Bayerisches Staatsministerium des Innern Herausgeber: Bayerisches Staatsministerium des Innern, Odeonsplatz 3, 80539 München RB Nr. 03A/97/03 Druck: Color-Offset GmbH, Geretsrieder Straße 10, 81379 München Gedruckt auf Recyclingpapier aus 100% Altpapier Vorwort Deutschland hat leidvolle Erfahrungen mit dem politischen Extremismus. Die Weimarer Demokratie wurde zwischen Verfassungsfeinden von links und rechts zerrieben und endete in der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Mit der DDR bestand mehr als 40 Jahre lang eine kommunistische Diktatur auf deutschem Boden. Damit Freiheit und Demokratie in Deutschland nicht noch einmal Beute von Extremisten werden, haben die Väter des Grundgesetzes unsere Verfassungsordnung als wehrhafte Demokratie ausgestaltet. Teil dieser Wehrhaftigkeit ist der Verfassungsschutz, mit dem der Staat über ein wirksames Instrument verfügt, extremistische Bestrebungen zu erkennen, zu beobachten und zu entlarven. Damit wurde ein Frühwarnsystem geschaffen, das sich immer wieder als notwendig erweist. Wenn wir bisher in jedem Jahresrückblick feststellen konnten, daß trotz aller verfassungsfeindlichen Bestrebungen die freiheitliche demokratische Grundordnung in Bayern nicht ernsthaft gefährdet ist, so verdanken wir das auch der Arbeit des Verfassungsschutzes: - Der Verfassungsschutz deckt verfassungsfeindliche Bestrebungen auf. Er liefert aufgrund seiner Beobachtung Erkenntnisse über Extremisten und Gefährdungsanalysen. Diese Informationen sind die Voraussetzung, um notwendige Gegenmaßnahmen treffen, die Öffentlichkeit aufklären und eine intensive öffentliche Auseinandersetzung zur Bekämpfung des Extremismus führen zu können. - Der Verfassungsschutz gibt in konkreten Fällen auch wichtige Hinweise zur Verhinderung und Verfolgung von Straftaten. Dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gilt unser Dank für diese erfolgreiche Tätigkeit im vergangenen Jahr. Dieser Bericht gibt einen Überblick über die Ergebnisse der Arbeit des Verfassungsschutzes bei der Beobachtung des politischen Extremismus, der Spionageabwehr und der Beobachtung von Bestrebungen der Organisierten Kriminalität in Bayern im Jahr 1996. Er zeigt wiederum, daß Extremisten nicht in der Lage waren, unsere freiheitliche demokratische Ordnung ernsthaft zu gefährden. Jedoch wurde die öffentliche Sicherheit insbesondere durch politisch motivierte Gewalt teilweise empfindlich gestört. Erfreulich ist, daß die politisch motivierten Gewalttaten insgesamt deutlich abgenommen haben. Die linksextremistisch motivierten Gewalttaten dagegen haben erheblich zugenommen, seit im Widerstand gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie militante Autonome ihre Gewaltbereitschaft ausleben. Auch dieser Erscheinung gegenüber gilt der Satz "Wehret den Anfängen!", an dem Bayern die Bekämpfung des Extremismus aller Schattierungen schon immer ausgerichtet hat. Wenn wir dazu bereit sind, wird es - mit Hilfe des Verfassungsschutzes - auch künftig gelingen, Freiheit und Demokratie zu verteidigen. München, im März 1997 Dr. Günther Beckstein Hermann Regensburger Staatsminister Staatssekretär 4 Inhaltsverzeichnis Verfassungsschutz in Bayern Einführung 10 1. Gesetzliche Grundlagen 11 2. Aufgaben des Verfassungsschutzes 11 3. Informationsbeschaffung 12 4. Kontrolle 13 5. Verfassungsschutz durch Aufklärung 14 1. Abschnitt Rechtsextremismus 1. Allgemeines 17 1.1 Merkmale des Rechtsextremismus 17 1.2 Entwicklung 18 2. Die Republikaner (REP) 21 2.1 Ideologisch-politischer Standort 21 2.2 Wahlbeteiligung 23 2.3 Umstrittener Abgrenzungskurs 23 2.4 Organisation 26 2.5 Sonstige Aktivitäten 27 2.6 Verwaltungsgerichtsverfahren 28 3. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 30 3.1 Ideologisch-politischer Standort 30 3.2 Organisation 34 3.3 Bündnispolitik 35 3.4 Sonstige Aktivitäten 36 3.5 Strafverfahren 38 3.6 Junge Nationaldemokraten (JN) 39 4. Deutsche Volksunion (DVU) 41 4.1 Ideologisch-politischer Standort 41 4.2 Organisation 45 4.3 Bündnispolitik 46 4.4 Teilnahme an Wahlen 47 4.5 Sonstige Aktivitäten 47 5. Neonazismus 48 5.1 Allgemeines 48 5.2 Verbotene Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) . 50 5.3 Deutsche Nationalisten (DN) 51 Inhaltsverzeichnis 5 5.4 Neonazistisches Potential bei Skinheads 51 5.5 Aktionen zum 9. Todestag von Rudolf Heß (17. August) 55 5.6 Rechtsextremistisch motivierte Straftaten 56 6. Sonstige rechtsextremistische Organisationen 58 6.1 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 58 6.1.1 Ideologisch-politischer Standort 58 6.1.2 Organisation 59 6.1.3 Umwandlung in einen Verein 59 6.1.4 Bündnisbemühungen 60 6.2 Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) 60 6.3 Freundeskreis Ulrich von Hutten e.V. 61 6.4 Deutsches Kolleg (DK) 61 7. Revisionismus-Kampagne 62 7.1 Ziele und Methoden 62 7.2 Entwicklung 63 7.3 Träger der Revisionismus-Kampagne 64 8. Organisationsunabhängige Publizistik 66 8.1 Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH (DSZ-Verlag) 66 8.2 Nation Europa Verlag GmbH 67 9. Einfluß des ausländischen Rechtsextremismus 69 9.1 NSDAP-Auslands-und Aufbauorganisation (NSDAP-AO) 69 9.2 Verlag Samisdat Publishers Ltd 70 10. Nutzung moderner Informationstechnologien durch Rechtsextremisten 70 10.1 Internet 70 10.2. Mailboxen 72 10.3 Nationale Info-Telefone (NIT) 72 10.4 Strafverfahren 73 10.5 Ausblick 73 11. Übersicht über erwähnenswerte rechtsextremistische Organisationen und Verlage sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse 75 2. Abschnitt Linksextremismus 1. Allgemeines 77 1.1 Merkmale des Linksextremismus 77 1.2 Entwicklung in Bayern 78 6 Inhaltsverzeichnis 2. Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 80 2.1 Überblick 80 2.2 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 80 2.2.1 Ideologische Ausrichtung 81 2.2.2 Organisation 94 2.2.2.1 Bundesweite Gliederung 94 2.2.2.2 Landesverband Bayern 97 2.2.3 Plattformen und Arbeitsgemeinschaften 98 2.2.3.1 Kommunistische Plattform (KPF) 99 2.2.3.2 Arbeitsgemeinschaft Junge Genossinnen in und bei der PDS 102 2.2.3.3 Marxistisches Forum 104 2.2.4 Teilnahme an Wahlen 106 2.2.5 Zusammenarbeit mit inund ausländischen Linksextremisten 107 2.2.5.1 Kommunistischer Internationalismus 107 2.2.5.2 Inländische Zusammenarbeit 110 2.3 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 112 2.3.1 Ideologische Ausrichtung 112 2.3.2 Organisation 116 2.3.3 Teilnahme an Wahlen 117 2.3.4 Umfeld der DKP 117 2.4 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) .. 118 2.5 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) .... 119 3. Autonome 120 3.1 Überblick 120 3.2 Ideologische Ausrichtung 121 3.3 Aktionsthemen 123 3.4 Autonome Strukturen 126 3.4.1 Autonome in Bayern 126 3.4.2 Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) 127 3.4.3 Informationelle Vernetzung 129 3.5 Autonome Publikationen ' 130 3.6 Aktivitäten autonomer Gruppen in Bayern 131 3.6.1 Autonome München 131 3.6.2 Autonome Nürnberg 133 3.6.3 Autonome Passau 137 3.7 Entwicklungstendenzen 139 4. Bündnisse gegen Rassismus 139 Inhaltsverzeichnis 7 5. Linksextremistischer Einfluß auf die Antikernkraftbewegung 140 5.1 Entwicklung im Bundesgebiet 141 5.2 Entwicklung in Bayern 144 6. Übersicht über erwähnenswerte linksextremistische und linksextremistisch beeinflußte Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse 148 3. Abschnitt Extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern 1. Allgemeines 151 2. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 155 2.1 Ideologie und Organisation 155 2.2 Unterstützer der PKK 157 2.3 Doppelstrategie 158 2.4 Aktivitäten 162 2.5 Exekutivmaßnahmen und Strafverfahren 164 3. Türkische Gruppen 166 3.1 Linksextremisten 166 3.1.1 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) 166 3.1.2 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 167 3.1.3 Aktionen türkischer Linksextremisten 169 3.2 Extreme Nationalisten 170 3.3 Islamische Extremisten 171 3.3.1 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) 171 3.3.2 Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB) 173 4. Iranische Gruppen 175 5. Übersicht über erwähnenswerte extremistische Organisationen von Ausländern sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse 178 4. Abschnitt Scientology-Organisation 182 8 Inhaltsverzeichnis 5. Abschnitt Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 1. Entwicklung im Bundesgebiet 184 1.1 Rechtsextremistische Gewalt 186 1.2 Linksextremistische Gewalt 190 1.3 Gewalttaten ausländischer Extremisten 193 2. Politisch motivierte Gewalt in Bayern 196 2.1 Rechtsextremistische Gewalt 197 2.1.1 Brandanschläge 198 2.1.2 Sonstige rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten .. 199 2.2 Linksextremistische Gewalt 200 2.2.1 Brandanschläge 201 2.2.2 Sonstige linksextremistisch motivierte Gewalttaten .... 202 2.3 Gewalttaten ausländischer Extremisten 203 2.3.1 Anschläge und Gewalttaten in Bayern 203 2.3.2 Urteile gegen PKK-Anhänger 204 2.3.3 Exekutivmaßnahmen gegen die PKK 206 2.3.4 Spendengelderpressungen durch die PKK 207 3. Rote Armee Fraktion (RAF) 207 3.1 Überblick 207 3.2 Entwicklung der RAF 208 3.2.1 Äußerungen früherer RAF-Mitglieder 209 3.2.2 Erfolg des Aussteigerprogramms des Bundesamts für Verfassungsschutz 210 *3.2.3 Erklärungen der RAF-Kommandoebene 211 3.3 Verurteilungen 212 3.4 Ausblick 214 4. Antiimperialistischerwiderstand 214 4.1 Antiimperialistische Zelle (AIZ) 214 4.2 Internationale Zusammenhänge im antiimperialistischen Widerstand 215 5. Revolutionäre Zellen (RZ) und Frauengruppe Rote Zora 216 Inhaltsverzeichnis 9 6. Abschnitt Spionageabwehr 1. Ausgangslage 218 2. Die Nachrichtendienste Rußlands 218 3. Sonstige Nachrichtendienste des ehemaligen Ostblocks 220 3.1 Polen 220 3.2 Rumänien 220 3.3 Bulgarien .' 221 3.4 Ehemaliges Jugoslawien 221 4. Nachrichtendienstliche Bedrohung aus dem Nahen, Mittleren und Fernen Osten 221 4.1 Allgemeines 221 4.2 Iran 222 4.3 Irak 222 4.4 Libyen 222 4.5 Syrien 223 4.6 Pakistan 223 4.7 Volksrepublik China 223 5. Ausblick 224 7. Abschnitt Organisierte Kriminalität 225 Anhang 229 Entwicklung der Mitgliederzahlen extremistischer Organisationen 230 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 231 Sachwortregister 239 10 Einführung Verfassungsschutz in Bayern Einführung Wehrhafte Die Bundesrepublik Deutschland ist nach ihrer Verfassung eine wertDemokratie gebundene, wachsame und wehrhafte Demokratie. Der Staat kann gegen Bestrebungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuschaffen, die in der Verfassung vorgesehenen Abwehrmittel einsetzen, sei es durch ein Parteioder Vereinsverbot, sei es durch die Aberkennung demokratischer Grundrechte. Dies setzt voraus, daß er solche Bestrebungen oder Aktivitäten, die als "extremistisch" oder als "verfassungsfeindlich" bezeichnet werden - diese Begriffe sind gleichbedeutend -, erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Verfassungsschutzes ein. Er dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie dem Schutz des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes. Freiheitliche Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist unter demokratische der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine Ordnung zu Grundordnung verstehen, die unter Ausschluß jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören mindestens: - die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, - die Volkssouveränität, - die Gewaltenteilung, - die Verantwortlichkeit der Regierung, - die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, - die Unabhängigkeit der Gerichte, - das Mehrparteienprinzip, - die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Einführung 11 1. Gesetzliche Grundlagen Die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sind gesetzRechtliche lieh genau festgelegt. Das Gesetz über die Zusammenarbeit des BunGrundlagen des und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz beschreibt die von Bund und Ländern auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben. Es ist zugleich Rechtsgrundlage für die Arbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz. Neben diesem Bundesgesetz bestehen in allen Ländern eigene Verfassungsschutzgesetze. In Bayern regelt das im Anhang abgedruckte Bayerische Verfassungsschutzgesetz die Aufgaben und Befugnisse des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz, das seinen Sitz in München hat und dem Bayerischen Staatsministerium des Innern unmittelbar nachgeordnet ist. Für das Landesamt wurden im Haushaltsplan 1996 insgesamt 424 Stellen für Beamte, Angestellte und Arbeiter ausgewiesen; das Haushaltsvolumen 1996 betrug 35,4 Millionen DM. 2. Aufgaben des Verfassungsschutzes Nach dem Bayerischen Verfassungsschutzgesetz hat das Landesamt Beobachtungsfür Verfassungsschutz im wesentlichen den Auftrag, auftrag - Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, - sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht (Sabotage und Spionage), - Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und - Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität zu beobachten. Darüber hinaus wirkt das Landesamt für Verfassungsschutz u.a. bei Sicherheitsüberprüfungen mit. Rechtsgrundlage hierfür ist vom 1. April 1997 an das Bayerische Sicherheitsüberprüfungsgesetz. Im Mittelpunkt der Beobachtung stehen Aktivitäten von extremistischen Organisationen. Dabei müssen zwangsläufig auch die handelnden Personen, die Mitglieder dieser Organisationen sind oder die 12 Einführung deren Aktivitäten unterstützen, erfaßt werden. Aber auch die Beobachtung von Einzelpersonen ist zulässig. Der Verfassungsschutz beobachtet verfassungsfeindliche Bestrebungen im Inland. Er informiert die politisch Verantwortlichen und die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der Beobachtung, vor allem über mögliche Gefahren. Er versetzt die zuständigen staatlichen Stellen des Bundes und der Länder in die Lage, verfassungsfeindlichen Kräften rechtzeitig und angemessen zu begegnen. Die Erkenntnisse bilden die Grundlage für Exekutivmaßnahmen wie beispielsweise Verbote von Vereinen, Verbotsanträge gegen Parteien, Verbote von Versammlungen, Verhinderung finanzieller oder sonstiger Förderung, Verweigerung erforderlicher Erlaubnisse (z.B. für Sammlungen, Info-Stände). Abgrenzung zu Im Gegensatz zum Verfassungsschutz beschafft der BundesnachrichBND und MAD tendienst (BND) Informationen über das Ausland, die für die Bundesrepublik Deutschland außenund sicherheitspolitisch von Interesse sind. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) nimmt Verfassungsschutzaufgaben im Bereich der Bundeswehr wahr. Einen zentralen Nachrichtendienst gibt es nicht. 3. Informationsbeschaffung Zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags ist der Verfassungsschutz verpflichtet, Informationen zu beschaffen, auszuwerten und zu speichern. Diese Nachrichten werden zum weit überwiegenden Teil aus offenen Quellen gewonnen (z.B. aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Programmen, Broschüren und sonstigem Material extremistischer Organisationen sowie bei deren öffentlichen Veranstaltungen). Nur etwa 20 % der Informationen erhält der Verfassungsschutz Nachrichtendurch Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel. Zu diesen Mitteln dienstliche Mittel gehören im wesentlichen: - der Einsatz von verdeckt arbeitenden V-Leuten ("V" steht für "Vertrauen") in extremistischen Organisationen, - das kontinuierliche Beobachten verdächtiger Personen (Observation) sowie - verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (Öffnen von Briefen, Abhören von Telefongesprächen) sind besonders strengen Einführung 13 rechtsstaatlichen Anforderungen unterworfen. Sie sind in einem eiBriefund genen Gesetz geregelt, das nach dem Grundrecht des Brief-, PostTelefonkontrolle und Fernmeldegeheimnisses "Gesetz zu Art. 10 Grundgesetz" (G 10) genannt wird. Ein Verfahren mit mehreren voneinander unabhängigen Kontrollinstanzen stellt sicher, daß in dieses Grundrecht nur eingegriffen wird, wenn die im Gesetz genannten besonderen Gründe vorliegen. Die gleichen Sicherungen gelten für den Einsatz besonderer technischer Mittel im Schutzbereich des Art. 13 des Grundgesetzes, also für den Einsatz von Abhörgeräten oder versteckten Kameras in Wohnungen und Büros. Dem Verfassungsschutz stehen keine polizeilichen Befugnisse zu. Keine polizeiPolizeibehörden und Verfassungsschutz sind voneinander getrennt, liehen Befugniss Deshalb dürfen die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes keinerlei Zwangsmaßnahmen, wie z.B. Festnahmen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen usw., durchführen. Verfassungsschutzbehörden dürfen auch keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden. Dies steht aber einer Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung in Form der Amtshilfe nicht entgegen. Erscheint aufgrund der dem Verfassungsschutz vorliegenden Informationen ein sicherheitsrechtliches Eingreifen erforderlich, so wird die zuständige Sicherheitsbehörde unterrichtet. Diese entscheidet dann selbständig, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. 4. Kontrolle Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden unterliegt einer vielVielfältige fältigen Kontrolle. Dazu gehört die allgemeine parlamentarische Kontrollen Kontrolle, die durch die Berichtspflicht des verantwortlichen Ministers gegenüber dem Landtag im Rahmen von aktuellen Stunden, Anfragen von Abgeordneten, Petitionen usw. ausgeübt wird. Eine besondere Kommission des Bayerischen Landtags, die Parlamentarische Kontrollkommission, überwacht die Arbeit des Verfassungsschutzes. Die G 10-Kommission überprüft die Maßnahmen zur Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs. Die Verwaltungskontrolle obliegt dem Innenminister im Rahmen der Dienstund Fachaufsicht, ferner dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und dem Bayerischen Obersten Rechnungshof. Diese Kontrollen werden ergänzt durch eine mögliche gerichtliche Nachprüfung belastender Einzelmaßnahmen sowie durch die Öffentlichkeit in Form von Presse, Funk und Fernsehen. 14 Einführung 5. Verfassungsschutz durch Aufklärung AufklärungsDie freiheitliche demokratische Grundordnung kann dauerhaft nicht tätigkeit ohne die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus gesichert werden. Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes gewährleistet, daß Regierung und Parlament, aber auch die Bürger über Aktivitäten und Absichten verfassungsfeindlicher Organisationen informiert werden. In Bayern werden die Aufgaben des "Verfassungsschutzes durch Aufklärung" vom Innenministerium mit Unterstützung des Landesamts für Verfassungsschutz wahrgenommen. Im Rahmen der ÖffentlichAufklärungskeitsarbeit werden kostenlos der kampagne Verfassungsschutzbericht sowie weitere Informationsmaterialien zur Verfügung gestellt. nrrrrn 6SS"**Tl" f"V%TZ*" % *n^ nn*fZiele 'Six . . mm t i ^mm^rnmw mmxn- - Methode HISMUS, tCK&SEt'Üj'rm RECHTS [Ute,, PARTEI"" ^ ^ NEO *Bw" Einführung 15 Vor dem Hintergrund der Zunahme überwiegend politisch motivierter Gewalttaten gegen Ausländer und ihre Unterkünfte beschlossen die Innenminister des Bundes und der Länder 1992 eine bundesweite Aufklärungskampagne gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit. Ziel dieser im März 1993 mit dem Logo "FAIRSTÄNDNIS - Menschenwürde achten - Gegen Fremdenhaß" eingeleiteten und auch im Jahr 1996 fortgeführten Kampagne ist die Aufklärung der Bevölkerung über den Extremismus und seine Gefah ren, über Fremdenfeindlichkeit, über Rassismus W und Antisemitismus als Elemente rechtsextremistischer Ideologie und Propaganda. Im Rahmen dieser Aufklärungskampagne wurden in Bayern im Jahr 1996 u.a. 30.000 Hefte des erstmals 1994 herausgegebenen und 1996 völlig neu bearbeiteten Jugendmagazins "basta-Nein zur Gewalt" mit 10.000 pädagogischen Handreichungen kostenlos abgegeben. Das Bayerische Staatsministerium des Innern stellte zur Aufklärung über extremistische Bestrebungen und über die Arbeit des Verfassungsschutzes darüber hinaus eigene Publikationen vor: Die erstmals 1995 erschienenen sechs Faltblätter der Serie "UNSERE DEMOKRATIE SCHÜTZEN" mit den Titeln "Verfassungsschutz", "Rechtsextreme Parteien", "Kommunismus", "Neonazismus", "Terror und Gewalt" sowie "Revisionismus" wurden 1996 überarbeitet und als zweite Auflage mit jeweils 15.500 Exemplaren nachgedruckt. Die Faltblattserie wurde zudem um drei neue Faltblätter zu den Themen "Kurdischer Extremismus", "Spionage" und "Organisierte Kriminalität" mit Ä*""* T z Auflagen von jeweils 18.000 Exemplaren erweitert. Auch die BroPS N Revisionisfisfhe Aktivisten WfiY=?S H4J 16 Einführung schüren der seit 1995 bestehenden Reihe "DER VERFASSUNGSSCHUTZ INFORMIERT" mit den Themen "Kurdischer Extremismus", "Islamischer Extremismus" und "Revisionismus" wurden aktualisiert und mit jeweils knapp 16.000 Heften neu veröffentlicht. Ergänzt wurde diese Reihe um die Publikation "Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)" mit einer Auflage von knapp 19.000 Exemplaren. Von der erstmals 1995 vorgestellten Broschüre "Portrait eines Nachrichtendienstes" wurden 1996 weitere 3.000 Exemplare kostenlos verteilt. Teil der Öffentlichkeitsarbeit ist auch dieser Verfassungsschutzbericht. Das Informationsmaterial erhalten Sie kostenlos beim Bayerischen Staatsministerium des Innern - Sachgebiet Verfassungsschutz -, Odeonsplatz 3, 80539 München (Telefax: 0 89/2 19 21 28 42). KB5BSSB- Rechtsextremismus 17 1. Abschnitt Rechtsextremismus 1. Allgemeines 1.1 Merkmale des Rechtsextremismus Der Rechtsextremismus verfügt über kein gefestigtes theoretisches Ablehnung der System, ganz im Gegensatz zum Linksextremismus, der mit dem MarGrundlagen der xismus-Leninismus bis zum Zusammenbruch des kommunistischen Demokratie Machtblocks auf einem geschlossenen ideologischen Weltbild beruhte. Die Bestrebungen rechtsextremistischer Organisationen in Deutschland sind im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, daß sie die Grundlagen der Demokratie ablehnen und - aus taktischen Gründen meist nicht offen erklärt - statt dessen eine totalitäre Regierungsform unter Einschluß des Führerprinzips anstreben, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren ist. Bestimmende Merkmale des organisierten Rechtsextremismus sind vor allem - die pauschale Überbewertung der Interessen der "VolksgemeinKollektivismus schaft" zu Lasten der Interessen und Rechte des einzelnen, die eine Aushöhlung der Grundrechte bedeutet (völkischer Kollektivismus), - ein den Gedanken der Völkerverständigung mißachtender NatioNationalismus nalismus, - die offene oder verdeckte Wiederbelebung des Antisemitismus Rassismus und anderer rassistischer Thesen, die mit dem Schutz der Menschenwürde und dem Gleichheitsprinzip nicht vereinbar sind, - immer wiederkehrende Versuche, die nationalsozialistische GeVerharmlosung waltherrschaft unter Herausstellung angeblich positiver Leistungen des NS-Unrechts des Dritten Reiches zu rechtfertigen, die Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime zu diffamieren und die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu verschweigen, zu verharmlosen oder sogar zu leugnen. Hinzu kommt die allen Extremisten gemeinsame planmäßige Verunglimpfung der bestehenden Staatsform und ihrer Repräsentanten, der Demokratie 18 Rechtsextremismus Ziel dieser Angriffe ist es, die eigene Organisation und ihre Repräsentanten als die alleinigen Wahrer der Interessen von Staat und Bürgern darzustellen, was im Ergebnis auf die Ablehnung des Mehrparteienprinzips und des Rechts auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition hinausläuft. Diese Merkmale sind nicht gleichmäßig bei allen Rechtsextremisten zu beobachten. Manchmal sind nur Teilaspekte bestimmend; auch die Intensität und die Mittel des Kampfes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind unterschiedlich. 1.2 Entwicklung Die Entwicklung der Zahl rechtsextremistischer Organisationen in Bayern und ihrer Mitgliederstärken ist aus der folgenden Übersicht zu ersehen. Bei erkannten Mehrfachmitgliedschaften wurde die Person nur bei einer Organisation mitgezählt. !ahl und Mitjliederstärke 1994 1995 1996 echtsextremitischer OrganiAnzahl der Organisationen 23 23 26 ationen Mitgliederstärken Die Republikaner (REP) 5.000 4.000 4.000 NPD mit JN und NHB 800 790 715 DVU* 2.800 2.000 1.800 Neonazistische Organisationen 100 65 85 Sonstige Organisationen 440 360 300 9.140 7.215 6.900 Neonazistische Einzelaktivisten 40 45 75 Rechtsextremistische Skinheads 330 325 360 Rechtsextremisten insgesamt 9.510 7.585 7.335 * Die Zahlen umfassen die Mitglieder der Partei und des gleichnamigen Vereins. Rechtsextremismus 19 Mitglieder 60.000 50.000 Deutschland * / ^ 40.000 ^^^fm^mm 45.300 30.000 25 2 0 0 , ^ ^ ^ ^^^ 20.000 10.000 Bayern 4.880 7.335* 0 1987 88 89 90 91 92 93 94 95 96 "Republikaner 1994 erstmals erfaßt Wie bisher stellte die Partei "Die Republikaner" (REP) in Bayern mehr als die Hälfte des gesamten rechtsextremistischen Potentials. Ihre Mitgliederzahl ist gegenüber dem Vorjahr unverändert. Personellen Einbußen bei den übrigen Parteien und sonstigen Organisationen stehen geringe Zugänge bei Neonazis und Skinheads gegenüber. Während bislang das Thema "Überfremdung" und die rassistisch Ideologische motivierte Hetze gegen Ausländer und Asylanten dominierende Neuorientierung Bestandteile rechtsextremistischer Propaganda waren, greifen Rechtsextremisten neuerdings zunehmend sozialund wirtschaftspolitische Fragen auf. Diese Neuorientierung bedeutet zwar nicht den völligen Verzicht auf bekannte Argumentationsmuster wie Nationalismus und NS-Apologie, aber eine neue Gewichtung. Durch Verknüpfung sozialer Problemfelder mit rechtsextremistischen Theorieelementen hoffen Rechtsextremisten, aus der derzeitigen wirtschaftlichen Situation, der hohen Arbeitslosigkeit und den Sorgen der Bevölkerung um die Sicherheit der Renten Kapital schlagen zu können und in der allgemeinen politischen Auseinandersetzung akzeptiert zu werden. So rufen sie zum Widerstand gegen die "kapitalistische Ausbeutungspolitik" und die "Zerstörung des Sozialstaates" auf. Dabei sehen sie vor dem Hintergrund einer von ihnen erwarteten Zunahme sozialer Spannungen eine Chance, sich als politische Alternative zu präsentieren. 20 Rechtsextremismus Teilnahme an Bei den Landtagswahlen am 24. März gelang den REP der WiederWahlen einzug in den Stuttgarter Landtag. Damit konnten die REP ihren Niedergang teilweise aufhalten und ihre Führungsrolle im rechtsextremistischen Spektrum neben der Deutschen Volksunion (DVU) behaupten. Die DVU scheiterte in Schleswig-Holstein knapp an der Fünf-Prozent-Hürde und ist seitdem in keinem Landesparlament mehr vertreten. Die übrigen rechtsextremistischen Parteien erzielten die gewohnten marginalen Ergebnisse. In den öffentlichen Verlautbarungen der REP haben Aussagen mit erkennbar extremistischer Zielsetzung 1996 quantitativ weiter abgenommen. Die REP-Bundesführung lehnt eine Zusammenarbeit mit Sündnispolitik anderen Rechtsextremisten ab, konnte aber die Teilnahme einzelner Funktionäre an "Runden Tischen" nicht verhindern. Aufmerksamer Beobachtung bedarf das Engagement von Neonazis bei der Jugendorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Die Bemühungen der NPD und der Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) um ein Bündnis des "rechten Lagers" blieben ohne nennenswerten Erfolg, zumal der DVU-Vorsitzende Dr. Gerhard Frey trotz der Teilnahme von DVU-Mitgliedern an "Runden Tischen" nach wie vor kein Interesse an einer rechtsextremistischen Allianz hat. Außerdem sind nach den jüngsten Wahlerfolgen der REP die Chancen für eine Einigung des rechtsextremistischen Spektrums erheblich gesunken. Insbesondere die Bestrebungen der "Runden Tische" haben Rückschläge erfahren. Stagnation Der organisierte Neonazismus ist in Bayern mit der Auflösung eines leonazistischer Allgäuer Skinhead-Vereins weitgehend zerschlagen. Ebenso zeigen Projekte die sonstigen Exekutivmaßnahmen Wirkung. So ist es dem neonazistischen Spektrum in Bayern bisher nicht gelungen, durch Bildung strukturloser Zusammenschlüsse auf regionaler Ebene ("Kameradschaften") staatlichem Druck auszuweichen und neue schlagkräftige Organisationsformen zu finden. Die "Kameradschaften" leiden unter Mitgliederschwund und Inaktivität. Auch die stagnierende Anti-AntifaKampagne fand nicht den von ihren Initiatoren erhofften Widerhall. Unverminderter Aufmerksamkeit bedarf die fortschreitende Nutzung nformationelle neuer Nachrichtenund Informationssysteme durch Rechtsextremi/ernetzung sten. Mit der zunehmenden Akzeptanz moderner Kommunikationsmittel (z.B. Mailboxen, Info-Telefone, Internet) rückt das rechtsextremistische Spektrum, insbesondere die neonazistische Szene, dem Ziel einer informationellen Vernetzung näher. Obwohl innerhalb dieser Rechtsextremismus 21 Szene militante Verhaltensweisen diskutiert werden, gibt es nach wie vor jedoch keine Hinweise auf terroristische Strukturen; insbesondere fehlt ein entsprechendes Sympathisantenumfeld. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten, insbesondere der fremdenfeindlichen Gewalttaten war weiterhin rückläufig, bewegte sich Rückgang der aber immer noch auf hohem Niveau. Obwohl der Rechtsextremismus Gewalttaten für unseren Staat derzeit keine akute Bedrohung bedeutet, gefährdet er oftmals die öffentliche Ordnung und das internationale Ansehen Deutschlands. Er ist Brutstätte menschenverachtender Gewalt und Nährboden für Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und nationalistische Exzesse. Rechtsextremistisch motivierte Gewalt gefährdet zwar nicht die Verfassungsordnung; sie stellt aber unverändert eine Herausforderung für die Innere Sicherheit dar. 2. Die Republikaner (REP) 2.1 Ideologisch-politischer Standort In Äußerungen aus der Partei ist ein übersteigerter, oft aggressiver Nationalismus, verbunden mit Feindschaft gegen fremde Staaten und Nationalismus Minderheiten zu erkennen. Ihre Überbetonung nationaler und völkischer Gedanken deutet auf ein Staatsverständnis hin, in dessen Mittelpunkt nicht das Individuum, sondern das Volk als Gemeinschaft steht. "Weder Demonstrationen noch Verteilungsoperationen schaffen Arbeitsplätze. Ausschließlich eine deutsche Politik für Deutsche kann dieses nationale Problem lösen. Schluß mit dem Export deutscher Arbeitsplätze und dem Import ausländischer Arbeitsloser." (Landesverband Thüringen, Grundsätze 01/96) "Auf dem Altar der Europa-Illusion wird von den Altparteien mit der Währungsunion nicht nur unsere D-Mark geopfert, sondern zugleich Arbeitsplätze und Sparguthaben vernichtet. (...) Deutschland kann weder das Sozialamt für Mitteleuropa spielen noch Fremdrenten in beliebigem Umfang zahlen." ("Der Republikaner" Nummern 1-2/1996) "Sie (Die Republikaner) ist die einzige Partei, die an erster Stelle die Interessen der hier schon immer lebenden Deutschen vertritt. Die Republikaner sind die einzigen wahren Interessenvertreter des deutschen Volkes ..." (Pressemitteilung der REP im "Alster-Report" Nummer 6, Januar/Februar 1996). 22 Rechtsextremismus Weitere Verlautbarungen im Parteiorgan "Der Republikaner" lassen fremdenfeindliche Tendenzen erkennen: "Millionen von soliden deutschen Bürgern haben es schlichtweg satt, für Drückeberger und Faulenzer aus aller Herren Länder zu arbeiten." ("Der Republikaner" Nummer 3/1996) Antisemitismus Sichtbar werden auch antisemitische Tendenzen: "Als deutsche Patrioten behalten wir uns das Recht vor, auch jüdischen Verleumdungen und jüdischen Bevormundungen entgegenzutreten. Schluß mit der jüdischen Indoktrination deutschen Schuldbewußtseins zwecks finanzieller Ausbeutung." (Landesverband Thüringen, Grundsätze 01/96) Diffamierung Die Diffamierung demokratisch legitimierter Institutionen und Persodemokratischer nen offenbart eine Tendenz zur Ablehnung des Mehrparteienprinzips 'nstitutionen und des Grundsatzes der Chancengleichheit der Parteien: "Die Altparteien verwechseln Verfassungsschutz mit dem Schutz ihrer eigenen Privilegien. (...) Wo eine demokratische Opposition regierungsamtlich diffamiert wird, ist das Ende der Demokratie nicht mehr weit." (Wahl-Sonderausgabe Baden-Württemberg) "Die Auflösungsparteien CDU alias Zentrum, SPD, FDP alias DStP. PDS alias KPD/SED betreiben als Versager der Weimarer Republik und Umerzogene der Alliierten die grundgesetzwidrige Auflösung der Bundesrepublik Deutschland unter Herstellung eines Multikulti-Staatsmonsters ohne Deutsche Identität und ohne Deutsche Mark." (Landesverband Thüringen, Grundsätze 01/96) lückgang Insgesamt ist festzustellen, daß Aussagen mit erkennbar extremistiextremistischer scher Zielsetzung in den öffentlichen Verlautbarungen der REP quanÄußerungen titativ weiter abgenommen haben. Der neue Parteivorsitzende und der Landesverband Bayern sind darauf bedacht, keine Angriffsflächen zu bieten und die REP gegenüber potentiellen Interessenten und Sympathisanten als demokratische Partei darzustellen. Sie bemühen sich offiziell um den Ausschluß extremistischer Strömungen. Dieser Kurs ist nur zum Teil erfolgreich. Nach wie vor kommt es an der Basis zur Zusammenarbeit mit Vertretern anderer rechtsextremistischer Organisationen. Rechtsextremismus 23 2.2 Wahlbeteiligung Bei den Landtagswahlen am 24. März gewannen die REP in BadenWürttemberg einen Stimmenanteil von 9,1 % (1992: 10,9%). Auf die Partei entfielen 14 (1992: 15) Mandate. Offensichtlich hatte die aktuelle politische Situation - hohe Arbeitslosigkeit, Aussiedler-Diskussion, Ausschreitungen kurdischer Extremisten - der Propaganda der REP Gewicht verliehen. In Rheinland-Pfalz konnte die Partei ihren Stimmenanteil auf 3 , 5 % (1990: 2,0%) steigern. Auf eine Kandidatur bei der schleswig-holsteinischen Landtagswahl hatte sie verzichtet. Weniger erfolgreich schnitt die Partei zuvor bei den Kommunalwahlen am 10. März in Bayern ab. Sie erreichte in den kreisfreien Städten und den Landkreisen nur noch 1,8% (1990: 5,3 %) der Stimmen und verlor damit rund zwei Drittel ihres bei der letzten Kommunalwahl erzielten Anteils. Insbesondere in früheren städtischen Hochburgen wie Augsburg, München, Passau und Rosenheim mußte sie deutliche Verluste hinnehmen. Mit den Wahlergebnissen von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz konnte der Parteivorsitzende Dr. Schlierer seine Position intern festigen. Dr. Schlierer betrachtet diese Wahlerfolge als Bestätigung seines strikten Abgrenzungskurses gegenüber anderen rechtsextremistischen Organisationen. Die auf allen Parteiebenen vorhandenen Befürworter eines Bündnisses des "rechten Lagers" wurden damit weiter zurückgedrängt. 2.3 Umstrittener Abgrenzungskurs Der Parteivorstand bestätigte in seiner Sitzung vom 25. März einDistanzierung stimmig den Abgrenzungsbeschluß gegenüber Organisationen der von anderen "Alten Rechten (NPD, DVU, DLVH, FAP etc.)" vom 18. Juni 1995 und Rechtsextremisten stellte nochmals klar, daß es keine Beteiligung der Partei an "Runden Tischen" geben werde. Das Wahlergebnis in Baden-Württemberg mache deutlich, daß die REP die einzige rechte demokratische Partei mit parlamentarischer Verankerung sei. Auch der bayerische Landesvorstand lehnte mit Beschluß vom 5. April erneut jegliche Form der Zusammenarbeit mit Parteien oder Gruppie- 24 Rechtsextremismus rungen der "Alten Rechten" ab. Pflicht jedes Republikaners sei es, eine etwaige Teilnahme von Parteimitgliedern an Veranstaltungen der "Alten Rechten" sofort der Landesgeschäftsstelle oder dem Landesvorstand mitzuteilen. Ebenso sprach sich auf dem Bundesparteitag in Hannover eine große Mehrheit der Delegierten für den von Dr. Schlierer vertretenen Kurs der Abgrenzung von anderen rechtsextremistischen Parteien aus. Verstöße gegen Nach wie vor gibt es aber Bündnisbemühungen von REP-Funkden offiziellen tionären und -Mitgliedern, die zeigen, daß in Teilen der Partei weiAbgrenzungskurs . terhin die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Organisationen besteht. So fand auf Einladung von Jürgen Schützinger, einem der drei Bundesvorsitzenden der DLVH, sowie des DLVH-Landesvorsitzenden von Rheinland-Pfalz und eines REP-Mitglieds am 13. April in Ludwigshafen der " 2 . Runde Tisch der Rechten in Rheinland-Pfalz" statt. Daran beteiligten sich Funktionäre und Anhänger der DLVH, der REP, der DVU und der NPD. Hauptredner war der DLVH-Bundesvorsitzende Harald Neubauer, der ein Bündnis aller "rechten" Parteien forderte. Der stellvertretende Landesvorsitzende der REP im Saarland kritisierte die ablehnende Haltung seines eigenen Parteivorsitzenden Dr. Schlierer in der Bündnisfrage. Die Teilnehmer verabschiedeten eine an der "Pulheimer Erklärung" vom 2. September 1995 orientierte Resolution zur Gründung eines "Förderkreises Bündnis Deutschland/Runder Tisch Rheinland-Pfalz". Bei den Kommunalwahlen in Bayern kandidierten in Herzogenaurach, Landkreis Erlangen-Höchstadt, auf der Liste der REP auch drei NPD-Mitglieder. Nach Angaben der NPD wurde die Wahlaussage "gemeinsam geplant". Ein Funktionär des Bezirksverbands Mittelfranken forderte die Rücknahme eines gegen einen Parteifreund wegen Unterstützung von "Runden Tischen" eingeleiteten Ausschlußverfahrens. Dazu erklärte er, das "Machterhaltungskartell der Altparteien" sei nur zum Einsturz zu bringen, wenn sich die nationalen Kräfte nicht gegenseitig Konkurrenz machten. Diese Vorgänge zeigen, daß auch in Bayern Teile der Partei den Abgrenzungskurs des Parteivorsitzenden nicht akzeptieren. In seinem Info-Telefon warb der REP-Kreisverband Berlin-Charlottenburg mit einer Ansage vom 3 1 . Juli für den rechtsextremistischen Liedermacher Frank Rennicke. Bereits im Jahre 1994 hatte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften zwei seiner Tonträger indiziert. Rechtsextremismus 25 Unter dem Motto "Der deutschen Jugend eine Zukunft" organisierte Weitere der NPD-Landesverband Thüringen am 9. März eine Kundgebung in Kontakte zu Sonneberg/Thüringen. Daran beteiligten sich rund 90 Personen, Rechtsextremisten überwiegend Mitglieder und Anhänger der NPD, der REP und der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN). Das Mitglied des JN-Landesvorstands Bayern Klaus Beier erklärte, die Veranstaltung sei die erste gemeinsame Aktion von NPD und REP in Thüringen. Demonstrationen dieser Art in anderen Städten Thüringens würden folgen. Weitere Redner waren der stellvertretende REP-Landesvorsitzende von Thüringen Lutz Diener, der JN-Bundesvorsitzende Holger Apfel und das NPD-Bundesvorstandsmitglied Wolfgang Nahrath, ehemals langjähriger Vorsitzender der 1994 verbotenen neonazistischen Wiking-Jugend e.V. (WJ). Auf Einladung des REP-Landesverbands Thüringen und nach bundesweiter Mobilisierung durch Nationale Info-Telefone (NIT) fand am 4. Mai in Neuhaus am Rennweg/Thüringen eine Gedenkveranstaltung aus Anlaß des ersten Todestages von Sandro Weilkes statt. Dieser war am 6. Mai 1995 bei Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen getötet worden. Unter den rund 250 Teilnehmern befanden sich neben etwa 50 REP-Angehörigen und dem DLVH-Bundesvorstandsmitglied Peter Dehoust zahlreiche Skinheads und Anhänger der militanten "Anti-Antifa Ostthüringen", die bereits aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes als Neonazis erkennbar waren. Als Redner traten das damalige REP-Bundespräsidiumsmitglied Otmar Wallner sowie die stellvertretenden REP-Landesvorsitzenden von Thüringen Lutz Diener und Dr. Heinz Schneider auf. Im Verlauf der Veranstaltung nahm die Polizei zwölf Personen - u.a. wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen - vorläufig fest. In einem Rundschreiben vom 18. April erklärte Dr. Schlierer, die Hoffnungen derjenigen, die noch bis kurz vor den Landtagswahlen am 24. März alles daran gesetzt hätten, eine "Vereinte Rechte" aus der Taufe zu heben, seien endgültig geplatzt. Der Kurs der Partei folge den Vorstandsbeschlüssen vom 18. Juni 1995 bzw. 25. März 1996. Wer meine, sich an "Runden Tischen" beteiligen zu müssen, solle der Partei den Rücken kehren. Inzwischen gehen die REP zunehmend geOrdnungsmaßgen Parteimitglieder vor, die sich extremistisch äußern oder den Abnahmen gegen grenzungskurs gegen andere rechtsextremistische Parteien verlassen. Parteimitglieder So entband der REP-Bundesvorstand Ende Oktober den Beisitzer im Bundesvorstand Otmar Wallner seiner Parteifunktionen und ordnete 26 Rechtsextremismus das Ruhen der Mitgliedschaft an. Darüber hinaus beschloß er, beim zuständigen Landesschiedsgericht den Parteiausschluß wegen parteischädigenden Verhaltens zu beantragen, da Wallner durch dauernde Angriffe auf das Judentum und das Propagieren "völkischer" und neuheidnischer Positionen republikanische Grundpositionen verlassen habe. Wallner kündigte rechtliche Schritte gegen die Ordnungsmaßnahmen an. Noch im Juli hatte der Bundesvorstand die Entscheidung über ein vom Landesverband Bayern gegen Wallner angestrengtes Parteiausschlußverfahren vertagt. Mit der Amtsenthebung Wallners, der auf dem Bundesparteitag gegen Dr. Schlierer kandidiert hatte, wurde erneut ein exponierter Gegner des Parteivorsitzenden und Befürworter einer "Vereinigten Rechten" seiner Parteifunktion enthoben. Der bayerische Landesvorstand beantragte beim Landesschiedsgericht, den Jugendbeauftragten des REP-Bezirksverbands Mittelfranken aus der Partei auszuschließen. Dieser hatte im Mai Sympathien für zwei rechtsextremistische Skinhead-Bands geäußert und damit gezeigt, daß sich Teile der Partei weiterhin an extremistischen Leitbildern orientieren. Ferner beschloß der Landesvorstand die Einleitung von Ordnungsmaßnahmen gegen den Vorsitzenden des REP-Kreisverbands Weißenburg-Gunzenhausen, der zu zwei Buchvorstellungen des ehemaligen REP-Bundesvorsitzenden Schönhuber eingeladen und für "überparteiliche Gemeinschaftsinitiativen" geworben hatte. Außerdem war er als Repräsentant eines "Freundeskreises Franz Schönhuber" für eine Kooperation des "rechten Lagers" eingetreten. 2.4 Organisation Dem neuen Parteivorsitzenden ist es gelungen, den Abwärtstrend der lundespartei REP zu stoppen. Dies spiegelt sich in einer stabilisierten Mitgliederzahl, der verbesserten Finanzsituation und einem Nachlassen interner Querelen und Richtungskämpfe wider. Die Partei zählte Ende 1996 bundesweit rund 15.000 (1995: 16.000) Mitglieder in 16 Landesverbänden. Die Schwerpunkte liegen in Süddeutschland und in Nordrhein-Westfalen. Bundesvorsitzender ist seit Dezember 1994 Dr. Rolf Schlierer. Seine Stellvertreter sind Bernd Bernhard, Ursula Winkelsett, Christian Käs, Johann Gärtner und Hans Hirzel. andesverband Der Landesverband Bayern gliedert sich wie im Vorjahr in acht Bayern Bezirksverbände, die in rund 85 Kreisund etwa 290 Ortsverbände Rechtsextremismus 27 mit insgesamt rund 4.000 Mitgliedern unterteilt sind. Landesvorsitzender ist Johann Gärtner. Der Ende Oktober 1993 gegründete "Republikanische Bund der öffentlichen Bediensteten" (RepBB) und der seit August 1995 bestehende "Republikanische Bund der Frauen" (RBF) treten öffentlich kaum in Erscheinung. Der Aufbau der Jugendorganisation "Republikanische Jugend" (RJ) verläuft nach wie vor sehr schleppend. Um 1998 den Einzug in den Deutschen Bundestag zu erreichen, will Geplante sich die Partei durch eine Reform von innen her erneuern und reorReorganisation ganisieren. Dies bedeute - so Schlierer - neben dem Neuaufbau von Kreisund Bezirksverbänden vor allem eine nüchterne Bestandsaufnahme und Analyse des gegenwärtigen Zustands der Partei. Beabsichtigt ist auch eine Überarbeitung des Parteiprogramms und der Satzung. Die Präsidentin des Deutschen Bundestags hat die den REP nach dem stabilisierte Parteiengesetz auf Bundesund Landesebene zustehende staatliche Finanzen Teilfinanzierung für 1995 auf rund 4,8 Millionen DM festgesetzt (Bundesverband: rund 3,6 Millionen DM, Landesverbände: rund 1,2 Millionen DM). Nach Aufrechnung mit noch offenen Forderungen aus dem Jahre 1994 wurde dem Bundesverband ein Betrag von rund 2,2 Millionen DM überwiesen. Der erste Abschlag auf die staatliche Teilfinanzierung für 1996 beträgt für den Bundesverband etwa 900.000 DM. Die zeitweise prekäre finanzielle Lage der Partei hat sich damit gebessert. Für das Jahr 1994 hatten die REP wegen eines Fristversäumnisses keine staatliche Teilfinanzierung erhalten. 2.5 Sonstige Aktivitäten Am 21. Februar führten die REP in einem Gasthaus in Rosenheim ihre alljährliche Aschermittwochsveranstaltung durch. Daran nahmen "Politischer rund 450 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet teil, unter ihnen Aschermittwoch" der Bundesvorsitzende Dr. Schlierer, sein damaliger Stellvertreter Otmar Wallner, die stellvertretende Bundesschriftführerin Ingeborg Akkermann sowie der bayerische Landesvorsitzende Johann Gärtner. Dr. Schlierer stellte zu Beginn seiner Rede fest, daß die Partei sich im vergangenen Jahr stabilisiert habe. Daneben ging er insbesondere auf die wirtschaftliche Situation in Deutschland ein. "Thema Nummer 1" der REP sei die Sicherung der Arbeitsplätze in Deutschland. Wer ernsthaft die Arbeitslosigkeit abbauen wolle, müsse die Zuwande- 28 Rechtsextremismus rung von Ausländern beenden. Deutschland könne nicht Sozialund Arbeitsamt für Mitteleuropa, spielen. Jede Mark, die an die Europäische Union gezahlt werde, sei eine Mark zuviel und solle besser für "Mitteldeutschland" verwendet werden. 1995 hatten an der Veranstaltung noch rund 600 Personen teilgenommen, 1994 sogar rund 6.500 Personen. Nach Angaben Gärtners traten während der Veranstaltung rund 40 Personen in die Partei ein. Bundesparteitag Am Bundesparteitag der REP vom 4. bis 6. Oktober in Hannover nahmen rund 500 Personen teil. Die Delegierten bestätigten den bisherigen Bundesvorsitzenden Dr. Schlierer mit 346 von 448 gültigen Stimmen in seiner Funktion. Der unterlegene Gegenkandidat Otmar Wallner, der sich erst um den Parteivorsitz beworben hatte, nachdem Dr. Schlierers Kritiker Dr. Krause seinen Verzicht auf eine Kandidatur bekanntgegeben hatte, wurde als Beisitzer in den Bundesvorstand gewählt. In seiner Rede unterstrich Dr. Schlierer die positive Entwicklung der REP und erteilte einer Kooperation mit der NPD, der DVU oder der DLVH eine entschiedene Absage. Ferner warnte er vor wachsender Überfremdung und forderte die Beendigung der Massenzuwanderung. Er bekannte sich zu Nation und Nationalstaat und betonte, für die REP habe der Nationalsozialismus die Idee der Nation nicht widerlegt. Zu Tumulten führte der von der Parteispitze unterstützte Antrag des Landesverbands Nordrhein-Westfalen, künftig auch Ausländern die Mitgliedschaft in der Partei zu ermöglichen. Der Antrag wurde schließlich zurückgezogen. Dr. Schlierers Position hat sich mit dem Parteitag weiter gefestigt. Sämtliche Stellvertreter gehören seinem Lager an. Der Einzug Wallners, der noch im selben Monat wegen seiner extremistischen Positionen wieder von seinen Parteifunktionen entbunden wurde, in den Bundesvorstand und die emotionsbeladene Diskussion um den Satzungsänderungsantrag zeigen aber, daß innerhalb der REP nach wie vor ein rechtsextremistisches Potential vorhanden ist. 2.6 Verwaltungsgerichtsverfahren Die REP haben bereits mehrmals erfolglos versucht, gegen ihre Bewertung als rechtsextremistisch auf dem Rechtsweg vorzugehen. So hat das Verwaltungsgericht Köln am 24. Mai den Antrag der REP auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen die Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts des Bundes für 1995 abgelehnt. Dazu führte das Gericht aus, im Rahmen der in diesem Verfahren geböte- Rechtsextremismus 29 nen Überprüfung könne nicht festgestellt werden, daß es sich bei den angegriffenen Äußerungen um nicht der Wahrheit entsprechende Tatsachenbehauptungen oder ehrverletzende Werturteile handele. Vielmehr spreche eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, daß einzelne Parteimitglieder sowohl nach innen als auch nach außen rechtsextremistische Positionen vertreten würden. Die gegen den Beschluß eingereichte Beschwerde wurde vom Oberverwaltungsgericht Münster verworfen. Desgleichen wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof am 17. Juni eine Beschwerde des REP-Landesverbands Bayern gegen einen Beschluß des Verwaltungsgerichts München zurück. Das Gericht hatte am 18. Dezember 1995 einen Antrag der REP abgelehnt, dem Freistaat Bayern im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die Partei im Verfassungsschutzbericht 1994 als verfassungsfeindlich zu bezeichnen und den Bericht zu verbreiten. Zuvor hatte auch das Bremer Verwaltungsgericht am 30. Mai einen entsprechenden Eilantrag zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht München lehnte mit Beschluß vom 7. Oktober einen Eilantrag des REP-Landesverbands Bayern ab, dem Freistaat Bayern durch einstweilige Anordnung zu untersagen, ihn im "Verfassungsschutzbericht Bayern 1995" als extremistisch zu bezeichnen. Dazu erklärte das Gericht, die Bemühungen des Landesvorstands, gegen extremistische Bestrebungen vorzugehen, seien zwar grundsätzlich positiv zu bewerten. Da sie jedoch nicht konsequent durchgesetzt würden, reichten sie nicht aus, um eine andere Bewertung zu rechtfertigen. Das Gericht habe dabei auch Erkenntnisse aus anderen Landesverbänden und dem Bundesverband berücksichtigt. Gegen den Beschluß legte der Landesverband Bayern Beschwerde ein. Das mit Klage vom 7. April eingeleitete Hauptsacheverfahren ist noch beim Verwaltungsgericht München anhängig. Mit einem weiteren Eilantrag versuchte der Landesverband Bayern, die Weiterverbreitung der "Verfassungsschutzinformationen Bayern, 1. Halbjahr 1996" zu verhindern bzw. den Freistaat Bayern zu einem Hinweis zu verpflichten, daß es sich um eine politische und nicht etwa um eine rechtliche Wertung handle. Auch über die deswegen am 20. Oktober erhobene Klage ist noch nicht entschieden. Zwei beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof anhängige Normenkontrollanträge wenden sich gegen die Bekanntmachung der Staatsregierung zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst betreffend die 30 Rechtsextremismus Partei "Die Republikaner" und gegen die Bekanntmachung der Staatsregierung über das "Verzeichnis der wichtigsten extremistischen Organisationen", in das die REP im Sommer 1995 aufgenommen wurden. Ferner begehrt der Landesverband Bayern mit einer Verpflichtungsklage vom 20. Oktober die Streichung der Partei aus diesem Verzeichnis. 3. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 3.1 Ideologisch-politischer Standort Das auf einem außerordentlichen Bundesparteitag am 7./8. Dezember bei Bremen verabschiedete neue Parteiprogramm läßt keine Abkehr von extremistischen Positionen erkennen. Nach wie vor lehnt die NPD wesentliche Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab und erstrebt einen Staat mit einer von völkisch-kollektivistischen Strukturen bestimmten "Volksgemeinschaft": "Wir... setzen uns ... für eine neue Gemeinschaftsordnung ein, die in nationaler Solidarität vorhandene Gruppenegoismen überwindet und zu sozialer Gerechtigkeit führt." ("Deutsche Stimme" Ausgabe 1-96) "Nicht das Volk dient der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft muß dem Volke dienen!" ("Deutsche Stimme" Ausgabe 12-96) Völkischer Die Partei knüpft damit an ein Leitbild an, das wesentlicher BestandKollektivismus teil der nationalsozialistischen Ideologie war. Die Auffassungen der NPD über die Stellung des einzelnen in Staat und Gemeinschaft sind mit der Staatsund Gesellschaftsordnung des Grundgesetzes unvereinbar. Die NPD gibt dem Staat vor dem einzelnen den Vorrang. Diese Betrachtungsweise läuft dem Rang der in Art. 1 des Grundgesetzes normierten Menschenwürde, insbesondere dem daraus resultierenden Vorrang des einzelnen vor dem Staat, zuwider. Die Überbewertung der "Volksgemeinschaft" im Sinn eines völkischen Kollektivismus und die Absicht, Interessengegensätze innerhalb der Gesellschaft durch die Unterordnung des einzelnen unter nicht näher definierte Gemeinschaftsinteressen aufzuheben, stehen außerdem im Gegensatz zur Verbindlichkeit der Grundrechte gegenüber der staatlichen Gewalt. Rassismus und Ferner lassen Veröffentlichungen der Partei nach wie vor rassistische Nationalismus und nationalistische Zielsetzungen und Denkweisen erkennen. Die Rechtsextremismus 31 NPD versucht, ihre für Rechtsextremisten charak- / i ä g S f c ^ ^ teristische Ablehnung alles Andersartigen, hinter : f j n f f i j i l l K SS S , l | p ( B | ^ ^ der sich die Überzeugung von der Höherwertig'W*LMJ1 :-,-*<- P Ö S w K K keit der eigenen Rasse und Nation verbirgt, un- ; ^ ^ ^ ^ ^ B S p S ^ ^ ^ ^ ^ ^ s ter Berufung auf die "Vielfalt des Lebens und ; - c a m ^ l i a3m^ S ^ I ^ ^ ^ Ä S S Ä : seiner Erscheinungen" zu rechtfertigen. Sie präsentiert ~~'~~~*--'-:sz sich dabei als Gegnerin des "Dogmas von der angeblichen Gleichheit aller Menschen" und fordert "eine neue Ordnung mit einem lebensrichtigen Menschenbild". Diese Grundeinstellung läuft auf eine mit Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes unvereinbare Rassendiskriminierung hinaus. Dementsprechend behandelt die Partei das Ausländerund Asylantenproblem vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der "Überfremdung" und vertritt die Auffassung, die "Zwangsgermanisierung" der hier lebenden Ausländer bedrohe die "deutsche Volkssubstanz": "Es ist für unser Volk lebensbedrohlich, daß die in Bonn durch Einwanderungsförderung die Zerstörung unseres Volkes vorantreiben. (...) Wir sind gegen den Rassismus der Umvolkung und damit der Auslöschung der Deutschen." ("Oberpfälzer Stimme" Ausgabe Februar/März 1996) "Das multiethnisch überfremdete Vielvölkergulasch zerstört die Kulturen und den Frieden, die Freiheit und die Würde des Menschen." ("Deutsche Stimme" Ausgabe 7-96) "Nur eine starke NPD ist Garant dafür, daß die Überfremdung Deutschlands beendet wird, daß Deutschland das Land der Deutschen bleibt." (Flugblatt "Wer wir sind - was wir wollen") Nationalistische Bestrebungen kamen insbesondere in der Agitation Agitation gegen gegen die europäische Einigung zum Ausdruck: die EU "Maastricht ... ist der Versailler-Vertrag ohne Krieg - d.h. eine Dauerschröpfung der Deutschen." ("Oberpfälzer Stimme" Ausgabe Februar/März 1996) "Die NPD fordert eine nationale Politik, die nicht die Interessen der US-Regierung bzw. fremder Staaten im Rahmen einer Europäischen Union vertritt ... Die NPD fordert daher auch die unverzügliche Aufkündigung von Mitgliedschaften in räumfremden Bündnissen wie NATO und EU, da diese einzig und allein mit dem Ziel geschlossen wurden, die Herrschaft des Kapitals zu Lasten der Völker zu stabilisieren." (Flugblatt "Wer wir sind - was wir wollen") 32 Rechtsextremismus "Deutschland darf nicht länger die Melkkuh der ganzen Welt sein und mit unserer,harten' DM die EU, NATO und UNO finanzieren. Deshalb fordert die NPD: Deutsches Geld für deutsche Aufgaben!" ("Deutsche Stimme" Ausgabe 9-96) Antisemitismus Der Antisemitismus der NPD wurde insbesondere bei Angriffen gegen Vertreter des Staates Israel sowie Repräsentanten jüdischer Institutionen deutlich. So polemisierte die Partei gegen den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland Ignatz Bubis und das Präsidiumsmitglied Michel Friedman: "Gut geübt im Ausstreuen von Rassismusverdächtigungen sind ihre Auftritte für die nach Schuldzuweisungen gegen die Deutschen lechzende Journaille eine Art seelischer Orgasmus. (...) So aber werden weiter, wie unlängst in Lübeck wieder geschehen, statt dessen Leute wie Friedmann & Co. als moralische Anklageinstanz herumgereicht, um bei den von Pharisäern geführten Deutschen die andressierten Schuldreflexe nicht erlahmen zu lassen." ("Deutsche Stimme" Ausgabe 2-96) "Während es einen Beleidigungstatbestand zum Schutz vor Kollektivverunglimpfungen zum Nachteil der Deutschen nicht gibt, dürfen sich Vertreter anderer Gemeinschaften, die einem selbst angemaßten Auserwähltheitsanspruch bis heute nicht abgeschworen haben, bereits beleidigt fühlen, wenn in Deutschland dogmatisch festgeschriebene historische Tatsachenbehauptungen in Frage gestellt werden." ("Deutsche Stimme" Ausgabe 8-96) NS-Apologie Das demokratische Verfassungsleben nach 1945 wird als Ergebnis einer verfälschten Geschichtsschreibung und einer "Umerziehung" zum Schlechten herabgesetzt: "Auch das Bekenntnis zur unteilbaren deutschen Geschichte ist in Zeiten fortgesetzter Umerziehungsversuche der BRD-Politiker unerläßlich geworden. Nur noch wir Nationaldemokraten wehren uns öffentlich ... gegen die Verteufelung unserer Vergangenheit." ("Deutsche Stimme" Ausgabe 12-96) "Da die Erlebnisgeneration auch in den sechziger Jahren noch nicht bereit war, vollständig das Büßergewand anzuziehen, wird jetzt der, Enkelgeneration' ein neues Schuldbewußtsein eingehämmert." ("Bayern-Stimme" Ausgabe 1-96) Rechtsextremismus 33 Zu den Hauptangriffszielen der Partei gehören nach wie vor die Diffamierung demokratischen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland und demokratischer ihre Repräsentanten. Dabei tritt an die Stelle konstruktiver Kritik an Institutionen einzelnen Mißständen eine bewußt entstellende und überspitzt verallgemeinernde Form der Darstellung. So bezeichnete die NPD das "staatliche Machtkartell der BRD" als "Ausdruck eines Unrechtsstaates", in dem "das Recht zur Hure der Politik degradiert wird". Sie bezichtigte die Gesetzgebung der "Schändung des Grundgesetzes" und warf ihr vor, "verfassungsrechtliche Taschenspielertricks zur Deckung der Meinungsunterdrückung" anzuwenden. Die politische Führung in Deutschland zwinge die Deutschen "mit Hilfe des Strafrechts zur widerspruchslosen Hinnahme jedweder antideutschen Greuelbehauptung". Die NPD behauptete ferner, das "Bonner Parteienkartell" sei "nach Kriegsende von den Besatzungsmächten lizenziert" worden. Erforderlich sei eine "wirkliche nationale Fundamentalopposition", die "deutsche Interessen in den Vordergrund stellt und nicht gegen den Bürger regiert". Der stellvertretende Parteivorsitzende Deckert polemisierte gegen "dieses demokrötische Geldwegnahmeund Umverteilungssystem" und die "Bonner Versagerriege". Den Bundespräsidenten bezeichnete er als "Verzichtler", "Vaterlandsverräter", "Nationalverräter" und "Vorsteher der Bananenrepublik brddr von FDPwie Unions Gnaden" ("Frankenspiegel" Nummern 5 und 6/1996). "Wir ... wollen eine wirkliche Demokratie, wo das Volk bestimmt und nichteine volksfremde Politikerkaste. (...) Von den Bonner volkszerstörenden Parteien ist eine Änderung ihrer inländerfeindlichen Politik nicht mehr zu erwarten." ("Oberpfälzer Stimme" Ausgabe Februar/März 1996) "Die demokratische, soziale und nationale, die hieraus resultierende kulturelle, mediale und religiös-weltanschauliche Verkommenheit und Niedertracht unserer Republik schreitet unaufhaltsam voran. (...) Gegenüber einer manipulierten Verfassungswirklichkeit und einer Scheindemokratie der Parteienoligarchie ist verbaler Widerstand oberste Pflicht. (...) Verfassungsrecht wird durch Verfassungswirklichkeit prostituiert." ("Deutsche Stimme" Ausgabe 7-96) Diese diffamierende Polemik läßt darauf schließen, daß die NPD die Prinzipien des Mehrparteiensystems und der Chancengleichheit der Parteien trotz ihres formalen Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ablehnt. 34 Rechtsextremismus Öffnung gegenDie schwindende Abgrenzung gegenüber Neonazis zeigt sich nicht über Neonazis nur in der Tolerierung der Kontakte von JN-Mitgliedern zum neonazistischen Spektrum, sondern auch in der Aufnahme von Neonazis. Die Parteiführung ist allerdings bestrebt, ehemals führenden Exponenten verbotener Gruppierungen den Eintritt zu erschweren, um das Erscheinungsbild der NPD nicht übermäßig zu beeinträchtigen. Mit der Bereitschaft, sich gegenüber Neonazis zu öffnen, korrespondiert auch ein im Parteiorgan "Deutsche Stimme" (Ausgabe 8-96) veröffentlichter "Appell an alle aufrechten Deutschen in rechten Gruppierungen", in dem die NPD allen "aufrecht national, sozial und demokratisch gesinnten Deutschen" eine "politische Heimat" anbietet. 3.2 Organisation Rückläufige Die am 28. November 1964 in Hannover von Funktionären der Mitgliederzahlen ehemaligen Deutschen Reichspartei (DRP) gegründete NPD gliedert sich derzeit in 15 Landesverbände, die wiederum in Bezirksund Kreisverbände unterteilt sind. Die Partei zählte Ende 1996 nach erneuten personellen Einbußen bundesweit noch rund 3.500 (1995: 4.000) Mitglieder. Parteivorsitzender ist seit März der Diplom-Politologe Udo Voigt aus Moosburg a.d. Isar. Seine Stellvertreter sind sein Vorgänger Günter Deckert aus Weinheim, der Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen Udo Holtmann und der bisherige Beisitzer im Bundesvorstand Jürgen Schön aus Sachsen. Organisation in Der Landesverband Bayern mit Sitz in München zählt rund 650 Bayern (1995: 730) Mitglieder (ohne JN und NHB). Er gliedert sich in sieben Bezirksund rund 50 Kreisverbände, von denen aber mehr als die Hälfte nicht aktiv ist. Der Landesvorsitzende Udo Voigt wurde auf dem Landesparteitag am 28. Juli in Berching, Landkreis Neumarkt i.d.OPf., in seiner Funktion bestätigt. Sein Stellvertreter Ralf Ollert hatte zuvor am 3. Juli seinen Rücktritt erklärt mit der Begründung, das Vertrauensverhältnis zu Voigt, der die Partei auf dem Bundesparteitag im März "unnötig in eine Kampfabstimmung gezwungen" habe, sei nachhaltig gestört. Schleichender Mitgliederschwund, eine Verschuldung von rund 1,1 Millionen DM, interne Spannungen wegen der Entmachtung des bisherigen Parteivorsitzenden Günter Deckert und eine unverändert geringe Akzeptanz beim Wähler kennzeichnen die derzeitige Lage Rechtsextremismus 35 der NPD. Erheblichen Schwierigkeiten begEpÄ gegnet die Auswahl geeigneter Personen für Parteifunktionen. Die Öffentlichkeitsarbeit leidet unter schwindender Motivation und nachlassender Mobilisierbarkeit der Mitglieder; dies erschwert auch die eu *schh'aacf.f Werbung neuer Interessenten. Infolge sinkender Zahlungsund Abrechnungsmoral sind verschiedene Verbände nur noch bedingt funktionsfähig. Dennoch ist es dem neuen Bundesvorsitzenden gelungen, die Partei etwas zu stabilisieren und die seit Leichte Jahren rückläufige Mitgliederentwicklung zu stoppen. Auch das VerKonsolidierung hältnis zu den JN entspannt sich zusehends. Mit der selbstbewußten Behauptung, die NPD sei derzeit die einzige nationale Opposition, beansprucht Voigt für die Partei allerdings eine Führungsrolle, die ihr insbesondere im Hinblick auf die Wahlerfolge der REP tatsächlich nicht zukommt. Ob sich die NPDkünftig zu einem Auffangbecken ehemaliger Anhänger der in einen Verein umgewandelten Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) entwickeln wird, ist noch nicht abzusehen. 3.3 Bündnispolitik Der neue Parteivorsitzende Voigt befürwortet eine Abkehr vom antisemitischen Kurs seines Vorgängers zugunsten verstärkter Einigungsbestrebungen des "rechten Lagers". Beim Bundesparteitag im März sprachen sich die Delegierten dafür aus, eine "gemeinsame Wahlplattform der nationalen Rechten unter Einbeziehung von DVU, REP, DLVH etc." zu schaffen und die an "Runden Tischen" bereits bestehenden informellen Kontakte auszubauen, um schon zur nächsten Bundestagswahl eine einheitliche "patriotische" Liste aufstellen zu können. Kontakte zur DVU mit dem Ziel, die Möglichkeiten eines Erfolglose Bündkünftigen Wahlbündnisses auszuloten, blieben jedoch ergebnislos. nisbemühungen Ebenso zeigten die REP keinerlei Neigung, sich auf das von der NPD propagierte "Bündnis Deutschland" einzulassen. In einem Rundschreiben vom 6. Juni kritisierte Voigt die ablehnende Haltung der REP in der Bündnisfrage als Anbiederungsversuch an das "System", der die nationale Opposition in Deutschland erheblich schädige und sie politisch unwirksam mache. Man brauche keine systemangepaßten "BRD-Nationalen" eines Dr. Schlierer, sondern eine nationale Fundamental-Opposition. 36 Rechtsextremismus Keine nennenswerte Resonanz fand auch ein im Parteiorgan "Deutsche Stimme" (Ausgabe 8-96) veröffentlichter "Appell an alle aufrechten Deutschen in rechten Gruppierungen". Darin verwies die NPD auf den von der DLVH beschlossenen Verzicht auf den Parteistatus und rief dazu auf, "in der Stunde der Gefahr auch die Stunde der Deutschen Einheit zu erkennen und in der erneuerten NPD die politische Heimat zu sehen". Kontakte nach Der außenpolitische Sprecher der NPD Wolfgang Nahraht und der Osteuropa NPD-Sozialreferent Axel Schunk reisten Mitte Mai in die ukrainische Hauptstadt Kiew. Sie schlössen dort mit Billigung des NPD-Parteivorstands einen "Partnerschaftsund Freundschaftsvertrag" mit der nationalistischen Organisation "Ukrainische Nationalversammlung" (UNA/UNSO). In einem Grußwort wies der NPD-Bundesvorsitzende Voigt auf die partnerschaftliche Verbundenheit zwischen Deutschen und Ukrainern hin, die sich im Zweiten Weltkrieg in der SS-Division "Galizien" fortgesetzt habe: "Ihr an den Grenzen Europas und wir unter dem Druck der US-Imperialisten müssen zusammenhalten, um dem Abendland seine alte Größe un Würde wiederzugeben. Und ich bin sicher: Gemeinsam schaffen wir es! Eine sechsköpfige Delegation der NPD unter der Leitung von Voigt hielt sich Anfang August in Kiew auf, um die Kontakte zur UNA/UNSO zu vertiefen. Weitere Verbindungen bestehen zu Vertretern der Nationalen Partei Litauens - Junges Litauen (NPL). 3.4 Sonstige Aktivitäten Vor dem Hintergrund der Amtsenthebung und der Inhaftierung des Parteivorsitzenden Günter Deckert fand am 23724. März in Bad Bundesparteitag Dürkheim/Rheinland-Pfalz ein Sonderparteitag zur Neuwahl des Bundesvorstands statt. Zuvor hatte es in der Parteispitze interne Kontroversen wegen Deckerts erneuter Kandidatur gegeben. Bei der Wahl des Parteivorsitzenden konnte sich der bayerische Landesvorsitzende Voigt mit knapper Mehrheit gegen seinen Mitbewerber Deckert durchsetzen. Dieser wurde anschließend auf Vorschlag von Voigt zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt - eine Geste Voigts gegenüber seinem früheren Förderer. Abgewählt wurden u.a. vier bisherige Funktionsträger, die im Herbst .1995 maßgeblich die vorübergehende Amtsenthebung Deckerts betrieben hatten. Der neue Parteivorsitzende will die politische Arbeit der NPD-Jugendorgani- Rechtsextremismus 37 sation Junge Nationaldemokraten (JN) stärken und sich vor allem auf die Selbstdarstellung der Partei in den "Neuen Medien" konzentrieren. Außerdem befürwortet er eine stärkere Betonung der Wirtschaftsund Sozialpolitik. Er gibt sich optimistisch hinsichtlich der Zukunftschancen der NPD und appelliert an die innerparteiliche Solidarität, um Deckerts Anhänger für sich zu gewinnen. Mehr als 250 Rechtsextremisten - etwa doppelt so viele wie 1995 - versammelten sich am 24. Februar in Aschaffenburg zum diesjährigen "Hans-Münstermann-Trauermarsch"; Veranstalter waren die Trauermarsch in NPD und ihre Jugendorganisation. Der Schüler Hans Münstermann Aschaffenburg war am Faschingsdienstag 1993 bei einer tätlichen Auseinandersetzung von einem Albaner erstochen worden. Während der Kundgebung, die zunächst von der Stadt verboten, letztinstanzlich aber vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen worden war, kam es zu Zusammenstößen mit etwa 350 politischen Gegnern. Die Polizei nahm 31 Personen, darunter rund 20 Rechtsextremisten, vorübergehend fest und stellte u.a. Schlagund Schreckschußwaffen sowie Messer und ein Beil sicher. Die JN hatten bereits seit längerer Zeit bundesweit für die Veranstaltung mobilisiert; auch verschiedene Nationale Info-Telefone (NIT) hatten zur Beteiligung aufgerufen. Eine u.a. vom JN-Bundesvorsitzenden Holger Apfel unterzeichnete Einladung nannte die Rufnummern von vier Funktelefonen, bei denen anreisende Teilnehmer Informationen über die Sammelpunkte (Autobahnraststätten) für die anschließende Weiterfahrt zur Veranstaltung erhalten konnten. Der Parteivorstand mißt der Nutzung moderner Informationsund Nutzung Kommunikationsmittel einen hohen Stellenwert bei und ist bemüht, moderner das Internet zum elektronischen Sprachrohr der NPD zu machen. Ein informationslokaler Internet-Knotenpunkt der NPD in Augsburg soll bundesweit technologien ausgebaut werden. Ziel ist eine stärkere elektronische Vernetzung der europäischen "Nationalisten". Auch Rechtsberatung für "patriotische Jugendliche" soll im Internet angeboten werden. Nachdem die rechtsextremistischen Mailboxen des Thule-Netzes schon um die Jahresmitte 1995 Vorkehrungen für die technische Verknüpfung mit dem Internet trafen, hat nunmehr die NPD dort Beiträge eingestellt. In der Datei "Der Aufbruch - Die nationale InternetSeite aus Schwaben" bietet die NPD unter dem Motto "Unser Grundsatz: Dem Feind entgegentreten" vier Nachrichtenbereiche an. Darin werden u.a. Bezugsquellen rechtsextremistischer Publikationen 38 Rechtsextremismus genannt, Nationale Info-Telefone und Mailboxen aufgelistet und auf weitere Beiträge zum Thema "Nationalismus im Internet" verwiesen. Unter dem Schlagwort "Bündnis Deutschland" ruft die NPD alle nationalen Kräfte in Bayern zur Bildung einer neuen nationalen Fundamentalopposition gegen eine "terroristische Staatsmacht" auf. Die Machthaber seien entschlossen, eine deutsch-nationale Wahlpartei mit allen, auch kriminellen und verfassungswidrigen Mitteln, zu verhindern. Auf Einladung der NPD fand am 20./21. Juli in Augsburg ein "Nationaler Internet-Kongreß" unter dem Motto "Zusammenarbeit und Vernetzung der an moderner Informationstechnik beteiligten nationalen Gruppen" statt. Daran beteiligten sich auch Betreiber mehrerer Mailboxen des Thule-Netzes. Ein anschließend gegründeter NPD-Arbeitskreis "Internet" soll nationale Internet-Projekte koordinieren, Schulungen durchführen und die fortschreitende informationelle Vernetzung der rechtsextremistischen Szene fördern. ProgrammAuf einem außerordentlichen Bundesparteitag am 778. Dezember bei Parteitag Bremen verabschiedeten die Delegierten ein neues Parteiprogramm mit "richtigen Antworten auf die Fragen der Zeit". Es wendet sich auf der Grundlage eines "lebensrichtigen" Menschenbildes gegen "multiethnische Exzesse", "Fremdherrschaft" und "Überfremdung". Eine Abkehr von extremistischen Positionen ist nicht erkennbar. 3.5 Strafverfahren Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte den stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden am 27. März wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten mit Bewährung. Deckert hatte das Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland Michel Friedman im Mai 1994 in einem Offenen Brief als "jüdischen Hochkommissar" bezeichnet und ihn aufgefordert, Deutschland zu verlassen und nach Israel zu gehen, wo er als Jude hingehöre. Am 21. Juni verhängte das Amtsgericht Weinheim/Baden-Württemberg gegen Deckert eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten ohne Bewährung wegen Beihilfe zur Volksverhetzung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Beleidigung. Der Angeklagte hatte 1990 in Weinheim eine Veranstaltung mit dem britischen Revisionisten David Irving organisiert, der in seiner Rede den Holocaust als "Legende" und als Mittel bezeichnete, vom deutschen Rechtsextremismus 39 Volk finanzielle Wiedergutmachung zu erpressen. Außerdem hatte Deckert 1994 und 1995 das Buch "Grundlagen zur Zeitgeschichte" des deutschen Revisionisten Germar Scheerer geb. Rudolf vertrieben und unter einem Pseudonym das Buch "Der Fall Günter Deckert" verfaßt. In beiden Büchern wird der Holocaust geleugnet. In der Urteilsbegründung führte das Gericht aus, bei Deckert handele es sich um einen "Amokläufer", der Argumenten nicht mehr zugänglich sei. Diese Unbelehrbarkeit verhindere die Aussetzung der Strafe zur Bewährung; sie werde nicht auf die von ihm gegenwärtig verbüßte zweijährige Haftstrafe angerechnet. 3.6 Junge Nationaldemokraten (JN) Die JN als Jugendorganisation der NPD sind nach ihrem Statut zur Unveränderter aktiven Mitarbeit in den Gremien der NPD verpflichtet. In Ideologie ideologischund Zielsetzung bekennen sie sich zum Programm der Mutterpartei, politischer Obwohl sie mitunter um mehr Eigenständigkeit bemüht waren, Standort folgen sie inzwischen der Linie und den Anordnungen der NPD-Führung. Die JN halten sich für eine "weltanschaulich geschlossene Jugendbewegung neuen Typs" und propagieren als Vorhut eines "anderen Deutschlands" eine "revolutionäre Umwälzung der Machtverhältnisse". Sie verstehen sich auch als Scharnier zwischen NPD, anderen rechtsextremistischen Organisationen und Neonazis. Ihr aggressiverer, auf Konfrontation ausgerichteter Kurs läßt befürchten, daß neonazistische Denkmuster überhandnehmen. Nach wie vor unterhalten die JN Kontakte zur neonazistischen Szene Zunehmender mit dem Ziel einer engen Zusammenarbeit. Sie versuchen, dort Interneonazistischer essenten zu werben und auch "politikfähige" ehemalige Angehörige Einfluß verbotener Organisationen für die JN zu gewinnen. Dabei nehmen sie in Kauf, daß Neonazis auch nach ihrer Aufnahme noch eigene Ziele verfolgen. Die Berufung solcher Personen in den JN-Bundesvorstand macht deutlich, daß die JN dem Erstarken neonazistischer Kräfte in den eigenen Reihen keinen ernsthaften Widerstand entgegensetzen. Diese Entwicklung korrespondiert mit Plänen zur Umwandlung der JN in eine Kaderorganisation. Offenbar bestehen auch keine Berührungsängste gegenüber Skinheads. Bemerkenswert ist die erhöhte Bereitschaft anderer rechtsextremistischer Gruppen zur Zusammenarbeit mit den JN. Insbesondere neonazistische "Kameradschaften" beteiligten sich in erheblich größerem Umfang als früher an JN-Veranstaltungen. 40 Rechtsextremismus Obwohl die JN derzeit der größte und aktivste Zusammenschluß jüngerer Rechtsextremisten sind, konnten sie die von ihnen angestrebte Meinungsführerschaft im "nationalen Widerstand" bislang nicht erringen. Aufgrund einer offenbar planvollen Zuwanderung von Neonazis hat sich der bisherige Abwärtstrend gewendet. Ende 1996 zählten die JN bundesweit rund 200 (1995: 150) Mitglieder, davon wie im Vorjahr etwa 55 in Bayern. Bundesvorsitzender ist Holger Apfel, der beim JN-Bundeskongreß am 25726. Mai \ in Leipzig in seiner Funktion bestätigt wurde. Mit dem JN-Landesvorsitzenden von Hamburg Jan Zobel, dem Landesbeauftragten für Sachsen-Anhalt Steffen Hupka und dem ] bayerischen Landesvorstandsmitglied Jens Pühse wurden drei ehemalige Mitglieder verbotener neonazistischer Organisationen zu Beisitzern im Bundesvorstand gewählt. Der Landesverband Bayern gliedert sich in die beiden "Regionalen Arbeitsgruppen" (RAG) Franken und München/Oberbayern mit jeweils vier örtlichen Stützpunkten; Landesvorsitzender ist Rainer Hatz aus Nürnberg. Öffentliche Kundgebungen, aber auch interne Treffen der JN stoßen regelmäßig auf massive Proteste politischer Gegner. Veranstaltungen der JN werden aber zunehmend wieder öffentlich angekündigt. So rief der JN-Bundesvorstand "den gesamten nationalistischen Widerstand" zu einer Aktionswoche vom 26. April bis 5. Mai auf. In deren Mittelpunkt sollte der 1. Mai als "zentraler Kampftag" unter dem Motto "Zusammen den Bonzen den Marsch blasen!" stehen. An einer Demonstration der JN in Berlin am 1. Mai nahmen rund 300 Personen teil. Eine vom JN-Bundesvorstand unter dem Motto "Gegen System und Kapital - unser Kampf ist national!" geplante zentrale "Nationalrevolutionäre 1. Mai-Demonstration" in Nürnberg mit einem Marsch zur Bundesanstalt für Arbeit wurde verboten, ebenso eine in Bayreuth angemeldete Kundgebung. In Bamberg löste die Polizei einen verbotenen Aufmarsch von etwa 100 JN-Anhängern - darunter auch Neonazis - auf. Einige Personen wurden festgenommen, darunter vier Neonazis aus Österreich. Die JN waren in die Planung des "Aktionskomitees Rudolf Heß" eingebunden, das Aktionen des rechtsextremistischen Spektrums zum Todestag von Rudolf Heß vorbereitete. Die Uneinigkeit und die feh- Rechtsextremismus 41 lende Durchsetzungskraft der JN-Führung behinderten jedoch ein gemeinsames Vorgehen. So waren von den rund 200 Teilnehmern eines "Heß-Gedenkmarschs" am 17. August in Worms nur etwa zehn Prozent den JN zuzurechnen. Die von den JN im Rahmen einer eigenen Heß-Aktionswoche im August geplanten Kundgebungen in Bayern wurden verboten. Regen Zuspruch fand der konspirativ vorbereitete "3. Europäische Kongreß der Jugend" am 14. September in Groß Rosenburg/Sachsen-Anhalt. An der Veranstaltung unter dem Motto "Europas Wiedergeburt durch den Befreiungsnationalismus der Völker" nahmen rund 350 Rechtsextremisten aus dem Inund Ausland teil. Die JN wollten mit diesem Kongreß ein Zeichen für die internationale Zusammenarbeit der europäischen Nationalisten setzen. 4. Deutsche Volksunion (DVU) 4.1 Ideologisch-politischer Standort Das im Sommer 1993 beschlossene Parteiprogramm läßt das Bestreben erkennen, problematische Aussagen zu vermeiden oder zumindest zu entschärfen, um die verfassungsfeindliche Zielsetzung der Partei noch besser zu tarnen. Die DVU warnt vor einer angeblich von Politikern geplanten Auflösung Deutschlands in einen "Vielvölkerstaat" und tritt mit Parolen wie "Bewahrung der deutschen Identität" und "Gleichberechtigung für Deutschland" dafür ein, den Ausländeranteil zu begrenzen, den "zunehmenden Ausländerzustrom" in das Bundesgebiet zu stoppen und die "Zuweisung von Kollektivschuld oder Kollektivverantwortung" an die Deutschen einzustellen. Die am Programm nicht ohne weiteres erkennbare rechtsextremistiExtremistische sehe Grundhaltung der Partei wird vor allem an den ihr zurechenbaGrundhaltung ren Äußerungen führender Funktionäre sowie, am Inhalt ihrer publizistischen Sprachrohre deutlich, die im Verlag des Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard Frey erscheinen. Diese greifen regelmäßig aktuelle Probleme auf, für die sie ihre langjährig entwickelten Feindbilder wie etwa die "unverschämten" Polen, die "erpresserischen" Juden oder die "kriminellen" Ausländer verantwortlich machen. Dabei bedient sich die Partei einer taktischen "Ja - aber"-Methodik, die darauf angelegt ist, brisante Aussagen sofort wieder zu relativieren in der Hoffnung, die extremistische Botschaft bleibe beim Adressaten dennoch haften. 42 Rechtsextremismus Wie im Vorjahr konzentrierte sich die DVU verstärkt auf Kritik an der NS-Apologie "extrem einseitigen Vergangenheitsbewältigung". Dabei versuchte die Partei, die Einmaligkeit des Holocaust durch Hinweise auf "Völkermorde der Geschichte" zu relativieren und das Gedenken an die NS-Opfer herabzusetzen: "Alle Schuld soll auf deutscher Seite liegen und die - unzweifelhaft entsetzliche - NS-Judenverfolgung wird zum .schlimmsten Verbrechen der Weltgeschichte' erklärt. Die Ausrottung unzähliger Völker, die einst für immer verschwanden, ist demgegenüber offenbar keiner Erwähnung wert." (DNZ vom 20. September) "Das geltende Gesinnungsstrafrecht jedenfalls behindert die wissenschaftliche Forschung von Historikern, die praktisch bei dieser Thematik mit einem Fuß im Gefängnis stehen." (DNZ und DWZ vom 29. März) "Die Mahnmalmanie in Deutschland wird immer grotesker. (...) Am Ende werden womöglich noch das Geburtshaus eines jeden einzelnen KZ-Häftlings sowie Kindergarten und Schule, die er besucht hat, zum Mahnmal ausgebaut." (DNZ vom 30. August) Diese ständige Relativierung dient nicht der Jüdische Holocaust-Fälschungen? historischen Wahrheitsfindung, sondern ergibt W i d e r l e g t e K Z - B e h a u p t u n g e n ESSB in der Gesamtschau eine systematische VerNationaUJ^Lung harmlosung der menschenverachtenden Juden rein. Deutscbe^vffin muft \ Politik des NS-Unrechtsstaats. Rechtfer- H " * * ^ J\eO'W^J*jJ,ng*uoiodegl5*(tm) \ tigung soll angeblich das deutsche Volk in wirklichkeit aber die S2^^Ä*tt^lAtÄUl^\ ' NS-Dikta- ^ ! 5 " s i " " * ' " . ^ Ä M t U W f t l Volk, in Wirklichkeit aber die NS-Dikta- ^ t H f h t U ) " " ^ ' ^ ""^ tur erfahren Die rassistisch unterlegte Agitation he,l li,l , " . l!^-BöC * ' "' der ^VU erweckt den Eindruck, auslän--*"" dische Zuwanderer seien - mit Ausnahme der Ausund Rassismus Übersiedler - durchwegs Asylbetrüger, Kriminelle und Schmarotzer: "Die meisten der illegal einreisenden Ausländer tauchen in Großstädten unter, wo sie nicht selten im Drogengeschäft ihre Schulden bei den Schleuserbanden abarbeiten. (...) Wieder andere lassen sich als Asylbewerber registrieren und verlängern unter Ausschöpfung aller Rechtsmittel ihren Aufenthalt in Deutschland um viele Jahre, wobei immer öfters Betrüger gefaßt werden, die mit gefälschten Papieren in verschiedenen Rechtsextremismus 43 Städten mehrfach Sozialhilfe kassieren und dabei auf monatliche Einnahmen von 15000,Mark und mehr kommen. (...) Es geht um das Riesenheer der Scheinasylanten und um kriminelle Ausländer, die unser soziales Netz zerreißen, unsere Sicherheit bedrohen und einen unermeßlichen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten. Sie müssen raus aus Deutschland, und zwar so schnell wie möglich!" (DWZ vom 11. Oktober) "Schluß mit dem Terror auf deutschen Straßen!, Volksvertreter' sind aufgefordert, endlich dafür zu sorgen, daß Deutschland das Land der Deutschen bleibt und nicht Kriminellen aus aller Herren Länder überlassen wird." (DWZ vom 29. März) Die Warnung vor einer "Entdeutschung Deutschlands" und die pauschale Abwertung fremdländischer Personen als Kriminelle zeugen von einer diskriminierenden, rassistisch motivierten fremdenfeindlichen Haltung, die mit Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes unvereinbar ist. Kennzeichnend für die nationalistische Einstellung der DVU ist ihre Nationalismus Ablehnung supranationaler Institutionen: "Es ist ohnedies durch nichts gerechtfertigt, daß 1997 schon 25 Milliarden Mark an deutschen Überzahlungen aus unseren Steuergeldern an die EU fließen, und daß wir damit unsere rasch wachsende Konkurrenz im Süden Europas selbst hochzüchten." (DNZ vom 20. September) "Für alle nur denkbaren Staaten, Organisationen, Verfolgte, Kriegsflüchtlinge und sonstige Humanitätstümeleien werden Milliarden von DM unaufgefordert und ohne jeglichen Zugzwang verschenkt. (...) Es muß Schluß sein mit dem verschwenderischen Umgang mit Steuergeldern, Deutschland darf und kann nicht mehr länger der Zahlmeister oder die Melkkuh für die ganze Welt sein." (DNZ vom 6. September) Die zunehmend subtiler gewordene Agitationsmethodik der DVU verLatenter meidet offenen Antisemitismus. Gleichwohl sind ihre Aussagen zu Antisemitismus den Themen "Juden" und "Israel" vielfach negativ geprägt. "Alle möglichen Konflikte des letzten halben Jahrhunderts sind zum Anlaß genommen worden, immer neue deutsche Leistungen und Zahlungen zugunsten der israelischen Seite durchzusetzen." (DWZ vom 15. März) 44 Rechtsextremismus "Der wirklich grenzenlose Byzantinismus (schmeichlerische Unterwürfigkeit), der vor und für Bubis und Friedman in der Meinungsindustrie unserer freiesten Gesellschaft der deutschen Geschichte zelebriert wird, war selbst in der nazistischen Journaille gegenüber der NS-Prominenz wohl unvorstellbar." (DNZ vom 30. August) Ständige diffamierende Äußerungen über demokratische Parteien und deren Repräsentanten lassen das vom Mehrparteienprinzip und dem Prinzip der Chancengleichheit der Parteien geforderte Mindestmaß an Toleranz gegenüber politischen Konkurrenten vermissen. Hierbei geht es der DVU nicht um eine durch Art. 5 des Grundgesetzes gedeckte politische Auseinandersetzung. Vielmehr werden die demokratischen Parteien durch Polemik auf vielfältige Weise verächtlich gemacht. Dadurch soll das Vertrauen in die Wertordnung des Grundgesetzes erschüttert und insgesamt das Staatswertbewußtsein geschmälert werden. "Was sich herrschende Politiker... leisten, treibt Normalbürgern die Zornesröte ins Gesicht. Noch nie zuvor wurde so viel gelogen und betrogen wie in unserer Zeit. (...) Asylbetrug, Schubladenaffaire, Steuerlüge, Volksverdummung - wesentliche Merkmale der Politik Herrschender des etablierten Parteienkartells." (DWZvom23. Februar) Hinter solchen Diffamierungen steht die Absicht, auf diesem Weg die freiheitliche demokratische Grundordnung zu treffen. Diese soll als Ganzes fragwürdig erscheinen, indem der Eindruck entstehen soll, die kritisierten "Mißstände" hätten letztlich ihre Ursache in der Grundordnung selbst. Nach wie vor ist die Partei bestrebt, das Ausmaß rechtsextremistisch motivierter Militanz zu relativieren. Dabei knüpft sie vielfach an Straftaten mit rechtsextremistischem Anfangsverdacht an, der sich nachträglich als unzutreffend herausstellte. Täter aus dem rechtsextremistischen Spektrum werden dagegen als Außenseiter bezeichnet. "Politiker der etablierten Parteien und tonangebende Organe der Meinungsindustrie haben vergeblich versucht, die Schandtat von Lübeck ... in ein ausländerfeindliches Verbrechen umzufälschen (...), während selbst der lächerlichste Verdacht auf rechtsradikale Taten in einer nur noch idiotisch zu nennenden Weise hochgespielt wird." (DNZ und DWZ vom 26. Januar) Rechtsextremismus 45 "Unter 100 Millionen Deutschen gibt es gewiß auch einige tausend von Wahnvorstellungen geplagte kriminelle Psychopathen, die durch die antideutsche Hetze von Massenmedien ansprechbar sind. Dieser Personenkreis läßt sich durch von der Journaille ausgeschlachtete oder erfundene, gegen Ausländer gerichtete Verbrechen ohne weiteres zu Nachahmungstaten anregen." (DNZ und DWZ vom 29. März) 4.2 Organisation Die DVU zählte Ende 1996 nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes wie im Vorjahr bundesweit knapp 15.000 Mitglieder, davon stagnierende etwa 1.800 (1995: 2.000) in Bayern. Mit eingerechnet sind dabei die Mitgliederzahl Angehörigen des bereits seit 1971 bestehenden gleichnamigen Vereins, die nach Vollendung des 16. Lebensjahres auch der Partei angehören, sofern sie nicht widersprechen. Bundesvorsitzender ist der Verleger Dr. Gerhard Frey aus München. Ende 1996 verfügte die Partei in allen Bundesländern nominell über Landesverbände, die jedoch teilweise völlig inaktiv , waren. Insbesondere ist es der i/rg* &% DVU bisher nicht gelungen, in 2fc,"*"0El(r)^**(c)#i#, Ä den neuen Ländern Fuß zu fas sen. In Bayern bestehen die 3? gä53?*deg SPS,'*"*PS Bezirksverbände Oberbayern, # S S S S S ^ & Ä W r - ' * Niederbayern, Mittelfranken, .*. %2Z*8?(r)%PS" Oberpfalz und Schwaben so Ä ' ^ ^ ^ ^ ' o u i ? ^ ^ - ^ Ortsverbände, die ebenfalls j | ^S&SSSSSgF* kaum Aktivitäten zeigen. Vor- L g C T ^ "' sitzender des Landesverbands ^*",w^S*Sgyvoa^ Bayern ist Bruno Wetzel. ^vo"-". Im Verlag des Parteivorsitzenden erscheinen die "Deutsche National-Zeitung" (DNZ) und die teilweise inhaltsgleiche "Deutsche Wochen-Zeitung" (DWZ). Beide fungieren als Werbeträger und publizistische Sprachrohre sowohl der Partei als auch des gleichnamigen eingetragenen Vereins. Die Partei ist nach wie vor bei Dr. Frey hoch verschuldet. Nach dem Rechenschaftsbericht beträgt das Defizit der DVU rund acht Millionen DM. Die Abhängigkeit der DVU von den Finanzmitteln des Par- 46 Rechtsextremismus teivorsitzenden ermöglicht es Dr. Frey, den Kurs der Partei nicht nur inhaltlich, sondern auch personell zu bestimmen. 4.3 Bündnispolitik Unter der Überschrift "Einheit der Rechten" hieß es in der DNZ und DWZ vom 21. Juni, der DVU-Vorsitzende habe die Bereitschaft der Partei bekräftigt, mit allen "demokratischen nationalen Rechten" zusammenzuarbeiten. Das Gegeneinander im eigenen Lager müsse endlich überwunden werden. Die Mitglieder und Anhänger aller Gruppierungen müßten intern auf eine sinnvolle Zusammenarbeit drängen. Trennungslinien seien zu ziehen gegenüber "NS-Zirkeln", die zu Kriminalisierung und Verbot führen würden, sowie gegenüber chronischen Querulanten, die schon sämtliche Rechtsparteien durchlaufen und überall nur Schaden angerichtet hätten; diese würden zwar die "rechte Einheit" lauthals verkünden, in Wahrheit aber nur sabotieren. Desinteresse an Das Angebot der DVU richtete sich vor allem an REP und NPD. Mit Einigungsbestredem Hinweis auf "chronische Querulanten" schloß es eine Zusambungen menarbeit mit der Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) aus. Diese Initiative bedeutete indes keinen Kurswechsel, sondern diente - vor dem Hintergrund der 1998 anstehenden Bundestagswahl - wohl eher der Beruhigung der eigenen Klientel. Zugleich zielte sie auf unzufriedene Mitglieder und Wähler der REP, die Dr. Schlierers Abgrenzungskurs nicht mittragen. Dr. Frey muß nicht befürchten, von den REP beim Wort genommen zu werden. Er hatte auch bislang kein ernsthaftes Interesse an einer Zusammenarbeit des "rechten Lagers", in dem er nicht alleiniger "Führer" sein könnte. Kontakte nach Die seit 1992 bestehenden Kontakte zum Vorsitzenden der "Liberallußland demokratischen Partei Rußlands" (LDPR) Wladimir Schirinowskij wurden nicht weiter intensiviert. Bei der Feier von Schirinowskijs 50. Geburtstag am 25. April in Moskau trat Dr. Frey als Redner auf und überreichte dem LDPR-Vorsitzenden den mit 10.000 DM dotierten "Deutsch-russischen Freundschaftspreis der Deutschen National-Zeitung". Die Preisverleihung sollte bereits 1994 bzw. 1995 bei der alljährlichen DVU-Großkundgebung in Passau stattfinden; sie mußte damals wegen der gegen Schirinowskij verhängten Einreiseverbote entfallen. Schirinowskijs Beziehungen zur DVU beschränkten sich 1996 auf einige in der DNZ und DWZ veröffentlichte Beiträge sowie auf ein Grußwort zur Passauer Großkundgebung. Rechtsextremismus 47 4.4 Teilnahme an Wahlen Bei den Landtagswahlen am 24. März in Schleswig-Holstein konnte Verlust der die DVU mit einem Stimmenanteil von 4,3 % trotz Einsatzes erhebliLandtagsmandate cher finanzieller Mittel nicht mehr an ihr Ergebnis von 1992 (6,3 %) anknüpfen. Insbesondere wegen ihrer desolaten Parlamentsarbeit in den vergangenen vier Jahren stellte die Partei für den Wähler offensichtlich keine attraktive Alternative dar. Auch die Querelen innerhalb der Landtagsfraktion (einige Abgeordnete hatten sich vorübergehend der DLVH angeschlossen) trugen zum Ausscheiden der DVU aus dem Landtag bei. Zum Wahlausgang erklärte die Partei, das Ergebnis sei zwar enttäuschend im Hinblick auf das gesteckte Wahlziel. Im Vergleich mit den Kandidaturen der letzten drei Jahre bedeute der jetzt erzielte Stimmenanteil aber eine erhebliche Steigerung. Die DVU sei in ihrer Rolle als "eine entscheidende Kraft des rechten Lagers" bestätigt worden. Nur eine gigantische Koalition etablierter Parteien, die sich allesamt auf die DVU eingeschossen hätten, habe mit ihrer gewaltigen Medienmacht knapp den Wiedereinzug der Partei in den Landtag verhindert. Nicht zuletzt um ein Zeichen gegen "rechte Zersplitterung" zu setzen, sei die DVU in Baden-Württemberg nicht angetreten, wie auch die REP auf eine Kandidatur in Schleswig-Holstein verzichtet hätten. Ein "rechter Burgfrieden" sei notwendig. An der DVU werde er nicht scheitern. Die Partei hat das Wahlergebnis inzwischen wegen "Wahlterrors, schwerer Eingriffe in die Wahlfreiheit und extremer Ungleichbehandlung" angefochten. 4.5 Sonstige Aktivitäten Abgesehen von der jährlichen Großkundgebung ist die DVU in Bayern kaum aktiv. Nach wie vor fehlt ein organisiertes Eigenleben. Die Partei tritt im allgemeinen nur durch die von ihrem Vorsitzenden herausgegebenen Wochenzeitungen öffentlich in Erscheinung, in denen sie die gewohnte Feindbildpflege und Gruppenstigmatisierung betreibt. Die diesjährige Großkundgebung der DVU am 28. September in der Jährliche Passauer Nibelungenhalle stand unter dem Motto "Noch ist DeutschGroßkundgebng land nicht verloren". An der Veranstaltung nahmen rund 2.300 Personen teil. Aufgrund der umfangreichen polizeilichen Sicherungsmaßnahmen verlief die Kundgebung weitgehend störungsfrei. 48 Rechtsextremismus Hauptredner war der DVU-Bundesvorsitzende Dr. Frey, der sich in seiner "Abrechnung mit den Polit-Versagern in Bonn" als Anwalt für die Interessen des deutschen Volkes aufspielte. Er warf den Politikern vor, Auswüchse bei "Scheinasylanten" und Bürgerkriegsflüchtlingen untätig hinzunehmen und nicht genügend gegen die Kriminalität und Arbeitslosigkeit vorzugehen. Zu seinen stereotypen Anklagen gehörten ferner der Luftterror der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, Israels Verhältnis zu den Palästinensern sowie die Politik der Europäischen Union. In einem Grußwort betonte der Vorsitzende der nationalistischen "Liberaldemokratischen Partei Rußlands"(LDPR) Wladimir Schirinowskij die Notwendigkeit einer kameradschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Rußland und Deutschland. Ihm war - wie im Vorjahr - die Einreise verweigert worden. Als Referenten waren u.a. zwei Vertreter von Indianerstämmen und ein Bürgerrechtler aus den USA anwesend. Die Auswahl der Redner sowie die Teilnahme von Delegationen aus Polen (ehemals Oberschlesien) und Südtirol zeigen, daß Dr. Frey wie schon im Vorjahr Wert darauf legt, der Veranstaltung einen internationalen Anstrich zu geben und dadurch seine Isolierung innerhalb des deutschen Rechtsextremismus zu überspielen. Den diesjährigen "Andreas-Hofer-Preis" erhielt der Schriftsteller Wolfram Mallebrein, der Dr. Frey eigenen Angaben zufolge seit 50 Jahren publizistisch verbunden ist. Der "Freiheitspreis der Deutschen National-Zeitung" wurde dem Rechtsextremisten und Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger verliehen. In der Laudatio wurde er als unerschrockener Kämpfer für deutsche Lebensinteressen bezeichnet. Gegen die DVU-Veranstaltung demonstrierten rund 350 Personen. Die Polizei nahm 28 Personen in Gewahrsam, davon 20 aus dem rechtsextremistischen Spektrum. Gegen mehrere DVU-Kundgebungsteilnehmer wurden Anzeigen wegen Verwendens des Hitler-Grußes erstattet. 5. Neonazismus 5.1 Allgemeines Eine besonders abstoßende Erscheinungsform des Rechtsextremismus ist nach wie vor der Neonazismus (neuer Nationalsozialismus). Er umfaßt alle Aktivitäten und Bestrebungen, die ein offenes Bekennt- Rechtsextremismus 49 nis zur Ideologie des Nationalsozialismus darstellen und auf die Errichtung eines vom Führerprinzip bestimmten autoritären bzw. totalitären Staates gerichtet sind. Die Agitation der Neonazis richtet sich insbesondere gegen die vom Agitationsschwe Grundgesetz (Art. 1, 3 und 20) garantierte Menschenwürde, den punkte Gleichheitsgrundsatz und das Demokratieprinzip. Sie umfaßt vor allem Bestrebungen zur Wiedereinführung des NS-Systems, unverhohlenen Antisemitismus und sonstigen Rassismus, Verharmlosung und Leugnung der NS-Verbrechen sowie Verherrlichung von Institutionen und Personen der Hitler-Diktatur. Einen Schwerpunkt neonazistischer Aktivitäten bilden seit Jahren die maßgeblich von Neonazis getragenen Veranstaltungen zum Gedenken an den 1987 verstorbenen "Stellvertreter des Führers" Rudolf Heß. Dabei zeigte sich, daß die Mobilisierungsfähigkeit der Szene im Vergleich zu früheren Jahren nicht wesentlich zurückgegangen ist. Nach wie vor findet in neonazistischen Kreisen eine Diskussion über militante Verhaltensweisen statt. Daneben kursieren Anleitungen zum Bombenbau und zu terroristischen Handlungen, wie z.B. die Schriftenreihe "Eine Bewegung in Waffen". Mailbox-Verbundsysteme und das Internet enthalten verschiedene Nachrichtenbretter mit Instruktionen zur Herstellung von Sprengstoffen und Sprengkörpern. Bei Durchsuchungen wurden ferner wiederholt Waffen und Sprengstoff gefunden. Gleichwohl gibt es keine Hinweise auf terroristische Strukturen. Die Zahl der Neonazis in Bayern betrug Ende 1996 rund 160 (1995: 110); davon gehören etwa 85 (1995: 65) neonazistischen Organisationen an. Diese Zunahme beruht u.a. auf einem verbesserten Erkenntnisstand und ist daher kaum sicherheitsrelevant. Mit den als Defensivreaktion auf den zunehmenden staatlichen Verfolgungsdruck (Organisationsverbote, Verbote von Veranstaltungen, Strafurteile) gegründeten regionalen Zusammenschlüssen ist es den Neonazis nicht gelungen, neue schlagkräftige Strukturen zu bilden und sich der Beobachtung zu entziehen. In diesen sogenannten KameradRegionale Schäften gibt es weder eine formelle Mitgliedschaft noch VorstandsKameradschafte Positionen. Anführer ist meist ein besonders aktiver Rechtsextremist, der es versteht, seinen Gefolgsleuten die den ideologischen Zusammenhalt stärkenden "Feindbilder" zu vermitteln. In Bayern sind derartige themenund aktionsbezogene regionale Zusammenschlüsse u.a. in Deggendorf, Freising, München, Neu-Ulm, Nürnberg, Strau- 50 Rechtsextremismus bing sowie im Raum Passau und Rottal-Inn bekannt. Eine kontinuierliche Vernetzung hat bisher nicht stattgefunden; die einzelnen Gruppen agieren weitgehend isoliert. Einige führende Neonazis sind daneben zunehmend bestrebt, die Jungen Nationaldemokraten (JN) als Scharnier zwischen dem rechtsextremistischen Parteienspektrum und der neonazistischen Szene zu nutzen. Damit versuchen sie, sich auch eine legale Aktionsplattform unter dem Deckmantel einer nicht verbotenen Partei zu schaffen. Aufmerksamer Beobachtung bedarf ein im Umfeld von Neonazis und Skinheads entstandenes Potential von rund 250 Jugendlichen, die offenbar mit neonazistischem Gedankengut sympathisieren, ohne sich organisatorisch zu binden. Die ursprüngliche Erwartung, daß sich die Anti-Antifa-Bewegung als < ti-Antifamaßgeblich eigenständige Mobilisierungskampagne entwickeln werde, Bewegung hat sich nur teilweise bestätigt. Namhafte Neonazis stellen das bisherige "Anti-Antifa-Konzept" in Frage und propagieren einen "systemfeindlichen progressiven Nationalismus". Zwar gibt es weiterhin Hinweise auf die Ausspähung und Sammlung von Namen und Daten politischer Gegner sowie die Gründung örtlicher "Anti-Antifa"-Gruppen, die Tendenz ist jedoch rückläufig. Insbesondere die Strafverfolgungsmaßnahmen gegen die Verfasser von "Anti-Antifa"-Publikationen, aber auch der Rückzug ehemals führender neonazistischer Aktivisten aus der politischen Tätigkeit haben sich allem Anschein nach lähmend ausgewirkt. In Bayern gibt es keine Anzeichen für eine handlungsfähige Anti-Antifa-Bewegung, wie sie etwa in den neuen Ländern existiert. Die organisatorischen Strukturen sind nur schwach ausgeprägt. Einige Aktivisten in Nordbayern unterhalten Kontakte zu Gesinnungsgenossen der relativ starken Anti-Antifa-Bewegung in Thüringen. 5.2 Verbotene Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) Derzeit gibt es keine Anzeichen für eine Fortführung der FAP oder den Aufbau einer Nachfolgeorganisation. Offenbar haben sich die ehemaligen FAP-Funktionäre inzwischen mit der Auflösung der FAP abgefunden, wie nicht zuletzt auch die Rücknahme der Klage gegen die Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern vom 22. Februar 1995 zeigt. Sie sind aber nicht gewillt, ihre neonazistischen Aktivitäten einzustellen. So ist der ehemalige FAP-Vorsitzende Rechtsextremismus 51 Friedhelm Busse auch 1996 als Teilnehmer und Redner bei Veranstaltungen des rechtsextremistischen Spektrums in Erscheinung getreten. Insbesondere warb er in München als Organisator und Leiter von "Kameradschaftsabenden", die vorwiegend von Skinheads besucht wurden, für seine politischen Ziele. Offensichtlich versucht Busse, seine schwindende Bedeutung in der neonazistischen Szene durch zunehmende Kontakte zu Skinheads zu kompensieren. Ferner war er im Rahmen eines bundesweiten rechtsextremistischen Zeitungsprojekts für die seit Oktober 1995 erscheinende "Berlin-Brandenburger Zeitung" (BBZ) tätig, wurde aber nach nur einmaligem Erscheinen der von ihm gestalteten Regionalausgabe "Süddeutsche Allgemeine - Zeitung der nationalen Erneuerung" abgelöst. Als Regionalausgabe der BBZ fungiert nunmehr die Zeitung "Junges Franken". 5.3 Deutsche Nationalisten (DN) Die Mitte 1993 in Mainz gegründete Vereinigung hat ihren SchwerNeonazistische punkt in Rheinland-Pfalz. Bundesvorsitzender ist der ehemalige LeiZielsetzung ter des Landesverbands Rheinland-Pfalz der 1992 verbotenen neonazistischen "Deutschen Alternative" (DA) Michael Petri. Die Organisation versteht sich selbst als politische Partei, die "an öffentlichen Wahlen" teilnehmen will. Das Programm der DN weist auffallende Parallelen zu den Zielen der DA auf. Es fordert u.a. einen "deutschen Nationalstaat in den völkerrechtlich gültigen Grenzen", die Beendigung der "Wiedergutmachungszahlungen" an "ausländische Mächte", den Austritt Deutschlands aus NATO und EU sowie eine staatliche Kontrolle der "Zinswirtschaft". Ferner treten die DN für einen sofortigen "Ausländerstopp" und eine "stufenweise Ausländerrückführung" ein. Der am 4. März 1994 gegründete Landesverband Bayern wurde im Auflösung des Januar von seinem kommissarischen Leiter Robert Iwanzik aufgelöst. Landesverbands Seitdem waren in Bayern keine Aktivitäten mehr feststellbar. Bayern 5.4 Neonazistisches Potential bei Skinheads Die in Großbritannien entstandene, Ende der 70er Jahre erstmals auch im Bundesgebiet in Erscheinung getretene Skinhead-Bewegung war ursprünglich eine jugendliche Subkultur. Ihr Auftreten (kahlrasierte Köpfe, Uniformjacken) signalisierte eine extreme Ablehnung 52 Rechtsextremismus Weltanschauung der bürgerlichen Gesellschaft. Inzwischen passen sich Skinheads in und Politikverihrem äußeren Erscheinungsbild oft der bürgerlichen Umgebung an ständnis und sind damit von anderen militanten Rechtsextremisten kaum noch zu unterscheiden. Obwohl sie zu einer rational bestimmten politischen MeinungsJAN -96 bildung häufig nicht fähig und deshalb an \ ßufex einer fundierten politischen AuseinanderSkinhead setzung kaum interessiert sind, hat sich in diesen Kreisen inzwischen eine vom organisierten Rechtsextremismus unabhängige diffuse rechtsextremistische Weltanschauung herangebildet. Sie ist vielfach von rassistischer Ausländerfeind- 1 lichkeit und übersteigertem Nationalbewußtsein geprägt. Diese Einstellung, die vor allem wegen ihrer rassistischen Grundhaltung an wesentliche Elemente des Nationalsozialismus anknüpft, ist nicht verstandesmäßig begründet und spiegelt sich daher nicht in programmatisch-ideologischen Aussagen, sondern meist in spontanen, vielfach militanten Aktionen wider. zinfluß der Die von Skinhead-Bands vorgetragene ikinhead-Bands sogenannte Oi-Musik ist das wichtigste md "Fanzines" Medium der Szene und übt einen anhaltenden rechtsextremistischen Einfluß aus. Die Liedertexte solcher Gruppen diffamieren und bedrohen Ausländer, propagieren Gewalt und verbreiten nationalistisch-rassistisches Gedankengut bis hin zur Glorifizierung des Nationalsozialismus. Auch die intern verbreiteten Skinhead-Publikationen ("Fanzines") weisen vielfach rechtsextremistische Bezüge auf. 'unahme Mit 68 (1995: 35) Veranstaltungen in Deutschland, davon sechs 'er Skinhead(1995: zwei) in Bayern, hat sich die Zahl der Skinhead-Konzerte 'onzerte gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt. Die mitunter hohe Zahl der Teilnehmer belegt die weiterhin beachtliche Mobilisierungsfähigkeit der deutschen Skinhead-Szene. Bei den drei in Oberfranken durchgeführten Konzerten kam ein Großteil der Besucher aus Thüringen und Rechtsextremismus 53 Sachsen. Um Veranstaltungsverbote zu vermeiden, wurden die Konzerte zum Teil konspirativ organisiert oder Veranstaltungsorte erst kurzfristig bekanntgegeben. Wegen des in Bayern anhaltenden hohen polizeilichen Verfolgungsdrucks besuchten bayerische Skinheads bevorzugt Konzerte in den neuen Ländern. Allgäuer Skinheads wichen auch nach Norditalien aus; dort unterhalten sie enge Kontakte zu einem Skinhead-Verein in Vicenza. Einige Veranstalter versuchen, die Skinhead-Szene durch neonazistische Musik politisch zu beeinflussen. Andere haben an der Durchführung solcher Konzerte eher finanzielle als ideologische Interessen; geringen Kosten stehen zum Teil erhebliche Einnahmen gegenüber. Seit der "Aktion Notenschlüssel" von 1993 verzichten Produzenten und Vertreiber von Skinhead-Musik überwiegend auf die Herstellung bzw. den Vertrieb von Tonträgern mit strafbaren Inhalten. Produktion und Vertrieb erfolgen nun vermehrt im Ausland. Gewalt ist das bevorzugte Mittel der von Skinheads auf der Straße Gewaltausgetragenen "politischen" Auseinandersetzungen mit tatsächlibereitschaft chen oder vermeintlichen Gegnern. Als "Vorbild" für den "Straßenkampf" um die - nach Auffassung der Skinheads bislang nur vom NS-Regime erfolgreich verwirklichte - Vorherrschaft der weißen Rasse dient dabei der SA-Mann. In Deutschland gibt es derzeit rund 6.400 (1995: 6.200) überwiegend den Skinheads zuzurechnende militante Rechtsextremisten. In Bayern sind aufgrund eines verbesserten Erkenntnisstands rund 360 (1995: 325) Skinheads mit rechtsextremistischem Hintergrund bekannt. Ihre deutlich rückläufigen Aktivitäten beschränkten sich meist auf interne Treffen auf lokaler Ebene. Der am 23. September 1995 gegründete Verein "Skinheads Allgäu" wurde vom Bayerischen Staatsministerium des Innern mit Verfügung vom 22. Juli verboten, da Tätigkeit und Zweck des Vereins wegen der Anlehnung an den Nationalsozialismus den Strafgesetzen zuwiderliefen und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung richteten. Beim Vollzug des Verbots am 30. Juli durchsuchte die Polizei Verbot der die Wohnungen mehrerer Vorstandsmitglieder. Die Auswertung der "Skinheads dabei beschlagnahmten Schriften und Tonträger bestätigte die neoAllgäu" nazistische Ausrichtung des Vereins. 54 Rechtsextremismus Bereits am 29. Januar hatte das Amtsgericht Kaufbeuren die Eintragung des Vereins in das Vereinsregister abgelehnt. In dem Beschluß hatte das Gericht ausgeführt, der satzungsgemäße Zweck des Vereins, eine Kultur zu pflegen, die Wesensgleichheit mit dem Nationalsozialismus aufweise, richte sich gegen die durch das Grundgesetz garantierten Menschenrechte und die freiheitliche demokratische Grundordnung. Darüber hinaus müßten die Vereinsmitglieder bei der praktischen Umsetzung des Vereinsprogramms gegen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs (u.a. Volksverhetzung und Verbreiten von Propagandamitteln verbotener Organisationen) verstoßen. * ExekutivmaßVeranstaltungen rechtsextremistischer Skinheads führten auch in nahmen Bayern zu polizeilichen Einsätzen. So wurden im März bei einem Treffen von Angehörigen der "Skinheads Allgäu" in Kempten mehrere Musikkassetten mit strafbarem Inhalt sichergestellt. Gegen fünf Personen leitete die Polizei ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Volksverhetzung ein. In der Nacht zum 5. April kam es in einem als Treffpunkt von Skinheads bekannten Lokal in München zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen anwesenden Gästen und einer Gruppe von etwa 15 Skinheads. Die Polizei nahm zehn Skinheads, darunter drei Mitglieder der "Skinheads Allgäu", vorübergehend fest. Bei anschließenden Wohnungsdurchsuchungen wurden Aufkleber, Munition, Reichskriegsflaggen und Tonträger mit Skinhead-Musik sichergestellt. Bei einem Treffen von Skinheads am 6. April in Scheinfeld, Landkreis Neustadt a.d.Aisch - Bad Windsheim, nahm die Polizei 24 Teilnehmer vorübergehend in Gewahrsam. Sichergestellt wurden eine erlaubnisfreie Schußwaffe mit 13 Patronen, eine Gassprühdose, ein Butterfly-Messer und drei Musikkassetten mit vermutlich rechtsextremistischem Inhalt. In Neumarkt i.d.OPf. beleidigte ein Skinhead am 18. April zwei Türken als "Kanaken" und "Türkenschweine"; ferner rief er "Sieg Heil" und "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus". In Ebersdorf b. Coburg fand am 3. August ein Skinhead-Konzert mit über 1.000 Teilnehmern statt. Fünf Personen wurden wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorläufig festgenommen. Am 14. September versammelten sich auf dem Anwesen eines ehemaligen FAP-Aktivisten in München rund 30 Personen, überwiegend Rechtsextremismus 55 rechtsextremistische Skinheads, zu einem Konzert der Skinhead-Band "Sturmflagge" aus Ottobrunn. Die Polizei stellte die Personalien der Teilnehmer fest; einige hatten die Beamten mit dem "Hitler-Gruß" empfangen. Am 16. November trafen sich in Kaufbeuren ehemalige Mitglieder des verbotenen Vereins "Skinheads Allgäu" mit Angehörigen der regionalen Skinheadszene. Die Polizei löste die Versammlung auf, nachdem die Teilnehmer neonazistische Lieder gesungen und die Einsatzkräfte mit der Parole "Juden raus!" beschimpft hatten. Bei einem von rund 500 Personen besuchten Skinheadkonzert am 23. November in Stockheim, Landkreis Kronach, nahm die Polizei 15 Personen wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorübergehend fest. Die Beamten stellten ferner u.a. eine Gaspistole und Stichwaffen sicher. Das Amtsgericht Kempten erließ am 5. Dezember wegen Verdachts der Volksverhetzung einen allgemeinen Beschlagnahmebeschluß gegen eine Musikkassette mit dem Titel "Geächtet". Produzentin dieser Kassette war die Band "Faustrecht" des verbotenen Vereins "Skinheads Allgäu". Bei einem Skinhead-Treffen am 21. Dezember in Neu-Ulm stellte die Polizei die Personalien der 95 Teilnehmer fest. Ferner wurden ein Abzeichen mit einem Keltenkreuz und 32 Kassetten mit rechtsextremistischer Musik sichergestellt. Versuche von NPD und JN, Skinheads politisch zu beeinflussen, wurEinflußversuche den aus Augsburg, München und dem Raum Erlangen-Höchstadt bekannt. So nehmen an den regelmäßigen Stammtischtreffen des JN-Stützpunkts München jeweils rund zehn Skinheads teil. Zwei ehemalige Funktionäre des verbotenen Vereins "Skinheads Allgäu" haben sich dem JN-Stützpunkt Augsburg angeschlossen. 5.5 Aktionen zum 9. Todestag von Rudolf Heß (17. August) Ein aus Neonazis zusammengesetztes "Aktionskomitee Rudolf Heß Acht Versamm1996" plante für den 17. August eine bundesweite zentrale Kundlungsverbote gebung mit dem Ziel, u.a. Veranstaltungen zum Gedenken an Heß in Bayern rechtlich durchzusetzen. Dazu sollten bundesweit für den 17. August zahlreiche Versammlungen angemeldet werden. Parallel dazu riefen die Jungen Nationaldemokraten (JN) zu "JN-Aktionswochen" im 56 Rechtsextremismus Monat August auf. Insbesondere sollten dabei der Staat "vorgeführt" und die Sicherheitskräfte durch eine Vielzahl von Scheinanmeldungen zersplittert werden. Die für das erste und zweite "Heß-Wochenende" angemeldeten Kundgebungen wurden - mit einer Ausnahme - verboten, so auch in Augsburg, Bamberg, Bayreuth, Hof, Miltenberg, München, Nürnberg und Straubing. Am dritten "Heß-Wochenende" (17./18. August) war eine gemeinsame Kundgebung des Aktionskomitees mit Teilen der JN geplant. Die zum Schein angemeldeten Demonstrationen wurden abermals bundesweit verboten. Den tatsächlichen Veranstaltungsort Worms gaben die Organisatoren erst Se\: l kurzfristig bekannt. Die Polizei konnte zahlreiche Neonazis schon bei der Anreise in Gewahrsam nehmen. Ein Aufmarsch von rund 200 Rechtsextremisten in Worms wurde aufgelöst. Die Polizei nahm rund 170 Personen vorläufig fest, darunter auch 22 Teilnehmer aus Bayern. Das rechtsextremistische Spektrum in Bayern und im übrigen Bundesgebiet hat die angekündigten Kleinaktionen (z.B. Verbreitung von Propagandamaterial) planmäßig durchgeführt bzw. zumindest versucht. Versammlungen wurden - mit Ausnahme in Worms - schon im Ansatz unterbunden. Die Organisatoren haben ihre Ziele insoweit erreicht, als die Aktionen in den Medien ein erhebliches - wenn auch negatives - Echo fanden. Auch haben die kostenintensiven Sicherheitsmaßnahmen zahlreiche Einsatzkräfte gebunden. In rechtsextremistischen Kreisen wurden die Aktionen daher als "Sieg" gefeiert. 5.6 Rechtsextremistisch motivierte Straftaten* Straftaten mit Die Gesamtzahl der bekanntgewordenen neonazistischen, antisemitineonazistischen, sehen und rassistischen Straftaten ist in Bayern auf 803 (1995: 755) antisemitischen gestiegen. Dabei handelte es sich vielfach um Sachbeschädigungen, und rassistischen Nötigung, Bedrohung, Volksverhetzung und Verbreiten von PropaMotiven gandamitteln bzw. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Insbesondere bei Schmierund Klebeaktionen wurden Hakenkreuze und SS-Runen gesprüht oder Parolen wie "Heil Hitler", "Sieg Heil" und "Ausländer raus" verbreitet. Nicht mitgezählt sind vergleichbare Fälle, in denen ein rechtsextremistisches Motiv * ohne die im 5. Abschnitt genannten Gewalttaten Rechtsextremismus 57 nicht vorhanden oder nicht erkennbar war (z.B. beim Verwenden von NS-Symbolen als Mittel der politischen Diffamierung). Eine vorübergehende Häufung solcher Aktionen, die jedoch - wie beAktionen zu reits in den Vorjahren - keine überregionale Bedeutung besaßen, war Hitlers Geburtstag zu Hitlers Geburtstag (20. April) zu verzeichnen. Es kam zu Hakenkreuzschmierereien und dem Anbringen von Transparenten. Daneben fanden einige private Veranstaltungen statt, bei denen vor allem der "Hitler-Gruß" entboten und rechtsextremistische Parolen skandiert wurden. So trafen sich am 20. April mehrere Neonazis am Maillinger Weiher in der Nähe von Ingolstadt zu einer Feier mit rechtsextremistischer Musik. Wiederholt wurde "Jude verrecke, Ausländer raus, wir verheizen einen Juden" gerufen. Die Polizei nahm 18 Tatverdächtige vorläufig fest. Bei der Anreise zu einer "Hitler-Feier" in Garmisch-Partenkirchen wurden 24 Personen kontrolliert und 15 von ihnen in Unterbindungsgewahrsam genommen. Eine Gruppe von elf Personen sang in einem stillgelegten Bahnhof in München das Horst-Wessel-Lied und rief "Sieg Heil". Die Polizei beendete das Treffen und erstattete Strafanzeige wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. In Riemerling, Landkreis München, entzündeten etwa 20 bis 30 Jugendliche auf einem als Treffpunkt von Rechtsextremisten bekannten Spielplatz ein Lagerfeuer. Die Polizei löste das Treffen auf, stellte die Personalien von 13 Teilnehmern fest und erstattete Anzeige gegen einen Neonazi, der ein T-Shirt mit dem Portrait Hitlers trug und "Sieg Heil" gerufen hatte. Unbekannte Täter verbreiteten auch in Bayern unter dem Pseudonym "Hagen Kreuz" seit Anfang April per Telefax ein Flugblatt mit dem Portrait Adolf Hitlers. Darin hieß es unter der Überschrift "20. April": "In diesem Jahr jährt sich der Geburtstag des Führers unserer Bewegung zum 107. Mal. (...) Trotz Verbot, Gericht und Kerker werden wir uns auch in diesem Jahr nicht davon abhalten lassen, dem größten deutschen Politiker der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft die Ehre zu erweisen, die ihm gebührt. (...) Wir, die offensive Aktionsgemeinschaft der Nationalsozialisten in Deutschland haben uns eine Art der öffentlichen Feier vorgenommen, die IHM am ehesten gerecht wird. (...) Er marschiert im Geist in unseren Reihen mit!" Offensichtlich war geplant, in Anlehnung an den Aufruf eines "Geburtstagskomitees 20. April" vom letzten Jahr an verschiedenen Orten im Raum Bonn ein Feuerwerk abzubrennen. Die Polizei konnte dieses Vorhaben durch umfassende Kontrollen verhindern. 58 Rechtsextremismus 6. Sonstige rechtsextremistische Organisationen 6.1 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 6.1.1 Ideologisch-politischer Standort Die DLVH hat im Herbst 1996 die Umwandlung der Partei in einen Verein beschlossen. Sie versteht sich seitdem als eine "überparteiliche und unabhängige Gemeinschaft demokratischer Patrioten". Ein neues "Manifest", in dem sich die Vereinigung formal zur Wertordnung des Grundgesetzes bekennt, ist noch zurückhaltender formuliert als das einstige Parteiprogramm. Die nationalistische, rassistische und völkisch-kollektivistische Grundhaltung, die den Vorrang der in den Grundrechten konkretisierten Menschenrechte (Art. 1 Abs. 3 des Grundgesetzes) und das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes) in Frage stellt, ist gleichwohl unverkennbar: Nationalismus "Die DEUTSCHE LIGA wendet sich entschieden gegen maßlose und unkontrollierte Einwanderung, gegen Asylmißbrauch und Überfremdung. Deutschland darf nicht zum Vielvölkerstaat werden, (...) Die DEUTSCHE LIGA bekennt sich zu einer Wirtschaftsund Sozialordnung der nationalen Präferenz. Arbeitsplätze, Wohnraum und soziale Versorgung müssen vorrangig den Einheimischen zur Verfügung gestellt werden. (...) Ihr Ziel ist eine sozialpatriotische Solidargemeinschaft des Volksganzen." Revisionismus Unverändert sind auch die revisionistischen und antisemitischen Tendenzen: "Die DEUTSCHE LIGA verlangt die Wiederherstellung der Meinungs-, Informationsund Wissenschaftsfreiheit in Deutschland. Gesetze ... dürfen nicht dazu mißbraucht werden, mißliebige Auffassungen und unerwünschte Forschungsergebnisse zu unterdrücken. Strafrechtliche Gruppenprivilegierung hat zu unterbleiben." Die extremistische Zielsetzung des Vereins wird durch die personelle Zusammensetzung der Führungsspitze bestätigt. Dem Bundesvorstand gehören - ebenso wie dem bayerischen Landesvorstand - mehrere Personen mit rechtsextremistischer Vergangenheit an, die bisher nicht erkennen ließen, daß sie ihre frühere politische Überzeugung geändert haben und nunmehr demokratische Positionen anstreben. Die frühere Abgrenzung gegenüber Neonazis wurde erheblich gelockert. Rechtsextremismus 59 6.1.2 Organisation Die DLVH zählte Ende 1996 bundesweit rund 700 (1995: 900) MitBundesvorstand glieder, davon etwa 120(1995: 150) in Bayern. An der Spitze des Vereins stehen als gleichberechtigte Vorsitzende die bekannten Rechtsextremisten Harald Neubauer (früher: NPD, DNZ und REP) und Jürgen Schatzinger (früher: NPD) sowie der ehemalige DVU-Funktionär Ingo Stawitz. Publizistisches Sprachrohr ist die im Nation Europa Verlag GmbH in Coburg erscheinende Monatsschrift "Nation und Europa - Deutsche Monatshefte". Landesverbände bestehen mittlerweile in Baden-Württemberg, Bayern, Landesverbände Berlin, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Vorsitzender des in die Bezirksverbände Oberbayern, Oberfranken, Mittelfranken, Unterfranken und Oberpfalz gegliederten Landesverbands Bayern ist Werner Eichinger. 6.1.3 Umwandlung in einen Verein In der DLVH wuchs zunehmend die Erkenntnis, mit dem Versuch einer Einigung der rechtsextremistischen Parteienlandschaft gescheitert zu sein. Der bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 24. März erzielte Stimmenanteil von 0,2 % machte erneut deutlich, daß die DLVH auf absehbare Zeit keine Chance hat, an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Auf dem Bundesparteitag am 19. Oktober in Pfofeld, Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen, löste sich die DLVH daher als politische Partei auf und nahm die Rechtsform eines Vereins an. Organisationsbezeichnung und -struktur blieben unverändert. Laut Vereinssatzung werden die bisherigen Funktionäre für eine Übergangszeit beibehalten. Die Umwandlung der DLVH in einen Verein war bereits Mitte April vom Bundesvorstand beschlossen worden. Dieser intern umstrittene Schritt soll den Mitgliedern die Möglichkeit eröffnen, sich anderen rechtsextremistischen Parteien, insbesondere den REP, anzuschließen, um die "Einheit der Rechten" voranzutreiben. Entscheidend dürften aber auch finanzielle Gründe gewesen sein, da die DLVH nicht mehr über die für die Parteiarbeit erforderlichen Mittel verfügte. Nach der Abstimmung über die Änderung der Rechtsform der Organisation kam es zu Tumulten durch eine etwa 25 Personen starke oppositionelle Gruppe um den Beisitzer im Landesvorstand Hamburg 60 Rechtsextremismus und früheren Vorsitzenden der verbotenen neonazistischen Nationalen Liste (NL), Thomas Wulff, der sich vehement gegen die Aufgabe des Parteistatus ausgesprochen hatte. 6.1.4 Bündnisbemühungen Die bisherigen Bündnisbemühungen scheiterten regelmäßig daran, daß insbesondere die Spitzenfunktionäre der DLVH im übrigen rechtsextremistischen Lager durchwegs auf entschiedene Ablehnung stoßen. Wie im Vorjahr war die DLVH daher bemüht, als Veranstalterin "Runder Tische", bei denen sie nicht von vornherein als Organisatorin erkennbar war, Mitglieder der NPD, DVU und REP für den Gedanken einer Zusammenarbeit zu gewinnen, um dadurch mittelbar Einfluß auf diese Parteien nehmen zu können. Solche Gesprächsrunden fanden z.B. am 2. Februar in Würzburg und am 27. April in Augsburg mit jeweils rund 30 Teilnehmern statt. Die Attraktivität dieser "Runden Tische", die sich auch an parteipolitisch bisher inaktive Personen wandten, hat allerdings seit Mitte 1996 deutlich nachgelassen. 62 Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) Die von ehemaligen SSund NSDAP-Angehörigen gegründete GFP stellt vor allem ein Podium für Publizisten dar, die rechtsextremistiZielsetzung sches Gedankengut vertreten. Sie will in einer angeblich "durch Siegerrechte und Besiegtenpflichten beschränkten Öffentlichkeit" eine *"Freistatt für den deutschen Gedanken und das deutsche Wort" schaffen und erhalten. So wendet sie sich gegen die "Entstellungen in der deutschen Geschichtsbetrachtung" und die "unwahren Darstellungen der Ursachen und Hintergründe beider Weltkriege". Ihre verfassungsfeindliche Zielsetzung ergibt sich u.a. aus der Mitgliedschaft führender Aktivisten rechtsextremistischer Organisationen, insbesondere der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), und der Verbreitung deren Gedankenguts bei Vorträgen. Die Vereinigung, die ihren Sitz in München hat, zählt im Bundesgebiet rund 400 (1995: 500) Mitglieder, davon etwa 40 in Bayern. Vorsitzender ist seit Mai 1992 der frühere "Chefideologe" der NPD Dr. Rolf Kosiek. Jahreskongreß Unter dem Motto "Deutschland im Europa freier Völker - Maastricht keine Lösung für die Zukunft" hielt die GFP vom 19. bis 21. April in Rechtsextremismus 61 Neustadt b. Coburg ihren Jahreskongreß ab. Daran beteiligten sich bis zu 300 Personen. Als Redner trat u.a. der frühere NPD-Vorsitzende Adolf von Thadden auf. Die Mitgliederversammlung setzte sich in mehreren Entschließungen für die Grundrechte der Meinungsund Wissenschaftsfreiheit ein, die nach Auffassung der GFP durch eine politische Justiz und "political correctness" ausgehebelt und eingeschränkt seien. Die "Hutten-Medaille 1996" wurde an den Herausgeber der Zeitschrift "Nation und Europa - Deutsche Monatshefte" Peter Dehoust verliehen. 6.3 Freundeskreis Ulrich von Hutten e.V. Der von Rechtsextremisten gegründete Freundeskreis Ulrich von Hutten vertritt rechtsextremistische, insbesondere rassistische, Thesen und verbreitet Äußerungen, die das NS-Regime verharmlosen und die Bundesrepublik Deutschland verunglimpfen. Die Vereinigung zählt wie im Vorjahr bundesweit rund 280 Mitglieder, davon etwa 30 in Bayern. Vorsitzende ist die Präsidentin der Deutschen Kulturgemeinschaft (DKG) in Österreich Lisbeth Grolitsch. Der Freundeskreis trat vorwiegend mit der Herausgabe und Verbreitung der Schrift "Huttenbriefe - für Volkstum, Kultur, Wahrheit und NS-Apologie Recht" in Erscheinung. Darin behauptete er, Hitlers Entschluß, im Juni 1941 die Sowjetunion anzugreifen, sei "die Rettung Europas" gewesen. Nach der Niederlage sei das deutsche Volk mit der "infamen Kriegsschuldlüge der Sieger" gedemütigt worden. Inzwischen ließen es künftige Europäer zu, daß "das Deutsche Volk, dem sie doch alle Gegenwart und Zukunft ihrer gelobten demokratischen Freiheit verdanken, geschändet, verleumdet, ausgeraubt und bis zum heutigen Tage erpreßt wird und nun auch dem Volkstod ausgeliefert werden soll". 64 Deutsches Kolleg (DK) Das seit Ende 1994 bestehende Deutsche Kolleg (DK) mit Sitz in Berlin versteht sich als Schulungseinrichtung der "nationalen IntelliSchulungsgenz". Sein "Chefideologe" Dr. Reinhold Oberlercher, der seine polieinhchtung tische Laufbahn beim Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) begann, orientiert sich an den Kampfmustern der 68er Bewegung. Er bezeichnet sich als "völkisch-germanischen Nationalmarxi- 62 Rechtsextremismus sten" und versucht, nationalistische und sozialistische Ideologieelemente zu vereinen. Da er dem parteipolitisch organisierten Rechtsextremismus keine Chance einräumt, tritt er für ein Zusammenwirken von Rechtsund Linksextremisten ein, um als gemeinsames Ziel die Beseitigung des demokratischen Systems zu erreichen. Das DK kommt mit seinem Programm einer in der rechtsextremistischen Szene vorhandenen Überzeugung entgegen, es sei notwendig, die politischen Kader sorgfältig zu schulen. Seine Veranstaltungen werden von Rechtsextremisten, insbesondere Neonazis, besucht und stellen damit einen Treffpunkt verschiedener bisher nebeneinander wirkender Teile des Rechtsextremismus dar. Dr. Oberlercher bietet auf diese Weise ein Forum für Aktivitäten, die scheinbar zwingend in Richtung einer nationalen Revolution weisen. Allerdings sind viele Schulungsteilnehmer nicht fähig, Dr. Oberlerchers intellektueller Diktion geistig zu folgen. Am 27. Januar führte das DK in Räumen einer studentischen Verbindung in München eine sogenannte "Klausur" durch. Des weiteren fanden im gesamten Bundesgebiet Schulungsveranstaltungen des DK statt, bei denen verfassungsfeindliche Thesen verbreitet wurden, so am 22. Mai in Erlangen und am 24. Mai in Aschaffenburg. 7. Revisionismus-Kampagne 7.1 Ziele und Methoden Versuch einer Das rechtsextremistische Lager ist sich weitgehend darin einig, daß Rehabilitierung das deutsche Volk in wesentlichen Fragen seiner jüngeren Geschichte des Nationalrehabilitiert werden müsse. Der Revisionismus, der die Geschichtssozialismus Schreibung über die Zeit des "Dritten Reichs" ändern will, ist daher zu einem Bindeglied zwischen den unterschiedlichsten rechtsextremistischen Strömungen geworden. Seinen Repräsentanten geht es allerdings nicht um die Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern gezielt um die Rechtfertigung bzw. Aufwertung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Im Mittelpunkt der revisionistischen Agitation steht die Leugnung des nationalsozialistischen Massenmords an europäischen Juden in Gaskammern' deutscher Konzentrationslager während des Zweiten Weltkriegs (Holocaust). Im Bestreben, das nationalsozialistische Unrechtsregime zu verteidigen, müssen die rechtsextremistischen Revisionisten freilich Regeln Rechtsextremismus 63 der kritischen Geschichtswissenschaft mißachten und Forschungsergebnisse negieren, die nicht ihrem vorgefaßten Geschichtsbild entsprechen. Ihre Behauptungen zielen darauf ab, das auf seriöser Forschung beruhende Geschichtsbild propagandistisch zu unterminieGeschichtsren, um sich von einem vermeintlich aufgezwungenen "Schuldkomverfälschung plex" zu befreien. Die Revisionisten hoffen, mit Hilfe ihres angeblichen Wissenschaftlichkeitsanspruchs zunehmend aus der "braunen Ecke" heraustreten zu können und größere Publizität und Zustimmung zu finden. Dabei machen sie sich zunutze, daß das Wissen über den Nationalsozialismus vielfach nur noch bruchstückhaft vorhanden ist. Vor allem Jugendliche laufen Gefahr, der in wissenschaftlichem Gewand daherkommenden Vielzahl von unbewiesenen Behauptungen, Verdrehungen und absurden Thesen zu erliegen. Nationalismus und Antisemitismus bilden die Wurzeln dieses Revisionismus, der letztlich die Opfer zu Tätern und die Täter zu Opfern einer angeblich falschen Geschichtsschreibung machen will. 7.2 Entwicklung Revisionismus war von Anfang an keine deutsche, sondern eine Ursprung des internationale Erscheinung, wobei der Anstoß zunächst aus FrankSchlagworts reich und den USA kam. Seit Beginn der 50er Jahre erschien eine "Auschwitzlüge" große Anzahl von Büchern, die unter dem Schlagwort "Auschwitzlüge" den "historischen" Nachweis führen wollten, daß es keine Tötung von Juden in Gaskammern gegeben habe. Es fällt auf, daß die maßgeblichen Autoren keine Historiker waren, sondern andere Berufe hatten. Größere Publizität erlangte der Revisionismus durch ein 1989 veröffentlichtes technisches "Gutachten" des Amerikaners Fred A. Leuchter, wonach es in Auschwitz und einigen anderen Konzentrationslagern aufgrund der technischen Gegebenheiten nicht möglich gewesen sei, Menschen in Gaskammern zu töten. Die Fehler und Widersprüche dieses als "Leuchter-Bericht" bekanntgewordenen "Gutach"Leuchter-Bericht tens" sind in verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen ausführlich nachgewiesen worden. Dies hinderte Revisionisten beiderseits des Atlantiks indes nicht, Leuchters Machwerk als überzeugenden Beweis ihrer Thesen anzusehen und als "Sieg für Deutschland" sowie als "Anfang vom Ende des Auschwitz-Mythos" zu feiern. Weiteren Auftrieb erhielt die Revisionismus-Kampagne durch das 1994 verbreitete "Rudolf-Gutachten", das sich u.a. auf den "Leuchter- 64 Rechtsextremismus Bericht" bezieht. Verfasser ist der Diplomchemiker Germar Scheerer "Rudolfgeb. Rudolf, ein ehemaliges Mitglied der Partei "Die Republikaner" Gutachten" (REP). In seinem "Gutachten über die Bildung und Nachweisbarkeit von Zyanidverbindungen in den ,Gaskammern' von Auschwitz" kam er zu dem Schluß, daß die "behaupteten Menschentötungs-Gaskammern in Auschwitz niemals mit Zyklon B in Berührung gekommen sind". Dabei verkannte er - wie Leuchter -, daß die beim Freisetzen von Blausäure entstehenden chemischen Verbindungen unter dem Einfluß der Witterung innerhalb kurzer Zeit zerfallen und dann nicht mehr nachweisbar sind. Das Landgericht Stuttgart verurteilte Scheerer am 23. Juni 1995 wegen Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten ohne Bewährung. Im Frühjahr 1996 setzte sich Scheerer ins Ausland ab. 7.3 Träger der Revisionismus-Kampagne Wegen behördlicher Gegenmaßnahmen und strafrechtlicher Verfolgung meiden die international aktivsten Revisionisten Deutschland als Betätigungsfeld. Sie weichen zunehmend in Länder aus, in denen Strafbestimmungen gegen das Verbreiten revisionistischen Gedankenguts fehlen. Entsprechendes gilt für die Veröffentlichung revisionistischer Publikationen. David Irving Der wohl bekannteste Vertreter des Revisionismus ist der international agierende britische Schriftsteller David Irving, der sich nach eigenen Angaben durch den "Leuchter-Bericht" überzeugen ließ, daß der Holocaust nur eine "Propagandalüge" der Sieger des Zweiten Weltkriegs sei. Seine Aktivitäten in Deutschland wurden durch die 1993 von der Landeshauptstadt München verfügte Ausweisung unterbunden. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos. Ernst Zünde! Einer der aktivsten Exponenten des Revisionismus ist der deutsche Staatsangehörige Ernst C. F. Zündel, der 1958 nach Kanada übersiedelte. Seit 1976 tritt er als Inhaber des Verlags Samisdat Pubiishers Ltd. in Toronto in Erscheinung. Er verfaßt und verschickt in erster Linie den "Germania"-Rundbrief, der neonazistische und antijüdische Thesen enthält (vgl. Nummer 9.2 dieses Abschnitts). Für seine Agitation nutzt Zündel bereits seit mehreren Jahren erfolgreich das weltumspannende Datenverbundnetz Internet. Darin erscheinen täglich neue Beiträge mit dem Titel "Good morning from the Zündelsite". Rechtsextremismus 65 Acht dieser Beiträge, in denen es u.a. hieß, die Massenmorde in "Gaskammern" seien als "Mythos" entlarvt, wurden von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Zündel ließ sich dadurch nicht beeindrucken, sondern nutzte die Indizierung zur Werbung für seine Veröffentlichungen, indem er auf seiner Internet-Seite den Wortlaut der Indizierungsverfügung wiedergab. Im Oktober kündigte Zündel einen neuen Mittelwellensender "Stimme der Freiheit" an, der jeden Samstag aus Königsberg/Rußland ein Programm in deutscher Sprache senden sollte. Nach Ausstrahlung eines Testprogramms am 12. Oktober nahm Rußland die Sendegenehmigung zurück. Das 1979 unter rechtsextremistischer Beteiligung gegründete InstiInstitute for tute for Historical Review (IHR) mit Sitz in Kalifornien/USA trägt durch Historical Review Veranstaltungen und Publikationen antisemitische und neonazisti(IHR) sche Positionen an die amerikanische und internationale Öffentlichkeit. Es unterhält Verbindungen zu Rechtsextremisten in allen Kontinenten. Seit geraumer Zeit ist es auch im Internet vertreten. Mit seiner Zeitschrift "Journal of Historical Review" und vor allem mit seinen jährlichen Kongressen bietet es revisionistischen Amateur-Historikern aus aller Welt eine Plattform, um gegen die Ergebnisse der seriösen zeitgeschichtlichen Forschung zu polemisieren. Auf diesen Tagungen traten nahezu alle bekannten Vertreter des Revisionismus auf. Der in Brighton/Großbritannien ansässige rechtsextremistische Verlag "Nineteen eighty for press", der u.a. Werke bekannter Revisionisten anbietet, verbreitete im Sommer eine Broschüre mit dem Titel "Nicht schuldig in Nürnberg". Der Autor versuchte, die Schuld der Hauptangeklagten im Nürnberger Prozeß zu relativieren, indem er behauptete, bei den von der Anklage als Beweisstücke vorgelegten Dokumenten habe es sich überwiegend um Fälschungen gehandelt. Die Schrift "Deutschland Report" des britischen Verlags "Media World" ist 1996 nicht mehr erschienen. Nachfolgepublikation könnte das unter der gleichen An/-schrift firmierende "Natio,National Journal" - (tm)deg-Maga~ nal Journal" sein, das antisemitische und revisionistische Beiträge enthält. Der Herausgeberkreis führt die Bezeichnung 3 -- I "*"TD! d e W " l " Ja"oonoi "Die Freunde im Ausland". -^^^"***tejw", 66 Rechtsextremismus Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. August 1995 gegen den inhaftierten Neonazi Ewald Bela Althans ist rechtskräftig, nachdem der Bundesgerichtshof am 14. Juni die Revision des Münchner Rechtsextremisten als offensichtlich unbegründet verworfen hat. Das Gericht hatte gegen Althans unter Einbeziehung eines Urteils des Landgerichts München vom 15. Dezember 1994 eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen Volksverhetzung sowie Verunglimpfung des Staates und des Andenkens Verstorbener verhängt. Althans hatte als Mitwirkender in einem Dokumentarfilm über Neonazismus den Holocaust geleugnet. 8. Organisationsunabhängige Publizistik Konstante Die sieben Verlage, Vertriebsund Buchdienste in Bayern, die PubliAuflagenzahlen kationen mit rechtsextremistischem Inhalt herausgeben bzw. verbreiten, entwickelten wiederum eine beachtliche Tätigkeit. Die Auflage der periodisch herausgegebenen einschlägigen Druckschriften, die im Vorjahr um rund 17 Prozent zurückgegangen war, blieb mit monatlich 250.000 (1995: 248.000) Exemplaren annähernd konstant, wobei erhöhte Auflagen zu besonderen Anlässen nicht eingerechnet sind. Das Angebot umfaßte außerdem Bücher und sonstige Druckschriften sowie Tonkassetten und Videofilme mit rechtsextremistischem Inhalt. .1 Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH (DSZ-Verlag) DSZ-Verlag Wirkungsvollstes PropaganSchwerpunkt der dainstrument des Rechtsexrechtsextremistitremismus in Deutschland Streit i schen Publizistik Neue' -- m ist weiterhin der DSZ-Ver^r(tm)^ lag in München unter der Leitung von Dr. Gerhard mach""*^ Frey. Im Verlag erscheinen lliS^S^^^ verspiel die "Deutsche National-Zei--sKoW* sverbrecher tung" (DNZ) mit einer Wochenauflage von etwa 35.000 und die "Deutsche Wochen-Zeitung" (DWZ) mit wöchentlich Kann_rngn^ - rund 21.000 (1995: 22.000) Exemplaren. Rechtsextremismus 67 Die Wochenzeitungen Dr. Freys verbreiteten als Sprachrohre der DVU deren nationalistische, rassistische und revisionistische Grundhaltung: "Die hier herrschenden Interessen der USA bzw. Israels sind die eine Sache. Das deutsche Volk aber kann nicht auf Dauer die Rolle von Hilfswilligen eines neuen Imperialismus und Kolonialismus spielen." (DWZvom 15. März) "Die Not im eigenen Staat sollte diese volksvergessene Bonner Regierung endlich veranlassen, die Geschenke im eigenen Lande zu lassen ..." (DNZ vom 6. September) "Eine zunehmende Einwanderungswelle von Scheinasylanten, Bürgerkriegsflüchtlingen, Kontingentflüchtlingen, de facto-Flüchtlingen und Illegalen hat Zustände herbeigeführt, wie sie etwa in der einstigen DDR ganz und gar unvorstellbar waren." (DNZ vom 23. August) "Je länger das Unrecht der Judenverfolgung in Deutschland zurückliegt, desto gnadenloser wird Kollektivschuld und Kollektivverantwortung sogar von lange nach 1945 geborenen Deutschen angemahnt. Auch kommende Generationen sollen diesem Wahn gemäß gewissermaßen in Sack und Asche gehen. Daß die Geschichte der gesamten Menschheit eine nicht endende Kette von Verbrechen gegen Völker oder Volksgruppen ausweist und systematische Ausrottungen bzw. Völkermorde in großer Zahl die Seiten im Buch der Weltgeschichte füllen, hindert antideutsche Dauerankläger nicht, stets nur eine einmalige' und unvergleichbare' deutsche Schuld in den Vordergrund zu rücken." (DWZ vom 9. Februar) "Millionen Fernsehzuschauer ... haben erkannt, daß es den Drahtziehern der antideutschen Hetze und den in deren Dienst stehenden Medien nicht um Objektivität und schon gar nicht um Gerechtigkeit geht, sondern nur einzig darum, das deutsche Volk wieder einmal belasten, und als verbrecherisch hinstellen und erpressen zu können." (DNZ und DWZ vom 26. Januar) 8.2 Nation Europa Verlag GmbH Die im Nation Europa Verlag in Coburg erscheinende Monatsschrift Sprachrohr der "Nation und Europa - Deutsche Rundschau" führt seit Februar wieDLVH der die frühere Bezeichnung "Nation und Europa - Deutsche Monatshefte". Herausgeber sind der Funktionär der Deutschen Liga 68 Rechtsextremismus für Volk und Heimat (DLVH) Peter Dehoust und der Vorstandssprecher der DLVH Harald Neubauer. Der bisherige Mitherausgeber Adolf von Thadden ist im Juli 1996 verstorben. Mit dem Verlag eng liiert ist der 1954 gegründete Verein "Nation-Europa-Freunde e.V.". Die Schrift bietet insbesondere Rechtsextremisten eine publizistische Plattform, so z.B. dem früheren REP-Vorsitzenden Franz Schönhuber, der inzwischen regelmäßig mit einer i \]nnf3i! eigenen Kolumne vertreten ist. Sie gehört zu den einflußreichsten rechtsextremistischen Theorieorganen und propagiert neben revisionistischen vor allem rassistische Thesen: "Die einseitige und daher unmoralische Vergangenheitsbewältigung dient dem Ziel, jedes normale Volksund Nationalbewußtsein zu zerstören und schon die Kinder ihrem Volk zu entfremden - bis hin zum deutschen Selbsthaß. Damit wird erreicht, daß jeder Widerstand des deutschen Volkes gegen seine Auflösung in einer Vielvölkeransammlung ausgeschaltet und gebrochen werden kann. (...) Kein gesundes Europa bei einer balkanisierten Canossa-Republik in seiner Mitte!" In der Rubrik "Aktuelles aus Multikultopia" hieß es: " Verrückte Welt: Während in anderen Ländern die Hürden für legale oder illegale Zuwanderer höher und höher werden, gleicht die Bundesrepublik Deutschland einem Schwamm, der Einwanderungswillige förmlich ansaugt. " Geplante Grenzschutzmaßnahmen gegen eine illegale Zuwanderung aus Osteuropa seien wenig erfolgversprechend, "solange im Inland ganze Berufssparten von der Immigration leben: Asylanwälte, Lobbyisten, Sozialarbeiter, aber auch Politiker und nicht zuletzt Überzeugungstäter, für die der Ruf nach liberalen Einwanderungsgesetzen nur eine Umschreibung der Parole Deutschland verrecke' ist." "Auch hierzulande stehen die Flammenzeichen des multikulturellen Desasters längst wie ein Menetekel an der Wand. Was soll man von einem Staat halten, der der förmlichen Invasion - anders kann man es nicht nennen - durch ausländische Diebesund Verbrecherbanden beinahe hilflos zusieht?" Rechtsextremismus 69 9. Einfluß des ausländischen Rechtsextremismus 9.1 NSDAP-Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP-AO) Die neonazistische NSDAP-AO in den USA fordert die "Ausschaltung NS-Staat als Ziel des jüdischen Einflusses", die Überwindung des "Materialismus" durch den Nationalsozialismus und die "Neugründung der NSDAP als legale Partei". Endziel ist die "Schaffung eines national- ^ ^ ^ ^ sozialistischen Staates" in einem "neuvereinigten Groß^^\!!'l,^tKK deutschen Reich" und die "Errichtung einer Neuen Ord- f ^ v i l '^^itiBlt nung auf einer rassischen Grundlage in der gesamten Ä ^ ^ Q ^ M LaI*I""V arischen Welt". Die NSDAP-AO gibt große Mengen an ^ ^ ^ ^ ^ B N S D A P / A " l u,co n WE Agitationsmaterial heraus, darunter das zweimonatlich ^^^^Bi(tm) ' ' "5nsuä i erscheinende Publikationsorgan "NS Kampfruf". Dieses NS-Propagan---' damaterial geht von der "Auslandszentrale" in Lincoln/Nebraska den oft nur aus einer Person bestehenden Stützpunkten der NSDAP-AO im Bundesgebiet zu, denen die Weiterverbreitung im Inland obliegt. Die NSDAP-AO ist seit Mitte 1996 im Internet mit einer eigenen "homepage" vertreten, bisher allerdings nur mit englischen Texten. Das Angebot umfaßt u.a. nationalsozialistische Kennzeichen und Textdokumente sowie Fotografien von führenden Persönlichkeiten des "Dritten Reiches". Mit der Erweiterung des Angebots auf mehrere Sprachen soll künftig eine wesentlich größere Zahl an Interessenten weltweit angesprochen werden. Der "Propagandaleiter" der NSDAP-AO Gary Rex Lauck wurde am 20. März 1995 in Kopenhagen festgenommen und am 5. September 1995 an Deutschland ausgeliefert. Das Landgericht Hamburg verurStrafverfahren teilte ihn am 22. August zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren wegen Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß sowie Verbreitens von Propagandamitteln und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Andere Anklagepunkte wurden wegen Verjährung fallengelassen. Die Urteilsverkündung fand in der deutschen Neonazi-Szene kaum Resonanz. Bereits nach seiner Festnahme hatte sich gezeigt, daß Lauck nur über eine geringe Anhängerschaft in Deutschland verfügt und seine Bedeutung nicht über die eines Vertreibers von neonazistischem Propagandamaterial hinausgeht. So waren zur Prozeßeröffnung am 9. Mai trotz bundesweiter Mobilisierung nur etwa 40 rechtsextremistische Demonstranten erschienen, obwohl eine Sonderausgabe des "NS Kampfrufs" (Nummer 116 vom März/April) zu Solidaritätsaktionen aufgerufen und für militante Aktionen geworben hatte. 70 Rechtsextremismus 9.2 Verlag Samisdat Publishers Ltd. Inhaber des in Toronto/Kanada ansässigen Verlags ist der deutsche Staatsangehörige Ernst C. F. Zündel. Er hat internationale Kontakte und verbreitet zahlreiche Publikationen, darunter den "Germania"-Rundbrief in einer geschätzten Auflage von 50.000 Exemplaren. Die Schrift, die auch über das Internet abgerufen werden kann, enthält hauptsächlich antisemitische und revisionistische Propaganda. Die Herausgabe der im Frühjahr 1995 von dem deutschen Revisionisten Thies Christophersen übernommenen neonazistischen Publikation "Die Bauernschaft" wurde ein Jahr später wegen finanzieller und organisatorischer Schwierigkeiten eingestellt. 10. Nutzung moderner Informationstechnologien durch Rechtsextremisten Internationale Die Vervollkommnung der Informationstechnik bietet auch RechtsexVernetzung tremisten neue Möglichkeiten der Strukturierung und internationalen Vernetzung. Dabei kommen ihren propagandistischen Aktivitäten die weltweite Datenfreiheit und die in einzelnen Staaten jeweils unterschiedlichen Rechtsvorschriften zustatten. Die zunehmende Nutzung der für einen überregionalen Informationsaustausch geeigneten Kommunikationswege durch rechtsextremistische Gruppen zeigt, daß dieses Spektrum darin offenbar eine Chance sieht, aus seinem Ghetto an das Licht der Öffentlichkeit zu gelangen. 10.1 Internet Das Internet ist ein weltweiter Netzund Rechnerverbund mit derzeit über 54 Millionen Teilnehmern. Es gliedert sich in die Bereiche "world wide web" (www), Electronic Mail (E-Mail), News-Dienst (Newsgroups), Mailling Lists und File Transfer Protocol (FTP). Der Zugang ist jedermann über sogenannte Service-Provider (gegen Gebühr tätige kommerzielle Unternehmen) möglich. Das Computernetz verfügt über keine zentrale Verwaltung und ist nicht hierarchisch konzipiert. Da das Verbreiten extremistischen Gedankenguts über das Internet nur schwer eingedämmt werden kann, übt dieser Verbund auf deutsche Rechtsextremisten eine besondere Anziehungskraft aus. Vor allem eröffnet er ihnen ungehinderten Zugang auch zu Beiträgen Rechtsextremismus 71 mit strafbarem Inhalt, die vielfach von ausländischen Gesinnungsgenossen eingespeichert werden. Mit Ausnahme der DVU sind inzwischen alle bedeutenden Parteien und Gruppierungen des rechtsextremistischen Spektrums im Internet vertreten, insbesondere REP und NPD. Das breit gefächerte Angebot REP und NPD im weist neben Informationsmaterial meist auch automatisierte Dateninternet Verbindungen ("links") untereinander auf, so daß der interessierte Benutzer so gut wie immer sein Ziel erreicht, auch wenn ihm die jeweilige "Internet-Anschrift" nicht bekannt ist. Vermehrt werden im Internet rechtsextremistische Publikationen veröffentlicht, so z.B. die Schulungsmappe des Deutschen Kollegs (DK) und ein Einführungskurs zur "Reichsbürgerkunde" des rechtsextremistischen Intellektuellen Dr. Reinhard Oberlercher aus Hamburg. Zusätzlich ist die NPD mit ihrer Jugendorganisation über eine eigene Domain* im Internet erreichbar. Die Seiten befinden sich noch im Aufbau; von dort gibt es Verweise auf alle anderen "homepages" der NPD. In einer von deutschen Skinheads über einen US-Provider eingestellten "homepage" i werden die Bundesrepublik Deutschland, Ausländer und politische Gegner angegriffen und L Kennzeichen verfassungswidriger Organisatio/; nen verbreitet. Auch einige Thule-Mailboxen (vgl. Nummer 10.2 dieses Abschnitts), die wiederum "links" zu weiteren Mailboxen des Thule-Netzes aufweisen, richteten eigene "homepages" ein. Diese Einstellungen in das Internet I sind ein weiterer Schritt zur informationellen Ver netzung der rechtsextremistischen Szene in Deutschland. Gleichzeitig wird damit auch die internationale Vernetzung ausgebaut. Zu den bekanntesten Anbietern aus dem Ausland gehören die von Anbieter aus USA den USA aus tätige NSDAP-AO sowie der in Kanada ansässige Neound Kanada nazi Ernst C. F. Zündel, der neben umfangreichen Text-, Tonund Bilddokumenten u.a. das revisionistische Buch "Der Holocaust auf dem Prüfstand" offeriert. * Bei einer Domain handelt es sich um eine Namensadresse im Internet, unter der mehrere "homepages", d.h. "private Seiten" von Teilnehmern im Internet-Bereich "world wide web" (www), betrieben werden können. 72 Rechtsextremismus 10.2 Mailboxen Zur Förderung ihrer informationellen Vernetzungsbestrebungen setzen Rechtsextremisten verstärkt Mailboxen und deren Zusammenschluß in Form des seit Frühjahr 1993 bestehenden Thule-Netzes ein. Thule-Netz Nach eigenen Angaben hat das Thule-Netz als ein offenes Kommunikationsmedium kein Programm oder festgelegtes Ziel. Es versteht sich als "unabhängiger und überparteilicher Zusammenschluß von Mailboxen in Deutschland und Europa". Ihm gehören bundesweit neun Mailboxen an, darunter in Bayern die Mailboxen Janus BBS in München und Kraftwerk BBS in Weißenbrunn sowie die im Thule-Netz führende Mailbox Widerstand BBS in Erlangen, deren Betreiber umfangreiche Kontakte zur in und ausländischen rechtsextremistischen Szene unterhält. Dem Thule-Netz sind ferner zwei Mailboxen in Norwegen und den Niederlanden angeschlossen. Bis September bestand zudem eine Mailbox in Österreich. Im Thule-Netz gibt es unterschiedliche Kommunikationsebenen, die den Teilnehmern verschiedene Sicherheitsstufen bieten. Ein einheitliches Verschlüsselungsverfahren soll die Sicherheit von privaten Nachrichten gewährleisten. Seit 8. Juli ist das Thule-Netz mit einer eigenen Domain im "www" vertreten, während es bislang keine direkte Anbindung an das Internet gab. Neben umfangreichen Informationen zum Thule-Netz und dessen einzelnen Mailboxen werden u.a. Ausführungen über die NutVerschlüsselung zung der Verschlüsselungssoftware "Pretty Good Privacy" (PGP) angeboten. Automatisierte Weiterleitungen zu weiteren Datenfundstellen ("links") knüpfen Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Organisationen und Projekten. Die über einen außerhalb Deutschlands tätigen Provider eingerichtete Domain wird von dem Betreiber der Mailbox Janus BBS unter dem Pseudonym "Thorin Eichenschild" betreut. 10.3 Nationale Info-Telefone (NIT) In Bayern weist das NIT Franken einen rechtsextremistischen Hintergrund auf. Das NIT Schwaben hat im Januar seinen Betrieb eingestellt. Das NIT Franken rief alle "aktionswilligen nationalen Bürger" zur "Rudolf-Heß-Aktion 1996" auf. Die Kampagne stand unter dem Motto "Demokratie und Freiheit schützen - Grundrechte verteidi- Rechtsextremismus 73 gen". Desgleichen wurde Propagandamaterial der JN zur "RudolfHeß-Aktionswoche" unter dem Motto "Versammlungsfreiheit statt Verbote" angeboten. 10 4 Strafverfahren Die Staatsanwaltschaft Mannheim leitete gegen mehrere InternetProvider ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Volksverhetzung ein. Sie werden beschuldigt, ihren Kunden den Zugang zu revisionistischen Texten im Internet zu ermöglichen, die dort u.a. von dem in Kanada lebenden deutschen Neonazi Zündel angeboten werden. Das Amtsgericht Schwetzingen/Baden-Württemberg verurteilte am 8. Februar den Betreiber der im Thule-Netz eingebundenen Mailbox Elias BBS wegen Beihilfe zur Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung und zu einer Geldbuße von 2.700 DM. Ein Nutzer hatte in der Mailbox einen volksverhetzenden Text mit der Überschrift "Zentralrat der Neandertaler" eingestellt. Da dieser Text jedem Nutzer zugänglich war, wurde der Angeklagte der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht für schuldig befunden; er habe es nämlich versäumt, ankommende Nachrichten auf ihren Inhalt hin zu prüfen und erforderlichenfalls zu löschen. Durch dieses rechtskräftige Urteil wird, soweit bekannt, erstmals die Verantwortlichkeit eines Mailbox-Betreibers für den jedem User (Nutzer) zugänglichen Inhalt der Mailbox festgestellt. Das Amtsgericht Bamberg verhängte am 22. Mai gegen die BetreibeVerurteilung rin des NIT Franken wegen Verunglimpfung des Staates eine Geldin Bayern strafe von 750 DM. Die Angeklagte hatte in einer Ansage vom Juni 1995 die Bundesrepublik Deutschland als eine "primitive Gesinnungsdiktatur" bezeichnet. 10.5 Ausblick Das Internet, speziell das "www", wird voraussichtlich in Zukunft noch vielseitiger von Rechtsextremisten genutzt werden, da auf technisch einfache, schnelle und preiswerte Art und Weise Informationen an ein potentielles Publikum weitergegeben werden können. Das Internet ist völlig unabhängig von Staatsgrenzen. In verschiedenen Ländern gibt es höchst unterschiedliche Meinungen zu juristi- 74 Rechtsextremismus Keine Unterbinsehen Fragen. Durch Selbstkontrolle der Anbieter läßt sich die Verdungsmöglichkeit breitung extremistischer Inhalte nur bedingt einschränken. Selbst wenn deutsche Provider und Onlinedienste den unmittelbaren Zugriff ihrer Kunden auf bestimmte Seiten sperren, wird jedem Internet-Nutzer der mittelbare Zugang über die vielen ausländischen Provider möglich bleiben. Gerade US-Provider sehen keinen Anlaß, auf die bei ihnen abgelegten Seiten Einfluß zu nehmen. Da weder in den USA und Kanada noch in den meisten skandinavischen Ländern Gesetze gegen Volksverhetzung existieren, fließt die rechtsextremistische Propaganda ungehindert bis nach Deutschland. Begrenzt werden könnte dies nur durch internationale Vereinbarungen. Rechtsextremismus 75 11. Übersicht über erwähnenswerte rechtsextremistische Organisationen und Verlage sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 1996 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) 1. Parteien einschließlich integrierter Vereinigungen Die Republikaner (REP) 4.000 15.000 Der Republikaner 26.11.1983, Berlin monatlich, 22.000 Nationaldemokratische Partei 650 3.500 Deutsche Stimme Deutschlands (NPD) monatlich, 35.000. 28.11.1964, Stuttgart Bayern-Stimme unregelmäßig, 1.500 Junge Nationaldemokraten (JN) 55 200 Einheit und Kampf 1969, Stade unregelmäßig, 2.800 Der Aktivist unregelmäßig, 1.000 Nationaldemokratischer HochschulFunktionärsgruppe Vorderste Front bund (NHB) jährlich, 1.000 1967, Nürnberg Deutsche Volksunion (DVU) 1.800 15.000 (Publizistische Sprachrohre: 05.03.1987, München siehe DSZ-Verlag) Deutsche Volksunion e.V. einschließ(siehe DVU) lich Aktionsgemeinschaften 16.01.1971, München 2. Neonazistische Organisationen Hilfsorganisation für nationale 70 300 Nachrichten der HNG politische Gefangene und deren monatlich, 450 Angehörige e.V. (HNG) 02.07.1979, Frankfurt am Main Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V. (DDF) Funktionärsgruppe Recht und Wahrheit 01.04.1983, Kaufbeuren zweimonatlich, 2.000 Kameradschaft Franken 20 Nürnberg Bund Frankenland Funktionärsgruppe Dezember 1991, Würzburg NSDAP-Auslandsund Aufbauorganisation NS Kampfruf (NSDAP-AO) unregelmäßig, 2.000 1972, Lincoln/USA, Stützpunkte im Bundesgebiet 76 Rechtsextremismus Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 1996 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) 3. Sonstige Organisationen Deutsche Liga für Volk und Heimat 120 700 (Publizistisches Sprachrohr: (DLVH) siehe Nation Europa Ver03.10.1991, Berlin lag GmbH) Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) 40 400 Das Freie Forum 1960, München vierteljährlich, 1.000 Freundeskreis Ulrich von Hutten e.V. 30 280 Huttenbriefe - für Volkstum, Februar 1982, Starnberg Kultur, Wahrheit und Recht zweimonatlich, 4.000 Schutzbund für das 300 Deutsche Volk e.V. (SDV) September 1981, München Deutsches Kolleg (DK) Funkti onärsgruppe 1994, Berlin 4. Verlage Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH Deutsche National-Zeitung (DSZ-Verlag) (DNZ), wöchentlich, 35.000 Deutsche Wochen-Zeitung (DWZ), wöchentlich, 21.000 Nation Europa Verlag GmbH Nation und Europa - 1953, Coburg Deutsche Monatshefte monatlich, 15.000 Verlag Hohe Warte - Franz von Bebenburg KG Mensch und Maß 1949, Pähl zweimal monatlich, 2.000 Denk mitl-Verlag Denk mit! Nürnberg unregelmäßig, 1.000 Odal-Verlag Der Scheinwerfer Rodach b. Coburg monatlich, 7.000 VGB Verlagsgesellschaft Berg mbH Deutsche Geschichte Berg zweimonatlich, 10.000 Castel del Monte Verlag Staatsbriefe München monatlich, 800 Linksextremismus 77 2. Abschnitt Linksextremismus 1. Allgemeines 1.1 Merkmale des Linksextremismus Das ideologische Spektrum der Linksextremisten reicht von Anhänideologisches gern des "wissenschaftlichen Sozialismus/Kommunismus" in seiner Spektrum klassischen Form über Sozialrevolutionäre mit unterschiedlichen diffusen Konzeptionen bis hin zu Anarchisten. Theoretische Grundlagen bilden im wesentlichen die Werke von Marx und Lenin, aber auch Trotzki, Stalin, Mao Tse-tung und andere. Die Bestrebungen der Linksextremisten sind darauf gerichtet, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung zu beseitigen und durch eine ihren ideologischen Vorstellungen entsprechende Ordnung zu ersetzen. Diese Bestrebungen sind verfassungsfeindlich, weil die Ziele und die Mittel, mit denen sie erreicht werden sollen, gegen die grundlegenden Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstoßen. So erstreben Linksextremisten, auch wenn sie es häufig nicht offen Ziele der Linksaussprechen, extremisten - die "sozialistische" Revolution, - Klassenkampf und Klassenherrschaft, - die Diktatur des Proletariats. Diese Ziele verstoßen vor allem gegen das Mehrheitsund das Freiheitsprinzip sowie gegen den Gleichheitsgrundsatz. Eine Reihe von linksextremistischen Gruppierungen bekennt offen, daß ihre Ziele nur unter Anwendung von Gewalt zu erreichen sind. Anwendung Teilweise verüben sie Gewalttaten oder arbeiten zur Erreichung ihrer von Gewalt Ziele mit Gewalttätern zusammen. Dies verstößt gegen den Grundsatz des Ausschlusses jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft und verletzt, wenn sich die Gewalt gegen Personen richtet, das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. 78 Linksextremismus Nachlassende Durch geschickte Wahl ihrer Aktionsfelder und Themen versuchen AbwehrbereitLinksextremisten, ihre wahren Ziele zu verschleiern. Beispiele hierfür schaff unserer sind der sogenannte Antifaschismus und die AntikernkraftbeweDemokratie gung. Durch gewandte Agitation ist es Linksextremisten teilweise gegegenüber lungen, den bisherigen Konsens aller Demokraten in der Ablehnung Linksextremisten jedweden politischen Extremismus zu durchbrechen. Indizien für eine Aufweichung dieser klaren Grenzziehung sind öffentliche Diskussionen über eine mögliche Beteiligung von Linksextremisten an Koalitionsregierungen und das Zusammenwirken demokratischer Gruppierungen mit Linksextremisten bei einzelnen Protestthemen wie z.B. in der Antikernkraftbewegung. Linksextremistische Positionen werden dadurch nicht als solche erkannt. Dies schwächt die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie gegenüber linksextremistischen Entwicklungen. Mailboxen und Für ihre Agitation verwenden Linksextremisten seit mehreren Jahren internet - in letzter Zeit verstärkt - die modernen Kommunikationsmöglichkeiten wie Mailboxen, das Mailbox-System "Spinnennetz" und das internationale Informationssystem Internet. 1.2 Entwicklung in Bayern Die Zahl der linksextremistischen und linksextremistisch beeinflußten Parteien und Gruppierungen ist konstant geblieben, die Gesamtzahl Leichte Mitgliederder Mitglieder hat im Vergleich zum Vorjahr leicht zugenommen. Die zunahme Partei des Demokratischen Sozialismus Landesverband Bayern (PDS LV Bayern) konnte ihre Mitgliederzahl halten. Sie ist in Bayern wie auch in anderen westlichen Bundesländern ein Sammelbecken für Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten. Die Mitgliederzahl der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) blieb gleich. Zurückgegangen ist die Zahl der Anhänger autonomer Gruppen, die aber dennoch eine der bedeutendsten und gewalttätigsten Strömungen des Linksextremismus darstellen. Sie werden von anderen linksextremistischen Gruppen wie der PDS zunehmend als Partner für Aktionen akzeptiert. Zentrale Agitationsthemen der Linksextremisten waren Neonazismus/Faschismus, Asylund Abschiebeproblematik, Rassismus, Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Transport von abgebrannten Brennelementen aus Kernkraftwerken in Castor-Behältern. Vor allem gewaltbereite Autonome versuchten Einfluß in der Antikernkraftbewegung zu gewinnen. Der Kampf gegen die vermeintlichen Linksextremismus 79 Zahl und Mit1994 1995 1996 gliederstärke linksextremistiAnzahl der Organisationen 42 42 42 scher Organisationen Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten Kernorganisationen 2.180 2.150 2.150 Nebenorganisationen 80 110 110 beeinflußte Organisationen 830 830 920 Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre 550 550 520 Linksextremisten insgesamt 3.640 3.640 3.700 Mitglieder 70.000 62.000 60.000 50.000 Deu tsch and 40.000 35.; ^ ^ ^ j ~ 30.000 20.000 13.200 10.000 Bayern 3.700 0 1987 88 89 90 91 92 93 94 95 96 * Die Kurve für die bundesweite Entwicklung beruht auf Zahlen des Bundesamts für Verfassungsschutz, das von den Mitgliedern der PDS nur die der Kommunistischen Plattform (KPF) erfaßt. Die Zahlen für 1996: PDS Deutschland insgesamt 107.000, davon KPF 5.000 80 Linksextremismus Gefahren der friedlichen Nutzung der Kernenergie dient den Autonomen als Vorwand für ihren Kampf gegen den Staat und für ihre Gewaltaktionen. Die Entwicklung der Zahl linksextremistischer und linksextremistisch beeinflußter Organisationen in Bayern und ihrer Mitgliederstärken ist aus der folgenden Übersicht zu ersehen. Erkannte Mehrfachmitgliedschaften werden jeweils nur bei einer Organisation erfaßt. 2. Marxisten - Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 2.1 Überblick Versuch der Durch massive Kritik an den herrschenden Verhältnissen und FordeBündelung extrerung nach "Fundamentalopposition" versuchten marxistisch-leninimistischer Kräfte stisch ausgerichtete Organisationen und andere revolutionäre Marxisten, ihren sozialistischen und kommunistischen Zielen näherzukommen. Dabei gelang es nur begrenzt, die unterschiedlichen Ideologien und Strömungen zu bündeln. Die PDS, die nach dem Zusammenbruch des SED-Unrechtsregimes einen neuen Weg des "demokratischen Sozialismus" beschreiten will, versucht, Linksextremisten sämtlicher Couleur von Radikalsozialisten bis zu sogenannten Basisdemokraten aus dem ökologischen Bereich zu integrieren. Auch wenn sie es nicht offen aussprechen, bekennen sich die Marxisten-Leninisten Revolution und und die anderen revolutionären Marxisten zum Marxismus-LeninisDiktatur des mus, zu Klassenkampf und Klassenherrschaft. Sie halten damit an Proletariats ihren verfassungsfeindlichen Zielsetzungen der "sozialistischen" Revolution und der Diktatur des Proletariats fest. 2.2 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) Umbenannte SED Die ehemals in der DDR herrschende Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) hat sich nach der friedlichen Revolution und dem Zusammenbruch ihres Unrechtsregimes nicht aufgelöst. Sie beschloß auf ihrem Sonderparteitag am 16./17. Dezember 1989 in Berlin-Weißensee, sich in "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands - Partei des Demokratischen Sozialismus (SED-PDS)" umzubenennen. Auf einer Tagung des Parteivorstands der SED-PDS am 4. Februar 1990 wurde der Parteiname endgültig in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) geändert. Der 1. Parteitag der PDS am 24725. Februar 1990 bestätigte die Namensänderung. ünksextremismus 81 2.2.1 Ideologische Ausrichtung Die PDS versteht sich als linke "Strömungspartei" für sozialistische Gruppen und Personen, denen Kritik und Ablehnung der bestehenden politischen und ökonomischen Verhältnisse gemein sind. Das auf der 1. Tagung des 3. Parteitags der PDS vom 29. bis 3 1 . Januar 1993 in Berlin beschlossene und bis heute gültige Parteiprogramm erklärt hierzu, die PDS sei ein Zusammenschluß unterschiedlicher linker Kräfte, die - bei allen Meinungsverschiedenheiten - darin übereinstimmGegen ten, daß die Dominanz des privatkapitalistischen Eigentums überKapitalismus wunden werden müsse. Im Programm heißt es weiter: "In der PDS haben sowohl Menschen einen Platz, die der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzen wollen und die gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnen, als auch jene, die ihren Widerstand damit verbinden, die gegebenen Verhältnisse positiv zu verändern und schrittweise zu überwinden. Die PDS hält den außerparlamentarischen AußerparlamenKampf um gesellschaftliche Veränderungen für entscheidend." tarischer Kampf Die Beseitigung des Kapitalismus, die Überwindung des mit ihm verbundenen politischen Systems und damit der Demokratie im Sinn unseres Grundgesetzes sowie die Errichtung einer neuen "sozialistischen Gesellschaft" gehören somit, auch wenn die Revolutionsrhetorik des Marxismus-Leninismus vermieden wird, zu den Zielen der Partei. Im Parteiprogramm erklärt die PDS: "Die Existenzkrise der Zivilisation macht die Umwälzung der herrschenden kapitalistischen Produktionsund Lebensweise zu einer Frage menschlichen Überlebens." Das Bekenntnis der Partei zum außerparlamentarischen Kampf und zum Widerstand gegen die "Herrschenden" und "gegebenen Verhältnisse" ist mit der Grundidee der parlamentarischen repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes unvereinbar. Die PDS vertritt einen konsequenten Internationalismus und ist dem Erbe von Marx und Engels, den vielfältigen Strömungen der revoluBekenntnis zu tionären und internationalen Arbeiterbewegung sowie anderen revoMarx und Engels lutionären und "demokratischen" Bewegungen kritisch verbunden und dem Antifaschismus verpflichtet. Die PDS bekennt sich zur Herkunft aus der marxistisch-leninistischen Staatspartei SED. Auf der 1. Tagung des 4. Parteitags der PDS vom 27. bis 29. Januar 1995 in Berlin erklärte der Parteivorsitzende 82 Linksextremismus Prof. Dr. Lothar Bisky der PDS-Mitgliederzeitschrift "DISPUT" Nummern 3-4/1995, 1./2. Februarheft, zufolge: "Die PDS hat eine lange Vergangenheit von 43 Jahren SED, die sie nicht leugnet, die sie nicht loswerden wird und nicht loslassen will. Sie hat Wurzeln in der KPD und in der SPD und die eine oder andere in weiteren Bewegungen. (...) Viele (Parteimitglieder) sind über Jahrzehnte durch die SED geprägt worden. Und ich sage ihnen, daß wir sie mit ihren Erfahrungen akzeptieren und brauchen." Die Berufung auf Marx und Engels, die historische Entwicklung der Partei sowie die politische Herkunft ihrer Mitglieder aus kommunistischen Organisationen müssen auch bei der Auslegung ihrer programmatischen Äußerungen berücksichtigt werden. Die PDS verwendet Begriffe wie Demokratie und Menschenrechte, die sie auch schon als SED gebraucht hat. Die Realität der DDR bewies jedoch, daß diese Begriffe dort anders, nämlich freiheitsund demokratiefeindlich, definiert waren. Ursache für die andere Interpretation politischer Jmwidmung Begriffe ist deren bewußte Umwidmung im Lehrgebäude des Marxis- r on Begriffen mus-Leninismus, in dessen Denkschule die Masse der Mitglieder der PDS erzogen wurde. Deshalb besitzen die in ihrer Programmatik verwendeten Begriffe für den unvoreingenommenen Beobachter eine schwer einschätzbare Doppeldeutigkeit. In den programmatischen Äußerungen der PDS fällt die Kritik an den früheren kommunistischen Zwangssystemen Mittelund Osteuropas sowie der DDR zurückhaltend aus. Die bolschewistische Oktoberrevolution von 1917 und die mit ihr verbundenen globalen politischen Umwälzungen bewertet das Parteiprogramm positiv: "Dem welthistorischen Ereignis der sozialistischen Oktoberrevolution von 1917 verdankt die Menschheit grundlegende günstige Entwicklungen im 20. Jahrhundert." Die Kritik am "realen Sozialismus" reduziert sich auf eine Verurteilung stalinistischer Herrschaftspraktiken. Entsprechend milde wird auch die Errichtung der SED-Diktatur in der ehemaligen DDR beurteilt. Das Parteiprogramm führt dazu aus: "Die antifaschistisch-demokratischen Veränderungen im Osten Deutschlands und später das Bestreben, eine sozialistische Gesellschaft zu gestalten, standen in berechtigtem Gegensatz zur Rettung des Kapitalismus in Westdeutschland, der durch die in der Menschheitsgeschichte unvergleichlichen Verbrechen des deutschen Faschismus geschwächt und dis- Linksextremismus 83 kreditiert war. Zum Sozialismusversuch in der DDR gehören wertvolle Ergebnisse und Erfahrungen im Kampf um soziale Gerechtigkeit, um die Bestimmung der Ziele der Produktion im Interesse der werktätigen Bevölkerung, um ein solidarisches und friedliches Gemeinwesen auf deutschem Boden. Es gab jedoch auch Fehler, Irrwege, Versäumnisse und selbst Verbrechen. " Das Parteiprogramm widmet der Rechtfertigung des "SozialismusverRechtfertigung suchs" in der DDR und den übrigen osteuropäischen Staaten breiten des DDR-Regime Raum. Folgende Passagen sprechen für sich: "Millionen Menschen setzten sich nach 1945 für den Aufbau einer besseren Gesellschaftsordnung und für ein friedliebendes Deutschland in Überwindung des faschistischen Erbes ein. Das bedarf keiner Entschuldigung." "Der Sozialismus in Osteuropa und in der DDR war nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sein Zusammenbruch war eine notwendige Folge seiner zunehmenden Unfähigkeit, das Eigentum an den Produktionsmitteln in einer für die Produzenten spürbaren Weise zu vergesellschaften." Weiter heißt es: "Unsere heutige Kritik am sozialistischen Versuch läuft weder auf Abwertung der vergangenen gesellschaftlichen Verhältnisse noch auf Ablehnung oder auf Nichtachtung des persönlichen Einsatzes von Frauen, Männern und Jugendlichen hinaus. Für die Geschichte, Gegenwart und Zukunft Deutschlands wie auch für die Politik demokratischer Sozialistinnen und Sozialisten in diesem Land ist es ebenso notwendig, sich mit den Defiziten der DDR-Gesellschaft auseinanderzusetzen, wie die Berechtigung und Rechtmäßigkeit einer über den Kapitalismus hinausgehenden Entwicklung auf deutschem Boden zu verteidigen." Ein Vergleich mit der Gründungserklärung der SED "Grundsätze und Ziele der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" vom 21./22. April 1946 (Protokoll des Vereinigungsparteitags, Berlin 1946, Seite 172 ff.) weist verblüffende Parallelen in der Diktion auf. Zur weiteren programmatischen Orientierung verabschiedete der Par- " w Thesen" teivorstand der PDS am 28. November 1994 "10 Thesen zum weiteren Weg der PDS", die eine noch anhaltende Ideologiedebatte entfacht haben. Auf der 1. Tagung des 4. Parteitags der PDS vom 27. bis 29. Januar 1995 in Berlin wurden diese Thesen zur weiteren Diskussion an die Basisorganisationen der Partei überwiesen. Anstelle dieser Thesen verabschiedete der Parteitag, der die ablehnende Haltung 84 Linksextremismus gegenüber der Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland bestätigte, das von Prof. Dr. Lothar Bisky, Dr. Gregor Gysi und Dr. Hans Modrow verfaßte Fünf-Punkte-Papier "Sozialismus ist Weg, Methode, Wertorientierung und Ziel". vnf-Punkte-Papier Das Fünf-Punkte-Papier steht in Kontinuität zum Parteiprogramm und hält am Anspruch grundlegender Veränderung der Staatsund Gesellschaftsordnung fest. Der "sozialistische Charakter der PDS" wird hervorgehoben: "Er resultiert aus unserer Überzeugung, daß die kapitalistischen Gesellschaftsstrukturen die großen Menschheitsfragen nicht nur nicht gerecht, sondern gar nicht lösen können." lehnung der Das Papier dokumentiert auch die ablehnende Haltung der PDS gereiheitlichen genüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wenn lemokratischen festgestellt wird Urundordnung "(...), daß die PDS in prinzipieller Opposition zu den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland steht." Weiter heißt es im beschlossenen Fünf-Punkte-Papier: "Einig sind wir uns dahingehend, daß die PDS unabhängig von der konkreten parlamentarischen Rolle das Schwergewicht ihrer Tätigkeit in außerparlamentarischen Bewegungen und Aktionen sieht und ihr gesellschaftliches Oppositionsverständnis von der jeweiligen Rolle in einem Parlament nicht berührt wird." esthalten am "Als sozialistische Partei kann und darf die PDS nicht antikommunistisch 'ommunismus sein. Sie ist nicht bereit, auf demokratisch-kommunistische Positionen in ihren Reihen zu verzichten." Die Begriffe "Demokratie" und "Kommunismus" schließen sich gegenseitig aus. Deshalb ist die Verwendung des Begriffspaars "demokratisch-kommunistisch" ein Beispiel dafür, daß die PDS Demokratie nicht im Sinn des Grundgesetzes versteht. lagdeburger Die 2. Tagung des 4. Parteitags der PDS am 27. und 28. Januar in arteitag Magdeburg verlief ohne große innerparteiliche Auseinandersetzungen. Der Parteiführung gelang es weitgehend, Richtungskämpfe zu vermeiden. Kontroverse Diskussionen blieben ohne praktische Auswirkungen auf den Kurs der Partei. An der Tagung nahmen 397 Delegierte teil. Der Landesverband Bayern der PDS war mit vier Delegierten und sechs Gastdelegierten vertreten. Das freundschaftliche Linksextremismus 85 Verhältnis zu ausländischen kommunisti sehen Parteien unterstrichen etwa 40 erschienene Gastdelegationen. Unter den Gästen aus dem Inland befanden sich Delegationen der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und des Arbeiterbundes für den Wiederaufbau der KPD (AB). Der Parteivorsitzende , Prof. Dr. Lothar Bisky unterstrich dort die PDS-Position, daß die Probleme dieser Republik "systemund strukturbedingt" seien und daß "umfassende Reformen", welche die PDS für unausweichlich halte, immer auch "radikale Umbrüche" seien. L Die PDS wünsche eine "andere Republik Der vom Parteivorstand der PDS vorgelegte Leitantrag "Veränderung Leitanträge von unten. Sozial und solidarisch, demokratisch und antimilitaristisch. Politische Aufgaben der PDS 1996 bis 1998." wurde ebenso beschlossen wie der vom Parteivorstand und der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik und parlamentarische Arbeit vorgelegte Leitantrag "Kommunen stärken - Gesellschaft von unten verändern". Ein zum letztgenannten Leitantrag angenommener Änderungsantrag der AG Junge Genossinnen bestätigte den Eindruck, daß die PDS bereit ist, bei der Durchsetzung ihrer Ziele "bewußte Regelverletzungen" in Kauf zu nehmen. Im Parteitagsbeschluß - abgedruckt in der PDS-Mitgliederzeitschrift "DISPUT" Nummer 2/1996 - heißt es: "Das (gemeint ist die Kommunalpolitik der PDS) sefcf auch voraus, die Bewußte Regelbestehenden juristischen und finanziellen Spielräume auszuloten und zuverletzungen zur nutzen und vermeintliche Sachzwänge aufzuheben. Dazu gehört gegebe-Durchsetzung der nenfalls die Zivilcourage zur bewußten Regelverletzung oder zum Rück-Ziele tritt von Ämtern, in denen sich PDS-Politik nicht vertreten läßt. Das Handeln in vorhandenen Spielräumen muß damit einhergehen, ihre Grenzen aufzuzeigen und anzugreifen." Aus dem auf dem Magdeburger Parteitag beschlossenen Papier geht hervor, daß die PDS die Beseitigung des Kapitalismus, die Überwindung des mit ihm verbundenen politischen Systems und die Errichtung einer neuen sozialistisch-kommunistisch orientierten Gesellschaft national wie auch international anstrebt. Die Partei verfolgt 86 Linksextremismus das programmatische Ziel, das parlamentarische System mit Hilfe von anderen linksextremistischen Kräften aufzuweichen und von innen heraus zu zerstören. Nach dem Parteitag erklärte der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Gehreke in der Tageszeitung "junge Welt" vom 29. Januar: Kampfansagen "Ich finde, in fast allen Punkten sind die Positionen der PDS tatsächlich an die jetzige Kampfansagen an die jetzige Verfaßtheit" der Republik. (...) "Eine Summe Verfaßtheit der dieser tiefgehenden Reformen kann den Gehalt einer Gesellschaft so verRepublik ändern, daß eine neue Qualität entsteht." Angela Marquardt, stellvertretende Parteivorsitzende der PDS bis zur 1. Tagung des 5. Parteitags im Januar 1997 und führende Vertreterin der AG Junge Genossinnen - ein politisches Ziehkind von Dr. Modrow und Dr. Gysi -, betonte der PDS-nahen Tageszeitung "Neues Deutschland" vom 30. Januar zufolge: "Die PDS ist für mich die einzige Partei, die in der Lage ist, sich dem Abbau von Errungenschaften der sozialen Bewegungen der 70er und 80er Jahre in seiner ganzen Breite zu stellen. Weil sie eben eine sozialistische Partei ist. Eine Kraft also, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, an jeder erdenklichen Stelle zuerst die Systemfrage zu stellen. (...) Für mich aber fängt die Mitte der Gesellschaft auf der Straße an, nicht in den Fraktionsbüros und schon gar nicht in einer Staatskanzlei. Ich wünsche mir deshalb eine Partei, die nicht nach parlamentarischen Mehrheiten für die Machtbeteiligung, sondern nach gesellschaftlichen Mehrheiten für Veränderungen sucht." Dr. Gregor Gysi äußerte sich in der PDS-Mitgliederzeitschrift "DISPUT" Nummer 2/1996 wie folgt: "Für mich ist parlamentarische und außerparlamentarische Arbeit kein Gegensatz. Im Gegenteil, wer die außerparlamentarische Arbeit vernachlässigt, wird keine wirksame parlamentarische leisten können. Wer aber leichtfertig auf parlamentarische Arbeit verzichtet, wird wiederum in seiner außerparlamentarischen Arbeit völlig unnötig an Wirksamkeit verlieren. Wer außerparlamentarische Arbeit ablehnt, lehnt 99% unserer Bevölkerung ab, die nämlich nicht in Parlamenten organisiert ist." In dem von Mitgliedern der AG Junge Genossinnen um Angela Marquardt verfaßten Grundsatzpapier - veröffentlicht im PDS-Pressedienst Nummer 13 vom 29. März und Nummer 14 vom 4. April -, das auf dem Bundeskongreß der AG Junge Genossinnen am 16. und Linksextremismus 87 17. März in Bielefeld vorgelegt wurde und Grundlage der weiteren Diskussion der AG sein soll, werden "radikale Veränderungen" des Für radikale "Herrschaftsund Machtsystems" gefordert: Veränderungen "Aufgabe der PDS muß es sein, mit ihrer praktischen Politik zur Herausbildung einer linken Gegenmacht/linken Hegemonie beizutragen. (...) Schon um ihres Überlebens willen muß die PDS gesellschaftliche Opposition bleiben. Dies heißt, sich im Widerspruch zur existierenden Gesellschaft zu sehen, grundlegende Kritik am Herrschaftsund Machtsystem mit praktischen Alternativen zu verbinden, Mißstände öffentlich zu machen und sich in der Ausübung von Politik vom oppositionellen Programm und der Perspektive einer sozialistischen Gesellschaft leiten zu lassen. (...) Ein etatistischer (staatsfixierter, die Rolle des Staates bei Gesellschaftsveränderungen überbetonender) Ansatz steht in der Tradition des gescheiterten Sozialismusversuchs und verkennt die Möglichkeiten der politischen Einflußnahme aus der parlamentarischen Oppositionsrolle heraus, konterkariert unseren Ansatz, ein originärer Partner der linken außerparlamentarischen Opposition zu sein." In einer aktuellen Stunde des Deutschen Bundestags am 17. April hat Aufruf zu die bayerische PDS-Bundestagsabgeordnete Eva-Maria Bulling-Schrögewaltsamen ter ihre Unterschrift unter einen Aufruf zu gewaltsamen ProtestforProtestformen men am Kernkraftwerk Gundremmingen verteidigt. Die Tageszeitung "Neues Deutschland" vom 18. April berichtete dazu: "Frau Bulling-Schröter verteidigte ihre Unterschrift. Mahnwachen hätten bis jetzt nicht zum Erfolg geführt. Deshalb sollen mit handwerklichen Mitteln absolut gewaltfrei Schienen demontiert werden, um auf die aktuellen Gefahren hinzuweisen, die vom AKW ausgehen'. Das sei ein symbolischer Akt. Niemand werde auch nur eine Schraube lockern, wenn dadurch Menschen in Gefahr gebracht würden. Ziviler Ungehorsam habe in der Bundesrepublik Tradition. Es stelle sich die Frage, ob nicht das Grundrecht auf Leben ein höheres Motiv sei als etwa das Hausrecht eines Atomkraftwerkes." Diese Äußerungen zeigen Parallelen zu Aussagen führender Vertreter der AG Junge Genossinnen, die sich zu "unkonventionellen Methoden zivilen Ungehorsams" und zu "Normübertretungen" bekennen. Unter dem Titel "Ausrangiert" war in einer Anzeige in der Tageszeitung "taz" vom 12. April für den 28. April dazu aufgerufen worden, "gemeinsam die Schienen vor dem AKW ... gewaltfrei und festlich zu demontieren". Der Aufruf wurde initiiert von einer "Mahnwache 88 Linksextremismus Gundremmingen". Die "Mahnwache" bezeichnete sich Ende Oktober 1995 in einem ähnlichen "Aufruf zur Schienendemontage" für den 12. November 1995 als eine "gewaltfreie Aktionsgruppe", die seit fünf Jahren "Widerstandsaktionen" durchführe, egal ob der Staat sie genehmige, toleriere oder verbiete. Zu den Unterzeichnern gehörte damals auch der PDS-Bundestagsabgeordnete Rolf Köhne - er ist Mitglied der KPF -, der bei der Aktion am 12. November 1995 vorübergehend in Gewahrsam genommen worden war, weil er sich am Gleiskörper zu schaffen gemacht hatte. Der Deutsche Bundestag hat die Immunität der PDS-Bundestagsabgeordneten Eva-Maria Bulling-Schröter und Rolf Köhne zwischenzeitlich aufgehoben, um Strafverfahren gegen beide zu ermöglichen. Bekräftigung der Die bis Januar 1997 amtierende stellvertretende Parteivorsitzende Notwendigkeit Angela Marquardt hat in einer Rede zur Eröffnung der "Volksuni" in einer "SystemBerlin am 24. Mai die Notwendigkeit einer "Systemüberwindung" überwindung" bekräftigt und die Politik der militanten Autonomen Antifa (M) in Göttingen als Beispiel eines anderen Politikstils gepriesen. Der PDS-Pressedienst Nummer 23 vom 7. Juni dokumentiert die Ansprache, in der sie u.a. erklärte, die PDS brauche "den Gedanken von Systemüberwindung, auch wenn einige von uns nur das System verbessern wollen. (...) Es gibt Ideen, es gibt Vorstellungen, gelebte und versuchte Ansätze. Es gibt einfach eine andere Politik, eine Politik jenseits der Parteienlogik, jenseits von Machtgewinn und Machterhalt ... (...) Ein Beispiel ist die Antifa (M) in Göttingen." Ihr Stil "zeichnete sich durch Basisnähe und Problembewußtsein, durch Transparenz und Offenheit aus ... und erreichte, daß Neofaschisten im Raum Göttingen jede Basis verloren." A/ahlkampfpapier n einem vom Parteivorstand der PDS am 10. Juni beschlossenen Wahlkampfpapier "Grundsätze und Ziele der PDS bei den Wahlen 1998/99" ~deg~ dienst - veröffentlicht in der Tageszeitung "Neues Deutschland" vom 12. Juni und im PDS-Pressedienst Nummer 24 vom 14. Juni - heißt es zu Strategie und Taktik der Partei in den nächsten Jahren: "Die Bundesrepublik benötigt mehr denn je eine sozialistische Partei, die fähig und bereit ist, ihre politische Kraft und ihre geistige Kultur in die Zusammenarbeit mit anderen politischen Kräften und sozialen Bewegungen zur Überwindung der konservativen Hegemonie, für eine demokrati- Linksextremismus 89 sehe und sozial gerechte Republik einzubringen. (...) Die Ostdeutschen müssen ihr Problembewußtsein aus den Erfahrungen mit zwei unterschiedlichen Gesellschaftssystemen offensiv in die Veränderung der BRD einbringen. (...) Die Frage, ob eine Parlamentsfraktion der PDS sich innerhalb des Parlaments in eine Oppositionsrolle, in eine Situation des Tolerierens einer Regierung oder in eine Koalitionsrolle begibt, wird von der PDS - soweit es von ihr abhängt - je nach Zeit und Situation danach entschieden, wie ein Höchstmaß an gesellschaftlichen Veränderungen im Sinne der politischen Zielstellung der PDS erreicht werden kann." In einem Interview mit der Illustrierten "Stern" (Nummer 32 vom Verhältnis zu 1. August) warf Dr. Andre Brie, Mitglied des Parteivorstands, WahlPoststalinisten kampfleiter und Vorsitzender der PDS-Grundsatzkommission, der PDS vor, noch kein "positives Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie und zum Grundgesetz" gefunden zu haben. Dr. Brie mahnte dringend eine Klärung des Verhältnisses zu allen poststalinistischen Kräften, insbesondere der Kommunistischen Plattform (KPF) - vgl. auch Nummer 2.2.3.1 dieses Abschnitts -, an. Die Partei habe nur dann eine Perspektive, wenn sie die Auseinandersetzung mit den Poststalinisten jetzt führe. Parteiausschlüsse halte er für unrealistisch. Die PDS müsse - so der strategische Kopf der Partei, der zu DDR-Zeiten für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet hatte - für "Poststalinisten unerträglich gemacht werden". Die von Dr. Brie in dem Interview vertretene Position löste eine heftiAnhaltende ge Diskussion über die Haltung der Partei zur freiheitlichen demokraparteiinterne Austischen Grundordnung aus. Auf vorsichtige Distanz zu Dr. Brie ging einandersetzung der PDS-Vorsitzende Prof. Dr. Lothar Bisky. In einem Interview mit der Tageszeitung "Neues Deutschland" vom 374. August sprach er davon, daß er die Formulierung von Dr. Brie "eher als einen Anstoß zur Diskussion, vielleicht auch als Provokation" verstehe. Für den Parteivorsitzenden stelle die KPF keine Gefahr für die PDS dar; die KPF bewege "sich nach wie vor auf dem Boden von Programm und Statut der PDS". Er sehe eher "die Gefahr, daß mit der KPF eine Gruppe pauschal ausgegrenzt werden soll". Nach Berichten der Tageszeitungen "Neues Deutschland" und "junge Welt" vom 13. August wies der Parteivorstand der PDS auf seiner Sitzung am Tage zuvor die Äußerungen von Dr. Brie, "die das Verhältnis der PDS zum Grundgesetz der Bundesrepublik und zur parlamentarischen Demokratie sowie die Etikettierung von Mitgliedern der PDS betreffen" (gemeint ist die von Dr. Brie auf Teile der Partei 90 Linksextremismus gemünzte Bezeichnung "Poststalinisten") in einer kurzen Erklärung scharf zurück. Der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Gehreke kritisierte - den Berichten zufolge - insbesondere die Stigmatisierung von Teilen der Basis als "Poststalinisten" mit der Aussage: "Post-, also Nachstalinisten, sind wir fast alle. Schließlich kämen fast alle Vorstandsmitglieder aus ,stalinistisch geprägten Parteien'." Der Parteivorsitzende Prof. Dr. Lothar Bisky betonte, die Vorstandserklärung solle der besorgten Basis deutlich machen, daß "kein neuer Kurs" im Umgang mit bestimmten Mitgliedern der Partei eingeschlagen worden sei. Mit der elfseitigen Erklärung "Zur gegenwärtigen Diskussion in unserer Partei" - auszugsweise veröffentlicht in den Tageszeitungen "Neues Deutschland" und "junge Welt" vom 22. August - griff der Vorsitzende der Abgeordnetengruppe PDS im Deutschen Bundestag, Dr. Gregor Gysi, in die innerparteiliche Kontroverse um das Verhältnis der PDS zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Frage möglicher Regierungsbeteiligungen ein. Er führte dazu aus: Erneuerung der "Unsere berechtigte, antikapitalistische Haltung, das heißt unsere grundGesellschaft legende Kritik an der Gesellschaft der BRD, ist nur in dem Maße glaubwürdig und überzeugend, wie sie einhergeht mit der Kritik an der realen Deformation und damit am administrativen, zentralistischen, undemokratischen und antiemanzipatorischen Charakter des sozialistischen Versuchs in Osteuropa, ... (...) Die differenzierte Auseinandersetzung mit restaurativen Tendenzen in unserer Partei halte ich also für erforderlich, aus Gründen der Selbstachtung, der Glaubwürdigkeit und für die Zukunft unserer Partei. Da wir die Hegemonie der Konservativen in Geist und Tat nicht allein brechen, die eingeleitete reaktionäre Entwicklung nicht allein stoppen und positive gesellschaftliche Veränderungen nicht allein erreichen können, werden wir zur außerparlamentarischen und parlamentarischen Zusammenarbeit bereit sein müssen, mit Gewerkschaften, Vereinen, Bürgerinitiativen, Kirchen, anderen Parteien. Diese Zusammenarbeit kann in verschiedenen Formen verlaufen, je nach Bedingungen und Kräfteverhältnissen parlamentarisch auch in der Form der Tolerierung von Minderheitsregierungen und gegebenenfalls sogar in Form von Koalitionen." Erklärung Führende KPF-Funktionäre, darunter Ellen Brombacher, Dr. Heinz Ehrender Mahron, Sahra Wagenknecht und Prof. Dr. Michael Benjamin, griffen genug" toBäsfepi Bundesgebiets verfügt der AB über Ortsgruppen bzw. Stützpunkte. Die Gesamtmitgliederzahl blieb konstant i Hin*"' - - bei etwa 200, davon rund 100 in Bayern. '.wei Flügel Der AB ist in zwei Flügel gespalten. Der größere nennt sich nunmehr Gruppe Kommunistische Arbeiterzeitung (Gruppe KAZ). Er sieht sich weiterhin in der Tradition des AB. In der KAZ wird über die Frage diskutiert, ob sich die Gruppe auflösen und kollektiv in die DKP eintreten soll. Es zeichnet sich ab, daß eine Doppelmitgliedschaft angestrebt wird. Der kleinere, der PDS nahestehende Flügel kritisierte in mehreren Veranstaltungen u.a. Menschenrechtsverletzungen und Folter in der Türkei. Da der AB kaum mehr eigene Aktionen durchführen kann, wird er künftig verstärkt die Zusammenarbeit mit anderen linksextremistischen Gruppierungen und Parteien suchen. 3. Autonome 3.1 Überblick Die Gewaltbereitschaft der Autonomen hält unvermindert an und hat einen wesentlichen Anteil an der Bedrohung der Inneren Sicherheit in Deutschland. Autonomen sind über 80% der linksextremistisch motivierten Gewalttaten zuzurechnen. Die ersten autonomen Gruppen entstanden Ende der 70er Jahre. Ihr Tätigkeitsfeld beschränkte sich seinerzeit im wesentlichen auf den Bereich der Antikernkraftbewegung. Inzwischen sind autonome Gruppen in allen Themenbereichen linksextremistischer Agitation tätig. Mit der Ausweitung der Aktivitäten konnten sie ihren Einfluß ausbauen und stetig neue Anhänger für Linksextremismus 121 ihre diffusen Vorstellungen gewinnen. Inzwischen stellen sie eine der bedeutendsten Strömungen des Linksextremismus in Deutschland dar. Durch geschickte Agitation versuchen Autonome, auch demokratiMobilisierung sehe Protestbewegungen für ihren Kampf gegen den Staat zu mobidemokratischer lisieren. Auch für bayerische Autonome hat das Thema "AntikernProtestbewekraft", bundesweit ein Hauptaktionsfeld der Autonomen, mit dem gungen über . Neubau des Forschungsreaktors für die Technische Universität in GarAgitationsthemen ching und den Castor-Transporten aus dem Kernkraftwerk Gundremmingen an Bedeutung gewonnen. Das Thema "Antifaschismus" stellt für Autonome nach wie vor ein Hauptthema für Aktionen dar. 3.2 Ideologische Ausrichtung Autonome haben kein einheitliches ideologisches Konzept. Sie folgen unklaren anarchistischen und anarchokommunistischen Vorstellungen. Wesentliches Element ist die ungehemmte Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, um frei von "Lohnarbeit", sozialen Zwängen und Rücksichtnahmen, eben "autonom" zu leben. Im Gegensatz zu anderen linksextremistischen Gruppierungen ist Autonomen ein ausformuliertes Programm oder verbindliches Statut fremd. Die losen, überwiegend kurzlebigen Gruppen bilden sich meist über Aktionsthemen. Feste Bindungen an die Gruppen werden schon aufgrund der negativen Grundeinstellung gegenüber jeglichen hierarchischen Strukturen abgelehnt. Einig sind sich die Autonomen in der kategorischen Ablehnung von Staat und Gesellschaft. Ihr Ziel ist die Abschaffung des Staates und seiner Institutionen, um an seiner Stelle eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu errichten, von der indessen niemand weiß, wie sie im einzelnen aussehen soll. Vielen Anhängern genügt Grundgefühl von auch das Grundgefühl von "AntiStaatlichkeit". "AntiStaatlichkeit" Die autonome Gruppe "zusammen kämpfen" aus München behauptete in einem Flugblatt zur Kommunalwahl in Bayern, der heutige Staat sei nichts anderes als ein Organ der Klassenherrschaft der Kapitalisten über das Proletariat. Die parlamentarische Demokratie sei eine "betrügerische Lösung des Problems der Demokratie", die Vertretungskörperschaften seien an sich undemokratisch. Eine Partei könne nie repräsentativ für die Interessen der Bevölkerung sein. Zudem stehe das System der Bundesrepublik Deutschland in faschistischer Kontinuität. Durch die Übernahme des alten Systems, des Kapitalismus, gebe es "eine ungebrochene faschistische Kontinuität in allen wirt- 122 Linksextremismus schaftlich und politisch wichtigen Bereichen". Die Verfasser favorisieren dagegen die Selbstverwaltung und das Rätesystem als neue GeKommunistische sellschaftsform. Eine kommunistische klassenlose Gesellschaft lasse klassenlose sich nicht per Wahlzettel durchsetzen. Erforderlich sei hierfür vielGesellschaft mehr ein "langandauernder, harter und schwieriger Kampf gegen Staat und Kapital", der sich überwiegend außerhalb der Parlamente abspiele. Dennoch empfehlen die Verfasser, die "Grünen als die liberalste und linkeste Partei" zu wählen. Dies geschehe jedoch nicht aus der Illusion heraus, daß sich bei einem möglichen Wahlsieg am System grundsätzlich etwas verändere, sondern verfolge "dieTaktik, einen möglichst großen legalen und öffentlichen Spielraum zu erhalten, um eine revolutionäre internationalistische proletarische Bewegung zu organisieren/entwickeln!". Die Antifaschistische Jugendfront Passau (AJF) führte in einer Selbstdarstellung, abgedruckt in ihrer Publikation "radikalender", Ausgabe 1/96, u.a. aus: "Unser utopisches Fernziel ist ... eine unterdrückungsfreie Gesellschaft ohne Ausbeutung. Da wir aber wissen, daß dieses Ziel nur schwer zu erreichen ist, beschränken wir uns ersteinmal auf, Schritt'-Ziele: Wir versuchen, so viele alternative Freiräume wie möglich zu schaffen, ... (...) Um Rechtfertigung solche Freiräume zu schützen ist für uns militantes Vorgehen gerechtfervon Gewalt tigt. Gewalt wird Nazis nicht ändern, allerdings hindert sie sie daran, ihre menschen-verachtenden Gedanken zu verbreiten. (...) Gewalt gegen Nazis ist die Verteidigung (die auch offensiv sein kann) der Menschenwürde. " Die Ziele der Passauer Gruppe sollen zwar primär im Rahmen der Diskussion mit legalen Mitteln erreicht werden, aber: "wir distanzieren entsolidarisieren uns aber auch nicht von Menschen, die diesen gesetzlichen Rahmen übertreten und gewaltsam oder auf sonst irgendeine,illegale' Art und Weise gegen Nazis, Vergewaltiger, die Staatsmacht o.a. vorgehen um die HERRschenden Zustände zu ändern, ..." Die Bejahung von Gewalt zur Durchsetzung von Zielen ist unumstrittener Bestandteil autonomen Selbstverständnisses. Ihre Gewalttaten versuchen sie als "Gegengewalt" gegen staatliche Maßnahmen und Gewalt gegen Regelungen zu rechtfertigen. Auch Gewalt gegen Personen wird von Personen Autonomen entgegen früherer Praxis inzwischen insbesondere bei Aktionen gegen politische Gegner als geeignetes Mittel angesehen und angewendet. Linksextremismus 123 Deutlich wird dies u.a. in einem Interview der Autonomen Antifa (M) aus Göttingen, "Kopf" der autonomen Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) mit dem Passauer "Antifa Jugendinfo" (undatiert, im August verbreitet). Darin erklärt ein Vertreter der Gruppe, die Geschichte habe gezeigt, daß man Faschisten nicht durch Worte stoppen könne. Die den "Antifas" oftmals entgegengehaltene These "Wenn ihr Gewalt anwendet seid ihr nicht besser als Faschisten" sei Blödsinn: "Die Frage ist nicht Gewalt gegen Gewalt, sondern gegen wen ich meine Aktionen richte (...) Linke und Antifaschistinnen haben viele Mittel der Auseinandersetzung, Militanz ist eines von vielen. Darüber hinaus ist Militanz kein blindes Umsichschlagen, sondern richtet sich gegen Verursacherinnen von Unterdrückung und ihre Strukturen. Also entweder gegen Faschistinnen, deren Strukturen oder gegen staatliche und wirtschaftliche Einrichtungen, die verantwortlich sind für Völkermord, Kriegseinsätze, Waffenlieferungen, Abschiebungen oder den Bau von Atomkraftwerken. " Auch die Formierung von "Schwarzen Blöcken" bei Demonstrationen sei in diesen Zusammenhang einzuordnen: Als Symbol für "militanten Antifaschismus" und eine "Politik, die das Gewaltmonopol des Staates nicht anerkennt". Das "Antifa-Jugendinfo" ist als Sprachrohr der Antifaschistischen Aktion Passau anzusehen, die ebenso wie die Autonome Antifa (M) der AA/BO angehört. Gewaltakte der Autonomen, im Szenejargon auch als "klandestine Gezielte Aktionen" bezeichnet, erfolgen äußerst konspirativ. Sie werden Vorbereitung der durch Ausspähung der Zielpersonen und Objekte vorbereitet. Hierzu Gewalttaten sind in der Szene Anleitungen, z.B. "Tips und Tricks zur Vermeidung von Spuren", im Umlauf. Die polizeilichen Ermittlungen sind deshalb häufig sehr schwierig. 3.3 Aktionsthemen Eine wesentliche Rolle nimmt für Autonome das Thema AntifaschisAntifaschismus mus ein. Darunter verstehen sie nicht nur den unmittelbaren Kampf gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern auch den Kampf gegen die Bundesrepublik Deutschland. Diese stehe in direkter Kontinuität zum "Dritten Reich" und verfolge selbst "faschistische, rassistische und imperialistische" Ziele. Mit ihren Aktionen soll der Staat selbst als "faschistisch" vorgeführt werden. 124 Linksextremismus Aktionsthemen hierfür sind u.a. "Rassismus", "Kapitalismus" und soziale Probleme. So heißt es u.a. in einer Selbstdarstellung der Antifaschistischen Jugendfront Passau (AJF), abgedruckt in ihrer Publikation "radikalender", Ausgabe 1/96: "Antifa-Politik, also auch unsere Politik beinhaltet eine grundlegende Kritik und Auseinandersetzung mit diesem System und den HERRschenden Zuständen, konkret heißt das, daß wir als Antifaschistinnen erst mal aktiv gegen Nazis vorgehen, da wir Nazis ,nur' als Symptom dieser Gesellschaft sehen, dessen Gründe tiefer in dieser Gesellschaft verwurzelt sind, wollen wir diese radikal (radikal: von der Wurzel her) angehen. Unser Antifaschismusverständnis bezieht sich also nicht nur auf reine Anti-Nazi Arbeit, sondern geht weit darüber hinaus, so daß wir uns mit vielen gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen, ..." Ein Schwerpunkt der "Antifa-Aktivitäten" der Autonomen richtet Kampagne gegen sich derzeit gegen die Jungen Nationaldemokraten (JN). In einer in die JN der linksextremistischen Szene verbreiteten ersten Ausgabe (Herbst 1996) einer "Antifaschistischen Sonderzeitung" mit dem Titel "Tuu Matsch Nazis" heißt es zu Geschichte, Ideologie, Strukturen und Kadern der JN, diese hätten sich immer mehr als Führungsorgänisation im militanten neofaschistischen Lager herauskristallisiert und seien für den alltäglichen rechten Terror verantwortlich. Bei ihnen arbeiteten zahlreiche Mitglieder und Funktionäre verbotener "NS-Gruppen" mit. Im Gegensatz zu den meisten militanten Nazis lehnten die JN die Orientierung am Hitlerfaschismus ab und versuchten statt dessen, sich als "moderne" Jugendbewegung darzustellen. Sie bedienten sich bei ihrer Propaganda gegen "Sozialabbau" pseudolinker Sprüche wie "Gegen System und Kapital", um uralte faschistische Ideen zu neuem Leben zu erwecken. Die Zeitung veröffentlicht Namen und Fotos von 12 JN-Funktionären und fordert: "weg mit den jungen Nationaldemokraten! ... organisiert die antifaschistische Selbsthilfe!" Das Thema "Antikernkraft" hat in der Szene mit den Castor-TransAntikernkraft porten wieder zentrale Bedeutung erhalten. Die Autonomen und andere Linksextremisten benutzen den Kampf gegen vermeintliche Gefahren der friedlichen Nutzung der Kernenergie jedoch nur als Vorwand für ihre extremistischen Ziele, d.h. ihren Kampf gegen den Staat und seine Organe. In einer Publikation mit dem Titel "Der Linksextremismus 125 Wurfanker", verbreitet im August, heißt es hierzu u.a., bürgerliche Formen des Protests reichten allein nicht aus, um das Atomprogramm zu kippen. Es gehe vielmehr darum, im Sinn einer "sozialen Revolution" schon bestehende militante Aktionsund Widerstandsformen auszubauen und zu koordinieren. Die Verfasser konkretisieren in einem weiteren redaktionellen Beitrag ihre Vorstellungen eines linksradikalen, antikapitalistischen Widerstands. Es müsse zum Ausdruck gebracht werden, daß Atomenergie Teil des patriarchal-kapitalistischen Systems sei. Aus Profitinteresse werde gegen die Menschen gewirkt und die "Dritte Welt" ausgebeutet und unterdrückt. "Zentralisierte Energieerzeugung in AKWs und Zentralisierung staatlicher Macht hängen zusammen. Der Staatsapparat soll .stabile', kapitalistische Verhältnisse aufrechterhalten. Wir scheißen auf diesen Staat sowieso, auf seinen Parlamentarismus - weil wir nicht in Staaten leben wollen und für ein selbstbestimmtes, HERRschaftsfreies Leben kämpfen (Wir nennen das Kommunismus und Anarchie)." Eine Veränderung gelinge nur über die Abschaffung der "HERRschaft des Menschen über den Menschen", d.h. die Zerschlagung des beZerschlagung stehenden Systems. Dabei sollen die Menschen durch einen "Prozeß des Systems der sozialen Revolution" gehen: "die persönliche Verfügungsgewalt über ihr Leben zurückerobern, anfangen ..., die klassenlose Gesellschaft zu errichten und die patriarchalen Gewaltverhältnisse überwinden. Privateigentum an Produktionsmitteln, Geld und Lohnarbeit werden abgeschafft werden müssen ..." Nach diesem kommunistischen Prinzip würden alle bekommen, was sie brauchen, und "die HERRschenden auf dem Misthaufen der Geschichte landen". Der Kampf müsse die gesamte Struktur des Atomprogramms zum Angriffspunkt machen und dezentral in die Städte und Regionen getragen werden. Als ein denkbares Beispiel führen die Autoren an: "Wie wäre es z.B., mit einer zerschlagen wir ,Siemens'-Kampagne statt einem ,Siemens-Boykott'? Natürlich mit den entsprechenden netten militanten Aktionen... Generell sind die Firmen ausfindig zu machen, die Handlangerinnen des Atomkapitals, etc. Ideen und Fantasie haben wir genug." Die Zeitschrift enthält ferner eine Reihe bereits aus linksextremistiAnleitungen zu sehen Publikationen, wie "INTERIM" oder "Agitare bene", bekannter Straftaten technischer und taktischer Anleitungen zur Herstellung von und zum Umgang mit Wurfankern sowie zum Zerstören von Strommasten. 126 Linksextremismus In Nürnberg nutzen die Autonomen die Auseinandersetzung um die Schließung des Kommunikationszentrum der Stadt Nürnberg (KOMM) nach dem Beschluß des Stadtrates zur Kündigung der Mietverträge zum 31. Dezember 1997 als Thema, um Bündnispartner aus dem gesamten linksextremistischen Lager für ihre zum Teil gewalttätigen Aktionen zu gewinnen. Weitere Themen waren Solidaritätsaktionen zugunsten der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und anderer türkischer Gruppen, Sanierungsmaßnahmen in Großstädten und die Agitation gegen Sparmaßnahmen der Bundesregierung. 34 Autonome Strukturen 3.4 1 Autonome in Bayern Schwerpunkte in Örtliche Schwerpunkte der Autonomen in Bayern waren auch im Jahr Bayern 1996 Nürnberg, Passau und München. Die Passauer Autonomen beschränkten sich im Gegensatz zu den Vorjahren im wesentlichen auf publizistische und versammlungsrechtliche Aktivitäten sowie kleinere Sachbeschädigungen. Die in den Vorjahren feststellbare besonders hohe Gewaltbereitschaft der Passauer Gruppen ging vor allem aufgrund polizeilicher Maßnahmen deutlich zurück. Allerdings nahmen zum Jahresende, offenbar bedingt durch Neuzugänge, die Aktionen in Passau wieder deutlich an Schärfe zu. Demgegenüber zeigten die zunehmend aggressiver werdenden Autonomen in Nürnberg nach einer "Durststrecke" insbesondere in den Auseinandersetzungen um die Schließung des KOMM gesteigerte Aktivitäten. Die Bedeutung des KOMM als zentrale Anlaufund Kontaktstelle geht zurück. Den Autonomen scheint es zu gelingen, ihre ideologische und organisatorische Tätigkeit an anderen Orten fortzusetzen. Daneben bestehen autonome Gruppen in den Bereichen Aschaffenburg, Augsburg, Bamberg, Coburg, Erlangen, Fürth, Ingolstadt, Regensburg, Rosenheim und Würzburg. Auch aus anderen Städten wurden Aktivitäten bekannt, die als Indiz für das Vorhandensein autonomer Strukturen 500 Autonome gewertet werden müssen. Insgesamt gehören autonomen Gruppen in Bayern in Bayern rund 500 Personen an. Die Verweildauer der Anhänger in den Gruppen beträgt regelmäßig nur wenige Jahre. Personelle Verluste durch "Rückzug ins Private" füllen sich jedoch kontinuierlich auf. Die oft kurzlebigen, meist aus konkretem Anlaß gegründeten Gruppierungen tragen Namen wie Linksextremismus 127 Rote Antifa Nürnberg, Autonome Zelle "Erich Mühsam", "zusammen kämpfen", Antifaschistische Jugendfront und Antifaschistische Aktion, z.B. die im Verlauf des Jahres erstmals in Erscheinung getretene autonome Gruppierung Antifaschistische Aktion München. Die frühere grundsätzliche Ablehnung von Organisationsformen und verbindlichen Strukturen haben die Autonomen teilweise aufgegeben. 3.4.2 Antifaschistische Aktion/ Bundesweite Organisation (AA/BO) Die AA/BO ist einer der wenigen erfolgreichen Versuche, im autonomen Bereich dauerhafte Organisationsstrukturen zu schaffen. Sie hat wesentliche Bedeutung für die gewaltbereite autonome antifaschistische Szene und ist eine Art Dach für gewaltorientierte Gruppierungen zur Verankerung und Verbreiterung des Widerstands. Eine zentrale Rolle in dieser Organisation nimmt die militante Autonome Antifa (M), Göttingen, ein. Daneben haben in der AA/BO auch die Wichtige Rolle Antifaschistische Aktion Passau (AA Passau) und die AA Berlin erhebder AA Passau liche Bedeutung erlangt. Die linksextremistische Zielsetzung der AA/BO zeigt sich u.a. an der von ihr propagierten These, daß sich der Antifaschismuskampf gegen die Grundpfeiler der bürgerlichen Herrschaft richten müsse. Die Parole lautet "Kampf dem Faschismus heißt Kampf dem imperialistischen System". Der AA/BO gehören Gruppierungen aus etwa zehn Städten im Mitglieder in gesamten Bundesgebiet an. In Bayern ist dies neben der AA Passau Bayern die Rote Antifa Nürnberg (RAN). Eine große Nähe zur AA/BO zeigt ferner die Antifaschistische Aktion München. Sie erklärte auf einer Demonstration gegen die Feiern zum Volkstrauertag am 17. November in München, im Kampf gegen die ***MEHR Jungen Nationaldemokraten (JN) mit den Passauer und ÜR Nürnberger Gruppen der Antifaschistischen Aktion zusammenarbeiten zu wollen. Das Aufrufflugblatt zu dieser Ver- G E GVV sammlung trug bereits das Logo der AA/BO. N GEN Die AA/BO zeigte Anfang des Jahres nach dem Austritt A 2, mehrerer Gruppen Zerfallserscheinungen. Unter wesentlicher Mitwirkung der AA Passau gelang es jedoch, die AA/BO zu stabilisieren. Mitglieder der autonomen AA Passau kritisierten in einem Positionspapier das Fehlen "jeglicher antifaschistischer Praxis innerhalb der AA/BO". So seien die letzten AA/BO stabilisiert 128 Linksextremismus bundesweiten Treffen nicht mehr als "Vernetzungstreffen" ohne "politische Zielrichtung" gewesen. Die AA/BO laufe Gefahr, ein antifaschistischer Diskutierclub ohne jeglichen Praxisbezug und damit auch ohne politische Relevanz zu werden. Die AA/BO müsse heraus aus den Abgrenzungsbestrebungen gegenüber anderen Gruppen, um so eine Fraktionierung oder Spaltung zu verhindern. In einem Diskussionsvorschlag für eine bundesweite Kampagne der AA/BO schlug die AA Passau Themen vor, die für alle Mitglieder annehmbar sein sollten. Die AA/BO solle sich verstärkt den Themen "Repressiv nach innen, aggressiv nach außen", "Innere Sicherheit" und "Repression gegen Linke und Migrantinnen, Militarisierung nach außen - Machtpolitik der BRD in Europa" widmen. Die Arbeitsgruppe Internationalismus/Kurdistan innerhalb der AA/BO hat in einem internen Papier mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß "Antifaschismus" und "Internationalismus" untrennbare Bestandteile der "politischen Arbeit" seien. Die "Linke" müsse sich stärker als Solidarität mit bisher mit den Kräften des "Kurdischen Befreiungskampfes" solidarider PKK sieren und die AA/BO sollte diese Befreiungsbewegung zum Schwerpunkt ihrer "internationalistischen Arbeit" machen. Ohne die WirtSchaftsund Militärhilfe der BRD könne die Türkei keinen Krieg gegen das kurdische Volk führen. Deshalb müsse der Imperialismus getreu dem Motto von Karl Liebknecht: "Der Hauptfeind steht im eigenen Land!" bekämpft werden. Die Gruppe fordert die einzelnen autonomen Gruppen und die AA/BO als Organisation auf, Kontakte zu den Kurden in Deutschland zu suchen bzw. bestehende auszubauen sowie in "praktischen Initiativen den Kampf der Kurdinnen" zu unterstützen. Angehörige autonomer Strukturen in Bayern nehmen verstärkt an überregionalen bundesweiten Treffen teil. Strafverfahren Die erste Große Strafkammer des Landgerichts Lüneburg hat das gegen die AA/BO Strafverfahren gegen 17 mutmaßliche Mitglieder der Autonomen Antifa (M), Göttingen, u.a. wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (SS 129 StGB), eingestellt. Den Angeklagten wurde die Zahlung einer Geldbuße von je 3.000 DM und die Abgabe der Erklärung auferlegt, in Zukunft die Vorschriften des Versammlungsgesetzes zu "berücksichtigen". Sie hatten sich geweigert, die anfänglich geforderte (eindeutige) Erklärung abzugeben, die Vorschriften des Versammlungsgesetzes "zu beachten und einzuhalten". Das Sprachrohr der Gruppe, die Zeitschrift "EinSatz", verhöhnte in ihrer Ausgabe Nummer 13, Juli/August 1996, die Lüneburger Richter als "Gesetzesmarionetten". Ünksextremismus 129 3.4.3 Informationelle Vernetzung Dem Gedankenaustausch und Informationsfluß zwischen Autonomen dienen auf Ortsebene vor allem ständige Einrichtungen wie InfoLäden, Szenelokale und andere Begegnungsstätten, wie z.B. noch im Kommunikationszentrum der Stadt Nürnberg (KOMM), in denen auch einschlägige Publikationen aufliegen. Die als Anlaufund Kontaktstellen fungierenden Info-Läden sind dabei als wesentlicher FakInfo-Läden tor für die Kommunikation innerhalb der autonomen Szene anzusehen. Eine in der Szene verbreitete Übersicht führt mehr als 80 solcher Anlaufstellen im Bundesgebiet auf. In Bayern bestehen Info-Läden aden u.a. in Aschaffenburg, Augsburg, Fürth, Mün"äne(, e Pr chen, Nürnberg, Passau und Regensburg. Für deggramm die landesund bundesweite sowie die inter"'Nm^ber9e nationale Kommunikation werden moderne Kommunikationsmittel wie Telefax und Mailbox-Systeme in erheblichem Umfang verwendet, so das von Wiesbaden aus aufgebaute Mailbox-System "Spinnennetz". Erhebliche Bedeutung hat inzwischen auch die Nutzung des internationalen Informationssystems Internet erlangt. Darin werden, zum Teil über ausländische Anbieter, sogenannte Provider, ebenso wie von Rechtsextremisten und ausländischen Gruppen Nachrichten und Publikationen mit teilweise strafbarem Inhalt verbreitet. So erklärte z.B. die militante Autonome Antifa (M) in Göttingen zu ihrem ab 1. März vollzogenen Einstieg ins Internet, das sich "zunehmend verschärfende politische Klima in der BRD" schränke die Möglichkeiten der Autonomen Antifa (M) ein, mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen am politischen Diskurs teilzunehmen. Das weitgehend zensurfreie Internet habe sich den bisher praktizierten Holzhammermethoden deutscher Staatsanwaltschaften entziehen können und sich aufgrund seiner technischen Struktur als eine uneinnehmbare Bastion erwiesen. Der Internet-Provider der Autonomen Antifa (M) befinde sich in den Niederlanden und unterliege damit nicht dem Zugriff deutscher Behörden. Insbesondere mit Blick auf den vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Lüneburg geplanten - inzwischen beendeten - Prozeß gegen 17 mutmaßliche Mitglieder der Autonomen Antifa (M) erweise sich das Internet als ideal zur Koordinierung internationaler Proteste. 130 Linksextremismus 3.5 Autonome Publikationen Eine weitere Informationsmöglichkeit bieten den Autonomen die Szenepublikationen. Diese werden meist konspirativ hergestellt und verbreitet; ihre Autoren sind weitgehend unbekannt. Neben der Berichterstattung über autonome und terroristische Aktivitäten schüren die Publikationen vor allem den Haß gegen die Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Sie enthalten ferner Aufforderungen unverhohlene Aufforderungen und Anleitungen zu Gewalttaten u.a. zu Gewalttaten gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten und deren Einrichtungen sowie - vor allem im Zusammenhang mit den Castor-Transporten - gegen Einrichtungen der Deutschen Bahn AG. Von den bundesweiten Szeneblättern hat nach wie vor die regelmäßig erscheinende, aus Berlin stammende Publikation "INTERIM" zentrale Bedeutung. Erwähnenswert ist ferner eine Ausgabe der unter wechBundesweit selnden ausländischen Tarnanschriften ververbreitete triebenen militanten autonomen Publikation Publikationen "radikal" (Nummer 154). Die Publikation wird auch über das Internet verbreitet, weil deutsche Behörden keinen Einfluß auf das Angebot von ausländischen Internetservern hätten. Deshalb werde es "radikal" im Internet Verbreitung über solange geben, wie der Provider keinen Druck ausübe, die Publikation das Internet aus dem Internet zu entfernen. Auch für diesen Fall sei jedoch bereits vorgesorgt, denn der komplette Inhalt sei bereits auf einen weiteren Internetcomputer in den USA transferiert worden. Damit könne in Zukunft allenfalls das Erscheinen gedruckter Exemplare verhindert werden. ThemenThemenschwerpunkte waren 1996 "Antifaschismus", "Organisieschwerpunkte rung im autonomen Spektrum", der "kurdische Befreiungskampf", "Rassismus", Flüchtlingspolitik und die Castor-Transporte. Daneben waren wie in den Vorjahren eine Vielzahl von Selbstbezichtigungsschreiben zu Anschlägen sowie Handlungsanleitungen zu Straftaten abgedruckt. Am 13. Juni, dem Jahrestag der Durchsuchungsmaßnahmen in den Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts gegen "radikal" und die Terrorgruppen AIZ, RAF und Das K.O.M.I.T.E.E., stellten sich Linksextremismus 131 drei im Juni 1995 abgetauchte mutmaßliche Redakteure der Publikation "radikal" im Anschluß an eine Pressekonferenz in Bremen der Justiz. Gegenüber der Presse erklärten die drei Beschuldigten, der bisherige Verlauf des Verfahrens gegen vier bereits im Juni 1995 Festgenommene habe ihnen die Rückkehr nahegelegt. Diese seien im Dezember unter Auflagen aus der Haft entlassen und der Vorwurf der Unterstützung terroristischer fcf-J T * Vereinigungen fallengelassen worden. Auch sei es ihnen wichtig, den Prozeß zusammen mit den vier anderen zu führen. Der Prozeß reihe sich nahtlos in eine Vielzahl staatlicher Repressionsmaßnahmen gegen linke Gruppen und Strukturen ein, mit denen jeder Ansatz linken Widerstands zumindest kontrolliert und wenn möglich zerschlagen werden solle. Der letzte von insgesamt acht mit Haftbefehl gesuchten mutmaßlichen Redakteuren stellte sich am 26. November den Behörden. Alle Haftbefehle wurden inzwischen gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Eine weitere Ausgabe der Publikation "radikal" ist seither nicht bekanntgeworden. In Bayern publizieren die Autonomen ihre politischen Artikel u.a. in Bayerische regelmäßig erscheinenden Schriften, wie "Barricada" und "wie weiPublikationen ter", aus Nürnberg und ähnlichen regionalen, überwiegend unregelmäßig herausgegebenen Blättern. Die bayerischen Publikationen konnten bisher keine überregionale Bedeutung gewinnen. Oft werden darin auch nur Artikel aus bundesweiten Szenepublikationen, wie "INTERIM" und "radikal", übernommen und durch Hinweise auf aktuelle Themen und Termine der örtlichen oder regionalen Szene ergänzt. 3.6 Aktivitäten autonomer Gruppen in Bayern 3.6.1 Autonome München Die autonomen Gruppen in München, in den letzten Jahren relativ inaktiv, dennoch aber drittstärkste autonome Szene in Bayern, beginnen, sich zunehmend in der Antikernkraftbewegung zu engagieren. Besondere Bedeutung hat dabei für die Münchner Szene der Neubau des Forschungsreaktors für die Technische Universität München in Protest gegen Garching. Neben den beiden in diesem Bereich seit einiger Zeit beReaktorneubau sonders aktiven Gruppen "zusammen kämpfen" und der Autono- 132 Linksextremismus men Zelle "Erich Mühsam" ist am 28. April erstmals eine weitere Gruppe, die "autonome gruppe münchen", mit Brandstiftungen in München in Erscheinung getreten. Das Selbstbezichtigungsschreiben, abgedruckt in der militanten autonomen Publikation "INTERIM", weist Parallelen zu den beiden erstgenannten Gruppen auf. Es besteht die Gefahr, daß die Autonomen den Neubau des Forschungsreaktors in Garching zum Anlaß für gewalttätige Aktionen nehmen. Die Gruppe "zusammen kämpfen" beschrieb in der autonomen Publikation "INTERIM" in einem Beitrag über eine Versammlung am 1. Februar in München den "Zustand der Protestbewegung". Anlaß für den Beitrag war eine Demonstration gegen die angestrebte BAföG-Neuregelung am 1. Februar in München. Nach Einschätzung der Verfasser sei bei vielen Protestbewegungen die Forderung lediglich auf Reformen gerichtet. Für erfolgreiche Proteste sei jedoch eine Systemgegnerschaft unabdingbar. Ansonsten würden reformistische Kräfte versuchen, die Proteste in eine "staatskonforme Richtung zu kanalisieren". Auch der massenhafte Protest bliebe ohne Verschärfung für das System ungefährlich. Statt dessen müsse eine soziale Radikalisierung Bewegung mit "linksradikalen Inhalten" entstehen und der Protest der Proteste insgesamt radikalisiert werden. Die Gruppe versucht damit, wie von Linksextremisten bereits in der Vergangenheit häufig praktiziert, auf demokratische und friedliche Protestaktionen einzuwirken und diese für ihre extremistischen Ziele zu nutzen. Darüber hinaus ist sie bestrebt, die Themen "Bündnis für Arbeit" und Neubau des Forschungsreaktors in Garching in ihre Agitation einzubeziehen. Mit dieser Themenverbindung soll versucht werden, eine insgesamt gegen den Staat gerichtete Protestbewegung zu konstruieren und friedliche und demokratisch orientierte Demonstranten einzubeziehen. Die autonome Antifaschistische Aktion München (AA München) veranstaltete am 17. November in München mit etwa 100 Teilnehmern einen Aufzug zum Thema "Gemeinsam gegen Faschismus und MiliAktionen am tarismus! Wir gedenken den Opfern und nicht den Tätern!". In Volkstrauertag ihrem Aufrufflugblatt griff die AA München einen vermeintlichen Versuch der JN an, gemeinsam und mit Duldung der offiziellen Stellen an den Feierlichkeiten zum Volkstrauertag teilzunehmen. Neben der Darstellung der Bedeutung der JN aus Sicht der AA München behaupteten die Verfasser u.a., die Feiern zum Volkstrauertag dienten vor allem dazu, "das Militär neu in der Gesellschaft zu etablieren". Die erweiterten Funktionen der Bundeswehr bedeuteten "mit der neugewonnenen Souveränität Deutschlands" jedoch "in Wirklichkeit Linksextremismus 133 nur die Durchsetzung von wirtschaftlichen Interessen kapitalistischer Konzerne". Wörtlich heißt es: "Fazit: Veranstaltungen wie der Gedenkmarsch im Hof garten, an denen rechte Politprominenz, Bundeswehr und Neofaschisten teilnehmen, sind nicht nur harmlose Treffen Ewiggestriger', sondern haben die Funktion, deren reaktionäre und militärische Traditionen zu erhalten, diese in die Gegenwart zu transportieren und für die Zukunft nutzbar zu machen." Abschließend wurde dazu aufgerufen, die offiziellen Veranstaltungen zu stören. Etwa 30 Teilnehmer folgten dieser Aufforderung mit Zwischenrufen. Die Polizei drängte die grob störenden Personen nach erfolglosen Ermahnungen zur Wahrung des ernsten Charakters der Trauerfeier ab und nahm sie vorläufig fest. 3.6.2 Autonome Nürnberg Mehrere autonome Gruppen aus dem Großraum Nürnberg, PDS und DKP veranstalteten vom 24. April bis 1. Mai "Rot-schwarze Tage" in Nürnberg. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe fanden mehrere Vortragsveranstaltungen im KOMM statt. Den Abschluß bildete ein internationalistisches Straßenfest zum "Revolutionären Mai" unter dem Motto "Rebellion ist gerechtfertigt" sowie eine "Revolutionäre 1. Mai-Demonstration". Die Veranstaltungen wurden durchwegs von linksextremistischen, insbesondere autonomen Gruppierungen durchgeführt. Vor allem zur Demonstration am 1. Mai wurde bayernweit u.a. durch die Autonome Zelle "Erich Mühsam" aus München aufgerufen. Während die Veranstaltungen im KOMM durchwegs relativ gering besucht waren, beteiligten sich bis zu 600 Personen an der von der Initiative neue Arbeiterinnen-Bewegung angemeldeten Demonstration. Bei Esm Vorkontrollen wurden vier Personen u.a. wegen Mitführens von Waffen vorläufig festgenommen. Insgesamt stellte die Polizei durch massive Präsenz einen friedlichen Verlauf und die Durchsetzung versammlungsrechtlicher IMlrW*'" 1 *"" Auflagen sicher. In Aufrufflugblättern und u.a. einer Sondernummer der autonomen Publikation "Barricada" beschrieben die Organisatoren den 1. Mai als Tag der Rebellion. Anhand von Bei1. Mai als Tag spielen zeigten sie aus ihrer Sicht negative Entwicklungen der Gesellder Rebellion schaft auf und forderten, gemeinsam für eine herrschaftsfreie, sozialistische klassenlose Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unter- 134 Linksextremismus drückung auf die Straße zu gehen. Die Veranstaltungen zum 1. Mai, an deren Vorbereitung sie nach Eigenangaben seit Januar gearbeitet hatten, bewerteten sie als Erfolg. Dazu habe insbesondere die lange Überregionale Vorbereitung durch die autonome Gruppierung Organisierte AutonoBedeutung der mie beigetragen. Die Teilnahme und Aufrufe von Gruppen aus Passäu Nürnberger und München sowie der Autonomen Antifa (M) aus Göttingen zeiAutonomen gen die überregionale Bedeutung der Nürnberger Autonomen. Zur Amtseinführung des neugewählten Oberbürgermeisters der Stadt Nürnberg am 2. Mai hatten autonome Gruppen aus Nürnberg zu Störungen aufgerufen. Etwa 80 Personen, darunter ein erheblicher Anteil Autonomer und Punker, störten die Veranstaltung mit Trillerpfeifen und skandierten die Parole "KOMM bleibt KOMM". Bei einem Polizeieinsatz am 4. Oktober in Nürnberg wurde ein griechischer Staatsangehöriger erschossen. Dieser tragische Vorfall war insbesondere für die örtlichen Autonomen Anlaß zu mehreren AktioSachbeschädinen. Am 5. Oktober verübten in Nürnberg unbekannte Täter Sachgungen beschädigungen durch Sprühaktionen und Ausbringen von Buttersäure. An verschiedenen Örtlichkeiten war u.a. die Parole "Bullen sind Mörder" gesprüht worden. Zur Ausbringung von Buttersäure im Bereich des Einwohnermeldeund Ausländeramts ging am 8. Oktober bei einer Tageszeitung in Nürnberg ein Selbstbezichtigungsschreiben ein, welches mit "einige Antifaschistinnen" unterzeichnet war. Die Selbstbezichtigung enthielt u.a. die Parolen: "Dieses System stinkt zum Himmel - heute ist nicht alle Tage, wir kommen wieder, keine Frage" " Wir haben uns im Zuge der immer stärker werdenden Bullenrepression (Hinrichtung Wolfgang GRAMS, Knüppeleinsatz auf Demos) die in der Ermordung eines griechischen Menschen am 04. Oktober in Nürnberg gipfelte, entschlossen zurückzuschlagen!" Am 12. Oktober folgten bis zu 400 Personen, darunter etwa 200 Linksextremisten, dem Demonstrationsaufruf eines Bündnisses gegen Polizeigewalt. Während die Versammlung weitgehend störungsfrei verlief, versuchten im Anschluß an die Kundgebung bis zu 30 Personen, in unmittelbarer Nähe des KOMM Pflastersteine auszugraben, was von Passanten unterbunden wurde. Am 19. Oktober demonstrierte das autonome Bündnis gegen Nationalismus und Rassismus unter dem Thema "Vassilis wurde ermordet - Rassismus ist kein Unfall" mit etwa 80 Teilnehmern friedlich gegen den Vorfall. Im Ver- Linksextremismus 135 lauf der Versammlung mußten jedoch aufgrund eines Beschlagnahmebeschlusses des Amtsgerichts Nürnberg Flugblätter mit strafbarem Inhalt sichergestellt und gegen die Verteiler Strafverfahren wegen Beleidigung eingeleitet werden. In den Flugblättern mit der Überschrift "Vassilis wurde ermordet - Rassismus ist kein Unfall" wird eine Polizeibeamtin bezichtigt, den Griechen aus rassistischen Motiven ermordet zu haben. Darüber hinaus wird den Nürnberger PolizeiVerunglimpfung behörden permanentes rassistisches Handeln vorgeworfen. der Polizei Die autonome Szene Nürnbergs ist derzeit besonders aktiv und aggressiv. Das Kommunikationszentrum KOMM der Stadt Nürnberg hatte für die Szene als Veranstaltungsraum, Anlaufund Kontaktstelle bisher wesentliche Bedeutung. Die Auseinandersetzungen über die künftige Nutzung des derzeit durch bauliche Sanierungsmaßnahmen nur eingeschränkt nutzbaren Kommunikationszentrums zwischen Autonomen und Stadt waren mehrfach Anlaß von Schmierereien und sonstigen Aktionen. So störten am 4. Dezember mehrere Autonome Auseinandereine Sitzung des Nürnberger Stadtrates, indem sie unter Skandieren Setzungen um der Parole "KOMM bleibt KOMM" Flugblätter von der Zuschauerdas KOMM tribüne des Sitzungssaales warfen. In dieser Sitzung kündigte der Stadtrat Nürnberg nach Weigerung des KOMM-Trägervereins, einem Kompromißangebot zuzustimmen, die Mietverträge zum 31. Dezember 1997. Am 6. Dezember verlegten unbekannte Täter einen Draht zwischen KOMM und dem Verlagsgebäude einer Tageszeitung. Durch den teilweise über die Straße gespannten Draht erlitt ein Radfahrer Verletzungen. In Flugblättern, die u.a. am Draht befestigt waGemeingefährren, kritisierten die Verfasser die Berichterstattung der Tageszeitung liehe Straftat über das KOMM und drohten weitere Aktionen gegen die Schließung des KOMM an. Wörtlich heißt es: "Wer also danach trachtet, dem KOMM das zu nehmen, was das KOMM ausmacht, spielt mit dem Feuer und wird sich die Finger verbrennen." Der Text endet mit der Forderung: "Für ein selbstverwaltetes linkes Kommunikationszentrum! KOMM bleibt KOMM!". Für den 14. Dezember mobilisierte ein Nürnberger Bündnis gegen Rechts und Sozialraub mit Beteiligung mehrerer Autonomer Gruppen sowie DKP, PDS-AG Betrieb und Gewerkschaft, AG Junge Genossinnen, SDAJ und VVN-BdA bundesweit unter dem Motto "OPPOSITION MACHEN WIR. Schlagt zurück gegen Rechts und Sozialraub. Vom Widerstand zur gesellschaftlichen Perspektive" zu einer Demonstration in Nürnberg. Hintergrund für diese Versammlung mit 136 Linksextremismus etwa 500 Teilnehmern, darunter 150 Autonome und eine Reihe weiterer Linksextremisten, war ebenfalls die Kündigung der Mietverträge für das KOMM. Vor Beginn des Aufzuges ließ die Polizei drei Plakate mit beleidigendem Inhalt entfernen. Sie zeigten den Kopf des Oberbürgermeisters der Stadt Nürnberg mit seiner Amtskette. In Höhe der Stirn war ein Fadenkreuz aufgezeichnet, in dessen Mitte ein mit roter Farbe unterlegtes Einschußloch zu sehen war. Darunter stand: "Alles was in dieser Stadt stört, wird entfernt". In einem Aufrufflugblatt der autonomen Gruppe ORGANISIERTE AUTONOMIE (OA) hieß es zur Bedeutung des KOMM für Autonome: "Das KOMM ist ein bayernweit und sogar bundesweit genutztes Zentrum, es steht und stand der radikalen Linken in diesem Land immer wieder zur Verfügung." Der Aufzug verlief weitgehend störungsfrei. Im Verlauf eines am selben Tag im KOMM aus gleichem Anlaß durchgeführten Festes schoben gegen Mitternacht mehrere vermummte Personen Müllund Versuchte Papiercontainer auf die Fahrbahn und versuchten, diese in Brand zu Brandstiftung setzen. Ein in der Nähe abgestellter PKW wurde dabei beschädigt. Aus dem Obergeschoß des KOMM bewarfen Unbekannte anrückende Einsatzkräfte der Polizei, die vier Tatverdächtige vorläufig festnehmen konnten, mit Flaschen. Im weiteren Verlauf stellte die Polizei in unmittelbarer Nähe des KOMM-Seiteneingangs 24 sogenannte Krähenfüße sicher. Kampagne gegen Die autonome Antifa-Szene im Großraum Nürnberg/Erlangen agiert Rechtsextremisten seit November u.a. zum Thema "Die Spinne im braunen Netz" gegen den Betreiber der Mailbox Widerstand BBS im rechtsextremistischen Thule-Netz. Seit 5. November werden in Erlangen in einer Briefkastenaktion Aufkleber verteilt, um eine breite Öffentlichkeit im "Kampf gegen den braunen Dreck" herzustellen. Die Aufkleber, die mittlerweile auch in Herzogenaurach festgestellt wurden, sind u.a. mit folgenden Parolen versehen: "Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren." "Warnung! Das autonome Gesundheitsamt warnt vor braunem Dreck in Ihrer Umgebung! Bitte entfernen Sie diesen umgehend - SPARTAKUS-A.O." Bei "SPARTAKUS-A.O." handelt es sich vermutlich um eine neue linksextremistische Gruppe. Linksextremismus 137 3.6.3 Autonome Passau Die Polizei fand Anfang September in einem Anwesen in Passau, in Kontakte zur PKK dem Autonome in Wohngemeinschaften leben, Schriftenmaterial der Passauer Antifa-Szene. Neben zahlreichen Publikationen der AA Passau wurden auch Zeichen der verbotenen PKK/ERNK sichergestellt. In der Nacht zum 3. September brachten Unbekannte im Eingangsbereich des Vereinslokals der Burschenschaft "Markomannia Wien zu Passau" u.a. die Parole "Gegen Faschismus/Kampf" an. An der EinAngriff gegen gangstür wurden zwei Holzkassetten eingetreten, eine weitere Burschenschaft beschädigt. Der Gesamtschaden beträgt ca. 500 DM. Das Vereinslokal war schon wiederholt Angriffsziel der autonomen antifaschistischen Szene Passau. Vom 9. bis 11. September besprühten unbekannte Täter mehrere Kampf gegen öffentliche Gebäude und Einrichtungen in Passau und Hauzenberg. DVU Ein Tatzusammenhang mit der DVU-Veranstaltung am 28. September ist anzunehmen. Die gesprühten Parolen lauteten "Nazis schlagen - Nazis jagen!", "Kampf dem Faschismus heißt Kampf der Reaktion!", "28.09. - DVU angreifen" und "Tod dem Staatsterrorismus!". Der Schaden wird auf insgesamt 13.000 DM geschätzt. Gegen die jährliche Großkundgebung in Antifaschist der Passauer Nibelungenhalle rief die AA Passau für den 28. September zur Demonstration "Gegen die faschistische DVU" auf. Die etwa 350 überwiegend der autonomen/antifaschistischen Szene zuzurechnenden Teilnehmer führten u.a. , Transparente mit Aufschriften mit wie I "Kampf dem Faschismus - heißt Kampf dem reaktionären Vormarsch", "Gegen staatliche Willkür - Kampf dem Staats- j terrorismus" und "Solidarität mit dem \kurdischen Befreiungskampf". Insge- I samt 28 Personen, darunter acht aus dem Bereich der Gegendemonstranten, mußten wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und das Waffengesetz vorläufig festgenommen werden. 138 Linksextremismus Am 29. September störten 24 Angehörige der AA Passau eine Gedenkstunde zum Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen im Rathaus Passau durch massive Zwischenrufe. Nachdem sich die Störer weigerten, den Saal zu verlassen, nahm die Polizei fünf bis zur Beendigung der Feierstunde in Unterbindungsgewahrsam. Ein Angehöriger der autonomen AA Passau versuchte am 10. Oktober, den Verkauf der Publikationen "Deutsche National-Zeitung", "Junge Freiheit" und "Deutsche Wochen-Zeitung" in der Passauer Bahnhofsbuchhandlung zu verhindern. Er entnahm die Druckwerke den Zeitungsständern und versteckte sie hinter ausländischen Zeitschriften. Einem Kunden gegenüber äußerte er, daß hier "Nazipropaganda" vertrieben werde. Im SepAktion gegen tember 1992 wurden erste AktioZeitschriftennen gegen Zeitschriftenhändler händler im Rahmen einer bundesweiten Kampagne "Stoppt Nazizeitungen" bekannt. Verfasser einer gleichnamigen Schrift forderten darin das "antifaschistische Protestpotential" auf, in Briefen Zeitungshändler auf den Charakter der angebotenen Zeitungen hinzuweisen und aufzufordern, "den Verkauf der betreffenden Blätter in Zukunft zu unterlassen". In Bayern wurden bisher neun Fälle bekannt. Zuletzt blockierten am 29. Juni in Nürnberg mehrere Personen durch eine Sitzblockade den Eingang eines Zeitungsgeschäfts. Am Abend des 12. Dezember stellte die Polizei im Stadtgebiet Passau mehrere Plakate der AA Passau und Aufkleber mit strafbarem Inhalt fest. Die Texte der Aufkleber lauteten: "Die ist ein Aufruf zur Revolte! Kanther und Beckstein an die Wand! Organisiert den Widerstand! 1/3 Heizöl 2/3 Benzin Werdet aktiv gegen Faschismus, Rassismus und Kapital!" Die Plakate forderten die Abschaffung der Sicherheitswacht in Passau, riefen zur "Antifaschistischen Selbsthilfe" auf bzw. forderten die Aufhebung des Verbots der KPD. Hinsichtlich der ohne Impressum verbreiteten Aufkleber wurde ein Ermittlungsverfahren wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten eingeleitet. Linksextremismus 139 3.7 Entwicklungstendenzen Die Gewaltbereitschaft der Autonomen stellt eine ernste Gefahr für Gefahr für die die Innere Sicherheit dar. Die weitere Entwicklung des Gewaltpoteninnere Sicherheit tials der Autonomen hängt von den Reizthemen ab, die ihnen für ihren Aktionismus geeignet erscheinen. Der Schwerpunkt autonomer Aktivitäten und Gewalttaten liegt zeitweise im Bereich des Protests gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie, und hier insbesondere beim vielfach gewalttätigen Protest gegen den Transport abgebrannter Brennelemente in sogenannten Castorbehältern. In Bayern versucht insbesondere die autonome Szene in München, den geplanten Neubau eines Forschungsreaktors in Garching, Landkreis München, zu thematisieren und als Vorwand für Aktionen bis hin zur Gewaltanwendung zu mißbrauchen (vgl. auch Nummer 5.2. dieses Abschnitts). Bereits früher wurden Vorbehalte gegen kerntechnische Anlagen zu breitgefächerten Aktionen und Bündnissen genutzt. Auch das Mobilisierungsthema Antifaschismus gewinnt mit den Aktivitäten gegen die rechtsextremistischen JN und den Aktionen gegen rechtsextremistische Publikationen wieder an Bedeutung. In Nürnberg stellt die Kündigung der Mietverträge für das KOMM durch den Nürnberger Stadtrat ein weiteres zentrales Thema dar, um ein Zusammenrücken der gewaltbereiten Szene und weitere Bündnisse zu fördern. Auffallend ist bundesweit die Gründung von Ortsgruppen der linksextremistischen Haftund Rechtshilfeorganisation "Rote Hilfe e.V.", in Bayern u.a. in München, Passau, Nürnberg/Fürth/Erlangen sowie der Aufbau von Gruppierungen mit der Bezeichnung Antifaschistische Aktion (AA) wie AA München, AA Nürnberg, AA Passau und AA Pfaffenhofen. 4. Bündnisse gegen Rassismus An dem linksextremistisch beeinflußten Münchner Bündnis gegen LinksextremiRassismus beteiligen sich neben demokratischen Gruppierungen die stischer Einfluß linksextremistisch beeinflußte VVN-BdA, marxistisch-leninistische Organisationen wie DKP, AB, Vereinigung für Sozialistische Politik (VSP) und die trotzkistische Sozialistische Arbeitergruppe (SAG). Die Leitung bei Treffen und Veranstaltungen oblag jeweils Aktivisten der linksextremistischen Gruppierungen. Diese zeichneten auch für Flugblätter des Bündnisses presserechtlich verantwortlich. Das Bündnis fungierte als Träger für eine Vielzahl von Aktivitäten, zu denen kleinere Gruppen alleine nicht in der Lage waren. 140 Linksextremismus Aktionen am Tag Das Münchner Bündnis gegen Rassismus war maßgeblich beteiligt an der Deutschen der Initiierung und Organisation der Protestaktionen "Einheizfest", Einheit Demonstration, Politikveranstaltung und "Volxküche" gegen die offiziellen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober in München. Das "Einheizfest" (gleichzeitig auch "6. Antifafestival" der Autonomen) am 2. Oktober verlief mit einer Ausstellung, Filmen und Info-Ständen und Musik bei etwa 350 Besuchern störungsfrei. An der Demonstration des "Aktionsbündnisses gegen die nationalen Einheitsfeiern" unter Demo dem Motto "Gegen die nationalen Einheitsfeiern am 3. Oktober in München. Es 3.0W. gibt nichts zu feiern, aber viele Gründe i zum Widerstand" beteiligten sich u.a. 1 1 München \ PDS, DKP, Antifaschistische Aktion München, Autonome Antifa (M) aus GöttinStochus gen sowie die Internationale Sozialisti11 "feie' sche Organisation (ISO). Von den ca. *c 1.200 Personen waren etwa 200 der autonomen Szene zuzuordnen. Im Zusammenhang mit der Demonstration mußten drei Personen, am Rande der offiziellen Festveranstaltungen vier Personen vorläufig festgenommen werden. Im Anschluß an die Demonstration lud das Aktionsbündnis zu einer von der PDS ausgerichteten Politikveranstaltung zum Thema ---'' "Einheitsopfer und Einheitsprofiteure" in das Gewerkschaftshaus ein. Die von den Autonomen im Cafe "Marat" durchgeführte "Volxküche" besuchten etwa 100 Personen. Trotz bundesweiter Mobilisierung für die Gegenveranstaltung in München stellte sich das Protestpotential zersplittert dar und konnte sich nicht auf einen Demonstrationsort einigen. Die offiziellen Feierlichkeiten in München am 3. Oktober fanden programmgemäß und störungsfrei statt. 5. Linksextremistischer Einfluß auf die Antikernkraftbewegung Kampf gegen die Die Proteste der Antikernkraftbewegung geben Linksextremisten alDemokratie ler Richtungen Anlaß für Gewalttaten - bereits rund 44% aller links- ünksextremismus 141 extremistischen Gewalttaten sind diesem Bereich zuzurechnen - und für Bemühungen zur Gewinnung neuer Mitstreiter für ihre verfassungsfeindlichen Ziele. Ihr Ziel ist es, durch Schüren des Anti-Kernkraft-Protests und Zusammenarbeit mit anderen Gruppen die demokratische Ordnung zu bekämpfen.. Den Linksextremisten gelingt es durch geschickte Agitation, die Antikernkraftbewegung zunehmend für ihren verfassungsfeindlichen Kampf gegen den "Atom"-Staat zu instrumentalisieren. Mit Aufrufen zu Gewalttaten und Sachbeschädigungen im Rahmen des "zivilen Ungehorsams" stellen die Organisatoren von Protestveranstaltungen insbesondere im Bereich Gundremmingen auf die Seite der Autonomen und unterstützen damit im Ergebnis deren Agitation gegen Demokratie und Rechtsstaat. Auch künftig muß im Zusammenhang mit Castor-Transporten nach Gorleben mit einer weiteren Zuspitzung gerechnet werden. Anlaß zu erhöhter Wachsamkeit bietet auch die bundesweite Thematisierung des Neubaus eines Forschungsreaktors für die Technische Universität München in Garching. 5.1 Entwicklung im Bundesgebiet Bundesweit hatte der Anfang Mai durchgeführte Castor-Transport aus der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague in Frankreich zum atomaren Zwischenlager in Gorleben zentrale Bedeutung für die Proteste der Antikernkraftbewegung. Linksextremisten aller Richtungen schlössen sich den Protesten an. Bereits im Vorfeld versuchten autonome Gruppen, durch Veröffentlichungen in Szene-Zeitschriften die Radikalisierung Protestbewegung zu radikalisieren. Ihr Ziel war, die Castor-Transpordurch Autonome te durch die von ihnen erzwungenen Polizeieinsätze und die erzielten Sachschäden durch Anschläge und sonstige Straftaten "unbezahlbar" zu machen. Neben einer großen Anzahl von Aufrufen zu den Protestkundgebungen am eigentlichen Transporttag veröffentlichte u.a. das autonome Szeneblatt "INTERIM" aus Berlin eine Reihe von Anleitungen zu Sachbeschädigungen an Bahnanlagen. Unmittelbar vor und während des Castor-Transports am 7. und 8. Mai kam es bundesweit zu einer erheblichen Steigerung von Protestund Gewaltaktionen (vgl. 5. Abschnitt Nummer 1.2). Am 8. Mai demonstrierten an der Wegstrecke von der Castor-Umladestation in Dannenberg zum Zwischenlager in Gorleben etwa 6.000 zum Teil militante Linksextre- 142 Linksextremismus Schwere misten gegen den Castor-Transport. Gewalttäter beschossen dabei Gewalttaten die transportbegleitenden Polizeibeamten mit Leuchtmunition und bewarfen sie mit Flaschen und Steinen. Dabei wurden mehrere Polizeibeamte verletzt. Auf der gesamten Strecke behinderten Barrikaden und Sitzblockaden den Transport, der nur im Schrittempo vorankam. Weit über 100 Gewalttäter wurden vorläufig festgenommen. Insgesamt feierten autonome Gruppen die Protestaktionen als Erfolg. In der autonomen Szene-Zeitschrift "INTERIM" vom 16. Mai hieß es u.a.: "Der Tag x2 ist voll aufgegangen - Der Transport ist auf allen Ebenen teu rergekommen, politisch wie materiell. (...) Wir im Widerstand dürfen der Gegenseite keine Atempause geben, sondern müssen politisch weite handeln und offensiv bleiben. Wenn weiterhin Atommülltransporte ins Wendland stattfinden, sollte schon jetzt darauf hingearbeitet werden, daß x3 noch teurer wird, daß noch mehr AKW-Gegnerinnen sich an den Widerstandsaktionen beteiligen. Diese umfassen selbstverständlich d ganze Spektrum vom Infotisch bis zum Anschlag." Aufrufe zur In derselben Ausgabe druckte die Publikation "INTERIM" eine detailSabotage Herte Anleitung zur Sabotageaktionen an Signalkabeln der Deutschen Bahn AG ab. In einer weiteren Ausgabe der "INTERIM" (Nummer 385 vom 9. August) betonten die sich "Die BesserWisserlnnen" nennenden Verfasser den bundesweiten Symbolcharakter der Protestaktionen im Wendland und in Gorleben und lehnten die Unterscheidung in "Friedliche Wendländer/Militante Auswärtige" ab. Der Widerstand Keine Distanzieim Wendland sei Bestandteil einer bundesweiten Anti-AKW-Bewerung von Gewalt gung, die jeweils vor Ort agiere. Nach dem letzten Castor-Transport spiele das Thema Militanz auch im Wendland wieder eine Rolle. Die Autoren behaupteten dazu eine schrittweise Entwicklung der Motive. Zunächst habe es geheißen: "Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht", dann habe die Parole gegolten: "Wenn ihr unser Leben nicht achtet, achten wir Eure Gesetze nicht", jetzt heiße es vielerorts: "Wenn aufgebrachte Bevölkerung auf der Straße so beiseite geschoben wird, wenn auf eine Ablehnung geschissen wird, die die demokratischen Spielregeln einhält, dann müssen deutlichere Maßnahmen ergriffen werden". Für den dritten Versuch, einen Castor-Transport durchzuführen, überlegten "viele für sich auch zum erstenmal eine härtere Gangart, mehr Schläue und Verschlagenheit, mehr Heimtücke und Zwangsstopps für Castor samt Polizeiarmada". Linksextremismus 143 Im Rahmen der auch von militanten Linksextremisten unterstützten Kampagne gegen den Transport und die Lagerung von Atommüll haben verschiedene Bürgerinitiativen in Norddeutschland die vierte Ausgabe ihrer Publikation "Restrisiko - Zeitung aus der Anti-Atom-Bewegung" veröffentlicht. Sie ist als Beilage der "tageszeitung" (taz) vom 16. August erschienen. Darin wurde zu Aktionen gegen den für Ende des Jahres geplanten, dann aber auf 1997 verschobenen, gemeinsamen Transport mehrerer Castor-Behälter mit insgesamt 49 Brennelementen aus den Atomkraftwerken Gundremmingen und Neckarwestheim nach Gorleben aufgefordert. Die Publikation forderte mittelbar zum Entfernen von Schotter, Herausschrauben von Bolzen und Zersägen von Schienen auf. Die Zeitung "Restrisiko" hat sich besonders während des CastorForum für Transports im Mai als ein Medium gezeigt, in dem auch LinksLinksextremisten extremisten mitarbeiten und Texte veröffentlichen konnten. Auch die zitierte Ausgabe gab mutmaßlichen Linksextremisten Raum zur Äußerung. In einem Kommentar wurde die Ablehnung der Atomenergie lediglich als Bekämpfung eines Symptoms dargestellt; die eigentliche Wurzel des Problems liege im Kapitalismus, der "alle und alles in seine Logik integriert und fördert: Leistungsdenken, Machtstreben, Sexismus und Rassismus ...". Daher gehe es auch darum, gegen diese allgegenwärtigen Strukturen anzugehen. Vom 27. bis 29. September fand in den Räumen der Universität HarnAutonome bei bürg die "Herbstkonferenz" der Anti-AKW-Bewegung statt. Daran Herbstkonferenz nahmen etwa 200 Vertreter aus rund 50 Bürgerinitiativen teil; rund der Atomkraftein Viertel der Teilnehmer stammte aus autonomen Zusammenhängegner gen. In verschiedenen Arbeitsgruppen (AGen) wurde das weitere Vorgehen im Hinblick auf den nächsten Castor-Transport erörtert. Ein von allen Teilnehmern getragenes Konzept konnte dabei nicht erreicht werden; akzeptiert wurden aber unterschiedliche "Widerstandsformen". An der AG "Kampf gegen den Castor - Kampf gegen die herrschende Ordnung" nahmen rund 30 Personen teil, etwa zur Hälfte Autonome. Sie bemängelten, daß der antikapitalistische Kampf in der Anti-AKW-Bewegung zu kurz komme. Die übrigen Teilnehmer betonten, daß es ihnen um die Verhinderung des Zwischenlagers in Gorleben und den Ausstieg aus der Atomkraft gehe. Sie akzeptierten aber, wenn andere ihren Kampf darüber hinaus führten. Der Ablauf der "Herbstkonferenz" bestätigt die bereits die in ihrem Vorfeld erkennbare zunehmende Bereitschaft, durch Gesetzesverletzungen, auch mit militanten Mitteln, den nächsten Castor-Transport zu verhindern. 144 Linksextremismus 5.2 Entwicklung in Bayern Schwerpunkte in Auch bayerische autonome Gruppen riefen zu Protestaktionen gegen Bayern den Castor-Transport auf. Dabei versuchten insbesondere die Autonome Zelle "Erich Mühsam" und die autonome Gruppe "zusammen kämpfen" aus München, die Protestaktionen auch mit Castor-Transporten aus Gundremmingen und dem Neubau eines Forschungsreaktors für die Technische Universität München in Garching zu verbinden. Ziel der Linksextremisten ist es dabei, die Kernkraftgegner für ihre eigenen politischen Ziele und ihren Kampf gegen den Staat einzuspannen. So heißt es in einem Flugblatt der autonomen Gruppe "zusammen kämpfen" " (tm) _ Y Ä 1 " * ! * \ mit der Überschrift "Der Atommafia das Handwerk legen" zu den "Perspektiven des AU* *"TT - ="E"35PS Widerstandes", mit ein paar Flugblättern und Demonstrationen sei nichts zu gewinnen. Erforderlich sei vielmehr "langer und zäher Widerstand in einem langandauernden Kampf gegen das Kapital und seine HelfersSSSf""^*" helfer". Zu ihren Zielen führte die Gruppe : ""^.^"-""^^""*^i*PS*'T"3n'aus, daß sie für die Überwindung der kapiusoe S Tiee* *powe MMHOO, ^ , !Li faustischen Produktionsverhältnisse und die radikale Veränderung der Besitzund LEISTE? ? S PS S Ä i 5 3 Machtverhältnisse in der Gesellschaft ***" kämpfe. Die Autonome Zelle "Erich Müh- i ^-^Sä- 1 **"""*"" sam" umschrieb in einem Flugblatt mit dem Titel "Auf nach Gorleben" ihre eigentlichen Ziele. So hieß es u.a., gerade bei der Atompolitik entlarve sich ein System, dem die Interessen der Bevölkerung und die Natur und Umwelt vollkommen egal seien, dem Kampf gegen es allein um "Profit und die Macht einiger Handvoll Wirtschaftsbosse den Staat und Politikerinnen" gehe. Das Flugblatt endete mit massiven Aufrufen zu Strafund Gewalttaten. Die Castor-Transporte müßten mit allen Mitteln verhindert werden. "Ob gewaltfrei oder militant - das muß jeder selbst für sich entscheiden. Alle Aktionsformen sind legitim, solange dieser Staat nicht umdenkt!" Ein Teil der Kernkraftgegner hat die Gewaltbereitschaft der Autonomen übernommen. Neben der Bundestagsabgeordneten Elisabeth Aufruf zu Gewalt Altmann vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterzeichnete die PDS-Buniurch Abgeorddestagsabgeordnete Bulling-Schröter aus Ingolstadt einen Aufruf zur lete Schienendemontage am Kernkraftwerk Gundremmingen und forder- Linksextremismus 145 te damit zusammen mit der Mahnwache Gundremmingen offen zu Strafund Gewalttaten auf. In einem Beitrag in der PDS-nahen Zeitung "Neues Deutschland" vom 18. April hatte die PDS-Abgeordnete u.a. erklärt, Mahnwachen hätten bis jetzt nicht zum Erfolg geführt. Deshalb sollten mit handwerklichen Mitteln "absolut gewaltfrei" Schienen demontiert werden, um auf die aktuellen Gefahren hinzuweisen, die vom AKW ausgingen. "Ziviler Ungehorsam" habe in der Bundesrepublik Deutschland Tradition. Im Verlauf der Protestkundgebung am Kernkraftwerk Gundremmingen am 28. April wurden 22 Personen wegen versuchter Sachbeschädigung festgenommen und 37 Personen wegen Nichtbefolgung polizeilicher Anordnungen in Gewahrsam genommen. Die Teilnehmer hatten versucht, die Gleisanlagen zu beschädigen. Die Autonomen kommentierten die Aktion des "zivilen Ungehorsams" in der autonomen Publikation "infodienst münchen" als "ernstgenommenen Versuch", den Transport zu verhindern. Neben den Castor-Transporten engagieren sich Autonome und LinksProtest gegen extremisten zunehmend gegen den Bau des Forschungsreaktors Reaktorneubau München II bei Garching. Deutlich wurde diese Entwicklung u.a. bei den Veranstaltungen zum zehnten Jahrestag der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl am 27. April in München. Bis zu 400 durchwegs linksextremistischen Organisationen wie PDS, MLPD und AB, Autonomen sowie Trotzkisten zuzuordnende Personen beteiligten sich an einem zusätzlich zur offiziellen Veranstaltung angemeldeten Aufzug. Elf Personen mußten von der Polizei wegen Auflageverstößen und Verteilen von Flugblättern strafbaren Inhalts vorläufig festgenommen werden. Dieser maßgeblich von Linksextremisten dominierte Aufzug stand unter dem Motto "Sofortige Stillegung aller Atomanlagen/kein FRM II". Auch die mitgeführten Transparente und Plakataufschriften thematisierten den geplanten Neubau und griffen insbesondere Firmen an, die mit dem Bau betraut werden sollen. Ein bundesweites Treffen der Antikernkraftbewegung am 22. Juni in Göttingen bekräftigte, dem DKP-Zentralorgan UZ vom 5. Juli zufolge, die Entschlossenheit, neben dem Widerstand gegen die Castor-Transporte auch den Widerstand gegen den Neubau des Forschungsreaktors in Garching aufzubauen. Die Versammlung, an der - dem Bericht zufolge - der umweltpolitische Sprecher der PDS im Bundestag und ein DKP-Mitglied teilnahmen, war sich einig, daß "Profitsucht der Energieversorgungsunternehmen und militärische Überlegungen wichtige Antworten auf die Frage nach dem Grund der Sturheit" seien, "diese 146 Linksextremismus menschenfeindliche Energieerzeugung weiterzuverfolgen". Künftig werde die Antikernkraftbewegung nicht nur reagieren, sondern agieren: "Auch von dieser Seite: Es wird ein heißer Herbst werden." Seit Anfang des Jahres wurde der Neubau des Forschungsreaktors München II mehrfach in linksextremistischen Publikationen thematisiert. Hauptangriffspunkt war dabei der beabsichtigte Betrieb mit hochangereichertem Uran, das auch für Kernwaffen Verwendung finden könne. Dabei wurde unterstellt, Deutschland würde versuchen, über den Betrieb des Forschungsreaktors Kernwaffen zu beschaffen. Die autonome Gruppierung "zusammen kämpfen" rief in am 30. Juli in München verteilten Flugblättern zur Störung der Feiern zum Gewalt bei 1. Spatenstich für den neuen Forschungsreaktor der Technischen 7. Spatenstich Universität München in Garching auf. An einer von einem Bündnis gegen den Atomreaktor in Garching angemeldeten Gegenkundgebung am 1. August beteiligten sich bis zu 120 Personen. Bereits kurz nach Beginn der Veranstaltung verließ ein Großteil der Versammlungsteilnehmer die vom Landratsamt München und der Polizei festgelegte Versammlungsfläche und behinderte die Anfahrt der geladenen Gäste. Dabei beschädigten sie mehrere Fahrzeuge durch Faustschläge und Fußtritte. Während der Versammlung begaben sich ca. 60 Personen in kleineren Gruppen zum östlichen Teil des Bauzaunes. Dort störten sie die Festreden erheblich durch Trillerpfeifen und lautstarke Sprechchöre und rissen den Bauzaun teilweise aus der Verankerung. Weitere Beschädigungen konnten durch Polizeikräfte verhindert werden. : ührende Rolle Unter maßgeblicher Mitwirkung Autonomer aus München proteier Linksextrestierte in Garching am 24. November eine Arbeitsgemeinschaft "Formisten schungsreaktor München II - Nie!" mit etwa 300 Teilnehmern gegen den laufenden Neubau. Neben themenbezogenen Flugblättern und Transparenten waren auch Sprechchöre zu hören wie "Siemensgangster, bald seid ihr weg vom Fenster", "kommt Zeit, kommt Rat, kommt Attentat", "Feuer und Flamme für diesen Staat" und "Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt". Der Aufruf, für den ein PDS-Funktionär aus' München mit Kontaktadresse im autonomen Info-Laden München verantwortlich zeichnete, wurde u.a. unterstützt von der PDS und mehreren autonomen Gruppen wie "zusammen kämpfen" und Autonome Zelle "Erich Mühsam". In einem Diskussionspapier vom 25. November - veröffentlicht im autonomen Szeneblatt "INTERIM" Nummer 400 vom 5. Dezember - rief Unksextremismus 147 eine Gruppe aus dem Anti-Atom-Plenum Berlin für den 8. Februar 1997 zu einer Großdemonstration mit bundesweiter Beteiligung auf. Die Terminverschiebung des dritten Castor-Transports vom November 1996 auf 1997 ist nach Meinung der Gruppe ein schöner Erfolg, der zugleich Bestätigung und Ermunterung bedeute. Zwar habe sich die thematische Konzentration auf Gorleben und die Bahn AG bewährt, eine Thematisierung weiterer Schwerpunkte sei aber bereits jetzt für den Fall erforderlich, daß der "Gorleben Castor" als Symbol nicht mehr zur Verfügung stehe: "Die größte Atomschweinerei passiert gerade in München, bzw. GarBundesweite ching: Im August wurde dort begonnen, einen neuen ,Forschungs'-ReakThematisierung tor (FRM II) ... zu bauen. Ungeachtet internationaler Proteste soll dieses des ReaktorProjekt durchgezogen werden. (...) Die offizielle Begründung ,Forneubaus schungsbedarf' kann technisch schnell widerlegt werden. Wir wollen uns hier mehr den politischen Dimensionen widmen: Der wichtigste Hintergrund erscheint im Zusammenhang mit der angestrebten Weltmachtrolle Deutschlands: Den Zugriff auf die Atombombe zu besitzen um bei den zukünftig sich verschärfenden weltweiten Spannungen ... unabhängig agieren zu können." 148 Linksextremismus 6. Übersicht über erwähnenswerte linksextremistische und linksextremistisch beeinflußte Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 1996 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) 1. Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 1.1 Kernorganisationen: Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 600 6.000 Unsere Zeit (UZ) 13 Bezirksorganisationen, aufgeteilt wöchentlich, 10.000 in Kreisund Grundorganisationen Marxistische Blätter 26.09.1968, Essen zweimonatlich, 3.000 Partei des Demokratischen 107.000 Neues Deutschland (ND) Sozialismus (PDS) - PDS-nahe Zeitung - - neuer Name beschlossen werktäglich, 70.000 auf SED-Parteitag am DISPUT 16717.12.1989-, Berlin zweimal im Monat, 11.000 PDS-Pressedienst wöchentlich, 2.200 UTOPIE-kreativ-Diskussion sozialistischer Alternativen monatlich, 600 Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS monatlich, 17.000 PDS Landesverband Bayern 450 TITEL (Informationsforum mit 7 Kreisverbänden und der PDS Bayern) 20 Basisorganisationen unregelmäßig, 500 11.09.1990, München Verein für Arbeiterbildung Nordbayern 50 Nordbayerischer Landbote 28.03.1993, Fürth unregelmäßig, 100 Arbeiterbund für den Wiederaufbau 100 200 Kommunistische der KPD (AB) Arbeiterzeitung (KAZ) 1973, München monatlich, 3.500 Marxistisch-Leninistische 140 2.700 Rote Fahne Partei Deutschlands (MLPD) wöchentlich, 7.500 10 Parteibezirke, über 100 lernen u. kämpfen (luk) Ortsgruppen und Stützpunkte monatlich, 1.000 17718.06.1982, Essen Linksextremismus 149 Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 1996 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK) 25 200 Politische Berichte 7 Landesarbeitsgemeinschaften vierzehntägig, 1.000 20./21.09.1980, Köln Vereinigung für Sozialistische Politik (VSP) 25 150 Sozialistische Zeitung (SoZ) 24./25.06.1995, Köln vierzehntägig, 2.000 Sozialistische Arbeitergruppe (SAG) 25 210 Sozialismus von unten Frankfurt am Main vierteljährlich, 3.500 Kommunistischer Bund (KB) Hamburg (aufgelöst am 20.04.1991) Nachfolgegruppen: 100 analyse und kritik (ak) Gruppe K monatlich, 3.500 Gruppe Mehrheit KB-Gruppe Nürnberg 20 Marxistische Gruppe (MG) München 700 10.000 GEGENSTANDPUNKT 1969/70 AK Rote Zellen, München Herausgeber: ehemalige ("aufgelöst" zum 01.06.1991) Funktionäre der MG vierteljährlich, 7.000 1.2 Nebenorganisationen: Nebenorganisation der DKP: Sozialistische Deutsche 50 200 position Arbeiterjugend (SDAJ) zweimonatlich, 600 Landesverbände, Kreisverbände und Ortsgruppen 04705.05.1968, Essen Nebenorganisation der MLPD: Jugendverband REBELL 20 Rebell - Beilage zur Roten Fahne - 1.3 Beeinflußte Organisationen: DKP-beeinflußt: Vereinigung der Verfolgten des 650 8.000 antifa-rundschau Naziregimes - Bund der Antivierteljährlich, 9.000 faschisten (VVN-BdA) Landesvereinigungen mit Kreisund Ortsvereinigungen 15.-17.03.1947, Frankfurt am Main 150 Linksextremismus Organisation (einschließlich Mitglieder Ende 1996 Publikationen (einschließlich Gründungsdatum und Sitz) Bayern Deutschland Erscheinungsweise u. Auflage) MLPD-beeinflußt: Frauenverband Courage 20 Courage vierteljährlich AB-beeinflußt: Antifaschistisches Komitee 90 - Stoppt die schwarzbraune Sammlungsbewegung (AKS) in München und Regensburg BWK-beeinflußt: Volksfront gegen Reaktion, 40 200 Mitteilungen Faschismus und Krieg (VOLKSFRONT) vierteljährlich, 800 06.10.1979, Köln Trotzkistisch beeinflußt: Jugend gegen Rassismus in Europa (JRE) 50 1.000 Vorfeldorganisation der trotzkistischen "Sozialistischen Alternative VORAN" (SAV) 1992, Köln 2. Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten Autonome etwa 7.000 zum Teil unregelmäßig 460 erscheinende Szeneblätter wie: radikal, INTERIM; auf lokaler Ebene u.a: wie weiter und Barricada Antifaschistische Aktion/Bundes40 unregelmäßig erscheinende weite Organisation (AA/BO) Publikationen, für die die Juli 1992 AA/BO als Herausgeber verantwortlich zeichnet 3. Von mehreren Strömungen des Linksextremismus beeinflußt Münchner Bündnis gegen Rassismus 30 München Aktionsbündnis gegen Rassismus 20 Nürnberg Münchner Kurdistan-Solidaritätskomitee 20 München Ausländerextremismus 151 3. Abschnitt Extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern 1. Allgemeines Ausländergruppen werden als extremistisch eingestuft, wenn sie sich Einstufung als gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Dazu extremistisch zählen insbesondere die Organisationen islamischer Extremisten, die als Endziel einen islamischen Staat, wie z.B. im Iran, auch in Deutschland durchsetzen und damit wesentliche Verfassungsgrundsätze beseitigen wollen. Extremistische Ziele verfolgen auch Gruppierungen, die eine gewaltsame Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatland erstreben und dadurch auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Die Zahl der in Bayern erkannten extremistischen Ausländerorganisationen ging auf 159 (1995: 162) zurück. Dabei hielten sich der AbRückläufige wärtstrend islamisch-extremistischer und die Zunahme extrem natioTendenz nalistischer türkischer Gruppen in etwa die Waage. Die Mitgliederzahl der extremistischen Ausländervereinigungen sank in Bayern von 9.900 im Jahre 1995 auf 9.700*. Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatten dabei islamisch-extremistische türkische Gruppen. Wie im Vorjahr stellten die Organisationen extremistischer Türken (einschließlich kurdischer Volkszugehöriger) mehr als 90 Prozent aller ausländischen Extremisten in Bayern. Eine erhebliche Bedrohung der Inneren Sicherheit geht nach wie vor Oefährdungsvon linksextremistischen kurdischen und türkischen Gruppen aus. potential Von besonderem Gewicht sind dabei die Aktivitäten der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die sich wiederum als die weitaus ' aggressivste und gefährlichste Organisation ausländischer Extremisten erwiesen hat. Wie bisher kann sie in den westeuropäischen Ländern eine hohe Zahl kurdischer Volkszugehöriger als Sympathisanten mobilisieren. Das gegen die PKK in Deutschland verfügte vereins- * Mit eingerechnet sind dabei auch rund 2.000 Anhänger der seit 26. November 1993 in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). 152 Ausländerextremismus rechtliche Betätigungsverbot hat neue Bekämpfungsmöglichkeiten versammlungsund strafrechtlicher Art eröffnet, die zur weiteren Aufklärung und Unterbindung unzulässiger PKK-Aktivitäten beitragen. Außerdem hat die konsequente Durchsetzung des PKK-Verbots die öffentlichen Aktivitäten der PKK stark eingeschränkt. Auch ist es der PKK nach dem im Vorjahr verfügten Verbot örtlicher Unterstützervereine nicht gelungen, sich in Bayern in offenen Strukturen neu zu formieren. Die Organisation arbeitet aber weiterhin konspirativ im Untergrund und ist nach wie vor zu Terrorakten in der Lage. Auch 1996 gelang es den Sicherheitsbehörden, verdeckt operierende Führungskader festzunehmen. Die PKK versucht, trotz des in Deutschland bestehenden Betätigungsverbotes ihre Ziele konsequent unter Einsatz aller ihr geeignet erscheinenden Mittel durchzusetzen. Ihre ungebrochene Militanz kam insbesondere im Vorfeld des kurdischen Neujahrsfestes (Newroz) zum Ausdruck. Zahlreiche gewaltsame Übergriffe gegen eingesetzte Polizeikräfte machten dabei deutlich, daß die Anhänger der PKK entschlossen sind, auf staatliches Einschreiten mit brutaler Härte zu reagieren. Der PKK-Vorsitzende richtete erneut unverhüllte Drohungen gegen Deutschland, die er später wieder zurücknahm. Danch stellte die PKK ihre Anschläge auf Polizeistationen und türkische Einrichtungen ein und bemühte sich um einen politischen Dialog. Angesichts vorangegangener Drohungen, Anschläge und sonstiger militanter Aktionen und der anhaltenden Nötigung und Erpressung in Deutschland lebender Kurden ist indes dem vorgeblichen Willen der PKK zu friedlicher politischer Verständigung mit Skepsis zu begegnen. Tatsächlich betrieb die Organisation bisher eine Strategie teils subtil verborgener, teils offen propagierter und praktizierter Gewalt. Auch im Bereich der revolutionär-marxistischen türkischen Gruppen ist keine wesentliche Entspannung erkennbar. Die unveränderte Militanz und kriminelle Energie dieser Gruppen manifestierte sich insbesondere in der Art der Sympathiebekundungen für hungerstreikende Gesinnungsgenossen in türkischen Haftanstalten. Türkische Nationalisten verzeichneten einen leichten Aufwärtstrend und Werbeerfolge insbesondere bei Jugendlichen. Aus der Beteiligung islamischer Fundamentalisten an der Regierungsbildung in der Türkei konnten die hiesigen Anhänger kaum Nutzen ziehen und resignierten mittlerweile, nachdem sich ihre auf Ministerpräsident Erbakan und seine Partei gesetzten hohen Erwartungen nicht erfüll- Ausländerextremismus 153 ten. Islamische Extremisten sind mit sicherheitsgefährdenden Aktionen in Bayern nicht in Erscheinung getreten. Sie bedürfen aber aufgrund der weltweiten Entwicklung des islamischen Fundamentalismus einer sorgfältigen Beobachtung. Arabische und iranische Extremisten stellen derzeit kein akutes Sicherheitsrisiko dar. Gleiches gilt für Angehörige albanischer, bosnischer, kroatischer und serbischer Volksgruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Zahl und Stärke extremistischer Ausländerorganisationen In der folgenden Übersicht sind die in Bayern bestehenden extremistischen Vereinigungen nach ihren ideologischen Standorten und politischen Zielsetzungen aufgeschlüsselt. Örtlich selbständige Gruppen sind dabei gesondert gezählt, auch wenn sie zu einer Dachorganisation gehören. LinksExtrem natioIslamischGruppen Gesamtzahl extremistische nalistische extremistische insgesamt Mitglieder Gruppen Gruppen Gruppen Araber' 3 (3) 3 (3) 270 (310) Kurden 17 (18) 17 (18) 2.000 (2.150) Türken 11 (12) 24 (19) 75 (81) 110 (112) 7.100 (7.190) Sonstige2 27 (27) 2 (2) 29 (29) 330 (250) Gruppen insgesamt 55 (57) 26 (21) 78 (84) 159 (162) Gesamtzahl Mitglieder 2.690 (2.780) 1.490 (1.030) 5.520 (6.090) 9.700 (9.900) In Klammern die Vergleichszahlen des Vorjahres 1 Mitglieder der Arabischen Liga 2 Sonstige: Albaner, Inder, Iraner, Srilanker 154 Ausländerextremismus Entwicklung Mitglieder der Mitglie120.000 derzahlen 108.600 extremistischer Ausländerorga100.000 nisationen 80.000 60.000 ca 57.300. Deutschland 40.000 20.000 6.800 9.700 Bay "rn ""-""~- 0 1987 88 90 91 92 93 94 95 96 Entwicklung Mitglieder Mitglieder der einzelnen 60 IL) Bereiche Deutschland Bayern /"" 9 / (Mitgliederzahlen 50 in Tausend) 8 7 40 6 30 5 4 20 3 Islamische Extremisten ^ ^ ^ 2 10 Extreme Nationalisten Linksextremisten 1992 93 94 95 96 HM 1992 93 94 95 96 Ausländerextremismus 155 2. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 2.1 Ideologie und Organisation Die in der Türkei verbotene PKK ist eine straff organisierte KaderMarxistischorganisation, die unbeeindruckt von den politischen Veränderungen leninistische in den ehemals kommunistischen Ostblockstaaten an ihrer marxiKaderorganisation stisch-leninistischen Ideologie festhält. In ihrem Programm fordert sie einen "unabhängigen und demokratischen" Kurdenstaat unter Führung der PKK. Zeitweise propagierte sie auch eine Föderation im Südosten der Türkei. Seit 1984 führt sie mit ihrer in den Kurdengebieten operierenden Guerillatruppe Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK) einen erbitterten Untergrundkampf gegen den türkischen Staat. In Deutschland unterliegt die PKK einem am 26. November 1993 vom Bundesministerium des Innern verfügten vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Die Zentrale der hierarchisch gegliederten und Tarnorganisatioäußerst konspirativ arbeitenden PKK befindet sich nen der PKK in Damaskus/Syrien; "Generalvorsitzender" ist Abdullah Öcalan. Als "politischer Arm" der Vereinigung unterstützt die 1985 gegründete, in das bundesweite Betätigungsverbot einbezogene internationale Teilorganisation Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) die Interessen und Ziele der PKK sowohl materiell als auch propagandistisch. Darüber hinaus bedient sich die PKK mehrerer rechtlich selbständiger, vom Verbot nur zum Teil erfaßter Nebenorganisationen, wobei sie bestrebt ist, deren personelle und organisatorische Verflechtungen mit der "illegalen", d.h. konspirativ arbeitenden, Führungsebene zu tarnen. Mit solchen "legalen" Verbänden versucht sie, sowohl in der Türkei als auch im westlichen Ausland ihren Rückhalt in der kurdischen Bevölkerung zu festigen und für ihre Ziele zu werben. Zur Erweiterung ihres Einflusses auf nahezu alle Lebensbereiche der in Deutschland lebenden Kurden gründete die PKK außerdem als "Massenorganisationen" die sogenannten "Y-Gruppen" u.a. für Arbeiter, Frauen. Jugend und Intellektuelle, außerdem örtliche Vereine, die sich z.B hinter angeblich kulturellen oder sportlichen Zwecken tarnen. 156 Ausländerextremismus AlleinvertretungsDie PKK verfolgt mit großer Aggressivität ihren vermeintlichen Ananspruch spruch auf alleinige politische Vertretung des kurdischen Volkes, obwohl ihr Sympathisantenpotential in Deutschland allenfalls etwa zehn Prozent der hier lebenden 500.000 Kurden umfaßt. Gemäßigten kurdischen Gruppen bleibt neben der PKK wenig Spielraum. Finanzierung Die PKK finanziert sich u.a. aus Mitgliedsbeiträgen und dem Verkauf von Publikationen. Eine wesentliche Einnahmequelle sind die Spenden der in Westeuropa lebenden Sympathisanten. Seit Jahren belegen zahlreiche Informationen, daß die von der PKK beauftragten Spendensammler psychischen Druck auf zahlungsunwillige Kurden ausüben. Die diesjährige Spendenkampagne sollte wie im Vorjahr rund 30 Millionen DM erbringen. Dieses Ziel wurde weit verfehlt. Auch in Bayern blieb das Spendenergebnis deutlich hinter den Erwartungen zurück: Von den geplanten 2,5 Millionen DM wurden nur etwa 30% gesammelt. Ferner gibt es Hinweise, daß die PKK zumindest indirekt vom Rauschgifthandel profitiert, indem sie im Rahmen ihrer Spendensammlungen auch Gelder bei kurdischen Drogendealern abschöpft. PKK und ERNK haben das gegen sie verfügte Betätigungsverbot nicht angefochten. Die Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereini- \ gungen in der Bundesrepublik Deutschland e.V. \ (FEYKA-Kurdistan) zog ihre Klage gegen das Ver- \ bot in der Hauptsache zurück, als das Bundesministerium des Innern die gegen ihre örtlichen Mitgliedsvereine verfügten Verbote Ende März aus formalen Gründen aufhob. Die Klagen der Berxwedan Verlags GmbH und der PKK-Nach- . richtenagentur KURD-HA wurden vom Bun- \ desverwaltungsgericht mit Gerichtsbescheid \ vom 20. September als unbegründet abge- J wiesen. Über die Klage des Kölner KurdistanKomitees e.V. ist noch nicht entschieden. Trotz Das Verbot hat die Tätigkeit der PKK in Deutschland der StrafverVerbots folgung unterworfen. Es konnte die PKK aber nicht völlig hindern, weiterhin aktiv weiter aus dem Untergrund heraus zu operieren, obwohl auch ihre "illegalen" Strukturen durch die Festnahme führender Kader teilweise blockiert sind. Nach wie vor sammelt die PKK Spenden und benutzt Deutschland als Rekrutierungsraum für Kämpfer. Die Zerschlagung "legaler" Strukturen erschwert es ihr aber erheblich, bei den Ausländerextremismus 157 hier lebenden Kurden und auch in der deutschen Öffentlichkeit für ihre Ziele zu werben und Aktivisten zu gewinnen. Die Anhänger und Sympathisanten der PKK sind deshalb bestrebt, durch Gründung von Einrichtungen, die nach außen keinen Bezug zur PKK erkennen lassen, neue organisatorische Strukturen aufzubauen. So setzte die Anfang 1994 in Düsseldorf gewerberechtlich angemelNeue organisatodete Kurdisch-Deutsche Presseagentur (KURD-A) bis Mitte 1996 die rische Strukturen Tätigkeit der verbotenen KURD-HA fort. Mutmaßliche Nachfolgerin ist die Nachrichtenagentur DEM in Köln. Das Kurdistan Informations-Zentrum (KIZ) in Köln führt seit Mai 1995 die Aktivitäten des im März 1995 vom Bundesministerium des Innern verbotenen Kurdistan Informationsbüros in Deutschland (KIB) fort. Das KIB hatte im Dezember 1993 nach dem Verbot des Kölner Kurdistan-Komitees e.V. dessen Tätigkeit übernommen. Die am 27. März 1994 gegründete Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM) mit Sitz in Bochum nimmt mittlerweile die Funktion der verbotenen FEYKA-Kurdistan wahr. Außerdem verfolgt die PKK die Taktik, ursprünglich unpolitische Aktivitäten wie Kulturund Sportveranstaltungen für ihre Zwecke zu nutzen und dort für ihre Ziele zu werben. In Deutschland ist die PKK in acht "Regionen" gegliedert. Die Region Organisation Bayern unterteilt sich in die "Gebiete" München, Nürnberg und Ulm. Die Führer der nachgeordneten Teilgebiete und Ortsgruppen sind zu striktem Gehorsam gegenüber dem nächsthöheren Gremium verpflichtet. In Deutschland zählt die PKK weit über 9.000 (1995: 8.900) Anhänger,' davon etwa 2.000 in Bayern mit Schwerpunkten in den Räumen Ingolstadt, München und Nürnberg. Wie bisher kann sie darüber hinaus in Deutschland und im benachbarten westlichen Ausland Zehntausende von Anhängern und Sympathisanten mobilisieren. 2.2 Unterstützer der PKK Nach wie vor findet die PKK die Unterstützung deutscher Linksextremisten, die insbesondere eine Aufhebung des Verbots fordern. Sogar Teile des demokratischen linken Spektrums sympathisieren mit der PKK. Für die Interessen der PKK setzen sich neben der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) bundesweit rund 30 "Kurdistan-Solidaritätsgruppen" ein. In Bayern bestehen drei derartige Zusammenschlüsse, in denen auch Linksextremisten mitarbeiten. Ihr Spektrum reicht von der PDS und der DKP über den Bund Westdeutscher Korn- 158 Ausländerextremismus munisten (BWK) und die Vereinigung für Sozialistische Politik (VSP) bis hin zu Autonomen. Die Gruppen treten durch Demonstrationen, mit Info-Tischen und bei Podiumsdiskussionen in Erscheinung. Bei diesen Veranstaltungen versuchen sie, Sympathisanten für die PKK zu gewinnen, indem sie auf deren Ziele aufmerksam machen. Von der Bundesregierung verlangen sie die Aufhebung des PKK-Verbots. Das "Münchner Kurdistan-Solidaritätskomitee" wurde im März 1994 auf Initiative des linksextremistisch beeinflußten "Münchner Bündnisses gegen Rassismus" gegründet. Die führenden Personen sind ein DKP-Funktionär und eine PDS-Aktivistin. Das rund 20 Mitglieder zählende Komitee war bis Oktober 1996 Mitherausgeber des 14tägig erscheinenden "Kurdistan-Rundbriefs". Diese Publikation veröffentlicht Informationen aus Kurdistan und Deutschland und vertritt in Kommentaren die Positionen der PKK. Vormaliger Herausgeber des "Kurdistan-Rundbriefs" war das "Kurdistan-Komitee e.V." in Köln, eine seit November 1993 verbotene Nebenorganisation der PKK. Der "Kurdistan-Solidarität Nürnberg/Erlangen" gehören rund zehn Personen an. Die Gruppe wird nach außen von zwei Linksextremisten vertreten. Sie ist Mitherausgeberin der wöchentlich erscheinenden Schrift "Biji - Informationen aus Kurdistan und der BRD", die in Kurzform Berichte aus anderen Publikationen, wie der PKK-nahen Tageszeitung "Özgür Politika" (Freie Politik), veröffentlicht. Das in Landshut gegründete "Südostbayerische Kurdistan-Solidaritätskomitee" zählt fünf Mitglieder, darunter ein PDS-Anhänger. Die Gruppe zeigte bisher nur geringe Aktivitäten. 2.3 Doppelstrategie "Kurdisches Mit Hilfe eines von ihr initiierten "Kurdischen Exilparlaments" verExilparlament" sucht die PKK, politische Anerkennung und internationale Unterstützung zu erreichen. Diesem Gremium, das sich nach längeren Vorbereitungen am 12. April 1995 in Den Haag/Niederlande konstituierte, gehören 65 "Abgeordnete" an. Es hat keinen festen Sitz und tritt jeweils aus aktuellem Anlaß kurzfristig zusammen. Bei diesem "Exilparlament" handelt es sich weder um ein echtes, aus freien Wahlen hervorgegangenes Parlament, noch kann es für sich in Anspruch nehmen, im Namen aller Kurden zu sprechen. Vielmehr stellt es ein von der PKK maßgeblich gesteuertes Propagandainstrument dar. Die überwiegende Mehrheit der 65 Mitglieder des "Exilparlaments" Ausländerextremismus 159 gehört der PKK, der ERNK, den sogenannten "Y-Gruppen" (Massenorganisationen der PKK) sowie der PKK-nahen "Demokratie-Partei" (DEP) an. Auch aus dem Programm des "Kurdischen Exilparlaments" ist klar erkennbar, daß die PKK die dominierende Rolle spielt. Die Betonung liegt eindeutig auf der Unterstützung und Förderung des nur von der PKK geführten "nationalen Befreiungskampfs", also der Anwendung von Gewalt - auch auf deutschem Boden - zur Durchsetzung politischer Ziele. Die PKK versucht, trotz des in Deutschland bestehenden Betätigungsverbotes ihre Ziele konsequent unter Einsatz aller ihr geeignet erscheinenden Mittel durchzusetzen. Sie legt nach wie vor Wert darUnberechenbare auf, zu bestimmten Anlässen - wie etwa dem kurdischen Neujahrsfest Gewaltbereit"Newroz" (21. März) - Handlungsfähigkeit und Präsenz zu zeigen. Im schaft Rahmen ihrer in Deutschland und Europa verfolgten Doppelstrategie will sie einerseits als vorgeblich moderate Gesprächspartnerin für die Lösung des Kurdenproblems akzeptiert werden. Zum anderen versucht sie, durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten ihre ungebrochene Schlagkraft zu demonstrieren. Ihr Ziel ist es, den von ihr propagierten bewaffneten "Befreiungskampf" in der Türkei zu unterstützen, wobei die Hemmschwelle gegenüber der Anwendung von Gewalt unverändert niedrig liegt. Ausschreitungen anläßlich des kurdischen Neujahrsfests markierten einen neuen Höhepunkt der PKK-Militanz und zeigten, daß die PKK-Anhänger nicht gewillt sind, das Recht des Gastlands zu achten. Vielmehr fühlen sie sich als "Sieger", wenn bewußte Verstöße gegen das bestandskräftige PKK-Verbot nicht geahndet werden, und sind entschlossen, entgegen dem Betätigungsverbot auch künftig - selbst auf die Gefahr einer Eskalation hin - öffentlich ihre Symbole zu zeigen. Die öffentlichen Verlautbarungen des PKK-Vorsitzenden pendelten Drohungen wie schon früher zwischen unverhüllten Drohungen und scheinbar deeskalierenden Verhandlungsangeboten. Damit will er erreichen, daß die gewaltsamen Aktionen seiner Anhänger in Deutschland geduldet werden. So erklärte Öcalan am 28. Januar in einem Interview mit dem PKK-beeinflußten Sender "MED-TV": " Wenn morgen 50 deutsche Touristenleichen in Deutschland ankommen, dürfen die Verantwortlichen nicht überrascht sein. Auch wenn in Deutschland unkontrollierte Ausschreitungen stattfinden sollten, sollten sie sich ebenfalls nicht wundern." 160 Ausländerextremismus Ferner drohte er für den Fall, daß ein von der PKK Mitte Dezember 1995 sowohl für die Türkei als auch für Deutschland verkündeter Waffenstillstand keine Resonanz finden sollte, mit einer "Massenerhebung" insbesondere in Deutschland, die Hunderte von Todesopfern fordern werde. Mäßigenden Einfluß dürfte dagegen nach vorangegangenen Ausschreitungen der PKK in Bonn und Dortmund ein am 20. März über "MED-TV" gesendeter Appell Öcalans ausgeübt haben. Er rief seine Anhänger dazu auf, ihre Konflikte im Ausland mit friedlichen Mitteln beizulegen und nicht gegen die dortigen Gesetze zu verstoßen. Zugleich demonstrierte er aber unterschwellig Härte: "Die Deutschen dürfen nicht den Eindruck haben, daß wir schwach sind. Auch in unserer Schwäche sind wir in der Lage, einiges zu leisten." In einer am 24. März über "MED-TV" ausgestrahlten Sendung verschärfte Öcalan seine Drohungen. Er behauptete, der Völkermord in Kurdistan sei erst durch die von Deutschland geleistete militärische und wirtschaftliche Unterstützung der Türkei möglich geworden, und erklärte dazu: "Sollte Deutschland diese Politik fortsetzen, so können wir Deutschland auch Schaden zufügen. Jeder Kurde kann sich mit einer Bombe hochgehen lassen. (...) Ich wünsche, daß sich Deutschland von diesem schmutzigen Krieg zurückzieht." Öcalan wiederholte seine Positionen und Forderungen in einem mit der "Süddeutschen Zeitung" am 28. März geführten Interview: " Wenn Ankara jetzt nicht den Dialog mit der PKK sucht, werden wir die Kriegsführung ändern. Dann werden wir Selbstmordattentate in der gesamten Türkei und vor allem in den Tourismusregionen begehen. Und wenn Deutschland die Kurden dem faschistischen türkischen Staat ausliefert und mit Abschiebungen droht, dann könnte es auch in Deutschland zu solchen Selbstmordanschlägen kommen. Deutschland liefe Gefahr, zu unserem zweiten Kriegsgegner zu werden." Einige Wochen später nahm Öcalan unter dem Eindruck der Taktisch motiEmpörung in der deutschen Öffentlichkeit über die Gewalttaten der vierte DialogPKK die gegen Deutschland gerichteten Drohungen wieder zurück. In angebote einem am 5. Mai vom "ZDF" gesendeten sowie in einem am 20. Mai in der Zeitung "Die Welt" veröffentlichten Interview bedauerte er die Ausschreitungen seiner Anhänger anläßlich des kurdischen Neujahrsfestes und kündigte an, die PKK werde sich künftig in Deutschland Ausländerextremismus 161 jeglicher Gewalt enthalten. Ferner regte er einen kurdisch-deutschen Dialog auf allen Ebenen an, verbunden mit dem Wunsch, Deutschland möge eine Vermittlerrolle zwischen der PKK und der Türkei übernehmen. In weiteren Fernsehsendungen im August, September und November bekräftigte er seine Haltung, übte Selbstkritik und schlug zurückhaltende Töne gegenüber Deutschland an. Dabei gab er zu verstehen, daß er als Entgegenkommen Deutschlands die Aufhebung des PKK-Verbots erwarte. Diese Aussagen Öcalans signalisieren die Bereitschaft zu einem Verzicht auf Anschläge in Deutschland. Allerdings waren dafür ausschließlich taktische Gründe maßgeblich. Öcalan hat offensichtlich erkannt, daß er verschiedene Faktoren in der Vergangenheit nicht richtig eingeschätzt hatte. So hatte er nicht mit den negativen Auswirkungen der Gewaltaktionen auf die Haltung der deutschen Bevölkerung gegenüber den Kurden gerechnet. Ferner mußte er feststellen, daß die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden in Deutschland zu einer Gefährdung des wichtigsten "Ruheund Rekrutierungsraums" der PKK in Europa geführt hatten. Schließlich dürfte Öcalan auch erkannt haben, daß die PKK ihr Ziel mit "militärischen" Mitteln nicht erreichen kann und die Türkei allenfalls auf anderen Wegen zu einer Änderung ihrer Politik in der Kurdenfrage zu bewegen sein könnte. Hierfür benötigt er die Hilfe anderer Staaten, die entsprechend Druck auf den NATO-Partner Türkei ausüben sollen, allen voran Deutschland. Solange die PKK hier aber Gewalt ausübt und dadurch die Innere Sicherheit gefährdet, ist dieses Ziel nicht erreichbar. Es bleibt daher abzuwarten, ob der nunmehr propagierte Kurs nachhaltige Auswirkungen auf das Verhalten der Anhängerschaft in Deutschland hat. Noch gibt es keine Anzeichen, daß die PKK künftig von Spendengelderpressungen gegen hier lebende Kurden sowie von "Bestrafungsaktionen" gegen Dissidenten absehen wird. Gerade im Hinblick auf die taktische Wandlungsfähigkeit der PKK ist eher davon auszugehen, daß die PKK zur Gewalt zurückkehrt, wenn ihr dies politisch opportun erscheint. So erklärte Öcalan am 3. November, die türkische Regierung, aber auch Staaten wie die USA und Deutschland müßten aus den Selbstmordanschlägen von PKK-Aktivistinnen in Tunceli, Adana und Sivas/Türkei die gebotenen Lehren ziehen. Wenn er die Anweisung zu solchen Aktionen erteilte, hätte dies weitreichende Folgen. Er scheue sich zwar noch vor dieser Art von Kriegsführung; falls notwendig, werde man jedoch die eigene Vorgehensweise gewalttätiger gestalten. 162 Ausländerextremismus 2.4 Aktivitäten Unter dem Motto "Freiheit für Kurdistan! Für einen weltweiten revolutionären Frauen/Lesbenbefreiungskampf!" veranstaltete die vom Ausschreitungen Betätigungsverbot nicht erfaßte PKK-Frauenorganisation "Union der im Vorfeld des freien Frauen aus Kurdistan" (YAJK) am 9. März in Bonn eine kurdischen NeuDemonstration anläßlich des "Internationalen Frauentages". An der jahrsfests von einer Deutschen aus dem autonomen Spektrum angemeldeten Kundgebung beteiligten sich rund 1.200 Personen, überwiegend kurdische Frauen und Kinder. Die Demonstranten riefen PKK-Parolen und zeigten Fahnen mit PKK-Emblemen, wobei die Fahnenträgerinnen von Männern und Frauen mit Kinderwagen abgeschirmt wurden. Beim Versuch, PKK-Symbole zu beschlagnahmen, wurden die Einsatzkräfte mit Flaschen, Dosen und Pflastersteinen beworfen und mit Tränengas, Stangen und Brettern attackiert. Daraufhin löste die Polizei die Demonstration auf. Im Verlauf der Auseinandersetzungen erlitten 25 Polizeibeamte erhebliche Verletzungen. Die Einsatzkräfte nahmen 36 Personen fest. Der Fernsehsender "MED-TV" berichtete während einer vierstündigen Direktsendung zum "Internationalen Frauentag" mehrfach über die Kundgebung in Bonn. Dort finde eine "Erhebung", ein "Festival" statt, an dem auch zahlreiche "deutsche Demokraten" und "kurdische Patrioten" teilnähmen. Die kurdischen Frauen bewiesen erneut, daß sie der Mission der ARGK vollständig gerecht geworden seien. Tapfer und selbstbewußt hätten sie ihre Parolen skandiert. Die Schlacht in Bonn zeige, daß die deutsche Regierung den Terror gegen die Kurden schon erklärt habe und in die Tat umsetze. Am 16. März versammelten sich entgegen einem Demonstrationsverbot etwa 2.000 PKK-Anhänger in Dortmund. Trotz der von der Polizei rund um Dortmund eingerichteten Kontrollstellen gelangten sie in die Innenstadt. Einige führten eine Sitzblockade durch und bewarfen die polizeilichen Einsatzkräfte mit Pflastersteinen. Im Laufe des Tages kam es zu Brandanschlägen u.a. auf ein Reisebüro und ein Postamt. Die Polizei nahm rund 290 Personen fest und über 1.100 in Gewahrsam. Sicherheitskräfte hatten ferner bundesweit tausende PKK-Anhänger an der Anfahrt nach Dortmund gehindert. Dabei kam es teilweise zu schweren Auseinandersetzungen und Straßenblockaden. Insgesamt wurden rund 40 Polizeiund Grenzschutzbeamte verletzt. Tags darauf erklärte der PKK-Vorsitzende Öcalan im Fernsehsender "MED-TV", das bevorstehende kurdische Neujahrsfest bringe das Ausländerextremismus 163 Blut des kurdischen Volkes zum Kochen. In Dortmund habe das kurdische Volk dem "großen Deutschland" und seinem starken Aufgebot von Sicherheitskräften gezeigt, daß seine Macht die Kurden nicht daran hindern könne, ihr Fest zu feiern und von ihrem freien Willen Gebrauch zu machen. Für die Zeit vom 19. bis 24. März waren bundesweit noch weitere Demonstrationen geplant, die aber überwiegend verboten wurden, so auch ein von einem PKKund einem PDS-Aktivisten angemeldeter "Friedensmarsch" am 21. März in Ingolstadt. Die übrigen Newroz-Feiern in Bayern verliefen trotz Teilnahme einiger PKK-Sympathisanten ohne nennenswerte Störungen. Das Kurdistan Informations-Zentrum (KIZ) rief in einem Offenen Brief Agitation des Kiz vom 24. April zum Boykott türkischer Urlaubsziele auf. Jede Mark, die ein deutscher Tourist in seinem Urlaub ausgebe, bedeute einen Schuß Munition. Jeder Tag seines Urlaubs könne mindestens einem Kurden oder einer Kurdin das Leben kosten. Der PKK-Vorsitzende habe folgendes erklärt: "Wenn wir keine Antwort auf unseren Waffenstillstand bekommen, wenn kein politischer Dialog entwickelt wird, darf die Türkei von den Touristen wirklich nicht als Urlaubsland gewählt werden. Denn in diesem Fall werden wir den Tourismus zu unserem wichtigsten Angriffsziel machen ..." Ein von Linksextremisten unterstütztes Aktionsbündnis "Frieden Beachtliches jetzt" meldete unter dem Motto "Frieden jetzt! Für die Beendigung Sympathisantendes Krieges und ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenlepötential ben des kurdischen und türkischen Volkes" für den 15. Juni in Hamburg eine Demonstration zur Kurdenfrage an. In Wirklichkeit wurde die Veranstaltung von der PKK organisatorisch vorbereitet und gesteuert mit dem Ziel, ein deutliches Zeichen der "Friedfertigkeit" zu setzen. An der Kundgebung beteiligten sich rund 40.000 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet und dem angrenzenden westlichen Ausland, darunter auch etwa 1.000 PKK-Anhänger aus Bayern. Die Demonstranten skandierten PKK-Parolen und zeigten neben Fahnen und Symbolen der PKK auch Bilder des PKK-Vorsitzenden Öcalan. Im Verlauf der Kundgebung wurde eine Rede Öcalans eingespielt, der betonte, die PKK stehe der deutschen Demokratie und Gesetzgebung respektvoll gegenüber. Wenn es gleichwohl Fehler der PKK gegeben habe, die letztlich zu ihrem Verbot geführt hätten, seien diese nur die Folge einer extrem aufgehetzten Atmosphäre gewesen. Mit der verständnisvollen Annäherung deutscher Freunde seien die Beziehungen 164 Ausländerextremismus nunmehr wieder in eine Phase der Normalisierung gelangt. Er sei überzeugt, daß die deutsche Regierung ähnlich empfinde und bald der Aufhebung der sinnlosen Verbote nähertrete. Der Verlauf der Veranstaltung, insbesondere die Möglichkeit, verbotene Embleme zu zeigen, wurde von der PKK als großer Erfolg gefeiert, der die Anhänger neu motiviere. Es ist zu befürchten, daß die PKK-Szene den Eindruck gewinnt, Öcalan habe die deutschen Sicherheitsorgane durch massive Drohungen zu Zugeständnissen zwingen können. Als Erfolg bewertete die PKK auch ein am 21. September in Köln veranstaltetes "Friedensfestival Kurdistan". Es zeigte erneut, daß die PKK in der Lage ist, über ihr eigenes Mitgliederpotential hinaus landesund europaweit Zehntausende von Sympathisanten zu mobilisieren. Unter den rund 60.000 Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet und den westeuropäischen Nachbarländern befanden sich etwa 1.200 aus Bayern. Im Stadion waren einzelne Fahnen der PKK und Transparente mit den Bildern gefallener PKK-Kämpfer angebracht. Ein Teil der Besucher führte PKK-Fahnen mit sich. Ein bei Beginn des Festivals entrolltes großflächiges Transparent mit dem Bild Öcalans wurde nach Intervention der Polizei entfernt. Großen Beifall fand ein Aufmarsch von etwa 100 Personen, darunter einige in der Uniform der PKK-Guerillaorganisation ARGK, die eine ARGK-Fahne und ein Öcalan-Transparent trugen, Gegen Ende der Veranstaltung wurde eine Rede Öcalans über Telefon ins Stadion eingespielt. Mit einer bundesweiten Kampagne drängte die PKK Mitte November verstärkt auf die Aufhebung der gegen sie und einige ihrer NebenorKampagne gegen ganisationen verfügten Verbote. PKK-Anhänger verbreiteten unter das Verbot hier lebenden Kurden und bei deutschen Kurdistan-Solidaritätsgruppen Schreiben der ERNK an mehrere Innenminister der Länder. Darin hieß es, die Kurden hätten eine neue Phase des friedlichen Zusammenlebens und der Völkerverständigung begonnen. Sie erwarteten von der deutschen Regierung, daß sie dabei mit der Aufhebung des PKK-Verbots behilflich sei. Die Mehrheit der Kurden unterstütze den kurdischen Befreiungskampf unter der Führung der PKK. Verbote könnten diese Unterstützung nicht stoppen. 2.5 Exekutivmaßnahmen und Strafverfahren Das Landgericht München I verurteilte am 28. März, 11. April und 25. Juni drei PKK-Funktionäre, die am 14. Oktober 1995 anläßlich einer Regionalkonferenz der PKK in den Räumen des inzwischen ver- Ausländerextremismus 165 botenen Kurdischen Elternvereins e.V. in München festgenommen worden waren, zu Bewährungsstrafen zwischen sieben und neun Monaten wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz. Zum Gedenken an einen als "Märtyrer" verehrten Gefallenen der PKK sollte am 20. Juli in München ein "Hüseyin-Celebi-Gedächtnisturnier" mit insgesamt 16 kurdischen Fußballvereinen stattfinden. Das offensichtlich von der PKK initiierte Treffen wurde am 19. Juli von der Landeshauptstadt München verboten. Die Veranstalter hatten etwa 1.500 Teilnehmer und Besucher aus dem Inund Ausland erwartet. Bei Vorkontrollen stellte die Polizei insgesamt etwa 1.000 Personen fest, die trotz des Verbots aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren. Im Nahbereich der Sportanlage trafen etwa 300 jugendliche PKK-Anhänger ein. Annähernd 40 Personen blockierten kurzzeitig die zur Sportanlage führende Straße. Die Polizei nahm 23 Personen vorläufig fest und stellte in neun Fällen PKK-Schriften bzw. Gegenstände mit PKK-Emblemen sicher. In Fahrzeugen von drei Personen befand sich Material für Molotowcocktails. Am 22. Oktober durchsuchte die Polizei in mehreren Bundesländern, vornehmlich in Süddeutschland, mehr als 50 Objekte mutmaßlicher PKK-Aktivisten. Die Einsatzkräfte beschlagnahmten zahlreiche Beweismittel, darunter PKK-Fahnen und -Symbole sowie sonstiges Propagandamaterial. Außerdem stellten sie Spendengeldquittungen in Höhe von rund 40.000 DM und Bargeld in Höhe von etwa 20.000 DM sicher. Gegen einen in Ulm festgenommenen Kurden bestand Haftbefehl wegen Verdachts der räuberischen Erpressung und gefährlichen Körperverletzung. Dazu erklärte die ERNK in der PKK-nahen Tageszeitung "Özgür Politika" (Freie Politik) vom 23. Oktober, die Angriffe müßten sofort gestoppt werden. Sie dienten dazu, die positive Haltung Öcalans gegenüber Deutschland ins Leere laufen zu lassen. Das kurdische Volk, das die Befreiung beschlossen habe, werde auf dem Weg zur Freiheit keine Hindernisse anerkennen. Falls die Übergriffe andauerten, werde die deutsche Regierung für die Folgen verantwortlich sein. Ähnlich äußerte sich die YEK-KOM im "Kurdistan-Rundbrief" vom 4. November. Zu einer Veranstaltung der PKK am 28. Dezember in Röthenbach a.d. Pegnitz fanden sich rund 450 Besucher ein. Im Lokal war ein Transparent mit dem Portrait Öcalans und dem Emblem der ERNK angebracht. 166 Ausländerextremismus In Bayern führte das konsequente Vorgehen der Sicherheitsorgane zu einer erheblichen Verunsicherung der PKK-Anhängerschaft. Durch die Verbote örtlicher PKK-Vereine wurde der Organisation die Möglichkeit genommen, problemlos Funktionärstreffen durchzuführen und auf die hier lebende kurdische Bevölkerung einzuwirken. Insgesamt zeigte der starke Verfolgungsdruck durch die Strafverfolgungsbehörden deutlich präventive Wirkung und ließ die Bereitschaft kurdischer Volkszugehöriger, sich öffentlich für die PKK zu engagieren, erkennbar sinken. So ist es der PKK nicht gelungen, in Bayern neue legale Strukturen zu bilden. Die Beeinträchtigung der Basisarbeit durch Exekutivmaßnahmen wirkte sich u.a. auf die Spendeneinnahmen aus. Durch die Festnahme führender PKK-Funktionäre .verlor die PKK an Wirkung, da erfahrene und bewährte Kader nicht ohne weiteres ersetzbar sind. 3. Türkische Gruppen 3.1 Linksextremisten 3.1.1 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) Die in Deutschland seit rund zwei Jahrzehnten aktive TKP/ML vertritt die Ideologie des Marxismus-Leninismus, ergänzt um die Ideen Mao Tse-tungs. Sie betont den bewaffneten Kampf als Grundform ihres Handelns und ist davon überzeugt, daß der einzige Weg zur "Befreiung" des türkischen Volks über den bewaffneten Volkskrieg mit anschließender Bildung einer "Volksregierung" führe. Ihr militärischer Zweig ist die Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (TIKKO). In Deutschland sind die rund 2.000 Anhänger der TKP/ML in den revolutionär-marxistischen Dachverbänden Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (ATIF) und der Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) organisiert, die sich als "demokratische" Massenorganisationen präsentieren und ihre Verbindungen zur TKP/ML weitgehend tarnen. In Bayern zählt die TKP/ML insgesamt rund 140 Mitglieder. Nach wie vor beeinträchtigt die Spaltung in zwei rivalisierende Flügel die öffentlichen Aktivitäten. An Gedenkveranstaltungen zu Ehren des TKP/ML-Gründers Ibrahim Kaypakkaya am 27. April und 18. Mai in Ausländerextremismus 167 Köln beteiligten sich rund 6.000 bzw. 5.000 Personen aus dem Inund Ausland. Einen weiteren Aktionsschwerpunkt außerhalb Bayerns bildeten gewaltsame Proteste gegen die Situation von linksextremistischen Gesinnungsgenossen in türkischen Haftanstalten. Zu einer Kulturveranstaltung der ATIK am 5. Mai in Krumbach, Landkreis Günzburg, erschienen rund 150 Besucher. Im Herbst begann die TKP/ML ihre alljährliche Spendenkampagne, die der Finanzierung des bewaffneten Kampfes der TIKKO gegen den türkischen Staat dient. In der Publikation "Özgür Gelecek" (Freie Zukunft) bekannte sich der Partizan-Flügel der TKP/ML zur Liquidation sowohl von Repräsentanten des türkischen Staates als auch von Dissidenten und Kollaborateuren aus den eigenen Reihen durch "Militärkomitees". Die Spaltergruppe "Ostanatolisches Gebietskomitee" (DABK) behauptete in einer Flugschrift, die imperialistische Angriffspolitik des deutschen Staates habe sich zum Staatsterror entwickelt. Das Verbot der PKK und ihrer Veranstaltungen mache deutlich, daß die deutschen Gesetze Unrecht seien und Deutschland jede Form von Unmenschlichkeit praktiziere. 3.1.2 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) Zu den militantesten türkischen Extremistengruppen zählt die sowohl in Deutschland als auch in der Türkei verbotene revolutionär-marxistische Devrimci Sol. Sie versteht sich als eine an den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus ausgerichtete Volksbewegung, die mit Hilfe einer bewaffneten Revolution auf die Zerschlagung des türkischen Staates zielt. Seit ihrer Gründung im Jahre 1978 verübte die terroristische Gruppe in der Türkei zahlreiche Schußwaffenund Sprengstoffanschläge. 1993 spaltete sie sich in zwei Lager. Die Anhänger des Devrimci-Sol-Leiters Dursun Karatas nennen sich inzwischen Spaltung in zwei "Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front" (DHKP-C). Die OpposiFlügel tionsgruppe führt die Bezeichnung "Türkische Volksbefreiungspartei/-front" (THKP-C Devrimci Sol). Ihr Gründer Bedri Yagan wurde im März 1993 in der Türkei bei einem Polizeieinsatz getötet. Das Verhältnis beider Flügel ist durch gegenseitige Schmähungen und gewaltsame Übergriffe belastet. Die internen Flügelkämpfe erreichten jedoch nicht mehr das frühere Ausmaß. Bundesweit zählt die Gruppierung rund 1.050 (1995: 1.000) Anhänger, darunter 170 (1995: 110) in Bayern. Ortsgruppen des Karatas-Flügels mit insge- 168 Ausländerextremismus samt rund 130 (1995: 85) Mitgliedern bestehen in Aschaffenburg, München und Nürnberg; der Yagan-Flügel ist in Bayern nur durch Einzelmitglieder vertreten. Die DHKP-C verlagert ihre öffentlichen Treffen zunehmend ins Ausland, um Verbote durch deutsche Behörden zu vermeiden. So fanden am 30. März in Rotterdam/Niederlande und am 7. Dezember in Hasselt/Belgien Großveranstaltungen mit rund 4.000 bzw. 6.000 Besuchern statt. Besetzungsaktionen und koordinierte Serien von Anschlägen auf türkische Einrichtungen belegen die anhaltende Gewaltbereitschaft der Devrimci Sol-Anhänger in Deutschland (vgl. dazu 5. Abschnitt Nummer 1.3). Diese Aktivitäten entMilitante zündeten sich u.a. im Januar an Häftlingsrevolten von GesinnungsAktionen genossen in der Türkei und im Mai am Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte bei einer Kundgebung in Istanbul. So besetzten am 5. Januar 13 Sympathisanten der Devrimci Sol, darunter auch vier Personen aus Bayern, das Büro des türkischen Arbeitsattaches in Mainz. Anlässe weiterer Aktionen waren Anfang Juni ein Hungerstreik in türkischen Haftanstalten wegen einer Verschärfung des Strafvollzugs sowie der Tod mehrerer Häftlinge bei einer Meuterei am 24. September in einem Gefängnis in Diyarbakir/Osttürkei. Ende 1996 begann die DHKP-C ihre alljährliche europaweite Spendenkampagne. Die teilweise unter Androhung von Gewalt gesammelten Spenden stellen - wie bei der PKK - die Haupteinnahmequelle der Gruppierung dar und dienen der Unterstützung ihrer in der Türkei aktiven Guerillakämpfer. Als ersten Schritt zum geplanten Aufbau einer "revolutionären Front" :ontakte zur PKKin der Türkei unterzeichneten die DHKP-C und die PKK am 22. Dezember ein "gemeinsames Protokoll". Demnach halten es beide Organisationen für notwendig, gemeinsam den Sturz des türkischen "Ausbeutungsund Unterdrückungsregimes" vorzubereiten. Da der Krieg in der Türkei mit Unterstützung des Imperialismus geführt werde, sei auch dieser zu bekämpfen. Alle "demokratischen, fortschrittlichen Organisationen" seien aufgerufen, den schrittweisen Aufbau der revolutionären Front zu unterstützen. Ausländerextremismus 169 Bisher gab es keine regelmäßige Kooperation zwischen der DHKP-C und der PKK. Das Papier versucht nun offensichtlich, eine gemeinsame Basis für eine zukünftige Zusammenarbeit zu definieren. Ob die Leiter beider Organisationen in der Praxis die erforderliche Kompromißfähigkeit aufbringen, ist derzeit nicht absehbar. 3.1.3 Aktionen türkischer Linksextremisten Bei der Niederschlagung einer Häftlingsrevolte in Istanbul kamen am 4. Januar drei mutmaßliche Anhänger der Devrimci Sol ums Leben. Am nächsten Tag griffen die Auseinandersetzungen zwischen inhaftierten Linksextremisten und türkischen Sicherheitskräften auch auf Haftanstalten in anderen Städten der Türkei über. Türkische Linksextremisten im Bundesgebiet nahmen die Vorfälle zum Anlaß zahlreicher Brandanschläge und sonstiger Protestaktionen. So besetzten am 9. Januar zehn Anhänger der DHKP-C eine türkische Bank in Stuttgart. Sie wurden durch weitere vor dem Gebäude befindliche Sympathisanten unterstützt. Die Polizei räumte die Bank und nahm rund 30 Personen vorübergehend fest. Schwere Ausschreitungen türkischer und kurdischer Linksextremisten begleiteten eine Kundgebung zum 1. Mai in Istanbul. Dabei wurden einige Teilnehmer erschossen. Anhänger der Devrimci Sol und der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) demonstrierten am 3. und 4. Mai in mehreren Städten des Bundesgebietes gegen das Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte. Aus Protest gegen eine Verschärfung des Strafvollzugs begannen rund 1.500 in türkischen Gefängnissen Inhaftierte im Mai einen Hungerstreik. Revolutionär-marxistische türkische Gruppen solidarisierten sich mit den Häftlingen in einer bundesweiten Unterstützungskampagne. Daran beteiligten sich insbesondere Anhänger der DHKP-C, derTKP/ML und der MLKP. Neben Brandanschlägen (vgl. auch 5. Abschnitt Nummer 2.3.1). kam es u.a. zur Besetzung türkischer und deutscher Einrichtungen, Hungerstreiks und sonstigen demonstrativen Aktivitäten, so auch in München und Nürnberg. Die Gewalttaten eskalierten, als der zum "Todesfasten" erklärte Hungerstreik am 21. Juli das erste von insgesamt zwölf Todesopfern forderte. Die Situation entspannte sich erst Ende Juli, nachdem die türkische Regierung in der Frage der Haftbedingungen zu Zugeständnissen bereit war und die Häftlinge daraufhin den Hungerstreik beendeten. 170 Ausländerextremismus Weitere Protestaktionen türkischer und kurdischer Linksextremisten waren am 28. September in Berlin, Bremen, Köln und Stuttgart zu verzeichnen. Anlaß war eine Revolte im Hochsicherheitsgefängnis in Diyarbakir, bei der am 24. September mehrere Häftlinge ums Leben gekommen waren. 3.2 Extreme Nationalisten Umbenennung Die 1978 gegründete Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V. (ADÜTDF) mit Sitz in Frankfurt am Main hat sich am 5. Oktober auf ihrem 19. Bundeskongreß in Essen in "Deutsche Türk-Föderation" (Almanya Türk Federasyon -ATF-) umbenannt und zugleich als nationale Teilorganisation eines neuen europäischen Dachverbandes konstituiert. Nationalistische Die ATF ist eng mit der türkischen "Partei der Nationalen Bewegung" Ideologie mit (MHP) verbunden, die bei den Wahlen am 24. Dezember 1995 den islamistischen Einzug in das türkische Parlament verfehlte. Ihre Ideologie vereint neuerdings Elemente des extremen Nationalismus mit islamistischen Positionen, also der Hinwendung zum Islam als staatskonstituierendem Element. Die ATF tritt für die Wiederherstellung der Türkei in der Größe des Osmanischen Reiches ein und propagiert den Vorrang und die Überlegenheit der türkischen Nation und Rasse. Teilweise sind auch antiwestliche Tendenzen erkennbar. So fordert die ATF von der türkischen Jugend in Deutschland Distanz zu westlich-"dekadenten" Einflüssen und die Betonung ihrer türkischen Identität. Die ATF ist in eingetragenen Vereinen und teilweise losen Zusammenschlüssen organisiert. Sie zählt bundesweit knapp 7.000 Mitglieder mit steigender Tendenz. In Bayern verfügt sie über 24 (1995: 19) örtliche Untergliederungen mit insgesamt rund 1.400 (1995: 1.000) Mitgliedern. Die ATF ist intensiv bemüht, die in Deutschland lebenden türkischen Jugendlichen für sich zu gewinnen. So bietet sie ein breites Sportund Freizeitprogramm bei geringerer Betonung islamistischer Glaubenssätze an. Ihren geschulten Führungskräften gelingt es, Jugendliche rasch in den Verband zu integrieren und ihnen das Gefühl zu vermitteln, dort als Türken anerkannt zu werden. Große Teile der Einnahmen werden für Zwecke der Jugendarbeit verwendet. Ausländerextremismus 171 Zum 19. Jahreskongreß der ADÜTDF am 5. Oktober in Essen erschieJahreskongreß nen rund 10.000 Besucher aus Deutschland und dem angrenzenden europäischen Ausland. Wegen des sehr kurzfristig anberaumten Kongreßtermines konnte der Mobilisierungsgrad des Vorjahres bei weitem nicht erreicht werden. Auffallend waren das Fehlen von Plakaten und die Verschleierung zahlreicher weiblicher Teilnehmer. Einer der Ehrengäste war der aus der Türkei angereiste MHP-Vorsitzende Alparslan Türkes, der in seiner Rede die erfolgreiche Arbeit der ADÜTDF würdigte. Weiter erklärte er, daß er den Kampf gegen den "Verräter Öcalan" fortsetzen und den PKK-Vorsitzenden "auf den Friedhof schicken" werde. Neben der Umwandlung der ADÜTDF in eine nationale TeilorganisaNeuer tion mit der Bezeichnung ATF beschlossen die Teilnehmer die GrünDachverband düng einer "Konföderation der Türkischen Idealistenvereine in Europa" (AÜTDK), die ihren Sitz voraussichtlich in Brüssel nehmen wird. Zum Vorsitzenden dieses Dachverbands aller nationalistischen Teilorganisationen in Europa wurde Prof. Dr. Ömer Aksu gewählt; einer seiner Stellvertreter ist der bisherige ADÜTDF-Vorsitzende Türkmen Onur aus Ulm. Zum neuen Bundesvorsitzenden der ATF wurde Mehmet Erdogan bestellt. Die ATF-Führung hat ihre Mitglieder angewiesen, die Rechtsordnung des Gastlandes zu achten und sich von Anhängern der PKK und anderen türkischen Linksextremisten nicht provozieren zu lassen. Mit ihrer chauvinistisch-nationalistischen Ideologie gerät die ATF aber vermehrt ins Blickfeld militanter politischer Gegner. Auch in Bayern waren bereits Anschläge auf ATF-Vereine zu verzeichnen. Gewaltsame Reaktionen von ATF-Angehörigen sind bisher nicht bekanntgeworden. 3.3 Islamische Extremisten 3.3.1 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) Die IGMG, die bis 1995 die Bezeichnung "Vereinigung der neuen islamisch-extremiWeltsicht in Europa e.V." (AMGT) führte, ist ein Sammelbecken von stische Ideologie Anhängern der islamisch-fundamentalistischen Wohlfahrtspartei (RP). Die RP ist seit den türkischen Parlamentswahlen im Dezember 1995 stärkste Partei im Parlament und stellt seit Juli 1996 mit ihrem Vorsitzenden Prof. Necmettin Erbakan den türkischen Ministerpräsidenten. Wie zu Zeiten der AMGT bestehen nach wie vor enge Verbindungen zwischen der IGMG und der RP. Bei Veranstaltungen der IGMG treten 172 Ausländerextremismus häufig RP-Funktionäre auf. Die IGMG vertritt das Gedankengut der RP unter den türkischen Muslimen in Deutschland. Ihr Nahziel ist die Einführung des Koran als Grundlage des Staatsaufbaus und als Verhaltenskodex staatlichen Zusammenlebens. Mittelfristig erstrebt sie die Abschaffung der laizistischen Staatsordnung in der Türkei, die mit Hilfe der RP durch ein islamisches System nach dem Beispiel des Iran ^ ^ ^ * ^ ^ ^ ^ ö l ersetzt werden soll. Fernziel der IGMG ist I die weltweite Islamisierung im Sinn eines ' l doktrinären Islam-Verständnisses. Zahl- ^ ".SSS* | reiche Verlautbarungen zeigen einen - s Haß auf die Juden und den Staat Israel, der den Grundsätzen von Menschenwürde, Toleranz zwischen den Religionen und dem Gedanken der Völkerverständigung zuwiderläuft: "Ein Jude unterscheidet sich von dem Satan durch nichts. (...) Die Jud sind die Quellen der bösen Taten, die sich nicht nur gegen das Volk Pa stinas, sondern auch gegen die ganze Menschheit richten ... Hinter allen üblen Ideen und Ideologien, die heute die ganze Welt erfaßt haben, stecken die Zionisten." (Milli Gazete vom 31. Januar 1994) Latente Militanz Bisher sind - zumindest in Bayern - keine politisch motivierten Gewalttaten von Anhängern der IGMG bzw. AMGT bekanntgeworden. Äußerungen in den vergangenen Jahren lassen jedoch darauf schließen, daß die IGMG Gewaltanwendung als Mittel zur Auseinandersetzung gegenüber Andersdenkenden entgegen den Beteuerungen in ihrer Satzung nicht grundsätzlich ablehnt. Nach wie vor ist die IGMG bemüht, bestimmende islamische Kraft in Deutschland zu werden. Als bedeutendste islamische Gruppierung will sie sodann die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts erreichen. Sie erhofft sich davon umfangreiche staatliche Unterstützung und finanzielle Vorteile. Entgegen den in der Satzung erklärten Zielen lehnt die IGMG als überzeugte Vertreterin islamisch-extremistischer Positionen jegliche Integration in die deutsche Gesellschaft ab. Auch eine friedliche Koexistenz von Christen und Muslims ist ihren Vorstellungen zufolge nur partiell denkbar, vor allem aber nicht ernsthaft beabsichtigt. Stagnierendes Die Entwicklung der IGMG hat mittlerweile eine stagnierende bis Engagement leicht rückläufige Phase erreicht. Ein Grund hierfür ist der Mangel an der Mitglieder jugendlichem Nachwuchs, der u.a. auf unzureichenden oder fehlen- Ausländerextremismus 173 den Angeboten für Jugendliche sowie der Konkurrenz attraktiverer Organisationen beruht. Zudem ist die Mitgliedschaft der IGMG überaltert und die Finanzlage angespannt, nachdem die IGMG im Wahlkampf für die Parlamentswahlen im Dezember 1995 die RP mit erheblichen finanziellen Zuwendungen unterstützte. Inzwischen hat die Spendenfreudigkeit der Mitglieder nachgelassen. Dies liegt zum einen daran, daß Erbakan sein im Wahlkampf gegebenes Versprechen, die Bedeutung des Islam zu festigen, seit der Amtsübernahme als Ministerpräsident noch nicht eingelöst hat. Zum anderen herrscht unter vielen Mitgliedern die Meinung, daß für die IGMG mit der Regierungsbeteiligung der RP ein großes Ziel erreicht sei. Weitere Anstrengungen seien nun nicht mehr zwingend notwendig. Mit bundesweit rund 26.500 (1995: 26.000) Mitgliedern ist die IGMG gleichwohl noch immer die stärkste und finanzkräftigste Organisation extremistischer Ausländer. Die im Vorjahr gebildete "Europäische Moscheenbauund Unterstützungsgemeinschaft" (EMUG) verwaltet den umfassenden Immobilienbesitz im Wert von rund 60 bis 80 Millionen DM. Den 70 (1995: 75) IGMG-Untergliederungen in Bayern gehören rund 5.000 (1995: 5.500) Mitglieder an. Rückläufige Der IGMG-Vorsitzende Osman Yumakogullari wurde bei den türkiTendenz schen Parlamentswahlen im Dezember 1995 als Abgeordneter der RP in Bayern in das türkische Parlament gewählt. Sein Nachfolger ist der bisherige IGMG-Generalsekretär Ali Yüksel. Am 1. Juni hielt die IGMG in der Dortmunder Westfalenhalle ihren Jahreskongreß ab. An der Veranstaltung nahmen über 20.000 PersoJahreskongreß nen teil. Der RP-Vorsitzende Prof. Necmettin Erbakan, der in den vergangenen Jahren stets als Gastredner aufgetreten war, konnte aus Termingründen nicht teilnehmen und sprach über eine Konferenzschaltung zu den Besuchern. In der Eröffnungsrede erklärte der stellvertretende IGMG-Generalsekretär, der Verband sei inzwischen die größte zivile Organisation in der Welt und zähle über 161.500 Anhänger. Bei den deutschen Behörden gelte es, das Vorurteil auszuräumen, daß die IGMG die Macht an sich reißen wolle, sich gegen die Integration stelle und antisemitisch ausgerichtet sei. 3.3.2 Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB) Der 1984 in Köln gegründete ICCB strebt kompromißlos die WeltWeltherrschaft herrschaft des Islam auf der Grundlage des Korans und der Scharia des Islam 174 Ausländerextremismus (islamisches Rechtssystem) an. Als ersten Schritt dorthin zielt er auf den Sturz des türkischen Staatsgefüges. Dieses soll mittels einer Revolution nach dem Beispiel des Iran durch einen islamischen Gottesstaat ersetzt werden, dem als geistliches und weltliches Oberhaupt der Kalif vorsteht. Mitgliederverluste Interne Konflikte hatten den ICCB schon vor dem Tod seines langjährigen Leiters Cemaleddin Kaplan im Mai 1995 destabilisiert und zur Abspaltung etlicher Ortsvereine geführt. Mit der Wahl des Sohnes Metin Kaplan zum Nachfolger setzte sich diese Entwicklung fort. Differenzen wegen der Nutzungsrechte an Immobilien und Vereinsvermögen eskalierten mitunter zu gewaltsamen internen Auseinandersetzungen. Erneute Streitigkeiten entzündeten sich an den fehlenden Führungsqualitäten des jetzigen ICCB-Leiters, der sich als "Muhammed Metin Müftüoglu Emir der Gläubigen und Kalif der Muslime" bezeichnet. Im Gegensatz zu seinem charismatischen Vater ist er aber nicht in der Lage, zu Großveranstaltungen Tausende von Teilnehmern zu mobilisieren. Eine beträchtliche Zahl von Mitgliedern wechselte zur IGMG. Auch das Potential der Sympathisanten hat sich in den letzten Jahren erheblich verringert. Die Mitgliederzahl des ICCB ist nach Schätzung bundesweit um 50 % auf 1.500 (1995: 3.000) zurückgegangen. In Bayern gehören dem Verband fünf (1995: sechs) örtliche Untergliederungen mit insgesamt 250(1995: 300) Mitgliedern an. Aggressive In seiner Publikation "Ümmet i Muhammed" (Die Gemeinde Polemik Mohammeds) polemisiert der ICCB gegen das westliche System, die Demokratie, die Parteien, die Juden, den Parlamentarismus und die Integration von Muslimen in die westliche Gesellschaft. Zugleich postuliert er für den Islam einen absoluten, unabdingbaren Alleinvertretungsanspruch, der gleichzeitig jede politische Zusammenarbeit mit anderen islamistischen Organisationen generell ausschließt. Dissidenten werden offen zur Umkehr aufgefordert und im Falle der Weigerung massiv bedroht. In der Verbandsarbeit tritt die Bezeichnung ICCB inzwischen in den Hintergrund. Statt dessen tritt der Verband als "Islamische Gemeinschaft" oder "Kalifatsstaat" bzw. als der 1992 proklamierte fiktive "Föderative Islamstaat Anatolien" (A.F.I.D.) auf. GewaltbereitHinsichtlich des Einsatzes von Gewalt unterscheidet der ICCB zwischaft sehen der derzeitigen ersten Phase der friedlichen Verkündigung des Ausländerextremismus 175 Islam und einer zweiten Phase der Gewalt, die beginnen werde, sobald die Zeit dazu reif sei. Dann sollten - so Metin Kaplan - "aus militärischer Sicht die Häuser und Wohnungen zu einem Stabsquartier und die Moscheen zu Kasernen umfunktioniert werden". "Die Fahne des Kalifatsstaates wird vom Turm in Ankara wehen. Seid bereit Männer, Frauen, Soldaten Allahs. Der Sieg gehört euch, möge euer Krieg, Feldzug gesegnet sein! Ihr müßt jeden Moment den Befehl erwarten und wachsam sein." Vollständig vereinnahmt und entmündigt werden die Mitglieder des Totalitäre ICCB durch eine im Verbandsorgan "Ümmet i Muhammed" vom Tendenzen 15. Mai veröffentlichte Weisung Kaplans an die "Angehörigen des Kalifatsstaates": " Von nun an muß man, wenn man irgendwohin gehen oder reisen will, unbedingt die Erlaubnis der Zentrale einholen." Seinen alleinigen Herrschaftsanspruch auf die Türkei dokumentierte der ICCB in einer im Frühjahr 1996 an das "Bundespatentgericht" in München gerichteten Klageschrift. Darin forderte er die "Rückgabe der kemalistischen Türkei" und proklamierte einen "Kalifatsstaat", der eine "theokratisch-diktatorische Staatsidee" verwirklichen solle. Der zunehmende Realitätsverlust und die Unberechenbarkeit des ICCB bedeuten im Zusammenspiel mit der Befürwortung von Gewalt, aggressiver Polemik und der Tendenz zur totalitären Vereinnahmung der Mitglieder ein nicht zu unterschätzendes Gefährdungspotential für die Innere Sicherheit. 4. Iranische Gruppen Die Anhänger der im Iran als Guerillakämpfer tätigen Volksmodjahedin haben sich im Bundesgebiet in der zum Teil konspirativ strukturierten und agierenden Iranischen Moslemischen Studenten-Vereinigung Bundesrepublik Deutschland e.V. (IMSV) zusammengeschlosNationaler Wider sen. Die Volksmodjahedin, eine Gruppierung islamischer Fundamenstandsrat Iran talisten mit marxistischer Prägung, waren maßgeblich an der Revolution gegen den Schah im Iran beteiligt, gerieten aber nach dem Umsturz zunehmend in Opposition zur neuen Regierung, die sie seit Juni 1981 durch bewaffneten Widerstand zu stürzen versuchen. Unter Federführung der Volksmodjahedin wurde im Juli 1981 der "Nationale Widerstandsrat Iran" (NWRI) als Zusammenschluß iranischer 176 Ausländerextremismus Oppositioneller gegründet. Er versteht sich als einzige demokratische Alternative zur iranischen Regierung. "Exilparlament" Im August 1993 konstituierte sich der NWRI zum "Exilparlament" und wählte die Generalsekretärin der Volksmodjahedin Maryam Radjavi zur künftigen "Präsidentin" des Iran. Die Bezeichnung "Volksmodjahedin" findet seitdem kaum noch Verwendung. Mit dieser Strategie wollen sich die Volksmodjahedin anderen Oppositionsgruppen öffnen und sie unter ihrer Führung einigen. Der Machtanspruch der Volksmodjahedin, die fehlende innerparteiliche Demokratie und ihr Personenkult stoßen indes bei einem erheblichen Teil der iranischen Opposition auf Ablehnung. illegale SpendenDie Volksmodjahedin halten sich vielfach nicht an Gesetze und Sammlungen behördliche Auflagen. Ihre hauptsächlich in Asylbewerberheimen angeworbenen Aktivisten sammeln oft unter Verstoß gegen ihre Aufenthaltsbeschränkung und ohne Sammlungserlaubnis im Namen von eigens gegründeten Tarnvereinen. Sie treten dabei aggressiv auf, fordern Mindestspenden, führen keine Sammellisten und benutzen keine Sammeldosen, sondern Überweisungsträger. Auf diese Weise verschleiern sie das Sammlungsergebnis. Der Schwerpunkt der Sammlungstätigkeit liegt in der Vorweihnachtszeit. Um bei der Beantragung erforderlicher Erlaubnisse nicht selbst in TarnorganisatioErscheinung treten zu müssen, bedient sich der NWRI mehrerer nen der Volks"Tarnvereine", deren Bezeichnung keinen Bezug zu den Volksmodjamodjahedin hedin aufweist. In der Vergangenheit waren dies z.B. die Gruppierungen "Flüchtlingshilfe Iran e.V.", "Frauen für Demokratie im Iran", "Iranischer Kulturverein", "Verein Iranischer Demokratischer Akademiker e.V." (VIDA), "Iranische Flüchtlingskinderhilfe e.V.", "Verein der Künstler und Schriftsteller des iranischen Widerstandes e.V." "Gesellschaft iranischer Flüchtlinge e.V." und "Verein zur Eingliederung iranischer Flüchtlinge e.V." (VEIF). Der NWRI bestreitet eine Verbindung dieser Organisationen zu den Volksmodjahedin. Die angeblich für humanitäre Zwecke bestimmten Spendengelder dienen in Wirklichkeit der Unterhaltung der weltweiten Strukturen der Volksmodjahedin sowie der Beschaffung von Waffen für ihre im Irak stationierte "Nationale Befreiungsarmee" (NLA). Zur Verschleierung der Sammlungsaktivitäten wird bei den Behörden manchmal um Erlaubnis zum Verkauf von Publikationen nachgesucht. Der NWRI veranstaltete am 27. November in Bonn eine Protestdemonstration zum Thema "Gegen den von den Mullahs gesteuerten Ausländerextremismus 177 Terrorismus". Anlaß war die Entwicklung im Berliner "Mykonos-Prozeß", den der NWRI von Beginn an aufmerksam verfolgt und ausdrücklich begrüßt hatte. Unter den rund 700 Teilnehmern befanden sich auch Anhänger der Volksmodjahedin aus mehreren bayerischen Städten. Ein NWRI-Funktionär verurteilte die "staatsterroristischen Aktionen des iranischen Regimes" und führte die bisherigen Erkenntnisse aus dem "Mykonos-Prozeß" als Beweis für die "Brutalität und Skrupellosigkeit der iranischen Mullah-Regierung" an. Die relativ geringe Teilnehmerzahl verweist auf die schwindende Motivation der NWRI-Anhänger. 178 Ausländerextremismus Übersicht über erwähnenswerte extremistische Organisationen von Ausländern sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) 1. Arabische Gruppen Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) Al Hourriah (Die Freiheit) marxistisch-leninistisch - wöchentlich - Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) Al Hadaf (Das Ziel) marxistisch-leninistisch - wöchentlich - Democratic Palestine - zweimonatlich - Volksfront für die Befreiung Palästinas Ila-Al-Amam (Vorwärts) -Generalkommando(PFLP-GC) - wöchentlich - marxistisch-leninistisch Hizb Allah (Partei Gottes) Al-Ahd (Die Verpflichtung) schiitisch-extremistisch - wöchentlich - 2. Iranische Gruppen Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) Iranische Moslemische Studenten-Vereinigung Freiheit für Iran Bundesrepublik Deutschland e.V. (IMSV) - monatlich - revolutionär-marxistisch Schire Khorschid (Löwe und Sonne) Sitz: Köln - unregelmäßig - Iran Zamin (Iranische Erde) - wöchentlich - Union islamischer Studentenvereine in Europa (U.I.S.A.) Qods (Jerusalem) islamisch-extremistisch - unregelmäßig - 3. Kurdische Gruppen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Serxwebun (Unabhängigkeit) marxistisch-leninistisch - monatlich - (in Deutschland seit 26.11.1993 verboten) Kurdistan-Report - unregelmäßig - Teilorganisationen der PKK: Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK) Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) (in Deutschland seit 26.11.1993 verboten) Ausländerextremismus 179 Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) Nebenorganisationen der PKK: Kurdistan-Komitee e.V., Köln Kurdistan-Rundbrief (Nachrichten (in Deutschland seit 26.11.1993 verboten) aus Kurdistan) - unregelmäßig - Kurdistan Informationsbüro in Deutschland (KIB) (am 02.03.1995 verboten) Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (FEYKA-Kurdistan) (in Deutschland seit 26.11.1993 verboten) Kurdistan Informations-Zentrum (KIZ) Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM) Haus der kurdischen Künstler e.V. (bisher: HUNERKOM) Union der freien Frauen aus Kurdistan (YAJK) Jina Serbilind (Die stolze Frau) (bisher: Bewegung freier Frauen Kurdistans -TAJK-) - monatlich - Union der Journalisten Kurdistans (YRK) Union der patriotischen Arbeiter Kurdistans (YKWK) Union zur Pflege der kurdischen Kultur und Kunst (YRWK) Welate Me (Unsere Heimat) (bisher: Union der patriotischen Intellektuellen Kurdistans) Vereinigung der patriotisch-revolutionären Jugend Sterka Ciwan (Stern der Jugend) Kurdistans (YCK) - monatlich - Verband der Studentinnen aus Kurdistan (YXK) Ronahi (Licht) - dreimonatlich - Union der Aleviten aus Kurdistan (KAB) Zülfikar - monatlich - Islamische Bewegung Kurdistans (KIH) Baweri (Glaube) Kurdischer Roter Halbmond (HSK) Roja Kurdistane (Sonne Kurdistans) KOMKAR - Verband der Vereine aus Kurdistan e.V. Denge KOMKAR (Stimme KOMKAR; marxistisch-leninistisch - unregelmäßig - Informationsbulletin Kurdistan - zweimonatlich - KOMKAR-Info - zweimonatlich - 180 Ausländerextremismus Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) 4. Türkische Gruppen 4.1 Linksextremisten Türkische Kommunistische Partei/ Isci-Köylü Kurtulusu (ArbeiterMarxisten-Leninisten (TKP/ML) Bauern-Befreiung) - monatlich - "Partizan"-Flügel Partizan (Der Partisan) - monatlich - Özgür Gelecek (Freie Zukunft) - vierzehntägig - "DABK"-Flügel Öncü Partizan (Der Avantgarde(Ostanatolisches Gebietskomitee) Partisan) - monatlich - Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (TIKKO) Frontorganisation der TKP/ML Basisorganisationen der TKP/ML: Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (ATIF) Sitz: Duisburg Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) Mücadele (Kampf) Zusammenschluß der ATIF und - monatlich - ihrer Schwesterorganisationen Devrimci Soi Spaltergruppen: Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front (DHKP-C) Halk lein Kurtulus - Karatas-Flügel - - wöchentlich - Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) Türkische VolksbefreiungsparteiAfront Devrimci Cözüm (Revolutionäre (THKP-C Devrimci Sol) Lösung) - Yagan-Flügel - - vierzehntägig - Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Atilim (Der Angriff) - wöchentlich - Partinin Sesi (Stimme der Partei) Bolschewistische Partei Nordkurdistan/Türkei (BP-KK/T) Bolsevik Partizan (Bolschewistischer (bisher: TKP/ML Bolsevik, Partisan) Abspaltung von der TKP/ML) - unregelmäßig - Ausländerextremismus 181 Organisation, Publikationen ideologische Ausrichtung (einschließlich Erscheinungsweise) 4.2 Extreme Nationalisten Deutsche Türk-Föderation (ATF) (bisher: Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V. -ADÜTDF-) Sitz: Frankfurt am Main 4.3 Islamische Extremisten Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) Publizistisches Sprachrohr: Sitz: Köln Milli Gazete (Nationale Zeitung) - täglich - Milli Görüs & Perspektive - monatlich - Verband der islamischen Vereine und Ümmet i Muhammed (Die Gemeinde Gemeinden e.V. (ICCB) Mohammeds) Sitz: Köln - fünfzehntägig - 182 Scientology-Organisation 4. Abschnitt Scientology-Organisation Neben den klassischen Beobachtungsfeldern Rechtsextremismus und Linksextremismus sowie dem aus dem Bereich Ausländerextremismus bekannten religiös motivierten Extremismus der Islamisten gibt es Anhaltspunkte dafür, daß ein anderer Extremismus neuer Art entstanden ist: Die Anfang der 50er Jahre durch den US-amerikanischen Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard gegründete und inzwischen weltweit aktive Scientology-Organisation. Es handelt sich um eine streng profitorientierte Organisation, die sich Kirche nennt und damit vortäuscht, eine Religionsgemeinschaft zu sein. Sie wendet Mittel der Psychomanipulation an und steht im Verdacht, mit Psychoterror und kriminellen Methoden letztlich totalitäre politische Ziele zu verfolgen. Aus einer Reihe von Aussagen und Handlungsanweisungen des Gründers und aus dem Selbstverständnis und den Handlungsweisen der Organisation, wie sie vor allem von ehemaligen Angehörigen berichtet werden, ergeben sich tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen der Organisation, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Solche Anhaltspunkte deuten darauf hin, daß die Scientology-Organisation, deren Weltund Menschenbild den elementaren Prinzipien der Gesellschaftsund Wertordnung des Grundgesetzes widerspricht, nach der Macht im Staat strebt. Nach den Worten Hubbards fordert die Organisation "totale Disziplin" und verfolgt das Ziel, "die Regierung und feindliche Philosophien oder Gesellschaften in einen Zustand völliger Gefügigkeit mit den Zielen der Scientology zu bringen". Aussagen wie "wir haben dich lieber tot als unfähig", Hinweise, wie mit Gegnern umzugehen sei, sowie die Bezeichnung von Kritikern als "schäbige Köter", die man totfahren dürfe, sind Anhaltspunkte dafür, daß Scientology eine Gesellschaftsordnung anstrebt, in der die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte nichts mehr gelten. Scientology-Organisation 183 Die Innenministerkonferenz befaßte sich deshalb schon mehrfach auch mit der Frage der Beobachtung der Scientology-Organisation durch die Verfassungsschutzbehörden. Zuletzt hatte sie in ihrer Sitzung am 21./22. November eine Arbeitsgruppe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder eingesetzt, die die Aufgabe hat, die vorliegenden Materialien und Erkenntnisse systematisch auszuwerten und zu prüfen, ob die Organisation verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz, das intensiv in der Arbeitsgruppe der Verfassungsschutzbehörden mitarbeitet, beobachtet die Scientology-Organisation seit März unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten, um zu prüfen, ob sich die Anhaltspunkte für die Verfassungsfeindlichkeit der Organisation bestätigen. 184 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 5. Abschnitt Terror* und sonstige politisch motivierte Gewalt 1. Entwicklung im Bundesgebiet ** Politisch motivierte Täter verübten 1996 in Deutschland insgesamt 1.704 Gewalttaten (1995: 1.685). Die Gesamtzahl dieser Gewalttaten ist damit um rund ein Prozent angestiegen. Unterschiedlich verlief die Entwicklung in den einzelnen Bereichen. Bei den rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten betrug der Rückgang rund sieben Prozent. Auch die Zahl der Gewalttaten ausländischer Extremisten ist erstmals seit Jahren wieder rückläufig (um etwa fünf Prozent). Dagegen stieg die Zahl linksextremistisch motivierter Gewalttaten um etwa 16% an. In allen drei Bereichen liegt die Zahl der Gewalttaten aber weiter auf einem hohen Niveau. Politisch motivierte Gewalttäter sind ledroh ung für die damit unverändert eine Bedrohung für die Innere Sicherheit in nnere Sicherheit Deutschland. Weiterer RückDer Rückgang rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten, vor allem gang rechtsextrebedingt durch den Rückgang fremdenfeindlicher Gewalt, dauert an. nistischer Gewalt Gleichwohl forderten rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten nach derzeitigem Erkenntnisstand ein Todesopfer. Daneben zeigen auch weitere schwere Straftaten im Bundesgebiet eine erschreckend hohe kriminelle Energie rechtsextremistisch motivierter Täter. Rechts- * Terrorismus ist der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben oder Eigentum Dritter, insbesondere durch Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind (vor allem: Mord, Totschlag, erpresserischer Menschenraub, Brandstiftung, Herbeiführung einer Explosion durch Sprengstoff) oder durch andere Gewalttaten, die der Vorbereitung solcher Straftaten dienen. ** Abweichungen der Vorjahreszahlen von den im Verfassungsschutzbericht Bayern 1995 genannten Zahlen beruhen im wesentlichen auf einem aktualisierten Erkenntnisstand. Die für Deutschland genannten Zahlen beruhen auf Angaben des Bundesministeriums des Innern. Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 185 Entwicklung politisch motivierter Gewalttaten in Deutschland linksextremistische rechtsextremistische Gewalttaten Gewalttaten Gewalttaten ausländischer Extremisten terroristische Strukturen konnten jedoch nach wie vor nicht festgestellt werden. Terroristische Aktionen waren weder von der Roten Armee Fraktion Keine Anschläge (RAF) noch von der Antiimperialistischen Zelle (AIZ) zu verzeichnen, von RAF und Alz Auf die Forderungen der inhaftierten terroristischen Gewalttäter Helmut Pohl und Birgit Hogefeld, die Auflösung der RAF zu erklären, reagierte die im Untergrund lebende Kommandoebene der RAF mit mehreren Erklärungen nur ausweichend. Die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten ist deutlich angestieAnstieg linksgen. Im Brennpunkt der Anschläge standen insbesondere die Deutextremistischer sehe Bahn AG und sonstige Einrichtungen im Zusammenhang mit Gewalttaten den Castor-Transporten. Auf diesen Bereich entfallen rund 44 % aller linksextremistischen Gewalttaten. Die Zahl der Gewalttaten ausländischer Extremisten ist erstmals seit Erstmals Rücklängerer Zeit wieder rückläufig. Bei internen Flügelkämpfen wurden gang der Gewalt am 27. August in Duisburg ein Mitglied der türkischen Kommuausländischer nistischen Partei-Aufbauorganisation (KP-IÖ) erschossen und ein Extremisten Begleiter verletzt. Auch die blutigen Richtungskämpfe innerhalb der Devrimci Sol dauern an. 186 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt Anhänger der verbotenen PKK begingen im Zusammenhang mit dem Newroz-Fest eine Reihe von Gewalttaten, hielten sich aber im weiteren Verlauf des Jahres an die Anordnung ihres Vorsitzenden Öcalan, keine Anschläge mehr zu verüben. Dies ist der wesentliche Grund für den Rückgang in diesem Bereich. Anhänger der ebenfalls verbotenen türkischen Devrimci Sol und der türkischen TKP/ML verübten verstärkt Anschläge gegen türkische Einrichtungen. Diese Gewalttaten waren Solidaritätsaktionen zugunsten in der Türkei revoltierender bzw. hungerstreikender inhaftierter Gesinnungsgenossen. 1.1 Rechtsextremistische Gewalt Die Verfassungsschutzbehörden registrierten bundesweit 781 Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation; das bedeutet gegenüber den 837 Gewalttaten des Vorjahrs einen Rückgang um rund sieben Prozent. Der Rückgang ist im wesentlichen auf eine deutliche Abnahme fremdenfeindlicher Gewalttaten von 540 im Jahr 1995 auf 441 zurückzuführen. Im Bereich der sonstigen rechtsextremistischen Gewalttaten, bei den Gewalttaten gegen politische Gegner und bei antisemitischen Gewalttaten waren dagegen Zunahmen festzustellen. Insgesamt zeigen ein vollendetes, mehrere versuchte Tötungsdelikte und eine hohe Anzahl weiterer schweErhebliche krimirer Gewaltakte in Deutschland die nach wie vor erhebliche kriminelle ne//e Energie Energie der Täter. Bei den 13 vollendeten bzw. versuchten Tötungsdelikten (1995: zehn Versuche) war nach derzeitigem Erkenntnisstand ein Todesopfer zu beklagen. Auch bei 33 (1995: 45) vollendeten bzw. versuchten Brandanschlägen sowie 578 Landfriedensbrüchen und Körperverletzungsdelikten wurde eine Vielzahl von Personen zum Teil schwer verletzt. Außerdem wurde bei 157 Sachbeschädigungen mit Gewaltanwendung Sachschaden in Millionenhöhe verursacht. Trotz des erneuten Rückgangs beträgt die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten mehr als das Doppelte der Gewalttaten von 1990 (309 Gewalttaten). Die polizeilichen Ermittlungen erbrachten bisher Keine überregiokeine Erkenntnisse über eine überregionale Steuerung dieser nale Steuerung Gewalttaten durch rechtsextremistische Organisationen. Überwieder Gewalttaten gend wurden die Gewalttaten nicht von Einzeltätern, sondern von mehreren gemeinschaftlich handelnden Personen verübt. Dabei entstand der Tatentschluß vielfach spontan aus gruppendynamischen Prozessen, gefördert durch Alkohol oder Musik mit rechtsextre- Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 187 Entwicklung Deutschland der rechtsextreBayern mistischen Gewalttaten i1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 mistischem Inhalt. Die Tatverdächtigen waren überwiegend jünger als 20 Jahre. Die Zahl fremdenfeindlicher Gewalttaten hat im Vergleich zum VorWeiterer Rückjahr wiederum deutlich abgenommen. Insgesamt wurden bundesweit gang fremden441 (1995: 540) fremdenfeindliche Gewalttaten registriert. Dies befeindlicher deutet einen Rückgang um rund 18 %. Maßgebend für diese positiGewalttaten ve Entwicklung war u.a. der durch die Änderung des Asylverfahrens- 188 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt gesetzes anhaltend reduzierte Zugang von Asylbewerbern. Auch die weitgehende Zerschlagung der organisierten neonazistischen Gruppen durch Vereinsverbote und überraschende polizeiliche Zugriffe haben nachhaltig zu einer Verunsicherung der potentiellen Gewalttäter und damit zu einer Beruhigung der Lage beigetragen. Die gerichtlichen Feststellungen, daß Brandstiftungen auch den Tatbestand des versuchten oder vollendeten Mordes bzw. Totschlags erfüllen können, die Verurteilungen zu langjährigen Freiheitsstrafen sowie die breite Berichterstattung hierüber wirkten ebenfalls generalpräventiv. So verurteilte das Landgericht Potsdam am 21. November einen 21jährigen Neonazi wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sieHohe Haftstrafen ben Jahren und sechs Monaten. Der Verurteilte hatte am 15. Februar in Brandenburg einen der "linken" Szene zuzuordnenden 23jährigen Mann mit Fußtritten so schwer verletzt, daß er am 20. Februar verstarb. Am 2. Dezember verurteilte das Landgericht Potsdam zwei 24bzw. 18jährige Männer wegen schwerer Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu Freiheitsstrafen von acht bzw. fünf Jahren. Die beiden hatten am 16. Juni in Mahlow/Brandenburg farbige britische Staatsangehörige angepöbelt und anschließend in einer "Autohetzjagd" verfolgt. Dabei warf einer der Verurteilten einen Stein in das Seitenfenster des flüchtenden Fahrzeugs. Bei dem hierdurch verursachten Unfall erlitt ein Opfer eine Querschnittslähmung. Am 15. Januar versuchte in Flecken Zechlin/Brandenburg der Fahrer eines PKW, eine Türkin in einer Fußgängergruppe zu überfahren. Das Landgericht Neuruppin verurteilte den 19jährigen wegen versuchten Mordes am 14. Mai zu drei Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe. Bei seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren hatte er seine Einstellung als "deutsch-national" bezeichnet und erklärt, er sei bewußt auf die dunkelhäutige Person zugefahren. Auch die in der Einführung genannte Aufklärungskampagne der Innenminister des Bundes und der Länder unter dem Motto "FAIRSTÄNDNIS - Menschenwürde achten - Gegen Fremdenhaß" hat zum Rückgang der Gewalttaten beigetragen. Angriffe gegen Die Zahl der Angriffe gegen politische Gegner ist auf 84 (1995: 68) politische Gegner und damit um etwa 24% angestiegen. Die Gewaltbereitschaft der rechtsextremistischen Szene ist vor allem in der überwiegend von Neonazis getragenen Anti-Antifa-Kampagne ungebrochen. Aktionen Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 189 gegen tatsächliche und vermeintliche Linksextremisten werden geplant und letztlich auch durchgeführt, wie es von Linksextremisten bekannt ist und in deren Publikationen auch zum Teil beschrieben wird. Dazu gehörten u.a. die exakte Vorbereitung durch Ausspähung der persönlichen Verhältnisse (Adresse, Gewohnheiten usw.), Einschüchterungsaktionen, Schmier-, Flugblattund Plakataktionen, Desinformation der Presse oder auch des Arbeitgebers. Diese Aktionsmuster werden auch in rechtsextremistischen Broschüren, wie z.B. im "Sonnenbanner - Nationales Sozialistisches Schulungsblatt" des Freundeskreises Nationaler Sozialisten/Aktion Volkswille, verbreitet. Zum Ursprung der Handlungsanweisungen heißt es: "... das Material wurde von Autonomen erstellt und von uns bearbeitet...". Im Zusammenhang mit rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten führt der Generalbundesanwalt seit 1992 mehrere Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Existenz rechtsterroristischer Vereinigungen. Dabei konnten rechtsterroristische Strukturen in Deutschland bisher nicht festgestellt werden. Konkrete Erkenntnisse über Planungen von Terroranschlägen liegen nicht vor. Die Gewalttaten werden in aller Regel von rechtsextremistisch motivierten Einzeltätern oder zumeist spontan entstandenen Gruppen verübt. Auf Dauer angelegte strukturierte Gruppen, die zur DurchKeine rechtssetzung ihrer politischen Ziele schwere Straftaten wie Brandund terroristischen Sprengstoffanschläge oder Tötungsdelikte begehen, sind derzeit Vereinigungen in nicht erkennbar. Durch rechtzeitige Exekutivmaßnahmen konnten Deutschland neonazistische Gruppen, die Waffen und Sprengstoff zur Durchführung von Gewalttaten vorrätig hielten, im Ansatz zerschlagen werden. So stellte die Polizei am 16. Februar bei Angehörigen einer neonazistischen "Kameradschaft Recklinghausen" u.a. Waffen, Uniformen und Fahnen sicher. Die Betroffenen stehen u.a. im Verdacht, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Wegen Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung erfolgten am 7. Mai in mehreren Bundesländern Exekutivmaßnahmen gegen ehemalige Angehörige der im November 1994 verbotenen Wiking-Jugend e.V. (WJ). Dabei wurden Uniformen, WJ-Adressenmaterial und über zwei Kilo Sprengstoff beschlagnahmt; außerdem konnten in München zwei scharfe Schußwaffen sichergestellt werden. Bei der Durchsuchung der Wohnung eines Unteroffiziers in KlingenWaffenund thal/Thüringen stellte die Polizei am 9. Oktober einen Revolver, Sprengstoffsicher100 Patronen, acht Gewehrmagazine und fünf Kilogramm Schwarzstellungen 190 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt pulver sicher. Nach Auswertung der aufgefundenen Unterlagen und drei Folgedurchsuchungen besteht der Verdacht, daß der Unteroffizier, zwei ehemalige Bundeswehrsoldaten und ein Rechtsextremist seit 1992 einer Wehrsportgruppe "Freikorps" angehörten, die nach dem Vorbild der Waffen-SS organisiert war. WehrsportDie bundesweit rückläufigen Aktivitäten rechtsextremistischer gruppen Wehrsportgruppen und wehrsportähnlicher Organisationen reichen von Geländespielen bis hin zu Schießübungen mit scharfen Waffen. In Bayern ist derzeit keine Wehrsportgruppe bekannt. Wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung "Werwolf-Jagd-und-Sturmkommando" durchsuchte die Polizei am 30. Oktober in Berlin und Brandenburg die Wohnungen von neun Personen im Alter von 15 bis 29 Jahren. Dabei wurden u.a. Sprengvorrichtungen, Sprengstoff, Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen, eine Vielzahl von Waffen, Uniformen, T-Shirts der verbotenen WJ, Personalcomputer und rechtsextremistisches Propagandamaterial sichergestellt. Die Gruppierung soll nach Polizeiangaben zahlreiche Wehrsportübungen durchgeführt und Straftaten begangen bzw. schwere Straftaten geplant haben. Ihr mutmaßlicher Anführer, ein ehemaliger Leiter des "Gaues Berlin" der WJ, befindet sich in Haft. 1.2 Linksextremistische Gewalt Anstieg linksBundesweit wurden 654 Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermuextremistischer tender linksextremistischer Motivation festgestellt. Das bedeutet geGewalt genüber den 565 Gewalttaten des Vorjahres einen Anstieg um etwa 16%. Den Schwerpunkt bildeten dabei Angriffe gegen Einrichtungen und Firmen im Zusammenhang mit dem Transport abgebrannter Brennelemente aus Kernkraftwerken in Castor-Behältern. Insgesamt Angriffsentfallen mit 291 Taten 4 4 % der gesamten linksextremistisch motischwerpunkt vierten Gewalttaten auf diesen Bereich. Für Linksextremisten hat sich der Protest gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie wieder zu einem Aktionsfeld für unfriedliche Aktionsformen und Gewalttaten entwickelt. Dies ist auch der wesentliche Grund für den Anstieg linksextremistischer Gewalttaten. Die Zahl der Gewalttaten gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten stieg auf 83 (1995: 81) und damit um zwei Prozent. Weitere Motive für gewalttätige Aktionen waren u.a. bauliche Umstrukturierungsmaßnahmen in Großstädten und Solidarität mit ausländischen extremistischen Gruppierungen. Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 191 Entwicklung Deutschland der linksextreBayern mistischen Gewalttaten ra" 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 Terroristische Aktionen der RAF oder AIZ waren nicht zu verzeichnen. Die linksextremistischen Gewalttaten wurden zu über 80% von Über 80% Gruppen und Einzeltätern aus dem gewaltbereiten autonomen und autonome anarchistischen Spektrum begangen. Ziel dieser und anderer in Gewalttaten Deutschland gewalttätig agierender linksextremistischer Gruppen ist nach wie vor die gewaltsame Zerschlagung der gegenwärtigen Staatsund Gesellschaftsordnung, in der sie ein "Instrument zur Durchsetzung weltweiter kapitalistischer imperialistischer Ausbeuterinteressen" sehen. Die hohe kriminelle Energie der Täter zeigt sich u.a. an den Anschlägen im Zusammenhang mit den Castor-Transporten. Im Rahmen der von Kernkraftgegnern gesteuerten Kampagne gegen die Castor-Transporte verübten militante Kernkraftgegner, insbesondere militante Linksextremisten, in zunehmendem Maße schwere Gewalttaten und Anschläge vor allem gegen Einrichtungen der Deutschen Bahn AG Anschläge gegen und Hochspannungsleitungen. Den Höhepunkt erreichten die die Deutsche Gewalttaten unmittelbar vor und während des Castor-Transports am Bahn AG 7./8. Mai von La Hague/Frankreich zum Zwischenlager in Gorleben/Niedersachsen. Es kam neben mehreren Brandund Sprengstoff- 192 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt anschlagen zu einer Vielzahl gefährlicher Eingriffe in den Bahnverkehr. Gewalttäter unterhöhlten Bahngleise, errichteten Barrikaden auf den Gleisen und legten Bombenattrappen auf den Bahnstrecken ab. Zahlreiche Schienen wurden anbzw. durchgesägt und Signalkabel durchtrennt. Auch Strommasten wurden umgesägt. Im Oktober war eine neue Serie von Gewalttaten gegen einen weiteren - ursprünglich für Herbst geplanten, dann aber auf 1997 verschobenen - Castor-Transport zu verzeichnen. In der Nacht zum 7. Oktober verübten Unbekannte in den Bundesländern Niedersachsen, Berlin, Brandenburg und Baden-Württemberg u.a. mit sogenannten Hakenkrallen eine Vielzahl gefährlicher Eingriffe in den Bahnverkehr. Es kam zu erheblichem Sachschaden und gravierenden Störungen des Zugverkehrs im gesamten Bundesgebiet. In einer fünfseitigen Erklärung, die am 8. Oktober bei zwei Presseagenturen in Magdeburg einging, übernahmen "Autonome Gruppen" die Verantwortung für die Anschläge. In dem mit "Stop die Bahn - Stop den Castor!" und "Für einen lebendigen und militanten Widerstand gegen den Castor" überschriebenen Papier heißt es, damit hätten die Verfasser den "Bahnverkehr im gesamten Bundesgebiet lahmgelegt". Es gehe darum, "den Druck so zu verstärken, daß die Herrschenden froh wären, mit einer Schließung von Gorleben davonzukommen". Gleichzeitig sei das Selbstbezichtigungsschreiben ein "offener Brief" an die "gewaltfreie" Antikernkraftbewegung, die damit zu einer öffentlichen Diskussion eingeladen werde. Es könne nicht nur - wie die bisherige Forderung der Antikernkraftbewegung laute - um die sofortige Abschaltung aller Atomanlagen gehen, sondern zugleich Kampf gegen müsse die Überwindung des globalen Kapitalismus und der patriarden Staat chalen Herrschaftsverhältnisse angestrebt werden. Derzeit gebe es "reale Chancen", nicht nur der "Atommafia kräftig in die Suppe zu spucken"; darüber hinaus sei es möglich, über den Kampf gegen den Castor-Transport Kapital und herrschende Politik ein Stück zurückzudrängen. Militante Aktionen seien ein notwendiges Mittel, um in diesem Staat grundsätzliche Veränderungen zu erkämpfen. Im Rahmen einer Kampagne "Stop die Bahn - Stop den Castor!" müsse es jetzt darum gehen, "einen offensiven Angriff auf die Infrastruktur von Bahn-, Stromund Staatseinrichtungen" zu führen. Diese Anschlagsserie war offensichtlich Ausfluß der "Herbstkonferenz" der Anti-AKW-Bewegung vom 27. bis 29. September in Hamburg. Dort hatten Autonome ihre Bereitschaft bekräftigt, auch künftig militante Aktionen gegen Castor-Transporte durchzuführen. Im Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 193 Zusammenhang mit der Anti-Castor-Kampagne kam es am frühen Morgen des 23. Oktober in Schleswig-Holstein und Niedersachsen erneut zu Anschlägen auf den Bahnverkehr. Bei einem Anschlag in Niedersachsen wurde der Lokführer eines entgegenkommenden Zuges durch Glassplitter verletzt, als ein Teil der heruntergerissenen Oberleitung das Frontfenster des Zuges durchschlug. 1.3 Gewalttaten ausländischer Extremisten Die Bedrohung der Inneren Sicherheit durch gewalttätige auslänErstmals dische Extremisten ist zurückgegangen. Die Zahl der Gewalttaten Rückgang ausländischer Extremisten, überwiegend türkischer und kurdischer Linksextremisten, ist erstmals seit Jahren rückläufig. Insgesamt waren in Deutschland 269 Gewalttaten ausländischer Extremisten (1995:283) zu verzeichnen. Dies bedeutet einen Rückgang um fünf Prozent. Der Rückgang ist im wesentlichen auf eine nach den Anschlägen im Zusammenhang mit dem kurdischen Newroz-Fest feststellbare ZurückZurückhaltung haltung der verbotenen PKK zurückzuführen. Andere Gruppen - wie der PKK die ebenfalls verbotene Devrimci Sol und die TKP/ML - zeigten dagegen gesteigerte Aktivitäten. Entwicklung der Deutschland Gewalttaten Bayern ausländischer Extremisten 1991 1992 1993 1994 1995 1996 Die Gewalttaten ausländischer Extremisten werden in Bayern erst seit 1993 gesondert erfaßt. 194 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt Auslöser für die Gewalttaten waren in der Regel Konflikte in den Heimatländern, insbesondere in der Türkei. Bei der Niederschlagung einer Häftlingsrevolte in Istanbul kamen am 4. Januar drei mutmaßliche Anhänger der Devrimci Sol ums Leben. Am nächsten Tag griffen die Auseinandersetzungen zwischen inhaftierten Linksextremisten und türkischen Sicherheitskräften auch auf Haftanstalten in anderen Städten der Türkei über. Türkische Linksextremisten in Deutschland nahmen die Vorfälle zum Anlaß zahlreicher Brandanschläge und sonstiger Protestaktionen. So besetzten am 5. Januar Sympathisanten der Devrimci Sol, darunter auch vier Personen aus Bayern, das Büro des türkischen Arbeitsattaches in Mainz. Nach Abgabe einer Presseerklärung wurden die Beteiligten beim Verlassen des Gebäudes festgenommen. Signifikant war auch der Anstieg der Gewalttaten im Zusammenhang mit einer verbotenen Demonstration der PKK am 16. März in Dortmund und anderen verbotenen Newroz-Feierlichkeiten. Neben den massiven Ausschreitungen am 16. März in Dortmund richteten sich die Angriffe anschließend bundesweit zunächst gegen deutsche öffentliche Einrichtungen wie Polizeidienststellen, Einrichtungen der Post AG und Telekom sowie Geldinstitute. Nach diesen "Vergeltungsaktionen" griff die PKK wieder bevorzugt türkische Reisebüros und Geschäfte an. In Bayern wurden derartige Angriffe jedoch nicht registriert. Nach den deeskalierenden Äußerungen des PKK-Führers Öcalan ist bundesweit eine gewisse Zurückhaltung spürbar. Auch wenn die PKK derzeit in Deutschland keine Anschläge gegen türkische Einrichtungen verübt, ist ihre Gewaltbereitschaft ungebrochen. Auch in der Vergangenheit hatte die PKK, wenn es ihr opportun erschien, bereits mehrfach für bestimmte Zeit auf Gewalttaten verzichtet. Es bleibt abzuwarten, ob der Aufruf Öcalans an seine Anhänger zur Mäßigung lediglich eine kurzfristige taktische Maßnahme oder auf Dauer angelegt ist. Aus Protest gegen die Verschärfung des Strafvollzugs in der Türkei begannen rund 1.500 in türkischen Gefängnissen Inhaftierte im Mai einen Hungerstreik, der 69 Tage andauerte und an dessen Folgen zwölf Menschen starben. Revolutionär-marxistische türkische Gruppen solidarisierten sich mit den Häftlingen in einer bundesweiten Unterstützungskampagne. Daran beteiligten sich insbesondere Anhänger des Karatas-Flügels der verbotenen Devrimci Sol, der TKP/ML und der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLPK). Neben 71 Brandanschlägen und einem Sprengstoffanschlag Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 195 kam es u.a. zur Besetzung türkischer Einrichtungen. Am meisten betroffen waren mit zwei Dritteln aller Anschläge die Bundesländer Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. In Bayern wurden in diesem Zusammenhang lediglich am 29. Juli zwei Brandanschläge auf türkische Einrichtungen in Allersberg und Altdorf verübt. Daneben kam es auch in Bayern zu demonstrativen Aktionen in München und Nürnberg sowie zu Plakatund Schmieraktionen. Vereinzelt konnten an den Tatorten Embleme der Devrimci Sol und TKP/ML festgestellt werden. Es ist davon auszugehen, daß die genannten - und andere linksextremistische türkische - Gruppierungen weiter zusammenarbeiten werden, um die Inhaftierten in der Türkei zu unterstützen. Die Devrimci Sol betrachtet die Vereinbarungen mit türkischen Stellen zur Verbesserung der Haftbedingungen "politischer Gefangener" als Sieg der türkischen Linksextremisten. Sollten die Vereinbarungen gebrochen werden, oder sollten die Unruhen in türkischen Gefängnissen wieder aufflackern, muß auch in Deutschland mit weiteren entsprechenden Gewaltaktionen gerechnet werden. Die blutigen Richtungskämpfe in der Devrimci Sol dauern an. Auch Blutige Richtungsgeht die Gruppe weiterhin mit Bestrafungsaktionen gegen Parteikämpfe abweichler vor. So griffen am 13. Mai in Hamburg mutmaßliche Angehörige des Karatas-Flügels zwei Anhänger des Yagan-Flügels tätlich an. Die Opfer wurden mit Knüppeln und Baseballschlägern lebensbedrohlich verletzt. Am 18. Mai kam es zu einem Schußwechsel, bei dem ein Unbeteiligter leicht verletzt wurde. Nach einer am Tatort aufgefundenen Flugschrift der "Devrimci Sol Gücler Hamburg" dürfte es sich bei dem Angriff um einen Racheakt des Yagan-Flügels handeln. Das Landgericht Köln verurteilte am 31. Mai einen Anhänger des Yagan-Flügels der Devrimci Sol wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von neun Jahren. Der Verurteilte hatte in Zusammenhang mit den Flügelkämpfen innerhalb der Devrimci Sol am 6. November 1994 in Bergisch Gladbach/Nordrhein-Westfalen einen Anhänger des Karatas-Flügels erschossen. Auch zwischen der erst im Sommer 1995 gründeten türkischen revolutionär-marxistischen MLKP und der bereits in der Gründungszeit von ihr abgespaltenen KP-IÖ toben blutige Richtungskämpfe. Am 27. August erschossen in Duisburg mutmaßliche Anhänger der MLKP einen Funktionär der KP-IÖ und verletzten einen Begleiter schwer. 196 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt Insgesamt sind 259 der bundesweit 269 registrierten Gewalttaten - und damit mehr als 96 % - ausländischen linksextremistischen Organisationen zuzurechnen. Für sieben (1995: neun) der bundesweit registrierten Gewalttaten sind extreme Nationalisten verantwortlich. Den türkischen Nationalisten ist es damit auch 1996 im wesentlichen gelungen, mäßigend auf ihre Anhänger einzuwirken und sich nicht von türkischen und kurdischen Linksextremisten provozieren zu lassen. Zur Deckung ihres erheblichen Finanzbedarfs veranstalten die genannten linksextremistischen türkischen und kurdischen Gruppierungen jährlich "Spendenkampagnen" bei Landsleuten, insbesondere Geschäftsleuten. Die Spendeneintreiber schrecken dabei selbst vor massiven Drohungen und schweren Gewalttaten nicht zurück, um zum Teil fünfstellige Geldbeträge zu erpressen. Die Provisorische Irische Republikanische Armee (PIRA) verübte am 28. Juni einen Granatwerferanschlag auf eine Kaserne der britischen Armee in Osnabrück/Niedersachsen. Eine von drei auf das Kasernengelände abgefeuerten Granaten detonierte und verursachte erheblichen Sachschaden. Die PIRA, die im Februar nach 17monatiger Pause ihre Terroraktionen wieder aufgenommen hat, verübte damit erstmals seit Jahren wieder einen Anschlag auf britische Einrichtungen in Deutschland. 2. Politisch motivierte Gewalt in Bayern Die Gesamtzahl politisch motivierter Gewalttaten ist in Bayern auf 72 Vorfälle (1995: 93) und damit um 23 % gesunken. Der Anteil der in Bayern verübten Gewalttaten an der bundesweiten Zahl 1.704 ist mit 4,23% relativ gering. Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten sind auf 32 (1995: 48) und damit um rund 33% zurückgegangen. Linksextremistisch motivierte Gewalttaten sind auf 31 (1995: 18) um rund 72 % angestiegen. Die Gewalttaten ausländischer Extremisten sind auf neun (1995: 27) um rund 67% zurückgegangen. Auch 1996 forderte die politisch motivierte Gewalt in Bayern keine Todesopfer. Die Zahl der Brandanschläge, bei denen das angegriffene Ziel, die Tatausführung oder Selbstbezichtigungen auf politische Motive hindeuten, ist im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken. Insgesamt wurden 13 Brandanschläge (1995: 20 und ein Sprengstoffanschlag) verübt oder versucht. Bei allen fünf (1995: vier) Brandanschlägen mit rechtsextremistischem Hintergrund war ein fremden- Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 197 feindliches Motiv erkennbar bzw. zu vermuten. Linksextremisten verübten drei Brandanschläge (1995: zwei). Ausländische Extremisten waren für fünf Brandanschläge (1995: 15) verantwortlich. 2.1 Rechtsextremistische Gewalt Die Gesamtzahl fiel um rund 33% und betrug 32 (1995: 48); das sind 4,10% (1995: 5,73%) der bundesweit registrierten Zahl. Drei (1995: sechs) Gewalttaten richteten sich gegen politische Gegner. 16 (1995: 23) Gewalttaten hatten eine fremdenfeindliche Motivation. Damit ist die Zahl fremdenfeindlicher Gewalttaten in Bayern 1996 erneut deutlich, nämlich um etwa 30%, zurückgegangen. Rückgang Dennoch zeigen insbesondere die fünf Brandanschläge (1995: drei), acht Angriffe (von insgesamt zwölf) auf Personen (1995: 15) und drei Sachbeschädigungen mit Gewaltanwendung (1995: drei) gegenüber Ausländern, daß im rechtsextremistischen Bereich weiterhin eine erhebliche und ernstzunehmende Gewaltbereitschaft besteht. Die Zahl der sonstigen fremdenfeindlichen Straftaten ohne Anwendung von Gewalt, wie Bedrohungen, Nötigungen und Propagandadelikte, ging von 198 auf 176 zurück. Entwicklung D 1993 111 politisch D 1994 motivierter * 1995 Gewalttaten * 1996 in Bayern 48 28 31 linksextremistische rechtsextremistische Gewalttaten Gewalttaten Gewalttaten ausländischer Extremisten 198 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt Entwicklung politisch -- Rechtsextremistische Gewalttaten . i Linksextremistische Gewalttaten motivierter - Gewalttaten ausländischer Extremisten Gewalttaten in Bayern 1991 1992 1993 1994 1995 1996 Die Gewalttaten ausländischer Extremisten werden in Bayern erst seit 1993 gesondert erfaßt. Typisch für die 1996 festgestellten rechtsextremistischen Gewalttaten sind die folgenden Beispiele. 2.1.1 Brandanschläge Brandstiftung In der Silvesternacht warfen 15 Jugendliche in Wassertrüdingen, in AsylbewerberLandkreis Ansbach, Feuerwerkskörper und leere Flaschen gegen ein heim Asylbewerberheim und riefen ausländerfeindliche Parolen. Zwei von ihnen warfen Feuerwerkskörper durch einen Nebeneingang in das Gebäude und verursachten dadurch einen Brand im Treppenhaus. Das Feuer konnte nach kurzer Zeit von den Bewohnern gelöscht werden. Es entstand Sachschaden in Höhe von etwa 2.000 DM. Als Tatverdächtige konnten zwei Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren ermittelt werden. Sie gaben als Motiv Fremdenfeindlichkeit an. Das Amtsgericht Weißenburg verurteilte die beiden am 18. Juli u.a. wegen fahrlässiger Brandstiftung zu Jugendstrafen von einem Jahr bzw. neun Monaten, ausgesetzt zur Bewährung. Brand in KulturAm 16. Februar setzten unbekannte Täter im Kulturzentrum der Gezentrum meinde Ottobrunn, Landkreis München, in einem Seminarraum einen Vorhang in Brand. Es entstand Sachschaden in Höhe von 20.000 DM. Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 199 Am 19. Februar wurde im "Kummerbriefkasten" des Rathauses ein nicht unterzeichnetes Selbstbezichtigungsschreiben gefunden, aus dem fremdenfeindliche Motive erkennbar waren. Am 5. April drangen unbekannte Täter in Isen, Landkreis Erding, in versuchte Brand die Asylbewerberunterkunft ein und verschütteten im ersten StockStiftung werk eine brennbare Flüssigkeit. Da die Täter gestört wurden, flüchteten sie, ohne Feuer zu legen. Am 1. Oktober versuchten vier Jugendliche in Eckenthal, Landkreis Erlangen-Höchstadt, einen vor einer Asylbewerberunterkunft geparkten PKW in Brand zu setzen. Zuvor hatten sie mit Steinen zwei Fenster des Heims eingeworfen. Die Täter konnten festgenommen werden. Es entstand Sachschaden von etwa 3.000 DM. In Teublitz, Landkreis Schwandorf, schütteten unbekannte Täter zwiBrandstiftung sehen dem 14. und 19. November eine brennbare Flüsssigkeit durch in Asylbewerbereine Öffnung an der Haustür eines zur Unterbringung von Asylbeheim Werbern vorgesehenen Hauses und entzündeten diese. Es entstand Sachschaden von etwa 4.000 DM. 2.1.2 Sonstige rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten Am 18. April drang ein stark alkoholisierter Deutscher in Passau in ein Angriff auf Asylbewerberheim ein. Dort richtete er eine Reizstoffwaffe auf einen Asylbewerber Asylbewerber, gab vor, Polizeibeamter zu sein, und verlangte Ausweispapiere. Anschließend trat er eine Zimmertür auf und schoß in den Raum. Die Polizei konnte den Täter beim Verlassen der Unterkunft festnehmen. In der Vernehmung gab er fremdenfeindliche Motive an. Am 29. Juni überfielen in München etwa 30 Skinheads eine Gruppe von 25 Jugendlichen, die an der Isar ein Fest feierten. Sie griffen die Jugendlichen tätlich an und raubten Rucksäcke und Springerstiefel. Die Polizei nahm 20 Tatverdächtige fest, darunter den ehemaligen Vorsitzenden der am 24. Februar 1995 vom Bundesministerium des Innern verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) Friedhelm Busse. Die Skinheads hatten mit ihm im Uferbereich einen Geburtstag gefeiert. Am 13. Juli griffen fünf angetrunkene Skinheads in München zwei Überfall auf Punker in einer Straßenbahn an. Die Skinheads schlugen auf die PunJugendliche ker ein und raubten ihnen Bekleidungstücke. Beim Versuch zu 200 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt schlichten erlitten zwei weitere Jugendliche Verletzungen. Schon beim Einsteigen hatten die Skinheads "Sieg Heil" gerufen und den "Deutschen Gruß" gezeigt. Im Rahmen einer Sofortfahndung nahm die Polizei die fünf Täter fest. In Isen, Landkreis Erding, warfen am 25726. Juni zwei nachträglich ermittelte Täter mit Bierflaschen vier Fenster an einem von zwei türkischen Familien bewohnten Haus und am Anwesen des "Türkischen * Vereins e.V." ein. Es entstand Sachschaden von etwa 400 DM. Angriff gegen Am Hauptbahnhof Würzburg griffen am 9. November Skinheads drei Punker Punker tätlich an und verletzten diese. Die Polizei konnte zehn tatverdächtige Skinheads im Alter von 16 bis 20 Jahren ermitteln. In Regensburg zwang am 1. Dezember ein Skinhead aus einer Gruppe heraus einen Italiener, sein Kraftfahrzeug anzuhalten. Danach beleidigte ein weiterer Skinhead das Opfer und versuchte, es aus dem Fahrzeug zu ziehen. Der anfahrende PKW geriet dadurch außer Kontrolle und prallte gegen eine Mauer. Am Fahrzeug entstand Sachschaden von etwa 5.000 DM. Die beiden Täter konnten kurz darauf vorläufig festgenommen werden, ebenso die übrigen Mitglieder der Gruppe, nachdem sie noch ein auf einem Betonsockel stehendes Verkehrszeichen umgeworfen hatten. 2.2 Linksextremistische Gewalt In Bayern wurden insgesamt 31 (1995: 18) Gewalttaten mit linksextremistischer bzw. zu vermutender linksextremistischer Motivation begangen. Gegenüber dem Vorjahr ist damit die Zahl derartiger Deutlicher Gewalttaten um rund 72 % angestiegen. Der Anteil Bayerns an dieAnstieg sen Straftaten in ganz Deutschland beträgt 4,74% (1995: 3,19%). Linksextremisten waren für drei Brandanschläge verantwortlich (1995: einer). Acht (1995: sechs) der festgestellten Gewalttaten mit linksextremistischer Motivation richteten sich gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten bzw. deren Einrichtungen. Der Schwerpunkt liegt - ebenso wie im übrigen Bundesgebiet - mit zwölf Gewalttaten (1995: keine) bei Aktionen gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie. Dies ist auch der Grund für den deutlichen Anstieg linksextremistisch motivierter Gewalttaten in Bayern, obwohl die kriminelle Energie der Täter in diesem Bereich wie auch der angerichtete Schaden im Vergleich zu den Gewaltakten im übrigen Bundesgebiet derzeit noch begrenzt sind. Der Neubau eines Forschungs- Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 201 reaktors für die Technische Universität München hat sich zu einem Kristallisationspunkt extremistischer Kernkraftgegner in Bayern entwickelt. 2.2.1 Brandanschläge Am 25. März fand ein Angestellter einer örtlichen Niederlassung von Anschlag gegen Mercedes-Benz auf dem Werksgelände in Aschaffenburg einen Autohaus Brandsatz, der rechtzeitig entschärft werden konnte. In der militanten autonomen Publikation "INTERIM" vom 4. April bezichtigten sich die "AZ Militante Mercedesfreundinnen", den Anschlag versucht zu haben. Sie behaupteten, bereits Anfang März einen Anschlag auf dieselbe Niederlassung durchgeführt zu haben. Die Selbstbezichtigung zu diesem angeblichen Anschlag war in der "INTERIM" vom 11. April abgedruckt und mit "Autonome Zelle - Militanter Mercedesfanclub" unterschrieben. Der Generalbundesanwalt hat gegen die unbekannten Täter wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Am 28. April setzten unbekannte Täter in München mehrere PapierBrandstiftung Container in Brand. Dabei entstand Sachschaden von 20.000 DM. In wegen Reaktoreinem Selbstbezichtigungsschreiben, veröffentlicht in der militanten neubau autonomen Publikation "INTERIM", begründete eine bisher unbekannte "autonome gruppe münchen" den Anschlag u.a. mit den Castor-Transporten, dem Verlauf einer am Vortag stattgefundenen Demonstration zum zehnten Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe und dem Widerstand gegen den geplanten Neubau des Forschungsreaktors München II. Am 29. November verübten unbekannte Täter in Lohr am Main einen Anschlag gegen Brandanschlag auf das Haus eines ehemaligen FAP-Mitglieds. Der politischen Geschädigte, der in der Wohnung schlief, erwachte durch den BrandGegner geruch und konnte das Feuer löschen, bevor es größeren Schaden anrichtete. Er war in der letzten Zeit telefonisch als "Fascho-Schwein" beschimpft worden, hatte einen am 4. November in Aschaffenburg aufgegebenen Brief einer "Antifaschistischen Aktion" erhalten, die Hauswand war mit "Pass auf Robert" und mit dem "Sowjetstern" beschmiert, ferner waren antifaschistische Aufkleber angebracht worden. Der Geschädigte war u.a. in der Schrift "Faschisten im Rhein-Main-Gebiet" (November 1993) aufgeführt worden. 202 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 2.2.2 Sonstige linksextremistisch motivierte Gewalttaten Unbekannte beschmierten in der Zeit vom 20. bis 22. Januar die Wände des Neubaus des Ausländeramts der Stadt Nürnberg, der am 22. Januar möbliert werden sollte, mit politischen Parolen. Zusätzlich rissen die Täter mehrere Steckdosen heraus und beschmutzten Teppichboden mit Fliesenkleber. Es entstand Sachschaden von über 30.000 DM. Am Tag zuvor hatten Unbekannte die Außenfassade eines anderen Dienstgebäudes des Ausländeramts aus Anlaß eines Brandanschlags am 18. Januar in Lübeck, bei dem zehn Menschen ums Leben kamen, mit der Parole besprüht: "Lübeck 18.01.96 Schreibtischmörder NAZIS morden Hand in Hand". Die von Kernkraftgegnern gesteuerte Kampagne gegen.die CastorTransporte ist insbesondere für gewaltbereite Autonome und andere Linksextremisten ein willkommener Anlaß zu Strafund Gewalttaten. Ziel der Linksextremisten ist jedoch nicht nur, die Transporte zu verhindern, sondern vielmehr die Kampagne für ihre eigenen politischen Ziele zu mißbrauchen. So ziehen Autonome in der militanten Publikation "INTERIM" das Fazit, daß sich Protest und Widerstand nicht nur gegen Atomanlagen richten könnten: " Wir sehen die Auseinandersetzung gegen den Castor und damit für die sofortige Stillegung aller Atomanlagen als Teil all jener Kämpfe, in denen sich Menschen gegen die herrschenden Verhältnisse auflehnen. Gege Sozialabbau, Einschränkung von Freiheitsrechten genauso wie gegen R sismus undpatriarchale Strukturen". In Bayern begingen Autonome neben dem Brandanschlag am 28. April in München vor allem im Zusammenhang mit den Versammlungen zum zehnten Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe am 27. April in München und der Gegenkundgebung aus Anlaß des Gewalttaten bei 1. Spatenstichs für den Neubau des Forschungsreaktors für die Tech1. Spatenstich nische Universität München in Garching am 1. August Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Auch den durch einen Polizeieinsatz verursachten Tod eines Griechen am 4. Oktober in Nürnberg nahmen linksextremistische Gewalttäter zum Anlaß für eine Reihe von Sachbeschädigungen. So schlugen unbekannte Täter am 9. Oktober in Nürnberg mit einem Beil an einem Dienstgebäude der Polizei das Polizeihinweisschild bzw. dessen Kunststoffscheibe ein. Ferner warfen sie drei mit Ölfarbe gefüllte Glasflaschen an die Sandsteinfassade des Ge- Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 203 bäudes und sprühten mit schwarzem Farbspray die Schriftzüge "Mörder" an Eingangstür und Fassade. Am 11. Oktober zerstörten unbekannte Täter am Bauverwaltungsamt der Stadt Nürnberg mit einem Pflasterstein die Verglasung der Eingangstür und ein Bürofenster. Die Fassade des Gebäudes beschmierten sie mit der Parole "Bullen = Mörder". 2.3 Gewalttaten ausländischer Extremisten Die Zahl der Gewalttaten ausländischer Extremisten ist in Bayern Deutlicher deutlich zurückgegangen von 27 auf neun und damit um 67 %. Das Rückgang sind 3,35 % der bundesweit registrierten Zahl. Ausländische Extremisten waren verantwortlich für fünf Brandanschläge. Der Rückgang ist u.a. auf eine momentane Zurückhaltung von Anhängern der verbotenen PKK, der lediglich drei der Gewalttaten (1995: 19) zugerechnet werden, sowie auf den konsequenten Vollzug des PKK-Verbots in Bayern zurückzuführen. Die Anhänger des Karatas-Flügels (DHKP-C) der ebenfalls verbotenen Devrimci Sol zeigten eine erhebliche Gewaltbereitschaft. 2.3.1 Anschläge und Gewalttaten in Bayern Die im folgenden dargestellten Gewalttaten müssen aufgrund der angegriffenen Objekte, des Spurenbildes am Tatort und des zeitlichen Zusammenhangs mit bundesweiten Anschlagsserien ausländischen Extremisten zugerechnet werden. Unbekannte Täter warfen am 6. Januar zwei Brandsätze gegen den Anschläge auf Deutsch-Türkischen Freundschaftsverein in Erlenbach, Landkreis Miltürkische Einrichtenberg. Die Brandsätze durchschlugen die Scheibe nicht und erlotungen schen von selbst. Am Tatort hinterließen die Unbekannten eine rote Fahne mit beidseitig aufgedrucktem gelben Stern, dem Symbol des Karatas-Flügels der Devrimci Sol (DHKP-C). In Neu-Ulm zerschlugen am 13. Januar zwei unbekannte Jugendliche mit einem Vorschlaghammer die Scheibe eines türkischen Reisebüros und warfen eine Brandflasche in den Geschäftsraum. Das Feuer verursachte einen Sachschaden von etwa 3.000 DM. Aufgrund der zeitlichen Nähe zu den bundesweit verübten Anschlägen im Zusammenhang mit den Häftlingsrevolten in der Türkei ist ebenfalls ein Bezug zur Devrimci Sol anzunehmen. 204 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt Racheakt Am 26. Juni setzten zwei unbekannte Täter, nach Zeugenaussagen türkisch sprechende junge Männer, in Kaufbeuren den Imbißwagen eines Deutschen in Brand. Es entstand Sachschaden von etwa 1.500 DM. Der Geschädigte und dessen Sohn hatten in der Vergangenheit mehrfach Auseinandersetzungen mit Türken. Die Polizei vermutet eine Reaktion auf Brandstiftungen in Kaufbeuren am 3. Juni auf ein überwiegend von Ausländern bewohntes Haus und ein türkisches Geschäft am 24. Juni. Anschläge wegenAm 29. Juli verübten Unbekannte Brandanschläge auf den Türkieines Hungerschen Kulturverein in Allersberg, Landkreis Roth, der als Treffpunkt streiks in der nationalistischer jugendlicher Türken aus dem Nürnberger Umland Türkei bekannt ist, und auf ein türkisches Obstgeschäft in Altdorf, Landkreis Nürnberger Land. Es entstand ein Gesamtschaden von etwa 30.000 DM. Ein Zusammenhang mit der Anschlagswelle aufgrund des Hungerstreiks in türkischen Gefängnissen ist zu vermuten. 2.3.2 Urteile gegen PKK-Anhänger Urteile gegen In mehreren Verfahren verurteilten Münchner Gerichte Kurden weSesetzerdes gen der Besetzung der versiegelten Räume des Kurdischen ElternverKurdischen Elterneins e.V. in München am 2. Dezember 1995. Am 27. Februar verur/ereinse.V. teilte das Schöffengericht München den ersten von insgesamt 33 München angeklagten Kurden wegen Geiselnahme in einem minderschweren Fall, Siegelund Hausfriedensbruchs, Sachbeschädigung sowie Herstellung verbotener Gegenstände nach dem Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, ausgesetzt zur Bewährung. Vier weitere Mitangeklagte erhielten sieben Monate Freiheitsstrafe, jeweils ausgesetzt zur Bewährung. Gegen drei weitere wegen derselben Straftaten Beschuldigte verhängte der Jugendrichter am 24. April Freiheitsstrafen von acht Monaten bzw. gegen zwei der Beschuldigten Jugendstrafen von zwei Jahren, jeweils ausgesetzt zur Bewährung. Das Amtsgericht München verurteilte am 18. Oktober sechs mutmaßliche PKK-Anhänger wegen Geiselnahme, Hausfriedensbruchs, Sachbeschädigung und Verstoßes gegen das Waffengesetz. Gegen fünf Männer verhängte es Freiheitsstrafen von zwei Jahren und zwei Monaten bzw. bis zu drei Jahren. Ein sechster Angeklagter erhielt eine Geldstrafe in Höhe von 3.600 DM. Das Verfahren gegen zwei weitere Angeklagte war am 14. Oktober abgetrennt und wegen zu erwartender höherer Strafen an das Landgericht München I abgegeben worden. Dieses verurteilte am 25. Oktober fünf Kurden Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 205 als "Rädelsführer" u.a. wegen Geiselnahme in den Räumlichkeiten des verbotenen Kurdischen Elternvereins e.V. zu Freiheitsstrafen von drei Jahren und fünf Monaten bzw. zwei Jahren und zehn Monaten. Am 4. November verurteilte das Landgericht München I einen Drahtzieher der Besetzung u.a. wegen Geiselnahme, Siegelund Hausfriedensbruchs zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Der Verurteilte Yilmaz, nach Überzeugung des Gerichts ein Gesinnungstäter, war während der Besetzung als Sprecher der Täter gegenüber der Polizei aufgetreten. Die Verurteilten hatten in Reaktion auf das am 30. November 1995 vollzogene Verbot des Kurdischen Elternvereins e.V. durch das Bayerische Staatsministerium des Innern am 2. Dezember 1995 in München mit anderen Kurden, darunter auch Kleinkindern, gewaltsam die versiegelten Vereinsräume besetzt und für den Fall der Räumung mit Selbstverbrennung gedroht. Die Besetzer forderten damals die Aufhebung des PKK-Verbots sowie die Aufhebung des Verbots des Münchner Vereins. Die Polizei fand nach Beendigung der Besetzung in den Vereinsräumen etwa 50 Molotowcocktails. Am 21. Mai verurteilte das Landgericht München zwei PKK-Anhänger Urteil gegen wegen versuchter schwerer Brandstiftung und Vergehens gegen das Brandstifter Waffengesetz zu Freiheitsstrafen von drei Jahren und neun Monaten bzw. zwei Jahren und neun Monaten. Die Verurteilten hatten am 28. Februar 1995 Molotowcocktails in die Geschäftsräume eines türkischen Reisebüros in München geworfen. Dabei war Sachschaden von etwa 6.000 DM entstanden. Das Gericht wertete als strafmildernd, daß ein Täter die zwei Auftraggeber der Brandstiftung namentlich benannt hatte. Die Auftraggeber, zwei PKK-Funktionäre, konnten daraufhin ermittelt und festgenommen werden. Die Verurteilten hatten von den Auftraggebern ihre Instruktionen sowie die Tatmittel in den Räumen des Kurdischen Elternvereins e.V. erhalten. Das Bayerische Oberste Landesgericht verurteilte am 5. Dezember Urteil gegen zwei ehemalige Gebietsverantwortliche der PKK für die Gebiete FreiPKK-Gebietsburg und Nürnberg wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Ververantwortliche einigung zu Freiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren, wobei die Reststrafen für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden. Der ehemalige Gebietsverantwortliche für das Gebiet München erhielt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ohne Bewährung. Er war am 14. Oktober 1995 in den Räumen des Kurdischen Elternvereins e.V. festgenommen worden. Diese Festnahme zeigte erneut die frühere zentrale Bedeutung des Kurdischen Elternvereins e.V. als Schaltzentrale für die PKK im Raum München. 206 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 2.3.3 Exekutivmaßnahmen gegen die PKK Am 13. April verhaftete die Polizei im Rahmen einer RoutinekontrolPKK-Funktionären le im Hauptbahnhof in Nürnberg den PKK-Verantwortlichen für das Gebiet Nürnberg. Am 21. September konnte die Polizei in Neuhaus, Landkreis Passau, den ehemaligen Gebietsverantwortlichen für den Raum Mannheim bei der Einreise aus Österreich aufgrund eines Haftbefehls des Generalbundesanwalts wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung festnehmen. Auch in anderen Bundesländern gelangen den Ermittlungsbehörden zahlreiche Festnahmen von teilweise wichtigen PKK-Funktionären. So konnten u.a. - am 4. Januar in Hannover der Gebietsverantwortliche der PKK für das Gebiet Hannover, - am 20. Januar in Heidelberg der mutmaßliche Regionsverantwortliche der PKK für die Region Süd, - am 11. Februar in Leonberg/Baden-Württemberg die mutmaßliche Gebietsverantwortliche für das Gebiet Stuttgart, - am 26. März in Mainz der Gebietsverantwortliche für Mainz, - am 11. April in Ludwigsburg/Baden-Württemberg der Verantwortliche für die Vereinigung der patriotisch-revolutionären Jugend Kurdistans (YCK), - am 16. Juni in Celle/Niedersachsen der Europakoordinator der PKK, Mitglied der europäischen Frontzentrale der PKK, als einer der ranghöchsten PKK-Funktionäre in Europa und - am 25. Oktober in Frankfurt am Main der Regionsverantwortliche der YCK festgenommen werden. Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof erließ in den vorstehenden Fällen jeweils Haftbefehl wegen Rädelsführerschaft in bzw. Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Ferner nahm die Polizei am 26. April den stellvertretenden Gebietsbeauftragten für Stuttgart wegen Verabredung von Verbrechen und Vergehen fest. Er soll u.a. zu Gewaltaktionen und Brandstiftungen aufgerufen haben, falls die Polizei am 12. Februar während einer europaweiten Aktion der PKK eingreife. Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 207 2.3.4 Spendengelderpressungen durch die PKK Die PKK versucht - wie auch andere türkische linksextremistische und terroristische Gruppierungen, insbesondere Devrimci Sol und TKP/ML - ihre Finanzierung durch Spenden sicherzustellen. Die Spendeneintreiber gehen dabei häufig mit Drohungen gegen die Opfer vor und versuchen so, möglichst hohe Geldbeträge zu erpressen. Am 21. Februar wurde ein türkischer Staatsangehöriger in der Fußgängerzone von Passau zur Zahlung von 500 DM für die PKK erpreßt und im Falle der Weigerung damit bedroht, daß ihm etwas zustoßen könnte. Auch aus anderen Bundesländern liegen Erkenntnisse vor, nach denen die PKK ihre Spenden unter Androhung von Gewalt eintreibt. In mehreren Fällen gelang der Polizei die Festnahme von Geldeintreibern. Dabei wurden mehrfach Spendenlisten, Quittungen und schriftliche Unterlagen sowie Bargeld sichergestellt. Besonders spektakulär ist die Erpressung eines Familienvaters, der am 11. Mai anläßlich einer Veranstaltung in Bonn aufgefordert wurde, der PKK den ältesten Sohn der Familie als Kämpfer zur Verfügung zu stellen. Der Vater, der dem Ansinnen entschlossen widersprach, wurde in der Folgezeit wiederholt von zwei Kurden bedrängt. Sie bekräftigten die Forderung, boten dann aber an, den Sohn gegen Zahlung von 10.000 DM von diesem Auftrag freizukaufen. Einer der Erpresser konnte am 12. Juni in Münster festgenommen werden; gegen ihn erging Haftbefehl. Das Landgericht Bamberg verurteilte am 1. Oktober zwei Kurden wegen versuchter räuberischer Erpressung und Vergehens gegen das Vereinsgesetz zu einer Jugendfreiheitsstrafe von drei Jahren bzw. wegen Beihilfe zu diesen Straftaten zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung. Die Verurteilten hatten am 28. Dezember 1995 in Haßfurt, Landkreis Haßberge, von einem Türken eine Spende von 5.000 DM für die PKK zu erpressen versucht. Bei einem erneuten Besuch des Opfers am nächsten Tag waren sie festgenommen worden. 3. Rote Armee Fraktion (RAF) 3.1 Überblick Die vor rund 25 Jahren entstandene RAF verfolgte ursprünglich das Ziel, als Avantgarde des revolutionären Kampfes durch terroristische Aktionen der "Stadtguerilla" im "antiimperialistischen Kampf" und im "strategischen und taktischen Zusammenwirken mit den Befreiungskämpfen der unterdrückten Nationen" eine Solidarisierung der 208 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt Massen und eine revolutionäre Situation herbeizuführen. Ihren revolutionären Kampf führte sie in einer koordinierten antiimperialistischen Front, die drei Ebenen "Guerilla" (Kommandoebene), "Widerstand" (RAF-Umfeld) und "Gefangene" (inhaftierte terroristische Gewalttäter) umfaßte. In drei umfangreichen Erklärungen vom April, Juni und August 1992 räumte die RAF eine Reihe aus ihrer Sicht schwerwiegender Fehleinschätzungen der Vermittelbarkeit ihrer Aktionen und ihrer Strategie ein und kündigte eine vorläufige Einstellung der Mordanschläge an. Gleichzeitig bekräftigte die RAF, daß sie sich unter bestimmten Bedingungen die Wiederaufnahme der Anschläge gegen Personen und solcher Anschläge, die zum "Zurückdrängen des Staates" in bestimmten Bereichen erforderlich seien, vorbehalte. Als einen solchen Anschlag bewertete die RAF-Kommandoebene auch den am 27. März 1993 - als bisher letzte terroristische Aktion der RAF - registrierten Sprengstoffanschlag auf die Justizvollzugsanstalt Darmstadt-Weiterstadt, der einen Sachschaden von 116 Millionen DM verursacht hatte. Noch in der Erklärung vom 6. März 1994 bekräftigte die RAF diesen Vorbehalt und den Anspruch auf eine Vollständige "vollständige Umwälzung der herrschenden Verhältnisse", der sie mit Umwälzung der dem Aufbau einer "sozialen Gegenmacht von unten" näherkommen herrschenden Ver-wolle. Die RAF als Teil dieser "Gegenmacht" war bereit, ihre Erfahhältnisse rungen zur Verwirklichung dieses Ziels mit einzubringen. Versuche des linksextremistischen/-terroristischen Spektrums, bundesweite Organisationsstrukturen aufzubauen, sind jedoch nach derzeitigem Erkenntnisstand entweder gescheitert oder haben nicht die erforderliche Resonanz erfahren. 3.2 Entwicklung der RAF Die Bedeutung der RAF als Integrationsfaktor für das terroristische Bedeutung Umfeld nimmt ab. In den Diskussionen und sonstigen Aktivitäten, wie z.B. der Betreuung von inhaftierten terroristischen Gewalttätern, ist die RAF zwar nach wie vor Thema; die Weiterentwicklung der Politik der RAF war dagegen in den Diskussionen kaum von Bedeutung. Insgesamt war festzustellen, daß sich die Anhänger des terroristischen Umfelds anderen Themen zuwenden. Insbesondere im sogenannten antiimperialistischen Widerstand ist auch unter Beteiligung ehemals inhaftierter RAF-Mitglieder eine zunehmende Internationalisierung und intensive Kontaktpflege mit anderen Linksextremisten und terroristischen Gruppen, wie z.B. der PKK, feststellbar. Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 209 3.2.1 Äußerungen früherer RAF-Mitglieder Der inhaftierte terroristische Gewalttäter Helmut Pohl übte in einem Interview im Februar massive Kritik an den Anschlägen der RAF ab Mitte der 80er Jahre. Die Morde der RAF seit dieser Zeit seien "nur noch eine Aneinanderreihung von Erschießungen" gewesen. "Wenn man sie auf einen politischen Kern reduziert, bleibt nichts übrig als Bestrafungsaktionen", so Pohl. Demgegenüber hätten die meisten der Gefangenen in den bewaffneten Aktionen immer eine "strategische Funktion" gesehen. Nachdem nach der Deeskalationserklärung der RAF im Jahre 1992 die politische Auseinandersetzung darüber, wie es künftig weitergehen könne, überhaupt nicht in Gang gekomAufforderung men sei, forderte Pohl auch im Namen der anderen Inhaftierten die zur Auflösung RAF-Kommandoebene auf, ihre Auflösung zu erklären. der RAF Kritisch zur RAF äußerte sich auch das frühere RAF-Mitglied Heinrich "Ali" Jansen auf einer Veranstaltung am 10. Mai in einer Gaststätte in Nürnberg zum 20. Todestag von Ulrike Meinhof. Die Veranstaltung war ursprünglich im Kommunikationszentrum (KOMM) der Stadt Nürnberg geplant, wurde jedoch vom KOMM nach Androhung einer Abmahnung durch die Stadt Nürnberg abgesagt. Jansen bezeichnete die Morde der ersten RAF-Generation als richtig und legitim. So sei die "Liquidierung" von Jürgen Ponto, Siegfried Buback und Dr. Hanns-Martin Schleyer richtig und aus damaliger Sicht absolut gerechtfertigt gewesen. Im Gegensatz dazu bezeichnete Jansen die Anschläge auf Prof. Dr. Karl-Heinz Beckurts, Dr. Ernst Zimmermann Kritik an RAF und Dr. Alfred Herrhausen als Morde. Die RAF habe es versäumt, bei diesen Taten ihr politisches Konzept zu vermitteln. Insgesamt sei bei der RAF die Politik ab Ende der 70er Jahre immer mehr in den Hintergrund getreten. Damit konnten die "Liquidationen" nicht mehr politisch vermittelt werden. Ihnen sei keinerlei Strategie und Ideologie vorangegangen. Letztendlich sei das Konzept der RAF seit Anfang der 80er Jahre gescheitert. Damit verurteilen Jansen und Pohl zwar die Morde der zweiten und dritten RAF-Generation. Jedoch rechtfertigt Jansen politisch motiRechtfertigung vierte Morde ausdrücklich, wenn sie in das politische Gesamtkonzept von Morden einer Gruppierung paßten. So glorifiziert er insbesondere die Morde der ersten RAF-Generation als richtig und legitim. Die in Berlin erscheinende"tageszeitung" (taz) vom 7. August veröffentlichte als "Dokumentation" einen auf Februar 1992 datierten Brief Helmut Pohls. Dieser versuchte, mit dem Brief und einer Anmerkung 210 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt zum Motiv der Veröffentlichung sich selbst und die übrigen noch inhaftierten ehemaligen RAF-Mitglieder als Initiatoren und Vordenker für die gemäßigtere Linie der RAF seit April 1992 darzustellen. Erneut behauptete Pohl, wie schon in seinem Interview vom Februar, die Inhaftierten hätten bereits 1987 die Notwendigkeit einer "Zäsur" erkannt, die letztlich die "Aufhebung der RAF" zur Folge haben müßte. HogefeldUnter dem Titel "Ein längst überfälliger Schritt" veröffentlichte die Erklärung taz in ihrer Ausgabe vom 30. Oktober eine gekürzte Fassung der umfangreichen Prozeß-Schlußerklärung der mittlerweile verurteilten Birgit Hogefeld, die diese am Vortag vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main abgegeben hatte. Hogefeld bringt darin zum Ausdruck, daß sie das Kapitel RAF als mehr oder weniger abgeschlossen ansieht: "Der Kampf, wie ihn die RAF Anfang der 70er Jahre begonnen hat, gehört einer vergangenen Epoche an!" Spätestens 1977 hätte eine Selbstreflexion einsetzen müssen; statt dessen habe die RAF aber eine Auseinandersetzung mit dem Staat betrieben, bei der die Gesellschaft, aber auch ein Großteil der Linken, außen vor stand. Als Konsequenz forderte sie von den im Untergrund lebenden RAF-Mitgliedern: "Deshalb finde ich die Aufforderung von Helmut Pohl an die Illegalen, ihre AuflösungsfordeAuflösung als RAF zu erklären, richtig - dieser Schritt ist lange überfällig." Die Forderung nach Auflösung der RAF wurde von Hogefeld noch nie öffentlich erhoben. Bisher hatte sie stets die von ihr "draußen" mit entwickelte "neue RAF-Politik" vertreten und als Grundlage einer Neubestimmung revolutionärer Politik propagiert. Dies scheint sie inzwischen als unrealistisches Vorhaben aufgegeben zu haben; offenbar sieht sie nunmehr die Auflösung der RAF als einzige Möglichkeit und als Voraussetzung an, den von ihr geforderten anderen - politischen - Umgang des Staates mit der RAF und den Inhaftierten zu realisieren. Insoweit decken sich hier die Absichten Hogefelds mit denen der übrigen Inhaftierten aus der RAF um Pohl. 3.2.2 Erfolg des Aussteigerprogramms des Bundesamts für Verfassungsschutz In Begleitung seines Rechtsanwalts stellte sich am 22. November Christoph Seidler freiwillig der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Der Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 211 seit Jahren, insbesondere nach dem Mord an dem Sprecher der Deutschen Bank, Dr. Alfred Herrhausen, am 30. November 1989 in Bad Homburg, gesuchte 38jährige Christoph Seidler bestreitet, an dem Attentat auf Dr. Herrhausen beteiligt und Mitglied der RAF gewesen zu sein. Seidler hielt sich angeblich zur fraglichen Zeit im Libanon auf. In einem Interview hatte Seidler bereits im Vorfeld in einem Nachrichtenmagazin angekündigt, er wolle sich der Bundesanwaltschaft stellen. Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof hob den Haftbefehl gegen Seidler mangels dringenden Tatverdachts am 22. November auf. 3.2.3 Erklärungen der RAF-Kommandoebene Im Anschluß an die Selbststellung und die Aussagen Seidlers gab die RAF erstmals seit 1994 wieder mehrere Erklärungen ab. Während die RAF in ihrer Erklärung vom April 1992 noch gedroht hatte, "wenn sie uns, also alle, die für eine menschliche gesellschaft kämpfen, nicht leben lassen, dann müssen sie wissen, daß ihre eliten auch nicht leben können." sind in den jüngsten Verlautbarungen derartige Äußerungen nicht mehr enthalten. Am 4. Dezember ging verschiedenen Nachrichtenagenturen und Zeitungsredaktionen ein fünfseitiges Papier der RAF vom 29. November zu. Darin bekräftigten die Verfasser, Christoph Seidler sei nie Mitglied der RAF gewesen. Die Gruppe habe nichts mit seiner Rückkehr in die Legalität unter Nutzung des Aussteigerprogramms des Verfassungsschutzes zu tun. Dies wie auch die Zeugenschaft Siegfried Nonnes seien Konstrukte des Staatsschutzes, mit denen Illegale oder Gefangene dazu gebracht werden sollten, ihre Genossen und ihre eigene Geschichte zu verraten. In diesem Zusammenhang bestätigen die Verfasser, in der Vergangenheit verschiedentlich auch Nicht-RAF-Mitgliedern bei ihrem Untertauchen geholfen zu haben. Die Linke brauche sich nicht zu wundern, daß der Staat trotz ihrer derzeitigen Schwäche mit unverminderter Härte gegen sie vorgehe. Dies sei Ausdruck der Militarisierung im Innern als staatliche Antwort auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, die strukturell so gewalttätig seien wie nie seit dem Nazifaschismus. Die Repression richte sich inzwischen als Begleitwerkzeug zum sozialen Kahlschlag gegen immer größere Teile der Gesellschaft; am härtesten betroffen von dieser Entwicklung seien "Immigrantinnen" und "Nichtweiße". Diesen Bedingungen 212 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt habe sich die Linke heute zu stellen und über die Auseinandersetzung Neubestimmung mit der eigenen Geschichte Erkenntnisse für die Zukunft, das heißt revolutionärer für eine Neubestimmung revolutionärer Politik und Neuformierung Politik einer radikalen Linken zu gewinnen. Die Szene-Zeitschrift "INTERIM" druckte in Ausgabe Nummer 401 ein einseitiges Schreiben der RAF ab. Anlaß für dieses mit "für die INTERIM" betitelten Papiers war ein offener Brief von Andrea Wolf, die im Zusammenhang mit dem RAF-Anschlag auf die JVA Weiterstadt im März 1993 gesucht wird. Die RAF wiederholte in diesem Schreiben eine Reihe bereits in der RAF-Erklärung vom März 1994 enthaltene Aussagen zum V-Mann des Verfassungsschutzes Klaus Steinmetz und betonte, daß er keinen Einfluß auf die Aktionen der RAF gehabt habe. Die in Berlin erscheinende Tageszeitung "junge Welt" veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 14./15. Dezember ein weiteres Schreiben der Ausweichende RAF mit zaghaften Versuchen, auf die Auflösungsforderung von Antwort auf AufHogefeld und Pohl zu antworten. Die Verfasser äußern ausweichend, lösungsforderung daß für einen großen Teil der Linken die RAF und illegale Organisierung bereits Geschichte sei, "während wir uns nicht in Luft auflösen können und werden. Und es ist auch ganz unabhängig von uns nicht richtig, jetzt davon auszugehen, daß es nie wieder illegale Strukturen geben muß!" Dies erforderten schon die gewalttätigen Verhältnisse und die "Abwehrreflexe des Staates gegen systemüberwindende Vorstellungen und emanzipatorische Politik". Die Zukunft der RAF bestehe jedoch nicht darin, einfach weiterzumachen: Überholtes "Das RAF-Konzept ist überholt. Das ist objektiv so. Dabei bleibt es also RAF-Konzept auch. (...) Es kann auch keine modifizierte Neuauflage des Alten geben." Die RAF wolle insgesamt dazu beitragen, aus der Geschichte neue Erkenntnisse zu gewinnen. 3.3 Verurteilungen Lebenslange Am 5. November verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Haft für Birgit Main das Mitglied der RAF, Birgit Hogefeld, nach fast zweijähriger Hogefeld Verhandlungsdauer zu lebenslanger Haft. Das Gericht ahndete damit Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 213 ihre Beteiligung an dem Mord an dem US-Soldaten Edward Pimental sowie an dem Bombenanschlag auf die US-Airbase am Frankfurter Flughafen im August 1985, bei dem zwei Personen getötet worden waren. Der Strafsenat verurteilte Birgit Hogefeld auch wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und sah ihre Mittäterschaft an dem fehlgeschlagenen Anschlag auf den damaligen Staatssekretär im Finanzministerium Hans Tietmeyer (September 1988) sowie an der Sprengung des Neubaus der Justizvollzugsanstalt in Weiterstadt (März 1993) als erwiesen an. Bei letzterem Anschlag war ein Sachschaden von 116 Millionen DM entstanden. Insgesamt erkannte das Gericht auf besondere Schwere der Schuld. Birgit Hogefeld war am 27. Juni 1993 im Rahmen einer Polizeiaktion in Bad Kleinen/Mecklenburg-Vorpommern festgenommen worden. Bei dem dabei entstandenen Schußwechsel erschoß Wolfgang Grams, ebenfalls mutmaßliches RAF-Mitglied, den Grenzschutzbeamten Armin Newrzella und tötete anschließend sich selbst. Von dem Vorwurf der Mittäterschaft an diesem Mord wurde Hogefeld freigesprochen. Am 19. November verurteilte das Oberlandesgericht Hamburg die Hohe Haftstrafe Palästinenserin Souhaila Andrawes wegen der Beteiligung an der Entfür Palästinenführung des Lufthansa-Flugzeuges "Landshut" und der Ermordung serin des Flugkapitäns Jürgen Schumann im Oktober 1977 zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe. Das Gericht sah es als erwiesen, daß sie die "Hinrichtung" des Piloten bei einer Zwischenlandung in Aden (damals Südjemen) überwacht und gebilligt hatte. Strafmildernd wandte das Gericht die Kronzeugenregelung an, obwohl Andrawes diese Regelung nicht für sich in Anspruch nehmen wollte. Vor Prozeßbeginn hatte sie die derzeit in Frankfurt am Main angeklagte Monika Haas belastet, Waffen und Sprengstoff für die Flugzeugentführung nach Mallorca gebracht zu haben, war später aber nicht mehr bereit, diese Aussage vor Gericht zu wiederholen. Sie wird ihre Freiheitsstrafe voraussichtlich in Norwegen verbüßen. Sie ist die einzige Überlebende des vierköpfigen palästinensischen Terrorkommandos "Martyr Halimeh", das die Lufthansa-Maschine mit 87 Menschen an Bord auf dem Rückflug von Mallorca nach Deutschland entführt hatte, um im Zusammenhang mit der Entführung des Präsidenten des Arbeitgeberverbands Dr. Hanns-Martin Schleyer u.a. die Forderung der RAF nach Freilassung von elf inhaftierten Gesinnungsgenossen zu unterstützen. Einen Tag nach der Erstürmung der "Landshut" am 19. Oktober 1977 wurde Dr. Schleyer, ermordet durch das "Kommando Siegfried Hausner" der RAF, in Mulhouse/Elsaß aufgefunden. 214 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 3.4 Ausblick Anschläge der Die unmittelbare Bedrohung der Inneren Sicherheit durch TerroranRAF unwahrschlage ist geringer geworden, da die RAF nach Einschätzung der scheinlich bayerischen Sicherheitsbehörden zumindest als funktionsfähige terroristisch handelnde Gruppierung nicht mehr besteht. Dies bedeutet jedoch nicht, daß Anschläge einzelner oder anderer Gruppen des linksextremistischen terroristischen Spektrums grundsätzlich ausgeschlossen werden können. So bedürfen insbesondere die Aktivitäten des antiimperialistischen Widerstands, in dem auch Angehörige des ehemaligen RAF-Umfelds mitarbeiten, der aufmerksamen Beobachtung, um einer Gefahr für die Innere Sicherheit rechtzeitig begegnen zu können. 4. Antiimperialistischer Widerstand Teile des RAF-Umfelds lehnten die 1992 begonnene Neuorientierung der RAF mit dem Ziel des Aufbaus einer "Gegenmacht von unten" von Anfang an ab. Sie forderten statt dessen, aus den Fehlern der RAF zu lernen, aber dennoch an den früheren Prinzipien der RAF und am bewaffneten Kampf, der die Begehung von Mordanschlägen einschließt, festzuhalten. Wenngleich die Anhänger dieses "antiimperialistischen Widerstands" - von wenigen Ausnahmen abgesehen - kaum schwere Gewaltakte verübten, stellt dieser Bereich dennoch eine Gefahr für die Innere Sicherheit dar. Dies zeigen u.a. intensive Kontakte mit linksextremistischen und auch linksterroristischen ausFesthalten am ländischen Gruppen, wie z.B. der PKK, und das Festhalten am "bewaffneten "bewaffneten Kampf". Auch die Beteiligung von Personen aus dem Kampf" früheren RAF-Umfeld und ehemals inhaftierter terroristischer Gewalttäter an den Diskussionen zur Entwicklung künftiger Perspektiven insbesondere zur Internationalisierung des Widerstands zeigt die Attraktivität dieser Zusammenhänge. 4.1 Antiimperialistische Zelle (AIZ) Als militante Gruppierung des sogenannten antiimperialistischen Widerstands trat bereits 1992 eine Gruppierung auf, die sich zunächst als "Antiimperialistische Widerstandszelle Nadja Shehadah" und später als "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) bezeichnete. Die AIZ lehnt die Deeskalations-Politik der RAF-Kommandoebene scharf ab Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 215 und hält an der Strategie und Praxis der RAF vor 1992 fest. Die AIZ geht davon aus, daß die gegenwärtige Realität durch patriarchale, rassistische und kapitalistische Unterdrückungsund Ausbeufungsverhältnisse gekennzeichnet sei. Während die AIZ im Jahre 1995 noch insgesamt vier Sprengstoffanschläge verübte, wurden 1996 keine Anschläge mehr verzeichnet. Keine weiteren Ursache hierfür dürfte die Festnahme zweier mutmaßlicher AlZ-MitAnschläge gliederam 25. Februar in Witzhave bei Hamburg gewesen sein. Beiden wird vorgeworfen, u.a. am Anschlag auf das peruanische Honorarkonsulat in Düsseldorf am 23. Dezember 1995 beteiligt gewesen zu sein. Mit dieser Verhaftung gelang den Sicherheitsbehörden offensichtlich ein entscheidender Schlag gegen die AIZ. Zwei jeweils vierwöchige Hungerstreikaktionen der beiden inhaftierten AlZ-Mitglieder vom 19. April bis 17. Mai und vom 3. Oktober bis 3. November blieben in der linken Szene ohne größere Resonanz. 4.2 Internationale Zusammenhänge im antiimperialistischen Widerstand Die Aktivitäten im antiimperialistischen Widerstand konzentrierten sich überwiegend auf die Weiterentwicklung theoretischer Perspektiven. Wesentlich waren dabei die Bemühungen, Kontakte mit anderen linksextremistischen bzw. terroristischen Gruppen zu knüpfen, um eine internationale Basis für künftige Aktivitäten zu schaffen. Grundinternationalilage für diese Bestrebungen bildet die Erklärung der RAF vom 6. März sierung 1994. Diese legte damals neben dem Aufbau einer "Gegenmacht von unten" besonderen Wert auf ihre internationalen Verpflichtungen: "heute kann die vordringliche aufgäbe internationalistischer politik der linken in deutschend nur sein: das kräfteverhältnis hier in dieser gesellschaftzu unseren gunsten zu entwickeln, das verlangen genossinnen aus dem trikont von uns, womit sie recht haben, da fängt der 'Internationalismus an, das ist unsere Verantwortung." Die RAF sprach sich dafür aus, daß künftig der soziale Sinn "revolutionärer Kämpfe" sichtbar gemacht wird. Festzustellen sind mittlerweile enge Kontakte zur PKK und ihr naheKontakte zur PKK stehenden Organisationen. Diese Kontakte dienen in erster Linie der Absprache und Vorbereitung gemeinsamer Aktionen. Der "kurdische Befreiungskampf" soll in Deutschland durch Solidaritätsveranstaltun- 216 Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt gen der "Linken" ständig präsent sein. Zudem gibt es in der Szene Überlegungen, den kämpfenden Kurden in der Türkei praktische Unterstützung zu leisten. Ein weiterer Schwerpunkt, zumindest in Bayern, waren Veranstaltungen zum Thema "Naher Osten". So initiierte die "Antiimperialistische Gruppe im Infobüro Nürnberg" (AIG) am 18. März, am 29. April und zuletzt am 4. November öffentliche Diskussionsveranstaltungen zur "Situation der Palästinenser in Israel". Die Situation der "politischen Gefangenen" wird zunehmend "internationalisiert" und insbesondere an dem in den USA zum Tode verurteilten Mumia Abu-Jamal diskutiert. So fanden in Nürnberg zwei Veranstaltungen zum Thema "Freiheit für Mumia Abu-Jamal und alle anderen politischen Gefangenen weltweit" am 19. Oktober und am 7. Dezember statt. Weiteres Thema "antiimperialistischer Politik" waren Aktionen der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN in Mexiko. Ein "Interkontinentales Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus" fand vom 27. Juli bis 3. August in Chiapas/Mexiko statt. An diesem sowie einem großen Vorbereitungstreffen in Berlin (30. Mai bis 2. Juni) nahmen zahlreiche "Antiimps" aus dem gesamten Bundesgebiet teil. In Bayern fanden Informationsveranstaltungen in Nürnberg und Bamberg statt. Angehörige des antiimperialistischen Widerstands pflegten zudem intensive Kontakte zu Vertretern südamerikanischer Guerillabewegungen sowie zu Angehörigen aus der Terrorszene Italiens und Spaniens. 5. Revolutionäre Zellen (RZ) und Frauengruppe Rote Zora Die erstmals im Jahre 1972 in Erscheinung getretenen Revolutionären Zellen (RZ) sind unabhängig voneinander operierende Kleingruppen, die sich als antiimperialistisch und Sozialrevolutionär bezeichnen. Ihre Taktik besteht im allgemeinen darin, mit Anschlägen bei möglichst geringem Einsatz und Risiko möglichst hohen Sachschaden anzurichten, der nach ihrer Auffassung den betroffenen Einrichtungen bzw. Unternehmen mehr schadet als der Ausfall einer Führungsperson. Im Gegensatz zu den Angehörigen der RAF-Kommandoebene agieren die Mitglieder aus streng abgeschotteten Zellen heraus. Sie leben Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 217 jedoch nicht im Untergrund und sind deshalb auch nicht darauf angewiesen, sich eine konspirative Logistik zu schaffen. Anschläge Keine Anschläge der Revolutionären Zellen bzw. der aus den RZ abgespaltenen autonomen Frauengruppe Rote Zora waren im Berichtszeitraum im gesamten Bundesgebiet nicht zu verzeichnen. Die Prozesse gegen die beiden "Topterroristen" der RZ, IIIich Ramires Sanchez, alias "Carlos", in Paris sowie Johannes Weinrich in Berlin, dauern an. 218 Spionageabwehr 6. Abschnitt Spionageabwehr 1. Ausgangslage Frühere Ostblockstaaten sowie Länder des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens versuchen, Informationen aus Politik, Wirtschaft und Technologie zu gewinnen. Zugenommen hat vor allem die Wirtschaftsspionage. Deutschland und speziell Bayern sind hier als Sitz Schwerpunkt bedeutender High-Tech-Unternehmen bevorzugtes Ausspähungsziel Wirtschaftsfür Länder, deren Wirtschaft mit unseren Unternehmen konkurriert, Spionage und für Staaten, die versuchen, technologischen Rückstand aufzuholen. In letzter Zeit mehren sich Hinweise, daß sich russische Dienste wieder zunehmend für Militärtechnologie interessieren. Begünstigt werden die Aktivitäten fremder Nachrichtendienste durch die Öffnung der Grenzen, den internationalen Reiseverkehr, die internationale Zusammenarbeit auf vielen Gebieten und den oft weltweiten Verbund der Datensysteme. Seit dem Ende des Kalten Krieges haben sich die Methoden der Spionage teilweise geändert. Statt des aggressiven Vorgehens, wie z.B. /Veue Methoden der Gewinnung von Informanten durch Nötigung und psychischen der InformationsDruck, wird zunehmend versucht, Informationen über gesellschaftligewinnung che Kontakte und harmlos erscheinende Gespräche zu gewinnen. Für manche Staaten ist es kein Widerspruch, sich im Rahmen der politischen Annäherung auf verschiedenen Gebieten um Zusammenarbeit und Unterstützung zu bemühen, gleichzeitig aber Deutschland weiterhin auszuspähen. Ungarn und die Tschechische Republik haben offiziell erklärt, künftig auf jegliche Spionagetätigkeit gegen Deutschland zu verzichten; gegenteilige Erkenntnisse wurden nicht gewonnen. 2. Die Nachrichtendienste Rußlands Mit sieben Nachrichtenund Sicherheitsdiensten, die mit unterschiedlicher Gewichtung fast alle im Inund Ausland operieren, besitzt Rußland zwischenzeitlich wieder einen der größten und mächtigsten Geheimdienstapparate der Welt. Die bedeutendsten Dienste sind SWR, FSB, GRU und FAPSI. Spionageabwehr 219 Der russische Auslandsnachrichtendienst (SWR) ist der Tradition vorTradition der angegangener Dienste treu geblieben. Daß die russische Führung UdSSR-Dienste Spionage für "unverzichtbar" und für ein notwendiges Instrument zur Lösung einer Reihe wichtiger Aufgaben hält, bestätigen die Äußerungen Präsident Jelzins: "Die Verstärkung der Wirtschaftsspionage ist notwendig, um den technologischen Abstand zu den entwickelten Ländern des Westens zu reduzieren." Der Präsident des SWR Trubnikow erklärte: " Wir stehen in operativer Hinsicht viel fester auf den Beinen als vor Jahren." Der Inlandsnachrichtendienst FSB, vormals FSK, erhielt wesentlich mehr Aufgaben und Kompetenzen. Neben seiner Zuständigkeit für Kompetenzen die zivile Spionageabwehr, die innere Sicherheit der Streitkräfte sowie der anderen russischen Sicherheitsdienste ist der FSB nun befugt, im Interesse der russischen Wirtschaft auch Auslandsaufklärung zu betreiben. Der militärische Aufklärungsdienst GRU blieb seit Auflösung der UdSSR nahezu unangetastet. Sein Aufgabenprofil wurde in den letzten Jahren erweitert. So betätigt sich dieser Dienst nicht mehr nur in Bereichen der militärspezifischen Informationsbeschaffung, sondern versucht, auch in zivile Aufklärungsbereiche vorzudringen. Hierbei ist er besonders an wirtschaftlichen sowie wissenschaftlich-technologischen Informationen interessiert. Bevorzugtes Interesse gilt den Entwicklungssowie Forschungsdaten und den Produkten mit ziviler und militärischer Anwendungsmöglichkeit (Dual-Use-Products). Der für Chiffrierung, Fernmeldeund elektronische Aufklärung FAPSI: Dienstleizuständige Nachrichtendienst FAPSI konnte seine Bedeutung innerstungsunternehmen halb der Dienste stärken und ausbauen. So stellt der Dienst seine und NachrichtenFernmeldenetze, die mit modernster westlicher Technik bestückt dienst in einem sind, auch Dritten zur Verfügung und ist zugleich Genehmigungsbehörde für Fernmeldeanlagen. Er hat damit als Dienstanbieter den direkten Zugang zum Netz und zu den übermittelten Informationen. Aufgrund seiner rechtlichen und technischen Stellung ist dieser Fernmeldedienst in der Lage, alle auf seinen Netzen übermittelten Informationen, z.B. Angebote, Leistungsdaten, personenbezogene Daten, Verhandlungspositionen in Rußland tätiger Firmen, mitzuschneiden. Vertrauliche Informationen sollten deshalb nicht offen auf fremden Netzen übermittelt werden. 220 Spionageabwehr 3. Sonstige Nachrichtendienste des ehemaligen Ostblocks 3.1 Polen Die kurz nach der Wende neu strukturierten Nachrichtendienste Polens - der zivile Nachrichtenund Sicherheitsdienst UOP und der militärische Nachrichtendienst WSI - unterhalten nach wie vor an den diplomatischen und konsularischen Vertretungen in Deutschland nachrichtendienstlich besetzte Residenturen. Welchen Stellenwert Interesse an Polen der Ausspähung Deutschlands zumißt, zeigt die Errichtung eider Ausspähung ner ausschließlich auf Deutschland gerichteten Organisationseinheit Deutschlands bei dem UOP. Von besonderem Interesse für die Dienste Polens sind Aktivitäten der dort lebenden Deutschstämmigen und deren Kontakte nach Deutschland. 3.2 Rumänien Im heutigen Rumänien operieren mindestens sechs verschiedene Nachrichtendienste, die teils miteinander konkurrieren; prowestliche Strömungen arbeiten gegen östlich orientierte, nationalistisch-kommunistische Kräfte. Bei ihrer Neustrukturierung wurde überwiegend Kaum veränderte auf die Kader des früheren Geheimdienstes SECURITATE zurückMacht der gegriffen. Die Furcht vor der Allmacht der Dienste hat in der rumäniGeheimdienste sehen Gesellschaft offenbar nur wenig gegenüber den Zeiten der früheren SECURITATE nachgelassen. Sowohl der Auslandsdienst SIE als auch der militärische Aufklärungsdienst DIM haben den Auftrag, Informationen über Deutschland zu sammeln. Dem SIE obliegt dabei vornehmlich die Aufklärung mit den Schwerpunkten Wirtschaft, Technik und Wissenschaft. Der DIM hingegen steuert den Auslandseinsatz der Militärattaches an den rumänischen Auslandsvertretungen. Rumänien ist an einer Annäherung an EU und NATO interessiert. Dieser Prozeß soll nicht durch zu offensive und damit erkennbare AktiWiderspiuch vitäten rumänischer Nachrichtendienste gestört werden. Die rumänizwlschen sehen Dienste unterhalten jedoch an ihren offiziellen Vertretungen in Erklärungen und Deutschland weiter personalstarke nachrichtendienstliche ResidentuWlrklichkeit ren. Ihnen obliegt auch die Informationsbeschaffung durch offene Gesprächsaufklärung und die Nutzung von frei zugänglichen Informationszentren. Spionageabwehr 221 3.3 Bulgarien Die Republik Bulgarien unterhält seit 1993 zwei Auslandsnachrichtendienste, - den zivilen Nachrichtendienst NIS und - den militärischen Nachrichtenund Sicherheitsdienst RUMNO. Beide Dienste sind auch weiterhin an den diplomatischen und konsularischen Vertretungen Bulgariens in der Bundesrepublik Deutschland vertreten. Ihre Interessen richten sich weiterhin vorwiegend auf bulBeobachtung von garische Emigranten, aber auch auf die deutsche Wirtschaft. Emigranten 3.4 Ehemaliges Jugoslawien In den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien haben sich zwischenzeitlich zahlreiche nachrichtendienstlich operierende Sicherheitsorgane entwickelt, die auch im westlichen Ausland tätig sind. Sie befassen sich in erster Linie mit ihren sich dort aufhaltenden Landsleuten. In der Bundesrepublik Jugoslawien haben sich neben dem BundesStaatssicherheitsdienst und den militärischen Abwehrund Aufklärungsdiensten auch in den Republiken Montenegro und Serbien nationale Staatssicherheitsdienste etabliert. In Bosnien-Herzegowina existieren für die drei Volksgruppen der Serben, Kroaten und moslemischen Bosniaken jeweils nationale Staatssicherheitsdienste sowie militärische Abwehrund Aufklärungsdienste. Ebenso gibt es in den Staaten Kroatien und Mazedonien jeweils gleichartige Sicherheitsorgane. 4. Nachrichtendienstliche Bedrohung aus dem Nahen, Mittleren und Fernen Osten 4.1 Allgemeines Die Aktivitäten der Nachrichtendienste des Nahen und Mittleren Ostens sowie der Volksrepublik China in Deutschland haben nicht nachgelassen. Sie bemühen sich weiterhin intensiv um die Beschaffung Zunehmende politischer, wirtschaftlicher und militärischer Informationen. Die Länder Bedrohung Iran, Syrien, Irak und Libyen verfügen über eine Vielzahl verschiedener Nachrichtendienste, die in Deutschland Residenturen unterhalten. Zu 222 Spionageabwehr den Aufgaben dieser Nachrichtendienste gehört auch die Ausspähung und Überwachung oppositioneller Emigranten in Deutschland. Einen weiteren Schwerpunkt der Tätigkeiten der Nachrichtendienste dieser Staaten bildet der für die jeweiligen nationalen Rüstungsprogramme erforderliche (illegale) Technologieund Gütertransfer. 4.2 Iran Im Bereich der Auslandsaufklärung des Iran konnten folgende Schwerpunkte festgestellt werden: - Beobachtung und Ausforschung der iranischen Opposition, - Beschaffung von Rüstungstechnologie und High-Tech-Wissen, - Propagierung der im Iran praktizierten schiitisch-islamischen Herrschaftsund Gesellschaftsform (Revolutionsexport), - Ausforschung der Politik (Erstellung von Meinungsbildern, Beobachtung von iranbezogenen Veröffentlichungen). Es gibt eindeutige Anhaltspunkte, daß insbesondere der Iran erhebliUmgehung der che Anstrengungen unternimmt, Exportbeschränkungen zu umgehen und verbotene Waren zu beschaffen. Bei der Beschaffung von sensikungen blen Rüstungsgütern, insbesondere westlicher Herkunft, nutzt der Iran Drittstaaten als Transitländer, um den Endverbleib zu kaschieren. Es ist davon auszugehen, daß darüber hinaus weitere, bisher noch nicht erkannte Institutionen, Unternehmen oder Organisationen für die verschleierte Beschaffung benutzt werden. 4.3 Irak Die nachrichtendienstlichen Aktivitäten des Irak werden aus seiner Legalresidentur in Bonn gesteuert. Besonders hohes Interesse besteht Beschaffung vor: an High-Techund Rüstungsgütern sowie an der Abklärung von in Deutschland lebenden irakischen Staatsangehörigen. Die illegale Beschaffung von Technologie ist jedoch aufgrund des bestehenden Embargos gegen den Irak erheblich behindert. 4.4 Libyen Deutschland ist auch für die libyschen Nachrichtendienste ein attraktives Operationsgebiet. Ihre Aktivitäten steuern sie aus getarnten Stützpunkten in den amtlichen und halbamtlichen Vertretungen. Spionageabwehr 223 Ein weltweit operierendes Netz von Einzelfirmen wird in starkem Maß für den Erwerb von Technologie für A-, B- und C-Waffen genutzt. Neben der illegalen Beschaffung von Rüstungsgütern und Hochleistungstechnologie besteht die Hauptaufgabe in der Aufklärung, Ausforschung und Überwachung von hier lebenden Landsleuten, die dem politischen System in ihrem Heimatland kritisch gegenüberstehen. 4.5 Syrien Syrien verfolgt ähnliche Ziele wie Libyen. Dazu unterhalten die syrischen Nachrichtendienste hier Stützpunkte, aus denen heraus sie ihre Aktivitäten planen und steuern. In ihrer Arbeitsweise gehen sie zum Teil genauso rigoros vor wie die als Vorbild dienenden ehema Rigorose Agente ligen Dienste der Ostblockstaaten. Bei der Anwerbung von Informangewinnung ten greifen sie auf Druckmittel zurück, wie die Androhung von Repressalien gegenüber in Syrien lebenden Angehörigen oder das Verbot der Einreise ins Heimatland, falls eine nachrichtendienstliche Mitarbeit verweigert wird. 4.6 Pakistan Pakistan betreibt neben einem zivilen auch ein militärisches NuklearA-Waffenprogramm. Ziel ist die Beherrschung des nuklearen BrennstoffkreisProgramme laufs. Dazu bemüht sich das Land intensiv um die Beschaffung der notwendigen Technologien und Grundstoffe. Es nutzt ein weitverzweigtes Beschaffungsnetz, in das eine Vielzahl von unauffälligen Unternehmen und Institutionen eingebunden ist, die sich um Kontakte zu deutschen Firmen bemühen. 4.7 Volksrepublik China Das Ministerium für Staatssicherheit der Volksrepublik China (MSS) hat seit 1990 seine Personalstärke verdoppelt. Die Aufklärungsmaßnahmen sind sehr langfristig angelegt. Die Werbung von Agenten geschieht vielfach auf die "sanfte Art", weniger durch Druck als durch die Gewährung von Vorteilen. Gesammelt wird alles an Informationen, was ohne besondere konspirative Anstrengungen aus Wissenschaft, Technik und Politik beschafft werden kann. Der Gewinnung von möglichst vielen Informationen in Gesprächen und 224 Spionageabwehr gesellschaftlichen Kontakten wird dabei Priorität eingeräumt. Eine wesentliche Rolle spielen die Legalresidenturen an den diplomatischen und konsularischen Vertretungen wie dem Generalkonsulat in München. Hierfür eignen sich insbesondere Landsleute, die als Studenten, Doktoranden oder Praktikanten Zugang zu deutschen Unternehmen erhalten. Eingesetzt werden auch Außenhandelsunternehmen, Joint Ventures, Luftfahrtgesellschaften und PresseagenAufholjagd mit turen. Deutsche Geschäftsleute müssen in China damit rechnen, daß Hilfe der Wirtihre dortigen Kontakte zur Informationsgewinnung genutzt und sie schaftsspionage in Hotels und Konferenzräumen abgehört werden. Das MSS ist gehalten, aktiv an der Verwirklichung des "Programms der Vier Modernisierungen" mitzuwirken, mit dessen Hilfe die Volksrepublik China versucht, bis zum Jahr 2000 auf den Gebieten der Wissenschaft, Technik, Industrie und Landesverteidigung mit den wichtigsten Ländern der Erde gleichzuziehen. 5. Ausblick Wirtschaft und Wissenschaft sind nach wie vor Hauptziel der Spionage. Die Spionage fremder Staaten in Deutschland wird auch in nächster Zeit vorrangig darauf gerichtet sein, wirtschaftlich und militärisch nützliche Informationen zu gewinnen. Ausspähungsobjekte sind vor allem Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen. Begünstigt werden die Aktivitäten fremder Nachrichtendienste durch wachsenden internationalen Güterund Informationsaustausch. Gerade Wirtschaft und Wissenschaft in Deutschland profitieren davon. Doch sollten bei aller Bereitschaft zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit und zur Weitergabe eigenen Wissens die eigenen Interessen nicht verkannt werden. Oft mit erheblichem personellem und finanziellem Aufwand erarbeitetes Wissen darf nicht außer Landes gegeben werden, wenn es auf dem Weltmarkt konkurrierenden Ländern dazu dienen kann, die deutsche Wirtschaft als Mitbewerber " auszuschalten und wenn es Ländern wie Iran, Irak, Libyen, Syrien oder Pakistan ermöglicht, in den Besitz der für die Herstellung von Massenvernichtungswaffen nötigen Technologie zu gelangen. Organisierte Kriminalität 225 7. Abschnitt Organisierte Kriminalität Aufgabe des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz im Aufgabe des Bereich der Beobachtung und Bekämpfung der Organisierten KrimiVerfassungsnalität ist nicht die Ermittlung einzelner Delikte, sondern die langfriSchutzes stige Aufklärung von Strukturen der Organisierten Kriminalität. Ziel der Arbeit des Landesamts für Verfassungsschutz ist es, die Hintermänner der agierenden Kriminellen aufzuspüren, ihre Führungsstrukturen aufzuklären und ihre auch internationalen Verflechtungen mit anderen Strukturen der Organisierten Kriminalität aufzuzeigen. Dabei anfallende Erkenntnisse über einzelne Delikte werden, soweit dies die Strukturaufklärung nicht behindert, der Polizei übergeben. Diese am 1. August 1994 eingeleiteten Maßnahmen zu Strukturaufklärungen im Bereich der Organisierten Kriminalität und die Weitergabe der daraus gewonnenen Erkenntnisse an die Strafverfolgungsbehörden führten zur Festnahme einer Vielzahl von Personen sowie zur Sicherstellung von Drogen, Waffen und Falschgeld in Millionenhöhe. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat seit dem 1. August 1994 über 200 Vorgänge in die Sachbearbeitung aufgenommen und geht aufgrund entsprechender Hinweise den Spuren von mehr als einem Dutzend Gruppierungen allein aus den GUS-Staaten nach, die in ihrer Heimat in den Bereichen Kfz-Verschiebungen, Rauschgifthandel und Schutzgelderpressung aktiv sind. Diese Organisationen waren Erfolgreiche bemüht, ihre kriminellen Machenschaften auch auf Bayern auszuTätigkeit dehnen, zeigten jedoch hier keine Beständigkeit und zogen sich nach aktuellen Erkenntnissen wieder zurück. Auch Erkenntnisse über Strukturen von rumänischen Gruppierungen, die sich hauptsächlich mit dem Diebstahl und der Verschiebung von Kraftfahrzeugen sowie mit Wohnungseinbrüchen befassen, sind angefallen und veranlassen die Polizeidienststellen zu weiteren Ermittlungen. Gerade die Strukturen rumänischer Gruppierungen zeigen internationale Verflechtungen auf, u.a. nach Ungarn, Italien und Spanien. Der Schwerpunkt der Beobachtungstätigkeit des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz liegt in der sogenannten Ost-Mafia, ohne Organisierte Kriminalität die klassischen mafiosen Organisationen aus Italien zu vernachlässigen. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen: Nach einer vertraulichen Mitteilung, die an den Verfassungsschutz und nicht an die Polizei ging, weil sich der Mitteilende sonst selbst der Gefahr einer Strafverfolgung ausgesetzt hätte, sollten italienische Staatsangehörige in Bayern falsche DM-Noten anbieten. Verdeckten Ermittlern des Landesamts für Verfassungsschutz gelang es, Kontakt zu den "Blüten"-Verkäufern zu finden sowie eine Beziehung zu ihnen aufzubauen und über Monate hinweg zu festigen. Diese Vertrauensbeziehung führte schließlich mit Hilfe eines befreundeten italienischen Nachrichtendienstes zur eindeutigen Identifizierung der Hintermänner als Angehörige einer bedeutenden "Camorra"-Familie aus Italien. Aufgrund dieser Sachlage konnte der Fall an die Strafverfolgungsbehörden abgegeben werden, ohne den Informanten nennen zu müssen. Die dann zuständigen Polizeidienststellen hatten aufgrund der Angaben des Landesamts für Verfassungsschutz die Möglichkeit weiterer Ermittlungen und schließlich der Festnahme mehrerer Tatverdächtiger und der Sicherstellung von falschen DM-Noten im Wert von über einer Million. Ergebnis dieser Aktion war die Zerschlagung eines international agierenden Falschgeldrings. Ausgehend von einem Hinweis eines fremden Nachrichtendienstes auf zwei in Bayern wohnhafte Italiener, die der Camorra angehören sollten, ermittelte das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz, daß die beiden als "Strohmänner" für einen weiteren Italiener tätig waren. Sie betrieben für ihn hier eine Briefkastenfirma. Die vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz auf die Firma aufmerksam gemachte Steuerfahndung ermittelte, daß die beiden Betreiber Mehrwertsteuerrückerstattungen von rund 100.000 DM in betrügerischer Weise erschlichen hatten. Nach Abschluß weiterer Ermittlungen, in die auch die Polizei eingeschaltet war, konnte der Hintermann festgenommen werden. Ihn erwarten Steuernachforderungen in Millionenhöhe. Einer der "Strohmänner", der in Italien wegen Zugehörigkeit zur Camorra, Falschgeldhandel und Betrug gesucht wurde, konnte dort festgenommen werden. Gerade diese Fälle zeigen die Möglichkeiten des Einsatzes des Landesamts für Verfassungsschutz im Bereich der Beobachtung der Organisierten Kriminalität und die sich daraus ergebenden Vorteile. Organisierte Kriminalität 227 Weil der Verfassungsschutz keine Strafverfolgungsbehörde ist, bekommt er leichter Informationen von Personen, die sich selbst strafbar gemacht haben. Diese Informationen kann er dann mit seinen eigenen Mitteln so verifizieren, daß sie ohne Nachteil für den Informanten der Exekutive übermittelt werden können. Die Fälle zeigen ferner, daß die Verbindungen des Verfassungsschutzes zu den befreundeten Diensten im Ausland zur Aufklärung solcher Fälle erheblich beitragen können, denn in allen wichtigen europäischen Staaten ist die Aufklärung der Organisierten Kriminalität auch Aufgabe der dortigen Inlandsnachrichtendienste. Deshalb wäre eine ÜberBundesweite tragung dieser Aufgabe auch auf die anderen VerfassungsschutzAufklärung behörden des Bundes und der Länder in Deutschland sehr wichtig, erforderlich Der Verfassungsschutz kann zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität einen nicht unerheblichen Beitrag leisten. Auf diese Möglichkeit sollte nicht verzichtet werden. Auch der nachfolgende Rauschgiftfall aus dem Bereich der Ost-Mafia konnte nur deshalb ermittelt werden, weil der Erst-Informant bereits ein Vertrauensverhältnis zum Landesamt für Verfassungsschutz hatte: Eine aus anderem Anlaß zum Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz in einem Vertrauensverhältnis stehende Person teilte mit, daß sie von einer ihr seit langem bekannten Person aus dem Baltikum gebeten worden war, für sie eine größere Menge Rauschgift vorübergehend zu verwahren. Aufgrund der Sachlage war unverzüglich die Polizei einzuschalten, der es gelang, mit Hilfe der Kontaktperson das Rohopium sicherzustellen und den Täter festzunehmen. Er wurde mittlerweile zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. 229 Anhang 230 Entwicklung der Mitgliederzahlen extremistischer Organisationen Entwicklung der Mitgliederzahlen extremistischer Organisationen Mitglieder 120.000 --Rechtsextremisten 108.600 . . . . . Linksextremisten --* -- Ausländische Extremisten 100.000 \ Deutschl and 80.000 \ Die Republikaner \ 1994 erstmals erfaßt _ 62.000 \ ' Die Kurve beruht 60.000 57.300; auf Zahlen des Bundesamts für Verfassungsschutz, A5.300* das von Mitgliedern 40.000 T*" JS M NM *> der PDS nur die der Kommunistischen Plattform (KPF) erfaßt. 20.000 Die Zahlen für 1996: PDS Deutschland insgesamt 107.000, 0 davon KPF 5.000 1987 88 89 90 91 92 93 94 95 96 Mitglieder * 14.000 13.200 ! -- Rechtsextremisten i * Linksextremisten * * -- -- Ausländische Extremisten 12.000 i ** .* Bayern 10.000 I * **