarische oder polnische Einheiten in Ägypten, auf der saudiarabischen Halbinsel, in den Jemen oder in Algerien ein- 174 Ausländerextremismus marschieren, bis wir zurückschlagen. (...) Lasst uns den Widerstand sofort beginnen. Die Interessen Amerikas, Großbritanniens, Australiens, Frankreichs, Polens, Norwegens liegen überall. Sie haben sich alle an der Invasion Afghanistans, im Irak und Tschetscheniens beteiligt oder haben Israel das Überleben ermöglicht." Der Sprecher forderte moslemische Jugendliche dazu auf, den Aufständischen im Irak und Afghanistan nachzueifern. Der Widerstand müsse weitergehen, auch wenn al-Qaida-Führer verhaftet oder getötet würden. Am 29. Oktober strahlte der arabische Fernsehsender al-Djazira Videobotschaft erstmals wieder seit über zwei Jahren eine Videobotschaft des von Bin Ladin al-Qaida-Führers Bin Ladin aus. Darin wandte er sich insbesondere an die US-Amerikaner. Er übernahm darin erstmalig öffentlich die Verantwortung für die Anschläge des 11. September 2001. An die US-Bevölkerung gewandt, fügte er hinsichtlich der Präsidentschaftswahlen in den USA hinzu, dass die Sicherheit des US-amerikanischen Volks nicht in den Händen des Präsidentschaftskandidaten Kerry oder des Präsidenten Bush liege, sondern nur in den Händen des US-amerikanischen Volks selbst. Am 27. Dezember veröffentlichte der Fernsehsender al-Djazira ein weiteres Tonband, das ebenfalls von Usama Bin Ladin stammen soll. Darin rief Bin Ladin die Iraker zum Boykott der für den 30. Januar 2005 geplanten Wahlen auf. Des Weiteren benannte er den Jordanier Abu Musab al-Zarqawi als Chef des al-Qaida-Netzwerks im Irak und bezeichnete ihn als "Emir von al-Qaida im Zweistromland". 2.5 Exekutivmaßnahmen und Gerichtsverfahren Freispruch im Hamburger Am 5. Februar sprach das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg im ProTerrorprozess zess um die Unterstützung der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA den angeklagten Abdelghani Mzoudi frei. Ihm waren Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie Beihilfe zum Mord in 3.066 Fällen vorgeworfen worden. Das Gericht sah es als nicht erwiesen an, dass der Marokkaner als Mitglied der Hamburger Terrorzelle an der Vorbereitung der Anschläge beteiligt gewesen war. In der Urteilsbegründung wurde betont, dass die Beweismittel für einen Schuldspruch nicht ausgereicht hätten, das Gericht jedoch von seiner Unschuld nicht überzeugt sei. Im Zweifel sei aber für den Angeklagten zu entscheiden. Die Haft war bereits im Dezember 2003 Ausländerextremismus 175 aufgehoben worden, nachdem US-Dienststellen eine Aussage des in US-Haft befindlichen Ramsi Binalshibh übermittelt hatten, wonach dieser weder Mzoudi noch al-Motassadeq als Mitglieder der Hamburger Zelle um Mohammed Atta benannt habe. Der Generalbundesanwalt legte Revision gegen das Urteil ein, über die noch nicht entschieden ist. Der Bundesgerichtshof hob am 4. März das Urteil gegen den terrorUrteilsaufhebung verdächtigen Mounir al-Motassadeq wegen Fehlern in der Beweisim Hamburger würdigung auf. Damit gab der Bundesgerichtshof dem RevisionsTerrorprozess antrag des Marokkaners statt und wies das weltweit erste Strafverfahren im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA an das Oberlandesgericht Hamburg zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Am 19. Februar 2003 war der Marokkaner zunächst zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass al-Motassadeq von Anfang an Mitglied der islamistischen Zelle in Hamburg gewesen war, die im Sinn von al-Qaida die Terroranschläge in New York und Washington geplant und ausgeführt hat. Die Neuverhandlung vor dem Oberlandesgericht Hamburg begann am 10. August und dauert noch an. Die Hamburger Ausländerbehörden haben inzwischen gegen Mzoudi und al-Motassadeq Ausweisungsverfügungen wegen Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erlassen. Eine Abschiebung kann Geplante allerdings erst erfolgen, wenn die Verfahren abgeschlossen sind. Abschiebungen Am 10. Februar eröffnete das Oberlandesgericht Düsseldorf die Hauptverhandlung gegen vier mutmaßliche Mitglieder der sunnitisch-extremistischen Terrorgruppe al-Tauhid. Kern des Verfahrens ist der VorAl-Tauhidwurf, dass die Gruppierung Anschläge gegen jüdische Einrichtungen Verfahren in Deutschland vorbereitet habe. Hierzu bestanden auch Verbindungen zu dem jordanischen al-Qaida-Terroristen al-Zarqawi. Drei Angeklagten wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, versuchte Anstiftung zum Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und bandenmäßige Begehung von Urkundendelikten vorgeworfen. Einem weiteren Angeklagten werden Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Verstoß gegen das Waffengesetz zur Last gelegt. Trotz laufenden Verfahrens wurde einer der Beschuldigten bereits am 21. August nach Jordanien abgeschoben. Er befand sich 176 Ausländerextremismus bereits seit dem 7. Mai in Abschiebehaft. In einem abgetrennten Verfahren hatte das Gericht am 26. November 2003 bereits den Jordanier Shadi Abdallah wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Abdallah tritt nunmehr als Kronzeuge auf. Das Landgericht Berlin eröffnete am 4. Mai das Verfahren gegen einen Tunesier wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung und anderer Straftaten. Der 33-jährige AngeAl-Qaida klagte soll im Auftrag des Terrornetzwerks al-Qaida im Januar 2003 über Südafrika und Belgien mit einem gefälschten Ausweis illegal nach Berlin eingereist sein, um dort moslemische Studenten für terroristische Sprengstoffanschläge auf jüdische und US-amerikanische Ziele in Deutschland zu rekrutieren. Nach den Vorstellungen des Angeklagten sollten anlässlich einer Demonstration zu Beginn des Irak-Kriegs mehrere Sprengsätze an derzeit noch nicht bekannten Orten gezündet werden. Anfang März 2003 beschaffte sich der Angeklagte chemische Substanzen zur Herstellung von Sprengmitteln. Darüber hinaus erwarb er Mobiltelefone und Armbanduhren, die für die Zündung der Sprengsätze manipuliert werden sollten. Der Angeklagte war im Juli 2001 nach Afghanistan gereist, um sich in einem Lager der al-Qaida für den Djihad ausbilden zu lassen. Dort soll er auch sowohl ideologisch als auch militärisch geschult worden sein, die Herstellung und den Gebrauch von Sprengstoff erlernt sowie den Auftrag erhalten haben, in Deutschland Sprengstoffanschläge zu verüben. Der Generalbundesanwalt übernahm am 24. Mai die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München gegen einen 30-jährigen Iraker. Ihm werden die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland und das gewerbsmäßige Einschleusen von Ausländern nach Deutschland vorgeworfen. Der Beschuldigte steht im Verdacht, die Ansar al-Islam ausländische terroristische Vereinigung Ansar al-Islam seit Ende 2002 von München aus logistisch und finanziell unterstützt zu haben. Er soll Spendengelder gesammelt und gewerbsmäßige Einschleusungen von Irakern nach Deutschland ermöglicht haben. Ihm wird weiterhin vorgeworfen, die Einreise von Djihad-Kämpfern in den Irak organisiert zu haben. Der Iraker war am 2. Dezember 2003 in München festgenommen worden. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz trug durch intensive Beobachtung der Gruppierung Ansar al-Islam zum Festnahmeerfolg erheblich bei. Der Generalbundesanwalt hat das Bayerische Landeskriminalamt mit der Fortführung der Ermittlungen beauftragt. Ausländerextremismus 177 Das Verwaltungsgericht Regensburg wies am 30. November die Klage des tunesischen Staatsangehörigen Mouldi Chaabane gegen die AbMouldi Chaabane erkennung des Status als Asylberechtigter ab. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hatte mit Bescheid vom 15. April seine Asylberechtigung widerrufen. Begründet wurde der Bescheid mit den Kontakten von Chaabane zum Netzwerk des islamistischen Terrorismus. Im Verlauf des Prozesses konnten Chaabane Kontakte nach Spanien, Italien und Großbritannien bzw. zur tunesischen islamistischen Organisation En Nahda und der islamistisch-fundamentalistischen Gruppierung al-Tauhid nachgewiesen werden. Seine Kontaktpersonen gehören zum Umfeld von Usama Bin Ladin. Chaabane bestritt die Vorwürfe und begründete die Kontakte mit religiösen, freundschaftlichen oder geschäftlichen Interessen. Die nachgewiesenen Kontakte mit den islamistisch-fundamentalistischen Gruppierungen begründen jedoch auch nach Meinung des Verwaltungsgerichts Regensburg die Annahme, dass der Kläger zumindest ein Kontaktmann zwischen verschiedenen terroristischen Zellen und Gruppierungen ist. Zusätzlich leitete der Generalbundesanwalt am 16. November ein Ermittlungsverfahren gegen Chaabane wegen Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung im Ausland ein. Die Polizei nahm am 3. Dezember bei einer Durchsuchungsaktion in Berlin, Stuttgart und Augsburg drei Personen vorläufig fest, gegen die der Generalbundesanwalt am 4. Dezember Haftbefehle erließ. Die drei irakischen Staatsangehörigen sind dringend verdächtig, als Mitglieder der ausländischen terroristischen Vereinigung Ansar al-Islam von Deutschland aus für die Organisation tätig geworden zu sein und insbesondere einen Anschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten Geplanter Anschlag Dr. Ijad Allawi bei seinem Deutschland-Besuch in Berlin vorbereitet zu auf Dr. Allawi haben. Der in Berlin verhaftete 30-jährige Iraker hatte die Besuchsstationen von Dr. Allawi in Berlin erkundet und war auch in der Nähe des Kanzleramts von der Polizei beobachtet worden. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg war durch eine Telefonüberwachung auf die Anschlagsplanung aufmerksam geworden. Am 12. Oktober wurde der als "Kalif von Köln" bekannt gewordene Islamistenführer und frühere Vorsitzende des "Kalifatsstaats" Metin Kaplan festgenommen und noch am selben Tag aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei abgeschoben. Das VerwaltungsAbschiebung des gericht Köln hatte Kaplans Antrag auf Abschiebeschutz mit Beschluss "Kalifen von Köln" vom 5. Oktober abgelehnt. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte Anfang Dezember die Abschiebung für rechtens. Damit wies das 178 Ausländerextremismus Gericht eine Klage Kaplans ab und bestätigte ein dementsprechendes Urteil des Oberwaltungsgerichts in Münster. Kaplan befindet sich zurzeit in türkischer Haft und muss sich seit 20. Dezember wegen Hochverrats vor Gericht verantworten. 2.6 Ausblick Nutzung Der islamistische Terror nutzt verstärkt moderne westliche Verbreiwestlicher Vertungsmedien. So findet man im Internet vermehrt Aufrufe zur Gewalt breitungsmedien - auch gegen europäische Staaten - sowie Anleitungen sowohl zur Herstellung und Verwendung von Sprengstoffen als auch zum Umgang mit Waffen. Trotz der Erfolge der Sicherheitsbehörden konnten die Terrornetzwerke nicht aktionsunfähig gemacht werden. Die Maßnahmen gegen den islamistischen Terror führten vielmehr zum Aufbau neuer Strukturen der islamistischen Netzwerke. So besteht die besondere Gefährlichkeit al-Qaidas nicht mehr allein in der Fähigkeit zur Planung und Koordinierung von Anschlägen in der ganzen Welt, sondern auch in ihrer Eigenschaft als Inbegriff des "globalisierten Djihad" für kampfbereite Islamisten. Diese Ideologie des "Djihadismus" wird künftig wohl auch von lokalen Gruppierungen als Rechtfertigung für autonom geplante Terrorakte herangezogen werden. Mit dem Anschlag in Madrid am 11. März hat der islamistische Terror Europa endgültig erreicht. Darüber hinaus zeigen die Festnahmen vom 3. Dezember, dass auch in Deutschland grundsätzlich mit Anschlägen gerechnet werden muss. Die Netzwerke islamistischer TerrorAnhaltende gruppen, insbesondere al-Qaida, bedrohen weiterhin massiv die Innere Bedrohung Sicherheit der westlichen Staaten. Das konspirative Verhalten der mutmaßlichen Anhänger der islamistischen Netzwerke und ihre nicht unerheblichen Aktivitäten müssen intensiv beobachtet werden. Konkrete Hinweise auf geplante Anschläge in Deutschland sind jedoch derzeit nicht vorhanden. 3. Islamisch-fundamentalistische Gruppierungen * 3.1 Die internationale islamische Front - Al-Qaida Internationales Das Netzwerk arabischer Mudjahidin besteht aus unabhängig vonNetzwerk einander operierenden Organisationen und Zellen, in denen bei gemeinsamer Zielrichtung unterschiedliche Organisationsformen und Vorgehensweisen festzustellen sind. Seine Akteure handeln mit islamis- Ausländerextremismus 179 tischem Sendungsbewusstsein und nutzen ihre vielfach in Afghanistan gesammelten Erfahrungen. Zwischen diesen Organisationen kann es auch sich überschneidende Abhängigkeitsund Weisungsstränge geben. Eine besondere Führungsrolle innerhalb dieses Netzwerks unabhängiger Organisationen nimmt die Organisation al-Qaida ein. Das nachfolgende Schaubild versucht, dieses Netzwerk darzustellen. Netzwerkstruktur internationaler Terrorgruppen Internationale islamische Front des Usama Bin Ladin AL-QAIDA als ideologische Basis sog. non-alignedmit den national bzw. Mudjahidin Gründungsorganisationen: regional ausgerich- - Djihad Islami (Ägypten) tete Gruppen unabhängige oder lose - Al-Gamaa al-Islamiya (Ägypten) vernetzte Attentäter- - Harakat ul-Ansar (Kaschmir) z.B. Zellen - Jihad Islami (Bangladesch) Abu Sayaff z.B. Jemaah Islamiya tschetschenische Al-Tauhid Terroranschläge Mudjahidin Varese-Gruppe Ansar al-Islam "Madrid-Attentäter" Anschläge: Anschlag: USS Cole / Jemen Nairobi und 12.10.2000 Daressalam 07.08.1998 Anschläge: ... USA ... 11.09.2001 Anschlag: Anschlag: Casablanca / Marokko Istanbul / Türkei 12.05.2003 15.11.2003 Zahlreiche Afghanistan-Kämpfer sind mit dem erworbenen Wissen und ihrer Kampferfahrung in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Die Zahl dieser in afghanischen Trainingslagern ausgebildeten Rückkehrer wird weltweit auf 10.000 geschätzt. In ihren jeweiligen Heimatoder Zufluchtsländern haben sie sich teilweise lokalen islamistischen GrupLokale Terrorpen angeschlossen. Sie genießen hohes Ansehen und können dort als guppen Multiplikatoren fungieren. Diese lokalen terroristischen Gruppierungen (dargestellt im rechten Bereich des vorstehenden Schaubilds) * Die nachfolgende Darstellung der islamistischen Organisationen bemüht sich um Vollständigkeit, in der Absicht, die Öffentlichkeit über die wesentlichen Ideologien und Zielsetzungen der auch in den Medien häufig genannten Organisationen zu informieren. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Strukturen und den zum Teil nur geringen Bezug der einzelnen Organisationen zu Deutschland mussten dabei Abstriche bei der Vollständigkeit der Informationen (z.B. Mitgliederzahlen) und bei der Einheitlichkeit der Darstellung gemacht werden. 180 Ausländerextremismus streben in ihren jeweiligen Heimatländern durch bewaffneten Kampf die Beseitigung der dortigen, aus Sicht der Täter westlich-dekadenten Gesellschaftsordnung und die Errichtung eines islamistischen Gottesstaats an. Kampfplätze, auf denen Mudjahidin ihr Kriegswissen erproben können, sind hauptsächlich der Irak, Tschetschenien, Kaschmir und nach wie vor Afghanistan. Der Palästina-Konflikt mit seiner großen medialen Präsenz dient hauptsächlich der Agitation und Mobilisierung. Verhaftung zahlDie Verhaftung zahlreicher Mitglieder aus der alten Führungsriege reicher Mitglieder und die Zerschlagung der afghanischen Zentrale führten zu einer vorübergehenden Schwächung des Kerns der al-Qaida. Das flexible Netzwerk konnte dadurch allerdings nicht besiegt werden. Der im Irak agierende Jordanier Abu Musab al-Zarqawi und seine Terrorgruppe al-Tauhid al-Djihad bekannte sich im Oktober im Internet zu Usama Bin Ladin und schwor ihm und dem al-Qaida-Netzwerk treue Gefolgschaft. Ende Dezember erklärte Bin Ladin über den Fernsehsender al-Djazira al-Zarqawi zum Chef des al-Qaida-Netzwerks im Irak und bezeichnete ihn als "Emir von al-Qaida im Zweistromland". Djihad-Ideologie Die Ideologie von al-Qaida ist vom neo-salafitischen "Djihadismus" geprägt. Ihr Weltbild teilt die Menschheit in Muslime und Ungläubige. Pflicht der Muslime sei es, die Ungläubigen, so sie sich ihnen nicht anschließen, im bewaffneten Kampf zu besiegen. Zu den Ungläubigen zählen insbesondere Christen und Juden. Auch die Regierungen zahlreicher islamischer Staaten sind wegen ihrer Weigerung, die USA und Israel zu bekämpfen und eine "muslimische" Ordnung einzuführen, in den Augen von al-Qaida bloße Marionetten der USA. Ziel ist die Errichtung eines "islamischen Staates". Über das System und die Organisation eines solchen Staates herrschen selten konkrete Vorstellungen und erst recht keine Einigkeit. Feindbild ist der "dekadente Westen". Anschlagsziele sind dabei auch Staaten, die mit dem Westen kooperieren (vor allem Saudi-Arabien, Kuwait) oder Staaten, die als zu westlich gelten (Türkei). Al-Qaida als Die Ideologie ist häufig das einzige Bindeglied weltweit autark ope"ideologische" rierender Gruppierungen und Zellen. Al-Qaida ist deren "ideoloBasis gische" Basis. Dieser Umstand erleichtert auch personelle Verflechtungen. Attentäter-Zellen im Sinn al-Qaidas bedürfen größtenteils nicht des zentralen Kommandos und bekommen den "Segen" für die Ausländerextremismus 181 Anschläge im Nachhinein (etwa über arabische Sender verkündete Audiooder Video-Botschaften). Die Legitimation für ihre Aktivitäten liefern islamistische Ideologen, häufig selbst ernannte Prediger. Diese üben auch nach ihrem Tod oder aus dem Untergrund (Usama Bin Ladin) Anziehungskraft aus; ihren Botschaften haftet weiterhin ihre personelle Autorität an. Es wird in sehr langen Zeiträumen gedacht und geplant. Anschläge Anschlagskönnen bereits Jahre im Voraus geplant werden. Die Ermittlungen im planungen Zusammenhang mit der Gruppierung al-Tauhid (vgl. auch Nummer 3.6 dieses Abschnitts) oder der Ansar al-Islam (vgl. auch Nummer 3.4 dieses Abschnitts) zeigten, dass in Deutschland terroristische Gruppen operieren, die Anschläge gegen Einrichtungen in Deutschland planen. Für die Zukunft sind Anschläge weltweit und auch in Deutschland nicht auszuschließen. 3.2 Muslimbruderschaft (MB) Deutschland Bayern Mitglieder: 1.250 200 Gründung: 1928 in Ägypten Publikation: Risalat ul-Ikhwan (MB) Die von Hassan al-Banna in Ismailija/Ägypten gegründete sunniSunnitisch-extretisch-extremistische MB ist eine multinationale Organisation, bei der mistische Ideologie eine Unterteilung in nationale Sektionen erkennbar ist. Ziel der MB ist u.a. die Errichtung islamistischer "Gottesstaaten". Die Ideologie der MB ist in der gesamten muslimischen Welt verbreitet und hat zur Herausbildung zahlreicher militanter islamistischer Organisationen geführt (vgl. auch das Schaubild auf Seite 182 des Berichts). In ihrem Ursprungsland Ägypten ist die MB verboten; sie wird jedoch inzwischen geduldet. Insbesondere in Wohlfahrtsorganisationen verfügt sie über großen Einfluss. Anfang 2004 trat Mohamed Mahdi Akef die Nachfolge des verstorbenen Führers des ägyptischen Zweigs der MB, Ma'moun al-Hudeibi, an. Akef hatte Mitte der 80er Jahre als Direktor das der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD) zugehörige Islamische Zentrum München (IZM) geleitet. Er war in seiner Jugend mit dem MB-Grün- 182 Ausländerextremismus Regionale Strömungen der Muslimbruderschaft Algerien Syrien Ägypten Palästina Tunesien Islamische Islamische Al-Gamaa HAMAS En Nahda Heilsfront (FIS) Avantgarden / al-Islamiya (GI) Islamisches Bewaffnete Zentrum (IZ) Djihad Islami (JI) Islamische in Aachen Islamischer Bund Gruppe (GIA) Palästina (IBP) Föderation der Al-Aqsa e.V. Salafiyya-Gruppe Islamischen (GSPC) Organisation in Europa (FIOE) Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) Ausländische Organisationen mit Einzelmitgliedern in Deutschland Organisationen mit Sitz in Deutschland / Europa der Hassan al-Banna befreundet. Später wurde er wegen eines gegen den ägyptischen Präsidenten geplanten Anschlags zum Tode verurteilt und schließlich nach 20 Jahren Gefängnis begnadigt. Schon von Deutschland aus baute er seinen Einfluss auf den internationalen Zweig der MB aus. In seiner Person zeigt sich die personelle und ideologische Kontinuität der MB. In einem Interview mit der französischen Zeitschrift "Le Figaro" vom 24. März äußerte Akef: "Die USA haben aufgrund ihrer Intervention im Irak Hass geerntet. (...) Wir haben auch Demonstrationen gegen den zionistischen Feind organisiert, der Palästina besetzt." Darüber hinaus sprach er denjenigen sein Lob aus, "die ihre Operationen bis in die Herzen zionistischer Städte" tragen. Damit bekennt Akzeptanz von sich die MB unmissverständlich zu Selbstmordattentaten gegen israGewalt elische Zivilisten. Nach Auskunft Akefs ist die MB besonders stolz auf ihre "Verwandtschaft" mit der palästinensischen Befreiungsbewegung HAMAS des inzwischen getöteten Scheichs Yassin. Auch der Tunesier Rachid Ghannouchi (En Nahda-Führer), der Algerier Abassi Madani (FIS-Vorsitzender) und der Türke Prof. Necmettin Erbakan (SP-Vorsitzender) seien immer als Brüder angesehen worden. Diese Aussage Akefs ist Ausländerextremismus 183 deshalb bemerkenswert, weil sie nicht nur die Nähe zu den anderen Zweigen der MB in Tunesien und Algerien betont, sondern auch eine ideologische Verbindung zu dem SP-Vorsitzenden Prof. Erbakan, dem geistigen Führer der IGMG, erkennen lässt. Offiziell haben sich die meisten Zweige der MB von der Gewalt abgewandt. Aber nicht nur die Äußerung Mahdi Akefs, sondern auch die Selbstmordattentate der palästinensischen Emblem Sektion Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) zeigen, dass in der der MB MB Gewalt weiterhin als legitimes politisches Mittel betrachtet wird. Die MB tritt in Deutschland nicht offen in Erscheinung. Personell ist sie mit der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) verflochten, die als deutsche Zentrale des ägyptischen Zweigs der MB gilt. Anhänger des syrischen Zweigs der MB gründeten Anfang der 80er Jahre die "Islamischen Avantgarden" mit organisatorischem Schwerpunkt im "Islamischen Zentrum" in Aachen. 3.2.1 Ägyptischer Zweig der MB 3.2.1.1 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) Deutschland Bayern Mitglieder: 600 120 Gründung: 1960 in Deutschland Sitz: München München, Nürnberg Präsident: Ibrahim Farouk el-Zayat Publikation: Al Islam Der IGD, die als deutsche Zentrale des ägyptischen Zweigs der MB Einfluss der MB gilt, sind mehrere Islamische Zentren in Deutschland nachgeordnet. auf die IGD Sie hat ihren Sitz im Islamischen Zentrum München und ist Mitglied in der 1989 gegründeten "Föderation der Islamischen Organisation in Europa" (FIOE). Die FIOE wurde im Rahmen einer Resolution begründet, die anlässlich einer Generalversammlung von Repräsentanten der wichtigsten Islamischen Zentren, Gesellschaften und Vereinigungen in Europa verabschiedet wurde. Die IGD setzte ihre Bemühungen um eine Verselbständigung der ihr nachgeordneten Islamischen Zentren fort. Damit versucht sie, Vereins- 184 Ausländerextremismus strukturen zu schaffen, deren Kontrolle durch die erhöhte Anzahl von örtlich zuständigen Behörden erschwert wird. Ferner bestünde dann für die der IGD bisher nachgeordneten Zentren die Möglichkeit, selbständig die Gemeinnützigkeit zu beantragen, welche die IGD 1999 verloren hat. Darüber hinaus verfolgt die IGD das Ziel, nicht mehr als Ausländerverein eingestuft zu werden, und versucht dies mit der unzutreffenden Behauptung zu begründen, dass die Mehrheit der IGD-Mitglieder bereits eingebürgert sei. Weiteres Ziel der IGD ist die Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Das Verwaltungsgericht München hat hierzu in einem Rechtsstreit der IGD mit der Logo der IGD Landeshauptstadt München am 19. Oktober in einer Eilentscheidung bestätigt, dass es sich bei der IGD um einen Ausländerverein, nicht aber um eine Religionsgemeinschaft handelt. Gegen diesen Beschluss hat die IGD Rechtsmittel eingelegt. Einrichtung eines Um die langfristigen Ziele besser durchsetzen zu können, wurde unter "Imam-Rats" Beteiligung der IGD ein "Imam-Rat" in Deutschland eingerichtet. Dieser unterhält Kontakte zu dem der MB nahe stehenden "Europäischen Fatwa-Rat" mit Sitz in Dublin. Dessen Vorsitzender Yusuf al-Qaradawi ist als der MB nahe stehend bekannt. Er äußerte sich kürzlich mit einer Fatwa (= religiöses Rechtsgutachten) zum Tschetschenienkonflikt, wonach der Kampf der tschetschenischen Brüder eine der besten Formen des Djihad im Namen Allahs sei. Aufgabe des deutschen "Imam-Rats" ist es, die Vereinbarkeit der deutschen Rechtsordnung mit Koran und Sunna zu prüfen und dementsprechende Fatwas zu erlassen. Die Anhänger der IGD sind bemüht, sich in der Öffentlichkeit als eine gegenüber der deutschen Rechtsordnung loyale muslimische Interessenvertretung darzustellen. Vorbehalte gegenüber den westlichen Demokratien, auch gegenüber der Staatsund Gesellschaftsordnung in Deutschland, kommen in öffentlichen Verlautbarungen nur selten zum Ausdruck. Verbindungen der Seit dem 14. Februar 2002 ist Ibrahim Farouk el-Zayat Präsident der IGD zur IGMG IGD. Der deutsche Staatsangehörige el-Zayat, dessen Vater aus Ägypten stammt, ist mit der Schwester des ehemaligen IGMG-Vorsitzenden Mehmet Sabri Erbakan verheiratet. Neben seinem Amt als IGD-Vorsitzender übt el-Zayat zahlreiche Funktionen in weiteren islamischen Organisationen aus, die zum Teil dem Einflussbereich der Ausländerextremismus 185 IGMG zugeordnet werden. Über el-Zayat kann die IGMG daher Einfluss auf das Spektrum organisierter arabischer Muslime ausüben. Viele Mitglieder und Funktionäre der IGD und der Islamischen Zentren stehen der MB und deren Zielsetzung nahe. Deshalb waren aus den Islamischen Zentren wie in den Vorjahren Verlautbarungen und Aufrufe zu vernehmen, die mit der offiziellen gemäßigten Linie der IGD nicht übereinstimmten, sondern die Nähe zur MB verdeutlichten. In der Zeitschrift "islam-online.net" vom 19. März wird der Präsident der IGD, el-Zayat, als Vertreter der MB in Deutschland bezeichnet. Dies bestätigt die enge Beziehung zwischen MB und IGD. 3.2.1.2 Al-Gamaa al-Islamiya (GI) Gründung: 1971 in Ägypten Leitung: Shura (Konsultativrat), bestehend aus 8 bis 10 Personen, die meisten davon außerhalb Ägyptens Organisation und Mitglieder: in Deutschland nur einzelne Mitglieder; keine organisatorischen Strukturen Die 1971 als muslimische Studentenorganisation gegründete al-Gamaa al-Islamiya (GI) entwickelte sich aus Protest gegen die Friedenspolitik des ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat gegenüber dem Staat Israel zu einer terroristischen Gruppierung. Spiritueller Führer der Organisation ist der als Drahtzieher des Anschlags auf das Welthandelszentrum 1993 in New York zu lebenslanger Haft verurteilte blinde Scheich Abd ar Rahman. In den 90er Jahren trat die GI durch eine Terroranschläge in Reihe von Anschlägen auf Touristen in Erscheinung. Ein Anschlag in den 90er Jahren Luxor/Ägypten im November 1997 forderte 92 Todesopfer. Im Jahr 1999 riefen inhaftierte GI-Funktionäre einen einseitigen "Waffenstillstand" aus, den Abd ar Rahman im Juni 2000 kündigte. Anschläge der GI blieben bislang aus. Zur Zeit planen die in Ägypten verbliebenen Mitglieder wie Rifa'at Zaydan die Gründung einer politischen Partei unter Führung des Journalisten Jamal Sultan. In Deutschland ist die Organisation nur durch Einzelmitglieder vertreten. 186 Ausländerextremismus 3.2.1.3 Djihad Islami (JI) Gründung: Ende der 70er Jahre in Ägypten Leitung: Shura (Konsultativrat), bestehend aus 8 bis 10 Personen, die meisten davon außerhalb Ägyptens Organisation und Mitglieder: in Deutschland nur einzelne Mitglieder Der Djihad Islami (JI) wurde Ende der 70er Jahre von ehemaligen MB-Mitgliedern gegründet, die den bewaffneten Kampf gegen das "ungläubige ägyptische Regime" einleiten wollten. Die Organisation agierte viele Jahre unter dem Dach der al-Gamaa al-Islamiya (GI). Der JI wird wie der GI eine Beteiligung an der Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat zur Last gelegt. Infolge der Anti-Terror-Maßnahmen Ägyptens wurde der JI in den 80er Jahren weitgehend zerschlagen. Der Wiederaufbau wurde von dem ägyptischen Arzt Ayman al-Zawahiri organisiert. Er unterhielt in Peschawar/Pakistan ein Rekrutierungsbüro für arabische Afghanistan-Kämpfer und förderte gleichzeitig die Wiederbelebung des JI in Ägypten. Im Jahr 1998 schloss sich der JI gemeinsam mit anderen Organisationen der Verbindungen zur internationalen islamischen Front des Usama Bin Ladin an. Al-Zawahiri al-Qaida ist Stellvertreter Bin Ladins. Der Zusammenschluss mit al-Qaida ist bis heute unter den in Ägypten inhaftierten Führern der JI umstritten. 3.2.2 Palästinensischer Zweig der MB - Repräsentanten der Islamischen Widerstandsbewegung (HAMAS) in Deutschland Islamischer Bund Palästina (IBP) - Al-Aqsa e.V. Deutschland Bayern Mitglieder IBP: 250 Einzelpersonen Al-Aqsa e.V. ist in Deutschland seit 5. August 2002 verboten. Das Verbot wurde am 3. Dezember 2004 mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt. Der 1981 von in Deutschland lebenden Mitgliedern der Muslimbruderschaft (MB) gegründete Islamische Bund Palästina (IBP) vertritt seit Beginn der ersten Intifada 1987 die Positionen der Islamischen Ausländerextremismus 187 Widerstandsbewegung (HAMAS) in Deutschland. Ziel der HAMAS ist die Zerstörung Israels und die Errichtung eines islamistisch geprägten Staates auf dem gesamten Gebiet Palästinas auch durch bewaffneten Kampf. Die HAMAS lehnt den israelisch-palästinensischen Friedensprozess ab und ist für eine Vielzahl terroristischer Aktionen, u.a. zahlreiche Selbstmordattentate, verantwortlich. Wegen dieser Attentate entschied die Europäische Union im SeptemAufnahme in die ber 2003, die militante palästinensische HAMAS-Bewegung vollstänEU-Terrorliste dig, d.h. auch den politischen Flügel, in die Liste terroristischer Organisationen aufzunehmen. Unter dem Deckmantel der Humanität unterstützte der in Aachen ansässige Ausländerverein al-Aqsa e.V. die gewalttätige HAMAS-Organisation durch Spendensammlungen. Über Hilfseinrichtungen der HAMAS wurden diese Spendengelder auch an Familienangehörige von Selbstmordattentätern weitergeleitet, wodurch al-Aqsa e.V. zur Gewalt im Palästina-Konflikt beitrug. Das Bundesministerium des Innern hat den Ausländerverein al-Aqsa e.V. deshalb am 5. August 2002 verboten. Nachdem der Verein beim Bundesverwaltungsgericht Klage gegen das Verbot erhoben hatte und es ihm zunächst gelungen war, durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage die Vereinsgeschäfte unter Auflagen fortzuführen, wurde das VereinsBestätigung des verbot am 3. Dezember vom Bundesverwaltungsgericht endgültig Verbots des bestätigt. al-Aqsa e.V. In Bayern ist die HAMAS nur durch Einzelpersonen auffällig geworden. Eine Niederlassung des al-Aqsa-Vereins wurde nicht festgestellt. Am 22. März hat die israelische Armee in Gaza-Stadt den Gründer der HAMAS, Scheich Ahmed Yassin, mit einem Raketenangriff getötet. Als Reaktion auf den Tod von Yassin fanden im Bundesgebiet mehrere spontane Kundgebungen mit geringer Teilnehmerzahl statt, die friedlich und störungsfrei verliefen. Bei den in Bayern lebenden Palästinensern löste der Angriff auf Yassin Wut und Unverständnis aus; aggressive Reaktionen blieben jedoch aus. Auch der gezielte tödliche Angriff der israelischen Armee auf dessen Nachfolger Abd al-Aziz Rantissi am 17. April und der Tod des Palästinenserführers Arafat am 5. November lösten in Bayern keine nennenswerten Reaktionen aus. 188 Ausländerextremismus 3.2.3 Algerischer Zweig der MB 3.2.3.1 Islamische Heilsfront (FIS) Deutschland Bayern Mitglieder: 300 45 Gründung: 1989 in Algerien Publikation: al-Ribat (Das Band) Die FIS ist der algerische Zweig der international tätigen Muslimbruderschaft (MB). Aufgrund des wirtschaftlichen und sozialen Niedergangs und des Ansehensverlusts der algerischen Regierung gewann die FIS im Dezember 1991 die Parlamentswahlen in Algerien. Als sie anschließend 1992 verboten wurde, gingen zahlreiche FIS-Funktionäre ins Ausland. Bis zum Sommer 2002 führte der in Deutschland lebende Rabah Kebir die "Exekutivinstanz der FIS im Ausland". Am 4. August 2002 veranstaltete die Organisation erstmals seit zehn Jahren einen Kongress. Bei dieser Veranstaltung wurde Kebir, der dem Treffen ferngeblieben war, von dem in Genf ansässigen Physiker Dr. Mourad Interne Dhina entmachtet. Dem abgewählten Vorsitzenden wurde seine eigenDifferenzen mächtige Dialogbereitschaft gegenüber der algerischen Regierung zur Last gelegt. Dr. Dhina, der zum radikalen Flügel gerechnet werden muss, lehnt den vom bewaffneten Arm der FIS mit der algerischen Regierung vereinbarten Waffenstillstand ab. Die FIS in Deutschland ist hinsichtlich dieser Frage gespalten. Beide Flügel führten Versöhnungsgespräche durch, um zu einer gemeinsamen Linie zu gelangen und die Position der FIS-Mitglieder aus Deutschland im Gesamtverband zu stärken. Im Juni 2003 endete eine gegen den inneralgerischen FIS-Vorsitzenden Abassi Madani und seinen Stellvertreter Ali Benhadj verhängte Haftentlassung zwölfjährige Haftstrafe. Die Freilassung war allerdings an eine Reihe zweier FIS-Führer von Bedingungen geknüpft. So dürfen sie in Zukunft weder Versammlungen abhalten noch sich in einer Partei engagieren oder an Wahlen und Demonstrationen teilnehmen. Es ist derzeit nicht abzusehen, welche Auswirkungen die Haftentlassung der beiden FIS-Führer auf die islamistische Bewegung in Algerien haben wird. Unklar ist auch, in welcher Weise sie die weiteren Entwicklungen innerhalb der Auslands-FIS beeinflussen wird. Die FIS fordert nach wie vor die Anerkennung der Parlamentswahlen von 1991. Ihr Ziel bleibt die Errichtung eines islamischen Staates in Ausländerextremismus 189 Algerien. Eine im Januar 2004 von Madani initiierte Friedensinitiative stieß sowohl bei der algerischen Regierung als auch innerhalb der FIS auf heftigen Widerstand. 3.2.3.2 Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA) / Salafiyya-Gruppe für die Mission und den Kampf (GSPC) Deutschland Bayern Mitglieder: 50 einzelne Anhänger Gründung: 1992 Abspaltergruppe: Salafiyya-Gruppe für die Mission und den Kampf (GSPC), gegründet 1997 in Algerien Publikationen: Al-Jamaa (Die Gruppe); Al-Quital (Die Schlacht) Im April 1992 spalteten sich aus dem Bereich der FIS militante Gruppen ab, um den bewaffneten Kampf gegen die algerische Regierung aufzunehmen. Als historischer Führer gilt Abdelhak Layada, der 1993 in Marokko verhaftet wurde. Die GIA spezialisierte sich auf terroristische Aktionen, die sich auch gegen Ausländer richteten, und begann 1993 mit Angriffen auf die Zivilbevölkerung. Ab 1996 übernahm der in Afghanistan militärisch ausgebildete Antar Zouabri die GIA-Führung. Unter seiner Leitung nahmen die Terroraktionen Bürgerkriegsdimensionen an. Bis 1997 starben über 100.000 Menschen. Viele GIA-Kämpfer sind frühere Afghanistan-Kämpfer. Im Februar 2002 wurde Zouabri in der Nähe von Algier von Sicherheitskräften getötet. Die GIA lehnt wie bisher jeden KomproEmblem miss mit der Regierung ab. Im Juli 2002 konnte ein hochrangiger der GIA Funktionär der GIA, der an einer Mordanschlagsplanung in Paris beteiligt war, in Stuttgart festgenommen werden. Aus der GIA spaltete sich im Jahre 1997 in Algerien die Salafiyya-Gruppe für die Mission und den Kampf (GSPC) ab. Ziel der GSPC ist der Sturz der algerischen Militärregierung und die Errichtung eines islamischen Staates. Die salafitische Doktrin verlangt eine Rückkehr zu den Ursprüngen des reinen Islam sowie eine Internationalisierung des "Heiligen Kriegs". Im Frühjahr 2003 entführten Mitglieder einer GSPC-Gruppe in der Geiselnahme Sahara 32 europäische Urlauber, um für ihre Freilassung Lösegelder in der Sahara zu erpressen. Eine der deutschen Geiseln starb an den Strapazen der Entführung. 190 Ausländerextremismus Androhung von Im Juni veröffentlichte die GSPC ein Kommunique, in dem sie mit Terrorakten Angriffen und Krieg gegen "alle Ausländer und ihre Interessen" drohte. Verantwortlich hierfür zeichnete der GSPC-Emir Nabil Sahraoui. Bereits in der Vergangenheit bekannte er sich zu Bin Ladin und seinem Terrornetzwerk. Kurz nach Erscheinen des Kommuniques wurde Sahraoui durch algerische Streitkräfte getötet. 3.2.4 Tunesischer Zweig der MB - En Nahda Deutschland Bayern Mitglieder: 30 Wirkungsbereich: Oppositionsbewegung in Tunesien (seit 1991 in Tunesien verboten) Führung: Rachid Ghannouchi / Großbritannien Die En Nahda (Wiedergeburt) bildet den tunesischen Zweig der MusNationale limbruderschaft (MB). Sie ist die wichtigste Oppositionsbewegung OppositionsTunesiens. Seit 1991 wird die in Tunesien verbotene Organisation von bewegung dem in seinem Heimatland in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilten Rachid Ghannouchi geleitet. Ghannouchi lebt in Großbritannien und gibt sich nach außen hin als gemäßigter, demokratischer Politiker. So äußerte er sich im September dahingehend, dass die Bewegung darauf bestehe, legal in Tunesien an der Verankerung demokratischer Grundwerte mitzuarbeiten. Das oberste Ziel sei die Verwirklichung von Freiheit und Demokratie. Er strebe schon seit längerem eine umfassende nationale Versöhnung an. Gegenüber seinen eigenen Anhängern äußert er sich jedoch militant und spricht davon, die amerikanischen Eroberer und die mit ihnen verbündeten arabischen Regierungen verEmblem der jagen zu wollen. Wegen des massiven Drucks der tunesischen SicherEn Nahda heitskräfte befindet sich ein großer Teil der En Nahda-Mitglieder im Ausland. Auch in Deutschland halten sich einzelne Mitglieder auf. Feste Strukturen sind jedoch nicht erkennbar. Allerdings ist eine zunehmende Präsenz von Mitgliedern der En Nahda im Islamischen Zentrum München der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) zu beobachten. Ausländerextremismus 191 Die Parlamentsund Präsidentschaftswahlen am 24. Oktober in Tunesien riefen keine nennenswerten Reaktionen der in Deutschland lebenden Mitglieder der Bewegung hervor. 3.3 Hizb ut-Tahrir Deutschland Bayern Anhänger: 150 Einzelpersonen Gründung: 1953 in Palästina Europazentrale: Großbritannien Publizistische Sprachrohre: explizit; al-Khilafah; al-Waie Politisches Betätigungsverbot in Deutschland seit 15.01.2003 Die "Partei der islamischen Befreiung" - Hizb ut-Tahrir - wurde 1953 in Palästina von dem Religionsgelehrten Taqi Din an-Nabhani, einem Mitglied der Muslimbruderschaft (MB), gegründet. Sie hat sich seitdem weltweit verbreitet; ab 1995 gewann sie in Zentralasien, insWeltweite besondere in den ehemaligen Sowjetrepubliken, zahlreiche Mitglieder. Verbreitung Anhänger der Hizb ut-Tahrir versuchten von Beginn an, militärische Institutionen und Einrichtungen in arabischen Ländern zu unterwandern und Mitglieder aus den Reihen des Militärs zu rekrutieren. In den Jahren 1968 und 1969 scheiterten Putschversuche in Amman/Jordanien und in Bagdad/Irak. Ebenso schlugen Bestrebungen zur Machtübernahme 1974 in Kairo/Ägypten und 1976 in Damaskus/Syrien fehl. Inzwischen ist die Hizb ut-Tahrir in der gesamten arabischen Welt und Zentralasien verboten. Das Ziel der Hizb ut-Tahrir ist die Errichtung eines "rechtgeleiteten" weltumspannenden Kalifats, das die Länder und Völker der Muslime in einem einzigen Staat eint und die Botschaft des Islam in die gesamte Welt trägt. Weitere erklärte Ziele sind die Wiedereinführung der Scharia als Strukturprinzip der islamiSignet der schen Ordnung, die Auslöschung des Staates Israel und die Befreiung Hizb ut-Tahrir der muslimischen Welt von westlichen Einflüssen. Unausweichlich sei dabei ein "Kampf der Kulturen", insbesondere zwischen Islam und Christentum. Ein Dialog zwischen den Kulturen, geprägt vom Prinzip der Gleichheit und Toleranz, sei unmöglich, da mit dem Islam unver- 192 Ausländerextremismus einbar. Der Kampf sei sowohl auf ideologischer, wirtschaftlicher und politischer als auch auf militärischer Ebene zu führen. Der militärische Kampf gegen die Ungläubigen sei im Sinn eines "aktiven Djihad" für jeden Muslim verpflichtend. Struktur und Die Hizb ut-Tahrir in Europa ist strukturell in Regionen aufgeteilt, die Aktivitäten in sich an den nationalstaatlichen Grenzen orientieren. Innerhalb der Deutschland Regionen operiert die Hizb ut-Tahrir in voneinander unabhängigen Gruppen, überwiegend in Universitätsstädten. Organisationsstrukturen in Deutschland waren bisher aber nicht erkennbar. Die Hizb ut-Tahrir verbreitete in Deutschland Flugblätter und Broschüren in Deutsch, Arabisch, Türkisch sowie in Urdu. Ihre Anhänger verteilten die Publikationen insbesondere an Universitäten sowie im Umfeld von Moscheen und islamischen Zentren. Die Hizb ut-Tahrir betrieb eine deutschsprachige Internet-Homepage und gab seit 1993 die - zumeist vierteljährlich erscheinende - deutschsprachige Zeitschrift "explizit" heraus. Wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß SS 129 StGB durchsuchte die Polizei am 12. November 2002 bundesweit 33 Wohnungen, darunter die eines Hizb ut-Tahrir-Anhängers in Bayern. Das Bundesministerium des Innern verbot am 15. Januar 2003 die Betätigungsverbot Betätigung der Hizb ut-Tahrir im räumlichen Geltungsbereich des Vereinsgesetzes, da sich die Gruppierung gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtete und Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer Belange befürwortete. Zugleich wurde ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren mit dem Ziel eines Organisationsverbots eingeleitet, da konkrete Organisationsstrukturen dieser Vereinigung in der Bundesrepublik bisher nicht bekannt waren. Die Zahl der aktiven Anhänger von Hizb ut-Tahrir in Deutschland legt jedoch die Vermutung der Existenz einer solchen Vereinsstruktur nahe. Anhänger der Hizb ut-Tahrir haben zwischenzeitlich Klage gegen das Betätigungsverbot erhoben. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte am 21. Januar in einem Zwischenurteil die Zulässigkeit der Klage der Hizb ut-Tahrir gegen das Betätigungsverbot. Eine Entscheidung über die Begründetheit steht noch aus. Zur Umsetzung des Betätigungsverbots wurden bundesweit am 15. Januar und 10. April 2003 die Wohnungen von maßgeblichen Anhängern der Hizb ut-Tahrir durchsucht. Die Auswertung der sicher- Ausländerextremismus 193 gestellten Asservate bestätigte den Verdacht, dass die Anhängerschaft ihre politischen Ziele ungeachtet des Betätigungsverbots weiterExekutivverfolgt. Am 8. Dezember führten deshalb die Landeskriminalämter in maßnahmen Bayern, Berlin und Niedersachsen in 15 Objekten erneut Wohnungsdurchsuchungen durch. Davon betroffen waren neun Personen, die verdächtigt werden, gegen das vom Bundesministerium des Innern verhängte Hizb ut-Tahrir-Betätigungsverbot verstoßen zu haben. In Bayern durchsuchte die Polizei zwei Objekte in Nürnberg und stellte PCs, Datenträger und zahlreiche Unterlagen, darunter diverses Propagandamaterial, sicher. Wegen ihrer weltweiten Struktur, ihres ausgeprägten konspirativen Verhaltens und des möglichen Zugangs zu militärischen Waffenarsenalen stellt die Hizb ut-Tahrir ein nicht unbedeutendes Sicherheitsrisiko dar. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass die bisher vollzogene strenge Abschottung der Hizb ut-Tahrir auch gegenüber anderen islamistischen Gruppen in Zukunft aufgebrochen werden könnte. In Bayern waren in der Vergangenheit nur wenige Anhänger von Hizb ut-Tahrir ansässig. Bekannt wurden Gruppen in Erlangen und München. Zwischenzeitlich verließen einige Aktivisten, aufgrund der restriktiven Handhabung des Ausländerrechts Bayern und wichen in andere Bundesländer bzw. sogar ins Ausland aus. 3.4 Ansar al-Islam Deutschland Bayern Anhänger: 100 60 Anführer: bis Mitte 2002 Mullah Krekar, danach Abu Adullah al-Shafi Gründung: September 2001 im Nordirak Die Ansar al-Islam (Unterstützer des Islam) vereinigt islamistische KurIslamistische den aus dem Nordirak. Die Anhänger stammen aus verschiedenen KurdenorganisaSplittergruppen, die sich die Verwirklichung des islamischen Glaubens tion aus dem und einer dem Koran entsprechenden Lebensweise auf einem eigeNordirak nen kurdischen Staatsgebiet zum Ziel setzten. Die Ansar al-Islam wurde im September 2001 gegründet und nannte sich noch bis zum Jahresende 2001 Djund al-Islam (Soldaten des Islam). 194 Ausländerextremismus Im Dezember 2001 übernahm der Iraker Najm al-Deen Faraj Ahmed Mullah Krekar Mahmoud genannt Mullah Krekar die Führung der Djund al-Islam und änderte den Namen der Gruppierung in die gemäßigter klingende Bezeichnung Ansar al-Islam. Mullah Krekar beantragte in Norwegen in den 90er Jahren erfolgreich Asyl. Obwohl er als Flüchtling in Norwegen lebt, hält er sich immer wieder im Nordirak auf. Am 11. September 2002 wurde er beim Versuch, aus Amsterdam in den Iran einzureisen, festgenommen und nach Norwegen zurückgeschickt. Als Begründung wurden seine Kontakte zum al-Qaida-Netzwerk angeführt. In Norwegen macht er vor allem durch seine Medienauftritte auf sich aufmerksam. Krekar scheint innerhalb der Ansar al-Islam keine Führungsrolle mehr zu spielen, dürfte aber weiterhin als spirituelle Leitfigur wirken. Als Nachfolger Krekars gilt sein früherer Stellvertreter Abu Adullah al-Shafi. Am 2. Januar wurde Mullah Krekar in Oslo festgenommen. Presseberichten zufolge wurde ihm vorgeworfen, im Internet zu Selbstmordanschlägen im Irak aufgerufen zu haben. Auf Anordnung des Gerichts wurde er jedoch am 17. Februar wieder aus der Haft entlassen; neue Ermittlungsergebnisse führten offensichtlich zu einer anderen Bewertung. Auch sollen Aussagen, die Belastungszeugen im Irak gemacht hatten, unter Folter entstanden sein. Bei der Machtübernahme des Mullah Krekar umfasste die Gruppierung rund 600 bewaffnete Kämpfer, die sich vor allem aus irakischen Kurden und einigen Afghanistan-Veteranen zusammensetzten. Der Wirkungsbereich der Gruppierung beschränkte sich auf ein kleines Gebiet im Südosten des nordirakischen Kurdengebiets. In den ersten Tagen des Irak-Kriegs im März 2003 wurde dieses Gebiet von den USA mit Marschflugkörpern und massiven Bombardements angegriffen und dann von mit den USA verbündeten kurdischen Truppen der "Patriotischen Union Kurdistans" (PUK) eingenommen. Viele der Ansar al-Islam-Kämpfer konnten über die nahe gelegene Grenze in den Iran entkommen. Von dort sickerten sie bereits kurz nach Kriegsende wieder in das irakische Staatsgebiet ein und reorganisierten sich. Ziele und Das Ziel der Ansar al-Islam ist die Schaffung eines islamischen Staates Ideologie Kurdistan nach dem Beispiel der Taliban in Afghanistan. Die Gruppierung versucht daher, den in ihrem Machtbereich lebenden Menschen den Kontakt zu säkularen Parteien zu verbieten. Ihre Ideologie erhebt Anspruch auf universelle Gültigkeit, so dass man von einer langfristig weiter gehenden Zielsetzung ausgehen kann. Nach eigenen Angaben Ausländerextremismus 195 will sich die Ansar al-Islam durch religiöses und militärisches Training auf den "Heiligen Krieg" (Djihad) vorbereiten und die "Ungläubigen" bekämpfen. Mullah Krekar forderte deshalb seine Kämpfer auf, sich für Selbstmordattentate bereit zu machen: Die Zeit komme und man plane, wo, wie und wann die Selbstmordattentäter hingeschickt werden. Es gab bereits früher zahlreiche Anhaltspunkte für eine Verbindung Verbindungen zur zum Terrornetzwerk al-Qaida. So hielten sich führende Mitglieder der al-Qaida Ansar al-Islam - einschließlich Mullah Krekar - in den 90er Jahren in Afghanistan auf. Dort wurden sie in Trainingslagern militärisch ausgebildet und kamen mit dem Terrornetzwerk al-Qaida in Berührung. Der Kontakt blieb auch nach der Rückkehr aus Afghanistan bestehen. Nach der US-Intervention in Afghanistan gewährte die Ansar al-Islam Kämpfern von Bin Ladin Unterschlupf und Unterstützung. Zu dem Usama Bin Ladin-Vertrauten al-Zarqawi, der ein Ausbildungslager im Wirkungsbereich der Gruppierung betrieben haben soll, bestehen seither besonders gute Kontakte. In diesem Lager soll auch mit chemischen Waffen experimentiert worden sein. Das von al-Zarqawi organisierte Netzwerk, das sich über den Nahen Osten bis Europa erstreckt, gilt als extrem gefährlich. Die Bindungen und persönlichen Verflechtungen zwischen den Gruppen sind vor allem auch infolge des gemeinsamen Ziels im Irak-Krieg, insbesondere des Djihad gegen die USA, enger und intensiver geworden. Am 27. Dezember veröffentlichte der Fernsehsender al-Djazira ein Tonband von Usama Bin Ladin, worin er al-Zarqawi als Chef des al-Qaida-Netzwerks im Irak anerkannte und ihn als "Emir von al-Qaida im Zweistromland" bezeichnete. Mullah Krekar sagte über Usama Bin Ladin: "Bin Ladin ist eine Krone auf den Köpfen der Muslime." Nach einer Entscheidung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 24. Februar 2003 wurde die Ansar al-Islam als terroristische Vereinigung eingestuft. Die Ansar al-Islam wird u.a. für zwei zeitgleich durchgeführte SelbstTerroranschläge mordanschläge auf die Zentralen der beiden maßgeblichen Parteien der kurdischen Minderheit DPK/I und PUK im Februar mit mehr als 50 Toten verantwortlich gemacht. Außerdem soll sie mehrere terroristische Einzelaktionen gegen Funktionäre der kurdischen Regionalregierung und das Parlaments durchgeführt haben. Im Mai konnten 16 Terrorverdächtige in der Türkei festgenommen werden. Türkische Behörden werfen ihnen vor, der Ansar al-Islam 196 Ausländerextremismus anzugehören und einen Bombenanschlag auf den NATO-Gipfel in Istanbul im Juni geplant zu haben. Logistik in Europa In Europa gibt es Anhänger bzw. Sympathisanten der Ansar al-Islam in Skandinavien, Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland und in den Niederlanden. In Bayern sind in München, Nürnberg, Augsburg und Regensburg Anhänger bekannt, welche die Ansar al-Islam im Irak logistisch u.a. durch Beschaffung von Geldmitteln und Ausrüstungsgegenständen unterstützen. Seit Beendigung des Kriegs reisten mehrere in Bayern lebende Ansar al-Islam-Mitglieder in Richtung Irak aus. Es ist nicht auszuschließen, dass sich diese an Terrorakten bzw. Vorbereitungshandlungen zu Terroranschlägen im Irak beteiligt haben bzw. noch beteiligen. ExekutivAm 24. Mai übernahm die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlunmaßnahmen gen gegen einen 30-jährigen irakischen Staatsangehörigen aus Bayern wegen des dringenden Tatverdachts, die terroristische Vereinigung Ansar al-Islam von der Bundesrepublik Deutschland aus logistisch und finanziell unterstützt zu haben. Er war im Dezember 2003 in München von der bayerischen Polizei festgenommen worden. Gegen ihn wurde im Dezember Anklage vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht erhoben. Am 3. Dezember wurden drei Mitglieder der Ansar al-Islam aus Stuttgart, Berlin und Augsburg wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung festgenommen. Sie sollen ein Attentat auf den irakischen Ministerpräsidenten Dr. Allawi bei dessen Staatsbesuch in Berlin geplant haben (vgl. auch Nummer 2.5 dieses Abschnitts). 3.5 Tablighi Jamaat Deutschland Bayern Anhänger: 130 Gründung: 1927 bei Delhi (Indien) Europazentrale: Dewsbury/Großbritannien Die Tablighi Jamaat wurde 1927 bei Delhi/Indien von dem Religionsgelehrten Mawlana Muhammad Ilyas als eine pietistische Missionierungsbewegung gegründet. In ihren Ursprüngen ist sie eng mit der Islamischen Hochschule von Deoband/Indien verbunden. Die Gemein- Ausländerextremismus 197 schaft vertritt eine radikalisierte Form des strenggläubigen Islam indischer Prägung. Ziel der Tablighi Jamaat ist die Islamisierung der Gesellschaft, um daRadikal-islamische durch die Etablierung eines islamischen Staates zu erreichen. Sie hat Massenbewegung den Charakter einer internationalen islamischen Massenbewegung, deren Anhänger sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig fühlen, sondern sich als konsequente Muslime mit missionarischem Auftrag ansehen. Ihre Anhänger vertreten eine wörtliche Auslegung des Korans und der Sunna, die Ausgrenzung der Frau und eine Abgrenzungspolitik gegenüber Nicht-Muslimen. Diese Bestrebungen wirken in nicht-muslimischen Gesellschaften zwangsläufig desintegrierend, so dass eine dauerhafte und ernsthafte Hinwendung zu westlichen Gesellschaftsordnungen, Wertvorstellungen und Integrationsmodellen nicht möglich ist. Das Tragen von traditioneller Gebetskleidung und die bis in Details verbindlichen Verhaltensregeln im Alltag sollen ihre absolute Hinwendung zum Propheten Mohammed ausdrücken. Charakteristisch für ihr Vorgehen ist eine missionarische ReisetätigMissionierungskeit, bei der Moscheen in ganz Europa aufgesucht werden. Die arbeit Missionierung dient der Rekrutierung neuer Mitglieder. Zur Missionierung nutzen ihre Anhänger auch Moscheen, die keinen unmittelbaren Bezug zu Tablighi Jamaat haben. Die Missionierungsbemühungen erstrecken sich über mehrere Tage in einem so genannten Sabil Allah, bei dem die Gläubigen über Tage hinweg beten, den Koran studieren und von den Anhängern der Tablighi Jamaat indoktriniert werden. Direkte Aufrufe zum Djihad werden dabei vermieden, jedoch erfolgt die Indoktrination so, dass in den Köpfen der Besucher sich der Djihad als konsequente Umsetzung des Islam aufdrängt. Ein aus vier Personen bestehendes Gremium leitet die Tablighi Jamaat in Deutschland. Die Organisation betreibt in Bayern zwei Moscheen in München und Pappenheim. In weiteren Moscheen konnte die Tablighi Jamaat an Einfluss gewinnen. Obwohl die Bewegung selbst Gewalt ablehnt, besteht durch die gemeinsame ideologische Basis mit militanten Gruppierungen die Gefahr, dass die weltweiten Strukturen der Bewegung von terroristischen Netzwerken genutzt werden. In der Vergangenheit wurden Einzelne Einzelpersonen bekannt, die sich durch die Tablighi Jamaat radikaRadikalisierungslisiert und sich in der Folge militanten Gruppierungen angeschlossen tendenzen haben. 198 Ausländerextremismus 3.6 Al-Tauhid Deutschland Bayern Anhänger: Einzelpersonen Ideologie: aggressiv-militante Forderung des Djihad Aufbau: keine Organisationsstruktur/ Zellenaufbau Der Name al-Tauhid ("Bekenntnis zur Einheit und Einzigartigkeit Gottes") steht nicht für eine spezifische Gruppierung, sondern ist ein Synonym für eine Bewegung von Aktivisten mit gleichartigem Gedankengut und bedeutet "jeder, der an den einzigen, wahren Gott glaubt". Al-Tauhid ist somit eine ideologisch-religiös ausgerichtete Aggressiv-militante Bewegung Gleichgesinnter, die auf der Grundlage eines aggressiv-miislamische Bewelitanten islamischen Fundamentalismus den weltweiten Djihad aller gung Glaubensbrüder fördert und unterstützt. Sitz der Bewegung al-Tauhid in Europa soll Großbritannien sein. Ihr geistiger Führer Abu Qutada mit Wohnsitz in London/Großbritannien wurde 2002 in London verhaftet. Die Londoner Moschee von Abu Qutada war in der Vergangenheit Anlaufstelle für mutmaßliche "Gotteskrieger" aus ganz EuroVerbindung zu pa. Al-Tauhid tritt auch im Gefolge von mutmaßlich terroristischen Terrorgruppen Bewegungen in Erscheinung, beispielsweise der ägyptisch-terroristische Djihad Islami (vgl. auch Nummer 3.2.1.3 dieses Abschnitts). Auch wurden Kontakte von al-Tauhid-Anhängern zu anderen neo-salafitischen Djihad-Gruppen, wie z.B. der Ansar al-Islam (vgl. auch Nummer 3.4 dieses Abschnitts), festgestellt. Im Zuge laufender Ermittlungen gegen das al-Qaida-Netzwerk wurden in Bayern Einzelpersonen bekannt, die dieser sunnitisch-palästinensischen Ideologie anhängen. Spätestens im September 2001 hatte sich eine selbständige, nach außen abgeschottete, konspirativ arbeitende Zelle der al-Tauhid in Deutschland gebildet. Den Anführer dieser Zelle verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf am 26. November 2003 wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung al-Tauhid zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Der Angeklagte hielt sich von Dezember 1999 bis Mai 2001 in Afghanistan auf und wurde dort militärisch ausgebildet. Er bereitete zusammen mit anderen Angehörigen seiner Zelle, gegen die zwischenzeitlich ebenfalls Anklage vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf erhoben wurde, Anschläge gegen jüdische Einrichtungen in Deutschland vor. Nach seiner Festnahme machte der Ausländerextremismus 199 Angeklagte umfangreiche Angaben zu seiner Gruppe, zu al-Qaida und afghanischen Ausbildungslagern. 3.7 Hizb Allah (Partei Gottes) Deutschland Bayern Mitglieder: 800 Einzelpersonen Gründung: 1982 im Libanon Publikation: Al-Intiqad (Die Kritik) Die Hizb Allah (auch: Hisbollah/Hizbollah) ist eine auf Initiative des Irans gegründete schiitische Partei, die seit 1992 im libanesischen Parlament vertreten ist. Sie wird vom Iran finanziell, materiell und ideologisch unterstützt. Zu ihr gehören verschiedene Wohlfahrtsorganisationen sowie der "Islamische Widerstand" (Muqawame Islamiya), der als militärischer Arm der Organisation insbesondere den bewaffneten Kampf gegen israelische Militäreinheiten im libanesisch-israelischen Grenzgebiet führte. Bis Mai 2000 war die von Israel seit 1978 besetzte "Sicherheitszone" im Südlibanon Schauplatz Signet der militärischer Auseinandersetzungen. Hizb Allah Die von der Hizb Allah früher geforderte Errichtung einer "Islamischen Republik" im Libanon nach dem Beispiel des Irans genießt heute keine Priorität mehr. Vielmehr bekundet die Organisation ihre BereitKurswechsel schaft, sich in das politische System des Libanon zu integrieren, um dort durch politische Aktivitäten gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Die Aktivitäten der Hizb Allah-Gemeindemitglieder in Deutschland erreichten auch 2004 nicht mehr die Intensität früherer Jahre. Das Interesse der in Deutschland lebenden Hizb Allah-Anhänger an aktiver Mitarbeit in Moscheevereinen oder der Teilnahme an Veranstaltungen hat seit den Terroranschlägen in den USA im September 2001 fortlaufend abgenommen. Selbst der Jahrestag des Abzugs der israelischen Armee aus dem Südlibanon ("Tag der Befreiung", 23. Mai) fand bei den in Bayern lebenden Schiiten libanesischer Herkunft nur noch wenig Beachtung. Lediglich die langen Vermittlungsbemühungen der Bundesrepublik GefangenenDeutschland in Verhandlungen um einen Gefangenenaustausch zwiaustausch schen Israel und der Hizb Allah haben diese wieder stärker in den 200 Ausländerextremismus Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Anfang 2004 haben sich die Verhandlungspartner auf einen Austausch geeinigt. In Bayern sind nur einzelne Anhänger der Hizb Allah bekannt. 3.8 Islamisch-Irakische Gemeinschaft Deutschland e.V. (IIGD) Hizb al-Dawa al-Islamiya (Dawa) Deutschland Bayern Mitglieder/Anhänger: - IIGD 30 - Dawa 150 20 Gründung: - IIGD 1997 in Köln - Dawa 1958 im Irak Islamistische OppoDie 1958 im Irak gegründete schiitische Dawa-Partei ("Partei des sitionsbewegung islamischen Rufs / der islamischen Mission") ist die älteste und bedeuim Irak tendste Oppositionsbewegung im Irak. Sie forderte den Sturz des irakischen Regimes und strebt die Errichtung eines islamistischen Staatsund Gesellschaftssystems an. In Deutschland wurde die Dawa in der Vergangenheit durch die Islamische Union Irakischer Studenten in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (I.U.I.S.) repräsentiert, die nur propagandistisch, beispielsweise durch die Ausrichtung von Fachkongressen, in Erscheinung trat. Im Rahmen von Reorganisationsmaßnahmen entstand 1997 in Köln die Islamisch-Irakische Gemeinschaft Deutschland e.V. (IIGD) und löste damit die I.U.I.S. ab. Die IIGD, die nach außen lediglich religiöse Ziele verfolgt, wird maßgeblich durch die Dawa beeinflusst. Hauptaufgabe der IIGD in Deutschland ist es, möglichst viele, auch unpolitische, Mitglieder aus den Reihen der irakischen Schiiten zu gewinnen. Der alle Mitglieder vereinende Gedanke war bis zum Ende des Irak-Kriegs die Opposition zu Saddam Hussein. Entwicklung nach Mehrere ranghohe Dawa-Funktionäre sind nach Kriegsende aus ihrem dem Irak-Krieg europäischen Exil in den Irak zurückgekehrt bzw. pendeln zwischen den Wohnsitzen in Europa und dem Irak. Ehemalige und aktuelle Mitglieder der Dawa arbeiten in der seit Juni bestehenden Übergangsregierung mit. Ausländerextremismus 201 Innerhalb der Dawa entstanden nach Kriegsende mehrere Fraktionen, die unterschiedliche Auffassungen über die Zukunft des Iraks, insbesondere über eine Zusammenarbeit mit den USA, vertreten. Das Spektrum reicht hier von einer engen Kooperation bis zu deren Ablehnung. In Bayern lebende Sympathisanten der islamistischen Dawa bzw. der IIGD stehen der Person des Schiiten-Predigers Muqtada al Sadr, der seine Anhänger im Irak zum gewalttätigen Aufstand gegen die "westlichen Besatzer" anstiftet, derzeit distanziert gegenüber. Die deutliche Mehrheit lehnt gewaltsame Aktionen ab, da nach deren Überzeugung die schiitische Bevölkerungsmehrheit auch nach einem friedlichen demokratischen Übergang im Irak die Macht übernehmen werde. In Einzelfällen gibt es aber auch Zustimmung für die revolutionäre Position von al Sadr, da dieser dafür sorge, dass die Amerikaner noch schneller als geplant den Irak räumen müssten. In der Zeit vom 23. bis 29. Juli hielt der in London ansässige Dawa-Funktionär Abu Nabouk in einer iranisch-schiitischen Moschee in München mehrere Vorträge. Im Rahmen dieser Vortragsveranstaltungen Vortragsführte er u.a. aus, dass er die aktuelle Regierung im Irak nicht anerveranstaltungen kenne. Weder sei sie vom irakischen Volk gewählt noch folge sie der schiitischen Marjaiya, der obersten religiösen Instanz der Schiiten. Außerdem müssten die irakischen Gesetze aus dem Islam abgeleitet werden. Weiter berichtete er darüber, dass die schiitische Dawa-Partei derzeit intensiv daran arbeite, alle schiitischen Gruppen im Irak zu vereinen, damit der Machfaktor der schiitischen Bevölkerungsmehrheit im Irak nicht zersplittert werde. Seine Vorstellungen zielen offensichtlich auf die Errichtung eines islamischen Staates. In Bayern leben etwa 70 Anhänger der IIGD. Sie verhielten sich nach wie vor überwiegend passiv; eigene Protestkundgebungen wurden nicht durchgeführt. 3.9 Hezb-i Islami (HIA) Deutschland Bayern Anhänger: 250 Einzelpersonen Anführer: Gulbuddin Hekmatyar Gründung: 1973 in Afghanistan 202 Ausländerextremismus Die Hezb-i Islami Afghanistan (HIA) ist eine aus überzeugten Islamisten bestehende Gruppierung, die im Zusammenwirken mit verbliebenen Talibanund al-Qaida-Kämpfern die von der westlichen Allianz gestützte Islamistisches afghanische Regierung bekämpft. Ziel der HIA ist die Errichtung eines Staatswesen als Ziel islamischen Staates unter Einführung der Scharia. Die HIA wurde 1973 von Gulbuddin Hekmatyar in Afghanistan gegründet, der 1996 kurzzeitig Regierungschef Afghanistans war. In einer Erklärung gegenüber einer Nachrichtenagentur rief Hekmatyar am 23. Februar 2003 zu Selbstmordanschlägen gegen Amerikaner auf. Er sagte, er sei stolz darauf, von den USA als Terrorist bezeichnet zu werden. Weiter führte er aus: "Ich fordere alle Muslime der Welt auf, einen Guerillakrieg mit Selbstmordangriffen zu führen. (...) Jetzt ist nicht die Zeit von Gruppenangriffen in großem Stil, sondern eher die individueller Attacken." Der Selbstmordattentäter, der am 7. Juni 2003 ein Bombenattentat auf einen Konvoi der Bundeswehrtruppen in Kabul/Afghanistan verübte, soll dem Umfeld der HIA angehört haben. 3.10 Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB) Anhänger: bis zu 300 - vorwiegend iranischer, irakischer und libanesischer Nationalität Vorsitzender: Mahmoud Khalilzadeh Gründung: 1994 in München Sitz: München Eigentümer: Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) seit Oktober 2003 Bis heute ist die Bewahrung der einst vom iranischen RevolutionsIranischer "Revoluführer Ayatollah Khomeini propagierten Idee der "Islamischen Revotionsexport" lution" im Iran sowie deren internationale Verbreitung wesentlicher Bestandteil der iranischen Politik. Der Iran unterstützt daher eine Vielzahl islamischer und islamistischer Bewegungen und Organisationen vor allem im Nahen und Mittleren Osten. Der "Export der Revolution" in diese Länder, die zu lernen hätten, "mit der Hilfe Gottes zur Revolution zu gelangen", ist in der iranischen Verfassung vorgeschrieben. Auch islamische Zentren und Moscheen in Deutschland dienen im Sinn dieses "Revolutionsexports" als Foren für Versuche der Einfluss- Ausländerextremismus 203 nahme durch den Iran. Eines dieser Zentren ist die "Islamische Vereinigung in Bayern e.V." (IVB). Die IVB - Trägerin der schiitisch-iranischen Moschee in München - ist eines der bedeutendsten schiitisch-extremistischen Zentren iranischer Prägung in Süddeutschland. Sie ist unmittelbar dem Islamischen ZentAnbindung der rum Hamburg (IZH) nachgeordnet. Das IZH gilt europaweit als hochIVB an das IZH rangige Verbindungsstelle der Islamischen Republik Iran. Die IVB dient als Multiplikator schiitischen islamistischen Gedankenguts innerhalb muslimischer Gemeinschaften in Bayern. Wichtigstes Ziel ist es, im Auftrag der iranischen Führung auf Besucher in ihrem Sinn einzuwirken und deren politische und religiöse Einstellung zu beeinflussen. Da der Iran keine säkulare Herrschaftsordnung besitzt, also keine Trennung von Staat und Religion kennt, beinhaltet die religiöse Arbeit des Vereins auch eine politische Komponente. Die ideologische Ausrichtung des Korans nach Khomeini wird in Veranstaltungen, wie z.B. Freitagsgebeten, religiösen Feiern sowie Vorträgen von Mullahs aus den Heimatländern verbreitet. Der Verein gilt als Anlaufstelle für Anhänger islamistischer Organisationen, wie z.B. der irakischen "Hizb al-Dawa al-Islamiya" bzw. der "Islamisch-Irakischen Gemeinschaft Deutschland e.V." oder der libanesischen "Hizb Allah". 3.11 Türkische islamisch-fundamentalistische Gruppierungen 3.11.1 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) Deutschland Bayern Mitglieder: 26.000 4.800 Vorsitzender: Osman Döring genannt Yavuz Celik Karahan Gründung: 1985 in Köln als "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT); 1995 Aufteilung in die beiden unabhängigen juristischen Personen Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) und die Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft (EMUG) Sitz: Kerpen Publikationen: Milli Görüs & Perspektive; als Sprachrohr dient auch die türkische Tageszeitung Milli Gazete (Nationale Zeitung) 204 Ausländerextremismus Die IGMG ist ein Sammelbecken von Anhängern der in der Türkei verbotenen Tugendpartei (FP) und deren Nachfolgeorganisation, der islamistischen Glückseligkeitspartei (SP). Sie verfügt über bundesweit rund 500 Ortsgruppen. In Bayern ist der Verband mit 70 Ortsgruppen vertreten. Die Schwerpunkte liegen in Nürnberg und München. Islamisch-extremisDie Milli Görüs-Bewegung erstrebt trotz vieler offizieller gegenteiliger tische Ideologie Äußerungen die Abschaffung der laizistischen Staatsordnung in der Türkei und die Einführung einer islamischen Staatsund Gesellschaftsordnung mit dem Koran als Grundlage des Staatsaufbaus und als Verhaltenskodex des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ihr Fernziel ist die weltweite Islamisierung. Sie orientierte sich an der Politik der am 22. Juni 2001 vom türkischen Verfassungsgericht wegen "anti-laizistischer Aktivitäten" verbotenen FP. Aus der FP gingen zwei Nachfolgeorganisationen hervor. Im Juli 2001 gründeten die Anhänger des früheren türkischen Ministerpräsidenten Prof. Necmettin Erbakan die SP, an der sich die IGMG jetzt ideologisch orientiert. Im August 2001 wurde von Recep Tayyip Erdogan die Gerechtigkeitsund Aufschwungpartei (AKP) in der Emblem der IGMG Türkei gegründet. Der frühere Bürgermeister von Istanbul macht für sich eine Abkehr vom Islamismus geltend. Seinen Verlautbarungen zufolge soll die AKP keine islamische Partei im traditionellen Sinn sein, sondern eine konservative Gruppierung. Die IGMG unterstützte bei den türkischen Parlamentswahlen im Jahr 2002 den Wahlkampf der SP durch Spendensammlungen und die Organisierung von Flugreisen. Mehrere tausend Personen reisten in die Türkei, um der SP ihre Stimme zu geben. Auch die "Milli Gazete" warb intensiv für einen Wahlsieg der Milli Görüs-Bewegung. Dennoch scheiterte die SP mit nur 2,47 % der Stimmen an der 10 %-Sperrklausel. Die AKP erhielt mit knapp 35 % der Stimmen die Mehrheit der Abgeordnetenmandate und stellt seither die Regierung. Die Anhänger der IGMG reagierten auf die Regierungsübernahme der AKP zwiespältig. Viele Mitglieder begrüßten den Sieg der AKP, während sich manche Funktionäre von der Wahlniederlage der SP schockiert zeigten. Verhältnis zur AKP Die IGMG-Führung unter Leitung des im Dezember 2002 gewählten Vorsitzenden Karahan ist seither bemüht, sich gegenüber der türkischen Regierung als wichtige Organisation zur Wahrung der Interessen der Türkei in Deutschland darzustellen. So bot im Dezember 2002 der IGMG-Generalsekretär Oguz Ücüncü dem damaligen türkischen Ministerpräsidenten Abdullah Gül und dem AKP-Gründer Ausländerextremismus 205 Recep Tayyip Erdogan Unterstützung an. Die IGMG sei eine wichtige Brücke zwischen der Türkei und Europa. Der Weg zur EU führe über Milli Görüs. Die türkische Regierung griff dieses Angebot auf und strich die IGMG von einer Liste von staatsfeindlichen Organisationen. Es gelte, die Extremisten in der IGMG zu beobachten und die Masse der Mitglieder, die ihrem Staat verbunden sind, nicht zu entfremden. Der Verband versucht, den Eindruck einer bloßen ReligionsgemeinTaktisch bedingte schaft und einer verfassungstreuen Organisation zu erwecken, die Zurückhaltung sich ausschließlich um die religiösen und sozialen Bedürfnisse der türkischen Muslime in Deutschland kümmert. Im Gegensatz zu anderen islamistischen Organisationen ist die IGMG schon seit Jahren um ein rechtlich unangreifbares Erscheinungsbild bemüht. Sie gibt vor, nur verfassungskonforme Ziele zu verfolgen und sucht den interreligiösen Dialog. Die Beziehungen der IGMG zur SP werden in der Öffentlichkeit bagatellisiert und nur gelegentlich sichtbar, beispielsweise wenn in der IGMG Anteilscheine für den der SP nahe stehenden türkischen Fernsehsender TV 5 verkauft werden. Die IGMG vermeidet trotz der in Teilbereichen erkennbaren Öffnung gegenüber der in der Türkei regierenden Gerechtigkeitsund Aufschwungpartei (AKP) einen Bruch mit dem Führer der Milli Görüs-Bewegung, Prof. Necmettin Erbakan. Die IGMG-Führungsspitze in Deutschland versucht mit dieser Politik, die fundamentalistischen Anhänger der Milli Görüs-Bewegung zu halten und gleichzeitig den Anschein einer gemäßigten, weltoffenen Organisation zu erwecken. Das Bemühen um gesellschaftliche Akzeptanz führte bei mehreren Loslösung von Ortsvereinen zur Annahme von neutralen Bezeichnungen, die die Ortsvereinen Zugehörigkeit der Vereine zur IGMG nicht mehr erkennen lassen. Solche Vereine geben sich Satzungen, die formal keine Rückschlüsse auf die IGMG mehr zulassen. So erklärte ein Vereinsvertreter der bisherigen IGMG-Alzenau, sein Verein sei frei und ungebunden. Vor den Büroräumen des Ortsvorstands befanden sich jedoch zum selben Zeitpunkt ein Werbeplakat der Tageszeitung "Milli Gazete", Broschüren des IGMG-Bestattungsfonds Cenaze Fonu und eine Übersicht der Vorstandsmitglieder in türkischer Sprache, die die Moschee des Vereins als eine Filiale des IGMG-Gebiets Hessen auswies. Auch der Fürstenfeldbrucker Verein "Deutsch-Türkisches Kulturzentrum e.V." behauptet, sich schon seit mehreren Jahren von der IGMG gelöst zu haben. 1999 war der Ortsverein der IGMG in Fürstenfeldbruck aufgelöst worden und ein neuer Verein mit dem Namen "Deutsch-Türkisches Kulturzentrum e.V." gegründet worden, wobei die Vorstands- 206 Ausländerextremismus mitglieder des aufgelösten IGMG-Vereins in den Vorstand des neuen Vereins übernommen wurden. Der Widerspruch zwischen der angeblichen Weltoffenheit der IGMG und ihrem islamischen Fundamentalismus zeigte sich anlässlich des so "Familientag" der genannten Familientags. Im Vorfeld dieser am 29. und 30. Mai auf dem IGMG Gelände der IGMG-Zentrale in Kerpen/Nordrhein Westfalen durchgeführten europäischen Großveranstaltung veröffentlichte Dr. Yusuf Isik, der im Jahr 1999 als kommissarischer IGMG-Vorsitzender fungierte, in der Zeitung "Milli Gazete" mehrere Kolumnen zum Thema "Assimilation". In seinen Beiträgen bezeichnete Dr. Isik die Assimilation als größte Gefahr für die in Europa lebenden Türken. Sie bedeute die Entfremdung der neuen Generationen von der eigenen Religion und ihrer eigenen Kultur. Dies führe schließlich dazu, dass die Identität der Türken genauso verloren gehe wie Sitten und Gebräuche, die heiligen Werte und das Nationalgefühl. Zum Schluss werde auch die Religion ausgetauscht. Dieser so genannte Familientag der IGMG wurde von mehreren tausend Personen besucht, die aus ganz Europa zusammenkamen und über Erziehung, Familie und Islam diskutierten. Die islamistische Zeitung "Anadoluda Vakit" bezeichnete die Veranstaltung als vorbildlich und meinte, im Gegensatz zur Türkei, wo das soziale Leben von der Herrschaft der kulturellen Werte einer muslimischen Gesellschaft geformt sei, bestehe in Europa eine völlig fremde sozio-kulturelle Struktur, die auf völlig gegensätzlichen Werten beruhe. Wenn auch nicht öffentlich, so kommt zumindest in internen VeranAntisemitische staltungen der IGMG Hass gegen den Staat Israel und die USA zum Tendenzen Ausdruck. So erklärte der Prediger Sevki Yilmaz am 12. September vor etwa 150 Besuchern der IGMG-Moschee Ingolstadt: "Haschisch und Heroin sind die Raketen des Zionismus. (...) In einem Hadith heißt es, dass die Zeit kommen wird, in der der Stein reden wird. Die Steinmauer wird irgendwann 1.000 km lang sein. Die Muslime werden auf der einen Seite, die Juden auf der anderen Seite wohnen. Die Juden wissen nicht, dass sie damit ihren Tod vorbereiten. (...) So Gott will, werden die Wurzeln des Zionismus dort ausgerottet werden." Er schloss die Predigt mit einem Gebet: "Vernichte die Terroristen, die die al-Aqsa Moschee besetzt haben! Helfe den Helden, die die al-Aqsa Moschee verteidigen! (...) Vernichte den amerikanischen Banditen, der Bagdad bombardiert." Ausländerextremismus 207 Meldungen über Demütigungen, Misshandlungen und Folterungen irakischer Gefangener durch Angehörige der US-Armee waren Anlass für die "Milli Gazete", in ihrer Ausgabe vom 15. Mai in massiver Form Hass gegen Amerika zu schüren: "Politiker, das Ende dieses Riesen, der bis heute nur mit dem Blut anderer Länder lebte, ist nah. Er zappelt nur noch wie ein Hahn, den man den Kopf abgeschnitten hat. Lasst euch nicht von seiner Macht beeindrucken. Gleicht nicht den Tieren, die Angst vor den von Wind bewegten Haaren eines toten Leoparden haben, als würde er noch leben. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo wir uns alle gemeinsam auf ihn stürzen können. Außer euer Blut habt ihr kein Schild mehr, das euch schützt vor denen, die eure Intellektuellen zu Ungläubigen und die Gläubigen zu Toten machen." Die IGMG ist weiterhin bemüht, eindeutige Aussagen zum Djihad zu Haltung zum vermeiden. Der Djihad ist aber auch Thema des Sprachrohrs der Djihad IGMG, der Zeitung "Milli Gazete". Sie veröffentlichte wiederholt Beiträge zum Djihad und bemühte auch hier historische Anknüpfungspunkte. So schrieb die Zeitung am 9. Juni in einem Beitrag zur Eroberung Istanbuls im Jahre 1453 durch Sultan Fatih Mehmet II: "Unser Glaube beharrt auf der Notwendigkeit, dass die Gläubigen mit ihrem Hab und Gut und mit ihrem Leben den Djihad führen müssen, und verkündet, dass der Glaube mit dem Djihad existieren wird." In der Ausgabe vom 10. Juni wird diese Aussage zwar relativiert mit der Feststellung, das Djihad-Gebot gelte nicht, um Staaten zu erobern und schon gar nicht, um Menschen zu töten. Der Djihad sei ein Mittel, um den Islam den Menschen bekannt zu machen und den Islam zu verbreiten. Trotzdem spricht auch dieser Artikel davon, dass durch den Djihad die Feinde des Islam eingeschüchtert und wenn nötig vernichtet werden. Die IGMG bestreitet immer wieder, dass die "Milli Gazete" ihr publizis"Milli Gazete" tisches Sprachrohr sei. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat jedoch in als Sprachrohr einem Eilverfahren am 16. Mai 2003 bestätigt, dass sich Programm der IGMG und Zielsetzung von "Milli Gazete" und IGMG decken. Die entsprechende Klage der IGMG wurde am 9. Juli 2004 vom Verwaltungsgericht Stuttgart auch im Hauptsacheverfahren abgewiesen. Vereinzelt distanziert sich zwar die IGMG von Artikeln der Zeitung, jedoch führen IGMG und "Milli Gazete" gemeinsame Veranstaltungen durch, auf denen für das Blatt geworben wird. Die Nähe von IGMG 208 Ausländerextremismus und "Milli Gazete" zeigt sich am Gesamtbild der Berichterstattung. So erschien am 16. Januar unter dem Titel "Herzensgrüße" ein Gedicht, in dem der Führer der Milli Görüs-Bewegung Prof. Necmettin Erbakan als "das helle Antlitz der Welt" und als Lehrmeister bezeichnet wird, der die Hoffnung des Autors sei, ohne den sich der Autor verlassen fühle; diese "Lobeshymne" entspricht den Huldigungen auf der IGMG-Generalversammlung am 15. Juni 2002 in Arnheim/Niederlande. WerbeveranstalDass die "Milli Gazete" ein Sprachrohr der IGMG ist, wird auch dadurch tungen der deutlich, dass die IGMG einem offiziellen Vertreter der "Milli Gazete", "Milli Gazete" dem neuen PR-Beauftragten Ibrahim Gümüsoglu, der zudem selbst langjähriger IGMG-Funktionär war, die Türen der IGMG-Moscheen für Werbezwecke geöffnet hat. Bei einer dieser Veranstaltungen in einer bayerischen IGMG-Moschee stellte sich Gümüsoglu einleitend als ehemaliger Regionsvorsitzender der IGMG Frankfurt vor; für die "Milli Gazete" sei er seit zwei Monaten tätig, weil die Zeitung für den Dialog der Gläubigen in Europa sorge. Er kritisierte, dass er immer wieder feststellen müsse, dass "unsere" Brüder andere Zeitungen hätten und trotzdem vorgäben, Milli Görüs anzugehören. Wer die "Milli Gazete" nicht lese, sei seiner Meinung nach aber von der "Organisation" losgerissen, da man keine Nachrichten bekäme. Seinen Zielvorstellungen zufolge sollen auch IGMG-Funktionäre in den Zeitungsvertrieb der "Milli Gazete" eingebunden werden. Auch Kinder der IGMG-Mitglieder werden in den Lehrbüchern "Temel Bilgiler 1" und "Temel Bilgiler 2" bereits auf die "Milli Gazete" hingewiesen. DurchsuchungsAm 30. September durchsuchte die Polizei aufgrund eines Beschlusses aktion in München des Amtsgerichts München die IGMG-Zentrale Südbayern in München. Vorangegangen waren Ermittlungen wegen Volksverhetzung gegen einen noch unbekannten Imam, der im Februar zur Tötung von Juden und Christen aufgerufen haben soll. Bei der Durchsuchung wurden neben neun Personalcomputern 69 Bücher, 36 Videokassetten und 38 CDs beschlagnahmt. Unter den Asservaten befanden sich Veröffentlichungen über Prof. Necmettin Erbakan, die islamistischen Parteien der Türkei und die Milli Görüs-Bewegung. In den beschlag- Ausländerextremismus 209 nahmten Büchern wird die Feindschaft gegen Juden, Freimaurer und Publikationen Christen sowie die Ablehnung des Westens und der Demokratie aus dem Buchsichtbar. Weitere beschlagnahmte Publikationen betonen die Bedeusortiment der tung des Djihad und die Allgemeingültigkeit des Islam. Das MedienIGMG angebot der IGMG-Südbayern, das jedenfalls teilweise offensichtlich auch zur Verbreitung vorrätig gehalten wurde, belegt, dass die Führung des Verbands der Ideologie Prof. Erbakans und dessen Saadet Partisi treu ergeben ist. Die IGMG hält in ihrem Buchsortiment auch antisemitische Schriften vorrätig; besonders auffallend ist ein Werk mit dem türkischen Titel "Beynelminel Yahudi" (Der Internationale Jude). Es handelt sich um eine Zusammenfassung von antisemitischen Schriften des verstorbenen amerikanischen Autoherstellers Henry Ford. Diese aus den zwanziger Jahren stammenden Zeitungsbeiträge wurden während des Dritten Reichs 1934 ebenfalls unter dem Titel "Der internationale Jude" zusammengefasst und veröffentlicht. Die beschlagnahmte Fassung wurde von dem Autor Hacasan Yüncü im Jahr 2000 in türkischer Sprache veröffentlicht. Die Basis der Beiträge Fords bildeten die "Protokolle der Weisen von Zion", ein antisemitisches Pamphlet, das vorgibt, jüdische Machenschaften zur Beherrschung der Welt aufzudecken. Sowohl der Nationalsozialismus als auch heutige Rechtsextremisten greifen darauf zurück. Mit einem breiten Angebot in der Jugendund Sozialarbeit versucht Kinderund die IGMG, junge Türken in Deutschland an die Organisation zu binJugendarbeit den. So führte die IGMG nach wie vor Sommerkorankurse durch. Diese so genannten "Sommerschulen" sind eingebettet in ein Bildungsprogramm, das die IGMG-Zentrale verabschiedet hat. Dieses Programm umfasst eine islamische Ausbildung, die vom Kindergarten bis zur 8. Klasse reicht. Diese Weiterbildung findet in Moscheen, Jugendherbergen und Hotels statt. Die Ausbildungsbemühungen der IGMG schließen aber auch die Errichtung eigener Kindergärten ein. Auf einer am 25. Juli in Neu-Ulm zum Thema "Situation muslimischer Kinder im deutschen Bildungssystem" durchgeführten Veranstaltung warb die IGMG ausdrücklich für eigene muslimische Kindergärten. Durch diese Angebote sollen die Kinder und Jugendlichen aus dem "Sumpf der westlichen Lebensweise" herausgehalten und "islamischen" Wertmaßstäben gemäß erzogen werden. 210 Ausländerextremismus 3.11.2 Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) Deutschland Bayern Anhänger: 800 120 früherer Vorsitzender: Metin Kaplan Gründung: 1984 Verbot: 12.12.2001 Sitz: Köln Publizistische Sprachrohre: Asr-I Saadet; D.I.A. (Die islamische Alternative) Der 1984 gegründete "Kalifatsstaat" (Hilafet Devleti) war eine am "Führerprinzip" orientierte, streng hierarchisch gegliederte Organisation. Das Endziel dieses "Staates ohne Staatsgebiet" war die Weltherrschaft des Islam unter dem Kalifat seines Anführers Metin Kaplan. Als erste Stufe auf dem Weg zu diesem Ziel wurde der gewaltsame Sturz des laizistischen Regierungssystems in der Türkei angestrebt. Der "Kalifatsstaat" lehnte Demokratie und jede Trennung von Politik und Religion strikt ab. Er richtete sich damit gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung und gefährdete die Innere Sicherheit in Deutschland. Das BundesVereinsverbot ministerium des Innern verbot deshalb am 12. Dezember 2001 die Vereinigung "Kalifatsstaat" einschließlich der ihr zugeordneten 17 Teilorganisationen, darunter alle vier bayerischen Verbände. Am 19. September 2002 wurden weitere 16 Teilorganisationen des Kalifatsstaats vom Bundesministerium des Innern verboten. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte am 27. November 2002 das Verbot. Der als "Kalif von Köln" bekannt gewordene Islamistenführer und frühere Vorsitzende des "Kalifatsstaats" Metin Kaplan, der wegen Mordaufrufs eine vierjährige Gefängnisstrafe in Deutschland verbüßt hatte, wurde am 12. Oktober festgenommen und noch am selben Tag aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei abgeschoben. Zuvor war mit Beschluss des VerwaltungsEmblem des gerichts Köln vom 5. Oktober der von Kaplan gestellte Antrag auf Kalifatsstaats Abschiebeschutz abgelehnt worden. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte Anfang Dezember die bereits vollzogene Abschiebung für Abschiebung rechtens. Kaplan ist zurzeit in türkischer Haft und muss sich seit dem Kaplans 20. Dezember wegen Hochverrats vor Gericht verantworten. Ausländerextremismus 211 In Bayern existierten bis zum Verbot des "Kalifatsstaats" vier MoscheeTeilorganisationen vereine als Teilorganisationen der Ulu-Camii/Zentralmoschee Köln, in Bayern und zwar in Augsburg, Ingolstadt, Nürnberg und Garching bei München. Aufgabe der Moscheevereine in Bayern war es, die Spenden und Steuern der Mitglieder einzutreiben und bei der Zentrale in Köln abzuliefern. Ihnen oblag es ferner, die Weisungen des Kalifen bei den wöchentlichen Freitagsgebeten und Sonderveranstaltungen bekannt zu geben und umzusetzen. Darüber hinaus waren die Vereine in Bayern verpflichtet, Kinder der Verbandsmitglieder im Koran zu schulen und ihnen die Doktrin des "Kaplan-Verbands" näher zu bringen. Die Moscheevereine waren nur Verbandsmitgliedern zugänglich und durch Vereinsfahnen oder Türschilder als solche gekennzeichnet. Die Gebetsräume dienten auch dem gesellschaftlichen Beisammensein der Mitglieder. Bei Veranstaltungen wurden den Anwesenden Videos und Kassetten mit Reden und Beiträgen von Cemaleddin und Metin Kaplan präsentiert. Der verbandseigene Fernsehsender Hakk-TV versorgte via Satellit die Mitglieder mit aktuellen Beiträgen zum Weltgeschehen aus der Sicht des "Kalifatsstaats". Die Anhänger des "Kalifatsstaats" lebten und agierten im Rahmen Abschottung und ihres fiktiven Staatsgebildes. Sie bezahlten Steuern an den Kalifen. Finanzierung Ferner wurden Mitgliedsbeiträge in Höhe von 2,5 % der Nettolöhne erhoben, die sich sogar zeitweise bis auf den gesamten Monatslohn erhöhten. An die Moscheevereine waren Läden angegliedert, die Lebensmittel der verbandseigenen Firma "KAR-BIR" veräußerten. Die Mitglieder wurden aufgefordert, nur dort Lebensmittel zu kaufen. In Bayern sichergestellte Unterlagen belegen, dass zwischen den afghanischen Taliban und dem "Kalifatsstaat" enge Kontakte bestanden. Der Europavertreter der Taliban, Mullah Nekmal, sprach auf einer Großveranstaltung des "Kalifatsstaats" am 15. Mai 1999 in Köln. Der "Kalifatsstaat" hatte darüber hinaus Verbindungen zum Kontakte zu Spendensammelverein al-Aqsa e.V. sowie zur Hezb-i Islami (Partei des anderen fundaIslam) in Afghanistan. Bei einem hochrangigen Funktionär des "Kalimentalistischen fatsstaats" in Bayern wurde Propagandamaterial der am 15. Januar Gruppen mit einem Betätigungsverbot belegten Hizb ut-Tahrir (Partei der islamischen Befreiung) sichergestellt. In beschlagnahmten Videos der verbotenen Vereinigung wurde der Djihad verherrlicht. Titel wie "Die Schule des Djihad" und "Der kleine Gotteskrieger", ein Zeichentrickfilm, der besonders Kinder ansprechen sollte, repräsentieren nur zwei der etwa 500 in Bayern sichergestellten Videofilme. 212 Ausländerextremismus Ungeachtet der Verbotsverfügungen versuchten ehemalige Mitglieder des "Kalifatsstaats", sowohl organisatorische Zusammenhänge aufrecht zu erhalten als auch die Lehren des "Kalifen" weiterhin zu verbreiten. Zu diesem Zweck wurden seit 2002 auch zwei neue Publikationen, die nach Inhalt und Diktion dem verbotenen "Kalifatsstaat" zuzuordnen sind, herausgegeben. Die "Asr-I Saadet" (Das Zeitalter der Glückseligkeit) ist eine wöchentlich in türkischer Sprache erscheinende Zeitung, während das Magazin "D.I.A." (Die islamische Alternative) in deutscher Sprache verfasst ist. Die Illustrierte "D.I.A." wurde zu Werbezwecken an Fachhochschulen im bayerischen Raum versandt. Beide Publikationen verbreiten die Ideologie des "Kalifatsstaats" weiter. "Lasst uns innerhalb der islamischen Armee unseren Platz einnehmen, um zuerst Istanbul und dann die Welt zu islamisieren - lasst uns das Recht erlangen neue Eroberer zu sein! (...) Lasst uns diejenigen Menschen machen, die ihren Platz in der Armee der Eroberung einnehmen und blutverschmiert zur Audienz gelangen, weil sie bis zum letzten Atemzug gekämpft haben, um Märtyrer zu werden!" (Asr-I Saadet Nummer 12 vom 20. März 2002) Am 11. Dezember 2003 wurden deshalb im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot rund 1.200 Objekte im gesamten Bundesgebiet durchsucht. Die Exekutivmaßnahmen richteten sich in erster Linie gegen die Bezieher der Zeitung "Asr-I Saadet". In Bayern waren 25 Wohnungen von den Maßnahmen betroffen. Ein Grossteil der Verteilerstruktur in Bayern wurde zerschlagen. Dennoch versuchten Anhänger des verbotenen Vereins weiterhin, dessen Ziele zu verfolgen. ExekutivAm 6. August führte die Polizei unter Leitung der Staatsanwaltschaft maßnahmen München erneut eine mehrere Bundesländer umfassende Durchsuchungsaktion bei ehemaligen Angehörigen des verbotenen "Kalifatsstaats" durch, die im Verdacht standen, die Vereinsaktivitäten des "Kalifatsstaats" fortzuführen. Hierbei wurden in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen insgesamt 32 Wohnungen, Gebäude und Gebetsräume durchsucht. In Bayern waren neben Ausländerextremismus 213 dem Aktionsschwerpunkt Augsburg auch Objekte in Ingolstadt, Nürnberg und Garching bei München betroffen. Islamistisches Propagandamaterial, Filmmaterial sowie mehrere verbotene Vereinsfahnen und ein Personalcomputer konnten sichergestellt werden. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse belegen, dass der verbotene "Kalifatsstaat" in Belgien und in den Niederlanden, wo der Verband noch nicht verboten ist, ein Vertriebsnetz von Propagandamaterial und Lebensmitteln aufgebaut hat. Der europaweite Verkauf dient u.a. der Finanzierung der Nachfolgeaktivitäten in Deutschland. Sowohl die seit dem Verbot mehrfach teilweise bundesweit durchgeführten Exekutivmaßnahmen gegen Anhänger des ehemaligen "Kalifatsstaats" als auch die Abschiebung des früheren "Kalifen" Metin Kaplan in die Türkei dürften zu einer Schwächung der Organisation und Verunsicherung der Anhänger geführt haben. 3.11.3 Front der islamischen Kämpfer des Großen Ostens (IBDA-C) Deutschland Bayern Anhänger: Einzelpersonen Anführer: Mirzabeyoglu Salih Leitung: Funktionärsgruppe (Zellen) Gründung: 1985 in der Türkei Publikation: Furkan (Die Rettung) Die IBDA-C ging 1985 in der Türkei aus der militanten Untergruppe "Akinicilar" der Nationalen Heilspartei (MSP) hervor. Der im April 2001 in der Türkei zum Tode verurteilte Kurde Salih Izzet Erdis (alias Salih Mirzabeyoglu) gilt als Führer der IBDA-C in der Türkei. Die Todesstrafe wurde inzwischen in lebenslange Haft umgewandelt. In der Vergangenheit trat die IBDA-C unter verschiedenen Operationsbezeichnungen, wie z.B. IBDA-C Ultraforce, IBDA-C Intifada, IBDA-C IGD (Islamic Guerilla Birligi - Islamische Guerillaeinheit), IBDA-C IB (Isci Birligi - Arbeitseinheit), auf. Die IBDA-C ist eine radikal-islamische Organisation. Sie strebt die Zerstörung der laizistischen Grundordnung der Türkei und einen "Vereinigten Islamstaat" auf der Grundlage der Scharia an. Sie betont islamistische Positionen, propagiert eine "islamische Revolution" und Extreme Gewaltbefürwortet Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele. Die IBDA-C gilt als bereitschaft 214 Ausländerextremismus extrem gewalttätig. Sie soll mit al-Qaida, der GIA und der HAMAS sympathisieren. Zu den Feindbildern der IBDA-C gehören neben der laizistischen Türkei generell der Westen - insbesondere die USA - sowie alle Juden und Christen. Die Organisation tritt seit 1992 überwiegend mit Brand-, Bombenund Handgranatenanschlägen mit Schwerpunkt in Istanbul in Erscheinung. Terroranschläge Die IBDA-C hat sich neben dem al-Qaida-Netzwerk und den "Abu in Istanbul Hafs al-Masri Brigaden" zu den Bombenanschlägen in Istanbul am 15. November 2003 auf zwei jüdische Synagogen und am 20. November 2003 auf das britische Konsulat und die Hongkong and Shanghai Banking Corporation (HSBC) bekannt. Die hochprofessionelle, zeitgleiche und auf symbolische Ziele gerichtete Vorgehensweise bei den Attentaten deuten auf eine maßgebliche Steuerung durch das al-Qaida-Netzwerk hin. In Deutschland wurde die Gruppierung IBDA-C NAS (Nizam Alem Say - Anstrengung für eine neue Weltordnung) durch einen Brandanschlag am 22. November 1996 auf das Gebäude des Türkischen Kulturvereins Hannover erstmalig bekannt. Die IBDA-C bekannte sich zu einem Sprengstoffattentat gegen das türkische Generalkonsulat am 17. April 2001 in Düsseldorf. In beiden Fällen entstand Sachschaden. Die Organisation verfügt - soweit bisher bekannt - über keinen hierarchischen Aufbau, sondern stellt sich als Zusammenschluss kleiner Zellen dar. Diese agieren konspirativ und unabhängig voneinander. In Deutschland sollen Zellen der IBDA-C in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein aktiv sein. 4. Sonstige ausländerextremistische Gruppierungen 4.1 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL), ehemals Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) bzw. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Die in der Türkei und Deutschland verbotene PKK hatte sich auf ihrem Namensänderung 8. Kongress im April 2002 in KADEK umbenannt und die Einstellung aller Aktivitäten der PKK beschlossen. Wesentliche Veränderungen in Organisation, Strukturen und Ideologie erfolgten damals nicht; es handelte sich lediglich um eine Änderung des Namens. Das gegen die PKK erlassene vereinsrechtliche Betätigungsverbot aus dem Jahr 1993 erstreckte sich deshalb auch auf den KADEK. Ausländerextremismus 215 Deutschland Bayern Anhänger: 11.500 1.800 Vorsitzender: Zübeyir Aydar Kurd. Volksführer: Abdullah Öcalan Leitung: Führungsfunktionäre der "Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK) (in Abhängigkeit vom Vorsitzenden des KONGRA GEL bzw. KHK, dem kurdischen Volksführer Abdullah Öcalan und dem Exekutivkomitee des KONGRA GEL) Gründung: 1978 in der Türkei (in Deutschland seit 26. November 1993 verboten) Publikation: Serxwebun (Unabhängigkeit) Am 15. November 2003 gab der "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA Erneute GEL) im Rahmen einer Pressekonferenz in Süleymaniye/Nordirak Umbenennung seine Gründung bekannt. Abdullah Öcalan wurde zu seinem Volksführer erklärt. Organisation, Aufgaben und Ziele sind in einer eigenen Satzung definiert. Kurz zuvor, am 26. Oktober 2003, hatte der KADEK seine Auflösung beschlossen. Es handelt sich deshalb ebenfalls nur um eine Umbenennung, die sich nicht auf das Betätigungsverbot auswirkt. Nachdem die PKK bereits unter Vorbehalten auf den bewaffneten Kampf und separatistische Absichten verzichtet hatte, wurde ihre Programmatik zunächst unter der Bezeichnung KADEK und aktuell unter KONGRA GEL fortgeschrieben. Die Politik des KONGRA GEL blieb unverändert. Auch die Strukturen bestehen weitgehend fort. Nach erheblichen Differenzen und monatelangen Auseinandersetzungen innerhalb der Führungsspitze der Organisation hatten sich im Februar 17 hochrangige Führungsfunktionäre, darunter die ehemaligen Präsidialratsmitglieder der PKK bzw. des KADEK Osman Öcalan - ein Bruder des inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan -, Nizamettin Tas und Kani Yilmaz von der Organisation distanziert. Trotz intensiver interner Verhandlungen und einer kurzzeitigen Rückkehr zur Organisation hat sich diese Spaltung des KONGRA GEL verfestigt. Die abgeSpaltung des spaltene Gruppe hatte - zunächst unter der Bezeichnung "VorbereiKONGRA GEL tungskomitee für eine demokratische Friedensalternative" - via Internet eine Erklärung veröffentlicht, in der sie sich gegen eine Beendigung des selbst erklärten Waffenstillstands durch den KONGRA GEL wandte. Anfang August fand unter Leitung von Osman Öcalan eine 216 Ausländerextremismus Konferenz der "Demokratischen Friedensalternative" statt, auf welcher die Gründung einer neuen Kurdenorganisation mit dem Namen "Patriotisch-Demokratische Partei" (PDP) beschlossen wurde. Über Struktur sowie politische Ausrichtung dieser Organisation liegen bislang nur unzureichende Angaben vor. Der Rat der Europäischen Union hat am 2. April beschlossen, sowohl den KONGRA GEL als auch die Vorgängerorganisation KADEK als Alias-Bezeichnungen der PKK, die bereits am 2. Mai 2002 in die Aufnahme in die EU-Liste terroristischer Organisationen aufgenommen wurde, zu EU-Terrorliste bewerten. Dies führte zu heftigen europaweiten Protesten. In Deutschland kam es in zahlreichen Städten zu Demonstrationen, deren Veranstalter zumeist die örtlichen KONGRA GEL-nahen Vereine waren. So entzündeten am 14. April in Krefeld/Nordrhein-Westfalen etwa zehn Anhänger des KONGRA GEL mittels Brandbeschleuniger vier Autoreifen. Dabei wurden auch eine Fahne der PKK sowie zwei Bilder von Abdullah Öcalan gezeigt. Am 15. April betrieb der als Anlaufstelle der KONGRA GEL-Anhänger fungierende Verein "Internationales Kulturzentrum Aschaffenburg e.V." in Aschaffenburg einen Themen bezogenen Info-Stand. Auch in München fanden vom 16. bis 18. April mehrere Veranstaltungen unter dem Motto "KONGRA GEL von der EU-Terrorliste streichen" mit bis zu 120 Teilnehmern sowie eine Hungerstreikaktion statt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer Entscheidung am 21. Oktober festgestellt, dass die Führungsspitze der ehemaligen PKK - nunEinstufung als mehr KONGRA GEL - auch weiterhin als kriminelle Vereinigung einkriminelle gestuft werden darf. Die Führungsebene der ehemaligen PKK sei Vereinigung schon wegen ihrer vereinsinternen Bestrafungsaktionen als kriminelle Vereinigung zu bewerten. Daran habe sich auch durch den angeblichen Kurswechsel der Organisation nichts Wesentliches geändert. Im Prozess des inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan gegen den türkischen Staat rügte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Türkei wegen der Verurteilung Abdullah Öcalans. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Öcalans Recht auf Verteidigung behindert wurde, die Dauer der Untersuchungshaft zu lang gewesen sei und er keinen fairen Prozess erhalten habe. Die Türkei wurde weiterhin dazu verurteilt, die Kosten des Verfahrens in Höhe von rund 100.000 Euro zu tragen. In dem Urteil wurde hinsichtlich der Festnahme des PKK-Vorsitzenden und seiner anschließenden Verbringung in die Türkei festgestellt, dass es sich "um eine ungewöhnliche Ausländerextremismus 217 Verhaftung" gehandelt habe. Sowohl Öcalans Anwälte als auch die Türkei legten Rechtsmittel gegen das Urteil ein (vgl. auch Nummer 4.1.4 dieses Abschnitts). 4.1.1 Ideologie Der KADEK war eine gut organisierte, straff geführte, ursprünglich marxistisch-leninistisch geprägte Kaderorganisation. Sein Programm bestand aus einer Mischung von sozialistischem und nationalistischem Gedankengut. Gemäß seiner Satzung wurde der KADEK nach dem Prinzip des "demokratischen Zentralismus" geführt. Im Mittelpunkt stand über zwei Jahrzehnte der aktive "revolutionäre Kampf" für ein freies und unabhängiges Kurdistan. Seit August 1999 plädierten PKK/KADEK für eine regionale Lösung aller Probleme des Mittleren Ostens auf der Grundlage der "demokratischen Einheit". Der bislang propagierte Friedenskurs zielte auf einen gewaltfreien politischen Ausgleich mit der Türkei ab. Verlauf und Endgültigkeit des angekündigten Veränderungsprozesses sind jedoch weiterhin nicht absehbar, zumal der KONGRA GEL am 28. Mai die Beendigung des Beendigung des bisherigen Waffenstillstands zum 1. Juni bekannt gab. Im Anschluss Waffenstillstands daran kam es in der Türkei wieder vermehrt zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen "Volksverteidigungskräften" (HPG) - den Guerillaeinheiten des KONGRA GEL - und türkischen Sicherheitskräften mit Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Zwiespältig ist nach wie vor das Verhältnis der Organisation zur Gewalt. Einerseits verurteilt der KONGRA GEL jegliche Anwendung von Gewalt, andererseits unterhält er im kurdischen Siedlungsgebiet weiterhin militärische Kampfeinheiten als Druckmittel. Satzungsgemäß haben sie sich dem politischen Willen des KONGR GEL unterzuordnen. Jede existenzielle Bedrohung der HPG wird nach wie vor als Kriegsgrund angesehen. Der KONGRA GEL hielt bislang an seinem seit der Gründung der PKK erhobenem Anspruch, im Kampf der Kurden die Führungsrolle einzuFührungsrolle nehmen, uneingeschränkt fest. In der Vergangenheit kam es deshalb wiederholt zu Auseinandersetzungen auch militärischer Art mit konkurrierenden Kurdenorganisationen. Die Organisation verstand sich als die alleinige Vertretung der in Deutschland lebenden rund 500.000 türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit, obwohl sich nur etwa 10 % dieser Volksgruppe zum KONGRA GEL bekannten bzw. bekennen. 218 Ausländerextremismus 4.1.2 Organisation Die KONGRA GEL-Gremien (Generalrat, Vorstand, Exekutivrat, Komitees) sind trotz Umbenennung weitgehend mit den KADEK-Strukturen identisch. Auch das Führungspersonal des KONGRA GEL unterÖcalan kurdischer scheidet sich kaum von dem des KADEK. Abdullah Öcalan selbst hat Volksführer nach der Satzung des KONGRA GEL die Position eines kurdischen Volksführers. In dieser Bezeichnung wird der Alleinvertretungsanspruch für alle Kurden, den die PKK und ihr Generalvorsitzender schon immer reklamiert haben, erstmals satzungsmäßig dokumentiert. Vorsitzender des KONGRA GEL ist der ehemalige Führungsfunktionär des KONGRA GEL-dominierten "Kurdischen Nationalkongresses" (KNK) Zübeyir Aydar. Bei seinen Stellvertretern handelt es sich um ranghohe Führungsfunktionäre des KADEK. Die hauptamtlichen Kader des KONGRA GEL leben mit häufig wechselnden Aufenthaltsorten und unter Verwendung von Decknamen Konspiratives in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich äußerst konspirativ. Die Verhalten KONGRA GEL-Anhängerschaft ist in zahlreichen, der Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM) angegliederten Tarnorganisaörtlichen Vereinen organisiert. Diese Vereine, die sich nach außen als tionen reine Kulturvereine darstellen, haben die Aufgabe, Ziele und Politik des KONGRA GEL unter den Anhängern zu verbreiten und zu fördern. Darüber hinaus bedient sich der KONGRA GEL zahlreicher vom Betätigungsverbot nicht erfasster Nebenorganisationen ("Y-Gruppen"). Diese haben die Aufgabe, verschiedene Zielgruppen innerhalb der kurdischen Bevölkerung für die Interessen des KONGRA GEL zu gewinnen. Die Kurdische Demokratische Volksunion (YDK), deren Aufgabe es war, die "kurdischen Massen" zu organisieren, hat im Rahmen ihres Reorganisation 5. Kongresses ihre Selbstauflösung und Reorganisation unter der der YDK unter der Bezeichnung "Koordination der kurdischen demokratischen GesellBezeichnung CDK schaft in Europa" (CDK) beschlossen. Der Kongress fand vom 12. bis 21. Juni in Frankreich statt. Wesentliches Merkmal der neuen Organisation soll ein "basisdemokratischer Aufbau unter Beteiligung aller Volksschichten" über so genannte Volksräte sein. Damit soll einer Vorgabe Abdullah Öcalans zum Ausbau der "Volksdemokratie" entsprochen werden. Wesentliche Änderungen gegenüber der bisherigen YDK in Bezug auf Aktionsverhalten, Struktur und Personal konnten noch nicht festgestellt werden. Kurdischer Nationalkongress Die Rolle des "Kurdischen Nationalkongresses" (KNK), der nach Meldung der pro-kurdischen Zeitung "Özgür Politika" (Freie Politik) Ausländerextremismus 219 Anfang Juni auf seiner 5. außerordentlichen Generalversammlung restrukturiert wurde, besteht künftig wohl darin, als Dachorganisation für die Einheit der vier Teile Kurdistans in den Siedlungsgebieten der Türkei, Syriens, des Iraks und des Irans zu sorgen. So sei die wichtigste Aufgabe des KNK, den kurdischen Kampf öffentlich bekannt zu machen. Die KONGRA GEL-Nebenorganisation "Partei der Freien Frauen" (PJA) hat im Rahmen ihres 5. Kongresses eine Namensänderung und Reorganisation durchgeführt. Die Frauenbewegung des KONGRA Frauenbewegung GEL wird künftig unter der Bezeichnung "Freiheitspartei der Frauen Kurdistans" (PAJK) tätig sein. Organisatorisch angeschlossen ist die Frauenguerilla, die sich "Freie Frauenbewegung" (YJA STAR) nennt. Aus den Reihen der "Bewegung der freien Jugend Kurdistans" (TECAK), welche die Zeitschrift "ÖZGÜR GENCLIK" (Freie Jugend) herausgibt, rekrutiert sich ein Teil der Guerilla des KONGRA GEL. Nicht selten wurden dabei in der Vergangenheit Jugendliche gegen den Willen ihrer Eltern zwangsverpflichtet und in Ausbildungslagern im benachbarten Ausland geschult, bevor sie zum Kampfeinsatz in die Türkei geschleust wurden. Der KONGRA GEL finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, dem Verkauf von Publikationen und den Einnahmen aus Veranstaltungen. Den größten Anteil der Einnahmen erbringt die jeweils von September bis Januar durchgeführte Spendenkampagne. Trotz aller Bemühungen konnte das in Bayern angestrebte Spendenziel von 250.000 Euro wie in den Vorjahren auch diesmal nicht erreicht werden. Des Weiteren gab es Hinweise, dass der KONGRA GEL auch vom Rauschgifthandel profitierte, indem er beispielsweise kurdische Drogenhändler abschöpfte. Der KONGRA GEL setzte seine Bemühungen fort, über seinen Internationalen Kurdischen Arbeitgeberverband (KARSAZ) das WirtschaftsWirtschaftspotenzial der in Europa lebenden Kurden zu kontrollieren. Hauptaktivitäten aufgabe des KARSAZ ist es, die kurdische Arbeitswelt zusammenzuführen und die modernen Entwicklungen, die sich an den wirtschaftlichen und demokratischen Werten Europas orientieren, weiterzugeben. Einem Kommentar in der KONGRA GEL-nahen Tageszeitung "Özgür Politika" zufolge wird KARSAZ als Organisation beschrieben, 220 Ausländerextremismus die u.a. auch einen "Beitrag zum Kampf des kurdischen Volks um Identität und Freiheit" leisten soll. KARSAZ unterhält Niederlassungen in Frankfurt am Main und in Berlin. Ebenfalls einem Bericht dieser Tageszeitung zufolge veranstaltete der KARSAZ am 3./4. April seinen 4. Jahreskongress in Raunheim bei Frankfurt am Main. Die rund 100 Delegierten verabschiedeten eine neue Satzung und wählten einen neuen Vorstand. Neuer Vorsitzender des KARSAZ ist Halil Karakas. An der Veranstaltung nahmen nach diesem Zeitungsbericht jeweils ein Vertreter der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) in Deutschland sowie des vom KONGRA GEL dominierten Kurdischen Nationalkongresses (KNK) und der PDS teil. KONGRA GEL-nahe Ein wichtiges Propagandamedium ist der KONGRA GEL-nahe FernMedien sehsender ROJ TV, der am 1. März seinen Betrieb aufnahm. Die Beiträge gleichen in wesentlichen Punkten der Berichterstattung seines Vorgängers MEDYA-TV, dem am 12. Februar nach einer Entscheidung des französischen Kassationsgerichtshofs letztinstanzlich die Sendelizenz verweigert wurde. ROJ TV wird vom KONGRA GEL als Plattform zur Darstellung seiner politischen Ziele genutzt. Als weiteres Agitationsinstrument dient dem KONGRA GEL die türkischsprachige Tageszeitung "Özgür Politika" in der regelmäßig Stellungnahmen führender KONGRA GEL-Funktionäre publiziert werden. Die Zeitschrift versucht, Einfluss auf die Politik im Mittleren Osten und den kurdischen Siedlungsgebieten im Sinn des KONGRA GEL zu nehmen. Die Zeitung feierte im Rahmen einer Jubiläumsveranstaltung am 21. August in Frankfurt am Main ihr zehnjähriges Bestehen. Darüber hinaus ist der KONGRA GEL auch mit einer eigenen Homepage im Internet präsent. Die Inhalte können dort in deutscher, englischer, kurdischer und türkischer Sprache abgerufen werden. Seit Juni unterhalten auch die Volksverteidigungskräfte des KONGRA GEL eine eigene, in türkischer und kurdischer Sprache aufgebaute Website im Internet, in der aktuelle Informationen über die HPG abgerufen werden können. 4.1.3 Strategie AnpassungsDie Strategie des KADEK war seit der Festnahme des Generalvorsitstrategie zenden Abdullah Öcalan geprägt von der Anpassung an die veränderte politische und militärische Lage. Gemäß den Verlautbarungen des ehemaligen PKK-Präsidialrats war der "nationale kurdische Ausländerextremismus 221 Befreiungskampf" in eine neue Phase eingetreten. Nach den bewaffneten Auseinandersetzungen der Organisation mit den türkischen Sicherheitskräften sei durch Verkündung des einseitigen Waffenstillstands durch den KADEK-Generalvorsitzenden Abdullah Öcalan im August 1999 eine erste Friedensphase eingeleitet worden, die im weiteren Verlauf zu einem "detaillierten Friedensprojekt" ausgearbeitet wurde. Erstmals im Jahr 2002 floss in die Politik des KADEK die Anerkennung der territorialen Einheit der Nationalstaaten des Kurdengebiets ein. In einer Stellungnahme vom 28. Mai erklärte der Kommandorat der Volksverteidigungskräfte (HPG) den bisherigen von der PKK/KADEK ausgerufenen Waffenstillstand mit Wirkung vom 1. Juni für beendet, Beendigung des da dieser durch die verstärkten Vernichtungsoperationen des türWaffenstillstands kischen Staates seinen Sinn verloren habe. Gleichzeitig wurde ein acht Punkte umfassender Forderungskatalog vorgelegt, der vom türkischen Staat zur Beendigung der Konfliktsituation zu erfüllen sei. Murat Karayilan, Vorsitzender des Verteidigungskomitees des KONGRA GEL und Mitglied des Leitungsrates der Organisation, gab im März die Gründung eines "Vorbereitungskomitees für den Wiederaufbau der PKK" bekannt. Die Pläne zu einer Neugründung der PKK gingen auf Pläne zur NeuVorstellungen Abdullah Öcalans zurück. Aussagen dieses Komitees gründung der PKK zufolge werde die neue PKK, die zu Beginn lediglich 500 bis 600 Kader umfassen solle, weder eine nationalistische Ausrichtung haben noch die Gründung eines kurdischen Staates anstreben. Begründet wurde die Forderung nach einem Wiederaufbau der PKK damit, dass die Basis der Organisation eine Kadergemeinschaft benötige, die den kurdischen Freiheitskampf führen könne, ohne von der Linie Abdullah Öcalans abzuweichen. Ziel sei es, eine "Föderation des Demokratischen Nahen Ostens" zu erreichen. Die Anwendung von Gewalt werde von der neuen PKK grundsätzlich abgelehnt; das Recht auf legitime Selbstverteidigung werde man sich aber weiterhin vorbehalten. Aktivitäten dieser Organisation waren in Bayern bislang nicht feststellbar. 4.1.4 Aktivitäten Trotz des seit 1993 verfügten Verbots führten KONGRA GEL-Anhänger erneut deutschlandweit eine Reihe von Veranstaltungen durch, die in der Regel friedlich verliefen. Diese Veranstaltungen belegen das nach 222 Ausländerextremismus wie vor vorhandene Mobilisierungspotenzial der Organisation von mehreren zehntausend Anhängern. Die Polizei musste bei Veranstaltungen mehrfach wegen Verstößen gegen das Vereinsgesetz einschreiten. Anlässlich des fünften Jahrestages der Festnahme Abdullah Öcalans Großdemonstraführten Anhänger des KONGRA GEL am 14. Februar in Straßburg/Franktion in Straßburg reich eine friedlich verlaufene Großdemonstration unter dem Motto "Freiheit für Öcalan - Frieden in Kurdistan" durch. An der Veranstaltung beteiligten sich etwa 12.000 Personen, davon rund 300 aus Bayern. Die aus mehreren europäischen Ländern - überwiegend jedoch aus Deutschland - angereisten Teilnehmer zeigten zahlreiche Fahnen der Organisation und Portraits von Abdullah Öcalan. In politischen Redebeiträgen wurde insbesondere Kritik am "internationalen Komplott", an der "Isolationshaft" von Abdullah Öcalan und am Lizenzentzug des KONGRA GEL-nahen Fernsehsenders MEDYA-TV geübt. Auch in Bayern fanden zu der Thematik "Freiheit für Abdullah Öcalan" wiederholt Kundgebungen, u.a. in München, Nürnberg und Aschaffenburg, statt. Konflikt mit Am 12. März kam es in Syrien nach einem Fußballspiel zu schweren Syrien Auseinandersetzungen zwischen Personen kurdischer Volkszugehörigkeit und Arabern sowie syrischen Sicherheitskräften, in dessen Folge rund 100 Personen getötet und mehrere hundert verletzt wurden. Der KONGRA GEL erklärte hierzu, dass dieses Ereignis kein Zufall, sondern Produkt der seit langem verfolgten Politik der syrischen Regierung sei, das kurdische Volk zu unterdrücken. Auch in Deutschland gab es deshalb Kundgebungen. In Berlin versuchten kurdische Demonstranten, auf das Gelände der syrischen Botschaft vorzudringen; dabei wurden Polizeikräfte angegriffen. In München fand am 20. März eine friedliche Demonstration unter Beteiligung von rund 260 Personen statt. In Brüssel wurden 60 kurdische Demonstranten festgenommen, nachdem 15 von ihnen auch hier versucht hatten, in die syrische Botschaft einzudringen. In Genf besetzten am 15. März etwa 40 militante Kurden das syrische Konsulat. Newroz-Feiern Anlässlich des kurdischen Newroz-Festes veranstalteten Anhänger des KONGRA GEL in mehreren europäischen Staaten Kundgebungen und Aufzüge. Auch in zahlreichen deutschen Städten fanden Veranstaltungen statt, die durch die örtlichen sympathisierenden Vereine organisiert wurden. Höhepunkt der diesjährigen Newroz-Feiern war Ausländerextremismus 223 eine zentrale Demonstration am 20. März in Hannover, an der insgesamt rund 25.000 Personen teilnahmen, davon etwa 350 Anhänger des KONGRA GEL aus Bayern. Zu der Veranstaltung unter dem Motto "Frieden, Freiheit und Demokratie" hatten die KONGRA GEL-nahe "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM) sowie das ebenfalls KONGRA GELnahe "Kurdistan-Zentrum Hannover e.V." aufgerufen. Thema war u.a. der angeblich schlechte Gesundheitszustand von Abdullah Öcalan. Mehrere Personen, die Fahnen und Plakate der verbotenen früheren PKK gezeigt haben, wurden festgenommen. Am 21. März veröffentlichten die HPG anlässlich des Newroz-Festes eine Botschaft, in der sie die kurdische Jugend aufforderten, sich an der Guerilla zu beteiligen. In Bayern fanden u.a. in München, Regensburg und Schweinfurt lokale Newroz-Kundgebungen mit bis zu 600 Teilnehmern statt. Vor dem Hintergrund eines erneuten Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall des in der Türkei inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan führte die KONGRA GEL-nahe "Föderation kurdischer Vereine in Frankreich" (FEYKA-Kurdistan) am 9. Juni in Straßburg eine zentrale und störungsfrei verlaufene GroßDemonstration demonstration unter dem Motto "Freiheit für Öcalan und ein freies in Straßburg Kurdistan" durch. Nach Polizeiangaben beteiligten sich an der Kundgebung rund 7.500 - überwiegend aus Deutschland - angereiste Kurden. Die Kundgebung belegte einmal mehr den hohen Stellenwert, den Abdullah Öcalan nach wie vor als Identifikationsfigur für seine Anhängerschaft besitzt. Unter dem Motto "Frauen überwinden Grenzen und kommen zusammen" führten das "Frauenbüro für Frieden - CENI" und die Fraueninitiative "Freiheit für Leyla Zana" am 10. Juli in Dortmund das "1. Internationale ZILAN-Frauenfestival" durch. Bei der NamensFrauenfestival geberin für die Veranstaltung handelt es sich um eine Angehörige der PKK, die sich am 30. Juni 1996 in Ostanatolien als Selbstmordattentäterin mit einer Bombe in die Luft gesprengt hatte und seither von der Organisation als Märtyrerin verehrt wird. An der Veranstaltung, für die bundesweit geworben worden war, beteiligten sich etwa 5.000 Personen, darunter auch etwa 20 Anhänger aus Bayern. 224 Ausländerextremismus Festival in Köln Im Kölner Süd-Stadion fand am 30. / 31. Juli das alljährlich vom KONGRA GEL initiierte "Mazlum Dogan Jugend-, Kulturund Sportfestival" statt. An der Veranstaltung nahmen rund 8.000 kurdische Jugendliche teil. Das Festival findet alljährlich zu Ehren des PKK-Mitbegründers Mazlum Dogan statt, der sich am 21. März 1982 in türkischer Haft erhängt hatte und seither als Märtyrer der Organistion verehrt wird. In Grußbotschaften der KONGRA GEL-Führung sowie verschiedener Nebenorganisationen wurden die Jugendlichen aufgerufen, den Kampf zu verstärken und Widerstand zu leisten. Die Festivalteilnehmer skandierten im Verlauf der Veranstaltung Parolen, mit denen sie ihre Verbundenheit zu Abdullah Öcalan zum Ausdruck brachten. Anlässlich des Jahrestags der Aufnahme des bewaffneten Kampfs von Guerillaeinheiten der ehemaligen PKK in der Türkei (15. August 1984) führten Anhänger und Sympathisanten des KONGRA GEL bundesweit zahlreiche Gedenkveranstaltungen durch. Diese Kundgebungen wurden in der Regel von örtlichen KONGRA GEL-nahen Vereinen organisiert, so auch in Nürnberg. Festival in Am 25. September fand in Gelsenkirchen unter dem Motto "KurdiGelsenkirchen sche Perspektiven - Wegweiser für Partnerschaft in Europa und im Nahen Osten" das 12. Internationale Kurdistanfestival statt. Die Veranstaltung, an der sich rund 40.000 Personen beteiligten, wurde vom KONGRA GEL-nahen Fernsehsender ROJ TV etwa sieben Stunden lang übertragen. Grußbotschaften kamen u.a. von der aus türkischer Haft entlassenen ehemaligen DEP-Abgeordneten Leyla Zana sowie von der in den Niederlanden in Auslieferungshaft befindlichen PKK-Funktionärin Nuriye Kesbir. Aus Bayern beteiligten sich an dem Festival rund 200 Personen, die überwiegend aus den Ballungsräumen München und Nürnberg angereist waren. Die vom KONGRA GEL seit dem 1. November initiierte europaweite Aktionskampagne mit dem Ziel, die Kurdenfrage zum Gegenstand der Entscheidung über die EU-Beitrittsverhandlungen zu machen, endete mit dem Gipfeltreffen der EU-Regierungschefs. Im Rahmen dieser Kampagne veranstaltete die KON-KURD, eine Nebenorganisation des GroßdemonstraKONGRA GEL, am 11. Dezember in Brüssel eine zentrale Großdemonsttion in Brüssel ration, an der sich zehntausende - überwiegend aus Deutschland angereiste - Kurden beteiligten, darunter auch etwa 150 Anhänger aus Bayern. Zahlreiche Teilnehmer brachten ihre Sympathien für den kurdischen "Volksführer" Abdullah Öcalan und den KONGRA GEL durch Ausländerextremismus 225 Fahnen, Plakate und Parolen offen zum Ausdruck. In einer Grußbotschaft wies Abdullah Öcalan die Türkei und die EU darauf hin, dass eine Anerkennung der demokratischen Rechte der Kurden und die Unterstützung ihres Freiheitswillens Voraussetzung für die bevorstehenden Beitrittsverhandlungen sein müssten. Man wolle eine brüderliche Lösung erreichen und das Blutvergießen beenden. Die HPG betonten in ihrer Grußbotschaft, dass sie im Stande seien, jegliche Angriffe auf das kurdische Volk - sei es von außen oder innen - abzuwehren. 4.1.5 Festnahmen und Gerichtsverfahren Im Zusammenhang mit der von der PKK im Mai 2001 durchgeführten "Identitätskampagne" dauert deren strafrechtliche Aufarbeitung Strafrechtliche weiterhin an. Damals sollten sich die PKK-Anhänger den deutschen Aufarbeitung Sicherheitsbehörden offen als Anhänger der PKK zu erkennen geben, um durch massenhafte Ermittlungsverfahren das Verbot in Frage zu stellen. Die Strafverfolgungsbehörden in Bayern führen mehrere Ermittlungsverfahren in Bamberg, Schweinfurt und Erlangen gegen Unterstützer der "Identitätskampagne" wegen Verstößen nach dem Vereinsgesetz. In Passau wurde im Februar gegen einen örtlichen Aktivisten ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts der verbotenen PKK durch Aufbau und Führung von Zellen im ostbayerischen Raum eingeleitet. Ferner stellte die Polizei dort bei einer Kontrolle eines KONGRA Sicherstellung von GEL-Funktionärs verschiedene Propagandapublikationen sicher. Der PropagandaBeschuldigte steht zudem im Verdacht, an herausgehobener Position publikationen den organisatorischen Zusammenhalt des KONGRA GEL durch Aufbau und Führung von Zellen in Ostbayern betrieben zu haben. In Regensburg wird gegen einen KONGRA GEL-Aktivisten ermittelt, dem bereits im Jahr 2000 die politische Betätigung zugunsten der PKK untersagt wurde. Er steht im Verdacht, sich weiterhin für die Organisation engagiert zu haben. In München wurde im Juli gegen einen Anhänger des KONGRA GEL ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz eingeleitet. Im Anschluss an eine Durchsuchung des Vereins MED-Kulturhaus e.V. im November 2002 wurden in der Wohnung des Beschuldigten zahlreiche Spendenquittungen zugunsten der PKK-Teilorganisation Natio- 226 Ausländerextremismus nale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK), die in Deutschland seit 1993 verboten ist, gefunden. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof leitete am 16. Januar ein Ermittlungsverfahren gegen Ali Riza Altun wegen des Verdachts der Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung ein. Der in Frankreich lebende Altun ist seit Mitte 2000 Europakoordinator und damit ranghöchster Vertreter der Organisation in Europa. Im Mai wurde ein 33-jähriger türkischer Staatsangehöriger kurdischer Abstammung aufgrund eines Haftbefehls des Bundesgerichtshofs in Düsseldorf festgenommen. Der Beschuldigte ist verdächtig, seit Juni 2001 u.a. als Regionsverantwortlicher bzw. Sektor-Leiter für die verbotene Organisation aktiv gewesen zu sein. Ein weiterer Funktionär des KONGRA GEL wurde im Mai in Unna aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshofs festgenommen. Er soll seit 2003 verantwortlicher Leiter des Gebiets Bremen gewesen sein. Ihm wird Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Beteiligung an einer gefährlichen Körperverletzung vorgeworfen. Am 30. September wurde in Hamburg ein ehemaliger Führungsfunktionär der PKK festgenommen. Er gilt nach Darstellung der Türkei als Mitglied einer Gruppe von fünf bis zehn ehemals hochrangigen PKK-Führungsfunktionären, die den seit der Festnahme Öcalans im Februar 1999 propagierten Friedenskurs nicht mittragen wollte. Diese Gruppe nannte sich auch "National Demokratische Initiative Kurdistans" (NDIK). Der KONGRA GEL bezichtigte diesen Personenkreis des Verrats und gab ihr den Namen "Kösül-Bande". Der KONGRA GEL-Verantwortliche für das Gebiet Mainz wurde am 12. November in Rüsselsheim wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung festgenommen; die Festnahme erfolgte im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen Spendenerpressung zugunsten des KONGRA GEL. In Athen konnte im September ein ranghoher Funktionär des KONGRA GEL festgenommen werden. 1999 war er der verantwortliche Leiter bei der Besetzung des griechischen Generalkonsulats in Düsseldorf. Das dortige Oberlandesgericht verurteilte ihn deshalb zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Eine 2002 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung wurde im Dezember 2003 widerrufen und der Funktionär zur Festnahme ausgeschrieben. Ausländerextremismus 227 4.2 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) Deutschland Bayern Mitglieder: 800 120 Gründung: 1978 in der Türkei (in Deutschland seit 1983 verboten) Die Organisation ist gespalten in: * Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) * Türkische Volksbefreiungspartei-Front (THKP-C Devrimci Sol) (Beide Gruppierungen sind in Deutschland seit 1998 verboten) Die 1978 gegründete und 1983 in Deutschland verbotene revolutionär-marxistische Devrimci Sol versteht sich als eine an den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus ausgerichtete Volksbewegung. Sie zählt zu den militantesten türkischen Extremistengruppen, die mit Hilfe einer bewaffneten Revolution auf die Zerschlagung des türkischen Staates Revolutionäre zielen und in der Türkei terroristisch aktiv sind. Seit 1993 ist die Zielsetzung Devrimci Sol in den "Karatas-Flügel", aus dem die 1994 in Syrien gegründete Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) hervorging, und den "Yagan-Flügel", aus dem sich die Türkische Volksbefreiungspartei-Front (THKP-C Devrimci Sol) entwickelte, gespalten. Das Bundesministerium des Innern hat am 13. August 1998 gegen die DHKP-C als Ersatzorganisation der Devrimci Sol ein Vereinsverbot und gegen die THKP-C Devrimci Sol ein Betätigungsverbot ausgesprochen. Die Verbote sind bestandskräftig. Mit Beschluss vom 2. Mai 2002 nahm die Europäische Union die DHKP-C in die EU-Terrorliste auf. Örtliche Schwerpunkte der DHKP-C mit insgesamt rund 110 Anhängern in Bayern bestehen in Aschaffenburg, München, Neu-Ulm, Regensburg und Nürnberg; für die THKP-C Devrimci Sol sind in Bayern nur einzelne Mitglieder aktiv. Die Agitation und der Kampf gegen den "Imperialismus", gegen die NATO, die USA sowie die Staatsund Gesellschaftsordnung sind zentrale Elemente der Ideologie der türkischen linksextremistischen Gruppierungen. Einige von ihnen, wie die DHKC und die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP), sehen ihr Heimatland Türkei als Kampfgebiet an, in dem auch terroristische Anschläge zur Erreichung politischer Ziele begangen werden können. 228 Ausländerextremismus Agitation gegen In diesem Zusammenhang war der am 28./29. Juni in Istanbul stattfindie NATO dende NATO-Gipfel ein Agitationsthema. Das "TAYAD-Komitee e.V.", das im Sinn der DHKP-C handelt, die "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" (ATIK), die "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V." (ATIF), die "Föderation für demokratische Rechte in Deutschland" (ADHF), die "Föderation der Arbeitsimmigranten aus der Türkei in Deutschland" (AGIF) und andere türkische Gruppierungen aus Deutschland und dem europäischen Ausland gründeten im Vorfeld des NATO-Gipfels in Istanbul die Plattform "RESISTANBUL 2004". Diese diffamierte in Presse und Internet-Veröffentlichungen die NATO als eine "aggressive Kriegsorganisation". Laut "RESISTANBUL 2004" diene der Gipfel in erster Linie dazu, eine dauerhafte Präsenz des "US-Imperialismus" im Irak zu gewährleisten, den "Kriegsplan" zu genehmigen, die Besetzung weiterer Länder und die "Massakrierung der Völker" im Nahen Osten zu rechtfertigen und "die Türkei in eine Militärbasis für einen blutigen, ungerechten und schmutzigen Krieg umzuwandeln". Die türkische DHKC, der militärische Arm der DHKP-C, hat sich in einer im Internet veröffentlichten Erklärung, Nummer 335 vom 25. Juni, für Anschlag in die Sprengstoffexplosion in einem Bus in Istanbul am 24. Juni verantIstanbul wortlich erklärt. Die Explosion forderte vier Todesopfer und 15 Verletzte. Unter den Toten ist auch die Aktivistin der DHKC, die den Sprengstoff transportiert hatte. In ihrer Erklärung räumte die DHKC ein, dass der Bus nicht das eigentliche Ziel des Anschlags gewesen sei, und entschuldigte sich bei der "versehentlich betroffenen Zivilbevölkerung". Zugleich betonte die DHKC, dass vor allem der Hungerstreik der "politischen Gefangenen" in türkischen Gefängnissen und deren "Todesfasten" Grund ihrer Anschläge sei. Man wolle so Solidarität mit den weiterhin inhaftierten Hungerstreikenden, deren Angehörigen und den Angehörigen der 117 im Verlauf des Hungerstreiks verstorbenen Gefangenen erreichen. Ein Hinweis auf das ursprünglich vorgesehene Ziel des Anschlags oder etwaige Zusammenhänge mit dem NATO-Gipfel war in der Erklärung nicht enthalten. Ein Aktivitätsschwerpunkt der DHKP-C lag bei Protestaktionen gegen die Gefängnisreform in der Türkei, die vom "Solidaritätsverein für die Familien der Gefangenen" (TAYAD) und dem "Komitee gegen Isolationshaft" (IKM), beide der DHKP-C nahe stehend, durchgeführt wur- Ausländerextremismus 229 den. So wurden in der ersten Juni-Woche in acht deutschen, drei türkischen und fünf weiteren europäischen Großstädten zeitgleich Transparentaktionen durchgeführt. Am 1. Juli veranstaltete das "TAYAD-Komitee e.V." in den Städten Berlin, Frankfurt am Main, Köln, Hamburg und Nürnberg Hungerstreikaktionen, die jedoch weitgehend unbeachtet blieben. Der Protest richtete sich ebenfalls gegen die Gefängnisreform in der Türkei und sollte auf den seit Oktober 2000 stattfindenden Hungerstreik von "politischen Gefangenen" und auf deren angebliche Isolationshaft hinweisen. Bei einer koordinierten Aktion gegen Mitglieder der DHKP-C nahmen Exekutivdie Sicherheitskräfte in der Türkei, Italien, Deutschland, Belgien und maßnahmen den Niederlanden am 1. April mehr als 40 Personen fest. In Deutschland durchsuchte die Polizei drei Wohnungen in Alfter bei Bonn, in Köln und Heddesheim/Baden-Württemberg. Ausgangspunkt der Maßnahmen waren Ermittlungen der italienischen Sicherheitsbehörden gegen den DHKP-C-Hauptverantwortlichen in Italien, weil dieser Weisungen zu Anschlägen in der Türkei übermittelt habe. In Griechenland wurde am selben Tag ein 29-jähriger DHKP-C-Funktionär festgenommen, der von der Bundesanwaltschaft wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Brandstiftung (gegen türkische Banken in Deutschland) und Verabredung zum Mord zur Fahndung ausgeschrieben war. Der Deutsche türkischer Herkunft hatte sich bis 1998 in Duisburg aufgehalten. Am 29. Juni wurde in Rotterdam ein DHKP-C-Funktionär aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters beim BGH festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, in Deutschland für die Weiterleitung von Spendengeldern an die Deutschlandführung der DHKP-C sowie die Planung und Durchführung von Gewalttaten verantwortlich zu sein. Am 5. August durchsuchte die Polizei ein Zeltlager von Anhängern der DHKP-C auf einem Campingplatz in Eberbach/Baden-Württemberg. Zwei der 56 anwesenden Personen wurden festgenommen. Mehrere hundert Exemplare der der DHKP-C zuzurechnenden Publikation "Ekmek ve Adalet" (Brot und Gerechtigkeit) sowie CDs, Flugblätter und sonstige Publikationen konnten sichergestellt werden. 230 Ausländerextremismus Gleichzeitig durchsuchte die Polizei in Köln die Vereinsräume des mutmaßlichen DHKP-C-Tarnvereins "Anatolische Föderation e.V.", der Veranstalter des Zeltlagers war. Es wurden u.a. die Publikation "Ekmek ve Adalet" sowie elektronische Datenträger und umfangreiche schriftliche Unterlagen beschlagnahmt. Am 19. August wurde in Köln ein 30-jähriger Funktionär der DHKP-C festgenommen. Er wird der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und der Beihilfe zum Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verdächtigt. Hintergrund des gegen ihn gerichteten Verfahrens ist der Verdacht, er sei in die Planung und Vorbereitung der Einfuhr von Kriegswaffen für die DHKP-C in die Türkei eingebunden gewesen. 4.3 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) Deutschland Bayern Mitglieder: 1.800 120 Gründung: 1972 in der Türkei Die Organisation ist gespalten in: * Maoistische Kommunistische Partei (MKP), ehemals Ostanatolisches Gebietskomitee (DABK) * Partizan-Flügel (TKP/ML) Die Entwicklung der TKP/ML ist seit dem Ende der 70er Jahre durch eine Vielzahl von Fraktionsbildungen und Abspaltungen geprägt. Im Zahlreiche Jahr 1994 spaltete sich das Ostanatolische Gebietskomitee (DABK) Abspaltungen vom so genannten Partizan-Flügel der TKP/ML ab. Dies führte zur Bildung von zwei neuen unabhängig voneinander existierenden Organisationen, die sich beide als Nachfolgeorganisation der ursprünglichen TKP/ML sehen. Während der Partizan-Flügel nach wie vor die Bezeichnung TKP/ML verwendet, hat sich das DABK bei seinem ersten Kongress im Jahr 2002 in MKP umbenannt. RevolutionärBeide Organisationen vertreten die Ideologie des Marxismus-Leninismarxistische mus, ergänzt um die Ideen Mao Tse-tungs, befürworten den bewaffIdeologie neten Kampf als Grundform ihres Handelns und propagieren den bewaffneten Bürgerkrieg mit anschließender Bildung einer Volksregierung. Mit der Türkischen Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee Ausländerextremismus 231 (TIKKO) auf Seiten der TKP/ML und der Volksbefreiungsarmee (HKO) auf Seiten der MKP unterhalten beide Gruppierungen in der Türkei bewaffnete Guerillagruppen. Zum 31. Jahrestag der Gründung der TKP/ML durch Ibrahim Kaypakkaya bekräftigten beide Organisationen 2003 ihr Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus-Maoismus. So hieß es in Flugblatt-Aufrufen: "Der Name Kaypakkaya ist der Name der Wissenschaft des Marxismus-Leninismus-Maoismus. Unsere Partei ... marschiert im Zuge der Werte, die sie aus eigener Praxis gewinnt, weiterhin auf die Revolution zu." (Partizan-Flügel) "Der Kommunismus ist unser endgültiges Ziel. Der Staat wird mit Gewalt zerstört werden. Dies ist das universelle Gesetz der Revolution." (MKP-Erklärung vom Januar 2003) In Deutschland organisierten sich die Anhänger der TKP/ML (Partizan-Flügel) in der 1976 gegründeten Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (ATIF) und der Ende 1986 gebildeten Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK). Beide Vereinigungen präsentieren sich als Massenorganisationen und tarnen ihre Verbindungen zur TKP/ML weitgehend. Die Anhänger der MKP sind seit Sommer 1997 in den beiden Basisorganisationen Föderation für demokratische Rechte in Deutschland (ADHF) bzw. Konföderation für demokratische Rechte in Europa (ADHK) organisiert. Beide Organisationen führten zum Gedenken an den Gründer der TKP/ML Ibrahim Kaypakkaya Veranstaltungen durch, wobei die Anzahl der Teilnehmer im Vergleich zum Vorjahr (je 4.000 Personen) mit einigen hundert MKP-Anhängern bzw. 2.500 TKP/ML-Partizan-Sympathisanten deutlich gesunken war. Die MKP veranstaltete mehrere dezentrale Feiern: am 8. Mai in Köln, am 9. Mai in Hamburg, am 15. Mai in Veranstaltungen Frankfurt am Main und am 16. Mai in Stuttgart. Die vom Partizan-Flügel ausgerichtete zentrale Großveranstaltung fand am 22. Mai in Wuppertal statt. Zentrale Agitationsfelder waren neben dem "Antiimperialismus" und Agitationsthemen dem Thema "Globalisierung" vor allem die Themen "Sozialabbau" und der NATO-Gipfel in Istanbul. Hauptgegner sind nach wie vor die USA, die als "Anführer der imperialistischen Barbarei" diffamiert werden, die "als Staatsterrortruppe fungierende NATO", aber auch Deutschland. 232 Ausländerextremismus Demonstrationen Bei Demonstrationen gegen die "Hartz IV-Reformen" verteilte die gegen "Hartz IVATIF eine Flugschrift, in der die Rücknahme der Arbeitsmarktreformen Reformen" gefordert wurde: "Der deutsche Imperialismus, der eine noch aggressivere Rolle im Welthandel (die Verteilung der Absatzmärkte) einnehmen möchte, verhält sich innenpolitisch zunehmend antidemokratisch, außenpolitisch zunehmend militaristisch und aggressiv." "Wir fordern soziale Sicherheit statt Sozialraub!" Nach Ansicht des Verfassers würden die Reformen im Interesse des "wirtschaftlichen Finanzsektors" durchgeführt, um die dabei eingesparten Geldmittel zur Modernisierung der Bundeswehr zu verwenden und diese zur Durchsetzung außenwirtschaftlicher Interessen der Bundesregierung einzusetzen. NATO-Gipfel Zum NATO-Gipfel am 28./29. Juni in Istanbul fanden die Protestin Istanbul demonstrationen unter Führung der Plattform "RESISTANBUL 2004" (vgl. auch Nummer 4.2 dieses Abschnitts) statt. Im Flugblatt "Auflösung der imperialistischen Kriegsmaschinerie NATO und Schließung aller Militärbasen" hieß es: "Die Bilanz der einjährigen Besatzung des Iraks hat gezeigt, dass diesem Unrecht der Invasoren mit heftiger und gerechtfertigter, mittlerweile auf das ganze Land übergreifender Gegenwehr sehr wohl begegnet werden kann." "Die NATO fungierte bisher als eine Angreiftruppe des transnationalen Finanzund Handelskapitals. Nun wird ein Gipfeltreffen in Istanbul organisiert, um den Krieg auf das ganze Gebiet zu verlagern. Wir werden deshalb diesem gefährlichen und kriegerischen Bestreben der NATO mit der Widerstandsplattform unserem RESISTANBUL begegnen." "Alle Invasoren und Besatzer raus aus der Nah-Ost-Region!!" 4.4 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) mit dem militärischen Arm FESK Deutschland Bayern Mitglieder: 600 40 Gründung: 1994 in der Türkei Publikation: Yeniden Atilim (Neuer Vorstoß) Ausländerextremismus 233 Die in der Türkei verbotene und terroristisch operierende MLKP entstand 1994 aus dem Zusammenschluss zweier türkischer linksextremistischer Organisationen. Wie die TKP/ML und die Devrimci Sol erstrebt sie die gewaltsame Zerschlagung des türkischen Staatsgefüges und die Errichtung einer kommunistischen Diktatur. Ihre Basisorganisation ist die "Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e.V." (AGIF) mit Sitz in Köln. Themenschwerpunkte der MLKP-Aktivitäten waren - wie bei der TKP/ML und MKP - die Konflikte im Irak, der Imperialismus, NATO und "Hartz IV". Solidaritätsaktionen im Zusammenhang mit der Gefängnisreform in der Türkei waren nicht mehr zu verzeichnen, nachdem die MLKP ebenso wie die TKP/ML und MKP das "Todesfasten" am 28. Mai 2002 für beendet erklärt hatten. Anlässlich ihres zehnjährigen Parteijubiläums führte die MLKP am 18. September in Gelsenkirchen eine Großveranstaltung durch, an der Großveranstaltung sich nach polizeilichen Angaben rund 1.800 Personen aus Deutschin Gelsenkirchen land und den angrenzenden Ländern beteiligten. Die Veranstaltung war weitgehend kulturell geprägt und verlief störungsfrei. Neben Musikdarbietungen wurden politische Reden in türkischer und deutscher Sprache gehalten. Im Zusammenhang mit den Konflikten im Irak erklärte sich die MLKP solidarisch mit dem irakischen Widerstand. Unter der Überschrift "Der Solidarisierung Widerstand im Irak wird weitergehen und die Völker werden siegen" mit irakischem erklärte die Organisation in ihrem "Internationalen Bulletin" Nummer 17 Widerstand vom Januar, dass die britisch-amerikanische Besatzung die Ursache für die Sprengstoffanschläge im Irak sei. Die Gründung eines "protektoratskolonialistischen Regimes" im Irak, die "Ausplünderung des irakischen Öls", die "imperialistischen Massaker, Folter und koloniale Unterdrückung" sowie die Verunglimpfung der arabischen und moslemischen Völker seien Gründe dafür, dass sich der Kampf der Völker nicht nur im Irak, sondern im gesamten Mittleren Osten entwickeln werde. Die "Bewaffneten Einheiten der Armen und Unterdrückten" (FESK), Militanter Arm die die türkischen Sicherheitsbehörden als militanten Arm der MLKP der MLKP ansehen, haben sich wie in den Vorjahren zu zahlreichen in der Türkei verübten Bombenanschlägen bekannt. Diese Anschläge verursachten regelmäßig nur Sachschäden oder geringere Personenschäden. Im Bundesgebiet sind bislang keine gewalttätigen Aktionen der MLKP bekannt geworden. 234 Ausländerextremismus Anschläge auf Die FESK hat auch die Verantwortung für vier Anschläge auf britische HSBC-Banken HSBC-Banken am 16. Mai in Istanbul und Ankara übernommen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der britische Premier, der zu einem Staatsbesuch in Ankara erwartet wurde, habe "den Mittleren Osten durch seine Bombardierung, Folter, Vergewaltigung und Verbrechen in ein Meer von Blut" verwandelt. Im Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel in Istanbul bekannte sich die FESK sowohl zu einer Explosion eines Sprengsatzes am 24. Juni in der Nähe des Hilton-Hotels in Ankara, das für den Besuch des US-Präsidenten in der türkischen Hauptstadt reserviert war, als auch zu Anschläge in einem Sprengstoffanschlag am 29. Juni auf ein bereits gelandetes Istanbul Flugzeug der Turkish Airlines auf dem Istanbuler Flughafen. In einer Erklärung der FESK heißt es hierzu: "Ihr, die die Häuser und Hochzeitsfeiern im Irak und Palästina bombardiert, die Kuba und Venezuela würgt, die die Weltbevölkerung Blut spucken lasst und sie zu versklaven versucht, ihr die Abu Gurayund Guantanamo-Schuldigen, seid dessen gewiss, keine Rechnung wird offen bleiben, nicht ihr, sondern das Volk wird siegen. Ihr werdet verlieren! Ihr wart es, die den Krieg in Häuser der Armen und Unterdrückten brachtet, nun wird die Gerechtigkeit der Geschädigten euch überall dort treffen, wo ihr euch befindet. Unsere zweite Aktion in dem Flughafen, der anlässlich des NATO-Gipfels als ein Ort mit 'Null-Risiko' bezeichnet wurde, ist hierfür ein kleiner Beweis. Wir sind überall, weil das Volk überall ist. Wir werden siegen!" Im Internet hat sich die FESK zu weiteren vier Bombenanschlägen bekannt, bei denen am 28. September nahezu zeitgleich drei Sprengsätze vor britischen HSBC-Banken in Istanbul, Izmir und Adana explodierten. Der vierte Sprengsatz detonierte in der Nähe eines türkisch-amerikanischen Kulturzentrums und eines Regierungsgebäudes in Ankara. 4.5 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V. (ADÜTDF) Deutschland Bayern Mitglieder: 8.000 1.500 Vorsitzender: Cemal Cetin Gründung: 1978 Sitz: Frankfurt am Main Publikation: Türk Federasyon Bülteni Ausländerextremismus 235 Das Ziel der ADÜTDF war bisher, die einzige und größte türkische Einrichtung in Westeuropa zu werden. Die ADÜTDF war deshalb auch ein Sammelbecken von Anhängern der extrem nationalistischen türNationalistische kischen Partei der Nationalen Bewegung (MHP), die eine Großtürkei Ideologie nach osmanischem Vorbild propagierte. Dieses Streben der ADÜTDF nach Dominanz stand einer echten Integration der Türken wie auch der Muslime in die deutsche Gesellschaft entgegen. Die Ideologie des Nationalismus gab vielen türkischen Jugendlichen ein "Wir-Gefühl" gegenüber der deutschen Gesellschaft. Ihnen wurde die Überlegenheit der Türken suggeriert. Zwar riet der Verband den Mitgliedern, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen, Motiv hierfür waren aber nur die damit verbundenen größeren Einflussmöglichkeiten. In Bayern sind dem Verband etwa 30 Vereine zuzurechnen. Die Anhänger der ADÜTDF werden häufig auch als "Graue Wölfe" bezeichnet. Ihr Erkennungszeichen ist ein mit fünf Fingern stilisierter Wolfskopf. Die Führung der Organisation bekennt sich nach wie vor offen zu ihrer Leitfigur Alparslan Türkes, dem 1997 verstorbenen langjährigen MHP-Vorsitzenden. Die Parteiführung der MHP unter Devlet Bahceli bemüht sich seit einiger Zeit, der Partei ein konservativ geprägtes und europafreundliches Erscheinungsbild zu geben. Dies findet jedoch nicht die ungeteilte Zustimmung aller Mitglieder. So sind auch im Jahr 2004 noch Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass in der ADÜTDF nationalistische und rassistische Denkmuster bzw. Einstellungen gepflegt werden. Einzelne Landesbehörden für Verfassungsschutz berichten auch über islamistische Ansätze; die ErteiIslamistische lung islamischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache lehnt die Ansätze ADÜTDF möglicherweise auch deshalb ab. Sie verfügt über eigene Vereine, in denen türkischsprachiger Koranunterricht abgehalten wird. 4.6 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) / Volksmudjahidin Iran (MEK) Der Nationale Widerstandsrat Iran (NWRI) wurde als Zusammenschluss iranischer Oppositionsgruppen und Einzelpersonen 1981 in Paris gegründet. Im August 1993 bildete der NWRI ein Exilparlament und rief die Generalsekretärin der Volksmudjahidin Iran (MEK), Maryam Radjavi, zur "künftigen Präsidentin des Irans" aus. Die Aufgaben der 236 Ausländerextremismus Deutschland Bayern Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) Mitglieder: 900 200 Gründung: 1981 in Paris (in Deutschland vertreten seit 1994) Sitz: Berlin Deutschlandvertreterin: Dr. Bolourchi Massoumeh Volksmudjahidin Iran (MEK) Gründung: 1965 im Iran Sitz: Bagdad Leitung: Massoud Radjavi Publikation: Mojahed (Glaubenskämpfer) im westlichen Ausland tätigen MEK-Organisationen umfassen umfangreiche Propaganda-Aktivitäten und Geldbeschaffungsmaßnahmen. Militante iranische Das Ziel des NWRI und der MEK ist der Sturz des bestehenden iraniOppositionsgruppe schen Regimes. Hierzu wird als notwendiges Mittel der bewaffnete Kampf angesehen. Der NWRI ist weltweit politisch agierender Arm der MEK. Die MEK galt bis zur Besetzung des Iraks durch amerikanische und britische Truppen als stärkste und militanteste Oppositionsgruppe, die vom Irak aus im Iran operierte. Zu diesem Zweck unterhielt die MEK in der Vergangenheit ihren bewaffneten Arm "National Liberation Army" (NLA) im Irak, der für zahlreiche terroristische Anschläge im Iran verantwortlich war. Der Oberbefehlshaber dieser "Nationalen Befreiungsarmee" ist Massoud Radjavi, der Ehemann von Maryam Radjavi. Nach dem Sturz des irakischen Regimes im April 2003 schloss die NLA einen Waffenstillstand mit den US-Streitkräften; die rund 4000 Mitglieder wurden im Lager "Ashraf" im Irak unter US-Aufsicht gestellt und entwaffnet. Aufnahme der Am 2. Mai 2002 wurde die MEK - mit Ausnahme des NWRI - in die MEK in die Liste der als terroristisch eingestuften Organisationen der EuropäEU-Terrorliste ischen Union aufgenommen. In den zurzeit in Deutschland bekannten Strukturen der Organisation ist nahezu keine Abgrenzung zwischen der MEK und dem NWRI zu erkennen. Die Volksmudjahidin sind innerhalb der iranischen Exilopposition seit Jahren isoliert, da sie für sich in Anspruch nehmen, "einzige demokratische Alternative" zum iranischen Regime zu sein. Tatsächlich weist die Organisation jedoch selbst ein erhebliches Demokratiedefizit auf, verbunden mit einer erhöhten Gewaltbereitschaft. Belege hierfür sind Ausländerextremismus 237 die streng hierarchisch ausgerichtete Kaderstruktur in Verbindung mit einem sektenartigen Führerkult um das Ehepaar Massoud und Maryam Radjavi. Mit einer Demonstration am 13. September in Brüssel protestierten die Volksmudjahidin gegen ihre Aufnahme in die Liste terroristischer Organisationen. Allerdings machte auch hier eine NLA-Kämpferin für die Anhänger und die Öffentlichkeit deutlich, dass der bewaffnete Widerstand notwendig sei. Insgesamt sind die öffentlichen Aktivitäten des NWRI im Vergleich zu den Vorjahren erheblich zurückgegangen. Die MEK-Anhänger versuchen, mit öffentlichen Aktionen wie KonzerÖffentlichkeitsten und Informationsveranstaltungen Aufmerksamkeit zu erwecken arbeit und für ihre Ziele zu werben. Dazu nutzen sie Themen wie "Erdbebenopfer in Bam", "Menschenrechtsverletzung im Iran", "Gegen Abschiebung von Mitgliedern der NLA aus dem Irak", "Benefizkonzert für Erdbebenopfer", "Protest gegen das iranische Atomwaffenprogramm" und fordern die Streichung der Volksmudjahidin von der EU-Terrorliste. Derartige Veranstaltungen fanden am 2. Januar in Berlin, am 24. Januar in Washington, am 21. März in Belgien, am 17. Juni in Paris und am 13. September in Brüssel statt. Ferner werden sowohl Spendengeldsammlungen bei den Anhängern Finanzierung und Sympathisanten, als auch Haussammlungen mit dem angeblichen Ziel der Unterstützung Not leidender Menschen durchgeführt. Der Tarnverein Verein "Flüchtlingshilfe Iran e.V." (FHI) hat sich am 22. Oktober 2003 aufgelöst. Es gibt jedoch Anhaltspunkte dafür, dass in Bayern die Adressen von Spendern an andere Vereine, wie z.B. an den "Menschenrechtsverein für Migranten e.V.", weitergegeben wurden. Mitglieder dieses Vereins suchen nun die ehemaligen Spender zum Zwecke neuer Spendensammlungen auf. MEK und NWRI versuchen nach wie vor, Politiker für ihre Ziele sowie für die Teilnahme an Veranstaltungen zu gewinnen, um sich in der Öffentlichkeit als freiheitsliebende und "demokratische" Exilbewegung darzustellen. 238 Ausländerextremismus 5. Übersicht über erwähnenswerte extremistische Organisationen von Ausländern sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation, Organisation, Publikationen Publikationen ideologische Ausrichtung ideologische Ausrichtung (einschließlich (einschließlichErscheinungsweise) Erscheinungsweise) 1. Afghanische, arabische und maghrebinische Gruppen Al-Qaida und internationale islamische Front sunnitisch-extremistisch Muslimbruderschaft (MB) Risalat ul-Ikhwan sunnitisch-extremistisch - wöchentlich - Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) Al-Islam - unregelmäßig - Al-Gamaa al-Islamiya (GI) sunnitisch-extremistisch Djihad Islami (JI) sunnitisch-extremistisch Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) und Islamischer Bund Palästina (IBP) Al-Aqsa e.V. (in Deutschland rechtskräftig verboten seit 03.12.2004) sunnitisch-extremistisch Islamische Heilsfront (FIS) Al-Ribat (Das Band) sunnitisch-extremistisch - wöchentlich - Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA) Al-Jamaa (Die Gruppe) sunnitisch-extremistisch - monatlich - Al-Quital (Die Schlacht) - wöchentlich - En Nahda sunnitisch-extremistisch Hizb ut-Tahrir (Partei Gottes) Al-Khilafah (Das Kalifat) (in Deutschland seit 15.01.2003 verboten) - unregelmäßig - schiitisch-extremistisch Al-Waie explizit - vierteljährlich - Hezb-i Islami (HIA) sunnitisch-extremistisch Ansar al-Islam sunnitisch-extremistisch Tablighi Jamaat sunnitisch-extremistisch Al-Tauhid sunnitisch-extremistisch Ausländerextremismus 239 Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) Hizb Allah (Partei Gottes) Al-Intiqad (Die Kritik) schiitisch-extremistisch - wöchentlich - Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) Al-Hourriah (Die Freiheit) marxistisch-leninistisch - wöchentlich - Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) Al-Hadaf (Das Ziel) marxistisch-leninistisch - wöchentlich - Democratic Palestine - zweimonatlich - Volksfront für die Befreiung Palästinas Ila-al-Amam (Vorwärts) - Generalkommando - (PFLP-GC) - wöchentlich - marxistisch-leninistisch Hizb al-Dawa al-Islamiya (Dawa) (Partei des islamischen Rufs / der islamischen Mission) schiitisch-extremistisch Islamisch Irakische Gemeinschaft Deutschland e.V. (IIGD) schiitisch-extremistisch 2. Iranische Gruppen Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB) islamisch-extremistisch Union islamischer Studentenvereine in Europa (U.I.S.A) Qods (Jerusalem) islamisch-extremistisch - unregelmäßig - Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) Hambastegi (Solidarität) marxistisch - unregelmäßig - Volksmudjahidin Iran (MEK) Mojahed (Glaubenskämpfer) islamisch-extremistisch - wöchentlich - Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) Sitz: Berlin islamisch-extremistisch 3. Kurdische Gruppen Volkskongress Kurdistans Serxwebun (Unabhängigkeit) (KONGRA GEL bzw. KHK) - monatlich - bisher: Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistan Report Kurdistans (KADEK) - zweimonatlich - davor: Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) marxistisch-leninistisch (in Deutschland seit 26.11.1993 verboten) Teilorganisationen des KONGRA GEL: Volksverteidigungskräfte (HPG) bisher: Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK) 240 Ausländerextremismus Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) bisher: Kurdische Demokratische Volksunion (YDK) davor: Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) (in Deutschland seit 26.11.1993 verboten) Kurdischer Nationalkongress (KNK) Nebenorganisationen des KONGRA GEL: Kurdistan-Komitee e.V., Köln (seit 26.11.1993 verboten) Kurdistan Informationsbüro in Deutschland (KIB) (seit 02.03.1995 verboten) Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (FEYKA-Kurdistan) (seit 26.11.1993 verboten) Kurdistan Informations-Zentrum (KIZ) Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM) Haus der kurdischen Künstler e.V. bisher: HUNERKOM Freiheitspartei der Frauen Kurdistans (PAJK) Jina Serbilind (Die stolze Frau) bisher: Partei der Freien Frauen (PJA) - vierteljährlich - davor: Union der freien Frauen aus Kurdistan (YAJK) Union der Journalisten Kurdistans (YRK) Union der patriotischen Arbeiter Kurdistans (YKWK) Union zur Pflege der kurdischen Kultur und Kunst (YRWK) Welate Me (Unsere Heimat) Bewegung der freien Jugend Kurdistans (TECAK) ÖZGÜR GENCLIK (Freie Jugend) bisher: Union der Jugendlichen aus Kurdistan (YCK) bisher: Sterka Ciwan (Stern der Jugend) - zweimonatlich - Verband der StudentInnen aus Kurdistan (YXK) Ronahi (Licht) - dreimonatlich - Demokratische Aleviten-Föderation (FEDA) Semah bisher: Föderation der Demokratischen Aleviten (DAV) bisher: Zülfikar davor: Union der Aleviten aus Kurdistan (KAB) - monatlich - Islamische Bewegung Kurdistans (KIH) Baweri (Glaube) Kurdischer Roter Halbmond (HSK) Roja Kurdistane (Sonne Kurdistans) Ausländerextremismus 241 Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) 4. Türkische Gruppen 4.1 Linksextremisten Türkische Kommunistische Partei/ Isci-Köylü Kurtulusu Marxisten-Leninisten (TKP/ML) (Arbeiter-Bauern-Befreiung) - zweimonatlich - Partizan-Flügel Devrim Yolunda Isci Köylü (Arbeiter und Bauern auf dem Weg der Revolution) - vierzehntägig - Maoistische Kommunistische Partei (MKP) Devrimci Demokrasi bisher: DABK (Ostanatolisches Gebietskomitee) (Revolutionäre Demokratie) Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (TIKKO) Frontorganisation der TKP/ML (Partizan Flügel) Volksbefreiungsarmee (HKO), militärischer Arm der MKP Basisorganisationen der TKP/ML: Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (ATIF) Sitz: Duisburg (Partizan-Flügel) Föderation für demokratische Rechte in Deutschland (ADHF) (DABK-Flügel) Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) Mücadele (Kampf) (Partizan-Flügel) - unregelmäig - Konföderation für demokratische Rechte in Europa (ADHK) (DABK-Flügel) Bolschewistische Partei Nordkurdistan/Türkei Bolsevik Partizan (BP-KK/T) (Bolschewistischer Partisan) (Abspaltung von der TKP/ML) - monatlich - Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) in Deutschland seit 09.02.1983 verboten; nach dem Verbot in zwei Fraktionen (Karatasbzw. Yagan-Flügel) zerfallen Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) Ekmek ve Adalet aus dem Karatas-Flügel der Devrimci Sol hervorgegangen (Brot und Gerechtigkeit) (in Deutschland seit 13.08.1998 verboten) - wöchentlich - Türkische Volksbefreiungspartei-Front (THKP-C Devrimci Sol) aus dem Yagan-Flügel der Devrimci Sol hervorgegangen (in Deutschland seit 13.08.1998 verboten) 242 Ausländerextremismus Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Yeniden Atilim (Neuer Vorstoß) - wöchentlich - Basisorganisation der MLKP: Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei AGIF Bülteni in Deutschland e.V. (AGIF) - zweimonatlich - 4.2 Extreme Nationalisten Föderation der Türkisch-Demokratischen Türk Federasyon Bülteni Idealistenvereine in Europa e.V. (ADÜTDF) - monatlich - Sitz: Frankfurt am Main 4.3 Islamische Extremisten Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) Verbandszeitschrift: Sitz: Kerpen Milli Görüs & Perspektive Publizistisches Sprachrohr: Milli Gazete (Nationale Zeitung) Hilafet Devleti (Kalifatsstaat) Asr-I Saadet bisher: Verband der islamischen Vereine und (Das Zeitalter der Glückseligkeit) Gemeinden e.V. (ICCB) mit Sitz in Köln - wöchentlich - (in Deutschland seit 12.12.2001 verboten) D.I.A. (Die islamische Alternative) Front der islamischen Kämpfer des Furkan (Die Rettung) großen Ostens (IBDA-C) Scientology-Organisation 243 6. Abschnitt Scientology-Organisation (SO) International Deutschland Bayern Mitglieder: 125.000 bis 150.000* 5.000 bis 6.000 etwa 2.600 Vorsitzender: David Miscavige Helmuth Blöbaum Gerhard Böhm Gründung: Los Angeles 1952 München 1972 Nürnberg 1982 Church of Scientology Scientology Kirche Scientology Kirche International (CSI) Deutschland e.V. Bayern e.V. Sitz: Los Angeles, USA München München/Nürnberg (in Deutschland unselbständige Teilorganisationen) Publikationen: Freiheit, Impact, Ursprung, Source u.a. * geschätzte bzw. hochgerechnete Zahlenangaben, die auf Mitgliederbzw. Aussteigerinformationen basieren 1. Zur Geschichte der SO Im Jahre 1950 veröffentlichte der amerikanische Science-Fiction-Autor PersönlichkeitsL. Ron Hubbard (1911 bis 1986) in den USA das Buch "Dianetik - Die manipulation als moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit". Darin stellte er neue Therapie seine "Technologie" zur "Heilung psychosomatischer Krankheiten und geistiger Störungen" vor. In den folgenden Jahren kam es zur Gründung so genannter "Dianetik-Zentren" und schließlich zum Aufbau der SO. Im Jahre 1952 gründete er die "Hubbard Association of Scientologists International" (HASI), die noch nicht den Anspruch erhob, eine Kirche oder angewandte religiöse Philosophie zu sein. Hubbard erkannte jedoch bald die wirtschaftlichen und steuerlichen Vorteile einer Umwandlung seiner Organisation in eine Kirche. DesEtikettenhalb erklärte er sein von ihm erdachtes Verfahren der PsychomaniSchwindel pulation, das er zusammen mit einer totalitären Organisationslehre und -technik in Form eines Kommandosystems ("Admintech") entwickelt hat, zur Religion und gründete 1954 die erste "Kirche". Die Leiter der örtlichen Niederlassungen in den USA nennen sich seitdem "Geistliche", tragen kirchliche Kleidung und fügen ihrem Namen den Titel "Reverend" hinzu. Im Jahre 1957 wurde der SO in den USA Steuerbefreiung gewährt, weil sie steuerrechtlich als gemeinnützige Organisation (charitable organisation) bewertet wurde. 244 Scientology-Organisation Nachdem die oberste amerikanische Steuerbehörde IRS (Internal Revenue Service) fragwürdige persönliche Bereicherungstatbestände bei Hubbard und vielen seiner Funktionären aufdeckte, widerrief sie 1967 die Steuerbefreiung aller Scientology-Einrichtungen. In ihrer Begründung hierzu hieß es: "Die Führungskräfte von Scientology profitieren vom Status einer ,gemeinnützigen Kirche'. (...) Die Aktivitäten von Scientology sind kommerziell. (...) Die Scientology-Kirche dient den privaten Interessen des Gründers L. Ron Hubbard." Die SO wehrte sich gegen diese Entscheidung. Sie erreichte 1993 in einem Vergleich mit der IRS, wieder als gemeinnützig anerkannt zu werden. Nach einem Bericht der "The New York Times" setzte die SO Einschüchterungsdabei schmutzige Methoden der Einschüchterung und Erpressung und Erpressungsein. Mitarbeiter der IRS wurden bis in die Privatsphäre hinein ausmethoden spioniert und zum Teil wegen erfundener Behauptungen mit über 2.000 Prozessen überzogen. Die Anleitung für dieses Vorgehen ist in einem Richtlinienbrief Hubbards vom 15. August 1960 über die Einrichtung eines "Department of Government Affairs" enthalten, der Methoden beschreibt, mit denen Regierungen gefügig gemacht werden sollen. Darüber hinaus liegt Scientology seit Jahrzehnten im Konflikt mit den Rechtsordnungen demokratischer Staaten. Die Vorwürfe lauten z.B. auf Betrug und Wucher gegenüber Kunden, Bedrohung und Nötigung von Kritikern, auf Verschwörung gegen die Regierung, Steuerhinterziehung und Bildung einer kriminellen Vereinigung. In diesem Zusammenhang kam es in den USA zu zahlreichen Verfahren und Verurteilungen von Funktionären der SO. Seit Mitte der 80er Jahre, nach dem Tode Hubbards und intrigenreichen Machtkämpfen innerhalb der Organisation, übernahm David Miscavige die Führung der SO. 2. Ideologie und Aktivitäten Anhaltspunkte für Nach Feststellung der Konferenz der Innenminister von Bund und VerfassungsfeindLändern (IMK) vom 5./6. Juni 1997 liegen tatsächliche Anhaltspunkte lichkeit für verfassungsfeindliche Bestrebungen der SO vor. Die SO bekämpft den Beobachtungsauftrag der Verfassungsschutzbehörden seit Jahren in der Öffentlichkeit mit polemischer, herab- Scientology-Organisation 245 setzender Kritik und mit dem Hinweis auf ihre angebliche Religionseigenschaft. Die Ideologie der SO stützt sich ausschließlich auf die Schriften von L. Ron Hubbard, die nach eigenen Aussagen unveränderliche Gültigkeit besitzen. Insbesondere werden seine programmatischen Äußerungen in den so genannten "policy letters" (Richtlinienbriefen) den Mitgliedern und Mitarbeitern als verbindliche Orientierung vorgegeben. Der ideologische Überbau der SO beruht auf drei Säulen: der DianeDie "drei Säulen" tik, der Lehre Scientology und der scientologischen Ethik. Dianetik der SO richtet sich vordergründig an den Einzelmenschen, dogmatisiert aber tatsächlich gesellschaftliche und politische Grundsätze und Forderungen. In der Lehre Scientology, die sich an das "Geistwesen" des Menschen, den so genannten "Thetan", mit seinen verschiedenen Stufen der Befreiung richtet, prophezeit Hubbard, er kehre auf die Erde zurück nicht als religiöser, sondern als politischer Führer des Universums. Die scientologische Ethik beschreibt darüber hinaus die Disziplinierungstechnologie für Mitglieder, Mitarbeiter und die gesamte Gesellschaft. 2.1 Schriften der SO Die Analyse einer Vielzahl von Primärmaterialien der SO zeigt den generellen Absolutheitsanspruch der scientologischen Ideologie. Dieser bezieht sich nicht nur darauf, im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein, sondern erfasst den Menschen in all seinen persönlichen sowie zwischenmenschlichen und gesellschaftlich-politischen Lebensbereichen, sobald er in das Kontrollsystem der Organisation eingebunden ist. Bereits vom Grundgedanken von Scientology ergeben sich politische Dimensionen daraus, dass mit scientologischer "Technologie" nicht nur der Einzelne, sondern die gesamten gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse im Sinn einer grundsätzlichen Neuordnung der Gesellschaft verändert Veränderung der werden sollen. In diesem Zusammenhang wird eine verfassungsfeindGesellschaft mit liche Wertordnung nicht nur propagiert, sondern eine solche soll als SO-Techniken verbindlicher Ordnungsfaktor für Staat und Gesellschaft etabliert werden. Die SO in Deutschland bekennt sich auch in ihren aktuellen Veröffentlichungen ausdrücklich zur Person und der unveränderbaren politi- 246 Scientology-Organisation schen Programmatik ihres Gründers. Verschiedene programmatische Äußerungen der SO deuten sogar darauf hin, dass sie ihre Ziele kämpferisch-aggressiv verwirklichen will. Von Mitgliedern wird entsprechend einer Werbebroschüre der International Association of Scientologists (IAS) erwartet, dass sie "die Zerschlagung von Gruppen unterstützen, die den Zweck verfolgen, die Anwendung der Scientology-Technologie zu verhindern". Eine Änderung der ideologischen Ausrichtung ist nicht erkennbar; vielmehr werden weiter Schriften im genannten Sinn veröffentlicht. Auch wird strikt an den internen Richtlinien und den so genannten "policy letters" festgehalten. 2.2 Errichtung einer scientologischen Gesellschaft Politische Schon in seinem grundlegenden Buch "Dianetik" hatte Hubbard auf Zielsetzung die politische Relevanz und die Reichweite seiner Lehre und Technik hingewiesen. Mit der Entwicklung seiner totalitären "Admintech", die in elf Bänden niedergelegt ist, hat sich Hubbard ein sozialtechnisches Instrumentarium geschaffen, um sich Gruppen gefügig zu machen. Es soll eine ausschließlich nach scientologischen Richtlinien funktionierende Welt geschaffen werden. Diese neue "wahre Demokratie" soll an die Stelle der bisherigen Demokratien treten, die von Scientologen als Produkt einer aberrierten, d.h. von der Vernunft abweichenden, geisteskranken Gesellschaft angesehen werden. Alle gesellschaftlichen Probleme sollen dadurch gelöst werden, dass zunächst 10 bis 15 % der politischen Meinungsführer, dann 80 bis 98 % der Bevölkerung "geklärt" werden und die Gesellschaft schließlich nur noch aus den so genannten Nichtaberrierten, den Clears, besteht, wobei die "Unfähigen" oder "Unwilligen" nach Hubbard "abseits der Gesellschaft in Quarantäne" geschafft werden können. Gleichzeitig soll die "Admintech" zur Organisation aller gesellschaftlichen Gruppen und der Regierungen weltweit Verwendung finden. 2.2.1 Lenkung der Regierung durch Scientology Projekt Bereits am 20. März 1964 stellte Hubbard in einem Vortrag das ProWeltregierung jekt "International City" vor und erhob darin den Anspruch, weltweit die Regierungen zu beherrschen. Dazu dient auch die Hubbard-Anweisung vom 13. März 1961. Danach soll ein "Department für Behördenangelegenheiten" u.a. "ständigen Druck auf Regierungen ausüben, um Gesetzgebung von Grup- Scientology-Organisation 247 pen zu verhindern, die der Scientology entgegenstehen". Behörden und unabhängige Gerichte werden von der SO als "Gefahr" gesehen, der man begegnet, indem "immer ausreichend Drohungen gegen sie gesucht oder erfunden werden". 2.2.2 Einführung eines scientologischen Rechtssystems Die bestehenden Rechtsordnungen werden von der SO abgelehnt. Der Kreis der Rechtsträger wird auf die "Ehrlichen" beschränkt, also nur auf diejenigen, die sich der SO verschrieben haben. Im bereits 1959 erschienenen "Handbuch des Rechts" äußert sich "Handbuch des L. Ron Hubbard zur Funktion des scientologischen Rechtssystems. Rechts" Danach wird es im scientologischen Gesellschaftssystem keine Menschenund Grundrechte mehr geben, wie sie im Grundgesetz definiert sind. Im scientologischen Rechtssystem sind auch keine unabhängigen Gerichte vorgesehen. Vielmehr erforscht ein nicht an Recht und Gesetz gebundener Nachrichtendienst (vgl. auch Nummer 3.2.5 dieses Abschnitts) Sachverhalte und ergreift Maßnahmen. 2.2.3 Bekämpfung von Kritik an Lehre und Praxis - aggressive Expansionstechnik In einem Grundlagenwerk fordert Hubbard "totale Disziplin". Um die Totale DisziplinieMacht zu behalten, so offenbar der Gedanke von Hubbard in seinem rung der Anhänger Werk "Einführung in die Ethik der Scientology", müsse man kaltblütig, skrupellos, hemmungslos, gegebenenfalls auch heimtückisch, hinterlistig und mit Gewalt gegen die eigenen Feinde vorgehen, ansonsten we..rde man die Macht verlieren. Die im "Handbuch des Rechts" empfohlenen Operationen zur "Abwehr" von "Unterdrückern" lassen erkennen, dass die SO gewillt ist, die im Grundgesetz konkretisierten Grundrechte abzuschaffen oder hinsichtlich ihres Schutzbereichs verfassungswidrig einzuschränken und dadurch eine totale Kontrolle des Einzelnen durch die SO zu erreichen. 2.3 Aktivitäten der SO 2.3.1 Angriffe auf Repräsentanten des Staates Alle Aktivitäten der SO sind auf die Expansion der Organisation ausgelegt. In diesem Zusammenhang sind auch Maßnahmen der Kriti- 248 Scientology-Organisation kerbekämpfung zu sehen. Kritiker sind alle Personen und Institutionen, die den Zielen der SO nicht zustimmen und ihrer Ausbreitung entgegenstehen. Für deren "Handhabung" gibt es detaillierte Anweisungen, wie zu verfahren ist. Verunglimpfung Aus diesem Grund verunglimpft, beschimpft und verleumdet die SO von Politikern entsprechend dem immer noch gültigen HCO-Richtlinienbrief vom 11. Mai 1971 seit mehreren Jahren Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland. Darüber hinaus richten sich Verunglimpfungen auch gegen die Verfassungsordnung in Deutschland selbst. Sie wird mit derjenigen des nationalsozialistischen Deutschlands gleichgesetzt. Seit Juni veröffentlicht das so genannte Menschenrechtsbüro der SO im Internet die bereits schon 1999 erschienene Hetzschrift "Verfassungsschutz als Rufmordinstrument" auf Englisch. In den Vorbemerkungen dazu wird behauptet, dass die Hauptmerkmale des deutschen Verfassungsschutzes von Beginn an Korruption, Verrat und Kriminalität gewesen seien und dass heutzutage viele Deutsche glaubten, der Verfassungsschutz sei ein Instrument zur Ausspähung und Hetze gegen Minderheiten. 2.3.2 Techniken der Verhaltenskontrolle und -steuerung Durch effiziente Techniken der Verhaltenskontrolle und -steuerung, der "Technologie", werden die Mitarbeiter, aber auch die einfachen, aktiven Mitglieder in manipulativer Weise unter ständigen Verhaltenszwang gesetzt, um nach dem internen Sprachgebrauch des ManageFabrikation der ments wie "Maschinen" neue Kunden zu werben und zu Anhängern Mensch-Maschine des Systems zu machen. Der Leistungsdruck des Systems auf die Mitarbeiter und Mitglieder ist dabei so stark, dass sie sich dem technokratischen Regelwerk der "Admintech" und den Befehlen der Funktionsträger in der Regel ohne Widerspruch fügen, unter Umständen sogar unter Inkaufnahme der Verletzung von Normen und Dienstpflichten. 2.3.3 Ausforschung und Bekämpfung von Kritikern Personen, die berechtigte Kritik üben, sollen mit schikanösen bis diffamierenden Attacken als "Feinde" bekämpft werden. Ziel ist es dabei, die Gegner der SO, die als "unterdrückerische Personen" bezeichnet werden, mundtot zu machen, um die Expansion des Systems Scientology-Organisation 249 nicht von ihnen gefährden zu lassen. Kritiker werden wegen ihrer Gegnerschaft zur SO diffamiert, öffentlich bloßgestellt, angezeigt und verklagt, bisweilen bedroht, belästigt und zur Zermürbung auch Psychofolterpsychisch gequält. In einer Führungsanweisung Hubbards zum Ummethoden gang mit "Unterdrückern" von 1966, die nach wie vor gültig ist heißt es dazu: "Leute, die Scientology angreifen sind Verbrecher." "Wenn man Scientology angreift, wird man auf Verbrechen hin untersucht." "Man ist sicher, wenn man Scientology nicht angreift, auch wenn man nicht auf ihrer Seite ist." In den USA scheuen sich daher manche Medien bereits, offen gegen Scientology Stellung zu nehmen. Auch in Deutschland wurden Kritiker der Organisation von verdeckt arbeitenden Mitarbeitern der SO und Privatdetektiven, die von der SO beauftragt wurden, bis in ihre Intimsphäre ausspioniert, um sie mit ehrenrührigen Behauptungen in der Öffentlichkeit bloßzustellen (vgl. auch Nummer 3.2.5 dieses Abschnitts). 2.3.4 Scientology Zeitschrift "free MIND magazin" Seit Mitte 2003 ist die früher auf Englisch erschienene und lediglich im organisationsinternen Bereich der SO erhältliche Zeitschrift mit dem Titel "free MIND magazin" nun auch in deutscher Sprache im regulären Zeitschriftenhandel erhältlich. Das professionell gestaltete Magazin warb in der ersten Ausgabe mit Schlagzeilen wie "Die Reise zum Ich" und "Alles, was Sie über sich selbst und andere schon immer wissen wollten". Das äußere Layout erscheint geeignet, eine breite Bevölkerungsschicht mit esoterischen Ambitionen anzusprechen, ohne dabei auf den ersten Blick erkennen zu lassen, dass es sich um eine Scientology-Publikation handelt. Der Begriff Scientology wird weder auf der Titelseite noch im Textteil der Publikation erwähnt. Erst beim Lesen des Hefts wird die Scientology-Herkunft offensichtlich. Ingesamt beschäftigt sich das Magazin fast ausschließlich mit Dianetik und mit deren Begründer L. Ron Hubbard, 250 Scientology-Organisation dessen Leben und Werk verklärt beschrieben wird. Der Erstausgabe des Magazins war ein kleines Buch von L. Ron Hubbard mit dem Titel "Dianetik - die Entwicklung einer Wissenschaft" beigelegt. 2.3.5 Aktivitäten im Ausland Wenn auch die Bundesrepublik Deutschland seitens der SO immer wieder als wichtigstes Expansionsgebiet in Europa genannt wird, so sind ihre Verbreitungsbemühungen in vielen anderen europäischen Staaten nicht unerheblich und werden dort nicht ohne Besorgnis der Bürger und Behörden registriert. Zahlreiche Verfahren gegen Scientologen in Frankreich, Belgien, Spanien und Italien zeigen, dass Verstöße gegen die Rechtsordnungen dieser Länder in Kauf genommen werden, um zu expandieren. Zudem werden in den genannten Staaten, insbesondere in Frankreich, ähnliche Kampagnen gegen die angebliche religiöse Diffamierung durchgeführt wie in Deutschland. Am Aufbau neuer Organisationsstrukturen im Ausland waren auch deutsche Scientologen beteiligt. Frankreich In Frankreich sind nach Presseberichten vom Oktober 1998 in einem Gerichtsverfahren gegen die SO Hunderte von Gerichtsdokumenten aus dem Justizpalast in Paris verschwunden. In diesem Zusammenhang sieht sich die SO Vorwürfen der Unterwanderung des Rechtssystems ausgesetzt. Im Zusammenhang mit der Vernichtung von Gerichtsakten vor einem Strafprozess gegen SO-Verantwortliche in Marseille im September 1999 wurden die Vorwürfe gegen die SO wegen Unterwanderung des Rechtssystems öffentlich von der in Frankreich zur Bekämpfung von Sekten eingesetzten Mission Interministerielle De Lutte Contre Les Sectes (MILS) wiederholt. Der Prozess endete in Marseille mit einer Verurteilung von fünf Verantwortlichen der SO zu Haftstrafen wegen Betrugs. Zwei Angeklagte wurden freigesprochen. In Paris wurde die SO im Mai 2002 zu einer Geldstrafe von 8.000 Euro verurteilt. Der Vorsitzende der Organisation erhielt eine Strafe von 2.000 Euro. Die Verurteilung erfolgte wegen eines Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz und unlauterer Werbung zum Zwecke betrügerischer Machenschaften. Belgien In Belgien laufen gegen die SO seit Oktober 1999 Strafermittlungen wegen Betrugs und anderer Straftaten. Im Rahmen von etwa 25 Razzien wurden tausende persönlicher Dossiers von SO-Anhängern, Beamten, Politikern und Journalisten beschlagnahmt. Die Dossiers Scientology-Organisation 251 enthielten ausführliche medizinische Informationen über die Betroffenen, Berichte über ihr Privatleben und ihr sexuelles Verhalten, Angaben über ihre Familien und "Geständnisse" beim Einsatz des von Scientologen verwendeten "E-Meters". Im Frühjahr 2003 wurden daraufhin neun Angehörige der SO wegen verschiedener Delikte wie Betrug, Verletzung der Privatsphäre, illegaler Ausübung des Apothekerund Arztberufs sowie Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung unter Anklage gestellt. Besonders bei der Expansion der SO in Osteuropa spielt die NiederlasOsteuropa sung der SO in München, die so genannte Org München, seit Jahren eine bedeutende Rolle. In Kursen der Org München werden zahlreiche Osteuropäer ausgebildet. Einer Pressemeldung aus dem Internet zufolge soll das oberste Gericht Baschkiriens in Russland mit Urteil vom 9. Februar für seinen Zuständigkeitsbereich die Scientology-"Kirche" verboten haben, weil die Organisation unberechtigt erzieherische und medizinische Tätigkeiten ausübe, die das Denken und die Psyche der Auszubildenden negativ beeinflussen und die öffentliche Gesundheit bedrohen. Dem Gericht zufolge sei die SO dort seit 1994 aktiv; über 2.000 Personen hätten bereits SO-Kurse absolviert. Im September 2003 eröffnete die SO unter großem Medienaufwand in Brüssel/Belgien ein "Menschenrechtsbüro", das mit Mitteln der IAS finanziert wurde. Die SO will damit an einem wichtigen und einflussreichen Politikund Verwaltungszentrum Präsenz zeigen und Lobbyarbeit leisten. Zu diesem Zweck werden nach eigenen Angaben seit Versand von Anfang des Jahres Informationsbroschüren "Scientology - Antworten Informationsund Lösungen" zu den verschiedensten Themen an führende Persönbroschüren lichkeiten Europas verschickt. Mit jeder der in acht Sprachen verfassten Broschüre will die Organisation 56.000 Persönlichkeiten in ganz Europa als Multiplikatoren erreichen. Insgesamt sollen 672.000 Broschüren verteilt werden. In Bayern wurden bereits zahlreiche Kommunen, Schulen und Sicherheitsbehörden als Adressaten bekannt. 2.4 Bewertung der Schriften und Aktivitäten Nach einem Gutachten des Instituts für Therapieforschung (IFT) aus Gutachten dem Jahre 2002 kommt die SO in vielfacher Hinsicht mit der objektiven Wertordnung der Verfassung in Konflikt, weil sie nicht nur ein internes Normensystem, das die Wahrung der Organisationsinteressen ausnahmslos über die Belange des Einzelnen stelle, sondern daneben 252 Scientology-Organisation auch für ihre Anhänger Feindbilder in Form von willkürlich erklärten "Unterdrückern" errichtet habe. Die interne Organisation sowie die Methoden der Überwachung und Instrumentalisierung, die gegen Mitglieder und Mitarbeiter angewendet werden, verstoßen dem Gutachten zufolge gegen die Menschenwürde, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und gegen die Meinungsfreiheit. Darüber hinaus wird von der Organisation das herrschende Gesellschaftssystem, insbesondere das Sozialstaatsprinzip, massiv kritisiert und negiert. Die SO richte Ziel: Abschaffung ihre Dienstleistungen nicht nur an Einzelpersonen, sondern ziele über der freiheitlichen die Persönlichkeitsveränderung des Menschen auf die Errichtung einer demokratischen scientologischen Gesellschaftsund Staatsordnung, die im WiderGrundordnung spruch zu zentralen Prinzipien unserer Rechtordnung stehe. Das Gutachten bestätigt die bisherige Bewertung der SO durch die bayerischen Sicherheitsbehörden. Auch das Verwaltungsgericht Köln hat im Rechtsstreit zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und der SO bestätigt, dass diese verfassungsfeindliche Ziele verfolge, die darauf gerichtet sind, die Grundrechte, insbesondere die Menschenwürde zu beseitigen. Das Gutachten ist unter der ISBN 3-936142-40-8 beim Pabst Science Publishers Verlag unter dem Titel "Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology" erschienen. 3. Organisationsund Kommandostruktur der SO 3.1 Weltweite Kommandostruktur der SO Die Einrichtungen der SO in Deutschland erscheinen zwar nach außen als rechtlich selbständig, sind jedoch der strikten Befehlsund Disziplinargewalt des Internationalen Managements in den USA unterworfen und daher unselbständige Teile. Befehlszentrale Das Religious Technology Center (RTC) unter der Leitung von David der SO Miscavige hat die oberste Befehlsgewalt in der SO. Unterhalb des RTC ist das Internationale Management der SO angesiedelt. Dieses stellt nach dem RTC die höchste Führungsebene der SO dar und ist dafür verantwortlich, für jeden Sektor der SO Strategien und taktische Pläne zu entwickeln. Hier wird auch die Führung der verschieSektoren denen Sektoren koordiniert. Derartige Sektoren sind u.a. die Bereiche "Church", WISE, ABLE und OSA. Das Internationale Management besteht demzufolge aus mehreren Gruppen, von denen jede eine ganz bestimmte Verantwortung trägt. Die oberste Stufe dieser Füh- Compilations Unit; Translations ns Unit; Cine Org Audio Division (Tapes, Music); Systemss M Manufacturing Division Projection Systems, s, Cassette Decks)] Scientology-Organisation 253 254 Scientology-Organisation Organisationen der SO Hof in Bayern Aschaffenburg Würzburg KVPM - Schlüsselfeld Nürnberg NARCONON RehabilitationsScientology zentrum Mission - in Planung - Nürnberg Cham Regensburg Scientology Mission Ingolstadt Augsburg Passau Augsburg Scientology Mission München München Celebrity Center München Lindau WISE Scientology Scientology KVPM - Starnberg Kirche Kirche Bundesleitung Deutschland e.V. Bayern e.V. Department of Department of KVPM Special Affairs Special Affairs München GER MUC rungsebene ist das Watch Dog Committee (WDC). Hierbei handelt es sich um eine "Inspektionsund Überwachungsorganisation", welche die eigentlichen Management-Gruppen inspiziert und für deren Funktionieren sorgen soll. 3.2 Organisation der SO in Deutschland 3.2.1 "Church"-Sektor Derzeit existieren im Bundesgebiet zehn "Kirchen" (Orgs) und "Celebrity Centres" (CC), und zwar jeweils eine Org und ein CC in München, Düsseldorf und Hamburg, sowie jeweils eine Org in Berlin, Stuttgart, Frankfurt am Main und Hannover. Außerdem gibt es in Scientology-Organisation 255 Deutschland insgesamt elf "Missionen", sechs in Baden-Württemberg, jeweils eine in Bremen und Hessen sowie drei in Bayern, nämlich in München, Nürnberg und Augsburg. Die Organisation der SO in Bayern ist auf der vorhergehenden Seite dieses Berichts dargestellt. Die genannten Einrichtungen der SO sind in Deutschland überwiegend als eingetragene Vereine organisiert. Als Dachverband fungiert die "Scientology Kirche Deutschland e.V." (SKD). Diese Vereine sind jedoch nur scheinbar selbständig; sie haben im weltweiten, aus den Scheinselbständige USA gesteuerten System kaum eigenständige Funktionen. Faktisch Teilorganisationen erfolgt die Leitung der SO-Einrichtungen nicht durch die jeweiligen Vereinsvorstände, sondern - entsprechend den Festlegungen in den Lizenzverträgen zwischen der Konzernspitze in den USA und den örtlichen "Kirchen", "Missionen" usw. in aller Welt über die Nutzung der Dianetikund Scientology-Warenzeichen - durch die Executive Directors und die sonstigen Funktionsinhaber nach detaillierten schriftlichen Anweisungen und Vorgaben des internationalen Managements in den USA über die jeweiligen Verbindungsstellen. Dies zeigt sich u.a. daran, dass Mitglieder der Eliteorganisation Sea-Org aus den USA und dem Kontinentalen Verbindungsbüro in Kopenhagen in deutsche Einrichtungen der SO abgeordnet wurden, um dort Befehle zu erteilen und für die richtige "Handhabung" der scientologischen Technologie zu sorgen. 3.2.2 WISE-Sektor Das World Institute of Scientology Enterprises (WISE) wurde 1979 von der SO gegründet. Es besteht aus Geschäftsleuten oder Firmen aus allen Bereichen der Wirtschaft. Zweck von WISE ist es, Geld für die SO zu beschaffen und durch die Verbreitung der auf L. Ron Hubbard beruhenden Technologie Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Damit kommt WISE auch eine führende politische Bedeutung zu. Schwerpunkte in Deutschland und Bayern sind die Immobilienbranche WISE-Logo sowie die Unternehmens-, Führungsund Personalberatung; daneben ist die IT-Branche ein weiterer Ansatzpunkt scientologischen Interesses Wirtschaftliche in Bayern geworden. Die IT-Branche stellt aufgrund der globalen Verund politische netzung und ihrer technischen Möglichkeiten ein besonderes Risiko Ausrichtung für die Sicherheit deutscher Unternehmen dar, da der Zugang in sensibelste Unternehmensbereiche eröffnet wird. 256 Scientology-Organisation Der Schwerpunkt der Expansionsbestrebungen der SO liegt seit einiger Zeit in Osteuropa (Russland, Ungarn). Kontinentale WISE-Büros finden sich für Europa in Kopenhagen, Mailand, Budapest und Moskau. Über so genannte Hubbard Colleges of Administration wird aktiv versucht, Hubbards Verwaltungstechnologie als vorgeblich erfolgreiches westliches Know-how in Unternehmen und in der Verwaltung zu etablieren. 3.2.3 ABLE-Sektor Umwandlung Die Association for better Living and Education (ABLE) versucht, für des Sozialbereichs die SO den sozialen Bereich der Gesellschaft zu durchdringen und scientologische Lösungsansätze zu realisieren. Zu den dem ABLE-Bereich zuzuordnenden Organisationen gehören vor allem * das "Zentrum für individuelles und effektives Lernen" (ZIEL), * "Applied Scholastics" (Ausbildungsprogramm; u.a. Englisch-Fernkurse), * "NARCONON", ein angebliches Drogenrehabilitationsprogramm, * "CRIMINON", ein Programm zur angeblichen Strafgefangenenrehabilitation. Mit diesen Organisationen versucht die SO, sich als humanitäre, karitative und sozial verantwortliche Organisation darzustellen. Die Auswahl von Ausbildung, Gefangenenund Drogenrehabilitation als weiteren Schwerpunkten lässt den Schluss zu, dass die gerade bei diesen Personengruppen gegebene Möglichkeit der leichteren Einflussnahme benutzt wird, um diese für die SO zu werben. 3.2.4 Besonders aktive Tarnorganisationen der SO 3.2.4.1 NARCONON Im Jahr 2003 gründeten Mitglieder der SO in München einen neuen Verein "NARCONON Bayern e.V.". Dieser Verein versucht seitdem, im Landkreis Cham ein NARCONON-Rehabilitationszentrum zu errichten. Es kam zu Protesten aus Logo von der örtlichen Bevölkerung gegen das Vorhaben, das sich dadurch NARCONON erheblich verzögert. Scientology-Organisation 257 Nach Angaben der SO habe in Tirol/Österreich "Europas größtes" Eröffnung eines NARCONON-Center eröffnet. NARCONON-Centers in Tirol Zur Gründung einer NARCONON-Einrichtung wird von der SO Folgendes empfohlen: "Jeder, der daran interessiert ist, als Pionier ein NARCONON-Zentrum auf der Grundlage der Technologie L. Ron Hubbards zu eröffnen, sollte als erstes mit dem nächstgelegenen NARCONON-Zentrum oder mit einem Repräsentanten von NARCONON International Kontakt aufnehmen, der ihm dabei helfen wird. NARCONON International wird anschließend mit Rat, Anleitung und Materialien zur Verfügung stehen, die für einen Start benötigt werden." (Auszug aus "Was ist Scientology?", Seite 514) Die Teilnehmer an einem "NARCONON-Entzug" durchlaufen u.a. eine "Trainings-Routine", was in den "Kirchen" zum Vorbereitungspro"Trainings-Routine" gramm der Ausbildung zum Auditor gehört. Teil des Kurses ist ferner ein "Reinigungsprogramm", das in den "Kirchen" vor Beginn des Auditings zu absolvieren ist. In der Vergangenheit wurde ein Verantwortlicher von NARCONON in einem Strafverfahren wegen Verstößen gegen das Heilpraktikergesetz verurteilt. Damals wurde festgestellt, dass weder der verurteilte Vorsitzende des Vereins "NARCONON-Schliersee" noch die Betreuer zur Ausübung eines Heilberufs befähigt oder berechtigt waren. 3.2.4.2 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) Die KVPM ist eine mit der SO verbundene Organisation und im Bereich "Sozialreformen" tätig. Sie wurde 1972 von Mitgliedern der SO gegründet. Nach ihren eigenen öffentlichen Angaben soll ihr Ziel sein, Missbräuche und Menschenrechtsverletzungen der Psychiatrie zu untersuchen und aufzudecken. Nach internen, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Publikationen verfolgt sie aber tatsächlich das Ziel, dabei mitzuhelfen, eine neue Zivilisation, eine scientologische Gesellschaft zu schaffen. Angesiedelt ist die KVPM im Office of Special Affairs KVPM-Logo (OSA) der SO. 258 Scientology-Organisation 3.2.5 Office of Special Affairs (OSA) OSA ist die Nachfolgeorganisation einer bereits in den 60er Jahren unter dem Namen Guardian Office (GO) aufgebauten Abteilung, die Geheimdienst nach eigenem Selbstverständnis auch Nachrichtendienstund Spioder SO nagefunktionen hatte. Zahlreiche Grundlagenpapiere für das GO, z.B. für nachrichtendienstliche Schulung, wurden für den neuen Dienst als OSA-Network Orders übernommen. Im Gegensatz zur rigiden und direkten Vorgehensweise des GO, die in der Vergangenheit zu einem internationalen Ansehensverlust der SO geführt hat, operiert das OSA heute erkennbar vorsichtiger, ohne seine Ziele im Wesentlichen geändert zu haben. Deutsche Die für Deutschland zuständige OSA-Einheit ist das Department of OSA-Zentrale Special Affairs (DSA), das nach der Verlagerung von Hamburg seit 13. November 1971 seinen Sitz in München hat. Nach außen tritt das DSA unter der Bezeichnung "Scientology-Kirche Deutschland, Beichstraße 12, 80802 München" auf; der inoffizielle Sitz ist Nordendstraße 3, München. Dem DSA-Deutschland als Zentralstelle nachgeordnet sind die lokalen DSA-Büros in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, München und Ulm, angesiedelt bei den dortigen "Scientology Kirchen" oder den "Celebrity Centres". Die SO selbst stellt ihre OSA-Einrichtung für Deutschland mit Sitz in München als Büro für öffentliche Angelegenheiten oder als Presseund Rechtsamt dar. Teile des OSA sind das Deutsche Büro für Menschenrechte und die Citizens Commission on Human Rights (CCHR). Da das CCHR weisungsgebend für die Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) ist, kann dieses öffentlichkeitswirksame Aushängeschild zur Bekämpfung der Psychiatrie ebenfalls dem Bereich OSA zugerechnet werden. Auch die im August 2001 gegründete "Aktion Transparente Verwaltung München" (ATV), betrieben von einem DSA-Unterabteilungsleiter, ist dem OSA zuzurechnen. Die ATV unterhält im Internet eine Homepage; ein Hinweis auf Scientology ist dort nicht erkennbar. Das Engagement im Bereich angeblicher Menschenrechtsverletzungen gegen Scientologen durch feindliche Staaten und ihre Behörden ist wesentlicher Bestandteil der Expansionsbemühungen, ebenso der von Hubbard betriebene Kampf gegen die Psychiater als "Quelle allen Übels in der Welt". Scientology-Organisation 259 Gemäß der Hubbard-Anweisung (HCO-PL) vom 13. März 1961 soll in den OSA-Akten die jeweilige Ausgangslage für Maßnahmen von OSA bzw. DSA gegen "Feinde" (der SO kritisch begegnende Personen) gesammelt werden. Der HCO-PL beschreibt als Ziel der Abteilung: " ... Behörden und ihnen entgegen gesetzte Denkmodelle oder Gesellschaften in einen Zustand völliger Übereinstimmung mit den Zielen der SO zu bringen. (...) Dies geschieht durch die hochrangige Fähigkeit zur Steuerung und - falls sie nicht gegeben ist - durch die weiter unten angesiedelte Fähigkeit zur Überwältigung." Das DSA-Deutschland setzt diese Anweisung vollinhaltlich um, samArbeitsweise des melt zu Kritikern, Politikern, Behördenangehörigen und anderen DSA-Deutschland Gegnern Informationen, wertet sie aus und verwendet sie für eigene operative Maßnahmen. Durch Recherchen unter Falschnamen und andere Maßnahmen verschafft sich das DSA-Deutschland interne Unterlagen deutscher Einrichtungen. Seine Außendienstmitarbeiter observieren als "Feinde" bezeichnete Gegner der SO und beziehen, um Rückschlüsse auf ihre Organisation zu verhindern, Privatdetektive in ihre Arbeit ein. SO-intern arbeitet das DSA abgeschottet gegenüber anderen SO-Strukturen. Die fernschriftliche Informationsübermittlung an übergeordnete Einrichtungen erfolgt verschlüsselt oder durch konspirativen Botenverkehr. 4. Mitglieder der SO Die SO hat bundesweit zwischen 5.000 und 6.000 Mitglieder, wobei Mitgliederzahlen die Organisation selbst eine deutlich höhere Zahl angibt. Früher behauptete die SO, dass die "Scientology Kirche Deutschland e.V." (SKD) über 30.000 Mitglieder habe; im Rechtsstreit der SO gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (vgl. auch Nummer 6 dieses Abschnitts) gab der Präsident der SKD nunmehr an, die SKD habe etwa 12.000 Mitglieder. Der Mitgliederstand in Bayern ist mit etwa 2.600 konstant geblieben. Als Mitglieder werden solche Personen verstanden, die ihre Mitgliedschaft in einem SO-Verein oder einer sonstigen SO-Gliederung, z.B. im WISEoder ABLE-Bereich, schriftlich erklärt haben oder durch die Belegung von Kursen in einem Verein ihre Mitgliedschaft verdeutlichen. 260 Scientology-Organisation 5. Veranstaltungen und sonstige Aktivitäten der SO Die Schwerpunkte der für die Öffentlichkeit bestimmten scientologiInfo-Stände schen Aktivitäten in Bayern waren die Durchführung von Informationsständen vor allem in München, vereinzelt aber auch in Nürnberg und Augsburg. Auffällig war, dass die SO wesentlich mehr öffentliche Veranstaltungen abhielt als in den vergangenen Jahren. Ein Grund dafür dürfte sein, dass die Organisation den 50. Jahrestag der Gründung der ersten "Scientology-Kirche" (1954 in den USA) beging. Während die "Scientology Kirche Deutschland e.V." bzw. "Scientology Kirche Bayern e.V." mit der Aufklärung über die Drogenproblematik Aufmerksamkeit erwecken wollte, waren die Themen ihrer Tarnorganisation Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte (KVPM) angebliche Missbräuche in der Psychiatrie. Diese Themen dienen nur vordergründig dazu, angebliche Missstände anzuprangern. Dazu wurden bei vielen Veranstaltungen Listen ausgelegt, in die sich Betroffene oder interessierte Bürger eintragen konnten. Diese erhalten dann, wie die SO selbst im Internet berichtet, Informationsmaterial zugeschickt, um sie dann letztendlich als neue Mitglieder zu gewinnen. Trotz aller Bemühungen der Veranstalter war die Resonanz in der Öffentlichkeit bei den Veranstaltungen gering. Flugblattaktionen Die SO führte neben öffentlichen Veranstaltungen auch zahlreiche Postwurfaktionen durch, wobei Flugblätter und die Publikation "Freiheit" in großer Anzahl verteilt wurden. Im Zusammenhang mit der nicht erlaubten Verteilung von Werbematerialien auf öffentlichen Straßen ergingen gegen mehrere Straßenwerber wegen Verstoßes gegen das Bayerische Straßenund Wegegesetz Bußgeldbescheide. In zwei Fällen erfolgten durch das Amtsgericht München Verurteilungen. Darüber hinaus verteilten Scientologen - wie auch schon in der Vergangenheit - die Broschüre "Die Fakten über den Joint! Sag NEIN zu Drogen" an Polizeidienststellen. Eigenen Angaben zufolge soll diese Publikation auch an Schulen und Behörden gesandt worden sein. Mit der Propagierung von scientologischen Lösungsansätzen in der Drogenproblematik sollen betroffene Personen zur Inanspruchnahme von kostenpflichtigen Dienstleistungen der SO (Verkauf von Büchern, Kursen, sog. Reinigungsrundowns usw.) veranlasst werden. Das derzeitige Bildungsund Schulsystem wird von der SO als unfähig beurteilt, den Schülern und Studenten "wahre Fertigkeiten und geistige Fähigkeiten" beizubringen. In diesem Zusammenhang heißt Scientology-Organisation 261 es bereits im Klappentext zum "grundlegenden Studierleitfaden" von Hubbard aus dem Jahr 1992: "Erlangen Sie die Fertigkeiten, die Ihnen das Schulsystem niemals beibrachte - und beginnen Sie wirklich anzuwenden, was Sie lernen!" Bei der Feier zum 19. Jahrestag der International Association of Scientologist (IAS) Ende 2003, in der die Expansionsziele für das Jahr 2004 bekannt gegeben wurden, forderte David Miscavige, der Vorsitzende des Religions Technology Center (RTC), in seiner Rede zu diesem Thema: "Die Studiertechnologie muss überall sein. (...) So schaffen wir die Mittel, um die Tech in jede Schule einzuführen und das Problem auf globaler Ebene zu lösen." Die Organisationen und alle Scientologen weltweit wurden dazu aufgefordert, die scientologische Studiertechnologie in die Gesellschaft einzubringen. Ein Aufruf an Scientologen, im Umfeld ihrer "Kirchen" und "MissioSchülerund nen" zahlreiche Schülernachhilfegruppen ins Leben zu rufen, um die StudentennachStudiertechnologie Hubbards zu verbreiten und neue Mitglieder zu hilfegruppen rekrutieren, war aber bisher wenig erfolgreich. Im Bereich der Studentennachhilfe hat sich allerdings schon seit Jahren in München im Umfeld der Universität München ein Mitglied der SO-Tarnorganisation "I help" etabliert und bietet dort Studierhilfen nach der Hubbard-Studiertechnologie an, wobei den Absolventen meist verschwiegen wird, dass die "Hubbard-Tech" zur Anwendung kommt. 6. Verwaltungsgerichtsverfahren Das Verwaltungsgericht Köln hat am 11. November nach ausführlicher mündlicher Verhandlung die Klage der SO auf Unterlassung der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Beobachtung der vollem Umfang zurückgewiesen. Die Berufung wurde wegen der SO durch BfV grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen (Az. 20 K 1882/03). rechtens Das Gericht führte zur Begründung aus, es sei zu der Überzeugung gelangt, dass die Beobachtung der "Scientology Kirche Deutschland e.V." (SKD) und der "Scientology Kirche Berlin e.V." (SKB) durch das BfV sowohl mit offenen als auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln 262 Scientology-Organisation rechtmäßig sei, weil deutliche tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Kläger verfassungsfeindliche Ziele verfolgten. Aus einer Vielzahl teilweise auch nicht öffentlich zugänglicher Quellen ergebe sich, dass die Kläger Bestrebungen verfolgten, die darauf gerichtet seien, die Menschenwürde, das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Gleichbehandlung sowie das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen auszuüben, zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Dass die Verwirklichung dieser Ziele zur Zeit aussichtslos erscheine, sei für die Frage der Rechtmäßigkeit der Beobachtung der Kläger ohne Belang. Die Beobachtung der Kläger sei auch erforderlich, angemessen und damit insgesamt verhältnismäßig. Dies gelte auch für den Fall, dass man unterstelle, die Kläger seien - wie von ihnen behauptet - eine Religionsgemeinschaft. Das Urteil stellt auch klar, dass Scientology seine verfassungsfeindlichen Ziele nicht nur theoretisch verfolgt, sondern auch praktisch umsetzt. Der Hinweis des Gerichts, dass Kämpfer für Scientology geworben werden sollen und dass Scientology letztendlich das Konzept verfolge, die verfassungsmäßige Ordnung zu unterAggressivgraben, deutet in Richtung auf eine Betätigungsweise, die als aggreskämpferische siv-kämpferisch bezeichnet wird. Damit werden auch durch das Urteil Ansätze des Verwaltungsgerichts Köln Anhaltspunkte für die Erwägung eines Vereinsverbots belegt. In seiner Klageerwiderung vom 15. August 2003 hatte der Prozessbevollmächtigte des BfV eine ausführliche Darstellung der vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche und teilweise sogar aggressiv-kämpferische Bestrebungen der SO gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und darüber hinaus für Straftaten wie Betrug und Nötigung gegeben. Hierzu einige Zitate aus der Klageerwiderung: "Scientology sieht sich in einem Kampf auf Leben oder Tod mit dem Rest der Welt, und hieraus wird erklärlich, weshalb dieser Kampf nach Auffassung von Scientology ohne Rücksicht, ohne Grenzen und mit allen Mitteln geführt werden muß und geführt werden darf." "Es ist offensichtlich, dass eine Gruppierung mit diesem Verständnis, sollte sie je bestimmenden oder gar beherrschenden Einfluß in einem Staat erringen, eine Schreckensund Terrorherrschaft errichten würde, die auf die Unterdrückung, wenn nicht gar vollständige Vernichtung aller ihrer Gegner gerichtet wäre." Scientology-Organisation 263 "Scientology ist stets, überall und jederzeit, bemüht, alles in Erfahrung zu bringen, was sich in irgendeiner Weise gegen seine Kritiker verwenden ließe. Dies wird eingesetzt, um Kritiker mit der Drohung der Veröffentlichung einzuschüchtern. Dabei handelt es sich um systematische strafbare Nötigung im Sinn des SS 240 StGB, weil die zur öffentlichen Diskreditierung der Kritiker eingesetzten Informationen nichts mit der Kritik an Scientology zu tun haben." "Scientology diffamiert sämtliche ihre Gegner als 'unterdrückerische Personen', die mit aller Macht zu bekämpfen seien. In einer scientologisch beherrschten Gesellschaft hätten die Gegner von Scientology keine Rechte und müssten mit rechtsstaatswidrigen Verfolgungsmaßnahmen rechnen. Scientology achtet weder die freiheitliche Demokratie einschließlich dem Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition noch wären in einer scientologischen Gesellschaft die Bürgerund Menschenrechte gewährleistet." 7. Vertrauliches Telefon und Informationsangebot im Internet Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz unterhält ein "vertrauliches Telefon" unter der Nummer 0 89 / 31 20 12 96. Opfer, Aussteiger und Angehörige von Scientology-Mitgliedern können dort Hinweise über die SO geben. Für Beratungen stehen die anerkannten Beratungsstellen zur Verfügung. Das Bayerische Staatsministerium des Innern informiert im Internet über die Maßnahmen der Bayerischen Staatsregierung, über Pressemitteilungen und Gerichtsentscheidungen unter folgender Adresse: http://www.innenministerium.bayern.de/scientology 264 Spionageabwehr 7. Abschnitt Spionageabwehr 1. Ausgangslage Die Notwendigkeit für die internationale Staatengemeinschaft, die Proliferation Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (Proliferation) bei Krisenländern und terroristischen Organisationen zu verhindern, und die Beobachtung der Wirtschaftsspionage stehen - neben den nachrichtendienstlichen Aktivitäten der GUS-Staaten und Chinas - weiter im Mittelpunkt des Auftrags des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz in der Spionageabwehr. Die zunehmenden Bemühungen von hoch technisierten deutschen - insbesondere auch mittelständischen - Unternehmen, sich auf den Wirtschaftsmärkten in Russland und Fernost zu etablieren, sind für den Schutz von Know-how nicht ohne Gefahren. Aktivitäten fremder Nachrichtendienste zur Erlangung von Spezialwissen belegen das nach wie vor bestehende Interesse an deutscher Entwicklungsarbeit. Die Nachrichtendienste der Krisenländer, vor allem aus Syrien und dem Iran, legen einen Schwerpunkt ihrer Auslandsaktivitäten im Regimekritiker Westen auf die Aufklärung und Infiltration regimekritischer Organisaim Visier tionen. Auch die VR China versucht weiterhin, oppositionelle Gruppierungen im Ausland zu beobachten und zu unterwandern. Vor allem die in China verbotene buddhistisch-taoistische Falun-Gong-Bewegung sowie die in Deutschland lebenden organisierten Angehörigen der uigurischen Minderheit stehen hier im Fokus der chinesischen Nachrichtendienste. Aktivitäten Der russische Inlandsnachrichtendienst FSB versucht, in Russland russischer Nachlebende deutsche Diplomaten und Geschäftsleute zum Zwecke der richtendienste Spionage unter Druck zu setzen. Auch die steigende Zahl der in russischen diplomatischen Vertretungen in Deutschland beschäftigten Nachrichtendienstmitarbeiter lässt einen Rückschluss auf den Aktivitätsgrad des russischen Auslandsaufklärungsdienstes SWR bzw. des militärischen Dienstes GRU in Deutschland zu. Während sich der SWR in erster Linie um Informationen zu politischen und wirtschaftlichen Bereichen und Zielobjekten bemüht, ist der GRU primär an klassischen Spionageabwehr 265 Militärobjekten und -technologien interessiert. Die Erweiterung von NATO und EU, die Haltung Deutschlands zu Tschetschenien, die Handelsbeziehungen zu Russland sowie der angestrebte schnellere Zugang zu westlichem Know-how für die Modernisierung der Wirtschaft Russlands sind Basis und Gegenstand der Aufträge der Staatsführung an die Nachrichtendienste. 2. Wirtschaftsspionage - Ausforschung von Wissenschaft und Technik Kleine und mittelständische Unternehmen verfügen vielfach über Know-how im technisches Know-how, das auch für die Nachrichtendienste anderer Blickfeld der Länder von Interesse ist. Allerdings lässt das Bestreben deutscher Nachrichtendienste Unternehmen, an den florierenden Absatzmärkten der russischen Föderation und Asiens teilzuhaben, oftmals die Sensibilität für den Schutz dieses Wissens in den Hintergrund rücken. Auch die geplante Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland bringt unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftsspionage weitere Gefahren mit sich. Der wachsende internationale Wettbewerb führt ferner zu zunehmenden Aktivitäten fremder Nachrichtendienste gegen deutsche Unternehmen. Die Bedeutung des Know-hows für den Wirtschaftsstandort Deutschland und insbesondere das Hightechland Bayern begründet den hohen Stellenwert der Abwehr der Wirtschaftsspionage im Spektrum der Spionageabwehr. Bevorzugt versuchen Nachrichtendienste fremder Staaten, den technischen Entwicklungsvorsprung bayerischer Unternehmen und Universitäten, betriebswirtschaftliche Aspekte und auch die allgemeine Entwicklung der bayerischen Wirtschaft auszuforschen. Hierbei setzen nicht nur die im Aufbau befindlichen Volkswirtschaften, sondern auch die auf den Verbleib ihrer Wirtschaft im Spitzenfeld bedachten Staaten ihre Nachrichtendienste zur Aufklärung ein. Folgender Beispielsfall der Wirtschaftsspionage verdeutlicht die Vorgehensweise ausländischer Nachrichtendienste: Ein bayerisches Unternehmen wurde von einer unbekannten Firma aus Spionage durch Asien gebeten, Informationen und Unterlagen zu einem sensiblen Scheinfirmen Hightechprodukt zu übermitteln. Diese Firma gab sich als potenzieller Kaufinteressent aus. Die Firma informierte das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz von diesem "Kaufinteresse". Die 266 Spionageabwehr Ermittlungen ergaben, dass weder die anfragende Firma noch der unterzeichnende angebliche Präsident dieses Unternehmens an der angegebenen Adresse existierten. Es handelte sich demnach um eine Scheinadresse, die zur Informationsgewinnung genutzt werden sollte. Von einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit ist in diesem Fall auszugehen. 3. Spionage im Bereich der Kommunikationstechnik Parallel zur wachsenden Bedeutung der Informationstechnik (IT) für die öffentliche Verwaltung und die Wirtschaft hat sich auch die Technik zur Ausforschung von Kommunikationswegen rasch weiterentwickelt. Abhöranfälligkeit Besonders betroffen ist ebenfalls die so genannte Wireless-Technik, der Telekommunidie zwar für den Anwender den Komfort erhöht, aber das unerkation wünschte Abhören und Erfassen von Mitteilungen jedweder Art erleichtert. Veröffentlichte Tests haben gezeigt, dass sich technisch Versierte problemlos in Verbindungen einloggen können, ohne dass die Betroffenen hiervon Kenntnis erlangen. Vor dem "Abhören" der Kommunikationsverbindungen sind weder Telefon, SMS, E-Mail noch Fax sicher. Das muss vor der Weitergabe sensibler Daten stets bedacht werden. Insbesondere können Handys und Laptops durch Manipulationen zu "Wanzen" umfunktioniert werden, um damit alle Gespräche in einem Raum zu belauschen. Auch die bekannten international agierenden Abhörsysteme wie das von westlichen Staaten bis zum 30. September betriebene "Echelon" in Bad Aibling oder das von Russland installierte "Dozor" dienten und dienen der Überwachung von Teilen der weltweiten Kommunikation. FernmeldeaufDer russische Inlandsdienst FSB ist nach Eingliederung der elektroniklärung durch schen Fernmeldeaufklärung FAPSI auch für die Vergabe kommerziell Russland genutzter Funkkanäle und Lizenzen zuständig und zugleich Genehmigungsbehörde für den Einsatz von Verschlüsselungstechniken im Bereich der gewerblichen Wirtschaft. Er kontrolliert das Internet, den Telekommunikationsverkehr sowie Teile des E-Mail-Verkehrs, der über russische Provider abgewickelt wird. Provider bekommen in Russland nur dann eine Zulassung, wenn sie dem Nachrichtendienst einen direkten Zugang zu allen Aktivitäten im Internet ermöglichen. Das Spektrum an Überwachungsmöglichkeiten wurde dadurch um ein Vielfaches erweitert. Auch Angriffe auf Computersysteme und -netze nehmen ständig zu. Die Firmen sind gezwungen, ihre Produkte im Internet weltweit dar- Spionageabwehr 267 zustellen, was allerdings auch die Gefahr eines Hacker-Angriffs mit sich bringt. Die Firmen versuchen zwar, IT-Schwachstellen zu beseitigen, was jedoch durch die ständig wachsende Komplexität der Software erschwert wird; zudem erhöhen an die Informationsnetze angeschlossene mobile Geräte das Sicherheitsrisiko erheblich. Aus diesen Gründen kommt es bei aller Notwendigkeit, die moderne Absicherung von Kommunikationstechnik zu nutzen, entscheidend darauf an, die Speicherung und wesentlichen Kernbereiche der geheim zu haltenden Informationen Übertragungsdurch weitgehend sichere Speichermöglichkeiten und Übertragungswegen wege zu schützen. 4. Proliferation Unter Proliferation versteht man die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte einschließlich der dazu erforderlichen Kenntnisse sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen. Die Aktivitäten von zahlreichen Krisenländern belegen ihre Absicht, Proliferation durch mit atomaren, biologischen und chemischen Waffen aufzurüsten. Krisenländer Nordkorea, Pakistan, Syrien, Kuba, der Iran, China und andere Staaten beliefern sich gegenseitig mit entsprechenden Materialien bzw. technischem Wissen. So hat auch der langjährige Leiter des pakistanischen Atomwaffenprogramms im Februar die Weitergabe nuklearer Technologien an den Iran, an Libyen und an Nordkorea eingeräumt. Nordkorea hat inzwischen im Februar 2005 offiziell erklärt, im Besitz von Atomwaffen zu sein. Darüber hinaus wird versucht, das notwendige Hochtechnologiematerial und Spezialwissen im Westen zu beschaffen. Hierzu setzen diese Länder ihre Geheimdienste ein, gründen Scheinfirmen, verschleiern bei der Einfuhr von Material für die Herstellung der ABC-Waffen den Endabnehmer und täuschen einen anderen Verwendungszweck vor. Sie versuchen dadurch, die internationalen Abkommen und die nationalen gesetzlichen Bestimmungen zur Verhinderung der Ausfuhr derartiger Waffenteile zu umgehen. Auch in Bayern liegen verschiedene proliferationsrelevante Anfragen bei bayerischen Unternehmen vor. Verstöße gegen rechtliche Bestimmungen zur Umgehung des AusVerstöße gegen fuhrverbots wurden dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsdas Ausfuhrverbot schutz in mehreren Fällen bekannt. 268 Spionageabwehr Nachfolgendes Beispiel für den Verdacht illegaler Ausfuhren soll dies verdeutlichen: Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ermittelte in einem Fall wegen des Verdachts der illegalen Ausfuhr sensibler Waren in ein Krisenland. Die von einer oberbayerischen Firma getätigten Exporte, die für ein Atomwaffenprogramm Verwendung finden sollten, erfolgten in Form von Umweglieferungen über Drittländer. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz informierte die zuständige Strafverfolgungsbehörde über die angefallenen Erkenntnisse. Die weiteren Ermittlungen bestätigten den Verdacht illegaler Ausfuhren. Anschließende Durchsuchungen des Objekts führten zur Festnahme des Firmeninhabers. 5. Schutzmaßnahmen - Beratung durch den Verfassungsschutz Mangelndes Trotz gestiegener Sensibilität sind Teile der Wirtschaft noch nicht ausGefährdungsreichend bereit, sich des Themas Sicherheit, insbesondere im Kombewusstsein munikationsbereich, mit der notwendigen Konsequenz anzunehmen. Dies liegt vor allem daran, dass Schutzmaßnahmen zum Teil nur mit erheblichem finanziellen Aufwand installiert werden können und zusätzlich zur Einschränkung der innerbetrieblichen Kontakte, aber auch der nach außen gerichteten Kommunikation mit Geschäftspartnern führen. Die durch Spionage möglicherweise entstehenden Schäden werden zu wenig in Rechnung gestellt, weil die Schadenshöhe nur schwer zu quantifizieren ist. Firmen, die als Lieferanten sensibler Güter mit Einsatzmöglichkeiten bei ABC-Waffensystemen infrage kommen, haben eine besondere Verantwortung, dies zu verhindern. Sie können sich im Verdachtsfall vertrauensvoll an das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz wenden. Der Verfassungsschutz ist keine Strafverfolgungsbehörde und unterliegt somit nicht dem Strafverfolgungszwang. Er kann auch die Interessenlage der Personen und Firmen berücksichtigen, die ihm Informationen zur Verfügung stellen. Zusammenarbeit Die Verbände und Organisationen, wie der Bayerische Verband für der Wirtschaft mit Sicherheit in der Wirtschaft (BVSW) oder die Industrieund Handelsdem Verfassungskammern, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Unternehmen und schutz vorrangig auch mittelständische Betriebe gegenüber diesen Gefahren der Spionage zu sensibilisieren, arbeiten sehr eng mit dem Verfassungsschutz zusammen. Dabei geht es neben der gemeinsamen Erstellung von Informationsbroschüren um gemeinsame Informations- Spionageabwehr 269 veranstaltungen und vor allem um den Erkenntnisaustausch. Ein vom BVSW mit Unterstützung des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz erstellter Leitfaden zum Schutz vor illegaler InformationsLeitfaden beschaffung hat zum Ziel, die Führung mittelständischer Unternehmen auf die Risiken durch Wirtschaftsund Konkurrenzspionage aufmerksam zu machen, ihnen das notwendige Problembewusstsein zu vermitteln und Ansätze bzw. Ansprechpartner zur Lösung der Probleme aufzuzeigen. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz informiert durch so genannte Sensibilisierungsgespräche zunehmend auch kleine und mittelständische Firmen, Universitäten und sonstige wissenschaftliche Einrichtungen über Zielobjekte und Methodik der Nachrichtendienste. Auf der anderen Seite braucht das Landesamt für eine erfolgreiche Arbeit die Bereitschaft der Firmen und Institutionen, den Verfassungsschutz über Verdachtsfälle zu informieren. In einem neu erstellten Flugblatt für die Wirtschaft wird außerdem auf die Gefahren der ProFlugblatt für die liferation hingewiesen und eine eigens eingerichtete Telefonnummer Wirtschaft (0 89 / 31 20 15 00) genannt, unter der die Firmen Kontakt zum Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz aufnehmen können. Der Text ist auch im Internet unter folgender Adresse abrufbar: http://www.verfassungsschutz.bayern.de 6. Ausblick Die Bedrohungs-Szenarien für die Sicherheit in Deutschland und in Spionageabwehr der Welt haben sich geändert und mit ihnen auch die Bereiche, die zur Standortdes Schutzes bedürfen. sicherung Um die wirtschaftliche Stabilität, die auch Garant für die politische Stabilität und somit für das Wohlergehen aller ist, zu erhalten, bleibt es für unsere Gesellschaft unabdingbar, international wettbewerbsfähig zu sein. Vorhandene Know-how-Vorteile in Forschung und Produktion müssen gesichert und Aktivitäten fremder Nachrichtendienste unterbunden werden. Staat, Wirtschaft und Forschung sind aufgrund der fortschreitenden Globalisierung und des steten Fortschritts der Kommunikationstechnik verstärkt der Gefahr der Ausspähung ausgesetzt. Sie sind schutzbedürftiger geworden. Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, dies bewusst zu machen und vor diesen Gefahren zu schützen. 270 Organisierte Kriminalität 8. Abschnitt Organisierte Kriminalität 1. Ausgangslage OK-Beobachtung Die durch die Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes in Bayern im Jahr 1994 ermöglichte langfristig angelegte Beobachtung krimiseit 1994 neller Strukturen und Personen im Vorfeld konkreter Straftaten durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz stellt eine wichtige Ergänzung der polizeilichen Arbeit beim Vorgehen gegen die Organisierte Kriminalität (OK) dar. Die Beobachtung der OK durch den Verfassungsschutz muss auf eine breite Basis in Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern gestellt werden. Nach Bayern haben auch die Bundesländer Hessen, Saarland, Thüringen und Sachsen die gesetzliche Grundlage für diese Aufgabe des Verfassungsschutzes geschaffen. Ziel bleibt weiterhin die bundesweite Beobachtung der OK durch den Verfassungsschutz. In der im Sommer herausgegebenen Broschüre "10 Jahre Beobachtung der Organisierten Kriminalität durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz" wird über die Arbeit des Verfassungsschutzes in diesem Bereich berichtet. Die Broschüre ist abrufbar unter folgenden Internet-Adressen: http://www.innenministerium.bayern.de/sicherheit/verfassungsschutz http://www.verfassungsschutz.bayern.de 2. EU-Osterweiterung Mit der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die Europäische Union haben sich durch die Verschiebung der EU-Außengrenzen in Richtung Osten neue Ausgangslagen ergeben. Es war absehbar, dass europaweit agierende Kriminelle diese neuen Marktund Machtchancen nutzen und ihre bereits bestehenden Netzwerke weiter ausbauen. Zur Bewältigung dieses Problems bedarf es einer engen Zusammenarbeit Organisierte Kriminalität 271 der europäischen Sicherheitsbehörden. Die Beitrittsländer haben frühIntensivierung der zeitig der wachsenden Bedrohung durch die OK Rechnung getragen Zusammenarbeit und die Beobachtung und Bekämpfung der OK ihren jeweiligen europäischer Nachrichtendiensten übertragen. Das Bayerische Landesamt für VerSicherheitsfassungsschutz unterhält gute Kontakte zu den Nachrichtendiensten behörden der angrenzenden Länder. 3. Beobachtungsschwerpunkte Die Erkenntnisse im Bereich der OK werden vorwiegend durch den Einsatz geheimer Mitarbeiter, aus der Anwendung anderer nachrichtendienstlicher Mittel sowie aus der Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten, die in Europa fast ausnahmslos mit der Bekämpfung der OK beauftragt sind, gewonnen. Weitere InformaErkenntnismittel tionen ergeben sich aus der Zusammenarbeit mit den polizeilichen des VerfassungsDienststellen zur Bekämpfung der OK und erschließen sich aus der schutzes Analyse von offen zugänglichem Material sowie aus dem Berichtsaufkommen anderer Aufgabenbereiche, insbesondere aus der Spionageabwehr und der Beobachtung ausländischer extremistischer Organisationen. Die Ergebnisse der Strukturermittlungen münden oft in polizeiliche Ermittlungen. Die Schwerpunkte der Bearbeitung liegen weiterhin auf der Beobachtung der OK aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), aus Asien und aus Südosteuropa. Auch die Beobachtung von Rockergruppierungen wie etwa der "Hells Angels" oder der "Bandidos" mit den Deliktsschwerpunkten Rotlichtmilieu sowie Drogenund Waffenhandel wurde in Ergänzung der polizeilichen Arbeit fortgesetzt. Deutsche, Staatsangehörige aus der GUS und Asien sowie aus südAufklärungsosteuropäischen Ländern stellen den größten Teil des zu beobachtenschwerpunkte den Personenkreises dar. Auffällig waren sie vor allem in den Deliktsbereichen der Prostitution und Zuhälterei, bei Waffendelikten, beim Menschenhandel und bei Schleusungen, beim internationalen Drogenhandel, bei Fälschungsdelikten sowie beim illegalen Glücksspiel und der im Zusammenhang mit diesen Straftaten stehenden Geldwäsche. Erkenntnisse aus der OK-Beobachtung werden aber auch zur Bekämpfung des internationalen islamistischen Extremismus und Terrorismus genutzt. Insbesondere in den Deliktsbereichen Schleusung und Geldwäsche gibt es Verflechtungen, die insbesondere zur illegalen Einreise 272 Organisierte Kriminalität islamischer Extremisten und zur Finanzierung ihrer Aktivitäten aufgrund der teilweise gleichen Ethnie der Täter genutzt werden. 3.1 GUS-Mafia Schwerpunkte der Bearbeitung waren Strukturermittlungen zu russischstämmigen Geschäftsleuten mit Kontakten zu Nachrichtendiensten und Kreisen der OK in ihren Heimatländern sowie zu deutschstämmigen Aussiedlern und der durch diesen Personenkreis begangenen Straftaten. Außerdem wurden bereits erkannte kriminelle Gruppierungen und deren Mitglieder in Bayern beobachtet, um bereits im Vorfeld von Straftaten Erkenntnisse zu gewinnen und notwendige Maßnahmen einzuleiten. Prozess im MordIm Juli wurde der gewaltsame Tod des kriminellen Exil-Russen Efim fall Laskin Laskin vom Münchner Schwurgericht mit 13 Jahren Freiheitsstrafe geahndet. Laskin war im September 1991 in München erstochen worden. Der Angeklagte Alexander Bor, ein hochrangiges Mitglied der russischen OK, war zunächst wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil wegen eines Formfehlers auf. Im neuen Prozess kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Beteiligung von Bor an dem Verbrechen rechtlich als Totschlag einzustufen sei, und verurteilte ihn zu 13 Jahren Haft. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz erstellte vor dem Prozess eine Gefährdungsanalyse, aus der der Bezug von Tat und Täter zu russischen OK-Strukturen deutlich wurde. Nach der Haftentlassung einer der russischen OK zuzurechnenden Führungsperson im Ausland hält sich diese wieder häufiger in Deutschland auf. Die Person pflegt Geschäftskontakte in ganz Europa und den GUS-Staaten. Diese geschäftlichen Aktivitäten erstrecken sich auf Immobilien, Gastronomie und Fahrzeughandel. Hierbei kommt es zu einer Vermischung zwischen legalen Geschäften und kriminellen Aktivitäten. Bei letzteren unterhält er Kontakte zu erkannten Angehörigen der russischen OK in ganz Europa. Derartige Treffen der Zielpersonen konnten auch in Deutschland festgestellt werden. Einer der Treffpartner wurde Anfang des Jahres in Russland ermordet. Russische OliAuch im Berichtsjahr hielten sich russische Oligarchen und deren Famigarchen in Bayern lien - kurzfristig oder auf Dauer - in Bayern auf. Neben den privaten Kontakten nutzen die Personen ihren Aufenthalt in Bayern aber auch, um Treffen mit Personen der russischen Politik und Wirtschaft durch- Organisierte Kriminalität 273 zuführen. Bei den Treffpartnern handelt es sich größtenteils um Personen, die im Rahmen der Privatisierung in den GUS-Staaten enormen Reichtum erlangt und seit dieser Zeit nicht nachvollziehbare Gewinne erzielt haben. Einzelne von den Personen verfügen über Kontakte zur russischen OK. Dabei kommt es auch zu konspirativen Treffen. Vermehrt rückten auch kriminelle Aktivitäten von vorwiegend jungen Kriminelle AktiAussiedlern ins Blickfeld des Verfassungsschutzes. Ursächlich hierfür vitäten im waren Hinweise darauf, dass dieser Personenkreis in Bayern - ähnlich Aussiedlermilieu der Vorgehensweise russischer Krimineller - versucht, Strukturen aufzubauen und Straftaten, vor allem im Deliktsbereich der Rauschgiftkriminalität, zu begehen. Die weitere Beobachtung führte zu Erkenntnissen über stark abgeschottete ethnische Gruppierungen. Die Hinweise reichten jedoch nicht zur Aufdeckung konkreter Straftaten. Die gewonnenen Informationen wurden an die Exekutivbehörden abgegeben, die in eigener Zuständigkeit die notwendigen Maßnahmen veranlassten. Eine vorübergehend in Deutschland und jetzt in Südeuropa lebende SchutzgeldPerson der russischen OK versucht derzeit, über kriminelle Mittelserpressungen männer Schutzgeld bei russischstämmigen Bürgern in Deutschland, auch in Bayern, zu erpressen. Die Mittelsmänner gehen teilweise mit Gewalt und Drohungen gegen russische Bürger vor. Opfer der Gewaltdelikte wurden mehrfach auch osteuropäische Kleinkriminelle aus dem Drogenmilieu, welche wegen ihrer eigenen Straffälligkeit den Weg zu Strafverfolgungsbehörden meiden. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz arbeitete wegen dieser russischen Gruppierung eng mit den zuständigen Polizeidienststellen zusammen. 3.2 Südosteuropa-Mafia Kriminelle Gruppierungen aus Mazedonien, Serbien, dem Kosovo und Albanien sind häufig deliktsübergreifend aktiv. Dabei spielen insbesondere Eigentums-, Rauschgiftund Fälschungsdelikte, illegales Glücksspiel, Wettgeschäfte mit erheblichen Umsätzen, Prostitution, gewerbsmäßige Einschleusung von Ausländern sowie illegale Beschäftigung im Bauund Reinigungsgewerbe eine zentrale Rolle, wobei der Schwerpunkt eindeutig in den Bereichen internationaler Drogenhandel und Eigentumsdelikte liegt. Dabei werden je nach Bedarf für diese Arbeitsteilige Delikte arbeitsteilig "Dienstleistungen" u.a. in Form von gefälschten Vorgehensweise 274 Organisierte Kriminalität Pässen oder Lohnbescheinigungen, gefälschten bzw. gestohlenen Kreditkarten sowie Handyoder Kfz-Nutzung angeboten. Art und Umfang dieser "Gefälligkeiten" werden von der kriminellen Szene äußerst flexibel gehandhabt; Nutznießer davon sind ausschließlich Landsleute. Treffpunkte Treffpunkte dieses Personenkreises sind vorwiegend Gaststätten, die nahezu ausschließlich von Ex-Jugoslawen aufgesucht und auch von solchen geführt werden. An diesen Örtlichkeiten fühlen sich die Täter hinreichend sicher und ungestört, um Straftaten verschiedenster Art zu verabreden. Ethnische Spannungen spielen in Bayern im Gegensatz zum Heimatland, wo sie zuletzt bei den März-Unruhen im Kosovo deutlich wurden, kaum eine Rolle. Eine besondere Rolle spielen die regionalen und sozialen Verbindungen in die Heimat, die sowohl ein ideales Rückzugsgebiet ermöglicht als auch als Stützpunkt organisierter Banden dienen kann. Von dem Heimatstaat aus wird agiert, wobei man bei Bedarf Personen einsetzt, die wiederum in Bayern eng in der Szene verwurzelt sind. Diese Konstellation wurde bei polizeilichen Ermittlungen gegen den internationalen Drogenhandel und im Bereich der Eigentumsdelikte (Uhrenund Schmuckdiebstähle, Verschiebung hochwertiger Personenkraftwagen durch professionell vorgehende Täter) wiederholt festgestellt. Illegale GlücksStrukturermittlungen in der türkischen Glücksspiel-Szene ergaben, spiel-Szene dass es sich auch hier um einen weitgehend geschlossenen Personenkreis handelt, der sich aber nicht ausschließlich auf Türken beschränkt, sondern auch Albaner und Griechen umfasst. Es wird um sehr hohe Beträge gespielt; nicht selten verlieren einzelne Teilnehmer ihr gesamtes Vermögen. Spielsüchtige lassen sich auch nicht von szene-bekannten Berufsspielern abschrecken. Sie legen es zum Teil direkt darauf an, sich mit einem Profispieler zu messen, und gefährden dadurch die Existenz ihrer Familien. Illegale Geldverleiher in der Szene bringen manchen Spielsüchtigen an den finanziellen Abgrund, so dass diese als letzen Ausweg die Geldbeschaffung durch Banküberfälle und Betrügereien im großen Stil sehen. Selbst regelmäßige Polizeimaßnahmen können Veranstalter und Teilnehmer aufgrund der hohen Gewinne nicht abschrecken. Die Szene verwendet Abwehrmechanismen, die den Strafverfolgungsmaßnahmen entgegenwirken sollen. So werden beispielsweise auf den Spieltischen nicht mehr Bargeld, sondern Spielkarten als "Geldersatz" abgelegt. Gängige Praxis Organisierte Kriminalität 275 ist auch der Einsatz von "Patrouillen", welche die Umgebung nach Polizeikräften ausspähen und die Spieler rechtzeitig warnen sollen. Im Gegensatz zu früheren Jahren wird der Spielbetrieb nicht mehr überwiegend in "illegalen Spielcasinos", sondern auch in öffentlichen türkischen Gaststätten betrieben. Im Umfeld des illegalen Glücksspiels konnte begleitende Kriminalität, wie z.B. Geldbeschaffungs-, Gewaltund Betrugsdelikte, festgestellt werden. In Bayern sind mehrfach Hinweise eingegangen, dass türkische Geschäftsinhaber mit Nachdruck zu Zahlungen von Schulden oder Schutzgeld "animiert" wurden. Hierbei soll es auch zur massiven Massives Gewaltanwendung gekommen sein. Da die Opfer in großer Angst vor Gewaltpotenzial Repressalien leben, sind sie nicht bereit, die Täter bei Polizeibehörden anzuzeigen. Der strafrechtliche Nachweis derartiger krimineller Vorgehensweisen gestaltet sich deshalb für alle Sicherheitsbehörden äußerst schwierig. 3.3 Rockerkriminalität in Bayern Das Phänomen der Rockerkriminalität war lange Zeit vorwiegend aus Übersee bekannt, wo einzelne Rockerclubs bereits seit 50 Jahren bestehen. Die "Hells Angels" waren einer der ersten Clubs, der sich bereits vor 30 Jahren in Hamburg etablierte und mittlerweile deutschlandweit über eine große Anzahl von Niederlassungen, auch in Bayern, verfügt. Um Organisierte Kriminalität bei Rockern handelt es sich, wenn typiTypische sche Indikatoren wie ein interner Ehrenkodex, hierarchischer innerer Indikatoren Aufbau, Expansionsstreben und Durchsetzung von Gebietsansprüchen, Machtund Gewinnstreben sowie spezifische Delikte wie beispielsweise illegaler Waffenhandel, Betäubungsmittelkriminalität, Menschenhandel, Körperverletzungsdelikte, Schutzgelderpressungen und deren arbeitsteilige Begehung erkennbar sind. Derartige OK-typische Verhaltensweisen bzw. Straftaten konnten immer wieder bei Mitgliedern der bekanntesten Rockergruppierungen wie den "Hells Angels" oder den "Bandidos" festgestellt werden. Diese verfügen bundesweit über etwa 30 "Ortsgruppen", so genannte Chapter bzw. Charter. Enge Verbindungen zur internationalen Rocker-Szene wurden immer wieder festgestellt. Die "Hells Angels" und "Bandidos" sind auch in Bayern aktiv. Während die "Hells Angels" Charter in München und Nürnberg mit ins- 276 Organisierte Kriminalität Rockergruppen gesamt etwa 25 Mitgliedern unterhalten, verfügen die "Bandidos" in Bayern über sechs Chapter mit insgesamt nahezu 100 Mitgliedern in Passau, München, Ingolstadt und Allersberg. Im Berichtsjahr verdrängte ein neues Charter der "Hells Angels" in Nordbayern ein Chapter einer anderen Gruppierung. Hintergrund waren interne Streitigkeiten über die Reaktion auf ein Tötungsdelikt unter Rockern in Osnabrück. Im Gegensatz zu Bayern fallen die Rockergruppierungen im benachbarten Ausland durch äußerst brutale Gewalttaten und andere kriminelle Aktivitäten, wie beispielsweise den Handel mit Betäubungsmitteln und illegalen Waffen, auf. Auseinandersetzungen im Ausland zwischen Rockergruppen, wie z.B. der Mord an einem Rocker in Italien, können aber jederzeit Auswirkungen auch auf die bayerische Szene haben. Im Vorfeld Organisierter Kriminalität werden durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz Erkenntnisse zu Strukturen, Aufbau, Organisation, strategischen Zielsetzungen und Vorgehensweisen der Rockergruppierungen gewonnen und den Exekutivbehörden zur Verfügung gestellt. 3.4 Asiatische Organisierte Kriminalität Bei der Organisierten Kriminalität aus dem südostasiatischen Raum, hier mit den Schwerpunkten Vietnam und China, ist eine zunehZunehmende mende Vernetzung und Zusammenarbeit von zuvor überwiegend unVernetzung abhängig agierenden ethnischen Gruppierungen festzustellen. Die Hauptverantwortlichen für den Bereich der vietnamesischen OK halten sich in den neuen Bundesländern, der Tschechischen Republik und teilweise auch in Polen auf. Dies lässt sich u.a. damit erklären, dass in der Vergangenheit in diesen Ländern viele Gastarbeiter aus Vietnam rekrutiert wurden, die nach dem Zusammenbruch der damaligen Regime dort geblieben sind. Die Beobachtung der OK aus dem Bereich der Chinesen erbrachte vorwiegend Hinweise auf den Deliktsbereich der Schleusungskriminalität. Bayern bzw. Deutschland waren hierbei meist lediglich Transitland. Es gibt keine konkreten Hinweise, dass sich chinesische Triaden in Bayern festgesetzt haben. Allerdings fand im benachbarten Ausland ein Treffen von mehreren Vertretern verschiedener Triaden statt. Bei diesem Treffen wurde über die zukünftige Zusammenarbeit sowie über die weitere Vorgehensweise beim Aufbau einer kriminellen Organisa- Organisierte Kriminalität 277 tion in Europa gesprochen. Auch eigene Erkenntnisse belegen, dass weiter der Versuch unternommen wird, verstärkt kriminelle Organisationen nach dem Beispiel der Hongkong-Triaden in Europa aufzubauen. 3.4.1 Schleusungsdelikte Die illegale Migration steht nach wie vor im Beobachtungsspektrum des bayerischen Verfassungsschutzes. Personen aus den asiatischen Ländern bilden dabei den Schwerpunkt. Bayern bzw. Deutschland wird weiterhin als Zielund Transitland für illegale Migration genutzt. Eine große Anzahl der schleusungswilligen Personen kommt als Kriegsbzw. Wirtschaftsflüchtlinge nach Deutschland. Als wichtiges Drehkreuz der illegalen Migration hat sich Moskau herauskristallisiert. Drehkreuz Moskau Von dort aus wird ein Großteil der Migranten jeweils von einem Etappenziel zum anderen weitergeschleust. Auch Prag ist ein Etappenziel für die Einreise nach Deutschland. Organisiert wird die Schleusung von einem Netzwerk lokal ansässiger Koordinatoren. Bei den Koordinatoren sowie den geschleusten Personen handelt es sich meist um Angehörige der gleichen Ethnie (z.B. Chinesen). Die konkreten Transporte der geschleusten Personen wiederum werden von Einheimischen des jeweiligen Staates (z.B. Tschechien) durchgeführt, in dem sich die Migranten aufhalten. Gewonnene Erkenntnisse und Informationen des Verfassungsschutzes werden an die entsprechenden Exekutivbehörden weitergeleitet. Diese enge zwischenbehördliche Zusammenarbeit führte zu nationalen und internationalen Ermittlungsverfahren wegen gewerbsmäßigen Einschleusens. Elf Mitglieder einer international agierenden vietnamesisch-chinesischen Schleuserbande konnten festgenommen werden. Mehr als 200 vietnamesische und chinesische Staatsangehörige waren von ihnen nach Deutschland eingeschleust worden. 3.4.2 Betäubungsmittelhandel Im Bereich der vietnamesischen Organisierten Kriminalität sind Intensivierung des Bestrebungen zu erkennen, den Rauschgifthandel zu intensivieren. In Rauschgifthandels bayerischen Großstädten sind konkrete Personen bekannt, die zuständig für die Beschaffung und Verteilung des Rauschgifts an Zwischenhändler sind. In einem Fall konnte festgestellt werden, dass 278 Organisierte Kriminalität ein Vietnamese einen Drogenumschlagplatz in einer Wohnung eingerichtet hatte, für die Lieferung des Rauschgifts sorgte und die Abgabe sowie die Bezahlung überwachte. Durch Aufklärungsmaßnahmen des Bayerischen Landesamts für VerZerschlagung von fassungsschutz wurden regionale Strukturen des Drogenhandels in Drogenringen Bayern ermittelt. Auf der Basis dieser Erkenntnisse und weiterer polizeilicher Ermittlungen konnten Strafverfolgungsbehörden Ermittlungsverfahren einleiten, die zu einer Vielzahl von Durchsuchungen und Festnahmen führten. Drogenringe in zwei bayerischen Großstädten wurden dadurch zerschlagen. Aus Umschlagplätzen für Betäubungsmittel in den neuen Bundesländern, hauptsächlich in Leipzig, Dresden und Erfurt, erfolgte die Weiterleitung der Drogen nach Bayern. Diese Rauschgiftstrukturen in den neuen Bundesländern wurden weiter ausgebaut. Die Drogenbosse waren in eine Vielzahl von weiteren Straftaten, insbesondere Hehlerei, verwickelt und nutzen auch andere illegale Einnahmequellen, wie z.B. die Vermittlung von Prostituierten. Dabei bildete die Wohnungsprostitution sowohl innerhalb der vietnamesischen als auch der chinesischen Ethnie einen Schwerpunkt der weiteren Kriminalität in der Szene der Rauschgifthändler. In einem konkreten Fall wurden hierzu einer außerbayerischen OK-Dienststelle Hinweise und Ermittlungsansätze übermittelt. Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 279 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 1997 (GVBl S. 70, BayRS 12-1-I) Geändert durch SS 2 des Gesetzes zur Anpassung des Bayerischen Landesrechts an Art. 13 des Grundgesetzes vom 10. Juli 1998 (GVBl S. 383), Art. 4 Abs. 1 des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 10. Februar 2000 (GVBl S. 40) und SS 1 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz, des Bayerischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes und des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 24. Dezember 2002 (GVBl S. 969) I. Abschnitt erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, Organisation und Aufgaben durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder des Verfassungsschutzes unbestimmte Dauer arbeitsteilig tätig werden - unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnArt. 1 licher Strukturen oder Organisation des Verfassungsschutzes, Verhältnis zur Polizei - unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder (1) 1 Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des - unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Bundes und der Länder besteht in Bayern ein LandesMedien oder Wirtschaft. amt für Verfassungsschutz. 2 Es dient auch dem Schutz vor Organisierter Kriminalität. (4) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz ist eine dem Staatsministerium des Innern unmittelbar (2) 1 Freiheitliche demokratische Grundordnung nachgeordnete Behörde. 2 Das Landesamt und Dienstnach Absatz 1 ist eine Ordnung, die unter Ausschluss stellen der Polizei dürfen einander nicht angegliedert jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft eine rechtswerden. 3Dem Landesamt für Verfassungsschutz staatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der steht ein Weisungsrecht gegenüber Dienststellen der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der Polizei oder die Befugnis zu polizeilichen Maßnahmen jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit nicht zu. darstellt. 2 Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung gehören mindestens: Die Achtung vor den im Art. 2 Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem Zuständigkeit vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßiggesetzlich festgelegten Aufgaben zu erfüllen. 2 Dazu gekeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, hört auch die Zusammenarbeit Bayerns mit dem Bund das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für und den anderen Ländern in Angelegenheiten des Veralle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsfassungsschutzes. mäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. (2) Verfassungsschutzbehörden der anderen Länder (3) Organisierte Kriminalität ist die von Gewinndürfen in Bayern nur im Einvernehmen mit dem Lanoder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung desamt für Verfassungsschutz nach Maßgabe dieses von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von Gesetzes tätig werden. 280 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) Art. 3 haltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Aufgaben Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Aufgabe, 2. an der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder 1. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetverteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt zes, die gegen die freiheitliche demokratische sind oder beschäftigt werden sollen, Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine 3. an technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen, verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines die im öffentlichen Interesse geheimhaltungsLandes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, bedürftig sind, gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes mitzuwirken. für eine fremde Macht, (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des GrundgesetAufgabe, amtliche Auskünfte zu erteilen zes, die durch Anwendung von Gewalt oder 1. im Rahmen der Überprüfung der Verfassungstreue darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärvon Personen, die sich um Einstellung in den öffenttige Belange der Bundesrepublik Deutschland lichen Dienst bewerben, gefährden, 2. nach Maßgabe des Art. 14, insbesondere in Einbür4. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetgerungsund Ordensverfahren zur Verleihung des zes, die gegen den Gedanken der VölkerverständiVerdienstordens der Bundesrepublik Deutschland gung (Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz), insbesondere - mit Ausnahme der Verdienstmedaille - und des gegen das friedliche Zusammenleben der Völker Bayerischen Verdienstordens, sowie nach Art. 15. (Art. 26 Abs. 1 Grundgesetz), gerichtet sind, 5. Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität im Geltungsbereich des Grundgesetzes II. Abschnitt Allgemeine Befugnisse und Datenverarbeitung zu beobachten; solche Bestrebungen und Tätigkeiten können von Gruppierungen oder Einzelpersonen ausArt. 4 gehen. 2 Das Landesamt hat in Erfüllung dieser Aufgabe Allgemeine Befugnisse Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über sol(1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur che Bestrebungen oder Tätigkeiten zu sammeln und Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz die dazu auszuwerten. 3 Die notwendige Koordinierung mit den erforderlichen Informationen einschließlich personenanderen Sicherheitsbehörden und den Strafverfolgungsbezogener Daten auch ohne Kenntnis der betroffenen behörden wird in Richtlinien des Staatsministeriums Gruppierung oder Person erheben und in Akten und des Innern im Einvernehmen mit dem Staatsministerium Dateien verarbeiten, diese Informationen nutzen sowie der Justiz geregelt. 4 Über diese Richtlinien wird das aus Akten und Dateien übermitteln, soweit nicht nachParlamentarische Kontrollgremium gemäß Art. 3 Abs. 3 folgend besondere Bestimmungen gelten. 2Das LandesSatz 1 des Gesetzes zur parlamentarischen Kontrolle amt für Verfassungsschutz darf personenbezogene der Staatsregierung hinsichtlich der Maßnahmen nach Daten auch für die Vorgangsverwaltung nutzen und verArt. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes sowie der Tätigarbeiten. 3Ist zum Zweck der Datenerhebung die Überkeit des Landesamts für Verfassungsschutz (Parlamittlung personenbezogener Daten erforderlich, so darf mentarisches Kontrollgremium-Gesetz - PKGG) vom ein entsprechendes Ersuchen des Landesamts für Ver10. Februar 2000 (GVBl S. 40) unterrichtet. fassungsschutz nur diejenigen personenbezogenen Daten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft uner(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die lässlich sind. 4Schutzwürdige Interessen des BetroffeAufgabe, nen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. 1. nach Maßgabe des Bayerischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes an der Sicherheitsüberprüfung von (2) 1 Die Befugnisse des Landesamts für VerfasPersonen, denen im öffentlichen Interesse geheimsungsschutz bei der Mitwirkung nach Art. 3 Abs. 2 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 281 Nrn. 1 und 2 sind im Bayerischen Sicherheitsüberprü(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf perfungsgesetz vom 27. Dezember 1996 (GVBl S. 509, sonenbezogene Daten nach Art. 5 durch Anwendung BayRS 12-3-I)), zuletzt geändert durch SS 6 des Gesetzes nachrichtendienstlicher Mittel erheben, wenn vom 24. April 2001 (GVBl S. 140), in der jeweils gel1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder tenden Fassung geregelt, soweit sie nicht in besonderen Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 vorliegen oder auf Gesetzen geregelt sind; Art. 6 Abs. 1 Satz 4 bleibt undiese Weise Erkenntnisse über Nachrichtenzugänge berührt. 2Das Landesamt für Verfassungsschutz darf, gewonnen werden können oder soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, an einer Überprüfung nach Art. 3 Abs. 2 Nr. 2 nur mitwirken 2. das zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, und nach Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 nur Auskunft erteilen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamts wenn die betroffene Person der Durchführung der für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende Überprüfung zugestimmt hat; werden der Ehegatte oder oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. die Person, mit der die betroffene Person in eheähnlicher oder gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft lebt, in die (3) 1 Personenbezogene Daten dürfen durch AnwenÜberprüfung mit einbezogen, so ist auch deren Zustimdung nachrichtendienstlicher Mittel nur erhoben wermung erforderlich. den, wenn die Daten nicht auf eine andere geeignete Weise gewonnen werden können, die die betroffene (3) 1 Sind für die Erfüllung einer Aufgabe verschiePerson weniger beeinträchtigt. 2 Die Anwendung nachdene Maßnahmen geeignet, so hat das Landesamt für richtendienstlicher Mittel darf nicht erkennbar außer Verfassungsschutz diejenige zu wählen, die die betrofVerhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverfene Gruppierung oder Person voraussichtlich am halts stehen. 3 Sie ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr wenigsten beeinträchtigt. 2 Eine Maßnahme unterbleibt, Zweck erreicht ist oder sich ergibt, dass er nicht oder wenn sie einen Nachteil herbeiführt, der erkennbar nicht auf diese Weise erreicht werden kann. außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. (4) Die Zulässigkeit von Maßnahmen nach dem Art. 5 Gesetz zu Art. 10 Grundgesetz bleibt unberührt. Erhebung personenbezogener Daten Art. 6 a 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf persoEinsatz besonderer technischer Mittel nenbezogene Daten erheben, soweit das zur Erfüllung im Schutzbereich des Art. 13 Grundgesetz seiner Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich ist. 2 Zur Erfüllung seiner Aufgaben nach Art. 3 Abs. 3 (1) 1 Der Einsatz besonderer technischer Mittel zur Nr. 1 darf das Landesamt für Verfassungsschutz persoInformationsgewinnung im Schutzbereich des Art. 13 nenbezogene Daten jedoch nur im Rahmen von Nachdes Grundgesetzes ist als nachrichtendienstliches Mitermittlungen erheben, soweit das zur Überprüfung von tel im Sinn des Art. 6 Abs. 1 unter besonderer BerückInformationen erforderlich ist, die bei den Verfassungssichtigung des Grundsatzes der Verhaltnismäßigkeit schutzbehörden bereits vorliegen. nach Art. 6 Abs. 3 nur zulässig, wenn Art. 6 1. die materiellen Voraussetzungen für einen Eingriff Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel in das Brief-, Postoder Fernmeldegeheimnis nach SS 1 Abs. 1 und SS 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschrän(1) 1 Zur Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem kung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses Gesetz darf das Landesamt für Verfassungsschutz auch vom 26. Juni 2001 (BGBl I S. 1254) in der jeweils nachrichtendienstliche Mittel anwenden. 2 Sie dienen geltenden Fassung vorliegen, oder der verdeckten Informationsgewinnung und der Sicher2. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht vorlieheit des Landesamts für Verfassungsschutz und seiner gen, dass jemand Bestrebungen nach Art. 3 Abs. 1 Mitarbeiter. 3Nachrichtendienstliche Mittel sind MaßSatz 1 Nrn. 1, 3 oder 4 durch die Planung oder Benahmen zur Tarnung, der Einsatz geheimer Mitarbeiter gehung von Straftaten nach SSSS 129, 129 a, 129 b, 130 und andere Maßnahmen, die verbergen sollen, dass das oder 131 des Strafgesetzbuchs (StGB) in der jeweils Landesamt für Verfassungsschutz Informationen ergeltenden Fassung verfolgt, oder hebt. 4 Bei Sicherheitsüberprüfungen (Art. 3 Abs. 2 Nrn. 1 und 2) darf das Landesamt für Verfassungs3. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht besteschutz nur das nachrichtendienstliche Mittel der Tarhen, dass jemand Bestrebungen oder Tätigkeiten nung von Mitarbeitern anwenden. nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 durch die Planung 282 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) oder Begehung von Straftaten nach SS 100 a der StrafBetroffenen nach Absatz 5 oder für eine gerichtliche prozessordnung (StPO) in der Fassung der BekanntNachprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme nach machung vom 7. April 1987 (BGBl I S. 1074, 1319), Absatz 1 von Bedeutung sein können. 7In diesem Fall zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom sind die Daten zu sperren und dürfen nur zu diesen 22. August 2002 (BGBl I S. 3390), SSSS 261, 263 bis Zwecken verwendet werden. 265, 265 b, 266, 267 bis 273, 331 bis 334 StGB oder SSSS 92 a, 92 b des Ausländergesetzes (AuslG) vom (4) Die Übermittlung personenbezogener Daten an 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1353), zuletzt geändert durch andere öffentliche Stellen gemäß Art. 14 Abs. 1 bis 3 ist Art. 11 des Gesetzes vom 9. Januar 2002 (BGBl I nur zulässig zur Abwehr von erheblichen Gefahren für S. 361), in der jeweils geltenden Fassung verfolgt die öffentliche Sicherheit, insbesondere zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Personen und zur Verund die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise folgung von in Absatz 1 oder in SS 138 StGB genannten aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. 2Der verStraftaten. deckte Einsatz besonderer technischer Mittel darf sich nur gegen den Verdächtigen oder gegen Personen rich(5) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz teilt dem ten, von denen auf Grund von Tatsachen anzunehmen Betroffenen Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 nach ist, dass sie für den Verdächtigen bestimmte oder von ihrer Einstellung, frühestens jedoch dann mit, wenn eine ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen weitergeben, oder dass der Verdächtige sich in ihrer werden kann. 2Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn das Wohnung aufhält. nach Absatz 7 zuständige Gericht festgestellt hat, dass (2) 1 Der Einsatz besonderer technischer Mittel nach 1. die Voraussetzung auch nach fünf Jahren nach BeenAbsatz 1 bedarf einer richterlichen Anordnung. 2Bei digung der Maßnahme noch nicht eingetreten ist, Gefahr im Verzug kann der Präsident des Landesamts 2. sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für Verfassungsschutz oder dessen Vertreter die Anordauch in Zukunft nicht eintreten wird und nung treffen; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. 3Die Anordnungen sind auf längs3. die Voraussetzungen für eine Löschung sowohl bei tens drei Monate zu befristen; Verlängerungen um jeder erhebenden Stelle als auch beim Empfänger der weils nicht mehr als drei weitere Monate sind auf AnDaten vorliegen. trag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. 4Liegen die Voraussetzungen nicht (6) 1 Der verdeckte Einsatz besonderer technischer mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel im Schutzbereich des Art. 13 des Grundgesetzes Mittel nicht mehr erforderlich, so ist die Maßnahme unausschließlich zum Schutz der für den Verfassungsverzüglich zu beenden. schutz in diesem Bereich tätigen Personen bedarf der Anordnung des Präsidenten des Landesamts für Verfas(3) 1 Ein Bediensteter des Landesamts für Verfassungsschutz oder eines von ihm bestellten Beauftragsungsschutz mit Befähigung zum Richteramt beauften. 2Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangsichtigt den Vollzug der Anordnung. 2Die nach Absatz 1 ten Erkenntnisse ist nur zulässig, wenn zuvor die erhobenen Daten dürfen nur zur Erforschung und VerRechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt folgung von dort genannten Bestrebungen und Tätigist; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheikeiten, sowie für Datenübermittlungen nach Absatz 4 dung unverzüglich nachzuholen. 3Soweit Erkenntnisse verwendet werden. 3Das Landesamt für Verfassungsverwertet werden, gelten für die Datenverarbeitung, die schutz prüft unverzüglich und sodann in Abständen von Löschung der Daten und die Mitteilung des Betroffenen sechs Monaten, ob die durch Maßnahmen nach Absatz 1 die Absätze 3 bis 5 entsprechend. 4Im Übrigen sind sie erhobenen personenbezogenen Daten allein oder zuunverzüglich zu löschen. sammen mit bereits vorliegenden Daten für die Verfolgung und Erforschung der dort genannten Bestrebun(7) 1Zuständiges Gericht zur Entscheidung nach den gen oder Tätigkeiten erforderlich sind. 4Soweit diese Absätzen 2, 5 und 6 ist das Amtsgericht am Sitz des Daten dafür nicht erforderlich sind und nicht für eine Landesamts für Verfassungsschutz. 2Für das Verfahren Übermittlung an andere Stellen benötigt werden, sind gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelesie unverzüglich unter Aufsicht eines Bediensteten, der genheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit - FGG - die Befähigung zum Richteramt hat, zu löschen. 5Die (BGBl III 315-1), zuletzt geändert durch Art. 26 des Löschung ist zu protokollieren. 6Die Löschung unterGesetzes vom 23. Juli 2002 (BGBl I S. 2850), entsprebleibt, soweit die Daten für eine Mitteilung an den chend. Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 283 (8) 1Die Staatsregierung unterrichtet den Landtag (2) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im jährlich über die in Absatz 1, und soweit richterlich Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufgabe nach Art. 3 überprüfungsbedürftig, nach Absatz 6 angeordneten Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, sofern die dort genannten BestreMaßnahmen. 2Ein vom Landtag ausgewähltes Gremium bungen durch Anwendung von Gewalt oder darauf übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentariausgerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt wersche Kontrolle aus. den, sowie zur Erfüllung seiner Aufgabe nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 5 Auskünfte entsprechend SS 8 Abs. 5 bis 8 Art. 6 b BVerfSchG einholen. 2Absatz 1 gilt entsprechend. Datenerhebung bei Kreditinstituten, Fluggesellschaften, sowie Post-, Telekommuni(3) 1Das Staatsministerium des Innern unterrichtet im kationsund Teledienstgesellschaften Abstand von höchstens sechs Monaten das Parlamentarisowie Einsatz des IMSI-Catchers sche Kontrollgremium nach dem Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetz über die Durchführung der (1) 1Auskünfte nach SS 8 Abs. 5 bis 8 des Gesetzes Absätze 1 und 2; dabei ist insbesondere ein Überblick über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und des BunBerichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen nach den desamts für Verfassungsschutz (BundesverfassungsAbsätzen 1 und 2 zu geben. 2Das Gremium erstattet dem schutzgesetz - BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 Bayerischen Landtag jährlich einen Bericht über die (BGBl I S. 2954), zuletzt geändert durch Art. 9 des Durchführung sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe Gesetzes vom 16. August 2002 (BGBl I S. 3202), in der der Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2; dabei sind jeweils geltenden Fassung dürfen nur auf Antrag eingedie Grundsätze des Art. 2 Abs. 1 PKGG zu beachten. holt werden. 2Der Antrag ist durch den Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz oder seinen Vertreter (4) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im schriftlich zu stellen und zu begründen. 3Über den Antrag Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufgaben nach Art. 3 entscheidet das Staatsministerium des Innern. 4Es unterAbs. 1 Satz 1 Nr. 1, sofern die dort genannten Bestrerichtet monatlich die nach Art. 2 des Gesetzes zur Ausbungen durch Anwendung von Gewalt oder darauf ausführung des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz (AGG 10) gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, vom 11. Dezember 1984 (GVBl S. 522, BayRS 12-2-I), sowie zur Erfüllung seiner Aufgaben nach Art. 3 Abs. 1 zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes vom Satz 1 Nrn. 2 bis 5 unter den Voraussetzungen des SS 3 10. Februar 2000 (GVBl S. 40), gebildete Kommission Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes auch technische Mittel über die beschiedenen Anträge vor deren Vollzug. 5Bei zur Ermittlung des Standorts eines aktiv geschalteten Gefahr im Verzug kann das Staatsministerium des Innern Mobilfunkendgeräts und zur Ermittlung der Geräteund den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der UnKartennummern einsetzen. 2Die Maßnahme ist nur zuterrichtung der Kommission anordnen. 6Die Kommission lässig, wenn ohne die Ermittlung die Erreichung des prüft von Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden Zwecks der Überwachungsmaßnahme aussichtslos oder die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von wesentlich erschwert wäre. 3Personenbezogene Daten Auskünften. 7 SS 15 Abs. 5 des Artikel l0-Gesetzes vom eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur 26. Juni 200l (BGBl I S. 1254), zuletzt geändert durch erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 22. August 2002 (BGBl I zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1 unvermeidbar S. 3390), ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenist. 4Über den Datenabgleich zur Ermittlung der gesuchden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf ten Geräteund Kartennummer hinaus dürfen sie nur die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten im Sinn nach SS 8 Abs. 5 bis 8 BVerfSchG erlangten personenbedes SS 138 StGB verwendet werden. 5Nach Beendigung zogenen Daten erstreckt. 8Entscheidungen über Auskünfder Maßnahme sind sie unverzüglich zu löschen. te, die die Kommission für unzulässig oder nicht not- 6 Absätze 1 und 3 gelten entsprechend. wendig erklärt, hat das Staatsministerium des Innern unverzüglich aufzuheben. 9Für die Verarbeitung der nach (5) Das Staatsministerium des Innern erstattet dem SS 8 Abs. 5 bis 8 BVerfSchG erhobenen Daten ist SS 4 des Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundes jährArtikel l0-Gesetzes entsprechend anzuwenden. 10Das lich einen Bericht nach SS 8 Abs. 11 BVerfSchG über die Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten dürfen Durchführung des Absatzes 1; dabei ist insbesondere dem Betroffenen oder Dritten vom Auskunftsgeber nicht ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis mitgeteilt werden. 11SS12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Geund Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten setzes finden entsprechende Anwendung. Maßnahmen nach Absatz 1 zu geben. 284 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) Art. 7 Art. 8 Speicherung und Veränderung Berichtigung und Löschen von Daten personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur 1 Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz persoberichtigen, wenn sie unrichtig sind; in Akten, die nenbezogene Daten in Dateien speichern und veränzu einer bestimmten Person geführt werden, ist dies zu dern, wenn vermerken. 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 vorliegen oder Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrelöschen, wenn ihre Speicherung nach Art. 7 unzulässig bungen oder Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 erforderwar oder ihre Kenntnis für die Erfüllung seiner gesetzlich ist oder lich festgelegten Aufgaben nicht mehr erforderlich ist; 3. das Landesamt für Verfassungsschutz nach Art. 3 Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, Abs. 2 Nrn. 2 und 3 an Überprüfungen mitwirkt. sind unter diesen Voraussetzungen zu vernichten. 2 Ob die Voraussetzungen der Löschung und Vernichtung 2 In den Fällen des Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 dürfen personennach Satz 1 vorliegen, ist bei jeder Einzelfallbearbeibezogene Daten in Dateien nur gespeichert werden, tung und nach festgesetzten Fristen zu entscheiden. wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder 3 Die Löschung oder Vernichtung unterbleibt, wenn Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 vorliegen. 3Das Recht der Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzNutzung und Verabeitung personenbezogener Daten würdige Interessen der betroffenen Person beeinträchnach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 zur Vorgangsverwaltung bleibt tigt würden. 4 In diesem Fall sind die Daten zu sperren; unberührt. sie dürfen nur noch mit Einwilligung der betroffenen Person übermittelt werden. (2) 1Personenbezogene Daten über das Verhalten einer Person vor Vollendung des 14. Lebensjahres dür(3) 1 Für die Archivierung gelten die Vorschriften fen nicht in Dateien gespeichert werden. 2 Personenbedes Bayerischen Archivgesetzes. 2 Die Anbietungszogene Daten über das Verhalten einer Person nach pflicht bestimmt sich nach Maßgabe der nach Art. 6 Vollendung des 14. und vor Vollendung des 16. LebensAbs. 2 BayArchivG abzuschließenden Vereinbarung. jahres sind zwei Jahre nach dem Verhalten zu löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse im Sinn des Art. 9 Art. 3 Abs. 1 angefallen sind. 3 Personenbezogene Daten Errichtungsanordnung über das Verhalten einer Person nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind zwei (1) 1 Für den erstmaligen Einsatz einer automatisierJahre nach dem Verhalten auf die Erforderlichkeit der ten Datei, in der personenbezogene Daten verarbeitet Speicherung in Dateien zu überprüfen und spätestens werden, hat das Landesamt für Verfassungsschutz in fünf Jahre nach dem Verhalten zu löschen, es sei denn, einer Errichtungsanordnung, die der Zustimmung des dass weitere Erkenntnisse im Sinn des Art. 3 Abs. 1 Staatsministeriums des Innern bedarf, festzulegen: angefallen sind über ein Verhalten nach Eintritt der Volljährigkeit. 4 Für Akten, die zu einer minderjährigen 1. Bezeichnung der Datei, Person geführt werden, gelten die vorstehenden Prü2. Zweck der Datei, fungsund Löschungsfristen entsprechend. 3. betroffener Personenkreis, (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die 4. Art der zu speichernden Daten, Dauer der Speicherung in Dateien und in Akten, die zu 5. Eingabeberechtigung, einer bestimmten Person geführt werden, auf das Maß 6. Zugangsberechtigung, festzulegen, das zur Erfüllung seiner Aufgabe nach diesem Gesetz erforderlich ist. 7. regelmäßige Übermittlungen, 8. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, (4) Werden Bewertungen über Betroffene gespei9. Protokollierung des Abrufs. chert, muss erkennbar sein, wer die Bewertung vorgenommen hat und wo die Informationen gespeichert 2 Nach der Zustimmung des Staatsministeriums des sind, die der Bewertung zugrunde liegen. Innern ist die Errichtungsanordnung dem Landesbeauf- Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 285 tragten für den Datenschutz unverzüglich mitzuteilen. 4. die Information oder die Tatsache der Speicherung 3 Entsprechendes gilt für wesentliche Änderungen des nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen Verfahrens. nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheimgehal(2) Die Zustimmung des Staatsministeriums des ten werden muss. Innern darf nur erteilt werden, wenn die Speicherung personenbezogener Daten auf das erforderliche Maß (4) 1 Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf beschränkt ist. keiner Begründung. 2 Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist der Betroffene auf die Rechtsgrundlage für (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, angemessenen Abständen die Notwendigkeit der Weidass er sich hinsichtlich der Verarbeitung personenterführung oder Änderung seiner Dateien zu prüfen. bezogener Daten an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. 3 Dem Landesbeauftragten Art. 10 für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu Geltung des Bayerischen Datenschutzgesetzes erteilen, soweit nicht das Staatsministerium des Innern im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bei der Erfüllung der gesetzlich festgelegten AufBundes oder eines Landes gefährdet würde. 4 Mitteilungaben durch das Landesamt für Verfassungsschutz fingen des Landesbeauftragten an den Betroffenen dürfen den die Art. l0 bis 13, 15 bis 23 und 26 bis 28 des keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des LandesBayerischen Datenschutzgesetzes keine Anwendung. amts für Verfassungsschutz zulassen, sofern dieses nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. Art. 11 Auskunftserteilung III. Abschnitt (1) Ein Anspruch auf Auskunft über die beim 1 Übermittlungsregelungen Landesamt für Verfassungsschutz in Dateien oder Akten gespeicherten Informationen besteht nicht. 2 Hat Art. 12 eine Person ein besonderes Interesse an einer Auskunft Informationsübermittlung über die zu ihrer Person gespeicherten Daten, so entan das Landesamt für Verfassungsschutz scheidet das Landesamt für Verfassungsschutz nach ohne Ersuchen pflichtgemäßem Ermessen über das Auskunftsbegeh(1) Die Behörden, Gerichte hinsichtlich ihrer Regisren. ter, Gebietskörperschaften und andere der staatlichen Aufsicht unterstehenden juristischen Personen des (2) Soweit eine Person einer Sicherheitsüberprüöffentlichen Rechts sowie sonstige öffentliche Stellen fung nach Art. 3 Abs. 2 unterzogen wird oder zu einer des Freistaats Bayern haben von sich aus dem LandesPerson Auskunft nach Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 erteilt wird, amt für Verfassungsschutz die ihnen bei Erfüllung ihrer hat diese Person abweichend von Absatz 1 einen Aufgaben bekannt gewordenen Informationen zu überAnspruch auf Auskunft über die Daten des Landesamts mitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestefür Verfassungsschutz, die es im Rahmen der Erfüllung hen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufdieser Aufgaben übermittelt hat. gaben des Landesamts für Verfassungsschutz nach Art. 3 Abs. 1 oder entsprechender Aufgaben auf Grund eines (3) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit Gesetzes nach Art. 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des 1. eine Gefährdung der Erfüllung der Aufgaben nach Grundgesetzes erforderlich sein kann. Art. 3 durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist, (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die 2. durch die Auskunftserteilung nachrichtendienstliche übermittelten Informationen nach ihrem Eingang unZugänge gefährdet sein können oder die Ausforverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für die Erfülschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitslung seiner in Absatz 1 genannten Aufgaben erforderweise des Landesamts für Verfassungsschutz zu lich sind. 2 Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderbefürchten ist, lich sind, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernich3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden ten. 3 Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung Nachteile bereiten würde oder der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit un- 286 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) vertretbarem Aufwand erfolgen kann; in diesem Fall Art. 14 dürfen die nicht erforderlichen Informationen nicht verPersonenbezogene Datenübermittlung wendet werden. durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf perArt. 13 sonenbezogene Daten an öffentliche Stellen übermitteln, Informationsübermittlung wenn das zur Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem an das Landesamt für Verfassungsschutz Gesetz erforderlich ist oder wenn die öffentliche Stelle auf Ersuchen die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen (1) 1 Die in Art. 12 Abs. 1 genannten öffentlichen Sicherheit einschließlich der Strafverfolgung benötigt; Stellen haben dem Landesamt für Verfassungsschutz das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Übermittauf dessen Ersuchen die ihnen bei Erfüllung ihrer Auflung aktenkundig zu machen. 2 Gleiches gilt, wenn der gaben bekannt gewordenen Informationen zu übermitEmpfänger die personenbezogenen Daten zur Erfüllung teln, soweit das zur Erfüllung der Aufgaben des Lananderer ihm zugewiesener Aufgaben benötigt, sofern er desamts für Verfassungsschutz nach diesem Gesetz dabei auch zum Schutz der freiheitlichen demokratischen erforderlich ist. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz Grundordnung beizutragen oder Gesichtspunkte der darf Ersuchen nach Satz 1 nur stellen, wenn die Inforöffentlichen Sicherheit oder auswärtige Belange zu mation auf andere Weise nur mit übermäßigem Aufwürdigen hat. 3 Der Empfänger darf die übermittelten wand oder nur durch eine die betroffene Gruppierung Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, oder Person stärker belastende Maßnahme gewonnen nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermitwerden kann. 3 Das Landesamt für Verfassungsschutz telt wurden, es sei denn, dass das Landesamt für Verfashat Ersuchen zu begründen, es sei denn, dass eine Besungsschutz einer anderen Verwendung für Zwecke gründung dem Schutz der betroffenen Gruppierung nach den Sätzen 1 und 2 zugestimmt hat. 4 Satz 1 gilt oder Person zuwiderläuft oder den Zweck der Maßnahauch für die Übermittlung personenbezogener Daten inme gefährden würde. 4 Es hat die Ersuchen aktenkundig nerhalb des Landesamts für Verfassungsschutz. zu machen. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte im Rahmen Akten anderer öffentlicher Stellen und amtlich geführte von Art. 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen Dateien unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 einzwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über sehen, soweit das zur Erfüllung seiner Aufgaben nach die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der diesem Gesetz erforderlich ist und die sonstige ÜberBundesrepublik Deutschland stationierten ausländimittlung von Informationen aus den Akten oder den schen Streitkräfte vom 3. August 1959 (BGBl II 1961 Dateien den Zweck der Maßnahme gefährden, einen S. 1183) personenbezogene Daten übermitteln; das Lanübermäßigen Aufwand erfordern oder das Persönlichdesamt für Verfassungsschutz hat die Übermittlung keitsrecht des Betroffenen unnötig beeinträchtigen würaktenkundig zu machen. 2 Der Empfänger ist darauf hinde. 2 Über die Einsichtnahme in amtlich geführte Dateien zuweisen, dass die übermittelten Daten nur zu dem hat das Landesamt für Verfassungsschutz einen NachZweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm überweis zu führen, aus dem der Zweck und die eingesehene mittelt wurden. Datei hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern (3) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf perund am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer sonenbezogene Daten an öffentliche Stellen außerhalb Erstellung folgt, zu vernichten. des Geltungsbereichs des Grundgesetzes sowie an überoder zwischenstaatliche öffentliche Stellen über(3) 1 Hält eine in Art. 12 Abs. 1 genannte öffentliche mitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung seiner Stelle das Ersuchen nach Absatz 1 oder die EinsichtAufgaben nach diesem Gesetz oder zur Wahrung nahme nach Absatz 2 für unzulässig, so teilt sie das erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erfordem Landesamt für Verfassungsschutz mit. 2 Besteht derlich ist; das Landesamt für Verfassungsschutz hat dieses auf dem Ersuchen oder der Einsichtnahme, so die Übermittlung aktenkundig zu machen. 2 Die Überentscheidet darüber die oberste fachliche Aufsichtsmittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bunbehörde, die für die ersuchte Stelle zuständig ist. desrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person entgegenstehen. (4) Art. 12 Abs. 2 gilt entsprechend. 3 Sie ist aktenkundig zu machen. 4 Der Empfänger ist Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 287 darauf hinzuweisen, dass die übermittelten Daten nur 1. erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie der Informationen und ihrer Erhebung das schutzihm übermittelt wurden. würdige Interesse der Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegt, oder (4) 1Personenbezogene Daten dürfen außer in den 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern. Fällen des Art. 4 Abs. 1 Satz 3 an andere Empfänger als öffentliche Stellen nur übermittelt werden, wenn dies (2) Besondere Rechtsvorschriften, die Informationszum Schutz vor den in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 bezeichneübermittlungen zulassen oder verbieten, bleiben unten Bestrebungen, Gefahren und Tätigkeiten erforderberührt. lich ist. 2Die Übermittlung nach Satz 1 bedarf der vorherigen Zustimmung des Staatsministeriums des Innern; die Zustimmung kann auch für eine Mehrzahl von gleichartigen Fällen vorweg erteilt werden. 3Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Übermittlung IV. Abschnitt aktenkundig zu machen. 4Der Empfänger darf die überParlamentarische Kontrolle mittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 5Das Landesamt für VerfasArt. 18 sungsschutz hat den Empfänger darauf hinzuweisen. Parlamentarisches Kontrollgremium Die parlamentarische Kontrolle der Staatsregierung (5) 1 Übermittlungspflichten nach bundesrechtlichen hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für VerfasVorschriften bleiben unberührt. 2 Das Landesamt für sungsschutz erfolgt nach den Bestimmungen des GesetVerfassungsschutz kann andere Verfassungsschutzbehörzes zur parlamentarischen Kontrolle der Staatsregieden auch dadurch unterrichten, dass es diesen den Abruf rung hinsichtlich der Maßnahmen nach Art. 13 Abs. 3 von Daten im automatisierten Verfahren ermöglicht, bis 5 des Grundgesetzes sowie der Tätigkeit des Landessoweit deren gesetzliche Aufgaben identisch sind. amts für Verfassungsschutz - Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz - vom 10. Februar 2000 (GVBl Art. 15 S. 40, BayRS 12-4-I) in der jeweils geltenden Fassung. Unterrichtung der Öffentlichkeit 1 Das Staatsministerium des Innern und das LandesArt. 19 und 20 (aufgehoben) amt für Verfassungsschutz unterrichten die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. l. 2 Dabei dürfen der Öffentlichkeit personenbezogene Daten bekanntgegeben werden, wenn das Interesse V. Abschnitt der Öffentlichkeit an der Unterrichtung das schutzSchlussvorschriften würdige Interesse der betroffenen Person an der Wahrung ihrer Anonymität überwiegt. Art. 21 Erfüllung bundesrechtlicher Aufgaben Art. 16 Nachberichtspflicht Zur Erfüllung von Aufgaben auf Grund eines Gesetzes nach Art. 73 Nr. l0 Buchst. b und c des GrundErweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer gesetzes stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz Übermittlung durch das Landesamt für Verfassungsdie Befugnisse zu, die es zur Erfüllung der entsprechenschutz als unvollständig oder unrichtig, sind sie unverden Aufgaben nach diesem Landesgesetz hat. züglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen, wenn das zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Art. 22 betroffenen Person erforderlich ist. Einschränkung von Grundrechten Art. 17 Auf Grund dieses Gesetzes kann das Grundrecht Übermittlungsverbote der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 des Grundgesetzes und Art. l06 Abs. 3 der Verfassung und (1) Die Übermittlung von Informationen durch das das Grundrecht des Brief-, Postund FernmeldegeheimLandesamt für Verfassungsschutz nach den Art. 4 und nisses nach Art. 10 des Grundgesetzes und Art. 112 der 14 hat zu unterbleiben, wenn Verfassung eingeschränkt werden. 288 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) Art. 23 Art. 24 Änderung des Gesetzes zur Ausführung In-Kraft-Treten des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz 1 Dieses Gesetz tritt am 1. November 1990 in Kraft.* Das Gesetz zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 2 Gleichzeitig treten außer Kraft: Grundgesetz (AGG 10) vom 11. Dezember 1984 (GVBl 1. Das Gesetz über die Errichtung eines Landesamts S. 522, BayRS 12-2-I) wird wie folgt geändert: für Verfassungsschutz (BayRS 12-1-I), 1. Art. 2 Abs. 3 Satz 6 erhält folgende Fassung: 2. Art. 8 Abs. 2 Nr. 5 des Bayerischen Datenschutz"6 Die Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung, gesetzes (BayRS 204-1-I). die der Zustimmung der Parlamentarischen Kontrollkommission für die Angelegenheiten des Verfassungsschutzes bedarf." 2. In Art. 3 werden die Worte "den für Sicherheitsfragen zuständigen Ausschuss des Landtags" durch * Diese Vorschrift betrifft das In-Kraft-Treten des Gesetzes in der die Worte "die Parlamentarische Kontrollkommission ursprünglichen Fassung vom 24. August 1990 (GVBl S. 323). für die Angelegenheiten des Verfassungsschutzes" Der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der späteren Änderungen ersetzt. ergibt sich aus den jeweiligen Änderungsgesetzen. Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz (PKGG) 289 Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle der Staatsregierung hinsichtlich der Maßnahmen nach Art. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes sowie der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz (Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz - PKGG) Vom 10. Februar 2000 (GVBl S. 40, BayRS 12-4-I) Geändert durch SS 4 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz, des Bayerischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes und des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom 24. Dezember 2002 (GVBl S. 969) und SS 1 Nr. 6 des Dritten Gesetzes zur Aufhebung von Rechtsvorschriften vom 7. August 2003 (GVBl S. 497) Art. 1 (3) 1 Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiParlamentarisches Kontrollgremium ner Fraktion aus, so verliert es seine Mitgliedschaft im Parlamentarischen Kontrollgremium; Absatz 4 bleibt (1) 1 Das Parlamentarische Kontrollgremium übt die unberührt. 2Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein parlamentarische Kontrolle gemäß Art. 13 Abs. 6 Satz 3 neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein des Grundgesetzes zum Vollzug der Maßnahmen nach Mitglied aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium Art. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes nach Maßgabe ausscheidet. 3Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für der Art. 48 a des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsdie stellvertretenden Mitglieder. verfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes (AGGVG), Art. 34 Abs. 6 des Polizeiaufgaben(4) Das Parlamentarische Kontrollgremium übt seine gesetzes (PAG) und Art. 6 a Abs. 8 des Bayerischen Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des LandVerfassungsschutzgesetzes (BayVSG) in der Fassung tags hinaus solange aus, bis der nachfolgende Landtag ein der Bekanntmachung vom 10. April 1997 (GVBl S. 70, neues Parlamentarisches Kontrollgremium gewählt hat. BayRS 12-1-I), zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes vom 10. Februar 2000 (GVBl S. 40), aus. Art. 2 2 Dem Parlamentarischen Kontrollgremium obliegt ferGeheimhaltung ner die Kontrolle der Staatsregierung hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz; die (1) 1 Die Beratungen des Parlamentarischen KontrollRechte des Landtags und seiner Ausschüsse bleiben ungremiums sind geheim. 2Die Mitglieder und stellvertreberührt. tenden Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit im (2) 1 Das Parlamentarische Kontrollgremium besteht Parlamentarischen Kontrollgremium bekannt geworden aus fünf Mitgliedern. 2Die Mitglieder des Parlamentarisind. 3Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheischen Kontrollgremiums werden zu Beginn jeder neuen den aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium. Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte gewählt. 3In gleicher Weise wird für jedes Mitglied ein stellvertreten(2) 1 Das Parlamentarische Kontrollgremium tritt des Mitglied gewählt. 4Gewählt ist, wer die Stimmen der mindestens einmal im Jahr zusammen. 2Jedes Mitglied Mehrheit der Mitglieder des Landtags auf sich vereint. kann die Einberufung des Parlamentarischen Kontroll- 290 Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz (PKGG) gremiums verlangen. 3Das Parlamentarische KontrollArt. 4 gremium gibt sich eine Geschäftsordnung. 4Ferner obÄnderung von Gesetzen liegt ihm die Wahl seiner bzw. seines Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden. (1) Das Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 1997 (GVBl S. 70, BayRS 12-1-I), geändert Art. 3 durch SS 2 des Gesetzes vom 10. Juli 1998 (GVBl Rechte des Parlamentarischen Kontrollgremiums S. 383), wird wie folgt geändert: und Berichtspflichten der Staatsregierung 1. Art. 18 erhält folgende Fassung: (1) Das Staatsministerium der Justiz erstattet dem "Art. 18 Parlamentarischen Kontrollgremium jährlich Bericht Parlamentarisches Kontrollgremium nach Art. 48 a AGGVG. Die parlamentarische Kontrolle der Staatsregie(2) 1 Das Staatsministerium des Innern erstattet dem rung hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Parlamentarischen Kontrollgremium jährlich Bericht Verfassungsschutz erfolgt nach den Bestimmungen nach Art. 34 Abs. 6 PAG und Art. 6 a Abs. 8 BayVSG. des Gesetzes zur parlamentarischen Kontrolle der 2 Die Berichterstattung nach diesen Vorschriften kann Staatsregierung hinsichtlich der Maßnahmen nach gesondert erfolgen. Art. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes sowie der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz (3) 1 Das Staatsministerium des Innern unterrichtet - Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz - vom das Parlamentarische Kontrollgremium ferner regel10. Februar 2000 (BayRS 12-4-I)." mäßig umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz und über Vorgänge 2. Art. l9 und 20 werden aufgehoben. von besonderer Bedeutung. 2Darüber hinaus berichtet es zu einem konkreten Thema aus dem Aufgabenbereich (2) In Art. 3 des Gesetzes zur Ausführung des des Landesamts für Verfassungsschutz, sofern das ParGesetzes zu Art. 10 Grundgesetz (AGG 10) vom lamentarische Kontrollgremium dies verlangt. 3Zeit, Art 11. Dezember 1984 (GVBl S. 522, BayRS 12-2-I), und Umfang der Unterrichtung des Parlamentarischen geändert durch Art. 23 des Gesetzes vom 24. August Kontrollgremiums werden unter Beachtung des not1990 (GVBl S. 323), werden die Worte "die Parlamenwendigen Schutzes des Nachrichtenzugangs durch die tarische Kontrollkommission für Angelegenheiten des politische Verantwortung der Staatsregierung bestimmt. Verfassungsschutzes" durch die Worte "das Parlamentarische Kontrollgremium" ersetzt. (4) 1 Das Staatsministerium des Innern erstattet dem Parlamentarischen Kontrollgremium ferner Bericht Art. 5 nach Maßgabe des Art. 3 des Gesetzes über die AufIn-Kraft-Treten, Übergangsvorschrift gaben der G 10-Kommission im Bayerischen Landtag und zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes (G 10) (1) Dieses Gesetz tritt am 1. April 2000 in Kraft.* und nach Maßgabe des Art. 6 b Abs. 3 und 4 BayVSG. 2 Art. 2 AGG 10 bleibt unberührt. (2) (aufgehoben). * Diese Vorschrift betrifft das In-Kraft-Treten des Gesetzes in der ursprünglichen Fassung. Der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der späteren Änderungen ergibt sich aus den jeweiligen Änderungsgesetzen. Sachwortregister 291 Sachwortregister ABLE 256 Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA) 189 ABSURD 92 Bewegung der freien Jugend Kurdistans Abu Sayaff 179 (TECAK; vormals Union der Jugendlichen aus Kurdistan - YCK -) 219 ACT OF VIOLENCE 93 Bolschewistische Partei Nordkurdistan/Türkei ADÜTDF 234 (BP-KK/T) 241 AG der Kommunistischen Plattform in Bayern 123 Bündnis München gegen Krieg 138 Agenda sozial 118 Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) 69 Aktion Transparente Verwaltung Bund der Antifaschisten (BdA) 132 München (ATV) 258 Bund Frankenland - Staatsbürgerliche Runde 84 Al-Aqsa e.V. 186 Burschenschaft Danubia 108 a.l.d.e.n.t.e. - autonome gruppe mit biss 142 Al-Gamaa al-Islamiya (GI) 185 Castle Hill Publishers Ltd. 103 Al-Qaida 178 Celebrity Centres (CC) 254 Al-Tauhid 198 Church of Scientology International (CSI) 243 Anadoluda Vakit 206 Citizens Commission on Human Rights Ansar al-Islam 193 (CCHR) 258 antifa 132 Clears 246 Antifaschistische Aktion München 142 CONFIDENT OF VICTORY 94 Antifaschistisches Aktionsbündnis Nürnberg 158 Continental Liaison Office (CLO) 253 Antikernkraftbewegung 154 Courage 158 Applied Scholastics 256 CRIMINON 256 Arabische Mudjahidin 178 Arbeiterbund für den Wiederaufbau D.I.A. (Die islamische Alternative) 212 der KPD (AB) 140 Das Freie Forum 108 Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) 239 Dawa 200 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK; nunmehr Volkskongress Kurdistans - KONGRA GEL -; Demokratie Direkt München e.V. 72 vormals Freiheitsund Demokratiekongress Demokratische Aleviten-Föderation (FEDA; Kurdistans - KADEK -) 214 vormals Föderation der Demokratischen Asiatische Organisierte Kriminalität 276 Aleviten - DAV -) 240 Asr-I Saadet 212 Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) 239 Augsburger Bündnis - Nationale Opposition e.V. 108 Denk mit! 108 Autonome 140 Denk mit!-Verlag 108 Autonome Jugend Antifa 142 Department of Special Affairs (DSA) 258 Der Rebell 48 barricada - zeitung für autonome Der Republikaner 57 politik und kultur 144 Deutsche Aufbau-Organisation (DAO) 70 Betäubungsmittelhandel 277 Deutsche Geschichte 108 292 Sachwortregister Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 127 Föderation der Türkisch-Demokratischen Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 108 Idealistenvereine in Europa e.V. (ADÜTDF) 234 Föderation für demokratische Rechte Deutsche Liste für Europa (DLFE) 38 in Deutschland (ADHF) 231 Deutsche Partei - Die Freiheitlichen (DP) 29 Föderation kurdischer Vereine in Deutsche Soziale Union (DSU) 29 Deutschland e.V. (YEK-KOM) 218 Deutsche Stimme (DS) 107 Frankfurter Erklärung 29 Deutsche Volksunion (DVU) 49 Fränkische Aktionsfront (F.A.F.) 79 Deutsche Volksunion e.V. 107 Frauenverband Courage 158 Deutsches Büro für Menschenrechte 258 free MIND magazin 249 Deutsches Kolleg (DK) 108 Freie Nationalisten 30 Deutschland-Bewegung/Friedenskomitee 70 Freiheit 243 Deutschland-Post 107 Freiheitliche Deutsche Volkspartei (FDVP) 65 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 227 Freiheitspartei der Frauen Kurdistans (PAJK; vormals Partei der freien Frauen - PJA -) 219 Dianetik nach L. Ron Hubbard 243 Freizeitverein Isar 96 e.V. (FZV) 81 Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Freundeskreis Demokratie Direkt München 72 Lebensgestaltung (Artgemeinschaft) 108 Freundeskreis Ulrich von Hutten 108 Die Freunde im Ausland (DFiA) 105 Frieden 2000 - Nachrichten für die Die Republikaner (REP) 57 Deutschland-Bewegung 108 Friedenskomitee 70 Die Ware 122 Front der islamischen Kämpfer des Ostens DISPUT 157 (IBDA-C) 213 Djihad Islami (JI) 186 FSB (Inlandsnachrichtendienst der GUS) 264 Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH (DSZ-Verlag) 74 GEGENSTANDPUNKT 140 Gerechtigkeitsund Aufschwungpartei Echelon 266 (AKP) 204 Edelweiss 86 "Germania"-Rundbrief 104 En Nahda 190 Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) 108 Glückseligkeitspartei (SP) 204 FAUSTRECHT 93 Grossraumzeitung - Nürnberg/Erlangen/ FIS 188 Fürth 144 Flag Command Bureaux (FCB) 253 GRU (Militärischer Nachrichtendienst der GUS) 264 Flüchtlingshilfe Iran e.V. (FHI) 237 GUS-Mafia 272 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (ATIF) 231 Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Hakk-TV 211 Türkei in Deutschland e.V. HAMAS 186 (AGIF) 233 Haus der kurdischen Künstler e.V. 240 Föderation der Islamischen Organisation in Europa (FIOE) 183 Hezb-i Islami (HIA) 201 Hilafet Devleti (Der Kalifatsstaat) 210 Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Hilfsorganisation für nationale politische Bundesrepublik Deutschland e.V. Gefangene und deren Angehörige e.V. (FEYKA-Kurdistan) 240 (HNG) 107 Sachwortregister 293 Hizb al-Dawa al-Islamiya (Dawa) 200 Kameradschaft München 80 Hizb Allah (Partei Gottes) 199 Kameradschaft Süd - Aktionsbüro Süddeutschland (AS) 80 Hizb ut-Tahrir 191 Kameradschaft Weiße Wölfe 86 Huttenbriefe 108 Kampfbund Deutscher Sozialisten (KDS) 83 Kinderorganisation ROTFÜCHSE 136 Impact 243 KOMMANDO SKIN 93 Info-Läden der Autonomen 143 Kommission für Verstöße der Psychiatrie Institute for Historical Review (IHR) 104 gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) 257 INTERIM 144 Kommunistische Arbeiterzeitung (KAZ) 157 International Association of Scientologists Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 120 (IAS) 261 Kommunistische Plattform (KPF) 119 International City 246 Kommunistischer Arbeiterbund Internationale islamische Front 178 Deutschlands (KABD) 135 Internationaler Kurdischer ArbeitgeberKonföderale Fraktion der Vereinten verband (KARSAZ) 219 Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke Islamische Bewegung Kurdistans (KIH) 240 (GUE/NGL) 119 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. Konföderation der Arbeiter aus der Türkei (IGD) 183 in Europa (ATIK) 231 Konföderation für demokratische Rechte Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. in Europa (ADHK) 231 (IGMG) 203 Koordination der kurdischen demoIslamische Heilsfront (FIS) 188 kratischen Gesellschaft in Europa (CDK; Islamische Vereinigung in Bayern e.V. (IVB) 202 vormals Kurdische Demokratische Volksunion - YDK - bzw. Nationale BefreiungsIslamische Widerstandsbewegung (HAMAS) 186 front Kurdistans - ERNK -) 218 Islamischer Bund Palästina (IBP) 186 Kurdischer Nationalkongress (KNK) 218 Islamischer Widerstand (Muqawame Islamiya) 199 Kurdischer Roter Halbmond (HSK) 240 Islamisches Zentrum München 183 Kurdistan Informationsbüro in Deutschland Islamisch-Irakische Gemeinschaft (KIB) 240 Deutschland e.V. (IIGD) 200 Kurdistan Informations-Zentrum (KIZ) 240 Kurdistan-Komitee e.V., Köln 240 Jemaah Islamiya 168 Journal of Historical Review 104 Leuchter-Bericht 103 Jugendverband REBELL 136 Linkes Forum 123 Jugendverband ['solid] 122 Linksruck 157 Junge Nationaldemokraten (JN) 47 Linksruck-Netzwerk 137 Kalifatsstaat 210 Maoistische Kommunistische Partei (MKP; Kameradschaft Aschaffenburg 84 vormals Ostanatolisches Gebietskomitee - DABK -) 230 Kameradschaft Asgard Ratisbona 78 Marxistische Blätter 157 Kameradschaft ERH 86 Marxistische Gruppe (MG) 140 Kameradschaft Frankfurt 84 Marxistisches Forum (MF) 121 Kameradschaft Heinrich II. 84 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Kameradschaft Lichtenfels 84 Partei (MLKP) 232 294 Sachwortregister Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands Organisierte Autonomie 142 (MLPD) 135 Organisierte Kriminalität (OK) 270 MEDYA-TV (nunmehr ROJ TV) 220 Mensch und Maß 108 Partei der Europäischen Linken (EL) 115 militante gruppe (mg) 146 Partei der Nationalen Bewegung (MHP) 235 Milli Gazete 207 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 113 Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS 157 Partizan-Flügel 230 Mudjahidin 178 PDS-Pressedienst 157 Münchner Bündnis 68 POSITION 158 Münchner Bündnis gegen Rassismus 138 Pro.K - Zeitung des revolutionären Aufbau München 144 Muslimbruderschaft (MB) 181 Proliferation 267 Nachrichten der HNG 107 radikal 158 NARCONON 256 REBELL 136 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 30 REBELL-Magazin 135 Nationaldemokratischer Hochschulbund Redskins 88 (NHB) 107 Religious Technology Center (RTC) 252 Nationale Heilspartei (MSP) 213 Revisionismus 102 Nationale Info-Telefone (NIT) 86 REVOLUTIONÄRER WEG 135 Nationaler Block (NB) 29 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) 235 (DHKP-C) 227 Nationaler Widerstand Süddeutschland 86 Revolutionäre Zellen (RZ) 155 Nationales Bündnis Dresden e.V. (NBD) 59 Revolutionär Sozialistischer Bund (RSB) 138 Nationales Infoportal Bayern (NIB) 86 Rockerkriminalität 275 National Journal 105 ROJ TV (vormals MEDYA-TV) 220 National Liberation Army (NLA) 236 Rote Armee Fraktion (RAF) 155 National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung Rote Fahne 157 (NZ) 108 ['ROTFRONT!] 122 Nation-Europa-Freunde e.V. 76 ROTFÜCHSE 136 Nation Europa Verlag GmbH 76 Rudolf-Gutachten 103 Nation & Europa - Deutsche Monatshefte 76 Rudolf-Heß-Aktionen 87 Neonazi-Kameradschaften 79 Neues Deutschland 157 Salafiyya-Gruppe für die Mission und den Neues Schwaben 108 Kampf (GSPC) 189 Nichtaberrierte 246 Samisdat Publishers Ltd. 104 NS Kampfruf 107 Schleusungsdelikte 277 NSDAP-Auslandsund Aufbauorganisation Schutzbund für das Deutsche Volk e.V. (NSDAP-AO) 107 (SDV) 108 Scientology Kirche Bayern e.V. 254 Office of Special Affairs (OSA) 258 Scientology Kirche Deutschland e.V. (SKD) 255 Oi-Skinheads 88 Scientology-Organisation (SO) 243 Sachwortregister 295 SHARPs 88 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Verfolgten Skinheads 88 (VRBHV) 105 ['solid] 122 Vereinigung der Verfolgten des Source 243 Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) 132 Sozialismus von unten 157 Verlag Hohe Warte - Franz von BebenSozialistische Aktion München 142 burg KG 108 Sozialistische Arbeitergruppe (SAG) 137 VGB Verlagsgesellschaft Berg mbH 108 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend Vierteljahreshefte für freie Geschichts(SDAJ) 133 forschung (VffG) 105 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Volksfront für die Befreiung Palästinas (SED) 113 - Generalkommando - (PFLP-GC) 239 Sozialistische Gruppe 140 Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) 239 Staatsbürgerliche Runde 84 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL; Südosteuropa-Mafia 273 vormals Freiheitsund Demokratiekongress SWR (Auslandsnachrichtendienst der GUS) 264 Kurdistans - KADEK - bzw. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK -) 214 Volksmudjahidin Iran-Organisation (MEK) 235 Tablighi Jamaat 196 Volksverteidigungskräfte (HPG; vormals TITEL - Informationsforum der PDS Bayern 157 Volksbefreiungsarmee Kurdistans - ARGK -) 239 TOLLSCHOCK 93 Vrij Historisch Onderzoek (V.H.O.) 105 Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (TIKKO) 230 Watch Dog Committee (WDC) 254 Türkische Kommunistische Partei/MarxisWeltbund der Demokratischen Jugend 134 ten-Leninisten (TKP/ML) 230 Wenz - Unter sticht Ober 144 Türkische Volksbefreiungspartei-Front (THKP-C Devrimci Sol) 227 White Power-Skinheads 88 Tugendpartei (FP) 204 Wirtschaftsspionage 265 WISE 255 Union der Journalisten Kurdistans (YRK) 240 Union der patriotischen Arbeiter Kurdistans Zeit für Protest! 107 (YKWK) 240 Zentrum für individuelles und effektives Union islamischer Studentenvereine in Lernen (ZIEL) 256 Europa (U.I.S.A.) 239 Union zur Pflege der kurdischen Kultur und Kunst (YRWK) 240 Unsere Zeit (UZ) 157 Ursprung 243 UTOPIE - kreativ - Diskussion sozialistischer Alternativen 157 Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB) 242 Verband der StudentInnen aus Kurdistan (YXK) 240 Herausgeber: Bayerisches Staatsministerium des Innern, Odeonsplatz 3, 80539 München Druck: Joh. Walch GmbH & Co. KG, Augsburg Gedruckt auf Recyclingpapier aus 100 % Altpapier Hinweis: Der Verfassungsschutzbericht Bayern 2004 ist auch über das Internet abrufbar: http://www.innenministerium.bayern.de/sicherheit/verfassungsschutz http://www.verfassungsschutz.bayern.de