Bayerisches Staatsministerium des Innern VERFASSUNGSSCHUTZ BERICHT 19 BAYERN 93 Herausgeber Bayerisches Staatsministerium des Innern Odeonsplatz 3, 80539 München RB Nr. 03 / 94 / 08 Druck J. Gotteswinter, Buchund Offsetdruck, Joseph-Dollinger-Bogen 22, 80807 München Gedruckt auf Recyclingpapier aus 100% Altpapier Der jährlich erscheinende Verfassungsschutzbericht informiert zusammenfassend, aber ohne Anspruch auf Vollständigkeit über den politischen Extremismus und über Aktivitäten fremder Nachrichtendienste. Dieser Bericht gibt die Situation im Jahr 1993 wieder. Er gibt einen Überblick über Bestrebungen, die unmittelbar oder mittelbar gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben. Er informiert ferner über Vorhaben, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Der Bericht für das Jahr 1993 ist insgesamt durch einen Rückgang der bundesweit registrierten rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten gekennzeichnet. Die Welle fremdenfeindlicher Gewalt scheint den Höhepunkt überschritten zu haben. Die dennoch große Zahl von Gewalttaten und insbesondere der Brandanschlag am 29. Mai 1993 in Solingen, bei dem fünf Menschen den Tod fanden, zeigen aber, daß der Rechtsextremismus eine ernstzunehmende Bedrohung für die innere Sicherheit darstellt. Er ist Brutstätte menschenverachtender Gewalt und Nährboden für nationalistisch-rassistisch motivierte Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Gefahren für den inneren Frieden drohen aber auch aus dem linksextremistischen Bereich. Hier liefern vielfach ausländerfeindliche Übergriffe dem linksextremistisch motivierten, vorwiegend von Autonomen getragenen militanten "Antifaschismus" Anlaß zu gewalttätigen Angriffen auf erkannte und vermeintliche Rechtsextremisten. Schwere Gewalttaten haben ausländische Extremisten, insbesondere Anhänger der mittlerweile vom Bundesministerium des Innern verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans, verübt. Die wehrhafte Demokratie braucht aufgeklärte Bürger, die über Gefahren unterrichtet sind, die unserem Staat durch Extremisten aller Schattierungen drohen. Der vorliegende Verfassungsschutzbericht soll dazu einen Beitrag leisten, indem er über Hintergründe, Zielsetzungen sowie Methoden des Extremismus informiert. Trotz der im Bericht dokumentierten verfassungsfeindlichen und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen hat sich unsere Demokratie auch im Jahr 1993 als stabil erwiesen. Dazu hat die Tätigkeit des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz beigetragen. Wir danken den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landesamts für ihre engagierte Arbeit. München im Mai 1994 Dr. Günther Beckstein Hermann Regensburger Staatsminister Staatssekretär Inhaltsverzeichnis Verfassungsschutz in Bayern 1. Gesetzliche Grundlagen 9 2. Aufbau und Organisation 10 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes 10 4. Informationsbeschaffung 11 5. Kontrolle 12 6. Verfassungsschutz durch Aufklärung 13 1. Abschnitt Rechtsextremismus 1. Allgemeines 15 1.1 Merkmale des Rechtsextremismus 15 1.2 "Die Republikaner" als Beobachtungsobjekt 16 1.3 Entwicklung 17 2. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 19 2.1 Ideologisch-politischer Standort 19 2.2 Organisation 22 2.3 Aktivitäten 23 2.4 Junge Nationaldemokraten (JN) 24 3. Deutsche Volksunion (DVU) ' 25 3.1 Ideologisch-politischer Standort 25 3.2 Organisation 29 3.3 Wahlbeteiligung 30 3.4 Sonstige Aktivitäten 30 4. Deutsche Volksunion e.V. (DVU) 31 4.1 Ideologie und Organisation 31 4.2 Aktionsgemeinschaften der DVU 31 5. Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) .. 32 5.1 Ideologisch-politischer Standort 32 5.2 Organisation 33 6. Neonazismus 34 6.1 Allgemeines 34 6.2 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) .. 37 6.3 Nationaler Block (NB) 40 6.4 Die Deutsche Freiheitsbewegung (DDF) 41 6.5 Neonazistisches Potential bei Skinheads 42 6.6 Neonazistische, antisemitische und sonstige rassistische Vorfälle 46 7. Sonstige rechtsextremistische Organisationen 47 7.1 Wiking-Jugend (WJ) 47 7.2 Gesellschaft für Freie Publizistik (GFP) 48 7.3 Freundeskreis Ulrich von Hutten 49 8. Organisationsunabhängige Publizistik 50 9. Revisionismus-Kampagne 53 9.1 Ziele und Methoden 53 9.2 Entwicklung 53 9.3 Träger der Revisionismus-Kampagne 55 10. Einfluß des ausländischen Rechtsextremismus 58 11. Übersicht über erwähnenswerte rechtsextremistische Organisationen und Verlage sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse 61 2. Abschnitt Linksextremismus 1. Allgemeines 65 2. Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 67 2.1 Überblick 67 2.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 68 2.2.1 Ideologisch-politischer Standort 68 2.2.2 Organisation 71 2.2.3 Bündnisund Aktionseinheitspolitik, Betriebsarbeit 72 2.2.4 Sonstige Aktivitäten 73 2.3 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 74 2.3.1 Ideologische Ausrichtung der PDS 74 2.3.2 Gliederung der PDS 76 2.3.3 Aussagen und Aktivitäten der PDS und ihrer Funktionäre 78 2.4 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) 80 2.5 Marxistisch-leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 82 3. Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre 84 3.1 Überblick 84 3.2 Autonome 84 3.3 Publikationen 88 3.4 Aktivitäten autonomer Gruppen in Bayern 91 4. Bündnisse gegen Rassismus 92 5. Übersicht über erwähnenswerte linksextremistische und linksextremistisch beeinflußte Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse ' 93 3. Abschnitt Extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern 1. , Allgemeines 97 2. Kurdische Gruppen 98 2.1 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 98 2.2 KOMKAR-Verband der Vereine aus Kurdistan e. V. ....: 105 3. Türkische Gruppen 106 3.1 Linksextremisten 106 3.1.1 Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten (TKP/ML) 106 3.1.2 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 108 3.2 Extreme Nationalisten 110 3.3 Islamische Extremisten 111 4. Iranische Gruppen 114 5. Übersicht über erwähnenswerte extremistische Organisationen von Ausländern, deren Nebenund beeinflußte Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse 116 4. Abschnitt Terror und sonstige politisch motivierte Gewalt 1. Entwicklung im Bundesgebiet 120 1.1 Rechtsextremistische Gewalt 120 1.2 Linksextremistische Gewalt 123 1.3 Gewalttaten ausländischer Extremisten 125 2. Politisch motivierte Gewalt in Bayern 125 2.1 Rechtsextremistische Gewalt 126 2.2 Linksextremistische Gewalt 131 2.3 Gewalt zwischen Linksund Rechtsextremisten 132 2.4 Gewalttaten ausländischer Extremisten 135 3. Rote Armee Fraktion (RAF) 138 3.1 Aktivitäten der RAF 138 3.2 Spaltung der RAF 140 4. Revolutionäre Zellen (RZ) 143 5. Abschnitt Spionageabwehr 1. Ausgangslage 144 2. Nachrichtendienstliche Aktivitäten der GUS-Staaten 144 2.1 Rußland 144 2.2 Ukraine 146 2.3 Weißrußland 146 3. Sonstige fremde Nachrichtendienste 147 3.1 Polen 147 3.2 Rumänien 147 3.3 Andere ehemalige Satellitenstaaten 148 3.4 China 148 3.5 Nachrichtendienstliche Bedrohung aus dem Nahen und Mittleren Osten 149 4. Aufarbeitung der ehemaligen DDR-Nachrichtendienste 150 5. Ausblick 150 Anhang 1 Entwicklung des Mitgliederpotentials extremistischer Organisationen im Bundesgebiet und in Bayern in den letzten zehn Jahren 152 Anhang 2 Stichwortverzeichnis 154 Einführung 9 Verfassungsschutz in Bayern Einführung Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen Prinzipien demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der der freiheitlichen Sicherheit des Bundes und der Länder. Nach der Rechtspredemokratischen chung des Bundesverfassungsgerichts ist unter der freiheitGrundordnung lichen demokratischen Grundordnung eine Ordnung zu verstehen, die unter Ausschluß jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser freiheitlichen Grundordnung gehören mindestens - die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten - die Volkssouveränität - die Gewaltenteilung - die Verantwortlichkeit der Regierung - die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung - die Unabhängigkeit der Gerichte - das Mehrparteienprinzip - die Chancengleichheit für alle politischen Parteien - das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Der Verfassungsschutz hat den gesetzlichen Auftrag, Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, zu beobachten. Er informiert die Verantwortlichen frühzeitig über davon ausgehende Gefahren. Er versetzt die zuständigen staatlichen Stellen damit in die Lage, verfassungsfeindliche Kräfte rechtzeitig und angemessen zu bekämpfen. 1. Gesetzliche Grundlagen Die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sind Aufgaben gesetzlich genau festgelegt. Rechtsgrundlage für das Bundesund Befugnisse 10 Einführung amt für Verfassungsschutz und zugleich für die Zusammenarbeit mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz ist das "Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz" (BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2970). In diesem Gesetz hat der Bundesgesetzgeber die von Bund und Ländern auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben definiert. Neben diesem Bundesgesetz bestehen in allen Ländern eigene Verfassungsschutzgesetze. Diese Gesetze regeln die Aufgaben und Befugnisse der jeweiligen Landesbehörden. In Bayern regelt das "Bayerische Verfassungsschutzgesetz" (BayVSG) vom 24. August 1990 (BayRS 12-1-1), das in dieser Neufassung am 1. November 1990 in Kraft getreten ist, die Aufgaben und Befugnisse des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz. 2. Aufbau und Organisation Das Bayer. Landesamt für Verfassungsschutz in München ist dem Bayer. Staatsministerium des Innern unmittelbar unterstellt. Das in fünf Abteilungen gegliederte Landesamt für Verfassungsschutz wird von einem Präsidenten geleitet. Als Personalstand des Amtes wurden im Haushaltsplan 1993 insgesamt 427 Stellen für Beamte, Angestellte und Arbeiter ausgewiesen. Das Haushaltsvolumen 1993 betrug 33 Millionen DM. 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes BeobachtungsNach dem BayVSG hat die Behörde im wesentlichen den auftrag Auftrag, - Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, - sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeit für eine fremde Macht (Sabotage und Spionage) und Einführung 11 - Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, zu beobachten. Darüber hinaus wirkt das Landesamt für Verfassungsschutz u.a. bei Sicherheitsüberprüfungen mit. Im Mittelpunkt der Beobachtung stehen Aktivitäten von extremistischen Organisationen. Dabei müssen allerdings zwangsläufig auch die handelnden Personen, die Mitglieder dieser Organisationen sind oder deren Aktivitäten unterstützen, erfaßt werden. Aber auch die Beobachtung von "Einzeltätern", z.B. im Bereich des rechtsextremistischen Revisionismus, ist zulässig. 4. Informationsbeschaffung Zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags ist der VerfasQuellen sungsschutz verpflichtet, Informationen zu beschaffen, ausdes Verfassungszuwerten und zu speichern. Diese Nachrichten werden zum Schutzes weit überwiegenden Teil aus offenen Quellen gewonnen (z.B. aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Programmen, Broschüren und sonstigem Material). Etwa 20% der Informationen werden durch Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel beschafft. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln gehören z.B. - der Einsatz verdeckt arbeitender Vertrauensleute (V-Leute) in extremistischen Vereinigungen, - das kontinuierliche Beobachten verdächtiger Personen (Observation) sowie - verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (Öffnen von Briefen, Abhören von Telefongesprächen) sind besonders strengen rechtsstaatlichen Anforderungen unterworfen. Sie sind in einem eigenen Gesetz geregelt, das nach dem Grundrecht des Briefund Fernmeldegeheimnisses "Gesetz zu Art. 10 Grundgesetz" (G 10) genannt wird. Ein Verfahren mit 12 Einführung mehreren voneinander unabhängigen Kontrollinstanzen stellt sicher, daß in dieses Grundrecht nur eingegriffen wird,, wenn die im Gesetz genannten besonderen Gründe vorliegen. Die gleichen Sicherungen gelten für den Einsatz besonderer technischer Mittel im Schutzbereich des Art. 13 GG, also für den Einsatz verdeckter Mikrofone oder Kameras in Wohnungen und Büros. Verfassungssch u tz Dem Verfassungsschutz stehen jedoch keine polizeilichen hat keine polizeiBefugnisse zu. Polizeibehörden und Verfassungsschutz sind in lichen Befugnisse der Bundesrepublik Deutschland voneinander getrennt. Deshalb dürfen die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes keinerlei Zwangsmaßnahmen wie z.B. Festnahmen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen usw. durchführen. Verfassungsschutzbehörden dürfen auch keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden. Die notwendige informationelle Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz wird dadurch nicht beeinträchtigt. Erscheint aufgrund der dem Verfassungsschutz vorliegenden Informationen ein polizeiliches Eingreifen erforderlich, so wird die zuständige Polizeidienststelle von den Beobachtungen unterrichtet. Diese entscheidet dann selbständig, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. 5. Kontrolle Vielfältige Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden unterliegt auf Kontrollen verschiedenen Ebenen einer vielfältigen Kontrolle. Dazu gehört die allgemeine parlamentarische Kontrolle, die durch die Berichtspflicht des verantwortlichen Ministers gegenüber dem Landtag im Rahmen von aktuellen Stunden, Anfragen von Abgeordneten, Petitionen usw. ausgeübt wird. Spezifische Kontrollen obliegen der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) und der G 10-Kommission. Die Verwaltungskontrolle erfolgt durch den Innenminister im Rahmen der Dienstund Fachaufsicht, ferner durch den Landesbeauftragten für Datenschutz und den Bayerischen Obersten Rechnungshof. Diese Kontrollen werden ergänzt durch eine mögliche gerichtliche Nachprüfung im Falle belastender Einzelmaßnahmen sowie durch Presse, Funk und Fernsehen. Einführung 13 6 Verfassungsschutz durch Aufklärung Der Schutz unserer freiheitlichen demokratischen GrundordAufklärungsnung kann dauerhaft nur durch eine geistig-politische Austätigkeit einandersetzung mit dem Extremismus gesichert werden. Dem Verfassungsschutz kommt dabei eine wesentliche Bedeutung zu. Seine Tätigkeit gewährleistet, daß Regierung und Parlament, aber auch die Bürger über Aktivitäten und Absichten verfassungsfeindlicher Organisationen informiert werden. In Bayern werden die Aufgaben des "Verfassungsschutzes durch Aufklärung" durch das Innenministerium mit Unterstützung des Landesamtes für Verfassungsschutz durchgeführt. Die Tätigkeit wird durch zwei gemeinnützige Vereine unterstützt, die 1993 wiederum zahlreiche Vorträge und Seminare zu Themen des politischen Extremismus und des Verfassungsschutzes durchführten. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit können kostenlos der Verfassungsschutzbericht sowie weitere Informationsbroschüren zur Verfügung gestellt werden. Vor dem Hintergrund der erschreckenden Zunahme überAufklärungswiegend politisch motivierter Gewalttaten gegen Ausländer kampagne und ihre Unterkünfte beschlossen die Innenminister des Bundes und der Länder 1992 eine gemeinsame Aufklärungskampagne gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit. Ziel dieser Kampagne war die Aufklärung über den Extremismus und seine Gefahren, über Fremdenfeindlichkeit, über Rassismus und Antisemitismus als Elemente rechtsextremistischer Ideologie und Propaganda. Die Kampagne richtete sich vor allem an Jugendliche, um für mehr Toleranz; ein besseres gesellschaftliches Miteinander und den überragenden Wert der Demokratie zu werben. Die Kampagne wurde am 26. März 1993 . mit einer bundesweiten Plakataktion (Großflächenplakate) mit dem Logo "FAIRSTÄNDNIS - Menschenwürde achten - gegen Fremdenhaß" eingeleitet. Sie wurde unterstützt durch zentral gesteuerte Anzeigenschaltungen in Jugendzeitschriften und Schülerzeitun- 14 Einführung gen sowie durch die Erstellung des Lehrerund Schülerheftes "Halt! Keine Gewalt". An der Gesamtauflage dieses Schülerheftes von über 1,8 Millionen Exemplaren waren die bayerischen Schulen mit rund 202.000 Exemplaren beteiligt. Als weitere Werbemittel wurden in Bayern u.a. 13.000 Poster, 85.000 Bogen Aufkleber, 60.000 Buttons verteilt. In die Verteilungsaktion einbezogen waren alle bayerischen Ministerien, ferner die Regierungen, Landratsämter, kreisfreien Städte und Gemeinden, die Polizeidienststellen sowie die Universitäten und Schulen. Ab September 1993 fanden auch zentral gesteuerte Werbeaktionen in ausgesuchten Großdiscotheken und Musikgaststätten statt. Seit Dezember 1993 werden in Kooperation mit einer Fernsehanstalt Fernsehspots zu dem Thema "FAIRSTÄNDNIS" ausgestrahlt. Verfassungssch u tzTeil der Öffentlichkeitsarbeit ist auch dieser Verfassungsbericht schutzbericht, der in den folgenden Abschnitten über Rechtsextremismus, Linksextremismus sowie über extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern, ferner über Terror und politisch motivierte Gewalt sowie über Spionage informiert. Rechtsextremismus 15 1. Abschnitt Rechtsextremismus 1. Allgemeines 1.1 Merkmale des Rechtsextremismus Der Rechtsextremismus verfügt im Gegensatz zum Linksextremismus, der im Marxismus-Leninismus ein geschlossenes, inzwischen allerdings weitgehend obsolet gewordenes ideologisches Weltbild vorfand, über kein vergleichbar gefestigtes theoretisches System. Die Bestrebungen rechtsextremistischer Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland sind im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, daß sie die Grundlagen der Demokratie ablehnen und - aus taktischen Gründen meist nicht offen erklärt - eine totalitäre Regierungsform unter Einschluß des Führerprinzips anstreben, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren ist. Bestimmende Merkmale des organisierten Rechtsextremismus sind vor allem - die pauschale Überbewertung der Interessen der "Volksgemeinschaft" zu Lasten der Interessen und Rechte des Einzelnen, die auf eine Aushöhlung der Grundrechte abzielt (völkischer Kollektivismus), - ein den Gedanken der Völkerverständigung mißachtender Nationalismus, - die offene oder verdeckte Wiederbelebung des Antisemitismus und anderer rassistischer Thesen, die mit dem Schutz der Menschenwürde und dem Gleichheitsprinzip nicht vereinbar sind, - immer wiederkehrende Versuche, die nationalsozialistische Gewaltherrschaft unter Herausstellung angeblich positiver Leistungen des Dritten Reiches zu rechtfertigen, die Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime zu diffamieren und die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu verschweigen, zu verharmlosen oder sogar zu leugnen. 16 Rechtsextremismus - Hinzu kommt die allen Extremisten gemeinsame planmäßige Verunglimpfung der bestehenden Staatsform und ihrer Repräsentanten in der Absicht, den überragenden Wert der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in den Augen der Bevölkerung zu erschüttern. Im Bereich des unorganisierten Rechtsextremismus treten vor allem Angehörige der neonazistisch geprägten Skinheadszene durch menschenverachtende Gewalt insbesondere gegen Ausländer in Erscheinung. Diese Merkmale sind nicht gleichmäßig bei allen Rechtsextremisten zu beobachten. Manchmal sind nur Teilaspekte bestimmend; auch die Intensität und die Mittel des Kampfes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind unterschiedlich. Auch einzelne der genannten Merkmale können tatsächliche Anhaltspunkte liefern, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz rechtfertigen. Dies gilt z.B. für die Partei "Die Republikaner". 1.2 Die Partei "Die Republikaner" als Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden Prüffall Die Partei "Die Republikaner" (REP) wird seit Mitte Dezember "Die Republikaner 1992 von den Behörden für Verfassungsschutz beobachtet, weil tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Zielsetzung der REP vorliegen. Der Bayer. Verwaltungsgerichtshof hat mit Entscheidung vom 7. Oktober die Zulässigkeit der Beobachtung der Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln bestätigt, weil in der Partei Ausländerfragen teilweise in gegen die Menschenwürde verstoßender Weise behandelt werden. Wie ein roter Faden ziehe sich durch die Reden und Schriften der REP nicht nur die Auffassung, daß zu viele Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland lebten und zuzögen, sondern es würden dabei - zu häufig, um es als "Entgleisungen" einzelner Personen ansehen zu können - Ausländer und/oder Asylbewerber in extrem diskriminierender Weise als Schmarotzer der Arbeit deutscher Bürger und des deutschen Sozialsystems sowie pauschal als Kriminelle dargestellt. Das Gericht erwähnte als Beispiele hierfür das sog. Rechtsextremismus 17 "Neue Deutschlandlied" und ein weiteres die Ausländer verunglimpfendes Gedicht. Die Prüfung, ob die REP bundesweit als rechtsextremistische Partei einzustufen sind, dauert noch an; einige Länder haben aufgrund der überwiegend aus den dortigen Landesverbänden gewonnenen Erkenntnisse diese Frage bereits bejaht. Die Partei zählt in Bayern rund 6.000 Mitglieder. Sie ist in acht Bezirksverbände und 80 Kreisverbände gegliedert. Als Parteiorgan erscheint mit einer Auflage von 135.000 Exemplaren die Zeitung "Der Republikaner". 1.3 Entwicklung Die zahlenmäßige Entwicklung der rechtsextremistischen Gruppierungen in Bayern und ihrer Mitgliederstärken ist aus der folgenden Übersicht zu ersehen (erkannte Mehrfachmitgliedschaften sind durch Abzug bereits berücksichtigt). 1991 1992 1993 Anzahl der Organisationen 23 23 22 Mitgliederstärke NPD mit JN und NHB 1.110 870 860 DVU* 3.100 3.100 3.100 Neonazistische Organisationen 200 200 100 Sonstige Organisationen 310 440 440 4.720 4.610 4.500 Neonazistische Einzelaktivisten 20 20 40 rechtsextr. Skinheads 160 240 300 Erkannte Rechtsextremisten insgesamt** 4.900 4.870 4.840 Hinweise: * Die Mitglieder der aufgrund einer Satzungsänderung der DVU (Partei) angeschlossenen Deutschen Volksunion e.V. (DVU) einschließlich ihrer Aktionsgemeinschaften sind mit eingerechnet. ** Nicht berücksichtigt sind wegen des noch nicht abgeschlossenen Prüfverfahrens die rund 6.000 Mitglieder der Partei "Die Republikaner". 18 Rechtsextremismus Ähnlich wie im Vorjahr stellten die Deutsche Volksunion (DVU) mit dem ihr angeschlossenen gleichnamigen Verein und die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) einschließlich ihrer Jugendund ihrer Studentenorganisation in Bayern über 80 Prozent des gesamten rechtsextremistischen Potentials. Bei Wahlen ist es der DVU nicht mehr gelungen, an die Erfolge der Vorjahre anzuknüpfen. Die insbesondere von der NPD initiierten Bemühungen um ein Bündnis des rechtsextremistischen Lagers für das Wahljahr 1994 blieben bislang ergebnislos. Im Bereich des organisierten Neonazismus sind in Bayern die Mitgliederzahlen aufgrund der Ende 1992 bzw. Mitte 1993 verfügten Verbote der Nationalistischen Front (NF), der Deutschen Alternative (DA), der Nationalen Offensive (NO) und des Nationalen Blocks (NB) um rund 50 Prozent zurückgegangen. Soweit sich ehemalige Mitglieder der verbotenen Gruppen noch extremistisch betätigen, sind sie den neonazistischen Einzelaktivisten zuzurechnen. Der deutliche Anstieg von rund 25 Prozent bei den neonazistischen Skinheads beruht zum Teil auf einem verbesserten Erkenntnisstand. Die rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten sind bundesweit um etwa 15 Prozent zurückgegangen; in Bayern stagnierten sie auf dem relativ niedrigen Vorjahresniveau (vgl. 4. Abschnitt). Die Mehrzahl der meist jugendlichen Täter trat erstmals in Erscheinung. Eine Steuerung der Gewalttaten durch rechtsextremistische Organisationen war nicht erkennbar; allerdings hat vor allem deren fremdenfeindliche Agitation zu einer Senkung der Hemmschwelle beigetragen. Nach wie vor stellt damit der Rechtsextremismus eine ernstzunehmende Bedrohung für die innere Sicherheit und das internationale Ansehen Deutschlands dar. Er ist unverändert Brutstätte brutaler, menschenverachtender Gewalt und Nährboden für Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und nationalistische Exzesse. Einen neuen Gefährdungsfaktor bilden organisationsübergreifende Vernetzungsbestrebungen auf der Basis der Nutzung moderner Kommunikationsmittel. Unverminderter Aufmerksamkeit bedarf insbesondere der sich abzeichnende Aufbau eines bundesweiten Nachrichtenund Informationssystems mittels Info-Telefonen und Mailboxen, aber auch die Rechtsextremismus 19 forcierte Anti-Antifa-Kampagne, die zur Gewalt gegen politische Gegner aufstachelt und sich als Reaktion auf die linksextremistische Antifaschismusbewegung und deren Gewalt gegen Rechtsextremisten versteht. Die Mitgliederentwicklung im Bundesgebiet und in Bayern in den letzten zehn Jahren ist im Anhang 1 dargestellt. 2. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 2.1 Ideologisch-politischer Standort Obwohl die NPD in ihren Ende Mai 1992 unter der Bezeichnung "Nationaldemokratisches Manifest" aktualisierten programmatischen Aussagen einen "demokratisch" organisierten Staat fordert und dabei insbesondere die Volkssouveränität betont, lehnt sie wesentliche Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab. Trotz ihres Lippenbekenntnisses zum Grundgesetz erstrebt sie in Wirklichkeit einen Staat mit einer von völkisch-kollektivistischen Völkischer Strukturen bestimmten Volksgemeinschaft, womit sie an ein Kollektivismus Leitbild anknüpft, daswesentlicher Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie war. Die Unterschiede zwischen der Staatsund Gesellschaftsordnung des Grundgesetzes und den Vorstellungen der NPD beruhen vor allem auf unvereinbar gegensätzlichen Auffassungen zur Stellung des Einzelnen in der Gemeinschaft und zur Stellung des Staates ihm gegenüber. Die NPD gibt dem Staat vor dem Einzelnen den Vorrang. Diese Betrachtungsweise läuft dem Rang der in Art. 1 des Grundgesetzes normierten Menschenwürde, insbesondere dem daraus resultierenden Primat des Individuums vor dem Staat, zuwider. Die pauschale Überbewertung der "Volksgemeinschaft" im Sinne eines völkischen Kollektivismus und die Absicht, Interessengegensätze innerhalb der Gesellschaft durch die uneingeschränkte Unterordnung des Einzelnen unter nicht näher definierte Gemeinschaftsinteressen aufzuheben, stehen außerdem in unauflösbarem Gegensatz zur Verbindlichkeit der Grundrechte gegenüber jeder Form staatlicher Gewalt. 20 Rechtsextremismus Nationalismus Ferner lassen Veröffentlichungen der Partei nach wie vor rasund Rassismus sistische und nationalistische Zielsetzungen und Denkweisen erkennen. Ihre für Rechtsextremisten charakteristische Ablehnung alles Andersartigen, hinter der sich die Überzeugung von der Höherwertigkeit der eigenen Rasse und Nation verbirgt, versucht die NPD unter Berufung auf die "Vielfalt des Lebens und seiner Erscheinungen" zu rechtfertigen, Keme Minderheitenpofitik ohne die deutsche Mehrheit wobei sie sich als Gegnerin des "längst überholten Asylbetrüger Dogmas von der angeblichen Gleichheit aller Menschen" präsentiert. Entsprechend dieser Grundeinstelausweisen i lung, die auf eine mit Art. 3 Abs. 3 des GrundgesetNPD zes unvereinbare Rassendiskriminierung hinausläuft, behandelt die Partei das Ausländerund Asylantenproblem auch nach der Änderung des Art. 16 des ASYL Noch nie war Urlaub Grundgesetzes vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der "Überfremdung" und vertritt die Auffassung, die als Integration getarnte "Zwangsgermanisierung" der hier lebenden Ausländer bedrohe die "deutsche Volksso preiswert wie heute! substanz". Während "unser Land mit Hunderttausenden von Fremden überschwemmt" werde und die NPD Günnigfelder Slraße 101 4630 Bochum 6 "ethnische Einheit Deutschlands" bereits ernsthaft in Aufkleber der NPD Frage gestellt sei, strebten "politische Machthaber dieses Landes bewußt und offen die Einführung multinationaler und multirassischer Verhältnisse an" In dieselbe Richtung weisen Aufrufe wie "Stoppt die Ausländer-Republik" und "Ja zu Deutsch-Land, Nein zu Exoten-Land!" sowie die gegen die "Zeugungsund Geburtenfreudigkeit der Ausländer" gerichtete Forderung "Kindergeld nur für deutsche Staatsbürger!" Deutschland werde immer mehr zum "Taubenschlag" aus dem die halbe Welt ihr Futter hole, weil die politisch Verantwortlichen das deutsche Volk zu "Fußabtretern der Welt" herabwürdigten. Dabei ließen sich etliche Milliarden Mark sparen, sofern die Bundesregierung begriffe, daß "Deutschland nicht das Sozialamt der Welt" sei und eine Entlastung des Haushalts nicht dadurch erreicht werde, daß wir "jedem Negerstamm in Obervolta Millionen in den H i . . . pusten". NS-Apologie Im Bereich der NS-Apologie lag der Schwerpunkt der Agitation in der Polemik gegen die Strafbarkeit der "AuschwitzLüge". So behauptete die NPD, die "Siegertribunale" hätten Rechtsextremismus 21 "deutsche Kriegsschuld und -verbrechen (und zwar ausschließlich deutsche) zu offenkundigen Tatsachen erklärt", die keiner Beweise bedürften. Nunmehr sei auch die Bundesregierung "auf Weisung der Alliierten dazu übergegangen, bestimmte öffentlich geäußerte politische Ansichten unter Abweisung sämtlicher Beweisanträge wegen Offenkundigkeit der Tatsachen gerichtlich zu verfolgen". Immer öfter würden "historische Meinungsäußerungen über bestimmte Vorgänge in der Zeit der NS-Herrschaft, die ohnehin umstritten" seien, strafrechtlich unterdrückt. Zu den Hauptangriffszielen der Partei gehören nach wie Diffamierung vor die demokratischen Institutionen der Bundesrepublik demokratischer Deutschland und ihre Repräsentanten. Dabei tritt an die Stelle Institutionen konstruktiver Kritik eine bewußt entstellende und überspitzt verallgemeinernde Form der Darstellung. So nannte die NPD den bayerischen Ministerpräsidenten einen "bürgerlich-rechten Wadlbeißer" und behauptete, in Bayern vollziehe sich "der Schritt vom historischen Austrofaschismus zum real existierenden Bavaro-Faschismus". Andere demokratische Politiker bezeichnete sie als "Politbonzen" "etablierte Heuchler", "Politversager" "Überfremdungsextremisten" und "Matadore des real vegetierenden Systems". Ferner erklärte sie, der "Selbstbedienungsladen der Regierenden und aller Bundestagsparteien" laufe wie geschmiert, während die "Bonner Beutelschneiderei" gerade die sozial Schwachen besonders hart treffe. "Lug und Betrug", "Schmarotzertum und Parasiten" kennzeichneten die politische Wirklichkeit dieser von "Affären, Filz und Kumpanei" geprägten "verlotterten Republik" und ihrer Bonner Parteien, die "zu allem fähig, aber zu nichts zu gebrauchen" seien. Diese Flut von Beschimpfungen, die alle im Bundestag vertretenen Parteien trifft, läßt erkennen, daß die NPD die Prinzipien des Mehrparteiensystems und der Chancengleichheit der Parteien trotz ihres formalen Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ablehnt. Die Eskalation rechtsextremistisch motivierter Gewalt ist nach Haltung Auffassung" der NPD eine "mittelbare Folge der gegen den zur Gewalt Mehrheitswillen der Deutschen gehandhabten Asylund Ausländerpolitik". Dieselben "Scheinheiligen", die den "linken 22 Rechtsextremismus und ausländischen Mob bis zur Raserei" aufstachelten, wenn es Versammlungen Andersdenkender zu verhindern gelte, heuchelten umgekehrt Fassungslosigkeit, wenn "einige versprengte junge Leute, denen man bewußt kein anderes Ventil ließ, in Gewaltaktionen durchdrehen". "Betroffenheitsgehabe" und "Terror" könnten indes "Volksbewegungen" insbesondere "gegen die gezielte Überfremdung des eigenen Landes" nicht aufhalten. Für die Anschläge von Mölln und Solingen, die "am allerwenigsten mit nationalen Parteien zu tun" hätten, seien "ausschließlich diejenigen verantwortlich", die "gegen den Willen der übergroßen Mehrheit der deutschen Bevölkerung aus diesem Land einen Vielvölkerstaat gemacht" hätten und nun angesichts der katastrophalen Folgen dieser "verbrecherischen Politik" Sündenböcke suchten. Angesichts dieser Agitation, die Sympathien zumindest für die Motive der Gewalttäter signalisiert, bestehen weiterhin begründete Zweifel am verbalen Bekenntnis der NPD zur Gewaltlosigkeit. 2.2 Organisation Die NPD gliedert sich derzeit in 15 Landesverbände, die wiederum in Bezirksund Kreisverbände unterteilt sind. Die ParStagnierende tei konnte die personellen Verluste der letzten Jahre nicht Mitgliederzahl egalisieren. Sie zählte Ende 1993 bundesweit wie im Vorjahr rund 5.000 Mitglieder. Parteivorsitzender ist seit Juni 1991 Günter Deckert aus Weinheim; er wurde auf dem Bundesparteitag am 18. September in Coppenbrügge/Niedersachsen in seiner Funktion bestätigt. Seine Stellvertreter sind Walter Bachmann aus Regensburg, Udo Holtmann aus Oberhausen und Thomas Salomon aus Berlin. Parteiorgan der NPD a ufseheStimme * H,llonala.jiiolir.il.eh. Betrug am deutschen ^ B ^ Z.llung V^L^ZS?S, * K"***mE':A"jjMit*n Mit" " - -DteiUrtcf-lHwii tWD WJ* Steuerzahler geht weiter! Rechtsextremismus 23 Der Landesverband Bayern mit Sitz in München zählt wie im Organisation Vorjahr rund 800 Mitglieder (ohne JN und NHB). Er gliedert in Bayern sich in sieben Bezirksund rund 50 Kreisverbände, von denen aber mehr als die Hälfte nicht aktiv ist. Landesvorsitzender ist der Diplom-Politologe Udo Voigt aus Moosburg a.d. Isar. 2.3 Aktivitäten Der Bundesparteitag der NPD, der ursprünglich am 576. Juni in Pocking, Landkreis Passau, stattfinden sollte, wurde am 3. Juni auf Veranlassung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom Landratsamt Passau verboten, weil die verfügbaren Kräfte der Polizei bereits anderweitig gebunden und daher nicht in der Lage waren, zu erwartende gewaltsame Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten wirksam zu unterbinden. Der Antrag der NPD, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen das für sofort vollziehbar erklärte Verbot wieder herzustellen, blieb vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erfolglos. Der Parteitag wurde daraufhin abgesagt. Die NPD bezeichnete das Verbot als "ungeheuerlichen Anschlag auf die Rechte einer zugelassenen demokratischen Partei" und behauptete, die Bayerische Staatsregierung habe damit "die Verfassung praktisch zur Makulatur erklärt". Solche "kriminellen Methoden" seien indes nicht geeignet, politische Veränderungen in Deutschland aufzuhalten. Unter dem Motto "Aufbruch 2000" hielt die bayerische NPD am 3. Juli in Mainburg, Landkreis Kelheim, ihren Landesparteitag ab, an dem sich rund 100 Delegierte und Gäste beteiligten. In einer einstimmig angenommenen Entschließung forderte der Parteitag den Rücktritt des bayerischen Innenministers wegen seines angeblich "rechtswidrigen Verhaltens" beim "offenkundig verfassungswidrigen" Verbot des geplanten NPD-Bundesparteitags am 576. Juni in Pocking. Der bayerische Landesvorsitzende Udo Voigt äußerte in seinem Rechenschaftsbericht, dieses Verbot zeige, daß autonome Gewalttäter im bayerischen Innenminister offenbar 24 Rechtsextremismys einen Bündnispartner gefunden hätten. Als Gastredner trat der britische Schriftsteller David Irving auf. Er kritisierte das gegen ihn im Januar 1993 von der Landeshauptstadt München verfügte eingeschränkte Redeverbot, das ihm insbesondere die Verbreitung revisionistischer Thesen untersagte, und sah in diesem "Angriff auf die Meinungsund Informationsfreiheit" einen "Beweis für die tatsächliche Ausländerfeindlichkeit in Deutschland". 2.4 Junge Nationaldemokraten (JN) IdeologischDie JN als Jugendorganisation der NPD sind nach ihrem Stapolitischer tut zur aktiven Mitarbeit in den Gremien der NPD verpflichtet. Standort Obwohl sie sich in Ideologie und Zielsetzung zum Programm unverändert der Mutterpartei bekennen, sind sie mitunter um mehr Eigenständigkeit bemüht. Auch artikulieren und verhalten sie sich in der Öffentlichkeit wesentlich aggressiver. Die JN verstehen sich als "Vorhut des anderen Deutschland, des neuen Reiches". Als "nationalistische Gesinnungsund Kampfgemeinschaft" wollen sie "nicht Bestandteil des Systems sein" sondern dieses "künstliche Gebilde der Siegermächte" durch einen "nationalistischen Volksstaat" ersetzen und auf diese Weise die "Wiederauferstehung unseres Vaterlandes, unseres Volkes, des Reiches" einleiten. Aufkleber der JN MationaWemoSn^ j NationaWemokraten ^ Postfach 1516 04 5600 Wuppertal 1 Postfach 1316 04 5600 wupoertai 1 Rechtsextremismus 25 Die durch Führungsschwächen und Mitgliederverluste beAnhaltend dingte Krise der JN hielt an. Ende 1993 zählten die JN bundesolate Lage desweit wie im Vorjahr rund 200 Mitglieder, davon etwa 50 (1992: 60) in Bayern. Auf dem 22. ordentlichen Bundeskon-, greß am 27. Februar in der Nähe von Gelnhausen/Hessen wählten die Delegierten Andreas Storr aus Berlin, der die JN seit Mitte 1992 kommissarisch geleitet hatte, zum neuen Bundesvorsitzenden. Sein Stellvertreter ist der niedersächsische Landesvorsitzende Holger Apfel aus Hildesheim. Der Landesverband Bayern gliedert sich in die beiden "Regionalen Aktionsgruppen" (RAG) Franken und München/Ebersberg; Landesvorsitzender ist Eugen Bauer, der auf dem Landeskongreß am 27. November in München zum Nachfolger von Christian Ehrenstraßer bestellt wurde. Die schwindende Zahl mobilisierbarer Aktivisten führte dazu, Sporadische daß die JN in Bayern fast nur noch mit - teilweise allerdings Aktivitäten spektakulären - Einzelaktionen in Erscheinung traten. Erwähnenswert sind insbesondere die Proteste einiger JN-Anhänger gegen die Rede des Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Bundestag auf dem Schlesiertreffen am 11. Juli in Nürnberg, die Eierwürfe führender JN-Funktionäre gegen den Bayerischen Ministerpräsidenten bei der Eröffnung der Bayreuther Festspiele am 25. Juli und die Störung der Gedenkfeier der Stadt Nürnberg zum Volkstrauertag am 14. November durch zwei JN-Aktivisten. 3 Deutsche Volksunion (DVU) 3.1 Ideologisch-politischer Standort Die DVU hat im Sommer 1993 ein neues Parteiprogramm Neu formuliertes beschlossen, das der aktuellen politischen Situation seit der Programm Wiedervereinigung Deutschlands und der Entstehung neuer Nationalstaaten in Europa Rechnung tragen soll. Im Vergleich zum bisherigen Programm sind keine durchgreifenden Änderungen in Aufbau und Inhalt erkennbar; allerdings war die Programmkommission sichtlich bestrebt, problematische Aussagen zu tilgen oder zumindest zu entschärfen, um die verfassungsfeindliche Zielsetzung der Partei noch effizienter zu 26 Rechtsextremismus tarnen. So wurden die Forderung nach einer Generalamnestie für deutsche Kriegsverbrecher und die bisherige Ehrenerklärung für die ehemalige Waffen-SS ersatzlos gestrichen; Begriffe wie "Lebensinteressen des deutschen Volkes", "antideutsche Politik" und "ausländische Einflüsse" wurden durch die Formeln "Werte des Grundgesetzes", "eine die Menschenrechte verletzende Politik" und "fremde Einflüsse" ersetzt. Neu aufgenommen sind die Forderung nach einer Revision der deutschen Ostgrenze, die Ablehnung der europäischen Einigung, insbesondere der Währungsunion sowie der Programmpunkt "Jugend und Bildung". Nach wie vor warnt die DVU vor einer angeblich von Politikern geplanten Auflösung Deutschlands in einem "Vielvölkerstaat" und tritt mit Parolen wie "Bewahrung der deutschen Identität" und "Gleichberechtigung für Deutschland" dafür ein, den Ausländeranteil zu begrenzen, den "zunehmenden Ausländerzustrom" in das Bundesgebiet zu stoppen und die "Zuweisung von Kollektivschuld oder Kollektivverantwortung" an die Deutschen einzustellen. Die am Programm nicht ohne weiteres erkennbare rechtsextremistische Grundhaltung der Partei wird vor allem an den ihr zurechenbaren Äußerungen führender Funktionäre sowie am Inhalt ihrer publizistischen Sprachrohre deutlich, die im Verlag des Bundesvorsitzenden Dr. Frey erscheinen. Diese lassen durchwegs kein systematisiertes weltanschauliches und ideologisches Konzept erkennen, sondern greifen regelmäßig Tagesthemen auf, die sie den von ihnen langjährig entwickelten Feindbildern wie etwa den "unverschämten" Polen, den "erpresserischen" Juden oder den "kriminellen" Ausländern zuordnen. Einen Agitationsschwerpunkt der letzten Jahre bildeten nationalistisch und rassistisch geprägte Kampagnen, die sich unter Verstoß gegen den Grundsatz der Menschenwürde (Art. 1 des Grundgesetzes) und das Diskriminierungsverbot des Art. 3 des Grundgesetzes vor allem gegen Asylbewerber und sonRassismus stige Minderheiten richteten. So erklärte die DVU, die "Überund Nationalismus fremdung unseres Landes" durch eine "extrem inländerfeindliche Asylpolitik" stelle eine "offene Provokation" dar. Ferner warnte sie vor einer "Entdeutschung unseres Vaterlandes" Rechtsextremismus 27 und einer angeblich geplanten "Umvolkung der Deutschen" durch Einführung des Ausländerwahlrechts und "Masseneinbürgerungen von Ausländern auch aus entfernten Kulturen". Auch nach dem Asylkompromiß und der damit verbundenen Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes setzte die Partei ihre ausländerfeindliche Hetze unverändert fort: Während Millionen Bundesbürger unterhalb des Existenzminimums vegetierten, könnten uns "nach wie vor alljährlich Hunderttausende Scheinasylanten und illegale Ausländer heimsuchen", für die wir "bald 40 Milliarden je Jahr" aufwendeten. Da für die eigenen Bedürfnisse des deutschen Volkes kein Geld vorhanden sei, werde die Familienförderung weiter reduziert, anstatt eine für die "Erhaltung unseres Volkes" ausreichende Zahl deutscher Kinder anzustreben. Einen weiteren Agitationsschwerpunkt bildeten Versuche, die NS-Apologie NS-Zeit durch Relativierung von NS-Verbrechen zu verharmlosen bzw. zu rechtfertigen. So kritisierte die Partei, daß etablierte deutsche Politiker die "massenmordenden Sieger, auf deren Kerbholz ein Großteil der über 150 Kriege seit 1945" gehe, als "Befreier" feierten. Während die Propaganda des NS-Regimes mit dessen Untergang verschwunden sei, lebten die "Lügen und Fälschungen der Sieger" in Schulund Geschichtsbüchern sowie in Medien fort. Die "Totalumerziehung" sei "bis zum Exzeß gesteigert" worden, um die Deutschen zu "willfähigen Bütteln der jeweiligen Vormacht" zu machen. Täglich veröffentliche die Meinungsindustrie ohne jede Rücksicht auf die wahren Gegebenheiten neue Lügen gegen Deutschland unter Konstruktion einer auch alle künftigen Generationen der Deutschen umfassenden "Kollektivverantwortung". Immer wieder werde das "NS-Gespenst" aus dem Grab geholt, um "Forderungen praktisch jeder Art gegen Deutschland durchzusetzen und das deutsche Volk an einem Nasenring durch die Weltgeschichte zu führen". Ein Hauptziel der Agitation war wie bisher das wesentlich Diffamierung auf der Mitwirkung der Parteien beruhende politische System demokratischer der Bundesrepublik Deutschland. So bezeichnete die DVU Institutionen demokratische Politiker und Parteien als "Polit-Schickeria", "Selbstbediener" "volksferne Ausbeuterkaste" und "Erfüllungsgehilfen obskurer Hintergrundmächte", die ihr natio- 28 Rechtsextremismus nales Empfinden "gegen einen geradezu schon exzessiven Nationalmasochismus eingetauscht" hätten. Die "bis zur Lächerlichkeit abgeschlafften alten Parteien" hätten "mit aller Arroganz der Macht eine Parteiendiktatur errichtet", in der es nur noch vorwiegend um die Verteilung von lukrativen Ämtern gehe. Die "Bonner Bonzen", die sich mit Zähnen und Klauen an ihre Schlüsselpositionen klammerten und immer anfälliger für Korruption geworden seien, hätten die moralische Legitimation zum Regieren längst verspielt. Allzu lange habe "die Egozentrik dieser Bankrotteure über Gesetz und Moral triumphiert". Auf dem glatten Parkett unserer "Bonner Oligarchie", auf dem sich bald nur noch "munter absahnende Cliquen" tummelten, werde "mit einer atemraubenden Dummdreistigkeit" lediglich ein Rückzugsgefecht nach dem anderen ausgetragen. Die "Verlotterung der politischen Kultur in diesem Lande" habe "geradezu Alptraum erzeugende Dimensionen angenommen". Niemals seit 1949 sei "so verantwortungslos drauflosregiert worden wie in diesen Tagen, in denen systematisch die Beendigung der deutschen Geschichte vorbereitet" werde. Dieser permanente verbale Rundumschlag gegen die "alten Parteien" belegt, daß die DVU ebenso wie die NPD dem Mehrparteienprinzip des Grundgesetzes ablehnend gegenübersteht. Haltung In einem auch als Flugblatt verbreiteten Beitrag in der "Deutzur Gewalt sehen Wochen-Zeitung" (DWZ) vom 18. Juni distanzierte sich deren Herausgeber Dr. Frey unter der Überschrift "Geht Deutschland unter? Auswirkungen der Solinger Morde" verbal von den Gewaltaktionen gegen Ausländer. Er bezeichnete die Täter als "Mörder", "Banditen", "psychopathische Verbrecher" und "Todfeinde unseres Volkes", die "die Horrorvision des schmutzigen Deutschen" wahrmachten und "zugleich alle Erwartungen antideutscher Geheimdienste im Übermaß" erfüllten. Die DVU wende sich entschieden gegen jenes "ehrlose Lumpengesindel", das unser Volk durch Brandanschläge nach dem Muster von Solingen in den Schmutz ziehe und die Schleusen für immer weitergehendere Forderungen der "antideutschen Lobby" öffne. Jeder Anschlag auf einen Ausländer diene der "Durchsetzung von Zielen wie Ausländerwahlrecht, doppelte Staatsbürgerschaft usw. gegen den Willen der Rechtsextremismus 29 großen Mehrheit des deutschen Volkes". Wenn sich die Anschlagsserie fortsetze, sei "die Gleichberechtigung unseres Vaterlandes in der Völkerund Staatenfamilie für lange Zeit verspielt"; dann habe in Deutschland eine "antideutsche Lobby" das Sagen. Die DVU verurteilt danach die fremdenfeindliche Gewalt in erster Linie unter dem Aspekt der Gefährdung nationaler Interessen. Vom vorrangigen individuellen Grundrecht der Opfer auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist bezeichnenderweise kaum die Rede. Ursache der Ausschreitungen ist nach Auffassung der DVU eine "lebensfeindliche Politik", die "den Zorn des Volkes zum Überkochen gebracht" habe. 3.2 Organisation Die DVU zählte Ende 1993 einschließlich der vier Jahre zuvor nach einer Satzungsänderung übernommenen 11.500 Angehörigen des gleichnamigen Vereins nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes bundesweit rund 26.000 (1992: 25.000) Mitglieder, davon wie im Vorjahr etwa 3.100 in Bayern. Bundesvorsitzender ist der Verleger Dr. Gerhard Frey aus München, der seit Frühjahr 1992 Kontakte zum Vorsitzenden der Liberaldemokratischen Partei Rußlands (LDP) Wladimir Schirinowski] unterhält. Seine Stellvertreter sind Peter Jürgensen aus Baden-Württemberg und Johann Schüler _o aus Sachsen. Ende 1993 verfügte - i:".4\cftVtVl^?^ ' die Partei in allen Bundesländern über Landesverbände. In Bayern bestehen die Bezirksverbände Oberbayern, Niederbayern, Mittelf ranf5?^~." r t j m " "HC(r) ken, Oberpfalz und Schwaben sowie $ (c) i ^ ! 9 - ." CW> 16 Kreisverbände und vier Ortsver- * chte^^d^****1' bände in München " ^ ^ ( S t l Ö ^ l Die m Verlag des Parteivorsitzenden erscheinen T \ M \ t \ t l ) ^ * * ' ^ c die "Deutsche National-Zeitung" (DNZ) und ^ * \ poU " l ^ " ^ ^ ^ r s m ' ..'"*2"" MM.E _ ^W*" die teilweise inhaltsgleiche "Deutsche Wochen-Zeitung" (DWZ). Beide fungieren als 30 Rechtsextremismus Werbeträger und publizistische Sprachrohre sowohl der Partei als auch des gleichnamigen eingetragenen Vereins. Defizitäre Die finanzielle Lage der Partei ist nach wie vor durch eine Finanzlage hohe Verschuldung gekennzeichnet. Nach dem Rechenschaftsbericht beträgt das Defizit der DVU rund 11 Millionen DM. 3.3 Wahlbeteiligung Bei der Hamburger Bürgerschaftswahl am 19. September versuchte die DVU, an die bisherigen Erfolge von 1991/1992 in Bremen und Schleswig-Holstein anzuknüpfen. Trotz eines finanziell aufwendigen Wahlkampfes, in dessen Mittelpunkt das Asylproblem stand, erreichte sie aber nur einen Stimmenanteil von 2,8 Prozent und hat damit ihr Wahlziel deutlich verfehlt. Einen ähnlichen Mißerfolg (2,7 Prozent) verzeichnete die Partei bei den hessischen Kommunalwahlen am 7. März, wo sie lediglich in Frankfurt a. M. kandidierte. Diese für die DVU enttäuschenden Ergebnisse führten an der Basis der Partei zu Forderungen nach einer Zusammenarbeit des "rechten Lagers". Dr. Frey umwarb daraufhin insbesondere die Partei "Die Republikaner" (REP) mit dem Angebot, das "Trennende zu überwinden und künftig eine gemeinsame Strategie zu erarbeiten"; seine Annäherungsversuche fanden indes keine Resonanz. 3.4 Sonstige Aktivitäten Unter dem Motto "Deutschland muß leben!" führte die DVU am 2. Oktober in der Nibelungenhalle in Passau ihre alljährliche Großkundgebung durch. Unter den rund 2.000 Besuchern befanden sich auch Gäste aus Österreich und Südtirol. Der Parteivorsitzende Dr. Frey kritisierte in seiner Rede die "ausufernde Kriminalität und Überfremdung" Deutschlands, wobei er betonte, "kriminelle Ausländer und Scheinasylanten" hätten "in Deutschland nichts verloren". Ferner propagierte er eine "deutsch-russische Partnerschaft" als Alternative zur "Unterdrückung in der EG". Besondere Beachtung Rechtsextremismus 31 fanden seine Äußerungen zur "Zukunft der deutschen Rechten". So befürwortete er eine Zusammenarbeit mit der Partei "Die Republikaner" (REP), insbesondere mit Blick auf das "Superwahljahr 1994". Als weiterer Hauptredner trat der von Dr. Frey als "Freund und Partner" bezeichnete Vorsitzende der LDP Wladimir Schirinowski] für eine Vertiefung der deutschrussischen Beziehungen ein; er bekräftigte auch eine frühere Äußerung, er werde über die Rückgabe Königsbergs an Deutschland mit sich reden lassen. 4 Deutsche Volksunion e.V. (DVU) 4.1 Ideologie und Organisation Der eingetragene Verein DVU entspricht ideologisch der Übereinstimmung gleichnamigen Partei. Nach seiner Satzung haben die Mitgliemit der DVU der außer der Zahlung monatlicher Beiträge keine weiteren (Partei) Verpflichtungen. Der Verein zählt derzeit im Bundesgebiet zusammen mit seiKonstante nen Aktionsgemeinschaften nach Erkenntnissen der VerfasMitgliederzahlen sungsschutzbehörden wie im Vorjahr rund 11.500 Mitglieder, davon etwa 2.100 in Bayern. Bundesvorsitzender ist Dr. Gerhard Frey. Seit der Gründung der DVU als Partei entwickelt Integration in der Verein kaum mehr eigene Initiativen. Nach einer Ende die DVU (Partei) 1988 beschlossenen Satzungsänderung gehören die über 16 Jahre alten Vereinsmitglieder zugleich der Partei an, sofern sie nicht widersprechen. Dadurch sollten offensichtlich die Unterschiede zwischen Verein und Partei verwischt und der Öffentlichkeit und potentiellen InteressenWerbeanzeige ! (Auszug) ten eine steile Aufwärtsentwicklung der j^Urm Partei suggeriert werden. 4t ^cPSv"r E$&2H "**PS**"** --*"""(DVU) t&tti '"'ttativ ;z>*"PS!?.i ?* v. 4.2 Aktionsgemeinschaften der DVU "SP-MT""* Die vom Verein geschaffenen Aktionsgemeinschaften, deren Mitglieds"aaSSSg"^ Wo uneic ^sif^l beiträge attraktiv niedrig gehalten werden, sind integrierte Bestandteile des Vereins Ihre Veröffentlichungen erscheinen fast ausschließlich in den 32 Rechtsextremismus Insgesamt "national-freiheitlichen" Wochenblättern von Dr. Frey. Der breites AgitationsBeitritt zu einer Aktionsgemeinschaft begründet kraft Satspektrum, aber zung gleichzeitig die Mitgliedschaft im Verein. Die Anziekaum Aktivitäten hungskraft und Gefährlichkeit dieser Propagandainstrumente beruht insbesondere darauf, daß sich ihre Aussagen nur auf Teilbereiche rechtsextremistischer Agitation beziehen und bei isolierter Betrachtungsweise vielfach nicht erkennen lassen, welche Grundhaltung hinter anscheinend unverfänglichen, auch Nichtextremisten vermittelbaren Forderungen wie z.B. "Schutz der deutschen Kultur" steht. Wie im Vorjahr traten die sechs Aktionsgemeinschaften mit eigenständigen Aktionen kaum an die Öffentlichkeit. 5 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 5.1 Ideologisch-politischer Standort Die DLVH versteht sich als Sammlungsbewegung aller "rechten" Parteien und wirbt - bislang erfolglos - für den Zusammenschluß "nationaler" Parteien und Verbände zu einer gemeinsamen Wahlpartei, um auf diese Weise alle "rechten" Kräfte zu bündeln. Sie bekennt sich zwar formal zur "Demokratie" und zum "pluralistischen Rechtsstaat". Ihr bewußt zurückhaltend formuliertes Parteiprogramm enthält gleichwohl eine nationalistische, rassistische und völkisch-kollektivistische Grundhaltung, die den Vorrang der in den Grundrechten konkretisierten Menschenrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) und das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 GG) in Frage stellt. Die Übereinstimmung mit rechtsextremistischem Gedankengut insbesondere der NPD ist offensichtlich. So lehnt die Partei "Gleichmacherei, Überfremdung und Bevormundung" ab, bekennt sich zur "Völkervielfalt" und betont die "Eingebundenheit des Menschen in Volk und Heimat" sowie die "Unterschiedlichkeit der Menschen und Nationen". Folgerichtig läßt sie auch eine nationalistisch motivierte fremdenfeindliche Grundtendenz erkennen. Nach Auffassung der DLVH ist Deutschland u.a. durch "wachsende Asylantenund Einwandererströme" infolge politischen Versagens der "Altparteien" in seinem Bestand und seinem Rechtsextremismus 33 Wohlstand bedroht. Deshalb tritt die Partei dafür ein, die Zahl der Ausländer in Deutschland zu senken und zu begrenzen, die Zahlung von Kindergeld an die deutsche Staatsbürgerschaft zu binden, Kindergartenplätze "vorrangig deutschen Kindern" zur Verfügung zu stellen sowie Arbeit, Wohnraum und soziale Versorgung "vorrangig den Einheimischen" zuzuteilen. Außerdem fordert die Partei eine "Geschichtsschreibung, die der Wahrheit entspricht und sich nicht für Kollektivschuldthesen und andere politische Manipulationen mißbrauchen läßt". Vergangenheitsbewältigung und Wiedergutmachung dürften nicht zur "politischen Erpressung" führen. Die Partei versucht damit offenbar eine Relativierung der NS-Verbrechen. Die extremistische Zielsetzung der Partei wird durch die personelle Zusammensetzung der Führungsspitze bestätigt. Dem Bundesvorstand gehören - ebenso wie dem bayerischen Landesvorstand - mehrere Personen mit rechtsextremistischer Vergangenheit zum Teil in maßgebenden Funktionen an, die bisher nicht erkennen ließen, daß sie ihre frühere politische Überzeugung geändert hätten und nunmehr demokratische Positionen anstrebten. 5.2 Organisation Die DLVH zählte Ende 1993 bundesweit rund 900 (1992: 800) Mitglieder, davon wie im Vorjahr etwa 200 in Bayern. An der Spitze der Partei stehen als qleichbef~~~ * Die Schrift wurde ab Januar 1994 von der Europa Verlag GmbH in Coburg übernommen. 34 Rechtsextremismus Landesverbände bestehen mittlerweile in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein; der organisatorische Aufbau verläuft aber nach wie vor schleppend. Vorsitzender des in die Bezirksverbände Oberbayern, Oberfranken, Mittelfranken, Unterfranken und Oberpfalz gegliederten Landesverbandes Bayern ist Werner Eichinger, der auf dem Landesparteitag am 22. September in München seinen Vorgänger Franz Glasauer ablöste. Mit der Partei personell verzahnt ist der bereits 1990 gegründete "Förderverein Vereinigte Rechte" in Landshut, der ähnlich wie die DLVH für den "Zusammenschluß nationaler Parteien und Verbände zu einer gemeinsamen Wahlpartei" eintritt. 6. Neonazismus 6.1 Allgemeines Eine besonders abstoßende Erscheinungsform des Rechtsextremismus ist nach wie vor der Neonazismus (neuer Nationalsozialismus). Er umfaßt alle Aktivitäten und Bestrebungen, die ein offenes Bekenntnis zur Ideologie des Nationalsozialismus darstellen und auf die Errichtung eines vom Führerprinzip bestimmten autoritären bzw. totalitären Staates gerichtet sind. Die Zahl der Neonazis in Bayern ist gegenüber 1992 von rund 220 auf 140 gesunken; davon gehören etwa 100 (1992: 200) den neonazistischen Organisationen als Mitglieder an. Dieser deutliche Rückgang beruht im wesentlichen darauf, daß die meisten der insgesamt etwa 100 bayerischen Mitglieder der Ende 1992 bzw. Mitte 1993 verbotenen Gruppierungen Nationalistische Front (NF), Deutsche Alternative (DA), Nationale Offensive (NO) und Nationaler Block (NB) ihre Aktivitäten eingestellt haben. Soweit sich einzelne Aktivisten der verbotenen Vereinigungen weiterhin extremistisch betätigen, sind sie nunmehr den nicht organisierten "Einzelgängern" zuzurechnen, deren Zahl in Bayern auf 40 (1992: 20) gestiegen ist. Gegen vereinzelte Versuche, den organisatorischen Zusam- Rechtsextremismus 35 menhalt verbotener Vereinigungen fortzusetzen, wurde konsequent eingeschritten. So ist gegen den früheren NO-Vorsitzenden Michael Swierczek im Zusammenhang mit der Herausgabe der Schrift "Rechtskampf" ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts eines Verstoßes gegen ein vollziehbares Vereinsverbot anhängig. Bei den rechtsextremistischen Skinheads ist eine Zunahme auf knapp 300 (1992: 240) festzustellen, die zum Teil auch auf einem verbesserten Erkenntnisstand beruht. Die 27 (1992: 33) erkannten neonazistischen Zusammenschlüsse im Bundesgebiet sind zum Teil lose Gesinnungsund Kampfkader, deren Anhänger sich teilweise auch in anderen Gruppen engagieren. Klare organisatorische Strukturen sind oft nicht erkennbar; regelmäßig dominiert jedoch ein "Führer", von dem auch der Bestand der Gruppe abhängt. Die Agitation der Neonazis richtet sich insbesondere gegen Agitationsdie vom Grundgesetz (Art. 1, 3 und 20) garantierte MenSchwerpunkte schenwürde, den Gleichheitsgrundsatz und das Demokratieprinzip. Sie ist vor allem durch Bestrebungen zur Wiedereinführung des NS-Systems, unverhohlenen Antisemitismus und sonstigen Rassismus, Verharmlosung und Leugnung der NSVerbrechen sowie durch Verherrlichung von Institutionen und Personen der Hitler-Diktatur gekennzeichnet. Einen Schwerpunkt neonazistischer Aktivitäten bilden seit Jahren die maßgeblich von Neonazis getragenen Veranstaltungen zum Gedenken an den 1987 verstorbenen "Stellvertreter des Führers" Rudolf Heß. Militante fremdenfeindliche Aktionen belegen eine massive Ablehnung des verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbots. In neonazistische Aktivitäten sind neben Skinheads häufig auch andere militante Rechtsextremisten eingebunden. Der überwiegende Teil der Skinheads, der eine zumindest unterschwellig von rassistischer Ausländerfeindlichkeit und übersteigertem Nationalbewußtsein geprägte Einstellung aufweist, ist wie bisher dem unorganisierten Neonazismus zuzurechnen. In letzter Zeit wurden Rechtsextremisten zunehmend das Ziel Anti-Antifavon Gewaltaktionen linksextremistischer Gruppierungen, insBewegung besondere von "Autonomen", die auf diese Weise den "anti- 36 Rechtsextremismus faschistischen Kampf" beleben wollen. Als Reaktion darauf betrieb das neonazistische Spektrum die Gründung einer "Anti-Antifa-Bewegung", die derzeit ein wesentliches Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Neonazigruppen darstellt. Ziel dieser Kampagne ist zum einen die logistisch vorAufkleber ----p bereitete Bekämpfung politischer Gegner, zum nale anderen die Mobilisierung von Anhängern des s i ertdieW'0' Orga"" rechtsextremistischen Lagers zu einer organisationsübergreifenden Aktionsgemeinschaft. So erschien Ende November erstmals die über eine Postfachadresse in Dänemark anonym vertriebene Schrift "Der Einblick" mit dem Untertitel "Die nationalistische Widerstandszeitschrift gegen zunehmenden Rotfrontund Anarchoterror". Das Druckwerk will "alle aufbauenden Kräfte in diesem Land zum Widerstand gegen den politischen und weltanschaulichen Gegner aus der militanten Linken solidarisieren". Die Schrift veröffentlichte - nach Regionalbereichen gegliedert - zahlreiche Anschriften von tatsächlichen oder vermeintlichen Linksextremisten und deren Einrichtungen. Die Verfasser betonten, diese Veröffentlichungen über die "linke Gewalttäterszene" müßten "entsprechende Konsequenzen für unsere Gegner haben"; es gelte nunmehr, diese Kriminellen zu entlarven und sie "mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln" zu bestrafen (vgl. 4. Abschnitt Nr. 2.3). Neue InformationsSeit März 1993 finden sich im rechtsextremistischen, insbeund Kommunisondere neonazistischen Spektrum Ansätze einer kommunikationssysteme kativen Vernetzung. Eine bedeutende Rolle beim Aufbau geeigneter Infrastrukturen für die Anti-Antifa-Arbeit spielen die "Nationalen Info-Telefone" bei denen über Anrufbeantworter Nachrichten abgerufen werden können. Initiator der "Anti-Antifa"-Kampagne war der Hamburger Neonazi Christian Worch, der über einschlägige Erfahrungen im Einsatz moderner Kommunikationsmittel verfügt. Er nimmt mittlerweile eine zentrale Position im neonazistischen Spektrum ein und ist bestrebt, die rechtsextremistische Szene aktionistisch und informationell zusammenzuführen. Zur Förderung ihrer informationellen - nicht organisatorischen - Vernetzungsbestrebungen setzen Rechtsextremisten Rechtsextremismus 37 neben Info-Telefonen inzwischen auch verstärkt Mailboxen und deren Zusammenschluß in Form des "Thule-Netzwerks" ein, durch die den Benutzern ("Usern") je nach Art und Umfang ihrer Zugangsberechtigung bestimmte Informationen zugänglich sind. In dem dazu erforderlichen zentralen Rechner existiert neben einem für alle User offenen Bereich für jeden einzelnen ein eigenes "Postfach", in dem nur für ihn bestimmte Nachrichten enthalten sind. Umgekehrt können die User auch eigene Informationen in die Mailbox einstellen bzw. an bestimmte andere Benutzer richten. Auf diese Weise ist auch eine abgeschottete direkte Kommunikation zwischen einzelnen Benutzern möglich. 6.2 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) In ihrem Programm "Unser Weg in das neue Jahrtausend" Ideologische propagiert die FAP den "völkischen Sozialismus" und orienOrientierung tiert sich mit Parolen wie "Europäischer Gemeinnutz geht vor an der NSDAP europäischem Eigennutz" in kaum verhüllter Weise an Grundzügen des NSDAP-Programms vom 24. Februar 1920. Diese für das Gesamterscheinungsbild der Partei typische, die Verfassungsfeindlichkeit begründende Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus zeigt sich in zahlreichen weiteren Aussagen der Partei. So fordert die FAP eine "gesetzliche Kontrolle der Zinswirtschaft", um das "mühelose Einkommen" der Unternehmer, Aktionäre und Banken zu begrenzen, und vertritt die Auffassung, der "Schaffende" als "wichtigster Faktor innerhalb der Volkswirtschaft" verdiene mehr Anerkennung. Soziale Probleme sollten nach Vorstellung der FAP durch "Gemeinschaftssinn statt Klassenkampf und Ausbeutung", insbesondere durch eine "Mitbeteiligung des Arbeiters" am Betriebskapital und den Produktionsmitteln, gelöst werden; "Gemeinschaftsschädlinge" seien "nötigenfalls durch Enteignung" zur Verantwortung zu ziehen. Der Arbeitslosigkeit will die FAP mit einem "Arbeitsund Sozialdienst" begegnen. Ferner wendet sie sich gegen eine angeblich drohende "massive Völkervermischung" und tritt für eine "Ausländerrückführung nach Volksabstimmung" sowie für einen strikten "Einwanderungsstop für Ausländer" ein. Die 38 Rechtsextremismus Stunde habe geschlagen, da "das ganze schaffende Deutschland die marxistischen Lumpen und Gauner sowie die Unterwerfungslakaien und Verfassungsverächter aller Schattierungen von sich schütteln" und sich wieder in der "Volksgemeinschaft eines freiheitlichen, antiimperialistischen und klassenlosen Volksstaates" zusammenfinden müsse. Flugblatt der FAP FW Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei Postfach 10 05 31 * 4600 Dortmund 1 Rechtsextremismus 39 Die FAP war bis 1983 eine völlig unbedeutende Partei. Anfang Organisation 1984 begannen Anhänger der im Dezember 1983 verbotenen neonazistischen Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA), die FAP zu unterwandern und für ihre Ziele umzufunktionieren. Die Partei nahm seit 1986 eine von heftigen internen Differenzen gekennzeichnete Entwicklung. Nach einer längeren, insbesondere durch Führungsschwächen bedingten Rezessionsphase konnte die FAP ihre organisatorischen Strukturen mittlerweile festigen. Sie zählt bundesweit rund 430 (1992: 150) Mitglieder, davon wie im Vorjahr etwa 15 in Bayern. Die bundesweit höheren Zahlen im Vergleich zum Vorjahr beruhen indes im wesentlichen nicht auf einem realen Mitgliederzuwachs, sondern auf einem verbesserten Erkenntnisstand. Bundesvorsitzender ist seit 1988 Friedhelm Busse aus München. Einzige Untergliederung in Bayern ist der nur wenig aktive Kreisverband Aschaffenburg. Auf einem außerordentlichen Bundesparteitag am 10. Juli in Thüringen erklärte der FAP-Vorsitzende Busse, "Endziel der Partei" sei es, die "gesamte Macht in Deutschland" zu übernehmen. Falls dies gelinge, werde es zwar keine Konzentrationslager, aber "Arbeitslager" geben, wo "die Feinde des deutschen Volkes und vor allem die Ausländer nutzbringende Arbeit verrichten" sollten. "Feinde" der Partei wie etwa Polizeipräsidenten, die jemals eine Veranstaltung der FAP verboten hätten bzw. Zeitungsverleger wie die Verleger der Bildzeitung, die gegen rechte Parteien hetzten und die multikulturelle Gesellschaft propagierten, müßten nach der Machtübernahme mit dem Tod durch Erschießen rechnen. Die Bundesregierung beschloß am 2. September, ein Verbot Verbotsanträge der FAP beim Bundesverfassungsgericht zu beantragen. Im Vollzug dieses Beschlusses stellte der Bundesminister des Innern mit Schriftsatz vom 15. September den Antrag, das Bundesverfassungsgericht möge die Verfassungswidrigkeit der Partei feststellen, die Partei auflösen, die Bildung von Ersatzorganisationen verbieten und das Vermögen der FAP einziehen. Kurz danach stellte auch der Bundesrat auf Initiative Niedersachsens und Bayerns einen entsprechenden Verbotsantrag. 40 Rechtsextremismus 6 3 Nationaler Block (NB) Dem von Manfred Eichner geleiteten NB gehörten zuletzt Dürftiges rund 40 Aktivisten an. Der NB forderte eine "Gemeinschaft Programm aller Deutschen" und die Errichtung eines "Deutschen Reimit verdeckter ches" unter Einschluß aller ehemals "von deutscher Mehrheit neonazistischer besiedelten Gebiete" auf der Grundlage des "SelbstbestimZielsetzung mungsrechts der Völker". Diese Ziele erinnerten an Punkt 1 des NSDAP-Programms vom 24. Februar 1920. Sie ließen in der darin zum Ausdruck kommenden mangelnden Distanz zur nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine tendenzielle Ablehnung der auf Ausgleich und Völkerverständigung angelegten verfassungsmäßigen Grundordnung (vgl. Art. 9 und 26 GG) erkennen. Dies ergab sich auch aus der offenbar auf eine Rehabilitierung des Nationalsozialismus zielenden Forderung nach der "Entwicklung eines Revisionismus, der mit der vorherrschenden Geschichtsschreibung bricht und neu deutet". Nach Vorstellung des NB hatte die Wirtschaft "dem Volke zu dienen" Deutsche Arbeitsplätze seien für deutsche Arbeiter bestimmt; "Fremdarbeiter und Wirtschaftsflüchtlinge" seien "in ihre Heimatländer zurückzuführen". Ferner propagierte der NB die "Erhaltung des deutschen Volkes" und die Erziehung der deutschen Jugend zur "Pflichterfüllung in der Gemeinschaft des deutschen Volkes". Als weiteres Ziel erstrebte er die Wiedereinführung der Todesstrafe für Kindermord, Rauschgifthandel und Landesverrat. Verbot Das Bayerische Staatsministerium des Innern verbot am 7. Juni den organisatorisch und in seiner wesentlichen Tätigkeit auf Bayern beschränkten Verein, weil er nach seinem Gesamtbild Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus zeigte und sich in aggressiv-kämpferischer Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtete. Im Vollzug des Verbots durchsuchte die Polizei am 11. Juni die Wohnräume von neun Funktionären und Aktivisten in Oberbayern, Niederbayern und Oberfranken. Dabei konnten umfangreiches Schriftund Propagandamaterial (u.a. Fahnen, Plakate und Aufkleber des NB), ein Computer, Videobänder sowie zwei geladene Schreckschußpistolen und ein Baseballschläger sichergestellt werden. Das Verbot wurde inzwischen vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bestätigt. Rechtsextremismus 41 6.4 Die Deutsche Freiheitsbewegung (DDF) Die DDF propagiert die Identität von "Staat und Volk". Ihrer NS-Apologie, Staatsidee zufolge soll sich der Wille des Volkes in der Person Rassismus und eines "Führers" bündeln, der "vom Volk, nicht von Parteien Diffamierung an die Spitze des Staates gewählt wird" und als "Willensdemokratischer vollstrecker des Volkes" fungiert. Die heutige Demokratie Institutionen wurde als "Pöbelherrschaft" bzw. als "Machtausübung durch Elemente der Gosse" diffamiert; sie habe sich "als das beste Instrument zur Willensunterdrückung von Nationen und Völkern" erwiesen. Nach Ansicht der DDF wurde der NS-Staat "leider in seiner Entwicklung zum idealen Volksstaat hin von einem verbrecherisch gegen ihn angezettelten Krieg überrollt und in seiner Vollendung verhindert". Das derzeitige "System", das bereits von innerer Fäulnis befallen sei, könne "nur durch einen Volkssturm, durch eine allen Dreck hinwegspülende Volksbewegung beseitigt werden". Unsere "Ausverkaufspolitiker", die das deutsche Volk behandelten, als ob sie die "Enkel von Verbrechern" regierten, zählten als "Totengräber unserer Freiheit" zum "Abschaum" und könnten ihre Macht "nur mit Zustimmung des ,Drecks von der Straße' aufrecht erhalten". Die "Revolution" von morgen beginne in den Herzen und Hirnen von einigen wenigen Überzeugungsträgern der "völkischen St ---. >mme rf- - unb V*-" *deg"v"*""" Idee". Ferner wandte sich die DDF i*"Bi".n t , > % u tschen tit gegen den "selbstzerstörerischen e ' 9ung" ( Weg '"Ove: der Gleichmacherei" und betonte die Bedeutung der "Volksgemeinschaft" die auf einer "gottgewollten' Abwehrhaltung gegenüber dem "Eindringen fremder Erbträger in den in sich geschlossenen Rasseverband" beruhe. Wenn "unseres Volkes Blut erst in den Adern einer Mischlingsgesellschaft" fließe, sei eine Rückkehr zu den "Empfindungen einer germanischen Seele" nicht mehr möglich. Damit zeigt die DDF ihre geistige Nähe zum Nationalsozialismus. Die DDF zählt bundesweit rund 140 (1992: 160) Mitglieder, Organisation davon wie im Vorjahr etwa 40 in Bayern. Vorsitzender der unverändert Vereinigung ist Georg Albert Bosse. Er ist zugleich Herausge- 42 Rechtsextremismus ber ihres Organs "Recht und Wahrheit", in dem vor allem die deutsche Kriegsschuld bestritten, Führungspersonen des Dritten Reiches glorifiziert und NS-Verbrechen geleugnet wurden. 6.5 Neonazistisches Potential bei Skinheads Die in Großbritannien entstandene, Ende der 70er Jahre erstmals auch im Bundesgebiet in Erscheinung getretene Skinhead-Bewegung war ursprünglich eine jugendliche Subkultur, deren äußeres Erscheinungsbild eine extreme AblehWeltanschauung nung der bürgerlichen Gesellschaft signalisiert. Obwohl und " PolitikSkinheads zu einer rational bestimmten politischen Meiverständnis" nungsbildung häufig nicht fähig und deshalb an einer fundierten politischen Auseinandersetzung kaum interessiert sind, hat sich in diesen Kreisen inzwischen eine vom organisierten Rechtsextremismus unabhängige diffuse rechtsextremistische Weltanschauung herangebildet, die vielfach von rassistischer Ausländerfeindlichkeit und übersteigertem Nationalbewußtsein geprägt ist und das Handeln motiviert. Diese Einstellung, die vor allem wegen ihrer rassistischen Grundhaltung an wesentliche Elemente des Nationalsozialismus anknüpft, ist indes regelmäßig nicht verstandesmäßig geprägt und spiegelt sich daher nicht in einer programmatisch-ideologischen Ausrichtung, sondern meist in spontanen, vielfach militanten Aktionen wider. Einfluß der Die von Skinhead-Bands vorgetragene sogenannte "OiSkinhead-Bands Musik" ist das wichtigste Medium der Szene und übt einen und "Fanzines" anhaltenden rechtsextremistischen Einfluß aus. Die Liedertexte solcher Gruppen diffamieren und bedrohen Ausländer, propagieren Gewalt und verbreiten nationalistisch-rassistisches Gedankengut bis hin zur Glorifizierung des Nationalsozialismus. Der "typische" Skinhead wird darin als "Faschist" und "Rassist" idealisiert, der die Feinde der Nation bekämpft und die nordisch-arische Rasse gegen eine "Vermischung" mit fremden Rassen verteidigt. Auch die intern verbreiteten Skinhead-Publikationen ("Fanzines") weisen vielfach rechtsextremistische Bezüge auf. Der Einfluß rechtsextremistischen Gedankenguts auf die Skinheadszene hat im Berichtsjahr kontinuierlich zugenommen. Rechtsextremismus 43 Schwerpunkte der Skinheads in Bayern Regionale Verteilung (in Prozenten) 44 Rechtsextremismus Gewaltbereitscha ft Hemmungslos praktizierte Gewalt ist das bevorzugte Mittel der von Skinheads auf der Straße ausgetragenen "politischen" Auseinandersetzung mit tatsächlichen oder vermeintlichen Gegnern. Als "Vorbild" für den "Straßenkampf" um die - nach Auffassung der Skinheads bislang nur vom NSRegime erfolgreich verwirklichte - Vorherrschaft der weißen Rasse dient dabei der SA-Mann. Die Brutalität und Härte, mit der die ehemalige SA gegen politische Gegner vorging, findet erheblichen Anklang und spornt zur Nachahmung an. Gewalttaten von Skinheads richten sich vor allem gegen "Linke", Homosexuelle sowie Asylbewerber und andere Ausländer, aber auch gegen Stadtstreicher und Obdachlose, die als "undeutsche Gestalten" angesehen werden. Selbst vor Behinderten, die sie im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie als "lebensunwert" betrachten, macht ihre Gewalt nicht halt. Wie bei keiner anderen jugendlichen Subkultur haben sich hier Militanz und exzessiver Alkoholgenuß in Verbindung mit einer innerhalb der Szene eigenständig gebildeten rechtsextremistischen Weltanschauung zu einer erheblichen Gefahr für die innere Sicherheit entwickelt. Werbeversuche Die von organisierten Rechtsextremisten versuchte Rekrutievon rung von Skinheads scheiterte meist daran, daß dieser PersoRech tsextremisten nenkreis institutionelle Bindungen grundsätzlich ablehnt und sich auch nicht auf Dauer für das politische Konzept von straff organisierten Gruppen und Parteien vereinnahmen läßt. Trotz partieller inhaltlicher Berührungspunkte sind daher nachhaltige Werbeerfolge - abgesehen von in Bayern festgestellten gemeinsamen Stammtisch-Treffs von Skinheads und Neonazis - bislang durchwegs ausgeblieben. n der Bundesrepublik Deutschland gibt es derzeit rund 5.600 (1992: 6.400) militante Rechtsextremisten, insbeson^"i*' dere rechtsextremistische Skinheads. Der Rückgang gegenüber dem Vorjahr beruht im wesentlichen auf A.,./ einer statistischen Bereinigung. In Bayern sind - auch tv aufgrund eines verbesserten Erkenntnisstands - mittlerweile rund 300 (1992: 240) Skinheads mit rechtsextremistischem Hintergrund bekannt, darunter auch die Mitglieder der Skinhead-Band "Sturmtrupp" in Neuburg a.d.Donau. Obwohl die Szene Rechtsextremismus 45 auf nationaler und zum Teil auch auf internationaler Ebene verflochten ist, waren bisher keine festen Organisationsstrukturen mit formellen Anführern erkennbar. Rechtsextremistische Skinhead-Bands und deren Verleger waExekutivren am 3. Februar Ziel von bundesweit koordinierten Strafmaßnahmen und verfolgungsmaßnahmen u.a. wegen Verdachts der GewaltStrafverfahren darstellung, Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß. In sieben Bundesländern durchsuchte die Polizei Wohnungen und Übungsräume von zehn Bands sowie die Geschäftsräume von zwei Verlagen, die Tonträger mit Skinheadmusik vertreiben. Dabei wurde umfangreiches Beweismaterial wie Tonträger, Videofilme und Schriftverkehr sichergestellt. Einer der Schwerpunkte war die Durchsuchung der Wohnund Geschäftsräume des Inhabers der Vertriebsfirma "Rock-o-Rama" in Köln und Brühl, die Tonträger von zahlreichen inund ausländischen Skinhead-Bands anbietet. In Bayern richtete sich die Aktion "Notenschlüssel" gegen zwei Objekte von Mitgliedern der inzwischen aufgelösten Nürnberger Skinhead-Band "Radikahl" in Erlangen und Nürnberg. Dabei konnte die Polizei Versandbelege und Musikkassetten mit dem Lied "Hakenkreuz" sicherstellen. Das Landgericht Nürnberg-Fürth verhängte am 30. März gegen die vier Mitglieder der Nürnberger Skinheadband "Radikahl" Geldstrafen zwischen 7.200 und 10.800 DM wegen Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen. Die Band hatte im Januar 1991 das Demotape "Retter Deutschlands" aufgenommen und in einer Auflage von über 500 Stück in Umlauf gebracht. Das darauf enthaltene Lied "Hakenkreuz", das eine musikalische Huldigung an die Hakenkreuzflagge darstellt und "Rache für Heß" fordert, hatte sie wiederholt in Konzerten vorgetragen. Als zweite bundesweite Exekutivmaßnahme gegen die rechtsextremistische Skinhead-Szene wurde am 15. Juli in sechs Bundesländern die Aktion "Druckstock" durchgeführt. Sie richtete sich gegen die Herausgeber von rechtsextremistischen Skinhead-Schriften ("Fanzines") und die Inhaber eines Versandhandels rechtsextremistischer Skinhead-Materialien. U.a. wegen des Verdachts der Verwendung von Kennzeichen 46 Rechtsextremismus verfassungswidriger Organisationen, der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole, der Volksverhetzung sowie des Verdachts des Anbietens indizierter Schriften und Schallplatten durchsuchte die Polizei die Wohnungen und Geschäftsräume von vierzehn Personen. Sichergestellt wurden neben einer Reihe von Fanzines, die z.T. bisher unbekannt waren, auch Bildund Tonträger sowie Geschäftsunterlagen. Auch diese Aktion, von der Bayern nicht betroffen war, hatte eine nachhaltige Verunsicherung der Skinhead-Szene zur Folge. Im Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, des Abspielens von indizierten Schallplatten mit Skinheadmusik und eines Verstoßes gegen das Waffengesetz durchsuchte die Polizei am 7. August eine Diskothek in Otzing, Landkreis Deggendorf, zu der zeitweise nur Skinheads Zutritt hatten. Die Beamten nahmen 43 Personen vorübergehend fest. Außerdem wurden Tonträger, die zum Teil indiziert sind, sichergestellt sowie Waffen und NS-Propagandamaterial beschlagnahmt. 14 der vorläufig Festgenommenen sind bereits als Teilnehmer an Gewaltaktionen gegen Ausländer bekanntgeworden. 6.6 Neonazistische, antisemitische und sonstige rassistische Vorfälle* Die Gesamtzahl der bekanntgewordenen neonazistischen, antisemitischen und rassistischen Vorfälle ist in Bayern gegenüber dem Vorjahr erheblich, nämlich von 484 auf 699, d.h. um 44 %, gestiegen. Nicht mitgezählt sind dabei weitere äußerlich vergleichbare Fälle, in denen ein rechtsextremistisches Motiv nicht vorhanden oder nicht erkennbar war (z.B. beim Verwenden von NS-Symbolen als Mittel der politischen Diffamierung). Meist handelte es sich um Schmierund Klebeaktionen, bei denen Hakenkreuze und SS-Runen gesprüht oder Parolen wie "Heil Hitler", "Sieg Heil" und "Ausländer raus" verbreitet wurden. * ohne die im 4'. Abschnitt genannten Gewalttaten Rechtsextremismus 47 So wurden am 23. Januar in Cham Flugblätter mit einem Hakenkreuz und Aufschriften wie "Asylanten raus" und "Jeder Asylant ist ein Schmarotzer unserer Gesellschaft" festgestellt. In der Nacht zum 16. Mai beobachtete ein Zeuge in Augsburg vier junge Männer, die vor dem Bert-Brecht-Haus das "Horst-Wessel-Lied" sangen, den "Hitlergruß" zeigten und "Sieg Heil" riefen. Danach entfernten sie sich in einem Lieferwagen, wobei sie Parolen wie "Ausländer raus" und "Rotfront verrecke" riefen. In der Nacht zum 3. Juni wurde die Fassade der israelitischen Kultusgemeinde in Amberg mit einem Davidstern und den Worten "Judenschweine", "Juden raus aus Deutschland", "Haß und Tod den Juden!" und "Drecksjude verrecke!" beschmiert. Unbekannte Täter beschmierten zwischen dem 9. und 12. Juli die Fahrradhalle einer Schule in Ingolstadt mit einem Hakenkreuz, einem Keltenkreuz und Parolen wie "Ausländer raus aus Deutschland", "Heil Hitler unserem Führer" und "Hoch mit den Türken, an jeden Baum einen". Mitte September stellte die Polizei fest, daß unbekannte Täter in einer Unterführung in Freising Hakenkreuze und Parolen wie "Ausländer raus", "Rotfront verrecke" und "Stoppt Tierversuche - Nehmt Ausländer" geschmiert hatten. Am 9. November und 14. Dezember wurden in München bzw. Abensberg, Landkreis Kelheim, Hakenkreuzaufkleber mit der Aufschrift "Die Juden sind unser Unglück!" verbreitet. Anlässe für Ermittlungsverfahren waren auch das Tragen von NS-Symbolen an Kleidungsstücken, die Beschädigung jüdischer Gedenkstätten sowie anonyme Beleidigungen und Bedrohungen aus rassistischen bzw. antisemitischen Motiven. Eine Aufklärung gelang in rund 42% (1992: 20%) der Fälle. Unter den ermittelten 331 Tätern (1992: 171) befanden sich 144 Jugendliche/Heranwachsende. 7. Sonstige rechtsextremistische Organisationen 7.1 Wiking-Jugend (WJ) Die WJ ist eine straff nach dem Führerprinzip geleitete, "Nordland"volkstreue nordländische" Jugendorganisation, die sich als Ideologie" 48 Rechtsextremismus "heranzubildende Elite" versteht und ihre "kämpferische" Weltanschauung betont. Sie bekennt sich zu einer "Lebensgemeinschaft auf völkischer Grundlage" und betrachtet das Gesetz der "Auslese alles Starken und Gesunden" in sozialdarwinistischer Weise als "entscheidende Kraft im Leben". Mit dem herausragenden Rang der in den Grundrechten konkretisierten Menschenrechte, die gerade für die Schwachen und Kranken von besonderer Bedeutung sind, ist dieses Bekenntnis unvereinbar. Die WJ sieht sich zudem in der Tradition der ehemaligen "Hitlerjugend" und läßt auf diese Weise mangelnde Distanz zum Nationalsozialismus erkennen. Organisation Die in "Gaue" gegliederte WJ mit Sitz in Stolberg/Nordrheinunverändert Westfalen zählt wie im Vorjahr bundesweit rund 400 Mitglieder, davon etwa 30 in Bayern. "Bundesführer" ist seit Juli 1991 Wolfram Nahrath. In Bayern bestehen die Gaue "Bayern" in Freising und "Franken" in Stockstadt, Landkreis Aschaffenburg. Öffentliche Aktivitäten in Bayern waren nicht erkennbar. 7.2 Gesellschaft für Freie Publizistik (GFP) Die von ehemaligen SSund NSDAP-Angehörigen gegründete GFP stellt vor allem ein Podium für Publizisten dar, die rechtsZielsetzung extremistisches Gedankengut vertreten. Sie will in einer angeblich "durch Siegerrechte und Besiegtenpflichten beschränkten Öffentlichkeit" eine "Freistatt für den deutschen Gedanken und das deutsche Wort" schaffen und erhalten. So wendet sie sich gegen die "Entstellungen in der deutschen Geschichtsbetrachtung" und die "unwahren Darstellungen der Ursachen und Hintergründe beider Weltkriege" sowie "gegen jede Unterdrückung der Meinungsvielfalt". In Wirklichkeit scheint sich ihr "geistiger Kampf" in erster Linie gegen die Indizierung rechtsextremistischer Veröffentlichungen durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften zu richten. Ihre verfassungsfeindliche Zielsetzung ergibt sich u. a. aus der Mitgliedschaft führender Aktivisten rechtsextremistischer Organisationen, insbesondere der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und der Verbreitung deren Gedankenguts bei Vorträgen. Rechtsextremismus 49 Die Vereinigung, die ihren Sitz in München hat, zählt im Mitgliederstärkste Bundesgebiet wie im Vorjahr rund 420 Mitglieder, davon rechtsextremistische etwa 40 in Bayern. Vorsitzender ist seit Mai 1992 der frühere Kulturvereinigung "Chefideologe" der NPD Dr. Rolf Kosiek. Als Organ der GFP erscheint vierteljährlich die Schrift "Das Freie Forum" in einer Auflage von rund 700 Exemplaren. Unter dem Motto "Volk und Rechtsstaat in Gefahr - Grundrechte und Verfassungswirklichkeit" hielt die GFP vom 7. bis 9. Mai in Schmiedefeld/Thüringen ihren "4. Gesamtdeutschen Kongreß" ab. In einer Entschließung kritisierten die rund 200 Teilnehmer angebliche Bestrebungen, das deutsche Volk durch "Masseneinwanderungen und Masseneinbürgerungen in eine multikulturelle und multiethnische Gesellschaft zu verwandeln", und riefen dazu auf, der "Erhaltung des deutschen Volkes" höchsten Verfassungsrang einzuräumen. 7.3 Freundeskreis Ulrich von Hutten Der von Rechtsextremisten gegründete Freundeskreis Ulrich von Hutten vertritt rechtsextremistische, insbesondere rassistische Thesen und verbreitet Äußerungen, die das NS-Regime verharmlosen und die Bundesrepublik Deutschland verunglimpfen. Die Vereinigung zählt wie im Vorjahr bundesweit rund 300 Mitglieder, davon etwa 30 in Bayern. Vorsitzende ist die Präsidentin der Deutschen Kulturgemeinschaft (DKG) in Österreich Lisbeth Grolitsch. Wie im Vorjahr trat der Freundeskreis vorwiegend mit der Herausgabe und Verbreitung der Schrift "Huttenbriefe - für Volkstum, Kultur, Wahrheit und Recht" in Erscheinung. Darin diffamierte er demo kratische Politiker als "Rattenfänger" und "Karnevalsdemokraten" und behauptete, die Ausländerpolitik des "Bonner Altparteienkartells" liefere uns einem Experiment aus, dessen Ausgang "nur der Volkstod des gewachsen sehen Volkes sein" könne. Darüber hinaus nähmen die "Bonner Machthaber" das gesamte deutsche Volk in alle Ewigkeit 50 Rechtsextremismus in Haftung für Taten, die es nicht begangen habe und die durch die Wahrheit zu widerlegen man ihm nicht erlaube, und stellten es auf diese Weise "vor aller Welt als eine Verbrecherbande" hin. 8. Organisationsunabhängige Publizistik Rückgang der Die sechs (1992: sieben) Verlage, Vertriebsund Buchdienste Auflagenzahlen in Bayern, die Publikationen mit rechtsextremistischem Inhalt herausgeben bzw. verbreiten, entwickelten 1993 wiederum eine beachtliche Tätigkeit. Die Auflage der periodisch herausgegebenen einschlägigen Druckschriften ging zwar gegenüber dem Vorjahr um nahezu zehn Prozent zurück, betrug aber immer noch monatlich 330.000 (1992 : 365.000) Exemplare, wobei erhöhte Auflagen zu besonderen Anlässen nicht eingerechnet sind. Das Angebot umfaßte außerdem Bücher mit rechtsextremistischem Inhalt sowie Schallplatten, Tonkassetten und Videofilme. DSZ-Verlag als Wirkungsvollstes Propagandainstrument des RechtsextremisSchwerpunkt der mus in der Bundesrepublik Deutschland ist weiterhin die rechtsextremistiDruckschriftenund Zeitungsverlag GmbH (DSZ-Verlag) schen Publizistik in München unter der Leitung von Dr. Gerhard Frey. Im Verlag erscheinen die "Deutsche National-Zeitung" (DNZ) mit einer Wochenauflage von etwa 50.000 ^nd (1992: 52.000) und die "Deutsche PS"-* Wochen-Zeitung" (DWZ), die im Untertitel den Namen des Ende 1990 eingestellten "Deutschen Anzeigers" \ führt, mit wöchentlich rund 30.000 (1992: 32.000) Exemplaren. Bei , Werbeaktionen werden die Aufagen beträchtlich erhöht. Dr. fond Deuts? e (Sei"9 Frey ist auch Geschäftsführer dniss der Freiheitlichen Buchund Zeitschriftenverlags GmbH (FZ-Verlag) in München, > ^ V TUBU"1 deren Buchdienst Werke ge- K ^ ^ ^ n nSoldaten" a c h Ha" titsche gen "Geschichtslügen" und "Umerziehung" anbot. Rechtsextremismus 51 Die Wochenzeitungen Dr. Freys, die auch als Sprachrohre der DVU fungieren, betrieben wiederum, wie auch in den Vorjahren, unverändert militant-ausländerfeindliche Hetze. So wandten sie sich gegen "das Treiben Hunderttausender Asylbetrüger, Sozialschmarotzer und anderer krimineller Ausländer", die "aus der Bundesrepublik einen Selbstbedienungsladen machen" wollten, und behaupteten, die Umsetzung des Maastrichter Vertrages würde "das Ende der Bundesrepublik Deutschland als eigenständigem Staat bedeuten". Die Abschaffung der Deutschen Mark, die Einführung des Ausländerwahlrechts sowie die totale Öffnung der Grenzen seien "die vorgesehenen Stationen auf dem Weg zum deutschen Selbstmord". Ferner polemisierten sie gegen die fortdauernde "systematische Umerziehung" des deutschen Volkes und betonten, die "Kommerzialisierung des jüdischen Leidens in den furchtbaren KZs" sowie die "Inflation von HolocaustMuseen" und gleichartiger Einrichtungen zur "Anprangerung Deutschlands" seien selbst im Ausland nicht mehr unumstritten. Neben der "Unzahl einseitig die deutsche Seite belastender Gedenkstätten und Ehrenmale in Deutschland" übernehme die Bundesrepublik Deutschland nun zunehmend die Finanzierung solcher Einrichtungen auch im Ausland. Auf diese Weise werde die sanierungsbedürftige KZ-Gedenkstätte Auschwitz zum "Millionengrab deutscher Steuergelder" In der Nation Europa Verlags GmbH in Coburg erscheint die Monatsschrift "Nation und Europa - Deutsche Monatshefte" in einer Auflage von rund 15.000 Exemplaren. Herausgeber sind seit Anfang 1992 der Funktionär der Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) Peter Dehoust, der frühere NPDVorsitzende Adolf von Thadden und der Vorstandssprecher der DLVH Harald Neubauer. Der Verlag wird von dem 1954 gegründeten Verein "Nation Europa-Freunde" finanziell unterstützt. Gesellschafter des Verlages und Vorsitzender des Unterstützungsvereins ist Peter Dehoust. 52 Rechtsextremismus Die Schrift wandte sich gegen die "Bonner Parteienclique", die "fremden Interessen unterworfen" sei und einen "stillen, aber konsequenten Krieg gegen das eigene Volk" führe. Dem derzeitigen "System" gehe es längst nicht mehr um deutsche Interessen, sondern vielmehr um die "möglichst gründliche und möglichst baldige Liquidierung des deutschen Volkes und seiner Lebensmöglichkeiten". Ursache der zunehmenden Gewalt sei die alle Traditionen und Bindungen einer intakten Volksgemeinschaft zerstörende liberalistische Gesellschaftspolitik des herrschenden Parteienkartells. Aus dem zeitgebundenen repräsentativen Mandat habe sich eine "auf Dauer angelegte, repressive Vormundschaft" entwickelt. Wahlen dienten dabei lediglich der "Wahrung demokratischen Scheins". Die "Inhaber jenes Herrschaftsmonopols, das sich in den letzten vier Jahrzehnten durch Inzucht und Vetternwirtschaft auf sämtlichen Führungsebenen etabliert" habe, wollten "des Volkes Willen nicht vollziehen, sondern brechen", und mit blankem Meinungsterror vollendete Tatsachen schaffen. Rechtsextremismus 53 9. Revisionismus-Kampagne 9.1 Ziele und Methoden Als Revisionismus im weiteren Sinne werden in einem ursprünglich von Rechtsextremisten verwendeten Sprachgebrauch Bestrebungen bezeichnet, die angeblich in der Nachkriegszeit falsch dargestellte Geschichte der Weltkriege und des Dritten Reiches zugunsten des Nationalsozialismus zu korrigieren. Das rechtsextremistische Lager ist sich weitgehend darin einig, daß das deutsche Volk in wesentlichen Fragen seiner jüngeren Geschichte rehabilitiert werden müsse. Als ReviVersuch einer sionismus im engeren Sinne ist die Leugnung des sogenannRehabilitierung des ten "Holocaust" zu verstehen. Das ursprünglich weiter Nationalsozialismus gefaßte Thema erfährt damit eine deutliche Einengung auf durch unseriösen einen Teilaspekt der Judenverfolgung im Dritten Reich, nämUmgang mit histolich die von Rechtsextremisten vehement bestrittene massenrischen Quellen hafte Ermordung europäischer Juden in Gaskammern deutscher Konzentrationslager während des Zweiten Weltkriegs. In Verfolgung ihres Ziels, das nationalsozialistische Unrechtsregime aufzuwerten, müssen die rechtsextremistischen Revisionisten freilich Regeln der kritischen Geschichtswissenschaft mißachten und Forschungsergebnisse negieren, die nicht ihrem vorgefaßten Geschichtsbild entsprechen. Ihre Argumentation liegt damit zwangsläufig neben der historischen Realität und führt zu falschen Ergebnissen. Diese Art von "Geschichtsrevision" ist also weder Selbstzweck noch politisch neutral noch der historischen Wahrheit verpflichtet, sondern soll als Mittel fungieren, sich von einem vermeintlich aufgezwungenen "Schuldkomplex" zu befreien. Nationalismus und Antisemitismus bilden die Wurzeln dieses Revisionismus, der letztlich die Opfer zu Tätern und die Täter zu Opfern einer angeblich falschen Geschichtsschreibung machen will. 9.2 Entwicklung Revisionismus war von Anfang an keine deutsche, sondern eine internationale Erscheinung. Ursprünglich ging es den rechtsextremistischen Revisionisten vor allem darum, Hitlers alleinige Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Welt- 54 Rechtsextremismus kriegs zu leugnen. Alsbald mußten sie aber feststellen, daß sämtliche Versuche, den Nationalsozialismus mit einer nur auf die "Kriegsschuldlüge" gestützten Agitation zu rechtfertigen, regelmäßig scheitern, solange es nicht zugleich gelingt, die millionenfache Ermordung von Juden durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft mit scheinbar plausiblen Argumenten zu bestreiten. Dies gab den Anstoß zu der zunächst von Frankreich und den USA ausgehenden rechtsextremistischen Propaganda unter dem Schlagwort "Auschwitzlüge". Ab Mitte der 60er Jahre erschien eine große Anzahl von Büchern, die den "historischen" Nachweis führen wollten, daß es keine Tötung von Juden in Gaskammern gegeben habe. Es fällt auf, daß die maßgeblichen Autoren keine Historiker waren, sondern andere Berufe hatten. So war der Autor der Schrift "Es gab keine Gaskammern" Robert Faurisson Dozent für französische Literatur des 20. Jahrhunderts. Der deutsche Agrarjournalist Thies Christophersen und der Jurist Wilhelm Stäglich verfaßten die Schrift "Die Auschwitz-Lüge" bzw. das Buch "Der Auschwitz-Mythos". Seit den Jahren 1988/89 ist eine verstärkte RevisionismusKampagne festzustellen. Sie wurde ausgelöst durch einen Strafprozeß, der 1988 vor dem Bezirksgericht Toronto gegen den in Kanada lebenden deutschen Revisionisten Ernst C. F. Zündel anhängig war. Zündel war der wissentlichen Verbreitung falscher Nachrichten durch Leugnung des "Holocaust" angeklagt. Er legte zu seiner Entlastung ein auf Robert Faurissons Initiative von Fred A. Leuchter aus Boston verfaßtes technisches "Gutachten" vor, wonach es in Auschwitz und einigen anderen Konzentrationslagern aufgrund der technischen Gegebenheiten nicht möglich gewesen sei, Menschen in Gaskammern zu töten. Obwohl dieses als "LeuchterBericht" bekanntgewordene "Gutachten" nichts anderes als eine pseudowissenschaftliche, ziemlich plump gemachte NSapologetische Propagandaschrift darstellt, wird es von europäischen Revisionisten als Beweis für ihre Thesen angesehen. Die in zweiter Instanz gegen Zündel verhängte Freiheitsstrafe wurde nicht rechtskräftig, da das Berufungsurteil im Sommer 1992 aus verfassungsrechtlichen Gründen aufgehoben Rechtsextremismus 55 wurde. Der Freispruch verschaffte Zündel erhebliche Publizität. Er kündigte im kanadischen Fernsehen an, er werde jetzt "weitermachen". 9.3 Träger der Revisionismus-Kampagne Der wohl bekannteste Vertreter des Revisionismus ist der international agierende britische Schriftsteller David Irving, der sich nach eigenen Angaben durch den Leuchter-Bericht "überzeugen" ließ, daß der Holocaust nur eine Propagandalüge der Sieger des Zweiten Weltkrieges sei. Seitdem vertritt er diese These auf bezahlten Vorträgen in verschiedenen Staaten Europas und Amerikas. Irving war zur Zurückweisung an der Grenze ausgeschrieben; trotzdem gelang es ihm aber immer wieder, nach Deutschland einzureisen. Als er am 55. Jahrestag des nationalsozialistischen Judenpogroms in München eine viertägige Vortragsreihe eröffnen wollte, wurde er von der Landeshauptstadt München mit Bescheid vom 9. November aus Deutschland ausgewiesen. Das Landgericht München I verhängte gegen Irving in einer Berufungsverhandlung am 13. Januar eine Geldstrafe von 30.000 DM wegen Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Die Revision des Angeklagten wurde am 30. November vom Bayer. Obersten Landesgericht als unbegründet verworfen. Anlaß des Verfahrens war die Verbreitung der "Auschwitz-Lüge". Irving hatte am 21. 04. 1990 bei einer Vortragsveranstaltung im Münchener Löwenbräukeller erklärt, die in Auschwitz gezeigten Gaskammern seien nur Attrappen, für die der deutsche Staat gleichwohl Milliardenbeträge an Wiedergutmachung zahle. Zu den Trägern der Revisionismus-Kampagne in Bayern gehörte in erster Linie das von dem Neonazi Ewald Bela Althans repräsentierte strukturlose Propagandagebilde "Amt für Volksaufklärung und Öffentlichkeitsarbeit" (AVÖ) in München, auch "Althans Vertriebswege und Öffentlichkeitsarbeit" genannt. Althans war maßgeblicher Kontaktmann Zündeis im Bundesgebiet. Er organisierte mit dessen finanzieller Unterstützung bundesweit Vortragsveranstaltungen mit 56 Rechtsextremismus führenden Revisionisten. Das "AVÖ" fungierte dabei als eine Art Verbindungsund Kontaktbüro. Im Herbst 1992 wurde der Geschäftsbetrieb wegen finanzieller und organisatorischer Probleme weitgehend eingestellt. An die Stelle des früheren AVÖ-Büros sollte am 1. September 1993 ein "nationaler" Buchladen unter Leitung eines engen Vertrauten von Althans treten. In einem Einladungsflugblatt hieß es dazu unter der Überschrift " 1. September 5.45 ... seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen, von nun an wird Lüge um Lüge mit Wahrheit um Wahrheit vergolten ..." Ziel der Buchhandlung sei die Schaffung eines "Informationsknotenpunktes für revisionistische und volkstreue Literatur" sowie die Bildung einer Plattform für Diskussionen mit Außenstehenden. In erster Linie werde aber "N ATIONALE A NTIQUARISCHE Z EITGESCHICHTLICHE I NTERNATIONALE LITERATUR" vertrieben. Mit Verfügung vom 31. August stellte die Landeshauptstadt München fest, die Einladung enthalte einen unmittelbaren Bezug zu Hitlers Kriegserklärung an Polen am 01.09.1945, und verbot die Eröffnung des Ladens mit der Begründung, das Projekt störe die freiheitliche demokratische Grundordnung und gefährde zudem die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Nach Anrufung des Verwaltungsgerichts wurde am 1. September der bloße Verkauf von Büchern von diesem Verbot ausgenommen. Am 2. September stellte die Polizei bei einer Durchsuchung der Geschäftsräume neun Musikkassetten und mehr als 200 Aufkleber mit Odal-Runen sicher. Anschließend untersagte die Landeshauptstadt München sowohl Althans als auch seinem "Strohmann" die Ausübung des Gewerbes wegen Unzuverlässigkeit. Die Behörde verwies dazu insbesondere auf einschlägige Vorstrafen der Betroffenen sowie auf deren revisionistische Aktivitäten, die zentrale Rechtsgüter gefährdeten und dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland Schaden zufügten. Das Gewerbeverbot wurde vom Verwaltungsgericht München im Verfahren nach SS 80 Abs. 5 VwGO vorläufig bestätigt. Rechtsextremismus 57 Erhebliches öffentliches Aufsehen erregte Althans durch seine Mitwirkung in einem 1993 produzierten Dokumentarfilm über Neonazismus mit dem Titel "Beruf Neonazi". Darin leugnete er die systematische Ermordung von Juden im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz und bezeichnete die dortigen Gaskammern als "Attrappen". Wegen dieser Äußerungen ist bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin ein Ermittlungsverfahren gegen ihn anhängig. Der bekannte Rechtsextremist Otto Ernst Remer verbreitet seit Sommer 1991 die revisionistische Schrift "Remer-Depesche", deren verantwortliche Herausgabe und Chefredaktion seit der Ausgabe 2/93 auf einen bisher unbekannten Personenkreis übergegangen ist. Mit einer angeblichen Auflage von 200.000 Exemplaren begann die Schrift in der Ausgabe 4/93 einen "ständigen Beschuß der Lügenfestung Holocaust". Die Redaktion, die nach eigenen Angaben "um einige ehrenamtlich kämpfende Mitarbeiter" erweitert wurde, will zukünftig bei monatlicher Erscheinungsweise der Publikation andere politische Themen zugunsten "der Bekämpfung der Lüge in der Geschichtsschreibung und der Entlarvung der Lügner" zurückstellen. Mit Hilfe eines Aufrufes zur massenhaften selbstfinanzierten Verteilung der Schrift soll die "Schweigespirale der Medien" durchbrochen werden, damit "kein Gericht der Welt mehr eine Verurteilung" wegen Anzweifeins des Holocaust wage. Aufmachung und journalistische Gestaltung der Ausgabe Nr. 4/93 der "Remer-Depesche" lassen größere organisatorische Veränderungen erkennen. Die erneut forcierte Revisionismus-Kampagne sowie die erstmals genannte hohe Auflagenzahl und der erweiterte Mitarbeiterkreis deuten auf bessere wirtschaftliche Möglichkeiten hin. Der von Hans-Jürgen Witzsch geleitete Arbeitskreis für Zeitgeschichte und Politik e. V. (AZP) in Fürth erklärte, es stehe "außerhalb jedes vernünftigen Zweifels fest, daß die Behauptung von Gaskammern in der NS-Zeit als Vernichtungs- 58 Rechtsextremismus einrichtungen eine Erfindung der Kriegs-Greuelpropaganda" sei, für die es "keinerlei Sachbeweis" gebe. Gleichwohl würden Wissenschaftler und Historiker verfolgt und verurteilt, wenn sie hinsichtlich der NS-Judenverfolgung zu einem von der "Siegergeschichtsschreibung" abweichenden Ergebnis kämen. 10. Einfluß des ausländischen Rechtsextremismus Neben den vorstehend erwähnten Aktivitäten ausländischer Revisionisten zeigte sich der Einfluß des ausländischen Rechtsextremismus auf Bayern insbesondere in der Einfuhr und Verbreitung vorwiegend neonazistischer und antisemitischer Zeitschriften, Rundbriefe, Flugblätter und Aufkleber, die überwiegend aus Österreich, Kanada, der Schweiz und den USA stammten. Die neonazistische NSDAP-Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP-AO) in den USA fordert die "Ausschaltung des jüdischen Einflusses" die Überwindung des "Materialismus" durch den Nationalsozialismus und die "Neugründung der NSDAP als legale Partei" Endziel sei die "Schaffung eines nationalsozialistischen Staates" in einem "neuvereinigten Großdeutschen Reich" und die "Errichtung einer Neuen Ordnung auf einer rassischen Grundlage in der gesamten arischen Welt" Der "Propagandaleiter" der NSDAP-AO Gary Rex Lauck gibt große Mengen an Agitationsmaterial heraus, darunter das zweimonatlich erscheinende Publikationsorgan "NS Kampfruf". Dieses in den USA straffrei hergestellte NS-Propagandamaterial geht von der "Auslandszentrale" in Lincoln/Nebraska den oft nur aus einer Person bestehenden Stützpunkten der NSDAP-AO im Bundesgebiet zu, denen die Weiterverbreitung im Inland obliegt. Der NS Kampfruf veröffentlichte in der Mai/Juni-Ausgabe einen Beitrag des NS-Aktivisten Gottfried Küssel zu den Gewalttaten gegen Ausländer in Deutschland. Darin erklärte der seit Januar 1992 in Wien inhaftierte österreichische Neonazi, er habe "das gewaltige Explodieren des Volkswillens" gegen die "Überbevölkerung mit fremden, vorwiegend außereuropäischen Nomaden" seit Jahren vorausgesagt. Ferner trat er für eine schrittweise Rück- Rechtsextremismus 59 führung aller Scheinasylanten, Asylanten und Ausländer in ihre Heimatländer ein; andernfalls werde es in Deutschland - wie im ehemaligen Jugoslawien - zu einem Bürgerkrieg kommen. Die in Bayern festgestellten Hakenkreuzaufkleber der NSDAP-AO enthielten Aufschriften wie "Ausländer raus", "Wir sind wieder da" und "Die Juden sind unser Unglück". Der Inhaber des in Toronto/Kanada ansässigen Verlags Samisdat Publishers Ltd., der deutsche Staatsangehörige Ernst C. F. Zündel, erklärte in seinem "Germania"-Rundbrief vom 15. November, er beabsichtige, aus bevorstehenden Strafprozeß in __Mannheim gegen seinen Anhänger, den amerikanischen Staatsbürger Fred A. Leuchter, eine revisionistische Werbeveranstaltung zu machen. Das Schicksal habe "uns diesen Leuchter-Prozeß auf deutschem Boden beschert". Jetzt komme t fRtUN ot "es darauf an, was wir Deutsche, wir Revisionisten und die Alliierten-Kollaborateure daraus machen". Dem Rundbrief lagen mehrere vorgedruckte Postkarten an die Bundesministerin der Justiz, an Menschenrechtsorganisationen und an Zeitungsredaktionen bei, auf denen "Freiheit für Fred Leuchter" gefordert bzw. dieser als "Deutschlands politischer Gefangener" bezeichnet wurde. Die Monatsschrift "Sieg", eine der bedeutendsten neonazistischen Propagandaschriften, wird in einer Auflage von mehreren tausend Exemplaren in das Bundesgebiet eingeschleust. Ihr Herausgeber, der österreichische Staatsan gehörige Walter Ochensberger, ist einer der führenden Revisionisten. Er wurde im Februar 1993 bei einer Grenzkontrolle in Kiel festgenommen und Anfang Mai an Österreich ausgeliefert; dort hat er eine zweijährige Frei heitsstrafe wegen "Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinne" zu verbüßen. Vor der Strafverfolgung in Österreich war er im vergangenen Jahr nach Spanien geflohen, wo die Publikation "Sieg" seitdem gedruckt wurde. In 60 Rechtsextremismus dieser Schrift, die letztmals Anfang 1993 erschienen ist, hieß es, das Jahr 1993 sei in mehrfacher Hinsicht ein Schicksalsjahr. Es erinnere an eine sechs Jahrzehnte zurückliegende Zeit, als ein geschundenes Volk von seinem "neuen Messias" Adolf Hitler "Erlösung aus allen Nöten erhoffte". Dieser habe sich freilich "durch ein gigantisches Täuschungsund Ränkespiel des internationalen Zionismus in den Weltkrieg zerren" lassen. Nach dem "Wunder der Wiederauferstehung des deutschen Volkes" drohe nunmehr eine neue nationale Katastrophe. Sämtliche Altparteienpolitiker hätten nämlich Deutschland öffentlich zum Einwanderungsland erklärt. Seit 1. Januar 1993 könnten die "fremdrassigen Ausländer" aus allen Richtungen in Millionenmassen ungehindert nach Deutschland strömen und damit den "Volkstod des deutschen Volkes" einleiten. Zwar versuche die deutsche Jugend mit Molotowcocktails und Steinen, die "heranbrandende Millionensturzflut farbiger Ausländer" aufzuhalten. Diese verzweifelte Abwehr werde aber erst dann Erfolg haben, wenn sich das ganze deutsche Volk geschlossen erhebe und "seine bestochenen Ausländerregierungen samt allen faulenzenden Asylbetrügern und ausländischen Verbrechern" aus Deutschland hinwegfege. Der schweizerische Revisionist Dr. Max Wahl erklärte in seiner auch in Deutschland verbreiteten Zeitschrift "Eidgenoss", das \ "unter USraelischer Knute funk^*gg tionierende Tributregime am ^rSß^ Rhein" führe den Krieg der Alli"S^oi "**""' 1 9 L-l f ^P" aN""*" ^O-"' ' \ ierten gegen das deutsche Volk 17 J""'9.a(tm),om"l LJ ,"",,, Be*(tm)"9 mit anderen Mitteln weiter. Das """Ossis"(tm)"" " -- ,"",^deg<*'""" - -- durch die "nationalsozialistische Kriegsgeneration" bewerkstelligte Wirtschaftswunder sei "in den Händen der mit einer späteren Geburt Begnadeten zu einer Quelle geworden, an der sich alle Durstigen der Welt bedienen", am meisten das "Weltjudentum und Israel". Für jüdische Interessen sei "der deutsche Michel der seit 1945 aufgebaute Tributsklave". Im Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung, Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener erließ das Amtsgericht Stuttgart am 13. September gegen die Schrift einen allgemeinen Beschlagnahmebeschluß. Rechtsextremismus 61 1. Übersicht über erwähnenswerte rechtsextremistische Organisationen und Verlage sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation IV litglieder Ende 1993 Publikationen a) Gründung c) Bayern e) Erscheinungsweise b) Sitz d) Bund f) Auflage 1. Nationaldemokratische Organisationen: Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Deutsche Stimme a) 28.11.1964 c) 800 e) monatlich b) Stuttgart d) 5.000 f) 48.000 Junge Nationaldemokraten (JN) Einheit und Kampf a) 1969 c) 50 e) unregelmäßig b) Stade d) 200 f) 1.500 Der Aktivist e) unregelmäßig f) 500 Nationaldemokratischer Hochschulbund (NHB) Vorderste Front a) 1967 c) unter 10 e) halbjährlich b) Wuppertal d) 50 f) 500 2. National-Freiheitliche Organisationen: Deutsche Volksunion (DVU) (Publizistische Sprachrohre: siehe DSZ-Verlag) a) 05.03.1987 c) 3.100 b) München d) 26.000 Deutsche Volksunion e. V. (siehe DVU) einschl. Aktionsgemeinschaften a) 16.01.1971 b) München 3. Neonazistische Organisationen: Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) Die Neue Front a) Anfang 1984 Funktionärsgruppe e) unregelmäßig f) 300 62 Rechtsextremismus Organisation Mitglieder Er ide 1993 Publikationen a) Gründung c) Bayern e) Erscheinungsweise b) Sitz d) Bund f) Auflage Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) Standarte (bisher: Neue Nation) a) März 1979 c) 15 e) zweimonatlich b) Halstenbek d) 430 f) 700 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) Nachrichten der HNG a) 02.07.1979 c) 30 e) monatlich b) Frankfurt a. Main d) 220 f) 300 Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V. (DDF) Recht und Wahrheit a) 01.04.1983 c) 40 e) zweimonatlich b) Kaufbeuren d) 140 f) 2.000 Nationaler Block (NB) a) 06.071991 c) 40 b) München NSDAP-Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP-AO) NS Kampfruf b) USA/Stützpunkte e) zweimonatlich im Bundesgebiet f) 2.000 4. Sonstige Organisationen: Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) Deutsche Rundschau a) 03.10.1991 c) 200 e) monatlich b) Berlin d) 900 f) 10.000 Wiking-Jugend e. V (WJ) Wikinger a) 1952 c) 30 e) viermal jährlich b) Stolberg d) 400 f) 500 Rechtsextremismus 63 Organisation Mitglieder Er tde 1993 Publikationen a) Gründung c) Bayern e) Erscheinungsweise b) Sitz d) Bund f) Auflage Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) Das Freie Forum a) 1960 0 40 e) vierteljährlich b) München d) 420 f) 700 Freundeskreis Huttenbriefe - für VolksUlrich von Hutten e.V. tum, Kultur, Wahrheit und Recht a) Februar 1982 0 30 e) zweimonatlich b) Starnberg d) 300 f) 4.000 Deutscher Block (DB) a) 1947 c) 30 b) Memmingen 5. Verlage: Druckschriftenund ZeitungsDeutsche Nationalverlag GmbH (DSZ-Verlag) Zeitung (DNZ) a) 1968 e) wöchentlich b) München f) 50.000 Deutsche WochenZeitung (DWZ) e) wöchentlich f) 30.000 Nation Europa Verlag GmbH Nation und Europa - a) 1953 Deutsche Monatshefte b) Coburg e) monatlich f) 15.000 Verlag Hohe Warte - Franz von Bebenburg KG Mensch und Maß a) 1949 e) zweimal monatlich b) Pähl f) 2.000 64 Rechtsextremismus Organisation Mitglieder Ende 1993 Publikationen a) Gründung c) Bayern e) Erscheinungsweise b) Sitz d) Bund f) Auflage Denk mitl-Verlag Denk mit! b) Nürnberg e) unregelmäßig f) 1.000 Odal-Verlag Der Scheinwerfer b) Rodach b. Coburg e) monatlich f) 7.000 Verlagsgesellschaft Berg b) Berg Linksextremismus 65 2. Abschnitt Linksextremismus 1. Allgemeines Der Zusammenbruch des kommunistischen Machtbereichs Neue Begriffsund die Demokratisierung ehemals kommunistischer Staaten bestimmungen in Mittelund Osteuropa haben das Gefüge des Linksextremismus in Deutschland in den vergangenen Jahren stark verändert. Die noch aktiven linksextremistischen und linksextremistisch beeinflußten Organisationen haben sich jedoch zwischenzeitlich auf die veränderte Situation eingestellt. Die bisherige Abgrenzung zwischen "Orthodoxen Kommunisten" und der 1968 aus der Studentenbewegung hervorgegangenen "Neuen Linken" hat dadurch wesentlich an Bedeutung verloren. Dem trägt auch die folgende Darstellung Rechnung. Entsprechend ihrer Zielsetzung werden die Linksextremisten in diesem Bericht - anders als in früheren Berichten - in "Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten" sowie in "Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre" untergliedert. Dabei entspricht in etwa - der Bereich "Marxisten-Leninisten" den bisherigen "Orthodoxen Kommunisten", - der Bereich "Revolutionäre Marxisten" der bisherigen "Dogmatischen Neuen Linken" und - der Bereich "Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre" der bisherigen "Undogmatischen Neuen Linken". 66 Linksextremismus Zahl und Stärke Zahl und Stärke der linksextremistischen und linksextremider Gruppen stisch beeinflußten Organisationen in Bayern: 1991 I992 1993 Zahl der Organisationen 30 35 40 Mitgliedschaften Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten Kernorganisationen 5.330* 1.980** 1.910** Nebenorganisationen 120 150 145 beeinflußte Organisationen 810 955 935 Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre Autonome und Sozialrevolutionäre 400 400 475 Gesamtzahl 6.660* 3.485** 3.465*' * Darin enthalten 4.200 Angehörige der Marxistischen Gruppe (MG), die im Mai 1991 ihre Auflösung erklärte. **Darin enthalten 700 MG-Aktivisten. In der vorstehenden Tabelle sind erkannte Mehrfachmitgliedschaften jeweils nur innerhalb des Bereichs der Kernund Nebenorganisationen berücksichtigt. Über weitere Mehrfachmitgliedschaften liegen keine zuverlässigen Zahlen vor. Ferner sind in den Mitgliederzahlen beeinflußter Organisationen auch Nichtextremisten enthalten; eine zahlenmäßige Aufgliederung ist nicht möglich. Entwicklung In Bayern hat sich die Gesamtzahl der linksextremistischen in Bayern Parteien und Gruppierungen im Vergleich zum Vorjahr nochmals geringfügig erhöht. Die Gesamtzahl der Mitglieder ging jedoch leicht zurück. Davon betroffen waren sowohl die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die auch bundesweit Mitgliederverluste zu verzeichnen hatte, als auch die überwiegende Zahl der anderen Gruppierungen. Die Autonomen Linksextremismus 67 konnten ihren Einfluß, der mit einem leichten Anstieg ihres Mitgliederund Sympathisantenpotentials verbunden war, behaupten. Wichtige Agitationsthemen der Linksextremisten waren u.a. AktionsNeonazismus/Faschismus, Rassismus, Asylrecht, Ausländerfeindschwerpunkte lichkeit, Arbeitslosigkeit, "Sozialabbau", UN-Einsätze der Bundeswehr und das Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die Marxisten-Leninisten und die anderen revolutionären Marxisten sahen 1993 ihre Aufgabe aber auch darin, der demokratischen Aufarbeitung der Geschichte der ehemaligen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und der DDR entgegenzuwirken. Ihre Solidarität für die davon Betroffenen schloß auch inhaftierte terroristische Gewalttäter als "politische Gefangene" mit ein. Die erneuten Bemühungen der Marxisten-Leninisten und der anderen revolutionären Marxisten, die zersplitterten "linken" Kräfte zusammenzuführen und eine einheitliche Kommunistische Partei aufzubauen, kamen wieder nicht voran. Sie führten jedoch zu engeren Kontakten zwischen der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und der "Kommunistischen Plattform" (KPF) in der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) sowie zu vielfältigen Aktionsbündnissen zwischen DKP, PDS, Marxistisch-Leninistischer Partei Deutschlands (MLPD), Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB), Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK) und den Autonomen. Die Mitgliederentwicklung im Bundesgebiet und in Bayern in den letzten zehn Jahren ist im Anhang 1 dargestellt. 2. Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 2.1 Überblick Die Entwicklung der marxistisch-leninistisch ausgerichteten Bekenntnis zum Organisationen und der andere revolutionären Marxisten war Marxismus1993 maßgeblich geprägt durch die Suche nach sozialistiLeninismus besteht schen und kommunistischen Alternativen zur freiheitlichen unverändert fort demokratischen Grundordnung. Der weitere Zerfall einiger 68 Linksextremismus kommunistischer Parteien erschwerte jedoch diesen Orientierungsprozeß. Die PDS, die nach dem Zusammenbruch des SED-Unrechtsregimes einen neuen Weg des "demokratischen Sozialismus" beschreiten will, nimmt hierbei eine Sonderstellung ein. In ihrer Mehrheit bekannten sich die MarxistenLeninisten und die anderen revolutionären Marxisten zum Marxismus-Leninismus und damit, auch wenn sie es nicht offen aussprachen, zu Klassenkampf und Klassenherrschaft. Sie halten damit an ihren verfassungsfeindlichen Zielsetzungen fest. Das sind die "sozialistische" Revolution und die Diktatur des Proletariats, die vor allem gegen das Mehrheitsund Freiheitsprinzip sowie gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. 2.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 2.2.1 Ideologisch-politischer Standort DKP beansprucht Seit ihrer Gründung nimmt die DKP die Führung der Marxiweiterhin sten-Leninisten in der Bundesrepublik Deutschland für sich in Führungsrolle Anspruch. Sie machte diesen Führungsanspruch auch 1993 geltend. Interne Auseinandersetzungen und damit verbundene Versuche, die Organisation zu konsolidieren und die Handlungsfähigkeit wieder zurückzugewinnen, banden jedoch weitgehend die Kräfte der Partei. Parteivorstand Am 16./17. Januar fand in Mannheim der 12. Parteitag der betont gesteigerte DKP statt, an dem rund 400 Personen teilnahmen, darunter Aktionsfähigkeit zahlreiche Vertreter ausländischer "Bruderparteien" und "Befreiungsbewegungen" sowie kommunistischer Gruppierungen des Inlandes. In seinem Rechenschaftsbericht betonte der Parteivorstand die gesteigerte Aktionsfähigkeit der DKP. So habe es regelmäßige Gespräche mit der KPF in der PDS und zunehmende Kontakte zu ausländischen kommunistischen "Bruderparteien" gegeben. Als weitere Aktivitäten wurden die parteiinternen Diskussionen um die programmatischen Thesen und das Statut sowie die Spendenaktionen für das DKP-Zentralorgan "Unsere Zeit" (UZ) genannt. Gegen heftige Kritik aus der oppositionellen "HardlinerGruppe" beschloß der Parteitag die intern diskutierten "Thesen zur programmatischen Orientierung". Darin unterstreicht Linksextremismus 69 die DKP ihre gegen die freiheitliche demokratische GrundordDKP hält an nung gerichtete Zielsetzung. In der Einleitung zu den "Theverfassungsfeindlisen" heißt es, die DKP kämpfe für eine Politik, die im Sozialischer Zielsetzung mus die Zukunft, im Klassenkampf die zentrale Triebkraft der fest Geschichte und in der Arbeiterklasse die entscheidende soziale Kraft für den gesellschaftlichen Fortschritt sehe. Sie stütze sich auf die materialistische Wissenschaft, die von Marx und Engels gegründet und von Lenin weiterentwickelt worden sei. 70 Linksextremismus Fortsetzung des Am 13. November setzte die DKP in Gladbeck ihren 12. ParDKP-Parteitages teitag mit der Erörterung der Kandidatur der Partei bei der in Gladbeck Europaund Bundestagswahl 1994 fort. Nach längerer Diskussion beschlossen die Delegierten, an der Europawahl mit einer "offenen" Bundesliste teilzunehmen. Dazu wurden im Anschluß an den Parteitag auf einer "Bundeswahlkonferenz" 12 weibliche und 26 männliche Kandidaten gewählt. Übereinkommen wurde auch darüber erzielt, daß die DKP die eigene Liste zurückziehe, falls die PDS bei der Aufstellung ihrer Kandidaten im März 1994 auch Kandidaten der DKP berücksichtige* Zur Bundestagswahl sprachen sich die Delegierten dafür aus, unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. Übereinstimmung in den Aussagen, eigenständiger Wahlkampf, aussichtsreiche Plazierung von DKP-Mitgliedern) auf den "offenen" Listen der PDS zu kandidieren. DKP Nordbayern Angesichts schwerwiegender ideologischer Differenzen zwiopponiert gegen schen Mitgliedern und Funktionären der DKP-BezirksorganiBundesvorstand sation Nordbayern und dem DKP-Parteivorstand auf dem 12. Parteitag beschloß die Bezirksmitgliederversammlung der DKP Nordbayern am 27. März, daß der Bezirk die Beschlüsse des Parteitages nicht anerkennen und sich an ihrer Durchführung nicht beteiligen werde. An die Mitglieder erging die Aufforderung, künftig nur noch den Mindestbeitrag an den DKP-Parteivorstand abzuführen, die finanzielle Unterstütmg der "UZ" einzustellen und statt dessen igene Zeitung "Nordbayerischer Landbote" zu unterstützen. Nachdem der DKP-Parteivorstand mit Ausschluß der oppositionellen Mitglieder und Funktionäre drohte, legten die Sprecherinnen und Sprecher der DKP Nordbayern ihre SpreDKP-Nordbayern cherratsfunktion zum 10. Juli nieder und traten aus der Partei aus. Gleichzeitig betonten sie jedoch ihren gemeinsamen Willen, die Zusammenarbeit der letzten Jahre fortzusetzen und für eine "Neubegründung marxistischer Politik, Theorie und * Nach einer Erklärung des DKP-Sprechers Rolf Priemer werde die Partei ihren Wahlvorschlag für die Europawahl nicht einreichen und statt dessen für die "offenen" Listen der PDS eintreten. Linksextremismus 71 Organisation" zu arbeiten. Sie gründeten anschließend einen "Verein für Arbeitnehmerbildung", dem rund 50 ehemalige DKP-Mitglieder und -Funktionäre angehören. 2.2.2 Organisation Auf dem Gebiet der westlichen Bundesländer unterhält die DKP nach wie vor zwölf Bezirksorganisationen, die in Kreisund Grundorganisationen unterteilt sind. Die in Berlin neu errichteten Bezirksorganisationen Berlin-Ost und Berlin-West (früher Berlin-Brandenburg) sollen vor allem die Mitglieder in den fünf neuen Ländern betreuen. Die Zahl der Mitglieder, die bundesweit erneut zurückging, lag Ende 1993 bei etwa 6.000 Erneut bundes(1992: 7000). In Bayern existieren zwei Bezirksorganisationen weite Mitglieder(Nordund Südbayern) und zwölf Kreisverbände. Die Mitglieverluste der DKP derzahl ging ebenfalls zurück. Ende 1993 gehörten der DKP in Bayern noch 750 (1992: 800) Mitglieder an. Ursächlich für den Mitgliederrückgang in Bayern war vor allem die Spaltung der DKP-Bezirksorganisation Nordbayern, die insgesamt zu einer deutlichen Schwächung der DKP in Bayern führte. Von den bisher gewählten vier Sprechern der DKP wurden Sprecherräte Heinz Stehr und Rolf Priemer auf dem 12. Parteitag in ihren der DKP Ämtern bestätigt. Die auf dem Parteitag im November vorgesehene Nachwahl von zwei Sprecherinnen für den DKP-Sprecherrat kam nicht zustande, da sich keine Kandidatinnen für dieses Amt gefunden hatten. Der Parteitag konnte lediglich zwei Frauen in den Parteivorstand wählen, dem neben den Sprechern nunmehr 30 weitere Mitglieder angehören, davon zwei DKP-Funktionäre aus Bayern. Wesentlich bescheidener als früher blieb der Finanzrahmen Angespannte der Partei. Ihre Mitglieder führten im Durchschnitt monatlich Finanzlage weit weniger an die Partei ab als die anderer revolutionärmarxistischer Organisationen. Gesonderte Spendenkampagnen für das Zentralorgan "UZ", für den "Kampffond" der DKP und für den 12. Parteitag sowie für das "UZ"-Pressefest vom 24. bis 26. September in Bottrop brachten zusätzliche Einnahmen von mehreren hunderttausend DM. Darüber hinaus bemühte sich die Partei erfolgreich um Erbschaften von DKP-Mitgliedern. 72 Linksextremismus 2.2.3 Bündnisund Aktionseinheitspolitik, Betriebsarbeit Bündnispolitische Die DKP räumte der überkommenen Bündnispolitik nach wie Bedeutung der vor einen hohen Stellenwert ein, obwohl die Aktionsfähigkeit DKP ging zurück früherer Jahre nicht wiedererlangt werden konnte. Ohne finanzielle Hilfe von außen und mit nur wenigen ehrenamtlichen Mitarbeitern war die Partei jedoch vielfach nicht in der Lage, sich in Protestkampagnen demokratischer Gruppierungen wirksam einzuschalten. Der DKP-Parteivorstand appellierte an Mitglieder und Sympathisanten der Partei, bei Aktionen und Demonstrationen gegen Rechts "Flagge" zu zeigen und insbesondere die Aktivitäten in den Initiativen gegen Ausländerhaß und Rassismus zu intensivieren. So fanden 1993 mit Unterstützung der DKP wiederholt Aktionen des linksextremistisch beeinflußten Münchner Bündnisses gegen Rassismus und des von Autonomen gesteuerten Nürnberger Aktionskomitees gegen Rassismus statt, die sich gegen angebliche "Menschenrechtsverletzungen in der BRD" sowie Linksextremismus 73 gegen die "Abschiebung von Asylanten" und die "Abschaffung des Asylrechts" richteten. Im Rahmen eines Aktionsbündnisses protestierten Anhänger der DKP auch gegen Propagandaaktionen von Rechtsextremisten am 14. August anläßlich des 6. Todestages von Rudolf Heß im Raum Oberfranken. Weitere Gelegenheiten für bündnispolitische Aktivitäten ergaben sich für die DKP bei den "Ostermärschen" zum 1. Mai und bei Aktionen gegen den DVU-Parteitag am 2. Oktober in Passau. Die DKP bekundete außerdem ihre Bereitschaft, mit gewalttätigen Linksextremisten zusammenzuarbeiten. Die Betriebsund Gewerkschaftsarbeit der DKP, früher ein Hauptbereich orthodox-kommunistischer Agitationsversuche, gestaltet sich dagegen immer schwieriger. In Bayern bestanden Ende 1993 nur noch zwei Betriebsgruppen. 2.2.4 Sonstige Aktivitäten DKP-Mitglieder beteiligten sich auch 1993 wieder an Versu- , DKP-Mitglieder chen, den "realen Sozialismus" als legitime Alternative zur leugnen Unrechtsfreiheitlichen Demokratie darzustellen und den UnrechtsCharakter des Charakter des SED-Regimes zu leugnen. Dazu nutzten sie SED-Regimes DKP-nahe Einrichtungen wie das Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (iws) in München, die DKP-nahe Marx-Engels-Stiftung (MES) in Wuppertal sowie das PDSorientierte Institut für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF) in Frankfurt a. Main. Bestandteil der Kampagne, die deutsche Geschichte aus kommunistischer Sicht neu zu interpretieren, sind auch die Bemühungen der DKP, Maßnahmen der Justiz gegen Kommunisten auf der Basis des Verbotes der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) durch das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1956 als Unrecht darzustellen. Die DKP unterhielt dazu weiterhin eine "Initiativgruppe zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges", der im wesentlichen Altkommunisten angehören. Diese behaupten einen politischen Zusammenhang zwischen der Verfolgung der Kommunisten durch die Nationalsozialisten, den Maßnahmen gegen die ille- 74 Linksextremismus gale KPD in der Nachkriegszeit, den Bemühungen, Linksextremisten aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten sowie der Inhaftierung von RAF-Terroristen, die von der DKP inzwischen als "politische Gefangene" bezeichnet werden. Zum Verbot der marxistisch-leninistischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihrer Teilbzw. Nebenorganisationen durch das Bundesministerium des Innern am 22. November erklärte der DKP-Sprecher Rolf Priemer, die Partei sehe das Verbot als aktuelle Fortsetzung einer Politik, die 1956 mit dem KPD-Verbot begonnen habe und bis heute "Repressionen und Verfolgungen von Kommunisten, Sozialisten und Linkskräften in Deutschland" nach sich ziehe. Die DKP setzte auch 1993 ihre Bemühungen fort, die Verbindungen zu ausländischen "Bruderparteien" zu beleben. So reisten auf Einladung Delegationen der DKP in mehrere kommunistische Länder. Vertreter kommunistischer Parteien des Auslandes nahmen am DKP-Parteitag in Berlin sowie am "UZ"-Pressefest teil. Auf Initiative der DKP fand am 475. September in Leverkusen eine "Internationale Konferenz" kommunistischer Parteien zur europäischen Integration statt. Erschienen waren Vertreter von neun europäischen kommunistischen Parteien. Der DKP-Sprecher Heinz Stehr wies hierbei auf die angeblich von einer deutschen Vorherrschaft ausgehenden Gefahren hin. Im übrigen sei die durch den Vertrag von Maastricht eingeleitete europäische Integration mit "massenhaftem Sozialabbau" und "bedrohlicher Rechtsentwicklung" verbunden. Diesem Prozeß hätten die "Linkskräfte" in Europa keine nennenswerte international handelnde Bewegung entgegenstellen können. 2.3 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 2.3.1 Ideologische Ausrichtung der PDS Die ehemals in der DDR herrschende SED hat sich nach der friedlichen Revolution und dem Zusammenbruch ihres Unrechtsregimes nicht aufgelöst. Sie änderte ihren Namen in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) und gründete auch in den westlichen Bundesländern mehrere Landesverbände. Linksextremismus 75 Richtlinie für die ideologische Ausrichtung der PDS sind das Politisches im Juni 1991 geänderte Statut sowie das auf der ersten Selbstverständnis Tagung des 3. PDS-Parteitages vom 29. bis 31. Januar in Berder PDS lin beschlossene neue Programm. Beide Dokumente lassen nach wie vor kommunistische Intentionen erkennen. So versteht sich die PDS im neuen Programm als ein Zusammenschluß "linker Kräfte". In ihr hätten sowohl Menschen einen Platz, die der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzen wollen und die gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnen, als auch jene, die ihren Widerstand damit verbinden, die gegebenen Verhältnisse positiv zu verändern und schrittweise zu überwinden. Die PDS hält ferner den außerparlamentarischen Kampf um gesellschaftliche Veränderungen für entscheidend. Sie bekennt sich zu einem konsequenten Internationalismus und ist dem Erbe von Marx und Engels, den vielfältigen Strömungen der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung sowie anderen revolutionären und "demokratischen" Bewegungen kritisch verbunden. Auf dem 3. Parteitag der PDS in Berlin befaßten sich die DelePDS-Parteitag gierten u.a. mit einem Beschluß des letzten Parteitages "Zur in Berlin konsequenten, offenen und öffentlichen Auseinandersetzung der PDS mit der Problematik Staatssicherheit" (MfS-Beschluß) und verabschiedeten ein neues Parteiprogramm. Bei beiden Punkten gab es kontroverse Diskussionen. So stand einem "Reformerflügel", der die Rolle der PDS als sozialistische Partei darstellen wollte, eine nicht unerhebliche Anzahl von Delegierten gegenüber, die deutlich die Ideologie der ehemaligen SED vertraten. Insbesondere Sprecher der KPF in der PDS beschworen unter Berufung auf Marx, Engels und Lenin den "Klassenkampf" und forderten eine "Volksfront" aller linken Kräfte. Das 1991 geänderte Statut läßt weiterhin die Bildung von "Kommunistische Zusammenschlüssen zu, denen die Möglichkeit eingeräumt Plattform" (KPF) wird, mit eigener Satzung und eigenem Namen in der PDS mitzuwirken. So ist in der PDS die "Kommunistische Plattform" (KPF) verankert, die sich eindeutig zum MarxismusLeninismus bekennt und die DKP (vgl. Nr. 2.2) als natürliche Verbündete ansieht. 76 Linksextremismus Zu ihrer Rolle in der PDS schrieb die KPF in ihrem Organ "Mitteilungen" Nr. 9/93, es liege im Interesse der deutschen Arbeiterklasse und des historischen Fortschritts, daß es eine starke gesellschaftliche Kraft gebe, die sich mehrheitlich zum Marxismus bekenne und entschiedener "linke" Positionen einnehme als andere Parteien. Auch der auf dem 3. Parteitag der PDS in Berlin neugewählte Parteivorsitzende Lothar Bisky bekannte sich zur Existenz der KPF in der PDS. In einem Gespräch, das Bisky noch vor dem Ende des Parteitages mit einem Redaktionsmitglied des DKP-Zentralorgans "UZ" führte, sagte er, er sei froh, daß es die KPF gebe, denn diese Gruppe sei sehr aktiv und eine wichtige Kraft in der PDS. Er habe kein Interesse, sich von der KPF in der PDS in irgendeiner, Weise abzugrenzen. Ständiger Rat Über die KPF ist die PDS auch im "Ständigen Rat Marxistischer Marxistischer Parteien" vertreten. Diesem 1991 in Berlin gegründeten GreParteien mium gehören neben der PDS auch die Anfang 1990 in den fünf neuen Bundesländern gegründete Kommunistische Partei Deutschlands (KPD/DDR) sowie der Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) an. Ziel des Ständigen Rates ist die Kommunikation und Koordination der Marxisten Deutschlands in Theorie und Praxis. 2.3.2 Gliederung der PDS Gliederung Die PDS hat ihren Sitz in Berlin. Sie unterhält in den neuen der PDS Ländern fünf Landesverbände. In den westlichen Bundesländern bestehen neun Landespresse^dienst verbände. Nach eigenen Angaben gehörten , BOWSdeg der Partei im Bundesgebiet Ende 1993 S sozial rund 145.000 Mitglieder an, davon 1.000 ÄSS^ in den westlichen Ländern. Als Nachfolger des bisherigen Parteivorsitzenden Gregor Gysi, der Monate vorher seinen Rücktritt angekündigt hatte, wurde auf der ersten Tagung des 3. Parteitages der PDS vom 29. bis 31. Januar in Berlin der bisherige Vorsitzende Neuwahl des PDSdes PDS-Landesverbandes Brandenburg Lothar Bisky gewählt. Parteivorstandes Neue Stellvertreter wurden Christine Ostrowski aus Dresden und der ehemalige DKP-Bezirksvorsitzende von Hamburg Linksextremismus 77 Wolfgang Gehreke. Dessen bisherige Funktion als Bundesgeschäftsführer übernahm Martin Harnack aus Grimma/Sachsen. Nachdem bekannt wurde, daß Christine Ostrowski mit dem Landesvorsitzenden der verbotenen neonazistischen Nationalen Offensive (NO) in Sachsen ein Kontaktgespräch geführt hatte, erklärte sie am 15. März ihren Rücktritt. Auf der zweiten Tagung des Parteitages der PDS am 26727. Juni in Berlin wurden zwei weitere Stellvertreterinnen, der Schatzmeister und 12 Angehörige des Parteivorstandes gewählt. Dem PDS-Parteivorstand gehören nunmehr 18 Mitglieder an, darunter fünf aus den westlichen Ländern. Diese fünf Personen gehörten vor dem Wechsel zur PDS anderen linksextremistischen Organisationen an. Um eine bessere Effizienz der Arbeit in den mitgliederGründung schwachen westlichen Landesverbänden zu erzielen, wurde einer AG West am 22. Mai in Bonn die "Arbeitsgemeinschaft PDS/Linke Liste westliche Bundesländer" (AG West) mit Sitz in Hamburg gegründet. Primäres Ziel der AG West sei es, die Chancen der Partei bei der Bundestagswahl 1994 zu verbessern. Dazu gehöre eine gesamtdeutsche PDS, die die unterschiedlichen Politikansätze bündele und darauf aufbauend diese als einheitliche Westpolitik der PDS der Öffentlichkeit präsentiere. Organisatorisch setzt sich der Landesverband Bayern - entOrganisation sprechend den beiden Strömungen - im wesentlichen aus der PDS/LL Bayern den Initiativen PDS/Linke Liste und PDSBasisorganisationen zusammen. Geführt werden die rund 10 örtlichen Gruppierungen von einem aus sechs Pers'onen bestehenden Landesvorstand, dem zwei Sprecher vorstehen. Zwei Mitglie+Ä&*T **+? der des neugewählten Landesvorstandes gehörten früher linksextremistischen Organisationen an. Die Mitgliederzahl liegt bei etwa 100. Nicht eingerechnet ist dabei die Anzahl der Sympathisanten, denen - laut Statut - aufgrund ihres / ".i* * - # r Engagements in der Partei MitgliePS*fc"cX derrechte eingeräumt werden. lt*hL "A* 78 Linksextremismus 2.3.3 Aussagen und Aktivitäten der PDS und ihrer Funktionäre Vielfältige Im Rahmen ihrer Internationalismus-Arbeit unterhält die PDS Kontakte zu vielfältige Kontakte zu kommunistischen Organisationen im "Bruderparteien" Ausland. Nach den von der Partei veröffentlichten Übersichim Ausland ten habe es 1993 mit 23 kommunistischen Parteien Gespräche gegeben: Der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky habe sich u.a. mit Funktionären der Kommunistischen Parteien Chinas, Kubas und Frankreichs getroffen, sein Vorgänger Gregor Gysi mit Vertretern der Kommunistischen Parteien Österreichs, der Schweiz und Spaniens. Zusammenarbeit Zur Zusammenarbeit mit Kommunisten bei den Wahlen 1994 mit Kommunisten erklärte der ehemalige PDS-Vorsitzende Gregor Gysi, der PDS bei den Wahlen müsse es im Wahlkampf gelingen, weit über das "traditionelle" linke Spektrum hinaus für die Notwendigkeit einer starken linken Opposition zu werben. Hieran seien Erfolg und Mißerfolg zu messen. Das Austragen ideologischer "Glaubenssätze" und die Verständigung auf ein "revolutionäres" Wahlprogramm für den Wahlkampf und die Zeit danach seien für die Wahlziele der PDS kontraproduktiv. Die Strategie der PDS schließe Wahlbündnisse mit anderen Parteien aus. Damit sei keine Ausgrenzung von Kommunisten verbunden, denn solche gebe es in genügender Zahl in der PDS selbst; die PDS müsse sich daher auch keine Kommunisten aus anderen Parteien ausleihen. PDS befürwortet Ein Mitglied der Arbeitsgemeinschaft "Antifaschismus und Zusammenarbeit Rechtsextremismus" beim PDS-Parteivorstand kritisierte in mit Autonomen der Mitgliederzeitschrift "Disput" Nr. 17/1993 die mangelnde Wirksamkeit der Antifa-Arbeit der Partei und trat für engere Kontakte zu den Autonomen ein. In dem Beitrag hierzu war ausgeführt, künftig müßten außerparlamentarische Aktionen und Selbsthilfe verstärkt werden. Eine wirkungsvolle Jugendund Antifa-Arbeit der PDS hänge insbesondere von engen Kontakten zu den autonomen und antifaschistischen Jugendstrukturen ab. Es wäre töricht, autonome Gruppen bei unterstützenswerten Aktivitäten allein zu lassen, z.B. wenn es um die konkrete Verhinderung von Nazitreffen gehe. Auch der PDS-Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt befürwortete auf Linksextremismus 79 dem Landesparteitag am 11. September ein "Zusammengehen" mit den Autonomen. Angehörige des Berliner Rates der Arbeitsgemeinschaft (AG) "Junge Genossinnen" in der PDS erklärten daraufhin, sie hätten schon bei meh- j :EUR$ feg*, diu z*.e&~~5 . reren Aktionen mit Berliner Antifas zusammengearbeitet und würden dies auch künftig tun. Mitglieder derselben AG hatten bereits in früheren VeröffentMilitanter lichungen militanten Widerstand nicht ausgeschlossen, da Widerstand nicht eine Beseitigung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältausgeschlossen nisse nur auf revolutionärem Wege erreicht werden könne. Die Geschichte habe gezeigt, daß die Herrschenden ihre Macht nie freiwillig abgegeben hätten. Deshalb müsse sich die PDS, um ihre Ziele durchzusetzen, alle revolutionären Mittel wie politischen Generalstreik oder sogar den Einsatz bewaffneter Gewalt offen halten. Zu dem Brandanschlag am 29. Mai in Solingen, bei dem fünf Diskriminierung türkische Staatsangehörige getötet und mehrere Personen des Rechtsstaates verletzt wurden, erklärte ein Mitglied des PDS-Parteivorstandes, der gegenwärtige Terror in Deutschland sei nicht nur Resultat des "braunen Ungeistes", sondern auch Folge "denunziantenhafter Attacken auf das Asylrecht durch Skinheads in Schlips und Kragen". Diese setzten alles daran, Einwanderer und Flüchtlinge zum nationalen Feindbild zu erklären. Sie seien nicht an Stammtischen, sondern in Parlamenten, Parteizentralen und Behörden zu finden. Der ehemalige PDS-Vorsitzende Gregor Gysi äußerte sich im "Neuen Deutschland" (ND) zum Begriff des "demokratischen Sozialismus". Dabei bemängelte er, daß mit dem Begriff "Kommunist" heute "leider" nicht nur die kommunistische Idee und Weltanschauung verbunden seien, sondern auch ein Denken im Sinne eines ganz bestimmten Parteityps, einer ganz bestimmten Struktur und Geschichte. Allerdings bringe er mit dem Begriff "demokratischer Sozialist" nicht zum Ausdruck, daß ihm etwa die kommunistische Utopie von einer klassenlosen Gesellschaft fremd sei, in der die Freiheit des Ein- 80 Linksextremismus zelnen die Voraussetzung für die Freiheit aller sei. Es sei noch nichts Besseres formuliert worden als diese Utopie im "Kommunistischen Manifest"; diese Utopie sei auch die seine. Andere klassische kommunistische Vorstellungen seien dagegen abzulehnen; dazu gehörten u.a. die Avantgarde-Theorie und der Zentralismus. Ein Zurück zur DDR könne es nicht mehr geben. Die PDS müsse daher nachdenken, wie diese Bundesrepublik anders gestaltet werden könne. Aktivitäten der Neben Fragen des inneren Aufbaus und der Konsolidierung PDS/LL Bayern des Landesverbandes standen 1993 insbesondere die Diskussionen über die Beteiligung an den Wahlen 1994 im Vordergrund. Aufgrund des geringen zeitlichen Abstands zwischen Landtagsund Bundestagswahl beschloß der Landesvorstand, nur an der Europaund Bundestagswahl teilzunehmen. Im übrigen unterstützte die PDS/LL insbesondere die "antifaschistischen" Aktionen der verschiedensten Bündnisse und linksextremistischen Gruppierungen, vor allem die der DKP. ARGE bei der PDS Die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) bei der PDS "Konkrete "Konkrete DemoDemokratie - Soziale Befreiung", die ehemals starken Einfluß kratie - Soziale auf den Landesverband Bayern ausübte, trat hier 1993 nur Befreiung" mit ihrer Publikation "Rundbrief" in Erscheinung. Diese im September 1990 in Suhl-Thüringen gegründete ARGE wendet sich gegen eine Regionalisierung der PDS, damit die Diskussion um die Zukunft über eine sozialistische Bewegung in allen Ländern, zentral von Berlin aus, fortgesetzt werden könne. Dem Zusammenschluß gehören neben PDS-Basisorganisationen in Thüringen auch die PDS-Basisorganisationen Nürnberg und Ingolstadt an. 2.4 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) Mehrere örtlich tätige maoistisch orientierte ArbeiterbasisGruppen schlössen sich 1973 zum AB zusammen. Dieser beruft sich in seinen programmatischen Aussagen auf den Marxismus-Leninismus und Mao Zedongs Ideen. Sein Ziel ist die Beseitigung der "herrschenden Ausbeuterklasse" und die "Errichtung einer Diktatur des Proletariats", um den Kommu- Linksextremismus 81 Plakat des AB Arbeiter! Jahres, wovon eine halbe Million Arbeiter dies Jahr zu Dies Land geht vor die Hunde, Tag für Tag, und mit leben hätten. Während die Feuer ausgehen in RheinJeder stillgelegten Fabrik, jedem entlassenen Proleten hausen steht der Arbeiter wieder einmal auf der "Brükund jedem Erschlagenen anderer Nationalität mehr. ke der Solidarität". Er geht zur Regierung, statt gegen egen (Und wir reden hier nicht von der einverleibten und sie zu kämpfen. Er geht mit den falschen Leuteni ui und inzwischen weltgehend ausgeräuberten DDR, wir stellt die falschen Forderungen. Er geht mit Croi reden von dieser Bundesrepublik, die die DDR 1990 annektiert hat.) und Reuter zu Rexrodt und Kohl und fragt: Warui Sollen doch die Franzosen die Fabriken schliel - äßen! Die goldenen 80er Jahre sind vorüber, reicher gemacht Mecht die Grenzen dicht gegen den Stahl aus der rSIOhaben sie nur die Kapitalisten. Für die Arbeiter blieb wakei und die Autos aus Japanl Aber die Regierui irung nicht einmal der Teuerungsausgleich. 677 Milliarden der herrschenden Klasse hat doch die Krise bekämi mpft: hatten die da oben 1992 auf der Bank. Bei uns hier sie hat 16 Millionen zwangsverpflichtet, nur bei Deutlautunten haben 4,2 Millionen von der Sozialhilfe nicht geschen zu kaufen. Was dabei herausgekommen Ist ist t ist nug zum Leben und zuviel zum Sterben, hat über eine die Erkenntnis, daß die Rechnung, dem deutschen ;hen Arbeiter gehe es umso besser, je ärmer seine Bi I Million keine Wohnung. Herren sind wir nicht geworden, als es unseren Kapitalisten gut ging, aber immergeoisie die anderen Länder macht, nicht aufgeht. Di hin durften ein paar mehr von uns ein wenig länger es gibt da ein Hindernis, das der Arbeiter nicht ül Knechte bleiben. Nun werden auch sie nicht mehr gewinden kann: das Hindernis ist er selber. Was zu braucht. Wo die siebzehn größten Konzerne der Welt sein soll in dieser in Armut wie in Reichtum gren; mehr Umsatz machen als zwei Drittel der Weitbevölkelosen Welt sind nicht nur die Hochöfen, die Fll rung zum Leben haben, kann diese Armut den Reichbander und die Montagehallen. Was zuviel sein soll tum, den wir geschaffen haben, nicht mehr kaufen. Er der Arbeiter selbst. Jeder sechste in Westdeutschland, II Ist wird vernichtet. Stillgelegt jede fünfte Maschine in so die Bundesanstalt für Arbeit, wird es noch dieses Westdeutschland, vernichtet in den Konkursen eines Jahr erfahren. nismus in einer "klassenlosen Gesellschaft" zu verwirklichen. Der AB bekennt offen, daß dies nur mit Gewalt zu erreichen sei, da die "herrschende Klasse" nicht freiwillig auf ihre Macht verzichte. Der AB bestand trotz Spaltung in zwei Flügel fort. Der PDSorientierten Fraktion gelang es erneut nicht, das BrechtGedicht "Anachronistischer Zug oder Freiheit und Democracy" zu inszenieren. Der zweite Flügel versuchte durch die 82 Unksextremismus regelmäßige monatliche Herausgabe des AB-Zentralorgans "Kommunistische Arbeiterzeitung" (KAZ) seinen Zielen näher zu kommen. Schwerpunkt des Der AB ist vorwiegend in Bayern tätig. Es bestehen Gruppen AB liegt in Bayern in Augsburg, München, Nürnberg und Regensburg. "Freundeskreise" in München, Nürnberg und Regensburg sollen den AB finanziell unterstützen. In weiteren Städten des Bundesgebietes verfügt der AB über Ortsgruppen bzw. Stützpunkte. Die Gesamtmitgliederzahl liegt bei etwa 200 Personen. In Bayern hat der AB rund 100 Mitglieder. In München und Regensburg bestehen seit 1972 Gruppen des vom AB stark beeinflußten Antifaschistischen Komitees - Stoppt die schwarzbraune Sammlungsbewegung - AKS - (früher Anti-Strauß-Komitee) mit etwa 90 Mitgliedern. Ziel des AKS ist es, den "Sturz des rechten Führungskaders" vorzubereiten und alle faschistischen Organisationen zu bekämpfen. Die Initiativen für die Vereinigung der revolutionären Jugend (IVRJ) unterliegen ebenfalls dem Einfluß des AB. Ortsgruppen bestehen u.a. in München, Nürnberg und Regensburg. 2.5 Marxistisch-leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Die MLPD, 1982 in Bochum als "politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in der BRD und Westberlin" gegründet, forderte weiterhin den revolutionären "Sturz der Herrschaft der Monopolkapitalisten" und die "Einführung der sozialistischen Gesellschaftsordnung" unter einer "Diktatur des Proletariats". Sie bekennt sich zu den Lehren von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Zedong. In regionalen und bundesweiten Veranstaltungen gedachte sie des 100. Geburtstags von Mao Zedong. Eine Hauptaufgabe sah die MLPD im Organisationsaufbau der Partei in den neuen Ländern. Dazu wurden erfahrene MLPD-Kader veranlaßt, Wohnort und Arbeitsplatz dorthin zu verlegen. Die bereits 1992 gestartete Kampagne Linksextremismus 83 Plakat der MLPD Proletarier aller Länder, vereinigt Relltnghauser Str. 334 4300 Essen 1 Telefon: 0201/25911 "Arbeitsplätze für Millionen" wurde fortgeführt, um damit Druck gegen die Politik der Bundesregierung zu erzielen. Der Schwerpunkt der Partei liegt im westund südwestdeutschen Raum. Ihre Mitglieder sind in Betriebszellen, Ortsgruppen und Bezirken organisiert, die einer "Zentralen Leitung" mit Sitz in Essen unterstehen. Die MLPD verfügt bundesweit über rund 2.000 Mitglieder, davon etwa 100 in Bayern. 84 Linksextremismus Wesentlich intensiviert hat die Partei die Anstrengungen zum Aufbau ihres Jugendverbandes Rebell und seines gleichnamigen Jugendmagazins. Darüber hinaus verbreitet sie in Bayern zahlreiche Betriebsund Stadtzeitungen. 3. Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre 3.1 Überblick Mit Forderungen nach "Selbstorganisation der Unterdrückten", "Autonomie" und "Spontanität in den eigenen Gefühlsäußerungen" entwickelte sich Mitte der 70er Jahre insbesondere an den Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland ein linksextremistisches Potential, dessen einigendes Band einerseits in der Nichtanerkennung der bestehenden Herrschaftsform, andererseits aber auch in der Ablehnung der Politik der marxistisch-leninistischen "K-Gruppen" bestand. Mit dem Begriff "Undogmatische Neue Linke" werden sie seither bezeichnet, da sie weder ein ausformuliertes Programm, noch eine klare ideologische Zielvorstellung kennen und außerdem feste Organisationsstrukturen ablehnen. Anhänger eines "undogmatischen wissenschaftlichen Sozialismus" gehören diesem Spektrum ebenso an wie Sozialrevolutionäre und Anarchisten. In der Fortentwicklung dieses diffusen linksextremistischen Spektrums traten Ende der 70er Jahre im Rahmen der Anti-Atomkraft-Bewegung die ersten Autonomen auf. Seit Beginn der 80er Jahre konnten sie ihren Einfluß zunehmend festigen, wogegen bei anderen Gruppen wie etwa den Anarchisten ein nahezu parallel verlaufender Niedergang festzustellen war. 3.2 Autonome Ziel der Autonomen ist es, den Staat mit seinen Institutionen zu beseitigen und an seiner Stelle eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu errichten, von der indessen niemand weiß, wie sie im einzelnen aussehen soll. Um dieses Ziel zu erreichen, wird der Kampf gegen den von den Autonomen als "Schweinesystem" titulierten Staat und seine Organe als Linksextremismus 85 unabdingbar erachtet. Die Anwendung von Gewalt gegen Sachen ist dabet Kam* '"'ePS**"das u unumstrittenes Mittel. Gewalt gegen *degl>om*-" Personen gewinnt im Gegensatz zur früheren Einstellung zunehmend an Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist vor allem auf die Steinwürfe auf den Bundespräsidenten im November 1992 anläßlich der Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit in Berlin und die tätlichen Übergriffe im Mai 1993 auf Mitglieder des Bundestages vor der Abstimmung über die Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes zu verweisen. Wie in den Jahren zuvor bildete Nürnberg auch 1993 das Zentrum autonomer Bestrebungen in Bayern. Dort waren die meisten Anhänger und Aktivitäten festzustellen. Daneben bestehen autonome Gruppen in Aschaffenburg, Augsburg, Autonome Bamberg, Coburg, Erlangen, Ingolstadt, Kulmbach, München, in Bayern Passau, Rosenheim und Würzburg. Auch aus anderen bayerischen Städten wurden gewalttätige Aktionen gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten bekannt. Diese Aktionen, von den Autonomen selbst als "militanter Anti- 86 Linksextremismus faschismus" umschrieben, sind ein Indiz für das Vorhandensein autonomer Tendenzen. Insgesamt muß in Bayern von der Existenz von über 400 Autonomen ausgegangen werden. Ihre oft kurzlebigen, meist aus konkretem Anlaß gegründeten Gruppierungen tragen Namen wie "Muflons gegen Rechts", "Edelweißpiraten", "Schwarze Katze", "Antifaschistische Front", "Antifaschistische Jugendfront" u.a. Die grundsätzliche Ablehnung von Organisation und verbindlicher Struktur behinderte die Autonomen in ihrer kontinuierlichen Entwicklung. Zielgerichteter "autonomer Politik" wurde dadurch die Grundlage entzogen. Immer wieder wurden deshalb Stimmen laut, die diesen Zustand kritisierten. Ein Bemühungen zähes Ringen um ein Organisierungsbzw. Organisationsmoum Organisationsdell setzte ein, in dessen Verlauf sich Mitte des Jahres 1992 strukturen im Zeichen des "autonomen Antifaschismus" verschiedene autonome Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet, darunter auch aus Passau, zur "Antifaschistischen Aktion / Bundesweite Organisation" (AA/BO) zusammenschlössen. Diese Entwicklung fand jedoch im autonomen Lager nicht nur Zustimmung. Viele Autonome lehnten diese Organisation ab, weil sie ihnen zu straff strukturiert erschien. Im Laufe des Jahres 1993 begann sich alternativ eine Initiative im autonomen Spektrum zu formieren, die ebenfalls unter dem Vorzeichen "Antifaschismus" steht, das strenge Organisationsmodell der "AA/BO" jedoch ablehnt. Zentrales Thema autonomer Aktivitäten war 1993 der "Kampf gegen den Faschismus", der auch als "antifaschistische Selbsthilfe" oder "Antifa-Kampf" bezeichnet wird. Die Autonomen sammeln dabei gezielt Erkenntnisse über tatsächliche und vermeintliche Rechtsextremisten und bereiten sie auf. Aufgrund dieser Informationen können Anschläge auf gegnerische Einzelpersonen oder Gruppen und deren Trefforte geplant und durchgeführt werden. Gewalt gegen Personen des rechtsextremistischen Lagers findet im autonomen Spektrum uneingeschränkt Zustimmung (siehe 4. Abschnitt Nr. 2.3). Zum "Kampf gegen den Faschismus" zählen die Autonomen aber auch den Kampf gegen die "faschistische, rassistische und imperialistische" Bundesrepublik Deutschland und deren Sicherheitsorgane. Linksextremismus 87 Autonome Szene in Bayern unter 20 I unter 30 |p 80 und mehr Personen Regionale Verteilung in Prozenten) Schwaben 88 Linksextremismus Neben dem dominierenden "Antifa-Bereich" befaßten sich die Autonomen 1993 mit Themen wie "Rassismus", "Kapitalismus", "Sexismus", "Asylantenund Ausländerproblematik" sowie den sozialen Problemen, die aus der rückläufigen Entwicklung der deutschen Wirtschaft erwuchsen. Dem aktuellen Thema "Olympia 2000 - Berlin" widmeten sich hauptsächlich Berliner Autonome. Unter dem Schlagwort "NOLYMPIA" begingen sie zahlreiche Sachbeschädigungen zum Nachteil von Olympiasponsoren. In Bayern kam dieser Thematik kaum Bedeutung zu. Dem Gedankenaustausch und Informationsfluß zwischen Autonomen dienen auf Ortsebene vor allem ständige Einrichtungen wie Infoläden, Szene-Lokale und anderweitige Begegnungsstätten, wo auch die einschlägigen Publikationen Autonome aufliegen. Darüber hinaus geben insbesondere im "AntifaKommunikationsBereich" Treffen auf Ortsund Landesebene Gelegenheit zur mittel Diskussion aktueller Themen und zur Absprache von Demonstrationen und sonstigen Aktionen. Für die landesund bundesweite sowie die internationale Kommunikation gewinnen moderne Techniken wie Telefax und Mailboxsysteme zunehmend an Bedeutung. 3.3 Publikationen Eine weitere Informationsmöglichkeit bieten den Autonomen die Szene-Publikationen. Meist werden diese konspirativ hergestellt und verbreitet; ihre Autoren sind weitgehend unbekannt. Neben der Berichterstattung über autonome und terroristische Aktivitäten schüren sie vor allem den Haß linksextremistischer Gruppen gegen die Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Sie enthalten ferner unverhohlene Aufforderungen zu Gewalttaten gegen wirkliche oder vermeintliche Rechtsextremisten und deren Einrichtungen. In Bayern publizieren die Autonomen ihre politischen Artikel in Zeitschriften wie z.B. "wie weiter" in Linksextremismus 89 o&& ,"1"deg"deg Nürnberg oder den neu hinzugekommenen "NA UND" im Raum München, "an alle" aus Pfaffenhofen und "Fight the power" aus der Region Passau. Alle bayerischen Zeitschriften erlangten bisher jedoch keine überregionale Bedeutung. Oft werden darin auch nur Artikel aus den Szene-Publikationen mit bundesweiter Bedeutung wie "CLASH - Internationale Zeitung", "INTERIM" und "radikal" übernommen und mit Hinweisen auf aktuelle Themen und Termine der örtlichen oder regionalen Szene ergänzt. Die bundesweit erscheinenden Szene-Blätter .INTERIM' "radikal" und "CLASH" befaßten | ^ ^ ^ ^ sich 1993 u.a. mit Themen wie "Faschismus", "Antifaschismus", "Organisierung/Organisation im autonomen Spektrum", "Rassismus", "Asylund Ausländerproblematik", RAF-Anschlag auf die JVA Weiterstadt, RAF-Problematik, RAF-Inhaftierte sowie "Olympia 2000 in Berlin". Die "radikal" beschrieb z.B. in ihrer Ausgabe Nr. 147, Teil 1 vom März 1993 nach der Vorankündigung auf dem Titelblatt "Neu jetzt mit 13% mehr Haß" unter der Schlagzeile "Volxsport gegen Rechtsradikale" die Brandstiftung am Grund^243 stück eines Mitglieds der 90 Linksextremismus Partei "Die Republikaner" in Berlin. Der Artikel endete mit der Aufforderung: "Wir wollen hiermit dazu aufrufen, endlich alle Faschostrukturen und ihre Bonzenwagen und Bonzenreiche abzufackeln! Greift Nazis an, überall und sofort!" sowie "Jagt Faschisten, schlagt Faschisten!!". Linksextremismus 91 3.4 Aktivitäten autonomer Gruppen in Bayern Neben einer Reihe von im 4. Abschnitt dargestellten Gewalttaten sind folgende Aktionen autonomer Gruppen erwähnenswert: Bisher unbekannte Täter, die dem autonomen Spektrum zuzurechnen sind, mauerten am 30. Januar eine Eingangstür des SPD-Hauses in Nürnberg zu. Am Tatort wurden mehrere Flugblätter aufgefunden, die von einer bisher unbekannten "Aktionsgruppe antirassistischer Maurerinnen" unterzeichnet waren und die Ausländerpolitik der SPD, insbesondere im Zusammenhang mit der Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes, angriffen. Ein inhaltsgleiches Flugblatt erschien in der autonomen Szenepublikation "wie weiter" in Nürnberg. Etwa 150 Personen aus dem bayerischen autonomen Spektrum beteiligten sich an der Bundestagsblockade am 26. Mai in Bonn, dem Tag der 3. Lesung zur Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes. Die Autonomen hatten bundesweit für diese Demonstration unter dem Motto aufgerufen "Die Brandstifter sitzen in Bonn - auf nach Bonn zum Tag X". Im Verlauf der Blockade kam es zu mehreren tätlichen Angriffen auf Bundestagsabgeordnete. Am 22. Juni drangen 15 Angehörige der autonomen Szene in das Büro des Evangelischen Landesbischofs in München ein und wollten über die Situation eines Romalagers in der KZGedenkstätte Dachau diskutieren. Nachdem die Verantwortlichen der Evangelischen Kirche ein Gespräch abgelehnt und Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs gestellt hatten, räumten Polizeikräfte das Haus und nahmen die Demonstranten fest. Anläßlich der DVU-Großkundgebung am 2. Oktober in Passau initiierte die örtliche autonome Szene breitgefächerte Gegenveranstaltungen. Zentrale Veranstaltung war eine Gegendemonstration mit rund 1.200 Teilnehmern, darunter etwa ein Drittel Autonome mit hoher Beteiligung der "Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation". Beginnende Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten wurden von der Polizei unterbunden. 92 Linksextremismus Das autonome "Antifa-Plenum" München veranstaltete am 30. Oktober in München eine "Mahnwache" zum Thema "Kein Vergeben - Kein Vergessen - 43 Nazimorde seit der Wiedervereinigung". Anlaß für diese Veranstaltung war ein für denselben Tag von einer "Bürgerinitiative" angemeldeter Aufzug zum Thema "Gegen Ausländer bei der Polizei - Gegen kommunales Ausländerwahlrecht", der jedoch aufgrund der 300 anwesenden Gegendemonstranten nicht durchgeführt wurde. Der Veranstalter dieses Aufzugs war nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes dem neonazistischen Umfeld zuzurechnen. Die Gegendemonstranten setzten sich überwiegend aus Personen des autonomen Spektrums zusammen. 4. Bündnisse gegen Rassismus An dem linksextremistisch beeinflußten "Münchner Bündnis gegen Rassismus" beteiligten sich neben demokratischen Gruppierungen auch Autonome, die VVN-BdA sowie marxistisch-leninistische Organisationen wie DKP, AB, Vereinigte Sozialistische Partei (VSP) und Sozialistische Arbeitergruppe (SAG). Die Leitung bei Treffen und Veranstaltungen oblag jeweils Aktivisten der linksextremistischen Gruppierungen. Diese zeichneten auch für Flugblätter des Bündnisses presserechtlich verantwortlich. Das Bündnis organisierte in München Veranstaltungen u.a. zu den Themen "30. Januar 1933 mahnt", "Nein zur Abschaffung des Asylrechts", "Stoppt den Naziterror und die politischen Brandstifter", "Die Vertreibung der Roma aus der KZ-Gedenkstätte Dachau" und "Gegen das PKK-Verbot". In Nürnberg waren im Berichtszeitraum zum einen die "Initiative gegen Ausländerhaß und Rassismus" und zum anderen das "Nürnberger Aktionsbündnis gegen Rassismus" aktiv. Während dem zuerst genannten Bündnis neben demokratischen Organisationen u.a. die linksextremistischen Gruppen Kommunistischer Bund Nürnberg (KB), AB und DKP angehören, ist das "Nürnberger Aktionsbündnis gegen Rassismus" dem autonomen/antiimperialistischen Spektrum zuzuordnen. Anlaßbezogen sind übergreifende Kontakte feststellbar. Linksextremismus 93 5. Übersicht über erwähnenswerte linksextremistische und linksextremistisch beeinflußte Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation Mitglieder Ende 1993 Publikationen a) Gründung c) Bayern e) Erscheinungsweise b) Sitz d) Bund f) Auflage 1. Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 1.1 Kernorganisationen: Deutsche Kommunistische c) 750 Unsere Zeit (UZ) Partei (DKP) d) 6.000 e) vierzehntägig f) 14.000 14 Bezirksorganisationen, aufgeteilt in Kreisund Grundorganisationen Marxistische Blätter a) 26.09.1968 e) zweimonatlich b) Essen f) 3.200 Partei des Demokratischen c) 100 Das Informationsforum Sozialismus/Linke Liste Bayern der PDS/Linke Liste (PDS/LL Bayern) Bayern e) unregelmäßig Landesverband mit 10 örtlichen Initiativen a) 20.10.1990 b) München Arbeiterbund für den O 100 Kommunistische ArbeiterWiederaufbau der KPD (AB) d) 200 zeitung (KAZ) a) 1973 e) 1.500 b) München f) monatlich Marxistisch-Leninistische c) 100 Rote Fahne Partei Deutschlands (MLPD) d) 2.000 e) wöchentlich 10 Parteibezirke, über 100 f) 7.500 Ortsgruppen u. Stützpunkte lernen und kämpfen (luk) a) 17/18.06.1982 e) monatlich b) Essen f) 1.500 94 Linksextremismus Organisation Mitglieder Ende 1993 Publikationen a) Gründung c) Bayern e) Erscheinungsweise b) Sitz d) Bund f) Auflage Bund Westdeutscher c) 30 Politische Berichte Kommunisten (BWK) d) 300 e) vierzehntägig 7 Landesverbände f) 1.200 a) 20721.09.1980 b) Köln Vereinigte Sozialistische c) 25 Sozialistische Zeitung Partei (VSP) d) 270 (SOZ) Landesverbände, e) vierzehntägig Ortsgruppen, Zellen f) 2.000 a)04./05.1986 b) Köln Sozialistische Arbeiterc) 60 Klassenkampf gruppe (SAG) d) 250 e) monatlich b) Berlin f) 3.500 Kommunistischer Bund (KB) Hamburg (aufgelöst am 20.04.1991) Nachfolgegruppen: d) 200 analyse & kritik (ak) Gruppe K e) monatlich Gruppe Mehrheit f) 4.500 KB-Gruppe Nürnberg c) 20 Marxistische Gruppe c) 700"Gegenstandpunkt" München d) 10.000 Herausgeber: Ehemalige Funktionäre der MG a) 1969/70 AK Rote Zellen e) vierteljährlich b) München f) 6.000 * "aufgelöst" zum 01.06.1991 Linksextremismus 95 ütglieder Ende 1993 Publikationen c) Bayern e) Erscheinungsweise d) Bund f) Auflage 0