VERFASSUNGSSC BADEN-WÜRTT CHUTZBERICHT TEMBERG 2005 Herausgeber: Innenministerium Baden-Württemberg Dorotheenstraße 6, 70173 Stuttgart Gestaltung und Satz: Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg Taubenheimstraße 85A, 70372 Stuttgart Umschlag: Orel & Unger GmbH, Stuttgart Druck: KONKORDIA GmbH Eisenbahnstraße 31, 77815 Bühl Auflage: 12.000 Zitate: Alle Zitate sind in Kursivschrift gesetzt. Zitate aus Texten in alter Rechtschreibung wurden an die neue Rechtschreibung angeglichen. Redaktionsschluss: Mai 2005 Nachdruck nur mit Genehmigung des Herausgebers - ISSN 0720-3381 VORWORT Dass die Polizei bei der Fußball-Weltmeisterschaft besonders gefordert war, konnte jeder sehen. Aber auch der Verfassungsschutz hat viel dazu beigetragen, um die Sicherheit für die Gäste aus aller Welt und für die einheimische Bevölkerung zu gewährleisten. Denn große und international beachtete Veranstaltungen sind leider auch Handlungsfelder für extremistische und terroristische Aktionen. Besonders aufgrund der hohen Resonanz in den Medien konnte deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass extremistische Gruppierungen oder Einzeltäter die Fußball-Weltmeisterschaft als Bühne für propagandistische oder gar gewaltsame Aktionen nutzen würden, um den Blick der Weltöffentlichkeit auf sich und ihr Anliegen zu lenken. Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg achtet im Vorfeld von Großveranstaltungen besonders auf Anzeichen für solche Aktionen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse gibt das Amt in seiner Funktion als Frühwarnsystem beispielsweise an die Polizei weiter, damit die erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden können, um Gefahren oder Störungen zu verhindern. Denn die Freiheiten, die wir tagtäglich genießen und die wir oft als selbstverständlich ansehen, begründen sich auf unserer Staatsund Werteordnung. Um unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen, hat das Landesamt für Verfassungsschutz die Aufgabe, verfassungsfeindliche Bestrebungen jeglicher Art frühzeitig zu erkennen, zu beobachten und zu entlarven. Gefahren drohen nicht nur von islamistischen Terroristen, sondern auch von Extremisten aus dem rechten oder linken Spektrum, von extremistischen Ausländern oder von der "Scientology-Organisation". Gruppierungen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Werte unserer Demokratie abzuschaffen, dürfen wir nicht gewähren lassen. Dieses Gut ist zu hoch, als dass wir es aus falsch verstandener Toleranz leichtfertig aufgeben oder gar hinnehmen, dass in Deutschland Parallelgesellschaften entstehen. Der Schutz unserer Demokratie ist aber nicht allein Aufgabe des Staates. Die Vorzüge unserer Demokratie können uns langfristig nur erhalten bleiben, wenn jeder Einzelne sich zu unserer Rechtsordnung bekennt, für diese eintritt und bereit ist, sie mit seinen Möglichkeiten zu verteidigen. Nur wenn Staat und Bürger an einem Strang ziehen, wird es uns gelingen, die Freiheiten, die wir haben, auch für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. Ohne Kenntnis der politischen Ziele und Aktivitäten extremistischer Gruppierungen wird es kaum gelingen, verfassungsfeindlichen Bestrebungen entgegenzutreten. Der vorliegende Verfassungsschutzbericht 2005 mit seinem umfassenden Überblick über extremistische Gruppierungen und über die Gefahren, die durch Spionage ausländischer Nachrichtendienste oder die Aktivitäten der "Scientology-Organisation" drohen, ist eine unverzichtbare, wertvolle Orientierungshilfe für staatliche Stellen, für die Politik und für jeden einzelnen Bürger. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz leisten mit ihrer professionellen, engagierten und fundierten Arbeit einen wesentlichen Beitrag für den Erhalt unserer Demokratie. Sie sind Garanten dafür, dass die schwierigen und verantwortungsvollen Aufgaben des Landesamts für Verfassungsschutz effektiv erfüllt werden und damit die Sicherheit in unserem Land gewährleistet bleibt. Heribert Rech MdL Innenminister des Landes Baden-Württemberg INHALTSVERZEICHNIS A. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN .....12 1. Allgemeiner Überblick ...............................................................................12 2. Islamismus.......................................................................................................13 2.1 Hintergründe, Begriffsbestimmungen ...................................................13 2.2 Islamistische Tendenzen in Deutschland .............................................16 2.3 Interner und globaler Djihadismus........................................................20 2.3.1 Islamistische Propaganda im Internet ...................................................24 2.3.2 Erstellung und Verbreitungswege islamistischer Internetpropaganda......................................................................................26 2.3.3 Rekrutierung über das Internet...............................................................27 2.3.4 Die Chronologie der Gewalt ..................................................................29 2.4 Islamistische Organisationen aus dem arabischen Raum ...............31 2.4.1 Islamistische Organisationen aus dem sunnitischen Bereich........31 2.4.1.1 Die "Muslimbruderschaft" (MB) und ihre nationalen Ableger....31 2.4.1.1.1 "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD)..................36 2.4.1.1.2 "Al-Djamaa al-Islamiya" und "al-Djihad al-Islami" ..........................45 2.4.1.1.3 "Harakat al-Muqawama al-islamiya" (HAMAS) .................................46 2.4.1.1.4 "Al-Aqsa e.V." .................................................................................................47 2.4.1.1.5 "Front Islamique du Salut" (FIS) ...........................................................47 2.4.1.1.6 "Groupe Islamique Arme" (GIA) ..........................................................48 2.4.1.1.7 "Groupe salafiste pour la Predication et le Combat" (GSPC) ....49 2.4.1.1.8 "An-Nahda" ("Bewegung der Erneuerung") ......................................50 2.4.1.1.9 "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung") .............................................51 2.4.1.2 "Tabligh-i Jama'at" (Gemeinschaft für Verkündung und Mission) .....................................54 2.4.1.3 Gruppierungen säkularer Palästinenser ................................................57 2.5 Organisation aus dem schiitischen Bereich: "Hizb Allah" (Partei Gottes).....................................................................58 2.6 Türkische islamistische Vereinigungen .................................................60 2.6.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG)......................60 2.6.2 Der "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti"), früher "Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e.V." (ICCB) .........................78 2.7 Iranische islamistische Gruppen..............................................................80 "Volksmodjahedin" .......................................................................................80 3. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) beziehungsweise "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK), jetzt: "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL)......................83 4. Türkische Vereinigungen (ohne kurdische) .......................................91 4.1 Extrem nationalistische Organisationen ...............................................91 "Föderation der Demokratischen Türkischen Idealistenvereine in Europa e.V." (ADÜTDF)/ "Türkische Föderation Deutschland" (ATF) .......................................91 4.2 Linksextremisten...........................................................................................94 4.2.1 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) und "Türkische Volksbefreiungspartei-Front - Revolutionäre Linke" (THKP-C-Devrimci Sol) ................................94 4.2.1.1 Entstehungsgeschichte................................................................................94 4.2.1.2 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C)..............95 4.2.2 "Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten" (TKP/ML)...........................................................99 4.2.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) ....101 5. Volksgruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien und ethnische Albaner.............................................................................103 6. Sikh-Organisationen ..................................................................................105 7. "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE).....................................107 B. RECHTSEXTREMISMUS ..................................................................................110 1. Aktuelle Entwicklungen und Tendenzen .........................................110 1.1 Rechtsextremistische Personenund Wählerpotenziale ...............111 1.2 Strafund Gewalttaten..............................................................................113 1.3 Ideologie ........................................................................................................113 2. Gewaltbereiter Rechtsextremismus.....................................................115 2.1 Häufigkeit und Hintergründe rechtsextremistisch motivierter Gewalt......................................................................................115 2.2 Der Boom der rechtsextremistischen Skinhead(musik)-szene ...115 3. Rechtsextremistische Musikszene ........................................................121 3.1 Drastische Zunahme von Skinheadkonzerten in Baden-Württemberg 2005 ..................................................................121 3.2 "Schulhof-CDs": Ein Projekt macht Schule.......................................124 3.2.1 Das ursprüngliche "Projekt Schulhof" ................................................124 3.2.2 "Schulhof-CDs" der NPD........................................................................126 3.2.3 CD "Rebellion im Klassenzimmer" der "Kameradschaft Rastatt"...................................................................128 3.2.4 Bewertung und Einordnung...................................................................128 4. Neonazismus................................................................................................129 4.1 Allgemeines ..................................................................................................129 4.2 Bundesweite Aktivitäten .........................................................................130 4.2.1 "Rudolf Heß-Gedenkmarsch" ................................................................130 4.2.2 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) ...................................................133 4.3 Neonazistische Personenzusammenschlüsse in Baden-Württemberg.............................................................................133 5. Rechtsextremistische Parteien...............................................................140 5.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD).................140 5.2 "Die Republikaner" (REP) ......................................................................147 5.3 "Deutsche Volksunion" (DVU) .............................................................150 5.4 "Deutsche Partei - Die Freiheitlichen" (DP)....................................152 6. Sonstige rechtsextremistische Aktivitäten ........................................154 6.1 Organisationsunabhängige rechtsextremistische Verlage in Baden-Württemberg: "GRABERT-Verlag"/"Hohenrain-Verlag"...154 6.2 "Gesellschaft für Freie Publizistik e.V." (GFP) .................................156 7. Internationale Verflechtungen des Rechtsextremismus ..............156 7.1 Allgemeines ..................................................................................................156 7.2 Geschichtsrevisionismus...........................................................................157 8. Theorieund Strategiebildung im deutschen Rechtsextremismus .......................................................159 9. Tendenzen zu verstärkter Kooperation und Bündelung der vorhandenen personellen und strukturellen Ressourcen im rechtsextremistischen Lager ...................................................................162 9.1 Das "Hamburger Signal" vom 7. Januar 2005 ...................................164 9.2 Der "Deutschland-Pakt" vom 15. Januar 2005 .................................166 9.3 Das "Münchener Bekenntnis" vom 23. Januar 2005......................167 9.4 Die "Patriotisch-demokratische Arbeitstagung" und die "Stuttgarter Erklärung" vom 26. Februar 2005..........................170 9.5 "Bündelung nationaler Kräfte" vor Ort: Das Konzept der "Nationalen Bündnisse"........................................172 9.6 Bewertung und Ausblick: Droht eine breite, erfolgreiche "Volksfront von rechts"?...................................................175 C. LINKSEXTREMISMUS ......................................................................................178 1. Aktuelle Entwicklungen und Tendenzen .........................................178 2. Übersicht in Zahlen ..................................................................................181 2.1 Personenpotenzial.......................................................................................181 2.2 Strafund Gewalttaten .............................................................................182 3. Gewaltbereiter Linksextremismus........................................................183 4. Parteien und Organisationen .................................................................185 4.1 "Linkspartei.PDS", bis Juli 2005: "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS)............................185 4.2 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) .....................................188 4.3 "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA)..191 4.4 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD)...........193 4.5 "Rote Hilfe e.V." (RH)..............................................................................196 4.6 Sonstige Vereinigungen ............................................................................199 5. Aktionsfelder ...............................................................................................199 5.1 "Antifaschismus" .........................................................................................199 5.2 "Sozialabbau" ...............................................................................................204 5.3 EU-Verfassung..............................................................................................206 5.4 "Autonome Zentren"................................................................................208 D. SCIENTOLOGY-ORGANISATION (SO).......................................................210 1. Aktuelle Entwicklungen und Tendenzen .........................................210 2. Organisationsstruktur ...............................................................................211 3. Verfassungsfeindliche Programmatik ..................................................213 4. Expansionsstrategie....................................................................................216 5. Werbemaßnahmen und Propaganda...................................................219 5.1 Scientologische "Fluthilfe" ......................................................................219 5.2 Expansionsversuche in der Wirtschaft................................................220 5.3 Sonstige Anwerbeversuche .....................................................................221 6. Diffamierungskampagnen........................................................................222 7. Aktivitäten des "Office of Special Affairs" (OSA)..........................224 8. Vertrauliches Telefon ...............................................................................225 E. SPIONAGEABWEHR, GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ ........................226 1. Aktuelle Entwicklungen und Tendenzen .........................................226 2. Daten, Fakten, Hintergründe.................................................................228 2.1 Proliferation..................................................................................................228 2.1.1 Islamische Republik Iran.........................................................................230 2.1.2 Demokratische Volksrepublik Korea ..................................................231 2.2 Wirtschaftsspionage ...................................................................................231 2.2.1 Volksrepublik China..................................................................................231 2.2.2 Russische Föderation ...............................................................................234 3. Prävention.....................................................................................................237 3.1 Geheimund Sabotageschutz ...............................................................238 3.2 Objektschutz als integraler Bestandteil der IT-Sicherheit...........238 3.3 Sicherheitsforum Baden-Württemberg .............................................240 4. Erreichbarkeit der Spionageabwehr.....................................................241 F. VERFASSUNGSSCHUTZ IN BADEN-WÜRTTEMBERG ...............................242 1. Neue gesetzliche Grundlagen................................................................242 2. Aufgaben des Verfassungsschutzes ......................................................244 3. Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei ................................244 4. Methoden des Verfassungsschutzes ....................................................245 5. Kontrolle.......................................................................................................246 6. Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes ................................246 ANHANG ................................................................................................................................. Gesetz über den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg (Landesverfassungsschutzgesetz - LVSG) vom 5. Dezember 2005 ...........................................................................250 Gruppen-, Organisationsund Sachregister......................................264 Personenverzeichnis .................................................................................273 A. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 1. Allgemeiner Überblick Organisationen von Ausländern werden als extremistisch eingestuft und vom Verfassungsschutz beobachtet, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Vor allem islamistische Gruppierungen sind verstärkt in das Blickfeld geraten, einerseits durch die aus dem politischen Islamismus hervorgehenden terroristischen Bewegungen, andererseits durch das Bemühen von Organisationen, rechtliche Sonderpositionen einzunehmen, bei denen die freiheitliche demokratische Grundordnung zumindest in Teilen außer Kraft gesetzt würde. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass islamistische Bestrebungen und damit verbundene gewaltorientierte Tendenzen als Phänomen nicht mehr ausschließlich Ausländer betrifft, sondern aufgrund von Glaubenswechsel und Einbürgerungen auch als ein von Inländern befördertes Problem anzusehen ist. Der gesetzlich vorgesehenen Beobachtung unterliegen außerdem Bestrebungen, die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine gewaltsame Anhänger extremistischer bzw. extremistisch beeinflusster Ausländerorganisationen in Deutschland und Baden-Württemberg im Zeitraum 2003 - 2005 2003 2004 2005 Land Bund Land Bund Land Bund Kurden (linksextremistisch) 860 11.850 810 11.950 700 11.500 Türken 6.870 38.670 6.860 37.900 6.850 37.900 ddavon: linksextremistisch 870 3.370 860 3.150 850 3.150 rechtsextremistisch 2.100 8.000 2.100 7.500 2.100 7.500 religiös-nationalistisch 3.900 27.300 3.900 27.250 3.900 27.250 Araber 485 3.450 510 3.400 480 3.500 ddavon: linksextremistisch 30 150 40 150 25 150 religiös-nationalistisch 455 3.300 470 3.250 455 3.350 Iraner 100 1.250 80 1.200 80 1.300 ddavon: linksextremistisch 100 1.200 80 1.150 80 1.150 religiös-nationalistisch - 50 - 50 - 150 Sonstige 260 2.080 250 3.070 320 3.220 Gesamt 8.575 57.300 8.510 57.520 8.430 57.420 Grafik: LfV BW Stand: 31.12.2005 12 Islamismus/Ausländerextremismus Änderung der politischen Verhältnisse im jeweiligen Heimatland angestrebt wird. In Baden-Württemberg waren 8.430 (2004: 8.510) Personen in Vereinigungen mit extremistischer oder terroristischer Zielsetzung aktiv. Nennenswerte Änderungen zwischen den einzelnen politischen Lagern ergaben sich im Lauf des Jahres 2005 nicht. Politisch motivierte Kriminalität im Phänomenbereich Ausländer sowie ausländerextremistische Strafund Gewalttaten im Jahr 2005 Bund 2 Baden-Württemberg1 2005 (2004) 2005 (2004) Politisch motivierte Kriminalität im 771 (603) 58 (135) Phänomenbereich Ausländer insgesamt davon: ausländerextremistische 43 (104) 644 (461) Straftaten davon: ausländerextremistische 6 (17) 47 (61) Gewalttaten 1 Zahlen des LKA Baden-Württemberg 2 Zahlen des Bundesministeriums des Innern Grafik: LfV BW Die Gesamtzahl der politisch motivierten Straftaten im Phänomenbereich Ausländer reduzierte sich 2005 in Baden-Württemberg von 135 um 57 Prozent auf 58. Hiervon entfielen 43 (2004: 104) auf Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Die Anzahl der Gewaltdelikte reduzierte sich um rund zwei Drittel von 17 auf 6.1 2. Islamismus 2.1 Hintergründe, Begriffsbestimmungen Wie die Religion des Islam selbst, so ist auch der Islamismus ein zutiefst heterogenes Phänomen, das zwar gemeinsame Elemente und Ziele aufweist, die allen islamistischen Strömungen gemeinsam sind, jedoch nicht notwen- 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg führt keine eigene Strafund Gewalttatenstatistik. Alle in diesem Jahresbericht aufgeführten statistischen Angaben zu politisch motivierten Straftaten beruhen auf Zahlenangaben des Landeskriminalamts Baden-Württemberg. 13 digerweise gewaltsame Formen annehmen muss.2 Gemeinsam sind ihnen allen der universelle und unteilbare Geltungsanspruch, der Rückgriff auf als authentisch betrachtete Quellen sowie die Vision eines vergangenen Idealzustands, der sich maßgeblich an der überlieferten Glaubenspraxis des Propheten Muhammad und der frühen Muslime orientiert. Ihren Ursprung haben die meisten islamistischen Bewegungen in Gebieten und Regionen der islamischen Welt, in denen sie eine Protestbewegung vor allem gegen den Einfluss von westlichen Werteund Ordnungsvorstellungen darstellen. Armut in weiten Teilen der Bevölkerung, einhergehend mit einem rapiden Bevölkerungswachstum, führt zu Perspektivlosigkeit. Die daraus resultierende Unzufriedenheit bildet einen geeigneten Nährboden, auf dem islamistische Ideen gut gedeihen und immer mehr Anhänger verbuchen können. Zunehmend sehen Muslime die Lösung für ihre sozialen und politischen Probleme in einer Rückbesinnung auf eigene Werte und Traditionen. Die Religion des Islam wird als ein sozio-politisches System verstanden, das in ahistorischer Weise ein für alle Zeiten gültiges Repertoire an Vorschriften und Bestimmungen enthält, durch deren Einhaltung nach Meinung von Islamisten soziale Gerechtigkeit und Frieden auf der Welt herbeigeführt werden kann. Die Religion des Islam wird somit zu einer politischen Ideologie erhoben. Aufgrund ihres Anspruchs, für die ganze Menschheit gültig zu sein, gerät sie notgedrungen mit abweichenden Ordnungsund Wertevorstellungen in Konflikt. Fand dieser Prozess in der Vergangenheit überwiegend in islamischen Ländern statt, so fühlen sich inzwischen auch vor allem jugendliche Muslime in westlichen Ländern von islamistischem Gedankengut angesprochen. Um trotz dieser Gemeinsamkeiten der Komplexität aktueller islamistischer Spielarten des Tendenzen, die durchaus miteinander im Widerstreit liegen, gerecht zu werIslamismus den und um deren unterschiedliche Methodik zur Implementierung und Durchsetzung ihrer Ziele auf einen gemeinsamen Nenner bringen zu können, wird der Begriff "Islamismus" im weitesten Sinne definiert als "die aktive Befürwortung und Durchsetzung von Glaubensinhalten, Vorschriften, Gesetzen oder Politikinhalten, die als islamisch betrachtet werden".3 Aufgrund der Tatsache, dass Islamisten unterschiedlich organisiert sind und bei der Umsetzung ihrer Ziele verschiedene Ansätze verfolgen, lassen sich 2 Vgl. J. Kandel, Grundlagen des Islamismus, S.1-5, Friedrich-Ebert-Stiftung, politische Akademie, Referat Berliner Akademiegespräche/interkultureller Dialog, September 2004. 3 Diese Definition ebenso wie die nachfolgende Kategorisierung der unterschiedlichen Formen des Islamismus erfolgen in weiten Teilen in Anlehnung an die International Crisis Group, vgl. International Crisis Group, Understanding Islamism, Middle East/North Africa Report No 37, 2 March 2005. 14 Islamismus/Ausländerextremismus auch unterschiedliche Formen des Islamismus konstatieren. Es gibt islamistische Gruppierungen wie beispielsweise die "Muslimbruderschaft" (MB), deren Priorität im Bereich des politischen Aktivismus liegt. Ihr Hauptziel ist die Erlangung der politischen Macht, wobei sie sich als politische Parteien konstituieren und der Gewalt als Mittel der Politik öffentlich abschwören. Sie bewegen sich dabei im vorgegebenen verfassungsrechtlichen Rahmen des jeweiligen politischen Systems, wobei das Aktionsfeld solcher Organisationen in der Regel auf die nationalstaatliche Ebene beschränkt bleibt (Politischer Islamismus). Des Weiteren gibt es eine Erscheinungsform des Islamismus, dessen zentrales Tätigkeitsfeld die Konvertierung durch Mission (Dawa) sowohl Andersgläubiger (Christen, Juden, Atheisten) als auch säkular orientierter Muslime zu einem als authentisch betrachteten Islam darstellt (Missionarischer Islamismus). Die Ergreifung der politischen Macht ist hierbei nicht das primäre Ziel. Vielmehr geht es um den Erhalt der muslimischen Identität und um die Verbreitung des islamischen Glaubens, wobei in einem dualistischen Weltbild, das zwischen gut (islamisch) und schlecht (unislamisch) unterscheidet, dem so genannten Unglauben (Kufr) eine als höherwertig betrachtete islamische moralische Ordnung gegenübergestellt wird. Die hoch strukturierte "Tablighi"-Bewegung lässt sich beispielsweise diesem Islamismustyp zuordnen. Organisationen eines dritten Typs des Islamismus schließlich betrachten den bewaffneten Kampf (Djihad) als die einzige Möglichkeit, islamistische Ziele in die Tat umzusetzen (Djihadistischer Islamismus). Der Kampf wird zum einen gegen die Herrscher und Regierungen der islamischen Welt geführt, die als "ungläubig" und "apostatisch" (vom Glauben abgefallen) betrachtet werden, da nach Ansicht der Djihadisten diese Regierungen als "Handlanger" des Westens gegen die Bestimmungen des Islam und gegen die Interessen der Muslime fungieren. Der Kampf wird hierbei gegen die jeweiligen Nationalstaaten geführt, die durch einen transnational übergreifenden islamischen Gottesstaat ersetzt werden sollen, in dem ausschließlich das islamische Gesetz (Scharia) Anwendung findet (Interner Djihadismus). Die "Islamische Bewaffnete Gruppe" in Algerien ist ein klassischer Vertreter dieser Form des Islamismus. Zum anderen wird ein weltweiter Kampf gegen den Westen und seine Verbündeten, insbesondere die USA und Israel, geführt. Terroristische Organisationen und Netzwerke wie "al-Qaida" erklären bei dieser Form des Islamismus oppositionelle und anders denkende Muslime zu "Ungläubigen" (Takfir) und machen sie somit gemäß ihrer Interpretation des Islam zu legitimen Zielen, die mittels des Djihad bekämpft werden dürfen (Globaler Djihadismus). In einigen Fällen ist der 15 bewaffnete Kampf regional beschränkt und zielt im Wesentlichen darauf ab, Gebiete, die als dem islamischen Kulturkreis zugehörig betrachtet werden, von "nicht islamischer" Herrschaft zu befreien, so dass diese wieder "islamisch" regiert werden (Irredentistischer Djihadismus). Derartige Tendenzen lassen sich bei islamistischen Gruppierungen in Palästina (HAMAS, "al-Djihad al-Islami"), Kaschmir ("Laschkar-e Taiba", "Hizb-ul-Mudschahedin") und auch in Tschetschenien beobachten. 2.2 Islamistische Tendenzen in Deutschland Im Jahr 2005 dominierte infolge der Terroranschläge in London, Amman oder im Irak das Thema Islamismus die Berichterstattung über die islamische Welt und die muslimischen Mitbürger und Einwanderer. Auch wenn es in Deutschland selbst zu keinen Terrorakten kam, stieg die Angst in der Bevölkerung vor islamistisch motivierten Gewalttaten. Muslimische Mitbürger sahen sich einem Pauschalverdacht ausgesetzt, diese Gewalttaten mitzutragen oder gutzuheißen. In der Folge war häufig ein Rückzug aus dem öffentlichen Leben zu beobachten. Die teilweise vorhandene Neigung, sich von der Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen, wurde dadurch noch größer. Im Alltag an deutschen Schulen werden diese Konflikte, die etwa einige streng konservative muslimische Eltern mit einer aus ihrer Sicht unislamischen Umwelt haben, deutlich. So äußerte ein islamischer Rechtsgelehrter in einem Interview in Bezug auf die Teilnahme muslimischer Kinder an Geburtstagsfeiern von Klassenkameraden Folgendes: integrations"Ich würde pädagogisch erzieherisch nicht empfehfeindliche len, Geburtstag zu feiern, weil das ein Verderb ist. Erziehung (...) Der Glaube enthält Gebote und Verbote und da wollen wir nicht ohne diese Gebote und Verbote leben. (...) Die Verfassung ist Menschenwerk. Und der Glaube ist ein göttliches Werk. Das ist eine Offenbarung." 4 Zusätzlich gefördert werden jene Vorstellungen, einer besonderen Religionsgemeinschaft anzugehören, in den Gebetsräumen verschiedener Moscheen Baden-Württembergs sowie im Internet. Hier wie dort ist die deutschsprachige Übersetzung eines bekannten saudischen Religionsgelehrten in Umlauf gebracht worden, die das Zusammenleben von Muslimen mit einer nichtmuslimischen Bevölkerung erheblich in Frage stellt: 4 Mohammad RASSOUL in einem Interview, das vom ARD-Magazin Monitor am 13. Oktober 2005 gesendet wurde. 16 Islamismus/Ausländerextremismus "Es ist unsere Meinung, dass wer auch immer die Annehmbarkeit bei Allah irgendeiner heute existierenden Religion - eine andere als der Islam - wie z.B. das Judentum, Christentum usw., behauptet, ein Ungläubiger ist. Er sollte aufgefordert werden, zu bereuen, tut er dies nicht, muss er als ein Abtrünniger (Murtad) hingerichtet werden, weil er den Qur'an verleugnet." 5 Schriften wie diese sind dazu geeignet, die zum Teil als tiefe Kränkungen empfundenen Missstände in der islamischen Welt und die Anfeindungen in einem nichtislamischen Umfeld durch trotzigen Zorn zu ersetzen. Was für die Einzelnen eine Art religiösen Trost spendende Erbauungsliteratur sein kann, wird für andere zur Quelle der Inspiration, sich aktiv für eine Verbesserung der Zustände und damit auch für islamistisch formulierte Ziele einzusetzen. Die Lektüre dieser Texte kann eine Re-Islamisierung in Gang setzen oder begleiten, in deren Verlauf die totale Abkehr von demokratischen Werten und westlichen Lebenseinstellungen und die völlige Hinwendung an eine als islamisch verstandene Lebensweise stehen können. Bei Anfang des Jahres 2005 durchgeführten Durchsuchungen im islamistischen Umfeld in Baden-Württemberg und sechs weiteren Bundesländern wurde eine Reihe von Schriften sichergestellt, die nicht nur eine besonders strenge wortgläubige Auslegung nach salafitischer6 Lesart der islamischen Texte belegen. Vielmehr sind bei diesen Maßnahmen auch Schriften aufgetaucht, die explizit den Kampf, den bewaffneManifest des Djihad ten Djihad, gegen die "Ungläubigen" einfordern. So konnten etwa Schriften von Abdullah AZZAM in arabischer Sprache und eine deutschsprachige Ausgabe eines Buches von Abd al-FARAG sichergestellt werden, die eindeutig den bewaffneten Kampf propagieren. Besonders al-FARAG widmet seine Schrift der Rechtfertigung des Djihad und möchte diesen als zusätzliche sechste Säule7 des Islam etablieren. Diese Schrift gilt als einer der wichtigsten Texte, der von den islamistischen Attentätern gelesen wurde, die den ägyptischen Staatspräsidenten Anwar as-Sadat am 6. Oktober 1981 ermordeten. 5 Muhammad bin Saleh Al-Utheimin, Die Glaubenslehre der Sunnitischen Gemeinschaft. o. J. und o. O; Übernahme wie im Original. 6 Salafiten: Traditionalistische islamische Bewegung, die in den letzten Jahren der Herrschaft des Propheten Muhammad in Mekka ihr politisches und gesellschaftliches Ideal sieht. 7 Die fünf Säulen des Islam sind: 1. Glaubensbekenntnis, 2. Gebet, 3. Almosen, 4. Fasten im Monat Ramadan, 5. Pilgerfahrt nach Mekka. Durch die Konzentration auf den Djihad wird diesem die Bedeutung einer sechsten Säule des Islam beigemessen, was ursprünglich im Islam nicht so vorgesehen ist. 17 Nach den Anschlägen im Juli 2005 in London standen die "homegrown Terroristen" im Zentrum der Berichterstattung.8 Das Phänomen, dass bislang als in die westliche Welt integriert geltende junge Muslime sich zu Terroristen oder gar Selbstmordattentätern entwickeln können, wird mit großer Sorge analysiert. Im Westen geborene und aufgewachsene junge Männer, die zum Teil gut ausgebildet wurden, wenden sich völlig von dieser Gesellschaft ab und ziehen sich in ihre kleinen islamistischen Zirkel zurück, in denen sie Bestätigung finden. Eine große Rolle scheint hier salafitischen Ideen zuzukommen. Denn der Islam, mit dem sich diese Männer identifizieren, ist nicht mehr der Islam ihrer Eltern, sondern ein Islam, der sich am Buchstaben des Koran und an den Lebensgewohnheiten der Prophetengefährten9 ausrichtet. In deutschsprachigen islamistischen Internetforen werden neben Glaubensund Alltagsfragen auch Djihadthemen in einem Umfang und auf eine Art und Weise diskutiert, die von einem extremen Hass auf die westliche Kultur und ihre Werte gekennzeichnet ist. So wurde hier etwa die Bundestagswahl am 18. September 2005 von einem anonymen Schreiber wie folgt kommentiert: "Schaut Euch die Ungläubigen an, wie Sie morgen Verabscheuung wählen gehen und somit ihre fehlerhaften Gesetze demokratischer über diejenigen von Allah stellen. Sie alle haben Spielregeln nicht anderes als den Tot und die ewige Qual im Höllenfeuer verdient." 10 Mit blutigen Details wird der bewaffnete Kampf gegen die "Kuffar", die "Ungläubigen" in einem Kommentar zu einer Koransure propagiert: "subhanAllah [= Gepriesen sei Gott!] der Jihad ist so wunderschön, dass selbst Allah sagt 'ich bin mit Euch' 'also schlägt den Kuffar auf die Nacken und hackt ihre Finger ab - denn sie lehnen sich gegen meinen Liebling auf' (...)'sie sollen Angst und Schrecken im Herzen empfinden' und dann etwas, das den ganzen Körper von oben bis unten erzittern lässt 'nicht ihr habt getötet - sondern Allah war es!' 8 Olivier Roy, Britain: homegrown terror, in: Le monde diplomatique, english edition August 2005. 9 Die Gefährten und Begleiter des Propheten Muhammad hatten sowohl als Zeitzeugen eine große Bedeutung bei der Überlieferung der Aussagen und Verhaltensweisen des Propheten als auch bei der Gestaltung des Frühislam. 10 Hier und im Folgenden: Übernahme wie im Original. 18 Islamismus/Ausländerextremismus (...) so schön ist das Töten von Kuffar im Jihad, dass Allah sagt 'ich hab es selbst gemacht' subhanAllah! "Tod den (...) Wenn der Islam eine Religion ist, die die Kuffar Ungläubigen" auslöschen will, dann sagen wir alle la ilaha ilallah [= Es gibt keinen Gott außer Gott!] Und wenn Muhammad (...) ein Mann war, der mit Waffen neben seinem Polster schlief, ein Kämpfer und Mujahid, dann sagen wir muhammad urrasulullah [= Muhammad ist der Gesandte Gottes]." Aufgrund dieser Entwicklungen wird die Diskussion um das alltägliche Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen in Deutschland immer schärfer geführt. Die Auseinandersetzungen blieben im Jahr 2005 aber nicht auf Muslim beziehungsweise Nichtmuslim beschränkt. Vielmehr konnte aufgrund von Äußerungen einzelner Gruppen auch festgestellt werden, dass in islamischen Kreisen eine Diskussion darüber entbrannt ist, in wieweit man sich auf "westliche" Werte und demokratische Prinzipien einlassen dürfe. Eine besondere Brisanz kommt hier einem längeren Text zu, der über zahlreiche Internetforen verbreitet wird und der vehement gegen die Aktivitäten des "Zentralrats der Muslime in Deutschland" (ZMD) polemisiert. So schreibt der Verfasser: "Zu einer der lautstärksten Gruppierungen in Deutschland, die auf diese Weise dem Islam unermesslichen Schaden zufügen, gehört ohne Zweifel der Zentralrat der Muslime in Deutschland (...) Anhand der Beispiele (...) warnen wir euch eindringlichst, euch von dieser Gruppierung loszusagen und legen euch ans Herz, alle Menschen, ob Kuffar oder Muslime, vor ihr zu warnen." 11 Es folgen Beispiele, an denen der unbekannte Autor den Unglauben des ZMD festmachen will. In drohenden Worten wirft er hier Muslimen Unglauben vor, ein Vorwurf, der für die Betroffenen sehr ernste Konsequenzen haben kann. So bezeichnet er den Verfasser eines Kommentars zu den Londoner Anschlägen als jemanden, der "die Kuffar auf ihrem Feldzug gegen die Muslime begleite und eine innerislamische Front aufbaue." Dass der ZMD-Vorsitzende Nadeem ELYAS von Papst Benedikt XVI. in Köln empfangen wurde und diesen dort mit der Anrede "Eure Heiligkeit" 11 Hier und im Folgenden: Internetauswertung vom 15. Dezember 2005; Übernahme wie im Original. 19 angesprochen habe, macht ihn in den Augen des Verfassers zu jemandem, der "die Grenzen in denen sich ein Muslim bewegen darf um Längen" überschritten habe und "sich im teuflischen Bereich des Kufrs" bewege. Er droht, "dass ein Ruck durch die Muslime gehen muss, um sich vom Geschwür des ZMD zu befreien." Das 11-seitige Pamphlet endet mit weiteren Drohungen: "Es liegt an uns Muslimen, ja es ist unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass diesen Leuten im Namen Allahs die Möglichkeiten für ihr Handeln genommen werden." 2.3 Interner und globaler Djihadismus Durch den Zusammenbruch ihrer Organisationsstruktur infolge der militärischen Operationen der Koalitionstruppen nach dem 11. September 2001 sind die Ziele der "al-Qaida", nämlich der bewaffnete Kampf gegen die westliche Welt und die Juden, der gewaltsame Sturz arabischer Regierungen, die Einführung der Scharia als alleinige Rechtsnorm und die Etablierung eines transnational übergreifenden islamischen Imperiums nicht weniger bedeutsam für den Islamismus insgesamt geworden. "Al-Qaida" dürfte sich mittlerweile auf Dauer von einer Organisation in "Al-Qaida" eine Ideologie verwandelt haben, die Anhänger und Unterstützer auf der als Ideologie ganzen Welt findet und der sich nach Art eines Franchise-Unternehmens immer neue Gruppen anschließen, welche sich die Ziele der "al-Qaida" zu eigen machen. Im Internet waren im Jahre 2005 beispielsweise plötzlich die Gründungsverlautbarungen einer "al-Qaida in Palästina" und auch die einer "al-Qaida im Norden Europas" zu lesen. Auch die "al-Tawhid wal-Djihad"Gruppe in Ägypten, die sich im Juli 2005 über das Internet zu den Anschlägen auf der Sinai Halbinsel in Scharm el Scheich und in Taba bekannte, bekundete ihre Loyalität zu Usama BIN LADIN und Ayman al-ZAWAHIRI, obgleich sie betonte, unabhängig gehandelt zu haben.12 Ebenso untermauert das Statement eines der Attentäter der Anschläge von London, Muhammad SIDDIQ, das von al-ZAWAHIRI in einer Videoaufzeichnung ausführlich kommentiert wurde, diesen Trend. SIDDIQ spricht den ideologischen Galionsfi12 Internetauswertung vom Juli 2005. 20 Islamismus/Ausländerextremismus guren der "al-Qaida" seine Bewunderung aus, ohne dass diesen in irgendeiner Form eine Beteiligung bei der Planung oder Durchführung der Anschläge nachgewiesen werden konnte.13 Ein weiteres bedeutsames Beispiel für die Wandlung der "al-Qaida" von einer Organisation zu einer Ideologie war der Anschluss der Gruppe um Musab az-ZARQAWI an die "al-Qaida" von Usama BIN LADIN im Oktober 2004. Dadurch wurde der globale Djihadismus ideologisch immens gestärkt.14 Dieses Bündnis wurde auch formal dadurch unterstrichen, dass az-ZARQAWI seine Organisation "al-Tawhid wal-Djihad" ("Monotheismus und Djihad") in "Tanzim Qaidat al-Djihad fi Bilad al-Rafidain" Abu Musab az-ZARQAWI ("al-Qaida im Zweistromland") umbenannte. Bedingt durch die instabile Sicherheitslage im Irak ist die "al-Qaida im Zweistromland" mittlerweile zu einem Magnet geworden, der Djihadisten aus der ganzen Welt anzieht. Obwohl die "al-Qaida im Zweistromland" überwiegend im Irak durch tägliche terroristische Aktionen von sich reden macht, zeigen doch die hohe Anzahl ausländischer Kämpfer15 und die jüngsten Anschläge auf Hotels in der jordanischen Hauptstadt Amman die transnationale Ausrichtung der Gruppierung.16 In ihrem politischen Programm macht die "al-Qaida im Zweistromland" auch unmissverständlich ihr Ziel eines islamischen GroßZiel: islamisches reichs17 deutlich: Großreich "Wir wollen, dass das islamische Kalifat ausgehend von der Hauptstadt Bagdad erneut sein Licht der Gerechtigkeit und Hoffnung auf die bewohnten Teile der Erde ausstrahlt, so wie es zu Zeiten von Harun al-Raschid18 der Fall war."19 Das Hauptinteresse der "al-Qaida im Zweistromland" galt über das Jahr 2005 hindurch der Torpedierung des Demokratisierungsprozesses im Irak. In mehreren Schriften und Verlautbarungen vertrat die "al-Qaida" die Auffassung, dass die Demokratie als politisches und gesellschaftliches Werte13 Videobotschaft von Ayman al-ZAWAHIRI vom November 2005. Eine verkürzte Fassung dieser Botschaft wurde bereits Anfang September von al-Jazeera ausgestrahlt. 14 Internetauswertung vom Okt. 2004; vgl. auch Brief von azZARQAWI an BIN LADIN u. Brief von BIN LADINs an az-ZARQAWI, in: Online-Magazin "Dhurwat al-Sinam" vom Februar 2005. 15 Internetauswertung vom Mai 2005. 16 Internetauswertung vom November 2005. 17 Vgl. Brief von Ayman al-ZAWAHIRI an Musab az-ZARQAWI vom Juli 2005, in dem - ausgehend vom Irak - von der Errichtung eines Kalifats die Rede ist. 18 Kalif (786-809), der in Bagdad residierte und weite Teile Asiens und Nordafrikas beherrschte. 19 Online-Magazin der "al-Qaida im Zweistromland" "Dhurwat al-Sinam" 1, Ausgabe vom Februar 2005. 21 system gegen den Islam verstößt, da eine Gesetzgebung nicht auf dem freien Willen menschlicher Gesetzgebung beruhen dürfe, sondern ausschließlich auf dem von Allah geoffenbarten Gesetz: "Die Demokratie und die Parlamente, meine Brüder, sind die Religion der Ungläubigen und ihrer persönlichen Neigungen. Die Demokratie zu billigen, bedeutet ihre Religion anzunehmen, das heißt ihrer Glaubensgemeinschaft beizutreten und aus dem Islam auszutreten."20 Diese demokratiefeindliche Haltung schlug sich über das ganze Jahr hindurch in Anschlägen auf Regierungsbeamte und Wahlhelfer nieder. Die Strategie gipfelte in der Entführung und anschließenden Hinrichtung von arabischen Diplomaten im Irak, denen stellvertretend für ihre Regierungen der Vorwurf gemacht wurde, durch ihre diplomatische Tätigkeit die "westKrieg gegen lichen Kreuzzügler" zu unterstützen und zu legitimieren und die Errichtung "Kreuzzügler eines auf dem Islam basierenden Staates zu verhindern.21 Nach dem Vorbild und Juden" von BIN LADINs Fatwa gegen die "Kreuzzügler und Juden"22 suggerieren die Djihadisten durch den bewussten Rückgriff auf den Kreuzzugsgedanken ihren muslimischen Glaubensgenossen, dass es sich bei dem Interventionismus im Irak um einen christlich motivierten Vernichtungsfeldzug gegen den Islam handle. Hierdurch zementiert die "al-Qaida" das im Orient weit verbreitete Feindbild vom Westen. Eine weitere überaus aktive djihadistische Gruppierung, "Ansar al-Islam", die sich Anfang 2004 in "Ansar al-Sunna" umbenannt hatte, wurde 2001 in einem überwiegend kurdischislamistischen Milieu gegründet und verfolgt das politische Ziel, zunächst im Nordirak einen islamischen Staat zu etablieren. Nach dem militärischen Engagement der USA im Jahre 2003 im Irak wurden die "Ansar al-Islam"-Kämpfer stark geschwächt, konnten sich aber zwischenzeitlich reorganisieren. Durch die fortwährende militärische Präsenz der USA im Irak hat sich dieser zu einem Kampffeld entwickelt, auf 20 Ebd. 21 Laut mehrer Internetverlautbarungen der "al-Qaida im Zweistromland" wurden ein ägyptischer und zwei algerische Diplomaten entführt und anschließend hingerichtet, Internetauswertung vom Juli 2005; Außerdem wurden zwei marokkanische Diplomaten entführt und anschließend hingerichtet Internetauswertung vom November 2005. 22 Fatwa=Rechtsgutachten, zu dessen Erstellung BIN LADIN die Voraussetzungen eigentlich fehlen. Diese Fatwa wurde im Jahr 1998 veröffentlicht. 22 Islamismus/Ausländerextremismus dem sich Djihadisten aus der ganzen Welt tummeln. Daher haben sich den "Ansar al-Islam" zwischenzeitlich auch nicht-kurdische Kämpfer angeschlossen. Seit September 2003 verübte die Gruppe im Irak zahlreiche Terroranschläge. Darüber hinaus mehren sich die Hinweise für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen "al-Qaida" und den "Ansar al-Sunna"23. Die "Ansar al-Islam" beziehungsweise "Djaisch Ansar al-Sunna" unterhalten ferner ständige Verbindungen bis nach Europa. So wurden im Oktober 2005 bereits zwei irakische Kurden in Schweden zu Haftstrafen verurteilt, da sie Geld für die "Ansar al-Islam" gesammelt hatten.24 Außerdem hat am 16. November 2005 der Generalbundesanwalt vor dem Oberlandesgericht Stuttgart Anklage gegen Rädelsführer und Mitglieder der "Ansar al-Islam" erhoben, die für die Organisation im Bereich Finanzierung und Rekrutierung tätig gewesen sein sollen.25 Auch in München lief ein Prozess gegen einen Iraker, dem vorgeworfen wurde, Mitglied der "Ansar al-Islam" zu sein und für sie Menschen in den Irak geschleust zu haben.26 Website mit Videodownload-Möglichkeit Zahlloses Propagandamaterial in arabischer Sprache wird in europäische Sprachen übersetzt und im Internet zugänglich gemacht. In einem im November 2005 im Internet verbreiteten Film27 rief al-ZAWAHIRI die europäischen Muslime zum Djihad auf: "Und wir sagen ihnen, dass der vorgeschriebene Djihad gegen die Kreuzzügler und Juden eine Pflicht Terrorbotschaft für jeden Muslim ist, ob er nun im Osten oder Westen wohnt, und dass die Muslime im Westen wie überall verpflichtet sind, einen Djihad gegen Kreuzzügler und Juden zu unternehmen, die den Islam angreifen, den Koran entehren und Afghanistan, den Irak und Palästina attackieren und besetzten." 23 Internetverlautbarung der "al-Qaida im Zweistromland" in Zusammenarbeit mit der "Armee Ansar al-Sunna" vom April 2005. 24 Onlineausgabe der Taz vom 4. Oktober 2005. 25 Pressemeldung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom 16. November 2005. 26 Süddeutsche Zeitung vom 22. November 2005. 27 Hier und im Folgenden: Propagandafilm der "al-Qaida" über die Anschläge von London; Internetauswertung November 2005. 23 Gestützt auf eine Koransure, die schon im Mittelalter islamischen Rechtsgelehrten zur Diskriminierung von Christen und Juden diente, schürte al-ZAWAHIRI geradezu ethnisch-religiöse Konflikte: "Bekämpft jene der Schriftbesitzer [= Christen Dr. Ayman und Juden], die nicht an Allah und den jüngsal-ZAWAHIRI ten Tag glauben und nicht verbieten, was Allah und sein Gesandter verboten haben, und nicht dem wahren Glauben [= Islam] folgen, bis sie sich unterwerfen und kleinlaut die Kopfsteuer 28 entrichten." 29 Außerdem betonte al-ZAWAHIRI in einem im August 2005 der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Video gegenüber den europäischen Muslimen, dass für sie allein das islamische Gesetz maßgebend sei, indem er die Attentäter der Anschläge von London als Helden pries: "Möge Gott unsere Brüder segnen, die aus Pakistan stammen, die Ritter der Raubzüge von London, die nicht an all diesen Schmutz glaubten und sowohl den kreuzzüglerischen Westen als auch dessen kreuzzüglerischen Gesetze zurückgewiesen haben." 2.3.1 Islamistische Propaganda im Internet erneut Für das Jahr 2005 lässt sich erneut ein Zuwachs an islamistischer PropaganZuwachs da, die über das Internet verbreitet wird, verzeichnen. Das Material von transnational agierenden Djihadisten wie das der "al-Qaida" macht hierbei den Hauptanteil aus und dominiert weitestgehend den islamistischen Diskurs im Internet. Auf einschlägigen Internetseiten dieser Szene finden sich vor allem Tondokumente, Bilder, Videofilme und antiwestliche sowie antisemitische Hetzschriften, die sich in erster Linie auf die bekannten Konfliktherde der islamischen Welt beziehen: Irak, Tschetschenien, Saudi-Arabien und Palästina. Der Löwenanteil des aktuellen Materials stammt aus dem Irak, der sich auf Grund der instabilen Sicherheitslage zu einem Drehund Angelpunkt für Djihadisten entwickelt hat. Täglich werden gleich mehrere Verlautbarungen djihadistischer Gruppierungen veröffentlicht. Die in den vergangenen Jahren starke Internetpräsenz der "al-Qaida auf der arabischen Halbinsel" hat sich inzwischen fast gänzlich auf "al-Qaida im 28 Zwangssteuer für Nichtmuslime im islamischen Mittelalter. 29 Sure 9, Vers 29. 24 Islamismus/Ausländerextremismus Zweistromland" mit ihrem Anführer Abu Musab az-ZARQAWI verlagert. Das abrupte Einstellen der Publikation "Saut al-Djihad" (Die Stimme des Djihad) im Oktober 2004 muss in diesem Kontext als ein Indiz für die strukturelle und auch personelle Schwäche der Djihadisten in Saudi-Arabien gewertet werden. Diese Zerfallserscheinungen sind in erster Linie dem immensen Fahndungsdruck der saudi-arabischen Sicherheitsbehörden geschuldet, der einigen Quellen zufolge zu einem regionalen Ausweichen von mehreren tausend saudischstämmigen Djihadisten30 in den Irak geführt hat. Ein hochrangiger Führer der "al-Qaida" in Saudi-Arabien, Abdallah Raschud, soll beispielsweise laut einer Internetverlautbarung der "az-Zarqawi-Gruppe" am 23. Juni 2005 bei Gefechten im Irak umgekommen sein.31 Auch der Anteil unter den Saudis an den im Irak getöteten ausländischen Kämpfern ist mit über 50 Prozent überproportional hoch. Seit Februar 2005 gibt der regionale Ableger der "al-Qaida" im Irak ein eigenes Online-Magazin mit dem Namen "Dhurwat as-Sinam" (der Kamelhöcker) heraus32. Der Titel des Magazins geht auf einen Ausspruch des Propheten Muhammad zurück, der den Djihad, verstanden als bewaffneten Kampf, als die oberste Glaubenspflicht der Muslime bezeichnet haben soll. Neben den schon fast täglich erscheinenden kürzeren Videosequenzen von einzelnen Bombenanschlägen und Kampfhandlungen werden auch längere Propagandafilme wie "Und die Religion ist ganz bei Allah"33 oder "Badr (= Vollmond) Baghdad"34 veröffentlicht. Letzterer zeigt die Vorbereitung und Durchführung von SelbstmordOnline-Magazin anschlägen auf große Hotels in Bagdad am 24. Oktober 2005, "Dhurwat as-Sinam" denen mindestens 17 Menschen zum Opfer fielen. Überproportional mit Gewaltvideos und Verlautbarungen im Internet vertreten sind auch die vornehmlich im Norden des Iraks aktive Gruppierung "Ansar al-Sunna" und deren bewaffneter Arm "Armee der Ansar al-Sunna". Auch diese terroristische Vereinigung, die Anschläge auf Koalitionstruppen und Iraker verübt, gibt eine Zeitschrift heraus und unterhält eine eigene "Medienabteilung". Darüber hinaus veröffentlicht sie aber noch regelmäßig erscheinende und aufwändig gestaltete "Rechenschaftsberichte". Diese tragen die makabre Bezeichnung "Ausbeute der Mudjahedin", in denen die 30 International Crisis Group, The Shiite Question in Saudi Arabia, Middle East Report No 45, 19 Sept. 2005, S. 11-12. 31 Internetauswertung vom Juni 2005. 32 Internetauswertung vom Februar 2005. 33 Internetauswertung vom Juni 2005. 34 Internetauswertung vom November 2005. 25 durchgeführten Operationen mit Tötungen von Menschen verzeichnet werden, welche den Anhängern mal als glorreiche Siege gegen die kreuzzüglerischen Besatzer und mal als rechtmäßige Hinrichtungen von Verrätern an Allah und seiner Religion vermittelt werden.35 2.3.2 Erstellung und Verbreitungswege islamistischer Internetpropaganda Neben der quantitativen Zunahme des Propagandamaterials ist auch eine professioneller immer professioneller anmutende Erstellung des Materials selbst festzustelUmgang mit len. Die Djihadisten vor allem im Irak unterhalten jeweils eigene "MedienMedien abteilungen", die sie als alternative Informationskanäle und somit als Gegengewicht zu der als lückenhaft, diffus und einseitig wahrgenommenen Berichterstattung westlicher und insbesondere amerikanischer Nachrichtenagenturen betrachten. Die adäquate Kommunizierung ihrer ideologischen und militärischen Standpunkte wird von der "al-Qaida" als eines der wichtigsten strategischen Mittel angesehen, die westliche Vormachtstellung zu beseitigen und ein transnational übergreifendes islamisches Imperium zu errichten.36 Als offizieller Mediensprecher der "al-Qaida im Zweistromland" agiert beispielsweise stets ein Abu Maysara al-IRAKI. Mit diesem Namen sind sämtliche Verlautbarungen der Gruppe um Musab az-ZARQAWI unterzeichnet, was deren Authentizität belegen soll. Mittlerweile gelang es dem Führungskader der "al-Qaida", ein eigenes "Medienlabel", "As-SahabMedia", dauerhaft in den djihadistischen Informationskanälen zu etablieren. "As-Sahab-Media" produzierte zuletzt Propagandavideos mit Ayman alZAWAHIRI über die Anschläge von London und über den Kampf gegen die internationalen Einsatztruppen in Afghanistan und den angrenzenden pakistanischen Provinzen. Tendenziell schien "as-Sahab Media" und damit auch "al-Qaida" zunehmend darauf bedacht zu sein, ein internationales nichtmuslimisches Publikum anzusprechen, da ein Großteil des neuen Videomaterials und auch zum Teil ältere Filme mit englischsprachigen Untertiteln in Umlauf gebracht wurden. Die einschlägigen islamistischen Internetforen sind der Hauptumschlagsplatz für Gewaltfilme und Tondokumente. Einige dieser Foren verfügen über Unterrubriken mit Bezeichnungen wie "Nachrichten von der Front" oder "Nachrichten der Mudjahedin", in denen darüber hinaus zahlreiche Verlautbarungen unterschiedlicher djihadistischer Gruppierungen veröffentlicht werden. Zusätzlich versuchen einzelne Gruppierungen, ihre eigenen Websites im Netz zu etablieren. 35 Internetauswertung vom April 2005. 36 Abu Bakr Nadji, "Management der Barbarei", Online-Strategiebuch der "al-Qaida" vom März 2005, S. 37ff. 26 Islamismus/Ausländerextremismus Darüber hinaus gibt es eine mittlerweile unüberschaubare Anzahl von so genannten Unterstützerseiten für die Sache der Mudjahedin. Auf ihnen wird im Internet kursierendes Material systematisch gesammelt und geordnet. Auf diese Weise kann sich beispielsweise jeder Interessierte über die Geschichten der im Djihad gefallenen Märtyrer und deren Motivation informieren. Auch bieten einige dieser Seiten den Anhängern des globalen Djihadismus die Möglichkeit, Geldspenden für die Kämpfer und die Hinterbliebenen der Märtyrerfamilien zu sammeln. Selbst ernannte Medienagenturen, die Namen wie "Global Islamic Media Front" oder "Islamic Media Center" tragen, sind ebenfalls bei der Verbreitung von djihadistischer Propaganda aktiv. Neben der Erstellung von ideologischen Abhandlungen und Indoktrinationsschriften haben diese es sich zur Aufgabe gemacht, bereits vorhandenes Video-, Bildund Audiomaterial in aufwändig gestalteten Flash-Animationen zu verarbeiten. Sehr häufig wird auch digitales Material, das aus anderen Quellen stammt, aus ihrem ursprünglichen Bedeutungszusammenhang herausgerissen und für propagandistische Zwecke der Djihadisten verwendet. 2.3.3 Rekrutierung über das Internet Die Rekrutierung von potentiellen Mudjahedin erfolgt in der Regel über bestimmte Internetseiten, die für den weltweiten Djihad Werbung betreiben. Hierbei spielt die Verehrung und Pflege des Märtyrerwesens eine herausragende Rolle. Hunderte von Märtyrerlebensläufen finden in der isla"Märtyrer" mistischen Szene Verbreitung und sollen dazu dienen, die Schrecken des als Ideal Todes herunterzuspielen und andere dazu zu animieren, es ihren Vorgängern gleich zu tun. Aktuell wird von "al-Qaida im Zweistromland" die kleine Schriftenreihe "Bedeutende Märtyrer" im Internet in Umlauf gebracht. In diesen Texten, von denen es inzwischen vier Ausgaben gibt, wird jeweils ein "herausragender Märtyrer" auf etwa fünf bis sechs Seiten exklusiv vorgestellt. Des Weiteren sind spezielle Webseiten vorhanden, die ausschließlich den "Märtyrern" gewidmet sind. Dort stehen aus verschiedenen Konfliktherden der islamischen Welt detaillierte Erklärungen der "Märtyrer", so genannte Märtyrertestamente, zum Herunterladen bereit, in denen die Kämpfer vor der Tat ihre Motivationen und Wünsche kund getan haben. Als Vorbild dienen den Djihad-Aspiranten aber vornehmlich die Taten und Aussagen des Propheten Muhammad und der frühen Muslime, die in den kanonischen Djihadbüchern des Mittelalters gesammelt und schriftlich festgehalten wurden. Dem "Märtyrer" wird nicht nur versprochen, durch seine Tat direkt ins Paradies einzuziehen, wo er anschließend von zweiundsiebzig 27 Jungfrauen verwöhnt werden würde, sondern ihm werden auch alle zuvor begangenen Sünden vergeben. Dies veranschaulicht ein Zitat aus einem in islamistischen Kreisen zirkulierenden Djihad-Buch aus dem 15. Jahrhundert, dessen Autor ein gewisser Ibn NUHAAS ist.37 Dieses Werk steht mittlerweile auch in englischer Übersetzung zum Download bereit. In dem Kapitel dieses Werkes mit der Überschrift "Der Märtyrertod garantiert das Paradies" wird Folgendes versprochen: "Allah sagt: Diejenigen, die auf dem Pfade Allahs getötet werden, deren Taten werden nicht umsonst gewesen sein. Er wird sie leiten und alles für sie ordnen. Er wird sie in das Paradies führen." 38 Theologisch wird durch solche Aussagen der Tod in Kampfhandlungen geradezu belohnt, wodurch insbesondere junge Menschen dahingehend indoktriniert werden sollen, nach dem Leben im Jenseits zu streben und dem irdischen Leben keine Bedeutung mehr beizumessen. Im Zuge der Anschläge von London im Juli 2005 wurde zusammen mit einem Bekennerschreiben ein Strategiepapier veröffentlicht, das eine Hommage an die "Märtyrer" beinhaltet und die obigen Ausführungen in anschaulicher Weise zusammenfasst: "Das Paradies soll euch wohl bekommen, so Gott Paradies als Ziel will, denn eure reinen Körper machen für uns den Weg des Djihad befahrbar [d.h. dienen uns als Vorbild] und von eurem reinen Blut atmen wir den Duft der Stärke und Kraft ein. Durch eure starken Worte erinnern wir uns an das Jenseits und sie machen für uns die Unglücksfälle der [diesseitigen] Welt erträglich. Gott möge euch gnädig sein und er möge euch unter die Märtyrer und Rechtschaffenen aufnehmen." 39 Neben diesen Rekrutierungsund Indoktrinierungsschriften finden sich jedoch durchaus auch praktische Anleitungen im Internet, die es dem Dji37 Ibn Nuhaas, The Book of Jihad. Die nachfolgenden Übersetzungen stammen aus der englischen Ausgabe. 38 Ibn Nuhaas, S. 116. 39 Internetauswertung vom 16. Juli 2005, Strategisches Papier der "Abu Hafs al-Masri Brigaden" mit dem Titel "Die Road Map der Mudjahedin". 28 Islamismus/Ausländerextremismus hadisten ermöglichen sollen, seinen Weg auf das Schlachtfeld zu finden. "Al-Qaida im Zweistromland" hat zu diesem Zweck Mitte 2005 eine Broschüre mit dem Titel "Dies ist der Weg in den Irak - gerichtet an denjenigen, der zu den Mudjahedin im Zweistromland gelangen möchte" in islamistischen Internetforen in Umlauf gebracht.40 Darin wird der Djihadist beispielsweise angewiesen, einen Urlaubstrip vorzutäuschen, seinen Bart zu rasieren und sich westlich zu kleiden, um die Kontrollen an den Grenzposten zum Irak unbehelligt passieren zu können. Dem Djihadisten wird auf einschlägigen Internetseiten auch eine Fülle von Trainingsmaterialien und Ratgebern an die Hand gegeben. Unzählige Waffenhandbücher, Anleitungen zum Bau von Bomben und sogar Giftstoffhandbücher sind ohne weiteres über das Internet zu beziehen. Einige der Anleitungen werden in der Form von "Schulungsfilmen" dargeboten, so zum Beispiel der Bau eines Sprengstoffgürtels für Selbstmordanschläge. 2.3.4 Die Chronologie der Gewalt Ein besonderer regionaler Schwerpunkt islamistisch motivierter Anschläge Kette der und Gewalttaten blieb auch im Jahr 2005 der Irak. Bereits am 20. Januar Gewalttaten reißt 2005 kündigte Abu Musab az-ZARQAWI an, dass den Besatzungstruppen nicht ab ein langer Kampf bevorstände. So kam es erneut zu zahlreichen Selbstmordanschlägen mit Autobomben, Sprengfallen auf den Straßen, Feuerüberfällen und Entführungen. Seit 2003, dem Ende der Kriegshandlungen, sind dieser Gewalt laut einem im Internet eingestellten Bericht41, über 17.000 Menschen zum Opfer gefallen und über 30.000 verletzt worden. Weitere Anschläge und Terrorakte erschütterten große Teile der islamischen Welt, unter anderem Ägypten, Afghanistan, Indonesien und Jordanien. Aber auch Europa selbst stand im Jahr 2005 erneut im Visier islamistisch motivierter Terroristen. Im Einzelnen: Am Vormittag des 7. Juli kam es zu den folgenschwersten Anschlägen in London. Drei Attentäter zündeten beinahe zeitgleich ihre Sprengsätze in der U-Bahn, ein vierter Mann sprengte sich in einem Bus in die Luft. Die Anschläge forderten 56 Menschenleben und Hunderte von Verletzten. Wie hoch die Bedrohung des öffentlichen Nahverkehrs blieb, zeigte eine weitere versuchte Anschlagswelle am 21. Juli, bei der aber niemand sein Leben lassen musste, da die Zünder der vier Sprengsätze versagten. 40 Internetauswertung vom 18. Juli 2005. 41 Veröffentlicht am 19. Juli 2005. 29 In Ägypten wurden zum wiederholten Male Touristen zum Ziel von Anschlägen. In Scharm el Scheich starben mindestens 64 Menschen, in anderen Quellen wurden 88 Tote genannt, die Zahl der Verletzten wurde mit über 200 angegeben, als in der Nacht am 23. Juli Attentäter drei Fahrzeuge vor Hotels und Restaurants zur Explosion brachten. Auf der Ferieninsel Bali fielen am Abend des 1. Oktober 20 Urlauber folgenschweren Anschlägen in Kuta zum Opfer. In der jordanischen Hauptstadt Amman kam es am Abend des 9. November zu den bis dahin schwersten Terroranschlägen. Ziel der Selbstmordanschläge waren drei Luxushotels. Für die Tat übernahm die "al-Qaida" von Abu Musab az-ZARQAWI die Verantwortung. Bei den Anschlägen starben 57 Menschen. Drei irakische Männer sollen die Tat durchgeführt haben. Als vierter Täter wurde eine Frau festgenommen, deren Sprenggürtel nicht zündete. In Afghanistan blieben die Truppen der ISAF42, darunter auch das deutsche Kontingent, Ziel von Anschlägen. Am 14. November starb ein deutscher Soldat bei einem Selbstmordanschlag, als der Attentäter seinen Wagen in das deutsche Truppenfahrzeug lenkte. Am 25. November wurde die deutsche Archäologin Susanne Osthoff im Irak von Unbekannten entführt. Sie kam nach 24 Tagen Geiselhaft frei. Im Jahr 2005 ging auch aufgrund der Entwicklungen im Irak die internationale Gefahr durch islamistische Terroristen nicht zurück. Die Gefahr, die von diesen Täterkreisen ausgeht, bleibt hoch. 42 Kürzel für "International Security Assistance Force" (Internationale Sicherheitsbeistandstruppe). 30 Islamismus/Ausländerextremismus 2.4 Islamistische Organisationen aus dem arabischen Raum 2.4.1 Islamistische Organisationen aus dem sunnitischen43 Bereich 2.4.1.1 Die "Muslimbruderschaft" (MB) und ihre nationalen Ableger Bei der 1928 in Ägypten gegründeten "Muslimbruderschaft" (MB) handelt es sich um die erste islamistische Organisation überhaupt. Ihr Gründer, der Grundschullehrer Hassan al-BANNA, legte mit seiner Überzeugung, dass die islamische Welt sich vom "wahren Islam" entfernt habe und daher "reformiert" und wieder auf den rechten Weg gebracht werden müsse, den ideologischen Grundstein für islamistische Konzepte. Letztendlich bereitete dieser Leitgedanke der MB den Nährboden für den Djihadismus als gewalttätigste und blutigste Weiterentwicklung des Islamismus. Hassan al-BANNA Die Ideologie der "Muslimbrüder" umfasst sowohl die politische als auch Errichtung einer die gesellschaftliche Ordnung eines idealen islamischen Staates. Ziel der islamischen MB ist die Errichtung einer islamischen Nation (al-umma al-islamiyya), Nation als Ziel deren Bürger sich ausschließlich über ihren islamischen Glauben definieren. In der panislamistischen Vorstellung der "Muslimbrüder" spielen weder Nationalität noch Nationalstaatsgrenzen eine Rolle. Die MB spricht der politischen und ökonomischen Führungsschicht in ihren jeweiligen Heimatländern jede Legitimation ab, die Geschicke einer islamischen Gesellschaft zu lenken. Intellektuelle mit westlicher Bildung, die nicht der MB-Ideologie nahe stehen, werden genauso wie die politischen und ökonomischen Eliten der Heimatländer als korrupt, dekadent, pro-westlich und unislamisch gebrandmarkt. Auch das religiöse Establishment, die Imame, Islamgelehrten und Richter, wurden und werden als Handlanger der jeweiligen Regime abgelehnt. 43 Die Sunniten sind Anhänger der zahlenmäßig größten Glaubensrichtung des Islam. Sie stellen in den meisten islamischen Ländern die Mehrheit der Muslime. Die Anhänger der zweitgrößten Glaubensrichtung des Islam werden als Schiiten bezeichnet. Für sie gilt eine bestimmte Reihe von Imamen als spirituelle und weltliche Oberhäupter als verbindlich. Daher unterscheidet man verschiedene schiitische Richtungen, die eine Reihe von bis zu zwölf Imamen anerkennen, deren letzter im 9. Jahrhundert gelebt haben soll. Für die Sunniten hingegen galt der Kalif als oberster Führer. 31 Die aktuelle Strategie der MB zielt in verstärktem Maß darauf ab, in Ägypten als politische Partei zugelassen und legalisiert zu werden. Daher gibt sich die MB in offiziellen Verlautbarungen demokratisch und vermeidet die Konfrontation mit der Regierung. Auch 2005 blieb sie offiziell verboten, wenn auch geduldet, und stellte daher bei den Parlamentswahlen im November 2005 wieder nur "unabhängige" Kandidaten auf. Anfangs kam die ägyptische Regierung den "Muslimbrüdern" beim Wahlkampf entgegen und beide Seiten zeigten sich an einer Deeskalation interessiert. Nach den ersten Wahlerfolgen wurden aber wieder Hunderte von Muslimbrüdern verhaftet.44 Strategisch geschickt vermied die MB politisch brisante Themen und heikle Grundsatzfragen, um dem damit vorprogrammierten Ärger mit der Regierung aus dem Weg zu gehen und sich möglichst viele Wählerstimmen zu sichern. Ihre Kandidaten konzentrierten sich stattdessen auf Themen von lokalem Interesse, zum Beispiel Wahlversprechen wie den Bau von Schulen, Krankenhäusern und besseren Abwasseranlagen. Die Wahlkampfparole der ägyptischen MB war "Der Islam ist die Lösung", wie sie auch schon in anderen Staaten von der MB simpel, aber erfolgreich verwendet wurde. Diese Parole wurde in politischer und ideologischer Hinsicht nicht präzisiert und ist auch im Hinblick auf die schätzungsägyptisches Wahlplakat: weise 10% ägyptischer Christen mit einem Fragezeichen "Der Islam ist die Lösung" zu versehen. Denn trotz Betonung des demokratischen Charakters der MB fordert Mohammed HABIB, der Stellvertreter des Führers der ägyptischen MB Mohammed Mahdi AKIF, dass die Scharia sowohl für die Muslime als auch die Christen in Ägypten gelten solle. Dies stößt auf Widerstand seitens der Christen. Forderungen wie diese haben bereits in anderen Staaten, wie in Nigeria, das einen großen Bevölkerungsanteil von Nicht-Muslimen hat, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen geführt. Liberale Muslime und Kritiker der MB diskutieren kontrovers über die Frage, ob die Organisation trotz ihrer Forderung nach Einführung der Scharia einen Platz im politischen Leben Ägyptens einnehmen sollte. Auch die Frauenbewegungen machen sich angesichts des Wählerzulaufs zur MB Sorgen. Wenn die MB dies durchsetzen würde, wären sämtliche Lebensbereiche durch die Scharia geregelt. Dies beträfe dann nicht nur die Wirtschaft (Zinsverbot), sondern auch das politische und gesellschaftliche Leben einschließlich des Personenstandsgesetzes. So benachteiligt beispielsweise das Erbrecht in der Regel Frauen. 44 Im Jahr 2000 wurden ca. 6.000 Aktivisten und Kandidaten der MB während des Wahlkampfs verhaftet und 20 ihrer Führungspersonen vor ein Militärgericht gestellt. 32 Islamismus/Ausländerextremismus Die Einstellung der "Muslimbrüder" zum bestehenden ägyptischen Rechtssystem ist ambivalent. Abu Muneim ABUL FUTUH, ein Mitglied des Führungsrats der "Muslimbrüder", äußerte sich hierzu wie folgt: "Ich lehne unser Rechtssystem ab, das auf französischem Recht basiert - muss mich aber trotzdem daran halten."45 AKIF kommentierte die Ablehnung des Dialogangebots der EU und der USA an die MB in einem Interview mit folgenden Worten: "(...) Wir bringen die Wünsche des ägyptischen Volks zum Ausdruck, während die Amerikaner eine besondere Agenda und eigene Interessen verfolgen. Was sie wollen, steht in den meisten Fällen im Widerspruch zu unserem nationalen, religiösen und kulturellen Programm. Sie wollen die Demokratie exportieren, um ihre Ziele zu verwirklichen. Ihre Demokratie ist faul, weil sie die [ägyptische] Nation vernichten und ihren Glauben und ihre Traditionen auslöschen will."46 Mohammed Mahdi AKIF Die Meldung, dass die irakische MB mit den US-Amerikanern zusammenarbeite, dementierte AKIF vehement. "Muslimbrüder" könnten nicht "mit der Besatzung" zusammenarbeiten. Hinzu fügt er: "(...) Die Haltung der Muslimbrüder in Palästina ist der beste Ausdruck für die Art und Weise, in der Muslimbrüder mit einer Besatzungsmacht zusammenarbeiten." Mit dem Hinweis auf die "Brüder in Palästina" (= HAMAS) und deren Selbstmordattentate als Bestandteil ihrer Politik billigte AKIF diese Vorgehensweise und stellte sie als exemplarisch für den Umgang der MB mit einer "Besatzungsmacht" dar. 45 "Der Islam ist die Lösung - für manche", Stuttgarter Zeitung vom 15. November 2005. 46 Hier und im Folgenden: MEMRI - The Middle East Media Research Institute - "Dialog mit Islamisten! (II)" vom 12. Mai 2005. 33 Auf der Homepage der ägyptischen MB wurde im Zusammenhang mit der Kritik AKIFs an den westlichen Demokratien folgende Äußerung eingestellt: "Der ehrwürdige Führer [= AKIF] wies darauf hin, dass die amerikanische Demokratie nichts anderes als eine parteiische und einseitige Demokratie sei, welche gegen jeden vorgehe, der eine andere Meinung als die Zionisten habe, was die Legende47 des Holocaust betreffe, da Roger Garaudy in den 1990er Jahren aufgrund des Verdachts ihrer Leugnung [= der Legende] (...) verurteilt wurde und der britische Historiker David Irving 48 in Österreich im November verhaftet wurde." 49 AKIF ließ kurz danach die Medienberichte dementieren, er habe mit seiner Äußerung den Holocaust geleugnet. ABUL FUTUH ließ verlauten, AKIF habe nur darauf hinweisen wollen, dass die Politik des Westens mit zweierlei Maß messe und die "Opfer des zionistischen Staates und seine täglichen Verbrechen gegen die Palästinenser" missachte. Die Woche zuvor hatte bereits Mohamed HABIB, AKIFs Stellvertreter erklärt, die Berichte über den Holocaust seien "übertrieben": Leugnung des "Wir haben keine Beweise, die uns in die Lage verHolocaust setzen, diese Angelegenheit zu bestätigen oder zu widerlegen. Es sind Belege nötig. Man kann jedoch sicher sein, dass es Übergriffe auf die Juden gegeben hat, aber nicht in Form von Gaskammern oder vielleicht auch nicht in dieser Größenordnung." Die Bestrebungen der MB nach politischer Macht schließen bis heute die Anwendung von Gewalt mit ein.50 Die rigorose Bekämpfung der MB in Ägypten brachte zahlreiche Mitglieder ins Gefängnis. Seit den 1950er Jahren emigrierten aufgrund des Verfolgungsdrucks der Behörden zahlreiche "Muslimbrüder" ins arabische und europäische Ausland. Dies trug dazu bei, dass sich die Ideologie der MB nicht nur in der islamischen Welt, sondern auch in Europa verbreitet und weiterentwickelt hat. In der Folgezeit ent47 "ustura" kann auch mit "Mythos" übersetzt werden. 48 Vgl. Teil B, S. 110. 49 Hier und im Folgenden: Homepage der ägyptischen MB vom 28. Dezember 2005. 50 So bei HAMAS und "Front Islamique du Salut" (FIS). 34 Islamismus/Ausländerextremismus standen in der arabischen Welt nationale Ableger der MB, welche sich ebenfalls im islamistischen Spektrum in Deutschland wieder finden. Dokumente, die im Jahr 2005 veröffentlicht wurden, weisen auf eine langfristige und strukturierte Planung zur Etablierung in Europa hin: "Weltweites islamisches Engagement zur vollständigen Befreiung Palästinas und zur Schaffung eines islamischen Staates; eine Aufgabe, die der obersten Führung obliegt. Einrichtung eines Dialogs auf lokaler Ebene mit denen, die für die (islamische) Sache arbeiten gemäß den übergeordneten Vorgaben der Bewegung (...) Das Denken, die Erziehung und die Arbeit ausrichten auf die Schaffung einer islamischen Macht auf der Welt. (...) Arbeiten in verschiedenen einflussreichen Institutionen und sie zum Mission Dienst am Islam nutzen. (...) Beständiger Aufbau der in Europa islamischen dawa [= Mission] und Unterstützung der im Djihad engagierten Bewegungen in der islamischen Welt, in unterschiedlichem Maße und soweit möglich. (...) Unterhalten des Gefühls des Grolls gegenüber Juden und jegliche Koexistenz ablehnen." 51 Was die Gewaltbereitschaft der Bewegung zur Erreichung ihrer Ziele anbelangt, so variiert die Strategie dieser nationalen Ableger beträchtlich. Die "Islamische Aktionsfront" (IAF) als Partei der jordanischen "Muslimbrüder" ist seit 1993 im Parlament vertreten, während sich von der algerischen FIS nach der Annullierung ihres Wahlsiegs 1991 im Laufe der 1990er Jahre immer gewalttätigere Gruppierungen abspalteten. Im Falle der HAMAS als dem palästinensischen Zweig der MB und ihres militärischen Flügels gehören Selbstmordattentate, die zu islamisch legitimen "Märtyreroperationen" erklärt werden, zum politischen Programm. 51 Besson, Sylvain: La conqete de l'occident - le projet secret des islamistes, Paris 2005, S. 197-204. 35 2.4.1.1.1 "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) Gründung: 1982 Hauptsitz: München Mitglieder: ca. 190 Baden-Württemberg (2004: ca. 190) ca. 1.300 Bund (2004: ca. 1.300) Publikation: "Al-Islam" (bis 2003), danach Veröffentlichungen über eigene Homepage Die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) ist eine einflussreiche sunnitische Organisation arabischer Islamisten in Deutschland, die seit 1960 besteht und ihren Hauptsitz in München hat. Ein in Stuttgart bestehendes "Islamisches Zentrum" wird auf der IGD-eigenen Homepage unter "Islamische Zentren der IGD" aufgeführt.52 Darüber hinaus bestehen in Baden-Württemberg noch Homepage der IGD weitere "Islamische Zentren", welche mit der IGD eigenen Angaben zufolge in Koordination stehen (Karlsruhe, Sinsheim und Tübingen). Von 2002 an wurden juristische und organisatorische Umstrukturierungen vorgenommen. In Baden-Württemberg, wo der IGD circa 190 Mitglieder beziehungsweise Sympathisanten zugeeuropäische rechnet werden, ist sie im "Zentralrat der Muslime in Baden-Württemberg" Vernetzung vertreten. Der sich als "unabhängig" bezeichnende Dachverband "Zentralrat der Muslime in Deutschland" (ZMD) vertritt auch die Interessen der IGD, die Mitglied im ZMD ist. Auf europäischer Ebene ist die IGD in der "Federation of Islamic Organisations in Europe" (FIOE) vertreten. Die IGD ist Gründungsmitglied der FIOE. Die FIOE pflegt als internationaler Dachverband die Auslandsbeziehungen und vertritt offiziell die Position, die zentrale Anlaufstelle im sunnitischislamischen Bereich zu sein. Ihre politische Linie ist darauf ausgerichtet, sich eine zunehmend stärkere Position zu sichern, um andere islamische Organisationen und Vereine kontrollieren zu können. Ideologisch sieht sich die FIOE dem Erbe des Gründers der "Muslimbruderschaft" (MB), Hassan al-BANNA (1906-1949), verpflichtet. Der Präsident der IGD - (seit 2002) 52 Internetauswertung vom 10. Januar 2006. 36 Islamismus/Ausländerextremismus Ibrahim el-ZAYAT - hat gleichzeitig die Stellung eines Vertreters der FIOE in Deutschland inne. Auf den ersten Blick bemühen sich die Betreiber der FIOE-Homepage um die Darstellung eines vermeintlich moderaten, gewaltlosen Islams. Bei eingehender Untersuchung der weiterführenden internen wie externen Links stellt man jedoch vor allem in der arabischsprachigen Homepage der FIOE Version eine erhebliche Diskrepanz fest. Theoretische Aspekte, die die Kriegsführung im Islam tangieren wie die Feststellung, dass die Tötung von Frauen, Kindern etc. verboten sei, werden insofern ad absurdum geführt, als bekannt ist, dass der "European Council for Fatwa and Research" (ECFR) beziehungsweise "Europäische Rat für Rechtsgutachten und wissenschaftliche Studien"53, der von der FIOE ins Leben gerufen wurde, im Zusammenhang mit dem Palästina-Konflikt andere Vorgehensweisen legitimiert oder zumindest als Mittel zum Zweck in Kauf nimmt. So hat der Vorsitzende des ECFR, Dr. Yusuf al-QARADAWI, zahlreiche Rechtsgutachten verfasst, die Selbstmordattentate gegen erwachsene jüdische Bürger Israels legitimieren. Dabei nimmt er auch den Tod von Kindern in Kauf. Die "International Association of Muslim Scholars"54 (IAMS), die von al-QARADAWI mitbegründet wurde und deren Präsident er ist, hatte im November 2004 ein Schluss-Kommunique ihrer Versammlung herausgegeben, in welchem sie zum Krisenherd Irak Stellung bezieht: Es wird unter "erstens" betont, dass die Wiedererlangung der nationalen Souveränität im Irak als dem offenbarten Gesetz des Islam zuzuordnende Pflicht anzusehen sei, und zwar für jeden, der dazu imstande sei, innerund außerhalb des Irak (...). Gott (...) habe an die Muslime das Wort gerichtet: "Und bekämpft für die Sache (auf dem Wege, fi Sabil-i 'llah) Gottes diejenigen, die euch bekämpfen". 53 Zwölf der insgesamt 32 ECFR-Mitglieder sollen derzeit aus außereuropäischen Ländern kommen. Ratsmitglied kann der Satzung zufolge werden, wer über einen einwandfreien islamischen Lebenslauf sowie islamrechtliche Qualifikationen verfügt, wobei ausdrücklich Wert darauf gelegt wird, dass "die Konstanten der Shariah" eingehalten werden und der Kandidat seinen Wohnsitz in einem europäischen Land hat. 54 Al-QARADAWI war zusammen mit dem iranischen Ayatollah Mohammad Al-TASKHIRI zum Präsidenten der 2004 ins Leben gerufenen Nichtregierungsorganisation IAMS ernannt worden. 37 SchlussDieser Kampf wird hier als "Tor (zum) Abwehr-Djihad (VerteidigungsKommunique Jihad, Jihad Ad-Daf)"55 erachtet, für welchen kein Oberkommando erforder IAMS derlich sei. Dabei handele es sich um ein legitimes Recht, welches seitens internationaler Abkommen und der Charta der Vereinigten Nationen anerkannt worden sei. Unter "drittens" wird darauf hingewiesen, dass es keinem Muslim gestattet sei, "die Besatzer gegen das irakische Volk und dessen ehrenhaften Widerstand zu unterstützen, weil ihnen dabei zu ihrer Freveltat und Aggression verholfen" werde. Die Dienstpflicht von Angehörigen der irakischen Polizei und Armee wird hier ausdrücklich ausgenommen, allerdings nur unter der Bedingung, dass diese nicht mit dem Feinde sympathisierten. Unter "viertens" werden auch das Personal humaner Dienstleistungen wie Medienvertreter in die nicht anzugreifende Kategorie "Zivilisten" (Madaniyun) eingeteilt, auch wenn sie die gleiche Nationalität wie die Streitkräfte hätten. Unter "sechstens" wird eine vermeintlich panarabische geeinte Nation heraufbeschworen, deren Religion der Islam, dessen Sprache und Kultur Arabisch sei. Angehörige anderer Volksgruppen und ethnischer Minderheiten werden schlicht außer Acht gelassen. Unter "siebtens" wird von einer "durch Blutverlust geschwächten Wunde", welche seit über einem halben Jahrhundert die Umma verletze, gesprochen. Die Muslime seien überall, wo sie auch seien, dazu verpflichtet, ihre Brüder (in Palästina) mittels verschiedener Djihad-Arten beizustehen: mit Geld, mündlich und schriftlich (per Schreibfeder), dem Gemüt (Psyche). Sie sollen "die [Streit-] Kräfte, die das Wohlbefinden auf der Welt lieben, zum Kampfe aufrufen, um sich [geschlossen wie ein Mann] zu erheben und die Verbrechen der zionistischen Existenz gegen das Menschenund Heimrecht sowie das [Recht auf] Ackerland und Nachkommenschaft [der Palästinenser] zu verurteilen (...)"56 Die FIOE-eigene Publikation "AL-EUROPIYYA" erscheint in der Informationsabteilung der Föderation. Die Redaktion des Periodikums gibt ihr Einverständnis auch zum Abdruck von Artikeln, die darauf ausgerichtet sind, 55 Der Verteidigungs-Djihad wird durchgeführt, wenn "ein Feind" ein muslimisches Land angreift, wobei die Einwohner dieses Landes spirituell und ökonomisch von anderen unterstützt werden sollen, sofern sie sich selbst verteidigen können. Ist dies nicht der Fall, so sollen "die anderen" auch kämpfend Unterstützung leisten. 56 FIOE-Website vom 24. August 2005. 38 Islamismus/Ausländerextremismus ihre Leser dahingehend zu beeinflussen, ihre europäische Umwelt als minderwertig oder weniger moralisch zu erachten. So stellt ein Bericht die Überlegung an, wie die Angehörigen der Muslime in der Diaspora "vor dem Untergang und der Auflösung in der (Diaspora-) Gesellschaft, vor der Schmutzigkeit durch die Krankheiten der westlichen Gesellschaften"57 geschützt werden sollen. In einem weiteren Artikel ist von der Konzentration auf "negative Modelle" die Rede. Es wird der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass die Muslime zur Heilung der "kranken" westlichen Gesellschaften beitragen sollen.58 Die Tendenz, Einflüsse der westlichen Zivilisation mit Perversion und Verderbtheit gleichzusetzen, findet sich auch auf der FIOE-eigenen Webseite wieder: Der oben genannte ECFR wird zum zentralen Sprachrohr der Anliegen der in Europa lebenden Muslime gemacht. Die Gründung von Schulen und Zentren wird zum Schutz vor Perversion als notwendig angesehen.59 Die Frau wird als Bollwerk islamischer Ethik angesehen. So wird das Tragen eines Schleiers als "religiöse Pflicht" (Wadjib shari) angesehen.60 Die Notreligiöse Pflichten wendigkeit einer dem islamischen Gesetz konformen Kleidung (Libas shari) der Frauen gerade für Mädchen wurde in der FIOE-Publikation bereits vor einigen Jahren im Zusammenhang mit dem Schutz islamischer Jugendlicher vor westlicher Verderbtheit betont: "Die muslimische Jugend in Europa ist von Zerfall, Auflösung und Untergang bedroht (...) Und jedes Mal, wenn hundert unserer Jugendlichen bei islamischen Treffen zugegen gewesen sind, nahmen tausende andere an zügellosen (schamlosen) Feiern und ausschweifenden (moralisch verkommenen) Begegnungen teil (...) Jedes Mal, wenn eines unserer jungen Mädchen mit dem islamischen Gesetz konforme Kleidung (Libas shari) angelegt hatte, entfalteten sechs oder sieben andere unserer Mädchen ihre Reize." 61 57 "Al-Europiyya" Nr. 21 vom Oktober 2000, S. 12, zur 23. Jahreskonferenz der "Islamischen Gemeinschaft" vom 28. bis zum 30. Juli 2000 in München. 58 "Al-Europiyya" Nr. 25 vom April 2001, S. 27. 59 FIOE-Website vom 22. August 2005. 60 FIOE-Website vom 24. August 2005. 61 "Al-Europiyya" Nr. 19 vom Juli 2000, S. 50. 39 Der ECFR macht derweil keinen Hehl aus seiner Ansicht, dass das islamische Gesetz "Scharia" einen allumfassenden Charakter besitzt. Der Präsident der IAMS, al-QARADAWI, behandelt diese Thematik in seiner Publikation "Gesetzeswissenschaft muslimischer Minderheiten - das Leben der Muslime inmitten anderer Gesellschaften." Hierbei wird das islamische Gesetz als "die Scharia für die gesamte Menschheit" oder "für die Wissenden" sowie "aller Generationen" bezeichnet. Sie sei "die Scharia für das ganze Leben, weil sie eine Yusuf al-QARADAWI Aufteilung des Lebens zwischen Gott und Kaiser oder Ermahnung an einem seiner Geschöpfe nicht erlaubt (...)"62 Dabei ist sie als unabhängig von muslimische Raum und Zeit zu betrachten. Infolgedessen wird die Scharia als für jeden Minderheiten Muslim rechtsverbindlich erachtet, ganz unabhängig davon, wo die Person ihren Wohnsitz hat, mit der Einschränkung, dass die persönlichen Lebensumstände berücksichtigt werden sollen: "Es gibt keinen Muslim, der nicht dem Bereich der Scharia untersteht, wo er sagen könnte: Ich bin von den gesetzlichen Bestimmungen der Scharia und der Verpflichtung zur Einhaltung der religiösen Vorschriften befreit [ausgenommen], außer, wenn die Scharia selbst ihnin Übereinstimmung mit ihren Prinzipien, Grundsätzen, gesetzlichen Bestimmungen und Anleitungen - freistellt."63 Zum Zwecke der Darlegung der augenblicklichen "schwachen" Ausgangslage der muslimischen Minderheiten in der Diaspora greift er auf Suren des Koran zurück, wie hier exemplarisch anhand von Sure 8, 26 aufgezeigt: "Und denket daran, wie Ihr wenige wart, Ihr wurdet für schwach gehalten, schwebtet in Furcht, dass die Leute Euch hinwegraffen könnten. ER aber gewährte Euch Zuflucht, und stärkte Euch durch seine Hilfe (...)"64 62 "Fi Fiqh al-Aqalliyyat al-muslima-Hayat al-Musliminin wasata 'l-Mudjtama'at al-ukhra", Dar ash-Shuruq, Kairo, 2. Auflage erschienen 2005, S. 13. 63 Ebd. 64 Ebd., S. 16. 40 Islamismus/Ausländerextremismus In dieser zahlenmäßigen Unterlegenheit liegt al-QARADAWI zufolge häufig die Ursache dafür, dass die Minderheit Unrecht (Tyrannei = Zulm) und Unterdrückung durch die Mehrheit erleidet, besonders dann, wenn bei der Mehrheit ein rassisches oder nationales Selbstbewusstsein (Fanatismus = Taassub) und ein Überlegenheitsgefühl vorherrschen. Der ECFR bringt deutlich zum Ausdruck: Eine andere Gerichtsbarkeit als die islamische wird zwar als "Taghut" (Götze) gebrandmarkt, infolge einer europäischen Staatszugehörigkeit eines Muslims wird diesem aber zugestanden, "westliche Gerichte" in Anspruch nehmen zu dürfen, allerdings unter der Bedingung, dass die gesetzlichen Bestimmungen nicht im Widerspruch zur Scharia stehen.65 Ferner wird die Dawa, im Sinne einer nachhaltigen Islamisierung als langfristiges Ziel in den europäischen Territorien angegeben, "damit der wahrhaftige Glaube sich ausbreite und die dortigen Muslime vor dem Untergang errettet werden ". Denn ein "religiöses gottgefälliges Leben der Muslime in Europa" werde "dadurch gefährdet, dass sie einer starken Verführung bzw. Verlockung, die von der westlichen Gesellschaft ausgeht, ausgesetzt sind."66 Es wird eine eigene Rechtsgrundlage gefordert, um "die Mission in geordnete Bahnen zu lenken und den Islam in die europäischen Häuser zu tragen", damit am Ende "die gesamte Menschheit" nach den Gesetzen der Scharia geregelt wird.67 Bereits vor einigen Jahren machte die IGD ihre Auffassung deutlich, dass die Rechtsgrundlagen in Deutschland an islamrechtliche Vorstellungen angepasst werden sollten, so wurde unter anderem eine Vereinbarung zwischen den Muslimen und dem deutschen Staat mit dem Ziel einer gesonderten Gerichtsbarkeit angestrebt, wobei vor allem das deutsche Ehe-, Erbund Prozessrecht als auf Dauer unzufrieden stellend für die Muslime bezeichnet worden war.68 Sowohl auf den Webseiten der FIOE wie auch auf der IGD-eigenen Homepage wird der Begriff der "Wasatiyya" genannt, welcher als Variante des "mittleren Wegs" das Bild eines gemäßigten Islams, der sich von den Übertreibern abhebt, suggeriert wird. Bei der "Wasatiyya" handelt es sich jedoch 65 "Al-Europiyya" Nr. 19 vom Juli 2000, ab S. 12. 66 Ebd., S. 7. 67 Ebd., S. 12. 68 "Al-Islam" Nr. 2/2002, S. 14. "Al-Islam" ist eine Publikation des "Islamischen Zentrums München". 41 um eine neo-islamistische Strömung mit einer integrierten Islam-Auffassung, welche die Komponenten von Religion und Herrschaft als untrennbar erachtet. In der Zielsetzung der IGD ist unter Punkt 3 zu lesen: "Etablierung des Islamischen Denkens als Gemeinschaft der Mitte 'Al-Wasatiyya' als zentrales und dominierendes Gedankengut innerhalb der muslimischen Bevölkerung." 69 Ein interner Link verweist auf das "moralische System des Islam" 70. Darin heißt es, dass "der Qur'an gewisse allgemeingültige grundlegende Richtlinien für die Menschheit als ganzes" aufgestellt habe, welche "unter allen Umständen zu befolgen und zu respektieren" seien. In einem weiteren Artikel wird vom "Untergang der vom Westen beherrschten Welt, mit all seinen Ungewissheiten, Fragen, Zweifeln, Wirren" gesprochen, "Lösungen", so heißt es weiter, ließen sich "auf der alten Grundlage nicht mehr finden". Der Ausgangspunkt für den Irrweg des Westens liegt dem Artikel zufolge mehr als fünfhundert Jahre zurück, als "mit dem Hunger nach Gold und dem Willen zur Macht und Herrschaft über Menschen und Natur ein Leben ohne Sinn" entstanden sei (...), "Heute, 500 Jahre später", seien "die Muslime wieder zurück, unter ganz anderen Vorzeichen, gewiss, aber wenn wir begreifen, was es heißt, an das islamisch-europäische Erbe wieder anzuknüpfen, können wir der Dimension dieser gewaltigen Aufgabe gewahr und mit der Hilfe Gottes gerecht werden." Jahrestagung Die 27. Konferenz der IGD fand am 3. Dezember 2005 statt. Unter dem der IGD Motto "Muslime in Deutschland - mittendrin und doch daneben?!" wurde sie im Sportpark Leverkusen abgehalten. Zu den Rednern gehörten sowohl Personen aus Deutschland wie auch Vortragende, die aus dem Ausland angereist waren. Neben Ibrahim el-ZAYAT, dem Präsidenten der IGD und gleichzeitigem Vorstandsmitglied der FIOE, Nadeem A. ELYAS, dem Vorsitzenden des ZMD, nahmen auch Ahmad al-RAWI, der Präsident der FIOE, Oguz ÜCÜNCÜ, der Generalsekretär der türkisch-islamistischen "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG), Ali KIZILKAYA, der Vorsitzende des "Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland", sowie der 69 IGD-Homepage vom 13. Oktober 2005. 70 Hier und im Folgenden: IGD-Website vom 14. November 2005. 42 Islamismus/Ausländerextremismus bekannte Fernsehprediger Amr KHALED71 teil. Die muslimische Künstlerin Hülya KANDEMIR72 und Dr. Murad HOFMANN73 wurden auf der IGD-Homepage ebenfalls als Teilnehmer angekündigt. Die Erwähnung HOFMANNs lässt darauf schließen, dass dieser von der IGD bewusst als Werbeträger benutzt wird. Betrachtet man die Gästeliste näher, wird deutlich, dass die IGD sich verstärkt bemüht, attraktiv für junge Menschen zu erscheinen, wurden doch mit KHALED und KANDEMIR gleich zwei Referenten eingeladen, die zu Identifikationsfiguren muslimischer Jugendlicher geworden sind, welche sich in einer Identitätskrise befinden. Auch im Bereich der musikalischen Unterhaltung traten Personen auf, die bereits im islamistischen Umfeld aufgetreten sind: Der Rapper Ammar114 war bereits während der Islamwoche in Karlsruhe vom 29. September bis junge Szene zum 5. Oktober aufgefallen.74 in BadenWürttemberg Bei der Islamwoche, die vom 20. bis zum 24. Juni 2005 zum elften Mal an der Universität in Stuttgart-Vaihingen abgehalten wurde, referierte Ahmad von DENFFER75, Herausgeber der vom "Islamischen Zentrum" in München herausgegebenen Zeitschrift "Al-Islam76" und ehemaliger Leiter des genannten Zentrums, am 22. Juni 2005 über die "Glaubensgrundsätze der Muslime". 71 Geboren 1967 in Alexandria/Ägypten. Bei dem auf der IGD-Homepage vom 2. Dezember 2005 als "muslimischer Gelehrter" angekündigten Referenten KHALED handelt es sich um einen ägyptischen Fernsehprediger, der sich durch seine regelmäßigen Auftritte im saudi-arabischen Satellitensender "Iqra" (deutsch: "Rezitiere [den Koran]!") einer hohen Popularität erfreut. Dabei übt er insbesondere eine starke Anziehungskraft auf sein überwiegend jugendliches Zielpublikum aus. Ganz bewusst spricht er besonders junge Muslime an, liefert vermeintliche Lösungsmodelle für deren Alltagsprobleme und Lebensgestaltung und kann so einen größeren Einfluss auf diese gewinnen als Lehrautoritäten, die sich in realitätsfernen Floskeln verfangen. KHALED war auch auf den IGD-Jahrestreffen 2003 und 2004 zu Gast gewesen. Bereits 2003 hatte er dort Stellung zur Identitätskrise bei muslimischen Jugendlichen bezogen und den Rat erteilt, "Gutes" aus dem Westen anzunehmen, "Schlechtes" dagegen abzulehnen. 72 Die türkischstämmige KANDEMIR hatte in den Medien Aufsehen mit ihrem Buch "Himmelstochter - Mein Weg vom Popstar zu Allah" erregt. Nach ihrem offiziellen Bekenntnis zum Islam hatte sie der Bühnenkarriere als Sängerin abgeschworen. 73 Ehemaliger deutscher Botschafter in Algerien und Marokko, der 1980 zum Islam konvertierte und Ehrenmitglied im ZMD ist. Im Übrigen siehe Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2004 (S. 36f.). 74 Siehe dazu S. 71. 75 Ahmad von DENFFER soll an der "Islamic Foundation" in Leicester/Großbritannien unter der Leitung von Kurshid AHMAD, einem Schüler von Abu' l -Ala al-MAUDUDI (1903-1979), dem Begründer der "Jama'at-i Islami", der starken Einfluss auf einen der Chefideologen der "Muslimbrüder", Sayyid QUTB, hatte, studiert und gearbeitet haben. 76 "Al-Islam" erschien in gedruckter Form zuletzt mit Heft 6/2003, danach war die Publikation in modifizierter Form online zu finden und erschien unregelmäßig. 43 Die 27. IGD-Konferenz war mit etwa 3.000 Anwesenden gut besucht. In der Eröffnungsrede plädierte al-RAWI für eine Integration der Muslime in die europäische Gesellschaft, die jedoch ohne Verlust der wesentlichen islamischen Grundelemente vonstatten gehen müsse. Im Ablauf der Veranstaltung spiegelte sich keine Meinungsvielfalt wider. Unmissverständlich verteidigte DENFFER das Kopftuchgebot. Auf der Veranstaltung anwesenden Muslimen, die eine andere Meinung vertraten oder weiterführende Fragen stellen wollten, wurde es verwehrt, sich zu äußern. Auch Diskussionsversuche seitens nichtmuslimischer Gäste bezüglich eines Dialoges zwischen "den monotheistischen Religionen" wurden im Keim erstickt. Im Hinblick auf den Kopftuchstreit bemerkte DENFFER, dass "man Geduld brauche", und es sich "am Ende zeigen werde, wer falsch und richtig gehandelt" habe. Die der IGD nahe stehende "Muslimische Jugend in Deutschland" konkretisiert ihre Vorstellung einer Abkehr vom verfassungskonformen demokratischen Rechtsstaat, indem sie - mit dem Ziel, eine Aversion gegen die weltlich geprägte Umgebung zu wecken - Appelle an muslimische Jugendliche richtet: "Passt euch einer Gesellschaft und eurer Umgebung nicht an, falls sie unislamisch ist. Ändert die Gesellschaft entsprechend euren Glaubensgrundsätzen. Der Muslim ist eine Persönlichkeit, die ihr Umfeld entsprechend ihrer Überzeugung verändert. In diesem Sinne ist er ein aktiver und effektiver Mensch."77 "Das erste, was ihr verteidigen sollt, ist nicht euer Ego, sondern die Ehre eurer Religion." 78 "Schließlich sind all die Vorschriften des Islams für die Aufrechterhaltung des ewigen Glücks der Menschen da. Verbreitet demnach dieses Glück und betrachtet die Übertretung der Grenzen des Islams als einen Angriff auf das Glück der Menschen." 79 Auch hier wird abweichendes Denken verunglimpft: "Versucht nicht, den Quran mit euren individuellen Meinungen auszulegen! Trübt nicht den klaren und 77 "Al Islam" 6/2003, S. 67 und 68; Übernahme wie im Original. 78 Ebd., S. 87. 79 Ebd., S. 78. 44 Islamismus/Ausländerextremismus reinen Wasserlauf des Qurans mit dem kulturellen Denken, das ein Produkt der fehlbaren Menschen ist."80 An anderer Stelle wird betont, dass der Islam "die unveränderlichen Werte der Menschheit" repräsentiere.81 2.4.1.1.2 "Al-Djamaa al-Islamiya" und "al-Djihad al-Islami" Die "al-Djamaa al-Islamiya" ("Die Islamische Gemeinschaft") und die "al-Djihad al-Islami" (Der Islamische Djihad) sind in den 1970er Jahren aus der ägyptischen "Muslimbruderschaft" (MB) hervorgegangen. Trotz des gemeinsamen ideologischen Grundgedankens und zeitweiliger personeller ägyptische Überschneidungen wandten beide Gruppen seither unterschiedliche StraWurzeln der tegien an und haben unterschiedliche Entwicklungen hinter sich. Die Gewalt "al-Djamaa al-Islamiya" steht auf der EU-Liste terroristischer Gruppen. In Baden-Württemberg ist sie durch Einzelmitglieder vertreten. Das Ziel des bewaffneten Kampfs beider Gruppierungen gegen das "ungläubige ägyptische Regime" ist die Errichtung eines islamischen Staats. Der religiöse Führer von "al-Djamaa al-Islamiya", Scheikh Abd ar-RAHMAN, wurde als Drahtzieher des Anschlags auf das Welthandelszentrum 1993 in New York zu lebenslanger Haft verurteilt. In den 1990er Jahren verübte die "al-Djamaa al-Islamiya" eine Reihe von Anschlägen auf Touristen. Der letzte Anschlag in Luxor/Ägypten im November 1997 forderte mehr als 60 Todesopfer. Der "al-Djamaa al-Islamiya" werden die Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat 1991 und Anschläge auf den ägyptischen Premierminister 1993, auf die ägyptische Botschaft in Pakistan und 1998 auf die US-Botschaft in Albanien zur Last gelegt. 1999 erklärten inhaftierte Führungspersönlichkeiten einen Gewaltverzicht, der innerhalb der "al-Djamaa al-Islamiya" umstritten war und von Abd ar-RAHMAN im Juni 2000 aufgekündigt wurde. Der ägyptische Arzt Ayman al-ZAWAHIRI war ursprünglich der Führer von "al-Djihad al-Islami". Er rekrutierte in den 1980er Jahren arabische Afghanistan-Kämpfer in Pakistan und gilt heute als der Stellvertreter Usama BIN LADINs. Im Jahr 1998 schloss sich die "al-Djihad al-Islami" gemeinsam 80 Ebd., S. 27. 81 Ebd., S. 15, Vorwort des Verfassers. 45 mit anderen Organisationen der "Weltfront zur Bekämpfung der Juden und der Kreuzfahrer" des Usama BIN LADIN an. Beide Organisationen sind mittlerweile aufgrund der rigorosen Bekämpfung durch den ägyptischen Staat nachhaltig geschwächt. 2.4.1.1.3 "Harakat al-Muqawama al-islamiya" (HAMAS) 1978 gründete der palästinensische Muslimbruder Scheich Ahmad YASSIN den "al-Mudjama al-islami" ("Islamischer Zusammenschluss"), welcher sich in erster Linie auf Sozialarbeit konzentrierte. Durch seine geschickte Propaganda konnte der "al-Mudjama al-islami" schnell zahlreiche Anhänger für seine islamistischen Ziele gewinnen, vor allem im Gaza-Streifen. 1987, nach dem Ausbruch der ersten Intifada ("Aufstand" von 1987 bis 1993) nahm er den bewaffneten Kampf gegen Israel auf und benannte sich in HAMAS82 um. Religiöser Führer blieb bis zu seiner Liquidierung im Frühjahr 2004 Scheich YASSIN. HAMAS bekannte sich zu 217 von insgesamt rund 400 Angriffen zwischen September 2000 und August 2005 auf israelische Ziele im Gazastreifen. Die Organisation hat im besagten Zeitraum die Verantwortung für den Tod von 79 israelischen Soldaten übernommen. Der Abzug israelischer Streitkräfte aus Gaza im August 2005 wurde von der HAMAS zum Sieg über die Israelis und zur Befreiung eines Teils von Palästina erklärt. Der Anführer des bewaffneten Flügels der HAMAS, Muhammad DEIF, kündigte in einer Video-Botschaft an, dass seine Gruppe "bis zur Ziel: Zerstörung Israels" weiterkämpfen werde, und er fügte hinzu: Vernichtung Israels "Wir sagen den Zionisten, die unseren Boden entheiligt haben, dass ganz Palästina zu einer Hölle werden wird. Heute habt ihr voller Schande die Hölle von Gaza verlassen, und ihr haltet Palästina weiter besetzt. Aber wir versprechen euch, dass morgen ganz Palästina zur Hölle werden wird." 83 Der 1981 von Mitgliedern der "Muslimbruderschaft" (MB) gegründete "Islamische Bund Palästina" (IBP) vertritt seit Beginn der ersten Intifada im Jahr 82 Bei der Bezeichnung HAMAS handelt es sich um ein Akronym. Die Anfangsbuchstaben der vollständigen Bezeichnung ("Harakat al-Muqawama al-islamiya") ergeben im Arabischen einen neuen Begriff: "Eifer". 83 Internetauswertung vom 28. November 2005. 46 Islamismus/Ausländerextremismus 1987 die Positionen der HAMAS in Deutschland. Ziel der HAMAS ist die Errichtung eines islamischen Staates auf dem gesamtpalästinensischen Gebiet. Die Organisation spricht Israel das Existenzrecht ab und verfolgt ihre Ziele auch durch den bewaffneten Kampf. Ihr militärischer Flügel sind die "al-QASSAM-Brigaden"84. Die HAMAS lehnt den israelisch-palästinensischen Friedensprozess ab und ist für eine Vielzahl von Gewalttaten, u.a. auch zahlreiche Selbstmordattentate, verantwortlich. Die Terroranschläge der "al-QASSAM-Brigaden" sind auf Israel und die palästinensischen Gebiete beschränkt. Aufgrund ihrer terroristischen Aktivitäten steht die HAMAS seit 2003 auf der "Terror-Liste" der Europäischen Union. In Baden-Württemberg sollen sich etwa 20 Personen für die HAMAS beziehungsweise den IBP einsetzen. 2.4.1.1.4 "Al-Aqsa e.V." Der Verein "Al-Aqsa e.V." wurde 1991 gegründet, steht ideologisch der HAMAS nahe und diente in Deutschland überwiegend dem Sammeln von Spendengeldern. Über Hilfseinrichtungen der HAMAS wurden die Spenden auch an Familienangehörige von Selbstmordattentätern weitergeleitet, wodurch der "al-Aqsa e.V." zur Gewalt im Palästina-Konflikt beitrug. Aus diesem Grund und weil sich seine Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, ist der "Al-Aqsa e.V." seit 5. August 2002 in Deutschland verboten.85 Das Verbot wurde am 3. Dezember 2004 mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) bestätigt86, nachdem der Verein beim Bundesverwaltungsgericht Klage gegen das Verbot erhoben hatte und es ihm zunächst gelungen war, die Vereinsgeschäfte unter Auflagen fortzuführen. 2.4.1.1.5 "Front Islamique du Salut" (FIS) Der algerische Ableger der "Muslimbruderschaft" (MB), die "Front Islamique du Salut" (FIS) beziehungsweise die "Islamische Heilsfront", wurde im Jahr 1988 von den "Muslimbrüdern" Hassan MADANI und Ali BEN HADJ gegründet. Die FIS gewann im Dezember 1991 die Parlamentswahlen in Algerien, durfte aufgrund des Eingreifens des Militärs aber keine Regierung bilden. Sie wurde daraufhin 1992 verboten, worauf zahlreiche Funktionsträger der FIS ins Exil gingen. Rabah KABIR, bis Sommer 2002 Vorsitzender 84 Die Brigaden sind nach dem Syrer Izzadin al-QASSAM benannt, der in den 1930er Jahren im Kampf gegen die britische Mandatsmacht in Palästina gefallen ist. 85 Beschluss des BVerwG 6 VR 10.02 vom 16. Juli 2003. 86 BVerwG 6 A 10.02 vom 3. Dezember 2004. 47 des "Exekutivkomitees der FIS im Ausland", lebte bis dahin in Deutschland. Es haben sich innerhalb der FIS zwei Flügel herausgebildet. Der vom neuen Vorsitzenden Dr. Mourad DHINA angeführte kompromisslose Flügel des "Exekutivkomitees der FIS im Ausland" lehnt den Waffenstillstand des militärischen Arms der FIS, der "Islamischen Heilsarmee" (AIS), welcher 1997 von der FIS erklärt und 1999 von der algerischen Regierung angenommen wurde, ab. Dem liberalen Flügel werden die Bereitschaft zum Dialog mit der algerischen Regierung sowie die Zustimmung zur "nationalen Versöhnung" zum Vorwurf gemacht. Diese Frage spaltet auch die FIS-Anhänger in Deutschland. Internetbanner der FIS Die FIS besteht bis heute auf der Anerkennung ihres Wahlsieges 1991 und die Errichtung eines islamischen Staates in Algerien. Ihre beiden Führer MADANI und BEN HADJ sind zwar seit 2003 aus der Haft entlassen, sie dürfen sich jedoch in keiner Weise politisch betätigen. Der moderat auftretende MADANI versuchte im Gegensatz zu BEN HADJ der algerischen Regierung im Jahr 2004 entgegenzukommen, was sowohl innerhalb der FIS als auch seitens der Regierung auf Ablehnung stieß. BEN HADJ dagegen beglückwünschte az-ZARQAWIs Organisation "al-Qaida im Zweistromland" zur Entführung der algerischen Diplomaten im Irak im Juli 2005, die kurz darauf getötet wurden. 2.4.1.1.6 "Groupe Islamique Arme" (GIA) Die Ende 1991 als Abspaltung der FIS gegründete "Groupe Islamique Arme" (GIA) beziehungsweise "Islamische Bewaffnete Gruppe" konzentrierte sich von Anfang an auf terroristische Aktionen, die sich sowohl gegen die algerische Zivilbevölkerung als auch gegen Ausländer richteten. Im Verlauf der immer brutaler geführten Auseinandersetzungen starben mehr als 100.000 Menschen. Unter den GIA-Kämpfern sind algerische Mudjahidin, die in Afghanistan gekämpft haben. Die GIA wurde in Algerien inzwischen zerschlagen. Es blieben Kleinstgruppen übrig, die vorwiegend von der Ausplünderung der algerischen Bevölkerung leben. Dadurch ist die GIA zwar nicht weniger gefährlich, hat aber ihre politische Bedeutung verloren, da Ideologie bei ihren Aktivitäten kaum mehr eine Rolle spielt und sie somit in wachsendem Maße Kleinkriminelle anzieht. Dies gilt auch für ihre Anhänger in Europa. 48 Islamismus/Ausländerextremismus 2.4.1.1.7 "Groupe salafiste pour la Predication et le Combat" (GSPC) Von der GIA spaltete sich im Jahre 1997 in Algerien die "Groupe salafiste pour la Predication et le Combat" (GSPC) beziehungsweise "Salafitische Gruppe für Mission und Kampf" ab. Derzeit geht man von schätzungsweise 250 bewaffneten Mitgliedern in Algerien aus. Die GSPC verübte nach einiger Zeit entgegen ihrer früheren Ankündigung ebenfalls Massaker gegen Zivilisten. In den Jahren 2003 und 2004 wurden auch europäische Touristen zum Zweck der Lösegelderpressung als Geiseln genommen, darunter auch Deutsche. Die GSPC ist zwar durch die 2004 erfolgte Inhaftierung von Abderrazzak EL PARA, einem ihrer besonders charismatischen und populären Führer, geschwächt, versucht aber durch Rekrutierung von Mitgliedern in den Nachbarländern die alte Kampfkraft wiederzuerlangen. Man spricht sogar von einem Strategiewechsel der GSPC, einer Internationalisierung des Djihad. Nach dem Tod von Nabil SAHRAOUI wurde Musab ABD AL WADUD neuer Anführer der GSPC. Dieser unterzeichnete auch die Kommuniques Solidarisierung der GSPC, in denen die Entführung und Ermordung zweier algerischer der Kämpfer Diplomaten im Irak durch az-ZARQAWIs "al-Qaida im Zweistromland" begrüßt wurde: "(...) es ist ein Krieg zwischen Muslimen und den Feinden des Islam und es ist ein Krieg zwischen Kreuzzugs-Amerika und seinen Verbündeten (einschließlich der arabischen) gegen die Mudjahidin und deren Verbündete, welche hauptsächlich Nicht-Araber sind. Jeder, der den Weg des Verrats und der Unterdrückung wählt, sollte wissen, dass in den Augen der Mudjahidin sein Blut weniger wert ist als das Blut von Hunden."87 In Europa finden innerhalb wenig gefestigter Strukturen logistische Unterstützungsaktivitäten wie Materiallieferungen, Dokumentenfälschung und finanzielle Unterstützung statt. Zumindest Einzelmitglieder und Kleinstgruppen stehen in Kontakt mit "al-Qaida". Dies machte GSPC-Befehlshaber ABD AL WADUD in einer Grußbotschaft deutlich: 87 August 1, 2005; "A statement regarding the deaths of the Algerian diplomats in Iraq", URL: http://www.globalterroralert.com vom 23. November 2005. 49 "(...) die Führer des Djihad, welche die wahren Führer sind, nachdem ihre eigenen Führer Apostaten wurden. Sie sind die Quelle des Lichts in unserem dunklen Exil und die Hoffnung für die verwundete Nation des Musab ABD AL WADUD Islam. An den kämpfenden Scheikh Abu Abdullah Usama bin Ladin, Mullah Muhammad Umar, Scheikh Ayman al-Zawahiri, zum geliebten Helden und Führer Abu Musab al-Zarqawi, an die geduldigen Brüder und mutigen Löwen in Tschetschenien - (...) an die mutigen Kämpfer in Palästina und an die Mudjahidin überall - möge Gott euch alle beschützen."88 2.4.1.1.8 "An-Nahda" ("Bewegung der Erneuerung") Die "an-Nahda" ("Bewegung der Erneuerung") ist aus dem "Mouvement de la Tendance Islamique" (MTI, "Bewegung der islamischen Ausrichtung") entstanden. Ende der 1960er Jahre schlossen sich drei Sympathisanten der pakistanischen "Tabligh-Bewegung", die um 1966/1967 in Tunesien zu missionieren begann, zusammen. Der wichtigste der drei Führer ist der im Westen als liberal geltende Rached Rached al-GHANNOUCHI, der seit 1992 im Londoner Exil lebt. al-GHANNOUCHI Die auf der Homepage eingestellten Bilder und Texte zeigen, dass die Befreiung Palästinas zu den Prioritäten der "an-Nahda" zählt. Im Jahr 2004 warfen arabische Liberale GHANNOUCHI vor, eine Fatwa erlassen zu haben, die das Töten israelischer Zivilisten erlaube, weil es in Israel keine Zivilisten gebe. Die Bevölkerung - Männer, Frauen und Kinder - seien die Reservesoldaten der Armee und dürften als solche getötet werden.89 Unter der Websiterubrik "Islamisches Denken" ist als erstes ein Aufsatz von Hassan al-BANNA, dem Begründer der ägyptischen "Muslimbrüder", mit dem Titel "Sind wir ein handlungsfähiges Volk!" aufgelistet. Darin fordert dieser nicht nur den Djihad als Verteidigungskrieg, sondern ebenso den Eroberungskrieg gegen Nichtmuslime. Zwar entwickelte GHANNOUCHI die Idee einer islamischen Mehrparteien-Demokratie, die Trennung 88 "GSPC Commander Hails Al-Qaida in New Video", URL: http://www.globalterroralert.com vom 23. November 2005. 89 MEMRI, Special Dispatch vom 9. November 2004: "Arabische Liberale rufen UN zu einem Tribunal zur Verfolgung von Terroristen und ihren religiösen Vordenkern auf."; URL: http://www.memri.de/uebersetzungen_analysen/themen/liberal_voices/ges_resolution_09-11-04.pdf. 50 Islamismus/Ausländerextremismus von Religion und Staat lehnt er jedoch unerbittlich ab. Er ist Mitglied im "European Council for Fatwa and Research" (ECFR). In Baden-Württemberg ist die "an-Nahda" durch Einzelpersonen vertreten. 2.4.1.1.9 "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung") Die inzwischen weltweit agierende "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung") entstand als Abspaltung der Bewegung der "Muslimbruderschaft" (MB). 1953 gründete Taqi ad-Din an-NABHANI in Jerusalem eine Partei, deren Anhänger die internationale Vereinigung aller Muslime in einem Kalifat anstreben. Das Kalifat gilt ihnen als allein gültige Herrschaftsund Gesellschaftsform, die alle Probleme der Muslime lösen könne. Auf einer deutschsprachigen Internetseite der "Hizb ut-Tahrir" wird folglich das Kalifat als Schicksalsfrage bezeichnet.90 Am 3. März 1924 beendete die türkische Regierung endgültig das osmanische Kalifat. Die Jahreszahl 1924 taucht aus diesem Grund in zahlreichen Publikationen der "Hizb ut-Tahrir" auf. So ist etwa auf der Internetseite eine Uhr zu sehen, die die Jahre, Monate und Tage ohne Kalif seit diesem Datum zählt. Das Fehlen eines Kalideutschsprachige Homepage der "Hizb ut-Tahrir" fen gilt als wichtigster Grund für die zahlreichen Schwierigkeiten der islamischen Umma (Gemeinde). Die "Hizb ut-Tahrir" verfolgt als dringlichstes Ziel die Wiedererrichtung des Kalifats, das mit der Scharia als Rechtsgrundlage die Abschaffung aller staatlicher Grenzen zwischen islamischen Staaten durchsetzen soll. Nach eigenen Angaben soll dies ohne Gewalt und lediglich mit den Mitteln der Propaganda und Pressearbeit erreicht werden. In den einschlägigen Propagandatexten finden sich aber immer wieder Passagen, die als Aufruf zur Gewalt verstanden werden können. Formulierungen in einigen Flugblättern richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Zudem befürworteten sie Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer Belange. Diese Inhalte wurden ausschlaggebend für das Betätigungsverbot, das der Bundesminister des Innern am 15. Janu90 Internetauswertung vom 2. Dezember 2005. 51 ar 2003 verhängte. Hiergegen erhob die Organisation Klage, über die noch nicht entschieden ist. Durch das Betätigungsverbot unterblieben im Jahr 2005 öffentliche Auftritte in Baden-Württemberg sowie in Deutschland insgesamt. Im Internet sind trotz Verbots jedoch die einschlägigen Seiten der "Hizb ut-Tahrir" nach wie vor zugängweiterhin aktiv lich. Die Seiten werden noch immer aktualisiert. Außerdem wurden im Jahr 2005 neue Texte verfasst, die die Ideologie dieser Organisation weiterverbreiten. Darüber hinaus zirkulierten ihre Schriften und Flugblätter in islamistischen Kreisen, die sich etwa an Hochschulen etabliert haben. Schriften der "Hizb ut-Tahrir" tauchten in größerer Zahl bei verschiedenen Protagonisten in Heidelberg, Karlsruhe und Stuttgart auf. Die Propagandaschriften der "Hizb ut-Tahrir" zeigen ein einheitliches Schema. Kurzen Koranzitaten oder Prophetensprüchen folgen Erläuterungen, die aktuelle politische Entwicklungen kommentieren. Den Abschluss dieser Verlautbarungen bildet häufig ein Appell an die islamische Umma, daran zu arbeiten, das Kalifat wieder zu errichten. Auch nach dem Verbot gelingt es der Organisation, ihr Propagandamaterial vor allem über verschiedene Server in Großbritannien auch auf Russisch, Englisch, Malaiisch, Dänisch und Niederländisch im Internet zu verbreiten. Zentrales Thema sind häufig das Leiden der islamischen Umma im Irak und die Zustände in weiteren Krisengebieten. So wurde am 10. Dezember 2005 ein Protestmarsch in London organisiert, der auf die Not leidende Umma in Irak, Palästina, Kaschmir und Tschetschenien aufmerksam machen sollte. In einem noch immer im Internet aufrufbaren Text, der erstmals im September 2004 veröffentlicht wurde, wird das Kalifat als einzige Möglichkeit vorgestellt, die muslimische Umma zu vereinigen: "Nur das Kalifat kann die muslimische Umma vereinigen, ihr Stärke verleihen und sie zur Führungsmacht erheben (...) Die muslimische Umma ist heute den Kuffar [Ungläubigen] scheinbar hilflos ausgeliefert (...) Die Zerstörung des Kalifats markiert den Beginn der Teilung, Besetzung und Versklavung der Muslime (...) Das ist das Ergebnis der Zerstörung des Kalifats und das Eindringen der falschen westlichen Ideen und Systeme in unseren Köpfen und Regierungen. 'O die ihr glaubt! Nehmt nicht die Juden und die Christen zu Freunden (...)' 52 Islamismus/Ausländerextremismus [Koran 5,51] Heute schlachten die Kuffar ungescholten unsere Geschwister im Irak ab (...) Wie lange werden wir noch ruhig zusehen, wie die Kuffar systematisch unsere Gesellschaft zerstören?" 91 Da die "Hizb ut-Tahrir" das Kalifat anstrebt, bemüht sie sich in ihren Pamphleten, dieses System entsprechend ausführlich zu erklären. So schrieb ein Autor im Februar 2005 über die Notwendigkeit des islamischen Strafsystems und rechtfertigte in dieser siebenseitigen Abhandlung die Anwendung der Hudud-Strafen92 in einem islamischen Staat: "Jemand, der Ehebruch begeht, muss - bei islamrechtlich erwiesener Schuld - somit mit Steinigung bestraft werden. Es darf in diesem Fall keine Gefängnisstrafe verhängt werden. Ein Unverheirateter, der Unzucht begeht, muss, nachdem seine Schuld bewiesen ist, hundert Peitschenhiebe erhalten, es dürfen keine neunundneunzig Peitschenhiebe sein und auch keine hundertundeins."93 Die von Allah geoffenbarten Strafgesetze stellt der Autor über jene Gesetze, die von Menschen formuliert wurden, und begründete dies: "Erst mit dem Wissen um die Konsequenz einer Bestrafung für die Nichteinhaltung eines Gesetzes ist der Mensch willens, sich an Gesetze zu halten. Der kategorische Imperativ, wie ihn Immanuel Kant formuliert hat, kann daher nicht funktionieren. Es lassen sich keine Gesetze aus dem, was die Philosophie als praktische Vernunft bezeichnet, ableiten und vor allem liegt es nicht in der Natur des Menschen, sich aus reinen Vernunftgründen an diese Gesetze zu halten." Am Ende kommt der Autor zu dem Fazit: "Und so ist es nur zum Nachteil für die Muslime, dass das islamische Strafsystem nirgendwo auf der Welt richtige Umsetzung findet." 91 "Hizb ut-Tahrir"-Website vom 30. September 2005. 92 Strafen, die explizit im Koran vorgeschrieben werden. 93 Hier und im Folgenden: "Hizb ut-Tahrir"-Website vom 2. Dezember 2005; Übernahme wie im Original. 53 Da die "Hizb ut-Tahrir" in allen arabischen Ländern und weiteren Staaten der Welt verboten ist, haben ihre Anhänger konspirative Strukturen entwickelt und sich im Geheimen in kleineren Gruppen organisiert. In Zentralasien sind sie politischer Verfolgung ausgesetzt. Die Machthaber in den jeweiligen Ländern sehen in den Aktivitäten der Organisation Umsturzbestrebungen, die die herrschenden politischen Systeme mit der Errichtung eines Kalifats zu Fall bringen würden. Die "Hizb ut-Tahrir" versteht sich als eine globale Organisation mit einem einheitlichen ideologischen Fundament, dem Islam. Sie hat sich weltweit in mehreren Bezirken organisiert. Europa gilt als ein eigener Bezirk. Es gibt eine strenge Ordnung, der zufolge die Mitglieder in Fünfer-Gruppen aufgeteilt sind, die jeweils einen Anführer (mushrif) haben. Ungeachtet der regionalen Unterschiede und der spezifischen Probleme, die jeder Bezirk hat, existiert ein einheitliches ideologisches Fundament. Die Europazentrale der "Hizb ut-Tahrir" befindet sich in London. Da die Partei in Großbritannien nicht verboten ist, konnten ihre Anhänger dort noch öffentliche Auftritte organisieren. Nach den Anschlägen vom 7. Juli 2005 ist die Partei allerdings sehr starkem öffentlichen Druck ausgesetzt. Ein Verbot wurde bereits in den Medien diskutiert, da der englische Premierminister Anfang August 2005 angekündigt hatte, islamistischen Gruppierungen, namentlich der "Hizb ut-Tahrir", die Betätigung zu verbieten.94 Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Anhänger oder Sympathisanten der Organisation auch mit gewaltsamen Mitteln dagegen zur Wehr setzen werden. 2.4.1.2 "Tabligh-i Jama'at" (Gemeinschaft für Verkündung und Mission) islamische Der Ursprung dieser missionarischen Erneuerungsbewegung liegt im heutiErneuerungsgen Indien, in der Region um Delhi. Ende der 1920er Jahre gewann der bewegung Gelehrte Maulana Muhammad ILYAS (1885-1944) zahlreiche Schüler und Anhänger für seine pietistischen Wiedererweckungsund Missionsideen. Nach der Teilung Indiens und der Gründung Pakistans hat die Bewegung dort in den Städten Lahore und vor allem im benachbarten Raiwind ihr geistiges Zentrum gefunden. In Europa gilt die englische Stadt Dewsbury als wichtigste Begegnungsund Ausbildungsstätte der Anhänger und Schüler der Tabligh-Gemeinschaft, die heute eine der größten Missionsbewegungen in der islamischen Welt darstellt. 94 URL: http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/2/hi/uk_news/4127688.stm vom 6. August 2005. 54 Islamismus/Ausländerextremismus Muslime aus der ganzen Welt versammeln sich bei jährlichen Treffen in Pakistan, Indien oder Bangladesh. Ihre Zahl wird mit bis zu drei Millionen angegeben. Bei diesen jährlichen Konventen können die angereisten Anhänger Vorträge hören und an Lehrveranstaltungen teilnehmen. Sie werden motiviert und angehalten, in ihrem Bestreben fromme Muslime zu sein und für ein gottgefälliges Leben zu werben. Die Auslegung des Koran und der Sunna sind sehr buchstabengetreu und weisen seit mehreren Jahren Tendenzen auf, die denen eines wahhabitischen Islam gleichen. Das bedeutet, dass die Anhänger einen kompromisslosen, Neuerungen ablehnenden und sehr puristischen, an den Werten und Lebensweisen des Propheten orientierten Islam vertreten. So kann man in der Tablighbewegung ein indisches Spiegelbild des arabischen Gedankens einer Re-Islamisierung erkennen. Es mag daher auf den ersten Blick verwunderlich wirken, dass diese Bewegung von wahhabitischen Gelehrten der arabischen Halbinsel in zahlreichen Fatwas verurteilt und abgelehnt wird. Zu den saudischen Kritikern der Bewegung zählten der 1999 verstorbene Großmufti Abd al-Aziz BIN BAZ, der in Bezug auf die Bewegung und ihre Sitten deren Gebete in Moscheen in Indien und Pakistan verurteilte, da in diesen Gebetsstätten auch Gräber vorhanden waren. Andere kritische Stimmen rücken die Bewegung in die Nähe von Sufis95 und werfen den Anhängern vor, sich politischer Äußerungen zu enthalten und sich nur um sich selbst zu kümmern. Darüber hinaus würden die Missionare neben den einzig gültigen Schriften Koran und Sunna die Bücher und Lehren von ILYAS verehren und weiterverbreiten. Tablighis, die Anhänger der Lehren ILYAS, machen sich heute als reisende Missionare weltweit auf den Weg und versuchen in islamischen Gemeinden die aus ihrer Sicht etwas im Glauben nachlässig gewordenen Muslime wieder zum wahren Glauben zurückzuführen. Dies trug ihnen auch den viel zitierten Beinamen "Zeugen Jehovas des Islam" ein. Aus der Sicht von ILYAS haben sich die Muslime im 20. Jahrhundert viel zu weit von den eigentlichen Lehren des Islam entfernt. Da sich die Tablighis aus diesem Grund primär mit islamischen Glaubensinhalten beschäftigen, hat dies dazu geführt, dass man in dieser Bewegung eine unpolitische Strömung sah. Doch haben ihr vermeintlich unpolitisches Auftreten, die Reisen der Missionare und der Verzicht auf beinahe jede Form von Öffentlichkeitsar95 Mystiker. 55 beit mit dazu beigetragen, dass man inzwischen in einigen Anhängern dieser Bewegung heimliche Djihadlegionen erkannt haben will.96 Wie junge Missionare aus ihrer Sicht verwestlichte oder im Glauben lasch gewordene Brüder in der Regel ansprechen, wurde in einem Artikel des Schweizer Online-reports thematisiert.97 Der Reporter beobachtete an der Basler Rheinpromenade auffällig traditionell gekleidete junge Muslime, die ihren Glauben bereits in ihrer arabischen Kleidung zum Ausdruck brachten. Diese Missionare konfrontierten vermeintliche muslimische Brüder sehr direkt ("Du hast getrunken!") mit ihren unislamischen Lebensweisen und versuchten, im Gespräch den islamischen Lebensstil nahe zu legen. Es mehren sich die Anzeichen, dass mancher, der so in das Umfeld der "Re-Islamisierung" streng gläubigen Gemeinschaft gelangte und sich re-islamisierte, nicht bei der strikten, pietistischen Auslegung islamischer Vorstellungen stehen bleibt, sondern vielmehr in der Gemeinschaft dieser teilweise "wiedergeborenen" Muslime einen weiteren folgenschweren Entwicklungsschritt hin zum kämpfenden Djihadisten vollzieht. Besonders jungen Männern, die sich neu zum Islam bekennen und konvertiert sind, scheint der Schritt zum gewalttätigen Einsatz für die vermeintlich gute Sache leicht zu fallen. Als Mitglied einer verschworenen Gemeinschaft, mit eigenem Kleidungsstil und teilweise charismatischen Führern, können die Ideen der TablighGemeinschaft zu einer Art Katalysator werden, die aus jungen Muslimen Djihad-Kämpfer machen. In Frankreich ist die Bewegung etwa seit 1968 aktiv. Sehr bedeutend ist sie bei der "Re-Islamisierung" der muslimischen Gemeinden und den Immigranten der ersten Generation. Willy BRIGITTE, ein französischer Konvertit, kam über diese Bewegung zum Islam. Er soll bei Aufenthalten in Pakistan auch in Ausbildungslagern der "Lashkar-e Taiba", einer extrem sunnitischen Terrororganisation, deren spirituelle Führer Kontakte zu Kreisen der Nährboden Tabligh unterhalten, gewesen sein. Als er sich 2003 in Australien aufhielt, für Gewalt wurde er unter dem Verdacht inhaftiert, eine Terrorzelle gegründet zu haben und in der Folge an Frankreich ausgeliefert. Auch einige der Täter der Anschläge von London am 7. Juli 2005 sollen bei ihren Pakistanaufenthalten Kurse der Tablighis besucht haben.98 Der hier kurz vorgestellte Personenkreis zeigt jene Gefahren auf, die von einer Wiedererweckungsbewegung ausgehen können. Manchmal können 96 Alex Alexiev: Tablighi Jamaat: Jihad's Stealthy Legions, in: Middle East Quarterly, Januar 2005. 97 URL: http://www.onlinereports.ch/2005/MuslimeRhein.htm vom 24. August 2005. 98 Olivier Roy: Britain: homegrown terror, in: Le monde diplomatique, englische Ausgabe August 2005. 56 Islamismus/Ausländerextremismus sich die von diesen Lehren Überzeugten oder "Erweckten", man spricht auch von "born again muslims", dazu berufen fühlen, sich in anderen islamistischen Organisationen zu engagieren. So hatten einige führende islamistische Aktivisten ihre ersten Berührungen mit einer islamischen Erneuerung in der "Tabligh-i Jama'at", wie etwa Ghulam AZAM, der Anführer der "Jama'at-i Islami" in Bangladesh, oder Rachid GHANNOUCHI, der Führer der tunesischen "an-Nahda"-Bewegung, oder Farid KASSIM, der Sprecher der "Hizb ut-Tahrir" in Großbritannien.99 In Deutschland sind Berichte über die Missionstätigkeiten von Tablighis bei Muslimen noch selten. Es gibt aber Anzeichen, dass vor allem jüngere Muslime und junge Konvertiten in den Focus der Wandermissionare geraten sind. Anhänger der Tabligh-Bewegung unterhalten in Großstädten BadenWürttembergs eigene kleinere Gemeindezentren. Häufiger aber sind in verschiedenen Moscheen die Aktivitäten durchreisender Missionare festzustellen. Sie werden in den Vereinen empfangen, verpflegt und erhalten Übernachtungsgelegenheiten. Bei ihren zum Teil sehr kurzen Aufenthalten versuchen sie im Gespräch, neue Anhänger für ihre Bewegung zu gewinnen, und empfehlen die Lektüre bestimmter Schriften. Mindestens 30 Aktivisten engagieren sich in Baden-Württemberg in verschiedenen Moscheen und bemühen sich um die Verbreitung der Lehren von ILYAS und seiner Nachfolger. 2.4.1.3 Gruppierungen säkularer Palästinenser100 Die Mitglieder der "Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas" (DFLP) sowie der "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) sind in Deutschland im Jahr 2005 nicht öffentlich aufgetreten. Die beiden säkularen palästinensischen Organisationen riefen weder zu Demonstrationen noch zu Gewalttaten auf. Nach den Selbstmordattentaten auf Hotels in Amman/Jordanien am 9. November 2005 stellte die DFLP eine Verurteilung der Terroranschläge als "kriminelle und unzivilisierte Aggression" ins Internet und fügte hinzu: "Diese terroristischen Aktivitäten bieten den Feinden der arabischen Völker und der islamischen 99 Yoginder Sikand: The Tablighi Jama'at and Politics, in ISIM Newsletter 13, Dezember 2003, S. 43. 100 Die [selbst nicht islamistischen] Gruppierungen der säkularen Palästinenser werden unter der Rubrik Ziffer 2.4.1 als Organisationen aus dem arabischen sunnitischen Bereich aufgenommen, die von islamistischen Gruppen zunehmend an den Rand gedrängt werden. 57 Welt einen Vorwand, weiterhin die aggressive kolonialistische und zionistische Politik der Besetzung und Expansion zu verfolgen."101 Für die Lösung des Terrorismusproblems erachtet es die DFLP als marxistisch-leninistische Gruppierung für zwingend notwendig, dass die arabischen und islamischen Länder neue politische und soziale Programme umsetzen. 2.5 Organisation aus dem schiitischen102 Bereich: "Hizb Allah" (Partei Gottes) Die "Hizb Allah" (Partei Gottes) ist eine islamistisch-schiitische Organisation, die seit 1992 im libanesischen Parlament vertreten ist. Sie wird von Iran finanziell, materiell und ideologisch unterstützt. Die "Hizb Allah" stellt der Bevölkerung mit Krankenund Waisenhäusern, mit Schulen und wohltätigen Projekten anderer Art eine Infrastruktur zur Verfügung, wie es dem libanesischen Staat in den letzten Jahrzehnten nicht möglich war. Die "al-Muqawama al-Islamiya" ("Islamischer Widerstand"), der militärische Arm der Organisation, führte im Südlibanon den bewaffneten Kampf gegen israelische Militäreinheiten. Eine Entwaffnung dieser Miliz gemäß der UNResolution 1559 gelang bisher nicht und wird vom politischen Flügel vehement abgelehnt. Der Rückzug der israelischen Armee aus dem Libanon im Mai 2000 wurde von der "Hizb Allah" zu ihrem eigenen Sieg deklariert. Dieses Ereignis wird von den "Hizb Allah"-Anhängern alljährlich am 25. Mai auch in Deutschland als Siegesfeier begangen. Hierzu reisen auch "Hizb Allah"-Abgeordnete aus dem Libanon nach Baden-Württemberg. fester Bestandteil Die "Hizb Allah" ist im Libanon inzwischen ein fester Bestandteil des polides politischen tischen Systems geworden und versucht, durch ihre politische Partizipation Systems die libanesische Gesellschaft innerhalb des gegebenen Rahmens in ihrem Sinne zu verändern. Mittlerweile ist sie auch mit einem Minister an der Regierung beteiligt. Von dem Ziel, im Libanon einen islamischen Staat nach iranischem Vorbild zu errichten, ist die Organisation abgerückt. Ausübung von Gewalt rechtfertigt die "Hizb Allah" mit dem legitimen Anspruch auf Widerstand gegen illegale Besatzer. Dazu gehören Entfüh101 DFLP-Website vom 2. Dezember 2005. 102 Siehe Erläuterung auf S. 31, Fußnote 43. 58 Islamismus/Ausländerextremismus rungen von israelischen Soldaten, Selbstmordattentate und Geiselnahmen. Der libanesische "Hizb Allah"-Führer Hassan NASRALLAH hat am 26. November 2005 vor Tausenden von Anhängern zur Entführung von israelischen Soldaten aufgerufen, um die Freilassung eigener gefangener Anhänger zu erzwingen. Bei dieser Großkundgebung in Beirut skandierten die "Hizb Allah"-Anhänger "Tod für Israel und Amerika". Die Propaganda der Organisation Hassan NASRALLAH glorifiziert den "Märtyrertod". Ihre Gewalthandlungen beschränkten sich in der Vergangenheit jedoch nicht auf Libanon und Israel als "Kampfgebiet", sondern richteten sich auch auf israelische Ziele in Südamerika. Am 23. November 2005 kam es im umstrittenen israelisch-libanesischen Grenzgebiet zu den schwersten Gefechten seit dem Rückzug der Israelis aus dem Südlibanon. Es wird vermutet, dass die "Hizb Allah"-Kämpfer israelische Soldaten als Geiseln nehmen wollten. Während der Kämpfe kamen vier ihrer eigenen Kämpfer ums Leben, zwölf israelische Soldaten wurden verletzt. Die "Hizb Allah" unterstützt seit Jahren die "Intifada" (Aufstand der Palästinenser) und spricht Israel das Existenzrecht ab. Neben ihrer Präsenz im Internet ist eines ihrer effektivsten Propagandamedien der Satellitensender "al-Manar" (Der Leuchtturm), der weiterhin außer über Satelliten des Satellitenbetreibers Eutelsat weltweit zu empfangen ist. Eutelsat wurde im Dezember 2004 durch Beschluss eines französischen Gerichts veranlasst, "al-Manar" aufgrund seiner Propaganda aus seinem Programmangebot zu nehmen. In Deutschland kam es 2005 weder zu offenen Gewaltaufrufen noch gab es Stellungnahmen zur Lage im Irak. Aufgrund der wichtigen Rolle, die "Hizb Allah"-Anhänger in Europa für die Finanzierung ihrer Organisation spielen, ist ihre Zurückhaltung mit der Befürchtung zu erklären, durch Verstöße gegen hiesige Gesetze diese Geldquelle zu gefährden. Am 29. Oktober 2005 wurde wieder der von Ayatollah Khomeini im Jahr 1979 proklamierte "al-Quds-Tag" (Jerusalem-Tag) mit einem Demonstrationsmarsch in Berlin begangen. Der iranische Revolutionsführer hatte den letzten Freitag im Ramadan103 zum internationalen Tag der Solidarität mit 103 In Deutschland findet die Demonstration zum "al-Quds-Tag" meist am darauf folgenden Samstag statt. 59 den Muslimen in Palästina erklärt. Khomeini schrieb primär an die Adresse Israels gerichtet: "Ich verlange von allen Moslems der Welt und von allen moslemischen Regierungen, dass sie die Hände dieser Usurpatoren und ihrer Unterstützer abhacken (...).104 Im Jahr 2005 nahmen lediglich etwa 300 und damit weniger Demonstranten als in den Vorjahren an den Protesten in Berlin teil. Der Grund lag vermutlich in den strengen polizeilichen Auflagen und dem Wirbel um die israelfeindlichen Äußerungen des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad. Da Plakate mit Aufrufen zur Zerstörung Israels ausdrücklich untersagt waren, beschränkten sich Demonstranten darauf, Parolen wie "Sechzig Jahre Besetzung sind genug!" zu rufen. 2.6 Türkische islamistische Vereinigungen 2.6.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) Gründung: 1985 als "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT) 1995 Aufteilung in die beiden unabhängigen juristischen Personen "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) und "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft" (EMUG) Sitz: Kerpen Mitglieder: ca. 3.600 Baden-Württemberg (2004: ca. 3.600) ca. 26.500 Bund (2004: ca. 26.500) Publikation: "IGMG Perspektive" (zweisprachig); als Sprachrohr dient auch die türkischsprachige Tageszeitung "Milli Gazete" (EuropaAusgabe) Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG), deren Europazentrale sich in Kerpen befindet, ist die größte, im Spektrum des politischen Islam agierende Organisation in Deutschland. Sie verfügt unter anderem über eine Kommission für Rechtleitung, für Bildung sowie eine Fatwa105Kommission. Die regionalen Aktivitäten in Baden-Württemberg erstrecken sich auf die so genannten Bölge (Regionen) Stuttgart, Freiburg, Schwaben (einschließlich einiger bayerischer Ortsvereine) sowie Rhein-Saar (hierzu 104 URL: http://blog.tagesspiegel.de/justworld/eintrag.php?id=70 vom 2. Dezember 2005. 105 Rechtsgutachten in Fragen religiös-rechtlicher Natur, erstellt von einem Rechtsgelehrten. 60 Islamismus/Ausländerextremismus gehören auch mehrere Ortsvereine in Rheinland-Pfalz). Den Vorsitz des Regionalverbands Stuttgart übernahm im April 2005 Adem KAYA von seinem Vorgänger Erol ÖZTÜRK. Die IGMG ist die dominierende Kraft im in Köln ansässigen "Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland". Ihre Jugendorganisation ist im Vorstand der von saudischen Sponsoren geförderten und von der "Muslimbruderschaft" (MB) dominierten "Forum of European Muslim Youth and Student Organisations" (FEMYSO)106 vertreten. Der Begriff der "Milli Görüs"107 wurde geprägt vom Führer der gleichnamigen Bewegung Prof. Dr. Necmettin ERBAKAN108, der 1975 die Leitlinien der von ihm entwickelten Vision in der grundlegenden Schrift "Milli Görüs" veröffentlichte. ERBAKAN versteht diese Perspektive der "nationalen Sicht" in erster Linie als Abgrenzung zur "linken" (sol) und zur "liberalen Sicht" (liberal görüs). Die allgegenwärtige Betonung des Nationalen bei ERBAKAN zeigt sich in den Schlüsselbegriffen seines Diskurses: "nationale Mission" (milli dava), "nationale Erhebung" (milli sahlanis), "nationale Werte" (milli degerler) und "nationaler Wille" (milli irade). ERBAKAN versteht "Milli Görüs" als Abgrenzung zur "Mentalität des Nachahmens" (taklitcilik), derer insbesondere die aus der "Milli Görüs"-Bewegung hervorgegangene "Adalet ve Kalkinma Partisi" (AKP, "Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei") bezichtigt wird109, da sie nach Ansicht ERBAKANs mit der Annäherung an die EU die "nationalen Werte" preisgebe. Seit den 1970er Jahren gründete ERBAKAN in Folge mehrere Parteien110, die jeweils vom Verfassungsgericht der Republik Türkei wegen Verstoßes gegen das Laizismus111Prinzip verboten wurden. Infolge des Verbots der politischen Betätigung vom Dezember 2002 ist ERBAKAN von der aktiven Politik ausgeschlossen, zieht aber im Hintergrund nach wie vor die Fäden. 106 Gegründet 1996. Hinter der Gründung standen neben muslimischen Jugendorganisationen verschiedener europäischer Länder die "Federation of Islamic Organisations in Europe" (FIOE) sowie die saudische "World Assembly of Muslim Youth" (WAMY). 107 "Nationale Sicht", die eine weitgehende politische Eigenständigkeit der Türkei mit Distanz zum Westen und Nähe zu den muslimischen Nachbarstaaten für geboten hält. 108 Geb. 1926 in Sinop; 1953 Promotion an der Technischen Hochschule Aachen. 109 Am 24. Januar 2005 erschien in "Milli Gazete" ein Artikel, in welchem ERBAKAN die AKP aufrief, "ins Nest" zurückzukehren. 110 "Milli Nizam Partisi" (MNP, "Partei der Nationalen Ordnung", 1970/71), "Milli Selamet Partisi" (MSP, "Nationale Heilspartei", 1973-1981), "Refah Partisi" (RP, "Wohlfahrtspartei", 1983-1998), "Fazilet Partisi" (FP, "Tugendpartei", 1997-2001); aus Letzterer gingen 2001 die "Saadet Partisi" (SP, "Partei der Glückseligkeit"), die ERBAKANs Kurs weiter verfolgt, und die AKP unter Recep Tayyip Erdogan hervor. 111 Von Atatürk eingeführte reformbezogene Ideologie, die faktisch die Unterordnung der Religionsausübung unter den Staat bedeutet. 61 Nach Ansicht ERBAKANs findet in der Türkei auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen eine "Zerstörung von Moral und ideellen Wer"Rettung" ten" in großem Umfang statt.112 In der Außenpolitik werde die Türkei zum der Türkei "Satelliten", zur "Kolonie äußerer Mächte" degradiert und zum Spielball des "Imperialismus" und des "Weltzionismus" gemacht. Die einzige Rettung für die Türkei besteht nach seiner Auffassung in der Umsetzung der von ihm propagierten Werte und in einer festen Anbindung nicht an Europa, sondern an die islamischen Bruderstaaten.113 Nach Ansicht des Weggefährten ERBAKANs und "Milli Görüs"-Ideologen Prof. Dr. Arif ERSOY muss sich die Türkei zwischen zwei Zukunftsperspektiven entscheiden, nämlich zwischen dem Projekt des "Großen Mittleren Ostens" ("Büyük Ortadogu Projesi", BOP), einem von den USA vorangetriebenen Projekt der "Ausbeutung, der Kollision und der Tränen", mit dem die Türkei in den "postmodernen Kolonialismus" zurückgetrieben werde, und dem Projekt "Eine neue Welt" ("Yeni Bir Dünya"), welches Frieden, Gerechtigkeit und Glück beschere.114 Die Weltsicht ERBAKANs bildet auch die ideologische Grundlage der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs", mit der sie nicht nur Namensgleichheit aufweist, sondern deren Protagonisten in der Türkei mit denjenigen in Deutschland durch vielfältige Kontakte verbunden sind. Hochrangige Mitglieder der Vertreterin der "Milli Görüs"-Ideologie in der Türkei, der derzeit von Recai KUTAN115 geführten "Saadet Partisi" (SP, "Partei der Glückseligkeit") treten bei internen Veranstaltungen der IGMG als Redner auf und sind als Kolumnisten für das Sprachrohr der Bewegung, "Milli Gazete", tätig. Die Ausführungen der IGMG in ihrer Selbstdarstellung116, der Namensbestandteil "milli" beziehe sich auf die "Sichtweise der abrahamitischen Gemeinschaft"117 und eine Herleitung von dem Begriff "millet" ("Nation") sei unzutreffend, stehen in unauflöslichem Widerspruch zur bewusst gewählten, auf das nationale Moment abzielenden Namensgebung durch den Gründungsvater der "Milli Görüs"-Bewegung. 112 Ceylan, Hasan Hüseyin: Konusmalar. Erbakan ve Türkiye'nin Temel Meseleleri. Ankara 1996, S. 246. 113 So wurde auf Initiative ERBAKANs am 15. Juni 1997 das Bündnis der D8-Staaten ("Developing Eight") mit dem Ziel einer umfassenden Zusammenarbeit und als Gegengewicht zu den G8 gegründet. 114 "Milli Gazete" vom 26. Oktober 2005. 115 Wegen des Ende 2003 gegen ihn verhängten Politikverbots ist ERBAKAN die Parteiführung versagt. 116 Broschüre "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs - Selbstdarstellung", o.O. u. o.J., S. 8. Die Broschüre liegt in einer türkischund einer deutschsprachigen Version vor. 117 Der Begriff der "Abrahamitischen Ökumene" geht auf die christlichen Theologen Hans Küng und KarlJosef Kuschel zurück, deren Absicht es war, auf die Notwendigkeit eines Dialogs unter den drei monotheistischen Religionen hinzuweisen. 62 Islamismus/Ausländerextremismus Die Autorität ERBAKANs, der im Hintergrund auch in internen Angelegenheiten der IGMG Weichen stellt, und die Wertschätzung für seine Person sind innerhalb der IGMG unverändert stark erkennbar. Zum zehnjährigen Bestehen des IGMGJugendverbands, das mit einer Großveranstaltung am 9. April 2005 im belgischen Genk im Beisein von rund 8.000 Teilnehmern aus ganz Europa gefeiert wurde, ist der aus der Türkei telefonisch zugeschaltete ERBAKAN vom Publikum frenetisch bejubelt worden. In der "Milli Gazete" waren im Jahr 2005 zahlreiche Kolumnen und Artikel abgedruckt, aus denen grenzenlose Bewunderung für ERBAKAN spricht.118 Fatih SERTYÜZ - dieser Kolumnist trat 2005 in der Türkei-Ausgabe der Zeitung durch den Holocaust leugnende Ansichten hervor119 - stellte am 11. Oktober 2005 in der Kolumne "Erbakan beschreiben" den internationaERBAKAN als len Bekanntheitsgrad und die Akzeptanz ERBAKANs in der muslimischen IntegrationsWelt von Mali über den Sudan120 bis Afghanistan und Malaysia heraus. "Milli figur Gazete"-Leser verliehen in Lobgedichten121 ihrer Verehrung für ERBAKAN und die "Milli Görüs"-Bewegung Ausdruck. Mit einer Konzeption des Islam nicht allein als Glaube und Ethik, sondern als einer vollkommenen, sämtliche Lebensbereiche durchdringenden Lebensform, weitet die IGMG die Sphäre des Religiösen auf die gesellschaftlich-politische Ebene aus und vertritt damit eine dem Islamismus eigene Position, die die Gesellschaft insgesamt einer allumfassenden geistlichen Führung auf der Grundlage des "vollkommenen Systems des Islam" unterstellen will. Verstärkt wird diese Sicht durch den Rückgriff auf Koran und Sunna als den Bezugselementen für eine an allen Orten und zu allen Idealisierung der Zeiten gültige Werteordnung sowie auf die islamische Frühzeit, das "ZeitalVergangenheit ter der Glückseligkeit" (Asr-i saadet)122, das im Rückblick idealisiert und zum Kulminationspunkt aller Sehnsüchte stilisiert wird. Charakteristisch ist außerdem der Anspruch, eine absolut gesetzte Wahrheit (hak) zu vertreten und sich folglich gegenüber allem "Unwahren" - gemeint sind "nichtige" 118 So am 21. Juli 2005 die Kolumne "Was hast du heute für Gott getan?" und am 22. Juli 2005 "Wir bewundern Ihren Glauben, verehrter Herr Erbakan". 119 Am 5. Juni 2005 erschien in der Türkei-Ausgabe der "Milli Gazete" die Kolumne "Die Juden, die Deutschen und die Legende des Holocaust"; am 24. Juli 2005 folgte der Artikel "Warum euch niemand leiden kann." Keine der beiden Kolumnen wurde in der Europa-Ausgabe der Zeitung abgedruckt. 120 Dort sei ERBAKAN im staatlichen Rundfunk als "Führer der islamischen Umma, Glaubenskämpfer (mücahit) Necmettin Erbakan" bezeichnet worden. 121 "Milli Gazete" vom 1. April 2005 ("Milli Görüs") und vom 8. April 2005 ("Sei nicht traurig, Hodja Erbakan"). 122 So beschreibt der in der Vergangenheit in baden-württembergischen IGMG-Moscheen aufgetretene Mevlüt ÖZCAN in der "Milli Gazete" vom 2. Juli 2005 dieses Zeitalter als Referenz für die Bewältigung sämtlicher vergangener und künftiger Probleme. 63 (batil) Religionen und Ideologien - abzugrenzen123 sowie der Bezug auf das Feindbild des von "Imperialisten" und "Zionisten" beherrschten "verderbten Westens". Darüber hinaus baut man darauf, dass der Islam - auch aufgrund der demographischen Veränderungen - langfristig gesehen die europäischen Gesellschaften nachhaltig beeinflussen und durchdringen wird. Die Darstellung der IGMG nach außen - hier ist die Organisation um ein Bild bemüht, das ihre Dialogbereitschaft, Integrationswilligkeit, Toleranz und Mäßigung herausstellen soll - ist mit dem aufgrund ihres Innenlebens entstehenden Bild nicht kongruent. Zahlreiche Äußerungen von Funktionären wie auch die Eigendarstellungen erhellen das Selbstverständnis der Organisation. So formuliert sie: "Die IGMG bekennt sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und sieht in ihr die Basis für ein auf Pluralismus, Frieden, Toleranz und Harmonie aufbauendes gesellschaftliches Leben."124 Durch die Teilhabe an dieser demokratischen Ordnung, die durch Mittel wie die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft mit einer erweiterten politischen Einflussnahme verknüpft werden kann, eröffnen sich politische Ziel: Handlungsspielräume, innerhalb derer das potenzielle Fernziel einer "isla"islamische mischen Ordnung" für Teile, ja für die Gesamtheit der Gesellschaft, weiter Ordnung" in den Blick genommen werden kann. Sowohl Aussagen von Funktionären der IGMG als auch entsprechende Ausführungen in "Milli Gazete"125 lassen jedoch keinen Zweifel am Vorzug und der Überlegenheit der islamischen gegenüber allen anderen Ordnungen. Bei einer Veranstaltung zur Eröffnung der Arbeitsperiode 2005/2006 in Leverkusen sagte Generalsekretär Oguz ÜCÜNCÜ126: "Wir möchten, dass die Zahl der bewussten Muslime zunimmt (...) Die wichtigste Eigenschaft der IGMG ist ihre Bindung an Koran und Sunna sowie das Bewusstsein der Umma127. Wenn jemand in Bezug auf diese beiden Dinge von uns Zugeständnisse erwartet, so irrt er." 123 In diesem Sinn ist die Titelzeile der "Milli Gazete" mit dem Koranvers (Sure 17, 81) "Gekommen ist die Wahrheit, vergangen das Nichtige" ("Hak geldi batil zail oldu") überschrieben. 124 Broschüre "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs - Selbstdarstellung", o.O. u. o.J., S.24 125 "Milli Gazete" Artikel "Die Unveränderbarkeit der islamischen Institutionen liegt in ihrer Vollkommenheit", Ausgabe vom 7. Oktober 2005 oder "Die einzige Rettung liegt im Islam", Ausgabe vom 11. Oktober 2005. 126 "Milli Gazete" vom 28. September 2005. 127 Bezeichnung für die Weltgemeinschaft aller Muslime. 64 Islamismus/Ausländerextremismus Der Generalvorsitzende der IGMG, Osman DÖRING alias Yavuz Celik KARAHAN, beschrieb auf einer Anfang April 2005 abgehaltenen Sitzung des IGMG-Gebietsvorstands in Stuttgart128 die IGMG als eine "religiöse Organisation der Zivilgesellschaft, die den Islam ungefiltert verstehen und leben will, und zwar in derselben Weise, wie sie Koran und Sunna auch in der Vergangenheit verstanden hat". Aus dieser Aussage spricht ein Verständnis der Religion, das weder Kompromisse zu finden noch Innovationen zu Osman DÖRING dulden bereit ist. In einem Flyer, der beim "Tag der Offenen Moschee" (3. Oktober 2005) in einer baden-württembergischen IGMG-Moschee auslag, war zum Thema "Menschenrechte im Islam" ausgeführt: "Das Gesetz ist göttlichen Ursprungs. Ein gesetzgebendes Organ ist nicht notwendig." Dies stellt unmissverständlich klar, welche Rechtsordnung als verbindlich gesehen wird, und bedeutet gleichzeitig eine Absage an das Prinzip der Gewaltenteilung. In ihrer Selbstdarstellung129 bezeichnet die IGMG die "religiöse Wegweisung" (irsad) als ihre "zentrale Aufgabe". Den Angehörigen des Islams soll dadurch eine "religiöse Anleitung in allen Lebenslagen", gleichsam ein "Fiqh130 des alltäglichen Lebens" und damit eine verbindliche Quelle der Rechtsschöpfung für sämtliche Fragen der Lebenspraxis an die Hand gegeben werden. Der widersprüchlichen Strategie, die aus ihren Äußerungen spricht, ist sich die IGMG bewusst, fühlt sie sich doch in der Selbstdarstellung131 bemüßigt, festzustellen: "Eine Diskrepanz im Handeln und im Denken der Mitglieder der IGMG ist nicht vorhanden. Die IGMG verinnerlicht in ihrem Duktus und ihrem Handeln das Gebot der Transparenz." 128 "Milli Gazete" vom 7. April 2005. 129 Broschüre "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs - Selbstdarstellung", o.O. u. o.J., S. 16. 130 Wissenschaft von der geregelten Ableitung rechtlicher, praktischer Urteile über relevante konkrete Handlungen oder Unterlassungen aufgrund kanonischer, auf Einzelfälle bezogener Rechtserkenntnisquellen. 131 Broschüre "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs - Selbstdarstellung", o.O. u. o.J., S. 24. 65 Abgesehen von der Abschottungspraxis bei internen Vorgängen ist auch die Tatsache, dass zahlreiche Mitgliedsvereine bewusst die Zugehörigkeit zu "Milli Görüs" verschleiern, indem sie diesen Begriff in ihrer Eigenbezeichnung vermeiden, nicht geeignet, das Argument der Transparenz zu stützen. Selbst in Fällen, in denen eine Zugehörigkeit nachzuweisen ist, wird die Verbindung geleugnet oder relativiert. Die Grundhaltung der Muslime, die der "Milli Görüs"-Bewegung angehören, wird in der "Milli Gazete"-Kolumne vom 7. Oktober 2005 klar wie folgt beschrieben: "Für einen Muslim ist es Pflicht, sich ganz fest an seine Religion zu klammern. (...) Diejenigen, die glauben, die islamischen Prinzipien genügten den Erfordernissen der Zeit nicht, sind im Irrtum. Wir glauben, dass die moralischen, sozialen und politischen Bestimmungen der islamischen Scharia der menschlichen Natur vollkommen entsprechen, und dass sie geeignet sind, Leben und Schicksal der Menschen bis zum Jüngsten Tag zu regeln. Die Unveränderbarkeit der islamischen Institutionen liegt nicht daran, dass sie nicht weiterentwickelt werden können, sondern daran, dass sie bereits vollkommen sind." Der Anspruch der explizit auf die gesamte Menschheit bezogenen Universalität der "vollkommenen" und damit "unveränderbaren islamischen Prinzipien" wird auch angesichts der Konditionen des 21. Jahrhunderts nicht ansatzweise einer kritischen Bewertung unterzogen; im Gegenteil wird diesem vollständige Relevanz bis ans Ende der Zeiten zugesprochen. Unter diesem Aspekt findet das Modell des häufig diskutierten "Euro-Islam"132 bei Absage an den Anhängern der IGMG keinen Zuspruch. Dieses, in Deutschland von "Euro-Islam" akademischer Seite133 favorisierte Denkmodell sieht unter der Perspektive eines "aufgeklärten Islam" einen neuen normativen Rahmen vor, der unter Abkehr vom traditionellen Scharia-Verständnis, durch Akzeptanz des Laizismus, Anpassung der muslimischen Lebensweise an die Normen der Industriegesellschaft, Verfassungstreue im jeweiligen Aufenthaltsland und Verinnerlichung der pluralistischen Demokratie konkretisiert werden soll. 132 "IGMG Perspektive" Nr. 123 vom März 2005. 133 Prof. Dr. Bassam Tibi, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Göttingen und Prof. Dr. Faruk Sen, Direktor des "Zentrum für Türkeistudien" in Essen. 66 Islamismus/Ausländerextremismus Innerhalb der IGMG jedoch findet dieses Konzept mit den Argumenten des "künstlichen Konstrukts" und des "Überstülpens von außen", aber auch der "Fehlinterpretation des Islam" keine Akzeptanz.134 IGMG-Generalsekretär ÜCÜNCÜ sieht hier unter Verweis auf den Anspruch zeitloser Gültigkeit des Islam und auf seine Gesamtgemeinschaft, die Umma, "in einer Art vorauseilendem Gehorsam den Grundkonsens islamischen Verständnisses um der Akzeptanz in Europa willen" verlassen.135 In einer weiteren Ausgabe der "IGMG Perspektive"136 werden die Positionen des Enkels des Gründers der "Muslimbruderschaft" (MB), der selbst in dieser Tradition steht, zum "Euro-Islam" dargelegt. Ihm zufolge bildet der Islam den Rahmen und alleinigen Maßstab für gesellschaftliches Handeln, wobei er den der MB nahe stehenden "European Council for Fatwa and Research" (ECFR), zu welchem die IGMG in Verbindung steht, als vorbildlich in Bezug auf die Erarbeitung islamischer Handlungsnormen für Muslime in Europa ansieht. Schließlich ruft er die Muslime in Europa dazu auf, die in der westlichen Demokratie verankerten Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen, um islamische Werte in der modernen Gesellschaft, in der sie leben, zu verankern. Was den Dialog betrifft, so legt die IGMG nach den Angaben in ihrer Selbstdarstellung137 "Wert darauf, dass unterschiedliche Religionsgemeinschaften zusammenkommen und ihre Gläubigen sich gegenseitig kennen lernen. Alles andere würde unserer Religion mit Sendungsbewusstsein und Verkündigungsauftrag widersprechen". Damit wird das wichtigste Ziel des Dialogs, die Verkündigung und somit die Verbreitung des Islams bei gleichzeitiger Darstellung der "Nichtigkeit" anderer Religionen, gleich angesprochen. Werbung in eigener Sache und Dialog zwecks Imagepflege überlagern das Interesse an kritischem wechselseitigem AusEigenwerbung tausch. Bei einer im Februar 2005 in Karlsruhe durchgeführten Dialogveranstaltung verwahrte sich der Vertreter der IGMG-Moschee mit dem Hinweis, Integration könne "nicht einseitig funktionieren"138, gegen ein Verständnis von Integration im Sinne von "Assimilation". Als diskutables, auch von anderen muslimischen Teilnehmern als positiv bewertetes Integrationsmodell wurde das "Osmanische Modell"139 ins Spiel gebracht. Auf die134 "IGMG Perspektive" Nr. 123, insbesondere die Artikel S. 16-31. 135 Ebd. "Welcher Islam für Europa?" S. 34. 136 Ausgabe Nr. 124 vom April 2005. 137 Broschüre "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs - Selbstdarstellung", o.O. u. o.J., S. 25. 138 Hier und im Folgenden: "Milli Gazete" vom 26. Februar 2005. 139 Status von Juden und Christen als eigenständige Gemeinden (millet) im Osmanischen Reich, in personenrechtlichen und religiösen Angelegenheiten weitgehend autonom. 67 ses, "auf dem Balkan erfolgreich" gewesene Modell wird in IGMG-Kreisen immer wieder als Vorbild für die Strukturierung der Beziehungen zwischen den religiösen Gruppen innerhalb der Gesellschaft hingewiesen. Ein solches Modell140, - von der IGMG bisher nicht im Detail beschrieben - war in osmanischer Zeit im "millet"-System verwirklicht. Allerdings waren davon die Souveränität des Sultans und die Priorität islamischen Rechts unberührt. Was die Bestrebungen der IGMG betrifft, ein solches System für das Zusammenleben in Deutschland zu favorisieren, so wird vor allem eines klar: Hier wird auf eine weitgehende - auch juristische - Eigenständigkeit abgezielt, wohingegen die bundesdeutsche Gesellschaft darauf hinarbeitet, innerhalb dieser die Angehörigen verschiedener Kulturen so weit wie möglich auf für alle verbindliche Normen festzulegen. Dass sich nicht alle Aktivitäten auf friedfertiges Abwarten beschränken, wird sichtbar, wenn - wie im Forum eines türkischen Djihadportals im Internet141 - Aspiranten für den Glaubenskampf (djihad) sich über ihre Motivation hierzu austauschen und dabei offenkundig wird, dass schon die Lektüre von Romanen der in IGMG-Kreisen geschätzten Autorin Emine SENLIKOGLU142 geeignet ist, derartige Ambitionen zu befördern. Auch eine "Milli Gazete"-Kolumne vom 19. Juli 2005 lässt mit ihrem deutlich militärischen Unterton Zweifel an der Friedfertigkeit in der Verfolgung der Ziele aufkommen: "Die in alle Teile der Welt verstreuten Muslime sind wie die Ziegel und Steine, die das Gebäude des Islam bilden. (...) Diejenigen, die für die Erhaltung dieses Gebäudes die Feder benutzen, das Schwert schwingen, ihr Blut geben, Tränen oder Schweiß vergießen, Neuerungen ausmerzen, welche das herrliche Gebäude des Islam verunreinigen, oder durch Taten glänzen, tun alle die gleiche Pflicht. Die Solmartialische daten, die an der Front wie Löwen brüllen, und die Rhetorik Soldaten, die im Stabsquartier die Kriegspläne vorbereiten, werden den Lobestrunk des Sieges gemeinsam trinken. (...) Wir sind wie Soldaten, die 140 Das "Osmanische Modell" beziehungsweise die Forderung nach der Restauration des Osmanentums findet sich auch bei dem in "Milli Görüs"-Kreisen geschätzten Autor Harun YAHYA im Internet. Hier stehen mehrere Filme zum Thema zum Download zur Verfügung. 141 Auswertung vom 26. Juli 2005. 142 Die Autorin war aufgrund der in ihren Romanen verbreiteten radikalen Positionen in diesem Zusammenhang in der Türkei inhaftiert. 68 Islamismus/Ausländerextremismus an der Front aufgerieben und in die Berge geflüchtet sind. (...) Wir alle arbeiten an unterschiedlichen Orten für dasselbe Ziel. Es werden lokale Strategien entwickelt (...)" Den wesentlichen Bestandteil der Dienstleistungen der IGMG bilden deren ganzjährig in Form von Tages-, Wochenendund Ferienkursen durchgeführte, vor allem an Kinder und Jugendliche gerichtete Bildungsangebote. Kurse zur Bei den Kursangeboten für diese Zielgruppe geht es grundsätzlich um die IdentitätsStärkung der - ohnehin durch die Erziehung in den Familien bereits ausgefestigung prägten - muslimischen Identität, sieht die Organisation doch die in Europa aufwachsenden Jugendlichen einer "kulturellen Erosion" ausgesetzt, welcher mit dem Festhalten an den Wertmaßstäben des Islam zu begegnen sei. Der häufig auf reproduzierenden Lernmethoden basierende Wissenserwerb findet seinen Höhepunkt in der als äußerst verdienstvoll erachteten auswendigen Rezitation des Korans.143 Das islamische Bildungsangebot, in dem nicht nur religiöses Wissen im engeren Sinn vermittelt wird, sondern das auch Moralund Wertvorstellungen der Schüler nachhaltig prägt, holt Kinder und Jugendliche in die Welt einer idealisierten Heimatkultur zurück und erschwert damit den Brückenschlag in die Gesellschaft, in welcher sie auf Dauer leben. Durch die Vermittlung einer mit dem Islam als "letzter Offenbarungsreligion" begründeten Überlegenheit144 gegenüber allen anderen Religionen wird ein gleichwertiges Gegenübertreten von Muslimen und Nichtmuslimen unmöglich. In ihrer Selbstdarstellung formuliert die IGMG: "Der einzige Weg zur erfolgreichen Integration der muslimischen Jugend in die Gesellschaft ist der Weg über die Etablierung einer gefestigten Identität. (...) Auf der Vermittlung von religiösen Werten an die Jugendlichen liegt das besondere Augenmerk der IGMG-Jugendabteilung (...)."145 Es geht also nicht darum, durch Integration "Bestandteil eines Ganzen" zu werden, sondern die religiös-kulturelle Identität als wesentliches Unter143 In einer Kolumne der Rubrik "Pädagogische Artikel" in der "Milli Gazete" vom 12. August 2005 wird die auswendige Koranrezitation als "bedeutendes Element der religiösen Erziehung" bezeichnet. 144 So im IGMG-eigenen Lehrbuch Temel Bilgiler 2, Köln 2002, S. 2: Hier werden Christentum und Judentum zwar zu den auf einer Offenbarung beruhenden und von Propheten überbrachten Religionen gerechnet, jedoch gleichzeitig als "verfälscht" bezeichnet, während der Islam als diejenige Religion benannt wird, die allein ihre Authentizität bewahrt habe. 145 Broschüre "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs - Selbstdarstellung", o.O. u. o.J., S. 22. 69 scheidungskriterium zur umgebenden Gesellschaft zu stärken. Es bleibt die Frage, ob und wie auf diese Weise Anknüpfungspunkte für eine Verortung in der Mehrheitsgesellschaft geschaffen werden und wie sich eine gemeinsame Verantwortung für die Gesamtgesellschaft entfalten kann. Die Eignung der IGMG als "Ansprechpartner" gesellschaftlicher Kräfte ist fragwürdig, nimmt sie doch für sich in Anspruch, die Anliegen der Muslime in Deutschland beziehungsweise Europa insgesamt zu vertreten. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass Bürger muslimischen Glaubens ohne Anbindung an Organisationen bei der Definition und Repräsentanz von Muslimen in Deutschland praktisch nicht wahrgenommen werden; Folge ist, dass radikalen bis extremistischen Gruppen faktisch die "Definitionshoheit" bezüglich des Islam überlassen wird. Dass man bei den Überlegungen zur Ausgestaltung von Bildungsangeboten für muslimische Jugendliche auch an einen "eigenen Weg" denkt, wird aus einem in der "IGMG Perspektive"146 veröffentlichten Artikel deutlich, in dem zum Thema Bildung angeregt wird, die Ziele der staatlichen Schulen in den europäischen Ländern im Hinblick auf die Ausformung von Persönlichkeit und Identität unter Berücksichtigung des Standpunkts der islamischen Werte zu hinterfragen. Es sei zu prüfen, inwieweit private Erziehungsinstitutionen, die sich auf andere Erziehungssysteme und -theorien stützten, geeignet seien, vorhandene Lücken zu schließen. Die Notwendigkeit der Einrichtung privater Erziehungsinstitutionen147, in denen Menschen als Vorreiter und künftige Gestalter der muslimischen Gemeinschaft herangebildet werden sollen, trete immer stärker hervor. In diesem Sinn sei jegliche, den eigenen Zielen dienliche Methode durch eine wissenschaftliche Analyse zu überprüfen. Die als Pädagogen bei den Seminaren der IGMG auftretenden Personen lassen die Inhalte der Angebote durchscheinen. Der Autor der ERBAKANBiografie "Savunan Adam"148 hielt bei einer Gruppe von jungen Mädchen in einer baden-württembergischen Jugendherberge ein Seminar zum Thema "Die Identität eines jungen Mädchens". Mine Alpay GÜN, Autorin der tür146 Ausgabe Nr. 126 vom Juni 2005, S. 26f. 147 Derartige, von verschiedenen Trägern betriebene Institutionen sind in Baden-Württemberg wie auch in anderen Bundesländern zum Teil bereits verwirklicht. 148 Istanbul, o.J. 70 Islamismus/Ausländerextremismus ban149-Bewegung, hielt im Mai und Juli 2005 jeweils ein Seminar für Frauen in den Bezirken Schwaben und Ruhr-Nord, letzteres zu den Themen "Die Frau bei den Osmanen" und "Unser kulturelles Erbe". Auch im Jahr 2005 hielt die IGMG einen "Familientag" in der Zentrale in Kerpen ab, zu dem am 14. und 15. Mai etwa 25.000 Teilnehmer aus zahlreichen Ländern Europas anreisten. Zu einer Podiumsdiskussion "Europa und Islam" im Rahmen dieses "Familientags" waren Prof. Dr. Arif ERSOY150, einer der Väter der "Milli Görüs"-Ideologie, Weggefährte ERBAKANs und Kolumnist der "Milli Gazete" in einer Person, und Prof. Dr. Numan KURprägender TULMUS151 - beide in der Vergangenheit bereits häufig bei der IGMG als Einfluss von Redner zu Gast - sowie Ali KIZILKAYA, der Vorsitzende des "Islamrats für SP-Politikern die Bundesrepublik Deutschland" und langjähriger früherer IGMG-Funktionär, anwesend. Als Gast bei der IGMG Karlsruhe und Redner anlässlich eines Fastenbrechens im Ramadan 2005 trat der SP-Politiker Temel KARAMOLLAOGLU auf, der 1993 zur Zeit des Brandanschlags von Islamisten auf Teilnehmer eines alevitischen Kulturfestivals in Sivas Oberbürgermeister dieser Stadt war und in einer Rede vor der "Refah Partisi" (RP, "Wohlfahrtspartei") wenige Tage nach dem Anschlag seine Genugtuung bezüglich der Vorfälle zum Ausdruck gebracht hatte. Ebenfalls aus Karlsruhe stammt der Bericht152 über ein Konzert der Rap-Band "Ammar114" bei der Karlsruher Islam-Woche 2005 (vom 29. September bis 5. Oktober). Dieser war auf der Homepage der Karlsruher "Ayasofya-Moschee" eingestellt, die zur IGMG gehört. Bei dem Auftritt der Gruppe waren deutschsprachige Texte zu hören, in denen eine deutliche Distanz zur Demokratie als Staatsform erkennbar und diese mit der Ausübung von Gewalt gleichgesetzt wurde. Mangelnde Klarheit in der Positionsbestimmung kommt im Verhältnis der IGMG zur von ihr als Sprachrohr genutzten "Milli Gazete" zum Ausdruck. 149 Bezeichnung des Kopftuchs in seiner Eigenschaft als politisches Zeichen. 150 Geb. 1948; SP-Vorstandsmitglied; ehemaliger Bürgermeister von Corum; in seiner Eigenschaft als Ökonom Mitentwickler der "Adil Düzen"-Theorie (= alternatives Gesellschaftsmodell, bestehend aus "Gerechte Wirtschaftsordnung" sowie einem Pluralismus von Rechtssystemen). 151 SP-Vorstandsmitglied; Verfechter einer "Gerechten Weltordnung" ("Adil Dünya Düzeni", "Milli Gazete" vom 9. und 15. Februar 2005); in der türkischen Presse als "Kronprinz ERBAKANs" gehandelt (Online-Ausgabe der Milliyet vom 26. Mai 2005). 152 Internetauswertung vom 14. Oktober 2005. 71 Vertreter der IGMG negieren organisatorische und personelle Verbindungen zur Zeitung und distanzieren sich - bezogen auf die Europa-Ausgabe - formal von deren Inhalten. Allerdings berichtet die Zeitung aus der und über die IGMG in einem Umfang, wie er weder in der Zeitschrift "IGMG Perspektive" noch auf der Homepage der Organisation selbst erreicht wird. "Milli Gazete"-Kolumnisten treten bei Veranstaltungen der IGMG auf und werben dort für die Publikation, die zahllose Veranstaltungshinweise und ausschließlich auf IGMG-Mitglieder bezogene Familienanzeigen veröffentlicht. Regelmäßig gibt die IGMG die Termine der Ferienkurse ihrer lokalen Moscheen über die "Milli Gazete" bekannt. Die 5. Auflage eines Lehrbuchs der IGMG, "Temel Bilgiler 2", erschien 1999 als "Geschenk der Milli Gazete"153, auf der Titelseite mit roter Schleife wie eine Geschenkausgabe gestaltet. Bereits im Lehrbuch der Elementarstufe ("Temel Bilgiler 1")154 werden die Schüler beiläufig auf die "richtige Lektüre", die "Milli Gazete", hingewiesen. In der Zusammensetzung der "Milli Gazete"-Redaktion gab es im Jahr 2005 Veränderungen, die das Layout und den Internetauftritt betreffen. Die Zahl der Kolumnisten stieg stark an. Sowohl in Europa als auch in der Türkei führte die Zeitung mehrere Kampagnen zur Steigerung ihrer Auflage durch, mehrfach auch in der Region Stuttgart. Hier warb der frühere IGMG-Generalvorsitzende Dr. Yusuf ISIK155 für die Zeitung, die den Menschen "ihre nationale und ideelle Kultur" vermittle. "Milli Gazete" zu lesen sei "ein Muss"; die im Ausland lebenden Landsleute könnten "ihre eigene Kultur am besten durch Milli Gazete erfahren."156 Auch bei den von der IGMG veranstalteten Koran-Festveranstaltungen wurde für die Zeitung geworben beziehungsweise wurde diese im Publikum verteilt.157 Anlässlich des Ramadan war der frühere Redaktionsleiter und derzeit in anderer leitender Funktion bei "Milli Gazete" tätige Ekrem KIZILTAS zu Gast in Moscheen der IGMG.158 Ungeachtet ihrer äußerlichen Veränderung blieb die "Milli Gazete" inhaltlich der bekannten Linie treu. Das Projekt der "Gerechten Ordnung" ("Adil 153 So die Formulierung auf der Umschlagseite von "Temel Bilgiler 2", Köln 1999. 154 S. 92f. 155 1999 - 2001 Generalsekretär der IGMG sowie früherer Geschäftsführer der "Milli Gazete". 156 "Milli Gazete" vom 25. Oktober 2005. 157 "Milli Gazete" vom 28. Oktober 2005. 158 "Milli Gazete" vom 29. Oktober 2005. 72 Islamismus/Ausländerextremismus Düzen") als Gegenpol zum "kapitalistischen System, das die Menschheit im Würgegriff hält"159, wurde nach wie vor propagiert. Bestimmte Inhalte, deren abträglicher Wirkung sich die IGMG bewusst ist, werden in der Europa-Ausgabe der Zeitung vermieden. In der Türkei-Ausgabe hingegen werden nach wie vor antisemitische Positionen offen propagiert. Auch ist hier weiterhin der für revisionistische, anti-darwinistische, gegen Aufklärung und Säkularismus gerichtete Positionen bekannte Adnan OKTAR alias Harun YAHYA als Autor vertreten160, dessen Printund visuelle Medien beworben werden.161 Die Ideen YAHYAs wurden in Vorträgen wie bei der von einigen Studentinnen organisierten "Islamwoche" an der Universität Heidelberg im November 2005162 propagiert. Die "Milli Gazete" ist das Forum, das unter den "Milli Görüs"-Anhängern ein gemeinsames politisches Bewusstsein erzeugt. Dass dieses Bewusstsein die Voraussetzung zur Erlangung politischer Macht schaffen soll, wurde im "Brief von Milli Gazete" in der Ausgabe vom 7. November 2005 dargelegt: "Als Milli Gazete ist es unsere Pflicht, die Stimme Leitbildfunktion derjenigen Menschen zu sein, die dieses politische der Bewusstsein schaffen wollen, diese Pflicht so gut "Milli Gazete" wie möglich zu verbreiten und unsere Veröffentlichungen dazu zu nutzen, dass ihr politischer Wille zur Herrschaft gelangt." Für die Anhänger der IGMG hat die "Milli Gazete" sogar eine richtungweisende Funktion. So bezeichnete der Vorsitzende der Heidenheimer Moschee anlässlich einer Spendenübergabe an den Regionalvorsitzenden die "Milli Gazete" als "die Zeitung, welche stets die Wahrheit aufzeigt und die Richtung vorgibt".163 Die Verlautbarungen der Zeitung können somit als repräsentativ für das Islamund Politikverständnis der gesamten "Milli Görüs" und damit auch der IGMG angesehen werden. Bei einer Veranstaltung der Bildungskommissionen der IGMG-Region Freiburg wies der anwesende Vertreter der "Milli Gazete" auf deren Bedeutung hin und sagte, "Milli Gazete" müsse "in jedes Haus kommen".164 Diese Position wird auch in den Kolumnen der Zeitung deutlich, wie in der Ausgabe vom 20. Juli 159 So beschrieben vom Pressekoordinator der "Milli Gazete" in der Ausgabe vom 7. November 2005. 160 Exemplarisch können hier die Türkei-Ausgaben der "Milli Gazete" vom 7. und 9. August 2005 angeführt werden. 161 Zum Beispiel in der Türkei-Ausgabe der "Milli Gazete" vom 19. August 2005. 162 Hinweis zu diesem Vortrag "Quran und Wissenschaft" auf der Homepage YAHYAs (Auswertung vom 7. November 2005). 163 "Milli Gazete" vom 29. Januar 2005. 164 "Milli Gazete" vom 25. Februar 2005. 73 2005, wo die Kolumnistin über eine Abendveranstaltung der Zeitung in Istanbul berichtet: "Durch die Reden der Vertreter der Zeitung fühlte ich mich wie durch neues Blut gestärkt. Ich glaube, wir müssen immer wieder unsere Batterie neu aufladen. Unser Generaldirektor [der Zeitung], Yilmaz BAYAT, sagte an jenem Abend: 'Wenn ihr wollt, dass unser Hodja Erbakan in jedes Haus kommt, müsst ihr Milli Gazete lesen.' Diese Zeitung reflektiert mit allem, mit jeder Nachricht, die [Position der] Milli Görüs." In zahlreichen Artikeln wird die "Exklusivität" der Zugehörigkeit zur "Milli Görüs"-Bewegung beschrieben. An einer Stelle wurde dies wie folgt präzisiert: "Ich bin mir bewusst, dass es eine ganz besondere Auszeichnung ist, für Milli Gazete zu schreiben oder Exklusivitätsderen Leser zu sein, besser gesagt: ein Mitglied dieanspruch ser Gemeinschaft zu sein. (...) Es wird in die Geschichtsbücher eingehen, was für eine hehre Tätigkeit es ist, beim Wiederbeleben einer Zivilisation dabei zu sein, die die Ehre der Menschheit erretten wird. Die Geschichte wird den kommenden Generationen die Milli Görüs-Gemeinschaft als Baumeister dieser hehren Tätigkeit bekannt machen. (...) Denn Milli Görüs ist die Adresse des Widerstands gegen den Imperialismus. (...) Milli Görüs ist das Herz der Errichtung und Bekanntmachung der Zivilisation der Barmherzigkeit gegen den grausamen Kapitalismus (...)."165 Die Leserschaft beschreibt in eigenen Beiträgen den Ruhm der "Milli Görüs". In einem von einem Leser eingesandten, am 1. April 2005 in der "Milli Gazete" veröffentlichten Gedicht ist zu lesen, "Milli Görüs" bedeute, "Recht und Wahrheit [zu] erkennen, für die Wahrheit das Leben hin[zu]geben, Freund und Feind genau [zu] kennen, den Führer [zu] kennen und dem Befehl [zu] gehorchen, sich auf[zu]opfern auf dem Weg des 165 Ömer Vehbi HATIPOGLI in der "Milli Gazete" vom 25. Juni 2005. 74 Islamismus/Ausländerextremismus Propheten, den Weg des einen Glaubens [zu] beschreiten und eine Mauer gegen das Verbotene [zu] errichten". Kinder sind Adressaten "pädagogischer Ratschläge" der "Milli Gazete". In der Ausgabe vom 22. August 2005 erteilte ein in IGMG-Moscheen in Baden-Württemberg 2005 als Pädagoge aufgetretene Kolumnist "einhundert Ratschläge an Kinder", wovon einige folgendermaßen lauten: "Setzt die Befehle Gottes Wort für Wort um! (...) pädagogische Macht die gute Moral unseres einzigen Führers, Anweisungen unseres geliebten Propheten, zum Maßstab für euch selbst! Liebt diejenigen, denen die Liebe unseres Gottes und unseres Propheten gelten, ebenfalls sehr! Hasst diejenigen, denen auch ihr Hass gilt! (...) Stellt unsere Religion, den Islam, über alles andere! Haltet eure Wut bezüglich eures Glaubens und eurer Mission gut unter Kontrolle! (...) Haltet euch ganz fest an die Religion des Islam! Denn der Islam ist das Symbol und das Zeichen der Ehrenhaftigkeit und der vornehmen Abstammung."166 Derselbe Kolumnist berichtete im Februar 2005 über seinen Besuch bei einer von der IGMG-Region Schwaben organisierten Veranstaltung in Ulm. Der Autor äußerte seine Empfindungen anlässlich der Koranrezitation von Jugendlichen: "Ich sah, wie ausgewählte Jugendliche hier im fremden Land, im Westen (...) wetteiferten. Dies hier ist kein islamisches Land, sondern Europas Mitte, und hier ergossen sich aus dem Mund der in Europa geborenen und aufgewachsenen jungen Generation wie Kristalle die Worte des Koran, des Buchs der Liebe und der Hingabe." 167 Das von "Milli Gazete" vertretene Verständnis des Islam kennt keine Kompromisse. Einem anderen Kolumnisten gewährt die Zeitung seit Jahren ein Forum für dessen verbale Angriffe gegen jegliche Versuche der Reform oder 166 Kolumne von Fahri GÜVEN in der "Milli Gazete" vom 22. August 2005. 167 Kolumne von Fahri GÜVEN in der "Milli Gazete" vom 2. Februar 2005. 75 Neuerung. Seine Auffassung des Islam schließt die vollständige Akzeptanz der Scharia mit ein. In einem Artikel zu den notwendigen Eigenschaften muslimischer Hodjas (= Lehrer, Wegweiser) schrieb er, der Betreffende müsse "die Gebete verrichten, die Gebote und Verbote der Scharia befolgen und in den weltlichen Handlungen sich im Rahmen der Scharia bewegen"; er müsse sich "von Reformen, Veränderungen und Erneuerungsgedanken bezüglich des Islam fernhalten und im Glauben (itikat), Recht (fikih) und den Scharia-Bestimmungen nicht das geringste Zugeständnis machen, sondern die Religion in ihrer Vollkommenheit bewahren; er müsse "für den Dienst an der Religion [bereit sein], [bereit sein]vor Gericht zu treten, im Gefängnis zu liegen und notfalls auszuwandern (hicret etmek)168; er solle "Wegbereiter sein dafür, dass auch nur ein einziger Mensch zur rechten Leitung finde", denn dies sei "verdienstvoller als alle Schätze der Welt zu besitzen, über denen die Sonne aufund untergeht", und er müsse "für die Rechtleitung der Menschheit, insbesondere der Jugendlichen, tätig sein"169. Die "Milli Gazete" tritt nicht nur für das Kopftuch, sondern auch für die gänzliche Verhüllung (tesettür) der Frau ein. Den Kampf auf diesem Weg, klares Votum auch gegen geltende Gesetze, unterstützt sie nach Kräften. Eine Kolumnispro Kopftuch tin widmete in der Ausgabe vom 13. August 2005170 einer bei einem Unfall ums Leben gekommenen jungen Frau, die - mit Mutter und Schwestern - als Vorkämpferin für das Kopftuch aktiv und dafür in der Türkei in Haft war, einen Nachruf: "Diese Mädchen mit mariengleichen Gesichtern verbrachten ihre Tage mit Beten, Lesen und Gesprächsangeboten für die Mitgefangenen. Sie tauchten das Gefängnis geradezu in Licht und erinnerten die Menschen daran, dass man überall glücklich sein kann (...) [Die Frau] tritt in jungen Jahren vor ihren Schöpfer, nach dem sie sich schon lange sehnte. Gott der Erhabene hat sie aus dem Gefängnis des Diesseits und in sein strahlendes Paradies geholt (...) Möge die Fackel, die sie im Kampf um das Kopftuch entfacht hat, den nachfolgenden Generationen den Weg weisen." 168 Hier wird der Bezug zur "Hidjra" des Propheten hergestellt, der wegen fehlender Unterstützung durch die Mekkaner im Jahr 622 nach Christi nach Medina emigrierte. 169 Kolumne von Mehmet Serket EYGI in der "Milli Gazete" vom 24. Februar 2005 170 Kolumne von Mine Alpay GÜN in der "Milli Gazete" vom 13. August 2005. 76 Islamismus/Ausländerextremismus Beim französischen "Milli Görüs"-Regionalverband Straßburg hielt Merve KAVAKCI171 im Oktober 2005 ein Seminar zu ihren persönlichen Erfahrungen als "Kopftuchgeschädigte"172. Dem Thema "Freiheit für das Kopftuch" widmete die "IGMG Perspektive" eine eigene Ausgabe173, in welcher IGMG-Generalsekretär ÜCÜNCÜ beklagte174, zu "Sündenböcken" und "Verfassungsfeinden" stilisierte, Kopftuch tragende Musliminnen sähen sich einem "enormen Rechtfertigungsdruck" ausgesetzt. Über die Köpfe der Muslime hinweg ausgearbeitete Lösungen würden die "gesellschaftlichen Gräben vertiefen". Durch Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg wurde das in der Türkei geltende Kopftuchverbot Anfang November 2005 für verfassungskonform erklärt. Seitens der IGMG sowie in zahlreichen "Milli Gazete"-Kolumnen und Stellungnahmen von SP-Politikern wurde das Urteil scharf kritisiert.175 Der allgemeine Tenor lautete, das Kopftuchproblem sei ausschließlich nach dem islamischen Recht zu regeln; vor allem sei eine nichtmuslimische Instanz weder befugt noch berechtigt, über die "Grundrechte des Islam" zu befinden. Belege für eine doppelzüngige Haltung finden sich nicht nur in den Verlautbarungen der IGMG, sondern auch bei der "Milli Gazete". Seit Mitte 2005 druckt die Zeitung im Impressum ihre "Grundprinzipien" ab, die kritischem Hinterfragen nicht standhalten. Unter anderem nimmt "Milli Gazete(-Europa) Sensibilität bezüglich Demokratie, Menschenrechten und Freiheiten, Eintreten für die Freiheit des Einzelnen und die Hoheit des Rechts" sowie "Achtung vor den Verfassungen und Gesetzen der europäischen Staaten" für sich in Anspruch. Die Zeitung "lehnt sämtliche Zustände, Äußerungen und Positionen ab, die nicht mit diesen Grundsätzen vereinbar sind, verurteilt und verdammt diese". Durch Abdruck von Aussagen wie derjenigen vom 5. Juli 2005176, die Politik könne "in der Scharia eine gerechte Basis" finden, werde jedoch "verabsolutiert" und zur "Quelle von Tyrannei", sofern sie ihre "Unabhängigkeit von der Scharia" erkläre, konterkariert die Zeitung ihre eigenen Prinzipien. 171 In den USA lebende einstige Abgeordnete der "Refah Partisi" (RP, "Wohlfahrtspartei"), die 1999 aufgrund ihres Kopftuchs im türkischen Parlament als Abgeordnete nicht vereidigt wurde. 172 "Milli Gazete" vom 26. Oktober 2005. 173 Nr. 125 vom Mai 2005. 174 Ebd., S. 34. 175 "Milli Gazete" vom 11. und 14. November 2005. In einer besonders scharf formulierten Kolumne vom 15. November 2005 wurden die Verfechter des Kopftuchverbots, die Kemalisten, als - "Trunkenbolde" diffamiert. 176 Kolumne von Ahmet BALKI. 77 Wenn ein "Milli Gazete"-Kolumnist177 der Pilgerfahrt nach Mekka die Rolle eines "Ordentlichen Nationalen Kongresses des Islam", eines "Gemeinsamen Islamischen Marktes", eines "Islamischen Verteidigungspaktes" zuweist und damit einem rein religiösen Akt eine politische Dimension zuspricht, wird ein weiteres Mal die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit deutlich. "Milli Gazete" löst diesen Widerspruch in einem weiteren "Grundprinzip" auf: sie distanziert sich von den Meinungen ihrer Kolumnisten. Die in ähnlicher Manier auch von der IGMG angewandten Methoden der verbalen Distanzierung, der Verschleierung von Verbindungen und der taktischen Argumentation verhindern bis heute eine transparente Einsicht in ihre Tätigkeit und somit auch in ihre künftige Orientierung. 2.6.2 Der "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti"), früher "Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e.V." (ICCB) Gründung: 1984 (ICCB), 1994 Umbenennung in "Kalifatsstaat" Sitz: Köln Mitglieder: ca. 300 Baden-Württemberg (2004: ca. 300) ca. 750 Bund (2004: ca. 750) Verbot: Die Zentrale in Köln und 19 örtliche Vereine178 als Teilorganisationen wurden am 12. Dezember 2001 durch den Bundesminister des Innern verboten. Am 19. September 2002 wurde das Verbot auf 16 weitere Teilorganisationen179 ausgedehnt. Es wurde durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 2002 bestätigt.180 Ziele Die Ziele des "Kalifatsstaats", zunächst bezogen auf die Türkische Republik, werden bereits aus der Benennung der Organisation deutlich: Abschaffung der Staatsform der Republik, Wiedereinführung des Kalifats und Begründung einer auf der Scharia basierenden islamischen Herrschaft. Als Vorbild dient das politische Modell der Islamischen Republik Iran. Die vorbereitenden Aktivitäten zur Erreichung dieses Ziels sollten bis zur "Befreiung" Istanbuls von der "vorübergehenden Hauptstadt" Köln ausgehen, in der bis heute die Zentrale der Organisation angesiedelt ist. 177 Kolumne von Mevlüt ÖZCAN. 178 In Baden-Württemberg betraf das Verbot die Vereine in Blumberg und Winnenden. 179 Hier waren in Baden-Württemberg die Vereine in Bruchsal, Esslingen, Heidenheim, Schorndorf und Tübingen betroffen. 180 Die Verfassungsbeschwerde des "Kalifatsstaats" gegen das Verbot wurde vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss des BVerfG 1 BvR 536/03 vom 2. Oktober 2003). 78 Islamismus/Ausländerextremismus Nach dem Tode des Gründers des "Kalifatsstaats", Cemalettin KAPLAN im Jahr 1995, trat sein Sohn Metin nach erfolgter Liquidation eines Konkurrenten um das Amt des Kalifen zwar die Nachfolge an, wurde jedoch am 15. November 2000 vom Oberlandesgericht Düsseldorf aufgrund des öffentlichen Aufrufs zu Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und befand sich bis Ende Mai 2003 in Haft. Im Oktober 2004 erfolgte KAPLANs Abschiebung in die Türkei, am Metin KAPLAN 20. Juni 2005 wurde er in Istanbul zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass KAPLAN 1998 einen Anschlag auf das Atatürk-Mausoleum in Ankara geplant hatte, bei dem durch vorsätzlich herbeigeführten Absturz eines mit Sprengstoff beladenen Kleinflugzeugs über dem Mausoleum die dort versammelte Staatsspitze hätte ausgelöscht werden sollen. In einem anderen Anklagepunkt, der KAPLAN der Außerkraftsetzung der verfassungsmäßigen Ordnung beschuldigte, wurde er des Hochverrats für schuldig befunden. Die Bedeutung des "Kalifatsstaats" ist nach dem Verbot kontinuierlich geschwunden. Nachdem die Organisation in den vergangenen Jahren nacheinander mit verschiedenen Publikationen181 auf den Plan getreten war, konnten im Jahr 2005 keine regelmäßig erscheinenden Publikationen mehr festgestellt werden. Im Nachgang zu den bundesweiten polizeilichen Durchsuchungen innerhalb der Klientel des "Kalifatsstaats" wegen des fortdauernden Bezugs von organisationseigenen Publikationen auch nach dem Verbot182 wurden jedoch 2005 in Baden-Württemberg rund 30 Ermittlungsweitere Ermittverfahren durchgeführt. Sie wurden mit der Verhängung von Geldstrafen, in lungsverfahren Einzelfällen von zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen abgeschlossen. Aufgrund des Verbots und der seitens der Behörden durchgeführten Exekutivmaßnahmen sind die Anhänger weitgehend verunsichert. Es ist fraglich, ob und wie sich die Klientel neu organisieren oder orientieren wird. 181 Im Einzelnen handelte es sich um "Ümmet-i Muhammed", "Beklenen Asr-i Saadet" und "Barika-i Hakikat" sowie das deutschsprachige Magazin "Der Islam als Alternative"; außerdem betrieb der "Kalifatsstaat" eine Zeitlang den Sender "Hakk-TV". 182 Diese Maßnahme war am 11. Dezember 2003 umgesetzt worden, wobei in Baden-Württemberg 323 Objekte betroffen waren. 79 2.7 Iranische islamistische Gruppen 2.7.1 "Volksmodjahedin" Die "Volksmodjahedin" unter der Bezeichnung "Modjahedin-e Khalq Organisation" (MEK oder MKO) und People's Mojahidin of Iran (PMOI) gelten auch im aktualisierten Beschluss des Rats der Europäischen Union (EU) vom 17. Oktober 2005 als terroristische Organisation. Ihr militanter Flügel "National Liberation Army of Iran" (NLA) sowie die "Muslim Iranian Student's Society" werden ebenfalls als terroristische Gruppierungen genannt. Der "Nationale Widerstandsrat von Iran" (NWRI) beziehungsweise der "National Council of Resistance of Iran" (NCRI) werden von der Auflistung als Terrororganisation ausgenommen. Der international tätige NWRI wurde als scheinbar parteiübergreifende demokratische Sammlungsbewegung 1981 in Paris gegründet und versteht sich selbst als die wichtigste Oppositionsgruppe gegen das iranische Regime. Dominiert wird der Widerstandsrat allerdings von Anhängern und Mitgliedern der "Volksmodjahedin". In europaweiten Veranstaltungen richteten sich die Aktivitäten des NWRI im Jahr 2005 gegen das iranische "Mullah-Regime", sein geheimes Atomwaffenprogramm und die Menschenrechtsverletzungen in Iran. Am 18. Juni protestierten in Paris etwa 10.000 Anhänger gegen die iranischen Präsidentschaftswahlen, die am gleichen Tag stattfanden, und forderten die dortige Bevölkerung zum Wahlboykott auf. Die Forderung des NWRI, die "Volksmodjahedin" von der "EU-Terrorliste" zu streichen, steht bei allen öffentlichen Aktivitäten im Vordergrund. Der "Widerstandsrat" hat in diesem Punkt aufgrund seiner gezielten Lobbyarbeit teilweise bereits sogar die Unterstützung bei einigen europäischen Politikern und Parlamentariern gefunden. Mit nicht unerheblichem Aufwand gelang es dem NWRI auch im Jahr 2005 eine große Anzahl von Anhängern und Sympathisanten für seine Protestaktionen zu mobilisieren. So wurden neben der bereits genannten Demonstration in Paris weitere, zum Teil größere Demonstration am 18. Juni 2005 in Paris 80 Islamismus/Ausländerextremismus Protestkundgebungen am 10. Februar in Berlin, am 9. August, 19. September und 24. November in Wien, u.a. vor der Internationalen Atomenergiebehörde, und am 7. November in Brüssel durchgeführt. Am 17. Juni 2003 wurde die Pariser Zentrale der PMOI durchsucht und deren Leiterin Maryam RADJAVI vorläufig inhaftiert. Grund dieser Durchsuchung war der Verdacht, dass die Mitglieder der "Volksmodjahedin" Anschläge auf iranische Botschaften in Europa planten. Bei Protestkundgebungen gegen die Durchsuchung und Inhaftierung gingen einige Anhängerinnen und Mitglieder der Organisation so weit, dass sie sich Maryam RADJAVI öffentlich selbst verbrannten. Seit diesen Vorfällen im Sommer 2003 wird der Opfer dieser Selbstverbrennungen am Jahrestag gedacht. Diese Erinnerungsveranstaltung fand auch im Jahr 2005 statt. Obschon sich die Organisation nach außen als demokratisch darstellt, gelten die Strukturen unter der Führerin Maryam RADJAVI als undemokraundemokratische tisch und totalitär. Kritiker der Organisation sehen in ihr eine Politsekte, Kaderorganisation die die Anhänger in einem Hörigkeitsverhältnis halte. So verlangte man von den Anhängern ständige Verfügbarkeit und unbedingten Gehorsam. Die höheren Positionen, so genannte Kaderpositionen, werden innerhalb der Organisation beinahe ausschließlich von Frauen eingenommen. In der Propaganda wird dies als Gegenmodell zum männerdominierten "MullahRegime" in Iran dargestellt. Der autoritäre Führungsstil und der Personenkult um die Führerin gleichen denjenigen in totalitären Regimen, wo die Anhänger durch Gruppenzwang in starke Abhängigkeiten gedrängt werden. Ehemalige Anhänger der "Volksmodjahedin" berichteten von Folterungen durch einen internen Geheimdienst. Dies wurde durch einen am 19. Mai 2005 veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" untermauert, der von Folterungen und Missständen in den Militärlagern der NLA im Irak berichtete. Der Bericht stützt sich auf die Aussagen ehemaliger Angehöriger der NLA, denen die Flucht aus den Lagern gelungen war. Der NWRI wehrte sich vehement gegen diese Vorwürfe und bezichtigte das iranische Regime und den iranischen Geheimdienst einer bewussten Desinformationskampagne gegen den NWRI. In Deutschland sind die "Volksmodjahedin" durch den NWRI seit 1994 vertreten. In Baden-Württemberg konnte der NWRI 2005 wie im Vorjahr auf etwa 70 Aktivisten, unterstützt durch zahlreiche Sympathisanten, zurückgreifen. 81 Die Geldbeschaffung und damit die Finanzierung der Aktivitäten zählen für den NWRI zu einem weiteren wichtigen öffentlichen Betätigungsfeld. Dies wird durch so genannte Sammelvereine - in Wahrheit Scheinoder Tarnorganisationen - wie zum Beispiel den "Menschenrechtsverein für Exiliranerinnen e.V." in Düsseldorf übernommen, die vorgeben, diese Spenden für humanitäre Zwecke zu verwenden. Wahrscheinlicher ist wohl, dass diese Gelder in die politische Arbeit der Organisation fließen. Es bleiben aber Zweifel darüber, ob diese Spenden überhaupt ausreichen, die vielfältigen Aktivitäten des NWRI zu finanzieren. Zurzeit befinden sich noch mehr als 3.000 NLAAngehörige in dem vom amerikanischen Militär kontrollierten Lager "Camp Ashraf" im Irak. Einerseits werden diese Kämpfer als Angehörige einer Terrororganisation be-zeichnet, andererseits wurden sie von den USA in Folge des Einmarsches in den Irak als "geschützte Personen" nach der Genfer Konvention eingestuft. Was zukünftig mit diesen Angehörigen geschieht, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Der im Oktober 2005 angenommene irakische Verfassungsentwurf verweigert im Artikel 21 Angehörigen einer terroristischen Organisation das Bleiberecht im Irak. Bei einer Rückkehr in den Iran befürchtet der NWRI politische Verfolgung, Inhaftierung und Folterungen durch das iranische Regime, obwohl die iranische Regierung in Teheran Amnestie für all jene "Rückkehrer" versprochen hat, die den Kampf gegen das Regime aufgeben. Im November 2005 sind zuletzt 13 ehemalige Kämpfer der NLA mit Unterstützung des Internationalen Roten Kreuzes aus dem Irak nach Teheran geflogen und dort ihren Angehörigen übergeben worden. Die iranischen staatlichen Stellen nutzten diese Rückkehrer für entsprechende Propaganda gegen die "Volksmodjahedin". Die künftige Rolle dieser iranischen Exilopposition bleibt sehr eng mit den Entwicklungen im Irak verknüpft. So ist nicht absehbar, welche Folgen die ultimative Aufforderung, die Militärlager zu verlassen, wie sie von irakischer Seite formuliert wurde, haben wird. Entscheidend wird auch sein, wie sich die iranische Regierung unter Ahmadinejad in der Auseinandersetzung um seine Atompläne und auf dem Feld der Menschenrechte verhalten wird. Der NWRI könnte sich bei einer weiterhin starren iranischen Haltung als ernst zu nehmende Opposition profilieren. Hinweise auf diese Entwicklung kann man in der sehr professionellen und aufwändigen Presseund Öffentlichkeitsarbeit des NWRI erkennen. 82 Islamismus/Ausländerextremismus 3. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) beziehungsweise "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK), jetzt: "Volkskongress Kurdistans" (KONGRAGEL) KONGRA-GELLogo Gründung: 1978 (in der Türkei) Betätigungsverbot in Deutschland vom 22. November 1993 (bestandskräftig seit 26. März 1994); benannte sich im April 2002 in KADEK und im November 2003 in KONGRA-GEL um. Sitz: Grenzgebiet Türkei / Nord-Irak Vorsitzender: Zübeyir AYDAR ARGK-Logo Abdullah ÖCALAN ist als "kurdischer Volksführer" anerkannt und hat entsprechenden Einfluss. Anhänger: ca. 700 Baden-Württemberg (2004: ca. 750) ca. 11.500 Bund (2004: ca. 11.500) Publikation: "Serxwebun" (Unabhängigkeit) Die von Abdullah ÖCALAN gegründete "Arbeiterpartei Kurdistans" ERNK-Logo (PKK), die zwischenzeitlich zweimal umbenannt wurde, ist die mitgliederstärkste extremistische Kurdenorganisation und sieht sich als einzig legitime Vertretung der vor allem aus der Türkei stammenden Kurden. Ihr ursprüngliches Ziel war die Errichtung eines unabhängigen Staates "Kurdistan". Deshalb begann die straff hierarchisch organisierte Kaderpartei 1984 mit Hilfe ihres bewaffneten Arms "Befreiungseinheiten Kurdistans" PKK/KADEK(HRK), der im Oktober 1986 in die "Volksbefreiungsarmee Kurdistans" Logo (ARGK) umgewandelt wurde, einen Guerillakrieg gegen den türkischen Staat. In Deutschland versuchte die Organisation, durch politische und gewalttätige Aktionen den Kampf im Heimatland zu unterstützen. Deswegen wurde der PKK und ihrer im März 1985 gegründeten Propagandaorganisation "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) sowie weiteren Nebenorganisationen im November 1993 die Betätigung im Bundesgebiet durch den Bundesminister des Innern untersagt. Dieses Verbot umfasst auch den "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) und den "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL) als Nachfolgeorganisationen. Unter jeder dieser drei Bezeichnungen ist die Organisation auf Beschluss des Rats der 83 Terrororganisation "Europäischen Union" (EU) vom 2. April 2004183 auch in der "EU-Terrorlisbzw. kriminelle te" genannt. Gegen die dort aufgeführten Organisationen können restriktiVereinigung ve Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus gerichtet werden. Außerdem entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am 21. Oktober 2004184, dass die Führungsebene der PKK in Deutschland nach wie vor eine kriminelle Vereinigung im Sinne des SS 129 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) ist. Nach der Verhaftung ÖCALANs am 15. Februar 1999 in Nairobi/Kenia und den anschließenden Gewaltphasen verkündete die PKK im September 1999 ihre so genannte Friedensstrategie, deren konkrete Ausgestaltung auf dem 7. Parteikongress im Januar 2000 beschlossen wurde. Vorgeblich auf politischem Weg und ohne Anwendung von Gewalt fordern sie und ihre Nachfolgeorganisationen seitdem die Anerkennung der kurdischen Identität sowie mehr Rechte und kulturelle Autonomie. Um die politische Neuausrichtung nach außen zu dokumentieren und um sich von dem über viele Jahre hinweg geprägten Makel einer Terrororganisation zu befreien, führte die Organisation verschiedene Veränderungen durch. Insbesondere wurden sowohl die PKK selbst als auch mehrere Teilorganisationen umbenannt beziehungsweise formal aufgelöst und unter neuen Namen wieder gegründet. Der militärische Arm ARGK erhielt zum Beispiel die Bezeichnung "Volksverteidigungskräfte" (HPG). Die ehemalige Propagandaorganisation ERNK wurde zuerst als "Kurdische Demokratische Volksunion" (YDK) fortgeführt, im Juni 2004 jedoch aufgelöst und als "Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK) "reorganisiert". Trotz der propagierten "Friedenslinie" stellt der KONGRA-GEL nach wie Gefahr für vor eine Gefahr für die Innere Sicherheit Deutschlands dar. An dem strikt Innere Sicherheit hierarchischen Aufbau und an der autoritären Führung der Organisation haben sich bis jetzt weder substanziell noch personell nennenswerte Veränderungen ergeben. Innerhalb der Organisation herrscht statt freier Meinungsbildung immer noch das Prinzip von Befehl und Gehorsam. Die Anwendung von Gewalt wird weiterhin als ein Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele angesehen. Nach wie vor ist es möglich, einen größeren Teil der Mitglieder und Anhänger in Baden-Württemberg auch für gewalttätige Aktionen zu mobilisieren, auch wenn deren Interesse daran zunehmend schwindet. 183 Amtsblatt der Europäischen Union L 99 vom 3. April 2004, S. 28f. 184 Urteil des BGH vom 21. Oktober 2004, 3 StR 94/04. 84 Islamismus/Ausländerextremismus Konzeptionelle Änderungen ohne praktische Auswirkungen Auch das Jahr 2005 war von mehreren konzeptionellen Änderungen geprägt, die praktisch jedoch kaum Auswirkungen hatten. So erfolgte am 4. April 2005185 die angekündigte Gründung der "neuen PKK". Daneben proklamierte186 Abdullah ÖCALAN am 20. März 2005 anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes Newroz das politische Konzept des "Demokratischen Konföderalismus Kurdistans" (KKK)187, als dessen Gründer und Vorsitzender er bezeichnet wird. Parallel erfolgte in den KONGRAGEL-Gebieten in Europa die bereits im Jahr 2004 beschlossene Bildung von "Volksräten". KKK-Logo Diese scheinbaren Neuerungen sind als Reaktion auf die seinerzeitigen Ereignisse zu sehen. Damals hatten der Weggang einer größeren Gruppe um Osman ÖCALAN188 und die Gründung einer eigenen Organisation eine Krise beim KONGRA-GEL ausgelöst. Offensichtlich um die Reihen wieder zu schließen und der Verunsicherung der Anhänger und Funktionäre entgegenzuwirken, kündigte Abdullah ÖCALAN damals den Wiederaufbau der PKK an und ließ ein Vorbereitungskomitee einsetzen. Ergänzend wurde auf dem 5. YDK-Kongress im Sommer 2004 in Frankreich eine Umstrukturierung des KONGRA-GEL in Europa beschlossen, deren Schwerpunkt die Einbeziehung der Basis bei Entscheidungen über demokratisch gewählte und somit legitimierte "Volksräte" war. Die Bildung der immer noch "Volksräte" verlief in Baden-Württemberg schleppend. In der Praxis wurden ohne demokratidiese Gremien nur sehr vereinzelt tätig. Somit kann der erneute Versuch, sche Elemente demokratische Elemente einzuführen, einmal mehr als gescheitert angesehen werden. Verwirrung herrschte nach der Deklaration des KKK. Sinn und Zweck waren für die Anhängerschaft in Baden-Württemberg nicht erkennbar, zumal die Grundzüge weitgehend denen des KONGRA-GEL entsprachen. Auf der vom 4. bis 21. Mai 2005 abgehaltenen 3. Generalversammlung des KONGRA-GEL diskutierten, akzeptierten und verabschiedeten die 236 anwesenden Delegierten die Prinzipien des "demokratischen Konfödera185 Geburtstag Abdullah ÖCALANs. 186 Die Erklärung wurde auf der Internetseite des KONGRA-GEL in deutscher Sprache veröffentlicht; Internetauswertung vom 31. März 2005. 187 Kurdisch: "Koma Komalen Kurdistan". Von der Organisation selbst als "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" übersetzt. 188 Bruder Abdullah ÖCALANs und bis dahin ein hochrangiger Funktionär des KONGRA-GEL und seiner Vorgängerorganisationen. 85 lismus" zur "demokratischen Lösung der kurdischen Frage" und zur "gewaltfreien Lösung gesellschaftlicher Probleme" in den von den Kurden besiedelten Gebieten in der Türkei, im Irak, in Iran und in Syrien.189 Der KONGRA-GEL definierte sich innerhalb dieses Modells selbst als "höchster demokratischer Volkswille" und als "gesetzgebende Versammlung". Die "neue PKK" wurde zur "ideologischen Kraft" erklärt. Für den "demokratischen Konföderalismus" führte man ein neues, dem früheren Emblem der PKK ähnliches Symbol (roter Stern in gelber Sonne vor grünem Hinterneues Logo grund) ein, das als Fahne in der Folgezeit bei Veranstaltungen gezeigt wurde. Die Bildung einer weiteren Einheit neben dem KONGRA-GEL unter der Bezeichnung PKK sollte die Identifizierung der Anhänger mit der Organisation erleichtern, ihre Motivation für Aktionen erhöhen und der kurdischen Bewegung insgesamt neuen Schwung verleihen. Die Gründung der "neuen PKK", die derzeit offensichtlich schwerpunktmäßig auf die ideologischen Grundlagen und deren Verbreitung und Durchsetzung ausgerichtet ist, wurde in BadenWürttemberg jedoch weitgehend gleichgültig zur Kenntnis genommen. Fortsetzung der bewaffneten Auseinandersetzungen in der Türkei Die bereits seit Frühjahr 2004 von den türkischen Sicherheitsbehörden im Rahmen der Terrorismusbekämpfung durchgeführten militärischen Operationen gegen die HPG wurden Pressemeldungen zufolge 2005 intensiviert. Die Guerilla-Organisation reagierte mit der Aufhebung des seit Herbst 1999 andauernden Waffenstillstands zum 1. Juni 2004 und führte seitdem ihrerseits zunehmend härtere Vergeltungsschläge schwerpunktmäßig auf militärische Ziele im Südosten der Türkei durch. Tote und Verletzte wurden auf beiden Seiten gemeldet. Im Lauf des Jahres 2005 appellierte die Organisation mit sich stetig verschärfender Wortwahl regelmäßig an die türkische Regierung, die "Verleumdungsund Vernichtungspolitik"190 einzustellen, ansonsten würden die Kampfhandlungen nach Art 189 Hier und im Folgenden: Bericht in der Zeitung "Özgür Politika" vom 2. Juni 2005, Arbeitsübersetzung des Bundesamts für Verfassungsschutz. 190 Begriff unter anderem erwähnt in einem Bericht der "Özgür Politika" vom 9. August 2005, Arbeitsübersetzung des Bundesamts für Verfassungsschutz. 86 Islamismus/Ausländerextremismus und räumlicher Ausdehnung eskalieren. Aus Sicht des KONGRA-GEL sind auch die Haftbedingungen Abdullah ÖCALANs auf der Gefängnisinsel Imrali Bestandteil dieser Politik. In ihren Erklärungen riefen die Funktionäre die kurdischen Jugendlichen eindringlich dazu auf, sich der Guerilla in den Bergen anzuschließen. Dennoch betonte der KONGRA-GEL stets, dass er an einer politischen und friedlichen Lösung festhalte und einen Dialog mit der türkischen Regierung wünsche. Die Aussage des türkischen Ministerpräsidenten Anfang August 2005, es gebe ein Kurdenproblem in der Türkei, wertete die Organisation als ersten lang ersehnten Schritt und bedeutendes Signal im Hinblick auf ihre Forderungen. Sie reagierte darauf mit einem auf einen Monat befristeten Waffenstillstand ab dem 20. August 2005, der bis zum 3. Oktober 2005 (Beginn der Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei) verlängert wurde. Während dieser "Phase der Aktionslosigkeit"191 sollten die "bewaffneten Kräfte vom Zustand der aktiven Verteidigung in den der passiven Verteidigung"192 wechseln, um "den Weg für eine friedliche und demokratische Lösung zu eröffnen." Finanzierung Der KONGRA-GEL benötigt für seine Propagandatätigkeit, den Parteiapparat sowie für die Versorgung seiner Guerillakämpfer und deren Ausstattung mit Waffen und Munition hohe Geldbeträge. Die Finanzierung erfolgt über Mitgliedsbeiträge, den Verkauf von Publikationen und über Gewinne aus Großver"Spendenquittung" anstaltungen. Zusätzlich sollen die angesprochenen Landsleute bei der alljährlichen Spendenkampagne einen größeren Betrag bis hin zu 1.000 Euro abliefern. Diese Einnahmen sind seit Verkündung des "Friedenskurses" stark rückläufig, weil sich zahlreiche Kurden nicht mehr mit der Organisation identifizieren können und sich darum zurückgezogen haben. Deshalb weigerten sich viele, den geforderten Beitrag ganz oder teilweise zu zahlen. Veranstaltungen Wie in den Vorjahren wurden auch 2005 Veranstaltungen und sonstige demonstrative Aktionen zu organisationsbezogenen Anlässen durchgeführt. Die Zahl der Teilnehmer war dabei weiterhin rückläufig. Der Grund für das 191 Bericht in der "Özgür Politika" vom 20. August 2005, Arbeitsübersetzung des Bundesamts für Verfassungsschutz. 192 Hier und im Folgenden: Erklärung vom 19. August 2005, die auf der Internsetseite des KONGRA-GEL in deutscher Sprache veröffentlicht wurde; Internetauswertung vom 23. August 2005. 87 mangelnde Engagement lag vor allem am erfolglosen "Friedenskurs". Für die Anhänger ist der Sinn dieser Strategie und der damit verbundenen ständigen Umstrukturierungen und Umbenennungen nach wie vor nicht verständlich und durch die Funktionäre auch nicht vermittelbar. Darum war ÖCALAN als auch die Resonanz auf die weltweit angelegte Solidaritätsbeziehungsweise "kurdischer Unterschriftenkampagne "Ich akzeptiere Abdullah ÖCALAN als politiVolksführer" schen Willen des kurdischen Volkes"193 gering. Aktionsschwerpunkte in Baden-Württemberg waren Stuttgart, Mannheim, Freiburg im Breisgau und Ulm. Im Jahr 2005 konnten noch etwa 700 Personen in Baden-Württemberg zu dem Kreis gerechnet werden, der sich aktiv für den KONGRA-GEL beziehungsweise die ihm nahe stehenden Organisationen engagiert. Für besondere Anlässe lassen sich in BadenWürttemberg jedoch nach wie vor mehrere tausend Kurden mobilisieren, die vorwiegend über die dem KONGRA-GEL nahe stehenden Vereine erreicht werden. An folgenden Veranstaltungen beteiligten sich die KONGRA-GEL-Anhänger in Baden-Württemberg unter anderem: Am 5. Februar 2005 demonstrierten in Stuttgart schätzungsweise 200 Kurden friedlich gegen die Verhaftung eines stellvertretenden Vorsitzenden des KONGRA-GEL. Dieser war am 22. Januar 2005 auf der Anreise zu einer Veranstaltung in Nürnberg kurz vor Würzburg im Zug aufgrund eines internationalen Haftbefehls der Türkei festgenommen worden. Anlässlich des 6. Jahrestags der Festnahme Abdullah ÖCALANs am 15. Februar 1999 fand - wie in den Vorjahren - eine europaweite Großdemonstration am 12. Februar 2005 in Straßburg statt. Über 9.000 Anhänger reisten mit fast 200 Bussen und aus der Grenzregion mit zahlreichen Pkw an, um friedlich an das als "internationales Komplott" bezeichnete Ereignis zu erinnern und die Freilassung ÖCALANs, der nach wie vor als großes Idol und herausragende Führungsfigur angesehen wird, zu fordern. Die letzte der bundesweit drei überregionalen Veranstaltungen zum kurdischen Neujahrsfest Newroz fand 193 Arbeitsübersetzung des Bundesamts für Verfassungsschutz. 88 Islamismus/Ausländerextremismus für Süddeutschland am 2. April 2005 in der Ballsporthalle in Frankfurt/Main statt. Etwa 5.000 Personen beteiligten sich daran. Die Halle war mit Bildern Abdullah ÖCALANs, einschlägigen Fahnen und Transparenten geschmückt. Während des Kulturprogramms wurden themenbezogene Reden gehalten und Grußbotschaften ÖCALANs, der KONGRA-GEL-Jugendund Frauenorganisation verlesen. Daneben fanden auf regionaler Ebene am 19. und 20. März 2005 in den Innenstädten von Stuttgart, Freiburg, Offenburg, Friedrichshafen, Ulm, Mannheim und Heilbronn Aufzüge mit Kundgebungen statt. An diesen beteiligten sich jeweils zwischen 100 und 450 Personen friedlich. Der KONGRA-GEL zeigte sich mit der Beteiligung der Kurden an den Feiern insgesamt zufrieden und betonte, dass mit dem diesjährigen Newroz eine neue Phase begonnen habe. Unter der Überschrift "Jugendfest in Stuttgart" berichtete die türkischsprachige Tageszeitung "Özgür Politika" ausführlich über eine Veranstaltung, die am 8. Mai 2005 in Leonberg unter dem Motto "Jugendfest zur Begrüßung des Demokratischen Konföderalismus" durchgeführt wurde und an der um die tausend Personen teilgenommen haben sollen.194 Es seien Botschaften der KONGRA-GEL-Jugendund Frauenorganisation verlesen worden, in denen man betont habe, dass der von Abdullah ÖCALAN ausgerufene "demokratische Konföderalismus" eine Fortführung des "demokratischen Kampfes" sei und dass die kurdische Jugend sich bis zum Schluss für dieses Projekt einsetzen werde. Zum alljährlichen "Internationalen Kurdistan Kulturfestival" reisten bis zu 40.000 Teilnehmer aus ganz Deutschland und anderen europäischen Ländern am 3. September 2005 nach Köln in das Rhein-EnergieStadion. Das Festival wurde wieder von der "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland" (YEKKOM)195 organisiert und stand - mit Anspielung auf den EU-Beitritt der Türkei - unter dem Motto "EU-Türkei: Auch wir sind Verhandlungspartei, Lösung der kurdischen Frage, Freiheit für Abdullah ÖCALAN". 194 Hier und im Folgenden: "Özgür Politika" vom 10. Mai 2005, Arbeitsübersetzung des Landesamts für Verfassungsschutz. 195 Dachverband, in dem überwiegend die örtlichen KONGRA-GEL-nahen Kurdenvereine in Deutschland zusammengeschlossen sind. 89 Am 5. September 2005 wurde das vom Bundesministerium des Innern u.a. gegen die "E. Xani Presseund Verlags GmbH" mit Sitz in Neu-Isenburg/Hessen verfügte Verbot196 vollstreckt. Dieser Verlag gab die "Özgür Politika" heraus und verbreitete sie im gesamten BundesgeProtest gegen restriktive Maßnahmen biet. In der Verbotsverfügung vom 30. August 2005 wurde darauf abgehoben, dass der Verlag damit gegen das bestandskräftige Betätigungsverbot verstoßen habe, das das Bundesministerium des Innern 1993 gegen die PKK verhängt habe, indem er dieser beziehungsweise deren Nachfolgeorganisation KONGRA-GEL die Nutzung der "Özgür Politika" als Sprachrohr ermöglicht habe, um auf diesem Weg die Anhängerschaft in Europa mit Nachrichten zu versorgen und den organisatorischen Zusammenhalt aufrechtzuerhalten. Erfolgreicher als die öffentlichen Proteste des KONGRA-GEL war der gegen das Verbot beschrittene Rechtsweg. Am 18. Oktober 2005 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass - soweit die sofortige Vollziehung angeordnet worden war - die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 30. August 2005 wiederhergestellt wird.197 Die endgültige Aufhebung der Entscheidung erfolgte am 20. Dezember 2005.198 Um auf die aktuellen Haftbedingungen ÖCALANs aufmerksam zu machen, beteiligen sich am 29. Oktober 2005 ca. 70 Personen friedlich an einem angemeldeten Protestmarsch von Mannheim nach Heidelberg, wo es eine Abschlusskundgebung gab. Unter dem Motto "Niemals ohne den Anführer Jugendund ohne die PKK"199 hatte die KONGRA-GEL-Jugendorganisation "Beweorganisation gung der freien Jugend Kurdistans" (TECAK), die die Aktion auch organisiert haben soll, auf ihrer Internetseite zur Teilnahme aufgerufen. Ausblick Das weitere Verhalten des KONGRA-GEL in Deutschland ist von den Ereignissen in der Türkei sowie von der Lage im Nordirak und im Südosten der Türkei abhängig. Das harte Durchgreifen der türkischen Sicherheitsbehörden gegen den bewaffneten Flügel des KONGRA-GEL in der Türkei scheint die Organisation in Bedrängnis gebracht zu haben. Verschiedene Hinweise deuteten darauf hin, dass sich innerhalb des höchsten Führungszirkels des KONGRA-GEL Nervosität und Unsicherheit über den weiteren Kurs breit machten. Diese wurden noch dadurch verstärkt, dass Abdullah ÖCALAN nach einer Änderung der Besuchsund Kontaktrege196 Veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 168 vom 6. September 2005. 197 Bundesverwaltungsgericht 6 VR 5.05 (6 A 4.05). 198 Bundesverwaltungsgericht 6 A 4.05. 199 Arbeitsübersetzung des Landesamts für Verfassungsschutz; Internetauswertung vom 24. Oktober 2005. 90 Islamismus/Ausländerextremismus lungen für Strafgefangene zum 1. Juni 2005 die wöchentlichen Besuche seiner Anwälte ablehnte und insgesamt der Kontakt zu ihm nahezu vollständig abbrach. Die Aussagen der KONGRA-GEL-Führung sind widersprüchlich: Auf der einen Seite hält sie am "Friedenskurs" fest und hofft auf für sie günstige Entwicklungen im Rahmen des angestrebten EU-Beitritts der Türkei, den der KONGRA-GEL befürwortet. Durch vielfältigen politischen Druck soll die türkische Regierung dazu gezwungen werden, das Kurdenproblem anzugehen und zu lösen. Dabei beansprucht der KONGRA-GEL für sich und ÖCALAN das alleinige Recht, als Gesprächsund Verhandlungspartner des kurdischen Volkes anerkannt zu werden. Ansonsten wäre eine Lösung nicht möglich. Im Gegensatz dazu setzt der KONGRA-GEL aber auch weiterhin auf das "Recht der legalen Selbstverteidigung" und will durch Drohungen angebliches und aktive militante Maßnahmen der Zerschlagung der Organisation entRecht auf gegenwirken. Die sich zuspitzende Lage in der Türkei hatte bislang keine Selbstverteidigung Auswirkungen auf Baden-Württemberg. Der KONGRA-GEL ist der Auffassung, dass die EU mit verschiedenen Maßnahmen die Türkei in ihrem Vorgehen bestärke. In einer Erklärung, die Anfang Oktober 2005 veröffentlicht wurde, betonte der KONGRA-GEL mit drohendem Unterton, dass die kurdische Frage mit dem Beginn der EUBeitrittsverhandlungen kein alleiniges Problem der Türkei mehr sei, sondern zu einem der Hauptprobleme der EU geworden sei. 4. Türkische Vereinigungen (ohne kurdische) 4.1 Extrem nationalistische Organisationen "Föderation der Demokratischen Türkischen Idealistenvereine in Europa e.V." (ADÜTDF) / "Türkische Föderation Deutschland" (ATF) Gründung: 1978 Sitz: Frankfurt am Main Mitglieder: ca. 2.100 Baden-Württemberg (2004: ca. 2.100) ca. 8.750 Bund (2004: ca. 8.000) Publikation: "Türk Federasyonu Bülteni" (türkisch, erscheint unregelmäßig) Die "Föderation der Demokratischen Türkischen Idealistenvereine in Europa e.V." ("Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu", 91 ADÜTDF), eine auch unter der Bezeichnung "Graue Wölfe" (Bozkurt)200 rassistisch bekannte, extrem nationalistische und rassistische Organisation, unterstützt in Deutschland die politischen Ziele der türkischen Mutterpartei "Partei der Nationalistischen Bewegung" ("Milliyetci Hareket Partisi", MHP). In Baden-Württemberg sind insbesondere die Mitgliedsvereine in Stuttgart, Ulm und Mannheim von Bedeutung. Die Bewegung der unter der Eigenbezeichnung "Idealisten" (ülkücü) aufextrem tretenden extremen Nationalisten strebt - bei gleichzeitiger Integration relinationalistisch giöser Elemente durch die so genannte türkisch-islamische Synthese201 - eine von allen äußeren Einflüssen und Systemen unabhängige, starke türkische Nation an. Ihre wesentlichen ideologischen Elemente sind durch Nationalismus, Pantürkismus/Turanismus202, Rassismus, Antikommunismus und Antisemitismus gekennzeichnet und werden von einem Führerprinzip, bezogen auf den mehr als 30 Jahre an der Spitze der Bewegung stehenden "obersten Führer" (basbug)203 Alparslan TÜRKES204, bestimmt. Die von TÜRKES entwickelte "Neun-Lichter-Doktrin", die für die Nationalisten nach wie vor prägend wirkt, propagiert eine Vormachtstellung der türkischen Nation, die vor allem auf den Grundsätzen des Nationalismus, des Idealismus und der Ethik beruhen soll. Über klassische antisemitische Positionen, welche Kommunismus und Kapitalismus als "Erfindungen der Juden" definieren, sowie über verschwörungstheoretische Deutungen zu Freimaurern und so genannten Kryptojuden (dönme)205 lassen sich Querverbindungen zu den Argumentationsmustern islamistischer Gruppierungen herstellen. Nach dem Ende des Kommunismus und dem Bedeutungsverlust des "linken" Feindbilds avancierten die Kurden zu den Hauptfeinden der türkischen Nationalisten, welche im Übrigen eine tiefe Abneigung gegenüber allen nicht-türkischen Ethnien hegen. In diesem Sinne verfolgt die MHP eine Politik, die sich nicht davor scheut, Operationen im Nordirak gegen die Kurden zum Zweck der "legitimen Verteidigung" einzufordern.206 200 Der Legende nach führen die Türken ihren Ursprung auf den Wolf als Ahnherrn zurück, der zum nationalen Symbol des Türkentums stilisiert wurde. In der Symbolik der Nationalisten spielen der mit den Fingern der rechten Hand geformte "Wolfsgruß" und die Fahne mit den drei nach unten geöffneten Halbmonden (osmanische Kriegsflagge) eine Rolle. 201 Bereits in den 1960er Jahren in akademischen Kreisen entwickeltes Konzept einer Verknüpfung vorislamischer türkischer Komponenten mit islamischen und nationalen Elementen, wobei die nationale Komponente vorherrscht. 202 Angestrebte Vereinigung sämtlicher Turkvölker in einem großtürkischen Reich vom Balkan bis Zentralasien. 203 Nach dem Tode von TÜRKES beschloss die MHP, dass außer diesem niemand mit dem Titel eines "basbug" ausgezeichnet werden darf. 204 1917-1997. 205 Bezeichnung für angeblich nur zum Schein zum Islam konvertierte Juden. 206 In diesem Sinn äußerte sich der MHP-Vorsitzende Devlet BAHCELI am Rande des 16. Parteikongresses gegenüber Pressevertretern (Hürriyet vom 8. August 2005). 92 Islamismus/Ausländerextremismus Die Türkei selbst wurde 2005 von einer Welle des Nationalismus erfasst. Ende März hatten kurdische Jugendliche in Mersin am Tag des kurdischen Neujahrsfestes versucht, eine türkische Fahne in Brand zu stecken. Wenig später wurden Mitglieder eines "Solidaritätskomitees für inhaftierte Linke" in Trabzon beim Verteilen von Flugblättern desselben Vorhabens beschuldigt. Beide Vorfälle lösten heftige Reaktionen auf Seiten der Nationalisten aus, die schließlich in Versuchen von Lynchjustiz gipfelten. Der Schriftsteller Orhan Pamuk zog durch öffentliche Äußerungen zum bisher nicht aufgearbeiteten Massaker an den Armeniern den massiven Zorn der Nationalisten auf sich. Es wurden Ermittlungen gegen ihn eingeleitet, ein Landrat ordnete gar die Verbrennung sämtlicher Bücher Pamuks in seinem Amtsbezirk an. Adolf Hitlers "Mein Kampf", von verschiedenen türkischen Verlagen neu aufgelegt, verzeichnete 2005 in der Türkei einen zweifelhaften "Verkaufserfolg".207 Eine Person aus dem Umfeld der extremen Nationalisten verübte Anfang September 2005 einen Attentatsversuch auf Ministerpräsident Erdogan; die Ermittlungen ergaben als Tatmotiv eine Missbilligung von Äußerungen des Ministerpräsidenten zur Kurdenfrage.208 Einem möglichen EU-Beitritt der Türkei stehen die Nationalisten ablehnend gegenAblehnung eines über. In diesem Sinne empfahl der MHP-Parteivorsitzende Devlet türkischen BAHCELI, Nachfolger von TÜRKES in diesem Amt, dem türkischen MinisEU-Beitritts terpräsidenten, die laufenden Gespräche mit der EU nicht fortzusetzen. Am Vortag der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei protestierten in Ankara mehrere zehntausend Nationalisten. Die Selbsteinschätzung als "Idealisten", die durch einen bei Veranstaltungen geleisteten kämpferischen "Fahneneid" gestärkt wird, vermittelt den Anhängern die Überzeugung, sich für eine positive Sache einzusetzen. Es muss davon ausgegangen werden, dass aus der Sicht der "Idealisten" die angeführten Feindbilder auch außerhalb türkischen Territoriums zu bekämpfen sind. Durch die Zugehörigkeit zu einem Verein dieser Ausrichtung erscheint eine Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft gleichsam unmöglich, richten sich doch die Ziele der "Idealisten" nicht nur gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker, sondern sind gleichzeitig auch als antidemokratisch, antiliberal und antipluralistisch zu werten. 207 Schon vor Jahrzehnten hatte die MHP "Mein Kampf" übersetzen lassen und mit dem Vertrieb begonnen. Als Inhaber der Verwertungsrechte an dem Buch setzte sich der Freistaat Bayern über die deutsche Botschaft in Ankara für einen Stopp der weiteren Verbreitung ein. Künftig soll nach Angaben der dem Kultusministerium unterstehenden Copyright-Behörde in Ankara keine Genehmigung mehr für Neuauflagen erteilt werden. 208 Online-Ausgabe der Hürriyet vom 14. September 2005. 93 4.2 Linksextremisten 4.2.1 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) und "Türkische Volksbefreiungspartei-Front - Revolutionäre Linke" (THKP-C-Devrimci Sol) 4.2.1.1 Entstehungsgeschichte Die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) und die "Türkische Volksbefreiungspartei-Front - Revolutionäre Linke" (THKP-C-Devrimci Sol) haben ihren gemeinsamen Ursprung in der aus der "linken" Studentenbewegung hervorgegangenen, 1978 in der Türkei gegründeten "Devrimci Sol" (Dev Sol-Revolutionäre Linke). Nach einer Serie schwerster Straftaten wurde die "Devrimci Sol" bereits 1980 in der Türkei und am 27. Januar 1983 (bestandskräftig seit 1989) durch den Bundesminister des Innern in der Bundesrepublik Deutschland verboten. Trotz des Verbots blieben die Anhänger der "Devrimci Sol" aktiv. Im Jahre 1992 spalteten sie sich aufgrund interner Streitigkeiten in zwei konkurrierende Flügel, die sich seit 1994 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) und "Türkische Volksbefreiungspartei-Front - Revolutionäre Linke" (THKP-C-Devrimci Sol) nennen. Alternativ bezeichneten sich die beiden rivalisierenden Fraktionen auch nach ihren Führungsfunktionären Dursun KARATAS und dem im März 1993 in der Türkei von Sicherheitskräften erschossenen Bedri YAGAN als "KARATAS"beziehungsweise "YAGAN"-Flügel. In der Folgezeit kam es sowohl in Deutschland als auch im benachbarten Ausland immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gruppierungen. Am 13. August 1998 erließ daher der Bundesminister des Innern gegen die THKP-C ein Betätigungsverbot. Die DHKP-C bewertete er zeitgleich als Ersatzorganisation der 1983 verbotenen "Devrimci Sol" und bezog sie in das frühere Verbot mit ein. Die in Baden-Württemberg inaktive THKP-C entwickelte im Jahr 2005 kaum noch öffentliche Aktivitäten und verlor weiter an Bedeutung. Daher wird im Folgenden ausschließlich auf die DHKP-C eingegangen. 94 Islamismus/Ausländerextremismus 4.2.1.2 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Gründung: 30. März 1994 in Damaskus/Syrien nach Spaltung der 1978 in der Türkei gegründeten "Devrimci Sol" (Dev Sol - Revolutionäre Linke), Verbot in Deutschland seit 13. August 1998 Leitung: Funktionärsgruppe um den Vorsitzenden Generalsekretär Dursun KARATAS Mitglieder: ca. 80 Baden-Württemberg (2004: ca. 80) ca. 650 Bund (2004: ca. 650) Publikationen:"DEVRIMCI SOL" (Revolutionäre Linke) "Ekmek ve Adalet" (Brot und Gerechtigkeit) bis 15. Mai 2005 Revolutionäre Zielsetzung Die ideologische Zielsetzung der marxistisch-leninistisch orientierten DHKP-C lässt sich ihrem Programm entnehmen. Dieses wurde 1995 auch in deutscher Sprache unter dem Titel "Das Programm Der Revolutionären Volksbefreiungspartei - Errichten Wir Die Volksmacht"209 herausgegeben. Als die "Feinde des Volkes" werden neben der "faschistischen" Türkei "zuallererst der US-Imperialismus und alle imperialistischen Kräfte" wie besonders die Bundesrepublik Deutschland benannt. Zur Bekämpfung dieser "Feinde" bedient sich die DHKP-C in der Türkei auch terroristischer Methoden. Zahlreiche Anschläge in der Vergangenheit, Militanz vor allem in den Großstädten der Türkei, gegen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie gegen militärische und andere staatliche Einrichtungen gehen auf das Konto der DHKP-C. Struktur Die Bundesrepublik Deutschland ist nach der Türkei wegen der Vielzahl der hier lebenden Türken und deren relativen Wohlstands das wichtigste Betätigungsfeld der DHKP-C. Im Bundesgebiet bestehen fest gefügte Organisationsstrukturen. Zur Führung zählen neben dem Deutschlandverantwortlichen und dessen Vertretern die Regionsund Gebietsverantwortlichen sowie weitere, mit Sonderaufgaben betraute Funktionäre wie die Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit. Die Deutschlandorganisation ist zwar dem Zentralkomitee der DHKP-C gegenüber für die Ausführung der von dort geplanten und angeordneten Maßnahmen und Aktionen verantwortlich, durch die der "Kampf" in der Türkei unterstützt werden soll, die 209 Hier und im Folgenden: Übernahme wie im Original. 95 konkrete Umsetzung obliegt jedoch den Führungskadern der Deutschlandorganisation. Funktionäre und Mitglieder der DHKP-C verhalten sich ausgesprochen konspirativ, d.h. sie verwenden Decknamen und wechseln häufig ihren Aufenthaltsort. Als örtliche oder regionale Basis dienen DHKP-C-nahe Vereine, deren Satzungen keinen Rückschluss auf die Organisation zulassen. Tätigkeitsschwerpunkte in Baden-Württemberg liegen neben Stuttgart in Ulm und Mannheim. Finanzierung Die DHKP-C finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spendengeldsammlungen, den Verkauf von Publikationen sowie durch Einnahmen aus Musikund anderen Veranstaltungen. Wie in den vergangenen Jahren konnte das Ziel der jährlichen Spendenkampagne auch 2005 bei weitem nicht erreicht werden. Medieneinsatz Neben den regelmäßig erscheinenden Publikationen nutzt die DHKP-C intensiver als die anderen linksextremistischen ausländischen Organisationen das Internet für Aufrufe und politische Erklärungen. Sie verfügt über eine mehrsprachige Homepage. Website des militärischen Arms der DHKP-C Publikationen Vom 25. März 2002 bis 15. Mai 2005 erschien in der Nachfolge der verbotenen "VATAN" (Heimat), die wiederum als Nachfolgepublikation der "KURTULUS" (Befreiung) gilt, monatlich die Zeitschrift "Ekmek ve Adalet" (Brot und Gerechtigkeit). "VATAN" und "KURTULUS" sind beide als Publikationsorgane der DHKP-C von dem auf die DHKP-C erstreckten Verbot der "Devrimci Sol" betroffen. Das Landgericht (LG) Bamberg stellte mit rechtskräftigem Urteil vom 11. Januar 2005 fest, dass es sich bei der "Ekmek ve Adalet" um die Nachfolgepublikation der "VATAN" und somit um eine Publikation der DHKP-C 96 Islamismus/Ausländerextremismus handelt.210 Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte das Urteil und merkte an, dass schon das Bereithalten der Zeitschrift zum Verteilen als mitgliedschaftliche Betätigung in einem verbotenen Verein gewertet wird211. Wahrscheinlich als Folge dieses Urteils des LG Bamberg stellte die "Ekmek ve Adalet" nach Veröffentlichung der 158. Ausgabe ihr Erscheinen ein. Ab dem 22. Mai 2005 wurde für Europa eine neue wöchentliche Zeitschrift mit dem Namen "YÜRÜYÜS" (Demonstration, Marsch) herausgegeben. "Todesfasten" Beherrschendes Agitationsund Kampagnenthema der DHKP-C blieb der im Oktober 2000 in türkischen Haftanstalten begonnene Hungerstreik, der sich gegen neue Gefängnisse, insbesondere des F-Typs212, und damit einhergehend gegen die Haftbedingungen richtete. Während das so genannte Todesfasten von anderen, am Hungerstreik beteiligten türkischen linksextremistischen Organisationen am 28. Mai 2002 beendet wurde, entschlossen sich die Gefangenen der DHKP-C zu seiner Fortsetzung. In der "Ekmek ve Adalet" erschien eine Erklärung der "Todesfastenden" mit massiver Kritik am Verhalten der anderen Gruppierungen: "Wir werden mit dem Widerstand weitermachen. Der Widerstand wird lange dauern (...) Dieser Weg ist ein Widerstand, der nach dem Motto 'Entweder Sieg oder der Tod' gegangen wird (...) Die Opfer können noch mehr werden, das nehmen wir in Kauf."213 Anlässlich des Jahrestages des Hungerstreiks in türkischen Gefängnissen sowie zum Gedenken an die bislang rund 120 "Gefallenen" veranstalteten das "TAYAD-Komitee e.V."214 beziehungsweise ihm nahe stehende Vereine 210 Az.: 2 KLs 108 Js 1808/2004. 211 Beschluss des BGH vom 17. Mai 2005, Az.: 3 StR 139/05. 212 Gefängnistyp, der überwiegend aus Einzelzellen und kleinen Gemeinschaftszellen besteht. 213 "Ekmek ve Adalet" Nr. 11 vom 3. Juni 2002. 214 Das "TAYAD-Komitee e.V." ist eine thematisch der DHKP-C nahe stehende Organisation. 97 am 20. Oktober 2005 zwei Demonstrationen vor dem Landtagsgebäude in Düsseldorf und in unmittelbarer Nähe des Reichtages in Berlin. Eine ursprünglich für den gleichen Tag vorgesehene Demonstration in Stuttgart wurde kurzfristig auf den 21. Oktober verlegt und fand dann in der Nähe des baden-württembergischen Landtags statt. Anschläge Seit 2003 verübte die DHKP-C durch die "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" (DHKC), ihren militärischen Arm, in der Türkei mehrere Sprengstoffanschläge. Zuletzt übernahm die DHKP-C die Verantwortung für einen offensichtlich missglückten Sprengstoffanschlag am 1. Juli 2005 in Ankara, bei dem ein Mitglied der DHKP-C mit einer Bombe in das Justizministerium gelangen wollte. Türkische Polizeikräfte erschossen den Attentäter auf seiner Flucht. Sicherheitsmaßnahmen Aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Karlsruhe hatte am 5. August 2004 die Polizei ein Zeltlager mutmaßlicher DHKP-C-Anhänger auf einem Campingplatz in Eberbach/Rhein-Neckar-Kreis durchsucht.215 Veranstalter des Sommerlagers war die DHKP-C-nahe "Anatolische Föderation e.V." Köln. Bei der Durchsuchung des Zeltlagers und der mitgeführten Kraftfahrzeuge wurde umfangreiches DHKP-C-Propagandamaterial aufgefunden. aufgrund Mehrere, aus dieser Aktion resultierende Verfahren waren im Jahr 2005 Fahndungsdrucks noch rechtshängig. Ausweichen nach Frankreich Offenbar um neuerlichen polizeilichen Maßnahmen zu entgehen, wählte man für 2005 einen Veranstaltungsort in Frankreich. Dort in Boofzheim fand das alljährliche Familienund Jugendcamp der "Anatolischen Föderation e.V." vom 6. bis 12. August 2005 mit überproportionaler Beteiligung von DHKP-C-Sympathisanten aus Baden-Württemberg statt. Seit der Erstreckung des Verbots der "Devrimci Sol" auf die DHKP-C ist bei dieser Organisation eine Verlagerung ihrer Aktivitäten in Nachbarländer zu beobachten. Dennoch bleibt Deutschland aufgrund der hier lebenden rund 1,8 Millionen Landsleute das nach der Türkei wichtigste Betätigungsfeld der DHKP-C. 215 Siehe Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2004, S. 88f. 98 Islamismus/Ausländerextremismus 4.2.2 "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) Gründung: 1972 (in der Türkei) TÜRKISCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI/ Mitglieder: ca. 320 Baden-Württemberg (2004: ca. 320) MARXISTEN-LENINISTEN (TKP/M-L) ca. 1.400 Bund (2004: ca. 1.400) Die Organisation ist in die folgenden Flügel gespalten: "Partizan" (im schriftlichen Sprachgebrauch "TKP/ML" abgekürzt) Leitung: Funktionärsgruppe Anhänger: ca. 120 (in Baden-Württemberg) Militärische "Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" Teilorgani(TIKKO); verübt in der Türkei Guerillaaktionen sation: Publikation: "Yeni Demokrasi Yolunda Isci Köylü" (Arbeiter und Bauern auf dem Weg der neuen Demokratie) und "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP) (bis Ende 2002 "Ostanatolisches Gebietskomitee" - DABK - im schriftlichen Sprachgebrauch "TKP(ML)" abgekürzt) Leitung: Funktionärsgruppe Anhänger: ca. 200 (in Baden-Württemberg) Militärische "Volksbefreiungsarmee" (HKO); Teilorganiverübt in der Türkei Guerillaktionen sation: Publikation: "Halk Icin Devrimci Demokrasi" (Revolutionäre Demokratie für das Volk) Seit 1994 ist die von Ibrahim KAYPAKKAYA 1972 gegründete, in der Türkei verbotene TKP/ML in zwei miteinander konkurrierende Fraktionen getrennte Wege gespalten. In ihrer Schreibweise unterschieden sich die beiden Flügel der beiden Flügel zunächst nur geringfügig: TKP/ML für den Partizanund TKP(ML) für den DABK-Flügel. Letzterer benannte sich auf seinem 1. Kongress216 in MKP um. Aber auch diese Umbenennung brachte bis heute keine wesentliche Neuausrichtung in ideologischer Hinsicht. In ihrer Denkweise auf den von KAYPAKKAYA propagierten Marxismus-Leninismus mit maoistischen Elementen gestützt, zielen beide Parteien auf die gewaltsame Zerschlagung des türkischen Staates und die Errichtung einer "demokratischen Volksregierung". Zur Umsetzung dieses Ziels unterhalten die Gruppierungen jeweils eigene Guerillaeinheiten, die in der Türkei terroristische Anschläge ver216 Der 1. Kongress wurde im Herbst 2002 in der Region Dersim in Ostanatolien/Türkei durchgeführt. 99 üben. Die alljährlich im Herbst stattfindenden Spendenkampagnen beider Organisationen dienen vorwiegend der eigenen Stärkung und Konsolidierung und der Finanzierung des Guerillakriegs in der Türkei. Nach wie vor werden die Anhänger beider Gruppierungen bei der Durchführung von Veranstaltungen, Demonstrationen und sonstigen Aktionen in Europa und in Deutschland propagandistisch von ihren offen arbeitenden Basisorganisationen unterstützt. Bei der TKP/ML-Partizan handelt es sich dabei um die "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V." (ATIF) in Deutschland und deren Dachorganisation auf Europaebene "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" (ATIK); bei der MKP haben nach wie vor die sich schon früher für den DABK-Flügel engagierende "Föderation für demokratische Rechte in Deutschland" (ADHF) und die "Konföderation für demokratische Rechte in Europa" (ADHK) die entsprechende Funktion. Wie in den vergangenen Jahren führten beide Gruppierungen Gedenkveranstaltungen zu Ehren des Parteigründers der TKP/ML oder getöteter "Märtyrer" durch: In Ludwigsburg organisierte die MKP am 21. Mai 2005 unter dem "Märtyrer"Motto "Lasst uns teilnehmen an den Gedenkveranstaltungen anlässGedenkverlich des 32. Jahrestages der Unsterblichkeit des kommunistischen anstaltungen Führers Ibrahim Kaypakkaya!" eine von vier Saalveranstaltungen mit etwa 1.000 Teilnehmern. Ebenfalls zum Gedenken an den 32. Todestag von KAYPAKKAYA führte die TKP/ML-Partizan am 14. Mai 2005 in der Friedrich-Ebert-Halle in Ludwigshafen eine Saalveranstaltung durch. Daran nahmen ca. 3.000 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet und der Schweiz, aus Österreich, Frankreich, Holland und Belgien teil. Unter dem Motto "Wir verurteilen die Ermordung der 17 MKPRevolutionäre"217 riefen unter anderem die ADHF, die "Föderation 217 Am 16./17. Juni 2005 wurden bei Gefechten mit türkischen Sicherheitskräften 17 Aktivisten und Funktionäre der MKP getötet. 100 Islamismus/Ausländerextremismus der Arbeiter und Immigranten aus der Türkei in Deutschland e. V." (AGIF) und die ATIF mit einem Flugblatt zu einer Demonstration am 2. Juli 2005 vor dem Türkischen Generalkonsulat in Stuttgart auf. Die Atmosphäre unter den anfänglich ca. 200 Teilnehmern der Auftaktkundgebung war emotional sehr stark aufgeheizt. Nur aufgrund der auf Deeskalation ausgerichteten Haltung der baden-württembergischen Polizei kam es zu keinen Konfrontationen. Die Abschlusskundgebung fand mit etwa 500 Teilnehmern auf dem Stuttgarter Marktplatz statt. Am 3. Juli 2005 führte man im Veranstaltungssaal "Altes Theater" in Ulm eine Gedenkveranstaltung ebenfalls zu Ehren der getöteten 17 MKP-Angehörigen durch. In deren Verlauf wurden den ca. 270 Teilnehmern die Biographien der "Märtyrer" verlesen. Ein weiteres beherrschendes Thema, das den hohen Stellenwert der Solidarität in der linken türkischen Szene zeigte, war das Verbot der "E. Xani Presseund VerlagsGmbH" als Herausgeberin der Tageszeitung "Özgür Politika".218 So versammelten sich am 9. September 2005 ca. 80 Personen zu einer Protestkundgebung vor dem Türkischen Generalkonsulat in Stuttgart. 4.2.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) Gründung: 1994 (in der Türkei) Anhänger: ca. 245 Baden-Württemberg (2004: ca. 245) ca. 600 Bund (2004: ca. 600) Publikationen:"Atilim" (Angriff); erscheint wöchentlich "Partinin Sesi" (Stimme der Partei); erscheint zweimonatlich Die MLKP wurde im September 1994 auf einem Einheitskongress durch den Zusammenschluss der "Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML-Hareketi) und der "Türkischen Kommunistischen Arbeiterbewegung" (TKIH) gegründet. Ideologisch bekennt sie sich zum revolutionären Marxismus-Leninismus. Erklärtes Ziel der Organisation ist es, das türkische Staatsgefüge durch eine gewaltsame Revolution zu beseitigen und auf dem Weg zum Kommunismus eine Diktatur des Proletariats zu errichten. In der Türkei gilt sie als eine illegale Organisation, die den dortigen Straftatbestand der "bewaffneten Bande" erfüllt. 218 Vgl. S. 90. 101 Um ihre Anhänger und Sympathisanten mit Informationen zu versorgen, publizieren die MLKP und die ihr nahe stehende "Föderation der Arbeiter und Immigranten aus der Türkei in Deutschland e. V." (AGIF) regelmäßig Artikel in der politischen Wochenzeitung "Atilim" (Angriff). Darüber hinaus veröffentlicht diese Zeitung auf ihrer Homepage Erklärungen der genannten Organisationen mit dem Zusatz "Auf elektronischem Wege haben wir erhalten". Ein weiteres Organ zur Veröffentlichung von Botschaften ist die zweimonatlich erscheinende "Partinin Sesi" (Stimme der Partei). In der Türkei werden die "Fakirlerin ve Ezilenlerin Silahli Kurvetleri" (F.E.S.K.)219 von den türkischen Sicherheitsbehörden als bewaffneter Arm der MLKP angesehen. Diese Guerillaorganisation verübte in den letzten Jahren zunehmend mehr Anschläge in der Türkei. Auch im Jahr 2005 beschränkten sich die Aktivitäten der MLKP und der AGIF in Deutschland weitgehend auf die Teilnahme an Demonstrationen, das Betreiben von Infoständen und das Verbreiten von Flugblättern. Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Durchführung von Kulturveranstaltungen, deren Erlös ebenso wie die Einnahmen aus den jährlichen Spendenaktionen überwiegend der Finanzierung des Parteiapparats dienen. In Baden-Württemberg traten die Unterstützer der MLKP unter anderem mit folgenden Aktionen öffentlich in Erscheinung: Aktionen in BadenAnlässlich des Weltfrauentags führte der Ulmer AGIF-Verein am Württemberg 8. März 2005 in der dortigen Innenstadt einen Aufzug mit Abschlusskundgebung durch. An der unter dem Motto "Am 8. März für Freiheit kämpfen! Nein zur imperialistischen Besatzung, Rassismus und zum Sozialraub!220" stehenden Veranstaltung nahmen ca. 50 Personen teil. neuer Am 14. Juli 2005 verteilten Anhänger der 2005 in Brüssel auf euroDachverband päischer Ebene neu gegründeten "Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa" (AvEG-Kon) auf der Stuttgarter Königstraße eine unter dem Motto "Für einen einheitlichen Kampf gegen Sozialabbau und Rassismus!" stehende Broschüre. Diese wurde 219 Deutsch: "Bewaffnete Einheiten der Armen und Unterdrückten". 220 Übernahme wie im Original. 102 Islamismus/Ausländerextremismus auch im Verlauf einer Montagsdemonstration in Mannheim am 6. Juni 2005 verteilt. In einem Internet-Beitrag221 wurde die AvEG-Kon als Dachverband bezeichnet. Für eine Kontaktaufnahme nutzt sie die Adresse des Stuttgarter AGIF-Vereins. Am 18. April 2005 wurde anlässlich der Montagsdemonstration in Mannheim ein Flugblatt des MLKP-Auslandskomitees zum Thema "Am 1. Mai gegen imperialistische Besetzung, Rassismus und Sozialkahlschlag auf die Straße!" verteilt. Mitglieder des Stuttgarter AGIF-Vereins verbreiteten am 1. September 2005 auf dem Schlossplatz in Stuttgart ein Faltblatt, das sich u. a. mit dem Thema "Für das Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft!" befasste und mit dem Tenor "Für die Zerschlagung aller faschistischen Organisationen!" endete. 5. Volksgruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien und ethnische Albaner In Baden-Württemberg agierten im Jahr 2005 Aktivisten folgender extremistischer kosovo-albanischer Emigrantenorganisationen: "Nationaldemokratische Liga der Albanischen Treue" (B.K.D.SH) Diese extrem nationalistische, 1997 im Kosovo gegründete Organisation mit jetzigem Sitz in Donzdorf/Krs. Göppingen, entfaltete im Jahr 2005 keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten. Abgesehen von internen Treffen und der Organisation einer überregionalen Feier anlässlich des albanischen Nationalfeiertags (28.11.: "Tag der Fahne") am 27. November 2005 in Stuttgart wurden keine Veranstaltungen bekannt. Die etwa 20 Mitglieder (Bund: 40) umfassende Vereinigung verfügt über keine arbeitsfähigen Strukturen mehr. Bemühungen einzelner Führungsfunktionäre, die Organisation zu reaktivieren - bei den letzten Parlamentswahlen am 24. Oktober 2004 im Kosovo hatte sie nur noch in einem Wahlkreis kandidiert - scheiterten bisher hauptsächlich am politischen Desinteresse der Mitglieder. "Volksbewegung von Kosovo" (LPK) Die linksextremistische LPK verfügt in Baden-Württemberg lediglich über Reststrukturen. Die Bemühungen einzelner Funktionäre, ihre Organisation 221 Internetauswertung vom 7. Dezember 2005. 103 neu zu strukturieren, scheiterten einerseits an Kompetenzrangeleien unter den Führungsfunktionären in Deutschland, andererseits am mangelnden Interesse der Parteizentrale im Kosovo an der politischen Arbeit ihrer in der Diaspora lebenden Aktivisten. Zwar gab es hierzu Sondierungsgespräche, diese sollen aber auf Grund starrer Statuten sowie der Wahrung von Eigeninteressen einzelner Parteifunktionäre bisher nicht erfolgreich gewesen sein. Die in Baden-Württemberg lebenden Aktivisten (ca. 20, Bund: 140) beteiVeranstaltungen ligten sich dennoch auch an überregionalen Veranstaltungen ihrer Vereinigung, hauptsächlich in Bayern. In Baden-Württemberg nahmen sie regelmäßig an Gedenkveranstaltungen teil, so beispielsweise am 15. Januar 2005 in Stuttgart anlässlich einer Feier zum Gedenken an die Ermordung dreier Gesinnungsgenossen am 17. Januar 1982 in Untergruppenbach/Krs. Heilbronn und am 8. Mai 2005 zu Ehren gefallener "UCK-Helden", ebenfalls in Stuttgart. Hardliner innerhalb dieses Personenkreises sympathisieren auch mit den politischen Zielen der "Front für die Nationale Albanische Vereinigung" (FBKSH). "Front für die Nationale Albanische Vereinigung" (FBKSH) Die FBKSH ist der politische Flügel der vor allem in Mazedonien operierenden "Albanischen Nationalarmee" (AKSH). Deren Ziel ist es, ein "Großalbanien" durch Vereinigung aller albanischen Siedlungsgebiete und damit Teilen von Nordgriechenlands (Cameria), Mazedonien, Südserbien, Montenegro und Albanien zu schaffen. Anhänger der LPK sowie andere Propagandisten eines Großalbaniens beobachteten die politische Entwicklung in den von Albanern besiedelten Gebieten in Südserbien und Mazedonien mit aufmerksamem Interesse. Sie unterstützten zumindest ideologisch, teilweise aber auch finanziell die Ziele dieser Organisation und somit die bewaffneten Einheiten. Seit der im Juni 2004 erfolgten Auslieferung ihres politischen Sekretärs Idajet BEQIRI222 nach Albanien fehlt den in Deutschland, aber auch in den benachbarten Ländern (Schweiz, Österreich und Belgien) lebenden Anhängern der Vereinigung die politische Leitfigur. Einhergehend mit einer gewissen Verunsicherung über das konsequente Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen Aktivisten der FBKSH auch in anderen Ländern wurden in Deutschland keine öffentlichen Informationsveranstaltungen mehr organisiert. Funktionäre trafen sich konspirativ von der Öffentlichkeit abgeschottet in kleinen Zirkeln, unter anderem auch im Raum Heidelberg. 222 BEQIRI wurde auf Grund eines internationalen Haftbefehls am 15. Dezember 2003 in Konstanz festgenommen. Ein Gericht in Tirana/Albanien verurteilte ihn im Juli 2004 unter Anrechnung seiner in der Auslieferungshaft verbrachten Haftzeit zu 18 Monaten Gefängnis wegen Anstachelung zu ethnischem Hass. 104 Islamismus/Ausländerextremismus Durch eine Veröffentlichung eines Berichtes im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" wurde bekannt, dass Parteien im Kosovo eigene Nachrichteneigene beziehungsweise Sicherheitsdienste unterhalten.223 Dabei handelt es sich Nachrichtenum den "Dienst" der "Demokratischen Liga von Kosovo" (LDK), "Sigurimi dienste i Atdheut" (Sicherheit für die Heimat), und den "Sherbimi Informateti Kosoves" - SHIK (Informationsdienst des Kosovo) der "Demokratischen Partei von Kosovo" (PDK).224 Bereits im Jahr 2003 hatten kosovo-albanische Publikationen über einen neuen parteiinternen Nachrichtendienst unter der Bezeichnung "Sigurimi i Atdheut" berichtet. Anlässlich der damaligen Ermordung eines ehemaligen Kommandeurs der "Bewaffneten Kräfte des Kosovos" (FARK)225 im Kosovo wurde ein Kommunique dieses "Dienstes" veröffentlicht. Beide Institutionen beschuldigen sich gegenseitig, für eine Reihe politisch motivierter Morde unter anderem auch im Jahre 2005 im Kosovo verantwortlich zu sein. Aktivisten beider "Dienste" konnten in Baden-Württemberg lokalisiert werden. Sie sind bisher jedoch nicht durch öffentliche Aktionen in Erscheinung getreten sind. 6. Sikh-Organisationen "Babbar Khalsa International" (BK) Gründung: 1978 in Indien Sitz: derzeit unbekannt Mitglieder: ca. 50 Baden-Württemberg (2004: 30) ca. 200 Bund (2004: 200) "International Sikh Youth Federation" (ISYF) Gründung: 1984 als weltweite Auslandsorganisation der "All India Sikh Student Federation" (AISSF) 1985 Gründung der "Deutschen Sektion der ISYF" in Frankfurt am Main Sitz: Frankfurt am Main Mitglieder: ca. 100 Baden-Württemberg (2004: 80) ca. 600 Bund (2004: 600) 223 "Der Spiegel" Ausgabe 22/2005 vom 30. Mai 2005. 224 Die PDK ist eine der größten Parteien im Kosovo. Sie unterhält im Ausland Sektionen und ist wie die LDK kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden. 225 Die FARK wurden im Kosovokrieg auf Initiative der damaligen "Regierungspartei", der LDK, von Ibrahim Rugova und mit finanzieller Unterstützung des damals im Exil in Deutschland lebenden Ministerpräsidenten Dr. Buja Bukoshi ins Leben gerufen. 105 "Kamagata Maru Dal International" (KMDI) Gründung: 1997 als "Internationale Kamagatamaru Partei" in San Francisco/USA 1998 Zweigorganisation in Baden-Württemberg Sitz: vermutlich München Mitglieder: ca. 20 Baden-Württemberg (2004 noch Funktionärsgruppe) ca. 40 Bund (2004: 50) Seit den 1980er Jahren kämpfen im indischen Teil des Pandschab verschiedene und miteinander konkurrierende militante Sikh-Organisationen für einen unabhängigen Staat namens "Khalistan"226. Anschläge Am 22. Mai 2005 wurden Bombenanschläge auf zwei Kinos in Neu-Delhi in Indien verübt, bei denen ein Mensch starb und mindestens siebzig verletzt wurden. Die Kinos hatten einen Film ausgestrahlt, in dem angeblich respektlos mit dem Sikhismus umgegangen wird.227 Die mutmaßlichen Täter sollen Mitglieder der "Babbar Khalsa" (BK) sein, einer auch von der Europäischen Union (EU) als terroristisch eingestuften Organisation.228 Im Juni 2005 wurde der Vorsitzende der im indischen Parlament vertretenen Partei "Akali Dal", Simranjit Singh Mann, wegen einer angeblich aufrührerischen "pro-Khalistan"-Rede festgenommen. Er selbst ist Angehöriger der Sikh-Religion und für viele Sikhs ein Hoffnungsträger. Seine Festnahme und die allgemeine Situation im Pandschab standen auch im Mittelpunkt des Interesses bei den im Ausland lebenden Sikhs, deren traditionelle Aufenthaltsländer Kanada, die USA, Großbritannien und Frankreich sind. Von den in Deutschland lebenden Sikhs sind ca. 850 in extremistische Organisationen eingebunden, vorwiegend in die bereits genannte "Babbar Khalsa International"229 (BK) und die "International Sikh Youth Federation" (ISYF), die von der EU ebenfalls als terroristisch eingestuft ist.230 Das religiöse und kulturelle Leben der Sikhs spielt sich in ihren Tempeln, den "Gurdwaras" ab. Diese dienen aber auch dem Informationsaustausch über die Geschehnisse in der Heimat und als Ort des Gedenkens an die 226 "Land der Reinen". 227 Hierbei handelt es sich um den Film "Jo Bole So Nihaal" ("Gesegnet ist, wer Gott ruft"). Konservative Gläubige sollen sich unter anderem daran gestört haben, dass der Titel des Films Bestandteil einer religiösen Formel der Sikhs ist (vgl. URL: http://www.suedasien.net/news/2005/mai/delhi_cinema_blast.htm, Stand: 31. Oktober 2005). 228 Amtsblatt der Europäischen Union L 99 vom 3. April 2004. 229 Der Zusatz "International" wird von der "Babbar Khalsa" für die Auslandsorganisation verwendet. 230 Amtsblatt der Europäischen Union L 99 vom 3. April 2004. 106 Islamismus/Ausländerextremismus "Märtyrer" des Kampfes für "Khalistan". Die extremistischen Organisationen sind stets bemüht, diese Einrichtungen durch Besetzung wichtiger Posten mit Personen aus ihren eigenen Reihen zu kontrollieren, um sie anschließend für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. In Baden-Württemberg bestehen Sikh-Tempel in den Städten Stuttgart, Mannheim und politisch aktive Tübingen.231 Diese werden auch von extremistischen Sikhs genutzt, die bisSikhs in Badenlang jedoch keinen beherrschenden Einfluss erlangen konnten. Ihr HauptWürttemberg interesse gilt dem Zugriff auf die Tempelvermögen und der Spendenbereitschaft der Sikhs. Regelmäßig rufen sie zu Spenden für den Unabhängigkeitskampf und für die Hinterbliebenen der "Märtyrer" auf. Anhänger extremistischer Sikh-Organisationen sind in Baden-Württemberg in den Großräumen Stuttgart und Mannheim sowie in den Landkreisen Reutlingen, Tübingen, Sigmaringen und Zollernalb ansässig. Anhänger der ISYF232 und BK aus Baden-Württemberg beteiligten sich beispielsweise wie bereits in den Jahren zuvor auch im Jahr 2005 an den zentralen Protestkundgebungen gegen die indische Regierung in Frankfurt am Main am 26. Januar 2005 (indischer Nationalfeiertag) und am 13. August 2005 (indischer Unabhängigkeitstag). Bei diesen Veranstaltungen betonten Redner die Notwendigkeit der Fortsetzung des Kampfes für "Khalistan" und warben um die Unterstützung der Kämpfergruppen. Über die Situation in Indien und über im Ausland stattfindende Aktivitäten informieren sich die Sikhs unter anderem anhand der wöchentlich erscheinenden, pandschabisprachigen Zeitung "Des Pardes". Sie wird in Großbritannien herausgegeben und bietet auch den extremistischen Organisationen eine Plattform für ihre Botschaften. Dagegen wird das Internet von den hier genannten Sikh-Organisationen bislang nicht für Propagandazwecke genutzt. 7. "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) Gründung: 1972 auf Sri Lanka als "Tamil New Tigers" (TNT) 1976 Umbenennung in LTTE Sitz: Oberhausen/Nordrhein-Westfalen (Deutsche Sektion) Mitglieder: ca. 110 Baden-Württemberg (2004: 80) ca. 800 Bund (2004: 750) Die "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) kämpfen seit den 1970er Jahren unter der Führung von Vellupillai PRABHAKARAN mit Waffenge231 Die bedeutendsten Tempel Deutschlands befinden sich in den Städten Köln und Frankfurt. 232 In Baden-Württemberg ist die ISYF in mehrere Fraktionen gespalten. 107 walt für einen eigenständigen und unabhängigen Staat "Tamil Eelam" im mehrheitlich von Tamilen bewohnten Norden Sri Lankas. Am 12. August 2005 wurde der Außenminister Sri Lankas, Laksham KadirGewalt in gamar, auf seinem Anwesen von Scharfschützen ermordet. Kadirgamar war Sri Lanka trotz seiner Zugehörigkeit zur tamilischen Volksgruppe für seine restriktive Haltung gegenüber den LTTE bekannt, weshalb diese auch umgehend für die Tat verantwortlich gemacht wurden. Die sri-lankische Regierung reagierte mit der Ausrufung des Ausnahmezustandes auf die Ermordung Kadirgamars. Die Europäische Union (EU) erklärte am 29. September 2005, dass sie neben der "anhaltenden Gewaltausübung und dem Terrorismus" auch die Rekrutierung von Kindersoldaten durch die LTTE sowie die Ermordung Kadirgamars verurteilt. Als Sanktionsmaßnahme gab sie bekannt, dass auf EU-Ebene keine LTTE-Delegation mehr empfangen werde.233 Am 17. November 2005 wählte das sri-lankische Volk unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen den singhalesischen Nationalisten Mahinda Rajapakse von der linksgerichteten "Sri Lanka Freedom Party" (SLFP) zu seinem neuen Präsidenten.234 Dieser hatte sich in der Vergangenheit für ein hartes Vorgehen gegen die LTTE und für einen singhalesisch dominierten Einheitsstaat ausgesprochen. Auf die Wahl Rajapakses zum neuen Präsidenten ging der LTTE-Führer PRABHAKARAN in seiner jährlichen Ansprache zum "Hero's Day"235 am 27. November 2005 ein. PRABHAKARAN richtete sich mit folgenden Worten an Rajapakse: "Dies ist unser dringender und letzter Appell. Falls die neue Regierung unseren dringenden Appell ablehnt, werden wir im nächsten Jahr, in Solidarität mit unserem Volk, unseren Kampf für Selbstbestimmung und unseren Kampf für nationale Freiheit intensivieren, um die Selbstverwaltung in unserem Heimatland herzustellen."236 Macht Im Norden des Landes rückten die LTTE nicht von ihrem Machtanspruch der LTTE ab, sondern bauten ihre Kontrollmechanismen weiter aus. So erhoben sie von einreisenden Tamilen Zölle für mitgebrachte Waren oder verwehrten ihnen sogar die Einreise, falls eine erforderliche Abgabe ("Steuer") nicht 233 EU-Erklärung zur Verurteilung der Aktionen der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) vom 29. September 2005. 234 Im Vorfeld der Wahlen war Rajapakse ein Wahlbündnis mit der JVP und einer ultranationalistischen Partei buddhistischer Mönche eingegangen, die beide eine harte Linie gegen die LTTE vertreten. 235 An diesem Tag wird des ersten von Regierungssoldaten getöteten LTTE-Kämpfers gedacht. 236 LTTE-Website vom 29. November 2005; hier: Arbeitsübersetzung des Landesamts für Verfassungsschutz aus dem Englischen. 108 Islamismus/Ausländerextremismus bezahlt oder kein gültiges "Visum" vorhanden war. Um dies überprüfen zu können, waren die LTTE auch 2005 bestrebt, die weltweit verstreut lebenden Tamilen systematisch zu erfassen. Um den Zusammenhalt der in der Diaspora lebenden Tamilen zu stärken und diese gleichzeitig an die Heimat beziehungsweise an die Organisation Wirken in der zu binden, unterhalten die LTTE mehrere Unterorganisationen. Vor allem Diaspora investieren sie viel Energie in die Jugendarbeit und in das Sammeln von Spendengeldern, welche zumindest teilweise in die Aufrechterhaltung der Kampfbereitschaft fließen. Aus diesem Grund beschloss die britische Regierung am 10. August 2005, der "Tamil Rehabilitation Organisation" (TRO) den Status einer karitativen Organisation zu entziehen. Welchen Einfluss die LTTE auf die tamilische Diasporagemeinschaft haben, zeigte unter anderem die Anzahl der Teilnehmer an einer Großdemonstration gegen die bereits zitierte EU-Erklärung am 24. Oktober 2005 in Brüssel. Der Aufforderung von LTTE-Funktionären, sich an dieser Aktion zu beteiligen, leisteten an die 10.000 in Europa lebende Tamilen Folge. Aus den Regionen Heidelberg/Mannheim, Karlsruhe und Stuttgart konnten mehrere Hundert Personen mobilisiert werden, um sich mit den LTTE solidarisch zu zeigen. Das Internet wird von extremistischen Tamilen intensiv für die eigenen Zwecke genutzt. Eine Auswertung der zumeist mehrsprachigen Seiten ergab, dass sich die Inhalte je nach Sprache unterscheiden. Während in den tamilischen Beiträgen ein viel aggressiverer Ton anschlagen wird und die wahren Absichten konkreter zum Vorschein kommen, sind die deutschen Texte eher zurückhaltend und intensive allgemeiner verfasst. Neben dem Internet wird auch das Medium Fernsehen Nutzung der von den LTTE weiterhin stark genutzt, um unter anderem gezielt zu SpenMedien den aufzurufen. Im Jahr 2005 kam das "National Television of Tamil Eelam" (NTT) neu hinzu. Seine Nachrichtenblöcke werden in das Programm des bereits bestehenden "Tamil Television Network" (TTN) integriert. Tamilische Einzelpersonen und kleinere Zirkel stellten sich erstmals offen gegen die LTTE und sprachen sich für einen Dialog mit den unterschiedlichen Volksund Religionsgruppen auf Sri Lanka aus. Einige dieser Kritiker, die auch als "Anti-Tiger" bezeichnet werden, organisierten am 17. Juli 2005 in Stuttgart eine Veranstaltung, die schließlich von LTTE-Anhängern massiv gestört wurde. 109 B. RECHTSEXTREMISMUS 1. Aktuelle Entwicklungen und Tendenzen Die rechtsextremistischen Parteien konnten bei den Wahlen im Jahr 2005 nicht an die Wahlerfolge anknüpfen, die die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) und die "Deutsche Volksunion" (DVU) besonders bei den Landtagswahlen im September 2004 in Sachsen und Brandenburg "Aufbrucherrungen hatten. Gleichwohl ist nach wie vor eine Aufbruchstimmung im stimmung" rechtsextremistischen Lager festzustellen. Sie ist auf die Hoffnungen zurückzuführen, die manche Rechtsextremisten mit den ökonomischen und sozialen Problemen in Deutschland verbinden, die ihnen - wie bei der Landtagswahl in Sachsen - Agitationsmöglichkeiten gegen den demokratischen Verfassungsstaat und seine Repräsentanten eröffnen. Aber auch aus anderen Ereignissen und Entwicklungen des Jahres 2005, zum Beispiel aus den Unruhen in mehreren französischen Städten im Oktober und November, leiteten deutsche Rechtsextremisten eine Bestätigung ihres Weltbildes und ihrer Forderungen ab. So hieß es in einem - unter anderem über die Internetseite des NPD-Kreisverbands Heilbronn verbreiteten - Aufruf zu einer rechtsextremistischen Demonstration am 26. November 2005 in Schwäbisch Hall, die allerdings schon vor Ausbruch der Unruhen in Frankreich angemeldet worden war: "Wovor klarsichtige, nationale Dissidenten immer schon gewarnt haben, ist nun eingetreten: Frankreich versinkt im Chaos, die Rassenunruhen in den Vorstädten und Ghettos weiten sich zu einem Flächenbrand aus! Die widernatürliche Verpflanzung Millionen raumund kulturfremder Menschen entlädt sich nun in einem Rassenkrieg (...). Sowenig man aus einem Ackergaul ein Rennpferd machen kann, so wenig kann man Menschen, denen ganz andere Verhaltensweisen und ein anderes Zivilisationsniveau angeboren sind, zu Europäern machen. Auch wenn man ihnen hundert Mal einen Pass in die Hand drückt und so tut als ob! Gerade Frankreich ist das beste Beispiel dafür, dass es weder eine Multikulturelle Gesellschaft noch eine Integration von raumund kulturfremden Ausländern geben kann - auch nach drei, vier oder zehn Generationen nicht! (...) Sie ist nicht nur dort gescheitert, sondern 110 Rechtsextremismus überall in Europa - auch in Deutschland! (...) Daher gilt es nun hier die Notbremse zu ziehen und eine radikale Umkehr in der Einwanderungsfrage einzuleiten. (...) Unsere Zeit kommt nicht mehr - sie ist jetzt da, oder sie ist vorbei!"237 Nicht zuletzt aufgrund dieser Aufbruchstimmung haben sich die bereits für 2004 festgestellten Tendenzen zu verstärkter Kooperation und Bündelung verstärkte der vorhandenen personellen und strukturellen Ressourcen im rechtsextreKooperation mistischen Lager 2005 fortgesetzt. Sie fanden - zumindest im ersten Quartal des Jahres - unter anderem in entsprechenden "Bekenntnissen", "Signalen" und "Erklärungen" ihren Ausdruck. Beachtenswert ist auch der seit Jahren zu beobachtende Anstieg des gewaltbereiten rechtsextremistischen Personenpotenzials und 2005 außerdem die drastische Zunahme der rechtsextremistischen Skinheadkonzerte. 1.1 Rechtsextremistische Personenund Wählerpotenziale In der Summe ist das rechtsextremistische Personenpotenzial im Vergleich zu 2004 in Baden-Württemberg konstant, im Bund sogar zum wiederholten Mal rückläufig. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich aber zwei gegenläufige Entwicklungen innerhalb der rechtsextremistischen Szene: Während die Partei "Die Republikaner" (REP) auf Bundesund die DVU auf Bundesund auf Landesebene mehr oder minder deutliche Mitgliederverluste hinnehmen mussten, stieg die Zahl der Neonazis und der rechtsextremistiZahl der schen Skinheads auf beiden Ebenen an. Diese gegenläufigen Entwicklungen Neonazis und halten mittlerweile seit Jahren an, so dass sich seit den 90er-Jahren deutliSkinheads steigt che Verschiebungen innerhalb der - seither personell deutlich geschrumpften - rechtsextremistischen Gesamtszene ergeben haben: Während 1998 Neonazis und rechtsextremistische Skinheads zusammen im Bund und im Land nur knapp ein Fünftel der Rechtsextremisten stellten, ist dieser Anteil bis 2005 auf jeweils mehr als ein Drittel gestiegen. Diese Verschiebungen müssen bedenklich stimmen, da sie einen kontinuierlichen VerjüngungsVerjüngungsprozess der rechtsextremistischen Szene anzeigen. Denn die Neonazi-, prozess besonders aber die rechtsextremistische Skinheadszene, sind überdurchschnittlich junge Teilsegmente des deutschen Rechtsextremismus. Zu dieser Beobachtung passt auch, dass die um einen Schulterschluss mit Neonazis und rechtsextremistischen Skinheads bemühte NPD als einzige der drei größeren rechtsextremistischen Parteien Mitgliederzuwächse verbuchen konnte. 237 Homepage der NPD Heilbronn vom 23. November 2005, Übernahme wie im Original. 111 Rechtsextremistisches Personenpotenzial in Deutschland und Baden-Württemberg im Zeitraum 2003 - 2005 2003 2004 2005 Rechtsextremismus Land Bund Land Bund Land Bund Rechtsextremistische Skinheads 870 10.000 1.000 10.000 1.080 10.400 und sonstige gewaltbereite Zirkel Neonazistische Organisationen und Einzelpersonen 290 3.000 300 3.800 310 4.100 nach Abzug der Doppelmitgliedschaften 2 Rechtsextremistische Parteien 2.530 25.000 2.390 24.300 2.300 22.000 ddavon: DVU 1.100 11.500 1.000 11.000 0.900 09.000 REP 1.000 8.000 950 7.500 950 6.500 NPD 380 5.000 380 5.300 390 6.000 DP 50 500 60 500 60 500 Sonstige rechtsextremistische 1 1 400 4.100 350 3.800 260 3.500 Organisationen Gesamtsumme 4.090 42.100 4.040 41.900 3.950 40.000 Tatsächliches Personenpotenzial nach 4.000 41.500 3.900 40.700 3.900 39.000 Abzug der Mehrfachmitgliedschaften 1 Einschließlich Studentenund Jugendorganisationen. 2 Grafik: LfV BW Einschließlich Studentenund Jugendorganisationen. Doppelmitgliedschaften in Parteien und deren Unterorganisationen werden ab 2005 nicht mehr gesondert ausgewiesen. Stand: 31.12.2005 Wahlniederlagen Mit Ergebnissen zwischen 0,6 Prozent238 und 1,9 Prozent239 der Zweitstimmen bei den drei Landtagswahlen beziehungsweise der Bundestagswahl des Jahres 2005 konnten die rechtsextremistischen Parteien nicht an die Wahlerfolge anknüpfen, die NPD und DVU noch im September 2004 verbucht hatten. Das Ergebnis der in allen 16 Bundesländern mit eigenen Landeslisten zur vorgezogenen Bundestagswahl am 18. September 2005 angetretenen NPD ließ dabei aber eine relativ deutliche Zweiteilung der Republik erkennen: Während die NPD, auf deren Listen auch Kandidaten der DVU vertreten waren, in den zehn westdeutschen Bundesländern in der Regel unter ihrem Gesamtergebnis von 1,6 Prozent der Zweitstimmen blieb (0,8 Prozent in Nordrhein-Westfalen bis 1,5 Prozent in Bremen, nur im Saarland 1,8 Prozent), schnitt sie in Ostdeutschland - abgesehen vom Land Berlin (1,6 Prozent) - fast durchweg überdurchschnittlich ab (mit 2,5 Prozent in Sachsen-Anhalt bis 4,8 Prozent in Sachsen).240 238 Ergebnis der REP bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 18. September 2005. 239 Ergebnis der NPD bei der schleswig-holsteinischen Landtagswahl am 20. Februar 2005. 240 URL: http://www.bundeswahlleiter.de vom 17. und 21. November 2005. 112 Rechtsextremismus 1.2 Strafund Gewalttaten Die steigende Tendenz, die schon 2004 bei den rechtsextremistischen Straftaten und bereits seit 2002 bei den entsprechenden Gewaltdelikten in Baden-Württemberg zu registrieren war, setzte sich auch 2005 fort. Nach Zunahme bei 806 rechtsextremistischen Straftaten im Jahr 2003 und 857 im Jahr 2004 Strafund schlugen 2005 1.071 solcher Delikte zu Buche. Die Zahl rechtsextremistiGewalttaten scher Gewalttaten steigerte sich in den letzten Jahren von 51 (2002) über 56 (2003) und 67 (2004) auf 71 im aktuellen Berichtsjahr. Ein wichtiger Grund für diese Entwicklung liegt in der weiteren Zunahme beim Potenzial gewaltbereiter Rechtsextremisten auch im Jahr 2005. Politisch motivierte Kriminalität im Phänomenbereich Rechts sowie rechtsextremistische Strafund Gewalttaten 2005 1 2 Baden-Württemberg Bund 2005 (2004) 2005 (2004) Politisch motivierte Kriminalität im Phänomenbereich 1.166 (914) 15.914 (12.553) Rechts insgesamt davon: rechtsextremistische 1.071 (857) 15.361 (12.051) Straftaten davon: rechtsextremistische 71 (67) 958 (776) Gewalttaten 1 Zahlen des LKA Baden-Württemberg. Grafik: LfV BW 2 Zahlen des Bundesministeriums des Innern. 1.3 Ideologie Die rechtsextremistische Szene in der Bundesrepublik ist in sich ideologisch zersplittert. Dennoch gibt es diverse rechtsextremistische Ideologiebestandteile, die bereits seit vielen Jahrzehnten (teils seit dem 19. Jahrhundert) im Rechtsextremismus eine zentrale Rolle spielen und bis heute für viele oder sogar für die meisten Rechtsextremisten im Grundsatz konsensfähig sind. Dabei haben einzelne dieser Bestandteile aufgrund wechselnder historisch-politischer Rahmenbedingungen an Bedeutung innerhalb des ideologischen Gesamtgefüges verloren (zum Beispiel die rechtsextremistische Variante des Antikommunismus seit 1989), andere gewonnen (zum Beispiel die rechtsextremistische Variante des Antiamerikanismus seit 1989): 113 Wesensmerkmale Die "Ideologie der Ungleichheit", insbesondere der rechtsextremisdes Rechtsextretische Nationalismus, Sozialdarwinismus241 und Rassismus. Rasmismus sismus erhält eine erhöhte Brisanz, wenn er zur Begründung des im rechtsextremistischen "Lager" allgegenwärtigen Antisemitismus herangezogen wird (Rassenantisemitismus). Die "Ideologie der 'Volksgemeinschaft'", die auch als Völkischer Kollektivismus bezeichnet wird. Rechtsextremistische Fremdenund Ausländerfeindlichkeit haben nicht zuletzt in diesem rassistisch-nationalistischen Konzept ihren Ursprung. Autoritarismus. Konkrete Ausformungen des rechtsextremistischen Autoritarismus sind Militarismus und Antiliberalismus242, aber auch ein auf das "Führerprinzip" reduziertes Staatsund Politikverständnis, das wiederum Demokratiefeindschaft und Antiparlamentarismus beinhaltet. Revisionismus. Von Geschichtsrevisionismus spricht man, wenn Rechtsextremisten die NS-Verbrechen - besonders den Holocaust und die nationalsozialistische Schuld am Ausbruch des 2. Weltkrieges - verschweigen, rechtfertigen, verharmlosen, durch Aufrechnung mit vermeintlichen und tatsächlichen Verbrechen anderer Nationen und politischer Systeme relativieren oder sogar leugnen. Von Gebietsrevisionismus ist die Rede, wenn Rechtsextremisten die Anerkennung der deutschen Gebietsverluste, wie sie sich aus den beiden Weltkriegen ergeben haben, verweigern oder noch weitere Gebiete entgegen den vertraglichen Verpflichtungen, die Deutschland seit 1918 beziehungsweise 1945 eingegangen ist, für Deutschland beanspruchen. Der rechtsextremistische Antimodernismus äußert sich in deutlich ablehnenden Reaktionen auf geistige, wissenschaftlich-technische, ökonomische, soziale und kulturelle Modernisierungsschübe und in der Verklärung vergangener Zustände. 241 Sozialwissenschaftliche Theorie, die Charles Darwins Lehre von der natürlichen Auslese auf die Entwicklung menschlicher Gesellschaften überträgt. 242 Ablehnung einer Staatsund Wirtschaftsauffassung, nach der dem Einzelnen größtmögliche Freiheit gegeben werden soll. 114 Rechtsextremismus 2. Gewaltbereiter Rechtsextremismus 2.1 Häufigkeit und Hintergründe rechtsextremistisch motivierter Gewalt 2005 wurden in Baden-Württemberg insgesamt 71 Gewalttaten von RechtsGewalttatenzahl extremisten begangen. Die steigende Tendenz der vergangenen Jahre (2002: steigt weiter 51; 2003: 56; 2004: 67) setzte sich fort. Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit sind heutzutage im deutschen Rechtsextremismus zwar in der Regel fast ausschließlich auf die Skinheadszene und Teile der Neonaziszene begrenzt. Darüber hinaus ist aber seit Jahren eine mehr oder minder ausgeprägte Vernetzung nicht nur von SkinVernetzung heads und Neonazis untereinander, sondern auch mit anderen Teilsegmenten des deutschen Rechtsextremismus zu beobachten, beispielsweise, wenn die NPD als Veranstalterin von Skinheadkonzerten auftritt, bei ihrer seit 2004 betriebenen "Volksfront"-Strategie den Schulterschluss mit Neonazis und Skinheads übt oder Vertreter dieser beiden Gruppen auf ihren Demonstrationen zumindest duldet, wenn nicht begrüßt. Wer sich in dieser Weise mit gewaltbereiten Rechtsextremisten vernetzt, ihnen ein Forum bietet und sie damit in der Konsequenz aufwertet, kann nicht für sich in Anspruch nehmen, sich von deren Gewaltbereitschaft entschieden und eindeutig zu distanzieren. Eine erhebliche Nähe zur Gewalt ist schon seit dem 19. Jahrhundert in den ideologischen Grundlagen des Rechtsextremismus (hier besonders: Sozialdarwinismus; Militarismus; Hass auf das, was sie als Feindbilder ansehen) angelegt. Diese Ideologiebestandteile werden bis heute - in verschiedenen Abwandlungen - in der rechtsextremistischen Szene - und nicht nur unter Skinheads und Neonazis - verbreitet. 2.2 Der Boom der rechtsextremistischen Skinhead(musik)szene Bereits seit Jahren beobachten die deutschen Verfassungsschutzbehörden einen regelrechten Boom der rechtsextremistischen Skinheadszene243 im Allgemeinen und der rechtsextremistischen Skinheadmusikszene im Besonderen, dessen Anfänge bis in die 90er-Jahre zurückzuverfolgen sind und der 243 Nicht alle Skinheads in Deutschland sind Rechtsextremisten. So findet man neben weitgehend unpolitischen Skinheads auch solche, die "linkes" oder sogar linksextremistisches Gedankengut vertreten und zum Teil eindeutig antirassistisch geprägt sind. 115 sich auch im Jahr 2005 fortgesetzt, unter manchen Gesichtspunkten sogar noch weiter verschärft hat. Dabei fällt auf, dass dieser Boom in Baden-Württemberg unter manchen Aspekten teilweise noch deutlicher ausfällt als bundesweit. Waren 2004 in Baden-Württemberg 14 rechtsextremistische Skinheadbands ansässig, so hat sich diese Zahl 2005 auf 18 Bands erhöht. (Bund: 2004: 106244) Gleichzeitig nahm die Zahl der von den baden-württembergischen Bands publizierten CDs jedoch weiter ab: Während 2003 neun und 2004 sieben solche CDs erschienen, waren es 2005 nur noch fünf. Allerdings waren darüber hinaus baden-württembergische Skinheadbands auf mehreren CD-Samplern vertreten, zu denen Bands aus unterschiedlichen Bundesländern Titel beisteuerten. Einzelne Mitglieder baden-württembergischer Skinheadbands beteiligten sich ferner an länderübergreifenden Bandprojekten, die wiederum CDs herausgaben. Außerdem nahm die Zahl der in Baden-Württemberg veranstalteten Skinheadkonzerte 2005 drastisch zu.245 Anstieg der Die Zahl der baden-württembergischen rechtsextremistischen Skinheads Skinheadzahl stieg auch 2005 an und bewegte sich mit ca. 1.040 Szene-Angehörigen erstmals im vierstelligen Bereich (2004: ca. 960). Damit stellten die Skinheads auch 2005 das Gros der ca. 1.080 gewaltbereiten Rechtsextremisten (2004: ca. 1.000) im Land. Wie in Baden-Württemberg stieg von 2004 auf 2005 auch bundesweit die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten, unter denen die rechtsextremistischen Skinheads den weit überwiegenden Teil ausmachen246, von ungefähr 10.000 auf 10.400 an. Im Boom der rechtsextremistischen Skinheadmusikszene steckt eine wichtige Teilerklärung für die eklatanten Rekrutierungserfolge der dazugehörigen Skinheadszene - und umgekehrt. Es kann nämlich davon ausgegangen werden, dass die beiden Phänomene sich zumindest zum Teil gegenseitig 244 Die Bundeszahl stieg von 137 (2004) auf 193 (2005). 245 Vgl. S. 121. 246 Die Verfassungsschutzberichte des Bundes der Jahre 1999 beziehungsweise 2000 sprechen von 85% Skinheads unter 9.000 beziehungsweise 9.700 "subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten" (Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1999, S. 17. Dass. (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2000, S. 27). 116 Rechtsextremismus erzeugen, bedingen und somit füreinander ebenso Ursache wie Folge sind. Denn zum einen geht von der rechtsextremistischen Skinheadmusik ein Rekrutierungseffekt für die rechtsextremistische Skinheadszene aus. Über Rekrutierungsden Konsum der Musik finden mehr Jugendliche Zugang zum Rechtsexeffekt tremismus, je präsenter die Szene durch ein vielfältigeres CDund ein flächendeckenderes Konzertangebot wird. Umgekehrt stellen rechtsextremistische Skinheads naturgemäß die Hauptzielgruppe und die primären Konsumenten rechtsextremistischer Skinheadmusik. Durch ihre steigende Anzahl verbreitern sie also wiederum den Markt für die rechtsextremistische Skinheadmusik. Übersicht über rechtsextremistische Skinhead-Musikgruppen und Versandhandel in Baden-Württemberg Internetvertrieb/Label Skinheadbands Schwarzach Mannheim "Blue Max" "Aufbruch" Sinsheim "Asgard-Versand" Bruchsal "Ragnarök-Records" "Baden Corps" Karlsruhe "Race War" "Jagdstaffel" Stuttgart Schwäbisch Gmünd "Noie Werte" Donzdorf "Ultima Ratio" Kirchheim/Teck "Division Staufen" "Kommando Skin" "Tobsucht" Horb "Propaganda" "Unser Auktionshaus"/"RACords" Ulm "vfve-Versand" "Act of Violence" "Falkonett" "Voice of Thunder" "White Voice" Villingen-Schwenningen "Kurzschluss" Radolfzell 1 Friedrichshafen "Stromschlag"/"Schutt & Asche" "Crout" Waldshut Die räumliche Zuordnung der Skinheadbands orientiert sich an den Wohnsitzen der aktuellen bzw. Gründungsmitglieder. 1 Die zwei Skinheadbands werden als eine gezählt, da Personenidentität besteht. Stand: 31.12.2005 Grafik: LfV BW 117 Es handelt sich bei der rechtsextremistischen Skinheadszene um eine jugendliche Subkultur mit im Detail diffus-widersprüchlicher, aber im Gründe für Grundsatz eindeutiger politisch-ideologischer Ausrichtung. Als solche verden Einstieg spricht sie Jugendlichen von dieser Altersgruppe erfahrungsgemäß in die Szene besonders nachgefragte gruppendynamische Erlebnisse und Gefühle von Anerkennung, Gemeinschaft, Kameradschaft, Stärke unter Gleichaltrigen und Gleichgesinnten sowie von vermeintlicher, pervertierter Sinnund Identitätsstiftung (zum Beispiel durch Konstruktion einer eigenen Symbolwelt, die sich unter anderem in einem spezifischen, mehr oder minder uniformen Dresscode äußert). Die ideologischen Beimischungen offerieren den Jugendlichen zugleich vermeintlich einfache Lösungskonzepte für ihre komplexen sozialen und materiellen Probleme und Ängste. Dabei dienen besonders klassische rechtsextremistische Feindbilder (zum Beispiel Ausländer) und deren angebliche "Schuld" an vermeintlichen und tatsächlichen gesellschaftlichen Missständen als Blitzableiter, die von der verstörenden, überfordernden Komplexität sozialer, ökonomischer, politischer, globaler Zusammenhänge, aber auch von eigenem (beispielsweise schulischem) Scheitern und Versagen ablenken sollen. Die Attraktivität der rechtsextremistischen Skinheadszene resultiert nicht zuletzt auch aus der heftigen Provokation, die speziell in der deutschen Gesellschaft mit einem Einstieg in diese Subkultur geradezu zwangsläufig verbunden ist. Diese Provokation liegt noch zum geringeren Teil in dem bewusst antibürgerlichen, antiintellektuellen und primitiv-proletenhaften Auftreten der Szene (unter anderem allgemeinkriminelle Neigungen wie zum Beispiel hohe, ostentative, auch unpolitische Gewaltbereitschaft und wiederholter, exzessiver Alkoholgenuss, die zugleich wichtige Bestandteile des frauenfeindlichen Männlichkeitsideals247 der Szene sind). Weit provokativer jedoch wirkt in einer demokratischen, liberalen Mehrheitsgesellschaft wie der bundesdeutschen, die vom Trauma und der Aufarbeitung der NSVerbrechen bis heute geprägt ist und auch auf sublimere Formen von Rechtsextremismus hochsensibel reagiert, das unumwundene Zurschaustellen einer besonders primitiven, gewaltbejahenden rechtsextremistischen Gesinnung. So gesehen handelt es sich beim Verhältnis zwischen rechtsexGenerationentremistischen Skinheads und ihrer in der Mehrheit in klarer Abgrenzung Konflikt zum Nationalsozialismus sozialisierten Elterngeneration um einen Generationenkonflikt. Dazu kommt, dass die Skinheadmusikszene sich in Stilfragen für rechtsextremistische Verhältnisse ungewöhnlich liberal und undogmatisch gibt. 247 Diese Frauenfeindlichkeit dürfte ein zentraler Grund dafür sein, dass die rechtsextremistische Skinheadszene für junge Frauen weit weniger attraktiv ist als für deren männliche Altersgenossen. 2005 machten weibliche Skinheads, so genannte "Renees", nur ca. 19 Prozent der Skinheadszene aus (2004 und 2003: 19 Prozent). 118 Rechtsextremismus Denn sie erinnert mit ihren häufig harten, aggressiven Rhythmen an moderne Musikstile wie (Hard-)Rock oder Heavy Metal, denen das Image von - ursprünglich eher "links" zugeordneter - Nonkonformität und Rebellion anhaftet. Dieses Image ist erfahrungsgemäß für viele Jugendliche attraktiv. Mit diesem stilistischen Pluralismus, der durch das eher traditionelle Stilstilistische repertoire rechtsextremistischer, aber nicht der Skinheadszene zuzurechVielfalt nender Liedermacher wie Frank RENNICKE aus Ehningen/Krs. Böblingen ergänzt wird, befindet sich die Skinheadmusikszene in diametralem Gegensatz zum historischen Nationalsozialismus, aber auch zu vielen heutigen, älteren Rechtsextremisten, die sich in ihrem Antimodernismus und/oder ihrer NS-Gesinnung von modernen Musikrichtungen wie Rock oder Heavy Metal klar distanzieren und stattdessen traditionelleren, klassischen, teils vormodernen Musikstilen wie zum Beispiel dem Volksoder Kunstlied verbunden fühlen. Weitgehend deckungsgleich mit diesem Stilkanon war auch die Musik, von der NS-Ideologen meinten, dass sie dem deutschen Volk "arteigen", also zu erlauben sei. Die NSDAP diffamierte dagegen weite Teile der damals zeitgenössischen Musik als "undeutsche", "artfremde", "entartete" "Negermusik" (zum Beispiel Swing, Jazz) und ging ab 1933 repressiv dagegen vor. Die heutige Skinheadmusik grenzt fast niemanden von vornherein aus und vergrößert so ihr Attraktivitätspotenzial. Auch mit ihrem sprachlichen Pluralismus kommt die Szene den Hörgewohnheiten heutiger Jugendlicher einen wichtigen Schritt entgegen. Manche historischen Nationalsozialisten und Völkische agitierten zuweilen heftig für den ausschließlichen Gebrauch der deutschen Sprache in Deutschland, zogen zum Beispiel in regelrechten Kampagnen selbst gegen jede noch so sinnvolle Verwendung von Fremdwörtern fanatisch zu Felde. Auch heutzutage gilt manchem Rechtsextremisten der Gebrauch von Anglizismen als sicheres Anzeichen für "geistig-kulturelle Überfremdung" und "Veramerikanisierung". In der rechtsextremistischen Skinheadszene hingegen sind schon seit Jahrzehnten englischsprachige Liedtexte auch von deutschen Bands, die zuweilen englische Namen tragen (z. B. "Act of Violence" aus Ulm, "Race War" aus dem Ostalbkreis, "Blue Max" aus Schwarzach/Neckar-Odenwald-Kreis), eine gängige Erscheinung, die auf keinen nennenswerten innerszenischen Widerstand mehr trifft. Strukturierungsansätze in der rechtsextremistischen Skinheadszene Skinheads erweisen sich zumeist als unwillig und/oder unfähig, eigene, festere Organisationsstrukturen zu bilden oder in bereits vorhandenen rechtsextremistischen Organisationen kontinuierlich mitzuarbeiten. Ursache dafür sind für die Szene typische Eigenschaften wie Mangel an Intellektua119 lität, Desinteresse an ideologisch-politischen Fragen, Hang zu exzessivem regionale Alkoholkonsum und Disziplinlosigkeit. Dennoch gegründete regionale SkinheadSkinhead-Vereinigungen sind häufig kurzlebig. 2005 waren in Baden-WürtGruppen temberg keine erwähnenswerten Neugründungen zu verzeichnen. Die seit wenigen Jahren existierenden baden-württembergischen SkinheadGruppierungen "Widerstand Schwaben" aus dem Raum Ulm, "Kameradschaft Kaiserstuhl-Tuniberg" aus Merdingen und "Stallhaus Germania" aus Mühlacker, die alle drei mit eigenen Seiten im Internet vertreten sind, waren auch 2005 aktiv. Von den Aktivitäten bereits länger existierender und international agierender Skinhead-Gruppierungen ist Baden-Württemberg nur noch bedingt betroffen: Schwerpunkte der rechtsextremistischen Skinheadszene in Baden-Württemberg nach Wohn-, Veranstaltungsorten/Szeneaktivitäten Ludwigshafen Mannheim Heidelberg Heilbronn K arlsr uhe Backnang Ludwigsburg Waiblingen Stuttgar t Schwäbisch Gmünd Göpping en Laupheim Emmending en Villing en-Schwenning en Ravensburg Waldshut-Tieng en Friedrichshafen Wangen Lör rach Konstanz Lindau Stand: 31.12.2005 Grafik: LfV BW 120 Rechtsextremismus Die deutsche "Division" der neonazistisch geprägten Skinheadorganisation "Blood&Honour" (B&H) ist bereits seit September 2000 verboten. Allerdings sind ehemalige Mitglieder früherer B&H-Sektionen nach wie vor in der rechtsextremistischen Skinheadszene präsent. Zudem bestehen B&HStrukturen im benachbarten Ausland (zum Beispiel in der Schweiz und in Österreich). Rechtsextremistische Skinheads aus Deutschland können nach wie vor an B&H-Veranstaltungen in diesen Nachbarländern teilnehmen. Die 1986 in den USA gegründeten, dezidiert rassistischen "Hammerskins" haben sich die Schaffung einer so genannten "Hammerskin-Nation" zum Ziel gesetzt, die alle Skinheads weißer Hautfarbe umfassen soll. Ihnen werden bundesweit nur ca. 100 Personen zugerechnet. Ihre Anhängerschaft in Baden-Württemberg beschränkt sich auf einzelne Personen. Die Skinhead-Gruppierung "Furchtlos und Treu" (F+T) aus dem Raum Ludwigsburg/Heilbronn wurde 1999 in Baden-Württemberg gegründet, verfügt aber nach eigener Aussage mittlerweile auch über "Sectionen" in anderen Teilen Deutschlands und über eine "Division" mit vier "Sectionen" in Kroatien.248 Allerdings war F+T 2005 zumindest in seinem Ursprungsland Baden-Württemberg weitgehend inaktiv. 3. Rechtsextremistische Musikszene 3.1 Drastische Zunahme von Skinheadkonzerten in BadenWürttemberg 2005 Baden-Württemberg sah sich 2005 mit einer drastischen Zunahme der Skindrastische headkonzerte im Land konfrontiert. Dieses Anschwellen rechtsextremistiZunahme scher Skinheadkonzerttätigkeit fügt sich in das Bild des seit Jahren auf Bunder Konzerte desund Landesebene zu beobachtenden Booms der rechtsextremistischen im Land Skinheadmusikszene, aber auch der rechtsextremistischen Skinheadszene insgesamt, ein.249 Fanden im gesamten Jahr 2004 in Baden-Württemberg 14 Skinheadkonzerte statt, so war diese Zahl 2005 bereits Anfang Mai erreicht und bis Ende 2005 mit 26 Konzerten deutlich übertroffen (Bund 2004: 137, 2005: 193250). Die durchschnittliche Besucherzahl fiel hingegen auf ca. 140 Personen (2004: ca. 160; Bund 2004: ca. 165, 2005: ca. 160251). 248 F+T-Homepage vom 14. November 2005. 249 Zu diesem Boom und seinen Hintergründen siehe S. 117ff. 250 Abweichungen zu Berichten anderer Landesbehörden für Verfasungsschutz, der Landeskriminalämter sowie des BKA sind aufgrund unterschiedlicher Stichtage und im Einzelfall abweichender Erfassungskriterien möglich. 251 Das bundesweit größte Konzert mit mehr als 1.000 Besuchern fand am 2. April in Pößneck/Thüringen im Anschluss an den NPD-Landesparteitag statt. 121 Skinheadkonzerte in Baden-Württemberg 2005 Mannheim - Rheinau 15.01./ca. 180 Pers. 29.01./ca. 080 Pers. 12.02./ca. 250 Pers. 12.03./ca. 120 Pers. 19.03./ca. 180 Pers. 09.04./ca. 100 Pers. 16.04./ca. 200 Pers. 21.05./ca. 050 Pers. Mannheim-Rheinau Mosbach-Neckarelz 05.03./ca. 50 Pers. Helmstadt-Bargen Graben-Neudorf 07.05./ca. 70 Pers. 12.03./ca. 120 Pers. 11.06./ca. 150 Pers. Mühlacker-Lienzingen Karlsruhe 25.06./ ca. 180 Pers. 22.10./ca. 100-150 Pers. Rastatt Pforzheim 21.05./ca. 350 Pers. Rheinmünster-Sollingen Urbach 29.10./ca. 200-250 Pers. Stuttgart 03.09./ca. 110 Pers. Blaubeuren 07.05./ca. 90 Pers. Ulm Laupheim 05.03./ca. 60 Pers. Endingen-Königschaffhausen 13.08./ca. 65 Pers. Villingen-Schwenningen Biberach Freiburg Brigachtal-Klengen 30.07./ca. 65 Pers. Stockach 01.10./ca. 200 Pers. 08.10./ca. 50 Pers. Schliengen-Niedereggenen 10.09./ca. 50 Pers. Lörrach Görwihl-Tiefenstein 07.05./ca. 150 Pers. Stand: 31.12.2005 26.03./ca. 300 Pers. Grafik: LfV BW Neben dem Boom der rechtsextremistischen Skinhead(musik)szene trägt ein weiterer Faktor dazu bei, die Zahl rechtsextremistischer Skinheadkonzerte in Baden-Württemberg und auf Bundesebene insgesamt in den letzVernetzung ten Jahren in die Höhe zu treiben: die Vernetzung der Skinheadszene mit mit anderen anderen Teilsegmenten des deutschen Rechtsextremismus. So ist es mittRechtsextremisten lerweile nicht mehr unüblich, dass rechtsextremistische Organisationen, die nicht der Skinheadszene zuzurechnen sind, Skinheadkonzerte veranstalten oder doch zumindest Skinheadbands auf ihren Veranstaltungen auftreten lassen. Hintergedanke beziehungsweise Ziel ist dabei unter anderem, die jugendliche Skinheadszene als Mobilisierungsbeziehungsweise Rekrutierungspotenzial zu gewinnen. Speziell wenn rechtsextremistische Parteien als Veranstalter von Skinheadkonzerten auftreten, bedeutet das zudem für die beteiligten Skinheadbands einen höheren Schutz der Veranstaltungen vor staatlichen Maßnahmen wie Verbot oder Auflösung. Letztgenannte Überlegung dürfte auch Pate gestanden haben, als der NPD-Kreisverband Vorder122 Rechtsextremismus pfalz am 16. April 2005 in Mannheim-Rheinau ein "Frühlingsfest" veranstaltete, in dessen Rahmen zwei Skinheadbands auftraten. Bei der Veranstaltung waren ca. 200 Teilnehmer anwesend. Überhaupt ist in den letzten Jahren in der Skinheadszene eine stärkere Gleichgültigkeit aber auch eine bessere, vor allem juristische Absicherung gegenüber staatlichen Kontrollund Exekutivmaßnahmen zu beobachten, was unter anderem mit den innerhalb der Szene durchgeführten Rechtsschulungen zusammenhängen dürfte. Das Abschreckungspotenzial staatlicher Maßnahmen nimmt ab. So fanden 2005 26 Konzerte statt, obwohl bei einem Großteil dieser Veranstaltungen die Polizei Vorkontrollen, in einzelnen Fällen sogar Razzien durchgeführt hatte. Beispielsweise wurde ein Konzert am 12. März 2005 in Mannheim-Rheinau durch eine solche Polizeirazzia beendet. Dennoch fand bereits eine Woche später am selben Ort das nächste Konzert statt. Außerdem zeigt sich die Szene zuweilen in der Lage, flexibel umzudisponieren, beispielsweise kurzfristig einen Veranstaltungsort auch über größere Entfernungen zu wechseln. Diese organisatorischen und logistischen Leistungen werden nicht zuletzt dadurch begünstigt, dass die Szene über eigeszeneeigene ne Veranstaltungsräume verfügt. So sollte am 25. Juni 2005 ein SkinheadVeranstaltungskonzert ursprünglich in Bötzingen in der Nähe des Kaiserstuhls abgehalten räume werden. Als die Polizei das Konzert bereits im Vorfeld verhindert hatte, wichen die Veranstalter, in diesem Fall die Skinheadgruppierung "Kameradschaft Kaiserstuhl-Tuniberg", spontan auf ein Wiesengelände der Skinheadgruppierung "Stallhaus Germania" in Mühlacker-Lienzingen im Enzkreis aus. Dort konnte die Veranstaltung mit zumindest einem Teil der angekündigten Skinheadbands noch am selben Abend vor ca. 150-200 Besuchern stattfinden. Ein weiterer, allerdings nicht szeneeigener Veranstaltungsraum stand rechtsvorübergehender extremistischen Skinheads 2005 vorübergehend über Kontakte in die Schwerpunkt in Mannheimer Rockerszene für Konzertveranstaltungen offen. Acht und Mannheim damit fast ein Drittel der 2005 in Baden-Württemberg registrierten Skinheadkonzerte fanden zwischen Mitte Januar und Ende Mai 2005 im damaligen Clubhaus der Rockergruppe "MC Bandidos" in Mannheim-Rheinau statt. Neben Mannheim ließ sich 2005 kein zweiter räumlicher Schwerpunkt für Skinheadkonzerte feststellen; die übrigen 18 Konzerte fanden an 16 verschiedenen Orten statt, die sich fast gleichmäßig über Baden-Württemberg verteilen. 123 Mit der Anhäufung relativ vieler Skinheadkonzerte an einem Ort in relativ kurzer Zeit ist ein sehr wichtiger Grund für die drastische Zunahme der Konzertzahlen im Land im Jahr 2005 benannt. Bereits 2002 hatte die Rockergruppe "MC Bandidos" ihr Clubhaus für drei Skinheadkonzerte zur Verfügung gestellt, während 2003 und 2004 dort keine Veranstaltungen dieser Art stattfanden. Allerdings kann heute wie schon 2002 nicht von einer inhaltlich-ideologischen Annäherung der rechtsextremistischen Skinheadszene an die Rockergruppe "MC Bandidos" im Speziellen oder an die Rockerszene im Allgemeinen - oder umgekehrt - ausgegangen werden. Vielkommerzielle Intermehr scheinen hier vorrangig kommerzielle Interessen im Vordergrund zu essen stehen und private Beziehungen eine Rolle zu spielen, zumal die diesjährigen Skinheadkonzerte zumeist von einem bekannten, damals vor Ort in Mannheim ansässigen Rechtsextremisten veranstaltet wurden. Seit dem 21. Mai 2005 hat im "Bandidos"-Clubhaus kein Skinheadkonzert mehr stattgefunden, da der "MC Bandidos" dieses Gebäude zum 31. Mai 2005 verlassen musste. 3.2 "Schulhof-CDs": Ein Projekt macht Schule Bereits seit Anfang 2004 entwarf eine breite Allianz von Rechtsextremisten aus dem Inund Ausland, darunter auch einschlägig bekannte Rechtsextremisten aus Südwestdeutschland, eine Propagandaoffensive mit neuer, singulärer Dimension: das so genannte "Projekt Schulhof". Im Zentrum dieses Projekts stand die erklärte Absicht der Initiatoren, eine CD mit dem Titel "Anpassung ist Feigheit - Lieder aus dem Untergrund" in außerordentlich hoher Stückzahl bundesweit, kostenlos und an jugendspezifischen Orten (zum Beispiel Schulhöfen) an Jugendliche zu verteilen, um diese für den Rechtsextremismus zu interessieren und letztlich zu rekrutieren.252 Obwohl die angekündigten Verteilaktionen damals noch unterblieben, fand das "Projekt" schon bald verschiedene rechtsextremistische Nachahmer, so dass sich mittlerweile mehrere "Schulhof-CD"-Varianten im Umlauf befinden. 3.2.1 Das ursprüngliche "Projekt Schulhof" Im Sommer 2004 wurden 50.000 Tonträger mit dem Titel "Anpassung ist Feigheit - Lieder aus dem Untergrund" in einem sächsischen Presswerk hergestellt. Die CD enthält neben einem Intro 19 Musiktitel verschiedener Stilrichtungen, die von in der Szene bekannten rechtsextremistischen Musikgruppen eingespielt wurden. Außerdem befinden sich auf der CD Kon252 Zu den Details des ursprünglichen "Projekts Schulhof": Innenministerium Baden-Württemberg (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2004, S. 176ff. 124 Rechtsextremismus taktadressen, Bilder, Verweise zu Internetseiten und politische Aussagen. Mit "Noie Werte" aus dem Raum Stuttgart und "Blue Max" aus Schwarzach/Neckar-Odenwaldkreis sind unter den Interpreten auch zwei rechtsextremistische Skinheadbands aus Baden-Württemberg vertreten. Das Amtsgericht Halle erließ am 4. August 2004 einen allgemeinen Beschlagnahmebeschluss, weil die CD stark jugendgefährdend sei. Davon offenbar verunsichert, nahmen die Initiatoren - trotz des bis dahin betriebenen Aufwands - von der geplanten Verteilung Abstand und schalteten im November 2004 lediglich die zum Projekt gehörende Internetseite frei. Gegen den Auftraggeber der 50.000 CDs, den Inhaber eines Vertriebs für rechtsextremistisches Propagandamaterial, erhob am 30. Mai 2005 die Staatsanwaltschaft Halle wegen des Verdachts der schweren Jugendgefährdung Anklage, die vom Amtsgericht Stendal mit Beschluss vom 25. August 2005 abgewiesen wurde. Gegen diesen Beschluss legte die Staatsanwaltschaft Halle am 31. August 2005 sofortige Beschwerde ein. Dieser Beschwerde gab das Landgericht Stendal am 6. Oktober 2005 statt und hob den Beschluss des Amtsgerichts Stendal auf. Damit hat der bundesweit geltende Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Halle vom 4. August 2004 weiterhin Bestand. Nicht zuletzt aufgrund dieser gerichtlichen Beschlusslage, die exekutive Maßnahmen gegen eine Verbreitung der CD ermöglicht, tauchten erst Anfang August 2005 erste Sampler-Exemplare, die eindeutig den 50.000 Original-"Schulhof-CDs" zugeordnet werden konnten, in mehreren Bundesländern auf. In Baden-Württemberg wurden die Sicherheitsbehörden in Esslingen, Laupheim/Krs. Biberach a. d. Riß, Ludwigsburg und Reutlingen fündig. Entgegen der ursprünglichen Projektankündigung wurden die CDs jedoch abseits von Schulen in Briefkästen von Privathaushalten oder hinter Scheibenwischern geparkter Pkws platziert. Darüber hinaus wurden bei einer Durchsuchung in Stuttgart 235 und bei einer Polizeikontrolle in Friedrichshafen 44 Sampler aufgefunden. Die Polizei konnte am 9. September 2005 bei einer Fahrzeugkontrolle im Raum Ulm 425 "ProjektSchulhof"-CDs bei einem bekannten Aktivisten der rechtsextremistischen Szene aus Laupheim sicherstellen. Damit liegt der Anteil an den bundes850 CDs in weit circa 3.700 sichergestellten "Schulhof-CDs" in Baden-Württemberg bei Badenderzeit etwa 850 CDs. Württemberg sichergestellt Die eher willkürliche Art der CD-Verbreitung erweckt den Eindruck, als ginge es den Projekt-Betreibern inzwischen nur noch um eine Verteilung um der Verteilung willen, und sei es weitab der eigentlichen Zielgruppe. Ihrem ursprünglich formulierten, sehr zielgruppenorientierten Anspruch 125 werden die Projekt-Initiatoren damit nicht mehr gerecht. Einen Beleg dafür liefert auch folgendes Anschreiben, das einer in Laupheim sichergestellten CD beigefügt war: "Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gutmenschen! Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass auch das oberschwäbische Land und die schwäbische Region sowie gesamt Württemberg Opfer des bundesweiten Projektes 'Schulhof' wurde. Die Durchführung dieser Aktion erfüllte uns mit Stolz und Freude, da wir jeder staatlichen Hetze und Repression trotzten!"253 3.2.2 "Schulhof-CDs" der NPD Offenkundig beeindruckt von der Strategie des "Projekt Schulhof", Jugendliche mit jugendgerechten Mitteln zu locken und politische Inhalte beiläufig zu vermitteln, setzte die NPD in den Landtagswahlkämpfen in Sachsen 2004 und in Schleswig-Holstein 2005 auf eine eigene kostenlose "Schulhof-CD" mit dem polemisch-populistischen Titel "Schnauze voll? Wahltag ist Zahltag". Die CD enthält 14 ausgewählte Musiktitel der rechtsextremistischen Musikszene. Eine strafrechtliche Relevanz der CD ist nach Prüfung durch die Staatsanwaltschaften nicht gegeben. Werbeträger im Durch ihren Einzug ins sächsische Landesparlament bestätigt, kündigte die Wahlkampf NPD im Juni 2005 an, die "Schulhof-CD" in einer Stückzahl von 200.000 CDs auch im Bundestagswahlkampf als einen der wichtigsten Werbeträger einzusetzen.254 Darüber hinaus warb die Partei in Erwartung eines erheblichen NPD-Potenzials unter Erstund Jungwählern bei der Bundestagswahl am 18. September 2005 zusätzlich mit einer zweiten "Schulhof-CD", der sie den provokativen Titel "Hier kommt der Schrecken aller linken Spießer und Pauker!" gab. Die CD enthält neben einer Comic-Geschichte und dem "Deutschlandlied" mit allen drei Strophen 13 Titel von Interpreten aus dem gesam253 Übernahme wie im Original. 254 Pressemitteilung "NPD-Schulhof-CD jetzt mit Nationalhymne" vom 13. Juni 2005, NPD-Homepage vom 14. November 2005. 126 Rechtsextremismus ten rechtsextremistischen Musikspektrum, darunter - wie schon bei der Beteiligung ersten NPD-"Schulhof-CD" - von RENNICKE, der im Bundestagswahlbaden-württemkampf auf der rheinland-pfälzischen NPD-Landesliste für den Bundestag bergischer kandidierte. Ferner ist die Skinheadband "Noie Werte", ebenfalls bereits Interpreten unter den Interpreten der ersten NPD-CD, mit zwei Musikbeiträgen vertreten. Einzelne Mitglieder der Band steuerten zudem gemeinsam mit einer rechtsextremistischen Liedermacherin aus Rheinland-Pfalz unter dem Projektnamen "Faktor Widerstand" einen weiteren Titel zur CD bei. Die Band "Carpe Diem" aus dem Raum Esslingen und ihre Nachfolgeband "Odem" aus Stuttgart, die ebenfalls mit Beiträgen auf der CD vertreten waren, haben sich inzwischen aufgelöst. Eine Prüfung der Staatsanwaltschaften Bremen, Karlsruhe und Stuttgart sowie der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen führte jeweils zu dem Ergebnis, dass eine strafrechtliche Relevanz der neuen NPD-"Schulhof-CD" nicht gegeben ist. Auf der NPD-Homepage wurde die CD wie folgt angekündigt: "Die neue Schulhof-CD ist erschienen! Rechtzeitig zur Bundestagswahl erhalten zahlreiche Schülerinnen und Schüler so die Möglichkeit, sich anhand ausgewählter Rockmusikstücke und Balladen mit politischen Aussagen über das Wollen und Wirken der nationalen Bewegung, und insbesondere der NPD zu informieren. (...) Sie haben die Möglichkeit, alle Lieder über unseren Medienserver kostenlos herunterzuladen. (...) Natürlich ist es ausdrücklich erwünscht die Stücke auf CD zu brennen, zu vervielfältigen und zu verbreiten!"255 Nach NPD-Angaben wurde diese CD im Vorfeld der Bundestagswahl innerhalb eines "bundesweite[n] Aktionstag[es]" der Partei am 12. September 2005 im Großraum Stuttgart in einer vierstelligen Anzahl verteilt. In einer über seine Internetseite verbreiteten Mitteilung von diesem Tag behauptete der NPD-Regionalverband Böblingen-Stuttgart-Ludwigsburg, vor "ausgewählten Berufsschulen in Stuttgart, Sindelfingen und Ludwigsburg sowie auf den Heimwegen der Schüler (z. B. Böblinger Busbahnhof, Vaihinger Markt) (...) bis 13 Uhr über 1000 CDs an interessierte Schülerinnen und 255 Meldung "Neue Schulhof-CD erschienen" vom 29. August 2005, NPD-Homepage vom 14. November 2005, Übernahme wie im Original. 127 Schüler verteilt" zu haben. Mit ihrer Konzentration auf Berufsschulen nahm die NPD offensichtlich nicht nur Schüler und Jugendliche im Allgemeinen ins Visier, sondern gezielt Jungund Erstwähler. Außerdem hätte die NPD schon in den zwei vorangegangenen Wochen "vor Freibädern, an Wochenmärkten, in Kinos und Jugendtreffpunkten wie" einer Ludwigsburger Diskothek knapp 1.000 Exemplare der CD verteilt.256 3.2.3 CD "Rebellion im Klassenzimmer" der "Kameradschaft Rastatt" Ende April 2005 wurden im Außenbereich von acht Schulen im Raum Rastatt insgesamt 50 CDs abgelegt. Die einfach gehaltenen CD-Hüllen sind mit der Aufschrift "Rebellion im Klassenzimmer" überschrieben und enthalten neben Verweisen auf einschlägige rechtsextremistische Internetseiten den Hinweis, dass die CD "selbstverständlich gebrannt und weiterverteilt" werden dürfe. Den stapelweise abgelegten CDs waren jeweils Flyer mit Wahlwerbung für die NPD beigelegt, deren erste "Schulhof-CD" den Rastatter Initiatoren als Ideenvorlage gedient haben dürfte. Die CD enthält 18 Musiktitel der rechtsextremistischen Musikszene und unterliegt derzeit einer strafrechtlichen Überprüfung. Die Betreiber der Verteilaktion können dem "Nationalen Widerstand Rastatt" zugerechnet werden. Dahinter verbirgt sich die seit 2002 aktive "Kameradschaft Rastatt", eine neonazistisch orientierte sowie von rechtsextremistischen Skinheads beeinflusste Gruppierung, die 2005 auch im Zusammenhang mit Aktionen aus Anlass des Rudolf-Heß-Gedenktags am 20. August in Erscheinung trat. 3.2.4 Bewertung und Einordnung Die oben dargestellten vier rechtsextremistischen CD-Projekte folgen alle Hauptziel: im Kern einem einzigen Hauptziel: Sie sollen für den deutschen RechtsexGewinn tremismus die Jugend und damit die Zukunft gewinnen. Die Konzepte, die der Jugend den CD-Projekten zugrunde liegen, erweisen sich dabei - zumindest in der Theorie - als ausgesprochen zielgerichtet und zielgruppenorientiert. Tatsächlich aber wird die Praxis der Theorie nicht immer gerecht, wie die bisher zielgruppenferne, geradezu willkürlich anmutende Verteilung der ursprünglichen "Schulhof"-CD im August 2005 (also über ein Jahr nach der offiziellen Ankündigung des Projekts!) unter Beweis stellt. Mit der Multimedialität ihrer Produkte (vom klassischen Werbeplakat über die CD selbst bis zur Projekt begleitenden Internetseite) und der Vielfalt der auf den CDs 256 Meldung "Projekt 'Schulhof' ein voller Erfolg!" vom 12. September 2005, Homepage des NPD-Regionalverbands Böblingen-Stuttgart-Ludwigsburg vom 10. Oktober 2005. 128 Rechtsextremismus vertretenen musikalischen Stilrichtungen (vom Hardrock über Liedermacher-Balladen bis zum Deutschlandlied) zeigen sich die CD-Macher innovativ und undogmatisch. Inhaltlich-ideologisch jedoch bewegen sich die CDs auf ausgetretenen rechtsextremistischen Pfaden und predigen somit in letzter Konsequenz rechtsextremistische, antimodernistische Gegenentwürfe zur westlichen Moderne. Das Kalkül und die Hoffnungen der CD-Macher, Jugendliche über Musik für den Rechtsextremismus zu interessieren und rekrutieren, stützen sich nicht zuletzt auf einen aktuellen Erfahrungshintergrund und haben somit einen halbwegs realistischen Kern: den Boom der rechtsextremistischen Skinheadmusikszene mitsamt seines Rekrutierungseffekts für die dazugehörige Skinheadszene. Diesen Rekrutierungseffekt wollen die Macher der vier CD-Projekte sich und der gesamten rechtsextremistischen Szene zunutze machen. Nicht von ungefähr stellen auf allen vier CDs Skinheadbands die Mehrheit der Beiträge. Lieder von Liedermachern wie Frank RENNICKE stehen zahlenmäßig weit dahinter zurück. Die ursprüngliche "Projekt-Schulhof"-CD ist abgesehen vom gesprochenen Intro sogar ausschließlich mit Songs von Skinheadbands bestückt. Das Ziel dieser CD-Projekte besteht darin, durch den Einsatz von Skinheadmusik den Boom der rechtsextremistischen Skinhead(musik)szene auf die ansonsten momentan eher stagnierende Gesamtszene auszudehnen, indem man dieser jugendlichen Nachwuchs zuführt. 4. Neonazismus 4.1 Allgemeines Jeder Neonazi ist Rechtsextremist, aber nicht jeder Rechtsextremist NeoDefinition nazi. Es handelt sich bei dem Begriff "Neonazismus" nur um eine von mehreren ideologischen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus. Die im öffentlichen Sprachgebrauch häufig vorgenommene Gleichsetzung "Rechtsextremismus = Neonazismus" läuft also auf eine verkürzende Vereinfachung hinaus, die der komplexen Realität der ideologisch zersplitterten rechtsextremistischen Szene nicht entspricht. Als neonazistisch werden Personenzusammenschlüsse und Aktivitäten bezeichnet, die ein Bekenntnis zu Ideologie, Organisationen und/oder Protagonisten des historischen Nationalsozialismus erkennen lassen und in letzter Konsequenz auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugunsten eines totalitären Führerstaates nach dem Vorbild des "Dritten Reiches" ausgerichtet sind. 129 Dieses offene und aggressive Eintreten für die Wiedererrichtung einer NSDiktatur führte in den 1990er-Jahren zum Verbot zahlreicher neonazistischer Vereinigungen, was das Erscheinungsbild dieser Szene nachhaltig veränderte. Mit dem bewussten Verzicht auf feste Organisationsstrukturen wollen die Neonazis seither sowohl bereits vollzogene als auch für die Zukunft erwartete Organisationsverbote unterlaufen. Sie schließen sich daher meist locker und organisationsunabhängig zu so genannten "Kameradschaften", "Neonazi-" oder "Freundeskreisen" nach dem Vorbild der linksextremistischen autonomen Szene zusammen, teils sogar unter der Selbstbezeichnung "Autonome Nationalisten". In jüngster Zeit vereinigen sich Neonazis aus denselben Motiven immer wieder zu "Bürgerinitiativen" beziehungsweise "Bürgerbewegungen". Die trotz ihres seit Jahren steigenden Personenpotenzials noch immer vergleichsweise dünn besetzte Szene gewährleistet durch ihre hohe Mobilität und ihre teils moderne Ausstattung mit Kommunikationstechniken (zum Beispiel Internetportale, "Nationale Info-Telefone" (NIT) mit abrufbaren Ansagetexten) ihre bundesweite Vernetzung und einen effektiven internen Informationsaustausch. Merkmale Neonazistische Kameradschaften bestehen in der Regel aus fünf bis 20 Perneonazistischer sonen - zumeist jungen Männern - und sind nach dem "Führerprinzip" aufKameradschaften gebaut. Sie treffen sich regelmäßig in Gaststätten oder Wohnungen zu ihren Kameradschaftsabenden. Diese Treffen dienen nicht nur der Geselligkeit, sondern auch der politischen Schulung sowie der Vorbereitung von Aktionen. Ihre überwiegend aktionistische Ausrichtung stellen Kameradschaften durch zahlreiche Teilnahmen an Demonstrationen unter Beweis, die teils von Neonazis selbst, teils von anderen Rechtsextremisten veranstaltet werden. Einzelne Szene-Angehörige nehmen auch an Skinkonzerten teil. 4.2 Bundesweite Aktivitäten 4.2.1 "Rudolf Heß-Gedenkmarsch" Der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß (1894-1987) ist auch knapp 20 Jahre nach seinem Selbstmord eine zentrale Symbolund Integrationsfigur der deutschen und internationalen Neonazi-Szene. Daher sind die jährlichen "Rudolf-Heß-Gedenkmärsche" aus Anlass seines Todestages (17. August) im bayerischen Wunsiedel, wo Heß begraben liegt, ein Höhepunkt im neonazistischen Veranstaltungskalender. Der Hamburger 130 Rechtsextremismus Rechtsanwalt und Neonazi Jürgen RIEGER hat bereits vor geraumer Zeit bis 2010 jährliche Gedenkveranstaltungen in dieser Stadt angemeldet. Anders als in den Jahren 2001 bis 2004 konnte die Neonazi-Szene 2005 kein zentraler jedoch keinen zentralen "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch" in Wunsiedel durchMarsch in führen. Das Landratsamt Wunsiedel hatte den Marsch verboten und diesen Wunsiedel Schritt damit begründet, es sei bei einer Durchführung der Veranstaltung zu erwarten, dass die nationalsozialistische Gewaltund Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht oder gerechtfertigt, dadurch der öffentliche Friede in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise verletzt, also der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt werde (SS 130 Abs. 4 StGB)257. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte dieses Verbot in zweiter Instanz bestätigt, worauf RIEGER am 12. August 2005 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht stellte, das das Verbot am 16. August 2005 aber bestätigte. Trotz des Verbots mobilisierte die Szene weiter für den 20. August, den Termin, an dem ursprünglich der Marsch in Wunsiedel hatte stattfinden sollen, nun allerdings für mehrere Ersatzveranstaltungen. Diese wurden nicht unter das Heß-Motto gestellt, um weitere Verbote zu vermeiden. So kam unter dem Motto "Arbeit für Deutsche - keine Stimme den Kriegsparteien" eine NPD-Demonstration mit ca. 350 Teilnehmern in Nürnberg zustande. Die teilnehmerstärkste rechtsextremistische Demonstration dieses Tages wurde unter dem Motto "Meinungsfreiheit für alle - Paragraph 130 abschaffen" in Berlin durchgeführt. An der von einem Neonazi angemeldeten Veranstaltung beteiligten sich ca. 600 Rechtsextremisten. Weitere Demonstrationen fanden am 20. August 2005 im niedersächsischen Peine (ca. 500 Teilnehmer), im sachsen-anhaltinischen Weißenfels (ca. 300 Teilnehmer) und in Ingolstadt statt. Im Wesentlichen liefen alle diese Veranstaltungen störungsfrei ab. In Reaktion auf das Verbot des zentralen "Rudolf Heß-Genkmarsches" melregionale dete ein Rechtsextremist aus Bonn für den 20. August unter dem Motto Aktivitäten "Nein zur BRD-Verbotspraxis! Kein Frieden mit den Feinden der Meinungsfreiheit!" eine Demonstration in Karlsruhe an, die jedoch von der Stadt mit der Begründung verboten wurde, es lägen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich um eine Ersatzveranstaltung für Wunsiedel handele. Da der Anmelder gegen dieses Verbot juristisch erst gar nicht vorging, wurde weder Karlsruhe noch ein anderer Ort in Baden-Württemberg 257 Um diesen Absatz 4 war der SS 130 StGB, der die Strafbarkeit von Volksverhetzung regelt, erst am 1. April 2005 erweitert worden. 131 an diesem Tag Schauplatz rechtsextremistischer Demonstrationen, sieht man von einzelnen, kleineren lokalen Plakatund Transparentaktionen mit Heß-Bezug (zum Beispiel entlang der Autobahn A5 im Bereich Karlsruhe/Rastatt) im Umfeld des 17. August ab. Dennoch sollen sich insgesamt 300 bis 400 baden-württembergische Rechtsextremisten - mit unterschiedlichem Erfolg - bemüht haben, an den genannten rechtsextremistischen Veranstaltungen am 20. August teilzunehmen. Alles in allem kann konstatiert werden, dass ein zentraler Gedenkmarsch in Wunsiedel mitsamt seines Symbolwerts und seiner Mobilisierungskraft für die neonazistische Szene nicht ersetzbar sein dürfte, auch nicht durch Ersatzveranstaltungen an verschiedenen anderen Orten. Dieser Befund ergibt sich schon aus dem Vergleich der diesjährigen Teilnehmerzahlen mit Rückgang der denjenigen vergangener Jahre. Während die Zahl der Teilnehmer an den Teilnehmerzahl zentralen Wunsiedeler Märschen von 2001 bis 2004 von ca. 900 auf rund 2005 3.800 angestiegen war - darunter noch rund ein Fünftel aus dem Ausland angereiste Teilnehmer -, dürften die verschiedenen Ersatzveranstaltungen in der Summe von nur ca. 2.000 Rechtsextremisten besucht worden sein. Zwar kann dieser Rückgang zum Teil damit erklärt werden, dass in der NeonaziSzene Verunsicherung darüber entstanden sein dürfte, ob nicht auch die Ersatzveranstaltungen - wie in Karlsruhe, Jena und Magdeburg geschehen - verboten werden könnten, nachdem das Verbot des Wunsiedeler Gedenkmarsches auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hatte. Andererseits bot ein dezentrales Veranstaltungsangebot in verschiedenen Teilen Deutschlands eigentlich die Möglichkeit, schnell auf eventuelle Verbote zu reagieren und dann eben an der nächstgelegenen Demonstration teilzunehmen. Dass die Teilnehmerzahlen auch in der Summe dennoch deutlich rückläufig waren, untermauert, wie wichtig vielen Aktivisten der konkrete, symbolträchtige Veranstaltungsort Wunsiedel ist. Auch dass die Ersatzveranstaltungen aus juristischen Rücksichtnahmen in ihren Mottos keinen direkten Heß-Bezug mehr aufwiesen und dadurch zu thematisch fast beliebigen rechtsextremistischen Demonstrationen wurden, dürfte manchen potenziellen Teilnehmer demotiviert haben. Da das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 16. August 2005 angekündigt hat, in einem Hauptsacheverfahren die Verfassungsmäßigkeit und die Anwendung des neuen SS 130 Abs. 4 StGB im konkreten Fall klären zu wollen, bleibt abzuwarten, ob es auch zukünftig möglich sein wird, den zentralen "Rudolf Heß-Gedenkmarsch" in Wunsiedel zu verhindern. 132 Rechtsextremismus 4.2.2 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) Gründung: 1979 Sitz: Frankfurt am Main Mitglieder: ca. 70 Baden-Württemberg (2004: ca. 70) ca. 600 Bund (2004: ca. 600) Publikation: "Nachrichten der HNG" Die nunmehr seit über einem Vierteljahrhundert bestehende "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) ist nicht nur eine für die Neonaziszene untypisch langlebige, sondern auch die mitgliederstärkste deutsche Neonazi-Vereinigung. Sie weist zudem als einzige eine bundesweite Bedeutung auf, vor allem als Integrationsund Vernetzungsfaktor innerhalb der Neonaziszene, da viele ihrer Mitglieder zugleich auch anderen neonazistischen beziehungsweise sonstigen rechtsextremistischen Organisationen angehören. Die alljährliche HNG-Jahreshauptversammlung fand am 16. April 2005 wieder im bayerischen Gremsdorf statt. Dort wurde die seit 1991 amtierende HNG-Vorsitzende Ursula MÜLLER aus Mainz im Amt bestätigt, kündigte jedoch überraschend an, dass sie in Zukunft nicht wieder kandidieren werde.258 Die HNG unterstützt inhaftierte Gesinnungsgenossen moralisch und materiell, zum Beispiel durch Rechtsberatung, Überlassung von rechtsextremistischer Literatur und Vermittlung von Briefkontakten. Dabei leiten sie aber weniger altruistische Motive als das Ziel, die Strafgefangenen auch während der Haft ideologisch wie sozial an die rechtsextremistische Szene zu binden. Die staatlichen Ausstiegsangebote sollen so konterkariert werden. 4.3 Neonazistische Personenzusammenschlüsse in BadenWürttemberg Feste Organisationsstrukturen sind in der Neonaziszene aufgrund der Erfahrung, die die Szene in den 1990er-Jahren mit diversen Vereinsverboten machen musste, eher selten. Und da, wo sie sich dennoch herausbilden, ist immer wieder eine hohe organisatorische Fluktuation zu beobachten, die 258 "Nachrichten der HNG" Nr. 290 vom Mai 2005, Artikel "Jahreshauptversammlung der HNG", S. 14f. und 17, hier: S. 14. 133 nicht zuletzt mit dem Bemühen der jeweiligen Szene-Aktivisten zu erklären ist, weiteren Vereinsverboten durch Selbstauflösung und Neugründung organisatorische oder durch Umbenennung zuvorzukommen. Fluktuation Ein typisches Beispiel für diese organisatorische Fluktuation kann schon seit 2004 in Baden-Württemberg beobachtet werden. Die neonazistische "Bewegung Deutsche Volksgemeinschaft", die noch bis in die erste Jahreshälfte 2004 als der aktivste rechtsextremistische Personenzusammenschluss im Land bezeichnet werden konnte, muss mittlerweile als faktisch inexistent betrachtet werden. Doch schon im Dezember 2004 schuf sich ihr früherer Bundesleiter Lars KÄPPLER aus dem Ostalbkreis mit der "Bürgerinitiative für ein besseres Deutschland" (BIBD259), die er allein personifiziert, ein neues Betätigungsfeld. Seither ist auch die BIBD-Homepage geschaltet, die mit relativ hoher Professionalität über die Aktivitäten informiert und die Kampagnen der Bürgeriniti- " ative unterstützende Materialien wie Texte und Flugblätter zur Verfügung stellt. Etwa drei Monate später stellte KÄPPLER erst die BIBD in einer Saalveranstaltung am 26. März 2005 in Heilbronn einer breiteren Öffentlichkeit offiziell vor. Bei dieser Veranstaltung, die unter dem Kampagnenmotto "Die Türken kommen - Ist Deutschland noch zu retten?" stand und an der nach eigenen Angaben 120 Personen teilnahmen, erläuterte KÄPPLER das Konzept, das seiner Bürgerinitiative zugrunde liegt: Demnach sei die BIBD "ein Medium, welches auf der Idee eines unabhängigen Verteilerkreises aufbaue. Jeder" sei "eingeladen, dieses Medium zu unterstützen, Mitgliedschaften, Vorstände und Vereinsmeierei" gebe "es genausowenig wie politische Abgrenzungen oder selbstauferlegte Einschränkungen in Bezug auf Personen oder Organisationen. Was" zähle, seien "jene Inhalte, die unter dem Namen der Bürgerinitiative unters Volk gebracht werden sollen. Ziel sei es (...) fürs erste 3-4 Flugblätter - oder auch ganze Kampagnen - pro Jahr zu gestalten. Die Flugblätter sollten mittelfristig einen Ausstoß in der Größenordnung von 1 Million Stück erreichen, womit die Bürgerinitiative zweifelsohne ein Massenmedium wäre."260 259 Diese Abkürzung wird von KÄPPLER selbst nicht benutzt, soll hier jedoch der Vereinfachung halber Verwendung finden. 260 Veranstaltungsbericht "Gelungene Vorstellung der 'Bürgerinitiative für ein besseres Deutschland'", BIBD-Homepage vom 11. Juli 2005, Übernahme wie im Original. 134 Rechtsextremismus Ziel und Zweck der BIBD ist nach dem Willen KÄPPLERs also eine mögneues Konzept lichst massenwirksame, effektive rechtsextremistische Propaganda in Form von themenspezifischen Kampagnen, die auch entsprechende Aktionen beinhalten, sowie von breit gestreuten Flugblättern, die über die BIBDHomepage heruntergeladen und/oder bestellt werden können. Ginge KÄPPLERs Konzept auf, so brauchte es zu dieser effektiven Propaganda nur ihn als Initiator und Themensetzer, die Internetseite als das eigentliche "Medium" und möglichst zahlreiche Gesinnungsgenossen als Multiplikatoren und Verteiler des Propagandamaterials. Außerdem spricht aus den Ausführungen KÄPPLERs zum einen sein Bemühen, einem eventuellen Verbot der BIBD nach dem Vereinsrecht vorzubeugen, betont er doch, dass seine Bürgerinitiative weder über Mitglieder, Vorstand noch sonstige Vereinsstrukturen verfüge. Zum anderen reiht er seine Neugründung in die jüngsten Einigungsbestrebungen im rechtsextremistischen Lager ein, indem er für sie "politische Abgrenzungen" ostentativ ausschließt. Seit Beginn der Kampagne "Die Türken kommen! Ist Deutschland noch zu retten?", die die BIBD seit ihrer Gründung aufzog, verbreitet KÄPPLER über die BIBD-Homepage Flugblätter, Aufkleber und Texte, die sich mit typisch rechtsextremistischen Argumentationsmustern entschieden gegen einen türkischen EU-Beitritt wenden. Auch eine Unterschriftenaktion ging mit der Kampagne einher; das entsprechende Formular wird über die Homepage verbreitet. Die erste Nummer für 2005 der im von KÄPPLER betriebenen Verlag "Volk in Bewegung - Verlag & Medien oHG"261 erscheinenden Publikation "Volk in Bewegung - Vierteljahresschrift für eine neue Ordnung!" war mit ihren 24 Seiten ausschließlich dem Thema Türkei gewidmet und wurde damit in die Propaganda der BIBD eingespannt. 261 Zum 1. Oktober 2005 wurde der Verlag in Heilbronn abgemeldet und ein entsprechender Gewerbeneuantrag bei der Gemeinde Rosenberg gestellt. Als Anschrift des Verlags, der nunmehr "Verlagsund Medienhaus Hohenberg OHG" heißt, fungiert eine Postfachadresse in Ellwangen. Seit der Nr. 3-2005 von "Volk in Bewegung - Vierteljahresschrift für eine neue Ordnung!" firmiert das "Verlagsund Medienhaus Hohenberg OHG" als deren Herausgeber. 135 Im ersten Quartal 2005 waren zwei Veranstaltungen der AntiTürkei-Kampagne KÄPPLERs zuzurechnen. Unter dem Motto "Bürger, wehr Dich, bevor sie Dir das Maul verbieten! - Sag NEIN zum EU-Beitritt der Türkei!" zogen am 21. Januar 2005 nach BIBD-Angaben 35 Rechtsextremisten knapp anderthalb Stunden durch Schwäbisch Hall.262 Die Saalveranstaltung am 26. März 2005 in Heilbronn ist auch ganz offiziell der BIBD zuzurechen, nicht nur weil sie unter dem Kampagnenmotto "Die Türken kommen! Ist Deutschland noch zu retten?" stand, sondern auch weil sie ebenso explizit der Vorstellung der Bürgerinitiative diente. Bei dieser Gelegenheit zog KÄPPLER eine aus seiner Sicht positive Bilanz der Anti-TürkeiKampagne. Er kündigte für April den Beginn einer "Flugblattkampagne zum Thema 'Schluss mit der Ausplünderung des deutschen Volkes! - Wir sind nicht das Sozialamt der Welt!'" an.263 Ein entsprechendes Flugblatt ist auf der BIBD-Homepage abrufbar. Auch das Heft Nr. 2-2005 von "Volk in Bewegung" war thematisch auf die neue Kampagne abgestimmt. Unter dem neuen Kampagnenmotto führte KÄPPLER in den folgenden Demonstrationen Monaten diverse Demonstrationen durch. Am 9. April 2005 in Schwäbisch Hall wurde er dabei von dem Hamburger Neonazi Christian WORCH sowie vom Landesvorsitzenden und stellvertretenden Bundesvorsitzenden der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN), Alexander NEIDLEIN, unterstützt. Insgesamt nahmen nach BIBD-Angaben rund 200 Personen an dieser Demonstration teil.264 Am 1. Mai 2005 fand in den rheinland-pfälzischen Nachbarstädten Worms und Frankenthal eine rechtsextremistische Doppeldemonstration statt. Für die Demonstration in Worms trat KÄPPLER unter dem BIBD-Kampagnenmotto als Anmelder auf. Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen marschierten 360 Demonstrationsteilnehmer erst durch Frankenthal, dann durch Worms, wobei sie sich in der Dom262 Veranstaltungsbericht "Politischer Stadtrundgang in Hall untermauert erfolgreich und wirksam den nationalen Anspruch auf den öffentlichen Raum", BIBD-Homepage vom 11. Juli 2005. 263 Veranstaltungsbericht "Gelungene Vorstellung der 'Bürgerinitiative für ein besseres Deutschland'", BIBD-Homepage vom 11. Juli 2005, Übernahme wie im Original. 264 Veranstaltungsbericht "Gelungene nationale Demonstration in Schwäbisch Hall - Müde Sache der geisteskranken Linken in Hohenberg!", Homepage von KÄPPLER vom 3. November 2005. 136 Rechtsextremismus stadt mit teils gewalttätigen Gegendemonstranten konfrontiert sahen.265 Für den 18. Juni 2005 meldete KÄPPLER namens der BIBD unter dem gleichen Motto eine Demonstration in Heilbronn an, während der es ebenfalls zur Konfrontation der nach Teilnehmerangaben rund 120 Rechtsextremisten mit einer Überzahl teils gewalttätiger Gegendemonstranten kam.266 Am 17. September 2005, einen Tag vor der vorgezogenen Bundestagswahl, demonstrierte KÄPPLER - wieder mit ca. 120 Gesinnungsgenossen - in Heilbronn. Das Demonstrationsmotto war diesmal um einen ausländerfeindlichen Aspekt erweitert worden: "Schluss mit der Ausplünderung des deutschen Volkes durch milliardenschwere Ausländerkosten! Wir sind doch nicht das Sozialamt der Welt!"267 Diese ausländerfeindliche Verschärfung wurde ausdrücklich mit Hinblick auf die am nächsten Tag bevorsteTeilnahme an hende Bundestagswahl vorgenommen, bei der KÄPPLER als DirektkandiBundestagswahl dat für die NPD im Wahlkreis 268 Heilbronn antrat und 2,3 Prozent der Erststimmen (4.157 Stimmen)268 erringen konnte. Diese Ausländerfeindlichkeit kam in der folgenden Kampagne KÄPPLERs noch schärfer zum Tragen. Deren demagogisches Motto lautete: "500,EUR Kindergeld für jedes deutsche Kind! Kein deutsches Kindergeld für Türken! Nur der eigene Nachwuchs sichert die Sozialsysteme und Rentenkassen!" Zur "Auftaktkundgebung"269 dieser Kampagne in Schwäbisch Hall am 26. November 2005 konnte KÄPPLER nach Polizeiangaben ca. 80 Gesinnungsgenossen mobilisieren. Die BIBD ist nicht das einzige Beispiel für eine neonazistische Bürgerinitiative, die in jüngster Zeit ins Leben gerufen wurde, um der Szene als Medium zur Verbreitung ihres Gedankenguts und Plattform für Aktionen zu dienen, aber auch um weitere Verbote neonazistischer Vereinigungen zu erschweren. Beispielsweise stellt das "Aktionsbüro Rhein-Neckar", das auch als "Aktionsbündnis Rhein-Neckar" firmiert und einen losen Zusammenschluss mehrerer "Kameradschaften" aus Baden-Württemberg, Hessen und 265 Veranstaltungsbericht "Durchschlagender Erfolg für nationale Doppeldemonstration im Rhein-NeckarRaum - Nationale Demonstrationszüge marschieren durch Frankenthal & Worms", Homepage von KÄPPLER vom 3. November 2005. 266 Veranstaltungsbericht "Bericht zur Demo am SA., 18.6. in Heilbronn und zur großen, gemeinschaftlichen Sonnwendfeier 2005", Homepage von KÄPPLER vom 3. November 2005. 267 Veranstaltungsbericht "Bericht zur Demo am SA., 17.9. in Heilbronn", Homepage von KÄPPLER vom 3. November 2005, Übernahme wie im Original. 268 URL: http://www.bundeswahlleiter.de vom 4. November 2005. 269 Demonstrationsaufruf, Homepage von KÄPPLER vom 1. Dezember 2005. 137 Rheinland-Pfalz darstellt, seit Sommer 2005 auf seiner Internetseite einer "Bürgerinitiative für soziale Gerechtigkeit", deren Initiatoren sich in typisch neonazistischer Terminologie als "freie Nationalisten" und "nationale Sozialisten"270 bezeichnen, Speicherplatz für deren Homepage zur Verfügung. Nach eigener Darstellung trat diese Bürgerinitiative seit August 2005 mit diversen Aktionen in Hessen und Rheinland-Pfalz in Erscheinung. Motiv: Präsenz Ein zentrales Motiv, das KÄPPLER und seine BIBD bei ihrer äußerst regen auf der Straße Demonstrationstätigkeit leitet, besteht darin, rechtsextremistische beziehungsweise neonazistische Präsenz auf der Straße zu demonstrieren. Diese Motivation teilen sie mit anderen neonazistischen Personen beziehungsweise Personenzusammenschlüssen. Vor dem Hintergrund der eigenen gesamtgesellschaftlichen Isolation erscheint dieser Demonstrationsaktionismus Aktivisten wie KÄPPLER oder WORCH offensichtlich als die beste, wenn nicht einzige Möglichkeit, die Szene und ihre Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit ins Bewusstsein zu rufen und Aufmerksamkeit zu erregen. Angesichts ihres bundeswie landesweit relativ geringen Personenpotenzials (Bund: 4.100; Land: 310) greift die Neonazi-Szene bei ihren Demonstrationen daher immer wieder auf die rechtsextremistische Skinheadszene als Mobilisierungspotenzial zurück. Dementsprechend manifestierten sich die bereits seit Jahren festzustellenden Überschneidungen zwischen Neonaziund rechtsextremistischer Skinheadszene (zum Beispiel in Form von Mischszenen) auch 2005 unter anderem anhand gemeinsamer Demonstrationstätigkeit: Vernetzung mit So fand am 13. August 2005 in Heidenheim unter dem Motto "Gegen AntiSkinheadszene fa-Terror und Polizeiwillkür! Widerstand jetzt!" eine rechtsextremistische Demonstration statt, als deren Anmelder ein bekannter Neonazi aus München und als deren Veranstalter so genannte "Freie Kräfte aus Süddeutschland" auftraten. Dahinter verbarg sich ein nur zu diesem Anlass gebildeter Zusammenschluss von Neonazis und rechtsextremistischen Skinheads aus Baden-Württemberg und Bayern. An der Demonstration nahmen ca. 150 Rechtsextremisten aus beiden Teilszenen teil. In Heidenheim war es schon am 25. Juni 2005 - in Reaktion auf ein Tötungsdelikt in der Heidenheimer Innenstadt vom 5. Juni 2005 - unter dem Motto "Ausländerkriminalität aufdecken und verhindern" zu einer rechtsextremistischen Demonstration gekommen, damals jedoch noch ohne Neonazi-Beteiligung. Als Veranstalter trat der "Freundeskreis Alb/Donau" auf, der aus rechtsextremistischen Skinheads aus dem Raum Ulm besteht. Aufgrund der kurzfristigen Mobilisie270 Beitrag "Was möchte die Bürgerinitiative für soziale Gerechtigkeit?" vom 26. August 2005, Homepage des "Aktionsbüros Rhein-Neckar" vom 4. November 2005. 138 Rechtsextremismus rung und des Umstands, dass es sich um eine reine Skinhead-Demonstration handelte, fanden sich am 25. Juni nur ca. 70 rechtsextremistische Skinheads in Heidenheim ein, deren Demonstrationszug schon nach einer kurzen Strecke durch gewaltbereite linksextremistische Gegendemonstranten Auseinanderblockiert wurde. Als es dabei auf beiden Seiten zu Tätlichkeiten kam, versetzungen mit kürzte die Versammlungsbehörde die Aufzugstrecke und ließ lediglich eine Gegendemonsabschließende Kundgebung zu. tranten Aus Anlass einer rechtsextremistischen Demonstration am 8. Oktober 2005 versammelten sich ca. 200 Neonazis und Skinheads in Friedrichshafen. Die Demonstration war von demselben bekannten Neonazi aus München angemeldet worden, der schon die Demonstration vom 13. August 2005 in Heidenheim angemeldet hatte. Diesmal lautete das Motto jedoch "Demonstration statt Repression! Polizeiwillkür stoppen - Dorfsheriffs aushebeln!". Während der Demonstration kam es zu relativ heftigen Auseinandersetzungen zwischen mutmaßlich linksextremistischen Gegendemonstranten, den rechtsextremistischen Demonstrationsteilnehmern und der Polizei. Von massiven Störversuchen gewaltbereiter Gegendemonstranten war auch eine Demonstration geprägt, die WORCH unter dem Motto "Rastatt stellt sich quer - keine Freiräume für linksextreme Straftäter!" für den 3. Dezember 2005 in Rastatt angemeldet hatte. Ein massives Polizeiaufgebot verhinderte ein direktes Aufeinandertreffen der ca. 250 teilnehmenden Rechtsextremisten mit den Gegendemonstranten, so dass die Demonstration stattfinden konnte. Dennoch endete der Tag mit einem Fehlschlag für die Neonaziszene: Eigentlich hatte WORCH das in der Szene mittlerweile gebräuchliche Konzept der "Doppeldemo" anwenden wollen, wonach dasselbe Personenpotenzial am selben Tag an zwei verschiedenen Orten demonstriert, um eine möglichst breite Öffentlichkeitspräsenz herzustellen. Zu diesem Zweck hatte WORCH ursprünglich für den späteren Verlauf des 3. Dezember 2005 auch eine Demonstration in Karlsruhe angemeldet, diese aber noch in Rastatt abgesagt. Allerdings kündigte er gleichzeitig eine Demonstration in Karlsruhe für den 28. Januar 2006 an. Die "Kameradschaft Karlsruhe" kann zwar immer noch als wohl bekannteste Neonazi-"Kameradschaft" in Baden-Württemberg angesehen werden, doch nehmen ihre öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten immer weiter ab. Diese zunehmende Inaktivität schlägt sich nicht zuletzt darin nieder, dass der Text des von ihr betriebenen NIT Karlsruhe schon seit Mitte 2004 nicht mehr aktualisiert wurde und ihre Internetseite nicht mehr abrufbar ist. 2005 konnten drei Mitglieder beziehungsweise Sympathisanten der "Kameradschaft Karlsruhe" aber einen juristischen Erfolg verbuchen. Im Oktober 139 2004 waren sie vom Landgericht Karlsruhe nach SS 86a StGB ("Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen") wegen des Verwendens der Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" in einer Ansage des NIT Karlsruhe zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung beziehungsweise zu Geldstrafen verurteilt worden, wogegen sie Revision eingelegt hatten. Daraufhin entschied der Bundesgerichtshof am 28. Juli 2005, dass diese Parole als solche nicht strafbar sei, da es sich lediglich um den straffreien "Gebrauch einer Fantasieparole" handele, die keiner Originalparole einer NS-Organisation zum Verwechseln ähnlich sei. Außerdem seien "besondere Umstände, unter denen eine Verfolgung wegen Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen nach SS 86 StGB in Betracht kommt, nicht gegeben."271 Die drei Neonazis wurden freigesprochen. 5. Rechtsextremistische Parteien 5.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Gründung: 1964 Sitz: Berlin Mitglieder: ca. 390 Baden-Württemberg (2004: ca. 380) ca. 6.000 Bund (2004: ca. 5.300) Publikationen: "Deutsche Stimme" (DS) Organisation Auch wenn die seit 1996 von ihrem Bundesvorsitzenden Udo VOIGT geführte "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) seit Einstelleichter lung des gegen sie angestrengten Verbotsverfahrens (18. März 2003) wieder Mitgliederan Mitgliedern gewonnen hat, ist deren Zahl immer noch als vergleichszuwachs weise gering einzustufen. Dennoch muss die NPD als die auffälligste rechtsextremistische Partei in Deutschland bezeichnet werden, die auch 2005 immer wieder im Blickpunkt des öffentlichen Interesses stand. Diese herausgehobene Stellung der NPD innerhalb der rechtsextremistischen Organisationslandschaft ist nach wie vor unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Partei nicht nur in der Bundesspitze, sondern auch auf mancher Landesund Kommunalebene über aktionistische, kampagnefähige Kader verfügt. Dieser Umstand verleiht der NPD eine öffentliche Präsenz (zum Beispiel aufgrund von Demonstrationstätigkeit), die von anderen rechtsex271 Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. Juli 2005, Az.: 3 StR 60/05, Mitteilung der Pressestelle Nr. 111/2005. 140 Rechtsextremismus tremistischen Parteien nicht erreicht wird. Außerdem wird die schon seit geraumer Zeit zu beobachtende personelle Verflechtung der NPD mit anderen rechtsextremistischen Organisationen zunehmend enger. Denn Vernetzung mit immer öfter ist zu beobachten, dass führende NPD-Mitglieder Leitungsanderen funktionen in anderen rechtsextremistischen Organisationen übernehmen, Organisationen was der Partei entsprechende Möglichkeiten der Einflussnahme eröffnet. So auf wählte die "Gesellschaft für Freie Publizistik e.V." (GFP) auf ihrem letzten Funktionärsebene Jahreskongress (8.-10. April 2005 in Franken) Andreas MOLAU und damit den stellvertretenden Chefredakteur der NPD-Parteizeitung "Deutsche Stimme" (DS) zu ihrem neuen Vorsitzenden. Im GFP-Vorstand sitzt schon seit Jahren der neue baden-württembergische NPD-Landesvorsitzende Jürgen SCHÜTZINGER aus Villingen-Schwenningen, der zugleich als führender Funktionär der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH) tätig ist. Karl RICHTER, Leiter des Parlamentarischen Beratungsdienstes der NPDFraktion im sächsischen Landtag und stellvertretender Vorsitzender des NPD-nahen "Bildungswerks für Heimat und nationale Identität e.V." (i. G.), ist Redaktionsmitglied bei der im Tübinger "GRABERT-Verlag" erscheinenden Vierteljahresschrift "Deutschland in Geschichte und Gegenwart" sowie bei dem ältesten rechtsextremistischen Strategieund Theorieorgan in Deutschland, "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte". In dieser wachsenden personellen Verflechtung können erste Ansätze einer Ausrichtung oder Konzentration größerer Teile der rechtsextremistischen Gesamtszene auf die NPD gesehen werden. Auch der baden-württembergische NPD-Landesverband konnte 2005 Personalquerelen öffentliches Interesse auf sich lenken, allerdings nur unfreiwillig durch masim sive interne Personalquerelen. Diese begannen mit der überraschenden Landesverband Wahl von Günter DECKERT aus Weinheim zum neuen Landesvorsitzenden auf dem Landesparteitag am 24. April 2005 in Stuttgart. Er setzte sich in einer Kampfabstimmung gegen den bisherigen Amtsinhaber Siegfried HÄRLE aus Riedlingen durch. DECKERT ist in der NPD kein unbeschriebenes Blatt: Schon 1991/92 amtierte er als baden-württembergischer Landesvorsitzender und von 1991 bis 1996 als Bundesvorsitzender. Allerdings ist sein Verhältnis zur NPD-Bundesführung seit geraumer Zeit gespannt. Daher kann es als nur bedingt überraschend bewertet werden, dass der Bundespressesprecher der Partei nicht einmal ein halbes Jahr später bekannt gab, dass der Bundesparteivorstand auf einer Sitzung am 1./2. Oktober 2005 in Riesa DECKERT "mit sofortiger Wirkung aller Parteiämter" enthoben habe. Als Begründung wurde angeführt, dass unter DECKERT "der Landesverband nicht mehr entsprechend den demokratischen Grundsätzen der Satzung der NPD geführt" worden sei. Auch wurde DECKERT zur Last gelegt, der Landesverband sei unter seiner Führung in "Fraktions141 und Gruppenbildung mit gegenseitigen Anschuldigungen" verfallen.272 Auf einem außerordentlichen Landesparteitag am 22. Oktober 2005 in Stuttgart wurde DECKERT von den Delegierten abgewählt und zu seinem Nachfolneuer ger sein bisheriger Stellvertreter Jürgen SCHÜTZINGER bestimmt. Auch Landesvordieser hatte bereits einmal als baden-württembergischer NPD-Landesvorsitzender sitzender fungiert (von 1978 bis 1991), danach die Partei aber verlassen. Erst im Februar 2005 war SCHÜTZINGER der NPD wieder beigetreten. Mit den "Jungen Nationaldemokraten" (JN) verfügt die NPD zwar über eine eigene Jugendorganisation, die aber auf Bundesebene nicht flächendeckend organisiert und nur bedingt aktiv ist. Mit seinen 50 Mitgliedern (2004: 50) und offiziell fünf so genannten "Stützpunkten" in Esslingen/Göppingen, Heilbronn, Ludwigsburg, Pforzheim und Schwäbisch Hall273 zählt der baden-württembergische Landesverband noch zu den strukturiertesten Landesverbänden, obwohl auch von ihm 2005 keine erwähnenswerten Aktivitäten ausgingen und sein Vorsitzender Alexander NEIDLEIN, der zugleich als stellvertretender JN-Bundesvorsitzender und stellvertretender NPD-Landesvorsitzender fungiert, immer noch in Sachsen wohnt. Internetbanner der "Jungen Nationaldemokraten" Ideologische Ausrichtung Die NPD ist eine unverhohlen rechtsextremistische Partei. Das heißt, dass die Rechtsextremismusvarianten, die in der NPD vertreten sind, in der ideologische Regel einen sehr hohen Fanatisierungsgrad aufweisen. Neonazistisches Nähe zum Gedankengut ist zumindest in Teilen der Partei bereits seit Jahren nachNeonazismus weisbar. Selbst exponierte NPD-Vertreter scheuen manchmal nicht vor einem Bekenntnis zum historischen Nationalsozialismus zurück. So antwortete im Frühjahr 2005 ein sächsischer NPD-Landtagsabgeordneter auf die Frage eines Fernsehjournalisten, ob es in "Deutschland zwischen '33 und '45 (...) mehr Positives als Negatives" gegeben habe: "Richtig! Richtig! Ja! Es gab einen deutschen Reichskanzler, der die Interessen nur seines Volkes im Auge hatte. Und konsequent durchsetzte, dass sie272 Meldung "Landesvorsitzender Günter Deckert amtsenthoben" vom 5. Oktober 2005, NPD-Homepage vom 16. November 2005. 273 Homepage des JN-Bundesvorstands vom 16. November 2005. 142 Rechtsextremismus ben Millionen Volksgenossen an Arbeit und Brot kamen! Und was ist jetzt?"274 Die ideologische Nähe der Partei zum Neonazismus geht seit den NPD-Erfolgen bei den Landtagswahlen im Saarland und in Sachsen vom September 2004 mit einer personellen Verzahnung mit der Neonazi-Szene einher. Nicht nur, dass seither diverse, auch relativ prominente Neonazis der Partei beigetreten sind und einer von ihnen, Thorsten HEISE, seit Oktober 2004 sogar NPD-Bundesvorstandsmitglied ist. Auch aus Anlass der vorgezogenen Bundestagswahl am 18. September 2005 übte die Partei den Schulterschluss mit führenden Neonazis und ließ einige von ihnen für die Partei kandidieren. In Baden-Württemberg beispielsweise trat der Neonazi Lars KÄPPLER als NPD-Direktkandidat im Wahlkreis 268 Heilbronn an und errang 2,3 Prozent der Erststimmen (4.157 Stimmen).275 In Hamburg wurde die NPD-Landesliste von dem Rechtsanwalt und bundesweit bekannten Neonazi Jürgen RIEGER angeführt. Der unverhohlene Rechtsextremismus und ideologische Fanatismus, der in der NPD beheimatet ist, beinhaltet zwangsläufig eine kompromisslose Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. So verabschiedete der JN-Bundesvorstand am 25./26. Juni 2005 in Magdeburg einen "Beschluss", der in Inhalt und Duktus den Charakter eines Grundsatzpapiers aufweist. Unter dem Titel "Nationalismus heißt Kapitalismuskritik! Eine notwendige Standortbestimmung" heißt es dort: "Die JN versteht sich als eine Jugendorganisation JN-Grundsatzmit revolutionärer Ausrichtung. Revolutionär ist für beschluss uns der Angriff auf die bestehenden Verhältnisse. Wenn uns bürgerliche und reaktionäre Kreise vorwerfen, dass wir auf eine 'Umwälzung' hinarbeiten, dann sagen wir diesen Leuten: 'Jawohl, wir versuchen nachzuholen, was Ihr in Eurer verbrecherischen Dummheit versäumt habt!' (...) Ein wirklicher Revolutionär (...) steht keinesfalls loyal zur heutigen politischen Ordnung. Jedem heutigen Revolutionär muss es also um die Umkehrung der Herrschaftsverhältnisse gehen. (...) Haben wir wieder den Mut 274 Zitiert nach dem Manuskript des Beitrages "Mücka: NPD-Funktionäre feiern", URL: http://www.mdr.de vom 16. November 2005. Der Beitrag wurde am 4. April 2005 im ARD-Politmagazin "Fakt" gesendet. 275 URL: http://www.bundeswahlleiter.de vom 4. November 2005. 143 'nationale Revolutionäre' zu sein. (...) Das reale Deutschland ist eben ein Grauen für Leib und Seele. Hiergegen gilt es aufzustehen, sich zu wehren, eine Entschlossenheit zu demonstrieren, diesem System keinen Fußbreit zu überlassen. (...) Globalisierung und die damit einhergehende Zerstörung jeglicher hart erkämpfter sozialer Standards wird die Systemfrage aufwerfen und damit zwangsläufig das morsche System zum Zusammenbruch zwingen. Nur eine nationalistische Kritik an diesen Entwicklungen und eine damit verbundene Ablehnung der politisch liberalistischen Entwicklungen kann eine wirkliche Alternative sein. Diese Ablehnung des Systems und die Entwicklung einer Systemalternative ist die Hauptaufgabe einer wirklich fundamentaloppositionellen nationalistischen Bewegung. Hier liegt also die Aufgabe der JN."276 Hier wird nicht nur Kapitalismuskritik geübt, sondern auch der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Kampf angesagt. Wahlen Gemäß den Bestimmungen des "Deutschland-Paktes" mit der DVU vom 15. Januar 2005277 trat die NPD zu den beiden Landtagswahlen des Jahres 2005 (20. Februar in Schleswig-Holstein; 22. Mai in Nordrhein-Westfalen) und zur vorgezogenen Bundestagswahl am 18. September an. Gleichzeitig bot ihr der "Deutschland-Pakt" die Gewähr, dass die DVU ihr dabei keine Konkurrenz machte. Da die REP in Schleswig-Holstein nicht antraten und die "Deutsche Partei" (DP) sich an gar keinem Urnengang beteiligte, war die NPD auch 2005 die aktivste rechtsextremistische Wahlpartei. Angesichts der teils spektakulären rechtsextremistischen Wahlerfolge im Saarland (5. September 2004: NPD 4,0 Prozent), in Brandenburg (19. September 2004: DVU 6,1 Prozent) und besonders in Sachsen (19. September 2004: NPD 9,2 Prozent) ging die NPD mit großen Erwartungen in das Wahlniederlagen Wahljahr 2005. Diese Erwartungen wurden enttäuscht. Die beiden Landtagswahlen fielen trotz Stimmenzuwächsen ernüchternd aus. Obwohl die NPD in Schleswig-Holstein als einzige rechtsextremistische Partei antreten 276 Text "Nationalismus heißt Kapitalismuskritik! Eine notwendige Standortbestimmung", Homepage des JN-Bundesvorstands vom 16. November 2005, Übernahme wie im Original. 277 Zum "Deutschland-Pakt": siehe S. 166f. 144 Rechtsextremismus konnte, steigerte sie ihr Ergebnis nur auf 1,9 Prozent (2000: 1,0 Prozent) und verfehlte damit den erhofften Einzug in den Kieler Landtag deutlich. Ihr Ergebnis in Nordrhein-Westfalen fiel sogar noch schlechter aus: Mit 0,9 Prozent (2000: 0,0 Prozent) landete sie nur knapp vor ihren rechtsextremistischen Konkurrenten, den REP (0,8 Prozent). Mit diesen beiden Dämpfern wurden die rechtsextremistischen Hoffnungen, das Strohfeuer des Septembers 2004 auch in Westdeutschland zu entfachen und zu einem kontinuierlichen Flächenbrand auszuweiten, vorerst begraben. Bei der Bundestagswahl, bei der sie in allen 16 Bundesländern eigene Landeslisten aufstellte, konnte die NPD ihr Ergebnis von 2002 (0,4 Prozent) auf 1,6 Prozent vervierfachen. Der baden-württembergische Landesverband hatte im Vorfeld der Wahl mit besonderen Problemen zu kämpfen: Am 19. August entschied der badenwürttembergische Landeswahlausschuss, die Landesliste der NPD nicht zuzulassen, da die Aufstellung der Bewerber nicht den gesetzlichen Erfordernissen entsprochen habe. Der Beschwerde der NPD wurde vom Bundeswahlausschuss am 25. August 2005 zwar mit der Maßgabe stattgegeben, dass sechs Bewerber von der Liste gestrichen werden. Die Landesliste mit den verbleibenden neun Kandidaten (darunter auch zwei DVU-Vertreter) konnte aber nur unterdurchschnittliche 1,1 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Für die Zukunft lassen manche regionalen NPD-Ergebnisse bei der Bundestagswahl aufhorchen: In fast allen ostdeutschen Bundesländern errang die NPD deutlich überdurchschnittliche Ergebnisse zwischen 2,5 Prozent (Sachsen-Anhalt) und 4,8 Prozent (Sachsen). In Mecklenburg-Vorpommern, wo sie 2006 zur Landtagswahl anzutreten beabsichtigt, erreichte sie 3,5 Prozent.278 Diese Ergebnisse sind unter drei Aspekten bemerkenswert: Erstens neigen die Wähler erfahrungsgemäß dazu, Bundestagswahlen weit seltener zu Protestwahlen umzufunktionieren als Landtagsoder Europawahlen. Dieser Umstand reduziert rechtsextremistische Parteien bei Bundestagswahlen noch häufiger als sonst auf ihre recht überschaubare, überzeugte Stammwählerschaft, wie es sich in Sachsen zeigte, wo die NPD ihr Ergebnis im Vergleich zur letzten Landtagswahl fast halbierte. Zweitens wurden die Chancen der NPD, in den Bundestag einzuziehen, von den Demoskopen im Vorfeld des 18. September durchgängig als gering eingeschätzt, was einen 278 URL: http://www.bundeswahlleiter.de vom 17. November 2005. 145 Teil der potenziellen NPD-Wähler davon abgeschreckt haben dürfte, ihre Stimme auf diesem Wege zu "verschenken". Drittens handelte es sich bei der jüngsten Bundestagswahl im Kern um eine Richtungsund Lagerwahl zwischen "Rot-Grün" und "Schwarz-Gelb". Auch diese Konstellation ist in der Regel für rechtsextremistische Parteien ungünstig, da sich dann ein Teil ihrer potenziellen Wähler am Ende doch für eines dieser beiden Lager entscheidet. Fazit: Die NPD hofft unter Berücksichtigung dieser drei Aspekte am 17. September 2006 in Mecklenburg-Vorpommern noch besser abzuschneiden als bei der Bundestagswahl. Andererseits geriet ausgerechnet das parlamentarische "Vorzeigeund Prestigeprojekt" der NPD, ihre sächsische Landtagsfraktion, im Dezember 2005 in eine Krise. Drei der ursprünglich zwölf NPD-Abgeordneten verlieQuerelen ßen aufgrund interner Querelen die Fraktion. Diese Vorgänge und das parteiinterne Konfliktpotenzial, das sie offenbaren, sind nicht dazu geeignet, die Attraktivität der NPD bei den anstehenden Landtagswahlen zu steigern. Dürften diese Vorkommnisse doch vielen Wählern das Schicksal einiger anderer rechtsextremistischer Landtagsfraktionen in Erinnerung rufen, die sich in den letzten Jahren aufgrund interner Auseinandersetzungen selbst lähmten, teils sogar ganz oder teilweise vorzeitig auflösten. Aktivitäten 2005 trat der "Kampf um die Straße" innerhalb des von der NPD verfolgten "Vier-Säulen-Konzepts" ("Kampf um die Straße", "Kampf um die Parlamente", "Kampf um die Köpfe", "Kampf um den organisierten Willen") in den Hintergrund. Diese leichte Prioritätenverschiebung schlug sich unter anderem darin nieder, dass das ursprünglich für den Sommer 2005 geplante 5. Pressefest des "Deutsche Stimme"-Verlages unter Hinweis auf den Bundestagswahlkampf abgesagt wurde, obwohl das 4. Pressefest am 7. August 2004 im sächsischen Mücka mit ca. 6.900 Besuchern ein sehr großer Erfolg für die Partei gewesen war. Nichtsdestotrotz war die NPD auch 2005 bemüht, über Demonstrationen Öffentlichkeit für ihre Positionen herzustellen. So nahmen am 8. Mai in 146 Rechtsextremismus Berlin rund 3.300 Personen an einer von den JN angemeldeten Kundgebung unter dem Motto "60 Jahre Befreiungslüge - Schluss mit dem Schuldkult" teil. Anlass war der 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa, ein Datum, mit dem sich die rechtsextremistische Szene 2005 - vor allem in geschichtsrevisionistischer Absicht - intensiv auseinandersetzte. Der im Anschluss an die Kundgebung geplante Demonstrationszug konnte nicht durchgeführt werden, weil die vorgesehene Demonstrationsroute von zahlreichen Gegendemonstranten blockiert wurde. Schon im Vorfeld war die JN daran gescheitert, gerichtlich eine Demonstrationsroute vorbei am Holocaust-Mahnmal zum Brandenburger Tor durchzusetzen. Vom baden-württembergischen Landesverband gingen keine erwähnenswerten Aktivitäten aus. 5.2 "Die Republikaner" (REP) Gründung: 1983 Sitz: Berlin Mitglieder: ca. 950 Baden-Württemberg (2004: ca. 950) ca. 6.500 Bund (2004: ca. 7.500) Publikation: "Zeit für Protest!" Organisation und Aktivitäten An seiner Spitze war der baden-württembergische Landesverband der Partei "Die Republikaner" (REP) 2005 von personeller Kontinuität geprägt. Auf dem REP-Landesparteitag in Stühlingen am 2. April 2005 wurden die meisten Landesvorstandsmitglieder in ihren Ämtern bestätigt, darunter auch Ulrich DEUSCHLE aus Notzingen/Krs. Esslingen als Landesvorsitzender. Nach Jahren des kontinuierlichen, teils drastischen Mitgliederschwundes stabilisierten sich die baden-württembergischen REP 2005 zumindest auf gleichem Niveau. Daraus kann aber kein spürbarer Bedeutungszuwachs der Landes-REP abgeleitet werden, weder bei der Bundespartei, deren ebenfalls langjähriger Mitgliederrückgang sich 2005 fortsetzte, noch innerhalb der rechtsextremistischen Gesamtszene. Im Gegenteil: Die Aktivitäten wenige des Landesverbands gingen noch weiter zurück. Selbst der traditionelle Aktivitäten "Republikanertag" in Stuttgart fand 2005 nicht statt. Andere REP-Landesim Land verbände sind jedoch teils noch stärker von Inaktivität geprägt als der baden-württembergische.279 279 Seit den innerparteilichen Auseinandersetzungen um das "Hamburger Signal" verfügen die REP in Hamburg über gar keinen Landesverband mehr, sind also nicht mehr bundesweit mit Parteistrukturen vertreten. Dazu im Detail siehe S. 164ff. 147 Mit dem seit 1994 amtierenden REP-Bundesvorsitzenden Dr. Rolf SCHLIERER aus Stuttgart ist der wichtigste Funktionsträger der Partei in Baden-Württemberg ansässig. An erwähnenswerten Aktivitäten der Bundes-REP ist für 2005 lediglich ihre Veranstaltung zum "Politischen Aschermittwoch" am 8. Februar 2005 im bayerischen Geisenhausen zu verbuchen, an der annähernd 300 und damit deutlich mehr Personen als noch 2004 (ca. 200) teilnahmen. Die REP-Parteizeitung "Zeit für Protest!" (Untertitel: "Die Zeitung für mündige Bürger") erscheint mittlerweile nur noch alle zwei bis drei Monate. Wahlen Der zunehmende Bedeutungsverlust der REP spiegelt sich auch in ihren Wahlergebnissen wider. Die Partei droht als Wahlpartei endgültig marginalisiert zu werden. Diese Tendenz manifestiert sich darin, dass die Partei sich schon traditionsgemäß bei der Landtagswahl am 20. Februar 2005 in Schleswig-Holstein nicht dem Wähler stellte (letzte dortige LandtagswahlteilnahWahlniederlagen me: 1988). Schwerer fällt ins Gewicht, dass sie bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai 2005 mit 0,8 Prozent der Zweitstimmen nicht nur hinter ihr Ergebnis von 2000 (1,1 Prozent), sondern auch knapp hinter das der NPD (0,9 Prozent) zurückfiel. Bei der Bundestagswahl am 18. September 2005, zu der die REP allerdings nur in neun Bundesländern antraten, erreichten sie lediglich 0,6 Prozent der Zweitstimmen (2002: 0,6 Prozent) und schnitten damit deutlich schlechter ab als die NPD (1,6 Prozent), die in allen Bundesländern antrat und sich dabei auf niedrigem Niveau klar verbessern konnte (2002: 0,4 Prozent). Auch landeten die REP in den neun Bundesländern, in denen sie sich zur Wahl stellten, jeweils hinter der NPD. Seit 1990 hatte die NPD die REP bei bisher 33 direkten Vergleichen bei Bundes-, Europaund Landtagswahlen nur zweimal (1998 und 2002 in Mecklenburg-Vorpommern) hinter sich lassen können. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung kommt dem Abschneiden der REP bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 26. März 2006 eine - mit Blick auf die innerparteiliche Situation - nicht unerhebliche Bedeutung zu. Sollten sie auch hier, wo sie 1992 und 1996 mit 10,9 Prozent bezie148 Rechtsextremismus hungsweise 9,1 Prozent ihre größten Erfolge bei Wahlen überhaupt feierten, noch deutlich hinter die seinerzeit enttäuschenden 4,4 Prozent von 2001, womöglich hinter die ebenfalls kandidierende NPD zurückfallen, würde dies den innerparteilichen Druck auf die Bundesführung um Dr. SCHLIERER und ihren innerparteilich umstrittenen Kurs der Abgrenzung gegenüber (anderen) Rechtsextremisten weiter erhöhen und könnte somit zumindest langfristig die Partei vor eine Zerreißprobe stellen. Politisch-ideologische Ausrichtung Nach wie vor gilt: Nicht jedes einzelne REP-Mitglied verfolgt verfassungsfeindliche Ziele. In der Partei sind auch rechtspopulistische und rechtskonservative Positionen vertreten, die für sich gesehen nicht als verfassungsfeindlich einzustufen sind. Doch daneben werden in der Partei immer wieder Ansichten laut, deren rechtsextremistischer und damit verfassungsfeindlicher Charakter nicht von der Hand zu weisen ist. Beispielsweise erschien in der Januar/Februar-Ausgabe 2005 von "Zeit für Protest!" ein Artikel über Rudolf Heß, in dem nicht nur die Schuld Hitler-Deutschlands an der Ausweitung des Weltkrieges im Jahr 1941 in typisch rechtsextremistischer Manier in Zweifel gezogen wird, sondern den Lesern auch ebenso typisch rechtsextremistische (Verschwörungs-)Theorien zur historischen Rolle von Rudolf VerschwörungsHeß in Form von (rhetorischen) Fragen unterbreitet werden: theorien "Jetzt deuten neueste Archivfunde aus England darauf hin, dass die britische Regierung die deutschen Friedensangebote von Anfang an torpedierte: Churchill spielte auf Zeit, um die USA und die Sowjetunion in den Krieg zu ziehen. Wurde Heß in eine Falle gelockt und bis zu seinem Tode inhaftiert, um dieses Vorgehen, das Millionen Menschen Gesundheit und Leben kostetet, zu verschleiern? Wer verübte den heimtückischen Mord an Karl und Martha Haushofer, die in die Pläne von Heß eingeweiht waren und im Nürnberger Prozess für ihn aussagen sollten? Das letzte Rätsel gab Rudolf Heß' plötzlicher Tod auf. (...) Wurde Heß zum Schweigen gebracht, weil Gorbatschow ihn freilassen wollte? 149 (...) Wer hat ein Interesse daran, dass die Geheimakte Rudolf Heß 60 Jahre nach Kriegsende noch immer verschlossen bleibt?"280 Wie sehr das Denken des unbekannten Artikelautors in rechtsextremistischen Verschwörungstheorien verfangen ist, wird auch daraus ersichtlich, dass er die gegenstandslose Frage nach den vermeintlichen Mördern von Karl Haushofer, einem Universitätslehrer und Freund von Heß, und von Haushofers Frau aufwirft. In Wahrheit begingen die beiden 1946 Selbstmord, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass ihr Sohn Albrecht noch in den letzten Kriegstagen aufgrund seiner Kontakte zum Widerstand von der SS ermordet worden war. Bündnisbestrebungen und Kontakte zu anderen Rechtsextremisten Nicht nur das Schicksal des im Januar 2005 aufgelösten Hamburger REPLandesverbands veranschaulicht, dass die Abgrenzungsstrategie281, an der die Bundesführung um Dr. SCHLIERER bis heute festhält, in der Partei immer noch umstritten ist. Entgegen der offiziellen Parteibeschlusslage pflegen nach wie vor REP-Mitglieder Kontakte zu (anderen) Rechtsextremisten und treten dafür ein, mit diesen eine - wie auch immer geartete - Kooperation einzugehen. Als Beleg dafür kann angeführt werden, dass im Rahmen der jüngsten Tendenzen zu verstärkter Kooperation und Bündelung der vorhandenen personellen und strukturellen Ressourcen im rechtsextremistischen Lager immer wieder auch REP-Mitglieder Seite an Seite mit (anderen) Rechtsextremisten auftauchen.282 5.3 "Deutsche Volksunion" (DVU) Gründung: 1971 als eingetragener Verein 1987 als politische Partei Sitz: München Mitglieder: ca. 900 Baden-Württemberg (2004: ca. 1.000) ca. 9.000 Bund (2004: ca. 11.000) Sprachrohr: "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) Organisation, Aktivitäten und politisch-ideologische Ausrichtung Auf Bundesebene ist die "Deutsche Volksunion" (DVU) nach wie vor die mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei, obwohl ihre Mitgliederzahlen 280 "Zeit für Protest!" Nr. 1-2/2005, Artikel "Neues zum 'Fall Rudolf Heß'", S. 10, Übernahme wie im Original. 281 Vgl. Kapitel 9.1. 282 Dazu im Detail siehe S. 169ff. 150 Rechtsextremismus seit Jahren in der Gesamttendenz deutlich rückläufig sind. Sie hat seit 1993 rückläufige im Bund weit über die Hälfte und in Baden-Württemberg sogar mehr als Mitgliederzahlen zwei Drittel ihrer Mitglieder verloren, womit sie in diesem Bundesland 2005 hinter die REP auf Platz zwei zurückfiel. Schwerer als dieser personelle Schwund fällt für die Partei aber die ausgeprägte Passivität der verbliebenen DVU-Mitglieder ins Gewicht. Diese Passivität wurzelt in der streng hierarchischen Ausrichtung der Partei auf ihren Gründer und seither einzigen Bundesvorsitzenden, den finanzkräftigen Münchner Verleger Dr. Gerhard FREY. Von ihm ist die DVU finanziell weitgehend abhängig, was er dazu nutzt, jeden innerparteilichen Pluralismus oder gar Widerspruch zu unterbinden. Das führt dazu, dass sich weder auf Bundesnoch auf Landesebene eine eigenständige Parteiarbeit entwickeln kann und neben Dr. FREY kaum überregional bekanntes, profiliertes DVU-Führungspersonal existiert. Dr. FREYs unangefochtene Position kommt auch darin zum Ausdruck, dass er auf dem DVU-Bundesparteitag am 15. Januar 2005 in München mit 99,3 Prozent283 der abgegebenen Stimmen in seinem Amt bestätigt wurde. Der baden-württembergische DVU-Landesverband zählt zu den inaktiveren Landesverband in dieser ohnehin schon von Passivität geprägten Partei. Aktivitäten sind inaktiv kaum feststellbar, und wo das doch der Fall ist - wie bei den monatlichen Stammtischen in Aalen/Heidenheim beziehungsweise Mannheim/Heidelberg, für die auf der DVU-Internetseite und in der NZ geworben wird284 -, geht von ihnen in der Regel keine Außenwirkung aus. Bezeichnend ist auch, dass der diesjährige Landesparteitag zusammen mit demjenigen des bayerischen Landesverbands am 23. Oktober 2005 außerhalb der Landesgrenzen in Augsburg stattfand. Bei dieser Gelegenheit wurde Heinrich DEINZER, Dischingen/Krs. Heidenheim zum neuen baden-württembergischen DVU-Landesvorsitzenden gewählt. Eine gewisse Bedeutung kann das inoffizielle Sprachrohr der Bundes-DVU, die von Dr. FREY herausgegebene Wochenzeitung NZ, für sich in Anspruch nehmen, denn sie ist das auflagenstärkste und in der Öffentlichkeit wohl bekannteste rechtsextremistische Presseorgan in Deutschland. 283 "National-Zeitung" (NZ) Nr. 4 vom 21. Januar 2005, Artikel ",Die Botschaft des Deutschland-Pakts: eine bessere Zukunft' - Vorstellung und Unterzeichnung auf dem DVU-Bundesparteitag", S. 4. 284 DVU-Homepage vom 17. Oktober 2005, NZ Nr. 41 vom 7. Oktober 2005, S. 14. 151 Sie bedient ein relativ breites Themenspektrum aus dem klassischen Arsenal der rechtsextremistischen Ideologie (zum Beispiel Fremdenfeindlichkeit, Gebietsund Geschichtsrevisionismus). Artikelüberschriften wie "Bald alle Deutschen arbeitslos? Die Invasion ausländischer Schwarzarbeiter"285 und "Einladung zur Steuerabzocke für Türken? Für Deutsche gelten schärfere Kriterien"286 sind repräsentative Beispiele dafür. Wahlen Die DVU ist zwar seit ihrer Gründung die erfolgreichste rechtsextremistische Wahlpartei, was unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass die Partei (das heißt Dr. FREY) bereit ist, immer wieder erhebliche Summen in keine Wahlkämpfe zu investieren. 2005 jedoch trat sie gemäß den Vereinbarungen Wahlteilnahme des "Deutschland-Paktes" mit der NPD287 weder zu den Landtagswahlen am 2005 20. Februar in Schleswig-Holstein und am 22. Mai in Nordrhein-Westfalen noch zur vorgezogenen Bundestagswahl am 18. September an. Allerdings wurden zur Bundestagswahl DVU-Vertreter auf NPD-Landeslisten aufgestellt, darunter Dr. FREY auf Platz 1 in Nordrhein-Westfalen. Gemäß des "Deutschland-Paktes" tritt die DVU auch nicht zur Landtagswahl am 26. März 2006 in Baden-Württemberg an. Das entspricht allerdings der Praxis, die bisher auch ohne "Deutschland-Pakt" durchgängig üblich war: Die Bedeutungslosigkeit des baden-württembergischen DVU-Landesverbands findet nämlich nicht zuletzt darin ihren Ausdruck, dass er noch nie zu einer Landtagswahl angetreten ist. 5.4 "Deutsche Partei - Die Freiheitlichen" (DP) Gründung: 1993 Sitz: Berlin (Bis Januar 2005: Bad Soden/Hessen) Mitglieder: ca. 60 Baden-Württemberg (2004: ca. 60) ca. 500 Bund (2004: ca. 500) Publikationen: "Deutschland-Post" (Publikation der Bundespartei) "Infobrief Baden-Württemberg" (Publikation der Landespartei) Organisation und Aktivitäten Auch 2005 war die Situation der "Deutschen Partei" (DP) auf Bundeswie auf baden-württembergischer Landesebene durch eine ausgeprägte struktu285 NZ Nr. 15 vom 8. April 2005, S. 1. 286 NZ Nr. 21 vom 20. Mai 2005, S. 6. 287 Zum "Deutschland-Pakt" siehe S. 172f. 152 Rechtsextremismus relle wie personelle Schwäche bestimmt. Der DPLandesverband Baden-Württemberg verfügt nach wie vor kaum über Untergliederungen (zum Beispiel Kreisverbände) und nur über einen sehr niedrigen, stagnierenden Mitgliederbestand. Die bemerkenswerteste Neuerung im Landesverband besteht darin, dass er seit 2005 - zumindest über seine Internetseite - eine eigene, vierseitige Publikation verbreitet, den "Infobrief Baden-Württemberg", der laut Untertitel monatlich erscheinen soll. Ansonsten gehen von der baden-württembergischen DP nur wenige nennenswerte Aktivitäten aus. So trat die DP zusammen mit dem rechtsextremistischen "Schutzbund für das Deutsche Volk e. V." (SDV)288 als Ausrichterin des "Bodenseetages" auf dem Bodensee am 13. August 2005 auf, an dem nach DP-Angaben "knapp 150 Personen" teilnahmen, darunter auch so prominente Rechtsextremisten wie der NPD-Bundesvorsitzende Udo VOIGT.289 Auf dem baden-württembergischen DP-Landesparteitag am 28. August 2005 in Nürtingen wurde Jutta RETZ aus Abstatt/Krs. Heilbronn in ihrem Amt bestätigt.290 In der Bundespartei hingegen ging die Ära des bisherigen Bundesvorsitzenden Dr. Heiner KAPPEL Anfang 2005 zu Ende. Der DPpersonelle Bundesvorstand enthob ihn auf seiner außerordentlichen Sitzung am Querelen im 22. Januar 2005 in Nürnberg des Amtes.291 Dieser Vorgang stand im Bundesverband Zusammenhang mit heftigen, auch danach vereinzelt noch aufflackernden Auseinandersetzungen innerhalb der Partei um die Positionierung der DP bei den jüngsten Kooperationsund Bündelungsbestrebungen innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Dr. KAPPEL hatte in der Partei als Verfechter einer Abgrenzung von Rechtsextremismusvarianten mit besonders hohem Fanatisierungsgrad (zum Beispiel NPD) gegolten. Somit markiert seine Amtsenthebung zusammen mit dem "Münchener Bekenntnis" vom Folgetag292 das Einschwenken der DP auf die Volksfront-Linie der NPD. Die Amtsgeschäfte des Bundesvorsitzenden wurden vorübergehend kommissa288 Beim SDV handelt es sich um einen seit Jahrzehnten rassistisch und fremdenfeindlich agitierenden rechtsextremistischen Verein. Zweck des SDV ist laut Satzung "die Erhaltung der ethnischen und kulturellen Eigenart des deutschen Volkes", was sich z.B. darin äußert, dass der SDV eine verstärkte Ausländerrückführung anstrebt und sich besonders gegen jede "Vermischung" mit "fremden Rassen, Kulturen und Religionen", namentlich auch in Gestalt von Mischehen, ausspricht. 289 "Infobrief Baden-Württemberg" (Ausgabe Oktober 2005), Artikel "Bodenseetag im August 2005" von Jutta RETZ, S. 3 (Homepage des DP-Landesverbands Baden-Württemberg vom 12. Oktober 2005). 290 Meldung "Landesparteitag der Deutschen Partei Baden-Württemberg mit Neuwahlen des Vorstands am 28. August 2005 in Nürtingen" vom 29. August 2005, Homepage des DP-Landesverbands Baden-Württemberg vom 28. September 2005. 291 Meldung "Kappel nicht mehr Chef der DEUTSCHEN PARTEI" vom 25. Januar 2005, Homepage des DP-Landesverbands Baden-Württemberg vom 28. September 2005. 292 Zum "Münchener Bekenntnis" siehe S. 167ff. 153 risch von Dr. KAPPELs bisherigen drei Stellvertretern wahrgenommen293, bis zwei von ihnen, Claudia WIECHMANN und Ulrich PÄTZOLD, auf dem DP-Bundesparteitag am 29. Mai 2005 im bayerische Rehau zu gleichberechtigten Bundesparteivorsitzenden gewählt wurden. Jutta RETZ fungiert seither als eine von zwei stellvertretenden DP-Bundesvorsitzenden.294 Dr. KAPPEL wurde im November 2005 aus der Partei ausgeschlossen.295 Wahlen Die völlige Bedeutungslosigkeit der DP in der politischen Landschaft der Bundesrepublik Deutschland, aber selbst innerhalb des rechtsextremistischen Parteienspektrums manifestierte sich 2005 auch darin, dass die Partei, die ohnehin seit Jahren bei Landtagsoder Europawahlen nur Ergebnisse keine deutlich unterhalb der Ein-Prozent-Marke erzielt, an den Landtagswahlen in Wahlteilnahme Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sowie an der Bundestagswahl nicht einmal teilnahm. Angesichts dieser Gesamtlage und der Einschätzung, dass die DP im rechtsextremistischen Parteienspektrum weder eine irgendwie wahrnehmbare Funktion zu übernehmen noch eine ideologische oder sonstige Nische zu besetzen scheint, entpuppt sie sich als geradezu klassisches Beispiel für diejenigen unter den rechtsextremistischen Personenzusammenschlüssen, die durch ihre Existenz zur weiteren organisatorischen Zersplitterung der rechtsextremistischen Szene beitragen. 6. Sonstige rechtsextremistische Aktivitäten 6.1 Organisationsunabhängige rechtsextremistische Verlage in Baden-Württemberg: "GRABERT-Verlag"/"HohenrainVerlag" Der "GRABERT-Verlag" wurde 1953 von Dr. Herbert GRABERT (verstorben 1978) in Tübingen als "Verlag der deutschen Hochschullehrerzeitung" gegründet und erhielt 1974 seinen heutigen Namen. GRABERTs Sohn Wigbert hat seit 1972 die Verlagsleitung und seit dem Tod des Vaters auch die 293 Meldung "Kappel nicht mehr Chef der DEUTSCHEN PARTEI" vom 25. Januar 2005, Homepage des DP-Landesverbands Baden-Württemberg vom 28. September 2005. 294 Meldung "DEUTSCHE PARTEI mit Doppelspitze jetzt auf Kurs!" vom 31. Mai 2005, Homepage des DPLandesverbands Baden-Württemberg vom 28. September 2005. 295 Beitrag "Erneute Niederlage für Kappel" vom 8. November 2005, Homepage des DP-Landesverbands Baden-Württemberg vom 9. November 2005. 154 Rechtsextremismus alleinige Geschäftsführung inne. Der Verlag zählt heute zu den größten organisationsunabhängigen rechtsextremistischen Verlagen in Deutschland, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass er sich im Laufe der Zeit eine Reihe von Tochterunternehmen zugelegt hat, darunter den 1985 Struktur gegründeten ebenfalls in Tübingen ansässigen "Hohenrain-Verlag". Beide Verlage sind seit 2004 mit eigenen Seiten im Internet vertreten, bieten ihre Produkte jedoch auch weiterhin über die "GRABERT-Versandbuchhandlung" an. Den Mitgliedern des "Deutschen Buchkreises" werden beim Kauf von Büchern der beiden Verlage unter bestimmten Bedingungen verbilligte Konditionen eingeräumt. Die relativ umfangreichen Verlagsprogramme von "GRABERT-" und "Hohenrain-Verlag" bedienen unter anderem klassische rechtsextremistische Themenfelder, zum Beispiel Geschichtsund Gebietsrevisionismus. Themenfelder Mehrfach wurden bereits Bücher der beiden Verlage wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Verunglimpfens Verstorbener eingezogen und/oder von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert. So wurde am 4. September 2002 das 2001 im "Grabert-Verlag" publizierte Buch "Hinter den Kulissen der Neuen Weltordnung - Zeitkritik ohne Tabus" von Hans Werner WOLTERSDORF von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (seit 1. April 2003: BPjM) indiziert. Die dagegen vom Verlag erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Köln mit Urteil vom 8. Mai 2005 ab und bestätigte die Indizierung. Wigbert GRABERT gibt (laut Impressum in Zusammenarbeit mit dem aber faktisch nicht existenten "Institut für deutsche Nachkriegsgeschichte") die pseudowissenschaftlich aufgemachte, vierteljährlich erscheinende Zeitschrift "Deutschland in Geschichte und Gegenwart" (DGG; Untertitel: "Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik") heraus. In ihr wird unter anderem einschlägigen rechtsextremistischen Publizisten und Theoretikern ein Forum geboten, ihre Ansichten zu propagieren, zum Beispiel zur Globalisierung296 und zum Liberalismus297, beides Phänomene, die in der DGG - wie in der rechtsextremistischen Szene generell - aus grundsätzlichen ideologischen Motiven vehement abgelehnt werden. 296 DGG Nr. 1 vom März 2005, Artikel "Deutschland in der Globalisierungsfalle - Die Bundesrepublik zwischen Hysterie und nationaler Existenzkrise", S. 2ff. 297 DGG Nr. 2 vom Juni 2005, Artikel "Die Zehn Todsünden des real existierenden Liberalismus", S. 2ff. 155 Das alle zwei Monate erscheinende Informationsblatt "Euro-Kurier - Aktuelle Buchund Verlags-Nachrichten" beschäftigt sich mit der Situation der beiden Verlage, weist auf Neuerscheinungen hin, beinhaltet jedoch auch thematische Beiträge eindeutig rechtsextremistischen Inhalts. 6.2 "Gesellschaft für Freie Publizistik e.V." (GFP) Die "Gesellschaft für Freie Publizistik e.V." (GFP) ist mit ihren ca. 500 Mitgliedern (2004: ca. 450; Baden-Württemberg: 2004 und 2005 je rund 40), wozu vor allem rechtsextremistische Verleger, Redakteure, Publizisten und Buchhändler zählen, die mitgliederstärkste rechtsextremistische Kulturvereinigung in Deutschland. Gegründet wurde sie 1960 von ehemaligen SSAnnäherung und NSDAP-Angehörigen. Viermal pro Jahr veröffentlicht die GFP ihr Mitan NPD teilungsblatt "Das Freie Forum". Vom 8. bis 10. April 2005 hielt die GFP in Franken ihren alljährlichen Kongress mit - nach eigenen Angaben - über 300 Teilnehmern298 (2004: ca. 280) ab, diesmal unter dem Motto "60 Jahre Kriegsende - Befreiung von der 'Befreiung'". Auf diesem Kongress wurde der bisherige, langjährige GFP-Vorsitzende Dr. Rolf KOSIEK aus Nürtingen in diesem Amt von Andreas MOLAU abgelöst und fungiert nur noch als dessen Stellvertreter. Damit vollzieht die GFP zumindest personell eine Annäherung an die NPD, denn MOLAU ist außerdem als stellvertretender Chefredakteur für die NPDParteizeitung "Deutsche Stimme" tätig. Der neue badenwürttembergische NPD-Landesvorsitzende Jürgen SCHÜTZINGER sitzt bereits seit Jahren im GFP-Vorstand. 7. Internationale Verflechtungen des Rechtsextremismus 7.1 Allgemeines Grundsätzlich stehen zentrale rechtsextremistische Ideologiebestandteile einer internationalen Verflechtung der nationalen rechtsextremistischen Szenen diametral entgegen: Rassismus, Nationalismus, Ausländerbeziehungsweise Fremdenfeindlichkeit, Gebietsund Geschichtsrevisionismus sowie Antiamerikanismus sorgen für vielfältige Konfliktpotenziale und ideologische Sollbruchstellen im Verhältnis deutscher Rechtsextremisten zu 298 "Das Freie Forum" Nr. 2 (April/Mai/Juni 2005), Artikel "Der Jahreskongress der GFP 2005", S. 1ff., hier: S. 1. 156 Rechtsextremismus ausländischen "Gesinnungsgenossen". Trotzdem sind zahlreiche Kontakte deutscher Rechtsextremisten aus dem Parteienbereich und aus der Neonazibeziehungsweise Skinheadszene ins Ausland nachweisbar. Baden-württembergische Rechtsextremisten pflegen schon aufgrund der geographischen Nähe Kontakte in die Nachbarländer Schweiz und Österreich, die bei Kontakte in die vielen großdeutsch gesinnten Rechtsextremisten jedoch nicht als Ausland Nachbarländer gelten, aber auch nach Frankreich. Um besagte Konfliktpotenziale zu umgehen, basiert die internationale Kooperation im Rechtsextremismus häufig auf Ausblendungen und einem relativ kleinen, meist rein negativen gemeinsamen Nenner: Zur nationenübergreifenden Identitätsstiftung werden gemeinsame Feindbilder wie die USA und das Judentum beziehungsweise Israel beschworen oder der Kampf gegen internationale Phänomene, die von Rechtsextremisten ausschließlich als Bedrohungen wahrgenommen werden, wie die Globalisierung oder die von Rechtsextremisten behauptete "Überfremdung" Deutschlands und Europas durch außereuropäische Einwanderer in den Mittelpunkt gestellt. Die Motive deutscher Skinheads bei der Aufnahme von Auslandskontakten sind häufig weniger ideologischer Natur. Für sie ist attraktiv, dass in anderen europäischen Staaten Skinheadkonzerte seltener staatlichen Sanktionen unterliegen als in Deutschland. Zudem dürfen dort häufig auch Lieder gespielt und rechtsextremistische Symbole und Gesten (zum Beispiel der so genannte "Hitler-Gruß") gezeigt werden, die in Deutschland unter Strafe stehen. Aus ähnlichen juristischen Überlegungen betreiben immer mehr deutsche Rechtsextremisten ihre Homepages über ausländische Provider. 7.2 Geschichtsrevisionismus299 Ausgerechnet die rechtsextremistische Geschichtsrevisionistenszene ist international geprägt, waren beziehungsweise sind unter ihren Protagonisinternationale ten doch neben Deutschen zum Beispiel auch Briten, Franzosen oder USSzene Amerikaner anzutreffen. Diese Tatsache mag erstaunen, da es rechtsextremistischen Geschichtsrevisionisten doch (unter anderem) darum geht, das nationalsozialistische Deutschland von der Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieg entgegen der historischen Fakten freizusprechen, im Gegenzug jedoch den Kriegsgegnern des "Dritten Reiches" - also zum Beispiel Großbritannien, Frankreich oder den USA - diese Schuld in die Schuhe zu schieben. 299 Definition vgl. Kap. 1.3. 157 Rechtsextremistische Geschichtsrevisionisten agieren hauptsächlich über das Internet, da sie sich hier vor Strafverfolgung sicher fühlen. Dieser Kalkulation steht aber ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Dezember 2000 entgegen, wonach sich auch in Deutschland strafbar macht, wer Äußerungen, die den Tatbestand der Volksverhetzung im Sinne des SS 130 Abs. 1 oder des SS 130 Abs. 3 StGB erfüllen ("Auschwitz-Lüge") und die konkret zur Friedensstörung im Inland geeignet sind, auf einem ausländischen, aber Internetnutzern in Deutschland zugänglichen Server in das Internet einstellt. Im Jahr 2005 hatte die internationale rechtsextremistische Geschichtsrevisionistenszene mehrere Erfolge der deutschen und österreichischen Strafvier verfolgungsbehörden zu verkraften. Gleich drei ihrer führenden ProtagonisProtagonisten ten wurden vom Ausland nach Deutschland ausgeliefert beziehungsweise in Haft abgeschoben und sehen sich hier mit den juristischen Konsequenzen ihres Handelns konfrontiert. Ein vierter wurde in Österreich inhaftiert: Am 1. März 2005 wurde der deutsche, aus Baden-Württemberg stammende Geschichtsrevisionist Ernst ZÜNDEL von den kanadischen Behörden nach Deutschland abgeschoben und befindet sich seither in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Mannheim ermittelt seit 1996 gegen ZÜNDEL unter anderem wegen des Verdachts der Volksverhetzung (SS 130 StGB). Seit 2003 hatte Haftbefehl gegen ihn bestanden. Der Prozess gegen ZÜNDEL vor dem Landgericht Mannheim begann im November 2005, wurde aber noch im selben Monat ausgesetzt. Im Februar 2006 wurde der Prozess fortgesetzt und am 9. März 2006 erneut unterbrochen.300 ZÜNDEL befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft. Am 1. November 2005 wurde der belgische Geschichtsrevisionist Siegfried VERBEKE von den niederländischen Behörden an die Bundesrepublik ausgeliefert. Grundlage für seine Festnahme im August 2005 in Amsterdam war ein internationaler Haftbefehl des Amtsgerichts Mannheim gewesen. VERBEKE werden unter anderem Verstöße gegen den Volksverhetzungsparagrafen 130 StGB vorgeworfen. Schon im April 2005 war VERBEKE in Belgien wegen revisionistischer Äußerungen und Verstößen gegen das belgische Antirassismusgesetz zu einem Jahr Haft verurteilt worden. VERBEKE hatte zum Zeitpunkt seiner Auslieferung an Deutschland diese Haft noch nicht angetreten. 300 Stand: 21. März 2006. 158 Rechtsextremismus Am 14. November 2005 wurde der deutsche Geschichtsrevisionist Germar RUDOLF von den USA nach Deutschland abgeschoben. Der damals im Landkreis Böblingen lebende RUDOLF war 1995 vom Landgericht Stuttgart wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, Beleidigung und Aufstachelung zum Rassenhass zu einer 14-monatigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. Diese Haftstrafe, der er sich 1996 durch Flucht ins Ausland entzogen hatte, verbüßt er nun in einer Justizvollzugsanstalt in Baden-Württemberg. Außerdem wurde der bekannte britische Geschichtsrevisionist David IRVING am 11. November 2005 während eines Aufenthaltes in Österreich verhaftet. Seit 1989 besteht dort gegen ihn ein vom Landgericht Wien erlassener Haftbefehl wegen des Verdachts der NS-Wiederbetätigung. 8. Theorieund Strategiebildung im deutschen Rechtsextremismus Der eklatante Mangel der rechtsextremistischen Szene an ideologisch-theoDefizite retischer Homogenität und Fundierung zählt zusammen mit - nicht zuletzt daraus resultierender - Zerstrittenheit und organisatorischer Zersplitterung zu den schwerwiegendsten internen Problemen, mit denen sich der deutsche Rechtsextremismus seit Jahrzehnten konfrontiert sieht.301 Bereits seit Jahren versuchen einige rechtsextremistische Zirkel und Periodika, aber auch einzeln agierende rechtsextremistische Intellektuelle, diese Defizite abzubauen und die Szene auf breiter Front mit einem möglichst einheitlichen ideologischen und intellektuellen Rüstzeug auszustatten, um damit in der Konsequenz auch der organisatorischen Zersplitterung entgegenzuwirken. Diese Versuche sind bisher meistens gescheitert. Als Beispiele für Gruppierungen beziehungsweise Fortbildungseinrichtungen, die sich der rechtsextremistischen Theorieund Strategiebildung widmen, sind das "Deutsche Kolleg" (DK), die "Deutsche Akademie" (DA) und als jüngstes Beispiel die so genannte "Dresdner Schule" mitsamt des "Bildungswerks für Heimat und nationale Identität e.V." (i. G.) (BHNI) zu nennen. 301 Zu den aktuellen Bemühungen der rechtsextremistischen Szene, wenigstens ihre organisatorische Zersplitterung zu überwinden, vgl. Kapitel 9 (S. 162ff.). 159 Das DK, das als Kontaktadresse ein Postfach in Würzburg angibt, bezeichnet sich selbst als "Schild und Schwert des Deutschen Geistes", als "geistige Verbindung reichstreuer Deutscher und reichstreuer Schutzgenossen des Deutschen Volkes" und "somit" als "Denkorgan des Deutschen Reiches".302 Hinter dieser Selbstcharakterisierung verbirgt sich ein zuweilen besonders fanatischer Rechtsextremismus, den das DK über seine InternetHomepage und Schulungsveranstaltungen verbreitet. Die DA verfügt ebenfalls über eine Internetseite. Dort kritisiert sie zwar die rechtsextremistischen Parteien scharf, gibt aber als Kontaktadresse neben einem Postfach in Kaiserslautern ein weiteres in Essen an, das mit demjenigen des "Nationaldemokratischen Hochschulbundes e. V." (NHB) idenNähe zur NPD tisch ist. Daraus lässt sich auf eine Nähe zur NPD schließen, handelt es sich beim NHB doch trotz dessen formaler Unabhängigkeit faktisch um eine Unterorganisation dieser Partei. Die DA führt an verschiedenen Orten in Deutschland nach eigenen Angaben "mehrmals im Jahr Wochenend-Seminare zu unterschiedlichen Themen durch."303 Ein besonders ambitioniertes Projekt, das ebenfalls in diesen Zusammenhang einzuordnen ist, bildet sich seit 2005 in der sächsischen Landeshaupt"Dresdner stadt heraus. Bei der "Dresdner Schule" handelt es sich nach Aussage eines Schule" ihrer Theoretiker um ein "locker gefügtes Agglomerat theoriefähiger Köpfe unter Einschluss und im Umfeld der sächsischen NPD-Fraktion". Sie umfasse "Abgeordnete, wissenschaftliche Mitarbeiter und sonstige Zuarbeiter gleichermaßen".304 Die "Dresdner Schule" soll nach den Worten eines ihrer Vertreter ein "'nationaldemokratische[r] Denkzirkel'" und "'Gegenentwurf zur 'Frankfurter Schule305'" sein, der "seine Aufgabe" darin sehe, "'die Werte nationaler Solidarität, nationaler Identität und nationaler Souveränität in praktische sächsische Landespolitik umzusetzen.'"306 An anderer Stelle bezeichnete derselbe Autor die "Dresdner Schule" als die "Denkund Politikschule einer selbstbewussten [deutschen] Nation", die es neu zu begründen gelte.307 Hinter diesen Worten verbirgt sich der Wille zur intellektuel302 DK-Homepage vom 20. Oktober 2005. 303 DA-Homepage vom 20. Oktober 2005. 304 Beitrag "Die 'Dresdner Schule' - Anspruch - Inhalte - Strukturen" von Karl RICHTER, Homepage des NPD-Landesverbands Sachsen vom 17. Oktober 2005, Übernahme wie im Original. 305 Bezeichnung für den Kreis von Sozialund Kulturwissenschaftlern um Max Horkheimer und das Frankfurter Institut für Sozialforschung sowie die hier entwickelten, von Karl Marx und Siegmund Freud bestimmten soziologisch-philosophischen Lehren. 306 Beitrag "'Dresdner Schule' jetzt auch in der Landeszentrale für politische Bildung vertreten" vom 21. April 2005, Homepage der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag vom 17. Oktober 2005. 307 Beitrag "Erklärung des Landtagsabgeordneten Jürgen Gansel zu Wesen und Wollen der 'Dresdner Schule' - Frankfurt war gestern, Dresden ist heute - Denkund Politikschule einer selbstbewussten Nation" von Jürgen GANSEL, Homepage des NPD-Landesverbands Sachsen vom 17. Oktober 2005, Übernahme wie im Original. 160 Rechtsextremismus len Unterfütterung und Propagierung althergebrachter, also keinesfalls neuartiger oder auch nur abgeschwächter rechtsextremistischer Ideologieelemente, wie aus anderen Texten, die aus den Reihen der "Dresdner Schule" publiziert wurden, überdeutlich hervorgeht. So lehnt die "Dresdner Schule" die im Grundgesetz als unverletzlich und unveräußerlich garantierten Ablehnung der Menschenrechte entschieden und unverhohlen ab, leugnet sogar ihre ExisMenschenrechte tenz und spricht von "Menschenrechts-Lüge": "Objektive 'Menschenrechte' gibt es nicht; vielmehr sind die sogenannten 'Menschenrechte' ein ideologisches Konstrukt, das im Gefolge der Französischen Revolution und verstärkt im Zuge der Weltanschauungskonflikte des 20. Jahrhunderts formuliert wurde und das am Beginn des 21. Jahrhunderts als universales Rechtfertigungs-Vehikel einer globalen Interventionsund Einmischungspolitik zur Aushebelung nationaler Souveränitätsrechte dient. Sowohl von ihrem Menschenbild her als auch unter Souveränitätsaspekten lehnt die 'Dresdner Schule' die Fiktion der sogenannten 'Menschenrechte' vehement ab; sich bietende Möglichkeiten eines 'Roll back' wird sie fallweise und aus grundsätzlichen Erwägungen unterstützen."308 Als organisatorische Konkretisierung der 'Dresdner Schule' ist das BHNI einzustufen, das nach Angaben der sächsischen NPDFraktion am 18. April in ihren Räumen gegründet wurde, sich als NPD-nah versteht und daher "in seiner Wertorientierung dem Grundkonsens der NPD" folgt. An der Spitze der ursprünglich zehn Gründungsmitglieder stehen mit dem Vorsitzenden Peter DEHOUST, einem der Herausgeber von "Nation & Europa - Deutsche 308 Beitrag "Die 'Dresdner Schule' - Anspruch - Inhalte - Strukturen" von Karl RICHTER, Homepage des NPD-Landesverbands Sachsen vom 17. Oktober 2005, Übernahme wie im Original. 161 Monatshefte" (NE), und dem stellvertretenden Vorsitzenden Karl RICHTER, der zugleich den Parlamentarischen Beratungsdienst der NPD-Fraktion leitet, zwei relativ bekannte Rechtsextremisten. Nach den Worten des NPD-Fraktionsvorsitzenden Holger APFEL wird das BHNI versuchen, "'insbesondere die Denkansätze der 'Dresdner Schule' im öffentlichen Diskurs zu popularisieren'". Schon bei seiner Gründung plante das BHNI die "Durchführung von Seminaren, die Herausgabe von Publikationen und die Veranstaltung von Exkursionen."309 Periodika Zirkel wie die hier vorgestellten agieren vorwiegend über Seminare, Vorträge, das Internet und dort abrufbare Positionsund Strategiepapiere, aber weniger oder gar nicht über Printmedien. Daneben unterstützen aber auch einige Periodika die Intellektualisierungsbemühungen der rechtsextremistischen Szene. Neben der "Deutschen Stimme" (DS), der Parteizeitung der NPD, die erst in den letzten Jahren den Charakter eines führenden rechtsextremistischen Theorieund Strategieorgans angenommen hat, ist als ein weiteres wichtiges Beispiel dafür die in der Regel monatlich im bayerischen Coburg erscheinende NE zu nennen. Die NE existiert seit 1951 und ist damit das älteste rechtsextremistische Strategieund Theorieorgan in Deutschland. Ihre Auflage beträgt 18.000 Exemplare. Sie ist wie die DS mit einer eigenen Homepage im Internet vertreten. 9. Tendenzen zu verstärkter Kooperation und Bündelung der vorhandenen personellen und strukturellen Ressourcen im rechtsextremistischen Lager Ausgeprägte organisatorische Zersplitterung zählt zu den charakteristischen Konstanten des deutschen Rechtsextremismus, die sich bis zu seinen Ursprüngen im Kaiserreich (1871-1918) zurückverfolgen lassen. Die einzige Ausnahme von dieser Regel machte nur die sich seit der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre herausbildende hegemoniale, nach 1933 monopolartige Füh309 Pressemitteilung "NPD-nahes Bildungswerk gegründet" vom 19. April 2005, Homepage der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag vom 18. Oktober 2005. 162 Rechtsextremismus rungsrolle der NSDAP innerhalb der damaligen rechtsextremistischen310 Szene. Organisatorische Zersplitterung korrespondiert(e) stets mit einer ideologische und ebenso ausgeprägten und konstanten ideologischen Zersplitterung. Ersteres organisatorische ist nicht zuletzt auch durch Letzteres bedingt. Denn die ideologischen ProZersplitterung file der einzelnen rechtsextremistischen Strömungen, Parteien oder Vereine sind alles andere als deckungsgleich. Unter anderem diese ideologische Heterogenität hat nach 1945 nicht nur die Entstehung einer rechtsextremistischen Sammlungspartei oder -bewegung verhindert, sondern führt immer wieder zu lähmender Zerstrittenheit innerhalb des rechtsextremistischen Lagers. Denn Intoleranz und Fanatismus, wie sie für alle rechtsextreGründe mistischen Strömungen im Umgang mit Andersdenkenden typisch sind, wirken sich auch auf das rechtsextremistische Lager selbst negativ aus: Viele Rechtsextremisten erweisen sich sogar bei inhaltlichen Kontroversen, die für Außenstehende eher geringfügig anmuten, als kompromisslos und unnachgiebig auch gegenüber Kontrahenten aus den eigenen Reihen, so dass schnell tief greifende Zerwürfnisse und Spaltungen entstehen können. Intoleranz und Fanatismus nach innen sowie Geltungssucht sind auch die Gründe für die im Rechtsextremismus verbreitete Unfähigkeit zur Unterordnung. Dazu kommt, dass ein wichtiges Segment des Rechtsextremismus sich aufgrund seines Selbstverständnisses und Charakters als konsequent organisationsresistent erweist: die rechtsextremistische Skinheadszene. Noch keiner rechtsextremistischen Organisation ist es gelungen, Skinheads wirklich langfristig in ihre Strukturen zu integrieren und für disziplinierte Mitarbeit zu gewinnen. Deutsche Rechtsextremisten beklagen ihre ideologische sowie organisatorische Zersplitterung und ihre damit einhergehende Zerstrittenheit seit Jahrzehnten, ohne bislang einer tragfähigen, dauerhaften Lösung dieser Probleme jemals wirklich nahe gekommen zu sein. Der Jahresbeginn 2005 brachte die nahtlose Fortsetzung der bereits 2004 feststellbaren Bemühungen innerhalb des rechtsextremistischen Lagers um eine Überwindung dieses Zustands. Die sich im ersten Halbjahr 2005 weiter verstärkende gesellschaftliche Wahrnehmung einer sozialen Krise sowie die erst relativ kurze Zeit zurückliegenden Wahlerfolge von NPD und DVU in Sachsen und Brandenburg (19. September 2004) bestärkten viele Rechtsextremisten in ihrer Aufbruchstimmung und in der Überzeugung, dass gerade in der gegenAufbruchwärtigen Situation ein möglichst geschlossenes Auftreten und Agieren der stimmung Szene unverzichtbar sei, um die sich dem Rechtsextremismus mutmaßlich bietenden Möglichkeiten effektiv zu nutzen, beispielsweise breitere Bevöl310 Wegen der Übersichtlichkeit soll hier der Oberbegriff "Rechtsextremismus" auch auf die antisemitischen, völkischen, alldeutschen, nationalsozialistischen Strömungen und Bewegungen der Zeit vor 1945 angewandt werden, auch wenn heute in der wissenschaftlichen Fachliteratur vielfach stärker zwischen diesen Einzelbegriffen unterschieden wird. 163 kerungsund damit auch Wählerschichten als bisher für rechtsextremistische Krisenlösungskonzepte zu gewinnen und so unter anderem in weitere Landesparlamente einzuziehen. Gerade in den ersten beiden Monaten brachte die rechtsextremistische Szene eine ganze Reihe von Erklärungen und gegenseitigen Vereinbarungen hervor, die im Wesentlichen immer um ein und dasselbe Motiv kreisten: den Appell an die Einigkeit und Geschlossenheit des eigenen Lagers. 9.1 Das "Hamburger Signal" vom 7. Januar 2005 Die Frage einer Kooperation mit oder Abgrenzung von (anderen) Rechtsextremisten ist innerhalb der REP seit Jahren immer wieder heftig umstritten. Auf dem REP-Bundesparteitag am 27./28. November 2004 konnte sich die Bundesparteispitze um den Bundesvorsitzenden Dr. Rolf SCHLIERER Abgrenzungsaus Stuttgart noch einmal mit der von ihr repräsentierten Abgrenzungspoposition des sition durchsetzen: Dort wurde ein Bundesparteitagsbeschluss von 1990, REP-Bundessich von (anderen) Rechtsextremisten abzugrenzen, durch ein Bekenntnis vorstands der Partei "zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Demokratie" abgelöst, das "gemeinsame Aktivitäten und Kandidaturen mit der NPD bei deren derzeitigen Zielen oder gar mit neonationalsozialistischen Organisationen und deren Umfeld" ausschließt. Andere rechtsextremistische Parteien (zum Beispiel die DVU) werden in dem Beschluss nicht in dieser ausdrücklichen Weise erwähnt311, was durchaus absichtlich unterlassen worden sein könnte: Nicht zuletzt die von Dr. SCHLIERER mitverantwortete "Frankfurter Erklärung"312 vom Oktober 2004, die ursprünglich auch vom damaligen DP-Bundesvorsitzenden Dr. Heiner KAPPEL mitgetragen worden war, legt den Schluss nahe, dass Dr. SCHLIERER gar nicht gewillt ist, sich und seine Partei von wirklich allen anderen Rechtsextremisten zu distanzieren - höchstens von denen, die wie NPD und Neonazis Rechtsextremismusvarianten mit besonders hohem Fanatisierungsgrad repräsentieren. Trotz seiner offiziellen, nun schon seit Jahren andauernden Abgrenzungsbemühungen gegen (zumindest bestimmte) andere rechtsextremistische innerparteiliche Parteien und Organisationen ist es Dr. SCHLIERER nie gelungen, die Opposition gesamte Partei von der Richtigkeit dieser Position zu überzeugen oder mit dieser Beschlusslage unvereinbare Kooperationen und Solidaritätsbekundungen von REP-Mitgliedern ganz zu unterbinden. Für einige dieser REPinternen Kritiker bedeutete die neuerliche Bestätigung des Abgrenzungs311 Pressemitteilung "Die Republikaner bekennen sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Demokratie", REP-Homepage vom 21. Dezember 2004. 312 Vgl. Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2004, S. 155f. 164 Rechtsextremismus kurses im November 2004 eine weitere und offenbar endgültige Provokation und Frustration durch die Bundesparteispitze. Am 7. Januar 2005 wurde ein "Aufruf unabhängiger Republikaner zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein" veröffentlicht, der vor allem von hamburgischen und sächsischen REP-Mitgliedern, aber auch von zwei Republikanern aus Ulm unterzeichnet worden war. In diesem auch als "Hamburger Signal" betitelten, mit einer Unterschriftenaktion verbundenen Aufruf stimmten die Verfasser nicht nur die altbekannten Klagen über die "Zerstrittenheit" des rechtsextremistischen Lagers an und forderten dementsprechend den "Schulterschluss" aller deutscher Rechtsextremisten, die im "gemeinsamen Kampf" "an einem Strang ziehen" sollten. Sie attackierten auch in aller Schärfe die Abgrenzungsposition der eigenen Parteiführung in den vergangenen Jahren. Die "überaus erfolgreiche Bündnispolitik" von NPD und DVU zum Vorbild nehmend, der sich die REP nach ihrer Meinung hätten anschließen sollen, riefen sie "dazu auf, am 20. Februar dieses Jahres in Schleswig-Holstein die NPD zu wählen und darüberhinaus zu unterstützen." Gleichzeitig kündigten die Aufrufautoren kaum verklausuliert ihre Abspaltung an: "Mit dem heutigen Tag erklären die Unterzeichner, dass sie nicht länger bereit sind, den Weg ins selbstgewählte politische Abseits der Republikanerführung mitzugehen. (...) Nicht wir wenden uns gegen die Partei, sondern die Parteiführung hat die historische Stunde zum gemeinsamen Kampf aller Patrioten für unser Vaterland verschlafen. Aus diesem Grund setzen wir unser politisches Wollen als unabhängige Republikaner mit den Parteien NPD oder DVU fort."313 Schon am folgenden Tag trat die geschäftsführende stellvertretende REPBundesvorsitzende Ursula WINKELSETT derartigen Bestrebungen in einer Pressemitteilung entgegen - allerdings ohne das "Hamburger Signal" explizit zu erwähnen -, bekräftigte den Abgrenzungskurs gegenüber der NPD und dementierte "Gerüchte über die angebliche Selbstauflösung des Hamburger Landesverbandes". Parteimitgliedern, die gegen den Abgrenzungsbeschluss des Bundesparteitags vom November 2004 verstießen, drohAuflösung des te sie mit Parteiausschluss.314 Ebenfalls am 8. Januar 2005 teilte jedoch der Hamburger REPREP-Landesverband Hamburg mit, dass er "sich aufgelöst" habe und "der Landesverbands 313 Meldung "Hamburger Signal - Aufruf unabhängiger Republikaner zur Landtagswahl in Schleswig Holstein", NPD-Homepage vom 8. März 2005, Übernahme wie im Original. 314 Pressemitteilung Nr. 2/05 "Republikaner lehnen auch im Norden Kooperation mit der NPD kategorisch ab" vom 8. Januar 2005, REP-Homepage vom 15. Juni 2005. 165 Übertritt Landesvorstand und die Vielzahl der Mitglieder (...) geschlossen zur NPD zur NPD übergetreten" seien. Die anders lautenden Verlautbarungen WINKELSETTs wurden als "Unwahrheit" bezeichnet. Der "Auflösungsbeschluss" sei auf dem "letzten Landesparteitag bei nur 2 Stimmenthaltungen (...) gefasst" worden. Der Schritt wurde unter anderem damit begründet, dass der Landesverband "wie andere Nordund mitteldeutsche Verbände von der Parteispitze (...) über Jahre gezielt unfair behandelt worden" seien.315 Nur wenig später wurde im Internet ein weiterer, diesmal aus Dresden stammender Text ehemaliger Republikaner vom 10. Januar 2005 veröffentlicht, der dazu aufrief, "das 'Hamburger Signal' zu unterzeichnen, um so die Bundesführung der Republikaner zu zwingen, den einzig richtigen Weg einzuschlagen!" Gleichzeitig wurden den noch verbliebenen REP-Mitgliedern indirekt, mit suggestiven Formulierungen nahe gelegt, ebenfalls die Partei zu verlassen ("Die Bundesführung ist nichts ohne Mitglieder!"). Auch dieser angedeutete Austrittsappell folgte der Intention, die REP-Bundesspitze so unter Druck zu setzen, dass sie von ihrer Abgrenzungsposition Abstand nehme.316 Angaben aus der rechtsextremistischen Szene lassen darauf schließen, dass das "Hamburger Signal" in der Folgezeit von mindestens 1.000 Personen unterzeichnet worden sein dürfte.317 9.2 Der "Deutschland-Pakt" vom 15. Januar 2005 Auf dem DVU-Bundesparteitag am 15. Januar 2005 in München unterWahlabsprache zeichneten die Bundesvorsitzenden von DVU, Dr. Gerhard FREY, und von NPD, Udo VOIGT, den so genannten "Deutschland-Pakt". Dabei handelt NPD und DVU es sich inhaltlich um die Fortschreibung der "Gemeinsamen Erklärung" vom 23. Juni 2004, mit der beide Parteien vereinbart hatten, bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg nicht gegeneinander anzutreten. Nicht zuletzt die Wahlerfolge vom 19. September 2004 dürften FREY und VOIGT bewogen haben, derartige Wahlabsprachen in der Hoffnung auf weitere Parlamentsmandate auszudehnen. Dementsprechend regelt der "Deutschland-Pakt", dass NPD und DVU zwar "eigenständige Parteien" bleiben sollen, sich aber fünf Jahre lang (bis zum 31. Dezember 2009) bei Wahlen auf Europa-, Bundesoder Landesebene keine Konkurrenz machen wollen. Zu diesem Zweck werden die bis dahin 315 Meldung "Eben hereingekommen: Hamburger REP sind zur NPD übergetreten! (09.01.05)", Internetauswertung vom 16. Juni 2005. 316 Text "Republikaner unterstützt das Hamburger Signal!" vom 10. Januar 2005, NPD-Homepage vom 8. März 2005. 317 Beitrag "Ein Jahr im Zeichen der Volksfront" vom 3. Mai 2005, Internetauswertung vom 17. Juni 2005. 166 Rechtsextremismus anstehenden Wahlen zwischen den beiden Parteien aufgeteilt: Der NPD wurde demnach die nächste - wie sich später herausstellen sollte, vorgezogene - Bundestagswahl "reserviert", während die DVU bei der nächsten Europawahl kandidieren soll. Die NPD verpflichtete sich, dabei "auch 15 Kandidaten, die der DVU angehören oder ihr nahe stehen", aufzustellen; die DVU hingegen soll "sechs bis sieben Kandidaten, die der NPD angehören oder ihr nahe stehen", auf ihren Europawahllisten berücksichtigen. Der NPD wurden die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein (20. Februar 2005) und Nordrhein-Westfalen (22. Mai 2005), der DVU diejenigen in Sachsen-Anhalt (vorgesehen für 2006), Bremen (2007), Hamburg (2008), Thüringen und Brandenburg (beide vorgesehen für 2009) vorbehalten. Für die restlichen Landtagswahlen in diesem Zeitraum - also auch für den Urnengang am 26. März 2006 in Baden-Württemberg - erhält die NPD das Vorrecht: Die DVU tritt dort nur an, wenn die NPD verzichtet. "Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Berlin und Thüringen sowie bei einer weiteren Landtagswahl sollen" die Listen der jeweils kandidierenden Partei auch Kandidaten der anderen Partei offen stehen.318 Das deutliche Scheitern der NPD bei den Landtagswahlen in SchleswigWahlniederlagen Holstein und Nordrhein-Westfalen bedeutet auch eine herbe Enttäuschung für die von ihr und der DVU in den "Deutschland-Pakt" und in die dahinter steckende Kooperationsstrategie gesetzten Hoffnungen. Ein Einzug der NPD in den Bundestag war angesichts solcher Landtagswahlergebnisse im Vorfeld höchst unwahrscheinlich, wozu der vorgezogene Wahltermin, die Konkurrenz durch die REP und der Lagerund Richtungswahlkampf zwischen "Rot-Grün" und "Schwarz-Gelb" noch weiter beitrugen. Auch führende NPD-Vertreter äußerten sich daher schon vor dem 18. September realistisch darüber, dass die Partei die Fünf-Prozent-Hürde nicht überspringen werde. Vor diesem Hintergrund versuchte die Parteiführung, die von der NPD erreichten 1,6 Prozent der Zweitstimmen, was immerhin eine Vervierfachung im Vergleich zur letzten Bundestagswahl 2002 bedeutete (0,4 Prozent), der Partei und der Öffentlichkeit als relativen Erfolg zu verkaufen, obwohl sich auch die von vornherein unrealistische Hoffnung auf vereinzelte Direktmandate zerschlagen hatte. 9.3 Das "Münchener Bekenntnis" vom 23. Januar 2005 Seit Ende Januar 2005 ist mit dem "Münchener Bekenntnis"319 im Internet eine weitere "Gemeinsame Erklärung" nachweisbar, diesmal von drei Par318 NZ Nr. 4 vom 21. Januar 2005, Text "Deutschland-Pakt von DVU und NPD", S. 3. 319 Meldung "Münchener Bekenntnis - Gemeinsame Erklärung von NPD, DP und DSU" vom 30. Januar 2005, Homepage der NPD Bremen vom 1. März 2005, Übernahme wie im Original. 167 teien, darunter NPD und DP. Das "Münchener Bekenntnis" offenbart seinen Bezug auf das "Hamburger Signal" schon dadurch, dass ein längerer Absatz aus dem "Signal" wortgleich in das "Bekenntnis" eingeflossen ist. Auch das "Münchener Bekenntnis" wirft das Menetekel eines unmittelbar bevorstehenden deutschen Untergangs an die Wand ("kulturloses, an Überschuldung, Überalterung, Überfremdung und übernationaler Beherrschung zugrunde gehendes Vaterland"), um daran eindringliche Forderungen nach einer Einigung und Kooperation des rechtsextremistischen Lagers zu knüpwenig konkrete fen. Der "Bekenntnis"-Text bietet daneben nichts Konkretes, nur die grundInhalte sätzliche Verpflichtung der Unterzeichner, "alles in ihrer Macht stehende zu versuchen, dass in Zukunft nur noch eine nationale Partei zu Wahlen antritt, dass Wahlbündnisse endlich Normalität werden, dass alte Streitigkeiten mit Großherzigkeit beigelegt werden und dass der Schulterschluss zu gleichgesinnten europäischen Parteien umgesetzt wird." Kaum konkreter fällt die abschließende Zielvorgabe aus, "eine große nationale Volksbewegung, die Deutschland in eine neue Zeit führen" werde, schaffen zu wollen. Unterzeichnet war das "Münchener Bekenntnis" zum Zeitpunkt Ende Januar bereits von einer größeren Anzahl von Personen, darunter auch von Baden-Württembergern, vor allem von DPund NPDAngehörigen, aber auch von "Republikanern" und anderen Rechtsextremisten. Das "Münchener Bekenntnis" ist datiert auf "München, den 23. Januar Veranstaltung 2005". Dieser Umstand verweist auf das "7. politische Neujahrstreffen", zu mit breiter dem ein REP-Stadtrat320 und ein DP-Kreisrat für diesen Termin in die bayBeteiligung erische Landeshauptstadt eingeladen hatten. Bei diesem "Neujahrstreffen" handelte es sich laut Einladungsschreiben um eine "parteiübergreifende Veranstaltung des 'Münchner Bündnis' aller national-patriotischen und freiheitlichen Münchner Parteien und Gruppierungen".321 Einer Veranstal320 Darüber, ob der betreffende, mittlerweile verstorbene Münchener Stadtrat Johann Pius WEINFURTNER damals tatsächlich noch formales REP-Mitglied war, liegen widersprüchliche Informationen vor. Schon im Vorfeld des "7. politischen Neujahrstreffens" distanzierte sich der bayerische REP-Landesverband in einer Pressemitteilung "entschieden" von dieser Veranstaltung und behauptete: "Weinfurtner ist nicht mehr Mitglied der Partei DIE REPUBLIKANER", da er aus der Partei "ausgeschlossen" worden sei. (Pressemitteilung Nr. B-036/04 vom 22. Dezember 2004, Homepage der REP Bayern vom 5. Oktober 2005, Übernahme wie im Original). Andererseits trat WEINFURTNER bis zuletzt als "Republikaner" auf. 321 Homepage der REP München vom 13. Juni 2005, Übernahme wie im Original. 168 Rechtsextremismus tungsnachbetrachtung zufolge wurde dieser Anspruch auch eingelöst: "Viele Nationaldemokraten und Republikaner, viele Freunde von der Deutschen Volksunion, der Deutschen Partei" seien dabei gewesen. Auch Rechtsextremisten aus Baden-Württemberg wie der Vorsitzende des REPBezirksverbands Südwürttemberg und ehemalige baden-württembergische REP-Landtagsabgeordnete, Karl-August SCHAAL, der führende Funktionär der DLVH und zu diesem Zeitpunkt noch stellvertretende Vorsitzende des NPD-Landesverbands Baden-Württemberg, Jürgen SCHÜTZINGER, und die baden-württembergische DP-Landesvorsitzende Jutta RETZ steuerten Redebeiträge und Grußworte bei. Aus dieser Nachbetrachtung geht hervor, dass der Appell zur Einigung des rechtsextremistischen Lagers ein häufig wiederkehrendes Motiv der Redebeiträge gewesen sein muss. Dazu passt, dass auf dieser Veranstaltung auch der Text des "Münchener Bekenntnisses" verlesen wurde.322 Trotz seiner auffallenden pathetisch-appellativen Unkonkretheit ist das "Münchener Bekenntnis" wenigstens in einem Punkt aussagekräftig, markiert es doch einen endgültigen Richtungswechsel innerhalb der DP. Denn Richtungswechsel nachdem der DP-Bundesvorstand bereits im November 2004 die "Frankfurder DP ter Erklärung" nicht zuletzt deshalb gekippt hatte, weil diese eine Abgrenzung gegen NPD, DVU und Neonazis beinhaltete, und er damit den damaligen DP-Vorsitzenden massiv desavouiert hatte, war er am Vortag von "Neujahrstreffen" und "Münchener Bekenntnis", am 22. Januar 2005, einen konsequenten Schritt gegangen und hatte auf einer außerordentlichen Sitzung in Nürnberg Dr. KAPPEL seines Amtes enthoben.323 Damit war der Weg für ein Einschwenken der DP auf die "Volksfront"-Linie der NPD frei. Die drei DP-Funktionäre, die als kommissarische Führung Dr. KAPPEL nunmehr abgelöst hatten324, tauchen an vorderer Stelle unter den Unterzeichnern des "Münchener Bekenntnisses" auf. Dieser Richtungswechsel ist innerhalb der DP umstritten. So meldete in einer Pressemitteilung vom 8. März 2005 die REP-Bundesgeschäftsstelle, dass der saarländische DP-Landesvorstand zu den REP übergetreten sei und Austritte diesen Schritt "mit Diskussionen innerhalb des Bundesvorstandes der Deutschen Partei um eine Annäherung an die NPD" begründet habe. Eine 322 Text "7. politisches Neujahrstreffen: GEMEINSAM FÜR BAYERN UND DEUTSCHLAND", Homepage der REP München vom 13. Juni 2005. 323 Pressemitteilung "Kappel nicht mehr Chef der DEUTSCHEN PARTEI" vom 24. Januar 2005, DPHomepage vom 26. Januar 2005. 324 Zwei davon, Claudia WIECHMANN und Ulrich PÄTZOLD, wurden mittlerweile auf dem DP-Bundesparteitag am 29. Mai 2005 im bayerischen Rehau als "gleichberechtigte Bundesvorsitzende" an die Spitze der Partei gewählt, (Pressemitteilung "DEUTSCHE PARTEI mit Doppelspitze jetzt auf Kurs!", Homepage der DP Baden-Württemberg vom 7. Juni 2005). 169 "Mehrzahl der Mitglieder" des DP-Landesverbands im Saarland habe nach Aussage des dortigen DP-Landesvorsitzenden "diesen Schritt mitgetragen", da sie "jede Zusammenarbeit mit der NPD kategorisch" ablehne.325 9.4 Die "Patriotisch-demokratische Arbeitstagung" und die "Stuttgarter Erklärung" vom 26. Februar 2005 Am 25. Februar 2005, wenige Tage nach der für die NPD erfolglos verlaufenen Landtagswahl in Schleswig-Holstein, hielten der damalige NPD-Landesvorsitzende Siegfried HÄRLE und Jürgen SCHÜTZINGER in VillingenSchwenningen eine Pressekonferenz ab. Bei dieser Gelegenheit veröffentlichte SCHÜTZINGER eine Erklärung mit dem programmatischen Titel "Jetzt hilft nur noch NPD!". Darin entwarf er Untergangsszenarien ("Volk und Heimat sind existentiell gefährdet.") und rief angesichts dessen die - rechtsextremistisch gesinnten - Deutschen zum Zusammenhalt auf. Damit bewegte er sich noch im für solche rechtsextremistischen Proklamationen üblichen Rahmen. Doch verlieh er seinem "Offenen Wort" insofern eine besondere Note, als er, der nur kurz zuvor wieder in die NPD eingetreten Wahlaufruf war, bei seinem Einigungsappell explizit Partei für die NPD ergriff: für die NPD "Trotz eventueller Bedenken und aller Vorbehalte: Es bleibt nach Lage der Dinge in dieser ernsten Zeit nur noch eine Chance zum politischen Wandel und zur Rettung Deutschlands. Ich rufe daher alle anständigen Deutschen auf: Reicht Euch die Hände und helft in dieser schicksalsschweren Notzeit unseres Volkes den nationalen Demokraten, wo immer es auch geht! Man kann und muss wieder wählen. Deutsche wählen deutsch: Jetzt hilft nur noch NPD! Eine bürgernahe, demokratiebewusste und die Landesverfassung gegen deren Feinde verteidigende NPD wird eine dem Lande dienende baden-württembergische Politik ab der Landtagswahl vom 26. März 2006 parlamentarisch wirksam umsetzen. Die willkürlich gesetzte 5-Prozent-Hürde vermag an diesem Fakt nichts zu ändern."326 325 Pressemitteilung Nr. 14/05 "Landesvorstand der Deutschen Partei im Saarland tritt zu den Republikanern über" vom 8. März 2005, REP-Homepage vom 20. Juli 2005. 326 Erklärung "Offenes Wort von Jürgen Schützinger - Jetzt hilft nur noch NPD!" vom 25. Februar 2005, Homepage der NPD Baden-Württemberg vom 21. Juni 2005. 170 Rechtsextremismus Dieser Zungenschlag steht in deutlichem Kontrast zu anderen Erklärungen dieser Art, die die Gleichwertigund Eigenständigkeit aller rechtsextremistischen Parteien und Organisationen nach einem - wie auch immer gearteten - "Schulterschluss" teils voraussetzen und teils sogar noch extra betonen. Schon am nächsten Tag, am 26. Februar 2005, veranstaltete SCHÜTZINGER in seiner Eigenschaft als geschäftsführender Vorsitzender der DLVH in Veranstaltung Stuttgart-Untertürkheim eine so genannte "Patriotisch-demokratische in BadenArbeitstagung", zu der er "gezielt (...) Vertreter patriotisch-demokratischer Württemberg Vereinigungen und Parteien aus ganz Baden-Württemberg" eingeladen hatte und an der schließlich "über 50" Personen teilnahmen, unter anderem Vertreter aller vier einschlägigen rechtsextremistischen Parteien (NPD, DVU, REP, DP) "und parteifreier Vereinigungen und Verbände". Im Nachgang definierte eine DLVH-Pressemitteilung den "Sinn und Zweck der Arbeitstagung" als "die Klärung der Frage, wie es sich bewerkstelligen" lasse, "bei der am 26. März 2006 in Baden-Württemberg stattfindenden Landtagswahl so anzutreten, dass der Einzug in das Landesparlament sicher gestellt werden" könne.327 Auffallend ist, dass diese Pressemitteilung anders als SCHÜTZINGER noch bei seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit HÄRLE vom 25. Februar 2005 jede einseitige Parteinahme zugunsten der NPD zu vermeiden trachtete. Die von den Teilnehmern der "Patriotisch-demokratischen Arbeitstagung" verabschiedete "Stuttgarter Erklärung", die, wie manche ihrer Formulierungen verraten, speziell das rechtsextremistische Parteienspektrum zum Adressaten hatte, erweist sich in weiten Passagen als Kampfrede gegen "dümmlich-arrogante Ausgrenzung unter Gleichgesinnten". Dementsprechend beschworen die Unterzeichner - eine bildhafte Formulierung aus dem "Hamburger Signal" aufgreifend -, "künftig politisch an einem gemeinsamen Strang zu ziehen". "Deutschland" brauche "eine seriöse, politikfähige Rechte", eine "ernstzunehmende, geeinte Wahlinitiative": "Eine einige Rechte eben." Ausdrücklich betonte die "Stuttgarter Erklärung", dass DVU und NPD "mit dem Deutschland-Pakt (...) einen richtigen Weg eingeschlagen" hätten. 327 Pressemitteilung der DLVH "Stuttgarter Erklärung - Patriotisch-demokratische Arbeitstagung" vom 27. Februar 2005, DLVH-Homepage vom 21. Juni 2005. 171 9.5 "Bündelung nationaler Kräfte" vor Ort: Das Konzept der "Nationalen Bündnisse" Bei den in jüngster Zeit verstärkt zu beobachtenden Einigungsbestrebungen im rechtsextremistischen Lager muss dem "Nationalen Bündnis Dresden e. V." (NBD) nicht nur in chronologischer Hinsicht eine Vorreiterrolle und Vorbildfunktion zugeschrieben werden. Das NBD wurde Entstehung bereits am 24. April 2003 gegründet und ist seit dem 20. Juni 2003 ein eingetragener Verein. Am 14. November 2004 wurde zudem das "Nationale Jugendbündnis Dresden" (NJB) gegründet, die NBD-Jugendorganisation.328 Das NBD formulierte inhaltlich und teilweise bis ins Wörtliche vor, was man in den zahlreichen "Erklärungen", "Signalen", "Bekenntnissen" und "Pakten" der Jahre 2004/5 als Selbstcharakterisierungen, Motivationsbegründungen und Zielsetzungen wiederfindet. Nach eigenen Angaben wurde das NBD von aktiven und ehemaligen Mitgliedern der NPD, REP, DVU und neonazistischer Kameradschaften aus der Taufe gehoben329, wobei NPD-Dominanz eine gewisse NPD-Dominanz nicht zu übersehen ist, die sich nicht zuletzt in dem NBD-Vorstandsvorsitzenden Holger APFEL330 personifiziert. Zu den besonderen Charakteristika, die das Konzept des "Nationalen Bündnisses (Dresden)" ausmachen, zählen der Vereinsstatus und die kommunale Ausrichtung. Die Annahme des Vereinstatus samt Vorstand und Satzung bedeutet eine organisatorische Konkretisierung, von dem die Initiatoren eines "Hamburger Signals" oder einer "Stuttgarter Erklärung" weit entfernt sind. Die kommunale Ausrichtung konkretisiert das Wirken des NBD zudem geographisch, während sich "Hamburger Signal" und "Münchner Bekenntnis" an die Rechtsextremisten bundesweit richten und nur die "Stuttgarter Erklärung" eine Konzentration auf Baden-Württemberg erkennen lässt. Die kommunale Ausrichtung des NBD fand nicht zuletzt in dem von Anfang an erklärten Willen des Vereins Ausdruck, bei den sächsischen Kommunalwahlen am 13. Juni 2004 in die Dresdener Kommunalparlamente einzuziehen.331 In der Tat gelang dem NBD aus dem Stand der Einzug in verschiedene Dresdener Ortsbeiräte und in den Dresdener Stadtrat, in dem es über drei Sitze verfügt. 328 Homepage des NJB Dresden vom 27. Juni 2005. 329 Text "Gemeinsam sind wir stark - Nationales Bündnis Dresden!", NBD-Homepage vom 23. Juni 2005. 330 APFEL ist einflussreicher NPD-Multifunktionär: Er fungiert momentan als stellvertretender NPDBundesvorsitzender, stellvertretender sächsischer NPD-Landesvorsitzender, Chef der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag und Chefredakteur der NPD-Parteizeitung "Deutsche Stimme". 331 Text "Gemeinsam sind wir stark - Nationales Bündnis Dresden!", NBD-Homepage vom 23. Juni 2005. 172 Rechtsextremismus Offensichtlich hat erst dieser Kommunalwahlerfolg dazu geführt, dass das Konzept "Nationales Bündnis" auch von Rechtsextremisten außerhalb Dresdens für ihre jeweilige Stadt oder Region als Erfolg versprechend und daher nachahmenswert wahrgenommen wurde. Außerdem mag zu diesem Wahrnehmungswandel auch der Einzug der mit dem NBD eng verzahnten NPD in den sächsischen Landtag drei Monate später beigetragen haben. Sicher ist, dass andere "Nationale Bündnisse" erst seit Herbst 2004 nachweisbar sind. Auch Baden-Württemberg war davon betroffen. Laut einer über das InterEntwicklung net verbreiteten Selbstdarstellung vom 25. Oktober 2004 gründete sich dort in Badenam 22. Oktober 2004 in Heilbronn ein Verein namens "Nationales Bündnis Württemberg Heilbronn" (NBH), der sich ausdrücklich am Vorbild des NBD orientiert. Als seine Unterstützer nennt das NBH die NPD und deren Jugendorganisation JN, die DP, die DVU, "Ehemalige Mitglieder" der REP sowie die dem neonazistischen Spektrum zuzuordnende "Freiheitliche Initiative Heilbronn"332. Die Heilbronner REP haben sich in Person des Vorsitzenden ihrer Gemeinderatsfraktion, Alfred DAGENBACH, vom NBH offiziell distanziert.333 Das NBH erklärt es zu seinem Ziel, "gemeinsame Veranstaltungen der einzelnen Organisationen unter dem Dach des Bündnis durchzuführen, um so einen größeren Wirkungsgrad zu erzielen." Langfristig will das NBH in Stadt und Landkreis Heilbronn kommunalpolitisch aktiv werden und an den Kommunalwahlen im Jahr 2009 teilnehmen. Dabei sollen jedoch "die einzelnen Organisationen (...) nicht in Frage gestellt" werden334. Wie sein Vorbild NBD hat sich das NBH die "Einigung des nationalen Lagers" zum "Ziel gesetzt".335 Nachdem das NBH schon Ende 2004 kurz nach seiner Gründung erste Aktivitäten entfaltet hatte, trat es in der ersten Jahreshälfte 2005 bis Mitte Aktivitäten April relativ regelmäßig (ca. einmal im Monat) mit Veranstaltungen und Aktionen in Erscheinung. So führte es am 21. Januar 2005 in Brackenheim eine Rednerveranstaltung mit Holger APFEL und dem stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden, saarländischen Landesvorsitzenden und 332 Text "Das Nationale Bündnis für Heilbronn", NBH-Homepage vom 27. Juni 2005. 333 "Zeit für Protest" Nr. 1-2/2005, Artikel "Kein Nationales Bündnis Heilbronn", S. 8. 334 Text "Das Nationale Bündnis für Heilbronn", NBH-Homepage vom 27. Juni 2005. 335 NBH-Flugblatttext "'Über ein vermeintliches Recht, aus Menschenliebe zu lügen!'", NBH-Homepage vom 27. Juni 2005. 173 Geschäftsführer der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag, Peter MARX, durch. APFEL erhob laut NBH-Veranstaltungsbericht vor ca. 140 Teilnehmern die (gängigen) Forderungen nach einem "Schulterschluss der nationalen Kräfte in Deutschland" und nach einem Ende der "Zerstrittenheit der Rechten".336 Am 25. Februar 2005 veranstaltete das NBH ein Konzert mit dem bekannten rechtsextremistischen Liedermacher Frank RENNICKE. Mit dieser Aktion lockte das Bündnis nach eigenen Angaben mehr als 100 Personen nach Heilbronn.337 Nachdem aufgrund von Sachbeschädigungen am ursprünglich vorgesehenen Veranstaltungsort in Brackenheim durch mutmaßliche Linksextremisten das NBH noch kurzfristig die Lokalität wechseln musste, konnte zum vorgesehenen Termin, am 15. März 2005, die nächste Rednerveranstaltung des Bündnisses mit ca. 100 Teilnehmern in Schwaigern-Massenbach stattfinden. Die Redner zeichneten sich wiederum durch Prominenz im rechtsextremistischen Lager aus. Die DP-Landesvorsitzende Jutta RETZ beschwor die "Notwendigkeit eines Nationalen Bündnisses auf Bundesebene", "um die Zerstrittenheit des nationalen Lagers in der Vergangenheit zu überwinden."338 Für den eigentlich geladenen, aber erkrankten Udo VOIGT sprangen zwei andere hochrangige NPD-Funktionäre ein: der stellvertretende Bundesvorsitzende, niedersächsische Landesvorsitzende und Generalsekretär der Partei, Ulrich EIGENFELD, und Frank ROHLEDER, ebenfalls Mitglied des NPD-Bundesvorstands und zudem Beisitzer im NBD-Vorstand. 336 Veranstaltungsbericht "Holger Apfel (MdL) sprach am 21. Januar 2005 beim Nationalen Bündnis e. V.", NBH-Homepage vom 27. Juni 2005, Übernahme wie im Original. 337 Konzertbericht "Frank Rennicke beim NBH - weitere gelungene Veranstaltung", NBH-Homepage vom 27. Juni 2005. 338 Veranstaltungsbericht "Rednerveranstaltung des Nationalen Bündnis Heilbronn fand trotz krimineller Antifa-Aktion statt", NBH-Homepage vom 7. Juni 2005, Übernahme wie im Original. 174 Rechtsextremismus Am 15. April 2005 führte das NBH seine Jahreshauptversammlung durch. Vier Tage später nahmen NBH-Vertreter in offenbar provokativer Absicht an der Auftaktveranstaltung der Initiative "Bürger gegen Rechts" in Brackenheim teil.339 Im Sommer beteiligte sich das NBH nach eigenen Angaben am NPD-Wahlkampf in Heilbronn.340 Am 19. November 2005 veranstaltete es einen Rednerabend in Untergruppenbach/Krs. Heilbronn, an dem ca. 30 Personen teilnahmen. Auf dieser Veranstaltung trat auch einer der beiden DP-Bundesvorsitzenden, Ulrich PÄTZOLD, als Redner auf.341 Dass das NBH kein singuläres Phänomen in Westdeutschland mehr darstellt, das Konzept "Nationales Bündnis" also offensichtlich mehr und mehr Befürworter in der bundesweiten rechtsextremistischen Szene findet, beweist die Existenz des Anfang 2005 gegründeten "Nationalen Bündnisses Region Hannover e. V." (NBRH). 9.6 Bewertung und Ausblick: Droht eine breite, erfolgreiche "Volksfront von rechts"? Es kann nicht bestritten werden, dass den hier beschriebenen jüngsten Bündelungsund Kooperationstendenzen im deutschen Rechtsextremismus seit ca. Mitte 2004 Teilerfolge beschieden waren und sind, auch wenn diese Teilerfolge der Erfolge zum Teil nicht nur auf diese Tendenzen zurückzuführen sind. Dazu Kooperationen sind der Einzug des NBD in den Dresdener Stadtrat und mehr noch derjenige von NPD und DVU in den sächsischen beziehungsweise in den brandenburgischen Landtag zu zählen. Außerdem ist es nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser Wahlerfolge Abgrenzungsgegnern innerhalb und außerhalb der REP in nicht unerheblichem Ausmaß gelungen, die Bundesparteispitze um Dr. SCHLIERER unter Druck zu setzen und deren Abgrenzungskurs innerhalb der Partei erneut und verstärkt in Frage zu stellen. Partielle Abwanderungsbewegungen von Abgrenzungsgegnern aus der Partei ("Hamburger Signal") schwächen die verbliebenen Abgrenzungsbefürworter weiter. Dass die DP mit der Amtsenthebung Dr. KAPPELs am 22. Januar 2005 und mit dem "Münchener Bekenntnis" vom 23. Januar 2005 endgültig auf den "Volksfront"-Kurs eingeschwenkt ist, bedeutet nicht nur an sich einen Erfolg für die Einigungspropagandisten, sondern trägt zur weite339 Veranstaltungsbericht "Pseudo-Demokraten den Spiegel vorgehalten!", NBH-Homepage vom 27. Juni 2005. 340 "Jahreskalender 2005", NBH-Homepage vom 5. Oktober 2005. 341 "Infobrief Baden-Württemberg" Ausgabe November/Dezember 2005, Artikel "Ulrich Pätzold beim Nationalen Bündnis Heilbronn" von Jutta RETZ, S. 3. 175 ren Isolation des SCHLIERER-Flügels in der Gesamtszene bei. Hoffnungen der REP-Bundesspitze, mit einer von Dr. KAPPEL geführten DP ihr eigenes Kooperationsbündnis schmieden zu können, zerschlugen sich somit endgültig. "Hamburger Signal", "Deutschland-Pakt", "Münchener Bekenntnis", "Stuttgarter Erklärung" sowie die Verlautbarungen der "Nationalen Bündnisse" zeugen von einem in der Szene verbreiteten starken Willen zur rechtsextremistischen Einheit und zur Überwindung bisher unüberbrückbar erscheinender Gegensätze. Noch so zahlreiche und pathetisch-appellative "Erklärungen", "Signale" und "Bekenntnisse" können indes das strukturell tief verankerte, geradezu charakteristische Grundproblem des deutschen Rechtsextremismus nicht aus ideologische der Welt schaffen: seine ideologische Heterogenität, die die organisatoriUnvereinbarsche Zersplitterung und die Zerstrittenheit der Szene häufig erst hervorkeiten bringt. Denn hinter so mancher organisatorischer Spaltung und so manchem inhaltlichen Streit stecken tatsächlich ideologische Unvereinbarkeiten, die nur aufgehoben werden könnten, wenn sich die Szene in einem Ausmaß ideologisch homogenisierte, was momentan nicht einmal ansatzweise absehbar ist. Diese ideologischen Sollbruchstellen werden also auf unbestimmte Zeit fortbestehen. So ist der "Deutschland-Pakt" durch die neonazistischen Umtriebe in der NPD zumindest latent gefährdet, spricht sich doch Dr. FREY (DVU) - gerade auch in diesem Zusammenhang - gegen jede Zusammenarbeit mit Neonazis aus: "Eine starke Allianz von DVU und NPD, wie sie der Deutschland-Pakt zum Tragen bringt, muss unser Vaterland retten. Deshalb dürfen Agenten, die in Nazismus oder Neonazismus und anderen Straftaten machen, nicht die geringste Chance erhalten."342 Unter anderem mit dieser ideologischen Heterogenität, aber auch mit der schon erwähnten persönlichen Geltungssucht rechtsextremistischer Funktionäre ist zu erklären, dass trotz der Einigungsbestrebungen der jüngsten Zeit die Vielzahl rechtsextremistischer Organisationen und Parteien bislang ungeschmälert geblieben ist. "Nationale Bündnisse" bilden trotz ihres Vereinsstatus eher lose strukturierte lokale oder regionale Sammlungsbewegungen, neben denen die in ihnen vertretenen Einzelorganisationen unein342 NZ Nr. 4 vom 21. Januar 2005, Artikel "Was bringt der DVU/NPD-Deutschland-Pakt? Neue Chancen für die Deutschen" von Dr. Gerhard FREY, S. 3. 176 Rechtsextremismus geschränkt eigenständig fortbestehen. Teils wird der Fortbestand dieser keine Eigenständigkeit sogar explizit festgeschrieben, zum Beispiel im NBH oder organisatorische im "Deutschland-Pakt". Selbst entschiedene Befürworter einer Einigung des Vereinigung rechtsextremistischen Lagers scheinen kaum einen Gedanken an mögliche in Sicht Fusionen von Parteien oder Vereinen zu verschwenden. So scheint selbst SCHÜTZINGER trotz seiner ostentativen Hinwendung zur NPD keine Fusion seiner DLVH mit der Partei zu betreiben. Und obwohl die DP nunmehr auf den Volksfront-Kurs der NPD eingeschwenkt ist, ohnehin kaum über Personal und Strukturen verfügt und bei Wahlen notorisch erfolglos ist, scheint auch ihre neue Führung keine Anstalten zu machen, die Partei aufzulösen oder mit der NPD zu verschmelzen. Dieses uneingeschränkte Fortbestehen der organisatorischen Zersplitterung bedeutet einen potenziellen Sprengsatz, eine weitere Sollbruchstelle für die Einigungsbestrebungen im rechtsextremistischen Lager. Denn solange die alte Vereinsund Parteienvielfalt fortexistiert, steht es jedem Funktionär offen, im Falle einer Meinungsverschiedenheit seine Einzelorganisation aus Abmachungen, "Erklärungen" und "Pakten" fast problemlos wieder herauszuziehen und da weiter zu machen, wo er vorher vielleicht ohnehin nie wirklich aufgehört hat: in organisatorischem Einzelkämpfertum und ideologischer Sektiererei. 177 C. LINKSEXTREMISMUS 1. Aktuelle Entwicklungen und Tendenzen Der deutsche Linksextremismus hat sich im Jahr 2005 in einer AufbruchAufbruchstimmung befunden. Auslöser waren die Pläne zur Bildung einer neuen stimmung bei "Linkspartei", vor allem aber der Wahlerfolg der in "Linkspartei.PDS" umbeLinksextremisten nannten "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) bei der vorgezogenen Bundestagswahl vom 18. September 2005. Besonders aufgrund der öffentlichen Diskussion um die Hartz-Reformen konnte die "Linkspartei.PDS" auch im Westen ihr Ergebnis von 1,1 Prozent auf 4,9 Prozent verbessern. Das bundesweit praktizierte System der "offenen Listen", auf denen neben eigenen Kandidaten auch solche anderer Parteien oder Parteilose antreten konnten, eröffnete Bewerbern nicht nur der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP), sondern auch weiterer linksextremistischer Organisationen wie "Linksruck" oder der "Sozialistischen Alternative VORAN" (SAV) mit ihren Platzierungen zumindest theoretisch ungeahnte Chancen politischer Einflussnahme. Möglich geworden war dieser Wahlerfolg auch durch das Zusammenwirken von "Linkspartei.PDS" und der Partei "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG)343, deren anvisierter Zusammenschluss aus Zeitgründen vor der Wahl nicht mehr realisiert werden konnte. Die DKP hatte eine eigene Kandidatur zugunsten der "Linkspartei.PDS" zurückgestellt. Einzig die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) trat als weitere linksextremistische Partei flächendeckend mit Landeslisten und insgesamt 36 Direktkandidaten zur Wahl an. Mit dem Einzug der "Linkspartei.PDS" in Fraktionsstärke in den Deutschen Bundestag begrüßten zahlreiche Stimmen aus dem linksextremistischen Lager die Tatsache, dass nunmehr eine "linke Opposition" im Parlament vertreten ist. Hoffnungsvoll stimmte das Lager zunächst auch, im Ergebnis eine künftige schwarz-gelbe Regierung verhindert zu haben. Mit der neuen politischen Kraft werden allerdings unterschiedlich weit reichende Hoffnungen verbunden. Entscheidend für die weitere Entwicklung und die Möglichkeiten der Entfaltung politischer Wirksamkeit wird der erfolgreiche Abschluss der Fusionsverhandlungen zwischen "Linkspartei.PDS" und der WASG sein. Zusammen mit weiteren "linken" Kräften würde die Idee einer neuen, erweiterten "Linkspartei" als Sammlungsprojekt und damit einer Neuformation der "Linken" Realität. Angesichts vor allem an der Basis bei343 Die WASG ist kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden. 178 Linksextremismus der Parteien bestehender Vorbehalte ist der Ausgang des Vereinigungsprozesses allerdings schwer vorauszusagen. Wesentliche Mitursache für den Erfolg der "Linkspartei.PDS" waren Proteste gegen die Sozialreformen der Bundesregierung. Für Linksextremisten ging es um mehrere Aspekte zugleich. Bei dieser Bundestagswahl, so formulierte etwa die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) in ihren wahlprogrammatischen Vorstellungen, gehe es "um die Bündelung des Widerstandes", denn dann könnten "die Forderung nach einer anderen Politik und die Ablehnung des neoliberalen Gesellschaftsumbaus auch eine parlamentarische Stimme erhalten. Hartz IV und Agenda 2010 müss(t)en weg!"344 Die Reform des Arbeitsmarktes und der Diskreditierung Sozialsysteme prangerte sie als "sozialreaktionäre(n) Umbau der Gesellder Regierungsschaft" an und bezichtigte gleichzeitig die Bundeswehr des "völkerrechtspolitik widrigen Angriffskrieg(s) gegen Jugoslawien". Deutsche Soldaten stünden als "Besatzungstruppen auf dem Balkan und in Afghanistan". Ihr Einsatzgebiet sei die "ganze Welt". Innenpolitisch befinde sich Deutschland im "Übergang zu einem autoritären Sicherheitsstaat. Bürgerliche demokratische Rechte" würden "abgebaut, das Asylrecht entwertet, die neofaschistischen Gruppen und Parteien" könnten "ungehindert und unter dem Schutz der Polizei ihre Hetze verbreiten". Ein Politikwechsel sei nicht über das Parlament, sondern nur außerparlamentarisch durchzusetzen. Eine "linke Opposition im Bundestag" könne der außerparlamentarischen Bewegung Impulse verleihen, "Mut zum Widerstand" erwecken und "einen Aufbruch für eine neue Politik" befördern. Stark in den Vordergrund rückte erneut das Thema "Antifaschismus". Auslöser war der Einzug der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) in den sächsischen Landtag mit 9,2 Prozent nach der Wahl vom 19. September 2004. Empörung hat darüber hinaus das Verhalten der sächsischen NPD-Fraktion ausgelöst, als sie sich im Januar 2005 dem offiziellen Gedenken des Landtags an den Holocaust verweigerte und die Bombardierung Dresdens vom 13. Februar 1945 als "Bomben-Holocaust" bezeichnete. Heftige Reaktionen rief auch die Ankündigung der NPD hervor, am 8. Mai 2005, dem 60. Jahrestag des Kriegsendes in Berlin durch das Brandenburger Tor marschieren zu wollen. Sorgen vor einem Aufschwung des Rechts344 Hier und im Folgenden: "Position der DKP zur Bundestagswahl 2005". 179 extremismus und neuerliche Verbotsdiskussionen in der deutschen Öffentlichkeit ließen auch in der linksextremistischen Szene den "Kampf gegen Rechts" zum Schwerpunkt werden. Die anstehende Ratifizierung des Verfassungsvertrags der Europäischen Union (EU) in den einzelnen Staaten war Ausgangspunkt der Agitation gegen dieses, im gesamten linksextremistischen Spektrum auf Ablehnung stoßende Projekt. Das Votum gegen die Verfassung in den Nachbarländern Frankreich und den Niederlanden wurde als "gut für Europa" und zugleich als ein Erfolg "linker" Propaganda gefeiert. Die "Antiglobalisierungsproteste" haben zwar an Brisanz verloren, standen aber weiterhin auf der Tagesordnung. Das alljährliche Treffen der acht wichtigsten Industriestaaten (G8-Gipfel) symbolisiert für Linksextremisten unverändert "wie kaum sonst die Macht des globalisierten Kapitalismus und seine politische und militärische Gewalt"345. An den Protesten gegen den G8-Gipfel in Gleneagles (Schottland) vom 6. - 8. Juli 2005 waren deutsche Linksextremisten nur marginal beteiligt. Schon 2005 richtete sich indes die Aufmerksamkeit der Szene auf das G8-Treffen des Jahres 2007, das in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) und damit in Deutschland stattfinden wird, um "schon jetzt die Voraussetzungen zu schaffen, dass in zwei Jahren gemeinsam kraftvolle Tage des Widerstands organisiert werden". Die aufrufenden Gruppen verfolgen damit offenbar ein sehr ambitioniertes Konzept, das zur Zusammenführung von "sozialen Kämpfen" und "Widerstandspraxen" wie auch der gesamten "Linken" führen soll. Der bevorstehende G8-Gipfel in Deutschland könnte dieses Thema in naher Zukunft auf der Prioritätenliste von Linksextremisten wieder deutlich nach oben setzen. Übersicht über die bisherigen Anschläge im Vorfeld des G8-Treffens in Heiligendamm: Brandanschläge 28. Juli 2005: Brandanschlag auf das Fahrzeug des Vorstandsvorsitzenden der Norddeutschen Affinerie AG in Hamburg 17. Oktober 2005: Brandanschlag auf ein Dienstgebäude des Auswärtigen Amtes in Berlin 9. November 2005: Brandanschlag gegen das Bürogebäude des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin 345 Hier und im Folgenden: Aufruf "G8 stoppen", in: "Terminator. Infos und Termine für FreundInnen der Ex-Steffi", Ausgabe für Oktober und November 2005. 180 Linksextremismus 8. Dezember 2005: Brandanschlag auf den Pkw eines Vorstandsmitglieds der Firma Tchibo in Hamburg 16. Dezember 2005: Brandanschlag auf zwei Fahrzeuge einer Werbeagentur in Hamburg 2. Übersicht in Zahlen Brandanschlag auf den Pkw eines Vorstandsmitglieds der Firma 2.1 Personenpotenzial Tchibo Neben teils schon 2004 begonnenen Mitgliederwerbekampagnen ergriffen linksextremistische Parteien vor allem die Bundestagswahl als Gelegenheit, um nach Möglichkeit das eigene Potenzial zu erhöhen. Wahlen werden von Linksextremisten seit jeher vor allem dazu genutzt, die eigene Organisation in der Öffentlichkeit bekannter zu machen und neue Anhänger beziehungsweise Mitglieder zu gewinnen. Eine Akzeptanz der Spielregeln einer repräsentativen Demokratie ist damit nicht verbunden. Anstieg bei Ohne Zweifel hat die in "Linkspartei.PDS" umbenannte PDS von der "Linkspartei.PDS" Bundestagswahl profitiert. In Baden-Württemberg konnte sie einen deutin Badenlichen Anstieg der Mitgliederzahl verbuchen. Bei Organisationen wie der Württemberg Linksextremistisches Personenpotenzial in Deutschland und Baden-Württemberg im Zeitraum 2003 - 2005 1 2003 2004 2005 Linksextremismus Land Land Land 3 Bund Bund Bund Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten Kernund Nebenorganisationen 1.820 26.300 1.740 25.700 1.900 25.400 ddavon: DKP 500 4.700 500 4.500 500 4.500 MLPD 650 2.000 600 2.000 600 2.300 2 PDS 485 71.000 460 65.800 600 61.600 Beeinflusste Organisationen 1.450 19.000 1.400 18.000 1.300 10.500 Gewaltbereite Linksextremisten 615 5.400 615 5.500 590 5.500 Summe der Mitgliedschaften 2 ohne PDS 2.435 31.700 2.355 31.200 2.490 30.900 und beeinflusste Organisationen Tatsächliches Personenpotenzial nach Abzug der 2.375 31.300 2.295 30.800 2.420 30.600 Mehrfachmitgliedschaften 1 Die Zahlenangaben Land/Bund sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2 Die PDS wird in der Gesamtsumme der Mitgliedschaften nicht mitgezählt, da das Bundesamt für Verfassungsschutz Grafik: LfV BW 3 von den Mitgliedern der PDS Deutschland nur die der "Kommunistischen Plattform" (KPF) erfasst (2005: 1.000). In Baden-Württemberg unterliegt der gesamte Landesverband der Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Stand: 31.12.2005 181 DKP oder der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA) mit einem deutlich überalterten Mitgliederbestand dürften mühsam gewonnene Neumitgliedschaften die altersbedingten Abgänge bestenfalls notdürftig kompensieren. Interne Auseinandersetzungen in der autonomen Szene sind angesichts des erneuten Aufschwungs des Aktionsfelds "Antifaschismus" etwas in den Hintergrund getreten. Beispiele von "antifaschistischen" Demonstrationen mit überraschend hohen Teilnehmerzahlen Autonomer und eine wachsende Gewaltbereitschaft könnten andeuten, dass zumindest für diesen Politikbereich die Aktivität und damit auch die Attraktivität der Szene wieder etwas gestiegen sind. Dies hat sich aber zunächst nicht in einem erhöhten Personenpotenzial niedergeschlagen. 2.2 Strafund Gewalttaten deutlicher In Baden-Württemberg hat die Zahl linksextremistisch motivierter StraftaAnstieg ten wieder deutlich zugenommen.346 Ein Teil war 2005 auf Sachbeschädigungen im Zusammenhang mit der Bundestagswahl zurückzuführen. Allerdings spiegeln gestiegene Gewalttatenzahlen eine offenbar wachsende Gewaltbereitschaft im Vorgehen gegen Rechtsextremisten im Zuge von "Anti-Nazi-Demonstrationen" und bei sonstigen direkten Konfrontationen mit dem "rechten" politischen Gegner wider. Politisch motivierte Kriminalität im Phänomenbereich Links sowie linksextremistische Strafund Gewalttaten im Jahr 2005 Baden-Württemberg1 Bund2 2005 (2004) 2005 (2004) Politisch motivierte Kriminalität im 460 (408) 4.898 (3.521) Phänomenbereich Links insgesamt davon: linksextremistische 155 (113) 2.305 (1.440) Straftaten davon: linksextremistische 44 (31) 896 (521) Gewalttaten 1 Zahlen des LKA Baden-Württemberg 2 Zahlen des Bundesministeriums des Innern Grafik: LfV BW 346 Vgl. Graphik. 182 Linksextremismus 3. Gewaltbereiter Linksextremismus Wenn auch szeneinterne Querelen wie die Auseinandersetzung mit "antideutschen" Strömungen - inzwischen etwas abgeschwächt - fortbestehen, so dürften Linksextremisten vor allem auf dem Feld des "Antifaschismus" ihre Handlungsfähigkeit zurückgewonnen haben. Die herausragende Rolle "autonomer Zentren" im autonomen Selbstverständnis wie auch als Orte ungestörter politischer Aktivitäten und Planungen ließ den Kampf um den Erhalt solcher Räumlichkeiten weiterhin als eine Notwendigkeit auf der Tagesordnung. Die gewaltsame Räumung bundesweit szenebekannter "selbstbestimmter Lebensräume" mit hoher Symbolkraft wie "Yorck 59" in Berlin am 6. Juni 2005 führte auch in Baden-Württemberg zu Solidaritätsadressen aus der Szene. Im Protest gegen den "Sozialabbau" traten Autonome in Einzelfällen ebenfalls deutlicher in Erscheinung, so bei der bundesweiten Demonstration gegen "Sozialabbau" am 29. Oktober in Nürnberg. Sie wurde von einem "revolutionär-antifaschistischen Block" angeführt. Aufgerufen hatten auch autonome Gruppen, darunter die "Revolutionäre Aktion Stuttgart" (RAS), unter dem Motto "Wir sind mit der Gesamtsituation unzufrieden. Kapitalismus abschaffen. Zusammen kämpfen! Alles für Alle!"347 Priorität im "antifaschistischen Kampf" hatte das Vorgehen gegen "Nazi"Antifaschismus" Aufmärsche". Fälle, bei denen die Demonstrationsroute der Rechtsextreunverändert misten von der Polizei aus Sicherheitsgründen geändert oder deren VeranSchwerpunkt staltung aus demselben Grund sogar abgebrochen werden musste, wurden dabei als eigener Erfolg gewertet. Vorfälle wie der in Göttingen am 29. Oktober 2005, bei dem es im Zuge einer Demonstration von insgesamt etwa 5.000 Personen gegen einen "Aufmarsch" von circa 350 NPD-Anhängern zu gewaltsamen Gegenaktionen von etwa 1.000 militanten Gegendemonstranten kam, zeigten das Wiederaufflammen eines Maßes von Gewaltbereitschaft, wie es in den Jahren davor kaum mehr festgestellt werden konnte. Neben der Errichtung brennender Barrikaden auf der Demonstrationsstrecke kam es im Anschluss im Innenstadtbereich zu gewaltsamen Attacken vermummter Autonomer auf Polizeikräfte. Auffällig war dabei ein offenbar gezieltes und koordiniertes Vorgehen der Gewalttäter. Bereits bei den 347 Flugblattaufruf zur Demonstration am 29. Oktober 2005 in Nürnberg. 183 Gegendemonstrationen gegen die "Nazi-Aufmärsche" in Worms und Frankenthal am 1. Mai 2005, zu denen auch in Baden-Württemberg mobilisiert worden war, hatten sich militante Autonome in Konfrontation mit Rechtsextremisten und Polizeikräften zeitweilig massive Straßenkämpfe unter Einsatz von Pflastersteinen und Flaschen geliefert. Neben gewaltsamen Auseinandersetzungen auf der Straße wurde weiterhin auch gegen einzelne bekannte Rechtsextremisten vorgegangen. So warfen in der Nacht zum 1. April 2005 bislang unbekannte Täter mit einem Backstein ein Fenster der Kanzlei eines bekannten Rechtsextremisten in ReutlingenVorfälle in BadenBetzingen ein. Der Tathergang wurde auf der Homepage des "Infoladens Württemberg Ludwigsburg", einer Kontaktstelle der autonomen Szene, veröffentlicht. Anfang März 2005 waren in Karlsruhe fünf Autos zerstört worden, die in der Nähe einer Gaststätte abgestellt waren, in der eine Veranstaltung der rechtsextremistischen "Jungen Nationaldemokraten" (JN) stattfand. In der Nacht vom 28. auf den 29. Juli 2005 wurde ferner in Weinheim das Fahrzeug eines NPD-Funktionärs beschädigt. "Antifaschistische Gruppen" haben die Notwendigkeit militanten Vorgehens im Kampf gegen die "Faschisten" und für eine "Gesellschaft ohne Ausbeutung, ohne rassistische und patriarchale Unterdrückung"348, ein Kampf, der sich zugleich "auch gegen die Folgen der momentanen herrschenden Ordnung, gegen Kriege, gegen Sozialabbau und gegen die Zerstörung unserer Umwelt" richte, erneut bekräftigt: Legitimierung "Wie dieser Kampf zu führen ist, welche Mittel notvon Gewalt wendig und legitim sind, lassen wir uns weder von diesem Staat, noch von Medien, Pfaffen oder Politikern vorschreiben. (...) Militanz ist dabei ein Mittel unter vielen. Gerade im Kampf gegen die Faschisten lehren uns viele Beispiele, sowohl aus den Erfahrungen der NS-Zeit als auch aus der aktuellen Situation in vielen Teilen Deutschlands, dass auch entschlossener und militanter Widerstand notwendig ist. (...) Dass gerade die zur Gewaltfreiheit aufrufen, die dafür verantwortlich sind, dass den Aufmärschen der Faschisten von Großaufgeboten der Polizei der 348 Hier und im Folgenden: "...über Totalitarismus, Repression und Militanz". Text der "AG Antifa der Revolutionären Aktion Stuttgart", des "Antifaschistischen Bündnisses Rems-Murr" und der "Antifaschistischen Gruppe Z.O.R.A." Karlsruhe, in: Broschüre "Nie wieder Volksgemeinschaft! Keine Zentren für Nazis!", hrsg. vom "Bündnis für ein Buntes Hall" und dem "Antifaschistischen Aktionsbündnis Baden-Württemberg (aabw)", S. 26f.; Übernahme wie im Original. 184 Linksextremismus Weg freigeprügelt wird und dass AntifaschistInnen kriminalisiert werden, kann von uns nicht ernstgenommen werden. Wir lassen uns auch nicht von den brutalen Polizeieinsätzen bei Naziaufmärschen, von Festnahmen und Gerichtsverfahren einschüchtern." 4. Parteien und Organisationen 4.1 "Linkspartei.PDS", bis Juli 2005: "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) Gründung: 1989/90 Sitz: Berlin Mitglieder: ca. 600 Baden-Württemberg (2004: ca. 460) ca. 61.600 Bund (2004: ca. 65.800) Publikationen: "Disput" "PDS-Pressedienst" "PDS Landesinfo Baden-Württemberg" Die "Linkspartei.PDS" ging 1989/90 bruchlos und durch einfache Umbenennung als "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) aus der vormaligen, 1946 für den Geltungsbereich der späteren DDR gegründeten "neue Partei in "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) hervor. Im Westen alten Kleidern" musste die bis dahin nicht existente Partei neu aufgebaut werden. Von Anfang an versuchten dabei Angehörige unterschiedlicher linksextremistischer Organisationen, in der entstehenden PDS Fuß zu fassen. In vielen Landesverbänden, so auch in Baden-Württemberg, war sie auch im Jahr 2005 von Mitgliedern ehemaliger "K-Gruppen"349 dominiert. 2005 kam es zu einer weiteren Umbenennung. Hintergrund waren Planungen zur Gründung einer neuen "Linkspartei" durch den Zusammenschluss mit der seit dem 22. Januar 2005 als Partei bestehenden "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG). Eine komplizierte Lage entstand durch die vorgezogene Bundestagswahl. Da die Zeit für eine Fusion beider Parteien zu knapp war, drohten zwei Konkurrenzkandidaturen. Die 349 Sammelbezeichnung für politische Gruppierungen wie den "Kommunistischen Bund Westdeutschland" (KBW), die "Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten" (KPD/ML) oder die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD), die sich vor allem in den 1960er bis 1980er Jahren am chinesischen Marxismus-Leninismus (Maoismus) orientiert und beabsichtigt hatten, das bestehende Gesellschaftssystem in Deutschland zu beseitigen. 185 PDS signalisierte der WASG nach anfänglichem Zögern und Skepsis sowie internem Widerstand auf beiden Seiten Gesprächsbereitschaft, um "die Gefahr einer Zersplitterung der Linken"350 zu verhindern. Verhandlungen zwischen WASG und PDS über die Frage einer gemeinsamen Kandidatur mündeten schließlich in die Lösung der von der PDS favorisierten "offenen Listen", auf denen dann neben eigenen Mitgliedern auch Kandidaten der WASG und anderer Parteien, so etwa der DKP, oder Parteilose kandidierten. Die WASG hatte allerdings eine vorherige Umbenennung der PDS zur Bedingung gemacht. Ein Antreten unter dem Namen PDS lehnte sie ab. Auf ihrer außerordentlichen Tagung des 9. Parteitages am 17. Juli 2005 in Berlin beschloss die PDS nach einem langen Namensstreit mit einer Mehrheit von 74,6 Prozent ihre Umbenennung in "Die Linkspartei.PDS", in der Kurzform "Die Linke.PDS". "Traditionalistische" Minderheiten in der Partei wollten zunächst nicht auf den alten Namen verzichten und fürchteten um die Identität ihrer Partei. So warnte Sahra WAGENKNECHT von der "Kommunistischen Plattform" (KPF) davor, "die PDS aus dem Bundesnamen [zu] verbannen und zu einem Zusatz herab[zu]stufen"351, denn dann werde es in der öffentlichen Wahrnehmung bald keine PDS mehr geben. Die Veränderung des Parteinamens habe erheblichen Symbolwert für Programmatik, Profil und Charakter einer Partei. Der Name PDS stehe für "15 Jahre politisches Wirken und für das Festhalten am Ziel einer antikapitalistischen Perspektive." Zudem sei die WASG "ihrem Selbstverständnis nach keine sozialistische Partei." Lothar BISKY stellte hingegen ausdrücklich fest, dass seine Partei weiterhin "programmatisch am demokratischen Sozialismus festhalten" und man "stets auch als demokratische Sozialistinnen und Sozialisten handeln" werde.352 Diesem Verständnis vom weiterhin unveränderten politischen Charakter der Partei entspricht die Tatsache, dass die Umbenennung der PDS ohne programmatische Veränderungen stattfand. Dies bedeutet zugleich die Beibehaltung der bisherigen verfassungsfeindlichen Zielsetzungen. Mit einem amtlichen Endergebnis von bundesweit 8,7 Prozent der Zweitstimmen gegenüber 4,0 Prozent im 350 Newsletter der PDS Ulm/Neu-Ulm und der PDS-Hochschulgruppe stuPDS Ulm vom April 2005, S. 7. 351 Hier und im Folgenden: WAGENKNECHT, "...aber Erhalt der Identität unserer Partei als Partei des Demokratischen Sozialismus", Außerordentliche Tagung des 9. Parteitages der PDS am 17. Juli 2005; Homepage der "Linkspartei.PDS" vom 13. Oktober 2005. 352 BISKY, "Der zweite Aufbruch der Partei des Demokratischen Sozialismus", Außerordentliche Tagung des 9. Parteitages der PDS am 17. Juli 2005; Homepage der "Linkspartei.PDS" vom 13. Oktober 2005. 186 Linksextremismus Jahr 2002 konnte die nunmehrige "Linkspartei.PDS" ihren Stimmenanteil bei der Bundestagswahl mehr als verdoppeln. Sie zog mit 54 Sitzen in den Deutschen Bundestag ein, in dem sie bislang nach dem Wahldebakel des Jahres 2002 mit lediglich zwei Sitzen vertreten war. In Baden-Württemberg erreichte die "Linkspartei.PDS" 3,8 Prozent der Zweitstimmen (219.105 Stimmen absolut). Gegenüber dem Ergebnis der letzten Bundestagswahl 2002 mit 0,9 Prozent (56.156 Stimmen absolut) bedeutete dies eine Steigerung um 2,9 Prozentpunkte, gleichzeitig aber mehr als eine Vervierfachung. Die ersten drei Kandidaten auf der Landesliste errangen Bundestagsmandate. Bei den Erststimmen verbesserte sich die "Linkspartei.PDS" ähnlich signifikant von 0,9 Prozent im Jahr 2002 auf jetzt 3,1 Prozent (absolut: von 51.472 auf 182.288 Stimmen). Sie war in 34 von 37 Wahlkreisen mit Direktkandidaten angetreten. Auch die baden-württembergische PDS hatte sich auf ihrem am 16. Juli 2005 in Stuttgart abgehaltenen Landesparteitag in "Die Linkspartei.PDS Landesverband Baden-Württemberg" umbenannt. Sie trat bei den Wahlen jedoch lediglich als "Die Linke.PDS" an. Der Jugendverband ['solid] vollzog die Öffnung für weitere "linke" Kräfte Öffnung für ebenfalls mit. Er erklärte, "ein deutliches Signal für den Aufbau einer neuen "linke" Kräfte und starken Linkspartei geben und sich gleichzeitig in Richtung der Jugendlichen der WASG und anderer linken Jugendstrukturen in Baden-Württemberg öffnen" zu wollen.353 Auf dem Landestreffen am 1. Oktober 2005 in Karlsruhe wurde mit großer Mehrheit beschlossen, sich künftig "['solid] - die linke Jugend Baden-Württemberg" zu nennen. Um die Zusammenarbeit "linker" Jugendorganisationen in Baden-Württemberg zu forcieren, rief u.a. ['solid] zu einem "Vernetzungstreffen der jungen Linken in BaWü" in Karlsruhe am 26. November 2005 auf. Der Erfolg der umbenannten PDS bei der Bundestagswahl führte auch in Baden-Württemberg zu einem deutlichen Aufschwung der Mitgliederzahlen. Als nächstes Etappenziel galt für den Landesverband die Landtagswahl im März 2006. Die Chance, die fünf-Prozent-Hürde zu überwinden, wird intern als durchaus realistisch angesehen. Die "Linkspartei.PDS" wird auf 353 Hier und im Folgenden: Homepage von "['solid]die linke Jugend in Baden-Württemberg" vom 27. Oktober 2005. 187 eine eigene Kandidatur verzichten und stattdessen ihrerseits die antretende WASG im Wahlkampf unterstützen. Ein entsprechender Beschluss fiel auf dem Landesparteitag am 22. Oktober 2005. Bei gleicher Gelegenheit wurde auch das Angebot der WASG, über das Landeswahlprogramm zu diskutieren und einen gemeinsamen Wahlkampf zu führen, begrüßt. Zudem wurde ein Antrag an den Bundesparteitag im Dezember 2005 mit dem Vorschlag verabschiedet, künftig Doppelmitgliedschaften in "Linkspartei" und WASG zu ermöglichen. Das Ergebnis der Bundestagswahl hat gezeigt, dass das Kalkül der "Linkspartei.PDS", die eigene Schwäche im Westen Deutschlands durch Stimmen der WASG kompensieren zu können, aufgegangen ist. Seit dem Wahlerfolg drängt die "Linkspartei.PDS" auf eine möglichst rasche Vereinigung mit der WASG. Der sich anbahnende Zusammenschluss stand jedoch von Anfang an unter teils massiven Vorbehalten auf beiden Seiten. Die Vereinigung von "Linkspartei.PDS" und WASG soll zügig fortgeführt werden und bis 2007 abgeschlossen sein. 4.2 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Gründung: 1968 Sitz: Essen Mitglieder: ca. 500 Baden-Württemberg (2004: ca. 500) weniger als 4.500 Bund (2004: ca. 4.500) Publikation: "Unsere Zeit" (UZ) Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) versteht sich seit ihrer Gründung unverändert als Nachfolgerin der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD). Sie bekennt sich zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin und zu ihrem politischen Endziel der Errichtung des Kommunismus. Dieser soll, wie die Partei 2005 erneut bekräftigte, über den Klassenkampf und getragen von der "Arbeiterklasse als revolutionärem Subjekt" verwirklicht werden. Die DKP hat bis heute mit den Folgen der als "Niederlage des Sozialismus" empfundenen Auflösung des Ostblocks Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre zu kämpfen, d.h. dem Verlust materieller Unterstützung durch die ehemalige DDR und dem Wegfallen der ideologischen Führung durch die "Kommunistische Partei der Sowjetunion" (KPdSU). Neben anhaltenden personellen und finanziellen Erosionserscheinungen kostete das jahrelange Ringen um eine programmatische Erneuerung viel Kraft und offenbarte 188 Linksextremismus zuletzt tiefe ideologische Gräben in ihrer Mitgliederschaft. Ein starker Minderheitenflügel vor allem in Ostdeutschland, jedoch mit Anhängern auch im Westen Deutschlands, ist streng orthodox ausgerichtet und versucht, das ideologische Erbe der DDR ohne Abstriche zu bewahren, wohingegen sich die Mehrzahl der Parteimitglieder im Westen einer Modifizierung gegenüber aufgeschlossen zeigt. Im April 2005 konnte schließlich der Entwurf für ein neues Parteiprogramm in der Parteizeitung "Unsere Zeit" (UZ) veröffentlicht werden. Er war von einer vierköpfigen Autorengruppe erarbeitet worden, die die unterschiedlichen ideologischen Ausrichtungen innerhalb der DKP repräsentierte. Wenngleich der vorgelegte Text das Ergebnis mühevoller Suche nach Kompromissen war, musste ein Mitglied dieser Gruppe einräumen, dass etwa in der Frage der "Einschätzung des Imperialismus" weiterhin Meinungsunterschiede bestünden. Man habe sich "schwer getan" 354. Ein erster Höhepunkt des Jahres 2005 war für die DKP der erste Durchgang ihres 17. Parteitags am 12./13. Februar 2005 in Duisburg-Rheinhausen. Mit der Zweiteilung des Parteitags sollte einerseits den Bestimmungen des Parteistatuts entsprochen werden, denen zufolge alle zwei Jahre ein Parteitag abzuhalten ist (so zuletzt im November 2002), und andererseits genügend Zeit zur Diskussion des Textes zur Verfügung stehen. Ziel war es, diesen als neues Programm der DKP auf einer zweiten Tagung des Parteitags am 8. April 2006 zu erörtern und zu beschließen. Im Vorfeld hatten sich drei Vorstandsmitglieder der DKP besorgt über den Zustand der Partei geäußert.355 Die Rede war von einer "polarisierenden Diskussion über und lähmenden Programmdebatte", von "Richtungskämpfe(n)", einer Parteiausrichtung "brandgefährliche(n) Situation" und Aufrufen zum "Putsch gegen die Parteiführung", Stichworte, die die Angst vor einem Scheitern des Parteitags erkennen ließen. Wie groß die Erleichterung über einen erfolgreichen Abschluss schließlich war, ließ sich am ersten Satz ermessen, mit dem das DKP-Großereignis im Parteiorgan "Unsere Zeit" (UZ) kommentiert wurde: "Wer (...) einen Eklat, Putsch-Versuche oder destruktiven Streit erhofft oder befürchtet hat, musste (...) zur Kenntnis nehmen", dass die DKP bei "allen Irritationen" fähig sei, "souverän mit unübersehbaren Meinungsverschiedenheiten umzugehen".356 Eine Beilegung dieser Zwistigkeiten ist 354 UZ Nr. 7 vom 18. Februar 2005, S 15. 355 UZ Nr. 5 vom 4. Februar 2005, S. 2. 356 UZ Nr. 7 vom 18. Februar 2005, S. 1. 189 damit jedoch nicht in Sicht. Vielmehr muss mit einem harten Richtungskampf gerechnet werden, wenn das umstrittene Programm beim zweiten Teil des Parteitags 2006 auf der Tagesordnung steht. Zu den wichtigsten Ereignissen des Jahres gehörte für die DKP auch das UZ-Pressefest vom 24. bis 26. Juni 2005 in Dortmund. Unter dem DKP-Logo "Sozial is' muss" haben sich mehrere tausend Besucher zu einem umfangreichen Kulturund Politikprogramm getroffen. Die zweite Jahreshälfte wurde von den Vorbereitungen auf die Bundestagswahl beherrscht. Am 9./10. Juli 2005 beschloss der Parteivorstand, nicht selbst zur Wahl anzutreten, sondern die Kandidatur der "Linkspartei.PDS" zu unterstützen und zugleich eine Berücksichtigung von DKP-Kandidaten auf den Landeslisten oder als Direktkandidaten zu erreichen. Insgesamt bundesweit 10 DKP-Mitglieder wurden auf Landeslisten der "Linkspartei.PDS" nominiert, darunter in Baden-Württemberg ein Aktivist aus Heidenheim (Platz 10). Trotz des guten Wahlergebnisses für die "Linkspartei.PDS" reichte es jedoch für die DKP zu keinem Bundestagsmandat. Dennoch zeigte sich die Partei erfreut über den Erfolg, denn nun könne die außerparlamentarische Bewegung "die Tribüne des Bundestages nutzen", um öffentlichkeitswirksam die "Alternativen zur neoliberalen Politik" aufzuzeigen.357 Von den Mandatsträgern der "Linkspartei.PDS" im Bundestag erwartet die DKP Konsequenz in der Umsetzung ihrer politischen Ziele und vor allem die Rückkoppelung mit denjenigen, die sie als verlängerten Arm im Parlament verstehen. Kampagne Die Jugendorganisation der DKP, die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjuder Jugendgend" (SDAJ) startete ins Jahr 2005 mit dem zweiten Teil ihrer Kampagne organisation "Ausbilden statt Ausbeuten", die sich "gegen Ausbildungsplatz-Killer" richtete358. Nach einer Vorbereitungsphase im Herbst 2004 standen von Januar bis Spätsommer 2005 eine Unterschriftensammlung für Ausbildungsplätze und die Forderung nach einem "Berufsausbildungsgesetz" im Mittelpunkt. Den Abschluss der Kampagne bildete am 1. und 2. Oktober 2005 ein 357 UZ Nr. 39 vom 30. September 2005, S. 9. 358 UZ Nr. 43 vom 22. Oktober 2005, S. 9. 190 Linksextremismus "Arbeiterjugendtribunal" in Nürnberg. Es endete mit dem symbolischen Schuldspruch hochrangiger Politiker und Industrieller als "Lehrstellenkiller".359 Wie jedes Jahr veranstaltete die SDAJ zudem ihr traditionelles Pfingstcamp vom 13. bis 16. Mai 2005. An vier verschiedenen Orten gleichzeitig (im Süden Deutschlands in Waischenfeld bei Forchheim/Bayern) versammelten sich nach Angaben des Parteiorgans "Unsere Zeit" (UZ) rund 400 Jugendliche, um "Ausbildungsplatzkillern, Nazis und der militaristischen EU-Verfassung den Kampf anzusagen".360 Zwei der Camps wurden dem Bericht zufolge im Bündnis mit der PDS-Jugendorganisation ['solid] durchgeführt. Obwohl die SDAJ eine bundesweite Organisation ist, vermag sie es offenbar nicht, flächendeckend aktiv zu sein. In Baden-Württemberg wurden im Jahr 2005 keine öffentlichkeitsrelevanten Aktivitäten festgestellt. 4.3 "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA) Gründung: 1947 Sitz: Berlin Mitglieder: ca. 1.300 Baden-Württemberg (2004: ca. 1.350) ca. 6.000 Bund (2004: ca. 8.000) Publikationen: "antifa. Magazin für antifaschistische Politik und Kultur" "Antifa Nachrichten" Als ehemalige Vorfeldorganisation der DKP hat sich die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA) zwar aus der engen Bindung an diese Partei gelöst und sich gegenüber anderen politischen Strömungen geöffnet. Trotz der bewusst angestrebten Bandbreite von Mitgliedern aus weiteren linksextremistischen oder linksextremistisch beeinflussten Organisationen bis hin zu "bürgerorthodox-kommulichen" Parteien ist der orthodox-kommunistische Einfluss auf die politische nistischer Einfluss Ausrichtung der VVN-BdA jedoch erhalten geblieben. Dies zeigte sich vor bleibt erhalten allem auf dem Gebiet des "Antifaschismus" als dem Hauptagitationsfeld der VVN-BdA im Festhalten an der kommunistischen Faschismustheorie. Den Wahlerfolg der linksextremistischen "Linkspartei.PDS" begrüßte die VVN-BdA unter "antifaschistischen" Vorzeichen. Angehörige der Organisation hatten ebenfalls auf den Listen der "Linkspartei.PDS" kandidiert. Die 359 UZ Nr. 40 vom 7. Oktober 2005, S. 3. 360 UZ Nr. 21 vom 27. Mai 2005, S. 12. 191 VVN-BdA selbst hatte keine konkrete Wahlempfehlung abgegeben, sondern mit "Wahlprüfsteinen" bestimmte "Forderungen an die Kandidaten und Parteien" 361 formuliert, die ihrem Inhalt nach allerdings faktisch eine klare Parteinahme für die "Linkspartei.PDS" zum Ausdruck brachten. Demnach sei nur wählbar, wer "mit aller Konsequenz im parlamentarischen und außerparlamentarischen Rahmen gegen Neofaschismus und extreme Rechte" 362 eintrete. Die Forderung, mit "aller Konsequenz" vorzugehen, ist eine der für die VVN-BdA charakteristischen Umschreibungen, mit denen im Klartext eine umfassende Ausschaltung "neofaschistischer" Umtriebe gefordert wird. Sie negiert, dass auch das Vorgehen gegen Rechtsextremismus an Gesetz und Recht gebunden ist. Die Bezugnahme auf den angeblichen "antifaschistischen Gehalt der Grundrechte" an gleicher Stelle, welcher "eine klare Haltung gegen die Aufmärsche, Aktivitäten und Propaganda der offenen Faschisten" erfordere, zeigte ein weiteres Mal, dass nach dem Verständnis der VVN-BdA Grundrechte nicht für alle gelten, sondern an eine bestimmte Weltanschauung gebunden sind, eine Sichtweise, die mit den Grundsätzen eines Rechtsstaates nicht übereinstimmt. In ihren "Wahlprüfsteinen" bezeichnete die VVN-BdA des Weiteren diejenigen als wählbar, die sich für "Demokratie und erweiterte Partizipationsmöglichkeiten" einsetzen würden. "Demokratische Rechte und Freiheiten" bedingten eine "Einschränkung des Überwachungsstaates". Die "Verfolgung, Kriminalisierung und politische Denunziation von Antifaschismus" seien zu beenden. Mit der staatlichen Behörden unterstellten "Verfolgung" und "Kriminalisierung" von "Antifaschisten" liegt die VVN-BdA auf einer Linie unter anderem mit der linksextremistischen "Roten Hilfe e.V.". Wie letztere unterzeichneten örtliche Gliederungen der VVN-BdA, darunter die Kreisvereinigung Leonberg-Böblingen-Sindelfingen, zusammen mit zahlreichen autonomen Gruppierungen und weiteren linksextremistischen Organisationen einen "Solidaritätsaufruf" zugunsten von drei - so eine Darstellung in dem Internetportal "indymedia" - "engagierten Antifaschisten aus Magdeburg" wegen der angeblichen "Nichteinhaltung demokratischer und rechtlicher Mindeststandards" während des Prozesses vor dem Naumburger Oberlandesgericht. In dem Aufruf hieß es: 361 "Kommunal-Info Mannheim" Nr. 20 vom 29. September 2005, S. 6. 362 Hier und im Folgenden: "Wahlprüfsteine der VVN-BdA", Homepage der VVN-BdA vom 14. November 2005. 192 Linksextremismus "Hier sollen antifaschistische Jugendliche kriminalisiert und mit hohen Haftstrafen belegt werden, deren angebliche 'terroristische Taten' sich einzig auf leichte Sachbeschädigung beschränken."363 Den drei Magdeburger "Antifaschisten" wurde vorgeworfen, mehrere Brandbeziehungsweise Sprengstoffanschläge unter wechselnder Gruppenbezeichnung u.a. auf das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt und ein Dienstfahrzeug der Bundespolizei verübt zu haben. Dass die VVN-BdA nicht nur für Autonome aktiv Partei ergreift, sondern auch mit diesen gemeinsame politische Aktivitäten entfaltet, hat sich auch begrüßt 2005 fortgesetzt. Bei der von Autonomen am 9. April 2005 in Rosenberg/ Zusammenarbeit Ostalbkreis organisierten Demonstration "Nie wieder Volksgemeinschaft" mit Autonomen war die VVN-BdA nicht nur auf Flugblättern neben zahlreichen anderen Organisationen und Einzelpersonen aus DKP und PDS als Unterstützerin genannt, sondern stellte darüber hinaus zwei der Hauptredner auf der Kundgebung. Anlässlich des Stiftungsfestes einer Heidelberger Burschenschaft richtete sie zusammen mit der autonomen "Antifaschistischen Initiative Heidelberg" (AIHD) unter anderem einen "offenen Brief" an einen Heidelberger Gastwirt, in dem über vermeintliche rechtsextremistische Aktivitäten der Burschenschaft informiert und der Gaststättenbetreiber "dringend" aufgefordert wurde, seine Räumlichkeiten nicht zur Verfügung zu stellen sowie sich öffentlich von den "menschenverachtenden Umtrieben" der Burschenschaft zu distanzieren. 4.4 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Gründung: 1982 Sitz: Gelsenkirchen Mitglieder: ca. 600 Baden-Württemberg (2004: ca. 600) mehr als 2.300 Bund (2004: mehr als 2.000) Publikationen: "Rote Fahne" (RF) "Lernen und Kämpfen" (LuK) "REBELL" Die 1982 aus dem schon 1972 gegründeten "Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands" (KABD) hervorgegangene "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) strebt unverändert die revolutionäre Überwindung der parlamentarischen Demokratie an. Mit dem "bewaffneten Auf363 "Indymedia"-Auswertung vom 27. Oktober 2005. 193 stand" der Arbeiterklasse unter Führung der Partei sollen der "Sturz des Imperialismus" und die "Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparats" erreicht, über die "sozialistische Revolution" im letztlich internationalen Maßstab soll die klassenlose Gesellschaft errichtet werden.364 Der starre ideologische Dogmatismus und ihr sektenhafter Charakter erschweren der MLPD nicht nur die Gewinnung neuer Mitglieder, sondern haben eine weitgehende Isolierung selbst im linksextremistischen Lager zur Folge. Diese "relative Isolierung" zu überwinden, war ihr im Rahmen der Proteste gegen die Sozialreformen der Bundesregierung schon 2004 ein Stück weit gelungen. Auch 2005 setzte sie ihre Versuche einer dominierenden Einflussnahme auf die gegen "Hartz IV" gerichteten so genannten Montagsdemonstrationen fort. In Deutschland sieht die Partei Ansätze einer der marxistischen Lehre entsprechenden Konstellation gegeben, die sie in ihrem Parteiprogramm als Voraussetzung eines Übergangs der "Arbeiterklasse in die Offensive", also als quasi vorrevolutionäre Situation beschrieben hat: "Die relative Stabilisierung, die der neudeutsche Imperialismus nach dem II. Weltkrieg erreichen konnte, ist einem Prozess der Destabilisierung der staatsmonopolistischen Gesellschaft gewichen. Wenn die kleinbürgerliche Denkweise als Mittel zur Zersetzung des proletarischen Klassenbewusstseins nicht mehr greift, wird die Arbeiterklasse in die Offensive gehen. Das setzt voraus, dass die herrschenden Monopole und ihr Staat eine so tief gehende wirtschaftliche und politische Krise durchmachen, dass sie nicht mehr in der alten Weise regieren können und die große Mehrheit des werktätigen Volkes nicht mehr in der alten Weise leben will. Wirtschaftliche und politische Massenstreiks und -demonstrationen beherrschen dann das Bild." Dementsprechend setzte die MLPD alles daran, um mit ihrer Propaganda in der Bevölkerung Missstimmung und Ablehnung der Sozialreformen weiter zu schüren. 364 Hier und im Folgenden: Programm der "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands" (MLPD), beschlossen im Dezember 1999. 194 Linksextremismus Der Ausgang der Bundestagswahl hat nach Auffassung der MLPD eine bestehende Krise in Deutschland noch verschärft. Nachdem ein schriftliches Angebot an die "Linkspartei.PDS" zur Zusammenarbeit ohne Ergebnis geblieben war, hatte die Partei beschlossen, sich in deutlicher Abgrenzung zu dieser als die einzige echte "sozialistische Alternative" eigenständig zur Wahl zu stellen. Die MLPD, hieß es dann, habe ihrerseits "den Vorschlag für ein breites linkes Wahlbündnis gegen die neoliberale Monopolpolitik unterstützt" 365, einen "kämpferischen Zusammenschluss der Linken", wie ihn sich viele Menschen wünschten. Die Parteispitzen von "Linkspartei.PDS" und WASG seien dazu jedoch "aus parteiegoistischen Gründen nicht bereit" gewesen und hätten "damit eine Trennungslinie zur revolutionären Linken" gezogen. "Linkspartei.PDS" und WASG werden seither als "linksreformistisch" bezeichnet. Die MLPD hingegen sei die einzige Partei, die konsequent die Abschaffung der "Hartz IV"-Gesetze fordere, und die "einzige gesellschaftsverändernde Kraft Sozialprotest im in Deutschland" 366. Anders als die "Linkspartei.PDS" sei die MLPD in der Vordergrund Lage, den notwendigen Kampf der Massen "gegen die herrschenden Verhältnisse zu organisieren". Darin liege der grundsätzliche Unterschied, dass sie "tatsächlich eine Partei ist, die sowohl das Know-how als auch die Fähigkeit hat, solche Massenkämpfe zu organisieren und auch konsequent zu führen." In einem außergewöhnlich kosten-, zeitund personalintensiven Wahlkampf hatte sich die Partei zum Ziel gesetzt, "diese offene politische Krise so zu nutzen, dass der marxistisch-leninistische Parteiaufbau und die Entwicklung der kämpferischen Opposition einen großen Schritt" vorankämen.367 Die MLPD war zuletzt 1994 flächendeckend zur Bundestagswahl angetreten. Anlässlich der Bundestagswahl 2002 hatte sie noch zum "aktiven Wahlboykott" aufgerufen. Mit bundesweit 0,1 Prozent der Zweitstimmen (45.238 Stimmen) vermochte sie 2005 ihr Ergebnis gegenüber 1994 (0,0 Prozent beziehungsweise 10.038 Stimmen) zu steigern. Den Erfolg eines Mitgliederzuwachses in Ostdeutschland von angeblich etwa 50 Prozent seit dem VII. Parteitag 2004 und in Gesamtdeutschland von ca. 20 Prozent in Verbindung mit dem Wahlkampf bezeichnete der Vorsitzende Stefan ENGEL im Hinblick auf den für die Partei eigentlich im 365 Hier und im Folgenden: Flugblatt der MLPD "Montagsdemo aktuell 27" vom 1. Juli 2005. 366 Hier und im Folgenden: Interview mit dem Parteivorsitzenden Stefan ENGEL in der RF Nr. 34 vom 26. August 2005, S. 15. 367 RF Nr. 21 vom 27. Mai 2005, S. 4. 195 Vordergrund stehenden Parteiaufbau als das "unter strategischen Gesichtspunkten (...) wichtigste Ergebnis"368 des Wahlkampfs. Mit der Wahl war eine bundesweite Spendenkampagne verbunden, die der MLPD neben einer zusätzlichen Großspende aus Stuttgart in Höhe von 175.000 Euro bis Ende des Jahres 2005 Einnahmen von knapp 224.000 Euro bescherte. Wie im Jahr 2004 schon im Zusammenhang mit den "Montagsdemonstrationen" ist es der MLPD durch ihren aufwendigen Wahlkampf zweifellos gelungen, von einer breiteren Öffentlichkeit zumindest einmal wahrgenommen zu werden. Ob der vom Parteivorsitzenden in dem erwähnten Interview genannte Mitgliederzuwachs allerdings den Tatsachen entspricht und die an gleicher Stelle anvisierte Größenordnung, bis Jahresende "den Zuwachs der Partei auf 30Prozent ausgehend vom VII: Parteitag 2004 [zu] steigern" 369, realistisch ist, darf bezweifelt werden. 4.5 "Rote Hilfe e.V." (RH) Gründung: 1975 Sitz: Dortmund Mitglieder: ca. 300 Baden-Württemberg (2004: ca. 350) ca. 4.300 Bund (2004: ca. 4.600) Publikation: "Die Rote Hilfe" Die "Rote Hilfe e.V." sieht sich in Kontinuität zu der erstmals 1924 in der Weimarer Republik unter Federführung der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) gegründeten gleichnamigen Organisation. Diese hatte sich in der Zeit des Nationalsozialismus aufgelöst. 1975 erfolgte die SolidaritätsNeugründung. Die "Rote Hilfe e.V." versteht sich als eine Solidaritätsorgaorganisation für nisation, die Angehörige der linksextremistischen Szene, die aus politischen Linksextremisten Gründen straffällig geworden sind, politisch und finanziell unterstützt. Eine veränderte Kostenstruktur bei der Anwaltsvergütung war 2005 für sie Anlass, deutlich darauf hinzuweisen, dass die "Rote Hilfe e.V." keine "karitative Einrichtung" sei. So betonte sie in einer Presseerklärung vom 19. September 2005: "Die Rote Hilfe ist keine Rechtsschutzversicherung, die unbegrenzt Gelder zur Verfügung stellen kann. Es ist also immer politisch notwendig, mit den eige368 RF Nr. 38 vom 23. September 2005, S. 14, Fettdruck im Original. 369 RF Nr. 38 vom 23. September 2005, S. 18; Übernahme (einschließlich Fettdruck) wie im Original. 196 Linksextremismus nen Genossen und Genossinnen beziehungsweise mit der Roten Hilfe vor Ort zu diskutieren, inwieweit ein anwaltliches Vorgehen in jedem Repressionsfall bis zum allerletzten möglichen Mittel sinnvoll erscheint." Die "Rote Hilfe e.V." unterstützt ihre Mitglieder unter anderem in Bereichen wie "Antifaschismus", "Soziale Freiräume (Autonome Zentren)", "Soziale Fragen/Antikapitalismus" oder bei Aktivitäten im Rahmen der "Anti-Atom-Bewegung". 2005 wurde erstmals wieder dem traditionellen Datum des "18.3." Aufmerksamkeit gewidmet. So erschien am 11. März 2005 eine Sonderausgabe der "Roten Hilfe e.V." in der linksextremistischen Tageszeitung "junge Welt" mit dem Titel "18.03.2005 - Tag der politischen Gefangenen". Die Einleitung war mit einer Textzeile der ehemaligen Band "TonSteineScherben" aus den 70er Jahren betitelt: "'Wieviel sind hinter Gittern nach dem Gesetz, wer das Geld hat, hat die Macht und wer die Macht hat, hat das Recht?'"370 Dabei wurde auf die Geschichte des 18. März371 eingegangen. Da lange Haftstrafen und "Isolationshaftbedingungen" der "Gefangenen" auch als "abschreckendes Beispiel und Drohung für die draußen Kämpfenden" dienten, mahnten die Autoren in ihrer Einleitung "Solidarität mit den von Repression betroffenen" an, die "immer Grundlage linker Politik sein" müsse: "Wenn wir unsere Gefangenen vergessen und mit der Repression alleine lassen, ist der Plan von Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz aufgegangen." 370 Hier und im Folgenden: "18.03.2005. Tag der politischen Gefangenen. Sonderausgabe der Roten Hilfe", S. 2; Übernahme wie im Original. 371 Das Datum "18. März" soll historische Bezüge zu den Barrikadekämpfen in Berlin während des Revolutionsjahrs 1848, zum Beginn der Pariser Kommune im März 1871 und den erstmals am 18. März 1923 von der damaligen KPD-nahen "Roten Hilfe" ausgerufenen "Internationalen Tag der politischen Gefangenen" knüpfen. 197 Die einzelnen Beiträge der "junge Welt"-Sonderausgabe, die von verschiedenen Ortsgruppen der "Roten Hilfe e.V.", der "Soligruppe Magdeburg/ Quedlinburg" und anderen linksextremistischen Gruppen verfasst wurden, hatten unter anderem die Situation der "Politischen Gefangenen" in Spanien und in der Türkei zum Inhalt. Mit dem Beitrag "Zur Lage der RAFGefangenen - Noch immer keine Perspektive auf Freiheit" wurde die Situation der noch inhaftierten Angehörigen der "Roten Armee Fraktion" (RAF) thematisiert. Ein weiterer Bericht mit dem Titel "Magdeburg' Kriminell ist das System - und nicht der Widerstand!'" befasste sich mit dem Revisionsverfahren zweier Angehöriger des linksextremistischen Spektrums vor dem Oberlandesgericht Naumburg. Insgesamt wurden drei Personen beschuldigt, mehrere Brandbeziehungsweise Sprengstoffanschläge unter wechselnder Gruppenbezeichnung verübt zu haben.372 Im Zusammenhang mit dem Verfahren rief die "Rote Hilfe e.V." am 19. Oktober 2005 mit einer Presseerklärung zur Prozessbeobachtung am 1. November 2005 auf. Gleichzeitig unterstützte sie einen Solidaritätsaufruf, den sie auf ihrer Internetseite dokumentierte. In Baden-Württemberg stieß der "Tag der politischen Gefangenen" nur auf geringe Resonanz. Neben zwei Kundgebungen in Ulm und Heidelberg mit minimaler Beteiligung fand eine weitere vor der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim statt, an der etwa 70 Personen teilnahmen. Kampagne gegen Auch 2005 setzte die "Rote Hilfe e.V." die im Vorjahr gestartete Kampagne angebliche gegen fälschlich so bezeichnete "Berufsverbote"373 fort. So fand am 29. JanuBerufsverbote ar 2005 in Heidelberg eine unter anderem von ihr selbst, dem "Solidaritätskomitee gegen das Berufsverbot" und der "Roten Hilfe e.V. Ortsgruppe Heidelberg" organisierte Kundgebung "Gegen Berufsverbote" statt, an der lediglich etwa 100 Personen teilnahmen. Im Laufe des Jahres flaute die Kampagne deutlich ab. Dass sie ihren Zenit überschritten haben dürfte, wurde an dem schwachen Echo auf eine Pressemitteilung der "Roten Hilfe e.V." mit dem Titel "Berufsverbot reloaded: Jetzt auch in Hessen!" vom 6. September 2005 deutlich. Am 2. September 2005 war der betroffene "Rote Hilfe Aktivist", der eine Einstellung als Lehrer an einer baden-württembergischen Schule angestrebt hatte, bei dem gleichen Versuch in Hessen ebenfalls abgelehnt worden. 372 Am 1. Dezember 2003 waren zwei von ihnen zu 30 Monaten ohne Bewährung beziehungsweise zu 2 Jahren ohne Bewährung vom 1. Senat des Oberlandesgerichts Naumburg verurteilt, der dritte Angeklagte freigesprochen worden. Seit Frühjahr 2005 läuft das Revisionsverfahren gegen Daniel W. Die damaligen Mitangeklagten Marco H. und Carsten S. wurden, da sie von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machten, in Beugehaft genommen. Daniel W. wurde am 22. November 2005 nach SS129a Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung verurteilt. 373 Ein "Rote-Hilfe-Aktivist" aus Heidelberg hatte Anlass zu Zweifeln an seiner Verfassungstreue gegeben; siehe Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2004, S. 204f. 198 Linksextremismus 4.6 Sonstige Vereinigungen Trotzkistische Vereinigungen waren auch im Jahr 2005 sehr aktiv. "Linksruck" sowie die "Sozialistische Alternative VORAN" (SAV) agierten vordringlich in der "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG). Sie beteiligten sich aktiv am Wahlkampf und beim Aufbau der neuen Partei. Ihr politisches Engagement ist Bestandteil der so genannten Entrismusstrategie. Dieser folgend, treten trotzkistische Gruppierungen in Indoktrination neue, im Aufbau begriffene "linke" Parteien ein, um sie zu unterwandern "linker" Kräfte und zu beeinflussen. Sie erhoffen sich, eine solche Partei, die sie noch als in ihrem Sinne politisch gestaltbar ansehen, zu einer sozialistischen Arbeiterpartei im trotzkistischen Sinne formen oder zumindest Teile davon gewinnen zu können. Vor diesem Hintergrund konzentrierten sich Trotzkisten auf die WASG. So enthielt die SAV-Zeitung "Solidarität" einen vierseitigen Wahlaufruf zugunsten dieser Partei. Unter anderem warb die SAV mit den Parolen "Widerstand in den Bundestag", "Für eine kämpferische Arbeiterpartei mit sozialistischem Programm" und "WASG aufbauen - für eine kämpferische Arbeiterpartei". Auch "Linksruck" rief in seiner gleichnamigen Publikation zur Wahl der "Linkspartei.PDS" auf. Beide Organisationen waren bestrebt, auf örtlicher und überregionaler Ebene Funktionen in der WASG im Sinne ihrer politischen Vorstellungen zu besetzen. So gelangte zum Beispiel ein Mitglied von "Linksruck", obwohl dessen Organisationszugehörigkeit offen bekannt war, in den Landesvorstand Baden-Württemberg der WASG. Gleiches gilt für den Bundesvorstand. Trotzkisten beteiligten sich darüber hinaus weiterhin an den Protesten gegen "Sozialabbau" und nahmen an den "Montagsdemonstrationen", öffentlichen Kundgebungen und sonstigen Aktionen gegen "Hartz IV" und die "Agenda 2010" teil. 5. Aktionsfelder 5.1 "Antifaschismus" "Antifaschismus" war 2005 erneut das zentrale Aktionsfeld des gesamten linksextremistischen Spektrums. Für "antifaschistische" Entwicklungen zu streiten, ist das erklärte Ziel der im Bundestag vertretenen "Linkspartei.PDS". Auch die MLPD räumte der Thematik diesmal einen erhöhten Stellenwert ein. So veranstaltete ihr "12. Internationales Pfingstjugendtreffen" am 14./15. Mai 2005 ein "antifaschistisches Tribunal", das in seinem "Urteil" ein Verbot aller "faschistischen" Organisationen und ihrer Propaganda forderte. 199 Hintergrund war vor allem der 60. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1945. Die Ankündigung der NPD, an diesem Tag in Berlin demonstrieren zu wollen, löste in der Öffentlichkeit eine erneute Debatte über Möglichkeiten einer Einschränkung rechtsextremistischer "Aufmärsche" bis hin zu erneuten Verbotsüberlegungen aus. Linksextremistische "Antifaschisten" sahen ihre Aufgabe wieder verstärkt darin, "Nazi-Aufmärsche" zu verhindern. Im Focus standen in Baden-Württemberg neben der NPD noch immer die Aktivitäten des früheren Bundesleiters der "Bewegung Deutsche Volksgemeinschaft" (BDVG), Lars KÄPPLER, der bereits 2004 mehrere Kundgebungen und Demonstrationen in Schwäbisch Hall durchgeführt hatte.374 Erneuten Protest rief der Erwerb eines ehemaligen Gasthofes in Rosenberg-Hohenberg/Ostalbkreis durch einen bekannten Rechtsextremisten hervor. Das fortgesetztes Gebäude sollte künftig angeblich als Stützpunkt und Schulungszentrum "antifaschisdienen. Gegen das geplante "Nazizentrum" richtete sich eine vom "Antifatisches" schistischen Aktionsbündnis Baden-Württemberg" organisierte landesweite Engagement "Antifa-Demo" am 9. April 2005 in Hohenberg unter dem Motto "Nie wieder Volksgemeinschaft". Auch in Heidenheim kam es im Verlauf des Jahres zu Konfrontationen zwischen Linksund Rechtsextremisten. Nachdem es anlässlich einer Demonstration von Skinheads am 25. Juni 2005 zu Auseinandersetzungen gekommen war, meldete dort ein bekannter Rechtsextremist aus München für den 13. August 2005 eine weitere Demonstration unter dem Motto "Gegen Antifa-Terror und Polizeiwillkür! Widerstand jetzt!" an. Letztere war offenkundig ein Reflex auf die Veranstaltung vom 25. Juni, bei der linksextremistische Gegendemonstranten den Aufzug nach nur wenigen hundert Metern zum Stehen gebracht hatten. Der Demonstrationszug am 13. August 2005 konnte unter massivem Polizeischutz durchgeführt, doch musste er wegen Straßenblockaden wiederholt umgeleitet werden. Vonseiten eingekesselter militanter "Antifaschisten", aber auch im weiteren Verlauf der Veranstaltung kam es zu Steinwürfen auf die Einsatzkräfte. Bei dem Versuch, weitere Blockaden zu errichten, wurden Mülleimer auf der Straße in Flammen gesetzt. Im Internet war zuvor wiederum dazu aufgerufen worden, "den Naziaufmarsch zu verhindern - auf noch mehr Ebenen mit noch mehr Mitteln!"375 374 Siehe Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2004, S. 134f. 375 Internetauswertung vom 12. August 2005. 200 Linksextremismus Unter der Parole "Demonstration statt Repression - Polizeiwillkür stoppen - Dorfsheriffs aushebeln" wollten "Neonazis" am 8. Oktober 2005 in Friedrichshafen ein weiteres Mal gegen "Polizeigewalt" demonstrieren. Die "Antifa Ravensburg" rief unter dem Motto "Nazis versenken" dazu auf, den "Neonaziaufmarsch zum Desaster werden [zu] lassen! Kein Fußbreit den Faschisten!"376 In der Tat gelang es, den Aufzug der Rechtsextremisten massiv zu behindern. Sie konnten nur unter massivem Polizeischutz demonstrieren. Damit führte der Aufzug das Motto der "Nazidemo" ad absurdum: Schon in dem zitierten Aufruf hatte es geheißen: "(...) es gibt nichts peinlicheres, [als] wenn sich Neonazis von den Dorfsheriffs schützen lassen müssen, um Polizeiwillkür stoppen zu wollen." In Pforzheim fanden am 23. Februar 2005 von Gewalttätigkeiten begleitete Gegenaktionen gegen das alljährliche Fackelgedenken des "Freundeskreises 'Ein Herz für Deutschland', Pforzheim e.V." zur Erinnerung an die Bombardierung der Stadt vor 50 Jahren statt. Zur Verhinderung der "Mahnwache" hatte das "Antifaschistische Projekt Pforzheim" mobilisiert. Auf einer Internetseite wurde dazu aufgerufen: "Pforzheim in den Ausnahmezustand versetzen! - den deutschen Opfermythos angreifen! Ob friedlich oder militant wichtig ist der Widerstand." 377 Anlass zum Vorgehen gegen Rechtsextremisten gaben auch deren Versuche, an die soziale Protestbewegung anzuknüpfen oder linke Slogans und Symbole zu "klauen", so vor allem den 1. Mai, den "traditionellen Kampftag der Arbeiterklasse" 378. In der Kampagne "Strike out! Naziaufmärsche abräumen" mobilisierten linksextremistische "Antifaschisten" zu Gegenaktivitäten gegen zwei von bekannten Rechtsextremisten angemeldete Demonstrationen in Worms und Frankenthal am 1. Mai 2005. Flugblätter riefen dazu auf, die "Doppeldemo" "unter allen Umständen und mit allen Mitteln zu verhin376 Aufruf der "Antifa Ravensburg": "Nazis stoppen! Die Demonstration des 'Freien Widerstandes Süddeutschland' am 08.10.05 in Friedrichshafen zu Desaster werden lassen"; Internetauswertung vom 27. Oktober 2005; Übernahme wie im Original. 377 Internetauswertung vom 25. Februar 2005; Übernahme wie im Original. 378 Flugblatt "Strike out! Naziaufmärsche abräumen." 201 dern".379 "Nazis", so hieß es weiter, seien weder sozial noch revolutionär. Auch wenn sie sich dieses Etikett anhefteten: Revolutionär sei an ihnen gar nichts, denn dazu "müssten sie die derzeitige Gesellschaft grundlegend in Frage stellen. Genau das Gegenteil ist aber der Fall: Sie überspitzen lediglich Werte und Vorurteile die auch die heutige Gesellschaft bereits prägen. Rassistische und antisemitische Ressentiments und die Vorliebe für Sekundärtugenden (...) sind auch heute weit verbreitet. Die Nazis erfinden diese nicht selbst, sie übernehmen sie aus der Mitte der Gesellschaft und spitzen sie zu." 380 Um dem von Rechtsextremisten initiierten "Projekt Schulhof" und damit der kostenlosen Verteilung von CDs mit rechtsextremistischer Musik an Jugendliche entgegenzutreten381, hatte ['solid], die Jugendorganisation der "antifaschistische" "Linkspartei.PDS", bereits im Sommer 2004 ihrerseits das Projekt "AufmuKampagnen cken gegen Rechts" gestartet. Dabei wurde auch für eine eigene, "antifaschistische" CD mit dem Titel "Nazis raus aus dem Schulhof" geworben. Nach Auffassung von ['solid] sollte diese CD "einen Beitrag leisten für eine junge politkulturelle Offensive gegen Rechts, für Nazi-freie Jugendclubs, Schulen und Straßen, für eine Stadt in der es Spaß macht zu leben." 382 Im Internet war seit dem 22. Dezember 2004 auf der ['solid]-Homepage ein "konzept 'aufmucken-aktions-tag' in bawü" 383 eingestellt. Demzufolge wurden alle ['solid]-Ortsgruppen in Baden-Württemberg zu der CD-Verteilaktion aufgerufen. Den Startschuss für die Kampagne bildete eine Bundespressekonferenz am 19. Januar 2005, auf der die CD öffentlich vorgestellt wurde. Eine Begleitbroschüre sollte über die Beweggründe der CD-Kampagne sowie über Rechtsextremismus aufklären. Unter dem Titel "Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen" 384 wurden darin typische Merkmale des Nationalsozialismus und seiner Entstehungsursachen - so unter anderem "die Zukunftsangst der Millionen Arbeitslosen" - benannt und Parallelen zur politischen Gegenwart wie dem "Sozialkahlschlag der rot-grünen Bundesregierung" gezogen. ['solid] kritisierte dabei, dass die "Ursachen der sozialen Not (...) zu oft nicht in den wirtschaftlichen Strukturen dieser Gesellschaft gesucht" würden. Dass der "Antifaschismus" von ['solid] linksextremistisch motiviert ist, ergibt sich auch aus ihrem Selbstverständnis. Laut der "Politischen Platt379 Ebd. 380 Weiteres Flugblatt "Strike out! Nazidemos am 1. Mai abräumen. Die 'Doppeldemo' in Frankenthal und Worms zum Doppeldesaster machen"; Übernahme wie im Original. 381 Vgl. S. 124ff. 382 Homepage der Kampagne "Aufmucken gegen Rechts" vom 12. August 2005; Übernahme wie im Original. 383 Übernahme wie im Original. 384 Übernahme wie im Original. 202 Linksextremismus form" auf ihrer Homepage haben für die Jugendorganisation Aussagen von Karl Marx "nichts an Aktualität verloren."385 Seine Aufgaben sieht der Verband in sozialistischer Politik. Als "Ursache aller gesellschaftlichen Missstände" werden "die kapitalistischen Produktionsverhältnisse" gesehen. Erst durch einen "Umsturz" dieser Verhältnisse, so heißt es weiter, werde "es möglich sein, die Probleme, die in der Gesellschaft bestehen, nicht nur zu bekämpfen, sondern auch zu lösen." Mit seinen politischen Aktivitäten strebt der Jugendverband nach eigener Aussage einen "Beitrag zur Umwälzung der herrschenden Zustände" an. Zum Ereignis von bundesweiter Bedeutung wurde nach jahrelangem Verbot erneut der "Rudolf Heß Gedenkmarsch" am 20. August 2005 im bayerischen Wunsiedel. In Baden-Württemberg mobilisierte das "Antifaschistische Aktionsbündnis Baden-Württemberg" (aabw) zur Verhinderung der Kundgebung. Im Rahmen der bundesweiten Kampagne "NS-Verherrlichung stoppen" rief es dazu auf, "sich dieser öffentlichen und gerichtlich legitimierten Huldigung des Nationalsozialismus entschlossen entgegen zu stellen und eines der größten regelmäßigen Treffen der europäischen Naziszene längerfristig zu verhindern".386 Bereits seit dem Frühjahr 2005 wurde bundesweit mobilisiert. In Baden-Württemberg gab es Informationsveranstaltungen unter anderem in Mannheim, Heidelberg, Ludwigsburg, Stuttgart und Freiburg im Breisgau. Obwohl das Landratsamt Wunsiedel gegen den "Heß-Marsch" zuvor ein vom Bundesverfassungsgericht bestätigtes Versammlungsverbot verhängt hatte, hielt die linksextremistische Szene ihre Gegenmobilisierung aufrecht. Am "antifaschistischen Aktionstag" des 20. August 2005 nahmen auch Szeneangehörige aus verschiedenen Städten Baden-Württembergs teil. Andere folgten einem Aufruf nach Nürnberg, um eine dortige, als getarnte Ersatzveranstaltung interpretierte, kurzfristig angemeldete Kundgebung der NPD zu verhindern. Der 8. Mai 2005 war ein historischer Gedenktag und auch für linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Organisationen ein Anlass zu mahnender Rückschau. Aus Anlass des "60. Jahrestag[es] der Befreiung"387 luden unter anderem die DKP-Heidelberg, das "Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg", die PDS-Heidelberg und die VVN-BdA am 8. Mai 2005 zu einer Festund Gedenkveranstaltung nach Heidelberg ein, zu einem Abend, der "vor allem zum Kampf auffordert, gegen alle heutigen 385 Hier und im Folgenden: Internetauswertung vom 19. Dezember 2005. 386 "Nie wieder Volksgemeinschaft! Keine Zentren für Nazis", Broschüre zur Kampagne "Weg mit der Bewegung Deutsche Volksgemeinschaft! Kein Nazi-Zentrum in Hohenberg!" herausgegeben vom "Bündnis für ein Buntes Hall" und dem "Antifaschistischen Aktionsbündnis Baden-Württemberg" (aabw), S. 20f.; Übernahme wie im Original. 387 Hier und im Folgenden: Flugblatt zur "Festund Gedenkveranstaltung" am 8. Mai 2005 in Heidelberg. 203 Erscheinungen des Faschismus, der Rassenhetze und der Kriegsvorbereitungen." VVN-BdA, DKP BadenWürttemberg, PDS Baden-Württemberg, ['solid], Mitglieder der "Tübinger Linken/PDS" und Einzelpersonen auch aus dem linksextremistischen Spektrum veranstalteten am 7. Mai 2005 eine Demonstration und Kundgebung in Stuttgart. Das historische Datum bot die Gelegenheit, auf angebliche Parallelen zwischen damals und heute aufmerksam zu machen: "Drohungen mit militärischer Gewalt, militärische Einsätze und Angriffskriege sind wieder zu 'legitimen' Mitteln der herrschenden Politik geworden. Die nach 1945 installierten Instrumentarien dialogorientierter Konfliktlösung werden zielgerichtet demontiert." 388 Deutschland verfüge "wieder" über eine "aggressive, expansionistische Militärdoktrin", die EU werde auf Aufrüstung festgelegt, in Deutschland bereiteten "Nazis" ein "Klima der Angst und Gewalt", während deutsche Behörden ebenso unfähig wie unwillig seien, diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Die Antwort der Wirtschaftspolitik auf die sozialen Probleme des Landes seien dieselben Rezepte, die schon vor 1933 zur Katastrophe beigetragen hätten. In Deutschland selbst finde "ein massiver Abbau von Demokratie, Bürgerrechten, rechtsund sozialstaatlicher Standards" statt. 5.2 "Sozialabbau" Die nach linksextremistischer Auffassung "neoliberalen", "militaristischen" und "antisozialen" Tendenzen eines immer "brutaler" werdenden "modernen Kapitalismus" haben die unter Beteiligung von Linksextremisten vorangetriebenen Bestrebungen, verschiedene "soziale Bewegungen" zusammenzuführen und eine außerparlamentarische, gesellschaftsverändernde Kraft aufzubauen, weiter verstärkt. Innerhalb der weltweiten "Sozialforumsbewegung" fand 2005 zum ersten Mal ein "Sozialforum" in Deutschland statt. In Erfurt traf sich vom 21. bis 24. Juli 2005 eine Vielzahl unterschiedlichster, auch linksextremistischer Gruppen als Vertreter "sozialer Bewegungen", um in verschiedenen Foren Themen wie den Kampf gegen die "Agenda 2010" und gegen "Hartz IV" zu diskutieren. Dem "Sozialforum" ging es "um Alternativen zu dieser menschenverachtenden neoli388 Hier und im Folgenden: Flugblattaufruf zur Demonstration und Kundgebung am 7. Mai 2005 in Stuttgart. 204 Linksextremismus beralen Politik und um die Formierung einer demokratischen Gegenmacht, die solche gesellschaftliche Veränderungen durchsetzt." Und es ging "darum, in diesen Prozess so viele Menschen wie möglich einzubeziehen, um den gesellschaftlichen Grundkonsens in unserem Land zu verändern." 389 Nach der Wertung offenbar Beteiligter hat das "Sozialforum" einen "wesentlichen Beitrag zum inhaltlichen Austausch der Linken in der BRD" geleistet und "ebenso zum Erfahrungsaustausch zwischen den sozialen Bewegungen untereinander und zum Diskurs zwischen Gewerkschaftsbewegung, sozialen Bewegungen und politischer Linke" beigetragen.390 Dennoch ging vom "Sozialforum" keine Belebung der Protestbewegung Versuch, gegen den "Sozialabbau" aus. Die Teilnehmerzahlen bei den nach wie vor Protestbewegung in vielen Städten, in Baden-Württemberg unter anderem in Mannheim, zu beleben Karlsruhe, Ulm und Heidelberg regelmäßig stattfindenden "Montagsdemonstrationen" waren stark rückläufig. Sie bewegten sich in der Regel im zwei-, mitunter sogar einstelligen Bereich. In zahlreichen örtlichen, gegen den "Sozialabbau" gerichteten Bündnissen unterschiedlicher Zusammensetzung waren weiterhin linksextremistische Organisationen beteiligt, darunter MLPD, DKP und "Linkspartei.PDS". DKP und MLPD verteilten unverändert ihr "montags-info" beziehungsweise "Montagdemo aktuell". Vor allem die MLPD betonte die Durchführung der "Montagsdemos" auf "antifaschistischer Grundlage". Damit wurde die Teilnahme als solcher erkannter Rechtsextremisten an den Protestaktionen weiterhin abgelehnt und nicht geduldet. Die DKP befasste sich zusätzlich in einer "1. Mai 2005-Extra"-Ausgabe der Parteizeitung UZ und in einem "UZ-Special" zur Jugendarbeitslosigkeit vom Sommer 2005 mit den Sozialreformen. Die DKP Baden-Württemberg verbreitete ein Flugblatt mit dem Motto "Wo der Profit regiert bleiben die Menschen auf der Strecke." 391 Dass nicht die Durchführung von Reformen, sondern die Zerschlagung des bestehenden Gesellschaftssystems die Lösung des Problems darstelle, verdeutlichte die UZ vom 29. April 2005: "Das [= die Durchführung verschiedener Reformen] ändert natürlich wenig an dem 'asozialen' Kapitalismus, weil dies nun mal sein ganz normales Wesen ist. Dafür bedürfte es anderer Maßnahmen und vor allem einer breiten Massenbewegung gegen die Profitinteressen des Kapitals. Die Veränderung der 389 Interview mit einem Vertreter des Sozialforums, in: UZ Nr. 29 vom 22. Juli 2005, S. 2. 390 UZ Nr. 30/31 vom 29. Juli 2005, S. 3. 391 Übernahme wie im Original. 205 Eigentumsverhältnisse, wie es auch das Grundgesetz "Kampf gegen vorsieht, das wäre doch zumindest ein Anfang. Klasse des (...) Kapitals" Doch das heißt Kampf, Kampf gegen die Klasse des Kapitals, die sich die 'unermesslichen' Profite nicht freiwillig nehmen lassen wird."392 Obwohl es die MLPD war, deren Versuche, die "Montagsdemonstrationen" maßgeblich zu beeinflussen, schon 2004 zu einer Spaltung der "Montagsdemonstrationsbewegung" geführt hatten, bezichtigte diese ihrerseits vor allem die PDS, diese Spaltung mit dem "Nachfolgetreffen der Sozialbündnisse, Organisatoren der Montagsdemonstrationen, Organisatoren der sozialen Bewegung, Vertreter der Gewerkschaften" vom 22. Januar 2005 in Leipzig fortgeführt zu haben. Gleichzeitig verwahrte sie sich gegen ihre "Verunglimpfung" und die Verbreitung "antikommunistische(r) Lügen".393 Mit der Entscheidung für eine vorgezogene Bundestagswahl, der Kandidatur der "Linkspartei.PDS" und deren Wahlerfolg verlagerten sich die Hoffnungen auf die neue "linke Opposition" im Bundestag. Bei den einen herrschte die Überzeugung vor, dass auf parlamentarischem Wege ohnehin nichts zu erreichen sei, denn der Parlamentarismus sei und bleibe "eine bürgerliche Herrschaftsform, innerhalb dessen keine Partei, und hat sie auch noch so gute Absichten, gegen den Willen des Kapitals entscheiden kann".394 Andere begrüßten, dass den Protesten gegen "Sozialabbau" nun zumindest auch eine Stimme im Parlament gegeben sei. Trotzkistische Gruppen wie die SAV hielten fest, dass es nach dem Wahlerfolg für die "Linke" nun gelte, "mit Hilfe der Fraktion diese Wut [gegen Armut und Arbeitslosigkeit] in Widerstand auf der Straße und in den Betrieben umzumünzen." 395 5.3 EU-Verfassung Der fortschreitende Zusammenschluss europäischer Staaten wird von Linksextremisten bereits seit Jahren unter dem Stichwort von der "Festung Europa" als ein sich nach außen hin abschottender, "imperialistischer" neuer Machtblock bekämpft. Linksextremisten lehnen ein vereinigtes Europa keineswegs grundsätzlich ab, sondern nur die EU in ihrer bestehenden Form, die mit Eigenschaften wie "militaristisch", "undemokratisch", "antisozial" oder "neoliberal" charakterisiert wird. 392 UZ Nr. 17 vom 29. April 2005, S. 1. 393 RF Nr. 6 vom 11. Februar 2005, S. 13. 394 "AHA! Zentralorgan für bösartige Propaganda", Ausgabe 16 vom Sommer 2005, S. 4; Übernahme wie im Original. 395 "Solidarität. Sozialistische Zeitung" Nr. 40 vom Oktober 2005, S. 1; Übernahme wie im Original. 206 Linksextremismus Die politische Agitation richtete sich 2005 gegen die anstehende Ratifizierung des europäischen Verfassungsvertrags in den einzelnen Staaten als weitere Stufe der Realisierung der europäischen Einheit. Hier wurde die Kampagne "Europa in schlechter Verfassung. Für ein ziviles, solidarisches, demokratisches und ökologisches Europa" fortgesetzt, unterstützt u.a. von der baden-württembergischen PDS beziehungsweise späteren "Linkspartei.PDS". Eine führende Rolle spielte diese Partei auch bei der Kampagne "Rheinwanderungen gegen diese EU-Verfassung" am 21. und 28. Mai 2005 in Breisach beziehungsweise Kehl, mitgetragen u.a. von der DKP-Freiburg und der "Europäischen Linkspartei". Kurz vor dem Referendum in Frankreich, so hieß es in einem letzten, auch in autonomen Kreisen veröffentlichten Aufruf, sei "unser Widerstand (...) wichtiger denn je", da die "reale Chance" bestehe, den Vertrag in Frankreich scheitern zu lassen "und damit das anti-soziale und militärische Projekt das dahinter steht zu stoppen!" 396 Die DKP erklärte in ihrem Aufruf zu einer Demonstration des globalisierungskritischen Netzwerks Attac "Ja zu Europa - Nein zu dieser EU-Verfassung - Für ein soziales und friedliches Europa" auf der Europabrücke bei Kehl am 5. Mai 2005: Nein zur "Das Konzept eines freien Marktes und der Militari"reaktionären" sierung Europas werden in einen alternativlosen EU-Verfassung Verfassungsrang erhoben. In der Konsequenz bedeutet das den fortschreitenden Abbau von sozialen Errungenschaften, zunehmend verschlechterte Arbeitsbedingungen und vor allem auch, dass Gegner neoliberaler, militaristischer und unsozialer Zustände kurzerhand zu Verfassungsfeinden erklärt werden können." 397 Nachdem am 29. Mai 2005 die französischen Wählerinnen und Wähler dem vorgelegten EU-Verfassungsentwurf die Zustimmung versagten, triumphierte die UZ in ihrer Ausgabe vom 3. Juni 2005: "Millionen Mal: Non!" Kommentierend hieß es weiter, die Franzosen hätten damit "ihre demokratischen Traditionen verteidigt und klar gemacht, dass die Interessen der vie396 Internetauswertung vom 15. November 2005 (Übernahme wie im Original). 397 "Ein anderes Europa ist möglich! JA zu EUROPA. NEIN zum EU-Verfassungsentwurf!" Flugblattaufruf der DKP zur Demonstration auf der Europabrücke Kehl-Straßburg am 5. Mai 2005; Übernahme wie im Original. 207 len wichtiger sind als die Gier der Konzerne und Banken". Sie hätten "sich gegen einen Angriff auf ihren Lebensstandard, auf die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze, auf öffentlichen Dienstleistungen, auf soziale Rechte und Sicherheiten [sc. verteidigt]." 398 Die Ablehnung des Verfassungsvertrags in Frankreich und den Niederlanden wurde mit Befriedigung und Freude als Sieg der u.a. von der französischen kommunistischen Partei getragenen "Non-Kampagne" gefeiert und als Chance angesehen, nun endlich zu einer breiten öffentlichen und bürgernahen Diskussion über die Ziele der EU und deren Arbeit mit dem erhofften Ergebnis eines "anderen Europas" unter sozialistischen Vorzeichen zu kommen. 5.4 "Autonome Zentren" Der Kampf um "Autonome Zentren" (AZ) ist für Autonome traditionell von großer Bedeutung. Denn diese eröffnen der Szene die Möglichkeit eines staatlichem Einfluss möglichst weitgehend entzogenen "selbstbestimmten Lebens" und unkontrollierter politischer Aktivitäten. "Autonome Zentren" stellen somit wichtige Anlaufstellen der autonomen Szene dar. Oftmals sind in solche Anlaufstellen Infoläden integriert, die als Kontaktstelle für Personen beziehungsweise Gruppierungen aus dem autonomen Spektrum dienen. Über solche Infoläden werden Informationen mittels Zeitschriften, Flugblätter, Bücher etc. verbreitet. Dem fortgesetzten Kampf gegen die Schließung "autonomer Zentren" war örtliche 2005 ein unterschiedlicher Erfolg beschieden. In Stuttgart-Degerloch Schwerpunkte besetzten Angehörige des "Jugendhausclubs Degerloch", darunter zahlreiche Mitglieder der autonomen Szene, am 15. Juni 2005 das Gebäude in der Oberen Weinsteige 9 ("OBW9"). Zuvor waren Verhandlungen über eine Verlängerung der Nutzung beziehungsweise über ein geeignetes Ersatzobjekt erfolglos verlaufen. Am 27. Juli 2005 wurde das Haus unter Polizeieinsatz geräumt. Die Besetzer hatten sich verbarrikadiert. Es kam zu Festnahmen. Dass die Besetzer nicht "kampflos" aufgeben würden, hatten sie zuvor schon angedeutet: "Die komplette Verantwortung für alles, was in den folgenden Stunden und Tagen geschehen wird - werden die tragen müssen, die diese Situation verursacht haben. (...) WIR WERDEN KÄMPFEN 398 UZ Nr. 22 vom 3. Juni 2005, S. 1; Übernahme wie im Original. 208 Linksextremismus FÜR UNSER RECHT AUF EIN SELBSTBESTIMMTES UNKOMMERZIELLES LEBEN."399 Für den Abend des Räumungstags wurde zu einer Protestdemonstration in der Stuttgarter Innenstadt aufgerufen, an der ca. 180 Personen teilnahmen. Nachdem die Besetzer die Ersatzvorschläge der Stadt abgelehnt hatten, dürfte damit das Projekt eines "autonomen Zentrums" definitiv beendet sein. Entsprechend ist die zuvor eher kämpferische Stimmung in der Szene inzwischen eher einer Resignation gewichen. Für den "Kulturtreff in Selbstverwaltung" (KTS) in Freiburg dürfte das Fortbestehen zumindest mittelfristig gesichert sein. Schien noch 2004 die Räumung kurz bevorzustehen, nachdem die Deutsche Bahn AG als Eigentümerin des Gebäudes die Kündigung ausgesprochen hatte, einigten sich Eigentümer und Vermieter (Stadt Freiburg) auf eine Verlängerung des Mietvertrags bis 2007. Diesem Ergebnis waren verschiedene Solidaritätsaktionen des autonomen Spektrums, auch in Form von Demonstrationen für den Erhalt des "autonomen Zentrums" vorausgegangen. In der Auseinandersetzung um das Weiterbestehen der von der Szene als "Wohnund Kulturzentrum" bezeichneten "Ex-Steffi" in Karlsruhe war es 2004 nach Verhandlungen zwischen den Bewohnern und der Stadt Karlsruhe vor dem Landgericht Karlsruhe zu einem Vergleich gekommen, in dessen Rahmen die Stadt auf eine Räumung bis zum 31. Januar 2006 verzichtete. Ende September 2005 regten die Bewohner der "Ex-Steffi" einen "runden Tisch" zusammen mit allen Fraktionen des Karlsruher Gemeinderates über die Zukunft ihres Projekts an. Angesichts der nur eher zögerlichen Bereitschaft, diese Idee aufzugreifen, bekräftigten sie ihre Absicht, in dem Gebäude wohnen zu bleiben. In diesem Zusammenhang hieß es: "Größenwahnsinnige milliardenschwere Großprojekte dürfen in den Sand gesetzt werden, selbstorganisierte, oppositionelle Kultur und Politik soll aber grundlos plattgemacht werden, ist das vernünftige (Stadt)Politik, ganz sicher nicht!!!"400 Eine erste Gesprächsrunde soll Konsens unter den anwesenden Mitgliedern der beteiligten Stadtratsfraktionen ergeben haben, die "Ex-Steffi" auch künftig zu erhalten. 399 Internetauswertung vom 29. Juni 2005; Übernahme wie im Original. 400 "Terminator", Ausgabe für Oktober und November 2005; Übernahme (einschließlich Fettdruck) wie im Original. 209 D. SCIENTOLOGY-ORGANISATION (SO) Gründung: 1954 in den USA, 1970 erste Niederlassung in Deutschland, 1972 erste Niederlassung in Baden-Württemberg Gründer: Lafayette Ronald HUBBARD (1911-1986) Nachfolger: David MISCAVIGE (Vorstandsvorsitzender "Religious Technology Center", RTC) Sitz: Los Angeles ("Church of Scientology International", CSI) Mitglieder: Baden-Württemberg ca. 1.000 - 1.100 (2004: ca. 1.100) Bundesgebiet ca. 5.000 - 6.000 (2004: ca. 5.000 - 6.000) weltweit ca. 100.000 - 120.000 (2004: ca. 100.000 - 120.000) Publikationen: "Dianetik-Post", "Freiheit", "Free Mind", "Prosperity", "International Scientology News", "Impact", "The Auditor", "Advance!" u.a. 1. Aktuelle Entwicklungen und Tendenzen verstärkte Die "Scientology-Organisation" (SO) unternahm 2005 erhebliche AnstrenAnstrengungen gungen, um gesellschaftliche Anerkennung und die für die Realisierung der teilweise sehr ehrgeizigen Ziele notwendigen Finanzmittel zu gewinnen. Expansion in die Gesellschaft, um Macht auszuüben, hat für die SO Priorität. Dabei bietet sie ideologisch starr ihre autoritären Konzepte für Politik, Wirtschaft, Bildung und Gesundheit als angeblich einzig tragfähige Lösungswege an, die für Scientology selbst außerhalb jeder Kritik stehen. Auf neue gesellschaftliche Entwicklungen reagiert die SO hingegen flexibel, indem sie die "Verpackung" ihrer Konzepte veränderten Umständen anpasst. So plant sie im Hinblick auf die Diskussion zur Bildungspolitik die Ausweitung ihrer "Lerncenter"-Angebote. Scientology nimmt nicht offen an politischen Willensbildungsprozessen teil, sondern strebt eine langfristige beziehungsweise "schleichende" Einflussnahme in Staat und Gesellschaft an. Dabei sind die Gefährdungspotenziale im Wirtschaftsbereich schwerer kalkulierbar, weil eine Reihe von Firmen des SO-Wirtschaftsverbands "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) scientologische Angebote für Management und PersonalWISE-Logo entwicklung geschickt tarnen. Ein für die SO weltweit bedeutendes Projekt ist die Aufwertung bestehender Niederlassungen zu "Idealen Orgs"401. Scientology verbindet diese 401 Die SO verbindet diesen Begriff mit ihrer Idealvorstellung einer prosperierenden SO-Niederlassung, die eine hohe Anziehungskraft auf die Bevölkerung ausübt. 210 Scientology-Organisation Offensive mit verstärkten Ambitionen im Bereich der Gesellschaftsund "Ideale Org"auch der Kommunalpolitik. So propagiert sie als vorbildhaft, wie in Los Kampagne Gatos/Kalifornien in den USA angeblich ein Bürgermeisteramt sowie Stadtverwaltung und Stadtrat in die scientologische Organisationsstruktur integriert wurde.402 In Baden-Württemberg sammelte die SO im Rahmen der "Ideale Org"-Kampagne Gelder für den Kauf eines repräsentativen Gebäudes in Stuttgart. Dabei erreichte sie landesweit einen zeitweise hohen Mobilisierungsgrad ihrer Basis und konnte mehr als eine Million Euro Spenden sammeln. Die Mitgliederwerbung hatte dagegen nur geringen Erfolg. Die SO konnte Mitgliederzahl nur wenige Personen dauerhaft an sich binden. Den 2003 und 2004 neu stagniert gegründeten "Missionen"403 gelang es nicht, einen nennenswerten Mitgliederstamm aufzubauen. Einige Neugründungen bestehen nur formal und entwickeln keine relevanten Aktivitäten. Gegenüber der Basis und nach außen versucht die SO jedoch mit dem stereotypen Hinweis auf neue "Missionen" und wenig aussagekräftige Statistiken, den Eindruck einer stetigen Expansion im Land darzustellen. Tatsächlich ist dies jedoch nicht nachvollziehbar. In Baden-Württemberg leben rund 1.000 bis 1.100 Scientologen, von denen etwa die Hälfte Aktivisten sind. 2. Organisationsstruktur Die SO ist eine streng hierarchische, straff von ihrem Management in Los Angeles aus geführte Organisation. Die Europazentrale, das "Kontinentale Verbindungsbüro", befindet sich in Kopenhagen/Dänemark. Im Vergleich zum übrigen Bundesgebiet besitzt die SO in Baden-Württemberg das dichteste organisatorische Netzwerk. Es umfasst eine "Class V Org"404 in Stuttgart, der vier "Missionen" als Basisorganisationen in Ulm, Karlsruhe, Göppingen und Heilbronn angeschlossen sind, wobei Letztere nur wenige Mitglieder besitzt. Die "Mission" in Reutlingen besteht faktisch nicht mehr. Die "Scientology-Gemeinde" in Freiburg/Breisgau ist eine bloße Briefkastenadresse. Bei den in den vergangenen zwei Jahren gegründeten "Missionen" wurden über die Anlaufstellen in Sinsheim, Welzheim und Leinfelden-Ech402 "International Scientology News" Nr. 30/2005, S. 7ff. 403 Basisorganisationen der SO. 404 Die einer SO-Basisorganisation übergeordnete Einheit mit breiterem Dienstleistungsangebot. 211 terdingen teils intensive Werbeaktionen bekannt, die jedoch ohne nennenswerten Erfolg blieben. Eine größere "Feldauditorengruppe"405, die vornehmlich einen sozial gehobenen Personenkreis anspricht, ist in Kirchheim/Teck aktiv. Im Bereich der Hilfsorganisationen ist in Stuttgart eine "Applied Scholastics" (ApS)-Niederlassung etabliert, die unter der Bezeichnung "Professionelles Lerncenter" auftritt und Scientology-Lerntechniken anbietet. Die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte" (KVPM) betreibt Vereine in Stuttgart und Karlsruhe. Dem SO-Wirtschaftsverband WISE gehören in Baden-Württemberg schätzungsweise 60 Mitglieder an - entweder Einzelgewerbetreibende oder Firmen mit weniger als 20 Mitarbeitern. Schwerpunkte sind die Sektoren Managementberatung, Informationstechnologie, Immobilien und Finanzdienstleistungen. In Stuttgart KVPM-Logo besteht ein "WISE Charter Committee" (WCC) als "Justiz"-Stelle für WISEMitglieder. WCC-Logo 405 Personen, die scientologische Verfahren zur Persönlichkeitsveränderung ("Auditing") außerhalb der "Org" anwenden. 212 Scientology-Organisation 3. Verfassungsfeindliche Programmatik "DIE ANTISOZIALE PERSÖNLICHKEIT, DER ANTI-SCIENTOLOGE. Es gibt gewisse Merkmale und geistige Einstellungen, die etwa 20 Prozent einer Rasse dazu bewegen, sich jeder Unternehmung oder Gruppe, die etwas verbessern will, vehement zu widersetzen. Solche Leute sind dafür bekannt, antisoziale Tendenzen zu haben. (...) Wir sehen also, dass es für Regierungen, für polizeiliche Tätigkeit und auf dem Gebiet der geistigen Gesundheit - um nur einige zu nennen - wichtig ist, diesen Persönlichkeitstyp erkennen und isolieren zu können, (...) Ebenso könnte sowohl sozial als auch wirtschaftlich Erholung eintreten, wenn die Gesellschaft diesen Persönlichkeitstyp als ein krankes Wesen erkennen und ihn isolieren würde, so wie sie jetzt Leute mit Pocken unter Quarantäne stellt."406 Die mitgliederorientierte Propaganda der SO unterscheidet sich gravierend von der nach außen gerichteten Selbstdarstellung, die den Eindruck einer harmlosen Religionsgemeinschaft erweckt. Gegenüber Mitgliedern zeichnet Scientology das Zerrbild einer angeblich "sterbenden und entarteten Gesellschaft mit ihrer ungerechten und unsicheren Umgebung", die mit Techniken des SO-Gründers HUBBARD Lafayette Ronald HUBBARD verändert werden müsse.407 In seinen Schriften wird dargelegt, dass "Kapitalismus" und Sozialismus versagt hätten.408 Es wird suggeriert, dass allein Scientology "in der Lage ist, diesen Planeten zu retten."409 Die SO bewirbt dafür intensiv ihr kostenträchtiges Kurssystem, wobei Seminaren zur "Zerschlagung" von "Unterdrückung" in der Gesellschaft besondere Bedeutung Hetze gegen beigemessen wird. Darin erklärt die SO pauschal eine ganze BevölkerungsFeindbilder gruppe zu "antisozialen Persönlichkeiten" und "Anti-Scientologen" und verbindet ihr Feindbild mit einer militanten Sprache. So propagiert sie im Hinblick auf Kritiker und "Regierungen": "Zerschlagen Sie Unterdrückung (...) Sie würden ihre Truppen nicht unbewaffnet in die Schlacht schicken." SO406 L. Ron Hubbard, Richtlinienbrief "Die antisoziale Persönlichkeit, der Anti-Scientologe", in: "Wie man Unterdrückung konfrontiert und zerschlägt. PTS/SP-Kurs", Kopenhagen, 2001, S. 38ff. 407 Flugblatt "The Sea Organization", 2005, Übersetzung durch das Landesamt für Verfassungsschutz. 408 Zum Beispiel in: L. Ron HUBBARD, "Einführung in die Ethik der Scientology", Kopenhagen, 1998. 409 Flugblatt "IAS Event", Stuttgart, 2005. 213 Mitglieder sollen das "übermächtige Waffenarsenal" - gemeint sind Richtlinien von HUBBARD - zur Bekämpfung von Kritikern nutzen. Diese Führungsanweisungen zur Beseitigung von Widerstand gelten als "das Schwert und das Schild" der SO.410 inhumanes Scientology vermittelt ihrer Anhängerschaft ein inhumanes Menschenbild, Menschenbild das mit der Werteordnung des Grundgesetzes unvereinbar ist. Sie behauptet, der jeweilige "potenzielle Wert" eines Menschen lasse sich in einer Formel berechnen. Grundlage sollen die jeweiligen "Produkte" sein, die der Einzelne in verschiedenen Lebensbereichen erbringt.411 Das HUBBARDProgramm zur Durchsetzung von "Administration" ("Admin Tech"), "Justiz" oder für die innere Sicherheit weist auf eine Willkürherrschaft hin. Eine umfassende Umsetzung der scientologischen Ziele als gesellschaftspolitisches Konzept würde wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - etwa die Meinungsfreiheit oder das Recht auf Bildung einer verfassungsmäßigen Opposition - außer Kraft setzen. Die SO will den Mitgliedern durch Kurse und Seminare die Überzeugung vermitteln, es sei gerechtfertigt, Kritiker "aus der Umgebung zu entfernen" beziehungsweise "auszuschalten"412. Derartige Aussagen zeigen, dass die Organisation ihre Anhängerschaft zumindest auf eine kämpferische Haltung einschwören will. Darüber hinaus hat die SO ein organisationsinternes "Rechtssystem" geschaffen und propagiert, ein Scientologe solle diese "Rechtsverfahren auf seine Umgebung anwenden." Zur Rechtfertigung wird der Eindruck erweckt, die staatliche Justiz sei ungerecht und funktioniere nicht. Mitglieder des SO-Wirtschaftsverbands WISE sollen schriftlich verpflichtet werden, sich ausschließlich der "Justiz" von WISE zu unterwerfen. Eine "Nichtbefolgung" gilt für die SO als "Schwerverbrechen".413 Zu den wichtigsten, für die SO unveränderlichen Grundlagen der HUBBARDschen Lehre gehört das 1950 erstmals veröffentlichte Buch "Dianetik". Es ist wohl das am häufigsten verbreitete Standardwerk der SO. Darin entwirft HUBBARD die politische Utopie einer konfliktfreien Gesellschaft und propagiert als erstrebenswertes Ziel, dass nur den scientologisch "geklärten" Menschen Bürgerrechte zustehen sollten. "Dianetik" wurde in medizinischen und psychologischen Fachkreisen wiederholt kritisiert. Die Beobachtung zeigt, dass die SO von einem hohen Maß an ideologischer 410 Church of Scientology Flag Service Organization (Hrsg.), FSM-Newsletter "Zielsetzung", Tampa, 2005. 411 L. Ron Hubbard, "Dianetik. Der Leitfaden für den menschlichen Verstand", Kopenhagen, 1999, S. 57. 412 L. Ron Hubbard, "Spezieller Kurs über die Einschätzung des Menschen. Hauptverzeichnis, Vorträge, Bezugsmaterialien & Glossar", Los Angeles, 2004, S. 44. 413 WISE International (Hg.), "Der Service zur standardgemässen Streitfallösung", Los Angeles, 2000. 214 Scientology-Organisation Starre geprägt ist. Zahlreiche aktuelle mitgliederorientierte Scientology-Veröffentlichungen erscheinen im Vergleich mit Jahrzehnte alten Publikationen inhaltlich austauschbar. Die SO wähnt sich gegenüber Gegnern und Kritikern im "Krieg". Dabei gehört es zu ihrer Vorgehensweise, gerichtliche Klagen anzustrengen, wobei sie unter Umständen bereit ist, das Prozessrisiko als nachrangig einzustufen. Seit mehreren Jahren wehrt sich die Organisation mit Klagen systematisch gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, wobei sie unter Ausnutzung unterschiedlicher regionaler Gegebenheiten überaus taktisch motiviert handelt und in der Öffentlichkeit versucht, die Bedeutung einzelner Gerichtsentscheidungen manipulativ umzudeuten. Die Rechtsprechung Überblick über entwickelt sich bisher in die Richtung, die Zulässigkeit der Beobachtung aktuelle grundsätzlich zu bestätigen, wobei hinsichtlich der eingesetzten Mittel Rechtsprechung jedoch unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die in den verschiezur SO denen Bundesländern teils erheblich unterschiedlichen Mitgliederzahlen und Aktivitäten der SO zu berücksichtigen sind. Im April 2005 entschied das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes414 aufgrund einer Klage der "Scientology Kirche Deutschland" (SKD), dass die Beobachtung der SO durch den saarländischen Verfassungsschutz zulässig ist, jedoch nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln415 fortgesetzt werden darf. Bei der Frage der Verhältnismäßigkeit einer Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln stellte das Gericht ausschließlich auf die Verhältnisse im Saarland und auf das dortige Landesrecht ab. Die SO besitzt im Saarland keine Niederlassungen und weniger als 20 Mitglieder. Dagegen wies das Verwaltungsgericht Köln im November 2004 eine Klage der SKD auf Einstellung der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz ab, gegen das die SO Berufung eingelegt hat. Das Gericht stellte fest, dass wesentliche Grundund Menschenrechte wie die Menschenwürde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder auf Gleichbehandlung nach dem Willen von Scientology außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden sollen. Zudem strebe sie eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen an. Das Urteil enthält auch deutliche Ausführungen in Bezug auf die Herabwürdigung von Kritikern durch die SO: "So ist es für verfassungsfeindliche Personenzusammenschlüsse bezeichnend, dass sie ihre Gegner verunglimpfen und verleumden und ihnen damit impli414 Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 27. April 2005, Az.: 2R 14/03. Das Urteil ist rechtskräftig. 415 Vgl. Kapitel F, Abschnitt 4 "Methoden des Verfassungsschutzes", S. 245. 215 zit die Menschenwürde absprechen. Dies ist auch hier der Fall. So werden ,Nicht-Scientologen' durchgängig als ,Aberrierte', d.h. von dem rationalen Denken bzw. der Vernunft abgewichen, geistig gestört angesehen, die Gegner von Scientology werden als ,unterdrückerische Personen' bezeichnet und als Verbrecher, Kriminelle, Kommunisten, Kinderschänder u.ä. verunglimpft, Menschen werden auf unterstem Niveau geschmäht und ihnen wird jeglicher Wert abgesprochen (,Psychotisch', ,Hässlichkeit', ,entsetzliche Krankheit', ,Schmarotzer', ,völlig wertlos'). Ausdruck des menschenverachtenden Weltbildes von Scientology ist es schließlich, dass ,unterdrückerische Personen' bzw. ,Unterdrücker', also Gegner von Scientology, durch Zwang entfernt werden sollen (...)"416 4. Expansionsstrategie "Unsere Lösungen für die gesellschaftlichen Krankheiten werden überall in Anwendung gebracht werden; mit Regierungsvertretern, die nicht nur nach LRH-Technologie417 greifen, sondern sie in ihren eigenen Bereichen vorantreiben. Deshalb bleibt es die lebenswichtige Pflicht, unterdrückerische Elemente innerhalb der Gesellschaft zu handhaben, die unsere Expansion behindern können, um so einen sicheren Raum zu schaffen, in den Scientology hinein expandieren kann."418 Erlangung Die SO-Expansionsstrategie zur Durchsetzung verfassungsfeindlicher Ziele von Schlüsselist grundsätzlich unverändert. Scientology nimmt nicht offen an politischen positionen durch Meinungsbildungsprozessen teil. Die Organisation ruft Scientologen dazu Unterwanderung auf, durch Infiltration in bedeutsame Positionen zu gelangen, um wachsenden Einfluss im Sinne der SO auszuüben: 416 Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. November 2004, Az.: 20K1882/03. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. 417 "LRH": Kürzel für L. Ron HUBBARD. "Technologie" im Sinne der SO bedeutet die Summe der Verfahrensweisen, Managementund Sozialtechniken nach HUBBARD. 418 Flugblatt "OSA The Office of Special Affairs!", 2004, Übersetzung durch das Landesamt für Verfassungsschutz. 216 Scientology-Organisation "Ein weiteres Beispiel: Eine Bevölkerungsgruppe gerät ins Wanken (...) Finden Sie ihre Führerpersönlichkeiten heraus. Verschaffen Sie sich einen bezahlten Posten als Sekretär oder Stabsleiter beim Führer dieser Bevölkerungsgruppe. Und auditieren Sie sie auf irgendeine Art und Weise, (...) Noch ein weiteres Beispiel: Eine Nation oder ein Staat funktioniert aufgrund der Fähigkeit seiner Minister, Gouverneure oder irgendwelcher Führungspersonen. Es ist leicht, in so einem Bereich Posten zu erhalten, (...) Machen Sie sich nicht die Mühe, gewählt zu werden. Verschaffen Sie sich einen Posten als Mitarbeiter des Sekretariats oder als Leibwächter; nutzen Sie jegliche Ihnen zur Verfügung stehenden Talente, um eine Stellung in der Nähe solcher Person zu bekommen, machen Sie sich daran, an der betreffenden Umgebung zu arbeiten und sie besser zum Funktionieren zu bringen. (...) Fragen Sie nicht um Erlaubnis. Treten Sie einfach in die Gruppen ein, (...) Wären wir Revolutionäre, so wäre dieses HCO419-Bulletin ein äußerst gefährliches Dokument."420 Die SO strebt auch gesellschaftspolitische Veränderungen durch "Sozialreform"-Gruppen - wie etwa die angebliche Drogenhilfe "Narconon" - an, welche für unterschiedliche Problemfelder Lösungen besitzen sollen. SOHilfsorganisationen treten in der Regel scheinbar unabhängig auf, handeln jedoch nicht isoliert. Vor allem will die SO durch eine schneeballartige Ziel: eine Rekrutierung neuer Mitglieder eine unaufhaltsam "aufflammende Bewescientologische gung"421 schaffen. Die anvisierte Massenbewegung soll unter dem SchlagGesellschaftswort "Clear Deutschland" in der Errichtung einer scientologischen Gesellordnung schaftsordnung gipfeln, in der die "Scientology-Technologie auf breiter Ebene"422 eingeführt worden ist und allein maßgebend sein soll. Die SOEuropazentrale forderte dazu auf, besonders an Politiker heranzutreten, um Scientology zu verbreiten.423 419 HCO: Das "Hubbard Communication Office" des SO-Gründers. 420 L. Ron Hubbard, "Der Spezialbereichsplan" in: Zeitschrift "Cause" Nr. 23/2005, S. 13. Für die Übersetzung wurde eine deutsche Ausgabe desselben HCO Bulletin von 1985 herangezogen. 421 Flugblatt "...ab jetzt ideal!", Stuttgart, 2005. 422 Flugblatt "IAS Event", Stuttgart, 2005. 423 "Church of Scientology Europe" (Hrsg.), "FSM Newsletter", Kopenhagen, 2005. 217 Der ranghöchste SO-Manager David MISCAVIGE äußerte öffentlich, dass die SO ihre Gegner ("unterdrückerische Personen") "beseitigen" würde, um das Ziel "neue Zivilisation" durchzusetzen.424 Quelle: Scientology Bei Scientology-Veranstaltungen in Baden-Württemberg, an denen bis zu 350 Personen teilnahmen, schworen Funktionäre der Mitgliederorganisation "International Association of Scientologists" (IAS) die Anhängerschaft mit Parolen wie zum Beispiel "wir folgen der Führungsabsicht unseres Managements" auf die Ziele der SO-Machtzentrale ein. Im Mai 2005 wurden anlässIAS-Logo lich einer Veranstaltung in Stuttgart kämpferisch Neuigkeiten "von der Front in Deutschland" propagiert. Dabei stufte die IAS die süddeutschen Kampf gegen Bundesländer als Kernzone im Kampf gegen Kritiker ein. Im Juni 2005 Kritiker fand in Stuttgart eine "Clear Deutschland"-Veranstaltung statt, zu der eigens hochrangige Funktionäre der SO-Europazentrale aus Kopenhagen, die der paramilitärischen "Sea Organization" ("Sea Org") angehören, angereist waren. "Sea Org"-Angehörige besetzen in der Regel hohe Führungspositionen und bilden den "harten Kern" der SO. Im Rahmen dieser Veranstaltung forderte der "Commanding Officer" des "Kontinentalen Verbindungsbüro Europa" die Mitglieder zu einer schneeballartigen Anwerbung neuer ScientologyAnhänger auf. Der Funktionär gab seiner Erwartung Ausdruck, dass jeder Scientologe monatlich ein neues Mitglied werben solle. Wenn jeder der neu Geworbenen diesem Beispiel folge und wiederum monatlich einen Scientologen "produziere", würde Deutschland innerhalb von zwei Jahren "clear". Quelle: Scientology Auch die Verbreitung der verfassungsfeindlichen Ideologie HUBBARDs Buchverdurch Scientology-Schriften, besonders bei "Meinungsführern" und in teilungen Bibliotheken, hat für die SO große Bedeutung. Bücher seien der Schlüssel, "Leute für [Scientology-] Dienstleistungen hereinzubekommen und den Planeten zu klären. (...) Ein längerfristiges Ziel ist, 5% des Weltbuchmarktes zu erobern."425 Mit dem zitierten Flugblatt sollten 2005 Mitglieder motiviert werden, auf eigene Kosten SO-Literatur zu erwerben und kostenlos weiter zu verteilen. Es konnten im Land jedoch kaum derartige Aktionen festgestellt werden. Die SO tritt auf dem Zeitschriftenmarkt auch über die als 424 Zeitschrift "Impact" Nr. 111/2005, S. 12. 425 Flugblatt "World Dissemination Project", Kopenhagen, 2005, Übersetzung durch das Landesamt für Verfassungsschutz. 218 Scientology-Organisation Wissensmagazin getarnte Publikation "Free Mind" auf, die zunächst nicht ohne weiteres als Scientology-Produkt erkennbar ist. 5. Werbemaßnahmen und Propaganda In Baden-Württemberg führte Scientology flächendeckend Werbeaktionen mit gelben Großraumzelten und Informationsständen durch. Dabei gestaltete sich die Mitgliederwerbung aufgrund der kritischen bis ablehnenden Werbung bei Haltung der Bevölkerung jedoch sehr schleppend. In der Folge sprachen Zuwanderern Werber ("Body Router") offenbar verstärkt Zuwanderer aus dem Ausland und Kindern an, bei denen sie wohl einen geringeren Informationsstand über die SO vermuteten. Anwerbeversuche zielten mitunter auch auf Kinder und Jugendliche ab. Kennzeichnend war dabei wiederum, dass die SO nach außen Angebote für individuelle Lebenshilfe ("individuelle Dianetik") in den Mittelpunkt stellte und ihre politischen Ziele verschwieg. Quelle: Scientology Die SO unterscheidet zwischen "individueller Dianetik", "Gruppen-Dianetik" und "politischer Dianetik."426 Während sich die "individuelle Dianetik" mit der "Klärung"427 Einzelner befasst, bedeutet die "Gruppen"und "politische Dianetik" die Anwendung von SO-Verfahren im Bereich der Politik bis auf Regierungsebene. Bei Werbemaßnahmen in der Öffentlichkeit blendet die SO diesen bedeutenden Teil der Lehre HUBBARDs jedoch häufig aus. So will Scientology in Deutschland in der nach außen gerichteten Selbstdarstellung immer wieder den Eindruck einer unpolitischen und karitativ wirkenden Religionsgemeinschaft erwecken. Dabei nutzt sie Unglücksfälle und Katastrophen für "Hilfsangebote" aus, die jedoch vor allem PRZwecken dienen. 5.1 Scientologische "Fluthilfe" Nach der Flutkatastrophe in Südostasien im Dezember 2004 hob die SO immer wieder den massiven Einsatz von "Ehrenamtlichen Geistlichen" ("Volunteer Ministers") in den betroffenen Gebieten hervor. Der Nutzen für die Opfer erscheint jedoch überaus fragwürdig. Die Tätigkeit der Scientologen vor Ort, darunter auch vereinzelt SO-Mitglieder aus Baden-Würt426 L. Ron Hubbard, "Spezieller Kurs über die Einschätzung des Menschen. Hauptverzeichnis, Vorträge, Bezugsmaterialien & Glossar", Los Angeles, 2004, S. 67, 69 und 80. 427 Im Sinne angeblicher geistiger Befreiung. 219 temberg, erschöpfte sich offenkundig vor allem in der Verteilung von Broschüren, dem Angebot von "Berührungsbeiständen" (eine Art Handauflegen oder Massage) sowie dem Abhalten von Seminaren, die den von der Flut Betroffenen die Lehre HUBBARDs näher bringen sollten. Die Glaubwürdigkeit der scientologischen "Fluthilfe" erscheint auch wegen früherer Erfahrungen mit den Scientology-"Geistlichen", etwa während der Oderflut im Jahr 2002, zweifelhaft. Tatsächlich diente die öffentlich dargestellte "Fluthilfe" in Südostasien wohl vor allem Propagandazwecken und dazu, die SO in den betroffenen Staaten stärker zu etablieren.428 5.2 Expansionsversuche in der Wirtschaft Ziel des Wirtschaftsverbands WISE ist die Verbreitung der Lehre HUBBARDs in Politik und Wirtschaft. Er soll der Wirtschaft "Ethik & geistige Gesundheit"429 bringen, indem "die WISE-Mitgliedschaften im Gebiet expandieren."430 Es wird angestrebt, die durch "WISE Charter Committees" (WCC) wahrgenommene organisationsinterne "Gerichtsbarkeit" in der Geschäftswelt zu verbreiten. Gleichzeitig forderte WISE auch seine Mitglieder dazu auf, ihre Geschäftskontakte dazu zu nutzen, Klienten, Kollegen und Geschäftspartner zu Scientologen zu machen, indem diese in das Kurssystem des "Kirchenbereiches" der SO gebracht werden sollen.431 Nach außen wird dagegen mitunter versucht, einen Zusammenhang von WISE scientologische mit der "Kirche" in Abrede zu stellen. Tatsächlich bieten WISE-Trainer PersonalSeminare für die Personalentwicklung an, die nahezu identisch mit einfühberatung renden Scientology-Kursen sind. Allerdings ist zunächst sehr häufig weder aus dem Impressum noch aus dem Inhalt der Schulungspapiere ohne weiteres erkennbar, dass die Teilnehmer dieser Seminare mit der Ideologie der SO konfrontiert werden. Zudem können die angebotenen Konzepte ("Management-Werkzeuge") anfangs durchaus attraktiv wirken. Der totalitäre Hintergrund dieser Angebote erschließt sich erst allmählich. So strebt das scientologische Management-System eine umfassende Kontrolle der Mitarbeiter mittels persönlicher Statistiken an. Hierfür bietet WISE Software an, die unmittelbaren Zugriff auf diese Statistiken ermöglicht. Kontrolle wird auch über "Wissensberichte" der Mitarbeiter angestrebt, die denunziatorischen Charakter bekommen können. 428 Vor diesem Hintergrund wurde in Sri Lanka Kritik laut. Die SO habe die Katastrophe unter dem Deckmantel sozialer Aktivitäten ausgenutzt, um Menschen für Scientology anzuwerben ("Asian Tribune", Artikel "Scientology: Cult of greed in divine garb" vom 10. Juni 2005, URL: http://www.asiantribune.com). 429 "Geistig gesund" sind nach scientologischem Verständnis nur die Menschen, die nicht "aberriert" (im Scientology-Verständnis von der Vernunft abweichend) sind, das heißt bei denen HUBBARDs Techniken angewandt worden sind. 430 WISE-Zeitschrift "Prosperity" Nr. 65/2004, S. 15, Übersetzung durch das Landesamt für Verfassungsschutz. 431 Ebenda, S. 19. 220 Scientology-Organisation Einem neuen Beschäftigten einer von Scientologen geführten Firma in der Finanzdienstleistungsbranche wurde eröffnet, dass er Fortbildungsmaßnahmen benötige. Dabei handelte es sich um einführende SO-Kurse, die bei der "Scientology Kirche" in Stuttgart durchgeführt wurden. Die Seminarkosten sollten mit dem Lohn des Betroffenen verrechnet werden. In einem weiteren Fall berichtete eine Betroffene, man habe sie nach ihrer Einstellung in einer von Scientologen geführten Vertriebsfirma für die SO anwerben wollen. Werbeversuche seien auch unterschwellig durch "HilfsangeboBeispiele für te" bei Problemen erfolgt. versuchte Unterwanderung Die klassische scientologische Taktik, bei der Unternehmensspitze anzusetder Wirtschaft zen, wurde bei einer im Dienstleistungsbereich tätigen mittelständischen Firma deutlich. Der Geschäftsführer eines in Baden-Württemberg ansässigen Unternehmens eröffnete den übrigen Führungskräften bei einer Besprechung unvermittelt, dass er seit längerer Zeit von scientologischen Beratern trainiert würde und bekundete seinen Willen, HUBBARD-Managementtechniken in der Firma einzuführen. Danach bot er seinen Führungskräften Seminare an, die auf der Scientology-Lehre beruhen und teilweise identisch mit einführenden SO-Kursen im "Kirchenbereich" sind. Die Betroffenen wehrten sich daraufhin geschlossen gegen die Pläne des Geschäftsführers. 5.3 Sonstige Anwerbeversuche Nicht nur WISE-Trainer, sondern auch Hilfsorganisationen wie die Nachhilfegruppen von "Applied Scholastics" offenbaren häufig zunächst nicht ihren Hintergrund und dienen tatsächlich einer zielgruppenorientierten Mitgliederwerbung für Scientology. Hierfür sollen unter anderem auch Englisch-Nachhilfe-Angebote genutzt werden. Die SO beabsichtigt, Scientology-Lerntechniken auf breiter Front im Bildungssystem einzuführen. sonstige verdeckte In Kirchheim/Teck boten Scientologen Vortragsveranstaltungen zu den Werbung Themen menschliche Psyche oder zu Stress und Mobbing an. Dabei wurde zunächst nicht deutlich, dass diese Vorträge auf der Lehre HUBBARDs beruhen. Für Außenstehende war auch nicht erkennbar, dass die Veranstaltungen bei einer Feldauditorengruppe durchgeführt wurden. Als Referenten traten langjährige SO-Mitglieder auf. Verschiedene SO-Anhänger aus dem Raum Stuttgart sowie die KVPM Stuttgart nutzten das Netzwerk Neue Impulse, das sich vorwiegend mit Alternativmedizin und Verschwörungstheorien beschäftigt, um für scientologische Ideen zu werben. Dabei wurden über das Internet, durch Veran221 staltungen und über die Publikation mit dem Titel "Mehr wissen besser leben" ("Kent-Depesche") unterschiedliche Themen im Bereich Alternativmedizin und Politik aufgegriffen, um Kontakte zu knüpfen. Anschließend wurden diese genutzt, um teils offen für Scientology zu werben. Die "Kent-Depesche" wird von Scientologen im Eigenverlag herausgegeKontakte zu ben. Ihre Herausgeber unterhalten auch Kontakte in das rechtsextremistiRechtssche Milieu. In der Online-Fassung der "Kent-Depesche" befinden sich extremisten Links zu "befreundeten Magazinen", unter denen sich die rechtsextremistischen "Unabhängigen Nachrichten" (UN) befinden.432 6. Diffamierungskampagnen "Sie können eine Schlacht sogar ohne den Rechtsweg und allein durch Propaganda gewinnen. (...) Die Beute ist eine ,öffentliche Meinung', an der die Presse beteiligt ist. Die einzige sichere anzusteuernde öffentliche Meinung ist, dass man uns liebt und in ekstatischem Hass gegenüber dem Feind ist. Das bedeutet Standard-Kriegszeitpropaganda, (...) Sie erhalten oder steigern das Image ihrer eigenen Truppen und setzen das Image des Feindes auf das eines Untiers herab."433 Die SO betreibt durch Beschwerden bei USBehörden, über das Internet und durch Publikationen seit Jahren die planmäßige Herabsetzung des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Repräsentanten. Die KVPM, die in BadenWürttemberg vereinzelt Straßenaktionen durchKVPM-Broschüren führte, verbreitet in hetzerischer Weise Elemente scientologischer Verschwörungstheorien. Danach soll die Psychiatrie Teil eines scheindemokratischen Systems sein, das angeblich dazu dient, die Bevölkerung umfassend zu kontrollieren und unmündig zu halten. Ihre Hetze rechtfertigt die KVPM mit der Behaup432 Internetauswertung vom 21. Juni 2005. Die "Unabhängigen Nachrichten" relativieren die Kriegsschuld des "Dritten Reichs" und agitieren teilweise antisemitisch und ausländerfeindlich. 433 L. Ron HUBBARD, vertraulicher Richtlinienbrief "Gefechtstaktiken" vom 16. Februar 1969, wieder herausgegeben am 24. September 1987, "übernommen als offizielle Kirchenrichtlinie durch die Church of Scientology International", in: "The Office of Special Affairs Investigation Section", 1991, Übersetzung durch das Landesamt für Verfassungsschutz. 222 Scientology-Organisation tung, sie würde Menschenrechtsverletzungen in der Psychiatrie aufdecken. Ein Scientology-Anhänger aus Baden-Württemberg etwa umschrieb sein Feindbild der vermeintlichen Gegner von Scientology wie folgt: "Ich spreche von Pharmaindustrie, Schulmedizin, Psychiatrie, Großkirchen, Regierungen und vom internationalen Großkapital. (...) Ich habe die Angreifer der Dianetik seit 22 Jahren studiert und recherchiert."434 Die Medien verVerschwörungsdammte er als "psychiatrisch indoktrinierte Medienmeute."435 theorien Die SO-Zeitschrift "Freiheit" polemisierte, dass in Deutschland "die Bürgerrechte und Grundfreiheiten demontiert werden. Jeder ist verdächtig." Weltweit gebe es nur wenige Länder, "in denen die Überwachung des Bürgers ähnliche Ausmaße angenommen" habe wie in Deutschland; es drohe ein "unsichtbares Überwachungsgeschwür."436 Mit derartigen Slogans will die SO Zerrbilder über den demokratischen Rechtsstaat erzeugen. Die SO bemüht sich seit Jahren mit aus der Luft gegriffenen Behauptungen über "Diskriminierungen" in Deutschland, US-Behörden zu Interventionen zu veranlassen. Wohl deshalb hielt sich Scientology bislang mit nach außen gerichteter Kritik an den USA eher zurück. Jedoch griff die Organisation innerhalb ihrer Anhängerschaft auch amerikanische Sicherheitsbehörden und die US-Regierung heftig an. David MISCAVIGE äußerte, der "Krieg gegen den Terrorismus" werde nur dazu benutzt, Menschenrechte "auszuradieren". Er verglich die US-Sicherheitsbehörde "Homeland Security" mit dem KGB der ehemaligen Sowjetunion, kritisierte die US-Regierung wegen des Irak-Krieges scharf und behauptete, nur Scientology könne eine Gesellschaft ohne Krieg und Kriminalität schaffen.437 Jedoch bemühte sich die SO auch um ein gutes Verhältnis zu der von ihr geschmähten "Homeland Security." So wurden aktuell Kontakte der Vizepräsidentin der "Church of Scientology International" zur "Homeland Security" im Rahmen einer Tagung für Terrorismusabwehr im Jahr 2003 hervorgehoben.438 Diese zunächst widersprüchlich erscheinende Haltung ist letztlich Ausdruck von Opportunismus. Scientology versucht, alle Situationen auszunutzen, die der Expansion der Organisation dienen können. 434 Broschüre "mehr wissen besser leben", Nr. 8/9, Stuttgart, 22. März 2005, S. 30ff. 435 Broschüre "mehr wissen besser leben", Nr. 27, Stuttgart, 5. Oktober 2005, S. 18. 436 Zeitschrift "Freiheit", Ausgabe "Jeder ist verdächtig...", 2004, S. 1. 437 Zeitschrift "Impact" Nr. 110/2004, S. 15ff. 438 Website der "Church of Scientology International", Internetauswertung vom 28. Februar 2005. 223 7. Aktivitäten des "Office of Special Affairs" (OSA) "Der Nachrichtendienst identifiziert Ziele und findet gegnerische Pläne und Absichten, gegnerische Verbindungen, Dispositionen usw. heraus. (...) BehanOSA-Logo deln Sie einen Krieg niemals wie ein Scharmützel. Behandeln Sie alle Scharmützel wie einen Krieg."439 Zur Durchsetzung ihrer Ziele unterhält die SO unter der Bezeichnung "Office of Special Affairs" (OSA) ein auch geheimdienstliche Aufgaben wahrnehmendes Netzwerk, das weitgehend abgeschottet gegenüber anderen Bereichen der SO handelt. Das OSA nimmt PR-Aufgaben wahr und dient der Diffamierung von Kritikern, deren Aufklärung mit nachrichtendienstlichen Mitteln und der Beseitigung jeglichen Widerstands gegen Scientology. Laut einem hochrangigen Scientology-Aussteiger soll das SO-Management unter dem Eindruck der Beobachtung durch den Verfassungsschutz und aufgrund des schlechten Ansehens von Scientology seit mehreren Jahren eine "neue Linie" für Europa angeordnet haben. Kritiker sollten demnach nicht mehr verklagt und verfolgt werden. Stattdessen werde auf Lobbyarbeit und den Einsatz prominenter Scientologen aus den USA zur Imagesteigerung gesetzt. Diese Angaben erscheinen glaubhaft. Der SO-Nachrichtendienst agiert im Vergleich zur Vergangenheit zurückhaltender und vorsichtiger. Diese "neue Linie" ist jedoch nur taktisch motiviert. Das OSA streute 2005 wiederum programmatische Aussagen HUBBARDs, die auf eine unveränderte ideologische Einstellung und auf eine aggressive Grundhaltung hinweisen: "Wir sind hier nicht zum Spiel. Unsere persönliche Zukunft hängt davon ab, weiter zu machen und Elitedenken keine großen Fehler zu begehen. Es gibt keine Frage, ob es etwas anderes gibt. Das gibt es nicht. Niemand kann halb in der und halb außerhalb der Scientology sein. Scientologen sind Scientologen, egal wovon sie leben. (...) Wenn wir versagen, ist es aus. (...) Wir haben keine Zeit für Zweifel und Geschwätz. Das nächste Mal, wenn Sie jemanden jammern hören, (...), schlagen Sie ihm die Zähne ein440. Wir sind die Elite des Planeten Erde, (...)"441 439 L. Ron HUBBARD, vertraulicher Richtlinienbrief "Gefechtstaktiken" vom 16. Februar 1969, wieder herausgegeben am 24. September 1987, "übernommen als offizielle Kirchenrichtlinie durch die Church of Scientology International", in: "The Office of Special Affairs Investigation Section", 1991, Übersetzung durch das Landesamt für Verfassungsschutz. 440 Im englischen Original: "kick his teeth in". 441 L. Ron HUBBARD, Richtlinienbrief "Gegenwärtige Planung", im April 2005 vom "OSA United Kingdom" an deutsche Scientologen gestreut, Übersetzung durch das Landesamt für Verfassungsschutz. 224 Scientology-Organisation Ein derartiges Selbstverständnis lässt darauf schließen, dass sich das OSA als Elite und als Speerspitze versteht, dessen Auftrag es ist, Widerstand gegen Scientology aus dem Weg zu räumen, um eine angeblich im Niedergang befindliche Gesellschaft scientologisch zu verändern. Das Elitebewusstsein schafft eine Barriere zur nichtscientologischen Außenwelt. Kritik kann dabei nicht toleriert werden. Denn die Lehre HUBBARDs darf nach einer derartigen Sicht nicht relativiert oder in Zweifel gezogen werden, da die vermeintliche absolute Wahrheit nicht mehr diskutabel ist. Nach außen versucht die SO, den wahren Charakter des OSA immer wieder zu verharmlosen. Nach eigenem Selbstverständnis ist es jedoch Aufgabe des OSA, "einen sicheren Raum zu schaffen, in den Scientology hinein expandieren kann."442 Der SO-Nachrichtendienst sieht es in demselben Schriftstück auch als seine Bestimmung an, Führungskräfte in Staat und Gesellschaft zu kontaktieren, um Scientology-Techniken in allen Bereichen zur Anwendung zu bringen. In der Vergangenheit wurden bereits Aktionen in Bezug auf die politische und öffentliche Meinungsbildung bekannt. Es gibt unter anderem Hinweise, dass zum Beispiel die mit dem OSA eng verbundene KVPM Einfluss politische auf den Gesetzgeber nehmen wollte, indem sie sich etwa unterstützend an Einflussnahme Briefaktionen beteiligt, die zum massenhaften Versand an Parlamentsmitangestrebt glieder führen sollte. All dies zeigt erneut, dass die SO im Rahmen ihrer Expansionsstrategie auch politische Einflussnahmen anstrebt, in Deutschland jedoch eine offene Teilnahme an Willensbildungsprozessen vermeidet. Dagegen versucht Scientology in den USA über ihre Hilfsorganisation "Citizens Commission on Human Rights" (CCHR) relativ offen, Gesetzgebungsverfahren zu beeinflussen. 8. Vertrauliches Telefon Im Rahmen der Beobachtung der SO ist der Verfassungsschutz auch weiterhin auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen. Rufen Sie uns an: 0711/9561994. 442 Flugblatt "OSA The Office of Special Affairs", 2004, Übersetzung durch das Landesamt für Verfassungsschutz. 225 E. SPIONAGEABWEHR, GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ 1. Aktuelle Entwicklungen und Tendenzen Die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder von Mitteln zu ihrer Herstellung hat sich zu einem globalen sicherheitspolitischen Problem entwickelt. Nicht nur Staaten streben den Besitz solcher Waffen an, auch Terroristen haben schon ihre Absicht bekundet, sich ABC-Waffen oder atomwaffenfähiges Material beschaffen zu wollen. Durch den Besitz von Massenvernichtungswaffen kann der militärische und der politische Handlungsspielraum von Staaten spürbar erweitert werden. Es eröffnen sich neue Möglichkeiten der Einschüchterung und der reinen Abschreckung; die militärische Schlagkraft wird deutlich verbessert. Zudem wird das politische Gewicht eines Landes, das über solche Waffen verfügt, erheblich erhöht. Immer mehr Staaten sind technisch in der Lage, Waffen mit einem ungeheuren Vernichtungspotenzial zu produzieren. Vor allem die Atomprogramme einiger Länder und der damit verbundene "nukleare Schwarzmarkt" stellen ein bedeutendes globales Bedrohungspotenzial dar. Anfang des Jahres 2005 hat Nordkorea den Besitz von Kernwaffen eingestanden, und der Iran steht trotz gegenteiliger Beteuerungen im Verdacht, auf dem Umweg über die zivile Nutzung der Kernkraft die Fähigkeit zur Herstellung von Atomwaffen erlangen zu wollen. Die Bekämpfung der Proliferation443 ist daher eine wichtige sicherheitspolitische Aufgabe, zu der auch die Verfassungsschutzbehörden ihren Beitrag Arbeitsschwerleisten. Dieser Komplex hat - wie schon in den Vorjahren - auch 2005 die punkt Arbeit der Spionageabwehr des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) Proliferation dominiert. Die Spionageabwehr trägt durch die Verfolgung und Aufklärung entsprechender Aktivitäten nicht nur dazu bei, die Urheber solcher Beschaffungsaktivitäten identifizieren und bestrafen zu können, sondern leistet gleichzeitig offensive Aufklärungsarbeit, um zu verhindern, dass baden-württembergische Unternehmen oder Geschäftsleute aus Unkenntnis oder Fahrlässigkeit in riskante Proliferationsgeschäfte verwickelt werden. 443 Proliferation: Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen beziehungsweise der zu ihrer Herstellung verwendbaren Produkte einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen. 226 Spionageabwehr Die Problematik der Wirtschaftsspionage ist zwar in den Medien etwas in den Hintergrund getreten, beschäftigt die Spionageabwehr aber nach wie vor. Speziell die Erfahrungen deutscher Firmen und ihrer Repräsentanten in China belegen, dass dieser Staat auf den verschiedensten Ebenen eine konsequente und gut durchdachte Strategie verfolgt, um möglichst zum "Nulltarif" modernstes Know-how zu erlangen. Quer durch Deutschland klagen in Bezug auf China immer mehr Unternehmen darüber, dass man ihnen ihre Technologie "gestohlen" hätte. Ein weiterer Schwerpunkt sind die Aktivitäten der Russischen Föderation, die bei aller Annäherung an den Westen offenbar nicht auf die Möglichkeiten nachrichtendienstlicher Informationsbeschaffung verzichten will. Weltumspannende Informationsund Kommunikationssysteme neuester Risiken der Generation eröffnen der Spionage völlig neue Dimensionen. Fast täglich lasKommunikations sen Besorgnis erregende Meldungen über die Verwundbarkeit moderner technik Technik mit enormen finanziellen Auswirkungen aufhorchen: Wirtschaftsspionage mit "Trojanischen Pferden"444, die enorme Zunahme erkannter Schwachstellen in komplexen Softwaresystemen, globale ComputervirenEpidemien, gravierende Sicherheitslücken bei häufig ungenügend abgesicherten Wireless Local Area Networks (WLAN) und bei Internettelefonaten, die Ausspähung von Passwörtern und PINs445 mit gefälschten E-Mails446, durch Keylogger-Systeme447 oder durch Spionagesoftware448, die Generierung von Abhörmöglichkeiten durch manipulierte Mobiltelefone und Telekommunikationsanlagen oder die Rekonstruktion eines Textes anhand von Tippgeräuschen der Computertastatur. Diese Liste aktueller Beispiele ließe sich beliebig verlängern. Wirtschaft und Gesellschaft sind jedoch auf eine sichere Informationstechnik angewiesen. Der baden-württembergische Verfassungsschutz engagiert sich deshalb stark auf dem Feld der Prävention. Die Unternehmen sind für den Schutz ihrer Betriebsgeheimnisse selbst verantwortlich. Viele wiegen sich nach den bisherigen Erfahrungen in trügeri444 Als "Trojanisches Pferd" bezeichnet man in der Computersprache Programme, die sich als nützliche Programme tarnen, aber in Wirklichkeit Malware (Schad-Software) einschleusen und im Verborgenen unerwünschte Aktionen ausführen. 445 Persönliche Identifikationsnummer (PIN-Code oder Geheimzahl). 446 Phishing: Durch gefälschte E-Mails versuchen Betrüger Nutzerdaten auszuspähen und an Passwörter, Daten für das Onlinebanking und Kreditkartennummern der Kunden zu gelangen. 447 Softwareprogramme oder Hardwarebausteine, die heimlich alle Tastatureingaben eines PC-Anwenders aufzeichnen. 448 Programme (Spyware und Adware), die ohne Wissen des PC-Anwenders Daten sammeln und verdeckt weitergeben. 227 scher Sicherheit. Die bereits in den letzten Jahren praktizierte Unterstützung der baden-württembergischen Wirtschaft in Sicherheitsfragen durch das Sicherheitsforum Baden-Württemberg449 wird deshalb fortgesetzt. Die LfV-Broschüre zum Thema "Know-how-Schutz" hat auch im Jahr 2005 ein beachtliches Echo gefunden, ein sichtbarer Hinweis auf die nach wie vor bestehende Aktualität des Themas. 2. Daten, Fakten, Hintergründe 2.1 Proliferation Die erheblichen Aufrüstungsbemühungen von Staaten wie Iran, Nordkorea, Pakistan und Syrien bei ABC-Waffen und bei Trägertechnologien stellen eine weltweite Bedrohung dar. Wegen der strengen Embargobestimmungen wird in der Regel nicht auf den Erwerb von Endprodukten abgezielt, sondern auf die Beschaffung von Einzelkomponenten. Bevorzugtes Interesse besteht an "Dual-Use-Gütern", die sowohl zivil wie auch militärisch einsetzbar sind. Fließdrückmaschinen können beispielsweise sowohl zur Herstellung von Masten für Straßenbeleuchtungen als auch zur Fertigung von Gehäusen für Raketen oder Rotoren für Gas-Ultrazentrifugen450 eingesetzt werden. Da die proliferationsrelevanten Staaten aus den Fehlern der Vergangenheit konspirative gelernt haben, wird es zunehmend schwieriger, ihre teilweise unter BeteiliBeschaffungsnetze gung von Geheimdienstmitarbeitern konspirativ arbeitenden Beschaffungsnetze zu enttarnen. Besondere Aufmerksamkeit ist jedenfalls dann geboten, wenn folgendes Szenario festgestellt werden kann: Ständige Einrichtung im staatlichen Bereich (Forschungseinrichtung, Staatshandelsfirma oder private Firma im staatlichen Auftrag), die insbesondere für die politische Führung (Rüstungsministerien, Militär) Nachrichten (dazu gehören auch Gegenstände mit Informationswert) und/oder Güter systematisch (nach einem vom Staat vorgegebenen Plan) 449 Vgl. Kapitel 3.3. 450 Diese werden für die Anreicherung von zivilem zu waffenfähigem Nuklearmaterial benötigt. 228 Spionageabwehr unter Anwendung konspirativer Mittel (Tarnfirma) sammelt, um vor allem das militärische Potenzial des beschaffenden Staates zu stärken. Für die Beschaffung von Proliferationsgütern werden kleine und mittelVorgehen ständische Firmen bevorzugt. Häufig werden die Waren über deutsche Strohmänner geordert und auf Umwegen über Osteuropa oder fernöstliche Länder an ihren Bestimmungsort transportiert. Nachfolgend geschilderter Fall zeigt, wie Exportbestimmungen umgangen werden: Ein pakistanischer Geschäftsmann mit zahlreichen sehr guten Kontakten zur Regierung seines Heimatlandes versuchte, mit dem deutschen Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens in Baden-Württemberg ein bundesweites Netz für Beschaffungen im Bereich atomarer Analysetechnik aufzubauen. Die Lieferungen sollten über einen osteuropäischen Zwischenhändler an die pakistanische Atomindustrie gelangen. Die Sicherheitsbehörden wurden auf die illegalen Beschaffungsmaßnahmen aufmerksam, als das Netzwerk auf weitere, an Deutschland angrenzende Länder ausgedehnt werden sollte. Nach Erkenntnissen der international eng zusammenarbeitenden Sicherheitsbehörden werden solche Lieferungen auch über die Vereinigten Arabischen Emirate abgewickelt. Eine herausragende Rolle spielt dabei die "Jebel Ali Freezone" in Dubai. Dort sind hunderte Firmen ansässig, die an sie gelieferte Bestellungen auch aus dem Bereich "Dual-Use-Güter" weiterleiten. Manche Länder nutzen für die Beschaffung der so genannten sensitiven Waren auch ihre amtlichen und halbamtlichen Vertretungen in Deutschland. Solche Stützpunkte bieten eine perfekte Tarnung, indem sie neben ihrer offiziellen Funktion - etwa der Förderung von Handelsbeziehungen - auch Möglichkeiten zur Vermittlung und zum Abschluss illegaler Geschäfte eröffnen. Einige proliferationsrelevante Staaten treten mittlerweile selbst weltweit als Exporteure von Komponenten und Herstellungstechnologien für Massenvernichtungswaffen auf. Diese "horizontale Proliferation" unterläuft zunehmend die bisherige Nichtverbreitungspolitik mit Hilfe von Exportkontrollen in westlichen Industriestaaten. 229 2.1.1 Islamische Republik Iran Der Iran ist in allen Bereichen der konventionellen Rüstung, der Nuklearund Trägertechnologie sowie auf dem Sektor Entwicklung und Herstellung biologischer und chemischer Kampfstoffe aktiv. Nach bisherigem Kenntnisstand wurden überwiegend Teile und Ersatzteile für Maschinen, Fahrzeuge und halbfertige Erzeugnisse aus Stahl und Aluminium sowie DualUse-Güter gekauft. Offen und verdeckt durchgeführte Beschaffungsmaßnahmen betrafen in der Vergangenheit vornehmlich Spezialwerkzeugmaschinen, Windkanalausrüstungen, Kreiseltechnologien, Antriebsund Steuerungssysteme, Testanlagen, Messgeräte und Festtreibstoffkomponenten. Die dadurch eingetretene Abhängigkeit von Ersatzteilund Komponentenlieferungen kann selbst wiederum zur Entdeckung konspirativ beschaffter, den Exportbeschränkungen unterliegenden Güter führen. Atomprogramm Der Iran arbeitet seit langem zielstrebig und ausdauernd an einem Atomprogramm. In Baden-Württemberg konnte eine iranische Delegation beobachtet werden, die zu verschiedenen Unternehmen im Bundesgebiet - in der Mehrzahl Zulieferer für die Atomindustrie - Kontakt suchte. Die Delegation vertrat hierbei eine bereits seit Jahren dem Landesamt für Verfassungsschutz als nachrichtendienstlich gesteuerte Beschaffungsorganisation bekannte Firma mit Sitz in Teheran. 230 Spionageabwehr 2.1.2 Demokratische Volksrepublik Korea Nordkorea hat sich 2002 aus dem Atomwaffensperrvertrag zurückgezogen Atomprogramm und im Februar 2005 erstmals erklärt, Atomwaffen zu besitzen. Hauptstreitpunkte in den nachfolgenden internationalen Verhandlungen waren Nordkoreas Forderungen nach einem Programm zur zivilen Nutzung der Atomenergie und Sicherheitsgarantien. Bei seiner technologischen Weiterentwicklung ist Nordkorea auf Knowhow und Dual-Use-Güter aus den westlichen Industrieländern angewiesen. Die Nachrichtendienste unterstützen diese "Aufholjagd" mit Nachdruck. Sie nutzen bei ihren Aktivitäten primär Botschaften beziehungsweise Handelsvertretungen sowie - als "Rückgrat" der Beschaffung - bestimmte Außenhandelsgesellschaften des Landes. In den letzten Jahren wurde dieses Netz durch kleinere Unternehmen im Ausland mit nordkoreanischer Beteiligung ergänzt, bei denen die Beschaffung von Dual-Use-Gütern unter dem Deckmantel der Vermittlung beziehungsweise Abwicklung umfangreicher und legal erscheinender Import-/Exportgeschäfte erfolgen kann. Die gewünschte Ware wird zum Beispiel in der Bestellung einer Vielzahl unkritischer Produkte mit nachprüfbarem Endverbraucher "versteckt". 2.2 Wirtschaftsspionage 2.2.1 Volksrepublik China China unternimmt größte Anstrengungen, um an die Leistungsfähigkeit hoch entwickelter Staaten anzuknüpfen. Die Konjunkturdaten der letzten Jahre zeigen, dass der Wirtschaftsboom unvermindert anhält. Fortschritte, die im Westen jeweils mehrere Generationen beansprucht haben, werden hier in knapp einer Generation erzielt. Dabei profitiert das Land enorm vom Know-how seiner ausländischen Partner. Die "China-Euphorie" ist auch in Baden-Württemberg deutlich zu spüren. Eine gegenüber den Vorjahren weiter angestiegene Zahl einheimischer Unternehmen hat sich im Reich der Mitte engagiert. Firmen aus fast allen Technologiebereichen und Dienstleister vereinbaren Kooperationen mit chinesischen Partnern oder verlagern ihre Produktionsstätten, zuweilen gar einen Teil ihrer Forschung und Entwicklung, nach China und gehen damit zum Teil unübersehbare Sicherheitsrisiken ein. Volkswirtschaftliche Brisanz ist dann gegeben, wenn illegal und zum "Nulltarif" Know-how abfließt, ganz besonders, wenn es mit 231 staatlicher Unterstützung zur Stärkung der Zukunftsfähigkeit der einheimischen Wirtschaft entwickelt worden ist. Die Absicherung des eigenen Know-hows ist daher für unsere Industrie eines der fundamentalen strategischen Probleme in der Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern. Als zuverlässiger Garant für die Modernisierung der chinesischen Wirtschaft und das Überleben des politischen Systems setzen die chinesischen Nachrichtendienste vielseitige Methoden ein, um auf den klassischen Aufklärungsfeldern Politik, Wirtschaft, Militär, Wissenschaft und Forschung den globalen Überblick zu gewinnen und technologischen Anschluss an die USA und Europa zu erlangen. Die intensivsten Auslandsaufklärungsaktivitäten entfalten das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) als ziviler Dienst und die 2. Hauptverwaltung für Nachrichtenwesen des Generalstabs der Volksbefreiungsarmee als militärischer Nachrichtendienst (MID). Für die Fernmeldeund elektronische Aufklärung aus dem militärischen, diplomatischen und zivilen Bereich ist die 3. Abteilung des Generalstabs der Volksbefreiungsarmee (3VBA) zuständig. Koordiniert und geleitet werden alle bedeutenden nachrichtendienstlichen Operationen von einer zentralen Beschaffungsstelle. Methoden der Für die offene und verdeckte Informationsgewinnung in Deutschland werInformationsden vor allem abgetarnte Stützpunkte an den diplomatischen Vertretungen, gewinnung Niederlassungen chinesischer Firmen, akkreditierte Journalisten, Praktikanten, Studenten sowie Wissenschaftler eingesetzt. Das Landesamt für Verfassungsschutz erhielt von zahlreichen Vorkommnissen Kenntnis, bei denen in deutschen Unternehmen tätige chinesische Praktikanten und Hospitanten 232 Spionageabwehr unberechtigt umfangreiches Datenmaterial aus Firmennetzen auf ihre Laptops oder USB-Sticks kopierten und über das Internet nach China transferierten. In einem Fall lagerten 170 CDs mit sensiblen Entwicklungsdaten einer Rüstungsfirma in der Wohnung einer Chinesin. Sie zeigte bei ihrer Befragung keinerlei Unrechtsbewusstsein und konnte auch keinen Grund für ihren Datenmissbrauch benennen. Nach ihrer "Enttarnung" bewarb sie sich bei einem anderen baden-württembergischen Unternehmen, um dort möglicherweise auf dieselbe Art und Weise an Informationen zu gelangen. Der Einsatz von Studenten, Praktikanten und Wissenschaftlern als InforEinsatz von manten erschwert die Aufdeckung entsprechender staatlich gesteuerter AuslandsAktivitäten. Die Zahl einreisender Chinesen ist wegen der Lockerung der chinesen ohne NDReisebeschränkungen in den letzten Jahren um ein Vielfaches gestiegen. Hintergrund China kann deshalb eine große Anzahl unverdächtig auftretender Quellen einsetzen, um an eine Fülle von Einzelinformationen zu gelangen, die dann im Heimatland zusammengeführt werden. Die im Ausland agierenden Chinesen unterliegen einem ausgeklügelten Überwachungssystem und können auch durch die Anwendung von Druckmitteln - Probleme bei der Passverlängerung oder Repressalien gegen Familienangehörige in China - zur Spionagetätigkeit animiert oder genötigt werden. Investieren in den chinesischen Markt bedeutet nicht unbedingt garantierten Profit. Diese Erfahrung machte auch ein mittelständisches Unternehmen in Baden-Württemberg, das bisher seine Produkte auf dem Weltmarkt nahezu konkurrenzlos anbot. Bevor es problematische auch in China aktiv werden konnte, musste es die Voraussetzungen Zertifizierung der seit 1. August 2003 gültigen Pflichtzertifizierung "China Compulsory Certification" (CCC) erfüllen. Es legte den chinesischen Behörden interne Akten und Mustergeräte zur Prüfung der in den Dokumenten verlangten Spezifikationen vor. Nach einem ständigen Wechsel der Ansprechpartner und einer Bearbeitungszeit von über einem halben Jahr wurde die Zertifizierung abgeschlossen. Das Unternehmen begann daraufhin, seine Waren in die Volksrepublik zu exportieren. Kurze Zeit später tauchte bereits die perfekte Kopie eines seiner Produkte auf einer Messe auf. Es verstärkt sich der Verdacht, dass über das Zertifizierungssystem von staatlicher Seite gezielt der Versuch unternommen wird, an fremdes Know-how 233 zu gelangen. Den meisten Unternehmen, die sich einem solchen Verfahren unterziehen, dürfte überhaupt nicht bewusst sein, welche Folgen für sie daraus erwachsen können. Eine häufig eingesetzte und wirksame Methode der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung ist die gezielte Verbindungsaufnahme zu anderen Tagungsteilnehmern und Messebesuchern. Aus zunächst fachbezogenen und deshalb unverfänglich wirkenden Gesprächen können tiefere, vertrauensvolle Beziehungen entstehen. Nicht selten kommt es daraufhin zu Einladungen nach China. Dort gestalten die Geheimdienste ihren "Gästen" den Aufenthalt möglichst angenehm und versuchen, sie abzuschöpfen und für eine Mitarbeit zu gewinnen, ohne dass ihr Ziel sofort erkennbar wird. Besonderes Interesse zeigen sie an Informations-, Luftund RaumfahrttechGefahren bei nologien und an allen rüstungsrelevanten Industriebereichen. Aufenthalten in China Es muss auch nach wie vor damit gerechnet werden, dass Gepäckstücke und Hotelzimmer durchsucht, Telekommunikationsanlagen abgehört, E-Mails mitgelesen und Besprechungen mitgeschnitten werden. Die kommunistische Regierungspartei duldet weiterhin keine Bestrebungen, die ihre Machtposition gefährden könnten. Die Überwachung der in Deutschland ansässigen Landsleute, die dem politischen System ihres Heimatlandes kritisch gegenüberstehen und einer Oppositionsgruppe angehören, zählt ebenfalls zu den Aufgaben der chinesischen Nachrichtendienste. In Baden-Württemberg lebende Anhänger der in China seit 1999 verbotenen Falun-Gong-Bewegung unterrichteten das LfV von Störaktionen gegen ihre Aktivitäten durch massiven Telefonterror. 2.2.2 Russische Föderation Um den Nachrichtendiensten wirksame Grundlagen für ein erfolgreicheres Arbeiten zu verschaffen, wurden im Jahr 2003 tief greifende - und in der Zwischenzeit wohl abgeschlossene - Restrukturierungsmaßnahmen angeordnet, die Kompetenzen erweitert sowie ihr im Jahr 2004 bereits deutlich angehobener Etat im Jahr 2005 nochmals um 25 Prozent erhöht. Trotz der guten zwischenstaatlichen Beziehungen mit Russland sind die russischen Dienste auch in Deutschland unverändert aktiv. Sie haben den Auftrag, wichtige Informationen aus Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft zu beschaffen. Vor allem der industrielle Sektor soll durch solche Maßnahmen unterstützt werden. 234 Spionageabwehr Primär zuständig für die zivile operative Auslandsaufklärung ist der Auslandsnachrichtendienst SWR451. Er verfügt über mehr als 13.000 Mitarbeiter. Um an besonders sensible Informationen zu gelangen, wirbt er weltweit Agenten an - auch in Deutschland. Der militärische Auslandsnachrichtendienst GRU452 wurde nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1992 von der Russischen Föderation übernommen und unverändert erhalten. Mit seinen ca. 12.000 Mitarbeitern untersteht der nach eigenen Angaben "geheimste Dienst Russlands" dem Verteidigungsministerium. Sein vorrangiger Aufklärungsauftrag in Deutschland ist die Informationsbeschaffung aus den Bereichen Bundeswehr und Rüstungstechnik. Operationen können sowohl vom russischen Territorium als auch von den Legalresidenturen453 in den diplomatischen und konsularischen Vertretungen in Deutschland ausgehen. Bei der AnwerVorgehen bung neuer Agenten erkunden die in Gesprächsführung bestens geschulten Operativoffiziere die Lebensumstände, Zugangsmöglichkeiten und die Eignung ihrer Zielpersonen, die sie dann auch selbst führen, für eine spätere Zusammenarbeit. Ziel ist es, die Quelle durch ein sehr enges persönliches, fast freundschaftliches Verhältnis an ihren Führungsoffizier zu binden. Die Legalresidenturen sind eine wesentliche Stütze der russischen Spionage im Bundesgebiet. Ihre vielfältigen Kontakte zu Politik, Militär, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung nutzen sie zur nachrichtendienstlichen Informationsgewinnung. Die Führungsoffiziere - Angehörige von SWR und 451 "Slushba Wneschnej Raswedkij". 452 "Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije". 453 Abgetarnte Stützpunkte fremder Nachrichtendienste in den offiziellen Vertretungen (insbesondere Botschaften, Konsulate, Handelsvertretungen) des Auftraggebers im Operationsgebiet. 235 GRU - nehmen zum Beispiel auf Messen und Fachkongressen Kontakt zu Vertretern deutscher Unternehmen auf und beschaffen offen zugängliches Material. Besonderes Interesse finden die Informationstechnik, elektronische Systeme, Steuerungssysteme und die Forschung. Die Einbindung der Legalresidenturen in die Nachrichtenbeschaffung veranschaulicht folgender Vorgang: Wie internationale Medien erst geraume Zeit nach der Entdeckung und der diplomatischen Lösung des Falles im April 2005 berichteten, führte Alexander K., russischer Konsul in Hamburg, ca. 20 geheime Treffen mit einem Bundeswehrangehörigen in Süddeutschland durch. Für vertrauliche Unterlagen über deutsche Waffensysteme und moderne Fernmeldetechnik bezahlte er seinem Informanten insgesamt ca. 10.000 Euro. Nach Intervention des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei der russischen Regierung wurde der Diplomat am 5. Dezember 2004 aus Deutschland abberufen. Aufwertung Der Föderale Sicherheitsdienst FSB454 hat in seiner Eigenschaft als tragendes des FSB Element der staatlichen Sicherheitsstruktur eine weitere Festigung erfahren. Er verfügt über ca. 350.000 Mitarbeiter und ist zuständig für die zivile und militärische Spionageabwehr, die Beobachtung des politischen Extremismus sowie die Bekämpfung von Terrorismus und die Aufklärung der Organisierten Kriminalität. Unter dem Deckmantel "Spionageabwehr" wirbt er ausländische Staatsangehörige an, die sich in Russland aufhalten, und betreibt auf diese Weise ebenfalls Auslandsaufklärung. Russischen Medienberichten zufolge erging Ende August 2005 eine Weisung der Regierung an die Telefongesellschaften des Landes, dem FSB und dem Innenministerium uneingeschränkt Zugriffsrecht auf ihre Datenbanken mit Informationen über Ferngespräche, Rechnungen, angebotene Dienstleistungen und Kundendaten zu gewähren. Damit erhält der FSB eine optimale Ergänzung zu den Monitoring-Systemen SORM 1 und 2, die es dem Geheimdienst gestatten, jederzeit Telefongespräche mitzuhören und Internetaktivitäten zu überwachen. Durch diese zusätzlichen Informationen kann der FSB, auch rückwirkend, auf sämtliche Personenund Anschlussdaten sowie Gesprächsinhalte zugreifen und sie für nachrichtendienstliche Zwecke nutzen. Deutsche Firmen und Privatpersonen müssen 454 "Federalnaja Slushba Besopasnosti". 236 Spionageabwehr damit rechnen, in Russland bei der Nutzung von Telefon und Internet in das Blickfeld des FSB zu geraten und gezielt überwacht zu werden. 3. Prävention Unter dem Begriff Prävention versteht man die Gesamtheit aller vorbeugenden Maßnahmen, die der Verfassungsschutz entweder aufgrund gesetzlichen Auftrags zu erfüllen hat oder aus Opportunitätsgründen heraus ergreifen kann, um sensitives Wissen oder die Integrität sicherheitsempfindlicher Einrichtungen zu schützen. Mitarbeiter der Spionageabwehr haben auch 2005 in zahlreichen Vorträgen Beratungsangebot bei Firmen, Verbänden und Behörden die aktuelle Risikolage hinsichtlich Spionage und Sabotage aufgezeigt und zielgruppengerechte Empfehlungen zur Verhinderung von Schäden sowie zur richtigen Verhaltensweise im Konfliktfall gegeben. Leistungsangebot des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg für die Wirtschaft Lebens-/ Unternehmen im Firmen im verteidigungswichtige Geheimschutz offenen Bereich" Unternehmen " Aufklärung von Spionagefällen und Sicherheitsvorkommnissen (SS 3 Abs. 2 Nr. 2 LVSG) Originäre Aufgaben Allgemeine Informationen: Beratungen, Vorträge, Broschüren, Internet (SS 12 LVSG) Personeller Personeller Geheimschutz: Sabotageschutz: Sicherheitsüberprüfungen Personenüberprüfungen Mit(SS 3 Abs. 3 Nr.2 LVSG) (SS 3 Abs. 3 Nr.1 LVSG) wirkungsaufgaben Materieller Geheimschutz: Festlegung technischer Sicherheitsmaßnahmen (SS 3 Abs. 3 Nr.3 LVSG) 237 3.1 Geheimund Sabotageschutz Ein wesentliches Element der Prävention bildet der förmliche Geheimund Sabotageschutz, der wiederum Teil der gesetzlich vorgeschriebenen so genannten Mitwirkungsaufgaben455 ist. Diese umfassen u.a. Sicherheitsüberprüfungen von Personen, technische und organisatorische Maßnahmen sowie die Beratung von Behörden und Wirtschaftsunternehmen. Aufgabenstellung Während der Geheimschutz in erster Linie als Vorbeugungsmaßnahme gegen Ausspähungsbemühungen fremder Nachrichtendienste anzusehen ist, soll der Sabotageschutz den Bestand lebensund verteidigungswichtiger Einrichtungen sichern. Beide Aufgabenstellungen erfordern komplexe Sicherheitslösungen mit umfassenden Schutzmaßnahmen auf personellem, organisatorischem und technischem Gebiet, die nur im Wege des intensiven Zusammenwirkens von Staat und Wirtschaft erfolgreich zu bewältigen sind. In Baden-Württemberg sind derzeit über 200 Unternehmen in das amtliche Geheimschutzverfahren einbezogen und rund 25 Unternehmen als lebensund verteidigungswichtig eingestuft. Sie werden vom Landesamt für Verfassungsschutz regelmäßig über sicherheitsgefährdende Bestrebungen beziehungsweise Aktivitäten fremder Nachrichtendienste aufgeklärt und entsprechend beraten. Ziel ist es, den hiesigen Unternehmen bei der Aufarbeitung von Sicherheitsvorkommnissen kompetent zur Seite zu stehen und sie durch ein ausgefeiltes Präventionsprogramm in die Lage zu versetzen, Gefahren frühzeitig zu erkennen und darauf auch angemessen reagieren zu können. 3.2 Objektschutz als integraler Bestandteil der IT-Sicherheit Der Beratungsschwerpunkt liegt dabei seit Jahren auf dem Gebiet der ITSicherheit. Immer mehr Behörden und Unternehmen sind bereit, den Schutz ihrer Informationsund Kommunikationssysteme (IuK) zu verbessern und entsprechend zu investieren. Der baden-württembergische Verfassungsschutz legt bei diesen Beratungen besonderes Augenmerk auf die Schnittstelle zwischen der IT-Sicherheit und der konventionellen Gebäudesicherheit. Nur wenn die jeweiligen Sicherheitskonzepte im Sinne eines ganzheitlichen Informationsschutzes aufeinander abgestimmt sind und ein455 Neben den originären Aufgaben gem. SS 3 Abs. 2 LVSG nimmt das Landesamt für Verfassungsschutz gem. SS 3 Abs. 3 LVSG auch Mitwirkungsaufgaben wahr, die regelmäßig den Antrag (zum Beispiel auf Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung) einer externen Stelle voraussetzen. 238 Spionageabwehr heitliche Bedrohungsszenarien beziehungsweise Schutzzieldefinitionen berücksichtigen, erreichen sie die gewünschte Wirkung. Konkrete Bedrohungen treten vor allem dann auf, wenn es unbefugten Dritten gelingt, sich ungehindert oder ohne größere Barrieren überwinden zu müssen, Zugang zu Betriebsgeländen und Gebäuden zu verschaffen oder Problem: gar in sensible Bereiche von Behörden oder Wirtschaftsunternehmen vorGebäudesicherheit zudringen. Das folgende Beispiel aus der Beratungspraxis des Landesamts für Verfassungsschutz verdeutlicht, welche Risiken entstehen können, wenn unzureichende Objektschutzmaßnahmen getroffen oder bestehende Vorkehrungen außer Kraft gesetzt werden: Ein überregional tätiges, strategisch besonders bedeutsames Rechenzentrum ist durch stetigen Personalund Aufgabenzuwachs permanent inhomogen gewachsen. Sicherheitsmaßnahmen konzentrierten sich auf die immer komplexer werdenden IT-Systeme und Netze. Doch weder die Gebäudenoch die vorhandene materielle Sicherheitsinfrastruktur konnten mit dieser Entwicklung Schritt halten. Vielmehr wurden unter anhaltendem finanziellem Druck Sicherheitsmaßnahmen (unter anderem personelle Bewachung, ständige Pfortenbesetzung, technische Überwachung) reduziert oder gänzlich aufgegeben. Bei der nachfolgenden Auslagerung von Organisationseinheiten und IT-technischen Einrichtungen in zusätzlich angemietete Gebäude wurde auf die Realisierung an sich gebotener Schutzmaßnahmen weitgehend verzichtet. Unbefugte konnten sich somit fast ungehindert Zugang zu den Objekten und den sensiblen IT-Einrichtungen verschaffen. Grundlegende Basis für die Beratungspraxis des LfV auf dem Sektor der materiellen Sicherheit sind neben dem eigenen Erfahrungswissen und den Empfehlungen des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die am 20. Dezember 2004 erlassene Neufassung der Verschlusssachenanweisung (VSA) des Landes Baden-Württemberg und deren zeitgleich veröffentlichte ergänzenden Richtlinien, insbesondere die VS-ITRichtlinie.456 456 URL: http://www.verfassungsschutz-bw.de/spio/files/spio_praev_2005-02_2.html. 239 3.3 Sicherheitsforum Baden-Württemberg Das Landesamt für Verfassungsschutz war 1999 neben namhaften Repräsentanten aus Wirtschaft, Forschung und Verwaltung Gründungsmitglied des Sicherheitsforums Baden-Württemberg. Dieses Gremium hat es sich zum Ziel gesetzt, Hilfe zur Selbsthilfe bei der Sicherung des Technologievorsprungs der heimischen Wirtschaft und Forschung zu leisten. Darüber hinaus soll auch die Sensibilität für andere Gefährdungspotenziale wie Extremismus, Terrorismus, Sabotage und allgemeine Wirtschaftskriminalität gefördert werden. Die Mitglieder verstehen sich als Bindeglied zwischen Wirtschaft und Politik und haben ihren Handlungsrahmen entsprechend festgelegt. Als Tätigkeitsschwerpunkte gelten folgende Aufgaben: Aufgaben Sensibilisierung besonders von kleinen und mittelständischen Unternehmen für Gefahren durch Angriffe, die insbesondere zum Verlust von Know-how führen können, von innen und außen, Hilfestellung bei der Entwicklung von Instrumenten für den unternehmensspezifischen Informationsschutz, Entwicklung von Ansätzen für ganzheitliche Sicherheitsbetrachtungen und Reaktion auf aktuelle Sicherheitslagen. Die Ende 2004 veröffentlichten Ergebnisse der vom Sicherheitsforum bei der Universität Lüneburg in Auftrag gegebenen Fallund Schadensanalyse hatten eine beachtliche Wirkung in der Öffentlichkeit. Die Studie hat bereits bestehende Befürchtungen bestätigt, dass bei kleinen und mittelständischen Unternehmen selbst die grundlegendsten Vorkehrungen gegen Spionage beziehungsweise illegalen Informationsabfluss vielfach unbekannt, nicht vorhanden oder unzureichend sind. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat im Jahr 2005 die Ergebnisse der Studie - insbesondere die Empfehlungen zur Prävention - aufbereitet und daraus entsprechende Empfehlungen abgeleitet. Es misst beispielsweise der 240 Spionageabwehr Schaffung innerbetrieblicher Sicherheitsstrukturen eine hohe Priorität zu. An ihrer Spitze müssen qualifizierte hauptoder nebenamtliche Sicherheitsverantwortliche mit weit reichenden Kompetenzen stehen. Neu verfügbar ist die von allen Mitgliedern des Sicherheitsforums gemeinsam erarbeitete Broschüre "Mit Sicherheit erfolgreich - Erfolgsfaktor Know-howSchutz". Sie beschreibt exemplarische Fälle aus der Praxis und gibt konkrete Empfehlungen zur Verbesserung des Informationsschutzes. Weitere Hinweise gibt es auf der Internetseite www.sicherheitsforum-bw.de. 4. Erreichbarkeit der Spionageabwehr Wenn Sie Hinweise oder Anregungen geben wollen beziehungsweise weitere Informationen wünschen, so können Sie die Spionageabwehr wie folgt erreichen: Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg - Abteilung 4 - Taubenheimstraße 85 A 70372 Stuttgart Telefon 0711 - 95 44 301 Telefax 0711 - 95 44 444 Über ein Vertrauliches Telefon können Sie der Spionageabwehr unter 0711 - 9 54 76 26 (Telefon) und 0711 - 9 54 76 27 (Telefax) rund um die Uhr Informationen - auch anonym - übermitteln. Selbstverständlich werden Ihre Hinweise auf Wunsch vertraulich behandelt. 241 F. VERFASSUNGSSCHUTZ IN BADEN-WÜRTTEMBERG Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen zu beobachten sowie die politisch Verantwortlichen, die zuständigen Stellen, aber auch die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes über Entwicklungen und drohende Gefahren zu unterrichten. Der Verfassungsschutz versteht sich deshalb als "Frühwarnsystem" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Struktur Der Bund und die 16 Länder unterhalten eigene Verfassungsschutzbehörden. Die größte, weil mit vielerlei Zentralfunktionen ausgestattete Behörde, ist das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Sitz in Köln. Dem föderativen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland entsprechend arbeiten alle 17 Behörden eng zusammen. Das baden-württembergische Landesamt für Verfassungsschutz hat seinen Sitz in Stuttgart. Es gliedert sich derzeit in fünf Abteilungen und die Kompetenzgruppe Islamismus. Das Amt wird von einem Präsidenten geleitet. Haushalt Die Personalstellen und Finanzmittel für Personalund Sachausgaben sind im Haushaltsplan des Landes ausgewiesen. Danach waren dem Amt für das Jahr 2005 insgesamt 326 Stellen für Beamte, Angestellte und Arbeiter zugewiesen (2004: 331). Für Personalausgaben standen etwa 12,7 Millionen Euro (2004: 12,5 Millionen Euro), für Sachausgaben rund 2,3 Millionen Euro (2004: 2,4 Millionen Euro) zur Verfügung. 1. Neue gesetzliche Grundlagen Am 5. Oktober 2005 wurden im Landtag von Baden-Württemberg die Änderungen des Landesverfassungsschutzgesetzes und des Landessicherheitsüberprüfungsgesetzes verabschiedet. Die Bekanntmachung der Neu242 Verfassungsschutz Baden-Württemberg fassung des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg (Landesverfassungsschutzgesetz - LVSG) erfolgte am 5. Dezember 2005. Damit wurde das auf Landesebene geltende Recht unter anderem an das auf Bundesebene verabschiedete Terrorismusbekämpfungsgesetz angepasst und das Instrumentarium, das dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) zur Verfügung steht, verbessert. Folgende Regelungen wurden insbesondere getroffen: Der Aufgabenkatalog wurde um die Beobachtung von Bestrebunneue gesetzliche gen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder Befugnisse gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten, erweitert. Das LfV hat die Befugnis erhalten, bestimmte Auskünfte bei Finanzdienstleistern, Postdienstund Luftfahrtunternehmen sowie Telekommunikationsdienstleistern einzuholen. Die Altersgrenze für die Speicherung von Daten über Minderjährige in Dateien wurde von 16 auf 14 Jahre herabgesetzt. Unter dieser Altersgrenze dürfen Daten über Minderjährige wie bisher nur in Akten gespeichert werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie eine der in SS 3 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz genannten Straftaten planen, begehen oder begangen haben. Die Möglichkeiten des Informationsaustausches zwischen den Sicherheitsbehörden, besonders zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Verfassungsschutz, wurden verbessert. Darüber hinaus kann das Landesamt für Verfassungsschutz in eng begrenztem Umfang einschlägige Erkenntnisse nun auch an Private, insbesondere an Unternehmen der Daseinsvorsorge, weitergeben. Die Löschungsfristen für die Speicherung von Daten bestimmter gewaltorientierter Bestrebungen in den Dateien des Verfassungsschutzes wurden von zehn auf 15 Jahre verlängert. Schließlich wurde das baden-württembergische Landesrecht an die Neuregelungen des Bundesgesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses angepasst. Die neuen Befugnisse sind durchgängig mit der Festlegung von Kontrollrechten der zuständigen parlamentarischen Gremien, der G10-Kommission und des G10-Gremiums sowie der Beachtung der Rechte des Betroffenen verknüpft. 243 Erweiterung des Darüber hinaus wurde das Landessicherheitsüberprüfungsgesetz um den LSÜG vorbeugenden personellen Sabotageschutz erweitert. 2. Aufgaben des Verfassungsschutzes Das Landesamt für Verfassungsschutz sammelt unter anderem Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen, sobald ihm tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder auch die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Als derartige Bestrebungen sind Verhaltensweisen von Personen oder Organisationen zu verstehen, deren Ziel es ist, die obersten Werte und Prinzipien des Grundgesetzes außer Kraft zu setzen. Der Verfassungsschutz ist aber beispielsweise auch gefordert, wenn islamistische, linksoder rechtsextremistische Ausländerorganisationen ihr Heimatland beziehungsweise dessen Regierung von deutschem Boden aus mit Gewalt bekämpfen und dadurch Deutschland in außenpolitische Konflikte bringen könnten oder sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Zu den weiteren Aufgaben des Verfassungsschutzes zählt die Spionageabwehr. Sie ist darauf gerichtet, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht aufzuspüren und zu analysieren. Schließlich hat das Landesamt für Verfassungsschutz umfangreiche Aufgakeine polizeilichen ben beim personellen und materiellen Geheimschutz. Beispielsweise wirkt Befugnisse der Verfassungsschutz bei der Sicherheitsüberprüfung von Einbürgerungsbewerbern mit, überprüft Geheimnisträger und andere Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätig werden wollen, und unterstützt beratend Behörden sowie Unternehmen bei der Einrichtung technischer Vorkehrungen zum Schutz von geheimhaltungsbedürftigen Informationen. 3. Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei Die Arbeit einer Verfassungsschutzbehörde unterscheidet sich wesentlich von der einer Polizeibehörde. Dem Verfassungsschutz stehen keine polizeilichen Befugnisse zu. Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz dürfen also keinerlei Zwangsmaßnahmen wie etwa Vorladungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen oder Festnahmen durchführen. Erscheint aufgrund von Informationen, die dem Verfassungsschutz vorliegen, ein polizeiliches Eingreifen erforderlich, so wird die zuständige Polizeidienststelle unterrichtet. Diese entscheidet dann selbstständig, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. Im Gegensatz zur Polizei ist der Verfassungsschutz 244 Verfassungsschutz Baden-Württemberg nicht dem Legalitätsprinzip unterworfen und muss daher nicht Strafverfolgungsmaßnahmen einleiten, wenn er Kenntnis von einer Straftat erlangt. 4. Methoden des Verfassungsschutzes Einen Großteil der Informationen erlangt das Landesamt für Verfassungsschutz auf offenem Weg. Allerdings dürfen Informationen auch verdeckt beschafft und die dafür im Landesverfassungsschutzgesetz (LVSG) genannten nachrichtendienstlichen Hilfsmittel angewendet werden. Gerade letztere hochwertigen Erkenntnisse ermöglichen erst eine fundierte, genaue und verlässliche Analyse der Gefährdungslage. Darüber hinaus darf der Verfassungsschutz im Einzelfall unter engen, gesetzlich normierten Voraussetzungen den Brief-, Postund Fernmeldeverkehr überwachen. Alle diese Möglichkeiten stehen jedoch laut LVSG unter dem Vorbehalt des Grundsatzes Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das heißt, von mehreren geeigneten Maßnahmen der Verhältniszur Nachrichtengewinnung ist diejenige auszuwählen, die den Betroffenen mäßigkeit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Aufgabe der mit der Auswertung befassten Mitarbeiter ist es dann, den Aussagewert und die Bedeutung der beschafften Informationen zu analysieren und Lagebilder sowie Trendaussagen zu erstellen. Methoden der Erkenntnisgewinnung OFFENE BESCHAFFUNG VERDECKTE BESCHAFFUNG 245 5. Kontrolle Das Landesamt für Verfassungsschutz unterliegt einer vielschichtigen rechtsstaatlichen Kontrolle. Im Zentrum stehen innerbehördliche Maßnahmen wie zum Beispiel Kontrollen durch den internen Datenschutzbeauftragten. Daneben stellen die Rechtsund Fachaufsicht durch das Innenministerium sowie externe Kontrollen des Landesbeauftragten für den Datenschutz oder des Rechnungshofs sicher, dass der gesetzlich vorgegebene Rahmen nicht überschritten wird. Die parlamentarische Kontrolle ist nach SS 15 LVSG Aufgabe des Ständigen Ausschusses des Landtags von Baden-Württemberg, dem Mitglieder aller Fraktionen angehören. Postund Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen nach dem Artikel 10-Gesetz unterliegen der Kontrolle der G 10-Kommission und des G10-Gremiums. vielschichtige Kontrolle 6. Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes Der Schutz unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung kann dauerhaft nur durch eine auf allen gesellschaftlichen Ebenen geführte geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus gesichert werden. Das Landesamt für Verfassungsschutz leistet dabei einen wesentlichen Beitrag, indem es neben der Regierung und dem Parlament vor allem auch die Bürgerinnen und Bürger über Aktivitäten und Absichten verfassungsfeind246 Verfassungsschutz Baden-Württemberg licher Parteien und Organisationen regelmäßig informiert. Eine ganze PaletInformationste von Informationsmöglichkeiten steht dabei zur Auswahl. So können zahlangebot reiche Broschüren zu den verschiedensten Themen des Verfassungsschutzes angefordert oder im Internet abgerufen werden. Das Landesamt für Verfassungsschutz stellt auch Referenten für Vortragsund Diskussionsveranstaltungen zu Themen des Verfassungsschutzes zur Verfügung und beantwortet Anfragen von Medienvertretern so umfassend wie möglich. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in Baden-Württemberg haben im Jahre 2005 113 Vorträge (2004: 112) gehalten. Daneben gab es zahlreiche Anfragen von Medienvertretern. Über 13.000 Verfassungsschutzberichte 2004 und 10.700 Broschüren wurden auf Anforderung verteilt. Derzeit sind folgende Informationsschriften verfügbar: Verfassungsschutz Baden-Württemberg (Kurzbroschüre - Januar 2005) Extremisten im Internet - Eine Herausforderung für die Sicherheitsbehörden (Broschüre - Dezember 2001 - gedruckte Auflage vergriffen) Rechtsextremismus in Baden-Württemberg - Allgemeine Entwicklung (Broschüre - gedruckte Auflage vergriffen, überarbeitete Neuauflage erscheint 2006) Rechtsextremistische Skinheads (Broschüre - Dezember 2001; gedruckte Auflage vergriffen) Linksextremismus in der Bundesrepublik Deutschland - Allgemeine Entwicklung (Broschüre - Februar 2003) Antifaschismus als Aktionsfeld von Linksextremisten (Broschüre - März 2002) Die "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) - Auf dem Weg in die Demokratie? (Broschüre - August 2000) Erscheinungsformen des Ausländerextremismus (Broschüre - März 2001) 247 Islamismus (Broschüre - April 2004; überarbeitete Neuauflage erscheint 2006) Arbeiterpartei Kurdistans - Organisationsaufbau (Broschüre - Juli 1998) Scientology - ein Fall für den Verfassungsschutz (Broschüre - August 1997) Die Scientology-Organisation (Broschüre - Juli 2003) Der Kampf der "Scientology-Organisation" um die Anerkennung der Gemeinnützigkeit in den USA und seine Auswirkungen auf Deutschland (Broschüre - April 2004) Know-how-Schutz - Handlungsempfehlungen für die gewerbliche Wirtschaft (Broschüre - Juli 2004) 248 Verfassungsschutz Baden-Württemberg Auch im Internet präsentiert sich der Verfassungsschutz Baden-Württemberg mit einer eigenen Homepage. Dort sind die aktuellen Verfassungsschutzberichte sowie grundlegende Informationen über Hintergründe und Zusammenhänge des Extremismus, der Spionageabwehr und der Scientology-Organisation abrufbar. Kontaktanschriften für Informationen Landesamt für Verfassungsschutz Innenministerium Baden-Württemberg Baden-Württemberg Öffentlichkeitsarbeit Referat "Verfassungsschutz" Postfach 50 07 00 Postfach 10 24 43 70337 Stuttgart 70020 Stuttgart Tel.: 0711/95 44 181/182 Tel.: 0711/231-3501 Fax: 0711/95 44 444 Fax: 0711/231-3599 Internet: http://www.verfassungsschutz-bw.de E-Mail: info@verfassungsschutz-bw.de Vertrauliche Telefone zur Scientology-Organisation: 0711/95 61 994 zur Wirtschaftsspionage: 0711/95 47 626 "Islamistische Extremisten": 0711/95 61 984 (deutsch/englisch) 0711/95 44 320 (türkisch) 0711/95 44 399 (arabisch) 249 G ESETZ ÜBER DEN V ERFASSUNGSSCHUTZ IN B ADEN -W ÜRTTEMBERG (L ANDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ - LVSG) VOM 5. D EZEMBER 2005 SS 1 nung, den Bestand und die Sicherheit der Zweck des Verfassungsschutzes Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder frühzeitig zu erkennen und den Der Verfassungsschutz dient dem Schutz zuständigen Stellen zu ermöglichen, diese der freiheitlichen demokratischen GrundGefahren abzuwehren. ordnung, des Bestandes und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (2) Zur Erfüllung dieser Aufgaben samund ihrer Länder. melt das Landesamt für Verfassungsschutz Informationen, insbesondere sachund SS 2 personenbezogene Auskünfte, NachrichOrganisation, Zuständigkeit ten und Unterlagen von Organisationen und Personen über (1) Zur Wahrnehmung der Aufgaben 1. Bestrebungen, die gegen die freides Verfassungsschutzes unterhält das heitliche demokratische Grundordnung, Land ein Landesamt für Verfassungsden Bestand oder die Sicherheit des Bunschutz. Das Amt hat seinen Sitz in Stuttdes oder eines Landes gerichtet sind oder gart und untersteht dem Innenministeeine ungesetzliche Beeinträchtigung der rium. Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eine Landes oder ihrer Mit(2) Verfassungsschutzbehörden anderer glieder zum Ziele haben, Länder dürfen im Geltungsbereich dieses 2. sicherheitsgefährdende oder geGesetzes nur im Einvernehmen mit dem heimdienstliche Tätigkeiten im GeltungsLandesamt für Verfassungsschutz tätig bereich des Grundgesetzes für eine fremwerden. de Macht, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich (3) Das Landesamt für Verfassungsdes Grundgesetzes, die durch die Anwenschutz darf einer Polizeidienststelle nicht dung von Gewalt oder darauf gerichtete angegliedert werden. Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland SS 3 gefährden, Aufgaben des Landesamtes für Verfas4. Bestrebungen im Geltungsbereich sungsschutz, Voraussetzungen für die dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken Mitwirkung an Überprüfungsverfahren der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen (1) Das Landesamt für Verfassungsdas friedliche Zusammenleben der Völker schutz hat die Aufgabe, Gefahren für die (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), freiheitliche demokratische Grundordgerichtet sind, 250 Anhang und wertet sie aus. Sammlung und Aus7. bei der Überprüfung der Zuverläswertung von Informationen nach Satz 1 sigkeit von Personen nach dem Waffen-, setzen im Einzelfall voraus, dass für Sprengstoffund Jagdrecht, Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Satz 8. bei der Überprüfung der Zuverläs- 1 tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. sigkeit von Personen nach SS 12 b des Atomgesetzes, (3) Das Landesamt für Verfassungs9. bei der sicherheitsmäßigen Überschutz wirkt mit prüfung von Personen, die zu sicherheits1. bei der Sicherheitsüberprüfung von empfindlichen Bereichen von Flughäfen Personen, denen im öffentlichen Interesse Zutritt haben, nach SS 29 c des Luftvergeheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gekehrsgesetzes, genstände oder Erkenntnisse anvertraut 10. bei sonstigen Überprüfungen, werden, die Zugang dazu erhalten sollen soweit dies im Einzelfall zum Schutz der oder ihn sich verschaffen können, freiheitlichen demokratischen Grundord2. bei der Sicherheitsüberprüfung von nung oder für Zwecke der öffentlichen Personen, die an sicherheitsempfindSicherheit erforderlich ist. Näheres wird lichen Stellen von lebensoder verteididurch Verwaltungsvorschrift des Innenmigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt nisteriums bestimmt. sind oder werden sollen, Die Mitwirkung des Landesamtes für Ver3. bei technischen oder organisatorifassungsschutz nach Satz 1 erfolgt in der schen Sicherheitsmaßnahmen zum SchutWeise, dass es eigenes Wissen oder ze von im öffentlichen Interesse geheimbereits vorhandenes Wissen der für die haltungsbedürftigen Tatsachen, GegenÜberprüfung zuständigen Behörde oder ständen oder Erkenntnissen gegen die sonstiger öffentlicher Stellen auswertet. In Kenntnisnahme durch Unbefugte sowie den Fällen des Satzes 1 Nummern 1 und bei Maßnahmen des vorbeugenden Sabo- 2 führt das Landesamt für Verfassungstageschutzes, schutz weitergehende Ermittlungen 4. auf Anforderungen der Einsteldurch, wenn die für die Überprüfung lungsbehörde bei der Überprüfung von zuständige Behörde dies beantragt. Personen, die sich um Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben, sowie auf (4) Die Mitwirkung des Landesamtes Anforderung der Beschäftigungsbehörde für Verfassungsschutz nach Absatz 3 setzt bei der Überprüfung von Beschäftigten im Einzelfall voraus, dass der Betroffene im öffentlichen Dienst, bei denen der auf und andere in die Überprüfung einbezoTatsachen beruhende Verdacht besteht, gene Personen über Zweck und Verfahren dass sie gegen die Pflicht zur Verfassungsder Überprüfung einschließlich der Verartreue verstoßen, beitung der erhobenen Daten durch die 5. bei der sicherheitsmäßigen Überbeteiligten Dienststellen unterrichtet prüfung von Einbürgerungsbewerbern, werden. Darüber hinaus ist im Falle der 6. bei der sicherheitsmäßigen ÜberEinbeziehung anderer Personen in die prüfung von Ausländern im Rahmen der Überprüfung deren Einwilligung und im Bestimmungen des Ausländerrechts, Falle weitergehender Ermittlungen nach 251 Absatz 3 Satz 3 die Einwilligung des deln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Betroffenen erforderlich. Die Sätze 1 und Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von 2 gelten nur, soweit gesetzlich nichts Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer anderes bestimmt ist. Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschäSS 4 digen. Begriffsbestimmungen (2) Zur freiheitlichen demokratischen (1) Im Sinne des Gesetzes sind Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes 1. Bestrebungen gegen den Bestand zählen: des Bundes oder eines Landes solche 1. das Recht des Volkes, die Staatsgepolitisch bestimmten, zielund zweckgewalt in Wahlen und Abstimmungen und richteten Verhaltensweisen in einem oder durch besondere Organe der Gesetzgefür einen Personenzusammenschluss, der bung, der vollziehenden Gewalt und der darauf gerichtet ist, die Freiheit des BunRechtsprechung auszuüben und die des oder eines Landes von fremder HerrVolksvertretung in allgemeiner unmittelschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit barer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes zu wählen, Gebiet abzutrennen; 2. die Bindung der Gesetzgebung an 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit die verfassungsmäßige Ordnung und die des Bundes oder eines Landes solche Bindung der vollziehenden Gewalt und politisch bestimmten, zielund zweckgeder Rechtsprechung an Gesetz und Recht, richteten Verhaltensweisen in einem oder 3. das Recht auf Bildung und Ausfür einen Personenzusammenschluss, der übung einer parlamentarischen Opposidarauf gerichtet ist, den Bund, Ländern tion, oder deren Einrichtungen in ihrer Funk4. die Ablösbarkeit der Regierung und tionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtiihre Verantwortlichkeit gegenüber der gen; Volksvertretung, 3. Bestrebungen gegen die freiheitli5. die Unabhängigkeit der Gerichte, che demokratische Grundordnung solche 6. der Ausschluss jeder Gewaltund politisch bestimmten, zielund zweckgeWillkürherrschaft und richteten Verhaltensweisen in einem oder 7. die im Grundgesetz konkretisierten für einen Personenzusammenschluss, der Menschenrechte. darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beSS 5 seitigen oder außer Geltung zu setzen. Befugnisse des Für einen Personenzusammenschluss Landesamtes für Verfassungsschutz handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen aktiv sowie zielund zweckgerichtet (1) Das Landesamt für Verfassungsunterstützt. Verhaltensweisen von Einzelschutz kann die zur Erfüllung seiner Aufpersonen, die nicht in einem oder für gaben nach SS 3 erforderlichen Informatioeinen Personenzusammenschluss hannen verarbeiten. Soweit dieses Gesetz 252 Anhang keine Regelungen trifft, richtet sich die SS 5a Verarbeitung personenbezogener Daten Einholen von Auskünften nach den Vorschriften des Landesdatenbei nicht-öffentlichen Stellen schutzgesetzes mit Ausnahme der SSSS 8 und 13 Abs. 2 bis 4 sowie SSSS 14 bis 24 des (1) Wenn es zur Erfüllung seiner AufgaLandesdatenschutzgesetzes. ben nach SS 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 erforderlich ist und tatsächliche Anhalts(2) Werden personenbezogene Daten punkte für schwerwiegende Gefahren für beim Betroffenen mit seiner Kenntnis die dort genannten Schutzgüter vorliegen, erhoben, so ist der Erhebungszweck anzudarf das Landesamt für Verfassungsschutz geben. Der Betroffene ist auf die Freiwilim Einzelfall unentgeltlich Auskünfte zu ligkeit seiner Angaben und bei einer 1. Konten, Konteninhabern und sonsSicherheitsüberprüfung nach SS 3 Abs. 3 tigen Berechtigten sowie weiteren am auf eine dienst-, arbeitsrechtliche oder Zahlungsverkehr Beteiligten und zu sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht Geldbewegungen und Geldanlagen bei hinzuweisen. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen, (3) Polizeiliche Befugnisse oder Wei2. Namen, Anschriften und zur Inansungsbefugnisse stehen dem Landesamt spruchnahme von Transportleistungen für Verfassungsschutz nicht zu; es darf die und sonstigen Umständen des LuftPolizei auch nicht im Wege der Amtshilfe verkehrs bei Luftfahrtunternehmen um Maßnahmen ersuchen, zu denen es einholen. selbst nicht befugt ist. Abweichend hier(2) Das Landesamt für Verfassungsvon ist es jedoch berechtigt, die Polizei in schutz darf im Einzelfall zur Erfüllung seieilbedürftigen Fällen außerhalb der reguner Aufgaben nach SS 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 lären Dienstzeiten des Kraftfahrtbundesbis 4 unter den Voraussetzungen des SS 3 amtes um eine Abfrage aus dem FahrAbs. 1 des Artikel 10-Gesetzes vom zeugregister beim Kraftfahrtbundesamt 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, ber. im automatisierten Verfahren zu ersuS. 2298) bei Personen und Unternehmen, chen. die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen, sowie bei denjenigen, die an (4) Von mehreren geeigneten Maßnahder Erbringung dieser Dienstleistungen men hat das Landesamt für Verfassungsmitwirken, unentgeltlich Auskünfte zu schutz diejenige zu wählen, die den Namen, Anschriften, Postfächern und Betroffenen voraussichtlich am wenigsten sonstigen Umständen des Postverkehrs beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf keieinholen. nen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten (3) Das Landesamt für VerfassungsErfolg steht. schutz darf im Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 253 bis 4 unter den Voraussetzungen des SS 3 scheidung auch bereits vor der UnterrichAbs. 1 des Artikel 10-Gesetzes bei denjetung der Kommission anordnen; in dienigen, die geschäftsmäßig Telekommunisem Fall ist die Kommission unverzüglich kationsdienste und Teledienste erbringen zu unterrichten. Die Kommission prüft oder daran mitwirken, unentgeltlich Ausvon Amts wegen oder aufgrund von künfte über TelekommunikationsverbinBeschwerden die Zulässigkeit und Notdungsdaten und Teledienstenutzungsdawendigkeit der Einholung von Auskünften einholen. Die Auskunft kann auch in ten nach den Absätzen 1 bis 3. SS 15 Abs. 5 Bezug auf zukünftige Telekommunikation des Artikel 10-Gesetzes ist mit der Maßund zukünftige Nutzung von Telediengabe entsprechend anzuwenden, dass die sten verlangt werden. TelekommunikaKontrollbefugnis der Kommission sich tionsverbindungsdaten und Telediensteauf die gesamte Erhebung, Verarbeitung nutzungsdaten sind: und Nutzung der nach den Absätzen 1 bis 1. Berechtigungskennungen, Karten- 3 erlangten Informationen und personennummern, Standortkennungen sowie Rufbezogenen Daten erstreckt. Entscheidunnummer oder Kennung des anrufenden gen über Auskünfte, die die Kommission und angerufenen Anschlusses oder der für unzulässig oder nicht notwendig Endeinrichtung, erklärt, hat das Innenministerium unver2. Beginn und Ende der Verbindung züglich aufzuheben. nach Datum und Uhrzeit, 3. Angaben über die Art der vom (6) Für die Verarbeitung der nach den Kunden in Anspruch genommenen TeleAbsätzen 1 bis 3 erhobenen Daten ist SS 4 kommunikationsund Teledienst-Dienstdes Artikel 10-Gesetzes entsprechend leistungen, anzuwenden. 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach (7) Das Auskunftsersuchen und die Datum und Uhrzeit. übermittelten Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Auskunftsgeber (4) Auskünfte nach den Absätzen 1 bis nicht mitgeteilt werden. 3 dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist durch den Leiter des Lan(8) Für die Mitteilung an den Betroffedesamtes für Verfassungsschutz oder seinen findet SS 12 Abs. 1 und 3 des Artikel nen Vertreter schriftlich zu stellen und zu 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. begründen. Über den Antrag entscheidet das Innenministerium. (9) Das Innenministerium unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten 5) Das Innenministerium unterrichtet das Gremium nach SS 2 Abs. 1 des Ausdie Kommission nach SS 2 Abs. 2 des Ausführungsgesetzes zum Artikel 10-Gesetz führungsgesetzes zum Artikel 10-Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen über die beschiedenen Anträge vor deren nach den Absätzen 1 bis 3. Dabei ist insVollzug. Bei Gefahr in Verzug kann das besondere ein Überblick über Anlass, Innenministerium den Vollzug der EntUmfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maß254 nahmen zu geben. Anhang (10) Das Innenministerium unterrichtet (3) Das in einer Wohnung nicht öffentdas Parlamentarische Kontrollgremium lich gesprochene Wort darf mit technides Bundes jährlich über die nach den schen Mitteln nur dann heimlich mitgeAbsätzen 1 bis 3 durchgeführten Maßnahhört oder aufgezeichnet werden, wenn es men. Absatz 9 Satz 2 gilt entsprechend. im Einzelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen gemeinen Gefahr oder einer gegenSS 6 wärtigen Lebensgefahr für einzelne PersoErhebung personenbezogener Daten mit nen unerlässlich ist und geeignete polizeinachrichtendienstlichen Mitteln liche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut nicht rechtzeitig erlangt werden kann. (1) Das Landesamt für VerfassungsSatz 1 gilt entsprechend für den verdeckschutz kann Methoden, Gegenstände und ten Einsatz technischer Mittel zur AnfertiInstrumente zur heimlichen Informationsgung von Bildaufnahmen und Bildaufbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauzeichnungen in Wohnungen. Maßnahmen ensleuten und Gewährspersonen, Obsernach Satz 1 und 2 bedürfen der Anordvationen, Bildund Tonaufzeichnungen, nung durch das Amtsgericht, in dessen Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenBezirk sie durchgeführt werden sollen. den (nachrichtendienstliche Mittel). SS 31 Abs. 5 Satz 2 bis 4 des PolizeigesetDiese sind in einer Dienstvorschrift zu zes sind entsprechend anzuwenden. Bei benennen, die auch die Zuständigkeit für Gefahr im Verzug können die Maßnahdie Anordnung solcher Informationsbemen nach Satz 1 und 2 vom Leiter des schaffung regelt. Die Dienstvorschrift Landesamtes für Verfassungsschutz angebedarf der Zustimmung des Innenminisordnet werden; diese Anordnung bedarf teriums, das den Ständigen Ausschuss des der Bestätigung durch das Amtsgericht. Landtags unterrichtet. Sie ist unverzüglich herbeizuführen. Einer Anordnung durch das Amtsgericht bedarf (2) Das Landesamt für Verfassungses nicht, wenn technische Mittel ausschutz kann personenbezogene Daten schließlich zum Schutz der bei einem Einund sonstige Informationen mit nachrichsatz in Wohnungen tätigen Personen vortendienstlichen Mitteln erheben, wenn gesehen sind; die Maßnahme ist in diesem tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanFall durch den Leiter des Landesamtes für den sind, dass Verfassungsschutz anzuordnen. Eine 1. auf diese Weise Erkenntnisse über anderweitige Verwertung der hierbei Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 erlangten Erkenntnisse zum Zweck der Abs. 2 oder die zur Erforschung solcher Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn Erkenntnisse erforderlichen Quellen gezuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme wonnen werden können oder durch das Amtsgericht festgestellt worden 2. dies zur Abschirmung der Mitarbeiist; bei Gefahr im Verzug ist die richterliter, Einrichtungen, Gegenstände und che Entscheidung unverzüglich nachzuQuellen des Landesamtes für Verfassungsholen. Die Landesregierung unterrichtet schutz gegen sicherheitsgefährdende oder den Landtag jährlich über den nach diegeheimdienstliche Tätigkeiten erfordersem Absatz erfolgten Einsatz technischer lich ist. 255 Mittel. Die parlamentarische Kontrolle nen durch Auskunft nach SS 9 Abs. 3 wird auf der Grundlage dieses Berichtes gewonnen werden können. Die Anwendurch das Gremium nach Artikel 10 des dung des nachrichtendienstlichen Mittels Grundgesetzes ausgeübt. darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachver(4) Das Landesamt für Verfassungshalts stehen. Die Maßnahme ist unverzügschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben lich zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht nach SS 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, sofern die ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergedort genannten Bestrebungen durch ben, dass er nicht oder nicht auf diese Anwendung von Gewalt oder darauf ausWeise erreicht werden kann. gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, sowie zur Erfüllung seiner (6) Bei Erhebungen nach den Absätzen Aufgaben nach SS 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 3 und 4 und solchen nach Absatz 2, die in 4 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. ihrer Art und Schwere einer Beschrän- 1 des Artikel 10-Gesetzes auch technische kung des Brief-, Postund FernmeldegeMittel zur Ermittlung des Standortes heimnisses (Artikel 10 des Grundgeseteines aktiv geschalteten Mobilfunkgerätes zes) gleichkommen, ist der Eingriff nach und zur Ermittlung der Geräteund Karseiner Beendigung der betroffenen Person tennummern einsetzen. Die Maßnahme mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des ist nur zulässig, wenn ohne die Ermittlung Zweckes der Maßnahme ausgeschlossen die Erreichung des Zwecks der Überwawerden kann. SS 12 des Artikel 10-Gesetzes chungsmaßnahme aussichtslos oder gilt entsprechend. Die durch solche Maßwesentlich erschwert wäre. Für die Verargabe erhobenen Informationen dürfen beitung der Daten gilt SS 4 des Artikel 10nur nach Maßgabe von SS 4 des Artikel 10Gesetzes entsprechend. PersonenbezogeGesetzes verwendet werden. SS 2 Abs. 1 ne Daten eines Dritten dürfen anlässlich des Ausführungsgesetzes zum Artikel 10solcher Maßnahmen nur erhoben werden, Gesetz findet entsprechende Anwendung. wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1 unver(7) Die Befugnisse des Landesamtes für meidbar ist. Sie unterliegen einem absoluVerfassungsschutz nach dem Artikel 10 ten Verwertungsverbot und sind nach Gesetz bleiben unberührt. Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. SS 5a Abs. 4 bis 9 gilt entspreSS 7 chend. Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (5) Die Erhebung nach den Vorschriften der Absätze 2 bis 4 ist unzulässig, (1) Das Landesamt für Verfassungswenn die Erforschung des Sachverhalts schutz kann zur Erfüllung seiner Aufgaauf andere, den Betroffenen weniger ben personenbezogene Daten speichern, beeinträchtigende Weise möglich ist; eine verändern und nutzen, wenn geringere Beeinträchtigung ist in der 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Regel anzunehmen, wenn die InformatioBestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 2 vorliegen, 256 Anhang 2. dies für die Erforschung und Bewerstehende Maßnahmen gegenüber Betung von Bestrebungen oder Tätigkeiten diensteten genutzt werden. nach SS 3 Abs. 2 erforderlich ist oder 3. das Landesamt für VerfassungsSS 8 schutz nach SS 3 Abs. 3 tätig wird. Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener (2) Zur Aufgabenerfüllung nach SS 3 Daten von Minderjährigen Abs. 3 dürfen vorbehaltlich des Satzes 2 in automatisierten Dateien nur Daten über (1) Das Landesamt für Verfassungsdie Personen gespeichert werden, die der schutz darf unter den Voraussetzungen Sicherheitsüberprüfung unterliegen oder des SS 7 personenbezogene Daten über in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen Minderjährige, die das 14. Lebensjahr werden. Zur Erledigung von Aufgaben noch nicht vollendet haben, in zu ihrer nach SS 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 dürfen in Person geführten Akten nur speichern, automatisierten Dateien nur Daten solverändern und nutzen, wenn tatsächliche cher Personen erfasst werden, über die Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der bereits Erkenntnisse nach SS 3 Abs. 2 vorMinderjährige eine der in SS 3 Abs. 1 des liegen. Bei der Speicherung in Dateien Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten muss erkennbar sein, welcher der in SS 3 plant, begeht oder begangen hat. In Abs. 2 und 3 genannten Personengruppen Dateien ist eine Speicherung von Daten der Betroffene zuzuordnen ist. Minderjähriger, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht zuläs(3) Die nach Absatz 1 Nummer 3 und sig. Absatz 2 gespeicherten personenbezogenen Daten dürfen nur für die dort (2) Sind Daten über Minderjährige in genannten Zwecke sowie für Zwecke verDateien oder in Akten, die zu ihrer Perwendet werden, die für die Wahrnehson geführt werden, gespeichert, ist nach mung von Aufgaben nach SS 3 Abs. 2 erforzwei Jahren die Erforderlichkeit der Speiderlich sind. cherung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren die Löschung vorzuneh(4) Das Landesamt für Verfassungsmen, es sei denn, dass nach Eintritt der schutz hat die Speicherungsdauer auf das Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach für seine Aufgabenerfüllung erforderliche SS 3 Abs. 2 angefallen sind. Satz 1 gilt nicht, Maß zu beschränken. wenn das Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 3 tätig wird. (5) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der DatenschutzSS 9 kontrolle, der Datensicherung oder zur Übermittlung personenbezogener Daten Sicherstellung eines ordnungsgemäßen an das Landesamt für Verfassungsschutz Betriebs einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diese (1) Die Behörden des Landes und die lanZwecke und hiermit in Zusammenhang desunmittelbaren juristischen Personen 257 des öffentlichen Rechts sowie die Gerichbegründen, soweit dies dem Schutz des te des Landes, die Staatsanwaltschaften Betroffenen dient oder eine Begründung und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftden Zweck der Maßnahme gefährden lichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeiwürde. Die Ersuchen sind aktenkundig zu dienststellen übermitteln von sich aus machen. dem Landesamt für Verfassungsschutz die ihnen bekannt gewordenen personenbe(4) Das Landesamt für Verfassungsschutz zogenen Daten und sonstigen Informatiodarf Akten anderer öffentlicher Stellen nen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte und amtliche Register unter den Vorausdafür bestehen, dass diese Informationen setzungen des Absatzes 3 und vorbehaltzur Wahrnehmung von Aufgaben nach SS 3 lich der in SS 11 getroffenen Regelung einAbs. 2 erforderlich sind. sehen, soweit dies 1. zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 (2) Soweit nicht schon bundesrechtlich Abs. 2 oder 3 oder geregelt, können die zuständigen Stellen 2. zum Schutz der Mitarbeiter und in den Fällen des SS 3 Abs. 3 das LandesQuellen des Landesamtes für Verfassungsamt für Verfassungsschutz um Auskunft schutz gegen Gefahren für Leib und ersuchen, ob Erkenntnisse über den Leben Betroffenen oder über eine Person, die in erforderlich ist und die sonstige Überdie Überprüfung mit einbezogen werden mittlung von Informationen aus den darf, vorliegen. Dabei dürfen die erforderAkten oder den Registern den Zweck der lichen personenbezogenen Daten und Maßnahmen gefährden oder das Persönsonstigen Informationen an das Landeslichkeitsrecht des Betroffenen unverhältamt für Verfassungsschutz übermittelt nismäßig beeinträchtigen würde. Dazu werden. Im Falle einer Überprüfung nach gehören auch personenbezogene Daten SS 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 ist das Ersuchen und sonstige Informationen aus Strafverüber das Innenministerium zu leiten. fahren wegen einer Steuerstraftat. Das Landesamt für Verfassungsschutz braucht (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies kann vorbehaltlich der in SS 11 getroffenen dem Schutz des Betroffenen dient oder Regelung von jeder öffentlichen Stelle eine Begründung den Zweck der Maßnach Absatz 1 verlangen, dass sie ihm die nahme gefährden würde. Über die Einzur Erfüllung seiner Aufgaben erfordersichtnahme nach Satz 1 hat das Landeslichen personenbezogenen Daten und amt für Verfassungsschutz einen Nachsonstigen Informationen übermittelt, weis zu führen, aus dem der Zweck und wenn die Daten und Informationen nicht die Veranlassung, die ersuchte Behörde aus allgemein zugänglichen Quellen oder und die Aktenfundstelle hervorgehen. nur mit unverhältnismäßigem Aufwand Die Nachweise sind gesondert aufzubeoder nur durch eine den Betroffenen stärwahren, gegen unberechtigten Zugriff zu ker belastende Maßnahme erhoben wersichern und am Ende des Kalenderjahres, den können. Das Landesamt für Verfasdas dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu versungsschutz braucht Ersuchen nicht zu nichten. 258 Anhang (5) Die Übermittlung personenbezogener ist oder der Empfänger die Daten zum Daten und sonstiger Informationen, die Schutz der freiheitlichen demokratischen aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a Grundordnung oder sonst für Zwecke der Strafprozessordnung bekanntgeworder öffentlichen Sicherheit einschließlich den sind, ist nach den Vorschriften der der Strafverfolgung benötigt. Der EmpAbsätze 1 und 3 nur zulässig, wenn tatfänger darf die übermittelten Daten, sächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, soweit gesetzlich nichts anderes dass jemand eine der in SS 3 Abs. 1 des bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwenArtikel 10-Gesetzes genannten Straftaten den, zu dem sie ihm übermittelt wurden. plant, begeht oder begangen hat. Auf die dem Landesamt für Verfassungsschutz (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz nach Satz 1 übermittelten Unterlagen übermittelt den Staatsanwaltschaften findet SS 4 des Artikel 10 Gesetzes entund, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftsprechende Anwendung. lichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeidienststellen des Landes von sich aus die (6) Das Landesamt für Verfassungsschutz ihm bekannt gewordenen personenbezoprüft unverzüglich, ob die ihm übergenen Daten, wenn tatsächliche Anhaltsmittelten personenbezogenen Daten für punkte dafür bestehen, dass die Überdie Erfüllung seiner Aufgaben erfordermittlung zur Verhinderung oder Verfollich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie gung von Straftaten erforderlich ist, die nicht erforderlich sind, hat es die Unterin SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes oder lagen zu vernichten oder, sofern diese in den SSSS 74a oder 120 des Gerichtsverelektronisch gespeichert sind, zu löschen. fassungsgesetzes genannt sind oder bei Die Vernichtung oder Löschung kann denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des unterbleiben, wenn die Trennung von Motivs des Täters oder dessen Verbinanderen Informationen, die zur Erfüllung dung zu einer Organisation tatsächliche der Aufgaben erforderlich sind, nicht Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie oder nur mit unvertretbarem Aufwand gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b möglich ist; in diesem Fall sind die Daten oder c des Grundgesetzes genannten zu sperren. Schutzgüter gerichtet sind. SS 10 (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz Übermittlung personenbezogener kann personenbezogene Daten an Daten durch das Dienststellen der StationierungsstreitLandesamt für Verfassungsschutz kräfte im Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz zwischen den Parteien des Nordatlantikkann personenbezogene Daten an Vertrages über die Rechtsstellung ihrer Behörden und juristische Personen des Truppen hinsichtlich der in der Bundesöffentlichen Rechts sowie an die Gerichrepublik Deutschland stationierten auste des Landes übermitteln, wenn dies zur ländischen Streitkräfte vom 3. August Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183) übermitteln. 259 Die Übermittlung ist aktenkundig zu Landesamt für Verfassungsschutz hat die machen. Der Empfänger ist darauf hinzuÜbermittlung aktenkundig zu machen. weisen, dass die übermittelten Daten nur Für Übermittlungen nach Satz 2 gilt SS 9 zu dem Zweck verwendet werden dürfen, Abs. 4 Sätze 4 und 5 entsprechend. Der zu dem sie ihm übermittelt wurden und Empfänger darf die übermittelten Daten das Landesamt für Verfassungsschutz sich nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie vorbehält, um Auskunft über die vorgeihm übermittelt wurden. Der Empfänger nommene Verwendung der Daten zu bitist auf die Verwendungsbeschränkung ten. und darauf hinzuweisen, dass das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, (4) Die Übermittlung personenbezogener um Auskunft über die vorgenommene Daten an andere als öffentliche Stellen ist Verwendung der Daten zu bitten. Die nur zulässig, soweit dies zum Zwecke Übermittlung der personenbezogenen einer erforderlichen und zulässigen Daten ist dem Betroffenen durch das Datenerhebung durch das Landesamt für Landesamt für Verfassungsschutz mitzuVerfassungsschutz unabdingbar ist und teilen, sobald eine Gefährdung seiner dadurch keine überwiegenden schutzwürAufgabenerfüllung durch die Mitteilung digen Interessen der Person, deren Daten nicht mehr zu besorgen ist. Einer Mitteiübermittelt werden, beeinträchtigt werlung bedarf es nicht, wenn das Innenmiden. Personenbezogene Daten dürfen nisterium feststellt, dass diese Voraussetdarüber hinaus an andere als öffentliche zung auch fünf Jahre nach der erfolgten Stellen nur übermittelt werden, wenn Übermittlung noch nicht eingetreten ist dies zur Abwehr von Gefahren für die in und mit an Sicherheit grenzender WahrSS 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 4 genannten scheinlichkeit auch in absehbarer Zukunft Schutzgüter oder zur Gewährleistung der nicht eintreten wird. Sicherheit von lebensoder verteidigungswichtigen oder besonders gefahrenträchti(5) Das Landesamt für Verfassungsschutz gen Einrichtungen im Sinne des SS 1 Abs. kann personenbezogene Daten an öffent- 3 des Landessicherheitsüberprüfungsgeliche Stellen außerhalb des Geltungsbesetzes erforderlich ist. Die Übermittlung reichs des Grundgesetzes sowie an überpersonenbezogener Daten an eine sonstiund zwischenstaatliche Stellen übermitge Einrichtung oder Unternehmung, insteln, wenn die Übermittlung zur Erfülbesondere der Wissenschaft und Forlung seiner Aufgaben oder zur Wahrung schung, des Sicherheitsgewerbes oder der erheblicher Sicherheitsinteressen des Kreditund Finanzwirtschaft, ist nur Empfängers erforderlich ist. Die Überzulässig, wenn dies zur Abwehr schwermittlung unterbleibt, wenn auswärtige wiegender Gefahren für die Einrichtung Belange der Bundesrepublik Deutschoder Unternehmung erforderlich ist. Die land, Belange der Länder oder überwieÜbermittlung nach den Sätzen 2 und 3 gende schutzwürdige Interessen des bedarf der vorherigen Zustimmung durch Betroffenen entgegenstehen. Die Überden Innenminister oder im Verhindemittlung ist aktenkundig zu machen. Der rungsfall durch seinen Vertreter. Das Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass 260 Anhang die übermittelten Daten nur zu dem (2) Informationen über Minderjährige Zweck verwendet werden dürfen, zu vor Vollendung des 14. Lebensjahres dürdem sie ihm übermittelt wurden und das fen nach den Vorschriften dieses GesetLandesamt für Verfassungsschutz sich zes nicht an ausländische oder überoder vorbehält, um Auskunft über die vorgezwischenstaatliche Stellen übermittelt nommene Verwendung der Daten zu bitwerden. ten. SS 12 (6) Erweisen sich personenbezogene Unterrichtung der Öffentlichkeit Daten, nachdem sie durch das Landesamt für Verfassungsschutz übermittelt Das Innenministerium und das Landesworden sind, als unvollständig oder amt für Verfassungsschutz unterrichten unrichtig, sind sie unverzüglich gegendie Öffentlichkeit periodisch oder aus über dem Empfänger zu berichtigen oder gegebenem Anlass im Einzelfall über zu ergänzen, es sei denn, dass dies für die Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Beurteilung eines Sachverhaltes ohne Abs. 2. Dabei dürfen auch personenbeBedeutung ist. zogene Daten bekanntgegeben werden, wenn die Bekanntgabe für das VerständSS 11 nis des Zusammenhangs oder der DarÜbermittlungsverbote stellung von Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen erforderlich (1) Die Übermittlung von Informationen ist und die Informationsinteressen der nach den SSSS 5, 9 und 10 unterbleibt, Allgemeinheit das schutzwürdige Interwenn esse des Betroffenen überwiegen. 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter BerücksichtiSS 13 gung der Art der Informationen und Auskunft an den Betroffenen ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen das Allge(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz meininteresse an der Übermittlung übererteilt dem Betroffenen über zu seiner wiegen, Person gespeicherte Daten auf Antrag 2. überwiegende Sicherheitsinteresunentgeltlich Auskunft, soweit er hierzu sen oder überwiegende Belange der auf einen konkreten Sachverhalt hinweist Strafverfolgung dies erfordern oder und ein besonderes Interesse an einer 3. besondere gesetzliche ÜbermittAuskunft darlegt. Es ist nicht verpflichlungsregelungen entgegenstehen; die tet, über die Herkunft der Daten, die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Empfänger von Übermittlungen und den Geheimhaltungspflichten oder von Zweck der Speicherung Auskunft zu Berufsoder besonderen Amtsgeheimerteilen. nissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. 261 (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, cherten personenbezogenen Daten zu soweit berichtigen, wenn sie unrichtig sind; in 1. eine Gefährdung der AufgabenerfülAkten ist dies zu vermerken. Wird die lung durch die Auskunftserteilung zu Richtigkeit der Daten von dem Betroffebesorgen ist, nen bestritten, so ist dies in der Akte zu 2. durch die Auskunftserteilung Quelvermerken oder auf sonstige Weise festzulen gefährdet sein können oder die Aushalten. forschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamtes für Verfas(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz sungsschutz zu befürchten ist, hat die in Dateien gespeicherten perso3. die Auskunft die öffentliche Sichernenbezogenen Daten zu löschen, wenn heit gefährden oder sonst dem Wohl des ihre Speicherung unzulässig war oder ihre Bundes oder eines Landes Nachteile Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht bereiten würde oder mehr erforderlich ist. Die Löschung 4. die Daten oder die Tatsache der unterbleibt, wenn Grund zu der AnnahSpeicherung nach einer Rechtsvorschrift me besteht, dass durch sie schutzwürdige oder ihrem Wesen nach, insbesondere Belange des Betroffenen beeinträchtigt wegen der überwiegenden berechtigten würden. In diesem Fall sind die Daten zu Interessen eines Dritten, geheimgehalten sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilliwerden müssen. gung des Betroffenen übermittelt werden. Die Entscheidung trifft der Behördenleiter oder ein von ihm besonders beauftrag(3) Das Landesamt für Verfassungsschutz ter Mitarbeiter. prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens (3) Die Ablehnung der Auskunftserteinach fünf Jahren, ob in Dateien gespeilung bedarf keiner Begründung, soweit cherte personenbezogene Daten zu dadurch der Zweck der Auskunftsverweiberichtigen oder zu löschen sind. Gespeigerung gefährdet würde. Die Gründe der cherte personenbezogene Daten über Auskunftsverweigerung sind aktenkundig Bestrebungen nach SS 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. zu machen. Wird die Auskunftserteilung 1, die ihre Ziele durch Gewalt oder darauf abgelehnt, ist der Betroffene auf die gerichtete Vorbereitungshandlungen verRechtsgrundlage für das Fehlen der folgen, sowie über Bestrebungen nach SS 3 Begründung und darauf hinzuweisen, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder 4 sind spätestens dass er sich an den Landesbeauftragten für nach fünfzehn Jahren, im Übrigen spätesden Datenschutz wenden kann. tens nach zehn Jahren zu löschen, es sei denn, der Behördenleiter oder sein VerSS 14 treter stellt im Einzelfall fest, dass die weiBerichtigung, Löschung und Sperrung tere Speicherung zur Aufgabenerfüllung personenbezogener Daten oder aus den in Absatz 2 Satz 2 genannten Gründen erforderlich ist. SS 8 Abs. 2 bleibt (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz unberührt. Der Lauf der Frist nach Satz 1 hat die in Akten oder Dateien gespei262 Anhang oder 2 beginnt mit der letzten gespeicher(3) Die Mitglieder des Ständigen Austen relevanten Information. schusses sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der Berichterstathat die in Akten gespeicherten personentung über die Tätigkeit des Verfassungsbezogenen Daten zu sperren, wenn es im schutzes im Ständigen Ausschuss beEinzelfall feststellt, dass die Speicherung kanntgeworden sind. Dies gilt auch für unzulässig war. Dasselbe gilt, wenn es im die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Einzelfall feststellt, dass ohne die SperStändigen Ausschuss oder aus dem Landrung schutzwürdige Interessen des Betroftag. fenen beeinträchtigt würden und die Daten für seine künftige Aufgabenerfüllung (4) Die Unterrichtung umfasst nicht voraussichtlich nicht mehr erforderlich Angelegenheiten, über die das Innenmisind. Gesperrte Daten sind mit einem nisterium das Gremium nach dem Artikel entsprechenden Vermerk zu versehen; sie 10-Gesetz zu unterrichten hat. dürfen nicht mehr genutzt oder übermittelt werden. Die Sperrung kann wieSS 16 der aufgehoben werden, wenn ihre VorEinschränkung von Grundrechten aussetzungen nachträglich entfallen sind. Akten, in denen personenbezogene Aufgrund dieses Gesetzes können das Daten gespeichert sind, sind zu vernichGrundrecht des Brief-, Postund Fernten, wenn die gesamte Akte zur Aufmeldegeheimnisses (Artikel 10 des gabenerfüllung nicht mehr benötigt wird. Grundgesetzes) und das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel SS 15 13 des Grundgesetzes) eingeschränkt werParlamentarische Kontrolle den. (1) Das Innenministerium unterrichtet SS 17 den Ständigen Ausschuss des Landtags Erlass von Verwaltungsvorschriften über die Tätigkeit des Verfassungsschutzes halbjährlich sowie auf Verlangen des Das Innenministerium kann zur AusfühAusschusses und aus besonderem Anlass. rung des Gesetzes allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. (2) Art und Umfang der Unterrichtung des Ständigen Ausschusses werden unter SS 18 Beachtung des notwendigen Schutzes des Inkrafttreten Nachrichtenzuganges durch die politische Verantwortung der Landesregierung Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner bestimmt. Verkündung in Kraft. 263 Gruppen-, Organisationsund Sachregister Bezeichnung Seite/n 18.3. Tag der politischen Gefangenen 198 Act of Violence 119 Adil Düzen 71ff. Advance! 210 AG Antifa 184 AHA! Zentralorgan für bösartige Propaganda 206 Aktionsbündnis Rhein-Neckar 137 Aktionsbüro Rhein-Neckar 137f. Al-Aqsa e.V 47 Al-Djamaa al-Islamiya (Islamische Gruppe) 45f. Al-Djihad al-Islami (Islamischer Djihad) 16, 45f. Al-Europiyya 38f., 41 Al-Islam 36, 41, 43f. Al-Manar 59 Al-Mudjamma al-islami (Islamischer Zusammenschluss) 46 Al-Muqawama al-Islamiya (Islamischer Widerstand) 58 Al-Qaida 15, 20ff., 49 Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel 24f. Al-Qaida im Norden Europas 20 Al-Qaida in Palästina 20 Al-Qaida im Zweistromland 21ff., 48f. Al-Qassam-Brigaden 47 Al-Quds-Tag 59f. Al-Tawhid wal-Djihad 20f. All India Sikh Student Federation (AISSF) 105 Ammar114 43, 71 Anatolische Föderation e.V. 98 An-Nahda (Bewegung der Erneuerung) 50f., 57 Ansar al-Islam 22f. Ansar as-Sunna 22f. Antiamerikanismus 113, 119, 156f. antifa. Magazin für antifaschistische Politik und Kultur 191 Antifa Nachrichten 191 Antifa Ravensburg 201 Antifaschismus 182ff., 191, 197, 199ff. Antifaschistische Gruppe Z.O.R.A 184 Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD) 193 264 Anhang Antifaschistisches Aktionsbündnis Baden-Württemberg 200, 203 Antifaschistisches Bündnis Rems-Murr 184 Antiglobalisierungsbewegung 180 Antisemitismus 73, 92, 114, 157, 222 Applied Scholastics (ApS) 212, 221 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) siehe Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) Armee der Ansar al-Sunna 25 As-Sahab-Media 26 Atilim 101f. Autonome 182, 183ff., 193, 208f. Autonome Nationalisten 130 Autonome Zentren 183, 197, 208f. Babbar Khalsa International (BK) 105ff. Barika-i Hakikat (Das Aufleuchten der Wahrheit) 79 Befreiungseinheiten Kurdistans (HRK) 83 Beklenen ASR-I SAADET 79 Bewaffnete Einheiten der Armen und Unterdrückten (FESK) 102 Bewegung der freien Jugend Kurdistans (TECAK) 90 Bewegung des Islamischen Widerstands siehe HAMAS Bewegung Deutsche Volksgemeinschaft (BDVG) 134, 200 Bildungswerk für Heimat und nationale Identität 141, 159, 161f. Blood & Honour-Bewegung 121 Blue Max 119, 125 Bündnis für ein Buntes Hall 203 Bürgerinitiative für besseres Deutschland 134ff. Bürgerinitiative für soziale Gerechtigkeit 138 Carpe Diem 127 Citizens Commission on Human Rights (CCHR) 225 Class V Org 211 Church of Scientology International (CSI) 210, 212, 223 Criminon 212 Dawa 15, 35, 41, 61 Das Freie Forum 156 Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) 57f. Demokratischer Konföderalismus Kurdistans (KKK) 85f. Der Islam als Alternative 79 Der Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) 78f. Des Pardes 107 265 Deutsche Akademie (DA) 159f. Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 178f., 181f., 186, 188ff., 193, 203ff., 207 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 141, 169, 171, 177 Deutsche Partei - Die Freiheitlichen (DP) 112, 144, 153ff., 169, 173f., 176 Deutscher Buchkreis 155 Deutsche Stimme (DS) 140f., 156, 162 Deutsche Volksunion (DVU) 110ff., 144f., 150ff., 163ff., 171ff., 175f. Deutsches Kolleg (DK) 159f. Deutschland in Geschichte und Gegenwart 141, 155 Deutschland-Pakt 144, 152, 166f., 171, 176f. Deutschland-Post 152 Devrimci Sol (Dev Sol-Revolutionäre Linke) 94 DEVRIMCI SOL 95f. Dhurwat as-Sinam (der Kamelhöcker) 25 Dianetik 214, 219 Dianetik-Post 210 Die Republikaner (REP) 111f., 144f., 147ff., 164ff., 171ff., 175 Die Rote Hilfe 196 Disput 185 Djihad 15, 17f., 23, 27f. 35, 38, 49f., 68 Djihadismus 15f., 20ff., 31 Djihadisten 15, 24ff., 28f., 56 Dresdner Schule 159, 160ff. Ehrenamtliche Geistliche 219f. Ekmek ve Adalet 95ff. Euro-Kurier - Aktuelle Buchund Verlags-Nachrichten 156 Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e.V. (EMUG) 60 European Council for Fatwa and Research (ECFR) 37, 39ff., 51, 67 E. Xani Presseund Verlags GmbH 90, 101 Ex-Steffi 209 Fakirlerin ve Ezilenerin Silahli Kurvetleri (F.E.S.K.) 102 Faktor Widerstand 127 Federalnaja Slushba Besopasnosti (FSB, Förderaler Sicherheitsdienst) 235, 236 Federation of Islamic Organisations in Europe (FIOE) 36ff., 61 Feldauditorengruppen 212, 221 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (ATIF) 100f. Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e.V. (AGIF) 100f., 102f. Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in 266 Anhang Europa e.V. (ADÜTDF) 91ff. Föderation für demokratische Rechte in Deutschland e.V. (ADHF) 100 Föderation kurdischer Vereine in Deutschland (YEK-KOM) 89 Forum of European Muslim Youth and Student Organisations (FEMYSO) 61 Frankfurter Erklärung 164 Free Mind 210 Freiheit 210, 223 Freiheitliche Initiative Heilbronn 173 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) siehe Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) Freundeskreis Ein Herz für Deutschland, Pforzheim e.V. (FHD) 201 Front für die Albanische Nationale Vereinigung (FBKSH) 104f. Front Islamique du Salut (FIS) 35, 47f. Furchtlos und Treu (F+T) 121 Gesellschaft für Freie Publizistik (GFP) 141, 156 Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (GRU) 235f. Global Islamic Media Front 27 GRABERT-Verlag 141, 154ff. Graue Wölfe 92 Groupe Islamique Arme (GIA) 15, 48 Groupe salafiste pour la Predication et le Combat (GSPC) 49f. Hakk-TV 79 Halk Icin Devrimci Demokrasi 99 Hamburger Signal 147, 164ff., 168, 171f., 175f. Hammerskins 121 Harakat Al-Muqawama Al-Islamiya siehe HAMAS HAMAS (Bewegung des islamischen Widerstands) 16, 33, 35, 46f. Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg 203f. Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) 133 Hizb Allah (Partei Gottes) 58ff. Hizb-ul-Mudschahedin 16 Hizb ut-Tahrir (Partei der Befreiung) 51ff., 57 Hohenrain-Verlag 154f. Homegrown Terroristen 18 Idealisten 92f. IGMG Perspektive 60, 66f., 70 Impact 210, 223 267 indymedia 192f. Infobrief Baden-Württemberg 152 Infoladen Ludwigsburg 184 Institut für deutsche Nachkriegsgeschichte 155 International Association of Scientologists (IAS) 218 International Association of Muslim Scholars (IAMS) 37f. International Scientology News 210 International Sikh Youth Federation (ISYF) 105ff. Internationale Kamagatamaru Partei 106 Islamic Foundation 43 Islamic Media Center 27 Islamische Aktionsfront (IAF) 35 Islamische Bewaffnete Gruppe siehe Groupe Islamique Arme (GIA) Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) 36ff. Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) 42, 60ff. Islamische Heilsfront siehe Front Islamique du Salut (FIS) Islamischer Bund Palästina (IBP) 46f. Islamisches Zentrum München (IZM) 41, 43 Islamische Zentren 36, 41 Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland 42, 61 Islamwoche 43, 71, 73 Jamaat-e islami 43, 57 Junge Nationaldemokraten (JN) 136, 142ff., 147, 173, 184 junge Welt 198 Kalifatsstaat siehe Der Kalifatsstaat Kamagata Maru Dal International (KMDI) 106 Kameradschaften 120, 123, 128, 130, 137 Kameradschaft Kaiserstuhl-Tuniberg 120, 123 Kameradschaft Karlsruhe 139f. Kameradschaft Rastatt 128 Kent-Depesche siehe mehr wissen besser leben Khalistan 106f Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte (KVPM) 212, 221ff., 225 Kommunal-Info Mannheim 192 Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Lenninisten (KPD/ML) 185 Kommunistische Plattform (KPF) 186 Kommunistischer Bund Westdeutschland (KBW) 185 Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) 100 Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa (AvEG-Kon) 102f. 268 Anhang Konföderation für demokratische Rechte in Europa (ADHK) 100 Kontinentales Verbindungsbüro 211f. Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) 84 Kulturtreff in Selbstverwaltung (KTS) 209 Kurdische Demokratische Volksunion (YDK) 84 KURTULUS 96 Landesverfassungsschutzgesetz (LVSG) 237, 242f., 244f., 250ff. Laschkar-e Taiba 16, 56 Lernen und Kämpfen (LuK) 193 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 107ff. Linkspartei.PDS 178f., 181, 185ff., 190ff., 195, 199, 202ff. Linksruck 178, 199 Maoistische Kommunistische Partei (MKP) 99 Märtyrer 27f., 35, 59, 100f., 107 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 101ff. Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 178, 181, 185, 193ff., 199, 205f. mehr wissen besser leben 222f. Menschenrechtsverein für Exiliranerinnen e.V. 82 Milli Gazete 60ff., 67ff., 71ff. Milli Görüs 61ff. Milli Selamet Partisi (MSP, Nationale Heilspartei) 61 Modjahedin-e Khalq Organisation (People's Mojahidin of Iran, PMOI) siehe Volksmodjahedin Mouvement de la Tendance Islamique (Bewegung der islamischen Ausrichtung) 50 Mudjahedin 27, 48f. Münchener Bekenntnis 153f, 167ff., 172, 175f. Muslimbruderschaft (MB) 15, 31ff., 61, 67 Muslim Iranian Student's Society 80 Muslimische Jugend in Deutschland 44 Nachrichten der HNG 133 Narconon 212, 217 National Council of Resistence (NCR) 80 National Liberation Army of Iran (NLA) 80 Nationaldemokratische Liga der Albanischen Treue (B.K.D.SH.) 103 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 110ff., 121ff., 131, 137, 140ff., 148, 152f., 156, 160ff., 179, 183f., 200, 203 Nationaldemokratischer Hochschulbund e.V. 160 Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) 83 269 Nationale Info-Telefone 130, 139f. Nationaler Widerstand Rastatt 128 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) 80 Nationales Bündnis Dresden 172f. Nationales Bündnis Heilbronn 173ff., 177 Nationales Bündnis Region Hannover e.V. (NBRH) 175 Nationales Jugendbündnis Dresden (NJB) 172 NATION & EUROPA 141, 161, 162 National Television of Tamil Eelam (NTT) 109 National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung (NZ) 150f., 167, 176 Neonazis 111f., 115, 129ff., 143, 157, 164 Neue Impulse 221f. Noie Werte 125, 127 OBW 9 208f. ODEM 127 Office of Special Affairs (OSA) 212, 224f. Özgür Politika 86f., 89, 90, 101 Organisation der Volksmodjahedin Iran (PMOI) siehe Volksmodjahedin OSA International 212, 216 Ostanatolisches Gebietskomitee (DABK) siehe Maoistische Kommunistische Partei (MKP) Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) 92 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) siehe Linkspartei.PDS Partinin Sesi 101f. Partizan 99 PDS Landesinfo Baden-Württemberg 185 PDS-Pressedienst 185 People's Mojahidin of Iran (PMOI) siehe Volksmodjahedin Professionelles Lerncenter 212 Projekt Schulhof 124ff., 202 Proliferation 226, 228f. Prosperity 210 Race War 119 REBELL 193 Refah Partisi (RP, Wohlfahrtspartei) 61, 71 Religious Technology Center (RTC) 210, 212 Republikaner siehe Die Republikaner Revisionismus 34, 73, 114, 155f., 157ff. Revolutionäre Aktion Stuttgart (RAS) 183 Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKC) 98 270 Anhang Revolutionäre Volksbefreiungspartei-front (DHKP-C) 94, 95f. Rote Armee Fraktion (RAF) 198 Rote Fahne (RF) 193, 195f., 206 Rote Hilfe e.V. (RH) 192, 196ff. Rudolf-Heß-Gedenkmarsch 128, 130ff., 149f., 203 Saadet-Partisi (SP, Partei der Glückseligkeit) 61f. Salafismus 17f. Salafitische Gruppe für Predigt und Kampf siehe GSPC Saut al-Djihad 25 Scharia 32, 40, 53, 65f., 76ff. Schutzbund für das Deutsche Volk e.V. (SDV) 153 Scientology-Gemeinde 211 Scientology Kirche Deutschland (SKD) 215 Scientology-Organisation (SO) 210ff. Sea Organization (Sea Org) 218 Serxwebun 83 Sherbimi Informateti Kosoves (SHIK, Informationsdienst des Kosovo) 105 Sigurimi i Atdheut (Sicherheit für die Heimat) 105 Skinheads 111f., 115ff., 128f., 138f., 157, 200 Slushba Wneschnej Raswedkij (SWR) 235 ['solid] 187, 191, 202, 204 Solidaritätskomitee gegen das Berufsverbot 198 Solidarität.Sozialistische Zeitung 206 Soligruppe Magdeburg/Quedlinburg 198 Sozialistische Alternative Voran (SAV) 178, 199, 206 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 190f. Sozialistische Zeitung 206 Stallhaus Germania 120, 123 Stuttgarter Erklärung 170f., 172, 176 Tabligh-i Jama'at (Gemeinschaft für Verkündung und Mission) 15, 54ff. Tamil New Tigers (TNT) 107 Tamil Rehabilitation Organisation (TRO) 109 Tamil Television Network (TTN) 109 TAYAD-Komitee e.V. 97f. Terminator 209 The Auditor 210 Tübinger Linke/PDS (TüL/PDS) 204 Türk Federasyon Bülteni 91 Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (TIKKO) 99 Türkische Föderation Deutschland (ATF) 91ff. Türkische Kommunistische Arbeiterbewegung (TKIH) 101 271 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) 99ff., 101 Türkische Volksbefreiungspartei/-front - Revolutionäre Linke (THKP/-C) 94 Ümmet-i Muhammed 79 Unabhängige Nachrichten 222 Unsere Zeit (UZ) 188ff. 205f., 208 VATAN 96 Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB) siehe Der Kalifatsstaat Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V. (AMGT) 60 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) 191ff., 203f. Verlagsund Medienhaus Hohenberg OHG 135 Versandbuchhandlung GRABERT 155 Volk in Bewegung 135f. Volk in Bewegung - Verlag und Medien oHG 135 Volksbefreiungsarmee (HKO) 99 Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK) 83 Volksbewegung von Kosovo (LPK) 103f. Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) 57 Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) 83ff. Volksmodjahedin 80ff. Volksverteidigungskräfte (HPG) 84, 86 Wahhabismus 55 Watchdog Commitee 212 Widerstand Schwaben 120 Wirtschaftsspionage 227f., 231ff., 240 WISE Charter Committee (WCC) 212, 220 World Assembly of Muslim Youth (WAMY) 61 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 210, 212, 214, 220f. Yeni Demokrasi Yolunda Isci Köylü 99 YÜRÜYÜS 97 Zeit für Protest 147, 148ff., 173 Zentralrat der Muslime in Baden-Württemberg 36 Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) 19f., 36, 42 272 Anhang Personenverzeichnis Name Seite/n Abd al-Wadud, Musab 49f. Abul Futuh, Abu Muneim 33, 34 Ahmad Kurshid 43 Akif, Mahdi 32ff. Al-Banna, Hassan 31, 36 Al-Farag, Abd 17 Al-Ghannouchi, Rached 50 Al-Iraki, Abu Maysara 26 Al-Maududi, Abu'l Ala 43 Al-Qaradawi, Yusuf 37, 40f. Al-Rawi, Ahmad 42, 44 Al-Taskhiri 37 Al-Zawahiri, Ayman, Dr. 20, 23f., 26, 45 An-Nabhani, Taqi ad-Din 51 Apfel, Holger 162, 172ff. Ar-Rahman, Scheikh Abd 45 Aydar, Zübeyir 83 Azam, Ghulam 57 Azzam, Abdullah 17 Az-Zarqawi, Abu Musab 21, 25f., 29f., 49 Ben Hadj, Ali 47f. Beqiri, Idajet 104 Bin Ladin, Usama 20ff., 45f. Bisky, Lothar 186 Brigitte, Willy 56 Dagenbach, Alfred 173 Deckert, Günter 141 Dehoust, Peter 161 Deif, Muhammad 46 Deinzer, Heinrich 151 Denffer, Ahmad 43f. Deuschle, Ulrich 147 Döring, Osman 65 273 Eigenfeld, Ulrich 174 El Para, Abderrazzak 49 Elyas, Nadeem 19, 42 El-Zayat, Ibrahim 37, 42 Engel, Stefan 195 Erbakan, Necmettin, Prof. Dr. 61ff. Ersoy, Arif, Prof. Dr. 62, 71 Frey, Gerhard, Dr. 151f., 166, 176 Ghannouchi, Rachid 57 Grabert, Herbert, Dr. 154 Grabert, Wigbert 154f. Gün, Mine Alpay 70 Habib, Mohammed 32, 34 Härle, Siegfried 170f. Heise, Thorsten 143 Heß, Rudolf 130ff. Hofmann, Murad 43 Hubbard, Lafayette Ronald 210, 213f., 218ff. Ilyas, Maulana Muhammad 54f. Irving, David 159 Isik, Yusuf, Dr. 72 Kabir, Rabah 47 Käppler, Lars 134ff., 143, 200 Kaplan, Cemaleddin 79 Kaplan, Metin 79 Kappel, Heiner, Dr. 153f., 164, 169, 175f. Karamollaoglu, Temel 71 Karatas, Dursun 94f. Kassim, Farid 77 Kavakci, Merve 60 Karuna siehe Muralitharan Kaya, Adem 61 Kaypakkaya, Ibrahim 99 Khaled, Amr 43 Kizilkaya, Ali 42, 71 Kiziltas, Ekrem 72 274 Anhang Kosiek, Rolf, Dr. 156 Kurtulmus, Numan, Prof. Dr. 71 Madani, Hassan 47f. Marx, Peter 174 Miscavige, David 210 Molau, Andreas 141, 156 Müller, Ursula 133 Nasrallah, Hassan 59 Neidlein, Alexander 142 Nuhaas, Ibn 28 Öcalan, Abdullah 83ff., 87ff. Öcalan, Osman 85 Öztürk, Erol 61 Oktar, Adnan (alias Yahya, Harun) 73 Pätzold, Ulrich 154, 175 Prabhakaran, Vellupillai 107f. Qutb, Sayyid 43 Radjavi, Maryam 81 Rennicke, Frank 119, 127, 129, 174 Retz, Jutta 153f., 169, 174 Richter, Karl 141, 160, 162 Rieger, Jürgen 131 Rohleder, Frank 174 Rudolf, Germar 159 Sahraoui, Nabil 49 Schaal, Karl-August 169 Schlierer, Rolf, Dr. 148ff., 164, 175 Schützinger, Jürgen 141f., 156, 169ff., 177 Senlikoglu, Emine 68 Sertyüz, Fatih 63 Siddiq, Muhammad 20 Türkes, Alparslan 92f. 275 Ücüncü, Oguz 42, 64, 67, 77 Verbeke, Siegfried 158 Voigt, Udo 166, 174 Wagenknecht, Sarah 186 Wiechmann, Claudia 154 Winkelsett, Ursula 165f. Woltersdorf, Hans Werner 155 Worch, Christian 136, 138f. Yagan, Bedri 94 Yahya, Harun siehe Oktar, Adnan Yassin, Ahmad 46 Zündel, Ernst 158 276 Anhang 277 278 Notizen 279 VERTEILERHINWEIS Diese Informationsschrift wird von d Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen lichkeit herausgegeben. Sie darf weder v Helfern während eines Wahlkampfs zu den. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich sind insbesondere die Informationsständen der Parteien sow parteipolitischer Informationen oder W Untersagt ist auch die Weitergabe an D Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer W verwendet werden, dass dies als Partein politischer Gruppen verstanden werden hängig vom Vertriebsweg, also unabhän Anzahl diese Informationsschrift dem E Erlaubt ist jedoch den Parteien, die Inf glieder zu verwenden. der Landesregierung Baden-Württemberg im Verpflichtung zur Unterrichtung der Öffentvon Parteien noch von deren Kandidaten oder um Zwecke der Wahlwerbung verwendet werVerteilung auf Wahlveranstaltungen und an ie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben Werbemittel. Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. ahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so nahme der Herausgeberin zugunsten einzelner n könnte. Diese Beschränkungen gelten unabngig davon, auf welchem Wege und in welcher Empfänger zugegangen ist. formationsschrift zur Unterrichtung ihrer Mit-